Ruhe der Seele und Siegel der Hoffnung: Die Deutungen des Sabbats in der Reformation 9783666551697, 352555169X, 9783525551691


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Ruhe der Seele und Siegel der Hoffnung: Die Deutungen des Sabbats in der Reformation
 9783666551697, 352555169X, 9783525551691

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V&R

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Herausgegeben von Adolf Martin Ritter

Band 65

Göttingen • Vandenhoeck & Ruprecht • 1996

Ruhe der Seele und Siegel der Hoffnung Die Deutungen des Sabbats in der Reformation

von Jürgen Kaiser

Göttingen • Vandenhoeck & Ruprecht • 1996

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Kaiser, Jürgen: Ruhe der Seele und Siegel der Hoffnung: die Deutungen des Sabbats in der Reformation / von Jürgen Kaiser. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1996 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; Bd. 65) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-525-55169-X NE: GT

© 1996 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen.

Vorwort

Im Sommersemester 1994 wurde die vorliegende Untersuchung durch die Evangelisch-Theologische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet. Angeregt zur wissenschaftlichen Weiterarbeit nach dem ersten Theologischen Examen wurde ich von Herrn Prof. Dr. Gottfried Seebaß. Er hat auch erste Hinweise auf das Thema gegeben und die Arbeit mit viel Sachverstand begleitet, ohne die Freiheit in der Bildung des eigenen Urteils zu beschneiden. Nicht zuletzt hat er sich um die finanzielle Absicherung bemüht, ohne die eine solche Arbeit nicht zustande kommen kann. Für all das danke ich ihm an dieser Stelle ganz herzlich. Weiterhin gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. A. Martin Ritter für die Mühen des Zweitgutachtens. Herrn Dr. Claus Bachmann, Erlangen / Garmisch-Partenkirchen, und Frau Dr. Angelika Dörfler-Dierken, Heidelberg, danke ich für hilfreiche Gespräche und kritisches Mitlesen der Arbeit. Dank gebührt ferner Herrn Prof. Dr. Wilhelm Neuser, Frau Andrea Chudaska und Herrn PD Dr. Christoph Strohm für nützliche Hinweise. Daß Prof. Ritter die Aufnahme der Arbeit in die von ihm herausgegebene Reihe »Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte« befürwortet hat, freut mich besonders. Ihm und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht sei für die Publikation gedankt, zu der auch die Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche) sowie die VELKD durch Druckkostenzuschüsse beigetragen haben. Auch an manchen Sonn- und Feiertagen arbeitete ich am Sabbat, statt ihn zu heiligen. Dafür bitte ich Gott und meine Frau um Nachsicht. Germersheim, August 1995

Inhalt

Einleitung

11

Teil I: Der geistliche Sabbat

17

1. Der geistliche Sabbat bei Luther bis 1524 »Der Sabbath ist das gantz Christlich leben« 1.1. Der Sabbat in der Humilitas-Theologie des frühen Luther 1.2. Der Sabbat im Rahmen der Grundlegung einer reformatorischen Ethik 1.3. Zusammenfassung

17 17 29 44

2. Der geistliche Sabbat in der Theologie Karlstadts Müßiggang ist aller Heiligung Anfang! 2.1. Karlstadts Orlamünder Theologie 2.1.1. Die Heiligung des Menschen als das Zentrum der Orlamünder Theologie 2.1.2. »Gelassenheit« 2.1.3. Die spiritualistische Gesetzesdeutung 2.1.4. Die ersten drei Gebote als Konkretionen der Gelassenheit 2.2. Karlstadts Verständnis des Sabbats 2.2.1. Die Unterscheidung von geistlichem und 'äußerlichem' Sabbat 2.2.2. Der 'äußerliche' Sabbat 2.2.3. Der geistliche Sabbat 2.2.4. Zeitlicher und ewiger Sabbat 2.3. Zusammenfassung

71 72 74 81 82

3. Die spiritualistische Sabbatdeutung bei Schwenckfeld Auszug aus der Welt und Eingang in die ewige Ruhe Gottes 3.1. Der Sabbat Moses und der Sabbat Christi 3.2. Der Sabbat Moses - eine erfüllte 'Figur' 3.2.1. 'Figur' und Erfüllung bei Schwenckfeld 3.2.2. Die Bedeutungslosigkeit des äußerlichen Sabbats

85 86 89 90 94

46 50 50 51 67 69 71

Inhalt

8

3.3.

Der Sabbat Christi - eine Metapher für die Heiligkeit des Christen Heiligung bei Schwenckfeld Die Präsenz des geistlichen Sabbats Zusammenfassung

98 98 101 102

4. Die Vorherrschaft des geistlichen Sabbats im ersten Jahrzehnt der Reformation (1520-1530) 4.1. Melanchthon 4.2. Bucer und Zwingli 4.3. Das Sabbatgebot in den Katechismen bis 1529

104 104 107 108

Teil II: Sabbat und Sonntag

112

3.3.1. 3.3.2. 3.4.

5. Luthers Engfiihrung seit 1525 Der siebte Tag als »zeitlicher Schmuck« 5.1. Der geistliche Sabbat 5.1.1. Karlstadts Sabbatverständnis in Luthers Sicht als eine »new weyse mortificationis« 5.1.2. Die Eingliederung der Ständelehre in die Deutung des geistlichen Sabbats 5.2. Der Ruhe- und Gottesdiensttag 5.2.1. Die Hermeneutik des Dekalogs 5.2.2. Das dritte Gebot unter der naturrechtlichen Perspektive 5.2.2.1. Die Aufhebung des Sabbats 5.2.2.2. Der Ruhetag 5.2.2.3. Der Gottesdiensttag 5.2.3. Die Konzentration der Sabbatheiligung in der Wortverkündigung 5.2.4. Sabbat und Sonntag 6. Die Sabbat-Sonntag-Frage als Paradigma in der Diskussion um die »Menschensatzungen« 6.1. Die Verlegung des Sabbats auf den Sonntag als Argument der Altgläubigen für die Autorität der Kirche 6.2. Die Sabbat-Sonntag-Frage im Zusammenhang der kirchlichen Gewalt in der Confessio Augustana 6.3. Der Sonntag - ein notwendiges Adiaphoron? 6.4. Die altgläubige Antwort 6.5. Zusammenfassung

112 113 113 116 119 120 123 123 124 125 127 129

136 137 142 146 154 159

Inhalt 7. Die Sabbatdeutung seit Luthers Katechismen und dem Augsburger Bekenntnis 7.1. Das lutherische Einflußgebiet 7.2. Calvin 7.3. Die oberdeutschen Gebiete 7.4. Das Sabbatgebot in katholischen Katechismen des 16. Jahrhunderts 7.5. Zusammenfassung

Teil III: Der Sabbatismus 8. Der täuferische Sabbatismus in Mähren Das neue Zeichen der Erwählten 8.1. Die Quellen 8.1.1. Diskussion und Beschreibung der Quellen 8.1.2. Der Aufbau von Glaidts Buch über den Sabbat 8.2. Die Theologie der Sabbater 8.2.1. Der Sabbat als Gebot 8.2.2. Der Sabbat als Zeichen der Erwählung 8.3. Der Sabbatismus als Verarbeitung des Hutschen Täufertums (Traditionsgeschichte) 8.3.1. Oswald Glaidt 8.3.2. Glaidt und Balthasar Hubmaier 8.3.3. Glaidt und Hans Hut 8.3.3.1. Der Chiliasmus 8.3.3.2. Die Restitution der Christenheit 8.3.3.3. Der Sabbat als eschatologische Versiegelung 8.3.4. Glaidt und Jörg Haug 8.4. Die Geschichte der Sabbater 8.4.1. Die Entstehung 8.4.2. Der Fortgang

9

162 162 169 175 180 181

183

184 188 188 190 192 193 198 206 206 208 209 209 212 214 215 219 219 229

9. Der Sabbatismus auf dem Boden der evangelischen Konfessionen 9.1. Der siebenbürgische Sabbatismus 9.2. Der puritanische Sonntags-Sabbatismus und der baptistische Samstags-Sabbatismus im England des 17. Jahrhunderts 9.3. Die Siebenten-Tags-Adventisten 9.4. Phänomene des Sabbatismus

236 236 241 248 253

Rückblick und Ausblick

255

10

Inhalt

Anhänge

263

1. Quelleneditionen 263 1.1. Editionsrichtlinien 263 1.2. Valentin Krautwald: Bericht und Anzeigen, wie gar one Kunst und guoten Verstandt Andreas Fischer vom Sabbat geschriben... .264 1.3. Caspar von Schwenckfeld: Brieffragment vom 18. Januar 1532 299 2. Verzeichnis der Quellen und der Sekundärliteratur

301

3. Register 3.1. Bibelstellenregister 3.2. Personenregister 3.3. Sachregister

312 312 314 317

Einleitung

In der Geschichte der Theologie hebt sich die Reformation als eine nahezu einmalige Epoche heraus. Wenigstens im ersten Lustrum, aber auch darüber hinaus konnte sich eine theologische Originalität entfalten und ein geistiger Pluralismus Raum gewinnen, wie es sie so vorher und nachher kaum je gegeben hat. Die ersten Jahre bieten ein sehr buntes Bild. Viele verschiedene Theologien keimen auf. Schnell wird ein dichtes Netz von Wechselwirkungen geknüpft, geprägt von gegenseitiger Beeinflussung wie auch deutlicher Abgrenzung voneinander. Mit der zunehmenden Konfessionalisierung und Politisierung der Reformation wird jedoch die Theologie Martin Luthers zur normierenden Kraft. Die vielfaltigen Alternativen werden ausgegrenzt. In der Forschung werden die meisten von ihnen unter dem Begriff 'der linker Flügel der Reformation' zusammengefaßt. Indem diese Untersuchung dem Motiv des Sabbats in den theologischen Quellen der Reformationszeit nachgeht, liefert sie an einem exemplarischen Punkt einen Beitrag zur Erhellung dieses reformatorischen Konsolidierungs- und Normierungsprozesses. Die biblischen Kontexte des Sabbatmotivs erlauben eine metaphorische Verwendung, die den Sabbat sowohl in mystisch spirituellen als auch in apokalyptischen Denkformen aufscheinen läßt. Während der Reformation wird dies an zwei Stellen besonders deutlich: 1524 publiziert Andreas Karlstadt eine Schrift über den Sabbat, in dem mystische Anklänge enthalten sind, und um 1530 formiert sich in Mähren eine Täufergruppe, die mit deutlich apokalyptischer Motivierung das Halten des Sabbats fordert. Fragt man nach den Zusammenhängen und Hintergründen dieser Bezugnahmen auf das Sabbatmotiv, dann wird schnell deutlich, daß zuerst Luther in ihm einen traditionellen Topos aufgegriffen und für seine Theologie fruchtbar gemacht hat, der die Passivität des Menschen beim Erlangen seines Heils sinnfällig darstellt. Der Sabbat, »die geistliche feyr«, wie Luther 1520 schreibt, ist, »das wir allein got in uns wirckenn lassen / unnd wir nichts eygens

Einleitung

12

wircken in allen unsern krefften.«1 Diese Deutung zielt ins Zentrum reformatorischer Theologie: die Betonung der Alleinwirksamkeit Gottes im Kontext von Rechtfertigung und Heiligung. Luther vermacht mit dieser Interpretation des Sabbats seinen Zeitgenossen eine Idee, die von diesen bereitwillig aufgegriffen wird. Doch sie wandeln die Idee ab, indem sie sie in das Profil ihrer eigenen Theologie einpassen. Und auch Luthers Theologie selbst verändert ihr Gepräge. Luther gibt seine frühere Deutung des Sabbats auf, nachdem Karlstadt sie aufgenommen und weiterentwickelt hat. In dem Maße, wie sich die einstigen Schüler von ihrem Lehrer abgrenzen, grenzt sich der Lehrer von den Schülern ab. Die Untersuchung der Motive, die zur Entstehung des Sabbatismus in Mähren führen, läßt erkennen, wie unter nur wenig veränderten Rahmenbedingungen der Komplex spiritualistisch mystischer Denkmuster im Zuge ihrer Ausgrenzung und Stigmatisierung umschlagen kann in den Bereich legalistisch apokalyptischer Zusammenhänge. Mit dieser Skizze ist umschrieben, was die vorliegende Untersuchung erwarten läßt: einen Beitrag zur Theologie- und Geistesgeschichte der Reformationszeit. Theologiegeschichte erweist sich immer auch als Geschichte der Schriftauslegung. Daran muß hier schon deshalb erinnert werden, weil der Sabbat ein biblisches Motiv ist. Deshalb sollen nun zunächst die biblischen Konnotationen und die Auslegungsgeschichte des Sabbat in den ersten christlichen Jahrhunderten knapp ins Gedächtnis gerufen werden. Von Anfang an spricht sich im Motiv des Sabbats mehr aus, als bloß der Name eines alttestamentlichen und jüdischen Feiertags. Der Sabbat bildet das Finale der Schöpfung (Gen 2,2f), er hat in den Zehn Geboten Platz gefunden (Ex 20,8-11; Dtn 5,12-15), er markiert als Bundeszeichen die Erwählung Israels (Ex 31,13-17) und er rückt als ewiger Sabbat in die Dimension der Verheißung (Jes 66,23). Nimmt man die neutestamentlichen Stellen hinzu - die Streitgespräche über den Sabbat (Mt 12,1-8 par.), die Heilungen am Sabbat (Mt 12,9-14 par.; Lk 13,10-17; 14,1-6; Joh 5,1-18), die Deutung des Sabbats als »umbra futurorum« und damit als 'figura' (Kol 2,16f) sowie die Eschatologisierung des Sabbats als Ruhe der Heiligen (Hebr 3,7-4,11) - und konfrontiert man nun diese biblischen Zusammenhänge mit der Tatsache, daß die christliche Kirche nicht den Sabbat, sondern den Sonntag feiert, dann leuchtet unmittelbar ein, daß das Christentum das Sabbatmotiv weder problemlos übernehmen, noch einfach übergehen konnte, sondern theologisch bearbeiten mußte. 1

Luther, Sermon von den guten Werken (BoA 1,267,31-34).

Einleitung

13

Der Herrentag hat sich schon früh und rasch in der Kirche etabliert, ohne in den Quellen viel Aufhebens von sich zu machen.2 Das Neue Testament gibt nur spärliche und indirekte Hinweise auf den Sonntag (Act 20,7; 1. Kor 16,2; Apk 1,10). Dessen Genese liegt in der Verbindung von Herrentag und Herrenmahl, also im Ostergeschehen. Entstanden ist er völlig unabhängig vom Sabbat. Er galt darum zunächst auch nicht als Ruhetag, sondern als Gottesdiensttag. Bevor Konstantin den Sonntag als Ruhetag im Jahre 321 gesetzlich einführt, wird er in keiner Quelle mit dem Sabbatgebot in Verbindung gebracht, wie ja überhaupt die erste Tafel des Dekalogs im Neuen Testament und in den Zeugnissen der ersten Christen ausgeblendet wird. 3 Erst die karolingische Zeit begreift den Sonntag als christlichen Sabbat. Dadurch entwickelt er sich bis zur Jahrtausendwende zu einer Institution göttlichen Rechts.4 Gerade die ursprüngliche Unabhängigkeit des Herrentags vom Sabbat erlaubte es der Theologie schon früh, den Sabbat zu spiritualisieren. Der Sabbat wird zur Metapher für das Leben der Heiligen; er bedeutet die Ruhe von den Sünden. Diese Deutung bahnt sich seit dem zweiten Jahrhundert an. Folgende Elemente wachsen dabei immer fester zusammen: a) Schon sehr bald findet sich eine Verbindung des Sabbats mit dem Verbot der opera servilia, die das Alte Testament ausdrücklich an den Festtagen5, nicht aber am Sabbat verbietet. Irenäus scheint bereits in den opera servilia ein Bild für die Sünde zu sehen. Das Verbot der opera servilia wird nach Joh 8,34 als Verbot des Knechtsdienstes der Sünde gedeutet.6 Im Kontext des dritten Gebots erhält diese Deutung dann ihr zentrales Gewicht: für die Kirche, die das dritte Gebot nicht wörtlich erfüllen kann, da sie den Sonntag heiligt, benennt dieses Gebot die Forderung, sich der Sünde zu enthalten. 2 Dazu RORDORF, Der Sonntag; DERS., Der Sonntag als Gottesdienst- und Ruhetag; DUMAINE, Art. Dimanche; ZAHN, Geschichte des Sonntags. 3 RORDORF, Der Sonntag als Gottesdienst- und Ruhetag, S. 222. Vor Augustin ist keine Auslegung des ganzen Dekalogs erhalten. 4 Diese Entwicklung zeichnet THOMAS, Der Sonntag im frühen Mittelalter, nach. 5 Lev 23,7f.21.25.35f; Num 28,18.25f; 29,1.12.35. 6 Irenäus, Adv. haer. IV,8,2 (SC 100,468,29-470,39): »Non enim prohibebat lex curari homines sabbatis, quae et circumcidebat eos in hac die [...] Die sabbatorum continere se quidem jubebat eos [sc. iudaeos] lex ab omni opere servili, hoc est ab omni avaritia quae per negotiationem et reliquo terreno arte agitatur, animae autem opera quae fiunt per sententiam et sermones bonos in auxilium eorum qui proximi sunt adhortabatur fieri.« Origenes, In Num. hom. 23,4 (PG 12,749f): »[...] qualis debeat esse Christiano Sabbati observatio, videamus. Die Sabbati nihil ex omnibus mundi actibus oportet operari. [...] Qui ergo cessavit ab operibus saeculi et spiritalibus actibus vacat, iste est, qui sacrificium Sabbati et diem festum agit Sabbatorum. Neque onera portât in via; onus enim est omne peccatum«. Vgl. RORDORF, Der Sonntag, S. 102; DUMAINE, Art. Dimanche, Sp. 925; PETTIRSCH, Das Verbot der

opera servilia, S. 434-438.

14

Einleitung

b) Getragen wird diese Deutung durch die Radikalisierung des Sabbatgebots nach Maßgabe der Antithesen der Bergpredigt: das für Christen geltende neue Gesetz fordert eine permanente Feier des Sabbats.7 c) Dahinter steht freilich die Überzeugung, daß Christus das Sabbatgebot erfüllt hat. 8 d) Betont man mit dem Verbot der opera servilia als Verbot des Sündendienstes am Sabbat in den ersten Jahrhunderten zunächst gleichsam die negative Seite, so rückt im vierten Jahrhundert mit dem Verweis auf die Sabbatruhe die positive Seite, nämlich der Gebotscharakter, in den Vordergrund. Der Sabbat bezeichnet die Ruhe und ist somit eine auf die Heiligung des Menschen durch den Heiligen Geist weisende 'figura'. 9 Daran anknüpfend kommt ihm aber im Kontext des dritten Gebots noch eine weitere Bedeutung zu. Die Ruhe des Sabbats steht dort für das Leerwerden des Herzens und der Sinne als Voraussetzung für die Erfüllung mit dem Heiligen Geist. Der Sabbat wird als eine Bedingung der Heiligung gedeutet. Bereits Origenes deutet dies an 10 , und Augustin entfaltet es oftmals: »In tertio isto praecepto insinuatur quaedam vacationis indictio, quies cordis, tranquillitas mentis, quam facit

7 Justin, Dial. c. Tryph. 1 2 , 3 (TDEHC, Ed. G . ARCHAMBAULT, S. 56; BKV 33,18); Irenaus, Epideixis 96 (SC 62,164f); Tertullian, Adv. lud. 4,lf (CChr.SL 2,1347,7-1348,12): »Mementote diem sabbatorum, sanctificare eum; omne opus seruile non facietis in eo, praeterquam quod ad animam pertinet. Vnde nos magis intellegimus sabbatizare nos ab omni opere seruili Semper debere et non tantum séptimo quoque die, sed per omne tempus.« Vgl. auch Origenes, c. Cels. 8,23. Weitere Belege bei PETTIRSCH, Das Verbot der opera servilia, S. 431, Anm. 1 9 9 . 8 Im Anschluß an das obige Zitat führt Irenäus, Adv. haer. IV,8,2 (SC 100,470,39-43) weiter aus: »Et propter hoc Dominus arguebat eos qui injuste exprobrabant ei quoniam sabbatis curabat. Non enim solvebat sed adimplebat legem, summi Sacerdotis operam perficiens«. 9 Vgl. z.B. Augustin, Ep. 55,18 ad Ianuarium (CSEL 34 11,188,18-189,1): »Sabbatum tarnen commendatum est priori populo in otio corporaliter celebrando, ut figura esset sanctificationis in requiem spiritus sancti.« Vgl. Sermo 33,3 (CChr.SL 41,414,60-81); De spir. et lit. XV,27 (CSEL 60,181,5-22) - beide Stellen mit dem Hinweis auf das Verbot der opera servilia; c. Faust. 19,9 (CSEL 25,507,17-25) hier mit dem Hinweise auf die Erfüllung des Sabbats durch Christus. Weitere Stellen bei RAVEAUX, Augustinus über den Sabbat, S. 226f und DUMAINE, Art. Dimanche, Sp. 926, Anm. 22. 10 Origenes, In Num. hom. 23,4 (PG 12,750): »In Sabbato unusquisque sedet in loco suo et non procedit ex eo. Quis ergo est locus spiritalis animae? Justitia est locus ejus, et veritas, sapientia, sanctificatio et omnia, quae Christus est, locus animae est. Ex quo loco eam non oportet exire, ut vera Sabbata custodiat, et diem festum in sacrificiis exigat Sabbatorum, sicut et dominus dicebat: Qui in me manet, et ego in illo [Joh 15,5]«.

Einleitung

15

bona conscientia. Ibi sanctificatio, quia ibi spiritus dei. Denique videte vacationem, hoc est, quietem«.11 Besonders im Zusammenhang der Frage, ob man am Sabbat fasten solle, taucht in der Alten Kirche bisweilen der Hinweis auf den Karsamstag und die Grabesruhe Christi am Sabbat auf. 12 Die früh bezeugte Spiritualisierung des Sabbats ist Teil des Ablöseprozesses vom Judentum. Um sich von diesem in der heidnischen Umwelt zu unterscheiden und eine eigene Identität zu finden, setzen die frühen Christen nicht dem Sabbat den Herrentag entgegen, vielmehr vergeistigen sie den Sabbat und radikalisierten ihn damit. Erst aufgrund der Spiritualisierung kann die Kirche dann seit dem vierten Jahrhundert das Sabbatgebot des Dekalogs auf sich beziehen: die Christen halten den Sabbat, nämlich den geistlichen und immerwährenden. Und weiterhin stellt infolge der staatlichen Gesetzgebung erst der Aspekt des Ruhetags einen Bezug von Sonntag und Sabbat her und läßt schließlich den Sonntag als christlichen Sabbat firmieren. 13 Die eschatologische Sabbatdeutung, die die Heilszeit des ewigen Sabbats anvisiert, und die apokalyptisch chiliastische Deutung, die den Sabbat in Kombination von Gen 2,2f und Ps 90,4 als Hinweis auf das Millennium begreift, fußen auf Spekulationen der jüdischen Apokalyptik. 14 Diese Deutungen sind dem Christentum von Anbeginn an geläufig. 15 Sie intendieren im Unterschied zur Spiritualisierung keine Abgrenzung gegenüber dem jüdischen Sabbat. Vielmehr bildet der alttestamentliche Sabbat einen konstitutiven Bezugspunkt

11

Augustin, Sermo 8,6 (CChr.SL 41,84,156-159); vgl. auch ebd. 85,161-179; Enarr. in Ps. 91,2 (CChr.SL 39,1280,10-15): »Intus est, in corde est sabbatum nostrum. Multi enim uacant membris, et tumultuantur conscientia. Omnis homo malus, sabbatum habere non potest [...] Cui autem bona est conscientia, tranquillus est; et ipsa tranquillitas sabbatum est cordis.« Augustin leitet diese Deutung unmittelbar aus dem Verbot der opera servilia her, vgl. z.B. Tract, in loh. 20,2 (CChr.SL 36,203,12-17); Tract, in loh. 3,19 (CChr.SL 36,29,13-17). 12 Die Didascalie (V,19,9 - Ed. F . X. FUNK) begründet mit diesem Hinweis ein generelles Fasten am Sabbat, die Apostol. Konstitutionen (VII,23,3 - Ed. F. X. FUNK, S. 19) verwenden ihn, um ein Fasten nur für den Karsamstag zu befürworten und Augustin, Ep. 36,31f ad Casulanum (CSEL 34 11,60,19-62,26), stellt die unterschiedlichen Bräuche dar, die sich in Ost und West an das Argument der Grabesruhe Christi anschließen. 13 RORDORF, Der Sonntag, S. 165-171. 14 Dazu siehe BÖCHER, Art. Chiliasmus I, S. 724-727. 15 Chiliastisch: Apk 20,1-7; Barn 15,3-9; Justin, Dial. c. Tryph. 80,5; Irenaus, Adv. haer. V,28,3; 30,4; Hippolyt, Dan. IV,23,4-6; Methodius, Symposion IX,5,255. Nicht chiliastisch: Origenes, In Num. hom. 23,4; Eusebius, Comm. in Ps. 91 (92). Zu diesen Deutungen und weiteren Stellen siehe RORDORF, Der Sonntag, S. 88-99; BLUM, Art. Chiliasmus II.

Einleitung

16

als Typos und Bild des ewigen Sabbats16; auch diese Deutung kann sich auf Kol 2,17 berufen. Die Scholastik fügt dem inhaltlich nichts wesentlich Neues hinzu; sie trägt zusammen und klassifiziert die einzelnen Deutungen. Auch hier zielt die spirituelle Deutung auf die Feier von den Sünden.17

16

So besonders bei Hippolyt, Dan. IV,23,5 und Eusebius, Comm. in Ps. 91

(92). 17

Etwa Thomas, S. th. 2/II, q. 122, a. 4, ad 1: »Et similiter secundum moralem significationem, prout significat cessationem ab omni actu peccati et quietem mentis in Deo«; zum Verbot der opera servilia am Sabbat vgl. q. 122, a. 4, ad 3.- Thomas, Decern legis praecepta, de 3. praec. (Thomas, Opuscula theol., Bd. 2, § 1234f): »[...] Et hoc propter quietem animae [...] Sed antequam ad hanc quietem perveniat anima, oportet tres quietes praecedere. Prima ab inquietudine peccati. [...] Secunda a passionibus carnis [...] Tertia ab occupationibus mundi«. Ahnlich Bonaventura, Collationes de decern praeceptis, Coli. 4,6-8 (Op. Om., Tom. V, S. 520f).

TEIL I DER GEISTLICHE SABBAT

Die reformatorische Theologie hat ein ihr eigenes Verständnis des Sabbats gewonnen, das zwar an die figurative Deutung eines 'sabbatum spirituale', wie sie die Alte Kirche hervorgebracht und besonders der Augustinismus der Reformationszeit übermittelt hat, anknüpft, das jedoch in einer für den Skopus reformatorischer Theologie charakteristischen Weise weitergebildet worden ist. Die Auffassung vom geistlichen Sabbat berührt dabei durchaus das Zentrum reformatorischer Theologie. Sie entsteht nämlich genau in der Konstellation, in der sich beim »frühen« Luther die reformatorische Erkenntnis vorbereitet. Obwohl sie Luther später selbst zurückdrängte, konnte sie sich doch in weiten Kreisen der Reformation durchsetzen, eben weil in ihr das Zentrum reformatorischer Theologie aufleuchtet. Aus diesem Grunde dürfte es sinnvoll sein, von der reformatorischen Sabbatdeutung zu reden, auch gegen den stillschweigenden Protest des »älteren« Luther. Damit ist das Programm des ersten Teils dieser Untersuchung skizziert.

1. Der geistliche Sabbat bei Luther bis 1524 »Der Sabbath ist das gantz Christlich leben«

1.1. Der Sabbat in der Humilitas-Theologie des frühen Luther

Luthers Theologie, deren traditionskritische Konsequenzen 1517 im Ablaßstreit erstmals ins Bewußtsein der Öffentlichkeit drang und die in den bedeutenden Schriften des Jahres 1520 ihr programmatisches Profil gewann, reifte schon, bevor sie die Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen konnte. In den Zusammenhang dieses Reifeprozesses, den die ersten exegetischen Vorlesungen, aber auch die Predigten dokumentieren, - dieser Zusammenhang wird im fol-

18

Der geistliche Sabbat

genden als Luthers frühreformatorische Theologie bezeichnet1 - gehört die Ausbildung einer Sabbatdeutung, die wesentliche Aspekte der neuen Erkenntnis wiederspiegelt. Es wird deutlich werden, daß Luther im biblischen Motiv des Sabbats, das schon deshalb nicht seiner Aufmerksamkeit entgehen konnte, weil es einen Platz in den Zehn Geboten gefunden hatte, eine besonders geeignete Chiffre für die Passivität des Menschen im Verhältnis zu dem ihn rechtfertigenden und heiligenden Gott gesehen hat. Diese geistliche Sabbatdeutung wird erstmals 1516 in der Predigtreihe über den Dekalog greifbar. Sie beruht dort allerdings auf einem sachlichen Zusammenhang, der sich schon vorher einstellt und hier zunächst aufgearbeitet werden muß. Wir befragen die erste Psalmenvorlesung, die Römerbriefvorlesung und die Randnotizen zu Taulers Predigten nach der theologischen Anthropologie in bezug auf Luthers frühreformatorische Erkenntnis, wobei das Augenmerk auf den Kontext gerichtet sein soll, der die Passivität des Menschen als eine soteriologische Kategorie umschreibt. Mit einer in den Dictata super Psalterium (1513-16) entfalteten HumilitasTheologie2 sucht Luther die Erfahrung mönchischer Frömmigkeitspraxis im wesentlichen noch auf dem Boden des Augustinismus einzuholen, was ihn in kritische Distanz zur Erfurter Schultheologie bringt. Das vertiefte Gnadenund Sündenverständnis geht einher mit einer Anthropologie, die die überkommene Trichotomie von corpus, anima und spiritus schon deutlich mit dem paulinischen Gegensatz von caro und spiritus überlagert. Im Widerstreit zwischen Geist und Fleisch tritt an die Stelle des anthropologischen Horizonts der monastischen Tugendlehre, nach der die sittliche Vernunft die sündlichen Triebe domestizieren soll, der theologische Horizont des opus Dei. In der humilitas unterwirft sich der homo spiritualis dem Urteil Gottes, das den sensus proprius, den Eigensinn des Menschen, als »caput in corpore peccati et princeps aliorum operum carnis« entlarvt3; im Eigensinn und -willen, gipfelnd in der superbia spiritualis, behauptet sich die lex carnis gegen den Glauben.4 Der Glaube hingegen realisiert in der mortificatio carnis das Urteil Gottes über den homo carnalis und gewinnt so eine pax conscientiae.5 Damit nun ist der Zu-

1

Hinsichtlich der Entwicklung von Luthers Theologie schließe ich mich den Beobachtungen und Thesen von Oswald BAYER, Promissio, an. Eine Stellungnahme zur Frage des 'reformatorischen Durchbruchs' und zu den Kriterien des Reformatorischen ist im Zusammenhang dieser Untersuchung jedoch nicht nötig. 2 Vgl. dazu bes. ZUR MÜHLEN, Nos extra nos, S. 26-92. 3 WA4,384,16f (zuPs 119,163). 4 Ebd. 383,25-27. 5 »[...] spiritus efficitur filius dei et dominus omnium per fidem. Et qui prius peccatis servus fuit, nunc sedet in pace conscientie.« Scholion zu Ps 110,1 (WA 4,227,19f); dominus omnium und servus peccatis stehen hier offenbar noch in einem

Der geistliche Sabbat bei Luther bis 1524

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sammenhang umrissen, in dem Luther in den Dictata auch von einem 'sabbatismus spiritualis' reden kann: »Solennitas enim Christi est totum tempus gratie: in quo est spiritualis sabbatismus et festa mystica in corde. Sed nunc Iudei superbia sua et perfidia repleverunt corda multorum: in quibus dominus festum suum et requiem conscientie eorum habere voluit ab operibus peccati servilibus, carnalibus mundanis et diabolicis (istis enim violantur sabbata Christi).« 6 Hier begegnet uns noch ganz die augustinische Sabbatdeutung 7 , die sich auf die requies conscientiae bezieht und diese Gewissensruhe aus der »Sündenfeier«, aus dem Ruhen der Sünden gewinnt. Auch die Römerbriefvorlesung (Herbst 1515 bis September 15168) bricht noch nicht ganz aus dem Rahmen der Demutstheologie aus. »Quid enim aliud tota Scriptura docet quam humilitatem?«9 Das Wort Gottes wirkt in einem und zugleich als iudicium und gratia, als Entlarvung der Selbstgerechtigkeit und als Gabe der fremden Gerechtigkeit; seine klare Unterscheidung in Gesetz und Evangelium ist noch nicht vollzogen. Ein stärker reformatorisches Profil erreicht die Römerbriefvorlesung allerdings in der expliziten Differenzierung der beiden Aspekt-Kategorien 'extra se' und 'intra se'. Das damit ermöglichte Simul von iustus und peccator erlaubt es Luther, die Konturen der Anthropologie schärfer zu zeichnen. Die Wirksamkeit der iustitia aliena erfordert die Tilgung der iustitia propria, die radikal und umfassend verstanden wird. »Sed omnino Christianus verus ita debet nihil proprium habere, ita omnibus exutus esse«. 10 Die soteriologische Grundstruktur der Römerbriefvorlesung gewinnt Luther aus der Unterscheidung von opus alienum und opus proprium Dei nach Jes 28,21. 11 »Quod totum ideo facit, Quia Natura Dei est, prius destruere et annihilare, quicquid in nobis est, antequam sua donet [...] Capaces autem tunc

exklusiven Verhältnis zueinander; ihr 'simul' in unterschiedlicher Relation arbeitet Luther erst am Römerbrief heraus. 6 WA 3,496,25-30 (zu Ps 74,4); zu Ps 118,2: »Quia literale sabbatum legis, in quo corpora vacabant ab operibus, nunc transiit in sabbatum spirituale, in quo anime perpetua vacantia cessant ab operibus malis et peccatis.« (WA 4,277,29-31); zu Ps 92,1: »Tit.[ulus] 'Psalmus Cantici in die sabbati', quod mystice est totum tempus gratie.« (WA 4,78,20f). 7 Vgl. zu Augustin oben S. 14f. 8 Nach VOGELSANG in BoA 5, S. 222, vgl. BRECHT, Martin Luther, Bd. 1, S. 129.

9 WA 56,199,30. 10 WA 56,159,4f (Scholion zu Rom 1,1; Hervorhebung von mir,. J.K.); vgl. den Kontext bes. 158,13-159,12. Dem entspricht die hier nun explizit gegen die Scholastik gerichtete Radikalisierung des Sündenverständnisses, bes. im Scholion zu Rom 5,14 (WA 56,312,1-313,16); vgl. dazu auch ZUR MÜHLEN, Nos extra nos, S. 116123. 11 WA 56,375,3-377,21 (Scholion zu Rom 8,26); vgl. WA l,112,24ff (Predigt von 1516).

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sumus operum et consiliorum eius, Quando nostra consilia cessant et opera quiescunt et efficimur pure passiui respectu Dei, tarn quoad interiores quam exteriores actus.« 12 Wenn Luther anderswo, wie sich zeigen wird, diesen Gedankenkreis mit der Chiffre des Sabbats belegt, so ist hier jedenfalls zu betonen, daß die Passivität und die Ruhe der eigenen Werke präzise dem opus Dei alienum zugeordnet wird. Nur in bezug auf das Wirken Gottes spricht Luther von der Passivität; die Ruhe von den Werken ist nicht das Werk des Menschen, es liegt nicht in seiner eigenen Möglichkeit, das Eigene stillzulegen. 13 Die Rede von der Passivität wird mißverstanden, wenn darunter ein Rückzug des Menschen in die innere Versenkung begriffen wird. Nichts ist Luther ferner als ein mystischer Quietismus. Dies zeigt allein schon der Charakter seiner ganz unsanften und existentiellen Sprache (destruere, annihilare, exuere, crucificare, mortificare). Zwar redet Luther zuweilen auch von quies, aber das ist nicht die Ruhe des Schlafes, sondern die Ruhe des Todes. Diese Ruhe kann und will auch der Frömmste nicht selbst herbeiführen; sie ist das Widerfahrnis der tiefsten Krise seiner selbst. 14 Passivität muß also in der Konnotation zu passio gehört werden. Sie ist daher Bewegung (motus), aber eben passivisch verstanden, also ein Bewegt-werden, was am trefflichsten der von der Mystik herrührende Begriff 'raptus' mitteilt. 15 Gottes Wort trifft den Menschen als Gerichtswort, das ihn in die Bewegung der annihilatio sui treibt. Die Seele wird also in höchste Unruhe versetzt. Gerade diese Unruhe erzwingt die Ruhe der eigenen Werke, auf der das Selbstvertrauen, die superbia spiritualis aufbaut. Erst die Beunruhigung der durch das Urteil Gottes getroffenen Seele ermöglicht die Stillegung der eigenen 12

WA 56,375,18-24; vgl. WA 56,337,16-21 (zu Rom 7,6). »Ideo quantumcunque operentur, laborent, speculentur, nihil aliud faciunt quam quod animae inquietudinem augeant quam per haec fugere quaerunt, Quae non effugitur nisi sciendo Patrem et Filium, i.e. gratiam et misericordiam Dei in Christo nobis gratis datam et merita Christi nobis imputata. Istis ergo nunc dicit: Venite ad me omnes, qui laboratis et onerati estis, et ego reficiam vos, non ipsi vos reflcietis, i.e. quietos facietis, sed ego.« (WA 1,140,27-32 = BoA 5,426,29-35 - Predigt über Mt II,25, 24. Febr. 1517). 14 »Verum natura humana vehementur adhorret ab hoc auditu [sc. des Wortes als iudicium], quia necesse est eam redigi in nihilum et in meras tenebras« (WA 57 III,143,7f - Scholion zu Hebr 3,7). 15 Hier sei auf das vielzitierte Wort aus den Operationes verwiesen: »Nam phantasmata illa puto humana esse, quod aliud sit habitus et aliud actus eius, praesertim in his divinis virtutibus, in quibus non est nisi passio, raptus, motus quo movetur, formatur, purgatur impregnatur anima verbo dei« (WA 5,176,11-14). Zur Bedeutung von 'raptus' bei Luther siehe: JOEST, Ontologie, S. 219-222; ZUR MÜHLEN, Nos ex13

tra nos, S. 51-66.106; OBERMAN, Simul gemitus et raptus, S. 53-55; ISERLOH, Lu-

ther und die Mystik, S. 68.

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Werke. Die Grundlage des Heils im Glauben ist identisch mit der Zerstörung der Grundlage des Unheils im Selbstvertrauen. Das soteriologische Moment gründet in der existentiellen Beunruhigung. Eine Heilsgewißheit wird dadurch prinzipiell ausgeschlossen. 16 Wir werden sehen, daß die Ruhe des Gewissens, die Luther in den Dictata noch mit Augustin ganz auf die Feier der Sünden beziehen konnte, mit den Radikalisierungen der Römerbriefvorlesung problematisch wird, denn noch gelingt es Luther nicht, eine auf die Werke des Menschen bezogene Gewissensruhe unabhängig von dessen eigenem Wirken zu konstitutieren. Weil selbst die guten Werke Sünde sind 17 , ist der Mensch einzig gut in völliger 'Wirklosigkeit', in einer absoluten Ruhe, die die permanente annihilatio sui unter dem Gerichtswort Gottes gleichsam als Zustand verzeitigt. Aus dieser Sackgasse führt kein Weg zum Ansatz einer reformatorischen Ethik, die nach dem Gut-Sein des alltäglichen Handelns fragt. Der Kern von Luthers Anthropologie offenbart sich nicht in der Konstellation einzelner, mehr oder weniger traditioneller Termini, wie corpus, anima, spiritus oder sensus, ratio, spiritus, die Luther vor dem Hintergrund des totus homo peccator ohnehin nicht stringent verwendet; er wird vielmehr in den Bildern und Vergleichen sichtbar, die sich an bezeichnenden Stellen immer wieder finden. Insbesondere das Bild vom Töpfer und Lehm (nach Jes 64,8 bzw. Jer 18,6) drückt aus, was mit dem 'pure passive respectu Dei' gemeint ist. 18 Gegenüber dem Wirken Gottes ist der Mensch »velut rudis materia«19, knetbar für die Hand des Töpfers. Gerade das Verständnis der passivitas in der Konnotation zu passio hat Luther an den Predigten Taulers gefallen, die er 1516, noch während der Römerbriefvorlesung, durchgearbeitet hat. In dem hier bereits behandelten Zusammenhang weist er die Studenten lobend auf Tauler hin 20 , den er auch sonst

16 Dies hat BAYER, Promissio, passim, nachdrücklich für die Humilitas-Theologie herausgearbeitet, die er darum im Vergleich zu Luthers reformatorischer Theologie als vorreformatorisch definiert. 17 »Quia etiam bona opera, quia renitente fomite et sensualitate, non tanta fiunt intensione et puritate, quantam lex requirit, cum non ex totis viribus fiant, Sed tantum ex viribus spiritus repugnantibus viribus carnis. Idcirco enim bene operando peccamus«. (WA 56,289,15-19; Scholion zu Rom 4,7). 18 WA 56,376,20-27; 378,2-9; WA 57 111,143,11-22 (Scholion zu Hebr 3,7); WA 5,177,16-19 (Op. inPs.). 19 »Iccirco impossibile est, ut illius naturale dictamen, consilium, prudencia, propositum seu intencio bona stet aut procedat cum quo et in quo operatur Deus. Illa enim omnia sunt velut rudis materia et informe lutum, quod, cum ceperit Deus operari, omnino in contrarium cedit.« (WA 57 111,143,18-22). 20 WA 56,378,13f.

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durchweg positiv aufnimmt. 21 Den Gedankenkreis von Passivität und dem Wirken Gottes in uns findet er bei Tauler bestätigt, wie die Randnotizen allenthalben belegen. 22 Vor allem auf die Bemerkungen zu Taulers Weihnachtspredigt über die dreifache Geburt 23 wird in der Forschung immer wieder verwiesen, weil Luther zur theologia mystica, die aus dieser Predigt spreche, Vorbehalte anmeldet, ohne sie deshalb schon ganz zu verwerfen. 24 Die »theologia mystica, quae est sapientia experimentalis et non doctrinalis«, suche die geistliche Geburt des verbum increatum. Vorrang komme aber der theologia propria zu, die nach der geistlichen Geburt des verbum incarnatum frage. 25 Nun sind aber diese Bemerkungen zum Vorzug der theologia propria vor der theologia mystica innerhalb der Randnotizen in einen Zusammenhang eingefügt, der auf die Unterscheidung der vita contemplativa von der vita activa abhebt, die Luther mit der Tradition im Gegensatz von Maria und Martha typologisiert. Gott wird in der Seele geboren »secundum statum vitae contemplativae et spirituali anagogia. Sed moraliter nascitur non in quiete, sed in operatione virtutum secundum statum vitae activae.«26 Luther differenziert dabei zwischen einer absoluten Ruhe in der vita contemplativa, die auch die guten Werke als störend empfindet, und einer relativen Ruhe in der vita activa, die nur auf die sündigen Werke bezogen ist. 27 Dieses (Martha) sei der 21

Siehe OBERMAN, Simul gemitus et raptus, S. 37. Damit unterliegt Tauler nicht dem ambivalenten Urteil, mit dem Luther fast alle übrigen Theologen (und keineswegs allein die sonstigen Mystiker) rezipiert; dies wendet OBERMAN, ebd., S. 24f, zu Recht gegen das Verfahren von VOGELSANGS Untersuchung zu 'Luther und die Mystik' ein. 22 Etwa: »Nos materia sumus pura, deus formae factor, omnia enim in nobis Operator deus« (WA 9,97,15f). »Et si sciamus, quod deus non agat in nobis, nisi prius nos et nostra destruat (i.e. per crucem et passiones)« (ebd. 102, lOf - vgl. die ganze Passage 102,6-103,11 = BoA 5,308,27-310,2). 23 WA 9,98,14-34 = BoA 5,306,21-307,13. 24 Etwa OBERMAN, Simul gemitus et raptus, S. 33; ISERLOH, Luther und die Mystik, S. 63 und ZUR MÜHLEN, Nos extra nos, S. 170. Daß Luther eine Predigt Taulers eigens der theologia mystica zuschreibt, deutet darauf hin, daß er Tauler im allgemeinen gar nicht als Mystiker gelesen hat (so zu Recht OBERMAN, ebd., S. 38). Er kritisiert also hier nicht die Theologie Taulers insgesamt, sondern bloß die in dieser Predigt vertretene areopagitische Mystik. Im Scholion zu Hebr 5,12 weist Luther die theologia mystica oder experimentalis explizit dem Dionysius zu (WA 57 111,179,611). 25

WA 9,98,20-25 = BoA 5,306,28-307,3. Die Unterscheidung in eine theologia propria und eine theologia mystica, sowie in eine (hier nicht erwähnte) theologia symbolica geht auf Gerson zurück, der sich seinerseits auf den Areopagiten beruft (siehe dazu ZUR MÜHLEN, NOS extra nos, S . LLOF). 26 WA 9,98,15-17 = BoA 5,306,23-25. 27 »Quia [...] in contemplatione et operatio virtutum impedit nativitatem dei in anima, quies, pax, silentium ibi requiritur omnino. In activa autem vita sufficit, quod silentium, pax a malis operibus.« (WA 9,98,27-30 = BoA 5,307,7-9).

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allgemeine, leichte und häufige Weg, jenes (Maria) der seltene, schwierige und elitäre. 28 Nun ordnet Luther keineswegs die theologia mystica der Maria und die theologia propria der Martha zu. Vielmehr gewährt er der theologia propria ausdrücklich den Vorteil Mariens: »Theologia autem propria de spirituali nativitate verbi incarnati habet unum necessarium et optimam partem [Lk 10,42], Haec non sollicita est et turbatur erga plurima [Lk 10,41] et contra peccata crescit et pugnat ad virtutem sollicita, quaerit, ubi illa victrix viciorum triumphat.«29 Die um das verbum incarnatum besorgte Theologie wird nicht durch Martha, sondern durch Maria repräsentiert. Schwerlich wird man aber weiter schließen dürfen, daß Luther die theologia propria der vita contemplativa zur Seite stellen möchte. Dies würde keinen rechten Sinn ergeben, und der Charakter solcher privater und spontaner Randnotizen verbietet uns im Grunde, die Unterscheidung der beiden Stände und die Unterscheidung der beiden Theologien mittels der auf beide angewandten Typologie stringent aufeinander zu beziehen. Man muß sich hier mit folgenden Ergebnissen begnügen: Die theologia mystica wird noch nicht rundweg verworfen, ihr wird aber eine Theologie unbedingt vorgeordnet, die am inkarnierten Wort, also an Christus und der Kreuzestheologie, ausgerichtet ist. Von da aus deutet sich auch eine - hier noch verdeckte - Kritik an der Unterscheidung von vita contemplativa und vita activa an, sofern sie auf die Fixierung verschiedener religiöser Stände zielt. Martha und Maria sollen nicht zwei unterschiedliche Frömmigkeitskonzepte repräsentieren, die in verschiedenen Ständen praktiziert werden; vielmehr sollen die damit verbundenen Vorstellungshorizonte eine sachliche Reihenfolge zum Ausdruck bringen, die allgemeine Geltung beanspruchen kann. Die auf die sündigen Werke bezogene und in Martha abgebildete relative Ruhe erscheint als Vorstufe jener durch Maria repräsentierten absoluten Ruhe, die auch von der Sorge um die guten Werke feiert. Die theologia propria hat 'das beste Teil', die Kreuzestheologie erhält einen sachlichen Vorrang. Gleichwohl bleibt sie hier noch auf das Ideal des verbum increatum hin orientiert. Auf das Leitbild einer an der Frömmigkeitserfahrung des vita contemplativa geschulten absoluten Ruhe möchte Luther noch nicht verzichten. 30 Es wird sich zeigen, daß er in dieser Hinsicht schon ein Jahr 28

WA 9,98,17-20 = BoA 5,306,25-28. WA 9,98,23-27 = BoA 5,307,1-5 (Hervorhebung von mir, J.K.). 3 0 BAYER spricht von einer »Priorität der Beschäftigung mit dem verbum incarnatum« und einer »Prävalenz des verbum increatum« ( B A Y E R , Promissio, S. 65); dann aber schließt BAYER beide »Interessen« einfach kurz, indem er das »rapi in verbum increatum« mit der Kreuzestheologie identifiziert. Darin kann man BAYER nicht folgen, da Luther beide Theologien deutlich voneinander abhebt, und nur mit der auf das verbum incarnatum gerichteten Theologie die Kreuzestheologie gemeint sein kann. 29

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später zu einer Klärung gelangt ist. Doch die erste Entfaltung des geistlichen Sabbats liegt noch vor dieser Klärung. Das meines Wissens erste Zeugnis, das den Sabbat in den bisher skizzierten Kontext der Buß-Theologie des frühen Luther einzeichnet, stammt bereits aus der zweiten Hälfte des Jahres 1516, gehört also in die Zeit der Römerbriefvorlesung und der Tauler-Studien. Die Beschäftigung mit dem dritten Gebot anläßlich der Predigtreihe über die Zehn Gebote 31 hat Luther bewogen, den Sabbat als eine Chiffre zu begreifen, die die anthropologische Seite seiner Humilitas-Theologie gleichsam auf den Punkt bringt. Der Alleinwirksamkeit Gottes entspricht die Passivität des Menschen. Wir haben diese Passivität als eine im Urteil des Wortes widerfahrende herausgestellt und sie gegen einen Quietismus abgegrenzt; wir haben dies weiterhin in der Verbindung von quies und Kreuzestheologie konkretisiert. Es ergibt sich danach fast von selbst, all dies mit dem Motiv des Sabbats zu etikettieren, denn »in hoc tercio praecepto non opus praecipitur, immo quies, ut non offendatur deus operibus.« 32 Darin ist aber keineswegs der spezielle Skopus allein des dritten Gebots zu sehen. Die besonders hier zur Sprache gebrachte quies bezieht Luther insgesamt auf die erste Tafel. Die ersten drei Gebote entfalten die anthropologische Seite der Humilitas-Theologie ganzheitlich nach dem Schema cor - os - opus, das hier noch neben der traditionellen Trichotomie von homo spiritualis, rationalis und sensualis steht, wobei das Sabbatgebot den Aspekt der quies beisteuert. »Quare haec tria praejcepta parant hominem deo velut puram materiam, ut quiescat corde, ore, opere, id est interiori et exteriori et medio homine, qui sunt sensualis, rationalis, spiritualis, Et sit pura quies.« 33 Nun ist aber streng darauf zu achten, daß das Wort den Menschen als iudicium trifft; es bereitet ihn zu für Gott gleich einer 'pura materia'. Besonders die Gebote Gottes wirken als iudicium, das die Selbstvergötzung des Menschen zerstört und so die Zuteilung der iustitia aliena ermöglicht. 34 Luther hielt diese Predigten vom 2. Juli 1516 bis zum 24. Febr. 1517, gab sie aber erst 1518 als 'Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo' in den Druck (BRECHT, Martin Luther, Bd. 1, S. 151). 32 WA 1,436,16f. 33 Ebd. 436,18-20. Zum 2. Gebot führt Luther aus: »Igitur in primo praecepto Cor et interior homo erga deum institutus est, in hoc os instituitur. Tribus enim rebus peccamus, Corde, ore, opere, contra deum: ideo super singulo singulum est praeceptum, et sunt omnia tria nagativa sive prohibitiva. [...] Nam tercium, quod est 'Sabbatum sanctifices', Ipse dominus exponit negative dicens: Non facies omne opus in eo, quod et nomen indicat Sabbatum, id est requies, id est vacatio ab operibus. Nullum enim opus in illo praecipitur«. (Ebd. 430,10-18). 34 »Respondeo, Quod omne praeceptum dei magis positum est, ut ostendat iam praeteritum et praesens peccatum quam ut futurum prohibeat«. (Ebd. 398,10-13 zum 1. Gebot); »[...] qui enim non agnoscit se praeceptum hoc debere, quomodo se 31

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Da beides allein als das Werk Gottes anzusehen ist, besteht das gute Werk im Glauben, der die Werke nicht sich, sondern Gott zuschreibt; ein Werk ist dann gut, wenn es »propter deum« geschieht, wenn es der Mensch also nicht nur um seinetwillen tut. 35 Der Glaube ist hier nichts anderes als die Intentionalität des Werkes. In diesem Sinne fließen alle Gebote aus dem ersten. 36 Daß dem Sabbatgebot wie dem ersten Gebot eine besondere Stellung zukommt, erhellt auch daraus, daß sich Luther durch das Motiv der quies im Sinne von 'non-opus', das hier explizit zur Sprache kommt, veranlaßt sieht, über den Sinn der Gebote überhaupt Rechenschaft zu geben. Dies faßt der erste Teil der Auslegung zum dritten Gebot ins Auge, der der eigentlichen Deutung des Gebotes gewidmet ist 37 , während der zweite Teil die Übertretungen 38 und der dritte die Erfüllung behandelt 39 ; uns interessiert hier nur der erste Teil. Er erörtert das Verhältnis des einen Liebesgebots als Erfüllung des Gesetzes (nach Joh 15,12 und Rom 13,10) zu den übrigen Geboten. In einem ersten Schritt sucht Luther das Problem am Sabbatgebot selbst zu beleuchten. Noch ganz im Ton der Alten Kirche deutet er mit Blick auf Kol 2,17 den Sabbat zunächst figurativ. 40 Die Ruhe von den opera servilia bezeichnet die Ruhe von den sündigen Werken des alten Adam. So bezieht sich der Sabbat auf die christliche Heilszeit, die Jes 66,23 im Blick hat. 4 1 Seinem literalen Sinn nach ist das Gebot, wie überhaupt alle Gebote, obsolet - jedenfalls für die Voll-

agnoscet esse peccatorem? Qui autem non agnoscit se peccatorem, quomodo timebit deum et iudicium eius? Qui autem non timet, quomodo humiliabitur? Qui non humiliatur, quomodo gratiam consequetur? qui gratiam non consequitur, quomodo iustificabitur? Qui non iustificatur, quomodo salvus erit?« (Ebd. 429,36-430,2). 35 Ebd. 428,5-29 (zum 1. Gebot). Vgl. dazu auch ZUR MÜHLEN, Nos extra nos, S. 139f. 36 »[...] primum mandatum omnia alia in se continet. Qui enim hoc servat, omnia servat, et qui aliquod non servat, hoc non servat, quia cor eius aliud quam solum deum respicit.« (Ebd. 438,7-9; vgl. 430,6-10.22-25). 37 WA 1,436,14-439,31. 38 Ebd. 439,32-443,7; Luther schilt zunächst die groben Ausschweifungen am Feiertag, diskutiert dann die schwierigen Fälle der Übertretung aus einer Notlage heraus und kritisiert schließlich die Feiertagsheiligung, die bloß »literaliter, sed non spiritualiter« und »sine corde« erfolgt (443,3f). 39 Ebd. 443,8-447,16; fünf Werke der Erfüllung werden erläutert: die Messe besuchen, das Wort Gottes hören, beten, die Kollekte geben (was mehr für die alte Kirche gegolten habe, da nun das Stiftungswesen die Aufgabe der Sozialfürsorge übernehme), schließlich der innere Gottesdienst in der permanenten Buße, Reue und Selbstprüfung. 40 Ebd. 436,22-35. 41 »Sic sabbatum significat ipsum spirituale tempus, Quod sol iustitiae Christus illuminavit, quod non habet noctem.« (Ebd. 436,29f).

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kommenen. 42 Damit spricht Luther das entscheidende Kriterium in der aufgeworfenen Frage an. Den Vollkommenen genügt das Liebesgebot, indes die Unvollkommenen der einzelnen Gebote bedürfen. Jenen gilt jeder Ort gleich, jeder Tag ist ihnen ein Feiertag. 43 Jedoch »infirmis, qui nondum sunt mortificati secundum veterem hominem, illis opus est, ut certis officiis, diebus, modis occupentur, vigiliis, ieiuniis, laboribus, orationibus, disciplinis et similibus, Quibus perveniant ad profectum interioris hominis«.44 Darum hält die Kirche an diesem und den übrigen Geboten fest. Sie sind den Unvollkommenen Stütze auf dem Weg zum homo spiritualis. Sie sind ihnen aber auch der Spiegel ihres homo carnalis. Die sich im Vertrauen auf ihre Werke sicher fühlenden Selbstgerechten sollen am Leitfaden der Gebote verunsichert werden. 45 Diese Funktion verdeutlicht wiederum das Thema des Sabbatgebots in einer alle anderen Gebote konzentrierenden Weise: »Non enim operando, sed patiendo boni sumus, cum patimur divinas actiones, quieti ipsi. Igitur hoc praeceptum Ecclesia et multa alia figuralia tenet pro infirmis exercendis, ut proficiant, non ut ibidem Stent iis factis securi.«46 In einem zweiten Schritt entfaltet Luther im Durchgang durch die einzelnen Gebote des Dekalogs 47 die am Sabbatgebot hergeleitete Erkenntnis, nach der die Gebote den Unvollkommenen ihr 'intra seipsum' wie ein Spiegel vorhält. 48 Da die Liebe das Gesetz erfüllt, spiegelt sich im Dekalog rechte bzw. verkehrte Liebe. 49 Aus dem bisher Dargelegten dürfte schon erhellen, daß solche grundsätzlichen Ausführungen mit gutem Grund zum Sabbatgebot aufgenommen werden und nicht etwa in einer Einleitung der Auslegungsreihe vorausgehen. Wie in einem Brennpunkt fokussiert der Dekalog seine spiegelnde Funktion im Sabbatgebot - genauer gesagt: in dem anthropologisch umfassend gedachten Motiv der quies. Die quies tritt als eine Art Zwillingsschwester der Charitas auf, die das Gesetz erfüllt. Wie dies zusammenpaßt, zeigt der Blick zum ersten Gebot. Alle Gebote werden in der Erfüllung des ersten gehalten, denn die Liebe fließt 42 »Ideo istud praeceptum cessavit proprie, immo omnia, quo ad perfectos Christianos, Quia iusto non est lex posita [1. Tim 1,9]«. (Ebd. 436,33-35). 43 Ebd. 436,37-437,2. 44 Ebd. 437,2-5. 45 Ebd. 437,11-24. 46 Ebd. 437,21-24. 47 Ebd. 437,25-439,31. 48 »Ideo decalogus praeceptorum velut speculum est, in quo homo seipsum consyderet, in quo et quantum deficiat aut proficiat.« (Ebd. 438,2f). 49 »Quare ergo non dedit et suffecit in uno ilio [sc. dem einen Liebesgebot]? Respondeo: sufficit quidem, sed ostendendum fuit homini, in quibus charitatem habere deberet, Ne falsa opinione et fiducia seipsum seduceret, charitatem sese habere putans, cum non haberet.« (Ebd. 437,36-438,1).

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aus dem Glauben. Die quies nun, und somit das Sabbatgebot, deckt die anthropologische Kehrseite des ersten Gebots umfassend auf, denn sie bildet letztlich das Kriterium dafür, daß das erste Gebot erfüllt ist. Der rechte Glaube, und damit auch die Liebe, wird erkannt an der quies der Seele im Verhältnis zur Welt. Dies arbeitet Luther schon zum ersten Gebot heraus: »At sunt multi, qui cum interrogantur, an alienum deum habeant et idolatrae sint, constanter respondent, quod nequaquam. Hos ut deprehendas manifesto mendacio, id observa, Num sint rebus ita mortui et in Christo ita securi, ut nec divitiis inflentur nec paupertate deiiciantur, nec honore tumeant nec ignominia marcescant, Nec vita laetentur nec morte terreantur, nec voluptate gaudeant nec passionibus tristentur, Et prorsus ita sint ad utrunque immoti et quieti, ut quoquo modo illa cadant satis eis sit, quod Ihesum Christum habent«,50 Der geistliche Sabbat des dritten Gebots fungiert hier als Gerichtswort über die superbia spiritualis. Die absolute Ruhe als gelassene Unbekümmertheit allen Weltbezügen gegenüber ist ein Ideal, an dem der Hochmut zu Fall kommt. Das Ideal der absoluten, gänzlich gelassenen Ruhe als Erfüllung nicht nur des dritten, sondern aller Gebote, treibt in die heilsame Unruhe. 5 1 Indem das Gebot das anzustrebende Ideal vorspiegelt, wirkt es konkret als Gericht. »Ocium corporale significat ocium spirituale, ut cesset a cupiditatibus et cognitationibus malis, ut capax possit esse verbi dei, quod requirit animam vacuam. Quare quilibet Christianus se debet interrogare: quare hodie ociaris? Et sie monumentum et memoriale sibi habere, quod vacandum ei sit ad deum audiendum.« 52 In dieser Funktion, als »monumentum et memoriale«, ist die absolute Ruhe, die der geistliche Sabbat 1516 markiert, eine Kategorie der Hoffnung, nicht der Gewißheit. 53 Noch klarer, weil konzentrierter zeigt die 'Kurze Erklärung der zehn Gebote', die Luther zur Fastenzeit 1518 als Beichtspiegel herausgab 54 , daß in der Humilitas-Theologie des frühen Luther dem in die Buße getriebenen Menschen 50 Ebd. 400,10-17 (Hervorhebung von mir, J.K.). 51 »Et illud tercium [praeeeptum] 'Sabbata sanctifices', id est ad literam, 'nullum opus in eo facias': litera est negativa, cum ibi affirmentur nobilissima et maxima opera dei in audiendo, docendo, meditando verbo dei in spiritu intus: foris quies, intus maxima actuositas dei operands.« (Ebd. 470,34-37 - zum 5. Gebot). 52 Ebd. 440,23-27 (Hervorhebung von mir, J.K.). 53 »Porro sanctificare quietem est sese passibilem deo prestare, ut in ilio deus solus operetur: hie patientia et spe est opus, nam hie in caliginem intratur, ubi homo non operetur, sed ducitur via passionis mirabiliter. Quoties ergo pateris, toties operaris non tu, sed quiescis et deus operatur in te, sed tu nescis quid, quia pateris et es nuda materia. Hoc est quod ait: vacate et videte, quoniam ego sum deus.« (Ebd. 471,4-9 - zum 5. Gebot). 54 WA 1,250-256. Die lateinische Bearbeitung erschien gleichzeitig als 'Instructio pro confessione peccatorum' (WA 1,258-265).

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mit dem geistlichen Sabbat ein Leitbild an die Hand gegeben werden soll, wobei das mystische Kolorit dieses Leitbildes hervorsticht. Wie in den 'Decern praecepta' zerfällt die Auslegung in drei Teile: die Deutung der Gebote, ihre Übertretungen und ihre Erfüllungen. Die Deutung des dritten Gebots wendet sich ganz dem geistlichen Sabbat zu. Die lateinische Fassung bringt dies am besten zum Ausdruck: »Sabbatum requies vel vacantia dicitur, quae optima est ea, qua homo seipso vacuus velut mendicus et pauper expectat eum, qui esurientes implet bonis et divites dimittit inanes [Lk 1,53].« 55 Die Realisierung des Gottesurteils fuhrt in eine Bußhaltung, in der der gelassene Mensch auf das Heil wartet. 5 6 Die geistliche Feier artikuliert keine Heilsgewißheit, sondern (ungewisse) Hoffnung. Im Abschnitt zur Erfüllung des Gebots verbindet Luther die Feiertagswerke mit dem geistlichen Sabbat. Genau wie in den 'Decem praecepta' wird der Sabbat im Verbund der ersten beiden Gebote als Zubereitung des totus homo für das Wirken Gottes verstanden. »Actuatio primi et secundi praecepti, id est seipsum capacem gratiae facere et materiam sese praebere operaturo Deo. Quod fit orando, Missam et verbum Dei audiendo, Christi passionem memorando et pro peccatis gemendo, quod est spiritualiter communicare«. 57 Die deutsche Fassung gibt noch stärker die mystischen Konnotationen zu erkennen: »[...] dann dis gebot furderdt ein geist arme sehle, die do yres nicht sein vor got opffert, das er got sey und yn yr seines wercks und namen bekome, nach den zweien ersten gebot.« 58

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WA 1,258,14-16; in der deutschen Fassung: »Dye beste feyr ist, das die sehel mit allem thun desselben tags des gewarthe, der so erfüllet die hungerigen und ledigen mit guthern, Luc.i. dann feyer das heist ledig sein«. (Ebd. 250,13-15). 56 Das Warten auf das Wirken Gottes kennt auch die 'Theologia Deutsch', die Luther in Auszügen im Dez. 1516 und vollständig im Juni 1518 veröffentlichte: »Auch leit selikeit, kurtzlich czu sprechen, an keyner creatur ader creatur werck, sunder allein an got vnnd an seynen wercken. Dar vmmb solde ich alleine gotis vnd seynes werckes warten vnd laßen alle creatur mit allen yren wercken vnd czu vorderst mich selber.« (Th.Dt., cap. 9,22-25). Allerdings verbindet die 'Theologia Deutsch' mit diesem Gedanken nicht explizit das Motiv der Feier oder des Sabbats. 57 WA 1,263,10-13. 58 WA 1,254,26-28 (Hervorhebung von mir, J.K.).

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1.2. Der Sabbat im Rahmen der Grundlegung einer reformatorischen Ethik

Bevor wir den geistlichen Sabbat im 'Sermon von den guten Werken' betrachten, muß erneut das Verständnis der quies in den Blick genommen werden. Es hat sich bis 1520 nicht unerheblich weiterentwickelt. Wir betrachten zunächst die Predigt über Sir 24,11 zu Mariae Himmelfahrt, die im Jahr 1517 entstanden sein dürfte. 59 Sie widmet sich der gleichen Thematik wie die oben untersuchte Stelle aus den Randbemerkungen zu Tauler, doch der Zusammenhang von quies und vita activa (Martha) bzw. contemplativa (Maria) - Luther spricht hier zumeist von vita laboriosa und vita quieta gestaltet sich klarer als dort. Beide Ausrichtungen sind nicht auf verschiedene Menschen zu verteilen, sondern ausdrücklich auf ein und denselben Menschen zu beziehen. 60 Das arbeitsreiche Leben ist das irdische, zeitliche Leben, das Leben der Ruhe das ewige. 61 Luther entfaltet diese Unterscheidung nun christologisch, indem er Martha an Christi Menschheit und Maria an Christi Gottheit bindet. Die beiden Frauen stehen - hier nun eindeutig - für die theologia crucis bzw. die theologia gloriae und den unterschiedlichen Zugang zur Erkenntnis Gottes. Entschieden arbeitet Luther den Vorrang Marthas, der Kreuzestheologie und der Erkenntnis Gottes durch die Menschheit Christi heraus. »Omnis ascensus ad cognitionem Dei est periculosus praeter eum qui est per

59 WA 4,645-650 = BoA 5,428-434. Die Predigt ist in der Rothschen Sammlung überliefert, die unterschiedliche Stücke aus Luthers Frühzeit bis etwa 1521 enthält; anhand äußerlicher Kriterien ist sie nicht datierbar. Buchwald und Kawerau schlagen in WA 4,645 ohne Begründung den 15. Aug. 1517 vor. Nach VOGELSANG fügt sie sich gut in eine Folge von Predigten, die in den Sommer 1520 gehören; dies wird nicht näher begründet. Er datiert also auf den 15. Aug. 1520 (VOGELSANG, Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, S. 132.143; ebenso in BoA 5,428). BAYER dagegen möcht schon den 15. Aug. 1514 annehmen, weil ein Gedanke der Predigt einem Abschnitt der Dictata vorgreife (BAYER, Pomissio, S. 87 Anm. 316 und S. 89 Anm. 328); die Ähnlichkeit ist jedoch so allgemeiner Natur, daß sie die Datierung keinesfalls erzwingt. Inhaltliche Kriterien ergeben, daß die Predigt früher als der 'Sermon von den guten Werken' (1520) aber später als die Randbemerkungen zu Tauler (1516) entstanden sein muß. In der Analyse wird darauf zurückzukommen sein. Ich nehme den 15. Aug. 1517 an, da für den 15. Aug. 1516 bereits eine Predigt vorliegt (WA 1,77-79). 60

»Unus tarnen et idem homo istis duabus feminis significatur.« (WA 4,649, l l f = BoA 5,433,22). 61 WA 4,645,5-10 = BoA 5,428,22-27.

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humanitatem Christi«. 62 Die Erkenntnis von Gottes Macht und Weisheit bläht auf oder führt in die Verzweiflung. Gott will in seiner Niedrigkeit erkannt werden, dort, wo er corporaliter zugegen ist, weil seine Gegenwart anders nicht faßbar ist. 63 Es handelt sich also auch hier wie 1516 keinesfalls um eine Alternative zweier theologischer Zugänge, sondern um ein striktes Nacheinander. Nun aber wird die unmittelbar auf die Gottheit gerichtete Erkenntnis, die Schau Gottes (Maria) klar ins Eschaton verlagert; sie scheidet als mystische Grenzerfahrung in diesem Leben aus. Der Predigttext 64 veranlaßt Luther, sich in diesem Zusammenhang mit dem Motiv der quies zu befassen. Der durch Maria vertretene, eschatologische Zugang zur Gottheit ist die absolute Ruhe und Freude, die »pax, quae exuperat omnem sensum [Phil 4,7], nec est alia quies nisi ista«, weil Christus nach seiner Gottheit selbst in sich die absolute Ruhe ist. 65 Die quies der Martha interessiert Luther weit mehr. Die vita laboriosa hält sich an die menschliche Natur Christi, sie lebt im Angesicht des Kreuzes, nimmt jeden guten Antrieb des Willens aus der Betrachtung der Leiden Christi. 66 Die Leidensmeditation wohlgemerkt eine Empfehlung für die vita activa - führt zur conformitas Christi. Luther gestaltet das Bild der vita activa oder laboriosa nach dem Urbild eines Christus activus oder laboriosus. Christus ist in sich selbst nach seiner Gottheit der unbewegte Beweger, nach seiner Menschheit der durch seine Gottheit bewegte Beweger der Menschen. Nach seiner Menschheit ruht Christus nicht, sondern arbeitet, leidet und wirkt. Durch die Vereinigung der Seele mit ihrem Bräutigam im Glauben wirkt Christus in der Seele dergestalt, daß eine conformitas des Willens zustande kommt. 6 7 Die meditatio 68 eignet alle 62

BoA 5,431,14f. WA 4,647,20 hat hier mit dem Rothschen Autograph »per humilitatem«; die Lesart VOGELSANGS in der BoA ist sowohl hinsichtlich des direkten Bezugs auf Christus, als auch im gesamten Kontext sinnvoller. 63 »Non ergo alium neque alibi Deum quaeremus quam hunc, quia etsi in omnibus sit Deus, in nullo tarnen est corporaliter et tarn praesens ut in humanitate, nec eius praesentia est comprehensibilis alibi. [...] Oportet autem prius roborari in cognitione misericordiae et charitatis, ut sie cum fidutia possint sustineri opera potentiae et sapientiae suae. Alioqui necessario desperatum sese sendet.« (WA 4,648,13-21 = BoA 5,432,17-25); vgl. die ganze Passage WA 4,647,19-649,7 = BoA 5,431,147 433,17). 64 Sir 24,11b (Vg.): »Et in his omnibus requiem quaesivi, Et in haereditate Domini morabor.« 65 WA 4,650,5-15 = BoA 5,434,19-30 (Zitat WA 4,650,9 = BoA 5,434,23f). 66 »Necessarium est enim, ut Christum Semper ante oculos habeat et nunquam ex oculis dimittat. [...] Impossibile est enim, ut anima non reeipiat flammam bonae voluntatis, quae fixe in vulneribus Christi pendat.« (WA 4,646,5-11 = BoA 5,429,26-32). 67 »Nam omnis laboriosa vita est hereditas Domini, sed tantum haec, quae ex Christi vita fluit. Iam ecce in humanitate Christi nihil est videre nisi inquietudinem, labores, passiones, fatigationes, orationes, vigilias, ieiunia, opprobria, praedicatio-

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Tätigkeit der Seele dem in ihr wirkenden Christus zu. In dieser Zueignung gewinnt die in diesem Leben stets tätige und unruhige Seele eine innere Ruhe. »Et sie fit grande miraculum, quod anima habet requiem in inquietudine, pacem in labore, suavitatem in passione, quia gaudet moveri, laborare, pati. Quies est et pax, quod Christum habet in oculis, in cuius charitate, quam sibi exhibitam videt, delectatur. Et ita fit, ut labor Christi sit ei pax et gaudium. [...] Sic mutuum agunt Christus et anima saneta, dum Christus illam quietat sua charitate et movet suis operibus et movet saneto in illa affectu.« 69 Die Frage, wie Gott im Menschen wirkt, wird in dieser Predigt noch nicht mit der Korrelation von äußerem Verheißungswort und Glaube beantwortet. Der Blick ist vielmehr noch ganz auf die conformitas voluntatis gerichtet, die sich in der Leidensmeditation einstellt und somit wesentlich am inneren Wort haftet. 70 Der Horizont der Betrachtung hat sich in dieser Predigt allerdings eindeutig der Martha und der vita laboriosa zugewandt. Gegenüber den entsprechenden Randnotizen zu Tauler aus dem Vorjahr ist dies ein klarer Fortschritt. War dort die vita contemplativa noch ein - freilich kaum erreichbares - Leitbild, so bildet jetzt die absolute Ruhe eine rein eschatologische Kategorie. 71 Sie ist gleichsam aus der Welt und leuchtet nur aus dem Jenseits in diese Welt hinein, sie markiert ein eschatologisches Ziel. Gerade deshalb wird die Sicht auf die vita laboriosa nicht mehr normiert und eingeengt durch ein Ideal, das an die konkrete Frömmigkeitserfahrung der vita contemplativa gebunden und der vita activa im Grunde entgegengesetzt ist. Unter den Bedingungen der vita nes, illusiones usque ad sui finem, ita ut vere ipse sit ens mobile, immo sicut in mundo primum mobile in sese maxime omnium movetur, in aliis omnibus est causa motus, ita Christus secundum humanitatem suam semper inquietus et laborans usque ad mortem, facit etiam, ut sui omnes simili motu moveantur. Nam oportet eos 'conformes fieri imagini filii Dei' [Rom 8,29] ac compati ac contolerare et collaborare. Modus autem ille movendi non est violentus, sed voluntarius, sic scilicet quando anima inspectis Christi operibus, laboribus, passionibus etc. mox accenditur et ipsa ad similia facienda ferendaque, atque hoc ipsum animo volente, nulla alia causa, quam quia movetur dulci affectu in Christum et amore eius vult bona facere et mala pati. [...] Et ita vere fit, ut vita Christi in suo fideli non quiescat, quia nec ipsa quievit, sed semper vivit et agit. Ac per hoc vere cognoscitur, quomodo Christus est 'omnia in omnibus' [Kol 3,11], omnia operatur in omnibus, et non vivimus, loquimur, agimus nos, sed vivit et agit et loquitur in nobis Christus, quia quod agimus et loquimur, ipso intus agente et movente efficitur, dum eius operibus accendimur et movemur.« (WA 4,645,13-646,1 = BoA 5,428,31-429,21). 68 Siehe dazu B A Y E R , Promissio, S. 275. 69 WA 4,646,15-24 = BoA 5,430,1-11 (Hervorhebung von mir, J.K). 70 Daher kann die Predigt unmöglich erst 1520 entstanden sein; sie liegt sachlich und so auch zeitlich vor dem, was BAYER als reformatorischen Durchbruch bezeichnet, also vor 1518. 71 Darum muß diese Predigt später als die Randbemerkungen zu Tauler entstanden sein und kann nicht mit BAYER auf 1514 datiert werden.

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laboriosa kann nur von einer relativen Ruhe die Rede sein. Der Blick auf die Menschheit Christi, d.h. die meditative Applikation seiner vita laboriosa als einer vita pro me, leitet die Seele mit Maria zur inneren Ruhe, in der sie 'das beste Teil' hat und aus der heraus sie mit Martha 'viel Sorge und Mühe' um die Belange dieser Welt hat. 7 2 Dieser Predigt ist Luthers Wille anzumerken, die Grundlagen einer Ethik zu formulieren, die einzig den Bedingungen und Erfahrungen einer diesseitigen, der Welt zugewandten vita laboriosa verpflichtet ist. Indem Luther das Verhältnis von innen und außen, von Ruhe und Aktivität anvisiert, zeichnet er die Linien vor, auf denen der Ansatz zur reformatorischen Ethik zu suchen ist. Der 'Sermon von den guten Werken' wird diesen Ansatz in der Verhältnisbestimmung von Wort und Glaube entfalten und damit auch das Verhältnis Ruhe und Aktivität definieren. Die Predigt von 1517 hat dieses Verhältnis noch nicht in der Relation von Wort und Glaube gefunden, sondern in der meditativen Vermittlung christologischer Bestimmungen. 72

»Et si foris oporteat nos in multa dividi et turbari cum Martha debeamus, partem tarnen optimam cum Maria eligere, de intus in unum colligi longe praestat. Martha enim non reprehenditur, quod erga plurima turbatur, sed quod unum illud etiam non habuerit.« (WA 4,649,8-11 = BoA 5,433,18-21). Im Anschluß an diese Stelle unterscheidet Luther vier Arten von Menschen, indem er 'intus' und 'foris' mit 'colligere' und 'dispergere' kombiniert (WA 4,649,12-650,3 = BoA 5,433,22434,17). Eindeutig negativ beurteilt werden die Selbstgerechten, »qui disperguntur intus in multa et foris colliguntur in unum« (WA 4,649,13-21 = BoA 5,433,23-32) und die Söhne Babylons, die »disperguntur foris et intus« (WA 4,649,34-36 = BoA 5,434,10-12). Positiv dagegen erscheinen die, die innerlich gesammelt sind, wobei Luther allerdings auch diejenigen kritisiert, die nach der vita contemplativa trachten, sich also auch in ihrem Verhältnis zur Welt (foris) nur auf das Eine konzentrieren »in silentio et pausa operationum corporalium«, denn sie müssen sich einen Zwang auferlegen, um in diesem Bereich zur Sammlung und zur Ruhe zu gelangen (WA 4,649,29-33 = BoA 5,434,5-9). Das beste Teil haben sich diejenigen erwählt, die »intus colliguntur in unum et foris disperguntur in multa, ut sancti in vita activa, qui semper habent Christum in corde, foris multis operibus occupati« (WA 4,649,22-28 = BoA 5,433,33-434,4). Die innere Ruhe bei äußerer Bewegtheit gilt auch der 'Theologia Deutsch' als das rechte Verhalten, wobei ebenfalls Christus das Vorbild ist: »Wan das wirt bekant yn der warheit, das der ynner mensch steen sal vnbeweglich vnd der vßer mensch muß vnd sal beweget werden. Vnnd hat der jnner mensch yn seyner beweglikeit eyn war vmmb, das ist anders nicht den eyn muß vnde sal seyn, geordent von dem ewigen willen. Vnnd wo got selber der mensch were ader ist, da ist ym also. Das merckt man yn Cristo.« (Th.Dt., cap. 28,9-14). Auch die meditative Applikation der vita Christi pro me, die sich in der Predigt Luthers noch gegenüber der Wortverkündigung behauptet, weicht im Grunde kaum von der soteriologischen Konzeption der 'Theologia Deutsch' ab. »Vnnd also vil Cristus leben yn eym menschen ist, als vil ist auch Cristus yn ym, vnd als wenigk des eynen, als wenigk des andern.« (Th.Dt., cap. 45,5f); vgl. Th.Dt., cap. 18; 24,1-7; 26,46-58; 29,14-27; 31,10-36.

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Das Scholion zu Hebr 4,4 aus der Hebräerbriefvorlesung 73 bestätigt die Tendenz, die Vorstellung einer absoluten Ruhe ins Eschaton zu versetzen. Luther ringt hier um die rechte Auslegung der Ruhe Gottes am Schöpfungssabbat, an die Hebr 4,4 erinnert. Er zielt auf eine Deutung, in der es im Anschluß an Augustin heißt, daß wir zur Ruhe Gottes kommen, »quando nullo bono amplius indigere ceperimus.«74 Dazu greift er auf die anthropologische Typologie zurück, die den Menschen nach Noahs Arche als homo tricameratus vorstellt, unterteilt in den homo sensualis, rationalis und spiritualis.75 Die Ruhe bzw. Unruhe wird in jedem der drei Bereiche in jeweils einer doppelten Relation entfaltet, nämlich ab extra oder positive und ab intra oder privative. Ab extra bezieht sich die Ruhe bzw. Unruhe auf die Befriedigung oder Nichtbefriedigung bei der Beschäftigung mit den Objekten, denen der jeweilige Bereich zugeordnet ist, also mit den Sensualia, den geistigen Dingen und, beim homo spiritualis, Wort und Glaube. Ab intra entsteht die Ruhe aus der Befriedung des nächstübergeordneten Bereichs ab extra. Der homo sensualis kommt ab intra zur Ruhe, wenn die Geistesarbeit des homo rationalis gelingt, dieser wiederum wird ab intra nur befriedet, wenn der homo spiritualis seine Erfüllung in Wort und Glaube findet. Wie aber kann der homo spiritualis ab intra zur Ruhe kommen? Gibt es darüberhinaus noch einen Bereich, also einen Bereich jenseits von Wort und Glaube? Luther bejaht dies: »Ab intra vero quiescit, quando privative quiescit, seil, a fide et verbo sublatus in opus essenciale Dei, quod est ipsa nativitas Verbi increati, [...] i.e. processionem filii a patre. Et hic non est turbacio ab intra, quia hic septimus dies non habet vesperam, qua possit transire in alium diem.« 76 Luther kennt auch hier noch eine quies, die sich am verbum incarnatum vorbei unmittelbar auf das verbum increatum bezieht. Jedoch ist dies hier, wie schon in der Predigt von 1517, nicht mehr eine mystische Grenzerfahrung monastischer Kontemplation, sondern die rein eschatologische Gegebenheit des ewigen Sabbats, nicht mehr also eine diesseitige Möglichkeit, sondern eine jenseitige Gewißheit, »quando secundum Apostolum 1. ad Co.l5[,28] 'erit Deus omnia in omnibus'«. 77 Es steht also fest: In 73

Die genaue Datierung der Vorlesung ist umstritten; sie schwankt zwischen Sommersemester 1517 bis Wintersemester 1517/18 und Wintersemester 1517/18 bis Sommersemester 1518 (letzteres wird von BAYER, Promissio, S. 203-205 vertreten, vgl. BRECHT, Martin Luther, Bd. 1, S. 130). Da die genaue Terminierung des reformatorischen Durchbruchs hier nicht interessiert, muß die Datierungsfrage nicht entschieden werden. 74 WA 57 III,158,15f. 75 Ebd. 158,18-160,2. Eine detaillierte Analyse dieser Stelle bietet JOEST, Ontotogie, S. 178-183; vgl. auch ZUR M Ü H L E N , Nos extra nos, S. 103, bes. Anm. 48 und S. 170. 76 WA 57 111,159,19-24. 77 Ebd. 158,16f. Auf den eschatologischen Bezug weist Luther mit diesem Pauluszitat schon vor dem anthropologischen Exkurs hin. Deshalb ist JOESTS Unsicher-

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diesem zeitlichen Leben ist die quies gebunden an das verbum incarnatum, d.h. an das Wort vom Kreuz; die quies ist hier nur in und durch dieses Wort und den Glauben zu erlangen 78 , nicht aber jenseits davon, nicht durch die Entleerung der Seele oder die Versenkung in den eigenen Seelengrund. Die innere Ruhe muß in der Unruhe dieses Lebens und in der Beunruhigung dieses Lebens durch das Wort vom Kreuz gesucht und gefunden werden. War die Klostermauer, die die vita contemplativa von der vita activa trennt, schon in den Randbemerkungen zu Tauler brüchig geworden, so ist sie hier und in der Predigt zu Mariae Himmelfahrt endgültig eingestürzt. Ahnlich breit wie in den 'Decem praecepta' legt Luther den geistliche Sabbat im 'Sermon von den guten Werken' 7 9 dar. Er geht im letzten Drittel der Auslegung auf den Sabbat ein 80 , wobei er zunächst 'Sabbat' mit Feier und Ruhe wiedergibt und dann die leibliche Ruhe von der geistlichen unterscheidet. Der leibliche Sabbat ist in seiner figurativen Funktion seit und mit Christus aufgehoben (Kol 2,16f), wird aber als Ruhetag noch gehalten, weil er den arbeitenden weltlichen Ständen den Besuch des Gottesdienstes und das Hören des Wortes ermöglicht. 81 Mit dieser Begründung bezieht Luther den leiblichen Sabbat unmittelbar auf den christlichen Feiertag. Um eine eigenständige, vom Sabbat unabhängige Begründung des Sonntags, etwa als Herrentag, bemüht er sich nicht; er stellt nur lapidar fest: »und der selb sabbat ist nu uns in den

heit in bezug auf das eschatologische Verständnis der quies ab intra des homo spiritualis nicht recht nachvollziehbar, obwohl er ja selbst diese Interpretation überzeugend darlegt (JOEST, Ontologie, S. 181f). ZUR MÜHLEN, NOS extra nos, S. 103, sieht hier dagegen »der mystischen Erfahrung noch eine gewisse Grenzmöglichkeit« eingeräumt, obwohl er selbst feststellt, daß sie »dort wirklich [wird], wo die Bedingtheit des Menschen durch die Zeit aufgehoben ist und das ewige Leben beginnt«; das eschatologische Vorzeichen dieser Grenzerfahrung sieht ZUR MÜHLEN deutlicher in DERS., Vernunftkritik, S. 86. 78 »Imo nihil in prophetis frequencius personat quam 'audi', 'audite', 'non audierunt', 'audire noluerunt'. Nec iniuria, quia sine fide impossibile est Deum nobiscum esse aut operari, cum ipse non nisi verbo operetur omnia.« (WA 57 111,142,26-143,3 - Scholion zu Hebr 3,7). Zum Zusammenhang von Passivität und Wort siehe JOEST, Ontologie, S. 219-228.291-294. 79 Er ist in den Monaten März bis Mai des Jahres 1520 entstanden. Ich zitiere nach dem Lottherschen Erstdruck, wiedergegeben in BoA 1,227-298; Luthers Autograph ist in WA 9,229-301 abgedruckt. 80 BoA 1,266,36-273,30. Die Abschnitte davor behandeln den Besuch des Gottesdiensts und das rechte Beten, wobei Luther nun wesentlich mehr Kritik an den Mißbräuchen (etwa der Stillmesse) übt als in den entsprechenden Abschnitten aus den 'Decem praecepta'. 81 Ebd. 266,38-267,30.

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sontag vorwandelt«.82 Uns interessiert hier aber der geistliche Sabbat, der »vil ein hohers werck [hat]/ wilchs begreifft die gantz natur des menschen.«83 Dazu müssen wir wieder weiter ausholen. Der 'Sermon' läßt sich als eine am Leitfaden der Zehn Gebote entfaltete Schilderung des in der Gewißheit des Glaubens geführten christlichen Lebens charakterisieren. Der Glaube macht die Werke gut, denn sie geschehen in der Gewißheit, daß sie Gott gefallen. 84 Alle guten Werke fließen daher aus dem Glauben, alle übrigen Gebote aus dem ersten. Luther setzt dabei eine Anthropologie voraus, die den Menschen an sich als ein unaufhörlich in Aktion befindliches Wesen sieht, und zwar im Handeln wie im Unterlassen. 85 Der Glaube verlegt die Instanz, die über das Handeln der Person urteilt, aus der handelnden Person selbst heraus und gewinnt so von außen, nämlich durch das äußere Wort als Evangelium, die Gewißheit des guten Handelns. Dies erst richtet das Handeln auf das Gute hin aus. Verkürzt kann dieser Vorgang als das Wirken Gottes im Menschen beschrieben werden, und auf den Begriff gebracht ist es der geistliche Sabbat: »Die geistliche feyr / die got in dissem [dritten] gebot furnehmlich meynet / ist / das wir nit allein / die erbeit unnd handtwerck lassen anstehen / sondern vil mehr / das wir allein got in uns wirckenn lassen / unnd wir nichts eygens wircken in allen unsern krefften.« 86 Das alleinige Wirken Gottes im Menschen ist im Grunde identisch mit dem Verzicht auf das eigene Wirken. Dies heißt nicht, daß der Mensch nichts tut, sondern daß er auf das eigenmächtige Handeln verzichtet, daß er also darauf verzichtet, selbst die Instanz zu sein, die sein Handeln bewertet. Der geistliche Sabbat des dritten Gebots ist die Entsprechung zum ersten Gebot im Blick auf den Menschen, denn der Externität des Urteils entspricht die Außerkraftsetzung des internen Urteils des Menschen. Dies ist gemeint, wenn die geistliche Feier von Luther als das alleinige Wirken Gottes und die Ruhe des eigenen Wirkens definiert wird. Diese Sabbatruhe ist keine Arbeitslosigkeit, kein Quietismus, sondern die Gewißheit des Handelns. Sie ist durchaus wieder mit Augustin eine 'quies conscientiae' zu nennen, jedoch rührt die Ruhe des Gewissens nicht aus der Feier der Sünden, sondern aus der Gewißheit der Sündenvergebung. Diese Gewißheit des Glaubens gründet in dem Promissio-Cha82

Ebd. 267,2f. Auf die Sabbat-Sonntag-Problematik wird später näher eingegangen werden, siehe unten Kap. 5 und 6. 83 Ebd. 266,37. 84 BoA 1,229,27-230,8. 85 »Dieweil dan menschlich wesen unnd natur / kein augenblick mag sein / on thun odder lassen / leiden odder flihen (dan das leben rüget nymmer / wie wir sehen) Wolan / ßo heb an [...] und übe sich selb / in allem leben / unnd wercken / zu allen tzeiten an dißem glaubenn / lerne stetiglich alles thun unnd lassen in solcher zuuorsicht [...]« (BoA 1,237,26-31). 86 BoA 1,267,31-34.

