Meister Eckharts Rezeption im Nationalsozialismus Studien zur ideologischen Ambivalenz der ‚deutschen‘ Mystik 9004517626, 9789004517622

Der vorliegende Sammelband analysiert die diversen Formen einer ideologisch motivierten Instrumentalisierung von Meister

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German Pages 248 [247] Year 2022

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Table of contents :
‎Inhaltsverzeichnis
‎Vorwort
‎Kapitel 1. Vom ‚deutschen Geist‘ zum ‚deutschen Willen‘: Die genealogische Rekonstruktion von Mystik, Idealismus und Romantik als nationalsozialistisches Wissenschaftsprojekt (Roesner)
‎Kapitel 2. Das Eckhart-Bild des Tübinger Religionswissenschaftlers Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962) (Wehrli-Johns)
‎Kapitel 3. „Halb so teuer und doppelt so deutsch“ (Erich Seeberg): Der ‚jüdische‘ und der ‚deutsche‘ Meister Eckhart (Schwartz)
‎Kapitel 4. ‚Ekkehart der Deutsche‘: Die völkische Eckhart-Deutung von Hermann Schwarz (Henning)
‎Kapitel 5. „Meister Eckhart – ein falscher Prophet?“ Darstellung einer tragikomischen Auseinandersetzung um die nationalsozialistische Rechtgläubigkeit Meister Eckharts (Mauriège)
‎Kapitel 6. Eine Relektüre von Heideggers Rezeption Meister Eckharts im Lichte der Schwarzen Hefte (Baeza)
‎Kapitel 7. Einleitung zum Faksimile-Nachdruck eines aufschlussreichen, jedoch bisher unbeachteten Dokuments: der Eintrag „Eckhart“ im Handbuch der Romfrage (1940) (Mauriège)
‎Namenverzeichnis
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Meister Eckharts Rezeption im Nationalsozialismus Studien zur ideologischen Ambivalenz der ‚deutschen‘ Mystik
 9004517626, 9789004517622

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Meister Eckharts Rezeption im Nationalsozialismus

Studies in Mysticism, Idealism, and Phenomenology Edited by Andrés Quero-Sanchez (Universitä t Regensburg) Ben Morgan (University of Oxford)

volume 3

The titles published in this series are listed at brill.com/smip

Meister Eckharts Rezeption im Nationalsozialismus Studien zur ideologischen Ambivalenz der ‚deutschen‘ Mystik

Herausgegeben von

Maxime Mauriège Martina Roesner

leiden | boston

Titelbild: Erfurt, Ortsansicht mit dem Meister-Eckehart-Brücke über den Breitstrom (Baujahr 1937; früher „Kasinobrücke“ genannt) / Alte Postkarte von der Keyser’schen Buchhandlung in Erfurt (ca. 1940). Publiziert mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (dfg) im Rahmen des Forschungsprojekts „Der ewige Begriff des Individuums“: Eine historisch-philologisch-systematische Untersuchung der ,mystischen‘ Vernunft und deren Rezeption im Werk Schellings (Sachbeihilfe – qu-258/3-1). Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Names: Mauriège, Maxime, editor. | Roesner, Martina, editor. Title: Meister Eckharts Rezeption im Nationalsozialismus: Studien zur ideologischen Ambivalenz der ‚deutschen‘ Mystik / herausgegeben von Maxime Mauriège und Martina Roesner. Description: Leiden; Boston: Brill, [2022] | Series: Studies in mysticism, idealism, and phenomenology, 2542-4963; volume 3 | Includes bibliographical references and index. Identifiers: lccn 2022020272 (print) | lccn 2022020273 (ebook) | isbn 9789004517622 (hardback : acid-free paper) | isbn 9789004519343 (ebook) Subjects: lcsh: Eckhart, Meister, um 1260–1328. | Mysticism–Germany. | National socialism–Germany. Classification: lcc b765.e34 m46 2022 (print) | lcc b765.e34 (ebook) | ddc 189/.5–dc23/eng/20220622 lc record available at https://lccn.loc.gov/2022020272 lc ebook record available at https://lccn.loc.gov/2022020273

Typeface for the Latin, Greek, and Cyrillic scripts: “Brill”. See and download: brill.com/brill‑typeface. issn 2542-4963 isbn 978-90-04-51762-2 (hardback) isbn 978-90-04-51934-3 (e-book) Copyright 2022 by Maxime Mauriège and Martina Roesner. Published by Koninklijke Brill nv, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill nv incorporates the imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau and V&R unipress. Koninklijke Brill nv reserves the right to protect this publication against unauthorized use. Requests for re-use and/or translations must be addressed to Koninklijke Brill nv via brill.com or copyright.com. This book is printed on acid-free paper and produced in a sustainable manner.

Inhaltsverzeichnis Vorwort

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1 Vom ‚deutschen Geist‘ zum ‚deutschen Willen‘: Die genealogische Rekonstruktion von Mystik, Idealismus und Romantik als nationalsozialistisches Wissenschaftsprojekt 1 Martina Roesner 2 Das Eckhart-Bild des Tübinger Religionswissenschaftlers Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962) 25 Martina Wehrli-Johns 3 „Halb so teuer und doppelt so deutsch“ (Erich Seeberg): Der ‚jüdische‘ und der ‚deutsche‘ Meister Eckhart 53 Yossef Schwartz 4 ‚Ekkehart der Deutsche‘: Die völkische Eckhart-Deutung von Hermann Schwarz 79 Christoph Henning 5 „Meister Eckhart – ein falscher Prophet?“ Darstellung einer tragikomischen Auseinandersetzung um die nationalsozialistische Rechtgläubigkeit Meister Eckharts 98 Maxime Mauriège 6 Eine Relektüre von Heideggers Rezeption Meister Eckharts im Lichte der Schwarzen Hefte 164 Ricardo Baeza 7 Einleitung zum Faksimile-Nachdruck eines aufschlussreichen, jedoch bisher unbeachteten Dokuments: der Eintrag „Eckhart“ im Handbuch der Romfrage (1940) 192 Maxime Mauriège Namenverzeichnis

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Vorwort Wer war eigentlich Meister Eckhart, und welche (Be-)Deutung hat er – je nach Rezeptionsepoche – für uns? Anstatt diesem Namen ein Gesicht zuordnen zu können, da offenbar kein authentisches Bildnis von ihm überliefert wurde, bemüht man sich seit der Wiederentdeckung seiner Schriften im Zuge der späten deutschen Romantik1 sozusagen darum – um es mit Eckharts paradoxem Ausdruck zu formulieren –, ein ‚Bild ohne Bild‘ dieser Persönlichkeit des Spätmittelalters, d.h. ein Bild seiner geistigen Gestalt zu erfassen, ja sogar zu bestimmter Zeit von neuem zu erfinden. Denn später haben auf je unterschiedliche Weise nicht nur Germanisten, Philosophen und Theologen aus wissenschaftlichem Interesse versucht, mit unablässigem Eifer der Eigenart dieses Denkers bzw. dem Gehalt und Sinn seiner Lehre nachzuspüren, sondern leider auch – teilweise zu den angeführten Gruppen von Geisteswissenschaftlern gehörende2 – Verfechter einer abseitigen, weil unwissenschaftlichen Ideologie, welche die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte und in deren Verlauf eine finstere Eckhart-Rezeption prägte, nämlich die dem Nationalsozialismus eigene.3 Anfang der 1930er Jahre trat die Eckhart-Forschung jedoch mit der Inangriffnahme einer historisch-kritischen Edition sämtlicher Werke des Dominikanermeisters4 in „ein neues Stadium“: „Sie führte in stärkerem Maße als bisher zu den Texten selbst hin und bot eine solidere Basis für die folgenden Untersuchungen, die sich bemühen, Eckharts Leben und Werk, seine Sprache, sein Denken und seine Bedeutung für die Geschichte des Geistes neu zu ergrün1 Siehe dazu Wolfram Malte Fues, Mystik als Erkenntnis? Kritische Studien zur Meister-EckhartForschung, Bonn 1981 (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 102), S. 31–59; Ingeborg Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes, Leiden 1967 (Studien zur Problemgeschichte der antiken und mittelalterlichen Philosophie 3), S. 105–110. 2 Wie Alois Maria Haas betont hat, „blühte eine bis zum Überdruß mit Ideologismen versetzte Eckhartliteratur, deren Verfasser beschämenderweise durchaus unter Hochschullehrern zu suchen waren“ („Meister Eckhart und die deutsche Sprache“, in: Freiheit und Gelassenheit. Meister Eckhart heute, hg. von Udo Kern, München 1980, S. 146–168, hier S. 152 [neugedruckt in: ders., Geistliches Mittelalter, Freiburg (Schweiz) 1984 (Dokimion 8), S. 215–237]). Siehe dazu auch Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 1], S. 270. 3 Siehe Niklaus Largier, Bibliographie zu Meister Eckhart, Freiburg (Schweiz) 1989 (Dokimion 9), „Anhang 1. Das deutschnationale, deutschgläubige und nationalsozialistische Eckhartbild“, S. 135–140. 4 Meister Eckhart – Die deutschen und lateinischen Werke (in diesem Sammelband jeweils mit dw und lw abgekürzt), hg. im Auftrag der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, später Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stuttgart/Berlin (beim Verlag W. Kohlhammer) 1936–.

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vorwort

den.“5 Obwohl diese beim Verlag Kohlhammer erschienene Gesamtausgabe im Laufe der Jahrzehnte eine einstimmige internationale Anerkennung als zuverlässige Textgrundlage jeder wissenschaftlichen Eckhart-Interpretation fand, wurde sie dennoch zu ihrer Entstehungszeit hauptsächlich in ihrem Heimatland mit allerlei Wertschätzung bzw. großer Verehrung begrüßt, weil sie dort einem in verschiedener Hinsicht brennenden Bedürfnis nach einem umfassenden ‚authentischen‘ Eckhartbild entgegenkam und folglich als nationale Ehrenpflicht deutscher Wissenschaft angesehen wurde. Im Nachhinein kann man zwar wohl feststellen, dass der Beginn dieses Editionsunternehmens eine Neubelebung der Eckhart-Forschung mit sich brachte, doch lässt sich aus dessen tatsächlichem Entstehungskontext nicht leugnen, dass es zugleich den Triumph einer ganz anderen, bei weitem über das Feld der wissenschaftlichen Forschung hinausgehenden ‚Eckhart-Renaissance‘ verkörperte: „ein Eccehardus redivivus besonders sinistrer Art“.6 Dem Begriff ‚Renaissance‘ eignet hierbei eine doppelte Bedeutung, die aus zwei verschiedenen Betrachtungsweisen dieses Phänomens resultiert: einerseits als forschungsgeschichtliches Phänomen, das sich auf die Neuaufwertung des Werkes Eckharts im Zusammenhang mit der Herausgabe neuer Textgrundlagen bezieht, was der Auftakt zu einem Wandel des Eckhartbildes in den einschlägigen Forschungsgebieten war; und andererseits als nationaltypologisches Phänomen, weil die erneuerte wissenschaftliche Begeisterung für diesen ‚deutschen‘ Denker mit dessen hierzulande zunehmender publizistischer Popularisierung einherging,7 wel-

5 Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 1], S. 304. 6 Haas, „Meister Eckhart und die deutsche Sprache“ (1980) [Anm. 2], S. 151. Ferner schreibt Haas, dass „zur Zeit des Nationalsozialismus die [Wieder-]Entdeckung Meister Eckharts und seines geistigen Umkreises durch Einbeziehung in die nationale Ideologie überhaupt erst möglich wurde“. 7 Siehe dazu Niklaus Largier, „Mystik und Tat. Zur populär-publizistischen Eckhart-Rezeption zwischen 1900 und 1940“, in: Mittelalter-Rezeption iv: Medien, Politik, Ideologie, Ökonomie. Gesammelte Vorträge des 4. Internationalen Symposions zur Mittelalter-Rezeption in der Universität Lausanne 1989, hg. von Irene von Burg, Jürgen Kühnel, Ulrich Müller und Alexander Schwarz, Göppingen 1991 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 550), S. 27–49. In seiner Studie hat Largier zweckdienlich und zielführend dem Zeitschriftenbereich besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Doch bei einer derartigen publizistisch-propagandistischen Popularisierung spielte auch ein weiteres Veröffentlichungsmedium eine mindestens genauso wichtige, ja vielleicht sogar noch effizientere Rolle, nämlich die Wochen- und Tagespresse; denn erst dadurch konnte die breite Masse des Volkes direkt erreicht werden. Da aber Zeitungsartikel über Meister Eckhart aus jener Zeit nicht bibliographisch erfasst, weil schwer auffindbar sind, ist es ziemlich schwierig, deren eigene Menge und Wirksamkeit zu eruieren. Für einige aussagekräftige Beispiele dafür siehe den Beitrag von Maxime Mauriège in diesem Band. Schon in seiner Bibliographie zu Meister Eckhart (Freiburg [Schweiz] 1989 [Dokimion 9]) gestand Lar-

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che sich bis zu seiner völkischen Aneignung als Repräsentant des Deutschtums und Inbegriff eines neuerwachenden germanischen Selbstbewusstseins entwickelte.8 Um dies zu verdeutlichen, ist es dienlich, auf folgende Aussagen hinzuweisen, die in einer 1935 veröffentlichten Abhandlung von Erich Seeberg, dem damaligen Vorsitzenden der von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gegründeten und unter deren Schirmherrschaft stehenden ‚MeisterEckhart-Kommission‘,9 formuliert wurden: „Die Eckhart-Renaissance, die wir heute erleben, geht stark auf Rosenbergs bekanntes Buch zurück; und das hat sie heraufgeführt, daß wir seit dem Sieg der nationalsozialistischen Revolution uns alle bemühen, das Deutsche in unserer Kultur zu Ehren zu bringen und eben dies Deutsche von all den Zutaten zu reinigen, die über ihm zugewachsen sind.“10 Hauptproponent einer ideologisch-propagandistischen Ver-

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gier, dass zur „national-sozialistischen und völkischen Eckhartrezeption, deren Schrifttum überbordet“, deshalb ausnahmsweise keine „Vollständigkeit angestrebt“ wurde („Vorwort“, S. V). Für eine zeitgenössische Be- bzw. Überzeugung davon siehe u.a. Friedrich Schulze-Maizier, „[überarbeitete] Einführung des Herausgebers“, in: Meister Eckharts deutsche Predigten und Traktate, 3. Aufl., Leipzig 1938, S. 49 f.: „Kaum ein anderer deutscher Theologe findet wieder so viele und so leidenschaftlich Anteil nehmende Leser wie unser Meister; die deutsche Eckhart-Renaissance ist längst keine literarische Modeströmung mehr, sie ist nachgerade selber ein Stück deutscher Geistes- und Seelengeschichte geworden, an dem auch der historisch eingestellte Betrachter nicht vorbeisehen darf. Es erscheint ein glückliches, sinnvolles Zusammentreffen, daß gerade jetzt die seit Jahren ersehnte kritische Gesamtausgabe der deutschen Predigten und Schriften des Meisters endlich in Angriff genommen worden ist […]. Was ich schon 1927 [i.e. in der Einführung zur 1. Auflage] hervorhob, hat sich vollauf bestätigt: Es muß wirklich etwas im edelsten Sinne Deutsches, Deutsch-Gläubiges, Deutsch-Christliches in diesem Thüringer Ritterssohne stecken, etwas schlechthin Ursprüngliches, worin die ganze abgründige Tiefe christlicher Durchseeltheit, christlicher Selbst- und Welt-Überwindung zur Geltung kommt, ohne daß darum die freudigen, mannhaften Instinkte aufrechten Deutschtums Schaden erlitten hätten. Eckhart hat uns Deutschen dieser Wendezeit soviel zu sagen, weil seine Grundspannung irgendwie auch die unsere ist.“ Zur Erforschung der Wechselwirkungen und Beziehungen beider Phänomene dient die wissenschaftliche Erschließung des Meister-Eckhart-Archivs am Thomas-Institut der Universität zu Köln, in deren Rahmen ein „Rekonstruktionsversuch des historisch-ideologischen Hintergrunds zur Entstehung und zum Fortgang der deutschen Eckhart-Gesamtausgabe im Zeitraum 1933–1945“ als langfristiges Forschungsprojekt durchgeführt wird (siehe unter https://thomasinstitut.uni​ ‑koeln.de/forschung/autorenzentrierte‑forschung/meister‑eckhart). Grundlage für dieses Vorhaben sind die reichhaltigen Unterlagen der sog. ‚Meister-Eckhart-Kommission‘ (siehe unten, Anm. 12). Siehe dazu unten, Anm. 12. Erich Seeberg, „Meister Eckhart“, in: Deutsche evangelische Erziehung – Zeitschrift für den evangelischen Religionsunterricht 46, Heft 4/5 (1935), S. 148–158, hier S. 148.

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einnahmung dieses vielberufenen Mystikers zugunsten einer nationalsozialistischen Kultur- und Religionskritik war demnach der Chefideologe der nsdap, Alfred Rosenberg,11 der in seinem 1930 und danach in weiteren hohen Auflagen erschienenen Mythus des 20. Jahrhunderts den „heiligen und seligen Meister“ als „Apostel der deutschen Glaubenswerte“, d. h. als einen Verkünder des „Grundbekenntnisses alles arischen Wesens“ darstellte bzw. fiktionalisierte;12 und der im Anschluss daran entbrannte ‚Streit um Meister Eckhart‘13 hatte u. a.

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Siehe dazu u. a. Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 1], S. 261– 274. Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930 (240.–247. Aufl., München 1944), S. 221 f. Siehe dazu u.a. Victor Lossau, „Zwischen Odin und dem feldgrauen Helden unterm Stahlhelm? Die EckhartRezeption des Alfred Rosenberg“, in: Mystik und Totalitarismus, hg. im Auftrag des internationalen Jacob-Böhme-Instituts von Günther Bonheim und Thomas Regehly, Berlin 2013 (Böhme-Studien 3), S. 127–146. In einer Fußnote an derselben Stelle prangerte Rosenberg die damalige Rückständigkeit der deutschen Eckhart-Forschung vehement an: „Es wird eine ewige Schande bedeuten, daß Meister Eckehart noch nirgends eingehend und erschöpfend behandelt worden ist.“ Deshalb begrüßte er ausdrücklich, dass „seit 1931 die Herausgabe der gesamten Werke Eckeharts in Vorbereitung“ war, und betonte im Anschluss daran: „Es ist höchste Zeit geworden!“ Seeberg teilte offensichtlich diese Ansicht, nicht zuletzt im Verlagsprospekt mit der offiziellen Ankündigung und Einladung zur Subskription für diese Gesamtausgabe: „Es ist merkwürdig, dass die Werke Meister Eckharts, und zwar die lateinischen wie die deutschen, teils unbekannt, teils unveröffentlicht, teils mangelhaft ediert geblieben sind. Hier liegt eine Ehrenschuld der deutschen Wissenschaft dem deutschen Volke gegenüber vor. Diese Schuld soll durch die neue Ausgabe seiner sämtlichen Werke, die von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft getragen wird, eingelöst werden.“ Für diese „große nationale Aufgabe“ – laut dem ehemaligen Staatsministers Friedrich Schmidt-Ott – wurde am 14. Juli 1933 eine ‚Meister-EckhartKommission‘ ins Leben gerufen (siehe dazu die „Niederschrift einer Besprechung in der Notgemeinschaft am 14. Juli 1933 über die wissenschaftliche Erschließung der Schriften des Meisters Eckhard“, Unterlage eines Briefes von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft – Staatsminister F. Schmidt-Ott an J. Koch, Berlin, 18. August 1933 [MeisterEckhart-Archiv, Sign.: ti mea-gga-i-bw-1933-08-18-2-A]). Siehe dazu insbesondere den in der Eckhart-Forschung wohl kaum bekannten und folglich bisher nie beachteten Eintrag „Eckhart (Meister Eckhart)“ im ersten Band des von Rosenberg (unter der Mitwirkung einer Arbeitsgemeinschaft von Forschern und Politikern) herausgegebenen Handbuches der Romfrage (Band i: A–R, München 1940, S. 328[A]– 341[A]), da sich bezeichnenderweise der einleitende Teil dieses Artikels („i. Der Eckhartstreit“) bemüht, eine entsprechend ‚parteiische‘ Sicht auf den Sachverhalt geltend zu machen: „[…] Nach den Ausführungen Alfred Rosenbergs in seinem ‚Mythus des 20. Jahrhunderts‘ (S. 217ff. [= Kap. „iii: Mystik und Tat“]) ist, wie eine Fülle von Veröffentlichungen zeigt, der Streit um E. auf seinem geschichtlichen Höhepunkt angelangt. Gehört E. der Kirche oder gehört er dem germanisch-deutschen Wesen und damit nicht der Kirchen-, sondern der germanisch-deutschen Glaubensgeschichte? In dieser Frage liegt die größere Frage nach der geschichtlichen Einordnung der deutschen Mystik überhaupt,

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zur Folge, dass sich deutsche, sowohl katholische als auch protestantische, von Seeberg angeführte Eckhart-Forscher aufgerufen fühlten, „als Frucht ihrer loyalen Zusammenarbeit bald dem deutschen Volk die lateinischen und deutschen Werke Meister Eckharts in einer großen und relativ billigen Gesamtausgabe zugänglich [zu] machen“.14 Da Rosenberg und sein Buch seitdem in der Forschung jeweils als emblematischste Figur und wirksamstes Werk derartiger Eckhart-Renaissance gelten,15

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als deren Meister von besonderem Rang E. zu gelten hat, beschlossen. Die Theologie der katholischen und evangelischen Kirche sieht in E. im allgemeinen lediglich einen mehr oder weniger guten Thomisten (s. Scholastik), dessen Mystik nur im Raume der Romkirche möglich und denkbar sei, während Alfred Rosenberg beide Erscheinungen, E. und die deutsche Mystik, als dem Wirkenszusammenhange der nordischen Glaubenswelt zugehörig behauptet. So betrachtet, geht es in dem Streit um E. um die große Frage nach Ursprung, Wesen und Eigenart der die deutsche Geistes- und Glaubensgeschichte bewegenden Kräfte überhaupt. Diese Tatsache verleiht dem E.streit sein ganz besonders Gewicht“ (S. 328). Ferner – diesmal im Teil „iv. Abhängigkeit und Eigenart Eckharts“, der dabei „zum Entdecker des Bodens“ erklärt wurde, „aus dem deutsche Religion erwächst“, – wird behauptet, dass Alfred Rosenberg, dem wir „die erste, groß angelegte Gesamtschau E.s. des Deutschen verdanken“, „sein E.bild in einem weit größeren und sachentsprechenden Rahmen als die zünftige historistisch versteifte Forschung“ entwarf, worin sein „wissenschaftliche[s] Verdienst“ besteht (S. 334–335 u. 337). So kommt man letztlich zu dem Schluss, dass „der E.streit, die Auseinandersetzung zwischen Alfred Rosenberg und Theologie und Kirche, grundsätzlich bereits entschieden [ist]“ (S. 341). Siehe den FaksimileNachdruck des gesamten Artikels (mit einer Einleitung von Maxime Mauriège) am Ende dieses Bandes. Seeberg, „Meister Eckhart“ [1935] [Anm. 10], S. 152. „Die Zeit“ – laut Fues – war also „dem Unternehmen günstig – ein Staat, der die Mystik Meister Eckharts zum Bestandteil seiner Ideologie erhoben hat, [konnte] ihm die Unterstützung nicht versagen“ (Mystik als Erkenntnis? [1981] [Anm. 1], S. 159). Insofern stellte Degenhardt schon klar: „[D]ie Herausgeber der Stuttgarter Eckhartausgabe mußten sich Rosenbergs Protektion wohl oder übel gefallen lassen, auch daß amtliche Rundschreiben jeden Angriff auf diese Edition als ‚Angriff auf Partei und Staat‘ untersagten“ (Studien zum Wandel des Eckhartbildes [1967] [Anm. 1], S. 272). Siehe dazu den Beitrag von Yossef Schwartz in diesem Band. Siehe z. B. dazu den 1941 von Hilda Charlotte Graef – einer deutschen und an Mystik interessierten Theologin, die 1936 wegen ihrer jüdischen Abstammung nach England emigrierte – verfassten Artikel „Meister Eckhart and Nazi Interpreters“ (in: The Contemporary Review 160 [1941], S. 191–195), der wie folgt beginnt: „The renaissance of Meister Eckhart is one of the strangest chapters in the strange history of the German mind. For it sounds rather like a joke that the most influential propagator of Nazi paganism should have chosen as his spiritual guide a fourteenth-century Dominican friar. Yet this is what has actually happened. Meister Eckhart […] was proclaimed by Alfred Rosenberg the father of the new German religion.“ Doch nachdem Graef auf das Wie und Warum für diese Missdeutung hingewiesen hatte, gelangte sie abschließend zur folgenden, sich zum Glück später bewahrheitenden Überzeugung: „Yet the Dominican mystic is great enough to survive even this outrage, and will hold his place of honour in the ranks of the religious geniu-

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neigen die auf die Zeit des Nationalsozialismus Bezug nehmenden EckhartStudien selten dazu, weniger bekannte, aber rezeptionsgeschichtlich ebenso beachtenswerte Akteure und folgenreiche Quellen oder Aspekte in Betracht zu ziehen. So wurde dieses Themenfeld bisher leider noch nicht in seiner Breite und Tiefe untersucht,16 sondern teils in vereinzelten, eher kleinen Bei-

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ses when his Nazi interpreters will have long been forgotten“ (mittlerweile von Kurt Ruh bestätigt; siehe Meister Eckhart: Theologe, Prediger, Mystiker, München 1985, S. 14f.: „Die Geistigkeit Eckharts erwies sich als stark genug, die nationale und nationalsozialistische Mythisierung unbeschadet zu überstehen, und zwar sehr schnell“). Obwohl viele solcher Eckhartdeuter sowie ein Teil der zugrunde liegenden nationalsozialistischen Ideologeme den Sturz des Dritten Reiches wohl überstanden, wurden seitdem – unserer Kenntnis nach – der Dominikanermeister und seine Lehre tatsächlich nicht mehr mit rechtsradikalen bzw. neonazistischen Positionen in explizite Verbindung gebracht – zumindest nicht öffentlich. Daran zeigt sich durchaus, dass zum einen jener Nachweisversuch einer durch rassengebundene Abstammung bedingten Verwandtschaft zwischen diesen beiden sowohl zeitlich als auch inhaltlich schlichtweg fremden Weltanschauungen (mit antagonistischen Wertvorstellungen) ein rein artifizielles Konstrukt darstellte. Zum anderen beweist dies, dass die sogenannte ‚Mystik‘ Eckharts zwar damals und heute nach wie vor von bleibender Aktualität war bzw. ist, die ihre Popularität erklärt, dass aus ihr jedoch keinesfalls ein Sprachrohr der ns-Ideologie oder noch anderweitiger politischer Extremismen gemacht werden kann. Denn „von der Sache her“ – laut Karl Albert – „war das Werk Eckharts […] für zwei politische Strömungen recht interessant, nicht zuletzt wegen der kirchlichen Verurteilung: einerseits für den Nationalsozialismus, andererseits für Theoretiker des marxistischen Sozialismus“ („Meister Eckhart und die deutsche Philosophie“, in: Die Realität des Inneren: Der Einfluß der deutschen Mystik auf die deutsche Philosophie, hg. von Gerhard Stamer, Amsterdam/New York 2001 [Philosophie & Repräsentation 8], S. 9– 24, hier S. 21); siehe dazu auch Alois Maria Haas, Sermo mysticus. Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik, Freiburg [Schweiz] 1979 [Dokimion 4], „Einleitung“, S. 11: „Das geschichtsphilosophische Pathos aus Hegelschem Geist, das den Begriff ‚deutsche Mystik‘ schuf, konnte in der Folge nicht verhindern, daß sich sowohl der Nationalsozialismus wie der Marxismus zu ihren Zwecken seiner bedienten: Meister Eckhart und sein Kreis wurden zu Kirchenvätern der faschistischen wie marxistischen Ideologie und Revolution“; und ders., „Meister Eckhart im Spiegel der marxistischen Ideologie“, in: Wirkendes Wort 22 (1972), S. 123–133 (neugedruckt in: Sermo mysticus, S. 238–254), insbes. S. 125: „Eines aber darf doch grundsätzlich gesagt werden: Nachdem noch vor kurzem – etwa in Rosenbergs Mythos des 20. Jahrhunderts – ein nazistischer Eckhart als ‚größter Apostel der Germanen‘ gefeiert wurde, ist ganz allgemein die Forderung nach größtmöglicher Zurückhaltung solcher ideologischer Zuweisungen eine Selbstverständlichkeit. Daß ein linker Eckhart den rechten so schnell und reibungslos ablösen kann, akkreditiert sowohl den Nationalsozialisten wie den Marxisten jene Instinktlosigkeit, die für alle exklusiv ideologischen Richtungen sprichwörtlich ist“. So verweist Largier in seinen verschiedenen bibliographischen Arbeiten auf keine entsprechende spezifische Rezeptionsuntersuchung außer seinem eigenen Aufsatz „Mystik und Tat“ (1991 [Anm. 7]); siehe dazu „Meister Eckhart: Perspektiven der Forschung, 1980– 1993“, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 114 [1995], S. 29–98, S. 51 und Anm. 152. Vgl. dazu insgesamt Bibliographie zu Meister Eckhart (1989 [Anm. 7]) sowie Eckhart Review (Vol. 7 bis

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trägen,17 teils in historisch umfassenderen Darlegungen der Eckhart-Rezeption18 und -forschung19 sowie in Studien zu zeitgenössischen Rezipienten20 mehr oder weniger gründlich behandelt. Daher die Erarbeitung des vorliegenden Bandes. Anlass und Antrieb dazu war die vom 19. bis 21. Mai 2016 in Erfurt von der Meister-Eckhart-Forschungsstelle am Max-Weber-Kolleg veranstaltete internationale interdisziplinäre Tagung „Eine Lichtung des deutschen Waldes – Mystik, Idealismus und Romantik“,21 deren erste Sektion vier Vorträge zum

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19 [1998–2010]; siehe die genauen Angaben unter http://www.meister‑eckhart‑gesellschaft​ .de/b‑multi.htm#Largier]) und die Berichte zur Eckhart-Forschung (siehe neben „Meister Eckhart: Perspektiven der Forschung, 1980–1993“ auch „Recent Work on Meister Eckhart. Positions, Problems, New Perspectives, 1990–1997“, in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 65 [1998], S. 147–167). Siehe z. B. Graef, „Meister Eckhart and Nazi Interpreters“ (1941) [Anm. 15]; Oddmund Hjelde, „Mester Eckhart og den nazistike tolkning av ham“, in: Norsk Teologisk Tidsskrift 47 (1946), S. 1–44; und – noch vergleichsweise jung – Largier, „Mystik und Tat“ (1991) [Anm. 7]. Siehe z. B. Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 1], S. 261–276 und Josef Sudbrack, „Meister Eckhart heute: Fragen, Thesen, Impulse“, in: Meister Eckhart heute, hg. von Wolfgang Böhme, Karlsruhe 1980 (Herrenalber Texte 20), S. 71–102, den Teil „Zu den Etappen der Eckhart-Rezeption“, S. 79–83, insbes. den kurzen Passus zur „Deutschtümelei“, S. 81. Siehe z. B. Fues, Mystik als Erkenntnis? (1981) [Anm. 1], S. 103–121. Siehe z. B. die Dissertation von Volker Frederking Durchbruch vom Haben zum Sein. Über die Beziehung des deutsch-jüdischen Philosophen und Sozialpsychologen Erich Fromm zur Mystik Meister Eckharts (Paderborn u. a. 1994), v.a. den ersten Teil mit dem Abschnitt (3.5) zu der „Perversion einer applizierenden Eckhart-Deutung im Dritten Reich und ihre[n] Folgen“ (S. 82–87). Dabei weist Frederking auf die unbestreitbare Tatsache hin, „daß die Geschichte der Eckhart-Rezeption und -Forschung mit der nationalsozialistischen Inanspruchnahme ihren Tiefpunkt erreicht hat“, und stellt daraus einen indirekten Doppeleffekt fest: einerseits einen positiven, „insofern bei nachfolgenden Forschergenerationen das Bewußtsein der Notwendigkeit einer wissenschaftlichen, das heißt historisch, geistesgeschichtlich und hermeneutisch reflektierten Zugangsweise erheblich wuchs“; andererseits aber auch – dies „in fataler Weise“ – einen negativen, „[d]enn angesichts der Perversion der entgegengesetzten Tendenzen im Dritten Reich dominierte in den folgenden Jahrzehnten die Neigung zu einem traditionskonformen und ausschließlich historischen Eckhart-Bild“, so dass „[a]ktualisierende Deutungsansätze […] in der Eckhart-Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg […] die Ausnahme [blieben]“ (S. 86f.). Die Tagung fand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts „Der ewige Begriff des Individuums: Eine historisch-philologischsystematische Untersuchung der ‚mystischen Vernunft‘ und deren Rezeption im Werk Schellings“ [qu 258/3–1] statt; siehe dazu das „Vorwort“ des Projektleiters und Veranstalters dieser Tagung im ersten daraus hervorgegangenen Sammelband Mystik und Idealismus – Eine Lichtung des deutschen Waldes. Akten der vom 19. bis 21. Mai 2016 im Kapitelsaal des Predigerklosters in Erfurt stattgefundenen internationalen interdisziplinären Tagung (Meister-Eckhart-Forschungsstelle am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt), hg. von Andrés Quero-Sánchez, Leiden/Boston 2019 (Studies in Mysticism, Idealism, and Pheno-

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Thema „Meister Eckhart in der nationalsozialistischen Rezeption“ bot.22 Davon sind hier drei – die der beiden Herausgeber und der von Christoph Henning – in ausgearbeiteter Form enthalten. Ergänzend dazu wurden zusätzliche Beiträge zur erweiterten Einsicht in den Komplex von Gebrauch und Missbrauch der Lehre und Schriften Meister Eckharts im Kontext des Nationalsozialismus aufgenommen. Doch angesichts der Vielfalt des Sachverhalts kann dieser Sammelband keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern versteht sich als Anstoß und Einladung, das Thema intensiver und somit eingehender zu erforschen. Anstatt dieses finstere Kapitel mehr als ein Dreivierteljahrhundert nach Befreiung von der ns-Herrschaft lediglich als Last der Vergangenheit zu empfinden und es zu einem vernachlässigbaren Aspekt der Wirkungsgeschichte Eckharts herabzustufen, sollte man es endlich als Forschungsdesiderat betrachten und sich folglich dessen umhergeisterndem Schatten stellen, der über dem damaligen Aufschwung der modernen Eckhart-Forschung in Deutschland lag, welcher eng mit dem großen ‚nationalen‘ Unternehmen einer wissenschaftlichen Edition sämtlicher Werke dieses Dominikanermeisters zusammenhing.23 Die besonders geartete Geschichte der Eckhart-Rezeption in der Zeit des Nationalsozialismus wirft die Frage auf, warum unter allen christlichen Mystikern gerade Meister Eckhart zum Gegenstand einer derartigen ideologischen Vereinnahmung werden konnte, aber keine der anderen großen Gestalten der

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menology 1), S. ix–x. Der vorliegende dritte und somit letzte Sammelband zu der genannten Tagung schließt sich nun als chronologische Ergänzung an die zwei bereits erschienenen an (siehe daher auch Mystik und Romantik – Rezeption und Transformation eines religiösen Erfahrungsmusters, mit einem Themenschwerpunkt zu Jacob Böhme, hg. von Günther Bonheim, Thomas Isermann und Thomas Regehly, Leiden/Boston 2021 [Studies in Mysticism, Idealism, and Phenomenology 2]), welche de facto eine geeignete Grundlage zur ideengeschichtlichen Einführung in die hier behandelte Periode der EckhartRezeption bieten. Siehe das Programm der Tagung, online abrufbar unter https://www.uni‑erfurt.de/fileadm in/fakultaet/max‑weber‑kolleg/Bilder/Allgemein/2016‑05‑19‑21_meister‑eckhart.pdf. Siehe dazu Ernst Benz, einen der Mitherausgeber der Lateinischen Werke [Anm. 4], „Neuere Forschungen über Meister Eckhart“, in: Blätter für deutsche Philosophie 13 (1939), S. 379–404, zum einen die Einleitung S. 379–381 (insbes. S. 381: „Der beschämende Anfangszustand der Eckhartforschung, der darin bestand, daß die Eckhartfrage in ihrer ganzen Verantwortung empfunden wurde, aber daß es keine Eckhartausgabe gab, und daß die Forschung der Ausgabe vorauseilte, ist nunmehr glücklich beseitigt durch die in ihren ersten Lieferungen bereits vorliegende Gesamtausgabe“) und dann die in der Sektion C zur „Religion und Frömmigkeit bei Meister Eckhart“ zuerst behandelten Forschungsstränge: „1. Eckhart und die arische Frömmigkeit“ (S. 395 f.) und „2. Die deutschen Merkmale Eckhartscher Frömmigkeit“ (S. 396–400).

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deutschen Mystik des Mittelalters, wie etwa Hildegard von Bingen, Mechthild von Magdeburg, Johannes Tauler oder Heinrich Seuse. Der Grund für diese betont ‚germanisierende‘ Deutung von Eckharts Denken liegt paradoxerweise in der unüberbietbar großen Universalität seines mystisch-theologischen Ansatzes begründet, der einerseits aufgrund der starken Betonung der Gottebenbildlichkeit und Gottessohnschaft aller Menschen in grundsätzlichem Widerspruch zu jeder nationalistisch gefärbten Grundhaltung steht, andererseits aber durch ebendiese universalistische Ausrichtung auch am wenigsten als spezifisch christlich-innerkirchliche Mystik in Erscheinung tritt. Zwar stellen auch bei Eckhart die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus sowie die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments selbstverständliche Grundgegebenheiten der christlichen Existenz wie auch der christlichen Theologie dar, doch eignet seiner Mystik eine besondere Dynamik, die auf die Übersteigung und Sprengung aller spezifischen Bestimmungen Gottes hindrängt und letztlich auch die historische Gestalt Jesu Christi sowie die trinitarischen Personen insgesamt als etwas ‚Vorletztes‘ gegenüber dem absoluten Einheitsgrund der Gottheit erscheinen lässt. Dieser Grundzug seines Denkens beruht letztlich auf einer konsequenten Weiterführung und Vollendung der negativen Theologie, lässt sich aber auch leicht in einem dezidiert antikatholischen Sinne deuten, als habe Eckhart die Absicht verfolgt, „unser Sein und Werden zu entgiften, das Leib und Seele knechtende syrische Dogma zu überwinden und den Gott im eigenen Busen zu erwecken, das ‚Himmelreich inwendig in uns‘ “.24 Eckhart selbst hätte eine solche ideologisierende Interpretation seines Denkens ganz sicher auf das schärfste missbilligt, doch liegt ihr überraschenderweise dasselbe Argumentationsmuster zugrunde, das auch von den päpstlichen Zensoren in Avignon gegen Eckhart ins Feld geführt wurde: Diese Kommission hatte 28 sehr pointiert klingende Sätze aus Eckharts Schriften herausgegriffen und auf ihre Rechtgläubigkeit hin untersucht. Dabei wurden die betreffenden Aussagen jedoch nicht nur aus ihrem jeweiligen Zusammenhang gerissen, sondern die Zensoren setzten Eckharts zugegebenermaßen oft sehr ungewohnt und radikal klingende Ausdrucksweise auch mit einer heterodoxen Position im ausgedrückten theologischen Inhalt gleich. Für die päpstliche Kommission war damit der häretische oder zumindest häresieverdächtige Charakter dieser Sätze erwiesen. Der Umstand, dass die inkriminierten Formulierungen ausschließlich aus Eckharts deutschen Predigten und Traktaten stammen, ist jedoch ein starkes Indiz dafür, dass sich die Anklage vor allem an Eckharts sprachlicher Aus-

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Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/2471944) [Anm. 12], S. 218f.

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drucksweise entzündete, denn ganz ähnlich lautende Passagen aus seinen lateinischen Schriften wurden nicht beanstandet, obwohl sie auf begrifflicher Ebene dieselben theologischen Gedanken artikulieren wie die deutschen Werke. Betrachtet man nun Eckharts ambivalenten ‚Erfolg‘ in der ns-Zeit, so fällt auf, dass dieser in nicht unwesentlichem Ausmaß mit seinem Avignoneser Prozess zusammenhängt sowie mit der Lehrverurteilung, die ein Jahr nach seinem Tod durch Papst Johannes xxii. gegen 26 in seinen Schriften enthaltene Sätze ausgesprochen wurde. Für die nationalsozialistische Eckhart-Rezeption, in der das antikatholische Ressentiment der Kulturkampfzeit ungebrochen weiterlebt, ist dies Grund genug, ihn zu einem Märtyrer für die germanische Sache zu stilisieren, dessen „‚deutsche Religion‘ […] hernach von Rom offiziell durch eine Bulle ‚verurteilt‘“25 worden sei. Diese ideologisch motivierte Interpretation folgt damit aber letztlich demselben Denkmuster wie die Avignoneser Kommission, da sie die ungewöhnliche Ausdrucksweise in Eckharts deutschen Werken als Indiz für eine theologische Heterodoxie auf der inhaltlichen Ebene nimmt,26 nur dass sie diesen ‚häretischen‘ Grundzug nicht mehr negativ, sondern ausnehmend positiv bewertet. Nun ist es zwar durchaus richtig, dass Eckhart den Anspruch hegte, in seinen Schriften „Neues und Ungewöhnliches“ (nova et rara)27 zu bieten, doch verstand er selbst dies nicht als generelle Negation der scholastischen Theologie seiner Zeit, sondern als den Versuch, bislang wenig beachtete, in seinen Augen aber wichtige Punkte der christlichen Theologie und Philosophie in den Vordergrund zu stellen und ausführlich abzuhandeln.28 Dies hindert die nsIdeologen jedoch nicht daran, ihm zu bescheinigen, „jedes seiner Worte [sei] ein Schlag in das Gesicht der römischen Kirche und [sei] auch als solcher empfunden worden“.29 Obwohl Eckhart selbst stets energisch den Vorwurf bestritten hat, er habe eine außerhalb der kirchlich-christlichen Lehre stehende oder ihr gegenüber gar feindselige Mystik vertreten,30 verleiht der extrem universalistische Ansatz

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Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/2471944) [Anm. 12], S. 254. Zur rhetorischen Ideologieanfälligkeit der Mystik Meister Eckharts im Nationalsozialismus siehe insbes. William Morris Crooke, Vicious circles: Mysticism and the narration of nationalism, Berkeley 2003 (Diss.: University of California), Chapters i and ii. Meister Eckhart, Prol. gen. in op. tripart. n. 2, hg. von Konrad Weiss, Stuttgart 1964, lw, Bd. i, 1, S. 149,1. Vgl. Meister Eckhart, Prol. gen. in op. tripart. n. 7 (1964) [Anm. 27], S. 151,13–152,7. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/2471944) [Anm. 12], S. 225. Vgl. Meister Eckhart, Magistri Echardi Responsio ad articulos sibi impositos i, in: Proces-

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seines Denkens den Zentralbegriffen seiner Mystik doch eine grundlegende Amphibolie, die sie für eine ideologische Vereinnahmung anfällig macht. Dies gilt umso mehr, als er in seinen deutschen Predigten und Traktaten erstmals den Versuch unternimmt, die lateinische Begrifflichkeit des scholastischen Denkens in die Volkssprache zu übertragen, und dabei auf Begriffe wie wesen, grunt, gelâzenheit, abegescheidenheit, vernünfticheit, adel usw. rekurriert,31 die von ihm selbst zwar in einer präzisen philosophisch-theologischen Bedeutung verwendet werden, zugleich aber beständig Gefahr laufen, von seinen Hörern und Lesern in einem alltagssprachlichen Sinne missverstanden und banalisiert zu werden. Liest man Eckharts deutsche Werke vor dem Hintergrund seiner lateinischen Schriften, so wird überdeutlich, dass auch in seiner mittelhochdeutschen Terminologie eine ganze Obertonreihe scholastischmetaphysischer Bedeutungsebenen mitschwingt, die für ein unverkürztes Verständnis seiner Mystik unabdingbar sind. Klammert man diesen scholastischen Hintergrund jedoch aus, erweckt der faszinierende Sprachduktus seiner deutschen Werke den Eindruck eines geheimnisvollen Clair-obscur, das dazu einlädt, den unüberbietbar offenen Universalhorizont des eckhartschen Denkens als ideale, weil vollkommen leere Projektionsfläche für die eigenen ideologischen Vorstellungen und Vorannahmen zu benutzen. Dieses systematische ‚Vorbeihören‘ an Eckharts eigentlicher Grundintention betrifft nicht so sehr einzelne Gedankenmotive als vielmehr die Ausrichtung seines Denkens insgesamt: Eckharts Mystik ist in all ihren thematischen Facetten von der Grundeinsicht getragen, dass das eigentliche Selbstsein des Menschen nicht auf der Ebene seiner natürlichen, empirisch-biologischen oder auch historisch-politischen Existenz zu finden ist, sondern auf der überzeitlichen Ebene jener transzendentalen Dynamik, die ihn beständig aus Gott als dem ersten Prinzip hervorgehen lässt. Dennoch interpretieren die nationalsozialistischen Rezipienten dort, wo sie sich auf Eckhart beziehen, dessen Lehre von der Gottesgeburt beharrlich in einem empirisch-ontischen Sinne und deuten seinen transzendental-anthropologischen Begriff der ‚Abgeschiedenheit‘

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sus contra mag. Echardum n. 48 (= Proc. Col. i, nn. 76–80), hg. von Loris Sturlese, Stuttgart 2006, lw, Bd. 5, S. 275–277. Vgl. Benno Schmoldt, Die deutsche Begriffssprache Meister Eckharts. Studien zur philosophischen Terminologie des Mittelhochdeutschen, Heidelberg 1954, wo die genannten Begriffe unter diesem Gesichtspunkt aufschlussreich behandelt wurden; vgl. auch Alain de Libera, „Sermo mysticus. La transposition du vocabulaire scolastique dans la mystique allemande du xive siècle“, in: De l’ intraduisible en philosophie. Le passage aux vernaculaires, hg. von Barbara Cassin, Paris 1995 (Rue Descartes 14), S. 41–73, dem zufolge es sich bei solchen Begriffen um „un geste traducteur“ handelt, d.h. „une transposition de l’idiome philosophique qui, au Moyen Âge, constitue la langue de la philosophie: le latin“ (S. 41).

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entweder als „das schönste Bekenntnis des germanischen Persönlichkeitsbewußtseins“ oder auch als „völkisches Bekenntnis“, das dazu aufruft, sich „frei von allem [zu machen], was [dem eigenen] Wesen eine fremde Zutat geben […] könnte“.32 Diese politisch-ideologische μετάβασις εἰς ἄλλο γένος (metábasis eis állo génos) gipfelt in der grotesken Behauptung, „das ‚Seelenfünklein‘ Meister Eckharts [sei] nichts anderes als der ‚Führer in uns‘“.33 Dass Eckharts Mystik von ihrem ganzen Ansatz her in Widerspruch zu solchen banalisierenden empirischen Konkretionen steht, wird dabei geflissentlich ausgeklammert. Dieser aus heutiger Sicht haarsträubend anmutende Versuch einer politischideologischen Indienstnahme der eckhartschen Mystik ist jedoch deshalb so erfolgreich, weil er sich von vornherein auf einer hermeneutischen Metaebene bewegt, die durch keine noch so eindeutigen, den ideologischen Behauptungen widersprechenden Textbefunde erschüttert werden kann. In dem Moment, wo Eckhart zum Apostel des „nordischen Abendlandes“34 erklärt wird, ist es ein Leichtes, seine extensive Verwendung der lateinischen Sprache als ein bloßes Zugeständnis an die Zeitumstände zu deuten35 und die scholastische Form seiner Argumentation zu einem „arischen Mißbrauch jüdisch-talmudischer Methoden […], ein[em] Akt der Notwehr“36 umzufälschen. Unbeschadet dieses gemeinsamen ideologischen Apriori nimmt die politisch motivierte Vereinnahmung Eckharts in der Zeit des Nationalsozialismus doch sehr unterschiedliche Formen an. Die Aufsätze, die in diesem Band versammelt sind, stellen sich die Aufgabe, diesen unterschiedlichen Rezeptionslinien nachzugehen und sie in ihrer Spezifizität hervortreten zu lassen. Der Beitrag von Martina Roesner befasst sich mit der Art und Weise, in der Meister Eckhart im 19. und frühen 20. Jahrhundert zur Schlüsselfigur in der Rekonstruktion einer Genealogie des ‚deutschen Geistes‘ avanciert, wobei das Interpretationsschema zunächst konfessioneller bzw. völkerpsychologisch-deskriptiver Natur ist und erst im 20. Jahrhundert durch einen unverhohlen rassentheoretischen Ansatz abgelöst wird. Der Aufsatz von Martina Wehrli-Johns widmet sich in besonderer Weise der Eckhart-Rezeption bei Jakob Wilhelm Hauer, dem Gründer der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘, der vor dem Hintergrund seiner religionswissenschaftlichen Kenntnisse Eckharts Mystik in die Nähe der indoarischen Religionen rückt. 32 33 34 35 36

Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/2471944) [Anm. 12], S. 233f. Hans Alfred Grunsky, Seele und Staat. Die psychologischen Grundlagen des nationalsozialistischen Sieges über den bürgerlichen und bolschewistischen Menschen, Berlin 1935, S. 46. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/2471944) [Anm. 12], S. 220. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/2471944) [Anm. 12], S. 256. Hans Alfred Grunsky, Jakob Böhme als Schöpfer einer germanischen Philosophie des Willens, Hamburg 1940, S. 47.

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Der Beitrag von Yossef Schwartz analysiert zum einen die ideologischen Hintergründe der zwei konkurrierenden Eckhart-Editionsprojekte, die während der 1930er Jahre in Deutschland bzw. in Italien begonnen wurden, und skizziert zum anderen die unterschiedlichen Ansätze einer jüdischen Rezeption Eckharts, die – fernab aller deutschtümelnden Vereinnahmung – teils seine Kontinuität mit Cusanus betonen (Cassirer, Klibansky), teils sein Denken unter einem anarchisch-revolutionären Blickwinkel betrachten (Mauthner, Brunner, Landauer). Der Aufsatz von Christoph Henning widmet sich der Eckhart-Deutung bei Hermann Schwarz, der Eckharts Motiv der ‚Entselbstung‘ und des ‚Lassens‘ vom persönlichen Eigenwillen zwar übernimmt, es jedoch nur als Rücknahme der Individualseele in die Universalität der ‚Volksgemeinschaft‘ interpretiert und damit nationalsozialistisch nutzbar macht. Maxime Mauriège legt anhand einer detaillierten Analyse von Zeitdokumenten dar, dass Eckhart von nationalsozialistisch geprägten Denkern mitnichten nur positiv gedeutet wurde, sondern bisweilen auch – wie etwa bei Karl Kindt – aufgrund seiner ‚weltflüchtigen‘, ‚schöpfungsfeindlichen‘ Grundhaltung sowie aufgrund seiner Beeinflussung durch jüdische Denker wie Moses Maimonides gerade als Feind des ‚jungen Deutschland‘ bezeichnet wurde. Kindts Verunglimpfung Eckharts als eines ‚falschen Propheten‘ steht in scharfem Gegensatz zu Rosenbergs schwärmerischer Verklärung Eckharts, was nur beweist, dass die ideologischen Deutungsansätze im Grunde aus Eckhart nur herauslesen, was sie selbst in ihn hineingelegt haben. Der letzte Beitrag in diesem Band stammt aus der Feder von Ricardo Baeza und geht der Frage nach, welche Verbindung zwischen Heideggers Eckhart-Rezeption und seiner Kritik des ‚Judentums‘ in den Schwarzen Heften besteht. Dabei wird deutlich, dass sich Heidegger bei seiner Kritik des ‚jüdisch-rechnenden Denkens‘ der bisherigen Metaphysik auf Eckharts ‚Gelassenheit‘ beruft, die in der Lage sein soll, den Geist der ‚Machenschaft‘ und der einseitigen Beherrschung der Wirklichkeit zu überwinden und ein neues Weltverhältnis zu begründen. Auch wenn sich die Beiträge des vorliegenden Bandes einer nunmehr gut 80 Jahre zurückliegenden Epoche der deutschen Geistesgeschichte widmen, lässt sich aus ihren Ergebnissen doch eine eindeutige Schlussfolgerung mit Blick auf die Eckhart-Rezeption der Gegenwart ziehen: Das, was das Faszinosum von Eckharts Mystik ausmacht – ihre unerhörte Weite, Offenheit, begriffliche Kühnheit und Radikalität –, bedingt zugleich auch ihre Anfälligkeit für ideologische Vereinnahmungen aller Art. Als Antidot gegen solche Fehlentwicklungen ist die philosophie- und theologiegeschichtliche Kontextualisierung von Eckharts Denken ebenso wichtig wie die Betonung der inneren, systematischen Verbindung zwischen seinen lateinischen und deutschen Werken. Vielleicht noch wichtiger ist jedoch, sich Eckhart in der Haltung des ‚ohne Warum‘

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zu nähern und ihn in keiner Weise für die eigenen Belange und Interessen instrumentalisieren zu wollen. Der wahrhaft arme Mensch ist derjenige, der auch mit Blick auf Eckhart nichts will, nichts weiß und nichts hat, sondern gegenüber allen eigensüchtigen Aspekten der Eckhart-Rezeption ledig und frei ist. „Warum liest du Eckhart?“ – „Traun, ich weiß es nicht, aber ich lese ihn gerne“.37 Maxime Mauriège und Martina Roesner Köln und Wien, den 26. Mai 2021

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Vgl. Meister Eckhart, Pr. 26, hg. von Josef Quint, Stuttgart 1971, dw, Bd. 2, S. 27,9–10; persönliche Anpassung des Zitats entsprechend dem diskursiven Kontext des Vorworts.

kapitel 1

Vom ‚deutschen Geist‘ zum ‚deutschen Willen‘: Die genealogische Rekonstruktion von Mystik, Idealismus und Romantik als nationalsozialistisches Wissenschaftsprojekt Martina Roesner

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Das Motiv einer ‚Genealogie des Geistes‘ als philosophisches Problem*

Seit ihren Anfängen ist die abendländische Philosophie von zwei gegensätzlich anmutenden Grundhaltungen gegenüber dem geschichtlich Überkommenen durchzogen. So entwickelt sich das philosophische Denken in seinen historischen Ursprüngen bei den Griechen zunächst aus dem Bestreben, bisher geltende Überzeugungen, Weltbilder und Traditionen radikal in Frage zu stellen und eigene, neue Deutungsansätze der Wirklichkeit zu entwickeln. Gegenüber den affirmativen Ansprüchen der bis dahin fraglos übernommenen Auffassungen und Überzeugungen kultureller, gesellschaftlicher, politischer und religiöser Art betont die philosophische Reflexion somit vor allem das Moment kritischer Distanznahme. Insofern die Philosophie über Jahrhunderte hinweg kontinuierlich weiterbetrieben und in schriftlicher Form niedergelegt wird, begründet sie selbst jedoch wiederum eine Tradition, der gegenüber sich der einzelne Philosoph in der einen oder anderen Weise positionieren muss. Dabei bleibt es nicht aus, dass sich hinsichtlich gewisser Grundfragen eine beschränkte Anzahl von Deutungsschemata herausbildet, auf die in unterschiedlichen Varianten immer wieder zurückgegriffen wird: Monismus versus Dualismus, Materialismus versus Idealismus, Freiheit versus Determinismus, Philosophie als strenge Wissenschaft versus Philosophie als existenzieller Lebensentwurf usw. In dem Maße, wie sich ein Philosoph im Rahmen seiner eigenen Arbeit entweder zustimmend oder kritisch mit diesen denkerischen Grundmodellen * Die ursprüngliche Version dieses Aufsatzes ist im Rahmen eines vom Austrian Science Fund (fwf) geförderten Forschungsprojektes unter der Projektnummer P 27499 entstanden. Die Erweiterung und Überarbeitung des Manuskripts erfolgte im Rahmen eines weiteren fwfProjektes unter der Projektnummer P 31358.

© Martina Roesner, 2022 | doi:10.1163/9789004519343_002

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auseinandersetzt, stellt er sich zugleich in eine Reihe mit all jenen Denkern, die bereits vor ihm in eine ähnliche Richtung gegangen sind. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Präsenz gewisser genealogisch anmutender Kontinuitäten innerhalb der Geschichte der Philosophie also zunächst einmal nichts Besonderes. Seit dem frühen 19. Jahrhundert ist im Gefolge des deutschen Idealismus jedoch die Tendenz erkennbar, die Geschichte der Philosophie selbst in philosophischer Weise zu deuten und der Entwicklung der verschiedenen Denksysteme eine metaphysische Tiefenbedeutung zuzuerkennen. So faszinierend diese Perspektive auf den ersten Blick auch sein mag, so sehr birgt sie doch die Gefahr, die philosophiehistorischen Daten einem spekulativen Vor-urteil zu unterwerfen, das gar nicht auf dem Weg der hermeneutischen Auseinandersetzung mit früheren philosophischen Ansätzen in Frage gestellt werden will, sondern diese von vornherein im Hinblick darauf betrachtet, was Philosophie ‚eigentlich‘ sein soll. Dieser Weg von einer deskriptiven zu einer normativen Genealogie des philosophischen Denkens lässt sich besonders gut im Deutschland des 19. und frühen 20. Jahrhunderts beobachten. Dabei fällt auf, dass sich diese Ansätze stets in der einen oder anderen Weise auf das speziell im deutschen Idealismus entwickelte Urmodell einer solchen genealogischen Beziehung innerhalb des abendländischen Denkens berufen, nämlich die Verbindung zwischen den idealistischen Systementwürfen einerseits und der deutschen Mystik des Mittelalters andererseits. Die Protagonisten dieser Deutung, allen voran Hegel, sehen sich als die eigentlichen Erben der mystischen Tradition, insofern sich in dieser bereits die Überwindung der Kluft zwischen dem menschlichen Vernunftbewusstsein und dem Absoluten ausspricht, wenn auch vorerst nur als unmittelbare Intuition und noch nicht in begrifflich ausgearbeiteter Form.1 Als Hauptvertreter dieses Denkansatzes gilt dabei Meister Eckhart, der im Unterschied zu den Mystikern der romanischen Länder, wie Bernhard von Clairvaux, Teresa von Ávila oder Johannes vom Kreuz, den Ort der Einheit mit dem Göttlichen in das vernünftige Selbstbewusstsein und nicht in die seelische Sphäre des ekstatischen Erlebens verlegt.2 Bei Hegel selbst verbleibt die Anerkennung einer geistigen Filiation zwischen Meister Eckharts mystischen Grundgedanken und seinem eigenen Sys-

1 Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion i, in: ders., Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, hg. von Walter Jaeschke, Bd. 3, Hamburg 1983, S. 247 f.; vgl. auch Hans Martensen, Meister Eckart: Eine theologische Studie, Hamburg 1842, S. 41; Adolf Helfferich, Die christliche Mystik in ihrer Entwickelung und ihren Denkmalen, Gotha 1842, Bd. 1, S. 5. 2 Vgl. Martensen, Meister Eckart (1842) [Anm. 1], S. 56 f.

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tementwurf jedoch auf der Ebene einiger punktueller Aperçus, und zwar vornehmlich aus überlieferungsgeschichtlichen Gründen: Karl Rosenkranz zufolge hatte Hegel sich zwar schon während seiner Berner Zeit Exzerpte aus den Schriften Meister Eckharts und Johannes Taulers gemacht, doch handelte es sich dabei nur um kurze Textpassagen, die er aus Literaturzeitungen entnehmen konnte. Erst durch Franz von Baader, der sich eine Zeitlang mit dem Plan einer Eckhart-Edition trug, wurde Hegel in spezieller Weise auf den mystischspekulativen Ansatz des Thüringer Dominikaners aufmerksam.3 Da sich Baader jedoch schon bald in immer ausschließlicherer Form dem theosophischen Denken der frühen Neuzeit, d.h. vor allem Jakob Böhme, zuwandte und seinen ursprünglichen Plan einer Ausgabe der Werke Eckharts nicht weiterverfolgte,4 blieb es während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst bei einer relativ summarischen und oberflächlichen Rezeption des eckhartschen Denkens. In den darauffolgenden Jahrzehnten spiegelt die Geschichte der Auseinandersetzung mit der inneren Verbindung zwischen Mystik und Idealismus zugleich auch die konfessionellen, politischen und ideologischen Bruchlinien wider, die das Selbstverständnis der deutschen Intellektuellen während dieser Zeit kennzeichnen. Diese Entwicklung mündet schließlich in das nationalsozialistische Projekt einer ‚deutschen Geisteswissenschaft‘, das die früheren Genealogiemodelle der deutschen Philosophie jedoch nicht einfach fortschreibt, sondern in entscheidender Weise verändert. Die im Rahmen dieses Projektes erörterten Vertreter der deutschen Geistesgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit sind dabei nicht mehr Gegenstand einer objektivwissenschaftlichen Betrachtung, sondern dienen lediglich als Projektionsfläche für bestimmte Grundthesen, die als solche gar nicht mehr in Frage gestellt werden. Der Umstand, dass gerade Meister Eckhart während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf unterschiedlichste Weise zur ideologisch beeinflussten Identitätsstiftung herangezogen wird und den Dreh- und Angelpunkt der nationalsozialistischen Rekonstruktion der deutschen Geistesgeschichte bildet, ist dabei kein Zufall, sondern liegt in der besonders gearteten Ausrichtung seines mystisch-spekulativen Denkansatzes begründet. So wenig die deutschtümelnde Vereinnahmung Eckharts vom heutigen wissenschaftlichen Stand-

3 Vgl. den kurzen Bericht von Karl Rosenkranz über das Fragment vom göttlichen Dreieck, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, hg. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 5, Hamburg 1998, S. 479–482; vgl. auch Ingeborg Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes, Leiden 1967, S. 114. 4 Vgl. Gottfried Fischer, Geschichte der Entdeckung der deutschen Mystiker Eckhart, Tauler und Seuse im xix. Jahrhundert, Freiburg i. Ü. 1931, S. 49.

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punkt aus gerechtfertigt erscheint, so auffallend ist doch die Tatsache, dass sich Eckharts Denken offenbar wesentlich leichter als die Ansätze anderer mystischer Autoren für krude, tendenziöse Deutungen zweckentfremden lässt. Das dabei zugrundeliegende Argumentationsschema ähnelt seltsamerweise dem der päpstlichen Zensoren in der von Johannes xxii. eingesetzten Untersuchungskommission: Diese Gutachter hatten sich vor allem auf sehr zugespitzt klingende Sätze aus Eckharts deutschen Werken konzentriert und den ungewöhnlichen sprachlichen Ausdruck, dessen sich Eckhart bedient, als Indiz für eine heterodoxe Haltung auf der theologisch-inhaltlichen Ebene gewertet. Dieselbe Gleichsetzung von neuartig klingender Ausdrucksweise mit der häretischen Natur des ausgedrückten Inhalts bestimmt auch die nationalsozialistische Vereinnahmung Eckharts,5 allerdings mit dem Unterschied, dass seine vermeintliche Heterodoxie nun als ausgesprochen positives Faktum vermerkt wird. Davon abgesehen verschiebt sich im Rahmen der nationalsozialistischen Eckhart-Rezeption der Akzent zunehmend von der Mystik im engeren Sinne hin zur Theosophie der frühen Neuzeit und namentlich zu Jakob Böhme. Den Gründen für dieses eigenartige Phänomen soll im Folgenden nachgegangen werden.

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Die Verbindung von Mystik und Idealismus als religiös-konfessionelles Projekt

Im frühen 19. Jahrhundert speist sich das verstärkte Interesse an der Mystik vor allem aus der positiven Neubewertung der mittelalterlichen Geschichte und Kultur im Zuge der Romantik. Die während der Aufklärung vorherrschende Tendenz, die historische Offenbarungsreligion auf eine allenfalls pädagogisch nützliche Spielart der praktischen Vernunft zu reduzieren, wird nunmehr durch eine erhöhte Sensibilität für die Eigenständigkeit des Phänomens der Religion gegenüber allen anderen Wirklichkeitsbereichen abgelöst. Damit verliert auch der ehedem als Synonym für Obskurantismus und Irrationalität geltende Begriff der Mystik6 seinen negativen Beiklang und gilt nun als paradigmatische Verheißung der von der Romantik angestrebten Überwindung

5 Zur rhetorischen Ideologieanfälligkeit der Mystik Meister Eckharts im Nationalsozialismus siehe insbes. William Morris Crooke, Vicious circles: Mysticism and the narration of nationalism, Berkeley 2003 (Diss.: University of California), Chapters i and ii. 6 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, in: Kant’s gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 5, Berlin 1913 (Nachdr. 1969), S. 70 f.

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aller Brüche und Dichotomien. Die monumentale fünfbändige Christliche Mystik von Joseph Görres ist das eindrücklichste Zeugnis für diese neue, positive Bewertung des mystischen Gedankenguts.7 Dabei wird die Mystik jedoch gerade nicht als historisches Urstiftungsmoment einer besonderen geistesgeschichtlichen Entwicklungslinie innerhalb der europäischen Philosophietradition interpretiert, sondern als eine Konstante der menschlichen Natur angesehen.8 In seinem Bestreben, die Möglichkeit mystischen Erlebens in psychologischer und physiologischer Hinsicht plausibel zu machen, konzentriert sich Görres gerade auf die besonders spektakulären und unter philosophischwissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht selten anstößig wirkenden Phänomene mystischer Frömmigkeit wie Ekstasen, Visionen, Auditionen sowie noch extremere Manifestationsformen des Übernatürlichen wie Bilokation, Unsichtbarwerden oder Aufhebung der Schwerkraft.9 In dieser von Görres gewählten Vorgehensweise spiegelt sich letztlich die auf Schelling zurückgehende Vorstellung wider, dass Natur und Geist einander nicht entgegengesetzt sind, sondern nur unterschiedliche Potenzen derselben göttlichen Wirklichkeit darstellen. Das bedeutet umgekehrt, dass auch mystische Phänomene nicht allein auf der innerseelisch-spirituellen Ebene verstanden werden können, sondern auf ihr physikalisch-biologisches Fundament zurückgeführt werden müssen.10 Görres ist sichtlich bestrebt, die christliche Mystik in all ihren Ausprägungsformen darzustellen und seine strukturell-systematischen Thesen zu diesem Phänomen am Beispiel zahlreicher Mystiker aus den verschiedensten europäischen Ländern zu illustrieren. Dabei fällt jedoch auf, dass die zwei größten Vertreter der deutschen Mystik des 14. Jahrhunderts, nämlich Meister Eckhart und Johannes Tauler, in seiner Darstellung überhaupt nicht vorkommen und Heinrich Seuse nur an zwei Stellen kurz erwähnt wird.11 Umso ausführlicher widmet sich Görres den Mystikern der romanischen Länder (Italien, Spanien, Frankreich), was wohl auch dem Bestreben geschuldet sein mag, den katholischen Grundcharakter der mystischen Frömmigkeit als solcher zu betonen.12 7 8 9 10 11 12

Vgl. Joseph Görres, Die Christliche Mystik, München/Regensburg 1836–1842 (5 Bd.); 21879. Vgl. Görres, Christliche Mystik (21879) [Anm. 7], Bd. 1, S. 11–23. Vgl. Görres, Christliche Mystik (21879) [Anm. 7], Bd. 2, S. 308–410. Vgl. Georg Bürke, Vom Mythos zur Mystik: Joseph von Görres’ mystische Lehre und die romantische Naturphilosophie, Einsiedeln 1958, S. 16; S. 62 f. Vgl. Görres, Christliche Mystik (21879) [Anm. 7], Bd. 1, S. 405; Bd. 2, S. 99. Dies wird besonders in Bd. 3 und Bd. 4 deutlich, wo Görres den positiv zu bewertenden Formen einer echten christlichen Mystik die entsprechenden Gegenphänomene der ‚dämonischen Mystik‘ und der Besessenheit gegenüberstellt und in diesem Zusammenhang auch die kirchliche Praxis des Exorzismus ausführlich erörtert. Vgl. dazu Görres, Christliche Mystik (21879) [Anm. 7], Bd. 4, S. 296–412 sowie dazu Bürke, Vom Mythos zur Mystik (1958) [Anm. 10], S. 142–151.

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Sein geringes Interesse gegenüber der deutschen Mystik des 14. Jahrhunderts erklärt sich aber auch daraus, dass deren spekulativer Ansatz ganz auf vernunftgeprägte Innerlichkeit ausgeht und die Veräußerlichung des mystischen Erlebens in Form besonderer psychophysischer Phänomene gerade kritisch betrachtet.13 Im Vergleich zu Görres’ individualpsychologisch ausgerichtetem Deutungsansatz kommt es während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in mehrfacher Hinsicht zu einer Akzentverschiebung. Die innere Verbindung zwischen Mystik und Philosophie wird nun weit stärker betont als vorher, wobei sich das Augenmerk zunehmend auf die deutsche mystische Tradition des 14. Jahrhunderts und deren besondere Stellung innerhalb der europäischen Geistesgeschichte konzentriert. Parallel dazu lässt sich beobachten, dass sich nun vor allem protestantische Theologen und Kirchenhistoriker für die Mystik zu interessieren beginnen und bestrebt sind, sie gerade nicht mehr als primär katholisches Phänomen, sondern als Teil der Vorgeschichte der Reformation sowie als Anfang einer spezifisch deutschen Geistesgeschichte zu begreifen. All diese historischen Rekonstruktionsmodelle betonen die Kontinuitätslinie zwischen der deutschen Mystik und dem deutschen Idealismus, wobei die Hauptkriterien vornehmlich religiös-philosophischer sowie kulturell-sprachlicher Natur sind. Unter diesem Gesichtspunkt avanciert Meister Eckhart zum „Vater der deutschen Spekulation“,14 der erstmals vor Hegel das statische Gegenüber von Gott und Schöpfung prozessual dynamisiert und diesen Vorgang mittels einer philosophischen Begrifflichkeit denkerisch durchdrungen habe. Als gemeinsamer Grundzug gilt dabei zum einen die Vorstellung der Immanenz Gottes im menschlichen Bewusstsein sowie die Überwindung des als ‚starr‘ geltenden, auf dem Prinzip der logischen Widerspruchsfreiheit beruhenden Verstandesdenkens.15 Eine weitere Übereinstimmung besteht darin, dass die deutschen Mystiker – vor allem Meister Eckhart, aber auch Johannes Tauler und der Autor der Theologia deutsch – sich vom Lateinischen als der bis dahin allesbeherrschenden Theologensprache lösen und damit – als Vorläufer Luthers und Hegels – erstmals die deutsche Sprache zum genuinen Ausdrucksmittel religiös-theologischer wie philosophischer Gedankengänge machen.16

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Vgl. Bürke, Vom Mythos zur Mystik (1958) [Anm. 10], S. 220f. Vgl. Joseph von Bach, Meister Eckhart – der Vater der deutschen Speculation: Als Beitrag zu einer Geschichte der deutschen Theologie und Philosophie der mittleren Zeit, Wien 1864, S. iv–v; S. 61; S. 201. Vgl. Adolf Lasson, Meister Eckhart der Mystiker: Zur Geschichte der religiösen Spekulation in Deutschland, Berlin 1868 (Nachdr.: Aalen 1968), S. 80. Vgl. Carl Schmidt, Meister Eckart: Ein Beitrag zur Geschichte der Theologie und Philosophie

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Auch wenn dieses Narrativ einer Verbindungslinie zwischen der deutschen Mystik, der Reformation und dem deutschen Idealismus vor dem Hintergrund des damaligen Kulturkampfes bei vielen Autoren eine gewisse konfessionelle – genauer gesagt: antikatholische – Schlagseite hat, so lassen die unterschiedlichen historischen Rekonstruktionsversuche doch keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei dieser Traditionslinie nur um einen Teil der deutschen Geistesgeschichte handelt. Das Motiv der spekulativen ‚Überwindung des Verstandesdenkens‘ und der damit verbundenen Logik der Widerspruchsfreiheit ist ein Kriterium, das etliche große deutsche Philosophen, allen voran Leibniz und Kant, von vornherein aus dieser genealogischen Rekonstruktion ausschließt. Dieser Umstand wird von den betreffenden Philosophie- und Theologiehistorikern jedoch akzeptiert, so dass sie keinen Versuch unternehmen, die gesamte deutsche Geistes- und Philosophiegeschichte gewaltsam zu harmonisieren und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Auch die Darstellung Meister Eckharts ist keineswegs so einseitig und verzerrend, wie man dies auf den ersten Blick erwarten könnte. Gewiss tendieren manche protestantischen Autoren dazu, die scholastische Prägung seines Denkens unterzubewerten,17 doch sind sie insgesamt um ein differenziertes Urteil bemüht, vor allem, was den gegen Eckhart oft erhobenen Pantheismusvorwurf anbelangt.18 Auch die Verbindung zwischen Eckharts ‚Mys-

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des Mittelalters, Hamburg 1839, S. 26: „Selbst um die Sprache hat er [scil. Eckhart, M.R.] sich verdient gemacht; bei ihm, so wie bei Tauler, bemerkt man das erste Streben der deutschen Philosophie, sich selbst eigenthümlich zu gestalten und zugleich sich eine eigene Sprache zu bilden und Ausdrücke zu finden zur Bezeichnung metaphysischer Begriffe. […] Philosophie und Theologie waren eingeengt gewesen in die allenthalben gleichen Formen der Scholastik, jetzt aber begannen sie, sich freier zu bewegen und mehr das Gepräge der verschiedenen Nationalitäten anzunehmen, was besonders in Deutschland deutlich hervortritt“. Vgl. auch ebd., S. 79; S. 82. Laut Schmidt, Meister Eckart (1839) (Anm. 16), S. 83, ist Eckharts Weltsicht „wunderbar contrastierend mit der entarteten Scholastik und Casuistik“. Dazu bemerkt Bach, Meister Eckhart: der Vater der deutschen Speculation (1864) [Anm. 13], S. 7, kritisch: „Von der lateinischen Mystik des Mittelalters kann hier keine Rede sein, nur muss erwähnt werden, dass die Gegenüberstellung von Scholastik und Mystik vielfach eine leere Fiction ist. Die Methode der beiden war eine verschiedene, der Inhalt beider war derselbe. Die grossen Mystiker waren auch Scholastiker und umgekehrt“. Ähnlich argumentiert Lasson, Meister Eckhart der Mystiker (1868/1968) [Anm. 14], S. 54 f.: „Johannes Eckhart besaß eine große und umfassende Gelehrsamkeit. Man merkt ihm in allen Punkten die Schule des Albertus Magnus und des heiligen Thomas an, deren Lehre er in wichtigen Stücken wiederholt. […] Am engsten angeschlossen hat er sich an Thomas; am häufigsten beruft er sich auf den Pseudo-Areopagiten und auf Augustinus“. Vgl. Wilhelm Preger, „Ein neuer Traktat Meister Eckharts und Grundzüge der Eckhartischen Theosophie“, in: Zeitschrift für historische Theologie, N. F. 28 (1864), S. 163–204, hier S. 194–196.

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tik des Wirkens‘ und Fichtes philosophisch-ethischem Grundansatz wird von den Eckhart-Rezipienten des 19. Jahrhunderts in sachlich durchaus treffender Weise gesehen und analysiert.19 Die Herausarbeitung dieser Gemeinsamkeiten verbleibt dabei jedoch auf der inhaltlichen Ebene, ohne Eckhart oder Fichte in emphatischer Weise zu paradigmatischen Vertretern des Deutschtums als solchen zu erklären. Dies wird insbesondere daran ersichtlich, dass die betreffenden Autoren sich nicht scheuen, auf die große Nähe zwischen Eckharts These der Göttlichkeit des Seelengrundes und ähnlichen Motiven in der jüdischen Kabbala hinzuweisen und Eckhart damit nicht nur zu einer nichtdeutschen, sondern auch zu einer nichtchristlichen Denktradition in Beziehung zu setzen.20 In Übereinstimmung mit dieser vergleichsweise objektiven, um Wissenschaftlichkeit bemühten Darstellungsweise machen die Eckhart-Rezipienten des späten 19. Jahrhunderts auch ganz offen auf die Grenzen seines Denkansatzes aufmerksam, wie etwa die Tatsache, dass es bei ihm kein eigentliches Prinzip des Negativen und keine ausdrückliche Analyse des prozessualen Werdens Gottes in der Natur gibt und dass diese Fragestellung erst von Jakob Böhme mit der nötigen Radikalität angegangen wird.21 Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden die Begriffe ‚Mystik‘ und ‚Theosophie‘ zu diesem Zeitpunkt also keineswegs synonym verwendet, sondern dienen als Bezeichnungen für zwei geistesgeschichtliche Phänomene, die zwar gewisse inhaltliche Schnittmengen besitzen, sich hinsichtlich gewisser spekulativer Grundfragen aber auch deutlich voneinander unterscheiden.22 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bleiben die Rekonstruktionen der inneren Verwandtschaft von Mystik und Idealismus somit relativ ausgewogen und

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Vgl. Martensen, Meister Eckhart (1842) [Anm. 1], S. 38; Lasson, Meister Eckhart der Mystiker (1868/1968) [Anm. 14], S. 243. Vgl. Albert Stöckl, Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Mainz 1864–1866 (3 Bd.), Bd. 2, S. 1107: „Die Lehre von der Göttlichkeit des Geistes oder Seelengrundes ist offenbar ganz analog der kabbalistischen Lehre von der Neschamah, und der neuplatonischen Lehre vom noûs. Ob Eckhardt aus diesen Theorien geschöpft habe, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen; aber sicher ist es, dass der Gedanke derselbe ist, und einen Zusammenhang Eckhardts mit den beiden genannten Theorien müssen wir daher jedenfalls annehmen, möge nun derselbe erklärt werden wie immer“. Vgl. Lasson, Meister Eckhart der Mystiker (1868/1968) [Anm. 15], S. 144. Eine solche Ausnahme ist Preger, Ein neuer Traktat Meister Eckharts (1864) [Anm. 17], der Eckharts Ansatz in der Tat als ‚Theosophie‘ bezeichnet. Die meisten Autoren des 19. Jahrhunderts sind sich jedoch der inhaltlich-systematischen Unterschiede bewusst, die zwischen der ganz auf die Beziehung Gottes zur menschlichen Seele zugespitzten Mystik und der schöpfungstheologisch-kosmogonisch ausgerichteten Theosophie bestehen, und betrachten die beiden Begriffe dementsprechend nicht als austauschbar.

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verfolgen mit ihrem genealogischen Schema keine totalisierenden Ansprüche hinsichtlich der gesamten deutschen Philosophiegeschichte. Die ‚Genealogie des deutschen Geistes‘ ist bei ihnen noch wesentlich eine Genealogie des deutschen Geistes, zu der nur diejenigen Philosophen zählen, deren Rationalitätsverständnis sich tatsächlich nicht am kategorialen Verstandesdenken, sondern an der dynamisch-prozessualen Selbsterkenntnis des Absoluten orientiert. Ebenso findet man in diesem Rekonstruktionsmodell kaum polemische Töne gegenüber anderen Kulturen und philosophischen Traditionen.23 Die Herausarbeitung des spezifisch Eigenen der deutschen Mystik und des deutschen Idealismus geht somit noch nicht mit ihrer polternden Überhöhung zum normativ Eigentlichen Hand in Hand, sondern verbleibt auf der Ebene einer deskriptiven, ideengeschichtlich weitgehend nachvollziehbaren Darlegung.24

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Die Verbindung von Mystik, Theosophie und Idealismus als politisch-ideologisches Projekt

Diese insgesamt sachliche, um Wissenschaftlichkeit bemühte Grundhaltung gegenüber der deutschen Mystik und ihrer Wirkungsgeschichte ändert sich Anfang des 20. Jahrhunderts grundlegend mit der von Herman Büttner herausgegebenen neuhochdeutschen Volksausgabe von Meister Eckharts Predigten und Traktaten. Die konfessionell geprägte Aneignung von deutscher Mystik und deutschem Idealismus zum Zweck einer protestantischen Identitätsstiftung wird dabei durch eine nationalistisch-rassentheoretisch gefärbte Rekonstruktion der deutschen Geistesgeschichte abgelöst. Das genealogische Schema hat damit nicht mehr die Form einer Verbindung einzelner, als diskrete Größen verstandener Philosophen, sondern wird zum Postulat eines durchgängigen Kontinuums, das dem ‚germanischen Wesen‘ als solchem entspringt.25 Innerhalb dieses genealogischen Modells, das die mittelalterliche Mystik

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Der einzige Autor, der die Eigenheiten der deutschen Mystik derart deutlich als Spezifikum der ‚indogermanischen Rasse‘ deutet, ist bezeichnenderweise der in Straßburg wirkende protestantische Theologe Auguste Jundt, Essai sur le mysticisme spéculatif de Maître Eckhart, Straßburg 1871, S. 7 f.; S. 51; S. 135. Zu dieser Unterscheidung siehe Bernd Fischer, Das Eigene und das Eigentliche: Klopstock, Fichte, Herder, Kleist. Episoden aus der Konstruktionsgeschichte nationaler Identitäten, Berlin 1995, S. 123. Vgl. Herman Büttner (Übers. und Hg.), Meister Eckharts Schriften und Predigten (2 Bd.), Jena 1903/1909; 21912, Bd. 2, S. iv.

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gleichsam zum Urstiftungsmoment der deutschen Geistesgeschichte verklärt, erscheint Meister Eckhart nach wie vor als bedeutsamer religiös-philosophischer Ahnherr. Dabei verschiebt sich der Fokus jedoch von der bis dahin vorherrschenden idealistisch-geistmetaphysischen Interpretation seines Ansatzes hin zu einer Deutung, die ihn als Vertreter einer ausgesprochen voluntaristischen Denkrichtung ansieht. Interessanterweise hat diese ideengeschichtlich eher ungewöhnliche Eckhart-Interpretation einen ideologisch unverdächtigen philosophischen Vorläufer, nämlich Wilhelm Dilthey. In seinem 1900 erschienenen Aufsatz „Der entwicklungsgeschichtliche Pantheismus nach seinem geschichtlichen Zusammenhang mit den älteren pantheistischen Systemen“ kommt er zu dem Schluss, Eckhart manifestiere philosophisch erstmals „die Lebensverfassung des germanischen Geistes: nicht Form, sondern Kraft, nicht begrenzende Anschauung, sondern Wille“.26 Vermutlich bezieht sich Dilthey mit dem Begriff der ‚Kraft‘ auf den dynamisch-relationalen Charakter von Eckharts Metaphysik, doch lässt er dabei außer Acht, dass für Eckhart die untrennbare, prozessuale Korrelation zwischen Gott und Mensch und die sich daraus ergebende Betonung der Freiheit gerade nicht am Willen, sondern an der spontanen Ursprunghaftigkeit des Intellekts hängt.27 Darüber hinaus erweckt der von Dilthey verwendete Begriff des ‚Pantheismus‘ den Eindruck, dass Eckhart von einer direkten, unterschiedslosen Immanenz Gottes in der Welt ausgeht, was in dieser Form nicht zutrifft. Beide von Dilthey genannten Motive, die Orientierung am Willensbegriff und die Vorstellung einer pantheistischen Naturmystik, sind jedoch entscheidend für die weitere ideologische Verwertung des Zusammenhangs von Mystik, Idealismus und Romantik im Zuge des völkischnationalen Denkens. Dabei wird die These des ‚typisch germanischen‘ Charakters von Eckharts Mystik, die sich bei Dilthey noch im Rahmen einer relativ harmlosen, eher deskriptiv als normativ verfahrenden Völkerpsychologie bewegt,28 in einem biologistisch-rassentheoretischen Sinne umgedeutet.

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Wilhelm Dilthey, „Der entwicklungsgeschichtliche Pantheismus nach seinem geschichtlichen Zusammenhang mit den älteren pantheistischen Systemen“, in: Gesammelte Schriften, Bd. 2, Göttingen 101977, S. 312–390, hier S. 321. Vgl. Meister Eckhart, Sermo xvii/2 n. 168, lw, Bd. 4, S. 160,10f.: [O]mnes potentiae animae quodammodo limitatae et quasi captae sunt obiectis suis. Intellectus autem, in quo veritas est, liber est („Alle Vermögen der Seele [sind] auf eine gewisse Weise begrenzt und gewissermaßen gefangen […] von ihren Gegenständen. Der Intellekt aber, in dem die Wahrheit ist, ist frei“). Dass Dilthey keine schroffe Entgegensetzung zwischen der ‚deutschen Mystik‘ und den mystischen Traditionen anderer Länder im Sinn hat, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er den Neuplatonismus, die romanische Mystik und Meister Eckharts Mystik ausdrück-

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Auch wenn bei manchen Autoren des beginnenden 20. Jahrhunderts in der Darlegung der mystischen bzw. theosophischen Tradition bereits vereinzelt nationalistische oder antisemitische Untertöne mit anklingen,29 ist es doch vor allem Alfred Rosenberg, der in seiner 1930 erschienenen Kampfschrift Der Mythus des 20. Jahrhunderts die nationalsozialistische Vereinnahmung Meister Eckharts in beispielloser Weise vorantreibt. Dessen angeblich ‚typisch deutsche‘ Grundhaltung wird von Rosenberg nicht mehr in einem geschichtlichkulturellen oder allenfalls völkerpsychologischen Sinne verstanden, sondern als direkter Ausdruck eines biologisch definierten ‚nordischen Wesens‘ gedeutet. Dementsprechend hat für ihn auch Eckharts Lehre von der Immanenz Gottes im Menschen keine im eigentlichen Sinne geistig-mystische Bedeutung mehr, sondern wird in kruder Weise am ‚Blut‘ und dessen rassischer Reinheit festgemacht.30 Folgerichtig muss Rosenberg auch jede Kontinuität zwischen Meister Eckharts Mystik und dem idealistischen Denken Hegels bestreiten, dessen „blutfremde Machtlehre“ seines Erachtens nur dem Marxismus den Weg bereitet habe und somit dessen geistiger Verwandter sei.31 Bei Rosenberg hat die Betonung von Eckharts ‚nordischem Blut‘ und seine Stilisierung zum Verkünder eines ‚germanischen Christentums‘ nicht nur eine massiv antisemitische, sondern auch eine dezidiert antikatholische Stoßrichtung;32 ist für Rosenberg die Katholische Kirche doch jene Institution, die

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lich als verschiedene Stadien derselben historischen Entwicklung deutet, die letztlich auf den Durchbruch einer pantheistischen Weltsicht hinausläuft. Vgl. dazu Dilthey, Der entwicklungsgeschichtliche Pantheismus (101977) [Anm. 26], S. 320f. Vgl. Werner Elert, Die voluntaristische Mystik Jakob Böhmes: Eine psychologische Studie, Berlin 1913, S. 2: „Will man noch zweifeln, ob Böhme deutsch war? Man stelle ihn, wie ihm oft geschah, neben den Juden Spinoza, der ihn der Zeit nach ungefähr ablöste, und man wird nicht länger fragen“. Vgl. Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts: Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930; 481935, S. 257f.: „Damit ist das letzte ergänzende Wort ausgesprochen worden. Neben dem Mythus von der ewigen, freien Seele steht der Mythus, die Religion des Blutes“ (Hervorhebungen im Original); vgl. ebd., S. 701: „Der Gott, den wir verehren, wäre nicht, wenn unsere Seele und unser Blut nicht wären, so würde das Bekenntnis eines Meister Eckhart für unsere Zeit lauten“. Vgl. Rosenberg, Mythus (1930/481935) [Anm. 30], S. 287; S. 525. Vgl. Rosenberg, Mythus (1930/481935) [Anm. 30], S. 218f.: „Sechshundert Jahre ist es her, seit der größte Apostel des nordischen Abendlandes uns unsere Religion schenkte, ein reiches Leben daran setzte, unser Sein und Werden zu entgiften, das Leib und Seele knechtende syrische Dogma zu überwinden und den Gott im eigenen Busen zu erwecken, das ‚Himmelreich inwendig in uns‘ […]. Das göttliche Walhall stieg aus unendlichen nebeligen Fernen hernieder in des Menschen Brust“; vgl. auch ebd., S. 196; S. 217; S. 221; S. 225; S. 236.

