Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit: Die mystische Anthropologie Meister Eckharts und ihre Konfrontation mit der Mystik des Zen-Buddhismus 9783495816998, 9783495490167


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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis der zitierten Werke Meister Eckharts
Deutsche Schriften
Lateinische Schriften
Vorbemerkung des Herausgebers
Meister Eckhart in Japan
Einleitung
Erster Teil: Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«
I. Eckharts Gottesbegriff, soweit er für seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele konstitutiv ist
1. Der trinitarische Gottesbegriff
a) Eckharts Trinitätslehre in seinen normalen, d.&ga;h. der Lehre entsprechenden Aussagen
b) Eigentümlichkeiten seiner Trinitätslehre
c) Der entscheidende Punkt in seiner Trinitätslehre – Anwendung des Trinitätsbegriffs auf die Beziehung zwischen Gott und der Seele
Zusammenfassung
2. Die Inkarnationslehre Meister Eckharts
a) Die hypostatische Union
b) Die eine und ungeteilte menschliche Natur
c) Das Ausschalten (die Entäußerung) der menschlichen Person
Zusammenfassung
II. Eckharts Seelenbegriff, soweit er für seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele konstitutiv ist
1. Die Seele in ihrer auf die Gottesgeburt hingeordneten Struktur
a) Die Seele als Bild Gottes – die in der Seele liegende Grundlage für die Gottesgeburt
b) Die Seele: ihr Sein und ihre Kräfte – der Ort in der Seele für die Gottesgeburt
c) Die Seele in der Wirklichkeit im Wirken mit ihren Kräften – das Ausbleiben der Gottesgeburt in der Seele
2. Die Abgeschiedenheit, in welcher die Seele zum Vollzug der Gottesgeburt bereitet wird
a) Wovon muss die Seele abgeschieden werden?
b) Askese und Gnade als die Mittel zum Vollzug der Abgeschiedenheit
c) Die Abgeschiedenheit als Voraussetzung für die Vereinigung der Seele mit Gott
III. Die »Gottesgeburt in der Seele«
1. Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Vollendung der natürlichen Gottebenbildlichkeit der Seele
2. Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Erweckung der abgeschiedenen Seele zum Leben Gottes
a) Die Erweckung der abgeschiedenen Seele zum Leben
b) Die Seele lebt das Leben Gottes
c) Belebung der Seelenkräfte und Verklärung des äußeren Menschen
3. Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Vereinigung Gottes und der Seele
a) Ein göttlicher Mensch (homo divinus) ist nicht Gott selbst
b) Sohnschaft von Natur und Sohnschaft durch die Gnade der Kindschaft
c) »Durch dasselbe, wodurch Gott Gott ist, ist der Mensch analogerweise göttlich«
Anmerkungen zum Problem der Analogie bei Eckhart
Zusammenfassung
Zweiter Teil: Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«
I. Eckharts Gottesbegriff, soweit er seiner Lehre vom »Durchbruch« zugrunde liegt
1. Die Ausführungen Eckharts über das »unum«-Sein Gottes
a) »Eins und einfaltig«
b) »Ein lauteres Eines«
2. Die Konsequenzen des »unum«-Seins Gottes
a) Die Trennung von Gott und dem Wesen Gottes
b) Das Überleitungsmodell vom trinitarisch-personalistischen zum impersonal-apophatischen Gottesbegriff: »Gott ist gut durch sein Wesen«
3. Die Gottheit (Gottes Grund)
a) Gott und Gottheit
b) Das Nichts der Gottheit: die negative Theologie bei Meister Eckhart
II. »Der Durchbruch zur Gottheit«
a) Das Durchbruchsmotiv
b) Die Rückkehr der Seele zur Gottheit als ihrem eigenen Urgrund
c) Der Vollzug des Durchbruchs: das »Gott-Lassen«
d) »Eine Kraft in der Seele«
e) »Ein wahrer Mensch«
III. Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts
1. Schlussbemerkungen
2. Meister Eckhart im Vergleich mit dem Zen-Buddhismus
Schlussbemerkungen
Literatur
Anmerkungen
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Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit: Die mystische Anthropologie Meister Eckharts und ihre Konfrontation mit der Mystik des Zen-Buddhismus
 9783495816998, 9783495490167

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Shizuteru Ueda

Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit Die mystische Anthropologie Meister Eckharts und ihre Konfrontation mit der Mystik des Zen-Buddhismus

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495816998

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B

Shizuteru Ueda Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit

VERLAG KARL ALBER

A

https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Shizuteru Ueda

Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit Die mystische Anthropologie Meister Eckharts und ihre Konfrontation mit der Mystik des Zen-Buddhismus Aktualisierte Neuausgabe Herausgegeben von Wolf Burbat

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Shizuteru Ueda The Birth of God in the Soul and the Breakthrough to Godhead Meister Eckhart’s Mystical Anthropology and its Confrontation with the Mysticism of Zen Buddhism Shizuteru Ueda’s book, first published in 1965, depicts a milestone for research on Master Eckhart’s thought and for comparative religious studies more broadly. Ueda’s interpretation of Eckhart’s thought shows that Eckhart begins from philosophical-theological conceptions of medieval scholastics but that he deepens and »radicalises« them, for he was inspired by neo-Platonic thinking and especially by his own insights. Examining Eck-hart’s key concepts of »The Birth of God in the Soul« and »Breakthrough to Godhead« Ueda convincingly suggests these to be two levels of the same path and as such these two levels correspond to both the distinction of the Trinitarian God and the transcendent Godhead. Eckhart’s claim that the Godhead »is a transcendent being, and a superessential nothingness« indicates a certain proximity of his thought to Buddhist teachings that take »nothing« to be a central concept of its doc-trines. Thus, Ueda’s study culminates in a comparison of the commonalities and differences between Zen-Buddhism and Master Eckhart’s thought. For this new edition Wolf Burbat has adjusted original quotes from Eckhart in Latin and Middle High German to make them fit with contemporary Eckhart scholarship and thus added Eckhart’s quotes in Modern High German translation.

The Author: Shizutera Ueda, born in 1926, is the son of a Shingon priest. Ueda studied under Keiji Nishitani at the University of Kyoto. From 1959 until 1963 Ueda was a PhD student of Friedrich Heiler and Ernst Benz at the University of Marburg. The present book was his doctorate thesis. In 1964 Ueda took the posi-tion as Professor of German Language and Literature at the University of Kyoto. In 1977 he accepted the Chair of Philosophy and Religion at the University of Kyoto. As a representative of the third gen-eration of the Kyoto School he carries on the legacy of Nishida Kitaro.

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Shizuteru Ueda Die Gottesgeburt in der Seele und der Durchbruch zur Gottheit Die mystische Anthropologie Meister Eckharts und ihre Konfrontation mit der Mystik des Zen-Buddhismus Dieses erstmals 1965 erschienene Buch ist ein Meilenstein der Meister-Eckhart-Forschung und der vergleichenden Religionswissenschaft. Shizuteru Ueda legt eine Deutung des Denkens von Meister Eckhart vor, in der er zeigt, dass dieser von der philosophisch-theologischen Begrifflichkeit der mittelalterlichen Scholastik ausgeht und sie – angeregt durch neuplatonisches Gedankengut, vor allem aber durch eigene Einsicht – vertieft und »radikalisiert«. Die Eckhart’schen Schlüsselbegriffe der »Gottesgeburt in der Seele« und des »Durchbruchs zur Gottheit« erweist Ueda dabei als zwei Stufen eines Weges, die der Unterscheidung des trinitarischen Gottes einerseits und der über-seienden Gottheit andererseits entsprechen. Wenn Eckhart sagt, die Gottheit sei »eine überseiende Nichtheit«, dann legt sich der Vergleich mit dem buddhistischen Denken nahe, für den das »Nichts« ein zentraler Begriff ist. Am Ende seiner Studie lotet Shizuteru Ueda die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Zen-Buddhismus und dem Denke von Meister Eckhart aus. Wolf Burbat hat für diese Neuausgabe die mittelhochdeutschen und lateinischen Eckhart-Zitate dem heutigen Stand der Forschung angepasst und deren neuhochdeutsche Übersetzungen in den Text eingefügt.

Der Autor: Shizuteru Ueda, Jahrgang 1926, Sohn eines Shingon-Priesters, studierte bei Keiji Nishitani an der Universität Kyoto und von 1959 bis 1963 bei Friedrich Heiler und Ernst Benz an der Universität Marburg, wo er mit dieser Arbeit promovierte. 1964 wurde Ueda Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Kyoto, 1977 erhielt er den dortigen Lehrstuhl für Philosophie und Religion. Als Repräsentant der dritten Generation der Kyoto-Schule führt er das Erbe Nishida Kitaros weiter.

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Die erste Auflage erschien 1965 im Gütersloher Verlagshaus als Band 3 der »Studien zu Religion, Geschichte und Geisteswissenschaft«

Aktualisierte Neuausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2018 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Covermotiv: Adalbert Stifter: Mondaufgang, Öl auf Karton, um 1855 Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-49016-7 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81699-8

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Inhalt

Vorbemerkung des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . .

13

Meister Eckhart in Japan. Eine Einführung von Ernst Benz . . . .

15

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Erster Teil Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

35

I.

II.

Eckharts Gottesbegriff, soweit er für seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele konstitutiv ist . . . . . . . . . 1. Der trinitarische Gottesbegriff . . . . . . . . . . . . a) Eckharts Trinitätslehre in seinen normalen, d. h. der Lehre entsprechenden Aussagen (36) · b) Eigentümlichkeiten seiner Trinitätslehre (38) · c) Der entscheidende Punkt in seiner Trinitätslehre – Anwendung des Trinitätsbegriffs auf die Beziehung zwischen Gott und der Seele (46) Zusammenfassung (49) 2. Die Inkarnationslehre Meister Eckharts . . . . . . . a) Die hypostatische Union (52) · b) Die eine und ungeteilte menschliche Natur (54) · c) Das Ausschalten (die Entäußerung) der menschlichen Person (59) · Zusammenfassung (63) Eckharts Seelenbegriff, soweit er für seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele konstitutiv ist . . . . . . . . . 1. Die Seele in ihrer auf die Gottesgeburt hingeordneten Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Seele als Bild Gottes – die in der Seele liegende Grundlage für die Gottesgeburt (65) · b) Die Seele: ihr Sein und ihre Kräfte – der Ort in der Seele für die

35 36

50

64 65

7 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Inhalt

Gottesgeburt (80) · c) Die Seele in ihrer Wirklichkeit im Wirken mit ihren Kräften – das Ausbleiben der Gottesgeburt in der Seele (85) 2. Die Abgeschiedenheit, in welcher die Seele zum Vollzug der Gottesgeburt bereitet sein wird . . . . . . . . a) Wovon muss die Seele abgeschieden werden? (93) · b) Askese und Gnade als die Mittel zum Vollzug der Abgeschiedenheit (98) · c) Die Abgeschiedenheit als Voraussetzung für die Vereinigung der Seele mit Gott (101)

III. Die »Gottesgeburt in der Seele« . . . . . . . . . . . . . 1. Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Vollendung der natürlichen Gottebenbildlichkeit der Seele . . . . . . 2. Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Erweckung der abgeschiedenen Seele zum Leben Gottes . . . . . . . a) Die Erweckung der abgeschiedenen Seele zum Leben (108) · b) Die Seele lebt das Leben Gottes (109) c) Belebung der Seelenkräfte und Verklärung des äußeren Menschen (111) 3. Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Vereinigung Gottes und der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ein göttlicher Mensch (homo divinus) ist nicht Gott selbst (115) · b) Sohnschaft von Natur und Sohnschaft durch die Gnade der Kindschaft (116) · c) »Durch dasselbe, wodurch Gott Gott ist, ist der Mensch analogerweise göttlich« (119) · Anmerkungen zum Problem der Analogie bei Eckhart (122) Zusammenfassung (124) Zweiter Teil Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch« . . . . . . . . I.

Eckharts Gottesbegriff, soweit er seiner Lehre vom »Durchbruch« zugrunde liegt . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ausführungen Eckharts über das »unum«-Sein Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) »Eins und einfaltig« (127) · b) »Ein lauteres Eines« (128)

8 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

92

104 105 108

112

125 125 126

Inhalt

2. Die Konsequenzen des »unum«-Seins Gottes . . . . . a) Die Trennung von Gott und dem Wesen Gottes (130) b) Das Überleitungsmodell vom trinitarisch-personalistischen zum impersonal-apophatischen Gottesbegriff: »Gott ist gut durch sein Wesen« (136) 3. Die Gottheit (Gottes Grund) . . . . . . . . . . . . . a) Gott und Gottheit (143) · b) Das Nichts der Gottheit: die negative Theologie bei Meister Eckhart (146)

130

»Der Durchbruch zur Gottheit« . . . . . . . . . . . . . a) Das Durchbruchsmotiv (150) · b) Die Rückkehr der Seele zur Gottheit als ihrem eigenen Urgrund (153) · c) Der Vollzug des Durchbruchs: das »GottLassen« (159) · d) »Eine Kraft in der Seele« (163) · e) »Ein wahrer Mensch« (170)

150

III. Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts . . . . . 1. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meister Eckhart im Vergleich mit dem Zen-Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176 176

II.

Literatur

143

183

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

218

9 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Friedrich Heiler Ernst Benz Meinen Lehrern in Dankbarkeit zugeeignet

Die Durchführung dieser Arbeit verdanke ich der Alexandervon-Humboldt-Stiftung (Bad Godesberg), die mir durch ihr Forschungsstipendium einen dreijährigen Studienaufenthalt in Marburg und durch einen Druckkostenzuschuß die Veröffentlichung dieser Arbeit ermöglichte. Besonderen Dank schulde ich meinen Lehrern in Marburg, Herrn Professor Dr. Friedrich Heiler und Herrn Professor Dr. Ernst Benz, die meine Arbeit gefördert haben und es nie an persönlicher Unterstützung und Ermunterung fehlen ließen. Für die sprachliche Durchsicht der Arbeit danke ich Herrn Martin Kraatz, Assistent am Indischostasiatischen Seminar der Universität Marburg. Shizuteru Ueda Kyoto, im Januar 1960

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Abkürzungsverzeichnis der zitierten Werke Meister Eckharts

Deutsche Schriften DW

EW Pf. QQ. SK Pr. BgT VeM RdU Abg

Meister Eckhart. Die deutschen Werke. Hg. von Josef Quint im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Stuttgart 1936 ff. zitiert mit Bandnummer. Meister Eckhart. Werke, Bd. 1 und 2, hg. v. Niklaus Largier. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 2008. Franz Pfeiffer: Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts. Band 2: Meister Eckhart, Leipzig 1857. Neudruck Göttingen 1924. Meister Eckehart. Deutsche Predigten und Traktate. Hg. und übersetzt von Josef Quint. München 1955. Schwester Katrei. In: Franz-Josef Schweitzer, Der Freiheitsbegriff der deutschen Mystik. Frankfurt am Main 1981, S. 157–455. Predigt nach der gleichlautenden Nummerierung von DW und EW. Buch der göttlichen Tröstung, in: EW II, S. 232–313. Vom edlen Menschen, in: EW II, S. 314–333. Reden der Unterweisung, in: EW II, S. 334–432. Von Abgeschiedenheit, in: EW II, S. 434–459.

Lateinische Schriften RS

August Daniels: Eine lateinische Rechtfertigungsschrift des Meister Eckhart (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Bd. XXIII, Heft 5). RSdt Otto Karrer, Herma Piesch: Meister Eckeharts Rechtfertigungsschrift vom Jahre 1326. Erfurt 1927. LW Meister Eckhart. Die Lateinischen Werke. Hg. von Josef Koch u. a. im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Stuttgart 1936 ff. Prol. op.trip. Prologus generalis in opus tripartitum (LW Bd. I). Prol. op.prop. Prologus in opus propositionum (LW Bd. I). I. Gen. Expositio libri Genesis (LW Bd. I). II. Gen. Liber parabolarum Genesis (LW Bd. II). Exod. Expositio libri Exodi (LW Bd. II).

11 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Abkürzungsverzeichnis Eccli. Sap. Joh. Serm. Qu. Par.

Sermones et Lectiones super Ecclesiastici cap. 24 (LW Bd. II). Expositio libri Sapientiae (LW II). Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem (LW Bd. III). Sermones (LW Bd. IV). Quaestiones Parisienses (LW Bd. V).

12 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Vorbemerkung des Herausgebers

Seit dem Erscheinen der 1. Auflage dieses für die Meister-EckhartForschung und für den interreligiösen Dialog so wichtigen Buches sind mehr als fünfzig Jahre vergangen. Seitdem ist die Herausgabe der deutschen und lateinischen Werke Meister Eckharts sehr viel weiter gekommen. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Buches lagen von den deutschen Werken der Stuttgarter textkritischen Ausgabe nur der erste Band und Teillieferungen des fünften Bandes vor; von den lateinischen Werke waren der vierte Band (Sermones) vollständig, andere Bände in Teillieferungen erschienen. So hat der Autor einen Großteil der Zitate dem Werk »Franz Pfeiffer: Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts. Band 2: Meister Eckhart, Leipzig 1857. Neudruck Göttingen 1924« entnommen. In der vorliegenden Neuausgabe wurden die Zitate, wo immer möglich, in der Fassung der Stuttgarter Ausgabe angeführt. Dies gilt weitgehend auch für die Übersetzungen aus dem Mittelhochdeutschen und Lateinischen, die in der 1. Auflage noch ganz fehlten. Die Übersetzungen der Predigten 101–104 und 109 sind in der Stuttgarter Ausgabe noch nicht erschienen; ihre Übersetzung folgt weitgehend dem Buch »Meister Eckehart. Deutsche Predigten und Traktate. Hg. und übersetzt von Josef Quint. München 1955«. Es gibt dann noch einige wenige Stellen aus der Pfeiffer-Sammlung, die nicht in die Stuttgarter Ausgabe aufgenommen wurden und deren Übersetzung vom Herausgeber stammt. Dabei waren Karl Heinz Witte und Freimut Löser behilflich, denen an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Umgekehrt wurde in wenigen, eigens kenntlich gemachten Fällen die Pfeiffer’sche Lesart der neueren aus der Stuttgarter Ausgabe vorgezogen, weil sonst ihr Sinn im Zusammenhang nicht mehr stimmen würde. Den Originalzitaten ist in der Regel die entsprechende Stelle in der Stuttgarter Ausgabe beigefügt. Bei der Übersetzung wird normalerweise die Stelle in der leichter zugänglichen und umfangreich kommentierten Ausgabe »Meister Eckhart. Werke, Bd. 1 und 2, hg. v. Niklaus Largier. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 13 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Vorbemerkung des Herausgebers

2008« sowie die entsprechende Predigt oder das jeweilige Buch, dem das Zitat entnommen ist, angegeben. Der gesamte Text, einschließlich der Übersetzung der Zitate, wurde in die Deutsche Rechtschreibung von 2006 überführt. Dabei wurden offensichtliche Druckfehler stillschweigend behoben. Im fortlaufenden Text erscheinen der besseren Lesbarkeit halber nur die Übersetzungen; die ursprachlichen Zitate finden sich im Anhang. Kursive Hervorhebungen in den Texten und in runde Klammern gesetzte Ergänzungen stammen vom Verfasser; Ausdrücke in spitzen Klammern sind Hinzufügungen aus den Eckhart-Übersetzungen durch die Übersetzer, mit eckigen Klammern werden Auslassungen oder grammatisch bedingte Wortumstellungen markiert.

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Meister Eckhart in Japan Eine Einführung von Ernst Benz

Die Anthropologie der christlichen Mystik ist in den letzten beiden Jahrzehnten nur selten zum Gegenstand der religionsgeschichtlichen Forschung gemacht worden. Grund dafür ist die allgemeine Abwertung der Mystik, die ebenso von der Philosophie wie von der Theologie existenzialistischer Prägung vorgenommen wurde. Die Abwertung der Mystik hängt mit der allgemeinen Abwertung der Religion zusammen, die sich in der Philosophie und der Theologie durchgesetzt hat. Feuerbach hat mit seiner rein anthropologischen Deutung der Religion als einer mythologischen und ideologischen Selbstauslegung des Menschen einen scheinbar globalen Erfolg nicht nur im Bereich der Philosophie des dialektischen Materialismus, sondern auch in der dialektischen Theologie zu verzeichnen, die das Christentum nur dadurch noch retten zu können glaubt, dass sie versichert, es sei keine Religion. Diese Abwertung der Mystik ist nicht nur als weltanschauliches Phänomen zu bewerten, sondern ist die Folge der Tatsache, dass die Mystik selbst als Form der religiösen Praxis und der religiösen Erfahrung in Europa weitgehend ausgestorben ist. Man merkt den modernen Kritikern der Mystik an, dass sie von etwas reden, was ihrem Erfahrungs- und Anschauungsbereich völlig fremd ist, und dass sie den literarischen Zeugnissen der Mystik wie einer gedruckten Partitur gegenüberstehen, von der sie nur mühsam einzelne Stimmen entziffern können, deren Aufbau und Orchestrierung aber ihr Fassungsvermögen bei weitem übersteigt. Die Monotonie und Dürftigkeit der gegen die Mystik vorgebrachten Argumente lässt erkennen, dass hier Leute reden, die selber kein Sensorium für mystische Erfahrung haben und die aufgrund dieses Mangels in der Lage sind, mit allem Pathos zu erklären, dass es eine solche Erfahrung gar nicht gibt bzw. dass sie, falls sie dennoch vorkommt, nur eine psychogene Illusion, aber nicht eine echte Transzendenzerfahrung sein kann. Tatsächlich sind in Europa die Mystiker, die schon immer selten waren, in den letzten beiden Jahrhunderten noch rarer geworden. 15 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Ernst Benz

Auch haben sich nirgendwo auf dem Boden des westlichen Christentums neue Formen mystischer Praxis, neue Wege christlicher Meditation und Kontemplation entwickelt. Offensichtlich ist auch im Bereich des institutionellen Kirchentums, das die Mönchsorden funktionalisierte und in Kampfgruppen für den kirchlichen und kirchenpolitischen Einsatz verwandelte, kein rechter Platz mehr für die via mystica. Charakteristischerweise sind von den zahlreichen mittelalterlichen Formen mystischer Meditation nur noch die ignatianischen Exerzitien übriggeblieben, die ihrerseits das Ergebnis einer starken Psychologisierung und kirchlichen Funktionalisierung der Meditation sind und auf eine Willensbildung im Blick auf eine aktive Beteiligung an der Mehrung der Macht der Kirche abzielen. Umso auffälliger ist, dass in dieser Zeit der mystischen »Dürre« des westlichen Christentums ein reges Interesse an der christlichen Mystik auf asiatischem Boden erwacht ist. Man könnte dieses Phänomen an der Entwicklung des Neuhinduismus in Indien wie auch an der Wiederentdeckung der Mystik innerhalb der Theologie der indischen Kirche studieren. Allerdings ist im indischen Neuhinduismus diese Entdeckung der christlichen Mystik in ein starkes hinduistisches Sendungsbewusstsein eingehüllt. Von den indischen Religionsphilosophen, soweit sie von dem Phänomen der christlichen Mystik des Westens überhaupt Kenntnis nehmen, wird die christliche Mystik als die große Ausnahme von der allgemeinen rationalistischen, materialistischen und technologischen Grundhaltung des westlichen Geistes empfunden; gerade von dieser Ausnahme wird nachgewiesen, dass sie im Grunde ein indisches Geisteserbe sei, das von Anfang der europäischen Geistesgeschichte an das edelste Ferment der europäischen Philosophie und Religion darstelle. Bei Radhakrishnan erscheinen die mystischen Denker des Abendlandes von Heraklit über Plotin bis zu Meister Eckhart als versprengte Emigranten der indischen Geisteswelt, die – vermutlich sogar vergeblich – versucht haben, in dem Nebel des materialistischen und rationalistischen Westens das Licht des mystischen Geistes zu entzünden, das in seiner vollen Flamme nur in Indien leuchtet. Anders liegt die Situation in Japan. In der gebildeten Welt Japans war bis vor wenigen Jahren kaum eine geistige Bereitschaft für eine Vergleichung japanischer Religions- und Frömmigkeitsformen mit Erfahrungs- und Denkformen der christlichen Religion vorhanden. Allzu sehr war dem Bewusstsein auch derjenigen gebildeten Kreise, die sich der westlichen Philosophie öffneten, der Gedanke eingeprägt, 16 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Meister Eckhart in Japan

dass alle Dinge der religiösen und geistigen Welt Japans völlig einzigartig sind und außerhalb jeder Vergleichsmöglichkeit mit westlichen Dingen stehen und dass daher ein Nichtjapaner japanische Dinge gar nicht verstehen kann. Der religiöse Bereich Japans galt als eine esoterische Sphäre, in die man dem Europäer oder Amerikaner nicht gerne Einblick erlaubte, weil man der Überzeugung war, dass er davon doch nichts verstehe, eine Sphäre, die man sogar durch ein extra für Fremde geschaffenes Tarnbild eines Madame-Butterfly-Japan abschirmte. Eine gewisse Rechtfertigung dieser Einstellung lieferte die Haltung der christlichen Mission in Japan, die in der Mejii-Periode ins Land kam und die im Wesentlichen von amerikanischen und englischen Freikirchen des presbyterianischen, methodistischen und baptistischen Typus ausging. Die Missionare gaben sich ihrerseits keine Mühe, an etwaige positive religiöse Werte des Buddhismus oder anderer einheimischer Religionen anzuknüpfen, sondern begnügten sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – damit, im Sinn ihres biblizistischen Fundamentalismus entweder die üblichen Kategorien wie Heidentum, Götzendienst, Aberglauben usw. auf den Buddhismus anzuwenden oder aber den Buddhismus mit der Formel: Buddhism is dead für ein museales, geistig und sozial rückständiges Requisit der japanischen Vergangenheit zu erklären. Erst mit der totalen Kapitulation, die den Zweiten Weltkrieg für Japan nach dem Abwurf der beiden Atombomben über Nagasaki und Hiroshima beendete, erfolgte eine innere Umorientierung, die breitere Schichten der japanischen Intelligenz aus dem Bewusstsein einer insularen splendid isolation herausriss und die auch die Träger der religiösen Überlieferung Japans veranlasste, sich um ein »Verstehen« der auf Japan einstürmenden westlichen Welt nach ihrer religiösen und spirituellen Seite zu bemühen. Die Vorkämpfer dieser Bemühung waren die geistigen Führer des japanischen Mahāyāna-Buddhismus, die zum großen Teil für solche Bestrebungen eines »Verstehens« auch der religiösen Lebens- und Denkformen der westlichen Welt schon dadurch aufs Beste vorbereitet waren, dass sie als Professoren und Dozenten der buddhistischen Universitäten oder als Inhaber von Lehrstühlen für buddhistische Philosophie oder für vergleichende Religionswissenschaft an den staatlichen Universitäten Japans die methodischen Voraussetzungen für eine wissenschaftlich-kritische Bewältigung dieser Aufgabe mitbrachten. Als einer der wichtigsten Ansatzpunkte eines »Verstehens« zwi17 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Ernst Benz

schen östlichem und westlichem Denken, östlicher und westlicher Religiosität erschien ganz spontan ein Vergleich der buddhistischen und der christlichen Mystik, da in den Dokumenten der mystischen Erfahrung und der mystischen Spekulation (als des Versuchs einer begrifflich-logischen Deutung der mystischen Erfahrung) wie auch in den Methoden des mystischen Weges und der mystischen Meditation in Ost und West eine Reihe von überraschenden Analogien und Konvergenzen entdeckt wurden. So wurden vergleichende Studien über die östliche und westliche Mystik zur ersten, zarten und gebrechlichen Brücke über den angeblich unüberbrückbaren Abgrund zwischen östlichem und westlichem Denken. Auf diesem Gebiet sind nun in Japan gerade solche Gelehrte führend hervorgetreten, die mit dem Zen-Buddhismus verbunden waren, und zwar nicht nur in der Form, dass sie intellektuell die Ideen des Zen-Buddhismus vortrugen, sondern dass sie die klassische Form der Zen-Meditation, Zazen, selbst regelmäßig praktizierten und sich selbst um mystische Erfahrung bemühten, oder gar selbst im Verlauf solcher Bemühungen Samadhi erfahren hatten. Dies ist bereits bei dem Begründer der modernen japanischen Philosophie, bei Kitaro Nishida der Fall. Entgegen den Tendenzen des krampfhaften Modernismus vieler japanischer Intellektueller, die bereit waren, die philosophische Tradition des japanischen Buddhismus über Bord zu werfen und die »moderne« westliche Philosophie zumeist angelsächsischer Prägung zu übernehmen, hat Kitaro Nishida den Versuch unternommen, eine moderne japanische Philosophie aus den Quellen der religiösen und philosophischen Überlieferung Japans, vor allem des Zen-Buddhismus, in einer kritischen Auseinandersetzung mit der westlichen Philosophie unter starker Anlehnung an die Philosophie des Deutschen Idealismus zu entwickeln. Schon Kitaro Nishida hat dabei öfters auf die deutsche Mystik als Anknüpfungspunkt eines Verstehens der westlichen Religionsphilosophie hingewiesen. So zitiert er im 9. Kapitel seines Werkes »Die intelligible Welt«, das Robert Schinzinger 1943 in deutscher, 1958 in englischer Übersetzung veröffentlichte und mit einer vortrefflichen Einleitung über die geistigen Grundlagen der japanischen Philosophie versah, die Sechs Theosophischen Punkte von Jakob Böhme. Es ist dies das erste Mal, dass Jakob Böhme in einem japanischen religionsphilosophischen Werk einer japanischen Leserschaft vorgestellt wurde – und dieses Böhme-Zitat enthält bezeichnenderweise die dem 18 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Meister Eckhart in Japan

Zen-Buddhisten so naheliegende Spekulation Jakob Böhmes über den göttlichen »Ungrund«, das ewige »Nichts« Gottes. »So denn der erste Wille ein Ungrund ist, zu achten als ein ewig Nichts, so erkennen wir ihn gleich einem Spiegel, darin einer sein eigen Bildnis sieht, gleich einem Leben.« Ebenso überrascht Nishida bei der Darlegung seiner Gedanken über »die Einheit der Gegensätze« – das alte Thema des Eckhart-Schülers Nicolaus Cusanus von der coincidentia oppositorum klingt hier unter einem zen-buddhistischen Vorzeichen an – durch einen Hinweis auf Luthers Lehre von der Freiheit eines Christenmenschen, die er im zen-buddhistischen Sinn interpretiert: In der Tatsache, dass diese Freiheit eine Einheit von Gegensätzen darstellt – nämlich ein freier Herr aller Dinge und zugleich jedermann untertan zu sein –, erblickt Nishida eine Analogie zu der buddhistischen Idee der »Bekehrung«: »Wir finden da unser wahres Selbst, indem wir uns selbst verneinen. Und zwar stoßen wir auf solche Weise im Grunde unseres Selbst auf den Selbstwiderspruch; doch muss dies nicht durch unser Selbst, sondern durch den Ruf des Absoluten geschehen. Die Selbstverneinung ist nicht durch unser Selbst möglich (– da denkt der religiöse Mensch an Gnade).« In der Nachfolge Nishidas hat sich sein Schüler Keiji Nishitani, der nach seinem Lehrer den Lehrstuhl für buddhistische Philosophie an der Universität Kyoto innehatte und der gleichfalls praktizierender Zen-Buddhist ist, mit dem Studium der deutschen Mystik beschäftigt, ebenso dessen Schüler und Nachfolger Yoshinori Takeuchi von der Universität Kyoto. Aus dessen Schule wiederum ist der Verfasser der vorliegenden Arbeit Shizuteru Ueda hervorgegangen, der vor dem Antritt seiner Studienreise nach Deutschland als Privatdozent an der buddhistischen Shingon-Universität auf dem Koyasan und an der Universität Kyoto tätig war und jetzt einen Lehrstuhl für Germanistik an der Universität Kyoto innehat und der somit in einer langen Traditionsreihe der vergleichenden Forschungen über den Zusammenhang und Unterschied christlicher und buddhistischer Mystik steht. Allerdings beschränkte sich die Konfrontation buddhistischer Mystik mit Erfahrungs- und Denkformen aus dem Bereich der christlichen Mystik bei den älteren Forschern meist nur auf gelegentliche Hinweise und Anspielungen. Es bedurfte erst der Einwirkungen der an den westlichen Universitäten, vor allem in Deutschland ausgebildeten vergleichenden Religionswissenschaft, um diese vergleichenden Studien der östlichen und westlichen Mystik methodisch besser und sorgfältiger zu begründen. 19 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Die Tür zu einer vergleichenden Phänomenologie der Mystik ist vom Westen aus geöffnet worden. Schon die großen Entdecker und Herausgeber der vedischen und nachvedischen Quellen der heiligen Überlieferung Indiens wie Max Müller haben auf die innere Analogie der Erfahrung und Anschauung hingewiesen, die zwischen der westlichen und östlichen Mystik besteht. Auch der erste Entdecker der indischen Weisheit auf deutschem Boden, Friedrich Schlegel, hat voller Begeisterung die innere Wesensverwandtschaft des indischen Denkens mit der mystisch-idealistischen Tradition des Abendlandes hervorgehoben. Aber erst Rudolf Otto hat in seinem Werk: »Westöstliche Mystik, Vergleich und Unterscheidung zur Wesensdeutung«, Gotha 1926, eine systematische, kritische Methode zur Behandlung dieser Aufgabe anhand einer Gegenüberstellung von Meister Eckhart und Śankara vorgenommen. Der vergleichenden Forschung der Mystik wird häufig von ihren Gegnern unterstellt, sie ziele auf eine Vereinheitlichung der Mystik als einer allgemeinen Form seelischer Erfahrung ab und verwische die geschichtlichen, typologischen und individuellen Unterschiede. In Wirklichkeit versuchte Rudolf Otto gerade dieser Gefahr zu begegnen. Nach einem kurzen Hinweis auf die »seltsame Übereinstimmung in den Urmotiven seelischen Erfahrens der Menschheit überhaupt«, die in den Regungen von den Urzeiten alter indischer mystischer Spekulation angefangen bis hin zu der modernen Spekulation Fichtes reicht, betont Otto ausdrücklich: »Auf dieser Grundlage aber erhebt sich die andere ebenso wichtige Aufgabe, dieses einheitliche ›Wesen‹ in der Möglichkeit seiner mannigfachen typischen Besonderungen zu erfassen und damit das Vorurteil von der ›einen, immer gleichen Mystik‹ zu beseitigen. Dadurch erst wird es möglich, so große Erscheinungen wie etwa den deutschen Meister Eckhart, den Inder Śankara, den Griechen Plotin, die Mystiker der buddhistischen Mahāyāna-Schulen in ihren charakteristischen Eigenarten zu erfassen, statt alle diese Erscheinungen in der einen, allgemeinen Nacht von ›Mystik überhaupt‹ verschwinden zu lassen. Erst in der Fülle seiner möglichen ›Besonderheiten‹ tritt das Wesen der Mystik heraus.« Rudolf Otto hat in Deutschland mit seiner vergleichenden Mystik-Forschung mit der einen bedeutsamen Ausnahme von Friedrich Heiler wenig Nachfolger gefunden, da die von der dialektischen Theologie ausgehende Diskriminierung der Mystik überhaupt, eingeleitet durch den schneidigen Husarenritt Emil Brunners gegen 20 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Meister Eckhart in Japan

Schleiermacher, die weitere Beschäftigung mit dem Phänomen der christlichen Mystik – und gleichermaßen auch der nicht-christlichen – lähmte. Rudolf Ottos Anregung ist zwar von H. W. Schomerus, Professor der Missionswissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, aufgenommen worden, der Meister Eckhart und Māṇikka-Vāšagars miteinander verglich. Er fühlte sich dazu durch die Erwägung veranlasst, dass Śankara ein Scholastiker, aber kein Prediger und Seelsorger war und dass sich daher zum Vergleich mit Meister Eckhart, der zugleich Lehr- und Lebemeister, d. h. scholastischer Theologe, praktischer Mystiker, Prediger und Seelsorger war, eher die Gestalt Māṇikka-Vāšagars eigne, der »in erster Linie ein Mann der religiösen Praxis ist« (Meister Eckehart und MāṇikkaVāšagar, Mystik auf deutschem und indischem Boden, Gütersloh 1936). Aber Schomerus geht bereits von der für die dialektische Theologie charakteristischen Grundeinstellung aus, dass die Botschaft Jesu und Pauli nichts mit Mystik zu tun habe, dass weder Jesus noch Paulus Mystiker waren und dass »der praktische Wert einer Gegenüberstellung einer so genannten christlichen und einer außerchristlichen Mystik […] nur darin bestehen kann, dass sie uns die Augen für das Wesen der Mystik, auch der so genannten christlichen, in ihrer grundsätzlichen Gegensätzlichkeit zu und in ihrer grundsätzlichen Unverträglichkeit mit dem wirklichen, echten, wahren Christentum öffnen helfen kann«. Da es demnach – aufgrund dogmatischer Prämisse – eine genuin-christliche Mystik nicht gibt und die »so genannte« christliche Mystik nur auf einem Selbstmissverständnis der betreffenden Mystiker beruht, kommt einem Vergleich östlicher und westlicher Mystik auch keine Bedeutung als einer Brücke des »Verstehens« zu, sondern höchstens die Funktion einer Selbstreinigung des Christentums von allen ihm noch bedauerlicherweise anhaftenden, ihrem Wesen nach pseudochristlichen, mystischen Elementen. Umso stärker war der Einfluss, den Rudolf Otto durch die englischen Ausgaben seiner Werke »Das Heilige« und »Westöstliche Mystik« auf die Religionswissenschaft in Asien ausübte. Dies gilt nicht nur für Indien, sondern vor allem auch für Japan, wo ja die religionswissenschaftlichen Studien an zahlreichen Lehrstühlen an den buddhistischen und staatlichen Universitäten ihren festen Ort in der akademischen Ausbildung haben, wo auch an den christlichen Universitäten katholischer und protestantischer Stiftung religionswissenschaftliche Studien betrieben werden und wo außerdem eine 21 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Reihe von selbständigen Forschungsinstituten wie das Institute of the Study of Japanese Religions in Tokio und das Christian Institute for the Study of Japanese Religions in Kyoto sich mit religionswissenschaftlichen Forschungen befassen. Bezeichnenderweise haben sich diese Einflüsse auf japanischem Boden so ausgewirkt, dass in diesen vergleichenden Studien östlicher und westlicher Mystik immer Zen-Buddhisten federführend blieben und dass immer Meister Eckhart im Mittelpunkt der Forschung stand. Diese Tatsache mag äußerlich damit zusammenhängen, dass Rudolf Otto der erste deutsche Religionswissenschaftler war, der persönlich japanische Zen-Klöster besuchte, mit japanischen Zen-Meistern religionsphilosophische Gespräche führte und sich von ihnen in den Zen-Buddhismus und in die Praxis der Zen-Meditation einführen ließ und sie seinerseits auf die Verwandtschaft zwischen gewissen Erfahrungen der Eckhart’schen Mystik und der zen-buddhistischen Mystik hinwies. Diese Wahlverwandtschaft zwischen Zen und Meister Eckhart hat aber ohne Zweifel auch ihren inneren Grund in der Tatsache, dass ein sachlicher Zusammenhang und eine auffällige Konvergenz zwischen dem Transzendenz-Erlebnis Eckharts und der charakteristischen Transzendenzerfahrung des Zen-Buddhismus vorliegt. Gefördert wurde diese Begegnung zwischen Zen-Buddhismus und Meister Eckhart durch die Tatsache, dass von allen buddhistischen Schulen Japans gerade die Zen-Schule dank der Vermittlung Rudolf Ottos auf deutschem Boden Fuß fasste und eine Reihe von Zen-Meistern nacheinander nach Deutschland kamen, angefangen von Prof. Schūej Ohasama, Professor an der Meiji-Hochschule in Tobata, Fukuoka-ken, der zusammen mit Dr. Herrigel und Dr. Faust in Heidelberg bei Rickert Philosophie studierte. Die gemeinsame Lektüre von Texten der europäischen Philosophie, z. B. Plotin, Kant und Fichte, führte zu einer Verständigung über den »breiten Abgrund« des östlichen und westlichen Denkens hinweg und zur Entwicklung einer von beiden Seiten akzeptierten Terminologie, die bei der deutschen Übersetzung von Zen-Texten angewandt werden konnte. Das Ergebnis dieser gemeinsamen Bemühungen um eine angemessene, deutschen Lesern verständliche Übersetzung von Zen-Texten liegt vor in dem Werk: »Zen, Der lebendige Buddhismus in Japan. Ausgewählte Stücke von Zen-Texten, übersetzt und eingeleitet von Schūej Ohasama, herausgegeben von August Faust«, Gotha/Stuttgart 1925, ein Werk, das bis heute von keiner der späteren westlichen 22 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Zen-Darstellungen übertroffen wird. Zu diesem Werk hat Rudolf Otto das Geleitwort geschrieben, das heute als klassisch angesprochen werden muss, weil er hier unter dem Einfluss der nunmehr deutsch vorliegenden Zen-Texte selbst die in seinen »Aufsätze das Numinose betreffend«, Gotha 1923 ausgesprochenen Erkenntnisse noch vertieft. Rudolf Otto hatte dort bereits in dem 15. Aufsatz, einer Abhandlung »Über Zazen als Extrem des numinosen Irrationalen« auf die Analogie zwischen Zen-Buddhismus und Meister Eckhart hingewiesen. Er beschreibt darin den eigentümlichen Zug der Mystik, die Irrationalitäten, Antinomien, Paradoxien zu betonen, »gelegentlich auch in ihnen zu schwelgen und eine Art Spieles des Verblüffens mit ihnen zu betreiben«, und zeigt an Meister Eckhart (und Angelus Silesius) »die geheime Lust« des Mystikers, »zu den immer kühneren, ja geradezu zu den lästerlich klingenden, entsetzenden Aussagen zu greifen«. »Auch Zen endet gelegentlich im Bizarren, Verrückten und Albernen, oder andererseits in pikanten Seltsamkeiten, in Bonmots, im Wohlgefallen an der Kuriosität oder dem Unerwarteten überhaupt. Aber seinem Wesen nach ist es aus dem tiefsten Ernste des Irrationalen, des Numinosen selber geboren.« Nach dem Zweiten Weltkrieg reisten die japanischen ZenBuddhisten nicht mehr nach Heidelberg, sondern, durch das Heidegger’sche »Nichts« angezogen, nach Freiburg und fanden über Heidegger den Weg zu Meister Eckhart. Die Geschichte der Zen-Rezeption in Deutschland habe ich in meinem Buch: »Zen in westlicher Sicht: Zen-Buddhismus – Zen-Snobismus«, Weilheim 1962, dargestellt. Aber auch der Zen-Buddhismus, der sich die angelsächsische Welt als Missionsfeld erwählt hat, ist auf Meister Eckhart verfallen. Daisez Suzuki, der Patriarch der Zen-Philosophie in den Vereinigten Staaten und in England, der der tiefsten Überzeugung ist, dass die Zukunft des Zen-Buddhismus in den Vereinigten Staaten liegt, sieht in Meister Eckharts Mystik den besten Anknüpfungspunkt für ein Verständnis östlicher und westlicher Mystik. Sein 1957 veröffentlichtes Werk Mysticism, Christian and Buddhist, George Allen & Unwin Ltd. London, beginnt mit einem ausführlichen Kapitel: Meister Eckhart and Buddhism. Dieses Kapitel ist die erste Darstellung Meister Eckharts aus der Feder eines japanischen Religionsphilosophen, die sich nicht nur auf die ältere, reichlich mangelhafte englische Übersetzung Meister Eckharts von B. Evans (bei John M. Watkins London 1924) stützt, sondern auch die neuere Übersetzung von Raymond B. Blakney (bei Harper & Brothers, New York 1941) heranzieht und die 23 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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auch auf die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft veranstaltete kritische Gesamtausgabe der lateinischen und deutschen Werke Meister Eckharts zurückgreift. Allerdings verfällt Suzuki als Lehr- und Lebemeister des ZenBuddhismus in das andere Extrem: In seiner Darstellung erscheint Meister Eckhart, der ganz von seiner Lehre von der Leere – emptiness – und von der Abgeschiedenheit und vom göttlichen »Nichts« her interpretiert wird, als westlicher Zen-Buddhist, bei dem die christlichen Elemente als zeit- und situationsbedingte Verkleidung, aber nicht als Wesensbestandteil erscheinen. Unter Berufung auf einen indischen Eckhart-Forscher, Coomaraswamy, der seinerseits Eckhart als »eine erstaunlich enge Parallele zu indischen Denkweisen« schildert, stellt Suzuki fest, dass Eckharts »eigene Erfahrungen theologischer oder anderer Art in einer einzigartigen Weise Mahāyāna-Erfahrungen waren« und dass diese erstaunlichen Analogien »ein Beweis für die Kohärenz der metaphysischen Tradition in der ganzen Welt und zu allen Zeiten« seien (Suzuki S. 12 unter Berufung auf Coomaraswamy, The Transformation of Nature in Art, S. 201). Gerade von dieser einseitigen Identifizierung aus lässt sich die Bedeutung des vorliegenden Werkes von Prof. Shizuteru Ueda über Meister Eckhart ermessen. Ueda verfügt über die für einen Japaner ungewöhnliche Gabe der Einfühlung in die dem traditionellen japanischen Denken so fernliegende theologische Literatur der mittelalterlich-katholischen Scholastik thomistischer Prägung. Gleichfalls ungewöhnlich für einen Japaner ist die Beherrschung des scholastischen Latein, die es ihm ermöglichte, sich auch mit den Texten der lateinischen Übersetzungen arabischer und jüdischer Mystiker vertraut zu machen, die einen so großen Einfluss auf Meister Eckhart ausgeübt haben. Bemerkenswert ist auch seine Kenntnis des Mittelhochdeutschen, die es ihm ermöglichte, die schwierigen mittelhochdeutschen Texte Meister Eckharts im Original zu lesen und die deutsche Terminologie Meister Eckharts und seine deutsche Bilder- und Symbolsprache mit der lateinischen zu vergleichen. Nur diese philologische Vertrautheit mit den originalen Texten machte es dem Verfasser möglich, den naheliegenden und von Suzuki eröffneten Weg einer vorschnellen Identifikation der Eckhartschen Mystik mit der buddhistischen zu vermeiden und über die erste Stufe der Überraschung durch scheinbare oder tatsächliche Konvergenzen zu einer kritischen Betrachtung der Besonderheit der Eckhartschen 24 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Mystik gerade im Hinblick auf die christlichen Elemente seiner Frömmigkeit vorzudringen. So ist das vorliegende Werk die erste historisch-kritische, auf einer philologisch wohlfundierten Kenntnis der lateinischen und deutschen Originalschriften beruhende Darstellung der mystischen Anthropologie Meister Eckharts, die aus der Feder eines japanischen Zen-Buddhisten stammt, und lässt in dieser Hinsicht alle früheren japanischen Bemühungen um ein Eckhart-Verständnis weit hinter sich. Im Übrigen ist der klare Stil des deutschen Textes, der vom ersten bis zum letzten Wort auf Ueda selbst zurückgeht, ein Beweis für seine tiefe Einfühlung in Sprache und Geist der deutschen Mystik. Andererseits gibt gerade die Tatsache, dass Ueda aus einer Welt nichtchristlicher Mystik an Meister Eckhart herantritt, seinen Darlegungen den Zug einer Neuheit und Frische der Gesichtspunkte, der Problemstellung und der Antworten, der ihn vorteilhaft von vielen vorliegenden deutschen Untersuchungen unterscheidet. Die deutsche Eckhart-Forschung stand seit Denifle unter dem Druck der rein scholastischen Fragestellung nach der Orthodoxie der theologischen Lehren und Formulierungen Meister Eckharts und kam von dem apologetischen Anliegen nicht los, das entweder darauf hinauslief, die Rechtmäßigkeit seiner kirchlichen Verurteilung durch eine Fülle dogmen- und theologiegeschichtlicher Argumente zu beweisen oder aber umgekehrt seine Verurteilung als ein durch den zeitgenössischen Rivalitätsstreit des Dominikaner- und Franziskanerordens bedingtes Missverständnis darzustellen und seine grundsätzliche Übereinstimmung mit den Formulierungen des heiligen Thomas nachzuweisen. Ueda war von dieser traditionellen westlichen Problemstellung nicht berührt, sondern konnte sich mit der Unbefangenheit des »Fremden« auf eine freie Darstellung einer Phänomenologie der mystischen Erfahrung Eckharts und der aus ihr entwickelten mystischen Anthropologie konzentrieren. Dabei war ihm von besonderem Nutzen, dass er selber als ZenBuddhist mit der Sphäre der Meditation, die ja auf eine bestimmte Form der mystischen Erfahrung abzielt, aus eigener regelmäßig geübter Praxis vertraut war. So war ihm der Gegenstand seiner wissenschaftlichen Untersuchung der Sache nach sicherlich näher, als man dies von vielen deutschen Eckhart-Forschern behaupten kann, die Eckhart im Wesentlichen als Scholastiker und als mystischen Theologen kannten, denen aber die Praxis der via mystica fremd war. Der Vergleich der Eckhartschen Mystik mit der buddhistischen 25 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Mystik selbst klingt nur in dem letzten Kapitel an; im Gegensatz zu Suzukis Abhandlung über Meister Eckhart enthält sich aber Ueda jeder raschen Identifikation, er unterstreicht vielmehr die Unterschiede, und zwar in einer Form, die nun in der Tat für einen ZenBuddhismus charakteristisch ist – nicht in einem begrifflichen Schema, sondern in der Interpretation zweier Kunstwerke, einer niederländischen Darstellung des Besuchs Jesu im Haus der Martha und Maria und einer zen-buddhistischen Pinselzeichnung. Es wäre zu wünschen, dass diese Untersuchung Uedas den Auftakt zu einer fruchtbaren Weiterführung der von Rudolf Otto so verheißungsvoll eröffneten, aber in Deutschland so jäh unterbrochenen vergleichenden Erforschung der westlichen und östlichen Mystik auf europäischem wie auf asiatischem Boden bildete – kommt doch dieser Forschung ein so bedeutsamer Anteil an der Lösung der großen Aufgabe zu, die sich mehr und mehr als ein Hauptthema in unserer zur Vereinheitlichung, Integration und Planetisierung drängenden Welt erweist – der Aufgabe einer sorgfältigen, wissenschaftlichen Fundierung der Begegnung der Weltreligionen, die heute das religiöse, kulturelle, sittliche und politische Bewusstsein der Völker unserer Erde formen.

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Einleitung

Was die Benutzung der deutschen Schriften Eckharts anbelangt, so habe ich mich, um meine Eckhart-Interpretation auf eine möglichst feste Grundlage zu stellen, auf folgende Schriften beschränkt: a) den als echt gesicherten Traktat »Daz buoch der goetlichen troestunge« mit der Predigt »Von dem edeln menschen« (»Liber ›Benedictus‹«) und die zwei von der bisherigen Forschung als echt anerkannten Traktate, nämlich »Die rede der unterscheidunge« und »Von abegescheidenheit«; b) die im ersten Band der deutschen Werke Eckharts (hg. von Josef Quint im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft) enthaltenen 28 deutschen Predigten, welche durch die so genannte »Rechtfertigungsschrift« als echt bezeugt bzw. durch Übereinstimmung mit Predigten des »Opus sermonum« als echt erwiesen sind; c) die von Josef Quint in seiner modernen Übersetzung »Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate« ausgewählten weiteren 36 Predigten (Predigten Nr. 24–59), welche ebenfalls von der bisherigen Forschung als echt anerkannt sind. (Was diese 36 Predigten anbelangt, so zitiere ich aus der Pfeiffer’schen Ausgabe, und zwar jeweils mit Textverbesserungen nach Verbesserungsvorschlägen J. Quints in seinem Buch »Die Überlieferung der deutschen Predigten Meister Eckharts« 1932.) d) Wenn ich ausnahmsweise aus anderen Predigten im Pfeiffer’schen Text zitiere, so handelt es sich nur um solche Aussagen, welche inhaltliche Entsprechungen in den oben genannten mehr oder weniger gesicherten Predigten haben, wobei ich nur wegen der klaren Formulierung die zitierte Aussage vorgezogen habe. Was die lateinischen Schriften anbelangt, so habe ich sie ohne prinzipielle Einschränkung benutzt. Besonders bei der Interpretation der radikalen Aussagen Eckharts muss die so genannte »Rechtfertigungsschrift« herangezogen werden, weil dort Eckhart selbst sein eigenes Verständnis des jeweiligen beanstandeten Satzes vorträgt. Diese Rechtfertigungsschrift ist jedoch keine letzte Instanz für die Eckhart-Interpretation, denn auch hier gibt es verschiedene Aus27 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Einleitung

sagen, welche nicht ganz miteinander übereinstimmen oder sich sogar widersprechen, so dass diese Schrift als solche schon einer Interpretation bedarf. Außerdem ist bei der Rechtfertigungsschrift zu bedenken, dass es sich nicht um unmittelbare, freie Äußerungen seines Denkens handelt; denn Eckhart spricht hier unter dem fremden Zwang von Zensoren und unter der Bedrohung der Inquisition mit dem bestimmten Interesse, sich zu rechtfertigen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob dieser Umstand bei Eckhart nicht eine bewusste oder auch unbewusste Einschränkung der Äußerung hervorrief. Zu den wichtigen Themen des Eckhartschen Denkens habe ich jeweils zunächst längere Zitate angeführt, um den betreffenden Gedanken im originalen Kontext untersuchen zu können. Dies ist nicht nur ein allgemeiner Grundsatz für das Zitieren, sondern gerade bei Eckhart besonders erforderlich, weil wir, was die deutschen Predigten anbelangt, nur Nachschriften seiner Zuhörer vor uns haben und deswegen vorsichtig interpretieren müssen; b) weil es beim dynamischen Denken Eckharts oft der Fall ist, dass ein an sich unauffälliger Satz in seinem Kontext eine radikale Bedeutung bekommt und umgekehrt ein an sich radikaler Ausdruck bzw. eine radikale Formulierung im Kontext nichts weiter als die Umschreibung eines traditionellen Begriffs darstellt; und c) weil sich bei Eckhart oft eine Häufung der auf denselben Gegenstand bezogenen Sätze findet, wobei es sich um eine Steigerung handelt, so dass wir den ganzen Kontext in seinem von Eckhart selbst gezogenen Umfang im Auge behalten müssen. Auf dieser mit längeren Zitaten gewonnenen Grundlage habe ich zur Erläuterung kürzere Zitate aus Eckharts Schriften in meine eigene Interpretation einbezogen. Ich habe versucht, zu jedem Thema den deutschen Text und die lateinische Entsprechung zusammen zu zitieren. Das mag manchmal überflüssig erscheinen, besonders dann, wenn die beiden Fassungen dieselbe Formulierung haben. Mir scheint es jedoch für die EckhartInterpretation wichtig zu sein, nicht nur um die deutsche Fassung eines Gedankens durch eine Entsprechung aus dem lateinischen Text zu legitimieren, sondern auch um zu zeigen, dass wir in den lateinischen wie in den deutschen Schriften einen und denselben Eckhart vor uns haben. Eckhart ist auch in den so genannten »wissenschaftlichen« lateinischen Schriften ein Mystiker, wie er in den deutschen Schriften auch ein Metaphysiker ist.* Man wird Eckhart nicht ge* Zur inneren Einheit seines Werkes vgl. Alois Dempf: Meister Eckhart (Freiburg

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Einleitung

recht, wenn man zwischen Eckhart als dem Scholastiker in den lateinischen Schriften und Eckhart als dem Mystiker in den deutschen Schriften zu unterscheiden versucht. Damit ist aber nicht gesagt, dass Eckhart eine in sich geschlossene, einheitliche Lehre vorträgt; im Gegenteil, Eckhart sagt zu einem jeden Thema sehr verschiedene und auch einander widersprechende Dinge, so dass jede beliebige Eckhart-Interpretation entsprechende Belege bei ihm finden kann. Es ist also eine Aufgabe der Eckhart-Interpretation, aus den so verschiedenen und manchmal widersprüchlichen Aussagen, welche zu einem Problemkreis gehören, eine Grundtendenz seines Denkens zu dem betreffenden Problem herauszulesen und aufgrund dessen das Verhältnis der verschiedenen Aussagen untereinander zu bestimmen. Allerdings ist der stilistische und thematische Unterschied zwischen den lateinischen Schriften und den deutschen Predigten Eckharts nicht zu übersehen, und der eigentliche, ursprüngliche Gehalt seines Denkens ist besser und reicher in seinen deutschen als in seinen lateinischen Schriften ausgedrückt.* Um die Grundtendenz in Eckharts Ausführungen über ein Thema herausarbeiten zu können, habe ich bisweilen mehrere verschiedene Aussagen bzw. Formulierungen, welche zu dem betreffenden Problemkreis gehören, zusammen angeführt. Es kommt nicht auf einzelne Ausdrücke bzw. einzelne Formulierungen an, sondern auf die Dynamik, welche in den verschiedenen Aussagen in bestimmter Richtung zum Ausdruck kommt. (Das Abkürzungsverzeichnis der zitierten Werke Meister Eckharts steht auf Seite 213.) Obgleich Eckhart keine Autobiographie geschrieben hat, in welcher er von seiner eigenen religiösen Erfahrung spricht, obgleich Eckhart kein Interesse daran hatte, seine eigene eindringliche innere Erfahrung als solche darzustellen,** gibt es doch vielfach Zeugnisse 1960), S. 182 und Josef Koch: Sinn und Struktur der Schriftauslegungen, in: »Meister Eckhart, der Prediger« (Freiburg 1960, S. 73–107), S. 84 und 103. – (Häufig zitierte Werke sind ab zweites Mal in Kurzform genannt.) * In der für die Eckhart-Interpretation wichtigen Frage nach dem Verhältnis der lateinischen zu den deutschen Schriften folge ich also Erich Seeberg und Karl Heussi u. a., Wilhelm Bange widersprechend. Vgl. E. Seeberg: Meister Eckhart (Tübingen 1934), S. 5, K. Heussi: Meister Eckhart, in: »Studien der Luther-Akademie, Neue Folge, Heft 1« (Berlin 1953), S. 26, und W. Bange: Meister Eckharts Lehre vom göttlichen und geschöpflichen Sein (Limburg 1937), S. 14 f. ** Vgl. James M. Clark (Meister Eckhart, London 1957): »That Eckhart has profound mystical experiences cannot be doubted by serious students of his works, but he never

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dieser Erfahrung, welche seinem Denken und Predigen zugrunde liegt und die unmittelbare Triebkraft seines Denkens ist. Zu solchen Zeugnissen ist folgendes zu rechnen: a) In Eckharts deutschen Predigten sind sehr viele Aussagen zu finden, aus welchen unmittelbar hervorgeht, dass hier ein Mann spricht, der seine eigene Erfahrung gemacht hat. Einige Beispiele: »Wer in diesen Grund (den Grund Gottes, welcher zugleich der Seelengrund ist) je nur einen Augenblick lang lugte, dem Menschen sind tausend Mark roten, geprägten Goldes hso vieli wie ein falscher Heller« (EW I, S. 71; Pr. 5B). 1 »Könntest du dich selbst vernichten nur für einen Augenblick, ja, ich sage, selbst für kürzer als einen Augenblick, so wäre dir alles das eigen, was es (etwas in der Seele, was Gott verwandt ist) in sich selbst ist« (EW I, S. 323; Pr. 28). 2 Zweifellos spricht Eckhart in diesen Worten seine Zuhörer aufgrund seiner eigenen Erfahrung an, um sie zu derselben Erfahrung einzuladen. »Wäre hier niemand gewesen, ich hätte sie (seine Predigt) diesem Opferstocke predigen müssen« (QQ. S. 273; Pr. 109). 3 Von dem, was ihn in seinem Innern tief ergriffen hatte, getrieben, musste Eckhart predigen. b) Die Beziehung zwischen Gott und der Seele ist das einzige Thema seiner Predigten. Diesen Gedanken entwickelt Eckhart einerseits vonseiten Gottes, andererseits vonseiten der Seele; dabei taucht wiederholt unvermittelt in den bis dahin objektiven Ausführungen das Personalpronomen der ersten Person auf (»ich« als Subjekt, »mich« und »mir« als Objekt); und zwar geschieht das gerade dann, wenn seine Darlegungen über die Beziehung zwischen Gott und der Seele (bzw. dem Menschen) ihren Höhepunkt erreichen. Einige Beispiele: »Gott und ich, wir sind eins in solchem Wirken; er wirkt, und ich werde« (EW I, S. 87; Pr. 6). 4 »[…] es gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele in derselben Weise, wie er ihn in der Ewigkeit gebiert und nicht anders. […] Er gebiert mich als seinen Sohn und als denselben Sohn« (EW I, S. 83; Pr. 6). 5

mentions them … One might say that he is strangely impersonal about the things that really concern him most deeply« (S. 92, 93). Dass Eckhart seine eigene Erfahrung nicht erwähnt hat, ist aber nicht zufällig, der Grund dafür liegt in seiner Erfahrung selbst; nach Eckhart muss man auch die eigene Frömmigkeit aufgeben und das Erfahrene lassen, um mit Gott in seiner bloßen Wesenheit und in seiner unmittelbaren Wirklichkeit eins zu werden.

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»Der himmlische Vater gebiert in mich sein Ebenbild, und aus der Gleichheit entspringt eine Liebe, das ist der Heilige Geist« (EW I, S. 157; Pr. 13). 6 »Und fragt ihr mich, da ich ein einiger Sohn bin, den der himmlische Vater ewig geboren hat, ob ich denn hauchi ewiglich in Gott Sohn gewesen sei, so antworte ich: […]« (EW I, S. 259; Pr. 22). 7 »Dieser Geist muss alle Zahl überschreiten und alle Vielheit durchbrechen, und er wird hdanni von Gott durchbrochen; ebenso aber, wie er mich durchbricht, so wiederum durchbreche ich ihn« (EW I, S. 329; Pr. 29). 8 »Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund« (EW I, S. 71; Pr. 5B). 9 »In dem Durchbrechen aber, wo ich ledig stehe meines eigenen Willens und des Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selber, da bin ich über allen Kreaturen und bin weder ›Gott‹ noch Kreatur« (EW I, S. 563; Pr. 52). 10 In dieser »Ich«-Form kommt unverkennbar zum Ausdruck, dass Eckhart unmittelbar aus seiner eigenen Erfahrung vom Eins-Sein mit Gott spricht, und zwar nicht in der Weise, dass er seine eigene Erfahrung zum Gegenstand der Darstellung macht und so die Erfahrung selbst verlässt (wie wenn einer über sich selbst erzählt), sondern so, dass das »ich« Eckharts, welches unmittelbar im Eins-Sein mit Gott steht, direkt spricht. c) Wenn Eckhart über ein Thema spricht, so zitiert er oft zunächst »andere Meister« und entwickelt dann im Gegensatz dazu (»ich aber sage«) seine eigene Auffassung, wobei er sich auf eigene innere Gewissheit beruft: »Mir genügt’s, dass in mir und in Gott wahr sei, was ich spreche und schreibe« (EW II, S. 311; BgT). 11 Seine Selbstgewissheit weist auf eine feste innere Erfahrung hin. Aus dieser Selbstgewissheit heraus scheut sich Eckhart bisweilen nicht einmal davor, sogar einen biblischen Text – wie es wenigstens den Anschein hat – gewaltsam und willkürlich zu deuten, um darin das zu sehen, was er erfahren hat. »Die ganze Schrift wird für Meister Eckhart zu einem bloßen Bilderbuch, welches das mystische Zentralerlebnis der Gotteinigung in wechselnden Allegorien veranschaulicht.«* Ein Beispiel: »Ich saß gestern an einer Stätte, da sprach ich ein Wörtlein, das * Friedrich Heiler: Die Religionen der Menschheit (Stuttgart 1959), S. 691. – Über eine solche Schriftenauslegung vgl. Ceslas Spicq: Esquisse d’une histoire de l’exégèse latine au moyen âge (Paris 1944), S. 331 f.

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Einleitung

steht im Paternoster und lautet: ›Dein Wille werde!‹ hMt 6,10i. Besser aber wäre: ›Werde Wille dein!‹ ; dass mein Wille sein Wille werde, dass ich er werde: Das meint das Paternoster« (EW I, S. 341; Pr. 30). 12 Eckhart übersetzt hier den Text des Paternoster »fiat voluntas tua!« nicht »Es werde dein Wille«, sondern, dem objektiven Sinne des Textes widersprechend, »Werde Wille dein«, d. h. »werde mein Wille dein (Gottes) Wille«, so dass er in diesem Passus eine Einheitsformel – »dass ich er (Gott) werde« – sehen kann. Wir sehen also, dass Eckharts Denken und Predigen unmittelbar aus seiner eigenen Erfahrung kommt und von dieser seiner eigenen Erfahrung bewegt ist. Seine eindringliche Erfahrung – »Gott und ich, wir sind eins« (EW I, S. 87; Pr. 9) 13 – zwingt ihn unausweichlich, nach den Voraussetzungen, dem Vollzug und den Konsequenzen der Einigung mit Gott zu fragen: Eckhart muss fragen: Wie muss Gott sein, damit er mit der Seele eins sein kann? Wie muss die Seele sein, damit sie mit Gott eins sein kann? So steht im Mittelpunkt seines ganzen Denkens eine alle anderen Interessen überragende Frage, nämlich die nach der Einigung der Seele mit Gott; in diesem Sinne kann man Eckharts Denken als »mystische Theologie« bezeichnen. Und »Meister Eckhart bestätigt die Richtigkeit des Satzes, dass eine mystische Theologie nur dann echt ist, wenn sie Auslegung einer selbst erlebten mystischen Erfahrung ist.«* Die »mystische Theologie« bei Eckhart ist so verstanden die denkende Aneignung dessen, was er erfahren hat und erfährt, wobei für Eckhart diese denkende Aneignung seine Erfahrung innerlich mit konstituiert; in diesem Sinne kann man auch die Bezeichnung »spekulative Mystik« auf ihn anwenden. Eckhart versucht also, von seiner eigenen Erfahrung der Einigung mit Gott angetrieben, die Einigung der Seele mit Gott denkend zu erfassen. Die Erfahrung begrifflich zu erfassen bedeutet, das Unsagbare zu sagen; es ist das Ringen um die Grenze, um das Unfassbare und Unsagbare; dabei mobilisiert er alle Begriffsapparate, welche ihm übermittelt worden sind: die der Scholastik, der neuplatonischen Tradition, der arabischen und jüdischen Philosophie. Eckhart sah sich dabei auch vor die Aufgabe gestellt, neue deutsche Begriffe zu schaffen. Bei den Formulierungen, in welchen er mit Hilfe von Begriffen verschiedener Herkunft seine innere religiöse Grunderfahrung zum Ausdruck bringt und sie begrifflich entwickelt, muss man zunächst * Ernst Benz: Mystik als Seinserfüllung bei Meister Eckhart, in: »Sinn und Sein. Ein philosophisches Symposion« (Tübingen 1960, S. 399–415), S. 403.

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Einleitung

zwei verschiedene Typen unterscheiden, nämlich das »Geburtsmotiv« und das »Durchbruchsmotiv«, wie sie schon an den obigen Beispielen zur »Ich«-Form zu bemerken sind. Der erste Typus lautet wie folgt: »Gott gebiert seinen Sohn in der Seele und dadurch die Seele als seinen Sohn.« Der zweite Typus lautet: »Die Seele bricht durch bis zum Grund Gottes und erfasst Gott dort, wie er in sich bloß und eins ist.« Im ersten Typus spricht Eckhart von der Vereinigung der Seele mit Gott; im zweiten vom Eins-Sein des Seelengrundes und des Grundes Gottes. Im ersten Typus handelt es sich um die VaterSohn-Beziehung zwischen Gott und der Seele; im zweiten um eine der Bildhaftigkeit völlig entblößte Beziehung. Im ersten Typus kommt es auf die absolute Passivität der Seele an, im zweiten auf ihre radikale Aktivität. Im ersten Typus sagt Eckhart: »Ich bin Gottes Sohn«; im zweiten: »Ich bin weder Gott noch Kreatur.« So kehren bei Eckhart in diesen beiden Typen gewisse Aussagen immer wieder, thematisch in einer gewissen Uniformität, zugleich aber mit immer neuen Begriffen und in immer reicher Bildsprache. Für meine Untersuchung habe ich mir folgende Aufgaben gestellt: 1. zunächst klarzulegen, dass jedem der genannten Typen traditionelle christliche Begriffe zugrunde liegen, wie sie in der mittelalterlichen Theologie festgelegt sind; 2. zugleich aber zu zeigen, dass Eckhart jeweils die theologische Grenze, welche durch die traditionellen Begriffe gezogen ist, von seiner eigenen Erfahrung angetrieben überschreitet, wobei er diese Überschreitung mit neuplatonischen Begriffen konstatiert; dann 3. das Verhältnis der beiden Typen zueinander zu bestimmen und auf diese Weise 4. den Charakter der Einigung mit Gott, wie sie Eckhart innerlich erfahren und begrifflich entwickelt hat, zu ergründen.

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Erster Teil Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

Vorbemerkung: Meister Eckhart bringt seine religiöse Grunderfahrung mit der Formulierung »Gott gebiert seinen Sohn in der Seele« zum Ausdruck. Dieser Formulierung liegen ein bestimmter Gottesbegriff und eine bestimmte Seelenmetaphysik zugrunde. Wir wollen uns deswegen zunächst mit Eckharts Begriffen von Gott und von der Seele, jeweils sofern sie zum Verständnis der »Gottesgeburt in der Seele« konstitutiv sind, befassen und dann auf der damit gewonnenen Grundlage seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele als der Vereinigung Gottes und der Seele behandeln.*

I.

Eckharts Gottesbegriff, soweit er für seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele konstitutiv ist

»Gott gebiert seinen Sohn in der Seele.« Diese Lehre ist direkt orientiert: 1. an dem trinitarischen Gottesbegriff, wie es schon in der Formulierung zum Ausdruck kommt, und 2. an dem soteriologischen Begriff der Menschwerdung des Sohnes Gottes; denn die Gottesgeburt in der Seele, von Gott her, ist der Vollzug der Menschwerdung in einem jeden von uns. »Gott gebiert seinen Sohn« und »Gottes Sohn wird Mensch«: Dies geschieht in einem jeden Menschen. So bietet die christliche Auffassung von Gott mit ihrem Trinitätsbegriff und ihrer Inkarnationslehre, jeweils im mittelalterlichen Verständnis, * Das Motiv der Lehre von der Gottesgeburt in der Seele ist nun keineswegs eine Neuschöpfung Eckharts. Zur Frage nach der christlichen Überlieferung der Lehre von der Gottesgeburt in der Seele s. H. Rahner: Die Gottesgeburt. Die Lehre von der Geburt Christi im Herzen des Gläubigen, in: Zeitschrift für katholische Theologie 59 (1935), S. 339–418. Die dort genannten Beispiele machen deutlich, dass Eckhart mit seiner Lehre von der Geburt in der Seele in lebendigem Kontakt mit der ungebrochenen Überlieferung der christlichen Mystik steht. Bei Eckhart aber gewinnt die Lehre von der Gottesgeburt in der Seele eine vorher nicht gekannte Akzentuierung und eine zentrale Stellung in seinem ganzen Denken, wie wir sehen werden.

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

eine unmittelbare Grundlage für Eckharts Lehre von der Gottesgeburt in der Seele. Nun wollen wir betrachten, wie Meister Eckhart 1. die traditionelle Trinitätslehre und 2. die Inkarnationslehre übernahm und sie zur unmittelbaren Anwendung auf seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele weiterführte.

1.

Der trinitarische Gottesbegriff

Für Eckhart als Dominikanermönch und zugleich Magister der Theologie bedeutet die traditionelle Trinitätslehre eine selbstverständliche Grundlage seiner Gotteslehre. Nicht nur in seinen lateinischen Schriften, sondern auch in den deutschen Predigten findet man oft Aussagen über Gott mit den damals theologisch geltenden Trinitätsformeln wie z. B. »eine Natur und drei Personen« 14, »Einheit im Wesen und Dreiheit der Personen« 15 oder »das Wesen enthält die Einheit, die Beziehung vervielfältigt zur Dreiheit« 16. Auch im Schlussgebet seiner Predigten beruft sich Eckhart manchmal auf drei göttliche Personen: »Dass wir dies begreifen und ewiglich selig werden, dazu helfe uns der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen« (EW II, S. 55; Pr. 69). 17

a)

Eckharts Trinitätslehre in seinen normalen, d. h. der Lehre entsprechenden Aussagen

Wir wollen zunächst Eckharts Trinitätslehre als Ganzes kurz zusammenfassen. Eckhart erkennt an, dass trotz der Unsagbarkeit Gottes in seiner Natur etwas in Gott ist, was den trinitarischen Aussagen über Gott real und wahrhaft entspricht. »Da Gott in seiner Natur und aus seiner Natur unsagbar ist, so ist das, was er nach unsern Aussagen ist, nicht in ihm. […] Wahr ist aber, dass etwas in Gott ist, was der Dreieinigkeit entspricht« (Serm. n. 30). 18 Was die trinitarische Aussage selbst anbelangt, so sagt Eckhart u. a. wie folgt: »Im Göttlichen und vorzüglich in Gott [ist es] notwendig, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist zu bekennen, und dass ›diese drei eins sind‹ (1 Joh 5,7), und nicht einer; zudem aber, dass sie gleich ewig, gleich vollkommen und gleichen Wesens sind, eins in allem, was zur Natur gehört, verschieden aber nur in dem, und in all dem, 36 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

was das Zeugen und Gezeugtwerden, das Hauchen und das Gehauchtwerden betrifft, einschließt oder mit sich bringt« (Joh. n. 160). 19 * Das ist eine vorzügliche Zusammenfassung dessen, was die traditionelle Trinitätslehre bietet. Nämlich: a) In Gott gibt es die Dreiheit der Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Es heißt: »In Gott gibt es eine Dreiheit der Personen« (Joh. n. 358), 20 und »[eine] durchaus wahre Unterscheidung der Personen«, und zwar »[eine] Unterscheidung in Drei« (Serm. n. 14). 21 b) Diese drei Personen sind »eins« 22, und zwar eins in allem, was zur Natur gehört; oder »sie [sind] eins der Natur und Substanz nach« (Joh. n. 162). 23 Es heißt weiter: »ihre (der drei Personen) Gleichheit« und »ihre Identität im Sein« (Serm. n. 14). 24 Jede Person ist mit der göttlichen Wesenheit identisch und insofern der ganze Gott; darin besteht die vollkommene »Gleichheit« 25 unter den Personen, sie sind gleich ewig, gleich vollkommen und gleichen Wesens. Aber in der göttlichen Wesenheit selbst, mit der jede Person identisch ist, sind die drei Personen identisch. Darin besteht die reale Identität der göttlichen Personen. c) Diese drei Personen sind eins, aber nicht einer (unum et non unus), sondern die »Unterscheidung in Drei« 26 bedeutet eine reale Unterscheidung, deren Ursache in den gegenseitigen Relationen zwischen den Personen liegt. Es heißt also: verschieden in dem, was das Zeugen und Gezeugtwerden, das Hauchen und das Gehauchtwerden betrifft. Über diese Beziehung 27 der Personen zueinander, die den Ursprung jeder Person bestimmt und damit zugleich die Unterscheidung der Personen hervorbringt, spricht Eckhart noch wie folgt: »Der Vater ist Ursprung ohne Ursprung und folglich weder gezeugt noch hervorgehend. Der Sohn aber ist Ursprung vom Ursprung und deswegen von seinem Ursprung selbst gezeugt, gezeugt, aber weder geworden noch geschaffen, da er dasselbe wie sein Ursprung ist. Der Heilige Geist aber ist vom Vater und vom Sohn, nicht geworden noch geschaffen noch gezeugt, sondern hervorgehend« (Joh. n. 359) 28 **.

* Vgl. »Symbolum Athanasianum«. ** Vgl. »Symbolum Athanasianum«.

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

b)

Eigentümlichkeiten seiner Trinitätslehre

So bietet es keine Schwierigkeiten, bei Eckhart traditionelle trinitarische Aussagen nachzuweisen. Wenn man aber aufgrund dessen behauptet, dass Eckharts Trinitätslehre nichts anderes sei als »eine reine Reproduktion der christlichen (katholischen) Trinitätslehre«*, wird man ihm vielleicht nicht gerecht. Bei weiterer Prüfung sind schon innerhalb des Problemkreises der Trinitätslehre als solcher einige Eigentümlichkeiten augenfällig. Deren nennen wir hier zwei: a) das starke Interesse an dem trinitarischen Prozess selbst und b) die ihm eigene Hervorhebung des Eins-Seins der drei göttlichen Personen und des unum-Charakters des göttlichen Seins. Das starke Interesse an dem trinitarischen Prozess selbst. Eckhart interessiert sich sehr stark für den dynamischen trinitarischen Prozess selbst (Zeugung, Gebären) 29, weniger für die einzelnen göttlichen Personen in ihren bestimmten Eigenschaften. Für Eckhart ist der trinitarische Gott mehr der gebärende, geboren-werdende, hauchende und gehaucht-werdende Lebensprozess selbst, weniger die Einheit der gegenseitigen Beziehungen der bestehenden Personen. »Das Wort ›Vater‹ besagt ein lauteres Gebären« (EW I, S. 55; Pr. 4). 30 »Vaterschaft [bezeichnet] die Fruchtbarkeit« (Serm. n. 363). 31 »Denn naturgemäß ist es der Wille des Vaters als Vater, einen Sohn zu zeugen und zu haben« (Joh. n. 117). 32 »Der Vater kann nichts als gebären, der Sohn kann nichts als geboren werden« (EW I, S. 333; Pr. 29). 33 »Denn was immer in Gott ist, das treibt ihn an zu gebären; ja, aus seinem Grunde, aus seiner Wesenheit und aus seinem Sein wird der Vater angetrieben zu gebären« (EW I, S. 427; Pr. 39). 34 »Wenn der Vater immer war und ist, war und ist immer der Sohn; von jeher geboren, wird er immer geboren« (Joh. n. 197). 35 »In Gott [wird] der Sohn immer geboren« (Sap. n. 45). 36 »Ich ward einst gefragt, was der Vater im Himmel täte. Da sagte ich: Er gebiert seinen Sohn, und dieses Tun ist ihm so lustvoll und gefällt ihm so wohl, dass er nie etwas anderes tut als seinen Sohn gebären, und sie beide blühen den Heiligen Geist aus« (EW I, S. 55; Pr. 4). 37 »Er hat so große Lust im Sohne, dass er sonst nichts bedarf, als seinen Sohn zu gebären, denn der ist ein vollkommenes Gleichnis

* W. Bange, a. a. O., S. 105.

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Eckharts Gottesbegriff

und ein vollkommenes Bild des Vaters« (EW I, S. 543; Pr. 51). 38 »Er kann nicht anders, als all seine Kraft in seinem Sohn aufzuzehren«. 39 So ist Gottes höchstes Streben »Gebären«: Was immer in Gott ist, das treibt ihn zu gebären. In Gott gebiert der Vater immer und ununterbrochen seinen Sohn. Das Zeugen ist das Leben Gottes, Gottes Leben ist lebendig nur beim und im Zeugen, und zwar als das Zeugen. Gott tut nie etwas anderes, als seinen Sohn zu gebären. Er bedarf sonst nichts, als seinen Sohn zu gebären, weil er so große Lust im Sohne, einem vollkommenen Bild des Vaters hat. Er kann auch nichts anderes tun, als seinen Sohn zu gebären, denn im Gebären verzehrt er alle seine Kraft. Gott ist »ein lauteres Gebären« 40. Diese dynamische Auffassung des göttlichen Seins als des trinitarischen Lebensprozesses selbst bietet Eckhart die unmittelbare Grundlage für seinen Gedanken der Gottesgeburt in der Seele. Was das formale Verständnis der »Zeugung« 41 als des trinitarischen Prozesses betrifft, so folgt Eckhart hier im Großen und Ganzen der traditionellen Lehre. 1. Die vollkommene Selbstmitteilung Gottes in sich selbst aus der Lebens- und Seinsfülle. Er spricht von dem innergöttlichen »Ausfluss der Form nach« (Eccli. n. 8; Serm. n. 511) 42 im Unterschied zur »creatio« [zum »Erschaffen«] nach außen hin. »Generatio« ist die »emanatio ab intimis« [das »Ausfließen aus dem Innersten«], wobei das göttliche Sein aus der Fülle seiner Natur in sich selbst aufwallt, aufsprudelt (bullire), das Überwallen (Übersprudeln) aber noch nicht mitgedacht wird: Serm. n. 511. 43 Die »emanatio« ist also die »bullitio« aus sich selbst und in sich selbst, aber nicht »ebullitio«, Übersprudeln über sich hinaus nach außen, sondern Auf- und Rückwallen der göttlichen Natur in sich selbst, eine vollkommene Rückwendung des göttlichen Selbst in sich selbst (»dasselbe [wendet] sich zu sich selbst ›in vollendeter Rückwendung‹ zurück«: Serm. n. 510), 44 wobei das göttliche Selbst sich verdoppelt, nämlich ein anderes Selbst hervorbringt. »Denn der Zeugende zeugt nicht bloß etwas ihm Ähnliches, […], sondern zeugt sein anderes Selbst« (Joh. n. 162), 45 »ein anderes Selbst, nicht etwas von ihm Verschiedenes« (Joh. n. 195). 46 »Zeugen« heißt »ein anderes Selbst hervorbringen«. Bei solcher innergöttlichen Hervorbringung »eines anderen Selbst« sind die Wirkund Zielursachen, die zur zeitlichen Veränderung gehören, ausgeschlossen; es handelt sich einzig um das ewige Ausfließen (Hervorfließen) der Form nach (»ein[en] Ausfluss der Form nach, wobei 39 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

Wirk- und Zielursache ausgeschlossen sind«: Eccli. n. 8), 47 wie es die Bild-Urbild-Beziehung klar zeigt. Das Urbild teilt dem Bild seine Form und alles, was zur Form gehört, mit, und zwar in der Weise, dass das Bild erst durch diese Formmitteilung sein Sein hat. Die »forma« ist das Prinzip des Seins, »[die] Form, die das Sein gibt und sogar das Ein ist« (Joh. n. 342). 48 »Die Form selbst teilt sich aufgrund ihrer Eigentümlichkeit ganz mit und ist Ursprung oder Ursache des ganzen Seins im Hervorgebrachten« (Joh. n. 343). 49 So versteht Eckhart die »generatio« als Formmitteilung in der Weise, dass »das Mitteilende sein ganzes Sein dem Hervorgebrachten mitteilt« (Joh. n. 359). 50 »Gott der Vater aber teilt sein ganzes Wesen dem Sohn mit« (Serm. n. 363). 51 »Wo der Vater seinen Sohn gebiert, da gibt er ihm alles, was er in seinem Sein und in seiner Natur hat. In diesem Geben quillt der Heilige Geist aus« (EW I, S. 135; Pr. 11). 52 Das Zeugen des Sohnes wird nach der christlichen Tradition auch mit dem Sich-Sprechen bzw. Sich-Erbilden des Vaters wiedergegeben, und je nachdem ist der Sohn das Wort bzw. das Bild Gottes. »Er (der Sohn) ist ein Wort des Vaters. In diesem nämlichen Worte spricht der Vater sich selbst und die ganze göttliche Natur und alles, was Gott ist, hausi« (EW I, S. 19; Pr. 1). 53 »Aber dies hat Gott sich allein vorbehalten, dass […] er seine Natur und alles, was er ist und aufzubieten vermag, gänzlich darein unwillkürlich erbildet; […] darum heißt er (Sohn) im eigentlichen Sinne ein Bild des Vaters, […] denn das göttliche Bild bricht aus der Fruchtbarkeit der Natur unvermittelt aus« (EW I, S. 189; Pr. 16B). 54 2. Das Selbsterkennen und das Selbstlieben Gottes im Zeugen. Das Zeugen ist zugleich Gottes Selbsterkennen. »Weil der Vater dem Sohn vollends gegenwärtig und der Sohn ihm vollends gleich ist, darum ›erkennt niemand den Vater als nur der Sohn‹« (EW I, S. 39; Pr. 3). 55 Weil der Vater mit seinem ganzen Wesen dem Sohne gegenwärtig ist und der Sohn dem Vater vollkommen wesensgleich ist, erkennt der Sohn den Vater vollkommen, da die Erkenntnis nur zwischen Gleichem und Gleichem möglich ist: Diese Erkenntnis ist vollkommen, weil der Sohn nicht nur dem Vater gleich, sondern selbst auch ein anderer Vater ist. Den Sohn, der den Vater vollkommen erkennt, zu zeugen, das ist das vollkommene Selbsterkennen des Vaters. Die vollkommene Rückwendung des göttlichen Selbst ist zugleich die vollkommene Selbstreflexion Gottes über sich selbst in sich selbst. »Gott erkennt im Erkennen seiner selbst sich selbst in sich 40 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

selbst« (EW I, S. 111; Pr. 9). 56 Und diese Selbsterkenntnis Gottes ist der Sohn selbst. Zugleich mit dem Zeugen wird die Liebe gehaucht, vom Zeugenden zum Gezeugten, vom Gezeugten zum Zeugenden, sofern die beiden eins sind der Natur und der Substanz nach. Bei der vollkommenen Rückwendung wird das göttliche Selbst verdoppelt, woraus das dritte Selbst hervorgeht, weil bei der Verdoppelung des Einen das ursprüngliche Eine als das die beiden Einende selbständig hervortritt. Die Liebe vom Vater zum Sohn, vom Sohn zum Vater ist nichts anders als die Selbstliebe Gottes. Das ist der Heilige Geist. So gehört zum Zeugen die Hauchung der Liebe. »Es erhellt […], dass der Vater, indem er den Sohn zeugt, zugleich die Liebe haucht, hdie Liebei des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater: Sie ist das Band zwischen beiden und der Geist, der von beiden gehaucht wird, von zweien, insofern die zwei eins sind« (Joh. n. 162). 57 »Was haberi ist göttliche Ordnung? – Aus der göttlichen Macht bricht aus die Weisheit, und aus ihnen beiden bricht aus die Liebe, das ist der Brand« (EW I, S. 351; Pr. 31). 58 Die Hervorhebung des Eins-Seins der drei göttlichen Personen. Eine folgenschwere Eigentümlichkeit der Trinitätslehre Eckharts ist seine Hervorhebung der Einheit der drei göttlichen Personen. Die Einheit der drei Personen gehört zwar als notwendiges Moment zur traditionellen Trinitätslehre. Wenn man es aber überbetont, d. h. die Einheit einseitig hervorhebt, ohne zugleich und gleichermaßen auf die Notwendigkeit der Dreiheit der Personen zurückzugreifen, dann wird die innere Ausgewogenheit der Dreieinigkeit (Einheit in der Dreiheit, Dreiheit in der Einheit) 59 irgendwie gestört. »Diese drei göttlichen Personen sind eins (unum)«: Dies ist einer der grundlegenden Sätze bei Eckhart. Was z. B. das Verhältnis von Vater und Sohn anbelangt, so sagt Eckhart u. a. wie folgt: »Deswegen sind auch bei dem Ausfließen der Form nach das Hervorbringende und das Hervorgebrachte schlechthin eins im Wesen, im Sein, im Leben, im Erkennen und Wirken« (Joh. n. 343). 60 »Denn in der Gottheit ist der Sohn nicht allein dem Vater ähnlich, sondern vielmehr selbst ein anderer Vater« (Joh. n. 162). 61 »Der Vater ist nämlich das, was der Sohn ist. Die Vaterschaft selbst ist das, was die Sohnschaft ist« (Serm. n. 6). 62

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

»In der Gottheit [ist] in Vater und Sohn nicht nur dasselbe Sein der Art nach, wie bei den Geschöpfen, sondern auch dasselbe der Zahl nach« (Serm. n. 363). 63 Es ist dabei selbstverständlich nicht so, dass Eckhart überhaupt keine Differenzierung im göttlichen Sein kennt, sondern er kennt, wie oben gezeigt, die Unterscheidung der Personen dem Selbstand und dessen Ursprung, d. h. den gegenseitigen Beziehungen nach. »Denn Vater und Sohn sind immer dem Selbstand nach unterschieden, da nichts sich selbst zeugt« (Joh. n. 161). 64 Wer also gezeugt wird, der wird ein anderer als der Zeugende, aber nicht ein anderes. In Hinsicht auf die Relation »Zeugen und Gezeugt-werden« sind der Zeugende (gignens) und der Gezeugte (genitus) zwei. Aber was der Gezeugte ist, das ist dasselbe, was der Zeugende ist. So heißt es: »Dieses ist nicht der Natur nach ein anderes, sondern ein anderer dem Ursprung nach: dort die unpersönliche handeresi, hier die persönliche Form handereri« (Joh. n. 195). 65 »Non aliud, sed alius« [»nicht ein anderes, sondern ein anderer«] gibt Eckhart auch mit »unum et non unus« [»eins, aber nicht einer«] wieder. »›Ich und der Vater sind eins‹ hJoh 10,30i; ›eins‹ wegen der Identität der Natur, ›wir sind‹ wegen der persönlichen Verschiedenheit zwischen dem Abbild und seinem Urbild. Das besagt auch dieses Wort: der Eingeborene, eins nämlich, aber geboren, und deshalb nicht einer« (Joh. n. 194). 66 In der Formulierung »non aliud, sed alius« bzw. »unum et non unus« kommen sowohl Einheit im Wesen 67 als auch Dreiheit (Unterscheidung) der Personen 68 in der trinitarischen Ausgewogenheit zum Ausdruck. Bei dieser Feststellung darf man es aber nicht bewenden lassen, denn von solchen traditionellen Aussagen über die ausgewogene Dreieinigkeit gibt es im Verhältnis zu anderen Aussagen bei Eckhart nur wenige. Wenn man Eckharts trinitarische Aussagen in ihren verschiedensten Variationen als Ganzes übersieht, fällt die Tendenz zur immer stärkeren Hervorhebung des Unum-Seins der drei Personen auf, die Tendenz nämlich, die von der neuplatonischen Auffassung des »unum« bestimmt wird. Diese Tendenz wird stufenweise immer deutlicher werden.*

* In diesem Punkt sieht K. Heussi »die Einschränkung, die Eckhart aufgrund seiner Spekulation der Trinitätslehre gibt« (a. a. O., S. 19).