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rakter des äußeren Wortes, das nun als Gesetz und Evangelium klar unterschieden wird. 87 Es sind Nuancen, die den geistlichen Sabbat im 'Sermon von den guten Werken' von demjenigen der 'Decem praecepta' unterscheiden, Nuancen allerdings, die genau die feinen Differenzen zwischen Luthers Humilitas-Theologie des Jahres 1516 und der ausgereiften Theologie des Jahres 1520 markieren. Das grundlegende Motiv ist das gleiche: Der geistliche Sabbat bezeichnet die Ruhe des Menschen von seinem eigenmächtigen Wirken zugunsten des alleinigen Wirkens Gottes in ihm und ist damit eine Chiffre für das christliche Leben. 1516 liegt der Akzent aber auf der Destruktion des Menschen, auf seiner 'Passivierung'; er muß zubereitet werden wie ein Stück roher Materie, denn sein Gut-Sein besteht in seiner Passivität. »Non enim operando, sed patiendo boni sumus«.88 Gesetz und Evangelium sind noch nicht als klar unterschiedene Kategorien des Wortes Gottes hervorgetreten. Das Wort Gottes wirkt noch in sich dialektisch Gericht und Heil in einem, nämlich als iudicium über den Menschen intra se und gerade dadurch als Zuteilung der iustitia aliena extra se. Indem der Mensch dem vernichtenden Urteil über sich coram Deo glaubt und es in der Buße realisiert, glaubt er dem Wort Gottes und ist ihm gehorsam. Gerade darin liegt sein Heil. Der Sabbat bezeichnet das Leitbild oder Ideal des Lebens als Buße; die permanente annihilatio sui in der Realisierung des Urteils Gottes führt zu einer Haltung innerlicher Selbstgelassenheit und äußerlicher Weltgelassenheit.89 1520 dagegen liegt der Akzent auf dem Glauben. Der Glaube begründet das Gut-Sein des Menschen, weil er sich an den Zuspruch des Evangeliums als Vergebung der Sünden hält und so das eschatologische, positive Urteil über das Handeln des Menschen antizipiert. In der Humilitas-Theologie nimmt der Glaube das Vertrauen auf alles Eigene 90 , 1520 schenkt der Glaube durch das Evangelium das Vertrauen, ja die Gewißheit des externen Heils und richtet durch das Gesetz das Eigene des Menschen. 91 Die 'Passivierung' des Men87

Darin liegt die entscheidende Entwicklung, die BAYER, Promissio, passim, für das Jahr 1518 herausgearbeitet hat und die nach ihm die reformatorische Wende markiert. 88 WA 1,437,21. 89 Über den 6. Bußpsalm (Ps 130) sagt Luther 1517 in seiner Auslegung der sieben Bußpsalmen: »darumb ist ynn dißem cleynen psalm das gantz leben, werck unnd wandeil des ynnewendigen menschen gar meysterlich beschriben, das es nit anders sey dan ein vorlaßen yn gott und gantz gottis willen gelaßen steen.« (WA 1,210,1013). 90 »Fides Christi tollit omnem fiduciam sapientiae, iusticiae, virtutis proprie« (WA l,399,29f - 'Decem praecepta' zum 1. Gebot). 91 Der Glaube »tzweiffelt nit / sein sund sey schon dohin [...] Ja disse zuuorsicht

und glauben / muß also hoch und starck sein, das der mensch wisse / das alle sein leben und wircken eitel vordamplich sund sein für gottis gericht [...] Und muß an

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sehen, die Außerkraftsetzung seines eigenmächtigen Wirkens, basiert also nicht mehr auf dem Urteil Gottes über ihn intra se, sondern auf der Gewißheit des Heils in der Antizipation des eschatologischen Urteils durch den Glauben. Der 'Sermon von den guten Werken' steht ausschließlich im Erfahrungshorizont des »normalen« Lebens, das Mühe und Arbeit ist. Luther stellt die Frage nach den guten Werken in der Perspektive der vita laboriosa. 92 Daher meidet er bei den Ausführungen zum geistlichen Sabbat Anklänge einer monastischen Mystik. Der Blick ist ganz auf die Wirksamkeit Gottes im Alltagsleben außerhalb der Klostermauern gerichtet. Aber auch dieses Leben ist freilich nicht der Notwendigkeit der mortificatio carnis enthoben. Luther widmet ihr im 'Sermon' sogar erheblich mehr Aufmerksamkeit als in den 'Decem praeeepta'. Der Widerstreit zwischen Fleisch und Geist ist keineswegs ein spezifisch klösterliches Problem, er ist die Last jedes Christenlebens. Im Glauben an die Sündenvergebung hat zwar die Sünde keine Macht mehr über das Ansehen der Person bei Gott, gleichwohl ist sie immer noch wirksam im Fleisch, in der Welt und im Geist. 93 Zwar weiß sich der neue Mensch des Glaubens vor Gott ohne Sünde, im alten Adam wirkt aber die Sünde noch gegen das Wirken Gottes. 94 Die Tötung des alten Adam erfolgt einmal durch den Menschen selbst in der Übung der guten Werke, das Fleisch zu töten. Luther faßt sie zumeist in die Trias 'fasten, wachen, arbeiten' 95 ; allem voran steht das Gebet. 96 Sodann geschieht die mortificatio auch durch »die andere ubung / die uns ubirfellet von andern«97, von Menschen, vom Teufel und letztlich auch von Gott. Solche Anfechtungen, wie Krankheit, Schmach, Leid und gar der Tod, stärken als Gottes opus alienum den Glauben. 98 Luther unterstreicht in

seinen wercken ßo vortzweiffelen / das sie nit gut sein mugenn / dan durch dißen glauben / der sich keiniß gerichts / sondern lauterer gnad / gunst / huld und barmhertzickeit vorsieht.« (BoA 1,240,19-31; Hervorhebung von mir, J.K.). 92 BoA 1,230,9-33. 93 BoA l,249,38f. 94 »Des menschen hertz und syn / stehn altzeit zu dem bösen [...] In allem was er thut und lessit / suchet er mehr seinen nutz / willen unnd ehr / dan gottis und seines nehsten. [...] Sol nu got / in yhm wircken und leben / so müssen alle disse laster und boßheit / erwürgt und außgerattet werden / das hie ein rüge und auffhoren gescheh aller unser werck / wort / gedancken unnd lebenn / das hynfurt (wie Paulus Gal.i.sagt [sc. Gal 2,20]) nit wir / sonder Christus in uns lebe / wirck und rede. Das geschieht nu nit mit süssen guten tagen / sondern hie muß man der natur weh thun / unnd weh thun lassenn. Hie hebt sich der streyt / zwischen dem geist und dem fleisch« (BoA 1,267,37-268,8); vgl. ebd. 271,6-14 sowie den entsprechenden Passus in der Freiheitsschrift (BoA 2,20,3-23). 95 BoA 1,268,12; 269,5; BoA 2,20,9 (Freiheitsschrift). 96 BoA 1,268,22-269,2. 97 Ebd. 271,3. 98 Ebd. 271,3-29; 272,31-34.

Der geistliche Sabbat

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diesem Zusammenhang das Heiligen des Feiertags, von dem im dritten Gebot die Rede ist. »Disse werck achtet er [sc. Gott] ßo groß / das er den feyrtag nit allein gebeut zuhalten / sondern auch heiligen odder heilig achten / damit ehr antzeigt / das nit kostlicher ding sey / dan leyden / sterben und allerley ungluck / dan sie sein heylig thum / und heiligen den menschen von seinen wercken zu gottis wercken«. 99 Für die Leidenden, die »yhrer werck mussig und tod sein«, ist der geistliche Sabbat »ein bitter feyrtag«. 100 Im Kontext der mortificatio durch die äußere Anfechtung greift Luther auch auf die alte Auslegungstradition von der Grabesruhe Christi am Sabbat als »ein krefftig / starck exempel« zurück. Weil die Tötung des alten Adam erst im leiblichen Tod vollendet wird, hat Christus in der Grabesruhe den geistlichen Sabbat und das dritte Gebot als erster erfüllt. 101 Die Grabesruhe Christi ist das Urbild des geistlichen Sabbats. Die Nähe zur Tauflehre, wie sie Luther 1519 im Taufsermon vorgetragen hat, sticht in die Augen. 102 Die Taufe ist das sakramentale Zeichen der im Glauben erfaßten Zusage der Sündenvergebung. Die vor Gott vergebenen Sünden wirken aber noch im Fleisch und müssen daher im christlichen Leben täglich ersäuft werden. Vollständig gelingt das erst im leiblichen Tod. Die Beschreibung des christlichen Lebens als eines geistlichen Sabbats, in dem der Mensch durch mortifikatorische Übungen das Eigene stillzulegen sucht, ist im Grunde die gleiche wie die Beschreibung des christlichen Lebens als eines täglichen Rückgangs ins Taufbad, in den der Mensch durch mortifikatorische Übungen die Sünde zu ersäufen sucht. Indem Luther den Promissiocharakter des Evangeliums in seiner eschatologischen Relation profiliert, wird seine Theologie von dem Druck entlastet, die Heilsdimension des Glaubens unmittelbar im Erfahrungshorizont dieses zeitlichen und irdischen Lebens aufzuweisen. Dadurch gewinnt Luther einen theologischen Zugang zur Profanität des Alltaglebens. Die Glaubenserfahrung ist nicht mehr auf das Leitbild eines perfektionistischen Frömmigkeitsideals ausgerichtet. Das Ideal des homo spiritualis, der in totaler Passivität unmittelbar 99

Ebd. 271,30-34. Ebd. 271,41f. 101 »Daran nit gnug / hat er [Gott] ein krefftig / starck exempel dartzu geben / seinen einigen lieben sunn Jesum Christum unsern hern / der hat am sabbat den gantzenn feyrtag gelegen ledig aller seiner werck / und der erst dises gebot erfüllet / wie wol an [ohne] nod für yhn selbs / allein uns zu trost / das wir auch in allen leyden und sterben stil sollen sein und frid haben / angesehen / das wie Christus nach seiner rüge unnd feyer aufferweckt / nu fort mehr allein in got / und got in ym lebt. Alßo wir auch / durch todtung unsers Adam wilchs volkomlich nit geschieht / dan durch der natur todt / und begrabenn / werden wir erhaben in got / das got in uns leb unnd wirck ewiglich.« (Ebd. 272,4-13). 102 Vgl. BoA 1,185-195 passim. 100

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zu Gott lebt, ist für dieses zeitliche Leben als Utopie entlarvt, weil es für das ewige Leben, in dem der alte Adam endgültig zu Grabe getragen wurde, als Realität und Gewißheit gewonnen wurde. Sobald die auf jedes Wirken schlechthin verzichtende Ruhe als Maßstab für das gottgefällige Leben als Sabbat dahinfällt, erübrigt sich auch die Unterscheidung zwischen den Vollkommenen und den noch Unvollkommenen. 103 Der Blick öffnet sich für die Glaubenserfahrung unter den Bedingungen der vita laboriosa. Der geistliche Sabbat bedeutet dann keine absolute Ruhe, die nach dem Schema des homo sensualis, rationalis und spiritualis auch die leibliche und geistige Tätigkeit quiesziert; es geht ihm vielmehr um die Bedingungen der Ruhe in der vita laboriosa, die aber nur die Ruhe des Gewissens sein kann, d.h. die Ruhe in der Gewißheit, daß im menschlichen Wirken Gott wirkt, mithin die Entlastung vom Rechtfertigungsdruck des eigenen Handelns. In diesem Kontext ist der geistliche Sabbat eine Chiffre für das Handeln des Menschen, dessen Freiheit in der Gewißheit der Sündenvergebung gründet. Der geistliche Sabbat gehört also nicht mehr wie in der Humilitas-Theologie auf die Seite des Gesetzes, die Ruhe von allem Eigenen wirkt nicht mehr primär als Gericht. Vielmehr gehört er nun auf die Seite des Evangeliums. Gott wirkt im Menschen durch das Wort den Glauben, der seinerseits das Ruhen der eigenen Werke durch die mortificatio carnis erst ermöglicht. Mithin ist der geistliche Sabbat nun eine Übung des Glaubens und nicht mehr dessen Kriterium. Am Ende der Auslegung des dritten Gebots beschreibt Luther im Sermon die Bewegung des Glaubens durch die ersten drei Gebote und wieder zurück »wie ein hubscher guldener rinck«, als Übung und Erprobung. 104 Der Glaube entfaltet sich im Gefälle vom ersten zum dritten Gebot in seinen guten Werken: Vertrauen zu Gott, Bekenntnis und Gottesdienst. Die Erprobung des

103 i n d e n 'Decem praecepta' begründet Luther den äußeren Sabbat oder Feiertag mit der Notwendigkeit mortifikatorischer Übungen für die »infirmis, qui nondum sunt mortificati secundum veterem hominem« (WA l,437,2f). Dabei ist hier noch der Gerechte, dem die mortificatio in diesem Leben schon gelingt, ein durchaus realistisches Leitbild. Erst im Zuge der Tauftheologie formuliert Luther 1519 vor dem Hintergrund des Promissiocharakters des Evangeliums die Einsicht, daß der alte Adam erst mit dem leiblichen Tod ganz abstirbt. Zwar ist auch im 'Sermon von den guten Werken' der Feiertag »umb der unvolkommenden leyen / und erbeit leuten willen« (BoA 1,267,21) nötig, doch gerade nicht in seiner mortifikatorischen Funktion (in dieser Hinsicht gibt es keine Unterschied mehr zwischen Vollkommenen und Unvollkommenen), sondern eben rein äußerlich als Ermöglichung des Gottesdienstbesuchs; den unvollkommenen Laien stehen nicht die Vollkommenen gegenüber, sondern die Geistlichen, deren tägliche Arbeit der Umgang mit dem Wort ist. (Ebd. 267,22-30). 104

BoA 1,272,19-273,11 (Zitat: 272,23).

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Der geistliche Sabbat

Glaubens setzt beim dritten Gebot an, genauer: bei der geistlichen Feier. 105 In den Geschicken des Alltaglebens wird Gottes Wirken erfahrbar, weil sich der Mensch als passiv und ausgeliefert empfindet. Die geistliche Feier als Ausdruck dieser Passivität ist die Probe des Glaubens, sie treibt den Menschen durchs zweite Gebot wieder ins erste und stärkt so den Glauben. Die Akzentverschiebung bei der geistlichen Sabbatdeutung zeigt schön, daß Luther erst dort zu einer eigentlich reformatorischen Frömmigkeits- und Lebensgestalt durchdringen konnte, wo er die mystischen Interpretamente mit ihrem monastischen Erfahrungsbezug, die ihm zur Kritik der scholastischen Theologie geholfen haben, wieder zurückdrängt. Nirgends wird dies greifbarer als in der Überarbeitung der oben schon behandelten 'Kurzen Erklärung der zehn Gebote' von 1518. 106 Im Frühjahr 1520 publiziert er dieses Stück erneut zusammen mit einer Auslegung des Credos und des Vaterunsers 107 , wobei die Dekalogerklärung kleine, jedoch charakteristische Änderungen aufweist. Den ersten Durchgang durch die Gebote, der ihrer grundlegenden Deutung gewidmet ist, hat Luther 1520 ganz neu gestaltet; die Deutung des Dekalogs ist nun strikt in das Schema gefaßt, nach welchem die erste Tafel das Verhältnis des Menschen zu Gott und die zweite Tafel das Verhältnis zum Mitmenschen regelt; die ersten drei Gebote folgen zusätzlich dem Schema Herz-Wort-Werk. Beim dritten Gebot fallt der Blick auf die Werke. 108 Der Skopus von 1518, die leere und wartende Seele, fällt ganz weg. Den dritten Durchgang, der die Erfüllung der Gebote behandelt, hat Luther 1520 noch unverändert übernommen, allerdings zu jedem Gebot in einem Zusatz die guten Werke nochmals eigens aufgeführt und damit der alten Fassung ein Extrakt dessen mitgegeben, was er zur gleichen Zeit im 'Sermon von den guten Werken' erarbeitet hat. Das Extrakt zum dritten Gebot zielt auf das Wirken Gottes im Handeln des Menschen und auf das Korrelat in den Werken

105 »Wan nu der bosse geist / solchen glaubenn / gottis ehr / unnd gottis dienst / gewar wirt / so tobet er / und hebt an die vorfolgung / greifft an leyb / gut / ehre / und leben / treibet auff uns kranckheit / armut / schände und sterben / das got alßo vorhengt und vorordenet. Sich da hebt sich das ander werck / oder die ander feyr des dritten gebotis / da durch wirt der glaub fast hoch vorsucht / wie das golt ym fewr«. (Ebd. 272,31-36). 106 Vgl. oben S. 27f. 107 BoA 2,38-59: 'Eine kurze Form der zehn Gebote, eine kurze Form des Glaubens, eine kurze Form des Vaterunsers'. 108 »Das dritt gepott leret / wie sich der mensch halten soll gegen gott / eußerlich yn wercken / das ist / in gottis diensten.« (BoA 2,40,llf).

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der mortificatio. 109 1522 wurde dann der in der 'Kurzen Form' noch unverändert gebliebene Passus für die Aufnahme des Stücks ins Betbüchlein geringfügig aber sehr bezeichnend variiert. Zwar bietet das Betbüchlein immer noch die am stärksten mystisch klingende Formulierung für die annihilatio sui; das Sabbatgebot »foddert eyn geyst arme seel, die so yhres nitt seyn vor gott opffert«. 110 Jedoch hat Luther nun den vorausgehenden Satz neu formuliert. Statt: »Sich zu gott bereyten / und gnade suchen / das geschieht / mit beeten / Meß und Euangelij hören / und Christi leyden bedencken / und alßo geystlich zum sacrament geen«111 lesen wir nun: »Sich got ergeben, das alle unßer werck er alleyne thue ynn uns«. 112 Kaum deutlicher kommt die Korrektur in Luthers geistlicher Sabbatdeutung zum Vorschein, als in dieser fast unscheinbaren Redaktion. Der geistliche Sabbat wird dann gefeiert, wenn die Seele die Werke des Menschen nicht ihrem eigenen, sondern dem Wirken Gottes zuschreibt. Der geistliche Sabbat bezeichnet damit das Leben im Glauben schlechthin, während er zuvor mehr für das Leben in der Buße als einer Bereitung zum Heil, als einer Suche nach der Gnade stand. Das im 'Sermon' wichtige Moment der Anfechtung von außen, die den Drang zum eigenen Wirken dämpfen soll, fügt Luther 1520 bei den Übertretungen des dritten Gebots ein: »Wer nit gelassen stett / yn allen seynen wercken / und leyden / das gott mit ym mache wie er wil«. 113 Das Motiv des 'Gott in sich wirken lassen' ersetzt also 1520 entweder die mystischen Anklänge im Bild von der leeren und feiernden Seele, oder es steht diesem mindestens zur Seite und sichert es gegen ein falsches Verständnis ab. Wie im 'Sermon von den guten Werken' legt Luther das dritte Gebot in einer Predigt vom 27. Februar 1523 aus. 114 Er unterscheidet die leibliche von der geistlichen Feier. Obwohl für den Christen in Erfüllung von Jes 66,23 der Unterschied der Tage aufgehoben ist, erfordert die Arbeitsruhe und die Möglichkeit, das Wort zu hören, den Feiertag. Den geistlichen Sabbat als Ruhe von den eigenen Werken bezieht Luther auch hier auf das Vorbild der sabbat-

109 »Da gehört her / alles was von Gottis dienst / predigt hören / und gutten wercken den leyb unter den geyst zu werffen befolen ist / das alle unser werck gottis seyn und nit unßer.« (BoA 2,46,1-4). 110 WA 10 11,386,17; vgl. oben S. 28. 111 BoA 2,45,32-34 (Kurze Form, 1520), entspricht WA 1,254,24-26 (Kurze Erklärung, 1518). 112 WA 10 11,386,16. 113 BoA 2,43,24-26; die erste Fassung von 1518 hat dies noch nicht (vgl. WA 1,252,25-30). 114 WA 11,38,4-39,30 (in einer Nachschrift Rörers).

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Der geistliche Sabbat

liehen Grabesruhe Christi und begreift so den Sabbat als ein Sterben des alten Adam mit seinen eigenen Werken. 1 1 5 Das kürzere der beiden Dekaloglieder Luthers - sie dürften erst 1524 entstanden sein 116 - konzentriert das dritte Gebot ganz auf den geistlichen Sabbat: »Du sollt heyigen den Sabbath tag, das ich ynn dyr wircken mag.« 117 Hier zeigt sich, daß noch 1524 die geistliche Feier der wichtigste Skopus des dritten Gebots ist. Allerdings wirft Luther in diesem Lied den Skopus schroff und unvermittelt in den Raum. Einleuchtender bietet ihn das längere Dekaloglied, indem es zunächst die Arbeitsruhe erwähnt. Die geistliche Deutung knüpft mit der inneren Ruhe von den eigenen Werken an die äußere Ruhe an, um dann erst das entscheidende Moment des Wirken Gottes entgegenzuhalten: »Du solt heiigen den sybend tag, das du und dein hauß rügen mag; du soltt von deim thun lassen ab, das Gott seyn werck ynn dir hab.« 118 Daß die Chiffre des Sabbat in der Tat ins Zentrum von Luthers Theologie trifft, wird vollends durch die Beobachtung bestätigt, daß sie sich bisweilen gar aus dem Kontext der Zehn Gebote lösen kann, daß dieser Sabbat mithin auch als ganz eigenständiges Motiv Luther am Herzen liegt. Im kleinen Galaterkommentar von 1519 wendet er zu Gal 3,2-5 die Fragen des Paulus an die Galater gegen die Verdienstlehre der Schultheologie, indem er die absolute Passivität der 'fides ex auditu' unterstreicht. Selbst das Hören wird erlitten und ist kein Akt des Menschen: »Potentissime ergo Paulus hic confodit opera legis, tum etiam nostrorum Theologorum somnia, qui meritum congrui invenerunt ad gratiam obtinendam. Verum Apostolus dicit 'non operibus, sed auditu verbi', hoc est, si patiaris verbum, quiescas tu et sabbatum domini a tuis operibus ferieris, ut audias quid loquatur in te dominus deus tuus.« 119 Das Hören des Wortes wird nicht bloß den Werken des Gesetzes gegenübergestellt, sondern für sich bereits als 'non-opus' qualifiziert; es ist selbst die

115 »Hoc sabbatum quando quiesco ab operibus, et hoc diligit deus, quando non cogito, non loquor, et mortuus, et has ferias vult deus in praeeepto. Et has ineepit Christus, quando multiplices iuvit etc. sepultus et mortuus etc. Si verus Christianus facit ut Christus in se, quid faciebat? nihil, sed iacebat in gratia dei, cum quo potuit agere sicut voluit. Ita Christianus get mussig al operum suorum, sed omnia in deum reiieit et petit, ut moriatur cum suis operibus.« (WA 11,39,13-19). 116 vgl. WA 35,140f; JENNY, Lieder, S. 55. 117 JENNY, Lieder, S. 227 ('Mensch willst du leben seliglich', Str.3). 118 JENNY, Lieder, S. 1 5 1 ('Dies sind die heiigen zehn Gebot', Str.4). WA 2,509,8-12.

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'Passivierung' des Hörenden, seine Ruhe und sein Sabbat. 1 2 0 Die studentische Nachschrift aus der Galaterbrief-Vorlesung von 1516 verzeichnet zur entsprechenden Stelle das Sabbatmotiv nicht. 1 2 1 Luther hat es also wahrscheinlich erst 1519 für die Veröffentlichung in den Kommentar eingefügt. Im gleichen Jahr bezieht Luther auch den Schöpfungssabbat aus Gen 2, lf in der Predigtreihe über die Genesis ohne Umschweife auf den geistlichen Sabbat, den er als Seelenruhe gegenüber den Widerfahrnissen des Lebens, gegenüber den äußeren Anfechtungen, beschreibt: »Et 7° dicit, deum requievisse ab omni opere, quod patrarat. Quae omnia facta sunt, ut commendaretur nobis sabbathum, idest animorum quies, ut susque deque feramus quicquid acciderit nobis, ex solo deo pendentes, nihil nostris aut viribus aut consiliis confisi. Porro universa hominum vita et universus Christianismus est aliud nihil quam sabbatum.« 1 2 2 In der Osterpredigt des Jahres 1521 1 2 3 deutet Luther das Ostergeschehen als Beginn der christlichen Freiheit, die in einem freien Gewissen gründet. 1 2 4 Dieser Skopus mündet in Ausführungen über den geistlichen Sabbat ein, die das Thema der christlichen Freiheit mit der Osterbotschaft von Tod und Auferstehung verbinden. »Es muessen die zcwey bey einander stehen: Aufferstheung [sie!] und Sabbatum.« 125 Christi Tod ist die Erfüllung des Gesetzes und damit die Befreiung vom Zwang des Gesetzes. Von diesem Erlösungswerk ruht Christus am Sabbat und an Ostern 1 2 6 und zeigt damit an, daß das christliche Leben auf der Ruhe von den Gesetzeswerken - Luther identifiziert diese mit dem eigenen Wirken des Menschen - basiert 1 2 7 , also wesentlich in der Freiheit des christlichen Handelns besteht. »Es ist alle werck und arbeyt frey. Man soll mussig gehen und sabbat halten. Der Sabbath ist das gantz Christlich leben, das es sein eygen werck nicht wurcke.« 1 2 8 Luther beteuert, den geistlichen Sabbat oft gepredigt zu haben, denn dies Stück müsse ein

120 Ygi hierzu die grundlegenden Ausführungen bei JOEST, Ontologie, S. 291310, bes. S. 293f. 121

Vgl. WA 57 11,77,1-16. WA 9,331,12-17. 123 WA 9,662,1-665,27 (aus Polianders Sammlung). 124 Ebd. 662,6-11. 125 Ebd. 663,20f. 126 »Er ist im Grab gelegen am rechten Ostertag, ist eben kumen, das er sein ruen hat gethan im grab zcugleych auff den Sabath und auff den Ostertag. Do horten all seine werck auff, hat nuen das geseezt erfüllet mit seinem eygenen Leybe.« (Ebd. 663,21-24). 127 »Aber er hat uns wollen doch füren, das wir auch ruhen sollen. Er hat durch sein tott wollen würgen unser eygene werck, sunderlich die wir thun auß zewang des gesetzes, das die hinweg nehmen.« (Ebd. 663,26-28). 128 Ebd. 663,37-664,1 (Hervorhebung von mir, J.K.). 122

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Der geistliche Sabbat

Christ kennen. 1 2 9 Diese Predigt belegt, daß Luther im Sabbat eine vorbildliche Chiffre für die Freiheit des christlichen Lebens gefunden hat. 1 3 0

1.3. Zusammenfassung

Wir haben die spirituelle Deutung des Sabbats in der Humilitas-Theologie des frühen Luthers und im Kontext der ersten reformatorischen Blüte untersucht und dabei eine charakteristische Entwicklung feststellen können. Die Abkehr von der Erfurter Schultheologie hat Luther mit einer HumilitasTheologie vollzogen, die entscheidende Impulse von der Mystik aufgenommen hat, um die Radikalisierung der göttlichen Gnade und der menschlichen Sünde im Erfahrungshorizont monastischer Frömmigkeit zu artikulieren. In diesem Zusammenhang taucht das Motiv des geistlichen Sabbats auf, dessen Leitbild eine absolute, geistliche Ruhe ist, in der sowohl die geistige wie die leibliche Tätigkeit ausgesetzt wird. Dieses an der vita contemplativa orientierte Ideal steht aber unter dem Vorbehalt einer an der Priorität des inkarnierten Wortes orientierten Kreuzestheologie. Luther konnte die Hinwendung zu einem der Kreuzestheologie adäquaten Frömmigkeitsideal erst nachholen und den Bannkreis monastischer Erfahrung verlassen, nachdem sich ihm ein positiver Blick auf den Bereich menschlichen Handelns eröffnet hatte. Verhinderte im Rahmen der Humilitas-Theologie das Handeln als solches das Heilswirken Gottes, und konnte daher Gott nur dort einen Zugang zum Menschen finden, wo überhaupt jegliches Handeln ruht, so ließ erst die deutliche Unterscheidung von 129 »Sabbatum ist ein feyrtag, do der mensch feyern soll, still sein und mussig gehen von seinen wercken. Das hab ich offt predigt, und das sollen all Christen wissen, aber izcund wissen sie alls vil darvon, als die gans vom Psalter.« (Ebd. 663,14-17). 130 Die Vorlesung über das Deuteronomium, die Luther 1523 im Kloster hielt, beschränkt sich in der Auslegung zu Dtn 5,12 ganz auf die geistliche Deutung: »Ideo sie dixit, ut praeeeptum hoc intelligeretur spiritualiter, nobis cessandum esse ab operibus nostris. Tria praeeepta occidunt radicem veteris Adae. [...] Occisio veteris hominis est, ut quiescat et deus in nobis omnia operetur.« (WA 14,604,30-605,5). - In der Schrift gegen die Privatmesse karikiert Luther die Deutung der Gebote durch die Scholastik; auch hier gibt er nur die geistliche Deutung des Sabbatgebots: »Die hohen schulen sprechen und lernen: Du sollt sagen, gott ist antzubetten, aber du sollt dyr selbst deyn gott seyn! Du sollt sagen, seynen namen soll man heyligen, aber erhebe du dyr selbst deyn namen! Du sollt sagen, man soll feyren und gott still halden, aber wirck du alles selbst und laß nit gott ynn dyr wyreken!« (WA 8,552,26-30 Vom Mißbrauch der Messe, 1521; vgl. ebd. 468,19-23 - De abroganda missa privta).

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Gesetz und Evangelium die Kriterien für das gute menschliche Handeln entdecken. Das Evangelium als Zuspruch der Sündenvergebung konstituiert das Gut-Sein der Person unabhängig von ihren Werken. Durch die Vergewisserung des externen Heils, das der Glaube ergreift, wird dem Handeln des Menschen ein Freiraum gewährt. Gottes Wirken steht nicht mehr schlechthin gegen menschliches Wirken, sondern nur gegen dasjenige Wirken des Menschen, das sich selbst als Maßstab des Heils setzt. Kriterium des Handelns ist der aufs Evangelium bezogene Glaube, durch den Gott im Menschen wirkt. Indem der geistliche Sabbat ein Sinnbild für dieses Wirken Gottes im Menschen durch Wort und Glaube ist, markiert er präzise den Ansatz einer reformatorischen Ethik im Werk des Glaubens, d.h. in dessen Wirken. Die Stillegung des Eigenen des Menschen ist nun nicht mehr eine durch das Gerichtsurteil Gottes in Gang gebrachte Bereitung zum Heil, sondern eine durch das Evangelium ermöglichte Konsequenz des Glaubens. Die Betonung liegt jetzt nicht mehr darauf, daß der Glaube von allem Eigenen des Menschen ruht, sondern daß der Glaube Gott in sich wirken läßt. Der geistliche Sabbat wechselt gleichsam seinen Ort vom Gesetz zum Evangelium. Damit ist deutlich, daß der geistliche Sabbat eine Chiffre für die im Glauben entworfene Existenz gerade in ihren Alltagsbezügen und ihrer Welthaftigkeit darstellt.

2. Der geistliche Sabbat in der Theologie Karlstadts Müßiggang ist aller Heiligung Anfang!

Wie kein anderer Theologe der Reformationszeit hat Andreas Bodenstein von Karlstadt das Motiv des Sabbats in der spirituellen Deutung aufgegriffen und zu einem Hauptthema seiner späteren, nach dem Bruch mit Luther stark mystisch gefärbten Theologie ausgebaut. Dies erhellt schon allein daraus, daß Karlstadt dem Sabbat einen eigenständigen Traktat gewidmet hat. 1 Der geitliche Sabbat taucht bei ihm also nicht aus gegebenem Anlaß auf, etwa im Rahmen einer Auslegung des Dekalogs oder sonstiger Schriftstellen, die den Sabbat nennen, sei es auf der Kanzel, sei es auf dem Katheder. Auch ist Karlstadts Sabbat-Traktat weder eine Gelegenheitsschrift noch ein Auftragswerk. Es gibt keinerlei Hinweise, die die Schlußfolgerung erlauben, in Orlamünde oder sonstwo sei etwa die Heiligung des Sonntags aufgehoben oder mindestens aufgeweicht worden. Und wo Karlstadt in der Sabbatschrift auf die rechte Feier des Ruhetags eingeht, halten sich seine Ausführungen ganz im Rahmen einer allgemeinen Kritik2, wie sie sich auch in den Auslegungen zum dritten Gebot von Luther und anderen finden. Es wäre jedenfalls ganz verfehlt, das Motiv für die Abfassung dieser Schrift darin sehen zu wollen, daß Bodenstein an einer verkommenen Sonntagsheiligung Anstoß genommen habe. 3 Das ist signifikant, weil für viele Flugschriften der Reformationszeit ein äußerer Anlaß genannt werden kann 4 oder, wo dies nicht der Fall ist, dann doch zumindest das Thema die Zeitgenossen beschäftigte. Wenn beides auf Karlstadts Sabbatschrift nicht zutrifft, dann muß es seine eigene Idee gewesen sein, sich mit dem Sabbat zu befassen. Das heißt aber nichts anderes, als daß der

1

'Von dem Sabbat und gebotten feyertagen', 1524. (FREYS / BARGE, Verz. Nr. 115-118; ZORZIN, Karlstadt, S. 100 u. ebd. Anhang, Verz. Nr. 60); Nachdruck in der von HERTZSCH, KS 1,21-47 besorgten Ausgabe (danach wird hier zitiert) und durch STUPPERICH, Karlstadts Sabbat-Traktat von 1524, S. 350-368. 2 Siehe dazu unten S. 72-74. 3

Dies bedenkt MÜLLER, Sabbat, S. 101, nicht, wenn er mit Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Sabbat-Traktats meint, diesem ginge es hauptsächlich um »eine praktische Belehrung für das allgemeine Volk« in der Sabbat- und Feiertagsfrage. 4 Die Frage nach den verschiedenen Ursachen, die Karlstadt zu der Publikation seiner Flugschriften veranlassen, hat ZORZIN in seiner aufschlußreichen, publizistischen Studie zu Karlstadt nicht aufgeworfen.

Der geistliche Sabbat bei Karlstadt

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Sabbat ein konstitutives Element im Gefüge seiner Theologie ist. Es muß also geradezu die Notwendigkeit des Sabbats in diesem Gefüge erwiesen werden. Die Darlegungen zum Sabbat erwecken unmittelbar den Eindruck, dort weiterdenken zu wollen, wo die am stärksten mystisch gefärbten Traktate von 15235 angesetzt haben. Der Sabbat nimmt das zentrale Motiv der Gelassenheit auf. Aus diesen einleitenden Beobachtungen erhellt, daß ein längerer Anlauf genommen werden muß, ehe wir zur Analyse der Sabbatschrift gelangen. Da Karlstadts Theologie überdies bisher viel weniger untersucht worden ist als diejenige Luthers, kann hier nicht in dem Maße auf allgemein bekannte Zusammenhänge zurückgegriffen werden wie im vorherigen Kapitel. 6 Als erstes soll der Ansatz und die Konzeption der 'Orlamünder Theologie' 7 entfaltet 5

'Von manigfeltigkeit des eynfeltigen eynigen willen gottes. was sundt sey.' Verz. Nr. 102, weitere Auflage ebd. Nr. 103; vgl. ZORZIN, Karlstadt, S. 100 u. ebd. Anhang, Verz. Nr. 53); im folgenden: 'Von manigfeltigkeit'.'Was gesagt ist: Sich gelassen. Unnd was das wort gelassenhait gedeüt / und wa es in hayliger schryfft begryffen'(FREYS / BARGE, Nr. 104 weitere Auflage ebd. Nr. 105; vgl. ZORZIN, Karlstadt, S. 100 u. ebd. Anhang, Verz. Nr. 54); im folgenden: 'Sich gelassen'. 6 Als erster suchte HERMANN BARGE in seiner engagierten Biographie von den Verdikten Luthers freizukommen und Karlstadt als eigenständigen Theologen zu würdigen; die dadurch entfachte Diskussion über die größere reformatorische Genialität Karlstadts Luther gegenüber sowie über seine Originalität als »Vorkämpfer des laienchristlichen Puritanismus« (so programmatisch das Motto des 2. Bandes) wurde zum einen durch die Auffindung von Luthers Römerbriefvorlesung, die BARGE noch unbekannt war, sowie durch das ausgewogene Urteil über Karlstadts Bedeutung von ERICH HERTZSCH und zum andern durch ERNST KÄHLERS Edition und Analyse von Karlstadts Vorlesung über Augustins 'De spiritu et litera', für die sich BARGE kaum interessierte, zu einem relativen Abschluß geführt. Danach stand fest, daß Luther als der größere reformatorische 'Entdecker' zu gelten hat (HERTZSCH, Bedeutung, S. 46), daß sich Karlstadts Originalität lediglich auf die spezifische Ausbildung seiner Theologie nach dem Bruch mit Luther beziehen kann (HERTZSCH, ebd. S. 1 und S. 18) und daß der Einfluß Augustins auch auf diese spätere Theologie maßgeblich ist (KÄHLER, Karlstadt und Augustin, S. 2*f). 1965 hat FRIEDEL KRIECHBAUM eine Darstellung von Karlstadts Theologie vorgelegt, die sich weniger für die Faktoren interessiert, die diese beeinflußt haben könnten; vielmehr strebt sie eine systematische Gesamtschau an, die zwar im einzelnen durchaus wertvolle Interpretationen bietet, deren konzeptionelles Problem aber darin liegt, daß die Punkte, mit Hilfe derer KRIECHBAUM Karlstadts Theologie zu gliedern sucht, kaum aus dieser selbst erwachsen, sondern gleichsam von außen recht schematisch an sie herangetragen werden. 7 Was im folgenden kurz die »Orlamünder Theologie« genannt wird, basiert auf den seit Anfang 1523 bis 1525 von Karlstadt ausgegebenen Schriften (FREYS / BARGE,

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werden, in der freilich - schon auf unser Thema hinführend - die Untersuchung des Motivs »Gelassenheit« einen breiten Raum beanspruchen wird. Generell ist zwar mit Einflüssen Augustins, Luthers und der deutschen Mystik, namentlich Taulers 8 und der 'Theologia Deutsch', als Gestaltungsfaktoren für Karlstadts Theologie zu rechnen. 9 Wir werden uns im folgenden aber darauf konzentrieren, den maßgeblichen Einfluß der 'Theologia Deutsch' her-

(Publikationsblock 4 - 6 bei ZORZIN, Karlstadt, S . 9 7 - 1 0 5 ) ; vgl. SIDER, Karlstadt, S . 202f, dem ich mich mit diesem Sprachgebrauch anschließe. RONALD J. SIDER veröffentlichte 1974 die wohl gelungenste Gesamtdarstellung der Theologie Bodensteins, die sich in ihrer Konzeption als ein Kompromiß zwischen einer systematischen Interpretation von Karlstadts Theologie und der Perspektive ihrer historischen Entwicklung bewährt. So beschreibt SIDER Karlstadts Theologie in drei Perioden, die in sich nach systematischen Gesichtspunkten gegliedert sind. Während sich für die erste Phase in den Jahren 1518/19 Bodensteins Problemansätze im wesentlichen von Augustin herleiten, herrscht nach dem Bruch mit Rom in der zweiten Phase (1520/21) der Einfluß Luthers vor. Besonders hat sich SIDER um ein Verständnis der Theologie bemüht, die Karlstadt nach der Entzweiung mit Luther in der Orlamünder Zeit (1523-25) ausgestaltet hat. Nicht nur hinsichtlich dieses Schwerpunktes, sondern auch in vielen einzelnen Urteilen deckt sich SIDERS Sicht mit derjenigen von HERTZSCH. Im Allgemeinen ist SIDER der Nachweis geglückt, daß auch in dieser, gemeinhin als 'mystisch' indizierten Phase Karlstadts Anliegen sachlich weder mystischer noch spiritualistischer Natur sind oder er barem Legalismus huldigt; lediglich terminologisch greift Karlstadt auf die deutschen Mystik zurück. Eher sei auch für diese Zeit das Erbe Augustins in Anschlag zu bringen (vgl. SIDER, Karlstadt, S. 299-303; über die Rezeption der Mystik bei Karlstadt urteilt HERTZSCH, Bedeutung, S. 37f, ganz ähnlich). 8 Den von der modernen Forschung schon immer vermuteten Einfluß der deutschen Mystik, insbesondere Taulers, auch auf den früheren Karlstadt hat HANS-PETER HASSE eingehend bestätigt. Er konnte dabei die enge Verbindung der Motive 'Gelassenheit', 'Kreuz' und 'Leiden' im Rahmen von Karlstadts reformatorischer Büß- und Rechtfertigungstheologie aufweisen. HASSES Studie mag daher ein gewisses Korrektiv für die von SIDER bestimmte erste Entwicklungsphase von Bodensteins Theologie bedeuten. In dieser macht sich nicht nur der Eindruck Augustins, sondern ebenso derjenige Taulers geltend. Karlstadt sieht offenbar keine gravierenden Unterschiede zwischen ihnen. 9 ULRICH BUBENHEIMER hat sich der juristischen Seite von Karlstadts Wirken, die bis dahin kaum beachtet wurde, zugewandt und den Einfluß juristischen Denkens bei der reformatorischen Wendung von Karlstadts Theologie nachgewiesen (BUBENHEIMER, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae; vgl. auch DERS., Art. Karlstadt). Unter dem Gesichtspunkt einer Synthese von kirchenrechtlichen und reformatorischen Elementen muß der Anschein von Legalismus, der bei Karlstadt bisweilen zu beobachten ist, sicher anders bewertet werden, als allein nach Maßgabe derjenigen Kriterien, die bei Luther das Reformatorische definieren. Da jedoch für die Orlamünder Periode auch nach BUBENHEIMER der juristische Einfluß seine Vorherrschaft an den mystischen abtritt, braucht dieser Aspekt hier nicht aufgearbeitet zu werden.

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auszuarbeiten, da dies die einzige Schrift ist, auf die sich Karlstadt in dem hier interessierenden Kontext beruft 1 0 , und weil dieser Einfluß besonders in bezug auf Bodensteins Verständnis der Gelassenheit bisher nicht recht gewürdigt worden ist. 11 Soweit ich sehe, hat sich bisher die Forschung nie der Frage zugewandt, warum Karlstadt den Sabbat zu einem eigenständigen Thema seiner Theologie erhebt. Zwar hat man diese Kuriosität vereinzelt durchaus wahrgenommen 12 , eine befriedigende Erklärung für diesen Befund wurde aber bislang nicht gegeben. Es ist uns also die Aufgabe gestellt darzulegen, welche Funktion dem Sabbat im Gefüge von Karlstadts Theologie, besonders von derjenigen der Orlamünder Zeit, zukommt und wie von da aus diese Theologie zu bewerten ist. Die Leitfrage lautet mithin: Warum beschäftigt sich Karlstadt so intensiv mit dem Sabbat und was bedeutet dies für das Verständnis seiner späteren Theologie?

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So in 'Sich gelassen', aiv; diir; diiiv. Daneben dürfte mindestens noch Seuses 'Büchlein der Wahrheit' Karlstadt bekannt gewesen sein: In 'Sich gelassen', ciiir, beschreibt er die menschliche Natur in den gleichen fünf Kategorien wie Seuse (Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, Ed. BIHLMEYER, S . 3 3 4 , 2 9 - 3 3 5 , 3 ) . 11 Die Arbeit von HASSE ist im Allgemeinen zu sehr auf den Vergleich mit den Tauler-Predigten fixiert, der hinsichtlich Karlstadts Gelassenheitsschrift von 1523 recht fruchtlos bleibt; vgl. unten S. 58, Anm. 54. 12 Vgl. JÄGER, Bodenstein, S. 4 0 6 ; SCHEEL, Individualismus, S. 3 6 6 . Wenn man wohlwollend auf den Sabbattraktat einging, so geschah dies zumeist nur, um das Schlagwort des Legalismus, das z.B. GERDES, Luthers Streit, S. 3 0 - 3 2 , an Karlstadts Sabbatlehre erweisen möchte, zu entkräften, indem man an Bodensteins differenzierter Behandlung des dritten Gebots belegen konnte, daß er - freilich auf seine Weise - durchaus Raum für eine verantwortungsvolle Gewissensentscheidung läßt (so bei HERTZSCH, Bedeutung, S. 4 5 - 4 7 ; SIDER, Karlstadt, S . 2 7 9 - 2 8 1 ; PATER, Karlstadt, S. 5 3 und auch bei RUPP, Karlstadt, S. 3 1 9 , trotz seiner Bemerkung, ebd. S. 318: »His tract on the Sabbath is the most interesting of all his writings. It is the first Protestant, Puritan tract on this theme«; vgl. DERS., Patterns, S. 1 2 4 - 1 2 7 ) . KRIECHBAUM, Grundzüge, S. 86f, hat am besten die Funktion des Sabbats in Karlstadts Theologie beschrieben, ohne freilich auf dessen zentrale Bedeutung aufmerksam zu machen. Speziell dem Sabbat-Traktat widmet sich RICHARD MÜLLER, Sabbat, S. 9 2 - 1 0 9 . MÜLLER möchte in erster Linie die Gepflogenheit der älteren adventistischen Literatur entkräften, in Karlstadt einen Vorläufer des Siebenten-Tags-Sabbatismus zu sehen. Seine Darstellung kommt kaum über eine bloße Inhaltsangabe hinaus. Die Grundlinien von Karlstadts Theologie schöpft MÜLLER im wesentlichen aus BARGES Werk. Die zentrale Bedeutung des geistlichen Sabbat für die 'Orlamünder Theologie' würdigt MÜLLER nicht.

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2.1. Kallstadts Orlamünder Theologie

2.1.1. Die Heiligung des Menschen als das Zentrum der Orlamünder Theologie Will man das zentrale Anliegen Karlstadts nach dem Bruch mit Luther auf einen Begriff bringen, dann bietet sich kein anderer mehr an, als derjenige der Heiligung.13 Ging es Bodenstein zuvor an Luthers Seite, hauptsächlich gegen Eck, um die Frage der Rechtfertigung des Sünders und damit eng verknüpft um das rechte Verständnis der Buße14, so kreisen seine Gedanken seit 1522 um die Frage, wie der Mensch gottgefällig leben könne, wie es dazu kommen kann, daß er Gott und den Nächsten liebt und die Gebote erfüllt. Unter Heiligung versteht Karlstadt, daß Gott allein im Menschen wirkt, daß im Menschen nicht mehr er selbst, sondern Christus lebt (Gal 2,20). 15 Wie der Mensch zur Gott- oder Christusförmigkeit gelangt, das ist die Frage, die für Karlstadt seit 1522 im Vordergrund steht. Diese neue Ausrichtung seines Interesses beruht unter anderem auf den bitteren Erfahrungen, die er infolge seines Engagements gegen die Bilderverehrung machen mußte. Die Bilder aus den Augen der noch unsicheren Gläubigen zu nehmen, galt ihm als eine der ersten Konsequenzen des rechten Glaubens. Der Kampf gegen die Götzen schwor Bodenstein gleichsam auf das erste Gebot ein. 16 Mit diesem aber steht gleichzeitig das Thema der Heiligung auf dem Plan, denn nur wo die Ehre des wahren Gottes allein gewahrt wird, kann Gott allein im Menschen wirken. Damit hängt ein zweiter Zug der Orlamünder Theologie zusammen: die Sorge um die Möglichkeiten und die Gefährdungen der noch unsicheren Christen. Die hervorgehobene Stellung des ersten Gebots war nicht Karlstadts einziges Argument in der Bilderfrage. Luthers Argument, der Bildersturm müsse um der Schwachen willen unterbleiben, konterkarierte Bodenstein 1524 damit, daß man - gerade um die Schwachen zu schonen - die gefährlichen Bilder entfernen müsse. 17 Man darf dies nicht für ein schlaues Fündlein halten. Wir wer13

So auch SIDER, Karlstadt, S . 212; 223-236 und HERTZSCH, Bedeutung, S . 24. Siehe dazu SIDER, Karlstadt, S . 61-70; vgl. auch unten S. 55f. 15 Vgl. SIDER, Karlstadt, S . 212 (zu den dort in Anm. 57 und 58 genannten Belegen auch 'Auslegung', Bl r v). 16 Die ganze Schrift 'Von abtuhung der bylder' ist eine Einschärfung des ersten Gebots gegen die Bilderverehrung. 17 Vgl. 'Gemach faren', KS 1,88,1-89,30. 14

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den später noch sehen, wie sehr es Karlstadt darum zu tun ist, gerade von den noch Unvollkommenen alle Einflüsse fernzuhalten, die potentiell die alleinige Ehre Gottes und damit die Erfüllung des ersten Gebots gefährden. Dieses Moment bahnt sich schon früh an in der 1518 im Anschluß an die Augustin-Vorlesung beginnenden Kritik an den bloß äußerlichen religiösen Vollzügen. Dabei stützt sich Karlstadt jedoch bis zum Bilderstreit im Grunde auf das Argument, daß Heiligenverehrung, lange Gebete im Kloster sowie Wasser und Salz bei der Taufe an sich sinnlos seien, da es einzig auf die innere Einstellung ankomme. Gott ist Geist und muß geistlich verehrt werden; ein Verstehen gibt es nur durch das Wort Gottes, das geistlich ist. 18 Diese Sicht spitzt sich später insofern zu, als Bodenstein nun die Äußerlichkeiten für sich genommen nicht nur für sinnlos, sondern geradezu für gefährlich hält. In der Schrift 'Von abtuhung der bylder' deutet Karlstadt 1522 bereits neben dem Argument, daß Bilder nutzlos sind 19 , die Überzeugung an, sie seien auch gefährlich, weil sie Gott die Ehre nehmen. 20 Bevor gezeigt werden kann, wie Karlstadt anhand einer Theorie der Gebote sein Verständnis der Heiligung ausgestaltet, muß zunächst herausgearbeitet werden, wie er sich das Verhalten des neuen, geheiligten Menschen vorstellt. Dieses Verhalten wird wesentlich durch den Begriff der Gelassenheit gekennzeichnet.

2.1.2. »Gelassenheit« konnte die Genese des Substantives 'Gelassenheit' in der mystischen Sprache Eckharts am »Wechsel vom 'gelazen han' zum 'gelazen sin'« beobachten21; Eckhart lehnt sich zwar an Mt 16,24; 19,29 und Lk 14,26 an, überbietet aber die biblische Intention, indem er die Gelassenheit als eine ontologische Kategorie einführt, nach welcher sie den Zustand markiert, in dem der Mensch die Geschöpflichkeit grundsätzlich überwunden und sich dem göttlichen, ungeschaffenen Sein angeglichen hat. 22 Seuse und noch mehr Tauler stellen neben diesen ontologischen Sinn einen zweiten, den VÖLKER als »praktische Einstellung unerschütterlicher Gleichmütigkeit« bezeichnet. 23 L U D W I G VÖLKER

18

Vgl. dazu SIDER, Karlstadt, S. 149-152. 'Von abtuhung der bylder', LAUBE, Flugschriften, Bd. 1, S. 114,4-28 u.ö. 20 »Und weiß, das Got bey mir ßo klein ist, alß gros mein forcht ist gegen den olfratzen.« Ebd. 120,28f; vgl. 115,28-31; 116,7-13; 120,40-121,4. 19

21

VÖLKER, »Gelassenheit«, S . 2 8 2 .

22

Vgl. ebd. S. 283-285 mit den jeweiligen Belegen. Ebd. S. 286.

23

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Daß dem Begriff der »Gelassenheit« auch in Karlstadts Theologie eine entscheidende Bedeutung zukommt, mag man schon daran erkennen, daß zwei seiner Schriften diesen Begriff im Titel fuhren: im Oktober 1520 verarbeitet Bodenstein seinen endgültigen Bruch mit Rom in dem Sendbrief an seine Familie »Missive vonn der aller höchste tugent gelassenheyt«24; 1523 schreibt er für Georg Schenck in Schleusingen die Abhandlung: »Was gesagt ist: Sich gelassen. Unnd was das wort gelassenhait gedeüt / und wa es in hayliger schryfft begryffen«. 25 Auch in etlichen anderen Schriften taucht der Begriff auf. Die Vermutung, Karlstadt habe das für seine Theologie so wichtige Motiv zuerst und entscheidend von Tauler rezipiert, hat jüngst HASSE durch eine detaillierte Analyse der Marginalien Karlstadts in dessen Basler Druck der Predigten Taulers bestätigt26; HASSE konzentrierte sich allerdings auf die Verwendung des Begriffs im Rahmen von Karlstadts Büß- und Rechtfertigungstheologie der früheren Jahre und trägt darum dem veränderten Ansatz der Orlamünder Periode, wie ihn SIDER gut herausgearbeitet hat, nicht gebührend Rechnung. Bevor die spezifische Bedeutung der Gelassenheit in der Orlamünder Theologie sowie die ihr dort eigene Funktion herausgearbeitet wird, muß bestimmt werden, was dieser Begriff generell in Karlstadts Theologie, in der früheren ebenso wie in der späteren, bezeichnet. Es lassen sich zwei Momente deutlich voneinander abheben. In 'Sich gelassen' erklärt Karlstadt gleich zu Beginn das Verb 'gelassen' gleichbedeutend mit 'verlassen' 27 und zwar in seiner aktiven wie auch in seiner passiven Bedeutung. 28 'Gelassenheit' bezeichnet danach zunächst jenes Verhältnis, das der Gott liebende Mensch zu allen Kreaturen hat. Es meint ein Loslassen der Seele von allen irdischen Bezügen, eine Entleerung des auf die Umwelt gerichteten affektiven wie auch intellektuellen Wahrnehmens. 29 Daß Karlstadt mit diesem Verständnis von Gelassenheit ein biblisches Motiv ad24 FREYS / BARGE, Nr. 3 8 (weitere Auflagen ebd. Nr. 3 9 - 4 3 ) ; vgl. ZORZIN, Karlstadt, S. 92 u. ebd. Anhang, Verz. Nr. 24. (Im folgenden: Missive). 25 Siehe oben, S. 47, Anm. 5. Diese Schrift, deren Widmungsbrief auf den 20. April 1523 datiert ist, wurde durch eine Anfrage Schencks an Karlstadt über die Bedeutung des Begriffs 'Gelassenheit' veranlaßt, auf den Schenck anscheinend bei der Lektüre der 'Theologia Deutsch' gestoßen ist (vgl. 'Sich gelassen', aiv). 26 Siehe HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 2 3 - 8 9 . 27 'Sich gelassen', aiir. 28 Vgl. ebd. aiiv. Siehe dazu auch VÖLKER, »Gelassenheit«, S. 293-295. 29 »Also soll die lieb zu got / alle lieb und lust (so wir in ainiger creatur haben) abschneyden / und dem menschen nyendert [nirgendwo] wol sein dann in gott / ja wir myessen alle creaturen gelasen / wollen wir gott zu ainem beschützer und einwoner oder herrscher haben.« ('Sich gelassen', aiiv).

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äquat wiederzugeben meint, zeigt seine häufige Berufung auf Jesu Nachfolgeworte (Lk 14,26f.33): nicht nur vom Einfluß dinglicher Kreaturen, sondern auch von allen familiären Bindungen soll sich die Seele frei machen. 30 Überboten wird aber die Gelassenheit gegenüber der Mitschöpfung durch das Sich-selbst-gelassen. Erst wo der Mensch sich nicht nur vom Einfluß der kreatürlichen Dinge und der nächsten Mitmenschen lossagen kann, sondern wo er auch jegliches Vertrauen auf sich selbst, wo er also seine 'Ichheit' abzustreifen vermag, ist er richtig gelassen. »Alles darynn / ich und icheit / mich und meinhait kleben mag / das selb muß außgeen und abfallen soll ich gelassen sein.«31 Ein leicht veränderter Bezug liegt dort vor, wo die Gelassenheit - mehr einem mystisch voluntaristischen Ansatz folgend - bewirkt, »das wir durch absterben unsers aygen willens / in seinem götlichem willen leben / und werden ain ding mit got / als Christus und got aines ewigen willens geweßt seind / und unuerenderlich bleyben.«32 Hier steht die Einsenkung des menschlichen Willens in den Willen Gottes im Vordergrund. 33 Diesen Vorgang nennt Karlstadt auch Wiedergeburt oder geistliche Geburt. 34 Gelassenheit fuhrt also zur Wiedergeburt. Die beiden Ansätze zur Beschreibung dessen, was die Gelassenheit bewirkt, folgen jeweils den zwei Konzeptionen, die SIDER für Karlstadts Sündenverständnis herausgearbeitet hat. 35 So schließt sich die eine Linie, der zufolge Gelassenheit wesentlich die Aufgabe des Eigenwillens meint, einem Sündenverständnis an, wie es Bodenstein besonders in dem umfangreichen Traktat »Von manigfeltigkeit des eynfeltigen eynigen willen gottes. was sundt sey«36 vom März 1523 entwickelt. Hier betont er, daß Sünde der Wille ist, der nicht genau das will, was Gott will. 37 Ohne Zweifel spiegelt sich in diesem Ver30 Vgl. Missive, Biivf; Biiiir; 'Von manigfeltigkeit', Giiiv; 'Sich gelassen', biiir; biiiir; 'Vorstandt des worts Pauli', Aiiv; 'Gemach faren', KS I,78,26f; siehe auch SIDER, Karlstadt, S . 216 Anm. 74. 31 'Sich gelassen', aiiiir. »[...] kürtzlich diser gelaß ist / vernichten alles das du bist / und ain abker von allen dingen so dich mögen gelüsten«. (Ebd. ciiiv). »Ja ich muß / nicht allein euch [seine Familie] / sonder mich selber gelassen / ich darff mich meynes leybs und lebens nicht annhemen.« (Missive, Biiv). Vgl. 'Ursachen das And. Carolstat ein zeyt still geschwigen', KS 1,16,36-17,2. 32 'Sich gelassen', aiiir. 33 Siehe 'Sich gelassen', aiiiir; vgl. auch schon Missive, Biiiv und 'Auslegung', Bl v (hierzu HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 105f). 34 Vgl. 'Von manigfeltigkeit', Ciiiv. 35 Vgl. SIDER, Karlstadt, S . 213f. 36 FREYS / BARGE, Nr. 1 0 2 (weitere Auflage ebd. Nr. 1 0 3 ) ; vgl. auch ZORZIN, Karlstadt, S. 100 und Anhang, Verz. Nr. 53. 37 Vgl. 'Von manigfeltigkeit', etwa Bir v u.ö.

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ständnis der voluntaristische Ansatz der 'Theologia Deutsch' wieder. 3 8 Das Wesen der Sünde besteht in dem mit Gottes Willen nicht identischen Eigenwillen des Menschen. Andererseits kann Karlstadt Sünde als Lust zur Kreatur beschreiben und zwar sowohl als die Lust an den geschaffenen Dingen und an den Mitmenschen hier mag er sich mehr Augustin anschließen 39 - als auch als Lust oder Wertschätzung der eigenen Person, als Vertrauen auf die 'Ichheit'; in Letzterem nimmt er wieder unverkennbar Aussagen der 'Theologia Deutsch' auf. 4 0 Bodenstein sieht in beiden Beschreibungen dessen, was Sünde ihrem Wesen nach sei, ohne Zweifel die zwei Seiten ein und derselben Medaille: der von Gottes Willen abgekehrte Wille äußert sich unweigerlich in der Lust am Kreatürlichen und in der 'Ichheit'. Bereits der 'Franckforter' sucht die verschiedenen Umschreibungen von Sünde zu harmonisieren. 41

38 »Was ist aber sunde? Nicht anders, den das die creatur anders wil den got vnd wider got wil.« (Th.Dt., cap. 36,12-14). Vgl. SIDER, Karlstadt, S . 213 (weiteres Zitat aus der Th.Dt. ebd. Anm. 60). 39 Vgl. z.B. im Missive (Biiiiv): »O du bößes fleysch / du wuster feynd concupiscentia [...]«. 40 Vgl. Th.Dt., cap. 16,46f: »So ye meher selbheit vnd icheit, ßo ye mer sunde vnd bosheit [...]«; vgl. cap. 2,1-4; 15,5-10; 16,8f.26. SIDER, Karlstadt, S. 214f, erörtert die Frage, ob sich Karlstadt mit der Übernahme der mystischen Definition (»Sin is egocentrism«) auch auf die in der deutsche Mystik damit verbundene totale Abwertung der Geschöpflichkeit qua creatura einläßt. Obgleich manche Aussagen Karlstadts dies zu bestätigen scheinen, muß man doch diese Frage mit SIDER (gegen KRIECHBAUM, Grundzüge, S. 72) im Ganzen verneinen: »The wrong use of creation, not creation itself, is sinful« (SIDER, Karlstadt, S . 215). Jedoch übersieht SIDER, daß die von Eckhart, Seuse und Tauler mehr oder minder stark vertretene Sündhaftigkeit der Schöpfung an sich (hierzu auch VÖLKER, »Gelassenheit«, S. 283-290) gerade für die 'Theologia Deutsch', Karlstadts mystische Hauptquelle, nicht charakteristisch ist. »Man sal wissen, das keyn creatur wider got ist ader ym leid ader ym musal ist yn dem, das sie ist ader lebet, weiß ader vormag ader was deß ist; das ist alles nicht wider got.« (Th.Dt., cap. 36,2-4). Ganz wie Karlstadt begrenzt die Th.Dt. die Möglichkeit einer 'unio mystica' auf die Einsenkung des menschlichen Willens in den Gottes (vgl. dazu H A A S , Die »Theologia Deutsch«, S. 331); sie wahrt strikt den unaufhebbaren Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf; nur in Christus als dem ungeschaffenen und vollkommenen Gott wird die Überwindung der Geschöpflichkeit anschaulich, ohne daß der Mensch dies vor dem zeitlichen Tod schon zu realisieren vermag (vgl. Th.Dt., cap. 1,13-30; und die Passagen, in denen gegen die Ansicht der 'Freigeister' polemisiert wird, bes. cap. 29,14-27 ; 40,23-61; vgl. H A A S , Die »Theologia Deutsch«, S. 345f; zu den 'Freigeistern' ebd. S. 312, Anm. 16). 41 »Adam, icheit vnd selbheit, eigen willikeit, sunde ader der ald mensch vnd abkeren vnd abscheiden von got, das ist alles eyns.« (Th.Dt., cap. 36,28f); vgl. cap.

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Die beiden soeben dargelegten Motivkreise verbinden sich in Karlstadts Theologie schon von Anfang an mit dem Motiv der Gelassenheit. HASSE hat bei der Auswertung von Karlstadts Marginalien in dessen Exemplar der Predigten Taulers das starke Interesse erkennen können, das Bodenstein in den Jahren 1517-19 für das Wortfeld 'gelassen' sowie an den damit sachlich zusammenhängenden Theologumena der Kreuzesnachfolge und des Leidens hegte. 42 Seit der Beschäftigung mit Tauler zieht sich dieser Themenkomplex durch Karlstadts Schrifttum. Der gelassene Mensch ist der Mensch in der Kreuzesnachfolge, d.h. der seine Sünden erkennende und bereuende, der seine Nichtigkeit vor Gott beklagende Mensch. Analysiert man indes die Verbindung jener Motive genauer, so läßt sich in den Jahren 1523-25 eine leichte Akzentverschiebung gegenüber den Formulierungen der Jahre 1518-21 ausmachen. In der früheren Zeit kreisen die Aussagen über die Gelassenheit um das Kernproblem des Zusammenhangs von Buße und Rechtfertigung, auf das sich Karlstadt unter dem Eindruck von Luthers Humilitas-Theologie sowie der Ablaßthesen und ihrer Verteidigung konzentriert. Dieser Zusammenhang gestaltet sich für Bodenstein so eng, daß die kontinuierliche Buße des Christen, die in der permanenten mortificatio des alten Adams ins Werk gesetzt wird, ein konstitutives Element der Rechtfertigung selbst, wenn nicht gar deren entscheidendes Moment bildet. 43 Karlstadt unterstreicht in dieser Zeit immer wieder: »Alle gottes absolutorien steen und sehen auff condemnatorien unserer eigen vorbrechung gotlicher geboten«44; nur den Bußfertigen kann Gott rechtfertigen. Zwischen 1518 und 1521 taucht also das Motiv der Gelassenheit in einem theologischen Gefüge auf, das ohne Zweifel die entscheidenden Strukturen von Luthers Humilitas-Theologie aufgegriffen hat. Dabei haben Luther wie Karlstadt wichtige Impulse von Tauler empfangen. Um den Sünder zur Erkenntnis seiner Sünde und also zur Bußfertigkeit zu treiben, ficht ihn Gott durch das Leiden an. 45 In diesen Jahren streicht Karl1 6 , 2 6 - 3 1 . Diesen Zusammenhang hat SIDER bei seiner Analyse des Sündenverständnisses in Karlstadts Orlamünder Theologie übersehen. 42 Vgl. HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 5 7 - 7 3 . MOELLER hat in seiner Dissertation 'Die Anfechtung bei Johann Tauler' die verschiedenen Aspekte des äußeren und inneren Leidens untersucht, in das Gott den Menschen auf dessen mystischem Heilsweg schickt und dabei die Notwendigkeit dieser verschiedenen Formen der Anfechtung (im Unterschied zu den Anfechtungen des Teufels) herausgearbeitet. 43 Vgl. dazu SIDER, Karlstadt, S. 6 1 - 7 0 und HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 130134, und die jeweiligen Belege. 44 'Auslegung', Aiir. »Dan es bald der mensch sein sunde bekend / so gebirth er die warheit / und darumb syhet goth mit gerechtigkeit yn dem menschenn / dan er macht yn gerecht.« (Ebd. Ciiiv). 45 »[...] dan wyr müssen ducrh [sie!] anfechtung yn hymmel gehen / und sonder anfechtung wurt keyner furfaren. [...] Dye unser got nicht strafft dye seindt nicht

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Stadt im Zusammenhang der permanenten Buße des Christen immer wieder die Bedeutung des dem Menschen von Gott auferlegten Leidens heraus. Die Gelassenheit erweist sich dann in der Bereitschaft zur Annahme dieses Leidens. Nur der gelassene Mensch willigt ein, sein Kreuz zu tragen. »Wil ich von gottis wegen etwas leyden oder ein Creutz ertragen / ßo muß ich zuvor mich vorleuchnen / und mich selber vorlassen.« 46 Nur bei demjenigen, der nicht mehr durch seinen Eigenwillen, seine Ichheit und die kreatürlichen Dinge beherrscht wird, erreicht das »fremde werck« Gottes 47 seine Bestimmung: die Bußfertigkeit des Sünders. Die Bedeutung der Gelassenheit für den von Gott durch das Leiden initiierten Bußprozeß dürfte Bodenstein von Tauler geerbt haben. 48 Das 'Missive von der allerhöchsten Tugend Gelassenheit' vertieft diese Zusammenhänge in Karlstadts biographischem Kontext: die Anfechtung, als welche Bodenstein die Bannandrohung empfunden hat, ist ihm ein Aufruf zur Gelassenheit. 49 sein kinder [Hebr 12,8]« ('Auslegung', Biiiir); vgl. 'Von abtuhung der bylder, LAUBE, Flugschriften, Bd. 1, S. 118,11-24. Karlstadt knüpft die Sündenerkenntnis so eng an die mortificatio durch das Leiden, weil offenbar gerade die tief unbewußten Sünden ein schwieriges Problem darstellen; diese können dem Sünder durch den Spiegel des Gesetzes - also durch einen kognitiven Akt - nicht so gut ins Bewußtsein gerufen werden wie durch das konkrete Leiden, also durch ein unmittelbar erfahrenes, die Affekte treffendes Geschehen. »Wir haben vil sund die wir nicht erlernen konden [...] Darumb von den verborgenn sunden mach mich reyn« ('Auslegung', Ciiir; vgl. ebd. Ciiv-Ciiir). 46 Missive, Biiiv. »Das bild Christi hat in der gerechten dysen spruch [gemeint ist die Inschrift zur rechten Hand der Christusdarstellung im Flugblatt 'Wagen']. 'Gelas eigen willen alles dein und dich' und weist an die gerechten des Creutzs / do selbst such was gelossenheit / und wyß / du must dir und deynem willen absterben / wiltu anders dein creutz ertragen / und fruchtbar werden«. ('Auslegung', Cvi v ). 47 Daß Gott den Sünder ins Leiden schickt, ist für Karlstadt (nach Jes 28,21) Gottes 'opus alienum'; er tut dies nur, um ihn retten zu können, welches dann Gottes 'opus proprium' ist; vgl. dazu 'Auslegung', Biiiiv-Bvr; vgl. auch SEDER, Karlstadt, S. 62, Anm. 70. 48 Vgl. z.B. bei HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 40f, die Analyse der Marginalien zu Taulers Predigt über Mt 15,21f (Nr. 9 bei VETTER, siehe bes. S. 42,2244,4); vgl. MOELLER, Die Anfechtung bei J. Tauler, S. 52; 55-60. 49 Vgl. HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 1 1 8 - 1 2 0 . BUBENHEIMER sucht in seiner psychohistorischen Studie 'Gelassenheit und Ablösung' nach den tiefenpsychologischen Wurzeln von Karlstadts 'Lieblingsthema' der Gelassenheit und vertritt die These, daß dieser Begriff »unserer heutigen tiefenpsychologischen Kategorie 'Ablösung' entspricht« (S. 255). Im Missive, vordergründig angeregt durch den Bruch mit dem Papst, verarbeite Bodenstein die Ablösung von der Mutter, »die ihm in der Kindheit mit der eigenen Frömmigkeit auch den Gehorsam gegenüber dem Papst vermittelt hatte« (S. 252). Ungeachtet dessen, daß tiefenpsychologische Kategorien - an sich schon nicht unproblematisch - kaum mehr zu verifizieren oder zu falsifizieren sind, wenn sie an historische Quellen angelegt werden, ist hier zu be-

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Anders hingegen scheint sich der Zusammenhang von Leiden und Gelassenheit in der Orlamünder Theologie zu gestalten. Karlstadt akzentuiert nun offenbar noch stärker das Motiv der Gelassenheit, demgegenüber die Bedeutung des Leidens als eines von Gott inszenierten äußeren Widerfahrnisses um der konkreten Sündenerkenntnis willen in den Hintergrund rückt. Vielmehr ist es jetzt die Gelassenheit selbst, von der Bodenstein die Offenbarung der Sünden erwartet; sie führt den Sünder ins Gericht. 50 Hier wird der ab 1523 dominiedenken, daß der biographische Bezug des Gelassenheitsmotivs allein schon durch dessen biblischen Topos gegeben ist; die Gelassenheit in der Nachfolge Jesu wird in Lk 14,26 und Mt 10,37 als das Verlassen der Familie beschrieben. Wenn Karlstadt also den Bruch mit dem Papsttum im Gelassenheitsmotiv theologisch einzuholen versucht, dann exemplifiziert er dies in Anlehnung an den biblischen Topos im Verlassen der Familie. Der individuell psychologische Rückschluß verkennt den prototypischen Charakter des biographischen Bezugs. Das 'Missive' ist ein öffentlicher Sendbrief und keine private Korrespondenz. Auch BUBENHEIMERS Versuch, eine besondere Papsttreue Karlstadts von der tiefen Frömmigkeit der Mutter herzuleiten, überzeugt nicht, denn man sollte von den Indizien einer intensiven Religiosität (vor allem der Heiligenverehrung) im Deutschland des ausgehenden 15. Jahrhunderts nicht auf eine glühende Papstverehrung rückschließen. Hinter dem Streit zwischen Luther und Karlstadt vermutet BUBENHEIMER »eine verbissen ausagierte Kollegenrivalität« (S. 261). Der Zwiespalt der beiden Theologen läßt sich hinlänglich theologisch erklären; er braucht nicht erst durch eine kaum überzeugende »Rivalität von Geschwistern« als »der biographische Urtyp solcher Konflikte« (S. 261) plausibilisiert zu werden. 50 »Allerlay gepresten und untugent find ich in mir / wölche ich mer wölt fliehen dann suchen. Der wegen dringt gelassenhait durch alles das mein / und urtaylet mich und alles das mein ist / aller guthait unwirdig [...]. Also fleüget gelassenhait uberauß / und würffet den menschen in ain gestreng Verachtung und grawhen seyn selber und macht das der mensch dencket / es ist zimlich und recht / das gott und alle seyn creaturen wider mich seynd.« ('Sich gelassen1, bi r ). Nachdem Karlstadt geschildert hat, wie die Gelassenheit dazu führt, daß ich »solt in gottes willen also versuncken sein / das ich mir warhafftigklich erstorben wer«, führt er sogleich aus, daß der solchermaßen in der Gelassenheit stehende Mensch ein unmittelbares Empfinden seiner Sünden hat: »Also das ich herbe bitterkait entpfund und hett / das ich mitt meinen begirden muß umbgeen und sy in mir wissen. Darumb solt ich wünschen das ich an ain bitter schmach Creütz geschlagen wer / das ich auch ainen erschrecklichen grauwen vor mir selber hett / das ich vor meinen gedancken / begirden und wercken / als vor ainem grewlichen laster schemet / wie ain gelb eyterig geschwer flug / das ich in meiner seele und krefften nichts anders sehe / dann unvermögenhait zu allem das gut ist« (ebd. aiiiir)- »Aber so sich ainer recht und ernstlich ain stund erkennen thet / er würd jm ain creütz und tausent todtsünd in sich spüren und sich hassen / meyden und fliehen« (ebd. eii v ). Diese Ausführungen Karlstadts klingen ganz ähnlich wie einige Stellen aus dem 11. Kapitel der Th.Dt. Der 'Franckforter' spricht darin zwar radikal vom Abstieg in die Hölle, der bei jedem Menschen wie bei Christus dem Aufstieg in den Himmel vorangehen muß und der in der Erkenntnis der vollkommenen Unwürdigkeit vor Gott besteht, aber Gott wirkt hier diese Einsicht nicht, indem er den Menschen durch

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rende Einfluß des 'Franckforters' zu Buche schlagen, für den das Leiden, in welches Gott den Menschen führt, nicht jener zentrale soteriologische Katalysator ist, wie für Tauler und den Karlstadt der Jahre zuvor. 5 1 Leitet die Gelassenheit selbst in die Buße, so muß folgerichtig die Ungelassenheit als Unbußfertigkeit bestimmt werden. 5 2 Entsprechend deutet Karlstadt die Kreuzesnachfolge jetzt als die tägliche Übung in der Tugend der Gelassenheit. 53 Diese scheint die Stelle des äußeren Leidens einzunehmen und kann somit als eine Art inneres Leiden bezeichnet werden, welches sich vor allem als eine intellektuelle und affektive Entleerung der Seele, als eine geistliche Passivität charakterisieren läßt. Damit hat aber das Leiden selbst eine ganz andere Qualität erhalten. Verstand es Karlstadt früher mehr als aktives Leiden, gleichsam als Passion, so jetzt eher als Passivität. In den »mystischen« Schriften der Jahre 1523 und 1524 reißt das Motiv der Gelassenheit auch die Funktionen der Motive Anfechtung, Leiden und Kreuz an sich. 54

äußeres Leiden anficht; die 'mortificatio' ist in der 'Theologia Deutsch1 vielmehr das Ergebnis einer Selbstbetrachtung des Menschen: »Wanne sich der mensche selber bekennet und an syhet und findet sich selber also boße und unwirdig alles des gutes unnd trostes [...] Und diß ist und heißet wäre ruwe [= Reue] ummb die sunde.« (Th.Dt. cap. 11,2-4.17). 51 Möglicherweise hat sich auch Karlstadts Befürchtung verstärkt, daß die Annahme des äußeren Leidens und dessen Bewährung in der Buße allzu leicht wiederum als ein verdienstliches Werk aufgefaßt werden könnte. Diese schon im Missive angedeutete Befürchtung (»Ist es nit eyn schmetzlich ding / das ich mich keynes leydens darff annemen / als hett ich / von mir selber was außgericht«, Missive, Biiiv) führt Karlstadt im Traktat über die Gelassenheit an: »Sych so du obberüerte gebresten des unglaubens erkentest / beychtest unnd fleühest / das durch gelassenhait auch geschieht / als dann müstu warten [= darauf achten]/ das dir dein erkennen / dein beychte und fluchte nitt lieb und lustig werd / auff das du nitt in der gelassenhait verderbest« ('Sich gelassen', diiv). 52 Die Ungelassenheit »besieht sich / aber flndt kain unwirdigkaet in jr / und felschet also gottes urtayl und gerechtigkait.« ('Sich gelassen', bi1)53 »[...] damitt leeret Christus / das solliche gelassenhait / die alle ding ubergibt / ain teglich Creütz ist / wölliches wir teglich tragen myessen unnd nicht stillsteen / sonder Christo nachvolgen / und da sein mit willen / gedancken / lieb / lust / layd / und allem dem unserm / da Christus ist zu der gerechten gottes in gottes ewigen willen verschmeltzen und zu nicht werden.« ('Sich gelassen', biiiir). So auch HASSE, Gelassenheit, S. 216, der aber offensichtlich darin keine Akzentverschiebung gegenüber den früheren Aussagen Karlstadts sieht. 54 HASSE hat diese deutliche Modifikation des Zusammenhangs der Motive Gelassenheit, Kreuz und Leiden in der Orlamünder Theologie übersehen. Freilich bleiben die geschöpflichen Dinge, die Selbstbezüglichkeit und der Eigenwille auch in der Orlamünder Periode die unmittelbaren Objekte des Gelassens; daß dem jedoch eine andere Konzeption zugrunde liegt, nimmt HASSE vermutlich deswegen nicht wahr, weil er zu sehr auf den Vergleich mit Tauler fixiert ist, den Vergleich mit der

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Bei etwa gleichem Ausgangspunkt hat Karlstadt die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen wie Luther. Während dieser die Momente Kreuz, Leid und Anfechtung immer mehr nach außen trägt und als Widerfahrnisse von außen begreift, verinnerlicht Karlstadt diese Momente noch weiter im Begriff der Gelassenheit. Dadurch erlangt er zwar einen gewissen Ruhepunkt in der permanenten Bewegung der annihilatio sui, aber die Perspektive haftet doch noch wie in Luthers früher Theologie primär auf dem Menschen. Mit der Ausweitung des Gelassenheitsbegriffs folgt Karlstadt der 'Theologia Deutsch', die die höchste Gelassenheit als ein Gott-Leiden beschreibt. 55 Die Vereinigung des menschlichen mit dem göttlichen Willen, die die Gelassenheit bewirkt, äußert sich in der Passivität des inneren Menschen, »das der ynner mensch steen sal unbeweglich und der ußer mensch muß und sal beweget wer-

'Theologia Deutsch' aber nicht durchführt, obwohl er um deren Bedeutung für Karlstadt weiß (vgl. HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 174f). Um den für die Orlamünder Theologie tatsächlich kaum zu überschätzenden Einfluß der 'Theologia deutsch' auf Karlstadt gegenüber demjenigen Taulers abzuwerten, stützt sich HASSE, ebd. S. 1 8 3 Anm. 40, auf die Beobachtung VÖLKERS, »Gelassenheit«, S. 2 9 1 , daß »dieser Schrift [...] das Substantiv 'gelassenheit' fremd« ist. Da die 'Theologia deutsch' aber das Verb 'gelassen' oft verwendet und die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen ihr und namentlich der Schrift über die Gelassenheit von 1523 so gravierend sind - und auch für VÖLKER selbst durch den philologischen Befund nicht in Zweifel gezogen werden - und da überdies die 'Theologia deutsch' die einzige Quelle ist, auf die Bodenstein sich explizit beruft, wird man sich HASSES Urteil kaum anschließen können, zumal der von ihm geführte Vergleich dieser Schrift Karlstadts mit den Predigten Taulers nicht gerade ergiebig ist; HASSE selbst kann »keinen direkten Rückgriff auf eine bestimmte Stelle in den Predigten erkennen« (ebd. S. 183). Auch scheint es mir wenig sinnvoll zu sein, daß HASSE von einer Stelle der Erläuterungsschrift zum Flugblatt »Wagen« ausgehend die »Darstellung von Karlstadts Verständnis der Gelassenheit von vornherein auf die Willensproblematik konzentriert« (ebd. S. 117). Dadurch beraubt sich HASSE »von vornherein« der Möglichkeit, die durchaus bestehenden Unterschiede wahrzunehmen hinsichtlich der Funktion, die der Gelassenheit z.B. im Missive und in 'Sich gelassen' im Gefüge der jeweils ganzen Schrift zukommt. 55 »Man spricht, man sol got liden, ym gehorsam und gelassen und underthan seyn. Das ist war. [...] Aber wer got liden sal und wil, der muß und sal alle liden, das ist got und sich selber und alle creatur, nichts uß genommen. Unnd wer got gehorsam gelaßen und underthan sal und wil seyn, der muß und sal allen gelassen, gehorsam und underthan syn yn lidender wiße und nicht yn thunder wiße, und diß alczumal yn eyme swigende ynbliben yn syme gründe seyner sele unnd yn eyme heymlichen, vorborgen liden, alles czu tragen und czu liden« (Th.Dt. cap. 23,lf.410). 'Gott leiden' ist dabei für den 'Franckforter' gleichbedeutend mit 'Gott (ge)lassen' (vgl. Th.Dt., cap. 25,4; 46,12-22), was schon bei Tauler auftaucht und einen neuen Akzent in der Geschichte des Begriffs 'Gelassenheit' setzt (so VÖLKER, »Gelassenheit«, S. 290).

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den.« 56 Karlstadt hat einen Begriff von Gelassenheit erreicht, der nicht mehr nur negativ all das kennzeichnet, was die Seele 'gelassen' muß - nämlich die kreatürlichen Dinge, die Ichheit und den Eigenwillen -, sondern er kann darüber hinaus einen positiven Begriff von Gelassenheit entwickeln, mit dem sich beschreiben läßt, was die Seele gewinnt, nämlich Gottes Wirken. 5 7 Aus dem Leiden in und an der Welt wird nunmehr ein 'Gott-Leiden'. Die Gelassenheit steht nicht mehr im engen Kontext der Buße, sondern in dem des ersten Gebotes. In seiner Orlamünder Predigt über Mt 22,34-40 »Von den zweyen höchsten gebotten« führt Karlstadt im Oktober 1523 aus, daß das oberste Gebot und »höchst werck gottes [...] ein liebreicher glaub / oder glaubreiche lieb« verlangt. 58 Sachlich deckt sich dabei das höchste Gebot nach Mt 22,37f bzw. Dtn 6,5 mit dem ersten Gebot des Dekalogs. 59 Die Gelassenheit ist der Weg zum liebreichen Glauben, also zur Erfüllung des höchsten und ersten Gebots. Dies soll nun genauer dargelegt werden. Um das erste Gebot gedanklich fassen zu können, welches vom Glauben die Behauptung der Exklusivität des einen wahren Gottes gegen die Ansprüche der vielen Götzen fordert, bedient sich Karlstadt des neuplatonischen Modells von der obersten göttlichen Einheit und Ganzheit, die sich nach unten in die 56

Th.Dt. cap. 28,10f. Auch diese Wendung hat der 'Franckforter' präzise vorgezeichnet: nachdem er in einem Rekurs auf die Erbsünde die Notwendigkeit von Gottes soteriologischen Handeln dargelegt hat (Th.Dt. cap. 3,1-22), schreibt er: »Unnd yn disser widerbrengunge und besserunge enkan ich ader enmagk ader ensal nichts nicht zu dem thun, sundern eyn bloß, luter leiden, also das got alleyne thu und wircke und ich leide yn und seyne werck und seynen willen.« (cap. 3,23-26). 58 Gedruckt 1524 (FREYS / BARGE, Verz. Nr. 121; ZORZIN, Karlstadt, Anhang, Verz. Nr. 61, vgl. ebd. S. 100), Zitate: KS 1,52,11.18. Vgl. 'Vorstandt des worts Pauli', Aiiiir (Jan. 1524; FREYS / BARGE, Verz. Nr. 119f; ZORZIN, Karlstadt, Anhang, Verz. Nr. 58). In der Predigt über die zwei höchsten Gebote entwickelt Karlstadt ein Verständnis von Glaube, das im Grunde dem augustinischen und scholastischen Verständnis der 'fides caritate formata' viel verwandter ist als demjenigen, das Luther zu dieser Zeit bereits gewonnen hat. Glaube meint bei Karlstadt primär noch den intellektuellen Akt der Gotteserkenntnis: »Glaub oder kunst gottes on liebe ist küle unnd todte« (KS 1,52,10; Hervorhebung von mir, J.K.). Man mag darin die Unfähigkeit oder Weigerung Karlstadts bestätigt finden, zwischen Glaube und Rechtfertigung einerseits und Heiligung und guten Werken andererseits so konsequent wie Luther zu unterscheiden. Es entspricht ganz den Befürchtungen, die das evangelische Lager Mitte der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts hegte, den Akzent auf den Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung zu setzen und dies vermeintlich gerade im Namen der Sache Luthers. Vgl. auch SIDER, Karlstadt, S . 236-238. 59 Vgl. KS 1,56,5-8. 57

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kreatürliche Vielfalt abstuft. 60 Wo die Mannigfaltigkeit herrscht, dort kann nicht die Einheit, d.h. Gott herrschen und sein Werk ausrichten. 61 Die Seele muß von ihrer Zerteilung und Zerstreuung in die Mannigfaltigkeit der Kreaturen zur Einheit und Ganzheit gelangen. 62 Die »verstopffungen deiner seien mustu gelassen«. 63 Das Herz muß beschnitten werden, wie Bodenstein in Anlehnung an Rom 2,29 immer wieder betont. 64 Dem im ersten Gebot eingeklagten Anspruch auf die Exklusivität der Gottesverehrung kann nur entsprochen werden, wenn die Seele von jeder Beanspruchung durch die kreatürlichen Dinge, durch die Mitmenschen und vor allem durch das eigene Ich frei ist. In der Seele ist alles Kreatürliche ein Gott machtvoll verdrängender Konkurrent. Die Gelassenheit schafft in der Seele Platz für Gott 65 , sie beschneidet das 60 Auch diese Denkstruktur entleiht Karlstadt der deutschen Mystik, der sie ihrerseits vom Areopagiten und von Boethius vermittelt wurde. So eröffnet der 'Franckforter' seine Theologie, indem er zunächst das neuplatonische Fundament legt, auf dem er dann seine Christologie aufbaut (Th.Dt. cap. 1; 8 u. 18; ausdrückli-

che Verweise auf Boethius und Dionysius: cap. 6 , 1 ; 8 , 1 1 . 2 0 ) ; vgl. HAAS, Die

»Theologia Deutsch«, S. 345. 61 »Du solt gott lieben auß gantzem hertzen und von gantzer seien / unnd auß aller sterck [Dtn 6,5] / Wie wirt dann das hertz und die seel bereyt? und wie heysset die bereytung? Antwort / disse bereyttung heysset / das gantz der seien und hertzen / wenn die seel oder hertz gantz wirt / so wirt sy zu dem werck bereyt. Gantzheit ist die bereyttung. Teylung ist der gegensatz und verhindernüs. Denn wiltu wissen warumb sich Gott lasset hindern zu schaffen ein füncklin seines aller besten wercks in deiner seien / Sag ich dir darumb. Das dein hertz oder seel nit gantz ist / sonder zerteylet und zerstrewet / Denn wo manigfaltigkeit ist / da hat dz einfeltig nit Stadt / und wo do herschet das vil ist / do mag nit herschen das ein eynig ein ist / Die seel vermag nit zweyen herren gefölgig sein. Der creaturen seind vil / Gott ist allein das ein / welcher an creaturischen dingen klebet / der kann des hohen wercks gottes nit fehig oder begreifflich sein. Das dich an das ein bindet / und mit dem das eyn ist vereyndt / das ist lieb gottes. Derhalben sprach Moses / als er von gottes lieb wolt reden. Höre Israhel / dein gott / ist ein.« ('Höchste Gebote', KS 1,60,21-39). 62 »Welcher der manigfaltigkeit feynd wirt / unnd verlasset das / das sein seel zerspeltet und zerteylet / der wirt ein eynigs gantze / und kumbt in seine eynige inwendigkeit und gantzheit / und mag das edel werck Gottes an sich nemen.« (Ebd. 61,47). 63 Ebd. 62,30f. 64 »[...] so merck darauff / das das hertz bloß muß werden von allen creaturischen kleyderern oder bildnüß / das ist / dz hertz muß werden beschnitten / wenn es göttliche lieb wil entpfahen.« (Ebd. 61,8-11); vgl. ebd. 64,7-13; 'Von manigfeltigkeit', Fii v ; Gir; Giir; 'Sich gelassen', civ-ciir; 'De legis litera', Aiiiir-Bir. Belege zum Topos Herzensbeschneidung aus früheren Schriften Karlstadts bei SIDER, Karlstadt, 126 Anm. 103. 65 Dieser Gedanke prägt auch schon den 'Franckforter': »Wo nu die creatur ader der mensch seyn eygen unnd seyne selbheit und sich vorlußet und auß gehet, da gehet got yn mit seyme eygen, das ist mit seyner selbheit.« (Th.Dt., cap. 24,25-27).