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das ‚artfremde‘ Gedankengut des biblischen, jüdisch-christlichen Glaubens aus dem Vorderen Orient nach Europa transportiert und damit den arischen Geist ‚geknechtet‘ habe.33 Dementsprechend stark betont er die Einzigartigkeit Eckharts innerhalb der deutschen Geistesgeschichte und ist daher kaum darum bemüht, ihn in ein geschichtliches Kontinuum von Vorläufern und Nachfolgern einzuordnen. Lediglich Johannes Scotus Eriugena, Roger Bacon und Albertus Magnus werden von Rosenberg aufgrund des ‚germanischen Charakters‘ ihres Denkens in gewissem Sinne als geistige Vorläufer Eckharts angeführt,34 doch bleibt es bei diesen punktuellen Hinweisen, die nicht weiter vertieft werden. Auch Eckharts neuzeitliche Wirkungsgeschichte wird von Rosenberg kaum beleuchtet. So erwähnt er zwar einmal Angelus Silesius, doch nur, um diesem vorzuwerfen, er habe Eckharts ursprünglich radikal antirömischen und antihierarchischen Ansatz wieder „kirchlich sentimentalisiert“ und verwässert.35 Die Einordnung Eckharts in einen genealogisch konzipierten geistesgeschichtlichen Zusammenhang wird erst im Laufe der späten 1930er und frühen 1940er Jahre von einer Gruppe von Universitätsprofessoren vollzogen, die der ideologischen Instrumentalisierung von Mystik und Theosophie durch den Nationalsozialismus den Anschein von Wissenschaftlichkeit verleihen wollen.36 Die Protagonisten dieser Denkrichtung, allen voran die beiden Philosophieprofessoren Hans Alfred Grunsky und August Faust,37 sind von der Über33

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Vgl. Rosenberg, Mythus (1930/481935) [Anm. 30], S. 223: „Die Lehre von der Seele, die mehr ist als das Weltall, auch frei ist von Gott, und die Lehre von der Abgeschiedenheit bedeuten die restlose Absage an die alttestamentliche Vorstellungswelt und an die süßliche Aftermystik der späteren Zeit“ (Hervorhebung im Original); vgl. ebd., S. 239: „Die Seele wirkt Gutes selbst ohne jede Beziehung zu Gott, lehrt Eckehart, löst sie also von Allem, soweit dies in Worten überhaupt auszudrücken möglich ist. Damit zeigt sich Meister Eckehart nicht als ein verzückter Schwärmer, sondern als der Schöpfer einer neuen Religion, unserer Religion, losgelöst vom fremden Wesen, wie es durch Syrien, Ägypten und Rom uns eingeflößt worden ist“ (Hervorhebung im Original). Vgl. Rosenberg, Mythus (1930/481935) [Anm. 30], S. 121; S. 142; S. 196. Vgl. Rosenberg, Mythus (1930/481935) [Anm. 30], S. 232f. Das ursprüngliche Projekt einer lückenlosen Ideologisierung der deutschen Universitätsphilosophie konnte zwar bei weitem nicht durchgesetzt werden, doch gelang es den linientreuen Professoren, all jene Kollegen zu diskreditieren, deren philosophische Ansätze sich zu einer Umgestaltung der Philosophie nach ‚völkischen‘ Gesichtspunkten nicht eigneten oder ihr sogar offen widersprachen. Vgl. dazu Frank-Rutger Hausmann, Die Geisteswissenschaften im ‚Dritten Reich‘, Frankfurt a.M. 2011, S. 99–118. Hans Alfred Grunsky (1902–1988) war seit 1935 als Lehrstuhlvertretung und seit 1937 als ordentlicher Professor der Philosophie und Psychologie an der Ludwig-MaximiliansUniversität in München tätig. August Faust (1895–1945) war seit 1937 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Breslau. Während bei Grunsky die für eine Pro-

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zeugung beseelt, dass „das Blut als der Boden des Geistes“38 fungiert und somit alle deutschen Mystiker, Philosophen und Dichter notwendigerweise gewisse grundlegende Gemeinsamkeiten besitzen müssen. Diese Überzeugung findet ihren sichtbaren Ausdruck im nationalsozialistischen Projekt der ‚deutschen Geisteswissenschaft‘, das sich unter anderem die Ausarbeitung einer ‚Genealogie des deutschen Geistes‘ vom Mittelalter bis in die Gegenwart auf die Fahnen geschrieben hat. Bei diesem durch und durch ideologisch geprägten Vorhaben geht es darum, durch Einzelanalysen der großen deutschen Denker das angeblich besonders geartete Welt- und Gottesverhältnis der Deutschen im Vergleich zu allen anderen Völkern nachzuweisen. Dieses Projekt findet seinen wichtigsten Niederschlag in dem 1941 von Theodor Haering herausgegebenen Sammelband mit dem Titel Das Deutsche in der deutschen Philosophie.39 Die darin versammelten Beiträge, die 17 deutschen Denkern von Albertus Magnus bis Nietzsche gewidmet sind, teilen zwar keineswegs Rosenbergs These einer radikalen inhaltlichen Unvereinbarkeit zwischen Meister Eckharts Mystik und dem deutschen Idealismus, doch beschränken sie sich auch nicht darauf, das frühere, idealistisch geprägte Genealogiemodell einfach wiederaufzugreifen. Vielmehr wird diese ältere Form einer geistesgeschichtlichen Rekonstruktion gleichsam nachträglich umgeschrieben, indem alle ideologisch unpassenden Fakten ausgeklammert, umgedeutet oder schlichtweg geleugnet werden. Neu gegenüber der im 19. Jahrhundert betriebenen Verbindung von deutscher Mystik und deutschem Idealismus ist nun die romantisierende Verklärung der „Lebens- und Naturverhaftetheit“40 der deutschen Philosophen

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fessur notwendige wissenschaftliche Qualifikation eindeutig fehlte und seine Berufung ausschließlich seiner ideologischen Verlässlichkeit geschuldet war, hatte Faust zumindest anfangs einen regulären universitären Werdegang durchlaufen und unter anderem bei Rickert, Husserl und Heidegger studiert. Vgl. dazu Sibylle Rusterholz, „Jacob Böhme im Spiegel totalitären Denkens: Hans Alfred Grunskys nationalsozialistische Sicht des Philosophus teutonicus“, in: Mystik und Totalitarismus, hg. von Günther Bonheim und Thomas Regehly, Berlin 2013 (Böhme-Studien 3), S. 91–116, hier S. 105–107, sowie Marta Kopij-Weiß, „August Faust und der Beginn der Böhme-Gesamtausgabe im Kriegswinter 1941/42“, ebd., S. 117–126, hier S. 117–119. Hans Alfred Grunsky, Die Freiheit des Geistes, Hamburg 1935, S. 23f.; vgl. auch August Faust, „Wesenszüge deutscher Weltanschauung und Philosophie“, in: Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie 8 (1942), S. 81–165, hier S. 93. Vgl. Theodor Haering (Hg.), Das Deutsche in der deutschen Philosophie, Stuttgart/Berlin 1941 (Deutsche Philosophie: Philosophische Gemeinschaftsarbeit deutscher Geisteswissenschaften, hg. von Ferdinand Weinhandl). Haering (Hg.), Das Deutsche in der deutschen Philosophie (1941) [Anm. 39], S. vi–vii (Einleitung).

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sowie die Betonung der Leitmotive des ‚Willens‘ und des ‚Kampfes‘ bzw. ‚Krieges‘ als hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis des deutschen Denkens insgesamt.41 Gleichzeitig verlagert sich damit der Schwerpunkt von der idealistisch-geistmetaphysisch geprägten Linie ‚Eckhart – Hegel‘ bzw. ‚Eckhart – Fichte‘ hin zu der Linie ‚Böhme – Schelling‘. Dieser Umstand ist keineswegs nur Ausdruck eines gewandelten philosophischen Interesses, sondern hat handfeste ideologische Gründe. Zum einen geht es darum, ausgehend von diesen beiden Autoren nachzuweisen, dass es eine spezifische Form der Naturphilosophie bzw. Naturwissenschaft gibt, die ein „typisch germanisches Werk“42 darstellt und sich von den ‚westeuropäischen‘, in Frankreich und England beheimateten Formen der Naturerkenntnis klar unterscheidet. Zum anderen zeichnen sich Böhme und Schelling aber noch durch eine weitere Gemeinsamkeit aus, nämlich den Gedanken eines ‚dunklen Grundes‘ von Negativität im Absoluten selbst und die daraus folgende Anerkennung der Realität des Bösen. Beide Aspekte haben eine konkrete ideologische Funktion; sollen sie doch dem Nachweis dienen, dass das deutsche Denken – im Gegensatz zur Philosophie und Wissenschaft der anderen Länder – die Wirklichkeit nicht berechenbar und kontrollierbar machen und damit verflachen und verharmlosen will, sondern im Gegenteil bestrebt ist, die dunkle, geheimnisvolle und bedrohliche Tiefendimension der Dinge anzuerkennen. Als karikierendes Gegenmodell dazu dient vor allem die cartesianische Physik und Metaphysik, die als rationalistisch, mechanistisch und oberflächlich charakterisiert wird; verfolge sie doch den Zweck, durch die restlose Mathematisierung der Dingwelt dem Bedürfnis der Menschen nach existenzieller Absicherung zu entsprechen, anstatt die Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit der Natur zu achten.43 Demgegenüber zeichne sich die theosophisch-spekulative Naturdeutung, wie sie erstmals der Philosophus teutonicus Jakob Böhme und nach ihm vor allem Schelling entwickelt habe, durch eine positive Anerkennung des Dunklen, Vorrationalen, Voluntaristischen und Gefahrvollen aus, das von der Erkenntnis nicht restlos eingeholt werden könne. August Faust führt aus: Der cartesianische Standpunkt muss daher für jeden Anhänger Jakob Böhmes als eine Verharmlosung des Lebensernstes gelten, denn hier feh-

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Vgl. Hausmann, Die Geisteswissenschaften im ‚Dritten Reich‘ (2011) [Anm. 36], S. 101. Grunsky, Die Freiheit des Geistes (1935) [Anm. 38], S. 28. Vgl. August Faust, „Jakob Böhme als ‚Philosophus Teutonicus‘: Ein Beitrag zur Unterscheidung deutschen und westeuropäischen Denkens“, in: Haering (Hg.), Das Deutsche in der deutschen Philosophie (1941) [Anm. 39], S. 141–190, hier S. 145f.; S. 154; S. 158; S. 163.

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len ja alle dunklen Mächte des Schicksals, die nach altgermanischer und deutscher Auffassung eine radikale Freiheit der Selbstbehauptung herausfordern und die daher einen wirklichen Existenzkampf auf Leben und Tod heraufbeschwören. […]. Der Mensch Jakob Böhmes dagegen und überhaupt der deutsche Mensch fühlt sich ohne jede endgültige Sicherung in einen Schicksalskampf hineingestellt und stets und ständig von völligem Untergang bedroht.44 Schon Schelling hat sich von Jacob Böhme angezogen gefühlt wegen dieser Erkenntnis, daß der eigentliche Untergrund alles Lebens und Daseins das Schreckliche sei […]. Bei Jacob Böhme ist dies alles erst der Anfang und Ursprung eines tieferen Problembewußtseins. Er erblickt in alledem nur ein Durchgangsstadium auf dem uns überall zugänglichen Weg zur innigsten Gottesnähe.45 Anstatt den rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhang sowie die objektiv bestehenden Gemeinsamkeiten zwischen Böhmes und Schellings philosophischen Ansätzen in sachlich-neutraler Weise zu analysieren, gibt Faust dem Begriff des ‚Schrecklichen‘ sogleich eine existenziell-politische Wendung und stilisiert dieses Motiv zu einem Spezifikum der deutschen Philosophie als solcher im Gegensatz zum ‚westlichen‘, vor allem aber zum jüdischen Denken. Aus diesem Grund unternimmt Faust eine kritische Relektüre der idealistischromantischen Aneignung Jakob Böhmes, wie sie insbesondere von Franz von Baader praktiziert wurde. Besonders anstößig erscheint ihm dabei Baaders Betonung des starken Einflusses, den das jüdisch-kabbalistische Denken auf Böhmes theosophische Weltdeutung gehabt hat. Faust schreibt: Wie die neuplatonischen, so hat man auch die angeblichen jüdischen Einflüsse auf Jacob Böhme weit übertrieben. Die Baader-Schüler Julius Hamberger und Franz Jos. Molitor haben sogar behauptet, es bestehe eine ‚Identität der ältesten Theosophie des Menschengeschlechtes bei den Juden mit der aus dem tiefsten Quell des deutschen Nationalgeistes hervorgegangenen Philosophie Jacob Böhmes‘, obgleich Jacob Böhme doch ‚wenigstens bei der Abfassung seiner ersten Schriften schlechterdings keine Kunde von der Kabbala haben konnte‘. Hieraus mit Franz v. Baader schließen zu wollen, daß für den deutschen Philosophen [scil.

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Faust, Jakob Böhme (1941) [Anm. 43], S. 156 f. August Faust, „Die weltanschauliche Grundhaltung Jacob Böhmes“, in: Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie 6 (1940), S. 89–111, hier S. 101.

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Jacob Böhme, M.R.] ‚nicht bloß das Heil, sondern auch die Wissenschaft von den Juden kommt‘, ist erst recht eine durch nichts begründete Übertreibung.46 In dem Moment, wo die ‚tiefe‘, geheimnisvoll-romantisierende Naturdeutung als ‚typisch deutsch‘ betrachtet und vom angeblich so oberflächlichen ‚jüdischen Rationalismus‘ abgegrenzt wird, kann Faust gar nicht anders, als den historisch eindeutig belegten und von den Romantikern durchaus richtig gesehenen Einfluss der Kabbala auf Böhmes Theosophie schlichtweg zu leugnen. Der zweite Grund, aus dem die Verbindungslinie zwischen Böhme und Schelling für die Verfechter der ‚deutschen Geisteswissenschaft‘ so wichtig wird, hat mit dem anderen Hauptaspekt ihres Denkens zu tun, nämlich mit ihrem spekulativen Verständnis des Bösen, des Willens und der damit in Verbindung stehenden Deutung der Wirklichkeit als eines beständigen Ringens und Kämpfens. Angesichts der Tatsache, dass der Sammelband 1941, also mitten im Zweiten Weltkrieg, entstanden ist, dient die Berufung auf das theosophische Denkmodell einer mystisch-metaphysischen Verklärung des mit dem Krieg verbundenen Unrechts gegenüber den anderen Völkern und Kulturen. Anstatt die mit dem Krieg einhergehenden Phänomene des Kampfes, der Gewalt und der Vernichtung als eine Frage der Ethik bzw. des Völkerrechts zu betrachten, wie es angemessen wäre, wird dieses Problem durch eine metaphysische Umdeutung des Bösen zu einem der Wirklichkeit selbst innewohnenden Prinzip neutralisiert und damit von vornherein jeder möglichen Kritik entzogen.47 Es liegt auf der Hand, dass angesichts dieser philosophischen Überhöhung von Krieg, Kampf und willentlicher Selbstbehauptung nicht nur Meister Eckhart, sondern auch die ihm verwandten intellektmetaphysischen Denker Albertus Magnus und Nikolaus von Kues bei den ideologischen Rekonstruktionsversuchen der ‚deutschen Philosophie‘ eher in den Hintergrund treten. Zwar werden sie in der Gesamtdarstellung des ‚deutschen Geistes‘ nach wie vor 46 47

Faust, Jakob Böhme (1941) [Anm. 43], S. 175 f. Diese massiv antiintellektualistische Idealisierung und Überhöhung von Kampf und Streit wird vereinzelt auch schon zur Zeit des Ersten Weltkriegs vertreten; vgl. Franz Haiser, Die Krisis des Intellektualismus, München 1912; 21919 (Die Schreckensherrschaft des Zeitgeistes und die geistige Umwälzung, Erstes Heft), S. 42: „Im Anfang war weder der Logos, noch die Eintracht, noch die Harmonie, sondern ganz im Gegenteil: im Anfange war der Streit! Aber er war ursprünglich rein und edel und ist erst zur Sünde geworden, nachdem ihn der Logos beleuchtet hat“. Zum allesbeherrschenden Grundmotiv einer philosophisch-metaphysischen Rechtfertigung des Krieges wird das heraklitische Motiv des Streits jedoch erst während des Zweiten Weltkriegs.

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berücksichtigt, doch fällt ihre Darstellung und ideologische Vereinnahmung sichtlich verkrampft und bemüht aus, vor allem, wo es darum geht, ihre religiöse Identität als Ordensmänner und Angehörige der kirchlichen Hierarchie – Eckhart war Prior und Provinzial des Dominikanerordens, Albertus Magnus Bischof von Regensburg und Nikolaus von Kues Kardinal, Fürstbischof von Brixen und päpstlicher Legat – möglichst weit herunterzuspielen.48 Wo sich ihr Denken und ihre ganze Weltsicht eindeutig vom ‚orientalisierenden‘ Neuplatonismus, ja horribile dictu, von jüdisch-arabischen Quellen beeinflusst zeigt, wird dies von Alfred Grunsky und Theodor Haering flugs zu einer geschickt gewählten Unterminierungsstrategie umgedeutet, so als hätten sich Albertus Magnus und Meister Eckhart nur deshalb auf Avicenna, Averroes und Maimonides bezogen, um sich in einem Akt geistiger Notwehr insgeheim über sie lustig zu machen bzw. ihre Argumentationsweise einer ‚arischen Läuterung‘ zu unterziehen. Grunsky bemerkt dazu: Mit unsagbarer Mühe ist hier [scil. in Böhmes Mysterium Magnum, M.R.] der überaus unfruchtbare Versuch gemacht, arische Gedanken als fortlaufende Umdeutung des jüdischen Textes aufzuzäumen. […]. Auch Meister Eckhart und so viele andere konnten ihre schönsten Gedanken nur in einer Form äußern, die man einen arischen Mißbrauch jüdisch-talmudischer Methoden nennen könnte. Man darf nie vergessen, daß das ein Akt der Notwehr war: der arische Geist bediente sich (oft vielleicht unbewußt) der fremden Waffen, um sich von der Tyrannei der inneren Fremdherrschaft zu befreien.49 Es liegt auf der Hand, dass diese Einschätzung keineswegs dem Selbstverständnis von Albertus Magnus oder Meister Eckhart entspricht, da sie – wie alle anderen Scholastiker auch – die von ihnen verwendeten Quellen generell nicht nach dem Schema des ‚Fremden‘ und ‚Eigenen‘ im religiös-kulturellen oder gar rassentheoretischen Sinne beurteilen, sondern allein nach ihrer argumentativen Stichhaltigkeit. Die Zugehörigkeit der mittelalterlichen Intellekttheoretiker und Mystiker zur allumfassenden ‚Genealogie des deutschen Geistes‘ stützt 48

49

In diese antirömische bzw. antikatholische Richtung geht etwa der Hinweis von Joachim Ritter, „Nicolaus von Cues“, in: T. Haering (Hg.), Das Deutsche in der deutschen Philosophie (1941) [Anm. 39], S. 71–88, hier S. 86, dass Cusanus seine sorgfältig gesammelten Eckhart-Manuskripte bewusst nicht in Rom, sondern seiner Heimat, dem „stillen Moseltal“, aufbewahrt habe. Hans Alfred Grunsky, Jakob Böhme als Schöpfer einer germanischen Philosophie des Willens, Hamburg 1940, S. 47, Anm. 17; Theodor Haering, „Albert der Deutsche“, in: ders. (Hg.), Das Deutsche in der deutschen Philosophie (1941) [Anm. 39], S. 1–17, hier S. 11.

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sich denn auch mehr und mehr auf bloße Behauptungen, da ein entsprechender Nachweis aus den Texten nicht zu führen ist. Dass Meister Eckhart, wie August Faust behauptet, nicht nur den ‚Willen zur Tat‘ gelehrt, sondern auch die metaphysische Wirklichkeit des Bösen anerkannt habe,50 ist eine derart krude Verzeichnung seines Denkens, dass man dafür in seinen Schriften nicht einmal ansatzweise einen Beleg finden kann.51 Auch in Bezug auf die nationalsozialistische Cusanus-Deutung wird die Tendenz erkennbar, sich weniger mit dem inhaltlichen Profil seines Denkens auseinanderzusetzen als vielmehr mit seiner angeblichen weltanschaulichen Grundhaltung gegenüber den übrigen Strömungen der europäischen Kultur und Philosophie. Diese Ideologisierung des Cusaners ist deswegen besonders befremdlich, weil sein philosophisch-theologischer Ansatz in ungewöhnlich hohem Maße von mathematischen Denkstrukturen geprägt ist und somit der vielgeschmähten neuzeitlichen Philosophie des Descartes wesentlich nähersteht, als dies sonst bei einem deutschen Philosophen oder Theologen der Fall ist. Der Autor des Cusanus-Beitrages in dem erwähnten Sammelband des Projekts ‚Deutsche Geisteswissenschaft‘, Joachim Ritter, gesteht denn auch zu, dass Cusanus’ Denken bereits einen neuzeitlichen Charakter besitze. Im Unterschied zu Descartes und Hobbes löse Cusanus jedoch nicht den theoretischen Erkenntniswillen von der Frage nach dem Sinn des Daseins und der Welt ab, sondern betrachte all diese Aspekte in ihrem untrennbaren Zusammenhang.52 Was nach Ritter den gemeinsamen Grundzug des deutschen Denkens ausmache, sei der bleibende Bezug auf die Natur und Gott, während die anderen europäischen Philosophietraditionen einer Verabsolutierung des Verstandesdenkens das Wort redeten. Er schreibt:

50

51

52

Vgl. Faust, Wesenszüge (1942) [Anm. 38], S. 143 f.; vgl. auch Wilhelm Grebe, „Meister Eckehart“, in: Haering (Hg.), Das Deutsche in der deutschen Philosophie (1941) [Anm. 39], S. 19– 67. Meister Eckhart macht sich ganz die neuplatonisch-augustinische Deutung zu eigen, der zufolge das Böse gerade keine eigenständige metaphysische Realität, sondern ein Mangel und ein Nichtseiendes ist; vgl. Meister Eckhart, In Exod. n. 33, hg. von Konrad Weiss, Stuttgart 1954 ff. [1992], lw, Bd. 2, S. 38,14–39,1: Adhuc deus dicitur non posse ea quae contradictionem implicant et mala, in quantum mala, quia huiusmodi posse non est posse sive nihil posse, eo quod talia sint nihil et non entia, sed sint privatio omnis entis nec habent causam efficientem, cum non sint effectus, sed habent causam deficientem, cum sint defectus („Ferner sagt man, dass Gott das, was einen Widerspruch einschließt, und das Übel, insofern es Übel ist, nicht vermöge, weil dergleichen vermögen nicht vermögen oder nichts vermögen ist. Derartiges ist ja nichts und Nichtseiendes, vielmehr gebricht ihm alles Sein, und es hat keine Wirkursache, da es keine Wirkung ist, sondern es hat eine Fehlursache, da es ein Fehler ist“). Vgl. Ritter, Nicolaus von Cues (1941) [Anm. 48], S. 81.

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In allem diesem [scil. in der von Leibniz, Kant und dem deutschen Idealismus vorgebrachten Kritik, M.R.] kommt ein gemeinsamer Protest gegen die westliche Verherrlichung des Verstandes zur Sprache, sei es im Kampf gegen die scholastische rationale Metaphysik, sei es in der Abwehr der aufklärerischen Weltverdinglichung. […]. Indem man philosophiegeschichtlich dem Ursprung des neuzeitlichen Geistes aus dem schaffenden Grunde des deutschen Lebens, wie er beim Cusaner sichtbar wird, nachdenkt, mag aber zugleich deutlich werden, daß es sich bei diesem deutschen Protest in den vergangenen Jahrhunderten und bis heute weniger um eine Opposition als vielmehr um einen Kampf handelt, den ursprünglich vom deutschen Geist geprägten Sinn der abendländischen Neuzeit gegen eine immer neu einbrechende Verflachung und Entstellung zu behaupten und durchzusetzen.53 Die ideologische Vereinnahmung bleibt also nicht nur bei denjenigen Philosophen stehen, die, wie Böhme oder Schelling, dem Begriff des ‚Ringens‘ und ‚Kämpfens‘ ausdrücklich eine philosophische Valenz zusprechen. Vielmehr wird der ‚Kampf‘ nunmehr auch zum Entwicklungsgesetz der deutschen Philosophie insgesamt erklärt, insofern diese ihre intellektuelle dna primär aus einer negativen Grundhaltung, nämlich der Abwehr der angeblichen Verflachung des Denkens in der ‚westeuropäischen‘ Philosophietradition schöpft. Die nationalsozialistische ‚Genealogie des deutschen Geistes‘ gründet sich daher auch immer weniger auf eine wirkliche Rekonstruktion inhaltlicher Kontinuitäten zwischen den Werken der einzelnen Philosophen als vielmehr auf die angeblich gemeinsamen Grundzüge ihrer ‚Persönlichkeit‘. Wo, wie etwa im Falle Kants, die Texte eines bestimmten Autors den apriorisch definierten, ideologischen Kriterien des ‚typisch deutschen Denkens‘ ganz offensichtlich nicht entsprechen, begnügt sich August Faust damit, den heroischen Grundgestus seines Philosophierens zu beschwören, der darin bestehe, es sich im Denken „nicht bequem zu machen“.54 Letztlich wird damit die Behauptung einer genealogischen Gemeinsamkeit aller deutschen Geistesgrößen vollkommen banal und tautologisch: Ihre Philosophie gilt durchgängig als typisch ‚germanisch‘, weil sie selbst ausnahmslos Deutsche sind, und umgekehrt zeigt sich ihr Deutschtum daran, dass die existenzielle Grundhaltung ihres Denkens die für die ‚germanische Abstammungsgemeinschaft‘ angeblich typischen Wesenszüge widerspiegelt.

53 54

Ritter, Nicolaus von Cues (1941) [Anm. 48], S. 87 f. Vgl. Faust, Wesenszüge (1942) [Anm. 38], S. 111.

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Die antiphänomenologische Stoßrichtung des Projektes der ‚deutschen Geisteswissenschaft‘

Die Akzentverlagerung von der mittelalterlichen Mystik zur Theosophie der frühen Neuzeit und damit von einer spekulativ-religiösen ‚Metaphysik des deutschen Geistes‘ zu einer naturverbunden-kämpferischen ‚Metaphysik des deutschen Willens‘ hat jedoch nicht nur handfeste politisch-ideologische Gründe. Die Verschiebung des Kriteriums genealogischer Zugehörigkeit von der philosophischen Sachebene auf die Persönlichkeitsebene der jeweiligen Denker lässt vielmehr erahnen, dass dabei auch andere Motive eine Rolle spielen, die weniger mit der Vergangenheit der deutschen Philosophie zu tun haben als vielmehr mit ihrer unmittelbaren universitären Gegenwart. Es fällt auf, wie oft die Vertreter der ‚deutschen Geisteswissenschaft‘ im Zusammenhang mit der angeblich ‚typisch deutschen‘, tiefgründigen Naturauffassung nicht nur gegen Descartes, Spinoza und andere frühneuzeitliche Vertreter einer vermeintlich rationalistisch verflachten Weltsicht polemisieren, sondern auch und immer wieder gegen die zu Beginn des 20. Jahrhunderts neuentstandene Phänomenologie.55 Den Auftakt zu dieser Abrechnung mit den zeitgenössischen Philosophenkollegen bildet die 1935 von Alfred Grunsky zu Beginn seiner Lehrstuhlvertretung in München gehaltene Antrittsvorlesung, die unter anderem eine direkte Attacke auf die in Husserls Logischen Untersuchungen entwickelte Geltungstheorie enthält. Grunsky führt aus: Die angebliche Tatsache (‚nackte Tatsache‘) des Satzes: ‚Adolf Hitler gelangte am 30. Januar 1933 an die Macht‘ entpuppt sich als eine dürre Abstraktion, während im zweiten, reichen Sinngefüge […] eine ganze Welt sich widerspiegelt, eine Wirklichkeit freilich, die beispielsweise der Jude

55

Frank-Rutger Hausmann, Die Geisteswissenschaften im ‚Dritten Reich‘ (2011) [Anm. 36], S. 101, nennt als die Hauptgegner des Projekts einer ‚völkischen‘ Philosophie vor allem die Marxisten, die Vertreter der jüdischen Religionsphilosophie sowie die Logischen Empiristen und Positivisten. Als Ergänzung dazu bleibt anzumerken, dass nicht nur der aufgrund seiner jüdischen Herkunft verfemte Begründer der Phänomenologie, Edmund Husserl, den Verfechtern der ‚deutschen Philosophie‘ ein Dorn im Auge war. Was sie ablehnten, war vielmehr die Phänomenologie als solche, da der ihr zugrundeliegende Methodenschritt der phänomenologischen Epoché und das sich daraus ergebende Verständnis von Wirklichkeit, Bewusstsein und menschlicher Personalität dem Prinzip einer politisch motivierten, ‚völkischen‘ Philosophie diametral entgegengesetzt war. An dieser grundsätzlichen Ablehnung der phänomenologischen Methode änderte auch die Tatsache nichts, dass der Husserl-Schüler Oskar Becker sich dem Gedanken einer ideologischen Umgestaltung der Philosophie zumindest teilweise annäherte; vgl. ebd., S. 109.

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Husserl, der Hofjude der jüngst vergangenen Epoche der Philosophie, mit all seiner Wesensschau nicht erschauen kann, weil er ihr eben nicht zugehört.56 Doch Grunsky kann sich auch einen Seitenhieb auf Heidegger nicht verkneifen, der insbesondere in seiner Frühphase, teilweise aber auch noch bis in die 1930er Jahre hinein, sichtlich von der Husserlschen Phänomenologie beeinflusst ist. So deutet Heidegger in seinen frühen Freiburger Vorlesungen das Dasein des Menschen wesentlich von seiner Umwelt, Mitwelt und Selbstwelt her. Diese Sphären bezeichnen dabei aber keine psychologisch, biologisch oder gar rassentheoretisch definierte Wirklichkeit, sondern stehen für die spezifischen Verstehens- und Orientierungshorizonte, in denen sich das vortheoretische, faktische Leben immer schon bewegt.57 In deutlicher Abgrenzung zu diesem hermeneutisch geprägten Ansatz bemerkt Grunsky nun, dass man den Menschen niemals nur von seiner ‚Umwelt‘ her deuten könne, sondern ihn wesentlich von der ‚Blutwelt‘, d.h. der Welt der Gemeinschaft von Menschen ‚artgleichen Blutes‘, her verstehen müsse.58 Der aus der Phänomenologie stammende Begriff der ‚Umwelt‘ als eines intentionalen Sinnhorizontes wird somit durch den ontisch definierten Begriff einer biologischen Abstammungsgemeinschaft ersetzt. Eine zweite polemische Spitze wendet sich gegen Heideggers Aufsatz „Vom Wesen des Grundes“, in dem die Transzendenz des Daseins wesentlich als jene Freiheit des Entwurfs von Welt bestimmt wird, die zugleich auch das Bodennehmen innerhalb des Seienden ermöglicht.59 Dazu bemerkt Grunsky kritisch: Wenn Freiheit stets so viel bedeutet wie die Freiheit, auf eigenem Boden zu stehen, so kann man das Blut den Boden des Geistes nennen […]. FreiGeist, das ist Geist ohne Blut, eine Entartung, bei der von Freiheit nicht mehr die Rede sein kann, es sei denn, man verstehe darunter das Freisein von Wesen und Wirklichkeit, die Leere, das Nichts. Für diese Entartung Geist ohne Blut […] ist die jüdische Psyche in besonderer Weise vorausbestimmt.60 56 57 58 59 60

Grunsky, Die Freiheit des Geistes (1935) [Anm. 38], S. 19f. Vgl. Martin Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie [1919/20], Frankfurt a.M. 1993 (Gesamtausgabe 58), S. 33–40. Vgl. Grunsky, Die Freiheit des Geistes (1935) [Anm. 38], S. 21. Vgl. Martin Heidegger, „Vom Wesen des Grundes“, in: Wegmarken, Frankfurt a.M. 1976 (Gesamtausgabe 9), S. 123–175, hier S. 165–172. Vgl. Grunsky, Die Freiheit des Geistes (1935) [Anm. 38], S. 24f. (Hervorhebungen im Original).

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Gegen Heideggers Auffassung, dass das Bodennehmen des Daseins innerhalb des Seienden nur vor dem Hintergrund der je eigenen, das Dasein radikal vereinzelnden Zeitlichkeit möglich sei,61 stellt Grunsky daher seine These, dass so etwas wie ‚Boden‘ in individueller Hinsicht gar nicht existieren könne, sondern nur im Hinblick auf die Gemeinschaft.62 Diese systematisch gefasste Polemik gegen die beiden Hauptvertreter der deutschen Phänomenologie wird im Projekt der ‚deutschen Geisteswissenschaft‘ unter philosophiehistorischen Vorzeichen weitergeführt.63 Dabei wird Edmund Husserl umstandslos der Tradition des französischen Rationalismus und Positivismus zugeschlagen, für die vor allem die Namen René Descartes und Auguste Comte stehen. So schreibt Ferdinand Weinhandl in seinem Sammelbandbeitrag zu Paracelsus im Zusammenhang mit dessen Begriff der Quinta Essentia: Denn es geht in beiden [scil. sowohl im Begriff der Essentia als auch der Quinta Essentia, M.R.] um einen spezifisch deutschen Begriff, um den deutschen Wesensbegriff, der immer wieder und zuletzt durch die jüdische Phänomenologie von E. Husserl umgebogen wurde auf den aristotelisch-scholastischen Begriff der essentia.64 In ähnlicher Weise grenzt August Faust den auf die ‚verborgene Natur‘ der Dinge zielenden Phänomenbegriff des Paracelsus vom „positivistischen Phänomenbegriff Westeuropas“ ab, der von Comte „auch in das deutsche Denken und insbesondere in die moderne Phänomenologie eindrang“,65 und ergänzt in einer Anmerkung: „Brentano, Husserl (lu ii/2, S. 233–236) und in Anlehnung an Husserl bei Martin Heidegger (sz, S. 28–31)“.66 Die Genealogie des ‚eigentlichen‘ deutschen Denkens ist für die philosophischen Chefideologen des Dritten Reiches demnach mit Nietzsche beendet und umfasst – anders, als man dies vielleicht hätte erwarten können – keinesfalls die zeitgenössischen Vertreter einer Lebens- oder Existenzphilosophie. In seinem Beitrag zu Nietzsche bemerkt Günther Lutz:

61 62 63 64 65 66

Vgl. Heidegger, Vom Wesen des Grundes (1976) [Anm. 59], S. 157f.; S.171. Vgl. Grunsky, Die Freiheit des Geistes (1935) [Anm. 38], S. 26; S. 29. Vgl. Ulrich Sieg, Geist und Gewalt: Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 2013, S. 226–232. Ferdinand Weinhandl, „Paracelsus“, in: Haering (Hg.), Das Deutsche in der deutschen Philosophie (1941) [Anm. 39], S. 89–139, hier S. 87 f. Faust, Wesenszüge (1942) [Anm. 38], S. 121. Faust, Wesenszüge (1942) [Anm. 38], S. 121, Anm. 2.

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Das Leben ist daher bei Nietzsche auch kein Existenzproblem im Sinne der krisenhaften Übersteigerung der Heidegger’ und Jasper’schen [sic!] Hermeneutik. Echte Existenzphilosophie ist Selbsthermeneutik des aufbauenden, schöpferischen Daseins. Wille zur Macht – oder Unschuld des Werdens – liegt als ‚mythenbildender Trieb‘ zur Gemeinschaft als Brücke zum ‚Wir‘ über aller ‚Sorge‘. Nicht das ‚Man‘, sondern das typenbildende, schaffende Ich des Persönlichen, des freien Willens, der um Maß und Zucht weiß, macht den Grund des Daseins aus. […]. Die Härte der realen Tatsachen zwingt durchaus nicht zur ‚Einklammerung‘ des Phänomens Schicksal oder zur Betonung der Abgründigkeit, sondern weist im Gegensatz auf die Notwendigkeit hin, im Schicksal das Lebensgesetz zu sehen. […]. Nietzsche […] widerlegt […] von vornherein alle Versuche eines Relativismus und Positivismus, jeder biologistischen Verengung einerseits, aber auch jeder abiologischen, phänomenologischen Anthropologie andererseits.67 Diese offenkundig gegen Husserls Phänomenologie, aber auch gegen die von Heidegger und Jaspers begründete Lebens- und Existenzphilosophie gerichtete Kritik lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass all diese Denker aus der ‚eigentlichen‘ Genealogie des deutschen Geistes ausgeschlossen sind. Dies ist vor allem deshalb verwunderlich, weil die genannten Autoren keineswegs an einer banalisierenden Absicherung des menschlichen Lebens mit philosophischen Mitteln interessiert sind, wie dies der vielgeschmähten ‚westeuropäischen‘ Philosophie unterstellt wird. Vielmehr fordern sie – im Falle Husserls – die Entscheidung zu einem radikalen Umsturz der philosophischen Grundeinstellung (die sogenannte ‚Epoché‘) und stellen – im Falle Heideggers und Jaspers’ – die Phänomene der Negativität, des Todes, der Ausgesetztheit und der rational nie vollkommen einholbaren Abgründigkeit der menschlichen Existenz in den Mittelpunkt ihres Denkens. Darüber hinaus entwickeln Heidegger und Jaspers ihre jeweiligen philosophischen Ansätze in ausdrücklicher Auseinandersetzung mit etlichen großen Denkern, die auch für das damalige ideologische Rekonstruktionsprojekt der deutschen Geistesgeschichte von Bedeutung sind, nämlich Meister Eckhart, Cusanus, Schelling, Hölderlin und Nietzsche,68

67 68

Günther Lutz, „Nietzsche“, in: Haering (Hg.), Das Deutsche in der deutschen Philosophie (1941) [Anm. 39], S. 449–487, hier S. 470; S. 472 f. (Hervorhebungen im Original). Vgl. Martin Heidegger, Zur Phänomenologie des religiösen Lebens, Frankfurt a.M. 1995 (Gesamtausgabe 60), S. 315–318; ders., Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, Frankfurt a.M. 32012 (Gesamtausgabe 4); ders., Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘, Frankfurt a.M. 31999 (Gesamtausgabe 39); ders., Hölderlins Hymne ‚Andenken‘, Frankfurt

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ohne jedoch die Verzerrungen dieser ‚völkischen‘ Interpretationen mitzumachen.69 Doch auf diese sachlichen Anknüpfungspunkte zu zeitgenössischen Philosophen, für die ebenfalls der vorrationale Grund des Denkens und die existenzielle Ausgesetztheit des Menschen von zentraler Bedeutung sind, kommt es den Verfechtern der ‚deutschen Geisteswissenschaft‘ gar nicht an, weil es ihnen von vornherein nur darum zu tun ist, die Persönlichkeit der betreffenden Philosophen zu diskreditieren. Die genealogische Rekonstruktion der eigenen geistigen Vergangenheit entspringt somit nicht nur dem politischideologischen Wunsch nach einer identitären Selbstvergewisserung, sondern erfüllt darüber hinaus auch noch den Zweck einer zwischen den Zeilen erfolgenden Abrechnung mit einigen ungleich berühmteren Philosophenkollegen, getreu der Maxime: „Was Abgrund ist, bestimmen wir!“.

69

a.M. 1987 (Gesamtausgabe 52); ders., Hölderlins Hymne ‚Der Ister‘, Frankfurt a.M. 1984 (Gesamtausgabe 53); ders., Der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart, Frankfurt a.M. 22011 (Gesamtausgabe 28); ders., Hegels Phänomenologie des Geistes, Frankfurt a.M. 31997 (Gesamtausgabe 32); ders., Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit, Frankfurt a.M. 1988 (Gesamtausgabe 42); ders., Nietzsche, Frankfurt a.M. 1996 (Gesamtausgabe 6.1/6.2); Karl Jaspers, Nikolaus Cusanus, München 1964; ders., Nietzsche: Einführung in das Verständnis seines Philosophierens, Berlin/New York 41981. In seinem 1936–1938 entstandenen Manuskript mit dem Titel Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), Frankfurt a.M. 21994 (Gesamtausgabe 65), S. 163, notiert Heidegger hinsichtlich des angeblichen Gegensatzes zwischen der ‚naturfromm-experimentellen‘, die Eigengesetzlichkeit der Phänomene achtenden Physik der Deutschen und der ‚oberflächlich-rationalistischen‘, weil mathematisierenden Physik der westeuropäischen bzw. jüdischen Denker: „Der reine Blödsinn zu sagen, das experimentelle Forschen sei nordischgermanisch, das rationale dagegen fremdartig! Wir müssen uns dann schon entschließen, Newton und Leibniz zu den ‚Juden‘ zu zählen. Gerade der Entwurf der Natur im mathematischen Sinne ist die Voraussetzung für die Notwendigkeit und Möglichkeit des ‚Experimentes‘ als des messenden“ (Hervorhebungen im Original).

kapitel 2

Das Eckhart-Bild des Tübinger Religionswissenschaftlers Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962) Martina Wehrli-Johns

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Einführung

Jakob Wilhelm Hauer war der erste Inhaber des 1922 errichteten Lehrstuhls für Religionswissenschaft an der Universität Tübingen. 1881 in Ditzingen bei Stuttgart geboren und aufgewachsen in einer vom schwäbischen Pietismus geprägten Handwerkerfamilie, trat Hauer mit 19 Jahren in das Seminar der Basler Missionsgesellschaft ein, wo er, seinem Wunsch entsprechend, zum Missionar ausgebildet wurde. Die Missionsgesellschaft schickte Hauer zunächst als Schulleiter nach Indien und 1911 zum Studium nach England, wo er neben religionswissenschaftlichen Studien kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges in Oxford einen Bachelor of Arts erwarb. Zurück in Deutschland, trat er als Pfarrvikar in den württembergischen Kirchendienst, beschäftigte sich aber weiterhin mit der indischen Religionswissenschaft. 1920 promovierte Hauer bei dem Tübinger Indologen Richard Garbe (†1927) über ‚Die Anfänge der Yogapraxis im alten Indien‘ und habilitierte sich ein Jahr später in Tübingen mit einer Arbeit über ‚Die Bedeutung der ekstatischen Erlebnisse für die primitiven Religionen‘. Inzwischen hatte Hauer aufgrund von inneren Glaubenszweifeln den württembergischen Kirchendienst quittiert und auch die Verbindung zur Basler Missionsgesellschaft aufgelöst, blieb jedoch weiterhin der aus pietistischen Bibelkreisen erwachsenen deutschen Jugendbewegung verbunden, die ihn 1920 zum ‚Kanzler‘ des neugegründeten ‚Bundes der Köngener‘ bestimmt hatte. 1925/1926 erhielt Hauer eine Stelle als Professor für indische Philologie an der Universität Marburg, folgte aber bereits 1927 einem Ruf der Universität Tübingen auf den ihm bereits durch seine Lehrtätigkeit als Privatdozent bekannten Lehrstuhl für Religionswissenschaften.1 1 Zum Lebensweg Hauers bis zu seiner Berufung nach Tübingen vgl. Horst Junginger, Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft. Das Fach Religionswissenschaft an der Universität Tübingen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reiches, Stuttgart 1999 (Contubernium 51), S. 53–57 und S. 65–71.

© Martina Wehrli-Johns, 2022 | doi:10.1163/9789004519343_003

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Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im März 1933 gehörte Hauer zu den ersten Professoren der Universität Tübingen, die sich auf die Seite der neuen Machthaber stellten und ihr eigenes Fach inhaltlich und personell in ihrem Sinne transformierten. Im Mai 1933 trat er dem von Alfred Rosenberg gegründeten ‚Kampfbund für deutsche Kultur‘ bei, im Dezember desselben Jahres schloss er sich der Hitlerjugend an, und im folgenden Jahr ließ sich Hauer durch Himmler und Heydrich persönlich in die ss und den sd (Sicherheitsdienst der ss) aufnehmen; weitere nationalsozialistische Berufsverbände folgten. Relativ spät kam dann 1937 die Aufnahme in die nsdap hinzu.2 Hauers offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus ging einher mit seiner endgültigen Abkehr vom Christentum und seinem Wunsch, als Religionsstifter eines neuen nichtchristlichen Glaubens die weltanschauliche Grundlage für die ‚nationalsozialistische Erneuerung‘ zu schaffen. Diesem Ziel diente die im Frühsommer 1933 gegründete ‚Deutsche Glaubensbewegung‘, deren Geschicke Hauer bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1936 lenkte. Die neuere Forschung hat die religiösen Aspirationen Hauers im Nationalsozialismus mittlerweile gründlich aufgearbeitet. Der entscheidende Anstoß zur Aufarbeitung der Causa Hauer ging in erster Linie von den Schülern des Lehrstuhles für Religionsgeschichte an der Universität Tübingen aus und begann erst später die internationale religionsgeschichtliche Forschung zu interessieren.3 Der 2 Vgl. Junginger, Religionswissenschaft (1999) [Anm. 1], S. 124–144. 3 In erster Linie sind hier die Arbeiten von Horst Junginger und Ulrich Nanko zu nennen: Junginger, Religionswissenschaft (1999) [Anm. 1]; ders., „Das ‚Arische Seminar‘ an der Universität Tübingen“, in: Indienforschung im Zeitenwandel, hg. von Heidrun Brückert, Klaus Butzenberger, Angelika Malina und Gabrielle Zeller, Tübingen 2003, S. 177–207; ders., „Hauer, Jakob Wilhelm (1881–1962)“, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften, hg. von Jürgen Elwert und Michael Fahlbusch, München 2008, S. 230–234; ders., „Die Deutsche Glaubensbewegung und der Mythos einer dritten Konfession“, in: Zerstrittene „Volksgemeinschaft“. Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus, hg. von Manfred Gailus und Armin Nolzen, Göttingen 2011, S. 180–203; ders., „Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum der völkisch-religiösen Bewegung“, in: Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte, hg. von Uwe Puschner und Clemens Vollnhals, Dresden 2012 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 47), S. 65–102; ders., „Nordic Ideology in the ss and the ss Ahnenerbe“, in: Nordic Ideology between Religion and Scholarship, hg. von dems. und Andreas Åkerlund, Frankfurt a.M. u.a. 2013, S. 39–69; Ulrich Nanko, Die Deutsche Glaubensbewegung. Eine historische und soziologische Untersuchung, Marburg 1993; ders., „Vom ‚Deutschen Glauben‘ der Sammlungsbewegung zur ‚Arischen Weltanschauung‘ “, in: Puschner und Vollnhals, Die völkisch-religiöse Bewegung (2012) [Anm. 3], S. 103–125; Schaul Baumann, Die Deutsche Glaubensbewegung und ihr Gründer Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962), Marburg 2005 (Religionswissenschaftliche Reihe 22); Hiroshi Kubota, Religionswissenschaftliche Religiosität und Religionsgründung. Jakob Wilhelm Hauer im Kontext des Freien Protestantismus, Frankfurt a.M. u. a. 2003. Außerhalb des Tübinger Seminars entstanden ist das Buch von Karla Poewe, New Religions and the Nazis, New York/London 2006.

das eckhart-bild jakob wilhelm hauers

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nachfolgende Beitrag basiert auf ihren Forschungsergebnissen der vergangenen Jahre. Sein Interesse gilt jedoch hauptsächlich einem Aspekt, der bisher eher nur beiläufig erwähnt wurde, der aber für die Eckhart-Rezeption in dieser dunklen Epoche der deutschen Geschichte wichtig ist: Es geht um die Figur Meister Eckharts in Hauers Konstrukt einer nichtchristlichen, nationalsozialistischen Religion.

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Hauer und Rudolf Otto

Zu Eckhart kam Hauer durch das Buch West-Östliche Mystik des Marburger Theologen und Religionswissenschaftlers Rudolf Otto (* 1869, † 26.3.1937) aus dem Jahr 1926. Das Werk war 1929 in einer zweiten, ergänzten Auflage erschienen und wurde von Hauer in einer ausführlichen Rezension gewürdigt.4 Hauer war dem um eine Generation älteren Marburger Kollegen seit Anfang der 1920er Jahre freundschaftlich verbunden. Otto förderte und schätzte Hauer wegen seiner Kenntnisse der Indologie. Die beidseitige pietistische Prägung in der Jugend, das Interesse an der altindischen Religionsgeschichte und der Wunsch nach einem freiheitlichen Glaubensverständnis, das abseits von kirchlichen Dogmen ‚das eigene religiöse Erleben‘ ins Zentrum der Religion und der Religionswissenschaft stellte, bildete die Grundlage ihrer Beziehung, die über Hauers entschiedene Parteinahme für den Nationalsozialismus hinaus Bestand zu haben schien.5 Gleichwohl zeigt die Rezension von Ottos Buch, dass sich Hauer schon damals von seinem Mentor und Freund zu distanzieren begann. Das betrifft insbesondere auch das Eckhart-Bild der beiden. Otto verfolgte in seinem Buch das Ziel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der (westlichen) Mystik von Meister Eckhart und den Schriften des buddhistischen Mystikers Sankara aus dem Ende des 8. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Grundlage seiner Eckhart-Auslegung waren die Ausgabe der deutschen Predigten von Franz

4 Rudolf Otto, West-Östliche Mystik. Vergleich und Unterscheidung zur Wesensdeutung, Gotha 1926, 2. Auflage Gotha 1929. Hauers Rezension von Ottos Buch West-Östliche Mystik war erschienen in: Die Christliche Welt (1929), Nr. 14, Sp. 662–670 und Nr. 15, Sp. 721–726. Dieses Exemplar war mir leider nicht zugänglich. Wiederabdruck in Jakob Wilhelm Hauer, Glaubensgeschichte der Indogermanen. Das religiöse Artbild der Indogermanen und die Grundtypen der indo-arischen Religion, Stuttgart 1937, Kap. 4, S. 92–113. 5 Vgl. Junginger, Religionswissenschaft (1999) [Anm. 1], S. 68–95; Gregory D. Alles, „The Science of Religions in a Fascist State: Rudolf Otto and Jakob Wilhelm Hauer During the Third Reich“, in: Religion 32 (2002), S. 177–204.

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Pfeiffer und die von Herman Büttner für den Verlag Diederichs besorgte zweibändige Ausgabe von Meister Eckharts Schriften und Predigten.6 Hauer lobt zu Beginn seiner Rezension den inneren Reichtum und die eigenständige Sprache von Ottos Buch. Niemand zuvor habe es vermocht, das Wesen der Mystik so treffend zu erfassen und vor missverständlichen Fehlinterpretationen von Seiten der Theologen in Schutz zu nehmen: In der Tat ist das Buch ein so tiefgründiger und trotz seiner Beschränkung vornehmlich auf den deutschen Mystiker Eckehart und den indischen Mystiker Sankara so umfassender Versuch der Wesensdeutung der Mystik, daß ich nicht anstehe zu sagen: Das Buch ist das Wertvollste, was uns seit langem über die Mystik dargeboten worden ist.7 Hauer hebt hervor, dass es Otto gelungen sei, die Frage von Eckharts Abhängigkeit von der Scholastik einer Klärung zuzuführen, ohne Eckhart die Lebendigkeit seines Denkens abzusprechen.8 Er erwähnt ferner das von Otto herausgearbeitete dynamische „polare Spannungsverhältnis im Gottesbegriff“ bei Eckhart, die Polarität zwischen Gottheit und Kreatur, zwischen „persönlichem Gott“ und „überpersönlichem Gott“, kritisiert aber zugleich die von Otto postulierte stufenweise Vorgehensweise im „mystischen Akt“.9 Otto hatte aus der vergleichenden Analyse zwischen Eckhart und Sankara den Schluss gezogen, dass die Unterschiede zwischen westlicher und östlicher Mystik zu groß waren, um von einer einheitlichen Mystik sprechen zu können. Hauer, der in seiner Rezension vor allem die indische Seite berücksichtigt, widerspricht Otto in diesem Punkt. Er macht Otto zum Vorwurf, nicht die früheren Texte der Upanischaden herangezogen zu haben, und besteht auf der „durchgängigen Ähnlichkeit der höchsten Mystik“ des „indo-germanischen Geistes“. Otto habe versucht, „das Verhältnis Eckeharts zum ‚schlichten Christentum‘ klarzumachen“, statt sich dem Problem zu stellen, „das sich jedem ersten Erforscher der Mystik aufdrängt: Ob die Mystik nicht als eine Grundform des typischen indogermanischen Glaubens angesehen werden muss“.10 6

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Franz Pfeiffer, Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, Bd. ii: Meister Eckhart, Leipzig 1857; Herman Büttner, Meister Eckeharts Schriften und Predigten, aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt, 2 Bd., 1. Auflage Jena 1903/1909. Otto benützte die 2. Auflage, Jena 1912, und Hauer zitierte in seinen eigenen Schriften die 1917 erschienene Ausgabe. Ich zitiere aus dem Wiederabdruck der Rezension aus dem Jahr 1937 [siehe Anm. 4], S. 94. Hauer, Rezension Otto (1937) [Anm. 4], S. 96. Hauer, Rezension Otto (1937) [Anm. 4], S. 97; S. 101 f. Hauer, Rezension Otto (1937) [Anm. 4], S. 111. Hervorhebungen durch Sperrung in den Zitaten sind alle von Hauer.

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Mit dem Wiederabdruck seiner Rezension im Jahre 1937 zeigte Hauer, wie wichtig und wegweisend ihm seine damals geäußerten Bedenken gegenüber Otto waren. Um alle Zweifel in dieser Richtung auszuräumen, versah er den Text außerdem mit einem kurzen Vorwort, das wohl an die Adresse Ottos gerichtet war. Otto lag damals nach seinem ungeklärten Sturz von einem Turm schwerverletzt im Krankenhaus und war bei der Herausgabe des Buches wohl schon verstorben: Es mag manchem Leser von Wert sein, zu sehen, wie ich vor 7 Jahren über Mystik gedacht, besonders aber wie ich über das Verhältnis Eckeharts zum Christentum einerseits, zum Indogermanentum andererseits geurteilt habe. Gegenüber unrichtigen Behauptungen über meine Stellung zu diesen Fragen vor der Revolution mag der Aufsatz als geschichtliches Dokument dienen.11 Wie der amerikanische Religionshistoriker Gregory Alles im Jahr 2002 schreibt, hatte sich Otto bereits 1934 von Hauer deutlich entfernt. Grund für diese Entfremdung war laut Alles aber nicht so sehr Hauers Hinwendung zum Nationalsozialismus als vielmehr sein Abfall vom Christentum.12

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‚Die Deutsche Glaubensbewegung‘

Im Laufe des Jahres 1933 begann Hauer mit den Vorbereitungen zur Gründung der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘. In ihr sollte nach dem Willen von Hauer eine ganze Vielzahl unterschiedlicher völkisch-national gesinnter Gruppierungen zusammengeführt werden, darunter auch der von Hauer geleitete ‚Köngener Bund‘.13 Um der Bewegung eine festere Struktur mit klarer ideologischer Zielsetzung zu geben, wurde im Juni 1933 anlässlich einer Tagung auf der Wartburg beschlossen, die ‚Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung‘ (adg) ins Leben zu rufen, als deren ‚Führer‘ Hauer sich innerhalb von wenigen Monaten erfolgreich durchsetzen konnte. In einer Mitteilung an den Führerrat der adg vom 6. Dezember 1933 grenzte er sich und die Bewegung nun unmissverständlich vom Christentum ab:

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Hauer, Rezension Otto (1937) [Anm. 4], S. 92. Alles, Rudolf Otto (2002) [Anm. 5], S. 177. Gregory Alles erwähnt Eckhart nur am Rande. Junginger, Religionswissenschaft (1999) [Anm. 1], S. 120–123; ders., Deutsche Glaubensbewegung (2012) [Anm. 3], S. 81 f.; Nanko, Deutsche Glaubensbewegung (1993) [Anm. 3], S. 84– 99; Baumann, Deutsche Glaubensbewegung (2005) [Anm. 3], S. 31–37.

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Ich glaube nicht, daß bei irgendeinem, der zu uns gehört, das, was die ‚nordisch-heidnische Linie‘ genannt worden ist, klarer sein kann als in meinem Innern. Trotzdem stehe ich dem Christentum gegenüber als einem geschichtlichen Schicksal meines Volkes, das diesem Volk zwar viel Unheil, aber doch nicht nur Unheil, sondern auch mächtige Anstöße neuen Werdens gebracht hat, sei es auch nur durch den Kampf der beiden Glaubenswelten miteinander. Zudem bin ich der Überzeugung, daß in der Gestalt Jesu Richtkräfte liegen, die den unsern verwandt sind. Ein freier deutscher Glaube lebt zwar aus seinen eigenen Wurzelkräften, aber er ist, wie das ein Eckehart, ein Goethe, ein Hölderlin, selbst ein Nietzsche zeigten, offen für Anstöße von außen. Der Möglichkeit dieser Anstöße dürfen wir uns nicht berauben. Nur eines muß klar sein. Es darf uns niemand kommen und uns einen Führer von dort als den Führer aufdrängen und wäre er selbst ‚ein artgemäßer Christus‘. Wir haben nur Einen Führer und das ist der religiöse Genius, der religiöse Urwille unseres deutschen Volkes. Von hier aus allein bestimmt sich meine Haltung zum Christentum und zum einzelnen Christen.14 An Pfingsten 1934 fand dann eine Arbeitstagung der adg in Schwarzfeld im Südharz statt, auf der unter Leitung von Hauer der angekündigte Schritt zur Stiftung einer neuen, nichtchristlichen Religion vollzogen wurde.15 Zielsetzung und Inhalt dieser neuen Religion findet sich im August 1933 bereits vorgezeichnet in Heft 1 der Monatsschrift Deutscher Glaube, dem neuen Publikationsorgan der Bewegung. Unter dem Titel „Was will die Deutsche Glaubensbewegung“ schreibt Hauer dort nach einem kurzen Rückblick auf die Entstehung der Bewegung und einem Hinweis auf die Polemik kirchlicher Kreise gegenüber diesem Vorhaben: Wir verschmähen es, diese Polemik mit Gegenpolemik zu beantworten. Dazu sind wir viel zu fest gegründet in unserem eigenen Glaubensschicksal, zu erfüllt von der Größe der Verpflichtung, die uns durch diesen Glauben auferlegt ist. Nicht daß wir dem Kampf ausweichen würden.

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15

Aus dem Nachlass Hauer zitiert nach Margarete Dierks, Jakob Wilhelm Hauer (1881–1962). Leben – Werk – Wirkung. Mit einer Personalbibliographie, Heidelberg 1986, S. 240. Dierks, die Hauer persönlich kannte und mit ihrem Buch eine Verteidigung Hauers beabsichtigte, gibt dem Schriftstück aber einen anderen Sinn: „Denn in seiner folgerichtigen Entscheidung für sich selbst blieb er als homo religiosus offen auch für die auf wahrem ChristusErlebnis sich gründende christliche Religiosität […]“. Junginger, Deutsche Glaubensbewegung (2012) [Anm. 3], S. 84–87.

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Dieser Kampf muß sein. Denn was sich jetzt vollzieht, ist nur eine neue Phase des gewaltigen, die Jahrtausende ausfüllenden Ringens zwischen der vorderasiatisch-semitischen Glaubenswelt, in welcher auch das bekenntnis- und kirchengebundene Christentum wurzelt, und der indogermanischen. Und gerade weil es sich hier um einen Kampf von Glaubenswelten handelt und er deshalb nur von religiösen Menschen recht geführt werden kann, soll es ein adeliger Kampf sein. Nur dieser entspricht der Würde der Sache. Wir können nicht anders: Wenn das Christentum den Anspruch erhebt, dem deutschen Volke allein den Weg zum Heil weisen zu können, so müssen wir aus unserem Glauben heraus den Gegenanspruch erheben: Wir sind überzeugt davon, daß das deutsche Volk erst dann religiös und sittlich gesunden kann, wenn ein deutscher Glaube in ihm zur Wirkung gekommen ist. Wenn also die Frage aufgeworfen wird, ‚was will die deutsche Glaubensbewegung?‘ so kann die Antwort nur so lauten: Sie will der deutschen Seele den Weg zeigen zur letzten Wirklichkeit, will auf das religiöse Fragen dieser Seele eine deutsche Antwort geben, da keine andere ihr Sehnen stillt. Wir wollen mithelfen, daß das deutsche Volk, das in der fremden Glaubenswelt des bekenntnis-und kirchengebundenen Christentums nie eine wirkliche Heimat gefunden hat, heimkomme zu seinem Eigenen. Wir glauben, daß dieses Volk, das in der fremden Glaubenswelt religiös arm und unsicher geworden ist und so den Unheilsmächten artfremden Geistes und fremden Blutes widerstandslos preisgegeben war, durch einen artgemäßen Glauben neue Kraft gewinnen wird und neues Leben zu Schaffen, zu Leiden, zu Kampf um Volk und Reich.16 In Heft 4 kommt Hauer dann auch auf Meister Eckhart zu sprechen. Unter dem Titel „Unser Kampf um einen freien Glauben“ versucht er, die „Ursprünge der völkisch-religiösen Bewegung“ in der deutschen Geistesgeschichte zu verorten, und erwähnt dabei „den deutschen Idealismus und die deutsche Mystik“. Beide sind, „trotz weithin christlicher Form“, keine „christliche[n] Bewegungen, sondern Bewegungen des indogermanischen Glaubens im christlichen Bereich […]. Die Art, wie der deutsche Idealismus oder die Mystik eines Eckehart etwa Gott auffasst, ist nicht christliche Art. So stehen auch Fichte und die anderen

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Jakob Wilhelm Hauer, „Was will die Deutsche Glaubensbewegung“, in: Deutscher Glaube 1 (1933), S. 1–44, hier S. 7 f.

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deutschen Idealisten und ebenfalls Goethe dem altindischen Weistum der Upanischaden viel näher als je dem Christentum.“ […] Aber in der deutschen Mystik des Eckehart zeigte sich die germanisch-indogermanische Grundhaltung in unverminderter Kraft, wenn auch im symbolischen Gewand des Christentums. Mit einer erstaunlichen Instinktsicherheit greift Eckehart über den Dionysios Areopagita zurück zu den uralten Quellen indogermanischen Glaubens, die im Neuplatonismus zu einem tiefen und klaren See sich vereinigt hatten. Die Stellung Eckeharts zum Menschen, zur Sünde, zu Satan und Gott ist im Grunde dieselbe, die wir als indogermanisch bezeichnen müssen. Und alle zentralen Dogmen werden von ihm, obwohl er von der christlichen Scholastik herkommt und vielfach in ihren Kategorien redet, ihrer christlichen Tatsächlichkeit und Einmaligkeit entkleidet und zu Symbolen ewig und allgemein gültiger Erfahrungswirklichkeit verwandelt. Darum ist es ihm z.B. wichtiger, daß Gott in uns geboren werde, als daß er einstens in Bethlehem geboren wurde. Und der persönliche und faßbare Gott der Dogmatik ist ihm nicht der Gott, sondern eine vorläufige Seins- und Gestaltungsform des Ewig Verborgenen.17 Im Anschluss zitiert er in freier Anlehnung an die Übersetzung von Büttner aus Eckharts Predigt 2 über Lukas 10,38 (Intravit Jesus in quoddam castellum): So erhaben über jede Bestimmtheit, jedes Vermögen ist dieses EinigEine, daß nie eine Seelenkraft, überhaupt kein irgendwie Bestimmtes einen Blick hineintun kann. Auch Gott nicht! In voller Wahrheit und so wahr Gott lebt: Gott selber tut nicht den kleinsten Blick hinein, hat nie einen hineingetan, wiefern ihm anhaftet die Bestimmtheit und Eigenschaft der Person! Das ist einfach einzusehen. Denn dies Einig-Eine ist sonder Bestimmtheit und sonder Eigenschaft. Darum, soll Gott je hineinlugen, das kostet ihn seine sämtlichen göttlichen Namen und dazu seine Eigenschaft, Person zu sein; das muß er alles draußen lassen. Sondern wie er das Eine ist schlechtweg, ohne jede nähere Bestimmung: nicht Vater, Sohn noch Heiliger Geist – ein Was entnommen allem Dies und Das – seht! so nur gelangt er in das Eine, welches ich nenne eine Burgfeste in der Seele. Anders kommt er auf keine Weise hinein. So aber kommt er

17

Jakob Wilhelm Hauer, „Unser Kampf für einen freien Deutschen Glauben“, in: Deutscher Glaube 4 (1934), S. 1–24, hier S. 7.

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hinein, ja – ist schon darinnen. An dem Teil ist die Seele Gott gleich; und anders nicht!18 Hauer wusste vermutlich aus der 1926/27 erschienenen kritischen Edition der Prozessakten von Gabriel Théry,19 dass diese Passage beim Kölner Prozess gegen Eckhart inkriminiert wurde, und schließt daraus, dass „die Kirche denn auch die radikale Verschiedenheit dieses Glaubens erkannt“ und Eckhart als „gefährlichen Ketzer“ verurteilt hatte. So war für Hauer in Eckhart „die indogermanische religiöse Grundkraft aufgebrochen, die das kirchlich-dogmatische Christentum in der Tat in seinem Fundamente gefährdete“ und später die Reformation vorbereitete.20 In der ‚Bürgelin‘-Predigt Eckharts aber glaubte Hauer die „Tiefen“ des indogermanischen Glaubens zu erkennen, eines Glaubens, der sich nicht mehr der Sünde ausgeliefert sah und auf die Gestalt Christi als Mittler verzichten konnte, weil „im indogermanischen Glauben das Verwandt-Sein des Menschen mit Gott erschaut worden ist“ und „darum hier der Mensch unmittelbar vor seinem Gott stehen [darf]“.21 Im Herbst 1934 konnte Hauer sein umfangreiches Buch Deutsche Gottschau. Grundzüge eines Deutschen Glaubens vorlegen. Es ist zugleich ein klares Bekenntnis Hauers zum nationalsozialistischen Staat. Beabsichtigt war „eine Art deutschgläubiger Dogmatik in streng systematischem Aufbau“, die dem „Drang nach einem Deutschen Glauben“ Schubkraft verleihen sollte, denn dieser Glaube allein, schreibt Hauer im Vorwort zur ersten Auflage, könne „die innere Gründung des Dritten Reichs schaffen. Darum ist deutscher Glaube mit ihm organisch verbunden. Mit dem Dritten Reich stehen und fallen wir“.22 Das Buch beginnt mit einer geschichtlichen Einführung über den „Kampf zwischen der vorderasiatisch-semitischen und der indogermanischen Glaubenswelt“ – ein Kampf, dessen „geo-biologische Grundlage“ auf der „Ver18

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Hauer, Unser Kampf (1934) [Anm. 17], S. 7 f. Zu dieser Predigt siehe Meister Eckhart, Werke (2 Bd., Texte und Übersetzungen von Josef Quint), hg. und kommentiert von Niklaus Largier, Frankfurt a.M. 2008, Bd. i, S. 24–37, Zitat S. 35,6–7, Kommentar S. 759–772. Gabriel Théry, „Contribution à l’ histoire du procès d’Eckhart“, in: La vie spirituelle, Supplément 9 (1924), S. 93–119 und S. 164–183; 12 (1925), S. 149–187; 13 (1926), S. 49–95; 14 (1926), S. 45–65. Zu der inkriminierten Stelle aus Predigt 2 im Kölner Prozess vgl. Théry, Contribution (1924) [Anm. 19], S. 166 f. sowie Meister Eckhart, Die Lateinischen Werke, Bd. 5, Acta Echardiana, Secunda Pars, Processus contra Mag. Echardum, hg. und kommentiert von Loris Sturlese, Stuttgart 1988, S. 208, Proc. Col. i, n. 22. Hauer, Unser Kampf (1934) [Anm. 17], S. 8. Hauer, Unser Kampf (1934) [Anm. 17], S. 20. Jakob Wilhelm Hauer, Deutsche Gottschau. Grundzüge eines Deutschen Glaubens, 1. Auflage, Stuttgart 1934, hier zitiert nach der 4. Auflage, Stuttgart 1935. Zitat aus dem Vorwort zur 1. Auflage.

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schiedenheit der Rasse und des Raumes“ beruht.23 Hinsichtlich des Glaubens bleibt das Christentum „in seinem Grundcharakter trotz eines gewaltigen Versuches in Jesus selbst, sich der rassischen Umklammerung zu entziehen, in jenem vorderasiatisch-semitischen Seelentum hängen, und zwar bis auf den heutigen Tag“.24 Gegenüber den „religiösen Schöpfungen der vorderasiatischsemitischen Welt“ einschließlich des „Israeliten-Judentums“ und des Christentums steht „der nordisch-indogermanische Raum mit seinen religiösen Gestaltungen nicht nur ebenbürtig neben dem des vorderasiatisch-semitischen, sondern hat diesen an Reichtum und Tiefe religiösen Lebens bei weitem übertroffen“.25 Hauptzeuge dieser „Tiefe religiösen Lebens“ ist für Hauer Meister Eckhart. Denn nach der Unterwerfung der „Kerngebiete dieser Welt“ durch das Christentum, heißt es, begann sich bereits im Mittelalter der „Widerstand des Nordens“ zu regen, und zwar „in einer unbewußten Revolution“, die „in Meister Eckehart gipfelt“: [Eckhart,] der des guten Glaubens lebte, ein Christ zu sein, und der sogar bereit war, dieses sein echtes Christentum gegenüber Papst und Konzilien zu beweisen, und der doch schon im ersten kühnen Anlauf diese fremde Religion von innen her restlos überwand. Alle Versuche, Eckehart heute, nachdem man ihn in der offiziellen Kirche über sieben Jahrhunderte verketzert hat, zu einem Christen zu machen, müssen scheitern an den Grundlehren der Eckehartschen Mystik. Der ‚Monotheismus‘ des Christentums mit seinem immer in Gefahr der Starrheit stehenden ‚persönlichen‘ Gott versinkt im Abgrund des Göttlichen, wie es Eckehart erlebt, erschaut und in hinreißenden Worten gestaltet, wird überwunden von der Gottheit, die als das bloße Eine, Abgründig-Unbegreifliche über und in allem west. Und der göttliche Grund des Menschen, das Seelenfünklein, der homo nobilis, ist eine stolze Widerlegung der christlichen Lehre vom radikal verderbten Menschen. Die Lehre von der Versöhnung durch das Blut Christi verflüchtigt sich zu einer Fremdidee in der Erfahrung des unmittelbaren Einsseins des Menschen mit Gott, wenn er durch alle Vorläufigkeit seines Wesens hindurch, in den geheimen Tempel seines Innersten dringt. Hier erlebt und gestaltet indogermanisches Wesen in christlich scheinender Symbolik eine befreiende Gottunmittelbarkeit. Man hat versucht, die Eckehartsche Mystik aus allen möglichen Traditionen abzuleiten. Solche Geschichtsbetrachtungen weisen wir als uns 23 24 25

Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 4. Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 11. Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 22.

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fremd zurück. Die deutsche Mystik, so starke Anstöße sie von außen erhalten haben mag, kann nicht abgeleitet werden, sie ist geboren aus urdeutschem Wesen.26 Der Titel des Buches ist dem neunten Kapitel „Germanisch-deutsche Gottschau“ entnommen. Darin erinnert Hauer an die Mythen der „germanischen Götterwelt“. Aus dergleichen Wurzel des dort „verborgenen ewigen Lebensgrundes“, aus dem nach Hauer der indogermanischen Überlieferung zufolge der „Weltenbaum“ wächst, wachsen im Laufe der Zeit „neue Götter und neue Welten empor ans Licht eines neuen Weltentages“. Zu ihnen gehört jetzt auch Eckhart, denn dieser „Lebensgrund, diese Gotturmacht“ ist die Gottheit Eckharts.27 Wie Hauer im achten Kapitel darlegt, findet sich die hier angesprochene „göttliche Tiefe des Menschen“ allein im indogermanischen und nicht im christlichen Glauben, und zwar ist es „diese gewaltige Erkenntnis von der Gottnatur im Menschen“, die den Menschen nach dem Ende des Glaubens an die alte Götterwelt im „neuen Glauben“ befähigt zur „Erfahrung und Schau vom innersten Selbste“ und damit zur Erkenntnis des Menschen als eines „in seinem innersten Kern gottgleichen Wesen[s]“, denn: „Ein ewiges Selbst lebt in allen Dingen. Dies ist auch das ewige Selbst im Menschen“.28 Kronzeuge für die ‚Gottnatur‘ des Menschen ist wiederum Eckhart, dieses Mal mit einem Zitat aus dem Traktat Vom edlen Menschen in der Übersetzung von Büttner: Keine vernünftige Seele ist ohne Gott, der Same Gottes ist in uns! Hätt er einen guten verständigen Anweiser und fleißigen Besteller, so nähm er desto besser zu und wüchse auf zu Gott, des Same er ja ist, und würd die Frucht ebenfalls eine Gottnatur. Birnbaumes Same wächst sich aus zu einem Birnbaum und Nußbaumes Same zu einem Nußbaum: und Same Gottes – zu Gott!29 Es handelt sich hier ebenfalls um eine Stelle, die Eckhart im Kölner Prozess zur Last gelegt wurde. Allein die Tatsache, dass Eckhart in diesem Traktat sozusa26 27 28 29

Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 25 f. Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 201. Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 178–188. Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 181, unter Verweis auf Büttner, Meister Eckhart (1917) [Anm. 6], Bd. ii, S. 108. Vgl. zu dieser Predigt: Largier, in: Meister Eckhart, Werke (2008) [Anm. 18], Bd. ii, S. 314–333, Zitat S. 319,3–9, Kommentar S. 781–789. Dort auch S. 781 Hinweis auf die Prozessdokumente Proc. Col. i, n. 22 und n. 23, Théry, Contribution (1924) [Anm. 19], S. 166 f. und Sturlese, Acta (1988) [Anm. 19], S. 208.

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gen als ‚Ketzer‘ sprach, machte seine Aussage für Hauer besonders wertvoll und regte ihn dazu an, den Gedanken Eckharts im Sinne seiner neuen Erkenntnisse zum ‚indo-arischen‘ Glauben weiterzuführen. In der Metaphysik Hauers wird nun der ‚Same Gottes im Menschen‘ zum ‚ewigen Selbst im Menschen‘. Hauer hatte 1934 mit dem jüdischen Philosophen Martin Buber an einer Eranos-Tagung in Ascona teilgenommen, wo er einen Vortrag über „Symbole und Erfahrung des Selbstes in der indo-arischen Mystik“ hielt.30 Dort hatte er auch Kontakte geknüpft zu dem Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung (1875–1961), auf dessen Veranlassung er zu Vorträgen im ‚Psychologischen Club‘ eingeladen wurde.31 Für die Festschrift zum 60. Geburtstag von Jung, die vom Psychologischen Club herausgegeben wurde, verfasste Hauer 1935 einen Beitrag über „Die indo-arische Lehre vom Selbste im Vergleich mit Kants Lehre vom intelligiblen Subjekt“. Darin formuliert Hauer seine Einwände gegen Immanuel Kant und übernimmt dabei von Jung das psychoanalytische Konzept des ‚Selbst‘, das er in ähnlichen Formulierungen wie zuvor im Zusammenhang mit Eckhart wiederum als zentralen Begriff indo-arischer Weisheit vorstellt: Das Problem des Selbstes im Indo-Arischen findet seine letzte metaphysische Vertiefung in der Erfahrung und Lehre von der Identität des atman oder des purusa im Menschen mit dem göttlichen Urselbste. […] Das menschliche Selbst ist sozusagen eine Individuation des ewigen Urselbstes. Was am Menschen die empirische Erscheinung ist, ist am Gotte alles Gewordene in seinem rhythmischen Werden und Vergehen; der ‚Menschan-sich‘ ist dasselbe wie die in ewiger Freiheit und Ruhe wesende und wirkende Gottheit. Was darum vom Urselbste ausgesagt wird, kann auch vom Selbst des Menschen ausgesagt werden und umgekehrt.32 30

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Junginger, Religionswissenschaft (1999) [Anm. 1], S. 137, Anm. 70. Der Vortrag wurde publiziert in: Eranos-Jahrbuch 1934, Zürich 1935, S. 35–96. Nach den Recherchen von Junginger hatte Hauer diesen Anlass benutzt, um über seinen Freund Buber einen Geheimbericht zuhanden des Sicherheitsdienstes (sd) zu verfassen. Ein halbes Jahr nach der EranosTagung wurde Buber von der Gestapo mit einem Redeverbot belegt und zur Emigration gezwungen; siehe Junginger, Religionswissenschaft (1999) [Anm. 1], S. 149. Die Beziehung zu Jung nimmt in der Biographie von Dierks, Hauer (1986) [Anm. 14], S. 281–299 breiten Raum ein. Sie erwähnt aber nicht die geheimdienstliche Verstrickung Hauers bei seinen Vorträgen im Ausland. Jung nahm in der Folge mehr und mehr Anstoß an der nationalsozialistischen Einstellung Hauers. 1938 endete ihre Zusammenarbeit. Jakob Wilhelm Hauer, „Die indo-arische Lehre vom Selbste im Vergleich mit Kant’s Lehre vom intelligiblen Subjekt“, in: Die kulturelle Bedeutung der komplexen Psychologie. Festschrift zum 60. Geburtstag von C.G. Jung, hg. vom Psychologischen Club Zürich, Berlin 1935, S. 220–236. Zitat S. 220; S. 223.

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Vieles, was Hauer in den beiden Kapiteln 8 und 9 über die ‚göttliche Tiefe‘ des Menschen ausbreitet, war in nuce bereits in seiner Rezension von Otto angelegt. Daneben finden sich in der Deutschen Gottschau aber auch neue Elemente: So weist Hauer in den Anmerkungen auf den bestimmenden Einfluss von Alfred Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts (1930) hin. Auf ihn gehen zweifellos die Ausführungen zu „Rasse und Volk als Grundwerte Deutschen Glaubens“ (so der Titel des ersten Kapitels) zurück: Im Blute ruht des Geistes Wurzel. Ein göttliches Muß lebt in ihm, das den Menschen formt zu schicksalbestimmtem Sosein. […] Wohl schafft den Körper der Geist, aber er hüllt sich ein in das Geheimnis des Blutes, das rinnt von Geschlecht zu Geschlecht und der Menschen geistiges Wesen bestimmt.33 Eckhart wird hier noch nicht mit der Idee des ‚Blutes‘ in Verbindung gebracht. Hingegen kommt er, wie bereits in der Einleitung, erneut zu Wort im dritten Kapitel, wo Hauer ihn zum Vorbild eines völkischen, ‚germanisch-deutschen Lebensglaubens‘ macht. Hauer zitiert hier einen längeren Abschnitt aus der Predigt 5b, wo es um das ‚Leben aus dem eigenen Grunde‘, ‚ohne ein Warum‘ geht, und verknüpft ihn anschließend mit seiner Vorstellung ‚völkischen Lebens‘: Wer so lebt, ‚sunder warumbe‘, ohne ein Warum, kann sich jeder Forderung des Tages mit stillkräftigem Willen hingeben als an einen göttlichen Dienst. So wird ihm auch völkisches Geschehen zur Forderung letzter Wirklichkeit […]. Er lebt und wirkt, weil er gelebt und gewirkt wird von innen her, vom Leben selber, das ewig ist. Er wird geführt von einer Macht, die weil sie alles durchdringt, ihn von allem kleinen Eigenwillen und Eigennutz befreit und eingliedert in das große Reich des Ganzen.34

4

„Der Kampf um Meister Eckehart“ (1936)

Gegen das Eckhartbild Hauers in seinem Buch Gottschau hatte sich mittlerweile Widerstand von verschiedenen Seiten formiert. Besonders scharf setzte

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Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 45. Hauer, Gottschau (1935) [Anm. 22], S. 84. Zu dieser Predigt vgl. Largier, Meister Eckhart (2008) [Anm. 14], Bd. i, Zitat S. 71,35.

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sich der Leipziger Theologe Heinrich Bornkamm (1901–1977) in einem längeren Aufsatz „Das Eckhartbild der Gegenwart“, erschienen in der Zeitschrift Deutsche Theologie, Heft 3 (1936), mit der Interpretation Hauers und anderer ‚völkisch‘ gesinnter Autoren auseinander.35 Der Lutherforscher Bornkamm hatte sich in Tübingen für das Fach Kirchengeschichte habilitiert, war 1933– 1935 Professor und zuletzt Rektor der Universität Gießen; 1935 erhielt er eine ordentliche Professur an der Universität Leipzig. Im Jahr 1934 hatte er in der gleichen Zeitschrift Deutsche Theologie bereits einen Aufsatz zu „Luther und Meister Eckhart“ veröffentlicht.36 Seine Haltung zum Nationalsozialismus war teils zustimmend, teils ablehnend.37 Jedenfalls konnte er dem ‚völkischen Eckhartbild‘ nichts abgewinnen. Bornkamms Kritik richtet sich zunächst gegen Rosenbergs Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Er hält Rosenbergs „Ableitung der Eckhartschen Mystik aus nordischem Geistesgut“ für bedenklich und wirft ihm vor, sein „Eckhartbild auf einem vollkommen morschen Textfundament“ errichtet zu haben.38 Gemeint ist die bereits erwähnte, in zahlreichen Neuauflagen weit verbreitete Übersetzung Büttners aus den Jahren 1903/1909, die dem Bild Eckharts in der Gegenwart eine „ungeahnte Gegenwartsnähe“ gegeben habe, ihn zugleich aber auch „jeder Willkür preisgegeben [habe]“.39 Bornkamm kritisierte zudem folgende Thesen Rosenbergs: 1. „Eckharts Mystik sei das Bekenntnis zum Adel der selbstherrlichen Seele“, weil dadurch 2. „alle christlichen Werte wie Gebet, Demut, Gnade“ aufgehoben würden. Bornkamm führt diese Fehlinterpretation von Eckhart auf Büttner zurück: Denn Rosenberg sei durch eine Textverfälschung Büttners dazu verleitet worden, „die von der Seele ersehnte ‚Einheit‘ als profanes Mit-sich-selbst-eins-sein statt als Eins-sein mit dem ‚Einen‘, mit Gott“, zu verstehen.40 Die dritte Hauptthese von Rosenberg wird von Bornkamm nicht weniger gegeißelt. Sie lautet: „Der tiefste Grund der Eckhartschen Lehre von der ewigen, freien Seele ist der Mythus des Blutes“.41 Der vierte Einwand Bornkamms gegen Rosenberg richtete sich gegen dessen falsche Interpretation des Widerrufs Eckharts vor der Kurie in Avignon, die wiederum auf einer Fehlübersetzung Büttners beruhe und suggeriere, dass 35

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Heinrich Bornkamm, „Das Eckhartbild der Gegenwart“, in: Deutsche Theologie (1936), S. 112–141 und S. 234–246. Zur Kategorie ‚völkisch‘ im religiösen Kontext vgl. Junginger, Deutsche Glaubensbewegung (2012) [Anm. 3], S. 65–73. Heinrich Bornkamm, „Luther und Meister Eckhart“, in: Deutsche Theologie (1934), S. 105– 118 und S. 154–166. Siehe den Artikel über Heinrich Bornkamm bei leo-bw.de. Bornkamm, Eckhartbild (1936) [Anm. 35], S. 126. Bornkamm, Eckhartbild (1936) [Anm. 35], S. 125. Bornkamm, Eckhartbild (1936) [Anm. 35], S. 127. Bornkamm, Eckhartbild (1936) [Anm. 35], S. 130.

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Eckhart sich nicht der Kirche unterworfen habe.42 Anschließend kommt Bornkamm auf Ernst Bergmann und Hermann Mandel, Hauer und schließlich Hermann Schwarz zu sprechen, alles Eckhartinterpreten im Umkreis der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘. Sie alle müssen sich den Vorwurf mangelnder Textkenntnisse gefallen lassen. Nur Hermann Mandel wird attestiert, dass er sich auch mit den lateinischen Schriften Eckharts befasst habe. Besonders harsch fällt Bornkamms Urteil über Hauer aus. Er bemängelt: [die] Unbekümmertheit, mit der Wilhelm Hauer, wiederum nur mit dem leichten Gepäck der Büttnerschen Ausgabe ausgerüstet, alle ihm selbst wesentlichen religiösen Werte auch bei Eckhart notiert findet: Relativität der Schuld, einen lichten Lebensglauben, glühende Lebensbejahung, religiöse Autonomie, kraftvolle Lebensgestaltung, den adligen Menschen in uns, ja selbst die Polarität von reinem, ewigen Wesen und irdischer Verflechtung, in der Gott und Mensch sich gleich sein sollten. Freilich hier fehlt Hauer noch etwas an Eckhart: der selbst schuldig werdende Gott. Hauer lädt ihn ein, diese Folgerung zu ziehen: ‚Schrickt Eckhart nur aus Rücksicht auf seine christliche Tradition und Umgebung vor einer letzten Folgerung zurück? Hier sind unergründliche Geheimnisse deutscher Gottschau angedeutet, deren ewiger Schimmer, sobald sie in das denkende Bewußtsein treten, von der Wolke dieses Bewußtseins überschattet werden‘ [Gottschau, S. 30]. Bei dieser ahnungslosen Überhäufung Eckharts mit allem Zubehör einer rassisch-vitalen Religion ist es nicht zu verwundern, dass Hauer auch für Typenunterschiede jedes Gefühl verloren geht. Er setzt Eckharts ‚indogermanische‘ Mystik mit den Upanischaden bedenkenlos in eins, wie es nach den feineren Unterscheidungen Ottos nicht mehr erlaubt war.43 Gegen Bornkamms Kritik richtete sich ein von Hauer angeregter und eingeleiteter Sammelband mit dem Titel Der Kampf um Meister Eckehart (Ende 1936). Er wurde neben Beiträgen von den zuletzt angesprochenen ‚vier deutschgläubigen Professoren‘ (Bornkamm) ergänzt durch zwei Aufsätze aus der Feder des Heimatdichters Fritz Kudnig und Mechthild Dallmanns, deren titelgebende Arbeit bereits in der Zeitschrift Gottesglaube (Oktober 1936) erschienen war.44 Hauer zeigt sich sehr verletzt durch Bornkamms Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, kann ihn aber nicht wirklich entkräften. Er verweist auf das Verdienst 42 43 44

Bornkamm, Eckhartbild (1936) [Anm. 35], S. 131. Bornkamm, Eckhartbild (1936) [Anm. 35], S. 138. Jakob Wilhelm Hauer u. a., Der Kampf um Meister Eckehart, Stuttgart 1936, S. 4.

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Büttners, Eckhart bekannt gemacht zu haben, und besteht auf dem Recht eines jeden ‚Laien‘, den das ‚Herz‘ dazu drängt, sich auf das Wagnis einer Beschäftigung mit Eckhart einzulassen. Interessant ist sein Hinweis, dass im Feld der ‚deutschgläubigen Deutung‘ nicht unbedingt Einigkeit herrscht. Er betont nämlich, dass er selber sich „mit keinem dieser Eckhartbilder [der Beiträger] in eins“ setzt. Im Übrigen bekräftigt er seine in der Gottschau dargelegten Überzeugungen: Ganz tief im Wesen des Volkes dem Blick verborgen, vollziehen sich nach ewigen Gesetzen Bewegungen die wir ahnen. Dort schafft ein zeitstarker Urwille das Schicksal seiner Zeiten und hier öffnen sich bereite Herzen diesem Willen, Deuter des Werdenden, Schaffende dessen, das sein soll. […] Aber doch fühlen die Bewegten den Schwung eines Ganzen, das aus der schaffenden Tiefe sie ergreift. Dieses Werden, in dem wir auch heute wieder stehen, ist Geburt, Wiedergeburt deutschen Wesens, deutschen Willens zu höchsten Zielen. In diese Wiedergeburt hinein gehört das neue Fragen und der Streit um Eckhart.45

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„Religion und Blut“ (1938)

Der Angriff des Kirchenhistorikers Bornkamm traf Hauer in einem Moment, wo sich die von ihm begründete ‚Deutsche Glaubensbewegung‘ gerade im Niedergang befand. Noch im April des Vorjahres hatte sie unter Führung von Hauer im Berliner Sportpalast eine sehr erfolgreiche Kundgebung veranstaltet, an der ca. 20.000 Teilnehmer teilgenommen hatten.46 Jedoch bereits ein Jahr später sollte sein ehemaliger Assistent und Schriftleiter der Zeitschrift Deutscher Glaube Herbert Grabert (1901–1978) in einer von ihm angezettelten internen Revolte Hauer am 30. März zum Rücktritt von der Leitung der adg zwingen, um selber eine eigene ‚Deutschgläubige Bewegung‘ ins Leben zu rufen.47 Hintergrund dieser Revolte war einerseits die zu Spannungen führende ideologische Heterogenität der Bewegung, andererseits das Bestreben der Gruppe um Grabert, die Glaubensbewegung stärker in den Dienst des Nationalsozialismus zu stellen bzw. sie zum verlängerten Arm der ss zu machen.48

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Hauer, Der Kampf um Meister Eckehart (1936) [Anm. 44], S. 2. Junginger, Deutsche Glaubensbewegung (2012) [Anm. 3], S. 86. Junginger, Religionswissenschaft (1999) [Anm. 1], S. 121; zu Herbert Grabert siehe auch S. 114–116. Vgl. Nanko, Glaubensbewegung (1993) [Anm. 3], S. 281–288.