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Eckharts Gottesbegriff

1. »Unterschiedenheit gibt es weder in der Natur noch in den Personen entsprechend der Einheit der Natur. Die göttliche Natur ist Eins, und jede Person ist auch Eins und ist dasselbe Eine, das die Natur ist« (EW II, S. 325; BgT). 69 Wegen der einseitigen Hervorhebung der absoluten Einheit der Personen wurde dieser Satz von den Zensoren der Kölner Kommission beanstandet (vgl. RS S. 25; RSdt S. 66). Darauf erwiderte Eckhart selbst: »Es leugnen, heißt Gott und seine Einheit leugnen« (RSdt S. 84). 70 Es ist sehr charakteristisch für Eckharts Denken, dass er hier die Einheit der Personen im göttlichen Wesen verteidigte, während die Zensoren mit der Beanstandung dieses Satzes Eckharts Auffassung von der notwendigen Verschiedenheit der Personen ergründen wollten. Seine Erwiderung verrät, dass Eckhart nicht verstand, worum es sich bei der Beanstandung handelte. Hier zeigt sich unverkennbar, worin Eckharts Interesse liegt. Dieser Satz wurde dann auch von Papst Johannes XXII. in der Bulle »in agro dominico« 1329 verdammt. 2. »Deswegen zeugt es im eigentlichen Sinne nicht etwas Ähnliches, sondern sich selbst als eins und dasselbe. Denn das Ähnliche schließt Anderssein und zahlenmäßige Verschiedenheit ein; im Einen aber gibt es überhaupt keine Verschiedenheit. Daher kommt es, dass das Ausfließen bei den göttlichen Personen eine Art Übersprudeln der Form nach ist, und deswegen sind die drei Personen schlechthin und ohne Einschränkung eins« (Joh. n. 342). 71 Hier kommt das Unum-Sein der drei Personen in radikalerer Form als im ersten Zitat zum Ausdruck. Bei diesem beruht das Unum-Sein der Personen auf der Einheit der göttlichen Natur (una natura), welche Einheit an sich, nach der traditionellen Trinitätslehre, die Dreiheit und Unterscheidung der Personen zulässt. Hier ist es anders: Der Begriff »unum« ist von vornherein gesetzt, und zwar als das, das in keiner Hinsicht die zahlenmäßige Verschiedenheit zulässt. Aus dieser Bestimmung des unum wird unmittelbar auf das schlechthinnige Unum-Sein der drei Personen geschlossen: »Deswegen sind die drei Personen schlechthin und ohne Einschränkung eins.« Hier ist das Prinzip des Unum-Seins der drei Personen das »unum« selbst. Die Freiheit der Personen kann nicht mehr neben dem »unum« im trinitarischen Gleichgewicht stehenbleiben. Im ersten Zitat heißt es, kurz gesagt, »diese drei Personen sind eins, denn die göttliche Natur ist den drei Personen gemeinsam«. Im zweiten heißt es, »diese drei Personen sind eins, denn Gott ist eins (deus est unum)«. Hier gibt es 43 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

keinen Weg zurück zur Dreiheit der Personen, denn das unum als das Prinzip der Einheit der Personen steht direkt im Widerspruch zur Zahl und zur Unterscheidung 72. So heißt es »diese drei sind ein ungeteilter Gott« (RSdt S. 93). 73 Nach der traditionellen Lehre muss es heißen: »unum et non unus« [»eins und nicht einer«]. Hier heißt es jedoch »unus«, denn das »unum« als Prinzip des göttlichen Seins verneint jede Zahl, so bleibt dem unum entsprechend nur eine Person »unus deus« [»ein Gott«], auf jede Weise ungeteilt. »Daher gibt es in ihm weder Zahl noch Vielheit. Deshalb sind die drei Personen nicht viele, sondern ein Gott« (Sap. n. 112). 74 Beim ersten Zitat handelte es sich um die Hervorhebung der einen Seite der Drei-einig-keit. Hier geht es um das Unum-Prinzip, das den anderen Aspekt, den der Dreiheit zerstören kann. »In Gott ist nichts als Eines, und das Eine ist unteilbar […] ›Gott ist Eines‹ h1 Gal. 3,20i« (EW I, S. 657; Pr. 62). 75 Dem Gedanken des zweiten Zitats liegt so eine bestimmte Auffassung des »unum« zugrunde, aa) »Das Eine ist nämlich das, in dem es keine Zahl gibt« (Exod. n. 57). 76 »Das Eine nämlich als solches ist ganz und gar Eines und hat nichts anderes in sich als das Eine« (Joh. n. 329). 77 bb) »So ist auch alles, was aus dem Einen als solchem geboren ist oder geboren wird, notwendig Eines; denn aus dem Einem als solchem kann nur Eines hervorgehen« (Joh. n. 329). 78 Daher bleibt das unum »im Quellgrund der Einheit, Gleichheit und Ununterschiedenheit« (Sap. n. 38). 79 »Das Eine ist das, in dem es keine Zahl gibt« und »Aus dem Einen als solchem kann nur Eines hervorgehen«; dieses Verständnis des »unum« leitet Eckhart beim zweiten Zitate. (Die Entfaltung dieses Prinzips gehört zum zweiten Teil.) 3. Von dieser Auffassung des »unum« Gottes wird die gesamte Struktur der Drei-einig-keit umgestimmt, aa) Im »unum« gibt es keine Zahl. Eckhart schreibt deshalb: »Daher sagen wir Gott, er sei einer – im Gegensatz zur Zahl« (Sap. n. 116), 80 und »denn in Gott ist keine Zahl« (Serm. n. 105). 81 Das göttliche Wesen ist »über die Zahl erhaben« und »kann nicht in eine Zahl eingehen mit einem Zählbaren« (RSdt S. 126). 82 Dies bezieht Eckhart direkt auf die Dreizahl der Personen; »in der göttlichen Wesenheit gibt es »keine Zahl der Personen« (Exod. n. 57). 83 Damit wird die Drei-einig-keit des ZahlCharakters beraubt. »Hundert Menschen sind eine gezählte Vielheit, tausend Engel sind eine Vielheit ohne Zahl, aber die drei Personen in der Dreifaltigkeit sind weder eine Vielheit, noch sind sie gezählt« (vgl. RSdt S. 111). 84 »Die drei Personen in Gott, deren sind drei, zahlenlos« (EW I, S. 431; Pr. 40). 85 Nicht nur »drei ohne Zahl«, sondern 44 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

auch »Gott ist der eine ohne Eins (RSdt S. 126)], 86 »einer ohne hzahlenmäßigei Einheit« (Sap. n. 44), 87 »er [ist] nicht einer nach der Einheit […], die der Ursprung der Zahl ist« (Serm. n. 105). 88 »Er ist nämlich einer ohne Einheit, dreifaltig ohne Dreiheit« (Serm. n. 118): 89 Damit will Eckhart in Hinsicht auf das Unum-Sein der Personen etwas mehr sagen als mit der gewöhnlichen Trinitätsformel »Einheit in der Dreiheit, Dreiheit in der Einheit« 90. bb) Aufgrund des »unum« des göttlichen Seins identifiziert Eckhart die Unterschiedenheit der Personen mit ihrer Einheit. Dementsprechend gibt er den betreffenden Unterschied als »ohne Unterschied« an. »Die Unterschiedenheit kommt aus der Einheit, hich meinei die Unterschiedenheit in der Dreifaltigkeit. Die Einheit ist die Unterschiedenheit, und die Unterschiedenheit ist die Einheit. […] denn das hebeni ist die Unterschiedenheit ohne Unterschied« (EW I, S. 131; Pr. 10). 91 Dieses »Unterschied ohne Unterschied« weist schon auf die Eigenschaftslosigkeit des göttlichen Seins hin. Einmal konnte er positiv sagen: »Wahr ist, dass etwas in Gott ist, was der Dreieinigkeit entspricht, die wir von ihm aussagen«, wie wir oben sahen. Jetzt muss er negativ formulieren: »Es ist aber nicht überflüssig oder falsch, die trinitarischen Eigenschaften zu unterscheiden.« »Jede Unterscheidung widerstreitet dem Unendlichen. Gott aber ist unendlich. Deswegen ist es aber nicht überflüssig oder falsch, derartige Eigenschaften zu unterscheiden« (Exod. n. 61). 92 Nun haben wir gesehen, wie Eckhart bei der Drei-einig-keit deren Einigkeit hervorhebt, und zwar in verschiedenen Stufen in verschiedener Weise ausgeführt. Wenn er sagt: »Diese drei göttlichen Personen sind eins«, folgt er noch der traditionellen Trinitätslehre. Wenn er darüber hinaus sagt: »Die drei Personen sind ein Gott, auf jede Weise ungeteilt«, oder »Die drei Personen [sind] schlechthin und ohne Einschränkung eins« (Joh. n. 342), 93 steht er an der Grenze der traditionellen Trinitätslehre. Wohin diese Hervorhebung der Einheit der Personen und des unum-Charakters Gottes Eckhart führt, das wird deutlich, wenn er von dem Satz, dass die drei göttlichen Personen eins sind, zu dem Satz überspringt, dass dieses Eine weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist ist (vgl. u. a.: »[…] nur dem Einen, das frei ist von jederart Menge und Unterschied, in dem auch GottVater-Sohn-und-Heiliger-Geist alle Unterschiede und Eigenschaften verliert und ihrer entblößt wird und Eins ist und sind«: EW II, S. 281; BgT 94), womit die neuplatonische Auffassung des »unum« sich durchgesetzt hat. 45 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

Dieses Überspringen und seine Konsequenzen erörtern wir thematisch im zweiten Teil unserer Untersuchung. Hier genüge es, innerhalb der Trinitätslehre Eckharts als solcher eine Tendenz zur immer stärkeren Hervorhebung der Einheit der Personen festzustellen und nur darauf hinzuweisen, dass er, wenn die Tendenz sich weiter entwickelt, den Punkt erreicht, wo er das christliche Trinitätsdogma überschreiten muss.

c)

Der entscheidende Punkt in seiner Trinitätslehre – Anwendung des Trinitätsbegriffs auf die Beziehung zwischen Gott und der Seele

Das Entscheidende an der Trinitätslehre Eckharts liegt darin, dass er den trinitarischen Prozess mit seiner ganzen Dynamik und die betonte Einheit der göttlichen Personen mit allen ihren Konsequenzen gerade in der Beziehung Gottes zur Seele sieht. »Wohl nirgends ist die Trinitätslehre so eng mit dem geistlich-geistigen Leben verbunden wie bei Eckhart.«* Das ist entscheidend sowohl für seine Gotteslehre als auch für seine Seelenlehre: Vor allem aber sind bei Meister Eckhart die Gotteslehre und die Seelenlehre in diesem Punkte untrennbar verbunden und ineinander verschlungen. »Wo Gott ist, da ist die Seele, und wo die Seele ist, da ist Gott« (EW I, S. 131; Pr. 10). 95 »Soweit Gott göttlich […] ist, ist Gott nirgends so eigentlich wie in der Seele« (EW I, S. 339; Pr. 30). 96 Die Seele ist bei Eckhart das eigentliche Element für Gott. Nun ein typisches Beispiel für Eckharts Ausführungen zu der Frage, wie sich der trinitarische Prozess zwischen Gott und der Seele vollzieht: »Der Vater gebiert seinen Sohn in der Ewigkeit sich selbst gleich. ›Das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort‹ hJoh. 1,1i: Es war dasselbe in derselben Natur. Noch sage ich überdies: Er hat ihn geboren in meiner Seele. Nicht allein ist sie bei ihm und er bei ihr als gleich, sondern er ist in ihr; und es gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele in derselben Weise, wie er ihn in der Ewigkeit gebiert und nicht anders. Er muss es tun, es sei ihm lieb oder leid. Der Vater gebiert seinen Sohn ohne Unterlass, und ich sage mehr noch: Er gebiert mich als seinen Sohn und als denselben Sohn. Ich sage noch * A. Dempf, a. a. O., S. 109.

46 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

mehr: Er gebiert mich nicht allein als seinen Sohn; er gebiert mich als sich und sich als mich und mich als sein Sein und als seine Natur. Im innersten Quell, da quelle ich aus im Heiligen Geiste; da ist ein Leben und ein Sein und ein Werk. Alles, was Gott wirkt, das ist Eins; darum gebiert er mich als seinen Sohn ohne jeden Unterschied« (EW I, S. 83; Pr. 6). 97 1. Das Zitat beginnt mit einem korrekten trinitarischen Satz: »Der Vater gebiert seinen Sohn in der Ewigkeit sich selbst gleich.« 2. Gleich darauf folgt jedoch eine Abwandlung: »Er hat ihn (seinen Sohn) geboren in meiner Seele« und so »ist er (der Gottessohn) in ihr (der Seele)«. Es handelt sich um mehr als um die Gleichheit der Seele mit dem Sohne Gottes, wie sie die traditionelle Lehre mit dem Begriffspaar »imago dei« [»Ebenbild Gottes«] und »ad imaginem dei« [»nach dem Ebenbild Gottes«] festlegt. »Gott wirkt alle seine Werke darum, dass wir der eingeborene Sohn seien« (EW I, S. 143; Pr. 12); vgl. RSdt S. 108. 98 Gott gebiert seinen Sohn, und zwar in der Seele: Damit ist die Seele der Ort, in dem der trinitarische Prozess Gottes sich vollzieht. Noch ein Beispiel dafür: »Der himmlische Vater gebiert in mich sein Ebenbild (similitudo, imago), und aus der Gleichheit entspringt eine Liebe, das ist der Heilige Geist« (EW I, S. 157; Pr. 13). 99 Eine solche Aussage darf man nicht hinweginterpretieren. In der Tat wurde dieser Satz von den Zensoren beanstandet (vgl. RSdt S. 102: »Der himmlische Vater zeugt in mir seine Ähnlichkeit, und von dieser Ähnlichkeit kommt uns die heilige Liebe, die da ist der Heilige Geist«) 100. Auf die Beanstandung erwidert Eckhart entschieden: »Wer dies leugnet, kennt sich schlecht aus in den heiligen Schriften und somit in der Wahrheit; er weiß wenig von Gott und hat wenig von Gott« (RSdt S. 103). 101 So dienen bei Eckhart die normalen trinitarischen Aussagen wie a) meistens als unmittelbare Einführung in die trinitarische Beziehung zwischen Gott und der Seele. Ein anderes Beispiel für diesen Zusammenhang: »Der himmlische Vater spricht ein Wort und spricht es ewiglich, und in diesem Worte verzehrt er alle seine Macht, und er spricht in diesem Worte seine ganze göttliche Natur und alle Kreaturen (nämlich in ihren Ideen) aus«. An diese normale trinitarische Aussage schließt sich wieder dieselbe Abwandlung an: »Das Wort liegt in der Seele verborgen« (EW I, S. 215; Pr. 19). 102 3. Dem folgt die Feststellung, dass Gott Vater seinen Sohn in der Seele ganz in derselben Weise gebiert, wie er ihn in der Ewigkeit gebiert. Dieselbe Feststellung begegnet uns bei Eckhart unzählige 47 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

Male: »Der Vater gebiert seinen Sohn im ewigen Erkennen, und ganz so gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele wie in seiner eigenen Natur« (EW I, S. 55; Pr. 4); 103 »wie haberi gebiert der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele? […] ganz in der Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr« (QQ. S. 418; Pr. 101). 104 Nun, auch dieser Gedanke, und zwar gerade in der Formulierung dieses Zitats, wurde von den Zensoren beanstandet: »Der Vater zeugt seinen Sohn in der Seele in derselben Weise, wie er ihn in der Ewigkeit zeugt und nicht anders« (RSdt S. 121). 105 Darauf erwiderte Eckhart: »Man muss sagen, dass dies wahr ist. Denn weder einen anderen Sohn zeugt der Vater, noch auf andere Weise in mir als in der Ewigkeit. In Gott nämlich gibt es weder ›anderes‹ noch ›auf andere Weise‹« (RSdt S. 121 f.). 106 Wir sehen, dass der Unum-Charakter Gottes auch hier maßgebend ist: In Gott, der unum ist, gibt es nämlich weder »einen anderen Sohn« noch »eine andere Weise« zu gebären. Für Gott, der keinen zahlenmäßigen Unterschied kennt, ist das Gebären in sich und das Gebären in der Seele ein und dasselbe Gebären. Gott gebiert seinen Sohn in der Seele als in sich selbst. Damit decken sich der innergöttliche trinitarische Bezirk und die Seele. Das kommt nun in dem nächsten Satz zum Ausdruck: »Er muss es tun, es sei ihm lieb oder leid.« Gott muss in der Seele seinen Sohn gebären. Dieses »Müssen« Gottes besagt eine gewisse Notwendigkeit der innergöttlichen Natur. Es tut Gott not von seiner Natur her, seinen Sohn in der Seele zu gebären. Die Gottesgeburt in der Seele ist also für Gott seine eigene innergöttliche Sache. (Dieser Gedanke entspricht der ersten Eigentümlichkeit seiner Trinitätslehre, nämlich dem starken Interesse für die Dynamik des trinitarischen Prozesses selbst.) »Sein (Gottes) Sein hängt daran, dass er in der Seele seinen Sohn gebäre, es sei ihm lieb oder leid« (EW I, S. 55; Pr. 4). 107 »Gottes höchstes Streben ist: gebären. Ihm genügt es nimmer, er gebäre denn seinen Sohn in uns« (EW I, S. 133; Pr. 11). 108 »Und darum ruht der Vater nimmer; er jagt hvielmehri und treibt allzeit dazu, dass sein Sohn in mir geboren werde« (EW I, S. 423; Pr. 39). 109 »Seine Natur zwingt ihn dazu« (EW II, S. 97; Pr. 73). 110 Das heißt: Wenn Gott in der Seele seinen Sohn gebären muss, so ist damit die Seele in den innergöttlichen Wesensbezirk, wo die göttliche Natur mit ihrem Drang zum Gebären waltet, einbezogen. Mit dem »Müssen« Gottes steht Eckhart schon an der Grenze der traditionellen Gnadenmystik. 48 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

4. Nun setzt eine eigentümliche, von Eckhart gern gebrauchte Steigerung ein: »[Gott] gebiert seinen Sohn […] in meiner Seele. […] ich sage mehr noch: Er gebiert mich als seinen Sohn und als denselben Sohn. Ich sage noch mehr: Er gebiert mich nicht allein als seinen Sohn; er gebiert mich als sich und sich als mich […]. Da ist ein Leben und ein Sein und ein Werk« (EW I, S. 83; Pr. 6). 111 Das ist keine zufällige, rhetorische Steigerung, sondern sie ist nach Eckhart in der Sache selbst begründet. Den Gedankengang leitet immer der UnumGedanke: »Gott ist Eins.« Das zweifache Eins-Sein treibt zur Steigerung: 1. Eins-Sein der Seele als des Sohnes Gottes mit dem Sohn Gottes als der zweiten göttlichen Person. Dieses Eins-Sein ist, was zum Verständnis Eckharts wichtig ist, von Gott her, nämlich vom Unum-Sein Gottes her begründet. »Alles, was Gott wirkt, ist Eins; darum gebiert er mich als seinen Sohn ohne jeden Unterschied.« Dieser Satz wurde auch von den Zensoren beanstandet und in der Bulle verdammt (vgl. RSdt S. 122: »Er zeugt mich halsi seinen Sohn und denselben Sohn. Was Gott wirkt, das ist eins; darum zeugt er mich halsi seinen Sohn ohne allen Unterschied« 112). »Weil der Vater hnuri ein Werk wirkt, darum wirkt er mich als seinen eingeborenen Sohn ohne jeden Unterschied« (EW I, S. 85; Pr. 6); 113 vgl. RSdt S. 122: »Was Gott wirkt, das ist eins; darum zeugt er mich halsi seinen Sohn ohne allen Unterschied«. 114 2. Eins-Sein der zweiten göttlichen Person mit dem Vater, wie wir oben gesehen haben. In Gott, dem Einen, gibt es keinerlei Unterschied, Vater und Sohn sind »einfachhin und absolut« 115 eins. Vom Unum-Gedanken geführt ruht Eckhart nicht eher, bis »ein Leben und ein Sein und ein Werk mit Gott« erreicht worden ist. So führt bei Eckhart die Trinitätslehre im Zusammenhang mit seinem starken Interesse an dem trinitarischen Prozess selbst und mit der Hervorhebung der Einheit der Personen direkt zur Lehre von der Gottesgeburt in der Seele.

Zusammenfassung Der überlieferte Trinitätsbegriff ist für Eckhart ein selbstverständlicher Ausgangspunkt für seinen Gottesbegriff. In die folgenden beiden Richtungen hat er den Trinitätsbegriff stark weiter entwickelt: 49 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

a) Aufgrund der Dynamik des innergöttlichen Gebärens und der Immanenz Gottes in der Seele erweitert er den Spielraum des innertrinitarischen Prozesses so, dass er den Prozess zwischen Gott und der Seele umfasst; dadurch hat er die Seele in den innergöttlichen trinitarischen Bezirk einbezogen. Der zuletzt genannte Umstand fördert seinerseits den dynamischen Charakter im Gottesbegriff Eckharts, wie wir noch sehen werden. Für Eckhart ist Gottes Sein der dynamische Lebensprozess selbst. b) Eckhart entwickelt das Moment der Einheit der drei Personen in dem Sinne, dass es sich nicht nur um die Einheit der drei Personen, sondern auch um das Eine ohne jede Unterschiedenheit handelt; wenn Eckhart sagt, »diese drei Personen sind eins« 116, so ist der Begriff »eins« bei ihm zugleich mit neuplatonischem* Verständnis geladen. Damit führt er den christlichen trinitarischen Gottesbegriff an seine Grenze. Für Eckhart ist Gottes Sein das Eine, das zunächst als die Einheit der drei Personen erscheint, aber in sich selbst einfachhin (simpliciter) Eins ist.

2.

Die Inkarnationslehre Meister Eckharts

Das andere Moment im christlichen Gottesbegriff, das Eckhart bei seiner Lehre von der Gottesgeburt in der Seele leitet, ist »die Menschwerdung des Sohnes Gottes«. Nun wollen wir näher untersuchen, in welcher Weise Eckhart aus der übernommenen normalen Inkarnationslehre eine unmittelbare Grundlage für seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele schafft. Folgende Zitate gelten als die Grundtexte zu diesem Problem:

* Den neuplatonischen Charakter des Eckhart’schen Denkens haben schon früher E. Seeberg, in seinem Entwurf eines Gesamtbildes von Meister Eckhart (a. a. O.), und J. Koch, in seinem Aufsatz über den Einfluss der orientalischen Traditionen des Neuplatonismus – besonders Avencebrol und Maimonides – auf Eckhart (Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters, in: Jahresber. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Kultur, 1928, wie auch in seiner Kölner Universitätsrede (Platonismus im Mittelalter, 1948 – besonders Proklos’ Einfluss auf Eckhart), hervorgehoben. Vgl. auch Heinrich Ebeling: Meister Eckharts Mystik (Stuttgart 1941). Nach ihm überwindet Eckhart den durch die franziskanisch-skotistische Kritik erschütterten Aristotelismus des Thomas durch neuplatonische Lehren. Unter den neuesten Forschungen vgl. besonders Albert Auer: Eckhart-Probleme (Salzburger Jahrbuch für Phil. und Psych. 11/1958). Bei der Interpretation des Eckhart’schen Begriffs »Gott als das Eine« bezieht A. Auer sich vor allem auf Plotin und Proklos.

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Eckharts Gottesbegriff

a) »Gott, das Wort, [hat] eine menschliche Natur, nicht Person angenommen. […] Wir alle haben die hmenschlichei Natur mit Christus gemeinsam, und zwar in gleicher Weise und in gleichem Sinne. Das begründet unser Vertrauen, dass das Fleisch gewordene Wort, wie in Christus, so auch im eigentlichen Sinne in einem jeden von uns wohne. […] Die menschliche Natur ist jedem Menschen innerlicher als er sich selbst. […] Wer Sohn Gottes werden will, wer will, dass das Fleisch gewordene Wort in ihm wohne, muss den Nächsten lieben wie sich selbst, das heißt so sehr wie sich selbst, und muss das Persönliche und das Eigene verleugnen. […] In dem Einen gibt es aber keinen Unterschied […]; in dem Einen gibt es weder mehr noch weniger« (Joh. n. 289, 290). 117 b) »Die Meister sagen, die menschliche Natur habe mit der Zeit nichts zu tun und sie sei völlig unberührbar und dem Menschen viel inniger und näher, als er sich selbst sei. Und deshalb nahm Gott die menschliche Natur an und vereinte sie mit seiner Person. Da ward die menschliche Natur Gott, denn er nahm die reine menschliche Natur und nicht einen Menschen an. Darum: Willst du derselbe Christus sein und Gott sein, so entäußere dich alles dessen, was das ewige Wort nicht annahm. Das ewige Wort nahm keinen Menschen an; darum entäußere dich dessen, was von einem Menschen an dir sei und was du seist, und nimm dich rein hnuri nach der menschlichen Natur, so bist du dasselbe im ewigen Wort, was die menschliche Natur in ihm ist. Denn deine menschliche Natur und die seine haben keinen Unterschied: Es ist eine hund dieselbei; denn, was sie in Christo ist, das ist sie in dir« (EW I, S. 281; Pr. 24). 118 In den beiden Zitaten, die sich fast genau entsprechen, sind die folgenden drei wichtigen Punkte enthalten: 1. Gott hat die menschliche Natur angenommen, nicht einen Menschen (eine menschliche Person). 2. Aufgrund dessen ist jedem Menschen die Möglichkeit gegeben, dass dieselbe Vereinigung der göttlichen Person mit der menschlichen Natur auch in ihm geschehen kann, weil die menschliche Natur in Christus und in einem jeden Menschen eine und dieselbe ungeteilte ist. 3. Um unmittelbar, bloß, in der menschlichen Natur stehen und dann in diese Vereinigung aufgenommen werden zu können, muss der Mensch seinen Menschen, nämlich seine menschliche Person, das Persönliche und Personhafte lassen.

51 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

a)

Die hypostatische Union

In den obigen Zitaten sagt Eckhart: »Gott, das Wort, [hat] eine menschliche Natur, nicht Person angenommen«, 119 »das ewige Wort nahm keinen Menschen an. […] Gott [nahm] die menschliche Natur an und vereinte sie mit seiner Person.« 120 Diese Sätze entsprechen genau dem christologischen Grundsatz der sog. »hypostatischen Union«, d. h. der personalen Einheit in Christus bei der Zweiheit der Naturen. Es kommt dabei einzig darauf an, in dem Gottmenschen, Christus, sowohl die Menschheit als auch die Gottheit je unverkürzt, miteinander unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und ungeschieden zu bewahren, ohne doch dabei, wie etwa bei der Annahme von zwei Personen in Christus, seine personale Einheit zu zerreißen. Dieses christologische Dogma ist das Ergebnis der großen theologischen Streitigkeiten in den ersten vier Jahrhunderten. Die Lehre von der hypostatischen Union wandte sich einerseits gegen den Nestorianismus, der die menschliche Natur Christi in dem Sinne überbetonte, dass dessen menschliche Personalität auch durch die Vereinigung des Logos mit der menschlichen Natur nicht angetastet worden sei, andererseits gegen den so genannten Monophysitismus (die Lehre von der einen Natur in Christus), der die göttliche Einheit Christi überspitzte und durch die betreffende Vereinigung die menschliche Natur sich in die göttliche verwandeln ließ. Es heißt also: »Gott, das Wort, hat die menschliche Natur angenommen, nicht einen Menschen bzw. eine menschliche Person.« Hier ist die Unterscheidung zwischen »einem Menschen« und »der menschlichen Natur« vorausgesetzt. Wie führt Eckhart diese Unterscheidung durch? »Mensch und Menschheit unterscheiden sich voneinander. Wenn man Mensch sagt, so versteht man darunter eine Person; wenn man Menschheit sagt, so versteht man darunter die Natur aller Menschen. Die Meister sagen, was Natur sei: Sie ist ein Ding, das Dasein zu empfangen vermag. Darum vereinte Gott die Menschheit mit sich und nicht einen Menschen«. 121 In unserem Zusammenhang ist zunächst der Satz wichtig: »Die Meister sagen, was Natur sei: Sie ist ein Ding, das Dasein zu empfangen vermag«. Wie die Worte »die Meister sagen« zeigen, teilt Eckhart hier das allgemeine Verständnis der Natur, wonach die Natur »ein Ding ist, das Dasein zu empfangen vermag«. Das Wort »wesen« bedeutet dabei Dasein (existentia) und Selbstand (Selbstbestehen, 52 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

subsistentia) in einem, nämlich »Hypostase«. Indem die Natur den Selbstand von ihrem entsprechenden Naturträger empfängt, empfängt sie erst ihr eigenes Dasein. (Hier liegt die Lehre vom Unterschied zwischen essentia und existentia zugrunde). Die menschliche Natur tritt erst mit der menschlichen »Person« als dem Naturträger ins Dasein. »Ein Mensch« bedeutet »eine Person«, d. h. den Träger der menschlichen Natur, oder im weiteren Sinne, die durch die Hinzufügung des Trägers in den Selbstand und ins Dasein getretene menschliche Natur, d. h. das aus Leib und Seele zusammengesetzte Ganze mit eigener personaler Einheit. Der Zusammenhang von Natur und ihrem entsprechenden Träger ist ein notwendiger, das heißt, sie sind beide aufeinander hingeordnet, so dass eines ohne das andere nicht existieren kann. Unter Voraussetzung der so verstandenen Unterscheidung von »einem Menschen« und »der menschlichen Natur« sagt Eckhart: »Darum vereinte Gott die Menschheit mit sich und nicht einen Menschen.« »Gott nahm die menschliche Natur an und vereinte sie mit seiner Person.« Warum »nicht einen Menschen« 122? Wenn man annähme, das Wort, der ewige Gottessohn, hätte »einen Menschen« als die vom eigenen Naturträger getragene, abgeschlossene personale Einheit angenommen, dann müsste Christus zwei Personen, zwei Hypostasen besitzen. Dies widerspricht aber dem Dogma von einer Person in Christus. Die Menschwerdung Gottes heißt also, »Gott, das Wort, hat die menschliche Natur angenommen«; das heißt: Gott hat die menschliche Natur von dem ihr entsprechenden Träger, d. h. von der menschlichen Person ferngehalten und die lautere menschliche Natur angenommen, indem die Person des Wortes die Funktion des Trägers für die angenommene menschliche Natur übernommen hat. Die vom natürlichen (der Natur entsprechenden) Träger ferngehaltene menschliche Natur hat keine Eigenexistenz. An die Stelle des der menschlichen Natur fehlenden Daseins und Selbstandes traten das Dasein und der Selbstand (zusammen die Hypostase) des Wortes. So wurde die göttliche Person auf die menschliche Natur ausgedehnt, die menschliche Natur in die personale Einheit des Wortes aufgenommen, und zwar derart, dass diese Person, die von Ewigkeit her in der göttlichen Natur subsistiert, nun auch in der menschlichen Natur als ihr Träger zu subsistieren begann. Das ist der theologische Inhalt des Satzes: »Gott nahm die menschliche Natur an und vereinte sie mit seiner Person.« So ist in Christus eine Person, nämlich die Person des göttlichen Wortes, und 53 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

ein göttliches Dasein, und ihm gehören zwei Naturen, nämlich eine göttliche und eine menschliche, nur dass die menschliche Natur keinen ihr entsprechenden menschlichen Selbstand hat, sondern ihren Selbstand nur im Selbstand der göttlichen Person hat. Die menschliche Natur ist nicht mehr im Besitz des menschlichen Ich, sondern ist in den Besitz des göttlichen Ich übergegangen: Christus redet, handelt, denkt usw. mit den Kräften der menschlichen Natur, wie die anderen Menschen, aber was da redet, handelt usw., ist nicht das menschliche Ich, wie bei den anderen Menschen, sondern das göttliche Ich des Wortes. Man muss in Christus eine göttliche und eine menschliche Natur unterscheiden, da sie aber eine einzige personale Einheit bilden, kann man sie nicht trennen. Eckhart folgt vollkommen der traditionellen Lehre der hypostatischen Union, wenn er sagt: »Unser Herr Jesus Christus ist ein einziger Sohn des Vaters, und er allein ist Mensch und Gott. Es ist aber da nur ein Sohn in einem Sein, und dies ist göttliches Sein« (EW I, S. 445; Pr. 41). 123 »Und ferner, dass in Christus als Mensch kein anderes Sein ist außer dem göttlichen Sein, wodurch er der Sohn Gottes ist« (Sap. n. 45). 124 »In der von dem Wort angenommenen menschlichen Natur gibt es nach unserer Überzeugung aufgrund der hypostatischen Union nur ein einziges Person-Sein, nämlich das des hgöttlicheni Wortes. Trotzdem war Christus wahrhaftig Mensch im gleichen Sinne wie die übrigen Menschen« (Prol. op. prop. n. 19). 125

b)

Die eine und ungeteilte menschliche Natur

1. Was Eckhart mit seiner Auslegung der Menschwerdung Gottes in Christus sagen will, kommt deutlich zum Ausdruck, wenn er etwa schreibt: »Denn wenig bedeutet es mir, dass das Wort für die Menschen Fleisch wurde in Christus, jener von mir verschiedenen Person, wenn es nicht auch in mir persönlich hFleisch annähmei, damit auch ich Gottes Sohn wäre« (Joh. n. 117). 126 »Denn das Wort, das in Christus, außer uns, Fleisch geworden ist, macht uns eben dadurch, dass es außer uns ist, nicht vollkommen« (Joh. n. 118). 127 Für Eckhart würde also die Menschwerdung Gottes in Christus wenig bedeuten, wenn Gott nicht auch in ihm persönlich Mensch 54 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

würde, damit auch er Gottes Sohn würde. Diesem Interesse entsprechend lautet seine Auslegung des Verses »verbum caro factum est et habitavit in nobis« [»Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt« (Joh 1,14, Einheitsübersetzung)] wie folgt: »Das Wort ist Fleisch geworden in Christus, und hat in uns gewohnt, wenn in einem jeden von uns Gottes Sohn Mensch wird und eines Menschen Sohn Gottes Sohn wird« (Joh. n. 118). 128 Eckhart liest nicht »und wohnte unter uns«, sondern »und wohnte im Inneren von uns«, »wenn in einem jeden von uns Gottes Sohn Mensch wird«. Das Wichtigste ist für Eckhart dies: »Der Sohn Gottes, das Fleisch gewordene Wort, [wohnt] in uns, wirklich in uns selbst« (Joh. n. 118). 129 »Et habitavit in nobis« [»und hat in uns gewohnt«], hier geschieht nach Eckhart genau dasselbe, wie bei »verbum caro factum est in Christo« [»das Wort ist Fleisch geworden in Christus«]: einmal in Christus, ein anderes Mal in uns, aber jedes Mal dieselbe Menschwerdung Gottes. Deswegen sieht Eckhart in »et« [»und«] den Charakter der Wiederholung und zieht zur Auslegung des betreffenden Verses auch den Vers »iterum videbo vos« [»ich werde euch wiedersehen«] (Joh 16,22) heran: »Er sah uns, als er Fleisch wurde; er sieht uns wieder, indem er in uns wohnt« (Joh. n. 119). 130 Es handelt sich aber nicht um eine einfache Wiederholung; Gott hat uns gesehen, als er für uns (pro nobis) in Christus Mensch wurde, und er sieht uns wieder (iterum), indem er in uns wohnt. Das heißt: Bei seiner Menschwerdung hat Gott es von vornherein darauf abgesehen, in uns als Mensch zu wohnen, damit wir auf diese Weise Gottes Sohn werden. »Warum ist Gott Mensch geworden? Darum, dass ich als derselbe Gott geboren würde« (EW I, S. 333; Pr. 29). 131 »Und er ist aus dem Grunde Mensch geworden, dass er dich als seinen eingeborenen Sohn gebäre und als nicht geringer« (EW I, S. 341; Pr. 30). 132 Gott hat in der Menschwerdung seines Sohnes »es eher auf mich abgesehen und mich mehr geliebt hat als ihn und es mir eher verlieh[en] als ihm. Wieso denn? Er gab es ihm um meinetwillen, denn mir tat es not« (EW I, S. 59; Pr. 5A). 133 In dieser Hinsicht besagt »et« [»und«] nicht nur eine Wiederholung, sondern auch die Vollendung der Menschwerdung Gottes. Das »et habitavit in nobis« [»und hat in uns gewohnt«] ist die »erste Frucht« (Joh. n. 117) 134 davon, dass »das Wort Fleisch geworden [ist] in Christus« 135. »Verbum caro factum est, et habitavit in nobis«. 55 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

Gott ist nach Eckhart Mensch geworden, um in einem jeden Menschen Mensch zu werden und ihn so als seinen eingeborenen Sohn zu gebären. In der Menschwerdung Gottes in Christus ist also die Grundlage dafür bereitet, dass dieselbe Menschwerdung Gottes auch in einem jeden Menschen geschehen kann. Darin sieht Eckhart die soteriologische Bedeutung der Menschwerdung Gottes in Christus. Nun müssen wir fragen, worin nach Eckhart diese Grundlage besteht. 2. Die Menschwerdung Gottes bedeutet nach dem christologischen Grundsatz der hypostatischen Union, dass Gott die menschliche Natur angenommen und ihr die Person des Wortes Gottes als ihre Trägerin gegeben hat. Für Eckhart, der diese Lehre übernahm, bedeutet das aber zugleich, dass die menschliche Natur in die personale Einheit des Wortes Gottes aufgenommen wurde und in diesem Sinne Gott ward. So heißt es in dem obigen Zitat: »Und deshalb nahm Gott die menschliche Natur an und vereinte sie mit seiner Person. Da ward die menschliche Natur Gott.« 136 »Da wurde die menschliche Natur Gott.« Statt dieses Satzes, der an den Monophysitismus erinnert, gebraucht Eckhart manchmal eine kühnere Formulierung: »Der Mensch wurde Gott.« »Denn, so wahr es ist, dass Gott Mensch geworden ist, so wahr ist es, dass der Mensch Gott geworden ist« (EW I, S. 491; Pr. 46). 137 »Gott nahm unser Kleid (d. h. die menschliche Natur) an, damit er wahrhaft, eigentlich und wesenhaft Mensch sei und der Mensch in Christus Gott« (Serm. n. 523). 138 Durch die Menschwerdung in Christus steht die menschliche Natur für immer in der hypostatischen Vereinigung mit der göttlichen Person des Wortes. Diese Vereinigung ist nie mehr aufzulösen. Wo die menschliche Natur ist, da ist die göttliche Person des Wortes als ihre Trägerin, denn »da ward die menschliche Natur Gott.« Wo die göttliche Person des Wortes ist, wo der Vater seinen eingeborenen Sohn gebiert, da »schwebt die menschliche Natur mit ein«. »Dort, wo der Vater im innersten Grunde seinen Sohn gebiert, da schwebt diese hMenschen-iNatur mit ein« (EW I, S. 69; Pr. 5B), 139 denn Gott hat die menschliche Natur angenommen. »Ich sage etwas anderes und Eindringenderes: Gott ist nicht nur Mensch geworden, vielmehr: Er hat die menschliche Natur angenommen« (EW I, S. 67; Pr. 5B). 140 Auf diese Weise sieht Eckhart in der Menschwerdung Gottes in Christus nicht den Einmaligkeitscharakter. Viel mehr noch: Es ist für Eckhart unmöglich, die Menschwerdung Gottes als »einmalig« anzusehen, wie sich für ihn folgerichtig aus der hypostatischen Union 56 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

ergibt. »Einmalig« kann man nur in Hinsicht auf die zeitliche Individualität sagen. Nach der hypostatischen Union aber hat Gott nicht »einen Menschen«, nicht »Jesus«, als einen Menschen, sondern die menschliche Natur angenommen und sie mit seiner göttlichen Person vereinigt; auf die menschliche Natur allein kann ein Individuum nicht gebaut werden. Und dann: Was der menschlichen Natur in Christus den Selbstand und das Dasein gibt, ist nicht die menschliche Person, sondern die göttliche Person, für die es kein »einmal« gibt. So versteht Eckhart unter »Christus« nicht einen Gottmenschen als ein Individuum, sondern die bleibende, nie aufzulösende Vereinigung selbst, in der die menschliche Natur in die personale Einheit des Wortes Gottes für immer aufgenommen ist. Diese Vereinigung, die in Christus vollzogen wurde, bleibt als Christus für immer; sie ist »eine Hochzeit zwischen Gott und unserer Natur« (Joh. n. 286). 141 3. Was Eckhart in Bezug auf die Menschwerdung Gottes betont, ist zum anderen, dass die menschliche Natur in Christus und in einem jeden Menschen vollkommen eine und dieselbe ist, die eine und ungeteilte Natur. So heißt es in den genannten Zitaten: »Wir alle haben die hmenschlichei Natur mit Christus gemeinsam, und zwar in gleicher Weise und in gleichem Sinne.« »Denn deine menschliche Natur und die seine haben keinen Unterschied: Es ist eine hund dieselbei; denn, was sie in Christo ist, das ist sie in dir.« Eckhart wiederholt diesen Gedanken in verschiedenen Formulierungen: »Die hvon Gotti angenommene Natur ist aber allen Menschen ohne Unterschied gemeinsam« (Serm. n. 523). 142 »Das Wort [hat] eine Natur angenommen, die sich gleichmäßig zu allen Menschen verhält« (Serm. n. 263). 143 Wichtig ist, dass es heißt: mit »Christus gemeinsam, und zwar in gleicher Weise und in gleichem Sinne«. 144 Es besteht kein Unterschied, in jeder Hinsicht. Eckhart sagt einmal wie folgt: »dass das Fleisch gewordene Wort eine lautere hmenschlichei Natur angenommen hat, nämlich ohne die Laster, die der Mensch hals seini Feind hineingesät hat. […] Er nahm die von ihm geschaffene Natur, sein eigenes Werk, ohne Laster, ohne Sünde an« (Joh. n. 101). 145 Was das Wort »eine lautere hmenschlichei Natur, ohne Laster, ohne Sünde« anbelangt, so ist es nicht Eckharts Meinung, damit – wie es häufig in der Theologie geschieht – den Unterschied zwischen der menschlichen Natur, die Gott angenommen hat, und der Natur eines jeden Menschen zum Ausdruck zu bringen. Für Eckhart ist vielmehr die menschliche Natur als solche bei einem jeden rein, völlig unberührt von Zeit und Raum und ohne Bilder usw. (s. unten). So ist die 57 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

menschliche Natur, welche die göttliche Person in Christus angenommen hat, nichts anderes als die menschliche Natur in einem jeden Menschen. Dadurch ist ein jeder Mensch in seiner menschlichen Natur unmittelbar in die Menschwerdung Gottes in Christus einbezogen. »Alles denn, was Gott je seinem eingeborenen Sohne gab, das hat er mir ebenso vollkommen gegeben wie ihm und nicht weniger, ja, er hat es mir in höherem Maße gegeben: Er gab meiner Menschheit in Christus mehr als ihm hselberi, denn ihm gab er’s nicht; mir hat er’s gegeben und nicht ihm; denn er gab’s ihm nicht, besaß er’s doch von Ewigkeit her im Vater (EW I, S. 291; Pr. 25). 146 Was Gott Christus in seiner menschlichen Natur gegeben hat, d. h. die göttliche personale Einheit des Wortes als deren Trägerin, das hat Gott ebenso vollkommen der menschlichen Natur in mir, bzw. mir in der menschlichen Natur gegeben. Eckhart geht noch weiter: Indem Gott der menschlichen Natur in Christus die göttliche personale Einheit gegeben hat, hat er mir alles, Christus aber nichts gegeben, weil dieser als Sohn Gottes die göttliche personale Einheit ewiglich hat. Wie zu erwarten, wurde diese Auffassung von den Zensoren beanstandet; der 7. beanstandete Artikel aus den Predigten Eckharts lautet: »In allem, was ihm der Vater gab in der menschlichen Natur, darin hatte er in erster Linie mich im Auge und meinte mehr mich als den Menschen Christus und gab mir mehr als ihm. Sicherlich, denn er gab es ihm meinetwegen, da er hChristusi des nicht bedurfte, wohl aber ich. Deshalb hat der Vater mit allem, was er dem Sohn gab, mich gemeint und teilte mir’s mit so gut wie ihm. Hier nehme ich nichts aus: nicht das Eins-sein mit der Gottheit noch die Heiligkeit noch irgendetwas anderes« (RSdt S. 74). 147 Eckhart selbst verteidigte diesen Gedanken, indem er erwiderte: »Ist es doch wahr, dass Gott durch die Annahme der menschlichen Natur dieser selbst und allen, die an ihr teilhaben, dasselbe mitteilt wie Christus, nach jener Stelle im 8. Kap. des Römerbriefes: ›Alles hat er uns mit ihm gegeben‹, und Weish. 7: ›Alle Güter sind mir gekommen gleich mit ihm‹ – wobei ›gleich‹ sowohl ›gleichzeitig‹ als ›gleicherweise‹ bedeuten oder auch im Sinne gleicher Wirkung gebraucht sein kann« (RSdt S. 95). 148 Schließlich wurde der Gedanke in der Bulle verdammt (vgl. art. 11). 58 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

Wer also bloß in der menschlichen Natur steht, wird nach Eckhart aufgrund der als Christus vollzogenen Vereinigung derselben Natur mit der göttlichen Person des Wortes unumgänglich in die personale Einheit des Wortes aufgenommen. »Die größte Einheit, die Christus mit dem Vater besessen hat, die ist mir zu gewinnen möglich« (EW I, S. 291; Pr. 25)], 149 wenn ich mich als »Menschheit« zu fassen vermöchte 150. »Daher (mit der Menschwerdung Gottes in Christus) ist es auch jedem Menschen gegeben, Sohn Gottes zu werden« (Serm. n. 523). 151 So beruht für Eckhart das Vertrauen auf der Menschwerdung Gottes in Christus, »unser Vertrauen, dass das Fleisch gewordene Wort, wie in Christus, so auch im eigentlichen Sinne in einem jeden von uns wohne« (Joh. n. 289). 152 So heißt es: »Die Leute wähnen, Gott sei nur dort h= bei seiner historischen Menschwerdungi Mensch geworden. Dem ist nicht so, denn Gott ist hier h= an dieser Stelle hieri ebenso wohl Mensch geworden wie dort« (EW I, S. 341; Pr. 30). 153

c)

Das Ausschalten (die Entäußerung) der menschlichen Person

Um die der menschlichen Natur gegebene göttliche Person des Wortes empfangen zu können und so in die göttliche personale Einheit aufgenommen zu werden, muss ein jeder Mensch die menschliche Person, sein Ich als natürlichen Träger der menschlichen Natur in sich aufgeben und unmittelbar in der menschlichen Natur stehen. (Dieses Thema gehört eigentlich zu unserer späteren Erörterung über die »Abgeschiedenheit«, hier müssen wir es aber im Voraus behandeln, soweit es das Problem der Menschwerdung Gottes berührt). So heißt es in den diesem Abschnitt zugrunde gelegten Zitaten: »Willst du derselbe Christus sein und Gott sein, so entäußere dich alles dessen, was das ewige Wort nicht annahm. Das ewige Wort nahm keinen Menschen an; darum entäußere dich dessen, was von einem Menschen an dir sei und was du seist, und nimm dich rein hnuri nach der menschlichen Natur« (EW I, S. 281; Pr. 24). 154 »Wer Sohn Gottes werden will, wer will, dass das Fleisch gewordene Wort in ihm wohne, […] muss das Persönliche und das Eigene verleugnen« (Joh. n. 290). 155 Auch: »Wer unmittelbar in der Bloßheit dieser Natur stehen will, der muss allem Personhaften entgangen sein« (EW I, S. 69; Pr. 5B). 156 59 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

Als Gott die menschliche Natur annahm, hat er die menschliche Person, die sonst als der entsprechende Träger zu der menschlichen Natur hinzutritt, von dieser ferngehalten. Was Gott nicht angenommen hat, dessen muss man sich zur Vereinigung mit der göttlichen Person entäußern. Das Ausschalten des menschlichen Ich aus der menschlichen Natur muss, wie bei Christus, auch bei einem jeden Menschen vollzogen werden*. Die Vereinigung mit Gott bedeutet nicht die Vergottung des menschlichen Ich, sondern ein Wechsel des Trägers der menschlichen Natur, nämlich die Ablösung des menschlichen Ich durch das göttliche Ich. Das meint Eckhart, wenn er z. B. sagt: »dass ich er werde« (EW I, S. 341; Pr. 30). 157 (Was Eckhart Näheres unter »abnegare personale«, »allem Personhaften entgehen«, meint, das werden wir im nächsten Kapitel sehen.) Wie ist es nun möglich, dieses Ausschalten zu vollziehen? Nach der allgemeinen Auffassung sind die Natur und der connaturale, d. h. ihr entsprechende Träger aufeinander hingeordnet. Dieses gegenseitige Verhältnis ist notwendig, wie schon einmal erwähnt wurde. Bei Christus kann man sich auf die Allmacht Gottes berufen, mit der er, wie es die Theologie lehrt, ein einziges Mal die Natur vom natürlichen Träger ferngehalten haben soll. Aber wie ist das bei einem jeden Menschen möglich? Wenn Eckhart sagt, dass ein jeder sich der menschlichen Person entäußern muss, dann muss Eckhart die Entäußerung der menschlichen Person, die Trennung der menschlichen Natur vom menschlichen Ich, für möglich halten. Abgesehen von der Gnade – seine Lehre von der Gnade werden wir später erörtern – fördert nach Eckhart die menschliche Natur selbst diese Trennung. Darin kommt Eckharts eigentümliche Auffassung von der menschlichen Natur und von dem Verhältnis zwischen der menschlichen Natur und »einem Menschen« zum Ausdruck. »Ich sage: Menschheit ist im ärmsten und verachtetsten Menschen ebenso vollkommen wie im Papste oder im Kaiser; denn Menschheit in sich selbst ist mir lieber als der Mensch, den ich an mir trage« (EW I, S. 293; Pr. 25). 158 »Die menschliche Natur […] [ist] dem Menschen viel inniger und näher, als er sich selbst« (EW I, S. 281; Pr. 24). 159 »Die menschliche Natur ist jedem Menschen innerlicher als er sich selbst« (Joh. n. 289). 160 »Die Natur eines jeden Wesens liebt Gott über alles und mehr als sich selbst« (Joh. n. 290). 161 * Vgl. E. Seeberg, a. a. O., S. 39.

60 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

»Ich sage nun: Menschheit und Mensch ist zweierlei. Menschheit in sich selbst ist so edel, dass das Oberste der Menschheit Gleichheit mit den Engeln und Sippschaft mit der Gottheit hat« (EW I, S. 291; Pr. 25). 162 Die menschliche Natur, die bei allen Menschen eine und dieselbe ist, ist mir lieber und innerlicher als der Mensch, den ich an mir trage; und dieselbe menschliche Natur liebt Gott mehr als sich selbst, weil die menschliche Natur in sich selbst von vornherein die Verwandtschaft (sippeschaft) mit der Gottheit (der göttlichen Natur) besitzt. Damit ist das letzte Wort Eckharts über die menschliche Natur gesprochen. »Die menschliche Natur« und »ein Mensch« sind zweierlei: Die menschliche Natur hat die »sippeschaft« mit der göttlichen Natur. So ist für Eckhart die menschliche Natur als solche auf Gott hingeordnet. Worin besteht für Eckhart die Verwandtschaft der menschlichen Natur mit der göttlichen Natur? »Die menschliche Natur habe mit der Zeit nichts zu tun und sie sei völlig unberührbar« (EW I, S. 281; Pr. 24). 163 Sie ist »eine freie, ungeteilte menschliche Natur, die da rein war, ohne Individualzüge«, »die einfaltige Form der Menschheit« (EW I, S. 491; Pr. 46). 164 »Diese Natur ist Eines und einfaltig« (EW I, S. 69; Pr. 5B); 165 an derselben Stelle spricht Eckhart von der »Bloßheit dieser Natur« und bezeichnet dann diese menschliche Natur als »diesen einfaltigen Grund« (EW I, S. 69; Pr. 5B). 166 Es ist höchst interessant, festzustellen, dass das, was Eckhart in diesem Zusammenhang über die menschliche Natur sagt, genau dem entspricht, was er über den Seelengrund (bzw. das Etwas in der Seele oder eine Kraft in der Seele) und auch über Gott sagt (z. B. wendet er »die einfaltige Natur« auch auf Gott an: vgl. DW I, S. 90 [EW I, S. 71; Pr. 5B]). Was Eckhart mit »unberührbar«, »frei«, »bloß ohne Bilder«, »eins und einfaltig« usw. meint, das werden wir im Kapitel über den Seelengrund und über die Gottheit sehen; hier ist nur wichtig, dass Eckhart in der menschlichen Natur die Verwandtschaft mit der göttlichen Natur sieht und dass für ihn die Möglichkeit der Trennung der menschlichen Natur von der menschlichen Person in der mit der göttlichen Natur verwandten menschlichen Natur selbst liegt. Die menschliche Natur als solche hat mehr Einheit mit Gott als mit dem Menschen. Der Kontext des genannten Zitates aus DW I, S. 420 [EW I, S. 281; Pr. 24] zeigt den Gedankengang Eckharts; er setzt dort die Lehre der Meister von der Unberührbarkeit der menschlichen Natur voraus und sagt dann anschließend: »Und deshalb nahm Gott die mensch61 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

liche Natur an«. 167 »Und deshalb« kann in diesem Zusammenhang nichts anderes meinen als »aufgrund der Verwandtschaft der menschlichen Natur mit der göttlichen Natur«. Mit dieser Auffassung ist die Unterscheidung zwischen zwei Naturen, an welche sich die Lehre von der hypostatischen Union hält, bei Eckhart nicht mehr durchgeführt. Was die betreffende »Verwandtschaft« 168 anbelangt, so scheint es, als ob Eckhart die Unerschaffenheit der menschlichen Natur andeuten wollte, wenn er sagt: »Gott sprach: ›Wir machen den Menschen‹. Warum sprach Gott nicht, wir machen die Menschheit, Christus vereinigte doch die Menschheit mit sich? Mensch und Menschheit unterscheiden sich«. 169 Im Zusammenhang mit dieser Auffassung von der menschlichen Natur wandelt sich die Bedeutung, welche die menschliche Person bzw. »ein Mensch« für die menschliche Natur haben. Jetzt sagt Eckhart wie folgt: »Denn der heinzelnei Mensch ist ein Akzidens zur hmenschlicheni Natur; und darum geht ab von allem dem, was Akzidens an euch ist, und nehmt euch nach der freien, ungeteilten menschlichen Natur« (EW I, S. 493; Pr. 46). 170 »Nimm dich rein im Sein; denn, was außerhalb des Seins ist, das ist ›Akzidens‹« (EW I, S. 427; Pr. 39). 171 Es bleibt, dass ein jeder seinen »Menschen«, seine menschliche Person lassen muss; die Argumentation lautet aber: weil der »Mensch ein ›Zufall‹ der Natur« 172 ist. Es kommt an auf das Ausschalten dessen, »was ›Zufall‹ an euch ist« 173. »Was ›Zufall‹ hat, das muss hinweg« (EW I, S. 43; Pr. 3). 174 Das Wort »zuoval« [»Zufall«] ist bei Eckhart die deutsche Entsprechung zu »accidens« [»Akzidens«], und als solches Gegenbegriff zu »substantia« [»Substanz«], »ein lauteres Insich-selbst-Stehen« (EW I, S. 43; Pr. 3) 175 bzw. »das bloße lautere Wesen selber« 176. Im obigen Zitat heißt es: »Was außerhalb des Seins ist, das ist ›Akzidens‹«: 177 d. h. »zuoval« (Zu-fall), das Akzidens, ist außerhalb des Seins. Es hat kein Sein in sich selbst. Das Akzidens ist, im Unterschied zur Substanz (»zum durch sich selbst gründenden Sein«), 178 nicht an und für sich, sondern an einem anderen (»das Sein des Akzidens [ist] ein In-Sein«: Serm. n. 220), 179 und zwar an seinem Träger. Das Akzidens braucht zu seinem Dasein einen »Träger« 180. Es empfängt sein Sein »von dem Träger« 181, und erst dadurch besteht es als etwas dem Sein des Trägers Hinzugefügtes (wie groß es ist, wie beschaffen es ist). Wenn Eckhart sagt: »Der Mensch ist ein ›Zufall‹ der Natur«, 182 62 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

wenn Eckhart zwischen der menschlichen Natur und der menschlichen Person die Substanz-Akzidens-Beziehung sieht, so bedeutet für ihn die menschliche Person nicht mehr den entsprechenden Träger der menschlichen Natur, durch den diese erst Selbstand und Dasein empfängt, sondern einen »›Zufall‹« der menschlichen Natur, der von dieser sein Sein empfängt und dessen Dasein etwas der lauteren menschlichen Natur äußerlich Hinzugefügtes bedeutet. »Peter« oder »Hans« ist nur ein Zufall der menschlichen Natur. Bei dem Verständnis des Verhältnisses zwischen der menschlichen Natur und der menschlichen Person mit dem Begriffspaar »Natur und Naturträger« liegt das Prinzip der Realität auf Seiten der menschlichen Person als des Naturträgers – deshalb handelt es sich bei dem Weg zur höheren Realität um den Wechsel der Person, von der menschlichen zur göttlichen –, während bei dem Verständnis desselben Verhältnisses mit dem Begriffspaar »Substanz und Akzidens« das Prinzip der Realität umgekehrt auf Seiten der menschlichen Natur liegt. Diese Verschiebung des Realitätsprinzips von der menschlichen Person zur menschlichen Natur hängt zusammen mit der Auffassung, dass die menschliche Natur die Verwandtschaft mit der göttlichen Natur hat und als solche in sich selbst eine höhere Realität ist. Wenn ein jeder seine menschliche Person, ein Akzidens, aufgibt und »rein im Sein« 183 steht, dann empfängt er in der lauteren menschlichen Natur Gottes Sohn, den Gott in seiner eigenen Natur gebiert. Die Menschwerdung Gottes bedeutet jetzt für Eckhart ohne weiteres die »Gottesgeburt in der Seele«, weniger Fleischwerdung in Christus. So konnte Eckhart schließlich sagen wie folgt: »Es ist Gott wertvoller, dass er geistig geboren werde von einer jeglichen Jungfrau oder h= will sageni von einer jeglichen guten Seele, als dass er von Maria leiblich geboren ward« (EW I, S. 255; Pr. 22). 184

Zusammenfassung Gott, das Wort, d. h. die zweite göttliche Person, hat nicht einen Menschen, sondern die menschliche Natur angenommen und die Funktion des Naturträgers für die angenommene menschliche Natur übernommen. Dadurch ist die menschliche Natur in die personale Einheit der zweiten göttlichen Person aufgenommen worden. Diese christliche Inkarnationslehre bietet für Eckhart mit seinen eigenen Deutungen 63 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

a)

von der Unauflösbarkeit der Vereinigung der göttlichen Person mit der menschlichen Natur, b) von der Ungeteiltheit einer und derselben menschlichen Natur in Christus und in einem jeden Menschen und c) von der Vollziehbarkeit der Trennung der menschlichen Natur vom menschlichen Ich bei einem jeden Menschen eine unmittelbare Grundlage zu seiner Lehre von der Gottesgeburt in der Seele. Hier finden wir wieder dieselbe Eigenart des Eckhart’schen Denkens: die dogmatische Formel nicht als Antwort, sondern vielmehr als Ausgangspunkt zu übernehmen; aufgrund irgend eines Momentes (hier z. B. des Momentes der menschlichen Natur) die ganze betreffende Formel auf die Beziehung zwischen Gott und Menschen restlos anzuwenden und dadurch im gesamten Gehalt der betreffenden traditionellen Formel eine radikale Sinnverschiebung zu bewirken. Für Eckhart selbst ist diese Sinnverschiebung keine Überschreitung des dogmatischen Inhaltes, sondern dessen Konsequenz bzw. die Lösung der Fragen, die er in der dogmatischen Formel findet. Wir haben bis jetzt innerhalb seiner Gotteslehre die Grundlage für Eckharts Lehre von der Gottesgeburt in der Seele gesucht; jetzt müssen wir zu seiner Seelenlehre* übergehen, um dieselbe Grundlage vonseiten der Seele zu beleuchten.

II.

Eckharts Seelenbegriff, soweit er für seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele konstitutiv ist

»Gott gebiert seinen Sohn in der Seele.« »Auch die Seele begnügt sich in keiner Weise, wenn der Sohn Gottes in ihr nicht geboren wird« (EW I, S. 133; Pr. 11). 185 Wir müssen uns jetzt mit Eckharts Lehre von der Seele, in welcher – nach Eckhart – Gott seinen Sohn gebiert, befassen, wobei zunächst 1. die Seelenstruktur als solche, die auf die Gottesgeburt hingeordnet ist, und dann 2. die »Abgeschiedenheit«, in der die Seele zum Vollzug der Gottesgeburt bereitet wird, behandelt werden sollen. * Zur Seelenlehre Eckharts in umfassenderer Hinsicht vgl. Konrad Weiß: Die Seelenmetaphysik Meister Eckharts, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 52, 1934, S. 467–524.

64 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Seelenbegriff

1.

Die Seele in ihrer auf die Gottesgeburt hingeordneten Struktur

Unsere Betrachtung des Seelenbegriffs bei Eckhart teilt sich in drei Paragraphen: 1. Die Seele als Bild Gottes – die in der Seele liegende Grundlage für die Gottesgeburt, 2. die Seele in ihrem Sein und in ihren Kräften – der Ort in der Seele, wo Gott seinen Sohn gebiert, und 3. die Seele in ihrer Wirk-lichkeit im Wirken mit ihren Kräften – das Ausbleiben der Gottesgeburt in der Seele.

a)

Die Seele als Bild Gottes – die in der Seele liegende Grundlage für die Gottesgeburt

»Gott [ist] in geistiger Weise in allen Dingen und [wohnt] den Dingen innerlicher und naturhafter inne, als die Dinge in sich selbst sind, und wo Gott ist, muss er wirken« (QQ. S. 425; Pr. 102); 186 es erhebt sich in Bezug auf die Gottesgeburt in der Seele die Frage, welche besonderen Eigenschaften (waz eigener eigenschefte) die Seele für dieses Wirken Gottes – das Gebären – den anderen Kreaturen voraushat. Es handelt sich um die in der Seele liegende Grundlage für die Gottesgeburt. Eckharts Antwort darauf lautet: »Gott ist in allen Dingen wesenhaft, wirkend [und] gewaltig, [mehr noch:] Gebärend aber ist er nur in der Seele; denn alle Kreaturen sind ein Fußstapfe Gottes, [mehr noch:] die Seele aber ist naturhaft nach Gott gebildet. Dieses Bild muss durch diese Geburt geziert und vollendet werden. Für dieses Wirken und diese Geburt ist keine Kreatur empfänglich als einzig die Seele« (QQ. S. 425; Pr. 102). 187 »Die Kreaturen, in denen Gottes Bild nicht ist, werden dafür nicht empfänglich, denn der Seele Bild gehört im besonderen zu dieser ewigen Geburt, die ganz eigentlich und im besonderen in der Seele geschieht« (QQ. S. 425 f.; Pr. 102). 188 »Als Gott alle Kreaturen erschaffen hatte, waren sie so geringwertig und so eng, dass er sich in ihnen nicht regen konnte. Die Seele jedoch machte er sich so gleich und so ebenbildlich, auf dass er sich der Seele geben könne; denn was er ihr sonst gäbe, das achtet sie für nichts. Gott muss mir sich selbst so zu eigen geben, wie er sich selbst gehört« (EW I, S. 53; Pr. 4). 189 Drei wichtige Punkte aus diesen Zitaten sind hervorzuheben: a) die Seele ist naturhaft nach Gott gebildet, sie ist in ihrer Natur das Bild Gottes, während die anderen Kreaturen nur eine Fußstapfe 65 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

Gottes sind. b) Das Nach-Gott-gebildet-Sein, das Bild Gottes als solches, bedeutet die Empfänglichkeit für das Einwirken Gottes, für das Sich-selbst-Geben Gottes. c) Das Bild Gottes in der Seele und als die Seele muss vollendet werden durch die »Gottesgeburt«. Diese drei Punkte sind die Hauptargumente Eckharts dafür, dass die ewige Gottesgeburt unter Kreaturen im Grunde nur in der Seele geschieht. Das wollen wir im Einzelnen etwas näher betrachten. Die Seele als das Bild Gottes. »Die Seele ist naturhaft nach Gott gebildet«. 190 Was die Bestimmung der Seele als des Bildes Gottes betrifft, so ist zunächst die schöpfungsmäßige Unterscheidung zwischen der vernünftigen bzw. geistigen Kreatur und den anderen Kreaturen zu beachten. Diese Unterscheidung trifft Eckhart im genannten Zitat aus Pr. 102 mit den Begriffen »Fußstapfe« und »Bild«. Welcher Unterschied ist damit gemeint? Eckhart unterscheidet in zweifacher Weise: erstens in Hinsicht auf die »Ähnlichkeit« 191, nach welcher Gott die anderen Kreaturen bzw. die Seele erschaffen hat, und zweitens in Hinsicht auf die Weise des jeweiligen Hervorbringens. 1. »Lasst uns den Menschen machen nach unserm Ebenbild und Gleichnis, nicht hnach dem Gleichnisi von etwas in uns« (I. Gen. n. 114). 192 »Für jetzt muss man aber wissen, worin die vernünftigen oder geistigen Geschöpfe sich von allen unter ihnen stehenden unterscheiden. Letztere sind nach dem Gleichnis von etwas, was in Gott ist, hervorgebracht worden und haben ihre eigenen Ideen in Gott, nach denen sie, wie man sagt, geschaffen sind, nach Ideen, die auf die in der Natur voneinander unterschiedenen Arten eingeschränkt sind. Der Vorzug der geistigen Natur besteht darin, dass sie Gott selbst zum Gleichnis hat, nicht etwas, was in ihm in der Art einer Idee ist« (I. Gen. n. 115). 193 »Gott hat alle Dinge gemeinhin nach dem Bilde, das er von allen Dingen in sich hat, geschaffen, nicht aber nach sich hselbsti. […] Die Seele aber hat er nicht allein geschaffen nach dem Bilde, das in ihm ist, […] er hat sie vielmehr nach sich selbst geschaffen, ja, nach allem dem, was er ist, nach seiner Natur, nach seinem Sein […]« (EW I, S. 277; Pr. 24). 194 Was die »Ähnlichkeit« anbelangt, so liegt der Unterschied darin, dass die anderen Kreaturen je nach etwas in Gott geschaffen sind, während die Seele nach Gott selbst gemacht ist. Die anderen Kreaturen haben je etwas in Gott zum Gleichnis, was in ihm ist, in der Art 66 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Seelenbegriff

einer Idee. Sie sind je nach den einzelnen Ideen in Gott geschaffen, welche ihrerseits in Gott selbst eine Einheit bilden. Die Seele aber hat Gott selbst zum Gleichnis. Sie ist »nach Gott selbst« gebildet, d. h. nicht nach einer Idee, sondern nach allem, was Gott in seiner Natur, in seinem Wesen ist; so heißt es: »Der Mensch geht also so von Gott aus, dass er ›zum Abbild des göttlichen Wesens‹ wird« (I. Gen. n. 115). 195 Eckhart bringt diese Unterscheidung noch schärfer zum Ausdruck, indem er mit Augustin sagt: »Daher ist nach Augustin in jedem Geschöpf Ähnlichkeit, ein Bild hGottesi aber allein im vernunftbegabten Geschöpf« (Serm. n. 506). 196 Diese Unterscheidung stellt keine Eckhart’sche Besonderheit dar. 2. »Lasst uns den Menschen machen nach unserm Ebenbild und Gleichnis.« 197 Was die zweite Unterscheidung, nach der Weise des Hervorbringens Gottes, anbelangt, so sagt Eckhart u. a. wie folgt: »Nun bitte ich, dass ihr zuhört, denn ich will etwas sagen, was ich noch nie gesagt habe. Als Gott Himmel und Erde und alle Kreaturen erschuf, da wirkte Gott nicht. Er hatte nichts zu wirken. Auch war keinerlei Werk in ihm. Da sprach Gott: ›Wir wollen hunsi ein Ebenbild machen‹ (Gen 1,7). Schaffen ist ein leichtes Ding. Das tut man, wann man will und wie man will. Was ich aber mache, das mache ich selbst und mit mir selbst und in mir selbst und drücke mein Bild völlig da hinein. […] Als Gott den Menschen machte, da wirkte er in der Seele sein hihmi gleiches Werk und sein wirkendes Werk und sein immerwährendes Werk. Das Werk war so groß, dass das Werk nichts anderes war als die Seele, und die Seele hwiederumi war nichts anderes als das Werk Gottes. Gottes Natur und sein Sein und seine Gottheit hängen daran, dass er in der Seele wirken muss« (QQ. S. 271; Pr. 109). 198 Eckhart unterscheidet damit zwischen dem »Schaffen« 199 der anderen Kreaturen und dem »Machen« (»factio«) der Seele. Im Unterschied zum »Schaffen« versteht Eckhart unter dem »Machen« folgendes: »Was ich aber mache, das mache ich selbst und mit mir selbst und in mir selbst und drücke mein Bild völlig da hinein.« Mit dieser Definition ist aber noch nicht geklärt, was er eigentlich mit »Machen« meint, da hier das »Machen« nicht zu unterscheiden ist von der innergöttlichen »productio« [»Hervorbringung«] (»generatio« bzw. »emanatio« [»Zeugung« bzw. »Ausfließen«]). Eckhart spricht einmal von drei Stufen des Hervorbringens zum Sein (vgl. Serm. n. 511) 200 und unterscheidet begrifflich genau zwischen »ema67 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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natio«, »factio« und »creatio«. Danach soll die betreffende Unterscheidung etwa Folgendes bedeuten: Die »emanatio« ist eine naturhafte (»nicht durch den Willen hdes Vatersi, sondern von Natur oder naturhaft« (vgl. Serm. 512) 201) Hervorbringung, wobei ein Wesen etwas von sich (a se – was den Urheber der Hervorbringens anbelangt), aus sich selbst (de se ipso – was den Stoff des Hervorgebrachten betrifft) und in sich selbst (in se ipso – was den Ort des Hervorgebrachten betrifft) hervorbringt, indem es die bloße Natur der Form nach ergießt 202. Im Unterschied zur »emanatio« sind die »factio« und die »creatio« willensmäßiges Hervorbringen, und zwar »ein Überwallen nach Art der Wirkursächlichkeit und in Hinordnung auf ein Ziel«, 203 wobei ein Wesen zwar etwas von sich selbst, aber nicht aus sich selbst hervorbringt: »nicht aus sich selbst«, sondern entweder aus irgendetwas anderem 204 – das ist »factio« – oder aus dem Nichts 205 – das ist »creatio«; in beiden Fällen steht das Hervorgebrachte außerhalb des Hervorbringenden. Trotz der begrifflichen Klarheit können wir aber mit dieser Unterscheidung unser Problem nicht lösen, weil es sich beim »Machen« des Menschen nicht um das Hervorbringen »aus etwas anderem« handelt. Nur wissen wir aus dieser Unterscheidung, dass Eckhart die »factio« als eine Zwischenstufe des Hervorbringens zum Sein zwischen der innergöttlichen »emanatio« und der außergöttlichen »creatio« auffasst, und diese Feststellung ist auch für unseren Fall nicht ganz bedeutungslos. Nun müssen wir auf das oben genannte Zitat zurückgreifen, um die dort gemachte Unterscheidung aus dem in jenem Zusammenhang Gesagten klären zu können. Bei der Erschaffung der anderen Kreaturen wirkte Gott in sich selbst nicht, d. h. sie war für ihn kein Werk in ihm selbst, sondern bloß eine Abbildung der Ideen nach außen hin; (dazu brauchte Gott nur sein Wort auszusprechen: ›Es werde Licht!‹). Als Gott den Menschen machen wollte, brauchte er den Ratschluss in sich selbst (»aufgrund eines göttlichen Ratschlusses«: I. Gen. n. 120) 206. Eckhart versteht unter »faciamus« den göttlichen Ratschluss unter den drei Personen: »Wir, im Rate der Heiligen Dreifaltigkeit, wir wollen uns ein Ebenbild machen!« (QQ. S. 271; Pr. 109). 207 Es war für Gott ein inneres Ereignis, den Menschen, ein Gleichnis von sich, zu machen. Als Gott den Menschen machte, wirkte er in sich selbst; und er wirkte dieses göttliche wirkende Werk in der Seele. Zum bildhaften Verständnis dieses Gedankens sollen noch folgende Zitate dienen: »Als Gott die Seele schuf, da griff er in sich selbst hinein und machte sie nach seinem Gleichnis« (Von der sêle werdikeit und eigen68 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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schaft). 208 »Er (Gott) hat die Seele geschaffen gemäß der h= seineri allerhöchsten Vollkommenheit und hat in sie gegossen all seine Klarheit in der ersten Lauterkeit und ist hdabeii doch unvermischt geblieben« (EW I, S. 257; Pr. 22). 209 Im Unterschied zur bloßen Abbildung der Ideen nach außen hin versteht Eckhart dieses »Machen« als das »Sich-Erbilden« Gottes. Beim Machen der Seele musste Gott »in sich selbst greifen« und sich selbst ausgießen; so erbildet Gott sich selbst in der Seele, und so gibt es etwas Göttliches in der Seele. (Hier ist schon alles enthalten, was der alten Frage in der Eckhart-Interpretation ihr Recht gibt: nämlich der Frage, ob Eckhart wirklich die Unerschaffenheit und Unerschaffbarkeit der Seele lehrt oder nicht.) Das Machen, die »factio«, wie Eckhart sie hier versteht, könnte man in Anlehnung an die Unterscheidungsweise im obigen Zitat aus Serm. n. 511 von der »emanatio« einerseits und von der »creatio« andererseits beinahe in folgender Weise unterscheiden: Bei der »emanatio« bringt Gott etwas von sich selbst, aus sich selbst und in sich selbst hervor; bei der »factio« bringt Gott die Seele zwar von sich selbst und aus sich selbst, aber außerhalb seiner selbst hervor; bei der »creatio« bringt Gott die Kreaturen zwar von sich selbst, aber aus dem Nichts und außerhalb seiner selbst hervor. Mit diesem Verständnis des Machens scheint Eckhart den Unterschied zwischen den anderen Kreaturen als der Fußstapfe und der Seele als Bild Gottes zu stark zu betonen; dementsprechend unterscheidet er zwischen dem Hervorbringen der innergöttlichen Personen und dem Hervorbringen der Seele zu wenig. In diesem Zusammenhang müssen wir, um den Bild-Charakter der Seele genau bestimmen zu können, zugleich die Unterscheidung Eckharts zwischen der Seele und dem Sohn Gottes ergründen, zumal Eckhart in Bezug auf die Seele von der »imago« und vom »Sich-Erbilden« spricht – also mit Begriffen, welche sich eigentlich auf den Sohn Gottes als die zweite göttliche Person beziehen. 3. »Lasst uns den Menschen machen nach unserm Ebenbild und Gleichnis.« 210 Die betreffende Unterscheidung ist bei Eckhart nicht so eindeutig wie jene zwischen der Seele und den anderen Kreaturen. Abgesehen von seiner bewussten Hervorhebung der Ununterschiedenheit der Seele und des Sohnes Gottes in ihrem Bild-Gottes-Sein fällt uns das Ineinander und Durcheinander seiner Darlegungen über die Seele und über den Sohn Gottes in ihrem Bild-Charakter auf. Wenn Eck-

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hart von der »imago« spricht, schweben ihm meistens zugleich die Seele und der Sohn Gottes vor. Ein Beispiel dafür: »Wessen ist das Bild und die Aufschrift? (Mt 22,20). Auf diese Frage antwortet derselbe Apostel: ›das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor allen Geschöpfen‹ hKol 1,15i. Bemerke zweierlei. Erstens: ›Das Bild‹ ist nach Augustin da zu suchen, wo die Seele wahrhaft Licht ist, wo es nicht durch die Berührung mit dem Leib ausgelöscht ist; […] Zweitens: ›Das Bild‹ als solches kann nicht einmal dem Begriff nach von dem getrennt werden, dessen Bild es ist« (Serm. n. 505). 211 »Wessen ist das Bild?«, »das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor allen Geschöpfen.« Es ist selbstverständlich, dass es sich dabei um den Sohn Gottes, um Christus handelt. Nun schließen sich zwei Bemerkungen an: In der ersten Bemerkung spricht Eckhart nicht von der »imago« als dem Sohne Gottes, wie zu erwarten ist, sondern unvermittelt von der Seele als »imago«. Wenn Eckhart dann in der zweiten Bemerkung von der »imago« sagt: »Das Bild als solches kann nicht einmal dem Begriff nach von dem getrennt werden, dessen Bild es ist«, wissen wir nicht, welche »imago«, die Seele oder den Sohn Gottes, er meint, oder ob vielleicht die beiden gleicherweise gemeint sind. Trotzdem ist es sicher, dass die theologische Unterscheidung zwischen der Seele als der »ad imaginem dei« [»nach dem Ebenbild Gottes«] geschaffenen und dem Sohne Gottes als der ungeschaffenen »imago dei« [dem ungeschaffenen »Ebenbild Gottes«] auch Eckhart bekannt ist und dass er, wenigstens sofern es auf die Schöpfungsordnung ankommt, diese Unterscheidung mitmacht. In einer Antwort seiner Rechtfertigungsschrift heißt es: »Seinen eingeborenen Sohn zwar, den er zeugt und der sein Ebenbild ist, den hat er derart nach sich selbst ausgestattet, dass er wie der Vater ungeschaffen und unendlich ist; den Menschen aber, der ja geschaffen ist, hat er ›nach seinem Bilde‹ gemacht, nicht ›als sein Bild‹, und hat ihn ausgestattet nicht ›mit‹ sich selbst, sondern ›nach‹ sich selbst« (RSdt S. 94). 212 Also: Gott hat den Menschen nicht als »imago« geboren, sondern »ad imaginem suam« gemacht; das heißt: Gott hat den Menschen nicht »mit sich selbst« (mit seinem eigenen Wesen), sondern »nach sich selbst« (nach seinem Wesen) ausgestattet. Über den BildCharakter der »imago«, des Sohnes Gottes, sagt Eckhart: »Das Bild ist […] ein einfaches Ausfließen der Form nach«, 213 durch welche die 70 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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ganze, lautere, bloße Wesenheit mitgeteilt wird (Serm. n. 511). »Imago« ist ein anderes Selbst Gottes. Demgegenüber sagt er über den Bild-Charakter der Seele, die »ad imaginem dei« gemacht ist: »Das Gottesbild [ist] Gottes empfänglich, dessen ganzes Wesen darin besteht, auf etwas anderes hin hgerichteti zu sein« (Serm. n. 152). 214 (Hier ist schon ein gewisses Ineinander des Sprachgebrauches zu bemerken: In diesem Zitat bezieht sich »imago dei« nicht auf den Sohn Gottes, sondern auf die Seele.) Die Feststellung, dass Eckhart die betreffende Unterscheidung zwischen »imago« und »ad imaginem« kennt, ist gerade dazu wichtig, später die Bedeutung seiner Hervorhebung eines und desselben Bild-Gottes-Seins der Seele und des Sohnes Gottes bei der Gottesgeburt in der Seele ermessen zu können. Die Unterscheidung zwischen »imago« und »ad imaginem« ist für Eckhart ein gegebener Ausgangspunkt seiner Spekulation, nicht aber das Ergebnis. 4. Nun bleibt in diesem Zusammenhang noch zu fragen, worin Eckhart die Gottebenbildlichkeit der Seele sieht. Gott hat sich selbst, sein Selbst in der Seele erbildet. Aber was ist das für ein Selbst? Was bzw. wo ist die Ebenbildlichkeit der Seele mit Gott? Wir müssen uns zunächst daran erinnern, dass Eckhart den Bild-Charakter der Seele im Unterschied zu den anderen Kreaturen bestimmt, wobei er das Unterscheidungsprinzip in der »ratio« bzw. im »intellectus« sieht. Damit ist zugleich zum Ausdruck gebracht, dass der Mensch nicht in seinem ganzen seelisch-leiblichen Dasein, sondern in der Seele (anima), und wiederum nicht in der ganzen Seele, sondern in ihrem obersten Teil, im »Scheitel« der Seele, wo sie das wahre Licht ist, gottebenbildlich ist. »›Das Bild‹ ist nach Augustin da zu suchen, wo die Seele wahrhaft Licht ist, wo es nicht durch die Berührung mit dem Leib ausgelöscht ist; […] wo das Oberste, wo der Scheitel der Seele an das Licht der Engel rührt« (Serm. n. 505). 215 »Es erhellt also, wessen dieses Bild ist, nämlich ›des unsichtbaren Gottes‹. Es erhellt auch, wo es zu suchen ist, nämlich im obersten hTeili der Seele« (Serm. n. 507). 216 Welche Gottebenbildlichkeit hat das Oberste der Seele? Darüber sagt Eckhart Verschiedenes: a) Die Seele ist in ihren obersten drei Kräften »nach dem Abbild der ganzen Dreifaltigkeit« (Joh. n. 123) 217 gemacht. »Deswegen ist nur ein der Vernunfterkenntnis fähiges Wesen für sie (die Gnade) empfänglich, da in ihm im eigentlichen Sinne das Bild der Dreifaltigkeit widerleuchtet« (Serm. n. 258). 218

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»Der obersten Kräfte, deren sind gleichfalls drei. Die erste heißt eine ›behaltende h= aufbewahrendei Kraft‹, memoria. Diese Kraft vergleicht man dem Vater in der Dreifaltigkeit. […] Die zweite Kraft heißt ›Vernunft‹, intellectus. Diese Kraft vergleicht man dem Sohn […]. Die dritte Kraft heißt »Wille«, voluntas. Diese Kraft vergleicht man dem Heiligen Geiste« (EW II, S. 195; Pr. 83). 219 Hier handelt es sich um das geläufige Ternion der augustinischen Trinitätsformel. »In der Seele [ist] die ungeschaffene Dreifaltigkeit und eine geschaffene« (Sap. Tabula auctoritatum II, v. 16). 220 Diese augustinische Tradition von der ebenbildlichen Entsprechung zwischen der göttlichen Dreifaltigkeit und den drei obersten Seelenkräften hat aber bei Eckhart keine besondere Ausarbeitung erfahren. Nachdem Eckhart einmal diese Entsprechung angegeben hat, bemerkt er: »Hierbei wollen wir nicht verweilen, denn es ist nichts Neues« (EW I, S. 165; Pr. 14). 221 b) Die Seele ist in ihrer freien Entscheidungsfähigkeit Gott ebenbildlich, so wie er aus freiem Ratschluss (vgl. »Lasst uns […]«) den Menschen gemacht hat. Gott hat den Menschen »aufgrund eines göttlichen Ratschlusses« 222 gemacht, und zwar: nach sich selbst, das heißt also zum Ratschluss fähig gemacht: »Der Mensch [wurde] ›vom Ratschluss her‹ geschaffen, weil hGotti ihn zum Ratschluss befähigte, nach dem Wort: ›Gott hat den Menschen im Anfang gebildet und ihn seinem Ratschluss überlassen‹ hSir 15,14i« (I. Gen. n. 120). 223 In derselben Stelle führt Eckhart zur Erklärung Johannes von Damaskus an: »Daher sagt Johannes von Damaskus: ›Der Mensch heißt nach dem Ebenbild hGottesi erschaffen, sofern mit Ebenbild eine geistige Natur bezeichnet wird, die dem Willen nach frei, ihrer selbst mächtig, Ursprung ihres Wirkens ist und Gewalt über es hat‹« (I. Gen. n. 120). 224 Dieses an sich höchst interessante Thema hat Eckhart nicht weiter entwickelt. Zwar gebraucht er oft das Wort »frei« 225, aber nicht im Zusammenhang mit dem »freien Willen« 226, sondern im Sinne von »ledig, lauter«. Was Eckhart in Hinsicht auf die Gottesebenbildlichkeit der Seele besonders beschäftigt hat, ist folgender Doppelgesichtspunkt. c) Die Seele ist in ihrem Obersten, nämlich im »intellectus« als solchem das Bild Gottes, der selbst »reiner Intellekt« (I. Gen. n. 168), 227 »ein vernünftiges Sein« (EW I, S. 191; Pr. 16B) 228 ist. »Um dieses Verstandes willen heißt es von ihm, dass er ›nach dem Ebenbild Gottes‹ geschaffen ist« (Zitat aus Maimonides: I. Gen. n. 116). 229 Was 72 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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versteht Eckhart unter dem gottebenbildlichen »intellectus« in der Seele? »Der Vorzug der geistigen Natur besteht darin, dass sie Gott selbst zum Gleichnis hat […] Der Grund ist der: ›Der Verstand ist als solcher das Vermögen, hin der Erkenntnisi alles zu werden‹, nicht hnuri dies oder das auf eine Art Eingeschränkte. […] Und Avicenna sagt: ›Die Vollendung der vernünftigen Seele besteht darin, dass sie zu einer geistigen Welt wird und die Form des Alls sich in ihr abzeichnet‹« (I. Gen. n. 115). 230 Der »intellectus« in der Seele ist für Eckhart das Vermögen, (in der Erkenntnis) alles zu werden, und zwar dadurch, dass die Form des Alls sich in ihm abzeichnet. Hier ist das klassische Verständnis der Erkenntnis, d. h. die realistische Abbildtheorie vorausgesetzt, nach der die Erkenntnis eines Dinges sich durch sein Abbild in der Seele vollzieht. Eine kurze Zusammenfassung dieser Theorie bietet folgendes Zitat: »[Es] ist zu bemerken: Aus dem Gesagten folgt, dass der Gegenstand, insofern er erkannt ist, sich selbst oder sein Bild in dem erkennenden Vermögen erzeugt und gebiert und dass das erzeugte Bild der eine Spross ist, der dem erkannten Gegenstand und der erkennenden Fähigkeit gemeinsam ist« (Joh. n. 109). 231 Ein Objekt erzeugt sich selbst bzw. sein Bild in der erkennenden Seele. Ein Objekt wohnt (inhabitat) als Bild in dem Subjekt. Das Bild im Subjekt ist das Objekt selbst, nur einem anderen Sein nach, oder vielmehr »dasselbe Sein nach einer anderen Weise« (Serm. n. 513) 232. So ist das erzeugte Bild der eine Spross, der dem erkannten Objekt und dem erkennenden Subjekt gemeinsam ist. Kurz, der Erkennende wird durch das Bild und in dem Bild, das ein Objekt im Erkennenden gezeugt hat, eins mit dem Objekt und in diesem Sinne Objekt selbst. So ist der »intellectus« das Vermögen, alles zu werden. In diesem Sinne ist der »Verstand« »gewissermaßen alles«, »das Seiende in seiner Gesamtheit« oder »das Seiende in seiner Allheit« (vgl. I. Gen. n. 115, 116). 233 Unter diesem Gesichtspunkt befindet sich Gott, das Urbild des »intellectus« in der Seele, als »intellectus purus« [»reiner Intellekt«]. Gott als »intellectus purus« wird im Unterschied zum »intellectus« in der Seele aus folgenden Gründen »purus« genannt: 1. »Gott [ist] reiner Intellekt, dessen ganzes Sein das Denken schlechthin ist« (I. Gen. n. 168). 234 Gott ist »intellectus« schlechthin, ohne dass ein anderes Sein, d. h. »ein vom intellectus irgendwie verschiedenes Sein« (Serm. 73 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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n. 301) 235, hinzukäme. In Gott und in Gott allein sind »Sein« 236 und »Erkennen« 237 identisch. »Sein Sein ist sein Erkennen« (EW II, S. 131; Pr. 76). 238 Darum ist Gott nicht »zusammengesetzt«, sondern »schlechthin eines« (Serm. n. 301) 239. Das bedeutet »die Lauterkeit des Seins« (Qu. Par. n. 9) 240 Gottes. 2. Der göttliche »intellectus« richtet sich nicht nach einem Objekt, um erst dann mit diesem eins zu werden, wie der intellectus beim Menschen. Gott hat alles in sich. »Gott erkennt auch nichts außerhalb seiner, sondern sein Auge ist nur auf ihn selbst gerichtet« (EW I, S. 59; Pr. 5A). 241 Bei Gott handelt es sich einzig um die Erkenntnis seiner selbst in sich selbst. 3. Der göttliche »intellectus« braucht keine Vermittlung durch das Bild. Gottes Erkenntnis seiner selbst in sich selbst ist bildlos. »Sein Bild ist, dass er sich durch und durch erkennt und nichts als Licht ist« (EW I, S. 357; Pr. 32). 242 »Gott der Vater hat eine vollkommene Einsicht in sich selbst und ein abgründiges volles Erkennen seiner selbst durch sich selbst, nicht durch irgendein Bild« (QQ. S. 418; Pr. 101). 243 So ist Gott als »intellectus« »intellectus purus«, und nach diesem ist der »intellectus« in der Seele gemacht. Der »intellectus« ist das Vermögen, in der Erkenntnis alles zu werden; als solcher ist er das Ebenbild Gottes, der alles in sich selbst und alles als sich selbst bildlos erkennt. Nun kommt es beim »intellectus« in der Seele darauf an, ein Bild vom Objekt zu empfangen. Um aber ein Bild empfangen zu können, muss die empfangende Seele selbst bildlos sein, lauter und ledig. Um die Farbe sehen zu können, muss das Auge selbst der Farbe ledig sein. Das Alles-Werden des »intellectus« beruht auf seiner lauteren Empfänglichkeit für alles, die ihrerseits auf der Bildlosigkeit, der Bloßheit beruht. Der »intellectus« ist in diesem Sinne die Lauterkeit der Seele selbst. d) Nun hebt Eckhart diese Lauterkeit als Lauterkeit hervor: Die Seele ist in ihrer Lauterkeit das Bild Gottes, wie er in der ersten Lauterkeit ist. »[…] wie ich vorgestern in meinem letzten Sermon sagte: dass die Seele in die erste Lauterkeit eingebildet wird, in den Eindruck der lauteren Wesenheit, wo sie Gott schmeckt, ehe er Wahrheit oder Erkennbarkeit annimmt, dort, wo alle Nennbarkeit abgelegt ist« (EW I, S. 43; Pr. 3). 244 In der ersten Lauterkeit ist Gott »ohne Name«, »unaussprechlich«, »ohne Bild« und »überbildlich«. In der ersten Lauterkeit kennt Gott noch nicht die »Dreifaltigkeit«. So ist die Seele in ihrer Lauterkeit namenlos bildlos und überbildlich. »Gott, der ohne Namen ist – 74 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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er hat keinen Namen –, ist unaussprechlich, und die Seele ist in ihrem Grunde ebenfalls unaussprechlich, so wie er unaussprechlich ist« (EW I, S. 201; Pr. 17). 245 »Die Seele weiß von nichts als vom Einen, sie ist erhaben über hjedesi ›Bild‹« (EW II, S. 83; Pr. 72). 246 Die Seele ist in ihrer Lauterkeit überhaupt nicht berührbar von Bildern. Sie ist in ihrer bildlosen Überbildlichkeit das bildlose Bild des überbildlichen Gottes. Die Seele hat auch kein Bild von Gott. Und gerade darin ist sie das Bild Gottes, da Gott selbst kein Bild von sich selbst hat. »Gott hat kein Bild oder Gleichnis von sich selbst« (Zitat aus Dionysius: QQ. S. 420; Pr. 101). 247 In diesem bildlosen Bild-Verhältnis kann man nicht einmal mehr von Sich-Erbilden Gottes in gewöhnlichem Sinne sprechen, denn es gibt in der ersten Lauterkeit Gottes nichts zu erbilden: nichts Bildhaftes, das als Urbild dienen könnte. Es handelt sich hier nicht um die Lauterkeit als die passive Empfänglichkeit, sondern um die Lauterkeit als solche, die von Bildern nicht berührbar ist und die alles Bildhafte von sich fern hält. Die Lauterkeit in diesem aktiven Sinne nennt Eckhart auch »Fünklein in der Seele« (scintilla animae), »eine Kraft in der Seele«, die er manchmal mit dem »intellectus«, und zwar mit dem »intellectus agens« [der »tätigen Vernunft«], bzw. mit der »ratio superior« [der »oberen Vernunft«] identifiziert. Eckhart entwickelte seine eigene Bild-Urbild-Spekulation besonders unter den in c) und d) genannten Gesichtspunkten. Zwischen dem Bild-Gottes-Sein der Seele als »intellectus« und als »Lauterkeit« besteht eine innere Dynamik. Bei beiden Gesichtspunkten handelt es sich um die Seele als die Lauterkeit: in c) um die Lauterkeit als die Empfänglichkeit, in d) aber um die Lauterkeit als die Unberührbarkeit; in c) um die Bildlosigkeit als Empfänglichkeit für Bilder, in d) aber um die Bildlosigkeit als die Überbildlichkeit. Bei beiden Gesichtspunkten handelt es sich aber auch um den »intellectus«: in c) um den »intellectus« als das Vermögen, in der lauteren Empfänglichkeit alles zu werden, also um den passiven intellectus (»[den] Intellekt, dessen Wesen Leiden und Empfangen ist«: Serm. n. 117), 248 in d) aber um den »intellectus«, der alles abscheidet und selbst in dieser unberührbaren Lauterkeit verbleibt, also um den »intellectus agens«. Im ersten Teil unserer Untersuchung, in welchem Eckharts Lehre von der Gottesgeburt behandelt wird, kommt es auf die Lauterkeit als Empfänglichkeit bzw. auf den passiven intellectus an; im zweiten Teil, in welchem seine Lehre vom Durchbruch zur Gottheit behandelt wird, kommt der intellectus agens in Betracht.