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Herz. 66 Sie sichert durch das Ausscheiden des kreatürlich Mannigfaltigen die Alleinherrschaft Gottes. 67 Karlstadts Schrift über die Gelassenheit von 1523 ist gespickt mit expliziten und impliziten Verweisen auf das erste Gebot. 68 Indem nun die Seele, also Verstand und Sinne des Menschen, nicht mehr an den kreatürlichen Dingen und der eigenen Person haftet, ist auch der Wille bei der Gestaltung menschlichen Verhaltens nicht mehr von den unmittelbaren Erfordernissen der Umwelt, von den 'Sachzwängen' und nicht mehr von egoistischen Wünschen abhängig. Er ist nun in der Lage, sich gelassen an Gottes in den Geboten offenbarem Willen auszurichten. Wo also das erste Gebot durch die Gelassenheit befolgt wird, wo das Herz beschnitten ist, dort werden auch die Werke der anderen Gebote getan, dort erfolgt die Heiligung des Menschen. Die Erfüllung des ersten Gebots in der Gelassenheit zu sehen, ist wiederum nur eine Verdichtung dessen, was Luther bereits 1518 vorgezeichnet hat. In der 'Kurzen Erklärung der zehn Gebote' hat Luther die Erfüllung des ersten Gebots in der Gelassenheit konzentriert. 69 Nun bricht die Frage auf, ob die Gelassenheit eine Vorbedingung des Heils und eine Haltung ist, in die sich der Mensch selbst versetzen kann, oder ob sie primär Gottes Gabe ist. Obwohl das, was Karlstadt über die Gelassenheit ausführt, zumeist wie ein Gebot anmutet und obwohl er die Gelassenheit ausdrücklich als eine 'Bereitung der Seele' beschreibt 70 , stellt SIDER ZU Recht klar, »one must not suppose, however, that Karlstadt intended the temporal sequence of preparation for God's gifts followed by reception of regenerating grace to be taken in an absolute way.«71 Karlstadt weiß gut, daß der gelassene

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»Es ist ain ding gelassen sein und ain beschnytten hertz haben.« ('Sich gelassen', ciir). 67 In 'Sich gelassen', aiiir, greift Karlstadt zur Illustrierung dieses Anliegens auch die Metaphorik von der geistlichen Ehe der Seele mit Gott auf und rekurriert dabei wiederum auf das erste Gebot: »Darumb nennet gott alle menschen hüren und eebrecherin die wider das gebott thun. Du solt nitt frembde götter haben / oder Israhel wisse das dein Gott ain gott ist. Den selben gott sollen wir also furchten / das wir kain andere macht dürffen furchten«; die Ehemetaphorik auch in 'Von manigfeltigkeit', Giiiir, und in 'Gemach faren', KS 1,75,31-76,7. 68 Neben den in Anm. 67 genannten Stellen auch: 'Sich gelassen', cir, ciiiiv, diiv, r fi . 69 »Die erfullung des ersten gebots. Gottes forcht unnd lieb ym rechten glauben und fest vortrawen, gantz blosz, laudier in allen dingen gelassen stehen, sie sein bosz oder gut.« (WA 1,254,16-18). 70 Vgl. vor allem 'Sich gelassen', biiv-biiiv. 71 SIDER, Karlstadt, S . 217.

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Mensch seine Gelassenheit von Gott verliehen bekommt.72 »Nyemandt kan sich selber beschneyden«73, die Beschneidung des Herzens obliegt dem Glauben. 74 Damit die Gelassenheit nicht wieder als Werk mißverstanden wird, das der Mensch seiner eigenen Leistungsfähigkeit zuschreiben kann, mahnt Karlstadt auch hinsichtlich der Gelassenheit zur Gelassenheit.75 Offenbar sieht Bodenstein in der Gelassenheit diejenige theologische »Tugend«, die gerade nicht zur Werkgerechtigkeit führt, die ihrer Struktur nach vielmehr gerade das Gegenteil intendiert: das gelassene sich allein und ganz Gott Übergeben. Eine vollkommene Gelassenheit, der in allem gänzlich gelassene Mensch ist aber nach Karlstadt nicht das angestrebte Ziel. Es fällt auf, daß Karlstadt, wenn er die eschatologische Perspektive der Gelassenheit im Auge hat, von der Ungelassenheit und nicht von einer vollkommenen Gelassenheit redet. »Wann der gayst der ruw den menschen angreyfft / unnd das hawß oder tempel Gottes / das ist die seele mit seiner glorien erfüllt / das alßdann die gelassenhait an jr end kumpt und ungelassenhait wird«.76 Was Bodenstein hier meint, läßt sich nur verstehen, wenn man mit SIDER die im Grunde ungebrochene Dominanz des augustinischen Erbes bei Karlstadt einräumt. Das Heil des Menschen besteht soteriologisch wie eschatologisch nicht in der mystischen, alle Kreatürlichkeit hinter sich lassenden Versenkung in Gott, sondern in der ungeteilten, brennenden Liebe zu Gott. 77 Diese vollkommene Liebe läßt 72

»Aber Christus fordert von seynen leerjungen ain soliche geschickligkait / wölche über alle natürliche krefften ist. Er will das wir alles gelasen sollen das wir besitzen / und das wir kain creaturisch ding in unser seele lassen eingeen / und das die seele alle ding uberwündt. Aber das ist aller vernunfft unmöglich / als Christus bekennt / sagend. Das bey den menschen unmüglich ist / das ist müglich bey gott. Das ain mensch sein güetter verlaß umb Gottes willen / das vermag er nitt / es sey dann das jms gott in sonderhait und wunderbarlich ain sollichen gelaß verleych.« ('Sich gelassen', biiv). »[...] umb das soltu dise gelassenhait nitt weltlich / sonder göttlich vernemen / doch also / das die warhait im hertzen stee / das wir ain wesen mögen bleyben das sollen wir Gott lautterlich haym stöllen / unnd weder sorg / noch forcht / noch lieb noch layd / lust oder unlust haben: Wie und wölche weyß dui groß werdest / das soltu got bevolhen« (ebd. ciiiv); vgl. auch die Belege bei SIDER, Karlstadt, S. 217f, Anm. 79.82 und S. 221f mit den jeweiligen Belegen. 73 'Sich gelassen', ciir. »Es kan sich kain hertz / der creaturen letig und bloß machen / auß aygen krefften / sonder got der beschneydt« (ebd.). 74 Vgl. 'Sich gelassen', cir; 'Vonmanigfeltigkeit', Giiiir. 75 »So mustu auch achtung haben / das du gelassenhait in gelassenhait habest / das ist das du dich deiner gelassenhait nit annemest / das du nit deine höchsten tugent mit lieb und lust besitzest / die dich in gott tragen solt / unnd das du nitt da steest / da du über fliehen solltest.« ('Sich gelassen', biiiv). Vgl. ebd. diiv; eiiiiv. Auch der 'Franckforter' warnt den Gott gelassenen Menschen vor der Hoffart (Th.Dt., cap. 25). 76 'Sich gelassen', fiii r . 77 Vgl. SIDER, Karlstadt, S . 224f.

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sich dann aber nicht mehr als eine gelassene charakterisieren. Sie ist im Gegenteil - als Lust und Begierde allein zu Gott - Ungelassenheit. 78 Wird die Liebe zu Gott in diesem Leben durch Gelassenheit erreicht, so äußert sie sich in jenem ewigen als Ungelassenheit. »Also wirt creaturisch gelassenhait / ain götlich ungelassenhait«. 79 Wie Luthers Humilitas-Theologie neigt auch Karlstadts Orlamünder Theologie dazu, die mystische Unmittelbarkeit zu Gott ins Eschatologische zu verlegen. Es gibt für dieses zeitliche Leben keinen unmittelbaren Zugang zu Gott an Kreuz, Leid und Anfechtung vorbei. Während aber Luther diesen Gedanken auf das Wort bezieht und am Gegensatz von verbum incarnatum und verbum increatum aufzeigt 80 , bezieht ihn Karlstadt auf die Gelassenheit und verdeutlicht ihn am Gegensatz von kreatürlicher Gelassenheit und göttlicher, d.h. nicht-kreatürlicher Ungelassenheit. Immerhin offenbart sich auch hier mutatis

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Freilich kann der Begriff 'Ungelassenheit' bei Karlstadt zwei grundsätzlich verschiedene Sachverhalte bezeichnen: seltener wird er so gebraucht, wie er hier beschrieben wurde, nämlich als das eschatologische Ziel der irdischen Gelassenheit; öfter markiert Bodenstein damit jedoch das genaue Gegenteil zur Gelassenheit, nämlich »die teüffelische untugent« der Ungelassenheit ('Sich gelassen', bi r ; vgl. ebd. bes. bir-biir; fii v -fiii r ), die als Folge des Unglaubens Sünde ist (ebd. ciiiir"v). 79 'Sich gelassen', fiiiv. Dies wirft auch ein anderes Licht auf eine Stelle desselben Traktats, in der Karlstadt in Aufnahme mystischer Terminologie davon spricht, daß die Gelassenheit »kumpt in jr ungeschaffen nicht / da sy ungeschaffen unnd nicht gewest / das ist in jren ursprung und schöpffer« (aiiiir); vgl. oben S. 54, Anm. 40. Karlstadt sagt hier nicht, daß die Seele in ihr ungeschaffenes Nichts kommt! So mißversteht es KRIECHBAUM, Grundzüge, S. 7 2 , was bei ihr zu der falschen These führt, für Karlstadt sei die Sünde »nicht Person-Sünde, sondern sein Person-Sein ist Sünde« (ebd. S. 73) und die Sünde könne daher nur in der Auslöschung der Personhaftigkeit aufgehoben werden. Tatsächlich behauptet Karlstadt hier nur, daß die Gelassenheit in ihr ungeschaffenes Nichts komme, wenn der Wille des Menschen vollkommen in den Gottes versunken ist; dann nämlich wird die kreatürliche Gelassenheit göttliche Ungelassenheit sein. So auch BUBENHEIMER, Art. Karlstadt, S. 6 5 4 , 3 5 - 3 8 . HASSE sieht gleichfalls in der Verwandlung der kreatürlichen Gelassenheit in göttliche Ungelassenheit einen »eschatologischen Ausblick« (HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 182), konnte sich aber die Pointe der t/ngelassenheit im eschatologischen Bezug offenbar nicht recht klar machen. Er meint, hier werde »das sonst konsequent durchgehaltene Verständnis von Gelassenheit gesprengt. [...] Wenn der Geist Gottes die von allen Kreaturen verlassene leere Seele erfüllt, ist nichts mehr vorhanden, was gelassen werden müßte - insofern wird Gelassenheit aufgehoben und verwandelt in 'Ungelassenheit'« (HASSE, ebd.). Diese Deutung der Ungelassenheit überzeugt kaum. HASSES Unbehagen am Begriff der Ungelassenheit äußert sich auch darin, daß er ohne irgendeinen textkritischen Anhaltspunkt den letzten Abschnitt von 'Sich gelassen' (»Von hymelischer gelassenhait«, fiiir_v) als einen »etwas später ergänzten Anhang« ausgibt (HASSE, ebd. S. 1 8 1 ) . 80

Siehe oben S. 22-24 und 29-32.

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mutandis die strukturelle Verwandtschaft zwischen Karlstadts Orlamünder Theologie und Luthers Humilitas-Theologie. Weil Bodenstein die Unterschiedenheit dieses zeitlichen Lebens von jenem zukünftig ewigen im Grunde nicht in mystischer Ekstatik aufhebt, hält er auch strikt an der ontischen Verschiedenheit von Schöpfer und Geschöpf fest. Eine Vergottung im Sinne einer Überwindung seiner Kreatürlichkeit ist dem Menschen mindestens vor dem zeitlichen Tod grundsätzlich verwehrt. 81 Der Fluch des Sündenfalls, der das Dasein in diesem Leben beschwert, kann 'realiter' noch nicht abgeschüttelt werden. Der gefallene Mensch muß sein Leben durch Arbeit im Schweiße seines Angesichts fristen. Die Gelassenheit entlastet ihn davon nicht, sie kann ihm nur geistliche Linderung schenken. 82 Diese Einsicht zwingt Karlstadt freilich, zwischen dem äußeren Menschen und dem inneren zu unterscheiden. Unmittelbar spricht die Gelassenheit einzig den inneren Menschen an und nur dadurch - also mittelbar - auch den äußeren. 83 Mit dem Begriff Gelassenheit will Karlstadt nicht einer quietistischen Ruhe 81

Im Hinblick darauf, daß die Seele zur Einheit kommen soll, meint KRIECHGrundzüge, S. 88f, in Karlstadts mystischen Schriften »ein ständiges Nebeneinander ethischer und ontischer Bestimmungen« (ebd. S. 89) feststellen zu können. Die ethischen Bestimmungen zielen in der Ausgestaltung des voluntaristischen Ansatzes (das Einswerden des menschlichen mit dem göttlichen Willen) auf die Bedingung der Möglichkeit christlichen Handelns, also auf die Heiligung, während die ontischen, den Gedanken der 'unio mystica' aufgreifend, in der Vereinigung der Seele mit Gott die Überwindung der Geschöpflichkeit im Auge haben. SIDER hat dem zu Recht widersprochen: »For Karlstadt the goal is not an ontological return to the Uncreated One, but rather the end of a heart divided by diverse affections.« (SIDER, Karlstadt, S . 219) Wie SIDER weiter ausführlich darlegt (ebd. S . 225-236), bedient sich Karlstadt mystischer Begrifflichkeit ('verschmelzen', 'einsinken', 'Vergottung', 'Seelengrund'), ohne die in der Mystik damit verbundenen Vorstellungen zu übernehmen. Was Karlstadt mit ihnen ausdrücken will, läßt sich eher in die von Augustin vorgezeichneten Bahnen einordnen, die um den Zusammenhang von Gnade und Heiligung kreisen, als in die von Eckhart und Tauler getretenen Pfade, die in der Überwindung der Kreatürlichkeit zu einer substantiell gedachten Vergottung leiten wollen (zu dieser Vorstellung bei Eckhart vgl. VÖLKER, »Gelassenheit«, bes. S. 283f). 82 »Karlstadt bleibt nicht bei der Gelassenheit stehen. Das ist ihm nur ein Durchgangsstadium, ein Zustand der Vorbereitung.« (STUPPERICH, Karlstadts Sabbat-Traktat, S. 372). 83 »Der ynner mensch sol an dem eynfeltigen unde ewygen gots willen einfeltiglich und ewiglich bleyben [...] Aber der eusserst mensch swebet in seynen leyplichen bewecknis [Bewegungen]/ und feert itzt uff / itzt nyder / itzt zu dieser / itzt tzu gener [sie!; sc. jener] seyten. itzt steet er in bitterkeit / itzt in sussikeit [...] itzt in arbeit / itzt in ruh. itzt in leben / itzt in tod. itzt in hymel / itzt in der hell, und wiewol disse eusserliche tzufehl tausenterley synd / ydoch werden sye in ein ainikeyt getzogen. dan wu sich der mensch gantz her in götlichem willen versmeltz unnd verloren / do wer dem menschen hell als hymel.« ('Von manigfeltigkeit', Giiiiv-Hir). BAUM,

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das Wort reden, er will die geistliche, nicht die körperliche Passivität fördern. 84 Damit wurde die Relativität von Karlstadts Verständnis des Begriffs Gelassenheit aufgezeigt. Gelassenheit ist eine soteriologische Bestimmung nur des geistlichen Menschen und nur für dieses zeitliche Leben. Sie gewinnt für Karlstadt keinen Eigenwert, vielmehr gilt sie ihm als Mittel zum Zweck der Heiligung. Zusammenfassend läßt sich über die Bedeutung der Gelassenheit bei Karlstadt folgendes sagen: Unter Gelassenheit versteht Karlstadt wie die deutsche Mystik die Entleerung der Seele von allen geschöpflichen Dingen und vom eigenen Ich sowie die Einsenkung des Willens in den allein guten göttlichen Willen. In der Orlamünder Theologie vereinigt die Gelassenheit in sich die zuvor mit ihr verbundenen, aber eigenständigen Motive der Kreuzesnachfolge und der Anfechtung und bezeichnet dergestalt weniger die Bereitschaft zum aktiven Leiden, sondern mehr die Haltung geistlicher Passivität. Als 'Gott-Leiden' stellt dieser spezifische Begriff von Gelassenheit die genaue Entsprechung zu der Forderung des ersten Gebots dar, dessen Erfüllung das Fundament der Heiligung des Menschen ist; die Herzensbeschneidung ist die Bedingung dafür, daß Gott allein die Wirklichkeit des Menschen wirkt. Folglich wird auch die Gelassenheit selbst von Gott gewirkt; als Inbegriff absoluter, geistlicher Passivität kann diese nie ein Werk des Menschen werden; gerade im Erlangen der Gelassenheit muß man gelassen sein. Gelassenheit ist nicht das eschatologische Ziel; sie hat nur eine soteriologische Bedeutung im Rahmen des unter den Bedingungen dieser Zeit dem geistlichen Menschen Möglichen. Der Gedanke der 'unio mystica' und der Überwindung der Kreatürlichkeit vor dem leiblichen Tod bleibt Karlstadt in Verbindung mit dem Motiv Gelassenheit fremd. Mit dem Begriff der Gelassenheit hat Karlstadt ein Motiv aufgegriffen, das zwar auch Tauler und Luthers Buß-Theologie vertraut war. In dem Maße aber, wie Luther das Motiv zurückdrängt, um das äußere Wort zu betonen, baut es Karlstadt unter dem maßgeblichen Einfluß der 'Theologia deutsch' zu einem Hauptthema aus. Die Gelassenheit drückt das Grundverhältnis des Menschen zu Gott und damit die Struktur der Heiligung überhaupt aus; sie erfüllt so das erste Gebot.

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In der Gelassenheit sieht Karlstadt »nicht nur eine reine Passivität, sondern ein gut Teil Aktivismus; aber gerade der Ausdruck Gelassenheit mußte es deutlich werden lassen, daß hier nicht ein teuflisch-prometheischer Aktivismus gemeint sein konnte.« (HERTZSCH, Bedeutung, S. 4 9 ) ; ähnlich STUPPERICH, Karlstadts SabbatTraktat, S. 371.

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2.1.3. Die spiritualistische Gesetzesdeutung Bevor wir in dieses Grundverhältnis zwischen dem heiligenden Gott und dem geheiligten Menschen, das durch die Pole des ersten Gebots und der Gelassenheit markiert wird, Karlstadts Deutung des dritten Gebots einzeichnen können, bedarf es noch einiger weiterer Überlegungen zu dessen Verständnis des Gesetzes und der Gebote. Schon die Vorlesung über Augustins 'De spiritu et litera' macht Bodenstein mit diesem Thema vertraut und 1521 legt er seine diesbezüglichen Gedanken in der Schrift 'De legis litera sive carne et spiritu' nieder. 85 A n der Schrift selbst arbeitet er darin die Notwendigkeit einer geistlichen Deutung der Schrift heraus. 86 Das Gesetz Gottes ist geistlich und kann nur im Geist verstanden werden, denn Gott sandte selbst Propheten und Ausleger seiner Worte. 8 7 Der Geist des Gesetzes aber ist der W i l l e Gottes. 88 Prinzipiell muß daher für jedwedes Gesetz Buchstabe und Geist unterschieden werden, jedes Gesetz ist also nach seiner eigentlichen Bedeutung zu befragen, und es muß ermittelt werden, worin in ihm jeweils der spezifische W i l l e Gottes zum Ausdruck kommt. Solches ist allerdings bei den Zeremonialgesetzen leichter zu bewältigen, als bei den übrigen. 89 Diese Grundlinien ziehen sich noch durch die Orlamünder Theologie. So verbindet Karlstadt die Gelassenheit auch mit der geistlichen Schriftauslegung. 90 Verfeinert werden diese Grundlinien allerdings dadurch, daß sie jetzt die in der Bilderfrage gewonnenen Argumente fundieren müssen. Dies geschieht im wesentlichen in der Rechtfertigungsschrift 'Ob man gemach faren soll' von Ende 1524.

Vgl. hierzu SIDER, Karlstadt, S. 112-118. 'De legis litera', Aii r ; Karlstadt beruft sich auf die Kritik Moses, Jesajas, Arnos', Christi und Paulus' an einer veräußerlichten Gesetzesbeobachtung. 8 7 »Vere spiritualis est lex nos autem carnales«. (Ebd. Aii v ). »Quo opinor (ut reuocarent ad spiritum) prophetas et interpretes delegatos a deo.« (Ebd.). 8 8 »Spiritus legis, voluntas est dei.« (Ebd. Aiii r ). 8 9 »Itaque in qualibet lege spiritus est et nouitas, quam potillimum debemus degustare, Atque in ceremonili lege facilius est videre, literae vetustatem, a nouitate spiritus distare.« (Ebd. Biii v ). 9 0 »Gelaß der schrifft: Alhie solt ich auch sagen / wie ain recht gelaßner mensch die haylig schrifft muß gelassen / und nicht umb buchstaben wissen sonder eingeen in die macht des herren [...] und Gott den herren / on ablassen bitten / das er im waren verstand wolle eingeben« ('Sich gelassen', dii r ); selbstverständlich redet Karlstadt hier nicht einer »Abschaffung« der Hl. Schrift das Wort; es geht ihm um die Bedingungen von deren rechtem Verstehen. 85

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Karlstadt ringt hier um das Verständnis der Aufforderung: »Du sah gottes gehörten alle tag halten.«91 Namentlich für das Bilderverbot sowie die Gebote der zweiten Tafel des Dekalogs bietet diese Aufforderung keine Probleme.92 Bodenstein muß jedoch differenzierter mit denjenigen Geboten verfahren, die nur für eine bestimmte Zeit verordnet sind, wie etwa der Sabbat oder die alttestamentlichen Feste.93 Diese Gebote alle Tage zu halten, meint freilich, ihnen zu der Zeit nachzukommen, für welche sie Gott erlassen hat. Eine solche Erfüllung nennt Karlstadt 'figürlich' und unterscheidet davon ein 'gründliches' Verständnis, nach dem das Gebot dann zu erfüllen ist, wenn es die Situation erfordert: »ich aber hab es vermeldet / uff das man wiß / welcher massen die götliche gebott müsten gehalten werden / alle tag / figurliche bedeüt es zu gebürlicher unnd benembter zeit / gründtlich aber alle tag muß man gottes gebott halten / so ferns der fall fordert.«94 Es ist nun bemerkenswert, daß Bodenstein die 'figürliche' Erfüllung nach dem Buchstaben und die 'gründliche', dem eigentlichen Sinn des Gebotes gemäße Erfüllung nicht einfach auf ein alttestamentlich jüdisches und ein freiheitlich christliches Verständnis aufteilt. Die 'figürliche' Gebotserfüllung gilt nicht bloß den Juden95, sondern allgemein den Schwachen, wobei Karlstadt sicher an die im Bilderstreit so oft bemühten 'Schwachen' denkt. »Die figürliche gebott fahen und verstricken nur die schwachen unnd von wegen der schwachen ist es gut das man die figürliche gebot gehalten hat / und noch helt«.96 Der eigentliche Sinn des Gebots, also der Wille Gottes, hält sich unter dem 'figürlichen', d.h. wörtlichen Vollzug des Gebotenen verborgen. Mit Hilfe dieser Hermeneutik kann Karlstadt die Relevanz des Zeremonialgesetzes für die christliche Gemeinde retten. In ihm erfahren die Schwachen eine Stütze. Durch die zeichenhafte Erfüllung der im wesentlichen rituellen Anordnungen üben sie sich allmählich in das eigentliche Verständnis ein, bis sie darin einen Grad der Vervollkommnung erlangt haben, aus welchem heraus das rituelle Handeln obsolet erscheint. »Anfenglich ist gottes edelst werck 91

'Gemach faren', KS I,85,6f; vgl. 84,25-33. Vgl. ebd. 86,16-25. 93 Ebd. 84,33-85,3. 94 Ebd. 86,8-13; vgl. 85,4f. Die Beschneidung nennt Karlstadt explizit eine »figur« ('Höchste Gebote', KS 1,62,20). 95 »Weil dan vieler juden verstand klein war / und ir blindheit groß / so waren sie unfrey unnd gefangen / unnd schuldig gottes figürliche reden zu halten / wie wol gottes meinung anders war / denn seine rede lautten / unnd die schwachen des ewigen willen gottes feleten. Also müsten sie den Sabbat / und andere feyer unnd fleischliche gerechtigkeiten / als wasser bade etc. halten / nach lauth der reden gottes unnd noch gottes verdecktem willen / biß sie gottes warhafftige gerechtigkeit unnd gerechte warheitt gründtlicher erkanten.« ('Gemach faren', KS 1,85,36-86,5). 96 Ebd. 85,31-33 (Hervorhebung von mir, J.K.). 92

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klein und so gering das es vil leüt haben / und versteent es doch nit. Täglich wechset es uff unnd wirt groß / verstanden / gefült / und bekant / Aber es steet in den sechs tagen die arbeytsam sein und grosse unruhe machen. A m sybenden tag / wenn die besprengung vollendt ist / stets in voller ruhe on arbeyt / und in seiner volkommenheyt / unnd ist ein lieb von gantzem hertzen / von gantzer seien / und auß aller sterck.«97 Diese Stelle macht deutlich, daß Karlstadt bei der Ausgestaltung seiner Gebotshermeneutik nicht nur an das Bilderverbot denkt, sondern auch das Ruhetagsgebot im Auge hat. Er hat diese Hermeneutik auch in den Sakramentsschriften der Orlamünder Periode fruchtbar gemacht.98 Wiederum wird Karlstadt von Gedanken geleitet, die auch dem frühen Luther zueigen waren. Dieser hatte 1516 in den 'Decem praecepta' das Festhalten an den Geboten damit begründet, daß sie den Unvollkommenen Hilfe und Anleitung zur Perfektionierung des inneren Menschen sind. Nur für den geistlichen Menschen, dessen alter Adam ganz abgestorben ist, genügt die Zusammenfassung des Gesetzes im Liebesgebot. 99 Luther hatte dies gerade zum Sabbatgebot dargelegt, weil an diesem Gebot die Differenz zwischen 'Figur' und Bedeutung, Buchstaben und Geist aufbricht.

2.1.4. Die ersten drei Gebote als Konkretionen der Gelassenheit Wenn Karlstadt die Heiligung des Menschen in der Erfüllung des Gesetzes sieht, das seinerseits nichts anderes als den Willen Gottes kundtut, dann kann es kaum verwundern, daß er in den Geboten der ersten Tafel in besonderer Weise das dem ersten Gebot entsprechende Grundverhalten der Gelassenheit ausgedrückt findet. Schon dem ersten Gebot ist das Bilderverbot beigefügt. Daß Karlstadt mit seiner Bilderpolemik das erste Gebot und die Forderung nach der Gelassenheit unmittelbar in seine Zeit hinein appliziert, bedarf nach dem oben über die Gelassenheit Ausgeführten keiner weiteren Erläuterung. W o aber kommt das zweite Gebot zum Zug? Man wird nicht übertreiben, in dem unmittelbar durch seine Enttäuschung nach der Rückkehr Luthers einsetzenden Exodus Bodensteins aus der akademischen Welt in gewisser Weise die Applikation des zweiten Gebotes zu sehen. Diesen Exodus reflektiert Karlstadt 1523 im Traktat über die Gelassenheit. Zwar rekurriert er hier nicht explizit auf das zweite Gebot, doch geht es ihm

97 98 99

'Höchste Gebote', KS 1,64,23-31. Vgl. dazu SIDER, Karlstadt, S. 297-299 und PATER, Karlstadt, S. 112-114. WA 1,436,36-437,10; vgl. oben S. 25f.

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unter Berufung auf Joh 5,44 und 7,18 um das 'Ehre voneinander nehmen' 100 , also um eine Sünde, die dem zweiten Gebot zugeordnet wird. In der 'kurzen Erklärung der zehn Gebote' nennt Luther 1518 dieses Motiv als Übertretung des zweiten Gebots. 101 Karlstadt überträgt es in einen antiakademischen Habitus. »In den hohen schulen was suchet man anders dann eere von den andern.« 102 Wenn er später in der 'Anzeyg etlicher Hauptartickeln' Luther gegenüber klarstellt, er habe nie darauf gepocht, daß jeder Doktor es ihm gleich halten und den Gelehrtenrock mit dem einfachen grauen Rock vertauschen müsse 103 , so trifft dies sicher zu. Hier, wie sonst auch, meidet Bodenstein scharf den rigiden Legalismus. Daß er ein 'neuer Laie' geworden ist, wird gleichwohl mehr als eine private Laune gewesen sein, zumal er dies in seinen Schriften unübersehbar proklamiert. Mit dem Abschied von der Universität und der wohl mehr symbolisch denn real zu wertenden Laisierung sucht er ad personam der Forderung des zweiten Gebots gerecht zu werden. Nicht der konkrete Vollzug, sondern die in ihm exponierte Bedeutung beansprucht indes Allgemeinverbindlichkeit. Während Karlstadt also auf der unbedingten und generellen Einlösung des Bilderverbotes gerade wegen der Schonung der Schwachen besteht, nimmt sich seine Haltung im Bereich des zweiten Gebots nicht so eindeutig aus. Eine direkte Konsequenz scheint er nur für sich selbst gezogen zu haben. Dennoch muß seine Polemik gegen akademische Ehren und Titel, mit denen man nur das Ansehen der Leute erheischt 104 , als eine Konkretion der Grundforderung nach Gelassenheit gedeutet werden. Völlig eindeutig stellt sich dieser Sachverhalt hinsichtlich des dritten Gebotes dar, wie wir nun anhand einer Analyse von Karlstadts Sabbattraktat von 1524 sehen werden.

100

'Sich gelassen', eiiir. Vgl. unten S. 76, Anm. 147. »Wer rühm und ere und namen sucht von seiner fromikeit, weiszheit ec.« (WA l,252,22f; vgl. ebd. 254,19-22). 102 'Sich gelassen', eiiiv. Gegen die gelehrte Weisheit wendet sich Karlstadt auch in 'Gemach faren', KS 1,75,5-20. 103 'Anzeyg etlicher Hauptartickeln', KS 11,94,12-19. 104 »[...] das wir von wegen universistetischer [sie!] glorien nider knyehen / gelt geben / hochtzeyt oder kostliche maltzeyt auffrichten / als darumb das wir bey den leütten ain authoritet haben / und angesehen werden« ('Sich gelassen', eiiiv). 101

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2.2. Karlstadts Verständnis des Sabbats

Den Traktat über den Sabbat hat Karlstadt Ende 1523 oder Anfang 1524 in Orlamünde verfaßt. Er wurde 1524 bei Michel Buchfürer in Jena erstmals gedruckt. 105 Dieser Flugschrift waren vier Ausgaben und drei Nachdrucke beschieden. Sie gehörte damit zu den nicht ganz bedeutungslosen. Der Traktat ist in 13 unterschiedlich große Kapitel gegliedert. Obwohl neben dem Sabbat auch die Feiertage im Titel genannt werden, beschäftigt sich Karlstadt kaum mit der für diese Zeit unter solchem Titel allenthalben zu erwartende Polemik gegen die Menge und Bräuche der römischen Feier- und Heiligentage; auf sie geht er nur recht kurz ein. Vielmehr ist es ihm in erster Linie um den Sabbat zu tun. 106

2.2.1. Die Unterscheidung von geistlichem und 'äußerlichem' Sabbat Grundlegend für Karlstadts Verständnis des Sabbats ist die Unterscheidung des 'äußerlichen' vom inneren oder geistlichen Sabbat. Der 'äußerliche' Sabbat ist ein Tag der Ruhe von der leiblichen Arbeit, der innere bezeichnet die geistliche Ruhe. Gleich im zweiten Kapitel erklärt Bodenstein, Gott habe die Ge- und Verbote erlassen, damit der Mensch heilig werde, wie Gott heilig ist. Wenn er mit Berufung auf Lv 20,7.26 ausführt, daß wir durch die Gebote »heylig und gotformigk werden / das ist got gleich / als got ist«107, so ist dies strikt im Horizont der Heiligung und nicht etwa im Sinne einer 'unio mystica' zu verstehen. Die oben dargelegte Gesetzeshermeneutik wird auch hier von Karlstadt berührt. Die Gebote sind geistlich aufzufassen. »Denn in allen gebotten / muß die ursach / unnd der geyst gemeindt werden«.108 Der 'äußerliche' Sabbat, also die praktizierte Arbeitsruhe, ist »Zeichen«109 und »Figur«110 des inneren, 105 Mit 16 Bl. in allen Drucken handelt es sich im Rahmen der reformatorischen Flugschriftenliteratur um kein kleines Werk. 106 Ein einigermaßen zuverlässiges Exzerpt des Traktats liefert JÄGER, Bodenstein, S. 393-406 (fast nur Zitate bietend). 107 »Got hat alle gebot und verbot dem menschen derhalben fürgelegt / das der mensch [...] werd / wie Got ist / das ist heylig / still / gut / gerecht / weyse / starck / warhafftig / gütig / barmhertzigk etc.« (KS I,23,27f; 23,16-21). 108 KS I,24,22f. 109 KS 1,39,36. 110 KS I,44,36f.

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geistlichen Sabbats, der sich auf das im dritten Gebot 'eigentlich' Gemeinte bezieht. Der 'äußerliche' Sabbat dient dem Menschen, ja der Christ ist ein Herr des 'äußerlichen' Sabbats 111 , er ist aber ein Knecht des inneren oder geistlichen Sabbats. 112 »Der mensch steht zwischen beyden sabbaten / unter dem geystlichen und unsichtparlichen / und ober dem leiplichen und sinnlichen / des obersten knecht / und des untersten herr.« 113 Diese Unterscheidung ermöglicht es Karlstadt überhaupt erst, dem Sabbat trotz des neutestamentlichen Zeugnisses von Mk 2,23-28 par. eine derart große Bedeutung zuzubilligen. Denn wenn danach der Sabbat dem Menschen dient - und nicht umgekehrt der Mensch dem Sabbat - und der Menschensohn ein Herr des Sabbats ist, dann gilt dies für Karlstadt nur in bezug auf den 'äußerlichen' Sabbat. Damit glaubt Karlstadt, die Aussagen der Evangelien über den Sabbat gewahrt zu haben. 114

2.2.2. Der 'äußerliche' Sabbat Nehmen wir aber zunächst den 'äußerlichen' Sabbat in den Blick. Er bezeichnet die Ruhe von der körperlichen Arbeit, die der Regeneration des arbeitenden Menschen und auch des für den Menschen arbeitenden Viehs dient: »Der eusserlich Sabbat / ist dem menschen zu gute eingesetzt / der do arbeitet / das er seine kreffte vernewe oder wider nehme / das sich die lewte unnd vihe dran erholen.« 115 Karlstadt konkretisiert dies in etlichen Ermahnungen, die auf die Zustände in einer Ackerbürgerstadt, also auf Karlstadts Orlamünder Umwelt gemünzt sind. So schärft er die christliche Pflicht ein, den Knechten und Kindern die Feiertagsruhe zu gewähren 116 , mit den Pferden, die die Woche über den Pflug ziehen, nicht am Sonntag noch auszureiten 117 , am Feiertag keine Schulden einzutreiben 118 und keine Gerichtshändel auszufechten. 119 In diesen Ermahnungen werden alttestamentliche Sabbatverordnungen aktualisiert. 120 111

KS 1,39,14.32-34; 40,3f KS I,39,28f. 113 KS 1,39,37-40,2. 114 KS 1,40,3-5. 115 KS 1,34,3-5; vgl. 29,9-11; 46,29f. 116 KS 1,30,33-35; 31,11-13; 32,10-13. 117 KS 1,30,9-19; vgl. auch 29,16-20. 118 KS 1,32,13-40. 119 KS 1,33,2-4. 120 So sind die in ihnen bedachten Personen samt dem Vieh der Aufzählung in Ex 20,10 nachempfunden, Köche sind aufgrund von Ex 35,3, dem Verbot, am Sabbat Feuer anzuzünden, von ihrer Pflicht entbunden und das Verbot der Schuldeneintreibung am Sabbat darf als christliche Radikalisierung des Halljahres aus Lev 25 gedeutet werden. 112

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Freilich ist Karlstadt ständig darum bemüht, einen strengen Legalismus zu vermeiden. Die Gebote stehen nicht alle im gleichen Rang. Vielmehr gibt es »die heuptgepot«, denen die übrigen dienen. 121 Wie Bodenstein schon in der Predigt über die zwei höchsten Gebote ausgeführt hat, ist die Gottes- und die Nächstenliebe das Kriterium, welches darüber befindet, wann die übrigen Gebote im konkreten Fall einzuhalten und wann sie im Namen der übergeordneten Gebote zu suspendieren sind. 122 So ist auch hinsichtlich des 'äußerlichen' Sabbats die Nächstenliebe dem Sabbatgebot überzuordnen: »Derhalben ist die eusserliche feyre / nit so schwind und ernstlich gebotten / das einer kein werck am Sabbat thun dörff / das einem andern zu guthe gereichen möcht oder das einer lieber schaden / oder verterbnis leyden solt / ehe dann er ein eusserlich werck on feyer thet«. 123 So soll das Ruhegebot ausgesetzt werden, wenn es die Sorge um das Wohl des Nächsten gebietet. 124 Hier ist der 'äußerliche' Sabbat aufgehoben 125 , denn er ist um des Menschen willen eingesetzt (Mk 2,27). 126 Namentlich dem Gesinde schreibt Bodenstein ins Gewissen, den Feiertag nicht als Vorwand zu mißbrauchen, seine Pflichten dem Hausherrn gegenüber zu vernachlässigen und die Freiheit des Sabbats als eine »freyheyt des fleysches« mißzuverstehen. 127 Daß der 'äußerliche' Sabbat, die körperliche Ruhe, dem Menschen dient und daher dem höheren Gebot der Nächstenliebe verpflichtet ist, diese Struktur erkennt Karlstadt bereits im Alten Testament. 128 Wo dem Nächsten um Gottes Willen geholfen werden muß, dort kann der 'äußerliche' Sabbat durch Arbeit gar nicht gebrochen werden, 129 denn dort entspricht man dem eigentlichen Sinn des Sabbats. Karlstadt sieht darum in bezug auf den Sabbat keine Diskrepanz zwischen Altem und Neuem Testament: »Darumb stimpt Moses mit Christo«. 130 121

KS 1,36,29-33. Vgl. 'Höchste Gebote', KS 1,56,9-57,11; 66,10-68,40. 123 KS 1,34,9-14. »Dann das gebot von brüderlicher einickeyt und liebe / ist grösser und mehr / dann der eusserlich sabbat« (KS I,33,6f). »Nu hat Gott nye gepoten / das wir alle gebot / uff eynmal / halten solten / nach dem buchstabischenn werck tzu reden / sonder das wir / die beste wercke vor allem und tzu ersten thun / Unther den besten geboten und wercken ist das gepot und werck der lieb und barmhertzickeyt tzu dem nehsten / unnd das wil Gott eher habenn / denn das sabbat / opffer / fasten und singen / teuffen und der gleychen« (KS 1,36,19-25). 124 KS 1,35,33-36,11; vgl. 38,32-39,3; 37,19-37 mit Bezug auf Dtn 22,1-4; Mt 122

12,11. 125 126 127 128 129 130

KS 1,37,8-10. KS 1,35,21-23. KS 1,37,11-13; 38,3-31 (Zitat: 38,271); vgl. 30,35-31,10. Mehrmals beruft sich Karlstadt z.B. auf Hos 6,6: KS I,32,4f; 35,16f; 38,36f. KS 1,37,7-10. KS 1,35,8.

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Christliche Freiheit reklamiert Bodenstein auch im Hinblick auf die Frage, an welchen Tag der Woche der Ruhetag sein soll. Im Wissen darum, daß die Heilige Schrift keinen bestimmten Tag festlegt und daß der Sonntag eine Setzung der Kirche ist 131 , steht es jedem Familienvorstand grundsätzlich frei, fiir sein Haus einen Wochentag festzulegen. 132 Allein aus pragmatischen Erwägungen, um nämlich die dann zu befürchtende Verwirrung der bürgerlichen und kirchlichen Ordnung in einer Stadt zu vermeiden, rät Karlstadt, es doch bei einem bestimmten Wochentag zu belassen, ohne an dieser Stelle auf den vertrauten Sonntag zu verweisen. 133 Da er aber den Sonntag des öfteren synonym für die Worte 'Sabbat' oder 'Feiertag' gebraucht 134 , darf man annehmen, er hege trotz des oben geäußerten Vorbehalts keine prinzipiellen Bedenken gegen die Einhaltung des 'äußerlichen' Sabbats am Sonntag. Nirgendwo plädiert Bodenstein für eine Verlegung des Ruhetags vom Sonntag auf den Samstag.

2.2.3. Der geistliche Sabbat Wenden wir uns nun dem »innerlichen«, dem »geystlichen und unsichtparlichen«135 Sabbat zu. Wir haben bisher herausgestellt, daß die Nächstenliebe die »ursach« des 'äußerlichen' Sabbats 136 , und daß darum der Mensch ein Herr dieses 'äußerlichen' Sabbats ist, während er »ein diener dießes [geistlichen] Sabbats«137 ist. Als eine 'Figur' stellt der 'äußerliche' Sabbat aber über die Gewährleistung der körperlichen Ruhe hinausgehend auch ein Zeichen und einen Hinweis dar und ist damit der Träger einer Bedeutung. Die Bedeutung selbst wird durch den geistlichen Sabbat bezeichnet. »Seinteinmal [...] der eusserlich feyertag eyn schlecht figur ist / und bedeutt / das Got heylig macht / und das der / den heyligen tag recht feyre / der heylickeyt von Got wil entpfahen«. 138 Welches ist aber nun die Bedeutung, für die der geistliche Sabbat steht? Nach einer ersten und grundsätzlichen Antwort muß man nicht lange suchen. Sie klang im letzten Zitat an und wird auch in Karlstadts Traktat schon recht 131 »Er [Gott] spricht nit / das wir den Sontag / oder Samstag für den sibenden tag müssen halten. Von dem Sontag ists unheymlich das jhn menschen eingesetzt haben. Von dem Samstag ists noch ym tzangck.« (KS 1,41,25-28). 132 Vgl. KS 1,42,1-13. 133 Vgl. KS 1,41,29-37. 134 Vgl. KS 1,23,5.12; 30,5.9.34; 36,8; 37,1.4.6.23; 38,13.19; 44,37. 135 KS I,39,35.38f. 136 KS 1,25,3-5. 137 KS I,24,33f. 138 KS 1,44,35-45,1.

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bald gegeben: »Dem nach ist der Sabbat von got eingesetzt / das wir begeren heylig zu werden / als got heylig ist«.139 Die Heiligung des Menschen ist der Zweck des inneren und geistlichen Sabbats. Hat Gott die Gebote erlassen, daß der Mensch mit ihrer Hilfe heilig werde, so gilt das für das Sabbatgebot offenbar in besonderem Maße. Der grundlegende Sinn des dritten Gebotes ist die Heiligung. Karlstadts Begriff der Heiligung läßt sich nun näherhin so fassen, »das got unser wircklickeyt on uffhören wircke«.140 Diese Bestimmung, die nicht allein für Karlstadts Sabbatverständnis, sondern - wie wir oben sahen - überhaupt für seine spätere Theologie zentral zu sein scheint, kreist um zwei Schwerpunkte. So geht es einmal darum, daß Gott wirkt, daß in dem Verhältnis zwischen Gott und Mensch, er der allein aktive, der Mensch der allein passive ist. Dieses Moment greift primär reformatorische Elemente in sich. Der andere Schwerpunkt berührt die Frage, wie Gott unser Wirken wirkt, in welcher Weise also der Mensch allein von Gott bestimmt wird. Der Antwort auf diese zweite Frage wollen wir uns zunächst widmen; sie liegt im Rahmen der oben besprochenen Theologie der Gelassenheit, wie sie für Karlstadts Orlamünder Periode charakteristisch ist. Daß Bodensteins Interpretation des geistlichen Sabbats eng mit dem Motiv der Gelassenheit verknüpft ist, zeigt sich besonders im vierten aber auch im neunten Kapitel des Sabbattraktats141, die nun gründlich betrachtet werden. Indem Karlstadt die Heiligung als das alleinige Wirken Gottes im Menschen versteht, betont er dessen Enthaltsamkeit von den eigenen Werken. »Gott hat dem menschen verpotten seyne werck / am Sabbat zu thun [...]. Damit ist ungetzweyfelt angetzeyget / das wir in der gelassenheyt bleyben müssen / und gar nichts von uns den wercken Gottis tzusetzen / auff das wyr / durch unßere wercke / gotis werck nit beflecken. Auch ist gedeut durch gotis verpot / dz unsere werck gotis werck hindern.«142 Ganz ähnlich formulierte Luther bereits in den 'Decem praecepta': »Igitur in hoc tercio praecepto non opus praecipitur, immo quies, ut non offendatur deus operibus.«143 Wo aber Luther von der quies sprach, setzt Karlstadt die Gelassenheit ein. Die sabbatliche Gelassenheit erweist sich in der kognitiven und affektiven Entleerung der Seele von den kreatürlichen Dingen wie in der Aufgabe des Eigenwillens. »Welcher Gottis 139

KS 1,23,28-30. KS 1,24,2. 141 KS 1,26,27-29,39 sowie 40,16-41,21; die Überschrift zum 4. Kapitel lautet: »In welcher weyße der Sabbat ist zuhalten«, die zum 9. Kapitel: »Was der mensch am Sabbat oder feyertag thun soll«. 142 KS 1,40,33-41,3. 143 WA l,436,16f. 140

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Sabbat unstreflich feyren wil / der muß nit seines willens sein / sondern seinen willen lassen faren / und Gotis willen annemen / den selbigen volbrengen / das heyst recht feyren unnd Sabbatiziren / als offt gesagt ist. Welcher Got einen wolgefelligen und lustparlichen sabbats tag feyren wil / der gelasse seinen lust / willen / begirden / wege / unnd seyne eygne sele / und gedancken / und alles / das yhn belustet / unnd neme an sich den lust / willen begirden / wege / und gedancken Gotis / so feyret er wol«. 144 Für die Verbindung dieser oben herausgearbeiteten Momente des Gelassenheitsbegriffs mit dem Sabbat kann sich Karlstadt auf Jes 58,13f berufen. 1 4 5 Wie wir besonders am Traktat über die Gelassenheit erkennen konnten, drückt sich in der Haltung der Gelassenheit die Befolgung des ersten Gebots aus. Daher ist auch »der sabbats tag / eine bereyttung [...] zu dem ersten gebot«. 146 Karlstadt funktionalisiert den Sabbat im Hinblick auf die Gelassenheit und das erste Gebot, welches er eine »geystliche beschneydung zu allen wercken« nennt. 1 4 7 Um die spezifische Funktion des Sabbats für die Gelassenheit näher zu fassen, bedient er sich der Begriffe »müssickeyt« und »langweylickeyt«: »Müssickeyt hat oder ist langweylickeyt / unnd treybt die grobe hewte und verstopffung von dem hertzen / wens der mensch versteht / also ist müssickeyt ein messzer

144 KS 1,27,36-28,4. »Dem nach must findung unser seien abfallen / und unsere äugen müsten Got gestracks ansehen und meinen / und nicht das unser.« (KS 1,24,15-17). Die Metapher der Augen findet sich auch in der 'Theologia Deutsch'; der 'Franckforter' spricht allerdings von den Augen der Seele, die den beiden Augen der Seele Christi als einer Metapher für die zwei Naturen entsprechen (Th.Dt., cap. 7). 145 KS 1,28,6-13; das Jesaja-Zitat interpretierend schreibt Karlstadt: »Als wolt got sagen / der helt meyne Sabbat / der erweit / was mir gefeit / nit das yhm gefeit / dem nach muß der sabbat eygen willen brechen.« (KS 1,28,15-17). Schon in 'Von manigfeltigkeit', Aiiiir, führt er diese Stelle aus Jesaja an; zuvor verwendet er dort bereits das Verb 'sabbatisieren' als Synoym für ruhen: »welcher eyn frund gotis sein wil / und vor götlichen ougen bestehen / der muß gotis willen thun / und nach götlichem willen leben / wollen thun / lassen / wirken ruhen arbeiten / ader sabbatiseren [sie!]« (Aiir). 146 KS I,27,21f. 147 KS I,27,22f. Karlstadt konnte in Joh 7,22f lesen, daß durch eine Beschneidung am Sabbat das Gesetz nicht gebrochen werde. Obwohl er sich im Sabbattraktat nicht auf diese Stelle beruft, könnte sie ihm doch die enge Verbindung von Sabbat und Herzensbeschneidung bestätigt haben, zumal es im Kontext dieser Stelle (Joh 7,18) darum geht, daß man nicht Ehre voneinander nehmen solle; auf diesen Kontext stützt sich Karlstadt in seiner Polemik gegen die akademischen Ehren (vgl. 'Sich gelassen', ein1)- Vgl. oben S. 69f.

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der beschneydung«.148 Schon im ersten Kapitel der Sabbatschrift wird das Wort Sabbat mit Ruhe und Müßigkeit erklärt. 149 Das biblische Motiv des Sabbats steht also für weit mehr, als bloß für die leibliche Ruhe von mühseliger Arbeit. Es signalisiert in erster Linie eine religiöse Haltung, welche die dem ersten Gebot adäquate Grundhaltung der Gelassenheit konkretisiert. Eine Konkretion der Gelassenheit ist der Sabbat zum einen, weil er Karlstadt die Möglichkeit bietet, das ihm so wichtige Gelassenheitsmotiv biblisch zu verankern. Um eine biblische Fundierung hat er sich zwar auch im Hinblick auf die Gelassenheit bemüht 150 , doch gelingt dies für den Sabbat in ungleich stärkerem Maße. Zum andern konkretisiert der Sabbat die Gelassenheit, weil sich damit unmittelbar an die bestehende Praxis des christlichen Feier- und Ruhetags anknüpfen läßt. Die Ruhe von der alltäglichen körperlichen Arbeit schafft erst die Voraussetzung für eine innere Einkehr. Indem Bodenstein die Gelassenheit zunächst an den Feiertag bindet, ermöglicht er dieses religiöse Verhalten gerade auch den Ständen, die nicht von der körperlichen Arbeit befreit sind. Die Freiheit von den Geschäften und Sorgen des Alltags, 'Müßigkeit' und 'Langweiligkeit' gewährleisten die Konzentration auf das Innere und damit auf Gott. Das Aussetzen aller Aktivität bietet für Karlstadt die Möglichkeit einer Einübung in die Heiligung 151 ; man könnte es auch so formulieren: Müßiggang ist aller Heiligung Anfang! »Dann langweylickeyt unnd verdrieß der tzeyt / ist eyn geystliche beschneydung unnd bereyttung tzu entpfahen Gottis werck /

148

KS 1,27,24-27. Vgl. 40,18-23; hier werden diese Begriffe mit »mussig stehn / nichts thun / und die lange tzeyte leyden« umschrieben. Die Begriffe lassen sich schlecht in den heutigen Sprachgebrauch übertragen, da die Ausdrücke 'Muße' und besonders 'Langeweile' zu falschen Konnotationen führen. Es dürfte deutlich sein, daß sie für Karlstadt keinen pejorativen Klang haben. 149 »Sabbat ist ein Hebreisch oder Judisch wort und heisset uffhören von der arbeit / oder ruhen / und müssig sein. Darumb ist der Sabbat oder feyertag von der ruhe und müssickeit genent und herkommen. Und heyst nit anders / dann ein ruhe tag / yn welchem das geschaffen ding / ruhen soll.« (KS 1,23,3-7). »Langweyligkeit« taucht auch in der Predigt über die zwei höchsten Gebote auf, die Karlstadt etwa in der Zeit gehalten und in Druck gegeben hat, in der der Sabbattraktat entstanden ist: »der geyst der forcht [...] lasset sein krefften durch Christum abgehn [...] unnd machet einen gemeynen grawhen / wider alles das böß ist [...] und reysset lieb und lust unsers lebens und unsers willen uß / und setzet einen verdrieß und langweyligkeit an die statt in uns über unser leben und krefften / und begirden / und scheywen gegen allen dingen / die unser hertz und sele hindern an entpfahung gottes werck.« (KS 1,63,16-25). 150 Siehe oben, S. 52f. Vgl. dazu auch HASSE, Karlstadt und Tauler, S. 173-178. 151 »Auch ist gedeut durch gotis verpot / dz unsere werck gotis werck hindern« (KS I,41,2f).

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alle weyl verdrieß und die langweylickeyt der creaturen lusten auß treybet.« 152 Nichts vermag für Karlstadt so sehr die für die Heiligung konstitutive Passivität des Menschen in bezug auf Gott zu garantieren, als der überall fest institutionalisierte Ruhetag. Gewinnt der Sabbat im Konzept der Orlamünder Theologie zuerst deshalb eine herausragende Bedeutung, weil er die geforderte Passivität des Menschen nicht nur versinnbildlicht, sondern auch Ansätze zu ihrer praktischen Realisierung bietet, so verbindet sich mit dem Sabbat gleichwohl auch das Motiv der Anfechtung und des Leidens, das Bodenstein in früheren Jahren viel stärker an das Gelassenheitsmotiv band. »Am Sabbat / solstu nichts anders thun / dann leyden / wenn deyn leydlickeyt gnugsam bereydt ist / ßo würd sie gottis geyst mit seynem werck erfüllen.« 153 Das Leiden kann er auch als Schmerz über die eigene »unselickeyt und gebresten« schildern. 154 Entscheidend ist jedoch, daß die 'Müßigkeit' und 'Langweiligkeit' den Nährboden für solche Anfechtungen bilden; es handelt sich um eine der Passivität entsprungenen Buße, nicht um eine solche, die durch ein äußeres Widerfahrnis initiiert wurde. »Der wegen sol der mensch mit fleyß das [sie!] sabbats warnemen / zu lernen / wo zu die langweyle / oder verdriesliche tzeyt nutz ist / und warumb got den menschen zu müssickheyt dringt / unnd du solt dich yhe bewaren / das du deyn langweylickeyt nicht verwechselest für wolluste. Ursach es ist besser / das du in das haus des trawrens gehst / dann des wollebens [Koh 7,2] / weil got den menschen die müssickeyt also uffgelegt hat / das der sabbat auch ein tag des anfechtens der traurickeyt und bedrengnus sein soll.« 155 Wenn Karlstadt 'Müßigkeit' und 'Langweiligkeit' eine »bereyttung tzu entpfahen Gottis werck« 156 nennt, stellt sich die Frage, ob das durch den Sabbat bezeichnete Verhalten nicht letztlich doch eine vom Menschen zu erbringende Vorleistung für seine Heiligung oder ob es eine Gabe Gottes ist und als Gnade ausgewiesen werden kann. Ist das Letztere der Fall, so müssen sich neben den eben dargelegten Bestimmungen, die mehr in die Richtung der Mystik weisen, solche finden lassen, die genuin reformatorische Anliegen an den Sabbat herantragen. Als ein Katalysator hierfür bietet sich die reformatorische 'sola'152

KS 1,40,24-27. KS 1,41,12-14. 154 Vgl. KS 1,40,28-30. 155 KS 1,47,10-18; vgl. 46,34-47,9. »Drumb wil got / das wir alle unßere wercke von uns werffen / ßo offt wir seines werckes begeren / darzu auch die senhliche [sie!] langweylickeyt dienet / das ist gesagt. Ihr solt euch peynigen / oder niederdrücken / und demütigen am Sabbats tag.« (KS 1,41,3-7; die Stelle aus Lev 16,31, die Karlstadt hier anführt, bezieht sich im Kontext von Lev 16 allerdings eindeutig auf den großen Versöhnungstag). 156 KS 1,40,25. 153

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Struktur an, die tatsächlich nicht wenigen Ausführung Karlstadts im Sabbattraktat zugrundeliegt. So deutet sich ja bereits in Karlstadts Verständnis der Heiligung ein 'sola-gratia' an. Die Heiligung ist einzig ein Werk Gottes und verdankt sich nicht menschlichen Werken: »Die eussere geberden seint nur zeychen zwischen Got und dem menschen / und bedeuten / das got allein / den menschen heylig macht / und nit unsere werck«. 157 Zwar geht die Sabbatschrift kaum auf Christi Person und Werk ein. Die wenigen Stellen jedoch, die auf Jesus Christus Bezug nehmen, stellen jeweils dessen Exklusivität hinsichtlich des Sabbats und der Heiligung des Menschen heraus. »Christus ist die volkommenheyt des Sabbats / von yhm müssen Engeln und seien lehren feyren / und durch yhn / unnd nach yhme müssen sie allesampt Sabbatiziren.« 158 Die Ruhe Gottes nach den sechs Schöpfungstagen, von der sich der Sabbat im Alten Testament herleitet, »steht darinn / das der mensch wisse / das er zu keyner heyligkeit kommen magk / dann durch Christum / unnd solt doch heylig sein / als Got heylig ist / welches er doch nit vermag tzuthun.« 159 In diesen Aussagen ist das reformatorische 'solus Christus' festgehalten. Ahnliche Sätze finden sich auch in dem Abschnitt des Traktats, der gegen die den Heiligen geweihten Feiertage polemisiert. 160

1 5 7 KS 1,25,31-34 (Hervorhebung von mir, J.K.). »Alle die selig werden wollen / den ist der Sabbat gegeben unnd geboten / bey dießem steht das wort Pauli auch do er sagt. Ir seyt ietzt nit untherm gesetz / sondern in gnaden / denn das gesetz wirt bald ein eusserlich zeucknis / und bleibt nit ein gebot« (KS 1,26,22-26; es ist schwer auszumachen, welches Pauluswort Karlstadt hier im Sinn hat; »Gall. 2.«, wie die Randglosse vermerkt, scheint ein Irrtum zu sein; vielleicht handelt es sich um einen Anklang an Gal 4,5 und 4,21). 1 5 8 KS 1,27,32-35. 1 5 9 KS 1,26,36-27,1 (Hervorhebung von mir, J.K.). Der Mensch »kan auch wider frid / noch ruhe / oder mussickeyt gehaben / ehe er sich Gote unwiderruflich ubergibt / ehe er vorwar weis / das got allein durch Christum / one verdienst und werck heylig macht / wenn er das weis / und recht versteht / das got umb sonst heylig macht / so ist er mit gote zu friden / und kömpt zu der ruhe Gottis.« (KS 1,27,3-8; Hervorhebung von mir, J.K.). 1 6 0 KS 1,44,30-45,40. Dem Heiligenverehrer schreibt Karlstadt ins Stammbuch: »Dann er spricht mit seyner feyerlichen tadt / das er durch einen andern dan durch Christum die heylickeyt erlangen wil / das nicht änderst ist / dann Christum verwerffen. Als die auch Christum Verstössen oder verachten / die sagen dörffen / das gerechtigkeit auß dem gesetz sey. Dem nach wirt auch volgen / das Christus vergebens gestorben were (Gal 2,21) / welchs alles wider got ist« (KS 1,45,18-24).

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Daß Karlstadt bis zuletzt auch am 'sola-scriptura'-Prinzip festhielt und dieses nicht durch schwärmerische Momente wie Träume und Visionen aufgeweicht wurde, hat SIDER überzeugend herausgearbeitet. 161 Im letzten Abschnitt des Sabbattraktats bringt Karlstadt sogar das zentrale reformatorische Motiv der Sündenvergebung mit dem Sabbat in Verbindung. »Es ist auch nit zuvergessen das der Sabbat Vergebung der sunden begreyfft / dan der mensch wirt nit heylig ehe wir Vergebung der sunden erlangen / und in gottis versönung kommen.« 162 Dieses Verständnis des Sabbats deutet Karlstadt hier leider nur grob an. 163 Es zeigt sich also, daß Bodenstein auch mit dem Sabbat als einer Konkretion der Gelassenheit ganz auf der Linie dessen liegt, was wir oben über die Gelassenheit selbst als einer Gabe Gottes herausgestellt haben. Indem Karlstadt den Akzent auf die innere Passivität des Menschen im Heiligungsprozeß setzt, möchte er die grundlegenden Einsichten der Reformation keineswegs hinter sich lassen. Die 'Müßigkeit' ist kein Selbstzweck. Sie steht für Karlstadt im Dienste der frommen Andacht und des Glaubens. Er kann daher die 'Müßigkeit' selbst als ein Werk des Glaubens und des Gedächtnisses der göttlichen Wohltaten beschreiben. »Denn mussickeyt (welche der haußvater seynem gesinde sol gestatten am Sabbat) ist ein wercke des glaubens / welcher Gotis barmhertzickeyt versteht / unnd in frischem gedechtnis helt / das yhm Got wolgethan hat.« 164 Daß eine Verifikation dieses Konzeptes im christlichen Lebensvollzug schwierig sein wird, mag er gespürt haben, wenn er schreibt: »Was der mensch ym Sabbat thun oder lassen [...] sol / ist gut zusagen / wenn die schrifft ist klar. Aber schwerer zu entpfinden und prüfen / denn zu verstehn. Weils über alle naturliche krefften ist.« 165

SIDER, Karlstadt, S. 259-277. Auch hinsichtlich »Karlstadt's sometimes fanciful conception of the spiritual Sabbath« betont SIDER, daß diese wie überhaupt sein »concept of the spirit of the letter did not lead to a spiritualist dissipation of scriptural authority« (ebd. S. 274). 162 KS 1,47,19-21. 163 Ich halte es für denkbar, daß Karlstadt diesen Abschnitt erst im Nachhinein an den Schluß seiner Schrift angefügt hat (freilich noch vor der Drucklegung), da sich dieser Aspekt wie ein späterer Einfall ausnimmt und zu den übrigen Ausführungen nicht recht passen will. Jedenfalls verweist Karlstadt darauf, diesen Punkt in einer späteren Schrift - zu der es dann nicht mehr gekommen ist - genauer beleuchten zu wollen (vgl. KS 1,47,22-24). 164 KS 1,31,22-25. »Der glaube ist ein krefftige weyßheit / welche Gottis güte recht schmeckt / und versteht / wie got frey gemacht hat / von der dienstparckeit in Egipten« (KS 1,31,37-39). 165 KS 1,26,28-32. 161

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2.2.4. Zeitlicher und ewiger Sabbat Wenn Karlstadt den geistlichen Sabbat als eine konkrete Form der Gelassenheit bestimmt, so ist zu betonen, daß er sich dabei auf den Ruhe- und Feiertag bezieht. Der geistliche Sabbat ist bei ihm zunächst keine permanente Feier, die unabhängig wäre von einem bestimmten Wochentag, denn der Mensch kann sich in diesem irdischen Leben nicht fortwährend der ' Müßigkeit' und 'Langweiligkeit' preisgeben. Er kann sich nicht nur passiv verhalten, er muß auch wirken und arbeiten. Andererseits darf freilich die Gelassenheit als eine Struktur der Heiligung nicht auf einen Tag in der Woche reduziert werden. »Denn warumb der mensch bedarff gotis heylickeyt alle tag und stunde / darumb muß er / den sabbat / alle tag heyligen / unnd alle tag werckloß sein / und yhn [in] der gelossenheyt und langweylickeit stehn / wie obgemeldt ist.« 166 Es ist nun bezeichnend, daß der Mensch durch Übung den permanenten Sabbat zu realisiseren vermag. Ausgehend vom Ruhetag wird er sich allmählich in die Gelassenheit einüben können und so die Verheißung vom immerwährenden Sabbat aus Jes 66,23 erfüllen. 1 6 7 Gleichwohl kann dies in diesem Leben - gerade wegen seiner Mühsal - nicht vollkommen geschehen. Der vollkommene Sabbat ist eine eschatologische Größe. 1 6 8 Hier auf Erden beginnt der geistliche Sabbat, aber eben nur bruchstückhaft. »Allhie haben wir den ersten einwurff und anfang des Sabbats / und seind knechte. Dort haben wyr / ein yder nach seyner maß / ein gantz fröliche volkommenheyt des Sabbats.« 169 Wie die Gelassenheit selbst soteriologische 166

KS 1,42,20-23. »Wenn aber die eußerliche decke uffgehabenn [2.Kor 3,16]/ unnd yhn [in] den geystlichen sabbat gesehn / wurden alle tage sabbaten sein / unnd ein sabbat auß dem andern flissen [Jes 66,23]/ denn yhe mehr sich / der mensch in geystlichem feyer / übet / yhe mehr sabbaten volgen / und eyner auß dem andern kommet.« (KS 1,42,15167

20). 168 »[...] so nu der mensch in dißem sterblichen leychnam nit mit allen krefften in Got ruhet / noch ruhen kan / und solt doch mit gantzer seelen / mit vollem hertzen / und allen krefften in got ruhen / ßo muß etwar [= dermaleinst] ein volkommenheyt dem unvolkommen / und dz gantze / den teylen nachvolgen / und muste das jhene / ßo das gantze verhindert / vergehen und die seele lehr werden« (KS 1,42,26-32). »Drumb wirt in zukünfftiger ruhe ein heller verstendiger tag werden / und ruhe one arbeyt. Als lichte one finsterniß. Wenn der oberste sabbat hat seine wurtzlen do selbst auß gestrackt uff die höcheste Jubeltzeyt / do volle lieb / gantz ruhe / nichts dan unaussprechliche / hymelische / ewige fröhlickeyt und freyheyt sein wird.« (KS 1,43,23-29). 169 KS 1,43,38-40.

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Relevanz nur für dieses zeitliche Leben gewinnt, im Eschaton sich aber in Ungelassenheit wandelt, 170 so ist auch der geistliche Sabbat erst im Eschaton vollkommen, in diesem Leben aber noch auf seine 'figürliche' Realisation angewiesen. Karlstadt setzt also beim Ruhe- und Feiertag als einer ihm praktikabel erscheinenden Möglichkeit an, um die Gemeinde in die Gelassenheit einzuüben. Dieses Programm steht aber immer unter dem Vorbehalt, daß der vollkommene und ewige Sabbat eine Kategorie sub specie aeternitate ist.

2.3. Zusammenfassung

Wir haben versucht, Karlstadts Deutung des Sabbats aus dem Jahre 1524 im Kontext seiner Orlamünder Theologie zu verstehen, die sich seit 1523 - frühere Ansätze aufnehmend - um das Problem der Heiligung formiert. Das dritte Gebot und besonders die geistliche Deutung des Sabbats avanciert zu einem konstitutiven Element in einem Konzept, das die Heiligung am Leitfaden der ersten drei Gebote ausgestaltet. Nicht nur formal, sondern auch hinsichtlich der soteriologischen Strukturen weist dieses Konzept große Ähnlichkeiten mit der Gebotsauslegung Luthers in der Phase seiner Humilitas-Theologie auf; besonders Luthers 'Kurze Erklärung der zehn Gebote' von 1518 kann als eine Art Programm der Orlamünder Heiligungskonzeption angesehen werden. Bei der Ausfuhrung des Programms greift Karlstadt aber weit mehr als Luther auf die 'Theologia Deutsch' zurück, was zu einer Vertiefung des bei Luther nur eben angedeuteten Gelassenheitsmotivs führt. Die Gelassenheit ersetzt dabei das Motiv der quies bei Luther und verstärkt die mystischen Konnotationen. Da weder die 'Theologia Deutsch' noch Tauler das Gelassenheitsmotiv explizit mit dem Motiv der Feier oder des Sabbats verbindet, dürfte Karlstadt diesen Impuls von Luthers früher Sabbatdeutung empfangen haben. 171 170

»Nu muß dieße tzeytliche arbeyt vergehn / und angst und forcht auffhören / unnd gelassenheyt in ungelassenheyt kommen / und der mensch muß sorgloß werden / kegen allem / das yn hindern magk / heylickeyt von Gotte zu entpfahen.« (KS 1,43,20-23). 171 Auch mit Augustins Sabbatdeutung (siehe dazu oben, S. 14f) war Karlstadt vertraut. 1517-19 las er über 'De spiritu et littera', in dessen 15. Kapitel Augustin die geistliche Sabbatdeutung entfaltet. Leider brach Karlstadt den Druck der Vorlesung nach dem 12. Kapitel von 'De spir. et lit.' Anfang 1519 ab (KÄHLER, Karlstadt und Augustin, S. 52*, vermutet, Karlstadt sei der aufwendige Scholiendruck zu teuer geworden). Daß er dennoch auch Augustins Sabbatdeutung aus 'De spiritu et littera' ganz rezipiert hat, zeigt die 101. der 151 Thesen von 1517, mit denen er seine Au-

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Das erste Gebot bildet gleichsam die Achse, um die sich alles dreht. In der Frage nach der Heiligung des Menschen gewinnt es eine eminente Bedeutung, insofern es die fundamentale Struktur der Alleinwirksamkeit Gottes im Menschen festschreibt. Dem ersten Gebot entspricht der Mensch mit der Grundhaltung der Gelassenheit, die Karlstadt biblisch mit dem Topos der Herzensbeschneidung faßt. Die Gebote der ersten Tafel des Dekalogs legen jeweils die ursprüngliche Bedeutung des ersten Gebotes aus und variieren so das grundlegende Motiv der Gelassenheit. Anhand einer auf die Unterscheidung von Figur und Bedeutung zielenden Hermeneutik gewinnt Karlstadt in den ersten drei Geboten Strukturen, welche die Grundhaltung der Gelassenheit in die Situation der Gemeinde hinein konkretisieren. Dabei leitet ihn besonders die Sorge um die 'Schwachen'. Den Konkretionen kommt ein unterschiedliches Maß an Verbindlichkeit zu. Das Bilderverbot gilt absolut, da es unmittelbar die Ehre Gottes wahren möchte. Aus der dem zweiten Gebot nahestehenden Polemik gegen die akademischen Ehren zieht Karlstadt zunächst nur persönliche Konsequenzen. Das dritte Gebot beansprucht größere Verbindlichkeit, da Bodenstein in der Praxis des Ruhetags die Möglichkeit sieht, den »normalen« Gemeindechristen, der durch körperliche Arbeit an einer religiösen Verinnerlichung gehindert wird, in die Grundhaltung der Gelassenheit einzuführen. Dazu bedient sich Karlstadt der Begriffe 'Müßigkeit' und 'Langweiligkeit', die einerseits den Begriff der Gelassenheit umschreiben und andererseits an die der Gemeinde geläufige Institution des Ruhetags anknüpfen. So leitet der praktizierte Ruhetag ('äußerlicher' Sabbat) als die Figur in die Grundhaltung der Gelassenheit als die Bedeutung des geistlichen Sabbats. Karlstadt teilt zwar auch mit Luther die Unterscheidung von 'äußerem' und geistlichem Sabbat, doch ist diese Unterscheidung bei Luther viel grundsätzlicher. Luther beläßt den geistlichen Sabbat konsequent auf der Signifikationsebene. Während der 'äußere' Sabbat als wöchentlicher Ruhetag in erster Linie auf den Gottesdienst bezogen wird und so eine äußere Bedingung der Rechtfertigung markiert, verbleibt der geistliche, permanente Sabbat in der Funktion des Interpretaments.

gustin-Lektüre gegen die Scholastik formiert: »Decalogus excepta sabbati observacione a Christiano est observandus« (KAHLER, Karlstadt und Augustin, S. 28*); dies ist fast wörtlich aus Augustin, De spir. et lit. XIV,23 (CSEL 60,177,2f). Auch noch im Sinne Augustins nimmt sich die Erwähnung des Sabbats in Karlstadts 'De legis litera' (Aiir) von 1521 aus. Diese Stellen belegen, daß Karlstadt im Zuge seiner früheren Augustinrezeption noch nicht zu einer Deutung gelangt ist, die den Sabbat in der völligen Passivität konzentriert und den Feiertag als Einübung in die Gelassenheit konzentriert. Solch eine Deutung wird erst in der Orlamünder Periode greifbar.

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Kallstadts Deutung des geistlichen Sabbats dagegen weist ein charakteristisches Gefälle zur praktischen Umsetzung des mit der Deutung Intendierten auf. Karlstadt zielt auf die Verwirklichung praktikabler Strukturen der Gelassenheit Er knüpft dazu an der bestehenden Institution des wöchentlichen Ruhetags an und möchte mittels einer spirituellen Auslegung des Sabbats die Gemeinde in die Grundstruktur der Heiligung einüben. Er versucht also in seiner Orlamünder Zeit ein Frömmigkeitskonzept zu popularisieren, das seinen ursprünglichen 'Sitz im Leben' im Erfahrungshorizont einer am Ideal der vita contemplativa orientierten Frömmigkeitspraxis hatte. Ansatzweise zeigte sich diese Tendenz auch bei Luther bis 1518. Sie brach aber mit der Wendung in Luthers Theologie in den Jahren 1518 bis 1520 ab, da die Entdeckung des Promissio-Charakters des äußeren Wortes einen neuen Zugang zum Alltagshandeln des Menschen eröffnete, der nicht mehr dem Leitbild monastischer Frömmigkeitserfahrung folgt.

3. Die spiritualistische Sabbatdeutung bei Schwenckfeld Auszug aus der Welt und Eingang in die ewige Ruhe Gottes

Beunruhigt über das Treiben einer Sekte, die den Sabbat zu halten forderte, sandte 1531 Leonhard von Liechtenstein aus Nikolsburg in Mähren das Buch eines Oswalt Glaidt, das vom Sabbat handelte, an Wolfgang Capito nach Straßburg mit der Bitte um eine Widerlegung. In Glaidt sah der Nikolsburger Regent offenbar den Gründer und Wortführer dieser Sekte.1 Wegen Arbeitsüberlastung bat Capito Schwenckfeld, der sich seit 1528 bei Capito in Straßburg aufhielt, wohin er gewichen war, um einer Vertreibung aus seiner schlesischen Heimat zuvorzukommen, die Erwiderung zu schreiben. Am 1. Januar 1532 stellte Schwenckfeld seine recht umfangreiche Schrift 'Vom christlichen Sabbath und underscheid deß alten und newen Testaments' an Leonhard von Liechtenstein fertig. 2 Schwenckfeld beschränkt sich in dieser Schrift nicht nur auf die Widerlegung von Glaidts Buch, sondern er möchte auch über das »recht, christliche« Verständnis des Sabbats unterrichten. Dabei entwickelt er eine Sabbatdeutung mit einem durchaus eigenständigen Profil. Sie nimmt zwar traditionelle Ansätze und Motive auf, wie wir sie auch bei Luther und Karlstadt kennengelernt haben; einige Formulierungen werden sogar unmittelbar von Luther und Karlstadt entliehen. Doch Schwenckfeld arbeitet diese Ansätze in einer für seine spiritualistische Theologie charakteristischen Weise weiter aus, so daß sich bei ihm letztlich ein Verständnis vom Sabbat einstellt, das erheblich von demjenigen Luthers und Karlstadts abweicht.3 Schwenckfelds Freund und theologischer Weggefährte Valentin Krautwald4 urteilt ganz ähnlich über den Sabbat. Wenige Jahre nach Schwenckfelds Send-

1

Zu Oswalt Glaidt und den Sabbatern siehe unten Kap. 8. CS 4,453-518 (Doc. CXXVI). Zum Anlaß der Schrift und den Umständen ihrer Entstehung siehe ebd. 453,22-454,17 und unten S. 184. 3 Dies hat RICHARD MÜLLER verkannt; er behandelt darum Schwenckfelds Sabbatverständnis nicht, sondern begnügt sich mit einem Verweis auf Luther und Calvin, deren Auffassungen er durch Schwenckfeld einfach reproduziert sieht (MÜLLER, Sabbat, S. 117). 4 Zu Krautwald siehe WEIGELT, Valentin Krautwald. 2

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brief an Leonhard von Liechtenstein verfaßte Krautwald eine Gegenschrift 5 auf das Buch des Sabbaters Andreas Fischer, in dem dieser das Halten des Sabbats verteidigte. 6 Obwohl sich Krautwald auf die Widerlegung der Argumente Fischers konzentriert und weniger als Schwenckfeld an der Entfaltung des »rechten, christlichen« Sabbatverständnisses interessiert ist, kommt seine Entgegnung nicht ohne Hinweise auf die Sabbatdeutung aus, die er für die richtige hält. Diese Hinweise sollen in die Darstellung von Schwenckfelds Sabbatverständnis eingearbeitet werden, da sie auf den gleichen theologischen Grundentscheidungen fußen.

3.1. Der Sabbat Moses und der Sabbat Christi

Der letzte Hauptteil des Sendbriefes, in dem Schwenckfeld die seiner Meinung nach richtige Deutung des Sabbats darlegen möchte, hebt an mit der Erklärung des hebräischen Wortes 'Sabbat' als Ruhe oder Feier von der Arbeit, mit der Unterscheidung dieser Ruhe in eine leibliche, die um des Menschen willen an einem Tag der Woche zu halten geboten ist, und in eine geistliche Ruhe, die als der immerwährende Sabbat das Ablassen von den Sünden, die Tötung des alten Adams und das Absterben des Eigenwillens bezeichnet. 7 Auch die klassi-

5

Valentin Krautwald, Bericht und anzeigen, wie gar one kunst und guoten verstandt Andreas Fischer vom sabbat geschriben. (Im folgenden: Krautwald, Bericht.) Diese Schrift ist im Anhang der Arbeit ediert. Alle Verweise beziehen sich auf diese Edition. Zur genauen Bibliographie siehe dort. 6 Zu Fischer, seiner Verteidigung des Sabbats und der Auseinandersetzung zwischen ihm und Krautwald siehe unten Kap. 8. 7 »Sabbath (das wir einen feyrtag heissen) ist ein Hebreisch wort / heist rue oder feier / das man mussig sey / stillstehe oder uffhöre / von der arbeit unnd von wercken. Wie aber die rue / oder uffhören vonn den wercken zweyerley ist / leiplich unnd geistlich / Eusserlich unnd Innerlich / für den menschen unnd für gott / So wurt ouch in heiliger schrifft / vom Sabbath uff solche zweyerley weiße geredt unnd verstanden. Die leibliche rue / ist etwan umbs menschen willen / an einem tage inn der wuchen geordnet vom leiplichen werck uffzuhoren / darijnn zu ruen / sich erquicken unnd die krefft zuerholen [...] Inn Summa / die geistlich rue oder Sabbath ist ein undergang des Alten naturlichen menschens / es ist ein absterbung des eigenwilligen fleischlichen wesens. [...] Das ist denn der recht Sabbath des herren / darijnnen man alle tage mus Sabbatizieren / nit mit mussig gehn von der leiblichen arbeit / Sonder mit mussig geen der sunden / unnd werck des fleisches / also soll man teglich feiren / unnd jmmer mehr inn die rue gottes eingehn / darynnen uff wachsen / unnd zunemen / bis es volkomlich dort würt angehn« (CS 4,494,7-28).

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sehe Verbindung des Sabbats mit dem Verbot der opera servilia ist Schwenckfeld ebenso bekannt8 wie das Motiv der sabbatlichen Grabesruhe Christi. 9 Diese Passage will sich jedoch nicht recht mit den übrigen Darlegungen in diesem umfangreichen Sendbrief über den christlichen Sabbat reimen. Sie klingt lutherisch und wurde zum Teil wörtlich aus Luthers 'Sermon von den guten Werken' übernommen. 10 Sonst redet Schwenckfeld - soweit ich sehe nirgends vom leiblichen und äußerlichen Sabbat, der Sabbat als Tag der Arbeitsruhe wird nicht berührt. Für den sozialethischen Aspekt des Sabbats interessiert sich Schwenckfeld nicht im geringsten. Man wird bei der Lektüre seines Sendbriefes schnell gewahr, daß Schwenckfeld den Sabbat überhaupt nicht vom dritten Gebot her in den Blick nimmt. Es wird sich zeigen, daß unter dem Sabbat Moses keineswegs das zu verorten ist, was bei Luther, Karlstadt u.a. unter der Bezeichnung leiblicher Sabbat oder leibliche Feier begegnet. Auf den ersten Blick anders verhält es sich beim Sabbat Christi. Hier scheint Schwenckfeld tatsächlich den geistlichen Sabbat in seiner traditionellen Bestimmung anzuvisieren. »Unnd es kan ouch vom Sabbath Christi niemands gruntlich reden / schriben oder lerenn er wisß unnd kenn in denn / er hab in denn von Christo gelernet unnd erfaren / das er nemlich nach der masse des gloubens darein kommen / den selbigen halte unnd feyre / hinfür ruwe unnd stillstehe von seinen alten suntlichen wercken / und den herren Jesum Christum jm heiligen geist wurcken wonen unnd regieren losse jn seinem hertzen.«11 So vertraut diese Formulierungen und ähnliche Bestimmungen klingen, bei einem gründlicheren Vergleich mit Luther und Karlstadt wird man aber auch auf der Seite des geistlichen Sabbats rasch ein Defizit bei Schwenckfeld und Krautwald bemerken. Man muß feststellen, daß diese und ähnliche Erläuterungen des geistlichen Sabbats nie weiter entfaltet werden. Es finden sich keine Konkretionen dieses Topos. Weder werden irgendwelche Ausführungen über die christlichen Werke der mortificatio carnis angeschlossen wie bei Luther, noch redet der Schlesier im Kontext des geistlichen Sabbats von der Ge8

»Wie die wir glouben / gehn inn die rue / das ist sovil gesagt / das wir alhie anheben zu sabatizieren / von allen dienstbaren wercken / unnd den feiertag des herren zu halten wenn wir den leib der sunden ußziehen« (CS 4,503,18-21). 9 Vgl. ebd. 496,15; 494,31-34. 10 Luther formuliert im Sermon: »[...] das sabbat / auff Hebreisch heisset / feyr / odder rüge. [...] Disse rüge odder auffhoren von den wercken ist zweyerley / leiplich unnd geistlich« (BoA l,266,38f; 267,10f); vgl. damit das Zitat in Anm. 7. 11 CS 4,457,3-8; vgl. ebd. 463,6-9; 464,11-15; 483,26-28; 498,24-26; 499,2830; 500,31-34; 503,4-6; 507,28-32 und Krautwald, Bericht, Anhang S. 274,10-13.

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lassenheit wie Karlstadt. Dies ist um so auffälliger, als Schwenckfeld nachweislich die Auslegungen Luthers und Karlstadts gekannt und einzelne Elemente von beiden rezipiert hat. 12 An mehreren Stellen ist sogar eine implizite Kritik an Karlstadts Ausführungen zu beobachten: »Wenn man mit mussiggon möcht den hymmel erlangen unnd dem willen gottes dabey genug thun / so hetten die reichen disser weit gutt machen.«13 Daß Schwenckfeld konkretere Erläuterungen darüber meidet, wie der geistliche Sabbat zu feiern sei, wie sich der Christ in die Tötung des Alten Adams einüben kann, hängt mit seinem spezifischen Sabbatverständnis zusammen. Es wird zu zeigen sein, daß die oben angesprochene Unterscheidung von leiblicher und geistlicher Ruhe und vom äußeren und geistlichen Sabbat bei Schwenckfeld viel radikaler durchgeführt wird als bei dem früheren Luther oder bei Karlstadt. Sie findet sich nur an dieser Stelle. Überall sonst wird sie verdrängt durch die für Schwenckfeld typische Unterscheidung von 'Sabbat Moses' und 'Sabbat Christi'. Diese Unterscheidung markiert eine ganz andere Differenz als diejenige von leiblichem und geistlichem Sabbat. Der Sabbat Moses ist der jüdische Sabbat des Alten Testaments, der als 'Figur' aufgehoben und daher für den Christen eigentlich keine Bedeutung mehr hat. Der Sabbat Christi dagegen ist der christliche Sabbat des Neuen Testaments; nur dieser ist noch relevant. 14 Mit dieser radikalen Unterscheidung glaubt Schwenckfeld, die Sabbat-Lehre Oswalt Glaidts widerlegen zu können. Jedoch veranlaßt nicht nur die Widerlegung jene radikale Unterscheidung; vielmehr entspricht sie überhaupt der theologischen Eigenart Schwenckfelds. Wir werden die beiden Sabbate je gesondert im Zusammenhang der Theologie Schwenckfelds untersuchen und in beiden Teilen jeweils eine Begründung dafür erhalten, daß der schlesische Edelmann letztlich nichts mit den uns bisher geläufigen Deutungen des leiblichen und des geistlichen Sabbats anzufangen weiß, obwohl er viele ihrer Elemente terminologisch übernimmt. Zur Erhellung dessen, was Schwenckfeld und Krautwald unter dem 'Sabbat Moses' ver12

Für Luther ist dies oben nachgewiesen worden. Karlstadts Sabbattraktat wurde noch 1524 von Johann Schwan in Straßburg nachgedruckt (vgl. FREYS / BARGE, Verz. Nr. 117; ZORZIN, Anh. Verz. Nr. 60), dürfte also schon von daher Schwenckfeld bekannt gewesen sein; dies bestätigt eine auffallige Parallele: Schwenckfeld wie Karlstadt veranschaulichen das Verhältnis von 'Figur' und Bedeutung am Beispiel des Weinzeichens, das auf den Weinausschank im Gasthaus hinweist (Karlstadt, KS 1,45,1-5; Schwenckfeld, CS 4,501,36-502,2). Obwohl Schwenckfeld mit diesem Vergleich etwas ganz anderes intendiert als Karlstadt (s.u. S. 91), hat er das Bild an sich doch von Karlstadt übernommen. 13 CS 4,456,12f; diese Invektive ist zwar direkt gegen Glaidt gerichtet, doch wird dabei sicher auch an Karlstadt gedacht sein. Vgl. ebd. 498,23f; 507,27f. 14 Etwa CS 4,501,32-34; Krautwald, Bericht, Anhang S. 288,13f.

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stehen, wird eine Betrachtung ihrer spiritualistischen Hermeneutik notwendig sein, und der Abschnitt über den 'Sabbat Christi' erfordert einen Einblick in die für die Schwenckfelder charakteristische Auffassung der christlichen Heiligung.