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Hauer war vom ‚Verrat‘ seines ehemaligen Schülers schwer getroffen. Selber Mitglied der ss und des sd, fand Hauer aber jetzt durchaus andere Wege, um seine religiösen Aspirationen weiter zu entwickeln. Er gründete 1937 um seine Zeitschrift Deutscher Glaube einen Freundeskreis ‚Kameradschaft arttreuen Glaubens‘ und suchte seinerseits nach einer Möglichkeit, sich der Ideologie des Nationalsozialismus anzudienen.49 1937 erfolgte sein Eintritt in die nsdap, gleichzeitig gelang es ihm, mit Unterstützung Himmlers seine geheimdienstliche Tätigkeit im sd auszubauen.50 Wichtiges Anliegen wurde ihm nun die Förderung der ‚Arischen Wissenschaft‘. In ihrem Dienst verfasste Hauer 1938 seine Studien zu „Religion und Rasse“, die er erstmals im November 1938 in einem Sammelband einer Tagung des erwähnten Freundeskreises veröffentlichte und 1941 erneut im Rahmen der 1939 gegründeten ‚Wissenschaftlichen Akademie Tübingen des nsd-Dozentenbundes‘ einem akademischen Publikum vortrug.51 Meister Eckhart wird in diesen Studien nur am Rande erwähnt. Gleichwohl bedient sich Hauer bei seinen Darlegungen fortwährend einer von Eckhart übernommenen Begrifflichkeit, wenn er eingangs die „deutsche Mystik“ des Mittelalters erwähnt, die ihren „Lebens- und Denkgrund in der Gottunmittelbarkeit [fand], die im Gottgrund der Seele wurzelt“.52 Hauer wusste von Büttner, dass die Seinslehre Eckharts beeinflusst war von Johannes Scotus Eriugena. Folgerichtig unterscheidet Hauer zwischen „eine[r] streng artbestimmte[n] Linie, die mit Scotus Eriugena im 9. Jahrhundert beginnt und über die deutschen Mystiker, Humanismus und Renaissance zur unabhängigen Entwicklung führt, und eine[r Linie] innerhalb der Kirche und der christlichen Theologie, die an die Tradition des Christentums gebunden bleibt. Beide Strömungen beeinflussen sich gegenseitig, aber sie gehen, aufs Ganze gesehen, doch ihren eigenen Weg bis zur absoluten Trennung von Christentum und westindogermanischem Denken in Nietzsche“.53 Das „gesamte Leben und Denken“ vergangener Epochen stehen nach Hauer unter „einer beherrschenden Idee“. So stand die Aufklärung unter der „Idee der Autonomen Vernunft“, der Idealismus unter der Idee des „schaffenden Ich“, die Romantik unter der Entdeckung der „schöpferischen Lebensgründe“. „Die beherrschende Idee der gegenwärtigen Epoche“ aber „ist die der Rasse. Sie ist auch der wissenschaftliche Leitgedanke unserer

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Nanko, Glaubensbewegung (1993) [Anm. 3], S. 287. Junginger, Religionswissenschaft (1999) [Anm. 1], S. 129–136. Jakob Wilhelm Hauer, „Religion und Rasse“, in: ders. (Hg.), Glaube und Blut, Karlsruhe 1938, S. 64–115. Hauer, Religion und Rasse (1938) [Anm. 51], S. 64. Hauer, Religion und Rasse (1938) [Anm. 51], S. 64 f.

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Zeit“. Diesem Leitgedanken hat sich die gesamte Wissenschaft zu stellen, sie fordert jetzt von einem jeden „Gehorsam gegenüber einer Lebensnotwendigkeit“.54 Das gilt auch für die Religionswissenschaft, die sich mit dem „Problem des Verhältnisses von Religion und Rasse“ befassen muss. Für Hauer bedeutet ‚Rasse‘ erstens nicht nur ‚leibliche Formung‘, sondern auch ‚seelisch-geistige Gestalt‘. Zweitens bestimmt die Rasse auch „die verschiedene Formung der Wahrheit durch die Träger der Religion“.55 So entsteht aufgrund der Verschiedenheit der Rassen jeweils ein von der Rasse abhängiges ‚Artbild‘ der religiösen Gestaltung, obgleich Hauer davon ausgeht, dass es „Kernpunkte oder Wurzelformen religiöser Erfahrung [gebe], die allen Religionen zugrunde liegen“.56 Zu diesen, allen Religionen zugrunde liegenden Kernpunkten zählt Hauer nun – die Lehre Eckharts verallgemeinernd – wiederum die Überzeugung, dass „das letzthinige [sic!] Schicksal des Menschen im Gottgrunde ruht“, sowie die Überzeugung „der Gottbezogenheit allen Seins“.57 Aber genau diese „Gottbezogenheit des Seins“ wird in den verschiedenen Religionen nicht weniger verschieden erlebt und gestaltet,58 denn diese „religiöse Erscheinung“ ist in erster Linie von der ‚rassischen Art‘ bestimmt. Für das rassistische „Artbild“ des Germanentums maßgeblich ist nach Hauer etwa „die Edda, aber auch Eckehart, Friedrich der Große, Goethe und Nietzsche“.59 In einem zweiten Aufsatz von Hauer mit dem Titel „Der arische Christus? Eine Besinnung über deutsches Wesen und Christentum“ (1939) ‚ringt‘ Hauer mit der Frage, ob man Jesus Christus dem indogermanischen ‚Artbild‘ zuordnen darf oder nicht. Dabei vergleicht er die Verkündigung Jesu mit derjenigen von Meister Eckhart. Während Jesus im Neuen Testament den „Lohngedanken“ verkündet, der dem „arischen Empfinden geradezu widerwärtig ist“, darf Eckhart für sich in Anspruch nehmen, mit seiner Lehre vom sunder warumbe die „echte arische Haltung“ zu verkünden.60 Auch in anderer Hinsicht, etwa der Hervorhebung des Leidensgedankens, der Nächstenliebe und der von ihm gelehrten ‚Selbstaufhebung‘,61 gehört Christus nach Hauer nicht „in den Bereich arischer Weltanschauung“, so wenig wie das ihn verwerfende Juden54 55 56 57 58 59 60 61

Hauer, Religion und Rasse (1938) [Anm. 51], S. 65 f. Hauer, Religion und Rasse (1938) [Anm. 51], S. 69. Hauer, Religion und Rasse (1938) [Anm. 51], S. 71. Hauer, Religion und Rasse (1938) [Anm. 51], S. 76 f. Hauer, Religion und Rasse (1938) [Anm. 51], S. 79. Hauer, Religion und Rasse (1938) [Anm. 51], S. 108 f. Jakob Wilhelm Hauer, Ein arischer Christus? Eine Besinnung über deutsches Wesen und Christentum, Karlsruhe 1939, S. 43 f. Hauer, Ein arischer Christus? (1939) [Anm. 60], S. 54–57.

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tum. So ist „der arische Christus“ für ihn „eine Ausflucht derer, die den Mut nicht haben zum Glaubensgrund der Heimat und zur großen Freiheit des nordischen Menschen“.62

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„Der Kampf um Eckhart hört nie auf“

Hinter der forcierten Beschäftigung mit dem indogermanischen Ariertum steht das Bestreben Hauers, seinen langgehegten Plan eines ‚Arischen Institutes‘ an der Universität Tübingen vorwärtszubringen. Horst Junginger hat nachgewiesen, dass es Hauer letztlich nicht gelungen war, für seine heidnische ‚deutsche Gottesbewegung‘ die erhoffte Bestätigung von der ss und der nsdap zu erlangen.63 Die Bewegung war nach dem Abfall von Grabert zum Scheitern verurteilt. Der Staat Hitlers wollte das Christentum nicht im Sinne von Hauer abschaffen und durch die ‚dritte Konfession‘ eines ‚religiösen Sektierers‘ (Junginger) ersetzen.64 Umso mehr bemühte sich Hauer über seine Kontakte zu einflussreichen Nationalsozialisten, darunter auch Heinrich Himmler, mit Hilfe der bereits erwähnten ‚Akademie des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes‘ in Tübingen (1938) mitzuwirken an einer „Neuformung der Wissenschaft im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung“ (so Robert Wetzel, Präsident der Akademie).65 1939 erhielt er auf Betreiben des ihm gewogenen württembergischen Kultusministers Christian Mergenthaler die Lehrbefugnis für das neue Fach ‚Arische Weltanschaung‘. Daraus entstand 1940 in Tübingen das ‚Arische Seminar‘ unter der Leitung von Hauer, das zwei Jahre später auf Wunsch Hauers erweitert wurde zum ‚Arischen Institut‘.66 Zu den Aufgaben des Instituts gehörte auch der weltanschauliche Unterricht an den Schulen, für den Hauer ein Handbuch Urkunden und Gestalten der germanisch-deutschen Glaubensgeschichte verfasste, das in seinem ersten Band auch ein Kapitel über Meister Eckhart vorsah.67 Das im Kohlhammer-Verlag erscheinende ambitiöse Projekt gedieh nur bis zu den ersten Lieferungen des ersten Bandes (1. Teil A. des ersten Bandes [A. „Die Zeit des ungebrochenen arteigenen Glaubens“]) und eines kleinen Abschnitts des 2. Bandes (A. „Der Aufstand des Nordens gegen Rom. Von Hutten zu Luther“). Der im Verlags-

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Hauer, Ein arischer Christus? (1939) [Anm. 60], S. 64. Junginger, Nordic Ideology (2013) [Anm. 3], S. 45–60. Junginger, Das Arische Seminar (2003) [Anm. 3], S. 178f. Einzelheiten bei Junginger, Das Arische Seminar (2003) [Anm. 3], S. 181. Junginger, Das Arische Seminar (2003) [Anm. 3], S. 196f. Junginger, Das Arische Seminar (2003) [Anm. 3], S. 199.

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prospekt angesagte Teil D. des ersten Teiles „Der Durchbruch des nordischen Geistes im christlichen Mittelalter“ (reichend von Eriugena bis zur deutschen Mystik) kam nicht mehr zustande. Stattdessen veröffentlichte Hauer 1942 separat eine 120 Seiten umfassende Schrift zu Meister Eckhart, die er in Anknüpfung an seine Auseinandersetzung mit Bornkamm wiederum Der Kampf um Meister Eckhart titulierte. Er beginnt mit dem Satz „Der Kampf um Meister Eckhart hört nicht auf“. In dieser letzten Auseinandersetzung mit seinen Gegnern geht es jetzt nicht mehr allein um die Zurückweisung der Kritik an seiner Eckhart-Auslegung, sondern um die Frage, wer unter den unterschiedlichen Eckhartinterpreten der Gegenwart den umstrittenen Meister für sich beanspruchen darf. Hauer hat zuerst die Katholische Kirche im Visier, die „heute diesen Dominikanermönch als ihren treuen Sohn betrachtet“, sich aber unschlüssig in der Einschätzung seiner Lehre sei.68 Er wendet sich dann den Protestanten zu, die zwar Verständnis für seine Mystik hätten, sie aber wiederum nicht voll bejahten, „weil sie den Wesensunterschied von Gott und Mensch verwische“, und kommt schließlich zu der Einschätzung: „Nichtkonfessionelle Gruppen verehren schließlich in Meister Eckehard den ersten großen, eigenständigen Philosophen Deutschlands […]. Er habe die Welt als eine Synthese von Einheit und Mannigfaltigkeit dargestellt und Gott als die Einheit von aller Mannigfaltigkeit erkannt. Er habe die Wesenseinheit von Gott und Mensch verkündet und die göttliche Welteinheit in der Seeleneinheit des Menschen wiedergefunden. Damit sei er der Wiederentdecker arischer Grundgedanken gewesen und zugleich der Schöpfer eines arteigenen Glaubens geworden“.69 Es ist unschwer zu erkennen, dass Hauer sich zu dieser letzten Gruppe der Eckhartinterpreten zählt, ja dass er hier, unter dem Deckmantel der Anonymität, auf sein ureigenes Eckhartbild hinweist und zugleich die Gelegenheit nutzt, um seine Gegner aus dem gleichen völkischen Lager zu diskreditieren. Denn „andere aus denselben Kreisen lehnen […] Eckehart entschieden ab, weil die Vermischung von germanischen und christlichen Gedanken in ihm Ausdruck der Zwiespältigkeit der deutschen Seele [sei], und die Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf diesen Theologen zugleich zur Beschäftigung mit dem christlichen Gedankengut zwinge“.70 Zum Schluss äußert sich Hauer noch abfällig über die Herausgabe der Gesamtausgabe seiner Werke durch gleich zwei wissenschaftliche Kommissionen, deren

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Hauer, Der Kampf um Meister Eckhart, Stuttgart 1942 (Vermächtnis und Auftrag. Die germanische Reihe), S. 3 f. Hauer bezog sich hier offenbar auf das Buch von Otto Karrer, Meister Eckhart, das System seiner religiösen Lehre und Lebensweisheit, München 1926. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 4 f. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 5.

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„übergroße Geschäftigkeit“ verdächtig sei, „zumal eine Kommission teilweise unter jüdischem Einfluß stehe und nach 1933 rasch ihre Arbeit nach England verlegt habe“.71 Für Hauer ist „diese Mannigfaltigkeit der Beurteilung […] ein getreues Spiegelbild der religiösen Zerrissenheit unseres Volkes. Wer aber an die seelische Einheit seines Volkes glaubt“, schreibt er, „kann auch den Schlüssel für diesen faustischen Glaubensmenschen finden, der kein ‚Lesemeister‘, d. h. kein katholischer Theologieprofessor, sondern ein ‚Lebemeister‘, ein Führer zu einem schlichten und echten Leben sein wollte […]“.72 In den folgenden Abschnitten zeigt Hauer dann die verschiedenen Wege auf, die zu Eckhart führen. Es sind nicht die Wege der Wissenschaft, sondern der Schlüssel zu Eckharts Wesen ist das Volk selber: „Des Volkes Seele in Eckhart wiederzufinden, muss die wichtigste Aufgabe einer Eckehartdeutung der Gegenwart sein“.73 Für Hauer liegt „der Schlüssel zu Eckhart“ nicht in seiner Lehrtätigkeit als Professor der Theologie, „sondern darin, dass sein ganzes Leben von einem einzigen Grundthema bestimmt war: Gott und die Seele“. Eckhart habe seine Lebensaufgabe darin gesehen, „Künder des göttlichen Menschen zu sein“. Deshalb dürfe Eckhart auch von keiner religiösen oder weltanschaulichen Richtung in Anspruch genommen werden: „Eckehart verkünden, das heißt die Pflicht zu erkennen, den geheimsten Spuren göttlichen Menschentums nachzugehen“.74 Hauer ist sich bewusst, dass er mit dieser Aussage „zum göttlichen Menschentum“ den Boden nicht nur der Eckhartforschung seiner Zeit, sondern auch der christlichen Orthodoxie verlassen hatte. Er beruft sich hier ganz klar auf den „ketzerischen Rest“ einer Beurteilung Eckharts durch kirchliche Kreise, der in der Tatsache seiner Verurteilung in Köln und Avignon begründet liegt und auch durch alle Versuche der Relativierung nicht vollständig beseitigt werden konnte. In der antikirchlichen Sicht Hauers präsentiert sich dieser Sachverhalt gerade umgekehrt. Für ihn nämlich liegt gerade in diesem nicht zu leugnenden „widerchristlichen Rest […] die Voraussetzung für ein volles Verstehen und eine umfassende Würdigung des Meisters; denn in diesem Rest wird die eigentliche Substanz in Eckehart sichtbar“.75 Das bedeutet, dass die damals im Prozess gegen Eckhart erhobenen Vorwürfe, der

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Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 5. Vgl. dazu das in Anm. 8 des Vorworts (S. ix) erwähnte Forschungsprojekt des Thomas-Instituts an der Universität zu Köln im Rahmen der wissenschaftlichen Erschließung des dort aufbewahrten Meister-Eckhart-Archivs. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 6. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 7. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 10. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 11.

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‚Häresie des Freien Geistes‘ anzuhängen, bei Hauer nun zum Maßstab und Ziel der völkischen Einvernahme werden. Folgerichtig behauptet Hauer unter Berufung auf den Kölner Inquisitionsprozess, dass Eckhart von den „Beguinen und Begarden, von den Brüdern vom freien Geist und vielen stillen Gläubigen hoch verehrt“ wurde.76 Mit Fleiß sammelt Hauer in den folgenden Abschnitten aus der Bannbulle und den inkriminierten Predigten Eckharts negative Aussagen Eckharts zum Mittlertum der Kirche, zur ‚Engherzigkeit der Frommen‘ und zur Sünde,77 um dann schließlich unter dem Titel „Vom Adel des Menschen“ zu seinem eigentlichen Anliegen zu gelangen. Es sind Eckharts Aussagen zum ‚Gottadel unserer Natur‘. Eckharts Metaphysik des Einen wird dabei bewusst im Sinne eines ‚freigeistigen Pantheismus‘ verkehrt in eine Metaphysik des „göttlichen Charakters des Selbstes“,78 wo dann „das Fünklein der Seele“, also das Innerste der Seele, mit den Worten von Alfred Rosenberg mutiert zum „metaphysische[n] Gleichnis der Ideen von Ehre und Freiheit“, die „jene Festung bilden, aus welcher der echte Wille und die echte Vernunft ihre Ausfälle in die Welt unternehmen“.79 Wie bereits erwähnt, setzte Hauer Eckharts „Idee der Gottheit und ihre Entfaltung zu Gott, zur Welt und zum Menschen und die Rückkehr derselben zum Wesens-Einen“ gleich mit den Mythen der Germanen. Die inkriminierte Lehre von der Gottesgeburt in der Seele führt den Menschen zwar zur Aufgabe des „Ich“, gleichzeitig aber zu seinem „Selbst, seine[m] ewigen Grund, seine[r] Ewigkeit“. Dann erkennt der Mensch „seine eigene Seele als das Reich Gottes; dabei zeigt Eckhart auf, daß es der Mensch selbst ist, der sich die Götter schafft, daß Gott in der Seele das letzte Hindernis zur Erkenntnis der Gottheit darstellt, daß Gott in der Seele sterben muß und sich selbst vernichten will, bis die Seele wieder zu ihrem Wesensursprung in der Gottheit gefunden hat und schließlich allein aus ihrem eigenen Wesen Gottgestalten aus der Erlebniswelt der Menschen hervorgehen“.80 Hauer ist der irrigen Auffassung, Eckhart selber sei überzeugt gewesen, „dass es in jedem Falle die menschliche Seele allein ist, die gestaltend wirkt. Gott-Vater und der Sohn Gottes sind ebensowenig objektive Wirklichkeiten wie Zeus, Indra und Wotan; sie sind Schöpfungen des Menschen, oder wie wir heute genauer sagen können, Schöpfungen der verschiedenen Rassen-

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Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 18. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 28–42. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 45; S. 64. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 64. Hauer zitiert hier Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1934, S. 218. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 82.

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und Völkerseelen. Der Mensch schafft sich selber seine Götter. Das ist der Seele größtes Werk. Götter müssen sein, weil die Seele ein Bild, ein Sinnbild ihrer Vollendung braucht.“ Diese Aussage eines überzeugten Atheisten hat mit Eckhart und der Göttlichkeit des Seins nicht mehr viel zu tun, sondern ist ein letzter Versuch des pietistisch geprägten Missionars, sich endgültig vom Christentum zu befreien: „Kurz gesagt: Gott, Göttergestalten, gehören zwar zum Sein, niemals aber zum Wesen des Menschen. Im reinen Urgrund der Seele ist der Mensch ledig aller Dinge, auch ledig und frei aller Götter, ist er ein wahrhaft Gott-freier“.81 Zum Schluss fasst Hauer das Ergebnis seiner Untersuchungen zu Eckharts ‚innersten Gedankengängen‘ aus der Sicht der Gegenwart zusammen. Er entwirft damit zugleich im Sinne seines Instituts ein dem Unterricht dienendes pädagogisches Programm: Darin ist Eckhart der Künder „arischer Werte“, insoweit er unter anderem 1. Gottunmittelbarkeit und Glaubensfreiheit fordert, 2. „Hingabe an das Werk“, 3. die „innere Sammlung zum Werk durch seine Lehre von der Abgeschiedenheit“, ferner 4. volle Selbstgestaltung, 5. Gottfreiheit, 6. die Heiligung von Vernunft und Wille und schließlich 7. die „aufsteigende Kraft“, „die schöpferische Gewalt“ dieser „aufstrebenden Kraft, die im Führer zum Ausdruck kommt“. „Nur durch sie wird der deutsche Mensch den Zwiespalt in seiner Seele und das Christentum überwinden und nicht ruhen können, bis sich das deutsche Volk seine wesenseigene Kultur geschaffen hat“. 8. heiligt Eckhart die Muttersprache und ist 9. der erste deutsche Mensch, der die Idee des „Einzig-Einen“ verkündet hat und diese ursprünglich platonische Vorstellung „als das gestaltende Prinzip für alle anderen Seins- und Lebensgebiete betrachtete“.82 Als „Vermächtnis und Auftrag“ Eckharts betrachtet Hauer u. a., dass Eckhart „im germanischen Raum den Einzelmenschen aus der christlichen Gemeinschaft gelöst und gottunmittelbar gemacht“ hat. Er hat damit bewirkt, dass der „Mensch selbst vom Wesentlichen her bestimmt wird“. Hauer verbindet dieses Axiom, getreu seiner Aufgabe als Leiter des ‚Arischen Instituts‘, mit dem Imperativ von Rasse und Blut und versteigt sich so, inmitten von Krieg und Holocaust, zu folgender grauenvollen Aussage: Nur der Rassegedanke, verbunden mit dem völkischen Gedanken, vermag innerhalb der Menschheit jene Rangordnung herzustellen, die auf das Wesen gegründet, von den Werten bestimmt und am Einen ausge-

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Hauer, Kampf (1942) [Anm. 68], S. 84 f. Hauer, Kampf (1942) [Anm. 44], S. 104–129.

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richtet ist. Das Erdgesunde ist das Gottbestimmte. Das gesündeste Volk, das zugleich am tiefsten im Wesen des Lebens selbst verankert ist und sich als Gestalter der Lebensgesetze betrachten kann, muß zum Welt-Volk werden, zum geistig führenden Volk der Menschheit […]. Dieser Aufgabe zu leben: in sich die artbedingte Wesensordnung wiederherzustellen, das eigene Volk in seinem Wesen zu vollenden, an der Neuordnung der Welt mitzuwirken, in dem Einen und Ganzen gegründet zu sein, das ist der Sinn unseres Lebens. Dann sind wir, erfüllt vom Schöpfungsauftrag Gottes, die Mitgestalter der Welt und geben der heiligen Erde ihren Gottessinn wieder. Das aber ist das letzte Vermächtnis Eckeharts und sein Auftrag für unsere Zeit.83

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Fazit

Das Eckhartbild von Hauer ist nicht das Ergebnis wissenschaftlicher Bemühungen, sondern das Resultat der zunehmenden ideologischen Vereinnahmung Hauers durch den Nationalsozialismus. Es gründet auf der falschen Annahme, dass Eckhart ein Ketzer war und wegen seines freigeistigen Pantheismus verurteilt wurde.84 Demzufolge steht im Zentrum seines Interesses an Eckhart von Anfang an die mit der Person des karolingischen Philosophen Eriugena verbundene neuplatonische Lehre von der Rückkehr des Menschen in seinen göttlichen Ursprung. Anders als Otto, der ihn angeregt hatte zum interreligiösen Vergleich mit der indischen Mystik, geht es Hauer letztlich aber nicht um Eriugena oder Eckhart, sondern um die Vergöttlichung des Menschen. Er übernimmt von Jung das psychoanalytische Konzept des Selbst und überträgt es in Eckharts Metaphysik des Einen, mit dem Ergebnis, dass statt des von Eckhart beabsichtigten Aufgehens des Menschen in Gott eine Metaphysik des Selbst das Ziel ist, wie bereits Bornkamm erkannt hat. Über Anleihen bei Alfred Rosenberg und andere ‚völkische‘ Einflüsse gelangen als neue Schicht 83

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Hauer, Kampf (1942) [Anm. 44], S. 119f. Anzumerken bleibt, dass der Weltanschauungsunterricht des ‚Arischen Instituts‘ nach den Recherchen von Junginger aufs engste mit der geheimen ‚Weltanschaulichen Gegnerbekämpfung‘ verbunden war und „im letzten Kriegsjahr sogar Teil des Auslandsgeheimdienstes wurde“, siehe Junginger, Das Arische Seminar (2003) [Anm. 3], S. 202 f. Zur Beziehung Eckharts zur ‚Häresie des Freien Geistes‘ vgl. Martina Wehrli-Johns, „Eckharts Freiheitsbegriff im Spiegel des ‚Büchlein der Wahrheit‘“, in: Meister Eckhart und die Freiheit, hg. von Christine Büchner und Freimut Löser, unter redaktioneller Mitarbeit von Janina Franzke, Stuttgart 2018 (MEJb 12), S. 247–273.

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die Begriffe des Blutes und der Rasse in das Eckhart-Bild von Hauer. In der von Hauer gegründeten Deutschen Glaubensbewegung nimmt Eckhart eine zentrale Rolle ein. Nach dem Scheitern der Bewegung transformiert Hauer sein Eckhart-Bild erneut. Eckhart wird nun zu einer Schlüsselfigur arischer Weltanschauung, in der letztlich Gott ganz in das Reich des Mythos verwiesen wird.

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Nach 1945

Am 3. Mai 1945 wurde der damals 64 Jahre alte Hauer aufgrund seines Ranges als Hauptsturmführer der ss in Tübingen von der französischen Besatzungsmacht gefangen gesetzt. Wenig später folgte im September seine vorläufige Amtsenthebung als Professor an der Universität Tübingen. Er verbrachte zwei Jahre in Gefängnissen und Lagern mit anderen aus dem Dienst entlassenen ehemaligen Dozenten und Vertretern nationalsozialistischer Herrschaft. Ulrich Nanko zufolge knüpfte er aber bereits im Lager Theley bei Saarbrücken Kontakte zu alten Weggefährten und setzte dort seine Vortragstätigkeit über religionswissenschaftliche Fragen fort.85 Am 19. August 1947 aus der Internierungsgefangenschaft der französischen Militärregierung entlassen, musste er sich, zurück in Tübingen, dem Spruchkammerverfahren des neu gebildeten Landes Württemberg-Hohenzollern unterziehen, das für ehemalige Angehörige der Universität unter dem Vorsitz von Tübinger Professoren durchgeführt wurde.86 Im Falle von Hauer entschied die Spruchkammer am 27. Mai 1949: „Der Betroffene ist Mitläufer. Er wird in den Ruhestand versetzt unter Gewährung der gesetzlichen Pension. Von weiteren strafrechtlichen und beruflichen Maßnahmen wird abgesehen. Die politische Wählbarkeit wird ihm bis zum 85

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Ulrich Nanko, „Religiöse Gruppenbildungen vormaliger ‚Deutschgläubiger‘ nach 1945“, in: Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion, hg. von Hubert Cancip und Uwe Puschner, Berlin 2004, S. 121–134, hier S. 125. Ulrich Nanko, „Von ‚Deutsch‘ nach ‚Frei‘ und zurück? Jakob Wilhelm Hauer und die Frühgeschichte der Freien Akademie. Zum Forschungsstand“, in: Das evangelische Württemberg zwischen Weltkrieg und Wiederaufbau, hg. von Rainer Lächele und Jörg Thierfelder (Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte 13), Stuttgart 1995, S. 214–233, hier S. 218 f. Zur Entnazifizierung in Tübingen siehe auch Sylvia Paletschek, „Entnazifizierung und Universitätsentwicklung in der Nachkriegszeit am Beispiel der Universität Tübingen“, in: Wissenschaften und Wissenschaftspolitik: Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, hg. von Rüdiger vom Bruch, Stuttgart 2002, S. 393–408, hier S. 401; online zugänglich als Sonderdruck aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg unter https://freidok.uni‑freiburg.de/​ fedora/objects/freidok:4658/datastreams/FILE1/content.

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1.1. 1952 aberkannt.“ In der Begründung der Spruchkammer wird hingewiesen auf seine Gründung und Leitung der Deutschen Glaubensbewegung bis 1936, seine Zugehörigkeit zur ss und Mitarbeit beim Reichs-Sicherheits-Hauptamtes sowie seine Mitgliedschaft bei der nsdap seit 1937.87 Tatsächlich bedeutete die Einstufung Hauers als Mitläufer eine sehr milde Strafmaßnahme, die ihn in den Jahren 1949 bis zu seinem Tod im Februar 1962 keineswegs daran hinderte, zahlreiche Kontakte zu alten Bekannten aufzunehmen, die wie er mit einem Lehrverbot aus der Universität entfernt worden waren. Diesem Zweck diente die Gründung der ‚Arbeitsgemeinschaft für freie Religionsforschung und Philosophie‘, die Hauer kurz nach dem Urteil der Spruchkammer in die Wege leitete und deren Rundbriefe er im Selbstverlag von Tübingen aus verbreitete.88 Aus dieser ‚Arbeitsgemeinschaft‘, der sich auch viele frühere Mitglieder der alten ‚Deutschen Glaubensbewegung‘ angeschlossen hatten, sollte im Jahr 1956 ‚Die Freie Akademie‘ Hauers entstehen. Sie hatte ihren Sitz auf der ‚Jugendburg‘ Ludwigstein in Hessen, die vor 1945 der nationalsozialistischen Jugendarbeit gedient hatte und nun von Hauer als Sprachrohr für seine religionswissenschaftlichen Studien genutzt wurde.89 Was waren Ziel und Inhalt dieser Studien? Will man seiner posthumen Biografin Margaretha Dierks (†2010) Glauben schenken, so ging es Hauer nach der ‚Zäsur‘ von 1945 einzig darum, die Isolation zu überwinden und in Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen „an großen Beispielen der Überlieferung […] die seelisch-geistige Wirklichkeit des Religiösen, seine Wirkungsmacht und Bedeutung durch Jahrtausende […]“ zu charakterisieren.90 Am 4. April 1961 überreichte ein Freundeskreis Hauer zum 80. Geburtstag eine Fest-

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Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Sigmaringen: Hauer Jakob Wilhelm, Prof. Dr. Wü 13 T 2 Nr. 2647/173. Das Dokument ist abgedruckt bei Dierks, Hauer (1986) [Anm. 14], S. 340. Dierks bringt auf S. 340–344 auch ausführliche Passagen aus Hauers Rechtfertigungsschrift, mit denen dieser offenbar versucht hatte, seine Absichten als Religionsstifter zu relativieren. Dierks schließt daraus: „Das Gesamtbild, das sich in der Spruchkammerverhandlung von der Persönlichkeit des Betroffenen ergeben hat, ist das eines ehrlich und redlich bemühten Wissenschaftlers, der aber nicht hat verhindern können, daß seine religiöse Überzeugung, über die man denken mag wie man will, von der nat. soz. Bewegung mißbraucht wurde[n]“. Nanko, „Von ‚Deutsch‘ nach ‚Frei‘ und zurück?“ (1995) [Anm. 86], S. 220–222. Zu anderen verwandten Neugründungen aus den Internierungslagern siehe Nanko, „Religiöse Gruppenbildungen“ (2004) [Anm. 85], S. 125 f. Nanko, „Von ‚Deutsch‘ nach ‚Frei‘ und zurück?“ (1995) [Anm. 86], S. 221f.; Nanko, Religiöse Gruppenbildungen (2004) [Anm. 85], S. 130–132. Siehe dazu auch den WikipediaArtikel „Burg Ludwigstein“, Punkt 2.4 „Schulungslager der Hitlerjugend“ unter https://de​ .wikipedia.org/wiki/Burg_Ludwigstein. Dierks, Hauer (1986) [Anm. 14], S. 348 f.

das eckhart-bild jakob wilhelm hauers

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schrift mit einer Auswahl seiner Schriften. Herausgeber war Friedrich Berger, nach dem Krieg Mitbegründer der ‚Freien Akademie‘ und wie Hauer im Nationalsozialismus Mitglied der ss und der nsdap sowie enger Mitstreiter bei der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘. Die Festschrift enthält im Anhang eine umfangreiche Bibliographie der Werke Hauers, in die völlig unbefangen auch eine Vielzahl seiner Schriften aus der Zeit vor 1945 aufgenommen wurde.91 Darunter befindet sich etwa seine Antwort auf die Kritik Bornkamms zu seiner Eckhart-Interpretation aus dem Jahr 1936. Wieder aufgenommen sind auch andere Hefte des Hausblattes der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘ aus den Jahren 1934–1944, in denen unter dem Titel Zeitschrift für arteigene Lebensgestaltung nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet worden war. Wieder abgedruckt wurde in der bei Kohlhammer erschienenen Festschrift von 1961 ein Aufsatz Hauers aus dem Jahr 1950 mit dem Titel „Die Krise der Religion und ihre Überwindung“.92 Darin behandelt Hauer zunächst i. „Die Rolle der Religion in der bisherigen Geschichte“. Das gibt ihm Gelegenheit zu einer antisemitischen Abwertung der jüdischen Religion: „Aber das Bedeutsame und zu wesentlicher Betrachtung Führende ist, daß auch religiös sehr schöpferische Völker nicht zu einer eigenständigen höchsten Kultur im allgemeinen Sinne gekommen sind, wie z. B. die Israeliten. Niemand wird bezweifeln können, daß die Israeliten-Juden religiös und ethisch hervorragend schöpferisch gewesen sind, wenn wir nur an die israelitischen Propheten und an Jesus denken. Ihr selbständiges Kulturschaffen einschließlich der politischen Leistung hat keineswegs dieselbe Höhe erreicht“ (S. 73). Im zweiten Abschnitt (ii.) wendet er sich der „Geschichte der religiösen Krise“ zu. Wiederum nimmt die Kritik am Judentum in der Frage der Leugnung Jesu breiten Raum ein (S. 77f.). Positiv besetzt ist hingegen der „vom griechischen Geist befruchtete“ „abendländische Genius“, der „von Scotus Eriugena und Eckehardt bis Cusanus, und von Giordano Bruno bis zu den Philosophen und Dichtern der deutschen Klassik […] in diesem Ringen Leistungen vollbracht [hat], die würdig neben denen der indischen Denker und der israelitisch-jüdischen Propheten stehen, und die jedenfalls für unser Geistesleben noch viel bedeutsamer sind“ (S. 79f.). Im dritten Abschnitt (iii.) fragt Hauer nach den „Ursachen und Gesetzen der religiösen Krise“ und sieht diese im Absolutheitsanspruch der traditionellen Religionen (S. 88–104), die der per91 92

Jakob Wilhelm Hauer, Verfall oder Neugeburt der Religion? Ein Symposion über Menschsein, Glauben und Unglauben, Stuttgart 1961. Hauer, Verfall (1961) [Anm. 91], S. 61–116. Ursprünglich in der Zeitschrift Pforte, Heft 13, 14/15, 16/17.

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sönlichen Erfahrung, zu der er auch das Mystische zählt, keinen Raum geben würden (S. 88–104). Daraus folgt für ihn (iv.) die Notwendigkeit eines radikalen Neuansatzes zur Begründung „der Religion, Ethik und Weltanschauung“ (S. 104). Und hier ist Hauer wieder an dem Punkt angelangt, den er bereits vor 1945 erreicht hatte: An der Leugnung Gottes und dessen Ersatz durch „das siegreiche Selbst“: „Das siegreiche Ich ist aufgestanden“, schreibt er (S. 108). Dieses ‚Ich‘ oder ‚Selbst‘ ist für Hauer das aus „Schaffenstiefen“ auferstandene „Urschöpferische“ (S. 108), das Hauer sich nicht scheut, als das „Göttliche“ zu bezeichnen (S. 115). Die Selbstüberhebung ist Hauer also als Religionsstifter des ‚Selbst‘ geblieben. Er hat lediglich darauf geachtet, die Begriffe ‚Blut‘ und ‚Rasse‘ nicht zu verwenden. Stattdessen benützt er jetzt vornehmlich Begriffe aus der Psychologie und Biologie, die seinen Forschungen den Anschein von Wissenschaftlichkeit verleihen sollen. Sein Eckhart-Bild ist hingegen unverändert, spielt in dieser Lebensphase aber nicht mehr die zentrale Rolle wie vor 1945.

kapitel 3

„Halb so teuer und doppelt so deutsch“ (Erich Seeberg): Der ‚jüdische‘ und der ‚deutsche‘ Meister Eckhart Yossef Schwartz

1

Einleitung

Während der 1930er Jahre tritt die Meister-Eckhart-Forschung in eine entscheidende Phase ein. Dass diese Phase, die bis heute konstitutiv geblieben ist, zum großen Teil unter dem ns-Regime und der ns-Ideologie stattfand, ist ein bekannter Tatbestand.* Nicht weniger bekannt ist die besondere Problematik der Existenz zweier paralleler Unternehmungen, die nebeneinander als zwei gleichgewichtige Themenbereiche der Eckhart-Forschung entstanden. Es geht um die zeitgleich unternommenen historisch-kritischen Ausgaben der deutschen und der lateinischen Werke Meister Eckharts, die beide von dem in Stuttgart ansässigen Kohlhammer-Verlag unter der Schirmherrschaft der im Oktober 1920 als Verein gegründeten ‚Deutschen Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung‘, welche bis 1929 ‚Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (ndw)‘ hieß, herausgegeben wurden. 1936 erschienen die

* Ich möchte mich hier von ganzem Herzen bei Dr. Maxime Mauriège, einem der Herausgeber dieses Bandes und Verantwortlichem des Meister-Eckhart-Archivs am Thomas-Institut der Universität zu Köln, für seine extrem hilfreiche und großzügige Mitteilung relevanter Archivmaterialien sowie auch für seine sorgfältige Lektüre meines Textes einschließlich seiner wertvollen Bemerkungen bedanken. Alle Dokumente werden im Folgenden auch mit ihrer Nachweis-Signatur im Bestand des Meister-Eckhart-Archivs bezeichnet. Ich möchte mich auch bei meinem Kollegen Thomas Meyer bedanken. Viele der hier dargestellten Materialien wurden von uns zusammen diskutiert, und eine frühere Version dieses Textes hat durch seine Lektüre viel gewonnen. Das Seeberg-Zitat im Titel dieses Beitrags wurde von Herbert Grundmann in einem seiner Briefe an Ernst Benz angeführt (siehe unten, Anm. 8): „[…] und wenn jetzt Seeberg seine lateinische Ausgabe ankündigt (‚halb so teuer und doppelt so deutsch‘) […].“ Siehe dazu auch Gerhard Kaiser, Grenzverwirrungen: Literaturwissenschaft im Nationalsozialismus, Berlin 2008, S. 75–80 [= ii.1. ‚Halb so teuer und doppelt so deutsch‘: Zum Resonanzprofil der Geisteswissenschaften zwischen 1933 und 1945], inbes. S. 75. Ich danke Maxime Mauriège für diesen Hinweis.

© Yossef Schwartz, 2022 | doi:10.1163/9789004519343_004

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ersten Faszikel des deutschen1 und des lateinischen Werkes.2 Diese früheste Phase des Editionsunternehmens stand daher auch im Spannungsfeld zwischen der gerade erwähnten ‚deutschen‘ Gesamtausgabe und der zur gleichen Zeit vom römischen Historischen Institut der Dominikaner in Santa Sabina begonnenen und folglich zur Konkurrenz gewordenen Ausgabe der lateinischen Schriften (sog. ‚vatikanische Ausgabe‘).3 Mein Artikel handelt von dieser relativ wenig bekannten Episode, die mich nicht so sehr in ihrer dokumentarischen Präzision als vielmehr in ihren verschiedenen intellektuellen und sozialen Zusammenhängen interessiert. Diese Episode, die in Deutschland in der Mitte der 1930er stattfand, möchte ich im Folgenden mit der Geschichte diverser jüdischer Eckhart-Rezeptionsweisen verbinden, die zwischen 1900 und 1936 verschiedene Alternativen zum ‚arischen‘ Eckhartbild darstellten. Ich möchte zeigen, dass diese ‚jüdische Alternative‘ selbst keine homogene Auffassung darstellt, sondern unterschiedliche Strömungen bildet, deren jeweilige kulturelle und intellektuelle Motive mit Aufmerksamkeit skizziert werden müssen.

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Eröffnungsszene: Der Briefwechsel im Scholem-Archiv und sein breiterer Zusammenhang

In der Bibliothek Gershom Scholems, die heute ein Teil der israelischen Nationalbibliothek in Jerusalem ist, befindet sich eine Sammlung Schriften von und zu Meister Eckhart, d.h. sowohl Editionen als auch eine breite Auswahl an Sekundärliteratur. Diese Sammlung reflektiert ein ständiges Interesse an Eckhart von Seiten eines der wichtigsten Forscher auf dem Gebiet der jüdischen Mystik und einer der prominentesten Figuren in der Etablierung jüdischer Studien im zwanzigsten Jahrhundert, nämlich Gershom Scholem (1897–1982). Solches Interesse wurde schon in den Tagebüchern des jungen Scholem doku-

1 Die deutschen Werke, Erster Band: Predigten, 1. Lieferung (S. 1–95 mit Einleitung und Abkürzungsverzeichnis), Stuttgart / Berlin (beim Verlag W. Kohlhammer), Februar 1936. 2 Die lateinischen Werke, Fünfter Band, 1./2. Lieferung (S. 1–128), Stuttgart / Berlin (beim Verlag W. Kohlhammer), September 1936. 3 Magistri Eckardi Opera Latina, auspiciis Instituti Sanctae Sabinae ad codicum fidem edita, Leipzig 1934-, Fasc. i: Super oratione dominica, edidit Raymundus Klibansky, Leipzig 1934; Fasc. ii: Opus tripartitum. Prologi, edidit Hildebrandus Bascour, Leipzig 1935; Fasc. iii: Quaestiones Parisienses, edidit Antonius Dondaine, commentariolum de Eckardi magisterio adiunxit Raymundus Klibansky, Leipzig 1936. Diese Ausgabe, ursprünglich in 15 Faszikeln geplant, wurde nach 1936 nicht fortgeführt.

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mentiert.4 Später kamen Randbemerkungen hinzu, die aber keine systematische Auseinandersetzung erkennen lassen. Auffällig ist in jedem Fall, dass Scholem im Besitz der Kohlhammer-Ausgabe war. Ob er die ersten Bände bereits zum Zeitpunkt ihres Erscheinens erwarb, ist unklar. Fest steht hingegen, dass Scholem in seinem Exemplar des im Rahmen der ‚deutschen Ausgabe‘ erst im Jahre 1956 vollständig erschienenen ersten Bandes der Lateinischen Werke Meister Eckharts eine Kopie des Schriftwechsels zwischen der damaligen ‚Reichsschrifttumskammer‘ und dem Verlag Felix Meiner über die von Raymond Klibansky und Pater Gabriel Théry O.P. verantwortete ‚vatikanische Ausgabe‘ hat einbinden lassen.5 Der erste Brief trägt das Datum vom 10. Dezember 1934 und richtet sich unpersönlich „an den Verlag Felix Meiner, Leipzig“. Das Schreiben wurde von Oskar Schmeller unterzeichnet, der zu dieser Zeit stellvertretender Leiter der ‚Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums beim Beauftragten des Führers für die weltanschauliche Erziehung der nsdap‘ war.6 Er bezieht sich dabei auf die Eckhart-Edition des Verlags, die in Zusammenarbeit mit dem Dominikaner-Institut Santa Sabina herausgegeben wurde und von der bereits der erste Faszikel erschienen war.7 Der Brief ist kurz. Der Beamte möchte den Verlag auf die Tatsache hinweisen, dass die ‚Reichsschrifttumskammer‘ von irgendwelchen „Leipziger Professoren“8 mit der falschen Behauptung irregeführt wurde, die Eckhart-Ausgabe,

4 Die erste dokumentierte Notiz stammt vom 15. November 1914, also als Scholem siebzehn Jahre alt war. Vgl. Gershom Scholem, Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis 1923, 1. Halbband 1913–1917, hg. von Karlfried Gründer und Friedrich Niewöhner unter Mitarbeit von Herbert Kopp-Oberstebrink, Frankfurt a.M. 1995, S. 41. 5 Hier möchte ich eine kurze autobiographische Notiz hinzufügen: Zum ersten Mal habe ich diesen Briefwechsel als jüngerer Forscher während der 1990er Jahre am Scholem-Archiv kennengelernt. Zu dieser Zeit hatte ich weder die Fähigkeit noch die Zeit, nach weiteren Archivmaterialien zu suchen. Die Weiterentwicklung des Meister-Eckhart-Archivs hat es erst ermöglicht, den breiteren Umfang dieser Affäre der Jahre 1934–1936 vollständig zu erfassen. 6 Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1934-12-10. Der Diplom-Kaufmann und SATruppenführer wurde am 1. April 1937 Geschäftsführer der ‚Reichsstelle für volkstümliches Büchereiwesen‘. Nach dem Krieg publizierte Schmeller gelegentlich über fränkische Heimatgeschichte. 7 Siehe oben, Anm. 4. 8 Zur Identität dieser Leipziger Professoren gibt es direkte Zeugnisse, und zwar aus dem Nachlass Herbert Grundmanns im Universitätsarchiv in Leipzig. Am 22. Dezember 1934 (das gleiche Datum wie Meiners Antwort-Brief an das Ministerium) nahm Grundmann in einem Brief an Ernst Benz (Universitätsarchiv Leipzig, Sign.: na Grundmann 98–91 [Bl. 48]; Kopie des Briefes im Bestand des Meister-Eckhart-Archivs, Sign.: mea-gga-i-bw-1934-12-22) direkt auf diesen Brief Schmellers an Felix Meiner Bezug, der ihm von Meiner mitgeteilt wurde: „Die Notgemeinschaft habe dieser Reichsstelle mitgeteilt, daß Meiner ‚Leipziger Professoren gegenüber‘ (damit kann nur ich gemeint sein, obgleich ich weder Professor noch ein

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die „von Herrn Dr. Klibansky u.a. ausländischen Mitarbeitern“ herausgegeben wird, sei vor der Ausgabe der ‚Deutschen Gemeinschaft zur Erhaltung und Förderung der Forschung‘ entstanden. Dagegen behauptet der Beamte, Klibansky habe sich erst dann an den Meiner-Verlag gewandt, als er aus dem Projekt der ‚Notgemeinschaft‘ „ausgeschieden“ sei. Darüber hinaus behauptet er, der Meiner-Verlag habe schon 1933 ein Kooperationsangebot von Seiten der ‚Notgemeinschaft‘ erhalten und dann abgelehnt. Aus diesen Gründen findet Schmeller die Unterstützung des konkurrierenden Projekts unerklärlich und warnt den Verlag, dass diese Handlung dem Willen des „Führers“ und der „Partei“ entgegenstehe: „Wir machen Sie also darauf aufmerksam, dass eine Einstellung gegen diese Eckart-Ausgabe [sic!] der Notgemeinschaft gleichzeitig als Kritik an Partei und Staat aufzufassen ist und wir Sie in aller Form vor derartigen Äußerungen Ihrerseits warnen!“ Die kurze Antwort vom Verleger Felix Meiner (am 22. Dezember 1934) richtet sich „An die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“. Meiner versucht elegant, die implizit ausgedrückten Drohungen zu ignorieren, und beschränkt sich auf die Beantwortung der Anklage, er habe falsche Informationen über die Entstehungsordnung der beiden Projekte geliefert. Er lehnt alle Tatsachenbehauptungen ab und bittet um schriftliche Belege. Eine zentrale Rolle in dieser Affäre spielte Raymond Klibansky (1905–2005), zu jener Zeit ein junger deutsch-jüdischer Wissenschaftler, der sich im Brennpunkt einer besonderen Kombination aus Rassen- und Akademiepolitik fand. Klibansky hatte sich durch seine Mitarbeit an der Cusanus-Edition der Heidelberger Akademie etabliert. 1932 veröffentlichte Klibansky seine Edition der Apologia Doctae ignorantiae, womit er die Heidelberger Akademie-Ausgabe der Opera omnia des Nicolaus Cusanus inaugurierte; im selben Jahr erschien aber auch die aus seiner Zusammenarbeit mit Ernst Hoffmann hervorgegangene Edition von De docta ignorantia.9 Wie Regina Weber in ihrer wichtigen Darstellung von Klibanskys früher Phase an der Heidelberger Akademie dargelegt hat, wurde durch diese die Arbeit Klibanskys noch lange nach der nsMachtübernahme im Januar 1933 unterstützt, doch sollte sie dort vor allem in

Pluraletantum bin) …“. Grundmann zitiert weiter aus dem Brief und nennt den Versuch Seebergs, seine noch nicht erschienene Edition durch Unterstützung der Partei unangreifbar zu machen, „grotesk“. Der Briefwechsel zwischen Benz und Grundmann reflektiert eine massive Kampagne von Seiten Seebergs und seiner Kollegen, um die Unterstützung der relevanten deutschen Professoren für ihre Position zu gewinnen. 9 Nikolaus von Kues, De docta ignorantia, ediderunt Ernestus Hoffmann et Raymondus Klibansky (Nicolai de Cusa Opera Omnia i), Leipzig 1932; Apologia doctae ignorantiae, edidit Raymundus Klibansky (Nicolai de Cusa Opera omnia ii), Leipzig 1932.

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Zusammenhang mit seiner Mitarbeit an der Cusanus-Edition unter der Leitung von Ernst Hoffmann ausgeführt werden. Mit der Eckhart-Ausgabe war es anders, da Klibansky hier seit Dezember 1932 die Leitung der ‚deutschen‘ Gesamtausgabe übernehmen sollte – nach Weber war es „der Höhepunkt der wissenschaftlichen Laufbahn Klibanskys innerhalb der deutschen Universitätslandschaft“.10 Obwohl die neue Eckhart-Ausgabe im Vergleich mit der Cusanus-Ausgabe wissenschaftlich weniger etabliert erschien, war sie trotzdem gerade in der ns-Zeit von besonderer Bedeutung, weil die Figur Eckharts eine so bedeutende Rolle spielte und weil das Editionsunternehmen sich nicht nur mit den lateinischen Schriften, sondern auch mit einem großen Korpus deutscher Schriften befassen musste. Deswegen waren die politischen Ereignisse seit Januar 1933 von direkter und massiver Bedeutung für ihn. Klibansky wurde vom Projekt der Heidelberger Akademie, mindestens offiziell, entlassen. Die raschen Entwicklungen ab Januar 1933, nicht zuletzt infolge des am 7. April verkündeten „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ und seiner Umsetzung in akademischem Bereich, zwangen ihn, Deutschland zu verlassen. Laut seiner eigenen, mehr als 50 Jahre später geschilderten Version des Sachverhaltes wurde ihm schon früher der Zutritt zu seinem Büro verweigert, was für ihn den Verlust vieler seiner Arbeitspapiere bedeutete. Nach kurzem Aufenthalt in Rom und Paris emigrierte er Mitte 1933 nach England und lebte zuerst in London und Oxford.11 Josef Koch, Bernhard Geyer und Josef Quint, die bei den lateinischen und deutschen Ausgaben der Heidelberger Akademie mitarbeiten sollten, hatten sich nun mit Erich Seeberg und seinen Mitarbeitern in Berlin zusammengeschlossen, die ihre eigenen Pläne für eine Eckhart-Ausgabe hatten, und der neue Bund konnte im Juli 1933 die Unterstützung der ‚Notgemeinschaft‘ gewinnen. Klibansky, der bei der Editionsarbeit im Vergleich zu der anderen Ausgabe bereits gut vorangeschritten war,12 nahm den 10

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Regina Weber, „Raymond Klibansky (1905–2005)“, in: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933, Bd. 3: USA, hg. von John M. Spalek et al., Supplement 1, Bern u.a. 2010, S. 93–124, S. 111; dies., „From the Cusanus Edition to the Corpus Platonicum Medii Aevi: Klibansky’s Collaborations with Ernst Hoffmann, Ernst Cassirer and Fritz Saxl“, in: Raymond Klibansky and the Warburg Library Network. Intellectual Peregrinations from Hamburg to London and Montreal, hg. von Philippe Despoix und Jillian Tomm, Montreal u.a. 2018, S. 143–159, S. 148. An dieser Stelle bedanke ich mich sehr herzlich bei Frau Dr. Regina Weber für die Mitteilung ihrer wertvollen Forschung. Vieles über den Lauf der Dinge kann man in seiner Autobiografie lesen; vgl. Raymond Klibansky, Erinnerung an ein Jahrhundert. Gespräch mit Georges Leroux, aus dem Französischen Petra Willim, Frankfurt a.M. 2001, insbes. S. 75–103. Nach den Berichten von Klibansky und Koch haben sich beide, zusammen mit Quint, am 21. März 1933 in Bonn getroffen. Klibansky behauptet, er habe Koch zu dieser Gelegenheit „den [Editions-]Text des ersten Faszikels [scil. der künftigen ‚vatikanischen Aus-

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Vorschlag Gabriel Thérys an und wandte sich an den Verlag Felix Meiner, der die Cusanus-Edition schon herausgab, um dort eine vollständige kritische Edition des lateinischen Werkes Eckharts zu veröffentlichen. Die Zeitleiste der entscheidenden Konfliktmomente im Jahre 1935 kann so beschrieben werden: Ende Januar 1935 veröffentlichte der KohlhammerVerlag den offiziellen Prospekt seiner geplanten ‚deutschen‘ Gesamtausgabe der Werke Meister Eckharts.13 In der Einführung bietet der Berliner Theologe und Eckhart-Forscher Erich Seeberg eine Apologie zur Rechtfertigung einer zweiten Edition, da der erste Band der ‚vatikanischen Ausgabe‘ bereits 1934 erschien. Damit behauptete Seeberg, der vom Meiner-Verlag bereits herausgegebene Band sei ein Versuch, den „französischen Dominikanern in Verbindung mit Klibansky“ durch einen Druck „jenes ersten Faszikels, das den hundertundzwanzigsten Teil des Ganzen darstellt“, den Anschein der Priorität verschaffen zu wollen.14 Danach kam es zum Streit zwischen beiden Verlagen, in dessen Verlauf verschiedenen ns-Ministerialen von den Stellungnahmen der jeweiligen Seiten Bericht erstattet wurde. Am 19. Februar fand ein offizielles Treffen bei dem Präsidenten der Reichsschrifttumskammer statt, in dessen Vorfeld jede Seite ihre eigene offizielle Version des Sachverhalts darlegte. In seinem Brief an die Reichsschrifttumskammer forderte Felix Meiner deren Präsident Richard Suchenwirth (1896–1965) dazu auf, die Notgemeinschaft zur „Zurückziehung dieses Prospektes veranlassen zu wollen“.15 Der nächste sich im Bestand des Scholem-Archivs befindliche Brief an den Meiner-Verlag wurde auf den 8. Januar 1935 datiert und trägt die persönliche Unterschrift von Suchenwirth.16 Der Briefinhalt bewegt sich in zwei verschiedene Richtungen. Einerseits will Suchenwirth das Weiterverbreiten negativer Gerüchte unterbinden, die wohl vom Meiner-Verlag ausgingen und denen zufolge sich die von der Kammer geförderte ‚deutsche‘ Ausgabe auf einem ver-

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gabe‘]“ gezeigt (Brief von Raymond Klibansky an Felix Meiner vom 15. Februar 1935 [Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1935-02-15-2a]). Koch erwiderte dagegen, dass Klibansky nur einige Stellen aus der Ausgabe erörtert habe (Bericht von Josef Koch an die Notgemeinschaft vom 22. März 1935 [Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i- bw1935-03-22]). Brief von Eduard Wildhagen, in Vertretung des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an den Herrn Präsidenten der Reichschrifttumskammer vom 28. Dezember 1934, mit dem Kohlhammerschen Prospekt in Anhang (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1934-12-28). Ibid.; vgl. auch Weber, „Klibansky“ (2010) [Anm. 11], S. 115, die den Kohlhammerschen Prospekt aus dem Nachlass Klibanskys zitiert. Weber, „Klibansky“ (2010) [Anm. 11], S. 116. Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1935-01-08.

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meintlich niedrigeren wissenschaftlichen Niveau als die ‚vatikanische‘ Ausgabe bewege. In einem deutlich affirmativeren Ton legt Suchenwirth andererseits die Gründe einer Überlegenheit der von der ‚Partei‘ unterstützten ‚deutschen‘ Ausgabe dar, nicht zuletzt, weil sie eine ‚völkische‘ Version der Schriften Eckharts biete; dabei behandelt Suchenwirth die rein wissenschaftlichen Kriterien nur sehr kurz nebenbei. Dagegen betont er sowohl die Zweisprachigkeit der Kohlhammerschen Ausgabe, da sie dem lateinischen Text eine deutsche Übersetzung gegenüberstelle, als auch deren „niedrigen Preis“, der ermögliche, dass sie einem breiteren bzw. „volkstümlicher[en]“, ja sogar völkischen Kreis zugänglich gemacht werde.17 Der letzte Brief in Scholems Exemplar wurde von Felix Meiner am 30. Januar an den Präsidenten der Reichsschrifttumskammer geschickt. Darin wiederholt er manche seiner früheren Argumente. Neu ist die deutliche Warnung, dass ein Einstellen der bei seinem Verlag erscheinenden Eckhart-Ausgabe das Ansehen des ‚Deutschen Reiches‘ international schädigen könne, da man die Maßnahmen als Zensur und damit als Eingriff in die wissenschaftliche Freiheit interpretieren werde.18 Darauf reagierte die Deutsche Forschungsgemeinschaft durch deren Präsidenten Johannes Stark in einem Brief vom 7. Februar 1935 an sein amtsmäßiges Pendant in der Reichsschrifttumskammer.19 Wie oft in solchen Fälle erwies sich diese Drohung als effektiv, vor allem, solange es eine leere Drohung blieb. Sie scheint in der Sitzung von 19. Februar 1935 eine Rolle zu spielen, an der alle Beteiligten teilnahmen und nach der es zu einem modus vivendi zwischen beiden Verlagen unter Aufsicht des Ministeriums kommen sollte.20 Als es hingegen kurz danach wirklich zu einer internationalen Reaktion kam,21 wurde dies schnell zum Hauptargument gegen die ‚vatikanische Ausgabe‘, sogar gegen Felix Meiner selbst, aber vor allem gegen den ‚Juden‘ Klibansky. 17

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Damit gibt Suchenwirth die Argumente wieder, die im oben erwähnten Brief Wildhagens vom 28. Dezember genannt wurden (siehe oben, Anm. 14): „Es handelt sich hier um die seit langem notwendige Gesamtausgabe […], die nicht nur auf umfassender kritischer Forschung beruht, sondern auch durch die Beifügung einer Übersetzung der lateinischen Werke und einen außergewöhnlich billigen Preis die Werke des Meisters weiten Kreisen des deutschen Volkes zugänglich machen will.“ Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i.bw-1935-01-30. Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1935-02-07. Zu diesem modus vivendi, der die Fortführung beider Editionen ermöglichen sollte, siehe den Brief von Richard Suchenwirth an Felix Meiner vom 26. April (Meister-EckhartArchiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1935-04-26) und Meiners Antwort vom 4. Mai (mea-ggai-bw-1935-05-04-1). Für einige Beispiele solcher internationalen Reaktionen vgl. Weber, Klibansky (2010) [Anm. 11], S. 116 (Samuel Kurland, Review, in: Isis 24 [1935], S. 134–136; vgl. auch Friedrich Wilhelm Kaufmann, „Review“, in: Modern Language Notes 50,6 [June 1935], S. 401f.).

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Von allen relevanten Rezensionen war es vor allem ein von dem in Oxford tätigen Professor Sir Frederick Maurice Powicke verfasster und in der Times Literary Supplement vom 18. Juli 1935 veröffentlichter Bericht zur Lage der Eckhart-Edition(en) im Deutschen Reich, der zu einem entscheidenden Wendepunkt in der letzten Phase dieses Konkurrenzstreits wurde. Monatelang wird dieser Bericht von den ns-Behörden und von Professoren wiederholt als Beispiel „[z]ur Illustrierung, wie der Jude Klibansky seine Aufgabe ansieht“, benutzt. Auch wenn Felix Meiner die Tatsache heftig verneint hat (zumindest offiziell), bezweifelt niemand, dass der mittlerweile nach England emigrierte Klibansky derjenige war, der hinter dem Bericht stand – was mir aus heutiger Perspektive als ziemlich offenkundig erscheint.22 Aus der ns-ministerialen Auswertung der ‚vatikanischen Ausgabe‘ ergibt sich ex negativo das Bild einer nicht-arischen Eckhart-Rezeption. Aus dieser Perspektive erschien sie zuerst vor allem als dominikanisch und französisch geprägt („Angehörige des Dominikaner-Ordens unter französischer Führung“), wobei die Figur von Gabriel Théry als Repräsentant beider Seiten erwähnt wurde. Ein jüdischer Anteil daran zeigt sich hier alleine durch die Figur von Raymond Klibansky, allerdings ohne explizite Bezugnahme auf seine jüdische Herkunft. In den Briefen von Seeberg sowie vom Präsidenten und Vizepräsidenten der Notgemeinschaft steht aber die jüdische Herkunft von Klibansky und seine ausländische Tätigkeit als Exilant von Anfang an im Vordergrund. So heißt es bei Wildhagen in seinem oben erwähnten Brief vom 28. Dezember 1934, in dem er von der Initiative Felix Meiners berichtet, dass „bei dem eine lediglich von ausländischen Dominikanern unter französischer Führung und unter Mithilfe des aus Deutschland ausgewanderten jüdischen Gelehrten Dr. Klibansky begonnene Ausgabe der lateinischen Schriften des Meister Eckhart erscheint“.23 Ähnliches kann man in anderen Briefen von Stark und Wildhagen 22

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Vgl. Brief von Felix Meiner an Gabriel Théry vom 25. Januar 1936 (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1936-01-25). Die offizielle Stellungnahme der Partei beschreibt Meiner wie folgt: „Dr. Klibansky sei für den neuen Staat als Herausgeber der Eckhart-Ausgabe untragbar. Er habe das gentleman agreement von Februar 1935 gebrochen, einmal durch die Veröffentlichung des Briefes von Professor Powicke in der Times Literary Supplement und noch durch zahlreiche andere Fälle. Ich widersprach bestimmt der Annahme, dass Powicke von Klibansky inspiriert sei […].“ Siehe oben, Anm. 14. Wildhagen war zwar nur dfg-Vizepräsident, aber dafür bekannt, in sehr enger Beziehung zu Alfred Rosenberg zu stehen. Das Interesse von Rosenberg an dieser Affäre belegt eine Notiz der Reichsleitung vom 18. Januar 1935: „Reichsleiter Rosenberg hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass er mit dem Inhalt dieser Denkschrift [scil. der Deutschen Forschungsgemeinschaft] durchaus einverstanden ist und ein entsprechendes Einwirken auf den Verlag Meiner begrüssen würde “ (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1935-01-18-2). Weiter zu Rosenbergs eigener Darstellung der Bedeutung Eckharts und der Eckhart-Editionen siehe unten, Anm. 56 und 70.

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lesen. In der letzten Phase des Streites eskalierte der Angriff auf Klibansky, und seine jüdische Herkunft wurde zum entscheidenden Element, das die zugrundeliegende Legitimität der Meinerschen Eckhart-Ausgabe in Frage stellte. Insgesamt entsteht aus diesen reichen Archivmaterialien ein komplexer Zusammenhang von Interessen, Netzwerken und Sprachkulturen während einer der wichtigsten Phasen der modernen Eckhart-Rezeption, in deren Verlauf die bis heute wirksame Einteilung zwischen dem deutschen und lateinischen Eckhart wissenschaftlich etabliert wurde: Während der deutschsprachige Meister eher mit einer ‚lokalen‘ Identität verbunden wird, steht der lateinische Magister für Internationalität, erforscht durch die ‚globale Elite‘ der Dominikaner, römischen Katholiken und Franzosen. Nach dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze im September 1935 musste Felix Meiner darauf verzichten, sich weiter an der ‚vatikanischen Ausgabe‘ als deren Verleger zu beteiligen. Laut Weber sah sich Meiner „1936 vom nationalsozialistischen Regime bedroht“.24 Die volle Dokumentation, die mir dank des Meister-Eckhart-Archivs zugänglich gemacht wurde, bestätigt dieses ‚Gefühl‘ Meiners wiederum anhand von dessen Briefwechsel. Am 10. September wurde Felix Meiner zu einem Treffen mit dem Vizepräsidenten der Reichsschrifttumskammer, Heinz Wismann, berufen, um „[d]ie Persönlichkeit und das Verhalten des jüdischen Emigranten Klibansky“ zu besprechen.25 Meiner wurde dann ein explizites Ultimatum gestellt: Entweder sollte er Klibansky durch jemand anderen ersetzen oder auf die Eckhart-Ausgabe verzichten.26 In seinem Brief an Théry vom 25. Januar 1936 schilderte Meiner ihm ganz klar die entsprechende Alternative: Er dürfe als einzelner Herausgeber, d.h. ohne Klibansky, weiter an der Edition arbeiten, oder aber er könne mit der ‚deutschen Ausgabe‘ zusammenarbeiten. Ansonsten bestehe eine dritte Möglichkeit darin, einen ausländischen Verleger zu finden, der sich bereit erklären würde, die Herausgaberechte vom Meiner-Verlag zu kaufen bzw. die bisher angefallenen Kosten für die ‚vatikanische Ausgabe‘ auszugleichen und dann dieses Editionsunternehmen in seiner geplanten Form weiter zu verlegen. In einem Brief an Seeberg vom 7. August 1935 warnte Konrad Weiss vor einem solchen Szenario 24 25 26

Weber, „Klibansky“ (2010) [Anm. 11], S. 114–118. Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: Mea-gga-i-bw-1935-08-31, -1935-09-05 und -1935-09-07-2. Das war das einzige Thema im Brief von Heinz Wismann an Felix Meiner vom 31. August 1935 (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1935-08-31: „Die Persönlichkeit und das Verhalten des jüdischen Emigranten Klibansky veranlassen mich, die Frage der Eckhart-Ausgabe, für die Klibansky verantwortlich zeichnen soll, mit Ihnen noch einmal zu besprechen“) und beim Treffen, das am 10. September 1935 im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda stattfand (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-ibw-1935-09-07-2).

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als der größten Gefahr und riet als präventive Maßnahme dazu, nicht zu viel Druck auf den Meiner-Verlag auszuüben. Doch seine Sorge schien in diesem Fall unbegründet; denn erstens war es wenig realistisch, einen Verleger außerhalb Deutschlands zu finden, dessen Interesse an einem solchen Projekt groß genug gewesen wäre. Zweitens wäre es aber für Théry und Klibansky praktisch unmöglich gewesen, ohne Zugang zu den deutschen Bibliotheken und ohne die Mithilfe ihrer deutschen Kollegen dieses Editionsunternehmen fortzusetzen.27 Auch wenn Raymond Klibansky hier als Idealtyp eines jüdisch-deutschen Gelehrten gelten kann, darf man im Kontext des nationalsozialistischen Projekts einer Herausgabe des Gesamtwerkes Meister Eckharts die Frage stellen, inwiefern weitere jüdische Autoren im Rahmen vergleichbarer Projekte genauso behandelt wurden. Eine Antwort auf diese Frage zu geben wird allerdings keinesfalls eine leichte Aufgabe sein. Im Folgenden möchte ich nicht nur die Existenz eines gleichsam ‚jüdischen Eckhart‘ belegen, sondern vielmehr die Existenz gleich mehrerer jüdischer Strömungen in der Eckhart-Rezeption nachzeichnen und reflektieren.

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Die verschiedenen Gesichter des jüdischen Eckhart

In den ersten drei Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts kommen jüdische Autoren sowohl mit der Gestalt des deutschen Meisters als auch mit derjenigen des lateinischen Magisters Eckhart in Berührung, und zwar jeweils mit unterschiedlichem Interesse. Dementsprechend möchte ich nun eine erste allgemeine Skizze für den ‚jüdischen Eckhart‘ anbieten. Mein Hauptinteresse bei diesem kurzen Beitrag liegt auf einer vorbereitenden Darstellung der zugrunde liegenden Motivationen und Ideologien. Eine Gesamtdarstellung des Materials bedürfte eines viel größeren Raumes, als ich hier zur Verfügung habe. 3.1 Meister Eckhart und Moses Maimonides – ‚a road not taken‘ Der in der Times Literary Supplement am 18. Juli 1935 veröffentlichte Bericht von Professor Powicke zur Lage der Eckhart-Edition im Deutschen Reich war, wie wir bereits gesehen haben, ein entscheidender Wendepunkt in der letzten Phase des Konkurrenzstreites zwischen beiden Ausgaben. Seinen Bericht endet Powicke mit einer überraschenden Bemerkung: 27

Zu ausführlichen Äußerungen von Seiten Klibanskys zu solchen Verhinderungen des Zugangs zu Handschriftenmaterialien vgl. Brief von Raymond Klibansky an Felix Meiner vom 15. Februar 1935 (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-bw-i-1935-02-15).

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„But Eckhart is a national hero. Théry is a French Dominican and Klibansky is a Jew. Moreover, and from the standpoint of learning this is far more serious, Eckhart must be protected at all costs from the complicated traditions into which every medieval thinker entered, and especially from the possible influence of the great medieval Jewish philosopher, Moses Maimonides.“ Wie schon erwähnt, hat Powicke seine Informationen über diese Affäre aus erster Hand von Klibansky in Oxford bekommen. Ferner war es wahrscheinlich auch Klibansky, der Powicke auf die Beziehung zwischen Meister Eckhart und Maimonides hingewiesen hat. Mit dem allmählichen Erscheinen der ersten zwei Kohlhammerschen Bände der Lateinischen Werke, die hauptsächlich Eckharts Kommentare zu alttestamentlichen Büchern enthalten, wurde durch den kritisch edierten Text und den dazugehörigen apparatus fontium Eckharts intensive Nutzung jüdischer Quellen für seine akademischen Schriften offensichtlich. Vor allem geht es um die intensive Rezeption von Moses Maimonides’ Dux neutrorum, also um die lateinische Übersetzung des Führers der Unschlüssigen, die etwa 1240 aus dem Hebräischen (Moreh Nevuchim) des im Original auf Arabisch verfassten Texts (Dalālat alḥā’irīn) angefertigt wurde. In der Tat war Eckhart in dieser Hinsicht mehr als ein typisches Beispiel einer Rezeptionsweise, die „every medieval thinker“ charakterisiert. Eckhart war der bedeutendste, wichtigste und enthusiastischste christliche Leser von Maimonides im Mittelalter.28 In den lateinischen Schriften Eckharts kommt Maimonides als der am dritthäufigsten namentlich zitierte Autor vor (mehr als 120 Mal), gleich nach Augustinus und Aristoteles. Seine Begegnung mit Maimonides’ Werk verbindet die reiche Diskussion der Pariser Theologen mit einer Reihe anderer Phänomene, vor allem aber mit der volkssprachlichen Gelehrsamkeit und Frömmigkeit einerseits sowie mit dem lateinischen Hebraismus der Renaissance und der frühen Neuzeit andererseits. Diese bedeutende Beziehung wurde bereits 1928 von Josef Koch tiefgehend analysiert,29 fand jedoch keinerlei Echo bei den

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Vgl. Yossef Schwartz, „Zwischen Einheitsmetaphysik und Einheitshermeneutik: Eckharts Maimonideslektüre und das Datierungsproblem des Opus tripartitum“, in: Meister Eckhart in Erfurt, hg. von Andreas Speer und Lydia Wegener, Berlin / New York 2005 (Miscellanea Mediaevalia 32), S. 259–279; ders., „Meister Eckhart and Moses Maimonides: From Judaeo-Arabic Rationalism to Christian Mysticism“, in: A Companion to Meister Eckhart, hg. von Jeremiah M. Hackett, Leiden / Boston 2012 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 36), S. 389–414. Josef Koch, „Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters“, in: Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur 101 (1928) [Breslau 1929], S. 134–148 (Nachdruck in: ders., Kleine Schriften, Roma 1973, Bd. 1, S. 349–365). Erwähnenswert ist eine faszinierende Episode, die die zwei verschiedenen Editionen –

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jüdischen Wissenschaftlern in der Vorkriegszeit. Das überrascht, denn Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hatten bedeutende jüdische Gelehrte wie etwa Salomon Munk, Manuel Joel, Abraham Geiger und Jakob Guttmann wohl den Einfluss jüdischer Denker, vor allem den des Maimonides, auf die lateinische Scholastik entdeckt und gewürdigt.30 Insbesondere Jakob Guttmann (1845– 1919) hat sich in zahlreichen Untersuchungen um die Rezeption jüdischer Schriften bei christlichen Denkern verdient gemacht. Angefangen mit einem 1889 verfassten Aufsatz über Wilhelm von Auvergne,31 dann in Auseinandersetzung mit Alexander von Hales (1889)32 und Thomas von Aquin (1891)33 setzte er später seine Forschungen fort und veröffentlichte Aufsätze über Duns Scotus (1894), Vinzenz von Beauvais (1895), franziskanische Theologen aus dem England des 13. Jahrhunderts (1896) und aus der Epoche der Renaissance (1899). Und dennoch: Obwohl Guttmann alle möglichen zugänglichen scholastischen Quellen benutzt hat und obwohl die lateinischen Schriften Eckharts bereits 1886 von Heinrich Denifle ediert wurden,34 hat Guttmann auf den Meister nicht aufmerksam gemacht. Das gleiche gilt für alle anderen jüdischen Forscher bis weit in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.35 Die Mai-

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den lateinischen Eckhart und den lateinischen Rabby Moyses – im Kontext der bereits erwähnten Klibansky-Affäre verbindet. So erzählt Klibansky in einem Brief an Felix Meiner vom 15. Februar 1935 (siehe oben, Anm. 28), er habe ein Angebot bekommen, „alle Papiere, Photos, Abschriften etc. zu einer Ausgabe der lateinischen Übersetzung des ‚Dux neutrorum‘ des Maimonides“ zu bekommen, wenn er nur von der Eckhart-Ausgabe zurückträte. Klibansky hat solchen „wissenschaftlichen Kuhhandel“ mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Das Angebot von Koch findet sich in seinem Brief an Klibansky vom 9. August 1933 (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1933-08-09) und an Théry vom 3. September 1933 (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-1933-09-03); vgl. auch Weber, Klibansky (2010) [Anm. 11], S. 113. Vgl. Yossef Schwartz, „Eine neuthomistisch-christliche Brücke zum jüdischen Mittelalter. Jacob Guttmanns Darstellung jüdischer und christlicher Philosophien im Mittelalter“, in: Die Entdeckung des Christentums in der Wissenschaft des Judentums, hg. von Görge K. Hasselhoff, Berlin / New York 2010 (Studia Judaica: Forschungen zur Wissenschaft des Judentums 54), S. 239–262; George Y. Kohler, „‚Scholasticism is the Daughter of Judaism‘: The Discovery of Jewish Influence on Medieval Christian Thought“, in: Journal of the History of Ideas 78,3 (2017), S. 319–340. Jacob Guttmann, „Guillaume d’ Auvergne et la littérature juive“, in: Revue des études juives [im Folgenden mit REJ abgekürzt] 18 (1889), S. 243–255. Jacob Guttmann, „Alexandre de Hales et le judaïsme“, in: REJ 19 (1889), S. 224–234. Jacob Guttmann, Das Verhältnis des Thomas von Aquino zum Judentum und zu der jüdischen Literatur, Göttingen 1891. Heinrich Suso Denifle, „Meister Eckharts lateinische Schriften und die Grundanschauung seiner Lehre“, in: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 2 (1886), S. 417–615. Über den Einfluss von Maimonides berichtet Denifle auf S. 551 u. 582. Der erste war Hans Liebeschütz, der vor dem Krieg dem gleichen Milieu wie Klibansky

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monidischen Quellen Eckharts wurden stattdessen weiter vor allem von deutschen Forschern katholischer und evangelischer Konfession erforscht. Zu nennen sind vor allem Ernst Reffke (1938), Wolfgang Kluxen (1954ff.) und Peter Heidrich (1959).36 Es ist ein interessanter Umstand, dass Eckharts Auseinandersetzung mit den Ideen des Maimonides für lange Zeit kein attraktives Thema für die jüdische Forschergemeinschaft war. Es scheint, dass die vornehmlich rationalistischphilosophisch orientierten Gelehrten der Wissenschaft des Judentums sich nicht für Eckhart interessierten, weil die romantischen, mystisch orientierten Gelehrten der jüdischen Mystik – sosehr manche von ihnen von Eckhart tief inspiriert wurden – ein zu geringes Interesse an der Figur des Maimonides gehabt hatten. Um das zu verstehen, muss man berücksichtigen, wie sehr die Trennung zwischen ‚Philosophie‘ und ‚Mystik‘ im Bereich der Judaistik – in gewisser Hinsicht bis heute – zentral ist. Wo die christliche Historiographie des jüdischen Denkens seit der Frühmoderne keine solchen Unterscheidungen zwischen Philosophie, Kabbala, Midrasch, Bibelexegese und anderen Bereichen der Hebraistik gemacht hat – mit den Worten Jakob Bruckers ging es ihnen um „philosophia judaica, exoterica sive esoterica, seu cabbalistica“37 –, haben jüdische Gelehrte seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts starke rationalistische Vorlieben entwickelt. Eine Figur wie Eckhart kam ihnen einfach nicht in den Blick. 3.2 Eckhart und Cusanus bei Cassirer und Klibansky Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts haben Martin Buber und Ernst Cassirer, zwei bedeutende jüdische Denker von gleichwohl sehr verschiedenem philosophischen Temperament, ihre Aufmerksamkeit auf Nikolaus von Kues gerichtet. In seiner frühesten Auseinandersetzung mit der Mystik stand Buber zunächst Ernst Cassirers erster, 1906 veröffentlichter Deutung von Cusanus nahe. Schon Bubers Dissertation, die 1904 in Wien entstanden war, trägt den Titel Beiträge zur Geschichte des Individuationsproblems und beschäftigt sich mit

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angehörte. Vgl. Hans Liebeschütz, „Meister Eckhart und Moses Maimonides“, in: Archiv für Kulturgeschichte 54 (1972), S. 64–96. Heidrichs unveröffentlichte Dissertation wurde kürzlich nachgedruckt; vgl. Peter Heidrich, Im Gespräch mit Meister Eckhart und Maimonides, hg. von Hermann M. Niemann, Berlin 2010 (Rostocker Theologische Studien 22), S. 66–192. Johann Jakob Brucker, Historia critica philosophiae, Bd. 2, Leipzig 1742, S. 916–1069. Andreas B. Kilcher, „Einführung“, in: Metzler Lexikon Jüdischer Philosophen. Philosophisches Denken des Judentums von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Andreas B. Kilcher und Otfried Fraisse, Stuttgart 2003, S. viii–x.

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Cusanus und Böhme. Auch Ernst Cassirer befasst sich in seiner 1906 verfassten Studie über Cusanus (veröffentlicht in: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Vol. 1 [Reprint Darmstadt 1994, S. 21– 61]) mit den Wurzeln des modernen Individuums im Spätmittelalter. Bei allen Unterschieden sind sich Buber und Cassirer in ihrer Einschätzung von Cusanus als „dem ersten neuzeitlichen Denker“ einig. Diese Cusanus-Rezeption bei den jüdischen Neukantianern ist in diesem Aufsatz nicht mein Thema. Anderswo habe ich diese Fragestellung in Bezug auf Cassirer ausführlich dargestellt.38 Für meine Diskussion hier ist es nur wichtig, die folgenden zwei Punkte zu betonen: Erstens, Klibanskys Edition des lateinischen Eckhart entstand direkt aus dem Projekt der Cusanus-Ausgabe der Heidelberger Akademie und ist stark mit den Ideen Cassirers verbunden. Das spätere Interesse Ernst Cassirers an dem Cusaner verbindet sich dann mit Raymond Klibanskys Forschungen über Cusanus wie auch über den lateinischen Eckhart. Zweitens sollte man sich daran erinnern, dass gerade die lateinischen Schriften Eckharts eine der Hauptquellen des Cusanus gewesen sind und dass eine der wichtigsten Handschriften von Eckharts lateinischen Werken bis heute in der Bibliothek des Kardinals liegt. Dass die Idee der Edition von Eckharts lateinischen Schriften in der Heidelberger Akademie als Folge der Cusanus-Edition entstanden ist, betonen verschiedene Teilnehmer an der oben beschriebenen Debatte von 1934 und auch später. Josef Koch selbst beschreibt es in seinem Bericht an die Notgemeinschaft folgendermaßen: „Herr Klibansky und ich kamen unabhängig voneinander durch die Beschäftigung mit Nicolaus Cusanus zur Einsicht, das Eckhart zuerst herausgegeben werden müsse, ehe man eine gute Cusanus-Ausgabe machen könne“.39 Die wichtigste gemeinsame Motivation, die die Beschäftigung mit dem lateinischen Eckhart und dem Cusaner verbindet, liegt wohl in der Betonung einer europäischen, extraterritorialen und außerdeutschen Genialität. Die CusanusFigur bei Cohen, Cassirer und Klibansky stellt eine globale Renaissancefigur dar, keinen deutschen Helden. Im Sinne von Klibanskys Monographie aus dem Jahr 1939 The Continuity of the Platonic Tradition during the Middle Ages (London 1939) stand Cusanus, wie andere Figuren des Spätmittelalters und der Renaissance, in einer kontinuierlichen Tradition. Der Nationalheld wäre

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Vgl. Yossef Schwartz, „Ernst Cassirer on Nicholas of Cusa. Between Conjectural Knowledge and Religious Pluralism“, in: The Symbolic Construction of Reality. The Legacy of Ernst Cassirer, hg. von Jeffrey A. Barash, Chicago / London 2008, S. 17–39. Josef Koch, Bericht an die Deutsche Forschungsgemeinschaft vom 22. März 1935 (MeisterEckhart-Archiv, Sign.: mea-gga-i-bw-1935-03-22).

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natürlich der ‚deutsche‘ Martin Luther gewesen, so wie bei Weber und Troeltsch. Der Eckhart der Pariser Quaestionen, der Pariser Magister des Opus tripartitum, kann nämlich als Vorläufer des Cusaners dargestellt werden. Es ist aber nicht der arisch-deutsche Eckhart, nicht der Vorläufer des anderen berühmten Erfurters Martin Luther. So stellt die neukantianische EckhartCusanus-Linie eine doppelte Alternative dar: zu Descartes und dem cartesianischen Neuanfang des abendländischen Geistes der Moderne einerseits und zum deutsch-arischen Paradigma der Säkularisation und Moderne andererseits, das vor allem mit der Figur Luthers und mit der historischen Rolle des Protestantismus bei den Mechanismen der Modernisierung und Säkularisierung verbunden ist. 3.3 Eckhart der Häretiker – Mauthner, Brunner und Landauer Die oben (in Paragraph 3.1) erwähnte Geschichte der Ignoranz jüdischer Wissenschaftler gegenüber Eckhart erscheint noch merkwürdiger angesichts der Tatsache, dass rund um das fin de siècle jüdische Autoren ein deutliches Interesse gerade für den deutschen Eckhart entwickelten. Bei Martin Buber geht das Interesse so weit, dass er Eckharts Denken mit der jüdischen Mystik parallelisiert. Um Buber, dessen Eckhart-Lektüre im folgenden Abschnitt dargestellt wird, richtig zu kontextualisieren, muss man jedoch zuerst einige andere Figuren aus seinem engeren Milieu betrachten, welche ein ähnliches Interesse an dem deutschen Eckhart gehabt haben, ohne es aber explizit mit jüdischen Themen zu verbinden. Das trifft vor allem auf Gustav Landauer, Fritz Mauthner und Constantin Brunner zu, von denen im Rahmen dieses Aufsatzes nur Landauer etwas ausführlicher dargestellt wird. Unter dem Titel Meister Eckharts mystische Schriften in unsere Sprache übertragen veröffentlichte Gustav Landauer 1903 die erste große Übersetzung der Schriften Eckharts aus dem Mittelhochdeutschen in modernes Deutsch – und im gleichen Jahr erschien auch sein sprachphilosophisches Werk Skepsis und Mystik: Versuch im Anschluss an Mauthners Sprachkritik. Unter den Zitaten, die Landauer als Motti für dieses Buch wählt, ist auch eine Passage aus seiner eigenen Übersetzung von Meister Eckhart. Dasselbe Zitat aus Eckharts Schriften verwendete Landauer bereits zwei Jahre früher als Motto für seine ihrerseits programmatische Schrift „Durch Absonderung zur Gemeinschaft“:40

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Gustav Landauer, „Durch Absonderung zur Gemeinschaft“, in: Die neue Gemeinschaft, hg. von Heinrich und Julius Hart, Gustav Landauer und Felix Hollaender, Leipzig 1901, S. 45–68; auch in: Gustav Landauer, Zeit und Geist, hg. von Rolf Kauffeldt und Michael Matzigkeit, Regensburg 1997, S. 80–99, hier S. 80.

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[…] darum bitte ich Gott, daß er mich Gottes quitt mache. Denn unwesenhaftes Wesen ist über Gott und über Unterschiedenheit […]. In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge, und wollte ich, so wäre ich nicht noch alle Dinge, und wäre ich nicht, so wäre Gott nicht. Es ist nicht nötig, dies zu verstehen. Dieses Zitat ist einer der berühmtesten und zugleich radikalsten Predigten Eckharts entnommen, der deutschen Predigt 52 nach der Kohlhammer-Ausgabe, der Nr. 32 in der Quint-Übersetzung.41 Kurt Flasch meint, dass es in der modernen Forschung – genau wie zu Eckharts Zeit – eine Tendenz gab, die radikale Aussage dieser Predigt abzumildern.42 Von einer solchen Abmilderungsbemühung ist Landauer hingegen freizusprechen. Er interessierte sich in erster Linie für den politischen Inhalt des mittelalterlichen Textes, der ihn in der Folge zu seiner anarchistischen Haltung inspirierte – und aus dieser wiederum interpretierte er Eckharts Texte. So war Landauer sicherlich zu ‚politisch‘, um von Eckhart-Spezialisten ernst genommen zu werden, und zu anarchistisch, um von einem breiten Publikum rezipiert zu werden. In der Tat wurden seine Eckhart-Lektüre und Eckhart-Übersetzung in akademischen Kreisen kaum wahrgenommen, nicht einmal als Objekt der Kritik.43 Landauers Übersetzung nutzt die ‚dichterische Freiheit‘ für seine Übersetzung und lässt manches weg: „Mit der Freiheit, die Liebe und Verehrung gibt, habe ich in dieser Ausgabe der Mystischen Schriften Meister Eckharts alles weggelassen, was uns nichts sagt. Meister Eckhart ist zu gut für historische Würdigung; er muß als Lebendiger auferstehen.“44 Und weiter heißt es:

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Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate, hg. und übersetzt von Josef Quint, München 1955. Diese Predigt wurde von Georg Steer im Rahmen des Projekts der Lectura Eckhardi neu ediert und von Kurt Flasch neu übersetzt und kommentiert. Vgl. Kurt Flasch, „Predigt 52: ‚Beati pauperes spiritu‘ “, in: Lectura Eckhardi i, hg. von Georg Steer und Loris Sturlese, Stuttgart / Berlin / Köln 1998, S. 163–199; vgl. auch Cornelia Rizek-Pfister, Ein Weg zu Meister Eckharts Armutspredigt, Bern / Berlin et al. 2000. Flasch, „Predigt 52“ (1998) [Anm. 42], S. 188. Zu der parallelen radikalen Deutung der gleichen Stelle aus ns-Perspektive bei Alfred Rosenberg siehe unten, Anm. 56. Erst im letzten Jahrzehnt wurde Landauers Beschäftigung mit Eckhart neu thematisiert; vgl. Thorsten Hinz, Mystik und Anarchie: Meister Eckhart und seine Bedeutung im Denken Gustav Landauers, Berlin 2000 und Joachim Willems, Religiöser Gehalt des Anarchismus und anarchistischer Gehalt der Religion? Die Mystik Gustav Landauers zwischen Meister Eckhart und Martin Buber, Ulm 2001; Yossef Schwartz, „Martin Buber and Gustav Landauer: The Politicization of the Mystical“, in: Martin Buber: Neue Perspektiven / New Perspectives, hg. von Michael Zank, Tübingen 2006, S. 205–219. Gustav Landauer, Meister Eckharts mystische Schriften in unsere Sprache übertragen, Wetzlar 1978 (1. Auflage Berlin 1920), S. 7.