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

»[Gott] hat [die Seele] nach sich selbst geschaffen« (EW I, S. 277; Pr. 24): 249 Wir haben oben zunächst festgestellt, dass Eckhart darunter versteht: »Er hat nach dem Bilde Gottes geschaffen« 250, und zwar im Unterschied einerseits zu »er zeugt das Bild Gottes« 251, andererseits zu »er hat geschaffen nach dem Gleichnis von etwas in Gott« 252. Wir haben dann gesehen, dass die Gottebenbildlichkeit der Seele für Eckhart im »intellectus« bzw. in der Lauterkeit der Seele liegt. Das Bild-Gottes-Sein der Seele als die Empfänglichkeit für das Einwirken Gottes. »Die Seele aber ist naturhaft nach Gott gebildet. […] Für dieses Wirken und diese Geburt ist keine Kreatur empfänglich als einzig die Seele. […] Die Kreaturen, in denen Gottes Bild nicht ist, werden dafür nicht empfänglich« (QQ. S. 425; Pr. 102). 253 Das ist nach Eckhart der Grund dafür, dass Gott »gebärend aber nur in der Seele« (QQ. S. 425; Pr. 102) 254 ist. Aufgrund ihres »NachGott-gebildet-Seins« ist die Seele, und zwar die Seele allein, für Gott empfänglich. Die »imago dei« (hier im Sinne von »ad imaginem« gemacht) ist »Gottes empfänglich« (vgl. Serm. n. 152; I. Gen. n. 115) 255. Hier handelt es sich um die Bedeutung des Bild-Seins und um die Beziehung des Bildes zum Urbild. Um zu klären, was Eckhart unter dem Bild Gottes als der Empfänglichkeit für Gott versteht, wollen wir ausgehen von seiner allgemeinen Auffassung vom Bild. »Ein Bild ist […] ähnlich« (Serm. n. 509); 256 »die Gleichheit [gehört] zur Vollkommenheit des Bildes« (ebd.). 257 Das ist der Anfang der Eckhart’schen Bild-Urbild-Spekulation, der Anfang, der nichts Auffälliges hat. Den Charakter des Bildes, »ähnlich« 258 bzw. »Gleichheit« 259, bestimmt Eckhart näher wie folgt: »[Es] ist erforderlich, dass im Bild nichts von dem fehlt, was im Abgebildeten ist, und dass nichts an oder in ihm ist, was in irgendeinem andern ist« (Serm. n. 510). 260 Aber die Gleichheit allein genügt nicht zur Bestimmung des BildSeins, denn »es kann kein Bild geben ohne Gleichheit, aber Gleichheit kann es wohl geben ohne Bild« (EW I, S. 187; Pr. 16B), 261 wie z. B. zwei Eier einander völlig gleich sein können, ohne gegenseitig in einer Bild-Urbild-Beziehung zu stehen. »Was des andern Bild sein soll, das muss aus dessen Natur gekommen und muss von ihm geboren und muss ihm gleich sein« (EW I, S. 187; Pr. 16B). 262 Es besteht nicht nur eine einfache Gleichheit, sondern ihr liegt zugrunde, dass das eine vom anderen hervorgebracht ist. Wenn das eine Ausdruck bzw. Ausfluss vom anderen ist, dann kann man von einem »Bild« sprechen. »Das Bild« 263 ist »aus76 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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geprägte Ähnlichkeit« (Serm. n. 547), 264 »Ausdruck und Ausfluss dessen […], dessen Bild es ist« (Serm. n. 509); 265 »es gehört nämlich zum Wesen des Ebenbildes, dass es das, dessen Ebenbild es ist, nicht nur mit einer seiner Bestimmungen, sondern ganz und vollkommen zum Ausdruck bringt« (I. Gen. n. 115). 266 So kann man das Bild und das, dessen Bild es ist, weder trennen noch als zwei ansehen: »›Das Bild‹ als solches kann nicht einmal dem Begriff nach von dem getrennt werden, dessen Bild es ist« (Serm. n. 505); 267 »das Bild lässt sich mit dem, dessen Bild es ist, nicht zusammenzählen, als ob es zwei Substanzen wären, vielmehr ist das eine im andern« (Serm. n. 510). 268 Die Beziehung, die vonseiten des Urbildes als »Ausdruck« bzw. »Ausfluss« bezeichnet wird, wird vonseiten des Bildes bestimmt wie folgt: »Ein Bild nimmt sein Sein unmittelbar allein von dem, dessen Bild es ist« (EW I, S. 191; Pr. 16B); 269 »denn das Abbild als Abbild empfängt nichts von dem Träger, an dem es ist; vielmehr empfängt es sein ganzes Sein von dem Gegenstand, dessen Abbild es ist. […] Es empfängt sein Sein von ihm allein« (Joh. n. 23). 270 Für diese Beziehung, dass das Bild sein ganzes Sein unmittelbar allein von dem, dessen Bild es ist, empfängt, bietet das Spiegelbild, auf das sich Eckhart zur Erklärung des Bildes oft bezieht, ein treffendes Beispiel (vgl. z. B. EW I, S. 113; Pr. 9; S. 189; Pr. 16B) 271. Das Bild auf dem Spiegel hat sein Sein nicht in sich selbst, empfängt es auch nicht von seinem »subiectum«, also vom Spiegel, sondern allein von seinem Objekt. Das Sein des Bildes ist ein empfangenes Sein und zugleich das fortwährende Empfangen des Seins. Das Bild ist da, insofern es sein Sein vom Gegenstand als dem Urbild empfängt. Wenn der Gegenstand fort ist, dann muss auch das Bild auf dem Spiegel fort sein, weil das Bild nicht aus sich selbst noch für sich selbst ist. »Ein Bild ist nicht aus sich selbst, noch ist es für sich selbst; es stammt vielmehr von dem, dessen Bild es ist, und gehört ihm mit allem, was es ist, zu« (EW I, S. 191; Pr. 16B). 272 Das »Bild« besitzt also für Eckhart nicht das statische Dasein des gemalten Bildes, sondern das dynamische Empfangen-Sein des gespiegelten Bildes. Das empfangene und fortwährend empfangende Sein des Bildes bedeutet die totale dynamische Seinsabhängigkeit des Bildes vom Urbild. Das ist die erste Eigenschaft des Bildes. Aus dem »Empfangen« ergibt sich zugleich die zweite Eigenschaft: »Ein Bild nimmt sein Sein unmittelbar allein von dem, dessen Bild es ist, und hat ein Sein mit ihm und ist dasselbe Sein« (EW I, S. 191; Pr. 16B). 273 Das Bild hat kein anderes Sein als das empfangene Sein; das heißt: Das Bild hat ein und dasselbe Sein mit dem Urbild. 77 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

Auf dem Hintergrund des so verstandenen Bild-Seins als des Empfangens spricht Eckhart von der Empfänglichkeit der Seele für Gott: »Denn Gott als Gott ist und schmeckt und findet sich nur in der geistigen Natur. Hier ist das Gottesbild Gottes empfänglich, dessen ganzes Wesen darin besteht, auf etwas anderes hin hgerichteti zu sein« (Serm. n. 152). 274 »Daher sagt Augustin, die Seele sei nur dadurch, dass sie Bild Gottes ist, für ihn empfänglich. Denn das Bild ist als Bild ganz auf das bezogen und hingeordnet, dessen Bild es ist, und diese Hinordnung hat es nur zu diesem und zu nichts anderem« (Serm. n. 266). 275 Die Seele ist dadurch, dass sie Gottes Bild ist, für Gott empfänglich, weil das Bild, wie wir oben sahen, in seinem ganzen Sein auf etwas anderes, nämlich auf das, dessen Bild es ist, bezogen und hingeordnet ist. »Die Seele ist nach Gott gebildet« (EW I, S. 41; Pr. 3). 276 Dieses »Nach« hat einmal eine exemplarische Bedeutung: Gott als »exemplar« [»Urbild«]; aber zugleich bedeutet es aufgrund der totalen dynamischen Seinsabhängigkeit »nach Gott hin«, das heißt: »von Gott empfangen«. Das Bild und das Urbild sind gegenseitig dynamisch aufeinander hingeordnet. Das Bild Gottes in der Seele richtet sich einzig auf Gott, sein Urbild; deswegen heißt es: Es ist »ein Bild göttlicher Natur, das allwegs allem dem widerstreitet, das nicht göttlich ist, […] und ist allwegs geneigt zum Guten; selbst noch in der Hölle ist es geneigt zum Guten« (EW I, S. 229; Pr. 20A). 277 In der entgegengesetzten Richtung kann nichts in das Bild Gottes in der Seele hineingehen als sein Urbild, Gott. »Bemerke noch: Da, wo ›das Bild‹ ist, kann nichts einziehen als Gott allein und von den Tugenden allein die […], die Gott wirkt« (Serm. n. 505). 278 Folgendes Zitat gibt eine Zusammenfassung der erwähnten Beziehung zwischen der Seele als Bild Gottes und Gott als dem Urbild: »Die Seele jedoch machte er (Gott) sich so gleich und so ebenbildlich, auf dass er sich der Seele geben könne; denn was er ihr sonst gäbe, das achtet sie für nichts. Gott muss mir sich selbst so zu eigen geben, wie er sich selbst gehört« (EW I, S. 53; Pr. 4). 279 Weil die Seele nach Gott gebildet ist, kann Gott sich selbst der Seele geben. Das Nach-Gott-gebildet-Sein ist die Empfänglichkeit für Gott. Weil die Seele nach Gott gebildet ist, muss Gott sich selbst der Seele geben; die Empfänglichkeit für Gott hat Gott selbst der Seele gegeben, mit dem »Sich-Erbilden« Gottes in der Seele hat schon das »Sich-Geben« Gottes begonnen. Mit der Formulierung »Gott muss 78 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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geben […]« bringt Eckhart die gegenseitige dynamische Hinordnung zwischen dem Bild und dem Urbild zum Ausdruck, die er manchmal auch als »unwillkürlich« (EW I, S. 189; Pr. 16B) 280 bezeichnet. Die Empfänglichkeit der Seele für Gott bedeutet hier ohne Einschränkung, dass Gott sich selbst der Seele geben muss. (Über dieses »Müssen« vgl. unten S. 143 ff.) Eckhart sagt im obigen Zitat: »Gott muss mir sich selbst so zu eigen geben, wie er sich selbst gehört.« Was bedeutet das für Eckhart? Diese Frage führt uns zu seinem Gedanken von »der Vollendung des Bildes Gottes in der Seele«, zu dem eigentlichen Spielraum der Eckhart’schen Bild-Urbild-Spekulation. Vorbemerkungen zur »Vollendung des Bildes Gottes in der Seele«. »Die Seele aber ist naturhaft nach Gott gebildet. Dieses Bild muss durch diese Geburt geziert und vollendet werden« (QQ. S. 425; Pr. 102). 281 Die »Gottesgeburt in der Seele« bedeutet für Eckhart die Vollendung des natürlichen Bildes Gottes in der Seele. Um Eckhart in diesem Punkt richtig verstehen zu können, müssen wir zunächst seine radikale Auffassung von der Bild-Urbild-Beziehung bei Gott kennenlernen. Im vorigen Paragraphen diente das Spiegelbild als die entsprechende Veranschaulichung für die Bild-Urbild-Beziehung im allgemeinen Verständnis. Im Weiteren aber muss Eckhart auf das Beispiel des Spiegelbildes verzichten, weil es dem Spiegelbild an dem fehlt, was für das »Sich-Erbilden« Gottes entscheidend ist. »Aber die Natur erbildet sich nicht in das Bild des Spiegels; vielmehr der Mund und die Nase und die Augen und die ganze Bildung des Antlitzes – dies bildet sich in dem Spiegel ab. Aber dies hat Gott sich allein vorbehalten, dass, worein immer er sich erbildet, er seine Natur und alles, was er ist und aufzubieten vermag, gänzlich darein unwillkürlich erbildet; […] und das Bild hat den ersten Ausbruch aus der Natur und zieht alles das in sich hinein, was die Natur und das Sein aufzuweisen haben, und die Natur ergießt sich völlig in das Bild und bleibt doch ganz in sich selbst« (EW I, S. 189; Pr. 16B). 282 Das »Sich-Erbilden« Gottes unterscheidet sich also vom »SichErbilden« auf dem Spiegel wesentlich darin, dass Gott, wohinein immer er sich erbildet, seine ganze Natur und alles, was er ist, dahinein erbildet. Beim »Sich-Erbilden« Gottes ergießt sich seine Natur völlig in das Bild, was beim Spiegelbild nicht der Fall ist. In diesem Sinne ist das Bild Gottes der Ausbruch aus der göttlichen Natur: »Das 79 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

göttliche Bild bricht aus der Fruchtbarkeit der Natur unvermittelt aus« (EW I, S. 189; Pr. 16B). 283 Nun müssen wir beachten, dass es im obigen Zitat heißt: »wohinein immer er sich erbildet«.* Daraus geht hervor, dass Eckhart das »Sich-Erbilden« Gottes im Sinne der Naturergießung sowohl auf das innergöttliche Bild als auch auf das Bild Gottes in der Seele bezieht. Wenn man sich dabei der Unterscheidung erinnert, die Eckhart einmal mit dem Begriffspaar »imago dei« und »ad imaginem dei« zwischen dem Sohn Gottes und der Seele aufgestellt hat, so ahnt man, dass Eckhart in der Erhebung von »ad imaginem dei« zu »imago dei« die Vollendung der Gottebenbildlichkeit der Seele sieht. Die Unterscheidung zwischen »ad imaginem dei« und »imago dei« hat für Eckhart nur Gültigkeit, soweit die Seele innerhalb der Schöpfungsordnung betrachtet wird, aber nicht innerhalb der Heilsordnung, der »Gottesgeburt in der Seele«. Was die Gottebenbildlichkeit bei der Gottesgeburt in der Seele anbelangt, so sagt er hier mehr darüber, als er es im Zusammenhang der Schöpfungsordnung getan hat. Sie ist mehr als die Wiederherstellung der in der Schöpfung gegebenen Gottebenbildlichkeit der Seele. Eckhart spricht jetzt ausdrücklich von demselben Bild Gottes in der Seele und in Gott selbst. Was diese »Vollendung des Bildes Gottes in der Seele« selbst anbelangt, so gehört das Thema zu unserem Kapitel über die »Gottesgeburt in der Seele« (vgl. III. Kapitel, S. 104 ff.). Wir haben oben in 1,a gesehen, wie Eckhart in dem »Nach-Gottgebildet-Sein« des Menschen die Grundlage für die Gottesgeburt in der Seele sieht.

b)

Die Seele: ihr Sein und ihre Kräfte – der Ort in der Seele für die Gottesgeburt

Wir müssen nun näher nach dem Ort der Gottesgeburt in der Seele fragen: »wo Gott der Vater sein Wort in der Seele spreche, wo dieser Geburt Stätte sei und wo sie hdie Seelei für dieses Werk empfänglich sei«. Eckhart antwortet selbst: »muss es doch im Allerlautersten und Edelsten und Zartesten sein, das die Seele zu bieten vermag« (QQ. S. 415; Pr. 101); 284 »das heißt im Verborgensten der Seele« (QQ. S. 416; Pr. 101). 285 So bestimmt Eckhart den Ort der Gottesgeburt: * In diesem Gedanken sieht A. Auer wieder den Einfluss des Plotin’schen Gedankens von der Emanation (vgl. a. a. O., S. 62–67).

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Eckharts Seelenbegriff

»[…], und diese Geburt geschieht im Sein und im Grunde der Seele« (QQ. S. 425; Pr. 102). 286 »Das Haus Gottes [ist] das Wesen der Seele selbst, in das Gott allein sich einsenkt« (Serm. n. 249) 287, »[…] in der Heimlichkeit der Seele, wo Gott allein sich einsenkt« (Serm. n. 98). 288 Hier ist der traditionelle Gedanke der abendländischen Mystik maßgebend, dass es in der Seele einen Ort gebe, der allein für Gott empfänglich sei und in den allein Gott eingehen könne. Zwischen dem Geburtsort Gottes in der Seele und dem anderen Teil der Seele gibt es einen qualitativen Unterschied, den Eckhart als den Unterschied zwischen dem Sein, der Wesenheit (essentia animae) und den Kräften (potentiae) der Seele wiedergibt. Der entscheidende Unterschied besteht für Eckhart darin, dass die Seele mit den Kräften wirkt, während sie im Sein nicht wirkt, und dass die Kräfte durch die Vermittlung der Bilder in Berührung mit dem Außen stehen, während das Sein der Seele innen und ledig von allen Vermittlungen und von allen Bildern ist. Wir wollen das etwas näher betrachten: »Alle Werke, die die Seele wirkt, die wirkt sie mittels der Kräfte: was sie erkennt, das erkennt sie mit der Vernunft; wenn sie etwas erinnert, so tut sie’s mit dem Gedächtnis; soll sie lieben, so tut sie’s mit dem Willen; und so also wirkt sie mittels der Kräfte und nicht mit dem Sein. All ihr Wirken nach draußen haftet immer an etwas Vermittelndem. Die Sehkraft wirkt nur durch die Augen, sonst kann sie kein Sehen betätigen noch verleihen; und so auch ist es mit allen anderen Sinnen: All ihr Wirken nach draußen leistet sie h= die Seelei durch etwas Vermittelndes. Im Sein aber gibt es kein Werk. Darum kennt die Seele in ihrem Sein kein Wirken; sondern die Kräfte, mit denen sie wirkt, die fließen hzwari aus dem Grunde des Seins; in diesem Grunde hselbsti aber ›schweigt das Mittel‹, hier herrscht nur Ruhe und Feiern für diese Geburt und für dieses Werk, auf dass Gott der Vater dort sein Wort spricht. Denn dieses hSein der Seelei ist von Natur für nichts empfänglich als einzig für das göttliche Sein, ohne alle Vermittlung. Gott geht hier in die Seele ein mit seiner Ganzheit, nicht mit einem Teile; Gott geht hier ein in den Grund der Seele. Niemand berührt den Grund in der Seele als Gott allein. Die Kreaturen können nicht in den Grund der Seele, sie müssen draußen bleiben in den Kräften. Dort h= im Grundei erschaut sie h= die Seelei wohl ihr h= der Kreaturi Bild, mittels dessen sie h= die Kreaturi eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Denn, wenn die Kräfte der Seele in Berührung kommen mit den Kreaturen, so entnehmen und schöpfen sie ein Bild und Gleichnis von den Kreaturen und ziehen das 81 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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in sich hinein. Dadurch erkennen sie die Kreaturen. Näher vermag die Kreatur nicht in die Seele zu kommen, und hwiederumi nähert sich die Seele niemals einer Kreatur, wenn sie nicht zuvor willig deren Bild in sich aufgenommen hat. Mittels dieses hihri gegenwärtigen Bildes nähert sie h= die Seelei sich den Kreaturen« (QQ. S. 416 f.; Pr. 101). 289 »Die Seele hat zwei Augen, ein inneres und ein äußeres. Das innere Auge der Seele ist jenes, das in das Sein schaut und sein Sein ganz unmittelbar von Gott empfängt: Dies ist sein ihm eigenes Werk. Das äußere Auge der Seele ist jenes, das da allen Kreaturen zugewendet ist und sie in bildhafter Weise und in der Wirkweise einer Kraft wahrnimmt« (EW I, S. 123; Pr. 10). 290 In diesen Zitaten, besonders im ersten, ist alles, was Eckhart über die Seele als solche sagen wollte, enthalten. Wir können es etwa zusammenfassen: 1. Es gibt in der Seele einen Ort, welcher von der Kreatur unberührt und unberührbar ist. Er ist das Sein oder der Grund der Seele im Unterschied zu den Seelenkräften. 2. Die Kreatur kann nur in die Kräfte der Seele eingehen, und zwar in der Gestalt eines Bildes. Das Bild ist die Kreatur, wie sie in die Seele hineingekommen ist und in der Seele bleibt. Und die Kräfte sind die Seele, soweit sie sich mit Bildern und dadurch mit der Kreatur beschäftigt. Wenn die Kräfte der Seele in Berührung kommen mit der Kreatur, so entnehmen sie der Kreatur ein Bild und ziehen dieses in sich hinein. Dadurch erkennt die Seele die Kreatur. Mittels dieses ihr gegenwärtigen Bildes nähert sich die Seele auch der Kreatur. Das ist ihre praktische Tätigkeit. Das Bild also, welches die Kräfte der Seele der Kreatur entnehmen, ist es, wodurch die Kreatur von außen her hineinkommt und wodurch die Seele nach außen hin zu der Kreatur ausgeht. Die Kreatur vermag aber nicht tiefer in die Seele einzudringen als nur bis in ihre Kräfte. In das Innerste, in den Grund der Seele kommt sie nie hinein (»kein Geschöpf [hat] jemals Zugang«: Serm. n. 99) 291, weil die Seele dort in ihrem Sein so lauter und bloß ist, dass sie alle Bilder von sich fernhält. 3. Auch die obersten Kräfte der Seele, nämlich Gedächtnis, Vernunft und Wille, können in den Grund der Seele nicht einmal einen Augenblick »hineinlugen«, weil auch diese Kräfte zu ihrem Wirken (Erinnern, Erkennen und Lieben) der Vermittlung durch die Bilder bzw. die geistigen Bilder bedürfen, während das Sein der Seele durch Vermittlung überhaupt nicht berührbar ist. Die obersten Kräfte müs82 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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sen als Kräfte »wirken«. Im Sein der Seele aber gibt es kein Werk. »Ein Meister spricht ein schönes Wort: dass etwas in der Seele ist, das gar heimlich und verborgen ist und weit oberhalb dessen, wo die Kräfte Vernunft und Wille ausbrechen« (EW I, S. 93; Pr. 7). 292 »Hierzu sage, dass das Wesen der Seele ferne ist vom Reich dieser Welt, weil sie in einer anderen Welt oberhalb der Seelenvermögen, oberhalb des Intellekts und des Willens, ist« (Serm. n. 121). 293 4. In ihrem Sein und in ihrem Grunde ist die Seele ohne Werk, ohne Bild, bleibt sie in sich selbst, geht nicht aus, schaut auf kein Ding hin. Das Sein ist das Lauterste und das Innerste der Seele. Es ist von Natur für nichts empfänglich als einzig für das göttliche Sein. Der Grund, wohin nie ein Bild hineinleuchtet und nie eine Kraft »hineinlugt«, wird einzig nur vom göttlichen Sein berührt. Das Sein der Seele lässt in seinem Nicht-Wirken allein Gott in sich einwirken. Hier geht Gott in die Seele ein mit seiner ganzen Gottheit. Zu diesem wichtigen Punkte noch einige Belege aus lateinischen Schriften: »Die Gnade [ist] nicht im Vermögen der Seele, sondern in ihrem Wesen, nämlich im Innersten oder vielmehr im Sein der Seele selbst« (Serm. n. 267). 294 »Nach seiner bloßen Wesenheit endlich, die über alle Namen erhaben ist, [senkt] sich [Gott] ein in die bloße Wesenheit der Seele selbst, für die es auch ihrerseits keinen rechten Namen gibt und die höher ist als Verstand und Wille, wie eben das Wesen höher ist als die Kräfte« (RSdt S. 129 aus Eckharts Erwiderung). 295 5. Das Sein bzw. der Grund der Seele ist der Sache nach dasselbe wie das Bild Gottes in der Seele. Dort, wohinein Gott sich erbildet hat, da ist der Grund der Seele. Im Grund der Seele trägt die Seele das lautere Bild Gottes, welches die Empfänglichkeit für Gott ist. Indem Gott die Seele sich selbst ebenbildlich machte, errichtete er in der Seele den Ort, in den allein er mit seiner ganzen Gottheit eingehen kann. Die Gottebenbildlichkeit der Seele als die Empfänglichkeit für Gott bedeutet in diesem Zusammenhang das Dasein des Ortes für die Gottesgeburt in der Seele. 6. So hat die Seele in ihrem Sein und in ihrem Grunde mehr Einheit mit Gott als mit den Kräften der Seele. Dort ist Gott der Seele näher, als sie sich selbst ist: »Ferner senkt Gott selbst sich, wie Augustin sagt, in die Seele ein und ist der Seele näher, als sie sich selbst ist« (Serm. n. 452). 296 Eckhart bringt diesen Umstand manchmal mit der Immanenzformel zum Ausdruck: »Im eigentlichen Sinne wohnt Gott in der Substanz der Seele« (Serm. n. 248). 297 »Es gibt ein Etwas 83 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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in der Seele, worin Gott lebt, und es gibt ein Etwas in der Seele, wo die Seele in Gott lebt« (EW I, S. 451; Pr. 42). 298 Man muss hier aber die Immanenz Gottes in der Seele im Sinne Eckharts verstehen. Bei ihm ist die Immanenz Gottes in der Seele eins mit dem Über-sich-selbst-hinaus-Sein der Seele. »Die Seele geht aus sich selbst, und Gott tritt in sie ein« (RSdt S. 130). 299 Gott wohnt zwar im Innersten der Seele, aber das Innerste der Seele gehört nicht zur Seele selbst, sondern zu Gott. Der Grund der Seele ist als dasjenige, was zu Gott gehört, der Grund der Seele. Dort hat die Seele mehr Einheit mit Gott als mit sich selbst, das heißt: Die Identität der Seele mit sich selbst ist in ihrem Grunde durchbrochen von Gott. Dort ist die Seele frei vom Ich. Was Eckhart mit der Immanenzformel sagen will, ist vielmehr dies, dass die Seele in ihrem Grunde nicht in sich selbst, sondern, über sich hinaus, in Gott wohne. »Die Seele aber steht durch ihr Sein im Sein Gottes, in Gott« (Serm. n. 267). 300 Deswegen musste Eckhart im oben genannten Zitat aus Pr. 42 zu der Immanenzformel gleich hinzufügen: »Und es gibt ein Etwas in der Seele, wo die Seele in Gott lebt.« Im Sein ist die Seele für Gott empfänglich, in das Sein der Seele geht Gott hinein; aber das Sein der Seele gehört von vornherein zu Gott, d. h., die Seele nimmt ihr Sein unmittelbar von Gott und gehört in ihrem Sein zu Gott. »Die Seele nimmt ihr Sein unmittelbar von Gott; darum ist Gott der Seele näher, als sie sich selbst ist; darum ist Gott im Grunde der Seele mit seiner ganzen Gottheit« (EWI, S. 119; Pr. 10). 301 7. Wir haben gesehen, wie scharf Eckhart zwischen dem Sein (dem Grunde) und den Kräften der Seele unterscheidet. In ihrem Grunde ist die Seele ohne Werk, ohne Bilder, und lässt Gott allein wirken. Mit den Kräften wirkt die Seele selbst und steht in der Berührung mit der Kreatur. Trotzdem ist es nicht so, dass es zwei Seelen gäbe. Eckhart sieht die Einheit der Seele darin, dass die Kräfte ihren Ausgang von dem Sein der Seele nehmen: »Die Kräfte, […], die fließen aus dem Grunde des Seins« (QQ. S. 417; Pr. 101), 302 »[das] Wesen der Seele […], welche Mitte und gleichsam der Mittelpunkt aller Vermögen ist« (Joh. n. 709). 303 Der Grund, aus dem die Kräfte ausfließen, wirkt jedoch selbst nicht, und die Seele kann mit den Kräften nicht zu ihrem Grunde zurückkehren. »Es gibt vielmehr ein Etwas in der Seele, aus dem Erkennen und Lieben ausfließen; es selbst erkennt und liebt nicht, wie’s die Kräfte der Seele tun« (EW I, S. 557; Pr. 52). 304

84 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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c)

Die Seele in der Wirklichkeit im Wirken mit ihren Kräften – das Ausbleiben der Gottesgeburt in der Seele

Nun erhebt sich eine Frage: Geschieht die Gottesgeburt in einem jeden Menschen und zu jeder Zeit, weil die Gottebenbildlichkeit als die Grundlage zu dieser Geburt jedem Menschen ohne Unterschied gegeben ist; geschieht sie, weil der Grund der Seele als der Geburtsort Gottes von der Kreatur unberührbar und deshalb nie gestört ist und weil Gott selbst seinerseits durch seine Natur angetrieben ist, seinen Sohn in der Seele zu gebären? Geschieht die Gottesgeburt wirklich in einem jeden Menschen? »Denn, was ich hier (von der Gottesgeburt in der Seele) sage, das soll man mit Bezug auf einen guten, vollkommenen Menschen verstehen, der auf Gottes Wegen gewandelt ist und noch wandelt, nicht aber mit Bezug auf einen natürlichen, ungeübten Menschen, denn der ist völlig fernab und nichts wissend von dieser Geburt« (QQ. S. 415; Pr. 101). 305 Dieses Zitat gibt auf die oben gestellte Frage zweifach Antwort, negativ und positiv. Negativ heißt es: »Der natürliche, ungeübte Mensch steht dieser Geburt völlig fern und weiß nichts von ihr: Es ist unmöglich, dass die Gottesgeburt in ihm geschehen könnte.« Positiv heißt es: »Meine Ausführungen über die Gottesgeburt in der Seele betreffen nur gute und vollkommene Menschen.« In diesem Paragraphen befassen wir uns nur mit der negativen Antwort. Wenn der Mensch in Berührung mit der Kreatur steht, dann ist er ein natürlicher Mensch. Er ist zugleich ein ungeübter, insofern er in der natürlichen Berührung mit der Kreatur aufgeht und nicht danach strebt, sich selbst der Kreatur zu entäußern. Mit solchen Menschen geschieht die Gottesgeburt nicht. Aber warum nicht? »Schuld daran ist, dass die Wege, auf denen dieses Licht (Gottes Licht) eingehen sollte, belastet und versperrt sind mit Falschheit und mit Finsternis; können doch Licht und Finsternis nicht miteinander bestehen noch auch Gott und Kreatur: Soll Gott eingehen, so muss zugleich die Kreatur hinausgehen« (QQ. S. 426; Pr. 102). 306 Obzwar die Geburt sich nicht in den Kräften, sondern in ihrem Sein und in dem Grunde der Seele ereignet, geschieht die Gottesgeburt so lange nicht, als die Kräfte mit dem kreatürlichen Bild beschäftigt und so am Wirken sind, denn dadurch sind die Wege für die göttliche Einwirkung versperrt. Wie ist es aber überhaupt möglich, dass ein kreatürliches Bild in der Seele Gott den Weg in die Seele 85 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

versperren kann? Eckhart unterscheidet, wie erwähnt, einerseits scharf zwischen dem Sein (Grund) und den Kräften der Seele: In ihrem Grunde, wohinein Gottes Bild eingedrückt ist, ist die Seele allein für Gott empfänglich, während die Bilder, welche die Kräfte der Kreatur entnehmen, in den Kräften bleiben und nicht in den Grund der Seele hineinkommen können. Es scheint, als wäre eine Behinderung Gottes durch die kreatürlichen Bilder nicht möglich. Eckhart sagt aber andererseits: »Das geringste kreatürliche Bild, das sich je in dich einbildet, das ist so groß, wie Gott groß ist. Warum? Weil es dich an einem ganzen Gotte hindert. Eben da, wo dieses Bild hin dichi eingeht, da muss Gott weichen und seine ganze Gottheit« (EW I, S. 73; Pr. 5B). 307 Die Kreatur, die an sich Gott gegenüber »ein reines Nichts« (»unum purum nihil«; »alle Kreaturen sind ein reines Nichts«: EW I, S. 53; Pr. 4) 308 ist, ist in der Seele, nämlich als Bild, so groß, dass sie für die Einigung der Seele mit Gott ein Hindernis darstellt. Nicht die Kreatur als solche hindert Gott, in die Seele einzutreten, sondern das Bild der Kreatur hindert die Seele, Gott zu empfangen. Wie kommt es dazu? Eckhart spricht, wie oben zitiert, von den zwei Augen der Seele: »Die Seele hat zwei Augen, ein inneres und ein äußeres.« Es ist aber nicht so, dass die beiden Augen sich gegenseitig zu einem vollkommenen Erkennen des Ganzen ergänzen, sondern: Wenn das äußere Auge auf ist, dann muss das innere Auge zu sein. Wie ist diese gegenseitige Ausschließung zu verstehen? Wir müssen jetzt, im Unterschied zum vorigen Paragraphen, wo es sich um die Statik der Seele, um die strukturelle Unterscheidung zwischen dem Sein und den Kräften der Seele handelt, die Seele in ihrer ganzen Dynamik untersuchen. 1. Zunächst ist zu beachten, dass Eckhart sagt: »Die Seele ist so einfaltig in sich selbst, dass sie immer nur ein Bild gegenwärtig wahrnehmen kann. Wenn sie des Steines Bild wahrnimmt, so nimmt sie nicht des Engels Bild wahr, und nimmt sie des Engels Bild wahr, so nimmt sie zugleich kein anderes wahr; das gleiche Bild aber, das sie wahrnimmt, das muss sie auch im Gegenwärtigsein lieben« (EW I, S. 121; Pr. 10). 309 Wir haben oben gesehen, dass die Seele trotz der unüberbrückbaren Kluft zwischen dem Grunde und den Kräften eine Einheit ist. In Bezug auf diese einheitliche Seele heißt es hier, dass die Seele jeweils nur ein Bild gegenwärtig wahrnehmen kann. Ein Bild gegenwärtig wahrzunehmen, das bedeutet, dass die Seele mit und in dem 86 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Seelenbegriff

Wahrnehmen eines Bildes zu ihrer Wirklichkeit kommt. »Ein Bild« heißt es; das bedeutet: Die Seele kann in ihrer Wirklichkeit entweder Gottes Bild oder ein kreatürliches Bild gegenwärtig tragen. Die Seele hat zwei Möglichkeiten, zu ihrer Wirklichkeit zu kommen: die eine, in ihrem Grunde Gott wirken zu lassen und im Wirken Gottes zu ihrer Wirklichkeit zu kommen, oder die andere, selbst mit ihren Kräften zu wirken und als das Wirken der Kräfte zu ihrer Wirklichkeit zu kommen. Die Verwirklichung jeder Möglichkeit nimmt die ganze Seele in Anspruch. »Gott will immer allein sein« (EW I, S. 445; Pr. 41). 310 »Gott muss eine ledige, unbekümmerte, freie Seele haben, in der nichts ist als er allein und die nach nichts und niemand ausschaut als nach ihm allein« (QQ. S. 429; Pr. 102). 311 Aber auch beim Wirken der Kräfte muss die ganze Seele in diesem Wirken aufgehen; »in allen Werken, die sie wirken, muss die Seele dabei sein, und zwar mit Hingabe, oder sie könnten überhaupt nicht wirken« (QQ. S. 429; Pr. 102). 312 Wenn also die Seele mit ihren Kräften wirkt und als das Wirken der Kräfte zu ihrer Wirklichkeit kommt, dann muss die ganze Seele »dabei sein«, so dass in dieser Wirklichkeit der ganzen Seele die andere Möglichkeit, im Grunde der Seele Gott wirken zu lassen, vereitelt wird; in diesem Fall ist der Grund der Seele unter fremder Wirklichkeit verborgen. Die Wirklichkeit im Wirken der Kräfte ist »die Erde, die von außen darauf geworfen ist« (EW II, S. 321; VeM). 313 Jede der beiden Wirklichkeiten schließt die jeweils andere Möglichkeit aus und umfasst für sich das Ganze der Seele. Das ist die Einfachheit der Seele in ihrer Wirklichkeit. Die ganze Wirklichkeit der Seele bewirkt entweder Gottes Wirken in ihrem Grunde oder das Wirken der Seele in und mit den Kräften. In Hinsicht auf die Wirklichkeit der Seele sind der Grund und die Kräfte nicht Teile, die zusammen das Ganze der Seele ausmachen, sondern zwei Möglichkeiten zu ihrer Wirklichkeit, deren Verwirklichung jeweils die ganze Seele in Anspruch nimmt und deshalb sich ausschließt wie »Licht und Finsternis«. 2. Auch wenn die Seele nur ein kreatürliches Bild in sich gegenwärtig hat, so muss die ganze Seele dabei sein, »und zwar mit Hingabe«. Die Hingabe an das kreatürliche Bild aber ist in der Tat die Zerstreuung und Zersplitterung der Seele, denn die Seele muss dabei ihren Grund verlassen und in äußerliche Werke zerfließen. »Denn die Seele ist so fest an die Kräfte gebunden, dass sie mit ihnen dahin fließt, wohin sie fließen; […] Zerfließt sie denn mit ihrer 87 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Hingabe in äußerliche Werke, so muss sie notwendig innerlich in ihrem inneren Wirken umso schwächer sein« (QQ. S. 429; Pr. 102). 314 »Will dein Auge alle Dinge sehen und dein Ohr alle Dinge hören und dein Herz alle Dinge bedenken, wahrlich, so muss in allen diesen Dingen deine Seele zersplittert werden« (QQ. S. 429 f.; Pr. 102). 315 Mit dem Wirken ihrer Kräfte zerfließt die Seele so nach außen und schließlich so weit, dass sie niemals wieder heim- oder hereinkommen kann. »Darüber kommen sie (die Menschen, die mit den Seelenkräften die Kreatur berühren) zum Schluss so weit nach draußen, dass sie niemals wieder heim- noch wieder hereinkommen« (QQ. S. 427; Pr. 102). 316 Das ist der Tod der Seele. In Wahrheit ist die Seele schon gleich anfangs gestorben, als sie aus dem Grund, dem ewigen Lebensquell heraus ans Werk der Kräfte ging. »Wenn haberi die Seele sich herauskehrt auf äußere Dinge, so stirbt sie, und Gott stirbt auch der Seele« (EW I, S. 451; Pr. 42). 317 Eckhart nennt solche Seele auch »Witwe« 318, »weil der ›Mann‹ tot war« (vgl. EW I, S. 459; Pr. 43). 319 Wenn die Seele also mit den Kräften wirkt, dann kommt die Seele zwar als dieses Wirken zu ihrer Wirklichkeit, aber diese Wirklichkeit ist in Wahrheit der Tod der Seele, denn sie ist im Grunde tot. Sie weiß aber, aufgehend in der regen Beschäftigung mit den äußerlichen Werken, von ihrem eigenen Tod nichts, obwohl sie alle anderen Dinge weiß. 3. »Die Seele zerfließt mit ihrer Hingabe in äußerliche Werke.« »Sie ist aus ihrem Grund ausgegangen und will sich an Äußerliches halten.« »Das gleiche Bild, das die Seele wahrnimmt, das muss sie auch im Gegenwärtigsein lieben.« Kreatürliche Bilder zu haben, bedeutet keine neutrale Erkenntnis der Dinge, wie es zunächst scheinen mag. Es ist das Anhaften an Bildern und das Anhängen an der Kreatur. Mittels der Bilder will die Seele die Kreatur, sie sich zu eigen machend, ergreifen; gerade dadurch gerät die Seele in Abhängigkeit von der Kreatur. Dies alles hat nach Eckhart seine Wurzel in der »eigenschaft« (Eigen-schaft des Menschen), die bei Eckhart so viel wie »Ich-Bindung«, »die Bindung an das eigene Ich« (Quints Übersetzung) bedeutet (vgl. u. a. EW I, S. 25, 29, 15, 17; Pr. 2; Pr. 1) 320. Wenn die Seele ihren Grund verlässt, in welchem sie mehr Einheit mit Gott hat als mit sich selbst, in welchem sie nicht sich selbst, sondern Gott gehört, so schließt sie sich als eine an sich selbst haftende Identität mit sich selbst in sich selbst ab. Diese an sich selbst verschlossene Identität der Seele mit sich selbst ist die »eigenschaft«, das Ich. Es ist die falsche Einheit der Seele. So bedeutet die Eigen-schaft die Seele, 88 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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wie sie mit sich selbst identisch ist und in dieser Identität verschlossen ist, wie sie sich selbst gefällt und wie sie sich an sich selbst hängt. Das Ich in seiner »eigenschaft« ergreift alles sich zu eigen, sucht an allen Dingen immer das Seine, das Eigene. Das Ich ist Eigen-tümer, der in seinem Eigen-tum sein Dasein hat. Die verborgene Eigen-schaft kommt in Eigen-liebe, Eigen-wille, Eigen-nutz usw. zum Ausdruck. So sieht Eckhart die letzte Ursache der Verhinderung der Gottesgeburt in der Seele nicht in den kreatürlichen Bildern als solchen, sondern in dieser »eigenschaft«. »Wir sind die Ursache aller unserer Hindernisse« (EW I, S. 65; Pr. 5A). 321 Oben haben wir gesehen, dass das kreatürliche Bild die Seele hindert, Gott zu empfangen. Die Schuld liegt aber dabei nicht an dem kreatürlichen Bild selbst bzw. an den Seelenkräften, die sich mit Bildern beschäftigen, sondern einzig an der »eigenschaft«. So sagt Eckhart: »Wenn ich frei von der Eigen-schaft wäre, so wäre ich ohne Behinderung durch alle Bilder.« »Wäre ich von so umfassender Vernunft, dass alle Bilder, die sämtliche Menschen je hin sichi aufnahmen, und hzudemi die, die in Gott selbst sind, in meiner Vernunft stünden, doch so, dass ich so frei von Ich-Bindung an sie wäre, dass ich ihrer keines im Tun noch im Lassen, […] als mir zu eigen ergriffen hätte, […], wahrlich, so wäre ich Jungfrau ohne Behinderung durch alle Bilder, ebenso gewiss, wie ich’s war, da ich noch nicht war« (EW I, S. 25; Pr. 2). 322 »Nicht das ist schuld, dass dich die Weise oder die Dinge hindern: Du bist es hvielmehri selbst in den Dingen, was dich hindert, denn du verhältst dich verkehrt zu den Dingen« (EW II, S. 339; RdU). 323 Was das kreatürliche Bild in der Seele als solches anbelangt, so sagt Eckhart vielmehr anders: »So hauchi sind alle Dinge in der Seele lauterer und edler, als sie in dieser Welt sind« (EW I, S. 203; Pr. 17). 324 Die Kreatur ist in der Seele edler als in sich selbst. Was meint Eckhart damit? Nach ihm ist alle Kreatur bestimmt zur Rückkehr zu Gott. »Alle Kreaturen richten ihren Lauf auf ihre höchste Vollkommenheit« (QQ. S. 272; Pr. 109). 325 »Jede Kreatur betreibt ihr Werk um eines Endzweckes willen« (QQ. S. 428; Pr. 102). 326 Diese Rückkehr der Kreatur vollzieht sich aber in der Seele und durch die Seele. »Ich allein bereite alle Kreaturen wieder zu Gott« (QQ. S. 272; Pr. 109). 327 Das Werk der Seelenkräfte, der Kreatur ein Bild zu entnehmen, ist, vonseiten der Kreatur, der erste Schritt ihrer Rückkehr zu Gott. Die Kreatur entäußert sich ihrer materiellen Grobheit und wird geistig: Das ist die Bedeutung des kreatürlichen Bildes in der Seele. »Alle 89 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Kreaturen entäußern sich ihres Lebens* um ihres Seins willen. Alle Kreaturen tragen sich in meine Vernunft, auf dass sie geistig in mir sind« (QQ. S. 272; Pr. 109). 328 Das Bild-Sein in der Seele ist aber für die Kreatur noch nicht ihre Vollkommenheit. Sie muss in der Seele und durch die Seele zu ihrem Urbild in Gott zurückgeführt werden. Diese Rückkehr der Kreatur zu ihrem Urbild in Gott geschieht nur in und mit der Rückkehr der Seele selbst zu Gott. In ihrer Rückkehr zu Gott – diese geschieht in der Gottesgeburt im Grunde der Seele – sieht die Seele die Kreatur in Gott, wie Gott die Kreatur in sich selbst sieht: »Dort sind eine Mücke und der oberste Engel gleich« (vgl. EW I, S. 109; Pr. 9). 329 »Wer ein Stück Holz in diesem Licht sieht, dem erscheint das Stück Holz als ein Engel« (vgl. EW I, S. 259; Pr. 22). 330 Eckhart sagt noch mehr: »Nimmt man eine Fliege in Gott, so ist die edler in Gott als der höchste Engel in sich selbst ist. Nun sind alle Dinge in Gott gleich und sind Gott selbst« (EW I, S. 147; Pr. 12). 331 So gesehen zu werden, darin liegt für die Kreatur ihre Seligkeit und Vollkommenheit. Der Grund der Seele, wo die Seele über sich selbst hinaus mit Gott Einheit hat, ist auch für die Kreatur der Ort, wo sie ihre eigene Seligkeit und Vollkommenheit wieder erreicht. Das natürliche Wirken der Seelenkräfte, das kreatürliche Bild zu entnehmen, soll geleitet werden von der höheren Bestimmung der Rücktragung der Kreatur zu ihrem Urbild in Gott.** Das ist der »Adel, [den] Gott in die Natur gelegt hat« (QQ. S. 423; Pr. 101). 332 Folgende Zitate stellen dar, wie bei Eckhart die Rückkehr der Kreatur zum Urbild in Gott und die Rückkehr der Seele zu Gott zusammengeschlossen sind: »Alle Kreaturen gefallen Gott nicht, wenn das natürliche Licht der Seele sie nicht überglänzt, in dem sie ihr Sein empfangen, und wenn des Engels Licht das Licht der Seele nicht überglänzt und sie bereitet und füglich macht, dass das göttliche Licht darin wirken könne« (EW I, S. 215; Pr. 19). 333 »Alle Kreaturen schmecken als Kreaturen hnuri meinem äußeren Menschen, Wein als Wein, Brot als Brot, Fleisch als Fleisch. Meinem inneren Menschen aber schmeckt nichts als Kreatur, sondern als

* Lesart »Lebens« aus Pf. 180,22 statt »bekennennes« in DW, IV. 2, S. 768 um des Kontextes willen. (Anm. d. Hrsg.) ** Zu diesem Gedanken vgl. H. Weiß: Meister Eckharts Stellung innerhalb der theologischen Entwicklung des Spätmittelalters, in: »Studien der Luther-Akademie«, Neue Folge / Heft 1 (Berlin 1953) S. 42.

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Gabe Gottes. Mein innerster Mensch aber schmeckt sie hauchi nicht als Gaben Gottes, sondern als ewig« (QQ. S. 272; Pr. 109). 334 Die »eigenschaft« hindert nicht nur die Seele, Gott zu empfangen, sondern auch die Kreatur an ihrer Rückkehr zu Gott. Es verhält sich nicht so, dass das kreatürliche Bild in der Seele durch die Rückkehr der Seele zu Gott zum Urbild mit erhoben und in Gott zu Gott wird, sondern die Kreatur wird von der »eigenschaft« des Menschen, die mittels des Bildes nach außen hin zur Erweiterung seines Eigentums treibt, wieder zu ihrer äußeren materiellen Grobheit zurückgedrängt und steht dort dem Ich zur Verfügung, und zwar als »Wein und Fleisch«. Die »eigenschaft« ist der Störer der göttlichen Ordnung sowohl in der Seele als auch in der Kreatur. Der natürliche, ungeübte Mensch ist ein Sünder, sofern seiner natürlichen Berührung mit der Kreatur die »eigenschaft« zugrunde liegt. Und es heißt: »Seht halsoi: Deshalb, weil dieses Licht im Sünder nicht scheinen und leuchten kann, drum ist es unmöglich, dass diese Geburt in ihm geschehen könnte« (QQ. S. 427; Pr. 102). 335 So verkehrt die Eigen-schaft die natürliche Gottebenbildlichkeit der Seele. Ein Bild von der Kreatur zu haben, das ist für die Seele ursprünglich nur möglich aufgrund ihrer Gottebenbildlichkeit. Die Gottebenbildlichkeit der Seele sieht Eckhart in der Lauterkeit der Seele, aufgrund derer sie alles empfangen und so zu allem werden kann. Gott hat aber die Seele mit der Lauterkeit ausgestattet, damit er selbst in die Lauterkeit eingehe. So ist die Lauterkeit in der Seele eigentlich die Empfänglichkeit für Gott; aber auch für alles, da alles in Gott ist. Alles aber ist in Gott lauter und eins, nicht alles wie hier in seiner Bildhaftigkeit und Verteiltheit. »Alles, das hier verteilt ist, ist in Gott eins.« So vollzieht sich die echte Lauterkeit etwa wie folgt: Aufgrund der Lauterkeit empfängt die Seele alles; aufgrund derselben Lauterkeit ist die Seele aber auch ledig von allem Empfangenen und damit empfänglich für Gott und alles, wie es in Gott lauter und eins ist. Anders steht es mit der Eigen-schaft: Aufgrund der Lauterkeit empfängt die Seele alles. Da die Eigen-schaft an dem Empfangenen hängt, wird die Lauterkeit im Empfangen und durch das Empfangene verdeckt; weil die Lauterkeit verdeckt ist, ist die Seele nicht mehr empfänglich für Gott; deswegen muss in der Seele alles, was empfangen wird, in der Bildhaftigkeit und Verteiltheit bleiben, nicht wie es in Gott lauter und eins ist. Die Eigen-schaft kerkert alles in der Bildhaftigkeit und Verteiltheit ein, und zwar als ihr Eigen-tum. Der Eigen-schaft erscheinen die Bilder in den Seelenkräften als die Fülle 91 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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des inneren Eigen-tums, ihr scheint die Verteiltheit der Dinge als Erweiterungsmöglichkeit des Eigen-tums. Alles ist jetzt verkehrt. Die Eigen-schaft besitzt die Gottebenbildlichkeit als ihre eigene. Was die Seele hindern kann, Gott zu empfangen, das muss in gewissem Sinne göttlich sein. Das Hindernis liegt nicht in der Kreatürlichkeit des menschlichen Daseins, sondern in der Eigen-schaft, die aus der Gottebenbildlichkeit, welche sie sich selbst zu eigen gemacht hat, aus dem Gott-gleich-Sein, die Kraft schöpft, sich Gott gleichzustellen. Aufgrund der missbrauchten und verkehrten Gottebenbildlichkeit hindert die Seele sich selbst, Gott zu empfangen.

2.

Die Abgeschiedenheit, in welcher die Seele zum Vollzug der Gottesgeburt bereitet wird

Wir haben oben (1, c) gesehen, worin die Hindernisse für die Gottesgeburt in der Seele bestehen. Zum Vollzug der Gottesgeburt müssen diese Hindernisse beseitigt werden: »Jeder, der mit Gott vereint werden, der ihn finden will, [muss] einer sein, durch Selbstverleugnung von allem geschieden und in sich ungeschieden« (Serm. n. 375). 336 Die Seele muss »befreit sein von all ihrer Beziehung und Rücksicht auf sich oder ein anderes Geschaffenes oder ein Dies und Das« (Serm. n. 266). 337 »[Sie] muss alles verlassen« (Joh. n. 240): 338 D. h., »dieser Mensch muss sich selbst und diese ganze Welt gelassen haben« (EW I, S. 151; Pr. 12). 339 »Geschieden sein von allem durch Selbstverleugnung«, das nennt Eckhart in seiner Terminologie die »Abgeschiedenheit« (abegescheidenheit). Sie ist für Eckhart die via purgativa (»Reinigung und Bereitung«: Serm. n. 119), 340 durch welche die Seele »erhöht und geläutert wird« (Serm. n. 532). 341 »Bemerke, wie erhaben und lauter die Seele sein muss, die würdig ist, so in Gott verwandelt zu werden« (Serm. n. 527). 342 »Bemerke, wie rein und wie entblößt die Seele sein muss, hin die Gott einziehen solli« (Serm. n. 100). 343 Die in der Abgeschiedenheit geläuterte reine Seele ist die »Jungfrau« 344, die zur Gottesgeburt bereit ist. Eckhart sagt: »Wenn ich predige, so pflege ich zu sprechen von Abgeschiedenheit und dass der Mensch ledig werden soll seiner selbst und aller Dinge« (EW I, S. 565; Pr. 53). 345 So kehrt in jeder seiner Predigten ständig dieselbe Lehre von der Abgeschiedenheit wieder, und zwar in unerschöpflich reicher Bildsprache: »Schweigen«, »Stillschweigen«, »Vergessen«, »Sterben«, »Schlafen«, »Blind-Sein«, 92 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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»Taub-Sein«, »Sich-Opfern«, »Sich-selbst-Hassen«, »Armut«, »Wüste«, »Einsamkeit, wo der Mensch seiner selbst und aller Mannigfaltigkeit verödet ist«, »Nacht, in der keine Kreatur mehr in die Seele leuchtet noch lugt«, »Finsternis«, usw. Wir wollen Eckharts Lehre von der Abgeschiedenheit in drei Punkten näher untersuchen: a) die Gegenstände, von denen die Seele abgeschieden werden soll, b) Askese und Gnade als die Mittel zum Vollzug der Abgeschiedenheit und c) die Abgeschiedenheit der Seele als Voraussetzung für die Vereinigung der Seele mit Gott.

a)

Wovon muss die Seele abgeschieden werden?

1. Das Grundhindernis ist, wie wir sahen, die »eigenschaft« des Menschen. Es kommt also vor allem auf die Auflösung der Eigen-schaft an. Das Ich selbst muss von der Vernichtung getroffen werden: »Darum fang zuerst bei dir selbst an und lass dich!« (EW II, S. 339; RdU). 346 »Richte dein Augenmerk auf dich selbst, und wo du dich findest, da lass von dir ab; das ist das Allerbeste« (EW II, S. 341; RdU). 347 »Wer ihn (Gott) so ganz empfangen soll, der muss sich selbst ganz aufgeben und sich seiner selbst ganz entäußert haben« (EW I, S. 55; Pr. 4). 348 »[Er] muss zuerst von sich selbst ausgehen« (Serm. n. 94). 349 »Die Seele [muss] aus sich herausgehen und sich selbst übersteigen« (Serm. n. 532). 350 »Der muss das Persönliche und das Eigene verleugnen« (Joh. n. 290). 351 Mit diesen Worten, die uns bei Eckhart unzählige Male begegnen, will Eckhart unermüdlich immer dasselbe lehren, nämlich die Auflösung der »eigenschaft«, das Aufgeben des Ich. Die Tugenden wie Demut, Gehorsam, Nächstenliebe, Leiden, Gleichmut und Armut sind für Eckhart lediglich Vorübungen zum Aufgeben des Ich in der Abgeschiedenheit, welche ihrerseits erst die genannten Tugenden vervollkommnet. Das Ich im Sinne der »eigenschaft« ist Eigentümer, sucht an allen Dingen immer das Seine, wie wir sahen. Das Sich-selbst-Lassen des Menschen vollzieht sich daher in der Wirklichkeit nur in und mit dem »Lassen der Dinge«. Wenn der Mensch nicht auch sein Eigentum »lässt«, ist sein »Sich-selbst-Lassen« illusorisch. »Lege ab alles, was dein ist« (EW I, S. 347; Pr. 30). 352 »Die Seele soll sich opfern mit alledem, was sie ist und was sie hat« (EW I, S. 349; Pr. 31). 353 Wer ein 93 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Ding, wie klein es auch sei, lässt, und zwar aufgrund des Sich-selbstLassens, hat wirklich alles gelassen. Beim »Lassen« der Dinge soll man aber niemals auf das zurücksehen, was man gelassen hat. »Es ist eine Blindheit und eine Torheit, solange du irgendwie auf das schaust, was du gelassen hast. Hast du haberi dich selbst gelassen, so hast du hwirklichi gelassen« (EW I, S. 319; Pr. 28). 354 Man darf aber, wenn man sein Eigentum aufgibt, nicht etwas anderes damit bezwecken: »Wer alle Dinge hingibt, der wird das Hundertfache dafür empfangen« (EW I, S. 655; Pr. 62) 355 – vgl. Mt 19,29. »Gibst du’s aber hin um des Hundertfältigen und um des ewigen Lebens willen, so hast du nichts hingegeben; […] du musst dich selbst lassen, und zwar völlig lassen, dann hast du recht gelassen« (EW I, S. 319; Pr. 28). 356 Wenn ein Mensch ein Ding »lässt«, so kommt es dabei einzig darauf an, dass er in diesem »Lassen« sich selbst »lässt«. Wenn der Mensch sich selbst gelassen hat, dann braucht er nicht die Dinge zu lassen, denn die Dinge bedeuten für einen solchen Menschen nichts: Eintausend Mark bedeuten für ihn nichts. Der Mensch soll sich insbesondere vor der Eigenliebe (eigenminne) hüten: »Darum ist […] die Wurzel allen Übels die Selbstliebe« (Joh. n. 544). 357 »Solange du deiner Person mehr Gutes gönnst als dem Menschen, den du nie gesehen hast, so steht es wahrlich unrecht mit dir« (EW I, S. 69; Pr. 5B); 358 »[der] Mensch soll sich selbst […] tot sein, so dass er seiner selbst so wenig achtet wie eines, der über tausend Meilen entfernt ist« (EW I, S. 151; Pr. 12). 359 Im Zusammenhang mit dem Aufgeben des Ich fordert Eckhart das Aufgeben des eigenen Willens ohne jede Einschränkung: »Du sollst dich deines eigenen Willens entäußern« (EW I, S. 79; Pr. 6); 360 »wahrhaftig, ohne Aufgabe des Willens in allen Dingen schaffen wir überhaupt nichts vor Gott« (EW II, S. 367; RdU). 361 Das Aufgeben des Willens versteht Eckhart radikal: »Die Gerechten haben überhaupt keinen Willen« (EW I, S. 79; Pr. 6); 362 ein Beispiel dafür: Ein kranker Mensch soll des gewiss sein, »dass es Gottes Wille ist, wenn er krank ist« (EW I, S. 657; Pr. 62) 363. »Bist du dann krank – in Gottes Namen! Stirbt dir dein Freund – in Gottes Namen!« (EW I, S. 285; Pr. 25). 364 2. »Alles Zubehör der Seele muss völlig abgelöst werden« (EW I, S. 91; Pr. 7); 365 »[der Mensch hat] die Pflicht, sein Herz von allem loszureißen« (Joh. n. 246); 366 »die Seele muss sich […] von allem entblößen« (Serm. n. 246). 367 »Was zu der Seele gehört« (Zubehör der

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Eckharts Seelenbegriff

Seele) – damit meint Eckhart sowohl die kreatürlichen als auch die geistigen Bilder. Die kreatürlichen Bilder in der Seele und durch Vermittlung der kreatürlichen Bilder auch die Kreaturen selbst sind nach Eckhart Eigen-tum der Seele, auf welches sich die »eigenschaft« stützt. »Das Eigene Verleugnen heißt das Geschaffene, heißt dies und das verleugnen« (Serm. n. 266). 368 Deshalb betont Eckhart bei jeder Gelegenheit die Entbildung der Seele. »Der hMenschi muss gar still und abgeschieden sein von allen Bildern und von allen Formen« (EW I, S. 455; Pr. 42). 369 »Auf dass du mit Gott eins seiest, darf nichts Ein- noch Aus-›Gebildetes‹ in dir sein« (EW II, S. 133; Pr. 75). 370 »Jungfrau besagt so viel wie ein Mensch, der von allen fremden Bildern ledig ist, so ledig, wie er war, da er noch nicht war« (EW I, S. 25; Pr. 2). 371 Indem der Mensch aller Bilder bloß und ledig wird, ist er zugleich »von allen Kreaturen abgesondert und geschieden« (EW I, S. 63; Pr. 5A) 372, weil ihm das fehlt, was den Umgang mit der Kreatur vermittelt. Um sich der kreatürlichen Bilder entledigen zu können, muss der Mensch alle seine Seelenkräfte zum Erliegen bringen; denn die Seelenkräfte sind es, welche den Kreaturen die Bilder entnehmen und sich auf diese Weise mit den Kreaturen beschäftigen. »[…] und dein ganzes Wirken muss zum Erliegen kommen« (QQ. S. 432; Pr. 103); 373 »und so, in dieser Weise, musst du dich aller deiner Betätigungen entschlagen« (QQ. S. 431; Pr. 102); 374 aller Bilder ledig zu sein bedeutet also zugleich das Abgeschiedensein von den Dingen und das Erliegen der Werke der Seelenkräfte. Nicht nur das Wirken der niederen Seelenkräfte, die in unmittelbarer Berührung mit den äußeren Dingen stehen, sondern auch das der höheren Seelenkräfte muss eingestellt werden. »Gedächtnis, Vernunft und Wille, die alle vermannigfaltigen dich. Darum musst du sie alle lassen« (QQ. S. 432; Pr. 103). 375 Statt auf das Erinnern kommt es auf »Vergessen aller Dinge und seiner selbst« (QQ. S. 420; Pr. 101) 376 an. Statt auf das Wissen kommt es auf »ein reines Unwissen« (QQ. S. 433; Pr. 103) 377 an; »es (natürliches Licht) muss zu einem lauteren Nichts werden und sich seiner selbst ganz entäußern« (QQ. S. 433; Pr. 103). 378 »Nichts-Wissen«: d. h. auch von Gott nichts wissen. »Darum ist es nötig, dass der Mensch danach begehre, von den Werken Gottes nichts wissen noch erkennen zu können« (EW I, S. 557 f.; Pr. 52). 379 Mit dem, »das die Vernunft in sich zu schöpfen vermag« (QQ. S. 432; Pr. 103) 380, kann man die Gottesgeburt nicht finden. Nicht vom Wollen spricht Eckhart, sondern vom Nichts-Wollen. 95 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

»Nichts-Wollen«: d. h. auch des Willens, Gottes Willen zu erfüllen, ledig sein. »[…] denn dieser Mensch hat hnochi einen Willen, mit dem er dem Willen Gottes genügen will, und das ist nicht rechte Armut« (EW I, S. 553; Pr. 52). 381 So wird die Seele durch die Entbildung und durch das Erliegen aller Seelenkräfte vom Werk zur Ruhe, von der Zerstreuung zur Sammlung, von der Vielheit zur Einheit gebracht; vom Äußeren zum Inneren, vom »zuoval« [»Zufall«, »Akzidens«] zum »wesen« [»Sein«, »Wesen«] umgekehrt; von der Zeitlichkeit zur Überzeitlichkeit, vom Niederen zum Höheren emporgezogen. 3. Der Mensch muss sich selbst, die Kreaturen und alle Dinge völlig aufgeben, um ausschließlich Gott zu suchen. In der Art, wie dieses Gott-Suchen vonstattengeht, herrscht aber zunächst immer noch die Eigen-schaft vor, deren Wurzel so tief ist, dass das Ich sogar beim Aufgeben seiner selbst und aller Dinge noch versucht, in Gott selbst seine eigene Sache zu suchen. Die Erscheinungsformen des ichhaften Gott-Suchens sind verschieden: Gott suchen, aber um der eigenen Seligkeit willen; Gott suchen, aber in einer bestimmten Weise, die einem selbst gefällt; Gott suchen, aber zugleich neben Gott, bzw. in Gott etwas suchen, das einem nützt. Dies alles darf nicht sein. Der Mensch muss Gott um Gottes willen und »ohne Weise« suchen, er darf nicht etwas anderes in Gott suchen*. »Suchst du Gott und suchst Gott um deines eigenen Nutzens oder um deiner eigenen Seligkeit willen, wahrlich, so suchst du nicht Gott. […] ›Warum suchst du Gott?‹ – ›Weil er Gott ist‹ ; […] ›Warum liebst du Gott?‹ – ›Ich weiß es nicht, um Gottes willen!‹« (EW I, S. 297 f.; Pr. 26). 382 »Denn wer Gott in einer hbestimmteni Weise sucht, der nimmt die Weise und verfehlt Gott. […] Wer aber Gott ohne Weise sucht, der erfasst ihn« (EW I, S. 71; Pr. 5B). 383 »Die irgendetwas in Gott suchen, sei’s Wissen, Erkennen oder Andacht oder was es auch sei, – findet man es, so findet man dennoch Gott nicht, obzwar einer Wissen, Erkennen, Innerlichkeit findet. […] Sucht er aber nichts, so findet er Gott« (EW I, S. 655; Pr. 62). 384 4. Eine Zusammenfassung der Lehre Eckharts über die Abgeschiedenheit geben folgende Sätze: »Die Seele muss sich also von * »Die konsequente Mystik schreitet zur Ablehnung jeder Bitte, auch der Bitte um religiöse und sittliche Werte fort.« Darüber vgl. Friedrich Heiler: Das Gebet (2. Aufl. München 1920), S. 308 u. ö.

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Eckharts Seelenbegriff

allem entblößen, damit sie entblößt den bloßen Gott suche, und nichts anderes in ihm« (Serm. n. 246). 385 »Drum muss der Mensch ertötet und völlig tot sein und an sich selbst nichts sein« (EW I, S. 335; Pr. 29). 386 Es bleibt schließlich noch das Problem des Zunichte-Werdens in der Abgeschiedenheit zu erörtern. Eckhart fragt: »Wenn es denn notwendig so sein muss, dass man aller Dinge entäußert und verödet sei, äußerlich wie innerlich, die Kräfte wie ihr Wirken, – wenn das alles weg muss, dann ist es ein schwerer Stand, wenn Gott den Menschen so stehen lässt ohne seinen Halt, […], wenn Gott mein Verlassensein so verlängert, ohne dass er mir leuchtet noch zuspricht noch in mir wirkt. […] Wenn der Mensch in solcher Weise in einem reinen Nichts steht, ist es dann nicht besser, dass er etwas tue, was ihm die Finsternis und so das Verlassensein vertreibe, – dass ein solcher Mensch etwa bete oder lese oder Predigt höre oder andere Werke verrichte, die doch Tugenden sind, um sich damit zu behelfen?« (QQ. S. 435; Pr. 103). 387 Diese Frage setzt einen Zustand voraus, in welchem der Mensch vollkommen abgeschieden ist und Gott trotzdem nicht in ihn eingegangen ist und in ihm wirkt, einen Zustand der Verlassenheit im reinen Nichts. Es geht hier um die Bedeutung der religiösen Werke – wie Tugendübungen, Beten, Predigt-Hören, Meditation über die göttlichen Gegenstände und Kontemplation – als Mittel, sich aus dem genannten Zustand herauszuhelfen. Eckharts Antwort lautet: »Nein! Wisse fürwahr: Ganz still zu stehen und so lange wie möglich, das ist dein Allerbestes. Ohne Schaden kannst du dich von da nicht irgendwelchen Dingen zuwenden, das ist gewiss« (QQ. S. 435; Pr. 103). 388 (Diese schlichte Ablehnung irgendeiner soteriologischen Funktion der Werke wurde in der Bulle verdammt; vgl. art. 16, 17, 18, 19.) Eckhart sagt entschieden: »Du sollst ganz still in einem reinem Nichts verharren.« Der oben angeführten Frage liegt zugrunde, dass Gott vom Menschen erwartet wird. Das ist der Fall, wenn über das Ausbleiben des göttlichen Einwirkens geklagt wird. Gerade diese Erwartung Gottes, der Wunsch, Gott zu empfangen, ist es, welcher die Seele daran hindert, Gott zu empfangen. Die Empfänglichkeit für Gott, den Allerlautersten, besteht im lauteren Ledig-Sein, frei nicht nur von der Kreatur, sondern auch von allem Wünschen, von aller Absicht, von allem »Um-zu«, auch von der Erwartung Gottes. Das wahre Ledig-Sein sieht nicht einmal auf Gott. Das Verharren im reinen Nichts bedeutet also, dass auch die Erwartung Gottes und die Klage über das Ausbleiben des göttlichen Einwirkens aufgegeben sein 97 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

müssen. So muss der Mensch in der Verlassenheit verharren, in der Wüste, abseits der Kreatur und auch ohne Gott, bis zum »Auf-denGrund-tot-Sein« 389. Wenn in dieser Verlassenheit die Gelassenheit erlangt ist, dann ist die wahre Bereitschaft für Gott da. Wenn aber der Mensch auch nur einen Augenblick vor dem Nichts zurückschreckt und auf irgendetwas – sei es auf Gott, sei es auf sein eigenes Werk – hinsieht und auf diese Weise von dem Nichts zu einem Etwas zurückkehrt, dann wird er sich so weit abkehren, »dass du den ewigen Sturz tust« (QQ 434; Pr. 103) 390. Es darf nichts geben als nur ein beständiges Vorwärtsdrängen in Nichts. »Soll ich denn also völlig in Finsternis stehen? – Ja, sicherlich! Du kannst niemals besser dastehen, als wenn du dich völlig in Finsternis und in Unwissen versetzest. – Ach, Herr, muss es ganz weg, kann’s da keine Wiederkehr geben; – Nein, traun« (QQ. S. 433; Pr. 103). 391 »Die Seele hat gewagt, zunichtezuwerden und kann auch von sich selbst aus nicht hwiederi zu sich selbst gelangen (– so weit weg von ihrem geschaffenen Etwas in dem Nichts, dass sie aus eigener Kraft mitnichten zurückzukommen vermag in ihr geschaffenes Etwas –), so weit ist sie sich entgangen, ehe Gott sich unter sie gestellt hat. Das muss notwendig so sein« (EW I, S. 19; Pr. 1). 392

b)

Askese und Gnade als die Mittel zum Vollzug der Abgeschiedenheit

Die Bereitschaft der Seele für Gott bedeutet nicht, dass die Seele sich selbst für Gott bereitete. Denn »für Gott« heißt: im Blick auf Gott, und »sich bereiten« weist hin auf ein eigenes Werk der Seele, während doch für das Ledig-Sein als Aufnahmebereitschaft für Gott gefordert ist, dass es nicht im Blick auf Gott geschieht und dass alle Werke der Seele, auch das Suchen nach Gott, zum Erliegen kommen. So wird die Abgeschiedenheit nicht durch die eigene Bemühung der Seele, sondern durch die Gnade Gottes vollzogen. Sie ist ein Werk Gottes; Gott bereitet die Seele. Eckhart spricht aber bisweilen von der Abgeschiedenheit als einer Forderung an den Menschen: »Man soll bis auf den Grund tot sein, so dass uns weder Lieb noch Leid berühre« (EW I, S. 101; Pr. 8). 393 »Der Mensch soll sich willig in den Tod geben und sterben, auf dass ihm ein besseres Sein 98 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Seelenbegriff

zuteil werde« (EW I, S. 101; Pr. 8). 394 »Die Seele, die Gottes Kind sein will, soll nichts in sich gebären, und die, in der Gottes Sohn geboren werden soll, in die soll sich nichts anderes gebären« (EW I, S. 133; Pr. 11). 395 Sofern in Bezug auf die Abgeschiedenheit vom »Sollen« die Rede ist, handelt es sich zunächst um die ethisch-asketischen Bemühungen des Menschen, sich selbst zu läutern und sich dadurch für das Einwirken Gottes zu bereiten. »So auch bereitet sich die Seele durch Übung« (EW I, S. 229; Pr. 20A). 396 Diese »Übung« ist das Gott suchende Streben des Menschen, dessen Ziel die Abgeschiedenheit ist. Ist aber dieses Ziel, die Abgeschiedenheit, durch die eigene asketische Bemühung des Menschen zu erreichen? Kann der Mensch sich mit eigener Kraft seiner selbst entäußern? Ist nicht schon das Streben nach der Abgeschiedenheit eine Ich-Betätigung, deren Erliegen gefordert ist? In diesem Zusammenhang deutet Eckhart zunächst das Streben des Suchens um; aus dem Suchen als menschlichem Streben zu Gott wird das Suchen Gottes nach dem Menschen: »Gott kann es nicht erwarten, bis die Seele sich von der Kreatur abwendet und abschält. Und es ist eine sichere Wahrheit und ist eine notwendige Wahrheit, dass es Gott so nottut, uns zu suchen, recht als ob seine ganze Gottheit daran hinge, wie sie’s denn auch tut« (EW I, S. 301; Pr. 26). 397 »Ihm ist viel nötiger, uns zu geben, als uns, zu empfangen« (EW I, S. 447; Pr. 41). 398 »Von dieser Wüste (Abgeschiedenheit) steht bei Jeremias geschrieben: ›Ich (Gott) will meine Freundin (die Seele) in die Wüste führen und will ihr in ihr Herz sprechen‹ hHos 2,14i« (QQ. S. 434; Pr. 103). 399 Bevor wir Gott suchen, sucht Gott uns. Und erst dass Gott uns sucht, bewirkt, dass auch wir Gott suchen. Schon hinter unserem Bemühen um die Abgeschiedenheit steht Gott; »[ich] will meine Freundin in die Wüste führen.« Nur aufgrund der gnadenhaften Beziehung Gottes zum Menschen kann der Mensch zu Gott streben. Schon dieses Streben zu Gott vonseiten des Menschen ist im Grunde ein Gnadenwerk und das erste Empfangen der Gnade. (Diese Beziehung wird am Beispiel »Feuer-Holz«, das ich unten anführe, verdeutlicht.) Gottes Gnade beginnt beim Menschen zunächst als dessen Streben wirksam zu werden; sie setzt sich als Gnade in den menschlichen Bemühungen fort, und zwar in der Weise, dass sie die menschlichen Bemühungen mehr und mehr auf sich nimmt. Eckhart beschreibt diesen Vorgang, indem er sagt: »Je mehr der Mensch hingibt, umso leichter fällt es ihm hinzugeben« (EW I, S. 347; 99 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Pr. 30). 400 Menschliches Bemühen und Gnade wirken also nicht zusammen, sondern die Gnade allein ist wirksam; erst in ihr wird auch die menschliche Bemühung möglich. »Du möchtest gern zu einem Teil durch dich und zum andern Teil durch ihn bereitet werden, was doch nicht sein kann. Du kannst nimmer so schnell an das Bereiten denken oder nach ihm begehren, dass Gott nicht schon vorher da wäre, auf dass er dich bereite« (QQ. S. 435; Pr. 103). 401 In folgendem Zitat spricht Eckhart ausdrücklich von der Gnade, die allein im Menschen die Abgeschiedenheit vollbringt: »Ich erschrecke oft, wenn ich von Gott reden soll, wie völlig abgeschieden die Seele sein muss, die zu jener Einswerdung kommen soll. Das aber darf hdochi niemandem unmöglich dünken. Es ist der Seele nicht unmöglich, die Gottes Gnade besitzt« (EW II, S. 97; Pr. 73). 402 Das Gnadenwerk als solches, das die Abgeschiedenheit der Seele bewirkt, schildert Eckhart in sehr verschiedenen Bildern. Einige Beispiele: »Der Heilige Geist nimmt die Seele und läutert sie in dem Lichte und in der Gnade und zieht sie hinauf in das Allerhöchste« (EW I, S. 207; Pr. 18). 403 »›Seht, ich sende meinen Engel, auf dass er bereite‹ und läutere die Seele, damit sie das göttliche Licht empfangen könne« (EW I, S. 349; Pr. 31). 404 »Es kommt aber in Diebesweise und strebt danach, der Seele alle Dinge wegzunehmen und zu stehlen« (QQ. S. 422; Pr. 101). 405 »[…], denn die Gnade zieht den Menschen von allen zeitlichen Dingen weg und läutert ihn von allen vergänglichen Dingen« (EW II, S. 443; Abg). 406 »Dass Jesus auch in uns kommen und hinauswerfen und wegräumen möge alle Hindernisse […], dazu helfe uns Gott« (EW I, S. 23; Pr. 1). 407 Wenn Gott den Menschen für die Abgeschiedenheit bereitet und wenn er im Menschen »einwirkt«, so sind das nicht zwei voneinander unabhängige Handlungen, sondern das »Bereiten« und das »Eingießen« sind ein einziges untrennbares Werk Gottes. Deswegen heißt es: »Es ist ein Augenblick: das Bereitsein und das Eingießen« (QQ. S. 436; Pr. 103). 408

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Eckharts Seelenbegriff

c)

Die Abgeschiedenheit als Voraussetzung für die Vereinigung der Seele mit Gott

»So müssen wir notgedrungen dahin kommen, dass wir nichts sind, auf dass wir in dasselbe Sein versetzt werden können, das er (Gott) selbst ist« (EW II, S. 133; Pr. 76). 409 Die Abgeschiedenheit bedeutet für Eckhart, »dass wir nichts sind« (»auf nichts stehen«, »zunichtewerden«). »Abgeschiedenheit hingegen will nichts sein« (EW II, S. 439; Abg). 410 »Sie (Abgeschiedenheit) steht auf einem reinen Nichts« (EW II, S. 451; Abg). 411 Das Nichtssein der Abgeschiedenheit bezeichnet Eckhart, wie wir sahen, manchmal als »Tod« oder auch als den Zustand, »wie ich’s war, da ich noch nicht war« (EW I, S. 25; Pr. 2). 412 Unser Nichts-Sein ist nach dem obigen Zitat die Voraussetzung dafür, dass wir in dasselbe Sein, das Gott selbst ist, versetzt werden können. »Nicht durch Zufügen, sondern durch Abtun wird Gott in der Seele gefunden« (Serm. n. 119); 413 Abscheiden bis zum Nichts-Sein, das ist die Voraussetzung für die Vereinigung der Seele mit Gott. Eckhart begründet das zweifach: 1. »Je entblößter, desto empfänglicher« (Serm. n. 112); 414 hier bedeutet das Nichts-Sein der Seele als das vollkommene Leer-Sein die größte Empfänglichkeit für Gottes Eingießen, so dass »leer sein aller Kreatur Gottes voll sein [ist]« (EW II, S. 443; Abg). 415 »Soll daher das Herz Bereitschaft haben zum Allerhöchsten, so muss es auf einem reinen Nichts stehen, und darin liegt auch die größte Möglichkeit, die sein kann« (EW II, S. 453; Abg). 416 Zur Erläuterung zieht Eckhart in diesem Zusammenhang oft das Beispiel eines leeren Gefäßes oder das des Auges heran: »Kein Gefäß kann zweierlei Trank in sich fassen. Soll es Wein enthalten, so muss man notgedrungen das Wasser ausgießen; das Gefäß muss leer und ledig werden. Darum: Sollst du göttliche Freude und Gott aufnehmen, so musst du notwendig die Kreaturen ausgießen« (EW II, S. 261; BgT). 417 »Wenn das Auge eine Farbe oder etwas von der Farbe besäße, sähe es weder diese noch überhaupt eine Farbe« (Joh. n. 100). 418 »Arm ist der, der nichts hat. ›Arm im Geiste‹, das heißt: So wie das Auge bloß ist an Farbe und empfänglich für alle Farben, so ist der, der arm im Geiste ist, empfänglich für allen Geist, und aller Geister Geist ist Gott« (EW II, S. 263; BgT). 419

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

2. »Diese unbewegliche Abgeschiedenheit bringt den Menschen in die größte Gleichheit mit Gott« (EW II, S. 443; Abg). 420 Hiermit kommt ein anderer Aspekt zur Geltung. Eckhart sieht im Nichts-Sein der Seele unmittelbar »Einförmigkeit mit Gott« (EW II, S. 455; Abg) 421, die Gleichheit mit Gott, dem nichts gleich ist, wobei die Gleichheit als die Grundlage für die Vereinigung gilt. »Gott ist aber ähnlich, wer sich keinem Geschöpf angleicht, und das ist der, der alles verlassen hat. […] Denn Gott ist es eigen, nicht seinesgleichen zu haben« (Serm. n. 509). 422 »Die nichts gleich sind, die allein sind Gott gleich. Göttliches Wesen ist nichts gleich, in ihm gibt es weder Bild noch Form. Die Seelen, die in solcher Weise gleich sind, denen gibt der Vater gleich und enthält ihnen nichts vor« (EW I, S. 83; Pr. 6). 423 Im Unterschied zu 1., wo das Nichts-Sein der Seele als das LeerSein und insofern als die Empfänglichkeit für Gott – wie das leere Gefäß für Wein – verstanden ist, hat hier das Nichts-Sein der Seele die gleichen Bestimmungen wie Gott: »in sich ungeschieden« (Serm. n. 375); 424 »Einheit und Lauterkeit, das aber kommt von Abgeschiedenheit« (EW II, S. 437; Abg). 425 In diesem Zusammenhang betont Eckhart die Unbeweglichkeit, das In-sich-selbst-Bleiben der Abgeschiedenheit; »Abgeschiedenheit […] verharrt in sich selbst und lässt sich von nichts betrüben« (EW II, S. 441; Abg); 426 »[hierzu] sollst du wissen, dass rechte Abgeschiedenheit nichts anderes ist, als dass der Geist so unbeweglich stehe gegenüber allem anfallenden Lieb und Leid, Ehren, Schanden und Schmähung, wie ein bleierner Berg unbeweglich ist gegenüber einem schwachen Winde« (EW II, S. 443; Abg). 427 Als eine Parallele nennt Eckhart das unbewegliche In-sichselbst-Stehen Gottes seine Abgeschiedenheit: »Nun sollst du wissen, dass Gott in dieser unbeweglichen Abgeschiedenheit von Ewigkeit her gestanden hat und noch steht« (EW II, S. 443; Abg). 428 So sieht Eckhart im Nichts-Sein der Seele deren Gleichheit mit Gott, der von allem abgesondert und dem nichts gleich ist, nämlich die gleiche unberührbare Lauterkeit, das gleiche unbewegliche In-sich-selbst-Bleiben und das gleiche Eins-Sein in sich selbst. Was die Gleichheit als Grundlage für die Vereinigung anbelangt, so führt Eckhart dazu etwa Folgendes aus: »Unsere Meister sagen dies: Einigung verlangt Gleichheit. Einigung kann nicht sein, sie habe denn Gleichheit« (EW I, S. 469; Pr. 41); 429 »wie die Meister sagen (z. B. Boethius: vgl. DW I, S. 27 Anm. 3), dass nur gleich und gleich Grund für die Vereinigung ist, […]« (EW I, S. 25; Pr. 2). 430 Dabei liegt 102 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Seelenbegriff

ein bestimmtes Verständnis der Gleichheit zugrunde: »Die Gleichheit [entsteht] von der Einheit her« (Joh. n. 556); 431 »und da Gleichheit aus dem Einen fließt, […]« (EW II, S. 267; BgT). 432 Weil der Gleichheit von vornherein die Einheit zugrunde liegt, müssen sie, die einander gleich sind – wobei die Gleichheit noch »Unterschiedenheit und Zweiung« (EW II, S. 269; BgT) 433 in sich trägt –, beide zusammen in die Einheit, in welcher die Gleichheit aufgehoben wird, zurückkehren. Eckhart macht diesen Sachverhalt, dass die Gleichheit die Grundlage der Vereinigung ist, »da es Gleiches von Gleichem empfängt« (Von der Edelkeit der Seele), 434 wiederholt anschaulich am Beispiel von »Feuer und Holz«: »So auch ist es Gottes Streben, dass er sich uns völlig gebe. In gleicher Weise, wie wenn das Feuer das Holz in sich ziehen will und sich hinwieder in das Holz, […]« (EW I, S. 135; Pr. 11). 435 Zunächst ist das Holz dem Feuer ungleich; »soll das Feuer das Holz in sich aufnehmen, so muss alle Ungleichheit ausgetrieben sein« (ibid.). 436 »Das Feuer wirkt die Hitze in den Holzstücken und verähnlicht sie mit sich in der Hitze« (Joh. n. 182); 437 nämlich: Das Feuer »benimmt ihm (dem Holz) (durch Erhitzung) Grobheit, Kälte, Schwere und Wässerigkeit und macht das Holz sich selbst, dem Feuer, mehr und mehr gleich« (EW II, S. 267; BgT). 438 So ist die Hitze, die das Feuer zunächst im Holz bewirkt, »die Gnade der Erhitzung und Verähnlichung« (Joh. n. 182), 439 »die Hitze, die es verändert und auf die Form des Feuers vorbereitet« (vgl. Joh. n. 129). 440 Diese Verähnlichung ist für das Holz ein Vorgang des Ausschaltens der Unähnlichkeit 441, ein Vorgang der Selbstentäußerung: »Dann raucht es und kracht es« (EW I, S. 135; Pr. 11), 442 es ist »ein Sich-Bekämpfen, Prasseln, Mühen« (EW II, S. 267; BgT), 443 es ist »Leid über die widerstrebende Unähnlichkeit« (Joh. n. 129). 444 (Dies entspricht der asketischen Bemühung um die Abgeschiedenheit.) »Und je heißer das Holz dann wird, um so stiller und ruhiger wird es« (EW I, S. 135; Pr. 11); 445 »wenn aber alle Ungleichheit weggenommen und abgelegt (»Unähnlichkeit abgeworfen«: Joh. n. 129) ist, so wird das Feuer still und schweigt das Holz« (EW II, S. 269; BgT); 446 so ist die vollkommene Gleichheit erreicht worden und »das Feuer [gebiert] sich selbst in das Holz und [übermittelt] ihm seine eigene Natur und sein eigenes Sein« (EW II, S. 267; BgT) 447 – diese »Erzeugung seiner Wesensform« nennt Eckhart »Gnade der Formung« (Joh. n. 182) 448 –, »so dass es alles ein Feuer ist, beiden gleich eigen, unterschiedslos ohne Mehr oder Weniger« (EW II, S. 267 f.; BgT); 449 vonseiten des Holzes: »[Es] empfängt die Form und das Sein des Feuers […], [es hat] alles 103 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

und wirkt alles, was zum Feuer gehört« (Sap. n. 100). 450 So illustriert Eckhart das Verhältnis von Ungleichheit, Gleichheit und Vereinigung am Beispiel »Feuer und Holz«. Es ist interessant, dass an diesem Beispiel zugleich das oben erwähnte Verhältnis von Askese und Gnade in der Lehre von der Abgeschiedenheit sehr anschaulich mit dargestellt worden ist. Wir haben gesehen, wie Eckhart das Nichts-Sein der Seele als Voraussetzung für die Vereinigung der Seele mit Gott in zweifacher Weise begründet: einmal mit dem Begriffspaar »leer – empfangen«, zum anderen mit der Gedankenverknüpfung »gleich – gleich«. Diese zweifache Ausführung entspricht genau Eckharts Auffassung von der Gottebenbildlichkeit der Seele – vollkommene Gleichheit mit Gott und zugleich lautere Empfänglichkeit für Gott. In der Abgeschiedenheit ist die Seele in vollkommener Weise das Bild Gottes. Das heißt, nach Eckharts radikaler Auffassung der Urbild-Bild-Dynamik: Gott gießt seine ganze Natur und sein eigenes Wesen in die Seele als das Bild Gottes hinein. Das ist die Gottesgeburt in der Seele.

III. Die »Gottesgeburt in der Seele« Gott gebiert seinen eingeborenen Sohn in der abgeschiedenen (und das heißt hier: toten) Seele in derselben Weise, wie er ihn in sich selbst ewiglich gebiert; so lautet die Quintessenz der ganzen Lehre Meister Eckharts. Je nachdem der Sohn Gottes als Bild Gottes oder als Wort Gottes verstanden ist, kann »die Gottesgeburt in der Seele« auch wie folgt umschrieben werden: Gott erbildet sich selbst in der Seele oder: Gott spricht sich selbst in die Seele hinein. So formuliert Eckhart einen und denselben Gedanken in unzähligen Variationen. Einige Beispiele dafür: »Die Seele soll verklärt und eingedrückt und eingeprägt werden in das ›Bild‹, das Gottes Sohn ist« (EW II, S. 83; Pr. 72). 451 »Wo alle Kräfte allen ihren Werken und Bildern entzogen sind, da wird dieses Wort gesprochen« (QQ. S. 419; Pr. 101). 452 »Wenn die Seele der Zeit und des Raumes ledig ist, so sendet der Vater seinen Sohn in die Seele« (EW I, S. 57; Pr. 4). 453 »Der Vater zeugt in mir seinen Sohn, und da bin ich derselbe Sohn und nicht ein anderer« (RSdt S. 72; vgl. EW I, S. 55; Pr. 4: »Wo der Vater seinen Sohn in mir gebiert, da bin ich derselbe Sohn und nicht ein anderer«). 454 104 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die »Gottesgeburt in der Seele«

Unsere Untersuchung der Lehre Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele« teilen wir in drei Abschnitte: Die »Gottesgeburt in der Seele« 1. als die Vollendung der natürlichen Gottebenbildlichkeit der Seele, 2. als die Erweckung der abgeschiedenen Seele zum Leben Gottes und 3. als die Vereinigung Gottes und der Seele.