3.2. Der Sabbat Moses - eine erfüllte 'Figur'

Die grundlegende Unterscheidung von Christi Sabbat und Moses Sabbat zielt einzig darauf, den absoluten Gegensatz zwischen beiden Sabbaten zu zementieren. Was immer Christen mit dem Sabbat anzufangen haben, es hat nichts mit dem jüdischen Sabbat zu tun. Unmittelbar vermag das Alte Testament nichts über denjenigen Sabbat auszusagen, an den sich die Christen halten sollen. Der Gegensatz vom 'Sabbat Moses' und 'Sabbat Christi' bestimmt sich hermeneutisch im für Schwenckfeld kategorialen Gegensatz von 'Figur' und Erfüllung. Demgemäß zieht sich der Antagonismus vom Sabbat als 'Figur' und vom erfüllten Sabbat durch Schwenckfelds Sendbrief wie durch Krautwalds Bericht. »Also hab ich nu vom anfang / einsetzung unnd erfullung des Sabbaths / das ist vom underscheid des figurlichen / unnd warhafftigen Sabbaths / ouch meinen verstand kurtzlich wollen darthun. Das nemlich der figurliche Sabbath / allein uff Christum / unnd uff seinen Newen Sabbath / der Ewigen geistlichen rae / unnd heiligung gottes / wie alle andere figuren des Alten Testaments / hat geweiset. Drumb was es zuuor prophecyet / das solche figurliche Sabbather durch Christum kunfftig solten uffhören / unnd ein Sabbath am andern [Jes 66,23]/ das ist / ein einiger Ewiger Sabbath / darynnen die Christgleubige seele geheiliget / für gott jmmer dar feiret / unnd got in ir ruet / darfur uffgericht werden.«15 Die Kategorien von 'Figur' und Erfüllung bleiben freilich nicht dem Sabbat vorbehalten. Schwenckfeld konzentriert in ihnen generell den Unterschied von Altem und Neuem Testament. Es ist bezeichnend, daß er sein Verständnis des Sabbats nicht darlegen kann, ohne gleichzeitig über den »underscheid deß alten und newen Testaments«16 zu belehren. Daher soll nun zunächst die Grundbestimmung von 'Figur' und Erfüllung genauer untersucht werden.

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CS 4,497,34-498,4. Titel des Sendbriefes, CS 4,452.

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3.2.1. 'Figur' und Erfüllung bei Schwenckfeld Für Schwenckfeld beginnt die Religion im Grunde erst mit Christus, ja eigentlich erst mit dessen Himmelfahrt und seiner Einsetzung in die 'Glorie'. Die 'Wahrheit' offenbart sich erst im Neuen Testament und in Jesus Christus, da erst hier das religiöse Grundprinzip der reinen Spiritualität anzusetzen ist. 17 Diese Wahrheit ist schon die Erfüllung des Reichs Gottes. 18 Allein vom Neuen Testament her kann das Alte überhaupt erst verstanden werden. 1 9 Entsprechend ist das Verhältnis der beiden Testamente nicht eines des gegenseitigen Verweisens nach dem klassischen Schema von Verheißung und Erfüllung. Es geht Schwenckfeld nicht um den Selbsterweis der Wahrheit Gottes in der heilsgeschichtlichen Abfolge von Verheißung und Erfüllung; die Glaubwürdigkeit des Wortes Gottes, die sich daran für Luther so zuverlässig behauptet, interessiert den Spiritualisten nicht, weil ihn das Wort extra nos und der darauf bauende Glaube nicht interessiert. 20 Da Schwenckfeld keine Heilsgeschichte kennt 21 , verkümmert bei ihm das wechselseitige Verhältnis von Verheißung und Erfüllung zum Schematismus eines exklusiven Gegensatzes von 'Figur' und Erfüllung. Gleichzeitig weitet

17

CS 4,155,9-20 (3. Sendbrief, 1531); 477,19-21 u.ö. Es gibt daher für Schwenckfeld im Alten Testament keinen Glauben im Sinne eines Vertrauens auf die zukünftige Erfüllung der Verheißungen; vielmehr bestimmt er den Glauben der Väter - Abrahams etwa - schon als jenen, die Dimensionen von Raum und Zeit abstreifenden Aufschwung des Herzens zu Christus (vgl. CS 2,688,21-689,7 - Appendix zu 'De cursu verbi Dei', 1527). Daß die Frage nach der Seligkeit der alttestamentlichen Väter 1532 im 4. Sendbrief für Schwenckfeld ausdrücklich zum Problem wird (CS 4,541,8-548,9), bestätigt die These, es sei ihm eine Religiosität vor Christus und dem Neuen Testament zu akzeptieren unmöglich. Indem er den Glauben dieser Väter als verborgen und heimlich deklariert, hebt er ihn aus seiner Verwurzelung in Israel und dem Alten Testament heraus (ebd. 542,17-23); gleichwohl können die Väter erst mit Christus den Himmel betreten, da dieser ihn allererst aufgeschlossen hat; zwischenzeitlich werden sie in der Hölle verwahrt (ebd. 543,16-548,9). 18 CS 4,471,7-13. 19 CS 4,432,19-23 (Underschaid des Alten und Newen Testaments). 20 Gegen Luther besteht Schwenckfeld darauf, daß sich der Glaube nie auf äußerliche Verheißungen gründen darf; die dem Buchstaben nach ja sehr verschiedenen Verheißungen seien nur geistlich zu verstehen und setzen daher den Glauben voraus; vgl. dazu vor allem den Appendix zu 'De cursu verbi Dei' von 1527, bes. CS 2,686,24-696,29. 21 MARON, Individualismus, S. 66-68 leitet dies von Schwenckfelds Christologie, d.h. von seiner Lehre von der Glorie Christi ab; vgl. auch SEEBASS, Caspar Schwenckfeld's Understanding of the Old Testament, S. 98.

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sich dieser Gegensatz zum universalen hermeneutischen Prinzip aus. 2 2 Mit ihm beleuchtet Schwenckfeld keineswegs nur die traditionellen christologischen Weissagungen des Alten Testaments. Vielmehr erscheint ihm durch die Erfüllung mit und seit Christus das gesamte Alte Testament als 'Figur'. Jede Erzählung, jedes Geschehen an und mit Israel, jede Schlacht, die es geschlagen, jeder Ritus, - alles ist 'Figur' und alles ist erfüllt. Das Alte Testament wird zur allegorischen Spielwiese. Das heißt aber, daß es im Grunde überflüssig wird. 2 3 Was bedarf derjenige noch der 'Figuren', der im Geist und in der Wahrheit lebt? Er kennt ja die Bedeutung unmittelbar, er hat die Andeutung nicht mehr nötig. Der Sabbat »ist den Alten ein figur gewest / die do weren solte bis uff Christum / Nun aber Christus komen ist / der die warheit angericht / unnd herfurer brocht hatt / was dorffen wir der figur? Oder was bdarff man mer des weinkrantzes / als des Zeichens / wenn man beim wein ist?« 24 Mit der Erfüllung erscheint also alles in einem neuen Licht. »Drumb so muss mann die figuren deß alten Testaments / nu nimmer nach dem buchstaben richten / Sonder man muss sie nach dem geiste / und nach der erfullung in Christo Jhesu ansehen«. 25 Alles im Alten Testament ist eine 'Figur' und als solche nun obsolet geworden. Das betrifft alles reale Geschehen, jede Norm, sei sie kultisch, rechtlich oder sittlich. Dies alles ist leiblich, erfüllt und damit unnötig geworden. Was bleibt, ist die Bedeutung, die mit der Erfüllung offenbar geworden ist. Genau an diesem Punkt aber zeichnet sich die Aporie von Schwenckfelds Hermeneutik ab. Schwenckfeld reißt Symbol und Bedeutung auseinander. Er trennt das geistliche Verständnis vom Träger der Bedeutung ab. Die Bedeu

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»Von der Figur und jrer erfüllung. Denn Figur und erfüllung der Figur / halten sich an einem theil gegennander / wie ein leiblich und geistlich / eusserlich und innerlich ding / wie Moses und Christus / Gesetz und Gnade / wie der Schatte und die warheit / Daß alles was inn der figur etwan ist leiblich geschehen / gesehen / auffgericht und gehandelt worden / das muß inn der erfüllung / nach der Dispensation Christi / durch Christum von uns allein geistlich imm glauben erkant / gesehen / empfangen und eingenommen werden / sonst wäre es nicht erfullung / noch die geistliche warheit.« (CS 2,478,24-479,2). 23 »Inn Summa / das Alt Testament ist der Schatt unnd figur gewest / es handelte / lerete / unnd weistete / alles uff den kunfftigen Christum / desshalben es noch siner zukunfft / von nots wegen must vergehn uffgehaben unnd abgethon werden. Das New aber ist die erfullung / der Cörper unnd die warheit« (CS 4,477,26-478,3); vgl. ebd. 487,32-34. 24 CS 4,501,36-502,2; vgl. Krautwald, Bericht, Anhang S. 277,9-11. 25 CS 4,432,19-21 (Underschayd des Alten und Newen Testaments); vgl. Krautwald, Bericht, Anhang S. 270,24-26; 273,8-10.

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tung erschließt sich allein von der Erfüllung, d.h. von Christus her, die 'Figur' aber als reales Ereignis wird bedeutungslos im doppelten Sinne des Wortes. Ja noch mehr, als etwas Leibliches ist die 'Figur' sogar dem geistlichen Verständnis im Wege. So entdeckt Schwenckfeld an den 'Figuren' die geistliche Bedeutung, erkennt aber gleichzeitig, daß diese 'Figuren' das geistliche Verständnis hindern. 26 Dies kann kaum einen drastischeren Ausdruck finden, als darin, daß der Gegensatz von 'Figur' und Erfüllung in demjenigen von 'Figur' und Wahrheit gipfelt. 27 Die Erfüllung steht auf Seiten des Geistes, die 'Figur' auf Seiten des Buchstabens.28 Mit Schwenckfelds notorischer Neigung zum Schematismus greift die traditionelle Unterscheidung von Geist und Buchstabe inflationär um sich und zerreißt alles Zusammengehörende: Geist gegen Buchstabe, Innerliches gegen Äußerliches, Verstehen gegen Kultus, Glaube gegen Werk, Freiheit gegen Gesetz, Wahrheit gegen Figur, Neues gegen Altes Testament 29 , Christus gegen Moses. 30 Zu der Ausgestaltung einer solchen Hermeneutik sah sich Schwenckfeld schon 1527 und 1528 in der Auseinandersetzung sowohl mit Luthers als auch mit Zwingiis und dem oberdeutschen Sakramentsverständnis genötigt. 31 Trotz aller Unterschiede stützen sich die Reformatoren in je verschiedener Weise auf das Alte Testament: Luther, um daran die enge Verbindung von Verheißung und Zeichen aufzuweisen, Zwingli, um die beiden neutestamentlichen Sakramente mit Hilfe der Analogie zu Beschneidung und Passah zu fundieren. Die Abwehr alles Äußerlichen, die Schwenckfelds Denken prägt, bringt ihn gerade auch in kritische Distanz zu den Sakramenten. Sowohl gegen Luthers Verknüpfung von Verheißung und Zeichen als auch gegen Zwingiis Analogisie26

»Der glaube aber lest alle figuren faren / braucht Ihr nicht weiter / dann als aines zaigern oder zaichens. Er erschwingt sich über sich auff gott den herren und auff sein wort selbs / dadurch solche figuren sein gestellet / da suchet er nu alles / In der offenbarten gnaden jnn Christo Jhesu / wie erß ettwan jm worte der verhaissung gesuchet hatt. Er bleibt stets bej Christo als bej der warhait / erfullung / Summa / und end deß gesetzes / und aller propheten / Inn wölchem er auch alle himelische schetze / und alles findet / empfahet [...] und einnimpt was zur seligkait von noten.« (CS 4,432,32-40); vgl. ebd. 434,37-435,9 und Krautwald, Bericht, Anhang S. 278,19f. 27 CS 4,455,1-3. 28 Ebd. 456,19f; 516,14-18. 29 Die strikte Unterscheidung von Altem und Neuem Testament stellt KLASSEN, Covenant and Community, S. 165-176, als die zentrale Unterscheidung in Schwenckfelds Hermeneutik dar. 30 Vgl. den Traktat 'Underschaid des Alten und Newen Testaments / der Figur und waarhait' von 1531, CS 4,417-443 und CS 4,470,22-479,6. 31 Dies wird vor allem im 3. Sendbrief von 1531 deutlich (CS 4,150-177; bes. 152,4-153,15); vgl. auch SEEBASS, Schwenckfeld's Understanding of the Old Testament, S . 87-91 und KLASSEN, Covenant and Community, S. 169f.

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rung setzt er auf die Strategie einer umfassenden Degradierung des Alten Testaments. Infolge seiner totalen Spiritualisierung verliert das Alte Testament jede theologische Normativität. Besonders greifbar wird dies in Schwenckfelds Beurteilung des alttestamentlichen Gesetzes. Seine Aufhebung durch Christus ist total. Der Dekalog wird davon nicht ausgenommen. 32 Dabei haben die Gesetze nicht etwa erst mit Christus im Neuen Testament eine neue Qualität bekommen. Schwenckfeld erkennt nicht einmal an, daß sie im Alten Bund eine moralische, kultische oder rechtliche Funktion ausübten 33 und erst im Neuen Bund nurmehr dazu dienen, eine geistliche Erkenntnis zu figurieren. Vielmehr haben die Gesetze von Anfang an einzig diesen Sinn gehabt. Das Gesetz war nie wörtlich, 'buchstäblich' zu verstehen; es sollte auch von Israel geistlich gedeutet werden. 3 4 Die 'buchstäbliche' Erfüllung des Gesetzes kann prinzipiell nur zu leiblichen und zeitlichen Gütern fuhren, nie zu geistlichen und ewigen. 35 Die Gesetze samt den zehn Geboten sind 'Figuren' und müssen geistlich ausgelegt werden. Damit sind sie aber gerade als Gebote vollkommen obsolet. 36 Einzig 32

»Daruff anthwurt ich aber also / das nit allein die schrifftlichen zehen gebott sonder ouch alle andere gebott / deren etliche mehr / dann sechshundert zelen / so den Juden durch Mosen gegeben unnd uffgelegt / in Christo Jesu alle waren Christen werden uffgehaben / warumb? Sie können die selikeit nit geben« (CS 4,480,2-6); vgl. Krautwald, Bericht, Anhang S. 277,24-34; 283,29-36; 284,19-31. Das, was der Dekalog fordere, sei den Heiden nach dem Zeugnis des Paulus ohnehin ins Herz geschrieben (CS 4,480,19-23). Hier glaubte Schwenckfeld, mit Luthers Verständnis des Dekalogs übereinzustimmen, wie es dieser seit 1524 gegen Karlstadt ausformuliert hat (vgl. dazu unten Kap. 5, bes. S. 120-122); Schwenckfeld gab 1538 Luthers 'Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose sollen schicken' heraus, die vor allem dessen Dekalogsverständnis entfaltet und 1526 als Einzeldruck erschienen ist (WA 24,2-16; CS 6,290-305). Bei Luther wird allerdings die Reduktion des Dekalogs auf das Naturgesetz erst durch die Einsicht ermöglicht, daß sich in beidem der - ohne das Evangelium unerfüllbare - Wille Gottes manifestiert. Von solcher gedanklichen Schärfe bleibt Schwenckfeld ganz unberührt. Er hat aus Luther nur eine pauschale Abwertung des alttestamentlichen Gesetzes samt des Dekalogs herausgelesen. Krautwald bedient sich in seiner Entgegnung auf Fischer nicht der naturgesetzlichen Argumentation, sondern begründet die Aufhebung der Zehn Gebote mit der neutestamentlichen Konzentration des Gesetzes im Doppelgebot der Liebe, vgl. Krautwald, Bericht, Anhang S. 283,14-18; 273,6f; 279,6-21; 284,18f. 33 CS 4,480,10-13. 34 Schwenckfeld gewinnt diese Sicht aus Rom 2,28f, vgl. CS 4,464,3-8. 35 CS 4,421,33-38 (Underschaid des Alten und Newen Testaments). 36 »Aber die figur des worts und willens gottes bleibt nicht ewig / Es hat solchs seine zeit gehabt / dz dz fleisch dadurch zum waren gehorsam Christj zuberaitet / und also under der zucht / und dienstbarkait der element biß auff die bestimpte zeit

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»für die kinder unnd anhebenden jm glouben / zur leer unnd ermanung« soll den Zehn Geboten noch eine gewisse Funktion zugestanden werden. 3 7

3.2.2. Die Bedeutungslosigkeit des äußerlichen Sabbats In der Kategorie der 'Figur' kristallisiert sich die zentrale Bestimmung des alttestamentlichen Sabbats. Dieser leibliche Sabbat des Alten Bundes, wie ihn das dritte Gebot verordnet, ist mit Christus erfüllt und aufgehoben. Christus hat »den alten Sabbath mit seinem tod unnd begrebnus erfult / unnd einen newen geistlichen Sabbath dogegen uffgerichtet«. 38 Im Lichte des neuen, geistlichen Sabbats erscheint der eigentliche Sinn des alttestamentlichen Sabbats und des dritten Gebotes: Er sollte nur auf den in Christus erfüllten, geistlichen Sabbat, mithin letztlich auf Christus selbst weisen. 39 Angesichts dieser Hermeneutik leuchtet ein, daß Schwenckfelds Sabbatverständnis nicht beim Dekalog ansetzen kann. Er begreift den Sabbat nie als ein Gebot. 40 Nie orientiert er sich an den Sabbatbestimmungen des alttestamentlichen Gesetzes. Auch von daher erhellt, daß der sozialethische Aspekt vom Sabbat als Tag der Ruhe von körperlicher Arbeit bei Schwenckfeld nicht in den Blick kommt. Der Verlust jeder Normativität gewinnt hinsichtlich des Sabbats seinen Ausdruck in der Bestimmung der Sabbatfeier als »ein Ceremonia oder eusserlich werck«, womit Schwenckfeld das Sabbatgebot gegenüber den anderen Geboten noch zusätzlich abwertet. 41 Diesen Gedanken leiht Schwenckfeld freilich von vom vatter wurd erhalten / Da gehöret dann dz gantze gesatz Mosj hin« (CS 4,430,36-431,2 - Underschaid des Alten und Newen Testaments). 37 CS 4,484,11-14. 38 CS 4,461,6-8; vgl. ebd. 454,22 und Krautwald, Bericht, Anhang S. 276,32277,2; 277,13f; 286,11-14; 286,27-29. Schwenckfeld sieht dies auch durch die Berichte der Evangelien vom Sabbatbruch Jesu bestätigt, vgl. CS 4,508,5-509,20. 39 CS 4,462,32-36. 40 So auch Krautwald, Bericht, Anhang S. 274,6-8. 41 »Dieweil aber des Sabbaths feier / allein ein Ceremonia oder eusserlich werck ist / an zit / stett / unnd personen gebunden / unnd nit wie die andern gebott jn der liebe / die begirden des hertzens trifft / noch durch den geist von nots wegen wurt mit bracht / desglichen ouch sonst keinen andernn geistlichen verstand hat / denn das der alte mensch feyre / von sunden abstehe / unnd undergehe / so hats vil ein andre gestalt mit dem Sabbath / denn mit den andern gepotten unnd verbotten [...]. Unnd es ist allein diß Ceremonisch gebott / under die sittlichen gebott mit eingemenget / die gantz absterbung des alten menschens / unnd ernewerung des Newen jn Christo zubedeuten / dodurch der volkommlich gotsdienst wurd figuriert / da wir den vatter anbetten jm geist unnd der warheit / unnd sein göttlich werck in uns erdulden« (CS 4,483,23-35).

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Luther aus, aber nicht, ohne ihn entscheidend zu verändern. Denn Luther zählt den Sabbat deshalb zum zeremoniellen Teil des Gesetzes, um die naturgesetzlichen Momente des dritten Gebots herauszufiltern. 42 Mit der Einreihung des Sabbats ins Zeremonielle gibt er keineswegs den normativen Anspruch des dritten Gebots überhaupt auf. Anders Schwenckfeld! Er ist nicht an der Reduktion des Dekalogs auf naturrechtliche Normen interessiert, sondern an der Entlarvung des Gesetzes als etwas äußerliches. Alles Kultische gilt ihm als adiaphorisch; hier muß christliche Freiheit gelten. 43 Das betrifft die Sakramente 44 ebenso wie die Predigt 45 und den Feiertag. »Denn es ist gott weder am Judischen Sabbath noch an keiner ußerlichen feier etwas gelegen«.46 Auch dies ist prinzipiell und gilt daher für die Zeit des Alten Bundes ebenso wie im Christentum. »So folgt druff unwidersprechlich Das ouch der Sabbath der ußwendig wurt gefeiret kein Sabbath ist Eben als wol als das gantz buchstabische für gott kein gesetz ist.«47 Es wurde bereits betont, daß das Gesetz auch im Alten Bund eine rein spiritualistische Kategorie darstellt. Daher vermag sich Schwenckfeld nicht der üblichen Argumentation anzuschließen, nach welcher der Sabbat, der den Juden im Alten Bund zum leiblichen Ruhe- und Feiertag verordnet war, den Christen im Neuen Bund nun eine geistliche Größe geworden sei. Einen solchen Bedeutungswandel hat der Sabbat für Schwenckfeld nie durchmachen

42

Dies wird unten, S. 120-127, ausführlich dargelegt. Die reformatorischen Schlagworte von den christlichen Freiheit und vom guten Gewissen verwendet Schwenckfeld häufig. Er versteht darunter aber nicht wie Luther die im Widerspiel von Gesetz und Evangelium erworbene freie Gewissensentscheidung, sondern die Freiheit von allem kreatürlich Leiblichem, von allem Äußerlichen und Buchstäblichen (vgl. etwa CS 4,465,28-32; 473,10-18; 878,1-880,35; Krautwald, Bericht, Anhang S. 287,21-23 und MARON, Individualismus, S. 133135) und daher die Freiheit zum geistlichen Urteil (vgl. dazu MARON, Individualismus, S. 77f). Damit stehen die Begriffe der christlichen Freiheit und des guten Gewissens bei Schwenckfeld im Kontext seiner Erkenntnistheorie und nicht im Zusammenhang der theologischen Ethik wie bei Luther. 44 Vgl. MARON, Individualismus, S. 86-94. 45 Vgl. MARON, Individualismus, S. 95-97. 46 CS 4,456,4-6; vgl. ebd. 473,10-18; CS 4,880,lOf. Krautwald beansprucht gegenüber Fischer das spiritualistische Axiom von der Bedeutungslosigkeit alles Äußerlichen weit weniger als Schwenckfeld, um damit den Gegensatz von jüdischem und christlichem Sabbat aufzuweisen; er baut stärker auf die biblische Argumentation von der Erfüllung und Aufhebung des Gesetzes in Christus. Dies ist als Taktik zu werten, nicht als eine theologische Differenz zu Schwenckfeld, denn hinsichtlich der Bilder ruft er Fischer im Namen der Innerlichkeit zur Sorglosigkeit auf (vgl. Krautwald, Bericht, Anhang S. 296,33-42). 47 CS 4,464,8-11; vgl. CS 4,429,34-38 (Underschaid des Alten und Newen Testaments). 43

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müssen. Er war immer eine geistlich zu nehmende Größe. 48 Gott hat zwar den Juden den leiblichen Sabbat geboten 49 , aber eben in seiner Funktion als 'Figur', um durch sie auf Christus zu weisen. 50 Ein sachlich notwendiger Zusammenhang von 'Figur' und Bedeutung, wie er für Karlstadts Sabbatverständnis charakteristisch ist, ließe sich bei Schwenckfeld im Grunde bloß für den alttestamentlichen Sabbat namhaft machen, denn mit dem 'Sabbat Moses' war den Juden ein religiöser Ritus mit eindeutig christlicher Signifikation gegeben: Die kultische Praxis wird einer christlichen Bedeutsamkeit dienstbar gemacht. In der leiblichen Sabbatfeier ist Israel die geistliche Deutung präsent. Daß aber gerade die geistliche Erkenntnis im Alten Bund unmöglich ist, weil sie sich nur vom Neuen Bund her im hermeneutischen Rückblick einstellt, hat Schwenckfeld anscheinend nicht bedacht. Seine Hermeneutik und Zeichenlehre enthält interessante Konstellationen, die sich aber bei genauerer Betrachtung als problematisch und widersprüchlich erweisen, weil sie aus dem heilsgeschichtlichen Rahmen herausgelöst worden sind. Schwenckfeld geht es im Grunde nur um den christlichen Sabbat, für den die 'Figur' bedeutungslos geworden ist. Auch die geläufige Substitutionsthese erfahrt bei Schwenckfeld eine charakteristische Umdeutung. Zwar redet er durchaus davon, daß der jüdische Sabbat durch den christlichen Sonntag ersetzt worden sei, aber er bedient sich dieser These nicht, um daran aufzuzeigen, daß das dritte Gebot als Feiertagsgebot sehr wohl von den Christen gehalten werde. 51 Es kommt ihm nicht auf den Erweis einer Kontinuität, sondern auf die Betonung des großen Gegensatzes zwischen jüdischem Sabbat und christlichem Sonntag an. Darum leitet er den Sonntag nicht vom Sabbat, sondern vom 'Tag des Herren', also vom Tag der Auferstehung Christi ab. »Item ann statt des Sabbaths wurt nun der Sontag / als ein glich Symbolum des Sabbaths gehalten / unnd bey einer todsund zu feieren befolhen / Er ist aber anfenglich nie an seiner statt / sonder vil mehr zu undertruckung des Sabbaths an einem andern tag gehalten und nemlich am

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»[...] wir haben gehört / das der Samstag den Juden jnn der figur zu feiren gegeben / unnd eingesetzt ist / welchen Christus nu erfüllet außsabatizieret [...] hat« (CS 4,512,30-32); vgl. Krautwald, Bericht, Anhang S. 287,24-36; 273,35-38; 284,2-4. 49 CS 4,462,28-32. 50 »Denn wie gott anfenglich seinen gantzen rath / beschluß und furnemmen uff Christum / unnd umb seinet willen uff den menschen hat gerichtet / so waar im am leiplichen Sabbath oder feier nit so vil gelegen / als an dem das er dadurch meinete / das nemlich der erstgeschaffene mensch / solt durch seinen son Jesum Christum jnn ein höher herrlicher wesen eingefüret / der göttlichen unaussprechlichen rue / wonne / unnd freud / ewig theilhafftig werden.« (CS 4,496,37-497,4). 51 So etwa bei Luther im Sermon von den guten Werken, BoA 1,266,40-267,4.

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tage des herren uffersteung«. 52 Die Bezugnahme auf die frühe Kirchengeschichte verrät eine gute Kenntnis der tatsächlichen Entstehung des Sonntags, was in Krautwalds Schrift gegen Fischer noch deutlicher zum Vorschein kommt. 53 Gleichwohl bleibt auch der Sonntag für Schwenckfeld ein 'Symbol', wobei der Begriff nicht eindeutig verwendet wird, denn einmal gilt der Sonntag als Symbol des Sabbats, ein andermal als Symbol der Auferstehung. 54 Weil es aber Schwenckfeld allein auf die geistliche Bedeutung des Sabbats, also allein auf die allegorische Deutung, ankommt, ist ihm die leibliche Feier, sowohl hinsichtlich des Gottesdienstes wie auch in bezug auf die Arbeitsruhe, bedeutungslos - im doppelten Sinn des Wortes. 55 Formell beruft er sich auf die evangelische Gewissensfreiheit gegenüber den Feiertagen 56 , was reformatorisches Allgemeingut ist und in bezug auf den Sonntag namentlich von Artikel 28 der Confessio Augustana durchbuchstabiert wurde. 57 Man wird aber die leibliche Feier - dem Profil seines Spiritualismus folgend - letztlich sogar als hinderlich für das geistliche Verstehen ansehen müssen. Es sind mir zwar keine Äußerungen bekannt, in denen Schwenckfeld von der Feier des Sonntags abrät oder einen »Stillstand« empfiehlt wie bei den Sakramenten und der Ehe. Bezeichnend ist jedoch, daß er beim Sabbat auffallend wenig an den Feiertag denkt. Darin weicht sein Sabbatverständnis am stärksten von den Deutungen Luthers und Karlstadts ab. Luther schenkte im 'Sermon von den guten Werken' dem Feiertag, als dem Tag des Gottesdienstes, die meiste Aufmerksamkeit, und für Karlstadt war die rituelle Praxis des Feiertags geradezu die Bedingung für das geistliche Verständnis. Schwenckfelds Spiritualismus verliert den sachlichen Zusammenhang von Leiblichem und Geistlichem, von Äußerlichem und Innerlichem, von kultisch ritueller Praxis und Verstehen aus den Augen. Dies zeigt sich an seiner Lehre von den Sakramenten und der Predigt ebenso, wie an seinem Verständnis vom Sabbat.

52

CS 4,466,11-15. »[...] unnd mit seiner uffersteeung einen Newen feiertag hat herfurerbrocht / des Simbolum ist der Sontag / unnd heist ouch drumb von alters heer der herliche tag / der tag der freud / des fridens / unnd unser erlößung«. (Ebd. 512,32-513,2). 53 Krautwald beruft sich auf Tertullian (Anh. S. 267,17f; 278,6; 289,13f), Ambrosius (Anh. S. 277,35), Hilarius (Anh. S. 289,14), Hieronymus (Anh. S. 293,4f) und vor allem auf (Pseudo-) Ignatius (Anh. S. 294,8-295,6). 54 Vgl. CS 4,514,5-26. 55 »Drumb so gilt in Christo Jesu [...] weder feiren noch arbeitten etwas« (CS 4,464,16-18). 56 CS 4,514,27-32. 57 Siehe dazu unten Kap. 6 und 7.

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3.3. Der Sabbat Christi - eine Metapher für die Heiligkeit des Christen

Der 'Sabbat Moses' ist erfüllt und aufgehoben, der Feiertag zur Zeremonie degradiert. Für den äußeren Sabbat interessiert sich Schwenckfeld nicht. Nun ist noch zu klären, warum er auch den christlichen, geistlichen Sabbat nicht konkretisiert. Denn wenn er schon die feste Verknüpfung von Zeichen und Bedeutung aufsprengt, die wir bei Karlstadt vorgefunden haben, so könnte er sich immerhin noch Luthers Auslegungsrichtung anschließen und die Konkretion des geistlichen Sabbats in Übungen suchen, die sich nicht mehr unmittelbar aus der Feiertagsheiligung herleiten lassen. Oben wurde schon dargelegt, daß Ansätze dazu in Schwenckfelds Sabbatschrift zwar keimen, daß diese Keime aber nicht sprießen, sondern ersticken. Warum entfaltet Schwenckfeld nicht den Topos der mortificatio carnis, wenn er die traditionelle Definition des geistlichen Sabbats als Ruhe von den Werken der Sünde übernimmt?

3.3.1. Heiligung bei Schwenckfeld So sehr er betont, daß der Glaube eine durch den Heiligen Geist in die Herzen gegossene Kraft Gottes und eine Erleuchtung sei, die »letztlich identisch mit der inhabitatio Christi« ist 58 , geht Schwenckfeld dennoch der Frage nicht aus dem Weg, wie der Mensch ein rechter Christ werde. Er kennt durchaus einen Prozeß der Heiligung, einen Fortschritt in der Erkenntnis und im geistlichen Urteil. 59 Der Christ muß die 'Göttliche Lehrschule' 60 durchlaufen, in der auch der Kampf gegen die Sünde zu lernen ist. In dem weit verbreiteten Traktat 'Vom Christlichen Streyt und Ritterschafft Gottes' von 153361 sind viele der Topoi präsent, die Luther, Karlstadt u.a. mit dem geistlichen Sabbat verbinden: Kreuzesnachfolge und Leiden 62 , mortificatio carnis 63 , Anfechtung 64 und Gelassenheit65; sogar Formulierungen wie 'von Sünden feiern, stillstehen und 58 MARON, Individualismus, S. 3 9 ; vgl. dazu etwa C S 4 , 8 6 0 , 1 2 - 8 6 1 , 3 4 ('Von der erbawung des gewissens', 1 5 3 3 ) . 59 Vgl. MARON, Individualismus, S. 6 8 - 7 2 . 60 Zur 'Göttlichen Lehrschule' vgl. MARON, Individualismus, S . 4 0 - 6 6 . 7 3 - 8 2 . 61 62

CS 4,675-746. Ebd. 689,27-32.

63

Ebd. 690, lf; genannt werden auch die Werke des bußfertigen Lebens: Beten, Fasten, Lesen, Kasteien ( 7 0 1 , 1 ; 7 0 7 , 7 - 9 ) . 64 65

Ebd. 708,14-18; 715,16-21. Ebd. 714,30; 717,10.

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sabbatisieren' tauchen hier auf. 6 6 Schwenckfeld bedient sich all dieser Topoi, ohne jedoch auf sie näher einzugehen. Sie bleiben recht blaß. Im Grunde gibt es für ihn nur zwei echte media salutis, gegen die drei Gestalten der Sünde, nämlich Satan, Welt und Fleisch 67 , anzugehen: zum einen die Absonderung, zum andern die meditatio Christi. Der christliche Streit hebt an mit der Absonderung von der Welt als dem »streit wider die groben flaischlichen laster«. 68 Die Forderung nach der Absonderung ist der Schlüssel zu Schwenckfelds Ekklesiologie, und man wird nicht übertreiben, darin neben dem Spiritualismus auch eines der Fundamente seiner Soteriologie zu sehen. M A R O N hat sowohl auf den engen Zusammenhang von Heiligung und Absonderung bei Schwenckfeld aufmerksam gemacht, als auch darauf, daß Absonderung zugleich Verfolgung bedeutet, die ihrerseits einen Wahrheitserweis darstellt 69 und somit unentbehrlich ist in der 'Göttlichen Lehrschule'. 7 0 Verfolgung und Absonderung sind für den geschmähten Schwenckfeld und seine Freunde konkrete religiöse Erfahrungen 71 ; sie werten sie als konstitutive Elemente des Heilsprozesses, d.h. vor allem ihres eigenen Heilsweges. Neben der Absonderung steht ein zweites Moment, auf das Schwenckfeld näher eingeht. Die Übungen der meditatio, bestehend aus dem Meditieren des Wortes Gottes, aus dem Gebet und aus der Betrachtung des Lebens und Leidens Christi, gelten ihm als die schlagkräftigsten Waffen der christlichen Ritterschaft. 72 Besonders die Betrachtung Christi empfiehlt Schwenckfeld seinen 66

»Es muß unser altes flaisch sambt seinen lusten und bösen begirden im gehaimnis mit Christo sterben / und in jm begraben werden / Auff dz der leib der sunden feyre / und das böß gewissen auffhöre / dz wir der sünd fort nicht mehr dienen« (ebd. 692,16-19); »[...] seine begirden ymmer getödtet / abgewürgt und gedempfft werden / und vom alten ungehorsamen wesen feyren / damit stillstehn und sabbatisieren« (ebd. 697,24f). 67 Vgl. ebd. 684,37-685,3. 68 Ebd. 705,34; vgl. 705,23-706,34; 694,35-695,4; CS 4,876,9-20 (Von der Erbauung des Gewissens, 1533). 69 MARON, Individualismus, S. 111.114. 70 »Die weit mag nit wol leiden das du dich von jr absünderst / und in Christlichen wandelt oder in ain Gotseliges leben begebest / Es befrembdet sy / das du nicht mitt jr lauffest jns gemenge des unordigen wesens / Darumb wirt sy dir feind / weil du mit solchem deinem absündern des eingethonen newen geystlichen lebens bezeugest / das jre werck böse sein [...] Zu dehme / kanß der Teüfel [...] noch vil weniger leiden / so du nemlich jme / auß seinem dienst und reiche wilt entrünnen / und dich under aines andern Herren joch und gehorsam begeben« (CS 4,698,29699,1). 71 Vgl. CS 4,729,14-730,13. 72 »Fürnemlich sollen sich die anhebenden ritter Christi auffs höchst befleissen / das sy volgende drey waffen / wider des Sathans unnd der Sünden ungestüme an-

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Der geistliche Sabbat

Lesern. Am Ende seiner Schrift über den christlichen Streit gibt er dazu konkrete Anweisungen, die sich an einem Lasterkatalog orientieren. 73 Als wichtigster Begriff erscheint dabei immer der Ausdruck 'bedenken'. 74 Die herausgehobene Bedeutung der geistlichen Meditation ist die praktische Konsequenz von Schwenckfelds Lehre als der 'himmlischen Philosophia', nach welcher »die 'Erkenntnis' und das 'Wissen' um die Geheimnisse Gottes [...] den Primat vor dem Glauben und der Liebe einnehmen müssen«.75 Die Erkenntnis ist Erkenntnis Christi und zwar in der doppelten Gestalt der Erkenntnis seiner Passion und der Erkenntnis seiner Glorie. Während diese den fortgeschrittenen und geübten Christen vorbehalten bleibt, bildet die Erkenntnis der Leiden Christi den Lehrstoff der anhebenden Christen, die sich gleichsam in der ersten Klasse der Lehrschule Gottes befinden. 76 »Darumb so leret er [Paulus] uns Christum erkennen / nicht allain in der krafft seiner aufferstehung / das ist nemlich in freüden / sonder auch zuuor in der gemaynschafft seiner leiden / auff das so wir mitt Christo streitten / so wir in jm der weit absterben / unnd seinem tod gleichförmig werden / auch mitt hinan zum syg / zu der aufferstehung der todten / unnd zum reich der hymel kommen mögen«.77 Vor allem zur Beschreibung der Erkenntnis des Leidens Christi greift Schwenckfeld auf Motive aus dem Umfeld der Mystik zurück. 78 Es muß aber bedacht werden, daß dies tatsächlich nur die Vorstufe zur Erkenntnis der Glorie Christi darstellt, der Schwenckfelds eigentliches Interesse gilt. 79 Nicht so sehr an den Übungen der mortificatio carnis oder in der Gelassenheit und im Müßiggang wird die Heiligung des Menschen sichtbar. Es sind dies ja letztlich auch nur fleischliche Werke. Ihren Nutzen für die 'christlichen Grundschüler' bestreitet Schwenckfeld keineswegs. Doch die rechte Heiligung

leüffe / zu jrer täglichen yebung / schütz und gegenweer alweg im vorrathe haben / Nemlich stäte yebung (es sey gleich mit lesen / hören / oder betrachten) im worte Gottes / Das hitzig gebeth des glaubens / und ain embsige betrachtung des lebens und leidens Christi« (CS 4,702,7-12). 73 CS 4,737,30-743,39. 74 Ebd. 736,19; 737,33; 738,13.23; 739,9.20.29; 740,19 u.ö. 75 MARON, Individualismus, S. 36. 76 Vgl. MARON, Individualismus, S. 46-66. 77 CS 4,689,27-32. 78 Vgl. MARON, Individualismus, S. 48-52. 79 So auch MARON, Individualismus, S. 52. Die Erkenntnis ist bei Schwenckfeld aber nicht auf einen rein intellekuellen Akt beschränkt; vielmehr geht sie mit einem geistlichen Fühlen und Empfinden einher. »Also muß solche erlösung / das sterben / die gnad / syg und Überwindung / unnd in Summa das gantz gehaimnis / des leidens und aufferstehung Christi / auch bey unserm flaische bey ainem yeden nach dem maß des glaubens angelegt / entpfunden unnd erkant werden.« (CS 4,690,8-11); vgl. dazu MARON, Individualismus, S. 79f.

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erlernt man erst in der 'Oberschule'. Sie erweist sich in der Absonderung und in der geistlichen Meditation.

3.3.2. Die Präsenz des geistlichen Sabbats Der christliche Sabbat ist für Schwenckfeld der rein geistliche Sabbat. Als solcher stellt er im Grunde nur noch eine Metapher für den Zustand der in der Erkenntnis der Glorie Christi bereits geheiligten Christen dar. »Der Sabbath ist glich wie ein Summarium des volkommenen diensts unnd aller gebott gottes Wer denen für got recht helt / der helt das gantz gesetz«.80 Schwenckfeld gewinnt sein Verständnis im wesentlichen von Jes 66,23 81 und Hebr 4 82 her. Der immerwährende Sabbat (Jes 66) und die ewige Ruhe (Hebr 4) sind geistlich gegenwärtig. 83 Der geistliche Mensch lebt bereits im ewigen Sabbat. 84 Da die Heiligung des Menschen für Schwenckfeld wesentlich in der Reinigung besteht, die durch die Absonderung realisiert wird, ist der Sabbat im Grunde nur der Ausdruck für die Selbstabsonderung der Heiligen aus der unreinen Welt. »Solche hoffnung der herrlicheit / ist Christus / im gleubigen hertzen: Col: 1 [27]. unnd ein ieglicher der dise hoffnung hat / der reiniget sich / gleich wie ouch er rein ist. Welches ouch nichts anders ist / wenn [als] den geistlichen Sabbath halten / unnd inn die ewige rue gottes eingehn.«85 Die Absonderung birgt zwar ohne Zweifel das Moment der Verfolgung in sich, doch ist diese Verfolgung nichts anderes, als die Reinigung und diese wiederum die Vorstufe für das Eingehen in die ewige Ruhe. Wenn der geistliche Sabbat also ein Sinnbild für die Heiligkeit ist, so deshalb, weil Schwenckfeld in der ewigen Ruhe nach Hebr 4 einen Ausdruck gefunden hat, der seinem Heilsmodell der Absonderung in hervorragender Weise entspricht. Nur noch von Ferne lassen sich die Konturen der traditionellen Definition erkennen. Die ewige Ruhe des Hebräerbriefes ist die Ruhe derer, die der Welt Lebewohl gesagt haben. Nur insofern diese Welt das Reich der Sünden ist, bezeichnet das Eingehen in die Ruhe auch die Ruhe von den sündigen Werken. 80

CS 4,483 (Marginalie). CS 4,483,39-484,6. 82 Ebd. 502,24-503,22; vgl. Krautwald, Bericht, Anhang S. 277,17-21. 83 »Das ouch solcher Sabbath nicht gantz gespart werde bis dort hynn jn jene weit beweiset Paulus domitt das er spricht [Hebr 4,11] / So lasset uns nu vleiß thun einzugehn inn dise rue / unnd oben hat er gesagt [Hebr 4,3] Wir die wir glouben / gehn inn die rue«. (CS 4,503,15-18); vgl. ebd. 503,31-33. 84 Diese Überzeugung steht auch hinter Krautwalds Rede vom »sabbat des glaubens« oder »sabbat des glaubigen hertzens«, Krautwald, Bericht, Anhang S. 274,9; 283,20; vgl. 277,19f. 85 CS 4,503,37-504,4; vgl. Krautwald, Bericht, Anhang S. 297,6-12. 81

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Der geistliche Sabbat

Im Grunde ist aber Schwenckfelds Sabbatruhe eine Friedhofsruhe, zwar auf Erden, aber fernab von der Welt und ihrem Treiben. Indem der Sabbat den Zustand der Heiligkeit versinnbildlicht, kennzeichnet er nicht mehr die Struktur der Heiligung. Daher haftet dem geistlichen Sabbat bei Schwenckfeld nichts Normatives an. Der Sabbat bedeutet zwar nach der geläufigen Typologie, derer sich auch Schwenckfeld eifrig bedient, das Ablassen von der Sünde; aber es ist darin nicht zugleich ein Aufruf enthalten, durch die Werke der mortificatio carnis oder die Gelassenheit dies auch einzuüben. Von dem Sabbat, der im Alten Testament auch als Gebot formuliert ist, bleibt bei dem adligen Spiritualisten nicht das mindeste übrig.

3.4. Zusammenfassung

Schwenckfelds Sabbatverständnis erweist sich als spiritualistische Überhöhung der geistlichen Sabbatdeutung. Indem Schwenckfeld die Verwurzelung des Sabbats im Dekalog außer acht läßt, verzichtet sein Sabbat auf jeden normativen Anspruch. Der geistliche Sabbat der Christen ist nicht mehr eine Chiffre für das Verhalten des Christen im Prozeß der Heiligung durch Gott, sondern er bezeichnet den Zustand der Heiligkeit derjenigen, die abgesondert vom welthaft Äußerlichen alles geistlich durchdringen. Dieser geistliche Sabbat begreift sich stets aus dem Gegensatz zum leiblichen des Alten Testaments, weil Schwenckfeld eine heilsgeschichtliche Kontinuität faktisch leugnet. Dies hat eine Aushöhlung der Eschatologie zur Folge. Während sich bei Luther und Karlstadt die geistliche Deutung im Spannungsgefüge zwischen dem äußerlich zeremoniellen Sabbat des Alten Testaments und dem ewigen Sabbat des Reiches Gottes hält, identifiziert die rein spiritualistische Deutung Schwenckfelds den ewigen Sabbat mit dem geistlichen. Die geistlichen Christen wandeln bereits im ewigen Sabbat, denn »das Reich Gottes ist inwendig in euch«. 86 In der geistlichen Erkenntnis des Individuums ist bereits vollständig »ein N e w weit / ein New wesen / ein Newer gotsdienst jn Christo Jesu durch den glouben angegangen«. 87 Schwenckfeld versteht den geistlichen Sabbat im Grunde nicht als eine Erfüllung des dritten Gebots, vielmehr ersetzt der geistliche den jüdischen Sabbat, wie überhaupt alles Geistliche das Figürliche nicht erfüllt, sondern ersetzt. Lk 17,21 nach Luthers Übersetzung, die dem spiriualistischen Individualismus Vorschub geleistet haben dürfte. 8 7 CS 4,463,21f; vgl. ebd. 488,2-17. 86

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Dadurch gerät Schwenckfelds Hermeneutik aus den Fugen. Sie hebt sich selbst auf, indem der Buchstabe aufgehoben wird. Wenn der Geist derart dem Buchstaben übergeordnet wird, wird der Buchstabe bedeutungslos und überflüssig. Ebenso hebt die Bedeutung das Zeichen oder die 'Figur' als den Träger der Bedeutung auf. So verflüchtigt sich bei Schwenckfeld der Sabbat als Zeichen unter seiner Bedeutung. Der Feier- und Ruhetag hat seine Funktion und seinen Sinn für den geistlichen Sabbat verloren. Mit solchem »kinderwerck« will der Schlesische Edelmann nichts zu schaffen haben. 88 Während Karlstadts Sabbatverständnis mehr dem geistlichen Sabbat aus Luthers Humilitas-Theologie verbunden ist, knüpft Schwenckfelds Deutung stärker am 'Sermon von den guten Werken' an. Jedoch übernimmt Schwenckfeld nur Formulierungen von Luther, nicht aber den theologischen Kontext. Mit viel größerem Recht als Schwenckfeld hätte sich Karlstadt auf Luther berufen können. Wenn Luther sich dennoch - wie im folgenden zu zeigen ist - weit mehr mit Karlstadt auseinandersetzt, so erklärt sich dies daher, daß Karlstadt einmal Luthers enger Weggefährte war und Luther den Streit mit ihm zuerst und paradigmatisch ausgefochten hat, so daß Schwenckfeld später einfach in die Kategorie »Schwärmer« eingeordnet werden konnte.

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Die Christen »haben etwas bessers zuschaffen / denn das sie mit der Juden figuren unnd kinderwerck noch solten umbgehn« (CS 4,456,9-11).

4. Die Vorherrschaft des geistlichen Sabbats im ersten Jahrzehnt der Reformation (1520-1530)

Das Schwergewicht der Untersuchung lag bisher auf der Sabbatdeutung Luthers sowie auf denjenigen Deutungen, die Luthers geistliche Auslegung der Frühzeit in unterschiedlicher Weise ausbauten. Besonders Karlstadts Sabbatlehre kann als eine unmittelbare Ausgestaltung von Luthers frühen Erwägungen verstanden werden. Wie oben deutlich wurde, gipfelt Luthers Sabbatdeutung bis 1524 im geistlichen Sabbat als dem Kern des dritten Gebots und dem Stern des alttestamentlichen Sabbats. Dennoch hat der Reformator das dritte Gebot nie ganz auf dieses Moment reduziert. Zumindest formal hat er die spätmittelalterliche Tradition bewahrt und zum Besuch der Messe bzw. des Gottesdienstes, zum Hören des Wortes, zum Genuß der Sakramente und zum Gebet aufgefordert, wenngleich auch bei diesen Punkten die Kritik an der spätmittelalterlichen Frömmigkeitspraxis überwog.1 Luthers Gefolgschaft jedoch hat diese Verbundenheit mit der Tradition preisgegeben. In den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts hat die geistliche Deutung allermeist die übrigen Werke des dritten Gebots verdrängt; die Rede von der geistlichen Feier, vom Ruhen des eigenen Wirkens zugunsten des Wirkens Gottes in der Seele behauptet größtenteils allein das Feld.

4.1. Melanchthon

Zuerst und mit aller Deutlichkeit zeigt sich dies bei Melanchthon. Er scheint sich Luthers emphatische Auslegung in der Predigt über Gen 2 von 1519, wonach der Sabbat nichts anderes sei, als das ganze Leben und Christentum überhaupt2, als einen Kernsatz reformatorischer Lehre angeeignet zu haben. 1

Vgl. oben Kap. 1, S. 25 mit Anm. 38 und 39 und S. 34, Anm. 80. WA 9,331,16f, vgl. oben S. 43. Melanchthon hat diese Predigten teilweise nachgeschrieben (E. Thiele in WA 9,321); sie haben seine theologische Entwicklung stark geprägt (vgl. MAURER, Der junge Melanchthon, Bd. 2, S. 114f). 2

Die Vorherrschaft im ersten Jahrzehnt der Reformation

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Dies bezeugt eine Bemerkung aus dem Brief vom 27. April 1520 an Joh. Heß 3 sowie aus der gleichen Zeit eine ganz ähnliche Behauptung in den 'Rerum Theologicarum Capita', die den Sabbat im Zusammenhang der Glaubensgerechtigkeit gegen die Werkgerechtigkeit aufbietet: »Ideo Christianismus sabbathum quoddam est ubi ab omnibus operibus vacamus.«4 Dieser Satz fällt nicht etwa im Rahmen einer Dekalogerklärung, sondern im Abschnitt 'De fide'! Damit hebt Melanchthon den Sabbat aus seinem angestammten Ort im Dekalog heraus und wertet ihn zu einem Zentralbegriff des reformatorischen Heiligungsverständnisses auf. Die Capita sind eine Vorarbeit zu den Loci von 1521; so gelangt die geistliche Sabbatdeutung auch in diese, dort aber als Auslegung des dritten Gebots. Melanchthon verstärkt den antischolastischen Impetus, indem er die Ruhe von den eigenen Werken gegen den freien Willen wendet. 5 1523 wird die geistliche Sabbatdeutung von Melanchthon zweimal intensiv behandelt. In den Annotationen zur Genesis verbindet er die Ruhe Gottes am Schöpfungssabbat mit der Grabesruhe Christi, verweist auf das Sabbatgebot und leitet so die Darlegungen zur mortificatio als einem entscheidenden Element der geistlichen Deutung ein. 6 Diese feiert vollends in den Scholien zu Exodus 20 einen Triumph, der sonst nur noch von Karlstadt überboten wird. Der geistliche Müßiggang ist hier für Melanchthon das einzig mögliche Verständnis des dritten Gebots. Der Aspekt der körperlichen Arbeitsruhe kommt

3

»Sabbathum est, quo natura operari cessat, Sed in nobis Christus operatur.« (CR I,159; zur Datierung siehe Melanchthons Briefwechsel, Regesten, Bd. 1, S. 73). Der Kontext der Stelle läßt vermuten, daß Melanchthon dieses Sabbatverständnis in nicht mehr erhaltenen Ausführungen breiter entfaltete und Heß zusandte; vgl. MAURER, Der junge Melanchthon, Bd. 2, S. 148; DERS., Zur Komposition der Loci, S. 163. 4 CR 21,39. Vgl. MAURER, Zur Komposition der Loci, S. 162. Die gleiche Aussage fällt in der Vorlesung über Mt 12 vom 1. Febr. 1520 (Melanchthon, St.A. IV, 176,1-3); vgl. MAURER, Der junge Melanchthon, Bd. 2, S. 298. 5 »Tertium praeceptum iubet, ut sabbatum sanctificetur, ut vacemus a nostris operibus, hoc est ut patiamur ac toleremus opus dei, mortificationem nostri. [...] Hoc praeceptum inprimis violant, qui praedicant opera moralia et liberi arbitrii vim. Exigit enim liberi arbitrii mortificationem. Et populus novi testamenti, cum habeat perpetuum sabbatum, is est, cuius caro assiduo mortificatur, spiritus vivificato. Ignorantque tum sabbatum tum christianismum isti liberi arbitrii assertores et inimici crucis Christi suis se operibus, suis conatibus iustificantes.« (Melanchthon, St.A. II,1,47,28-48,3). Vgl. auch die sich anschließende Polemik (ebd. 48,5-49,13) und MAURER, Der junge Melanchthon, Bd. 2, S. 299 und S. 556 Anm. 57. 6 »Quiescere Deum in nobis, est non movere creaturas, ut agant naturalia opera, sed absorbere nos intra se, ubi est aeterna quies. [...] Vetus creatura destruitur vacante Deo ipso, sie quievit in sepulcro Christus.« (CR 13,773f).

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Der geistliche Sabbat

nicht in Betracht. 7 Die mortificatio carnis wird als die Erfüllung des Sabbats beschworen, jedoch denkt Melanchthon dabei nicht an Luthers äußere Anfechtung durch Teufel und Welt, auch nicht an die guten Werke der Fleischestötung 'Fasten, Wachen, Arbeiten'; Melanchthon vergeistigt die mortificatio, indem er sie dem 'verbum mortificans' anheim stellt. 8 Die Verquickung mit der zweiten Vaterunser-Bitte finden wir schon bei Luther. 9 Dieses Element ist auch später bei anderen bisweilen anzutreffen. Noch stärker als bei Luther wird der geistliche Sabbat dem jungen Melanchthon zu einem Inbegriff für den reformatorischen Ansatz bei der Heiligung. Die Existenz im Glauben ist ein Sabbat. »Christiana vita passim in scripturis dicitur sabbathum [...] Christi mors nostrum est sabbathum, nostrae carnis mortificatio.« 10 Damit hat Melanchthon für das, was Karlstadt 1524 mit seiner Sabbatlehre als Programm breit entfaltet, im Grunde noch deutlicher als Luther den Weg geebnet. Aber erst recht Schwenckfeld hätte sich auf den jungen Melanchthon berufen können, da er ebenso wie dieser den Bezug des Sabbats auf den christlichen Feiertag mit den beiden Komponenten der Arbeitsruhe und des Gottesdienstes ganz durch den geistlichen Sabbat verdrängt.

»Sabbathum non debet intelligi de externa et corporali cessatione, de requie autem spiritus, hoc est tolerantia et patientia omnis adversitatis, ita ut caro prorsus sit ociosa, et non operetur. Operetur autem tantum in nobis dominus«. (COHRS, Katechismusversuche, Bd. 1, S. 73,33-74,6 = Suppl. Melan. V , l , S. 6,18-27). 8 »Qui continuo carnis mortificationem patiuntur, sabbathum agunt, et in ijs efficax est et operator spiritus, ijsque opus est uerbo mortiflcante, id est, Euangelio.« (COHRS, Katechismusversuche, Bd. 1, S. 74,12-17; vgl. 77,10-12.18-34); »Summa huius praecepti, Pati mortificationem carnis, et regi spiritu.« (Ebd. 78,6-8). MAURER, Der junge Melanchthon, Bd. 2, S. 299, berücksichtigt nicht die Scholien; seine Beobachtung, daß Melanchthon in dem »Angefochtensein durch Teufel und Welt« Luther nicht folgt, wäre um den Hinweis zu ergänzen, daß bei ihm dennoch der Sabbat aufs stärkste mit der mortificatio verknüpft ist. 9 »In hoc praecepto a nobis plane id exigitur, quod in oratione Dominica precamur, Adveniat regnum tuum, id est, tu nos rege, tu nos guberna, tu provide nobis.« (COHRS, Katechismusversuche, Bd. 1, S. 77,13-18 = Suppl. Melan. V , l , S. 10,1520). Vgl. BoA 1,273,18-22 (Sermon von den guten Werken, 1520). 1 0 COHRS, Katechismus versuche, Bd. 1, S. 74,10-12.28-30 = Suppl. Melan. V , l , S. 7,1-3.16-18. 7

Die Voiherrschaft im ersten Jahrzehnt der Reformation

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4.2. Bucer und Zwingli

Bei der Reform des Gottesdienstes in Straßburg griff Martin Bucer Ende 1524 auch die Feiertagsfrage auf. Rigoros wollte er alle Feiertage außer dem Sonntag abgeschafft wissen. Die Feiertage seien als äußerliche Satzungen zu betrachten, von denen uns Christus nach dem Zeugnis des Paulus befreit habe 11 , so daß den Christen alle Tage gleich gelten und sie »alle tag gott feyren, das ist, in [ihn] lassen würcken und machen, und sye sich gelassen in sein willen geben.« 12 Daß hier die geistliche Deutung gar nicht direkt auf den Sabbat, sondern allgemein auf den Feiertag zielt, zeigt, wie sehr die Formulierung aus Luthers 'Sermon von den guten Werken' schon zu einem Topos geworden ist, der in verschiedenen Zusammenhängen eingesetzt werden kann. Die Beibehaltung des Sonntags begründet Bucer mit dem Feiertagsgebot unter dem Richtmaß der Nächstenliebe; sie gebietet dem Christen, eine wöchentliche Arbeitsruhe einzuhalten. Daher eignet sich der Ruhetag auch als Gottesdiensttag. 13 Zwingli greift die geistliche Deutung gar nicht auf. Da er das Sabbatgebot nie in einem katechetischen Kontext auslegt, fehlt bei ihm der typisch reformatorische Bezug auf die Heiligung des christlichen Lebens, sei es in der altkirchlichen Variante als Feier von den sündigen Werken, sei es in der mystischen Variante als Entleerung der Seele, sei es in der auf das Wort konzentrierten Gestalt wie beim reiferen Luther. Der Züricher Reformator behandelt den Sabbat nur im Rahmen der Exegese 14 oder in apologetischer Hinsicht im Zusammenhang mit der Fasten-, der Feiertags- und der Bilderfrage. 15 Der Sabbat firmiert dort wie bei Bucer unter dem Gesichtspunkt einer christlichen Freiheit von Äußerlichkeiten. Mk 2,27f par. steht Pate. Wie Christus Herr über den Sabbat ist, so muß es auch der Christ sein; er ist nicht gebunden an die äußeren Umstände, namentlich an Orte und Zeiten, was Zwingli im Hinblick auf die Fasten- und Feiertage un11

Bucer, DS 1,262,26-38 ('Grund und Ursach'). Ebd. 265,22f; vgl. 267,16f. 13 Ebd. 266,11-267,7. 14 Annotationes in Genesim zu Gen 2,2f, 1527 (Zwingli, Werke Bd. 13, S. 1517); Annotationes in Exodum zu Ex 20,8, 1527 (Zwingli, Werke, Bd. 13, S. 394f). 15 'Von Erkiesen und Freiheit der Speisen', 1522 (Zwingli, Werke, Bd. 1, S. 99102); 'Auslegung und Gründe der Schlußreden' zum 25. Artikel, 1523 (Zwingli, Werke, Bd. 2, S. 246f); 'Eine Antwort, Valentin Compar gegeben', 1525 (Zwingli, Werke, Bd. 4, S. 128-130). 12

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Der geistliche Sabbat

terstreicht. 16 Im Grunde verfolgt er damit das gleiche Anliegen wie Luther, nur daß Zwingli bei der Reduktion auf das Essentielle nicht mit dem Naturrecht operiert wie Luther 17 , sondern sich an der Maxime der Gottes- und Nächstenliebe orientiert. Beim Sabbat ist unter dem Gesichtspunkt der Gottesliebe die Zusammenkunft unter dem Wort, also der Gottesdienst, das Entscheidende und unter dem Gesichtspunkt der Nächstenliebe die Arbeitsruhe. 18 Die Bindung an einen bestimmten Tag bezeichnet Zwingli als »ceremonisch«; dies betrifft den Sabbat wie den Sonntag, weshalb er ähnlich wie Luther der Gemeinde die theoretische Möglichkeit einräumt, den Sonntagsgottesdienst und die Arbeitsruhe notfalls auf einen anderen Wochentag zu verlegen. 19

4.3. Das Sabbatgebot in den Katechismen bis 1529

Daß allerdings Zwingli in der ersten Reformationsdekade eine Ausnahme darstellt, zeigt der Blick in die katechetische Literatur des reformatorischen Lagers vor Luthers Katechismen, die COHRS zusammengetragen hat. Hier findet überall beim dritten Gebot die geistliche Sabbatdeutung Verwendung. Der erste echte Katechismus der Reformation, das 'Gesprächbüchlein' des Landauer Pfarrers Johann Bader von 1526, ruft beim Sabbatgebot zur Ruhe »von den angeborn bösen Adamswercken« auf, damit Gott mit seinem Wort und Geist Einzug halten kann. 20 Auch etliche kurzgefaßte Katechismen nennen ausschließlich den geistlichen Sabbat, am knappsten die Institutio von Christoph Hegendorfer aus Leipzig (1525/26): »Sabbathum sanctifica. Hoc est, Deum in te operari sinito«21 und ähnlich Agrícolas Hundertdreißig Fragstücke von 152822, die Catechesis des Heilbronner Schulmeisters Kaspar Gräter vom gleichen Jahr 23 sowie der Katechismus für Brandenburg-Ansbach des Andreas Althamer, ebenfalls von

16

Zwingli, Werke, Bd. 1, S. 100,16-19; 101,1-24; Bd. 2, S. 246,9-247,12. Siehe dazu unten S. 123-127. 18 Zwingli, Werke, Bd. 4, S. 128,15-33. Dieses Schema leitet auch die Auslegung des Sabbatgebots in der Exodusvorlesung (Zwingli, Werke, Bd. 13, S. 394,22395,10) und des Schöpfungssabbats in der Genesisvorlesung (ebd. S. 16,9-31). 19 Zwingli, Werke, Bd. 4, S. 128,33-129,14. Zu Luther siehe unten S. 125-127. 17

20

COHRS, Katechismusversuche 1,275,1-16. COHRS, Katechismusversuche 3,367,7-10. 22 COHRS, Katechismusversuche 2 , 2 9 4 , 1 - 4 (Frage 119); tung von 1541, Frage 180 (REU, Quellen 3,2,110,8-11). 23 COHRS, Katechismusversuche 2,330,6-9. 21

vgl. auch deren Bearbei-

Die Vorherrschaft im ersten Jahrzehnt der Reformation

109

1528. 24 Etwas ausführlicher, aber auch ohne einen Hinweis auf den Gottesdienst oder die Arbeitsruhe entfaltet der Plauener Schulmeister Johann Toltz das dritte Gebot um 1526/27 in seinem Katechismus als tägliche Übung der Fleischestötung, auf daß Gott allein in uns wirken könne. 2 5 Beschränkt auf die altkirchlich moralische Variante als Feier von den sündigen Werken, also ohne die mystischen Konnotationen der Selbstaufgabe zugunsten des 'Gott in sich wirken Lassen', wird der Sabbat erklärt in dem katechetischen Büchlein des sonst kaum bekannten Petrus Schultz (1527) 26 , in dem sogenannten 'Kinderbericht' Oekolampads, der wahrscheinlich schon 1525/26 in Basel entstand 27 , in der Catechesis des Straßburger Lehrmeisters Otto Brunfels von 1529 28 und in den Fragestücken von Brenz29, der den geistlichen Sabbat dadurch unterstreicht, daß er das dritte Gebot mit der zweiten und dritten Vaterunser-Bitte zusammenbringt. 30 Brenz verweist daneben auch auf die leibliche Ruhe und das Hören des Worts. 3 1 Letzteres sieht auch der Hofer Prediger Kaspar Loener im 'Unterricht des Glaubens' (1529) geboten, verboten wird im dritten Gebot jedoch nicht wie in Luthers Kleinem Katechismus das Gegenteil, nämlich die Verachtung des Wortes, sondern die »sundtliche arbeit alle tag.« 32 Die 'Christliche Kinderzucht' Agrícolas (1526/27) wendet sich beim dritten Gebot zunächst der regenerativen Arbeitsruhe für Mensch und Vieh zu, um dann in einem zweiten Abschnitt detailliert auf die geistliche Ruhe, die Feier von Herz Katechismusversuche 3,24,25-31. Katechismusversuche 4,33,16-27 (zur Datierung COHRS, ebd. S. 22). 26 COHRS, Katechismusversuche 2,212,22-35. 27 COHRS, Katechismusversuche 4,14,10f (die Datierung von COHRS, ebd. S. 6). 28 COHRS, Katechismusversuche 3,342,lOf; ausdrücklich bekundet Brunfels: »Estque plane fidelibus hoc sabbatum magis spirituale, quam corporale, quod multis in Euangelio probat Christus.« (Ebd. 342,13f). Ahnlich hatte dies bereits Melanchthon in den Scholien zu Ex 20 gesagt, vgl. oben S. 106, bes. Anm. 7. 29 COHRS, Katechismusversuche 3,179,38-180,5; wohl ins Jahr 1529, aber noch vor das Erscheinen von Luthers Katechismen zu datieren. 30 »Frag. Was bittestu, wann du sagst, Dein will geschehe auf erden, wie im hymel? Ant. Ich bitt widerumb, das mir Gott gnad geb, das dritt gebott zuo erfüllen, welches ist, Du solt den Sabbath hailigen. [...] Derhalben hat auch Gott diß gebott under andern im alten Gsatz aufs höchst angezogen.« (Ebd. 179,9-25; vgl. 178,1325). 31 Ebd. 179,27-36. Ahnlich auch noch der Eßlinger Katechismus Jakob Otthers von 1532, der die Sabbatheiligung nicht auf das Wort zentriert, sondern sie in einem »Gott dem herrn still halten, die hand Gotts in vns dulden vnd sein werck inn vns lassen fürgan« begreift (REU, Quellen 1,367,1-6). 32 COHRS, Katechismusversuche 3,472,15-18; die Auslegung der ersten drei Hauptstücke hat Loener nach COHRS, ebd. S. 463f, noch vor dem Erscheinen von Luthers Großen Katechismus verfaßt. 24

COHRS,

25

COHRS,

Der geistliche Sabbat

110

und Wille, einzugehen. 33 Deutlich ist die Auslegung durch Luthers Exoduspredigt vom Oktober 1525 geprägt. 34 Der geistliche Sabbat wird den selbsterwählten Werken entgegengesetzt und in der Annahme der gottgegebenen Stände konzentriert. 35 Auf Agricolas Ausfuhrungen basiert auch die Erklärung in der 'Christlichen Unterweisung' von Konrad Sam in Ulm Ende 1528. Sie hebt auf dieselben Momente wie Agricola ab, verzichtet aber auf eine Darlegung der Ständelehre. 36 Dafür grenzt Sam den geistlichen Sabbat gleich zu Beginn gegen den Müßiggang Karlstadtscher Prägung ab, und zwar mit dem gleichen Zitat aus dessen Sabbattraktat, das auch Luther in 'Wider die himmlischen Propheten' polemisch aufgegriffen hat. 37 Sam hat also auch diese Schrift Luthers verarbeitet. Nicht als Auslegung des dritten Gebots, sondern in einem Abschnitt über die Feiertagsfrage finden wir die geistliche Sabbatdeutung 1526 in dem Handbüchlein von Johann Toltz, einem Unterrichtswerk, das er schon vor seinem Katechismus erstellt und nach der Lokalmethode aufgebaut hat. Sie erläutert wie bei Bucer die These von der christlichen Gleichwertigkeit der Tage; den Sonntag bestätigt Toltz mit dem Hinweis auf den Genuß von Wort und Sakrament sowie auf die Arbeitsruhe. 38 Es zeigt sich also, daß in der reformatorischen Theologie der Sabbat bis zum Erscheinen von Luthers Katechismen durchweg als eine Metapher für die Heiligung des christlichen Lebens interpretiert wird. 39 Oftmals wird das Sabbatgebot allein in diesem Sinne verstanden, bisweilen tritt die Ermahnung zum Hören des Wortes und zur leiblichen Ruhe hinzu. Besonders die Formulierung des 'Gott in sich wirken lassen' verrät den maßgeblichen Einfluß von Luthers 'Sermon von den guten Werken'; sie findet sich bei Melanchthon, Bucer, Bader, Toltz, Hegendorfer und Agricola, sowie, über letzteren vermittelt, auch bei Gräter, Althamer und Sam. 40 Luthers 'Kurze Form' bzw. sein Betbüchlein Katechismusversuche 2 , 2 5 , 2 3 - 2 6 , 8 . Dies hat COHRS, ebd. S. 9f, auch für die anderen Gebotsauslegungen der 'Kinderzucht' nachgewiesen; in Eisleben, wo Agricola seit August 1525 war, muß er eine Mitschrift der Predigten, nicht aber die Rörersche, erhalten haben. 35 Ebd. 26,9-19. Siehe dazu unten Kap. 5, S. 116-119. 36 COHRS, Katechismusversuche 3,118,15-119,21. 37 »Christenliche feyr stat nit in dem, das man still sitz, hend und füß nit rege und den kopff in die hend nem«. (Ebd. 118,18-20 - Hervorhebung von mir, J.K.); vgl. KS I,40,28f und unten Kap. 5, S. 115. 38 COHRS, Katechismusversuche 1,255,19-256,10. 39 Vgl. die zusammenfassende Darstellung von COHRS, Katechismusversuche 4,382f; auch COHRS führt dies auf Luthers Einfluß zurück. 40 COHRS' Feststellung, daß der 'Sermon von den guten Werken' in der Dekalogsauslegung der von ihm gesammelten Katechismen auffallend wenig benutzt worden sei (COHRS, Katechismusversuche 4,330), hat er selbst im Hinblick auf das dritte Gebot relativiert (vgl. ebd. S. 383). 33

34

COHRS,

Die Vorherrschaft im ersten Jahrzehnt der Reformation

111

hat dagegen nicht so nachhaltig - zumindest nicht in nachweisbaren Formulierungen - gewirkt. 41

41

So taucht z.B. die markante Formulierung aus der 'Kurzen Form', daß »dyß gepott furdert eyn geyst arme seel, die do yhres nicht sein vor gott opffert« (BoA 2,45,34f) nicht wieder auf.

TEIL II SABBAT UND SONNTAG

Der folgende Teil untersucht zunächst Luthers Reaktion auf den Versuch Karlstadts, aus den Geboten konkrete Verhaltensnonnen als Einübung in die Heiligung zu gewinnen. Auf hermeneutischem Weg drängt Luther den Sabbat aus dem Feiertagsgebot heraus. Was Luther hermeneutisch regelt, muß Melanchthon in anderem Sachzusammenhang in juridische Kategorien übertragen. Für das Problem der legislativen Vollmacht der Kirche wird während des Augsburger Reichstags die Frage, mit welchem Recht die Kirche den Sonntag statt des Sabbats feiert, zum Präzedenzfall. Der Blick in die katechetische Literatur zeigt schließlich, wie sehr die Auslegung des dritten bzw. vierten Gebots von Luthers Vorbild abhängt.

5. Luthers Engführung seit 1525 Der siebte Tag als »zeitlicher Schmuck«

Wie sich Luther bis zum Jahre 1524 zum Sabbat äußerte, wurde oben bereits dargelegt. 1 Die Auseinandersetzung mit Karlstadts Bilderkampf und mit seiner Sabbatlehre hat Luther veranlaßt, die früher gekannte und von ihm geschätzte Auslegungsbreite zum dritten Gebot zu reduzieren und auf wenige Punkte zu konzentrieren, indem er das Gebot in die Vollgestalt seiner reformatorischen Worttheologie integriert. Das hat nicht nur einen Verzicht auf die spiritualisierende Sabbatdeutung zur Folge, sondern es bewirkt auch den bewußten Ausschluß des Sabbats aus dem Feiertagsgebot. Luther vollzieht diese Veränderungen reflektiert, er bildet dazu eigens eine Art Hermeneutik aus. Gleichwohl verarmt dadurch einesteils der Interpretationsreichtum, den vor allem die Alte

1

Siehe oben Kap. 1.

Luthers Engfuhrung seit 1525

113

Kirche sowohl zum Sabbat wie auch zum Sonntag aufgebracht und tradiert hat, andernteils kommt es zu Spannungen mit den biblischen Grundlagen.

5.1. Der geistliche Sabbat

5.1.1. Karlstadts Sabbatverständnis in Luthers Sicht als eine »new weyse mortificationis« Um die Jahreswende 1524/25 setzt Luther mit der Schrift 'Wider die himmlischen Propheten' zur Generalabrechnung mit Karlstadt an. Freilich hat sich der Bruch zwischen Luther und Karlstadt nicht erst am Verständnis des geistlichen Sabbats vollzogen. Die Feindschaft entzündete sich an der Bilderfrage und dem Sakramentsverständnis. Diese Themen behandelt die Schrift gegen den Orlamünder »Propheten«. Doch versucht Luther schon in deren Einleitung, die Diskrepanz zu Karlstadt im Grundsätzlichen zu benennen. Die einstigen Kollegen trennt eine andere Auffassung der Heiligung, und zwar in der Frage der Tötung des Fleisches. Die mortificatio camis zählt Luther in der Kampfschrift gegen Karlstadt zu den fünf »heubtstück Christlicher lere«, die er gleich in der Einleitung nennt.2 An diesem Punkt erhebt Luther Klage gegen Karlstadt: »Disse tödtunge handeln disse falschen propheten auch nicht recht, Denn sie nemen nicht an, was yhnen Gott zu fugt, sondern was sie selbs erwelen, tragen grawe röcke, wollen bawren gleich seyn und des narn wercks viel.«3 Die Anklage lautet dahin, daß Karlstadt eine »new weyse mortificationis, das ist eygen erweite tödtung des fleyschs« suche, wenn er - was nun für Luther kein 'Narrenwerk' mehr ist - Bilder stürmt, Kirchen bricht und das Sakrament meistert.4 Karlstadts Sabbat wird hier nicht explizit mit einbezogen. Kann er dennoch unter diesen Punkt der Anklage mit eingereiht werden? Man kann den Vorwurf der 'neuen Weise mortificationis' sicher nicht nur so verstehen, als lehne Luther bloß solche Werke, das Fleisch zu töten, ab, die nicht üblich und bisher unbekannt, also in diesem Sinne »neu« sind. Das Argument greift tiefer. Der Akzent liegt darauf, daß die Werke selbsterwählt sind. Nun begegnet uns bei den Werken der mortificatio, die von Luther gut2

WA 18,65,3-66,11 (Zitat: 65,6f). Die anderen Stücke sind: Gesetz und Evangelium, »die werck der liebe« (65,31) und den Gebrauch des Gesetzes im sog. usus civilis. 3 Ebd. 65,27-30. 4 Ebd. 63,31-33.

114

Sabbat und Sonntag

geheißen werden, wieder wie im 'Sermon von den guten Werken' einerseits die stereotype Formel 'fasten, wachen, arbeiten' 5 , andererseits die Tötung des Fleisches durch »andere Verfolgung und Schmach«.6 Was das Fasten, Wachen und Arbeiten betrifft, legt sich die Frage nahe, ob dies nicht auch selbsterwählte Werke sind, zumal Luther vor sie noch den »eygen zwang«7 setzt. Doch handelt es sich bei diesen Übungen um Werke, die Gott dazu verordnet hat, das Fleisch zu bändigen, ohne ihnen freilich einen meritorischen Charakter zuzubilligen.8 Demgegenüber muß die Übung des feiertäglichen Müßiggangs, wie sie Karlstadt vorschwebt, durchaus als eine 'neue Weise mortificationis' erscheinen. Luther hat verstanden, daß die »Sündenfeier« bei Karlstadt wesentlich mit dem Halten des konkreten Feiertags verbunden ist. Dieser Sabbat wurde oben als eine Konkretion der Gelassenheit erkannt. Gerade diese Konkretion ist für Luther das Anstößige, erblickt er doch in ihr ein Werk, das Gott so nicht geboten hat. 9 Der Sabbat ist im Neuen Testament aufgehoben und damit überhaupt jeder Unterschied der Tage. Dies darf durch den geistlichen Sabbat nicht infrage gestellt werden. Für Luther ist eine geistliche Deutung des Sabbats nur dann legitim, wenn sie die Aufhebung des äußeren Sabbats nicht tangiert. Der geistliche Sabbat ist nicht an die Heiligkeit eines besonderen Tages zu binden. Darin wittert Luther einen Rückfall in die Gesetzlichkeit des Alten Bundes. 10 Nicht die exemplarische Heiligkeit eines bestimmten Tages führt der geistliche Sabbat vor Augen, sondern die Heiligung des christlichen Lebens als ganzes. Diese Heiligung soll nicht vor allem am Sonntag gelebt werden, sondern zu jeder Zeit und an jedem Ort, im Alltag und in jedem Stand.

5

Ebd. 65,26; vgl. oben S. 37. 6 Ebd. 65,26f; vgl. oben S. 37. 7 Ebd. 65,26. 8 Vgl. etwa WA 42,62,20-22 (Gen.-Vorl. zu Gen 2,3) und ZUR MÜHLEN, Art. Arbeit VI, S. 635f. 9 »[...] und also mit eygener erweleter demut und unterthenickeyt, die Gott nicht gebeut, wollen der sonderlichen Christen eyner gesehen und geramet seyn, als stünde eyn Christlich wesen ynn solchem eusserlichem gauckelwerg [...] Das ist die hohe newe kunst Gottes aus der hymlischen stymme, die wyr zu Wittemberg, so den glauben und liebe leren, nicht verstehen noch wissen können, Das ist die hübsche 'entgrobung', 'studirung', 'Verwunderung', 'langweyl', und des gleichen teuffels allfentzerey.« (WA 18,101,1-10). 10 Dies schärft Luther auch den Straßburgern in seiner Warnung vor Karlstadt ein: »Denn wyr wissen, das aus keynem werck eyn Christen wird, und solche eusserliche ding alls bilde und sabbath ym newen testament frey sind wie alle andere cerimonien des gesetzs.« (WA 15,395,10-12 - Brief an die Christen zu Straßburg wider den Schwärmergeist, 1524).

Luthers Engführung seit 1525

115

So ähnlich zunächst der Ausgangspunkt ist, den beide, Luther wie Karlstadt, bei dem geistlichen Sabbat als einer Chiffre der Rechtfertigung und Heiligung des Menschen allein durch Gott nehmen, so sehr entzweien sich beide bei der Entfaltung dieses Topos. Luther hält die Unterscheidung zwischen dem äußeren und dem geistlichen Sabbat, zwischen dem konkreten Feiertagsgebot und der Signifikationsebene durch. Seine Ausführungen zum geistlichen Sabbat gehen von der Voraussetzung aus, daß das christliche Leben ein kontinuierlicher Sabbat ist. Es gibt keinen Unterschied der Tage, wenn vom geistlichen Sabbat die Rede ist. Anders Karlstadt! Er verknüpft die Signifikationsebene mit dem konkreten Gebot des heiligen Tages. Was der geistliche Sabbat bedeutet, muß erfahren und eingeübt werden. Dazu dient der Feiertag. Nicht also, daß Karlstadt im Sabbat ein Sinnbild für das Verhältnis des Menschen zu Gott sieht, gilt Luther schon als eine falsche Auffassung der mortificatio carnis, sondern daß Karlstadt diese Erkenntnis an den konkreten Ruhetag rückbindet. Damit nimmt er letztlich wieder die Gewissen gefangen, wo es nicht notwendig ist, da Christus den Sabbat frei gelassen hat. »Und dancke müsse haben der frume Paulus [Kol 2,16f] mit Esaia [Jes 66,23], das sie uns so lange zuvor von den rottengeystera erlöset haben, Wyr müsten sonst des sabbaths tage sitzen und das heubt ynn die hand fassen 11 und der hymelischen stym wartten, wie sie gauckeln. [...] Also auch wer bilder bricht odder sabbath feyrt (das ist, wer sie nottig zu hallten leret), der mus sich auch beschneytten lassen und den gantzen Mose hallten«.12 Dennoch kann nicht übersehen werden, daß Karlstadt im Grunde nur Anregungen entfaltet, die ihm Luther bis 1518 selbst lieferte. Besonders in die 'Kurze Erklärung der zehn Gebote' ließ Luther mystische Terminologie einfließen; auch er sah dort die Erfüllung des ersten Gebots in der Gelassenheit. In Luthers Humilitas-Theologie war das mortifikatorische Moment, die annihilatio sui und die Stillegung alles Eigenen, keinesfalls schon klar als Konsequenz des externen Heils auszumachen, das in der Relation von äußerem Promissio-Wort und Glauben ergriffen und vergewissert werden kann; vielmehr war dieses mortifikatorische Moment ein konstitutives Korrelat zur Externität des Heils. Kaum anders verhält es sich in der Konzeption von Karlstadts Orlamünder Theologie. Wenn also Luther seit 1525 an diesem Punkt Karlstadt kritisiert, kämpft er im Grunde nur gegen das an, was er selbst einst gelehrt, dann aber überwunden hatte. Dies mag die Heftigkeit erklären, mit der er gegen Karlstadt zu Felde zieht.

11 Dies ist eine Anspielung auf eine Formulierung in Karlstadts Sabbatschrift (vgl. KS 1,40,280. 12 WA 18,77,20-78,4.

116

Sabbat und Sonntag

5.1.2. Die Eingliederung der Ständelehre in die Deutung des geistlichen Sabbats Luther hat bald nach dem Bruch mit Karlstadt die geistliche Sabbatdeutung fallengelassen. In den Katechismen von 1529 etwa finden wir sie nicht mehr. Ein letztes Mal taucht sie in der Predigt über das dritte Gebot auf, die Luther im Rahmen der Predigtreihe über das Buch Exodus im Oktober 1525 gehalten hat. 1 3 Obwohl hier vieles noch an die Ausführungen im 'Sermon von den guten Werken' erinnert, wird der geistliche Sabbat noch konsequenter den Grundstrukturen reformatorischer Ethik angepaßt als im 'Sermon'. Diese weitere Entwicklung liegt auf der Linie dessen, was im letzten Abschnitt herausgearbeitet wurde. Freilich ist der geistliche Sabbat für Luther immer noch eine Chiffre für die Heiligung, deren grundlegende Bestimmung Paulus in Gal 2,20 genannt hat. 1 4 Das Vorbild des wahren Herzenssabbat ist die sabbatliche Grabesruhe Christi. 15 Damit wird auch auf der Bildebene das der Heiligung korrespondierende

13

WA 16,477-485 (zur Datierung siehe WA 16,XXVII). Die Exoduspredigten von 1524-27 liegen in einer Nachschrift Rörers vor. 1528 wurde in Wittenberg eine deutsche Bearbeitung der Predigten zu Ex 19 und 20 gedruckt, die im Vergleich zu den Nachschriften Rörers viel umfangreicher ist, die aber mit dieser im Aufriß und in der Gliederung der Predigten größtenteils übereinstimmt. Diese anonyme Bearbeitung fußt (wenn überhaupt!) nicht nur auf der Rörerschen Nachschrift, sondern auch auf anderen, unbekannten Mitschriften (vgl. WA 16,XIV). Unübersehbar schöpft die Bearbeitung der Predigt zum dritten Gebot auch aus dem 'Sermon von den guten Werken'; darauf verweist der Bearbeiter selbst (WA 16,484,25f). Wörtliche und sachliche Übereinstimmungen bestätigen dies (WA 16,480,13-15; wörtlich schon im 'Sermon', BoA 1,267,2-4; WA 16,480,25f wörtlich aus dem 'Sermon', BoA 1,266,37; WA 16,480,34f entspricht BoA 1,268,2-4; WA 16,481,14f entspricht BoA 1,272,11-13). Dadurch wird aber Luthers Predigt selbst verfälscht, denn diese Bearbeitung erweckt besonders im Abschnitt zum geistlichen Sabbat den Eindruck, als habe Luther 1525 das Gleiche gesagt wie 1520. Das trifft jedoch nicht zu, wie die folgende Analyse der Predigt nach Rörers Nachschrift, die der gehaltenen Predigt ohne Zweifel näher steht, im Vergleich zum 'Sermon von den guten Werken' zeigen wird. Indem also die Bearbeitung Stücke von 1520 in die Predigt einsetzt, verdeckt sie die entscheidenden Unterschiede zu Luthers Auslegung von 1520. 14

Sowohl hier wie im 'Sermon von den guten Werken' steht Gal 2,20 im Zentrum der Ausführungen zum geistlichen Sabbat (WA 16,480,9-481,1; BoA l,268,4f). 15 »Nec corde sabbatum agimus, quod repraesentavit nobis in sepulchro suo Christus, nihil egit, nihil vidit, nihil audivit, breviter: fuit mortuus.« (WA 16,480,5f).

Luthers Engführung seit 1525

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Motiv der mortificatio berührt. 1 6 Luther betont nun, daß sich die Tötung des alten Adams täglich vollziehen muß. 1 7 Damit zieht er eine erste Konsequenz aus Karlstadts Sabbattraktat. Die Betonung der täglichen mortificatio und der täglichen Feier des wahren Sabbats steht gegen Karlstadts Versuch, die Heiligung in Gestalt der Gelassenheit am konkreten Feiertag exemplarisch zu vertiefen. Des weiteren meidet Luther in seiner Predigt im Gegensatz zu Karlstadt und seinen eigenen früheren Auslegungen nun offenbar jede Formulierung, die im Sinne einer grundsätzlichen Passivität des Menschen im Verhältnis zu dem ihn heiligenden Gott gedeutet werden kann. Die Metapher der Ruhe ist jetzt ganz ausgeblendet, und die Rede vom Aufhören der Werke wird begrenzt auf die Unterlassung derjenigen Werke, die Gott nicht befohlen hat. Lag im 'Sermon' bei Gal 2,20 als der Kernstelle reformatorischen Heiligungsverständnisses der Akzent noch auf dem »doch nicht ich lebe« und demzufolge auf der mortificatio zur Stillegung des eigenen Wirkens, so setzt Luther den Akzent jetzt auf das »sondern Christus lebt in mir«, wobei dies nun eindeutig auf das Wort bezogen wird: ich lebe nicht nach meinen (Menschen-) Worten, sondern nach Gottes Wort. 1 8 Christus wirkt, wenn das, was Gott will, getan wird. Dies bedeutet umgekehrt, daß nicht getan werden soll, was Gott nicht geboten hat, wie Luther in Anspielung auf die Bilderfrage unterstreicht. »Contra sabbatum dei est opera, cultum, doctrinam erigere, quae ignorat deus, quibus tarnen impii sibi placent quasi sancti. Hoc itaque praeceptum exigit, ut a talibus caveamus. At novi nostri spiritus hic erumpunt, faciunt quod non est ipsis mandatum, frangunt imagines quasi necessitate salutis, cum tarnen iubeamur cessare a nostris operibus, ut opera dei faciamus.«19 Es geht also beim geistlichen Sabbat nicht mehr um das Aufhören aller Werke schlechthin, sondern um das Ablassen von den selbsterwählten Werken. 2 0 An

Darauf verwies Luther auch schon im 'Sermon von den guten Werken' (BoA 1,272,4-11; vgl. obenS. 38). 16 »Hoc sabbatum nemo recte celebrat nisi mortuus« (WA 16,480,7). 17 »Quotidie Adam ille vetus debet sabbatum agere opere, voluntate, concupiscentia, ut omnia in nobis divina sint et vita Christi.« (Ebd. 480,8f). 18 »Gal. [2,20] 'Vivo autem iam non' ec. quae ego amplector, inquit, mundus contemnit, quae ego contemno, ille amplectitur, ut hic visus, auditus, cor nihil tentent ex sua sententia, sed omnia secundum verbum dei, corpus nullum opus praesumat nisi quod sciamus deo placere. Si autem lingua, oculus, cor eo tendunt, quo ego volo, opera erant extra fidem.« (Ebd. 480,9-481,6). 19 WA 16,482,1-6 (Hervorhebung von mir, J.K.). 20 Dies hat der Bearbeiter der Predigt schön formuliert: »Aber dieser Text hie vermanet uns, das wir müssig stehen und uns für solchen wercken hüten, die nicht von Gott sind gepotten«. (Ebd. 482,14f; vgl. ebd. 481,16-28).