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Ich bemerke hier, daß sich in dem, was in diese Ausgabe nicht aufgenommen ist, viel Bezeichnendes für die Naturanschauung Eckharts und seiner Zeit findet, wie auch sonst manches kulturhistorisch Interessante. Aber dies Buch verfolgt durchaus keine historischen Ziele; wer Geschichte erforschen will, muß sich ja jeden Falles an das Original halten. Ebensowenig geht dieser hier herausgebrachte Meister Eckhart auf Erbauung oder Ethik […]. Aber mein Ziel ist lediglich: der lebendige Eckhart. Er wirke in diesem Bande durch seine eindringende Skepsis, durch sein Ringen um die Welterkenntnis und Selbsterkenntnis, durch seine dichterische Gewalt, seine königliche Sprache und sein grundgütiges lebensfreudiges Wesen. Alles andere geht nur die Gelehrten an.45 Die verwendeten Superlative haben verschiedene Hintergründe: Es geht hier um die Bewertung von Eckharts Denken als einem Höhepunkt abendländischer Spekulation, wobei Eckhart sich in eine lange Folge philosophischer Figuren einreiht: Es geht eine Linie, die bei den Neuplatonikern sicher nicht anfängt, aber doch zum erstenmal mit Sicherheit festzustellen ist, die dann in Dionysius Areopagita wohl im fünften Jahrhundert ihren ersten Höhepunkt findet, in Scotus Eriugena im neunten ihren zweiten, die dann nachhaltig die Scholastiker, Realisten und panpsychistischen Sekten des Mittelalters berührt, bis sie in Meister Eckhart ihren dritten und höchsten Gipfel erreicht.46 Aber Landauers Eckhart ist nicht nur der geniale Philosoph, sondern ein politisch-theologischer Held. Denn als religiöses Individuum, das die besten Seiten mittelalterlicher Religiosität verkörpert, ist er viel mehr ein ‚Lebemeister‘ als ein ‚Lesemeister‘,47 und seine Welteinstellung steht in engem Zusammenhang mit seinem ketzerischen Ruhm. „Der Größte all dieser ketzerischen mystischen Skeptiker war unser Meister Eckhart, der mit gewaltigen Mitteln unternahm, wovon bei Spinoza nur Spuren zu finden sind und was fünf Jahr-

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Landauer, Meister Eckharts mystische Schriften (1978) [Anm. 45], S. 149. Gustav Landauer, Skepsis und Mystik, Köln 1923 (1. Auflage 1903), S. 46. Vgl. Landauer, Meister Eckharts mystische Schriften (1978) [Anm. 45], S. 135: „Es spricht Meister Eckhart: Nötiger wäre ein Lebemeister als tausend Lesemeister; aber lesen und leben ohne Gott, dazu kann niemand kommen“; zum Original vgl. Franz Pfeiffer, Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, Bd. ii: Meister Eckhart, Göttingen 1914 (1. Auflage 1857), S. 599; Hinz, Mystik und Anarchie (2000) [Anm. 44], S. 74.

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hunderte später dem Kant-Schüler und Boehmespross Schelling nicht gelingen wollte: Pantheismus und kritische Erkenntnistheorie in Harmonie zu bringen.“48 So hat Landauer disparate Elemente zu einem einheitlichen Denken verbunden: Anarchismus und Sprachkritik, Mystik und Sozialismus, Philosophie und Judentum hat er miteinander vermengt und daraus ein intellektuelles Programm destilliert. Er selbst sah alle diese Denkrichtungen als von einem einzigen politischen Gedanken motiviert. Seine Sprachkritik diente ihm, wie auch Mauthner, als Ausgangspunkt für eine umfassende Gesellschaftskritik.49 In seinem romantischen ‚Anarcho-Sozialismus‘ – bzw. in den Worten Georg Lukács’ (und Michael Löwys) ‚romantischen Antikapitalismus‘50 – greift Landauer auf die Schriften Eckharts zurück. Nicht zuletzt entwickelte er aus seiner Lektüre Eckharts das Konzept eines mystischen Anarchismus, das einerseits mit dem Pjotr Kropotkins und der anarchistischen Tradition des 19. Jahrhunderts, andererseits mit Fritz Mauthners Sprachkritik in Beziehung steht. Wie er in der in Martin Bubers Reihe „Die Gesellschaft“ erschienenen Monographie Die Revolution51 formulierte, sah sich Landauer als Teilnehmer an einer europäischen Revolution und als überzeugten Vertreter eines universellen Utopismus.52 Beide, die europäische Revolution und der universelle Utopismus, tragen keine spezifisch ‚jüdischen‘ Merkmale. In seinem Aufsatz „Kultur des Mittelalters“ von 1907 unterscheidet Landauer im Sinne von Novalis zwischen Christentum und Christenheit und identifiziert sich als modernes Individuum mit der europäischen ‚Christenheit‘ als der einzigen wahren Kultur der Moderne. „Auch das Judentum hat, so paradox es klingt, sein christliches Mittelalter hinter sich, und die Juden der letzten Jahrhunderte gehen denselben Weg

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Landauer, Skepsis und Mystik (1923) [Anm. 45], S. 47. Jahre später wird Mauthner sowohl die „ketzerische Freiheit“ Eckharts als auch seinen scholastischen Pantheismus betonen. Vgl. Fritz Mauthner, Der Atheismus und seine Geschichte im Abendland, Stuttgart / Berlin 1924, Bd. 1, S. 342–344. So schreibt er an Mauthner: „Gewiss ist Sprachkritik untrennbar zu dem gehörig, was ich meinen Anarchismus und Sozialismus nenne“. Vgl. Thomas Regehly, „Die Welt ist ohne Sprache: Bemerkungen zur Sprachkritik Gustav Landauers, ihren Voraussetzungen und Konsequenzen“, in: Gustav Landauer (1870–1919), hg. von Leonhard M. Fiedler, Renate Heuer und Annemarie Taeger-Altenhofer, Frankfurt a.M. 1995, S. 219–245, hier S. 219. Vgl. Michael Löwy, Erlösung und Utopie, Berlin 1997, S. 49; die gleiche Terminologie verwendet schon Lukács. Vgl. Georg Lukács, Die Theorie des Romans, Neuwied / Berlin 1971 (1. Auflage 1920), S. 13. Gustav Landauer, Die Revolution, Frankfurt a.M. 1907. Vgl. Norbert Altenhofer, „Tradition als Revolution: Gustav Landauers ‚gewordenwerdendes Judentum‘“, in: Jews and Germans from 1860 to 1933: The Problematic Symbiosis, hg. von David Bronsen, Heidelberg 1979, S. 173–201.

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des Verfalls und Übergangs wie alle andern, gleichviel, ob sie noch einmal zu selbstständigem Volkstum kommen oder nicht.“53 Landauers Eckhart-Begeisterung und seine darauf gründende Mystik sind Teil einer bemerkenswerten Eckhart-Rezeption, die in einem bestimmten kulturellen und sozio-historischen Kontext entstand. 1911 konzentrierte sich etwa Fritz Mauthner in seinem Wörterbuch der Philosophie unter dem Stichwort ‚Mystik‘ auf die Figur Eckharts und beschreibt die Eckhartschen Schriften als Höhepunkt mystischer Spekulation überhaupt. Es soll Mauthner gewesen sein, der Landauer mit Meister Eckhart bekannt machte, und umgekehrt lassen sich zumindest Spuren eines Einflusses Landauers auf Mauthners Rhetorik in seiner Eckhart-Begeisterung erkennen. „Ich wage es nicht“, so Mauthner, „einen objektiven Auszug von Eckharts Mystik zu versuchen; ich würde der Gefahr unterliegen, zuviel Modernes in ihn hineinzulassen; ich liebe ihn zu sehr.“54 Als primäres Lesematerial schlägt Mauthner vor: „Wer Meister Eckharts Mystik glücklich erleben will, wie man einen Sonnenaufgang erlebt, der lese seine Schriften entweder in der guten Pfeifferschen Ausgabe (sie ist nicht mehr musterhaft für Philologie, aber sie ist die beste, weil die einzige) oder in der freien und feinen, ‚in unsre Sprache übertragenen‘ Auswahl von Gustav Landauer.“55 Die damals schon erschienenen zwei Bände von Herman Büttners Übersetzung56 wurden von Mauthner nicht einmal erwähnt! Tatsächlich bestand zwischen Landauer und Mauthner eine fruchtbare Freundschaft und Zusammenarbeit, aber auch mit anderen jüdischen Intellektuellen im anarchistischen Umkreis stand Landauer in Verbindung, und er scheint eine Art Verbindungsfigur gewesen zu sein. Auch mit Constantin Brunner und Martin Buber verband

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Gustav Landauer, „Die Kultur des Mittelalters“ (1907), in: ders., Zeit und Geist (1997) [Anm. 23], S. 143–159, hier S. 145. Fritz Mauthner, „Mystik“, in: Wörterbuch der Philosophie, hg. von dems., Bd. 2, München 1911, S. 115–134, hier S. 125. Fritz Mauthner, Mystik (1911) [Anm. 55], S. 125. Vgl. auch Alfred Rosenbergs fast symmetrisches Spiegelbild in: Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts: Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, 31.–34. Auflage, München 1934 (1. Auflage 1930), S. 221: „Die beste Arbeit und zugleich eine in die Tiefe gehende Würdigung hat H. Buettner gegeben (Meister Eckeharts Schriften und Predigten, 2 Bände). Seiner hochdeutschen Übertragung bin ich gefolgt. Es wäre zu wünschen, dass der Verlag E. Diederichs, Jena, eine ganz billige, vielleicht gekürzte Volksausgabe des Werkes herstellen ließe. Es gehört als erste Schrift in jedes deutsche Haus.“ In der Edition von 1934 fügt Rosenberg noch einen kurzen – in unserem Zusammenhang sehr wichtigen – Satz hinzu: „Wie ich erfahre, ist seit 1931 die Herausgabe der gesamten Werke Eckharts in Vorbereitung. Es ist höchste Zeit geworden!“ Meister Eckeharts Schriften und Predigten, übersetzt von Herman Büttner, Bd. 1, Leipzig 1903; Bd. 2, Leipzig 1909.

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ihn eine enge Freundschaft. Mit Brunner57 war Landauer trotz ihrer unterschiedlichen politischen Temperamente befreundet, und als Lektor des Karl Schnabel Verlags betreute er die Veröffentlichung von Brunners erstem großen Werk Die Lehre von dem Geistigen und vom Volk (1908). In „Die Kultur des Mittelalters“ bedankt sich Landauer bei seinen zwei Freunden und betont die Rolle, die sie bei der Entwicklung seines Denkens gespielt haben. „Ich gedenke an dieser Stelle, und könnte seiner an mancher anderen gedenken, des großen Werkes von Constantin Brunner: Die Lehre von dem Geistigen und vom Volke. – Hier will ich auch denen, die es wissen, sagen, daß ohne Fritz Mauthners große Arbeit der Sprachkritik viele Sätze dieser Schrift nicht so, wie sie sind, dastünden.“58 Und auch Brunner entwickelte eine Art spinozistischen Freidenkens und anarchistischer Religiosität, und auch bei ihm, vor allem in seinem Werk Unser Christus oder das Wesen des Genies, geht es um eine besondere Deutung der Lehre Eckharts, wobei Spinoza, Jesus und Eckhart die höchste Stufe der absoluten, denkenden Genialität, die auch ‚Mystik‘ genannt werden könne, repräsentieren.59 Noch stärker war die Verbindung zwischen Landauer und Buber: eine enge geistige wie auch politische diskursive Innigkeit, die sich nicht zuletzt in den verschiedenen editorischen Projekten äußerte, die Buber nach Landauers Tod sowohl im deutschen wie auch im hebräischen Raum ausführte. Die geistige Verwandtschaft lokalisiert sich in einer frühen Phase von Bubers intellektueller Entwicklung, während seiner intensiven Beschäftigung mit jüdischer Mystik und Weltmystik und noch bevor er sich während des Ersten Weltkrieges der dialogischen Philosophie des Ich und Du zuwandte. Die politische Verwandtschaft zwischen den beiden basiert auf einem ähnlichen sozialen Engagement, das in Bubers eigenen politischen Schriften wie auch in seiner Edition von Landauers Nachlass zum Ausdruck kommt. 3.4 Eckhart und die jüdische Mystik – Buber und Scholem Zuletzt möchte ich aus der im letzten Abschnitt behandelten Gruppe zwei Gelehrte separat behandeln, diejenigen nämlich, die das allgemeine anarchoreligiöse Interesse an der Figur Eckharts mit einem besonderen Interesse an

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Brunners eigentlicher Name war Arieh Leo Yehuda Wertheimer, er wurde 1862 in Hamburg geboren und starb in der Emigration 1937 in Den Haag. Landauer, „Kultur des Mittelalters“ (1997) [Anm. 54], S. 144, Anm. 1. Constantin Brunner, Unser Christus oder das Wesen des Genies, Köln / Berlin 1958 (1. Auflage 1921), S. 11–79. Zum Verhältnis zwischen Landauer und Buber vgl. u.a. Martin Buber, Pfade in Utopia: Über Gemeinschaft und deren Verwirklichung, Heidelberg 1985, zu Landauer insbesondere S. 91–109; S. 315–348.

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der spezifisch jüdischen Mystik zu verbinden suchten. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war es ohne Zweifel Martin Buber, der diese Tendenz als ihre zentrale Figur repräsentiert hat. Wie schon oben erwähnt, stand Buber in seiner frühesten Auseinandersetzung mit Cusanus der von Ernst Cassirer gleichzeitig verfassten CusanusDeutung sehr nahe. Bubers Programm jedoch, vor allem während der 1910er Jahre, zielt auf die grundsätzliche Möglichkeit und Legitimität einer jüdischen Mystik überhaupt. Konnte jemand wie Adolf Lasson, in einer Linie mit Ernst Renan, behaupten, dass „Judenthum und Mystik sich ausschließende Gegensätze [sind]“,60 so wendet sich Buber an seine Kreise von jüdischen und nichtjüdischen Freunden mit seinen neu veröffentlichten Büchern zu den Erzählungen von Rabbi Nachman und zum Baal Shem Tov, um das Gegenteil zu beweisen. Nach Buber war die jüdische Mystik dazu besonders geeignet, ein „vergleichendes Mystikverständnis“ zu befördern, so wie er es in seinen Ekstatischen Konfessionen skizzierte. So sandte Buber 1906 eine Ausgabe seiner Erzählungen über den Rabbi Nachman an Hugo von Hofmannsthal, zusammen mit einem Brief, in dem er einen kurzen Abschnitt von Rabbi Nachman zitiert, um ihn dann zusammen mit Meister Eckhart und den Upanischaden zu deuten.61 Auch Bubers Auswahl bestimmter Zitate in dem Band reflektiert sein antiintellektuelles Verständnis des Mystischen als ekstatisches Erlebnis. In der Identifizierung zwischen chassidischer Religiosität, Eckhart und indischem Denken (Upanischaden) hofft Buber zeigen zu können, dass ein gemeinsamer mystischer Begriff der Abgeschiedenheit von allen weltlichen Elementen als Zugang zum inneren Sinn des Universums auch in jüdischen mystischen Schriften vorhanden ist. So behauptet Buber gleichsam in direkter Reaktion auf das oben zitierte Wort Lassons: „die mystische Anlage ist den Juden von Urzeiten her eigen“.62 Die Formulierung eines Gott-orientierten Nihilismus als eigenartiges Phänomen der frühen modernen jüdischen Mystik und ihre Verbindung zur Sprachkritik werden häufig mit Gershom Scholems Sprachtheorie der Kabbala und mit seinen Studien zu den häretischen Bewegungen (‚Erlösung durch Sünde‘) identifiziert. Genauso wie bei Scholem erst Jahrzehnte später, so haben bei Buber bereits in dieser frühen Phase solche historischen Aussagen und

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Siehe Adolf Lasson, Meister Eckhart, der Mystiker: Zur Geschichte der religiösen Spekulation in Deutschland, Berlin 1868 (Nachdruck Aalen 1968), S. 2. Martin Buber, Briefwechsel, n. 95 (15.3.1906), in: ders., Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, hg. von Grete Schaeder, Heidelberg 1972, Bd. i, S. 237f. Martin Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman, Frankfurt a.M. 1906, S. 5.

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Beschreibungen weniger mit kritischer Lektüre neuer historischer Dokumente zu tun als vielmehr mit philosophischen, politischen und religiösen Ideen. Bereits in seinem kurzen Beitrag „Buddha“ (1907)63 spricht Buber von Mystik als einem jener Phänomene, die nicht auf der theoretischen Ebene bleiben dürfen, sondern in eine Tat transformiert werden müssen. Ein weiterer Beitrag, „Der Altar“ (1914),64 beginnt mit Meister Eckhart und behauptet den christlichen Gottmenschen als aktive und einheitliche Kraft: „Er, der Einige, bildet die Welt zur Einheit“.65 Das Motiv findet sich in weiteren kurzen Beiträgen etwa zum „Heroen“66 und zu „Bruder Leib“.67 In all diesen früheren Schriften setzt Buber „Tat“, „Held“, und „Spiel“ gleich, um den genauen Platz des Politischen in der Realität und dem Erlebnis anzudeuten. Das ist eine der Hauptrichtungen, in welche Buber eine ganze Generation zentraleuropäischer jüdischer Intellektueller gelenkt hat, die ihre eigene jüdische und zionistische Identität in einer Version entdeckt haben, die von Scholem – selbst einer dieser jüngeren Intellektuellen – oft als anarchistisch bezeichnet wurde.68 1916 legt Buber in Leipzig (Kurt Wolff Verlag) unter dem Titel Vom Geist des Judentums einen Sammelband seiner Gespräche und Einführungen aus den früheren Jahrzehnten vor. Der Band enthielt etwa seine Einführung zu Rabbi Nachman von 1906 und zu den Legenden des Baal Shem von 1907. Darüber hinaus enthielt der Band vor allem die zwischen 1912 und 1914 gehaltenen Reden und Vorlesungen: „Der Geist des Orients und das Judentum“, „Jüdische Religiosität“, „Der Mythos der Juden“, „Die jüdische Mystik“. Das einigende Band dieser Beiträge ist die These, dass der Jude im Rahmen einer neuen Theorie einer Rassen- und Völkerpsychologie verortet wird. Dabei wird der Jude, der semitische Typ, dem Griechen als dem idealen Arier gegenübergestellt. Der Grieche kontempliert die Welt, während der Jude sich mit Entscheidung und Akt, letztlich mit der Tat beschäftigt.

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Martin Buber, Ereignisse und Begegnungen, Leipzig 1917, S. 3–9. Buber, Ereignisse (1917) [Anm. 64], S. 13–21. Buber, Ereignisse (1917) [Anm. 64], S. 21. Buber, Ereignisse (1917) [Anm. 64], S. 37–48. Buber, Ereignisse (1917) [Anm. 64], S. 49–60. Vgl. Scholem, Tagebücher (1995) [Anm. 5], insbesondere S. 116–121 (22.5.1915), wo Bubers Entdeckung der jüdischen Mystik und sein Begriff eines jüdischen Mythos als Wegbereiter der Messias beschrieben werden: „Er fand den Chassidismus wieder aus den Trümmern eines Jahrhunderts, er fand die Kette der Mystik und den nationalen Mythos, der von der Jugend her durch sein Volk ging, und er schrieb diesen Mythos auf […]. Aber er war nicht der Erlöser … Er wollte nur den Weg bereiten dem Größern nach ihm […]“.

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Fazit

Die Politisierung der Mystik in einer Theorie der Tat spiegelt wider, was später von ns-Autoren gefeiert wurde. Wie schon oben erwähnt, entsteht die Symmetrie zwischen Landauer und Buber am ehesten dann, wenn man Alfred Rosenbergs Mythus des zwanzigsten Jahrhunderts, vor allem den dritten Teil („Mystik und Tat“) hinzuzieht. Die weiter oben zitierte Stelle aus der Armutspredigt Eckharts, die von Landauer als Motto zweier seiner zentralen Werke ausgewählt wurde, hat auch Rosenberg im gleichen Kontext zitiert.69 Haben Landauer, Mauthner und Buber Büttners Übersetzung völlig ignoriert, so hat Rosenberg die gleichen Stellen von Büttner zitiert, dessen Übersetzung er sehr lobte, ohne Landauers Namen auch nur einmal zu erwähnen.70 Rosenbergs politico-mystische Deutung der Eckhart-Stellen wurde jedoch bei den jüdischen Autoren bereits eine Generation früher entwickelt. Alle hier behandelten Figuren haben sich in ihrem Denken zwischen Säkularisation und Moderne bewegt, denn für die deutsch-jüdischen Intellektuellen wurde die Säkularisation vor allem als Neubearbeitung religiöser Inhalte zur Herausforderung. Als kulturelle Minderheit in einer säkularen Gesellschaft durchlebten die deutschen Juden schon früh jene Konflikte, die die entstehende multikulturelle Gesellschaft der Moderne prägen sollten, was unbedingt mit der besonderen sozialen Struktur Mitteleuropas und insbesondere Deutschlands zusammenhängt. Eine besondere Rolle innerhalb dieser politischen, kulturellen und sozialen Konflikte spielen Begriffe wie Mystik und Mittelalter bzw. historische Figuren wie Meister Eckhart. Ingeborg Degenhardt stellt in ihrer Monographie Studien zum Wandel des Eckhartbildes71 die Neuentdeckung Eckharts am Anfang des 19. Jahrhunderts in den Kontext einer doppelten Reaktion der Romantik auf die Aufklärung. Erst wurden Begriffe wie Gefühl, Akt, Individuum und schöpferische Tätigkeit gegen das Vernunftideal des aufklärerischen Rationalismus neu aufgewertet, danach wurde der besondere deutsche Geist im Gegensatz zu einem Universalismus entdeckt, der seinerseits stark von französischen und englischen Quellen geprägt war.72 Pfeiffers deutsche Ausgabe von Eckharts Schrif69 70

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Rosenberg, Mythus (1934) [Anm. 56], S. 225. Niklaus Largier betont diese Verbindung zwischen Büttner und Rosenberg. Vgl. Niklaus Largier, „Mystik und Tat. Zur populär-publizistischen Eckhart-Rezeption zwischen 1900– 1940“, in: Mittelalter-Rezeption iv: Medien, Politik, Ideologie, Ökonomie, hg. von Irene von Burg et al., Göppingen 1991, S. 30–34. Largier erwähnt jedoch mit keinem Wort die hier behandelten jüdischen Autoren, die die gleiche Philosophie der Tat entwickelt haben. Ingebord Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes, Leiden 1967. Vgl. Degenhardt, Studien (1967) [Anm. 72], S. 105 f.

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ten, die 1857 erschien, schürte die romantische Beschäftigung mit seinem Denken im Besonderen und mit der Mystik im Allgemeinen. So wird er von Joseph Bach 1864 schon im Titel seiner Studie als „Vater der deutschen Speculation“ bezeichnet und von Adolf Lasson 1868 als Hauptfigur der „religiösen Speculation in Deutschland“ auserkoren (Meister Eckhart der Mystiker. Zur Geschichte der religiösen Speculation in Deutschland), während Wilhelm Preger in seiner Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter die Besonderheit deutscher Mystik formuliert: „Denn Deutschland ist der eigentliche Boden für die Geschichte der Mystik im Mittelalter. Der Sinn für die unmittelbare Empfindung und Bewahrung des Idealen, welchen wir Gemüth nennen, ist nicht der gleiche in den verschiedenen Volksnaturen. Er zeigt sich bei keiner reiner, tiefer und stärker als bei der germanischen“.73 Während des 19. Jahrhunderts wurde Eckhart nämlich geradezu zu einer Schlüsselfigur deutscher kultureller Identität. Dabei wurde er als treuer Anhänger des Katholizismus und der Scholastik, als der große Vorläufer Martin Luthers, als Sozialist bzw. Volksheld Deutschlands beschrieben74 und vor allem als Begründer der deutschen Sprache und des deutschen ‚Geistes‘ angesehen. In diesen Kontext muss auch die jüdische Eckhart-Begeisterung gestellt werden, wobei die große Herausforderung jener romantisch veranlagten deutschen Juden mit der Frage verbunden war, inwiefern dieser Raum des germanischen Geistes auch dem Juden einen Platz lässt. Mehr noch: Ließe sich die jüdische Identität mit oder ohne ‚Judentum‘ bestimmen? Oder anders formuliert: Wie findet man den Weg zum originär Jüdischen durch den Komplex von rassentheoretischen und kultur-religiösen Definitionen? Die jüdische Beschäftigung mit Eckhart stellte also eine weitere Identifikationsmöglichkeit im deutschen Kulturraum dar. Die hier behandelten Denker hatten dabei ein sehr unterschiedliches Interesse an der Persönlichkeit und Lehre Eckharts. Für Klibansky sollte – in direkter Kontinuität mit Cassirers Cusanus-Deutung – der neu edierte lateinische Eckhart ein universalistisches, also nicht ethnisch-arisches Bild des Meisters unterstützen. Der Eckhart der Pariser Quaestionen sollte als innere Alternative der Scholastik funktionieren und konnte leicht als Proto-Figur des Cusaners gelten, der seinerseits als deutsche Alternative zu einem universalistischen Modell europäischer Moderne und Säkularisation fungieren konnte. Gerade die allerengste Verbindung zwischen der Lehre Eckharts und dem Judentum, nämlich seine eigenartig intensive Lektüre von Maimonides, fand

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Wilhelm Preger, Geschichte der deutschen Mystik des Mittelalters, Leipzig 1874, Bd. 1, S. 9. Vgl. Largier, Mystik und Tat (1991) [Anm. 71], S. 27–49.

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kein Interesse von Seiten jüdischer Autoren. Die anti-ekstatischen, aufklärerisch-rationalistischen Forscher der Wissenschaft des Judentums hatten kein Interesse an Eckhart gehabt; dagegen hatten die anarchistischen mystischen Denker wohl Interesse an Eckhart, aber kein Interesse an Maimonides. Ein Klibansky sah sich als Philosophie- und Kulturhistoriker des europäischen Geistes, hatte also kein Interesse an der orientalischen Lehre eines Rabby Moses Aegyptius. Auf die Idee von Koch, nach der er die Edition der lateinischen Eckhart-Ausgabe zugunsten der Edition des lateinischen Maimonides aufgeben sollte, hat Klibansky, wie wir bereits gesehen haben, empört reagiert.75 In einer interreligiösen Perspektive haben Buber und Scholem den eckhartschen Gedanken im Vergleich mit dem entstehenden Begriff einer jüdischen Mystik, angefangen vom mystischen Maimonides-Kommentator Abraham Abulafia bis hin zum Chassidismus dargestellt. Letztendlich stand Eckhart in den Augen einer Reihe von zentralen deutschjüdischen Intellektuellen für ihre verschiedenen Ideale des (jüdischen wie christlichen) Säkularisationsmodells. Für Mauthner ist Eckhart der Gestalter der deutschen Sprache und des spekulativen Denkens im Sinne einer elitären Kulturnation. Für Buber ist er der Ekstatiker, der eine eigene religiöse Erlebnissprache entwickelt. Für Brunner stellt er eine Art frühen Spinozismus dar. Für Landauer schließlich ist Eckhart vor allem der romantische ‚Lebemeister‘, der philosophische Spekulation, prophetische Sprache und erzieherische Vision verkörpert. Für alle ist Eckhart auch ein Vertreter anarchischer Religiosität und eines Anarcho-Messianismus. Gerade dies war Teil der besonderen Art von Säkularisation deutsch-jüdischer Intellektueller. Keiner war im traditionellen Sinne fromm, jeder von ihnen definierte seine jüdische Identität und sein Judentum anders. Während die ‚Wissenschaft des Judentums‘ die Judentümer zum Forschungsobjekt machte, wurde das Judentum im Zionismus zum konkreten politisch-ethnischen Programm.76 Von Landauer wurde das Judentum anarchistisch verstanden. Für 75

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Siehe oben, Anm. 30. Diese Aufgabe wurde von Koch nach dem Krieg an einen anderen seiner Schüler, Wolfgang Kluxen, weitergegeben, der zum Thema des lateinischen Maimonides 1954 promovierte, aber die kritische Edition nie veröffentlichte. Zur Veröffentlichung einer kritischen Ausgabe des Dux neutrorum kommt es erst jetzt, und zwar durch Diana Di Segni, und vgl. Moses Maimonides, Dux neutrorum vel dubiorum, Pars 1, edidit Diana Di Segni, Leuven u. a. 2019 (Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales – Bibliotheca, 17.1). Franz Rosenzweig, Gesammelte Schriften, hg. von Rachel Rosenzweig und Edith Rosenzweig-Scheinmann unter Mitwirkung von Bernhard Casper, Den Haag 1979, Bd. i, S. 165: Die Zionisten sind ein „Verein menschlicher Weltbürger jüdischer Nationalität“.

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alle diese Auslegungen gelten die Worte Michael Löwys aus seiner Schrift Erlösung und Utopie: „Das Paradoxe dabei ist, daß diese jungen Intellektuellen ihre eigene Religion erst über Vermittlung der deutschen Romantik entdecken. Ihr Weg zum Propheten Jesaja führt über Novalis, Hölderlin und Schelling.“77 Der Name Eckhart muss ebenfalls in diese Liste aufgenommen werden. 77

Löwy, Erlösung und Utopie (1997) [Anm. 51], S. 51.

kapitel 4

‚Ekkehart der Deutsche‘: Die völkische Eckhart-Deutung von Hermann Schwarz Christoph Henning

Philosophen und Sozialwissenschaftler haben in jüngster Zeit den Nationalsozialismus als Untersuchungsfeld wiederentdeckt, näher gesagt: die Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das liegt nicht nur an der Edition der Schwarzen Hefte Martin Heideggers, denn es war keineswegs nur die isolierte Figur Heideggers, sondern ein ganzes ‚Feld‘ von Philosophen, die nahezu bruchlos zum Nationalsozialismus überlaufen konnten. Diesmal sind insbesondere Moral und Rechtswissenschaften von Interesse,1 aber auch hinsichtlich der mystischen Tradition wird neu nachgedacht.2 Wie bereits in früheren Stadien der Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Erbe geht es nicht nur darum, nach institutionellen Dynamiken oder persönlichen Charakterschwächen zu forschen (dafür bedarf es kaum der Philosophie), sondern zu prüfen, inwiefern auch die Inhalte der Theorien selbst eine gewisse Offenheit, vielleicht sogar eine gewisse Tendenz in diese Richtung gehabt haben; zumindest in den damals gepflegten Lesarten derselben.3

1 Siehe etwa: Philosophie im Nationalsozialismus, hg. von Hans Jörg Sandkühler, Hamburg 2009; Moralität des Bösen: Ethik und nationalsozialistische Verbrechen, hg. von Werner Konitzer und Raphael Gross, Frankfurt a.M. 2009; Wolfgang Bialas, Moralische Ordnungen des Nationalsozialismus, Göttingen 2014; Rechtfertigung des Unrechts: Das Rechtsdenken des Nationalsozialismus, hg. von Herlinde Pauer-Studer und Julian Fink, Berlin 2014; im weiteren Sinne: Raphael Gross, Anständig geblieben: Nationalsozialistische Moral, Frankfurt a.M. 2012; Harald Welzer, Täter: Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt a.M. 2012; im Anschluss an Heideggers Schwarze Hefte pars pro toto: Peter Trawny, Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, Frankfurt a.M. 2015. Einen Teilabdruck von Hermann Schwarz’Ethik (1925) gibt es bei Werner Konitzer u. a., Vermeintliche Gründe: Ethik und Ethiken im Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2020. 2 Vgl. Mystik und Totalitarismus, hg. von Günther Bonheim und Thomas Regehly, Berlin 2013 (Böhme-Studien. Beiträge zu Philosophie und Philologie 3); Karl Baier: „ns-Mystik und militanter Zen. Die Geschichte einer Konvergenz am Beispiel Graf Dürckheims“, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 25.1 (2017), S. 90–132. 3 Titel wie Von Hegel zu Hitler hat es über Jahrzehnte hinweg gegeben (vgl. Hubert Kiesewetter, Von Hegel zu Hitler: Die politische Verwirklichung einer totalitären Machtstaatsideologie in Deutschland [1815–1945], Frankfurt a.M. 1995), wahlweise waren auch Luther, Kant oder

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Ich möchte an dieser Stelle exemplarisch prüfen, was genau es an der philosophischen Eckhart-Rezeption im frühen 20. Jahrhundert gewesen sein könnte, das eine Aneignung durch nationalsozialistisches Philosophieren ermöglicht hat. Ich tue dies am Beispiel von Hermann Schwarz, einem Religionsphilosophen, der bereits lange vor 1933 Bücher über Ethik, Erkenntnistheorie und Religion geschrieben hat. Ich beginne mit einer kurzen Vorstellung dieser eher unbekannten Person und stürze mich dann in die systematischen Untiefen der Eckhart-Interpretation vor und nach 1933.

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Wer ist Hermann Schwarz?

Zunächst möchte ich umreißen, wer dieser Philosoph namens Hermann Schwarz überhaupt ist. Er wurde im selben Jahr geboren wie Max Weber (1864), stammte aus Ostpreußen und verbrachte nach dem Tod des Vaters (man wird an Freud erinnert) drei Jahre seiner Schulzeit in den Franckeschen Stiftungen in Halle. Er dürfte dort eine pietistische Prägung erfahren haben, die ihre Wirkung nicht verfehlt hat (Schwarz schiebt immer wieder eigene Gedichte in seine Schriften ein, die im Versmaß von Chorälen verfasst sind). In seiner Studienzeit in Halle, wo er auch Mathematik studiert, begegnet er u. a. Edmund Husserl. Schwarz strebt als Außenseiter eine akademische Karriere an, was ihm allerdings schwergemacht wird – seine Habilitation fällt zunächst durch (das geschah allerdings auch Walter Benjamin oder Theodor W. Adorno), und er bleibt 14 Jahre lang Privatdozent. Erst 1910 wird er Professor in Greifswald, ein weiterer Kandidat für diese Stelle war damals Georg Simmel. Die Zeit des Darbens hat ihn allerdings nicht daran gehindert, fast jedes Jahr ein Buch zu schreiben, und das von 1892 bis 1945. Geht es dabei anfangs eher um eine kritisch-realistische Erkenntnistheorie und eine phänomenologische Ethik, widmet er sich bald religionsphilosophischen und dann metaphysischen Themen. Schließlich wendet er seinen Ansatz auch politisch – in den frühen 1920er Jahren noch abstrakt und deutschtümelnd, in den 1930er und 40er Jahren dann sehr offen für den Nationalsozialismus, den er philosophisch ‚grundlegen‘ wollte.4 Schwarz kam nach 1945 anscheinend ungeschoren davon und

Nietzsche die Antihelden, etwa bei Georg Lukács (Zerstörung der Vernunft, Berlin 1954). Meister Eckhart ist davon weitgehend verschont geblieben, obwohl ja gerade er von verschiedenen Nationalsozialisten (durchaus nicht nur von Alfred Rosenberg) als Ahnherr beansprucht wurde. Siehe dazu die anderen Beiträge in diesem Band. 4 Vgl. Hermann Schwarz, Zur philosophischen Grundlegung des Nationalsozialismus, Berlin 1936.

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hat sich bis zu seinem Tod 1951 in Darmstadt nicht distanziert; 1950 erschienen noch ein kleiner Artikel von ihm in Greifswald sowie ein selbstverfasster Eintrag in einem Personenlexikon von Werner Ziegenfuß. Sein Andenken wurde im weltanschaulich verwandten „Bund für Gotteserkenntnis“ (den sog. „Ludendorffern“) im Nachkriegsdeutschland weitergetragen, 1964 erschien zum 100. Geburtstag in Berlin unbehelligt ein Gedenkband (Volkhafte Philosophie im Aufgang: Auszüge und Gedanken, im Verlag „Deutsche Heimat“). In der Universität Greifswald, wo er 1923 Rektor war (im selben Jahr trat er in die Partei ein), hing sein Bildnis bis in die 1990er Jahre hinein, und seine Bände aus den 1930er Jahren, die in der ddr „ausgesondert“ waren, erzielen heute antiquarisch hohe Preise. Als größtes Problem des ns begriff Schwarz seine religiöse Unbestimmtheit: der ns sei eine auch religiöse Bewegung, doch habe er sich noch nicht als solche begriffen – nämlich als Bewegung, die durch brüderliche Willensverkettung das ‚Gottestum im Volkstum‘ gebäre und so ‚Ewigkeitswerte‘ schaffe. Neben der politischen Dimension gebe es also noch eine religiös-metaphysische, und diese gelte es zu ergreifen, um das Regime für die Einzelnen zum inneren Erlebnis zu machen und auf diese Weise weiter zu stärken. Das war von Schwarz keineswegs zynisch gemeint. Er meinte, was er schrieb. Diese Variante der ns-Philosophie war lange nicht so einflussreich wie die von Autoren wie Ernst Krieck, Alfred Bäumler oder Alfred Rosenberg. Doch Schwarz hatte seine Anhänger: der von Schwarz vielgepriesene Hitler selbst verlieh ihm am 22.12.1939 die Goethemedaille,5 und der Duncker-Verlag, der auch Carl Schmitt verlegte, spendierte ihm 1940 eine siebenbändige Gesamtausgabe, von dem der dritte Band sogar noch 1945 erschien (darin gibt es eine aufschlussreiche intellektuelle Autobiographie). Bibliotheken der ddr – und Schwarz verbrachte lange Jahre in Halle und Greifswald – hatten Anweisung, seine späteren Schriften aus dem Verkehr zu ziehen. Daher findet man sie nur selten oder höchstens im ‚Giftschrank‘. Im Westen hingegen blieb eine Erinnerung an sein Werk, z.B. über das Weiterleben völkischer Sekten, erhalten, beispielsweise in der Variante von Mathilde Ludendorff und ihrem ‚Tannenbergbund‘.6 Dabei war seine Version der religiösen Aufladung des Nationalsozialismus von Anbeginn an Meister Eckhart orientiert, wie ein repräsentatives

5 Vgl. Hartmut Heyck, The Goethe-Medal for Arts and Sciences, Ottawa 2009, S. 45. 6 Mathilde Ludendorff und ihr „völkischer Feminismus“ wird heute im AfD-Kontext wieder salonfähig zu machen versucht (siehe https://www.theoccidentalobserver.net/2016/05/13/​ commemorating‑mathilde‑ludendorff‑on‑the‑50th‑anniversary‑of‑her‑death, abgerufen am 5.1.2020). Dazu auch Bettina Amm, Die Ludendorff-Bewegung: Vom nationalistischen Kampfbund zur völkischen Weltanschauungssekte, Hamburg 2006.

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Geschichtswerk, die Hagiographie der ns-Philosophie von Gerhard Lehmann, anerkennend vermerkt.7 Die Grundlagen dafür waren in einem erkenntnistheoretischen Realismus,8 in ethischen Büchern seit 1900 und religionsphilosophischen Werken seit 1906 sowie dann systematisierend in der Metaphysik des Ungegebenen von 1921 gelegt worden,9 die als Neu-Fassung der Deutschen Mystik und des Deutschen Idealismus daherkam (vor allem des Fichte der Reden an die Deutsche Nation). Um diese Herkunft deutlich zu machen, erschien 1935 die Schrift Ekkehart der Deutsche,10 in der sich Hermann Schwarz – der niemals aus der protestantischen Kirche ausgetreten war – für die ‚deutsche Glaubensbewegung‘ Wilhelm Hauers stark machte, die rechts von den ‚Deutschen Christen‘ versuchte, alles sogenannte ‚Semitische‘ und Fremde aus dem Christentum auszumerzen, was die ‚Deutschen Christen‘ nur halbherzig getan hätten. Hitler verfolgte in der Kirchenpolitik ein eher hegemoniales Projekt, das die Kirchen zwar überformen, aber doch einbinden und nicht völlig ausgrenzen wollte, daher konnte er auf diesem Feld, so merkwürdig es klingt, rechts überholt werden. Das führt uns nun auf die eigentliche Frage: Wie war all dies mit Meister Eckhart möglich? Gibt es Elemente im Werk, die das erlaubten, oder haben wir es mit einem völligen Missverständnis zu tun? Ein solches bedürfte allerdings ebenfalls der Erläuterung.

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Fragen an Hermann Schwarz und seine Deutung Meister Eckharts

Ich möchte meine Ausführungen beginnen mit einem Zitat. Es gibt von Hermann Schwarz ein dickes Buch aus dem Jahr 1913 über den Gottesgedanken in der Geschichte der Philosophie, das dem Verfasser eine theologische Ehrendoktorwürde eingebracht hat – es handelt sich um eine Vor-Version des ‚Weischedel‘ von 1972, der noch für meine Generation prägend war.11 In diesem Buch finden wir in der Auseinandersetzung mit Meister Eckhart folgende Frage: 7 8 9 10 11

Vgl. Gerhard Lehmann, Die deutsche Philosophie der Gegenwart, Berlin 1943, 471. Vgl. Hermann Schwarz: Das Wahrnehmungsproblem vom Standpunkte des Physikers, des Physiologen und des Philosophen, Leipzig 1892. Vgl. Hermann Schwarz, Das Ungegebene: Eine Religions- und Wertphilosophie, Tübingen 1921. Hermann Schwarz, Ekkehart der Deutsche: Völkische Religion im Aufgang, Berlin 1935. Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen: Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus, Darmstadt 1972. Ein interessantes Detail ist, dass auch Weischedel – ebenfalls pietistisch erzogen – in den 1930er Jahren über Fichte gearbeitet hat; vgl. ders., Der Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft: Studien zur Philosophie des jungen Fichte, Leipzig 1939.

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Nun steht es bei jedem, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Freilich betont Duns Scotus stark, dass die Entscheidung gegen Gott, das Bestehen auf sich selbst und seinem Eigenwillen, immer Unseligkeit bedeute. Diese können wir nur los werden, wenn wir zu unserem egoistischen Willen ‚nein‘ und zu allem, worin sich Gottes Willen an uns wendet, ‚ja‘ sagen. Aber womit wendet sich Gottes Willen an uns? […]. Worin besteht die Bewegung aus Gott, deren Gefäß wir restlos zu sein uns anschicken?12 Die Frage an dieser Stelle ist also nicht die theologische, ob wir in dieser Frage überhaupt frei sind – diese stellt sich für Hermann Schwarz gar nicht erst, der sich darin von Fichte bestärkt sieht.13 Vielmehr wird die drängende praktische Frage gestellt, was genau wir denn eigentlich zu tun hätten, wenn wir das aus dieser Sicht als richtig Erkannte tun wollen. Der richtige Entschluss kann ja inhaltlich zunächst einmal leer sein. Das wurde nicht zuletzt dem Formalismus der Ethik Kants vorgeworfen (etwa von Hegel und Max Scheler), und noch der ‚Ruf des Gewissens‘ bei Heidegger bleibt letztlich inhaltsleer – er sagt selbst nichts Gehaltvolles, er ruft den Gerufenen ‚nur‘ zu sich selbst auf, auf sich selbst zurück. Aber was genau das konkret und praktisch heißen soll, kann den Betroffenen ein Rätsel bleiben, da hilft die Philosophie zunächst nicht viel weiter.14 Das Problem lässt sich wie folgt benennen: Der Selbstlose entleert sich von sich selbst und soll dann wie von allein wieder ‚voll‘ werden, und zwar erfüllt von Gott.15 Aber was heißt das praktisch – von was genau werden wir hier erfüllt? Und wichtiger noch: Woher wissen wir, dass das, was uns im erhofften

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Hermann Schwarz, Der Gottesgedanke in der Geschichte der Philosophie, Heidelberg 1913, S. 400. Vgl. Hermann Schwarz, „Fichtes religiöse Entwicklung“, in: Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus 4,1 (1926), S. 1–17, hier S. 11. So notierte Karl Löwith nach Heideggers Rektoratsrede von 1933, man sei sehr erregt, nur wisse man nicht, ob man nun Diels-Kranz zur Hand nehmen solle oder in die sa eintreten; vgl. Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, Stuttgart 1986. Die Rhetorik der ‚Vernichtung‘ und das ‚Anti-Humanistische‘ bei Eckhart und Fichte weckt in diesem Kontext Assoziationen ganz eigener Art. Dazu Andrés Quero-Sánchez, Sein als Freiheit: Die idealistische Metaphysik Meister Eckharts und Johann Gottlieb Fichtes, Freiburg i.Br./München 2004, S. 118–199; siehe etwa Johann Gottlieb Fichte, Vom Unterschiede zwischen der Logik und der Philosophie selbst, als Grundriss der Logik und Einleitung in die Philosophie, hg. von Erich Fuchs, in: Gesamtausgabe, Edition der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. ii.14, Stuttgart-Bad Cannstatt 2006, S. 351,24–352,3: „Wo habe ich in Schriften, oder auf dem Katheder dieses Wort Mensch je in den Mund genommen, außer etwa, um, wie eben jetzt, die Nichtigkeit, u. Sinnlosigkeit dieses Wortes zu zeigen“. Vgl. Schwarz, Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 12], S. 349: „Der wahrhaft Arme und Abgeschiedene muss sich völlig vernichten“.

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Fall irgendwann anfüllt, wirklich ‚Gott‘ ist? Ist das Kriterium, das Gott zu Gott macht, nur dies, dass er uns erfüllt, wenn wir uns selbst entleeren und nichten? Hätten wir es nicht mit einem Zirkelschluss zu tun, wenn der Beleg dafür, dass das, was mich erfüllt, wenn ich mich entleere, Gott ist, genau darin liegt, dass Gott eben das ist, was mich erfüllt, wenn ich mich entleere? Machen wir es einmal plastisch: Sagen wir, wir wollen nicht länger ‚selbstisch‘ sein (ein Leitmotiv von Hermann Schwarz über 50 Jahre hinweg), sondern stattdessen Gottes Willen tun. Aber was heißt das konkret? Zur Debatte stehen etwa: Geboten religiöser oder Geboten ethischer Art zu folgen (schon das muss praktisch nicht identisch sein), der Kirche zu dienen oder Jesus bzw. dem eigenen Gewissen nachzufolgen. In der praktischen Konsequenz kommt alles dies keineswegs auf dasselbe hinaus, obwohl man mit etwas religiöser Musikalität in jeder Variante behaupten könnte, man führe den ‚Willen Gottes aus‘.16 Daher das Drängende an der Frage: ‚Wie hat man sich zu diesem Leben zu verhalten?‘17 Diese Frage nach der Konkretisierung ist in der Eckhart-Interpretation deswegen besonders schwierig zu beantworten, weil die beiden Instanzen, die hier in ein Verhältnis gesetzt werden, im Grunde genommen ‚Nichts‘ sind, oder als Nichts behandelt werden. Einerseits soll das Aktivitätszentrum des Ichs sich selbst ‚lassen‘, also von eigenen Bestrebungen und Vorstellungen ablassen und sich in die Abgeschiedenheit begeben.18 Andererseits wird dadurch auch das göttliche Gegenüber seltsam eigenschafts- und konturlos.19 Recht verstanden, darf kein Bild und kein Begriff verwendet werden, um Gott zu beschreiben,20 denn das wäre bereits eine Vergegenständlichung Gottes, die das „Wesen Got-

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So steht sogar in Adolf Hitler, Mein Kampf, Kritische Ausgabe im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin, hg. von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger und Roman Töppel, 4. Auflage, München 2016, S. 231,18f.: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn“. Damit ist das Gottesereignis in uns gemeint; vgl. Schwarz, Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 10], S. 396. Vgl. Meister Eckhart (unsichere Zuschreibung), Von abegescheidenheit, hg. von Josef Quint, Stuttgart 1963 [1987], dw, Bd. 5, S. 413,3–4: lære sîn aller crêatûre ist gotes vol sîn, und vol sîn aller crêatûre ist gotes lære sîn. Vgl. Hermann Schwarz, Ethik, Breslau 1925, S. 89: „Leer sein von allem Erschaffenen heißt Gottes voll sein, und Erfülltsein von irgendeinem Objekt heißt Gottes leer sein“ (zitiert nach der Übersetzung von Herman Büttner; vgl. Meister Eckehart, Schriften und Predigten, Bd. 1, Jena 1919, S. 60,31–33). Siehe auch Meister Eckhart, Von abegescheidenheit, dw, Bd. 5, S. 423,3: [Abgeschiedenheit geht] ûf einem blôzen nihte (Übersetzung von Büttner, S. 64,5: „auf ein reines Nichts“). Vgl. Schwarz, Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 12], S. 369: „Gott ist überhaupt nicht gegeben“. Vgl. Schwarz, Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 12], S. 363: die Gottheit ist die „stille Wüste“.

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tes“ eben verfehlt.21 Schwarz war fasziniert von dem Gedanken, dass nach und mit Meister Eckhart im Grunde kein ‚transzendenter‘ Gott mehr übrig bleibe; nicht weil Gott tot ist, sondern weil er sich für das Denken und Erleben ‚verinnerlicht‘ hat.22 Die Substanz ist Subjekt geworden. Diese Frühform der Verdinglichungskritik hatte übrigens einen ähnlichen und nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Georg Lukács, den marxistischen Verdinglichungskritiker, sowohl über Johann Gottlieb Fichte wie über Eckhart selbst.23 Kann dieses doppelte Nichts beim praktizierenden Individuum nicht dazu führen, dass unklar bleibt, was genau nun eigentlich zu tun sei? Mystische Erfahrungen machen nicht unbedingt alltagstauglicher. Wenn inhaltliche Anhaltspunkte fehlen, werden sie von außen herangetragen, aus einer Ebene diesseits der Nichtung. Das scheint nicht anders funktionieren zu können und verleiht – pragmatisch ausgedrückt – der Verortung und den praktischen Folgen der Mystik eine gewisse Kontingenz. Denn da diese Anhaltspunkte der Mystik äußerlich sind, hat sie selbst wenig Einfluss darauf, in welche Einbettung sie gerät. Damit sind wir im Kern des Problems angekommen, auf das wir stoßen, wenn wir uns mit der nationalsozialistischen Eckhart-Rezeption (oder -Instrumentalisierung) befassen. Denn bei Hermann Schwarz tritt symptomatischerweise schon in den 1920er Jahren der völkische Nationalsozialismus genau an diese Stelle.24 Das scheint auf den ersten Blick absurd zu sein (und bleibt es auch auf den zweiten). Dennoch entbehrt es philosophisch nicht einer gewissen Stringenz. Schwarz’ Eckhartdeutung von 1913 war selbst noch unpolitisch (und wurde lange vor Alfred Rosenbergs Mythus formuliert). Doch sie konnte, als Hermann Schwarz sich um 1914, bei Ausbruch des ersten Weltkrieges, immer stärker vaterländisch begeisterte und dann in den 1920er Jahren zunehmend in Richtung der völkischen Bewegung politisierte, relativ ungebrochen in einen 21 22

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Das Wesen Gottes ist bei Schwarz, ähnlich wie bei Heidegger, verbal zu verstehen: Gott ist kein Wesen, sondern west. Vgl. Schwarz, Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 12], S. 177: „Die Lehre vom Gottesgut, das in menschliches Leben eingeht, verdrängt alle transzendenten Gottesvorstellungen und zersetzt sie“; ebd., S. 365: „Für das Bewusstsein des Abgeschiedenen ist der transzendente Gott nicht nur ethisch-religiös verschwunden, er hat auch die metaphysische Transzendenz verloren. Statt dass die Seele das Spiel der Dreieinigkeit empfängt, ermöglicht es sich jetzt in ihr“. Siehe Georg Lukács, „Von der Armut am Geiste. Ein Gespräch und ein Brief“, zuerst in: Neue Blätter 5/6 (1912), S. 66–93. Schwarz tritt bereits 1923 in die nsdap ein, tritt aber 1924 wieder aus, als Ludendorff während Hitlers Festungshaft als nsdap-Kandidat für die Wahl des Reichspräsidenten antritt. Die Schriften besonders in den späten 1920er Jahren nehmen aber zunehmend einen völkischen Charakter an.

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völkischen Nationalismus25 und später in eine „philosophische Grundlegung des Nationalsozialismus“ einmünden.26 Das ist das noch heute Verstörende an dem umfangreichen Werk von Hermann Schwarz: es ist ein nahezu bruchloser Übergang aus einer eher unspektakulären Erkenntnistheorie, Moral- und Religionsphilosophie in den philosophischen Faschismus.27 Das politische Problem dieser Philosophie ist ein Thema für sich, aber vergleichsweise einfach zu bewerten, solange wir unsere eigene liberale und demokratische Grundhaltung voraussetzen: es passt nicht zu unseren heutigen Wertüberzeugungen. Doch nicht ganz so sicher ist, ob ähnlich eindeutige Diagnosen bereits in der Eckhart-Interpretation zu finden sind. Stand das Werk Eckharts, zumindest im damaligen Diskussionsstand, nicht auch gegenüber solchen Anwendungen offen? Wir wissen, dass Schwarz mit seiner EckhartDeutung nicht allein war (seit Herman Büttners Ausgabe gab es diverse Versuche, Eckhart „deutschnational“ zu lesen) und dass es mit Gustav Landauer oder Georg Lukács auch revolutionäre Eckhart-Rezeptionen gab. Es wäre seltsam zu behaupten, dass alle diese Denker sich einfach geirrt hätten.28 Zumindest bedarf die These, die zuweilen geäußert wird (gehört habe ich sie etwa von Johann Baptist Metz), dass mystisches Denken politisch stets in Richtung Befreiung tendiere (mit Beispielen von Thomas Müntzer über Simone Weil bis zu Dietrich Bonhoeffer oder Dorothee Sölle, obzwar all dies gewichtige Beispiele sind), wohl leider der Differenzierung. ‚Leider‘ sage ich, weil ich es vorziehen würde, mit der Mystik wenigstens eine Strömung zu haben, die nicht so beängstigend ambivalent ist wie viele andere. Lässt sich das Problem also noch genauer benennen? Wir hatten als Frage festgehalten: Wenn wir uns Gott zuwenden wollen, wir aber – recht verstanden – Bilder und Begriffe von ihm ebenso in der Abgeschiedenheit zurücklassen müssen wie unser eigenes Selbst, woher können wir dann überhaupt wissen, was wir tun sollen, was wir denken dürfen?

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Vgl. Hermann Schwarz, Ethik der Vaterlandsliebe, Langensalza 1922. Vgl. Schwarz, Zur philosophischen Grundlegung (1936) [Anm. 4]. Zur zusammenhängenden Lektüre seines Werkes siehe: Christoph Henning, Der Denkweg von Hermann Schwarz: 53 Jahre Philosophie in Deutschland, Magisterarbeit tu Dresden, 1999. Zur Eckhartrezeption im Budapester Sonntagskreis, dem auch Karl Mannheim angehörte, siehe Reinhard Laube, Karl Mannheim und die Krise des Historismus: Historismus als wissenssoziologischer Perspektivismus, Göttingen 2004. Der rigorosen Deutung von Lukács stand ein liberal-pluralistischer Eckhart bei Mannheim gegenüber. Eine interessante Korrektur an der Schwarz’schen Eckhart-Deutung von 1913 bringt Ernst von Bracken, Meister Eckhart und Fichte, Würzburg 1943 an, allerdings nur in Fußnoten. Es geht dabei um die Interpretation der ‚Rückkehr‘, die Schwarz Eckhart damals als Rest-Theismus ankreidete.

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Droht hier nicht eine gewisse Beliebigkeit – ein Darwinismus des stärksten Gefühls, der umso ungehemmter den sonst unter Verschluss gehaltenen emotionalen Tiefenschichten den Ausbruch erlaubt?29 Aus der Sicht von Schwarz, der damit Meister Eckhart wiederzugeben meint, entsteht dieses Problem erst dadurch, dass ‚Gott‘ und ‚Selbst‘ hier noch als ‚verdinglichte‘ Größen30 im Denken zurückbleiben.31 So entstehe das Problem, wie das eine zum anderen kommen könne. Das sei nicht nur erkenntnistheoretisch falsch, weil dualistisch, sondern auch ethisch, denn so bleibe ein konsumierendes Ich erhalten, das mystische Erfahrungen letztlich als ‚Genuss‘ verstehe und damit Gott verfehlen müsse. Es setze ihn fälschlich als stehende Größe voraus, in die man sich einfach hineinversenken könne. Noch 1935 mokiert er sich daher über eine ‚Bienchen‘-Mystik, die nur an Gott ‚schlecken‘ wolle.32 Die Lösung sei es vielmehr, Selbst und Gott als Einheit zu begreifen; eine Einheit jedoch, die es nicht immer schon gibt, sondern die sich durch die Gottesgeburt in der Seele allererst schaffe. Gott will und erkennt in mir sich selbst, und so sind wir eins.33 Gibt es hier eine Einheit (die streng genommen etwas Drittes neben diesen beiden Größen ist, in die die beiden aufgehoben werden – die Relation „vernichtet“ die Relata), könne das eine das andere schwerlich verfehlen, denn eine solche Zweiheit gibt es nun nicht mehr. Diese Sichtweise verhilft zu einer traumwandlerischen Gewissheit, denn wenn wir eins sind, kann das eine das andere nicht mehr verfehlen. Für diesen Gedanken einer substantiellen, aber gleichzeitig prozesshaften Einheit, die die Zweiheit in sich aufnimmt und so erübrigt, nimmt Schwarz die Idee einer wesenden ‚Gottheit‘ an; ein Ungrund, den es nicht gebe (als etwas Seiendes), der aber werden will – eine Art ‚vortrinitarischer‘ Urgrund der GottWerdung in der Seele, den Schwarz bereits von Pseudo-Dionysius kennt34 und für den er sich neben Eckhart auch auf die Upanishaden bezieht. Die Unterstellung eines solchen ‚Ungegebenen‘35 ist zunächst eine Lösung ethischer und erkenntnistheoretischer Frage: Was können wir wissen, was sollen wir tun? Wir wollen etwas, darum ist es Wert – allerdings nicht im utilitaristischen Sinne. 29

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Vgl. Schwarz, Ethik (1925) [Anm. 18], S. 92: „Wir müssten alle Stimmen der Welt, alles Flüstern der eigenen Triebe schweigen lassen und ganz unser Ohr in die gottbewegte Tiefe senken“. Vgl. Schwarz, Das Ungegebene (1921) [Anm. 9], S. 71; S. 90f. Vgl. Schwarz, Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 12], S. 402: der „transzendente Irrtum“. Vgl. Schwarz, Ekkehart der Deutsche (1935) [Anm. 10], S. 28; S. 33. Vgl. Meister Eckhart, Pr. 6, hg. von Josef Quint, Stuttgart 1958, dw, Bd. 1, S. 113,7: Got und ich wir sint ein. Vgl. Schwarz, Ekkehart der Deutsche (1935) [Anm. 10], S. 53; ders., Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 12], S. 250; S. 363. Vgl. Schwarz, Das Ungegebene (1921) [Anm. 9].

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Werte gehen über individuelle Nutzenkalküle hinaus. Wenn wir aber etwas über uns hinauswollen, im ethischen, ästhetischen und kognitiven Sinne, dann sind nicht länger wir die Wollenden, sondern in unserem Wollen gebiert sich die wert-wollende ‚Ewigkeit‘. So nennt es Schwarz dann endgültig 1941, um von der Ambivalenz der Rede von ‚Gott‘ los zu kommen (der sowohl das Geborene in uns als auch das Überseiende außer uns meinen kann), aber auch dies immer noch unter Bezug auf Eckhart sowie auf den späteren Fichte. Mit Kant gesprochen, haben wir es also mit einem Primat der praktischen Vernunft zu tun, die sich gegen die ‚verseinelnde‘ Wertphilosophie etwa bei Scheler oder Nicolai Hartmann richtet, aber selbst durchaus metaphysische Ansprüche formuliert: Man kann von Werten nichts wissen, solange man nicht bereits in ihrem Sinne handelt.36 Aber in diesem Handeln wollen wir gerade nicht uns selbst, sondern das über uns Hinausreichende. Handeln wir in ihrem Sinne, dann gebären sich die Werte in uns, und dann setzt sich in uns die bisher nur ‚wesende‘ Gottheit, die metaphysische Spannung, wie Schwarz sagt, selbst. Daher die Rede von der in uns ‚handelnden Ewigkeit‘. Das ist durchaus ethisch gedacht: es geht nicht primär um Individuen, sondern um Überindividuelles – und damit auch um die anderen. Schwarz sieht sich hierin sowohl von Fichte wie von Eckhart gedeckt:37 ich ahtete verre bezzer, daz dû liezest von minne von dem und dientest dem dürftigen in mêrer minne („Es wäre viel besser, du ließest aus Liebe von der Verzückung und dientest dem Dürftigen mit größerer Liebe“).38 Der Philosoph fragt also: Was ist es genau, das sich in uns regt, wenn wir uns in die Abgeschiedenheit begeben? An genau dieser Stelle rückt bei Schwarz der erkenntnistheoretische Realismus ein:39 Hier von einer ‚Menschheit‘ zu reden, ist ihm zu abstrakt, da eine solche Menschheit ein bloßes Gedankending ist. Es wäre eine ähnliche ‚Verdinglichung‘, wie es schon die abzulehnende Rede von einem stehenden Selbst und einem seienden Gott war. Dies wären erfahrungsarme ‚Verseinelungen‘, die das Denken nicht zugrunde legen dürfe. Was mir im Handeln gegenübertritt, ist vielmehr der konkret leidende Andere, und da dieser ebenso wenig wie ich selbst aus sich selbst heraus leben kann, mit ihm zugleich die Gemeinschaft der konkreten Anderen. In der Zeit nach dem 36 37 38 39

Vgl. Schwarz, Das Ungegebene (1921) [Anm. 9], S. 121 f. Vgl. Hermann Schwarz, Fichte und Wir, Osterwieck 1917; ders., „Fichtes religiöse Entwicklung“, in: Beiträge zur Philosophie des Deutschen Idealismus 4,1 (1926), S. 1–17. Meister Eckhart, Rede der underscheidunge, hg. von Josef Quint, dw, Bd. 5, S. 221,6–8. Vgl. Schwarz, Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 12], S. 250; S. 354. Schwarz war schon in den 1890er Jahren verbunden mit einer Richtung, die sich ‚kritischer Realismus‘ nannte – wovon der Englische ‚Critical Realism‘ der 1980er Jahre übrigens keine Notiz genommen hat.

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Ersten Weltkrieg ist das für Schwarz nur mehr und ausschließlich das deutsche ‚Volk‘ – einzig dies ist für ihn und seine Adressaten real, vermutlich, weil sich nur auf dieser Ebene gemeinsam etwas wollen lasse und weil in diesen „kollektiven Intentionen“ (um Margaret Gilbert zu zitieren) wirklich etwas gefühlt wird. Die Menschheit könne nichts wollen, so Schwarz; wer dies behaupte, verstecke Interessen der Siegermächte oder kleinliche und ‚selbstische‘ Ängste vor einem Engagement in universalistischen Floskeln. Wenn wir etwas überindividuell wollen, dann sei es das ‚volkheitliche‘ Wollen und Werden, wie es ihm seit dem ‚Augusterlebnis‘ von 1914 und dann verstärkt seit den Masseninszenierungen von 1933 evident scheint. Ich fürchte, an dieser Stelle rächt sich nun der Mangel an Kriterien: Schwarz hat ja im Sinne Eckharts statische Begriffe von Gott sowie das ‚selbstische‘ Wollen seiner Individualität hinter sich gelassen. Er wartet nun in der Abgeschiedenheit, dass sich in ihm etwas rege – und siehe da, es regt sich etwas! Die Aufgewühltheit des Teilnehmens an kollektiven völkisch-militaristischen Ekstasen werden so als Geburt der ‚wesenden‘ Gottheit in den Seelen gedeutet. Eine Phänomenologie des Millenarischen würde in früheren Situationen Ähnliches finden können; nicht zuletzt Ernst Bloch hat das ja versucht. Ich möchte an dieser Stelle illustrieren, wie sich dieser Gedanke bei Schwarz über die Zeit verändert. Es sind eigentlich nur kleine Verschiebungen, die aber schließlich im Ungeheuerlichen eskalieren. Ich gehe dabei in großen Sprüngen vor.

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Stationen auf dem Weg zum philosophischen Faschismus

Das Buch über das ‚Ungegebene‘ von 1921 konnte noch auf einer Linie mit Werken von Martin Heidegger, Georg Lukács oder John Dewey gelesen werden: Die Rede ist von ‚Verdinglichung‘, von Persönlichkeitswerten und Verwesentlichung. Das Buch ist, wenn man will, post-säkular: Wir möchten wieder glauben, können aber nicht mehr, da der Weltlauf sich als katastrophal erwiesen hat und viele Institutionen versagt haben. Schwarz malt das Elend der Kriegs- und Nachkriegszeit als eine mehr als nur humanistische und politische Katastrophe, für ihn ist es eine tragische Kosmologie. Der Ausweg ist zunächst ethisch – es geht, ähnlich wie bei Eduard Grisebach oder eben Heidegger, um eine individuelle Bewährung an Werten, von denen wir uns ergreifen lassen sollen. Es erinnert von fern an jüdische Mystik, etwa an die lurianische Rede von den zerbrochenen Gefäßen. Dieses Buch riecht noch keineswegs nach Giftschrank, da sich Hermann Schwarz politisch stark zurücknimmt. Es wurde denn auch recht positiv aufgenommen. An anderer Stelle konnte er sich durchaus deutlich poli-

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tisch äußern,40 aber er scheint hier politische und philosophische Rede noch trennen zu wollen. 1928, in einem Buch mit dem Titel Gott, ist schon deutlicher vom ‚Gottestum im Volkstum‘ die Rede. Er setzt sich hier ab von einer, wie er meint, bloß individualistischen Verehrung des Vaterlandes, die erkenntnistheoretisch noch auf dem Gegensatz von Subjekt und Objekt oder ontologisch auf einer Vorhandenheitsontologie beruhe: Die Vaterlandsidee wird tiefer und quellenhafter, wenn das Erlebnis der Brüderlichkeit hinter ihr steht. Dann ist sie der lichte Schein, den die Sonne der Gemeinschaftsgeistigkeit vor sich hergehen lässt. Die Vaterlandsidee bedeutet dann keine Werterscheinung von etwas Gegebenem, von etwas, das als Volk, Land, Staat existiert. […]. An Deutschland ist die Hauptsache ungegeben, das sich selbst schaffende Einheitsleben der Willen.41 Hier ahnt man bereits, warum 1933 zu einer Erfüllung werden muss, zu einer Art Epiphanie, für die Schwarz danach der Apostel zu sein sich anschickt. Das Ungegebene ist jetzt schon ganz politisch gestimmt: es ist die objektive Möglichkeit eines neu erwachenden Nationalismus in Deutschland – sollte dieser sich ereignen, hält Schwarz schon vorab die religiösen Weihen parat. Post festum, in Ekkehart der Deutsche von 1935, wird dann eine geistige Scheindistanz zur offiziellen Doktrin des Nationalsozialismus eingenommen – indem für Schwarz nicht die Rasse allein, sondern erst die ‚geistige‘ oder willenhafte Einheit den wahren Nationalsozialismus ausmache. Aber wie Slavoj Žižek bemerkt hat, erlaubt die Möglichkeit zur Distanznahme die höchste Bindekraft einer Ideologie, da die Hörigen sich ernst genommen fühlen und nun aus eigenem Entschluss hörig sind.42 Folgende Stellen, die ich kurz kommentieren möchte, zeigen den Geist dieser Schrift überdeutlich. Die erste stammt aus dem vorderen Teil des Buches. Sie beginnt mit einer Absetzung vom westlichen Individualismus und Materialismus, der die Deutschen von ihrer Selbsterkenntnis abgehalten habe – und diese Kritiklinie wird dann scheinbar auf den Nationalsozialismus verlängert, sofern er ebenfalls das Heil noch allein von einer bestimmten ‚Materie‘, nämlich dem arischen Blut, erwartet. Daraus folgt aller-

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Vgl. Schwarz, Ethik der Vaterlandsliebe (1922) [Anm. 25]. Hermann Schwarz, Gott: Jenseits von Theismus und Pantheismus, Berlin 1928, S. 188. Žižek schreibt: „cynical distance, laughter, irony are, so to speak, part of the game. The ruling ideology is not meant to be taken seriously“ (The Sublime Object of Ideology, London 1989, S. 28).

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dings keine Kritik am Nationalsozialismus, sondern die Übersteigerung in den noch weitergehenden, nämlich ‚geistig-moralischen‘ Nationalsozialismus: Allzuviel Seelenblindheit hat der Irregang der Jahrhunderte geschaffen, als dass wir Deutschen in das Gotteslicht der Volkheit sehen konnten, allzusehr haben die Kirchen das Seelenheil, haben politischer Individualismus und Liberalismus die Selbstherrlichkeit des Einzelmenschen in den Mittelpunkt gestellt. Das ist das Mysterium der Volkheit, dass sie nicht selbst Blut ist, sondern Gottesblüte auf dem Stamme des Blutes. Diese Blüte ist der Bund verbrüderter Seelen mit sich selber und mit den toten Seelen der volklichen Geschichte. Ohne das Innentum dieses Bundes kann es keine volkliche Ganzheit geben, mögen noch so viele Rassengenossen um uns leben. Volkheit ist Geistessonne in uns, nichts Biologisches, sondern Axiologisches, ist Fünkleingeborenes derart, dass alle anderen Gotteslichter der Seele – Wahrheit, Liebe, Ehre, Treue – in dieser Sonne gesammelt sind. Stets wenn im Rahmen des Bekenntnisses zu Blut und Rasse auch die Metaphysik der Volkheit aufblüht, hat der Nationalsozialismus seine religiöse Existenz gewonnen.43 Drei Dinge möchte ich hier hervorheben. Erstens bemerkt man den Wandel vom prophetischen zum paulinischen Gestus: Der ‚Bund verbrüderter Seelen‘ ist nun Wirklichkeit, anders als 1928, allerdings hat er sich – mit Hegel gesprochen – noch nicht als solcher begriffen. Es gilt für Schwarz lediglich noch, das äußerlich Gewonnene nun auch innerlich zu gewinnen. Zweitens greift Schwarz dafür nun auf Meister Eckhart zurück, wenn er den ‚innerlichen‘ Nationalsozialismus („Geistessonne in uns“) als „Fünkleingeborenes“ bezeichnet. Drittens schließlich bringt Schwarz hier ein systematisches Problem der Ethik ins Spiel, mit dem er selbst seit Jahrzehnten gekämpft hat. Hier eine Stelle von zehn Jahren zuvor: Die altruistischen, sozialen und ideellen Werterscheinungen wetteifern, uns mit verpflichtender Kraft zu ergreifen. Die eine Aufgabe zieht uns hierin, die andere zieht uns dorthin. […]. Hier die Pflicht des Berufs, dort die Pflicht der Familie! Hier Gerechtigkeit, dort Mitleid! Solcher Widerstreit […] stürzt uns in Unruhe und Unseligkeit. Göttlichkeit sollte etwas Volles und Ganzes sein. Nun aber ist es, als ob in uns eine göttliche Hand wider die andere göttliche Hand kämpfte.44 43 44

Schwarz, Ekkehart der Deutsche (1935) [Anm. 10], S. 19. Schwarz, Ethik (1925) [Anm. 18], S. 107; vgl. ders., Der Gottesgedanke (1913) [Anm. 12], S. 302.

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Schon 1925 besteht die Lösung darin, dass der Individualismus, der in diesem „Polytheismus der Werte“ (Max Weber) noch vermutet wird,45 abgelöst wird durch eine „Gemeinschaftsgeistigkeit“ oder „Willensverkettung“.46 Das ist insofern eine Lösung, als jetzt alle Einzel-Handlungen und -Wertungen eingebettet seien in den Über-Wert der Gemeinschaft, für die nun alles geschehe: Die Begeisterung des Ideenerfüllten war wie ein elektrischer Funke, der rasch und heftig überspringt. Wem dagegen in der eigenen Seele die Wesenhaftigkeit seines Volkstums erwacht ist, bei dem ist es, als ob sein Werken und Wirken von der Dauerenergie eines galvanischen Stroms gespeist sei […]. So kommt der Mensch erst dann zur vollen Persönlichkeit und Eigenwüchsigkeit, wenn er wurzelt, wenn ihn in der Liebe zu den Volksgenossen die Kraft des Volkstums trägt.47 Was 1925 als Problem erscheint, wird 1935 als eingelöst ausgegeben – noch deutlicher ist das in einem späteren Werk von 1941 der Fall: die religiöse Weihe des Nationalsozialismus kommt hier geradewegs aus dieser innerlich vereinheitlichenden Kraft, die nun noch konkreter ‚dem Führer‘ zugeschrieben wird: In der Zerrissenheit seiner Stämme, Zerrissenheit der Bildung, Zerrissenheit der Religionen, wurde das deutsche Volk uneinig wie kein zweites. In der Tiefe seiner Seele träumte es von Einheit. Zu all den Einzelideen im Ewigkeitsglanz, zu all dem Tiefen, das in uns lebt, muss es ja ein Tiefstes, zu all der Mannigfaltigkeit unserer werterfüllten Aufgaben muss es ein Letztes, Zwingendes geben, das sich allen Aufgaben aufgibt. Darin muss dann die ganze Fülle der Ewigkeit sein. Gibt es so etwas für uns? Nur mittels unserer freien Willenshaltungen kann Ewigkeit in uns Gestalt gewinnen. Es sind andere und andere Willenshaltungen, in denen sie sich hier mit dem Wert der Ehre, dort der Liebe, dort der Wahrheit und Schönheit, dort des Vaterlandes aufschließt. So braucht jenes Letzte und Tiefste, um in unserer Seele wach zu werden, abermals eine andere und besondere Willenshaltung, um wie ein plötzliches Licht über uns zu kommen, um gleichsam als eine Zentralsonne in uns aufzugehen, um deren Glut und Wärme alle andere Ewigkeitswerte kreisen. Noch niemals bisher hatten die Deutschen solche Willenshaltung gefunden. Es musste jemand

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Schwarz, Ethik (1925) [Anm. 18], S. 110: „Die Ideenethik kennt nur den Einzelmenschen“. Schwarz, Ethik (1925) [Anm. 18], S. 110 f. Schwarz, Ethik (1925) [Anm. 18], S. 111.

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kommen, der wie mit Zauberschlag solche Willenshaltung in ihnen hervorbrachte. Es war der Führer, und der Zauberschlag war sein Wort von dem gleichen Blute in allen deutschen Adern, von der Verpflichtung, diesen Blutstrom rein zu halten und in solchem Willen blutsbrüderlich für immer zusammenzustehen. Das gab den Deutschen auf einmal eine neue innere Haltung, die noch niemals zuvor dagewesen war, und diese neue Willenshaltung ist der Schlüssel geworden, dass aus dem Schoße der Ewigkeit ein neuer Ewigkeitswert in die Seelen hineinstürzte.48 Diese Bündelung der seelischen Energien durch die Politik hatte er auch als „transzendentalen Nationalsozialismus“ bezeichnet.49 Immer wieder muss Schwarz allerdings klarmachen, wo er damit steht: Er will gerade nicht zurück in eine idealistische Metaphysik, die etwas über den Köpfen der Menschen Existierendes behauptet. Und immer wieder ist es Meister Eckhart, der dafür herhalten muss, diesen Mittelweg zwischen bloßem Materialismus des Blutes und dem überzogenen Idealismus des Geistes zu kennzeichnen – als das eigentliche ‚deutsche‘ Denken und Handeln: Nur darin haben die Realisten, die immer vom ‚wirklichen Leben‘ sprechen, unter dem sie naturhaftes Dasein verstehen, recht, dass die nationalsozialistische Idee zur Tat drängt, zu Handeln, Schaffen, Wirken, je erdnäher und bluthafter, desto besser. Mit Recht hassen sie die Ideenhimmel Platos, die intelligiblen Welten Kants, die phänomenalistische Wesensschau abwegiger Philosophen, alles eine Traumwelt, die uns mit Menschheitsträumen erfüllt, statt dass die Nähe, die Stunde, der Ort, die Lage, das Notwendige und Einmalige, das uns Verhängte, das durch Ursprung, Umwelt und Geschichte uns Zubereitete ergriffen wird. Von der Gewalt dieses Glaubens erfüllt, suchen wir mit ihnen nach der Quellkraft, aus der sich sein Feuer und seine Gewissheit nährt. Wir kennen die Quelle. Es ist nicht das biologische Leben, es sind die Erlebnisse, die uns das Innerste aufgewühlt und die heilige Tiefe in uns zum Sprechen gebracht haben: Die Bruderschaft des Schützengrabens, der funkelnde Grimm über deutsche Schmach und deutsches Elend, der erwachende Stolz auf die schaffende Urkraft des nordischen Blutes, das licht und befruchtend durch alle Welt geschritten ist – das alles hat in unserer Seele eine Abgeschiedenheit erzeugt vom Gezänk der Parteien und der Lüge 48 49

Hermann Schwarz, Ewigkeit: Ein deutsches Bekenntnis, Berlin 1941, S. 126; vgl. ebd., S. 86. Vgl. Hermann Schwarz, Gesammelte Werke, Bd. 1: Politisch-philosophische Schriften, Berlin 1940, S. 498.

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des Weltgewissens, von Standesdünkel und Wissensstolz, vom selbstsüchtigen Maßstab privater Glückseligkeit; darauf hat dann im Fünklein unserer Seele die Ewigkeit geantwortet und sich hervorgeboren als die Idee des Nationalsozialismus.50 Rhetorisch ist diese Linie gewitzt, aber das macht es für uns noch schwieriger: Er stellt sich mit den ‚Realisten‘ unter den Nationalsozialisten gegen den Idealismus Platons, Kants und Husserls (dessen Namen er nicht einmal aussprechen mag), weil dieser zu weltjenseitig sei; stattdessen setzt er sich – wie sie – für eine Ethik der Entscheidung ein, die die jetzigen Anforderungen ernst nimmt (zu fragen wäre, wie nahe das etwa der Situationsethik von John Dewey oder Eduard Grisebach kommt, oder gar dem ‚moral particularism‘ der analytischen Philosophie von heute). Er macht dann als Philosoph jedoch noch einen weiteren Zug und fragt weiter nach den Quellen dieser Überzeugung. Anders gesagt, möchte er prüfen, ob dies wohlbegründet sei. Die Antwort ist nun nicht mehr ‚realistisch‘, ebenso wenig, wie sie ‚idealistisch‘ ist – sie geht über stehende Objekte und Subjekte hinaus (die Ausgangspunkte von Realismus und Idealismus) und verortet die Quelle in dem höheren, beides verbindenden und ermöglichenden Dritten des ‚Erlebnisses‘. Dewey hätte es ‚Erfahrung‘ genannt, Lukács ‚Praxis‘ (und Karen Barad ‚intracaction‘), aber deutlich genug gibt es hier eine gemeinsame philosophische Tendenz des Anti-Objektivismus. Verstörend ist heute nicht dies, sondern die Beschaffenheit der Erlebnisse, die Schwarz hier aufruft – etwa den Schützengraben, den er allerdings, ähnlich wie Heidegger, nie von innen gesehen hat, oder die ‚Schmach‘ von Versailles (nicht, dass man einen Krieg geführt, ja vom Zaun gebrochen hat, erregt die Gemüter, sondern dass man ihn verloren hat und nun von den Siegern dafür belangt wird). Wie Heidegger möchte sich Schwarz von dem ‚Gerede‘, der öffentlichen Ausgelegtheit entfernen – und es ist erneut Eckhart, der für den Ausweg einsteht: In der Abgeschiedenheit reagiert unser Seelenfünklein und gebiert nun nichts weniger als – den Nationalsozialismus. Dieser bekommt damit etwas von einer neuen Offenbarung. Diese Deutung kommt in der späteren Schrift noch deutlicher zum Vorschein: Wir stehen hier bei der religiösen Tiefe des nationalsozialistischen Erlebens. Der politische Nationalsozialismus vollzieht einen Willen, den Willen zu Land, Volk, Führer. Im religiösen Erleben des Nationalsozialismus erfüllt sich eine Sehnsucht. Welche Sehnsucht? Wir Menschen kommen

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Schwarz, Ekkehart der Deutsche (1935) [Anm. 10], S. 127f.

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aus der Ewigkeit und gehen in die Ewigkeit. Sollte in der Spanne Zeit, die zwischen unserem Ausgang und unserem Heimgang liegt, Ewigkeit stumm bleiben? Nein, in unserem Handeln können wir die Stimme ihres Handelns vernehmen. Sie öffnet sich immer in die Zeit, sie öffnet sich auch in unsere Zeit, indem sie sich in unserm nationalsozialistischen Wollen öffnet. Zu diesem Wollen gehört der Glaube an den Führer. Deutsche Gefolgschaftstreue hebt sein Wollen hoch über alles Einzelwollen empor. Aber mit unserer Gefolgschaftstreue gestaltet sich zugleich die religiöse Gewissheit, dass sich in Adolf Hitler der ewige Sinn des ewigen Deutschlands in einer neuen Offenbarung öffne, wie er in der deutschen Geschichte immer wieder aus der Tiefe der Welt in die Erscheinung der Welt getreten ist.51

4

Ein vorläufiges Fazit

Was lernen wir aus alldem? Zunächst drängt sich die verstörende historische Einsicht auf, dass eine vertiefte Kenntnis der Schriften der Deutschen Mystik keineswegs eine Impfung gegenüber totalitären Versuchungen darstellt. Zwar ist bei Schwarz der Abstand zwischen der philologischen Interpretation der früheren Jahre und der politischen Wendung der späteren recht groß. Allerdings hat Schwarz in seiner diesseitig-religiösen Feier des Nationalsozialismus stets an Eckhart festhalten wollen. Wie das möglich war, ist eine Frage, die eine Antwort verdient. Möglicherweise zeigt sich hier ein Dilemma mystischen Denkens in seinem Verhältnis zur Politik: Es scheint ratsam zu sein, in einer solchen Wendung nicht alles in den Strudel des Nichtens hineinrutschen zu lassen, sondern gewisse Kriterien der weltlichen ‚Vernünftigkeit‘ beizubehalten. Doch dabei gibt es drei Probleme: – Erstens könnte man aus der Sicht der ‚Abgeschiedenheit‘ monieren, dass hier jemand noch nicht wirklich von allem Weltlichen abgelassen habe, sondern in religiösen Dingen noch immer Weltliches vornan stelle. Wer sich selbst absichern will, ist noch nicht mystisch genug. – Zweitens ist gerade ein solches Festhalten an Weltlichem das, was man an Schwarz kritisieren könnte: Für ihn treten an die Stelle Gottes mehr und mehr Volk und Führer. Worin genau unterscheidet sich dieses Festhalten von dem Festhalten eines, sagen wir, liberal-demokratischen Mystikers? Und ist

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Schwarz, Ewigkeit (1941) [Anm. 48], S. 19 f.

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dieses In-Bezug-Setzen von Irdischem und Ewigem nicht gerade eine Reaktion darauf, dass bei Meister Eckhart die Rede von einem jenseitigen Gott, der sich verstandesmäßig beschreiben ließ, problematisch geworden war? – Drittens schließlich erodieren bei näherem Hinsehen die Unterscheidungen. Was ist eigentlich ‚weltlich‘, was meint dagegen ‚inner-mystisch‘? Mystisches Erleben zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass etwas vormals für ungreifbar Gehaltenes in das eigene Erleben und Erfassen einrückt. Es mag weiterhin rational ungreifbar bleiben, doch es ist nun in den Kreis unseres Erlebens getreten, es ist daher selbst etwas ‚Weltliches‘ geworden. Umgekehrt werden durch die ewigkeitliche Aufladung bei Schwarz gerade eigentlich weltliche Dinge (eine politische Bewegung, ein politischer Anführer, eine Ideologie) ihrerseits mehr als nur weltlich, sie erscheinen als göttlich, ewig, ja als Offenbarung. Wie und von wo aus will man angesichts dieses Verschwimmens noch klare Grenzen ziehen? Die Frage bleibt also: Wenn Wollendes und Gewolltes im Erleben eins werden, was entscheidet dann darüber, ob das Gewollte wirklich erreicht wird? Ist die Intensität des Wollens (das ‚Tiefste‘, das uns ‚aufwühlt‘ etc.) das einzige Kriterium?52 Dann wäre dieser Prozess wirklich weitestgehend deutungsoffen. Bekäme Schwarz damit recht? Oder gibt es stets noch die Notwendigkeit (oder den auferlegten Zwang), sich an der Tradition abzuarbeiten? Dann wäre jedoch zu fragen: welche Tradition eigentlich? Der kirchlichen Tradition, die oft wenig für Meister Eckhart übrighatte, ließ sich ja in den 1930er Jahren eine andere, ‚deutsche‘ Tradition gegenüberstellen. Selbstverständlich war diese stark zurechtgestellt und konstruiert – aber wenn wir doch wissen, dass das ein Merkmal aller Traditionen ist (invention of tradition), wo liegen dann die Kriterien dafür, gerade diese erfundene Tradition von vornherein abzuweisen? Oder, um noch einen anderen Punkt zu bringen: Vielleicht ist ja in den naheliegenden Fällen, wo die Tradition weitergeführt wurde, tatsächlich äußerlicher Zwang dafür nötig gewesen – der Verweis auf Eckharts Verurteilung liegt nahe. Wie viel Tradition bleibt aber, wenn ein solcher Zwang ausbleibt? Zusammenfassend gefragt: Haben wir nur die Wahl zwischen einer halben Mystik, die immer noch etwas an weltlicher oder theologischer Rationalität zurückbehält, 52

Schwarz selbst ist der reinen Gefühlsmystik gegenüber skeptisch, weil sie das Handeln blockiert – ihm geht es um den „werdenden Gott“ der Tatmystik, der allerdings im Tun durchaus gespürt wird. Siehe Hermann Schwarz, Grundzüge einer Geschichte der artdeutschen Philosophie, Berlin 1937, S. 14: „Ebenso wie uns das Wort ‚Dogma‘, ist uns auch das Wort ‚Mystik‘ unbehaglich. Wir verbinden damit den Sinn einer Gefühlsüberflutung, die sowohl das Denken wie das Wollen hinwegschwemmt. […]. Das Höchste der gesund empfindenden deutschen Seele ist nicht, unendliche Wonnen auszukosten, sondern sich einzusetzen, zu schaffen im Lichte einer Aufgabe, zu leisten im Feuer eines Werks“.