1.

Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Vollendung der natürlichen Gottebenbildlichkeit der Seele

»Die Seele aber ist naturhaft nach Gott gebildet. Dieses Bild muss durch diese Geburt geziert und vollendet werden« (QQ. S. 425; Pr. 102). 455 So bedeutet für Eckhart die »Gottesgeburt in der Seele« die Vollendung der natürlichen Gottebenbildlichkeit der Seele (vgl. oben S. 77 f.). Zu diesem Problem legen wir die folgenden Zitate unserer Interpretation zugrunde: »Die Seele soll verklärt und eingedrückt und eingeprägt werden in das ›Bild‹, das Gottes Sohn ist. Die Seele ist gebildet nach Gott; die Meister aber sagen, dass der Sohn ein ›Bild‹ Gottes ist, die Seele aber nach dem ›Bilde‹ gebildet ist hvgl. Weish 2,23i. Ich aber sage vielmehr: Der Sohn ist ein überbildliches ›Bild‹ Gottes; er ist ein ›Bild‹ seiner verborgenen Gottheit. Nach eben dem nun, worin der Sohn ein ›Bild‹ Gottes ist und worin der Sohn ›eingebildet‹ ist, danach ist hauchi die Seele gebildet. Aus demselben, aus dem der Sohn empfängt, daraus empfängt auch die Seele. Selbst da, wo der Sohn aus dem Vater ausfließt, bleibt die Seele nicht hängen: Sie ist über hjedesi ›Bild‹ erhaben« (EW II, S. 83; Pr. 72). 456 »›Wir werden in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie vom Geiste des Herrn‹ h2 Kor 3,18i. Man darf nämlich nicht die falsche Vorstellung haben, als wäre durch den einen Sohn oder das eine Bild Christus Gottes Sohn, und durch ein anderes wäre der gerechte und gottförmige Mensch Gottes Sohn. Denn er sagt: ›Wir werden in dasselbe Bild verwandelt‹« (Joh. n. 119). 457 »›Mit enthülltem Angesicht schauen wir den Glanz des Herrn und werden in dasselbe Bild hinübergeformt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit wie durch den Geist des Herrn‹ h2 Kor 3,18i. ›Wir werden hinübergeformt‹ hsagt eri aus zwei Gründen: erstens, weil die frühere Form vergeht; zweitens, weil hdas Bildi jede Form übersteigt und etwas Höheres als sie ist. ›Von Herrlichkeit zu Herrlichkeit‹, das

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

heißt vom natürlichen zum übernatürlichen Licht und vom Licht der Gnade schließlich zum Licht der Glorie« (Serm. n. 507). 458 Diese drei Zitate, die inhaltlich vollkommen miteinander übereinstimmen und sich auch ergänzen, sind nicht allein grundlegend für unser jetziges Thema, sondern sie stellen die Quintessenz des Eckhartschen Denkens dar. Aus diesen Stellen können wir mit aller Deutlichkeit schließen, dass 1. Eckhart die Vollendung der Gottebenbildlichkeit der Seele als die Erhebung vom Bild Gottes in der Seele zum innergöttlichen Bild Gottes auffasst, wobei er 2. zugleich die Überbildlichkeit des göttlichen Bildes hervorhebt. Das erste Zitat beginnt: »Die Seele soll wieder in jenes Bild eingeprägt werden.« Diese Formulierung könnte so verstanden werden, als ob es sich hier um die Wiederherstellung der zur Schöpfungsordnung gehörigen Gottebenbildlichkeit der Seele, im Sinne von »ad imaginem dei« [»nach dem Ebenbild Gottes«], handelte. Deshalb präzisiert Eckhart im Folgenden: »Ich sage, wenn die Seele über alle Bilder hinauskommt, so wird sie in jenes Bild eingeprägt, das Gottes Sohn ist.« Die Seele wird in ein und dasselbe Bild, das Gottes Sohn selbst ist, eingeprägt, »wir werden in dasselbe Bild verwandelt«, wie es im zweiten und dritten Zitat heißt (dieses Wort aus 2 Kor 3,18 ist eines der wichtigsten und oft herangezogenen biblischen Worte, an denen Eckhart seine Spekulation tiefgehend entwickelt hat). Wir müssen aber zunächst auf den Passus »wenn die Seele über alle Bilder hinauskommt« zurückgreifen. Eckhart spricht hier von der in der Seele vorhandenen Voraussetzung für die Vollendung. »Über alle Bilder hinaus«, das heißt: über alle Bilder hinaus, welche die Kreaturen in die Seele eingedrückt haben: »Ziele auf nichts ab« (QQ. S. 267, 21; Pr. 39). 459 Um in das göttliche Bild, das Gottes Sohn ist, eingeprägt zu werden*, muss die Seele der kreatürlichen Bilder entbildet werden. »Wo aber dieses Bild das (kreatürliche Bild) ausgeht, da geht Gott ein« (EW I, S. 73; Pr. 5B). 460 »Auf dass du mit Gott eins seiest, darf nichts Ein- noch Aus-›Gebildetes‹ in dir sein« (EW II, S. 133; Pr. 76). 461 Es handelt sich hier um die Um-bildung der Seele (Ent-bildung von den kreatürlichen Bildern und Ein-Bildung in das göttliche Bild). Die Entbildung kommt im dritten Zitat in der Formulierung »mit enthülltem Angesicht« (»revelata facie«), wie in der ersten Deutung von »wir

* »Enbilde kein ding in dich!« aus Pf. 189,019 statt »enbilde kein warumbe in dich« aus DW II, S. 254 um des Kontextes willen (Anm. d. Hrsg.).

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Die »Gottesgeburt in der Seele«

werden verwandelt« (»transformamur«), nämlich »erstens, weil die frühere Form vergeht«, zum Ausdruck. »So wird die Seele in dasselbe Bild, das Gottes Sohn ist, eingeprägt«. Hierbei ist sich Eckhart dessen bewusst, dass er mit diesem Gedanken von der traditionellen theologischen Lehre abweicht. Deswegen muss er seinen Gedanken noch einmal entwickeln, jetzt in der Gegenüberstellung zur traditionellen Lehre. Er führt die Meister an, die zwischen dem Sohne Gottes und der Seele mit dem Begriffspaar »imago dei« [»Ebenbild Gottes«] und »ad imaginem dei« [»nach dem Ebenbild Gottes«] unterscheiden – welche Unterscheidung Eckhart selbst einmal aufgestellt hat –, und fährt dann fort: »Ich aber sage vielmehr: […]« Was Eckhart »vielmehr« als die Meister sagen will, ist eine zweifache Steigerung: 1. Der Sohn Gottes ist nicht nur »imago dei«, sondern mehr: Er ist »ein überbildliches Bild Gottes«, weil er ein Bild seiner verborgenen Gottheit ist, die in sich bildlos, über jedes Bild erhaben ist; 2. Die Seele ist nicht nur »ad imaginem dei«, sondern mehr: Sie ist eine und dieselbe »imago dei« wie der Sohn Gottes. Diesen Umstand versucht Eckhart mit verschiedenen Formulierungen klarzumachen: »Worein der Sohn eingebildet ist, darein ist auch die Seele eingebildet«, »aus demselben, aus dem der Sohn empfängt, daraus empfängt auch die Seele«, oder wie es im zweiten angeführten Zitat heißt: »Man darf nicht die falsche Vorstellung haben, als wäre durch das eine Bild Christus Gottes Sohn, und durch ein anderes der gottförmige Mensch Gottes Sohn.« Dieses »gottförmig« (»deiformis«) erklärt Eckhart wie folgt: »Es hat Gott allein als Formursache« (Joh. n. 336). 462 »Gott allein als Formursache zu haben« bedeutet, von Gott her, »den Ausfluss der Form nach«, 463 durch welchen Gottes Sohn in Gott selbst gezeugt wird (vgl. oben I, 1b). Es ist klar, dass Eckharts oben erwähnte Auffassung vom »SichErbilden« Gottes seinem Gedanken von der Vollendung der Gottebenbildlichkeit der Seele, d. h. von der Erhebung der Seele von »ad imaginem dei« zu »imago dei«, zugrunde liegt. »Gott drückt sein Bild in die Seele ein«, »Gott erbildet sich in der Seele«, das heißt, wie wir sahen, »Gott ergießt seine Natur und alles, was er ist, in das Bild«; dadurch wird das Bild Gottes in der Seele von der innergöttlichen Natur umschlossen und identifiziert mit dem göttlichen Bild, als welches Gott seinen Sohn in seiner Natur zeugt. »Die Seele [wird] in dasselbe göttliche Sein verwandelt, durch das Gott selbst ist und lebt« (Serm. n. 556). 464 Nun geht Eckhart aber über diese Identifizierung noch hinaus: »Selbst da, wo der Sohn aus dem Vater ausfließt, bleibt 107 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

die Seele nicht hängen: Sie ist über jedes Bild erhaben.« In diesem Kontext kann man das nicht anders verstehen, als dass die Seele auch über das Bild Gottes erhaben ist, sofern es noch ein Bild ist. Die Identifizierung der Seele mit dem Sohn Gottes führt zu der gleichen Überbildlichkeit der Seele, da der Sohn Gottes ein überbildliches Bild Gottes ist (vgl. oben 1.). Diese Überbildlichkeit der Seele bei der Vollendung ihrer Gottebenbildlichkeit bringt Eckhart im dritten Zitat in der zweiten Deutung von »wir werden verwandelt« [»transformamur«] zum Ausdruck: »weil es jede Form übersteigt«. »Gottförmig« bedeutet hier also »formlos schlechthin«. Es kommt nicht nur auf die Um-bildung der Seele vom kreatürlichen Bild zum göttlichen Bild an, sondern auch auf die Über-bildung der Seele von der Bildlichkeit zur überbildlichen Bildlosigkeit. Die ganze Dynamik der Vollendung der Gottebenbildlichkeit der Seele fasst Eckhart nun im dritten Zitat mit »von Herrlichkeit zu Herrlichkeit« 465 zusammen: »Wir werden in dasselbe Bild verwandelt von Herrlichkeit zu Herrlichkeit.« 466 Unter »von Herrlichkeit zu Herrlichkeit« versteht er »vom natürlichen zum übernatürlichen Licht und vom Licht der Gnade schließlich zum Licht der Glorie«; das entspricht der Steigerung von »ad imaginem dei« als der Empfänglichkeit für Gott zu »imago dei« wie sie sich aus Eckharts Verständnis des Empfangens (Gnade) und des Empfangenen (Gott selbst) ergibt; es entspricht auch dem weiteren Steigerungsgrad von »imago dei« zur Überbildlichkeit des innergöttlichen Bildes schlechthin. Und das ist ein dynamischer Vollzug des göttlichen »Sich-Erbildens«, Gott ist dazu von seiner eigenen Natur getrieben: »Dieses Bild muss durch diese Geburt geziert und vollendet werden«. 467

2.

Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Erweckung der abgeschiedenen Seele zum Leben Gottes

a)

Die Erweckung der abgeschiedenen Seele zum Leben

Wie aus der Formulierung »Gottesgeburt in der Seele« zu ersehen ist, handelt es sich darum, dass Gott sein eigenes Leben der Seele zu eigen gibt. Zur Gottesgeburt muss die Seele aber, wie wir sahen, vorher tot sein. (»Und darum, willst du leben […], so musst du für alle Dinge tot und zunichtegeworden sein«: EW I, S. 423; Pr. 39; 468 »man soll bis auf 108 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die »Gottesgeburt in der Seele«

den Grund tot sein«: EW I, S. 101; Pr. 8 469). So bedeutet die Gottesgeburt in der Seele die Erweckung der toten Seele zum Leben. »Gott wirkt seine ganze Macht in seiner Geburt aus. […]. In dieser Geburt wird sie (die Seele) lebendig, und Gott gebiert seinen Sohn in die Seele, auf dass sie lebendig werde« (EW I, S. 461; Pr. 43). 470 In diesem Zusammenhang ist Gott »ein ewiges Leben« (EW I, S. 101; Pr. 8), 471 »ein Leben aller Dinge« (EW I, S. 55; Pr. 4), 472 das Leben der Seele (»Gott, der das Leben der Seele ist«: II. Gen. n. 101) 473. Eckhart sagt von Gott als dem Leben: »Es muss ein gar kräftiges Leben sein, in dem tote Dinge lebendig werden, ja, in dem selbst der Tod ein Leben wird« (EW I, S. 101; Pr. 8). 474 Zur Erklärung der Gottesgeburt in der Seele als der Erweckung der toten Seele zum Leben zieht Eckhart oft die Geschichte von der Auferweckung eines toten Jungen in der Stadt Naïn heran. (Lk 7,11–17; vgl. EW I, Predigt 18, 29, 42; 475 jeweils zum Passus »Jüngling, ich sage dir: Steh auf!« 476.) »Ich sage dir«, d. h., Gott spricht sich selbst in die Seele hinein. »Dort spricht ihr das ewige Wort das Leben ein; dort wird die Seele lebendig« (EW I, S. 213; Pr. 18). 477 »Zu diesem toten Sohne sprach unser Herr: ›Ich sage zu dir, Jüngling, steh auf!‹ Das ewige Wort und das lebendige Wort, in dem alle Dinge leben und das alle Dinge erhält, das sprach das Leben in den Toten, ›und er richtete sich auf und begann zu sprechen‹. Wenn das Wort in die Seele spricht und die Seele antwortet in dem lebendigen Worte, dann wird der Sohn lebendig in der Seele« (EW I, S. 211; Pr. 18). 478 So ist durch die Gottesgeburt in der Seele ein Urquell des Lebens im Seelengrund erschlossen.

b)

Die Seele lebt das Leben Gottes

Die Gottesgeburt in der Seele bedeutet die Erweckung der toten Seele zum Leben, und zwar zum göttlichen Leben, zum Leben Gottes selbst. Das Leben, welches die Seele als ihr eigenes Leben lebt, ist für immer abgeschieden. Die Seele als Sohn Gottes lebt das Leben Gottes. Gott und die Seele leben ein Leben. »Des Sohnes Leben hängt im Vater und des Vaters Leben hängt im Sohn« (EW I, S. 301; Pr. 26). 479 Gott gebiert immerfort seinen Sohn in der Seele und dadurch die Seele als seinen Sohn; das ist des Vaters Leben und zugleich der Seele Leben. So lebt jetzt die Seele als Sohn Gottes das trinitarische Leben 109 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

in Gott: Die Seele erkennt Gott mit und in Gottes Erkennen seiner selbst, die Seele liebt Gott mit und in Gottes Liebe zu sich selbst. »Dieser Mensch steht in Gottes Erkennen und in Gottes Liebe und wird nichts anderes, als was Gott selbst ist« (EW I, S. 145; Pr. 12). 480 »Niemand kann den Vater erkennen als sein einziger Sohn, […] und niemand den Sohn als sein Vater hMt 11,27i. Und darum: Soll der Mensch Gott erkennen, worin seine Seligkeit besteht, so muss er mit Christus ein einziger Sohn des Vaters sein« (EW I, S. 491; Pr. 46). 481 Die Seele erkennt Gott; es ist aber nicht so, dass die Seele mit eigener Kraft Gott erkennen würde: Gott ist für die Seele unerkennbar; Gott wird erkannt nur mit der Erkenntnis, in welcher Gott sich selbst erkennt (»Nimmermehr kann ich Gott sehen, wenn nicht in demselben, darin Gott sich selber sieht«: EW II, S. 51; Pr. 69) 482. So bedeutet die Gotteserkenntnis der Seele hier, dass Gott in der abgeschiedenen, d. h. nichterkennenden und nichtserkennenden Seele sich selbst erkennt (»Da wird Gott mit Gott erkannt in der Seele«: EW I, S. 21; Pr. 1) 483 und dass die Seele in ihrer lauteren Abgeschiedenheit Gottes Erkenntnis seiner selbst empfängt. So heißt es: »Dasselbe Erkennen, in dem sich Gott selbst erkennt, das ist eines jeden losgelösten Geistes Erkennen und kein anderes« (EW I, S. 119; Pr. 10); 484 »mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge und ein Sehen und ein Erkennen« (EW I, S. 149; Pr. 12). 485 So ist die Seele als Sohn Gottes Gottes Erkenntnis seiner selbst. Gott erkennt in der Seele sich selbst, womit zugleich die Seele Gott und sich selbst als Sohn Gottes erkennt. Ebenso geht es mit der Liebe: »Ebenso ist nämlich auch dieselbe Liebe der Heilige Geist, womit der Vater den Sohn liebt und der Sohn den Vater, womit Gott uns liebt und wir Gott lieben« (Joh. n. 506). 486 »In der Liebe, darin sich Gott selbst liebt, in dieser Liebe liebt er mich, und die Seele liebt Gott in derselben Liebe, darin er sich selbst liebt« (EW I, S. 127; Pr. 10). 487 »Wer Gott in sich finden will, muss Gottes Sohn sein. Denn Vater und Sohn sind zugleich, sie stehen in wechselseitiger Beziehung. Der Heilige Geist geht vom Sohne in der Dreifaltigkeit aus. So ist es auch bei uns« (Joh. n. 115). 488 »Niemand hwiederumi hat den Heiligen Geist, er sei denn der eingeborene Sohn. hDenni da, wo der Heilige Geist gegeistet wird, da geisten ihn der Vater und der Sohn. […] So hauchi ist es mit dem

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Die »Gottesgeburt in der Seele«

Menschen, der der eingeborene Sohn ist: Dem bleibt der Heilige Geist seinsmäßig« (EW I, S. 333; Pr. 29). 489 Im Zusammenhang mit dem Gedanken, dass die Seele das Leben Gottes lebt, betont Eckhart außerdem, dass die Seele als Sohn Gottes ein Wirken mit Gott wirkt (vgl. RSdt S. 73) 490, wie ein Holzstück, vom Feuer entzündet, zum Feuer wird oder wie die Farbe und das Farbige (»Ferner haben beide, nämlich die Farbe und das Farbige, insofern es farbig ist, nur ein Wirken«: Joh. n. 354) 491. So heißt es: »Wenn sie (die Seele) dann so heimkommt und so mit ihm h= Gotti vereint ist, so ist sie eine Mitwirkerin. […] Dann wirkt sie mit dem Vater alle seine Werke« (EW I, S. 353; Pr. 31). 492 Die Seele wirkt auch bei der weltschöpferischen Tätigkeit Gottes mit.

c)

Belebung der Seelenkräfte und Verklärung des äußeren Menschen

Die Erweckung der Seele zum Leben Gottes geschieht in dem Grund der Seele; dort lebt die Seele das trinitarische Leben. Dieses LebendigMachen trifft aber, von dem Seelengrund ausgehend, das seelischkörperliche Ganze des Menschen: »In dieser Geburt ergießt sich Gott mit Licht derart in die Seele, dass das Licht im Sein und im Grunde der Seele so reich wird, dass es herausdringt und überfließt in die Kräfte und auch in den äußeren Menschen« (QQ. S. 426; Pr. 102); 493 »dann werden alle Kräfte erleuchtet und der äußere Mensch dazu« (QQ. S. 427; Pr. 102). 494 »Alle Kräfte werden erleuchtet«; jede Kraft trägt jetzt »einen güldenen Fingerring« (EW II, S. 195; Pr. 83) 495. Die Seelenkräfte, die in der Abgeschiedenheit zum Erliegen gebracht worden sind, werden durch das göttliche Licht, das aus dem Grund der Seele ausfließt, wieder belebt. Ein Stück Holz, welches die Seele zwar mittels ihrer Kräfte, zugleich aber im göttlichen Licht sieht, erscheint als ein Engel (»Wer in diesem Lichte ein Stück Holz ansähe, es würde zu einem Engel«: EW I, S. 259; Pr. 22). 496 »Alle Kreaturen ›grünen‹ in Gott« (EW II, S. 85; Pr. 72), 497 »alle Dinge [sind] ›grün‹ und neu« (EW II, S. 85; Pr. 72). 498 Die Kreatur, die für die Seele vorher ein Hindernis war, hindert die Seele nun nicht mehr; das ist für Eckhart ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Gottesgeburt wirklich geschehen ist (vgl. DW IV, 1, S. 487; QQ. S. 437, 9 f.; Pr. 103). »Der äußere körperliche Mensch wird auch erleuchtet«; das heißt: »Der Überfluss hnuni des Lichtes, das in der Seele Grund ist, fließt über in den Leib, und der 111 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

wird dadurch voll Klarheit« (QQ. S. 426; Pr. 102). 499 Das nennt Eckhart die Verklärung mit Christus auf dem Berge: »Das ist der, der alles verlassen hat und mit Christus auf dem Berg verklärt wird hvgl. Mt 19,27; 17,2i« (Serm. n. 509). 500 Dafür führt Eckhart Paulus als Beispiel an: Als Gott ihn auf dem Wege mit seinem Licht berührte, ward ein Widerschein des göttlichen Lichtes auch äußerlich sichtbar, so dass es seine Weggenossen sahen (vgl. Apg. 9,3; DW IV, 1, S. 412; QQ. S. 426, 19 f.; Pr. 102).

3.

Die »Gottesgeburt in der Seele« als die Vereinigung Gottes und der Seele

Was die Vereinigung Gottes und der Seele anbelangt, so ist für Eckhart maßgebend der Gedanke von der Vereinigung aufgrund der absoluten Aktivität des einen und der schlechthinnigen Passivität des anderen. »Die wahre, vollkommene und innigste Einigung aber erfordert notwendigerweise in einem von beiden Teilen reines Leiden« (Serm. n. 117); 501 »das Tätige und das Erleidende [suchen] wesensmäßig miteinander vereint zu werden« (Joh. n. 177); 502 »[ferner] auch gehört es zur Weise und Eigentümlichkeit des Erleidenden, nackt und bedürftig zu sein, aber zur Weise und Eigentümlichkeit des Wirkenden, wirklich und reich zu sein« (Joh. n. 181). 503 So bedeutet die Vereinigung für Eckhart, dass das eine sich selbst ganz dem anderen gibt und das andere es empfängt; das Empfangende empfängt »sein ganzes Sein« vom Gebenden, und zwar von ihm allein, und empfängt so »dasselbe Sein«, welches das Gebende hat (vgl. Joh. n. 107). 504 Was von dem einen, das in überfließendem Leben wirkt, ausgeht und in das andere, das in lauterem Empfangen erleidet, unmittelbar eingeht, das ist ein und dasselbe. Im Empfangen ist das Empfangene dasselbe, welches das Gegebene im Geben ist. Das ist für Eckhart die Bedeutung der Vereinigung. Er sieht die vollkommene Vereinigung zwischen dem »Wirkenden« und dem »Erleidenden« in der »Gestaltung« der Materie durch die Form (vgl. Joh. n. 100; I. Gen. n. 54). 505 Dieselbe Dynamik und Struktur sieht Eckhart in der Vereinigung Gottes mit der Seele: »Denn die Seligkeit ist nicht so sehr Ähnlichkeit, sondern Einigung, die Ziel und Ende der Ähnlichkeit ist« (Serm n. 117). 506 »[Die] Seligkeit besteht in ein und demselben, als Wirken in Gott, als Empfangen in der Seele« (Serm. n. 100). 507 112 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die »Gottesgeburt in der Seele«

»Denn so grenzenlos Gott im Geben ist, so grenzenlos ist auch die Seele im Nehmen oder Empfangen. Und so allmächtig Gott im Wirken ist, so abgründig ist die Seele im Erleiden; und drum wird sie mit Gott und in Gott überformt (= verwandelt). Gott soll wirken, die Seele aber soll erleiden« (QQ. S. 431; Pr. 102). 508 So empfängt die Seele ihr ganzes Sein von Gott und von Gott alleine, und zwar dasselbe Sein, welches Gott ist; als solche ist die Seele Gottes Sohn*. »Daher: Sollst du der Sohn Gottes sein, so kannst du’s nicht sein, du habest denn dasselbe Sein Gottes, das der Sohn Gottes hat« (EW II, S. 127; Pr. 76). 509 »Wo der Vater seinen Sohn gebiert, da gibt er ihm alles, was er in seinem Sein und in seiner Natur hat. In diesem Geben quillt der Heilige Geist aus. So auch ist es Gottes Streben, dass er sich uns völlig gebe« (EW I, S. 135; Pr. 11). 510 Hier handelt es sich nicht um die Vereinigung mit Christus, wie bei der traditionellen Christusmystik, sondern um mehr: um das Eins-Sein mit Christus aufgrund desselben Gottes-Sohn-Seins. Die Seele ist unmittelbar von Gott als Sohn Gottes geboren und als solcher eins mit Gott. Gerade darin ist sie auch mit Christus, dem Sohne Gottes, eins, d. h. sie ist ein und derselbe Sohn Gottes; »der Vater hat nur einen einzigen Sohn« (EW I, S. 443; Pr. 41). 511 So ist Christus für die Seele nicht Gegenstand der Vereinigung, sondern gerade das, was die Seele als Gottes Sohn – durch die Gottesgeburt in der Seele, d. h. durch die Vereinigung Gottes mit der Seele – selbst ist. Bei der »Gottesgeburt in der Seele« handelt es sich auch um mehr als bei der Gottesmystik im Sinne der »Teilnahme« 512 am göttlichen Leben und an der göttlichen Natur. Der Eckhart’sche Begriff »Geboren-Werden« als Gottes Sohn bedeutet mehr als »Teilnehmen«, d. h. »einen Teil Gottes nehmen«. Nach Eckhart gibt Gott sich ganz, wenn er sich gibt, nicht nur einen Teil von sich. »Und weiter, es steht fest, dass Gott sich ganz gibt, wem immer er sich gibt« (RSdt S. 105); 513 »Gott schenkt sich mit allem, was er ist und hat« (Serm. n. 455). 514 Dass Gott sich selbst ganz gibt, das ist das »Gebären« (Erzeugen) Gottes. »Von Gott geboren zu werden«, das heißt, von Gott

* Diesen Gedanken nennt R. Otto »Theopantismus« als Ausdruck einer »exzessiven Gnadenlehre« und unterscheidet ihn begrifflich scharf vom Pantheismus und von der Vergöttlichung der Kreatur. Vgl. West-östliche Mystik, S. 277, 278.

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

alles, was er in seiner Natur und in seinem Wesen ist, zu empfangen; das ist mehr als nur Teilnahme am göttlichen Sein. Für Eckhart bedeutet die »Gottesgeburt in der Seele« die Vereinigung Gottes und der Seele (vgl. Joh. n. 355) 515 – sofern es sich um die Rückkehr der Seele zu Gott handelt – bzw. »die Vereinigung Gottes mit der Seele des Menschen« (Joh. n. 335) 516 – sofern es um die Fleischwerdung Gottes in dem Menschen, in dessen Seele Gott seinen Sohn gebiert, geht. Die Identifizierung der Seele als Gottes Sohn mit dem Sohn Gottes als innergöttlicher Person*, wie wir sie oben besprochen haben, steht im Mittelpunkt sowohl der Beanstandung seitens der Zensoren als auch der päpstlichen Verurteilung (vgl. Bulle art. 10, 11, 12, 20, 21, 22). Andererseits finden sich bei Eckhart manche Aussagen, in welchen er die Seele und Gottes Sohn nicht zu identifizieren, sondern zu unterscheiden scheint. Wir müssen solche Aussagen daraufhin untersuchen, ob er die Unterscheidung wirklich durchführt bzw. ob er auf diese Unterscheidung Wert legt. So werden wir Eckharts Lehre vom Eins-Sein der Seele mit Gott besser verstehen können.

* Zur Würdigung der radikalen Aussagen Eckharts über das Eins-Sein der Seele als des Sohnes Gottes mit dem Gottessohn als der innergöttlichen Person vgl. u. a. A. Auer einerseits, der sie nehmen will, »wie sie lauten« (Eckhart-Probleme, S. 66), und H. Piesch andererseits, die von der »genialen rhetorischen Intuition« Eckharts spricht (Meister Eckharts Ethik, Luzern 1935, S. 82; vgl. auch S. 79, 80, 100). H. Piesch unterscheidet zwischen dem Mystiker-Seelsorger Eckhart und dem Philosophen-Theologen Eckhart. Wenn der Philosoph und Theologe spreche, dann trage er dem objektiven Tatbestand der unüberbrückbaren Trennung von Schöpfer und Geschöpf Rechnung (a. a. O., S. 103). So schreibt H. Piesch dem Mystiker-Seelsorger Eckhart alle radikalen Aussagen zu und macht sie zu Gegenständen der »Religionspsychologie« (a. a. O., S. 80). Bei einer solchen Argumentation müsste man nicht nur die ganze Einigung als vorübergehendes psychologisches Erlebnis bezeichnen, dem gar keine seinsmäßige Wirklichkeit entspricht, sondern auch Eckharts Streben nach einer theologisch-metaphysischen Begründung der Einheit der Seele mit Gott völlig ignorieren (vgl. Ernst Benz: Zur neuesten Forschung über Meister Eckhart, in: »Zeitschr. f. Kirchengeschichte LXII, 1938, S. 566–596, über H. Piesch siehe S. 592–594). Auch wenn man zwischen dem Mystiker Eckhart und dem Philosophen-Theologen Eckhart unterscheidet, muss man mit K. Weiß sagen: »Es ist also der Mystiker Eckhart, der dem Theologen und Philosophen Eckhart den Weg in eine Richtung weist, die ganz vom Rationalismus (aristotelisch-thomistisch) seiner Zeit abführt und ihn die ältere platonisch-neuplatonische Tradition erneuern lässt« (K. Weiß: Meister Eckharts Stellung, S. 43).

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Die »Gottesgeburt in der Seele«

a)

Ein göttlicher Mensch (homo divinus) ist nicht Gott selbst

1. »Wenn es aber am Schlusse des Satzes heißt: ›Der göttliche Mensch wird nichts anderes, als was Gott ist‹, so ist dies falsch und verkehrt« (RSdt S. 108). 517 Hier streitet Eckhart ausdrücklich den Gedanken ab, dass der göttliche Mensch dasselbe ist, was Gott ist. »[Es] wird ausgesagt, dass ›er (selbst) der eingeborene Sohn sei‹. Wenn das dahin verstanden wird, dass ich Gott sei, so ist es falsch« (RSdt S. 133); 518 ich bin also nicht schon deshalb Gott, weil in mir der eingeborene Sohn, welcher Gott selbst ist, geboren ist. 2. Wir dürfen aber auch nicht übersehen, dass Eckhart, durch die Beanstandung herausgefordert, in derselben Rechtfertigungsschrift wiederholt mit aller Klarheit seinen Grundgedanken vorträgt, nach welchem Gott seinen eingeborenen Sohn, der Gott selbst ist, in der Seele gebiert und dadurch (in diesem Gebären) die Seele als seinen eingeborenen Sohn, der von ihm in nichts unterschieden ist, gebiert (ein Beispiel: »Aber es ist doch wahr, weil Gott Vater in mir seinen Sohn zeugt und durch diesen nämlichen Sohn und in ihm mich selbst als seinen Sohn in ihm zeugt; und der Sohn, der in mir gezeugt ist, ist der Sohn ohne allen Unterschied der Natur dem Vater gegenüber«: RSdt S. 92) 519. So steht für Eckhart ohne jede Einschränkung fest, dass der in der Seele geborene Sohn Gottes die zweite göttliche Person selbst ist (»Gott Vater zeugt auch in mir seinen Sohn, und in mir ist auch der gezeugte Sohn, der eine, ungeteilte, denn es gibt keinen anderen Sohn in der Gottheit als den einen, und der ist Gott«: RSdt S. 91) 520. 3. Ein Vergleich beider Aussagen Eckharts macht folgendes klar: 1. Wenn es sich um die »Seele« 521 handelt, betont Eckhart die Identität der Seele als Gottes Sohn und des Sohnes Gottes als der zweiten göttlichen Person (»Gott hVateri zeugt mich als seinen Sohn […] ohne allen Unterschied«: RSdt S. 92) 522. In diesem Sinne kann Eckhart sagen: »Da bin ich derselbe Sohn und nicht ein anderer« (RSdt S. 72), 523 wobei er aber das Wort »ich« auf die »Seele« bezieht, wie der Satz zeigt: »Zwischen dem eingeborenen Sohne und der Seele [besteht] kein Unterschied« (RSdt S. 133); 524 »die heilige Seele [ist] mit Gott eins« (RSdt S. 133). 525 2. Wenn es sich um den »den göttlichen Menschen« (RSdt S. 108) 526 handelt, in dessen Seele Gottes Sohn geboren ist, so ist für Eckhart der »Mensch« als ein seelisch-leiblich zusammengesetztes Ganzes nicht Gott bzw. Gottes Sohn Christus, der selbst Gott ist, sondern »nach Gott gestaltet« bzw. »gewisserma115 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

ßen vergöttlicht« (RSdt S. 91; z. B. »nach dem Ebenbild Gottes« im Unterschied zu »Ebenbild Gottes«) 527. Niemals identifiziert Eckhart dieses auf den Menschen als seelisch-leiblich zusammengesetztes Ganzes bezogene »Ich« mit Gott. Je nachdem Eckhart das Wort »ich« auf die Seele bzw. auf den Menschen bezieht, sagt er entweder, dass »ich« derselbe eingeborene Sohn bin, nicht ein anderer, oder er streitet ab, dass »ich« Gott bin. Die Doppeldeutigkeit des Wortes »ich« zeigt, dass bei Eckhart die Grenze zwischen dem Bereich, in welchem die Unterscheidung von Gott und göttlichem Menschen gilt, und dem Bereich, in welchem die Identität der Seele mit der zweiten göttlichen Person gilt, fließend ist. Es handelt sich hier nicht um die sprachliche Doppeldeutigkeit, sondern es geht Eckhart um die Sache selbst. Die Seele ist das Innerste, das Wesen des Menschen; und im Innersten, im Grunde der Seele, vollzieht sich die Gottesgeburt, die vollkommene Einheit der Seele mit Gott; erst aufgrund dieser Einheit wird der Mensch »mit Gott vereint, vergöttlicht« 528. Gott gebiert seinen eingeborenen Sohn in der Seele und gebiert dadurch die Seele als seinen innergöttlichen Sohn; dann wird der Mensch, in dessen Seele die Gottesgeburt sich vollzog, göttlich. Der Mensch ist göttlich, »sofern in ihm Gottes Ähnlichkeit ist und folglich Gott selbst in seinem Ähnlichkeitsbilde ist« (RSdt S. 91) 529. Wenn Eckhart sagt, »ein göttlicher Mensch ist nicht Gott«, sondern »nach Gott gestaltet« oder »gewissermaßen vergöttlicht«, so bedeutet das für Eckhart also nicht eine Einschränkung des Eins-Seins des Menschen mit Gott, sondern im Gegenteil das Hindurchdringen des vollkommenen Eins-Seins mit Gott, welches sich im Grunde der Seele vollzogen hat, durch die Seelenkräfte und den äußeren Menschen.

b)

Sohnschaft von Natur und Sohnschaft durch die Gnade der Kindschaft 530

»Die erste Frucht der Menschwerdung Christi, des Sohnes Gottes, besteht darin, dass der Mensch durch die Gnade der Kindschaft das sei, was jener von Natur ist. […] In dasselbe Bild [werden wir] verwandelt« (Joh. n. 106). 531 »Wenn der Mensch seiner selbst völlig entäußert ist um Gottes willen und er niemandem mehr gehört als Gott allein und für nichts mehr lebt als einzig für Gott, dann ist er wahrlich dasselbe von Gna116 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die »Gottesgeburt in der Seele«

de, was Gott ist von Natur, und Gott erkennt von sich aus keinen Unterschied zwischen sich und diesem Menschen. […] und so wie Gott gut ist von Natur, so ist dieser Mensch gut durch Gnade, denn Gottes Leben und sein Sein ist ganz und gar in diesem Menschen« (EW II, S. 11; Pr. 66). 532 In Hinsicht auf den Ursprung der Gottessohnschaft unterscheidet Eckhart zwischen »von Natur« und »durch die Gnade der Kindschaft«. Christus ist von Gott »von Natur aus« geboren; der Mensch wird durch die Gnade an Sohnes statt angenommen. Der begriffliche Unterschied zwischen »Sohn von Natur« und »Sohn durch die Gnade der Kindschaft« ist an sich klar, und er bleibt auch bei Eckhart zunächst erhalten. Aber in der Dynamik der Gottesgeburt in der Seele ist diese sachliche Unterscheidung nicht mehr durchgeführt und auch nicht durchführbar, weil für Eckhart der naturhafte Sohn Gottes, Christus, nirgendwo sonst als in der Seele des Menschen geboren wird und im Inneren des Menschen wohnt: »Auch darf man nicht glauben, dass er, der Gott und Gottes Sohn ist, gleichsam etwas außer uns oder von uns Geschiedenes sei, sondern er selbst, weil einziger, ungeteilter Gott, ist seiner Wesenheit nach einem jeden von uns zuinnerst und zunächst« (RSdt S. 134). 533 So sind »Sohn von Natur« und »Sohn durch die Gnade der Kindschaft« im Menschen untrennbar vereint. Indem Gottes eingeborener Sohn in der Seele des Menschen »von Natur« geboren wird, wird der Mensch als das seelisch-leiblich zusammengesetzte Ganze von Gott an Sohnes statt angenommen. Bei dieser Untrennbarkeit von naturhaftem Sohn in der Seele und als der Seele und adoptiertem Sohn als dem Menschen ist Eckhart nicht so sehr an der Unterscheidung als solcher interessiert als daran, was Christus »von Natur« ist und was der Mensch »durch Gnade« ist. Darum legt Eckhart in jedem der Zitate besonderen Nachdruck auf die Ununterschiedenheit. »[…] in dasselbe Bild werden wir hinübergeformt«, das heißt: »So werden doch alle ›in dasselbe Bild verwandelt‹ h2 Kor 3,18i und sind in Gott dem Sohn eins« (Serm. n. 441). 534 »So ist er wahrlich dasselbe durch Gnade, was Gott von Natur ist, und Gott erkennt von seiner Seite keinen Unterschied zwischen ihm und diesem Menschen.« Vonseiten Gottes verliert der Unterschied zwischen »von Natur« und »durch Gnade« seine Bedeutung, weil nach Eckhart die Gnade ein Übersprudeln von Gottes eigener Natur ist. »Die Gnade [ist] eine Art Übersprudeln der Zeugung des Sohnes und [hat] ihre Wurzel im innersten Herzen des Vaters« (Serm. n. 263). 535 Durch die Gnade gibt Gott seine 117 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

eigene Natur (»[gibt] er […] sich selbst«: Serm. n. 256) 536. (Man kann diesen Gedanken als exzessive Gnadenlehre bezeichnen.) Der betreffende Unterschied hat eine Bedeutung nur für den Menschen, sofern dieser noch nicht mit Gott vereint ist. Auch für den Menschen aber ist der Unterschied von »von Natur« und »durch die Gnade« dann aufgehoben, wenn die Gottesgeburt in seiner Seele sich vollzogen hat; hier spricht Eckhart vom »Entgleiten der Gnade«: »So auch wird die Seele mit Gott vereint und umschlossen, und dort entgleitet ihr die Gnade, so dass sie hnuni nicht weiter mit der Gnade wirkt, sondern göttlich in Gott« (EW II, S. 187; Pr. 82). 537 Hier vollendet die göttliche Natur die Gnade. Was vorher für die Seele die Gnade war, das ist jetzt die göttliche Natur, in welche sie als Gottes Sohn einbezogen ist und welche deshalb zugleich die Natur der Seele als des Sohnes Gottes ist. Von der Gnade als derjenigen, welche auf diese Weise in die göttliche Natur zurückgeflossen ist, sagt Eckhart: »Gnade ist vielmehr ein Einwohnen und ein Mitwohnen der Seele in Gott« (EW I, S. 465; Pr. 43); 538 »(die Gnade) verleiht das Eines-Sein mit Gott, das mehr ist als Verähnlichung« (Serm. n. 263). 539 Die Gnade in diesem Sinne steht höher als die Liebe Gottes zum Menschen (»Die Gnade steht hoch über der Liebe […], so hoch, wie das Sein über dem Werk«: Serm. n. 262) 540. Von der Gnade – als der Liebe Gottes zum Menschen – im Unterschied zur göttlichen Natur sagt Eckhart: »Die Gnade vereinigt die Seele nicht mit Gott, sie ist vielmehr hnuri ein volles Zubringen« (EW I, S. 251; Pr. 21); 541 es ist der Gnade Werk, dass sie die Seele zu Gott bringt, d. h. die Seele zur Vereinigung mit Gott bereitet. Die Vereinigung der Seele mit Gott bewirkt allein die göttliche Natur selbst, indem sie sich der Seele gibt – das ist die Gnade im ersten Sinne – und so die Seele in sich einbezieht. So sagt Eckhart, das gegenseitige Verhältnis der beiden Gnaden bestimmend: »Er gibt uns Gnade, damit wir die volle Gnade ohne Einschränkung empfangen können« (Serm. n. 456); 542 »und so gibt hdas Feueri die Gnade der Erhitzung und Verähnlichung um der Gnade der artlichen Formung willen« (Joh. n. 182). 543 Das ist für Eckhart die Bedeutung des Passus: »Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade« (Joh 1,16) (Joh. n. 180) 544. Wir haben oben gesehen, dass die Unterscheidung von »Sohn von Natur« und »Sohn durch die Gnade« bei Eckhart nicht durchgeführt ist, sondern es ihm umgekehrt darauf ankommt, die Unterschiedenheit, welche mit dem Begriffspaar »Natur – Gnade« gewöhn118 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die »Gottesgeburt in der Seele«

lich zum Ausdruck gebracht wird, zu überwinden. Zunächst sieht Eckhart »Sohn von Natur« im Innersten des Menschen, welcher seinerseits »Sohn durch die Gnade« ist – so sind die beiden nicht mehr voneinander zu trennen. Dann entwickelt Eckhart einen exzessiven Gnadenbegriff, nach welchem Gott der Seele ihre eigene Natur gibt; diese Gnade ist mit der göttlichen Natur identisch. Die Gnade aber, die von der göttlichen Natur unterschieden ist, gibt Gott dem Menschen nur dazu, um ihm dann, auf diese gegründet, die volle Gnade der Vereinigung mit der göttlichen Natur zu geben. Auf diese Weise überwölbt Eckhart den traditionellen Gedanken, dass die Gnade die menschliche Natur nicht zerstört, sondern vollendet (Gratia non destruit naturam sed perficit), mit dem Gedanken, dass die göttliche Natur die Gnade vollendet*.

c)

»Durch dasselbe, wodurch Gott Gott ist, ist der Mensch analogerweise göttlich«

»Es steht auch fest, dass durch dasselbe, wodurch Gott Gott ist, der (göttliche) Mensch – analogerweise – göttlich ist. Denn es ist keiner göttlich ohne Gott, so wie etwas nicht weiß sein kann ohne Weiße« (RSdt S. 107). 545 »Wahr indessen und erbaulich und fromm ist, dass das ganze Sein eines gerechten Menschen, sofern er gerecht ist, von Gottes Sein ist, wenn auch das Analogieverhältnis bestehen bleibt. Ferner, sicher-

* Zu diesem Problem vgl. u. a. H. S. Denifle und Raphael Oechslin einerseits und Th. Steinbüchel, H. Ebeling und V. Lossky andererseits. Die ersteren halten an der Unterscheidung zwischen »von Gnade« und »von Natur« fest, ohne weiter zu fragen, was sich nach Eckharts Auffassung in der Seele vollzieht, wenn sie alles das aus Gnade erhält, was Gott von Natur hat, während es für die letzteren Eckhart bei der Gottesgeburt in der Seele irgendwie auf die Überwindung des betreffenden Unterschieds ankommt. – Heinrich Seuse Denifle: Die deutschen Mystiker des 14. Jahrhunderts, Beitrag zur Deutung ihrer Lehre. Aus dem Nachlass hg. von P. O. Spieß (Fribourg/ Schweiz 1951) S. 143; Raphael Oechslin: Der Eine und Dreieinige in den deutschen Predigten (in »Meister Eckhart, der Prediger«, Freiburg i. Br. 1960, S. 149 bis 166, bes. S. 152, 155); Theodor Steinbüchel: Gott und Mensch in Frömmigkeit und Ethos der deutschen Mystik (Düsseldorf 1952) S. 219; Heinrich Ebeling: Meister Eckharts Mystik. Studien zu den Geisteskämpfen um die Wende des 13. Jahrhunderts (Stuttgart 1941), S. 147–149; Vladimir Lossky: Théologie négative et connaissance de Dieu chez Maitre Eckhart (Paris 1960) S. 184, 360.

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

lich ist niemand wahrhaft göttlich, ohne dass Gott in ihm ist« (RSdt S. 120). 546 Mit dem Wort »Analogieverhältnis« scheint die Unterscheidung zwischen der Seele als Gottes Sohn und dem Sohn Gottes als der innergöttlichen Person zum Ausdruck gebracht zu sein, wie einige Eckhart-Interpreten meinen*, weil die Analogie – im Sinne der »analogia proportionalitatis« – auf die Ähnlichkeit unter den Unähnlichen hinweist. Es kommt aber einzig darauf an, was Eckhart selbst unter »analog« versteht. Es gibt in Eckharts Schriften mehrmals längere Ausführungen über die Analogie als Analogie. Eckhart trägt dort sein eigenes Verständnis von der Analogie vor (vgl. u. a. Eccli. n. 52; Exod. n. 54; Serm. n. 446; I. Gen. n. 128; Joh. n. 97, n. 182), und zwar immer in derselben Weise, jeweils anhand des gleichen Beispiels. Gerade diese Auffassung Eckharts von der Analogie ist von den Zensoren beanstandet worden (vgl. RSdt S. 67, art. 5, 6) 547. Die Eigentümlichkeit der Analogie-Lehre Eckharts besteht darin, dass er zur Verhältnisbestimmung zwischen dem göttlichen und kreatürlichen Sein nicht die »analogia proportionalitatis«, sondern ausschließlich die »analogia attributionis« aufgreift und sie zur letzten Konsequenz bearbeitet**. Zur Exemplifizierung der »analogia attributionis« führt Eckhart immer die Gesundheit im Lebewesen, im Urin und in der Nahrung an: »So wird der Harn nicht deshalb als gesund bezeichnet, weil ihm die Gesundheit als Form innewohnt, sondern allein in Analogie und im Hinblick auf die wirkliche Gesundheit, die eigentlich und als Form nur in einem Sinneswesen ist« (Exod. n. 54). 548 »Der Urin ist gesund«, so sagt man. Dabei sind zwei Momente * Vgl. u. a. O. Karrer, A. Dempf, W. Bange und B. Dietsche. – Otto Karrer: Anhang (Verfängliches, Mißverstandenes, Verurteiltes bei Meister Eckhart) zu seinem Textbuch »Meister Eckhart. Das System seiner religiösen Lehre und Lebensweisheit« (München 1926) S. 277 f.; A. Dempf, a. a. O., S. 98, 105, 106; W. Bange, a. a. O., S. 255 f.; B. Dietsche: Der Seelengrund nach den deutschen und lateinischen Predigten, in »Meister Eckhart, der Prediger« (S. 200–258), S. 236. ** Schon früher hat T. L. Penido auf die innere Beziehung der analogia attributionis zur Mystik hingewiesen. Vgl. T. L. Penido: Le rôle de l’analogie en théologie dogmatique (Paris 1931). Es ist aber ein großes Verdienst von H. Hof, J. Koch und V. Lossky, die eigentümliche Rolle der analogia attributionis bei Eckhart herausgestellt zu haben. Vgl. Hans Hof: Scintilla animae, eine Studie zu einem Grundbegriff in Meister Eckharts Philosophie (Lund und Bonn 1952) S. 80–158; Josef Koch: Zur Analogielehre Meister Eckharts, in: »Mélanges offerts à Etienne Gilson« (Toronto-Paris 1959, S. 327–350); V. Lossky, a. a. O., S. 286–337.

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Die »Gottesgeburt in der Seele«

wichtig; erstens von der Gesundheit als Gesundheit, die eigentlich nur im Sinneswesen ist, ist ganz und gar nichts im Harn, nicht mehr als im Stein. Zweitens: Wenn man aber sagt, der Harn sei gesund, so handelt es sich um eine und dieselbe Gesundheit, wie sie im Sinneswesen ist. Der Harn, der in sich nichts von der Gesundheit hat, heißt gesund also nur in Hinblick auf die wirkliche Gesundheit, die eigentlich nur in einem Sinneswesen ist; das heißt: Wenn man sagt, der Harn sei gesund, so empfängt der Harn erst in seiner Beziehung zur Gesundheit im Sinneswesen und nur von dieser Beziehung her dieselbe Bestimmung der »Gesundheit«, wie sie im Sinneswesen ist. Dies bedeutet für Eckhart die analoge Beziehung. Als deren Definition führt er an: Im Falle einer Analogie lassen sich die Dinge »nur nach Seinsweisen 549 eines und desselben Dinges unterscheiden« (»›nach Seinsweisen‹ eines und desselben Dinges schlechthin«: Eccli. n. 52 550; »nur nach den Seinsweisen desselben Dinges, das der Zahl nach eines ist«: Exod. n. 54 551). Um welche Unterschiedenheit der Seinsweisen handelt es sich dabei? »Wo Ursache und Wirkung in analoger Beziehung stehen, da ist eine Wirklichkeit in beiden Gliedern, jedoch hin beideni der Seinsweise nach verschieden. Das besagt schon das Wort Analogie, nämlich: In beiden Gliedern histi ein und dasselbe, jedoch him ersteni ursprünglich him zweiteni abgeleitet« (Serm. n. 446). 552 Hier bedeutet der Unterschied von »im ersten« und »im zweiten«, dass es ein und dasselbe ist, was das erste in sich selbst hat und was das zweite vom ersten empfängt, aber es besteht ein Nacheinander in der Reihenfolge; unterschiedlich ist also nur die Seinsweise: Das erste hat es in sich selbst und gibt es einem anderen, während das zweite es nicht in sich selbst hat, sondern es vom ersten empfängt. Bei dieser analogen Beziehung kommt es Eckhart jedoch wesentlich darauf an, dass auf beiden Seiten ein und dasselbe vorhanden ist. Wenn also Eckhart z. B. sagt: »Die Güte bzw. die Gerechtigkeit werden von Gott und dem Menschen analog ausgesagt«, dann bedeutet das für ihn, dass der Mensch die Gerechtigkeit, die er in sich selbst nicht hat, ganz von Gott, der die Gerechtigkeit selbst ist, empfängt und sie so in Gott hat. Es handelt sich bei der »analogia attributionis« also um dieselbe Gerechtigkeit, die in Gott und im Menschen ist, anders als bei der »analogia proportionalitatis«, bei welcher es sich um zweierlei untereinander ähnliche und zugleich unähnliche Gerechtigkeiten handelt. Nun ist zu fragen: Sind die Gerechtigkeit in sich selbst, d. h. in Gott, und die Gerechtigkeit im Menschen, der sie erst von Gott empfangen hat, wirklich eine und dieselbe iustitia ohne 121 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

jede Einschränkung? Bleibt etwas, wenn es gegeben wird und wenn es empfangen wird, ein und dasselbe? Auf diese Frage finden wir bei Eckhart nur eine entschiedene Antwort: »Kein Gerechter wäre wahrhaft gerecht, wenn die Gerechtigkeit an sich eine andere wäre als die im Gerechten« (Joh. n. 119); 553 »denn durch eine und dieselbe Güte, die in Gott ist und die Gott selbst ist, durch die sind alle Guten gut« (RSdt S. 67). 554 Wenn Eckhart bisweilen formuliert »sofern er gerecht ist« (bzw. gut), so handelt es sich um eine streng begriffliche Einschränkung von »gerecht« bzw. »gut«. »[…], dass jenes ›sofern‹ eine Beschränkung auf den strengen Begriff als solchen besagt und alles andere, auch alles nur gedanklich von dem Begriff Verschiedene, ausschließt« (RSdt S. 79). 555 Diese Einschränkung ist etwa wie folgt zu verstehen: Der Mensch kann nur insofern gut (gerecht) sein, als er aus der Güte (Gerechtigkeit), die Gott selbst ist, geboren ist. Und diese Geburt geschieht für Eckhart real in der abgeschiedenen Seele. Ein Beispiel: »Der gute Mensch, sofern er gut ist, tritt in alle Eigenschaft der Güte selbst, die Gott in sich selber ist« (RSdt S. 63; vgl. EW II, S. 253; BgT). 556 Man wird Eckhart also nicht gerecht, wenn man dieses »insofern« wie folgt interpretiert: »Eckhart redet vom Gerechten, ›insofern er gerecht ist‹, gerade weil er weiß, dass keiner schlechthin gerecht ist, dass es keinen absolut Gerechten als solchen gibt. Es handelt sich um eine zu erstrebende Einheit, durch Gnade-Liebe.«* Eckhart lehrt doch eindeutig: Was vonseiten des Menschen unerreichbar ist, wird vonseiten Gottes dem Menschen gegeben durch die Geburt Gottes in der Seele.

Anmerkungen zum Problem der Analogie bei Eckhart O. Karrer will die Analogielehre Eckharts in der Form der analogia proportionalitatis verstehen. »Gott und die Kreatur sind analog, d. h. zugleich ähnlich und unähnlich, weil ›ens a se‹ [»das Sein von sich her«] mit ›ens ab alio‹ [»dem Sein vom anderen her«] verglichen wird« (Karrer, Anhang zum Textbuch, S. 277). Was aber Eckhart zur analogia attributionis führt, ist gerade die Konsequenz des Verhält* O. Karrer: Anmerkungen zu »Meister Eckharts Rechtfertigungsschrift vom Jahre 1326« (Erfurt 1927) S. 137. Mit O. Karrer teilt R. Oechslin diese moralisierende Interpretation der »Vereinigung mit Gott« bei Eckhart (vgl. R. Oechslin, a. a. O., S. 154).

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Die »Gottesgeburt in der Seele«

nisses zwischen »ens a se« und »ens ab alio«. Für Eckhart ist es unmöglich, »ens a se« und »ens ab alio« als zwei Dinge, zwischen denen ein Ähnlichkeit-Unähnlichkeit-Verhältnis besteht, zu denken, weil »ens ab alio« sein Sein gerade in »ens a se« hat. Nach Eckharts Verständnis überschreitet die analoge Beziehung das Ähnlichkeit-Unähnlichkeit-Verhältnis in zwei Richtungen; in der einen Richtung handelt es sich nicht mehr um die Ähnlichkeit, sondern um ein und dasselbe. In der anderen Richtung handelt es sich nicht mehr um die Unähnlichkeit, sondern um die Unmöglichkeit des Nebeneinanderstehens, aufgrund dessen erst von der Unähnlichkeit von zweien die Rede sein kann. Für Eckhart ist die Kreatur neben Gott ein reines Nichts (unum purum nihilum). Da kann es keinen Vergleich geben*. Indem Eckhart auf diese Weise beide Momente, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, gleicherweise radikalisiert, wendet er ausschließlich die »analogia attributionis« an. »Die oben aus dem Trostbuch zitierte Stelle zeigt mit aller Deutlichkeit, dass das Geburtsmoment selbst, die Geburt als solche, nach Eckharts Anschauung nichts anderes ist, als das dynamische Ausfließen der attributiven Analogie und das Analogon-Entleihen« (H. Hof, a. a. O., S. 173). So versucht H. Hof, die Lehre Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele« auf seine Lehre von der analogia attributionis zu reduzieren. Diese allein ist aber nicht ausreichend, die ganze Bedeutung der Eckhartschen Lehre von der Gottesgeburt in der Seele ins rechte Licht zu stellen. »Gott gebiert seinen eingeborenen Sohn in der Seele«; dabei handelt es sich um die Verbindung zweier Beziehungen, nämlich die Beziehung zwischen Gott und der Seele und die innergöttliche Beziehung zwischen Vater und Sohn. Eckharts Lehre von der analogia attributionis verdeutlicht die erste Beziehung; zum Verständnis der zweiten Beziehung müssen wir Eckharts Trinitätslehre heranziehen. Die Analogielehre ist, auch in der Form der analogia attributionis, eine Lehre vom Verhältnis zwischen Gott und der Kreatur. Wenn Eckharts Lehre von der Gottesgeburt in der Seele auf seine Analogielehre reduzierbar wäre, so wäre die strenge Unterscheidung Eckharts zwischen der Seele und den anderen Kreaturen – die Gottesgeburt vollzieht sich nach Eckhart nur in der Seele, niemals * Dieses Denken nennt J. Koch »theozentrisch«, und zwar »in dem Maße, dass darüber gleichsam die Welt verschwindet« (vgl. J. Koch: Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters, 1928, S. 7). Vgl. auch V. Lossky, a. a. O., S. 307, 344.

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Die Lehre Meister Eckharts von der »Gottesgeburt in der Seele«

in den anderen Kreaturen – unverständlich. Eckharts Lehre von der analogia attributionis ist die ontologische Grundlage zu seiner Lehre von der Gottesgeburt; diese ist bei Eckhart nicht identisch mit jener; oder: Diese ist nicht die angewandte Lehre von der analogia attributionis.

Zusammenfassung Die Unterscheidung zwischen »Ebenbild Gottes« und »nach dem Ebenbild Gottes« oder »Sohn von Natur« und »Sohn durch die Gnade der Kindschaft« kennt auch Eckhart. Bei der Durchführung seines Gedankens – durch seine eigene innere Erfahrung der Einheit mit Gott bewegt – ist Eckhart jedoch weit davon entfernt, die Unterscheidung als Unterscheidung prinzipiell festzulegen und unter Voraussetzung der prinzipiellen Unterscheidung als Heilsprinzip zu suchen. Im Gegenteil, es kommt Eckhart auf die Überwindung der Unterschiedenheit an. Nach ihm wird diese Überwindung der Unterschiedenheit, und das ist bei Eckhart entscheidend, vonseiten Gottes vollzogen. Sein exzessiver Gnadenbegriff führt ihn zu dem Gedanken des vollkommenen Eins-Seins der begnadeten Seele mit Gott, weil Gott sich selbst ganz der Seele zu eigen gibt. Das ist die Bedeutung der »Gottesgeburt in der Seele«.

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Zweiter Teil Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Vorbemerkung: Um die Beziehung zwischen Gott und der Seele zum Ausdruck zu bringen, bedient sich Eckhart neben dem Geburtsmotiv eines anderen, nämlich des Durchbruchsmotivs. »Wie er [Gott] mich durchbricht, so wiederum durchbreche ich ihn« (EW I, S. 329; Pr. 29). 557 »Wo Gott ausbricht in seinen Sohn, da bleibt die Seele nicht hängen« (EW II, S. 87; Pr. 72). 558 »Sie ist über hjedesi ›Bild‹ erhaben« (EW II, S. 83; Pr. 72). 559 »Ich habe von einer Kraft in der Seele gesprochen. […] Sie dringt bis auf den Grund und sucht weiter und erfasst Gott in seiner Einheit und in seiner Einöde. […] Deshalb lässt sie sich nichts genügen; sie sucht weiter danach, was das sei, das Gott in seiner Gottheit und im Eigentum seiner eigenen Natur sei« (EW I, S. 129; Pr. 10). 560 »Sie will in den einfaltigen Grund Gottes, in die stille Wüste eindringen, in die nie Unterschiedenheit hineinlugte, weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist« (EW I, S. 509; Pr. 48). 561 Es gilt nun zu untersuchen, ob Eckhart mit diesen Aussagen dasselbe meint wie mit seiner Lehre von der Gottesgeburt in der Seele, oder etwas mehr. Um es ergründen zu können, wollen wir uns im ersten Kapitel mit Eckharts Gottesbegriff befassen, wie er seiner Lehre vom »Durchbruch« zugrunde liegt, und dann im zweiten Kapitel mit seiner dynamischen Seelenmetaphysik, wie sie in dieser Lehre zum Ausdruck gebracht ist. Schließlich wollen wir im dritten Kapitel die Ergebnisse unserer Untersuchungen im ersten und im zweiten Teil in eine gesamte Würdigung der Mystik Meister Eckharts zusammenfassen.

I.

Eckharts Gottesbegriff, soweit er seiner Lehre vom »Durchbruch« zugrunde liegt

Wir haben oben (Erster Teil, I, 1, b) dargestellt, dass innerhalb der Trinitätslehre Eckharts die Tendenz besteht, das Eins-Sein der drei Personen immer stärker hervorzuheben, und wie Eckhart dabei von 125 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

der neuplatonischen Auffassung des »unum« geführt wird. Bekanntlich steht Eckhart unter starken Einflüssen des Neuplatonismus, der ihm nicht nur durch Augustin, sondern weit stärker durch die jüdische und arabische Philosophie vermittelt wurde. Wenn Eckhart sagt, »hi tres personae sunt unum« [»diese drei Personen sind eins«], so ist der Begriff »unum« bei ihm zugleich mit neuplatonischem Verständnis geladen, das ihn stufenweise bis an die Grenze des trinitarischen Gottesbegriffs führt. Wenn er nun von diesem Satz, der noch im normalen trinitarischen Sinne verstanden werden kann, zu dem anderen überspringt, dass dieses Eine weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist ist, wird die Grenze überschritten. Bei allem geht es Eckhart um den einen Gott: mehr noch, um das Eine. Wir wollen Eckharts Ausführung des »unum«-Gedankens und die für ihn sich daraus ergebenden Konsequenzen im Einzelnen verfolgen.

1.

Die Ausführungen Eckharts über das »unum«-Sein Gottes

»Darin, dass Gott Eins ist, ist Gottes Gottheit vollendet« (EW I, S. 251; Pr. 21). 562 »Die Einheit [steht] bei Gott und hält zusammen« (EW I, S. 215; Pr. 19). 563 »Bemerke, dass Gott nur im Einen ist und nur dort verkostet wird« (Serm. n. 503). 564 Für Eckhart ist das »unum«-Sein nicht eine Eigenschaft bzw. ein Attribut Gottes, sondern das »unum«-Sein ist es, aufgrund dessen Gott erst Gott ist. »Gott [ist] das Eine« (Serm. n. 438). 565 Gott ist das Eine, »unum«. Was versteht Eckhart dabei unter »unum«? Was die formale Bestimmung des unum anbelangt, so sagt er u. a. wie folgt: »Das Eine nämlich als solches ist ganz und gar Eines und hat nichts anderes in sich als das Eine« (Joh. n. 329). 566 Was ist nun das »unum« seinem Wesen nach? »Was meint ›Eins‹? Eins meint das, dem nichts zugelegt ist« (EW I, S. 249; Pr. 21). 567 Das ist Eckharts Grundbestimmung des unum: Eins meint das, dem nichts beigelegt ist. Dies erklärt Eckhart mit Hilfe der Begriffe »einvaltic« [»einfaltig«] und »lûter« [»lauter«]: »einvaltic«, d. h. »nichts beigelegt in quantitativer Hinsicht«, und »lûter«, d. h. »nichts beigelegt in qualitativer Hinsicht«, wobei die beiden Begriffe im Grunde dasselbe besagen.

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Eckharts Gottesbegriff

a)

»Eins und einfaltig«

Diese beiden Begriffe stehen bei Eckhart oft nebeneinander (z. B. »[…] wie Gott eins und einfaltig ist […]«: EW I, S. 35; Pr. 2; 568 »so wie er einfaltiges Eins ist«: EW I, S. 35; Pr. 2 569). »Einfaltigkeit« ist die deutsche Entsprechung zum lateinischen Terminus »simplicitas«. »Das Eine, über das hinaus es nichts Einfacheres gibt« (Joh. n. 113), 570 ist »unteilbar«, 571 in jeder Hinsicht. »Was ist einfaltig? Darüber sagt Bischof Albrecht: Ein solches Ding ist einfaltig, das in sich selbst einheitlich ist ohne Andersartiges« (EW II, S. 163; Pr. 80). 572 So gibt es in dem Einen keinen Unterschied 573, keine Zahl 574, wie wir schon sahen. Es ist vollkommenes Abgeschiedensein von der Vielheit, es hat keine Beziehung zur Zahl. In diesem Sinne fasst Eckhart Gott als das »unum« auf. Dieses »unum«-Sein Gottes aber zeigt sich in verschiedenen Zusammenhängen: 1. Gott ist eins im Unterschied und zugleich in der Beziehung zur Vielheit der Kreaturen. Die »Einfaltigkeit« 575 ist ursprünglich als ein scholastischer Terminus der Gegensatz zur »Zusammensetzung« 576 und unterscheidet das göttliche Sein als »in keiner Weise zusammengesetzt« 577 vom kreatürlichen Sein. Eckhart stellt das Unum-Sein Gottes in Beziehung zur Vielheit der Kreaturen, die in doppelter Weise der Zahl ausgesetzt sind: in ihrer Verteiltheit und in ihrem Zusammengesetzt-Sein; er sagt z. B.: »Das Eine ist das, woran alle Vielheit teilhat, wodurch alle Vielheit Sein und ein Sein hat, und dieses Eine ist Gott. […] Außerdem hat alle Vielheit allein durch das Eine Sein. […] Also ist durch ihn, den Einen, alles eines« (Serm. n. 377). 578 Hier ist Gott als das Eine in Zusammenhang gebracht mit der Vielheit der Kreaturen, wobei das unum Gottes das Seinsprinzip der Vielheit der Kreaturen ist. 2. Gott ist eins bei der Dreiheit der innergöttlichen Personen. »Diese drei Personen sind eins«. 579 Dieses Thema haben wir schon ausführlich behandelt. In beiden Fällen aber steht das Eine immer noch in Relation zur Zahl, nämlich zur Vielheit der Kreaturen bzw. zur Dreiheit der Personen; insofern muss das Eine selbst eine Zahl sein. Es muss »Eins« als das Prinzip und der Anfang der Zahl sein. Das Eine, das innerhalb des Trinitätsbegriffs als eine Natur 580 bzw. eine Wesenheit 581 erscheint, ist gerade als das, welches die drei Personen eint, der Dreiheit zugewandt; es ist daher nicht des numerischen Charakters ledig, es ist noch nicht das »Eine in sich selbst« (EW I, S. 335; Pr. 29). 582 127 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

3. Eckhart muss daher vom unum Gottes in noch weiter gesteigerter Form sprechen. Zunächst muss er, um die Beziehung des Einen zur Zahl zu zerschneiden, von der göttlichen Natur als der Trägerin des Unum-Seins Gottes bei der Dreiheit der Personen sagen, dass sie ohne Natur ist. »Dies ist seine Natur, dass er h= Gotti ohne Natur ist« (EW I, S. 351; Pr. 31). 583 Dann muss er sich mit dem Begriff »einfaltig«, 584 sich nicht mit dem scholastischen Sprachgebrauch begnügend, unmittelbar gegen die trinitarische Dreiheit und Unterscheidung der Personen wenden. Er spricht so von »dem Einen, das frei ist von jederart Menge und Unterschied«, in dem auch ein »Gott-Vater-Sohnund-Heiliger-Geist« alle Unterschiede und Eigenschaften verliert [EW II, S. 281; BgT], 585 und vom »einfaltigen Grund« Gottes, »in [den] nie Unterschiedenheit hineinlugte, weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist« (EW I, S. 509; Pr. 48). 586 »So wie er einfaltiges Eins ist, […], so ist er weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist in diesem Sinne« (EW I, S. 35; Pr. 2). 587 Es gibt in Gott nichts, was gezählt werden kann; Gott ist in sich selbst einheitlich, eins, »ohne jede hinzutretende Vielheit eines Unterschieds« (EW II, S. 301; BgT). 588 Mehr noch: Gott ist eins, aber nicht eins nach der Zahl, sondern »nach der Einheit, die der Ursprung der Zahl ist« (Serm. n. 105); 589 »die Einheit ist selbst nicht zählbar« (Sap. n. 151). 590 Wenn Gott als das Eine numerisch eins wäre, dann müsste er mit etwas in numerischer Beziehung stehen, wie z. B. »ein Gott und Welt« oder »eine Wesenheit und drei Personen«. Das ist jedoch mit dem »einfaltig Einen« 591 unvereinbar. Deswegen bezeichnet Eckhart das Eine, wie es in sich selbst eins ist, als das Eine, welches ohne Eins ist. 592 Was Eckhart unter dem »einfaltig Einen« Gottes versteht, ist also jenseits aller Zahl, auch jenseits der numerischen Eins. »Daher sagen wir Gott, er sei einer – im Gegensatz zur Zahl« (Sap. n. 116), 593 und »über die Zahl erhaben« (RSdt S. 126) 594. So ist das »einfaltig Eine«, des ZahlCharakters beraubt, »ein lauteres Eines« (EW I, S. 329; Pr. 29), 595 »ein lauteres reines, klares Eines« (EW II, S. 197; Pr. 83). 596

b)

»Ein lauteres Eines«

»Eins meint das, dem nichts zugelegt ist« (EW I, S. 249; Pr. 21). 597 »Das Eine fügt dem Seienden nichts zu« (Serm. n. 111). 598 Das Eine ist »ohne alle Weise und Eigenheit« (EW I, S. 35; Pr. 2). 599 Es ist die Lauterkeit schlechthin, die Eckhart manchmal »die erste Lauterkeit« 128 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

(EW I, S. 43; Pr. 3) 600 nennt. Lauter ist also das, dem nichts beigelegt ist, auch nicht in Gedanken, dem nichts hinzugedacht ist. »Eins ist etwas Lautereres als Gutheit und Wahrheit. Gutheit und Wahrheit legen nichts zu, sie legen wohl im Gedanken zu; wenn es gedacht wird, da legt es zu. Eins dagegen legt nichts zu« (EW I, S. 247; Pr. 21). 601 Wenn man das Eine als etwas, als gut, wahr z. B. denkt, dann ist das Gedachte ein Hinzugedachtes zum lauteren Einen und deshalb schon eine Verhüllung des bloßen Seins des Einen. »Das Eine [verhält] sich unmittelbarer zum Sein oder zu Gott als das Wahre oder das Gute« (Serm. n. 438). 602 In diesem Zusammenhang gebraucht Eckhart zahlreiche Wörter wie »bloß«, »ledig«, »Reinheit«, »nackte Wesenheit«, »reine Substanz« usw. 603 Ohne jede Einschränkung identifiziert Eckhart das Sein Gottes mit der Lauterkeit des Einen und folgert daraus die strenge Eigenschaftslosigkeit, Bildlosigkeit und Weiselosigkeit Gottes als des Einen. »Gott-Sein aber ist nacktes Sein ohne Hülle« (Serm. n. 115). 604 Eckhart spricht wiederholt vom »nackten Gott« (vgl. u. a. Serm. n. 99, 115, 120, 246, 247, 249). 605 »Er ist ein Einwohnen in seiner eigenen lauteren Wesenheit, in der es nichts Anhaftendes gibt. […] Er ist ein lauteres In-sich-selbst-Stehen, wo es weder dies noch das gibt« (EW I, S. 43; Pr. 3). 606 Gott, wie er in sich selbst eins ist, Gott in der »Einheit seiner selbst, wo er ein lauteres Eines ist« (EW I, S. 329; Pr. 29) 607, ist ohne Weise, bildlos, namenlos, unsagbar und unerkennbar. Wenn man in Gott etwas sieht, wenn man Gott als etwas sieht, was es auch sei, so ist es nicht Gott. »Nimmst du ihn (Gott) dann als ein Licht oder als ein Sein oder als eine Gutheit, – erkennst du noch irgendetwas von ihm, so ist es Gott nicht« (EW II, S. 71; Pr. 71). 608 Gott, das Eine, ist auch des geistigen Bildes, z. B. der so genannten Transzendentalien 609, ledig: »hBegriffe wie:i gut, wahr, Wahrheit, Güte und Ähnliches [können] nicht eigentlich von Gott ausgesagt werden, weil sie hetwas zu Gotti hinzufügen« (Serm. n. 30). 610 Das Eine ist Gott, wie er ist, »ehe er Wahrheit oder Erkennbarkeit annimmt, dort, wo alle Nennbarkeit abgelegt ist« (EW I, S. 43; Pr. 3). 611 Gott als das Eine ist weiter auch frei von den trinitarischen Attributen, wie z. B. Macht, Weisheit und Liebe. »Wer Gutheit oder Weisheit oder Gewalt bedenkt, der verdeckt das Sein und verdunkelt es in diesem Gedanken. Ein einziges Hinzudenken verdeckt das Sein« (EW I, S. 351; Pr. 31). 612 Gott in seiner Lauterkeit ist auch nicht nennbar mit den trinitarischen Gottesnamen: Gott ist »weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist« (EW I, S. 509; Pr. 48). 613 Er ist 129 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

»ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person« (EW II, S. 197; Pr. 83)*. 614 Kurz zusammengefasst führt Eckhart über das »unum«-Sein Gottes also Folgendes aus: »eins und einfaltig«, d. h. »abgesondert von jeder Zweiheit« und »ein lauteres Eines«, d. h. »ohne jede Weise und Eigenschaft«. 615 Gott ist »einiges Eines«**. 616 Diese Auffassung bleibt maßgebend auch für seine andersartigen Aussagen über Gott. Ob Eckhart das Wesen Gottes als das reine »Erkennen« 617 bezeichnet, ob er die Bestimmung »das Sein ist Gott« 618 in den Vordergrund rückt, immer bezieht er »den Verstand« 619 bzw. »das Sein« 620 auf das Eine 621. So sagt er z. B.: »Denn der eine Gott ist Intellekt, und der Intellekt ist der eine Gott. Daher ist Gott niemals und nirgends Gott außer im Intellekt« (Serm. n. 304). 622 In einer Erklärung zur These »das Sein ist Gott« 623 sagt er: »Weil Gott, der ganz und gar einfaches Sein ist, einer oder eines ist« (Prol. op. prop. n. 14). 624 Nicht die Bestimmung Gottes als des Einen und die Bestimmungen des Einen als »einfaltig« 625 und »lauter« 626 sind Eckhart eigentümlich, sondern dass er sich mit diesen Bestimmungen des Einen unmittelbar gegen die Dreiheit und die Eigenschaften der Personen im Trinitätsbegriff wendet.

2.

Die Konsequenzen des »unum«-Seins Gottes

a)

Die Trennung von Gott und dem Wesen Gottes

Eckharts Begriff des Einen mit seiner absoluten Einfaltigkeit und Lauterkeit führte trotzdem nicht zur völligen Aufhebung des Trinitätsbegriffs, welcher, wie zahlreiche Belege zeigen, in seinem Gottesbegriff erhalten bleibt. Jedoch sind für Eckhart die göttlichen Personen in ihrer Dreiheit, mit ihren Eigenschaften und auch in ihrer Einheit durch die eine Natur nicht die letzte Wirklichkeit Gottes; sie gehören nicht zum Wesen Gottes, sondern bleiben an der Peripherie des lauteren Einen. Folgende Zitate verdeutlichen das:

* Das ist die radikale Konsequenz der »mystischen Tendenz der Entanthropomorphierung des Gottesbildes« (vgl. F. Heiler: Das Gebet, S. 317). ** Zur Auffassung Gottes als des Einen bei Eckhart und zur damit zusammenhängenden Schwierigkeit der Ableitung der Vielheit und Mannigfaltigkeit vgl. E. Seeberg: Meister Eckhart, S. 24; R. Otto: West-östliche Mystik, S. 335, 380.

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Eckharts Gottesbegriff

1. »Die Beziehung, die ihrer Gattung nach bei Gott bestehen bleibt, ist nämlich vom Wesensgehalt der Substanz verschieden, […] Und deshalb ist Gott nicht schlechthin und nach demselben Wesensgehalt Vater, nach dem er Substanz ist, sondern auch nach dem einen Wesensgehalt ist Gott Substanz, nach dem anderen ist er auch Vater. Der Wesensgehalt ist in beiden Fällen so verschieden wie zwei Gattungen, nicht nur wie Art und Gattung, zum Beispiel Wissen und Qualität, wo der Wesensgehalt nur in gewisser Hinsicht verschieden ist« (Exod. n. 70). 627 Eckhart stimmt dem Boethius’schen Satz zu: »Die Wesenheit wahrt die Einheit, die Beziehung entfaltet die Dreiheit« (Exod. n. 72; Eccli. n. 12). 628 Eckhart erkennt auch mit den »Heiligen und den Theologen« (Exod. n. 62) 629 an, dass unter den aristotelischen zehn Kategorien nur zwei, nämlich Substanz und Beziehung, bei Gott zur Anwendung kommen: »So bleiben nur zwei Kategorien, Substanz und Beziehung, auf Gott anwendbar« (Eccli. n. 10; vgl. Joh. n. 198; Exod. n. 62). 630 Mit der Kategorie »Substanz« 631 gesehen, ist Gott »eine Wesenheit« 632, mit der Kategorie »Beziehung« 633 gesehen sind in Gott »mehrere Personen« (Exod. n. 72) 634. Dies alles steht auch für Eckhart fest, aber als der Ausgangspunkt seiner Spekulation, und zwar als Ausgangspunkt, der zugleich ein Problem ist. Eckhart kommt es darauf an, wie die weitere Beziehung zwischen »Substanz« 635 und »Beziehung« 636 aufzufassen ist. Die konsequente Aufrechterhaltung des Begriffs »Substanz« führt Eckhart dabei zur vollkommenen Beziehungslosigkeit zwischen »Substanz« und »Beziehung«, welche weiter führt zur Unterscheidung des Wesens Gottes von dem trinitarischen Gott. Eckharts Auffassung von der »Substanz« als solcher ist zunächst nicht eigentümlich: Eckhart nennt die »Substanz« »erhabene Reinheit […], die Substanz, die durch sich ganz in sich selbst als ganzer […] ruht, die sich auf nichts stützt, mit nichts vermischt ist« (Eccli. n. 10). 637 »Nun hat die Substanz als Substanz nicht die Eigenschaft, sich auszuströmen. Denn sie ist nicht auf anderes, sondern nach innen, auf sich selbst bezogen. Sodann gehört sie ihrer ganzen Natur nach zum Sein, und das ist in Gott immer eines« (Eccli. n. 11). 638 »In Gott [zeugt] die Wesenheit nicht« (ibd.). 639 Aus dieser Bestimmung zieht Eckhart zugleich die radikale Konsequenz, dass die »Substanz« mit der »Beziehung« nichts zu tun habe: »Bei Gott [hat] die Substanz nicht den Wesensgehalt der Beziehung« (Exod. n. 72). 640 Die so von der »Beziehung« in jeder Hinsicht ferngehaltene »Substanz« bezeichnet Eckhart als »eine einheitliche 131 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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einfache Substanz« (Exod. n. 42) 641, »die lautere Substanz schlechthin« (Eccli. n. 10) 642. Die »Substanz« Gottes steht über der »Substanz« als einer Kategorie. Die Substanz Gottes ist nicht »eine zur Gattung der Substanz gehörende Substanz«, sondern »etwas Höheres und folglich Reineres« (Eccli. n. 10) 643. Dieselbe Beziehungslosigkeit zwischen Substanz und Beziehung ist auch vonseiten der Beziehung zum Ausdruck gebracht, wenn Eckhart sagt: »Nicht aber bezieht sich […] die Beziehung auf das Wesen, sondern hdas Bezogenei bezieht sich aufeinander« (Serm. n. 8). 644 »Beziehung« bezeichnet nicht das Verhältnis zur Substanz bzw. »Wesenheit« – diese beiden bestehen beziehungslos in sich selbst –, sondern das Verhältnis der aufeinander Bezogenen, d. h. der drei göttlichen Personen untereinander. Aufgrund dieser Beziehungslosigkeit zwischen »Substanz« und »Beziehung« von beiden Seiten her sieht Eckhart, wie das obige Zitat zeigt, zwischen »Gott in seiner Substanz« 645 und »Gott als Vater« 646 einen qualitativen Unterschied, während gewöhnlicherweise der »Gott als Vater« zugleich »Gott in seiner Substanz« und den »Urgrund« 647 der »Beziehung« darstellt und auf diese Weise die Einheit der »Substanz« und der »Beziehung« in Gott trägt. Zur Beziehungslosigkeit zwischen »Substanz« und »Beziehung« kommt in der Auffassung der »Beziehung« noch ein Moment hinzu, das Eckhart zur Trennung von Gott und dem Wesen Gottes führt. Wie Eckhart einerseits die Substanz Gottes über die kategoriale Substanz erhebt, bezieht er andererseits die Beziehung als solche auf etwas außerhalb Gottes Stehendes, nämlich auf die Kreatur bzw. den Menschen. »Gott lässt aufgrund der Beziehung oder Hinordnung sowohl in sich wie auch in den Geschöpfen seine Fruchtbarkeit ausströmen« (Eccli. n. 12). 648 So versteht Eckhart die »Beziehung« zweifach: als die innergöttliche Beziehung und als die Beziehung Gottes zur Kreatur bzw. zum Menschen. Die Beziehung Gottes als solche ist für Eckhart notwendigerweise zweifach. »Die Beziehung bezieht sich auf das Gegenüberstehende« (vgl. Exod. n. 65): 649 Das Gegenüberstehende kann dabei einmal innergöttlich sein (die göttlichen Personen stehen einander gegenüber), ein anderes Mal aber außergöttlich (Kreatur bzw. Mensch). Eckhart versteht unter dem »Gegenüberstehenden« 650 beides zugleich, wie das obige Zitat aus Eccli. n. 12 zeigt. Die innergöttliche »Beziehung« bezieht sich als »Beziehung« notwendigerweise auf die »Beziehung« Gottes zum Außergöttlichen. Diese zweifache »Beziehung« ist korrelativ: Die innergöttliche »Beziehung« führt zur »Beziehung« Gottes zum Außergöttlichen. (»Das Ausfließen der Personen in der Gottheit [ist] der 132 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Grund für die Schöpfung«: Exod. n. 16; 651 schon in diesem theologisch völlig einwandfreien Satz zeigt sich diese Untrennbarkeit der innergöttlichen Beziehung und der Beziehung zum Außergöttlichen.) Gott ist in seiner »Beziehung« zum Außergöttlichen die »Beziehung« in sich selbst: »Gott als Vater« 652 im Trinitätsbegriff steht in notwendigem Zusammenhang mit dem »Vater unser« 653 vonseiten des Menschen. Diese Zusammengehörigkeit bringt Eckhart deutlich zum Ausdruck, indem er in kühner Formulierung sagt: »Denn, ehe die Kreaturen waren, war Gott hnochi nicht ›Gott‹« (EW I, S. 555; Pr. 52). 654 Kurz: Wenn die Kategorie »Beziehung« überhaupt auf Gott angewendet wird, dann erscheint er in seiner innergöttlichen Beziehung und zugleich in seiner Beziehung zum Außergöttlichen; das heißt für Eckhart: »Deswegen geht die Beziehung als einzige Kategorie bei Gott nicht in die Substanz über, sondern bleibt gleichsam draußen stehen« (Exod. n. 65). 655 Gott in seiner innergöttlichen Beziehung steht gleichsam draußen. Daher sagt Eckhart jetzt: »In Gott [gibt es] nur eine Kategorie, nämlich die Substanz« (Exod. n. 62); 656 und erst dann denkt Eckhart Gott die Beziehung als etwas »daneben und draußen Stehendes« (Exod. n. 65) 657 hinzu*. Oben haben wir gesehen, wie Eckhart durch die konsequente Aufrechterhaltung des Begriffs »Substanz« einerseits und die konsequente Weiterführung des Begriffs »Beziehung« andererseits zur realen Unterscheidung zwischen Gott in seiner »Substanz« und Gott in seiner »Beziehung« geführt wird. 2. »Unterschiedenheit gibt es weder in der Natur noch in den Personen entsprechend der Einheit der Natur. Die göttliche Natur ist Eins, und jede Person ist auch Eins und ist dasselbe Eine, das die Natur ist. Der Unterschied zwischen Sein und Wesenheit wird als Eins gefasst und ist Eins. Erst da, wo es hd. h. dieses Einei sich nicht mehr in sich verhält, da empfängt, besitzt und ergibt es Unterschied« (EW II, S. 325; VeM). 658 Hier handelt es sich um die Frage nach dem Verhältnis der Unterschiedenheit der Personen zur Einheit des göttlichen Seins. Obwohl Eckhart in der ersten Hälfte des Zitats die Einheit der Personen hervorhebt, kennt er doch auch die Unterschiedenheit der Personen, die in ihrer Natur eins sind; nur verweist er die Unterschiedenheit nach außen, außerhalb der göttlichen Natur, die in sich eins ist. »Erst * Zu diesen Ausführungen Eckharts vgl. J. Koch: Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters, S. 13.

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da, wo dieses Eine sich nicht mehr in sich verhält, da empfängt, besitzt und ergibt es Unterschiedenheit.« Eckhart unterscheidet in Gott nicht nur logisch, sondern – anders als die traditionelle Theologie – auch real das Eins-Sein in der Natur und das Unterschieden-Sein in der Dreiheit. Eigentümlich ist ihm, dass er aufgrund dieser realen Unterscheidung die Seligkeit des Menschen ausschließlich auf das EinsSein Gottes bezieht; so fährt Eckhart gleich anschließend an das obige Zitat fort: »Darum: Im Einen findet man Gott, und Eins muss der werden, der Gott finden soll« (EW II, S. 325; VeM). 659 »Und dieses Eine«, »in dem auch Gott-Vater-Sohn-und-Heiliger-Geist alle Unterschiede und Eigenschaften verliert und ihrer entblößt wird und Eins ist und sind«, »macht uns selig« (EW II, S. 281; BgT). 660 »Daher machen Vater und Sohn und Heiliger Geist selig, insofern sie eins sind. Im Einen gibt es ja überhaupt keine Unterschiedenheit« (Joh. n. 548). 661 (Über dieses Thema vgl. unten das zweite Kapitel.) 3. »Was haberi ist göttliche Ordnung? – Aus der göttlichen Macht bricht aus die Weisheit, und aus ihnen beiden bricht aus die Liebe, das ist der Brand; denn Weisheit und Wahrheit und Macht und die Liebe, der Brand, sind im Umkreis des Seins, das ein überschwebendes Sein ist, lauter ohne Natur. Dies ist seine Natur, dass er h= Gotti ohne Natur ist. Wer Gutheit oder Weisheit oder Gewalt bedenkt, der verdeckt das Sein und verdunkelt es in diesem Gedanken. Ein einziges Hinzudenken verdeckt das Sein« (EW I, S. 351; Pr. 31). 662 Es handelt sich hier um die Eigenschaften der Personen bzw. die trinitarischen Attribute wie »Macht, Weisheit und Liebe« oder »potentia, sapientia et bonitas«. In der ersten Hälfte des Zitats spricht Eckhart von der göttlichen Ordnung, die genau dem trinitarischen Prozess entspricht. Dann sagt er: »Die göttlichen Personen mit ihren Eigenschaften wie Macht, Weisheit und Liebe gehören zum ›Umkreis‹ 663 des Seins, das lauter, ohne Natur ist, des überschwebenden Seins oder des ›überseienden Seins‹«, wie Eckhart es auch nennt (s. unten). Was Eckhart dabei mit dem Wort »Umkreis« meint, scheint zunächst nicht ganz eindeutig zu sein, aber es wird klar, wenn er seinen Gedanken mit folgendem Satz fortführt: »Wer Gutheit, Weisheit und Gewalt (Macht), d. h. die trinitarischen Attribute, bedenkt, der verdeckt das lautere Sein.« Das lautere Sein Gottes ist also der trinitarischen Attribute ledig. Diese gehören zum »Umkreis«, d. h. zum Umkreis im Sinne der Peripherie des lauteren Seins. Sie sind nicht das göttliche Sein selbst, sondern seine Ausflüsse zum Menschen hin, so dass der Mensch sich Gott mit diesen Eigenschaften als 134 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

Gott denkt. Die trinitarischen Attribute sind in diesem Sinne aufgrund des »Hinzudenkens« 664 des Menschen dem Sein Gottes zugefallen. Sie sind »Zufall« 665 für das lautere Sein Gottes. »Es steht nämlich fest, dass die Unterscheidung der göttlichen Eigenschaften, zum Beispiel der Macht, der Weisheit, der Gutheit und dergleichen, ausschließlich Sache des [die Erkenntnis] gewinnenden Verstandes ist« (Exod. n. 58). 666 So ergibt sich auch hier derselbe Umstand, dass Eckhart die Eigenschaften der göttlichen Personen anerkennt, zugleich aber diese Eigenschaften an die Peripherie des lauteren Seins, welches Gott in sich selbst ist, verweist, und zwar an die Peripherie, die der Mensch mit seinem Denken noch erreichen kann*. Auf diese Weise vollzieht sich bei Eckhart das, was den Kernpunkt seines Gottesbegriffs ausmacht: die Trennung des Wesens Gottes von den göttlichen Personen, und zwar in Hinsicht auf die »nackte Wesenheit« 667 und die trinitarische »Beziehung«, wie im ersten Zitat, in Hinsicht auf »Eins-Sein und Dreiheit«, wie im zweiten Zitat, und in Hinsicht auf »Lauterkeit und Eigenschaften«, wie im dritten Zitat. Nach der allgemeinen Trinitätslehre ist das Wesen Gottes (essentia bzw. substantia) mit jeder der göttlichen Personen identisch. Und die Identität einer jeden Person mit dem Wesen Gottes gewährt auch die Einheit der Personen miteinander. In der Einheit der Personen verwirklicht sich das Wesen Gottes vollkommen und endgültig. Daher ist das Wesen Gottes die göttliche Natur selbst, welche das Prinzip der inneren Einheit der Personen ist. Nach der traditionellen Trinitätslehre ist es also unmöglich und bedeutungslos, Gottes Wesen von den Personen zu trennen. Eckhart, der von dem neuplatonischen Begriff des Einen durchdrungen war, musste das Wesen Gottes als lauteres Eins hinter und über die drei Personen, jenseits der Drei-einigkeit des trinitarischen Gottes verlegen, weil der trinitarische Gottesbegriff neben der Einheit die Unterscheidung und die qualifizierten Eigenschaften impliziert, weil Gott in seiner Trinität noch mit der Zahl zu tun hat, noch namen- und bildhaft ist. Man könnte sagen, dass Eckhart zwischen dem Wesen und der Natur Gottes unterschei-

* Zu unserem Zitat aus EW I, S. 351 (DW II, S. 119 f.) vgl. Josef Quint einerseits (Die Überlieferung der Deutschen Predigten Meister Eckharts, Bonn 1932, S. 474) und W. Bange (a. a. O., S. 112) andererseits. Banges Einwand gegen die Bemerkung Quints ist keine Verteidigung Eckharts im Sinne der Orthodoxie. Denn die immanenten göttlichen Personen befinden sich nach Eckhart noch nicht im Innersten des göttlichen Seins.