118

Sabbat und Sonntag

die Stelle der generellen Passivität tritt eine besondere, nämlich die Enthaltsamkeit von Werken, die Gott nicht den Christen auferlegt hat. Weil die Betonung des mortifikatorischen Moments in Gal 2,20 wegfallt, erwähnt Luther nicht mehr die guten Werke zur Tötung des Fleisches - Fasten, Wachen, Arbeiten. 2 1 A n ihre Stelle rückt die gleichsam profanisierte Sicht der Heiligung im alltäglichen Lebensvollzug nach Maßgabe der Ständelehre. Die Heiligung vollzieht sich in der Anerkennung und Übernahme der jedem Stand von Gott verordneten Aufgaben. »Femina, ancilla, servus in vilibus illis operibus et iugi labore, si Christiani sunt, audaces possunt obiicere Satanae, quod sciunt sua opera deo placere. Hinc habent letam [laetam] et optimam in omnibus conscientiam. Sic igitur vult deus nostram vitam institutam«.22 Daß die Stände- und Berufslehre just beim Sabbatgebot anklingt, w o man sie der Sache nach am allerwenigsten erwartet 23 , kann nur als bewußte Pointe gegen Karlstadts Ausführungen zum geistlichen Sabbat verstanden werden. Der geistliche Sabbat wird nicht im Müßiggang des Feiertags, sondern gerade in der Arbeit des Alltags gehalten, in die Gott jeden nach seinem Stand stellt. Im Grunde hat Luther jetzt erst, in der Predigt von 1525, den geistlichen Sabbat ganz der Konzeption reformatorischer Ethik, ganz der reformatorischen Gestalt der Heiligung angepaßt, deren Strukturen er schon 1520 formuliert hatte. Indem nun auch die Effizienz des Wortes die geistliche Sabbatdeutung dominiert, sind die Rudimente der Humilitas-Theologie mit ihren teilweise 2 1 Die Bearbeitung hat sie wieder aus dem 'Sermon' und der Freiheitsschrift eingefügt, ebd. 484,23-27. 2 2 Ebd. 483,5-484,1. 2 3 Auch HARDELAND interpretiert die Eingliederung der Stände- und Berufslehre ins dritte Gebot von dessen Bezug zum ersten Gebot her: Die »Hauptsache in der Erfüllung des dritten Gebots [...], daß man Gott wirken lasse, nicht selber wirken wolle [...], ist eigentlich nichts anderes als eine Wesensbestimmung des Glaubens« (HARDELAND, Katechismusgedanken, S. 86). Die »sittliche Betätigung des Glaubens im irdischen Beruf« (ebd. S. 87) gerade als Skopus des dritten Gebots empfindet HARDELAND aber als unpassend: »So kommt das Teilungsprinzip für den durch die drei ersten Gebote umgrenzten Stoff nach dem Schema: Herz, Mund, Hand, freilich zu seinem Recht, aber es drängt sich die Frage auf, ob dieser Gedanke sich in der Tat in sich von selbst ergebender Folgerung aus dem Wortlaut des dritten Gebots ableiten läßt. Ich bezweifle das. Aus der Idee des Feier kann man wohl den Gedanken des Ruhens in Gott, des Stilleseins zu ihm ableiten, vielmehr ihn als den eigentlichen Kern jeder geistigen Feier ansehen, aber die Forderung intensiver Aktivität will doch nicht recht zu dieser Idee stimmen, und das in erster Linie Geforderte, daß der Glaube Gott in sich wirken läßt, ist doch nicht identisch mit dem, daß seine Betätigung sich innerhalb der Grenzen des kundgegebenen Gottes willens halten soll.« (Ebd.).

Luthers Engführung seit 1525

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mystischen Konnotationen, die sich noch 1520 halten konnten, abgestorben. Obwohl sich Karlstadts Sabbatdeutung genaugenommen nicht mehr auf den geistlichen Sabbat von 1520 berufen konnte, weil auch dort schon die Ruhe von allem Eigenen auf der Vergewisserung der Sündenvergebung durch das äußere Wort beruht, hat sich Luther durch Karlstadts »Schwärmerei« genötigt gefühlt, die Klammer zwischen dem äußeren Wort und dem 'Gott in sich wirken lassen' noch enger zu schmieden. Das äußere Wort legt nun nicht nur das Fundament für die Heiligung in der Relation von Wort und Glauben (erstes Gebot), sondern es liefert auch die Bausteine für das Gebäude der Heiligung selbst. Gott wirkt im Menschen nicht allein im Rekurs auf Wort und Glaube, also in der ständigen Rückkehr zum ersten Gebot, sondern er wirkt gleichsam auch in jedem einzelnen Gebot, indem das Gebot Kriterium des guten Handelns ist. Sachlich schimmert hier schon ein usus der Gebote durch, den Luther erst in den Katechismen voll entfaltet. Daß dort die geistliche Sabbatdeutung nicht mehr vorkommt, liegt freilich in der Konsequenz der 1525 vollzogenen Entwicklung. Denn je mehr sich der Schwerpunkt bei der Heiligung von der anthropologischen Perspektive auf das Wort Gottes verlagert, desto unbrauchbarer wird das Bild vom Sabbat und desto irreführender werden die Konnotationen von Ruhe und Passivität. Desto wichtiger wird aber die äußere Seite des dritten Gebots: das Hören des Wortes.

5.2. Der Ruhe- und Gottesdiensttag

Luther hat 1525 ein letztes Mal die spiritualisierende Sabbatdeutung aufgegriffen, sie aber schon deutlich gegen die mystischen Konnotationen von Karlstadts geistlichem Sabbat abgegrenzt. Er bezieht das im Sabbat abgebildete Ruhen des Menschen ganz auf das Wirken des Wortes. Dabei verblaßt die Metapher des Sabbats zusehends, so daß es nicht überrascht, daß Luther nach 1525 auf sie ganz verzichtet. Aber auch aus einem weiteren Grund redet er später beim dritten Gebot nicht mehr vom Sabbat. Vor allem gegen Karlstadts Verwendung des Bilderverbots beim Sturm auf die Bilder hat er eine Hermeneutik des Dekalogs formuliert, die ihm auch gegen Karlstadts »Sabbatschwärmerei« nützliche Dienste leistet. Die dezidierte Entfaltung dieser Hermeneutik ermöglicht es Luther, klarer, als dies zuvor geschehen konnte, zwischen dem christlichen Feiertagsgebot und dem jüdischen Sabbatgebot zu unterscheiden.

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Sabbat und Sonntag

5.2.1. Die Hermeneutik des Dekalogs Der erste Teil 'Wider die himmlischen Propheten' wendet sich gegen den Bildersturm. Luther wiederholt zunächst die Argumente, die er bereits 1522 in den Invokavitpredigten vorgebracht hat. Man müsse die Bilder erst aus den Herzen weg predigen, bevor man sie aus den Augen nehme, und solches müsse dann ordentlich, d.h. mit obrigkeitlichem Einvernehmen erfolgen. 24 Er schließt seine Auslegung des Bilderverbotes an und betont dabei das Verbot der Anbetung. Dies impliziere, daß das Herstellen von Bildern etwa zum Gedächtnis oder zum Zeugnis erlaubt sei, wie das Alte Testament selbst vielfach belege. Entscheidend jedenfalls sei, daß man aus der Bilderfrage kein Sündenproblem machen dürfe, das die Gewissen bindet und die Seelen mordet. 25 Möglicherweise war Luther selbst nicht recht mit seiner Auslegung des Bilderverbotes zufrieden, denn daß Karlstadt sich auf das erste Gebot berufen konnte, wog schwer. Erstmals in dieser Schrift gegen Karlstadt trägt Luther ein Konzept vor, das hinfort seinen Umgang mit dem Alten Testament insgesamt, mit den alttestamentlichen Gesetzen und Geboten aber insbesondere regelt. Dieses Konzept ist eine Hermeneutik alttestamentlicher Gesetze. Sie bildet eines der wesentlichen Fundamente für Luthers Abgrenzungen sowohl gegenüber den »Schwärmern« als auch gegenüber den Altgläubigen, obwohl sie ursprünglich nur gegen Karlstadts Engagement in der Bilderfrage entwickelt wurde. Luther trägt diese Hermeneutik auch später noch mehrmals mit leichten Varianten vor. 26 Ende 1524 begnügt sich Luther nicht mehr nur damit, Karlstadt ein falsches Verständnis des Bilderverbotes im Dekalog nachzuweisen. Vielmehr nimmt er dem Gegner jeden Wind aus den Segeln, indem er das Problem radikalisiert und lehrt, daß der Dekalog überhaupt, ja daß Mose mit all seinen Gesetzen den Christen gar nichts angehe. 27 Dies ist in der Tat eine unerhörte These, hatte doch die christliche Theologie bis dahin unwidersprochen behauptet, daß nur die Zeremonialia und Judizialia des alttestamentlichen Gesetzes für die 24

WA 18,67,9-68,31. Vgl. auch STIRM, Die Bilderfrage, S . 40-43. WA 18,69,1-75,10. 26 So in der Einleitungspredigt zu Ex 19 und 20, erhalten in Rörers Nachschrift, aber bekannt geworden durch die 1526 gedruckte deutsche Bearbeitung »Eyn Unterrichtung wie sich die Christen ynn Mosen sollen schicken« (beides in WA 16,363393); ferner 1538 im Sendbrief 'Wider die Sabbather' (WA 50,330,28-335,20). Vgl. dazu BORNKAMM, Luther und das Alte Testament, S. 104-116; HECKEL, Lex charitatis, S. 110-113.168-174; GERDES, Luthers Streit, S. 42-76; PETERS, Kommentar, Bd. 1, S . 72-77; STIRM, Die Bilderfrage, S . 49-54. 27 »Wyr wollen Mosen widder [weder] sehen noch hören« (WA 18,76,1). 25

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Kirche obsolet seien, keinesfalls aber die Moralia, deren vornehmstes Stück der Dekalog ist. 28 Diese traditionelle Unterscheidung verwirft Luther. Sie sei unmöglich, denn im Alten Testament hingen alle Gesetze aufs Engste miteinander zusammen. Eben der Dekalog selbst enthalte explizit zeremonielle Bestimmungen, nämlich das Bilderverbot und den Sabbat, und implizit auch judizielle. 29 Und da nun niemand die Irrelevanz der Zeremonialia und Judizialia leugnen könne, müsse dies auch für den Dekalog insgesamt gelten. Es ist also zunächst zu fragen, wen die einzelnen Gebote ansprechen. 30 Selbstverständlich kann Luther die Zehn Gebote nicht kurzerhand aus dem Christentum verbannen. Daher ersetzt er die verworfene Dreiteilung des mosaischen Gesetzes durch die Unterscheidung von 'Mose Gesetz' und Naturgesetz. 'Mose Gesetz' ist gleichsam das Nationalgesetz, das nur Israel gegeben wurde, wie andere Gesetzeskorpora anderen Völkern. »Moses ist der Juden sachsen Spiegel.«31 Es ist daher zunächst ein menschliches und positives Gesetzeswerk. Das Naturgesetz ist das allen Menschen ins Herz geschriebene Gesetz (Rom 2,14f) und konzentriert sich in der Goldenen Regel (Mt 7,12); somit geht das Naturgesetz eo ipso jeden an. Freilich formuliert das Mosegesetz wie jedes positive Nationalgesetz auch naturrechtliche Maximen. Diese finden sich dort vornehmlich im Dekalog, mit Ausnahme des Bilderverbotes und des Sabbats. Die dem Naturrecht entsprechenden materiellrechtlichen Fassungen der Nationalgesetze - also auch des Mosegesetzes und des Dekalogs gelten damit für den Christen unbedingt, aber qua natura oder vermöge seines Menschseins. 32

28

»Thomas et alii Scholastici de abrogatione legis loquentes dicunt Iudicialia et Caeremonialia post Christum mortifera ideoque iam abrogata esse, non item moralia. Hi ignoraut [sc. ignorant], quid loquantur. Tu vero cum voles de abrogatione legis loqui, disputa praecipue de lege proprie dicta ac spirituali et complectere simul totam legem, nihil distinguens inter Iudicialem, caeremonialem et moralem. [...] Quare dicimus legem Decalogi nullum habere ius accusandi et perterrefaciendi conscientiam, in qua Christus per gratiam regnat, quia Christus ius illud antiquavit.« (WA 40 1,671,28-672,17 - Großer Gal.-Kommentar, 1535). 29 WA 18,76,19-77,6. In der 'Unterrichtung in Mose' wird dies am Sabbatgebot gezeigt (WA 16,374,14-375,9), jedoch nicht am Bilderverbot; statt dessen verweist Luther auf die den Dekalog einleitende Selbstvorstellungsformel Gottes; Gott rede mit den Zehn Geboten allein die Juden an, denn nur sie habe er aus Ägypten geführt. (Ebd. 373,14-18; 374,8-13; vgl. WA 50,331,22-36). 30 »Wie khem ich dar zu, ut mihi imponant omnia verba dei?« (WA 16,438,6f Exod.-Predigt zum ersten Gebot, 1525; vgl. WA 16,388,1-390,1). 31 WA 16,378,11; vgl. WA 18,81,4-17. 32 WA 18,80,15-81,17; WA 16,378,6-380,5 (nach Rörer); 378,19-380,16 ('Unterrichtung'); WA 50,330,31-331,16.

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Nachdem Luther das Mosegesetz zunächst radikal abgewertet hat, um es anschließend durch das naturrechtliche Argument wieder zu rehabilitieren33, zeichnet er es zuletzt noch besonders aus. Das Mosegesetz genießt den Vorzug vor allen anderen Nationalgesetzen, weil in ihm das Naturgesetz einen so schönen und trefflichen Ausdruck findet. Darin sucht es seinesgleichen. Sein Vorzug ist seine Exemplarität. 34 Aus rein pragmatischen und vernunftsgemäßen Gründen ist das alttestamentliche Gesetz zu achten, nicht aus prinzipiell theologischen. Das naturgesetzliche Kriterium wird also von der neuerlichen Aufwertung des Mosegesetzes nicht unterhöhlt, die zuvor behaupteten Thesen werden nicht widerrufen. Mose bleibt der Juden Sachsenspiegel, die alttestamentlichen Gesetze sind in ihrer materiellrechtlichen Fassung - soweit es sich nicht um das Naturgesetz handelt - menschlichen, nicht göttlichen Rechts. 35 Luther hat diese Hermeneutik gegen Karlstadts Bilderstürmerei ausgearbeitet. Er gewinnt in ihr aber noch eine andere, grundlegendere Perspektive. Mit ihr reflektiert er nämlich die Voraussetzung der generellen Ansprechbarkeit des Menschen auf das Gesetz als einer theologischen Kategorie. Indem die lex naturae ein anthropologisches Grunddatum - die lex indita - darstellt, garantiert sie »die bleibende ethische Ansprechbarkeit des Gewissens«.36 Nur deswegen kann die Predigt des Gesetzes ihrem theologischen Zweck wirksam nachkommen. 37 Die Predigt des Gesetzes ist aber ihrerseits trotz der lex indita unabdingbar, denn diese läuft Gefahr, im Gewissen verdrängt zu werden, so daß sie der steten Erinnerung durch die lex praedicata bedarf.

33

»Praecepta legimus, non quod nobis praecepta, sed quod reymen sich cum naturali lege et ordinate sunt posita, quod in naturali non invenimus et in Mose ghet uns nit an.« (WA 16,390,2-4). 34 WA 18,81,18-82,6. »Mose sic rexit populum, mich dunckt, es wer fein ut imitaremur, quando acciperem pro exemplo ex volúntate [...] was uns gefal, lassen wir zu, quod non, lassen wir ghen« (WA 16,376,1-378,5 nach Ròrer); vgl. 376,8378,18 ('Unterrichtung'). 35 Vgl. HECKEL, Lex charitatis, S. 112. 36 PETERS, Kommentar, Bd. 1, S. 75. 37 »Et certe nobis centum annis frustra praedicaretur lex ut azino alicui, nisi esset inscripta cordibus nostris ut admoniti statim dicamus: Ita habet res ec.« (WA 16,447,10-12; vgl. WA 18,80,35-37).

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5.2.2. Das dritte Gebot unter der naturrechtlichen Perspektive 5.2.2.1. Die Aufliebung des Sabbats Luther polemisiert in der Kampfschrift gegen Karlstadt auch gegen dessen Sabbattraktat.38 Jedoch geht er dabei kaum auf Karlstadts Sabbatverständnis ein. Er beschränkt sich mit Hilfe von Kol 2,16f, Gal 4,10f und Jes 66,23 auf die Feststellung, daß der Sabbat aufgehoben sei. Dies steht nicht im Widerspruch zum alttestamentlichen Befund, wie er in den Exoduspredigten zu Ex 31,16 darlegt; der Sabbat sei nur solange ein Zeichen des ewigen Bundes, solange das jüdische Reich bestehe, denn das Wort 'ewig' werde im Alten Testament oft auf vergängliche Personen oder Sachen bezogen, bedeute hier also 'perpetuum' und nicht 'aeternum'. 39 Nach Maßgabe des naturrechtlichen Kriteriums offenbart sich das dritte Gebot als Feiertagsgebot, nicht als Sabbatgebot. Der Sabbat ist die materialrechtliche Ausgestaltung des Feiertaggebots für die Juden. Im Dekalog hat Mose das Naturgesetz dem Volk Israel in Gestalt eines positiven Gesetzes vorgelegt und entfaltet, und zwar in einer für alle Heiden vorbildlichen Weise. Wie bei jeder Ausgestaltung des Naturrechts in einer lex scripta sind auch hier Satzungen beigemischt, die weder unmittelbar aus dem Bestand der lex naturalis stammen, noch mittelbar aus dieser abgeleitet werden können. Solche Bestimmungen sind 'zeitlicher Schmuck'. Dazu zählt Luther auch die Festlegung des Feiertags auf den Sabbat als dem siebten Tag. »Das nu Moses den Siebenden tag nennet, und wie Gott die weit jnn sechs tagen geschaffen hat, darumb sie nichts erbeiten sollen, das ist der zeitliche schmuck, damit Moses dis gebot seinem volck jnn Sonderheit zu der zeit anzeucht. Denn vorhin findet man solchs nicht geschrieben, weder von Abraham noch der alten Veter Zeiten«.40 Wenn Luther bisweilen schroff sagen kann, daß das dritte Gebot die Heiden gemeint sind die Christen - nichts angehe 41 , so trifft das genaugenommen nur auf den Sabbat und das dritte Gebot als Sabbatgebot zu. 38

WA 18,77,8-27. »Sic semper expone verbum Ewig de rebus corporalibus et externis. Sed aliter de Christi regno. Sic sabbatum res externa debet esse perpetuum i.e. donec durat Iudaismus. Iudeorum regnum vero vastatum ec.« (WA 16,611,6-9, in der Nachschrift Rörers, ähnlich auch Bugenhagens Nachschrift, ebd. 611,27-29). 40 WA 50,333,6-10 (Wider die Sabbather). 41 »Tertium praeceptum. Hoc omnino externum est et manifeste pertinet ad eductos ex Aegypto, non ergo ad nos gentes.« (WA 16,477,3-5 - Exod.-Predigt zum dritten Gebot, 1525). 39

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Die Schrift bestätigt, daß die Applikation der Dekalogshermeneutik auch beim dritten Gebot richtig ist. Es gibt im Neuen Testament keine heiligen Tage. 42 Nicht einmal der Sonntag ist im Neuen Testament verankert. Wenn die Kirche meint, sich durch das dritte Gebot in seiner materialen Gestalt binden zu müssen, dann hat sie den Sabbat, also den siebten Tag, und nicht den Sonntag zu halten. »Quis enim non videt, si ad nos hoc pertineret, non dominicam diem, sed priorem debere nobis esse celebrem? Fortissimum est hoc argumentum.«43 Was vom dritten Gebot dem naturrechtlichen Kriterium standhält, ist die Komponente des Ruhetags und diejenige des Gottesdiensttages. 5.2.2.2. Der Ruhetag Das Verlangen nach Arbeitsruhe, nach körperlicher Regeneration ist eine anthropologische Notwendigkeit. Das dritte Gebot ermahnt, diesem Verlagen stattzugeben. Damit erinnert es an das, was die Natur ohnehin fordert. Allerdings fordert sie es erst seit dem Sündenfall, in dessen Folge die Arbeit mit der Mühsal beschwert wird. Daß die Natur des Menschen nach Ruhe und Erholung von der Arbeit verlangt, ist Ausdruck der Gnade. Gott erleichtert der gefallenen Kreatur die Folge der Sünde. Es handelt sich damit beim Ruhetag um eine naturgesetzliche, aber infralapsarische Ordnung. »Das man aber den Sabbath odder sontag auch feyret, ist nicht von nötten noch umb Moses gepot willen, sondern das die natur auch gibt und leret, man müsse ia zu weylen eynen tag rügen, das mensch und vieh sich erquicke, wilche naturliche Ursache auch Mose ynn seynem sabbath setzet, damit er den sabbath, wie auch Christus Matth. 12 [1-12]. und Mar. 3 [1-6]. thut, unter den menschen setzt«.44 Wie die übrigen Gebote des Dekalogs, nachdem sie dem Katalysator des Naturrechts ausgesetzt worden sind, obliegt auch das dritte Gebot der Sorge des weltlichen Regiments. Die weltliche Obrigkeit muß für die materiellrechtliche Setzung naturrechtlicher Normen nach dem Kriterium der Vernunft sorgen, nicht anders, wie Mose für sein Volk sorgte. Insofern das dritte Gebot als das Gebot des Ruhetags verstanden wird, geht es die Christen etwas an, weil es als Element der lex naturae jeden Menschen betrifft. Als solches aber fällt es nicht in die Obhut der Kirche, sondern in die des weltlichen Regiments. »Atque sie feriari est in nostra, non in papae potestate.«45

42

»Nos enim nunc perpetuum sabbatum habemus et festa habemus, quemadmodum Isa. ult. c. [Jes 66,23] praedixit sub Messia futurum. Itaque iam nihil sunt ista festa in novo testamento.« (Ebd. 477,6-8). 43 Ebd. 478,lf. 44 WA 18,81,26-82,2 (Wider die himmlischen Propheten). 45 WA 16,479,5 (Exod.-Predigt).

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Die naturrechtliche Katalyse wehrt der religiösen Gewissensbindung. Wenn ein Ruhetag eingelegt werden soll, weil es 'die Natur' erfordert, so heißt dies auch, sofern es 'die Natur' erfordert. Wer der Arbeitsruhe nicht bedarf, soll mit dem Ruhetag ungezwungen bleiben. Dies bedeutet zum einen, daß sich eine Festlegung des Ruhetags auf einen bestimmten Tag der Woche nach Maßgabe des naturrechtlichen Kriteriums nicht mehr begründen läßt. »Denn wo er [der Sabbat] alleyne umb der rüge willen soll gehalten werden, ists klar, das, wer der rüge nicht bedarff, mag den sabbath brechen und auff eynen andern tag da für rügen, wie die natur gibt«.46 Aus der Notwendigkeit des Ruhetags kann man also weder auf die Verbindlichkeit des Sabbats noch des Sonntags schließen. Zum andern ergibt sich aus der naturrechtlichen Relativierung, daß man den Ruhetag hält »nicht ümb der verständigen und gelehrten Christen willen, denn diese dürfen's nirgend zu, sondern [...] für den gemeinen Haufen, Knecht und Mägde, so die ganze Wochen ihrer Erbeit und Gewerbe gewartet, daß sie sich auch einen Tag einziehen zu rügen und erquicken.«47 Die naturrechtliche Notwendigkeit tangiert nicht die christliche Freiheit. Dies haben die Juden verkannt, wenn sie den Ruhetag »hernach allzu enge spanneten und gröblich mißbrauchten [...,] gerade als sollt' das Gepot damit erfüllet sein, daß man gar kein äußerlich Werk täte«.48 Der Ruhetag ist kein geistliches Werk, er gehört ganz ins Reich der Welt. Durch das Halten des Ruhetags wird aber das dritte Gebot noch nicht erfüllt, reiht sich dieses doch in die erste Tafel des Dekalogs ein. 5.2.2.3. Der Gottesdiensttag Hat die Komponente des Ruhetags in Luthers Auslegungen des dritten Gebots bis in die Mitte der 20er Jahre noch eine eigenständige Bedeutung behaupten können, so wird seit den Katechismen die Arbeitsruhe zunehmend der zweiten Komponente, nämlich dem Feiertag als dem Tag des Gottesdienstes untergeordnet. 49 Die Arbeitsruhe ermöglicht den Besuch des Gottesdienstes50, denn der Feiertag ist »darumb zu halten, das man predige und Gotts wort höre.«51

46

WA 18,82,2-5 (Wider die himmlischen Propheten). BSLK 581,6-15 (GrKat). 48 Ebd. 580,26-33. 49 Der Kleine Katechismus geht auf den Ruhetag überhaupt nicht mehr ein. Auch in den Katechismuspredigten von 1528 wird er nur kurz berührt (WA 30 1,32,12-15; 64,10f). 50 Man soll den Feiertag halten »allermeist darümb, daß man an solchem Rugetage (weil man sonst nicht dazu kommen kann) Raum und Zeit nehme, Gottesdiensts zu warten, also daß man zuhaufe komme, Gottes Wort zu hören und handeln, dar47

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Allem voran muß hier betont werden, daß auch dieses Argument, nach welchem der Feiertag um des Gottesdienstes willen geboten ist, dem naturrechtlichen Kriterium standhält. Für Luther gehört nämlich die Gottesverehrung an sich dem Bereich des Naturgesetzes an. Glaube im Sinne von: 'sein Herz an etwas hängen', stellt ein anthropologisches Moment dar. 52 Indem das erste Gebot, seines jüdischen Schmuckes entkleidet53, den rechten Glauben fordert, legt es etwas frei, das allen Menschen, Juden wie Heiden, gemein ist. »Denn eynen Gott haben ist nicht Mose gesetz alleyne sondern auch eyn naturlich gesetze, wie Paulus Ro.l [19f] spricht«.54 Weil die Gottesverehrung vor allem nach dem Zeugnis der Schrift selbst ein anthropologisches Grunddatum ist, darum gilt dies auch vom Gottesdienst und dem Feiertag als dem Tag des Gottesdienstes. »Denn alle Creatur helt billich Gott für Gott und ehret seinen Namen [...]. So sind wir auch alle die, so menschen sind, schüldig sein wort zu hören«. 55 Der Gottesdienst wird also aus dem naturrechtlichen Fundament des ersten Gebots hergeleitet, nicht aus dessen positiver Offenbarungsgestalt. Damit ist noch nicht über rechten und abgöttischen Glauben entschieden; deshalb fallt auch hier noch nicht das Urteil über rechten und abgöttischen Gottesdienst. Wie beim Ruhetag, so weist auch die naturrechtliche Begründung des Gottesdienstes ins Reich der Welt. Das weltliche Regiment hat den Gottesdienst zu garantieren. Damit obliegt ihm auch die Verantwortung für den Feiertag als dem Tag des Gottesdienst. Wie schon beim Ruhetag gibt es deswegen auch hier keine theologische oder geistliche Notwendigkeit, den Tag des Gottesdienstes auf den Sonntag zu legen. »Das halten wir aber in potestate, si dominica non gefeit, montag vel freitag, und alle tag unterthan nobis, ut faciamus diem dominicam, quando volumus. [...] Kerne ein not für, das heut nicht predigen, solt mans morgen.« 56 Mit dem Menschensohn sind auch wir Herren über den Sabbat57 und darum auch über den Herrentag. »Weil aber nu in ge-

nach Gott loben, singen und beten.« (BSLK 581,15-21 - GrKat); vgl. WA 50,332,30-33 (Wider die Sabbather). 51 WA 18,82,5f (Wider die himmlischen Propheten). 52 Vgl. BSLK 560,10-24 (GrKat zum ersten Gebot). 53 »Aber das stück, damit er dis gebot schmücket und allein an die Juden zeucht, nemlich, der dich hat aus Egypten land gefüret, aus dem dienst hause, müssen und können wir Heiden nicht brauchen. Denn wo ich für Gott kerne und spreche: O HERR Gott, der du mich aus Egypten, aus dem Elende gefurt hast ec., da würde ich komen recht wie eine saw jnn die Jüden Schule. Denn solch werck hat Gott an mir nicht gethan« (WA 50,331,22-27 - 'Wider die Sabbather'). 54 WA 18,80,18f. Vgl. WA 50,331,20-36; 334,1-27. 55 WA 50,331,1-3. 56 WA 49,590,8-591,7 (Torgauer Kirchweihpredigt über Lk 14,1-6, 1544). 57 Ebd. 590,5f.

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mein der Sontag für unsern Sabbath oder Feiertag angenomen ist, so bleibe es also, allein, das wir herrn darüber sein, und nicht er über uns«. 58 Mit der Reduktion des dritten Gebots auf den Ruhe- und den Gottesdiensttag nach Maßgabe des naturrechtlichen Kriteriums bestimmt Luther nicht mehr als bloß das Humanum des Gebotes. Damit ist aber das eigentliche, nämlich geistliche Werk des dritten Gebots noch nicht angesprochen. Die Entscheidung hierüber fallt anderswo. Nicht das naturrechtliche Kriterium kann hier urteilen, sondern das Kriterium des Wortes Gottes.

5.2.3. Die Konzentration der Sabbatheiligung in der Wortverkündigung Luther beläßt es nicht bei der schlichten Erklärung, daß der Feiertag der Tag sei, da man Gottesdienst halte. 59 Im Großen Katechismus sowie in den Katechismuspredigten von 152860 vertieft er dies, indem er die Wortverkündigung als das Fundament des Gottesdienstes mit dem Heiligen des Feiertags, zum dem das Gebot auffordert, verbindet. Heiligen heißt primär, »daß man Gottes Wort handle und sich darin übe [...,] denn das Wort Gottes ist das Heiligtumb über alle Heiligtumb«.61 Das Wort heiligt den Feiertag 62 , und deshalb kann der Christ nur den Feiertag heiligen, indem er das Wort treibt. Die Auslegung des dritten Gebots im Großen Katechismus behandelt nicht das Sabbatgebot, sondern das Feiertagsgebot, wie Luther gleich zu Beginn der Auslegung dezidiert herausstellt. Mit der Aufhebung des siebten Tages fällt der Sabbat überhaupt dahin. 63 Jedoch darf das eigentliche Werk des Gebots, nämlich das Wort zu treiben, prinzipiell nicht wieder dazu führen, daß ein besonderer Tag ausgesondert wird. Die Heiligung des Christen durch das Wort ist ein tägliches Geschäft. 64 Daß dem nun doch ein besonderer Tag vorbehalten werden soll, geschieht um der Einfaltigen willen, denen es verwehrt ist, täglich mit dem Wort Umgang 58

Ebd. 592,13-15. BSLK 581,15-21 (GrKat). 60 Zur Auslegung des dritten Gebots in den Katechismen siehe PETERS, Kommentar, Bd. 1, S. 162-164.173-176. 61 BSLK 582,36f; 583,26f. 62 »Aber Gottes Wort ist der Schatz, der alle Ding heilig machet, dadurch sie selbs, die Heiligen alle, sind geheiligt worden«. (Ebd. 583,33-36). 63 Ebd. 580,12-581,3. 64 »Und zwar wir Christen sollen immerdar solchen Feiertag halten, eitel heilig Ding treiben, das ist täglich mit Gottes Wort ümbgehen, im Herzen und Mund ümbtragen.« (Ebd. 582,42-46); vgl. 581,31; WA 30 1,32,llf; 65,9 (Kat.-Pred. vom 16. Sept. und 1. Dez. 1528). 59

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zu halten. 65 Man darf dies freilich nicht so verstehen, als träfe der Sündenfluch von Gen 3,19 nur die körperlich arbeitenden Stände. Im Gegenteil, die Arbeit in der politia ist schwerer als in der oeconomia und im Bauernstand, aber die Arbeit am Wort Gottes in der ecclesia ist am schwersten. 66 Nur bedürfen diejenigen, deren Amt der tägliche Umgang mit dem Wort ist, nicht eines besonderen Tages. Zwar unterläßt Luther in den Katechismen jeden Versuch, seine Leser mit dem geistlichen Sabbat bekannt zu machen. Damit gibt er aber keineswegs die Dimension der Heiligung des christlichen Lebens preis, um die es der spiritualisierenden Sabbatdeutung zu tun war. 67 Indem er das 'Handeln' des Wortes in die Mitte rückt, wahrt er die Bedeutung des dritten Gebots im Gefälle der ersten Dekalogtafel. Auch ohne den geistlichen Sabbat bezeichnet das dritte Gebot das Verhältnis des Menschen zu dem ihn heiligenden Gott. Nur ist jetzt der ganze Komplex der mortificatio carnis, dem früher an dieser Stelle Rederecht gewährt wurde, ausgeblendet. Seine Stelle behauptet nun die Worttheologie. Aus der Bestimmung der anthropologischen Konstitution im Prozeß der Heiligung, die der Sabbat im Beziehungsgefüge der ersten drei Gebote benennt, ist damit jeder »mystische« Rest getilgt. Das Wort Gottes, das zu hören, zu meditieren und zu predigen ist, ist der Gefahr nun vollkommen enthoben, ein selbsterwähltes Werk zu sein. 68 In einen letzten Gegensatz zu Karlstadts »mystischem« Konzept der Heiligung tritt Luthers am Wort orientiertes HeiligungsVerständnis, wo dem Leerwerden der Seele ihre Bereicherung mit dem Wort und dem Müßiggang das Treiben oder Handeln des Wortes entgegengesetzt wird. Eine leere Seele und der Müßiggang zieht nur den Teufel an. 69

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»Feriae autem servantur non propter me et doctos, sed propter vulgus, ut sunt iuvenes, Sone, Tochter, knecht und megde. Haec hora potest dici ein feyerstund, Ideo, ut isto die exerceantur in verbo et orent et discant aliquid.« (WA 30 1,5,17-20 Kat.-Predigt, 1528); vgl. BSLK 581,3-21 (GrKat). 66 Vgl. WA 42,159,17-29 (Genesisvorlesung zu Gen 3,19). 67 Vgl. PETERS, Kommentar, Bd. 1, S . 174. 68 BSLK 583,46-584,5. 69 »Darümb muß Du immerdar Gottes Wort im Herzen, Mund und für den Ohren haben. Wo aber das Herz müßig stehet und das Wort nicht klinget, so bricht er [der Teufel] ein und hat den Schaden getan, ehe man's gewahr wird.« (Ebd. 586,5-10). »Scio quidem, Sed Satan, ubi videt cor ociosum, appropinquat et tentat ein ungluck anzurichten.« (WA 30 I,5,31f - Kat.-Pred. vom 19. Mai 1528).

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Das Wort Gottes heiligt den Menschen. Mit diesem Skopus des dritten Gebots ist auch das Sabbatverständnis Luthers seit den Katechismen in die Vollgestalt seiner reformatorischen Worttheologie integriert. 70

5.2.4. Sabbat und Sonntag In den Katechismen entfaltet Luther die Heiligung als den spezifischen Skopus des dritten Gebots nicht mehr mit der geistlichen Sabbatdeutung im Hinblick auf die anthropologische Dimension, sondern allein im Hinblick auf das Wirken und Treiben des äußeren Wortes. Auch hierbei wird das eigentliche 'Werk' dieses Gebotes dem Grundsatz von der Gleichwertigkeit aller Tage im Neuen Testament gerecht. Den Bezug des Feiertaggebots auf den konkreten Feiertag gewinnt Luther mit Hilfe des naturrechtlichen Kriteriums. Da dieser Maßstab aber auf dem menschlichen Naturgesetz im status naturae corruptae basiert, das die Rechtsgrundlage im Reich der Welt bildet 71 , gelten die daraus folgenden Verbindlichkeiten hinsichtlich des Feiertags nicht kraft theologischer Notwendigkeit. 72 Die Komponenten des Ruhetags und des Gottesdiensttags dürfen keine Gewissensbindung implizieren. Die mit dem Gebot gesetzte theologische Notwendigkeit bezieht sich nur auf das Hören des Wortes. Damit darf die Frage, an welchem Tag das Wort verkündet und gehört werden soll, nicht verquickt werden. Diese Frage liegt für Luther strenggenommen außerhalb der theologischen Befugnis. Wenn dann ein bestimmter Tag gesetzt wird, der in besonderem Maße der Wortverkündigung vorbehalten ist, dann handelt es sich dabei

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Auch die Auslegung des dritten Gebots in der 'Einfältigen Weise zu beten' ist ganz auf die Heiligung des Wortes und die Heiligung durch das Wort konzentriert: »Durch unser werck aber und thun wird er nicht geheiliget, Denn unser werck sind nicht heilig, sondern durchs wort Gottes, welchs allein gantz rein und heilig ist, und alles heiliget, was damit umb gehet, es sey zeit, stet, person, werck, rage etc. Denn durchs wort werden unser werck auch heilig, wie S. Paulus 1. Thi. 4 [5] sagt, Das auch alle Creatur geheiliget wird durchs wort und gebet«. (WA 3 8 , 3 6 6 , 1 9 - 2 4 ) . Darum soll man für das Wort danken, die Undankbarkeit gegenüber dem Wort bekennen und um die Erhaltung des Wortes beten. (Ebd. 3 6 6 , 2 9 - 3 6 7 , 1 4 ) . 71 Daß Luther infolge seiner Zwei-Reiche-Lehre zwischen einem göttlichen Naturgesetz des status naturae incorruptae und einem menschlichen Naturgesetz des status naturae corruptae unterscheidet, hat HECKEL, Lex charitatis, S. 3 2 - 1 6 8 herausgearbeitet. 72 PETERS, Kommentar, Bd. 1, S . 177, nennt es eine 'rationale Entscheidung'. (1535)

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um eine Notordnung vor allem für die mit körperlicher Arbeit betrauten Stände. 73 Freilich denkt Luther hierbei an den Sonntag. Er betont jedoch, daß der Sonntag nicht notwendig ist. So wenig dieses Gebot auf die Feier des siebten Wochentages dringt, so wenig auch auf die Feier des ersten. »Tarnen bonum et necessarium erit unum in hebdomada diem ferari, diligenter in aliis diebus laborantibus me et brutis ec. et praeterea ut isto die conveniamus ad praedicationem non necessitate praecepti, sed nostra utilitate,«74 Die Beibehaltung des Sonntags unterliegt allein menschlicher Notwendigkeit. Sie hat sich im Rahmen christlicher Freiheit am Kriterium der Zweckdienlichkeit und Billigkeit (utilitas) zu messen. »Weil aber von Alters her der Sonntag dazu gestellet ist, soll man's auch dabei bleiben lassen, auf daß es in einträchtiger Ordnung gehe und niemand durch unnötige Neuerung ein Unordnung mache.« 75 Der Sonntag ist in der Schrift nicht geboten, sondern er ist eine Setzung der Apostel. Immerhin anerkennt Luther, daß die Verwandlung des Sabbats in den Sonntag, die Verlegung des Feiertags vom siebten auf den ersten Wochentag eine Entscheidung war, zu der es der geistgewirkten Autorität der Apostel bedurfte. Jedoch setzt dies keine apostolische Norm, die geistgewirkte Entscheidung der Apostel begründet keinen casus conscientiae. Die apostolische Feiertagsverlegung schafft kein neues Gebot iure divino, vielmehr ist sie als ein intentionaler Akt zu begreifen. Mit ihr wollten die Apostel in erster Linie den Sabbat aufheben, um die Werkgerechtigkeit der Gesetzesbeobachtung zu unterbinden. »Ego credo apostolos mutasse sabbathum, quia alias nemo hoc facere ausus fuisset, et credö, quod principaliter fecerit hoc, ut eximerent animis hominum illam opinionem, quod non essent iusti propter legem et observationem legis, et ut firmiter hoc statuerent non esse necessariam ad salutem legem. Resurrectio autem Christi movit ad hoc apostolos, in die Pentecostes misso Spiritu Sancto, sed ipsi antea erant in car-

73

»Solchs aber (sage ich) ist nicht also an Zeit gebunden, wie bei den Jüden, daß es müsse eben dieser oder jener Tag sein, denn es ist keiner an ihm selbs besser denn der ander, sondern sollt' wohl täglich geschehen, aber weil es der Haufe nicht warten kann, muß man je zum wenigsten einen Tag in der Woche dazu ausschießen.« (BSLK 581,27-582,1 - GrKat; vgl. ebd. 582,42-583,5).- »Der Feiertag erscheint bei Luther eher als ein Notbehelf denn als etwas Unverwechselbares.« (VON DER OSTENSACKEN, Katechismus und Siddur, S. 58). 74 WA 16,478,5-479,3 (Exod.-Predigt; Hervorhebung von mir, J.K.); vgl. WA 40 1,623,16-21; 624,15-21 (Großer Gal.-Kommentar). 75 BSLK 582,1-6 (GrKat); vgl. WA 49,591,22-592,19 (Torgauer Kirchweihpredigt, 1544).

Luthers Engführung seit 1525

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nali opinione: Nos putabamus illum instauraturum regnum Israel; tantum imaginabantur mundanum et politicum regnum.«76 Auch daß die Apostel den Sonntag zur Ehre und zum Gedächtnis der Auferstehung des Herren eingesetzt haben 77 , begründet für Luther nicht die Verbindlichkeit des Sonntags. In 'Von den Konziliis und Kirchen' (1539) bedauert er im Abschnitt über das Konzil von Nicäa, daß man die Osterfestberechnung nicht nach dem Sonnenkalender ausgerichtet habe, so daß Ostern immer auf das gleiche Datum falle. Dabei läßt er das Argument nicht gelten, man müsse »den Sontag ehren umb der aufferstehung Christi willen, der darumb heisst Dominica dies, und den Osterstag drauff legen, weil Christus nach dem Sabbath [...] ist aufferstanden«. 78 Luther hält dagegen, daß 'dies dominica' Herrentag heiße und daß derjenige Wochentag, auf den das Osterfest gerade falle, wenn man es am Sonnenkalender orientiert, zu Recht auch Herrentag genannt werden könne, so wie der Christtag auch dann der Christtag bleibe, wenn er auf einen Freitag fällt. 79 Mit diesem Einwand betreibt Luther freilich Augenwischerei. Man will ja nicht darum am Sonntag festhalten, weil er Herrentag heißt, sondern darum, weil der Herr am Sonntag auferstanden ist. Doch ist die Art, wie Luther hier an dem entscheidenden Punkt vorbeilaviert, durchaus symptomatisch für die theologische Grundentscheidung, mit der er das Problem angeht: Die Wortverkündigung heiligt den Tag, nicht der Kalender! Der Kalender ist eine ganz weltliche Angelegenheit80, er darf nicht in geistliche Belange hineinregieren. Luther liegt deshalb an der Osterfestberechnung nicht viel. Auch räumt er der Umstellung auf den Sonnenkalender oder zumindest die Angleichung des noch geltenden Julianischen Kalenders an die astronomischen Fakten, an die er ebenfalls erinnert 81 , kaum eine Chance ein. 82 Luther hält unbeirrt daran fest, 76

WATR 5,618,23-31 (Nr. 6355). »Optarem illos [Iudaeos] nostram religionem et Christum crucifixum osculari et omnia scandala fide vincere, maxime illud de translato sabbatho, quod illos valde offendit, quod apostoli in honorem resurrectionis dominicae in diem Dominicam transtulerunt.« (WATR 5,530,1-4; Nr. 6191). 78 WA 50,556,20-23. 79 Ebd. 556,23-36. 80 Ebd. 554,25-555,8. 81 Ebd. 557,1-8. 82 »Und haben die Ostern nu bey vierzehenhundert jaren geschückelt [geschaukelt], So mügen sie fortan die übrige kurtze zeit auch schückeln, weil doch niemand dazu thun wil, und die es gern wolten, nicht thun können.« (Ebd. 557,2225). Tatsächlich ist die astronomische Angleichung erst später mit der Einführung des Gregorianischen Kalenders erfolgt und bezeichnenderweise zunächst nicht durch eine konzertierte Aktion der weltlichen Obrigkeit, wie Luther es wollte, aber kaum hoffte. 77

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Sabbat und Sonntag

daß es im Neuen Testament keinen Unterschied der Tage gibt. Dies gilt auch für das Osterfest, »halten wir doch alle tage Ostern mit der predigt und glauben von Christo. Und ist gnug, das die Ostern zum groben öffentlichen empfindlichen gedechtnis einmal im jar auff eim sonderlichen tag gehalten werden, nicht allein darumb, das man daselbs die Historia von der aufferstehung deste vleissiger für dem Volck handeln könne, sondern auch umb der jarzeit willen, darnach sich die Leute mit jren hendeln und geschefften richten mügen«. 83 Wir entdecken hier zum Osterfest die gleiche Argumentationsstruktur wie zum Sonntag. An sich feiert der Christ täglich Ostern. Um äußerer Not willen ist es aber sinnvoll und nützlich, das Fest einmal im Jahr mit einer Feier zu begehen. Darüberhinaus werden auch ganz weltliche Gründe geltend gemacht: wirtschaftliche Erwägungen beim Osterfest, arbeitsethische beim Sonntag. Wichtiger als dies ist aber die Beobachtung, daß Luther die altehrwürdige Begründung des Sonntags als des Tages der Auferstehung Christi sehr wohl kennt, daß er sie jedoch der Treue zu der Überzeugung, nach welcher für Christen kein Unterschied der Tage gelten soll, preisgibt. Indem Luther den konkreten Feiertag gleichsam säkularisiert und die Unterscheidung der Tage ins Reich der Welt verbannt, kommt er in Konflikt mit dem exegetischen Befund im Alten Testament. Dies zeigt sich deutlich in Auslegungen, die den Sabbat außerhalb des Dekalogs thematisieren, so in der großen Genesisvorlesung und in einigen Predigten. Zwar behält die Erklärung von Gen 2,3 durchaus den Skopus der Heiligung durch das Wort im Auge, so daß der eschatologische Bezug des Sabbats gewahrt bleibt. 84 Doch gewinnt gleichzeitig der Sabbat als Gottesdiensttag eine ganz andere Dignität. Luther kommt an der Tatsache nicht vorbei, daß Gott selbst den Sabbat heiligte und damit in besonderer Weise auszeichnete, denn Heiligen heißt Aussondern zum heiligen Gebrauch. 85 Von allen anderen Tagen hat Gott den Sabbat unter83

Ebd. 557,8-14. »Quod igitur Deus dat verbum, quod praecipit exercitium verbi, quod mandat sabbati sanctificationem, et cultum suum, Haec omnia arguunt, restare vitam post hanc vitam, et hominem esse conditum non ad corporalem tantum vitam sicut reliquas bestias, sed ad aeternam vitam, sicut Deus, qui haec mandat et instituit, aeternus est.« (WA 42,61,28-32). Den mit der Bezogenheit aufs Wort gegebenen eschatologischen Bezug zeigt Luther zum einen an der Sprachfähigkeit des Menschen auf, die ihn vom Tier unterscheidet (ebd. 61,3-27), zum andern an der Verheißung der Ruhe Gottes nach Hebr 3,7-4,11 (ebd. 60,23-34). 85 Mose »hoc dicit, Deum sabbato benedixit et id sibi sanctificasse. Porro hoc in nulla creatura alia fecit, Non sanctificavit sibi coelum, non terram, non ullam creaturam aliam, sed septimum diem sibi sanctificavit. Hoc eo proprie pertinet, ut intelligamus, septimum diem praecipue divino cultui esse applicandum. Sanctum enim est, quod Deo est appropriatimi et ab omnibus profanis usibus separatum, hinc sane84

Luthers Engfuhrung seit 1525

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schieden, weil ihm der Kultus und die Pflege der Gotteserkenntnis zukommt. Als Gottesdiensttag steht er damit im Rang einer supralapsarischen Schöpfungsordnung. 86 Auch wenn Adam nicht gefallen wäre, hätte er ihn durch den Kultus geheiligt.87 Wenn Luther im Kontext des Dekalogs vom Sabbat spricht, wendet er seit 1524 konsequent die naturrechtliche Katalyse an und reduziert das dritte Gebot auf den Ruhe- und Gottesdiensttag, die primär der Wortverkündigung untergeordnet werden. Der Sabbat ist die speziell jüdische Gestalt des Feiertags; er ist 'zeitlicher Schmuck'. Dies wird exegetisch abgestützt durch die Aufhebung des Sabbats und die Gleichwertigkeit aller Tage im Neuen Testament. Die Aussonderung eines besonderen Tages - traditioneller Weise des Sonntags - als Ruhe- und Gottesdiensttag zum Zwecke der Wortverkündigung ist eine Konvention positiven, menschlichen Rechtes. Spricht Luther dagegen im Kontext der Schöpfung vom Sabbat, dann ist der Sabbat als Ruhe- und Gottesdiensttag zum Zwecke der Wortverkündigung geheiligt und ausgesondert, und zwar von Gott selbst als ein Akt der ursprünglichen Schöpfung; dann ist also der Sabbat keine Konvention positiven, menschlichen Rechtes, sondern eine in der ursprünglichen Schöpfung verwurzelte Setzung göttlichen Rechtes. Demnach ist es Ausdruck des ursprünglichen Rechtswillens Gottes, den Sabbat der Wortverkündigung vorzubehalten. Dies läßt sich nicht vereinbaren mit der Bestimmung des Sabbats als 'zeitlichem Schmuck'. Wenn durch Christus also die Unterschiedenheit der Tage aufgehoben wurde, so wäre dies genau genommen nicht die authentische Interpretation des ursprünglichen Schöpfungs- und Rechtswillens Gottes, sondern vielmehr dessen Negierung. Diese Konsequenz scheint Luther nicht recht bewußt gewesen zu sein. Es bleibt ein Zwiespalt zwischen der Sabbatdeutung der Genesisvorlesung, nach welcher sich der Schöpfer einen Tag vorbehält, damit an ihm sein Wort laut werde, und der Sabbatdeutung im Rahmen des Dekalogs, nach welcher ein jeder Tag heilig ist, an dem das Wort laut wird.

tificare: deligere ad sacros usus, seu ad cultum Dei, sicut Moses hac phrasi saepius utitur, etiam de vasis sacris.« (Ebd. 60,5-12). 86 »Vides hic Sabbatum fuisse ante legem Mosi et ab initio mundi et praesertim apud eos qui dei cultum verbumque dei hebebant. Gen.2 [2]. 'requievit die septima'. Ab illo tempore sanctificatus fuit dies ille et segregatus ab illis 6, ut quiesceret familia und vich et audiretur verbum dei.« (WA 16,303,5-9 - Exod.-Predigt zu Ex 16,23, 1525). 87 »Si Adam in innocentia stetisset, tarnen habuisset septimum diem sacrum, hoc est, eo die docuisset posteros de voluntate et cultu Dei, laudasset Deum, gratias egisset, obtulisset etc.« (Ebd. 60,13-15); vgl. WA 24,63,20-34 (Predigt über Gen 2,3, 1527).

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Sabbat und Sonntag

Die Unterwerfung des dritten Gebots unter die gegen Karlstadt formulierte Dekalogshermeneutik bedeutet in vier Punkten eine Engfuhrung. 8 8 1) Infolge dieser Hermeneutik muß Luther den Sabbat als die positiv nationalrechtliche Ausgestaltung naturrechtlicher Maximen interpretieren. Dies widerspricht der besonderen Stellung des Sabbats im Alten Testament, vor allem wird es seiner schöpfungstheologischen Verankerung nicht gerecht, denn sie unterscheidet den Sabbat von den anderen Zeremonien des Alten Testaments wie etwa der Beschneidung. 2) Die spiritualisierende Sabbatdeutung hat Luther aufgegeben. Sie setzt sich der Gefahr einer zu starken Rückbindung an das Sabbatgebot aus, die eine Vergesetzlichung der durch den geistlichen Sabbat bezeichneten Heiligung des christlichen Lebens nach sich zieht. 3) Mit dem Wegfall der spiritualisierenden Deutung und der schöpfungstheologischen Verankerung des Sabbats verkümmert auch dessen eschatologischer Bezug. Zwar taucht er vereinzelt in den Auslegungen zum Schöpfungssabbat auf 8 9 , aber die Deutung des christlichen Sonntags als des achten Tages, der eine zeichenhafte Vorwegnahme des ewigen Sabbats ist, bleibt recht blaß. Luther billigt diese Deutung zusammen mit der daran angehängten Weltzeitenlehre, aber er macht sie sich im Grunde nicht zueigen. 9 0 88

Luthers Kurskorrekturen, Brüche und Engführungen verkennen die beiden Untersuchungen, die sich eingehender mit Luthers Sabbatverständnis beschäftigen, RICHARD MÜLLER, Sabbat, S. 52-61 und WILLIAM M. LANDEEN, Martin Luther's Religious Thought, 191-199 (eine Einführung in Luthers Theologie, die neben geläufigen Punkten zu diesem Thema auch dem Sabbat ein Kapitel widmet). Beide Autoren folgen im wesentlichen demselben Aufbau, ohne daß sich eine Abhängigkeit des einen Autors vom anderen erkennen ließe; sie beginnen mit dem Sabbat der Schöpfung, kommen danach auf den Mosaischen Sabbat des Dekalogs und dessen Reduktion auf das Naturgesetz, schließen seine neutestamentliche Aufhebung an, berühren kurz den geistlichen Sabbat, um dann mit dem Sonntag als dem Ruhe- und Gottesdiensttag zu enden. Diese gleichsam heilsgeschichtliche Anordnung (»a theological Odyssey of the Sabbath in human history«, LANDEEN, S. 195) erweckt das trügerische Bild einer einheitlichen Konzeption von Luthers Sabbatverständnis. Die Gegner Luthers erwähnen beide Autoren nur in der Zusammenfassung des jeweiligen Kapitels. In beiden Arbeiten ist der geistliche Sabbat unterbelichtet, sein Ausfall nach 1525 wird darum nicht registriert. MÜLLER belegt die undifferenzierte These, daß die Erfüllung des dritten Gebots »in der Beschäftigung mit geistlichen Dingen [liegt], und hauptsächlich darin, daß wir das Wort Gottes gerne hören wollen«, in einem Atemzug mit dem Kleinen Katechismus und der noch mystisch beeinflußten Auslegung aus den 'Decem praecepta' (MÜLLER, S. 57). 89

Vgl. WA 42,61,3-32 (Gen.-Vorlesung zu Gen 2,3) und das Zitat in Anm. 84. Siehe auch PETERS, Kommentar, Bd. 1, S. 178. 90 »Mysteria ratio, quam Magister sententiarum et alii Doctores afferunt, tolerabilis est. [...] Octavus enim dies significat Allegorice vitam futuram. Christus enim

Luthers Engführung seit 1525

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4) Vor dem Hintergrund der spätmittelalterlichen Heiligenfeste und der jüdischen Sabbatbräuche, bei denen Luther den religiösen Mißbrauch im Namen der Werkgerechtigkeit geißelt, sowie auch gegen Karlstadts Sabbatheiligung, hinter der er das gleiche Übel vermutet, wird das hartnäckige Insistieren auf der Gleichwertigkeit aller Tage verständlich. Die besondere Auszeichnung des Sonntags durch die Auferstehung Christi scheint ihm dieses Prinzip wieder infrage zu stellen. Darum verzichtet er auch auf das ursprünglichste Motiv des christlichen Sonntags.91 Die Engführungen des Reformators prägten die Auslegung des dritten Gebots besonders in der lutherischen Tradition. Dies wird unten im siebten Kapitel aufgezeigt werden. Zuvor müssen wir aber im folgenden Kapitel untersuchen, wie Melanchthon auf den von Luther geschaffenen Grundlagen die SabbatSonntag-Frage in einem ganz anderen Zusammenhang anzugehen gezwungen war. Die Sabbat-Sonntag-Problematik wurde auf dem Augsburger Reichstag für einige Wochen zum Präzedenzfall für die Frage nach der Autorität der Kirche. Letztlich geht es dabei aber doch um das gleiche Anliegen, das auch Luthers Engführungen bedingte: die Wahrung der christlichen Freiheit!

in sabbato, hoc est, septimo die integro quievit in sepulchro, resurrexit autem die sequente sabbatum, quae octava est et initium novae hebdomadae, nec numeratur ultra eam alia dies.« (WA 42,648,19-27; vgl. ebd. 648,27-649,8 - Gen.-Vorlesung zu Gen 17,10f). 91 PETERS, Kommentar, Bd. 1, S. 177f, beklagt diesen Verzicht als den Verlust der zeichenhaften Dimension des Sonntags. Auf Luthers Verzicht der Herausstellung des Sonntags als Tag der Auferstehung Jesu sowie auf die Mißachtung der schöpfungstheologischen Begründung führt VON DER OSTEN-SACKEN, Katechismus und Siddur, S. 59, »den Charakter eines Notbehelfs« zurück, der dem Feiertag bei Luther eigen ist.

6. Die Sabbat-Sonntag-Frage als Paradigma in der Diskussion um die »Menschensatzungen«

Luther hat im Ringen mit den »Schwärmern« um das rechte Verständnis der Heiligung des christlichen Lebens und des Gesetzes Moses den Sabbat konsequent der Maxime von Kol 2,16 untergeordnet. Der Sabbat sollte die Gewissen nicht binden. Das Predigen und Hören von Gottes Wort begründet den Feiertag, nicht die Festlegung auf einen bestimmten Wochentag an sich. Wenn darum der Feiertag nicht an den Sabbat gebunden werden durfte, konnte er auch nicht an den Sonntag gebunden werden. Luther sprach nur lapidar davon, daß uns der Sabbat »in den sontag vorwandelt« sei1 und daß man es aus altem Herkommen beim Sonntag, den die Apostel ersonnen haben, belassen soll. 2 Überdies opferte der Reformator das altehrwürdige Herrentagsargument der christlichen Gewissensfreiheit. An diesem Punkt aber, an jener 'Verwandlung' des Sabbats in den Sonntag, hakte die katholische Kontroverstheologie ein. Die Tatsache, daß die gesamte Christenheit - und eben auch die evangelische - den Sonntag feiert, der im Gegensatz zum Sabbat in der Schrift mit keinem Wort explizit geboten ist, halten katholische Theologen den Reformatoren entgegen, wenn es gilt, der Lehrautorität der Kirche das Wort zu reden. Die Verwandlung des Sabbats in den Sonntag ist ihnen ein Beweis für die Suprematie der Kirche über die Schrift. Melanchthon erwidert diese Argumentation in Artikel 28 der Confessio Augustana. Es wird zu zeigen sein, daß er dabei auf der von Luther in der Sabbatfrage vorgezeichneten Bahn an gewisse Grenzen stößt. Zunächst jedoch muß die Sabbatfrage in der katholischen Kontroverstheologie behandelt werden.

1

BoA l,267,2f (Sermon von den guten Werken). 2 Vgl. obenS. 126fund 130f.

Die Sabbat-Sonntag-Frage und die Gewalt der Kirche

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6.1. Die Verlegung des Sabbats auf den Sonntag als Argument der Altgläubigen für die Autorität der Kirche

Melanchthon bezeugt in CA 28, daß die Gegner in der Verlegung des Feiertags ein gewaltiges Argument für die Macht der Kirche in der Hand zu halten glauben: »So zeucht man auch das an, daß der Sabbat in den Sonntag verwandelt ist worden wider die zehen Gebot, darfur sie es achten, und wird kein Exempel so hoch getrieben und angezogen als die Verwandlung des Sabbats, und wellen damit erhalten, daß die Gewalt der Kirche groß sei, dieweil sie mit den zehen Geboten dispensiert und etwas daran verändert hat.« 3 In der Tat legen die Fürsprecher Roms dieses Argument in die Waagschale. 4 Bereits 1524 trumpft Johannes Cochläus damit auf in seiner Streitschrift 'De authoritate ecclesiae et scripturae adversus Lutheranos'. 5 In deren erstem Teil behauptet Cochläus die Lehrautorität der Kirche gegen das reformatorische 'Sola scriptum'. 6 Er meint dies im wesentlichen dadurch begründen zu können, daß die Kirche Lehren approbiert habe, die explizit nicht in der Schrift enthalten sind. Kapitel 13 und 14 sind dabei dem Sabbat und dem Sonntag gewidmet. Die Schrift, so betont Cochläus zunächst, insistiere auf keinem Gesetz so sehr wie auf dem Halten des Sabbats. 7 Es werden nahezu alle einschlägigen Stellen vorgeführt. 8 Selbst Christus habe ihn gehalten ebenso wie Maria und die Apostel. 9 Paulus wende sich zwar gegen die Beschneidung, nicht aber 3 BSLK 125,25-126,2. MAURER hat in seinem historischen Kommentar zur CA diesen Hintergrund zu CA 28 nicht aufgehellt; er verweist statt dessen pauschal auf die Kanonistik (Bd. 1, S. 198). 5 SPAHN, Johannes Cochläus, Schriftenverzeichnis Nr. 14; vgl. dazu ebd., S . 98f. In der auf den 8. Dez. 1524 (nicht 1523!, so falsch bei SPAHN, S . 98, Anm. 4) in Rom datierten Widmungsvorrede an Clemens VII. gibt Cochläus an, die Schrift schon vor 20 Monaten, also im April 1523, in Frankfurt verfaßt zu haben (Bl. Aiir). 6 Der zweite Teil ist der Kanonsfrage gewidmet. 7 »Quae obsecro lex in universa scriptura, aut diligentius aut crebrius reperit[ur] p[rae]cepta, & repetita a Deo, iam per Moysen legislatorem / iam per prophetas, quam lex de observando Sabbatho?« (Cochläus, De authoritate, Giiir). 8 Gen 2,2f; Ex20,10f; 31,13-17; Num 15,32-36; Ex 16,26f; 23,10f (Giiir"v). 9 »Quid si Christus quoq[ue] (qui non solum Sabbathi sed omnium omnine rerum creatorum Dominus est, cuius pedibus pater caelestis omnia subiecit) Sabbatum custodivit / quamvis falso Iudaeis tanq[uam] Sabathi violator / ob caecorum & infirmorum curationem, argueretur? Non n[am] venerat solvere legem / sed adimplere. Nihil igitur operis manualis fecit in sabbatho, Non collegit ligna / non aedificavit; non plantavit, non ullo daeniq[ue] labore servili in sabbatho fuit occupatus. Nisi do4

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gegen den Sabbat. 10 Dies spitzt nun Cochläus zu, indem er für seine Seite reklamiert, vollkommen auf dem Boden der Schrift zu stehen, aber - damit deutet sich die simple Lösung des Problems an - nur in der Weise und in dem Sinn, den die Kirche und die Väter vorschreiben. 11 »Ecclesiae iudicio correctioniq[ue] submittimus.« 12 Das 14. Kapitel zeigt dann unmißverständlich, wie die Korrektur des biblischen Sabbats durch die kirchliche Autorität lautet: »De Die Dominica. Tradiderunt nobis itaque Maiores nostri, ut pro Sabbatho Iudaico sanctificemus diem dominicam.« 13 Die Stelle der Schriftzitate zum Sabbat im vorigen Kapitel nehmen hier die Väterzitate ein. 1 4 Cochläus begnügt sich so sehr mit dem Zeugnis der Väter, daß er nicht einmal auf den Zusammenhang des Herrentags mit der Auferstehung Christi hinzuweisen für nötig hält. 15 Es soll beim Leser die Überzeugung reifen, daß für den Sonntag gar kein anderer Grund gefunden werden kann, als der Wille - man möchte sagen: die Willkür - der Kirche. Die Entscheidung der Kirche bedarf keiner sachlichen Begründung mehr. 1 6 Freilich ist Cochläus nicht der Mann, solch einen Gedanken als erster zu fassen. Thomas hatte in seiner Summe bereits darauf hingewiesen, daß die Feier des Sonntags nicht auf einem Gebot der Schrift, sondern auf der Festlegung

cere, sanare ac benefacere quis dicat (ut stolide calumniabantur Ludaei [sie!, sc. Iudaei]) in sabbatho non licere. Sed & mater eius, virgo gloriosa Maria, simul cum omnibus eius Apostolis atquae diseipulis universaq[ue] cognatione ipsius Sabbathum diligentissime / etiam post passionem Cbristi [sie!] / usquae ad vitae finem, observaverunt. Et praeter eos multa quoq[ue] milia Iudaeis fidelium [...] Sabbathum pristino more sanetifieaverunt.« (Giiiv-Giiiir). 10 »Nee ullam usquam litteram contra sabbathum (licet contra Circuncisionem [sie!] scripserit quam plurima) in universis epistolis suis scripsit Paulus.« (Ebd.). 11 »Nos scripturae divinae credimus quidem in omnibus, nihil putamus in ea falsum esse, nihil inane, nihil reijeiendum, Dummodo recte intelligatur, Sed non intelligimus eam, secundum heteroclita capita vestra. Habemus sanetos Patres, Pontifices, Concilia, Ecclesyam Catholicam: A quibus scripturae verum sensum petamus, quorum interpretationibus nitamur / quos in legalium observationum dispositione preeipue sequamur. Quod observari volunt, observamus: Quod mutari aut aboleri, mutam[ur] aut abolemus.« (Giiii r " v ). 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Hieronymus, Augustin und Thomas werden zitiert, auf Ambrosius Tertullian, Cyprian und Origenes wird zusätzlich verwiesen (Hi r -Hii r ). 15 Dies klingt nur beiläufig in einem Thomas-Zitat an (Hi v ). 16 Zurecht urteilt SPAHN, Johannes Cochläus, S. 99, über die Einseitigkeit dieser Schrift, sie lege »nur die autoritative Stellung der Kirche zur Auslegung der heiligen Schrift und nicht zugleich die Bedeutung der Schrift als Quelle des Glaubens dar.«

Die Sabbat-Sonntag-Frage und die Gewalt der Kirche

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der Kirche beruhe. 17 Thomas wollte damit natürlich nicht einen solennen Beweis für die Autorität der Kirche liefern, weshalb er in bezug auf den Sonntag neben der kirchlichen Bestimmung auch die christliche Tradition anfuhrt. Vielmehr möchte er widerlegen, daß die Ersetzung des Sabbats durch den Sonntag die Unangemessenheit (»inconvenienter«) des dritten Gebots beweise und darum der Dekalog insgesamt als obsolet angesehen werden müsse. 1 8 Theologisch hatte Thomas den Sonntag schon zuvor fundiert 19 , so daß bei ihm der Hinweis auf die Festlegung der Kirche anders als bei Cochläus nicht auf Sand gebaut ist. 20 Von Cochläus hat Johannes Eck das Argument der Sabbatverlegung im Zusammenhang der Kirchenautorität in sein erstmals im April 1525 erschienenes Enchiridion übernommen, das oftmals nachgedruckt wurde und weite Ver-

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»Ad quartum dicendum quod observantia diei Dominicae in nova lege succedit observantiae sabbati non ex vi praecepti legis, sed ex constitutione Ecclesiae et consuetudine populi Christiani.« (Thomas, S. th. 2/II q.122 a.4 ad 4). 18 Vgl. ebd. q.122 a.4,4 ('videtur quod...'). 19 »Sabbatum autem, quod significabat primam creationem, mutatur in diem Dominicum, in quo commemoratur nova creatura inchoata in resurrectione Christi.« (Thomas, S. th. l/II q.103 a.3 ad 4; vgl. ders., In decern legis praecepta, Opuscula Theol., Bd. 2, S. 257, § 1219). Cochläus zitiert die Summa-Stelle erst im Nachhinein und ohne sie zu kommentieren (Hi v ); an einer theologischen Begründung des Sonntags ist ihm nicht gelegen. 20 An dieser Stelle sei angemerkt, daß die Berufung auf die legislatorische Autorität der Kirche bei der Verlegung des Feiertags bereits von der jüdischen Kontroverstheologie des Spätmittelalters problematisiert worden ist. Josef Albo führt im 25. Kapitel seines Sefer ha-'Ikkarim einen wahrscheinlich fiktiven Disput mit einem Christen über die Frage, ob die Thora unvollkommen sei hinsichtlich ihrer causae materiales, formales, efficientes und finales. Neben Beweisgängen für die Vollkommenheit der Thora finden sich Partien, die die Widersprüchlichkeit christlicher Lehren offenlegen möchten. Bei den causae formales übernimmt Albo von der christlichen Theologie die Einteilung des Gesetzes in Moralia, Judizialia und Zeremonialia. Er wirft den Christen vor, sich bei den Judizialia weder an das AT noch an das NT zu halten, sondern an die Gesetze von Kaiser und Papst, also an menschliche Meinungen statt an die göttlichen Satzungen des Mose; selbst die Apostel dürften in ihrer legislatorischen Autorität nicht dem Mose gleichgesetzt werden (Josef Albo, Sefer ha-'Ikkarim, Bd. 3, S. 239f). »But even if we suppose that, as they say, the Apostles had the authority to change the civil laws, who gave authority to the Pope to change the commandment of the Sabbath, which is not one of the civil laws? [...] Jesus and all his disciples observed the Sabbath, and it was only about five hundred years after Jesus that the Pope changed it and substituted Sunday for the Sabbath.« (Ebd., S. 241f, nach der Übersetzung von HUSK, hebr. Original ebd.). Vgl. dazu auch VON MUTIUS, Art. Josef Albo und ROSENTHAL, Kirche und Synagoge, S. 330-335.

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breitung erfuhr. 2 1 Gleich das erste Kapitel handelt »De ecclesia et eius auctoritate«. 22 Dem reformatorischen 'sola scriptura' als Richtmaß aller kirchlichen Lehre entgegnet Eck mit den Thesen, daß Christus keine Schrift verfaßt und den Jüngern solches nicht geboten habe, daß die Kirche älter als die Schrift sei und die Schrift ihre Autorität nur vermöge kirchlicher Approbation erhalte. 23 Dem schließen sich fünf konkrete Beispiele an, deren erstes die Verlegung des Sabbats auf den Sonntag ist. Nicht die Schrift sondern die Kirche hat dies geboten. »Scriptura docet: 'Memento ut diem sabbati sanctifices. [...]' Et tarnen ecclesia mutavit sabbatum in dominicam authoritate sua, super quo nullam habes scripturam.« 24 Eck wählt dieses Beispiel, weil die Gegner nicht die Rückkehr zum Sabbat fordern, vielmehr den Sonntag anerkennen und sich so faktisch selbst in einem vermeintlichen Widerspruch zur Schrift befinden. 25 Ein weiteres Mal bedient sich Eck dieses Beispiels im 14. Kapitel über die Festtage. »Sabbatum est multipliciter a Deo praeceptum; nec in Evangelio nec in Paulo definitum est cessare sabbatum; attamen ecclesia instituit diem dominicum per traditiones apostolorum, sine scriptura«. 26 Eck übernimmt an dieser Stelle die Väterbelege für den Sonntag von Cochläus. Wenn die Kirche die Macht hat, gegen die Schrift den Sonntag zu verordnen, um wieviel mehr darf sie dann die übrigen Feiertage einsetzen. 27 Auf die Darlegungen im Eckschen Enchiridion spielt Melanchthon in CA 28 an. 2 8 21

Kritische Edition durch FRAENKEL in CCath 34 (im folg.: Eck, Ench.); vgl. dort die Einleitung, S. 27*-43*. 22 Eck, Ench., S. 17. 23 Ebd. S. 25-28. 24 Ebd. S. 29. 25 Dieses Schema kennzeichnet auch die vier übrigen Beispiele: gegen Jesu Diktum aus Mt 5,17 habe die Kirche im Apostelkonzil Gesetzesvorschriften aufgehoben; Christus habe die Taufe im Namen der Trinität befohlen (Mt 28,19), die Urkirche habe aber nur im Namen Jesu getauft (Apg 2,38; 8,12; 19,5); die Kirche habe die Speisevorschriften des Aposteldekrets außer Kraft gesetzt; wolle man der Schrift mehr gehorchen als der Kirche, so müsse man wie die Judenchristen das ganze Gesetz halten, was auch Paulus getan habe (Apg 21,18-26). (Eck, Ench., S. 29-31). 26 Eck, Ench., S. 161. 27 Diese Schlußfolgerung entfaltet Eck in einem Zusatz seiner Übersetzung: »Hat nun die kirch macht gehebt, den Sabath, der inn der geschrifft ist, umbzulegen auff den Sontag, und den Sontag zu bieten zu feyren, warumb wolte sy nit das macht haben in andern tagen auch, deren vil in der geschrifft gegründt seyen, als Weynachten, Beschneydung des Herren, Drey hailig König Tag, etc.? Tusz nitt und fall von der kirchen an die blosse geschrifft, so mustu den Sabath halten mit den Juden, der vonn annbeginn der weltt ist gehalten worden!« (Ebd., S. 161 Anm. 27). Vgl. auch Ecks Rechtfertigungsschrift an den Konstanzer Rat wegen der nicht zustande gekommenen Disputation: 'Ableinung der verantwurtung burgermeisters unnd rats der stat Costentz', CCath 14, S. 23,20-28. 28 Vgl. oben S. 137.

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Eck konnte diese Argumentation aufbauen, weil bis zu diesem Zeitpunkt weder Luther noch Melanchthon oder ein anderer Theologe der Gegenseite29 die Institution des Sonntags thematisiert hatte. In Luthers Formulierung aus dem 'Sermon von den guten Werken', wonach der Sabbat für die Christen in den Sonntag »verwandelt« wurde 30 , lag etwas sehr Unpräzises. Auf reformatorischer Seite nahm man den Sonntag zunächst selbstverständlich hin, ohne seinen Zusammenhang mit dem Sabbatgebot zu reflektieren. Der geistliche Sabbat lenkte die Aufmerksamkeit von diesem Problem ab. Erst mit der gegen Karlstadt formulierten Dekalogshermeneutik deutet sich an, daß die Erfüllung des dritten Gebots völlig unabhängig von der Frage ist, welcher Wochentag gefeiert werden muß. Die Notwendigkeit einer Dispensierung des Sabbatgebots kraft kirchlicher Vollmacht erübrigt sich daher. Vollends wird dies aber erst im Großen Katechismus dargelegt, also lange nachdem Eck das Argument der Feiertagsverlegung in die Diskussion geworfen hat. Freilich verzichten auch Ecks 404 Artikel, die 1530 im Vorfeld des Augsburger Reichstags als ein Florilegium häretischer Sätze entstanden und wesentlich für die Umarbeitung der Schwabacher und Torgauer Artikel zum approbierten Text der CA verantwortlich sind, nicht auf die Sabbat-Sonntag-Problematik. Jedoch verbindet Eck in seiner Zusammenstellung die drei Artikel 'In dominicam diem' nicht mit der Autoritätsfrage. Vielmehr will er allgemein reformatorische Irrtümer in bezug auf den Sabbat und den Sonntag auflisten. Artikel 177 indiziert die Lehre von der Gleichwertigkeit aller Tage. Als Gewährsmann muß Melanchthon herhalten. 31 Die pauschale Behauptung, für die Gegner sei der Sonntag nur um des Gottesdienstes willen berechtigt, nicht aber als Ruhetag, stellt der 179. Artikel auf. 32 Ganz zu Unrecht beruft sich Eck dabei auf Karlstadt.

29

Siehe dazu oben Kap. 4. BoA l,267,2f. 31 »Sabathum non significai diei septimi religionem. Et post abrogatam legem omnes dies sunt aequales. Melanch[thon], super Exod[um] 3.« (GUSSMANN, Quellen, Bd. 2, S. 124). Dies ist ein fast wörtliches Zitat aus Melanchthons Scholien zu Exodus 20 von 1523 (Suppl. Melan. V,l, S. 9,27-31 - die Ziffer 3 bei Eck bezieht sich auf das dritte Gebot, nicht auf Ex 3); vgl. dazu oben S. 105f. 32 »Dies dominica solum instituta est, ut homines conveniant ad audiendum verbum Dei, non ferianda. Glaib [sie!], Carlstat, Butzer, Bernae 26 et Zvinglius« (GUSSMANN, Quellen, Bd. 2, S. 125). »Glaib« ist verschrieben für Glait oder Glaid, siehe dazu unten S. 226, Anm. 221. 30

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6.2. Die Sabbat-Sonntag-Frage im Zusammenhang der kirchlichen Gewalt in der Confessio Augustana

Die Vorbereitungen zum Augsburger Reichstag von 1530 haben auf kursächsischer Seite ein Dokument hervorgebracht, welches als entscheidende Vorarbeit zu den sogenannten »spänigen Artikel« (CA 22-28) gilt. 33 Dieses Dokument verfolgt im wesentlichen die Intention, die in Kursachsen durchgeführten Reformen bzw. die Abschaffung etlicher Mißbräuche zu rechtfertigen. M A U R E R sieht in ihm »ein Programm für die künftigen Reichtagsverhandlungen« 34 , es zeichnet die Linie vor, auf der der kursächsischen Seite ein Kompromiß in der Frage der Mißbräuche denkbar scheint. Von der Gegenseite soll die Gewährung der evangelischen Lehre grundsätzlich garantiert sowie das Abendmahl in beiderlei Gestalt und die Aufhebung des Zölibats für die lutherischen Gebiete anerkannt werden; im Gegenzug ist man bereit, den Bischöfen eine gewisse Jurisdiktionsgewalt zuzugestehen, die sich im kultischen Bereich vor allem auf die Billigung adiaphoristischer Ordnungen konzentriert. 35 Materialiter bezieht man sich dabei allgemein auf »Feier oder Fasten«. 36 Näheres wird dazu nicht erläutert, insbesondere findet sich noch kein Bezug auf die Sabbat-Sonntag-Frage, die in CA 28 eine wesentliche Rolle spielt. 37

33

Das Dokument ist ediert bei FÖRSTEMANN, Urkundenbuch, Bd. 1, S. 68-84 und zerstückelt in BSLK zu den jeweiligen Artikeln. Meist wird es als »Torgauer Artikel« bezeichnet; jedoch ist umstritten, ob es einen unmittelbaren Niederschlag der Torgauer Beratungen vom 27. März 1530 darstellt oder eine nachträgliche Bearbeitung des Ergebnisses dieser Beratungen durch Melanchthon. Für unser Interesse braucht dies nicht geklärt zu werden. Näheres dazu in BSLK XVI; LOHSE, Art. Augsburger Bekenntnis, S. 617; MAURER, Kommentar, Bd. 1, S. 27-32; DERS., Artikel 28. 34 MAURER, Jurisdiktion, S. 355. 35 Vgl. FÖRSTEMANN, Urkundenbuch, Bd. 1, S . 8 0 und MAURER, Jurisdiktion, S . 350-355. 36 »Darumb so man rechte christliche Lehr von solchen Ordnungen, so für Mitteldinge] gehalten werden, zulaßt, mag man sie wohl halten. Wie dann erstlich in der Kirchen Ordnung gemacht von Feier oder Fasten, nicht dadurch Gnad zu erlangen, sondern daß die Leut konnten lernen und wissen, wenn sie zusammenkommen sollten oder sunst leiblich Übung hätten, daß sie dodurch Gottes Wort zu hören und zu lernen geschickter wurden.« (BSLK 109,20-24 = FÖRSTEMANN, Urkundenbuch, Bd. 1, S. 73). 37 Der in den »Torgauer Artikeln« sich abzeichnende Kompromißplan bestimmte auch die offiziellen Ausgleichs- und die privaten Sonderverhandlungen des Reichstags im Hinblick auf die besonders umstritten »spänigen Artikel«. Grob gesagt war

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Bald nach seinem Eintreffen in Augsburg hat der Umlauf von Ecks 404 Artikeln Melanchthon von der Notwendigkeit überzeugt, sowohl die Schwabacher Artikel über die Lehre als auch die Torgauer Vorgaben über die Kirchenbräuche umzuarbeiten. Ein erstes Zeugnis dieser Arbeit ist die Vorform des rezipierten Textes der CA, die Ende Mai nach Nürnberg gesandt wurde und in einer deutschen Übersetzung (Na) erhalten ist. 38 Aufbau und Inhalt von CA 28 sind dort schon im wesentlichen vorgeprägt. Der Abschnitt »Von dem gewalt der kirchen«39 ist ebenso wie CA 28 zweigeteilt. Der erste Teil widmet sich der Zwei-Regimenten-Lehre, deren klare und strikte Unterscheidung Melanchthon einklagt. 40 Die Frage, wie weit sich die kirchliche Gewalt in innerkirchlichen Ordnungsfragen, also hinsichtliche religiöser Satzungen, erstrecke, sucht Melanchthon im zweiten Teil zu beantworten. 41 Die Argumente der Gegner, die er gleich zu Beginn des zweiten Teils nennt, nachdem er die strittige Frage formuliert hat, sind direkt aus dem ersten Kapitel von Ecks Enchiridion genommen. Melanchthon erwähnt Joh 16,12f 42 und nennt das Aposteldekret43; besonders verweist er auf die 'Verwandlung' des Sabbats in den Sonntag als ein gewichtiges Argument der Gegner: »Nec ullum exemplum magis iactatur quam mutatio sabbati.«44 Wir sahen oben, daß Eck tatsächlich dieses Beispiel an herausgehobener Stelle anführt. Um die Möglichkeit und die Grenzen der kirchlichen Gewalt auszuloten, hat Melanchthon also weniger auf Ecks 404 Artikel, als auf dessen Enchiridion zurückgegriffen. Die Auseinandersetzung mit den Argumenten, die der Ingolstädter für die Autorität der Kirche ins Feld wirft, hat Melanchthons Ringen um die bischöfliche Ordnungsgewalt in bezug auf die Adiaphora nachhaltig geprägt. Die Sabbat-Sonntag-Frage wächst dabei zum Präzedenzfall aus. Mit dieser Frage stehen in CA 28 nicht solche Satzungen zur Debatte, die an sich, also der Sache nach, umstritten wären. Die Feier des Sonntags wird de facto ebensowenig angezweifelt wie die Überzeugung, daß die Speisegebote die lutherische Seite zu einem Entgegenkommen in CA 25-28 bereit, wenn die Altgläubigen die Anliegen von CA 22-24 gewährten. Näheres siehe MAURER, Jurisdiktion, S. 370-385; IMMENKÖTTER, Um die Einheit im Glauben, S. 44-51.61-63.7378.98-102. 38 Ediert in KOLDE, Älteste Redaktion, S. 4-31 und teilweise in BSLK. 39 KOLDE, Älteste Redaktion, S. 26-31. 40 KOLDE, Älteste Redaktion, S. 26,31-29,20; BSLK 120,2-125,12. 41 KOLDE, Älteste Redaktion, S. 29,21-31,35; BSLK 125,13-133,3. 42 BSLK 125,19-22; KOLDE, Älteste Redaktion, S. 29,25-27; vgl. Eck, Ench., S. 21. 43 BSLK 125,22-24; KOLDE, Älteste Redaktion, S. 29,28f; vgl. Eck, Ench., S. 30. 44 BSLK 125,25-30; KOLDE, Älteste Redaktion, S. 29,29-32.

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des Aposteldekrets45 oder die Anordnung des Paulus, die Frauen sollten im Gottesdienst den Kopf bedecken 46 , obsolet sind. Vielmehr geht es um die Qualität dieser Satzungen, um ihre theologische Begründung und damit um die Autorität, die sie beanspruchen dürfen. Melanchthon ortet den eigentlichen Streitpunkt um den Begriff der necessitas. Diesen Begriff arbeitet er erst in der Überarbeitung von Na, also in CA 28 heraus. 47 Von seiten der Reformatoren kann die necessitas nicht anders denn als Heilsnotwendigkeit verstanden werden; sie firmiert als Gegenbegriff zur Glaubensgerechtigkeit und der in dieser gründenden christlichen Freiheit. 48 Die Leugnung der necessitas ist die Bedingung sine qua non für die Anerkennung kirchlicher Ordnungsgewalt in bezug auf die 'Menschensatzungen'. Die kirchliche Ordnung bezeichnet das positive Kriterium für die Akzeptanz bischöflicher Jurisdiktion. »Wir gesteen, das die bischof mögen Ordnung machen, das alle ding in der kirchen ordenlich zugeen und gehandelt werden [,..]«.49 Melanchthon unterscheidet also in CA 28 und in der Vorform zwischen kirchlichen Satzungen, die unbedingt zu verwerfen sind, weil sich an ihnen Heil oder Sünde entscheidet, und sie gar nicht zu denken sind, ohne daß das Gewissen über sie stolpert 50 , und solchen, die auf der Ebene der kirchlichen Ordnung eine gewisse, funktionale Notwendigkeit beanspruchen dürfen. Mit diesen darf die Kirche walten und schalten, weil und sofern sie nicht die Heilsfrage daran hängt. Materialiter wird differenziert zwischen den abzulehnenden Heiligenfesten und Fastenvorschriften auf der einen Seite - Melanchthon nennt sie zumeist 'traditiones' bzw. 'Aufsätze' 51 - und dem Sonntag sowie den christlichen Hauptfesten auf der anderen Seite52; er spricht hierbei von 'ordinationes'. 53 45

BSLK 131,15-22. BSLK 129,35-130,2. 47 Besonders deutlich im Zusatz BSLK 130,26-131,5; gegenüber Na betont auch ebd. 129,17.33; 130,24. 48 BSLK 131,3-5. 49 KOLDE, Älteste Redaktion, S. 30,30-32. In der lateinischen Fassung des offiziellen Textes schreibt Melanchthon die Ordnungsgewalt allgemein der Kirche zu (BSLK 129,27f), während er in seiner deutschen Fassung das episkopale Moment abmildert, indem er von »Bischofen und Pfarrern« spricht (ebd. 129,29f). 50 »Unde habent ius episcopi tales traditiones imponendi ecclesiis ad illaqueandas conscientias [...] Cur augent peccata per tales traditiones? Verum exstant clara testimonia, quae prohibent condere traditiones ad placandum Deum aut tamquam necessarias ad salutem.« (BSLK 127,16-29); vgl. ebd. 126,8-13; 128,28-33. 51 BSLK 126,8.15.26; 127,16.22.27; 128,14.20; 131,1.28.38; 132,14. 52 B S L K 130,7-9; KOLDE, Älteste Redaktion, S . 31,3f. 53 BSLK 129,13.27. 46

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Ecks Argumentation von der Verwandlung des Sabbats in den Sonntag hat Melanchthon also das deutliche Zugeständnis abgerungen, daß der Kirche klarer ist in der deutschen Fassung von Bischöfen und Pfarrern die Rede - eine gewisse Ordnungsgewalt eingeräumt werden muß. Und da dies ferner den kursächsischen Ausgleichsbestrebungen zugute kommt, darf diese Befugnis ihr auch eingeräumt werden. Es ließ sich nicht leugnen, daß die Feier des Sonntags und der christlichen Hauptfeste eine gute und sinnvolle Ordnung ist, so wenig sie auch aus der Schrift herzuleiten sind. Gerade darin lag ja die Stoßrichtung von Ecks Argumentation. Melanchthon nimmt es stillschweigend hin, denn er wagt nicht, für den Sonntag die spärlichen Zeugnisse des Neuen Testaments anzuführen. Weder auf Apk 1,10 noch auf Apg 20,7 oder l.Kor 16,2 wird verwiesen; auch den Hinweis auf den Tag der Auferstehung Christi (Mt 28,1 par) meidet Melanchthon. Heftig jedoch erwidert er Ecks Feststellung, daß die Schrift den Sabbat so stark gebiete: »Scriptura abrogavit sabbatum, non ecclesia. Nam post revelatum evangelium omnes ceremoniae Mosaicae omitti possunt.«54 Auf eine Entfaltung dieser These verzichtet der Praeceptor Germaniae im Bekenntnis. Die beiden knappen Sätze implizieren eine Hermeneutik des Dekalogs, wie wir sie bei Luther kennengelernt haben; insbesondere setzen sie die gegen die Tradition stehende Einreihung des Sabbats ins Mosaische Zeremonialgesetz voraus. Jedenfalls erlaubt die These von der Aufhebung des Sabbats eine Begründung des Sonntags, die keiner über der Schrift stehenden Autorität der Kirche bedarf. Wenn die Schrift schon nicht eindeutig für den Sonntag ist, so steht sie wenigstens nicht gegen ihn, sofern der Sabbat nichts mehr gilt. Melanchthon hält damit Luthers Trennung von Sabbat und Sonntag durch. Er gesteht Eck zwar zu, daß der Sonntag nicht eine Angelegenheit der Schrift sondern der Kirche sei, aber er bestreitet heftig die übliche Translationstheorie, derzufolge die Kirche den Sabbat auf den Sonntag verlegt habe. Die Kirche gebietet den Sonntag, doch überträgt sie damit nicht den Sabbat vom siebten auf den ersten Wochentag. Die Translationstheorie erst, wie sie seit dem frühen Mittelalter ihre Triumphe feiert, öffnet der grassierenden Feiertagskasuistik und der Dispenspraxis in ihrem Gefolge die Tore. 55 Diese »Fallstricke des Gewissens« zu umgehen, werden alle Versuche kategorisch abgelehnt, die möglichen kirchlichen Ordnungen, besonders Feiertage und kultische Bestimmungen, auf den Boden der Analogie zu alttestamentlichen Kultgesetzen zu gründen. 56 Solche Ausführungen bietet die Vorform noch nicht. Die Erwiderung auf Eck schien in der erste Fassung noch nicht auszureichen. Melanchthon hat das Argument nicht leicht aus der Hand des Gegners 54

BSLK 130,13-16. Dies ist gegenüber Na verschärft worden, denn der erste der beiden Sätze findet sich dort noch nicht. 55 BSLK 130,36-131,5 (ausführlicher in der deutschen Fassung); 126,36-127,11. 56 BSLK 130,26-34; 126,30-36.