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und einer ganzen, die damit allerdings einen Kontrollverlust riskiert? Ich will damit keine suggestiven Fragen stellen. Ich möchte nur die Verstörung explizit machen, die die Lektüre solcher Schriften bei mir anstößt, in der Hoffnung, dass es darauf aus berufenerer Feder Antworten geben möge.

kapitel 5

„Meister Eckhart – ein falscher Prophet?“ Darstellung einer tragikomischen Auseinandersetzung um die nationalsozialistische Rechtgläubigkeit Meister Eckharts Maxime Mauriège

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Anwendung des Prophetenbegriffs auf Eckharts Geistesgestalt in der Zwischenkriegszeit

abb. 5.1

© Maxime Mauriè g e, 2022 | doi:10.1163/9789004519343_006

„meister eckhart – ein falscher prophet?“

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In Stimmen der Zeit, der Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart, erschien im April 1935 ein Aufsatz des Jesuitenpaters Johannes B. Schoemann (†1964) über „die fruchtbarste Frage heutiger Eckhart-Forschung“, nämlich die nach Eckharts „ureigenster Lehre“, was den damals auffällig zunehmenden Publikationstrend zu diesem deutschen Denker reflektierte: „In einem mehr leidenschaftlichen als wissenschaftlichen Schrifttum stößt man auf die Frage, die allerdings für manche schon keine Frage mehr, sondern deren bejahende Antwort fast schon ein ‚Dogma‘ ist, die Frage: Ist Eckhart der Schöpfer einer neuen Religion? Ist in ihm die arteigene Religion nordisch-arischgermanisch-deutschen Wesens durchgebrochen?“ Schoemann zufolge begann man gleichwohl zu jener Zeit, „selbst in diesem Schrifttum oder wenigstens in seiner Nachbarschaft bereits zu zweifeln, ob Eckhart wirklich in die erste Reihe der Glaubenszeugen und Propheten der deutschen Glaubensbewegung gehört“.1 Bevor wir uns in der vorliegenden Studie – anhand eines bestimmten, konfliktträchtigen Fallbeispiels – mit den näheren Umständen dieser Infragestellung einer ns-ideologischen Inanspruchnahme der Lehre Meister Eckharts als der eines Apostels,2 ja sogar eines Propheten der fides oder confessio germanica3 befassen, wollen wir zunächst einige kurze Vorbemerkungen zur Anwendung des Prophetenbegriffs auf Eckharts Geistesgestalt in der Zwischenkriegszeit machen. Diese entsprach einer erweiterten und banalisierten Bedeutung des griechischen Wortes prophḗtēs (προφήτης) im Alltagssprachgebrauch, um „jede Art von Vorläufern und Wegbereitern zu bezeichnen“, sei es in Kunst, Politik oder Theorie, also jenseits seiner Übertragung im alttestamentlichen bzw. ‚jüdischen‘ Kontext der Septuaginta (als Übersetzung des hebräischen Wortes nāvî’ [‫)] ָנִביא‬4 und daher infolge einer „profanen“ Begriffsrezeption,5 1 Johann B. Schoemann S.J., „Um die fruchtbarste Frage heutiger Eckhart-Forschung“, in: Stimmen der Zeit 129,7 (April 1935), S. 1–11, hier S. 2 (siehe oben Abb. 5.1). 2 Vgl. Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930 (240.–247. Aufl., München 1944), S. 218: „Sechshundert Jahre sind es her, seit der größte Apostel des nordischen Abendlandes uns unsere Religion schenkte.“ 3 Zu diesem Glaubensbekenntnis siehe u. a. das von Ernst Bergmann verfasste „Deutschapostolikum“ und dessen „Credo“ im Buch Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1933), welche „im Sinne der Tradition“ aufgebaut werden sollte, „die der Heilige Meister Eckhart vor sechshundert Jahren begonnen hat. Der für uns, nicht für die Kirche Heilige. Der Deutschheilige“ (S. 242). 4 Jürgen Ebach, Art. „Prophetismus“, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe (HrwG), hg. von Hubert Cancik, Burkhard Gladigow und Karl-Heinz Kohl, Bd. iv: KultbildRolle, Stuttgart/Berlin/Köln 1998, S. 347–359, hier S. 347f. 5 Ebach, „Prophetismus“ (1998) [Anm. 4], S. 357: „Die ‚profane‘ Rezeption hält das ‚Prophetische‘

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die in dem hier behandelten historischen Zusammenhang im Sinne eines neureligiös-politischen und dabei „geschmacklos“ antisemitischen Prophetentums zu verstehen ist.6 Solch eine neopagane „Reklamierung des Prophetentitels für [einen] Denker“ wie Meister Eckhart, der „ein heraufkommendes Zeitalter“, nämlich das eines angeblich reinen Deutschglaubens, verkündet haben soll,7 hat aber schon früher in Deutschland, besonders nach Ende des Ersten Weltkriegs aufgrund der daraus folgenden geistig-kulturellen Aufbruchsbewegung angefangen, sich zu entwickeln.8 So pries z. B. der protestantische Pfarrer Walter Lehmann (†1941) in der Einleitung zu seinem 1919 erschienenen Eckhart-Textbuch (eine Auswahl aus den deutschen und lateinischen Schriften in zeitgemäßer Übersetzung) den deutschen Meister „als den Überwinder alles Kirchentums und weit über Katholizismus und Protestantismus hinausragenden religiösen Neuschöpfer“ (dies in expliziter Anlehnung an Herman „Büttner

oft gerade in den Einseitigkeiten fest. […] Gegen die Linie des Religiösen, die auf Tröstung, Bewahrung und Kontinuität geht (das Priesterliche), zielt das Prophetische auf das Heraussprengen des Unabgegoltenen aus dem Kontinuum, auf die Entlarvung des falschen Scheins und die Bestreitung falscher Versöhnung.“ 6 Ebach, „Prophetismus“ (1998) [Anm. 4], S. 348. 7 Dadurch habe Meister Eckhart allerdings nur einen ‚prophetischen Denker‘, also keinen ‚typischen (Schrift-)Propheten‘ und deshalb in gewisser Hinsicht, d.h. gemäß dem religionsgeschichtlichen Legitimationsrahmen für den Wortgebrauch, schon von vornherein einen ‚falschen Propheten‘ (ψευδοπροφήτης) dargestellt, weil sich die ihm von ns-Ideologen oder -Theoretikern zugeschriebene Wahrheitsverkündung nicht auf die Legitimität eines geoffenbarten Gottes, sondern allein auf die natürliche Selbstoffenbarung einer angeblich nordischgermanischen Seele berufen hätte. 8 Für eine zeitgenössische ähnliche Feststellung siehe Hermann Platz, „Vom Erwachen der Mystik um 1900“, in: Hochland – Katholische Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst 34 (1936/1937), S. 324–337 u. 434–448, hier S. 333: „So kann man vor dem Krieg bei einigen wohl von tiefansetzender Begeisterung, von treuherziger, wenn auch unzulänglicher Arbeit an den Mystikern, nicht aber von einer nennenswerten Bewegung sprechen […]. Anders ist es im Weltkrieg und nachher geworden. Die Kreise, die sich damit befaßten, sind gewachsen. Das Interesse ist in die Tiefe gegangen. ‚Von der Wiedererweckung der deutschen Mystik, vor allem Meister Eckharts, in einer Zeit, da selbst religiöse Zeitschriften in Verlegenheit wegen eines Rezensenten dieser Bücher waren‘, schrieb Getzeny 1922, ‚ist ein Strom neuen religiösen Lebens in unserem Vaterland ausgegangen.‘ Und er stellt zum Schluss, allen zur Beachtung, selbst fest: ‚Wenn die eigentlichen Pflegestätten des religiösen Lebens nicht erfüllt sind von prophetischer Glut und der Besitz der Wahrheit nicht zu immer neuer lebendiger Aneignung, sondern zu selbstzufriedenem Pochen auf den Besitz führt, dann sucht das religiöse und geistige Leben sich außerhalb dieser Stätten andere Wege. Der Geist weht, wo er will.‘ Das ist der tiefste Grund, warum überhaupt diese Mystikbewegung entstehen konnte“; vgl. Heinrich Getzeny, „Das Jubiläum einer Kulturbewegung“, in: Hochland 19 (1922), S. 700– 713.

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in seiner trefflichen Verneudeutschung Eckeharts“9), nachdem er bereits selbst einführend feststellte, dass „Meister Eckehart alle Nuancen der Beurteilung erfahren [hat]“, und zwar „von dithyrambischer Verehrung bis zur kühlsten

9 Siehe Meister Eckeharts Schriften und Predigten, aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt und herausgegeben von Herman Büttner, 2 Bde., Bd. 1, Leipzig 1903 und Bd. 2, Leipzig 1909. Diese Angabe Lehmanns ist im Hinblick auf unsere Ausführungen höchst bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass mit der Veröffentlichung des ersten Bandes der Büttnerschen Auswahlausgabe dessen Verleger Eugen Diederichs († 1930) eine eigene Reihe zu Schriften deutscher, zumeist mittelalterlicher Mystiker in modernen Übertragungen für einen breiteren Kreis, d.h. jenseits der Fachwelt, eröffnet hat, um damit in Deutschland ein Forum für volkstümliche Mystik-Rezeption zum Zweck religiöser Kulturkritik zu schaffen und insofern zu versuchen, „einen Brückenschlag zur hochmittelalterlichen Spiritualität des 13. und 14. Jahrhunderts als explizites Vorbild für die Renaissance einer konfessionslosen modernen Religiosität der Innerlichkeit in der Gegenwart herzustellen“ (Klaus Lichtblau, „Der Eugen Diederichs Verlag und die neuromantische Bewegung der Jahrhundertwende“, in: Romantik, Revolution und Reform – Der Eugen Diederichs Verlag im Epochenkontext 1900–1949, hg. von Justus H. Ulbricht und Meike G. Werner, Göttingen 1999, S. 60–77, hier S. 67. Dazu siehe auch Justus H. Ulbricht, „Durch ‚deutsche Religion‘ zu ‚neuer Renaissance‘. Die Rückkehr der Mystiker im Verlagsprogramm von Eugen Diederichs“, in: Mystique, mysticisme et modernité en Allemagne autour de 1900 / Mystik, Mystizismus und Moderne in Deutschland um 1900, hg. von Moritz Baßler und Hildegard Châtelier, Strasbourg 1998, S. 165–186). Diederichs’ Absicht und Überzeugung schimmerten besonders deutlich in seiner Einführung zu Büttners Übersetzung im Verlagsalmanach von 1908 durch (nicht zuletzt, um damit Werbung für die bevorstehende Erscheinung des zweiten Bandes zu machen): „Wir hatten eine Religion ohne Judentum, ohne Mittler, ohne Dualismus, eine deutsche Religion der tiefsten Innerlichkeit. Und Meister Eckehart war ihr Verkündiger. Eckehart ist für uns Deutsche, was Dante für Italien. Nachdem seine bisher versteckten Werke nun vor uns liegen, gibt es keine Entschuldigung mehr. Hier ist der Punkt, wo der Blick in die Vergangenheit uns mehr sein kann als ein Orientierungsblick. Mystik ist ja nicht kultur- und arbeitsfeindlich, sondern bewahrt vor innerer Haltlosigkeit und Zersplitterung. Fast könnte man sagen, daß der Ausgang der heutigen religiösen Bewegung von ihrer Stellung zu Eckehart abhängt“ („Lebendige Religion“, in: Wege zu deutscher Kultur. Eine Einführung in die Bücher des Verlages Eugen Diederichs in Jena. Mit Bücherverzeichnis bis Weihnachten 1908, Jena 1908, S. 5–28, hier S. 19 [unter der Buchanzeige für Büttners zweibändige Auswahlausgabe]). Doch erst nach dem Ersten Weltkrieg, als die gesellschaftlichen Ideale zusammenbrachen, ist Büttners Übersetzung ein regelrechter, mehrfach neu aufgelegter Bestseller und infolgedessen das am weitesten verbreitete Eckhartbuch in Deutschland geworden; denn „in der umfangreichen Einleitung zu seiner Ausgabe hat Büttner die Muster einer Eckhart-Lektüre vorgegeben, die eine neue Sinnstiftung und die Überwindung der Krise versprach, in welche die moderne Gesellschaft geraten schien“, und zwar insofern, als er „das Werk des mittelalterlichen Predigers als Heilmittel für die vielfältigen Verlusterfahrungen und Überforderungen des neuzeitlichen Individuums erscheinen“ ließ (Friedrich Vollhardt, „Hochland-Konstellationen. Programme, Konturen und Aporien des literarischen Katholizismus am Beginn des 20. Jahrhunderts“, in: Moderne und Antimoderne. Der Renouveau Catholique und die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts, hg. von Wilhelm Kühlmann und Roman Luckscheiter, Freiburg i.Br. 2008 [Catholica 1], S. 67–100, hier S. 96). Der Ver-

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Ablehnung und schärfsten Herabsetzung“.10 Dies gab Lehmann weiterhin die Gelegenheit, ganz besonders dem gelehrten Erforscher der Scholastik Heinrich Suso Denifle O.P. (†1905) sein einseitiges, dem „orthodox-thomistischen Standpunkt“ geschuldetes abwertendes Urteil11 und deswegen eine gewisse Engstirnigkeit anzulasten, die ihn daran hinderte, „Eckeharts Bedeutung […] als Bahnbrecher und Prophet einer das deutsche Gemüt erfassenden deutschen Religion“ zu erkennen.12 Eckharts Erhebung zu einem derartigen Propheten verankerte sich jedoch erst ab 1930 mit der Veröffentlichung von Alfred Rosenbergs

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lag Diederichs brachte sogar 1934 (diesmal in Jena) eine verbilligte Volksausgabe davon in den Handel, deren Herstellung Alfred Rosenberg selbst in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts ([1930/1944] [Anm. 2], S. 221) ausdrücklich anregte, nachdem er vermerkt hatte, dass Büttners Übersetzung bisher „die beste Arbeit und zugleich eine in die Tiefe gehende Würdigung“ der „Größe Eckeharts“ gebe, und deswegen „als erste Schrift in jedes deutsche Haus [gehöre]“. Vgl. die Rezension dieser Volksausgabe in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 10 (Octobre 1938), S. 9 [„Supplément bibliographique“]: „Depuis sa publication en 1903 la traduction de Büttner, avec les qualités et les défauts qu’on lui connaît, n’a pas peu contribué à répandre les écrits allemands d’Eckhart au delà du cercle des philologues ou des historiens de la mystique. L’édition ‚populaire‘ que voici, allégée des notes et commentaires de Büttner, leur assurera une diffusion bien plus grande encore, aujourd’hui que Maître Eckhart s’ est vu promu au rang de prophète du racisme et que A. Rosenberg a déclaré que cette traduction ‚a droit à la première place dans toute maison allemande‘. Répondant à un tel besoin et se parant d’un tel patronage, elle est assurée du succès.“ Zu der Popularisierung Meister Eckharts durch die Übersetzungsliteratur und den Nachwirkungen der Ausgabe Büttners siehe u.a. Ingeborg Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes, Leiden 1967 (Studien zur Problemgeschichte der antiken und mittelalterlichen Philosophie 3), S. 229–238 und 250–261 sowie Niklaus Largier, „Mystik und Tat. Zur populär-publizistischen Eckhart-Rezeption zwischen 1900 und 1940“, in: Mittelalter-Rezeption iv: Medien, Politik, Ideologie, Ökonomie. Gesammelte Vorträge des 4. Internationalen Symposions zur Mittelalter-Rezeption in der Universität Lausanne 1989, hg. von Irene von Burg, Jürgen Kühnel, Ulrich Müller und Alexander Schwarz, Göppingen 1991 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 550), S. 27–49, insbes. S. 30–32. Walter Lehmann, Meister Eckehart, Göttingen 1919 (Die Klassiker der Religion 14/15), S. 3 u. 6, der zu folgendem Schluss kommt: „Wie immer man über Mystik auch denken mag, angesichts dieser von Extrem zu Extrem wechselnden Beurteilung verdient Eckehart es jedenfalls, immer aufs neue betrachtet und bedacht zu werden.“ Siehe dazu Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 9], S. 175–186 [= 9. Kapitel, ii. „Die neuen Eckhartforschungen Denifles“]. Lehmann, Meister Eckehart (1919) [Anm. 10], S. 22. In ähnlicher Weise wiederholte sich der Pfarrer aus Borby fast 15 Jahre später in seiner kleinen Biografie von Meister Eckehart de[m] gotische[n] Mystiker (Lübeck 1933 [Colemans Kleine Biographien, Heft 20], S. 5): „[…] Ja, man scheut sich nicht, sogar den Meister, der auf den folgenden Blättern uns näher kommen soll, weil er einmal, lediglich dem alten Herkommen folgend, im Blut den Sitz der Seele zu sehen, von dem Blut sagt, daß es das Edelste am Menschen sei, zum Kronzeugen einer spezifisch deutschen Religion zu machen.“

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Mythus des 20. Jahrhunderts, einem für die ns-Ideologie grundlegenden Werk, bzw. durch die Resonanz von dessen über eine Million Mal aufgelegter Volksausgabe in der breiten Öffentlichkeit, v.a. im völkischen Lager, fest im Massenbewusstsein.13 Um die geistreich treffende Formulierung von Otto Karrer (†1976) in seinem zeitgenössischen „Bericht über die heutige Eckhartkomödie“ aufzunehmen,14 wurde der Dominikanermeister „zum deutschen Propheten ausgerufen, und Rosenberg [war] sein Johann Baptist: der vor ihm herg[ing] und ihm den Weg bereitet[e]“.15 Infolge der nationalsozialistischen Revolution fanden mithin Rosenbergs mythogermanische Aussagen zur „Religion des Meister Eckehart“16 noch mehr Gehör und folglich Nachklang, allerdings nicht nur bei den Deutschgläubigen17 und Freireligiösen,18 sondern auch bei den 13

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Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/1944) [Anm. 2], z.B. S. 239: „Damit zeigt sich Meister Eckehart […] als der Schöpfer einer neuen Religion, unserer Religion, losgelöst vom fremden Wesen, wie es durch Syrien, Ägypten und Rom uns eingeflößt worden ist.“ Siehe dazu u. a. Ernst Piper, „‚Der Nationalsozialismus steht über allen Bekenntnissen‘: Alfred Rosenberg und die völkisch-religiösen Erneuerungsbestrebungen“, in: Die völkischreligiöse Bewegung im Nationalsozialismus – Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte, hg. von Uwe Puschner und Clemens Vollnhals, 2. Auflage, Göttingen 2012 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 47), S. 337–353, S. 341: „Rettung sah Rosenberg in der deutschen Mystik, namentlich bei Meister Eckhart. Insbesondere seit Erscheinen des ‚Mythus‘, dessen Titelblatt ein Satz dieses spätmittelalterlichen Theologen ziert, wurde Rosenberg zum wichtigsten Proponenten einer nationalsozialistischen Eckhart-Renaissance […]. Eckhart wird hier zum Propheten einer Renovatio Germaniae, zum Künder des ‚Grundbekenntnisses alles arischen Wesens‘.“ Otto Karrer, „Von Meister Eckhart und seiner Nachwirkung“, in: Schweizerische Rundschau. Monatsschrift für Geistesleben und Kultur 35,5 (August 1935), S. 403–416, hier S. 405. Karrer, „Von Meister Eckhart und seiner Nachwirkung“ (1935) [Anm. 14], S. 403. Unter diesem Titel erschien 1934 als Sonderdruck das Mythus-Kapitel „Mystik und Tat“ (Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts [1930/1944] [Anm. 2], S. 217–273). Z.B. bei Hermann Schwarz († 1951), dem genannten „Ekkehartdeutschen“ (wegen seiner Bemühungen um „Ekkeharts deutsche Frömmigkeit“ als „d[er] einzige[n] Möglichkeit zur religiösen Unterbauung der […] politischen deutschen Wiedergeburt“ [Hermann Schwarz als Philosoph der deutschen Erneuerung. Zum 70. Geburtstag von Hermann Schwarz, Berlin 1935, S. 5 f.]), dessen Werk daher „in einer betonten Parallelität zu Rosenbergs weltanschaulicher Prophetie gesehen wird“ (Otto Kühler, Rez. zu Schwarz’ Festschrift in: Blätter für deutsche Philosophie, 10,1 [1936], S. 112 f.). Von Schwarz selbst siehe u.a. in Ewigkeit. Ein deutsches Bekenntnis, Berlin 1941, das vii. Kapitel über „Die deutschen Propheten“ (S. 68– 72), in dem Eckhart als erster „Künder und Deuter deutschen Ewigkeitserlebens“ – gefolgt von Böhme, Kant und Fichte – bezeichnet wird (S. 68), woran sich ein weiteres Kapitel über „De[n] lebendige[n] Ekkehart“ und seine Mystik „revolutionärer Art“ anschließt (S. 73–86). Dort beschreibt er „die fruchttragende Abgeschiedenheit Ekkeharts“ als „eine seelische Zusammenballung zu äußerster Kraft in innerster Freiheit, wie es Rosenberg ausdrückt“ (S. 78). Zur Eckhart-Deutung von Hermann Schwarz siehe den Beitrag von Christoph Henning in diesem Band. Z.B. bei Georg Pick († 1972), der zu jener Zeit ein führender Vertreter der Freireligiösen und

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gesinnungsverwandten ‚Deutschen Christen‘, die den protestantischen Ableger der nsdap bildeten (und sich demnach als „sa der Kirche“ oder „sa Jesu Christi“ bezeichneten).19 Einer der unerbittlichsten Anhänger dieser besonders radikalen ‚Kirchenbewegung‘ war der evangelische Theologe und Inhaber des Lehrstuhls für praktische Theologie, dann sogar Rektor der Universität Jena, Wolf Meyer-Erlach (†1982),20 dessen Rede zur Feier einer dortigen akademischen Preisverleihung im Juni 1937 den Thüringer Meister Eckehart als Ein[en] Künder deutscher Frömmigkeit verherrlichte.21 Hiernach sei Eckhart

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sehr produktiver Autor dieser Glaubensrichtung war, die sich 1934 der ‚Arbeitsgemeinschaft der Bewegung arteigenen deutschen Glaubens‘ als förderndes Mitglied anschloss (siehe dazu Christian G. Langenbach, Freireligiöse Gemeinden im Nationalsozialismus, Magisterarbeit an der FernUniversität Hagen, Hagen 2004, S. 22–25; ders., „Freireligiöse und Nationalsozialismus. Replik auf eine Debatte“, in: humanismus aktuell. Hefte für Kultur und Weltanschauung 11 = Heft 20 [2007], S. 43–54). Kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten schrieb bereits der Mainzer Pfarrer von der „einzigartigen nationalen Erhebung des deutschen Volkes“ (Georg Pick, Die Religion des deutschen Idealismus. Ein Blick auf die Quellen freireligiösen Glaubens, Mainz 1933, S. 3). In dieser Hinsicht galt für ihn die deutsche Mystik des Mittelalters als „neue große Offenbarung deutscher Religion“ und Eckhart als „Meister deutschen religiösen Denkens und echt germanisch“ (ders., Das Wesen der Freien Religion. Leitsätze freireligiösen Glaubens. Bekenntnis der freireligiösen Weihejugend in Fragen und Antworten, 2. Aufl., Mainz 1934, S. 9 u. 42). In seinem 1939 in Mainz erschienenen Heft Unsere Deutschen Propheten, dem ersten der zur Monatsschrift Freie Religion gehörenden ‚Schriftenreihe zur Selbstbesinnung der deutschen Seele‘, bezeichnete er – ähnlich wie Rosenberg – Meister Eckhart als den ersten wahren Propheten des Germanentums (S. 12), als „Schöpfer einer dem deutschen Wesen eigenen religiösen und philosophischen Sprache und Gedankenbildung“ (S. 13) und demnach als „bahnbrechenden Philosoph[en] deutschen Glaubens“, dessen „Grundmelodie“ er gegeben hat, wobei Pick in einer Fußnote auf die „tiefschürfende[n] und philosophisch grundlegende[n] Ausführungen“ von „Hermann Schwarz in seinem neuesten Werk ‚Deutsche Gotteserkenntnis einst und jetzt‘“ verweist (S. 15). Siehe Kurt Meier, Die Deutschen Christen – Das Bild einer Bewegung im Kirchenkampf des Dritten Reiches, Göttingen 1964 (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes, Ergänzungsreihe 3), S. 53 f. Siehe dazu u. a. André Postert, „‚Lieber fahre ich mit meinem Volk in die Hölle als ohne mein Volk in Deinen Himmel.‘ Wolf Meyer-Erlach und der Antiintellektualismus“, in: Für ein artgemäßes Christentum der Tat – Völkische Theologen im „Dritten Reich“, hg. von Manfred Gailus und Clemens Vollnhals, Göttingen 2016 (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Berichte und Studien 71), S. 219–238. Wolf Meyer-Erlach, Meister Eckehart – Ein Künder deutscher Frömmigkeit. Rede, gehalten zur Feier der akademischen Preisverteilung zu Jena am 19. Juni 1937. Mit einer Chronik der Universität für das Jahr 1936/37, Jena 1937 (Jenaer akademische Reden, Heft 25). Siehe dazu Hans Giesecke, „Der mißbrauchte Prophet“, in: Glaube und Gewissen – Eine protestantische Monatsschrift, 10. Jahrgang, 11. Heft (November 1964), S. 206–208, hier S. 207: „Auf die Spitze getrieben wurde jedoch der Mißbrauch Meister Eckharts – von den sogenannten ‚Deutschgläubigen‘ und Leuten wie Rosenberg, die sich mit der größten Selbst-

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„neben Luther das größte religiöse Genie des deutschen Volkes, einer der ganz großen profetischen Menschen des Abendlandes“22 gewesen, genauer gesagt, „der Botschafter der inneren Unabhängigkeit, aus der die äußere von selber strömt, der Profet eines Adels und einer Ehre, die von keinem genommen werden kann.23 […] Nirgends, auch bei Luther nicht, ist der Durchbruch durch alles Priesterwesen, durch alles kirchliche Mittlertum stärker als bei Eckehart.“24 Dass nun aber unter den „Ahnen einer neuen deutschen religiösen Besinnung“25 der Dominikanermeister einen bemerkenswerteren bzw. geeigneteren Propheten als der Reformator Luther darstellen könnte, fand selbstverständlich nicht bei allen ns-überzeugten Protestanten Gefallen,26 v. a.

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verständlichkeit lautstark und in zahlreichen Schriften auf Eckhart beriefen, wollen wir hier schweigen – durch die ‚Deutschen Christen‘ und vor allem einen ihrer Wortführer, den damaligen Professor und Rektor der Universität Jena, Wolf Meyer-Erlach. Eine Rektoratsrede, die dieser Lehrer der ‚akademischen Jugend‘ 1937 hielt, ist ein beschämendes Beispiel für die ganz unwissenschaftliche Geschichtsklitterung, mit der man bedenkenlos zitierte, was zur Stützung der Herrschaft des Nationalsozialismus nützlich schien, und Eckhart schlechthin zu einem Vorläufer des Systems erklärte.“ Meyer-Erlach, Meister Eckehart (1937) [Anm. 21], „Vorwort“, S. 6, in dem Meyer-Erlach sich explizit der Auffassung Rosenbergs anschließt: „Deshalb weist auch Alfred Rosenberg in seinem Mythus des 20. Jahrhunderts mit Nachdruck auf Eckehart hin. Deshalb redet er auch mit Ernst in seiner Schrift ‚Die Religion des Meister Eckehart‘ von diesem Zentralgestirn der deutschen Mystik. Wer untertaucht in die Tiefe der Eckehartschen Erkenntnisse, der versteht Rosenbergs Wort über den Meister.“ Zudem verweist Meyer-Erlach in einer Anmerkung unter dem Vorwort auf eine weitere von ihm vermutlich geplante, aber – unserer Kenntnis nach – beim (hier genannten) Verlag Deutsche Christen in Weimar nie herausgegebene Publikation zu Meister Eckhart als Eröffnungsband einer Reihe „Deutsche Profeten“. Meyer-Erlach, Meister Eckehart (1937) [Anm. 21], S. 38. Meyer-Erlach, Meister Eckehart (1937) [Anm. 21], 43. Meyer-Erlach, Meister Eckehart (1937) [Anm. 21], S. 46. Wie z. B. beim ehemaligen Präsidenten des Evangelischen Bundes Hermann Kremers († 1934) in seinem Buch Nationalismus und Protestantismus, 3. erweiterte Aufl., Berlin 1931 (Volksschriften des Evangelisches Bundes 35), S. 44f.: „Er [i.e. Rosenberg] verkündet Selbsterlösung auf dem Wege einer Mystik, deren Prophet ihm der Meister Eckehart ist, den er als Verkünder einer vermeintlich rein germanischen Religiosität höher stellt als Luther selbst. […] [S]o begegnen wir bei Rosenberg Urteilen über Apostel, Propheten und Reformatoren, welche unser christliches und evangelisches Empfinden tief verletzen.“ Kremers war „eine hochproblematische Gestalt, in der sich die Ablehnung der Weimarer Republik, politischer Antikatholizismus und simplifiziertes lutherisches Obrigkeitsverständnis dazu verbanden, im Nationalsozialismus den Weg in die Freiheit zu erkennen und als Option für Protestanten zu empfehlen“ (Hellmut Zschoch, „‚Mit Gott für Freiheit, Recht und Vaterland!‘ Ernst Moritz Arndts deutsche Befreiungstheologie“, in: Orientierung für das Leben – Kirchliche Bildung und Politik in Spätmittelalter, Reformation und Neuzeit.

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bei den Vertretern einer völkischen Lutherdeutung, deren Misstrauen gegenüber Eckharts vermeintlich deutschgemäßer Vorbildlichkeit dadurch geweckt wurde. Um dies zu veranschaulichen, wollen wir im Folgenden einem sowohl dem Inhalt als auch der Form nach umstrittenen Aufsatz von Karl Kindt (†1959) unsere besondere Aufmerksamkeit widmen, der unter der Überschrift „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ in Märzheft 1935 der führenden und ebenso umstrittenen ns-Literaturzeitschrift Die neue Literatur27 veröffentlicht wurde.28 Dort unternahm der Verfasser, ein deutschchristlicher Theologe evangelischer Konfession,29 der zu den Propagandisten eines arischen Jesus gehörte,30 eine schonungslose Infragestellung der national-

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Festschrift für Manfred Schulze zum 65. Geburtstag, hg. von Patrik Mähling, Berlin 2010, S. 245–258, hier S. 246). Siehe Horst Halfmann, „Bibliographien und Verlage der deutschsprachigen Exil-Literatur 1933 bis 1945“, in: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens 4 (1969), S. 189–294, hier S. 223: „Die zur Popularisierung des nationalsozialistischen Schrifttums herausgegebene Zeitschrift ‚Die neue Literatur‘ ließ unter der redaktionellen Leitung von Will Vesper keine Gelegenheit aus, um mit spitzer Feder Gift und Haß zu verbreiten. Unter dem Denkmantel des für das deutsche Volk angeblich notwendigen Antisemitismus stellte die Redaktion viele Seiten für Diffamierungen und Denunziationen gegenüber jenen Verlagen zur Verfügung, die sich der deutschen Exil-Literatur angenommen hatten.“ Siehe dazu auch Gisela Berglund, Der Kampf um den Leser im Dritten Reich. Die Literaturpolitik der „Neuen Literatur“ (Will Vesper) und der „Nationalsozialistischen Monatshefte“, Worms 1980 (Deutsches Exil 1933–1945, Bd. 11): „Die Neue Literatur (vor 1930 Die Schöne Literatur) […] war ausgesprochen literaten- und judenfeindlich und kämpfte für ein ‚freies, reinliches und wesenhaftes deutsches Schrifttum‘, das […] mit dem ‚völkischen Schrifttum‘ der Nationalsozialisten identisch war. […] Trotzdem kam [die Neue Literatur] zuweilen in Konflikt mit anderen Kulturgrößen im dritten Reich“ (ebd. S. 1 u. 3). Als Beleg dafür gibt Berglund wiederholt den aus Kindts Aufsatz entstandenen „Streit um Meister Eckhart“ (ebd. S. 3 u. Anm. 19; S. 87 u. Anm. 110; S. 119 u. Anm. 300) an. Ob es sich bei „Polemiken dieser Art“ wirklich „nicht um einen echten [ideologischen oder politischen] Gegensatz, sondern um Kompetenzstreitigkeiten und Eifersüchteleien zwischen eigentlich Gleichgesinnten“ (ebd., S. 119) bzw. um Konkurrenzneid mit anderen ns-Zeitschriften handelte, wird in der vorliegenden Studie überprüft bzw. hinterfragt. Karl Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“, in: Die neue Literatur 36,3 (März 1935), S. 125–143 (siehe unten Abb. 5.2). Darauf sind wir selbst aufmerksam geworden durch Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 9], S. 313, Anm. 2 und Largier, „Mystik und Tat“ (1991) [Anm. 9], S. 47, Anm. 52. Damals arbeitete Kindt als Studienrat an einem Gymnasium in Schwerin; zu Kindts Vita siehe Friso Melzer, „Nachwort“, in: K. Kindt, Vorschule christlicher Philosophie, Moers 1991, S. 263–269. Vgl. Karl Kindt, Geisteskampf um Christus – Weckrufe an das deutsche Gewissen, Berlin 1938, S. 252–254: „[…] Wir wissen nicht, ob Jesus Arier war; jedenfalls gehörte er dem nördlichen, den Ariern am nächsten stehenden Zweig der Semiten an. […] So mußten die Juden Jesus mit Recht als artfremd empfinden und ihn ausstoßen aus ihrer Mitte – um so mehr als

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sozialistischen Rechtgläubigkeit Eckharts, wobei er sich derart vehement dafür einsetzte, diesen Mystiker als Gefahr für das neuerwachte Deutschland zu verteufeln, dass sein Aufsatz eine Welle von Pro- und zumal Contra-Reaktionen hervorrief, die verschiedene Positionen und somit Fronten eines konfessionell wie politisch-ideologischen Kampfes für oder gegen Meister Eckhart erkennen lassen.

abb. 5.2

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Kindts Verteufelung von Meister Eckhart

Obwohl er weder der Einzige noch der Erste war, der mit protestantisch-kritischer Haltung den nordisch-germanischen Charakter des Denkens Meister Eckharts infrage gestellt hatte und demnach gegen die Zeitströmung bezüglich der Aneignung seiner mystischen Lehre als Inbegriff des Deutschtums zu äußerster Vorsicht ermahnte,31 gehörte Karl Kindt damals zu Eckharts ärgsten

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er nicht nur das arische Weltbild theoretisch vertrat, sondern den Anspruch erhob, selbst die persönliche Mitte dieses Weltbildes, der Saoschyant, der ‚Heiland‘ zu sein.“ Siehe dazu Martin Leutzsch, „Karrieren des arischen Jesus zwischen 1918 und 1945“, in: Die völkischreligiöse Bewegung im Nationalsozialismus (2012) [Anm. 13], S. 195–218, S. 211, Anm. 102, wo Kindt erwähnt wird. Siehe z. B. Julius Richter, „Jakob Böhme, der ‚Philosophus Teutonicus‘“, in: Neue Jahrbücher für Wissenschaft und Jugendbildung 10 (1934), S. 395–418, S. 397: „[…] Nach alledem hätte man doch einigen Grund, vorsichtig zu sein in der Betonung der rein und ausschließlich deutschen Art der Eckehartschen Gedankenwelt. […] Dann wird man aber schwerlich

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Verleumdern.32 Einiges deutet darauf hin, dass Kindt über seine ein Jahr zuvor veröffentlichte Warnung vor Ernst Bergmann († 1945) als „eine[r] deutsche[n] Gefahr“33 dazu kam, sich im Nachhinein näher mit Meister Eckhart zu beschäftigen und diesen ebenso zu betrachten. Bei seiner (dreifachen) Anklage gegen den Leipziger Philosophieprofessor34 und Apologeten einer deutschen Nationalkirche,35 der hier nicht umsonst und ohne weiteres als „de[r] weitaus gefährlichste[] Gegner des Christentums“ unter „den Mythogermanen der Gegenwart“ bezeichnet wurde,36 missbilligte Kindt in der Tat Bergmanns „Gehirnprodukt einer erklügelten ‚Deutschreligion‘“, also „diese (im Übrigen ja konstruierte!) Mystik“,37 die sich eindeutig weitgehend an der sogenannten „Deutschtheologie“ Meister Eckeharts orientierte,38 was Kindt zweifellos gewusst hat.39

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das Recht haben, in der Mystik Meister Eckeharts die deutsche Frömmigkeitsgestalt überhaupt zu finden.“ Siehe dazu Friedrich Schulze-Maizier, „Der Kampf um Meister Eckehart“, in: Die Tat – Deutsche Monatsschrift 27,8 (August 1935), S. 339–354, S. 350: „Unter der Überschrift ‚Meister Eckehart und das junge Deutschland‘ hat kürzlich Karl Kindt (im Märzheft der ‚Neuen Literatur‘) einen Aufsehen erregenden Vorstoß gegen den Meister unternommen, der an Schroffheit kaum zu überbieten ist.“ Vgl. Karl Kindt, „Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“, in: Die neue Literatur 35/5 (Mai 1934), S. 270–284. Zur selben Zeit warnte auch Ilse Roloff in ihrem Buch über Meister Eckeharts Schriften zur Gesellschaftsphilosophie (Jena 1934 [Die Herdflamme – Sammlung der gesellschaftswissenschaftlichen Grundwerke aller Zeiten und Völker 20]) „vor dem Modeschriftum über Eckehart“, dessen „arges Beispiel libertinistischer Natur“ von „Ernst Bergmann in seiner ‚Entsinkung ins Weiselose‘“ angeboten wurde (S. 328). Manche, wie Johannes Hessen in seinem Büchlein Der deutsche Genius und sein Ringen um Gott (2. Aufl., München 1937), das zehn von ihm im Wintersemester 1934/35 an der Kölner Universität gehaltene Vorlesungen wiedergibt (die zweite davon über „Die deutsche Mystik [Eckehart]“), fanden sogar „erfreulich, daß Ernst Bergmann, der Prophet einer ‚Deutschreligion‘ und einer ‚Deutschen Nationalkirche‘ (wie der Titel seines vielgenannten Buches lautet), gerade von nationalsozialistischer Seite eine scharfe Abfuhr erhalten hat. In der Zeitschrift: ‚Die Neue Literatur‘, die eine ‚Wacht des deutschen Geistes‘ sein will, veröffentlichte unlängst Karl Kindt einen Aufsatz, ‚Ernst Bergmann – eine deutsche Gefahr‘. […]“ („i. Der Kampf um Gott in der Gegenwart“, S. 9–19, hier S. 16). Vgl. Kindt, „Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ (1934) [Anm. 33], S. 275: „[W]ir […] ziehen Bergmann vor das Tribunal, das gerade er, der angebliche Verteidiger der Rechte des deutschen Volkstums gegenüber den Ansprüchen eines artfremden Glaubens, als oberste Instanz über sich anerkennen müßte, vor den Gerichtshof der Nation. Hier erheben wir eine dreifache Anklage: im Namen der deutschen Geschichte, im Namen der deutschen Wahrhaftigkeit und im Namen des Reiches.“ Siehe oben, Anm. 3 und auch Peter Bahn, „Ernst Bergmann. Von der deutschen Philosophie zur ‚Deutschen Volksreligion‘“, in: Jahrbuch zur Konservativen Revolution, hg. von Theo Homann, Köln 1994, S. 231–250. Kindt, „Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ (1934) [Anm. 33], S. 270. Kindt, „Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ (1934) [Anm. 33], S. 281. Dabei gab Kindt

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Was nachher bei Kindts Eckhart-Aufsatz auf dem Spiel stand, war folglich nicht nur die Zerlegung der Rosenbergschen Mythoserschaffung eines mittelalterlichen Predigers als „Apostel der deutschen Glaubenswerte“40 und somit die Zurückweisung der Verehrung seiner Lehre als arteigenen Ersatzes für die protestantische Glaubensfassung und ihren „außerhalb des deutschen Wesens“ liegenden „Wertmesser“,41 sondern zugleich auch und v.a. die Bloßstellung

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sich bereits einer antisemitisch geprägten Abwertung der Mystik als Denkform hin, sei sie katholisch oder deutschgläubig, indem beide „nicht nur den Geist [entwaffnen] […] und nicht nur aus diesem Grunde deutscher Wahrhaftigkeit ins Gesicht [schlagen], sondern dem Menschen [auch] ein stark erotisch gefärbtes Hochgefühl [suggerieren], dem keine objektive Gotteswirklichkeit entspricht, will man nicht Nation und Rasse vergötzen und damit gesinnungsmäßig zum ‚Juden‘ werden.“ Siehe Ernst Bergmann, Die 25 Thesen der Deutschreligion. Ein Katechismus, Breslau 1934, S. 18: „Unser ‚Wort Gottes‘ erklingt laut und deutlich in unserem Herzen. Dort steht unsere ‚Heilige Schrift‘ geschrieben, jenes dritte Testament, von dem schon Meister Eckhart spricht“; S. 36: „In der Deutschtheologie von Meister Eckhart bis Kant und Fichte lebt der hohe Menschenglaube der altnordischen und altgermanischen Religion kraft Erberinnerns fort. Wir rühren an die Wurzel der arteigenen altnordischen Gottesschau, wenn wir mit dem Meister und den rheinischen Gottesfreunden des 14. Jahrhunderts die hohe Seele als gotteinig und gottförmig erkennen.“ Im ersten Teil seiner Warnung kritisierte Kindt selbst Bergmanns „Inanspruchnahme einer glänzenden Ahnenreihe, die vom Menschen der Atlantiszeit über Meister Eckhart, Luther“ und weitere Mitglieder dieses Stammbaums „bis zu Herman Wirth, ‚dem Winckelmann des Nordens‘, vorrückt“ („Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ [1934] [Anm. 33], S. 271). Darüber hinaus berufen sich die drei religionsphilosophischen Schriften Bergmanns, auf die sich Kindts Anklage beschränkte (vgl. ebd., S. 270 in der Fußnote) – nämlich Die deutsche Nationalkirche (1933) [Anm. 3], Deutschland, das Bildungsland der neuen Menschheit. Eine Nationalsozialistische Kulturphilosophie (Breslau 1933) und Die 25 Thesen der Deutschreligion (1934) [Anm. 38] – jeweils explizit auf die Autorität Meister Eckharts und seiner mystischen Lehre. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/1944) [Anm. 2], S. 230. Siehe auch oben, Anm. 2. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/1944) [Anm. 2], S. 129. Zu Kindts Auseinandersetzung mit dem „Verhältnis des Verfassers des Mythus zur Religion und zu den Kirchen“ siehe seinen fünf Monate später erschienenen Aufsatz „Rosenberg und die Römischen“ (in: Die Neue Literatur 36,8 [August 1935], S. 441–458), in dem Kindt den Mythus zwar als „einen Generalangriff auf das Christentum“ betrachtete (S. 446); doch letztendlich stellt er Rosenberg, „mag er im einzelnen lehren was er will, seiner [ideologischen] Grundhaltung nach in die Reihe, die von Luther bis in das neue – echte – Heidentum hineinragt“ (S. 458). Zur Kontextualisierung dieses weiteren Aufsatzes von Kindt siehe dessen Brief an Will Vesper vom 4. April 1935, in dem vorab erläutert wurde, dass es dabei v. a. darum ging, „in veränderter Frontstellung noch einmal anzugreifen und das Wahrheitsmoment R[osenberg]s zu retten!“ Denn „[e]r selbst muß einsehen lernen, daß man den Katholizismus durch einen Generalangriff auf das Christentum immer nur stärkt und ihn mit dem Protestantismus zu einem ehernen christlichen Widerstandsblock zusam-

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der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘, die als ‚Kampfgemeinschaft für arteigenen Glauben‘ diesem Aufruf nach einer Umwertung bzw. Re-Germanisierung des Christentums gemäß dem Vorbild der Seelenmystik Eckharts folgte42 und in ihr – Bergmann zufolge – das Heilmittel gegen die Re-Christianisierung Deutschlands durch die Lutherische Reformation erblickte.43 Dieser abwertenden und daher für ihn abwegigen Sichtweise auf das geistige Vermächtnis des Reformators hielt Kindt gleich zu Beginn seines Aufsatzes ein überzogenes Plädoyer für eine unüberbietbare Hochachtung vor Luther entgegen:

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menschweißt!“ Stattdessen wäre es sinn- und somit wirkungsvoller, „wenn R[osenberg] und Luthertum (echtes L[uthertum, d. h. ‚in seiner unverfälschten Art‘ als ‚der schärfste Gegner des ultramontanistischen Katholizismus‘]!) sich fänden“, wohinter sich laut Kindt „das deutsche Schicksal“ verbirgt (Deutsches Literaturarchiv Marbach, Bestandssignatur: A:Vesper, Will/Neue Literatur, Zugangsnummer: 76.3662/6; an dieser Stelle möchte ich mich bei der für die Nachlasserschließung in dieser Einrichtung zuständigen Mitarbeiterin Frau Dipl.-Bibl. Martina Stecker bedanken, und zwar sowohl für die freundliche und zuvorkommende Kommunikation als auch für die unkomplizierte Zugänglichmachung der dort aufbewahrten Materialien, die in dieser Studie angeführt werden [siehe auch unten, Anm. 49–50, 112 u. 140]). Siehe dazu Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 9], S. 268–271. Siehe Ernst Bergmann, „War Meister Eckhart ein Christ oder ein Deutscher?“, in: Nordische Welt – Zeitschrift der Gesellschaft für Germanische Ur- und Vorgeschichte 3 (1935), S. 223– 236 u. 286–295, S. 225: „Wir Deutschreligiösen von heute haben das Recht und die Pflicht […] b) in Meister Eckhart den frühesten und größten Verkünder der anthropotheistischen Deutschreligion aus der Zeit vor der Re-Christianisierung Deutschlands durch Luther zu erblicken, c) den Glauben des Meisters an den gerechten und göttlichen Menschen ganz zu dem unsrigen zu machen und in diesem mutigen und tapferen, arteigenen deutschreligiösen Väterglauben die deutsche Jugend zu erziehen“; ders., Was der Deutschreligiöse von Meister Eckhart wissen muß!, Leipzig 1938 (Volkstümliche Reden und Schriften über Natur und Religion, Heft 3), S. 4 f.: „Man kann sehr wohl von einer germanisch-religiösen Renaissance (Wiedergeburt) des 14. Jahrhunderts sprechen, die durch Meister Eckhart eingeleitet und die durch die griechisch-römische Renaissance des humanistischen 15. Jahrhunderts und sodann vor allem durch die lutherische ‚Reformation‘ des 16. Jahrhunderts wieder verschüttet wurde, um erst in der deutschen Romantik des 19. Jahrhunderts wieder aufzuleben. Vor allem Luther, der die heiligen Schriften der Juden ins Deutsche übersetzte und dadurch die jüdisch-christliche Religion von neuem in Deutschland einbürgerte, nachdem sie durch Meister Eckhart und die Gottesfreunde des 14. Jahrhunderts schon fast überwunden war, ist es gewesen, der die verheißungsvollen Ansätze einer arteigenen deutschen Religion im Zeitalter der Gotik zerstört, die bereits im Verfall begriffene christliche Kirche durch seine Reformen vom Untergang gerettet durch seine halbgelungene, weil nicht artrechte ‚Reformation‘, die die katholische Gegenreformation hervorrief, Deutschland in das Unglück der Glaubenskriege des 17. Jahrhunderts gestürzt und durch seine Wiederverchristlichung Deutschlands im Sinne der reinpaulinischen, d.h. reinjüdischen Form des Erbsündenchristentums die Kraft des germanischen Geistes auf Jahrhunderte gebrochen hat. Unter diesen geschichtlichen Gesichtspunkten muß die einzigartige Gestalt Meister Eckharts heute gewürdigt werden.“

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Wenn es sich darum handelt, eine Gestalt unserer Vergangenheit aufzunehmen in die Ahnenhalle des neuen Deutschland, so ist dafür allein ausschlaggebend der Grad der inneren Verwandtschaft eines solchen Geistes mit den unveräußerlichen weltanschaulichen Grundsätzen des deutschen Menschen der Gegenwart. Selten freilich liegen die Dinge so günstig, daß bei dem ‚Ahn‘ eine auf nahezu alle entscheidenden Lebensfragen sich erstreckende Gleichgerichtetheit mit den Anschauungen des neuerwachten Deutschland festzustellen ist. Aber zuweilen ereignet sich auch dieses Wunder. Das ist z.B. der Fall bei Martin Luther. Hier wie dort der gleiche Mut, die gleiche heldische Gesinnung, der gleiche Opfersinn, der gleiche Kampfeseifer, die gleiche Liebe zu allem Geschaffenen, zum Kinde, zu Blut und Boden, zu Heimat und Vaterland, zu deutschem Lied und deutscher Sprache, die gleiche Sterbefreudigkeit; hier wie dort der gleiche Kampf gegen die übervölkischen Mächte der Papstkirche, des Judentums, des Kommunismus, der gleiche Zorn gegen Ausbeutung und Wucher; hier wie dort das gleiche tapfere Eintreten für die Rechte des autoritären Staates (auch auf dem Gebiete der äußeren Kirchengestaltung!), die gleiche Erkenntnis der großen geschichtlichen Sendung der Deutschen, die gleiche hohe Auffassung vom Sinn des Krieges, die gleiche hohe Wertschätzung von Arbeit und Beruf! Nur böser Wille oder völlige Verkennung der inneren Zusammenhänge könnte einem solchen Manne wie Luther einen Ehrenplatz in der Ahnenhalle des jungen Deutschland verweigern. Unwillkürlich fragt man sich: wer hätte denn eher Anspruch auf einen solchen?44 Jedenfalls sollte es nicht Meister Eckhart sein! Denn aus einer „Prüfung auf Herz und Nieren“ würde sich – laut Kindt – ergeben, dass seine Lehre in „den krassesten Gegensätzen […] zum Gedankengut des deutschen Menschen der Gegenwart“ mündet, weswegen man ihn für einen „falschen Heiligen“ halten müsse, der Deutschlands „heiligstes Wollen gefährden und verderben“ könne.45 Kindt war aber der Meinung, dass die Nachweiserbringung für die Stichhaltigkeit dieser seinem Aufsatz zugrunde liegenden Behauptung „so gut wie völlig unabhängig […] von den Ergebnissen der Eckhart-Philologie“ – und folglich ungeachtet der selbst für jemanden wie Kindt zu vermutenden wissenschaftlichen Fragwürdigkeit einer solchen Behauptung – durchgeführt werden sollte; andernfalls hätte er „sich noch lange gedulden“ müssen „bis zur

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Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 125. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 126.

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endgültigen Klärung aller Textfragen“, wobei er sich auf die zwei eben begonnenen und in Deutschland erscheinenden neuen Ausgaben der Werke Eckharts bezog, „die den Anspruch wissenschaftlicher Zuverlässigkeit erheben“.46 „[E]ine wissenschaftliche Darstellung der Lehre des Meisters in allen Einzelzügen“ hatte Kindt ohnehin „hier ja gar nicht“ in Betracht gezogen, weil er sich keineswegs mit der damals „allein im Mittelpunkt leidenschaftlicher Auseinandersetzung“ stehenden Frage nach dem „eigentliche[n] Eckhart“ beschäftigen wollte, nämlich ob der Meister eher ein ‚deutsch-idealistischer‘ Mystiker oder ein ‚katholischer‘ bzw. ‚romgläubiger‘ Scholastiker war.47 Im Gegenteil lehnte sich Kindt gegen die „meisten dieser einseitigen Eckhart-Darsteller“ auf: in erster Linie, wie bereits erwähnt, gegen „die Freunde einer ‚freien‘ deutschen Gläubigkeit“ (und zunächst gegen Bergmann), die den mittelalterlichen Mystiker in den höchsten Tönen als einen „idealistischen Deutschen“ preisen48 und durch „geschickte Auslegungskunst“ versuchen, „einzelne aus dem Zusammenhang gelöste Äußerungen eines solchen Geistes in irgendwelche Beziehung zu setzen zum Gedankengut des deutschen Menschen der Gegenwart“;49 umgekehrt aber auch gegen „die romgläubigen Katholiken“ bzw. gegen die für das „junge Deutschland“ zu „einer artfremden Wissenschaftlichkeit“ gewordene „katholische Forschung“, indem sie „Eckhart zum vollendeten Scholastiker stempelt“ und sich nunmehr – angesichts der „tiefen Gefährlichkeit gewisser Gedankengänge Eckharts“ – bemüht, „sich das dominikanische Ketzerungeheuer durch Ausstoßung oder Abschleifung der neuplatonischen Giftzähne 46

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Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 126. Vgl. Magistri Eckardi Opera Latina, auspiciis Instituti Sanctae Sabinae in Urbe ad codicum fidem edita, praesunt editioni curandae Gabriel Théry et Raymundus Klibansky, Leipzig (beim Verlag Felix Meiner) 1934-; Meister Eckhart – Die deutschen und lateinischen Werke, hg. im Auftrag der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, später Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stuttgart/Berlin (beim Verlag W. Kohlhammer) 1936–. Zum sog. ‚Konkurrenzkampf‘ zwischen den beiden genannten Eckhart-Ausgaben siehe u.a. Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 9], 295–297 sowie den Beitrag von Yossef Schwartz in diesem Band. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 127. Zur Behandlung dieser Frage auf deutschgläubiger Seite siehe Bergmann, „War Meister Eckhart ein Christ oder ein Deutscher?“ (1935) [Anm. 43]. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 127. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 126. Denselben Vorwurf machte Kindt bereits Bergmann, dessen „eine grobe Fälschung“ darstellende Ahnenreihe (siehe oben, Anm. 39) „durch gefühlsgeladene, aber zusammenhanglose und darum falsche Zitate“ unterstützt werde („Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ [1934] [Anm. 33], S. 271). In dem die Überreichung seines Manuskripts begleitenden Brief an Will Vesper vom 2. Januar 1935 setzte Kindt daher den Herausgeber der Neuen Literatur davon in Kenntnis, dass es sich nunmehr bei diesem neuen Aufsatz hauptsächlich

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zu einem dienstbaren, frommen, scholastischen Haustier heranzuzähmen“.50 Hierzu bestand Kindts Vorgehensweise darin, das Gegeneinander-Ausspielen dieser beiden entgegenstehenden und nach ihm jeweils übertriebenen Eckhart-Deutungen auszunutzen, nicht zuletzt weil er der – ausnahmsweise richtigen – Ansicht war, dass „der Scholastiker und der Mystiker, die in der Gestalt des Meisters einander durchdringen, nie ganz auseinandergerissen und gegeneinander aufgerechnet werden können“.51 Vor diesem gespaltenen Deutungshintergrund lautete für Kindt die einzig relevante Frage: „Passt das Gesamtbild Eckharts, das wir doch in den Grundzügen klar umreißen können, als Vorbild deutschen Menschentums und deutschen Glaubens in unsere Zeit?“ Oder zugespitzt formuliert: „Schlägt hinter all der scholastischen und neuplatonischen Begrifflichkeit ein deutsches Herz?“52 Damit stellte er sich doch selbst bloß eine provokativ-rhetorische Frage, woraus die als Leitfaden geltende Grundantwort hervorging: „Das neue Deutschland und der Dominikaner bleiben durch Welten geschieden“, und zwar durch „eine dreifache unüberbrückbare Kluft“,53 deren Darlegung den Hauptteil des Aufsatzes von Kindt bildete. Bevor wir einige ergänzende Erläuterungen zum Sachverhalt anfügen, soll hierfür zuerst Kindts Argumentationsgang in Form eines Breviers und somit nach seiner eigenen Ausdrucksweise wiedergegeben werden.

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„um die Torpedierung des nachgerade widerlich werdenden Eckhartkultes“ handelt. An dessen Veröffentlichung in jener Zeitschrift knüpfte Kindt zudem „eine doppelte Bitte“: „1) den Aufsatz ungekürzt zu bringen ([denn] er ist bereits zusammengestrichen, und meine Munition ist noch lange nicht verschossen, im Gegenteil: am liebsten würde ich ihn noch kräftig mit Zitaten spicken!), 2) ihn möglichst bald herauszubringen, weil ich im Wichern-Verlag demnächst eine E[ckhart]-Broschüre erscheinen lasse, zu de[r] der Aufsatz den Auftakt bilden soll“ (Deutsches Literaturarchiv Marbach, Bestandssignatur: A:Vesper, Will/Neue Literatur, Zugangsnummer: 76.3662/4). Auf die Herausgabe der von Kindt angekündigten Eckhart-Broschüre beim protestantisch geprägten Wichern-Verlag haben wir nicht den geringsten Hinweis gefunden. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 127f. Siehe dazu den Brief von Kindt an Will Vesper vom 2. Januar 1935 [Anm. 49], in dem explizit zugegeben wurde, dass eine der „zwei Nebenabsichten“ dieses Aufsatzes, d.h. nebst „im Kontrast [zu Eckhart] auf Luther hinzuweisen“, darin besteht, „der Propaganda der Kath[olischen] Aktion […], die E[ckhart] für die Scholastik retten möchte, das Wasser abzugraben“. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 127. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 128. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 128.

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2.1

Die dreifache unüberbrückbare Kluft zwischen Meister Eckhart und dem Wollen des jungen Deutschland 2.1.1 Erste unüberbrückbare Kluft „Eckhart ist ein Verächter aller hohen Güter der Schöpfung“, d. h. „der Natur, unsres Leibes, unsres Blutes, unsres Volkstums, unsrer Seele, unsres Rechts auf Arbeit, ja des Schöpfergottes selbst“,54 und somit eine „Schande“ für „das gesamte Dasein der Nation“ bzw. für „alle Politik im nationalsozialistischen Sinne“, welche Kindt zufolge dem Hauptzweck dienen sollte, „das geschöpfliche Wesen unseres Volkes im Einklang mit der großen uns umgehenden Gottesschöpfung nach allen Richtungen hin, leiblich und seelisch, bluts-, anlagen-, leistungsmäßig, aufs beste und kräftige zu entfalten“. Denn „allen derartigen Anliegen steht ein Mann wie Meister Eckhart völlig fremd und gleichgültig gegenüber“.55 Aufgrund einer völligen Missdeutung der Abgeschiedenheitsund Seligkeitslehre Meister Eckharts machte Kindt hier dem „Mystiker“ den Vorwurf, dass er – im schärfsten Gegensatz zu dem jungen Deutschland – „am Abbau der Schöpfung [arbeitet]“: „Eckhart fördert die Schöpfungsfremdheit und richtet, weil er doch selbst damals nicht das ganze deutsche Volk für seine Lehre […] gewinnen konnte, eine neue Standesmauer auf.“56 Um zu veranschaulichen, dass „aus der verwirrenden Fülle der Äußerungen“ Eckharts „nichts als eine Unsumme von Hemmungen, Hindernissen, von Geröllmassen, die uns den Aufstieg zur Seligkeit versperren“, resultiert, wurde dafür eine angeblich „besonders aufschlußreiche“ deutsche Predigt angeführt, und zwar die „Von der Armut im Geiste“ nach eigener Übersetzung auf Grundlage der „Ausgabe von Pfeiffer […], verglichen mit der Quintschen Textbearbeitung“.57 Doch sei es „noch weit verhängnisvoller“ für „die jugendliche Kraft des Nationalsozialismus“, wenn man „aus Eckharts Lehre [über die unio mystica] die völkischen und rassischen Schlußfolgerungen“ zieht, denen zufolge Eckhart „jeden Arier auf gleiche Stufe mit jedem Juden und Hottentotten“ stellen würde, ja sogar „unvorstellbar höher als die höchsten und edelsten Vertreter der nordischen Rasse“.58 Zur Immunisierung „gegen die Übertragung solcher Mias-

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Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 128. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 129. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 130. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 131f. Vgl. Predigt „Beati pauperes spiritu“, hg. von Franz Pfeiffer, in: Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, Bd. ii: Meister Eckhart, Leipzig 1857, S. 280,1–284,32 und Joseph Quint, in: Die Überlieferung der deutschen Predigten Meister Eckeharts. Textkritisch untersucht, Bonn 1932, S. 753–792. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 134.

„meister eckhart – ein falscher prophet?“

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men“, welche die deutsche Jugend infizieren könnten, bilden aber nach Kindt die der Ahnenhalle des neuen Deutschland würdigen „Geister“, angefangen mit Luther, also „eine geschlossene Front: die Front unbedingter Abwehr gegen das heimliche Asien!“59 2.1.2 Zweite unüberbrückbare Kluft „Eckhart fehlt jedes, aber auch das geringste Verständnis für das, was wir heute die ‚politische Wirklichkeit‘ nennen und worunter wir alles das zusammenfassen, was die Tatbestände des ‚Staates‘, der ‚Geschichte‘, des ‚Führertums‘, des ‚Heldischen‘ umgreift“,60 wobei diese Behauptung nicht lediglich auf den Dominikanermeister zutreffen sollte, denn „alle Mystik ist geschichtsblind“.61 Mit diesem zweiten Vorwurf wird nun die Vernachlässigung der „Frage des Politischen“ bzw. das Fehlen „einer eigenen Staatslehre“ bei Eckhart – im Vergleich zu „Männer[n] wie Augustinus, Thomas von Aquin, Dante, Luther, Zwingli, Calvin“ – als Mangel an „Sinn für das Heroische“ stigmatisiert. Demnach bleibt der Dominikaner nicht nur „blind für das Politische“, sondern auch für „das Heldische“62 und dessen für ihn insofern nicht erfassbaren Wert, als er „sich in frommer Selbstsucht erst gar nicht heraus aus seiner Eremitenklause, seiner ‚Abgeschiedenheit‘, seiner ‚Seelenburg‘ [wagt]“, anstatt selbst „Teil der Weltgeschichte“ zu sein. Deshalb war Eckhart – im Gegensatz zu dem Reformator Luther – „kein Held des Glaubens“ und wäre daher nie in der Lage gewesen, den zeitgenössischen „leidenschaftlichen Kampf um Ehre und Gleichberechtigung“ zu verstehen bzw. dessen Leitfigur für „das junge Deutschland“ zu werden.63

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63

Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 135. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 128f. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 135. Bezogen auf dieses Thema verweist Kindt in einer Fußnote („Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 136) auf seinen Verdeutlichungsversuch in einem früheren Aufsatz (vgl. „Der heldische Mensch und die Rechtfertigung aus Gnade“, in: Deutsche evangelische Erziehung – Zeitschrift für den evangelischen Religionsunterricht 45,12 [Dezember 1934], S. 504–508), in dem er „[den] Held, zumal wie wir Deutschen ihn verstehen, “ als „den gesteigerten Inbegriff des Männlichen“, „‚den Mann‘, Christus“ auffasst, also nach einer „aus dem Luthertum“ stammenden Auffassung, wonach es für Kindt klar geworden ist, dass „die Grenzen menschlichen Heldentums sehr weit“ von Rosenberg gezogen wurden, als er von „dem Religionsadel Eckeharts“ sprach (S. 506). Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 135–137.

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2.1.3

Dritte unüberbrückbare Kluft

abb. 5.3

„Eckharts Denken ist entscheidend vom Judentum her beeinflußt.“64 Hiermit kommen wir zu Kindts Hauptangriff (bzw. zum Schwerpunkt seines Aufsatzes und der daraus entstehenden Kontroverse65), dem zufolge der Dominikaner nicht nur „die ungeheure Gefahr, die schon damals das Judentum für Deutschland bedeutete“, ignoriert hat – im Gegensatz zu Luther in seiner Schrift Von den Juden und ihren Lügen (1543)66 –, sondern obendrein auch „sich nicht

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Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 129. Dass aufgrund dieses Teilaspekts der Auseinandersetzung Kindts mit der Lehre Eckharts „dem Aufsatz […] grundsätzliche Bedeutung zu[kommt]“ oder zukommen sollte, war dessen veröffentlichender Zeitschrift so klar, dass der Zeitungs-Dienst der „Neuen Literatur“ in ihrer Mitteilung zur Bekanntmachung dieses Aufsatzes (unter der von uns übernommenen Überschrift „Meister Eckhart – ein falscher Prophet?“) genau den entsprechenden Abschnitt (6.) vollständig wiedergab (siehe Abb. 5.3). Siehe auch Karl Kindt, „Luthers Kampf gegen das Judentum“, in: Die neue Literatur 40,2 (Februar 1939), S. 71–77 und diesbezüglich Johannes Brosseder, Luthers Stellung zu den Juden im Spiegel seiner Interpreten, München 1972 (Beiträge zur ökumenischen Theologie 8), S. 180–182: „Karl Kindts Aufsatz ‚Luthers Kampf gegen das Judentum‘ versucht

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gescheut hat, seinen eigenen Geist an jüdisches Denken und jüdische Philosophie zu versklaven“.67 Um seine Anschuldigung zu untermauern, bringt Kindt so ungehemmt wie unverfroren die Ergebnisse einer 1928 veröffentlichten Studie von Josef Koch (†1967) über „Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters“68 vor, in welcher die Einwirkung auf den mittelalterlichen Dominikaner von Salomon ibn Gabirol und Moses Maimonides aufgedeckt wurde, und zwar den letztgenannten betreffend in einer sowohl formal als auch inhaltlich würdigenden Abhängigkeit, die laut Kindt „das ganze System der Eckhartschen Mystik in eine ungesunde Bahn gelenkt hat“.69 „Doch damit ist das Kapitel ‚Eckhart und das Judentum‘ noch nicht abgeschlossen“, denn „neben der Berührung mit der jüdischen Philosophie des Mittelalters läuft noch eine zweite Linie der Berührung mit semitischem Geiste: die Beeinflussung durch Philon70 und den Neuplatonismus“, namentlich „den Ägypter Plotin […] und dessen Schüler, die Orientalen Porphyrios und Jamblichos“.71 Dieser „[Gegen-]Nachweis der arischen Abstammung der Mystik Meister Eckharts“ veranlasste Kindt zu folgender, aufständischer Feststellung: „Hier machen wir eine Erfahrung von grauenhafter Diabolie. […] Hier enthüllt sich jener luziferische Zug frevelhafter metaphysischer Neugier […]. Daß Meister Eckhart dieser Versuchung, der Todsünde des jüdischen Denkens,

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eine schwerpunktmäßige gegliederte Durchsicht durch Luthers Schrift ‚Von den Juden und ihren Lügen‘. […] Kindts Interpretation geschieht ausschließlich nach rassistischen und deutsch-völkischen Gesichtspunkten. […] Selten ist Haß so beredt gewesen! Luthers Äußerungen geraten hier in ein Interpretationsschema, welches nicht nur allen guten Geschmack, sondern dazu noch jegliche historische Argumentation vermissen läßt.“ Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 137. In: Jahres-Bericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur 101 (1928), S. 134– 148. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 138. Kindt zufolge „schuf der Jude Philon zur Zeit Jesu aus der Bastardisierung jüdischen und griechischen Gedankengutes das Urmodell eines mystischen Systems“, in welchem „fast alle späteren mystischen Systeme des Abendlandes“, einschließlich desjenigen von Meister Eckhart, „keimhaft eingelegt [sind]“ („Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ [1935] [Anm. 28], S. 139f.). Durch Kindts kompendienhafte Wiedergabe der grundstrukturellen Gemeinsamkeiten zwischen Eckharts mystischer Spekulation und Philons Lehrgebäude in Form einer Auflistung von zehn Eigentümlichkeiten wird man sich aber als Nächstes darüber im Klaren sein (trotzt mangelnder Betonung von Kindt), dass die zwei zuvor dargelegten unüberbrückbaren Klüfte aus der dritten und quasi als Wurzel aller Übel zu betrachtenden Kluft erwachsen sind. Demnach wäre die erste Kluft v.a. auf die 4. Eigentümlichkeit – „das Geschöpfliche […] gilt als das sittlich Minderwertige“ – und die zweite Kluft insbesondere auf die 9. Eigentümlichkeit – „der Sinn für das GeschichtlichPolitische fehlt völlig“ – zurückzuführen (ebd. S. 140). Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 139–141.

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erlag, ist sein schlimmster Makel.“72 Nach einer sich gleich anschließenden Erörterung darüber, was deutsch ist und was hingegen bei Meister Eckhart und „seinem geistigen Stammvater, dem Juden Philon“ nicht deutsch ist,73 schloss Kindt aus all seinen antisemitischen Ausführungen, dass Eckharts Gedankengut weder als „deutsch“ noch dazu als „scholastisch“ betrachtet werden kann, weil „das Kennzeichnend-Jüdische, das neuplatonische Element“ von den großen Scholastikern, „vorab von Thomas von Aquino, aufs schärfste bekämpft wird“.74 Deshalb ließ sich für Kindt letztendlich festhalten, dass „der Fall Eckhart ganz besonders gelagert ist“, insofern als „seine Lehre […], gerade soweit sie eigenwüchsig-eckhartisch ist (und nicht scholastisch), eine schlecht verhüllte Neuauflage der Philosophie des synkretistischen Judentums und als solche eine ungeheure Gefahr für das junge rasse- und artbewusste Deutschland [ist]“.75 72 73 74

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Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 141. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 141f. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 142. Siehe auch ebd., S. 142 f.: „Und im übrigen glauben wir auch im Sinne eines rechtgläubigen Katholizismus zu sprechen, wenn wir dies festnageln: wer auch Scholastiker ist wie Eckhart, ist es darum gerade nicht. Denn wer wirklich Scholastiker war wie Thomas von Aquino, hat der neuplatonisch-jüdischen Versuchung widerstanden.“ Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 142. Zur zeitgenössischen Ausnutzung einer ähnlich konstruierten Schlussweise seitens lutherisch(pseudo-)orthodoxer Theologen siehe Richter, „Jakob Böhme, der ‚Philosophus Teutonicus‘“ (1934) [Anm. 31], S. 396: „Die Forschung ist neuerdings auf die Beziehungen zwischen Eckehart und dem jüdischen Religionsphilosophen und Talmud-Gelehrten Moses Maimonides († 1204) aufmerksam geworden […]; und neben Maimonides werden noch der Jude Ibn Gabirol sowie die Araber Averroes und Avicenna als seine Lehrmeister genannt. Vielfache semitische Einflüsse also […] sind offenbar nicht wegzuleugnen – welche Belastung für den angeblich deutschen Inhalt seines Denkens! […] Endlich ist auch der weltflüchtige, d. h. die Welt verneinende Grundzug des Eckehartischen Denkens hervorzuheben […]. Wie reimt sich das mit der sonst immer und wohl mit Recht den Germanen zugeschriebenen Weltbejahung und ihrem Weltgestaltungstrieb?“; Hermann Dörries, „Ist der sogenannte Deutschglaube deutsch? Ein Beweisantrag (offener Brief) an Professor Hauer“, in: Junge Kirche – Halbmonatsschrift für reformatorisches Christentum 2,14 (16. Juli 1934), S. 576–579, S. 577–579: „Meister Eckehard aber hat […] vor allem Semiten zu Lehrmeistern gehabt […] und es ist unmöglich, ihn ohne diese zu verstehen. […] Und gerade die von Ihnen [i. e. den Anhängern der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘] aufgerufenen Gedanken Meister Eckehards finden sich in den orientalischen Quellen! Nach diesen Proben und der Erfahrung mit dem anderen Führer [i.e. Meister Eckehard] Ihrer Bewegung halte ich die Lehre von der Rassengebundenheit des sogenannten Deutschen Glaubens für Einbildung und die Behauptung von religiösen Urteilen aus deutscher Substanz heraus für einen gefährlichen, weil verführerischen Wahn. […] Denn wenn Arier semitische Glaubenssätze verkünden können und Semiten arische, dann ist also der Glaube nicht mehr rassisch bestimmt. […] Und unser Volk hat ein Anrecht dar-

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2.2 Ergänzende Erläuterungen zum Sachverhalt Alles in allem war Karl Kindt in diesem unerhörten Pamphlet bestrebt, in erster (oder letzter) Linie zu beweisen, dass Eckharts ketzerische Geheimlehre in ihrer vollen Tragweite das geistige Erbgut einer Rassenmischung vermittelt und vorrangig deswegen „mit den unveräußerlichen weltanschaulichen Grundsätzen des deutschen Menschen der Gegenwart“ unvereinbar ist76 bzw. dermaßen in Gegensätzlichkeit dazu steht, dass eine Aufwertung dieser Gestalt zum Vorbild für das junge Deutschland eine leichtsinnige Fehlentscheidung,77 ja sogar eine kontraproduktive Maßnahme78 wäre. Dementsprechend sollte der Dominikaner weder als Ahn mit deutschem Herzen noch

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auf zu erfahren, was das ist, wozu es so laut und selbstgewiß gefordert wird, und ob die Versicherung zutrifft, es sei die Religion unserer germanisch-deutschen Vorväter, deren Erneuerung es gelte“; Wilhelm Bergér, „Meister Eckart und seine Mystik“, in: Die Wacht – Evangelische Wochenschrift für Christentum und Deutschtum im protestantischen Geist, 1. Jahrgang, Nr. 13, Darmstadt, 28. März 1935, S. 102f., S. 103: „Aber als Ganzes ist sie [i.e. Eckarts Mystik] alles andere als deutsch. Weder ihrem Ursprunge noch ihrem Inhalte nach. Eckart ist Mystiker geworden, beeinflußt durch den Neuplatonismus. Den hat er in seiner kleinasiatischen Form kennengelernt. Es ist bezeichnend, daß neuerdings auch völkische Schriftsteller anfangen, zu betonen, daß Eckart, den man doch als Vorkämpfer gegen das orientalisch-jüdische Christentum gebrauchen wollte, selbst orientalischjüdisch infiziert sei. […] Das schließt nicht aus, daß er die fremdländische Religionsform mit seinem deutschen Erleben erfüllt hat“; Johann von Walter, „Meister Eckhard im Kreuzfeuer neuzeitlicher Weltanschauungskämpfe“, in: Zeitwende 12,1 (Oktober 1935), S. 233– 241, S. 234f.: „Die Beliebtheit Meister Eckhards beruht zur Zeit in nicht geringem Maße auf der Behauptung, er habe gegenüber der semitischen Gottesanschauung […] dem arischen und germanischen Glauben an den ‚Gott in der eigenen Brust‘ zur Geltung verholfen. […] Ist so, von hier aus gesehen, der Satz nicht haltbar, daß Eckhards Gottesanschauung das Hervorbrechen germanisch-arischen Gottglaubens aus semitischer Verschüttung war, so belehrt uns ein Blick in die Schriften Eckhards sehr schnell über die wahren Quellen seiner Lehre. […] Der Hauptherausgeber der Eckhardausgabe der Berliner Akademie, Josef Koch, schreibt hierüber: ‚Soweit ich bisher urteilen kann, scheint mir Eckhard weit stärker als ein Scholastiker vor ihm von Maimonides beeinflußt zu sein. […]‘ (Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur 1928, Breslau 1929, S. 147f.). Es bleibt abzuwarten, wieweit die neue Ausgabe das Gesagte bestätigen wird. In jedem Falle werden wir bei Eckhard Sinn für modern-völkisches Denkens kaum anzunehmen haben.“ Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 125 (siehe oben, Anm. 44). Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 126. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 142: „Was nutzen alle antisemitischen Maßnahmen, wenn unbewußt ältestes jüdisches Erbgut unter uns nicht nur geduldet, sondern sorgsam gehegt wird! Wir gleichen Menschen, die, während über ihrem Kopfe eine neue Heimstätte entsteht, ein Paket Dynamit nach dem andern in ihren Keller schleppen.“

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als Held deutschen Glaubens gelten, sondern wohl als „ein[] falsche[r] Prophet“,79 der dann nichts weniger als ein „Judenknecht“ wäre.80 Nach der

abb. 5.4

objektiven Berichterstattung des Schweizer Journalisten und Philosophen Hans Barth (†1965) bestand daher „das Tragikomische der Situation“ darin, dass Karl Kindt in seinem Aufsatz „das Maß der Verwirrung um Eckhart voll macht, indem er eine forsche Attacke gegen Eckhart, den von Rosenberg und Hauer als urnordischen Geist gepriesenen Eckhart, reitet“.81 Sieht man genau hin, so wird es in der Tat klar, dass Kindt das damalige Hauptargument zur Abwertung des Protestantismus82 geradewegs gegen den Dominikanermeister

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Siehe dazu oben, Anm. 7 und 65. Hans Barth, „Tragikomisches um Meister Eckhart“, in: Neue Zürcher Zeitung und schweizerisches Handelsblatt, 156. Jahrgang, Morgenausgabe Nr. 485, Donnerstag 21. März 1935, Bl. 2 (siehe Abb. 5.4). Barth, „Tragikomisches um Meister Eckhart“ (1935) [Anm. 80], Bl. 2. Barths vollständiger Artikel wurde auch abgedruckt im Bericht „Die Wahrheit über Meister Eckhart“, in: Berichte zur Kultur- und Zeitgeschichte, xi. Band, Ausgaben Nr. 258–259, Wien/Leipzig 1935, S. 706–712, S. 709–712. So unterstrich Rosenberg in Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/1944) [Anm. 2] das Versagen des Protestantismus, indem „er auf halbem Wege stehenblieb und an die Stelle des römischen das jerusalemitische Zentrum setzte“ (S. 129) und dabei so sehr das Evangelium mit dem Alten Testament belastete, dass „die lutherische Rechtsgläubigkeit sich bisher dem Leben durch den Schwur auf die jüdische Bibel verschloss“ (S. 250). „Die große Sünde des Protestantismus“ bestünde folglich darin, „anstatt auf [die frohe Botschaft der deutschen Mystik] zu hören, das sogenannte Alte Testament zum Volksbuch und den jüdischen Buchstaben als Götzen hingestellt zu haben“ (S. 218). Deshalb sollte im Rahmen einer „zweiten und endgültigen deutschen Kirchenreformation“ – Bergmann

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verwendet hat, um die Oberflächlichkeit der von parteieigenen Religionsstiftern idealisierten gut-deutschen, d.h. aufpolierten Eckhartdeutung mit deren eigenen argumentativen Waffen zu schlagen. Dafür wusste er wohl zu seinem Vorteil die neuesten philologischen Entdeckungen der Eckhart-Forschung auszunutzen, indem er sie aus ihrem wissenschaftlichen Kontext löste, um zugleich – wenn auch nebenbei83 – die entgegengesetzte gut-katholische, d. h. mit der römischen Orthodoxie konforme Geltendmachung dieses – obschon zum Pantheisten gebrandmarkten – Dominikaners als eines Erzscholastikers ebenfalls lächerlich zu machen. Kindts Ausnutzung stichhaltiger Forschungsergebnisse von Koch, der mittlerweile die Leitung für Die Lateinischen Werke innerhalb der im Juli 1933 eigens zur Herausgabe sämtlicher Schriften Meister Eckharts gegründeten Kommission übernommen hatte,84 erscheint uns aber andererseits wie eine verkappte, verdrehte Rechtfertigung jener bereits begonnenen historisch-kritischen Eckhart-Ausgabe,85 damit die dazu erforderliche (gründlichere) Quellenuntersuchung weitere belastende Belege für „Eckharts judaisierende Mystik“86 ans Licht und folglich noch mehr Wasser auf Kindts Mühle bringen solle.87

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zufolge – „eine Deutschkirche auf völkisch-religiöser Grundlage“ gesetzt werden (Die 25 Thesen der Deutsch-Religion [1934] [Anm. 38], S. 22 und oben, Anm. 38). Ob eine solche „Reformation würdig der deutschen Geschichte, würdig deutschen Wesens, würdig des Dritten Reiches“ wäre, hat Kindt in seinen Bergmann-Aufsatz explizit und thematisch in Frage gestellt („Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ [1934] [Anm. 33], S. 272). Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 142: „Wir wissen, daß wir nur den einen Eckhart gezeichnet und den anderen, den Scholastiker, unterschlagen haben. Aber wir wissen weiter, daß, wenn wir ‚Eckhart‘ sagen, wir nicht den Scholastiker meinen, genauso wenig wie wir den Juristen meinen, wenn wir ‚Goethe‘ sagen.“ Vgl. „Niederschrift einer Besprechung in der Notgemeinschaft am 14. Juli 1933 über die wissenschaftliche Erschließung der Schriften des Meisters Eckhard“, Anhang eines Briefes von Staatsminister Friedrich Schmidt-Ott (Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft) an Josef Koch, Berlin, 18. August 1933 (Meister-Eckhart-Archiv, Sign.: ti mea-gga-i-bw1933-08-18-2-A), S. 3: „Eine Kommission für das Eckhard-Unternehmen wird konstituiert aus den anwesenden Forschern; […]. Die Leitung der großen Ausgabe soll für die lateinischen Schriften Professor Koch – Breslau, für die deutschen Schriften Dr. Quint – Bonn übernehmen. Beide Herren sollen zusammen mit Professor Seeberg, der die Geschäftsführung für die Kommission übernimmt, den engeren Ausschuß für die Durchführung bilden.“ Siehe oben, Anm. 46. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 142. Siehe dazu Lutz Danneberg, Deutsche Linie und Deutsche Wissenschaft: Eckhart, Cusanus, Paracelsus, Copernicus, Böhme, Kepler, Leibniz & Co. – überfällige Forschungen zur Arbeit an der Deutschen Linie des Denkens und Fühlens und zur Diskussion eines nichttraditionellen Konzepts epistemischer Güte zwischen 1933 und 1945 [fheh-Preprint-Version 4. 7. 2012 (1. Version 10.9.2008)], online abrufbar unter http://fheh.org/wp‑content/uploads/​

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Diese bedingungslose Ablehnung der nationalsozialistischen Rechtgläubigkeit Meister Eckharts führte des Weiteren zur überspitzten Abneigung gegenüber der Mystik schlechthin,88 welche als „die feinste Maskerade menschlicher Eitelkeit“ in Misskredit gebracht wurde.89 Doch abgesehen davon, dass für Kindt jede Mystik orientalisch-jüdisch infiziert war,90 hätte sie ansonsten kein Empfinden für die deutsche Glaubens- bzw. Volksgemeinschaft,91 wohingegen dies gerade der Sinn des Nationalsozialismus wäre. Blinde Mystiker wie Meister Eckhart,92 d.h. Vertreter eines Übermönchstums93 und demnach eines pseudo-höheren Grades des Glaubens,94 stellen „im Grunde die ersten Klassenkämpfer“ dar, deren „mystischer Intellektualismus den Armen im Geiste die Seligkeit oder zumindest die höchste Stufe der Seligkeit ab[sprach]“,95 was darauf schließen lässt, dass Kindt überhaupt nichts vom Begriffsinhalt der Predigt Beati pauperes spiritu96 verstanden hat und dem Ausdruck ‚die Armen

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2016/07/dfgdlluda.pdf, S. 161: „Hier zeigt sich eine andere Funktion, die in bestimmter Weise eingerichtete Editionen haben können – und bei der Ausgabe der Schriften Meister Eckharts ist das eminent der Fall; kaum eine andere Ausgabe in der Zeit eines mittelalterlichen Denkers dürfte dem gleichkommen: Belege und Verweise in Hülle und Fülle im Quellenapparate machen es zumindestens schwerer, bestimmte ‚Einflüsse‘ zu ‚übersehen‘ und diese erfordern dann Erklärungen, zumal dann, wenn es sich angesichts der ‚Deutschen Linie‘ um unliebsame Einflüsse handelt.“ Koch betonte selbst zum Schluss seiner Studie: „Wie nun jedes neue Forschungsergebnis neue Fragen auslöst, so auch hier. Denn wenn Meister Eckhart den Moreh Nebuchim so genau studiert und sich zu eigen gemacht hat, so steht zu erwarten, daß das Buch auch fernerhin in deutschen Mystikerkreisen lebendig blieb“ („Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters“ [1928] [Anm. 68], S. 148). Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 139. Vgl. Kindt, „Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ (1934) [Anm. 33], S. 281 und oben, Anm. 37. Vgl. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 139: „Die Mystik ist ihrer Wurzel nach gemeinschaftszerstörend, denn sie setzt immer stillschweigend den ‚anderen‘, den Nichteingeweihten den – geistlichen – ‚Pöbel‘ voraus.“ Vgl. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 129: „Er ist ‚Mystiker‘. Das kommt von dem griechischen Zeitwort ‚myein‘, welches so viel bedeutet wie ‚die Augen schließen‘.“ Vgl. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], 132f.: „Soll das neue Deutschland dem Geiste dieses Übermönchs geopfert werden? […] Wieweit entfernt sich dies Übermönchstum von dem Wollen der deutschen Jugend heute!“ Vgl. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 139: „[…] sodann aufgeräumt hat mit dem alten Vorurteil, als könne es zwei Grade des Glaubens, zwei Arten von Gläubigen geben: eine niedere, die den von der Kirche vorgezeichneten Weg zu gehen hat, will sie – gleichsam notdürftig – selig werden, und eine höhere: die, welche den mystischen Geheimpfad wissen und wandeln.“ Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 139. Siehe dazu oben, Anm. 57.

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im Geiste‘ hier eine ganz andere Bedeutung gab, nämlich die einer niederen Art von Gläubigen. Diese sich „in die Exklusivität des Besitzes“ und so zur gewissen „Bourgeoisie“ wandelnde Mystik sei deshalb „ihrer Wurzel nach gemeinschaftszerstörend, denn sie setzt immer stillschweigend den ‚anderen‘, den Nichteingeweihten[,] den – geistlichen – ‚Pöbel‘ voraus“.97 Nun aber hätte laut Kindt „keiner das besser als Luther“ erkannt!98 Eben durch eine solche, sich von der angeblichen Mystikfeindschaft des späteren Luthertums nährende Warnung vor dem Geisteserbe Eckharts wird ersichtlich, dass die verdeckt darunterliegende Absicht dieses Aufsatzes darin bestand, den führenden Kopf „der ganzen schummerigen, schwülen, süßlichfemininen, sog. ‚deutschen‘ Mystik des Mittelalters“99 und den Spiritus Rector der Reformation des katholischen Glaubens bzw. der „bisher größte[n] deutsche[n] Glaubensbewegung“100 einander diametral gegenüberzustellen, um „den größten Teufelskenner und Teufelskämpfer Dr. Martin Luther“,101 dessen Name hier nicht weniger als ein Dutzend Mal angeführt wurde, gegen das „dominikanische Ketzerungeheuer“ abzugrenzen.102 Auf seine sehr unorthodoxe Art und Weise hat sich Kindt deshalb bemüht, die Lehre Eckharts zu entnazifizieren, um diejenige Luthers als vortreffliches Ideal- bzw. Leitbild zur Erfüllung der Erwartungen einer nationalsozialistischen Weltanschauung und damit einer wahren germanischen Religiosität geltend zu machen: „[D]eutsch nicht zuletzt“, schreibt Kindt, ist „das Donnerwort Luthers, mit dem er sein Volk von den Abgründen frevelhaften Fürwitzes zurückreißt: ‚Hier gebührt aller Welt das Maul zu halten und mit Furcht und Zittern anzubeten die heimlichen Dinge und das Geheimnis göttlicher Majestät‘.“103 Von diesem Gesichtspunkt aus gehörte Kindt zur Denkströmung neureformatorischer Theologen Deutschlands, die als Befürworter der Naziideologie und aufgrund einer Verquickung beider Weltanschauungen eine mehr oder weniger radikale Ansicht vertraten und folglich zu jener Zeit gegen die Ausweitung der völkisch-

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Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 139. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 139. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 143. Kindt, „Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ (1934) [Anm. 33], S. 278. Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 136. Siehe oben, Anm. 50. Als historischen Nachweis für Eckharts ketzerische Anschauungen berief sich Kindt hier auf die „Ketzerbulle“ von „Papst Johann xxii.“, der „jedenfalls Eckhart für gefährlicher [hielt], als es seine katholischen Wortführer heute tun“. Dadurch versteht man besser Kindts Behauptung zu den „Bergmannschen Ketzereien“, wonach sie „seit Jahrhunderten widerlegt worden sind“ („Ernst Bergmann, eine deutsche Gefahr“ [1934] [Anm. 33], S. 274). Kindt, „Meister Eckhart und das Junge Deutschland“ (1935) [Anm. 28], S. 142.