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det. Die »eine Natur« 668 Gottes ist die innergöttliche Einheit, die der Dreiheit der Person zugewandt ist, während das Wesen Gottes als absolute Einheit keine Beziehung zur Dreiheit und zu den Eigenschaften der Person hat und sozusagen auf der Rückseite der den Personen zugewandten göttlichen Natur liegt.

b)

Das Überleitungsmodell vom trinitarisch-personalistischen zum impersonal-apophatischen* Gottesbegriff: »Gott ist gut durch sein Wesen«

Um die Überleitung vom trinitarischen zum apophatischen Gottesbegriff bei Eckhart anschaulicher zu machen, wollen wir einen Satz Eckharts aufgreifen und anhand dieses Beispiels den überleitenden Gedankengang zusammenfassend wiederholen. Der gewählte Satz lautet: »Gott ist gut durch sein Wesen.« 669 1. Dieser Satz ist ein theologisch korrekter, »normaler« Satz. Er ist zunächst in theistisch-personalistischem Sinne zu verstehen. Gott ist in seinem Wesen gut und seine Güte richtet sich auf den Menschen. Der Mensch, der Gottes Güte empfängt, erwidert sie, indem er Gott liebt, weil Gott gut ist. Auf Gottes Güte kann sich der Mensch verlassen, denn Gott bleibt in seiner Güte unveränderlich, weil er in seinem Wesen gut ist. 2. Eckhart bleibt aber nicht bei dieser personalen Gnade-LiebeBeziehung stehen; er zieht aus demselben Satz radikale Konsequenzen. Gott ist gut durch sein Wesen, das heißt: Es gehört zu seinem Wesen, dass er gut ist. Gott kann sich nicht enthalten, gut zu sein. Gott kann nicht aufhören, gut zu sein. Die erste Konsequenz lautet deshalb: Gott muss gut sein, sofern er Gott ist. Dieses »Müssen« Gottes hebt Eckhart immer wieder in verschiedenen Formulierungen hervor. »Gottes Natur, sein Sein und seine Gottheit hängen daran, dass er in der Seele wirken muss« (QQ. S. 271; Pr. 109). 670

* »Wir nennen darum das Gedankenschema, das die Wesenheit in einsame Höhe emporrückt und zugleich wegreißt von den Personen im göttlichen Bereich, wegreißt von den Vermögen im kreatürlichen Bereich, das apophatische Modell« (B. Dietsche, a. a. O., S. 207).

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Eckharts Gottesbegriff

»Es gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele in derselben Weise, wie er ihn in der Ewigkeit gebiert und nicht anders. Er muss es tun, es sei ihm lieb oder leid« (EW I, S. 83; Pr. 6). 671 »Man [soll] Gott nicht danken, dass er uns liebt, denn er muss es von Not, sondern ich danke hGotti, dass er so gut ist, dass er von Not liebt« (Serm. n. 56). 672 »Ich will Gott niemals dafür danken, dass er mich liebt, denn er kann’s hgari nicht lassen, ob er wolle oder nicht, seine Natur zwingt ihn dazu. Ich will ihm dafür danken, dass er’s in seiner Güte nicht lassen kann, mich zu lieben« (EW II, S. 97; Pr. 73). 673 »Ich sage: Ich will Gott nicht darum bitten, dass er mir gebe; ich will ihn auch nicht dafür loben, dass er mir gegeben hat. Ich will ihn vielmehr bitten, dass er mich würdig mache zu empfangen, und will ihn dafür loben, dass er der Natur und des Wesens ist, dass er geben muss« (EW I, S. 303; Pr. 26). 674 Als Eckharts Sprachgebrauch – sein »Müssen« Gottes – beanstandet wurde, erwiderte er wie folgt: »Und wenn es heißt: ›Er muss es tun‹, so ist dies wahr, wenn auch emphatische Redeweise, um Gottes Güte und Liebe zu preisen, der ganz und gar gut ist durch sein Wesen« (RSdt S. 122). 675 Was mit dem »emphatischen Ausdruck« »Müssen« gemeint ist, ist für Eckhart »wahr«; und es ist von großer Bedeutung für seinen Gottesbegriff, wie auch für seine Auffassung von der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Das »Müssen« Gottes weist auf eine Notwendigkeit, eine Unwillkürlichkeit der innergöttlichen Natur hin. Man darf es nicht als bloße rhetorische Emphase hinweginterpretieren. »Gott liebt uns«, das heißt: Wir werden von der Liebe Gottes umschlossen. »Gott muss uns lieben«, das heißt: Wir werden nicht nur von dem Lieben, sondern auch von dem Lieben-Müssen Gottes getroffen und werden von Gott in den Bereich, in dem das Müssen Gottes waltet, nämlich in die göttliche Natur bzw. in das Wesen Gottes, einbezogen. »Gottes Natur zwingt Gott selbst dazu.« Wenn Eckhart vom »Müssen« Gottes spricht, dann kommt darin zum Ausdruck, dass es ihm nicht allein auf die personale Güte bzw. Liebe Gottes ankommt, sondern auch auf sein Wesen, durch welches er gut sein muss. Es handelt sich nicht nur um den Gnadenbereich, sondern auch um den Wesensbereich Gottes. Darin, dass Gott gut sein muss, berührt Gott den Menschen nicht nur mit seiner Güte, sondern auch mit seinem Wesen, wodurch die Beziehung zwischen Gott und 137 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Mensch nicht nur gnadenhaft, sondern auch gottnaturhaft ist. So sieht Eckhart hinter der personalen Gnade-Liebe-Beziehung zwischen Gott und dem Menschen eine Notwendigkeit der göttlichen Natur, eine Unwillkürlichkeit der Beziehung, welche durch die göttliche Natur bewirkt wird. Die personale Gnade-Liebe-Beziehung ist für Eckhart nur der Vorhof zu dem Bezirk, in welchem das höhere Müssen der innergöttlichen Natur waltet. Um die Unwillkürlichkeit der Beziehung, die im Müssen Gottes zum Ausdruck gebracht ist, anschaulicher zu erklären, bedient sich Eckhart manchmal sogar eines Beispiels aus dem physikalischen Bereich, wie dem des luftleeren Raumes oder der räumlichen Beziehung von oben und unten, und nennt Gott in dieser Hinsicht »den Meister der Natur«. »Wisse! Gott kann nichts leer noch unausgefüllt lassen; Gott und die Natur können nicht dulden, dass irgendetwas unausgefüllt oder leer sei. […] Gott, der Meister der Natur, duldet es ganz und gar nicht, dass irgendetwas leer sei. Darum steh still und wanke nicht von diesem Leersein« (QQ. S. 437; Pr. 103) 676 (Unausgefülltheit, LeerSein als Metapher für die Abgeschiedenheit). »Wo und wann Gott dich bereit findet, muss er wirken und sich in dich ergießen; ganz so, wie wenn die Luft lauter und rein ist, die Sonne sich (in sie) ergießen muss und sich dessen nicht enthalten kann« (QQ. S. 435; Pr. 103). 677 »Gottes Natur ist es, dass er gibt, und sein Sein hängt daran, dass er uns gebe, wenn wir unten sind« (EW I, S. 57; Pr. 4) 678 (das »UntenSein« als Symbol für die Demut: »[Man] muss also demütig sein, […] [da] das Obere seiner Natur und Eigenheit nach in das Niedere einströmt und sich ihm mitteilt und zwar ihm allein«: Joh. n. 318) 679. Diese Unwillkürlichkeit der Beziehung hat ihren Grund nicht nur in Gott, sondern auch im Menschen. Eckhart bringt das zum Ausdruck, indem er vom »Gott-Zwingen« des Menschen spricht. »Dass Abgeschiedenheit haberi Gott zu mir zwinge« (EW II, S. 437; Abg). 680 »Diese zwei (Schauen u. Friede) zwingen Gott; hast du die an dir, so muss er in dir geboren werden« (EW I, S. 155; Pr. 13). 681 Dieser Gedanke in seinen verschiedenen Formulierungen, wie »Gottes-gewaltig-Sein« oder »Gott-Gebieten« usw., wurde, wie zu erwarten, von den Zensoren beanstandet. Der folgende beanstandete Satz Eckharts gehört zu diesem Gedankenkreis: »Gott kann es nicht anders als sich ergießen in einen wahrhaft demütigen Menschen. Der demütige Mensch hat es nicht nötig, Gott 138 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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um etwas zu bitten; er kann über Gott verfügen (Der wahrhaft demütige Mensch braucht Gott nicht zu bitten, er kann Gott gebieten: EW I, S. 169; Pr. 14). Der demütige Mensch ist Gottes so mächtig, wie er selbst, Gott nämlich, mächtig ist über sich selbst (der demütige Mensch ist Gottes so gewaltig, wie er seiner selbst gewaltig ist)« (RSdt S. 107). 682 Eckharts Erwiderung: »Ich kann nur sagen, dass dies gänzlich wahr, sittlich erbauend und fromm ist, wenn auch emphatisch ausgedrückt« (RSdt S. 107). 683 Wie in seiner oben genannten Antwort in Bezug auf den Sprachgebrauch von »Müssen« gibt Eckhart auch hier zu, dass der betreffende Ausdruck »emphatisch« ist; zugleich aber betont er, dass das, was damit gemeint ist, völlig wahr ist. Im obigen Zitat ist von dem »demütigen« Menschen die Rede. Es fällt aber auf, in welcher Weise Eckhart von der Demut spricht. »Der demütige Mensch braucht Gott nicht zu bitten, er kann Gott zu sich gebieten, zu sich zwingen.« »Wenn der Mensch unten ist, dann muss Gott ihm sich selbst geben, weil das Obere dem Unteren sich selbst mitteilt, wie es in der Natur geschieht.« Indem der Mensch »unten« ist, gehört er dem Bereich des Müssens Gottes an. Das ist die Bedeutung des Gott-Zwingens. Wenn der Mensch aber in diesen Bereich eindringt, muss er seinerseits das Persönliche, Personhafte und Willkürliche aufgeben. Denn die Unwillkürlichkeit der Beziehung gilt auch dem Menschen: »Gott gebiert seinen eingeborenen Sohn in dir, es sei dir lieb oder leid« (EW I, S. 263; Pr. 22). 684 So besagt das »Gott-Zwingen« keine persönliche und personhafte Verfügung des Menschen über Gott, sondern das Walten-Lassen des Müssens über sich selbst und über Gott. In einem der oben genannten Zitate heißt es: »Ich danke Gott nicht dafür, dass er mich liebt. Ich danke Gott vielmehr dafür, dass er mich lieben muss.« »Ich danke Gott dafür, dass er mich liebt«: D. h., das Danken des Menschen, das dem Lieben Gottes gilt, drückt sich aus im erwidernden Lieben Gottes gegenüber; »ich danke Gott dafür, dass er mich lieben muss«: D. h., das Danken des Menschen, das dem LiebenMüssen Gottes gilt, bedeutet das Eindringen in den Bereich des göttlichen Müssens und das Walten-Lassen des Müssens Gottes über sich selbst. Nicht mit der Liebe zu Gott, sondern mit dem Gott-Zwingen dankt der Mensch Gott dafür, dass er den Menschen lieben muss. Bei dem »Müssen« auf Seiten Gottes und dem »Gott-Zwingen« auf Seiten des Menschen handelt es sich um eine und dieselbe unpersönliche und unwillkürliche dynamische Beziehung zwischen Gott und 139 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Mensch, welche durch die den Menschen umschließende göttliche Natur bewirkt wird: Und diese Beziehung ist zugleich die göttliche Natur selbst. Diese unwillkürliche dynamische Beziehung zwischen Gott und Mensch bezeichnet Eckhart oft auch nach Art eines Korrelationsverhältnisses. Einige Beispiele dafür: »Geh’ völlig aus dir selbst heraus um Gottes willen, so geht Gott völlig aus sich selbst heraus um deinetwillen« (EW I, S. 73; Pr. 5B). 685 »In der Wahrheit: Wenn wir ihm h= Gotti alles aufdecken, so deckt er uns wiederum alles auf, was er hat. […] Decken wir’s ihm nicht auf, so ist es kein Wunder, wenn er’s uns dann auch nicht aufdeckt« (EW I, S. 139; Pr. 11). 686 »Je mehr du dich Gott hingibst, umso mehr hinwieder gibt Gott sich dir selbst« (EW I, S. 313; Pr. 27). 687 »Wäre die Seele gänzlich entblößt oder enthüllt von allem Vermittelnden, so wäre hauchi Gott für sie entblößt und enthüllt und gäbe Gott sich ihr gänzlich« (EW II, S. 45; Pr. 69). 688 Wie wir sahen, hebt Eckhart schon in der Bild-Urbild-Beziehung den Charakter der Unwillkürlichkeit hervor: »Das eine (eine der zwei Eigenschaften des Bildes) ist, dass es (das Bild) von dem, dessen Bild es ist, sein Sein unmittelbar empfängt, unwillkürlich. […] Wenn das Antlitz vor den Spiegel gerückt wird, so muss das Antlitz darin abgebildet werden, ob es wolle oder nicht« (EW I, S. 189; Pr. 16B). 689 Diese Bild-Urbild-Beziehung, die »unwillkürlich« 690 ist, nennt Eckhart dort »einen natürlichen Ausgang« 691. Eine solche Beziehung (»nicht durch den Willen hdes Vatersi sondern naturhaft«: vgl. Serm. n. 512) 692 darf nach dem gewöhnlichen Trinitätsbegriff nur innerhalb der göttlichen Natur angenommen werden. Bei Eckhart aber, der eine radikale Auffassung von der Bild-Urbild-Beziehung vertritt (»dass […] er seine Natur […] gänzlich darein unwillkürlich erbildet; […] und die Natur ergießt sich völlig in das Bild […]«: EW I, S. 189; Pr. 16B), 693 befindet sich die Seele als Bild Gottes innerhalb der göttlichen Natur; Bild und Urbild durchdringen einander, und dies ist die Dynamik der innergöttlichen Natur selbst. »Hier ist Gott unvermittelt in dem Bilde, und das Bild ist unvermittelt in Gott« (EW I, S. 191; Pr. 16B). 694 So gilt das Gesetz der innergöttlichen Natur auch für die Beziehung zwischen Gott und der Seele. Die Beziehung von der Seele zu Gott ist von einer und derselben Gesetzlichkeit getragen wie die Beziehung von Gott zur Seele. Gott muss, das heißt: Die Seele zwingt Gott. Wir waren ausgegangen von dem Satz: »Gott ist gut durch sein Wesen.« Und wir haben gesehen, dass es Eckhart dabei nicht allein 140 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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auf Gottes Güte ankommt, sondern auch auf Gottes Wesen, durch welches er gut sein muss. Das ist der erste Schritt Eckharts von der theistisch-personalistischen Auffassung Gottes zur apophatischen Auffassung des Wesens Gottes. 3. Was das Wesen Gottes selbst anbelangt, so zieht Eckhart daraus, dass Gott durch sein Wesen gut ist, eine weitere Konsequenz, nämlich die, dass Gott in sich selbst, in seinem Wesen nicht gut ist. Das Wesen Gottes, durch welches Gott gut ist, ist in sich selbst nicht gut. »Gut ohne Güte« (»gut ohne Gutheit«; »groß […] ohne Menge, gut […] ohne Eigenschaft«: vgl. EW I, S. 107; Pr. 9; Serm. n. 182) 695 sagt schon Augustin; Eckhart geht einen Schritt weiter zum eigenschaftslosen bloßen Wesen Gottes. Die Vorstufe dazu zeigt sich, wenn Eckhart sagt: »Denn Gott ist liebender und wollender Gott durch die Liebe und den Willen, die hsein Gottseini begleiten; […] Er ist aber nicht Gott durch eine Liebe und einen Willen, die der Ursprung hseines Gottseinsi wären; denn so gingen Liebe und Wille der Substanz und dem Sein Gottes selbst voraus« (Joh. n. 166). 696 Gott ist Liebe, 697 und zwar in der Weise, dass die Liebe das Sein Gottes begleitet, aber nicht in der Weise, dass Gott erst durch die Liebe Gott wäre (dann ginge die Liebe als der Ursprung Gottes der Substanz und dem Sein Gottes selbst voraus). Die weitere, Maimonides* folgende Argumentation Eckharts zur Frage der Eigenschaftslosigkeit Gottes kann etwa wie folgt zusammengefasst werden (vgl. Exod. n. 47–53, 62): »Gott ist und wirkt alles durch seine Substanz. Daraus folgt, dass es in Gott nur eine Kategorie gibt, nämlich die ›Substanz‹, durch die er ist, durch die er mächtig ist, weise, gut usw. Alle Eigenschaften gehen bei Gott in die Substanz über. Alle ›affirmationes‹, d. h. alle positiven Attribute kommen Gott in keiner Weise zu. Es gibt bei ihm keinerlei wesentliche oder ihm zufallende Bestimmungen (d. h. Attribute und Akzi-

* Die Frage nach dem Einfluss des Maimonides auf Eckhart gehört zu den wichtigsten Themen der Eckhart-Forschung, denn: »Die Frage nach dem neuplatonischen Charakter des Eckhartschen Denkens ist weithin identisch mit der Frage nach den jüdischen und arabischen Quellen, die Meister Eckhart die Gedanken der neuplatonischen Religionsphilosophie übermittelt haben« (E. Benz: Zur neuesten Forschung über Meister Eckhart, in: Zeitschr. f. Kirchengeschichte, 57, 1938, S. 566–596, S. 589). Hierzu vgl. Wolfgang Kluxen: Maimonides und die Hochscholastik, in Philos. Jahrbuch 63, 1955, S. 151–165; Éttienne Gilson: Maimonide et la philosophie de l’Exode, in: Mediaeval Studies 1951, S. 223 f.; besonders Josef Koch: Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters 1928. Über die so genannte Attributenlehre des Maimonides vgl. bes. J. Koch: a. a. O., S. 8.

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denzen). Irgendwelche Eigenschaften, die zum Wesen hinzukämen, gibt es in Gott nicht und kann es nicht geben. Jede Eigenschaft ist ein Zusatz zu der Substanz, mit dem diese verbunden wird. Das widerspricht aber der Lauterkeit und Unvermischtheit der göttlichen Natur.« 698 Kurz: Wenn Gott durch sein Wesen gut ist, dann sind bei Gott Gut-Sein und Sein dasselbe, und die Eigenschaftsbezeichnung »gut« ist dann überflüssig, sie ist äußere Hinzufügung und Verhüllung des bloßen Wesens Gottes, welches über allen Eigenschaften steht. So musste Eckhart sagen: »Sage ich weiterhin: ›Gott ist weise‹ – es ist nicht wahr: Ich bin weiser als er« (EW II, S. 191; Pr. 83). 699 »Gott ist nicht gut (deus non est bonus) noch besser noch allerbest. Wer da sagte, Gott sei gut, der täte ihm ebenso unrecht, wie wenn er die Sonne schwarz nennen würde« (EW I, S. 109; Pr. 9). 700 Dieser Satz wurde von den Zensoren beanstandet; Eckhart antwortet darauf in seiner Rechtfertigungsschrift: »Ja gewiss ist Gott, weil über alle Namen, womit wir ihn nennen könnten, darüber erhabener als Weiß über Schwarz« (RSdt S. 130). 701 »Gott ist nicht gut«, das besagt nach Eckhart nicht, dass Gott die Eigenschaft »gut« fehlte, auch nicht, dass Gott eine »gut« entgegengesetzte Eigenschaft besäße, sondern dass Gott über alle Eigenschaftsbestimmung erhaben ist. Dennoch wurde der betreffende Satz in der Bulle von 1329 verurteilt (art. Ergänzung 2). Aus dem Satz »Gott ist gut durch sein Wesen« folgert Eckhart hier also: Gott ist aber in seinem Wesen selbst nicht gut, d. h. Gottes Wesen ist aller Eigenschaften ledig und über alle Eigenschaftsbestimmungen erhaben. Das ist der zweite Schritt zum impersonalen Verständnis des Wesens Gottes. So ist es für Eckhart charakteristisch, dass er von einem Satz, den ein orthodoxer Scholastiker noch annehmen kann, nämlich: »Bei Gott sind Gut-Sein und Sein dasselbe« unmittelbar einen Sprung zur Attributenlehre des Maimonides wagt. 4. Trotzdem verlieren bei Eckhart die göttlichen Eigenschaften ihre Gültigkeit nicht völlig. »Gott ist gut durch sein Wesen.« Das besagt doch: Gott ist gut; es besagt aber, wie wir oben gesehen haben, nicht, dass Gott in seinem Wesen selbst gut wäre, sondern dass Gott durch sein Wesen gut ist nur insofern, als »er sich auf das Gegenüberstehende bezieht« (Exod. n. 71) 702, sich nach außen bzw. dem Menschen zuwendet. Wenn es heißt: »Gott ist gut durch sein Wesen«, dann muss es jemanden geben, dem Gott sich als gut zeigt und der da sagt, »Gott ist gut«. »Das ›Haus Gottes‹ ist die Einheit seines Seins! […] Aber da, wo er schmilzt, da schmilzt er aus. Sein Ausschmelzen ist seine Gutheit« (EW I, S. 215; Pr. 19). 703 »Gott [ist], in142 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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sofern er gut ist, der Ursprung des Übersprudelns nach außen« (Serm. n. 258). 704 »Ich sagte neulich von der Pforte, aus der Gott ausschmilzt, dies sei die Gutheit. Das Sein aber ist das, was sich in sich selbst hält und nicht ausschmilzt, es schmilzt vielmehr ein. Das hinwiederum ist Einheit, was sich in sich selbst hält als Eins und getrennt von allen Dingen und sich nicht nach außen mitteilt. Gutheit aber ist das, worin Gott ausschmilzt und sich allen Kreaturen mitteilt« (EW I, S. 209; Pr. 18). 705 Gott ist zwar durch sein Wesen gut, aber nur sofern er aus seinem Wesen herausschmilzt nach außen bzw. zum Menschen hin, so dass der Mensch Gott in seiner Güte als Gott annehmen kann. Andererseits wird aber gerade dadurch, dass Gott sich dem Menschen als Güte zeigt und dass der Mensch Gott als Güte annimmt, das bloße Wesen Gottes verborgen, und die betreffende Beziehung zwischen Gott und Mensch tritt als etwas Äußerliches zum Wesen Gottes hinzu. »Gutheit ist ein Kleid, darunter Gott verborgen ist« (EW I, S. 113; Pr. 9). 706 So kommt es Eckhart darauf an, durch die Güte, die Ankündigung Gottes dem Menschen gegenüber, durch das Gut-sein-Müssen Gottes, die erste Verkündigung des Wesens Gottes, hindurch bis zum Wesen Gottes selbst durchzubrechen. Ich habe versucht, anhand der verschiedenen Aussagen Eckharts darüber, dass Gott durch sein Wesen gut ist, die innere Einheit und Dynamik seiner Gedankengänge anschaulich zu machen.

3.

Die Gottheit (Gottes Grund)

a)

Gott und Gottheit

Das Wesen Gottes (die nackte Wesenheit bzw. die lautere Substanz schlechthin) 707 nennt Eckhart, seinem im vorhergehenden Abschnitt dargestellten Verständnis entsprechend, in seinen deutschen Predigten »Gottes Grund«, 708 um es vom Wesen Gottes im trinitarischen Sinne zu unterscheiden, oder »Gottheit«, 709 um es von dem trinitarischen Gott zu unterscheiden. (Im Einzelnen sind die Bezeichnungen verschieden; einige Beispiele dafür: »Gottes Gottheit«, »Grund göttlichen Seins«, »Grund der Gottheit«, »Grund des Seins«, »die Quelle der Gottheit« oder – noch innerhalb des Trinitätsschemas –

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»Grund des Vaters« bzw. »der Ursprung und der Grund des Vaterseins« usw.). 710 Eckhart sagt: »Wieder will ich sagen, was ich hnochi nie gesagt habe: Gott und Gottheit sind so weit voneinander verschieden wie Himmel und Erde« (QQ. S. 272; Pr. 109). 711 Der Unterschied zwischen »Gott« und »Gottheit«, wie Eckhart ihn macht, kann wie folgt zusammengefasst werden: 1. »Gott« ist Gott, wie er aus seinem einfaltigen Eins-Sein heraus sich in der Trinität entfaltet und wie er über sich selbst hinaus nach außen ausfließt, nämlich wie er »schmilzt« und »ausschmilzt« (EW I, S. 215; Pr. 19): »schmelzen« für bullire, »ausschmelzen« für ebullire). 712 »Gott in seiner Einheit, […] in seinem eigenen Grunde […] und im Eigentum seiner eigenen Natur« (EW I, S. 129; Pr. 10), 713 das heißt: »Gottheit« ist Gott, wie er in sich selbst ist, wie er in sich eins ist und wie er noch vor dem trinitarischen Prozess in sich selbst ruht. »Eins dagegen legt nichts zu, dort, wo er h= Gotti in sich selbst ist, ehe er ausfließt in den Sohn und in den Heiligen Geist« (EW I, S. 249; Pr. 21). 714 »Dort sitzt er in seinem Eigensten, in seinem esse, ganz in sich, nirgends außerhalb seiner« (EW I, S. 215; Pr. 19). 715 »Gottheit« ist das Innerste Gottes, wo er abseits von jeder Beziehung, sowohl von der innergöttlichen Beziehung der Personen zueinander als auch von der Beziehung zum Außergöttlichen, sich selbst in sich selbst genießt (»wo er sich selbst genießt, […] sich selbst im einigen Einen«: EW I, S. 543; Pr. 51) 716. Gott ist als Schöpfer unvergleichlich erhaben über die Kreatur, er ist aber gerade in seinem Erhaben-Sein über die Kreatur auf sie zurückbezogen. Dieser Zusammengehörigkeit mit der Kreatur kann »Gott« als der Schöpfer sich nicht entledigen. Gott ist zwar die Transzendenz, aber gerade als die Transzendenz bezieht er sich auf das zurück, dem gegenüber er Transzendenz ist. »Gottheit« ist dagegen die wahre Transzendenz, nicht nur jenseits der Kreatur, sondern auch jenseits »Gottes«, der sich zur Kreatur als Transzendenz verhält. 2. »Gott« ist Gott, wie er sich der Kreatur und besonders dem Menschen zuwendet und sich als »etwas« zeigt, sei es als Dreieinigkeit, sei es als Schöpfer, sei es als Liebe, sei es als Wahrheit, sei es auch als »Gott«; insofern ist »Gott« immer noch bildhaft. Die zweite göttliche Person z. B., Gottes Sohn, ist Bild Gottes, 717 damit und darin Gott sich in sich selbst bildlos erkennt und sich zugleich dem Menschen bildhaft (sofern er als Sohn vorstellbar und nennbar ist) zeigt. 144 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Die trinitarischen Attribute und die so genannten Transzendentalien, 718 wie gut, gerecht, wahr usw., sind das Kleid, in welchem Gott sich dem Menschen zeigt und zugleich sich selbst verbirgt. »Gott« ist die Außenseite Gottes. Wo Gott sich als etwas, als Bildhaftes dem Menschen zeigt, dort spielt die Einbildung vonseiten des Menschen mit (der Mensch stellt sich Gott als Gott vor); insofern ist Gott noch vom Menschen »berührt«. »Gottheit« jedoch ist Gott, wie er in sich selbst »geläutert« und »unverhüllt« ist, »wo hihmi nichts zugelegt ist, wo nichts hhinzu-i gedacht ist« (EW I, S. 249; Pr. 21). 719 »Gottheit« ist Gott in seinem Kleidhaus, wo er seine göttliche Kleidung ablegt (»rein in der Kleiderkammer, wo er aufgedeckt und entblößt in sich selbst ist«: EW I, S. 429; Pr. 40) 720, in seinem Badezimmer, wo er nackt, nudus ist. Als »Gottheit« bleibt er daher vom Menschen und dessen Vorstellung, Einbildung und Begriffen »unberührt« (EW I, S. 249; Pr. 21). 721 3. »Gott wirkt, die Gottheit wirkt nicht, sie hat auch nichts zu wirken. In ihr ist kein Werk. Sie gelugt auch nach keinem Werke aus« (QQ. S. 273; Pr. 109). 722 So schreibt Eckhart die Schöpfungstätigkeit wie die Heilstätigkeit durch die Menschwerdung nur »Gott« zu. »Gottheit« ist weit erhaben über das Werk, sie ist »eine einfaltige Stille, […] in sich selbst unbeweglich« (EW I, S. 509; Pr. 48). 723 In diesem Sinne spricht Eckhart von der Abgeschiedenheit Gottes, die auch von der Schöpfung des Himmels und der Erde, von der Menschwerdung des Sohnes und von seinem Leiden nicht bewegt wird: »Denn dass Gott Gott ist, das hat er von seiner unbeweglichen Abgeschiedenheit, und von der Abgeschiedenheit hat er seine Lauterkeit und seine Einfaltigkeit und seine Unwandelbarkeit. […] Nun sollst du wissen, dass Gott in dieser unbeweglichen Abgeschiedenheit von Ewigkeit her gestanden hat und noch steht, und sollst wissen, dass, als Gott Himmel und Erde erschuf, das seine unbewegliche Abgeschiedenheit so wenig anging, als ob nie eine Kreatur geschaffen worden wäre. […] Ich sage zudem weiter: Als der Sohn in der Gottheit Mensch werden wollte und ward und die Marter erlitt, ging das die unbewegliche Abgeschiedenheit Gottes so wenig an, wie wenn er nie Mensch geworden wäre« (EW II, S. 443; Abg). 724

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b)

Das Nichts der Gottheit: die negative Theologie bei Meister Eckhart

»Was« aber ist Gott in seinem Grunde, »was« ist die Gottheit, wie sie in sich selbst eins, lauter und unbeweglich ist? 1. »So also reden alle Kreaturen von ›Gott‹. Und warum reden sie nicht von der Gottheit? Alles das, was in der Gottheit ist, das ist Eins, und davon kann man nicht reden« (QQ. S. 273; Pr. 109). 725 Das »Was« der Gottheit überragt jede Bestimmung. Mit Worten kann man nur auf sie hinweisen, indem man sagt, was sie nicht ist. Diese Negation bedeutet dabei nicht den Mangel, 726 sondern vielmehr die Übersteigerung. »Gottheit« ist »Nicht-Gott«, d. h. »Über-Gott« (Nicht-Gott: EW II, S. 197; Pr. 83; 727; »übergotte[r] Gott«: QQ. S. 421; Pr. 101). 728 So bedient sich Eckhart in diesem Zusammenhang oft der Negation, die mit der Übersteigerung verbunden ist. Dabei ist unverkennbar, dass Eckhart fest in der Tradition der negativen Theologie steht. Einige Beispiele dafür: »unbegreifbar«, »unerkennbar«, »unergründlich«, »ohne Namen«, »ohne Weise«, »ohne Werk«, »grundlos«, »weder dies noch das«, »ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, ein Nicht-Bild« (EW II, S. 197; Pr. 83); 729 (Übersteigerung:) »über alles Lob«, »über alles erhaben«, »Über-Licht«, »Über-Leben«, »Über-Weise«, »Über-Werk«, »Überfülle der Gottheit« (EW I, S. 269; Pr. 23) 730 usw. Negative oder übersteigernde Bezeichnungen, bzw. Formulierungen dieser Art finden sich immer wieder in den deutschen Predigten Meister Eckharts. »Die Grundlosigkeit Gottes«, 731 »[der] Grund, der grundlos ist« (EW I, S. 457; Pr. 42), 732 »die stille Wüste« (EW I, S. 509; Pr. 48), 733 »die verborgene Heimlichkeit seiner verborgenen Gottheit« (EW I, S. 265; Pr. 22), 734 »Grund der Gottheit« (EW I, S. 175; Pr. 15), 735 »das stille Dunkel der verborgenen Vaterschaft« (EW I, S. 265; Pr. 22), 736 »Gott in seiner Einheit und in seiner Einöde; […], Gott in seiner Wüste und in seinem eigenen Grunde […], Gott in seiner Gottheit und im Eigentum seiner eigenen Natur« (EW I, S. 129; Pr. 10), 737 »Abgrund seiner Gottheit« (EW I, S. 145; Pr. 12), 738 »Schloss der Gottheit« (EW I, S. 273; Pr. 23), 739 »unergründliche Gottheit« (EW I, S. 169; Pr. 14), 740 »die Finsternis oder die Unerkanntheit der verborgenen Gottheit« (EW I, S. 181; Pr. 15), 741 »das verborgene Dunkel der ewigen Gottheit« (EW I, S. 265; Pr. 22). 742 2. In diesem Zusammenhang ist besonders der Begriff des »Nichts« zu beachten, den Eckhart manchmal auf Gott bzw. auf die »Gottheit« anwendet. 146 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

»›Gott ist ein Sein‹ – es ist nicht wahr: Er ist ein überseiendes Sein und eine überseiende Nichtheit« (EW II, S. 191; Pr. 83). 743 »Gott ist nichts; nicht so hjedochi, dass er ohne Sein wäre: Er ist hvielmehri weder dies noch das, was man auszusagen vermag; er ist ein Sein oberhalb allem Seins. Er ist ein seinsloses Sein« (EW II, S. 187; Pr. 82). 744 »›Paulus stand auf von der Erde, und mit offenen Augen sah er nichts‹. Ich kann nicht sehen, was eins ist. Er sah nichts, das war Gott. Gott ist ein Nichts, und Gott ist ein Etwas. […] Daher sagt der erleuchtete Dionysius, wo immer er von Gott schreibt, da sagt er: Er ist heini Über-Sein. […] Sieht einer irgendetwas oder fällt irgendetwas in dein Erkennen, so ist das nicht Gott, eben deshalb nicht, weil er weder ›dies‹ noch ›das‹ ist« (EW II, S. 73; Pr. 71). 745 »Wenn ich aber gesagt habe, Gott sei kein Sein und sei über dem Sein, so habe ich ihm damit nicht das Sein abgesprochen, vielmehr habe ich es in ihm erhöht« (EW I, S. 107; Pr. 9). 746 Diese Zitate zeigen, in welchem Sinne Eckhart Gott als ein Nichts bezeichnet. Indem Eckhart sagt, »Gott ist ein Nichts«, beraubt er Gott nicht des Seins überhaupt (anders, als wenn er vom Nichts der Kreatur spricht – »Alle Kreaturen hnuni haben kein Sein« (EW I, S. 53; Pr. 4); 747 dies ist für Eckhart die unumgängliche Konsequenz davon, dass »nichts außerhalb Gottes ist«, 748 wobei die Auffassung von Gott als Sein 749 zugrunde liegt – »[…] Gott [ist] das Sein selbst und […] sein Wesen [ist] das Sein selbst« (Exod. n. 158) 750), sondern er erhebt Gott zum Übersein, nämlich über alles Sein, das der Mensch als dies oder das zu erkennen bzw. aufzufassen vermag. Gott ist ein Nichts, und zwar für den Menschen, aber Gott an sich ist nicht Nichts, sondern »ein Etwas«, 751 und zwar »Sein über allem Sein«, das Übersein, das über jede Seinsbestimmung erhaben ist, wobei das »Über« des Überseins an sich die Lauterkeit des Seins besagt*. Das »Über« des Überseins setzt dem Menschen in seiner Seinserkenntnis eine prinzipielle Grenze; die Negation »Gott ist ein Nichts« gilt nicht Gottes Sein selbst, sondern dem Menschen; »Gott ist ein Nichts«, das heißt: Gott als das Übersein ist für den Menschen unbegreifbar und unerkennbar. Das gilt aber nicht im erkenntnis* Zu diesem Gedankenkreis gehört auch Eckharts Bezeichnung Gottes als »Negation der Negation« (negatio negationis, versagen des versagennes (DW I, S. 361) [»Verneinen des Verneinens« (EW I, S. 249; Pr. 21)]). Vgl. J. Koch: Platonismus im Mittelalter, Kölner Universitätsreden 4, 1948, S. 30.

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theoretischen Sinne; sondern gerade als das Unbegreifliche, das Unerkennbare, ist Gott dem Menschen gegenwärtig, wobei Gott als das Übersein mit diesem »Über« den Menschen in seiner Seinserkenntnis blendet. Diese Blendung ist die Gotteserkenntnis des Menschen. »Gott ist ein derartiges Sein, dass man es nicht besser erkennt als durch nichts«. 752 In der Blendung kann der Mensch das Übersein nicht anders denn als ein Nichts auffassen. So ist Gott ein Nichts, aber nicht im ontologischen Sinne; sondern darin, dass Gott ein Nichts ist, ist Gott dem Menschen als das Übersein gegenwärtig und wird er vom Menschen als das Übersein erfahren. 3. Nun begnügt sich Eckhart nicht mit dem oben genannten Begriff des Nichts, nach welchem Gott als das Übersein gerade wegen der »Überseiendheit« für den Menschen ein Nichts ist. Eckhart kennt einen radikaleren Begriff des Nichts, nach welchem Gott nicht für den Menschen, sondern auch für sich selbst unerkennbar und an sich selbst ein »Nichts« ist, das durch keine positive Bezeichnung ersetzt werden kann. Eckhart spricht einmal in seiner Auslegung des Passus »Gott ist ein wahres Licht, das da leuchtet in der Finsternis« (Joh 1,9.5) von dreierlei Finsternis: Von der ersten Finsternis heißt es: »Sankt Johannes spricht: ›Gott ist ein wahres Licht, das da leuchtet in der Finsternis‹ hvgl. Joh. 1,9.5i. Was ist diese Finsternis? Zum ersten: dass der Mensch an nichts hafte oder hänge und blind sei und nichts wisse von Kreaturen. Ich habe auch schon öfters gesagt: Wer Gott schauen will, der muss blind sein« (EW II, S. 85; Pr. 72). 753 Die erste Finsternis bedeutet, dass der Mensch nichts von der Kreatur weiß. Und das Licht, das in diese Finsternis leuchtet, bedeutet das Licht der Gnade. »Zum zweiten: ›Gott ist ein Licht, das da leuchtet in der Finsternis‹. Er ist ein Licht, das blind macht. Das meint ein so geartetes Licht, das unfassbar ist; es ist unendlich, das heißt, dass es kein Ende hat, es weiß nichts von einem Ende. Dies bedeutet, dass es die Seele blendet, sodass sie nichts weiß und dass sie nichts erkennt« (EW II, S. 87; Pr. 72). 754 Die zweite Finsternis, in die Gott als das Licht leuchtet, bedeutet, dass der Mensch von Gott nichts weiß, und zwar direkt getroffen und geblendet vom göttlichen Licht; von dem Licht, das Gott selbst ist, vom Licht der Glorie. »Soll Gott gesehen werden, so muss es in einem Lichte geschehen, das Gott selbst ist« (EW II, S. 67; Pr. 71). 755 »Das Licht, das Gott ist, das hat keinerlei Beimischung; es fällt keinerlei Beimischung hinein« (EW II, S. 75; Pr. 71). 756 »›Als er nichts sah, da 148 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Eckharts Gottesbegriff

sah er Gott‹. Das Licht, das Gott ist, das fließt aus und verfinstert alles handerei Licht« (EW II, S. 75; Pr. 71). 757 »Ferner aber kann […] unter dem Dunkel die Unermesslichkeit und der überhelle Glanz des göttlichen Lichtes verstanden werden« (Exod. n. 237). 758 Dieses Verhältnis von Licht und Finsternis entspricht genau dem oben erwähnten Verhältnis von Übersein und Nichts. Hinzu kommt aber noch die dritte Finsternis, auf welche es uns beim Verständnis des Begriffs des Nichts bei Eckhart ankommt: »Die dritte Finsternis ist die allerbeste und meint hjenei, in der es hüberhaupti kein Licht gibt. Ein Meister sagt: Der Himmel hat kein Licht, er ist zu hoch dazu: Er leuchtet nicht, er ist weder kalt noch warm in sich selbst« (EW II, S. 87; Pr. 72). 759 In der dritten Finsternis, die Eckhart die allerbeste nennt, leuchtet überhaupt kein Licht, weder das Licht der Gnade noch das Licht der Glorie. Sie ist jenseits des Lichts. Eckhart gibt hier keine weitere Erklärung, sondern weist mit dem Bild des Himmels darauf hin, dass die dritte Finsternis zu hoch ist für das Licht, auch für das göttliche Licht, und dass sie jenseits jedes Gegensatzes steht. Wir finden aber die betreffende Erklärung z. B. in folgendem Zitat: »Es ist das verborgene Dunkel der ewigen Gottheit und ist unerkannt und ward nie erkannt und wird nie erkannt werden. Gott bleibt dort in sich selbst unerkannt, und das Licht des ewigen Vaters hat da ewiglich hineingeschienen, aber die Finsternis begreift das Licht nicht hJoh 1,5i« (EW I, S. 265; Pr. 22). 760 Hier ist von der »verborgenen Finsternis der ewigen Gottheit« die Rede; diese Finsternis der Gottheit bleibt ewiglich unbekannt, auch für Gott selbst*. Dies zeigt der Satz: »Gott bleibt dort in sich selbst unbekannt.« Die Finsternis der Gottheit, in die das Licht des Vaters (Gottes Erkenntnis seiner selbst in sich selbst) hineinscheint, begreift dieses nicht; und das Nicht-Begreifen ist die Transzendenz schlechthin, welche unberührt auch vom göttlichen Licht ist. Während, im negativ-theologischen Sinne, bei der zweiten Finsternis das Nichts, die Finsternis, als die Blendung vom Licht umschlossen wird, ist bei der dritten Finsternis umgekehrt das Licht ewiglich von der Finsternis umschlossen. Dementsprechend sagt Eckhart jetzt in einer durch und durch negativen Formulierung, ohne irgendeine weitere * Über die Finsternis der Gottheit vgl. Minoru Nambara: Die Idee des absoluten Nichts in der deutschen Mystik und seine Entsprechungen im Buddhismus (in: »Archiv für Begriffsgeschichte« Band VI, Bonn 1960, S. 143–277) S. 198.

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Bestimmung hinzuzufügen: »Wenn er nun weder Gutheit noch Sein noch Wahrheit noch Eins ist, was ist er denn? Er ist gar nichts, er ist weder dies noch das« (EW I, S. 271; Pr. 23). 761 »In diesem Einen sollen wir ewig versinken von Nichts zu Nichts« (vgl. EW II, S. 197; Pr. 83). 762 Das Nichts, für das hier die dritte Finsternis eine Metapher bietet, ist also weder das Nichts als Mangel 763, wie es die Kreatur im Unterschied zu Gott als Sein 764 ist, noch das Nichts Gottes, wie es Gott als das Übersein dem Menschen gegenüber ist. Das Nichts, wie es Gott in sich selbst ist, liegt jenseits jeden Gegenübers von Gott und Kreatur bzw. Gott und Mensch, es ist weder Sein noch Nichts. Hier muss man die Tragweite des Nichts bei Eckhart richtig einschätzen; man darf nicht neben Eckharts negative Theologie voreilig seine positiv-theologischen Aussagen stellen, um ihn so theologisch zu rehabilitieren. Das Nichts als die dritte Finsternis besagt bei Eckhart mehr als in der gewöhnlichen negativen Theologie; es lässt über sich nichts Positives mehr gelten. Wir haben den wesentlichen Unterschied von Gottheit und Gott, wie Eckhart ihn macht, gesehen. Es ist aber nicht so, dass es für Eckhart zwei Götter gäbe, wie etwa einen unteren und einen oberen Gott. Es gibt nur einen Gott, dem aber liegt das Eine zugrunde. Gottheit ist das Wesen Gottes: Damit ist das Verhältnis zwischen Gott und Gottheit angegeben. Göttlich ist Gott in seiner Zuwendung zum Menschen, in seinem Wesen aber, wo er in sich selbst ist, ist er nicht mehr göttlich: In seinem Wesen ist Gott des Gottseins ledig. Der dem Menschen zugewandte göttliche Gott ist auch für Eckhart zunächst eine Realität. Gott muss göttlich sein, sofern wir Menschen sind. Aber zugleich ist die Beziehung zwischen dem göttlichen Gott und dem menschlichen Menschen für Eckhart nur der Anfang, nur Einführung in das bloße Wesen Gottes, in welchem zugleich, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, der Mensch sein bloßes Wesen hat.

II.

»Der Durchbruch zur Gottheit«

a)

Das Durchbruchsmotiv

Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, wie Eckhart einen Unterschied macht zwischen Gott in seiner Trinität und Gott in seinem Wesen, wobei er das Wesen hinter und über die Trinität verlegt. Gott in seiner Trinität ist Gott, wie er sich dem Menschen zeigt und gibt. 150 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

»Der Durchbruch zur Gottheit«

Das Wesen Gottes, die Gottheit, ist Gott, wie er in sich selbst ruht und allein sich selbst genießt. Nun wäre zu fragen: Was kann denn Gott, wie er abseits seiner Beziehung zum Menschen in sich selbst ist, dem Menschen bedeuten? Ist es nötig, ja, ist es dem Menschen überhaupt möglich, sich über Gott, der sich ihm direkt zuwendet, hinüberzuschwingen? Der trinitarische Gott ist eine im Gnadenleben erfahrene Realität. Wie kann aber das Wesen Gottes in dem genannten Sinne dem Menschen überhaupt zu einer Frage werden? Ist das Wesen Gottes, welches hinter Gott verborgen sein soll, nicht vielmehr ein Abstraktum, eine phantastische Idee? Eine entscheidende Frage! Eckhart würde darauf mit dem ihm eigentümlichen Begriff von der Seele, genauer vom »Seelengrund«, antworten. Es ist bei Eckhart eine Grundwahrheit, dass die Seele in ihrem Grund dasselbe ist, was Gott in seinem Grunde ist, sodass der Seele eigener Grund die Gottheit ist. (Die Identität des Seelengrundes mit dem Grunde Gottes ist etwas völlig anderes als die Identität der Seele mit Gott – wie auch die Gottheit etwas anderes als Gott ist.) Die Seele in ihrem Grunde, d. h. »die Seele […], wie sie in sich selbst ist« (EW I, S. 199; Pr. 17), 765 oder »die nackte Wesenheit der Seele« 766 ist das Innerste der Seele, »aus dem Erkennen und Lieben ausfließen; es selbst erkennt und liebt nicht« (EW I, S. 557; Pr. 52); 767 sie ist »höher […] als Verstand und Wille« (RSdt S. 129); 768 daher können auch Vernunft und Liebe »nimmermehr da hineinlugen« (EW I, S. 35; Pr. 2). 769 Die »bloße Wesenheit der Seele« 770 ist »über alle Namen erhaben« (RSdt S. 129), 771 »namenlos« (u. a. EW I, S. 279; Pr. 24), 772 »unaussprechlich« (EW I, S. 201; Pr. 17). 773 Deswegen spricht Eckhart meist von dem »Etwas in der Seele« (EW I, S. 147; Pr. 12) 774 oder mit einer Metapher »Bürglein in der Seele« (EW I, S. 37; Pr. 2). 775 Über das »Etwas in der Seele« macht Eckhart wiederholt längere Ausführungen, und zwar, was eigentümlich ist, mit genau denselben Worten und denselben Formulierungen, welche sich in seinen Darlegungen über den Grund Gottes (Gott, wie er in sich selbst ist; Gottheit; nackte Wesenheit Gottes 776) finden. Einige Beispiele: »Es ist weder dies noch das; trotzdem ist es ein Etwas, das ist erhabener über dies und das als der Himmel über der Erde« (EW I, S. 33; Pr. 2); 777 »es ist von allen Namen frei und aller Formen bloß, ganz ledig und frei, wie Gott ledig und frei ist in sich selbst. Es ist so völlig eins und einfaltig,* * In der »Idee von dem Einen in der Seele, das die Stätte ist, in der sich die mystische

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

wie Gott eins und einfaltig ist« (EW I, S. 35; Pr. 2). 778 »Und so erhaben über alle Weise und alle Kräfte ist dies einige Eine, dass niemals eine Kraft oder eine Weise hineinzulugen vermag« (EW I, S. 35; Pr. 2); 779 »es ist und hat doch kein eigenes Sein, denn es ist weder dies noch das, weder hier noch dort« (EW I, S. 279; Pr. 24); 780 »es ist eins, es hat mit nichts etwas gemein« (EW I, S. 147; Pr. 12); 781 »die Seele in sich selbst […] ist so lauter« (EW I, S. 247; Pr. 21). 782 Alle diese Formulierungen haben wir im vorigen Kapitel angeführt, und zwar dort als Eckharts Aussagen über die »Gottheit«. Weiter sagt Eckhart: »Es ist ein Etwas in der Seele, in dem Gott bloß ist« (EW I, S. 279; Pr. 24); 783 »wie ich schon öfter gesagt habe, dass etwas in der Seele ist, das Gott so verwandt ist, dass es eins ist und nicht vereint (unum et non unitum)« (EW I, S. 147; Pr. 12; vgl. RSdt S. 110); 784 »[hier] ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund« (EW I, S. 71; Pr. 5B). 785 Die Identität ihres Grundes mit dem Grunde Gottes ist aber der Seele zunächst nicht gegenwärtig. Der Grund der Seele ist ihr selbst zunächst verborgen. Durch die Gottesgeburt in der Seele – und das heißt eben im Grund der Seele – muss dieser erst als solcher erschlossen werden. »Gott gebiert seinen Sohn im Grund der Seele«, das bedeutet: Gott bricht durch zum Seelengrund; dadurch kommt der Seelengrund zum Durchbruch und die Seele ihrerseits durchbricht Gott, um zum Grunde Gottes zu gelangen, weil der Seelengrund, die nackte Wesenheit der Seele, 786 sich nicht mit Gott begnügt, sondern nach der nackten Wesenheit Gottes 787 verlangt. »Wie er (Gott) mich durchbricht, so wiederum durchbreche ich ihn« (EW I, S. 329; Pr. 29). 788 Gott und die Seele durchbrechen einander, so dass der Gottesgrund und der Seelengrund zum Durchbruch kommen, wobei sich jedoch in Wahrheit die Rückkehr des Einen zu sich selbst vollzieht, da der Gottesgrund als ein einfaltiges Eines und der Seelengrund als ein einfaltiges Eines ein und dasselbe sind. Gott bricht durch bis zum Seelengrund, welcher »das Haus Gottes« (Serm. n. 249) 789 ist; die Seele bricht durch Gott hindurch bis zum Grund Gottes, welcher zugleich ihr eigener Urgrund ist. Es ist ein Geschehen, in welchem die Seele zu

Begegnung mit dem Einen Gott vollzieht«, sieht J. Koch einen Einfluss des Proklos auf Eckhart (Platonismus im Mittelalter, S. 31, 32). Die Übereinstimmung Eckharts mit Proklos in dem Gedanken des »unum animae« beachten auch H. Ebeling, E. von Braken und H. Hof. H. Ebeling, a. a. O., S. 276 ff. u. a.; Ernst von Braken, Meister Eckhart und Fichte (Würzburg 1943) S. 551; H. Hof, a. a. O., S. 215.

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»Der Durchbruch zur Gottheit«

ihrem Grund und in eins damit Gott zu seinem Grund zurückkommt. Was Eckhart zum Gedanken der Gottheit (= des Grundes Gottes) hinüberleitet, ist also nicht nur die spekulative Konsequenz des Begriffs des Unum-Seins, sondern auch seine dynamische Auffassung der Durchbruch-Beziehung zwischen Gott und der Seele. Hier zeigt sich wieder die Eckhart eigentümliche Verschlungenheit des Gottesbegriffs und des Seelenbegriffs*. Wenn Eckhart also von dem »Durchbruch« spricht, so handelt es sich nicht nur um eine Umschreibung der »Gottesgeburt in der Seele«, sondern um mehr, wobei dieses »mehr« darin besteht, dass es 1. auf die Aktivität der Seele (»ich durchbreche Gott« 790) ankommt und 2. auf die Erreichung der vollkommenen Bloßheit und Lauterkeit Gottes und der Seele. (Diese vollkommene Bloßheit und Lauterkeit Gottes und der Seele und das lautere Eins-Sein Gottes und der Seele sind in der »Gottesgeburt in der Seele« noch in feiner Weise verhüllt durch die Bildhaftigkeit, welche in der Beziehung von Vater und Sohn zum Ausdruck kommt. In der Lehre von dem »Durchbruch« geht es um die ausdrückliche Weiterführung dessen, was sich nach Eckhart in der »Gottesgeburt in der Seele« vollzogen hat.) Wir sehen, dass bei Eckhart in den verschiedenen Formulierungen des Geburts-Motivs mehrfach Ansätze zu seiner Lehre vom Durchbruch erkennbar sind. Zunächst wollen wir untersuchen, wie Eckhart anhand des Momentes der Rückkehr der Seele zu Gott, welche mit dem Vollzug der »Gottesgeburt in der Seele« verbunden ist, seine Lehre vom »Durchbruch« entwickelt.

b)

Die Rückkehr der Seele zur Gottheit als ihrem eigenen Urgrund

»Selbst da, wo der Sohn aus dem Vater ausfließt, bleibt die Seele nicht hängen: Sie ist über hjedesi ›Bild‹ erhaben. […] Die Seele weiß von nichts als vom Einen, sie ist erhaben über hjedesi ›Bild‹« (EW II, S. 83; Pr. 72). 791 »Wo Gott ausbricht in seinen Sohn, da bleibt die Seele nicht hängen. Nimmt man Gott irgendwo, wo er ausfließt, da bleibt die

* Über das dynamische Ineinander des Gottesbegriffs und des Seelenbegriffs bei Eckhart vgl. bes. R. Otto: West-östliche Mystik S. 288.

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Seele nicht hängen: Es h= das Licht über allem Lichtei ist hvielmehri ganz darüber erhaben« (EW II, S. 87; Pr. 72). 792 »Selbst da, wo der Sohn aus dem Vater ausfließt, bleibt die Seele nicht hängen«; um zu verstehen, was Eckhart damit meint, müssen wir zunächst beachten, dass »die Gottesgeburt in der Seele« für Eckhart die »Wiedergeburt der Seele in Gott« bzw. die »Rückkehr der Seele zu Gott« bedeutet. »In die (die Seele) gebiert der Vater seinen eingeborenen Sohn, und in derselben Geburt wird die Seele wieder in Gott geboren. Das ist eine Geburt« (EW I, S. 129; Pr. 10). 793 »Gott wirkt seine ganze Macht in seiner Geburt aus, und das gehört dazu, auf dass die Seele wieder zu Gott komme« (EW I, S. 461; Pr. 43). 794 Wie die Urbild-Bild-Beziehung zeigt, hat die Seele ihren Ursprung in Gott. Mit diesem biblischen Gedanken ist wieder die neuplatonische Lehre von der Rückkehr bzw. dem Rückfluss der Seele zu Gott verknüpft. Eckhart nennt die »Gottesgeburt in der Seele« »die zweite Gnade« 795 im Unterschied zur »ersten Gnade« 796, d. h. der ersten Seinsverletzung durch die Schöpfung, und bezeichnet jene als »Ausfluss oder Ausgang von Gott« (vgl. Serm. n. 259). 797 Indem Gott in der Seele seinen eingeborenen Sohn gebiert, wird die Seele als Gottes Sohn in Gott wiedergeboren; das heißt: Die Seele ist durch die Gottesgeburt in der Seele als Sohn Gottes in den innergöttlichtrinitarischen Bezirk zurückgekehrt. Eckhart sagt jetzt aber weiter: »Wo Gott ausbricht in seinen Sohn, da bleibt die Seele nicht hängen«; das heißt: Die Seele begnügt sich nicht mit der Rückkehr zum innergöttlich-trinitarischen Bezirk, weil sie damit erst auf dem Wege zur Rückkehr zu ihrem letzten Grund ist. Nach Eckhart ist es nicht nur so, dass die Seele ihren Grund in Gott hat, sondern dass sie auch ihren letzten Urgrund im Grund Gottes hat, in dem »verborgenen Dunkel ewiger Verborgenheit« oder »im ersten Beginn der ersten Lauterkeit«, wie es Eckhart nennt (EW I, S. 259; Pr. 22). 798 »In jenem Sein Gottes nämlich, wo Gott über allem Sein und über aller Unterschiedenheit ist, dort war ich selber« (EW I, S. 561; Pr. 52); 799 als ich noch im Grund der Gottheit stand, »da hatte ich keinen Gott; »hier stand ich Gottes und aller Dinge ledig«, »ich war ein lediges Sein« (vgl. EW I, S. 555; Pr. 52). 800 »Hier (in diesem Grund) habe ich ewiglich geruht und geschlafen« »gemäß der Ungeborenheit« (EW I, S. 259; Pr. 22). 801 Deswegen kommt die Seele nicht schon damit, dass sie als Gottes Sohn in Gott wiedergeboren wird, sondern erst dann, wenn sie 154 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

»Der Durchbruch zur Gottheit«

die Ungeborenheit erreicht hat, zu ihrem eigentlichen letzten Grund zurück. So ist also noch die Strecke von Gott hinüber zum Grunde Gottes zurückzulegen. Es kommt der Seele darauf an, in das bloße Wesen Gottes einzudringen und damit zu ihrem eigenen Grund zurückzukommen. »Deshalb lässt sie sich nichts genügen; sie sucht weiter danach, was das sei, das Gott in seiner Gottheit und im Eigentum seiner eigenen Natur sei« (EW I, S. 129; Pr. 10). 802 So entsprechen sich, von der Seele her gesehen, der trinitarische Prozess, der sich zwischen Gott und der Seele abspielt, sowie das Hinüberspringen von Gott zur Gottheit einerseits und die Rückkehr der Seele selbst zu ihrem eigenen Grunde andererseits. Diese vollkommene Rückkehr der Seele von Gott zur Gottheit, also zu ihrem Urgrund zurück, versucht Eckhart in immer wieder verschiedener Formulierung begrifflich zu fassen. Zunächst operiert er noch mit der trinitarischen Terminologie; mit dem Begriff »Durchbruch« findet er dann aber eine Formulierung, die der Sache selbst, wie er sie versteht, sehr gut entspricht. Einige Beispiele dafür: 1. »Nun nimmt der Heilige Geist die Seele, ›die geheiligte Stadt‹, im Lautersten und Höchsten und trägt sie hinauf in seinen Ursprung, das ist der Sohn, und der Sohn trägt sie weiter in seinen Ursprung, das ist in den Vater, in den Grund, in das Erste, darin der Sohn sein Sein hat« (EW I, S. 209; Pr. 18). 803 Eckhart spricht hier davon, dass die Seele vom Heiligen Geist zu dessen Ursprung, d. h. zum Sohne, von diesem wiederum weiter zu seinem Ursprung, d. h. zum Vater zurückgereicht wird. Die Vorstellungen bewegen sich noch völlig innerhalb des Trinitätsschemas; unverkennbar ist aber das Moment der vollkommenen Rückkehr der Seele in Gott hinein bis zu seinem Urgrund. 2. »Als Gott die Seele schuf, schuf er sie nach seiner höchsten Vollkommenheit, auf dass sie eine Braut des eingeborenen Sohnes sein sollte. Da er h= der Sohni dies wohl erkannte, so wollte er ausgehen aus seiner heimlichen Schatzkammer der ewigen Vaterschaft, in der er ewiglich unausgesprochen innebleibend geschlafen hat. […] (Der Sohn) ist darum herausgekommen aus dem Allerhöchsten, weil er seine Freundin erhöhen wollte, die ihm der Vater von Ewigkeit her vermählt hatte, auf dass er sie zurückbrächte in das Allerhöchste, aus dem sie gekommen ist. […] Dort, wo er ausging aus dem Allerhöchsten, dort wollte er wieder eingehen mit seiner Braut im Allerlautersten« (EW I, S. 263; Pr. 22). 804 Auch hier ist von der vollkommenen Rückkehr der Seele die 155 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Rede, und zwar mit Hilfe des sonst bei Eckhart seltenen Motivs der Brautmystik. Als Braut des Sohnes Gottes macht die Seele seine Rückkehr zu seinem Ursprung mit. Durch die Vereinigung (Vermählung) der Seele als der Braut mit dem Sohne Gottes wird die Seele durch den Sohn Gottes weiter dorthin zurückgeführt, woher er ausging, nämlich zur »heimlichen Schatzkammer der ewigen Vaterschaft«, zum »stillen Dunkel der verborgenen Vaterschaft«, in welchem der Sohn, das Wort Gottes, noch »ungesprochen« geschlafen hat. (Es handelt sich also nicht nur darum, dass die Seele Gottes Wort hört und im Hören eins mit dem Wort Gottes wird – ein anderer Aspekt der Gottesgeburt in der Seele –, sondern auch um das andere, dass die Seele durch die Vereinigung mit dem Wort wieder dorthin zurückkehrt, wo das Wort Gottes noch nicht ausgesprochen ist.) 3. »Der edle Mensch ist nicht damit zufrieden, dass er der eingeborene Sohn sei, den der Vater ewig zeugt; er möchte auch Vater sein und nach dem Bilde der ewigen Vaterschaft ihn zeugen, von dem ich ewig gezeugt bin« (RSdt S. 73). 805 In dieser Form zusammengefasst, wurde Eckharts Gedanke, dass die Seele sich nicht damit begnügt, Gottes Sohn zu sein, von den Zensoren beanstandet. (»Die Seele will Vater sein«; damit ist hier die vollkommene Rückkehr der Seele zum Ausdruck gebracht.) Eckhart erwidert: »Man könnte auch sagen: Die Seele verlangt, sich mit Gott in seiner Ganzheit zu einen. […] Wenn also die Seele mit Gott in seiner Ganzheit eins zu werden verlangt, so verlangt sie nicht nur eins zu werden mit dem Sohne, sondern auch mit dem Vater und dem Heiligen Geist, weil der eine und nämliche Gott Vater und Sohn und Heiliger Geist ist und diese drei ein ungeteilter Gott sind« (RSdt S. 93). 806 »Die Seele begnügt sich nicht damit, dass sie Sohn Gottes ist«; dies interpretiert Eckhart selbst hier in dem Sinne, dass die Seele danach verlangt, sich mit Gott in seiner Ganzheit zu vereinen, d. h. mit »einem ungeteilten Gott«, in welchem drei Personen schlechthin eins sind. Die Seele will den Sohn als eine der drei Personen in ihrer Unterschiedenheit überwinden und in das ungeteilte Unum-Sein Gottes eindringen. Es ist zu beachten, dass Eckhart in diesen Zitaten die Rückkehr der Seele zu ihrem Urgrund in eins setzt mit der Rückkehr Gottes selbst zu seinem Grund. Die Rückkehr der Seele von Gott zur Gottheit ist hier von dem trinitarischen Rückfluss – vom Heiligen Geist zum Sohn und von diesem zum Vater wie in Zitat 1 oder von der 156 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

»Der Durchbruch zur Gottheit«

Rückkehr des Sohnes zu seinem Ursprung wie im Zitat 2 – getragen. Diese Rückkehr Gottes zu seinem Grund bringt Eckhart in folgendem Zitat klar zum Ausdruck: 4. »[…] und so lässt sich der Vater nicht daran genügen; vielmehr verzieht er sich wieder in den Ursprung, in das Innerste, in den Grund und in den Kern des Vaterseins, wo er ewiglich innen gewesen ist in sich selbst in der Vaterschaft und wo er sich selbst genießt, der Vater als Vater sich selbst im einigen Einen« (EW I, S. 543; Pr. 51). 807 Hier spricht Eckhart von der Rückkehr des Vaters zu seinem Grund. Indem Gott als Gott Vater in der Seele seinen eingeborenen Sohn gebiert, tritt er einerseits in die Vater-Sohn-Beziehung mit der Seele ein – in diesem Zusammenhang heißt es: »Alle Lust des Vaters und sein Kosen und sein Anlachen gilt allein dem Sohn« (EW I, S. 543; Pr. 51) 808; andererseits zieht er sich, sich mit der Beziehung zu seinem Sohne nicht begnügend, in den Grund, »wo er ewiglich innen in sich selbst gewesen ist«, in das Innerste, »wo er sich selbst im einigen Einen genießt«, zurück. Da die Seele als Gottes Sohn innerhalb des trinitarischen Bezirkes und in der untrennbaren Einheit mit dem Vater steht, muss sie dem Vater in seiner Rückkehr zu seinem Grund nachlaufen, zu seinem Grund, in welchem er abseits von der trinitarischen Beziehung zu seinem Sohn nur sich selbst genießt; damit vermag auch die nachlaufende Seele die trinitarische Beziehung zu dem Vater zu überwinden. Wenn die Seele in den Grund des Vaters eingedrungen ist, dann genießt auch sie nur sich selbst: »Es (ein Etwas in der Seele) ist vielmehr selbst dasselbe, das sich selbst genießt in der Weise, wie Gott es tut« (EW I, S. 557; Pr. 52). 809 So erreicht die Seele im Grunde des Vaters ihren eigenen Urgrund. Oben haben wir gesehen, dass es Eckhart in seinen unterschiedlichen Ausführungen immer auf ein und dasselbe ankommt, nämlich auf die vollkommene Rückkehr der Seele von Gott weg – hin zum Grunde Gottes; und zugleich haben wir gesehen, dass sich – nach Eckhart – diese Rückkehr der Seele in eine mit der Rückkehr Gottes zu seinem Grunde vollzieht. Da die Seele als Sohn Gottes einbezogen ist in den trinitarischen Bezirk, ist die Rückkehr der Seele zu ihrem Urgrund eine innergöttliche Bewegung, in und mit welcher auch Gott selbst zu seinem Grund zurückkommt. Wenn Eckhart aber vom »Durchbrechen« spricht (vgl. u. a. QQ. S. 273; Pr. 109; EW I, S. 563; Pr. 52), 810 wird der Gedanke von der voll-

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

kommenen Rückkehr der Seele von Gott zum Grund Gottes, frei von allen trinitarischen Vorstellungen, zur letzten Konsequenz geführt. 5. »Wenn ich zurückkomme in ›Gott‹ und hdanni dort (d. h. bei ›Gott‹) nicht stehen bleibe, so ist mein Durchbrechen edler als mein Ausfluss. […] Wenn ich in den Grund, in den Boden, in den Strom und in das Quellen der Gottheit komme, so fragt mich niemand, woher ich komme oder wo ich gewesen sei. Dort hat mich niemand vermisst, dort entwird ›Gott‹« (QQ. S. 273; Pr. 109). 811 Die vollkommene Rückkehr der Seele nennt Eckhart hier das »Durchbrechen«. Wenn die Seele zu Gott zurückgekehrt ist, dann kann sie dort bei Gott nicht stehenbleiben, sondern sie muss durch Gott hindurchbrechen und in Gottes Grund eindringen. Das heißt: Indem die Seele durch Gott bis zum Grunde Gottes hindurchbricht, kommt sie zu ihrem eigenen Urgrund zurück, wo Eckhart sie sagen lässt: »Mein wesentliches Sein ist oberhalb von Gott« (EW I, S. 561; Pr. 52); 812 »Ich […] bin weder ›Gott‹ noch Kreatur« (EW I, S. 563; Pr. 52). 813 Es ist höchst bemerkenswert, dass Eckhart hier im Zusammenhang mit dem Durchbrechen vom »Entwerden« Gottes spricht. Eckhart sagt: »Gott wird und entwird« (QQ. S. 272; Pr. 109). 814 Gott »wird« nämlich, wenn die Seele aus dem Urgrund, aus ihrer Ungeborenheit – »da hatte ich keinen Gott« (EW I, S. 555; Pr. 52) 815 – ausfließt und ihr geschaffenes Sein empfängt; »ehe die Kreaturen waren, war Gott hnochi nicht ›Gott‹« (EW I, S. 555; Pr. 52); 816 »Als ich haberi ausfloss, da sprachen alle Kreaturen: ›Gott‹ !« (QQ. S. 273; Pr. 109), 817 d. h., Gott »wird« als Schöpfer mit seinen göttlichen Eigenschaften wie Allmächtigkeit, Allwissenheit, Allgegenwärtigkeit, Unwandelbarkeit, Ewigkeit, usw. So sagt Eckhart: »Dass Gott ›Gott‹ ist, dafür bin ich die Ursache; wäre ich nicht, so wäre Gott nicht ›Gott‹« (EW I, S. 561; Pr. 52). 818 Gott »entwird« nämlich, wenn die Seele im »Durchbrechen« zum Grunde Gottes, welcher zugleich ihr eigener Grund ist, zurückkehrt, weil Gott ja in seinem Grunde nicht mehr »Gott« ist. Wie einmal die Seele durch die Gottesgeburt in der Seele in den innergöttlichen trinitarischen Bezirk einbezogen wurde, so wird hier umgekehrt Gott mit seinem Werden (in eins mit der Schöpfung der Kreaturen) und Entwerden einbezogen in die Bewegung der Seele aus dem Grunde heraus und in den Grund zurück. Die dynamische Verschlungenheit Gottes und der Seele kommt wiederholt in immer radikaler werdender Weise zum Ausdruck. Die Seele bricht durch Gott hindurch bis zum Grund Gottes; das bedeutet sowohl für die Seele als auch für Gott die Rückkehr zu ihrem einen gemeinsamen Grund. 158 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

»Der Durchbruch zur Gottheit«

c)

Der Vollzug des Durchbruchs: das »Gott-Lassen«

»Die Seele bricht durch Gott hindurch bis zum Grund Gottes, zur Gottheit, wo Gott des Gottseins ledig ist«; dabei kommt es auf die radikale Abgeschiedenheit der Seele an, d. h., dass sie sogar Gott »lässt«. Indem die Seele Gott lässt, dringt sie in den Grund Gottes ein, der zugleich der Grund der Seele ist, und in eins damit kehrt Gott zu seinem Grund zurück. »Darum bitten wir Gott, dass wir ›Gottes‹ ledig werden« (EW I, S. 555; Pr. 52), 819 in gleichem Maße ledig, wie Gott in seinem Grunde seiner selbst ledig ist. »Das Höchste und das Äußerste, was der Mensch lassen kann, das ist, dass er Gott um Gottes willen lasse. Nun ließ Sankt Paulus Gott um Gottes willen; er ließ alles, was er von Gott nehmen konnte, und ließ alles, was Gott ihm geben konnte, und alles, was er von Gott empfangen konnte. Als er dies ließ, da ließ er Gott um Gottes willen, und da blieb ihm Gott, so wie Gott in sich selbst seiend ist, nicht in der Weise seines Empfangen- oder Gewonnenwerdens, sondern in der Seinsheit, die Gott in sich selbst ist. Er gab Gott nie etwas, noch empfing er je etwas von Gott; es ist ein Eines und eine lautere Einung. Hier ist der Mensch ein wahrer Mensch […]; wie ich schon öfter gesagt habe, dass etwas in der Seele ist, das Gott so verwandt ist, dass es eins ist und nicht vereint« (EW I, S. 147; Pr. 12). 820 »Das Höchste, was der Mensch lassen kann, das ist, dass er Gott um Gottes willen lasse« (RSdt S. 75). 821 Hier geht es nicht mehr um die einfache Abgeschiedenheit, in und mit welcher die Seele der Kreatur und ihrer selbst ledig wird, um Gott in der Lauterkeit zu empfangen und sich auf diese Weise mit ihm zu vereinigen. Eckhart zielt jetzt auf die radikale Abgeschiedenheit, in und mit welcher die Seele sich Gottes und ihrer selbst entäußert; nämlich a) Gottes, wie er sich der Seele gibt, und b) ihrer selbst, wie sie Gott empfängt und in der Vereinigung mit ihm verbleibt. a) »Paulus ließ alles, was Gott ihm geben konnte und alles, was er von Gott empfangen konnte.« Was ist das, was Gott geben kann? »In allen Gaben, die er gibt, gibt er zuerst stets sich selbst« (EW I, S. 109; Pr. 9). 822 Gott gibt sich als Gott; für Eckhart ist aber Gott, wie er als Gott gegeben und als Gott empfangen wird, nicht Gott selbst, d. h. nicht Gott, wie er in sich selbst ist. Für Eckhart ist Gott, wie ihn der Mensch als Gott selbst versteht, nichts anderes als Gott in der Weise des Gegebenwerdens und des Empfangenwerdens, als Gott gegeben und als Gott empfangen, wobei schon dieses »als Gott« eine Ver159 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

deckung des bloßen Wesens Gottes ist. So sagt Eckhart: »Gott lassen, um Gottes willen«; »um Gottes willen«, das heißt: damit dem bloßen lauteren Wesen Gottes nichts beigelegt werde. b) Das »Gott-Lassen« der Seele vollzieht sich in eins damit, dass sie sich selbst, wie sie mit Gott vereint ist, »lässt«. Dies ist vonseiten der Seele auch notwendig, denn in der Vereinigung mit Gott bleibt 1. die nackte Wesenheit der Seele 823 noch verdeckt und ist 2. die Eigenschaft noch nicht vollkommen aufgelöst. Zu 1: Gott gibt sich der Seele als Gott, die Seele empfängt Gott als Gott; dabei stellt sich die Seele Gott immer noch als Gott vor. Die Vorstellung »Gott« ist das Kleid, womit die Seele das bloße Wesen Gottes und zugleich ihr eigenes bloßes Wesen verhüllt. So ist bei der Vereinigung mit Gott gerade dieses »mit Gott« das, was Gott und die Seele noch voneinander trennt. Wir haben oben von dem Kleid gesprochen, in welchem sich Gott dem Menschen zeigt, aber auch verbirgt, nämlich in Güte, Wahrheit, in den drei Personen usw. Zugleich hat aber auch die Seele Gott mit diesem Gewand bekleidet. »Wenn sie (die Seele) Gott schaut, so, wie er Gott him Gegensatz zur Gottheiti oder wie er Bildhaftes oder Dreiheit ist, so ist es an ihr etwas Unzulängliches« (EW II, S. 189; Pr. 83); 824 »daher soll deine Seele allen Geistes bar nichtgeistig sein und soll geistlos dastehen; denn, liebst du Gott, wie er ›Gott‹, wie er ›Geist‹, wie er ›Person‹ und wie er ›Bild‹ ist, – alles das muss weg!« (EW II, S. 197; Pr. 83). 825 Die Seele soll »gänzlich entblößt oder enthüllt von allem Vermittelnden« (EW II, S. 45; Pr. 69) 826 sein. Das »Gott-Lassen« bedeutet in diesem Zusammenhang also eine vollkommene Ent-bildung der Seele. Zu 2: Wenn die Seele auch mit Gott vereinigt ist, so hängt sie immer noch mit »eigenschaft« an ihm. Der Mensch muss sich seiner selbst entäußern, um Gott zu empfangen; aber diese Selbstentäußerung des Menschen ist im Gott-Empfangen, d. h. in der Vereinigung mit Gott, wie er sich selbst dem Menschen gibt, nicht durchgeführt; denn Gott, wie er sich dem Menschen gibt, bedeutet nicht eine schlechthinnige Negation des Menschen. In der Vereinigung mit Gott bleibt immer noch das »Selbst« der Seele erhalten. Auf diesen Umstand weist Eckhart hin, wenn er z. B. sagt, »weil sie (die Seele) noch sich selbst empfindet, schmeckt ihr zwar Gott, insofern er in ihr ist, aber nicht, insofern er in sich selbst ist« (Serm. n. 549); 827 »schmeckt die Seele sich selbst, wie sie Seele ist, und schmeckt ihr Gott mit der Seele, so ist das unrecht. Ihr soll Gott in ihm selbst schmecken« (EW I, S. 201; Pr. 17). 828 Wenn die Seele mit Gott vereinigt ist, dann schmeckt sie in sich selbst und mit sich selbst 160 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

»Der Durchbruch zur Gottheit«

Gott – und Gott schmeckt ihr gut; das bedeutet, dass die Seele im Grunde immer noch sich selbst schmeckt. In der Vereinigung mit Gott haftet die Seele noch an sich selbst, wie sie mit Gott vereint ist, und sie verharrt in dieser Vereinigung. Bei der Vereinigung mit Gott hat die Seele Gott in sich; im Gott-Haben ist die Seele aber immer noch Eigen-tümer und als solcher nicht der »eigenschaft« ledig. So sagt Eckhart, der an anderer Stelle vom Einwirken und Wirken Gottes in der Seele spricht, in diesem Zusammenhang folgendes: »Solange es das (eine Stätte zum Wirken für Gott) noch in dem Menschen gibt, ist der Mensch hnochi nicht arm in der äußersten Armut« (EW I, S. 559; Pr. 52). 829 Die Seele soll auch der Stätte in sich, wo Gott sein Werk wirkt, ledig sein; und weiter: »In diesem Einen sollen wir ewig versinken von Nichts zu Nichts«* (vgl. EW II, S. 197; Pr. 83); 830 »von Nichts zu Nichts«, d. h. nicht so, dass das Nichts-Sein der Seele in der Abgeschiedenheit durch Gottes Wirken wiederum ein »Etwas« wird, sondern »von Nichts zu Nichts«. Das »Gott-Lassen« bedeutet in dieser Hinsicht einen vollkommenen Tod; die Seele soll nicht nur ihr eigenes Leben verlieren, sondern auch das göttliche Leben, das sie in der innergöttlichen Natur lebt. Es kommt nicht nur darauf an, dass die Werke der Seelenkräfte zum Erliegen kommen, sondern auch das göttliche Werk in der Seele muss ein Ende finden. Das ist die letzte Selbstentäußerung der Seele in der »Wüste der Gottheit«, wo es nichts gibt, was die Seele sich zu Eigen machen kann, weder Kreatur noch Gott. Wenn die Seele alles, was Gott ihr gegeben hat und alles, was sie von Gott empfangen hat, lässt, dann bleibt ihr, die sich ihrer selbst, wie sie mit Gott vereint ist, entäußert hat, nur Gott, wie er in sich selbst eins ist; »und da blieb ihm Gott nicht nach Art eines Empfangens oder eines Gewinnens, sondern hin seinem lauteren Seini, wie Gott in sich selber ist« (RSdt S. 109); 831 das bedeutet »eine lautere * Zu diesem Text bemerkt J. Quint wie folgt: »Büttner konjizierte ›vom Sein‹ statt Pf. S. 320, 30 ›von nihte‹. Ich halte die Konjektur ›von ihte‹ (= von Etwas) als Gegensatz zu ›nihte‹ für besser« (vgl. Meister Eckehart. Deutsche Predigten und Traktate. Hg. und übersetzt von Josef Quint, München 1955, S. 509). Ich bleibe aber bei dem Pfeiffer’schen Text. Der Grund dafür: a) die Konjektur von Büttner und Quint hat keine Bestätigung durch eine andere handschriftliche Überlieferung, wie J. Quint selbst sagt: »Die Predigt ist nach wie vor nur aus einer Einsiedler Hs. bekannt« (a. a. O., S. 507), welche Pfeiffer benutzte. b) Der Text, wie er in der Pfeiffer’schen Ausgabe steht, ist als solcher nicht nur verständlich, sondern entspricht auch der Intention Eckharts. In der betreffenden »Überlieferung der Deutschen Predigten Meister Eckharts« wird die betreffende Konjektur nicht vorgenommen (vgl. S. 874, 875).

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Einung« 832, in welcher die Seele und Gott »ein Eines« 833 sind, »eins und nicht vereint« 834. Die ganze Dynamik dieses »Unum-Sein« von Seele und Gott fasst Eckhart wie folgt zusammen: »Das Fünklein in der Seele […] wird so ganz eins mit Gott und strebt so ganz ins Eine und ist in eigentlicherem Sinne eins mit Gott« (EW I, S. 237; Pr. 20B). 835 a) »Eins werden mit Gott«, das bedeutet die Vereinigung 836 mit dem göttlichen Gott, b) »ins Eine streben«, das ist das »Durchbrechen durch den göttlichen Gott zum bloßen Wesen Gottes, wo er ein einfaltiges, lauteres Eines ist«, c) »im eigentlicheren Sinne eins sein mit Gott«, das heißt, »eins sein mit dem einfaltigen, lauteren Einen«. Die Seele ist eins mit dem einfaltigen, lauteren Einen nur dadurch, dass sie in sich selbst das einfaltige, lautere Eine ist. Das einfaltige, lautere Eine, wie es Gott in seinem Grunde ist, und das einfaltige, lautere Eine, wie es die Seele in ihrem Grunde ist, sind »ein Eines« 837, »ein einziges Eines« 838; »denn der Grund Gottes und der Grund der Seele sind ein Sein« (Schwester Katrei). 839 Dies ergibt sich für Eckhart als die letzte Konsequenz aus seiner dynamischen engen Verknüpfung des Gottesbegriffs und des Seelenbegriffs. Dieses »eins sein mit dem Einen«, d. i. »ein Eines« 840 ist etwas anderes als unio, Vereinigung von zweien (Gottes und der Seele). Eckhart betont jetzt »unum et non unitum«; nicht erst vereint, sondern von vornherein eins, wobei es keine Zweiheit gibt. Es ist »eine lautere Einung« 841, so lauter, dass das »mit Gott« beim »Einssein mit Gott« 842 schon etwas Überflüssiges, Beigelegtes und Verhüllendes für das »eine Eine« 843 ist. Dieses »eins sein mit dem Einen« ist nicht erst durch die Vereinigung von zweien bewirkt, sondern es ist immer da gewesen und es ist immer da, nur so, dass der Mensch nicht von jeher dabei gewesen ist; er ist aber jetzt dabei: »Wenn ich in den Grund, […] in das Quellen der Gottheit komme, so fragt mich niemand, woher ich komme oder wo ich gewesen sei. Dort hat mich niemand vermisst« (QQ. S. 273; Pr. 109). 844 Wenn die Seele in das Eine zurückgekehrt ist, so befindet sie sich in dem Einen, aus welchem sie niemals herausgetreten ist; »als ob ich in dem Hause von einem Ende zum anderen ginge: Das wäre wohl Bewegung und wäre doch nur Eines in Einem« (Pr. 104). 845 So zu dem »Eins-Sein mit dem Einen« zurückgekehrt, lebt die Seele jetzt aus ihrem eigenen Urgrund, weder aus Gott noch mit Gott; gerade darin aber ist die Seele vollkommen eins mit Gott, wie er aus seinem eigenen Grunde lebt: »Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund. Hier lebe ich aus meinem Eigenen, wie Gott aus seinem Eigenen lebt« (EW I, S. 71; Pr. 5B). 846 162 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

»Der Durchbruch zur Gottheit«

d)

»Eine Kraft in der Seele«

Die Aktivität der Seele: »Die Seele bricht durch Gott hindurch zum Grund Gottes, welcher zugleich ihr eigener Grund ist.« Für die Lehre vom »Durchbruch« ist neben dem Rückkehr-Motiv noch ein anderes Moment unentbehrlich: die Aktivität der Seele, die schon in dem Begriff »Durchbrechen« mitklingt. Bei der Gottesgeburt in der Seele kam es, wie wir sahen, einzig auf die absolute Passivität der Seele an. Die Initiative liegt ganz und gar auf Seiten Gottes. Der Seele bleibt nichts, als in ihrer Lauterkeit, d. h. frei von jeder Bindung an die Kreatur und von der Eigen-schaft, Gott lauter zu empfangen. So vollzieht sich die Vereinigung der Seele mit Gott aufgrund des Erleidens aufseiten der Seele und des Wirkens vonseiten Gottes. »Unsere Seligkeit aber liegt nicht in unserm Wirken, sondern darin, dass wir Gott erleiden« (QQ. S. 431; Pr. 102). 847 Hier, im Zusammenhang des »Durchbrechens« verhält es sich völlig anders: »Es (etwas in der Seele) will in den einfaltigen Grund, in die stille Wüste, in die nie Unterschiedenheit hineinlugte, weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist« (EW I, S. 509; Pr. 48). 848 »Sie (eine Kraft in der Seele) dringt bis auf den Grund und sucht weiter und erfasst Gott in seiner Einheit und in seiner Einöde; sie erfasst Gott in seiner Wüste und in seinem eigenen Grunde« (EW I, S. 129; Pr. 10). 849 Diese Aktivität der Seele beim Durchbrechen ist aber nicht zu verstehen als ein Wirken der Seelenkräfte – deren Wirken muss eingestellt werden, wenn Gott zu empfangen ist –, sondern sie hat ihren Ursprung im Gott-Empfangen in absoluter Passivität. So sieht Eckhart gerade in der Gottesgeburt in der Seele den Ansatz zur Aktivität der Seele. »Aus demselben Grunde, daraus der Vater sein ewiges Wort gebiert, aus dem wird sie fruchtbar mitgebärend« (EW I, S. 29; Pr. 2). 850 Mit diesem »Mitgebären« der Seele meint Eckhart mehr, als dass die Seele mit ihrer reinen Passivität an der Geburt Gottes teilnimmt. Er weist damit auf die Aktivität der Seele hin, was in folgendem Zitat klar zum Ausdruck kommt: »Er (Gott) gebiert seinen eingeborenen Sohn in das Höchste der Seele. Im gleichen Zuge, da er seinen eingeborenen Sohn in mich gebiert, gebäre ich ihn zurück in den Vater« (EW I, S. 261; Pr. 22). 851 In einer und derselben Geburt, da Gott in der Seele seinen Sohn gebiert und die Seele als das rein Erleidende den Sohn Gottes empfängt, gebiert die Seele denselben Sohn Gottes aus sich selbst in Gott. 163 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

»Die Seele gebiert aus sich hherausi Gott aus Gott in Gott; sie gebiert ihn recht aus sich« (EW I, S. 465; Pr. 43). 852 In derselben Geburt, in welcher die Seele als Sohn Gottes geboren wird, gebiert sie denselben Sohn Gottes aus sich. Mit dem Empfangen wird das Empfangene der Seele zu eigen – »der Vater […] gebiert ihn (seinen eingeborenen Sohn) der Seele zu eigen« (EW I, S. 55; Pr.4) 853 –, und zwar als das, was aus dem Innersten der Seele selbst hervorgequollen ist und quillt; in dem rein passiven Empfangen selbst wird die empfangende Passivität aufgehoben. So vollzieht sich in der »Gottesgeburt in der Seele« eine Umwandlung der Seele von reiner Passivität zur Aktivität. Für Eckhart gehört diese Umwandlung der Seele zur »Gottesgeburt in der Seele« als religiöser Erfahrung. Zugleich hat sie ihre spekulative Grundlage in der Bild-Urbild-Beziehung. »Wenn die Seele darin lebt, worin sie Gottes Bild ist, so gebiert sie; darin liegt rechte Einigung« (EW I, S. 465; Pr. 43). 854 Einmal bedeutet, wie wir sahen, das BildGottes-Sein die Empfänglichkeit für Gott; hier aber versteht Eckhart unter dem Bild-Gottes-Sein das Gott-Gebären; und die Seele ist als Gott-Gebärende vollkommen eins mit Gott, welcher seinen Sohn gebiert. Um diesen Gedanken verstehen zu können, müssen wir uns an Eckharts radikale Auffassung von der Bild-Urbild-Beziehung erinnern, nach welcher Gott seine ganze Natur und sein Wesen in sein Bild eingießt und auf diese Weise das Bild in seine eigene trinitarische Natur einbezieht. In unserem Fall liegt eine radikale Konsequenz der Bild-Spekulation Eckharts vor. Indem die Seele zu ihrem Grund, wo sie das Bild Gottes ist, zurückgekehrt ist, wird sie gottgebärend, weil im Bild das Urbild selbst »erbildet« ist, d. h. die Urbildlichkeit, sich selbst zu erbilden, jetzt dem Bilde eignet. Näheres wird folgendes Zitat erklären: »Aus dieser Lauterkeit hat er mich ewiglich geboren als seinen eingeborenen Sohn in das Ebenbild seiner ewigen Vaterschaft, auf dass ich Vater sei und den gebäre, von dem ich geboren bin« (EW I, S. 259; Pr. 22). 855 Hier spricht Eckhart zunächst von der ewigen Gottessohnschaft der Seele: »Gott hat mich ewiglich als seinen eingeborenen Sohn geboren.« Wenn Gott in der Seele seinen Sohn gebiert und die Seele dadurch als Gottes Sohn in Gott geboren wird, wird sie als ewiger Sohn Gottes geboren, welchen Gott nicht erst jetzt, sondern von Ewigkeit her in seinem Schoß geboren hat und gebiert. Die Gottesgeburt in der Seele ist die Wiedergeburt der Seele in Gott, d. h. in der Ewigkeit, in welcher die Seele nicht erst als Sohn 164 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

»Der Durchbruch zur Gottheit«

Gottes geboren wird, sondern von jeher Gottes Sohn gewesen ist. Dementsprechend erfährt die »Gottesgeburt in der Seele«, bzw. »die Vollendung der Gottebenbildlichkeit der Seele«, eine Bedeutungsumwandlung: von der Gottesgeburt in dem Sinne, dass Gott in der Seele seinen Sohn gebiert, zur Gottesgeburt in dem Sinne, dass die Seele aus sich selbst Gottes Sohn gebiert. So sagt Eckhart im obigen Zitat: »Gott hat mich, seinen eingeborenen Sohn, ewiglich geboren als das Ebenbild seiner ewigen Vaterschaft, auf dass ich Vater sei und den gebäre, von dem ich geboren bin.« Die Seele vollendet ihr BildGottes (d. h. des Vaters)-Sein, indem sie aus sich selbst Gott gebiert und selbst Vater wird. »Die Seele […] wirkt hnuni […] göttlich in Gott« (EW II, S. 187; Pr. 82). 856 Oben haben wir gesehen, 1. dass es beim »Durchbrechen« auf die Aktivität der Seele ankommt, 2. dass Eckhart den Ansatz zur Aktivität der Seele in der »Gottesgeburt in der Seele« sieht, und schließlich 3. dass dabei die Aktivität der Seele darin zum Ausdruck gebracht ist, dass die Seele aus sich selbst Gottes Sohn gebiert. Eckhart betont zwar die absolute Passivität der Seele beim Vollzug der Gottesgeburt in der Seele, wie wir im Kapitel über die Abgeschiedenheit sahen; wenn man aber im Vollzug der Gottesgeburt in der Seele nur die reine Passivität der Seele sieht und das »Wesen der Gottesgeburt in der Seele« als »via passiva«*, den Gott-erleidenden Zustand, versteht, wird man Eckhart nicht gerecht. Denn Eckhart betont zwar die Passivität der Seele, gerade aufgrund der Passivität aber hebt er zugleich ihre Aktivität hervor, in welcher die Passivität aufgehoben ist**. Nicht passiv für ein Fremdes, sondern für Gott, welcher der Seele näher ist als sie sich selbst. Durch das passive Empfangen Gottes kommt das Innerste der Seele zum Durchbruch, und zwar Gott als das Innerste der Seele. Die Seele quillt aus sich selbst aus ihrem Innersten hervor. (Letzten Endes kann man hier überhaupt nicht von »passiv« bzw. »aktiv« sprechen, weil das Wort »passiv« bzw. »aktiv« zwei voraussetzt – eines, das wirkt, ein anderes, das erleidet –, während nach Eckhart »der Grund der Seele der Grund Gottes ist«.) Die Aktivität, welche im Rahmen der Lehre der »Gottesgeburt in

* Vgl. Herma Piesch: Einleitung zur »Meister Eckharts Rechtfertigungsschrift vom Jahre 1326« (Erfurt 1927), S 39, 40. ** In Bezug auf diese Wandlung der Seele von der absoluten Passivität zur radikalen Aktivität spricht R. Otto vom »Voluntarismus, der erst in Wahrheit diesen Namen verdient« (vgl. West-östliche Mystik, S. 246, 247).