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genommen. Er ist erst in der Überarbeitung von Na zur Erkenntnis gelangt, daß die Bindung des Sonntags an den Sabbat und der christlichen Feste an die jüdischen die Heilsnotwendigkeit und die Gewissensbindung dieser Ordnungen nach sich zieht und deshalb auch eine unerhörte Stütze für die Vollmacht der Kirche ist, das Heil mit göttlichem Recht auch gegen die Schrift zu verwalten. Deswegen bleibt das Zugeständnis an Eck in bezug auf den Sonntag der Bedingung unterworfen, daß die Heilsfrage nicht daran geknüpft wird, daß also die necessitas außen vor bleibt oder - juridisch gesprochen - daß der Sonntag weder iure divino noch quasi iure divino57 verordnet wird. Hinsichtlich des Sonntags orientiert sich die Erläuterung der Ordnungsgewalt der Kirche an den entsprechenden Hinweisen aus Luthers Großem Katechismus. »Et tarnen quia opus erat constituere certum diem, ut sciret populus, quando convenire deberet, apparet ecclesiam ei rei destinasse diem dominicum, qui ob hanc quoque causam videtur magis placuisse, ut haberent homines exemplum christianae libertatis et scirent nec sabbati nec alterius diei necessariam observationem esse.«58 Das Volk muß wissen, wann es zum Gottesdienst zusammenkommen soll; dazu bietet sich der Sonntag an. Im Gegensatz zu Luther spricht Melanchthon deutlich aus, daß die Einsetzung des Sonntags zu diesem Zweck eine Entscheidung der Kirche gewesen sei. Die Einsetzung des Sonntags ferner als ein exemplarisches Zeichen der christlichen Freiheit zu deuten, stellt eine Pointe gegen Ecks Argumentation dar; diesen Nebengedanken hatte Luther bis dahin noch nicht geäußert. 59

6.3. Der Sonntag - ein notwendiges Adiaphoron?

Melanchthon konnte Ecks Argumentation in CA 28 den Boden entziehen, indem er den Sonntag vom Sabbat ablöst, ihn so aus der Bannmeile des Dekalogs zieht und ins Adiaphoristische verpflanzt. Er folgt damit den Spuren Luthers, obwohl die knappe Anmerkung, daß mit der neutestamentlichen Aufhebung des Zeremonialgesetzes auch der Sabbat dahinfalle, einer theologischen Plausibilisierung entbehrt, wie sie Luther mit seiner Dekalogshermeneutik gegeben hatte. Jedoch ein anderes Manko sollte Melanchthon schon bald übel aufstoßen. Er hatte es in CA 28 versäumt, die für Luther wichtigste Begrün57

BSLK 130,36-38. BSLK 130,16-24; vgl. BSLK 581,15-582,6 (GrKat). 59 Die Formulierung dieses Gedankens durch Luther ist erst in einer Tischrede aus den vierziger Jahren belegt, vgl. oben S. 130f. 58

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dung des Feiertags einzubringen. Der eigentliche evangelische Sinn des Feiertags ist die Heiligung durch das Hören und Treiben des Wortes. Wie oben bereits angedeutet, ist Melanchthon die Bewältigung des Problems, welches sich ihm stellte, wenn er einerseits eine bischöfliche Ordnungsgewalt in geistlichen Dingen zugestehen wollte, ohne andererseits in Ecks Falle der Sabbat-Sonntag-Problematik zu laufen, nicht leichtgefallen. Melanchthon arbeitete noch bis Mitte Juni am letzten Artikel 60 und hat in die Vorform diejenigen Abschnitte eingefügt, die sich gegen die Analogisierung kirchlicher Zeremonien und Feiertage mit den alttestamentlichen aussprachen. Daß er auch nach der Übergabe der Konfession am 25. Juni noch nicht mit deren Ausführungen zur bischöflichen Ordnungsbefugnis zufrieden war, bekundet sein Beistandsgesuch an Luther vom 14. Juli. Nach wie vor machen ihm die 'Traditionen' zu schaffen. 61 Er legt dem Brief dazu einige Thesen bei, zu denen sich Luther äußern soll. Fünf causae kirchlicher Satzungen werden unterschieden. Zwei davon sind abzulehnen, weil sie eine necessitas implizieren, die an die Heilsfrage gebunden ist, sei es wie im einen Fall, daß sie eine Bedingung für die Rechtfertigung darstellen - Melanchthon nennt die Satisfaktion bei der Buße -, sei es, daß sie der Rechtfertigung folgen, aber eben als »cultus necessarii« - hier bezieht sich Melanchthon auf die Fastentage. 62 Im Gegensatz dazu sieht er drei causae, die kirchliche Satzungen akzeptabel erscheinen lassen: propter bonum ordinem, propter paedagogiam und propter cultum quidem, sed fidem sequentem,63 Von diesen dreien hatte er im Bekenntnis nur die erste, die gute Ordnung, genannt. In diese Abteilung werden auch hier die Sonn- und Feiertage eingeordnet, zusätzlich noch die Leseordnung des Gottesdienstes sowie die Austeilung des Abendmahls durch Ordinierte. Die Abzweckung propter paedagogiam bezieht sich auf zulässiges Fasten, sofern dies nicht als Gottesdienst, sondern als leibliche Übung erfolgt. Die auf einen cultum fidem sequentem zielende Satzung meint im Unterschied zum zweiten Fall nicht einen der Rechtfertigung notwendig folgenden, sondern nur einen die Dankbarkeit bezeugenden Gottesdienst. Mit diesen erlaubten Fällen kommt Melanchthon noch nicht zu Rande, denn sie scheinen der christlichen Freiheit zu widerstreiten. Wenn die Kirche in diesen Fällen eine Vollmacht für sich beanspruchen darf, Satzungen zu erlassen, denen gegenüber eine Gehorsamspflicht besteht, dann folgt daraus doch 60

61

MAURER, Kommentar, Bd. 1, S. 5 0 f .

»Nulla me res magis exercet in omnibus nostris disputationibus quam illa, quae videtur omnium levissima. [...] in traditionum materia nondum mihi satisfeci in hoc scripta.« (WAB 5,476,16f.28f - Nr. 1646). 62 Ebd. 476,32-42. 63 Ebd. 476,43-477,54.

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wieder eine gewisse Notwendigkeit. »Si est obedientia necessaria, libertas nulla est; pugnant enim inter se libertas et obedientia. Hic nodus explicandus est; nam libertas videtur dissolvere prorsus obedientiam, quod non convenit.«64 Es kann nicht angehen, im Namen christlicher Freiheit denjenigen Ordnungen die Gefolgschaft zu versagen, die sinnvoll sind und gleichwohl die Gewissen nicht beschweren, die mithin einen guten Zweck verfolgen, ohne ein gutes Werk zu sein. Gute Ordnungen der Kirche zu verachten, wäre ein Mißbrauch christlicher Freiheit. Es gibt für Melanchthon also 'Mitteldinge', deren Verletzung doch wieder Sünde wäre. 65 In den Briefen, die zwischen Augsburg und der Veste Coburg in den folgenden Tagen ausgetauscht werden, spitzt sich das Problem zu, denn Melanchthon gibt sich mit Luthers Belehrung zunächst nicht zufrieden. Dieser hatte ihn in einer ersten Antwort beschieden, das Problem könne nicht gelöst werden, wenn man sich auf die causae finales versteife. Entscheidend seien die causae efficientes, man müsse also in der Frage, ob menschliche Satzungen erlaubt seien, nicht die möglichen sinnvollen Zwecke betrachten, sondern vorab danach fragen, wer die Satzungen gebiete. 66 Die causae efficientes entscheiden über die Legitimität der causae finales. Deshalb sei die strikte Unterscheidung zwischen weltlichem und geistlichem Regiment zu beachten, und sofern die Bischöfe in ihrer Funktion als weltliche Obrigkeit solche Satzungen erließen, sei man ihnen freilich den bürgerlichen Gehorsam schuldig, keinesfalls dürften sie aber als geistliche Obrigkeit die Kirche damit beschweren. 67 Nachdem Luther von Melanchthon nochmals mit der Frage, ob die Einhaltung frommer Bräuche nicht in bestimmten Fällen doch ein Gottesdienst sein könne 68 , auf die Finalursachen gedrängt wurde, antwortet er ungehalten. Nur Gott könne bestimmen, was ein Gottesdienst sei und was nicht. 69 Die Finalursachen beziehen sich auf Dinge, die Gott ohnehin befohlen hat, wie etwa die Danksagung. Wo dieser Bezug aber fehlt, dürfen sie keine Kriterien in der 64

Ebd. 477,69-72. »Item sie arguo: Iudaei peccassent violantes indictum ieiunium a Iosaphat; [...] ergo et nos peccamus violantes indicta ieiunia in casibus licitis. [...] Sic dici potest de nostrorum traditionibus. Pono enim iam, quod episcopi possint dominari iure humano.« (Ebd. 477,73-80; Hervorhebung von mir, J.K.). Melanchthon bemüht hier doch wieder die Analogie zum Alten Testament, die er in CA 28 zurecht kategorisch abgelehnt hat. 66 WAB 5,492,6-9.24-26 (Nr. 1656). 67 »Quare neque ecclesiastico nec profano iure possumus episcopis tribuere potestatem super ecclesiam statuendi quiequam, quantumvis licitum et pium, quia non sunt facienda mala, ut eveniant bona.« (Ebd. 493,63-65). 68 WAB 5,508,10-15 (Nr. 1663; Melanchthon an Luther vom 27. Juli 1530). 69 »Nam sint sane finales causae prorsus divinae, nedum licitae, tarnen hoc additamento: 'Sit cultus Dei' per hominem fiunt summae blasphemiae et sacrilegia« (WAB 5,523,13-524,15 - Nr. 1673; Luther an Melanchthon vom 3. Aug. 1530). 65

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Satzungsfrage bilden, seien sie noch so gut und sinnvoll. Der Unterscheidung von causae ejficientes und finales kommt nun Luther noch mit derjenigen von Substanz und Akzidenz zuhilfe. Möglich sind die Traditionen nur, wenn sie etwas realisieren, was Gott geboten hat; dies ist gleichsam ihre Substanz. Die Modalitäten, wie dieses Gebotene ausgeführt wird, bezeichnen dagegen bloß die Akzidenzien. Sie will Gott frei haben. 70 Der Sache nach läuft diese mit philosophischen Begriffen vollzogene Unterscheidung bei den Satzungen auf das gleiche hinaus, wie die naturrechtliche Katalyse bei den Geboten, die mit juridischen Begriffen operiert. Die naturrechtliche Komponente der Gebote entspricht der Substanz der Satzungen, die Akzidenzien dieser entsprechen den positiv rechtlichen Ausgestaltungen jener. Luther geht die Frage nach der Relevanz der Satzungen strukturell mit der gleichen Differenzierung an, wie die Frage nach der Relevanz der Gebote. Auf das Sabbat-Sonntag-Problem bezogen heißt das: Mit dem Sonntag als Satzung ist ebenso zu verfahren wie mit dem Sabbat als Gebot. Für beide macht die Wortverkündigung die Substanz aus, die Festlegung auf einen bestimmten Tag das Akzidenz. 71 Im Lichte nalursache Stelle löst nalursache 70

dieser Unterscheidung erscheint Melanchthons Ansatz bei der Fider guten Ordnung tatsächlich als eine Vernebelung, denn an dieser sich der Knoten von Gehorsam und Freiheit nicht. Wenn die Fiunbedingten Gehorsam fordert, so kann sie es nur aufgrund der sie

»Causae tuae finales sunt omnes impossibiles. Nam si quaeram, Quae sint illa pia vel licita, per traditiones statuenda, dices: Eucharistia, disciplina &c. At haec iam verbo divino sunt statuta. [...] Nullum igitur cum sit opus, quod traditio possit de novo statuere, Consequens est, ut opus iam divinitus praeceptum apprehendat, Et veluti predicamentum substantiae praesupponat, Quod postea solemniset (ut dicunt), et vestiat quantitate, qualitate, Ubi, quando, adaliquid, ut Gratias agere Opus est traditionis, imo non traditionis, Sed praecepti divini, Fit vero traditionis, dum ea dictat: hac höre, hoc loco, hac voce, tanta mora, hoc habitu, hoc gestu volumus id efficere. At haec predicamenta accidentium in operibus suis Deus voluit esse libera et vere accidentia, nequaquam vero substantiam.« (WAB 5,525,17-526,32 - Nr. 1674; Luther an Melanchthon vom 4. Aug. 1530). Im gleichen Zusammenhang taucht die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz etwa zur selben Zeit auch in einer privaten Aufzeichnung Luthers auf; er hat ihr dort eine Liste weiterer Beispiele angefügt (WA 30 II,683f - 'De potestate leges ferendi in ecclesia'). 71 Auch beim Problem der Einzelbeichte wendet Luther strukturell die gleiche Unterscheidung an. Die Ausübung des Schlüsselamtes und die Absolution ist in der Einzelbeichte institutio, ordinatio und mandatum Christi, also gleichsam die Substanz. Dagegen ist »die spezifische Gestalt der heimlichen Beichte vor dem zuständigen Pfarrer [...] nicht eine Stiftung Christi, sondern eine Anordnung der Kirche, welche die Gewissen nicht gesetzlich binden darf«; diese Gestalt ist gleischsam das Akzidenz. (PETERS, Kommentar, Bd. 4, S. 52f).

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bedingenden Wirkursache. Die gute Ordnung ist nur verbindlich, weil und sofern sie Gottes Gebot realisiert. Dann ist es aber letztlich die Wirkursache, die den Gehorsam beansprucht. Die Konkretion der guten Ordnung in der Festlegung eines bestimmten Wochentags ist dagegen nicht iure divino, sondern nur iure humano verbindlich; das heißt aber, daß hier christliche Gewissensfreiheit, also verantwortbare Freiheit herrscht. Melanchthons Alternative von Gehorsam und Freiheit ist schief; sie vergleicht Äpfel mit Birnen. Sie stellt einen Gehorsam im Rahmen des ius humanuni gegen die Freiheit im Rahmen des ius divinum. Der Gehorsam, den eine Satzung der Kirche iure humano verlangt, wenn sie den Sonntag zum Tag des Gottesdienstes bestimmt, tangiert nie die christliche Gewissensfreiheit. 72 Luther sieht also deutlich, daß Melanchthons Erwägungen ohne die Berücksichtigung der causae efficientes in Aporien steckenbleiben. Wenn die Traditionen erlaubt sind, so sind sie es nur, weil sie in irgendeiner Weise etwas zum Ausdruck bringen, was Gott befohlen hat. Der Sonntag wird nicht nur um guter Ordnung willen gehalten, vielmehr ist er eine besondere Gestalt des Feiertags. Der Gottesdienst seinerseits wurzelt allgemein im Naturrecht, in seiner spezifisch christlichen Gestalt zusätzlich im offenbaren göttlichen Recht, insofern er am Wort Gottes ausgerichtet ist. Der Gottesdienst gründet mithin auf göttlichem Recht. Der Gottesdienst, und damit letztlich das Wort Gottes selbst, ist gleichsam die Substanz des Feiertaggebots, die durch den Befehl Gottes als der causa efficiens des Gebots bestimmt wird. Der Sonntag, also die besondere Gestalt des Feiertags am ersten Wochentag, ist gleichsam das Akzidenz des Feiertaggebots, das sich aus der kirchlichen Ordnung als der causa finalis des Gebots ergibt. Die causa finalis kann niemals ein Selbstzweck sein. Wird sie isoliert betrachtet, dann bleibt unklar, welche Verbindlichkeit, welchen Gehorsam die kirchliche Ordnung beanspruchen darf, und welchen nicht; die auch innerhalb der Kirche notwendige Unterscheidung zwischen ius divinum und ius humanum wird verwischt. Melanchthons hartnäckige Suche nach der Verbindlichkeit der traditiones licitae ist nur vor dem Hintergrund der Diskussion verständlich, die ihm Eck in CA 28 über den Sonntag aufgenötigt hat. Denn hier konnten die Altgläubigen mit einer gewissen Normativität des Faktischen argumentieren. Sie konnten darauf verweisen, daß die Neugläubigen den Sonntag unhinterfragt anerkannten und dann nach der Instanz und den Kriterien dieser Anerkennung fragen. Melanchthon wiederum konnte es gerade auf dem Reichstag nicht ratsam erscheinen, auch noch die Rechtmäßigkeit des Sonntags - zumindest theoretisch - in Zweifel zu ziehen, nur um dem Widerpart die absolute Freiheit gegenüber 72

Daß kirchliche Satzungen ohne Sünde nachgelassen werden können, betont Luther etwa im großen Galaterkommentar (1535) zu Gal 4,27 (WA 40 1,673,25-35).

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allen Traditionen zu demonstrieren. 73 Die von ihm erkannte Schwierigkeit liegt nun darin, daß die Anerkennung des Sonntags de facto eine solche de iure impliziert. Dieses Recht aber muß expliziert werden, damit es sich nicht unversehens zu einem ius divinum auswächst. Mit den causae finales glaubt Melanchthon, den Sonntag und die übrigen Traditionen im Rahmen des ius humanum halten zu können. Dabei hat er im Bekenntnis jedoch schlichtweg versäumt, den entscheidenden Grund für den Sonntag zu benennen. Nur nach der negativen Seite hin wurde die Grenze gezogen: 'Menschensatzungen' sind nicht erlaubt, wenn sie gegen das Gebot Gottes verstoßen. Aber das positive Kriterium propter bonum ordinem hängt dort in der Luft. Mit keiner Silbe wird der Grund der kirchlichen Ordnung berührt. Wäre dies geschehen, dann hätte Melanchthon zwei entscheidende Vorteile gewonnen. Zum einen wäre im Blick darauf, daß die Akzeptanz erlaubter Traditionen mit der Anerkennung einer innerkirchlichen Jurisdiktionsgewalt der Bischöfe verbunden ist, die in diesem Zusammenhang unerläßliche Unterscheidung von ius divinum und ius humanum klar ans Licht getreten. Die causae efficientes definieren nämlich genau diejenigen Momente an den kirchlichen Satzungen, die göttlichen Rechtes sind und markieren dadurch all das, was an ihnen menschliches Recht darstellt und von der Gemeinde immer erst zu prüfen ist. Aus der Delegierung einer kirchlichen Ordnungsbefugnis an die Bischöfe und Pfarrer kann nicht unter der Hand eine episkopale Jurisdiktion iure divino abgeleitet werden, wenn jeweils deutlich bezeichnet wird, welches das von Gott gebotene gute Werk ist, das man mit solcher Ordnung befördern will. Dann erst kann auch die Gemeinde die Angemessenheit der Ordnung beurteilen. So bestimmt die Kirche den Sonntag als den Tag, an dem die Christen zusammenkommen, um im und mit dem Wort zu handeln. Iure divino muß die Kirche das Wort verkündigen und Gottesdienst halten, iure humano tut sie dies besonders am Sonntag. 74 Zum andern hätte Melanchthon Ecks Sabbat-Falle viel überzeugender umgehen können. Das Wort Gottes ist die gemeinsame Basis von Sabbat und Sonntag, es ist die Klammer, die beide zusammenhält. Dieses Element hatte Luther 73 In den Visitationsartikel hatte Melanchthon die Pfarrer ausdrücklich ermahnt, in den Gemeinden den Sonntag als eine gute Kirchenordnung zu halten (Melanchthon, St.A. 1,247,33-248,2; 248,19-31; 255,20-29). 74 Ein Jahrzehnt früher schien dies Melanchthon in anderem Zusammenhang, nämlich in der Vorlesung über Mt 12, die er um den 1. Febr. 1520 gehalten hat (vgl. MAURER, Der junge Melanchthon, Bd. 2, S. 298), in bezug auf den Sabbat durchaus klar gewesen zu sein: »Ceterum externae caeremoniae eiusmodi sunt, ut violari possint propter necessitatem proximi, nec iuris divini est hodie sabbatum, quin sabbatum hodie propter solum verbum Dei institutum est.« (Melanchton, St.A. IV, 176,3-6; Hervorhebung von mir, J.K.).

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besonders im Katechismus konsequent aus dem Sabbatgebot herausgefiltert und zum Fundament des christlichen Feiertags gemacht. Damit wäre der pauschalen These Melanchthons, wonach die Schrift den Sabbat aufgehoben habe 75 , ihre problematische Absolutheit genommen. Der Präzeptor Germaniae hätte also deutlicher herausarbeiten müssen, daß zwar der Sabbat aufgehoben ist, nicht aber das dritte Gebot. Das am 25. Juni 1530 vor dem Reichstag verlesene Bekenntnis wies also in bezug auf die adiaphoristischen Traditionen Mängel auf. Melanchthon war sich dessen selbst bewußt, und der Briefwechsel mit Luther hat es vollends an den Tag gebracht. Die Schwäche dürfte nicht unwesentlich daher rühren, daß Melanchthon allzu sehr auf die Sabbat-Sonntag-Frage fixiert war. Zwar hat er richtig erkannt, daß diese Frage angegangen werden mußte, um nicht einen ungünstigen Präzedenzfall zu liefern. Als Paradigma für die Erörterung erlaubter Traditionen war die Sabbat-Sonntag-Problematik jedoch denkbar ungeeignet. Denn einesteils kommt hier der exegetische Befund im Grunde eher den Altgläubigen zugute. Andernteils läßt sich kaum eine schlechtere Tradition denken, den adiaphoristischen Charakter der erlaubten Satzungen aufzuzeigen, als gerade die so tief in der gesamten Christenheit verwurzelte Institution des Sonntags. Bei allen anderen Mitteldingen konnte dies allein schon durch den Hinweis geschehen, daß es andere Teile der Christenheit mit ihnen anders hielten. 76 Allein für den Sonntag finden sich dazu keine Beispiele. Angesichts dieser Schwierigkeiten wurde das Paradigma Sabbat-Sonntag in CA 28 sowohl in exegetisch hermeneutischer Hinsicht wie auch in juridischer nicht hinreichend abgesichert. Melanchthon hat sich zwar in dieser Frage den Lösungen seines Wittenberger Lehrers angeschlossen, jedoch eigentlich mehr dessen Ergebnisse mitgeteilt, als auch den theologischen Weg dorthin zu weisen. Mit gewissem Recht glaubte daher die altgläubige Partei, in der SabbatSonntag-Frage nicht eines besseren belehrt worden zu sein. Bevor wir uns der Reaktion der altgläubigen Seite zuwenden, bedarf es an dieser Stelle noch einer Rückversicherung. Ist es nicht überzogen, die SabbatSonntag-Frage als einen Präzedenzfall und ein Paradigma in der von CA 28 und ihrem Umfeld behandelten Thematik der erlaubten und unerlaubten 'Menschensatzungen' zu betrachten? Die Frage drängt sich auf, weil diese These in der mir bekannten Literatur nirgends so pointiert vertreten wird. Für die These mag zunächst sprechen, daß die Sabbat-Sonntag-Frage in CA 28 auffällig intensiv behandelt wird. Sicher hat Melanchthon sie sich von Eck stellen lassen. Kaum hätte er ihr aber in einem für die evangelische Sache so wichtigen Dokument derart viel Raum gegönnt, wenn es ihm nur darum zu tun 75

BSLK 130,13; vgl. oben S. 145. CA 26 nennt als Beispiel die unterschiedliche Osterfestberechnung (BSLK 107,2-17). 76

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gewesen wäre, das Argument eines theologischen Widersachers zu entkräften. Allenfalls seine Loci, als deren Entsprechung Eck ja auch sein Enchiridion verstand, nicht aber das Augsburger Bekenntnis wäre dazu der passende Rahmen gewesen. Die Sabbat-Sonntag-Frage muß für Melanchthon eine grundsätzlicherer Bedeutung gewonnen haben. Ein Blick in seine 'Catechesis Puerilis' von 1540/43 bestätigt dies. Wie er in CA 28 zum Thema 'Menschensatzungen' auf die Sabbat-Sonntag-Frage eingeht, so wirft er im Katechismus zum dritten Gebot das Problem der Kirchensatzungen auf. Nicht nur, daß er diesem Thema einen eigenen, recht umfangreichen Abschnitt widmete 77 , es durchzieht die gesamt Auslegung als Unheimliches Leitmotiv. Hier nun wendet der Präzeptor die Unterscheidungen, die er 1530 im Briefwechsel mit Luther noch auf die Traditionen im allgemeinen bezogen und diskutiert hat, konkret auf den Sabbat an. Zur Frage: »Ist denn das gebot vom Sabbath abgetan?«78, bringt er den Schülern die Unterscheidung von genus und species nahe. Man erkennt Luthers Differenzierung von Substanz und Akzidenz wieder. Das genus des dritten Gebots betrifft das Predigtamt und die Kirchenordnung. Die Feier des siebten Tages hingegen ist die species.19 Melanchthon verbindet zwar auch hier mit dem genus die Finalursache, aber diesmal nicht diejenige der guten Ordnung, sondern des Gottesdienstes und der Kirchenordnung selbst, die auf Gottes Anordnung fußen. 80 Indem sich die Unterscheidung von genus und species mit derjenigen von morale und ceremoniale deckt 81 , ist nun hier das Anliegen von Luthers Dekalogshermeneutik eingebracht worden. 82 77

»Ein andere frag. Was sol man halten von Kirchensatzungen?« (Suppl. Melan. V.l, S. 141,13-145,19); die gesamte Auslegung des dritten Gebots ebd. S. 132,12151,15. 78 Ebd. S. 133,30f. 79 »Das genus, von dem dieses gebot leret und handelt, ist nicht abgethan oder aufgehaben, Und das ist die furnemiste meinung dieses gebots, und helt in sich die endliche ursach oder caussam finalem, von welcher ursach wegen die species ist angericht worden. [...] Aber die species, nemlich, das man so schnurgerad mus den siebenten tag halten, ist aufgehoben und abgethan, Denn die Christen sein frei von Jüdischen ceremonien, die in Mose begriffen sein.« (Suppl. Melan. V,l, S. 133,32134,26). 80 »Denn Gott wil, das wir bei solchem gottesdienst unterweiset und geübt werden.« (Ebd. S. 135,21-23); »Wir haben ein gebot vom werck, haben aber kein gebot von gewisser zeit.« (Ebd. S. 136,11-14). 81 »Daneben ist gleich wol das genus [...] Morale, dieweil es erbarkeit und tugent belanget. Und derhalben [...] sein die Christen dieses gebot schüldig zu halten, denn Gott hat allen menschen befohlen und geboten, das ein ider in Sonderheit seinen dienst wende zu erhaltung des predigampts und kirchendiensts.« (Ebd. S. 134,26135,3). 82 Entsprechend sind auch in den Loci seit 1543 die Ausführungen zum dritten Gebot gehalten, vgl. Melanchthon, St.A. 11/1,298,1-29.

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So belegt die 'Catechesis Puerilis', daß sich Melanchthon die Ratschläge Luthers zu Herzen genommen hat. 'Menschensatzungen' sind nur erlaubt, wenn sie substantialiter auf einem Gebot Gottes gründen. 83 Vor allem jedoch zeigt die 'Catechesis Puerilis', daß in der Frage der 'Menschensatzungen' die Weichen für Melanchthon bei der Sabbat-Sonntag-Frage gestellt werden.

6.4. Die altgläubige Antwort

Noch bevor Melanchthon Luther um Beistand bat, haben die altgläubigen Theologen am 12. Juli ihre erste Erwiderung des evangelischen Bekenntnisses dem Kaiser eingereicht. Diese erste Konfutation, die 'Catholica Responsio' 84 , geht der Reihe nach auf alle Artikel der Konfession ein. Zum letzten Artikel behauptet sie das kirchliche Satzungsrecht iure divino und bestreitet generell, daß solche Satzungen der Schrift zuwider seien, die christliche Freiheit beschränkten und die Sünde mehrten; das Gegenteil sei der Fall. 85 Einen recht geschlossenen Abschnitt widmet die 'Catholica Responsio' der Sabbat-Sonntag-Frage. 86 Zielsicher heben die Konfutatoren auf Melanchthons argumentative Schwachstellen ab. Wir dürfen hier Ecks Hellsichtigkeit am Werk sehen. Man verlangt den Schriftbeweis für die These, die Schrift habe den Sabbat aufgehoben. Man könne sich nicht auf die Abschaffung des Mosaischen Zeremonialgesetzes berufen, denn der Sabbat sei schon in der Schöpfung, also vor dem Mosegesetz

83

»Was sol man halten von Kirchensatzungen? Da sol man die Regel halten, die im Esaia stehet [Jes 2 9 , 1 3 ] und von Christo widerholet ist [Mt 15,8f], Das man kein werck für keinen gottesdienst halten sol, davon Gott nicht gebeut in seinem wort.« (Ebd. S. 84

141,14-21).

Ediert von FICKER, Konfutation, S. 1 - 1 4 0 . Die erste Konfutation wurde von der Ständemehrheit und dem Kaiser zurückgewiesen; sie ist also nicht die offizielle Konfutation, weshalb sie hier mit IMMENKÖTTER, Confutatio, S. 3 5 - 3 7 , 'Catholica Responsio' genannt wird. Bei der am 3. Aug. 1530 approbierten und im Namen des Kaisers ausgegebenen Konfutation handelt es sich um eine völlige Neubearbeitung (vgl. dazu FICKER, Konfutation, S. X X X I I - L X X X V I I I ; IMMENKÖTTER, Confutatio, S. 3 4 - 4 8 ) . Als alleinigen Verfasser der 'Catholica Responsio' hat FICKER, Konfutation, S. X X X I I , Eck angenommen; da dies nicht nachweisbar ist und die 'Catholica Responsio' wie auch die offizielle Konfutation formell als Dokument einer großen Theologenkommission vorgelegt wurde, ist allenfalls mit der dominierenden Handschrift Ecks zu rechnen (vgl. IMMENKÖTTER, Confutatio, S. 3 7 . 2 3 . 7 0 ) . 85 FICKER, Konfutation, S. 1 2 9 , 2 5 - 1 3 1 , 1 9 . 86 FICKER, Konfutation, S. 1 3 1 , 2 0 - 1 3 2 , 2 9 .

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vorhanden und darüberhinaus Bestandteil des Dekalogs. 8 7 Wie oben schon vermerkt, impliziert Melanchthons These eine Hermeneutik des Dekalogs, wie sie Luther entfaltet hatte. Hätte die CA diese Grundlage expliziert, wäre den Altgläubigen die Gegenthese nicht so leicht gefallen. Das gilt ebenfalls für das Versäumnis der CA, das Argument propter bonum ordinem in bezug auf den Sonntag mit dem theologischen Fundament des Gottesdienstes als der causa efficiens zu untermauern. Mit gewissem Recht empfindet man es daher als ungenügend, daß der Sonntag nur darum gehalten werde, damit man sich zum Hören des Wortes versammeln könne. Es gehe vielmehr um die Heiligung des Sabbats 8 8 , und da der Konfessor dieses Zentrale und Bleibende am dritten Gebot außer acht gelassen und das reformatorische Verständnis solcher Heiligung verschwiegen hat, können ihn die Konfutatoren belehren, was es mit der Heiligung des Feiertags auf sich hat. Ganz wie Luther heben sie dabei auf die naturgesetzliche Komponente ab. Die Gottesverehrung ist ein anthropologisches Grunddatum. Wo aber für Luther das Wort des wahren Gottes über den rechten und den falschen Gottesdienst entscheidet, dort entscheidet dies für die Konfutatoren der richtige Wochentag. Das Spezifische des christlichen Gottesdienstes ist es, daß dieser Gottesdienst am Herrentag und nicht wie bei den Heiden an anderen Tagen gefeiert wird. 8 9 Geschickt erhebt damit die 'Catholica Responsio' den Sonntag zu einem Konstitutivum der vom dritten Gebot geforderten Heiligung.

87

»Porro quod dicunt sabbatum esse abrogatum non per ecclesiam sed per scripturam, petimus ut hanc scripturam doceant. Non relevat eos, quod afferunt scripturas omnes Mosaice legis cerimonias abrogasse. Nam sabbatum non recensetur inter germanas leges, sed in decalogo et ita in decern preceptis divinis, Exo.20; unde sabbatum, sicut et illa in decern preceptis contenta, abdicationem habebat etiam ante legalia Moysis. Nam deus requievit die séptimo ab universo opere quod patrarat et benedixit diei séptimo et sanctificavit illum, Gen.2.« (FICKER, Konfutation, S. 131,26132,2). 88 »Nam ubique in Genesi, in Exodo, in Deu[teronomio] et aliis locis meminit scriptura sanctificationis sabbati, quare non sufficit advocare solum congrègationem populi.« (FICKER, Konfutation, S. 132,6-9; vgl. ebd. 132,3f). 89 »Et dies dominica est de qua predixit David: Hec est dies quam fecit dominus exultemus et letemur in ea, psalmo 117 [24, Vg.]. Unde singulis dominicis diebus et non in aliis diebus dici solet iste psalmus, dempta octava resurrectionis Christi. Quoniam hec dies sancta sit et communi doctorum sententia, dies illa erit ultima et perpetua [...] Auctore ergo spiritu sancto ecclesia mutavit sabbatum in dominicam diem, non solum ut populus conveniat ad verbum dei audiendum, sed etiam ut certuni tempus divino mancipet servicio et cultui dei insistat; alioquin peiores essent christiani omnibus gentibus mundi, cum lex nature in cordibus nostris scripta agnoscat deum esse [...], cui aliquibus diebus ei sacratis serviamus, quod omnes ubique gentium nationes semper observarunt.« (FICKER, Konfutation, S. 132,11-24).

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Die Konfutatoren haben eine Begründung des christlichen Sonntags angeboten, die als eine wohlbegründete Alternative zum reformatorischen Sonntagsverständnis gelten kann. Freilich basiert diese Begründung auf der Translation des Sabbats auf den Sonntag kraft kirchlichen Beschlusses iure divino. Sie ist darum reformatorischerseits unannehmbar. Immerhin hat man sich daneben auch um das Schriftzeugnis bemüht. 90 Die katholische Lösung brauchte jedenfalls nicht auf das Herrentagsargument zu verzichten. Mit der Erinnerung an die Auferstehung des Herrn am achten bzw. ersten Tag der Woche konnte die 'Catholica Responsio' eines der zentralen Motive für den christlichen Sonntag bewahren. Da der Reichstag diese erste Fassung der Konfutation als zu weitschweifig verwarf, mußte sich die Neubearbeitung bei der Widerlegung der einzelnen Artikel Mäßigung auferlegen. Dieser Intention fiel die Behandlung der SabbatSonntag-Frage in der offiziellen Konfutation vom 3.August 1530 zum Opfer 91 , so daß auch Melanchthon in der Apologie nicht mehr auf sie einging. 92 Erst 1542 hat er als Reaktion auf das Regensburger Buch den zweiten Teil des 28. Artikels der Confessio Augustana variata neu gestaltet. 93 Die SabbatSonntag-Frage wird dabei entschärft, so daß sie nicht mehr als Präzedenzfall erscheint; sie wird eingebunden in eine Erörterung der kirchlichen Traditionen 94 , die viel systematischer gehalten ist als in der Invariata. Melanchthon spricht nun von päpstlichen Dekreten 95 und unterteilt sie in drei Kategorien. Die ersten beiden sind abzulehnen, weil sie entweder unmittelbar Sünde setzen oder mittelbar, indem sie den Adiaphora eine meritorische Funktion zuschreiben oder sie zum Gottesdienst erklären oder allgemein eine necessitas damit verbinden. 96 Die dritte Kategorie behandelt die traditiones licitae boni ordinis 90

Zusätzlich zu Ps 118,24 in Verbindung mit dem achten Tag als Tag der Auferstehung des Herren beruft man sich auf Apk 1,10 (FICKER, Konfutation, S. 132,16f). 91 Vgl. IMMENKÖTTER, Confutatio, S. 197-203. 92 Vgl. BSLK 396,51-402,33. 93 CR 26,411-416, Anm. 96; neu ab BSLK 126,3. 94 CR 26,412-415. Ihr voraus geht eine Zurückweisung des Vorwurfs, die reformatorische Verachtung bischöflicher Jurisdiktionsgewalt befördere die Unsittlichkeit und Anarchie (41 lf). 95 Schon 1530 hatte Luther bedauert, daß die CA sich der Kritik am Papsttum enthalte (WAB 5,498,8f, Nr. 1657 an J. Jonas vom 21. Juli 1530); vgl. MAURER, Kommentar, Bd. 1, S. 75. 96 CR 26,412-414. In diesen beiden Kategorien sind der Sache nach die erste, zweite und fünfte causa finalis aus dem Brief vom 14. Juli 1530 enthalten (vgl. oben S. 147); dort wollte Melanchthon allerdings noch den Grund akzeptieren, daß eine Tradition als Frucht des Glaubens ('fidem sequentem') zum Gottesdienst erklärt werden könne. Daß er es hier nicht mehr tut, zeigt, daß ihn Luthers Einwände vom 3. Aug. 1530 überzeugt haben.

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causa.91 Wir haben oben gesehen, daß Melanchthon an diesem Punkt um das Verhältnis von Gehorsam und Freiheit solchen Ordnungen gegenüber ringt. Dieses Problem findet in der Neufassung von 1542 deutlichen Ausdruck, ohne doch eigentlich gelöst zu werden. Allein schon gegen die »falschen« Freiheiten des Spiritualismus und des Täufertums muß Melanchthon die Autorität nützlicher Traditionen sichern und ihre mutwillige Verletzung als Sünde gebrandmarken; dies soll aber nicht die Gewissen binden. 98 Hier wird der Sonntag zusammen mit den christlichen Hauptfesten eingeordnet. Ansatzweise trägt Melanchthon nun die Versäumnisse der Invariata nach. Er verweist auf das dritte Gebot und entnimmt ihm doch zumindest die allgemeine Aufforderung zum Gottesdienst. Für die Verlegung auf den Sonntag macht er die Apostel verantwortlich. Der Sonntag ist ein Zeichen sowohl der christlichen Freiheit wie der Auferstehung Christi." Bei Religionsverhandlungen zwischen Lutherischen und Altgläubigen hat soweit ich sehe - die Sabbat-Sonntag-Frage keine Rolle mehr gespielt. Sie taucht indes Mitte der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts bei Religionsgesprächen in Genf und im Waadtland wieder auf. Da D A N I E L AUGSBURGER bereits darauf aufmerksam gemacht hat 100 und sachlich keine neuen Aspekte beigesteuert werden, können wie uns mit knappen Hinweisen begnügen. Anfang 1534 führt Farel auf Veranlassung Berns in Genf mit dem Dominikaner Guy Furbity einen Disput, in dem es wesentlich um die Autorität der Kirche und der Schrift geht. 101 Zum Beweis, daß Petrus und die Kirche selbst die Gebote Gottes ändern können, stützt Furbity sich auf das bekannte SabbatSonntag-Beispiel. Farel hält mit dem Argument von der christlichen Gleichwertigkeit aller Tage dagegen. Für den Sonntag nennt er das Gottesdienst- und das Ruhetagsargument; die Schrift gebiete, am siebten Tag zu ruhen, und das

97

CR 26,414. »Et has ordinationes violare extra casum scandali, non ducatur esse peccatum, Sed si cum scandalo violenta, ubi Ecclesiae recte constitutae sunt, nec error est in doctrina, Sciat violans tali loco se peccare, quia Ecclesiae recte constitutae tranquillitatem perturbât, aut alios a vero ministerio abducit. Haec ratio satis munit autoritatem utilium traditionum, et non inijcit laqueum consciences.« (CR 26,414). 99 »Ac manet in decalogo genus ut aliquibus temporibus conveniamus ad haec pia exercitia, species vero quae fiat ceremonia, libera est. Ideo non retinuerunt Apostoli septimum diem, sed maluerunt uti primo, ut et de libertate et de resurrectione Christi pios admonerent.« (CR 26,414f). 100 AUGSBURGER, Sunday in the Pre-Reformation Disputations in French Switzerland. 101 Vgl. dazu NAEF, Les Origines de la Réforme à Genève, Bd. 2, S. 493-509. 98

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Wort Sabbat bezeichne diese Ruhe und nicht den Samstag, wie Furbity meint. 102 Diese Ausführungen wiederholen sich im Juni 1535 auf reformatorischer Seite während des Glaubensgesprächs, das man im Zuge erster reformatorischer Maßnahmen im Genfer Franziskanerkloster de Rive abgehalten hat. 103 Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind nur noch aus einer Zusammenfassung von Farel ersichtlich, die die Argumentation der Altgläubigen meistens verschweigt. Da die Behandlung der Sabbat-Sonntag-Frage im gleichen Kontext und seitens der reformatorischen Partei mit den gleichen Antworten wie gegen Furbity behandelt wird 104 , dürfte die Frage zuerst von den Altgläubigen in die Diskussion geworfen worden sein, um die Autorität der Kirche zu festigen. Daß die altgläubigen Theologen in diesen Schweizer Religionsgesprächen das Sabbat-Sonntag-Argument aus Ecks Enchiridion haben, beweist vollends die Disputation von Lausanne im Oktober 1536. 105 Unmittelbar nach dem Schlagabtausch über die Sabbat-Sonntag-Frage bringt die altgläubige Seite als Beweis für eine über der Schrift stehende Autorität der Kirche die veränderte Taufformel ins Spiel. 106 Eck hatte sich ihrer bereits im ersten Kapitel des Handbuches bedient. 107 Ebenso deutlich, wie Eck dies tat, stellt man heraus, daß der Sonntag ohne, ja im Grunde gegen das Zeugnis der Schrift allein aufgrund kirchlicher Entscheidung gefeiert wird. 108 Virets Antwort für die reformatorische Seite ist gehaltvoller als diejenige Farels in den Genfer Disputationen. Zwar betont auch er zunächst, daß die Schrift vom siebten Tag, nicht aber vom Samstag rede 109 , daß man das Gebot halte, weil man alle sieben Tage ruhe und sich an diesem Ruhetag unter dem Wort Gottes versammle; um aber zu zeigen, daß für den Christen alle Tage gleich heilig sind, läßt Viret die Rede vom geistlichen Sabbat anklingen. 110 In Virets Antwort zeichnet sich Sunday, S . 269f; NAEF, Les Origines, Bd. 2, S . 502. dazu PFISTER, KG der Schweiz, Bd. 2, S. 156f. 104 Siehe DUFOUR, Un Opuscule inédit de Farel, S. 24. 105 Vgl. hierzu PFISTER, KG der Schweiz, Bd. 2, S. 164-167. 106 PIAGET, Les actes de la dispute de Lausanne 1536, S. 49. 107 Eck, Ench., S. 29; vgl. oben S. 140, Anm. 25. 108 »Car si vous ne voulez rien muer ne changer de la saincte escripture [...], il fauldroit donc que vous feissiez le sabbat comme les Juifz [...]. Mais l'eglise [...] de son auctorité a changé le sabbat au dimenche. En sorte que les chrestiens ne se reposent pas le samedy comme les Juifz, mais le dimenche, et toutesfois l'escripture n'en faict aucune mention.« (PIAGET, Les actes de la dispute de Lausanne, S. 47f). 109 »L'ecripture ne dict pas que nous nous reposons le lundi, mardi ou samedi. Car les jours ne sont poinct ainsi nommez en la saincte escripture, mais le septiesme.« (Ebd., S. 48). 110 »Nous gardons le vray sabbat, c'est a dire le vray repos duquel faict mention sainct Pol en l'epistre aux Hebrieux, chap.4. [...] Car nous ne ignorons pas, comme tous les jours sont sanctifiez, et qu'il nous fault tout le temps de nostre vie reposer 102

AUGSBURGER,

103 VGL.

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schon der Reichtum ab, mit dem später Calvin die verschiedenen Deutungstypen und Perspektiven zusammenträgt. 111

6.5. Zusammenfassung

Blicken wir auf die letzten beiden Kapitel zurück! Luther hatte Karlstadts Bemühungen um die der Rechtfertigung folgende Heiligung, die dieser unter Rückgriff auf mystische Terminologie an der ersten Tafel des Dekalogs ausrichtete, als einen Irrweg interpretiert. Was Karlstadt in seinen Ausführungen zum Bilderverbot und zum Sabbatgebot als die notwendige Folge des in der Liebe tätigen Glaubens verstanden wissen wollte, erschien Luther als eine Suche nach menschlichen Bedingungen und Werken, die das Vertrauen allein auf Gott gefährdet und daher letztlich wieder einen Rückfall in die Werkgerechtigkeit darstellt. Da Karlstadt sich auf die Zehn Gebote berufen konnte, formulierte Luther eine Hermeneutik des Dekalogs, welche die überlieferte Gestalt des Dekalogs als positives menschliches Recht wertet und daher seine Verwendung unter den Vorbehalt der naturrechtlichen Vereinbarkeit stellt. Dabei fallt das Bilderverbot ganz und das dritte Gebot insofern heraus, als es sich auf den Sabbat bezieht. Mit dem Naturrecht vereinbaren läßt sich am dritten Gebot die Forderung des Feiertags in seinen beiden Komponenten, der Arbeitsruhe und vor allem dem Gottesdienst. Als weitere Konsequenz hat Luther stillschweigend die geistliche Sabbatdeutung fallengelassen, denn sie beruht im Grunde auf einer Allegorese des alttestamentlichen Sabbats, die er sich mit dieser Hermeneutik selbst verboten hatte. An ihre Stelle tritt nun ein Verständnis der Heiligung, das pointiert allein am Wort gemessen wird. Das dritte Gebot behält damit grundsätzlich seine Stelle, die ihm im Gefälle der ersten drei Gebote zusteht, indem es auch weiterhin den Blick im besonderen auf die Heiligung des christlichen Lebens richtet. Jedoch hat dieser Blick die anthropologischen Momente und damit eben auch den Sabbat gegen den Sonntag ausgetauscht: Für die Auslegung, daß der zu heiligende Mensch das eigene Wirken ruhen und Gott in sich wirken lassen müsse - eine Auslegung, die unmittelbar aus der Ruhesymbolik des

des oeuvres procédantes seulement de nous, qui ne peuvent estre que péché, pour faire les oeuvres de Dieu, le laissant ouvrer par son sainct esprit en nous, entendans que nostre sabbat est spirituel et eternel, mais congnoissans ce que signifioit le sabbat judaique estre accomply en nous spirituellement, nous gardons encore le sabbat extérieurement par le commandement de Dieu«. (Ebd.). 111 Vgl. dazu unten Kap. 7, S. 169-175.

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Sabbats herausgesponnen ist -, steht nun die Deutung, daß der zu heiligende Mensch das Wort Gottes hören, es 'handeln' und sich darin üben soll - eine Deutung, die unmittelbar auf den sonntäglichen Gottesdienst zugeschnitten ist. Wenn die spezifisch alttestamentliche Gestalt des dritten Gebots mit seiner Festlegung des Feiertags auf den siebten Wochentag dem naturrechtlichen Kriterium nicht standzuhalten vermag, muß dies freilich auch für die Festlegung des christlichen Feiertags auf den ersten Wochentag gelten. Der Sonntag an sich ist eine menschliche Setzung positiven Rechts, selbst wenn ihn die Apostel eingesetzt haben. Wenn es eine äußere Not erfordert, kann der Feiertag ohne geistliche Not auf einen anderen Wochentag verlegt werden. Luther lehrt also die völlige Gleichwertigkeit aller Tage und vertraut die Wochentagsfrage dem positiven ius humanuni an. Die Auszeichnung des Sabbats als einer göttlichen Institution und Schöpfungsordnung, die Luther im Zusammenhang der Genesisauslegung durchaus anerkennt, und die Auszeichnung des Sonntags als des Tages der Auferstehung des Herrn tritt demgegenüber bewußt zurück. Die Erfüllung des dritten Gebots bezieht sich nicht auf die Heiligung eines bestimmten Tages per se, sei es der Sabbat, sei es der Sonntag. Dies schien Melanchthon eine geeignete Grundlage zu sein, in der Confessio Augustana Ecks Berufung auf die Translation des Sabbats in den Sonntag als ein Argument für die legislative Autorität der Kirche zu entkräften. Die Autorität der Kirche ist hierbei gar nicht nötig, denn nicht sie, sondern die Schrift selbst hat den Sabbat als Teil jüdischer Zeremonialsatzungen abgeschafft. Was den Sonntag betrifft, so wurde er zwar von der Kirche eingesetzt, aber im Rahmen der ihr zustehenden Ordnungsgewalt iure humano und nicht kraft einer über der Schrift stehenden Autorität iure divino. Melanchthons Argumentation in CA 28 stimmt zwar im Ergebnis mit den Auslegungen Luthers überein, sie entbehrt jedoch einer soliden systematischen und hermeneutisch exegetischen Fundierung.112 Da sich Melanchthon die Sabbat-Sonntag-Frage von Eck als ein Paradigma für das Problem legitimer Ordnungen und Traditionen, die nicht direkt aus der Schrift zu erheben sind, und als Präzedenzfall für eine eventuelle Anerkennung bischöflicher Jurisdiktionsgewalt aufdrängen läßt, bringt ihn die oberflächliche Behandlung der 112

Dies hat M A U R E R in seinem Kommentar, Bd. 1, S. 232f, nicht erkannt. Seine fast durchweg dominierende Methode, die CA von Luther her zu interpretieren, bestimmt seine Auslegung auch an dieser Stelle. Melanchthons Lücken füllt M A U R E R mit Luther. Jedoch argumentiert die CA hier gerade nicht mit der naturrechtlichen Begründung. Falsch deutet M A U R E R auch die Intention dieser naturrechtlichen Begründung bei Luther; aus ihr leitet Luther eben keine »gesetzliche Verpflichtung« zur Sonntagsruhe ab (S. 233), sondern das Gegenteil: die christliche Freiheit in bezug auf die Tage.

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Sabbat-Sonntag-Frage in grundsätzliche Schwierigkeiten. Er betrachtet die Gründe für die erlaubten Traditionen isoliert im Bereich des ius humanum, ohne deren Rückhalt im ius divinum zu berücksichtigen. Um Ecks Argumentation fundiert widerlegen zu können, hätte Melanchthon auf das dritte Gebot zurückgreifen und aufzeigen müssen, daß man das dritte Gebot erfüllen kann, ohne den Sabbat zu halten und daß es darum auch keiner Autorität göttlichen Rechtes bedarf, um den Sonntag einzusetzen. Die Erfüllung des dritten Gebots in der Wortverkündigung ist die gemeinsame Basis für Sabbat und Sonntag. Gerade eine gründlichere Erörterung der Sabbat-Sonntag-Frage hätte Melanchthon gezeigt, daß zwar der Sonntag iure humano um des Gottesdienstes guter Ordnung willen eingesetzt ist, daß aber der Gottesdienst selbst göttlichem Recht entspringt, und zwar als Gottesdienst im allgemeinen dem göttlichen Naturgesetz und als spezifisch christlicher Gottesdienst, der am Wort Gottes orientiert ist, dem geoffenbarten göttlichen Recht. Dann wäre auch klar, daß der den nützlichen Ordnungen geschuldete Gehorsam ein ganz anderer ist, als der Gehorsam gegenüber göttlichen Geboten. Die Verachtung des Gottesdienstes berührt das Gewissen, weil dies eine Verachtung des heiligenden Wortes ist; die begründete Mißachtung des Sonntags soll dagegen das Gewissen nicht binden; diese ist gleichsam eine Ordnungswidrigkeit, die nur mit zeitlichen Strafen geahndet werden darf. Melanchthon hätte also gerade durch eine gründlichere Behandlung der Sabbat-Sonntag-Frage die Möglichkeiten und Grenzen bischöflicher Jurisdiktion viel klarer zu Papier bringen können, als es in CA 28 geschehen ist. Erst durch die Neufassung des Artikels in der Variata von 1542 ist dies ansatzweise erfolgt.

7. Die Sabbatdeutung seit Luthers Katechismen und dem Augsburger Bekenntnis Der normierende Einfluß der Katechismen Luthers auf die Theologie im allgemeinen und die katechetische Literatur im besonderen kann gar nicht überschätzt werden. Auch das Verständnis des Sabbats bleibt davon nicht unberührt. Bis 1529/30 behauptet sich die geistliche Deutung als die reformatorische schlechthin. Nach der schnellen Verbreitung von Luthers Katechismen ändert sich das schlagartig. Sofern man die geistliche Deutung überhaupt noch zuläßt, gibt sie die Dominanz, die sie sich in den zwanziger Jahren erringen konnte, an einen Auslegungstyp ab, der den Sabbat - bisweilen begründet, bisweilen unreflektiert - auf den christlichen Sonntag überträgt und seinen Kern in der Wortverkündigung und in der Arbeitsruhe als der Voraussetzung der Verkündigung findet. Da aber die Theologie der eidgenössischen und oberdeutschen Gebiete infolge der sich Ende der zwanziger Jahre abzeichnenden Konfessionalisierung innerhalb des reformatorischen Lagers um ein eigenständiges Profil der reformatorischen Lehrgestalt bemüht war, läßt sich Luthers Wandel im Sabbatverständnis in diesen Gebieten nicht überall nachweisen. Vielmehr ist dort namentlich bei Bucer und Calvin - keine einheitliche Tendenz auszumachen, so daß deren Sabbat- und Feiertagsdeutung gesondert betrachtet werden muß.

7.1. Das lutherische Einflußgebiet Luthers Kurskorrektur vollzieht in aller Deutlichkeit Melanchthon nach. Galt ihm einst das christliche Leben als eine einzige Sabbatfeier, so folgt er bereits 1528 für kurze Zeit seinem Lehrer und konzentriert das Sabbatgebot in der Wortverkündigung, für die der Feiertag die freie Zeit bereitstellt und zu diesem Zweck »von den alten geordenet« ist. 1 Hier dürften schon Luthers Katechismuspredigten von 1528 einen Niederschlag gefunden haben.

1 Suppl. Melan. V,l, S. 8 7 , 1 7 - 8 8 , 1 4 ('Kurze Auslegung der zehn Gebote, des Vaterunsers und Glauben', ein Fragment von 1528, das in der Auslegung des dritten Gebots abbricht); vgl. auch ebd. S. 7 4 , 1 5 - 1 7 (ebenfalls eine 'Kurze Auslegung' des Dekalogs, die COHRS in Suppl. Melan. V,l, S. XXVf, ins Jahr 1527 datiert).

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Wie sehr die Behandlung der Sabbatfrage im Kontext der Kirchensatzungen in der Confessio Augustana auch später noch Melanchthons Sabbatverständnis geprägt hat, haben wir oben schon in der Catechesis Puerilis und den Loci von 1543 gesehen. 2 Sein Verständnis des dritten Gebots seit 1530 stimmt in den Grundlinien zwar noch mit Luthers Deutung überein, die Wortverkündigung steht formal im Zentrum 3 ; jedoch erhält das dritte Gebot durch die Verquickung mit der Satzungsfrage einen anderen Akzent. Melanchthon hebt viel stärker als Luther auf die Zeremonien und das dem Wort dienende Amt ab. »Die warnemung des Sabaths, das ist erhaltung der Cerimonien, die uns von Gott gegeben sein. [...] Du solt den Feirtag heiligen, das ist zu heiligen sachen und hendeln brauchen und wenden, nemlich die gemeinen Ceremonien und Kirchenordnung zu halten und Gottes wort zu hören. Das sein die rechten warhaftigen werck des Sabbaths.«4 Das Sabbatgebot wird hier im Grunde zu einem Gebot, die Kirche und ihr Amt zu achten und zu bewahren. Zwar gründet die Kirche in der Wortverkündigung und der Sakraments Verwaltung; da aber nicht mehr der Zusammenhang von Wort und Glaube entfaltet wird, verläßt Melanchthon den spezifischen Topos des dritten Gebots, nämlich die Heiligung des christlichen Lebens, den Luther im Großen Katechismus auch in seiner worttheologischen Gestalt noch deutlich wahrt. So beherrscht die Konzentration auf den Gottesdienst, die eine gewisse Veräußerlichung der Auslegung darstellt, auch die Ordnung, in die Melanchthon die ersten drei Gebote stellt: »Das erste gebot predigt von den innerlichen gottesdiensten«, das zweite »von eusserlicher bezeugnis« und »das dritte gebot leret von Ceremonien und Kirchenordnung«.5 Im Gegensatz zu Luther rechtfertigt Melanchthon den tiefgreifenden Wandel der Sabbatdeutung in der Catechesis. Er teilt den Schülern das geistliche Verständnis mit, zieht aber die auf den Gottesdienst zielende Auslegung als die wichtigere vor. 6 2

Siehe oben Kap. 6, S. 153f. »Denn der Sabbath ist gemacht und angericht allein deshalben, das man die leut in Gottes wort unterweise.« (Catechesis Puerilis, 1543 - Suppl. Melan. V,l, S. 132,22-25); vgl. auch Melanchthons kleine Auslegung der Hauptstücke von 1549 (ebd. S. 362,15-18). 4 Ebd. S. 132,19-133,5; vgl. die Loci von 1543 (Melanchthon, St.A. 11,1,298,715). 5 Suppl. Melan. V,l, S. 133,8-17; ebenso in den Loci von 1543 (Melanchthon, St.A. 11,1,298,3-7). 6 »Denn dieweil die ceremonien im Mose aufgehaben sind, suchen etliche eine deutung und sagen, Der Sabbath sei ein ruhe oder aufhörung von der erbeit, als nemlich, wenn wir Gott lassen in uns wircken, Darumb verstehen sie den Sabbath von gedult. Und wiewol ich diese deutung nicht schilt oder verwirf, so dünckt mich doch, sie sei schir zu weit geholet, So sol man auch mit diser deutung die andere meinung von erhaltung des gottesdiensts nicht verdunckeln, welches viel ein edler 3

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So findet auch im Einflußgebiet der lutherischen Reformation die katechetische Literatur des 16. Jahrhunderts nach 1530 kaum mehr Gefallen an der geistlichen Sabbatdeutung. Die Mehrzahl dieser Katechismen läßt sie ganz außer acht, weil es sich in unterschiedlicher Form um Bearbeitung der Katechismen Luthers handelt, sei es, daß diese Werke unmittelbar den Kleinen Katechismus erklären 7 , sei es, daß die Auslegungen des Großen Katechismus greifbar sind, besonders wo die Erklärung in eine Lehre vom Wort Gottes mündet. 8 Hier beschränken sich die Ausführungen zum Feiertagsgebot auf das Element der Wortverkündigung. Liegt daneben ein zweiter Akzent auf der Erhaltung des Predigtamtes und der kirchlichen Zeremonien, wird man auch mit Melanchthons Einfluß zu rechnen haben. 9 Von dessen Catechesis Puerilis ist etwa der Hamburger Katechismus von Joh.Pistorius (1550) abhängig, der den Skopus des Gebots beim 'ministerium verbi' und den 'ceremoniae' sieht, bei und herrlicher werck ist, denn gedult sein mag.« (Suppl. Melan. V,1,S. 149,3-19). »Non quaero allegoriam huius praecepti, sed trado propriam et praecipuam sententiam.« (Melanchthon, St.A. 11,1,299,19f - Loci von 1559). 7 In Mitteldeutschland bei Joh. Spangenberg, 1541 (REU, Quellen 2,2,288,6-15); im Frankfurter Katech. von 1542 (ebd. 1105,22-27); bei Reinhard Hadamarius, 1552 (ebd. 1026,36-43); Nikolaus Hercko, 1554 (ebd. 248,4-37), Adam Siber, 1575 (ebd. 565,44-566,4 - dieser Leipziger Hauskatechismus trägt den Titel 'Sabbatum Puerile'); Chilianus Friederich, 1572 (ebd. 464,5-465,24); Joachimsthaler Katech., 1574 (ebd. 691,27-41); Georg Walther, 1581 (ebd. 396,2-28); Hieronymus Opitius, 1583 (ebd. 525,35-526,6); Matth. Gryphius, 1583 (ebd. 966,30-45); Sebastian Leonhart, 1588 (ebd. 645,10-19); Katech. für Jauer, 1591 (ebd. 939,3f). - In Nordund Ostdeutschland bei Urban Rhegius, 1535 (REU, Quellen 3,2,595,5-12); Joachim Mörlin, 1547/66 (ebd. 865,13-27); Bartholomäus Wolffhart, 1559/62 (ebd. 931,315); Simon Musäus, 1568/69 (ebd. 39,24-58); Franziskus Omichius, 1591 (ebd. 399,46-400,6). - In Süd- und Westdeutschland bei Kaspar Loener, 1544 (REU, Quellen 1,628,18-30 - vgl. obenS. 109); Joh. Meckhart, ca. 1553 (ebd. 822,35-43); Joh. Meynertzhagen, 1544 (REU, Quellen 3,2,1512,27-34); Joachim Gieffthail, 1580 (ebd. 1656, lf). 8 Caspar Aquila, 1 5 3 8 (REU, Quellen 2 , 2 , 1 7 7 , 2 9 - 1 7 9 , 9 ) ; Jungfrau-Schulordnung zu Torgau, 1 5 4 3 / 6 5 (ebd. 5 0 4 , 2 2 - 5 0 8 , 5 0 ) ; Laurentius Vulpinus, ca. 1 5 9 5 (ebd. 5 1 1 , 2 2 - 4 0 ) ; Caspar Huberinus, 1 5 4 4 (REU, Quellen 1 , 7 8 5 , 1 - 3 4 ) ; Andreas Musculus, 1 5 6 5 (REU, Quellen 3 , 2 , 2 0 3 , 4 2 - 2 0 4 , 2 4 ) ; Heinrich Boethius, 1 5 9 2 (ebd. 9 0 1 , 1 0 - 4 2 ) . Der Siegerländer Katechismus des Erasmus Sarcerius von 1537 konzentriert ebenfalls die Sabbatheiligung im 'Handeln' des Gotteswortes; zwar stellt er dem jüdischen Zeremonial-Sabbat den christlichen Sabbat als »spirituale« und »perpetuum« gegenüber, doch zielt er dabei nicht auf die Sabbatallegorie, sondern auf das Leben mit und unter dem Wort (REU, Quellen 3 , 2 , 1 2 3 9 , 2 5 - 1 2 4 2 , 2 2 , bes. 1 2 4 0 , 3 6 - 1 2 4 1 , 6 ) . 9 So schon 1537/38 bei Ambrosius Moibanus (REU, Quellen 2,2,746,23-35), ferner bei Valentin Trotzendorf, 1564/70 (ebd. 800,32-48), bei Sebastian Fröschel, 1559 (ebd. 67,17-34; 73,1-20; mit einer Polemik gegen die Predigt- und Sakramentsverachtung der Schwenckfelder, ebd. 67,25) und Leonh. Jacobi, 1552 (ebd. 410,20-46).

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der Sabbatheiligung zwischen 'genus' und 'species' unterscheidet und neben dem 'externum, temporarium et corporate Sabbatum' auch das 'internum seu spirituale' als 'vacatio spiritualis' sowie das 'Sabbatum sempiternum' erwähnt. 10 Auch David Chytraeus hält sich in der Rostocker Catechesis von 1575 an das Enchiridion Melanchthons, indem er das Gebot auf die conservatio ministerii und die Zeremonienfrage konzentriert11; zum Sabbat selbst werden nicht weniger als sieben causae aufgeboten: der Schöpfungssabbat, der geistliche und der ewige Sabbat, der Erlösungssabbat in der Grabesruhe Christi, der Ruhetag, das Gedächtnis des Exodus und der Wochengottesdienst.12 Ähnlich erklären das dritte Gebot die Wittenberger Catechesis von 157113 und die Lüneburger 'Exegeses catechismi' von Lukas Lossius (1545). 14 Der geistliche Sabbat findet sich in den lutherischen Gebieten somit nur noch in breit angelegten, lateinischen Unterrichtswerken, die sich inhaltlich und formal mehr an Melanchthons Catechesis als an Luthers Großem Katechismus orientieren. 15 Das 'Sabbatum spirituale' etablierte sich hier in der zweiten Hälte des 16.Jahrhunderts als Topos einer höheren theologischen Bildung. Ein weiteres Motiv verschafft sich zunehmende Geltung. Man erblickt im Sonntag ein Zeichen oder einen Beweis der christlichen Freiheit vom Mosaischen Gesetz. Dies dürfte auf die Behandlung der Sabbat-Sonntag-Frage im Augsburger Bekenntnis zurückgehen 16 , denn Luther hatte zwar im Großen Katechismus und auch sonst die Freiheit vom jüdischen Sabbat betont 17 , aber 10

REU, Quellen 3,2,472,30-474,14. REU, Quellen 3,2,329,31-331,2. Die kürzere Fassung von 1554 klammert die Zeremonienfrage aus (ebd.298,46-299,15). 12 Ebd. 329,5-30. 13 REU, Quellen 2,2,126,16-127,34. Dieses Christoph Pezel zugeschriebene und gemeinhin als kryptocalvinistisch eingestufte Werk unterteilt den Sabbat in fast scholastischer Manier in 5 'species': den Sabbathum creationis, paedagogicum (caeremonia), spirituale, die 'admiranda quies filii Dei in passione' und den Sabbathum aeternum, wobei der geistliche Sabbat auf die moralische Ebene abgeschwächt ist (»quietem agere a peccatis seu malis operibus«, ebd. 126,35). 14 REU, Quellen 3,2,674,39-675,4. Lossius nennt neben dem 'Sabbatum corporale' den »spirituale, quo a peccatis seu uitijs cessamus, & uoluntati diuinae totos nos subijcimus.« (ebd. 675,3f). Diese Auslegung hat der Marburger Katechismus von 1554 fast wörtlich übernommen (REU, Quellen 2,2,1039,25-38). 15 Ausnahmen von dieser Regel bilden die deutschen Katechismen von Kaspar Kantz (Nördlingen 1542) und von David Meder (Öhringen 1595), die sich mehr den Katechismen Luthers anschließen, aber beim dritten Gebot auf die Herzensfeier als Ruhe des Eigenwillens und Gefallen des Gotteswillens (bei Meder in Verbindung mit der dritten Vaterunserbitte; so schon bei Brenz, den Meder verarbeitet, vgl. oben S. 109) nicht verzichten wollen (REU, Quellen 1,399,33-401,16; 600,36-602,6). 16 BSLK 130,19-25. 17 BSLK 580,40-581,3; 581,27-30. 11

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nicht auf die Einsetzung des Sonntags als einem Beweis dieser Freiheit zurückgegriffen. 18 Wo die katechetische Literatur dieses Motiv aufbietet, setzt sie die traditionelle Unterscheidung zwischen 'ceremoniale' und 'morale' voraus. Zusätzlich erinnert man zugunsten des Sonntags an den Tag der Auferstehung Christi. So schreibt etwa Urban Rhegius in der Catechesis von 1541: »Nos Christiani ne iudaissemus, obseruamus octauum, uel potius primum diem, qui Dominicus uocatur, apocalyp. 1[10] a Domino nostro Iesu Christo, qui eo die resurrexit a mortuis, cuius obseruatio ab Apostolis ad nos dimanat.« 19 Der Nürnberger Reformator Andreas Oslander stellt eine Ausnahme dar, weil er die geistliche Sabbatdeutung nach dem Erscheinen von Luthers Katechismen noch aufgreift, sie aber mit dem Skopus der Wortheiligung aus Luthers Auslegung im Großen Katechismus verbindet und am geistlichen Sabbat einen eigenwilligen Aspekt beleuchtet. 20 Auf den ersten Blick mutet die Auslegung des Sabbatgebots, die uns in zwei Predigten erhalten ist 21 , recht konventionell an. Osiander schließt sich hier eng an Luther an. Er unterstreicht die neutestamentliche Gleichwertigkeit der Tage und begreift die Ersetzung des Sabbats durch den Sonntag als Zeugnis christlicher Freiheit; die freie Übereinkunft der Gemeinde bestimmt den ersten

18

Nur in einer - wirkungsgeschichtlich belanglosen - Tischrede konnte dieses Motiv bei Luther nachgewiesen werden (s.o. S. 130f). 19 REU, Quellen 3,2,633,28-31. Wittenberger Catechesis (1571): »Sed Apostoli et horum discipuli, propter memoriam resurrectionis Christi, et vt ostenderent exemplum Christianae libertatis, in abrogandis ceremonijs, pertinentibus ad politiam Mosaicam, elegerunt primam diem, quae vocatur Dominica, seu dies Solis, abolitis simul ritibus sacrificiorum, quae apud Iudaeos vsitata fuerunt.« (REU, Quellen 2,2,127,30-34; wörtlich aufgenommen in dem Lüneburger Enchiridion des Thomas Mauwer von 1575, REU, Quellen 3,2,826,19-24); ähnlich bei Antonius Corvinus (REU, Quellen 2,2,983,22-30); im 'Güldenen Kleinot' von Pfalz-Neuburg des Joh. Tetelbach von 1569 (REU, Quellen 1,676,36-46), in Matth. Dressers Meißener Auslegung von Luthers Katechismus, 1581 (REU, Quellen 2,2,594,42-49) und in Joh. Aumanns Katechismus von 1597 (REU, Quellen 3,2,967,21-32). - Der Augsburger Katechismus von 1533 behandelt zwar die Sabbat-Sonntag-Frage vergleichsweise intensiv, geht dabei jedoch nicht über das von Luther im Gr. Katechismus Gesagt hinaus: die Christen sind frei vom jüdischen Gesetz und vom siebten Tag, den Sonntag solle man aus altem Herkommen beibehalten (REU, Quellen 1,761,10-22). 20 Zu Oslanders Theologie vgl. neuerdings die aufschlußreiche Untersuchung von CLAUS BACHMANN, System der Alleinwirksamkeit. Die Gottes- und Rechtfertigungslehre des Andreas Osiander. 21 Katechismuspredigt von 1533 (Osiander, GA 5,213,6-218,7) und aus der Predigtreihe über den Dekalog von 1542 (Osiander, GA 7,371,3-379,22).

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Wochentag zum Feiertag. 22 Notwendig ist der Feiertag um des Gottesdienstes und der Arbeitsruhe willen, die aber streng auf den Gottesdienst bezogen wird. 23 Als Herrentag kommt der Sonntag wie bei Luther nicht in den Blick. Nun verknüpft Osiander allerdings die Heiligung durch das Wort mit dem charakteristischen Motiv der geistlichen Sabbatdeutung, mit dem 'Gott in sich wirken lassen'. 24 Er setzt zunächst bei dem reformatorischen Grundverständnis des Gottesdienstes an: nicht wir geben oder opfern Gott etwas, sondern er schenkt uns etwas. 25 Feiern bedeutet also, sich von Gott beschenken zu lassen. 26 Gott schenkt aber nichts anderes als Wort und Sakrament. Gottes Wort in sich wirken lassen, ist die rechte christliche Sabbatfeier. »Feyer nun und laß Gott in dir wurcken, er wirdt dich mit seinem gettlichen wort, mit seinen sacramenten und allerlay gaistlichen und leiplichen gaben reich machen.«27 Als die wirkkräftige Gabe des Wortes erweist sich die Einwohnung des erhöhten Herrn selbst. Für Osiander ist das Wort unmittelbar effektiv, weil er es von der Einwohnung des Herrn her begreift. Für Luther heiligt der Umgang mit dem Wort den Menschen; das mortifikatorische Wirken Gottes in der geistlichen Deutung bezieht er jedoch nicht auf das Wort, sondern auf die äußere und innere Anfechtung; sie erst treibt den Menschen wieder zum Wort, wieder zum ersten Gebot, wieder zur Verheißung, an die sich der Glaube hängt. Der »Kurzschluß«, mit dem Osiander die Heiligung durch das Wort und den Verzicht auf das eigene Wirken zugunsten des Wirkens Gottes in eins setzt 28 , muß von seinem effektiven Rechtfertigungsverständnis her begriffen werden. Gerechtfertigt heißt für ihn, der Sünde gestorben zu sein. 29 Da die Sünde im 22

Osiander, GA 5,213,17-26; 7,371,17-373,2; 373,19-21; 374,30-375,3. Osiander, GA 7,375,18-376,11; 5,215,25-216,17; 218,1-7. 24 Osiander, GA 7,373,31; 374,30; 375,20; 376,14f; 377,9; 5,217,6. 25 Osiander, GA 7,373,2-11; 5,213,27-215,13. 26 »Die inwendige und rechte feyer ist der Christen allain und wirdt sunderlich hie in disem gebot bevolchen, und es stehet also darum, als wan der Herr saget: Wen ier [...] zuosamenkompt, das wort Gottes höret, bettet, dancksaget, die hailigen sacrament genisset etc., so gedenckt, das ier dieselbigen tag feiret, das ist, thuot kain ander werck, damit ier mainet, etwaß zuo erwerben, sonder gehet mit solchem gottesdinst um, darin Gott euch guots thuot, nicht ier im.« (Osiander, GA 7,373,16-24); vgl. Osiander, GA 5,215,13-24. 27 Osiander, GA 7,376,14-16; vgl. ebd. 373,25-374,30; 375,19-21; 377,8f; Osiander, GA 5,216,1-9. 28 »Wolan, darin und damit wird nun der feirtag gehailigt, wan wir unß vleissigen Gottes worts, lassen dasselb in unß krefftig und thettig sein, lassen unseren und deß flaisches willen fahren und ergebenß alles dem willen Gotteß.« (Osiander, GA 7,376,20-23). 29 »Wer gestorben ist / der ist Gerechtfertiget von der sünde. Diesen sprach solt ir wol in acht haben / und fleißig ansehen / Dan er ist das haupt unser Seligkeit / Aus 23

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Leib steckt30, kann letztlich nur der leibliche Tod die Sünde töten. Osiander nimmt damit einen Aspekt von Luthers Rechtfertigungsverständnis auf, den dieser vor allem im Zusammenhang seines Taufsermons entfaltet hat. Aber der Nürnberger Reformator verabsolutiert diesen Aspekt. Der forensische Aspekt ist ausgeblendet. Die Rechtfertigung vollzieht sich nicht, indem der Glaube der Verheißung des Wortes vertraut und dadurch gewiß wird, sondern indem das Wort, das der erhöhte Herr selber ist, einwohnt und so den alten Adam tötet. So kann Osiander sogar sagen: »die feyer machen ainigkait zwischen Gott und unß,«31 Die Betonung der Effektivität der Rechtfertigung verleiht dem leiblichen Tod eine noch größere Heilsbedeutung, als dies bei Luther der Fall ist. 32 Dabei greift er auch auf das Motiv des Grabessabbats Christi zurück. »Derhalben ist Christus gestorben / das er uns zeiget / das wir durch den Tod der vergebenen Sünden abkomen / und wir sind auch mit gecreutziget / das ist / eben als spreche der Vater [...] Also auch jr / jr werdet nicht besser sein / dan mein Son / ob gleich die Sünde vergeben ist / so ist sie doch noch in euch / und könt jr nicht los werden / jr gehet dan den weg / den mein Son gegangen ist / das ist / jr müsset sterben. Das ist es / das er spricht / Das unser alter mensch mit jm gecreutziget ist. Wie Christus ist gestorben / und den Sabbat über im grab geblieben / und die feiren gehalten / Also müssen wir auch sterben / und im tod lernen den Sabbat halten / und von den Sünden feiren / dan do höret der Sündlich leib auff.«33 Osiander interessiert sich in erster Linie für diesen Grabes- und Todessabbat und nicht für den Sabbat als ein Bild für die Ruhe. Der Todessabbat ist ein Bild für die vollendete Rechtfertigung. »Dan eins todten Christen hertz [...] helt ein rechten Sabbath im grab mit Christo und ist allerding ledig von allen

welchen wir die gantzen meinung unser Gerechtfertigung verstehen künnen / Dan gerechtfertigen heist eigentlich / den menschen von sünden freien / das er kein Sünde mehr habe / sonder an der stad der Sünde Gerechtigkeit habe / Die gerechtfertigung hebt an im menschen / wan er anfehet zu gleuben / und wirt volendt / wan er gestorben ist. Daraus sehen wir / was da heisse Gerechtfertigen.« (Predigt über Rom 6 vom 29. Dez. 1551, Biir - Bibl. Osiandrica Nr. 73); »Daraus sehet jr das Gerechtfertigen heist / die Sünde aus fegen und die Gerechtigkeit wider geben«. (Ebd. Biiv); vgl. Osiander, GA 8,70,24-30 (Leichenpredigt für Pfalzgräfin Susanna, 1543). 30 Vgl. z.B. Osiander, GA 8,70,2f (Leichenpredigt). 31 Osiander, GA 7,373,14 (Hervorhebung von mir, J.K.). 32 »Das leiblich absterben aber ist, wan die seel vom leib abscheidet und der leib da tod ligt, begraben wirt und erfaulet, wie wir alle wissen. Das aber der leib durch das leiblich sterben der sünde auch gantz und gar absterbe und darvon gereinigt werd, ist offenlich am tag und kans kein vernünftiger mensch widersprechen.« (Osiander, GA 8,72,31-34; Leichenpredigt); dieses Zitat offenbart auch die eigenartige Rationalität des Osiandrischen Denkens. 33 Predigt vom 29. Dez. 1551, Aiiiiv-Bir.

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sündlichen bewegungen und neigungen«.34 In Osianders effektivem Rechtfertigungsverständnis gerät der Sabbat ganz unter den Blickwinkel des 'mit Christus begraben sein' aus Rom 6,4.

7.2. Calvin

Bei Johannes Calvin kommt die genuin reformatorische Sabbatdeutung wieder voll zur Geltung. Die Feier von allem, was dem sündigen Menschen eigen ist, von seinem Sinnen und Trachten, von seinem Wollen und Wirken, mithin die abnegatio sui firmiert unter der anthropologischen Seite des reformatorischen Heiligungsverständnisses. Nichts vermag dies besser auszudrücken als der Sabbat. Dieser Skopus dominiert nicht nur die Erklärung des vierten Gebots, die Calvin seit 1539 in der Institutio und seit 1542 etwas kürzer im Genfer Katechismus darlegt 35 , er bildet auch das Zentrum der Schriftauslegung Calvins überall dort, wo der Sabbat in der Schrift genannt wird. Gleichwohl verdrängt die Dominanz der geistlichen Sabbatdeutung nicht das Feiertagsgebot und dessen Konzentration in der Arbeitsruhe und dem Gottesdienst unter dem Wort; auch die Sabbat-Sonntag-Frage wird von Calvin nicht übergangen. Die Erklärung des vierten Gebots zeichnet sich durch die systematische Durchdringung aus, mit der diese verschiedenen Gesichtspunkte aufeinander abgestimmt und zu einer Einheit integriert werden. 36 Wie in anderen Punkten so konnte Calvin auch hier die Erträge reformatorischer Lehrbildungen, die vornehmlich Luther in der steten Abgrenzung gegen unterschiedliche Fronten erkämpft hatte, zusammentragen, ohne dessen oft unvermeidliche Einseitigkeiten und Engführungen nachzubilden. Ein Karlstadt konnte den Genfer Re34

Osiander, GA 8,72,34-73,3 (Leichenpredigt). Denn »wir haben [in der Taufe] in den Tod verwilliget / das ist eben so viel / als legen wir mit Christo im grabe / wir müssen aber nicht im grabe bleiben / sondern mit jm wider auff erstehen« (Predigt vom 28. Dez. 1551, Biir - Bibl. Osiandrica Nr. 75). Den Zusammenhang des geistlichen (Grabes-) Sabbats mit der eigenwilligen Tauftheologie Osianders entfaltet BACHMANN, System der Alleinwirksamkeit, S. 304-309.336-339.348f. 35 Calvin, Inst. 11,8,28-34 (OS 3,370,23-376,24); Genfer Kat., Frage 166-184 (OS 2,102,1-104,21); vgl. auch die Auslegung des vierten Gebots aus den 'Mosis reliqui libri quatuor in formam harmoniae' von 1563 (Calvini Opera 24,575-602). 36 Bei der Gebotsauslegung findet sich die geistliche Deutung: Inst. 11,8,29-31; Genfer Kat., Fr. 172-177.182.184; 'Mosis reliqui libri' (Calvini Opera 24,577f) die Erklärung als Feiertagsgebot: Inst. 11,8,32; Genfer Kat., Fr. 178-180.183; 'Mosis reliqui libri' (Calvini Opera 24,579f) - die Sabbat-Sonntag-Frage wird behandelt: Inst. 11,8,33-34; Genfer Kat., Fr. 168f. 181.

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formator nicht mehr von der geistlichen Sabbatdeutung abschrecken. Jedoch nicht nur dem Vorteil der zweiten Generation und dem systematischen Talent Calvins, sondern auch dem gegenüber Luther eigenständigen Profil seiner Theologie verdankt diese Sabbatdeutung ihre Ausgewogenheit.37 Gerade beim Sabbatverständnis scheint sich nämlich zu bewähren, daß Calvin sowohl die heilsgeschichtliche Bedeutung des Gesetzes - das Gesetz unter dem Zeichen des Bundes 38 - als auch dessen Funktion im Kontext der Heiligung usus legis in renatis - durchreflektiert hat. So kann das alttestamentliche Zeremonialgesetz figurativ ausgelegt werden, ohne auf Schwenckfelds Weg einer abgehobenen Geschichtslosigkeit zu geraten. Die Einbettung dieser Auslegung in die Bundestheologie, die nichts anderes als eine dezidierte Heilsgeschichte ist 39 , verhindert spiritualistische Tendenzen. Das Figurative des Gesetzes im Alten Bund wurde im Neuen Bund erfüllt, die Figur ist damit bewährt, aufgehoben und bewahrt, aber eben nur als Figur 40 ; sie behält einen hermeneutisch heuristischen Wert 41 , jedoch nicht einen moralischen. Die Geltung des Gesetzes im Zusammenhang der Heiligung bezieht sich indes einzig auf die lex moralis. 42 Die zeremoniellen Momente müssen außen vor bleiben. So ist auch die Gefahr der Gesetzlichkeit abgewehrt, der sich Karlstadts Sabbatlehre aussetzte. Eine Interpretation des Alten Testaments, die strikt am christozentrischen Konzept einer Bundestheologie orientiert ist, bedarf keiner Hermeneutik des alttestamentlichen Gesetzes, wie sie Luther formuliert hat, um sich gegen den Legalismus abzusichern. Luther wollte ja den jüdischen 'Sachsenspiegel' nur 37

Wie sehr Calvins Sabbatverständnis von der Systematik seiner Theologie profitiert, zeigt die Dissertation von CHEUNG, The Sabbath in Calvin's Theology. Diese Arbeit erhebt jedoch Calvins Sabbatverständnis nicht induktiv aus den Quellen, sondern deduziert es nach einem von außen herangetragenen lokalmethodischen Aufriß. Da zudem der Blick auf andere Sabbatdeutungen der Reformation, aber auch der Epochen davor oberflächlich und zum Teil (vor allem bei Luther) verschwommen ist, vermittelt die Arbeit in zweierlei Hinsicht ein falsches Bild: Sie insinuiert zum einen, Calvin habe die verschiedenen Deutungstypen eigenständig herausgearbeitet, indem sie verkennt, daß er sie nur zusammengetragen hat, und sie erweckt zum anderen den Eindruck, als gipfele Calvins Theologie in seiner Lehre vom Sabbat. Durch den einseitigen und unsachgemäßen systematischen Ansatz verzeichnet CHEUNGS Arbeit mithin Bedeutung und Herkunft von Calvins Sabbatverständnis. 38 Siehe dazu WOLF, Einheit, S. 9-67; WOLF arbeitet Calvins bundestheologisches Verständnis heraus einerseits gegen eine Interpretation im Sinne der religionsgeschichtlichen Entwicklung, andererseits gegen den Vorwurf einer Auflösung der Historizität der Inkarnation. 39 Calvin, OS 3,326,30-34 (Inst. 11,7,1). 40 Calvin, Inst. 11,7,16; 11,11,4. Siehe dazu WOLF, Einheit, S. 77-80. 41 Vgl. WOLF, Einheit, S. 128. 42 Calvin, Inst. 11,7,12-14.

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aus dem Bereich von Rechtfertigung und Heiligung fernhalten. Sachlich stimmt Calvin damit durchaus überein, ohne jedoch Luthers Spitzensätze zu übernehmen. Zwar begreift der Genfer Reformator anders als der Wittenberger das ganze Gesetz als Bestätigung des Gnadenbundes43, aber da der Bund durch und seit Christus in einer neuen und alles überbietenden Qualität bekräftigt worden ist, beansprucht das Gesetz des Alten Bundes auch für Calvin keine unmittelbare Normativität im Hinblick auf Rechtfertigung und Heiligung. 44 Die entfaltete Lehre vom 'usus legis in renatis' 45 intendiert in dieser Hinsicht kaum anderes als Luthers 'usus puerilis praeceptorum' und 'usus spiritualis' oder 'practicus Evangelii'. 46 Auch Calvin denkt hierbei primär an einen mit dem Naturrecht kompatiblen Dekalog 47 und unterscheidet davon deutlich die zeremoniellen Bestandteile des Gesetzes. 48 Diese legt er freilich viel unbefangener figurativ aus als der ältere Luther in seiner Angst vor dem legalistischen Mißverständnis, aber das führt bei Calvin eben nicht zu einer Verwischung des Unterschieds zwischen Figur und Gebot. Aus diesen Vorüberlegungen erhellt, daß Calvin keine reformatorischen Grundsätze infrage stellen mußte, wenn er trotz Luthers Kurskorrektur die geistliche Sabbatdeutung hochhält. Tatsächlich bildet sie denn auch das Zentrum seines Sabbatverständnisses. Der Sabbat ist vor allem eine Figur, die die Feier von den eigenen Werken im Sinne der mortificatio carnis bezeichnet als einer Entsprechung zur Initiative des göttlichen Wirkens unter der Leitung des Geistes49; der Sabbat bildet die anthropologische Konstitution des reformatorischen Heiligungsverständnisses ab. Diese geläufige Interpretation bezieht Calvin nun auch ausdrücklich auf den Alten Bund. Nicht nur den Christen, sondern auch den Frommen des Alten Bundes bedeutete der Sabbat das Geheimnis des wahren Gottesdienstes, nämlich die Heiligung, die die Propheten anmahnten, wenn sie an den Sabbat erinnerten. Gott gab schon Israel den Sabbat, um es auf die Tötung des Fleisches, auf das Ablassen vom eigenen Willen und auf die Ruhe der eigenen Werke hinzuweisen, denn dies war auch im Alten Bund die Bedingung dafür, daß 43

Siehe dazu

WOLF,

Einheit, S. 50.81f;

NIESEL,

Die Theologie Calvins, S. 88-

90.

44

In diesem Kontext kommt das Gesetz einzig in seiner Funktion im sog. usus elenchticus in den Blick und zwar wie bei Luther als lex naturalis; vgl. Inst. 11,7,3; 11,7,6-9; 11,2,22 und NIESEL, Die Theologie Calvins, S. 97-101. 45 Inst. 11,7,12f. 46 Siehe zu Luther: PETERS, Kommentar, Bd. 1, S. 136, und zu Calvin: W O L F , Einheit, S. 50-52. 47 Inst. 11,8,1. 48 Inst. 11,7,16. 49 Genfer Kat., Fr. 172-174 (Calvin OS 2,102,25-103,3); Inst. 11,8,31.34 (OS 3,373,9f; 375,36-376,1); 'Mosis reliqui libri' (Calvini Opera 24,577).

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Gott allein in Israel wirkt. 50 Ja sogar der Schöpfungssabbat zielt im Kern auf die geistliche Ruhe und die mortificatio carnis; er beansprucht darin eine universale, nicht nur eine auf Israel bezogene Relevanz. 51 Obwohl Begriffe wie abnegatio sui und quies spiritualis auf das Gebiet der Mystik weisen, ist es Calvin nicht um eine totale Passivität zu tun. Die Feier von den eigenen Werken wird mit dem Vollzug der göttlichen Werke und der Gebote konfrontiert. Gewisse Zeremonien wie die Beschneidung und die Opfer waren Israel am Sabbat durchaus geboten. 52 Die allegorische Sabbatdeutung ist bei Calvin eingebettet in die figurative Auslegung des gesamten Gesetzes im Alten Bund. Durch die Betonung, daß das Verhältnis von Sabbatruhe und Heiligung dasjenige der Analogie ist, beugt Calvin dem legalistischen Mißverständnis vor, als verlange die geistliche Deutung doch wieder ein spezifisches Feiertagsverhalten: »Si sanctificatio nostra propriae voluntatis mortificatione constat, iam si profert aptissima signi externi cum re ipsa interiori analogia.«53 Auch die Kategorie des Symbols und die rhetorische Figur der Synekdoche können den Zusammenhang von Sabbat und Heiligung bezeichnen. 54 All dies belegt jedenfalls das Bemühen Calvins, den metaphorischen Charakter des Sabbats im Kontext der Heiligung zu unterstreichen. Da die geistliche Ruhe als tägliche und fortwährende verstanden werden muß, ist es nicht damit getan, sie am Feiertag einzuüben oder zu exemplifizieren. Der Sabbat »repräsentiert« bloß die anthropologische Struktur der Heiligung, er wirkt sie aber nicht. 55 50

»Deus enim externam caeremoniam non moratur, nec delectatur otio nostro: sed seriam nostri abnegationem exigit, ut totos sibi addictos teneat.« (Kommentar zu Jes 56,2 - Calvini Opera 37,295); ebenso Inst. II,8,29f (Calvin, OS 3,371,15372,20); Kommentar zu Jes 58,13 (Calvini Opera 37,334); Kommentar zu Jer 17,22 (Calvini Opera 38,287). 51 Kommentar zu Gen 2,3 (Calvini Opera 23,33). 52 »Neque enim vetiti sunt sine exceptione quidquam operis aggredi, quia et parvulos curcumcidere, et victimas adducere in atrium, et sacrificia offerre ilio die oportuit: sed tantum revocati sunt a suis operibus, ut tanquam sibi et mundo mortui, penitus se Deo addicerent.« (Calvini Opera 24,577); vgl. den Kommentar zu Jer 17,22 (Calvini Opera 38,287); zu Joh 5,17; 7,22 und 9,15 (Calvini Opera 47,111.173.223); zu Mt 12,5 (Calvini Opera 45,324). 53 Calvin, OS 3,372,8-10 (Inst. 11,8,29). 54 »Porro quia sabbatum [...] praecipuum divini cultus symbolum erat: ideo per synecdochen omnia pietatis exercitia sub se continet.« (Kommentar zu Jes 56,2 Calvini Opera 37,295); »Utroque loco [Ex 31,13; Ez 20,12] admonet cur praeceperit Iudaeis feriari die septimo, nempe ut hoc esset illis symbolum sanctificationis.« (Kommentar zu Jer 17,22 - Calvini Opera 38,287). 55 »Peipetuam istam cessationem Iudaeis repraesentabat unius diei ex septenis observatio« (Calvin, OS 3,372,16f - Inst. 11,8,30); vgl. Kommentar zu Jes 66,23 (Calvini (¿era 37,453f).