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propagandistischen ‚Eckhart-Renaissance‘104 ein ‚Zurück zu Luther‘ als wahrhaftigem Propheten der Deutschen105 bzw. eine für das herrschende Regime wert- und vertrauensvollere ‚Luther-Renaissance‘ nationalsozialistischer Prägung verfochten.106 In den Reihen ihrer Befürworter stieß dieser Eckhart-Aufsatz allerdings nicht nur auf begeisterte Resonanz,107 sondern auch auf Missbilligung, nicht 104 105

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Siehe dazu im Vorwort dieses Bandes, S. viii f. u. Anm. 15. Siehe dazu u. a. Bergér, „Meister Eckart und seine Mystik“ (1935) [Anm. 75], S. 102f.: „[…] man preist ihn als den Mystiker der Religion des Blutes, und in deutschgläubigen Kreisen erhofft man von seiner Renaissance nichts weniger als die Überwindung des Christentums. Dieser Prophet deutschen Glaubens ist natürlich in den Augen seiner gläubigen Verehrer einem Luther, der bei all seinen Vorzügen eben halt doch im orientalischen Christentum hängen blieb, weit überlegen als nationaler Heros nicht nur, sondern auch als religiöser Genius. […] Was ist das alles gegen Luther! […] Wie tausendfach mehr hat er [i.e. Luther] das Recht, der Prophet der Deutschen zu heißen. Der Versuch, ihn durch ein künstlich zurechtgemachtes Bild und eine propagandistisch übertriebene EckartRenaissance zu ersetzen, wird ebensosehr an der geschichtlichen Wahrheit als an dem deutschen und christlichen Sinn unseres Volkes scheitern“; oder noch Hermann Dörries, Luther und Deutschland, Tübingen 1934 (Sammlung gemeinverständlicher Vorträge 169), S. 17–19: „Luther, der Deutsche, hat sein Volk nicht nur zum nationalen Einsatz gefordert, sondern hat als sein Prophet ihm seine Berufung verkündet. […] Kein Wunder aber ist es, sondern der Beweis für das Recht der lutherischen Geschichts- und Staatslehre, daß der Staat, der den lutherischen Gedanken am reinsten verkörperte, aus den Trümmern heraus den Aufbau eines neuen Reiches geleistet hat. […] Gedenken wir dessen, daß der große Mann, den Deutschland hervorgebracht hat, ein Prophet gewesen ist, der unser Volk einem höheren Willen unterwarf […] Lassen wir uns von dem Propheten der Deutschen weisen, den Ruf, der an uns ergeht, zu hören und der entscheidenden Stunde zu gehorchen. Denn sie beide gehören untrennbar zusammen: Luther und Deutschland!“ In dieser Hinsicht äußerte sich Dörries auch selbst zur gleichen Zeit in sonstigen Publikationen gegen die Eckhartdeutung der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘, mit ganz ähnlicher Argumentation wie bei Kindt, diesem gegenüber jedoch zurückhaltender formuliert; siehe die bereits in Anm. 75 zitierte Stelle aus seinem Aufsatz „Ist der sogenannte Deutschglaube deutsch?“ sowie ders., „Worin gehört Meister Eckhardt?“, in: Junge Kirche 5,1 (2. Januar 1937), S. 9–21, insbes. S. 19–21. Zu den Hintergründen dieser ns-geprägten Lutherrenaissance siehe u.a. in Norbert Mecklenburg, Der Prophet der Deutschen. Martin Luther im Spiegel der Literatur, Stuttgart 2016, das „viii. [Kapitel:] Luther und der deutsche Ungeist. Die ‚Lutherrenaissance‘ vom Kaiserreich bis zum ‚Dritten Reich‘“, S. 145–165, wodurch man erfährt, wie – in ähnlicher Weise wie die ‚Eckhartrenaissance‘ – „sich die ‚Lutherrenaissance‘ nicht als rein wissenschaftsgeschichtliches, sondern zugleich als ideologisches Phänomen [erwies]“ (ebd., S. 156). Denn „die wissenschaftliche ‚Lutherrenaissance‘ mündete […] bruchlos in den Nazi-Ungeist. Nationalistische Theologen, Historiker und Germanisten umschwärmten 1933 erneut den ‚deutschen Luther‘ und stellten ihn beflissen als einen geistigen Vorläufer des ‚Dritten Reichs‘ hin“ (S. 162). Siehe z. B. den Artikel „Meister Eckhart und das Neue Deutschland“, in: Die Wacht, 1. Jahrgang, Nr. 25, Darmstadt, 20. Juni 1935, S. 195f.: „Gegen das positive Christentum, auf

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zuletzt seitens des Lutherforschers und neuen Präsidenten des ‚Evangelischen Bundes‘ Heinrich Bornkamm (†1977),108 welcher sich aber selbst intensiv bemühte, „die Wesensunterschiede [zwischen Eckhart und Luther] aufzudecken, die ihm zugleich beweisen, daß eine Reformation aus dem Geist der Mystik unmöglich ist“, wobei „sich noch einmal all die alten Vorwürfe und Vorbehalte gegen die Mystik [verdichten]“.109 Obwohl er ebenfalls und aus demselben herkunftsmäßigen Grund es für „unmöglich“ hielt, „[d]en Inhalt der Eckhartschen Mystik aus einem geistigen nordischen Erbgut abzuleiten“,110 gab

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dessen Boden der Nationalsozialismus steht, sind in den jüngsten Jahren viele aufgetreten. Als Ersatz für das Christentum empfiehlt man die Religion, die der Mystiker und Dominikanermönch Meister Eckhart (1260–1327) gelehrt hat. Darüber aber, worin diese Religion eigentlich besteht, geht der Streit der Gelehrten schon seit langer Zeit. Wie die Leute von einfacher Bildung sich zurechtfinden sollen, ist dunkel … Die allseitig als vorzüglich anerkannte Zeitschrift ‚Die neue Literatur‘, die von Will Vesper durchaus im nationalsozialistischen Sinne geleitet wird, brachte (in Heft 3) einen Aufsatz des hervorragend sachkundigen Karl Kindt über ‚Meister Eckhart und das junge Deutschland‘, dem wir einiges entnehmen: […]“ (darauf folgt ein Florilegium aus Kindts Aufsatz). Zur Einreihung Bornkamms in die damaligen Zusammenhänge siehe u.a. Mecklenburg, Der Prophet der Deutschen (2016) [Anm. 106], S. 162: „Es waren teilweise noch dieselben Professoren, die sich schon 1917 als nationalistische Luther-Festredner betätigt hatten, die nun 1933 erneut das nationale Erwachen zugleich mit Luthers 450. Geburtstag feierten. Vor allem aber fällt auf, dass sich die aus der Schule Karl Holls kommenden Lutherforscher 1933 fast alle dem ns-Staat andienten, an der Spitze hartgesottene Ideologen […], aber auch jüngere Forscher wie […] Heinrich Bornkamm, die nach 1945 zu den namhaftesten Reformationshistorikern zählen sollten.“ So „sprach Bornkamm 1933, als ein deutscher Staat begann, der seiner Ansicht nach endlich wieder dieses Namens wert war, so dass er sich diesem gleich mit mehreren Reden verschrieb, natürlich auch wieder über das Thema Luther und der deutsche Geist und spürte dabei dem ‚tiefen, verborgenen Wurzelgeflecht‘ nach, ‚das Luther und das deutsche Wesen miteinander verbindet‘. Das Staatsdenken Luthers fand Bornkamm bei Bismarck und Hitler wieder, und das deutsche Volk habe seine Haltung zum Krieg von Luther gelernt, denn der habe ihn als ein ‚Amt, das an sich selbst göttlich ist‘, bezeichnet. Das ‚nationalsozialistische Gedankengut‘ beweise darin seine ‚Echtheit für uns Deutsche, daß es bis zu den tiefsten Quellen der Reformation hinabreicht‘. Diese Rede Bornkamms endet mit dem markigen Satz aus Ritters Lutherbiographie: ‚Er ist wir selber: der ewige Deutsche.‘ So konnte Bornkamm 1939 als Kriegstheologe und Präsident des Evangelischen Bundes dem ‚Führer‘ im Namen der evangelischen Christen ‚Gehorsam und Opferbereitschaft‘ geloben.“ Vgl. Heinrich Bornkamm, Luther und der deutsche Geist, Tübingen 1934 (Sammlung Gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte 170), S. 4, 9, 11–13 und 20. Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 9], S. 292. Heinrich Bornkamm, „Das Eckartbild der Gegenwart (Schluß)“, in: Deutsche Theologie – Monatsschrift für die deutsche evangelische Kirche 3,7/8 (Juli/August 1936), S. 234–246 (siehe unten Abb. 5.5), hier S. 244 [auch kurz danach in leicht umgearbeiteter Form wiederveröffentlicht, in: Eckhart und Luther, Stuttgart 1936; siehe dort S. 67]: „[…] Das wird

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Bornkamm nichtsdestoweniger dazu folgenden Ratschlag: „Von der peinlichen Umdrehung der bekämpften Methoden, mit der Karl Kindt […] den Deutschen das entdeckte Judentum Eckharts abschreckend vormalen will, sollte sich eine Abwehr, die ernst genommen sein möchte, freihalten.“111

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bestätigt durch die Tatsache, daß Eckhart selbst auf geistige Zusammenhänge hinweist, die alles andere als nordisch sind. Seine Vorliebe für den Afrikaner Augustin, den Rabbi Moses Maimonides, seine Abhängigkeit von dem ägyptisch-syrischen Neuplatonismus des Plotin, des semitischen Areopagiten, seine Beziehungen zu den arabischen Philosophen Avicenna und Averroes sind so dicht bei ihm selbst belegt, daß wirklich niemand daran vorübergehen kann. Aber damit bleibt die Frage nach der Aneignung dieses gewiß nicht nordischen mystischen Traditionsgutes durch einen deutschen Geist noch immer gestellt, auch wenn der viel umfassendere Versuch, Eckharts Lehre als den Inbegriff eines deutschen Glaubens schlechthin auszugeben, an diesen geschichtlichen Tatsachen zu Bruch geht.“ Bornkamm, „Das Eckartbild der Gegenwart (Schluß)“ (1936) [Anm. 110], S. 244, Anm. 155.

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Reaktionen der „einseitigen Eckhart-Darsteller“

Auch wenn es unter ‚normalen‘ Umständen zutrifft, dass ein solches Gewebe voller Unsinnigkeiten wohl kaum einer ausdrücklichen Zurückweisung bedürfte bzw. nicht einmal das zu deren Druck benötigte Papier wert wäre, lief es jedoch damals anders: Man wehrte sich energisch dagegen, um den je eigenen Standpunkt mit Wahrheitsanspruch öffentlich zu vertreten, wofür viel Tinte geflossen ist.112 Anstifter dieses lebhaften Gegenstoßes waren de facto die von Kindt angegriffenen „einseitigen Eckhart-Darsteller“, die nun hier zwei grundsätzlich verschiedene Frontlinien eines Grenzkampfes beispielhaft kennzeichnen: einerseits die gut-deutsche Frontlinie zur Verteidigung der nationalsozialistischen Rechtgläubigkeit Meister Eckharts und andererseits die gut-katholische Frontlinie zur Rehabilitierung seiner christlichen Orthodoxie. 3.1 Reaktionen der gut-deutschen Frontlinie 3.1.1 Reaktionen von parteipropagandistischen Organen Es versteht sich von selbst, dass ein frontaler Angriff gegen Rosenbergs normative Geistesgestalt seines „Mythus von Volksseele und Ehre“113 nicht ohne Reaktion von parteilicher Seite bleiben konnte. Zuerst sah sich die vom Reichsjugendführer der nsdap Baldur von Schirach († 1974) herausgegebene Zeitschrift Wille und Macht als Führerorgan der nationalsozialistischen Jugend verpflichtet, „[sich] ganz entschieden gegen derartige üble Mache [zu] verwahren“. Interessanterweise bezog sich diese Warnung nicht auf Kindts Aussagen zu Eckhart, sondern lediglich auf deren Adressaten; denn Kindt war keineswegs befugt, „im Namen des jungen Deutschland zu sprechen“ bzw. „sich als Sprecher der [Hitler-]Jugend auszugeben“, v.a. in „einer Zeitschrift, die sich bereits des öfteren in verdeckten Angriffen auf die nationalsozialistische Jugend gefiel“ und „deren Geisteshaltung dem jungen Deutschland entgegengesetzt ist“.114 Darauf antwortete niemand anders als der Herausgeber der 112

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Selbst Kindt bat später Will Vesper in einem Brief vom 26. Oktober desselben Jahres, „noch einmal einen Eckhart-Aufsatz von [ihm] zu veröffentlichen“, und fügte direkt ein Probemanuskript davon mit folgender Begründung bei: „Gerade wo man die Angelegenheit jetzt so weit getrieben hat, kann ich nicht zurück, keinen Zentimeter. Ich habe in meinem Schreibtisch ein ganzes Paket von Eckhartübe[r]tragungen und -erklärungen, Material genug, meine Gegner ein volles Jahr in Atem zu halten“ (Deutsches Literaturarchiv Marbach, Bestandssignatur: A:Vesper, Will/Neue Literatur, Zugangsnummer: 76.3662/8). Auch hier wiederum (siehe oben, Anm. 49) haben wir keine Spur von der Veröffentlichung eines solchen Aufsatzes von Kindt gefunden, sei es in der Neuen Literatur oder anderswo. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930/1944) [Anm. 2], S. 624. „Im Namen des jungen Deutschland“, in: Wille und Macht. Führerorgan der nationalsozialistischen Jugend 3,9 (1. Mai 1935), S. 32 (siehe Abb. 5.6).

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Neuen Literatur Will Vesper (†1962)115 und beklagte sich dabei zunächst über die häufigen Angriffe dieses Organs auf ihn und seine Zeitschrift. Was den Vorwurf gegen Kindts Aufsatz betrifft, machte Vesper kurzen Prozess mit dem „Verfasser jener Glose“, dessen Unterstellungen darauf hindeuten mögen, dass er diesen Aufsatz „wahrscheinlich gar nicht gelesen [hat]“. Ferner bat Vesper

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„Als Gauobmann des ns-Reichsverbands deutscher Schriftsteller wirkte er aktiv für seine nationalsozialistische Überzeugung. Sein wichtigstes Sprachrohr, das er immer wieder

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die Führung der Hitlerjugend, deren „beste Kampfkraft für das junge Deutschland“ eher gegen „gemeinsame […] gefährliche Feinde in der Welt“ einzusetzen.116

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Vom gleichen Schlag war auch Vespers Erwiderung auf den Angriff der Zeitung der Schutzstaffeln der nsdap gegen den „in die Gehirne der Mitarbeiter der Neuen Literatur“ geratenen bzw. dort „sein Unwesen“ treibenden „bösen Geist“ und dadurch auf „alle, die Kindt wegen seines Aufsatzes über Meister Eckhart im Märzheft angreifen und nicht sehen, daß dieser Aufsatz aus höchstem lutherischen Mißtrauen vor einer gefährlichen römischen Angel warnt“.117 Jenen schrieb Vesper vor, „Kindts Aufsatz ‚Der Führer spricht‘ (Januarheft 1934)“118 zu lesen, um sich darüber klar zu sein, „wie überflüssig der Angriff [dieser] Berliner Parteizeitung […] auf ihn war“. Erneut stimmte Vesper dasselbe Klagelied

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zum Zweck der Diffamierung einsetzte, war die Neue Literatur“, insbesondere in der Rubrik ‚Unsere Meinung‘ (Berglund, Der Kampf um den Leser im Dritten Reich [Anm. 27], S. 1). Siehe auch Uwe Day, „Hohepriester des Hitlerkults und literarischer Inquisitor. Über Will Vesper“, in: Griffel – Magazin für Literatur und Kritik 9 (2000), S. 61–73. Will Vesper, „Unsere Meinung“, in: Die neue Literatur 36,6 (Juni 1935), S. 358–360. „Der böse Geist der ‚Neuen Literatur‘ “, in: Das Schwarze Korps. Zeitung der Schutzstaffeln der nsdap, 1. Jahrgang, 24. Folge, Berlin, 14. August 1935, S. 2 (siehe Abb. 5.7). In: Die neue Literatur 35,1 (1934), S. 2–19.

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über solche Bemühungen an, „mit allem kranken Eifer […] einander zu verketzern und anzubellen“, anstatt „Freund und Feind deutlich unterscheiden zu lernen!“119 Erst durch den in Form einer Einzelrezension gekleideten Leitartikel im Augustheft der Zeitschrift Bücherkunde, die von Rosenbergs ‚Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums‘ herausgegeben wurde und insofern ein wichtiges Instrument für die Lenkung und Kontrolle der nationalsozialistischen Literaturpolitik darstellte,120 erfuhr Karl Kindts Aufsatz eine offizielle – und gründlichere – Zurückweisung als warnendes Fallbeispiel für „alle Versuche von Seiten der Konfessionen her, dieses Eigene [bei Meister Eckhart] zu zerbrechen und dies Große zu normalisieren oder gar zu diffamieren“.121 Scharf kritisiert wurde hier erstens „das Motiv dieser heftigen Abwehr Eckharts“, welche nicht nur Kindts „Eifersucht auf einen Nebenbuhler seines Helden“ verrät, sondern letztendlich auch die „Hilflosigkeit oder Feigheit“ solcher „Vertreter der christlichen Bekenntnisse“ verdeutlicht, da sie „sich vor der Gewalt der uns heute immer stärker umdrängenden Kulturwerte wieder und wieder in den Schatten des großen Rolands Martin Luther flüchten, obwohl es niemand verborgen bleiben kann, daß zwischen Luthers Weltbild und dem unsrigen eine tiefe Kluft klafft“. Aus dieser Umkehrung der Kindtschen Argu-

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Will Vesper, „Unsere Meinung“, in: Die neue Literatur 36,8 (August 1935), S. 493. „Die ‚Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums‘ [= RFdS] war im Juni 1933 mit einer doppelten Zielsetzung angetreten: durch die systematische Auswertung und den gezielten Einsatz der deutschen Literatur als ‚Waffe‘ sollten die Leser, ‚Teil der Volksgemeinschaft‘, zum einen ‚frei‘ gemacht werden vom ‚Gedankengut‘ der Weimarer Republik, das ‚immer noch in allen Köpfen herumspukt‘, und zum anderen ‚gesund‘ gemacht werden ‚durch ein Schrifttum, das […] zum Dritten Reich führt‘“ (Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im „Dritten Reich“. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder, Frankfurt a.M. 1993 [Archiv für Geschichte des Buchwesens 40], S. 122). Hierfür hat die Bücherkunde als Rezensionszeitschrift der RFdS „die wichtigsten Neuerscheinungen aller Wissensgebiete […] auf Grund sorgfältigster Prüfung in sachlicher und weltanschaulicher Hinsicht zusammengestellt und der Öffentlichkeit bekannt gegeben“. Somit bot sie „weltanschauliche Hilfs- und Orientierungsmittel“ für den Volksbibliothekar an bzw. diente als ein „zuverlässiger Berater“, der „aus dem Urgrund des Politischen heraus eine grundsätzliche Kritik am Schrifttum übt“ („Wem dient die ‚Bücherkunde‘? – i. Teil“, in: Bücherkunde der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums 2,9 [September 1935], S. 306–308). So war damals Hans Hagemeyer, der Leiter des Hauptamtes ‚Schrifttumspflege‘ bei Rosenberg, bestrebt, die Bücherkunde als „verpflichtendstes kritisches Organ allmählich heranzubilden, das Deutschland seit Lessing gehabt hat“ (Vorwort zur zweiten Auflage der Nrn. 1–4 des ersten Jahrgangsbandes der Bücherkunde [1934]). „Karl Kindt, Meister Eckhardt und das junge Deutschland. Zu dem Aufsatz im März-Heft 1935 der ‚Neuen Literatur‘ “, in: Bücherkunde der Reichstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums 2,8 (August 1935), S. 253A–255B (siehe unten Abb. 5.8), hier S. 253A.

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mentation ging hervor, „daß Luther den suchenden und ringenden Deutschen außerhalb der Bekenntniskirche nicht mehr religiöser Führer zu sein vermag“ und man hingegen in der Lehre Eckharts „eine reinere und bessere Gestaltung religiöser Ideen zu erkennen glaubte“.122 Unter die Lupe wurden dann zweitens „die Mittel“ genommen, „mit deren Hilfe Kindt den neuen Heiligen unschädlich zu machen versucht“, um aufzuzeigen, „wie unfair die Kampfweise Kindts gegen eine von ihm gefürchtete Geistesart ist“, ganz besonders, was die Behauptungen zum Einfluss des Judentums auf Meister Eckhart und die dazu dienende Heranziehung der Studie von Josef Koch betrifft.123 Als „ebenso falsch und willkürlich verdreht“, wurden anschließend fünf beispielhafte „Einzelurteile Kindts“ vorgebracht und richtiggestellt,124 worauf eine geschickte 122

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„Karl Kindt, Meister Eckhardt und das junge Deutschland. Zu dem Aufsatz im März-Heft 1935 der ‚Neuen Literatur‘“ (1935) [Anm. 121], S. 253A–254A. Siehe dazu auch den Eintrag „Eckhart (Meister Eckhart)“, in: Handbuch der Romfrage, hg. von Alfred Rosenberg (unter der Mitwirkung einer Arbeitsgemeinschaft von Forschern und Politikern), Bd. i: A– R, München 1940, S. 328–341, S. 339: „Ein Vergleich zwischen E. und Luther zeigt, daß ihre Verhaltensweise gegenüber der Romkirche bemerkenswerte Verschiedenheiten aufweist. Dieser Sachverhalt dürfte seine heute kaum noch umstrittene Erklärung darin finden, daß Luther in der Hauptsache Kirchenmann war, der seinen Kampf für die wahre Kirche führte, während E.s Anliegen nicht der kirchliche, sondern der seelische Bereich ist. E. gehört zu den hervorragendsten Vertretern jener kirchlich im wesentlichen indifferenten Geistesbewegung, die es zuwege gebracht hat, daß es ein deutsches Mittelalter gibt.“ „Karl Kindt, Meister Eckhardt und das junge Deutschland. Zu dem Aufsatz im März-Heft 1935 der ‚Neuen Literatur‘“ (1935) [Anm. 121], S. 254A–B. Für eine klare bzw. einseitige Rosenbergsche Stellungnahme zu Kochs Studie siehe den Eintrag „Eckhart (Meister Eckhart)“, in: Handbuch der Romfrage (1940) [Anm. 122], S. 333: „Nun wird von ihm [i.e. Eckhart] in seinen lateinischen Schriften freilich auch der jüdische Religionsphilosoph und Aristoteliker Moses Maimonides häufig zitiert. J. Koch hat daraus eine Abhängigkeit E.s von Maimonides, die Wesentliches betreffe, herleiten wollen, von Stimmen, die E. zum Propagandisten des orientalischen Geistes in Europa stempeln wollen, ganz zu schweigen [damit ist u. a. Karl Kindt gemeint]. […] Koch meint nun, besonders in der Theologie habe Maimonides E. stark beeinflußt. […] Koch sieht gar nicht, daß das Werk E.s seinen Schwerpunkt eben nicht im Theologischen, sondern im Seelischen hat. […] Nicht die Bibel und der israelitisch-jüdische Gottesbegriff, also auch nicht Augustin und Maimonides, freilich ebensowenig Thomas von Aquin, sondern allein seine Seele und die ihr entsprechende deutsche Innerlichkeit stellen die Quellpunkte des Werkes E.s dar. Weil J. Koch den Forderungen eines überholten Historismus nachgibt, darum ist er außerstande, die Frage nach E.s Eigenart in aller Schärfe grundsätzlich zu stellen.“ Es ist daher bedenkenswert, aber gleichzeitig irgendwie nicht überraschend (und war damals sicher nicht unproblematisch), dass eben in einem Nachschlagewerk, das vom Antreiber und dann Schirmherrn der ‚deutschen‘ Eckhart-Gesamtausgabe herausgegeben wurde, die Gültigkeit und Zuverlässigkeit der Forschungsergebnisse des Haupteditors der lateinischen Werke derart infrage gestellt wurde, um sie auf diese Weise zu marginalisieren. „Karl Kindt, Meister Eckhardt und das junge Deutschland. Zu dem Aufsatz im März-Heft 1935 der ‚Neuen Literatur‘“ (1935) [Anm. 121], S. 254B–255B.

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Infragestellung der Grundwerte dieses sarkastisch bezeichneten „redliche[n] Christ[en]“ folgte; denn „schlimmer als diese geistige Verirrung ist das Maß des Hasses, mit dem hier wieder einmal ein Diener der Religion der ‚Liebe‘ eine andere wertvolle und heilige Persönlichkeit angreift und besudelt“. Doch „das Schlimmste an diesem giftigen Gebräu“ blieb im Endeffekt „die Unterstellung, als ob man im Namen des Jungen Deutschland, im Namen der nordischen Rasse, womöglich gar im Namen der nationalsozialistischen Bewegung rede“, und zwar aus der Befürchtung davor, dass eine Aufnahme dieser Kampfschrift „in den weiten Kreisen der geistigen und seelischen Reaktion Deutschlands mit mehr oder weniger lautem Jubel […] der guten Sache der Wahrheit und des wahren jungen Deutschland Schaden tun“ würde.125 Als Maßnahme zur Verhütung dieser drohenden Gefahr diente eben die Veröffentlichung jener parteiamtlichen Ablehnung im Besprechungsorgan der Dienststelle Rosenbergs und somit deren propagandistische Verbreitung bei den Vertretern des gesamten Mittlertums am deutschen Schrifttum (als Zielgruppe der Bücherkunde126). Um proaktiv dagegen zu handeln, verwies Will Vesper selbst seine Leser auf diese Rezension, allerdings ohne dass er vorgehabt hätte, „auf Einzelheiten […] einzugehen und so den als eine ernste Mahnung zu schärfster Aufmerksamkeit in der Meister-Eckhart-Frage gedachten Aufsatz durch ein Auftrumpfen gegeneinander abzuschwächen“, sondern sich bloß auf „die grundsätzliche Feststellung“ zu beschränken, dass „die Entgegnung der ‚Bücherkunde‘ schon in ihrer Ausgangsstellung irrt, wenn sie Karl Kindt das beliebte Schimpfwort ‚Reaktion‘ an den Kopf wirft, weil er ein ‚Zurück zu Luther!‘ verlange“, was Vesper zufolge immerhin noch weniger reaktionär als ‚Zurück zu Eckhart‘ wäre. Kindts Fürsprecher verteidigte mithin „nach wie vor“ die gemeinsame Meinung seiner Zeitschrift, „daß der Dominikanerprior Eckhart […] sich […] zum deutschen Heiligen wenig eignet“, im Gegensatz zum Luther, der „in seiner unbestreitbaren Deutschheit geeigneter als Vorbild [scheint],127 als der immer mehr ins römische Zwielicht rückende Meister Eckhart“. Es erstaunt allerdings, dass Vesper es an dieser Stelle vorzog, nicht die der verächtlichen Rezension der Bücherkunde zugrunde liegende Rosenbergsche Mythologisierung Eckharts und deren deutschgläubige Gefolgsmänner 125 126

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„Karl Kindt, Meister Eckhardt und das junge Deutschland. Zu dem Aufsatz im März-Heft 1935 der ‚Neuen Literatur‘“ (1935) [Anm. 121], S. 255B. Konkreter handelte es sich um die Bibliothekare an wissenschaftlichen und volkstümlichen Büchereien, den Gesamtbuchhandel sowie die Schriftleiter, Schriftsteller und Wissenschaftler; siehe dazu „Wem dient die ‚Bücherkunde‘?“ (1935) [Anm. 120]. Dabei beruft sich Vesper sogar auf die Autorität eines Houston Stewart Chamberlain († 1927), also eines für Rosenberg richtungsweisenden Vorbilds: „Denn ‚deutsch aber wurden wir alle‘, wie H. St. Chamberlain sagt, ‚in erster Reihe durch Luther; er lehrte uns, im

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aufs Korn zu nehmen, sondern lieber vor dem vermutlich deshalb hier zum wahren Feind erklärten „Eifer Roms“ bei der Heiligsprechung des Dominikanermeisters warnte und dabei mit dem Finger darauf zeigte, dass die Leitung der neuen römischen Eckhart-Ausgabe „einem jüdischen Dominikaner“ (sic!128) anvertraut worden sei. Doch letztendlich blieb es für Vesper völlig unverständlich, „eine Einstellung zu Eckhart zum Prüfstein für nationalsozialistische Gesinnung [zu] machen“, weswegen er nach eigenem Bekunden nicht unglücklich darüber war, dass „der größte Teil unserer Volksgenossen […] von Meister Eckhart überhaupt nichts [weiß]“.129 3.1.2 Reaktionen von deutschgläubigen Organen Ein Gegenangriff der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘ ließ auch nicht auf sich warten, wurde allerdings unter deren Eckhartdeutern nicht von Ernst Bergman eingeleitet, welcher anscheinend auf eine persönliche Replik an Kindt verzichtete, sondern von Hermann Schwarz, der „mindestens schon 1913 […] und seitdem immer stärker Eckhart […] und seine angebliche Lehre […] in den Mittelpunkt einer religiösen Erneuerung stellte“.130 1935 publizierte er im

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deutschen Volk und im deutschen Staatswesen ein von Gott Gewolltes, Heiliges erkennen, wert der Liebe und der Ehrfurcht; damit legte er die Grundlage‘.“ Gemeint war hier Raymond Klibansky. Siehe dazu oben, Anm. 46. Will Vesper, „Unsere Meinung“, in: Die neue Literatur 36,10 (Oktober 1935), 623f. Hermann Platz, „Vom Erwachen der Mystik um 1900“, in: Hochland – Katholische Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst 34/1 (Oktober 1936-März 1937), S. 324–337 u. 434–448, hier S. 438. Siehe dazu auch oben, Anm. 17 sowie den Eintrag „Eckhart (Meister Eckhart)“, in: Handbuch der Romfrage (1940) [Anm. 122], S. 336: „Statt vieler anderer E.deuter, die vielfach bar jeder wirklichen Kenntnis der Geschichte der E.forschung ihre Meinung vortragen, sei hier ein so eigenständiger und sorgsamer Gelehrter wie H. Schwarz genannt, der nicht, wie H. Bornkamm meint, ‚Banalitäten‘, sondern eine Reihe wichtiger Erkenntnisse zur E.forschung beigesteuert hat, die sich verstreut in seinen verschiedenen Veröffentlichungen finden.“ Zur früheren Eckhart-Deutung von Hermann Schwarz siehe insbes. ders., Der Gottesgedanke in der Geschichte der Philosophie, Erster Teil: Von Heraklit bis Jakob Böhme, Heidelberg 1913 (Synthesis. Sammlung historischer Monographien philosophischer Begriffe 4), §§ 20–22 („Eckeharts Vergeistigungsmystik“ – „Überschau und Ausschau“ – „Aus Eckeharts Schule“), S. 341–424; ders., „Die deutsche Mystik: Eckehart, Böhme, Fichte“, in: ders., Über Gottesvorstellungen großer Denker. Sechs Hochschulvorträge, München 1921, S. 136–160; sowie ders., Das Ungegebene: Eine Religions- und Wertphilosophie, Tübingen 1921, in dessen Vorwort Schwarz sich gleich zu Beginn „zur Grundanschauung der deutschen Mystik“, d. h. zur „Mystik der Ekkehartschule“ bekennt (S. iii; ähnlich später in ders., Christentum, Nationalsozialismus und Deutsche Glaubensbewegung, Berlin 1934, „Vorrede“, S. 8: „[…] In dem Sinne bekennt sich der Verfasser zur deutschen Mystik als des unum necessarium, das Licht, Brot und Leben für ‚deutsche‘ Glaubensbewegungen jeglicher Art ist, und er bekennt sich zu ihr, wie im folgenden zu erhärten ist, auch als Nationalsozialist“); und schließlich ders., Auf Wegen der Mystik: Drei grundlegende Erörterungen der Philosophie des Ungegebenen, Erfurt 1924, insbes. S. 13–17.

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Maiheft von Die Sonne, einer Monatsschrift für Rasse, Glauben und Volkstum im Sinne Nordischer Weltanschauung und Lebensgestaltung131 seine „Zurückweisung einer Ekkehart-Verleumdung“. Dort bekräftigte er zunächst erneut in Anlehnung an Rosenbergs Mythosbuch das „im Gegensatz zum Christentum nordische Gepräge“ der vom deutschen Meister begründeten „neue[n] Religion“ und verspottete daher im Anschluss daran zum einen die Verharmlosung der Lehre Eckharts „von katholischer Seite“ sowie zum anderen und im Gegensatz dazu deren aus „evangelischer Ereiferung“ weitgehende Verdächtigung zur Meinungsumlenkung der deutschen Jugend, woraufhin ausschließlich Kindts Aufsatz angegriffen wurde. Gegen den von Kindt ausgespielten „Trumpf“ erwiderte Schwarz, dass Eckhart weder in seinen lateinischen Bibelkommentaren noch in seinen deutschen Predigten „die heimlichen Judenwege“ betreten hat, sondern sich „aus seiner eigenen Glaubensschau“ bzw. „mit offenem Visier“ durchkämpfte. Darüber hinaus sollte jemand wie Kindt, der „sich mit Haut und Haar zum A.T. [bekennt]“, den ersten antisemitischen Stein eigentlich auf das „jüdisch-griechische Glashaus“ werfen, in dem er selbst sitzt; denn „derselbe Philo“, dessen Einfluss auf Eckhart Kindt verdammte, „ist aber auch der Stammvater des christlichen Trinitätsdogmas geworden, so daß jeder ‚echte Christ‘, der sich zu den Glaubensartikeln bekennt, hier nochmals jüdischen Geist schluckt, wie er solchen schon aus dem Gottesbegriff des A.T. einatmet“. Ferner werden Kindts Fabeln bezüglich Eckharts angeblicher „judaisierender Mystik“ insofern für fehl am Platz gehalten, als beim deutschen Meister „nichts mystisch und alles deutsch“ sei, wobei Schwarz diese Behauptung als Trittbrett benutzte, um Werbung für sein neues Buch Ekkehart der Deutsche132

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Die Sonne war das Publikationsorgan der 1926 gegründeten völkisch-rassistischen Vereinigung ‚Der nordische Ring‘, die 1936 in Rosenbergs ‚Nordische Gesellschaft‘ inkorporiert wurde; beide Gruppierungen waren zudem in der ss verankert. In derselben Zeitschrift hatte Schwarz bereits 1934 einen Aufsatz über „Meister Ekkeharts Religion des geistigen Sonnenaufgangs“ veröffentlicht (in: Die Sonne 11,9 [Scheiding 1934], S. 417–426). Vgl. Hermann Schwarz, Ekkehart der Deutsche. Völkische Religion im Aufgang, Berlin 1935. Das Buch und dessen Verfasser wurden damals in der deutschgläubigen Presse beweihräuchert, nicht zuletzt in Reichswart, der von Ernst zu Reventlow als Organ der Deutschen Glaubensbewegung herausgegebenen Berliner Wochenschrift für nationale Unabhängigkeit und deutschen Sozialismus: „[…] Wer anders als Hermann Schwarz sollte auch die Probleme in und um Ekkehart zu lösen und die daraus sich ergebenden Gedanken zu gestalten in der Lage sein! […] In der Tat, der Verfasser füllt damit [i.e. seinem kürzlich erschienenen Buch Ekkehart der Deutsche] eine von Tieferblickenden stets und schmerzlich empfundene Lücke aus in dem Bilde des geistigen Nationalsozialismus und sättigt die Sehnsucht manches alten nationalsozialistischen Kämpfers mit der rechten Speise“ (Dr. M.H., „Ekkehart der Deutsche“, in: Reichswart [Berlin], 16. Jahrgang, Nr. 23 vom 9. Juni 1935). U.a. veröffentlichte auch Die Sonne eine höchst schmeichelhafte Rezension:

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zu machen, das „ausdrücklich unter Beweis stellen“ sollte, „daß diesem deutschen Manne nichts verhaßter ist als Verzückungen“. Da Eckhart im Grunde „nur ein unpersönliches Leben der Gottheit in der Natur“ durch Befreiung von jeglichem gottesfürchtigen Bekenntnis gelehrt und daher „sich nicht in das Geheimnis Gottes [geschlichen habe], vor dem Luther das Maul zu halten gebietet“, gebot dann Schwarz schlussendlich im Namen von Eckhart all jenen, die wie Kindt Eckharts Verkündigung nicht verstehen können, ebenfalls „das Maul zu halten“.133 Wie belangvoll und unentbehrlich, fast verpflichtend es für die ‚Deutsche Glaubensbewegung‘ war, eine gründliche und schlagende Antwort auf Kindts Schmähaufsatz zu geben, zeigt der Platz, der ihr 1936 im Oktober- bzw. gänzlich Meister Eckhart gewidmeten Sonderheft der Monatsschrift Deutscher Glaube134 eingeräumt wurde, das auch kurz danach gesondert unter dem Titel Der Kampf um Meister Eckehart erschien.135 „Der unmittelbare Anlaß zu diesem

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„Wohl kaum ein anderer als Hermann Schwarz, der uns schon seit Jahrzehnten von einem neuen deutschen Wissen kündet, ist so berufen, uns Meister Ekkehart und seine deutsche Frömmigkeit zu deuten. […] So ist dieses neue Buch von Hermann Schwarz, das sei gleich vorweggenommen, mehr als eine religionsphilosophische Arbeit; sie ist eine Sicht Ekkeharts, dieses großen Künders deutscher Frömmigkeit, mit Augen, die in dem Aufbruch volkheitlichen Lebens sehend geworden sind und die Vergangenes und Gegenwärtiges verbindend von deutscher Frömmigkeit überhaupt reden […]. […] Ekkehart wird Schwarz zum verpflichtenden Vorbild einer deutschen Frömmigkeit überhaupt“ (Friedrich Zeitzschel, „Völkischer Glaube im Aufgang: Ekkehart der Deutsche. Ein reiches Buch von Hermann Schwarz. Bericht“, in: Die Sonne 13,1 [Hartung 1936], S. 207–213, hier S. 208). Siehe dazu Ernst Benz, „Neuere Forschungen über Meister Eckhart“, in: Blätter für deutsche Philosophie 13 (1939), S. 379–404, S. 380 sowie Toni Schaller, „Die Meister Eckhart-Forschung von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart“, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 15 (1968), S. 262–316 u. 403–426, S. 410: „Der Philosoph Hermann Schwarz hat in seinem Buch: ‚Eckehart der Deutsche‘ noch weit präziser und programmatischer als Rosenberg das Eckhartische Denken als Urtyp ‚überwertigen Germanentums‘ ausgedeutet und zur Grundlage nationalsozialistischer Weltanschauung gemacht.“ Siehe dazu auch den Beitrag von Christoph Henning in diesem Band, S. 93f. Hermann Schwarz, „Die Geburt Gottes in der Seele. Zurückweisung einer Ekkehart-Verleumdung“, in: Die Sonne – Monatsschrift für nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung 12,5 (Mai 1935), S. 188 f. (siehe oben Abb. 5.9). Diese Zeitschrift für arteigene Lebensgestaltung, Weltschau und Frömmigkeit diente als zentrales Organ der Deutschen Glaubensbewegung. Siehe dazu Clemens Vollnhals, „Deutscher Glaube. Eine Zeitschrift für den gebildeten ns-Glaubenskrieger“, in: Das evangelische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871–1963), hg. von Michel Grunewald und Uwe Puschner in Zusammenarbeit mit Hans-Manfred Bock, Bern 2008, S. 483–502. Deutscher Glaube – Zeitschrift für arteigene Lebensgestaltung, Weltschau und Frömmigkeit 3, 10. Heft (Oktober 1936 = S. 405–468), erschienen auch als selbstständiger Sonderdruck

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Eckehart-Heft“ war allerdings – laut dessen Initiator Jakob Wilhelm Hauer (†1962) als Vorsitzendem der Bewegung und Herausgeber ihres Organs136 – „die Kritik, die Heinrich Bornkamm […] an der deutschgläubigen Deutung von Eckehart geübt hat“,137 weswegen eine Phalanx von „Hauptvertreter[n] des deutschgläubigen Eckehart-Bildes“ mobilisiert wurde.138 Doch gegen den Vorwurf, „[d]aß in der deutschgläubigen Sicht die Neigung besteht, nur die eine Seite des Eckehartschen Denkens […] zu sehen und die andere […] nicht ernst genug zu nehmen“, setzte Hauer wiederum den „katholischen oder protestantischen Eckehartbilder[n] […] je ihre Schwächen“ entgegen, und zwar mit einem ausdrücklichen Bezug auf die „maßlosen Einseitigkeiten eines Karl Kindt“.139 Die hierauf folgende „Verteidigung“ gegen Kindts „hemmungslose[n] Angriff“, welcher „wohl das Ungeheuerlichste, was gegen die Mystik und Meister Eckehart im besonderen seit langem geschrieben worden ist“, und insofern „ein lehrreiches Schulbeispiel“ darstellte, übernahm Fritz Kudnig († 1979).140

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unter dem Titel Der Kampf um Meister Eckehart mit einem zusätzlichen Beitrag, Stuttgart 1936 (siehe unten Abb. 5.10). Siehe u. a. Schaul Baumann, Die Deutsche Glaubensbewegung und ihr Gründer Jakob Wilhelm Hauer (1821–1962), Marburg (Lahn) 2005 (Religionswissenschaftliche Reihe. Band 22); Horst Junginger, „Jakob Wilhelm Hauer“, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften: Akteure, Netzwerke, Forschungsprogramme, 2., grundlegend erweiterte und überarbeitete Aufl., hg. von Michael Fahlbusch, Ingo Haar und Alexander Pinwinkler unter Mitarbeit von David Hamann, Berlin/Boston 2017, S. 274–279; sowie den Beitrag von Martina WehrliJohns in diesem Band. Jakob Wilhelm Hauer, „Meister Eckehart“, in: Deutscher Glaube 3,10 (Oktober 1936), S. 406– 420, hier S. 408 (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 2–16, hier S. 4, sowie den Beitrag von Martina Wehrli-Johns in diesem Band, S. 37–40). Neben Hauer befanden sich unter den Beiträgern zu diesem Sonderheft auch Hermann Schwarz und Ernst Bergmann sowie Hermann Mandel (†1946), der zeitweilig Mitherausgeber der Zeitschrift Deutscher Glaube war. Jakob Wilhelm Hauer, „Meister Eckehart“ (1936) [Anm. 137], S. 416 (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 12). Fritz Kudnig, „Meister Eckehart und das junge Deutschland. Eine Verteidigung“, in: Deutscher Glaube 3,10 (Oktober 1936), S. 452–468, hier S. 453 (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 48–64, hier S. 49). Ursprünglich bot Kudnig diesen Aufsatz jedoch zuerst der Zeitschrift Die neue Literatur, welche seine schriftstellerischen Dienste ab und zu in Anspruch nahm, zur Veröffentlichung an, wie durch einen handschriftlich verfassten Brief von Kudnig an Will Vesper vom 5. Mai 1935 bezeugt wird (Deutsches Literaturarchiv Marbach, Bestandssignatur: A:Vesper, Will/Neue Literatur, Zugangsnummer: 76.3667, 1 Bl. [r-v], eigene Transkription des Originals aus dem Sütterlin): „Königsberg [i.]Pr., 5/5 1935 Steffecktr. 6 Sehr geehrte Schriftleitung, Sie brachten in Ihrem Märzheft der Neuen Literatur einen längeren Aufsatz von Karl Kindt ‚Meister Eckhart und das junge Deutschland‘. Dieser Aufsatz hat vielseitigen Widerspruch

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Dieser hielt Kindt grundsätzlich vor, ihm sei „das Wesentliche Eckeharts im Tiefsten“, d.h. der „Weg zur Erkraftung der Seele“ entgangen, und er habe dabei nicht erkannt, dass sein Vorbild „Luther“ – im Gegensatz zu Meister Eckhart – „dem jungen Deutschland nicht mehr das geben kann, was diese Jugend im Tiefsten ihrer Seele ersehnt“, nämlich „[d]en mystischen Weg zu der Einswer-

erregt; eine größere nat[ional]soz[ialistische] Z[ei]t[un]g nannte ihn ein ausgesprochenes Pamphlet, nicht nur gegen Eckhart, sondern auch gegen Alfred Rosenberg. Da ich nicht weiß, ob Sie selber den Aufsatz restlos drucken wollen, möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich eine Erwiderung auf jenen Aufsatz geschrieben habe – und anfragen, ob Sie für diese Interesse hätten. Ich fühle mich zu dieser Anfrage schon deshalb gedrungen, weil ich Ihr gelegentlicher Mitarbeiter bin u[nd] deshalb nicht in den Verdacht kommen möchte, Ihnen ‚in den Rücken zu fallen‘. Der Aufsatz K. Kindts zeugt aber von einer solchen Unkenntnis des Eckhartschen Wollens u[nd] des myst[ischen] Weges E[ckhart]s, daß er unter keinen Umständen unwidersprochen hingenommen werden kann, da es hier um höchstes deutsches Geistesgut geht. Mein Aufsatz ist etwa so lang wie der von Karl Kindt. – Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Freundlichkeit hätten, mir gef[ä]l[lig] recht baldige Antwort zukommen zu lassen. Mit deutschem Gruß u[nd] Heil Hitler! Ihr ergebener Fritz Kudnig“ Die näheren Gründe einer Veröffentlichung von Kudnigs Replik an anderer Stelle, nämlich in Hauers Zeitschrift Deutscher Glaube (siehe dazu oben, Anm. 134), sind leider – wegen fehlender einschlägiger Archivmaterialien – bis heute ungeklärt. Doch die genauen Umstände, die ihn damals zu dieser Veröffentlichung brachten und mithin dazu, sich mit Meister Eckhart zu beschäftigen, schilderte Fritz Kudnig Jahrzehnte später im Vorwort seiner nie veröffentlichten Studie Meister Eckhart gestern, heute und morgen: „Diese Arbeit hat ihre Geschichte. […] In den dreißiger Jahren brachte mich die Empörung über einen in Will Vespers Literaturzeitschrift veröffentlichten, gegen Meister Eckhart gerichteten tückischen Angriff in solche Erregung, daß ich wochenlang vergebens um Kraft und Einsicht rang, jenem Angriff begegnen zu können. Da hatte ich eines Morgens plötzlich eine Vision, eine von vielen späteren, die mich durch ihre kristallklare Aussage endlich aus der Wirrnis führte, so daß ich unmittelbar nach jenem mich sehr erschütternden Erlebnis meine erste Eckhartstudie niederschrieb, die jenen Angreifer ad absurdum führte, so daß er keine Erwiderung fand. Will Vesper lehnte den Druck dieser Studie ab. Bald darauf brachte Wilhelm Hauer, der Indologe, sie in einem in Stuttgart erschienenen Sammelbande heraus. In ihm fand ich mich plötzlich in der Gemeinschaft mit den bekanntesten damaligen Eckhartforschern [sic!]; insofern etwas unbehaglich, weil ich zwischen jenen Wissenschaftlern als der einzige Mystiker stand“ (Kudnig, „Ein vielleicht notwendiges Vorwort“, in: ders., Meister Eckhart gestern, heute und morgen – Eine Deutung aus mystischer Sicht, Typoskript, 160 S., unveröffentlicht [Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Nachlass Fritz Kudnig, Signatur: Cb 93]; an dieser Stelle möchte ich mich bei der Leiterin der dortigen Handschriftenabteilung Frau Dr. Maike Manske bedanken, und zwar sowohl für die freundliche und zuvorkommende Kommunikation als auch für die unkomplizierte Zugänglichmachung dieses Dokuments).

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dung mit der Gottheit“.141 Kudnig zufolge zeigt sich Kindts „geistige Kurzsichtigkeit“ daher nicht bloß in seiner Abwertung der Lehre und Lebenshaltung Meister Eckharts, sondern auch in seiner Verzerrung des „Wert[es] der Mystik gerade für den heutigen Staat“ und die von ihm „geforderte Erziehung der Jugend“, wobei Kindts weitere Verkennung darin bestand, sich in diesem Zusammenhang auf Kant, Schopenhauer, Fichte, Goethe und Hegel als Zeugen gegen Eckharts mystischen Begriff der „letzten höchsten Wirklichkeit“ zu

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Kudnig, „Meister Eckehart und das junge Deutschland. Eine Verteidigung“ (1936) [Anm. 140], S. 453 u. 455 f. (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 49 u. 51 f.).

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berufen.142 Was „Eckeharts angebliche Beeinflussung durch die Juden“ anbelangt, wandte Kudnig ein, dass man die „erschütternde Beweisführung Kindts mit einem einzigen Hinweis zur Lächerlichkeit verdammen“ könne, und zwar auf derselben bereits von Schwarz hervorgehobenen alttestamentarischen und somit jüdischen Grundlage des Kirchenchristentums, das Kindt verteidige, so dass er mit derartigen Angriffen eine Art argumentativen Selbstmord begehe: Denn „[w]er ein Buch, das alle Welt als Das Buch der Juden kennt, das die Juden selber als ihr Heiliges Buch bezeichnen, kein Judenbuch nennt, wer dann aber einem andern, der unter vielen andern auch jüdische Schriften gelesen hat, diese Tatsache zum tödlichen Vorwurf macht, der richtet sich selbst!“143 Aus dem Vergleich zu Luther, welcher sich beim Widerruf seiner Lehre „auf das heilige Buch der Juden“ stützte, ergaben sich demnach für Kudnig folgende Fragen: „Wer von beiden ist nun der wahrhaft deutsch Empfindende? Und wer von beiden hat nun die heldischere Einstellung in Glaubensdingen?“144 Kudnigs Antwort führte aber zu keinerlei Geringachtung herkömmlicher Religionen, sondern zunächst zu einem Aufruf dazu, sich „energisch zur Wehr zu setzen, wenn jemand unser urdeutsches Glaubensgut in so unerhört leichtfertiger und verächtlicher Weise angreift, wie Kindt es getan hat“.145 Abschließend konnte Kudnig sich jedoch nicht verkneifen zu betonen, dass im Vergleich zu Eckhart niemand „vorbildlicher für [die heutige deutsche Jugend]“ sein könne, da sie in ihm, „dem heiligen Apostel der Vernunft und des selbstlos tätigen göttlichen Menschenwillen, den Fackelträger [hätte], dessen sie bedarf im Kampf gegen alle Finsternisse und Finsterlinge!“146 Eine ähnliche Stellungnahme zu Kindts Aufsatz fand schon im Vorfeld Verbreitung in verschiedenen sich der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘ anschließenden oder von ihr herausgegebenen Wochenblättern. Ein Beispiel für erstere gab das Hetzblatt Flammenzeichen mit der Veröffentlichung des vom nsKulturjournalisten Theo Abbetmeyer (†1944)147 verfassten zweiteiligen Artikel

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Kudnig, „Meister Eckehart und das junge Deutschland. Eine Verteidigung“ (1936) [Anm. 140], S. 461–463 (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 57–59). Kudnig, „Meister Eckehart und das junge Deutschland. Eine Verteidigung“ (1936) [Anm. 140], S. 464 (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 60). Kudnig, „Meister Eckehart und das junge Deutschland. Eine Verteidigung“ (1936) [Anm. 140], S. 465 (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 61). Kudnig, „Meister Eckehart und das junge Deutschland. Eine Verteidigung“ (1936) [Anm. 140], S. 466 (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 62). Kudnig, „Meister Eckehart und das junge Deutschland. Eine Verteidigung“ (1936) [Anm. 140], S. 467 f. (und in Der Kampf um Meister Eckehart [1936] [Anm. 135], S. 63f.). Siehe Ines Katenhusen, „… Heute geht es um Sein oder Nichtsein der nordisch-germanischen Gesinnungskultur, um Überwindung teuflischer Finsternis durch das Licht nordischen Arier-

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„Deutscher Glaube und Meister Eckehart“. Nachdem er zunächst als Reaktion auf einen vor Kurzem in der Wochenschrift Die Wacht erschienenen Artikel seinen Lesern versichert hatte, dass einem Sich-Halten der Deutschgläubigen an Eckharts Werk und Lehre – trotz dessen Widerrufs „bedingter Art“ – „nichts im Wege“ stehe,148 befasste sich Abbetmeyer anschließend „noch etwas eingehender“ mit diesem Sachverhalt, diesmal aber als Reaktion auf einen weiteren Artikel aus demselben evangelischen Blatt zum Lob des „positiven Christentums“ bei Karl Kindt in seiner „radikale[n] Abweisung Eckeharts für das junge Deutschland“.149 Die drei von Kindt behaupteten unüberbrückbaren Klüfte zwischen Meister Eckhart und dem Wollen des jungen Deutschland wurden nacheinander zurückgewiesen: die erste mittels eines Frage-Antwort-Spiels („Eckhart ein Verächter der/s…?“ / „Lehrt er nicht/doch: …“);150 die zweite kurz

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tums … Der Journalist und Schriftsteller Theodor Abbetmeyer“, in: dies., Kunst und Politik. Hannovers Auseinandersetzungen mit der Moderne in der Weimarer Republik, Hannover 1998 (Hannoversche Studien 5), S. 527–556. Theodor Abbetmeyer, „Deutscher Glaube und Meister Eckehart“, in: Flammenzeichen – Völkische Blätter für nordisch-germanische Art in Religion und Kultur, Staat und Wirtschaft, ohne allen Fremdgeist und jede Artverfälschung, 9. Jahrgang, Nr. 30, Leonberg/Stuttgart, Samstag, 27. Juli 1935, S. 235–238 (siehe Abb. 5.11), hier S. 235. Vgl. „Deutschgläubiges Urteil über Hauers ‚deutsche Gottschau‘ “, in: Die Wacht, 1. Jahrgang, Nr. 26, Darmstadt, 27. Juni 1935, S. 205. Abbetmeyer, „Deutscher Glaube und Meister Eckehart“ (1935) [Anm. 148], S. 236. Vgl. „Meister Eckhart und das Neue Deutschland“ (1935) [Anm. 107]. Abbetmeyer, „Deutscher Glaube und Meister Eckehart“ (1935) [Anm. 148], S. 236f.

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und bündig durch Feststellung der Unmöglichkeit, „ein religiöser Held“ und „zugleich ein politischer Führer zu sein und umgekehrt“, was am Beispiel des „Führers Hitler“ aufzeigt wurde, der selbst eine „reinliche Trennung der beiden in Frage kommenden Ebenen“ befürwortet habe.151 Zur dritten und von Abbetmeyer am ausführlichsten behandelten Kluft wurde wiederum Kindts „grobes Geschütz“ ins Lächerliche gezogen, und zwar durch eine gezielt ns-ideologisch verdrehte doxografische Deutung der Lehre von Ibn Gabirol, Maimonides und Philo von Alexandria; denn „für sie alle gilt, was für jüdische Geistesvertreter je und immer gegolten: sie arbeiten zu 95 Prozent mit arischem Geistesgut“ (wegen ihrer Abhängigkeit von den indogermanischen Philosophen der Antike bzw. den „großen Weisheitslehrer[n] der arischen Griechen“), so dass zum einen „die Diebe […] nicht die Arier, sondern die Juden [waren]“ und zum anderen „Eckhart auf seinen großen arischen Vorgängern in der Religionsphilosophie aufgebaut hat“. Für Abbetmeyer führten solche „leeren Beweise“ de facto zu einem sich als „völlig falsch“ erweisenden „Schlußergebnis“ und derartige „sehr durchsichtige[] Bemühungen kirchlicher juden-christlicher Kreise“ eben zu „eine[r] ungeheure[n] Gefahr für das rasse- und artbewußte Deutschland“.152 Diesen Standpunkt vertrat auch das führende Kampfblatt der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘ Durchbruch in einem Artikel zur Besprechung des neuen Buches von Hermann Schwarz Ekkehart der Deutsche.153 Unter einleitendem Hinweis auf „Ekkehart-Interpretationen“, die „heute wie Pilze aus der Erde [schießen]“, warnte der Artikel vorab seine Leserschaft vor falscher und unzureichender Kenntnis des Meisters, die besonders von christlichen Theologen kolportiert werde, um „die religiöse Autorität eines großen Deutschen dadurch zu untergraben“. Gleich danach wurde solch eine „Abwehr Ekkehartschen Weistums“ anhand des offenen Angriffs von Kindt veranschaulicht, der „mit theologischer Voreingenommenheit, mit Bissigkeit bekämpft, was in seinen theologischen Kopf nicht hineingeht“. Dabei habe sich Kindt nicht bloß „lächerlich“ gemacht, indem er „im Namen und für eine deutsche Jugend spricht“, sondern er erweise sich geradezu als „gefährlich […] für die Schaffung einer deutschen Einheit und eines Deutschen Glaubens“, indem er „aus einem deutschen Ekkehart einen semitischen Ekkehart macht“. Eine diesem „verflachen-

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Abbetmeyer, „Deutscher Glaube und Meister Eckehart“ (1935) [Anm. 148], S. 237. Theodor Abbetmeyer, „Deutscher Glaube und Meister Eckehart (Schluß)“, in: Flammenzeichen, 9. Jahrgang, Nr. 31, Leonberg/Stuttgart, Samstag, 3. August 1935, S. 243–245, hier S. 243 f. Siehe dazu oben, Anm. 132.

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den Modeschrifttum“ entgegengesetzte Lesart und deswegen höchst empfehlenswerte Lektüre154 sollte hingegen das Buch von Schwarz anbieten, da er „nicht erst seit gestern oder vorgestern Ekkehartgläubiger“ und deshalb in der Lage sei, „alles oberflächliche und gegnerische Meinen über Ekkehart meisterlich aufzuzeigen und abzuwehren“.155 Im Grunde genommen beruhte also die Argumentationsdichte und -weise der gerade erwähnten deutschgläubigen Reaktionen grundsätzlich auf der gleichen Strategie, die darin bestand, Kindts eigene Argumentation gegen ihn zu wenden, um seinen heuchlerischen Angriff öffentlich der Lächerlichkeit preiszugeben. Dabei lieferte ein solcher, zumal rhetorischer Ausweg aus dieser diffa-

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Vgl. Schluss des Artikels: „Die Schrift von Hermann Schwarz über Ekkehart ist unerhört reich. Nehme sie jeder selber zur Hand, sie wird ihm und damit uns allen zum Gewinn sein.“ „Ekkehart der Deutsche. Völkische Religion im Aufbruch“, [ohne Autorangaben erschienen] in: Durchbruch – Kampfblatt für deutschen Glauben, Rasse und Volkstum, hg. in Verbindung mit den Landesgemeinden der ‚Deutschen Glaubensbewegung‘, 2. Jahr, Folge 43, 24. im Gilbhart (Okt.) 1935, „Zum Ringen der Weltanschauungen“, Beiblatt 3 (siehe Abb. 5.12).

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mierenden und folglich gefährdenden Infragestellung der Vorbildlichkeit Eckharts keine sachlich fundierte Entgegnung. Was beide gegenseitigen Fronten verband, war daher der jeweils unter dem Vorwand der Reinhaltung nationalsozialistischer Werte ausgeübte Radikalismus ihrer Eckhart-Deutung, dies allerdings unter Missachtung jeglicher wissenschaftlichen Objektivität. 3.2 Reaktionen der gut-katholischen Frontlinie 3.2.1 Reaktionen von der katholischen Presse Der anderen Abwehrfront mangelte es ebenfalls nicht an öffentlichem Widerstand mittels negativer Presseechos. Mit der gleichen warnenden Herangehensweise bzw. in ähnlichem Bewusstsein wie der zuletzt angesprochene deutschgläubige Zeitungsartikel, dass sich nämlich die „allzugroße Popularität“ Eckharts heutzutage nachteilig auswirken könne, weil aufgrund einer solchen „künstlich entfesselten Begeisterung“ dessen Name „so häufig mißbraucht w[erde]“, widmete sich die katholische Wochenzeitung Junge Front (‚nomen est omen‘)156 Ende Juni 1935 in einem auf dem Titelblatt rot angekün-

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Siehe „Zum Beginn“, in: Junge Front – Wochenzeitung ins deutsche Jungvolk, 1. Jahr, Nr. 1, Düsseldorf, 17. Juli 1932, online abrufbar unter https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/​ zoom/10535464: „Die katholische Jugend […] will nicht untätig zusehen, wie Deutschland, das auch ihr Deutschland ist, aufgebaut oder zerstört wird; sie will mitbauen und mitkämpfen. Darum hat ein Kreis junger Katholiken die neue Wochenzeitung trotz aller Schwierigkeiten, gerade in dieser Kampfzeit ins Werk gesetzt. Und darum schickt er sie als Wochenzeitung ins deutsche Jungvolk! Denn die Zeitung wendet sich nicht etwa nur an die in den Bünden stehenden jungen Menschen, sondern darüber hinaus an alle, die von der jungen katholischen Front hören wollen und sich mit uns einsetzen wollen für unser Ziel. […] Die Junge Front will den Vormarsch der Wahrheit“, „der Liebe“, „der Gerechtigkeit“ und „der Freiheit! […] Wir sind unabhängig, keiner Partei-Instanz und keiner Partei-Doktrin verpflichtet, und wir werden als katholisches Jungvolk unabhängig und frei unsere eigene Meinung und unseren Willen vertreten gegen jedermann.“ Siehe dazu Klaus Gotto, Die Wochenzeitung Junge Front/Michael. Eine Studie zum katholischen Selbstverständnis und zum Verhalten der jungen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus, Saarbrücken 1970 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte bei der Katholischen Akademie Bayern, Reihe B: Forschungen 8): „Die Wochenzeitung sollte im Kampf des öffentlichen Lebens dafür eintreten, dem politischen Willen der katholischen Jugend Geltung zu verschaffen. […] Die J⟨unge⟩ F⟨ront⟩ war also von ihren Gründern als ein in erster Linie politisches Blatt gedacht und geplant, das der katholischen Jugend ein eigenes Forum für politische Meinungsbildung und einen publizistischen Weg zu breiterer politischer Wirksamkeit schaffen sollte“ (S. 4). Doch sie „stand […] in ihrer letzten Erscheinungsperiode [– die Zeitung wurde Ende Januar 1936 vom Präsidenten der Reichspressekammer endgültig verboten –] ganz im Zeichen des Kirchenkampfes. Als Kampfschrift suchte sie das alte Wahre, Religion, Kirche und Kultur, vor der totalitären nationalsozialistischen Bedrohung zu schützen und zu retten“ (S. 4). Genau in diesem

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digten Artikel mit der Überschrift „Meister Eckhart heute“ der Tragik dieses „unschuldigen Opfer[s] der Mode“.157 Dabei empörte sich der (namentlich nicht genannte) Autor zuerst über „den Unfug um Eckhart“ im kürzlich veröffentlichten Buch von Käthe Oltmanns158 wegen ihrer unter Berufung auf Heidegger vorgebrachten subjektiven und unchristlichen Eckhartdeutung,159

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späten Redaktionskontext ist der hier besprochene Artikel „Meister Eckhart heute“ zu verankern. „Heute ist Meister Eckhart […] völlig schuldlos daran, daß sein Name zu einer unbestimmten, aber um so heftigere Gefühle erregenden Parole geworden ist“ („Meister Eckhart heute“, [ohne Autorangaben erschienen] in: Junge Front – Wochenzeitung junger Deutscher, 4. Jahr, Nr. 26, Düsseldorf, 30. Juni 1935 [siehe Abb. 5.13], online abrufbar unter https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodi‑cal/zoom/10536549). Vier Monate vorher, in der Ausgabe vom 3. Februar, legte der Jugendseelsorger Dr. Franz Mahr (†2000) als Leitartikel ein öffentliches „mea culpa“ ab, in dem er im Namen der katholischen Jugend demütig zugab, dass sie selbst u. a. Schuld daran trägt, „wenn man den Meister verkannte und mißdeutete, wenn man einen Unterschied fand zwischen seiner und unserer Lehre, weil unsere Predigt und unser Unterricht, weil unsere Katechismen und Handbücher zu wenig ahnen lassen von der mystischen Glut und der denkerischen Kraft unseres Meisters!“ Einige Zeilen zuvor hatte Mahr schon betont, „in welch merkwürdiger“ bzw. „grotesker Weise“ Eckhart „neuerdings entdeckt und als Stifter einer ‚neuen Religion‘ gefeiert wurde“, obwohl seine Werke „nichts anderes als tiefe katholische Lehre“ enthalten und er selbst daher „urkatholisch“ war und bleibt (Franz Mahr, „Zuerst: mea culpa“, in: Junge Front, 4. Jahr, Nr. 5, Düsseldorf, 3. Februar 1935, online abrufbar unter https://zeitpunkt​ .nrw/ulbbn/periodical/zoom/10536419). Meister Eckhart, Frankfurt am Main 1935 (Philosophische Abhandlungen, 2), veröffentlicht bei „einem bisher angesehenen wissenschaftlichen Verlage“, nämlich Vittorio Klostermann, was zur Empörung beitrug („Meister Eckhart heute“ [1935] [Anm. 157]). So dass „es […] sich nicht um eine Eckhartdeutung [handelt], sondern um eine Deutung Heideggers, der einfach willkürlich in Eckhart hineingelesen wird“, was „als ein skandalöser Mißbrauch Eckharts zur Deutung einer privaten Philosophie unserer Zeit“ erschien („Meister Eckhart heute“ [1935] [Anm. 157]). Eine sehr ähnliche Kritik an Oltmanns Buch

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worauf ein Exkurs über Eckharts Frömmigkeits- und Denktyp folgte, welcher „nur aus der Kirche verstanden werden“ könnte. Daraus ergebe sich, „daß Eckhart unpolitisch ist“, da er keinerlei Interesse für „die Welt der Politik und des Sozialen in ihren Kämpfen“ bzw. eine Gleichgültigkeit ihr gegenüber entwickelt hat. Deshalb bedauerte der Artikel anschließend, „daß dies“ zwar von Karl Kindt „erkannt wird, aber leider doch nur, um falsche Folgerungen zu ziehen“. Obwohl Kindts widersinniges Verständnis Eckharts als eines Verführers statt eines Vorbilds „[je]dem Katholiken“ offensichtlich sein sollte, wurde gleichwohl an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass „es nicht für Ehrfurcht vor geschichtlicher und völkischer Größe [zeugt], wenn man Eckhart in einem Stile abtut, der irgendeinem pseudoreligiösen Schriftsteller gegenüber angemessen sein mag“. Trotz seiner Respektlosigkeit habe Kindts „Anmaßung“ jedoch zumindest den Nutzen gehabt, Meister Eckhart den Status und somit die Legitimität eines derartigen „Repräsentanten politischer Leidenschaft“ abzuerkennen; denn er sei „der vielleicht bedeutendste Vertreter katholischer deutscher Innerlichkeit“,160 egal ob einige ihn als ‚Pantheist‘ charakterisieren mögen – wie u.a. „der bedeutende Dominikanergelehrte Denifle“, dem daher an dieser Stelle vorgeworfen wurde, „unfreiwillig denen geholfen [zu haben], die den großen deutschen Mystiker als Vertreter kirchenfreier Religiosität mit Jubel zu feiern bereit waren“.161

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formulierte etwa zur gleichen Zeit Otto Karrer: „Zwar ist es kein Eckhartbuch, wie der Titel glauben läßt, sondern ein Heideggerbuch, und mit der Devotion der Schülerin gegen den Meister (ich meine Heidegger) wird alles, was von Eckhart hierfür geeignet scheint, auf das System H. umgetauft, und was nicht dazu passen will, ist einfach ‚unecht‘, ‚ganz ohne allen Zweifel unecht‘“ („Von Meister Eckhart und seiner Nachwirkung“ [1935] [Anm. 14], S. 406; zur Eckhart-Rezeption bei Heidegger siehe den Beitrag von Ricardo Baeza in diesem Band). In Anbetracht dessen und der Tatsache, dass Karrer damals gelegentlich Mitarbeiter bzw. Autor bei der Jungen Front war (siehe dazu Gotto, Die Wochenzeitung Junge Front/Michael [1970] [Anm. 156], S. 220), könnte man davon ausgehen, dass er selbst den hier besprochenen Artikel verfasst hat. Siehe dazu auch die eine Woche später unter dem Titel „Wege zu Meister Eckhart“ erschienene Fortsetzung dieses Artikels (in: Michael – Wochenschrift junger Deutscher, 4. Jahr, Nr. 27, Düsseldorf, 7. Juli 1935, online abrufbar unter https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/​ zoom/10536557): „Er [i.e. Meister Eckhart] gehört zu jenen Genien der Einseitigkeit, deren Größe sich darin zeigt, daß sie – wie Eckhart – über die Tragik ihres Daseins in der Zeit erhaben sind und immer wieder neu entdeckt werden müssen. […] Immer wieder wird er fortwirken nicht nur als Zeuge für die schöpferische Macht des christlichen Glaubens über alle Naturen und Völker, sondern vor allem als der große Repräsentant katholischer Innerlichkeit. […] Nur dann wird man ihn verstehen können, wenn man ihn mit seiner Kirche sieht, die die Kirche Christi ist, des Herrn aller Zeiten, nur in und aus ihr entfaltete sich seine Persönlichkeit, für die der katholische Glaube wahrlich nicht nur eine zufällige Form oder eine zu überwindende Tradition darstellt.“ „Daher scheinen die Recht zu haben, welche, wie Hauer, der Führer der Deutschgläubigen,

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Ähnlich tönte es Anfang September in der klerikal-katholischen Zeitung Reichspost (als Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk), wobei diesmal ein spürbarer Hauch von scharfem Sarkasmus mitschwang, was erkennen lässt, dass man nicht gerade unglücklich darüber war, Kindts Herabwürdigung des genannten „erste[n] große[n] Vertreter[s] der Deutschen Glaubensbewegung“ zum eigenen Vorteil – und anscheinend ziemlich bedenkenlos – auszunutzen, um eigenhändig Hauer und seine Clique öffentlich zu verspotten: „Was wohl werden die deutschgläubigen Eckhartanbeter zu diesem philosophischen Kindt sagen? Sie hatten schon Pech mit der Ura-Linda-Chronik; jetzt stellt sich heraus, daß auch der Eckhart kein getreuer ist, sondern sozusagen ein geistiger Judenstämmling.“ Aus diesem Blickwinkel heraus wurde mit unverhohlener Freude begrüßt, dass „neuerdings“ den „widerchristlichen Eckhartinterpreten im eigenen Lager eine Gegnerschaft erwachsen [ist]“, und mithin Kindts Versuch, „Meister Eckhart coram publico germanico zu degradieren“, als eine Kuriosität im „Streit um den großen Mystiker“, gleichsam als einen störenden ‚Meinungsstein‘ in diesem „neugermanische[n] Mosaik“ betrachtet. Grundsätzlich sollte der Dominikaner jedoch keinesfalls für einen „Judenknecht“ gehalten werden, wiewohl „in der Tat Zusammenhänge zwischen Eckhart und der neuplatonisch orientierten jüdischen Religionsphilosophie [bestehen]“, oder noch für einen „Pantheist[en]“ bzw. einen „Ketzer“; denn sowohl „die sich über die katholische Kirche lustig machen, die plötzlich Eckhart für sich beanspruche, nachdem er zum Mann des Tages, zum Herold artgemäßer deutscher unchristlicher Religion geworden sei“ („Meister Eckhart heute“ [1935] [Anm. 157]).

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Forschungen Karrers,162 Kochs,163 Steinbüchels,164 Dempfs“,165 d. h. von katholischer Seite, als auch „der protestantische Theologe Erich Seeberg166“ hätten das Gegenteil bewiesen, was zur Abgabe des folgenden – etwas plastisch klingenden – christlich-konfessionell übergreifenden Statements veranlasste: „Die Antichristen begegnen also einer geschlossenen christlichen Front“, woraus 162

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Siehe Otto Karrer, Meister Eckhart. Das System seiner religiösen Lehre und Lebensweisheit. Textbuch aus den gedruckten und ungedruckten Quellen, München 1926; ders., „Das Gotteserlebnis bei Augustinus und Meister Eckhart“, in: Gotteserfahrung und Gotteserlebnis bei Jeremia, Augustin und Eckhart, hg. von Ludwig Köhler und Otto Karrer, Zürich 1934, S. 20–54; ders., „Wesen deutscher Mystik. Eckhart, der mystische Genius. Eine Klarstellung seines Denkens und Wirkens“, in: Germania – Zeitung für das deutsche Volk, 64. Jahrgang, Berlin, 3. Advents-Sonntag 1934, Sonntags-Beilage: „Wenn wir diese Haltung Eckharts vor Augen haben, wie er sich für seine katholische Gläubigkeit gegen Mißdeutung wehrte – so müssen wir ihn entweder für einen durch und durch unwahrhaftigen Menschen halten (was niemand einfällt und ihn auch nicht zum Helden machte) – oder ihn ernst nehmen“; ders., „Von Meister Eckhart und seiner Nachwirkung“ (1935) [Anm. 14], S. 404: „Unterdessen hat sich unsere Deutung in der Hauptsache überall unter den Forschern, auch bei ursprünglichen Gegnern auf kirchlicher wie auf protestantischer Seite, Bahn gebrochen […]. Kurz, ist es heute kein Ernsthafter, der ihm [i.e. Meister Eckhart] noch einen pantheistischen oder häretischen Sinn beilegen würde, so mißverständlich auch seine kühnen ‚Aufgipfelungen‘ waren und für Außenstehende, ohne Erklärung, bleiben“; ders., „EckhartSchrifttum und Historismus“, in: Hochland – Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens/der Literatur u. Kunst 32,10 (Juli 1935), S. 374–376, S. 375[A]: „Die gesamte Forschung spricht heute den Meister eines pantheistischen oder häretischen Glaubens frei und reiht ihn dem Gottesglauben des christlichen Mittelalters ein“. Siehe Josef Koch, „Meister Eckhart“, in: Die Kirche in der Zeitenwende, hg. von Erich Kleineidam und Otto Kuss, Paderborn 1935, S. 190–217; ders., „Liturgie und Mystik: Die Liturgie bei Meister Eckhart“, in: Liturgisches Leben 2 (1935), S. 85–94. Siehe auch den Artikel „Noch ein Versuch der Deutung. Ein bemerkenswerter Vortrag von Universitätsprofessor Koch (Breslau)“, dem ein grundsätzliches Wort von Msgr. Dr. Frins (Berlin) unter der Überschrift „Meister Eckhart typisiert“ vorausgeht (in: Märkische Volks-Zeitung – Tageszeitung für die Reichshauptstadt, die Mark Brandenburg und Pommern, Nr. 347, 46. Jahrgang, Berlin, 16. Dezember 1934) und folgende einschlägige Aussagen enthielt: „Das größte Unrecht jedoch ist ihm [i.e. Meister Eckhart] in unserer Zeit widerfahren, da man ihn gänzlich zum Pantheisten stempelt und in ihm die Urdogmen des ‚deutschen Glaubens‘, der das Christentum endgültig verdrängen soll, entdeckt zu haben meint. Gerade diese These aber mit ihren allenfalls so einschneidenden Folgerungen ist am wenigsten haltbar. […] Meister Eckhart jedoch pantheistisch interpretieren, heißt alles das völlig mißverstehen, was uns die Hl. Schrift von der innersten Verbindung der Seele mit Gott zu künden weiß. […] Was jedoch die Theorie von Eckharts Pantheismus vollends zerstört, ist der aus der Gesamtschau seiner Mystik sich ergebende Hinweis auf Christus. […] Wenn man dann noch hinweist auf die in Eckharts Mystik sich aussprechende Sehnsucht der deutschen Seele nach Freiheit, Reinheit und Größe, ferner auf die ungewöhnliche Tiefe und Hintergründigkeit dieser Spekulation, – was allseitig gerne anerkannt wird, – so ist doch deshalb die Abschiedgebung an das Christentum und der Rekurs zum Pantheismus völlig verfehlt und ungerechtfertigt.“ Abschließend zu diesem Wort wurde allerdings und erstaunlicherweise

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aber Lutherverehrer nationalsozialistischer Gesinnung wie Karl Kindt selbstverständlich ausgeschlossen wurden. Denn „[m]ag Eckhart so ‚urnordisch‘ sein wie immer, er war Christ und keine Heide; seine ‚nordische Seele‘ war gut katholisch.“167

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bzw. im Kontrast zu der bisher von uns dargestellten katholischen Eckhart-Auffassung behauptet, dass diese gar nicht unvereinbar mit der nordisch-germanischen Typisierung des deutschen Meisters sei, ganz im Gegenteil: „Vielmehr ist Eckhart ein lebendiger und sprechender Beweis dafür, zu welch herrlicher Synthese und zu welch gipfelnder Höhe Christentum und Germanentum in der nordischen Seele sich begegnen und vereinigen konnten. Insofern mag Eckhart allen als Typus gelten“. Siehe Theodor Steinbüchel, Christliches Mittelalter, Leipzig 1935, S. 198: „Aber Spekulation ist der Mystik nicht Selbstzweck und nicht als solche schon das für sie Charakteristische. Der sog. ‚Pantheismus‘ ihrer Gotteslehre läßt sich nach neueren Forschungen überhaupt nicht aufrechthalten. So mißverständlich die Formulierungen Eckeharts […] sein können […], Eckehart war treu kirchlich gesinnt und hat nie zugegeben, daß er von der Kirchenlehre sich entferne. […] Seine Mystik wollte in der Kirche bleiben.“ Siehe Alois Dempf, Meister Eckhart. Eine Einführung in sein Werk, Leipzig 1934, S. 85: „Jetzt kann gar kein Zweifel mehr bestehen, daß Eckhart seine bestrittenen Lehren grundkatholisch gemeint hat“; ders., „Meister Eckharts Verhängnis“, in: Hochland 32/1 (1934/35), S. 28–42, S. 28: „Meister Eckhart ist schon beinahe dreißig Jahre in Mode bei Leuten, die ihn gar nicht verstehen können, ja völlig mißverstehen müssen. […] Ernster schon ist die Tragikomödie des Eckhart-Mißverständnisses durch die Fachleute in den letzten hundert Jahren, die Eckhart zum Pantheisten oder Theisten machten, je nach Wunsch des Darstellers. Aber auch sie ist hier keiner eingehenden Widerlegung wert“; „War Meister Eckhart Pantheist?“ [= Widergabe eines in Deutsches Volksblatt (Stuttgart) veröffentlichten Berichts über einen dort vor kurzem von Dempf gehaltenen Vortrag], in: Schönere Zukunft – Wochenschrift für Religion und Kultur, Soziologie und Volkswirtschaft, 10. Jahrgang, 2. Hälfte, Nr. 51, Wien, 15. September 1935, S. 1367f.: „Ja, es ist nach den neuen Forschungsergebnissen sogar fraglich geworden, wie es eigentlich kam und überhaupt möglich war, daß man Eckhart im Sinne des Pantheismus auslegte. […] Wer aber nicht von isolierten Sätzen und Satzteilen […], sondern vom Ganzen der Lehre Eckharts ausgeht, der kann nicht länger an der Wahrheit vorbeidenken, daß Eckhart ein katholischer Christ im vollen Sinne des Wortes war.“ Siehe Erich Seeberg, Meister Eckhart. Vortrag gehalten vor der Deutschen philosophischen Gesellschaft in Berlin, Tübingen 1934 (Philosophie und Geschichte. Eine Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der Philosophie und Geschichte, 50). Darauf verwies auch Msgr. Dr. Frins („Meister Eckhart typisiert“ [1934] [Anm. 163]): „Kein geringerer z. B. als Erich Seeberg hat neulich in einem Vortrage […] dargelegt, daß Eckhart, […], die dringende Frage, ob er Pantheist sei, selbst gesehen und vorsichtig alle ihm aus der biblischen, patristischen und philosophischen Tradition zu Gebote stehenden Denkweisen in sein System eingebaut habe, um es vor dem Abgleiten in den Pantheismus zu bewahren.“ Siehe dazu auch Erich Seeberg, „Meister Eckhart“, in: Das evangelische Deutschland, 11. Jahrgang, Nr. 46, Berlin, 18. November 1934, S. 391f., S. 392[A]: „Es ist heute eine oft umstrittene Frage, ob Meister Eckhart Pantheist ist. Diese Frage kann heute verneint werden“; ders., „Beobachtungen zu Meister Eckhart“, in: Forschungen und Fortschritte, 10.

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3.2.2 Reaktionen aus der Eckhart-Forschung Unter den gerade genannten Eckhart-Forschern äußerten sich allerdings – unserer Kenntnis nach – nur die ersten beiden ausdrücklich zu Kindts Aufsatz. Einige Monate nach dessen Erscheinen nahm Karrer (ein weiteres Mal?)168 Bezug darauf in einem Beitrag zur Rubrik ‚Rundschau‘ der Monatsschrift Hochland, einer damals bedeutenden katholischen Kulturzeitschrift antinationalsozialistischer Haltung,169 zu deren langfristigem Autorenkreis Karrer gehörte (sowie Dempf).170 Unter der Überschrift „Eckhart-Schrifttum und Historismus“ verfasste der seit 1927 in der Schweiz ansässige und dort vor Kurzem eingebürgerte deutsche Theologe und Mystikforscher, welcher u. a. durch eine geistige Auseinandersetzung mit Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts (und dessen propagandistischer Eckhartdeutung) seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus erklärte, eine regelrechte Kritik der übertriebenen Publizistik zu Meister Eckhart171 bzw. des Wahrheitsanspruches jeder unwissenschaftli-

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Jahrgang, Nr. 35/36, 10. u. 20. Dezember 1934, S. 432–434, S. 433[B]: „Man hat die Frage viel erörtert, ob Eckhart Pantheist sei. […] Die Frage muß aber verneint werden […]“; ders., „Meister Eckhart“, in: Deutsche evangelische Erziehung 46 (1935), S. 148–159, S. 156: „[…] Deshalb ist er sicher kein Pantheist.“ Nichtsdestotrotz stellte Seeberg jeweils eine gewisse Trennung vom kirchlichen Katholizismus bei Meister Eckhart fest, insbesondere hinsichtlich seiner Gnadenlehre. „Neugermanisches Mosaik“ [von Dr. K. Hebenstreit], in: Reichspost – Unabhängiges Tagblatt für das christliche Volk, 42. Jahrgang, Nr. 241, Wien, Sonntag, den 1. September 1935, „Die Quelle – Sonntag-Beiblatt der ‚Reichspost‘ für Literatur, Heimatkunde u. Kultur“, S. 16 (siehe oben Abb. 5.14), online abrufbar unter https://anno.onb.ac.at/cgi‑content/anno?aid​ =rpt&datum=19350901&seite=16&zoom=33. Siehe dazu oben, Anm. 159. Siehe dazu Konrad Ackermann, Der Widerstand der Monatsschrift Hochland gegen den Nationalsozialismus, München 1965, S. 28 u. 86: „Das Gesamtbild des ‚Hochland‘ in der Ära des Nationalsozialismus wird im wesentlichen bestimmt durch die Hinwendung zu elementaren [– insbesondere moraltheologischen, liturgischen, kirchengeschichtlichen und dogmatischen –] Grundfragen, den Kampf gegen nationalistische und nationalsozialistische Ideologien und durch die Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus in all seinen offenen und versteckten Erscheinungsformen. […] Die Beiträge der ‚Kritik‘ und der ‚Rundschau‘ fanden dadurch ein besonderes Interesse, daß sie eine große Anzahl an Bücher besprachen. Gerade darin bot sich eine Möglichkeit, den nationalsozialistischen Ideen entgegenzutreten und positive Wege zu ihrer Überwindung aufzuzeigen. Zugleich wurde hier der eigene Standpunkt am klarsten sichtbar“. Im Juni 1941 wurde dieser Zeitschrift „aus kriegswirtschaftlichen Gründen“ die Papierzuteilung entzogen und der Verbrauch ihres vorhandenen Pressepapierbestandes untersagt, was die Einstellung des Erscheinens bedeutete und folglich einem Verbot gleichkam (ebd., S. 100). Siehe dazu die Porträtgalerie im Heft zum 50. Jubiläum (Hochland – Zeitschrift für alle Gebiete des Wissens und der Schönen Künste 46,1 [Oktober 1953]). Zur Erläuterung dieser „Eckhart-Monomanie im Schrifttum der deutschen Gegenwart“

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chen Deutung seines Geistes, insofern sie aus Bequemlichkeit darauf verzichtet, „den beschwerlichen Weg der Forschung zu gehen“, und so lieber „in den Mythos [flieht]“, was damals nach Karrers Ansicht „das schwerste Eckhartproblem“ darstellte. Denn „welches der Gegenstand seines Glaubens gewesen sei, der ‚Höchstwert‘, der ihn bewegte“, hielt Karrer eben „wirklich nur“ für „eine Gelehrtenfrage“. Da die Antwort darauf „[g]ewiss nicht ‚Volk und Rasse‘“ lauten könne, „wiewohl er ein Deutscher war“, sei immerhin der Tatsache Rechnung zu tragen, dass „ihn [i.e. Meister Eckhart] K. Kindt […] vom Standpunkt dieser

schrieb Karrer weiter: „Es regnet in allen Redaktionsstuben Eckhart. Es spricht alles von ihm, wie man vom Wetter spricht – um nichts von sich zu sagen. […] Von Eckhart zu reden, ist heute das bequemste. Vor zehn Jahren war es das nicht. Aber heute. Es kann heute jeder von Eckhart reden. Das kostet nichts“ („Eckhart-Schrifttum und Historismus“ [1935] [Anm. 162; siehe Abb. 5.15], S. 374[A–B]).

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‚Totalität‘ aus mit Recht ablehnt“, und zwar als „ein enfant terrible zu Füßen Rosenbergs“. Doch im Gegensatz zu Kindt betrachtete Karrer den Dominikaner als einen echten „Held[en] des Glaubens“, der für seine Überzeugung „bewusst sich der Gefahr [eines Inquisitionsprozesses] aussetzte – obschon er gewarnt war“.172 Entgegen jeder pantheistischen oder häretischen Eckhartdeutung173 brüstete sich Karrer weiterhin damit, dass seine Auffassung nunmehr zum Konsens in der Eckhart-Forschung trotz „alle[r] Unterschiede im einzelnen“ geworden sei,174 auch wenn dies nichts daran änderte, dass „[f]ür die Masse der propagandistischen Artikelschreiber […] freilich noch immer das Gegenteil von dem [galt], was die Forscher herausstellen“.175 Was die Reaktion von Koch auf Kindts Missdeutung seiner Forschungsergebnisse zu Eckharts geistesgeschichtlicher Beziehung zur jüdischen Religionsphilosophie angeht,176 dauerte es ungefähr vier Jahren, bevor man von ihm eine einschlägige Entgegnung lesen konnte. Erst als Koch in der überarbeiteten Fassung seines Beitrags zum Versuch eines Gesamtbildes Meister Eckharts erneut die „Verwandtschaft der inneren, geistigen Haltung“ zwischen dem christlichen Mystiker und Moses Maimonides bekräftigte, achtete er diesmal darauf, klarzustellen, dass beide theologischen Sichtweisen immerhin noch durch „eine tiefe Kluft“ getrennt blieben und demnach eine „Verwandtschaft der Haltung […] keineswegs Gleichheit des Glaubens und der Überzeugung“ bedeute.177 Den Hintergrund dieser Äußerung und an wen sie sich überhaupt richtete, verriet Koch allerdings nicht anschließend im Haupttext, sondern nur beiläufig innerhalb einer Fußnote, als ob er bestrebt gewesen sei, sich explizit von dem Betroffenen und dessen feindlicher Eckhartdeutung zu distanzieren, jedoch ohne ihr eine unnötig große Bedeutung beizumessen: „In meinem Vortrag ‚Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des ma‘ […] hatte ich erstmals auf die Beziehungen der beiden Denker zueinander hingewiesen. K. Kindt benutzte nun meine Ergebnisse als Grundlage für eine Ablehnung Eckharts in seinem Aufsatz ‚Meister Eckhart und das junge Deutschland‘ […]. Ein solches Verfahren ist aber unmöglich. Denn wenn es sich, wie bei Eckhart, um einen Meister des Gedankens handelt, kann man ihn doch nicht mit einer von 172 173 174

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Karrer, „Eckhart-Schrifttum und Historismus“ (1935) [Anm. 162], S. 374[B]. Siehe dazu auch oben, Anm. 162. „[…], wobei Théry besonders die post-averroistische, Koch die post-maimonidische, Seeberg die post-plotinische, Benz auch wieder einmal die prä-lutherische Note betonen möchte“ („Eckhart-Schrifttum und Historismus“ [1935] [Anm. 162], S. 375[A]). Karrer, „Eckhart-Schrifttum und Historismus“ (1935) [Anm. 162], S. 375[B]. Siehe dazu oben, S. 117 u. Anm. 68. Josef Koch, „Meister Eckhart“ (1935) [Anm. 163], dritte, bedeutend umgearbeitete Auflage, Salzburg/Leipzig 1939, S. 277–309 (siehe unten Abb. 5.16). S. 286.