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

der Seele« darin zum Ausdruck gebracht ist, dass die Seele aus sich selbst Gottes Sohn gebiert, führt bei Eckhart zu einer weiteren Konsequenz; die Seele bleibt nicht innerhalb des trinitarischen Bezirks, in welchem sich die Gottesgeburt – sowohl in dem Sinne, dass Gott in der Seele seinen Sohn gebiert, als auch in dem Sinne, dass die Seele aus sich selbst Gottes Sohn gebiert – vollzieht, sondern sie will in den einfaltigen Grund Gottes, wo er weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist ist, eindringen. Diese Konsequenz der Aktivität der Seele sprengt das Geburts-Schema, das an dem Trinitätsbegriff orientiert ist, und findet im Durchbruchs-Schema eine adäquate Formulierung. »Eine Kraft in der Seele«. 857 Im Zusammenhang mit der Aktivität der Seele beim »Durchbrechen« müssen wir darauf achten, dass Eckhart wiederholt von »einer Kraft in der Seele«* (una virtus in anima) spricht: »Ich habe von einer Kraft in der Seele gesprochen; in ihrem ersten Ausbruche erfasst sie Gott nicht, sofern er gut ist, sie erfasst Gott auch nicht, sofern er die Wahrheit ist: Sie dringt bis auf den Grund und sucht weiter und erfasst Gott in seiner Einheit und in seiner Einöde; sie erfasst Gott in seiner Wüste und in seinem eigenen Grunde. Deshalb lässt sie sich nichts genügen; sie sucht weiter danach, was das sei, das Gott in seiner Gottheit und im Eigentum seiner eigenen Natur sei« (EW I, S. 129; Pr. 10)**. 858 »Eine Kraft ist in der Seele […]; sie ist eins in der Einheit« (EW I, S. 159; Pr. 13), 859 »ganz abgelöst und ganz lauter in sich selbst« (EW I, S. 313; Pr. 27). 860 »Diese Kraft nimmt Gott ganz ent* Vgl. J. M. Clark: Meister Eckhart, S. 87. ** Im Zusammenhang mit diesem Gedanken spricht F. Schulze-Maizier (Vorrede zu »Meister Eckharts deutschen Predigten u. Traktaten«, 2. Aufl. 1934) vom »heiligen Zorn« (irascibilis) bei Eckhart als »aufkriegender Kraft« der Seele (a. a. O., S. 23), und er weist auf einen kleinen aufschlussreichen Traktat »Von dem Zorne der sêle« (Pf. 542 f.) hin. Diesen Traktat ziehen auch R. Otto (West-östliche Mystik S. 251 bis 253) und Th. Steinbüchel (a. a. O., S. 210) heran. Otto spricht von einer »zürnenden Seele« und Steinbüchel von dem »tief ernsten Spiel zwischen ihr (d. h. der Seele) und ihrem Gott«. (Vgl. auch »irascibilis non [quiescit] hnisii in supremo«: LW IV, S. 333 [»[als zürnende kommt die Seele] nur … im Höchsten [zur Ruhe]«: Serm. n. 387].) In unserem Zitat aus DW I, S. 171 heißt es: »si suochet vürbaz …« [»sie sucht weiter danach« (EW I, S. 129; Pr. 10)]; in diesem »vürbaz« (weiter, noch mehr, mehr vorwärts) sieht R. Otto einen gotischen Spitzturm (a. a. O., S. 262, 263) und nennt Eckhart »den Gotiker« (a. a. O., S. 259), »den ersten gotischen Menschen (a. a. O., S. 377). So charakterisiert F. Heiler Eckharts Mystik als »reine Unendlichkeitsmystik« (Die Religionen der Menschheit, Stuttgart 1959, S. 690).

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»Der Durchbruch zur Gottheit«

blößt in seinem wesenhaften Sein« (EW I, S. 159; Pr. 13). 861 Es heißt: »eine Kraft in der Seele«; diese ist aber nicht eine potentia unter den Seelenkräften, sondern die Kraft als solche, die Lebendigkeit der Seele, welche in sich eins ist. »Eine Kraft« (una virtus) ist eine solche Kraft, wie sie aus dem Eins-Sein der Seele mit Gott hervorquillt und zum Einen zurückdringt: »Eine Kraft in der Seele« ist »etwas in der Seele« in seiner Dynamik. »Eine Kraft in der Seele« ist mit keinem Namen zu benennen. Sie ist »von allen Namen frei« (EW I, S. 35; Pr. 2). 862 So umschreibt Eckhart sie in ihrer eigentlichen Dynamik oft mit der Metapher »Fünklein, Seelenfünklein«*: 863 »Dieser Funke (das Seelenfünklein) widersagt allen Kreaturen und will nichts als Gott unverhüllt, wie er in sich selbst ist. Ihm genügt’s weder am Vater noch am Sohne noch am Heiligen Geist noch an den drei Personen hzusammeni, sofern eine jede in ihrer Eigenheit besteht. Ich sage fürwahr, dass es diesem Lichte auch nicht genügt an der Einheitlichkeit des fruchtträchtigen Schoßes göttlicher Natur. […] Es will in den einfaltigen Grund, in die stille Wüste, in die nie Unterschiedenheit hineinlugte, weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist« (EW I, S. 509; Pr. 48). 864 Eckhart identifiziert das Seelenfünklein manchmal mit der Vernunft (»vernünfticheit«, »daz vünkelîn der vernünfticheit« [»das Fünklein der Vernunft«], »der Intellekt als solcher«: Qu. Par. n. 6 865), aber nur, sofern er unter dieser eine Kraft versteht, welche völlig bloß und in sich selbst eins ist, nicht eine Kraft, welche dem Bereich der Wahrheit angehört. »Vernunft blickt hinein und durchbricht alle Winkel der Gottheit und nimmt den Sohn im Herzen des Vaters und im hgöttlicheni Grunde und setzt ihn in ihren Grund. Vernunft dringt hin den Grund der Gottheiti, ihr genügt’s nicht an Gutheit noch an Weisheit noch an Wahrheit noch an Gott selber. Ja, in voller Wahrheit: Ihr genügt’s so wenig an Gott wie an einem Stein oder an einem Baum. Sie ruht nimmer, sie bricht ein in den hgöttlicheni Grund« (EW II, S. 53; Pr. 69). 866 Was die Vernunft als eine Kraft im Bereich der Wahrheit anbelangt, so spricht Eckhart von der Überwindung des Intellekts bzw. dem Aufstieg des Intellekts über sich selbst hinaus. Die Seele soll Gott * Zur Begriffsgeschichte des »Seelenfünkleins« vgl. H. Ebeling: Meister Eckharts Mystik, S. 208–281.

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

der Hülle des Wahren, mit welcher der Intellekt Gott begreift (Serm. n. 120) 867 entblößen, indem sie über den Intellekt hinausschreitet: »Außerdem empfängt der Intellekt Gott hnuri unter dem Kleid der Wahrheit, und daher muss er aufsteigen. […] Denn auch über Gott selbst, soweit er unter diesem Namen, ja überhaupt unter einem Namen verhüllt ist, muss die Seele hinausschreiten« (Serm. n. 247). 868 Was Eckhart oben über »eine Kraft in der Seele« 869, »Seelenfünklein« 870 bzw. »das Fünklein der Vernunft« 871 ausführt, kann kurz wie folgt zusammengefasst werden: Es ist eine Kraft in der Seele, welche in sich selbst vollkommen lauter und eins ist, wie Gott in seinem Wesen lauter und eins ist. Diese Kraft begnügt sich nicht mit Gott, wie er Wahrheit und Güte ist, wie er in drei Personen mit ihren jeweiligen Eigenschaften erscheint, wie er als »Gott« ist, sondern sie »durchbricht« Gott und »bricht ein« in den einfaltigen Grund Gottes und ergreift dort Gott in seinem lauteren Eins-Sein. Hier erhebt sich ein Problem. In Bezug auf das Fünklein der Seele sagt Eckhart, wie wir sahen: »Es ist so völlig eins und einfaltig, wie Gott eins und einfaltig ist« (EW I, S. 35; Pr. 2); 872 diese Formulierung »wie Gott« – Eckhart umschreibt dieses »wie Gott« manchmal mit »Gott verwandt« (»Gott verwandt«: EW I, S. 99; Pr. 8, 873 »göttlicher Art verwandt«: EW I, S. 323; Pr. 28, 874 »göttlicher Natur eng verwandt«: EW I, S. 313; Pr. 27 875) – birgt für die Eckhart-Interpretation ein großes Problem, denn dieses »wie Gott« bei Eckhart schließt nicht aus, dass es als »unerschaffen und unerschaffbar« wie Gott verstanden werden kann. In der Tat hebt Eckhart selbst verschiedentlich die Unerschaffenheit und Unerschaffbarkeit der »einen Kraft in der Seele« als die Bedeutung des »wie Gott« hervor: »Ich habe zuweilen von einem Lichte gesprochen, das in der Seele ist, das ist ungeschaffen und unerschaffbar […] und dieses selbe Licht nimmt Gott unmittelbar und unbedeckt und entblößt auf, so wie er in sich selbst ist« (EW I, S. 507; Pr. 48). 876 Als »ungeschaffen und unerschaffbar« 877 verstanden, bedeutet das Fünklein der Seele mehr als ein Organ zum Empfangen Gottes, mehr z. B. als der traditionelle Begriff »Synderesis« (d. i. die der menschlichen Seele immanente von Gott gewirkte Ausrichtung auf Gott bzw. die habituelle Neigung zu Gott und Abneigung gegenüber dem Nicht-Göttlichen*). Das Fünklein gehört vielmehr selbst zum * Über den Begriff »Synderesis« im Zusammenhang mit Eckhart-Interpretation vgl.

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»Der Durchbruch zur Gottheit«

Wesen Gottes, und zwar als das innergöttliche dynamische Moment, welches in der Seele ist und zur Rückkehr Gottes zu seinem Grund antreibt. Anderseits lehrt Eckhart, dass die Seele in ihrem ganzen Umfang, einschließlich ihrer obersten Kräfte, geschaffen ist (»auch die obersten Kräfte der Seele [sind] in ihr und mit ihr geschaffen«: RSdt S. 94) 878. In welches Verhältnis bringt Eckhart selbst diese zweierlei Aussagen, nämlich die Ungeschaffenheit »einer Kraft in der Seele« und die Geschaffenheit der Seele in ihrem ganzen Umfang? In der öffentlichen Erklärung zur Beanstandung seines Gedankens »etwas Ungeschaffenes in der Seele« 879 vom 13. Februar 1327 in der Predigerkirche zu Köln sagt Eckhart: »Und dann, ein Etwas sei in der Seele, um dessentwillen sie, wenn die ganze Seele so wäre, als ungeschaffen zu bezeichnen wäre: Dies halte ich mit den Doktoren, den Kollegen, nur dann für wahr, wenn die Seele dem Wesen nach Intellekt wäre. Niemals habe ich auch meines Wissens gesagt, noch bin ich der Meinung gewesen, dass etwas in der Seele sei, was zwar ein Teil der Seele sei, indes ungeschaffen und unschaffbar (vgl. EW I, S. 159; Pr. 13: »Eine Kraft ist in der Seele […]«). 880 Eckhart hält es für wahr, dass etwas – darunter versteht er hier »intellectus« – in der Seele ist, was ungeschaffen und unerschaffbar ist. Eckhart bestreitet aber gesagt zu haben, dass etwas in der Seele ist, was zu ihr gehört und doch ungeschaffen und unerschaffbar wäre. Die Seele ist mit allem, was zu ihr gehört, auch mit dem obersten Kräften, geschaffen. Deswegen ist für Eckhart »eine Kraft in der Seele« keine natürliche Kraft, die zur Seele gehört; sondern sie wird erst durch »die Gottesgeburt in der Seele« als die göttliche Kraft im Seelengrund erschlossen*, und zwar als eine solche Kraft Gottes selbst, welche von jeher im Grund der Seele gewirkt hat und wirkt. So kann Reinhold Seeberg: Lehrbuch der Dogmengeschichte, III. Band (4. Aufl. Leipzig 1930), S. 685 und Benno Schmoldt: Die deutsche Begriffssprache Meister Eckharts (Heidelberg 1954) S. 83. * Zu diesem viel diskutierten, für die Eckhart-Interpretation entscheidenden Problem vgl. u. a. E. Benz: Mystik als Seinserfüllung bei Meister Eckhart in: »Sinn und Sein, ein philosophisches Symposion«, S. 411; A. Auer: Eckhart-Probleme S. 75; J. M. Clark: Meister Eckhart, S. 88; K. Heussi: Meister Eckhart, S. 21,22; H. Ebeling: Meister Eckharts Mystik S. 324; B. Dietsche, a. a. O., S. 248; W. Bange, a. a. O., S. 195, 196. – Die Sache selbst fordert hier eine paradoxe Formulierung wie z. B. »Er (der reine Geist, d. h. das Seelenfünklein) gehört zu uns und doch können wir ihn nicht als uns zugehörig ansprechen« (A. Auer); »Er (der ungeschaffene Intellekt) ist nicht Teil der

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Eckhart sagen: »etwas Ungeschaffenes und Unerschaffbares in der Seele« 881 (»so auch ist es mit diesem Menschen, der da befreit ist von aller Fremdheit und von aller Geschaffenheit: In einen solchen Menschen kommt Gott nicht erst hinein: Er ist hvielmehri wesenhaft darin«: EW I, S. 125; Pr. 10). 882 »Eine Kraft in der Seele« ist so verstanden eine göttliche Kraft in der Seele; sie hat aber ihre eigentliche Dynamik darin, dass sie Gott und zugleich sich selbst der Göttlichkeit entblößt und so selbst bloß Gott in seiner Blöße zu fassen bekommt. Das ist die Dynamik des Durchbruchs. Mit diesem Gedankengang ist das Problem »geschaffen oder ungeschaffen« im Grunde schon überwunden, denn im Zusammenhang des Durchbruchsmotivs gilt Gott als der Schöpfer, an dem jenes Problem orientiert ist, nicht als letzte Wirklichkeit. Die Seele soll aber den Horizont, auf welchem das Problem »geschaffen oder ungeschaffen« erst sichtbar wird, überschreiten, und »eine Kraft in der Seele« ist gerade die Kraft dazu.

e)

»Ein wahrer Mensch«

Wir haben gesehen, 1. dass es Eckhart auf das bloße Wesen Gottes ankommt, welches jenseits Gottes liegt und in sich selbst als dem einfaltigen, lauteren Einen ruht, und 2. dass die Seele im Wesen Gottes ihren eigenen Urgrund hat und, wenn sie zu dem Grund Gottes als ihrem eigenen Grund zurückgekehrt ist, in absoluter Freiheit, aus ihrem eigenen Grund – ohne Gott – zu leben vermag. Hier kann man nicht mehr von der Vereinigung der Seele mit Gott sprechen, sondern nur vom »Eins-Sein mit dem Einen« (»ein einiges Eines« 883). Eckhart sagt: »Die Seele begnügt sich nicht mit Gott« (»[…] dass Gott mir nicht genug sein kann mit allem dem, was er als ›Gott‹ ist, und mit allen seinen göttlichen Werken«: EW I, S. 563; Pr. 52) 884. Ist das aber nicht ein nur eingebildetes Hochgefühl der menschlichen Seele? Ist im bloßen Wesen Gottes – im Verständnis Eckharts – überhaupt ein Prinzip des religiösen Lebens zu finden? Es scheint vielleicht, als sei Eckhart vom Unum-Gedanken fortgerissen worden. Das ist aber nicht der Fall. Bei dem Gottesbegriff der Mystik ist gewöhnlich Gottes Transzendenz mit seiner Immanenz verbunden*. In weit stärkeSeele, sondern über dem geschaffenen Wesen der Seele und doch in der Seele« (H. Ebeling). * Vgl. F. Heiler: Der Gottesbegriff der Mystik, in: »Numen« Vol. I., 1954, bes. S. 169.

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»Der Durchbruch zur Gottheit«

rem Maße trifft das auch auf Meister Eckhart zu. Dementsprechend entwickelt er seine ihm eigentümliche Lehre vom »tätigen Leben« 885. In diesem Zusammenhang müssen wir auf Eckharts Gedanken vom »Gott-Lassen« zurückgreifen. Das »Gott-Lassen«, das wir oben im Zusammenhang des Durchbrechens in seiner Richtung von Gott weg zur Gottheit erwähnt haben, hat von vornherein auch eine andere, entgegengesetzte Richtung, nämlich die von Gott weg zur Weltwirklichkeit. »Darum sagt Sankt Paulus: ›Ich wollte ewiglich geschieden sein von Gott um meines Freundes und um Gottes willen‹ hRöm 9,3i« (EW I, S. 145; Pr. 12). 886 »Gott lassen um Gottes willen«, das weist hin auf die Richtung von Gott weg zur Gottheit; »Gott lassen um des Freundes willen«, das weist auf die entgegengesetzte Richtung hin, von Gott weg zur Weltwirklichkeit. Das »Gott-Lassen« unter diesen beiden Aspekten ist für Eckhart die Weiterführung dessen, was in der »Gottesgeburt in der Seele« geschieht; dort vollzieht sich eine zweifache Vereinigung: die Vereinigung der Seele mit Gott, d. h. die Rückkehr der Seele zu Gott, und die Vereinigung Gottes mit der Seele, d. h. die Menschwerdung Gottes. Gott verlassend zur Gottheit durchzubrechen, das ist die Weiterführung der Rückkehr der Seele; Gott verlassend in die Weltwirklichkeit einzugehen, das ist die Weiterführung der Menschwerdung Gottes. Das »Gott-Lassen« vollzieht sich also in zwei Richtungen, zugleich aber in einer Tat des »GottLassens«. Die erste Richtung ist die Rückkehr der Seele zu ihrem Urgrund, wo sie von jeher gewesen ist und immer ist; die zweite ist die Rückkehr der Seele als Mensch zur Weltwirklichkeit, wo dieser war und ist. Beides vollzieht sich in einer Rückkehr. Einerseits wohnt die Seele jenseits des Jenseits, über Gott in der Gottheit; andererseits wohnt sie diesseits des Diesseits, wie sie als ein Mensch »am Ofen« oder »im Stall« ist. Dabei sind für die Seele »in der Gottheit« und »am Ofen« ununterschieden. »In der Gottheit« als »am Ofen«: von einem Fortgerissen-Sein zu einem weit entfernt liegenden Einen kann hier also nicht die Rede sein. »Am Ofen« als »in der Gottheit«: eine Verfallenheit an die Weltwirklichkeit lässt sich also auch nicht konstatieren. Bei der Richtung von Gott weg zur Gottheit kommt es darauf an, auch der Liebe zu Gott und der Gotteserkenntnis ledig zu werden; bei der zweiten Richtung darauf, die Gottesliebe in der Nächstenliebe zu verwirklichen und die Vernunft nüchtern in der Beschäftigung mit der Weltwirklichkeit in ihrer jeweiligen qualifizierten Verschiedenheit zu üben und auszuüben. Im Zusammenhang mit dem »GottLassen« in der ersten Richtung spricht Eckhart, wie wir sahen, vom 171 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Entgleiten der Gnade; im Zusammenhang mit dem »Gott-Lassen« in der zweiten Richtung sagt Eckhart: »Als die Gnade endete und ihr Werk vollbracht hatte, da blieb Paulus, was er war« (EW I, S. 561; Pr. 52). 887 Bei beiden Richtungen handelt es sich um die Überwindung der »Vereinigung« 888, welche die Seele zunächst erfährt; in der ersten Richtung handelt es sich um das »Eins und nicht vereint« 889, in der zweiten Richtung um das »Eins aber nicht Einer« 890. »Eins und nicht vereint«, d. h. nicht erst Vereint-, sondern von vornherein Eins-Sein mit dem Einen; »Eins aber nicht Einer«, d. h. nicht Vereinigung, in der die Zweiheit aufgeht, sondern zwei und zugleich das Eins-Sein in der Zweiheit; Vielheit und zugleich Einheit in der Vielheit. »Eins und nicht vereint« ist ein Durchbruch des Unum-Seins, das der »Vereinigung« 891 zugrunde liegt; »Eins aber nicht Einer« ist ein Wiedererstehen der Vielheit, und zwar als der Ort, in welchem das »Eine« wohnt, so dass »Eins«-Sein »in der Vielheit sein« bedeutet. Wir haben den doppelten Aspekt des »Gott-Lassens« dargestellt, und zwar mit einer gewissen Gegenüberstellung der beiden Richtungen. Wesentlich dabei ist, dass diese beiden Richtungen eins sind und dass es auf nur ein »Gott-Lassen« ankommt. Der Rückfluss zum Ursprung ist das Entspringen aus dem Ursprung. »Von Gott weg zur Weltwirklichkeit«, das vollzieht sich als »von Gott weg zur Gottheit«; und »von Gott weg zur Gottheit«, das vollzieht sich als »von Gott weg zur Weltwirklichkeit«. »Nach außen zur Weltwirklichkeit in der Zeit«, das bedeutet hier »zum Innersten Grund Gottes und über den Gegensatz von Zeit und Ewigkeit hinweg«; der Mensch, der diesen Weg zurückgelegt hat, ist gerade inmitten der Weltwirklichkeit innerlicher und überzeitlicher, als wenn er in seinem Innern in der zeitlosen Vereinigung mit Gott verbleibt. Er ist den Dingen vollkommen nahe und zugleich absolut entfernt von ihnen. Er ist ein gewöhnlicher Mensch unter Menschen und zugleich nicht mehr Mensch. Das ist »ein wahrer Mensch« 892, wie Eckhart im Zusammenhang mit dem lauteren Eins-Sein mit dem Einen im oben genannten Zitat aus EW I, S. 147 sagt. Wir wollen das »Gott-Lassen« in der zweiten Richtung in einigen Punkten näher betrachten und dazu Eckharts Auslegung des Evangeliums von Maria und Martha (Lk 10,38 ff.) heranziehen, welchem er eine ganz eigene Deutung gibt, indem er die Wertung der Maria und der Martha umkehrt. »Da antwortete ihr Christus und sprach: ›Martha, Martha, du

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»Der Durchbruch zur Gottheit«

bist sorgsam, du kümmerst dich um vieles. Eines ist not!‹« (EW II, S. 213; Pr. 86). 893 Damit, dass Jesus Martha zweimal mit Namen nannte, ist nach Eckhart auf ihre zweifache Vollkommenheit, nämlich die im zeitlichen Wirken und die in der ewigen Seligkeit, hingewiesen (vgl. EW II, S. 215 894). Martha steht in Vollkommenheit, wie auch Paulus, als er vom »Gott-Lassen« sprach (vgl. S. 171 ff.). Aufgrund dessen sagt Martha hier: »Herr, heiß hsiei, dass sie mir helfe«. Und Eckhart fährt fort: »als hätte sie sagen wollen: […] heiß sie aufstehen und von dir gehen!« (EW II, S. 211 ff.; Pr. 86). 895 Martha fürchtet, dass ihre Schwester, Maria, die sich »zu Jesu Füßen setzte und seiner Rede zuhörte«, im Wohlgefühl bei Gott verbleiben und nicht weiter zur Gottheit vordringen würde (»dass sie h= Mariai in diesem Wohlgefühl stecken bliebe und nicht weiterkäme h= nicht gediehe zu tätigem Wirkeni«: EW II, S. 213; Pr. 86) 896. Maria soll aus dem Wohlgefühl der Vereinigung mit Gott »aufstehen« und »von Gott weggehen.« Nun sagt Christus zu Martha: »Du bist betrübt um vieles, nicht um Eines« (EW II, S. 223; Pr. 86), 897 nicht um Eines nämlich, welches not ist, 898 denn dieses Eine, welches not ist, ist bei Martha schon da 899. Was ist dieses Eine, von welchem Christus sagt, »Eines ist not?« Es ist das Eins-Sein mit Gott. Das ist Martha schon gegeben: »Daher sprach er zu ihr: ›Eines ist not‹, nicht Zwei. Ich und du, einmal umfangen vom ewigen Licht – das ist Eines« (EW II, S. 217; Pr. 86). 900 Martha ist nicht mehr um das Eine als solches bekümmert; deshalb erst kann sie sich jetzt um vieles kümmern – ohne dadurch am Eins-Sein mit Gott gehindert zu sein – und zugleich muss sie es tun, um sich davor zu hüten, um ihrer eigenen Seligkeit willen in der Vereinigung mit Gott aufzugehen. So ist Martha um vieles besorgt. »Daher sprach er: ›Du bist sorgsam‹«; diese Worte Christi bedeuten also für Eckhart: »Du stehst bei den Dingen und bei der Sorge« (EW II, S. 215; 221; Pr. 86); 901 »bei der Sorge«, d. h. »bei der Sorge, nicht aber in der Sorge« (EW II, S. 221; Pr. 86); 902 »bei den Dingen«, d. h. »bei den Dingen und nicht in den Dingen« (EW II, S. 215; Pr. 86), 903 »du stehst bei den Dingen, nicht aber stehen die Dinge in dir« (EW II, S. 215; Pr. 86) 904 (= bei den Dingen, aber »ungehindert von allen Dingen«: EW II, S. 223; Pr. 86) 905. Nach Eckhart hat Christus also zu Martha gesagt: »Du bist um viele Dinge besorgt, aber die Dinge behindern dich nicht.« Martha wirkt in der Weltwirklichkeit im Umgang mit den Dingen in ihrer Vielheit und Zeitlichkeit, um so als ein Mensch unter den Menschen diesen zu dienen. 173 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Das Wirken in der Zeit mit der Sorge um vieles, so wie es hier gemeint ist, setzt die Vereinigung mit Gott voraus und geschieht auf dem Weg von Gott weg zur Welt. »Dabei ist Wirken in der Zeit ebenso adlig wie irgendwelches Sich-in-Gott-Versenken« (EW II, S. 221; Pr. 86). 906 Dieses Wirken hat eine Doppelbestimmung: das Wirken aus dem lauteren Grund der Seele und zugleich das Wirken in der Weltwirklichkeit. Als das Erstere wirkt es »ohne Warum« und »ohne Weise«: »Aus diesem innersten Grunde sollst du alle deine Werke wirken ohne Warum« (EW I, S. 71; Pr. 5B). 907 Als das Wirken in der Weltwirklichkeit muss es aber zugleich jeweils ein bestimmtes Warum und Wozu haben und in einer bestimmten Weise, welche dem jeweiligen Ding entspricht, vollzogen werden; sonst kann ein Wirken einem anderen Menschen in einer bestimmten Situation nicht helfen. Ohne Weise und zugleich in einer bestimmten, dem jeweiligen Ding entsprechenden Weise, so also geschieht das Wirken auf dem Rückweg von Gott weg zur Welt. Das Wirken in diesem Sinne nennt Eckhart auch Übung der Tugend (»Übung wahrer Tugenden«: EW II, S. 229; Pr. 86) 908, weil der Mensch, welcher den Weg der Vereinigung mit Gott zurückgelegt hat, erst jetzt den Umgang mit den Dingen in ihrer Vielheit und Unterschiedenheit lernen muss, um sich jeweils den Dingen anpassen zu können. Es kommt nicht mehr darauf an, alle Dinge in Gott und Gott in allen Dingen zu sehen, sondern alle Dinge »ohne Gott« (EW II, S. 211; Pr. 86) 909 in ihrer Unterschiedenheit genau zu unterscheiden und zugunsten anderer Menschen zu ordnen. Die Dinge sind hier nicht so zu verstehen, dass sie in Gott eine ewige Einheit bilden oder dass sie in dem Einen eins sind, sondern so, wie sie in ihrer Unterschiedenheit und zeitlichen Veränderlichkeit sind. Wie der Mensch im Dienst der anderen Menschen jeweils ihnen entsprechend wirken kann, das muss er jetzt erst im Umgang und durch den Umgang mit den Dingen selbst lernen – und er vermag es auch erst jetzt zu lernen, weil er nicht mehr von den Werken und von der Vielheit der Dinge zerstreut wird. Er muss in die Schule des Lebens gehen und leben lernen (»sie […] war erst in die Schule genommen und lernte leben«: EW II, S. 227; Pr. 86) 910. Das Wirken in der Weltwirklichkeit ist also zugleich »Ausübung aus dem lauteren Seelengrund« und »Einübung in die Tugend«. Eckhart sagt: »Sie (Martha) hatte hschoni lange und recht gelebt« (EW II, S. 211; Pr. 86); 911 »lange gelebt«, d. h. sie ist mit den Dingen vertraut; »recht gelebt« d. h. aus dem Grund der Seele; so steht Martha ganz »wesenhaft« da (EW II, S. 227; Pr. 86). 912 174 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

»Der Durchbruch zur Gottheit«

»Du bist besorgt«; bei solchem Wirken im Umgang mit den Dingen und im Dienst anderer Menschen muss der Mensch der Sorge, dem Leid, dem Weh usw. ausgesetzt und durch Freude und Leid bewegt werden, wobei er aber im Grund der Seele in seinem Gleich-mut ungestört bleibt. Im Grunde seiner Seele bleibt er in unbeweglichem Gleichmut, wobei aber Sorge, Leid und Weh dadurch nicht verringert werden. Unbekümmerten Gemütes muss er sich um vieles kümmern. Dies ist Eckharts Lehre vom »tätigen Leben« 913. (In diesem Zusammenhang könnte man Eckharts Lehre vom »Durchbruch« zur Gottheit als »beschauliches Leben« 914 bezeichnen, sofern es dabei auf das Durchleuchten des Grundes Gottes mit dem Seelenfünklein ankommt). Die Radikalität und Eigentümlichkeit der Lehre Eckharts von »tätigem Leben« und »beschaulichem Leben« liegt darin, dass sie für ihn nicht Wege zu Gott hin, sondern Wege von Gott weg sind; der Weg zu Gott ist für ihn, wie wir sahen, nicht »Leben«, sondern einzig der Tod 915, die Abgeschiedenheit. Die Vereinigung mit Gott aufgrund der Abgeschiedenheit (die Erweckung aus dem Tod), d. h. die »Gottesgeburt in der Seele«, ist bei Eckhart die Voraussetzung für »tätiges Leben« und »beschauliches Leben«; dies hebt Eckhart besonders hervor, indem er z. B. wie folgt sagt: »Wenn die Heiligen zu Heiligen werden, dann erst fangen sie an, Tugenden zu wirken« (EW II, S. 229; Pr. 86). 916 »Nach dem Zeitpunkt, da die Jünger den Heiligen Geist empfingen, da erst fingen sie an, Tugenden zu wirken« (EW II, S. 229; Pr. 86). 917 (Den Heiligen Geist zu empfangen, das ist bei Eckhart nur möglich aufgrund der Gottessohnschaft, weil nach ihm der Heilige Geist nur zwischen Gott dem Vater und seinem eingeborenen Sohn gehaucht wird.) »Heiß sie aufstehen und von dir gehen!« (EW II, S. 213; Pr. 86); 918 aufstehen aus der Vereinigung und von Gott weggehen, und zwar hin zur Gottheit und in eins damit zur Weltwirklichkeit. Das »tätige Leben« bei Eckhart bedeutet also das Leben »von Gott weg zur Weltwirklichkeit« in eins mit »durch Gott hindurch zur Gottheit«. Das Wirken in diesem Sinne geschieht ohne Gott; ein Werk, wie das, eine Suppe für einen Kranken zu besorgen, ist nichts anderes als dieses Werk selbst, es ist ohne auffallende Göttlichkeit und ohne irgendeine beigefügte religiöse Bedeutung. Aber gerade deswegen ist der Mensch in solchem Wirken eins mit Gott im wahren Sinne, mit Gott ähnlich, wie er in sich selbst nicht göttlich ist, wie er schon vor der Schöpfung nur in sich selbst ruhte und nicht dessen bedurfte, sich der Kreatur gegenüber als Gott zu zeigen. Und dieses »Vor« der Schöpfung Gottes ist im »gegenwärti175 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

gen Nun« gegenwärtig, und zwar im Augenblick eines alltäglichen Wirkens des Menschen.

III. Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts 1.

Schlussbemerkungen

Wir haben uns oben mit Eckharts Lehre von der »Gottesgeburt« und dann mit seiner Lehre vom »Durchbruch zur Gottheit« beschäftigt; dabei haben wir gesehen, dass zwischen den Aussagen Eckharts im Zusammenhang mit dem Geburtsmotiv und denen im Rahmen des Durchbruchsmotivs eine gewisse Steigerung vor sich geht, nämlich die von der Christusmystik zur Gottesmystik und von dieser zur Überwindung der Mystik, wie man es zur Veranschaulichung formulieren kann. Christus, und zwar der himmlische Christus, die zweite Person der göttlichen Trinität, ist der Zentralbegriff der Eckhart’schen Mystik. Man kann Eckharts Mystik als Christusmystik bezeichnen, insofern als es um das Eins-Sein mit Christus geht. Die Christusmystik aber ist bei Eckhart im Grunde schon eine Gottesmystik, denn das Eins-Sein mit Christus bedeutet nach Eckharts Auffassung das Eins-Sein mit Christus als dem, der mit Gott, dem Vater, eins ist; viel mehr noch: Für Eckhart wird das Eins-Sein mit Christus erst dadurch bewirkt, dass die Seele durch die Gottesgeburt in sich eins mit Gott und auf diese Weise identisch mit dem Sohn Gottes wird. Die Gottesmystik wiederum ist bei Eckhart im Grunde schon eine Überwindung der Mystik, insofern als mit dieser die Vereinigung mit Gott gemeint ist. Für Eckhart ist Gott in seinem Wesen das lautere Eins, welches in sich des Gott-Seins ledig ist. Die »Vereinigung mit Gott« ist erst der Vorhof zum lauteren Eins-Sein mit dem Einen. Die Seele muss aus der Vereinigung mit Gott aufstehen und Gott verlassen, um über Gott hinweg zum bildlosen, namenlosen »Nicht-Gott« selbst und in eins damit von Gott weg zur Weltwirklichkeit »ohne Gott« zu gelangen. Im Eins-Sein mit dem Einen wohnt die Seele als »Nicht-Geist« jenseits Gottes und zugleich als ein Mensch diesseits Gottes, wobei jenseits und diesseits Gottes für die Seele ununterschieden sind. Martha arbeitet in der Küche; das bedeutet: Sie ist über Gott hinaus eins mit der Gottheit. Mit diesem Gedanken kommt Eckhart sehr nahe heran an die zen-buddhistische Gedankenwelt. In ihrem Höchsten ist Eckharts Mystik nicht mehr mystisch. Die Konsequenz der Mystik 176 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

führt bei Eckhart zur Selbstentäußerung der Mystik selbst; so scheint es wenigstens. Die genannte Steigerung beherrscht zwar unverkennbar das ganze Denken Eckharts, der Gedanke des lauteren Eins-Seins mit dem lauteren Einen wird jedoch bei ihm nicht bis zu seiner letzten Konsequenz, zur Aufhebung der christlichen Begriffe und der christlichen Frömmigkeit, geführt. Eckhart akzeptiert die Attributenlehre des Maimonides in ihrem ganzen Umfang; während aber Maimonides aufgrund seiner Attributenlehre konsequenterweise die christliche Trinitätslehre ablehnt, behält Eckhart diese bei. Eckhart betont unermüdlich, dass Gott unmittelbar in seiner Blöße zu erfassen sei; er zieht daraus aber nicht, wie es viele spiritualistische Gruppen der spätmittelalterlichen Mystik getan haben, die praktische Konsequenz, jeder kirchlichen und geschichtlichen Institution die Heilsbedeutung abzusprechen. Eckhart war Dominikaner und wollte auch nie etwas anderes sein. Er wohnte im Kloster und feierte die Eucharistie. (Seine Ausdrücke wie »Gott-Empfangen« oder »Gott schmeckt der Seele« erinnern unmittelbar an die Eucharistie*.) Hier ist zunächst also eine gewisse Unstimmigkeit in Eckharts Lehre und eine Inkonsequenz seines Denkens zu konstatieren. Termini verschiedener Herkunft stehen manchmal nebeneinander. Eckhart sagt z. B.: »Als ich aus dem Grund ausfloss und mein geschaffenes Sein empfing, […]«; »ausfließen« ist ein neuplatonischer Ausdruck, »geschaffen« ist ein biblisch-theistischer Terminus. – Eckhart spricht von der »Schöpfung« als »dem Abfall vom Einen«. Das Geburtsmotiv und das Durchbruchsmotiv gehen manchmal ineinander und sogar durcheinander. Gottesmystik und Unendlichkeitsmystik überschneiden sich oft. Eckhart sagt z. B. einmal, dass die Seele sich mit dem Sohn nicht begnügt und in den einfaltigen Grund Gottes, wo Gott weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist ist, eindringen will; und er sieht darin einen Ansatz zum Durchbruch zur Gottheit innerhalb des Geburtsmotivs. Ein anderes Mal sagt er dann: »In diesem einfaltigen Eins gebiert Gott seinen eingeborenen Sohn« – und damit wird in das einfaltige Eine wieder die persönliche Vater-Sohn-Beziehung hereingetragen. Dieser Umstand wird von den Eckhart-Interpreten in sehr unterschiedlicher Weise gewürdigt; einige Beispiele: Für J. Koch »zeigt sich * Zu Eckharts Beziehung zum liturgisch-sakramentalen Leben der Kirche vgl. J. Koch: Liturgie und Mystik, die Liturgie bei Meister Eckhart, in: »Liturgisches Leben« Jg. 7, Heft 2, 1935, S. 85–94.

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

hier nun klar der Bruch im Denken Eckharts. […] Einerseits steht er unter dem Einfluss der christlich-scholastischen Tradition, andererseits zieht ihn unwiderstehlich Maimonides an*.« »Eckhart wollte beide (die Attributenlehre des Maimonides und die christliche Trinitätslehre) miteinander vereinigen – ein unmögliches Beginnen**.« Thomas sieht in der Attributenlehre des Maimonides eine Gefährdung des christlichen Trinitätsdogmas, und Maimonides seinerseits »war sich durchaus bewusst, dass seine Lehre von der absoluten Einheit Gottes unverträglich sei mit der christlichen Lehre von der Trinität«***. Für H. Ebeling ist Eckhart in dieser Hinsicht ein »Eklektiker«: »Wir fanden sämtliche abendländische Ideen bei Eckhart vertreten. Platon, Aristoteles, Plotin, Proklus, Dionysius, Eriugena, der neuplatonische Arabismus, der jüdische Neuplatonismus, Augustin, Bonaventura, Thomas und Duns Skotus umrissen und illustrierten die Eckhartsche Lehre. Man kann Eckhart infolge dieses Eklektizismus in der verschiedensten Weise, wie es ja bald schon hundert Jahre lang in der Eckhart-Forschung der Fall ist, auslegen, ohne sich selbst und andere von der zugrunde gelegten hermeneutischen Methode zu überzeugen.«**** »Eckhart ist kein Systematiker. Eine innere Konsequenz seiner Gedanken, eine konstruktive Synthese, eine harmonisierende Systematik liegt nicht vor.«***** G. Stephenson charakterisiert Eckharts Mystik als die impersonale Mystik im engeren Sinne, † und erst dann fragt er nach dem »Einfluss des Christentums auf ihn«, da »Eckharts Mystik eine Reihe prophetischer Züge aufweist«. »Zum Abschluss unserer typologischen Zusammenfassung wollen wir noch kurz untersuchen, welche gestaltgebenden Momente die Eckhartsche Seinsmystik aus ihrer Heimatreligion aufgenommen hat. […] Über die bisherigen Ausführungen zum Sondercharakter der Eckhart’schen Mystik hinausgehend müssen wir daher die Frage stellen, in welchem Maße seine Mystik durch den anderen Typus hochreligiöser Frömmigkeit, die gläubig-prophetische Haltung (d. h. das Christentum), historisch theologisch oder psychisch beeinflusst * J. Koch: Meister Eckhart und die jüdische Religionsphilosophie des Mittelalters, S. 10. ** A. a. O., S. 13. *** A. a. O., S. 13. **** H. Ebeling: Meister Eckharts Mystik, S. 203. ***** A. a. O., S. 204. † G. Stephenson: Gottheit und Gott in der spekulativen Mystik Meister Eckharts. Diss. Bonn 1954.

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Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

wurde.«* Umgekehrt spricht R. Otto** vom »theistischen Unterbau« der Eckhart’schen Mystik der Einheitsschau. »Seine Mystik wölbt sich über theistischem Grunde, und seine mystische Spekulation, so hoch sie sich wölbt, verleugnet nicht den Grund, auf dem sie steht.«*** »Es offenbart sich hier aufs Neue, dass man Mystik und ihre Formeln nach ihrem Gehalte nicht verstehen kann, wenn man sie für sich nimmt, statt in Verbindung mit dem ›Boden‹, über dem sie sich wölben.«**** Für J. Bernhart ist Eckhart ein reiner Pantheist, der jedoch vergebens versuchte, sich in die Kirchenlehre einzufügen: »Was Eckhart lehrt, ist der klarste Pantheismus, und die Fülle von Äußerungen, in denen er sich dagegen verwahrt, sind als vergebliches Bemühen um Einklang mit der Kirchenlehre anzusehen.«***** Dagegen erscheint Eckhart bei O. Karrer † als korrekter Thomist, und seine radikalen Aussagen werden als rhetorische Übertreibung bei der Predigt gewertet: »Die Wucht seiner Überzeugung reißt ihn fort. Auch hier gerät er, der Prediger, in ekstatischen Schwung und überschreitet in überschwänglichen Worten die Nüchternheit des Gedankens.« †† In diesem Sinne nennt O. Karrer Eckhart auch einen »religiösen Idealisten« †††. A. Dempf sieht in der Lehre Eckharts vom Eins-Sein mit dem Einen nichts weiter als die »metaphysische Deutung der Gottesgeburt in uns« ††††, um so den Widerspruch zwischen dem Geburtsmotiv und dem Durchbruchsmotiv auf christlicher Grundlage aufzulösen. Ich halte die Charakterisierung der Lehre Eckharts als »Unendlichkeitsmystik mit theistischem Unterbau« für sachgemäß. Mit der Bezeichnung »Oberbau – Unterbau« soll ein Zweifaches ausgedrückt werden: 1. Es handelt sich um eine Dynamik der kontinuierlichen Steigerung, wobei Eckhart in der denkenden Aneignung dieser Steigerung bei neuplatonischen Begriffen Hilfe findet. 2. Zugleich sind aber die theistisch-christlichen Begriffe auch durch die »Unendlichkeitsmystik« nicht aufgehoben. Der erste Stock liegt zwar höher als * A. a. O., S. 303. ** R. Otto: West-östliche Mystik, S. 139 ff. u. ö. *** A. a. O., S. 118. **** A. a. O., S. 112. ***** J. Bernhart: Die philosophische Mystik des Mittelalters, S. 184. † O. Karrer: Meister Eckhart, Textbuch, S. 273 ff. †† A. a. O., S. 152 (Anmerkung zu Eckharts Rechtfertigungsschrift). ††† A. a. O., S. 153. †††† A. Dempf: Meister Eckhart, S. 113.

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

das Erdgeschoss, er kann sich aber nicht von diesem trennen; vielmehr bedarf der Oberbau seines Unterbaus gerade um der Steigerung willen. Dies tritt am deutlichsten bei seinem Gottesbegriff hervor. Die Untrennbarkeit der Unendlichkeitsmystik von ihrem theistischen Unterbau kommt bei ihm schon äußerlich darin zum Ausdruck, dass er den Urgrund »Gott-heit« nennt. Nur von Gott her kann der Urgrund als Gottes Wesen Gottheit genannt werden. Trotz der großen Unterschiedlichkeit seiner Aussagen, welche zum Problemkreis des Gottesbegriffs gehören, lässt sich folgendes als sicher herausstellen: 1. Es gibt viele Aussagen, in denen Eckhart die kirchlich-orthodoxe Trinitätslehre vorträgt. Es gibt dagegen nicht eine Aussage, in welcher er, wie Thomas, die Attributenlehre bekämpft, um den orthodoxen Trinitätsbegriff zu verteidigen. 2. Es gibt sehr viele Aussagen, in denen Eckhart die Attributenlehre verarbeitet, und zwar derart, dass der orthodoxe Trinitätsbegriff dadurch gefährdet ist. Es gibt dagegen nicht eine Aussage, in welcher er wie Maimonides aufgrund der Attributenlehre den Trinitätsbegriff prinzipiell verneint. Damit ist klar herausgestellt, worauf es Eckhart ankommt. Wenn Eckhart zunächst sagt: »Diese drei göttlichen Personen sind eins«, im Anschluss daran aber fortfährt: »Dieses Eine ist weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist«, dann zeigen sich deutlich der kontinuierliche Dualismus und die zugleich herrschende, auf eine Überhöhung zielende Dynamik. Es handelt sich also um ein Gefüge, bei welchem die Trinitätslehre den Unterbau und die Attributenlehre den Oberbau darstellen, und um eine dynamische Steigerung von unten nach oben, wobei es nicht auf die Überwindung bzw. Aufhebung des Unterbaus, sondern auf dessen Vollendung ankommt. Eckhart sieht zwischen der Trinitätslehre und der Attributenlehre keinen Widerspruch, denn bei beiden geht es für ihn um das Unum-Sein Gottes. Dieses Unum-Sein ist, nach Eckharts Auffassung, in beiden Fällen für den jeweiligen Gottesbegriff bestimmend; in der Trinitätslehre als die eine Natur bei der Dreiheit der göttlichen Personen, in der Attributenlehre als das einfaltige lautere Eine ohne Eigenschaft. Der Gedanke des UnumSeins Gottes ist bei Eckhart der emporstrebende Hauptpfeiler, welcher den gesamten Bau seiner Gedankenwelt hält; er ist das Bindeglied der Trinitätslehre und der Attributenlehre, und zugleich die emportreibende Kraft von jener zu dieser hinauf. Und diese Steigerung muss sich vollziehen, da sie die Rückkehr des Einen zu sich selbst ist. »Die apophatische Gottheit ist das Wesen bzw. der Grund des trinitarischen Gottes«; in diesem Satz ist die Einheit der Trinitätsleh180 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

re und der Attributenlehre, wie Eckhart sie sieht, zum Ausdruck gebracht. Es ist aber zugleich nicht zu leugnen, dass Eckharts Trinitätsbegriff, in seiner Komplexität beurteilt, gerade wegen dieser Einheit von dem kirchlich-orthodoxen abweicht. (Die Trinitätslehre als solche ist eine in sich abgeschlossene Lehre, sie kann es an sich nicht dulden, nur Unterbau zu sein.) Um den Anschluss an das Unum-Sein Gottes auch im Sinne der Attributenlehre zu sichern, hebt Eckhart besonders das Unum-Sein der drei göttlichen Personen hervor, und zwar derart, dass dieses den trinitarischen Aspekt verliert; für Eckhart lautet die Trinitätsformel: »Die drei göttlichen Personen sind eins« – (insofern sind die drei Personen vorausgesetzt, nicht verneint); weniger aber gilt für ihn: »Der eine Gott muss dreipersonenhaft sein« – er sagt vielmehr: »Der eine Gott ist in seinem Eins-Sein der drei Personen ledig.« Eckhart kommt es auf den einen Gott selbst an, nicht auf das Festhalten an der Lehre von der Trinität. Das für Eckhart Spezifische in seiner Mystik ist aber dies, dass sich sein Gottesbegriff nach der Trinitätslehre wie auch der nach der Attributenlehre in ganzem Umfang in seinem Seelenbegriff abbilden. (Eckhart denkt »theozentrisch«, oder besser: »theo-zentripetal«; gerade deswegen muss er den Seelenbegriff in immer stärkerem Maße in seinen Gottesbegriff einbeziehen.) »Gott gebiert in sich seinen eingeborenen Sohn«; dieser Gedanke gehört zu der kirchlich-orthodoxen Trinitätslehre – er ist Eckhart nicht eigentümlich. Wenn Eckhart in diesen Gedanken unmittelbar seinen Seelenbegriff einbezieht und sagt: »Gott gebiert seinen eingeborenen Sohn in der Seele wie in sich selbst«, so erhält der Gedanke erst sein wirklich Eckhart’sches Gepräge. – »Gott ist in sich selbst, in seinem Wesen, eins und einfaltig, lauter ohne Bild«; dieser Gedanke gehört auch zur kirchlichorthodoxen Trinitätslehre, sofern diese sich mit der »Wesenheit« 919, d. h. der »der lauteren Substanz schlechthin« 920 als solcher befasst, und in gesteigertem Maße u. a. zur Attributenlehre des Maimonides; auch er ist Eckhart nicht eigentümlich. Wenn Eckhart in diesen Gedanken wiederum unmittelbar seinen Seelenbegriff einbezieht und sagt: »Die Seele will in den einfaltigen Grund Gottes, wo Gott in sich eins und lauter ist, eindringen, weil die Seele selbst in ihrem Grunde eins und einfaltig, lauter ohne Bild ist«, so erhält auch dieser Gedanke sein echt Eckhart’sches Gepräge. – »Gott ist in seinem Grunde ein Nicht-Gott, ein Nichts«; dieser Gedanke gehört zur Tradition der negativen Theologie, und auch er ist Eckhart nicht eigentümlich. Erst wenn Eckhart in den negativ-theo181 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

logischen Begriff unmittelbar seinen Seelenbegriff einbezieht und sagt: »Die Seele ist in ihrem Grund ›ungeistig‹, sie sinkt von Nichts zu Nichts«, so wird er zum Ausdruck der spezifisch Eckhart’schen Gedankenwelt. So ist bei Eckhart die Steigerung von theistischem Unterbau zum Oberbau der apophatischen Unendlichkeit, die Steigerung, welche wir oben anhand seines Gottesbegriffs betrachtet haben, auf die Dynamik der Seele übertragen, d. h. die Dynamik der Seele zu Gott hin und über Gott hinaus zur Gottheit, und in eins damit zu sich selbst zurück. Jene begriffliche Steigerung hat in der Dynamik der Seele ihre Realität. Eckharts theozentrische Analogielehre von der analogia attributionis bietet die ontologische Grundlage dafür, dass die Seele schon als eine Kreatur »ein Sein mit Gott« hat. Seine Lehre von der Gottesgeburt in der Seele bezieht diese in den innergöttlichen trinitarischen Bezirk mit ein. Seine Lehre vom »Durchbruch« vollendet seinen Gedanken vom Eins-Sein der Seele mit Gott in seinem Eins-Sein. So sind seine Lehre von »der Gottesgeburt in der Seele« als Unterbau und die vom »Durchbruch zur Gottheit« als Oberbau dynamisch in einem Gefüge verbunden. Seine Lehre vom Durchbruch ist keine Aufhebung der Lehre von der »Gottesgeburt in der Seele«, sondern ihre Vollendung. (Die Seele muss mit dem Sohn Gottes eins werden, um in die Überbildlichkeit Gottes hinein emporgetragen zu werden. Eckhart spricht zunächst vom Sohn Gottes als Bild Gottes. Dann geht er weiter zur Überbildlichkeit des Sohnes, da der Sohn das Bild des überbildlichen Gottes ist; der Sohn ist gerade in seiner Überbildlichkeit das Bild Gottes, der in sich selbst überbildlich ist. So führt bei Eckhart der Bildbegriff unmittelbar zur Überbildlichkeit; die Lehre von der Gottesgeburt steigert sich zur Lehre vom Durchbruch.) Was Eckhart mit dem »Durchbruch« meint, das ist schon in der »Gottesgeburt in der Seele« enthalten, nur bewegt sich Eckhart dort noch in einer gewissen begrifflichen Enge; mit anderen Worten: Was er mit der »Gottesgeburt in der Seele« meint, bedeutet mehr, als es die trinitarischen Begriffe, an welchen die Lehre von der »Gottesgeburt in der Seele« ursprünglich orientiert ist, zum Ausdruck zu bringen vermögen. Wenn er also das, was er schon in der »Gottesgeburt in der Seele« zum Ausdruck bringt, im Zusammenhang des Durchbruchsmotivs mit Hilfe neuplatonischer Begriffe formuliert, dann spricht er freier und ungezwungener, als wäre er in seinem eigenen Element.

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Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

2.

Meister Eckhart im Vergleich mit dem Zen-Buddhismus

Die Untrennbarkeit der auch theistisch gefärbten Unendlichkeitsmystik Eckharts von ihrem theistischen Unterbau wird unverkennbar klar, wenn man Meister Eckharts Mystik mit dem Zen-Buddhismus vergleicht. Die beiden weisen auffallende Gemeinsamkeiten und sogar eine gewisse Wesensverwandtschaft auf. Diese sind bis in die einzelnen Entsprechungen hinein schon mehrfach beachtet worden*. In der Tat findet man in den deutschen Predigten Eckharts wiederholt Aussagen, welche Wort für Wort als Übersetzungen aus Zen-Texten gelten könnten. Zu erwähnen sind etwa Eckharts Radikalisierung der Transzendenz (Gott) zur Über-Transzendenz (Gottheit) mit Hilfe der Attributenlehre und der negativen Theologie, zugleich die Identität des Seelengrundes mit der Gottheit als der Über-Transzendenz und die Rückkehr zur Weltwirklichkeit als realer Vollzug des Durchbruchs; alle diese Elemente, welche in ihrer dynamischen Kombination den Oberbau der Eckhart’schen Mystik bilden, finden ihre Entsprechung im Zen-Buddhismus. Zugleich ist aber nicht zu leugnen, dass zwischen Eckhart und Zen ein bestimmter Unterschied besteht, der einerseits im Verhältnis zur Ähnlichkeit beider sehr klein erscheinen kann, andererseits aber auch sehr groß, so groß, dass die Ähnlichkeit völlig bedeutungslos wird. Im Unterschied zu Meister Eckhart kennt der Zen-Buddhismus den personalistischen Theismus als seinen »unentbehrlichen« Unterbau nicht, dem Geist des Urbuddhismus des Gotama Buddha entsprechend. Es lassen sich zwar in Rahmenerscheinungen des Zen-Buddhismus verschiedene Elemente, welche eigentlich zum personalistischen Theismus gehören, religionsphänomenologisch nachweisen, z. B. kultische Handlungen vor der BuddhaStatue im Zen-Tempel. Abgesehen davon, dass der Zen-Buddhismus im Verhältnis zu den anderen geschichtlichen Formen des MahāyānaBuddhismus und zu nicht-buddhistischen Religionen nur sehr wenige solche Elemente aufweist, kommt es ihm auf die Überwindung solcher Elemente an. Im Zen-Buddhismus heißt es: »Wenn dir Buddha begegnet, töte ihn doch!« »Geh schnell vorbei, wo Buddha ist.« »Die Heiligen Schriften sind nichts anderes als schmutzige Papierabfälle.« * So auf christlicher Seite von R. Otto (West-östliche Mystik, S. 378–381), auf buddhistischer Seite von D. T. Suzuki (Der westliche und der östliche Weg, Ullstein Buch 1957, S. 13–41 und S. 76–90).

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Gerade dieser Umstand unterscheidet in tiefgreifender Weise, trotz aller Ähnlichkeiten, die Mystik Meister Eckharts vom ZenBuddhismus. Sowohl die negativ-theologische Erfassung der Transzendenz als auch die Rückkehr zur Weltwirklichkeit als realer Vollzug des Durchbruchs zur wahren Transzendenz sind im Zen-Buddhismus viel radikaler und konsequenter durchgeführt als bei Meister Eckhart. Diese Verschiedenheit soll zunächst am Vergleich zweier Bilder veranschaulicht werden; das eine Bild (Seite 192) bekommt seine Komposition vom Gedanken Meister Eckharts, das andere (Seite 193) ist unmittelbar vom Geist des Zen-Buddhismus getragen. Den Hinweis auf das erste Bild, das sich in Holland befindet, wo der Geist des Meisters durch die Bewegung der devotio moderna eine weite Verbreitung fand, verdanke ich Herrn Professor Ernst Benz. Es stellt Jesu Besuch bei Maria und Martha dar, und zwar im Sinne der Umdeutung des Evangeliums von Maria und Martha durch Eckhart, wie wir sie in unserem Kapitel über »ein wahrer Mensch« behandelten (vgl. S. 170–176, bes. 173 ff.). Dem Geist der Umdeutung Eckharts vollkommen entsprechend, ist Martha, mit Vorbereitungen des Essens beschäftigt, als Hauptfigur sehr groß in den Vordergrund gestellt, während Jesus als »Gott« und Maria, die Jesus zuhörend im Zusammen-Sein mit »Gott« aufgeht, in einer Ecke hinter Martha sehr klein gemalt zu sehen sind. (Maler Joachim Beuckelaer, Amsterdam, Rijksmuseum, dat. 1566). Dass die Gestalt Jesu in einer Ecke hinter Martha so klein gemalt ist, weist darauf hin, dass es hier auf das »Gott-Lassen« ankommt. »Aufstehen aus der Vereinigung mit Gott und von Gott weg!« Martha hat Gott gelassen und ist zur Weltwirklichkeit zurückgekehrt. Jesus ist weit hinter ihr klein geworden. Martha arbeitet in der Küche. Das ist die Hauptsache, welche groß gemalt ist. Die Rückkehr zur Weltwirklichkeit ist aber für Martha zugleich der reale Vollzug des Durchbruchs durch Gott hindurch bis zum Grund, d. h. zum überbildlich-bildlosen Wesen Gottes, zum Nichts der Gottheit; und in eins mit diesem Durchbruch vollzieht sich die Rückkehr Gottes zu seinem eigenen Grund, zum Nichts der Gottheit. Darin, dass in diesem Gemälde Jesus seine bildhafte Größe verliert und derart klein dargestellt wird, ist zum Ausdruck gebracht, dass Gott auf der Rückkehr ist zum Nichts der Gottheit; in gleichem Maße ist in diesem Gemälde zugleich das Nichts der Gottheit gegenwärtig, und zwar auch gerade in der Kleinheit der Gestalt Jesu. Das aber ist negativer Ausdruck für die Gegenwart der bildlosen Gottheit. Den positiven Ausdruck ihrer Ge184 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

genwart hat sie gerade in der Gestalt der Martha gefunden. Martha hat Gott verlassen: von Gott weg zum Nichts der Gottheit und in eins damit von Gott weg zur Weltwirklichkeit. Martha arbeitet in der Küche, d. h. sie ist eins mit dem bildlosen Nichts der Gottheit. In Martha und als Martha, wie sie in der Küche arbeitet, ist das Nichts der Gottheit gegenwärtig. Martha ist aber nicht Gott, wie Jesus es ist. Gerade »Nicht-Gott« ist in Martha gegenwärtig. In gleichem Maße, da Jesus, menschgewordener Gott, klein dargestellt wird, wird zum Ausdruck gebracht, dass das Nichts, der Grund Gottes, in Martha Mensch wird. Man könnte also die Gestalt Jesu auch vollkommen aus dem Gemälde herausnehmen. Das wäre die letzte Konsequenz des Gedankens. Diese aber, die Überwindung des personalistischen Theismus, zieht Eckhart trotz seiner negativen Theologie und Attributenlehre nicht. Eckhart konnte diese letzte Konsequenz nicht ziehen, auch wollte er es nicht. Sie ist auch in diesem Gemälde nicht zum Ausdruck gebracht; das Bild enthält noch zu viel, nämlich die Gestalt Jesu. Es kommt an auf die Rückkehr Gottes zum bildlosen Nichts der Gottheit; deshalb ist Jesus klein gemalt, aber er ist noch da. Es kommt an auf das »Gott-Lassen« und auf die Rückkehr zur Weltwirklichkeit; deswegen steht Jesus in kleiner Gestalt in einer Ecke hinter Martha, welche im Vordergrund groß gemalt ist; aber noch immer befinden sich Martha und Jesus zusammen in einem Rahmen. Jetzt haben wir den Punkt erreicht, von welchem aus die Bedeutung des zweiten Bildes, einer Zen-Malerei (von Ryōkai gemalt, Anfang 13. Jh.), zu verstehen ist. Auf einer weiten leeren Fläche ist ein mit wenigen schwarzen Pinselstrichen gemalter Mensch zu sehen, wie er mit dem Schneiden eines Bambus beschäftigt ist. Dieser Mensch stellt den sechsten Patriarchen des chinesischen ZenBuddhismus dar. Hier ist Gott völlig verschwunden, keine Spur des Göttlichen, auch keine Spur seines Verschwindens ist geblieben. Es bleibt nur eine lautere Leere. Gott ist hier vollkommen »entworden«, um zum Vergleich in der Terminologie Eckharts zu sprechen. Die Leere gehört zum Wesen der Zen-Malerei. Sie ist Ausdruck für die radikal durchgeführte Bildlosigkeit der Transzendenz bzw. für die Zurückführung der Transzendenz, welche noch irgendwie von menschlichen Bildern und Begriffen berührt ist, zur Bildlosigkeit selbst, zum Nichts, zur Über-Transzendenz. So ist »Gott« vollkommen entworden, da ist nur noch lautere Leere; das heißt zugleich: Gerade in dieser Leere und als diese Leere ist das Nichts der Gottheit, in welches Gott zu185 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

rückgekehrt ist, vollkommen gegenwärtig. Die Leere aber ist der negative Ausdruck der Gegenwart des Nichts der Über-Transzendenz. Der positive Ausdruck ist, entsprechend der Martha im ersten Bild, wieder ein Mensch. Das Entwerden Gottes vollzieht sich in und mit dem »Gott-Lassen« des Menschen, der bis zum Nichts der Gottheit hindurchbricht und in eins damit zur Weltwirklichkeit zurückkehrt. In einem solchen Menschen ist das Nichts unmittelbar gegenwärtig, und zwar positiv eben als Mensch. Inmitten der Leere ist ein Mensch gemalt, wie er arbeitet. Ein Mensch schneidet einen Bambus; das ist alles. Dabei ist Gott vollkommen entworden; das Nichts der Gottheit ist dieser Mensch, wie er so arbeitet. Während jedoch Martha mit ihrer Arbeit – dem Vorbereiten des Essens – für Jesus, und das heißt für Gott, wirkt, arbeitet der Mensch des Zen-Bildes »schlechthin«, d. i. vollkommen ohne warum »und zugleich« zu alltäglichem Zweck, etwa zur Reparatur des Zauns. Der Mensch, der so arbeitet, ist nichts anderes als er selbst, wie er so arbeitet. Er ist er selbst, von nichts abhängig. Nur wenige Pinselstriche, da ist seine Gestalt, auf der leeren Fläche, klar und fest, wie ein Fels. Es sieht so aus, als sei er in der unendlichen Leere das einzige Sein, das Sein von sich her, das allerwirklichste Sein 921; und er ist es wahrlich und wirklich. Was da ist, ist auf die Gestalt eines Menschen konzentriert, und zwar als diese Gestalt. Inmitten der Leere ist ein Mensch gemalt. Die Leere hindert ihn nicht daran, er selbst zu sein. Der Mensch schneidet einen Bambus; sein Wirken durchdringt die unendliche Leere. »Die Welt weltet« mit seinem Wirken und als sein Wirken. Das ist aber keine solipsistische Selbstverabsolutierung des Menschen. Ganz im Gegenteil; erst durch das vollkommene Leer- und Zunichte-Werden ist er zu sich selbst gekommen, wie er so arbeitet und von nichts abhängig ist. Das »Gott-Lassen« bedeutet für ihn, sich selbst vollkommen zu lassen, sich selbst als den, der mit Gott vereint ist und an seinem mit Gott vereinten Selbst haftet. Der Durchbruch durch Gott hindurch bis zum Nichts der Gottheit bedeutet zugleich, dass das Selbst des Menschen vom Nichts der Gottheit vollkommen durchbrochen und durchdrungen wird. Der Mensch ist das Nichts. In der Leere ist ein Mensch gemalt, wie er einen Bambus schneidet. Er ist er selbst; aber sein Selbst ist von vornherein von der Leere durchdrungen, das heißt: In der Leere ist der Mensch selbst vollkommen leer. Seine Gestalt ist mit wenigen Pinselstrichen gemalt, wie bei einem Stoffmuster. Aber der innere Raum der gemalten Gestalt ist leer, d. h. er ist nicht mit Pinselstrichen gefüllt. Außerdem sind die 186 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

Umrisse der Gestalt nicht geschlossen; die Leere, welche die Gestalt umgibt, durchdringt diese selbst. So erscheint das Bild auch, als sei hier nichts gemalt. Da ist nur die lautere Leere. Die wenigen Pinselstriche stören diese lautere Leere in keiner Weise. Der Mensch schneidet einen Bambus; da geschieht aber nichts, lauter grundlose Stille. So durchdringen hier einander vollkommen die Leere als negativer Ausdruck des Nichts der Über-Transzendenz und der Mensch als dessen positiver Ausdruck. Im Zen-Buddhismus kommt es also auf die »unendliche Negation in eins mit schlichter Bejahung des Alltäglichen als solchen« an. Der Vergleich der betreffenden beiden Bilder lässt ahnen, welch ein Unterschied zwischen Meister Eckharts Mystik und dem ZenBuddhismus besteht; der Zen-Buddhismus atmet denselben Geist wie Eckharts Mystik, aber er führt ihn zu einer weit radikaleren Konsequenz, sowohl auf dem »Weg der Verneinung« 922 als auch auf dem »Weg der Übersteigung« 923. Wir wollen näher sehen, wie der »Weg der Verneinung« vom Zen-Buddhismus weiter, radikaler verfolgt wird als von Meister Eckhart. Wenn Eckhart das Wort »Gott« vermeidet – Gott ist für ihn noch bildhaft –, bezeichnet er das Wesen Gottes als »das Eine«. Das Eine liegt jenseits des göttlichen Gottes. Für Eckhart ist das Eine »die erste Lauterkeit«, welcher nichts beigelegt werden kann und welche nichts Numerisches in sich enthält. Und in diesem Sinne nennt er das Eine »Nichts«. Dem Begriff des Einen liegt jedoch die Zahl Eins zugrunde. Man kann den Begriff »das Eine« nicht vollkommen von der Zahl Eins trennen, obgleich Eckhart sagt, dass das Eine in sich nichts Numerisches enthält. Was Eckhart mit dem Begriff des Einen meint, verlegt der Zen-Buddhismus jenseits des Einen. Für den ZenBuddhismus ist das Eine noch nicht vollkommen »lauter«. Er fragt: »Wohin geht das Eine zurück?« Das vollkommen Lautere liegt für ihn jenseits des Einen. Das ist das Nichts im Zen-Buddhismus, das dem traditionellen buddhistischen Terminus »Sūnyatā«* (sūnya = leer; sūnyam = Null in der Mathematik) entspricht. Das Nichts im Zen* Zu religionsphilosophischen Ausführungen über den buddhistischen Begriff des absoluten Nichts vgl. Keiji Nishitani (Kyoto/Japan): Die religiös-philosophische Existenz im Buddhismus, in: »Sinn und Sein, ein philosophisches Symposion« (hg. von R. Wisser, Tübingen 1960) S. 381–398; Yoshinori Takeuchi (Kyoto/Japan): Buddhism and Existentialism, the Dialogue Oriental and Occidental Thought, in: »Religion and Culture«, Festschrift für Paul Tillich, New York 1959, S. 291–318.

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Buddhismus ist nicht, wie bei Eckhart, eine andere Bezeichnung für das Eine, sondern es liegt jenseits des Einen, wie die Null, welche des numerischen Charakters vollkommen ledig ist, die Eins transzendiert. (Das Nichts im Zen-Buddhismus hat seine reale Grundlage im Zazen* – Sitzende Versenkung; Zen im Sitzen = Sitzen im Zen –, wie Eckharts Gedanke von »Gott-Empfangen« in der Eucharistie seine reale Grundlage hat. Es ist kein bloß spekulativer Begriff.) Die Radikalität des »Weges der Verneinung« im Zen-Buddhismus kommt äußerlich schon in seinem Sprachgebrauch zum Ausdruck; »weder Sein noch Nichts, weder Nicht-Sein noch NichtNichts«, »Nirgends wohnen und zugleich im Nirgends-Wohnen auch nicht wohnen«, »von allem abgeschieden und von der Abgeschiedenheit selbst abgeschieden«, »jenseits der hundertfachen Negation« usw. Solche Ausdrücke könnten unter dem Begriff »Verneinung der Verneinung« 924 zusammengefasst werden; dann hätten wir eine formale Entsprechung bei Eckhart (vgl. Anmerkung zur Seite 147 und die dort angegebenen Vergleichsstellen in den Schriften Eckharts). Eckhart meint dort aber mit »Verneinung der Verneinung« nicht »jenseits der Negation«, welche ihrerseits schon eine negativ-theologische Bezeichnung für Gott ist, sondern er meint Gott selbst, und zwar im Unterschied und im Gegenüber zur Kreatur; Gott ist Negation der Kreatur, welche ihrerseits in sich selbst eine Negation ist. So bezeichnet Eckhart Gottes Sein in seiner Beziehung zur Kreatur als »Verneinung der Verneinung« (versagen des versagennes). Der radikale Gedanke vom »Nichts« hat im Zen-Buddhismus auch verschiedene praktische Konsequenzen. Der Tradition der negativen Theologie entsprechend, sagt Eckhart: »Gott ist ein Nichts, d. h. Gott ist weder dies noch das, was wir auszusagen vermögen. Darum schweig über Gott!« Eckhart konnte aber nicht schweigen, er hat selbst viel über Gott und Gottheit gesprochen, er musste predigen. Trotz der apophatischen Auffassung des Wesens Gottes ist für ihn – wie für die christliche Lehre – das Wort Gottes maßgebend. Gott gebiert in der Seele seinen eingeborenen Sohn, d. h., Gott spricht sich selbst in die Seele hinein. Indem die Seele Gottes Wort hört, wird sie »antwortend«; und diese Antwort der Seele auf Gottes Wort vollzieht

* Zum Zazen vgl. u. a. Das Merkbuch für die Übung des Zazen des japanischen ZenMeister Keizan (1268–1325), in »Monumenta Nipponica« 1938, I, S. 350–377 (übersetzt von Heinrich Dumoulin).

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Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

sich darin, dass sie, diesem entsprechend, es weitergibt, und zwar indem sie über Gott predigt. Dagegen gibt es in der Geschichte des Zen-Buddhismus viele Beispiele dafür, dass auf das Wort zur Verkündigung des Absoluten auch wirklich verzichtet wird. »Der Ehrwürdige Da-di (d. h. Schlag auf den Boden) führte bei jeder Frage, die man an ihn richtete, einfach mit seinem Stock einen Schlag auf den Boden aus. Als ihm später jemand seinen Stock versteckt hatte und dann die Frage: ›Was ist es mit Buddha?‹ an ihn gerichtet wurde, verzog er nur den Mund. Auch er hat es sein Leben lang geübt und nicht erschöpft.«* »Als ein Meister von einem Jünger gefragt wurde: ›Was ist Buddha?‹, hielt er mit seiner Hand dem Fragenden den Mund zu.« »Ein Mönch fragte einmal einen großen Lehrer des Zen: ›Was ist die Urwahrheit des Buddhismus?‹ Der Lehrer gab ihm darauf einen heftigen Stoß mit seinem Fuß.« Wenn nun ein Meister überhaupt spricht, vollzieht er mit Worten die radikale Negation etwa wie folgt: »Buddha ist nicht Buddha.« »Es gibt ein Wort, das ich nicht gern höre, das ist Buddha.« »Reinige deinen Mund gründlich, wenn du einmal das Wort Buddha ausgesprochen hast.« Dōkō, ein buddhistischer Philosoph, kam zu einem Zen-Meister, E-kai, und fragte: »Mit welcher geistigen Haltung sollte einer sich in der Wahrheit üben?« Der Zen-Meister antwortete: »Es gibt keinen Geist, der in Haltung zu bringen wäre, noch irgendeine Wahrheit, in der man sich üben könnte.« »Wenn es keinen Geist gibt, der zu erziehen, noch eine Wahrheit, die zu üben wäre, warum hast du dann täglich eine Versammlung von Mönchen um dich, die Zen studieren und sich in der Wahrheit üben?« Der Meister antwortete: »Ich habe nicht einen Zoll Raum zu vergeben, wo sollte ich eine Versammlung von Mönchen unterbringen? Ich habe keine Zunge, wie wäre es mir möglich, andere zu veranlassen, zu mir zu kommen?« Der Philosoph rief aus: »Wie kannst du mir eine solche Lüge ins Gesicht sagen?« »Wenn ich keine Zunge habe, um andere zu unterweisen, wie wäre es mir möglich, eine Lüge auszusprechen?« Worauf Dōkō verzweifelt ausrief: »Ich kann Eurer Rede nicht folgen.« »Ich verstehe mich selbst ebenso wenig«, schloss der Zen-Meister. (Tongo Nyū-dō Yō-monron; vgl. D. T. Suzuki, Die große Befreiung, S. 77.) Jede Rede über die Wahrheit, die Transzendenz oder das Absolu* Vgl. Bi-Yän-Lu, verdeutscht und erläutert von Wilhelm Gundert, München 1960, S. 345.

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

te, oder wie man es sonst nennen mag, muss radikal vernichtet werden. Denn es handelt sich hier um das Unsagbare. Es ist aber wiederum nicht so, dass man ohne Worte, schweigend, das Absolute erfassen könnte. Das Absolute, das Nichts, ist jenseits des menschlichen Wortes, aber auch jenseits des menschlichen Schweigens. »Mit Worten kannst du die Wahrheit nicht begreifen; ohne Worte kannst du die Wahrheit auch nicht begreifen.« Die Negation gilt also im ZenBuddhismus sowohl dem Reden als auch dem Schweigen. »Dreißig Stockschläge, wenn du etwas zu sagen hast! Dreißig Stockschläge, auch wenn du nichts zu sagen hast!« Wenn ein Schüler etwas zu sagen hat, dann vernichtet sein Meister sein Reden; wenn er nichts zu sagen hat und schweigt, dann vernichtet sein Meister auch sein Schweigen, indem er ihn zum Reden herausfordert. Um das Schweigen der Mönche zu vernichten, bedrängen Meister die Mönche: »Sag schnell! Sag schnell!«. Bai-dschang bekam von seinem Meister Matsu drei Krüge Sojabohnen-Sauce für sein Kloster geschenkt (welch kostbares Geschenk für das kärgliche Klosterleben!). Bai-dschang versammelte die Mönche vor der Dharma-Halle, wies mit dem Stock auf die Krüge und sagte: »Wenn einer von euch ein treffendes Wort dazu sagt, zerbreche ich die Krüge nicht; wenn keiner von euch ein treffendes Wort dazu sagt, zerbreche ich die Krüge!« Es kam keine Antwort von den Mönchen, da zerbrach Bai-dschang die Krüge und ging zurück in sein Zimmer. »Er (Mu-dschou) hatte seine eigene Art, die, welche ihn aufsuchten, zu behandeln. Kaum hatte jemand über die Schwelle seines Klostertors den Fuß gesetzt, so packte er ihn fest und herrschte ihn an: Sag! Sag! Wenn dann der andere zu stottern anfing und nichts herausbrachte, stieß er ihn zurück« (Bi-Yän-Lu, S. 148). Der Weg der Verneinung und der Weg der Übersteigung gehören zusammen. So ist es auch im Zen-Buddhismus. Während Eckhart zur Bejahung erst über Gott, in Gott und mit Gott zurückkommt (»Gott ist das Sein«, »Gott ist gut«, »Gott ist Liebe«, »in Gott alle Dinge zu haben«, »in allen Dingen Gott zu sehen«, »leiden um Gottes willen« usw.), kommt der Zen-Buddhismus geradewegs unvermittelt zur schlichten Bejahung des Alltäglichen als solchem. Wie die Negation im Zen-Buddhismus radikal verfolgt wird, so wird die Bejahung auch radikal durchgeführt. Eckhart sagt: »Wer ein Stück Holz im göttlichen Licht sieht, dem erscheint es als ein Engel«; das ist Eckharts Bejahung des Holzes; aber nicht Bejahung des Holzes als solchem, sondern als eines Engels. Im Zen-Buddhismus heißt es: »Die Berge 190 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

als Berge, Wasser als Wasser, Langes lang, Kurzes kurz.« Ein Meister, der nach der höchsten Wahrheit gefragt wurde, sagt: »Wollen wir eine Tasse Tee trinken?« Einst fragte ein Mönch Meister Chao-chou: »Alles Seiende ist auf das Eine zurückgekehrt. Worauf geht das Eine zurück?« Darauf antwortet der Meister: »Als ich in Seishū (Ortsname) war, habe ich eine Kleidung machen lassen, und sie wog sieben Pfund.« Einerseits heißt es im Zen-Buddhismus: »Gehe schnell vorbei, wo Buddha ist (töte Buddha!), bleibe auch nicht stehen, wo Buddha nicht mehr ist!« Andererseits heißt es: »Bitte, trinken Sie eine Tasse Tee!« Die Negation der Negation im Zen-Buddhismus ist also das »jenseits der Negation« und »in eins damit« die Bejahung schlechthin, d. h. die schlichte Bejahung des Alltäglichen als solchem. Es kommt auf die Einheit der unendlichen Negation und der schlichten Bejahung an; die Einheit des »jenseits des Jenseits« und des »diesseits des Diesseits«. Diese Einheit, welche der Mahāyāna-Buddhismus in seinem Terminus technicus »Die wahre Lehre oder das wunderbare Sein« zum Ausdruck bringt, vollzieht sich im Zen-Buddhismus bei jeder Gelegenheit konkret und dynamisch, wie unendliche Zen-Beispiele zeigen, welche sich zwischen Meistern bzw. zwischen Meistern und Schülern abspielen*. »Ein Mönch fragte Dschau-dschou: Was ist der Sinn davon, dass vom Westen her der Patriarch gekommen ist? Dschau-dschou** erwiderte: Eichbaum vor dem Garten.« Das ist eines der grundlegenden Beispiele für das Wahrheitsereignis im Zen. Anhand dieses Zen-Beispiels möchte ich nochmals einen Vergleich zwischen dem ZenBuddhismus und der Mystik Meister Eckharts anstellen, und zwar diesmal auf einem Umwege durch die Erörterung, ob und wie weit die Mystik Eckharts mit ihren mehrfachen Entsprechungen zum Zen-Buddhismus das Wahrheitsereignis, wie es sich in diesem ZenBeispiel und als dieses Beispiel ereignet, mit geschehen lässt. Die Frage des Mönches lautet: Was ist der Sinn davon, dass vom * Zwei klassische Sammlungen der Zen-Beispiele liegen jetzt in der deutschen Übertragung vor: 1. Bi-Yän-lu, Meister Yüan-wu’s Niederschrift von der Smaragdenen Felswand (verfasst im Anfang des 12. Jahrhunderts), verdeutscht und erläutert von Wilhelm Gundert, München 1960. Diese Übersetzung enthält die ersten dreiunddreißig von den insgesamt hundert Beispielen. 2. Wu-men-kuan. Der Paß ohne Tor, übersetzt von Heinrich Dumoulin in »Monumenta Nipponica« 13, Tokyo 1953. Dieses im 13. Jahrhundert herausgegebene Werk enthält 48 Beispiele. ** Ein großer chinesischer Zen-Meister aus dem neunten Jahrhundert

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Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

Westen her der Patriarch gekommen ist? Mit dem Patriarchen ist Bodhidharma, der Gründer des Zen-Buddhismus, gemeint. Nach der Überlieferung kam er in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts vom Westen her, d. h. aus Indien nach China. Dieses Geschehnis gilt als der historische Anfang des Zen-Buddhismus. Die Frage fragt nun nach dem »Sinn« dieses anfänglichen Geschehens. Gemäß der Art des gefragten »Sinnes« enthält dabei die Frage zweierlei. Zunächst nämlich: in welcher »Absicht« Bodhidharma vom Westen her kam; und dann, welche »Bedeutung« für uns das Kommen des Patriarchen hat. Mit dieser Frage sucht der Mönch eine Antwort, die ihm den »Sinn« des anfänglichen Geschehens des Zen offenbart, und versucht, im Begreifen dieses Sinnes in die Wahrheit des Zen einzudringen. Und auf die Frage erwidert Dschau-dschou: Eichbaum vor dem Garten. So angesehen entspricht diese Frage, ihrer religiösen Bedeutung nach, der soteriologischen Grundfrage im Christentum, der Frage nämlich: Warum ist Gott Mensch geworden (Cur deus homo)? Gottes Sohn hat in Jesus von Nazareth Fleisch angenommen; diese Menschwerdung Gottes ist das anfängliche Grundgeschehen für die christliche Heilsgeschichte. Nun fragt die Frage »Cur deus homo?« nach dem »Sinn« der Menschwerdung Gottes, wieder in doppelter Weise, sowohl nach der Absicht Gottes bei der Menschwerdung als auch nach 192 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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der Bedeutung der Menschwerdung Gottes für uns. So sind die beiden Fragen, eine im Zen-Buddhismus und die anderen im Christentum, von demselben religiösen Grundanliegen getragen, obgleich, von außen gesehen, je von einer anderen Geschichte die Rede ist. Was antwortet nun Eckhart seinerseits auf die Frage »Cur deus homo«? In einer Predigt z. B. sagt Eckhart: »Und er ist aus dem Grunde Mensch geworden, dass er dich als seinen eingeborenen Sohn gebäre und als nicht geringer« (EW I, S. 341; Pr. 30). 925 So heißt es in der Form »Frage und Antwort«: Warum ist Gott Mensch geworden? Darum, dass er dich als seinen eingeborenen Sohn gebäre. Dieses Beispiel aus Eckhart zeigt zunächst noch eine ganz andere Welt als das betreffende Zen-Beispiel. Schon das formale Verhältnis der Antwort zur Frage ist bei den beiden Beispielen augenfällig anders. Beim Beispiel aus Eckhart wird auf die Frage »warum« mit »darum« geantwortet, hier waltet das logisch verständliche Verhältnis »Frage und Antwort«. Die Art und Weise der Antwort entspricht der Frage-Stellung. So kann man Eckharts Antwort wenigstens als eine mögliche Antwort auf die gestellte Frage verstehen, abgesehen davon, ob man den Inhalt seiner Antwort teilt oder nicht. Beim Zen-Beispiel ist dagegen das Verhältnis der Worte Dschau-dschous zur gestellten Frage zunächst vollkommen unverständlich: »Eichbaum vor dem Garten«. Diese an sich nicht besonderen Worte, deren Gegenstand auch ohne weiteres verstehbar ist, verwandeln sich, als Dschau-dschous Erwiderung auf die Frage nach dem »Sinn« des Kommens vom Patriarchen angesehen, plötzlich ins Unverständliche. Was für eine Antwort ist dies? Was will Dschau-dschou mit diesen Worten antworten? Ist es überhaupt eine Antwort? Der logische Zusammenhang zwischen Frage und Antwort ist hier zerrissen. Eine tiefe Kluft scheint hier die Frage des Mönches und die Worte Dschau-dschous zu trennen. Es ist, als ob Dschau-dschou mit seinen Worten die gestellte Frage und den fragenden Mönch selbst gar nicht beachtete. Was für ein Ereignis ist eigentlich das Sprechen des Dschau-dschou? Aus welchem Herzensgrund werden diese Worte gesprochen? Was geschieht mit seinen Worten? Alles bleibt unklar. Wir können mit den betreffenden Worten nichts anfangen. Wir müssen zunächst beim Unverständlichen ausharren und aushalten, nicht versuchen, voreilig zu verstehen, etwa in der Weise die betreffenden Worte als Allegorie bzw. Symbol hinwegzuinterpretieren, was im Zen strengstens verboten ist. Jedenfalls auf dem Horizont der Warum-Darum-Entsprechung kommt das »Eichbaum-vor-dem-Garten« noch nicht in Sicht. 194 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Was aber den Inhalt der Antwort Eckharts anbelangt, so steht er dem Mahāyāna-Buddhismus, der metaphysisch-ethischen Grundlage des Zen, einen Schritt näher als das traditionelle christliche Denken. Wie seine Antwort zeigt, lehrt Eckhart, dass Gott bei einem jeden Menschen Mensch wird, nicht beschränkt auf Jesus Christus allein. Das absolute Heilsgeschehen gilt direkt einem jeden Einzelnen, nicht erst über Christus als Vermittler; der Einzelne, bei dem Gott Mensch geworden ist, ist ein und derselbe Sohn Gottes wie Jesus Christus. Mit diesem Gedanken erweist sich Eckhart als geistesverwandt mit dem Mahāyāna-Buddhismus, nach dessen Lehre dasselbe Erwachen zur selben Wahrheit einen jeden zu demselben Buddha macht, wie es der historische Buddha, Shakya-muni; war. Bei der Buddha-Werdung eines jeden Menschen kommt es auf dieselbe Buddha-schaft an wie bei Shakya-muni. Nun gehört diese Verwandtschaft der Mystik Eckharts mit dem Mahāyāna-Buddhismus zur Sache der »Lehre«. Da aber das Zen seinen Wesensort außerhalb der »Lehre« hat, wie der alte Zen-Spruch sagt, »eine besondere Überlieferung – direkt vom Herzen zum Herzen – außerhalb der Lehrschriften«, so bietet Eckharts Lehrverwandtschaft mit dem Mahāyāna-Buddhismus nicht einen Stützpunkt zur Annäherung zum Zen-Beispiel, das eigentlich außerhalb der Lehre spielt. Wir müssen nun noch tiefer in die Mystik Eckharts eindringen, und zwar immer noch im Zusammenhang mit der zum Vergleich herangezogenen Frage »Cur deus homo?«, um eine höhere Entsprechung zum Zen-Beispiel zu ermitteln. »Warum ist Gott Mensch geworden?« Diese Frage fragt nach dem »Warum« einer Tat Gottes. Nun spricht Eckhart wiederholt vom »Ohne warum« 926 Gottes. Gott ist ohne warum. »Gott [wirkt] ohne Warum und [kennt] kein Warum« (EW I, S. 439; Pr. 41). 927 Gott ist das absolute Sein, das seinen eigenen Grund in sich selbst hat und das für sich selbst sein eigener Grund ist. Gott ist die »Fülle« 928 des Seins. Aus dieser Fülle des Seins »quillt« die göttliche Tat »von Natur aus« 929. Gott wirkt aus sich selbst zu sich selbst. Nichts bewegt Gott zu seinen Taten; mit seinen Taten beabsichtigt Gott nichts. »Gott […] [wirkt] nicht wegen eines Warum und Weshalb« (Serm. n. 21). 930 So kann in Bezug auf die Taten Gottes als Ausflüsse aus der Seinsfülle nicht nach »warum« gefragt werden. Die Frage »warum« trifft nicht Gott, wie er Gott ist, wie er in sich selbst seinen eigenen Grund hat, sondern belegt vielmehr mit der menschlichen Denkkategorie die Reinheit des göttlichen Seins. Mit der Frage »Warum Gott […]?« macht man nichts anderes als sich Gott noch innerhalb der Tragweite 195 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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des menschlichen Denkens einzubilden, wobei das Eingebildete Zusatz zur Bloßheit Gottes bedeutet. Mit der menschlichen Denkkategorie »warum – darum« könnte es nicht anders heißen als: Gott wirkt das und das einzig darum, weil er das und das wirkt. »Weil Gott Gott ist«, dies ist der alleinige und genügende Grund für die göttlichen Taten. »Es [ist] Gott eigentümlich, außer und neben sich kein Warum zu haben« (Exod. n. 247). 931 Wenn dem so ist, so kann, dem Geist Eckharts entsprechend, auf die Frage »Warum ist Gott Mensch geworden?« kurz mit »Ohne warum« erwidert werden. »Warum ist Gott Mensch geworden?« »Ohne warum«. Bei dieser Erwiderung »Ohne warum« geht es darum, die Fragestellung »warum« strikt zurückweisend, zugleich unmittelbar Gott in seinem eigenen Ohne-warum-Sein zeigend, so den Fragenden aus der Stellung, wo er Gott gegenüber die Frage »warum« stellt und die Antwort »darum« erwartet, herauszureißen und geradehin ins göttliche »Ohne warum«, wo Gott ist, hineinzureißen. Die Spannung der Unmittelbarkeit hier hebt sich ab im Vergleich zum oben behandelten ersten Beispiel aus Eckhart, wo die Frage »warum« und die Antwort »darum« miteinander von Gott reden, d. h. beide zusammen Gott zum Gegenstand der Erörterung machen. Der Abstand zu Gott bietet dabei den Raum für den Lehrinhalt, den das »Warum« und das »Darum«, in ihrer logischen Zusammenstimmung zusammenarbeitend, zum Lehrsystem entfaltet. Dagegen ist die Erwiderung »ohne warum« mehr die unmittelbare Negation der Frage selbst als eine Antwort. Und noch mehr: Dieses »ohne warum« als unmittelbare Negation der Frage zeigt zugleich unmittelbar die Bloßheit des Ohne-warum-Seins. Die Erwiderung »ohne warum« lässt also dem Fragenden keinen Raum für eine Rückfrage an Gott und dementsprechend für die Entfaltung der Lehre. Im »ohne warum« ist der Abstand zu Gott überwunden. Nun soll der Mensch, nach Eckhart, nicht nur Gott gegenüber das »Warum« lassen, sondern auch allen Geschehnissen gegenüber, die ihm widerfahren, d. h., er soll alles unmittelbar von Gott als »ohne Warum« empfangen. Und er soll »ohne Warum« wirken, ganz in der gleichen Weise, wie Gott ohne Warum wirkt. »Der Gerechte kennt kein Warum, um dessentwillen er etwas tun würde« (EW I, S. 439; Pr. 41). 932 »[Er] wirk[t] darum, dass [er] wirk[t]« (Vgl. EW I, S. 439; Pr. 41; S. 73; Pr. 5B). 933 Aufgrund der erreichten Gleichheit mit Gott im »Ohne-warum-Wirken« ereignet sich die Gottesgeburt in der Seele, d. h. die Menschwerdung Gottes in dem betreffenden Men196 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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schen. »hNuri so wird der Sohn in uns geboren: Wenn wir kein Warum kennen« (vgl. EW I, S. 443; Pr. 41) 934. So birgt die Erwiderung »Ohne warum« in sich eine Kraft, dem Fragenden aus der Fragestellung »warum« loszuhelfen und ihm direkt in die Sache selbst, die er mit der Frage »warum« in unrechter Weise zu ergreifen versucht, hineinzuhelfen; direkt in die Sache selbst, d. h. in der Weise, dass sich die in Frage gestellte Sache, die Menschwerdung Gottes, gerade bei dem Fragenden selbst vollzieht. »Warum ist Gott Mensch geworden?« »Ohne warum!« Dies lässt schon eher an Zen denken. In der Tat begegnet uns in den ZenBeispielen oft genau dieselbe Erwiderungsart. »Seht ihr nicht? Ein Mönch fragte Da-me: Welchen Sinn hat das Kommen unseres Patriarchen aus dem Westen? Da-me erwiderte: Keinen Sinn« (vgl. Biyän-lu, S. 357). Lin-ji erwidert dieselbe Frage: Wenn es irgendeinen Sinn gäbe, so könnte er (Bodhidharma) sich selbst auch nicht retten. Wenn der Patriarch mit irgendeiner Absicht, selbst der Absicht, die Wahrheit des Zen zu predigen, nach China gekommen wäre, so wäre er selbst nicht in der bloßen Wahrheit des Zen gewandelt. Das besagt so viel wie dies: Wenn Gott mit »warum« wirkte, so wäre Gott nicht mehr Gott. Die Erwiderung »Keinen Sinn« verneint andererseits die Frage nach dem Sinn des Kommens des Patriarchen und so auch den Standpunkt, auf dem der Fragende im Kommen des Patriarchen nach irgendeinem Sinn sucht und erst durch das Begreifen des Sinnes in die Wahrheit des Zen eingehen zu können glaubt. So kann man zwischen Eckhart mit seinem Gedanken »ohne warum« und dem ZenBeispiel mit »Keinen Sinn« eine genaue Entsprechung feststellen. In der so genannten negativen Theologie stimmen die Mystik Meister Eckharts und der Zen-Buddhismus weitgehend überein. Nun aber erreicht die gemeinsame negative Theologie noch nicht den Ort, woraus Dschau-dschou auf die Frage nach dem Sinn des Kommens des Patriarchen erwidert: Eichbaum vor dem Garten. Es frappiert uns in diesem Beispiel ein Un-zusammenhang der Worte Dschau-dschous mit der gestellten Frage, während die Erwiderung in der Art der negativen Theologie, »ohne warum« bzw. »keinen Sinn«, immer noch in logischer Zusammenstimmung mit der gestellten Frage bleibt. Die Erwiderung beachtet nämlich die Fragestellung »warum« und bringt die Negation dementsprechend mit »ohne warum« zum Ausdruck. So ist der Zusammenhang der Erwiderung mit der Frage ganz logisch verständlich. Die Worte »ohne warum« bzw. »keinen Sinn« gehören noch zur Sprache der Logik. Die Negation, auf die 197 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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es in den beiden angeführten Fällen ankommt, sowohl in der Mystik Eckharts als auch im Zen, bewegt sich in derselben Dimension, in der die Frage gestellt wird. Die Negation als ein negativer Ausdruck ist nicht immer imstande, die Stellung der Frage selbst, die gerade mit der Negation betroffen werden soll, tatsächlich zu verneinen. Der Fragende selbst kann nämlich die Erwiderung »ohne warum« als eine Negation zu seiner Frage verstehen, ohne dabei seine eigene zu verneinende Stellung wirklich zu überwinden. Um uns dem Ort, woraus Dschau-dschou seine Worte »Eichbaum vor dem Garten« gesprochen hat, noch etwas zu nähern, und zwar, wie bisher, von einer jeweiligen parallelen Stellung in der Mystik Eckharts her, wollen wir ein weiteres Beispiel suchen, das zwar auf der gedanklichen Grundlage des »ohne warum« steht und doch konkret ist wie das »Eichbaum-vor-dem-Garten«, ein Beispiel nämlich, das, statt in der Sprache der Logik »ohne warum« zu sagen, gerade das, was »ohne warum« ist, tatsächlich vor-trägt. »Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet.« So lautet ein Gedicht von Angelus Silesius, einem Geisteserben Meister Eckharts und zugleich einem repräsentativen Dichter der deutschen Mystik*. Das »ohne warum«, das im vorigen Beispiel aus Eckhart vom Sein, Leben und Wirken Gottes gesagt ist, ist hier von einem konkreten Ding, der Rose, gesagt. »Die Rose ist ohne warum.« Gewöhnlich gehört die Rose zur Natur, zur kreatürlichen Welt für das christliche Bewusstsein, und zur gegenständlichen Naturwelt für das moderne Bewusstsein. Die Rose von Angelus Silesius, wie sie »ohne warum« ist, gehört aber nicht zur Natur. Ein anderes Gedicht von ihm lautet: »Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht, die hat von Ewigkeit in Gott also geblüht.«** Die Rose ist hier also in Gott gesehen. Da bricht die Rose durch die Naturwelt hindurch und blüht in Gott, und zwar als Gott, denn »was in Gott ist, ist Gott« (EW I, S. 43; Pr. 3) 935. Das Blühen der Rose ist nicht mehr ein natürliches Werden, sondern ein Ereignis in Gott, ein Ereignis Gottes: Das Leben Gottes blüht. Die Rose ist, in Gott blühend, d. h. als Gott blühend, »ohne warum«. Das Wort »ohne warum« kommt nicht von der Rhetorik, sondern das Ohne-warum-Sein der Rose ist Gottes Sein, und als Gott ist die Rose »ohne warum«. So konnte Angelus Silesius sagen: Sie blühet, weil sie blühet. Darin lebt * Vgl. Cherubinischer Wandersmann I, 289. ** A. a. O.,1,108.