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Die in der Analogie bedachte Differenz zwischen Sabbat-Allegorie und Feiertagsgebot erlaubt es Calvin auch, die Linien der Sabbatdeutung protologisch zum Schöpfungssabbat und eschatologisch zum ewigen Sabbat hin auszuziehen. Die Siebenerzahl kann man als Zahl der Vollendung sowohl von der Schöpfung herkommend als Hinweis auf die Beständigkeit des Glaubens deuten 56 - der Aspekt des 'schon jetzt' - wie auch im Hinblick auf die Verheißung der ewigen Ruhe (Hebr 4,1-11; Jes 66,23; l.Kor 15,28) als Hinweis auf die Unvollkommenheit der Heiligung in diesem Fleischesleben ansehen 57 - der Aspekt des 'noch nicht'. Diese Auslegungen sind aber wie alle Allegorien Angebote und Möglichkeiten; Calvin besteht nicht auf ihnen, solange der Hauptpunkt festgehalten wird: »Parum enim interest: modo mysterium, quod praecipue delineatur, maneat, de perpetua nostrorum operum quiete.«58 Calvin kann dem geistlichen Sabbat deshalb ein so großes Gewicht einräumen, weil von vornherein feststeht, daß die schattenhaften Vorausbildungen in den Zeremonien in Christus erfüllt und damit als Zeremonien aufgehoben sind. Der Vollzug des Sabbats ist obsolet geworden 59 , in seiner Bedeutung indes bleibt er relevant. Die Heiligung besonderer Tage, die in irgendeiner Weise an die Bedeutung des geistlichen Sabbats anknüpfte, würde nicht nur gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Tage verstoßen 60 ; sie würde vor allem verkennen, daß es Götzendienst wäre, an den Figuren und 'Schatten' zu hängen, nachdem die

Wenn Calvin gelegentlich doch den Feiertag als eine Einübung in die geistliche Ruhe begreift (Inst. 11,8,31 - Calvin, OS 3,373,1-8; Kommentar zu Mk 2,24 - Calvini Opera 45,324) - eine Deutung, die in die Richtung von Karlstadts Sabbatlehre geht -, dann gilt dies nur für den Sabbat im Alten Bund und nicht für die Christen wie bei Karlstadt. 56 Calvin, OS 3,372,20-26 (Inst. 11,8,30); Calvini Opera 24,578 ('Mosis reliqui libri quatuor in formam harmoniae', zum 4. Gebot). 57 Calvin, OS 3,372,26-37 (Inst. 11,8,30); Calvini Opera 24,578f. 58 Calvin, OS 3,373,8-10 (Inst. 11,8,31). 59 Die Aufhebung des äußerlichen Sabbats sieht Calvin allerdings noch nicht mit den Sabbatkonflikten zwischen Jesus und den Pharisäern gegeben; etwa das Diktum aus Mk 2,27 begreift er als Bestätigung, nicht als Aufhebung des zeremoniellen Sabbats durch Jesus. Punktuell zusammengefaßt sieht Calvin die Abrogation der alttestamentlichen Zeremonien erst im Zerreißen des Tempelvorhangs, vgl. die Auslegung von Mk 2,27 (Calvini Opera 45,326); Inst.11,7,16 (OS 3,341,12f) und WOLF, Einheit, S. 78. 60 Calvin, OS 3,376,7-21 (Inst. 11,8,34). Wie Melanchthon in CA 28 wendet sich Calvin hier gegen die mittelalterliche Tendenz, die christlichen Feiertage mittels Analogie aus dem Alten Testament herzuleiten, wobei sich die zeremonielle Komponente nur auf das Datum bzw. den Wochentag bezieht. Vgl. den Kommentar zu Gal 4,10 (Calvini Opera 50,230) und zu Kol 2,16 (Calvini Opera 52,110).

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Wahrheit, die sie abbildeten, Jesus Christus, offenbar geworden ist. 61 »Ipse, inquam, verum sabbathi complementum.«62 Gerade die Einsicht, daß der Vollzug der Zeremonien des Alten Bundes durch ihre Erfüllung in Christus außer Kraft gesetzt ist, ermöglicht Calvin erst den unbefangenen Umgang mit der geistlichen Sabbatdeutung. Daß der alttestamentliche Sabbat rein signifikative und nicht auch normative Bedeutung hat, zeigt sich auch daran, daß Calvin den Sonntag nicht allein mit der Auferstehung des Herrn begründet, sondern die apostolische Substitution des Sabbats durch den Herrentag als bewußtes Zeichen christlicher Freiheit von jüdischen Zeremonialsatzungen sieht. 63 Gerade wegen dieser Freiheit kann die paulinische Verurteilung des die Gewissen verstrickenden Dienstes an den Elementen nicht auf den Sonntag bezogen werden. Vielmehr kommt der Sonntag durch Konvention zustande, er unterliegt der Ordnungsgewalt der Gemeinde und kann daher nötigenfalls auf einen anderen Wochentag verlegt werden. 64 Den Sonntag und den christlichen Feiertag stellt Calvin also unter die gleiche Norm der christlichen Freiheit, wie sie sich im reformatorischen Lager seit Luthers Katechismen und dem Augsburger Bekenntnis als die zentrale Begründungsstruktur in dieser Frage etablieren konnte. Dessenungeachtet führt dies nicht zu den Engführungen, die der Wittenberger der lutherischen Tradition vermacht hat. Ohne die grundlegenden reformatorischen Errungenschaften in der Lehre von der Rechtfertigung und Heiligung zu gefährden, kann Calvin die geistliche Sabbatdeutung übernehmen und integrieren, weil er sie wie überhaupt jede Allegorie - durch eine reflektierte heilsgeschichtliche Hermeneutik untermauert. Diese Hermeneutik sichert die Unterscheidung von Zeichen und Norm ebenso, wie sie die Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium auch in materialer Hinsicht gewährleistet - und nicht nur in gleichsam formaler Hinsicht im Sinne einer theologischen Grundstruktur wie bei Luther. Nicht nur die Verheißungen des Alten Testaments, sondern auch das Gesetz des Alten Bundes gilt Calvin als Bezeugung der Gnade Gottes, die in Christus in vollkommenerer Weise offenbar geworden ist, aber eben nur insofern auch dieses Gesetz auf Christus hinweist. Darin liegt letztlich die bleibende signifikatorische Bedeutung des Sabbats, während seine zeremonielle Bedeutung, also die Heiligkeit eines besonderen Tages, aufgehoben ist.

61

Calvin, OS 3,373,17-30 (Inst. 11,8,31); Kommentar zu Kol 2,17 (Calvini Opera 52,110). 62 Calvin, OS 3,373,2lf. 63 Calvin, OS 3,375,25-30 (Inst. 11,8,34). Dies ist besonders nach 1530 ein allgemein geläufiges Argument, vgl. oben S. 166. 64 Calvin, OS 3,374,28-375,19.30-34 (Inst. II,8,33f).

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Daß es unabhängig davon noch eines Feiertages bedarf um des Gottesdienstes und der Arbeitsruhe willen, das unterscheidet Calvin von Schwenckfeld bei allen Parallelen in bezug auf den geistlichen Sabbat. Der ewige Sabbat ist eben noch nicht angebrochen. Darum unterliegt Calvins Sabbatdeutung nicht dem spiritualistischen Mißverständnis. Das Feiertagsgebot bleibt bei ihm in Geltung. Andererseits unterliegt Calvin auch nicht dem legalistischen Mißverständnis der Deutung Karlstadts, denn es würde auf eine Verleugnung von Christi Tod und Auferstehung hinauslaufen, wenn man aus den Abbildern und schattenhaften Verheißungen des Alten Bundes in irgendeiner Form eine normative Funktion im Zusammenhang der Heiligung ableitete. 65

7.3. Die oberdeutschen Gebiete

In diesen Regionen konnte sich die geistliche Sabbatdeutung weit besser behaupten als in den lutherischen. Auch präsentiert sich die Auslegung des Sabbatgebots hier zumeist facettenreicher als dort. Die Konzentration auf das Wort und die Zeremonien verdrängt nicht die übrigen Aspekte. Bucer geht in seinem großen Katechismus von 1534 die einzelnen Verse des alttestamentlichen Sabbatgebots in der Exodus-Fassung zunächst der Reihe nach durch. Das Heiligen des Sabbats zielt auf die Ruhe von den leiblichen Geschäften, um die Teilnahme am Gottesdienst zu ermöglichen. 66 Ex 20,9 nimmt Bucer zum Anlaß, eine kleine Arbeits- und Berufslehre einzufügen 67 , um dann am folgenden Vers den sozialen Aspekt zu entfalten. 68 Der ewige Sabbat wird zu Ex 20,11 angesprochen. 69 Diesem exegetischen Teil folgt ein systematischer, der sich zuerst der Sabbat-Sonntag-Frage widmet. Der Sonntag wird im Gedächtnis der Auferstehung Christi, sodann auch als Zeichen der MÜLLER, Sabbat, behandelt Calvins Sabbatverständnis auf immerhin 30 Seiten (S. 62-91), ohne allerdings die entscheidende Leistung der heilsgeschichtlichen Hermeneutik für die geistliche Sabbatdeutung herauszuarbeiten und die dadurch entstehenden Unterschiede zu Karlstadt und zu Luther zu benennen, bei dem ihm die Veränderung der Sabbatdeutung überhaupt entgangen ist (vgl. oben S. 134, Anm. 88). Der Zusammenhang mit Calvins bundestheologischer Hermeneutik wird bei WOLF, Einheit, S. 84-86, in dem kleinen Abschnitt zum Sabbatgebot viel deutlicher. 66 Bucer, DS 6,3,118,28-119,14. 67 Ebd. 119,14-120,13. Vgl. den Katechismus von 1543 (Bucer, DS 6,3,240,2931). 68 Ebd. 120,13-28. 69 Ebd. 120,28-121,4. Ebenso in den Katechismen von 1537 und 1543 (Bucer, DS 6,3,214,32-217,2; 240,31-35). 65

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christlichen Freiheit vom jüdischen Zeremonialgesetz gefeiert. 70 Bucer bemüht sich um Schriftzeugnisse für den Sonntag71, was bei den übrigen Reformatoren keineswegs üblich ist. Die geistliche Deutung wird nur kurz angerissen. Der alttestamentliche Sabbat bedeutet ein 'Sich Gott ergeben', was Bucer jedoch als Ruhe der Sündenwerke auf das moralische Moment begrenzt. 72 Auch im Hinblick auf seine früheren Schriften 73 kann dem Straßburger Reformator attestiert werden, daß er den geistlichen Sabbat zwar kennt, aber an ihm desto weniger interessiert ist, je vehementer er im Rahmen der Kirchenzucht auf eine äußerliche Sonntagsheiligung drängt. 74 Jedoch schon im Katechismus seines Kollegen Matthäus Zell von 1537 gewinnt der geistliche Sabbat mehr Gewicht. 75 Zell differenziert sowohl beim Sabbatgebot wie auch bei der Sabbatheiligung jeweils eine leibliche und eine geistliche Komponente. Die leibliche des Sabbatgebots zielt auf die Arbeitsruhe, während die geistliche die Betrachtung der Werke der Schöpfung, der Erlösung - Zell verweist dabei auf die Grabesruhe Christi - und der Seligmachung im ewigen Sabbat intendiert. Die leibliche Übung der Sabbatheiligung besteht im Hören des Wortes, im Gottesdienst und den Werken der Nächstenliebe. Die Einwilligung ins Tragen des Kreuzes und in die dritte VaterunserBitte begreift Zell als die geistliche Übung der Sabbatheiligung, die der geist70

Ebd. 121,11-122,3; 123,5-14; so auch in 'De regno Christi' 1,11 (Bucer, OL 15,82). 71 Er nennt 1. Kor 16,2 und Mt 28,1 par.; Apk 1,10 fehlt, ferner verweist er auf Chrysostomus (ebd. 122,3-12). 72 Ebd. 122,17-27. Im Katechismus von 1543 wird auch dies Wenige noch reduziert auf ein 'Sich Gott anvertrauen' (Bucer, DS 6,3,240,35f). Im großen Katechismus von 1534 behandelt Bucer zum vierten Gebot auch ausführlich die Feiertagsund Fastenfrage (Bucer, DS 6,3,123,15-127,32). 73 Vgl. oben S. 107. 74 Die Einschärfung einer recht rigiden Sonntagsheiligung und -ruhe, die sich keineswegs bloß mit der Ermahnung zum Gottesdienstbesuch begnügt, ist für Bucer nicht nur eine Aufgabe der christlichen Unterweisung, sondern vor allem eine Angelegenheit der magistralen Kirchenordnung. Die Straßburger Ordnung von 1534 betraut die Kirchspielpfleger mit der Überwachung der Sonntagsheiligung (Bucer, DS 5,35,7-38,19) und führt darin nur das aus, was Bucer bereits 1532 in seiner Eingabe an den Rat, 'Von Mangel der Religion' gefordert hat (Bucer, DS 4,453,24455,7; vgl. die Kasseler Ordnung, Bucer, DS 7,293,22-294,16). Die Sorge um eine würdige Begehung des Sonntags hat Bucer dann auch nach England getragen. Wie schon in den kontinentalen Ordnungen, so wird auch in 'De regno Christi' der Gottesdienst als Zentrum des Sonntags von allerlei prohibitiven Maßnahmen flankiert ('De regno Christi' 1,11; 11,10 - Bucer, OL 15,80f; 114-116); sie dürften entscheidend zur Herausbildung des spezifisch englischen Sonntags, der kaum mehr unter der Maxime der christlichen Freiheit firmiert, beigetragen haben. 75 Die Erklärung des vierten Gebots: REU, Quellen 1,132,3-133,4.

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liehen Bedeutung des Sabbats, nämlich der Feier des Eigenwillens und der geduldigen Fügung in Kreuz und Leid als Bereitung zum ewigen Sabbat, entspricht.76 Zell spricht nicht vom Feiertag, sondern durchweg vom Sabbat; auf die Frage: »Was ists für ein tag?« antwortet er: »Bey den Juden wars der sambstag, bey vns Christen ists der Sontag, auß vrsachen also verwandlet«77, ohne diese Gründe jedoch zu nennen. Die Vollgestalt der geistlichen Deutung, also samt dem mortificatio-Aspekt und dem 'Gott in sich wirken lassen', bietet auch der ostfriesische Katechismus von 1546 zum 'inwendigen' Sabbat78, während der Katechismus, den Wolf gang Musculus 1545 für Donauwörth zusammengestellt hat, den »continuus sabbathismus« mehr auf der altkirchlich moralischen Ebene der Heiligung sieht.79 Der deutschen Gemeinde in London wird 1552 durch den Katechismus von Martin Mikronius der Sabbat so erklärt, daß wir »den Heere doer sinen gheest in ons laten wercken«.80 Auch das Erlauthaler Bekenntnis (1562) nennt zum vierten Gebot den geistlichen Sabbat.81 Der Heidelberger Katechismus (1563) stellt neben der Erhaltung von Gottesdienst und Lehre den geistlichen Sabbat als Anfang des ewigen: »Zum andern, daß ich alle tage meines lebens von meinen bösen wercken feiere, den Herren durch seinen Geist in mir wircken lasse, und also den ewigen Sabbath in diesem leben anfang.«82 Die reformierten Äußerungen orientieren sich mindestens seit den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts an Calvin. Wo immer wir auf den 'geistlichen' Sabbat gestoßen sind, konnte er bisher mühelos als ein Widerhall der Ausführungen Luthers vernommen werden. Spuren, die auf Karlstadt zurückweisen, konnten wir dagegen bislang noch nicht freilegen. Daß sie weit seltener sind, als die Spuren Luthers, versteht sich von selbst. Doch spurlos ist auch Karlstadts Sabbatdeutung nicht an der

76

»Dz wir von vnserem eygnen fleyschlichen, bößen willen, fürnemen vnd thun gleich müssig standen vnd feiren, darzu dem Herren gleich still halten durch gedult im creütz, leiden vnd allerhand trübsal, die er über vns verhenget, vns damit zu bereyten, das wir des ewigen sabbaths vnd rüg inn dem hymmelreich entpfenglich werden mögen.« (Ebd. 1 3 2 , 2 8 - 3 2 ) . 77

Ebd. 132,4-6. REU, Quellen 3 , 2 , 1 1 1 2 , 1 1 - 3 3 . Der Emdener Katechismus ( 1 5 5 4 ) erwähnt den geistlichen Sabbat dagegen nicht (MÜLLER, BSRK 6 6 9 , 3 - 1 0 ) . 79 REU, Quellen 3 , 2 , 1 6 6 7 , 3 5 - 4 8 . 80 REU, Quellen 3 , 2 , 1 1 5 2 , 1 1 - 1 3 . 81 MÜLLER, BSRK 3 7 1 , 4 - 1 4 . 82 Heidelberger Kat., Fr. 103 (MÜLLER, BSRK 7 1 2 , 3 - 5 ) . Später hat Olevian al78

lerdings im Katechismus für die Grafschaft Wittgenstein auf die geistliche Deutung verzichtet (vgl. REU, Quellen 3 , 2 , 1 3 1 5 , 1 - 2 1 ) .

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Geschichte vorübergegangen. Bei Sebastian Franck wird man fündig. Darauf ist an dieser Stelle noch einzugehen. In seiner Sprichwortsammlung von 154183 kommt Franck zu dem Sprichwort »Sustine & abstine. Leid und meid« auf den Sabbat zu sprechen. 84 Das Sprichwort gilt ihm als die Summe aller Philosophien wie auch der drei christlichen Hauptstücke, nämlich Christus, Glaube und Liebe, sowie des ersten Gebots und des Doppelgebots der Liebe. All dies konzentriert sich aber auch im Sabbat: »Halt Got den sabbath / leid und meid.« Daß Franck bei einem Sprichwort mit dem Stichwort 'leiden' an den Sabbat denkt, ist auf Karlstadts Sabbattraktat zurückzuführen. »Wann ich dann Gottes werck leid / ich Gottes sabbath halt / Got feire / hin und still halt / und darnach des fleyschs werck / willen und affect meid / laß / haß / was kan man mich weiter leren?« 85 Die zentrale Stellung, die Karlstadt dem Sabbat im Gefüge seiner späten Theologie im Rückgriff auf mystische Konnotationen zumaß, blitzt bei Franck wieder auf. Ebenso verrät die Verknüpfung von Sabbat und Beschneidung, daß sich Francks Sabbatverständnis Karlstadt verdankt. Bei dem Sprichwort »Summum ius, summa iniuria« problematisiert Franck das Verhältnis von Geist und Buchstabe bei Gesetzen. Dabei greift er zur Verdeutlichung auf das Sabbatgebot und das Gebot der Beschneidung zurück: »Nimm ein ander exempel / Got hat den Sabbath an vil orten so streng unnd hefftig gebotten zu feyren [...] Item die beschneidung [...] Christus sihet Got ins hertz / und findt da / daß er die feire / unnd die beschneidung des hertzens on hend meyn / dz wir an hertz / niern und mund beschnitten / von all unsern wercken / willen und gdancken feirn und abstehn / dz Gott sein war werck in uns hab. [...] sonder dz unser hertz jm sol stillhalten und feirn. Da wirt dann Christus ein her des sabbaths / bricht dennach den buchstaben / und thut wider den text des gsetzs«.86 Schon Karlstadt stellte die Feier des Sabbats als Herzensbeschneidung dar. 87 Seine Sabbatdeutung wird von Sebastian Franck tradiert. Dabei übernimmt er nicht nur einzelne inhaltliche Momente, sondern überhaupt die grundlegende Bedeutung, die dem Sabbat in Karlstadts später Theologie zukommt. Denn wie für diesen scheint auch für Franck die Sabbat-Chiffre zu den wenigen Theologumena zu gehören, die das Elementare christlicher Lehre und christlichen Lebens ausdrücken. Franck bringt nämlich den Sabbat nicht gelegentlich ins 83

Zu ihr, besonders zu ihrer Konzeption, siehe BAUER, Die Philosophie des Sprichworts bei Sebastian Franck. 84 Franck, Sprichwörter, Teil II, Bl. 133v-134v. 85 Ebd. Teil II, Bl. 134r. »Diß leiden und hinhalten ist der recht Got wolgefellig Sabbath / Esai.58. Eccl.17.18. der recht glaub Christus / Moses und all propheten / was wilt mehr?« (Ebd. Teil II, Bl. 134v). Zu Karlstadt vgl. oben S. 76 und 78. 86 Ebd., Teil II, Bl. 190r; vgl. Teil II, Bl. 25r. 87 Vgl. oben S. 76f und KS 1,40,24-27.

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Spiel, sondern an prononcierter Stelle: Gerade bei den Sprichwörtern »Sustine & abstine« und »Summum ius, summa iniuria« liefert er innerhalb der Sprichwortsammlung das Wesentliche seiner Anschauungen88, und gerade hier erinnert er auch an den Sabbat. Im dritten Kronbüchlein von 1534 (»Von dem Bawm deß wißens Guotz vnd böß«) markiert der Sabbat als Chiffre für die annihilatio die anthropologische Seite der Wiedergeburt: Nur wer vor Gott vollkommen passiv ist, kann die Wiedergeburt erfahren; weil Gott aus dem Nichts schafft, kann nur der Mensch, der zu nichts geworden ist, neu geschaffen werden. Der Mensch im Sabbat ist der für die Wiedergeburt bereite Mensch. 89 Wie für Karlstadt tritt auch bei Franck der Sabbat aus dem katechetischen Kontext des Dekalogs heraus und gewinnt eine kategoriale Dimension im Rahmen der Anthropologie. Jedoch ist der Sabbat bei Franck schon zu einem Topos verflacht. Er ist nur noch ein Interpretament. Franck scheint im Halten des Feiertags kein exemplarisches Erfahrungsfeld mehr zu sehen, wie wir es bei Karlstadt kennengelernt haben. 90

7.4. Das Sabbatgebot in katholischen Katechismen des 16. Jahrhunderts

Auch mancher katholische Katechismus, den die Reformationszeit hervorgebracht hat, orientiert die Erklärung des Dekalogs und des dritten Gebots 88

Darauf macht B A U E R , Die Philosophie des Sprichworts bei Sebastian Franck, S. 209.218-221, aufmerksam. 89 »Wer noch nit nicht ist / der gedenck jm nit / das etwas aus jm werde. Darumb halt gott hin / vnd lige stil / wie ain bloch / als du zuo der ersten geburt than hast / Laß gott machen / fast / feyer / vnd ruow [Marginalie: Christlicher sabbath was.] / thuo also gar nicht / das du dich auch nicht lassest gelüsten des Baums [...] oder etwas zuo sein gedenckest / wie das gesatz wil haben / vnd nit auffhört zuofluochen / biß es vns in disen Sabbath bringt / gar hinunder. Das wir eben so wenig zuo der widergeburt thuon / als zuo dem ersten / dann allain leidender weiß das vnser thuon / sei nicht dann still ligen / ain stain vnd klotz sein / Säge vnd Beihel« (Franck, Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 200,7-17). 90 Francks Zeichenverständnis ist demjenigen Schwenckfelds verwandt. Wie bei diesem firmiert auch bei Franck der Sabbat unter den »figuren vnd bedeutzeichen«, die anzeigen, »was gott [...] gethon vnd gelassen wölt haben.« Der Geist aber gibt nun unvermittelt, was die Zeichen einstmals deuteten. (QGT 7,303,19-306,23 - Nr. 241: Brief Seb. Francks an Joh. Campanus vom 4. Febr. 1531). Vgl. auch WEIGELT, Sebastian Franck und Caspar Schwenckfeld.

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heimlich an den Auslegungen der Reformatoren. So lehnt sich Dieteribergers Enchiridion von 1537 an Luthers Großen Katechismus an, indem er zunächst das Wort 'Sabbat' als 'Ruhe haben' erklärt und des weiteren betont, daß das Gebot nicht nur die äußere Feier, sondern das Heiligen des Feiertags erfordert, was dann auf den Gottesdienst zugespitzt wird. 91 Georg Witzel, der vormals in humanistischem Eifer Sympathien für die Reformation hegte 92 , bezieht in seinen Katechismen den christlichen oder 'evangelischen' Sabbat ausdrücklich auf das ganze chrisdiche Leben mit guten Werken und der Erfüllung des göttlichen Willens. 93 Nicht die Betonung der guten Werke ist reformatorisch 94 , aber im Bezug des Sabbat auf die Heiligung wirkt reformatorisches Gedankengut nach, was sich besonders im Katechismus von 1560 zeigt, wo Witzel den geistlichen Sabbat anklingen läßt. 95 In reformatorischer Gestalt präsentiert sich die Auslegung des dritten Gebots in der 'Christlichen Lehre' des Meißener Bischofs Johann von Maltiz von 1542. 96 Den äußerlichen, zeremoniellen Sabbat als Figur des inneren hat Christus aufgehoben; er reduziert sich auf die naturrechtlichen Komponenten der Arbeitsruhe und des Gottesdienstes. Zu ihrer materialrechtlichen Umsetzung hat die Kirche die Feiertage geboten, wobei der Meißener Bischof in der Erklärung zum vierten Gebot die kirchlichen Gebote von den göttlichen abhebt und ihnen unterstellt. 97 An dieser Stelle beruft er sich auch auf die Einsetzung des Sonntags durch die Kirche, aber in bezeichnendem Unterschied zu Eck hebt er nicht darauf ab, daß diese Einsetzung gegen die Schrift sei, die nur den Sabbat gebiete; Eck sah darin einen Beweis für die legislatorische Vollmacht der Kirche. Vielmehr argumentiert Johann von Maltiz gut reformatorisch, daß »unsere lieben vorfarn auß gleicher [menschlicher] gewalt den Sontag, auch andere feyertäge, eingesetzt, damit dasjenig, so auß natürlichem und göttlichem Rechten geschehen sol, in gebürliche ordenung gezogen würde.« 98 An-

MOUFANG, Kath. Kat., S. 43-45. Siehe über ihn KAWERAU, Art. Witzel. 93 Katechismus von 1542 (MOUFANG, Kath. Kat., S. 129, in der Übersetzung von Moufang) und Katechismus von 1560 (ebd. S. 492). 94 Witzel nennt etwa das Fasten; die Arbeitsruhe begründet er nicht mit der körperlichen Regeneration, sondern damit, daß Arbeiten Teufelsdienst und Sünde sei (ebd. S. 129). 95 »Heiligen wir unsern Sabbath oder Rugetag lauterlich also, stehen unsers eigen bösen willens gelassen und müssig, trachten aber viel mehr auff Gottes willen, den selbigen zu thun im gehorsam seins Worts: Sihe, so werden wir eingehn in den himmlischen Sabatismum, das ist, in die ewige Rüge, welche Feirtag kein ende hat.« (Ebd. S. 493). 96 MOUFANG, Kath. Kat., S. 200f. 97 Ebd. S. 218. 98 Ebd. S. 217. 91

92

Die Sabbatdeutung seit 1529/30

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ders als der äußere, zeremonielle Sabbat wurde der innere und geistliche nicht aufgehoben; er zielt auf die permanente »Sündenfeier« und die mortificatio carnis." Die reformatorische Pointe des 'Gott allein in sich wirken lassen' klingt hier allerdings nicht an.

7.5. Zusammenfassung

Wie oben im vierten Kapitel dargelegt wurde, avanciert die geistliche Sabbatdeutung, die Luther in behutsamem Rückgriff auf mystisches Gedankengut zu einer Metapher für die anthropologische Seite reformatorischen Heiligungsverständnisses herausgearbeitet hat, in der ersten Dekade der Reformation zur vorherrschenden Deutung des Sabbats, die bei der Auslegung des Dekalogs oftmals sogar den Feiertag verdrängt, sich bisweilen sogar aus dem Zusammenhang des Dekalogs herauslösen und verselbständigen kann - letzteres in ganz unterschiedlicher Weise bei Karlstadt, Melanchthon und Schwenckfeld. Seit den dreißiger Jahren wird sie auf lutherischer Seite fast vollständig durch die Konzentration auf die Wortverkündigung oder - wo Melanchthon seinen Einfluß geltend macht - auf das ministerium ecclesiae und die Zeremonienfrage zurückgedrängt. Nur einige gelehrte Katechismen tradieren sie weiter als einen Topos neben anderen. Osiander allerdings verknüpft von seinem effektiven Rechtfertigungsverständnis aus den worttheologischen Ansatz des dritten Gebots mit der Wirksamkeit Gottes als dem Skopus der geistlichen Sabbatdeutung. In der reformierten Tradition überdauert das geistliche Sabbatverständnis (außer bei Bucer) besser, ohne mit den normativen Komponenten (Gottesdienst und Arbeitsruhe) zu konkurrieren. Namentlich Calvin hegt und pflegt die geistliche Deutung und grenzt mit kaum zu überbietender Klarheit das figurative Moment von dem normativen ab. So wird man doch im Blick aufs Ganze die Behauptung wagen dürfen, daß die Theologie der Reformation im biblischen Motiv des Sabbats ein Sinnbild gefunden hat, welches ihr besonders geeignet schien, die anthropologische Bedingung eines frommen und gottgefälligen Lebens zu beschreiben: Gott wirkt sein gutes Werk im und durch den Menschen, der von seinem eigenen Dichten und Trachten, Wollen und Wirken abläßt. Der rechtfertigende Glaube versetzt die menschliche Eigenmächtigkeit in den Ruhestand und macht sie so erst

Ebd. S. 201.

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Sabbat und Sonntag

tüchtig und fromm für Gottes Werke. Das heilige Leben ist das Leben im Sabbat.

TEIL III DER SABBATISMUS

Wir haben bisher die spirituelle Deutung des Sabbats, den geistlichen Sabbat, betrachtet und in ihm eine Chiffre für das Leben aus dem Glauben heraus oder - dogmatisch gesprochen - für die Heiligung erkennen können, wobei sich die Variationen dieser Deutung besonders in ihrem je unterschiedlichen Verhältnis zum dritten Gebot offenbaren und so charakteristische Divergenzen verschiedener reformatorischer »Theologien« an den Tag legen. In je größeren Wildwuchs die geistliche Deutung gleichsam ausschlug, je problematischer sich ihr Verhältnis zum dritten Gebot entpuppte, desto heftiger drang auch die SabbatSonntag-Frage auf die Tagesordnung. Wie immer auch der Sonntag begründet wurde, wie immer sein Bezug zum dritten Gebot bestimmt wurde - es war bisher in allen Quellen stets selbstverständlich vorausgesetzt worden, daß die Christen den Sonntag halten. Jedoch an Stimmen, die selbst dies anzweifelten, die die Sonntagsfeier für falsch hielten und die Feier des siebten Tags und richtigen Sabbats forderten, hat es der Reformationszeit nicht gemangelt. Diese Stimmen erschollen zu Beginn der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts aus Mähren von einer aufs Ganze gesehen freilich recht unbedeutenden Gruppe, die durch Luthers Schrift 'Wider die Sabbather' von 1538 mehr verkannt als bekannt wurde. Das Anliegen der mährischen Sabbater muß hier deshalb eingehend behandelt werden, weil es im Grunde nur die Kehrseite der spirituellen Sabbatdeutung ist. Es wird sich nämlich zeigen, daß keineswegs ein purer Biblizismus die Sabbater bewogen hat, den siebten Tag zu feiern. Nicht eigentlich in der Treue zum Buchstaben, sondern in einer chiliastischen Apokalyptik liegen die Wurzeln dieses Sabbatismus. Eine zur Apokalyptik verdichtete Endzeitstimmung stellt der Theologie und der Schriftdeutung andere heilsgeschichtliche Rahmenbedingungen. Sie führen zu einer Revision üblich gewordener Verhältnisbestimmungen in den Kategorien von Verheißung und Erfüllung, Zeichen und Bedeutung, leiblich und geistlich sowie literal und spirituell. Die Sabbater liefern uns also nicht eine ganz neue Verarbeitung des Sabbatmotivs, sondern nur eine Verschiebung dessen, was wir schon untersucht haben. Es handelt sich kurz gesagt um eine apokalyptisch motivierte Umdeutung der geistlichen Deutung. Der geistliche Sabbat wird mit dem ewigen, rein eschatologischen Sabbat identifiziert und muß daher, solange diese Weltzeit noch währt, so ge-

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Der Sabbatismus

halten werden, wie er geboten ist; die Bedeutung des Sabbats wird auf die endzeitliche Erfüllung bezogen, daher muß jetzt der Sabbat als Zeichen beachtet und gehalten werden, um Verheißung sein zu können. Mit anderen Worten: Angesichts einer konkreten Naherwartung wird der Sabbat wieder alttestamentlich, ohne jedoch jüdisch zu werden, denn das Heil bleibt an Christus gebunden, aber eben an den wiederkommenden Christus. Hier läßt sich also nachvollziehen, wie Spiritualismus in Legalismus umschlägt.

8. Der täuferische Sabbatismus in Mähren Das neue Zeichen der Erwählten

Zu Beginn der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts trat in Mähren und Schlesien eine Sekte mit der Forderung auf, anstatt des Sonntags den Sabbat zu halten. Luther machte 1538 mit seinem Brief 'Wider die Sabbather' dieser Sekte einen Namen. Bekannt sind uns von ihr aber nur zwei Persönlichkeiten: Oswald Glaidt aus Cham in der Oberpfalz und Andreas Fischer. Leider stehen zur Darlegung der Geschichte und der Lehre der Sabbater keine Quellen aus deren Feder zur Verfügung. Man ist darauf angewiesen, beides aus Gegenschriften zu rekonstruieren. Vom Neujahrstag 1532 datiert ein umfangreicher Brief von Caspar von Schwenckfeld an Leonhard von Liechtenstein im südmährischen Nikolsburg1, aus dem hervorgeht, daß der Adressat das Buch vom Sabbat eines Oswald Glaidt an Wolfgang Capito nach Straßburg sandte mit der Bitte um eine Widerlegung der darin enthaltenen Lehre. 2 Da dieser aber wegen Arbeitsüberlastung dem Wunsch Leonhards von Liechtenstein nicht so bald entsprechen konnte, bat er Schwenckfeld, der zu dieser Zeit bei Capito wohnte, die erbetene Widerlegung zu schreiben.3 Schwenckfelds Schrift ist eine der Hauptquellen zur Rekonstruktion des Sabbatbuchs von Oswald Glaidt, von dem bisher kein Exemplar bekannt geworden ist und das daher allgemein als verschollen betrachtet wird. Bevor Capito Schwenckfeld mit der Erwiderung betraute, hatte er selbst eine solche skizziert und sich auch Notizen bei der Lektüre des Glaidtschen Buchs 1

Schwenckfeld, Wider den Alten unnd Newen Ebionitischen Irthumb ... Auff Oßwald Glaids buchlenn Vom Sabbath, in: CS 4,453-518 (Doc. CXXVI). 2 CS 4,453,22-454,10. 3 CS 4,454,10-17.

Der täuferische Sabbatismus in Mähren

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gemacht. Diese Notizen sowie das Fragment seiner Gegenschrift sind erhalten 4 und dienen uns als weitere wichtige Quelle. Ferner verwahrt die Berliner Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz die Abschrift eines Werkes von Valentin Krautwald, welches sich gegen die Verteidigung des Sabbats durch Andreas Fischer wendet. 5 Diese Abschrift enthält leider kein Datum, gibt aber neben entscheidenden Hinweisen auf die Sabbatlehre Fischers auch einige Informationen zur Vorgeschichte. So vermerkt Krautwald, zuvor bereits eine Gegenschrift auf Glaidts Sabbatbuch verfaßt zu haben, auf die wiederum nicht Glaidt - wie er es erwartet habe - sondern Andreas Fischer geantwortet habe mit einem umfangreichen Buch, betitelt mit »Scepastes decalogi«. Nicht nur Glaidts Sabbatbuch, sondern auch Krautwalds erste Gegenrede und Fischers 'Scepastes' konnten bisher nicht aufgefunden werden. Erst nach der Publikation dieser Gegenschriften konnte die wissenschaftliche Erforschung der Sabbater einsetzen. Als die Köpfe der mährischen Sabbater kommen Glaidt und Fischer erstmals 1914 in der Einleitung zur Edition von Schwenckfelds Traktat gegen Glaidt im Corpus Schwenckfeldianorum in den Blick. 6

4

Veröffentlicht in QGT 7 (Elsaß I), S. 363-385; 386-393. Bericht und anzeigen, wie gar one kunst und guoten verstandt Andreas Fischer vom Sabbat geschriben . . . , o . O . , o . J . (ediert im Anhang). 6 CS 4,449-451. Vor der Edition von Schwenckfelds Schrift wurde das Wissen um eine christliche Gruppe aus der Reformationszeit, die den Sabbat feierte, in den Kreisen der sabbatarischen Baptisten und der Sieben-Tage-Adventisten (zu ihnen siehe Kap. 9, S. 248-252.) tradiert. So berichtet L. R. CONRADI, ein deutscher Missionar der Sieben-Tage-Adventisten, in seiner 1912 veröffentlichten 'Geschichte des Sabbats und des ersten Wochentages', S. 552-559, von den mährischen Sabbatern, indem er aus Schwenckfelds Schrift zitiert, ohne allerdings Oswald Glaidt zu nennen; die übrigen Quellen sind ihm, abgesehen von Luthers 'Wider die Sabbather', unbekannt. Soweit reicht auch der in ZSCHARNACKS Sabbatharier-Artikel 1 9 1 3 gegebene Wissensstand (RGG1 V, Sp. 1 1 8 und RGG2 V ( 1 9 3 1 ) , Sp. 8 ) . Die 3 . Auflage der RE verzeichnet im betreffenden Artikel von OTTO ZÖCKLER ( 1 9 0 6 ) noch keine Sabbatharier aus dem 16. Jahrhundert. Eine biographische Skizze von Glaidt wurde schon 1897 von JOHANN LOSERTH, Bilder aus der Reformationszeit in Mähren, S. 70-73, gezeichnet. Sie dürfte den Herausgebern des Corpus Schwenckfeldianorum als Quelle für Glaidt gedient haben. Jedoch kennt LOSERTH Glaidt noch nicht als ein Verfechter des Sabbats. Die nach wie vor umfassendste Darlegung von Glaidts wechselhaftem Leben bietet 1937 WILHELM WISWEDEL, Oswald Glait von Jamnitz (mit ausführlichen Exzerpten aus den beiden - nicht sabbatistischen - Schriften Glaidts). Die Kontroverse zwischen Glaidt, Schwenckfeld, Fischer und Krautwald wird von WISWEDEL nur kurz berührt; Glaidts Sabbatismus bleibt unterbelichtet. 5

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Der Sabbatismus

Daß die Sabbater in den Kontext des Täufertums einzuordnen sind, wird erst 1959 bei WILLIAM KLASSEN im Mennonitischen Lexikon deutlich. 7 KLASSEN weist ferner auf die Listen der Täufersekten hin, die H E N R Y DE W I N D wenige Jahre zuvor publiziert hat 8 , und die das Weiterleben der Sabbater mindestens bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, also noch weit über das Zeugnis aus Luthers Hand von 1538, belegen. Es ist das Verdienst von GERHARD F. HASEL, den täuferischen Sabbatern erstmals eigenständige Beiträge gewidmet, alle vorhandenen Quellen vorgestellt 9 und hinsichtlich ihres Quellenwertes kritisch untersucht zu haben. Hier findet sich auch die erste Rekonstruktion der Argumente, mit denen sich Glaidt und Fischer für den Sabbat einsetzen. H A S E L lokalisiert die Entstehung des Sabbatismus ins mährische Nikolsburg und datiert sie auf 1527/28. 10

Zu Andreas Fischer liefert 1958 PETR RATKOS, Die Anfänge des Wiedertäufertums in der Slowakei, die Entsprechung zu WISWEDELS biographischem Abriß über Glaidt. RATKOS stellt Fischer als eine zentrale Figur des ostslowakischen Täufertums dar. Als Sabbater findet Fischer bei ihm jedoch keine Würdigung. Mit Ausnahme einiger biographischer Einzelheiten ist dieser Beitrag unergiebig, da er Fischers Täufertum einseitig von den die marxistische Geschichtsdeutung interessierenden Punkten her interpretiert. Auch WACLAW URBAN würdigt in mehreren Arbeiten den slowakischen Täuferfiihrer Andreas Fischer, ohne jedoch näher auf den Sabbatismus einzugehen. (Zu den umstrittenen Thesen über Fischer und den Arbeiten URBANS S. u. S. 221, Anm. 200.). 7 KLASSEN, Art. Sabbatharier, in: MennLex IV, S. 3f. 8 DE WIND, A Sixteenth Century Description of Religious Sects in Austerlitz, Moravia. 9 Die einzige Ausnahme bildet der bislang auch im CS nicht veröffentlichte Brief Schwenckfelds vom 18. Januar 1532. Siehe Anhang, S. 299f. 10 HASEL, Sabbatarian Anabaptists of the Sixteenth Century (1967), S. lllf.115; DERS., Sabbatarian Theology (1972), S. 42. Hinsichtlich der Entstehung des täuferischen Sabbatismus deuteten die Herausgeber der Schwenckfelder Schriften nur eben an, daß Glaidt und Fischer ihre Sabbatlehre 1528 im schlesischen Liegnitz entwickelt haben könnten: »After Hubmeier's martyrdom in 1528, Glaid an Andreas Fischer went to Silesia and made Liegnitz the center of a mission. ... Here Schwenckfeld and Crautwald met the two apostles. As illustrative of their views, Glaid had meanwhile written a work on the Sabbath...« (CS 4,450; ebenso KLASSEN, Art. Sabbatharier, S. 3). Bei GEORGE H. WILLIAMS, The Radical Reformation, 1. Aufl. 1962, S. 410, und bei EGGENBERGER, Art. Sabbatarier, in: RGG3 V (1961), Sp. 1261, erscheint dies schon als Tatsache. HORST WEIGELTS Darstellung des schlesisch mährischen Sabbatismus geht nicht über den von HASEL gegebenen Forschungsstand hinaus (WEIGELT, Spiritualistische Tradition im Protestantismus, S. 115-119). Aber er gibt hier wie auch in seinem Aufsatz 'Die Auseinandersetzung Valentin Krautwalds mit dem sabbatistischen Täufertum in Schlesien' eine gute Zusammenfassung der literarischen Kontroverse zwischen Fischer und Krautwald. (Der Aufsatz von WEIGELT wurde bei WILLIAMS, The

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Präzisere Hinweise zur traditionsgeschichtlichen Herleitung der Sabbatlehre sowie zu ihrer Einbettung in den täuferischen Kontext finden sich erst in GOTTFRIED SEEBASS' Habilitationsschrift über den süddeutschen Täuferfiihrer Hans Hut. 1 1 SEEBASS sieht Glaidts Sabbatlehre als eine Weiterbildung der Sabbatdeutung von dessen Lehrer Hut, die er ihrerseits teilweise auf die vorherrschende spiritualisierende Sabbatdeutung zurückführt, wie sie sich etwa auch beim jüngeren Luther und bei Karlstadt findet. 12 Den Zusammenhang des mährischen Sabbatismus mit dem Wirken und der Verkündigung Hans Huts beleuchtet D A N I E L LIECHTY in mehreren Arbeiten, vor allem in seiner 1988 publizierte Dissertation über Andreas Fischer. 1 3 In die Genese des Sabbatismus bringt LIECHTY zwar kaum mehr Licht als seine Vorgänger, jedoch veranlaßt ihn ein genauer Vergleich der jeweils rekonstruierten Sabbatlehre Glaidts und Fischers zu der profilierten These, Glaidt habe die Sabbatlehre unter dem starken Eindruck von Huts chiliastischem Sabbatverständnis zuerst entwickelt und sie vor Pfingsten 1528 - dem Stichtag von Huts Endzeitberechnungen - in diesem apokalyptischen Zusammenhang propagiert; Fischer habe danach von Glaidt die Forderung, den Sabbat zu halten, übernommen, ohne aber den apokalyptischen Kontext zu akzeptieren; denn solche Begründungsmuster ließen sich aus Krautwalds Gegenschrift hinsichtRadical Reformation, 3. Aufl., S. 626, Anm. 34, und im Lit.-Verz. S. 1371, unter falschem Verfassernamen ausgewiesen). 11 SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 500-505. 12 RICHARD MÜLLER hat in seiner Untersuchung über die reformatorischen Wurzeln des adventistischen Sabbatverständnisses auch die mährischen Sabbater in den Blick genommen. (MÜLLER, Sabbat, S. 112-130). Obwohl er sich dabei im wesentlichen auf die Arbeiten von HASEL stützt, hat er doch die chiliastische Eschatologie aus dem Umfeld von Hans Hut als das Zentrum von Glaidts Sabbatismus herausgestellt und somit die Erforschung der sabbatistischen Theologie über HASELS Beurteilung hinausgeführt. Die Beeinflussung Glaidts durch Huts Theologie hat MÜLLER allerdings nicht nachgezeichnet und darum auch keine Vorschläge zur historischen Genese des mährischen Sabbatismus unterbreitet. 13 LIECHTY, Andreas Fischer and the Sabbatarian Anabaptists. An Early Reformation Episode in East Central Europe (im folgenden nur: LIECHTY, Fischer). LIECHTY unternimmt den bemerkenswerten Versuch, über eine Figur des frühen 16. Jahrhunderts eine Biographie zu schreiben, aus dessen Hand nahezu keine Quelle überliefert ist. Es verwundert daher nicht, daß der Autor häufig auf mehr oder weniger einsichtige Vermutungen angewiesen ist. Enttäuschend wirkt dies vor allem im letzten Kapitel, das Fischers Lehre zusammenfassend darlegen möchte. Hier beschränkt sich LIECHTY allzu oft darauf, Allgemeinplätze täuferischer Theologie zu entfalten, um dann zu mutmaßen, daß solches auch für Fischer ausgesagt werden dürfe. (Auf diesen Schwachpunkt weist auch AUGSBURGER in seiner Rezension zu Liechtys Werk, S. 309, hin.) Eine für Fischer charakteristische Lehre vermag LIECHTY nur für den Sabbatismus aufzuzeigen, ohne daß er dabei über die im wesentlichen bereits von HASEL benannten Punkte hinaus käme.

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lieh der Sabbatlehre Fischers nicht erkennen. Mit dieser These werden wir uns ebenso auseinandersetzen müssen, wie mit der Chronologie, die LIECHTY daraus entwickelt.14 Die Geschichte der Sabbater setzt vor allem hinsichtlich der Genese ihrer Lehre sowie dessen traditionsgeschichtlicher Einordnung die Kenntnis dieser Lehre voraus. Sie soll daher als erstes aus den erhaltenen Gegenschriften heraus rekonstruiert werden. Dazu bedarf es freilich zunächst einer eingehenden Quellendiskussion.

8.1. Die Quellen

8.1.1. Diskussion und Beschreibung der Quellen Die Hauptquelle zur Rekonstruktion des Buchs über den Sabbat von Oswald Glaidt ist Schwenckfelds traktatartiger Brief an Leonhard von Liechtenstein, datiert auf den Neujahrstag 1532. Die Edition dieses Briefes, die Schwenckfelds handschriftliche Korrekturen enthält, dient im folgenden als Textgrundlage. 15 Bei der späteren Veröffentlichung des Briefes als Traktat hat Schwenckfeld den Namen 'Oswald' (Glaidt) durch die Bezeichnung 'Sabbatirer' ersetzt.16 Es geht Schwenckfeld in erster Linie darum, sein Verständnis des Alten Testaments und des christlichen Sabbats zu entfalten.17 Nicht selten stellt er dabei Glaidts Behauptungen den seinen gegenüber. Schwenckfeld weist die Aussagen seines Gegners jeweils explizit als solche aus. Man ist also nicht darauf angewiesen, aus seinen Standpunkten das implizierte Gegenteil herauszulesen. Wir werden also bei der Erhebung der Theologie Glaidts nur auf Aussagen zurückgreifen, die Schwenckfeld eindeutig als die Lehre Glaidts ausgibt. Es muß aber damit gerechnet werden, daß Schwenckfeld Glaidts Buch nur selektiv in seine Darlegungen aufgenommen hat.

LŒCHTYS Thesen, die in seiner Dissertation und in etlichen Aufsätzen zugänglich sind (zusammenfassend vor allem in: DERS., The Origins of Sabbatarianism), wurden in der überarbeiteten, dritten Auflage von WILLIAMS, The Radical Reformation (1992), S. 211.624-627.630-632, und von WEIGELT, Die Auseinandersetzung, rezipiert. 15 CS 4,453-518; zur Druckbeschreibung siehe die Einleitung ebd. 444f. 16 Vgl. den textkritischen Apparat der Briefedition. 17 Siehe dazu Kap. 3. 14

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Bisher nicht beachtet wurde das Fragment eines Briefs von Schwenckfeld vom 18. Januar 1532, das sich im Scheurlschen Familienarchiv erhalten hat. Das Fragment enthält einige Informationen zu unserem Thema. Es ist nicht in das Corpus Schwenckfeldianorum eingegangen. Nicht nur deshalb, sondern auch weil der Brief von allgemeinerem Interesse ist, wird er im Anhang ediert. 18 Ein deutlicheres Bild von der Anlage der Glaidtschen Sabbatschrift erhält man aus Wolfgang Capitos autographischen Notizen. Leonhard von Liechtensteins Aufforderung zur Widerlegung von Glaidts Buch hat Capito etwa in der ersten Novemberhälfte 1531 erreicht, kurz vor dem Tod von Capitos erster Frau am 12. November; erst einen Monat später, also Mitte Dezember 1531 setzte er zur Antwort an. 19 Das autographische Konzept Capitos ist erhalten. 20 Capito belehrt darin allgemein über den Unterschied von Gesetz und Evangelium sowie über Gültigkeit und Nutzen des Gesetzes für die Christen. Zum geplanten dritten Teil, der im besonderen auf Glaidts Ausführungen Bezug nehmen sollte21, ist es offensichtlich nicht mehr gekommen, denn das Konzept bricht im zweiten Teil ab. So lassen sich hieraus leider kaum Informationen über Glaidts Darlegungen ermitteln. Bei der Lektüre von Glaidts Buch hat sich Capito jedoch auch Notizen gemacht, die in der gleichen Archivalie erhalten sind wie das fragmentarische Konzept22 und im Gegensatz zu diesem äußerst interessante Informationen über Glaidts Buch, besonders über dessen Aufbau, enthalten. Capito hat die Grobgliederung des Sabbatbuchs vermerkt: Die vier Kapitel23 werden von einer »Vorred«24 eingeleitet und von »Solutiones«25 beschlossen. 26 Es fällt auf, 18

Anhang, S. 299f. SEEBASS hat schon in seiner Arbeit über 'Schwenckfeld and the Old Testament' auf den Brief aufmerksam gemacht (S. 95; dort aber ein Druckfehler beim Datum: es muß 1532, nicht 1531 lauten!) und darauf hingewiesen, daß dieser Brief nur aktuelle Neuigkeiten enthält; dies zeigt, wie sehr Schwenckfelds Korrespondenz in der Form, wie sie im CS enthalten ist, von ihm selbst für die Veröffentlichung überarbeitet wurde, denn diese Briefe zeichnen sich durch einen rein erbaulichen Inhalt aus. 19 Dies geht aus Capitos eigenen Angaben hervor, QGT 7,363,22-364,9. 20 Ediert in QGT 7,363-385 (Nr. 290a). 21 Vgl. ebd. 367,20-26. 22 Ediert in QGT 7,386-391 (Nr. 290b). 23 Ebd. 390,19.26; 391,1.5. 24 Ebd. 386,4. 25 Ebd. 391,17. 26 Neben der Orientierung an Glaidts Gliederung hat Capito seine Notizen noch in nummerierte Abschnitte eingeteilt: das Material zur Vorrede ist in fünf durchnummerierte Abschnitte gegliedert (im Vergleich mit den vorherigen fällt der 5. Punkt schon sehr knapp aus); im folgenden hat Capito die Nummerierung nicht mehr konsequent durchgehalten: Nur noch der kürzere Abschnitt zum 2. Kapitel wurde mit der Ziffer »7.«, die wenigen Zeilen zum 3. Kapitel mit der Ziffer »10.« versehen.

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daß das Material zur Vorrede von Glaidts Buch fast den fünffachen Umfang hat, wie das Material zu den vier Hauptteilen und zum Schluß. Da kaum anzunehmen ist, daß dies die Proportionen des Sabbatbuches wiederspiegelt, muß vermutet werden, daß Capito nach der Lektüre der Vorrede seine Arbeitsweise geändert hat. Die knappen Notizen zu den vier Kapiteln und zum Schluß scheinen direkte Exzerpte aus Glaidts Buch zu sein; sie stimmen entweder mit Aussagen überein, die Schwenckfeld in seiner Gegenschrift als Behauptungen Glaidts kenntlich macht, oder sie passen sachlich eindeutig zu Glaidt und nicht zu Capito. Dieser Teil der Notizen hat einen sehr hohen Quellenwert und ist weder von HASEL noch von LIECHTY hinreichend beachtet worden. Wesentlich schwieriger ist das Material zur Vorrede zu identifizieren. Hier scheint Capito in erster Linie eigene Glossen zu Glaidts Gedanken notiert zu haben, die jedoch auf einzelne Thesen aus Glaidts Vorrede Bezug nehmen. Da in diesem Teil aber außer bei denjenigen Sätzen, die Capito als Aussagen Glaidts ausweist 27 , keine Eindeutigkeit zu erlangen ist, wird später nur auf solche Punkte eingegangen werden, die sich sachlich mit den aus Schwenckfelds Schrift gewonnen Argumenten decken und daher identifiziert werden können. Im übrigen wird aus Capitos Notizen zur Vorrede ungefähr ersichtlich, welche thematischen Bereiche Glaidt dort angesprochen hat. Die Aussagen von Andreas Fischer sind dagegen eindeutig aus Valentin Krautwalds Bericht zu erheben, da dieser - ebenso wie Schwenckfeld bei Glaidt - die Argumente Fischers klar benennt. Darüberhinaus liefert Krautwald 16 Punkte, in denen er »die argument des Fischers [...] aus seinem buch zuosamentragen und -geklaubet« hat. 28

8.1.2. Der Aufbau von Glaidts Buch über den Sabbat Das Buch über den Sabbat von Oswald Glaidt wurde in deutscher Sprache verfaßt. 29 Es besteht aus einer Vorrede, vier Kapiteln und einem Schluß. Sein

27

Es sind dies: QGT 7,387,35 (vor »Respondeo«); 388,7-9.30f; 389,12 (vor »Responsio«); 389,19f; 390,10.14f. 28 Krautwald, Anhang S. 281,12-282,20 (Zitat S. 281,9f). 29 Dies beweisen die deutschen Zitate in Capitos durchweg lateinisch abgefaßten Notizen (QGT 7,388,26; 389,19f; 390,10.14f; 391,4.18-21.29). Den genauen und vollständigen Titel des Buches nennen die vorhandenen Quellen nicht; Capito, Schwenckfeld und Krautwald reden nur vom 'Büchlein vom Sabbat' (QGT 7,363,22; CS 4,453,9f; Krautwald, Anhang S. 275,34); wahrscheinlich trug das Werk, dem Brauch der Zeit folgend, einen längeren Titel. Zur Datierung siehe unten, S. 220f.

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Umfang läßt sich nicht bestimmen, war aber nach Krautwalds Auskunft geringer, als derjenige von Fischers Sabbatbuch. 30 In der Vorrede, mit der sich Capito noch argumentativ auseinandergesetzt hat, bevor er zum reinen Exzerpt überging, dürfte Glaidt zunächst die Nachlässigkeit in der Beobachtung der göttlichen Gebote beklagt und die Notwendigkeit ihrer Einhaltung mit dem Hinweis auf Mt 12,49f angemahnt haben. 31 Er muß dann auf den Dekalog eingegangen sein und die Einhaltung aller Zehn Gebote mit Jak 2,10 eingeschäft sowie darauf verwiesen haben, daß die Zehn Gebote nach Jer 31,33 in die Herzen geschrieben sind. 32 Capito erwähnt im folgenden die traditionellen Einteilung des Gesetzes in das Zeremonial-, Judizial- und Moralgesetz 33 und skizziert einige Punkte, die die Bedeutung von Glaube, Rechtfertigung und guten Werken beim Sünder sowie die Geltung des Gesetzes in bezug auf den verheißenen Messias betreffen. 3 4 Möglicherweise hat Glaidt in seiner Vorrede auch diese Themen angeschnitten. Mit Sicherheit hat er die Perikope vom reichen Jüngling nach Mt 19,16-26 angeführt, um die Heilsnotwendigkeit der Gebotseinhaltung zu betonen 35 , und vertritt offenbar die Ansicht, der Antichrist werde daran erkannt, daß er die Gebote zurückweise. 3 6 Jetzt erst kommt Glaidt auf den Sabbat zu sprechen, und zwar zunächst, um die Rede vom »spirituale sabbatum« und vom »perpetuum sabatum« zu verspotten. 37 Er fordert auf, sich an die Schrift zu halten 38 , und konstatiert, der Herr habe den Sabbat an einem bestimmten, unveränderlichen Tag

30

Krautwald, Anhang S. 265,35. Capito führt diese Schriftstelle an und weist darauf hin, daß das geforderte Tun des göttlichen Willens zunächst im Glauben besteht (QGT 7,386,13-16). 32 Capito korrigiert im Hinblick auf Jak 2,10, daß die Gebote nicht ohne Christus gehalten werden können und im Hinblick auf Jer 31, daß nicht allein die Zehn Gebote, sondern das ganze Gesetz in die Herzen geschrieben sei (QGT 7,386,2224.28f). 33 3 86,31-34. 34 386,34-387,16. 35 Capito empfiehlt den Vergleich mit den synoptischen Parallelen (Mk 10,17-27 und Lk 18,18-27), die das »unum [...] tibi obest« enthalten, um den Vorrang der Christusnachfolge vor der Gebotseinhaltung zu markieren (387,17-26). Vgl. CS 4,468,33-469,14. 36 Capito setzt dagegen, daß die Leugnung von Vater und Sohn das Spezifische des Antichristen sei; genau diese Häresie wirft er Glaidt vor: »Antichristi non est repellere praecepta dei [...], sed hoc habet proprium, vt neget patrem et filium [...]; igitur Oswaldus est antichristus« (387,27-31; Hervorhebung von mir, J.K.). 37 Sich gegen den »spirituale sabbatum« wendend fragt Glaidt ironisch: »Quomodo bos seruabit sabatum? [vgl. Dtn 5,14]« (387,34f; vgl. CS 4,500,16-21; 502,9f); den »perpetuum sabatum« karikiert er mit 2. Thess 3,10: »Qui non laborat, non manducat« (388,7-9). 38 388,30; 389,4. 31

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geboten 39 , weshalb Glaidt auch von einer Verpflichtung zum Sabbathalten gesprochen haben muß. 40 Daß auch Abraham den Sabbat hielt, hat Glaidt ebenfalls in der Vorrede behauptet. 41 Die folgenden Absätze enthalten Andeutungen Capitos über die Rechtmäßigkeit und den Nutzen der Beschneidung42, angeregt durch Glaidts Ausruf: »wan beschneiden noch recht were, so wolt jch mich auch beschnyden lassen!«43 Zum Schluß der Vorrede bestimmt Glaidt den Sabbat als »ein zeichen der hofnong zwischen gott vnd allen glaubigen«.44 Der Inhalt der vier Kapitel von Glaidts Sabbatbuch läßt sich nur schlagwortartig rekapitulieren, da Capitos Notizen nur noch sehr knappe Exzerpte liefern. Das erste Kapitel behandelt die unveränderliche Festlegung des Sabbats auf den siebten Tag, was Glaidt wohl schöpfungstheologisch begründet. 45 Das zweite Kapitel entfaltet den Sabbat als Gedenktag der Schöpfung und zwar für Juden wie Christen gleichermaßen. 46 Im dritten Kapitel scheint Glaidt eine Sabbatordnung ausgearbeitet zu haben. Denn der Epilog zu diesem Kapitel enthält Strafandrohungen für diejenigen, die den Sabbat verletzen. 47 Das vierte Kapitel legt in Anlehnung an Ex 31,12-17 und Hebr 4 den Sabbat als Zeichen der Hoffnung auf die Wiederkunft Christi und die ewige Erlösung aus. 48 Daß Christus den Sabbat nicht verworfen, sondern bekräftigt habe, sucht Glaidt im Schlußteil seines Sabbatbuchs zu beweisen. 49

8.2. Die Theologie der Sabbater

Was eben bei der Rekonstruktion des Aufbaus von Glaidts Sabbatbuch in Umrissen angeklungen ist, soll nun im systematischen Zusammenhang entfaltet werden. Dabei werden wir zunächst Glaidt und Fischer gemeinsam befragen, 39

388,31. »At uoluit, inquit, obligare ad sabbatum« (389,12); ob dies Glaidt von sich selbst gesagt hat, oder ob er meint, Paulus oder Gott wolle zum Sabbat verpflichten, ist hier nicht eindeutig auszumachen. 41 389,18. 42 389,21-390,9. 43 389,19f; daß es sich um ein Zitat von Glaidt und nicht um eine Invektive Capitos handelt, beweist die teilweise wörtliche Parallele bei Schwenckfeld, CS 4,458,25-27. 44 390,14f. 45 390,19-25. 46 390,26-38. 47 391,1-4. 48 391,5-15. 49 391,17-24. 40

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da beide in vielen Punkten übereinstimmen. Etwaige Unterschiede sollen später herausgearbeitet werden. Es wird nicht genügen, die einzelnen Aussagen nebeneinander zu stellen. Vielmehr möchte dieses Kapitel auch die Bedeutung der einzelnen Punkte erfassen und im Rahmen eines angestrebten Gesamtbildes werten.

8.2.1. Der Sabbat als Gebot Da es den Sabbatern nicht nur darum zu tun ist, den Sabbat zu deuten, sondern es ihnen wesentlich darauf ankommt, ihn am siebten Tag der Woche statt des Sonntags zu halten 50 , kann nicht verwundern, daß das Sabbatgebot in ihrer Theologie eine zentrale Rollen spielt. Beide Sabbater bezeichnen es als eines der höchsten Gebote Gottes. 51 Es ist Gottes Wille, den Sabbat zu halten, also muß er gehalten werden. 52 Der Verstoß gegen den Willen Gottes bleibt nicht ungestraft. 53 Entscheidend für Glaidt und Fischer ist, daß das Sabbatgebot nicht irgendein Gebot ist, sondern eines der Zehn Gebote. Die Sabbater wollen keineswegs allen Geboten der Thora wieder Geltung verschaffen. Die Beschneidung etwa lehnt Glaidt mit Berufung auf Paulus explizit ab. 54 Mit Fischer ist er sich darüber einig, daß Christus lediglich das Priestergesetz aufgehoben habe. 55 Das im Dekalog konzentrierte Sittengesetz habe dagegen ewigen Bestand. Nicht also der Thora insgesamt, sondern nur dem Dekalog gilt das Interesse. Hierin glauben sie, die Lehre Jesu und der Apostel zu wahren. 56 Auch dort, wo das Sabbatgebot nicht ausdrücklich genannt werde, sei es keineswegs ausgeschlossen. 57 Glaidt und Fischer betonen, daß der Dekalog zehn und nicht bloß acht oder neun Gebote enthalte. 58 Daß beide Sabbater sich gegen eine Reduktion des Dekalogs auf acht Gebote wenden, zeigt, daß sie nicht allein an der Vernachlässigung des Sabbatgebots, sondern auch an der Mißachtung des Bilderver50

CS 4,454,5; QGT 7,388,31. CS 4,458,lOf; Krautwald, Anhang S. 281,23f. 52 CS 4,457,24-26. 53 CS 4,457,31f. 54 CS 4,458,25-29; 460,5f; QGT 7,389,19f. 55 CS 4,485,24-27; 486,19; 487,33f; 517 (Marg.); Krautwald, Anhang S. 278,11-16.24-29.32f; 279,29f; 291,4-7. 56 Glaidt beruft sich etwa auf die Perikope vom reichen Jüngling (CS 4,468,33469,14; QGT 7,387,17-22). Paulus und die Apostel lehren und bestätigen die Zehn Gebote im Neuen Testament (Krautwald, Anhang S. 281,15-19; 282,1-3). 57 Krautwald, Anhang S. 273,2-4. 58 CS 4,479,19-480,2; 484,7f; QGT 7,386,22; Krautwald, Anhang S. 281,12-14. 51

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bots Anstoß nehmen. Fischer bringt diese Sorge in seinem Sabbatbuch zum Ausdruck. 59 Man wird also die Theologie der Sabbater verzeichnen, wenn man ihr Anliegen einzig auf die Forderung nach einer Wiedereinführung des Sabbats reduziert. Die Sabbater plädieren für die wörtliche Einhaltung aller zehn Gebote. Nicht umsonst hat Fischer sein Sabbatbuch mit »Scepastes Decalogi« ('Beschützer des Dekalogs') betitelt. 60 Jedoch ist die Forderung nach der Feier des Sabbats sicher die spektakulärste und dringlichste Konsequenz daraus. Für die Sabbater bringt der Dekalog nicht nur das ewige Moralgesetz zum Ausdruck. 61 Vielmehr konzentriert sich in ihm die der Schöpfung ursprünglich innewohnende Ordnung; er garantiert deren Bestand. Nach Fischer sprießen alle guten Werke allein aus dem Dekalog. 62 Glaidt meint, wenn die Christen nicht mehr an den Dekalog gebunden seien, würden sie ein gottloses Leben führen. 63 Offensichtlich ist er deshalb auch für obrigkeitliche Maßnahmen zur Durchsetzung des Sabbats eingetreten. 64 Wenn nun der Sabbat nicht zum Zeremonialgesetz, sondern zum Sittengesetz gehört, muß er wie dieses eine ewige Gültigkeit beanspruchen. Das Sabbatgebot kann nie außer Kraft gesetzt werden, und der Sabbat wurde seit Beginn der Schöpfung gefeiert. 65 Weil der Sabbat die Vollkommenheit der Schöpfung bezeugt und garantiert, haben ihn Adam im Paradies und die Väter - Glaidt nennt Abraham mit Hinweis auf Gen 26,5 und Israel in der Wüste (Ex 16,2226) - bereits gehalten, bevor das Gebot am Sinai schriftlich gegeben wurde. 66 Besonders bei Glaidt scheint die schöpfungstheologische Argumentation nicht unwesentlich zu sein. Der Sabbat ist ein Tag der Freude und des Gedächtnisses der Schöpfung, wobei Glaidt offenbar nicht bloß ihrer Vollendung gedenken möchte, wie es Ex 20,11 nahelegt, sondern darüberhinaus die ursprüngliche Vollkommenheit der ersten Schöpfung bedacht haben will. 67 Glaidt hat eine Art Sabbatordnung entwickelt, in der er ziemlich genau festgelegt haben muß, was am Sabbat noch erlaubt und was verboten ist. Jedoch 59

Vgl. Krautwald, Anhang S. 296,33-37. Krautwald, Anhang S. 266,26f; 289,18f. 61 Krautwald, Anhang S. 273,31. 62 Krautwald, Anhang S. 269,36-38. 63 CS 4,482,1-5. 64 CS 4,485,14-16; 512,7-12; QGT 7,389,12. 65 CS 4,457,29-32; 458,21f; 492,14-16; Krautwald, Anhang S. 282,17-20. 66 CS 4,491,5-13.21.32f; QGT 7,389,18; Krautwald, Anhang S. 281,26-28; 282, lOf. 67 »Sabatum est dies letitiae ac memoriae eius, quod prima creatura olim perfecta sit« (QGT 7,390,27f); »[...] das werck der ersten volkommenen geschöpfft darynnen zubetrachten / unnd den Sabbath des paradyses durch Adam verloren zubeweinen / wie Oßwald furgibt« (CS 4,496,22-24; vgl. 458,7f). 60

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scheint er dabei die alttestamentlichen Einzelanweisungen nicht sklavisch, sondern mit einer gewissen Freiheit übernommen zu haben. So sei es durchaus erlaubt, spazieren zu gehen (Ex 16,29), die Stube zu heizen und etwas zu kochen (Ex 35,3); doch solle der Braten nicht zu lange garen. Desgleichen dürfe das Gesinde arbeiten (Ex 20,10), solle aber nicht zu früh geweckt werden. 68 Die Wiedereinführung des Sabbats und die allgemeine Durchsetzung der Sabbatordnung ist für Glaidt eine Sache der Obrigkeit. Die weltliche Gewalt müsse dafür sorgen, daß der Sabbat wieder gefeiert wird. 69 Selbstverständlich stammen die meisten Schriftstellen, mit deren Hilfe die Sabbater die fortdauernde Geltung des Sabbatgebotes begründen wollen, aus dem Alten Testament. Allerdings ist Glaidt und noch stärker Fischer bemüht, die Lehre auch mit dem Neuen Testament zu vereinbaren. Aus den Schriften von Schwenckfeld, Capito und Krautwald läßt sich einiges über diese Bemühungen erkennen. Beide Sabbater beteuern, Christus habe den »Sabbath nie gebrochen oder uffgehaben sonder vilmehr bestettiget / erst recht uffgericht unnd mit mirackelnn gezieret«.70 Glaidt wolle, so bekundet er rhetorisch, gar nicht glauben, daß Jesus der verheißene Messias sei, wenn er das Gesetz oder die Zehn Gebote aufgegoben hätte. 71 Jesus habe deshalb am Sabbat geheilt (Joh 5), um damit den Sabbat zu bestätigen. 72 Das Wort vom Menschensohn als dem Herrn des Sabbats aus Lk 6,5 deutet Glaidt zunächst als ein Zeugnis für die Gottheit Christi. Ohne den Kontext dieses Schriftwortes zu berücksichtigen, schließt er ein eigenwilliges Argument an: Aus der Tatsache, daß Christus der Herr des Sabbats sei, folge keineswegs zwingend, daß der Sabbat deshalb aufhöre; sonst müßte ja alles aufhören, weil Christus der Herr von allem ist. Hätten die Jünger mit dem Ährenraufen Unrecht getan, dann hätte Jesus sie gestraft. 73 Sich die Sabbat-Stelle des Kolosserbriefes (Kol 2,16f) gefügig zu machen, ist eine Pflichtübung für die Sabbater. 74 Beide begegnen dieser Stelle mit den

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CS 4,510,31-511,10. CS 4,485,14-17; 512,7-12. 70 CS 4,509,24f; vgl. QGT 7,391,23; Krautwald, Anhang S. 282,lOf. 71 CS 4,490,27-29; vgl. Krautwald, Anhang S. 273,25f. »Quare is qui alium diem ad sabatum quam septimum eligit, alium quoque eligit deum« (QGT 7,390,33f). 72 CS 4,508,8f. 73 »Filius hominis est dominus sabati, Luc. 6, id est jr sollen mich nit geringschetzen; jch bin nit ein jrdischer her wie weltheren, sunder jch bin auch ein her des sabatths; das ist got; thun myn junger vnrecht, so werde jch sy wol strafen. Non cessai id cuius dominus Jesus est, alioqui omnia cessarent.« (QGT 7,391,18-22). 74 Krautwald bezeugt, Kol 2 sei »ein haubtspruch in diser sachen« (Krautwald, Anhang S. 269,8). 69

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gleichen Argumenten. Sie kritisieren zunächst Luthers Übersetzung 75 von 'me krineto' durch 'kein Gewissen machen lassen'; 'krino' bedeute 'urteilen'. Glaidt paraphrasiert den Vers: »Drumb sehet uff andere leut jn der sach unnd gebt nit ursach zum urteilin / das ist zum schmehen / lesternn oder ubelreden«. 76 Keinen Anstoß sollen die Christen aber nur in bezug auf Speise und Trank geben, denn in diesen Dingen gewähre Paulus nach 1. Kor 8,8 christliche Freiheit. 77 Die Aussage betreffe aber nicht den in Kol 2,16 auch genannten Sabbat. Glaidt versucht dies grammatisch mit dem Griechischen 'en merei' zu begründen; offenbar möchte er den Versteil nach 'en merei' auf den folgenden Vers beziehen. 78 Dann wäre der Sabbat - und nur er allein - ein Schatten des Künftigen. 79 Viel intensiver als Glaidt geht Fischer auf die Lehre von der Zusammenfassung des Gesetzes in der Liebe und seiner Erfüllung durch den Glauben ein. Er scheint dabei seine volle Zustimmung zu diesen Punkten signalisiert zu haben, in der Überzeugung, daß das Sabbatgebot davon nicht aufgehoben werde. Fischers Lehre vom Gesetz scheint zunächst paulinisch zu sein. Christus habe das Gesetz erfüllt, er befreie von Sünde, Tod und Hölle und vom Zwang des verklagenden Gesetzes; die in Christus sind, leben unter der Gnade und nicht mehr unter dem Gesetz u.a.m. 8 0 Dies setzt aber für Fischer nicht die Gebote Gottes außer Kraft. Der Glaube richte das Gesetz (Rom 3,31) und darum auch den Sabbat auf. 81 Wenn Fischer zugesteht, daß Christus in der Gläubigen Herz die Gebote durch den Heiligen Geist wirkt 82 und daß die Gebote in der 75 Schwenckfeld spricht von der »gemein dolmetschung« (CS 4,505,12), Fischer hat sich Krautwald zufolge für die generelle Abschaffung sowohl von Luthers wie auch der Züricher Übersetzung ausgesprochen (Krautwald, Anhang S. 269,19-21). 76 CS 4,505,18-20; vgl. Krautwald, Anhang S. 269,8-11. 77 CS 4,505,16-18. »Nemo vos iudicet, quia libertas cibi est; nemini detis occasionem uos dijudicandi, ergo cauete ne bonum vestrum vituperetur.« (QGT 7,391,26f). 78 Nach Schwenckfeld stellt Glaidt nur den Sabbat als Ausnahme dar, nicht aber die auch auf 'en merei' zu beziehenden Feste und Neumonde, was Schwenckfeld als Inkonsequenz brandmarkt. Capito notiert hingegen: »Ex parte diei, hoc est sabato, seruanda sunt« (QGT 7,391,27f). Danach könnte Glaidt das 'en merei heortes' als 'in bezug auf die Tage' aufgefaßt und Sabbat wie Neumond als Apposition dazu erklärt haben. Auch Fischer operierte mit diesen Wörtern; die Einzelheiten lassen sich aber bei ihm nicht mehr rekonstruieren (vgl. Krautwald, Anhang S. 269,11-15). 79 Vgl. CS 4,507 (Marg.) und unten S. 198-203. 80 Vgl. die Andeutungen Krautwalds, Krautwald, Anhang S. 270,34-271,11. 81 Krautwald, Anhang S. 281,25. 82 »[...] am anderen sagt er [Fischer], alle guote werckh komen von Christo und seinem geyst, sie sein zuuor bereitet von Gott, das die Christen darinnen wandleten, item der heylig geyst wirckhe allein in uns die gebott Gottes« (Krautwald, Anhang S. 269,38-40; vgl. auch ebd. S. 281,20-22).

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Liebe zusammengefaßt werden 83 , dann stellt dies für ihn weder das einzelne Gebot noch dessen literalen Sinn in Frage. Geistlich gilt ihm ein Werk, das vom Geist befohlen wird. 84 Christus wirkt aber durch den Geist die Gebote gerade dadurch, daß er sie gebietet. Fischer nutzt die in sich schon uneinheitliche Stellung des Neuen Testaments zum Gesetz aus, um den fortgesetzten normativen und wörtlichen Geltungsanspruch der Zehn Gebote zu verteidigen. Weit mehr als Glaidts Sabbatschrift hat sich Fischers 'Scepastes' kirchengeschichtlichen Argumenten zugewandt, um Argumente gegen den Sonntag zu finden. Glaidt scheint lediglich behauptet zu haben, der Sonntag sei die Erfindung des Papstes. 85 Fischer nennt Papst Viktor I. und Kaiser Konstantin86 und behauptet, die Gottesdienste ¿er Christen seien in neutestamentlicher Zeit und noch lange danach am Sabbat gehalten worden. 87 Krautwald verdächtigt Fischer, seine Kenntnisse der Kirchenväter nur aus Eusebs Kirchengeschichte genommen zu haben. 88 Daß die im Neuen Testament des öfteren zu findende Formulierung 'der erste des Sabbats' 89 den Sonntag bezeichnet, hält Fischer für ungewiß. 90 Er meint, die Feier des Sonntags verlängere die Woche um einen Tag. 91 All dies zeigt, daß Glaidt und noch mehr Fischer in ihren Sabbatbüchern versucht haben, die fortdauernde Relevanz des Sabbatgebots biblisch zu belegen. HASEL sieht deshalb im Sabbatismus eine Gestalt des reformatorischen SolaScriptura-Prinzips, er begreift ihn als eine Folge der Lehre von der Autorität der Schrift und deren buchstäblicher Auslegung und charakterisiert die Sabbater als Vertreter eines radikalen Biblizismus.92 83

Fischer beruft sich auf Rom 13,8f (vgl. Krautwald, Anhang S. 276,3-5). »Es ist bei im [ihm] geystlich werckh, was der geyst Gottes etwa befolhen hat, wan mans im [ihm] nach thuot, als die tauff ist ein götlich geistlichs werckh, und tauffwasser ein geystlich wasser, darumb das es der geyst Gottes eingesetzt und verordnet hat. Bald anderstwo ist das ein geistlich werckh, welches der geyst würckte und thüe in den Christen. Was nun, spricht er, die glidmassen aussen thon durch die wircklicheit des geists, das ist geyst und Gott angenem.« (Krautwald, Anhang S. 270,9-14). 85 CS 4,513,28. 86 Krautwald, Anhang S. 282,12-14. 87 Krautwald, Anhang S. 282,4.15f. 88 Krautwald, Anhang S. 267,8-10. 89 Vgl. 1. Kor 16,2; Apg 20,7; Mk 16,1.9; Lk 24,1; Joh 20,1.19. 90 Krautwald, Anhang S. 292,27-33; vgl. auch ebd. S. 267,3-6. 91 Krautwald, Anhang S. 267,30f. 92 HASEL, Sabbatarian Anabaptists I, S. 117, II, S. 28; DERS., Sabbatarian Theology, S. 46.50.56. 84

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Ohne Zweifel war es im Zeitalter der Reformation naheliegend, sich auf die Schrift und den Literalsinn zu berufen. Um den Sabbatismus zu erklären, reicht allerdings der Hinweis auf die Wertschätzung der Schrift und das SolaScriptura-Prinzip nicht aus. Freilich meinten die Sabbater, besonders eifrig dem Wort Gottes zu folgen 93 , jedoch muß man sich verdeutlichen, daß die Achtung der Schriftautorität angesichts einer christlichen Auslegungstradition, die das Sabbatgebot einhellig im christlichen Sonntag erfüllt sieht, nicht zwangsläufig zu der Überzeugung fuhren muß, das Sabbatgebot werde nur dann befolgt, wenn man den siebten Tag feiere. Karlstadt etwa hatte auch dem Dekalog und darin im besonderen dem Sabbatgebot eine erhebliche Bedeutung in seiner Theologie zugemessen, ohne diese Konsequenz zu ziehen. Die Frage, was die Sabbater dazu veranlaßte, ausgerechnet den Sabbat am siebten Tag zu fordern, ist also noch nicht beantwortet.

8.2.2. Der Sabbat als Zeichen der Erwählung In den vorhandenen Quellen lassen sich Hinweise entdecken, die das bisher zur Theologie der Sabbater Herausgearbeitete noch einmal in ein ganz anderes Licht rücken. Schwenckfeld verdächtigt Glaidt des Chiliasmus: »Aber ich sihe uß gottes gnaden wol / wo der Oßwald hinuß will. Er wartet ouch mit den Alten Juden / und etlichen Chiliasten / uff ein fleischlich reich Christj / uffs regiment der tusent Jar allhie uff erden. Da nemlich die gottlosen wie sie furgeben / all ußgereuttet / Da das Creutz Christj wurt uffgehaben unnd die gantz weit jres bedunckens heilig / fromm unnd gerecht werden soll.«94 Zwar läßt sich die Behauptung, Glaidt sei ein aufrührerischer Chiliast, weder aus den Notizen Capitos noch aus Krautwalds Bericht in bezug auf Fischer bestätigen. Schwenckfeld selbst äußert sie auch als Vermutung und weist sie entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nicht explizit als eine Aussage Glaidts aus. Der Vorwurf des Chiliasmus im Zusammenhang mit der Proklamation einer Vernichtung der Gottlosen ließe sich nach den Schrecken des Bauernkriegs und eines Thomas Müntzer eher als eine vernichtende Polemik gegen Glaidt verstehen, denn als eine nüchterne Analyse seiner Theologie. Dennoch wird man die Wurzeln des Sabbatismus in der Eschatologie seiner Vertreter suchen müssen und nicht in ihrem Biblizismus. Oben ist bereits angeklungen, daß Glaidt die Spiritualisierung des Sabbats ausdrücklich ablehnt. Nach Dtn 5,14 sei auch Ochs und Esel den Sabbat zu halten 93

Capito notiert: »Obtestatur, ut scripturis respondeamus« (QGT 7,388,30). CS 4,489,18-23; »Syntenmol er denn ouch von einem kunfftigen leiblichen reich Messie treumet [...]« (500,4f). 94

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geboten 95 ; weil aber das Vieh dies unmöglich geistlich tun kann, muß das Gebot wörtlich verstanden werden. Jedoch wendet sich Glaidt in erster Linie nicht deshalb gegen die geistliche Deutung, weil sie von einer buchstäblichen Beobachtung des Sabbatgebotes suspendiert, sondern eigentlich deshalb, weil nach seiner Überzeugung der geistliche Sabbat eine rein eschatologische Größe ist. Die Bedingungen, unter denen der Sabbat geistlich sein kann, sind noch nicht erfüllt. »So er [Glaidt] nu spricht / der Sabbath sey ein Schatten unnd zeichen / des Ewigen Sabbaths / unnd was er den Alten Juden gewest sey das sey er ouch uns / Weer mit Abraham / Isaac unnd Jacob / gleich erben will / der muß ouch glich gottes gebott mit jnen halten / idest / den samstag feirenn, item der Sabbath werde geistlich werden / wenn der mensch geistlich würt, 1. Cor: 15 [44-46], nemlich noch [nach] der uffersteeung des fleisches / unnd aber / so der Sabbath noch [nach] Christj zukunfft [Ankunft] geistlich worden weer / unnd weer nichts anders denn von den sunden uffhören / wie dann Ochßen unnd Esell den Sabbath halten musten / welchen er doch ouch gebotten wer, Deut: 5 [14], ist kurtzlich drauff zu anthwurten / das er erstlich an dem jrret / wenn er den Sabbath auff uns allein deutet / unnd desselbigen erfullung nur in jenes leben will sparen.«96 Christus und die Verkündigung des Neuen Testaments haben den Sabbat nicht spiritualisiert. Glaidt wehrt sich gegen eine christliche Reduktion des Sabbat auf eine Chriffre, die nur das Ablassen von den Sünden bezeichnen soll. Geistlich könne der Sabbat erst dann werden, wenn auch der Mensch ein geistlicher geworden sei. Unter den Bedingungen der Leiblichkeit dieses Lebens kann Glaidt nicht von 'geistlich' sprechen. Diese Kategorie könne nur auf jenes Leben bezogen werden, »nemlich noch [nach] der uffersteeung des fleisches«; sie sei rein eschatologisch zu nehmen, wie die Berufung auf 1 .Kor 15 zeige. In diesem Sinne legt Glaidt auch Kol 2,16f aus. 97 Mit den 'Schatten des Zukünftigen' meine Paulus nicht Israel und die Zeit des Gesetzes, sondern die Christen und seine eigene Zeit; das 'Künftige' sei mithin noch nicht angebrochen, die 'Schatten' noch nicht enthüllt. 98 Paulus »warne für den falschen propheten / die den schatten ehr [ehe] der leib kommt hinweg reissen wollen«.99 So ist auch der Sabbat nach wie vor als ein 'Schatten des Zukünftigen' zu verstehen. 100

95 96 97 98 99

CS 4,502,9f; QGT 7,387,34f. CS 4,500,13-23 (Korrektur der Syntax von mir, J.K.). Vgl. oben S. 195f. CS 4,507 (Marg.). CS 4,507,8-10. Vgl. QGT 7,390,37f.