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ihm benutzten Quelle identifizieren. Eine solche Tendenz lag natürlich meiner Untersuchung ganz fern.“178 Als Vesper behauptete, dass „von römischen Kreisen aus […] Kindts Aufsatz sofort die schärfste Abwehr [fand]“,179 meinte er aber damit gewiss nicht Karrer und Koch, sondern eher die zwei Hauptherausgeber der unter der Schirmherrschaft des Dominikanerinstituts Santa Sabina in Rom stehenden Ausgabe der lateinischen Werke Meister Eckharts, nämlich Pater Gabriel Théry († 1959) und Raymond Klibansky (†2005),180 von denen ich jedoch keine Spur irgendeiner schriftlichen bzw. veröffentlichten Zurückweisung des Aufsatzes von Kindt ausmachen konnte.181 Stattdessen fand ich zusätzlich zu Kochs Entgegnung noch eine weitere, allerdings implizite Reaktion aus der Kommission zur deutschen Herausgabe des Gesamtwerks Meister Eckharts,182 und zwar die ihres Vorsitzenden Erich Seeberg (†1945). Obgleich er selbst evangelischer Theologe war, scheute er sich keinesfalls, den Standpunkt zu vertreten, dass die Katholiken Eckhart zumeist besser als die Protestanten verstanden hätten, für die der Dominikaner „als Mystiker in der letzten Zeit eigentlich nur als besonders abschreckendes Beispiel in Betracht [gekommen sei]“.183 Zugunsten der Mystik äußerte sich Seeberg mehrmals mit ziemlich sarkastisch-verächtlichen Worten gegen die Vorurteile sowie Übertreibungen neuprotestantischer Theologen184

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Koch, „Meister Eckhart“ (1939) [Anm. 177], S. 286, Anm. 15. Beim Neudruck dieser Abhandlung Kochs in: ders., Kleine Schriften, hg. von Karl Bormann, Bd. i, Rom 1973, S. 201– 238, ist diese Fußnote nicht mehr vorhanden (siehe ebd., S. 213). Will Vesper, „Unsere Meinung“ (1935) [Anm. 129], S. 623. Siehe dazu oben, Anm. 46 sowie S. 134 u. Anm. 128. In diesem Zusammenhang teilte Die Neue Literatur in ihrem Aprilheft mit, dass sie ein Schreiben vom Verlag Meiner bekommen habe, allerdings nur zur Klarstellung des Erscheinungsgeschehens zwischen der römischen und der deutschen Eckhart-Ausgabe sowie zur Auskunft über die Herkunft der Mitarbeier der ersteren („Mitteilungen“, in: Die Neue Literatur 36,4 [April 1935], S. 240). Siehe dazu oben, S. 121 u. Anm. 84. Erich Seeberg, Meister Eckhart (1934) [Anm. 166], S. 11. Siehe dazu auch ders., „Meister Eckhart und Luther“, in: Die Tatwelt 12 (1936), 3–16, S. 3: „Der protestantischen Theologie ist er [i.e. Meister Eckhart] – bis auf wenige Ausnahmen – als Mystiker unheimlich, denn er ist belastet mit dem Verdikt über die Mystik […]. Mystik gilt ja hier nicht als Religion, sondern als Egoismus oder als Gegenteil von Religion“, was Kindts Betrachtungsweise zur Mystik Eckharts ziemlich gut widerspiegelt. „Die katholische Kirche ist in der Frage der Eckhartdeutung viel klüger – fast könnte man sagen politischer – vorgegangen; denn sie sieht diese Frage auch geistespolitisch. Sie beansprucht immer deutlicher Meister Eckhart für sich: der große deutsche Theologe des Mittelalters war eben Katholik.“ Neben den hier erwähnten Veröffentlichungen Seebergs siehe auch ders., Luthers Theologie in ihren Grundzügen, Stuttgart 1940, 21950, S. 212 f.

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und v.a. gegen ihr „Forschen […] nach ‚geheimer Selbstsucht‘ bei Meister Eckhart, um von hier aus den Unterschied zum rigorosen ‚Kantianer‘ Luther zu bestimmen“.185 In der Eckhart-Forschung war Seeberg jedoch v.a. bekannt für seine Deutung des Eckhartschen Denkens als bloßer Rezeption des Neuplatonismus im Rahmen einer „zweiten Hellenisierung des Christentums“,186 u. a. durch die arabische und jüdische Philosophie.187 In diesem Zusammenhang lästerte er 1937 in seinem „historischen Bericht über die Entstehung und Entwicklung der deutschen Meister-Eckhart-Ausgabe“ über „schwach Begabte“, die „daraus vorschnell schließen, daß Eckhart, weil er sich auf diese arabischen und jüdischen Platoniker bezieht, deshalb selbst jüdische und arabische Gedanken vertritt“. Trotz fehlender Namensnennung griff Seeberg dabei ganz offensichtlich in erster Linie Karl Kindt an,188 dessen „Enge und Kurzsichtigkeit“ insofern zutage träten, als er „glaub[e], mit der Erkenntnis der Wurzeln eines Denkers den Denker selbst zu kennen und zu haben“.189

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Seeberg, Meister Eckhart (1934) [Anm. 166], S. 40. Seeberg war hingegen der Meinung, dass Luther „ja in den verschiedenen Mystikern im Mittelalter nicht bloß die Zeugen der Wahrheit, sondern auch seine eigenen Vorläufer erblickt hat“ (Luthers Theologie in ihren Grundzügen [1940, 21950] [Anm. 184], S. 216). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass Kindt in Seeberg einen treulosen Lutheraner sah und folglich die Herausgabe einer Eckhart-Edition unter seiner Führung als eine Perfidie betrachtete. Seeberg, Meister Eckhart (1934) [Anm. 166], S. 1. Einige Seiten weiter schrieb er: „Alle Eckhart-Interpretation wird bei dieser neuplatonischen Grundlage einsetzen müssen und dieselbe nicht aus den Augen verlieren dürfen“ (S. 4 f.). Siehe dazu u. a. Ernst Benz, „Eckhartiana vi. Zur neuesten Forschung über Meister Eckhart“, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 57 (1938), S. 566–596, S. 573 und ders., „Neuere Forschung über Meister Eckhart“ (1939) [Anm. 132], S. 386. Siehe dazu Lutz Danneberg, Deutsche Linie und Deutsche Wissenschaft: Eckhart, Cusanus, Paracelsus, Co-pernicus, Böhme, Kepler, Leibniz & Co. – überfällige Forschungen zur Arbeit an der Deutschen Linie des Denkens und Fühlens und zur Diskussion eines nichttraditionellen Konzepts epistemischer Güte zwischen 1933 und 1945 [fheh-Preprint-Version 4. 7. 2012 (1. Version 10. 9. 2008)], S. 161 u. Anm. 1129, online abrufbar unter http://fheh.org/wp‑content/​ uploads/2016/07/dfgdlluda.pdf. Erich Seeberg, „Die verlorene Handschrift. Zur Geschichte der Meister-Eckhart-Ausgabe“, in: Nationalsozialistische Monatshefte 8, Heft 86 (Mai 1937), S. 1 [386]-13 [397] (siehe unten Abb. 5.17), S. 5 [389]. Die Erklärung zur Veröffentlichung dieses Berichts in der von Rosenberg herausgegebenen Zentrale und kulturelle Zeitschrift der n.s.d.a.p. gab der Hauptschriftleiter Matthes Ziegler († 1992) in einer Vorbemerkung: „Es ist verständlich, daß gerade die ‚ns.-Monatshefte‘ der Meister-Eckhart-Forschung ein besonderes Interesse entgegenbringen. Mit wachsendem Erstaunen haben wir in den letzten Jahren verfolgen können, daß neben der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten und von Prof. D. Dr. Erich Seeberg, Berlin, geleiteten Veröffentlichung der Werke des Meisters Eckhart eine zweite Ausgabe getätigt wird, von deren verantwortlichen Herausgebern man wahrhaftig nicht behaupten kann, daß sie an das Geisteserbe des großen Deut-

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Letztendlich erscheinen uns die kritischen Reaktionen der gut-katholischen Frontlinie im Vergleich zu denjenigen der gut-deutschen Gegenseite ziemlich gemäßigt, zurückhaltend, was – außer bei Seeberg wegen seiner abweichenden politisch-ideologischen Gesinnung190 – v.a. auf die Tatsache zurückzuführen war, dass Kindts Angriff immerhin dazu diente, ein bisschen Wind aus den Segeln der nationalsozialistischen ‚Eckhart-Renaissance‘ zu nehmen, auch wenn die Katholiken zugunsten dieser Auswirkung nolens volens ihre kriti-

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schen Eckhart ohne politische und weltanschauliche Voreingenommenheit herangehen. Ohne im Einzelnen jetzt schon zu der unter Erich Seeberg in Lieferungen erscheinenden Ausgabe der Gesamtwerke Eckharts, einer Gemeinschaftsarbeit von Theologen beider christlichen Konfessionen, Stellung zu nehmen, halten wir uns doch im Interesse der weltanschaulichen Sauberkeit und um d[ie] Ehre deutscher wissenschaftlicher Forschungen willen verpflichtet, Herrn Prof. D. Dr. Erich Seeberg für ein Wort zur Sache Raum zu geben.“ Wegen Seebergs unterstellenden, feindseligen Äußerungen gegenüber „dem jüdischen Dr. Klibansky“ (ebd., S. 8 [392]) gehört dieser deshalb polemische Bericht laut Largier „ins traurige Kapitel der Nazi-Gefolgschaft“ („Mystik und Tat“ [1991] [Anm. 9], S. 46, Anm. 32). An dieser Stelle ist außerdem daran zu erinnern, dass Seeberg selbst nicht nur Angehöriger der Deutschen Christen (siehe dazu oben, S. 104 u. Anm. 19), sondern auch Mitglied der n.s.d.a.p. (seit dem 1. Mai 1933 und vorher Kandidat der Deutschnationalen Volkspartei für das Amt des Kultusministers) sowie des ns-Dozentenbunds und Lektor in der parteiamtlichen Prüfstelle zum Schutz des ns-Schrifttums war, so dass er zu den Kultusbehörden und dem Parteiapparat in sehr enger Beziehung stand. Thomas Kaufmann zufolge galt Seeberg nicht bloß als Sympathisant des Hitlerregimes, sondern vielmehr als „ein[] entschiedene[r] ‚Propagandist‘ des Nationalsozialismus“ („‚Anpassung‘ als historiographisches Konzept und als theologiepolitisches Programm. Der Kirchenhistoriker Erich Seeberg in der Zeit der Weimarer Republik und des ‚Dritten Reiches‘“, in: Evangelische Kirchenhistoriker im ‚Dritten Reich‘, hg. von Thomas Kaufmann u. Harry Oelke, Gütersloh 2002 [Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 21], S. 122–272; siehe dazu auch Stephan Bitter, „Umdeutung des Christentums. Der baltische Theologe Erich Seeberg im Nationalsozialismus“, in: Deutschbalten, Weimarer Republik und Drittes Reich, Bd. 1, hg. von Michael Garleff, Köln/Weimar/Wien 2001 [Das Baltikum in Geschichte und Gegenwart 1/i], S. 267–296, S. 281: „Seebergs Zustimmung zum Nationalsozialismus war zunächst ein Sprung, eine komplex motivierte persönliche Entscheidung, in deren Folge er erst retrospektiv den Nationalsozialismus als Einlösung des politischen, theologischen und persönlichen Erbes deuten konnte“). Zur deutschnationalen Eckhart-Deutung von Seeberg siehe u. a. von ihm „Der Kampf um Meister Eckehart“, in: Nationalsozialistische Monatshefte 6, Heft 62 (Mai 1935), S. 471f. (in der Rubrik „Kritik der Zeit“), S. 472: „In seinem späteren Alter erkannte er [i.e. Eckehart] trotz aller thomistisch-scholastischen Dressur die Stimme seines deutschen Blutes. Es muß […] ein schwerer Durchbruch gewesen sein, als er sein deutsches Urempfinden erkannte und nunmehr jene deutschen mystischen Schriften schrieb, in denen wir unser deutsches Gottgefühl wiederfinden. […] Der echte Meister Eckehart ist […] der Eckehart, der im späteren Alter, den Geisteszwang abschüttelnd, seine deutsche Natur wiederfand.“ Siehe dazu oben, Anm. 189 sowie in der Einleitung zu diesem Band, S. 104 u. Anm. 12.

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schen Augen vor Kindts un- bzw. irrsinnigem Geschwätz verschließen mussten, anstatt es an den Pranger zu stellen.

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Zusammenfassende und abschließende Betrachtungen

In der Geschichte der Eckhart-Rezeption und -Forschung hat zwar die hier in ihren näheren Umständen und entsprechend logischen Folgen geschilderte Polemik eher – und eigentlich zu Recht – Anekdotencharakter, liefert aber nichtsdestoweniger aufgrund ihrer religiös-politischen Brisanz ein sehr aufschlussreiches Fallbeispiel zur Klärung der Fronten im Kampf für oder gegen Eckhart in der ns-Zeit. Unter den Anhängern der damals herrschenden Ideologie verliehen Kindts Äußerungen zur Missbilligung der angeblich arteigenen Rechtgläubigkeit des Eckhartschen Denkens der neureformatorischen Front einer antimystischen Haltung eine sehr heftige und erbitterte Stimme; demgegenüber spielten Rosenberg und die Verfechter seiner völkisch-neuheidnischen Eckhartdeutung die Advokaten des – von Kindt so bezeichneten – ‚Teu-

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fels‘ und bildeten ihrerseits eine deutschgläubige Front antichristlicher Haltung. So wurde das ns-Bild bzw. -Zerrbild Meister Eckharts zwischen zwei extremen Ansichten abgesteckt: entweder Prophet und Herold oder Abtrünniger und Feind der ‚deutschen‘ Frömmigkeit und Sittlichkeit.191 Aus diesem verwirrenden, bis zum Sturz des Regimes fortdauernden Zwiespalt stellte einige Jahre später der ehemalige Hauptschriftleiter der ns-Gauzeitung Hamburger Tageblatt Max Baumann folgende Auswirkung auf den unparteiischen Eck-

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hartliebhaber fest: „Wer sich in seinem religiösen Suchen der Welt Eckharts zugewandt hatte, sah sich mit solchen divergierenden Meinungen hineingezogen in einen tiefaufwühlenden Streit, in dem es überaus schwer wird, festen Boden zu gewinnen.“192 Doch zwischen beiden Extremen erhob die katholi191

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Ähnliches berichtete bereits 1934 Konrad Weiss, „Der heutige Stand der Eckhartforschung“, in: Christentum und Wissenschaft 10 (1034), S. 408–421, S. 420: „ Wenn heute jede beliebige weltanschauliche oder dogmatische Richtung sich an Eckhart positiv oder negativ selbst darzustellen versucht, so braucht eigentlich kaum noch vor einem derartigen Schrifttum gewarnt zu werden. Es gehören dazu einerseits die Vertreter einer zügellosen Verherrlichung einer angeblich arisch-nordischen Religiosität, die Eckhart zum Kronzeugen ihres Kampfes gegen Christentum und Dogma verzerren […]. Auf der anderen Seite stehen dann die periodisch widerkehrenden Aufsätze über Mystik und dgl. in den Zeitschriften der protestantischen Neuorthodoxie, die feststellen, daß Meister Eckhart noch mehr gesagt habe, als was sich seit Jahrtausenden an festen Formulierungen des christlichen Glaubens allgemeinen durchgesetzt hat, und sich darüber entrüsten.“ Max Baumann, „Durchbruchsschlacht im Eckhart-Streit? Die Geschichtliche Stellung des grossen Mystikers“, in: Hamburger Tageblatt – Zeitung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, 14. Jahrgang, Ausgabe A, Hamburg, Montag, 28. Dezember 1942 [erneut veröffentlicht unter dem leicht geänderten Titel „Problematik im Eckhart-Streit. Die geistesgeschichtliche Stellung des grossen Mystikers“, in: Deutsche Zeitung in den Niederlanden, 3. Jahrgang, Amsterdam, Montag, 4. Januar 1943 (siehe Abb. 5.18) und übernommen in: Die Auswahl. Artikel aus der in- und ausländischen Press 5 (1943), S. 157–160]. Dieser Feststellung ging unmittelbar voraus ein kurzer geschichtlicher Abriss über die Lage, der zeigt, dass mehr als sieben Jahre später Kindts Aufsatz einigen noch im Gedächtnis haften blieb: „Als Alfred Rosenberg dem mittelalterlichen Mystiker Eckhart in seinem

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sche Bekenntnisfront eine dritte Stimme, eine Stimme der Vernunft – nicht der Rasse –, und fungierte in diesem Zusammenhang als ein Sprachrohr der geschichtlich-theologischen Wahrheit, das in aller wissenschaftlichen Objektivität und Sachlichkeit den mittelalterlichen Dominikanermeister selbst zur Sprache kommen ließ, anstatt ihn missbräuchlicherweise zum Verkünder einer mittlerlosen Religiosität und von daher – anstelle von Luther – zum wahren Überwinder jeder Form des kirchlichen Priestertums zu machen. In dieser Weise geriet zwangsläufig die echte, dieses Namens würdige Eckhartforschung, die durch die begonnene historisch-textkritische Gesamtausgabe der deutschen und lateinischen Werke in „ein neues Stadium“ getreten war,193 mitten ins Kreuzfeuer eines hitzig entbrannten Streites, der sich im Endeffekt auf ein Entweder-Oder zwischen Eckhart und Luther reduzierte.194 Denn der Mystiker

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Mythus Ausführungen widmete, die ihn als wesentlichen Träger germanischer Frömmigkeit inmitten der christlichen Welt der Scholastik aufzuzeigen suchten, da löste er erneut eine Welle weitgehender Auseinandersetzungen über diesen Denker aus, die bis heute nicht zum Stillstand gekommen sind. Hauer, Bergmann und Mandel haben seinen Lehren von ihrem Standpunkt aus eine sehr grosse Bedeutung zugemessen und sehen in ihm den Durchbruch arteigenen religiösen Fühlens und Erlebens durch die lähmende Kruste christlicher Gedanken. Von der anderen Seite her aber kam etwa Karl Kindt, der meinte, auf dem Wege über diesen Mystiker bedrohe ‚heimliches Asien‘ den deutschen Geist […].“ Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes (1967) [Anm. 9], S. 304: „Sie [i.e. die Stuttgarter Ausgabe] führte in stärkerem Maße als bisher zu den Texten selbst hin und bot eine solidere Basis für die folgenden Untersuchungen, die sich bemühen, Eckharts Leben und Werk, seine Sprache, sein Denken und seine Bedeutung für die Geschichte des Geistes neu zu ergründen.“ Laut Konrad Weiss sollte „die wissenschaftliche Gesamtausgabe der Werke Eckharts“ auf diese Weise „der bestehenden Unsicherheit und Charlatanerie auf dem Gebiet der Eckhartdeutung ein Ende machen“, damit „die geistige Gestalt des Meisters […] nicht noch stärker in den Kampf der Parteien hineingezogen [wird], als das bisher schon geschehen ist“ („Die Gestalt Meister Eckharts in der deutschen Geschichte“, in: Vergangenheit und Gegenwart – Zeitschrift für Geschichtsunterricht und politische Erziehung 25,7 [Juli 1935], S. 369–381, hier S. 381 u. Anm. 20). Siehe Seeberg, „Meister Eckhart und Luther“ (1936) [Anm. 183]: „Meister Eckhart und Luther! Es ist deutsches Schicksal, alles im Gegensatz zu verarbeiten. Müssen auch wir hier eine Entweder-Oder sehen und uns mit Ja oder Nein entscheiden? Ist der Kampf der Gegenwart in religiöser Hinsicht mit diesen beiden Namen überhaupt typisch bezeichnet? Eins muß man jedenfalls auf alle Fälle sagen: dies, daß die protestantische Theologie der neuen Problematik nicht gleichgültig gegenüberstehen darf. Sie hat vielmehr den Komplex von Fragen aufzugreifen, der mit folgenden Begriffen umschrieben ist: die Mystik, das Deutsche, seine Verbindung mit dem Christlichen, Konfession und Religion, Meister Eckhart und Luther! Sind hier also wirklich zwei theologische Typen unversöhnt einander gegenübergestellt. Sind hier faktisch zwei Gegensätze namhaft gemacht, die man mit Mystik und Bibeltheologie, Katholizismus und Protestantismus, Seelenfunke und Sünde kennzeichnen kann?“ Laut Seebergs verneinender Antwort, die nicht auf einem systematischen Vergleich, sondern eher auf einem geschichtlichen Ansatz beruhte, sollte aber die

„meister eckhart – ein falscher prophet?“

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hatte im Laufe einer geistes- und kulturtypologischen ‚Eckhart-Renaissance‘, die – begünstigt von einer propagandistischen Mythenbildung – den vom Wilhelminischen Kaiserreich bis zum Dritten Reich gepflegten nationalkonservativen Lutherkult abwertend hinterfragte, den Reformator als Propheten der Deutschen im Pantheon der Ahnen germanischer Abstammung verdrängt. Diesbezüglich und in Anbetracht desselben polemischen Kontexts gab dazumal der Privatgelehrte, Publizist und Eckhart-Übersetzer Friedrich SchulzeMaizier (†1971) eine klarblickende Zeitdiagnose und -kritik:

abb. 5.19

Man sollte […] das schwere und wichtige Problem ‚Eckehart und der Protestantismus‘ endlich einmal in voller Unbefangenheit zu erörtern suchen und sich darüber klar werden, um was es hier eigentlich geht. Ich habe schon früher195 davor gewarnt, Luther gegen Eckehart oder Eckehart gegen Luther ausspielen zu wollen, habe mich stets dagegen gewehrt, aus

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Komplementarität zwischen dem von Eckhart verkündeten „uralten Sang der Mystik vom Sterbenmüssen, um leben zu können“, und die „germanische Ausprägung des Christentums“ durch Luthers Reformation letztendlich der „Auferstehung“ des deutschen Volkes dienen (ebd., S. 7, 11 u. 16). Friedrich Schulze-Maizier, „Einführung des Herausgebers“, in: Meister Eckharts deutsche Predigten und Traktate, Leipzig 1927, 47: „Statt subjektivistischer Befangenheit den einen gegen den anderen auszuspielen, wollen wir uns lieber freuen, daß wir auch auf geistlichem Gebiet ‚zwei solche Kerle haben‘, den Ätherischen neben dem Massiven, den Flieger neben dem Steher.“

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dem Meister ein Idol zu machen und in verblendeter Liebe die Mängel und Kehrseiten seiner Leistung zu übersehen. Es darf nie heißen: ‚Eckehart oder Luther?‘, sondern durchaus nur: ‚Eckehart und Luther‘. […] Den strengen und illusionslosen Ernst Luthers durch die unbeklommene Gottinnigkeit und Selbstgewißheit eines Eckehart zu ergänzen suchen – das wäre gewiß ein besserer Dienst am Erbe eines jeden dieser beiden Großen, statt in kleinlicher Befangenheit einen gegen den andern auszuspielen. […] Es war für den Kampf um Eckehart von jeher typisch, daß das Vorurteil über den Meister immer wieder zwischen den schärfsten Extremen schwankte. […] Während nun Eckehart für Hauer, Ernst Bergmann oder Hermann Mandel, aller besonderen Auffassungsverschiedenheiten ungeachtet, einen der wichtigsten und makantesten Vertreter artgemäßer deutscher Immanenzfrömmigkeit darstellt, sind jetzt gerade auf völkischer Seite Stimmen laut geworden, welche Eckehart für einen ‚falschen Propheten‘ erklären, für einen geheimen Nihilisten und Zerstörer unserer völkischen Substanz, vor dem gerade im Interesse deutscher Selbstfindung nicht entschieden genug gewarnt werden könne. Unter der Überschrift ‚Meister Eckehart und das junge Deutschland‘ hat kürzlich Karl Kindt (im Märzheft der ‚Neuen Literatur‘) einen Aufsehen erregenden Vorstoß gegen den Meister unternommen, der an Schroffheit kaum zu überbieten ist. […] Man mag es bedauern, daß der Wirrwarr um Eckehart durch eine so überspitzte Attacke aufs Höchste getrieben wurde, man mag zu Kindts Übertreibungen und leicht zu berichtigenden Fehlgriffen den Kopf schütteln, und kann es – im Interesse einer nichts verschleiernden Klärung des Eckehartproblems – dennoch begrüßen, daß auch dieser für den Kundigen keineswegs unerwartete Angriff nunmehr in nicht zu überbietender Eindeutigkeit unternommen wurde, auch dieser Standpunkt einmal seinen wahrlich nicht zimperlichen Vertreter fand. Es ist immer von Vorteil, wenn verkappte Gegensätze kräftig ans Licht kommen. […] Kindts Angriff, so einseitig und als Ganzes unhaltbar er sein mag, hat wenigstens das eine Gute: Er gibt uns Anlaß, die Frage aufzuwerfen, ob es denn wirklich so ohne weiteres angeht, Eckehart zum Propheten einer reinen Deutschreligion zu erklären und ihn aus dem christlichen Gesamtzusammenhang herauszulösen. […] Man entstellt den Meister, man überhört den innersten Sinn seiner Verkündung [sic!], wenn man einen Propheten der ungebrochenen Selbstbehauptung aus ihm machen will. […] Man dient weder dem Meister noch der deutschen Sache, wenn man Dinge aus ihm heraushört, die er niemals hat sagen wollen. […] Daß der Kampf um Eckehart heute auf so breiter Front entbrennen konnte, daß so viele Richtungen ihn als den ihren beanspru-

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chen, beweist, wie groß und lebendig der Meister ist und wie rege das religiöse Ringen unserer Zeit.196 Kindts Angriff auf Meister Eckhart war daher nur das Resultat eines neureligiösen und weltanschaulichen Grenzkampfes, dessen Verbreitung und Anheizung über fronteigene Pressorgane (als Resonanzraum bzw. Instrumente einer Öffentlichkeitswirkung) die Breite und Parteilichkeit der populär-publizistischen Eckhart-Rezeption im Nationalsozialismus197 und folglich die „vor allem in der Geisteshaltung der Zeitgenossen“ liegende „Tragik Eckharts“198 als eines Kampfobjektes vortrefflich veranschaulicht. 196 197 198

Friedrich Schulze-Maizier, „Der Kampf um Meister Eckehart“ (1935) [Anm. 32; siehe oben Abb. 5.19], 349–353. Siehe dazu Largier, „Mystik und Tat“ (1991) [Anm. 9]. Karrer, „Wesen deutscher Mystik“ (1934) [Anm. 162]: „Und es [i.e. das Verständnis der Eigenart Eckhartschen Geistes] wird [dem Laien] erschwert durch die verantwortungslosen Schlagwörter von Propagandisten, denen es überhaupt nicht um Eckhart, sondern lediglich um einen ‚Helden‘ für ihr eigenes weltanschauliches Wollen geht. Insofern hat man mit Recht gesagt, daß die Tragik Eckharts, damals wie heute, vor allem in der Geisteshaltung der Zeitgenossen liegt“. Siehe dazu auch Hans Giesecke, „Der mißbrauchte Prophet“, in: Glaube und Gewissen – Eine protestantische Monatsschrift 10,11 (November 1964), S. 206–208: „[…] Und gar die Eckhartverfälscher in der Zeit des Nationalsozialismus haben Eckhart in einen deutschen Propheten umgefälscht, den sie skrupellos für ihre Zwecke mißbrauchten. […] Ihre Schuld ist, daß sie den religiös eingestellten deutschen Lesern eine Autorität vorhielten, der sie Glauben schenken mußten, weil sie die Richtigkeit der Interpretation nicht nachprüfen konnten. So bekam der Faschismus für viele eine religiöse Weihe. […] Wir legen keinen Wert darauf, Meister Eckhart einen Propheten zu nennen. Ganz bestimmt ist er kein Prophet der deutschen Seele gewesen.“ Als Giesecke Ende der 1920er Jahre begann, sich mit Eckhart zu beschäftigen, tat er es „unter Leitung von Professor Erich Seeberg“, sodass er den Dominikanermönch „in der Linie der geistesgeschichtlichen Entwicklung des Christentums vom Neuplatonismus zur Mystik [sah]“; und „für Eckhart als Propheten der deutschen Seele“, betont Gieseke, „war unter diesem Gesichtspunkt freilich kein Raum“ (ebd. S. 208).

kapitel 6

Eine Relektüre von Heideggers Rezeption Meister Eckharts im Lichte der Schwarzen Hefte Ricardo Baeza

Die Veröffentlichung der ersten Bände der Schwarzen Hefte im Jahre 2014 hat die Kontroverse bezüglich Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus wiederbelebt. Der im Jahre 2021 erschienene Band 102 (Vorläufiges i–iv: Schwarze Hefte 1963–1970) der Gesamtausgabe ist der letzte der Schwarzen Hefte, deren erstes Heidegger im 1931 angefertigt hat. Die Äußerungen Heideggers nach dem Zweiten Weltkrieg waren vor Veröffentlichung der Schwarzen Hefte überschaubar und zweideutig.1 In den Schwarzen Heften findet man dagegen eine deutliche Verbindung zwischen Heideggers seinsgeschichtlichem Denken und der Rolle des Nationalsozialismus innerhalb der Entfaltung der Geschichte der Metaphysik. Gleichwohl hat die Debatte über Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus durch die Schwarzen Hefte eine neue Qualität gewonnen. Diejenigen Behauptungen, die Heidegger gegenüber dem Phänomen des Nationalsozialismus als ‚naiven Philosophen‘ darstellen, sind nach Veröffentlichung der Schwarzen Hefte kaum noch haltbar.2 Die Entfaltung des

1 Über Heideggers Selbstkommentare zu seiner eigenen Position, siehe: Martin Heidegger, „Das Rektorat 1933/34 – Tatsachen und Gedanken (1945)“, in: ders., Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges 1910–1976, hg. von Hermann Heidegger, Frankfurt a.M. 2000 (MartinHeidegger-Gesamtausgabe [im Folgenden mit ga abgekürzt] 16), S. 372–394; ders., „Antrag auf die Wiedereinstellung in die Lehrtätigkeit – Reintegrierung (November 4, 1945)“, ebd., S. 397–404; „Spiegel-Gespräch mit Martin Heidegger (September 26, 1966)“, ebd., S. 652–683. 2 Mit Blick auf Heideggers Engagement als Rektor der Universität Freiburg 1933 und das Erscheinen der Schwarzen Hefte schreibt Hans-Helmuth Gander in seinem Vorwort zu Heideggers Weg in die Moderne: Eine Verortung der ‚Schwarzen Hefte‘, hg. von Hans-Helmuth Gander und Magnus Striet, Frankfurt a.M. 2017, S. 7: „Seit den 1950er Jahren haben jedenfalls Einzelne immer wieder angezweifelt, ob Heideggers Engagement als Rektor der Universität Freiburg sich tatsächlich nur der Naivität eines Philosophen verdankte. Dies geht nun endgültig nicht mehr“. In der aktuellen Debatte zu Heideggers eigener politischer Einstellung gibt es trotzdem immer noch Interpreten, die eine solche ‚Naivität des Philosophen‘ darstellen wollen. Jean Grondin, „Warum ich Heidegger in schwieriger Zeit treu bleibe“, in: Heidegger und der Antisemitismus: Positionen im Widerstreit, hg. von Walter Homolka und Arnulf Heidegger, Freiburg i.Br. 2016, S. 232, schreibt in diesem Sinne: „Heidegger war ein überragender und genialer Denker, sein philosophisches Werk und dessen weltweite Wirkungsgeschichte

© Ricardo Baeza, 2022 | doi:10.1163/9789004519343_007

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metaphysischen Denkens steht nach Heidegger in einer engeren und wesenhafteren Verknüpfung mit der Herrschaft des ‚rechnenden‘ Denkens, das für Heidegger in den Schwarzen Heften mit dem ‚jüdischen‘ Denken eine wesentliche Identität bildet.3 Die Frage bleibt, inwiefern andere Autoren, die für Heidegger eine besondere Rolle in der Geschichte der Philosophie einnahmen, oder Autoren, die sogar nicht-metaphysische Züge aufwiesen, für Heidegger ein ‚anti-jüdisches Denken‘ darstellen. Hier wird in diesem Sinne die Mystik Meister Eckharts analysiert, um zu zeigen, dass nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte eine neue Lektüre hinsichtlich der Rezeption Meister Eckharts bei Heidegger möglich ist.

1

Heideggers Begriff der Metaphysik

Die sogenannten Schwarzen Hefte sind Manuskripte, die Heidegger von 1931 bis Anfang der siebziger Jahre verfasst hat. Die Schwarzen Hefte aus dem Dritten Reich wurden im März 2014 veröffentlicht. Die Veröffentlichung dieser ersten drei Bände hat eine neue Perspektive bezüglich Heideggers Interpretation der nationalsozialistischen Bewegung eröffnet. Ein wesentliches Thema der Schwarzen Hefte ist die seinsgeschichtliche Entfaltung der Metaphysik, die in einer bestimmten Interpretation der ontologischen Differenz gründet. Dieses Thema ist zentral in der Philosophie Heideggers ab den 1930er Jahren. In den Schwarzen Heften finden sich auch politische Implikationen, die von der Entfaltung der Metaphysik als solcher bestimmt werden. Heideggers Ontologie ist hier demzufolge mit einer politischen Perspektive wesentlich verknüpft. Um die politischen Implikationen zu verstehen, muss man zuerst erklären, was Heidegger unter ‚Metaphysik‘ und ‚rechnendem Denken‘ versteht. Das Denken Meister Eckharts wird hier auch innerhalb dieser Analyse thematisiert.

bestätigen es reichlich, aber er war politisch vollkommen unbegabt (zugegebenermaßen das understatement des Jahrhunderts). Er besaß und demonstrierte eine solide philosophische Bildung, aber nie eine politische, ganz im Gegenteil. Er war ein bahnbrechender Theoretiker unseres ‚In-der-Welt-seins‘, verfügte indes über eine recht limitierte Welterfahrung. Er hatte das Unglück, in einer Zeit aufzuwachsen und philosophisch bedeutsam zu werden, in der Deutschland einen Weltkrieg verlor und an den politischen, geistigen und wirtschaftlichen Konsequenzen dieser Niederlage schwer litt“. 3 Siehe allerdings Friedrich-Wilhelm von Herrmann, „Kein systematischer Baustein des Denkens – philosophisch belanglos“, in: Meta: Research in Hermeneutics, Phenomenology and Practical Philosophy 6,2 (2014), S. 637f., hier S. 638: Heideggers antisemitische Äußerungen in den Schwarzen Heften sind „völlig belanglos und somit überflüssig“.

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Heidegger verwendet Meister Eckharts Begriff der ‚Gelassenheit‘, um das Wesen des Menschen zu bezeichnen. Dieses hat sich aber hinter den abgeleiteten und tradierten Interpretationen des Menschen versteckt. Die traditionellen bzw. metaphysischen Interpretationen bilden für Heidegger demzufolge das Hindernis, um das ursprüngliche Wesen des Menschen zu entdecken. Somit wird das Wesen des Menschen zu erfassen versucht, „ohne auf den Menschen hinzusehen“.4 Eine metaphysische Auffassung des Menschen wäre diejenige, die den Menschen als animal rationale versteht. Dazu schreibt Heidegger: „Wenn das Denken die Auszeichnung des Wesens des Menschen ist, dann kann erst recht das Wesentliche dieses Wesens, nämlich das Wesen des Denkens, nur so erblickt werden, daß wir vom Denken wegsehen“.5 In diesem Dialog über die Gelassenheit – ein Begriff, der von Meister Eckhart herrührt – verbindet Heidegger das Denken zunächst mit dem Begriff ‚Wollen‘, indem der Weg durch „ich will das Nicht-Wollen“ fortgesetzt wird.6 Innerhalb dieser ersten Annährung wäre jedes Denken als die Festlegung eines gewollten ‚Etwas‘ zu verstehen. Denken heißt hier demzufolge ‚Wollen‘. Die Gelassenheit als Wesen des Denkens sollte dann etwas anderes als Wollen sein. Meister Eckhart definiert in seiner Armutspredigt denn auch den armen Menschen bzw. den wesentlichen Menschen als denjenigen, der „nichts will“ (niht enwil).7 Für beide Autoren unterscheidet sich die willentliche Art des Denkens auf diese Weise von einem gelassenen Denken, das nicht innerhalb der Intentionalität oder des Wollens wirkt. Anstatt das Denken als eine produktive Tätigkeit zu verstehen, die mit dem Wollen verbunden ist, betont Heidegger die Notwendigkeit des Hörens, um ein eigentliches Denken zu erreichen.8 Den Ursprung des Denkens als Wollen findet man nach Heidegger im Anfang der abendländischen Philosophie oder des metaphysischen Denkens. Der Anfang des metaphysischen Denkens ist mit der Herrschaft des vorstellend-willentlichen Denkens verknüpft. Die platonische Antwort auf die Frage nach dem Sein hat die Erscheinung desselben als ein Etwas bestimmt. Heidegger schreibt

4 Martin Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“, in: Aus der Erfahrung des Denkens 1910– 1976, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt a.M. 22002 (ga 13), S. 38. 5 Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“ (22002) [Anm. 4], S. 38. 6 Vgl. Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“ (22002) [Anm. 4], S. 38. 7 Meister Eckhart, Pr. 52, hg. von Georg Steer, in: Lectura Eckhardi: Predigten Meister Eckharts von Fachgelehrten gelesen und gedeutet, hg. von G. Steer und Loris Sturlese, Bd. 1, Stuttgart/Berlin/Köln 1998, S. 168,24 (vgl. dw, Bd. 2, S. 488,6). 8 Vgl. Martin Heidegger, „Ein Gespräch selbdritt auf einem Feldweg zwischen einem Forscher, einem Gelehrten und einem Weisen“, in: Feldweg-Gespräche (1944/45), hg. von Ingrid Schüssler, Frankfurt a.M. 22007 (ga 77), S. 25: „Wohl aber ist alles Fragen eine Art des Hörens und meistens sogar eine Art des Hörenwollens“.

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in diesem Sinne: „Durch die ganze Geschichte der Philosophie hindurch bleibt Platons Denken in abgewandelten Gestalten maßgebend. Die Metaphysik ist Platonismus“.9 Nach Heidegger wird das Sein bei Platon nicht nur verobjektiviert, sondern jenseits der Sinnenwelt gedacht. Der Bruch zwischen der Sinnenwelt und der Ideenwelt schafft die Verwirrung im Ontischen, die Heidegger zufolge das Phänomen der Seinsvergessenheit verursacht. Die Entdeckung, dass die Ideenwelt nichts ist, wird zunächst notwendig zur Überwindung der Metaphysik. In diesem Zusammenhang kann die Identität von Metaphysik, Platonismus und Nihilismus verstanden werden sowie die wichtige Rolle Nietzsches als desjenigen Autors, der die Nichtigkeit der Ideenwelt zuerst entdeckt hat. Die Metaphysik ist in diesem Sinne die Entwicklung des negativen Nichts, d.h. der völligen Verneinung des anwesend Seienden.10 Die Gelassenheit kann man andererseits als ein „Sichloslassen in das Nichts“ verstehen.11 Durch diese Art des Lassens als Sichloslassen in das Nichts zeigt Heidegger eine andere Interpretation des Begriffs des Nichts. In seiner Antrittsvorlesung Was ist Metaphysik? von 1929 schreibt er: Wie aber, wenn das Nichts in Wahrheit zwar nicht ein Seiendes, aber auch nie das nur Nichtige wäre? Wie also, wenn die Frage nach dem Wesen des Nichts mit Hilfe jenes Entweder-Oder noch nicht zureichend gestellt wäre? Wie vollends, wenn das Ausbleiben dieser entfalteten Frage nach dem Wesen des Nichts der Grund dafür wäre, daß die abendländische Metaphysik dem Nihilismus anheimfallen muß? Der Nihilismus wäre dann, ursprünglicher und wesentlicher erfahren und begriffen, jene Geschichte der Metaphysik, die auf eine metaphysische Grundstellung zutreibt, in der das Nichts in seinem Wesen nicht nur nicht verstanden werden kann, sondern nicht mehr begriffen sein will. Nihilismus hieße dann: das wesenhafte Nicht-denken an das Wesen des Nichts.12 Während das metaphysische Denken sich durch die Frage nach dem Sein als Etwas charakterisiert, sucht die Frage nach dem Nichts hingegen kein Etwas und bleibt demzufolge außerhalb des metaphysischen Denkens. Das Nichts ist 9 10 11 12

Martin Heidegger, Zur Sache des Denkens (1962–1964), hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt a.M. 2007 (ga 14), S. 71. Vgl. Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie [Vom Ereignis], hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt a.M. 32003 (ga 65), S. 246. Vgl. Martin Heidegger, „Was ist Metaphysik?“, in: Wegmarken (1919–1961), hg. von FriedrichWilhelm von Herrmann, Frankfurt a.M. 32004 (ga 9), S. 122. Vgl. Martin Heidegger, Nietzsche, hg. von Brigitte Schillbach, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1997 (Gesamtausgabe 6/2), S. 44.

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hier auch nicht das nur Nichtige. Das Nichts enthält das Ganze. Dieses alte mystische Paradoxon hat bei Heidegger mit dem eröffnenden Charakter des Nichts zu tun, der vor dem Dasein die „Erschließung des ganzen Raumes der Wahrheit“ öffnen lässt.13 Nach Heidegger bedeutet Da-sein in diesem Sinne „Hineingehaltenheit in das Nichts“.14 Für ihn bewegt sich das ‚rechnende Denken‘ immer in der öffentlichen Oberfläche des Daseins. In seiner Antrittsvorlesung heißt es: Je mehr wir uns in unseren Umtrieben an das Seiende kehren, um so weniger lassen wir es als solches entgleiten, um so mehr kehren wir uns ab vom Nichts. Um so sicherer aber drängen wir uns selbst in die öffentliche Oberfläche des Daseins.15 Heideggers Betrachtung des Begriffs des Nichts hat viele Gemeinsamkeiten mit dem Denken Eckharts, der das Nichts nicht als ein abstraktes Etwas, das gegenüber dem Sein gedacht wird, versteht. Im Gegenteil gehört für Heidegger wie für Eckhart das Nichts dem Sein zu. Sichloslassen in das Nichts und Raumgeben für das Seiende im Ganzen sind Begriffe, die das Problem der Totalität des Seins im Sinne des Nichtigen in Betracht ziehen.16 Mit Totalität des Seins soll darauf hingewiesen sein, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen der Frage nach dem Sein des Seienden und jener nach dem Sein überhaupt gibt. Die Frage nach dem Nichts entspricht demzufolge der Entwicklung der Frage nach dem Sein, sodass hier die Nichtsproblematik am Leitfaden der Überwindung der Frage nach dem Sein des Seienden zu verstehen ist.17

2

Die Schwarzen Hefte und die neue politische Perspektive

Die Problematik des Versuchs, die Metaphysik als solche zu überwinden, hat im Prinzip mit politischen Perspektiven nichts zu tun. Karl Löwith berichtet in seiner Biographie allerdings von einem Treffen mit Heidegger in Rom 1936, bei welchem Heidegger ihm damals gesagt habe, der Nazismus sei der tiefste Ausdruck seiner philosophischen Prinzipien, wie sie in Sein und Zeit dargelegt

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Vgl. Heidegger, „Was ist Metaphysik?“ (32004) [Anm. 11], S. 121. Vgl. Heidegger, „Was ist Metaphysik?“ (32004) [Anm. 11], S. 115. Heidegger, „Was ist Metaphysik?“ (32004) [Anm. 11], S. 116. Vgl. „Was ist Metaphysik?“ (32004) [Anm. 11], S. 122. Vgl. Ricardo Baeza, Die Topologie des Ursprungs: Der Begriff der Gelassenheit bei Eckhart und Heidegger und seine Entfaltung in der abendländischen Mystik und im zeitgenössischen Denken, Berlin 2009, S. 81 f.

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seien. Nach Löwith ließ Heidegger auch keinen Zweifel an Hitler.18 In Heideggers Schwarzen Heften findet man zum ersten Mal eine Verknüpfung zwischen der Frage nach dem Sein als solchem und den Motiven und Bedeutungen der nationalsozialistischen Bewegung. Nach den Veröffentlichungen der Schwarzen Hefte braucht man sich nicht mehr auf indirekte Beweise wie den von Karl Löwith zu verlassen; wird die wesentliche Verknüpfung zwischen ‚rechnendem Denken‘ und ‚jüdischem Denken‘ doch auch in den Schwarzen Heften ausdrücklich betont. So heißt es dort: Die zeitweilige Machtsteigerung des Judentums aber hat darin ihren Grund, daß die Metaphysik des Abendlandes, zumal in ihrer neuzeitlichen Entfaltung, die Ansatzstelle bot für das Sichbreitmachen einer sonst leeren Rationalität und Rechenfähigkeit, die sich auf solchem Wege eine Unterkunft im ‚Geist‘ verschaffte, ohne die verborgenen Entscheidungsbezirke von sich aus je fassen zu können. Je ursprünglicher und anfänglicher die künftigen Entscheidungen und Fragen werden, umso unzugänglicher bleiben sie dieser ‚Rasse‘.19 Die ‚leere Rationalität‘ deutet auf eine besondere Art der Vergegenständlichung des Seienden, die durch Mathematik und ‚rechnendes Denken‘ sich entfaltet. Heidegger schreibt diese leere Rechenfähigkeit dem Judentum zu. Gleichwohl ist dieses aber nicht der Ursprung des metaphysischen Denkens. Die Metaphysik hat das Judentum ‚benutzt‘, um ihre Herrschaft als ‚leere Rationalität und Rechenfähigkeit‘ in seiner letzten Station zu entfalten.20 Heidegger unterscheidet das Denken als Gründung oder als ein Fragen nach dem Grund vom Denken als Sprung. Nach Heidegger erspringt das Denken im Sprung das Wesen der Wahrheit des Seyns als Ereignis. Das metaphysische Denken vollzieht sich dagegen als ein Fragen nach dem Grund. Die konstitutive Bewegung der Meta-

18 19 20

Vgl. Karl Löwith, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933, Stuttgart 1986, S. 57. Martin Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941), hg. von Peter Trawny, Frankfurt a.M. 2014 (ga 96), S. 46. Vgl. Johannes Fritsche, „Jüdisches und griechisch-deutsches Rechnen bei Heidegger“, in: Martin Heideggers ‚Schwarze Hefte‘: Eine philosophisch-politische Debatte, hg. von Marion Heinz und Sidonie Kellerer, Berlin 2016, S. 189–210, hier S. 204: „Jede epochale Wahrheit braucht jedoch den Menschen, braucht eine bestimmte Menschentümlichkeit, durch die allein sie west. Wenn man die vom Geschick geschickte Wahrheit der Neuzeit und die von ihr beanspruchte Menschentümlichkeit untersucht und mit beiden die Menschen und Rassen vergleicht, wird man, so Heidegger, erkennen, dass die Wahrheit der Neuzeit genau die Menschentümlichkeit in Anspruch nimmt, die die Juden als einzige immer schon und lange vor der Neuzeit praktiziert hatten.“

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physik sucht aufgrund der Zusammengehörigkeit von Metaphysik und ‚rechnendem Denken‘ ein Fundament des Seienden. Das Problem besteht für Heidegger jedoch darin, dass dieser Grund sich auf ein anderes Seiendes oder Über-Seiendes stützt. Dass der Grund immer verobjektiviert wird, hat mit dem vorstellenden Charakter des metaphysischen Denkens zu tun. Das Seiende wird durch das metaphysische Denken in einer bestimmten Setzung gesetzt. Setzung und Gesetztes machen somit die zweifache Struktur des Vorstellens aus, die in der Weise eines ‚Vorstellens eines Vorgestellten‘ im Ganzen ausgedrückt werden kann. Dass dieser Grund jedoch nicht hinterfragt wird, gehört zur Natur des metaphysischen Denkens selbst. Eine solche Unfähigkeit, tiefer in den Ursprung des Fragens vorzustoßen, eignet Heidegger zufolge auch der Phänomenologie Husserls. In den Schwarzen Heften schreibt Heidegger dementsprechend: Mein ‚Angriff‘ gegen Husserl ist nicht gegen ihn allein gerichtet und überhaupt unwesentlich – der Angriff geht gegen das Versäumnis der Seinsfrage, d.h. gegen das Wesen der Metaphysik als solcher, auf deren Grund die Machenschaft des Seienden die Geschichte zu bestimmen vermag. Der Angriff gründet einen geschichtlichen Augenblick der höchsten Entscheidung zwischen dem Vorrang der Seienden und der Gründung der Wahrheit des Seyns.21 Der Vorrang der Seienden wird in den Schwarzen Heften als seinsgeschichtliche Entwicklung vorausgedacht, die in einer absoluten Ziellosigkeit und einer totalen ontologischen Verwirrung kulminieren muss. Heidegger schreibt: Wenn die Ziel-losigkeit des Menschen vollständig geworden (wenn nur noch Zwecke innerhalb des Seienden gesetzt und die Mittel der Verwirklichung und die Wege und die Unternehmungen selbst ‚die‘ Zwecke werden und demzufolge deren Erfüllung immer leichter und endgültiger die Befriedigung aller Ansprüche gewährt und so die Ansprüche selbst immer vordergründlicher und ‚lebensnäher‘ sich ausnehmen), dann wird der Mensch unversehens und nichts ahnend zum Nutznießer einer großen Zerstörung, die ihm wie ein riesiger Aufbau vorkommt.22

21 22

Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 46. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 182.

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Hier wurde das Ende und der neue Anfang gedacht, was nicht als ‚Aufhören‘ zu verstehen ist, sondern als „ein eigenes Beginnen, das aber sich selbst in seiner Wahrheit entzogen bleibt“.23 Alles wird am Ende der Entfaltung der Metaphysik, die vor dem neuen Anfang steht, ‚oberflächlich‘, weil man „alles zur bloßen Oberfläche zurechtmachen muß; denn nur noch aus der Einrichtung der Oberfläche und dem Tanz auf dieser kann der jetzige Mensch, so, wie er sich kennt (als Subjektum), sich bestätigt finden. Bestätigung aber braucht er, weil er längst das Wagnis des Seyns verlassen und sich auf die Züchtung und Errechnung aus dem Vorhandenen verlassen hat“.24 Nach Heidegger gibt es von diesem Zustand aus keinen Übergang in den anderen Anfang. Man muss gerade die „verborgene Geschichte“ als solche erkennen, um den Sprung zu schaffen.25 Hier wird außerdem die Verknüpfung zwischen diesem Zustand der bloßen Oberfläche und dem Judentum gedacht. Die Philosophie Heideggers gewinnt demzufolge ihr eigenes Ziel in diesem ‚Kampf‘: Und vielleicht ‚siegt‘ in diesem ‚Kampf‘, in dem um die Ziellosigkeit schlechthin gekämpft wird und der daher nur das Zerrbild des ‚Kampfes‘ sein kann, die größere Bodenlosigkeit, die an nichts gebunden, alles sich dienstbar macht (das Judentum). Aber der eigentliche Sieg, der Sieg der Geschichte über das Geschichtslose, wird nur dort errungen, wo das Bodenlose sich selbst ausschließt, weil es das Seyn nicht wagt, sondern immer nur mit dem Seienden rechnet und seine Berechnungen als das Wirkliche setzt.26 Der Begriff ‚Rasse‘ hat bei Heidegger eine metaphysische Dimension, die von bloß biologischen und materialistischen Betrachtungen weit entfernt bleibt. Heidegger schreibt in diesem Sinne in den Schwarzen Heften folgendes: Die Juden ‚leben‘ bei ihrer betont rechnerischen Begabung am längsten schon nach dem Rasseprinzip, weshalb sie sich auch am heftigsten gegen die uneingeschränkte Anwendung zur Wehr setzen. Die Einrichtung der rassischen Aufzucht entstammt nicht dem ‚Leben‘ selbst, sondern der Übermächtigung des Lebens durch die Machenschaft. Was diese mit solcher Planung betreibt, ist eine vollständige Entrassung der Völker durch die Einspannung derselben in die gleichgebaute und gleichschnittige Ein23 24 25 26

Vgl. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 96. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 96. Vgl. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 96. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 96f.

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richtung alles Seienden. Mit der Entrassung geht eine Selbstentfremdung der Völker in eins – der Verlust der Geschichte – d.h der Entscheidungsbezirke zum Seyn.27 Heideggers Verwendung des Begriffs ‚Rasse‘ ist von ambivalentem Charakter. Die negative Deutung gründet in einer oberflächlichen Biologisierung als Folge des neuzeitlichen Subjektbegriffs.28 Alles derartige Rassendenken ist für Heidegger „neuzeitlich, bewegt sich in der Bahn der Auffassung des Menschen als Subjektum. Im Rassendenken wird der Subjektivismus der Neuzeit durch Einbeziehung der Leiblichkeit in das Subjektum und die vollständige Fassung des Subjektums als Menschentum der Menschenmasse vollendet“.29 Eine solche Verwendung des Begriffs ‚Rasse‘ war im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts über sämtliche ideologische Strömungen hinweg gebräuchlich. Solche Behauptungen in Disziplinen wie Anthropologie oder Ethnologie gründen in einer metaphysischen Interpretation des Menschen als Subjekt, von der Heidegger sich distanziert. Wenn man die seit Sein und Zeit für Heidegger maßgeblich gebliebene Wesensbestimmung des Menschen als Dasein zugrunde legt, stellt sich die Frage, wie sich ein positiver Begriff der ‚Rasse‘ hierin sinnvoll einzeichnen lässt. Zunächst ist wichtig zu beobachten, dass die Begriffe ‚Rasse‘ und ‚Volk‘ mit einer positiven Deutung der sprachlichen Verfasstheit zusammenhängen. Die Verwandtschaft der griechischen und deutschen Sprache war bereits in der Romantik ein zentraler Topos.30 Dass ‚Volk‘ für Heidegger Sprachgemeinschaft sein muss, lässt sich auch aus seiner Betonung der ‚Bewahrenden‘ eines Werkes entnehmen. Er geht davon aus, dass mit Hölderlins Werk „unser historisches Getue schon überwunden und der Anfang einer anderen Geschichte gegrün27 28

29 30

Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 56. Vgl. Fritsche, Jüdisches und griechisch-deutsches Rechnen bei Heidegger (2016) [Anm. 20], S. 204. „Die Frage nach der Rolle des ‚Weltjudentums‘ ist keine rassische, weil man sie entgegen dem frühen Scheler und anderen Rechten nicht damit beantworten darf, dass man darauf verweist, dass die Rasse der Juden durch Blutmischung und andere ontische Prozesse Weltmacht errungen habe. Vielmehr muss man metaphysisch oder ontologisch danach fragen, welche Art der Unverborgenheit, der Wahrheit, das Geschick für die Neuzeit geschickt hat, denn es ist die jeweilige epochale Wahrheit, die den Spielraum für die Menschen absteckt“. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 48. Zur Verwandtschaft von griechischer und deutscher Sprache vgl. Friedrich Schlegel, Über deutsche Sprache und Literatur, Darmstadt 2006. Schlegel schreibt hier, S. 4, dass „von allen neueren europäischen Sprachen die deutsche die reichste“ sei. Es sei nämlich so, fügt er, ebd., S. 7, hinzu, dass „das Deutsche […] von allen anderen europäischen Sprachen am meisten mit dem Griechischen gemein“ habe.

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det“ sei.31 In diesen Kontext sind die eher grundsätzlich gehaltenen Ausführungen über das ‚Bewahren‘ im Kunstwerk-Aufsatz zu stellen: „Sowenig ein Werk sein kann, ohne geschaffen zu sein […] sowenig kann das Geschaffene selbst ohne die Bewahrenden seiend werden“.32 Ein Werk bedarf der Bewahrenden, um als Werk zu sein. Heidegger nimmt die Bewahrung ausdrücklich in seine Kunst-Bestimmung mit hinein: „Also ist die Kunst: die schaffende Bewahrung der Wahrheit im Werk“.33 Ein Werk, das seine „Bewahrenden nicht findet“, ist kein Werk im strengen Sinne.34 Gleichwohl fasst Heidegger das Bewahren so weit, dass auch „die Vergessenheit, in die ein Werk fallen kann“, noch als Form des Bewahrens verstanden wird.35 Man könnte hier zwischen einem eigentlichen und einem uneigentlichen bzw. vergessenen Bewahren unterscheiden. Das Werk Hölderlins harrt noch seiner eigentlichen Bewahrung. Wie der weitere Gang der Erörterung zeigt, ist es die Bewahrung eines Werkes, der Heidegger für die Zusammengehörigkeit einer Gemeinschaft, eines Volkes, die entscheidende Rolle zuspricht: Die Bewahrung des Werkes vereinzelt die Menschen nicht auf ihre Erlebnisse, sondern rückt sie ein in die Zugehörigkeit zu der im Werk geschehenden Wahrheit und gründet so das Für- und Miteinandersein als das geschichtliche Ausstehen des Da-seins aus dem Bezug zur Unverborgenheit.36 Volksgemeinschaft ist hiernach in erster Linie eine Bewahrungsgemeinschaft, eine Gemeinschaft, deren Zusammenhalt über die gemeinsame Bewahrung eines wesentlichen Werkes sich konstituiert. Wenn man bedenkt, dass Werk hier primär Sprachwerk meint – Heidegger spricht der Dichtung einen klaren Primat vor anderen Kunstformen zu –, dann muss ein Volk auch immer Sprachgemeinschaft sein. Im Gegensatz zum Juden, der als ‚rechnendes Denken‘ das Unwesen des Menschen repräsentiere, sieht Heidegger in den Griechen und Deutschen die Völker des Anfangs und der Überwindung der Metaphysik.37 Die Juden sind 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. Martin Heidegger, Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘ (Wintersemester 1934/35), hg. von Susanne Ziegler, Frankfurt a.M. 31999 (ga 39), S. 1. Vgl. Martin Heidegger, „Der Ursprung des Kunstwerkes“, in: Holzwege, hg. von FriedrichWilhelm von Herrmann, Frankfurt a.M. 22003 (ga 5), S. 53. Heidegger, „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (22003) [Anm. 32], S. 57. Vgl. Heidegger, „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (22003) [Anm. 32], S. 53. Vgl. Heidegger, „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (22003) [Anm. 32], S. 53. Heidegger, „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (22003) [Anm. 32], S. 54. Vgl. Heidegger, Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘ (31999) [Anm. 31], S. 292f.:

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die Manifestation des Unwesens als absoluter Herrschaft des ‚rechnenden Denkens‘, sind aber keineswegs die Verursacher der Seinsvergessenheit oder der Entstehung der Metaphysik als solcher, sondern nur dessen Werkzeug im letzten Stadium der ‚Entrassung‘. In seiner Vorlesung von 1934 über die Logik als Frage nach dem Wesen der Sprache schreibt Heidegger über den Begriff der ‚Rasse‘ Folgendes: Oft gebrauchen wir das Wort ‚Volk‘ auch im Sinne von ‚Rasse‘ (z. B. auch in der Wendung ‚völkische Bewegung‘). Was wir ‚Rasse‘ nennen, hat einen Bezug auf den leiblichen, blutmäßigen Zusammenhang der Volksglieder, ihrer Geschlechter. Das Wort und der Begriff ‚Rasse‘ ist nicht weniger vieldeutig als ‚Volk‘. […]. ‚Rasse‘ meint nicht nur Rassisches als das Blutmäßige im Sinne der Vererbung, des Erbblutzusammenhanges und des Lebensdranges, sondern meint zugleich auch oft das Rassige. Dies ist aber nicht beschränkt auf leibliche Beschaffenheit, sondern wir sagen z.B. auch ‚rassiges Auto‘ (wenigstens die Jungen). Das Rassige verwirklicht einen bestimmten Rang, gibt bestimmte Gesetze, betrifft nicht in erster Linie die Leiblichkeit der Familie und der Geschlechter. Rassisch im ersteren Sinne braucht noch lange nicht rassig zu sein, es kann vielmehr sehr unrassig sein.38 Mit ‚rassisch‘ ist hier die Betrachtung der ‚Rasse‘ als biologisches Faktum gemeint. ‚Rassig‘ hingegen deutet auf einen geistigen Zustand, der mit einer positiven und wesentlichen Bedeutung verknüpft ist. Die ‚Entrassung‘ hat demzufolge weniger biologische Implikationen als vielmehr geistige. Die ‚Entrassung‘ ist, seinsgeschichtlich gedacht, ein wesentlicher Aspekt des letzten Stadiums der Entfaltung der Metaphysik. Nach Heidegger bedarf der Kampf des ‚Blutes und Bodens‘ als derjenigen Kräfte, die mit dem Wissen und Geist die Bedingungen für das Dasein eines Volkes formen.39 Für Heidegger ist die nationalsozialistische Weltanschauung nicht eine bloße Ideologie, sondern ein „Weltenwurf, aus dessen Grund heraus er das ganze Volk erzieht. Der Natio-

38 39

„Den Griechen ist mitgegeben: die erregende Nähe zum Feuer des Himmels, das Betroffenwerden durch die Gewalt des Seyns. Aufgegeben ist ihnen die Bändigung des Unbändigen im Erkämpfen des Werkes, das Fassen, Zum-Stand-bringen. Den Deutschen ist mitgegeben: das Fassenkönnen, das Vorrichten und Planen der Bereiche und des Rahmens, das Ordnen bis zum Organisieren. Aufgegeben ist ihnen das Betroffenwerden durch das Seyn.“ Martin Heidegger, Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache (Sommersemester 1934), hg. von Günter Seubold, Frankfurt a.M. 1998 (ga 38), S. 65. Vgl. Martin Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit (Wintersemester 1933/34), hg. von Hartmut Tietjen, Frankfurt a.M. 2001 (ga 37), S. 263.

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nalsozialismus ist nicht irgendwelche Lehre, sondern der Wandel von Grund aus der deutschen und, wie wir glauben, auch der europäischen Welt“.40 Gegen diese ursprünglich griechische bzw. europäische Ureinstellung hat der jüdische Gott Heidegger zufolge seine eigene Herrschaft als ‚Totalitarismus‘ ausgeübt. Die modernen Systeme der totalen Diktatur entstammen demzufolge für Heidegger dem jüdisch-christlichen Monotheismus.41 So schreibt er über Jehova: Jehova ist derjenige der Götter, der sich anmaßte, sich zum auserwählten Gott zu machen und keine anderen Götter mehr neben sich zu dulden. Die Wenigsten erraten, wie dieser Gott auch so noch und zwar notwendig sich unter die Götter rechnen muß; wie könnte er sonst sich aussondern. Daraus wurde dann der eine einzige Gott, außer dem (praeter quem) überhaupt sonst keiner sei. Was ist ein Gott, der sich gegen die anderen zum auserwählten hinaufsteigert? Jedenfalls ist er nie ‚der‘ Gott schlechthin, gesetzt, daß das so Gemeinte je göttlich sein könnte. Wie, wenn die Göttlichkeit des Gottes in der großen Ruhe beruhte, aus der er die anderen Götter anerkennt. ‚Gott ist‘ – so zu reden ist eine Gedankenlosigkeit und eine Verschleierung derselben außerdem, um von der Anmaßung zu schweigen, die solches Gerede verrät, falls es gar das Reden eines denkenden Menschen sein will. Die Angst vor dem Göttlichen flieht zu ‚Gott‘, der weder ein Gott ist, noch ‚der‘ Gott je sein kann; oder man flieht nur zur Theologie.42 Hier findet man eine deutliche Verbindung zwischen Heideggers Denken und der gnostischen Tradition. Für diese Tradition ist Jehova nicht nur kein Gott, sondern der falsche Gott oder Demiurg. Für Heidegger entspricht Jehova der Weltlosigkeit des Judentums, über die er sich einmal folgendermaßen ausgesprochen hat: „Eine der verstecktesten Gestalten des Riesigen und vielleicht die älteste ist die zähe Geschicklichkeit des Rechnens und Schiebens und Durcheinandermischens, wodurch die Weltlosigkeit des Judentums gegründet wird“.43 Peter Trawny, der Herausgeber der Schwarzen Hefte, sieht in dieser Überlegung „die Juden oder das Judentum unvermittelt zum ersten Mal

40 41 42 43

Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit (2001) [Anm. 39], S. 225. Vgl. Martin Heidegger, Anmerkungen i–v (Schwarze Hefte 1942–1948), hg. von Peter Trawny, Frankfurt a.M. 2015 (ga 97), S. 438. Heidegger, Anmerkungen i–v (Schwarze Hefte 1942–1948) (2015) [Anm. 41], S. 369. Martin Heidegger, Überlegungen vii–xi (Schwarze Hefte 1938–1939), hg. von Peter Trawny, Frankfurt a.M. 2014 (ga 95), S. 97.

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als Akteure des seinsgeschichtlichen Narrativs“.44 Man darf aber nicht vergessen, dass Jehova auch der Gott der Christen ist. Man könnte demzufolge die Christianisierung Europas als ‚Verjudung‘ Europas verstehen, wie Nietzsche behauptete. Der Einfluss Nietzsches in Heideggers Denken während der 1930er und 1940er Jahre hat eine zentrale Bedeutung. Heidegger war zwischen 1935 und 1942 zwecks der Edition von Nietzsches Gesamtausgabe für das Weimarer Nietzsche-Archiv tätig.45 So kann Heidegger Judentum und Christentum, Monotheismus und Metaphysik in seiner Auseinandersetzung mit Nietzsche integrieren. Was für Nietzsche vor zwei Jahrtausenden mit der Entstehung des Christentums wahrlich geschehen ist, war ein Ereignis der Rache und des „jüdischen Hasses“.46 Durch Jesus von Nazareth hat Israel „auf dem Umwege dieses ‚Erlösers‘ […] das letzte Ziel seiner sublimen Rachsucht erreicht“.47 Rache und Hass haben nach Nietzsche ihr Fundament in der Unfähigkeit der Juden, wahre Schöpfer zu sein. So findet man eine wesentliche Konfrontation zwischen aristokratisch-schöpferischen Werten und dem Sklavenaufstand in der Moral, welcher beginnt, indem das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werte gebiert. Wie bei Heidegger findet man in Nietzsches Genealogie der Moral die Behauptung, dass es zwei paradigmatische oder spirituelle Rassen gibt, die diametral entgegengesetzte existenzielle Ur-Einstellungen haben. Nietzsche interpretiert die beiden existenziellen Modi durch zwei Symbole: „Rom gegen Judäa, Judäa gegen Rom“.48 Für Nietzsche ist dieser Kampf das größte Ereignis der Geschichte. Nur wenn man diesen Kampf versteht, kann man demzufolge überhaupt die Geschichte als Kampf entdecken. Nietzsche fragt sich, wer bis jetzt gesiegt hat, Rom oder Judäa. Für ihn gibt es gar keinen Zweifel: Man erwäge doch, vor wem man sich heute in Rom selber als vor dem Inbegriff aller höchsten Werte beugt – und nicht nur Rom, sondern fast auf der halben Erde, überall wo nur der Mensch zahm geworden ist oder zahm werden will –, vor drei Juden, wie man weiss, und Einer Jüdin.49 44 45

46 47 48 49

Peter Trawny, Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, Frankfurt a.M. 2014, S. 33. Vgl. Marion Heinz / Theodore Kisiel, „Heideggers Beziehungen zum Nietzsche-Archiv im Dritten Reich“, in: Annäherungen an Martin Heidegger: Festschrift für Hugo Ott zum 65. Geburtstag, hg. von Hermann Schäfer, Frankfurt a.M. 1996, S. 25–36. Vgl. Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, in: Werke. Kritische Gesamtausgabe, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 6/2, Berlin 1968, S. 282. Vgl. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral (1968) [Anm. 46], S. 283. Vgl. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral (1968) [Anm. 46], S. 300. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral (1968) [Anm. 46], S. 301.

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Die Unterwerfung unter Jesus, Petrus, Paulus und Maria symbolisiert für Nietzsche die Unterwerfung Roms. In der Geschichte gab es zwar im Gegenteil ein Wiedererwachen aristokratischer Ideale, doch sofort triumphierte wieder Judäa.

3

Heideggers Einflüsse innerhalb des nationalsozialistischen Kreises und die Bedeutung Meister Eckharts

Gegen Ende der 1920er Jahre präsentierte Alfred Baeumler Nietzsche als den Philosophen des Nationalsozialismus. Heidegger interpretierte Nietzsche in seinen Nietzsche-Vorlesungen ab 1936 mit Baeumlers Ausgabe von Der Wille zur Macht. Im Wintersemester 1936–1937 schreibt Heidegger in seiner Nietzsche-Vorlesung: „Europa will sich immer noch an die ‚Demokratie‘ klammern und will nicht sehen lernen, daß diese sein geschichtlicher Tod würde“.50 Alle Arten vom ‚Internationalismus‘, ‚Demokratie‘, ‚Kommunismus‘, ‚Kapitalismus‘, usw. sind Fälle der Selbstentfremdung bzw. politische Bewegungen, die Judäa als Fundament haben. Kapitalismus und Kommunismus sind für Heidegger nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte demzufolge moderne Formen jüdischen Denkens bzw. jüdischer Machenschaft: „Auch der Gedanke einer Verständigung mit England im Sinne einer Verteilung der ‚Gerechtsamen‘ der Imperialismen trifft nicht ins Wesen des geschichtlichen Vorgangs, den England jetzt innerhalb des Amerikanismus und des Bolschewismus und d. h. zugleich auch des Weltjudentums zu Ende spielt“.51 Daher, so Heidegger, „kann sich auch beider (der imperialistisch-kriegerischen und der menschheitlichpazifistischen Denkweise) das ‚internationale Judentum‘ bedienen, die eine als Mittel für die andere ausrufen und bewerkstelligen“.52 Für Heidegger verstrickt „diese machenschaftliche ‚Geschichts‘-mache […] alle Mitspieler gleichermassen in ihre Netze“.53 Während die Juden den Begriff der ‚Rasse‘ sehr ernst nehmen, verbreiten sie als Gift ‚Internationalismus‘, ‚Kapitalismus‘ und ‚Kommunismus‘ als ‚demokratische Ereignisse‘, die mit dem Phänomen der ‚Verjudung‘ der Kultur in Erscheinung treten.54 50 51 52 53 54

Martin Heidegger, Nietzsche: Der Wille zur Macht als Kunst (Wintersemester 1936/37), hg. von Bernd Heimbüchel, Frankfurt a.M. 1985 (ga 43), S. 193. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 243. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 133. Vgl. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 133. In diesem Sinne schreibt Trawny, Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung (2014) [Anm. 44], S. 67, dass für Heidegger das Weltjudentum kein anderes Ziel verfolgte als die Zersetzung aller anderen Völker: „Eine ‚Rasse‘, die bewusst die ‚Entrassung der Völker‘ betrieb“.

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Heidegger schreibt schon 1916 in einem Brief an seine spätere Frau Elfriede, dass die ‚Verjudung‘ der Kultur und Universitäten in Deutschland schreckenerregend sei.55 Nach Heidegger sollte „die deutsche Rasse […] noch soviel innere Kraft aufbringen um in die Höhe zu kommen“.56 Elf Jahre später wird mit der Veröffentlichung von Sein und Zeit 1927 eine indirekte Kritik an moderndemokratischen Gesellschaften sichtbar. Die Selbstentfremdung ist in Sein und Zeit als Verfallen in der Man-Ausgelegtheit verstanden. Die Analyse des Begriffs des Verfallens wurde in §38 von Sein und Zeit durchgeführt. Heidegger betont zuerst die Unterscheidung zwischen möglichen ontischen Interpretationen dieses Phänomens und dem ontologischen Verständnis. Die theologische oder die soziologische Interpretation dieses Phänomens verstecken nach Heidegger die echte Erfassung des Begriffs. Das Verfallen besitzt keinen moralisch entwertenden Sinn. Das demokratische System bestimmt durch seine Medien die alltägliche Interpretation des Lebens, die in Sein und Zeit als Man-Ausgelegtheit verstanden ist. Die Folge des Verfallens in der Man-Ausgelegtheit ist die Entwurzelung. In ihr verliert man die ursprüngliche Interpretation der Sprache. Die Sprache wird Gerede. In seinem Werk von 1927 schreibt Heidegger: Das im Gerede sich haltende Dasein ist als In-der-Welt-sein von den primären und ursprünglich-echten Seinsbezügen zur Welt, zum Mitdasein, zum In-Sein selbst abgeschnitten. Es hält sich in einer Schwebe und ist in dieser Weise doch immer bei der ‚Welt‘, mit den Anderen und zu ihm selbst.57 Durch die Man-Ausgelegtheit bleibt das eigentliche Da dem Dasein verschlossen. Die ursprüngliche Zeitlichkeit wird ständig durch eine uneigentliche Erfahrung der Gegenwart verdeckt: „Dieser Modus der Gegenwart ist das äußerste Gegenphänomen zum Augenblick. In jener ist das Da-sein überall und nirgends. Dieser bringt die Existenz in die Situation und erschließt das eigentliche ‚Da‘“.58 Hier geht es letztendlich um zwei diametral entgegengesetzte Bewegungen, die zwei Dimensionen enthalten. Die Bewegung zum Selbst, und die Bewe55

56 57 58

Vgl. Martin Heidegger, Brief an Elfride Petri vom 18.10.1917, in: ‚Mein liebes Seelchen!‘. Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride 1915–1970, hg. von Gertrud Heidegger, München 2005, S. 51. Vgl. Heidegger, Brief an Elfride Petri vom 18.10.1917, in: ‚Mein liebes Seelchen!‘ (2005) [Anm. 55], S. 51. Martin Heidegger, Sein und Zeit, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt a.M. 1977 (ga 2), S. 226. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit (1977) [Anm. 57], S. 459.

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gung der Entwurzelung. Die Frage nach der Rolle des Weltjudentums, so Heidegger in seinen Schwarzen Heften, „ist keine rassische, sondern die metaphysische Frage nach der Art von Menschentümlichkeit, die schlechthin ungebunden die Entwurzelung alles Seienden aus dem Sein als weltgeschichtliche ‚Aufgabe‘ übernehmen kann“.59 Heidegger hat in Sein und Zeit die existenziellphänomenologische Dimension analysiert. In seinem Spätwerk findet man eine seinsgeschichtliche Analyse, die die existenzielle vollendet. In diesem Sinne schreibt Heidegger in den Schwarzen Heften: „Das Weltjudentum, aufgestachelt durch die aus Deutschland hinausgelassenen Emigranten, ist überall unfassbar und braucht sich bei aller Machtenfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut der Besten des eigenes Volkes zu opfern“.60 Heidegger zufolge ist diese Revolution „das Werk von Menschen, die eine neue geistige Ordnung wollen und aus der tiefsten Verantwortung heraus für die Geschicke ihres Volkes handeln.“61 Die neue geistige Ordnung kann als ‚innere Freiheit‘ betrachtet werden, „die weder durch ‚Moral‘ noch durch ‚Weltanschauung‘ begründet sein kann, sondern allein durch die Wesung des Seyns selbst sich bestimmt, sofern dieses als Verweigerung die Er-stehung der Inständigkeit im Da-sein und so dieses selbst zur Not werden läßt“.62 Die Moral ist ein Instrument der Metaphysik. Die Erstehung der Inständigkeit im Da-sein ermöglicht die Erfahrung der Wahrheit im Gedächtnis: Wir brauchen als Ziele und Elemente des Daseyns keine Technik und keine Politik, keine Kultur und keine Moral. Diese Instrumente der Metaphysik werden durch die Verwindung der Metaphysik hinfällig. Wir brauchen Lehrer des Wissens, die lernen können. […]. Wissen ist Inständigkeit in der Wahrheit des Seyns. Die Wahrheit erfahren wir im Gedächtnis. Das Gedächtnis ist die Dichtung.63 Autoren wie Hölderlin, Heraklit oder Eckhart deuten auf eine Bewegung, die zum Selbst führt. Für Heidegger sind sie Denker, die sich nicht innerhalb der jüdisch-christlichen Tradition einordnen lassen. Innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung findet man eine ähnliche Interpretation von Eckharts

59 60 61 62 63

Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 243. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 262. Vgl. Heidegger, Überlegungen xii–xv (Schwarze Hefte 1939–1941) (2014) [Anm. 19], S. 151. Heidegger, Überlegungen vii–xi (Schwarze Hefte 1938–1939) (2014) [Anm. 43], S. 338. Martin Heidegger, Zum Ereignis-Denken, hg. von Peter Trawny, Frankfurt a.M. 2013 (ga 73), S. 703.

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Denken bei Alfred Rosenberg. In seinem Hauptwerk Der Mythus des 20. Jahrhunderts verbindet Rosenberg Eckhart mit einer heroischen Einstellung, die weit vom Katholizismus entfernt liegt.64 Nach Rosenberg gelangt die Seele erstmals mit Eckhart ganz zum Bewusstsein ihrer selbst, wird absolut frei durch ihre Selbsterkenntnis.65 Für Rosenberg – und in dessen Lektüre Eckharts – gibt es für den Menschen nur eine Schuld: „nicht er selbst zu sein“.66 Rosenberg interpretiert Eckhart durch seine eigene rassische und politische Vision, die Heidegger freilich fern liegt. In den letzten Zeilen von Der Mythus des 20. Jahrhunderts liest man folgendes: Der Gott, den wir verehren, wäre nicht, wenn unsere Seele und unser Blut nicht wären, so würde das Bekenntnis eines Meisters Eckehart für unsere Zeit lauten. Deshalb ist Sache unserer Religion, unseres Rechtes, unseres Staates alles, was die Ehre und Freiheit dieser Seele und dieses Blutes schützt, stärkt, läutert, durchsetzt. Deshalb sind heilige Orte alle die, an denen deutsche Helden für diese Gedanken starben; heilig sind jene Orte, wo Denksteine und Denkmäler an sie erinnern, und heilige Tage sind die, an denen sie einst am leidenschaftlichsten dafür kämpften. Und die heilige Stunde des Deutschen wird dann eintreten, wenn das Symbol des Erwachens, die Fahne mit dem Zeichen des aufsteigenden Lebens das allein herrschende Bekenntnis des Reiches geworden ist.67 Merkmale einer biologischen Interpretation des Begriffs der Rasse sind bei Rosenberg zu finden, wurden die von den deutschen Romantikern verwendeten, positiv konnotierten Begriffe ‚germanisch‘ und ‚nordisch‘ von ihm doch mit biologisch-rassistischen Interpretationen versehen. Besonders hart ist Rosenbergs Kritik am Katholizismus und dessen entfalteter Verkörperung im Jesuiten-Orden. Nach Rosenberg hat der Jesuitismus die letzten Folgerungen aus dem römischen System gezogen.68 Jesuitismus ist der fernste Gegensatz zum germanischen Denken und Fühlen. Er ist für Rosenberg eine semitische Lehre, die blinden Kadavergehorsam zu ihrem Fundament hat.69 Für Rosenberg würde „die Klarheit des blinden Gehorsams […] ver-

64 65 66 67 68 69

Vgl. Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts: Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930, S. 138. Vgl. Rosenberg, Der Mythus (1930) [Anm. 64], S. 259. Vgl. Rosenberg, Der Mythus (1930) [Anm. 64], S. 458. Rosenberg, Der Mythus (1930) [Anm. 64], S. 701. Vgl. Rosenberg, Der Mythus (1930) [Anm. 64], S. 175. Vgl. Rosenberg, Der Mythus (1930) [Anm. 64], S. 176.

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schwinden, falls wir innerlich überhaupt die Frage nach Gut und Böse einem Befehle gegenüber stellen wollten“.70 Das Knechtungssystem der Jesuiten ist Rosenberg zufolge „die Umkehrung aller Werte Europas. Wie der theoretische Materialist persönlich ein guter genügsamer Mann sein kann […], so konnte auch der kriegerische Loyola zum Symbol des skrupellosesten Kampfes gegen das Seelentum der nordischen Rasse werden“.71 Für Rosenberg ist Luther eine rettende Großtat. Denn dieser, so Rosenberg, „verneinte das Priestertum an sich, d.h. die Berechtigung einer Menschenkaste, welche vorgab, zur Gottheit in näherer Beziehung zu stehen wie andere Menschen“.72 Außerhalb Deutschlands findet man auch eine Rechtfertigung Eckharts innerhalb der nationalsozialistischen Konstellation bei Julius Evola. Thomas Vaseck zufolge gibt es in der Handschrift Heideggers einen Notizzettel, der wörtlich aus Evolas Buch Rivolta contro il mondo moderno, das im Jahre 1935 erstmal auf Deutsch erschienen ist, stammt. Darunter steht folgender Satz: Wenn eine Rasse die Berührung mit dem, was allein Beständigkeit hat und geben kann – mit der Welt des Seyns – verloren hat, dann sinken die von ihr gebildeten kollektiven Organismen, welches immer ihre Größe und Macht sei, schicksalhaft in die Welt der Zufälligkeit herab.73 Nur der Begriff Seyn wurde von Heidegger an sein eigenes Denken angepasst. Nach Evola blieb Eckharts Denken außerhalb der jüdisch-christlichen Tradition und repräsentiert den metaphysischen Höhepunkt jenseits des christlichen Theismus.74 Für Evola wird Gott als Person in Eckharts Lehre vom Seelengrund als etwas ‚Außenliegendes‘ (esteriore) verstanden.75 Die Askese ist ‚aristokratisch‘, mit einer ‚spirituellen Mittelpunkthaftigkeit‘ (centralità spirituale), der der Gott nach theistischer Auffassung als etwas Vergängliches erscheint.76 Man gelangt zu jener transzendenten und nicht geschaffenen Wurzel des Selbst, bei deren Negation nicht einmal ‚Gott‘ existieren würde.77 Nach Evola findet man bei Eckhart das solare Symbol, welches bei Eckhart die Ent-

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Vgl. Rosenberg, Der Mythus (1930) [Anm. 64], S. 176. Vgl. Rosenberg, Der Mythus (1930) [Anm. 64], S. 180. Vgl. Rosenberg, Der Mythus (1930) [Anm. 64], S. 183. Vgl. Thomas Vasek, Ein spirituelles Umsturz-Programm, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Dez. 2015, S. 32. Vgl. Julius Evola, Rivolta contro il mondo moderno, Rom 1969, S. 148. Vgl. Evola, Rivolta (1969) [Anm. 74], S. 149. Vgl. Evola, Rivolta (1969) [Anm. 74], S. 149. Vgl. Evola, Rivolta (1969) [Anm. 74], S. 149.

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deckung des ungeschaffenen und absoluten Selbst als nackte und absolute Substanz, d.h. jenseits aller kreaturhaften bzw. geschaffenen Eigenschaften, darstellt.78 Der Begriff der ‚Rasse‘ ist zentral in Evolas Werk. Er thematisiert ihn in fast allen seinen Schriften. Evola adaptiert jedoch eine besondere Interpretation, die er selbst als ‚Rassismus des Geistes‘ bezeichnet. Der ‚Rassismus des Geistes‘ unterscheidet sich von rassistischen Interpretationen, die die Biologie als methodischen Zugang haben. Diese Art von Rassismus hat als philosophischen Grund die Ethnologie und Anthropologie des 19. und 20. Jahrhunderts, und derartige Theorien sind in einer Art von ‚europäischem Suprematismus‘ in der imperialistischen sowie nationalsozialistischen Periode degeneriert. Der ‚Rassismus des Geistes‘ hat als ontologisches Fundament die Doktrin des Blutes. Nach Evola ist die Erinnerung des Blutes dasjenige Axiom, das eine nationale Identität bilden kann. Rassismus und Antisemitismus sind für Evola zwei verschiedene Begriffe. Antisemit zu sein, hat mit der Entdeckung eines spirituellen und geheimen Krieges zu tun, für den die Protokolle der Weisen von Zion als Beweis herangezogen werden. Dieses Buch war sehr bekannt in den antisemitischen Kreisen des 20. Jahrhunderts.79 Nach Evola ist das jüdische Volk streng genommen keine Rasse. Es sind verschiedene Völker, die als Ziel die Vernichtung der wahren arischen Rasse haben. Das Jüdische oder Jüdisch-Christliche hat für Evola einen ‚auflösenden‘ Charakter. Seine Rolle besteht gerade darin, die Welt der Tradition ‚aufzulösen‘ in eine Welt des Chaos, welche am Ende in ihrer letzten Entwicklungsphase als ‚moderne Welt‘ total von den Juden durch einen abstrakten und jüdischen Willen zur Macht beherrscht wird. Heidegger kritisiert genau die marxistische und abstrakte Auffassung der Welt, die Evola hier meint – eine Welt, die total manipuliert werden kann durch Arbeit, Produktion und Kontrolle. Die Frage nach dem Wesen des abstrakten und manipulierbaren Denkens als einer Art von säkularisiertem, jüdischem Geist ist auch, nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte Heideggers, bei beiden Autoren zu finden. Als Grund gilt eine wissenschaftliche, technifizierte Welt, die Kommunismus und Kapitalismus als Instrumente benutzt. Der Ausgangspunkt des rechnenden Denkens ist ferner bei beiden Autoren in Sokrates zu finden, einer Figur, die für Evola eine jüdisch-

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Vgl. Evola, Rivolta (1969) [Anm. 74], S. 149. Julius Evola, Il cammino del cinabro, Mailand 1963, S. 174f., schreibt über die Protokolle: „nell’introduzione che scrissi per la ristampa, curata da Preziosi, dei famosi e discussissimi Protocolli dei Savi di Sion. Rilevai cioè quanto fosse pericoloso credere che solo l’ebraismo sia il nemico da combattere: in tale credenza fui perfino propenso a vedere il risultato di una tattica di quella che io avevo chiamato la ‚guerra occulta‘“.

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hebräische Herkunft hat.80 In der Geschichte findet man also Bewegungen, die für Heidegger und Evola gegen die jüdisch-christliche sich entfalten; und Meister Eckhart wäre für beide Autoren ein paradigmatischer Denker, der sich von der jüdisch-christlichen Tradition distanziert hat.

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Meister Eckharts Mystik als nicht-metaphysisches Denken und die Bedeutung der Schwarzen Hefte

Meister Eckharts Mystik als nicht-metaphysisches Denken wurde von Heidegger in seiner Hölderlin-Vorlesung von 1934/35 erwähnt. In dieser Vorlesung verbindet Heidegger das Denken Eckharts mit dem anfänglichen und nicht-metaphysischen Denken Heraklits: „Unter der Macht des Heraklitischen Gedankens […] stand mittelbar im Grunde der Anfang der deutschen Philosophie bei Meister Eckhart“.81 Heidegger verknüpft beide Anfänge, den griechischen und den deutschen, mit einer anderen Art des Denkens, die sich völlig von der metaphysischen jüdischen bzw. christlichen unterscheiden. Die Namen Heraklit und Eckhart sind nicht nur Namen von Autoren der Geschichte der Philosophie, sondern ‚Urmächte‘ des abendländisch-germanischen geschichtlichen Daseins.82 Demnach kann Meister Eckhart nicht als moderner und demzufolge metaphysischer Autor gelten oder gar als Begründer des modernen Denkens.83 Das eckhartsche Verständnis des Ichs liegt außerhalb der Sphäre der ‚Kreatürlichkeit‘ bzw. der eigenschaft. Der Begriff eigenschaft bezieht sich bei Eckhart auf das Ich mit ‚weltlichen Attributen‘ d. h. auf ein Ich, das durch Aneignung von den in der Welt befindlichen Seienden konstituiert

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Vgl. Julius Evola, Tre aspetti del problema ebraico, Mailand 1936, S. 35: „che i primi rivolgimenti antitradizionalisti, criticistici, antireligiosi e ‚scientisti‘ della antica civiltà greca siano stati propiziati o iniziati da Ebrei; che Socrate fu Ebreo, e Ebrei furono non solo i nominalisti medievali ma anche un Cartesio, un Galileo, un Bacone, e via dicendo“. Vgl. Heidegger, Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘ (31999) [Anm. 31], S. 133f. Vgl. Heidegger, Hölderlins Hymnen ‚Germanien‘ und ‚Der Rhein‘ (31999) [Anm. 31], S. 134: „Der Name Heraklit ist nicht der Titel für eine längst verflossene Philosophie der Griechen. Er ist ebensowenig die Formel für das Denken einer Allerweltsmenschheit an sich. Wohl aber ist es der Name einer Urmacht des abendländisch-germanischen geschichtlichen Daseins“. Vgl. Martin Heidegger, Die Frage nach dem Ding: Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen (Wintersemester 1935/36), hg. von Petra Jaeger, Frankfurt a.M. 1984 (ga 41), S. 98: „Gegenüber den zuweilen auftauchenden Versuchen, die neuzeitliche Philosophie mit dem Meister Eckhart oder in der Zwischenzeit zwischen ihm und Descartes beginnen zu lassen, muß an der bisherigen Ansetzung festgehalten werden“.