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unmittelbar das Ohne-warum-Leben Gottes. »Das Leben […] lebt […] ohne Warum eben darin, dass es […] lebt«; »wer das Leben fragte tausend Jahre lang: ›Warum lebst du?‹ – könnte es antworten, es spräche nichts anderes als: ›Ich lebe darum, dass ich lebe‹« (vgl. EW I, S. 71; Pr. 5B). 936 Im zweiten angeführten Gedicht heißt es nun: »Die Rose, welche hier dein äußres Auge sieht […]« Die Rose, die in ihrem Sein bis zu Gott transparent ist, die in Gott als Gott blüht, ist gerade dieselbe, die da mit den Augen als Sinnesorgan gesehen ist. Dabei ist die sichtbare Wirklichkeit der Rose eine Konkretion des Leben Gottes, wie es in sich blüht. Der in sich blühende Gott ist »Fleisch geworden« und hat sich so dem äußeren Auge gegeben. »Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet.« Das Sein der Rose ist Gott, und als Gott ist sie »ohne warum«; die Rose blüht, weil sie blüht, d. h. das Leben Gottes lebt darum, dass es lebt. Innerhalb der europäischen Geistesgeschichte ist nun eine solche Tendenz, die Natur, beispielsweise eine Rose, transparent in Gott, Gott in der Rose konkretisiert zu erblicken, wie wir sie oben am Beispiel aus Angelus Silesius gesehen haben, gewöhnlich als Pantheismus bzw. Naturmystik bezeichnet und besonders von christlicher Seite angegriffen worden, da das Christentum darin eine Verwischung des entscheidenden qualitativen Unterschieds zwischen Gott und Kreatur sieht, eine Verwischung nämlich, die unumgänglich dazu führte, die Kreatur zu vergöttlichen und auf diese Weise Gott seiner Gottheit zu berauben. In der Tat musste sich Eckhart wegen des Verdachtes des Pantheismus der Inquisition unterziehen. Für Eckhart selbst aber ist der Gedanke, dass das Sein der Kreatur Gott selbst ist, nichts anderes als die letzte Konsequenz des qualifizierten Unterschieds zwischen Gott und Kreatur. Dieser Unterschied rührt für das Christentum aus der »creatio ex nihilo«. Aus dem Nichts zu schaffen, das bedeutet, dem Nichts das Sein zu geben und so aus dem Nichts zum Sein zu rufen. Gott als das Sein selbst gibt dem Nichts das Sein und schöpft so die Kreatur. Man denkt dabei gewöhnlich an zweierlei verschiedenes Sein, das voneinander qualitativ unterschieden ist, an Gott und Kreatur, d. h. das absolute Sein, das das Sein gibt, und das relative Sein, das dem Nichts gegeben wird. Nun konnte Eckhart, gerade wegen der Aufrechterhaltung des Gedankens, der der christlichen Auffassung der »creatio ex nihilo« zugrunde liegt, des Gedankens nämlich, dass es außerhalb Gottes nichts gibt, die gewöhnliche Annahme der zwei verschiedenen Sein nicht teilen. Für ihn ist die Kreatur als solche, außerhalb Gottes angesehen, ein reines Nichts, da es außerhalb Got199 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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tes nichts gibt. Etwas, das nicht Gott ist, ist in Wahrheit nicht etwas, sondern ein reines Nichts, da es in sich keinen Sinn hat. So können nach Eckhart Gott und Kreatur nicht nebeneinandergestellt werden, wie es in dem Ausdruck »Gott und Kreatur« geschieht. Neben Gott gestellt ist die Kreatur nicht ein zweites Sein, sondern ein reines Nichts. Hier kann man eigentlich nicht von Pantheismus oder von Naturmystik sprechen; Eckhart sagt nicht, dass die Welt als solche Gott wäre oder dass in der Natur als solcher Gott wäre. Die Welt als solche bzw. die Natur in sich selbst ist ein reines Nichts. »Das Sein und ein reines Nichts«, so zieht Eckhart die unverkürzte Konsequenz aus dem qualitativen Unterschied zwischen Gott und Kreatur. Die Kreatur ist ein reines Nichts (unum purum nihilum); dies ist das erste Wort Eckharts zur Welt bzw. Natur. Das ist aber nicht sein letztes Wort dazu. Indem die Kreatur in sich selbst kein Sein hat und ein reines Nichts ist, so hat sie in Gott ihr Sein als Gott. Wenn die Kreatur ist, ist das Sein der Kreatur Gott selbst, da es außerhalb Gottes nichts gibt, und folglich das, was ist, allein Gott ist. Für Eckhart ist das Sein, das sich selbst gibt, und das Sein, das dem Nichts gegeben ist, ein und dasselbe Sein, d. h. Gott. Falls das Sein, das dem Nichts gegeben ist, zum relativen Sein entartet wäre, so würde das für Eckhart bedeuten, dass das Nichts auf Gott, das Sein selbst, negative Einflüsse gehabt hätte, und das würde der Absolutheit Gottes widersprechen. So versteht Eckhart »creatio ex nihilo« als Schöpfung aus dem Nichts in Gott hinein, in das Sein Gottes. Dann lebt die Kreatur in Gott das Leben Gottes, oder die Kreatur grünt in Gott, wie Eckhart sagt (vgl. EW II, S. 85; Pr. 72) 937. »Nimmt man eine Fliege in Gott, so ist die edler in Gott als der höchste Engel in sich selbst ist. Nun sind alle Dinge in Gott gleich und sind Gott selbst« (EW I, S. 147; Pr. 12). 938 Die erwähnten beiden Seiten, die eine nämlich, dass die Kreatur als solche ein reines Nichts ist, und die andere, dass die Kreatur, insofern sie ist, in Gott und als Gott ist, diese beiden Seiten mögen widersprechend erscheinen, jedoch sind sie beide die unverkürzte Doppelkonsequenz davon, dass es außerhalb Gottes nichts gibt, dynamisch untrennbar verbunden, so dass jeder von den beiden Sätzen allein falsch sein muss. Die beiden Seiten bilden einen dynamischen Zirkel. Wenn es sich um die Welt als solche handelt, so soll sie der Mensch, nach Eckhart, als ein reines Nichts sehen; indem er die Welt als ein Nichts sieht, sieht er Gott und zugleich in Gott die Welt, und zwar als Gott. »Die Ros ist ohn warum; sie blühet, weil sie blühet.« Da ist die Rose in Gott gesehen, da muss sie zugleich, wie gesagt, in ihrem ei200 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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genen kreatürlichen Sein als ein reines Nichts gesehen sein. Die Kreatur als ein reines Nichts zu sehen, bedeutet nun für den Menschen, der die Rose so sieht, dass er der Kreatur und seiner selbst entäußert ist. In die abgeschiedene Seele eines solchen Menschen gebiert Gott, nach Eckhart, seinen eingeborenen Sohn und erhebt diesen Menschen als Sohn Gottes in sich selbst. Nun sieht derjenige, der in seiner Abgeschiedenheit so als Sohn Gottes auferstanden und so in Gott zurückgeboren ist, in Gott und zugleich in sich selbst die Kreatur als Gott. Dann gehört für ihn die Rose, die da »ohne warum« ist, nicht mehr zur Gegenstandswelt, sondern zu seinem Selbst als Sohn Gottes. Der Mensch und die Rose teilen in Gott das Leben Gottes. Das Blühen der Rose ist zugleich Gottes Ereignis und die eigene Sache des Menschen, der mit Gott vereint ist. Zu unserem Vergleich mit dem Zen wollen wir nun folgende Frage und Antwort zusammenstellen: »Warum ist Gott Mensch geworden?« – »Die Rose ist ohne warum.« Das erinnert uns an das andere: »Was ist der Sinn davon, dass vom Westen her der Patriarch gekommen ist?« – »Eichbaum vor dem Garten.« In den beiden Beispielen handelt es sich gleichermaßen um ein Konkretes, das dem gewöhnlichen Bewusstsein als ein Naturgegenstand erscheint, Rose bzw. Eichbaum, und zwar als Erwiderung auf die jeweilige religiöse Frage. Welche Bedeutung die Rose hier hat, haben wir oben gesehen. Der »Eichbaum vor dem Garten« ist in seiner Bedeutung – gesetzt, dass man ihm noch eine Bedeutung geben könnte – nichts Geringeres als die Rose von Angelus Silesius. Die Konkretheit der »Rose« beruht nicht in der sinnlichen Gegenständlichkeit, sondern in der Fleischwerdung Gottes, d. h. in der Verkörperung des Ohne-warum-Seins. So wird hier nicht mit »ohne warum« in der Sprache der Logik erwidert, sondern das Selbst, das »ohne warum« ist, in seiner Konkretion erscheint als Erwiderung. Die ist nach der buddhistischen Auffassung der entscheidende Sprung im religiösen Leben vom LogischIdealen zum Realen. Auf die Frage nach der Bedeutung der Fleischwerdung Gottes erscheint unmittelbar Gott in seiner Fleischwerdung, d. h. hier die »Rose« als Erwiderung, wobei der Kern der ganzen Sache dies ist, dass der so mit der »Rose« Erwidernde selbst als Sohn Gottes eine Fleischwerdung Gottes ist. Hier eröffnet sich die Welt des Realen, die Eckhart als »Lebemeister« mit dem Zen teilt. Das »ohne warum« gehört noch zum Gedanken Gottes oder zum gedachten Gott. Wer aber Gott in seinem Ohne-warum-Leben erlebt hat und selbst mit dem Leben Gottes lebt, der scheut sich auch nicht, über die theo201 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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logische Grenze der negativen Theologie hinweg, die »Rose« erscheinen zu lassen, wenn es um Gott geht. Das »Ohne-warum-Sein« Gottes zeigend, verneint zugleich die Erwiderung »ohne warum« die Frage-stellung »warum«. Diese Negation aber ist, wie gesagt, eine Negation in Worten, d. h. ein negativer Ausdruck, der sich noch auf derselben Dimension mit der Fragestellung bewegt. Wenn dagegen auf die Frage »Warum Gott […]?« unvermittelt erwidert wird, »Die Rose ist […]«, so ist es ein realer Stoß gegen die Dimension der Frage und eine Tat der Negation oder eine tatsächliche Verneinung, ein Sprung von dem Logischen zum Realen auch auf der negativen Seite. Was diese Wendung zum Realen anbelangt, so ist es so, wie wenn man eine Bombe explodieren lässt auf den Frager: »Was ist eine Bombe?« Die Explosion der Bombe ist dabei zugleich die reale, wahre Antwort auf die Frage und die reale Negation der Frage-stellung. Das wirkliche Erleben einer Bombe ist, durch sie getötet zu werden. Oben haben wir auf die nähere Verwandtschaft der beiden Beispiele hingewiesen. Zugleich müssen wir jedoch feststellen, dass hier noch ein wesentlicher Unterschied besteht und dass wir so immer noch unterwegs sind bei unserem Versuch, auf dem Umweg durch die Mystik Meister Eckharts den Ort zu erreichen, woraus Dschaudschou seine Worte gesprochen hat. »Was ist der Sinn davon, dass vom Westen her der Patriarch gekommen ist?« »Eichbaum vor dem Garten.« »Warum ist Gott Mensch geworden?« »Die Rose ist ohne warum.« Wenn auf die Frage »Warum ist Gott Mensch geworden?« bloß mit »Die Rose da« erwidert würde, wäre die vollkommene Entsprechung zum betreffenden Zen-Beispiel erreicht. Die Erwiderung »Die-Rose-ist-ohnewarum« müsste einfach in »Die-Rose« sozusagen verkürzt werden. Was für ein Ereignis ist diese Verkürzung, d. h. das Abschneiden des »Ist-ohne-warum« vom »Die-Rose-ist-ohne-warum«? Was geschieht mit diesem Abschneiden in der inneren Beziehung zwischen Gott und Mensch wie auch zwischen Mensch und Natur? Führt Eckhart auch diese Verkürzung mit durch? Um dies zu ergründen, wollen wir zunächst den Ort der vorigen Erwiderung »Die-Rose-ist-ohnewarum« nochmals prüfen, und zwar darauf hin, was das zur einfachen »Rose« Hinzugefügte, d. h. das »Ist-ohne-warum« bedeutet* * Die zweite Zeile, »sie blühet, weil sie blühet«, ist nichts weiter als das Ohne-warum-Sein der Rose in positiver Entfaltung.

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und welche Probleme das betreffende Hinzufügen in sich birgt. Das »Ist-ohne-warum« kann dabei in zweierlei Hinsicht in Frage kommen: 1. dass es eigentlich Gott als das absolute Sein aufweist, und 2. dass es menschliche Worte sind, ein Prädikat, das der Mensch Gott und dann dem Sein der Rose als Gott prädiziert. Das »Ist-ohnewarum« gehört als Sache eigentlich zu Gott, als Aussage zum Menschen. 1. Das zur »Rose« Hinzugefügte, das »Ist-ohne-warum«, ist in seiner Urform, dem Ohne-warum-Sein, Gott selbst, die absolute Fülle des Seins ohne warum, wie wir schon gesehen haben. Das Ohnewarum-Sein gehört zu Gott und zu Gott allein. Darin unterscheidet sich Gott von vornherein in absoluter Weise von allem, was nicht Gott ist. »Die Rose ist ohne warum«: Da erscheint Gott selbst in der Gestalt des »Ist-ohne-warum«, das kreatürliche Sein der Rose zunichtemachend, als das Sein der Rose. Nun aber ist Gott, wie er noch in der göttlichen Gestalt erscheint, nach Eckhart, nicht Gott selbst, wie er in sich gestaltlos ist. Wenn dem so ist, kommt die Weglassung des »Ist-ohne-warum« vom »Die-Rose-ist-ohne-warum« dem vollkommenen Verschwinden Gottes gleich. Da ist keinerlei Spur Gottes mehr. Und dieses Verschwinden Gottes kann als der reale Vollzug des »Entwerdens Gottes« im Eckhart’schen Sinne angesehen werden. Eckhart verlegt das Wesen bzw. den Grund Gottes hinter den trinitarischen Gott in das Nichts. Gott entwird ins Nichts, d. h., für Eckhart kehrt Gott zu seinem untrennbaren, unaussprechlichen, form- und weiselosen Grund, zu seinem Un-grund zurück, und kehrt alles in den Un-grund Gottes mit zurück. »Die Rose ist ohne warum.« Die Rose, wie in ihr Gott als ihr Sein erscheint, ist eine Fleischwerdung Gottes. In der Rose als der Fleischwerdung Gottes behält aber Gott noch sein Gott-Sein für sich selbst, und zwar im »Ist-ohne-warum«. Es ist nicht so, dass Gott sein Sein als Gott gänzlich zunichtegemacht hätte und sich gänzlich in die Rose versenkte. Diese Erscheinung Gottes in göttlicher Gestalt als das Sein der Rose, bzw. die Beibehaltung des göttlichen Seins bei der Fleischwerdung in der Rose, ruft eine Zweiheit hervor: Gott und die Rose als Natur. Wo Gott noch als Gott erscheint, da ist die Zweiheit, d. h. der Unterschied zwischen Gott und dem, was nicht Gott ist, gesetzt: Gott und Natur, bzw. Schöpfer und Kreatur. »Die Rose ist ohne warum«; indem Gott dabei in der göttlichen Gestalt des »Ist-ohne-warum« 203 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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neben der Rose erscheint, muss sich zunächst einmal der betreffende Unterschied bestätigen, muss aufgrund dieser Zweiheit die Rose als zur Natur gehörig erscheinen, und erst danach kommt es zum EinsSein der von vornherein unterschiedenen zwei, Gott und Natur, wobei das Eins-Sein auf dem Hintergrund der Zweiheit sich wie eine Art von Naturmystik ausnehmen muss. Mit dem Abschneiden des »Ist-ohne-warum«, d. h. mit dem Entwerden Gottes verschwindet nun zugleich diese Zweiheit. Da ist der Unterschied zwischen Gott und Natur, zwischen Schöpfer und Kreatur überwunden. Das bedeutet aber nicht die Vergottung der Natur. Mit dem Entwerden Gottes kehrt Gott, nach Eckhart, »vor die Schöpfung« zurück. Vor der Schöpfung gibt es die Natur nicht. Wenn Gott zunichtewird, wird die Natur mit zunichte. Hier kann man nicht von einer Vergottung der Natur sprechen. 2. »Die Rose ist ohne warum.« Dabei ist das zur »Rose« Hinzugefügte, d. h. das »Ist-ohne-warum« ein Prädikat, das der Mensch der »Rose« prädiziert. Da ist wieder eine Zweiheit gesetzt, Mensch und Rose. »Die Rose ist ohne warum.« Das Prädikat setzt einen Prädikator voraus, der zur »Rose« sagt: Die Rose ist ohne warum. Nun ist aber das »Ist-ohne-warum« eigentlich und ursprünglich das Prädikat zu Gott, die menschlichen Worte, in denen Gott vom Menschen her – wieder eine Zweiheit: Mensch und Gott – gedacht und erfasst ist. Nach Eckhart ist nun das lautere Sein Gottes undenkbar und unerfassbar: So heißt es: Gott ist ohne warum. Das »Ohne-warum« will alle Versuche zurückweisen, Gott durch das menschliche Denken, das mit »warum-darum« operiert, zu erfassen. Trotzdem entzieht sich das »ohne-warum« selbst dem Bezirk des menschlichen Denkens immer noch nicht, da die betreffende Verneinung selbst von logischer Konstruktion ist. Das »Ist-ohne-warum« als Prädikat zu Gott bleibt das vom Menschen Hinzugedachte zum lauteren Sein Gottes, das in sich undenkbar ist, und ist als solches eine Verhüllung des reinen Seins Gottes, und so ein Trennendes zwischen Gott und Mensch. Das Prädizieren des Menschen soll die Überbrückung der betreffenden Zweiheit sein, aber in Wahrheit ist es nichts anderes als ein Überbrückungsversuch durch Hinzudenken vom Menschen her, wobei das Hinzugedachte in der Tat Verhüllung und Trennendes ist. Prädizieren ist schon ein Ausdruck der Zweiheit. Gott, wie er in sich selbst undenkbar und unerfassbar ist, ist zugleich unsagbar und unaussprechlich. So heißt es: Gott ist unsagbar 204 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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und unaussprechlich. Wenn man aber sagt: Gott ist unsagbar, somit ist schon etwas über Gott gesagt und gesprochen. Zwischen der Aussage, dass Gott unaussprechlich ist, und dem wirklichen Schweigen ist eine entscheidende Kluft. Das »Ist-ohne-warum« als Prädikat zu Gott bleibt Gerede über Gott, dessen Wesen das Schweigen des Menschen verlangt. »Die Rose ist ohne warum.« Hier ist, von außen her gesehen, zwar nicht unmittelbar, nicht ausdrücklich von Gott die Rede, indem aber von der »Rose« mit dem zu Gott gehörigen Prädikat gesprochen wird, d. h. die »Rose« bzw. das Sein der Rose als Gott angesprochen wird, wird doch von Gott mit gesprochen. Das »Ist-ohne-warum« ist das menschliche Prädikat, mit dem der Mensch von Gott spricht und die Rose als Gott anspricht. In dieser Hinsicht bedeutet das Abschneiden des »Ist-ohne-warum« das vollkommene Schweigen des Menschen über Gott und über das Sein der Rose als Gott. Es bedeutet: nicht sagen, dass Gott unsagbar ist, sondern dies schweigend verwirklichen. Es ist wirkliches Aufgeben des menschlichen Wortes und Abtun des Hinzugedachten im Nicht-Denken. Zusammenfassung: Zu dem »Ist-ohne-warum« haben wir oben zweierlei gesagt. 1. Gott erscheint darin noch in göttlicher Gestalt des »Ohne-warum-Seins«, und diese göttliche Erscheinung Gottes ruft die Zweiheit von Gott und Natur hervor, auf deren Hintergrund das Eins-Sein von Gott und Rose als Naturmystik erscheinen muss. Dabei ist Gott, wie er in der Gestalt des »Ist-ohne-warum« erscheint, noch nicht Gott selbst, wie er in sich selbst ist. 2. Es sind menschliche Worte, ein Prädikat von Menschen zu Gott und dann zum Sein der Rose als Gott. Hier waltet wieder eine Zweiheit, Mensch und Gott bzw. Mensch und Rose. In dem »Ist-ohne-warum« als menschlichem Prädikat drückt sich das menschliche Hinzudenken zu Gott und zum Sein der Rose als Gott aus. Das Hinzugedachte wird dabei Verhüllung des undenkbaren lauteren Seins Gottes und die menschlichen Worte darüber ein Gerede. Der Mensch, wie er Gott mit dem »Istohne-warum« prädiziert, ist noch nicht in seinem wahren Ursprung zurück. Die oben genannten beiden Punkte haben ihre gemeinsame Wurzel darin, dass zur einfachen »Rose« das »Ist-ohne-warum« hinzugefügt ist. Hinzufügung findet aber nur dort statt, wo es vorher eine Zweiheit gibt, d. h. wo das Ur-eine schon ur-geteilt ist. Da schon eine Zweiheit gesetzt ist, erscheint in diesem Gegenüber die Rose einerseits als die Natur, und das Ohne-warum-Sein andererseits weist 205 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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das Sein Gottes auf, und zwar so, dass dieses »Ist-ohne-warum« prädizierendes Wort des Menschen ist, Gott »gegenüber« und auch der Rose »gegenüber«, die in Gott gesehen ist. So bedeutet das Abschneiden des »Ist-ohne-warum« 1. das vollkommene Entwerden Gottes ins Nichts, d. i. die Rückkehr Gottes in seinen form- und weise-losen Ungrund, 2. das vollkommene Schweigen des Menschen über Gott, d. h. das Absterben des Sprechenden, wirklich entsprechend der Rückkehr Gottes in seinen unsagbaren Ur-grund, und 3. so die Überwindung der Zweiheit im doppelten Gegenüber: Gott und Natur, Mensch und Gott, d. h. die Rückkehr zum Ureinen, und zwar über das Nichts, wie es sich oben 1. als vollkommenes Verschwinden Gottes und 2. als vollkommenes Absterben des Menschen ereignet. Mit diesem Abschneiden des »Ist-ohne-warum« ist es aber nicht so, dass die Rose allein von dem Abschneiden, d. h. von dem großen Ereignis des Nichts, unbetroffen, ihr Sein behalten würde, wie es der äußeren Form nach scheinen mag, da das Prädikat abgeschnitten wird und das Subjekt bleibt. Wenn es heißt: »Die Rose ist ohne warum«, ist die Rose schon in ihrem eigenen kreatürlichen Sein zunichtegeworden und ist in Gott als Gott. Mit dem Abschneiden des »Ist-ohnewarum«, d. h. mit dem Entwerden Gottes selbst ins Nichts wird nun auch die »Rose«, wie sie in Gott und als Gott ist, mit zunichte. Da ist ein lauteres Nichts. Wenn es heißt: »Die Rose ist ohne warum«, ist der Mensch, der die Rose so in Gott als Gott sieht, schon seiner selbst und der Kreatur tot und ist in Gott als Gottessohn zurückgeboren. In seinem eigenen Tode lebt da der Mensch das Leben Gottes, das im Blühen der Rose lebt. Mit dem Entwerden Gottes ins Nichts stirbt nun der Mensch, der Gottessohn, auch das Leben Gottes, es ist »ein großes Sterben«, wie es im Zen heißt, die äußerste Selbstentäußerung des Menschen. Da ist, mit Eckhart zu sprechen, eine »Wüste« (wüestunge), wo kein Leben mehr lebt, weder menschliches noch göttliches, wo keine Kreatur mehr »grünen« kann wie in Gott. Dieses lautere Nichts, Wüste, heißt nach einem Zen-Ausdruck ein »doppeltes Vergessen«. Der Mensch vergisst seiner selbst und Gottes. Gott vergisst seiner selbst und des Menschen. Dieses »doppelte Vergessen« ist im Zen von einem Kreis, dessen Innenraum ganz leer ist, versinnbildlicht. In dem lauteren Nichts, in das Gott und Mensch zusammen entwerden, wird die Rose auch vollkommen zunichte. Jetzt sind wir endlich an dem Ort, von dem aus die Entsprechung zum »Eichbaum vor dem Garten« von Dschau-dschou zu erreichen ist. Von dem »Die-Rose-ist-ohne-warum« ist nämlich das hinzuge206 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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fügte »Ist-ohne-warum« abzuschneiden. Da ist ein lauteres Nichts, in das Gott, Mensch und Rose zusammen entworden sind. Wenn es nun heißt: »Die Rose!«, so geht es also um die Fleischwerdung des lauteren Nichts, die Auferstehung aus dem großen Sterben in der Wüste, oder, nach dem Zen-Ausdruck, »kalte Asche fängt Feuer«, »ein dürrer Baum blüht«. »Warum ist Gott Mensch geworden?« »Die Rose da!« »Was ist der Sinn davon, dass vom Westen her der Patriarch gekommen ist?« »Eichbaum vor dem Garten!« So haben wir, von der Mystik Meister Eckharts her, eine genaue Entsprechung zu dem Zen-Beispiel erreicht. Kommt aber Eckhart selbst mit uns wirklich bis zu dieser Entsprechung mit? Auf dem Wege des Abschneidens des »Ist-ohne-warum« ist die genaue Entsprechung erreicht. Welches Ereignis dieses Abschneiden ist, das haben wir oben gesehen. Nun kommt der »Durchbruch« bei Eckhart dem betreffenden Abschneiden gedanklich vollkommen gleich. »Durchbruch« heißt bei Eckhart: Indem der Mensch sich selbst, wie er mit Gott vereint ist und so in Gott wohnt, lässt – äußerste Selbstentäußerung des Menschen –, bricht er durch Gott hindurch bis zum Nichts, zum wahrhaft formlosen und unsagbaren Ur-grund Gottes und zugleich des Menschen. Mit diesem Gedanken des »Durchbruchs« steht Eckhart, die Grenze der gewöhnlichen Gedankenwelt des Christentums übertretend, dem Zen-Buddhismus am nächsten, man könnte sogar sagen, schon innerhalb der Zen-Welt. Gerade da tritt aber zugleich der entscheidende Unterschied am deutlichsten in Erscheinung. Eckhart kommt zwar im Motiv des Abschneidens mit dem Zen mit, er kommt aber nicht bis dahin, sich am äußersten Ende der Negation dem Einfach-Schlichten, der »Rose« allein, zuzuwenden. Wenn Eckhart von der Negation zur Bejahung umkehrt, so kommt er wieder erst in Gott und mit Gott zur Bejahung zurück, nicht direkt zur schlichten Bejahung der »Rose«, sondern auf dem Umweg über Gott. Für Eckhart, auch mit seinem radikalen Gedanken von der Entwerdung Gottes, bleibt Gott noch immer als solcher die erste Bejahung, und erst durch Gott und in Gott erlangen alle anderen ihre Bejahung wieder. Ohne von Gott zu sprechen, kann Eckhart nicht zur Bejahung zurückkehren. Das hängt aber im Grunde schon mit der Auffassung des Nichts und dem Vollzug der Negation zusammen. Eckhart sagt: Gott entwird, und dabei nennt er das Nichts, in das Gott entwird, »Gottheit«. Das besagt, dass er das Nichts immer von Gott her als Grund Gottes erfährt, nicht das Nichts als solches. Das Nichts aber, in 207 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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das Gott entwird, lässt als solches die Stellung nicht mehr bestehen, von Gott her das Nichts als Gottheit zu bestimmen. Bloß das Nichts, sonst nichts – dem entspricht das Einfach-Schlichte: die »Rose«. Eckhart sagt nicht: das Nichts, wie es im Zen geschieht, sondern: Gott ist ein Nichts. Hier müssen wir einen entscheidenden Unterschied feststellen. Dieser Unterschied ist hier noch etwas näher herauszuarbeiten. Was ist Gott? Eckhart erwidert: Gott ist (in seinem Wesen) ein Nichts. Was ist Gott? Ein Zen-Meister würde erwidern: Nichts. Wenn es heißt: Gott ist ein Nichts, so bezieht sich das Nichts zwar auf das Was Gottes, aber nicht so, dass Gott in sich selbst ein Nichts wäre, sondern die Negation, die im »Nichts« zum Ausdruck gebracht ist, richtet sich auf den Menschen, auf die menschliche Erfassung. »Gott ist ein Nichts«. Das heißt also: Gott ist, und zwar als ein Nichts, d. h. ein Nichts für den Menschen. Das Gott-ist ist ein unantastbarer Ursatz. Es ist in der Frage »Was ist Gott?« nicht in Frage gestellt, und in der Antwort »Gott ist ein Nichts« vom Nichts nicht angetastet. Gott ist das Sein selbst, ein lauteres Sein, so lauter, dass es über jede Bestimmung erhaben ist und eben daher für den Menschen ein Nichts. Das Nichts ist in diesem Fall ein Inbegriff der Negationen aller möglichen Bezeichnungen, die der Mensch Gott beilegt: Gott ist nicht gut, Gott ist nicht wahr, Gott ist nicht weise, usw. »Gott ist nichts; nicht so, dass er ohne Sein wäre, er ist vielmehr weder dies noch das, was man auszusagen vermag – er ist ein Sein über allen Sein« (vgl. EW II, S. 187; Pr. 82). 939 »Gott ist ein Nichts.« Das heißt also: Gott ist, und zwar als ein Nichts für den Menschen. So waltet hier eine doppelte Zweiheit: Sein und Nichts, Gott und Mensch. Auch das letzte Wort Eckharts über Gott, das Eine, wird in der Zweiheit und Gegensätzlichkeit gesprochen. Im Zen würde es anders heißen: »Was ist Gott?« »Nichts!«* Hier ist es nicht so, dass mit dem »Nichts« auf die Frage nach dem Was Gottes geantwortet würde, sondern es handelt sich um eine totale Negation der Frage selbst. Nicht nur so, dass das »Nichts« sich auf das Was Gottes bezieht, sondern auch das »Gott-ist« hat auch keinen Platz mehr in dieser Erwiderung. Das »Nichts« hat nichts Gemeinsames mit der Frage und der Frage-stellung und verneint auf diese Weise den Fragenden selbst. Die Frage, das Gefragte und der Fragende, alles in einem ist mit dem »Nichts« verneint. Das »Nichts« ist vollkommen der Zweiheit entäußert, anders als wenn es heißt: * Das Nichts hier steht nicht für die Antwort: Gott ist ein Nichts.

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Gott ist ein Nichts. Es ist ein vollkommenes indivisum [Unteilbares], eine große Feuerkugel, wie es im Zen heißt. Anmerkung: Der genannte Unterschied der Auffassung des Nichts und des Vollzugs der Negation hängt vielleicht damit zusammen, dass Eckhart das Absolute mit der Kategorie »Substanz« auffasst, während der Buddhismus es mit der Kategorie »Beziehung« auffasst. Aufgrund der konsequenten Durchführung der Kategorie »Substanz« und der radikalen Anwendung der »Substanz« auf Gott musste Eckhart das Wesen Gottes in der »lauteren Substanz schlechthin« 940 erblicken, die jeder Eigenschaftsbestimmung ledig ist. Im Buddhismus – mit der anattā-Lehre im Urbuddhismus und mit der Sunyatā-Lehre im Mahāyāna-Buddhismus – ist dagegen grundsätzlich verneint, das Absolute mit der Kategorie »Substanz« als etwas Seiendes aufzufassen, ganz anders als bei Eckhart. Nach dem Buddhismus gibt es nichts, was in sich selbst ist. Alles, was ist, ist in seiner »Beziehung« zu anderem. »Sein« heißt im buddhistischen Sinne, »in sich selbst nichts und in der Beziehung stehen«, wobei die radikale Durchführung der Kategorie »Beziehung« für den Buddhismus charakteristisch ist. Was nämlich in der Beziehung steht, ereignet sich erst aus der »Beziehung« und wird wieder in die »Beziehung« aufgelöst. Diese universale »Beziehung« selbst ist auch keine bestehende, seiende Ordnung 941, sondern ein dynamisches Ereignis des Zu- und Miteinanders. In dieser dynamischen »Beziehung« ereignet sich ein jedes zugleich als ein Nichts und als ein Sein, d. h., ein jedes in sich selbst ein Nichts und gerade dadurch für die »Beziehung« restlos offen. Es ist in sich selbst ein Nichts und gerade in diesem Nichts sammelt sich die universale »Beziehung«: »Es geht ein Blümchen auf, und eine Welt entsteht« (vgl. Bi-yän-lü, S. 341). Es ist und zugleich es ist nicht. Dies ist nach dem Buddhismus die Wahrheit des Seins. Sein ist in seinem Wesen vom Nichts durch und durch durchdrungen. Wir haben oben zunächst gesehen, welches Ereignis das Abschneiden des »Ist-ohne-warum« ist, und danach, wie Eckhart zwar mit seinen Gedanken des »Durchbruchs« dieses Abschneiden gedanklich mitmacht, aber in der tatsächlichen Durchführung zurücksteht, wobei der Grund dafür darin liegen mag, das Absolute, Gott, mit der Kategorie »Substanz« als absolut Seiendes zu erfassen. Nun wollen wir weiter sehen, was für ein Ereignis es ist, wenn es einfach heißt: »Die Rose« – was bei Eckhart in Wirklichkeit nicht geschieht –, um von der damit erreichten Entsprechung die Erwiderung »Eichbaum vor dem Garten« überblicken zu können. 209 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

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Das betreffende Abschneiden kommt dem tiefen Schweigen im »großen Sterben« gleich. Nicht nur, dass der Mensch über Gott vollkommen schweigt, sondern auch Gott selbst schweigt; Gott spricht weder das innergöttliche Wort noch das Wort der Schöpfung noch das Wort des Heils. So wird das einfache Wort »Die Rose« aus diesem vollkommenen Schweigen im »großen Sterben« heraus gesprochen. Mit diesem Sprechen und gerade als dieses Sprechen lebt nun alles aus dem »großen Sterben« wieder auf. Das Sprechen hier ist das Ur-quellen des lauteren Lebens in der Wüste. So heißt es: die Rose. »Die Rose.« Sonst nichts. Es ist nichts, das der »Rose« gegenübersteht. Kein Gott, der als Seinsgrund hinter der Rose steht. Kein Mensch, der da vor der Rose steht und mit menschlichen Worten prädiziert. Die »Rose« ist nicht mehr vom Menschen her gesehen, nicht mehr von Gott her. Es handelt sich hier um ein vollkommenes »indivisum« und das Einfache, um »ein einziges Sein« 942. Wohin denn Gott und der Mensch? »Die Rose.« Sonst nichts. Keine Spur von Gott. Da ist gerade Gott in seinem Urgrund des Nichts, wie er in sich selbst weiselos, formlos und gestaltlos ist, gegenwärtig, und zwar als die »Rose«. Die »Rose« ist die Fleischwerdung des Nichts, in das Gott entwird. Gott hat sich selbst wahrhaft zunichtegemacht, und das Nichts, in das Gott entworden ist, ist zur »Rose« geworden. Diese »Rose« ist das auferstandene Selbst des bis zum Ent-werden ins Nichts selbst-losen Gottes. »Die Rose.« Sonst nichts. Keine Spur vom Menschen. Nichts Hinzugedachtes, kein Prädikat mit menschlichen Worten. Das ist gerade der Mensch in seinem Urgrund, in seinem »nichtgeistig, geistlos«-Sein (vgl. EW II, S. 197; Pr. 83) 943 gegenwärtig, und zwar als die »Rose«. Der Mensch hat sich seiner selbst, wie er mit Gott vereint ist, entäußert, und das Nichts, in das der Mensch und die Rose als Naturgegenstand zusammen entworden sind, ist zur »Rose« geworden. Die »Rose« ist die Konkretion des Nichts, und als solche das aufgelebte Selbst des bis zum »großen Sterben« selbst-losen Menschen. »Die Rose.« So ist es ein Ereignis des Nichts. Als solches birgt die »Rose« die unendliche Negation. Zugleich ist das Ereignis des Nichts, die »Rose«, als Nicht-Ereignis die schlichte Bejahung der Rose und von allem. Wenn der Mensch einmal das Einfache, »die Rose«, erreicht hat, d. h., wenn er durch das »große Sterben« in das lautere Nichts entworden war und dann mit dem Sprechen »Die Rose« wieder aufgelebt ist, so ist er imstande, dieses Einfache nun in verschiedener Weise zu Worte bringen, ohne das Einfache zu verlassen. Die Freiheit vom 210 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Gesamtwürdigung der Mystik Meister Eckharts

Wort im vollkommenen Schweigen schlägt hier zur Freiheit zum Wort um. Um die betreffende »Rose« in Formulierungen, sowohl negativ als auch positiv, die uns in Zen-Texten häufig begegnen, zu bringen, könnte es heißen: 1. negativ: »Die Rose ist nicht die Rose«, 2. positiv: »Die Rose blüht, wie sie blüht.« Zunächst zu der negativen Formulierung: Die Rose ist nicht die Rose. Dieses »nicht« lässt dabei keinen Raum für »sondern«, denn, auch wenn man sagt, »nicht Rose, sondern A«, so wird dieses A schon von derselben Negation mit ergriffen: A ist nicht A. Hinter dem »nicht« steht also nicht etwas, sondern ein unendliches »nicht«, das ein jegliches schon in seinem Selbst-Sein verneint. Falls dagegen das »nicht« noch den Raum für das »sondern« lässt, falls also gesagt wird: Die Rose ist nicht die Rose, sondern z. B. (in ihrem Sein) Gott, so ist die Rose transparent, und dahinter erscheint Gott als ihr Seinsgrund. Die Rose ist also transparent bis zu ihrem Grund, d. h. Gott. Nun, Gott ist entworden in das Nichts, Gott ist nicht Gott. Da ist die Rose »un-gründlich« transparent, ohne auf irgendeinen seienden Grund gegründet zu sein. »Die Rose ist nicht die Rose.« Hier handelt es sich also um eine totale, »un-gründliche« Negation. In diesem Fall ist die Negation radikaler durchgeführt, als wenn es heißt: Die Rose ist ohne warum. Einige Beispiele aus Zen-Sprüchen für diese totale »ungründliche« Negation: »Der Patriarch Bodhidharma ist niemals nach China gekommen.« »Buddha hat nichts gepredigt in seiner neunundvierzigjährigen Predigttätigkeit.« Oben heißt es: Die Rose ist nicht die Rose; d. h. nach dem Gesagten: Die Rose ist die Rose, und zwar auf dem Grund des menschlichen Nichts, d. h. auf dem Ur-grund der unendlichen Transparenz. Damit ist schon die bejahende Formulierung erreicht. Die Rose ist die Rose, wobei das Rose-Sein der Rose vom Nichts durch und durch durchdrungen und so »un-gründlich« transparent ist. Dieses Sein auf Ungrund der unendlichen Transparenz bringt den Zen-Buddhismus mit dem Wort »wie« zum Ausdruck und sieht die Wahrheit des Seins im Wie-Sein (nicht: A ist A, sondern A ist wie A). Das Sein, das vom Nichts unendlich transparent gemacht ist; das unendliche Nichts, das vom Sein gefärbt ist, dieses Doppelte ist im »Wie« in eines zusammengeschmolzen. So heißt es in positiver Formulierung: »Die Rose ist wie die Rose«, »Die Rose blüht, wie sie blüht.« Diese Formulierung ist, im Vergleich zu der Formulierung: »Die Rose blüht, weil sie blüht«, viel unmittelbarer in ihrer Bejahung. Dieses »Wie« bereitet im Zen-Buddhismus einen freien Raum für das Dichten. Hier liegt 211 https://doi.org/10.5771/9783495816998 .

Die Lehre Meister Eckharts vom »Durchbruch«

der Grund dafür, dass das Wort des Zen-Buddhismus als Dichten geschehen kann.

Schlussbemerkungen »Ein Mönch fragte Dschau-dschou: Was ist der Sinn davon, dass vom Westen her der Patriarch gekommen ist? Dschau-dschou erwidert: Eichbaum vor dem Garten.« Zum Vergleich haben wir auf die entsprechende christliche Frage »Cur deus homo« mehrfache Worte aus der Mystik Eckharts bzw. aus dem ihm geistesverwandten Mystikerkreis stufenweise, jeweils als mögliche Antworten, angeführt, um auf diese Weise den Ort zu ergründen, wo die vollkommene Entsprechung zu erreichen ist. Die Worte Eckharts, die ich jeweils als Antwort auf die genannte Frage angenommen habe, sind aber ursprünglich bei Eckhart in seinen Predigten zu finden. Predigen, das ist bei Eckhart das eigentliche Geschehen des Wortes und seine religiöse Existenz selbst, während beim Zen-Buddhismus »Frage und Erwiderung« (Mondō heißt auf Japanisch der charakteristische Zen-Dialog) der eigentliche Ort des Wortes und das Element des Zen selbst ist, wie wir in dem betreffenden Beispiel sehen. Hier wäre eigentlich ein Vergleich der verschiedenen Gestalt des Wortgeschehens erforderlich, einerseits der Predigt bei Meister Eckhart, andererseits des Mondō im Zen. Die mit dieser Strukturverschiedenheit des Wortgeschehens zusammenhängenden Grundfragen müssen einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. Durch unseren kurzen Vergleich mit dem Zen-Buddhismus zeigt sich also die Mystik Meister Eckharts in ihrer Untrennbarkeit von der christlichen Grundlage als eine christliche Mystik*, obwohl sie innerhalb des Christentums eine radikale Abweichung von der kirchlichen Orthodoxie aufweist.

* Der Unterschied der Mystik Meister Eckharts zum Zen-Buddhismus ist auch von der christlichen Seite beachtet; vgl. E. Benz: Mystik als Seinserfüllung bei Meister Eckhart, in: »Sinn und Sein, ein philosophisches Symposion«, S. 415.

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Anmerkungen

»Swer in disen grunt (den Grund Gottes, welcher zugleich der Seelengrund ist) ie geluogete einen ougenblick, dem menschen sint tûsent mark rôtes geslagenen goldes als ein valscher haller« (DW I, S. 90). 2 »Kündest dû dich selben vernihten einen ougenblik, ich spriche, joch kürzer dan einen ougenblik, sô wære dir allez daz eigen, daz ez (etwas in der Seele, was Gott verwandt ist) in im selben ist« (DW II, S. 66). 3 »Enwære hie nieman gewesen, ich müeste sie (seine Predigt) disem stocke geprediget hân« (DW IV,1, S. 774). 4 »Got und ich wir sîn ein in disem gewürke; er würket, und ich gewirde« (DW I, S. 114). 5 »[…], und gebirt der vater sînen sun in der sêle in der selben wîse, als er in in der êwicheit gebirt, und niht anders. […] er gebirt mich sînen sun und den selben sun.« (DW I, S. 109). 6 »Der himelische vater der gebirt in mich sîn glîch, und von der glîcheit sô kumet ûz ein minne, daz ist der heilige geist« (DW I, S. 218). 7 »[…], und vrâget ir mich, wan ich ein einiger sun bin, den der himelische vater êwiclîche geborn hât, ob ich dan êwiclîche in gote sun sî gewesen, sô spriche ich: […]« (DW I, S. 382). 8 »Dirre geist muoz übertreten alle zal und alle menige durchbrechen, und er wirt von gote durchbrochen; und alsô, als er mich durchbrichet, alsô durchbriche ich in wider« (DW II, S. 76 f.). 9 »Hie ist gotes grunt mîn grunt und mîn grunt gotes grunt« (DW I, S. 90). 10 »In dem durchbrechen, dâ ich ledic stân mîn selbes willen und des willen gotes und aller sîner werke und gotes selben, sô bin ich ob allen crêatûren und enbin weder got noch crêatûre« (DW II, S. 504). 11 »Mir genüeget, daz in mir und in gote wâr sî, daz ich spriche und schrîbe« (DW V, S. 60). 12 »Ich saz gester an einer stat, dô sprach ich ein wörtelîn, daz stât in dem pater noster und sprichet: ›dîn wille der werde!‹ Mêr: ez wære bezzer: ›werde wille dîn!‹ ; daz mîn wille sîn wille werde, daz ich er werde: daz meinet daz pater noster« (DW II, S. 99). 13 »Got und ich wir sîn ein« (DW I, S. 113). 14 »una natura et tres personae« 15 »essentiae unitas et personarum trinitas« 16 »essentia continet unitatem, relatio multiplicat trinitatem«. 17 »Daz wir diz begrîfen und êwiclîche sælic werden, des helfe uns der vater und der sun und der heilige geist. Amen« (DW III, S. 180). 1

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Anmerkungen: S. 36 – 39 »Quia, cum deus sit in sui et ex sui natura indicibilis, utique quod dicitur esse, non est in ipso. […] Verum quidem est quod est aliquid in deo respondens trinitati quam dicimus« (LW IV, S. 31). 19 »In divinis et praecipue in deo necessarium est dicere et fateri patrem, filium et spiritum sanctum, et quod ›hi tres unum sunt‹, non unus; adhuc autem quod coaeterni sunt, coaequales et consubstantiales, unum in omnibus, quae naturae sunt, distincti autem in solis illis et omnibus, quae generare et generari, spirare et spirari sapiunt, connotant vel important« (LW III, S. 132). 20 »In deo est personarum trinitas« (LW III, S. 303). 21 »personarum verissima distinctio«; »in tres distinctio« (LW IV, S. 15). 22 »unum« 23 »unum sunt in natura et substantia« (LW III, S. 133). 24 »ipsahrumi (der drei Personen) aequalitas«; »ipsarum in esse identitas« (LW IV, S. 15). 25 »aequalitas« 26 »in tres distinctio« 27 relatio 28 »Pater est principium sine principio, et consequenter ingenitus nec procedens. Filius autem est principium a principio, et propter hoc genitus ab ipso suo principio, genitus quidem, sed non factus nec creatus, cum sit ipsum suum principium. ›Spiritus vero sanctus a patre et filio, non factus, non creatus nec genitus, sed procedens‹« (LW III, S. 304) 29 generatio, gebern 30 »Daz wort ›vater‹ liutet ein lûter gebern« (DW I, S. 72). 31 »Paternitas nomen est fecunditatis« (LW IV, S. 312). 32 »Voluntas enim patris ut pater naturaliter est generare et habere filium« (LW III, S. 102). 33 »Der vater kan niht dan gebern, der sun kan niht dan geborn werden« (DW I, S. 177). 34 »Wan swaz in gote ist, daz beweget in ze geberne; jâ, von sînem grunde und von sîner wesunge und von sînem wesene wirt der vater beweget ze geberne« (DW II, S. 263). 35 »Si semper pater fuit et est, semper filius fuit et est; semper natus, semper nascitur« (LW III, S. 166 f.). 36 »In divinis filius semper nascitur« (LW II, S. 369). 37 »Ich wart einest gevrâget, waz der vater tæte in dem himel? Dô sprach ich: er gebirt sînen sun, und daz werk ist im sô lüstlich und gevellet im sô wol, daz er niemer anders getuot dan gebern sînen sun, und sie beide blüejent ûz den heiligen geist« (DW I, S. 72). 38 »Er hat so grossen lust in dem sun, das er anders nüt bedarff denn geberenn seinen sun, Wann er ist ein volkommen gleichnuß vnnd ein volkommens bild des vatters (DW II, S. 469). 39 »Er enkan niemer anders, want er verzert alle sine kraft in sinem sune« (Pf. S. 167,27 f.). 40 »ein lûter gebern« 41 »generatio« 42 »emanatio formalis« (LW II, S. 237; LW IV, S. 425 f.) 43 »necdum cointellecta ebullitione« (LW IV, S. 426) 18

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Anmerkungen: S. 39 – 43 »redit idem super se ›reditione completa‹« (LW IV, S. 425) »Generans enim non solum generat sibi simile, […] sed generat alterum se« (LW III, S. 133). 46 »alterum se, non aliud a se« (LW III, S. 164) 47 »emanatio formalis praeter efficiens et finem« (LW II, S. 237) 48 »Forma, quae dat esse et ipsa est esse« (LW III, S. 290) 49 »Forma ipsa ex sui proprietate se totam communicat et est principium sive causa totius esse in producto« (LW III, S. 291). 50 »communicans se totum quod est communicat producto« (LW III, S. 304) 51 »Deus autem pater totum quod est transfundit in filium« (LW IV, S. 312). 52 »Dâ der vater gebirt sînen sun, dâ gibet er im allez, daz er hât wesenlîche und natiurlîche. In dem gebenne quillet ûz der heilige geist« (DW I, S. 180). 53 »Er (der Sohn) ist ein wort des vaters. In dem selben worte sprichet der vater sich selber und alle götlîche natûre und allez, daz got« (DW I, S. 15). 54 »Daz hât got im aleine behalten, […] daz er dâ sîne natûre und allez, daz er ist und geleisten mac, zemâle dar inne erbildet […] dar umbe heizet er (Sohn) eigenlîche ein bilde des vaters, […] wan daz götlîche bilde brichet ûz der vruhtbærkeit der natûre âne mittel« (DW I, 266, 7). 55 »Dar umbe wart der vater dem sune zemâle gegenwertic ist und der sun zemâle im glîch ist, dar umbe ›bekennet nieman den vater niuwan der sun‹« (DW I, S. 50). 56 »Got in sîn selben bekantnisse bekennet sich selben in im selben« (DW I, S. 150). 57 »Patet […] quod pater generando filium simul spirat amorem, qui est patris ad filium et filii ad patrem: nexus quidem amborum duorum et Spiritus spiratus ab utroque, a duobus, ut duo unum sunt« (LW III, S. 133). 58 »Waz ist götlich ordenunge? Von götlîcher mügentheit brichet ûz diu wîsheit, und ûz in beiden brichet diu minne, daz ist der brant« (DW II, S. 119). 59 unitas in trinitate, trinitas in unitate 60 »In formali emanatione producens et productum sunt unum in substantia simpliciter, in esse, vivere et intelligere et operari« (LW III, 291 f.). 61 »Filius enim non solum est similis patri in divinis, sed potius est ipse pater alius« (LW III, S. 133). 62 »Pater enim hoc est quod filius. Paternitas ipsa hoc est quod filiatio« (LW IV, S. 8). 63 »In divinis in patre et filio non solum est idem in specie, sicut in creaturis, sed etiam idem esse numero« (LW IV, S. 312). 64 »Pater enim et filius semper distincti supposito, cum nihil se ipsum gignat« (LW III, S. 132). 65 »non aliud a se in natura impersonaliter, sed est alius personaliter et origine« (LW III, S. 164). 66 »›Ego et pater unum sumus‹ : ›unum‹ propter naturae identitatem, ›sumus‹ propter imaginis et eius, cuius est imago, distinctionem personalem. Et hoc est quod hic dicitur: unigenitus, unum scilicet, sed genitus, et ideo non unus« (LW III, 162 f.). 67 essentiae unitas 68 personarum trinitas (distinctio) 69 »Underscheit enist noch in der natûre gotes noch in den persônen nâch der natûre einicheit. Diu götlîche natûre ist ein, und ieglîchiu persône ist ouch ein und ist daz selbe ein, daz diu natûre ist« (DW V, S. 115). 44 45

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Anmerkungen: S. 43 – 47 »Hoc enim negare est deum negare et eius unitatem« (RS S. 7). »Et propter hoc proprie non producit simile, sed unum et idem se ipsum. Simile enim aliquam alietatem et diversitatem includit numeralem, in uno autem nulla prorsus cadit diversitas. Hinc est quod in divinis personis emanatio est formalis quaedam ebullitio, et propter hoc tres personae sunt simpliciter unum et absolute« (LW III, S. 291). 72 distinctio 73 »Hii tres sunt unus indivisus deus« (RS S. 16). 74 »Propter quod in ipso nec est numerus nec multitudo; propter quod tres personae non sunt multi, sed unus deus« (LW II, S. 449). 75 »In gote enist niht wan ein, und ein ist unteillich, […] ›Got ist ein‹ (DW III, S. 60 f.). 76 »Unum enim est, in quo nullus numerus est« (LW II, S. 62). 77 »Unum enim ut sic se toto unum est nec quidquam in se habet praeter unum« (LW III, S. 278). 78 »Sic etiam omne, quod natum est vel quod nascitur ab uno ut unum, necessario est unum. Ab uno enim ut sic non procedit nisi unum« (LW III, S. 278). 79 »in fontalitate unitatis, aequalitatis et indistinctionis« (LW II, 359 f.) 80 »Deum dicimus esse unum contra numerum« (LW II, S. 453) 81 »in deo enim non est numerus« (LW IV, S. 100) 82 »supra numerum«; »non ponit in numerum cum aliquo habente numerum« (RS S. 57). 83 »nullus numerus personarum« (LW II, S. 62) 84 »sed tres personae in trinitate nec sunt multe nec numerate« (vgl. RS S. 43). 85 »Die drîe persônen in gote der ist drîe âne zal« (DW II, S. 274). 86 »Deus est unus sine uno« (RS S. 57). 87 »unus sine unitate« (LW II, S. 366) 88 »non est unus unitate, quae est principium numeri« (LW IV, S. 100). 89 »Est enim unus sine unitate, trinus sine trinitate« (LW IV, S. 112). 90 »unitas in trinitate et trinitas in unitate« 91 »Der underscheit kumet von der einicheit, der underscheit in der drîvalticheit. Diu einicheit ist der underscheit, und der underscheit ist diu einicheit. […] wan daz ist underscheit âne underscheit« (DW I, 173, 1 f.). 92 »Distinctio omnis infinito repugnat. Deus autem infinitus est. Nec tamen propter hoc vanae sunt aut falsae huiusmodi attributiones distinctae« (LW 66). 93 »Tres personae sunt simpliciter unum et absolute« (LW III, S. 291). 94 »[…] dem einen, blôz allerleie menge und underscheides, in dem ouch verliuset und wirt enblœzet aller underscheide und eigenschaft und ist ein und sint ouch ein got-vater-sun-und-heiliger-geist« (DW V, S. 41) 95 »Swâ got ist, dâ ist diu sêle, und swâ diu sêle ist, dâ ist got« (DW I, S. 173). 96 »Als got götlich ist, […] alsô ist got niendert als eigenlîche als in der sêle« (DW II, S. 95). 97 »Der vater gebirt sînen sun in der êwicheit im selber glîch. ›Daz wort was bî gote, und got was daz wort‹ : ez was daz selbe in der selben natûre. Noch spriche ich mêr: er hât in geborn in mîner sêle. Niht aleine ist si bî im noch er bî ir glîch, sunder er ist in ir, und gebirt der vater sînen sun in der sêle in der selben wîse, als er in in der êwicheit gebirt, und niht anders. Er muoz ez tuon, ez sî im liep oder leit. Der vater gebirt sînen sun âne underlâz, und ich spriche mêr: er gebirt mich sînen sun und 70 71

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Anmerkungen: S. 47 – 51 den selben sun. Ich spriche mêr: er gebirt mich niht aleine sînen sun, mêr: er gebirt mich sich und sich mich und mich sîn wesen und sîne natûre. In dem innersten quelle dâ quille ich ûz in dem heiligen geiste, dâ ist éin leben und éin wesen und éin werk. Allez, waz got würket, daz ist ein; dar umbe gebirt er mich sînen sun âne allen underscheit.« (DW I, S. 109). 98 »Got würket alliu sîniu werk dar umbe, daz wir der eingeborne sun sîn.« (DW I, 194; vgl. RS S. 40: Deus operatur omnia opera sua propter hoc quod nos simus ille unigenitus filius). 99 »Der himelische vater der gebirt in mich sîn glîch (similitudo, imago), und von der glîcheit sô kumet ûz ein minne, daz ist der heilige geist« (DW I, S. 218). 100 Vgl. RS S. 35: »Celestis pater generat in me suam similitudinem, et ab illa similitudine venit amor unus vel caritas. Hic est spiritus sanctus«. 101 »Dicendum: qui hoc negat parum novit de scripturis, de veritate, parum novit de deo, parum habet de deo« (RS S. 35). 102 »Der himelische vater sprichet ein wort und sprichet daz êwiclîche, und in dem worte verzert er alle sîne maht und sprichet sîne götlîche natûre alzemâle in dem worte und alle crêatûren (nämlich in ihren Ideen)«; daz wort liget in der sêle verborgenlîche« (DW I, S. 312). 103 »Der vater gebirt sînen sun in dem êwigen verstantnisse, und alsô gebirt der vater sînen sun in der sêle als in sîner eigenen natûre« (DW I, S. 72). 104 »Wie gebirt got der vater sînen sun in dem grunde der sêle: […] in aller der wîse als er in der êwicheit gebirt, noch minner noch mê« (DW IV,1, S. 350). 105 »Pater generat suum filium in anima eodem modo sicut ipse generat eum in eternitate, et non aliter« (RS S. 53). 106 »Dicendum quod verum est quia nec alium filium nec aliter generat pater in me quam in eternitate. In deo enim nec cadit aliud nec aliter« (RS S. 53). 107 »Sîn (Gottes) wesen hanget dar an, daz er in der sêle gebere sînen sun, ez sî im liep oder leit« (DW I, S. 72). 108 »Gotes hœhstiu meinunge ist gebern. Im engenüeget niemer, er engeber denne sînen sun in uns« (DW I, S. 177). 109 Und dar umbe engeruowet der vater niemer, er enjage und entrîbe alle zît dar zuo, daz sîn sun in mir geborn werde« (DW II, S. 258). 110 »Sîn natûre twinget in (Gott) dar zuo« (DW III, S. 269). 111 »[Gott] gebirt sînen sun […] in mîner sêle. […] Ich spriche mêr: er gebirt mich sînen sun und den selben sun. Ich spriche mêr: er gebirt mich niht aleine sînen sun, mêr: er gebirt mich sich und sich mich […]. Dâ ist éin und éin wesen und éin werk« (DW I, S. 109) 112 »ipse generat me suum filium et eundem filium. Quidquid deus operatur, hoc est unum, propter hoc generat ipse me suum filium sine omni distinctione« (RS S. 54 art. 39). 113 »Wan der vater éin werk würket, dar umbe würket er mich sînen eingebornen sun âne allen underscheit« (DW I, 110. 114 »Quia pater unum opus operatur et simplex, propter hoc operatur ipse me unum filium suum, sine omni distinctione« (RS S. 54 art. 39). 115 »simpliciter et absolute« 116 »hi tres personae sunt unum« 117 »Deus verbum assumpsit naturam, non personam hominis. […] Natura est nobis omnibus aequaliter communis cum Christo univoce. Ex quo datur fiducia quod,

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Anmerkungen: S. 51 – 55 sicut in ipso, sic et in quolibet nostrum proprie verbum caro factum habitaret in nobis. […] Natura humana est cuilibet homini intimior quam ille sibi. […] Volens filius dei fieri, verbum caro factum in se habitare debet diligere proximum tamquam se ipsum, hoc est tantum quantum se ipsum, abnegare personale, abnegare proprium. […] In uno autem nulla est distinctio […], in uno neque magis neque minus« (LW III, 241 f.). 118 »Die meister sprechent, daz menschlich natûre mit der zît niht habe ze tuonne und daz si zemâle unberüerlich sî und dem menschen vil inniger und næher sî dan er im selber. Und dar umbe nam got menschlîche natûre an sich und einigete sie sîner persônen. Dâ wart menschlich natûre got, wan er menschlîche natûre blôz und keinen menschen an sich nam. Dar umbe, wilt dû der selbe Krist sîn und got sîn, sô ganc alles des abe, daz daz êwige wort an sich niht ennam. Daz êwige wort nam keinen menschen an sich; dar umbe ganc abe, swaz menschen an dir sî und swaz dû sîst, und nim dich nâch menschlîcher natûre blôz, sô bist dû daz selbe an dem êwigen worte, daz menschlich natûre an im ist. Wan dîn menschlîche natûre und diu sîne enhât keinen underscheit: si ist ein, wan, swaz si ist in Kristô, daz ist si in dir« (DW I, S. 420). 119 »Deus verbum assumpsit naturam, non personam hominis«. 120 »Daz êwige wort nam keinen menschen an sich […] got nam menschlîche natûre an sich und einigete sie sîner persônen.« 121 »Mensche unde menscheit hât underscheit. Swenne man sprichet mensche, sô verstêt man eine persône; swenne man sprichet menscheit, sô verstêt man aller menschen nâtûre. Die meister sprechent, waz nâtûre sî, sî ist ein dinc, daz wesen enpfâhen mac. Dar umbe einegete got die menscheit an sich unde niht einen menschen« (Pf. 250, 18 f.) 122 »non personam hominis« »niht einen menschen« 123 »Unser herre Jêsus Kristus der ist ein einic sun des vaters, und er aleine ist mensche und got. Sô enist dâ niht dan éin sun in éinem wesene, und daz ist götlich wesen« (DW II, S. 293 f.). 124 »Et iterum quod in ipso Christo homine non est aliud esse praeter esse divinum quo est filius dei« (LW II, S. 369). 125 »In homine assumpto a verbo concedimus unicum esse personale hypostaticum ipsius verbi, et nihilominus Christus vere fuit homo univoce cum aliis hominibus« (LW I, 2, S. 51). 126 »Parum enim mihi esset verbum caro factum pro homine in Christo, supposito illo a me distincto, nisi et in me personaliter, ut et ego essem filius dei« (LW III, 101 f.). 127 »Verbum enim caro factum in Christo, extra nos, hoc ipso quod extra nos non facit nos perfectos« (LW III, S. 103). 128 »Verbum caro factum est in Christo, et habitavit in nobis, quando in quolibet nostrum filius dei fit homo et filius hominis fit filius dei« (LW III, S. 103). 129 »Filius dei, verbum caro factum, in nobis habitat, id est in nobis ipsis« (LW III, S. 103). 130 »Vidit quidem caro factum, iterum videt in nobis habitando« (LW III, S. 104). 131 »War umbe ist got mensche worden? Dar umbe, daz ich got geborn würde der selbe (DW II, S. 84). 132 »Und dar umbe ist er mensche worden, daz er dich geber sînen eingebornen sun und niht minner« (DW II, S. 98).

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Anmerkungen: S. 55 – 59 133 »mich ee angesehen und mich mer liebgehebt dann in und gab mir es ee dann im: als wie? Er gab im durch mich, wann es waz mir not« (DW I, S. 77). 134 »primus fructus«: (LW III, S. 101) 135 »verbum caro factum est in Christo«. 136 »Und dar umbe nam got menschlîche natûre an sich und einigete sie sîner persônen. Dâ wart menschlich natûre got.« 137 »Wan als daz wâr ist, daz got mensche worden ist, als wâr ist daz, daz der mensche got worden ist« (DW II, S. 380 f.). 138 »Deus assumpsit vestem nostram (d. h. die menschliche Natur), ut vere, proprie et per substantiam sit homo et homo deus in Christo« (LW IV, S. 437). 139 »Dâ der vater sînen sun gebirt in dem innersten grunde, dâ hât ein însweben disiu natûre« (DW I, S. 87). 140 »Ich spriche ein anderz und spriche ein næherz: got ist niht aleine mensche worden, mêr: er hât menschlîche natûre an sich genomen« (DW I, S. 86). 141 »nuptiae inter deum et nostram naturam« (LW III, S. 239) 142 »Natura autem assumpta (a verbo) communis est omni homini sine magis et minus« (LW IV, S. 437). 143 »Verbum assumpsit naturam, quae est aequaliter ad omnem hominem« (LW IV, S. 240). 144 »aequaliter communis cum Christo univoce« 145 »Verbum caro factum assumpsit puram naturam, scilicet sine vitiis quae inimicus homo superseminavit. […] naturam a se factam, opus suum proprium, assumpsit sine vitiis, sine peccato« (LW III, S. 87). 146 »Allez daz denne got ie gegap sînem eingebornen sune, daz hât er mir gegeben als volkomenlîche als im und niht minner, und hât mirz mê gegeben: er gap mê mîner menscheit an Kristô dan im, wan er engap im niht; er hât mirz gegeben und niht im, wan er engap imz niht, er hâte ez êwiclîche in dem vater« (DW II, S. 14). 147 »Quidquid ei pater dedit in humana natura, in hoc prius respexit me et plus intendebat de me quam de homine Christo et plus dedit michi quam sibi. Certe quia dedit ei propter me quia ipse non indiguit, sed ego indigui. Propter hoc quidquid pater dedit filio, in hoc intendebat me et dedit michi ita bene sicut sibi. Hic nichil excipio: nec vnionem cum diuinitate nec sanctitatem nec aliquid aliud« (RS S. 32). 148 »Verum est enim quod deus assumendo humanam naturam contulit ipsi et omnibus participantibus naturam illam illa que Christo contulit secundum illud Rom. 8, 5: omnia nobis cum illo donauit et Sap. 7, 6: venerunt michi omnia bona pariter cum illa. ›Pariter‹ id est simul, vel ›pariter‹ id est equaliter, vel ›pariter‹ a pariendo paris« (RS S. 17). 149 »Diu grœste einunge, die Kristus besezzen hât mit dem vater, diu ist mir mügelich ze gewinnenne« (DW II, S. 13 f.). 150 künde mich genemen menscheit 151 »Ergo (mit der Menschwerdung Gottes in Christus) datum est omni homini filium dei fieri« (LW IV, S. 437). 152 »fiducia, quod sicut in ipso (Christo), sic et in quolibet nostrum proprie verbum caro factum habitaret in nobis« (LW III, S. 241) 153 »Die liute wænent, daz got aleine dort (nämlich in Christus) mensche sî worden. Des enist niht, wan got ist hie (nämlich bei der Gottesgeburt in einem jeden Menschen) als wol mensche worden als dort« (DW II, S. 101).

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Anmerkungen: S. 59 – 63 154 »Wilt dû der selbe Krist sîn und got sîn, sô ganc alles des abe, daz daz êwige wort an sich niht ennam. Daz êwige wort nam keinen menschen an sich; dar umbe ganc abe, swaz menschen an dir sî und swaz dû sîst, und nim dich nâch menschlîcher natûre blôz« (DW I, S. 420). 155 »Volens filius dei fieri, verbum caro factum in se habitare debet […] abnegare personale, abnegare proprium« (LW III, S. 242). 156 »Swer in der blôzheit dirre natûre âne mittel sol bestân, der muoz aller persônen ûzgegangen sîn« (DW I, S. 87). 157 »daz ich er werde« (DW II, S. 99). 158 »Ich spriche: menscheit ist an dem ermsten oder versmæhesten menschen als volkomen als an dem bâbeste oder an dem keiser, wan menscheit in ir selber ist mir lieber dan der mensche, den ich an mir trage« (DW II, S. 18). 159 »Menschlich natûre […] [ist] dem menschen vil inniger und næher […] dan er im selber« (DW I, S. 240). 160 »Natura humana est cuilibet homini intimior quam ille sibi« (LW III, S. 241). 161 »Natura ipsa cuiuslibet amat deum super omnia et plus quam se ipsam« (LW III, S. 242). 162 »Ich spriche: menscheit und mensche ist unglîch. Menscheit in ir selber ist als edel: daz oberste an der menscheit hât glîcheit mit den engeln und sippeschaft mit der gotheit« (DW II, S. 13). 163 »Menschlich natûre mit der zît niht habe ze tuonne und daz si zemâle unberüerlich« (DW I, S. 420). 164 »eine vrîe, ungeteilte menschlîche natûre, diu dâ blôz was sunder bilde«, »diu einvaltige forme der menscheit« (DW II, S. 380) 165 »Disiu natûre ist ein und einvaltic« (DW I, S. 87). 166 »blôzheit dirre natûre«; »disen einvaltigen grunt (DW I, S. 88) 167 »Und dar umbe nam got menschlîche natûre an sich« 168 »sippeschaft« 169 »Got sprach ›wir machen den menschen‹. War umbe sprach got niht, wir machen die menscheit, Kristus einigete doch an sich die menscheit? Mensche unde menscheit hât underscheit« (Pf. 250, 16 f.) 170 »Wan der mensche ist ein zuoval der natûre, und dar umbe gât abe alles des, daz zuoval an iu ist, und nemet iuch nâch der vrîen, ungeteilten menschlîchen natûre« (DW II, S. 381). 171 »Nim dich blôz in wesene; wart swaz ûzwendic wesene ist, daz ist zuoval« (DW II, S. 266). 172 »mensche […] ein zuoval der natûre« 173 »daz zuoval an iu ist« 174 »Swaz zuoval hât, daz muoz abe.« (DW I, S. 56). 175 »ein lûter înstân in im selber« (DW I, S. 56) 176 »das blôz lûter wesen in im selber« (DW IV,1, S. 592) 177 »Swaz ûzwendic wesene ist, daz ist zuoval«. 178 »esse per se« 179 »Accidentis esse est inesse«: LW IV, S. 206. 180 ein »subiectum« 181 »a subiecto« 182 »der mensche ist ein zuoval der natûre«. 183 »blôz in wesene«

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Anmerkungen: S. 63 – 67 184 »Daz ist gote werder, daz er geistlîche geborn werde von einer ieglîchen juncvrouwen oder von einer ieglîchen guoten sêle, dan daz er von Marîâ lîplîche geborn wart« (DW I, S. 376). 185 »Der sêle engenüeget ouch enkeine wîs niht, der sun gotes enwerde denne in ir geborn« (DW I, S. 177). 186 »Got in allen dingen ist vernünfticlîche und den dingen mê inne ist, dan diu dinc in selber sint, und natiurlîcher – und wâ got ist, dâ muoz er würken« (DW IV,1, S. 408). 187 »Got ist in allen dingen wesenlîche, würklîche und gewalticlîche, mêr: er ist aleine gebernde in der sêle. Wan alle crêatûren sint ein vuozstaphe gotes, mêr: diu sêle ist natiurlîche nâch gote gebildet. Diz bilde muoz gezieret und volbrâht werden mit dirre geburt. Dises werkes noch dirre geburt enist kein crêatûre enpfenclich dan diu sêle aleine« (DW IV,1, S. 409 f.). 188 »Des enwerdent die crêatûren niht enpfenclich, in den daz bilde gotes niht enist, wan der sêle bilde gehœret sunderlîche ze dirre êwigen geburt, diu eigenlîche unde sunderlîche in der sêle geschihet« (DW IV,1, S. 411). 189 »Dô got alle crêatûren geschuof, dô wâren sie sô snœde und sô enge, daz er sich niht dar inne beregen mohte. Doch machte er im die sêle sô glîch und sô ebenmæzic, ûf daz er sich der sêle gegeben möhte; wan swaz er ir anders gæbe, des enahtet si niht. Got muoz mir sich selber geben als eigen, als er sîn selbes« (DW I, S. 71). 190 »Diu sêle ist natiurlich nâch gote gebildet«. 191 »similitudo« 192 »Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram, non alicuius nostri« (LW I, 2, S. 153). 193 »Quantum autem nunc, sciendum quod creatura rationalis sive intellectualis in hoc differt ab omni creatura quae citra est, quod ea quae citra sunt producta sunt ad similitudinem eius quod in deo est et habent ideas sibi proprias in deo, ad quas factae dicuntur secundum rationes determinatas ad species distinctas ab invicem in natura, natura vero intellectualis ut sic potius habet ipsum deum similitudinem quam aliquid quod in deo sit ideale« (LW I, 2, S. 153 f.). 194 »Got hât alliu dinc gemeinlîche gemachet nâch dem bilde, daz er aller dinge in im hât, und niht nâch im […] Aber die sêle hât er niht aleine gemachet nâch dem bilde, daz in im ist, […] mêr: er hât sie gemachet nâch im selber, jâ, nâch allem dem, daz er ist, nâch natûre, nâch wesene […]« (DW I, S. 415). 195 »Hinc est quod homo procedit a deo ›in similitudinem‹ divinae ›substantiae‹« (LW I, 2, S. 155). 196 »Unde similitudo secundum Augustinum est in omni creatura, imago vero solum intellectuali« (LW IV, S. 422). 197 »Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram.« 198 »Nû bitte ich, daz ir vernemet, wan ich wil sprechen, daz ich nie mê engesprach. Dô got himel und erde geschuof und alle crêatûren, dô enworhte got niht. Er enhâte niht ze würkenne. In im enwas ouch kein werk. Dô sprach got: ›wir machen einen glîchen‹. Schepfen daz ist ein lîht dinc. Das tuot man swenne man wil und swie man wil. Aber daz ich mache, daz mache ich selber mit mir selber und in mir selber unde drücke mîn bilde zemâle dar în […] Dô got den menschen gemachete, dô worhte er in der sêle sîn glîch werk und sîn würkendez werk und sîn iemerwerendez werk. Daz werk was sô grôz, daz daz werk anders niht enwas dan diu sêle, und diu sêle

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Anmerkungen: S. 67 – 72 enwas anders niht dan daz werc gotes. Gotes natûre und sîn wesen und sîn gotheit die hangent dar ane, daz er muoz würken in der sêle« (DW IV, 2, S. 762). 199 »creatio« 200 triplex gradus productionis in esse: (LW IV, S. 426) 201 »non […] voluntate, sed natura sive naturaliter«: LW IV, S. 427 productio 202 naturam nudam formaliter profundens 203 »ebullitio sub ratione efficientis et in ordine finis« 204 de alio quolibet 205 de nihilo 206 ex consilio divino: LW I, 2, S. 159 207 »Wir in dem râte der heiligen drîvalticheit, ›wir machen einen glichen‹« (DW IV, 2, S. 763). 208 »Dô got die sêle beschuof, dô greif er in sich selber und machte sî nâch sîner glîchnüsse (Pf. 394, 8) 209 »Er (Gott) hât die sêle geschaffen nâch der allerhœhsten volkomenheit und hât in sie gegozzen alle sîne klârheit in der êrsten lûterkeit, und ist er doch unvermischet bliben« (DW I, S. 380). 210 »Faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram.« 211 »Cuius est imago haec et superscriptio? (Mt 22,20) Huic quaestioni respondet idem apostolus, Col. 1: ›imago dei invisibilis, primogenitus omnis creaturae‹. Nota duo: primo, quod ›imago‹ secundum Augustinum ibi quaerenda est, ubi anima vere lux est, non exstincta ex contagione ad corpus; […] Secundo nota quod ›imago‹ in quantum huiusmodi nec intellectu potest separari ab eo, cuius imago est« (LW IV, S. 421). 212 »Filium quidem suum unigenitum quem generat, qui est ymago, vestivit secundum se ipsum ut esset increatus, immensus, qualis et pater; hominem autem utpote creatum, fecit ad ymaginem, non ymaginem, et vestivit non se ipso, sed secundum se ipsum« (RS S. 17). 213 Imago ist die emanatio simplex formalis; essentia pura nuda (LW IV, S. 425) 214 »Imago dei capax dei, cuius totum est esse ad aliud« (LW IV, S. 144). 215 »Imago secundum Augustinum ibi quaerenda est, ubi anima vere lux est, non exstincta ex contagione ad corpus; […] item ubi superius in anima, ubi vertex animae nectitur lumini angelico« (LW IV, S. 421). 216 »Patet ergo cuius est imago haec, quia ›dei invisibilis‹. Patet ubi quaerenda, quia in supremo animae.« (LW IV, S. 422). 217 »ad imaginem totius trinitatis« (LW III, S. 107) 218 »Propter quod ipsius (göttliches Einwirken) capax est solum intellectivum, in quo relucet proprie imago trinitatis« (LW IV, S. 236). 219 »Die obersten crefte der sint ǒch drie. Die erste heiset ein enthaldende craft, Memoria. dise kraft gelichet man dem vater in der driualtikeit […] Die ander heiset verstendikeit, Intellheictus. Dise craft glichet man dem svne […]. Die dirte craft heiset wille, Voluntas. dise craft glichet man dem heiligen geiste« (DW III, S. 446). 220 »Trinitas increata et trinitas creata in anima« (LW II, S. 305). 221 »Hey by in wylen wir neit bleuen, want it in is neyt nuwe materie« (DW I, S. 231). 222 »ex consilio divino« 223 »Fecit ipsum (den Menschen) consiliativum, secundum illud Eccli. 15: ›deus ab initio constituit hominem et reliquit eum in manu consilii sui‹« (LW I, 2, S. 159)

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Anmerkungen: S. 72 – 76 224 »Unde et ›Damascenus dicit‹ quod ›homo ad imaginem factus dicitur, secundum quod per imaginem significatur intellectuale, arbitrio liberum et per se potestativum‹ et ›suorum operum principium‹ et ›habens suorum operum potestatem‹« (LW I, 2, S. 159). 225 »frî, vrî« 226 »arbitrium liberum« 227 »intellectus purus« (LW I, 2, S. 199) 228 »ein vernünftic wesen« (DW I, S. 268) 229 »Et ratione huius intellectus dictum est de eo quod creatus est ›ad imaginem dei‹« (Zitat aus Maimonides: LW I, 2, S. 157). 230 »Natura vero intellectualis ut sic potius habet ipsum deum similitudinem […] Ratio huius est quod ›intellectus‹ ut sic est, ›quo est omnia fieri‹, non hoc aut hoc determinatum ad speciem […] Unde Avicenna sic ait: ›sua perfectio animae rationalis est, ut fiat saeculum intelligibile et describatur in ea forma totius‹« (LW I, 2, S. 155). 231 »Notandum consequenter ex dictis quod obiectum, cognitum scilicet, gignit se ipsum vel speciem suam et parit in potentia cognoscente, et species genita est proles una communis obiecto cognito et potentiae cognoscenti« (LW III, S. 93). 232 sub alio modo idem esse (LW IV, S. 430) 233 »intellectus«; »quodammodo omnia«; »totum ens«; »universitas« (vgl. LW I, 2, S. 155) 234 »Deus [est] intellectus purus, cuius esse totale est ipsum intelligere« (LW I, 2, S. 199). 235 aliquod esse aliud quam intelligere (LW IV, S. 268) 236 »esse« 237 »intelligere« 238 »Sîn wesen ist sîn bekennen« (DW III, S. 320). 239 »compositum«; »simpliciter unum« (LW IV, S. 268) 240 »puritas essendi« (LW V, S. 45) 241 »Got der erkennet ouch nutz usser im, sunder sin oug ist allein in sich selber gekert. waz er sicht, daz sicht er alles in im« (DW I, S. 78). 242 »Sîn bilde ist, daz er sich durchkennet und al ein lieht ist« (DW II, S. 136). 243 »Got der vater hât ein volkomen însehen in sich selber und ein abgründic durchkennen sîn selbes mit im selber, niht mit keinem bilde« (DW IV, 1, S. 350 f.). 244 »[…] als ich êgester sprach in dem jüngesten sermône, daz diu sêle îngebildet wirt in die êrsten lûterkeit, in den îndruk der lûtern weselicheit, dâ si gotes gesmecket, ê er wârheit oder bekantlicheit an sich vâhe, dâ alliu nemelicheit abe geleget ist« (DW I, S. 56). 245 »Got, der âne namen ist – er enhât enkeinen namen –, ist unsprechelich, und diu sêle in irm grunde ist si ouch unsprechelich, als er unsprechelich ist« (DW I, S. 284). 246 »Diu sêle enweiz niht wan umbe éin, si ist obe bilde« (DW III, S. 246). 247 »Got enhât kein bilde oder glîchnisse sîn selbes« (Zitat aus Dionysius: DW IV, 1, S. 358). 248 »intellectu[s], cuius est pati et recipere« (LW IV, S. 110) 249 »Got hât [diu sêle] gemachet nâch im selber« (DW I, S. 415). 250 »fecit ad imaginem dei« 251 »generat imaginem dei«

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Anmerkungen: S. 76 – 78 »creavit ad similitudinem alicuius in deo« »Diu sêle ist natiurlîch nâch gote gebildet […] Dises werkes noch dirre geburt enist kein crêatûre enpfenclich dan diu sêle aleine […] Des enwerdent die crêatûren niht enpfenclich, in den daz bilde gotes niht enist« (DW IV, 1, S. 410 f.). 254 »aleine geberende in der sêle« (DW IV, 1, S. 409) 255 »capax dei« (vgl. LW IV, S. 144; LW III, S. 532) 256 »Imago […] est similis« (LW IV, S. 424). 257 »Aequalitas est de perfectione imaginis« (ibd.). 258 »similis« 259 »aequalitas« 260 »Requiritur quod nihil desit eorum, quae sunt in ipso imaginato, et quod nihil ibi assit vel insit eorum, quae sunt in quolibet altero« (LW IV, S. 425). 261 »Bilde enmac niht gesîn âne glîcheit, aber glîcheit mac wol gesîn âne bilde« (DW I, S. 265). 262 »Wan daz des andern bilde sol sîn, daz muoz von sîner natûre komen sîn und muoz von im geborn sîn und muoz im glîch sîn« (DW I, S. 265). 263 »imago« 264 »expressa similitudo« (LW IV, S. 458) 265 »expressa et effluxa ab ipso cuius est« (LW IV, S. 424) 266 »de ratione enim imaginis est quod sit expressiva totius eius plene, cuius imago est, non expressiva alicuius determinati in illo« (LW I, 2, S. 155). 267 »›Imago‹ in quantum huiusmodi nec intellectu potest separari ab eo, cuius imago est« (LW IV, S. 421). 268 »imago cum illo cuius est non ponit in numerum nec sunt duae substantiae, sed unum in altero« (LW IV, S. 425). 269 »Bilde nimet aleine sîn wesen âne mittel an dem, des bilde ez ist« (DW I, S. 270). 270 »Imago enim, in quantum imago est, nihil sui accipit a subiecto in quo est, sed totum suum esse accipit ab obiecto, cuius est imago. […] Accipit esse suum a solo illo« (LW III, S. 19). 271 DW I, S. 154, 266 272 »Bilde enist sîn selbes niht, noch enist im selber niht; ez ist aleine des, des bilde ez ist, und ist im alzemâle allez, daz ez ist« (DW I, S. 270). 273 »Bilde nimet aleine sîn wesen âne mittel an dem, des bilde ez ist, und hât éin wesen mit im und ist daz selbe wesen« (DW I, S. 270). 274 »Deus enim ut deus non est nec sapit nec invenitur nisi in intellectuali natura, ubi imago dei capax dei, cuius totum est esse ad aliud« (LW IV, S. 144). 275 »Unde Augustinus dicit quod anima eo quod imago dei est capax. Imago enim, in quantum imago, se tota ad illud est, cuius imago est, sive in ordine, quem ad illud habet, et ad nihil haliudi« (LW IV, S. 242). 276 »Diu sêle ist gebildet nâch gote« (DW I, S. 54) 277 »ein bilde götlîcher natûre, daz dâ ist kriegende alwege wider allem dem, daz götlich niht enist, […] und ist alwege geneiget ze guote; nochdenne in der helle dâ ist ez geneiget ze guote« (DW I, S. 333). 278 »Nota quod nihil ibi ingreditur, ubi ›imago‹ est, nisi solus deus et virtus […] quam operatur deus« (LW IV, S. 422). 252 253

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Anmerkungen: S. 78 – 82 279 »Doch machte er (Gott) im die sêle sô glîch und sô ebenmæzic, ûf daz er sich der sêle gegeben möhte; wan swaz er ir anders gæbe, des enahtet si niht. Got muoz mir sich selber geben als eigen, als er sîn selbes ist« (DW I, S. 71). 280 »obe dem willen« (DW I, 265) 281 »Diu sêle ist natiurlîch nâch gote gebildet. Diz bilde muoz gezieret und volbrâht werden mit dirre geburt« (DW IV, 1, S. 410). 282 »Aber diu natûre erbildet sich niht in daz bilde des spiegels, mêr: der munt und diu nase und diu ougen und alliu diu gestaltnisse des antlites daz erbildet sich in dem spiegel. Aber daz hât got im aleine behalten, swâ er sich inne erbildet, daz er dâ sîne natûre und allez, daz er ist und geleisten mac, zemâle dar inne erbildet obe dem willen; […] und daz bilde hât den êrsten ûzbruch ûz der natûre und ziuhet in sich allez, daz diu natûre und daz wesen geleisten mac; und diu natûre ergiuzet sich zemâle in daz bilde und blîbet doch ganz in ir selber […]« (DW I, S. 266). 283 »Daz götlîche bilde brichet ûz der vruhtbærkeit der natûre âne mittel« (DW I, S. 267). 284 »wâ got der vater spreche sîn wort in der sêle unde wâ dirre geburt stat sî und wâ si dieses werkes enpfenclich sî«; »daz muoz sîn in dem allerlûtersten, edelsten und subtîlsten, daz diu sêle geleisten mac«; (DW IV, 1, S. 339). 285 »daz ist in dem verborgensten der sêle« (DW IV, 1, S. 343) 286 »[…], und disiu geburt geschihet in dem wesene und in dem grunde der sêle« (DW IV, 1, S. 407). 287 »Domus dei est ipsa essentia animae, cui solus deus illabitur« (LW IV, S. 227). 288 »[…] in abdito animae, ubi solum deus illabitur« (LW IV, S. 93). 289 »Alliu diu werk, diu diu sêle würket, diu würket si mit den kreften: swaz si verstât, daz verstât si mit verstantnisse; sô si gedenket, daz tuot si mit gehugnisse; sô si minnet, daz tuot si mit dem willen. Und alsô würket si mit den kreften und niht mit dem wesene. Allez ir ûzwürken haftet iemer an etwaz mittels. Diu kraft des sehennes enwürket niht dan durch diu ougen, anders enmac si enkeine wîs gesehen würken noch geben. Und alsô ist ez mit allen andern sinnen: allez ir ûzwürken würket si durch etwaz mittels. Mêr: in dem wesene enist kein werk. Dar umbe enhât diu sêle in dem wesene kein werk. Mêr: die krefte, dâ si mite würket, die vliezent ûz dem grunde des wesens. Mêr: in dem grunde dâ ist ›daz mittel swîgen‹, hie ist aleine ruowe und ein vîren ze dirre geburt und ze disem werke, daz got der vater aldâ sprichet sîn wort. Wan daz enist von natûre nihtes enpfenclich dan aleine des götlîchen wesens âne allez mittel. Got gât hie in die sêle mit sînem allem, niht mit sînem teile. Got gât hie in den grunt der sêle. Nieman enkumet in den grunt der sêle dan aleine got. Die crêatûren enmügen niht in den grunt der sêle. Sie müezen hie ûze blîben in den kreften. Dâ sihet si wol ir bilde ane, dâ mite si îngezogen ist und herberge hât enpfangen. Wan swenne die krefte der sêle rüerent die crêatûren, sô nement sie und schepfent bilde und glîchnisse von den crêatûren und ziehent die in sich. Und von dem sô bekennent sie die crêatûren. Niht næher enmac diu crêatûre komen in die sêle, noch niemer engenæhete diu sêle keiner crêatûre, si enhæte des êrsten williclîche ir bilde in sich enpfangen. Von den gegenwertigen bilden sô nâhet si sich den crêatûren» (DW IV, 1, S. 344 ff.). 290 »Diu sêle hât zwei ougen, einz inwendic und einz ûzwendic. Daz inner ouge der sêle ist, daz in daz wesen sihet und sîn wesen von gote âne allez mittel nimet: daz ist sîn eigen werk. Daz ûzer ouge der sêle ist, daz dâ gekêret ist gegen allen crêatûren und die merket nâch bildelîcher wîse und nâch kreftlîcher wîse« (DW I, S. 165).

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Anmerkungen: S. 82 – 87 (»nulla creatura unquam ingreditur«: (LW IV, S. 94) »Ein meister sprichet ein schœne wort, daz neizwaz gar heimlîches und verborgens und verre dar enboben ist in der sêle, dâ ûzbrechent die krefte vernünfticheit und wille« (DW I, S. 123). 293 »Ubi dic quomodo essentia animae longe est hab hoci regno et mundo, quia hini alio supra potentias, intellectum et voluntatem, est« (LW IV, S. 115). 294 »Gratia non est in potentia animae, sed in substantia, in intimo scilicet vel potius in ipso esse animae« (LW IV, S. 242). 295 »Per essentiam autem nudam que est supra omne nomen ingreditur et illabitur (deus) ipsi nude essentie anime que et ipsa nomen proprium non habet et altior est quam intellectus et voluntas utpote essentia suis potentiis« (RS S. 60 art. 51 aus Eckharts Erwiderung). 296 »Item ipse (Gott) secundum Augustinum illabitur animae et est intimior animae quam ipsa sibi« (LW IV, S. 376). 297 »In substantia animae habitat proprie deus« (LW IV, S. 227). 298 »Ez ist ein etwaz in der sêle, dâ got inne lebet und ist ein etwaz in der sêle, dâ diu sêle lebet in gote« (DW II, S. 301). 299 »Anima exit se ipsam et deus intrat ipsam« (RS S. 60). 300 »Anima vero per suum esse stat in esse dei, in deo« (LW IV, S. 243). 301 »Diu sêle nimet ir wesen âne mittel von gote; dar umbe ist got der sêle næher, dan si ir selber sî; dar umbe ist got in dem grunde der sêle mit aller sîner gotheit« (DW I, S. 162). 302 »Diu krefte, […] die vliezent ûz dem grunde des wesens« (DW IV, 1, S. 344 f.). 303 »essentia […] animae quae medium et quasi centrum omnium potentiarum« (LW III, S. 621) 304 »Einez ist in der sêle, von dem vliuzet bekennen und minnen; daz enbekennet selber niht noch enminnet niht alsô als die krefte der sêle« (DW II, S. 496). 305 »Wan daz ich hie spriche (von der Gottesgeburt in der Seele), daz sol man verstân von eime guoten, volkomnen menschen, der ›in dem wege gotes gewandelt hât und noch wandelt‹, niht von einem natiûrlîchen ungeüebeten menschen, wan der ist zemâle verre und unwizzende ihtes iht von dirre geburt« (DW IV, 1, S. 337). 306 »Daz ist des schult, wan die wege, dâ daz lieht (Gottes Licht) în solte in gân, bekümbert unde versperret sint mit valscheit und mit vinsternisse, wan lieht und vinsternisse enmügen niht mit einander bestân, noch got und crêatûre. Sol got îngân, sô muoz überein diu crêatûre ûz« (DW IV, 1, S. 413). 307 »Daz minneste crêatiurlîche bilde, daz sich iemer in dir erbildet, daz ist als grôz, als got grôz ist. War umbe? Dâ hindert ez dich eines ganzen gotes. Rehte dâ daz bilde îngât, dâ muoz got wîchen und alliu sîn gotheit« (DW I, S. 93). 308 »Alle crêatûren sint ein lûter niht« (DW I, S. 69). 309 »Diu sêle ist als einveltic an ir selber, daz si in ir gegenwerticheit niht enverstât wan ein bilde. Als si des steines bilde verstât, sô enverstât si niht des engels bilde, und als si des engels bilde verstât, sô enverstât si kein anderz; und daz selbe bilde, daz si verstât, daz muoz si minnen in der« (DW I, S. 163). 310 »Got der wil iemer aleine sîn« (DW II, S. 294). 311 »Got […] muoz haben ein ledige unbekümberte, vrîe sêle, in der niht ensî dan er aleine, noch diu nihtes noch niemannes enwarte danne sîn aleine« (DW IV, 1, S. 418). 291 292

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Anmerkungen: S. 87 – 91 312 »in allen den werken, diu sie würkent, dâ muoz diu sêle bî sîn, – und mit andâht, oder sie enmöhten ir gewirken mit nihte« (DW IV, 1, S. 418). 313 »die erde, diu von ûzwendic oben dar ûf geworfen ist« (DW V, 113) 314 »Wan diu sêle ist alsô gar gebunden ze den kreften, daz si mit in hine vliuzet swar sie hine vliezent […] Vliuzet si denne mit ir andâht ze ûzerlîchen werken, sô muoz si von nôt inwendic deste krenker sîn an irn inwendigen werken« (DW IV, 1, S. 418). 315 »Wil dîn ouge alliu dinc sehen unde dîn ôre alliu dinc hœren und dîn herze alliu dinc bedenken, in der wârheit: in allen disen dingen, muoz dîn sêle zerströuwet werden« (DW IV, 1, S. 418 f.). 316 »Des koment sie (die Menschen, die mit den Seelenkräften die Kreatur berühren) ze dem lesten alsô verre ûz, daz sie niemer wider heim noch wider în enkoment« (DW IV, 1, S. 414). 317 »Swenne sich diu sêle her ûz kêret ûf ûzerlîchiu dinc, sô stirbet si, und got der stirbet ouch der sêle« (DW II, S. 301). 318 »witewe« 319 »wan der man tôt was« (DW I, S. 304). 320 DW I, 25, 26, 12 321 »Wir sind sachen aller unser hindernusz« (DW I, S. 82). 322 »Wæere ich alsô vernünftic, daz alliu bilde vernünfticlîche in mir stüenden, diu alle menschen ie enpfiengen und diu in gote selber sint, wære ich der âne eigenschaft, daz ich enkeinez mit eigenschaft hæte begriffen in tuonne noch in lâzenne, […] in der wârheit sô wære ich juncvrouwe âne hindernisse aller bilde als gewærlîche, als ich was, dô ich niht enwas« (DW I, 25, 26). 323 »Daz enist niht schult, daz dich diu wîse oder diu dinc hindernt: dû bist ez in den dingen selber, daz dich hindert, wan dû heltest dich unordenlîche in den dingen« (DW V, S. 192 f.). 324 »Alsô sint alliu dinc in der sêle lûterer und edeler dan sie sîn in dirre werlt« (DW I, S. 290). 325 »Alle crêatûren hânt irn louf ûf ir hœhste volkomenheit« (DW IV, 2, S. 767). 326 »Ein ieglîchiu crêatûre würket ir werk durch ein ende« (DW IV, 1, S. 415). 327 »Ich aleine bereite alle crêatûren wider ze gote« (DW IV, 2, S. 769) 328 »Alle crêatûren verzîhent sich irs lebens ûf ir wesen. Alle crêatûren tragent sich in mîn vernunft, daz sie in mir vernünftic sîn« (Pf. 180, 22; vgl. DW IV, 2, S. 768 f.) 329 DW I, S. 148 330 DW I, S. 383 331 »Der eine vliegen nimet in gote, diu ist edeler in gote dan der hœhste engel an im selber sî. Nû sint alliu dinc glîch in gote und sint got selber« (DW I, S. 199). 332 »waz adels got geleget habe in die natûre« (DW IV, 1, S. 365). 333 »Alle crêatûren die engevallent gote niht, daz natiurlîche lieht der sêle überschîne sie, in dem sie ir wesen nement, und des engels lieht überschîne daz lieht der sêle und bereite und vüege sie, daz daz götlîche lieht dar inne gewürken müge« (DW I, S. 313). 334 »Alle crêatûren die smackent mînem ûzern menschen als crêatûren: wîn als wîn, brôt als brôt, vleisch als vleisch. Aber mînem innern menschen ensmacket ez niht als crêatûren, mêr: als gâben gotes. Aber mînem innersten menschen ensmacket ez niht als gâben gotes, mêr: als ie und iemer« (DW IV, 2, S. 770 f.).

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Anmerkungen: S. 91 – 94 335 »Sehet, umbe daz, daz diz lieht niht schînen noch liuhten enmac in dem sünder, dar umbe ist daz unmügelich, daz disiu geburt in im geschehen müge« (DW IV, 1, S. 415). 336 »Volens deo uniri, ipsum invenire, debet esse unus, divisus ab omnibus, in se indivisus abnegatione sui« (LW IV, S. 321). 337 »exuta ab omni ordine et respectu sui ad se aut ad aliud creatum sive ad hoc et hoc« (LW IV, S. 241 f.) 338 »Oportet relinquere omnia« (LW III, S. 200). 339 »Dirre mensche muoz sich selben gelâzen hân und alle dise werlt« (DW I, S. 202). 340 via purgativa; (»purgando praeparando« (LW IV, S. 113) 341 »exaltari et depurari« (LW IV, S. 448) 342 »Nota quantae eminentiae et puritatis debet esse anima digna sic transformari in deum« (LW IV, S. 444 f.). 343 »Nota quam munda debet esse et quam nuda anima« (LW IV, S. 95). 344 »juncvrouwe« 345 »Swenne ich predige, sô pflige ich ze sprechenne von abegescheidenheit und daz der mensche ledic werde sîn selbes und aller dinge« (DW II, S. 528). 346 »Dar umbe hebe an dir selber an ze dem êrsten und lâz dich« (DW V, S. 193). 347 »Nim dîn selbes war, und swâ dû dich vindest, dâ lâz dich; daz ist daz aller beste« (DW V, S. 193). 348 »Swer in (Gott) alsus zemâle enpfâhen sol, der muoz zemâle sich selben ergeben hân und sîn selbes ûzgegangen sîn« (DW I, S. 71). 349 »Debet exire […] a se ipso« (LW IV, S. 89). 350 »Debet eximi et transcendere se ipsam« (LW IV, S. 448). 351 »Debet abnegare personale, abnegare proprium« (LW III, S. 242). 352 »Leg abe allez, daz dîn ist!« (DW II, S. 107 f.). 353 »Diu sêle sol sich opfern mit allem dem, daz si ist und daz si hât« (DW II, S. 114). 354 »Ez ist ein blintheit und ein tôrheit, die wîle dû ihtes ahtest, daz dû gelâzen hâst. Hâst dû dich selben gelâzen, sô hâst dû gelâzen« (DW II, S. 61). 355 »Swer alliu dinc læzet, der nimet hundertvalt wider« (DW III, S. 57). 356 »Læzest dû ez aber umbe daz hundertvalte und umbe daz êwige leben, sô enhâst dû niht gelâzen; […] Dû muost dich selben lâzen und gar lâzen, sô hâst dû rehte gelâzen« (DW II, S. 61). 357 »Radix omnis mali est amor sui« (LW III, S. 475). 358 »Al die wîle dû dîner persônen mêr guotes ganst dan dem menschen, den dû nie gesæhe, sô ist dir wærlîche unreht« (DW I, S. 88). 359 »Der mensche […] sol sîn selbes tôt sîn […], daz er sîn selbes als wênic ahtende sî als eines über tûsent mîle« (DW I, S. 201). 360 »Dû solt dînes eigen willen alzemâle ûzgân« (DW I, S. 102). 361 »In der wârheit, âne ûfgeben des willen in allen dingen sô schaffen wir niht mit gote alzemâle« (DW V, S. 226). 362 »Die gerehten enhânt zemâle keinen willen« (DW I, S. 102). 363 »daz ez gotes wille sî, swenne er siech ist« (DW III, S. 63) 364 »Bist dû danne siech – in gotes namen! Stirbet dir dîn vriunt – in gotes namen!« (DW II, S. 7). 365 »Waz ze der sêle gehœret, daz sol abegelœset sîn alzemâle« (DW I, S. 120).

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Anmerkungen: S. 94 – 97 »Debet relinquere omnia corde« (LW III, S. 205). »Debet […] anima hsei exuere omnibus« (LW IV, S. 225). 368 »Abnegatio proprii est abnegatio creaturae sive huius et huius« (LW IV, S. 242). 369 »Der mensche, der muoz gar stille sîn und gescheiden sîn von allen bilden, jâ, und von allen formen« (DW II, S. 307). 370 »Dar umbe, daz dû mit gote ein sîst, sô muoz niht in dir sîn noch îngebildet noch ûzgebildet« (DW III, S. 324). 371 »Juncvrouwe ist alsô vil gesprochen als ein mensche, der von allen vremden bilden ledic ist, alsô ledic, als er was, dô er niht enwas« (DW I, S. 25). 372 »von allen creaturen […] gesundert und gescheiden« (DW I, S. 80) 373 »[…] und muoz allez dîn würken geligen« (DW IV, 1, S. 476). 374 »Und alsus in dirre wîse muost dû abeslahen alliu dîniu werk« (DW IV, 1, S. 425). 375 »Gehugnisse, verstantnisse unde wille, diz allez vermanicvaltiget dich. Dar umbe muost dû sie alle lâzen« (DW IV, 1, S. 475). 376 »ein vergezzen aller dinge unde sîn selbes« (DW IV, 1, S. 357) 377 »ein lûter unwizzen« (DW IV, 1, S. 477) 378 »ez (natiurlich lieht) muoz ze einem lûtern nihte werden unde sîn selbes ûzgân zemâle« (DW IV, 1, S. 477). 379 »Her umbe sô ist ez nôt, daz der mensche begernde sî, daz er niht enmüge wizzen noch bekennen diu werk gotes« (DW II, S. 498). 380 »daz diu vernunft in ir schepfen mac« (DW IV, 1, S. 475) 381 »[…], wan dirre mensche hât einen willen, mit dem er genuoc wil sîn dem willen gotes, und daz enist niht rehtiu armuot« (DW II, S. 491). 382 »Suochest dû got und suochest dû got umbe dînen eigenen nutz oder umbe dîne eigene sælicheit, in der wârheit, sô ensuochest dû got niht. […] ›war umbe suochest dû got?‹ – ›dar umbe, daz er got ist‹ ; […] ›war umbe minnest dû got?‹ – ›ich enweiz, umbe got‹« (DW II, S. 26 f.). 383 »Wan swer got suochet in wîse, der nimet die wîse und lât got. […] Aber swer got suochet âne wîse, der nimet in« (DW I, S. 91). 384 »Die iht in gote suochent, ez sî wizzen, bekantnisse oder andâht oder swaz ez sî, – vindet er ez, nochdenne envindet er got niht, swie daz er nochdenne vindet wizzen, verstân, innicheit […] Aber suochet er niht, sô vindet er got« (DW III, S. 58 f.). 385 »Debet igitur anima hsei exuere omnibus, ut nuda nudum quaerat deum, nihil aliud in ipso« (LW IV, S. 225). 386 »Dar umbe muoz der mensche getœtet sîn und gar tôt sîn und an im selben niht sîn« (DW II, S. 89). 387 »Muoz daz iemer sîn von nôt, daz man aller dinge verellendet und verwüestet sî ûzerlîche und innerlîche, krefte und ir werc, muoz daz allez abe? Daz ist ein swære stân, ob got den menschen alsô lât stân âne sînen enthalt, […] ob got mîn ellende alsô lenget, daz er mir weder liuhtende noch zuosprechende noch in mir würkende enist […] Sô der mensche alsô stât in einem lûtern nihte, enist denne niht bezzer, er tuo etwaz, daz im das dünsternisse und daz ellende vertrîbe, alsô daz der mensche bete oder lese oder predige hœre oder ander werk, diu doch tugende sint, daz man sich dâ mite behelfe?« (DW IV, 1, S. 483). 388 »Nein! Daz wizzest in der wârheit: aller stillest stân und aller lengest ist dâ dîn aller bestez. Âne schaden enmaht dû dannen niht kêren ze keinen dingen, daz ist sicher« (DW IV, 1, S. 483 f.). 366 367

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Anmerkungen: S. 98 – 101 »grunttôt« »daz dû hâst den êwigen val« (DW IV, 1, S. 479) 391 »Sol ich denne zemâle stân in einem dünsternisse? – Jâ, sicherlîche! Dû enkanst niemer baz gestân, dane daz dû dich zemâle setzest in ein dünsternisse und in ein unwizzen. Ach, herre, muoz ez allez abe, enmac dâ kein widerkêren sîn? – Nein, entriuwen« (DW IV, 1, S. 478). 392 »Diu sêle hât gewâget ze nihte ze werdenne und enkan ouch von ir selber ze ir selber niht gelangen (–sô verre von dem geschaffenen ihte in dem nihtes nihte, daz si mit nihte enmac wider komen von ir kraft in ir geschaffen iht –), sô verre ist si sich entgangen, und ê daz sie got hât understanden. Daz muoz von nôt« (DW I, S. 14). 393 »Man sol grunttôt sîn, daz uns berüere weder liep noch leit« (DW I, S. 135). 394 »Der mensche sol sich williclîche geben in den tôt und sterben, daz im ein bezzer wesen werde« (DW I, S. 134). 395 »Diu sêle ensol niht in sich gebern, diu gotes kint wil sîn und in der gotes sun geborn sol werden, in die ensol sich niht anders gebern« (DW I, S. 177). 396 »Alsô bereitet sich diu sêle in üebunge« (DW I, S. 336). 397 »Got enmac niht erbeiten, biz sich diu sêle gesmucket und geschelt von der crêatûre, und ist ein sicher wârheit und ein nôtwârheit, daz gote alsô nôt ist, daz er uns suochet, rehte als ob alliu sîn gotheit dar ane hange, als si ouch tuot« (DW II, S. 34 f.). 398 »Im ist vil nœter, daz er uns gebe, dan uns ze nemenne« (DW II, S. 297). 399 »Von dirre wüestunge (Abgeschiedenheit) stât geschriben: ›ich (Gott) wil mîne vriundinne (die Seele) vüeren in die wüeste und wil ir zuosprechen in ir herze‹« (DW IV, 1, S. 482). 400 »Ie mê der mensche begibet, ie lîhter ist im ze begebenne« (DW II, S. 106). 401 »Dû woltest gerne bereit werden ein teil von dir und ein teil von im, daz doch niht gesîn enmac. Mêr: dû enkanst des bereitennes niemer sô schiere gedenken noch begern, got der ensî vor dâ, daz er dich bereite« (DW IV, 1, S. 484). 402 »Ich erschricke ofte, sô ich von gote reden sol, wie gar abegescheiden diu sêle muoz sîn, diu ze der einunge komen wil. Und daz endarf nieman unmügelich dünken; ez enist niht unmügelich der sêle, diu dâ gotes gnâde hât« (DW III, S. 266 f.). 403 »Der heilige geist nimet die sêle und liutert sie in dem liehte und in der gnâde und ziuhet sie ûf in daz allerhœhste« (DW I, S. 298). 404 »›Sehet, ich sende mînen engel, daz er bereite‹ und lûter die sêle, daz si enpfâhen müge daz götlîche lieht« (DW II, S. 116). 405 »Ez komet aber in einer dieplîchen wîse und meinet, ez welle der sêle alliu dinc benemen und versteln« (DW IV, 1, S. 364). 406 »[…], wan diu gnâde ziuhet den menschen von allen zîtlîchen dingen unde liutert in von allen zergenclîchen dingen« (DW V, S. 413). 407 »Daz ouch Jêsus in uns komen müeze und ûzwerfen und hin tuon alle hindernisse […], des helfe uns got« (DW I, S. 20). 408 »Ez ist ein blik bereiten und îngiezen« (Pf. 27, 35; PrPf. 4; DW IV, 1, S. 485). 409 »Sô ist daz von nôt, daz wir her zuo komen, daz wir niht sîn, daz wir gesast mügen werden in daz selbe wesen, daz er (Gott) selbe ist« (DW III, S. 322). 410 »Sô enwil abegescheidenheit nihtes niht sîn« (DW V, S. 406). 411 »Si (Abgeschiedenheit) stât ûf einem blôzen nihte« (Abg. S. 177; DW V, S. 423) 412 »als ich was, dô ich niht enwas« (DW I, S. 26) 389 390

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Anmerkungen: S. 101 – 103 »Nihil apponendo, sed subtrahendo in anima invenitur deus« (LW IV, S. 113). »Quanto nudius, tanto capacius« (LW IV, S. 105). 415 »lære sîn aller crêatûre ist gotes vol sîn« (DW V, S. 413). 416 »Dâ von, sol daz herze bereitschaft haben ûf daz aller hœhste, sô muoz ez stân ûf einem blôzen nihte, und dar inne ist ouch diu grœste mügelicheit, diu gesîn mac« (DW V, S. 425). 417 »Kein vaz enmac zweierleie trank in im gehaben. Sol ez wîn haben, man muoz von nôt wazzer ûzgiezen; daz vaz muoz blôz und îtel werden. Dar umbe, soltû götlîche vröude und got nemen, dû muost von nôt die crêatûren ûzgiezen« (DW V, S. 28). 418 »Oculus si haberet aliquem colorem sive aliquid coloris, nec illum videret colorem nec aliquem« (LW III, S. 86). 419 »Arm ist der, der niht enhât. Arm in dem geiste daz meinet: als daz ouge arm und blôz ist der varwe und enpfenclich aller varwen, alsô der arm ist an dem geiste, der ist enpfenclich alles geistes, und aller geiste geist ist got« (DW V, S. 29). 420 »Disiu unbewegelîchiu abegescheidenheit bringet den menschen in die grœste glîcheit mit gote« (DW V, S. 412). 421 »einförmicheit mit gote« (DW V, S. 429) 422 »Est autem similis deo, qui nullo creato assimilatur. Hic est, qui omnia reliquit. […] Dei enim proprium est non habere simile sive similitudinem« (LW IV, S. 424). 423 »Die nihte glîch sint, die sint aleine gote glîch. Götlich wesen enist niht glîch, in im enist noch bilde noch forme. Die sêlen, die alsô glîch sint, den gibet der vater glîch und entheltet in nihtes niht vor« (DW I, S. 107). 424 in se indivisus (LW IV, S. 321) 425 »einicheit und lûterkeit, daz kumet von abegescheidenheit« (DW V, S. 403). 426 »Abegescheidenheit […] blîbet in ir selber und lât sich kein dinc betrüeben« (DW V, S. 410). 427 »Hie solt dû wizzen, daz rehtiu abegescheidenheit niht anders enist, wan daz der geist alsô unbewegelich stande gegen allen zuovellen liebes und leides, êren, schanden und lasters als ein blîgîn berc unbewegelich ist gegen einem kleinen winde« (DW V, S. 411 f.). 428 »Nû solt dû wizzen, daz got in dirre unbewegelîchen abegescheidenheit ist êwelten gestanden und noch stât« (DW V, 413). 429 »Daz sprechent unser meister: einunge wil haben glîchnisse. Einunge enmac niht gesîn, si enhabe glîchnisse« (DW II, S. 338). 430 »Als die meister sprechent (z. B. Boethius: vgl. DW I, S. 27 Anm. 3), daz glîch und glîch aleine ein sache ist der einunge, […]« (DW I, S. 26). 431 »Aequalitas ab unitate nascitur« (LW III, S. 485). 432 »Und wan glîchnisse vliuzet von dem einen […]« (DW V, S. 33) 433 »underscheit und zweiunge« (DW V, S. 34) 434 »dâ ez glîch von glîchem enpfanget« (Pf. 392, 25; Von der edelkeit der sêle) 435 »Alsô ist gotes meinunge, daz er sich uns alzemâle gebe. Ze glîcher wîse, als daz viur daz holz in sich ziehen wil und sich wider in daz holz, […]« (DW I, S. 180). 436 »Sol daz viur daz holz in sich drücken, sô muoz al unglîcheit ûz sîn« (ibid.). 437 »Ignis agit in lignis calorem et ipsa assimilat sibimet in calore« (LW III, S. 151). 438 »benimet im (dem Holz) (durch calefactio) gropheit, kelte, swærheit und wezzericheit und machet daz holz im selben, dem viure, glîch mê und mê« (DW V, S. 33). 413 414

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Anmerkungen: S. 103 – 106 »gratia calefactionis et assimilationis« (LW III, S. 151) »calor alterans et disponens ad formam ignis« (vgl. LW III, S. 111) 441 dissimilitudo 442 »Sô rouchet ez und krachet« (DW I, S. 180). 443 »ein widerkriec, ein prasteln, ein arbeit« (DW V, S. 34) 444 »tristitia repugnantis dissimilitudinis« (LW III, S. 111) 445 »und ie daz holz denne heizer wirt, ie ez stiller wirt und geruowiger (DW I, S. 180). 446 »Sô aber alliu unglîcheit wirt benomen und abegeworfen (abiecta dissimilitudine: LW III, S. 111), sô gestillet daz viur und geswîget daz holz« (DW V, S. 34). 447 »daz viur gebirt sich selben in daz holz und gibet im sîne eigen natûre und ouch ein wesen sîn selbes« (DW V, S. 33). 448 »generatio formae substantialis«; »gratia informationis« (LW III, S. 151) 449 »alsô daz allez ein viur glîche eigen ist, ungescheiden, weder minner noch mê« (DW V, S. 33 f.). 450 »Accipit formam et esse ignis per partum et generationem […], habet et operatur omnia quae ignis sunt« (LW II, S. 436). 451 »Diu sêle sol widerbildet sîn und îngedrücket in daz bilde und widerslagen in daz bilde, daz gotes sun ist« (DW III, S. 244). 452 »Als dâ alle die krefte sint abegezogen von allen irn werken und von allen bilden, alsô wirt diz wort gesprochen« (DW IV, 1, S. 355). 453 »Sô diu sêle der zît und der stat ledic ist, sô sendet der vater sînen sun in die sêle« (DW I, S. 74). 454 »Pater generat filium suum in me et ego sum ibi idem filius et non alius« (RS S. 31; vgl. DW I, S. 72 f.: »Dâ der vater sînen sun in mir gebirt, dâ bin ich der selbe sun und niht ein ander«). 455 »Diu sêle ist natiurlîch nâch gote gebildet. Diz bilde muoz gezieret und volbrâht werden mit dirre geburt« (DW IV, 1, S. 410). 456 »Diu sêle sol widerbildet sîn und îngedrücket in daz bilde und widerslagen in daz bilde, daz gotes sun ist. Diu sêle ist gebildet nâch gote; aber die meister sprechent, daz der sun ist ein bilde gotes, und diu sêle ist gebildet nâch dem bilde. Sô spriche ich mê: der sun ist ein bilde gotes obe bilde; er ist ein bilde sîner verborgenen gotheit. Dâ der sun ein bilde gotes ist und dâ der sun îngebildet ist, dár nâch ist diu sêle gebildet. In dem selben, dâ der sun nimet, dâ nimet ouch diu sêle. Dannoch, dâ der sun ûzvliezende ist von dem vater, dâ enbehanget diu sêle niht: si ist obe bilde« (DW III, S. 244 f.). 457 »Cor. 3: ›in eandem imaginem transformamur a claritate in claritatem, tamquam a domini spiritu‹. Non enim est imaginandum falso quasi alio filio sive imagine Christus sit filius dei, et alio quodam homo iustus et deiformis sit filius dei. Ait enim: ›transformamur in eandem imaginem‹« (LW III, S. 104). 458 »Cor. 3 in fine: ›revelata facie gloriam domini speculantes, in eandem imaginem transformamur a claritate in claritatem tamquam a domini spiritu‹. ›Transformamur‹ dupliciter: primo, quia cedit forma prior; secundo, quia transcendit et est altius omni forma. ›A claritate in claritatem‹, id est a naturali lumine in supernaturale et a lumine gratiae tandem in lumen gloriae« (LW IV, S. 423). 459 »Enbilde kein ding in dich! (Pf. 189, 19; vgl. DW II, S. 254) 460 »Dâ daz bilde (daz crêatiurlîche bilde) ûzgât, dâ gât got« (DW I, S. 93). 439 440

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Anmerkungen: S. 106 – 110 461 »Dar umbe, daz dû mit gote ein sîst, sô enmuoz niht in dir sîn noch îngebildet noch ûzgebildet« (DW III, S. 324). 462 »Habet […] solum deum causam formalem« (LW III, S. 285). 463 »emanatio formalis« 464 »Transformatur siquidem in illud esse divinum, quo utique esse divino deus est et vivit« (LW IV, S. 465). 465 »a claritate in claritatem« 466 »In eandem imaginem transformamur a claritate in claritatem.« 467 »Diz bilde muoz gezieret unde vollebrâht werden mit dirre gebürte.« 468 »Und dar umbe, wilt dû leben […], sô muost dû allen dingen tôt sîn und ze nihte worden sîn« (DW II, S. 255 f.). 469 »Man sol grunttôt sîn« (DW I, S. 135). 470 »Got würket alle sîne maht in sîner geburt. […] In der geburt wirt si (die Seele) lebende, und got gebirt sînen sun in die sêle, daz si lebende werde« (DW II, S. 321). 471 »ein êwic leben« (DW I, S. 135) 472 »ein leben aller dinge« (DW I, S. 72) 473 »de[us], qui vita est animae« (LW I, S. 566) 474 »Ez muoz gar ein kreftic leben sîn, in dem tôtiu dinc lebende werdent, in dem joch der tôt ein leben wirt« (DW I, S. 135). 475 DW I, S. 294 ff.; DW II, S. 70 ff.; S. 298 ff. 476 »Adolescens, tibi dico: surge« 477 »Dâ sprichet ir în daz êwige wort daz leben; dâ wirt diu sêle lebende« (DW I, S. 307). 478 »Ze disem tôten sune sprach unser herre: ›ich spriche ze dir, jüngelinc, stant ûf!‹ Daz êwige wort und daz lebende wort, in dem alliu dinc lebent und daz alliu dinc ûfheltet, daz sprach daz leben in den tôten, ›und er rihte sich ûf und begunde ze sprechenne‹. Swenne daz wort sprichet in die sêle und diu sêle widersprichet in dem lebenden worte, dâ wirt der sun lebende in der sêle« (DW I, S. 305). 479 »Des sunes leben hanget in dem vater, und des vaters leben hanget in dem sune« (DW II, S. 33). 480 »Dirre mensche stât in gotes bekennenne und in gotes minne und enwirt kein anderz, dan daz got selber ist« (DW I, S. 194). 481 »Nieman enmac den vater bekennen wan sîn einiger sun, […] noch nieman den sun wan sîn vater. Und dar umbe: sol der mensche got bekennen, in dem sîn êwigiu sælicheit bestât, sô muoz er ein einiger sun sîn mit Kristô des vaters« (DW II, S. 378). 482 »Niemermê enmac ich got gesehen wan in dem selben, dâ got sich selben inne sihet«; (DW III, S. 175). 483 »Dâ wirt got mit gote bekant in der sêle« (DW I, S. 18). 484 »Daz selbe bekantnisse, dâ sich got selben inne bekennet, daz ist eines ieglîchen abegescheidenen geistes bekantnisse und kein anderz« (DW I, S. 162). 485 »Mîn ouge und gotes ouge daz ist éin ouge und éin gesiht und éin bekennen« (DW I, S. 201). 486 »Sic enim et idem amor est Spiritus sanctus quo pater filium diligit et filius patrem, quo deus nos diligit et nos deum« (LW III, S. 438). 487 »In der minne, dâ sich got selben inne minnet, in der minne minnet er mich, und diu sêle minnet got in der selben minne, dâ er sich selben inne minnet« (DW I, S. 168).

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Anmerkungen: S. 110 – 113 488 »Volens deum in se invenire oportet quod sit filius dei. Pater enim et filius simul sunt, correlativa sunt. Spiritus sanctus procedit a filio in trinitate. Sic et in nobis« (LW III, S. 100). 489 »Nieman enhât den heiligen geist, er ensî denne der eingeborne sun. Der vater und der sun die geistent den heiligen geist, dâ der heilige geist gegeistet wirt. […] Alsô ist dem menschen, der dâ ist der eingeborne sun: dem blîbet der heilige geist wesenlîche« (DW II, S. 84 ff.). 490 »habet unam operationem cum deo« (RS S. 17) 491 »Adhuc autem una est actio utriusque, coloris scilicet et colorati, in quantum coloratum est« (LW III, S. 301). 492 »Als si (die Seele) nû danne alsô heim kumet und alsô mit im (Gott) vereinet ist, sô ist si ein mitewürkerin. […] Sô würket si mit dem vater alliu sîniu werk« (DW II, S. 125). 493 »In dirre geburt ergiuzet sich got in die sêle mit liehte alsô, daz daz lieht alsô grôz wirt in dem wesene und in dem grunde der sêle, daz ez sich ûzwirfet und übervliuzet in die krefte und ouch in den ûzern menschen« (DW IV, 1, S. 412). 494 »Sô werdent alle krefte erliuhtet und der ûzer mensche« (DW IV, 1, S. 414). 495 »ein guldin vingerlin« (DW III, S. 446) 496 »Der in dém liehte ein holz sæhe, daz würde ein engel« (DW I, S. 383). 497 »Alle crêatûren ›grüenent‹ in gote« (DW III, S. 247). 498 »dâ sint alliu dinc ›grüene‹ und niuwe« (DW III, S. 249). 499 »[Die] übervlüzzicheit des liehtes, daz in der sêle grunde ist, daz übergiuzet sich in den lîchamen unde wirt dâ von vol klârheit« (DW IV, 1, S. 412 f.). 500 »Hic est, qui omnia reliquit, qui transfiguratur in monte cum Christo« (LW IV, S. 424). 501 »Unio autem vera, perfecta et intima necessario requirit in altero puram passionem« (LW IV, S. 111). 502 »Activum et passivum se ipsa per essentiam mutuo quaerunt uniri« (LW III, S. 146). 503 »Iterum etiam de ratione et proprietate passivi est esse nudum et egenum, de ratione vero et proprietate activi est esse actu et dives« (LW III, S. 149). 504 »totum suum esse«; »idem esse« (vgl. LW III, S. 91) 505 »activum«; »passivum«; »informatio« (vgl. LW III, S. 86; LW I, 2, S. 55) 506 »Nam beatitudo non tam est similitudo, sed unio, quae est terminus similitudinis« (LW IV, S. 110). 507 »Beatitudo consistit in uno eodem active in deo, passive in anima« (LW IV, S. 95). 508 »Wan als got unmæzic ist an dem gebenne, alsô ist ouch diu sêle unmæzic an dem nemenne oder empfâhenne. Und als got ist almehtic an dem würkenne, alsô ist diu sêle abgründic an deme lîdenne. Und dar umbe wirt si überformet (= transformatur) mit gote und in gote. Got der sol würken und diu sêle sol lîden« (DW IV, 1, S. 423 f.) 509 »Dar umbe: solt dû sîn der sun gotes, des enmaht dû niht gesîn, niuwan dû enhabest denne daz selbe wesen gotes, daz dâ hât der sun gotes« (DW III, S. 313). 510 »Dâ der vater gebirt sînen sun, dâ gibet er im allez, daz er hât wesenlîche und natiurlîche. In dem gebenne quillet ûz der heilige geist. Alsô ist gotes meinunge, daz er sich uns alzemâle gebe« (DW I, S. 180). 511 »der vater enhât niht dan einen einigen sun« (DW II, S. 293).

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Anmerkungen: S. 113 – 118 »participatio« »Adhuc autem constat quod deus se totum dat cuicunque se dat« (RS S. 38). 514 »Deus se omni, se toto dat et se totum dat« (LW IV, S. 377). 515 »unio animae cum deo« (vgl. LW III, S. 301) 516 »unio dei cum hominis anima« (LW III, S. 284) 517 »Quod autem dicit articulus in fine quod homo diuinus fit nichil aliud quam quod deus est, falsum est et error« (RS S. 41). 518 »Dicit quod ›ipse sit ille vnigenitus filius‹. Si intelligatur quod ego sim deus falsum est« (RS S. 63). 519 »Verum est tamen quia deus pater generat in me filium suum et per eundem filium et in ipso generat me filium in illo. Filius in me genitus ipse est filius sine omni distinctione nature cum patre« (RS S. 15). 520 »In me generat filium deus pater et in me est ipse filius genitus, vnus, indiuisus, cum non sit alius filius in diuinis nisi vnus et ipse deus« (RS S. 14). 521 »anima« 522 »deus generat me suum filium sine omni distinctione«; (RS S. 15) 523 »Ego sum idem filius et non alius« (RS S. 31). 524 »Inter vnigenitum filium et animam non est aliqua distinctio« (RS S. 64). 525 »anima sancta est vnum cum deo« (RS S. 64). 526 »homo diuinus« (RS S. 41) 527 »deo conformatus« bzw. »quodam modo deificatus« (RS S. 13) 528 »diuinus, deificatus« 529 »inquantum in ipso est dei similitudo et per consequens deus ipse in sua similitudine« (RS S. 13) 530 Filiatio per naturam et filiatio per gratiam adoptionis 531 »Fructus incarnationis Christi, filii dei, primus est quod homo sit per gratiam adoptionis quod ipse est per naturam. […] In eandem imaginem transformamur« (LW III, S. 90 f.). 532 »Swenne der mensche sîn selbes zemâle ledic ist durch got und er niemans ist dan gotes aleine und durch niht enlebet dan durch got aleine, sô ist er wærlîche daz selbe von gnâden, daz got ist von natûre, und got enbekennet sîn selbes keinen underscheit zwischen im und disem menschen […] und alsô als got guot ist von natûre, alsô ist dirre mensche guot von gnâden, wan gotes leben und sîn wesen ist in disem menschen alzemâle« (DW III, S. 109). 533 »Nec est putandum quasi ipse filius dei deus sit aliquid extrinsecum siue distans a nobis […], sed ipse utpote deus indiuisus et vnicus per essentiam intimus est et proximus unicuique nostrum« (RS S. 65). 534 »Omnes tamen ›in eandem imaginem‹ transformantur et ipso filio deo unum sunt« (LW IV, S. 369). 535 »Gratia est ebullitio quaedam parturitionis filii, radicem habens in ipso patris pectore intimo« (LW IV, S. 239). 536 »dat se ipsum« (LW IV, S. 234) 537 »Alsô wirt diu sêle vereinet in gote und beslozzen, und dâ entglîtet ir diu gnâde, daz si mit der gnâde niht mê enwürket, sunder in gote götlîche« (DW III, S. 430). 538 »Gnâde ist ein înwonen und ein mitewonen der sêle in gote« (DW II, S. 326). 539 »(gratia) dat esse unum cum deo, quod est plus assimilatione« (LW IV, S. 240). 540 »Gratia longe super caritatem […] sicut esse super opus« (LW IV, S. 239) 541 »Gnâde eneiniget niht die sêle mit gote, si ist ein volbringen« (DW I, S. 367). 512 513

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Anmerkungen: S. 118 – 127 542 »Dat nobis gratiam, ut possimus plene accipere plenam gratiam« (LW IV, S. 378). 543 »Gratiam assimilationis dat pro gratia informationis« (LW III, S. 151). 544 »De plenitudine eius nos omnes accepimus, et gratiam pro gratia« (Joh. 1,16) (LW III, S. 148) 545 »Constat etiam quod eodem quo deus est deus, homo est divinus analogice. Nec enim quis est diuinus sine deo sicut nec album sine albedine« (RS S. 40). 546 »Verum est quod hominis iusti, in quantum iustus, totum esse est ab esse dei, analogice tamen. Item nemo vere est diuinus nisi deo in se« (RS S. 52). 547 RS S. 26, art. 5, 6 548 »Sic urina dicitur sana non sanitate formaliter inhaerente, sed sola analogia et respectu ad ipsam sanitatem extra, quae proprie formaliter est in ipso animali« (LW II, S. 58). 549 solum per modos 550 »›per modos‹ unius eiusdemque rei simpliciter« (LW II, S. 280) 551 »solum per modos unius eiusdem rei numero« (LW II, S. 60) 552 »Res una est in causa et effectu analogis, differens solum modo. Propter quod ipsum nomen hoc indicat analogiae, id est id ipsum utrobique per prius tamen et posterius« (LW IV, S. 372). 553 »Nec iustus quilibet esset vere iustus, si alia esset iustitia in se ipsa et alia in iusto« (LW III, S. 104). 554 »Ipsa enim bonitas que in deo est et que est, ab ipsa sunt boni omnes boni« (RS S. 27). 555 »Li ›inquantum‹, reduplicatio scilicet, excludit omne aliud, omne alienum etiam secundum rationem a termino« (RS S. 2). 556 »Bonus homo in quantum bonus (als verre er guot ist) intrat omnem proprietatem bonitatis que deus est in se ipso« (RS S. 23; vgl. DW V, S. 22). 557 »Alsô, als er mich durchbrichet, alsô durchbriche ich in wider« (DW II, S. 76 f.). 558 »Dâ got ûzbrichet in sînen sun, dâ enbehanget diu sêle niht« (DW III, S. 253). 559 »Si ist obe bilde« (DW III, S. 245). 560 »Ich hân gesprochen von einer kraft in der sêle. […] si gründet und suochet vort und nimet got in sîner einunge und in sîner einœde; […] dar umbe enlât si ir niht genüegen, si suochet vürbaz, waz daz sî, daz got in sîner gotheit ist und in sînem eigentuome sîner eigenen natûre« (DW I, S. 171 f.). 561 »Ez wil in den einvaltigen grunt, in die stillen wüeste, dâ nie underscheit îngeluogete weder vater noch sun noch heiliger geist« (DW II, S. 420). 562 »In dem daz got ein ist, sô ist volbrâht gotes gotheit« (DW I, S. 368). 563 »Diu einicheit stât bî gote und heltet got zesamen« (DW I, S. 314). 564 »Nota quod deus non est nec sapit nisi in uno« (LW IV, S. 419). 565 »Deus est unum« (LW IV, S. 363). 566 »Unum enim ut sic se toto unum est nec quidquam in se habet praeter unum« (LW III, S. 278). 567 »Waz meinet ein? Daz meinet ein, dem niht zuogeleget enist« (DW I, S. 363). 568 »als got ein und einvaltic ist« (DW I, S. 40) 569 »Sunder als er (Gott) ist einvaltic ein, […]« (DW I, 43) 570 »Unum […], quo simplicius nihil est« (LW III, S. 98) 571 »indivisus«; »unteilich«

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Anmerkungen: S. 127 – 129 572 »Waz ist einvaltic? Daz sprichet bischof Albreht: daz dinc ist einvaltic, daz an im selber ein ist âne ander« (DW III, S. 384). 573 nulla distinctio 574 nullus numerus 575 »einvalticheit« (simplicitas) 576 »compositio« 577 »nullo modo compositum« 578 »Unum est quo participat omnis multitudo, per quod una est et est omnis multitudo, et hoc unum deus. […] Praeterea multitudo eo solo est. […] Ergo ipso uno sunt unum omnia« (LW IV, S. 322 f.). 579 »Hi tres personae sunt unum« 580 una natura 581 una essentia 582 »ein in im selben« (DW II, S. 88) 583 »Daz ist sîn natûre, daz er âne natûre sî« (DW II, S. 120). 584 »einvaltic« (simplex) 585 »dem einen, blôz allerlei menge und unterscheides«; »got-vater-sun-und-heiliger-geist« (vgl. DW V, S. 41) 586 »einvaltigen grunt« Gottes, »dâ nie underscheit îngeluogete weder vater noch sun noch heiliger geist« (DW II, S. 420) 587 »Als er ist einvaltic ein, […], dâ enist er vater noch sun noch heiliger geist in disem sinne« (DW I, S. 43) (Deus est unus et simplex […], secundum quod nec est Pater, nec Filius, nec Spiritus Sanctus [lateinische Übersetzung aus der Koblenzer Handschrift]). 588 »sunder alle zuovallende menge underscheides« (DW V, S. 53) 589 »non unitate, quae est principium numeri« (LW IV, S. 100) 590 »Unitas non est ipsa numerabilis« (LW II, S. 488). 591 »einvaltic ein« 592 sine unitate, sine uno 593 »Deum dicimus esse unum contra numerum« (LW II, S. 453). 594 »supra numerum« (RS S. 57) 595 »ei lûter ein« (DW II, S. 77) 596 »ein luter pur clar Ein« (DW III, S. 448) 597 »Daz meinet ein, dem niht zuogeleget enist« (DW I, S. 363). 598 »Unum super ens nihil addit« (LW IV, S. 104). 599 »âne alle wîse und eigenschaft« (DW I, 44: sine modo et proprietate) 600 »die êrsten lûterkeit« (z. B. DW S. 56) 601 »Ein ist etwaz lûterz dan güete und wârheit. Güete und wârheit enlegent niht zuo, legent zuo in einem gedanke; dâ ez bedâht wirt, dâ leget ez zuo. Ein enleget niht zuo« (DW I, S. 361). 602 »Unum immediatius se habet ad esse sive ad deum quam verum aut bonum« (LW IV, S. 367 f.). 603 »blôz«; »ledic«; »puritas«; »nuda essentia«; »mera substantia« 604 »Esse autem deus esse nudum sine velamine est« (LW IV, S. 108). 605 »deus nudus« (vgl. u. a. LW IV, S. 94, 108, 114 f., 225 f., 227) 606 »Er ist ein înhangen in sîn selbes lûter weselicheit, dâ niht zuohangendes enist. […] Er ist ein lûter înstân in im selber, dâ noch diz noch daz enist« (DW I, S. 56). 607 »einicheit sîn selbes, dâ er ein lûter ein ist« (DW II, S. 77)

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Anmerkungen: S. 129 – 131 608 »Nimest dû in (Gott) denne als ein lieht oder ein wesen oder eine güete, bekennest dû noch iht von im, daz enist got niht« (DW III, S. 221). 609 perfectiones generales 610 »Li bonus, verus, veritas, bonitas et similia non proprie de deo dicuntur, quia addunt« (LW IV, S. 31). 611 »ê er wârheit oder bekantlicheit an sich vâhe, dâ alliu nemelicheit abe geleget ist« (DW I, S. 56) 612 »Swer bedenken wil güete oder wîsheit oder gewalt, der bedecket wesen und bevinstert ez in dem gedanke. Ein einic zuobedenken bedecket wesen« (DW II, S. 120). 613 »weder vater noch sun noch heiliger geist« (DW II, S. 420) 614 »nit-got, Ein nit-geist, Ein nit-persone (DW III, S. 448) 615 »ein und einvaltic«; »gesundert von aller zweiheite«; »ein lûter ein«; »âne alle wise und eigenschaft« 616 »ein einic ein« 617 »intelligere« 618 »esse est deus« 619 »intellectus« 620 »esse« 621 unum 622 »Deus enim unus est intellectus, et intellectus est deus unus. Unde deus nunquam et nusquam est ut deus nisi in intellectu« (LW IV, S. 270). 623 »Esse deus est« 624 »quia deus se toto esse simplex est, unus sive unum est« (LW I, 2, S. 47) 625 »einvaltic« 626 »luter« 627 »Relatio enim in divinis manens secundum genus relationis est alia a ratione substantiae, […] Et ideo non eadem ratione simpliciter est deus pater et deus substantia, sed alia ratione est deus substantia et alia ratione etiam pater. Alia, inquam, et alia, condivisa secundum genus aliud et aliud, non solum sicut species a genere, puta scientia a qualitate, ubi non est alia nisi secundum quid« (LW II, S. 73). 628 »Essentia continet unitatem, relatio multiplicat trinitatem« (LW II, S. 75, S. 241). 629 sancti et doctores (LW II, S. 67) 630 »Et sic manent in divinis tantum duo praedicamenta, scilicet substantia et relatio« (LW II, S. 239; vgl. LW III, S. 167; LW II, S. 67). 631 »substantia« 632 »una essentia« 633 »relatio« 634 »plures personae« (LW II, S. 75). 635 »substantia« 636 »relatio« 637 »puritas excellens […] quia est substantia se tota stans in se ipsa tota, […] nulli innixa, nulli permixta« (LW II, S. 239) 638 »Substantia in ratione substantia non est sui diffusiva, tum quia ad intra respicit, ad se ipsam est, non ad aliud, tum quia secundum se et per se esse respicit, quod est unum semper in divinis« (LW II, S. 240).

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Anmerkungen: S. 131 – 135 »In divinis essentia non generat« (ibd.). »In deo substantia sua non habet rationem relationis« (LW II, S. 74). 641 »una substantia simplex« (LW II, S. 46) 642 »mera substantia simplex« (LW II, S. 239) 643 »substantia, quae sit in genere substantiae, sed quid altius et per consequens purius« (LW II, S. 239) 644 »Non autem respicit […] relatio essentiam, sed se mutuo respiciunt« (LW IV, S. 10). 645 »deus substantia« 646 »deus pater« 647 »principium« 648 »Ratione relationis sive ordinis habet deus diffusionem sive fecunditatem tam in divinis quam in creaturis« (LW II, S. 241). 649 »Relatio respicit oppositum« (vgl. LW II, S. 69 f.) 650 »oppositum« 651 »Emanatio personarum in divinis ratio est et praevia creationis« (LW II, S. 22). 652 »deus pater« 653 »pater noster« 654 »Wan ê die crêatûren wâren, dô enwas got niht ›got‹« (DW II, S. 492). 655 »Propter hoc solum genus praedicamenti relationis non transit in substantiam in divinis, sed manet quasi foris stans« (LW II, S. 70). 656 »In deo est unicum praedicamentum, scilicet substantia« (LW II, S. 67). 657 »assistens et foris stans« (LW II, S. 70) 658 »Underscheit enist noch in der natûre gotes noch in den persônen nâch der natûre einicheit. Diu götlîche natûre ist ein, und ieglîchiu persône ist ouch ein und ist daz selbe ein, daz diu natûre ist. Underscheit in wesene und in wesunge wirt genomen ein und ist ein. Dâ ez niht inne enist, dâ nimet ez und hât und gibet underscheit« (DW V, S. 115). 659 »Dar umbe: in dem einen vindet man got, und ein muoz er werden, der got vinden sol« (DW V, S. 115). 660 »Und daz ein«, »in dem ouch verliuset und wirt enblœzet aller unterscheide eigenschaft und ist ein und sint ouch ein got-vater-sun-heiliger-geist«, »machet uns sælic« (DW V, S. 41). 661 »Unde pater et filius et spiritus sanctus beatificant, ut unum sunt. In uno enim nulla distinctio prorsus est« (LW III, S. 478). 662 »Waz ist götlich ordenunge? Von götlîcher mügentheit brichet ûz diu wîsheit, und ûz in beiden brichet diu minne, daz ist der brant; wan wîsheit und wârheit und mügentheit und diu minne, der brant, ist in dem umbekreize des wesens, daz ist ein überswebende wesen, lûter âne natûre. Daz ist sîn natûre, daz er âne natûre sî. Swer bedenken wil güete oder wîsheit oder gewalt, der bedecket wesen und bevinstert ez in dem gedanke. Ein einic zuobedenken bedecket wesen« (DW II, S. 119 f.). 663 ›umbekreize‹ 664 »zuobedenken« 665 »zuoval« 666 »Constat enim quod distinctio attributorum divinorum, potentiae scilicet, sapientiae, bonitatis et huiusmodi, totaliter est ex parte intellectus accipientis« (LW II, S. 64). 667 »nuda essentia« 639 640

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Anmerkungen: S. 136 – 140 »Una natura« bonus est per essentiam 670 »Gotes natûre und sîn wesen und sîn gotheit die hangent dar ane, daz er muoz würken in der sêle« (DW IV, 2, S. 764 f.). 671 »Der vater [gebirt] sînen sun in der sêle in der selben wîse, als er in in der êwicheit gebirt, und niht anders. Er muoz ez tuon, ez sî im liep oder leit« (DW I, S. 109). 672 »Non oportet deo regratiari quod nos amat. Necessitas enim illi incumbit. Sed regratior quod sic bonus est, ut ipsi sit necesse amare« (LW IV, S. 55). 673 »Ich enwil des gote niemer gedanken, daz er mich minnet, wan er enmac ez niht gelâzen, er welle oder enwelle, sîn natûre twinget in dar zuo. Ich wil im des danken, daz er ez niht gelâzen enmac von sîner güete, er enmüeze mich minnen« (DW III, S. 269). 674 »Ich spriche, daz ich got niht biten enwil, daz er mir gebe; ich enwil in ouch niht loben, umbe daz er mir gegeben hât, sunder ich wil in biten, daz er mich wirdic mache ze enpfâhenne, und wil in loben, daz er der natûre ist und des wesens, daz er geben muoz« (DW II, S. 35). 675 »Quod autem dicitur ›oportet eum facere‹ verum est, est tamen locutio emphatica commendans dei bonitatem et amorem qui se toto bonus est per essentiam« (RS S. 53). 676 »Daz wizzest: got enmac niht lære noch îtel lâzen. Got und diu natûre enmügen daz niht lîden, daz ihtes iht îtel oder lære si […] Got, der meister der natûre, enlîdet ez niht, daz ihtes iht îtel oder lære sî. Dar umbe stant alhie stille und enwenke niht von dirre îtelkeit« (DW IV, 1, S. 487). 677 »Wâ oder wenne dich got bereit vindet, sô muoz er würken und sich in dich ergiezen. Ze glîcher wîse als der luft lûter und rein ist, sô muoz sich diu sunne ergiezen und enmac sich niht enthalten« (DW IV, 1, S. 484). 678 »Gotes natûre ist, daz er gebe, und sîn wesen swebet dar an, daz er uns gebe, ob wir unden sîn« (DW I, S. 73). 679 »debet ergo humilis esse, […] quia superius ex sui natura et proprietate influit et se ipsum communicat suo inferiori et ipsi soli« (LW III, S. 265). 680 »Daz abegescheidenheit twinge got ze mir« (DW V, S. 403) 681 »Diu zwei (schouwen u. vride) twingent got; und hâst dû diu an dir, sô muoz er in dir geborn werden« (DW I, S. 214). 682 »Caueat deus ne obmittat se infundere in hominem recte humilem. Humilis homo non indigit quod deum roget, ipse potest deo inperare (Der geware oitmodege mynsche der in darff got neit byden, hey mach gode gebeden: DW I, S. 235). Humilis homo est ita potens super deum, sicut ipse est, deus scilicet, potens super se ipsum (der oitmoedege mynsche der is godes also geweldich as hey syns selues is) (RS S. 40). 683 »Dicendum quod totum verum est, morale et devotum, emphaticum tamen« (RS S. 40). 684 »Got gebirt sînen eingebornen sun in dir, ez sî dir liep oder leit« (DW I, S. 387). 685 »Ganc dîn selbes alzemâle ûz durch got, sô gât got alzemâle sîn selbes ûz durch dich« (DW I, S. 93). 686 »In der wârheit, entdecken wir im (Gott) allez, sô entdecket er uns her wider allez, daz er hât. […] Entdecken wir im niht, sô enist kein wunder, ob er uns denne niht entdecket« (DW I, S. 186). 668 669

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Anmerkungen: S. 140 – 144 »Sô dû dich gote mê gibest, sô sich got dir selben mê widergibet« (DW II, S. 54). »Wære diu sêle alzemâle entblœzet und entdecket von allem mittel, sô wære ir got entblœzet und entdecket und gæbe sich ir alzemâle« (DW III, S. 165). 689 »Daz ein (eine der zwei Eigenschaften des Bildes) ist, daz ez (bilde) von dem, des bilde ez ist, sîn wesen âne mittel nemende ist obe dem willen […] Swenne daz antlite geworfen wirt vür den spiegel, sô muoz daz antlite dar inne erbildet werden, ez welle oder enwelle« (DW I, S. 265). 690 »obe dem willen« 691 »einen natiurlîchen ûzganc« 692 non voluntate, sed naturaliter (vgl. LW IV, S. 427) 693 »daz er dâ sîne natûre […] zemâle dar inne erbildet obe dem willen; […] und diu natûre ergiuzet sich zemâle in daz bilde […]« (DW I, S. 266). 694 »Hie ist got âne mittel in dem bilde, und daz bilde ist âne mittel in gote« (DW I, S. 268). 695 guot âne güete; magnus sine quantitate, bonus sine qualitate (vgl. DW I, S. 147; LW IV, S. 171) 696 »Deus enim est deus amans et volens amore et voluntate concomitante; […] Non autem est deus amore et voluntate principiante; sic enim amor et voluntas praecederet substantiam et ipsum esse dei« (LW III, 136 f.). 697 deus est deus amans 698 deus est et operatur omnia sua substantia; in deo est unicum praedicamentum; transit in substantiam in deo; res adiuncta substantiae; repugnat divinae naturae puritati et impermixtioni (vgl. LW II, S. 66 f., 69, 51) 699 »Sprich ich och: ›Got ist wise‹ – es ist nit war: Ich bin wiser den er« (DW III, S. 441). 700 »Got enist guot (deus non est bonus) noch bezzer noch allerbeste. Wer dâ spræche, daz got guot wære, der tæte im als unrehte, als ob er die sunnen swarz hieze« (DW I, S. 148). 701 »Dicendum quod deus utique, cum sit super omne nomen quo ipsum nominare possumus, excellentior est quam album super nigrum« (RS S. 61). 702 »respicit oppositum« (LW II, S. 73) 703 »Daz hûs gotes ist diu einicheit sînes wesens! […] Aber, dâer smelzende ist, dâ smilzet er ûz. Sîn ûzsmelzen daz ist sîn güete« (DW I, S. 314). 704 »Deus sub ratione boni est principium ebullitionis ad extra« (LW IV, S. 236). 705 »Ich sprach niuwelîche von der porte, dâ got ûzsmilzet, daz ist güete. Aber wesen ist, daz sich heltet ze im selber und ensmilzet niht ûz, mêr: ez smilzet în. Aber daz ist einicheit, daz sich heltet in im selber ein und von allen dingen ein und engemeinet sich niht ûz. Aber güete daz ist, dâ got ûzsmilzet und gemeinet sich allen crêatûren« (DW I, 301 f.). 706 »Güete ist ein kleit, dâ got under verborgen ist« (DW I, S. 153). 707 nuda essentia bzw. mera substantia simplex 708 »gotes grünt« 709 »gotheit« 710 »gotes gotheit«; »grund götlîches wesens«; »grund der gothait«; »grunt des wesens«; »die quelle der gotheit«; »grunt des vaters«; »die êrstekeit und der grünt der vetterlicheit« 711 »Wan ich wil sprechen daz ich nie mê engesprach: Got und gotheit hânt underscheit als verre himel und erde« (DW IV, 2, S. 767 f.). 687 688

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Anmerkungen: S. 144 – 146 »smelzen«; »ûzsmelzen« (DW I, S. 314) »Gottheit« ist »got in sîner einunge, […] in sînem eigenen grunde […] und in sînem eigentuome sîner eigenen natûre« (vgl. DW I, 171, 172). 714 »Ein enleget niht zuo, dâ er (Gott) in im selber ist, ê er ûzvlieze in sun und heiligen geist« (DW I, S. 361). 715 »Dâ sitzet er in sînem næhsten, in sînem esse, allez in im, niergen ûz im« (DW I, S. 314). 716 »da er gebraucht sein selbs, […] sein selbs in dem einigen ein« (DW II, S. 470) 717 imago dei 718 perfectiones generales 719 »geliutert«; »blôz«; »sine velamine«; »dâ niht zuogeleget enist, dâ niht bedâht enist« (DW I, S. 363) 720 »blôz in dem kleithûse, dâ er entdecket und blôz in im ist« (DW II, S. 274) 721 »niendert enrüeret« (DW I, S. 364) 722 »Got der würket, diu gotheit enwürket niht, si enhât ouch niht ze wirkenne. In ir enist kein werk. Si engeluoget ouch ûf kein werk« (DW IV, 2, S. 772). 723 »ein einvaltic stille, […] in ir selben unbewegelich« (DW II, S. 421) 724 »Wan daz got ist got, daz hât er von sîner unbewegelîchen abegescheidenheit, und von der abegescheidenheit hât er sîne lûterkeit und sîne einvalticheit und sîne unwandelbærkeit. […] Nû solt dû wizzen, daz got in dirre unbewegelîchen abegescheidenheit ist êwelten gestanden und noch stât, und solt wizzen: dô got himelrîche und ertrîche beschuof und alle crêatûre, daz gienc sîne unbewegelîche abegescheidenheit als wênic ane, als ob nie crêatûre geschaffen wære […] Ich spriche ouch mêr: dô der sun in der gotheit mensche werden wolte und wart und die marter leit, daz gienc die unbewegelîche abegescheidenheit gotes alsô wênic ane, als ob er nie mensche worden wære« (DW V, S. 412 ff.). 725 »Alsô sprechent alle crêatûren von gote. Und war umbe sprechent sie niht von der gotheit? Allez daz, daz in der gotheit ist, daz ist ein. Und dâ enist niht von ze sprechenne« (DW IV, 2, S. 772) 726 privatio 727 ein nit-got: (DW III, S. 448) 728 »übergoteten gotes«: (DW IV, 1, S. 360) 729 »Ein nit-geist, Ein nit-persone, Ein nut-bilde« (DW III, S. 448) 730 »übervülle der gotheit« (DW I, S. 397) 731 »Diu grundelôsekeit gotes« (Pf. 302, 20) 732 »[der] grunt, der gruntlôs ist« (DW II, S. 309) 733 »die stillen wüeste« (DW II, S. 420) 734 »die verborgene heimlicheit sîner verborgenen gotheit« (DW I, S. 388) 735 »grund der gothait« (DW I, S. 247) 736 »diu stille vinsternisse der verborgenen vaterschaft« (DW I, S. 388) 737 »got in sîner einunge und in sîner einœde; […] got in sîner wüestunge und in sînem eigenen grunde […] got in sîner gotheit ist und in sînem eigentuome sîner eigenen natûre« (DW I, 171, 172) 738 »abgrunt sîner gotheit« (DW I, S. 194) 739 »slozze der gotheit« (DW I, S. 404) 740 »grondeloesse gotheit« (DW I, S. 235) 741 »das vinsterniss oder das vnbekantniss der verborgenen gothait« (DW I, S. 253) 742 »diu verborgen vinsternisse der êwigen gotheit« (DW I, S. 389) 712 713

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Anmerkungen: S. 147 – 150 743 »›Got ist ein wesen‹ – es ist nit war: Er ist ein vber swebende wesen vnd ein vberwesende nitheit« (DW III, S. 442). 744 »Got ist niht; niht alsô, daz er âne wesen sî: er enist weder diz noch daz, daz man gesprechen mac; er ist ein wesen ob allen wesen. Er ist ein wesen weselôs« (DW III, S. 431). 745 »›Paulus stuont ûf von der erden, und mit offenen ougen ensach er niht‹. Ich enmac niht gesehen, daz ein ist. Er sach niht, daz was got. Got ist ein niht, und got ist ein iht. […] Dâ von sprichet der liehte Dionysius, wâ er von gote schrîbet, dâ sprichet er: er ist über wesen […] Der iht sihet oder vellet iht in dîn bekennen, daz enist got niht; dâ von niht, wan er noch diz noch daz enist« (DW III, S. 222 f.). 746 »Daz ich aber gesprochen hân, got ensî niht ein wesen und sî über wesene, hie mite enhân ich im niht wesen abegesprochen, mêr: ich hân ez in im gehœhet« (DW I, S. 146). 747 »Alle crêatûren sint ein lûter niht« (DW I, S. 69). 748 »nihil est deo extra«. 749 esse 750 »Deus est ipsum esse et essentia ipsius est ipsum esse« (LW II, S. 140). 751 »ein iht« 752 »Got ist ein sôgetân wesen, daz man ez niht baz bekennet denne mit nihte« (Pf. 182, 31) 753 »Sant Johannes sprichet: ›got ist ein wâr lieht, daz dâ liuhtet in der vinsternisse‹. Waz ist diu ›vinsternisse‹ ? Ze dem êrsten: daz der mensche niendert enhafte noch enhange und blint sî und niht enwizze von crêatûren. Ich hân ez ouch mê gesprochen: swer got sehen wil, der muoz blint sîn« (DW III, S. 250). 754 »Daz ander: ›‹got ist ein lieht, daz dâ liuhtet in der vinsternisse«. Er ist ein lieht, daz verblendet. Diz meinet ein sôgetân lieht, daz unbegriffen ist; ez ist unendelich, daz ist, daz ez kein ende enhât; ez enweiz umbe kein ende niht. Daz meinet, daz ez die sêle blendet, daz si niht enweiz und daz si niht enbekennet« (DW III, S. 250 f.). 755 »Sol got gesehen werden, daz muoz geschehen in einem liehte, daz got selber ist« (DW III, S. 214). 756 »Daz lieht, daz got ist, daz enhât keinen gemanc, dâ envellet kein gemanc în« (DW III, S. 228). 757 »›Dô er niht ensach, dô sach er got.‹ Daz lieht, daz got ist, daz vliuzet ûz und machet vinster allez lieht« (DW III, S. 227). 758 »Adhuc autem […] per caliginem potest intelligi immensitas et superexcellentia divini luminis« (LW II, S. 195). 759 »Diu dritte ›vinsternisse‹ ist allerbeste unde meinet, daz kein lieht enist. Ein meister sprichet: der himel enhât kein lieht, er ist ze hôch dar zuo; er enliuhtet niht, er enist noch kalt noch warm in im selber« (DW III, S. 251). 760 »Ez ist diu verborgen vinsternisse der êwigen gotheit und ist unbekant und wart nie bekant und enwirt niemer bekant. Got blîbet dâ in im selber unbekant, und daz lieht des êwigen vaters hât dâ êwiclîche îngeschinen, und diu vinsternisse enbegrîfet des liehtes niht« (DW I, S. 389). 761 »Und enist er noch güete noch wesen noch wârheit noch ein, waz ist er denne? Er ist nihtes niht, er enist weder diz noch daz« (DW I, S. 402). 762 »In dem einen svlen wir ewiklich versinken von nvte zv nvte« (DW III, S. 448). 763 privatio 764 esse

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Anmerkungen: S. 151 – 154 »die sêle, als si in ir selber ist« (DW I, S. 282) »nuda essentia animae« 767 »von dem vliuzet bekennen und minnen; daz enbekennet selber niht noch enminnet niht« (DW II, S. 496) 768 »altior quam intellectus et voluntas« (RS S. 60) 769 »niemer mê dar în geluogen« (DW I, S. 42) 770 »nuda essentia animae« 771 »supra omne nomen« (RS S. 60) 772 »namelôs« (u. a. DW I, S. 418) 773 »unsprechelich« (DW I, S. 284) 774 »etwaz in der sêle« (DW I, S. 197); »aliquid in anima« 775 »bürgelîn in der sêle« (DW I, S. 44); »castellum in anima« 776 nuda essentia dei 777 »Ez enist weder diz noch daz; nochdenne ist ez ein waz, daz ist hœher boben diz und daz dan der himel ob der erde« (DW I, S. 39). 778 »Ez ist von allen namen vrî und von allen formen blôz, ledic und vrî zemâle, als got ledic und vrî ist in im selber. Ez ist sô gar ein und einvaltic, als got ein und einvaltic ist« (DW I, S. 40). 779 »Und sô enboben alle wîse und alle krefte ist diz einic ein, daz im niemer kraft noch wîse zuo geluogen mac« (DW I, S. 43). 780 »Ez ist und hât doch kein eigen wesen, wan ez ist noch diz noch daz noch hie noch dâ« (DW I, S. 418). 781 »Ez ist ein, ez enhât mit nihte niht gemeine« (DW I, S. 197). 782 »Diu sêle in ir selber […] ist sô lûter« (DW I, S. 361). 783 »Einez ist in der sêle, in dem got blôz ist« (DW I, S. 417). 784 »als ich mêr gesprochen hân, daz etwaz in der sêle ist, daz gote alsô sippe ist, daz ez ein ist und niht vereinet (unum et non unitum)« (DW I, 197; vgl. RS S. 42). 785 »Hie ist gotes grunt mîn grunt und mîn grunt gotes grunt« (DW I, S. 90). 786 nuda essentia animae 787 nuda essentia dei 788 »Alsô, als er (Gott) mich durchbrichet, alsô durchbriche ich in wider« (DW II, S. 76 f.). 789 »domus dei« (LW IV, S. 227) 790 »ich durchbriche got« 791 »Dannoch, dâ der sun ûzvliezende ist von dem vater, dâ enbehanget diu sêle niht: si ist obe bilde. […] Diu sêle enweiz niht wan umbe éin, si ist obe bilde« (DW III, S. 245 f.). 792 »Dâ got ûzbrichet in sînen sun, dâ enbehanget diu sêle niht. Wâ got ûzvliuzet, nimet man got iendert, dâ enbehanget diu sêle niht: ez ist al dar obe« (DW III, S. 253). 793 »Dâ gebirt der vater in sie (die Seele) sînen eingebornen sun, und in der selben geburt wirt diu sêle wider in got geborn. Daz ist ein geburt« (DW I, S. 171). 794 »Got würket alle sîne maht in sîner geburt, und daz hœret dar zuo, daz diu sêle wider ze gote kome« (DW II, S. 321). 795 secunda gratia 796 prima gratia 797 »refluxus sive regressus in ipsum deum« (vgl. LW IV, S. 237) 765 766

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Anmerkungen: S. 154 – 158 798 der »verborgenen vinsternisse der êwigen verborgenheit« oder »in dem êrsten beginne der êrsten lûterkeit«. (DW I, S. 382) 799 »Wan in dem selben wesene gotes, dâ got ist obe wesene und ob underscheide, dâ was ich selbe« (DW II, S. 502). 800 »dô enhâte ich keinen got«; »hie stuont ich ledic gotes und aller dinge«; »ich was ein ledic sîn« (vgl. DW II, S. 492). 801 »Hie (in diesem Grund) hân ich êwiclîche geruowet und geslâfen« »nâch der ungebornheit« (DW I, S. 382). 802 »Dar umbe enlât si ir niht genüegen, si suochet vürbaz, waz daz sî, daz got in sîner gotheit ist und in sînem eigentuome sîner eigenen natûre« (DW I, S. 172). 803 »Nû nimet der heilige geist die sêle, die geheiligeten stat, in dem lûtersten und in dem hœhsten und treit sie ûf in sînen ursprunc, daz ist der sun, und der sun treit sie vürbaz in sînen ursprunc, daz ist in den vater, in den grunt, in daz êrste, dâ der sun wesen inne hât« (DW I, S. 302). 804 »Dô got die sêle geschuof, dô geschuof er sie nâch sîner hœhsten volkomenheit, daz si solte sîn ein brût des eingebornen suns. Wan er diz wol bekante, sô wolte er ûzgân ûzer sîner heimlîcher triskamer der êwigen veterlicheit, in der er êwiclîche geslâfen hât, ungesprochen inneblîbende. […] (Der Sohn) ist dar umbe her ûz komen ûz dem allerhœhsten, daz er wolte hœhen sîne vriundinne, die im der vater êwiclîche gemahelt hâte, daz er sie widerbræhte in daz allerhœhste, ûz dem si komen ist. […] Dâ er ûzgienc von dem allerhœhsten, dâ wolte er wider îngân mit sîner brût in dem allerlûtersten« (DW I, S. 388). 805 »Generosus homo non est contentus quod ipse est ille unigenitus filius quem pater eternaliter generat, quin ipse velit et esse pater et secundum similitudinem eterne paternitatis generare illum a quo sum eternaliter genitus« (RS S. 31). 806 »Posset etiam dici quod anima vult et appetit vniri deo toti in se […] cum ergo anima appetit vniri toti deo in se non solum appetit vniri filio sed etiam patri et spiritui sancto, quia deus vnus ipse est pater et filius et Spiritus sanctus, quia hii tres sunt vnus indiuisus deus« (RS S. 16). 807 »[…] vnd doran benueget den vater nit, er ziehe wider in die erstekeit, in das innerstehsi, in den grund vnnd in den kernen der vetterlicheit, da er ewigklich ist inne gewesen in im selber in der vatterschafft vnnd da er gebraucht sein selbs in dem, der vatter als der vatter sein selbs in dem einigen ein« (DW II, S. 470). 808 »Alles des vatters lust vnnd seyn kosen vnnd seyn anlachen das ist alleyn in dem sun« (DW II, S. 469). 809 »Ez (ein Etwas in der Seele) ist selbe daz selbe, daz sîn selbes gebrûchet nâch der wîse gotes Ez« (DW II, S. 496 f.). 810 vgl. u. a. DW IV, 2, S. 773; DW II, S. 504 811 »Swenne ich widerkume in got, enblîbe ich dâ (d. h. bei Gott) niht, sô ist mîn durbrechen edeler dan mîn ûzfliezen […] Swenne ich kume in den grunt, in den bodem, in den rivier und in daz quellen der gotheit, sô envrâget mich nieman, wannen ich kume oder wâ ich sî gewesen. Dâ envermiste mîn nieman. Dâ entwirt got« (DW IV, 2, S. 773). 812 »Mîn wesenlich wesen ist obe gote« (DW II, S. 502). 813 »Ich […] enbin weder got noch crêatûre« (DW II, S. 504). 814 »Got der wirt und entwirt« (DW IV, 2, S. 768). 815 »dô enhâte ich keinen got« (DW II, S. 492). 816 »wan ê die crêatûren wâren, dô enwas got niht ›got‹« (DW II, S. 492).

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Anmerkungen: S. 158 – 162 »Dô ich ûzvlôz, dô sprâchen alle crêatûren got« (DW IV, 2, S. 772). »Daz got ›got‹ ist, des bin ich ein sache; enwære ich niht, sô enwære got niht ›got‹« (DW II, S. 504). 819 »Her umbe sô biten wir got, daz wir gotes ledic werden« (DW II, S. 493). 820 »Daz hœhste und daz næhste, daz der mensche gelâzen mac, daz ist, daz er got durch got lâze. Nû liez sant Paulus got durch got; er liez allez, daz er von gote nemen mohte und liez allez, daz im got geben mohte, und allez, daz er von gote enpfâhen mohte. Dô er daz liez, dô liez er got durch got, und dô bleip im got, dâ got istic ist sîn selbes, niht nâch einer enpfâhunge sîn selbes noch nâch einer gewinnunge sîn selbes, mêr: denne in einer isticheit, daz got in im selber ist. Er gap gote nie niht, noch er enpfienc nie niht von gote; ez ist ein ein und ein lûter einunge. Hie ist der mensche ein wâr mensche […]; als ich mêr gesprochen hân, daz etwaz in der sêle ist, daz gote alsô sippe ist, daz ez ein ist und niht vereinet« (DW I, S. 196). 821 »Summum quod homo relinquere potest est quod ipse deum propter deum relinquat« (RS S. 33). 822 »In allen den gâben, die er (Gott) gibet, sô gibet er sich selben ie zem êrsten« (DW I, S. 149). 823 nuda essentia animae 824 »Schowet si (die Seele) got als hgoti ist oder als er bilde ist oder als er drv ist, ez ist ir ein gebreste« (DW III, S. 437). 825 »Har vmbe sol din sel nichtgehiistig sin von allen geisten vnd sol stan geisteloz; wan minnestv got, alse er got ist, als er geist ist, als er person ist vnd als er bilde ist, – es mvs alles abe!« (DW III, S. 448). 826 »alzemâle entblœzet und entdecket von allem mittel« (DW III, S. 165) 827 »quia adhuc sentit se, sapit sibi et deus in ipsa et non in se ipso« (LW IV, S. 459 f.) 828 »smecket diu sêle ir selber, als si sêle ist, und smecket ir got mit der sêle, dem ist unreht. Ir sol got in im selber smecken« (DW I, S. 286). 829 »Als lange daz (stat ze würkenne für Gott) ist in dem menschen, sô enist der mensche niht arm in der næhsten armuot« (DW II, S. 500). 830 »in dem einen svlen wir ewiklich versinken von hniite zv nvte« (Pf. 320, 30; vgl. DW III, S. 448). 831 »et tunc remansit ei deus non secundum receptionem vel secundum dationem, sed secundum quod deus est in se ipso« (RS S. 42). 832 »ein lûter einunge« 833 »ein ein« 834 »ein ein und niht vereinet« (unum et non unitum) 835 »Daz vünkelîn in der sêle […] wirt sô gar ein mit gote und suochet sô gar in ein und ist eigenlîcher ein mit gote« (DW I, S. 345). 836 unio 837 »ein ein« 838 »ein einic ein« 839 »wan der grunt gote[s] vnd der grunt der sele sint ain wesen« (SK S. 375, 20 f.; vgl. Pf. S. 467, 15) 840 »ein ein« 841 »ein lûter einung« 842 »eine sein mit Gott« 843 »ein ein« 817 818

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Anmerkungen: S. 162 – 167 844 »Swenne ich kume in den grunt, […] in daz quellen der gotheit, sô envrâget mich nieman, wannen ich kume oder wâ ich sî gewesen. Dâ envermiste mîn nieman.« (DW IV, 2, S. 773). 845 »als ob ich gienge in dem hûse von einem ende an daz ander. Daz wære wol bewegunge und enwære doch niht dan einez in einem« (DW IV, 1, S. 580) 846 »Hie ist gotes grunt mîn grunt und mîn grunt gotes grunt. Hie lebe ich ûzer mînem eigen, als got lebet ûzer sînem eigen« (DW I, S. 90). 847 »Aber unser sælicheit enlîget niht an unsern werken, mêr: an dem daz wir got lîden« (DW IV, 1, S. 422). 848 »Ez (etwas in der Seele) wil in den einvaltigen grunt, in die stillen wüeste, dâ nie underscheit îngeluogete weder vater noch sun noch heiliger geist« (DW II, S. 420). 849 »Si (eine Kraft in der Seele) gründet und suochet vort und nimet got in sîner einunge und in sîner einœde; si nimet got in sîner wüestunge und in sînem eigenen grunde« (DW I, S. 171). 850 »Ûz dem selben grunde, dâ der vater ûz gebernde ist sîn êwic wort, dar ûz wirt si (die Seele) vruhtbære mitgebernde« (DW I, S. 31). 851 »Er (Gott) gebirt sînen einbornen sun in daz hœhste teil der sêle. In dem selben, daz er gebirt sînen eingebornen sun in mich, sô gebir ich in wider in den vater« (DW I, S. 383). 852 »Diu sêle gebirt ûzer ir got ûz gote in got; si gebirt in rehte ûzer ir« (DW II, S. 328). 853 »der vater […] gebirt in (seinen eingeborenen Sohn) der sêle ze eigen« (DW I, S. 72). 854 »Swenne diu sêle dar inne lebet, dâ si gotes bilde ist, sô hât si geburt; in dem liget rehtiu einunge« (DW II, S. 329). 855 »Ûz der lûterkeit hât er mich êwiclîche geborn sînen einbornen sun in daz selbe bilde sîner êwigen vaterschaft, daz ich vater sî und geber den, von dem ich geborn bin« (DW I, S. 382). 856 »Diu sêle […] enwürket […] in gote götlîche« (DW III, S. 430). 857 »Ein kraft in der sêle« 858 »Ich hân gesprochen von einer kraft in der sêle; an irm êrsten ûzbruche sô ennimet si got niht, als er guot ist, si ennimet niht got, als er diu wârheit ist: si gründet und suochet vort und nimet got in sîner einunge und in sîner einœde; si nimet got in sîner wüestunge und in sînem eigenen grunde. Dar umbe enlât si ir niht genüegen, si suochet vürbaz, waz daz sî, daz got in sîner gotheit ist und in sînem eigentuome sîner eigenen natûre« (DW I, S. 171). 859 »Ein kraft ist in der sêle […]; si ist ein in der einicheit« (DW I, S. 220). 860 »alsô abegescheiden und alsô lûter in ir selben« (DW II, S. 53) 861 »Disiu kraft nimet got blôz zemâle in sînem istigen wesene« (DW I, S. 221). 862 »von allen namen vrî« (DW I, S. 40) 863 »vünkelîn« (scintilla animae) 864 »Dirre vunke (vünkelîn der sêle) widersaget allen crêatûren und enwil niht dan got blôz, als er in im selben ist. Im engenüeget noch an vater noch an sune noch an heiligem geiste noch an den drin persônen, als verre als ein ieglîchiu bestât in ir eigenschaft. Ich spriche wærlîche, daz disem liehte niht engenüeget an der einbærkeit der vruhtbærlîchen art götlîcher natûre. […] Ez wil in den einvaltigen grunt, in die stillen wüeste, dâ nie underscheit îngeluogete weder vater noch sun noch heiliger geist« (DW II, S. 419 f.).

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Anmerkungen: S. 167 – 173 »intellectus inquantum huius-modi«: LW V, S. 53 »Vernünfticheit diu blicket în und durchbrichet alle die winkel der gotheit und nimet den sun in dem herzen des vaters und in dem grunde und setzet in in im grunt. Vernünfticheit diu dringet în; ir engenüeget niht an güete noch an wîsheit noch an wârheit noch an gote selber. Jâ, bî guoter wârheit, ir engenüeget als wênic an gote als an einem steine oder an einem boume. Si engeruowet niemer; si brichet in den grunt« (DW III, S. 178 f.). 867 »velamen veri, cum quo accipit intellectus« (LW IV, S. 114) 868 »Praeterea intellectus accipit deum sub veste veritatis, et ideo oportet ascendere […] Nam et ipsum deum sub hoc nomine, immo sub omni nomine debet transire anima« (LW IV, S. 226). 869 »ein kraft in der sele« 870 »scintilla animae« 871 »daz vünkelîn der vernünfticheit« 872 »Ez ist sô gar ein und einvaltic, als got ein und einvaltic ist« (DW I, S. 40). 873 »gote sippe« (DW I, S. 132) 874 »sippeschaft götlîcher art« (DW II, S. 66) 875 »sippe götlîcher natûre« (DW II, S. 53) 876 »Ich hân etwenne gesprochen von einem liehte, daz ist in der sêle, daz ist ungeschaffen und ungeschepfelich […] und diz selbe lieht nimet got sunder mittel und sunder decke und blôz, als er in im selben ist« (DW II, S. 418). 877 »ungeschaffen und ungeschepfelich« (increatum et increabile) 878 »supreme potentie anime sunt create in anima et cum anima« (RS S. 17) 879 »aliquid increatum in anima« 880 »Et quod aliquid sit in anima, si ipsa tota esset talis, ipsa esset increata, intellexi verum esse et intelligo etiam secundum doctores meos collegas, si anima esset intellectus essentialiter. Nec etiam unquam dixi, quod sciam, nec sensi, quod aliquid sit in anima, quod sit aliquid anime, quod sit increatum et increabile« (LW V, S. 548 f.). Vgl. DW I, S. 220: »Ein kraft ist in der sêle […]« 881 »aliquid increatum et increabile in anima« 882 »alsô dirre mensche, der dâ gevrîet ist von aller anderheit und von aller geschaffenheit, in den menschen enkumet got niht: er ist dâ wesenlîche« (DW I, S. 165). 883 »ein einic ein« 884 »[…] daz mir niht genuoc enmac gesîn got nâch allem dem, daz er ›got‹ ist, und nâch allen sînen götlîchen werken« (DW II, S. 505) 885 von der »vita activa« 886 »Dar umbe sprichet sant Paulus: ›ich wolte êwiclîche gescheiden sîn von gote durch mînes vriundes willen und durch got‹« (DW I, S. 195). 887 »Dô diu gnâde endete und ir werk volbrâhte, dô bleip Paulus, daz er was« (DW II, S. 502). 888 »unio« 889 »unum et non unitum« 890 »unum et non unus« 891 »unio« 892 »ein wâr mensche« (DW I, 197 DW I, 197) 893 »Do antwurte ir Kristus und sprach: ›Marthâ, Marthâ, dû bist sorcsam, dû wirst betrüebet umbe vil. Des einen ist nôt (unum est necessarium) […]‹« (DW III, S. 483). 865 866

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Anmerkungen: S. 173 – 196 DW III, S. 484 »Herre, heiz daz si (Maria) mir helfe«; »Als ob si spreche: […] heiz sie ûfstân und von dir gân« (DW III, S. 483) 896 »daz si – Maria – blibe in dem luste unde niht vürbaz enkæme«; (DW III, S. 483). 897 »Du bist besorgt um vieles«; das heißt für Eckhart: »dû bist betrüebet umbe vil, niht umbe einez« (DW III, S. 489). 898 unum est necessarium 899 unum necessarium est. 900 »Dâ von sprach er ze ir: ›des einen ist nôt‹, niht zwei. Ich und dû, einstunt umbevangen mit êwigem liehte, ist einez« (DW III, S. 486). 901 »Dâ von sprach er: ›dû bist sorcsam‹«; »du stâst bî den dingen und bî der sorge« (DW III, S. 485, 488) 902 »bî der sorge«; »mít der sorge, niht ín der sorge« (DW III, S. 488) 903 »bî den dingen«; »bî den dingen und niht ín den dingen« (DW III, S. 485) 904 »dû stâst bî den dingen, und diu dinc enstânt niht in dir« (DW III, S. 485). 905 »ungehindert von allen dingen« (DW III, S. 489) 906 »Dâ ist daz zîtlich werc als edel als dehein vüegen in got« (DW III, S. 488). 907 »Ûzer disem innersten grunde solt dû würken alliu dîniu werk sunder warumbe« (DW I, S. 90). 908 »Üebunge wârer tugende« (DW III, S. 492) 909 »âne got« (vgl. DW III, S. 483). 910 »si […] was allerêrst ze schuole gesetzet und lernete leben« (DW III, S. 489). 911 »Si (Martha) [hâte] lange und wol gelebet« (DW III, S. 482). 912 »Marthâ stuont sô weselîche« (DW III, S. 489) 913 von der »vita activa« 914 »vita contemplativa« 915 grunttôt 916 »Sô die heiligen ze heiligen werdent, danne allerêrst vâhent sie ane, tugende ze würkenne« (DW III, S. 492). 917 »Nâch der zît, dô die jünger enpfiengen den heiligen geist, dô viengen sie êrste ane, tugende ze würkenne« (DW III, S. 492). 918 »Heiz sie ûfstân und von dir gân« (DW III, S. 483). 919 »essentia« 920 »mera substantia simplex« 921 esse a se, ens realissimum 922 in der »via negationis« 923 in der »via eminentiae« 924 »negatio negationis« 925 »Und dar umbe ist er mensche worden, daz er dich geber sînen eingebornen sun und niht minner« (DW II, S. 98). 926 âne warumbe 927 »Got würket sunder warumbe und [enhât] kein warumbe« (DW II, S. 289). 928 »plenitudo« 929 »naturaliter« 930 »Deus […] non agit propter cur aut quare« (LW IV, S. 22). 931 »Proprium est deo, ut non habeat quare extra se aut praeter se« (LW II, S. 201) 894 895

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Anmerkungen: S. 196 – 210 932 »Alsô enhât ouch der gerehte kein warumbe, dar umbe er iht tuo« (DW II, S. 289). 933 »[Er] würke[t] dar umbe, daz [er] würke[t]« (DW I, S. 92); »wan er enhât kein warumbe« (DW II, S. 289). 934 »Alsus sô wirt der sun in uns geborn: daz wir sîn sunder warumbe« (DW II, S. 293). 935 »wan swaz in gote ist, daz ist got« (DW I, S. 56) 936 »[Daz] leben […] lebet […] âne warumbe in dem, daz ez […] lebet«; »Swer daz leben vrâgete tûsent jâr: war umbe lebest dû? solte ez antwürten, ez spræche niht anders wan: ich lebe dar umbe, daz ich lebe« (DW I, S. 92). 937 Vgl. DW III, S. 247 938 »Der eine vliegen nimet in gote, diu ist edeler in gote dan der hœhste engel an im selber sî. Nû sint alliu dinc glîch in gote und sint got selber« (DW I, S. 199). 939 »Got ist niht; niht alsô, daz er âne wesen sî: er enist weder diz noch daz, daz man gesprechen mac; er ist ein wesen ob allen wesen« (DW III, S. 431). 940 »mera substantia simplex« 941 ordo 942 »ein einic sein« 943 »nichtgehiistig, geisteloz«-Sein (vgl. DW III, S. 448)

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