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wird.84 Die Bedingungen der Möglichkeit der Aneignung sind nach Eckhart die Erscheinung der Zeitlichkeit, Körperlichkeit und Vielheit.85 In der transzendentalen Sphäre wird aber eine ursprüngliche Erfassung des Ichs entdeckt, die jenseits des kreatürlichen Ichs bzw. des Ichs ‚mit Eigenschaften‘ liegt. Das ursprüngliche Ich kann wohl als ungeschaffenes Ich betrachtet werden: Denn in demselben Wesen Gottes, aufgrund dessen Gott oberhalb von Sein und Unterschied steht, da war ich selbst. Und dort wollte ich mich selbst, und dort erkannte ich mich selbst als den, der diesen Menschen schuf. Darum bin ich Ursprung meiner selbst, nach meinem Wesen, das ewig ist, nicht nach meinem Werden, das zeitverloren ist. Aufgrund des Werdens bin ich geboren, und sofern ich geboren bin, kann ich sterben. Sofern ich ungeboren bin, bin ich ewig gewesen, bin jetzt und werde ich ewig dauern.86 Während die Kreatürlichkeit durch zeitliche, körperliche und mannigfaltige Bestimmungen konstituiert wird, impliziert ihre Transzendenz, sich außerhalb jeder inhaltlichen Bestimmung des Ichs zu stellen. Durch die Überwindung der Zeitlichkeit, Körperlichkeit und Vielheit ist die Dichotomie Leben/Tod nicht mehr operativ. Das ungeschaffene Ich kann nach Eckhart niemals sterben. Was freilich sterben kann, ist jede Konkretisierung des ungeschaffenen Ichs, die innerhalb der zeitlichen Strecke Geburt/Tod konstituiert wird. Im Gegensatz dazu bedeutet die Transzendenz der Kreatürlichkeit eine Ungeborenheit, die die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinung eines kreaturhaften Ichs ist. Das kreaturhafte Ich wird von Eckhart mit dem Ausdruck wollen gefasst. Das kreaturhaft-willentliche Ich unterscheidet sich vom ungeschaffenen Ich, welches einen Willen jenseits aller zeitlichen, körperlichen und mannigfaltigen 84

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Zum Begriff der eigenschaft bei Eckhart vgl. Julio Hernández, Studien zum religiös-ethischen Wortschatz der deutschen Mystik: Die Bezeichnung und der Begriff des Eigentums bei Meister Eckhart und Johannes Tauler, Berlin 1984, S. 59–84 sowie Baeza, Die Topologie des Ursprungs (2009) [Anm. 17], S. 22–27. Vgl. Meister Eckhart, Pr. 11, hg. von Josef Quint, Stuttgart 1958, dw, Bd. 1, S. 178,2–7; Pr. 12, ebd., S. 193,1–5. Meister Eckhart, Pr. 52, hg. von Steer (1998) [Anm. 7], S. 178,3–8 (nhd. Übersetzung von Kurt Flasch, ebd., S. 179) (vgl. dw, Bd. 2, S. 502,7–503,3): wan in dem wesene gotes, dâ got ist obe wesene und ob underscheide, dâ was ich selbe, und dâ wolte ich mich selben und bekante mich selben ze machenne disen menschen. Her umbe sô bin ich mîn selbes sache nâch mînem wesene, daz êwig ist, und niht nâch mînem gewerdenne, daz zîtlich ist. Her umbe sô bin ich geborn, und nâch mîner gebornen wîse sô bin ich sterblich. Nâch mîner ungebornen wîse sô bin ich êwîcliche gewesen und bin nû und sol êwîcliche blîben.

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Beschränkungen als sein eigenes Wesen ausstrahlt. Über den ewigen Willen des ungeschaffenen Ichs ist zu lesen: „Bei meiner Geburt, da wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursprung meiner selbst und aller Dinge, und hätte ich gewollt, so wäre ich nicht entstanden, und alle Dinge wären nicht entstanden. Und wäre ich nicht, dann wäre auch Gott nicht“.87 Eckhart verwendet den christlichen Begriff sælic, um auf die Wiedererscheinung des vergessenen Ichs hinzudeuten: Als ich aus Gott herausfloß, da sagten alle Dinge: Gott ist. Aber das kann mich nicht selig machen, denn hierbei bekenne ich mich als Geschöpf. Hingegen beim Durchbrechen, wo ich losgelöst stehe von meinem Willen in dem Willen Gottes und losgelöst stehe vom Willen Gottes, von allen seinen Werken und von Gott selbst; da stehe ich oberhalb von allen Geschöpfen. Da bin ich weder Gott noch Geschöpf, ja, da bin ich das, was ich war und bleiben werde, jetzt und für immer.88 Die Idee der Überwindung des gedachten metaphysischen Gottes soll im Hinblick auf den eckhartschen Vorrang des Durchbruchs gegenüber dem Ausfließen verstanden werden. Die Bewegung des Ausfließens schließt demnach die Seinsvergessenheit mit ein. Demgegenüber impliziert die Gegenbewegung des Durchbruchs die Tendenz, das wahre und ursprüngliche Ich jenseits aller kreatürlichen Bestimmungen wieder zu erkennen. Der Prozess des Durchbruchs kann als Selbsterkenntnis des ungeschaffenen Ichs als Sich-selbst verstanden werden.89 Wenn es allein der Begriff der Gelassenheit ist, der der Durchsetzung der Metaphysik, die nach der heideggerschen Analyse im Laufe der Entfaltung des 87

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Meister Eckhart, Pr. 52, hg. von Steer (1998) [Anm. 7], S. 178,12–14 (nhd. Übersetzung von Kurt Flasch, ebd., S. 179) (vgl. dw, Bd. 2, S. 503,6–504,2): In mîner geburt dâ wurden alliu dinc geborn, und ich was sache mîn selbes und aller dinge; und hæte ich gewolt, ich enwære niht, noch alliu dinc enwæren niht; und enwære ich niht, sô enwære ouch got niht. Meister Eckhart, Pr. 52, hg. von Steer (1998) [Anm. 7], S. 178,18–23 (nhd. Übersetzung von Kurt Flasch, ebd., S. 179) (vgl. dw, Bd. 2, S. 504,5–505,1): Dô ich ûz got vlôz, dô sprâchen alliu dinc: got der ist; und diz enmac mich niht sælic machen, wan alhie bejehe ich mich crêatûre. Mêr: in dem durchbrechen, dâ ich ledic stân mînes willen in dem willen gotes und ledic stân des willen gotes und aller sîner werke und gotes selben, sô bin ich ob allen crêatûren und enbin noch got noch crêatûre, mêr: ich bin, daz ich was und daz ich blîben sol nû und iemermê. Vgl. Burkhard Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie, Univozität und Einheit, Hamburg 1983, S. 139 f., beschreibt die Begegnung des nicht-geschaffenen Ichs mit sich selbst folgendermaßen: „Eckharts Denken […] dringt vor zum Ich als Ununterschiedenen (sic?) schlechthin, zum Ich in seiner Identität mit dem Wesen Gottes, der Gottheit. Dieses Ich als Gottheit ist keine Stätte, zu der man kommt […]. Das Ich, das zu sich selbst findet, entdeckt sich als Ich, das nichts anderes als Ich ist“.

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rechnend-jüdischen Denkens realisiert wird, Widerstand leistet, muss dieser als Weg zu einer eigentlichen Überwindung der Metaphysik verstanden werden. Eckhart wäre also nach Heidegger derjenige, der diesen ‚neuen Schritt‘ vollzieht.90 Das jüdisch-christliche Denken ist jedoch durch die Entstehung eines ontischen Gottes charakterisiert. Meister Eckhart betont in diesem Sinne: „Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Menschen und aller Kreatur“.91 In diesem Zusammenhang zielt der Begriff der Gelassenheit auf die Überwindung des ‚rechnenden Denkens‘ und dessen gedâhte got ab. Denn an diesen Gott kann man nur glauben. Es ist ein Gott mit bestimmten Eigenschaften. Der gewesende got ist aber jenseits dieser Sphäre und bildet eine absolute Identität mit dem ursprünglichen Ich. Im Gegensatz zum rechnenden Denken, das alles in kausaler Weise interpretiert und auf sein Warum hin befragt, existiert eine andere Denkart in der abendländischen Tradition, die der Entstehung der Metaphysik vorangeht. Dieses Vorangehen ist aber nicht historisch zu verstehen, sondern verweist auf eine Art des Denkens, die durch einen ursprünglichen Ort, in dem das Sein und das Wort sich vereinigen und eins sind, zur Erscheinung kommt. Die poetische Sprache hängt mit diesem Typus des früheren Denkens zusammen. Früher verweist auf die Nähe des Denkens zum Sein. In der Schrift Der Satz vom Grund analysiert Heidegger Angelus Silesius’ Gedicht über die Rose, das die gleiche Botschaft wie die deutschen Predigten Meister Eckharts übermittelt. Das Gedicht lautet folgendermaßen: Die Ros’ ist ohn warumb sie bloͤ het, weil sie bloͤ het Sie achtt nicht jhrer selbst fragt nicht ob man sie sihet.92

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Vgl. Martin Heidegger, Brief an Bernhard Welte vom 29.02.1968, in: Martin Heidegger / Bernhard Welte, Briefe und Begegnungen, hg. von Alfred Denker und Holger Zaborowski, Stuttgart 2003, S. 29 f. Meister Eckhart, Die rede der underscheidunge, hg. von J. Quint, dw, Bd. 5, S. 205,5–9: Der mensche ensol niht haben noch im lâzen genûegen mit einem gedâhten gote, wan, swenne der gedank vergât, sô vergât ouch der got. Mêr: man sol haben einen gewesenden got, der verre ist obe den gedenken des menschen und aller crêatûre. Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, i, 289, hg. von Louise Gnädinger, Stuttgart 1984, S. 69; vgl. Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, hg. von Petra Jaeger, Frankfurt a.M. 1997 (ga 10), S. 56.

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Heidegger kommentiert die Beziehung des Gedichtes zu Meister Eckhart folgendermaßen: „Der ganze Spruch ist so erstaunlich klar und knapp gebaut, daß man auf den Gedanken kommen möchte, zur echten und großen Mystik gehöre die äußerste Schärfe und Tiefe des Denkens. Dies ist denn auch die Wahrheit. Meister Eckhart bezeugt sie“.93 Weil die Rose ohne das Suchende bzw. ohne Zustellen der Gründe, auf Grund derer sie blüht, ist, wohnt sie in der Gelassenheit und in der Erkenntnis ihrer selbst. Die Behauptung, dass die Rose „blüht, weil sie blüht“, sagt dem rechnenden Denken nichts, weil diese Art des Denkens nur erkennen kann, was in theoretisch abgeleiteter Weise zur Gegebenheit gebracht wird, „aber dieses anscheinend Nichtssagende“, betont Heidegger, „sagt eigentlich alles, nämlich alles hier zu Sagende in der ihm eigenen Weise des Nichtsagens. Das ‚weil‘ scheint nichtssagend, leer und sagt doch die Fülle dessen, was sich auf der Stufe des Denkens dieses Dichters vom Grund und vom ‚warum‘ sagen läßt“.94 Die Gelassenheit, die jenseits des metaphysischen Denkens liegt, ist kein bloßer Begriff neben anderen innerhalb des heideggerschen Denkens. Die Gelassenheit bedeutet im heideggerschen Kontext vielmehr die Möglichkeit einer Bewegung gegen das rechnende Denken. Der Begriff des Wartens und dessen Radikalisierung, die von Heidegger als Gelassenheit aufgefasst wird, sind indirekt in Heideggers frühem Werk anwesend.95 Die explizite Nennung des Begriffs tritt aber erstmals in den 1940er Jahren durch die Schriften „Ein Gespräch selbdritt auf einem Feldweg zwischen einem Forscher, einem Gelehrten und einem Weisen“ und „Zur Erörterung der Gelassenheit: Aus einem Feldweggespräch über das Denken“ auf. Beide Gespräche versuchen gerade das metaphysische Denken zu überwinden durch eine Erörterung oder Betrachtung der Gelassenheit als Ortschaft. Erörtern, wie Heidegger in Unterwegs zur Sprache betont, „meint hier zunächst: in den Ort weisen. Es heißt dann: den Ort betrachten“.96 Die Gespräche versuchen weiterhin, das traditionelle Verständnis des Begriffs ‚Mensch‘ zu vermeiden. Heidegger verwendete bereits in seinen

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Heidegger, Der Satz vom Grund (1997) [Anm. 92], S. 56. Heidegger, Der Satz vom Grund (1997) [Anm. 92], S. 63. Der Begriff des ‚Wartens‘ wurde von Heidegger in der Vorlesung Einleitung in die Phänomenologie der Religion im Wintersemester 1920/21 entwickelt. Hier ging es nicht um eine theologische Exegese, sondern eine Analyse des eigentlichen Verständnisses der Zeitlichkeit. Das Erwarten der παρουσία (parousía) hat kein Referenzobjekt oder keinen Referenzpunkt. Man wartet demzufolge, ohne zu erwarten, was analog der ersten Bewegung zur Gelassenheit beim späteren Heidegger ist. Über den Begriff der Gelassenheit beim frühen Heidegger siehe Baeza, Die Topologie des Ursprungs (2009) [Anm. 17], S. 74–80. Vgl. Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt a.M. 1985 (ga 12), S. 37.

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Anfängen den Begriff ‚Dasein‘ und nicht den überlieferten Begriff ‚Mensch‘. Somit wird das Wesen des Menschen zu erfassen versucht, „ohne auf den Menschen hinzusehen“.97 Die metaphysische und moderne Auffassung des Menschen greift auf die Auslegung desselben als animal rationale zurück. Was den Menschen nach dieser Auffassung vom Rest der Seienden unterscheidet, ist sein Denkvermögen. Dazu schreibt Heidegger: „Wenn das Denken die Auszeichnung des Wesens des Menschen ist, dann kann erst recht das Wesentliche dieses Wesens, nämlich das Wesen des Denkens, nur so erblickt werden, daß wir vom Denken wegsehen“.98 Durch die Erläuterung des Denkens als ‚Denken an etwas‘ gelangt man nicht zur Betrachtung des Denkens als solchen. Innerhalb des Denkens ist nicht das Eigentümliche desselben überhaupt zu sehen. Um den eigentümlichen Charakter des Denkens zu betrachten, muss man Abstand vom Denken selbst nehmen, indem wir „vom Denken wegsehen“. Wegsehen vom Denken ermöglicht, auf das Wesen des Denkens selbst bezogen zu bleiben. Die Bewegung, Abstand vom Denken selbst zu nehmen, vollzieht sich nach Heidegger, indem die Bewegung durch ein „ich will das Nicht-Wollen“ fortgesetzt wird. Heidegger schreibt: Nicht-Wollen bedeutet einmal noch ein Wollen, so zwar, daß darin ein Nein waltet, und sei es sogar im Sinne eines Nein, das sich auf das Wollen selbst richtet und ihm absagt. Nicht-Wollen heißt demnach, willentlich dem Wollen absagen. Der Ausdruck Nicht-Wollen bedeutet sodann noch jenes, was schlechthin außerhalb jeder Art von Willen bleibt.99 Hier handelt es sich um eine besondere Art von Einheit zwischen Passivität (Nicht-Wollen) und Aktivität (Ich will das Nicht-Wollen), oder um eine Instanz, die jenseits der Dichotomie Passivität/Aktivität liegt. In Bezug auf die Überwindung der Dualität Passivität/Aktivität, in Beziehung auf den in der Gelassenheit enthaltenen Begriff des Lassens und hinsichtlich seiner angeblich passiven Konnotationen behauptet Heidegger Folgendes in seinem Dialog: Forscher: Sie reden unablässig von einem Lassen, so daß der Eindruck entsteht, es sei eine Art von Passivität gemeint. Gleichwohl glaube ich zu wissen, daß es sich keineswegs um ein kraftloses Gleiten- und Treibenlassen der Dinge handelt. 97 98 99

Vgl. Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“ (22002) [Anm. 4], S. 38. Siehe oben Anm. 5. Vgl. Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“ (22002) [Anm. 4], S. 39.

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Gelehrter: Vielleicht verbirgt sich in der Gelassenheit ein höheres Tun als in allen Taten der Welt und in den Machenschaften der Menschentümer … Lehrer: welches höhere Tun gleichwohl keine Aktivität ist. Forscher: Demnach liegt die Gelassenheit, falls man hier von einem Liegen sprechen darf, außerhalb der Unterscheidung von Aktivität und Passivität … Gelehrter: weil die Gelassenheit nicht in den Bereich des Willens gehört.100 Weil die Gelassenheit nicht verobjektivierbar ist, darf man eigentlich nicht von einem ‚Liegen‘ sprechen. Die Gelassenheit ist demzufolge jenseits jeder raumzeitlichen Begrenzung. Die so verstandene Gelassenheit kann man weder gewinnen noch verlieren. Hier geht es nicht um einen subjektiven Zustand zwischen anderen. Die Gelassenheit ist nicht ein Etwas. Sie liegt jenseits des rechnenden Denkens. Das rechnende Denken ist wesentlich unfähig, sie zu erfassen, weil es immer in der Dualität Aktivität/Passivität denkt: Lehrer: Wir sollen nichts tun, sondern warten. Gelehrter: Das ist ein schlechter Trost. Lehrer: Ob schlecht oder gut, wir sollen auch keinen Trost erwarten, was wir selbst dann noch tun, wenn wir in die Trostlosigkeit nur versinken. Forscher: Worauf sollen wir denn warten? Und wo sollen wir warten? Ich weiß bald nicht mehr, wo ich bin und wer ich bin. Lehrer: Das wissen wir alle nicht mehr, sobald wir davon ablassen, uns etwas vorzumachen.101 Die angesprochene Trostlosigkeit soll hier nicht als Verzweiflung verstanden werden, als ob die Gelassenheit durch die Abwesenheit des Trostes einen negativen Wert annähme; vielmehr ist die radikale Überwindung des Trostes überhaupt gemeint, insofern er nur in der Ebene des Willens vorkommen kann und vom Willen bedient wird. Trostlosigkeit bedeutet hier also wiederum Nicht-Wollen und deshalb zeigt sich hier die Gelassenheit in ihrem Wesen. Um in der Gelassenheit zu wohnen, muss man nichts tun, sondern nur warten:

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Vgl. Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“ (22002) [Anm. 4], S. 41. Vgl. Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“ (22002) [Anm. 4], S. 42f.

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Forscher: Aber wir warten doch, wenn wir warten, immer auf etwas. Gelehrter: Gewiß; aber sobald wir das, worauf wir warten, uns vorstellen und es zum Stehen bringen, warten wir schon nicht mehr. Lehrer: Im Warten lassen wir das, worauf wir warten, offen.102 Das Dasein entfaltet sich in der Weise der Erschließung eines ‚Da‘, in dem dieses wohnt. Diese Bewohnung des ‚Da‘ bedeutet, dass das Dasein sich zu einem spezifischen Raum verhält, der die Ganzheit der Seienden darstellt. ‚Da‘ bzw. in diesem ‚Da‘ zu wohnen meint, sich in einer bestimmten existenziellen Gegend zu befinden. In Heideggers Werk Sein und Zeit von 1927 bedeutet Gegend die Erfassung der eigentlichen Räumlichkeit des Daseins gegenüber dem Verständnis derselben als eines geometrischen Raumes.103 Wie in den Schwarzen Heften zu beobachten ist, eignet eine solch eminent mathematische Betrachtung der Räumlichkeit als eines geometrischen Raumes dem ‚jüdisch-rechnenden‘ Denken. Die Entfaltung der Metaphysik als solcher hat dieses Denken sowie das ‚Weltjudentum‘ gebraucht, um die Ganzheit der Seienden quantitativ erfassen zu können.104 Obwohl die Mathesis ihren Ursprung im griechischen Denken hat, hat die moderne mathematische Betrachtung der Ganzheit der Seienden ihren Ursprung in der Machenschaft, die der Jude als „weltlos kalkulierendes Subjekt“ beherrscht. Während diese durch die Machenschaft entfaltete Betrachtung der Totalität der Seienden immer an der Oberfläche des Daseins bleibt, betont Heidegger den ursprünglicheren Modus des Daseins, in dem die Öffnung als solche hervorgehoben wird. Um gerade dieses nicht-kalkulierbare

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Vgl. Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“ (22002) [Anm. 4], S. 49. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit (1977) [Anm. 57], S. 147–151 (§24. Die Räumlichkeit des Daseins und der Raum). Vgl. Peter Trawny, „Antisemitismus und Geschichte: Zur Funktion des ‚Weltjudentums‘ in Heideggers ‚Geschichte des Seins‘“, in: Heideggers Weg in die Moderne (2017) [Anm. 2], S. 65 f.: „Heidegger schreibt dem ‚Weltjudentum‘ eine ‚metaphysische‘, keine ‚rassische‘ Bedeutung zu. Damit erhalten sie eine Rolle in dem philosophischen Narrativ, das Heidegger vor allem in den dreißiger und vierziger Jahren entfaltet: in der ‚Geschichte des Seins‘. In ihrem Rahmen erzählt Heidegger die apokalyptische Geschichte, dass in der Vollendungsphase der ‚Seinsvergessenheit‘ oder des ‚Nihilismus‘ die Welt von der Übermacht der ‚Machenschaft‘ (der Technik) okkupiert wird. Die ‚ontologische Differenz‘, das Verhältnis zwischen dem ‚Sein‘ und dem ‚Seienden‘ wird nun insofern verfremdet, als das ‚Seiende‘ einen unbedingten Vorrang vor dem ‚Sein‘ erhält. Es gibt nur noch einen technischen Betrieb des ‚Seienden‘. Dieses technische Betreiben aber muss nach Heidegger von einer besonderen ‚Art von Menschentümlichkeit‘ ausgeführt werden: dem ‚Weltjudentum‘. Dieses sei ‚schlechthin ungebunden‘ – selbst entwurzelt in existentieller und intellektueller Hinsicht – und könne daher die ‚weltgeschichtliche Aufgabe‘ der Vollendung der ‚Seinsvergessenheit‘ übernehmen“.

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bzw. nicht-metaphysische Denken zu bezeichnen, verwendet Heidegger in seinem Dialog über die Gelassenheit den Begriff Gegnet als Modifikation des Terminus Gegend. Vor der Erfassung der Welt als geometrische Räumlichkeit gibt es eine Instanz, die Heidegger „das Offene“ nennt: „Das Offene selbst aber ist die Gegnet“.105 Heideggers Schweigen nach dem Zweiten Weltkrieg bezüglich seiner Interpretation des Nationalsozialismus hat als Fundament seine eigene und wesentlich politische Überzeugung. Anders gesagt: er hat sich nicht gegen den Nationalsozialismus positioniert, weil er ihm treu bis zum Ende bleiben wollte. Hier geht es nicht mehr darum, Heidegger ‚zu retten‘. Die Frage, ob Heidegger ein ‚Nazi‘ war, ist in diesem Sinne und vor allem nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte, eine rhetorische Frage geworden. Seine Interpretation von Meister Eckhart vollzieht sich auch in einem Kontext, in dem andere Autoren innerhalb der nationalsozialistischen Konstellation Meister Eckhart jenseits der jüdisch-christlichen Tradition situiert haben. 105

Vgl. Heidegger, „Zur Erörterung der Gelassenheit“ (22002) [Anm. 4], S. 49.

kapitel 7

Einleitung zum Faksimile-Nachdruck eines aufschlussreichen, jedoch bisher unbeachteten Dokuments: der Eintrag „Eckhart“ im Handbuch der Romfrage (1940) Maxime Mauriège

Außer dem Mythus des 20. Jahrhunderts1 mit seinem Kapitel über „Mystik und Tat“2 gab es damals noch eine andere charakteristische Veröffentlichung von Alfred Rosenberg, die auch dem ‚deutschen‘ Meister Eckhart einen besonderen Stellenwert beimaß, nämlich das Anfang der 1940er Jahre nur teilweise erschienene Handbuch der Romfrage,3 das Eckhart einen entsprechenden Eintrag widmete.4 Doch während das erstgenannte Werk einen hohen Bekanntheitsgrad genießt und in der Eckhart-Forschung dementsprechend oft berücksichtigt wird, ist die letztgenannte Publikation so gut wie unbekannt, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass sie selbst in einschlägigen Bibliographien nicht erwähnt wird.5 Dies ist sicherlich auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, in erster Linie jedoch auf die beschränkte Verbreitung des HdRf zur damaligen Zeit. Denn kriegsbedingt wurde der erste und zugleich einzige veröffentlichte Band, welcher die Buchstaben A bis K umfasst,6 letztendlich in geringer Auflage bei dem 1 Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930 (240.–247. Aufl., München 1944). 2 Rosenberg, Mythus des 20. Jahrhunderts (1930) [Anm. 1], Kap. iii, „Mystik und Tat“, S. 217–273, welcher auch 1934 separat als Sonderdruck unter dem Titel „Religion des Meister Eckehart“ erschien. 3 Handbuch der Romfrage, hg. von Alfred Rosenberg, Band i: A–K, München 1940 (im Folgenden mit „HdRf “ abgekürzt). 4 Art. „Eckhart (Meister Eckhart)“, in: HdRf (1940) [Anm. 3], S. 328[A]–41[A]. 5 Wie z. B. in: Niklaus Largier, Bibliographie zu Meister Eckhart, Freiburg (Schweiz) 1989 (Dokimion 9), deren Anhang zum „deutschnationale[n], deutschgläubige[n] und nationalsozialistische[n] Eckhartbild“ (S. 135–140) diese zeitgenössische Veröffentlichung nicht erfasst hat. Der einzige Bezug auf den Eintrag „Eckhart“ im HdRf, den wir übrigens in der allgemeinen Sekundärliteratur gefunden habe, war in Ernst Pipers Monografie zu Alfred Rosenberg: Hitlers Chefideologe, München 2005, S. 196 [innerhalb des Kap. „v. Der Mythos des 20. Jahrhunderts“, in dessen erstem Teil „Vom Mythos zum ‚Mythus‘ “]. 6 Die beiden ursprünglich geplanten weiteren Bände, d. h. der zweite Textband mit den Buch-

© Maxime Mauriè g e, 2022 | doi:10.1163/9789004519343_008

faksimile-nachdruck des eintrags „eckhart“ im hdrf

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seit 1929 der nsdap gehörenden und von da an zum Hausverlag Rosenbergs gewordenen Hoheneichen-Verlag gedruckt,7 um offenbar „nur an Parteidienststellen abgegeben“ zu werden,8 obwohl dieses „aufsehenerregende Standardwerk“ laut Verlagsankündigung „auch für die weitesten Kreise unseres Volkes in Frage“ kam.9 Geplant wurde die Herausgabe des HdRf mindestens seit 1937 im Zusammenhang mit den Vorarbeiten für das Errichtungsprojekt einer sog. „Hohen Schule“ der nsdap (und des Dritten Reiches im Allgemeinen10), des-

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staben L bis Z sowie der Ergänzungsband mit „Gesamtübersicht aller Artikel“ bzw. „Stichwortverzeichnis“ zusätzlich zum ganzen Bildmaterial (siehe dazu Matthes Ziegler, „Die Aufgaben des Handbuches“, in: HdRf [1940] [Anm. 3], S. xi), wurden vor Kriegsende vermutlich nicht vollendet und deshalb nie veröffentlicht. In einer vom Redaktionsleiter des HdRf Matthes Ziegler (siehe dazu unten, Anm. 31) verfassten „Aktennotiz für Reichsleiter Rosenberg“ vom 19. Januar 1944 sollte jedoch nach dem absehbaren Abschluss des zweiten Bandes eine „Bearbeitung des gesamten Werkes zur Neuauflage“ in Angriff genommen werden, die demgemäß „nicht in 2 starren Bänden, sondern in schmalen Lieferungen“ erscheinen sollte (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 8/239, Bl. 171). Deshalb erschien bei demselben Verlag zehn Jahre zuvor Rosenbergs Mythus (Anm. 1). Damaliger Vermerk der von der Deutschen Bücherei in Leipzig bearbeiteten und herausgegebenen Deutschen Nationalbibliographie in der „Reihe B für Neuerscheinungen außerhalb des Buchhandels“. Dieser noch heute im entsprechenden Katalogdatensatz der Deutschen Nationalbibliothek eingegebene Vermerk (siehe unter https://d‑nb.info/​ 560546246) lässt sich anhand eines Briefes von Rosenberg vom 9. Februar 1940 an den Reichsschatzmeister der nsdap Franz Xaver Schwarz erklären: „Schon seit Jahren habe ich eine wissenschaftliche Kommission beauftragt, ein für die Geschichtsbetrachtung und weltanschauliche Erziehung unentbehrliches Werk zu schaffen, nämlich ein ‚Handbuch der Romfrage‘. Der erste Band war zu Beginn des Krieges abgeschlossen und ist jetzt abgesetzt worden. Die Zeitereignisse lassen es aber zweckmässig erscheinen, dass ein öffentlicher Verkauf während des Krieges nicht stattfindet. Umso wichtiger aber ist es, dass die gesamte Partei und die Dienststellen der angeschlossenen Verbände sich dieses Werk für ihr Studium und ihre geschichtliche Ausbildung beschaffen. Ich richte deshalb an Sie die Bitte, eine entsprechende Anordnung dahingehend zu erlassen, dass der jetzt erscheinende erste Band aus Mitteln der Partei für die Dienststellen der Bewegung, wenn möglich bis zu den Büchereien der Ortsgruppen, angeschafft werden darf. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie anordnen würden, dass hier für dieses für die Zukunft unentbehrliche Werk auch Sondermittel verwendet werden können“ (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 8/203, Bl. 37). Werbeankündigung des Hoheneichen-Verlags zum Erscheinen des ersten Bandes des HdRf, veröffentlicht u. a. in: Nationalsozialistisches Jahrbuch 14 (1940), S. 476 (siehe unten Abb. 7.1). Siehe dazu u. a. den letztgültigen Entwurf des Amtes Rosenbergs zu „Aufgaben und allgemeiner Aufbau der Hohen Schule“ vom 6. November 1940 (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 15/334, unpaginiert): „Ihr Wirken [i.e. der Hohen Schule] ist jedoch ebenso massgebend für die Partei und ihre Gliederungen wie für den Staat, d.h. für das gesamte deutsche Volk.“

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Werbeankündigung des Hoheneichen-Verlags

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sen Abwicklung eine „Sicherung der Einheit der nationalsozialistischen Weltanschauung durch einheitliche Herstellung und Zusammenfassung der Lehrmittel und Lehrstoffe sowohl als durch die Ausbildung der verantwortlichen Lehrer und Erzieher“ bezweckte. Deshalb oblag das Projekt dem Reichsleiter Rosenberg (als dem vorgesehenen Leiter „dieser zentralen Erziehungsstätte der nationalsozialistischen Bewegung“)11 bzw. dem Amt des ‚Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der nsdap‘.12 „Zu den unmittelbaren Forschungsaufgaben“ einer solchen Hohen Schule „gehört[e] die Darstellung der unmittelbaren weltanschaulichen Haltung des Nationalsozialismus gegenüber den Weltanschauungen der Vergangenheit“;13 und „zur Klarstellung aller Voraussetzungen“ schien eine „Behandlung der welt-

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Alfred Rosenberg, „Die Hohe Schule der nsdap und ihre Aufgaben“, unveröffentlichtes Manuskript, Juni 1937 (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 15/334, 21 S., hier S. 1; auch in BArch ns 8/175, Bl. 45–65). Siehe auch die Führerverfügung v 6/40 vom 29. Januar 1940 „zur Kenntnisnahme der Dienststellen von Partei und Staat“ betreffend die Errichtung der Hohen Schule (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 6/333, Bl. 49; auch in BArch ns 30/2) sowie die diesbezügliche frühere Führerverordnung von 1938 (Entwurf, Bundesarchiv, Signatur: BArch ns 15/335; auch in BArch ns 8/50, Bl. 27): „Hiermit ordne ich die Gründung der Hohen Schule an. Aufgabe der Hohen Schule wird sein die autoritative Vermittlung des gesamten geistig-kulturellen und weltanschaulichen Erziehungsmaterials, die Stellung und Durchführung von Forschungsaufgaben und die Ausbildung der Lehrer und Erzieher für die gesamte nationalsozialistische Bewegung. Mit der Organisation und Leitung der Hohen Schule, sowie mit der Durchführung aller vorbereitenden Arbeiten beauftrage ich Reichsleiter Alfred Rosenberg. […] Alle Parteiund Staatsdienststellen sind gehalten, den Leiter der Hohen Schule bei seiner Arbeit zu unterstützen. Die Ausführungsbestimmungen zu dieser Anordnung erlässt der Leiter der Hohen Schule.“ Kriegsbedingt wurden 1943 „auf Grund des Erlasses des Führers über den umfassenden Einsatz von Männern und Frauen für die Aufgaben der Reichsverteidigung“ Stilllegungsmaßnahmen im Bereich der Hohen Schule ergriffen; so stellte Rosenberg jegliche Vorbereitungen oder Neuplanungen bis auf weiteren ein (siehe Rosenbergs Verfügung vom 22. Februar 1943 betreffend die „Arbeit der Hohen Schule“ [Bundesarchiv, BerlinLichterfelde, Signatur: BArch ns 8/128, Bl. 137 f.; auch in BArch 8/264, Bl. 32f.]). Siehe dazu die „Aufgabenstellung der Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der nsdap und der Hohen Schulen“, Entwurf vom 13. November 1940 (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 15/334) sowie die von Rosenberg verfasste Mitteilung vom 7. April 1942 an seine Stabsleiter Helmuth Stellrecht und Alfred Baeumler mit der Überschrift „Grundsätzliches Verhältnis zwischen der Dienststelle des Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der nsdap und der Hohen Schulen in Vorbereitung“ (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 8/128, Bl. 105f.). Rosenberg, „Die Hohe Schule der nsdap und ihre Aufgaben“ (1937) [Anm. 11], S. 6.

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anschaulichen Gegner des deutschen Volkes in der Vergangenheit und Gegenwart“ notwendig, angefangen mit der „Frage der römischen Weltpolitik und der dieser Weltpolitik dienenden Religionsform“, wozu „als wichtigste Grundlage“ dann „die Herstellung eines Handbuches zur Romfrage“ dienen sollte.14 Dabei beabsichtigte Rosenberg anfänglich, „in streng wissenschaftlicher Form alle Probleme“ innerhalb von „etwa 1 ½ bis 2 Jahren“ zu behandeln15 und so jenes Desiderat16 mittels eines dreibändigen Werkes „im Lexikonformat“17 (als Gegenentwurf zum katholischen Lexikon für Theologie und Kirche18) zu beheben, welches daher „eine sichere Schulungsgrundlage für unsere gesamte Bewegung bilden [sollte], damit nicht unwissenschaftliche oder sektiererische Einzelgänger die Einheit dieser Anschauung zu gefährden vermögen“.19 Die primäre Funktion dieses Nachschlagewerkes als Lehrbuch – ja sogar als „geistige[s] Schulungsmaterial für die gesamte Bewegung“20 – und daher der Hauptgrund seiner Herstellung für die erzieherischen Bedürfnisse der zukünftigen Hohen Schule der nsdap fanden jedoch in Rosenbergs Vorwort des HdRf keinerlei Erwähnung (höchstwahrscheinlich, weil sich diese Partei-, oder eher

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Rosenberg, „Die Hohe Schule der nsdap und ihre Aufgaben“ (1937) [Anm. 11], S. 8f. Rosenberg, „Die Hohe Schule der nsdap und ihre Aufgaben“ (1937) [Anm. 11], S. 9. Knapp 15 Monate später behauptete Rosenberg sogar in dieser Hinsicht Folgendes: „Die Arbeiten sind bereits soweit gediehen, dass dem Führer in Kürze eine grössere Anzahl von Druckbogen wird vorgelegt werden können“ (Alfred Rosenberg, „Denkschrift über die Aufgaben der Hohen Schule. Vom Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der nsdap“, unveröffentlichtes Manuskript, 1. September 1938 [Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 15/334, 42 S., hier S. 12]). Rosenberg klagte damals in der Tat darüber, dass „jene Grundlage zu den eventuell kommenden Auseinandersetzungen […] heute noch fehlt“ (vgl. Rosenberg, „Die Hohe Schule der nsdap und ihre Aufgaben“ [1937] [Anm. 11], S. 9). Siehe unten Abb. 7.2: Prospekt des Werkes. Ursprünglich war aber dafür ein einziges „umfangreiche[s] Buch“ vorgesehen (vgl. Rosenberg, „Die Hohe Schule der nsdap und ihre Aufgaben“ [1937] [Anm. 11], S. 9). Dieses rund 20.000 Vollartikel zählende und deshalb schon zu jener Zeit international anerkannte Standardwerk katholischer Theologie wurde von 1930 bis 1938 in 10 Bänden von Michael Buchberger, dem Bischof von Regensburg, im Herder Verlag herausgeben (als neubearbeitete Auflage seines zweibändigen Kirchlichen Handlexikons [Freiburg i.B./München 1907/1912; Nachdruck 1923]). Alfred Rosenberg, „Denkschrift über die ersten Vorbereitungen für die Hohe Schule“, unveröffentlichtes Manuskript, 16. Mai 1938 (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 15/334, 13 S., hier S. 5 f.; auch in BArch ns 8/50, Bl. 63–75). Rosenberg, „Denkschrift über die Aufgaben der Hohen Schule“ (1938) [Anm. 14], S. 1: „Nach dem Willen des Führers soll die Hohe Schule die Aufgabe haben, autoritär das geistige Schulungsmaterial für die gesamte Bewegung herauszugeben.“

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Alternativ-Universität21 noch im Aufbau befand und ihre Errichtung erst nach dem Krieg stattfinden sollte). Stattdessen bezeichnete Rosenberg dort das HdRf eher als einen „Rechenschaftsbericht“, dessen Ziel es war, „dem Deutschen unserer Zeit ein Helfer im inneren Schicksalskampf zu sein“. Vorher hatte er aber im Einklang mit seinen diesbezüglichen Aussagen in den vorherigen Denkschriften zur Aufgabe der Hohen Schule klargestellt, dass es sich beim HdRf grundsätzlich um die Abgabe einer Stellungnahme „zur geistigen und politischen Geschichte ganz Europas“ aus nationalsozialistischer Sicht handelte, insbesondere um eine Schilderung des „Seelenkampfe[s] des deutschen Volkes“ gegen „die römische Kirche“ und ihre Macht „über das Leben Germaniens“,22 und zwar in der Absicht, „den erwachten Instinkt des deutschen Volkes zu festigen, das Bewußtsein des hohen Ernstes der Epoche zu vertiefen, eine geistige Ordnung in der geschichtlichen Vorstellungswelt und Ideenbildung herbeizuführen“.23 Was den Titel dieses Werkes angeht, so fand er seine Rechtfertigung – und somit den Grund für seine Bevorzugung gegenüber der Variante „Handbuch der Vatikanfrage“ – darin, dass „die gesamte Geschichte, um die es geht, eben mit dem Namen und Begriff Rom untrennbar verbunden ist“.24 So vermied Rosenberg an dieser Stelle wohl absichtlich zu erwähnen, dass er die Anregung zum HdRf durch das bereits fünf Jahre zuvor unter demselben Titel und aus ähnlichen weltanschaulichen Beweggründen veröffentlichte Nachschlage-

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Siehe dazu Reinhard Bollmus, „Zum Projekt einer nationalsozialistischen Alternativ-Universität: Alfred Rosenbergs ‚Hohe Schule‘“, in: Erziehung und Schulung im Dritten Reich, Teil 2: Hochschule, Erwachsenbildung, hg. von Manfred Heinemann, Stuttgart 1980 (Veröffentlichung der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 4,2), S. 125–152. Rosenberg, „Vorwort“, in: HdRf (1940) [Anm. 3], S. v–vii, hier S. V. Rosenberg, „Vorwort“, in: HdRf (1940) [Anm. 3], S. vi. Rosenberg, „Vorwort“, in: HdRf (1940) [Anm. 3], S. vi. Für Rosenberg war die Romfrage von Anfang an – laut Volker Losemann – „das Stichwort für seine Auseinandersetzung mit dem Katholizismus und dem Christentum überhaupt und wurde [daher] zum Gegenstand eines Forschungsauftrags erhoben“, dessen Teilergebnis im HdRf vorliegt (Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977). Der Redaktionsleiter des HdRf, Dr. Matthes Ziegler (siehe dazu unten, Anm. 29), missbilligte selbst im Nachhinein diesen „missverständlichen Titel“: „Missverständlich und unglücklich deshalb, weil hier nicht die notwendige kritische Auseinandersetzung, sondern die Linie der deutschen Frömmigkeit in der abendländischen Religions- und Geistesgeschichte den Vorrang haben sollte“ (Von Rosenberg zu Niemöller. Ein deutscher Schicksalsweg, unveröffentlichtes Manuskript von 1967 und 1987, S. 37; zitiert nach Wolfgang Brückner, Das Jahr 1938 in der deutschsprachigen Volkskunde. Meinungshegemonien des gedruckten Wortes, Münster/New York 2020, S. 156).

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werk von Karl Revetzlow erhalten hatte,25 welches angeblich aufgrund wissenschaftlicher Unzulänglichkeit sowohl vom Amt Rosenberg26 als auch vom Sicherheitsdienst des Reichsführers ss abgelehnt27 und folglich vom Propagan25

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Karl Revetzlow, Handbuch der Romfrage, Beuern 1935. Zu Revetzlows Beweggründen, die im Wesentlichen mit denjenigen von Rosenberg kongruieren, siehe das „Vorwort“, S. 5–7, in dem die Geschichte der Deutschen „als politischen Kampf mit dem geistlichen Rom“ bezeichnet wird, weshalb dieses Handbuch berufen sei, „ein Lehr- und Wehrbuch“ zu werden, das „das römische Wesen in seiner ganzen Breite sichtbar und deutlich“ machen sollte (ebd., S. 6). Nebenbei ist auch zu erwähnen, dass dieses Handbuch weder einen Eintrag zu Meister Eckhart noch einen zur (deutschen) Mystik enthält. Siehe die Begutachtung des Werkes durch den Referenten der Schrifttumsstelle im Amt Rosenberg (Abschrift, ohne Datumsangaben, Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch ns 58/5915, Bl. 282f.), die unter den „Mängel[n] und Schwäche[n] der vorliegenden Arbeit“ v.a. Revetzlows „wissenschaftlich unhaltbare Methode“ aufzeigt (nicht zuletzt wegen deren „Verzicht auf schlagkräftiges Material“), so dass ihr im Grunde genommen das für ein sog. Handbuch der Romfrage geforderte „Kampfformat“ fehlt. Deshalb „muss die Arbeit […] entschieden abgelehnt werden“. Eine inhaltlich sehr ähnliche Buchbesprechung mit der schonungslosen Überschrift „Ein unbrauchbares Handbuch“ wurde auch in den von Rosenberg als „Zentrale politische und kulturelle Zeitschrift der nsdap“ herausgegebenen Nationalsozialistischen Monatsheften publiziert (Heft 68 vom November 1936 in der Rubrik „Kritik der Zeit“, S. 76f. [1036f.]), mit folgendem Urteil: „Auswahl und Zusammenstellung lassen […] ein fast völliges Fehlen kritischer Sichtung erkennen. […] Ebenso oberflächlich und wenig stichhaltig ist die Wiedergabe historischer Tatsachen. […] Zusammenfassend sei gesagt: Der Veröffentlichung von Revetzlow fehlen die wissenschaftlichen Voraussetzungen, die für ein Handbuch unerlässlich sind.“ Es ist allerdings eine kleine Ironie dieser Geschichte, dass später in einem weiteren, ebenfalls von Rosenberg herausgegebenen publizistischen Organ der nsdap, nämlich im Völkischen Beobachter, dem „Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands“, diesmal eine gegenteilige Meinung zum Ausdruck kam, indem Revetzlows Handbuch dort als eine Sammlung „geschichtlich und wissenschaftlich absolut unanfechtbarer Angaben über Geschichte und Wesen der Romfrage“ bezeichnet wurde; und genau unter Berufung darauf empfahl die Nationalsozialistische Beamten-Zeitung vom 17. Januar 1937 dieses Handbuch und schrieb u. a., dass es dem Deutschen im Dritten Reich unentbehrlich sei (zitiert nach den Kölner Aktenstücke[n] zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland 1933–1945, im Auftrage gesammelt und hg. von Dr. Wilhelm Corsten, Köln 1949, Nr. 141, S. 172). Die katholische Front konnte damals nicht umhin, über diese Widersprüchlichkeit zu berichten; siehe z. B. den Artikel „Rosenberg gegen Rosenberg“, in: Der deutsche Weg für Wahrheit, Freiheit, Recht – Katholisches Wochenblatt gegen Irrtümer der Zeit und für christliche Lebenserneuerung, 4. Jahr, Nr. 16 vom Sonntag, dem 25. April 1937, der fast sarkastisch mit folgender offenen Frage abschließt: „Welcher Rosenberg hat nun recht?“. Siehe die zwei unterschiedlichen Stellungnahmen der für die Überwachung der christlichen Kirchen zuständigen Abteilung des Sicherheitsdienstes des rfss (ii 113), die in der Sachakte „Handbuch zur Romfrage“ aufbewahrt worden sind (Bundesarchiv, BerlinLichterfelde, Signatur: BArch ns 58/5915). Die erste (Bl. 276–278), datiert auf den 23. Mai 1936, stellt fest, „dass in dem Handbuch vielfach veraltete bzw. unwissenschaftliche Literatur verwendet wird“ und es deshalb „so viele Unrichtigkeiten enthält“, dass dessen Ver-

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daministerium auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt worden war.28 Doch der eigentliche, allerdings uneingestandene Grund für diese übertriebene Maßnahme war zweifelsohne der von Rosenberg mittlerweile gehegte Plan, selbst ein Handbuch der Romfrage herauszugeben, das diesmal aber diesen Titel verdienen sollte, d.h. das „erste Werk umfassender und gegliederter Schau über die von Rom beeinflußte religionspolitische Entwicklung Europas“.29 Zu diesem Zweck wurde eine Arbeitsgemeinschaft von

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wendung „bei Auskunfterteilung an Partei- und Staatsstellen“ zur Beeinträchtigung des Ansehens des Sicherheitsdienstes führen konnte. Am Ende wurde Hugo Koch, ehemaliger Theologieprofessor und mittlerweile Rosenbergs Mitarbeiter (u.a. für das HdRf [siehe dazu unten, Anm. 30]), zitiert, dem zufolge „man […] über dieses völlig unmögliche Buch nur den Kopf schütteln [könne]“. Die zweite, vom ss-Unterscharführer und ehemaligen katholischen Priester Hans Schick unterschriebene, diesmal aber nicht datierte Stellungnahme (Bl. 284–286) zieht ihrerseits die zusammenfassende Schlussfolgerung, „dass das Handbuch von Revetzlow ein zwar gutgemeinter, aber völlig misslungener Versuch ist, dem politischen Katholizismus mit einer scharfen Waffe entgegenzutreten. Das Buch wird weder dem Wollen des Verfassers, noch dem Bedürfnis des neuen Deutschland, noch endlich dem Ernst und der Wichtigkeit der Auseinandersetzung gerecht. Wenn es auch im Einzelnen manche Aufklärung gibt, so wird es im grossen Kampf mit dem weltanschaulichen Gegner doch eher schaden als nützen. Es ist eine stumpfe Waffe, mit der [sich] zwar verletzen, aber nicht unschädlich machen lässt. Das Handbuch muss deswegen für die Benutzung des Sicherheitsdienstes abgelehnt werden. Es kann höchstens als warnendes Beispiel dienen, wie es bei der Abfassung eines durchaus notwendigen Werkes zur Romfrage nicht gemacht werden darf“. Zusammenstellungen für die Zeit vom 10. Juni–14. Okt. 1936 (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: BArch R 56-V/71, Bl. 77–99). Siehe dazu auch die Aktennotiz vom ssUnterscharführer Schick zu dessen Benachrichtigung über die Aufnahme des Handbuches von Revetzlow in jene (Verbots-)Liste seitens des Amtes Rosenberg am 6. Oktober 1936 (Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: ns 58/5915, Bl. 287). Diese Zensur hatte u. a. zur Folge, dass etwa 355 Exemplare von Revetzlows Handbuch durch die Gestapostelle Tübingen im Auftrag der Stuttgarter Leitstelle beschlagnahmt wurden (Brief des Sicherheitsdienst rfss – Oberabschnitt Süd-West an das Sicherheitshauptamt rfss vom 13. Januar 1937 [Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: ns 58/5915, Bl. 291]). Rosenberg, „Vorwort“, in: HdRf (1940) [Anm. 3], S. vii. Rosenberg verstand aber dieses Werk irgendwie als ein work in progress, das „weiter gebaut, immer mehr vervollständig werden [sollte]“, weshalb er sich hier schon im Voraus „für Hinweise auf neue Gesichtspunkte“ dankbar zeigte (ebd.). „Das Werk“, so Reinhard Bollmus, „ist typisch für die Auffassung von ‚Wissenschaft‘ im Amte Rosenberg: Zwar ist es sorgfältiger und sauberer in den Einzelbelegen, als alles, was der Reichsleiter selbst geschrieben hat, aber tendenziös und voller absurder Behauptungen“ (Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im National-sozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970, Anm. 50, S. 258). Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch Raimund Baumgärtner, Weltanschauungskampf im Dritten Reich. Die Auseinandersetzung der Kirchen mit Alfred Rosenberg, Mainz 1977 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 22), S. 85f.: „In der äußeren Aufmachung, nicht zuletzt im Aufbieten von mehr als 800 Seiten allein

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„zahlreichen Forschern und Männern des politischen Lebens“ gebildet,30 die Rosenbergs Referenten für Kirchenpolitik und Volkskunde, Matthes Ziegler, unterstanden,31 der als Redaktionsleiter des HdRf das Verfassen der Einleitung

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für die Buchstaben A–K, mit Querverweisen, Abkürzungen und systematischer Gliederung, entspricht es den fachwissenschaftlichen Nachschlagewerken. Das die Behandlung der Stichwörter stets anführende ethymologische und statistische Material verstärkt auch optisch den Eindruck der Wissenschaftlichkeit und verhindert ein zu krasses Hervortreten der weltanschaulich-politischen Tendenz.“ Baumgärtner zufolge handelt es sich also um „ein nach dem Rosenbergschen weltanschaulich-wissenschaftlichen Ideal ausgereiftes Werk“, das durch eine „vorsichtige Mischung von neutraler Information mit negativer Wertung“ entstanden ist. Für Wolfgang Dierker gehört das HdRf zum „Typus ‚weltanschaulicher Aufklärung‘, die in Wahrheit neue, feindbildbestimmte Deutungszusammenhänge konstruierte“, und stellt somit „ein sachlich gestaltetes, tatsächlich aber durchgängig ideologisch belehrendes Nachschlagewerk“ dar (Himmlers Glaubenskrieger: Der Sicherheitsdienst der ss und seine Religionspolitik 1933–1941, Paderborn u.a., 2002 [Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 92], S. 225). Rosenberg, „Vorwort“, in: HdRf (1940) [Anm. 3], S. vii. Auf dem Titelblatt steht „Unter der Mitwirkung einer Arbeitsgemeinschaft von Forschern und Politikern“. Damit gemeint war die sog. „Forschungsgemeinschaft für die Romfrage“, welche die Frage der „weltpolitische[n] historische[n] Bedeutung“ des „ganze[n] konfessionelle[n] Problem[s]“ nachgehen sollte, „die im Amt Weltanschauliche Information der Dienststelle Rosenberg geleistet [wurde]“. Und „[a]ls erstes Ergebnis“ war also „ein dreibändiges Handbuch der Romfrage, das zunächst einmal die gesamten Probleme umreisst“, vorgesehen („Die vorläufigen Aufgaben der Forschungs-Institute der Hohen Schule“, Entwurf vom 1. Juli 1940, Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: ns 15/334, 24 S., hier S. 22f.). Zu Beginn, d.h. – je nach Angaben in Rosenbergs früheren Denkschriften – zwischen Mitte 1936 und Anfang 1937, beschränkte sich die Mitarbeiterzahl auf 12 bzw. 15 ausgesuchte Forscher und Gelehrte; siehe dazu „Die Hohe Schule der nsdap und ihre Aufgaben“ (1937) [Anm. 11], S. 9; „Denkschrift über die ersten Vorbereitungen für die Hohe Schule“ (1938) [Anm. 19], S. 5; „Denkschrift über die Aufgaben der Hohen Schule“ (1938) [Anm. 14], S. 12. Baumgärtner zufolge gehörten „zum Kern des romkundigen Mitarbeiterstabes“ ehemalige katholische Geistliche und daher „Renegaten“, wie der ss-Sturmbannführer Albert Hartl, der Ministerialdirigent im Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten Joseph Roth oder auch der Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht an der Theologische Fakultät der staatlichen Akademie in Braunsberg Hugo Koch, der hier als „Hauptmitarbeiter“ am HdRf bezeichnet wird (Weltanschauungskampf im Dritten Reich [1977] [Anm. 29], S. 39 u. 85 sowie Anm. 123, S. 72). Brückner zufolge war für Ziegler die Redaktionsleitung des HdRf „von nun an sein Hauptaugenmerk, denn er verstand sich jetzt vor allem als ‚Religionswissenschaftler‘ (genauer: für christliche Konfessionsgeschichte)“ (Das Jahr 1938 in der deutschsprachigen Volkskunde [2020] [Anm. 24], S. 23). „Mit der Geschäftsführung dieser Enzyklopädie“, so stellte Ziegler selbst im Nachhinein klar, „verband sich der Aufbau eines Archivs zur Geistesgeschichte und zur weltanschaulichen Entwicklung. Dieses Archiv wiederum wurde die Basis und das Bindeglied für die Zusammenfassung meiner verschiedenen Tätigkeitsfelder im ‚Amt für weltanschauliche Information‘“ (zitiert nach ebd., S. 157). Zu Zieglers Aufgaben und Tätigkeiten im Amt Rosenberg siehe u. a. Hannjost Lixfeld, „Matthes Ziegler und die Erzählforschung des Amts Rosenberg. Ein Beitrag zur Ideologie der nationalsozialistischen Volkskunde“, in: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 26 (1985/86), S. 37–59; ders.,

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über die „Aufgaben des Handbuches“ übernommen und sie übrigens auch „im Namen der Mitarbeiter“ unterzeichnet hatte.32 Vor diesem Hintergrund stellt sich nunmehr die Frage, welcher Stellenwert dem Eintrag „Eckhart“ im HdRf eingeräumt wurde. Diesbezüglich liefert Zieglers Einleitung wesentliche Auskünfte. Dort finden wir nicht nur erneute Klarstellungen zur ns-ideologischen und antikatholischen Veranlassung dieses Handbuches (u.a. im Namen „der souveränen Eigenständigkeit des Volkstums und [demnach] der Wertigkeit des Bluterbes“)33 sowie die Vorgehensweise bei der Ausarbeitung jedes Eintrags (nach dem Motto „so wissenschaftlich als nötig und so allgemein verständlich als möglich“),34 sondern wir erfahren auch aus erster Hand, dass bei der Thematisierung der „niemals unterbrochene[n] Linie germanisch-deutscher Frömmigkeit, […] {die in Meister Eckhart ihren Höhepunkt erreicht hat}[,]35 Meister Eckehart führt dann in den Bereich der deutschen Geistesgeschichte“.36 So lässt sich der Eintrag „Eckhart“, welcher sich über 14 Seiten bzw. 27 Spalten erstreckt und dadurch einer der längsten dieses Bandes ist, als „Rahmenartikel“ kennzeichnen, der „durch eine Vielzahl von Verweisen [den] Schlüssel zu den eigentlich tragenden Aufsätzen [bildet], an sich die jeweils wiederum zahlreiche Sach- und Worterklä-

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„Die weltanschauliche Volkskunde des Amts Rosenberg und ihr Wissenschaftstheoretiker Matthes Ziegler“, in: Völkische Wissenschaft. Gestalten und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hg. von Wolfgang Jacobeit, Hannjost Lixfeld und Olaf Bockhorn in Zusammenarbeit mit James R. Dow, Wien/Köln/Weimar 1994, S. 192–205; Peter Genath, „Matthes Ziegler und das Amt Rosenberg“, in: KulTour – Mitteilungen des Volkskundlichen Seminars der Universität Bonn 10 (1999), Heft 2, S. 5–35. Matthes Ziegler, „Die Aufgaben des Handbuches“, in: HdRf (1940) [Anm. 3], S. viii–xi. Ziegler, „Die Aufgaben des Handbuches“ (1940) [Anm. 32], S. viii. Daraus folgt: „All diese Beobachtungen und Feststellungen haben die Schaffung eines umfassend angelegten Nachschlagewerkes notwendig erscheinen lassen, das sachlich und zuverlässig vom Boden des rassischen Denkens aus über Wesen, Werden und Wollen der römischen Weltkirche unterrichtet.“ Ziegler, „Die Aufgaben des Handbuches“ (1940) [Anm. 32], S. ix. „Das Nachschlagewerk mußte in systematischer Breite und historischer Tiefe Auskunft geben können über alle wesentlichen, das Verhältnis von Deutschland und Romkirche betreffenden Fragen. Es hatte diese Auskunft aber zugleich in einer für jedermann verständlichen Form zu erteilen, ohne sich in Sonderfragen der Forschung zu verlieren, ohne aber auch die gebotene wissenschaftliche Sorgfalt und Zuverlässigkeit außer Acht zu lassen“ (ebd.). Es handelt sich hier um einen von Rosenberg gestrichenen Zusatz aus einer früheren Fassung bzw. aus Zieglers Entwurf dieser Einleitung (Schreibmaschinenmanuskripte mit handschriftlichen Korrekturen von Alfred Rosenberg, Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde, Signatur: ns 15/636, 10 S., S. 7). Ziegler, „Die Aufgaben des Handbuches“ (1940) [Anm. 32], S. x.

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rungen größeren und kleineren Umfanges anschließen“.37 In der Tat enthält dieser Artikel nicht weniger als 31, durch Pfeilzeichen (↗) angezeigte Verweise auf andere Einträge, von denen einige Überschriften bereits viel über die im HdRf propagierte Deutung der Lehre Meister Eckharts aussagen (wie „Germanische Religion“, „Mythus“ oder „Pantheismus“).38 Umgekehrt zeigt sich allerdings auch die Bedeutung des Eintrags „Eckhart“ durch die Verweise darauf im ersten Band, die z.T. ebenso aussagekräftige Ausführungen ans Licht bringen.39 Schon durch seinen Aufbau fällt dieser Eintrag auf und unterscheidet sich damit von einem herkömmlichen personenbezogenen Lexikoneintrag,40 in-

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Ziegler, „Die Aufgaben des Handbuches“ (1940) [Anm. 32], S. xi. Die weiteren Verweise sind: „Accidenz“, „Allegorie“, „Analogia entis“, „Antike“, „Augustin“, „Avignon“, „Dionysius Areopagita“, „Duns Scotus“, „Gothik“ [fehlend im Band i!], „Gott“, „Häresie“, „Historismus“, „Inquisition“, „Johannesevangelium“, „Kanon“, „Logos“, „Mystik“, „Neuplatonismus“, „Offenbarung“, „Ontologie“, „Origenes“, „Scholastik“, „Symbol“, „Tauler“, „Theismus“, „Theophanismus“, „Thomas von Aquin“, „Vulgata“. Siehe z. B. in den Artikeln „Epiphanie“ (HdRf [1940] [Anm. 3], S. 370[B]: „Der für das Ariertum kennzeichnende und besonders in […] der deutschen ↗ Mystik, und hier besonders bei Meister ↗ Eckhart, eindeutig bezeugte Gedanke, es gäbe gar nicht eine Schöpfung aus dem Nichts, […] stellt den eigentlichen Gehalt der Idee von der E[piphanie] dar.“), „Gewissen“ (ebd., S. 520[B]: „Eine Sonderstellung nimmt ↗ Eckhart ein, der – ganz unkirchlich – die Seele und die ihr eingeborene Mächtigkeit zum Maßstab aller Dinge macht.“), „Gott“ (ebd., S. 540[B]–1[A]: „[…] Infolgedessen ist der höchste Begriff in der arischen Welt gar nicht der Begriff G[ott], sondern vielmehr der Begriff Gottheit. Das ist so […] in der germanisch-deutschen Welt, wo das Schicksal in seinem besonderen Wesen wie bei den alten Germanen oder die Gottheit der Seele wie in der deutschen Mystik und besonders bei ↗ Meister Eckhart die entscheidende Rolle spielt.“) und „Kultus“ (ebd., S. 825[B]–6[A]: „Der ‚Heilige‘ ist hier aber eben der arbeitende Mensch, der als Bauer, Staatsmann, Forscher, Künstler usw. das Leben selbst gestaltet und weiterträgt. Trotz weitreichender Überfremdungen bricht dieses Weltverständnis mit großer Kraft im ↗ Mittelalter vor allem bei ↗ Eckhart durch, für den Gott im Mittelpunkt des Menschen lebt, eine im inneren Zusammenhange mit der arischen Religionsauffassung stehende Erkenntnis, die Meister Eckhart nicht zufällig auf den Gedanken gebracht hat, der kultischen Seite der Religion wohne keine besondere Bedeutung und Notwendigkeit inne.“). Siehe auch einige der Erwähnungen von Eckhart ohne Verweis, z. B. im Artikel „Dominikanerorden“ (ebd., S. 314[A]: „Daß es innerhald des D[ominikanerorden]s auch eine deutsche Mystik gegeben hat, aus der ein Meister Eckehart hervorgegangen, ist richtig. Aber ebenso richtig ist, daß alles, was an dieser Mystik echt dominikanisch war, nicht deutsch gewesen, und alles, was an dieser Mystik deutsch war, nicht dominikanisch gewesen ist, wie gerade das Beispiel Eckehart zeigt, den man als Ketzer gebrandmarkt hat.“). Siehe z. B. die recht klassische Dreigliederung des von Michael Schmaus verfassten ‚gegnerischen‘ Artikels im o.g. Lexikon für Theologie und Kirche [Anm. 18], Bd. iii, Freiburg i.B. 1931, Sp. 527–530: „Eckehart, ‚Meister E.‘, op, der größte Vertreter der spekulativen Deutschen Mystik des ma. i. Leben. […] ii. Lehre. […] iii. Werke. […].“

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dem die üblicherweise grundlegende biografische Dimension stark in den Hintergrund rückt bzw. vernachlässigt wird, und zwar zugunsten einer stets für Rosenbergs Auffassung parteiergreifende Darstellung des zeitgenössischen „Eckhartstreites“ als „Streit[es] […] um die große Frage nach Ursprung, Wesen und Eigenart der die deutsche Geistes- und Glaubensgeschichte bewegenden Kräfte“ (Teil i und v.a. roter Faden für den gesamten Artikel, was die „kulturkämpferische Anti-Rom-Haltung“41 des Handbuches gut widerspiegelt).42 Untermauert wird dies mit einem Zerrbild des „Zeitalters Eckharts“ als „Zeit […] des Kampf[es von Menschen nordischer Prägung] um die Eroberung des von der politisch gewordenen Kirche stiefmütterlich behandelten Reiches der germanisch-deutschen Seele“ (Teil ii).43 Darauf folgt eine Schilderung des „Eckhartbildes in Geschichte und Gegenwart“ in Form eines eingehenden Berichts über die verschiedenen Deutungen seit der späten deutschen Romantik (Teil iii),44 um im Anschluss daran gleichermaßen die „Abhängigkeiten und [die] Eigenart Eckharts“ bzw. seiner deutschen Mystik mit ihrem angeblich ausgeprägten „nordischen Zug“ hervorzuheben, welche „nur im besonderen Sinne des Wortes ‚Religion‘“ sei (Teil iv).45 Erst danach wurde endlich – d. h. fünf Spalten vor Ende des Artikels – ein quantitativ bescheidener, qualitativ unzureichender Abschnitt über „Meister Eckharts Leben und Werk“ hinzugefügt (Teil v).46 Zuletzt kommt noch als Schlusspamphlet eine „Gesamtwürdigung“

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Losemann, Nationalsozialismus und Antike, (1977) [Anm. 24], S. 22. Art. „Eckhart (Meister Eckhart)“ (1940) [Anm. 4], S. 328[A–B], hier S. 328[B]. Daher lautete die diesem Streit zugrunde liegende Frage wie folgt: „Gehört E[ckhart] der Kirche oder gehört er dem germanisch-deutschen Wesen und damit nicht der Kirchen-, sondern der germanisch-deutschen Glaubensgeschichte?“ (ebd.). Art. „Eckhart (Meister Eckhart)“ (1940) [Anm. 4], S. 328[B]–9[A], hier S. 329[A]. Art. „Eckhart (Meister Eckhart)“ (1940) [Anm. 4], S. 329[A]–33[B]. Art. „Eckhart (Meister Eckhart)“ (1940) [Anm. 4], S. 333[B]–8[B], hier S. 334[A–B]. Dabei erhielt nicht nur Rosenberg Lob für seine angeblich „geschichtsphilosophische Methode“ (S. 337[B]–8[B]), sondern auch Hermann Schwarz als „ein so eigenständiger und sorgsamer Gelehrter […], der […] eine Reihe Erkenntnisse zur E[ckhart]-forschung beigesteuert hat“ (S. 336[B]). Art. „Eckhart (Meister Eckhart)“ (1940) [Anm. 4], S. 338[B]–40[B]. Bei den Ausführungen zu den deutschen Werken Meister Eckharts soll an dieser Stelle folgende kritische Bemerkung hervorgehoben werden: „Auch in der Ausgabe der Deutschen Forschungsgemeinschaft“, die von Rosenberg selbst ausdrücklich gefordert und unterstützt wurde (siehe dazu das „Vorwort“ zu diesem Band, S. X u. Anm. 12), „ist dem Einfluß des E[ckhart]bildes, das der katholische Herausgeber Quint hat, reichlich Raum gelassen.“ Diese Ausgabe dürfte allerdings v.a. dazu dienen, „Büttners E[ckhart]ausgabe zu revidieren und auf den gegenwärtigen Stand der philologischen E[ckhart]-forschung zu bringen, um so auch breiteren Kreisen des deutschen Volkes E[ckhart]s Werk zu vermitteln“ (S. 340[A]; siehe dazu den Beitrag von Maxime Mauriège in diesem Band, S. 101f., Anm. 9).

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der germanisch-deutschen Seele Eckharts angesichts ihrer Tradierung „in der völkischen Welt- und Lebensanschauung des Nationalsozialismus“ (Teil vi).47 Aufgrund seines besonderen Entstehungskontexts und seiner ‚parteilichen‘, auf ein ganzes Jahrzehnt zurückschauenden Darstellung der EckhartRezeption im Nationalsozialismus – d.h. seit dem Erscheinen der ersten Auflage von Rosenbergs Mythus des 20. Jahrhunderts48 – erweist sich der in das HdRf einbezogene Eintrag „Eckhart“, dessen Autor leider nicht namentlich genannt wird (wie es in diesem Handbuch allgemein üblich ist),49 als ein zu diesem Thema wohl bedeutsames und daher forschungsgeschichtlich relevantes Dokument. Daher erschien es uns zweckdienlich, es am Ende des vorliegenden Bandes als Faksimile nachdrucken zu lassen, damit es in der einschlägigen Eckhart-Forschung künftig eine größere Beachtung findet, als ihm bisher zuteilgeworden ist.

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Art. „Eckhart (Meister Eckhart)“ (1940) [Anm. 4], S. 340[B]–1[A], hier S. 340[B]. Siehe oben, Anm. 1. Anstatt fruchtlos darüber zu spekulieren, wer der Verfasser des Eintrags „Eckhart“ im HdRf war (Rosenberg selbst, eher Matthes Ziegler, oder einer der katholischen „Renegaten“ aus dem Kern seines Mitarbeiterstabes [siehe dazu oben, Anm. 30]), beschränken wir uns an dieser Stelle lieber auf das, was wir aus sicheren Quellen ermitteln können bzw. auf die Frage, wer es unter den potenziellen Kandidaten nicht gewesen sein konnte, und zwar jemand aus der auf S. 330[A] erwähnten „E[ckhart]-Kommission“ zur Herausgabe sämtlicher Schriften des Dominikanermeisters, die damals von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gegründet wurde und unter deren Schirmherrschaft stand (siehe dazu das „Vorwort“ zu diesem Band, S. IX f. u. Anm. 9 bzw. 12, sowie den Beitrag von Maxime Mauriège in diesem Band, S. 121, Anm. 84). Denn zum einen wurden im Eckhart-Artikel des HdRf die Forschungsergebnisse sowohl des Vorsitzenden dieser Kommission Erich Seeberg (S. 336[A]) als auch der jeweiligen Leiter der lateinischen und deutschen Werke, nämlich Josef Koch (S. 334[A–B]) und Joseph Quint (siehe dazu oben, Anm. 46) eben in Frage gestellt, ja sogar das, was Kochs Studie über Eckharts geistesgeschichtliche Beziehung zu Maimonides und der jüdischen Religionsphilosophie darlegt, heftig bemängelt: „[…] Weil J[osef] Koch den Forderungen eines überholten ↗ Historismus nachgibt, darum ist er außerstande, die Frage nach E[ckhart]s Eigenart in aller Schärfe grundsätzlich zu stellen“ (S. 334[B]). Zum anderen wissen wir auch anhand von Archivmaterialien, dass gegen Ende 1937 das Amt Rosenberg eine Beteiligung Seebergs und seines Schülerkreises (also u. a. von Konrad Weiss, einem der Mitherausgeber der lateinischen Werke Meister Eckharts) am HdRf ablehnte, obwohl von ihnen bereits Beitragsmanuskripte eingereicht wurden, welche aber nach Zieglers Meinung „zu stoffbezogen [seien] und […] auf tiefere weltanschauliche Durchdringung [verzichteten]“ (Kurt Meier, Die Theologischen Fakultäten im Dritten Reich, Berlin/New York 1996, hier S. 343 f. [innerhalb des Kap. „12. Fakultätspolitische Ambitionen des SeebergKreises“]).

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Namenverzeichnis Abbetmeyer, Theodor 141–143 Abulafia, Abraham 77 Ackermann, Konrad 151 Adorno, Theodor Wiesengrund 80 Albert, Karl xii Albert der Große 12 f., 16 f., 208 [328B] Albertus Magnus siehe Albert der Große Alexander von Hales 64 Alles, Gregory D. 27f. Amm, Bettina 81 Angelus Silesius siehe Scheffler, Johannes Altenhofer, Norbert 70 Aristoteles 63 Augustinus von Hippo 63, 115, 126, 132, 203, 213 f. [333A, 334B] Avencebrol siehe Ibn Gabirol, Salomon ben Jehudah Averroes 17, 118, 126 Avicenna 17, 118, 126 Baader, Franz von 3, 15, 209 [329A] Baal Schem Tov siehe Rabbi Israel ben Elieser Bach, Joseph 6 f., 76 Bacon, Roger 12, 183 Barad, Karen 94 Bäumler, Alfred 81, 177 Baeza, Ricardo xix, 147, 164–191 Bahn, Peter 108 Baier, Karl 79 Barbian, Jan-Pieter 130 Barth, Hans 120 Baumann, Max 159 Baumann, Schaul 26, 136 Baumgärtner, Raimund 200 f. Becker, Oskar Joachim 20 Ben Maimon, Mosche xix, 17, 62–64, 76 f., 117–119, 126, 132, 143, 153, 205, 213 f. [333B–334B] Benjamin, Walter 80 Benz, Ernst xiv, 53 f., 137, 153, 156, 220 [340A] Berger, Friedrich 51 Bergér, Wilhelm 119, 124 Berglund, Gisela 106, 129

Bergmann, Ernst 39, 99, 108–110, 112, 120f., 134, 138, 162, 209 [329B] Bernhard von Clairvaux 2 Bialas, Wolfgang 79 Bismarck, Otto von 125 Bitter, Stephan 157 Bloch, Ernst 89 Böhme, Jakob 3f., 8, 14–17, 19, 66, 70, 103, 209 [329A] Bollmus, Reinhard 197, 200 Bombast von Hohenheim, Philippus Theophrastus Aureolus 22 Bonhoeffer, Dietrich 86 Bornkamm, Heinrich 38–40, 44, 48, 51, 125, 134, 138, 209 [329A], 210 [330A], 216 [336B] Bracken, Ernst von 86 Brentano, Clemens Wenzeslaus 22 Brosseder, Johannes 116 Brucker, Jacob 65 Brückner, Wolfgang 198, 201 Brunner, Constantin xix, 67, 71f., 77 Bruno, Giordano 51 Buber, Martin Mordechai 36, 65–67, 70–77 Buchberger, Michael 196 Bürke, Georg 5f. Büttner, Herman 9, 28, 32, 35, 38, 40f., 71, 75, 84, 86, 100–102, 204, 209 [329B], 213 [333B] Calvin, Jean 115 Cassirer, Ernst xix, 65f., 73, 76 Chamberlain, Houston Stewart 133 Christ, Karl 220 [340A] Cohen, Hermann 66 Comte, Auguste 22 Crooke, William Morris xvi, 4 Cusanus, Nicolaus siehe Nikolaus von Kues Dallmann, Mechthild 39, 209 [329B] Daniels, Augustinus 209 [329B] Danneberg, Lutz 121, 156 Dante Alighieri 101, 115 Day, Uwe 129 Degenhardt, Ingeborg viif., x f., xiii, 3, 75, 102, 106, 110, 112, 125, 160

224 Dempf, Alois 149–151, 209–211 [329B, 330B, 331B], 213 [333B], 217 [337A] Denifle, Heinrich Suso 64, 102, 209 [329B], 210–212 [330B–332B], 214 [334A], 216 f. [336B, 337B], 219 [339B] Descartes, René 18, 20, 22, 67 Deutsche Forschungsgemeinschaft (dfg, ehemals Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft) ix, 53, 55–60, 210 [330A], 220 [340A] Dewey, John 89, 94 Di Segni, Diana 77 Dierker, Wolfgang 201 Dierks, Margarete 30, 36, 50 Dietrich von Freiberg 218 [338B] Dilthey, Wilhelm 10 f. Dionysius Areopagita 32, 69, 87, 126, 203, 213 f. [333B, 334B] Dörries, Hermann 118, 124 Duns Scotus, Johannes 64, 83, 203, 213 [333B], 219 [339A] Ebach, Jürgen 99 f. Elert, Werner 11 Eriugena, Johannes Scotus 12, 41, 44, 48, 51 Evola, Julius 181–183 Faust, August 12, 14–16, 18 f., 22 Fichte, Johann Gottlieb 8, 14, 31, 82f., 85, 88, 103, 140, 216 [336B] Fischer, Bernd 9 Fischer, Gottfried 3 Flasch, Kurt 68 Frederking, Volker xiii Freud, Sigmund 80 Friedrich ii. (König von Preußen) 42 Friedrich der Große siehe Friedrich ii. (König von Preußen) Frins, Alexander 149 f. Fritsche, Johannes 169, 172 Fromm, Erich xiii Fues, Wolfram Malte vii Galileo Galilei 183 Gander, Hans-Helmuth 164 Garbe, Richard 25 Geiger, Abraham 64 Genath, Peter 202 Getzeny, Heinrich, 100

namenverzeichnis Geyer, Bernhard 57, 220 [340A] Giesecke, Hans 104, 163 Gilbert, Margaret 89 Goethe, Johann Wolfgang von 30f., 121, 140, 216 [336A–B], 218 [338B] Görres, Joseph 5 Gotto, Klaus 145, 147 Grabert, Herbert 40f. Grabmann, Martin 209 [329B] Graef, Hilda Charlotte xi–xiii Grebe, Wilhelm 18 Grisebach, Eduard 89, 94 Grondin, Jean 164 Gross, Raphael 79 Grundmann, Herbert 53f., 56 Grunsky, Hans Alfred xviii, 12–14, 17, 20–22 Guttmann, Jakob 64, 213 [333B] Haas, Alois Maria viif., xii Haering, Theodor 13, 17 Hagemeyer, Hans 130 Halfmann, Horst 106 Hamberger, Julius 15 Hardenberg, Georg Philipp Friedrich von 70, 78 Hartl, Albert 201 Hartmann, Nicolai 88 Hauck, Albert 209 [329B], 212 [332A], 216 [336A–B] Hauer, Jakob Wilhelm xviii, 25–52, 82, 120, 138f., 147f., 162, 209 [329B] Hausmann, Frank-Rutger 12, 14, 20 Hebenstreit, K. 151 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 2f., 6, 11, 14, 83, 140, 209 [329A] Heidegger, Elfriede 178 Heidegger, Martin xix, 13, 21–24, 79, 83, 85, 89, 94, 146f., 164–191, 217 [337B] Heidrich, Peter 65 Helfferich, Adolf 2 Henning, Christoph xiv, xix, 79–97, 103 Heraklit von Ephesos 179, 183 Herrmann, Friedrich-Wilhelm von 165 Hernández, Julio 184 Hessen, Johannes 108 Heydrich, Reinhard 26 Heyck, Hartmut 81 Hielscher, Friedrich 209 [329B] Hildegard von Bingen xv

namenverzeichnis Himmler, Heinrich 26, 41, 43 Hinz, Thorsten 68 f. Hitler, Adolf 20, 43, 56, 81 f., 84f., 92, 95, 125, 139, 143, 157, 169, 195 Hjelde, Oddmund xiii Hobbes, Thomas 18 Hoffmann, Ernst 56f. Hofmann, Hugo Laurenz August 73 Hofmannsthal, Hugo von siehe Hofmann, Hugo Laurenz August Hölderlin, Johann Christian Friedrich 23, 30, 78, 172 f., 179, 183, 216 [336B] Holl, Karl 125, 215 [335A] Husserl, Edmund 13, 20–23, 80, 94, 170 Ibn Gabirol, Salomon ben Jehudah 117f., 143, 214 [334A] Indra 46 Jamblichos von Chalkis 117 Jaspers, Karl Theodor 23f. Jehova 175f. Jesaja (Prophet) 78 Jesus Christus xv, 30, 34, 42 f., 72, 84, 115, 117, 147, 149, 177, 213 f. [333A, 334A], 216 [336A] Joel, Manuel 64 Johannes xxii. (Papst) xvi, 4, 123, 208 [328A], 212 [332B], 214 [334A], 219 [339A–B] Johannes vom Kreuz 2 Jundt, Auguste 9 Jung, Carl Gustav 36, 48 Junginger, Horst 25–27, 29 f., 36, 38, 40 f., 43, 48, 138 Kaiser, Gerhard 53 Kant, Immanuel 4, 7, 19, 36, 70, 79, 83, 88, 94, 103, 140, 218 [338B] Karrer, Otto 103, 147, 149, 151–153, 155, 163, 209 [329B], 210 f. [330B–331B], 215 [335A], 217 [337A], 219 [339A–B] Katenhusen, Ines 141 Kaufmann, Friedrich Wilhelm 59 Kaufmann, Thomas 157 Kiesewetter, Hubert 79 Kilcher, Andreas Benjamin 65 Kindt, Karl xix, 106–163 Klibansky, Raymond xix, 55–66, 76 f., 134,

225 155, 157, 209 [329B] Kluxen, Wolfgang 65, 77 Koch, Hugo 200f. Koch, Josef 57f., 63f., 66, 77, 117, 119, 121f., 132, 149, 153–155, 205, 209 [329B], 213f. [333B–334A], 220 [340A] Kohler, George Yaakov 64 Konitzer, Werner 79 Kopij-Weiß, Marta 13 Kremers, Hermann 105 Krieck, Ernst 81 Kropotkin, Pjotr Alexejewitsch 70 Kubota, Hiroshi 26 Kudnig, Fritz 39, 138–141 Kurland, Samuel 59 Landauer, Gustav xix, 67–72, 75, 77, 86 Langenbach, Christian G. 104 Largier, Niklaus vii–ix, xiif., 33, 35, 37, 75, 102, 106, 157, 163, 192 Lasson, Adolf 6–8, 73, 76, 209f. [329B– 330A] Laube, Reinhard 86 Lehmann, Edvard 216 [336A] Lehmann, Gerhard 82f. Lehmann, Walter 100–102 Leibniz, Gottfried Wilhelm 7, 19 Leutzsch, Martin 107 Liber de causis 213f. [333A, 334B] Libera, Alain de xvii Lichtblau, Klaus 101 Liebeschütz, Hans 65 Lixfeld, Hannjost 201f. Losemann, Volker 198, 204 Lossau, Victor x Löwith, Karl 83, 168f. Löwy, Michael 70, 78 Loyola, Ignatius von 181 Ludendorff, Erich Friedrich Wilhelm 85 Ludendorff, Mathilde 81 Lukács, Georg 70, 80, 85f., 89, 94 Luther, Martin 6, 43, 67, 76, 79, 105, 109– 111, 115f., 123–125, 130, 132f., 139, 141, 156, 160–162, 181, 219 [339B] Lutz, Günther 22f. Mahr, Franz 146 Maimonides, Moses siehe Ben Maimon, Mosche

226 Mandel, Hermann 39, 138, 162, 209 [329B] Mannheim, Karl 86 Manske, Maike 139 Maria (Mutter von → Jesus Christus) 177 Maria von Bethanien (Schwester von → Martha von Bethanien) 216 [336B] Martensen, Hans 2, 8 Martha (Schwester von → Maria von Bethanien) 216 [336B] Mauriège, Maxime vii–xx, 53, 98–163, 192– 205 Mauthner, Fritz xix, 67, 70–72, 75, 77 Mechthild von Magdeburg xv Mecklenburg, Norbert 124 Meier, Kurt 104, 205 Meiner, Felix 55 f., 58–62, 64 Meister-Eckhart-Kommission ix, 121, 208 [328A], 210 [330A] Melzer, Friso 106 Mergenthaler, Christian Julius 43 Metz, Johann Baptist 86 Meyer, Thomas 53 Meyer-Erlach, Wolf 104f. Mojsisch, Burkhard 185 Molitor, Franz Joseph 15 Müntzer, Thomas 86 Munk, Salomon 64 Nanko, Ulrich 26, 29, 40 f., 49 f. Nietzsche, Friedrich 13, 22f., 30, 41 f., 80, 167, 176 f. Nikolaus von Kues 16–18, 23, 51, 56–58, 65 f., 73, 76 Nikolaus von Straßburg 219 [339A] Novalis siehe Hardenberg, Georg Philipp Friedrich von Oltmanns, Käthe 146, 217 [337B] Origenes 203, 214 [334B] Otto, Rudolf 27–29, 37, 48, 209 f. [329B– 330A], 212–214 [332A–333B, 334B], 216 [336A–B] Paletschek, Sylvia 49 Paracelsus siehe Bombast von Hohenheim, Philippus Theophrastus Aureolus Paulus (Apostel) 177 Peters, Barthold 213 [333A] Petrus (Apostel) 177

namenverzeichnis Pfeiffer, Franz 27f., 69, 75, 114, 210 [330A] Philon von Alexandria 117f., 136, 143 Pick, Georg 103f. Piesch, Herma 209–211 [329B, 330B, 331B], 213–215 [333B–334A, 335A], 217f. [337A, 338B] Piper, Ernst 103, 192 Platon 94, 167, 213 [333A] Platz, Hermann 100, 134 Plotin 117, 126 Poewe, Karla 26 Porphyrios 117 Postert, André 104 Powicke, Frederik Maurice 60, 62f. Pseudo-Dionysius siehe Dionysius Areopagita Preger, Wilhelm 7f., 76, 209f. [329B–330A] Proclus 214 [334B] Quero-Sánchez, Andrés xiii, 83 Quint, Josef 33, 57, 68, 114, 121, 204f., 209 [329B], 213 [333B], 220 [340A] Rabbi Israel ben Elieser 73f. Rabbi Nachman 73f. Raschke, Hermann 209 [329B] Reffke, Ernst 65 Regehly, Thomas 70 Renan, Ernst 73 Reventlow, Ernst zu 136 Revetzlow, Karl 199 Richter, Julius 107, 118 Rickert, Heinrich John 13 Ritter, Joachim 17–19 Roesner, Martina vii–xx, 1–24 Roloff, Ilse 108 Rosenberg, Alfred ix–xii, xvf., xviiif., 11– 13, 25, 37f., 46, 48, 60, 68, 71, 75, 81, 85, 99, 102–105, 109, 120, 127, 130, 132f., 136, 139, 151, 153, 156, 158f., 180f., 192–196, 198–202, 204–206, 208–210 [328A– 329B, 330B], 212–214 [332A, 333B, 334B], 216–218 [336A, 337B–338B], 221 [341A] Rosenkranz, Karl 3 Rosenzweig, Franz 77 Roth, Joseph 201 Ruh, Kurt xii Rusterholz, Sibylle 13

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namenverzeichnis Sankara 27f., 216 [336B] Schaller, Toni 137 Scheffler, Johannes 12, 186 Scheler, Max 83, 88 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 14–16, 19, 23, 70, 78 Schlegel, Karl Wilhelm Friedrich 172 Schick, Hans 200 Schmaus, Michael 203 Schmeller, Oskar 55 f. Schmidt, Carl 6 f. Schmidt-Ott, Friedrich x, 121 Schmitt, Carl 81 Schmoldt, Benno xvii Schoemann, Johann Baptist 98 f. Scholem, Gershom 54 f., 59, 73f., 77 Scholz, Heinrich 215 [335A–B] Schopenhauer, Arthur 140, 209 [329B] Schulze-Maizier, Friedrich ix, 108, 161–163 Schwartz, Yossef xi, xix, 53–78, 112 Schwarz, Franz Xavier 193 Schwarz, Hermann xix, 39, 79–97, 103 f., 134–138, 141, 143 f., 204, 209 [329B], 216 [336A–B] Seeberg, Erich ix–xi, 53, 56–58, 60 f., 121, 149–151, 153, 155–157, 160, 205, 209 f. [329B–330A], 212 f. [332A, 333B], 216 [336A], 220 [340A] Seuse, Heinrich xv, 5 Sieg, Ulrich 22 Simmel, Georg 80 Schirach, Baldur von 127 Sokrates 183 Sölle, Dorothee 86 Spamer, Adolf 209 [329B] Spengler, Oswald 209 [329A] Spinoza, Baruch de 20, 69, 72 Stark, Johannes 59 Stecker, Martina 110 Steer, Georg 68 Steinbüchel, Theodor 149 f. Stöckl, Albert 8 Suchenwirth, Richard 58 f. Sudbrack, Josef xiii Tauler, Johannes xv, 3, 5 f., 203

Teresa von Ávila 2 Theologia deutsch 6 Théry, Gabriel 33, 55, 58, 60–64, 153, 155, 209f. [329B, 330B] Thomas von Aquin 64, 115, 118, 132, 203, 208 [328B], 212–214 [332B, 333B–334B], 219 [339A] Trawny, Peter 79, 175, 177, 190 Troeltsch, Ernst 67 Ulbricht, Justus H. 101 Vaseck, Thomas 181 Vesper, Will 106, 109f., 112f., 125, 127–130, 133f., 138f., 155 Vinzenz von Beauvais 64 Vollhardt, Friedrich 101 Vollnhals, Clemens 137 Walter, Johann von 119 Weber, Max 67, 80, 92 Weber, Regina 56–59, 61 Wehrli-Johns, Martina xviii, 25–52 Weil, Simone 86 Weinhandl, Ferdinand 22 Weischedel, Wilhelm 82 Weiss, Konrad 61, 159f., 205, 220 [340A] Welzer, Harald 79 Wetzel, Robert 43 Wildhagen, Eduard 58–60 Wilhelm von Auvergne 64 Willems, Joachim 68 Wirth, Hermann 109 Wismann, Heinz 61 Wotan 46 Zeitzschel, Friedrich 137 Zeus 46 Ziegenfuß, Werner 81 Ziegler, Matthes 156, 193, 198, 201f., 205 Žižek, Slavoj 90 Zschoch, Hellmut 105 Zwingli, Ulrich 115