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Zwei Schriftstellen liefern Glaidt die zentralen Interpretamente für sein Sabbatverständnis. Aus Ex 31,12-17 gewinnt er die Deutung des Sabbats als eines ewigen Zeichens, und eine genauere Kenntnis über den ewigen Sabbat erwirbt er sich bei der Exegese von Hebr 4,1-11. Capito zufolge entwickelt Glaidt seine Zeichentheorie im vierten Kapitel seines Sabbatbuches. 101 Die knappen Stichpunkte Capitos, die durch verstreute Bemerkungen Schwenckfelds ergänzt werden müssen, erlauben keinen Einblick in die Einzelheiten der Auslegung dieser wichtigen Schriftstellen. Die Grundlinien lassen sich aber durchaus erschließen. Glaidt bedient sich einer Allegorese des Hebräerbriefes, welche in Anlehnung an Num 14,22f und Ps 95,11 Kanaan als Land der Ruhe Gottes mit dem Sabbat in Verbindung bringt. 102 Da Gott dem murrenden Israel den Einzug nach Kanaan verwehrt, ist für Glaidt der Sabbat kein Zeichen des Landes Kanaan. »Item er [Glaidt] jrret ouch ferner / so er auß disem text [Hebr 4,3] will schliessen: Noch dem der Sabbath nicht ein Zeichen ist des landes Canaan, das er drumb ouch nicht ein Zeichen der ersten sonder der andern Zukunfft Christi sey«. 103 Schon der Hebräerbrief beharrt darauf, daß die Verheißung der Ruhe noch besteht (Hebr 4,1.6.9). Dies deckt sich für Glaidt mit Ex 31,12-17, wonach der Sabbat ein Zeichen des ewigen Bundes ist; die Israeliten sollen den Sabbat halten, daß sie ihn auch bei ihren Nachkommen - dies sind für Glaidt die Christen - halten als ewigen Bund (Ex 31,16). Die verheißene Ruhe, der ewige Sabbat, ist also mit Christus und der Verkündigung des Neuen Testaments noch nicht eingetroffen, vielmehr steht sie nach dem Zeugnis des Hebräerbriefes noch aus. Der ewige Sabbat kommt erst bei der Wiederkunft Christi zustande. 104 101

Vgl. QGT 7,391,5-16. Vgl. Hebr 3,7-11; 4,3f. 103 CS 4,504,15-18 (Zeichensetzung von mir, J.K.). »Ne contemne: subijcit Cananean non esse sabatum« (QGT 7,391,14). 104 Im Brief vom 18. Jan. 1532 stellt Schwenckfeld sein Sabbatverständnis knapp demjenigen Glaidts gegenüber: »[...] quod oporteat omnes, quotquot salvi esse velint, hic sabathum ingredi Christiani per fidem, quod Osvaldus in aliud seculum reservat.« (Anhang S. 300,15f - Hervorhebung von mir, J.K.). Vermutlich hat Glaidt den Sabbat auch mit dem anderen alttestamentlichen Bundeszeichen, der Beschneidung, genau verglichen. Aus dem für ihn eindeutigen Befund, daß nicht der Sabbat, aber sehr wohl die Beschneidung im Neuen Testament aufgegoben werde, hat er den Schluß gezogen, daß die Beschneidung ein Zeichen der Verheißung Jesu Christi ist, welches mit dessen (erster) Sendung erfüllt und aufgehoben wurde, während der weiterhin gebotene Sabbat ein Zeichen der Parusie Christi ist. So jedenfalls läßt sich folgende schwer verständliche Notiz Capitos interpretieren: »Circumcisio Christi adventus [zu ergänzen: Signum], sabatum igitur Signum [zu ergänzen: secundi adventus]« (QGT 7,391,12). Wenn Glaidt aufgrund des Hebräerbriefes zur These gelangt, daß der Sabbat nicht das Zeichen Kanaans ist, 102

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Schwenckfeld und Capito geben einige Hinweise darauf, daß die Erwartung der Parusie Christi ein entscheidendes Element in Glaidts Theologie bildet. So wird nach der Verheißung von Jes 2,3 der wiederkommende Christus das Gesetz vom Zion ausgehen lassen - eine Verheißung, die für Glaidt noch nicht erfüllt worden ist. 105 Als ebensowenig erfüllt gilt ihm daher die Verheißung des neuen Bundes und des ins Herzen geschriebenen Gesetzes nach Jer 31,33. Auf die Wiederkunft Christi hin »deutet er ouch das New Testament / unnd den spruch Hieremie / wie sichs lest ansehen / weil er im anfang sagt / unnd denselben dermassen versteet / als ob er noch nit erfüllet / Sonder das die gebott gottes erst hernoher sollen jnn unsere hertzen geschriben unnd uffgerichtet werden«. 106 Wird die Erfüllung von Jer 31 als Herzensbeschneidung107 gedeutet, dann läßt sie sich leicht mit dem ewigen Sabbat in Verbindung bringen, denn nach Gen 17,12 sollen die Knaben am achten Tag beschnitten werden; der achte Tag gilt aber der geläufigen Weltzeitenlehre als der ewige Sabbat. Der ewige Sabbat bedeutet dann eine geistliche Herzensbeschneidung, wie man sie aus Rom 2,29 herauslesen kann. 108 Schon hier wird deutlich, daß Glaidts Theologie den üblichen Rahmen christlicher Eschatologie dergestalt aufsprengt, daß man diese Theologie als eine apokalyptische einstufen muß. Glaidt verlagert entscheidende christliche Heilsereignisse gleichsam von der ersten auf die zweite Parusie Christi. Die Wiederkunft Christi wird den ewigen Sabbat aufrichten. Bis zur Parusie weist aber der alttestamentliche Sabbat als ein ewiges Bundeszeichen, welches durch das Neue Testament bestätigt wird und solange währt, bis Christus wiederkommt, auf jenen ewigen Sabbat hin und zwar dergestalt, daß er diesen in der Hoffnung antizipiert. Darum beschreibt Glaidt den gebotenen Sabbat als »ein zeichen der hofnong [sie!] zwischen gott vnd allen glaubigen«109, oder als

so könnte er anhand von Gen 17 herausgearbeitet haben, daß die Beschneidung das Zeichen Kanaans ist, denn dort wird das Bundeszeichen der Beschneidung gerade auf die Landverheißung hin eingeführt. !05 »Denn er [Glaidt] bekennt fast am endt seines buchlins / das des Messie gesetz am aller ersten ußgehn soll vonn Sion / unnd das wort des herren von Jerusalem Esa: 2 unnd sagt / das solchs vom gesetz durch Mosen gegeben nit möge verstanden werden / denn dasselb sey langest zuuor jnn der wüste uff dem berg Sinai gegeben worden« (CS 4,488,28-32). 106 CS 4,489,25-29. 107 Nach Jer 4,4; 9,25; Dtn 30,6; Rom 2,29; Kol 2,11. 108 Zur Frage, ob die Sabbater auch den Ritus der Beschneidung praktizierten siehe unten S. 231-235. 109 QGT 7,390,14f; »Sabatum Signum est spei inter deum et homines, Exo. 31« (ebd. 391,6). »Ist nun der Sabath ein Ewig Zeichen der hoffnung [...] wie gedachter lerer furgibt [...]« (CS 4,458,7f).

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»ein Schatten unnd zeichen / des Ewigen Sabbaths«. 110 Ebenso redet er »vonn der hoffnung des Ewigen Sabbaths«: »Drumb so jrret Osswald alhie mehr denn ein mol / so er vonn der hoffnung des Ewigen Sabbaths redet und kurtz dafür sagt, das ein zeichen nit lenger weret / denn bis daas [sie!], drauff es zeiget, kompt / Er bekennet / das der Ewige Sabbath / inn der hoffnung schon kommen sey«. 111 »Heb. 4 ad populum dei pertinet eternum sabatum, quod duntaxat in spe adest.«112 Die Feier des gebotenen Sabbats stellt nach Glaidt einen Bezug zum 'ewigen Sabbat' her. Sie antizipiert den eschatologischen Sabbat in der Hoffnung. Den alttestamentlichen Sabbat deutet Glaidt somit als ein den eschatologischen Sabbat in der Hoffnung vergegenwärtigendes Zeichen und - in den Worten von Kol 2,17 - als Schatten des ewigen Sabbats. 113 Dies ist aber gerade nur dadurch möglich, daß der Sabbat auch gehalten wird. Der Sabbat geht für Glaidt nicht in seiner Deutung auf; vielmehr kann er seine Funktion, den ewigen Sabbat zu vergegenwärtigen, nur erfüllen, indem er praktiziert wird. »Spricht nu Oßwald: Syntenmol wir noch nit die Ewige rue volkommlich erlanget haben / so müssen wir ouch noch den Sabbath halten«. 114 Die vorhandenen Quellen ermöglichen indes noch einen tieferen Einblick in die Hintergründe dieser sabbatistischen Zeichenlehre. Die Wiederkunft Christi ist für Glaidt eine Wiederkunft zum Gericht. Daß das Halten des Sabbats ein Kriterium für das Bestehen dieses Gerichtes ist, verwundert dabei kaum. Erstaunlich ist jedoch, daß Glaidt im Zusammenhang mit dem Gericht den Sabbat auch als ein 'Siegel der Hoffnung' beschreibt. Capito bemerkt in dem konzipierten Antwortschreiben an Leonhard von Liechtenstein: »Wie mag etwas Verstands Christi by disem geist [sc. Glaidt] syn, der den sibenden tag vnd den todten buchstaben nennet ein starcken felsen daruff der baw bestöe, ein

110

CS 4,500,13f. CS 4,504,9-12; »Oßwald sagt, Paulus rede jnn obgemeltem Spruche [nämlich Hebr 4,3] vonn dem zukunfftigen Ewigen Sabbath / der noch nit anders / denn inn der hoffnung komen ist« (CS 4,503,23-25; Zeichensetzung jeweils von mir, J.K.). 112 QGT 7,391,10f. 113 »[...] et sabatum nobis sicut priscis vmbra est aeterni sabbati.« (QGT 7,390,37f). 114 CS 4,501,18f (Zeichensetzung von mir, J.K.). Nach Krautwalds Bekunden muß Glaidt ähnliches auch über den Dekalog als Ganzen gesagt haben; »Osswalt hat in seinem büechlin vom sabbat geschriben, in Gottes gebotten verharren bis ans end das heist die hoffnung« (Krautwald, Anhang S. 275,34f). 111

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zeichen vnd sigel der hofnong [sie!] zwischen gott vnd den menschen danach wir geriecht werden?«115 Die Tatsache, daß diese Behauptungen Glaidts die einzigen sind, die Capito schon in der Einleitung seines Schreibens für erwähnenswert hält 116 , zeigt, daß sie in Glaidts Sabbatbuch von großer Bedeutung sind. In seinen Notizen zum vierten Kapitel des Sabbatbuchs vermerkt Capito zusätzlich: »Qui igitur non vult causa cadere, is querat sigillum hoc [sc. sabatum] etc.«. 117 Indem sich bei der Wiederkunft Christi das Bestehen im Gericht an der Frage mißt, ob der Sabbat gehalten wurde, wird das Sabbathalten auch zu einer Garantie für das Bestehen dieses Gerichtes. Der Sabbat ist eine Versiegelung für das Gericht und damit ein Zeichen der Erwählung. Wer das Gericht besteht, gelangt in die verheißene Ruhe Gottes, tritt in den ewigen Sabbat ein. So ist der Sabbat für diejenigen, die ihn halten, bis Christus zum Gericht wiederkommt, die Vergewisserung dafür, daß sie in die Ruhe Gottes eintreten werden; er ist Zeichen und Siegel ihrer Erwählung, er ist gleichsam das Visum zur Einreise ins neue und ewige Kanaan. Darum bekennt Glaidt, »das der Ewige Sabbath / inn der hoffnung schon kommen sey«. 118 Wenn oben formuliert worden ist, daß das Sabbathalten den ewigen Sabbat in der Hoffnung antizipiere, so kann dies nun präzisiert werden: Das Sabbathalten vergewissert die Sabbater ihrer Erwählung zum ewigen Sabbat, d.h. zur eschatologischen Erlösung. Die Betonung des Sabbats als eines Zeichens der Hoffnung hat Glaidt einer Aufzeichnung Capitos zum vierten Kapitel zufolge sogar veranlaßt, den Sabbat neben Taufe und Abendmahl zu stellen und die drei 'signa' der paulinischen Trias Glaube - Liebe - Hoffnung zuzuordnen: »Sabatum Signum est spei inter deum et homines, Exo. 31; usque ad finem igitur mundi sabatum seruandum, si Signum aliquid referat necesse est, sicut baptismus fidem, eucharistia - charitatem, sabatum - spem.«119 Diese Zuordnung von Taufe und Abendmahl zu Glaube und Liebe im Rahmen von Glaidts Zeichenlehre verdeutlicht, daß er Taufe und Abendmahl keineswegs verwirft, daß er sie allerdings ebenso wie den Sabbat in erster Linie als Zeichen versteht, die Taufe als Zeichen des Glaubens, das Abendmahl als Zei115

QGT 7,365,27-31. Capito klagt weiter: »Was will Christus syn, so der sibendt tag die hofnong ist, die mitelong zwischen gott und den menschen vnd der starck felß vnd grundtfest des geistlichen gebaws? O des jamers!« (Ebd. 365,32-34). 117 QGT 7,391,12f. 118 CS 4,504, llf. 119 QGT 7,391,6-9. 116

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chen der Liebe, wie den Sabbat als Zeichen der Hoffnung. Wie aber zum Sabbat gezeigt werden konnte, vertritt Glaidt keine spiritualistische Zeichenlehre. Die rituelle Praxis bleibt unabdingbar. Ein 'Stillstand' der Abendmahls- und Taufpraxis, wie ihn die Schwenckfelder erwogen haben, ist daher für die Sabbater kaum denkbar. Dies wird auch bestätigt durch die Strafandrohungen, die Glaidt am Ende des dritten Kapitels seines Buches den Übertretern des Sabbats ins Stammbuch geschrieben hat. Dabei hat sich Glaidt auch auf Taufe und Abendmahl bezogen. 120 Ohne daß sich genauer sagen ließe, in welcher Weise dies geschehen ist, erhellt daraus doch, daß Glaidt den Sabbat der Taufe und dem Abendmahl zur Seite stellt. Was also über die Taufe oder das Abendmahl bei den Sabbatern gesagt werden kann, darf mutatis mutandis auch für den Sabbat ausgesagt werden und umgekehrt. Bisher wurde die apokalyptische Dimension des Sabbatismus nur für Glaidts Sabbatbuch aufgezeigt. In der Tat läßt sie sich aus Krautwalds Bericht für die Theologie Andreas Fischers nicht in gleichem Maße nachweisen. Die 16 Punkte, in denen Krautwald die Sabbatlehre Fischers zusammenfaßt 121 , enthalten nichts zum 'ewigen Sabbat'. LIECHTY konstatiert bei Fischer ein grundsätzliches Fehlen der »chiliastic tendencies« Glaidts. 122 Einige Andeutungen aus Krautwalds Bericht, die nur in die Richtung dessen zu verstehen sind, was wir oben von Glaidt vernommen haben, sollten jedoch nicht überhört werden. So kommt Krautwald im letzten Teil seines Berichts noch einmal auf den 'ewigen Sabbat' und sein eigenes, spiritualistisches Verständnis desselben zu sprechen. 123 Krautwald bekundet sodann, Fischer verstehe den 'ewigen Sabbat' »vom eingang leibs und der seien in die ewigkeit [...] Er meinet, wan die Christen in den sabbat ires herren Christi eingehn solten, so müesten sie es nur mit leib und seel thon«; der Sabbat des Glaubens sei nur »ein allegorischer und getreumbter sabbat«.124 Die Begründung, mit der Fischer die spiritualistische Deutung des Sabbats ablehnt, ist derjenigen Glaidts ganz ähnlich und verrät den gleichen Grundgedanken: In den ewigen Sabbat gelangt der Mensch nur

120 QGT 7,391,1-4. 121 Vgl. Krautwald, Anhang S. 281f. 122 LIECHTY, Fischer, S. 61. Er zieht daraus weitreichende Schlußfolgerungen im Hinblick auf die Entstehung und Fortentwicklung des Sabbatismus; siehe dazu unten S. 219-222. Etwas vorsichtiger urteilt WEIGELT: »Ein gänzliches Fehlen des eschatologischen Motivs scheint auch deshalb unwahrscheinlich, weil Fischer offensichtlich in seiner Sabbatauffassung stärkstens von Glaidt beeinflußt gewesen ist.« (WEIGELT, Die Auseinandersetzung, S. 363). 123 124

Krautwald, Anhang S. 297,6-12 (vgl. dazu Kap. 3). Krautwald, Anhang S. 297,13-19.21.

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als ganzer, mit Leib und Seele und dies ist unter den Bedingungen dieser Welt und dieses Äons, etwa bloß durch den Glauben, nicht möglich. Diese Andeutungen lassen stark vermuten, daß Fischer ebenso wie Glaidt der Parusie Christi entscheidende Bedeutung zumißt. Jedenfalls lehrt Fischer, das Gericht Christi orientiere sich danach, ob die Zehn Gebote und im besonderen der Sabbat gehalten worden sind. 125 Daß Fischer solche Gedanken im 'Scepastes decalogi' nicht deutlicher äußerte, kann leicht dadurch erklärt werden, daß diese Schrift sich auf diejenigen thematischen Bereiche konzentrierte, die zuvor Krautwald in seiner Arbeit gegen Glaidt als die schwächsten und kritischsten herausgestellt hatte. Dies war in erster Linie der neutestamentliche Befund, sowie die Sabbat-Sonntag-Frage in der frühen Christenheit, denn diese Themen herrschen sowohl in Fischers 'Scepastes' wie auch in Krautwalds Bericht vor. Da Glaidts apokalyptische Sabbatdeutung schon bei Capito auf großes Unverständnis gestoßen war 126 , wird Fischer davon abgesehen haben, sie erneut zu entfalten, was keineswegs heißen muß, daß er sie nicht mehr mit Glaidt und seinen Sabbatern teilte. Die bisher erbrachte Rekonstruktion der Sabbatlehre Glaidts und Fischers vermittelt noch kein klares Bild hinsichtlich der historischen Zusammenhänge, der Motivation und der Hintergründe. Erst wenn dies erhellt wurde, läßt sich diese in vielen Punkten ungewöhnliche und seltsame Theologie begreifen. Die historischen Wurzeln des täuferischen Sabbatismus wurden von HASEL, LIECHTY und MÜLLER gar nicht oder nur sehr ungenügend freigelegt. Diese Aufgabe soll zunächst angegangen werden. Danach erst können zuverlässige Erwägungen zur historischen Entwicklung und zur Datierung des Sabbatismus angestellt werden.

125

Fischer »will nit Christum allein alles in allenn würckhen lassen f...], sonder neben Christo und im [ihm] gleich sollen des Moysi tafflen, zehen gebott und ampt im christenthumb stelle haben; danach werde sie Christus der herr mit seinem geist richten und die gute werckh in den gleübigen darnach würckhen und je seines sabbats nit vergessen.« (Krautwald, Anhang S. 272,5-10). 126 Vgl. die Belege auf S. 202f.

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8.3. Der Sabbatismus als Verarbeitung des Hutschen Täufertums (Traditionsgeschichte)

In der Täuferforschung ist seit längerem bekannt 127 , daß der Sabbatismus der Reformationszeit eine Ausprägung des Täufertums, genauer des süddeutschösterreichischen Täufertums ist, das sich namentlich mit dem apokalyptisch gesinnten Täuferführer Hans Hut verbindet. 128 Oswald Glaidt, der Begründer dieses Sabbatismus 129 , gelangte unter den dominierenden Einfluß von Hans Hut, als dieser sich im Mai 1527 im mährischen Nikolsburg aufhielt.

8.3.1. Oswald Glaidt Über Glaidts Biographie ist nicht allzuviel bekannt. 130 Einiges ergibt sich jedoch aus seiner im Januar 1527 bei Simprecht Sorg, genannt Froschauer, in Nikolsburg gedruckten 'Entschuldigung'. Glaidt stammte aus dem oberpfälzischen Cham, war wohl ein entlaufener Mönch und als Anhänger der Reformation im österreichischen Leoben, unweit von Graz, tätig, von wo er weichen mußte und 1525 nach Nikolsburg kam. 131 Dort war er unter Hans Spittelmaier Prädikant und beteiligte sich im März 1526 an der Austerlitzer Unionssynode der Utraquisten und der Anhänger der Reformation, von der er einen detaillierten Bericht gab. 132 Schon kurze Zeit später erreichte Balthasar Hubmaier Nikolsburg, wo er sogleich unter der Protektion Leonhards von Liechtenstein den öffentlichen Aufbau einer Täufergemeinde vorantrieb. 133 Anfang 1527 gibt Glaidt seine 'Entschuldigung' in Druck, mit der er sich gegen verleumderische Vorwürfe verteidigt, indem er sein Verständnis zentraler christlicher Artikel darlegt. Diese Artikel enthalten größtenteils eine unverdächtig reformatorische 127

Vgl. oben S. 186f. Zu Hut siehe vor allem SEEBASS, Müntzers Erbe, und PACKULL, Mysticism and the Early South German-Austrian Anabaptist Movement. 129 Siehe dazu unten S. 219. 130 Zu Glaidts Lebenslauf siehe WISWEDEL, Oswald Glait von Jamnitz, LOSETH, Art. Glait und LIECHTY, Oswald Glaidt. 131 Glaidt, 'Entschuldigung' Air; Aiiiv; Aiiiir; WISWEDEL, Glait, S. 5 5 0 . 132 »Handlung yetz den xiiii tag Marcy dis xxvi iars [...]«; dazu ZEMAN, The Anabaptists and Czech Brethren, S. 9 1 - 1 0 0 . 3 1 8 - 3 2 2 und WISWEDEL, Glait, S. 5 5 2 128

555. 133

Vgl.

BERGSTEN,

Balthasar Hubmaier, S.

405-415.

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Lehre. 1 3 4 Lediglich der Artikel über die Taufe verrät, daß Glaidt sich den Ansichten Hubmaiers geöffnet hatte, denn er beharrt auf dem Bekenntnis als Voraussetzung für die Taufe. 1 3 5 Besonders nachdrücklich wird sich aber Hubmaiers Theologie dem Oberpfälzer nicht empfohlen haben, denn als im Mai 1527 Hubmaier in Nikolsburg mit Hans Hut über die 52 Artikel disputiert, die er aus dessen Schriften zusammengestellt hat, um Huts Lehre - sie hatte in Hubmaiers Gemeinde nicht wenige Anhänger gefunden - öffentlich zu brandmarken, sehen wir Glaidt auf Huts Seite. 136 Dies geht aus Huts Augsburger Verhör vom 4. November 1527 hervor. 1 3 7 Als Hut aus Nikolsburg fliehen mußte, hat ihn Glaidt begleitet. In Wien wurde an Pfingsten 1527 Leonhard Schiemer von Glaidt getauft. 1 3 8 Hut selbst zog von Wien aus durch Österreich und gelangte nach Augsburg, wo er am 15. September verhaftet wurde. Am 6. Dezember 1527 starb Hut im Gefängnis. 1 3 9 Währenddessen war Glaidt in Regensburg, wo ihn Hans Schlaffer irgendwann zwischen September und November 1527 getroffen hat. 1 4 0 Die nächste Kunde über Glaidt erhalten wir erst Ende des Jahres 1531 aus den Notizen Capitos und der Abhandlung Schwenckfelds. Inzwischen war Oswald Glaidt der Begründer des Sabbatismus geworden. 1 4 1

134

Sie sind zusammenfassend wiedergegeben bei WISWEDEL, Glait, S. 557-561. »[...] und ausserhalb des rechten gelauben, der mit aignem mund bekhent wirt, Tauffen lauter laruenspil und gaugelwerckh ist.« ('Entschuldigung' Dii v ). Unverständlich ist WISWEDELS Behauptung, aus Glaidts 'Entschuldigung' spreche eine dezidiert lutherische Position (WISWEDEL, Glait, S. 550, Anm. 2). Dies widerlegt nicht nur der Taufartikel, den auch Wiswedel als Beweis für Glaidts Täufertum erkennt (S. 561), sondern auch der Abendmahlsartikel, der einzig um den CommunioGedanken kreist ('Entschuldigung' Diiir) sowie der Artikel gegen die Bilder, der eher auf Einflüsse Zwingiis und Karlstadts hinweist (ebd. Ciii v f). 136 Zu Huts Aufenthalt in Nikolsburg, den 52 Artikeln und der Disputation siehe SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 252-279, und PACKULL, Mysticism, S . 99-106. 137 Stadtarchiv Augsburg, Wiedertäuferakten I, fol.52 r , wiedergegeben bei SEEBASS, Müntzers Erbe, Anhang S. 53 (Nr. 15). 138 WISWEDEL, Glait, S . 562; LOSERTH, Art. Glait, S. 118; SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 282; anders allerdings SEEBASS, Art. Hut, S. 742: hier gibt SEEBASS an, Schiemer sei in Wien von Hut getauft worden. 139 SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 280-320; DERS., Art. Hut, S . 742f. 140 Vgl. Schlaffers zweite Verantwortung (MÜLLER, Glaubenszeugnisse, S. 118) und FRIEDMANN, Schiemer and Schlaffer, S. 3 7 . 141 Zum weiteren Lebensweg Glaidts siehe unten S. 224-229. 135

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8.3.2. Glaidt und Balthasar Hubmaier Wenn nun nach den theologischen Einflüssen zu fragen ist, die für die Ausgestaltung von Glaidts Sabbatismus wirksam geworden sind, so scheidet zunächst eine Abhängigkeit von der Lehre Balthasar Hubmaiers völlig aus. Zwar hat sich dieser durchaus auch über den Sabbat geäußert und darin sogar Glaidt das Vorbild für ganz ähnliche Ausführungen über den Sabbat geliefert. Jedoch müssen die Äußerungen beider eindeutig in den Rahmen der traditionell spiritualisierenden Sabbatdeutung verwiesen werden. Mit einer Deutlichkeit, wie sie nur in der Alten Kirche zu finden war, unterscheidet Hubmaier in seiner 'Rechenschaft' von 1528 zwischen Sabbat und Sonntag. Für die Christen ist alle Tage Sabbat, denn Sabbat bedeutet »von den sunden ruen«. Den Sonntag leitet Hubmaier nicht vom Sabbat sondern vom Herrentag her. 142 Nachdem er den Schöpfungssabbat und das dritte Gebot genannt hat, nimmt er Luthers Formulierung auf, daß »der selb sabbat [...] nu vns in den sontag vorwandelt« sei 143 , und fügt ihr eine originelle Erklärung dieser 'Verwandlung' an. Er erinnert daran, daß nach Jos 10,12f die Sonne einen Tag stillgestanden habe, so daß sich der seit der Schöpfung bestehende Wochenrhythmus um einen Tag vorgeschoben habe, wodurch der siebte Tag der Woche nun der Sonntag und nicht mehr der Sabbat sei. 144 Auch Glaidt bekennt in seiner Anfang 1527 gedruckten 'Entschuldigung' »den rechtenn sabbath des frids des gewissenns«. Alle Tage gelten dem Christen gleich: »So ist Christus ein herr auch des Sabbaths, wie er selber sagt. Und alle die in Christo sein, durch den rechtenn glauben, sein auch herren des sabbaths denn sy werden durch den geyst geregiert. Wo aber der geyst gottes ist, das ist freyhait, Ist denn 142 »wiewol einem Cristenn alle tag Sabath seindt, also das er von den sunden ruen soll, so wiert doch der Sonntag sonnderlich angetzogen in der Schrifft, das er ein tag sey des herrenns.« (Hubmaier, Schriften, S. 482). 143 Luther, BoA l,267,2f (Sermon von den guten Werken). 144 »Das aber nun diser Sabath bey den Cristen in den Sonntag verwanndelt ist, halt jch gietlich darumb beschehen seinn, wann als Josua gestritten, seind jm die Sonn vnd mon auß der Schickhung gottes 24 stund still gestannden, biß sich das volckh an seinen feinten nach dem gotlichen beuelch gerochen hat. Die 24 stund machen einen natturlichen tag.« (Hubmaier, Schriften, S. 482f). Auch in Hubmaiers Katechismus klingt die spirituelle Deutu'ng ganz in den Worten aus Luthers 'Sermon von den guten Werken' an: »Ja, der mennsch hat einen ewigenn Sabbat, den solle er teglich vnnd on vnderlaßs feyren, sich von den sünden enthalten, vnnd Got in sich wirckenn lassen.« ('Ein christenliche Leertafel', 1526, Hubmaier, Schriften, S. 319).

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sach, das wir durch den geist gefürt werden, so sein wir nit under dem gesetz, und haben alle tag ain feyrtag des geysts, den rechtenn sabbath des frids des gewissenns, das ist, rue im Christo. Also ist Sunntag, montag, freytag, sambstag, ain ding, denn wir loben und eeren alle tag gott in unsern hertzen, schreyen, Abba, o lieber vatter sey unns gnedig, Erparm dich unser.«145 Hierzu gehört auch Glaidts etwa gleichzeitig entstandenes Dekaloglied: »Mein Sabbath solt du halten im gaist, wie ichs begeer, Dein hertz solt du nit spalten, solt fassen meine leer, Dein leyb und Seel halt wol in hut, das sie meim willen volgen mit frischem freiem mut.« 146 Diese Ausführungen beweisen nicht nur, daß Glaidt um die Jahreswende 1526/27 noch kein Sabbater war. Vielmehr belegen sie auch, daß er mit der geläufigen Deutung des Sabbats gut vertraut war und daß er sein Augenmerk auf den Dekalog richtete. In der 'Entschuldigung' begründet Glaidt die Unterschiedslosigkeit der Tage mit Kol 2,16f 1 4 7 , also mit jener Schriftstelle, die er später als Sabbater ganz anders auslegt. Glaidt entwirft sein späteres Sabbatverständnis jedenfalls nicht in Unkenntnis der üblichen Auslegungstopoi.

8.3.3. Glaidt und Hans Hut 8.3.3.1. Der Chiliasmus Wer und was hat Glaidt dann zu der radikalen Neuinterpretation des Sabbats getrieben? Wir haben oben eine stark apokalyptische Orientierung in Glaidts Sabbatismus entdecken können. Darin spiegelt sich das entscheidende Moment der Verkündigung Hans Huts wider. Wegen seiner radikalen Apokalyptik wurde Hut berüchtigt und verfolgt. Die Obrigkeit spürte genau, daß in ihm der revolutionäre Geist Müntzers weiterlebte. Wie schon bei diesem, so verdichtete sich auch in der Verkündigung Huts die weit verbreitete Endzeitstimmung zu einem apokalyptischen Szenarium, das nicht nur um die einzelnen Modalitäten wußte, sondern auch die genauen Termine kannte. Nach einer Zeitspanne von dreieinhalb Jahren, in der die wahren Christen Verfolgung erleiden und zerstreut werden, wird Christus furchtbares Gericht halten an den Gottlosen - das sind vor allem die weltlichen und geistlichen Herren -, wobei er sich seiner Erwählten bedient, die blutige Rache nehmen an ihren Verfolgern. Währenddessen oder danach wird er wiederkommen und eine neue Erde und einen neuen Himmel als Wohnstätte der übriggebliebenen Erwählten schaffen. Durch eine erste Auferstehung von den Sünden gelangen 145

Glaidt, 'Entschuldigung' Ciiir (Artikel »von underschaid der tag«), WACKERNAGEL, Kirchenlied, Bd. 3 , S . 4 6 6 (Nr. 5 2 4 ) . Obwohl das Lied erst 1 5 3 0 veröffentlicht wurde, datiert LIECHTY, Oswald Glaidt, S . 1 7 , seine Entstehung zu Recht ins Jahr 1526 oder 1527. 147 Glaidt, 'Entschuldigung' Ciiir, hier noch in den Worten der später verworfenen Übersetzung Luthers: »last euch nyemant gewissen machen [...]«. 146

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diese in das Tausendjährige Reich, für das Hut scheinbar in durchaus irdischen Kategorien eine utopische Weltordnung zeichnete. Erst danach wird das letzte Gericht statthaben, von dem nicht ganz klar ist, ob Hut es sich als dualistisches Gericht oder als Apokatastasis panton vorstellt. 148 Die dreieinhalb Jahre bis zum Anbruch des ersten Gerichtes über die Gottlosen zählte Hut von der Hinrichtung Müntzers und Pfeiffers in Frankenhausen an, verkürzte sie aber um ein halbes Jahr, so daß er auf etwa Pfingsten 1528 kam 149 , ein Datum, das er nicht mehr erlebte. Weder die Details dieses Szenariums noch irgendwelche Datumsberechnungen ließen sich in Glaidts Sabbatbuch nachweisen, und an der Bezichtigung des Chiliasmus durch Schwenckfeld wurden oben Zweifel angemeldet. 150 Doch der Verdacht Schwenckfelds trifft durchaus zu. Schwenckfeld hat etwas Richtiges vermutet, was er in Glaidts Sabbatbuch wahrscheinlich nicht schwarz auf weiß lesen konnte. Über die Apokalyptik wurde im Hutschen Kreis nicht offen gesprochen. Sie galt als Arkanlehre. 151 Wahrscheinlich hat daher auch Glaidt in seinem Sabbatbuch den Chiliasmus nicht deutlich entfaltet. Dennoch ist Glaidts Verständnis des 'ewigen Sabbats' chiliastisch geprägt. Hut selbst brachte das Tausendjährige Reich mit dem großen Weltsabbat in Verbindung. Dies geht vor allem aus der Aussage von 1530 von einem der frühesten Anhänger von Hut, Marx Maier 152 , über die 'sieben Urteile' Huts hervor. Nach Maier handelte das fünfte Urteil vom Sabbat: »Das fünft [Urteil] vom sabat: nachdem Christus sechs tag gearbeit und den sibenden tag gefeirt hat, also were gottes wort sechsmal verfolgt worden, und jetzund zum sibenden mal solt es durch sie, die widertaufer, wann sie solchs erleben und die Sünden gestraft und die obrigkeit ausgereut haben, in ruhe komen«.153 Der Zusammenhang mit dem oben umrissenen apokalyptischen Szenarium ist offensichtlich. Der Zustand nach dem vernichtenden Strafgericht der Erwählten über die gottlose Obrigkeit, die Gottes Wort verfolgt, wird Sabbat genannt. Auch bei Huts Schüler Leonhard Schiemer findet sich dieses Motiv in der Auslegung des Glaubensbekenntnisses, das Schiemer um die Jahreswende 148

Dieses apokalyptische Szenarium nach SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 362-386. Die Einzelheiten dieser Datierung ebd., S. 386-394. !50 CS 4,489,18-23; 500,4f; vgl. oben S. 198. 151 Vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 315f.386.405. 152 Zu den Maier-Brüdern siehe SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 224; PACKULL, Mysticism, S. 92. 153 QGT 2,211,36-40 (Nr. 234 - mit der von SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 359 korrigierten Interpunktion). 149

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1527/28 im Gefängnis verfaßte. 154 Der siebte Tag ist der Tag des Gottesgehorsams, zu dem der Mensch in diesem Äon nicht gelangen kann, weil ihn der Antichrist »will 6 mal zwingen zu bleiben in den 6 tagen«; Schiemer bezieht sich auf die »666« aus Apk 13,18. 155 Indem Glaidt Andeutungen Huts weiterführt, stellt er sein Sabbatverständnis in diese chiliastische Tradition. Die Parusie Christi ist auch der Angelpunkt von Glaidts Heilsgeschichte. So glaubt Glaidt, die Verheißung des ins Herz geschriebenen Gesetzes nach Jer 31,33 werde erst bei dieser Parusie erfüllt werden. Dies hatte auch Hut gelehrt. Die unmittelbar bevorstehende, endzeitliche Wiederherstellung der Welt erwartet er gar als Überbietung des apostolischen Zeitalters. 156 Freilich hat Hut aus dem chiliastischen Sabbatverständnis nicht auf eine buchstäbliche Reaktivierung des Sabbatgebots zurückgeschlossen, wie später Glaidt. Ohne Zweifel hat er aber auch in dieser Hinsicht seinem Schüler den Weg gebahnt. In einer Abschrift von Huts Konkordanz, die nur die Stellen zu den 'sieben Urteilen' enthält 157 , steht zum ersten 'Urteil' an erster Stelle: »Von des Herren bund: Esa. 56: weliche halten wem meine sabbathn«. 158 Es folgen dort etliche weitere Schriftstellen, in denen das Stichwort »Bund« enthalten ist, größtenteils aber ohne erklärendes Zitat. Hut betont den in Jes 56,4f bezeugten Zusammenhang der Bundestreue mit der Wahrung des Sabbats. Dieser Zusammenhang berührt einen Kerngedanken des Sabbatismus. Schließlich hat Hut bereits die für Glaidt so wichtige Bestimmung des Sabbats als eines Zeichens vorweggenommen. So nämlich definiert er den Sabbat in seinem sogenannten 'Katechismus' 159 : »Was der recht sabet sey? Sabet ist ein 154

FRIEDMANN, Schiemer and Schlaffer, S. 32.

155

MÜLLER, Glaubenszeugnisse, S. 49f.

156

»Dieweil die letzt und allergferlichest zeit diser weit itzt auf uns gelanget, das wir mit fürsichtigen äugen sehen und erkennen, wie alles, das von anfang durch die propheten, patriarchen und apostel weissagt, verkündigt und geschechen sol, itzund widerumb zum werk greift und herwiderbracht wirt«. (Hut, 'Von dem geheimnus der tauf' - MÜLLER, Glaubenszeugnisse, S. 13). »Also hat es sich von anfang der weit bissher gehalten, im tayl aber noch nye ins gantz kommen, wie die Propheten weyssagen Esai 12. 65. Hiere. 31. Joh 2«. (Zitiert nach SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 361). Vgl. dazu ebd. S. 360-362. 157 Diese Konkordanz zu den 'sieben Urteilen' ist wiedergegeben bei SEEBASS, Müntzers Erbe, Anhang S. 10-12 (Nr. 4); vgl. zu ihr ebd. S. 70-72.74f; zu Huts vollständiger Konkordanz siehe unten Anm. 161. 158 SEEBASS, Müntzers Erbe, Anhang S. 11. 159 Es handelt sich dabei um »Fragmente von Fragen und kurzen Thesen«, die in Huts Missionsbüchlein enthalten sind, das man bei Hut während seines Augsburger Prozesses gefunden hat (dazu SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 26-36; Zitat ebd. S. 30). Der 'Katechismus' ist ediert ebd., Anhang S. 2f (Nr. 1).

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zaichen«.160 Auch in Huts Konkordanz 161 sind 19 Schriftstellen zu der Frage »Was der sabet sey« zusammengetragen. 162 Die meisten Schriftstellen enthalten in irgendeiner Weise das Stichwort »Sabbat«. Bei einigen der angegebenen Kapitel der Bibel ist das aber nicht der Fall. Dtn 7 etwa dürfte Hut wegen Vers 11 hier verzeichnet haben: »Custodi ergo praecepta et caeremonias atque iudicia, quae ego mando tibi hodie ut facias«163, ebenso bei Jer 11, einer Ermahnung zum Gehorsam gegenüber den Worten des Bundes, also insbesondere der Zehn Gebote. »Audite verba pacti huius, et facite illa« (Jer 11,6). Auch der für Glaidt so entscheidende Zusammenhang vom Sabbat als Zeichen und dem Halten der Gebote bzw. des Sabbats deutet sich somit schon bei Hut an. Der in der Konkordanz dem Sabbat-Stichwort unmittelbar vorausgehende Punkt lautet: »Die gepot des Herren sein zaichen«.164 8.3.3.2. Die Restitution der Christenheit Die grundlegenden Elemente, aus denen sich Glaidts Sabbatlehre zusammensetzt, hatte bereits Hut gelehrt. Der Sabbat bezeichnet einerseits das Millennium, andererseits ist er ein Bestandteil des Bundes Gottes und bestimmt sich so als ein Zeichen. Daß Hut unter diesen Bedingungen dennoch nicht gefordert hat, den Sabbat auch zu halten, liegt darin begründet, daß das Motiv der Restitution bei ihm aufs engste mit der unmittelbaren Naherwartung verquickt ist. Das Motiv der 'restitutio' ist das vierte und letzte Stadium eines inhaltlichen Orientierungsschemas, das vielen Täufern zur Deutung der Geschichte dient. Nach dem Goldenen Zeitalter der Apostel, in dem es noch keine Kindertaufe gab und die Kirche frei war von obrigkeitlicher Beeinflussung, folgt der meist bei Konstantin angesetzte Fall der wahren Kirche; danach lebt die Kirche nur noch in einem verborgenen Rest wahrer Christen und wird nun nach apostolischem Vorbild durch die Täufer wiederhergestellt. 165 Diese Wiederherstellung Müntzers Erbe, Anhang S . 2. Huts Konkordanz ist in dem Büchlein enthalten, das man am 24. April 1528 bei der Festnahme Eitelhans Langenmantels gefunden hat (dazu SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 37-44); sie verzeichnet zu 81 oft apokalyptischen Topoi über 700 Schriftstellen; wiedergegeben ist sie bei SEEBASS, Müntzers Erbe, Anhang S. 3-9 (Nr. 2). 162 SEEBASS, Müntzers Erbe, Anhang S . 8. 163 N ac h d e r Vulgata (Hervorhebungen von mir, J.K.). Hut benutzte eine lateinische Bibel, vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 42. 164 SEEBASS, Müntzers Erbe, Anhang S . 8. 165 Auf die Diskussion in der Täuferforschung über das täuferische Geschichtsbild muß hier nicht näher eingegangen werden. Es ist lediglich darauf hinzuweisen, daß dieses Schema als solches eine Implikation der Forschung und nicht etwa eine schon von den Täufern formulierte »Lehre« darstellt. Die Variationen sind mannigfaltig und die Abgrenzung zum Geschichtsbild der Reformatoren kann selten deutlich gezogen 160

161

SEEBASS,

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identifiziert Hut mit der ersten Auferstehung der im Seelenschlaf bewahrten Frommen bei der nahe erwarteten Parusie Christi. Da die Restitution eine apokalyptische ist, begreift Hut sie als eine Überbietung dessen, was jemals zuvor war, und nicht als eine bloße Wiederherstellung apostolischer Zustände, wie es die Schweizer Täufer sahen. 166 Sich aktiv mit der Wiederbelebung apostolischer Verhältnisse zu befassen, scheint unsinnig, wenn man wie Hut so genau um den nahen Anbruch des Reiches Christi weiß. Die Forderung nach einer Wiedereinführung des Sabbats paßt nicht in diese Situation. Hierin unterscheiden sich die Sabbater von Hut. Wenn sie vor dem Hintergrund des von Hut bereitgestellten Materials den Schritt wagen und den Sabbat nun tatsächlich einfordern, so bedeutet dies zweierlei. Zum einen ist ihre Vorstellung von einer 'restitutio' nicht die gleiche wie bei Hut. Die Sabbater sind durchaus bemüht, apostolische Zustände wiederherzustellen, wobei sich diese Apostolizität nicht nur an den neutestamentlichen Normen und Gemeinderegeln, sondern eben auch am Dekalog orientiert.167 Die wiederzuerweckende apostolische Kirche wird nicht nur als eine Kirche ohne Kindertaufe, ohne obrigkeitliche Bevormundung und mit Gütergemeinschaft bestimmt, sie zeichnet sich vor allem als eine Kirche aus, die noch den Sabbat hält. Entsprechend orten die Sabbater den Fall der wahren Kirche schon vor Konstantin, nämlich mit Papst Victor (189-199), der den Sonntag eingeführt habe. 168 werden. Vgl. dazu HILLERBRAND, Anabaptism and History. Am genausten dürfte dieses Schema und besonders der Restitutionsgedanke noch auf Müntzer und Hut zutreffen, vgl. ebd. S. 121f. 166 Vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 360-362. 167 Auch Hut hatte sich bereits zur Bestimmung des Goldenen Zeitalters nicht nur wie die Schweizer Täufer auf das Neue Testament berufen, sondern auch - darin Müntzer folgend - das Alte herangezogen, vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 356. 168 Siehe Krautwald, Bericht, Anhang S. 282,12f und CS 4,513,28. Der Verfall der Christenheit setzte auch nach Hut und Müntzer schon sehr früh ein, jedenfalls vor Konstantin, vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 357. LIECHTY erklärt den Sabbatismus letztlich als eine bestimmte Form des täuferischen Anliegens nach der Restitution der Christenheit (LIECHTY, Fischer, S. 25f.l05108). Obgleich dieser Interpretationsansatz sicher nicht von der Hand zu weisen ist, bleibt er bei LIECHTY recht unergiebig, da er mit einem sehr undifferenzierten Begriff von 'restitutio' arbeitet. Er weitet ihn so aus, daß er im Grunde auf jede Gestalt reformatorischen Christentums bezogen werden kann (vgl. ebd. S. 26). Wenn LIECHTY bei Fischer eine Entapokalyptisierung des Sabbatismus zu erkennen meint (vgl. unten S. 219), dann wäre zu vermuten, daß dieser Sabbatismus eine Gestalt des Restitutionsmodels ist, die demjenigen der Schweizer Täufer nahekommt. Dies bedenkt LIECHTY jedoch ebensowenig wie das ganz anders geartete Restitutionverständnis Glaidts, welches dann auch in der Lage sein muß, den Ursprung des Sabbatismus zu erklären. Angesichts der von LIECHTY selbst betonten Verschiedenheit der Sabbatlehren Glaidts und Fischers hilft die pauschal gefaßte Restitutionsthese kaum weiter.

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Zum andern aber setzt der Ruf nach dem Sabbat eine Entschärfung von Huts Apokalyptik voraus. Hut ging es darum, in den verbleibenden drei Jahren bis zum Beginn des Gerichtes möglichst vielen Gleichgesinnten seine geheime Botschaft zu verkünden, sie zu taufen und als die Erwählten für das Gericht zu sammeln. Er war eilends durch ganze Landstriche gezogen, ohne irgendwo längere Zeit zu verweilen. Es kam ihm nicht darauf an, eine beständige Gemeinde zu gründen.169 Dies muß aber Glaidts Anliegen gewesen sein, wenn er eine Sabbatordnung ersinnt, die ja eine Art Gemeindeordnung darstellt. Glaidt plant längerfristig als Hut. Er wirkt offenbar nicht mehr unter dem Druck des unmittelbar bevorstehenden Gerichtes. Hut hält seine Zeit für eine Leidenszeit, in der die Verfolgung der Erwählten durch die Obrigkeit konstitutiv ist. Glaidt dagegen ruft die Obrigkeit zur Kooperation auf; sie soll helfen, die Achtung des Sabbats öffentlich durchzusetzen. Im Unterschied zum Wirken Huts weist der Sabbatismus von Anfang an eine deutliche Tendenz zur Institutionalisierung auf. Die Sabbater richten sich auf eine Zukunft noch in dieser Weltzeit ein. Auch dies bestätigt die Vermutung, daß die Apokalyptik Glaidts, die wesentliche Elemente von derjenigen Huts übernommen hat, doch deren brisante Aktualität eingebüßt hat. 8.3.3.3. Der Sabbat als eschatologische Versiegelung Bevor daraus eine These für den Sabbatismus formuliert werden kann, muß ein letztes Element in den Blick kommen, das sowohl Glaidts Abhängigkeit von Hut, wie auch die Differenz zu ihm verdeutlicht. Hut hatte ein ganz spezifisches Verständnis der Taufe. 170 Wie die meisten Täufer unterschied zwar auch er zwischen der äußeren und der inneren Taufe und lehnte die Taufe von Kindern ab. Doch praktizierte er nicht eigentlich eine Wiedertaufe, sondern zeichnete seinen Anhängern ein Kreuz auf die Stirn. Damit versiegelte er sie für das kommende Gericht. Die Versiegelten werden erst im Leid bewährt und dann im Gericht als Werkzeuge Gottes auftreten. Sie gehören zu den 144000 Erwählten, die das Gericht bestehen werden. Wir sahen oben, daß auch Glaidt die Kategorie der Versiegelung kennt, nur eben nicht auf die Taufe bezogen, sondern auf den Sabbat. Der Sabbat ist ein Zeichen der Hoffnung und ein Siegel für das Gericht. Was für Hut das Stirnzeichen war, ist für Glaidt der Sabbat. Da Hut diese Praxis selten Taufe, sondern meist Zeichen nannte171, wird Glaidt sie vor allem als ein solches und

Vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 333f. Dazu SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 466-483 und DERS., Das Zeichen der Erwählten, S. 139-143. 171 Vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 473. 169 170

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nicht dezidiert als Taufe aufgefaßt haben. Einem Zeichen aber läßt sich leicht ein anderer Ritus zuordnen. Das Halten des Sabbats als Ritus begriffen unterscheidet sich aber stark von dem Hutschen Stirnzeichen. Dieses wird nur einmal vollzogen und stellt daher wie die Taufe - als solche hatte sie Hut ja auch verstanden - einen einmaligen Initiationritus dar. Der Sabbat dagegen ist ein zu wiederholender, anamnetischer Ritus, darin dem Abendmahl gleich. Die Bedeutung des durch den Ritus Bezeichneten wird in der steten Wiederholung immer wieder erinnert. Der wiederholbare Ritus zielt auf eine längerfristige Kontinuierbarkeit. Auch daraus erhellt, daß der Sabbatismus nicht die Situation der in aller Kürze erwarteten Endzeit widerspiegelt und nicht in dieser Situation entstanden sein kann. Der Sabbatismus ist in der Form, wie er sich bereits bei Oswald Glaidt präsentiert, eine Folgeerscheinung des Hutschen Täufertums und eine Verarbeitung der Enttäuschung, die diesem Täufertum aus dem Ausbleiben der Parusie zu dem prophezeiten Termin entstanden ist. Die Verarbeitung dieser Enttäuschung erfolgt aber zumindest bei Glaidt noch in einer Weise, die ihren apokalyptischen Ursprung nicht grundsätzlich preisgibt. Unmittelbarer, als das für Fischer und die späteren Sabbater der Fall sein mag, war Glaidt darum bemüht, den eschatologischen Bezug zu bewahren. Nach seinen Vorstellungen sollte die Feier des Sabbats das Erwählungsbewußtsein seiner Gemeinde wach halten. Die Hoffnung auf die Parusie Christi und den Anbruch des 'ewigen Sabbats' sollte durch den kontinuierbaren Ritus der Sabbatfeier lebendig fortbestehen, auch wenn sich Glaidt nicht mehr in der Lage sah, den Termin dieser Parusie neu zu bestimmen.

8.3.4. Glaidt und Jörg Haug Es hat sich bisher herausgestellt, daß der Sabbatismus als eine Verarbeitung des Hutschen Täufertums entstanden ist. Glaidt überwand in ihm die Enttäuschung, die sich auf das Hutsche Täufertum gelegt hat, nachdem Huts Parusieweissagung nicht bewahrheitet worden war. Er entnahm der Verkündigung Huts die Motive des Weltsabbats sowie des Sabbats als eines Bundeszeichens und entwickelte daraus eine dezidierte Sabbat-Theologie, die es ihm ermöglichte, eine stark eschatologisch orientierte Gemeinde zu begründen, die Bestand hat. Es ist nun noch der Frage nachzugehen, ob einzelne Linien dieser genuin apokalyptischen Sabbatdeutung über Hut und dessen Schüler bis in den breiten Strom der spirituellen Sabbatdeutung zurückverfolgt werden können. Dabei ist vor allem an Karlstadt zu denken, dessen Einfluß auf das Täufertum nicht un-

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terschätzt werden darf. 1 7 2 Es liegt nahe, eine Brücke zwischen Karlstadt und Hut über Thomas Müntzer zu schlagen, der mit beiden bekannt war. Doch Müntzers Schrifttum enthält keinen Beleg für eine spiritualisierende Sabbatdeutung. Lediglich für das im Hutschen Kreis kursierende Motiv des Weltsabbats finden sich Spuren bei Müntzer 173 , die bei diesem auf ein Fortleben joachitischer Traditionen zurückgeführt werden können. 1 7 4 Hut und dann die Sabbater haben damit freilich eine Deutung aufgegriffen, die sich bis in die älteste Christenheit und darüber hinaus nachweisen läßt. 1 7 5 Nun sieht SEEBASS bei Hut neben der chiliastisch joachitischen Sabbatdeutung vor allem die spirituelle dominieren. In seiner Sabbatlehre finde »die völlige Passivität des Menschen in der Rechtfertigung [...] einen besonders deutlichen Ausdruck«. 176 Daß Hut den Sabbat als ein Zeichen gerade der Rechtfertigung versteht, ist zwar bei der problematischen Quellenlage nicht auszuschließen, aber auch keineswegs so eindeutig, wie SEEBASS es darstellt, der sich hierfür nur auf eine der 19 in Huts Konkordanz vermerkten Stellen zum Sabbat berufen kann, nämlich auf Jes 58,13. Es ist aber nicht auszumachen, ob Hut diese Stelle tatsächlich in der von SEEBASS vermuteten Weise ausgelegt hat. Hut beschrieb zwar in seiner Taufschrift die Rechtfertigung durchaus in den mystischen Kategorien vom Stillhalten und Gelassen des Willens 177 , doch er bezieht dies nicht explizit auf den Sabbat. Da dieser Auslegungstyp weder bei Müntzer, noch im Umfeld und Schülerkreis Huts anzutreffen ist, vermute ich, daß auch Hut sich nicht des Sabbatmotivs bediente, um daran sein Rechtfertigungsverständnis zu illustrieren; vielmehr dürfte er es vornehmlich im escha172 Für das Schweizer sowie das holländische und englische Täufertum hat dies PATER, Karlstadt as the Father of the Baptist Movements, deutlich gemacht. In diesem Zusammenhang hat jüngst ZORZIN einen Wormser Druck von 1527 als Karlstadts anonym gedruckten »Dialogus vom Tauff der Kinder« identifiziert, der schon 1524 verfaßt worden war (ZORZIN, Karlstadts »Dialogus vom Tauff der Kinder«); hinsichtlich der Quellen ist damit gleichsam das 'missing link' zwischen Karlstadt und den Täufern gefunden. 173 Müntzer schreibt im Brief vom 27. März 1522 an Melanchthon: »Nullus potest ingredi requiem, nisi adaperiantur septem gradus rationis septem spiritibus« (Müntzer, Schriften, S . 381,29f). Vgl. auch SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 359f; Anhang S. 307, Anm. 80. 174 Müntzer hat den pseudojoachitischen Jeremiaskommentar gelesen und geschätzt, vgl. Müntzer, Schriften, S. 398,15f (Müntzers Brief an den Schösser Hans Zeiß vom 2. Dez. 1523). 175 Der früheste christliche Beleg für diesen Typ der Sabbatdeutung dürfte der Barnabasbrief (15,1-5) sein (BIHLMEYER, Die Apostol. Väter I, S. 28,23-29,12); ähnlich auch bei Irenäus, Adv. haer. V,28,3; 30,4 (SC 153,358.386); Hippolyt, In Dan. Comm. IV,23f (SC 14,187-189). Zum Motiv des Weltsabbats und seine Eingliederung in verschiedene Weltzeitenlehren siehe SCHMIDT, Aetates mundi. 176 SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 500; vgl. DERS., Art. Hut, S . 744,45f. 177 MÜLLER, Glaubenszeugnisse, S . 21f; vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 500f.

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tologischen Kontext eingeführt haben 178 , wenngleich auch kaum bezweifelt werden kann, daß Hut mit Karlstadts Sabbattraktat und dessen geistlicher Deutung vertraut war. Ansätze zur eschatologischen Sabbatdeutung fand Hut allerdings nicht nur bei Müntzer vor, sondern auch bei Jörg Haug, den Hut kannte und dessen Flugschrift »Ain christlich ordenung / aines warhafftigen Christen / zu verantwurtten die ankunfft seynes glaubens« er 1526 vermutlich in den Druck gab. 179 Über Haug ist kaum etwas bekannt. Er dürfte aus dem niederen Klerus stammen und ist sicher dem Umfeld Müntzers und des Bauernkriegs zuzurechnen. 180 Seine 'Christliche Ordnung' - die einzige von ihm bekannte Schrift - hat auf Hut und weit darüber hinaus gewirkt. Diese schon 1524 verfaßte Flugschrift zeigt nicht nur Parallelen zu Müntzers und Huts Gedankengut, sondern auch Ankläge an Karlstadts Orlamünder Theologie. Haug beschreibt einen stufenartigen Heilsweg. Die erste Stufe, »der Gayst der forcht« 181 , ist der Anfang des Glaubens. Hier handelt Haug vergleichsweise ausführlich vom Unterschied von Menschen- und Gottesfurcht und stellt am Beispiel der Kreatur dar, wie aus der Furcht Erkenntnis sprießt, der die Liebe und schließlich der Glaube folgt. Dieser sachlichen Folge werden nun in Anlehnung an Jes 11,2 sechs kürzere Abschnitte angehängt: der Geist der Weisheit, des Verstandes, des Rates, der Stärke, der Kunst und der Gottseligkeit. Das Schema der sieben Geister resultiert aber nicht aus einem stringenten Gedankenfortschritt, sondern trägt nur in formaler Weise der Siebenerzahl Rechnung, die Haug für das entscheidende Ordnungsprinzip hält. Dies macht er in der Vorrede deutlich. Die sieben Stufen der Vollkommenheit entsprechen den sieben Schöpfungstagen. Er erinnert an die Sieben in den apokalyptischen Texten. »Dise zal zaygt alweg zum volkommen / da es alles ruwet / und nit höher vermagk.« 182 Siebenfach wird der Christ geprüft, bis er die Gleichförmigkeit mit Christo, den rechten Sabbat, erreicht: »Hierumb steet der anfang aines Christenlichen lebens inn der forcht Gottes / und kompt von ainem zu dem andern / biß er durch alle siben auffs höchste probiert werde / und Christo gleychförmig / das hayßt denn der rechte Sabath / da der Gayst Gottes ruwet / Esa. 11 [2]«.183 Mysticism, S . 78f. Müntzers Erbe, S. 104-106. 180 VGL ebd. und PACKULL, Mysticism, S. 63. 181 Haug, 'Christliche Ordnung' A2r-Blr. 182 Ebd. Al v . 183 Ebd. Im letzten Teil der Flugschrift, in dem Haug noch einmal stichpunktartig die sieben Grade des Heilswegs auflistet, lautet der siebte Grad: »Christo Jesu änlich werden und gleych gesindt sein / ist die Gotseligkait. Da ruwet alles und ist der recht Sabath den Gott von uns erfordert / dem die gantze weit widerstrebet.« (C40. 178

179

vgl. Vgl.

PACKULL,

SEEBASS,

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Haug übernimmt hier die Grundlinie von Karlstadts geistlicher Sabbatdeutung. Der Sabbat ist ein Sinnbild für die Heiligung des Menschen, in der dieser Christo gleichförmig wird. Aber anders als Karlstadt geht Haug dabei nicht vom Sabbatgebot, sondern von der Schöpfungswoche aus. Der Sabbat vollendet die Schöpfung; die Sieben ist der Grad der Vollkommenheit. Damit paßt Haug den geistlichen Sabbat in ein teleologisches und an der Siebenerzahl orientiertes Gefüge ein. Obwohl sich Karlstadt nicht auf den Schöpfungssabbat und die Siebenerzahl beruft, bot er Haug doch die entscheidende eschatologische Komponente, indem er den Sabbat mit dem Geist der Ruhe nach Jes 11,2 verknüpft: »So nu der mensch in dißem sterblichen leychnam nit mit allen krefften in Got ruhet [...] ßo muß etwar ein volkommenheyt dem unuolkommen / und dz gantze / den teylen nachuolgen [...] und müste der geyst der forcht / mit dem geyste der ruhe erfuellt / und der kleyn und niderig geyst / so groß werden / das er in gotis himelreich eingehe / uff das er mit allen engein / einen volkommen sabbat / begehe.«184 Die eschatologische Perspektive ist schon bei Karlstadt angelegt. Haug greift diese Sicht bei Karlstadt auf und verstärkt sie, indem er sie mit dem Schöpfungssabbat verbindet und so ein teleologisches Gliederungsprinzip erhält, das Ansätze für eine Apokalyptisierung liefert. Diese Ansätze hat Hut im Kontext seiner akuten Endzeiterwartung mit Hilfe joachitischer Traditionen zu einem chiliastischen Sabbatverständnis ausgebaut, welches dann Glaidt im Zuge einer entschärften Apokalyptik zum Sabbatismus umgebildet hat, der sich nun dezidiert gegen die geistliche Sabbatdeutung richtet. So läßt sich der Weg von Karlstadts Sabbattraktat, in dem die geistliche Sabbatdeutung dominiert und der Ausblick auf den ewigen Sabbat noch im Rahmen des allgemein Eschatologischen gehalten ist, über Jörg Haug, der den Schöpfungssabbat und die Siebenerzahl einbringt, bis zu Hans Hut und Oswalt Glaidt verfolgen. Indem Karlstadt dem Sabbatmotiv eine zentrale Stellung im Gefüge seiner um die Heiligung kreisenden Theologie zuschreibt, lenkt er die Aufmerksamkeit des »linken Flügels der Reformation« auf dieses Motiv, das dann im apokalyptischen Täufertum auf eine Bahn gerät, die Karlstadt selbst zwar nicht intendiert, deren Richtung er aber durchaus vorbereitet hat.

184

Karlstadt, 'Vom Sabbat' (KS 1,42,26-37 - Hervorhebung von mir, J.K.). »Nemlich / alles das yhn / an gotis kunst verhindert / und wirt sicher das yhm / hinfürder / in dem hohen Sabbat / kein verhindernis mehr hindern und anrüren magk / das versteht er durch den geyst / der yhn mit ruhe erfüllet hat / denn der geyst der forcht wirt volendet / der den geschaffen geyst / uffs höchste außgepreytt und außgestreckthat.« (Ebd. 43,31-37). Vgl. oben, Kap. 2, S. 81f.

Der täuferische Sabbatismus in Mähren

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8.4. Die Geschichte der Sabbater

8.4.1. Die Entstehung Es war vor allem Glaidts Sabbatbuch, dem die Abhängigkeit von der Verkündigung Hans Huts anzumerken ist. Daher darf man ihn und nicht Andreas Fischer als den Begründer des Sabbatismus ansehen. 185 Krautwald bestätigt dies in seinem Bericht über Fischer ausdrücklich. 186 Auch charakterisiert er Fischer als einen, der sich erst später in eine schon laufende Diskussion eingeschaltet habe. 187 Die schriftliche Auseinandersetzung um den Sabbat zwischen Glaidt und Fischer auf der einen und Schwenckfeld und Krautwald auf der andern Seite hat mit Sicherheit Glaidt mit seinem Sabbatbuch begonnen. Bei einem Vergleich der rekonstruierten Argumente Glaidts mit denjenigen Fischers meint L I E C H T Y , das völlige Fehlen der chiliastischen Tendenzen bei Fischer feststellen zu können. 188 Obwohl diese Beobachtung dem unmittelbaren Textbefund durchaus gerecht wird, konnte sie oben schon erklärt werden. 189 Man muß daher nicht notwendig einen grundsätzlich anderen theologischen Hintergrund für Fischers Sabbatismus annehmen, als für denjenigen Glaidts. LIECHTY tut dies und gelangt so zu der These, Glaidt habe nach dem Ausbleiben der Parusie Christi zu Pfingsten 1528 den geistigen Führungsanspruch in der Sabbatangelegenheit an Fischer abgetreten. 190 Diese These impliziert die Behauptung - LIECHTY macht dies nie recht deutlich -, daß der Sabbatismus noch vor Pfingsten 1528 entstanden und auch Glaidts Sabbatbuch bereits vor diesem Datum geschrieben worden ist. Wenn die obigen Darlegungen zutreffen, nach denen der Sabbatismus im Grunde nur als eine Folgeerscheinung des Hutschen Täufertums und als eine Verarbeitung der Enttäuschung von Pfingsten 1528 verstanden werden muß, dann kann Glaidt seine Sabbatlehre unmöglich vor Pfingsten 1528 ersonnen haben. Läßt sich dies mit den übrigen Datum vereinbaren, die über Glaidt, Fischer und die Sabbater bekannt sind? 185

Zu diesem Ergebnis kommt auch LIECHTY, Fischer, S. 61f. »Allein bey dem Osswalt hat er [Fischer] vom sabbat gehört, den wolle er seines gantzen Vermögens schützen und handt haben.« (Krautwald, Anhang S. 267,33f); vgl. ebd. S. 276,23; 291,25-27. 187 Krautwald, Anhang S. 265,12-14; 267,24f; 270,34-271,1. 188 LIECHTY, Fischer, S. 60f. 189 Vgl. oben S. 205. 190 LIECHTY, Fischer, S. 62. 186

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Für die Abfassung von Glaidts Sabbatbuch ergibt sich als 'Terminus ante quem' Mitte November 1531, denn Capito will Glaidts Buch in Straßburg gerade zu der Zeit erhalten haben, als seine erste Frau starb. 191 Rechnet man die Zeit ein, bis Leonhard von Liechtenstein auf das Buch aufmerksam geworden ist und es nach Straßburg gelangen konnte, wird man kaum über die Mitte des Jahres 1531 hinausgehen können. Als 'Terminus post quem' ist Glaidts 'Entschuldigung' anzusehen, da Glaidt hier noch die spirituelle Sabbatdeutung vertritt. 192 Sie ist auf den 26. Januar 1527 datiert. Der größte Teil der Forschungsliteratur übernimmt die von den Herausgebern des Corpus Schwenckfeldianorum in der Einleitung zu Schwenckfelds Traktat aufgestellte Behauptung, Glaidt und Fischer seien nach Hubmaiers Tod 1528193 nach Liegnitz in Schlesien gezogen, hätten dort den Sabbatismus propagiert und seien dabei auf Schwenckfeld und Krautwald gestoßen, mit denen sie mündlich debattierten. Glaidt habe dabei schon sein Sabbatbuch zur Hand gehabt. 194 H A S E L schließt sich diesen Angaben an, vermutet aber, daß Glaidt schon 1527 in Nikolsburg, also vor seinem Liegnitzer Aufenthalt den Sabbatismus entwickelt habe. 195 LIECHTY hat diese Sicht in der oben angedeuteten Weise ausgebaut. Man ist sich also darin einig, daß der Sabbatismus spätestens 1528 in Liegnitz aufgetaucht ist. Dieses Datum basiert auf einer Bemerkung Schwenckfelds, in der er angibt, mit Glaidt »etwan zur Liegnitz jnn Schlesien fruntlich gesprech gehalten« zu haben. 196 Die Bedeutung dieser Bemerkung darf allerdings nicht zu hoch angesetzt werden, denn genau betrachtet läßt sich aus ihr weder entnehmen, daß auch Fischer bei diesem Gespräch zugegen war, noch, daß es dabei um den Sabbat ging. Die Charakterisierung des Gesprächs als »freundlich« legt sogar eher die Vermutung nahe, der Sabbat sei damals noch kein Thema gewesen, denn obwohl Schwenckfeld keine besonders polemische Natur ist, darf doch bezweifelt werden, daß er angesichts des diametral entgegengesetzten Ver191

Vgl. QGT 7,363,22-27; Capitos erst Frau starb kurz vor dem 12. November 1531, vgl. ebd., Anm. 5. 192 Siehe oben, S. 208f. 193 Hubmaier wurde am 10. März 1528 in Wien verbrannt. 194 CS 4,450. So unverändert auch bei WISWEDEL, Oswald Glait, S. 562, LoSERTH, Art. Glait, S. 118, WILLIAMS, Radical Reformation, S. 410; ähnlich auch KLASSEN, Art. Sabbatharier, S. 3 (mit dem Unterscheid, daß nach KLASSEN Glaidt sein Buch kurz nach dem Treffen mit Schwenckfeld und Krautwald geschrieben habe) und SEEBASS, Müntzers Erbe, S. 502. 195 HASEL, Sabbatarian Anabaptists, S. l l l f ; DERS., Sabbatarian Theology, S. 42f. Zu dieser Annahme wurde HASEL wahrscheinlich durch eine Notiz in der Hutterer-Chronik geleitet, in welcher die Sabbater in Nikolsburg lokalisiert werden (ZIEGLSCHMID, Chronik, S. 86; vgl. dazu unten S. 225), siehe HASEL, Sabbatarian Theology, S. 42, Anm. 7. 196 CS 4,454,25.

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ständnisses des Sabbats ein Streitgespräch hierüber als freundlich bezeichnet hätte. Schwenckfelds Bemerkung besagt im Grunde nicht mehr, als daß Glaidt vor Mitte Februar 1529 - zu diesem Zeitpunkt hat Schwenckfeld Liegnitz verlassen 197 - in Liegnitz war und dort mit Schwenckfeld zusammengetroffen ist. Freilich ist damit nicht bewiesen, daß Glaidt zu diesem Zeitpunkt noch kein Sabbater war; es ist diesem Datum damit nur der Rang eines 'Terminus ante quem' bestritten, so daß das oben genannte spätere Datum gültig bleibt. Glaidt hat den Sabbatismus nach Pfingsten 1528 ausgebildet und sein Buch vor Mitte 1531 geschrieben. vertritt in seiner Dissertation und in mehreren Aufsätzen über Andreas Fischer nicht nur die hier problematisierte These, daß Glaidts Verteidigung des Sabbats wegen der chiliastischen Fundierung noch in die Lebenszeit Hans Huts gehöre, sondern er datiert auch die gesamte uns bekannte Auseinandersetzung über den Sabbat mit den Schwenckfeldern sehr früh, nämlich in das Jahr 1528. Demnach habe Glaidt sein Buch 1527 oder Anfang 1528 verfaßt, Krautwald habe bald darauf die ebenfalls nicht mehr vorhandene, aber in seinem Bericht erwähnte Gegenschrift zu Glaidts Buch 198 geschrieben, worauf sich Fischer »after a few weeks or months« mit seinem ebenso nicht mehr greifbaren 'Scepastes Decalogi' eingeschaltet habe. Krautwald antwortete darauf - immer noch 1528 - mit seinem 'Bericht', und erst »a few years later«, nämlich 1532, beendet Schwenckfeld den Disput mit seinem Traktat gegen Glaidts Buch. 199 LIECHTY

Zu dieser frühen und gedrängten Datierung der Sabbatdiskussion sah sich LIECHTY offenbar infolge seiner Rekonstruktion von Fischers Lebensweg genötigt. Gegenüber den bisherigen Untersuchungen zu Andreas Fischer, die in ihm hauptsächlich einen slowakischen Täuferführer sehen, dessen mährische und schlesische Aufenthalte und damit auch sein Sabbatismus nur vorübergehende Allotria waren 200 , zeichnet LIECHTY das Bild eines täuferischen SCHULTZ, Caspar Schwenckfeld, S. 161. Siehe Krautwald, Anhang S. 264,8-13; 265,4-6; 267,24f. 199 LIECHTY, Andreas Fischer. A brief biographical Sketch, S. 127; vgl. DERS., Fischer, S. 51f; DERS., Schwenckfelders and Sabbatarian Anabaptists, S. 136.138f; »an agreement to exchange booklets on the subject« (ebd., S. 139) vermag ich allerdings aus dem Beginn von Krautwalds Bericht nicht zu entnehmen. 200 RATKOS, Die Anfänge des Wiedertäufertums in der Slowakei (1958), stützt sich fast ausschließlich auf Konrad Spervogels Diarium (siehe dazu unten, S. 222f) und geht auf Fischers Sabbatismus überhaupt nicht ein. URBAN, Andreas Fischer ein radikaler Anabaptist und Spiritualist aus der Slowakei (1976), bringt demgegenüber kaum Neues und erwähnt Fischers Sabbatismus nur kurz im Zusammenhang mit Glaidt und Nikolsburg, ohne näher darauf einzugehen. 1980 veröffentlichte URBAN den Brief eines Andreas von Kremnitz, den er schon früher - wie vor ihm bereits RATKOS - mit Andreas Fischer identifizierte (URBAN, Eine theologische Auseinandersetzung um ... Andreas Fischer). Diese Identifizierung hat LIECHTY in seiner Dis197

198

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Sabbaters österreichischer Herkunft, der zwischendurch auch in der Slowakei gewirkt hat. Es würde für unsere Belange zu weit führen, die einzelnen Thesen detailliert zu überprüfen. Meines Erachtens hat LIECHTY die besseren Argumente für seine These geltend machen können. Das Bild, das besonders W A C L A W URBAN in mehreren Arbeiten über den slowakischen Andreas Fischer gezeichnet hat, ist derart verworren und widersprüchlich, daß allein schon darum LIECHTYS Versuche plausibel erscheinen, URBAN und dessen Gewährsleuten mehrere Verwechlungen bei der Namensidentifizierung in ihren Quellen nachzuweisen. Nach LIECHTY muß nun Fischer mit Glaidt zusammen schon 1 5 2 8 in Liegnitz den Sabbatismus verbreitet haben, weil er im März 1529 in die Slowakei aufgebrochen ist und es keine Anzeichen dafür gibt, daß Fischer später noch einmal nach Schlesien zurückgekehrt sei. 2 0 1 Krautwald bezeugt, daß sich die Sabbater tatsächlich in Schlesien aufgehalten haben und ihre Lehre dort scheinbar mit einigem Erfolg verbreiten konnten. 202 Ferner vermittelt Krautwalds 'Bericht' den Eindruck, daß Fischer an der schlesischen Sabbatermission beteiligt war. 2 0 3 LIECHTY datiert daher auch Krautwalds 'Bericht', der kein Datum aufweist 204 , ins Jahr 1528, so daß Krautwalds und nicht Schwenckfelds Schrift die ältere der heute vorhandenen Quellen wäre. 2 0 5 Datierungsvorschläge werfen allerdings erhebliche Probleme auf. Die erste Schwierigkeit benennt er selbst. Aus keiner der Quellen, die für Fischers Slowakeiaufenthalt relevant sind, ergibt sich der geringste Hinweis auf seinen Sabbatismus. LIECHTY beruft sich vor allem auf Konrad Spervogels LIECHTYS

sertation mit gutem Grund angezweifelt (LIECHTY, Fischer, S. 29-31; vgl. DERS., Andreas Fischer. A Case of Mistaken Identity). Noch 1985 publizierte URBAN in der Bibliotheca Dissidentium einen Artikel über Fischer, in dem er LIECHTYS Arbeiten und Thesen zur Kenntnis nahm (S. 71.81) und ohne den geringsten Versuch, dessen Argumente zu entkräften, die eigene Sicht Fischers unverändert reproduzierte. 201 LIECHTY, Fischer, S. 46f. 202 »Dannoch weys ich wol, das sie [die Sabbater] in irem umblauff auch in Schlesien etliche feiste schaff, das sein reiche Schultheis und pauren, welche feiste bezalte güeter und vil legergelt im vorratt gehabt, nach sich gezogen, und von irer woll inen pfrüenden gestifft haben.« (Krautwald, Anhang S. 296,28-31). 203 Ebd. S. 296,27. 204 D E R INS Jahr 1530 weisenden Archivdatierung mißt LIECHTY zu Recht keine Bedeutung zu (LIECHTY, Fischer, S. 47). 205 Die von AUGSBURGER in der Rezension zu Liechtys Buch, S. 310, aufgestellte Behauptung, LIECHTY widerspreche sich selbst, indem er gegen seine Datierung des Krautwaldschen 'Berichts' auf 1528 diesen als nach Schwenckfelds Traktat von 1532 verfaßt darstellt, trifft nicht zu. Wenn LIECHTY, Fischer, S. 52, Krautwalds 'Bericht' als »the fourth writing in the series« ausgibt, dann bezieht er das auf die vorausgegangenen Schriften von Glaidt, Krautwald und Fischer, nicht aber auf Schwenckfelds Abhandlung.

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'Diarium'. Spervogel, Ratsherr in Leutschau, verzeichnet darin als treuer Anhänger der Altgläubigen das Treiben der Täufer in der Umgebung und ihre »häretischen« Lehren. Fischer wirft er die Ablehnung der Marienverehrung und der Kindertaufe, die Leugnung der Christologie und die Verachtung der Obrigkeit vor. 206 Vom Halten des Sabbats ist bei Spervogel nicht die Rede. LIECHTY schließt daraus, daß Fischer seinen Sabbatismus vorübergehend verschwiegen und den Slowaken vorenthalten habe, denn seit 1532 sei er wieder als Sabbater in Mähren anzutreffen. 207 Diesen an sich merkwürdigen Befand versucht LIECHTY nicht zu erklären. Allerdings ist Vorsicht bezüglich der Zuverlässigkeit von Spervogels 'Diarium' geboten. Die falschen Lehren, die dort Fischer vorgeworfen werden, decken sich in wesentlichen Punkten mit den 'Artikeln der Wiedertäufer', die in vielen Archiven anzutreffen sind 208 und die von den Räten und Kanzleien weitergereicht und so auf Behördenebene verbreitet worden sind. Als Ratsherrn könnten sie Spervogel durchaus bekannt gewesen sein und auf seine Beschreibung der wiedertäuferischen Lehren eingewirkt haben. Aus dem Fehlen des Sabbatismusvorwurfs in Spervogels 'Diarium' ergibt sich keineswegs notwendig die Folgerung, daß Fischer in der Slowakei nichts über das Sabbathalten gelehrt hat. Ein weiteres Problem von LIECHTYS Frühdatierung ist darin zu sehen, daß im Verlauf des einen Jahres 1528 vier Schriften über den Sabbat verfaßt und ausgetauscht worden sind. Die drei Schriften, die auf Glaidts Buch folgen, müßten also alle direkt nach Erhalt der vorhergehenden innerhalb kürzester Zeit niedergeschrieben worden sein. Dies wäre zwar denkbar, doch nicht eben wahrscheinlich, zumal zumindest Fischers 'Scepastes' einen nicht geringen Umfang gehabt haben muß. 209 Tatsächlich sind jedoch die beiden letzten dieser Schriften, nämlich Fischers 'Scepastes' und Krautwalds 'Bericht', frühestens Ende 1534 entstanden. Im 'Scepastes' wendet sich Fischer gegen Luthers und die Züricher Bibelübersetzung, und zwar an neutestamentlichen, wie auch an alttestamentlichen Stel-

206 vgl. die Textauszüge bei LIECHTY, Fischer, S. 114-121 (Appendix II) und die Darstellung ebd., S. 75-79, und URBAN, Andreas Fischer - ein radikaler Anabaptist und Spiritualist, S. 181f. 207 LIECHTY, Fischer, S. 82f. Er schließt aus der Notiz der Hutterer-Chronik, wonach die ehemaligen 'Schwertler' in Nikolsburg nun 'Sabbater' hießen, direkt auf Fischer und bringt ihn auch mit der Erwähnung der Sabbater in Luthers 'Wider die Sabbather' von 1538 in Verbindung. 208 Etwa in den Ansbacher Religionsakten, QGT 2,33,4-29 (Nr. 43) und ebd. 66,23-67,4 (Nr. 74), in Straßburg, QGT 7,138-140 (Nr. 116 A und B); weitere Nachweise bei SEEBASS, Müntzers Erbe, Anhang S . 151-153, Anm. 23; vgl. auch ebd. Anhang S. 29-31 (Nr. 9). 209 Krautwald, 'Bericht', Anhang S. 265,23-35.

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len. 210 Die erste Züricher Vollbibel ging 1529 und die erste Luther-Vollbibel seit Herbst 1534 aus. Daher steht auch Krautwalds 'Bericht' nicht vor, sondern nach Schwenckfelds Gutachten. So wird erst verständlich, warum Schwenckfeld allein auf Glaidt und dessen Sabbatbuch Bezug nimmt. Folgt man LIECHTYS Datierung, müßte es verwundern, daß Schwenckfeld die ausgedehnte literarische Debatte von 1528 völlig verschweigt, die sein enger Freund Krautwald von Liegnitz aus führte, wo er selbst zu dieser Zeit noch weilte. Schließlich will die Hypothese nicht einleuchten, mit der LIECHTY die Gründung der Nikolsburger Sabbatergemeinde erklärt. Da nach der schlesischen Sabbatermission im Jahre 1528 Fischer sogleich in die Slowakei zog, läßt LIECHTY Glaidt 1529 oder 1530 allein nach Mähren gehen und dort die Nikolsburger Sabbatergemeinde gründen. 211 Dann behauptet LIECHTY aber, daß Glaidt die Verteidigung des Sabbatismus an Fischer abgetreten habe, weil sich Huts Prophezeiung der Parusie um Pfingsten 1528 nicht erfüllte. 212 Es ist aber nicht nur schwer zu verstehen, warum Glaidt dann noch zusammen mit Fischer 1528 den Sabbatismus in Schlesien verkündet haben soll. Es ist darüberhinaus unverständlich, warum er in den folgenden Jahren, und zwar diesmal allein, in Mähren für den Sabbat wirbt und dabei offensichtlich so erfolgreich gewesen sein muß, daß es den immerhin selbst täuferisch gesinnten Landesherren beunruhigte und dieser 1531 den Sabbatismus begutachtet haben möchte. Dies alles zeigt, daß LIECHTYS Darlegung der Geschichte der Sabbater einige Unklarheiten und Widersprüche enthält, so daß ein neuer Versuch, die Geschichte der Sabbater zu erhellen, angeraten ist. Hans Hut hatte in Nikolsburg im Mai 1527 Oswald Glaidt zum Anhänger und Schüler gewonnen. Dieser war Hut donauabwärts nach Wien und durch Österreich gefolgt. Während aber Hut nach Augsburg ging, ist Glaidt im Spätsommer 1527 wahrscheinlich nach Schlesien gezogen, denn Hut nannte im Augsburger Verhör vom 5. Oktober 1527 einen »Oßwaldt« im Zusammenhang mit Breslau. 213 Luthers Brief an den Breslauer Reformator Johannes Heß vom 27. Januar 1528 bezeugt, daß Heß von Hutschen Täufern in Breslau weiß. 214 Es 210

Krautwald, 'Bericht', Anhang S. 269,18-22. LIECHTY, Fischer, S. 50.65. 212 Ebd., S. 62. 213 Vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, Anhang S. 46. Glaidt muß also schon vor Huts Verhaftung am 15. Sept. 1527 in Breslau gewesen sein. 214 WAB 4,372 (Nr. 1215). Heß hatte Luther zuvor darüber berichtet. Die Charakterisierung dieser Täufer weist auf Hutschen Einfluß: »Est in omnibus istis Munzeri spiritus reliquus, de perdendis impiis et regnaturis in terra piis«. (Ebd. 372,7f). 211

Der täuferische Sabbatismus in Mähren

225

ist daher gut möglich, daß sich Glaidt 1527 für einige Wochen in Schlesien und Breslau aufgehalten hat 215 und dabei auch in Liegnitz mit Schwenckfeld zusammengetroffen ist. Dessen diesbezügliche Bemerkung von 1532216 ließe sich also hier einordnen. Aber noch vor Ende des Jahres 1527 treffen wir Glaidt bereits wieder in Regensburg an. 217 Ob er sich dort länger aufgehalten hat, ist nicht bekannt. Die Enttäuschung, die sich um Pfingsten 1528 in Huts Schülerkreis breitmachte, hat auch Glaidt erfaßt. Er führte eine Revision von Huts Verkündigung durch, die sich im apokalyptischen Kontext als Erforschung neuer, bislang unbeachteter Zeichen darstellt. Huts Fehler mußte ebenso der Fehler der von der apostolischen Norm abgefallenen Christenheit sein, wenn Glaidt hinsichtlich der Parusie Christi zu neuer Gewißheit gelangen wollte. Glaidt erinnerte sich dessen, was sein Lehrer über den Sabbat gesagt hatte. Der Sabbat ist ein Zeichen des Bundes, und das ersehnte Reich Christi, in das die Erwählten eingehen werden, ist der 'ewige Sabbat'. Es lag nahe, im Zeichen des Bundes den Sabbat, und in ihm dann auch das Zeichen der Erwählung zu sehen. Huts Fehler war es, aus einer richtigen Erkenntnis nicht die geforderte Konsequenz zu ziehen und das Halten des Sabbats einzuklagen. Dies war auch gleichzeitig der eigentliche Fehler der Christenheit, darin war sie von der wahren Lehre und dem rechten Leben der Apostel abgefallen. Glaidt verkündigte diese Einsichten frühestens ab der zweiten Hälfte des Jahres 1528 in Nikolsburg, wo er Hubmaiers Gemeinde zumindest teilweise zu einer Sabbatergemeinde umbilden konnte. Dies hat, ohne damit einen Namen zu verbinden, die Hutterer-Chronik festgehalten. Sie vermerkt, daß die ehemaligen »Schwertler« - so nennt sie Hubmaiers Gemeinde - später als Sabbater bekannt wurden. 218 Einen zeitlich viel näheren Beleg dafür liefern auch Johannes Ecks 404 Artikel, die im Frühjahr 1530 entstanden sind. Für den Augsburger Reichstag hat Eck in ihnen alle verdächtigen Lehren der »Neuchristen« eilig zusammengestellt. Zu den Artikeln nennt er gegnerische Gewährsleute, oft aber nur die Namen ohne weiteren Beleg und nicht selten nachweisbar falsch, so auch in Artikel 178, der sachlich nur auf die Sabbater zutrifft, aber mit Balthasar Hubmaier verbunden ist: »Non desunt, qui sabathum adhuc observandum existiment, quia de eo habemus scripturam, non de dominico die. Baldasar«.219 Es ist oben schon klar geworden, daß Hubmaier nie gefordert hat, den Sabbat statt des Sonntags zu halten. 220 Immerhin weist aber sein Name nach Nikolsburg. Eck dürfte also ein ihm zugetragenes Ge215 216 217 218 219

220

Vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe, S . 280. CS 4,454,24f; vgl. oben S. 220. Vgl. oben S. 207. ZIEGLSCHMID, Chronik, S. 86. GUSSMANN, Quellen, Bd. 2, S. 125. Vgl. oben S. 208.

226

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nicht, wonach in der Nikolsburger Täufergemeinde der Sabbat wiedereingeführt worden sei, kurzerhand auf Hubmaiers Wirken zurückgeführt haben oder sogar eine anonyme Abschrift von Glaidts Sabbatbuch erhalten haben, das er Hubmaier zuschrieb. 221 Die Notiz von Eck ist das erste Zeugnis von den Sabbatern und ein Beleg dafür, daß Glaidt spätestens zu Beginn des Jahres 1530 in Hubmaiers Nikolsburger Gemeinde den Sabbat einführte. Mit seinem Sabbatbuch, das Glaidt zwischen 1529 und 1531 schrieb, wandte er sich unmittelbar an seinen Herrn Leonhard von Liechtenstein, um den täuferisch gesinnten ehemaligen Gönner Hubmaiers für seine Sache zu gewinnen. 222 Leonhard von Liechtenstein aber war skeptisch, weil er Glaidt noch als Parteigänger Huts in Erinnerung hatte und sandte das Buch 1531 zu Capito nach Straßburg, um es begutachten zu lassen. Abgesehen von den Fragmenten Capitos ist Schwenckfelds Traktat von der Jahreswende 1531/32 die erste Auseinandersetzung mit Glaidts Buch und dem Sabbatismus. Weder gab es zu diesem Zeitpunkt schon eine Verteidigung des Sabbats durch Andreas Fischer, noch eine Replik von Krautwald. Schwenckfeld weiß nur von Oswald Glaidt und dessen Buch. Er bezog sein Antwortschreiben nach Nikolsburg zunächst nur auf Glaidt persönlich. Erst später hat er für eine reduzierte Druckfassung den Namen 'Oswalt' durch ' Sabbather' ersetzt. 223 Auch in seinem Brief vom 18. Januar 1532 berichtet er nur von Glaidt und dessen Buch. 224 In beiden Dokumenten erweckt Schwenckfeld nicht den Eindruck, als kenne er die Sabbater schon aus Liegnitz. Er mag dort früher Glaidt getroffen haben, dessen Wendung zum Sabbatismus ist ihm aber erst 1531 bekannt geworden, als Leonhard von Liechtenstein das Sabbatbuch nach Straßburg sandte. Glaidt dürfte dann erneut nach Schlesien gezogen sein, diesmal aber um dort für den Sabbat zu werben und Anhänger aus der ehemaligen Gefolgschaft Huts zu rekrutieren. Unter ihnen hat er sein Büchlein verbreitet. Diese schlesischen Sabbater sind auch dem dortigen Landesherrn ruchbar geworden. Friedrich II. 221

Glaidt wird neben Karlstadt, Bucer und Zwingli in dem folgenden Artikel 179 erwähnt in Verbindung mit der Lehre, der Sonntag sei allein zum Hören des Wortes eingesetzt, nicht aber als Ruhetag (GUSSMANN, Quellen, Bd. 2, S. 125; siehe auch oben S. 141). Tatsächlich hatte Glaidt solches im 7. Artikel seiner 'Handlung' behauptet, der sich gegen die katholischen Feiertage richtet (vgl. WISWEDEL, Glait, S. 555; ZEMAN, The Anabaptists, S. 94); Eck verbindet also mit dem Namen Glaidt noch einen lutherischen Theologen und nicht einen Sabbater. 222 Schwenckfeld bezeugt dies: »Dweil er aber druff dringet / das die Oberkeit / solch sein feiren soll bestettigen unnd mit dem schwert druber / wie villicht ouch über andre seiner leer halten / kan ein fromm hertz leicht urtheilen / was geist in treibet« (CS 4,485,14-17; vgl. 512,7-12). 223 Vgl. CS 4,444f. 224 Siehe Anhang S. 300,8-10.

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227

forderte von Krautwald eine theologische Stellungnahme zu Glaidts Buch. Krautwald betont später in seinem 'Bericht', daß er das Gutachten über Glaidt nicht aus privatem Interesse verfaßt hatte, sondern von offizieller Seite darum gebeten worden war. 2 2 5 Aber nicht von Glaidt bekam er Antwort, wie er es erwartet hatte, sondern von einem Andreas Fischer. Fischer wurde von Glaidt in Mähren zwischen 1 5 3 2 und 1 5 3 4 2 2 6 für den Sabbatismus gewonnen. Nach LIECHTY kam er etwa 1 5 3 2 aus der Slowakei für mehrere Jahre nach Mähren. Ein Brief von ihm an den Rat von Neusohl aus dem Jahr 1534 bezeugt seine führende Stellung in der Täufergemeinde von Wisternitz bei Nikolsburg. 227 Fischer muß auch in Schlesien gewirkt haben. 2 2 8 Dies geht aus Krautwalds 'Bericht' hervor. 229 Möglicherweise ist Fischer nach Schlesien geflohen, als Ferdinand unter dem Eindruck der Ereignisse von Münster 1535 auf dem Landtag von Znaim die Vertreibung der Täufer aus Mähren erwirken konnte. 230 Fischer wählte dieses Exil, weil zum einen in Schlesien die bereits von Glaidt gegründete Sabbatergemeinde bestand und zum andern Friedrich II. zu dieser Zeit noch eine tolerante Haltung an den Tag legte. 231 Diese Wirksamkeit Fischers in Schlesien spiegelt 225

Krautwald, Anhang S. 296,7-12. Die in fast allen Beiträgen zu Glaidt auftauchende Behauptung, Glaidt sei 1532 in Preußen gewesen, beruht auf einer Vermutung WISWEDELS, Glait, S. 562f (dort Druckfehler: es muß 1532, nicht 1542 lauten); diese Vermutung wurde schon von LIECHTY, Fischer, S. 50, zu Recht angezweifelt, denn in dem betreffenden Aktenstück vom 16. Aug. 1532 wird die Ausweisung eines Oswald von Grießkirch aus Liegnitz zusammen mit Joh. Mittermeyer (Spittelmaier?) aus Mähren und Joh. Wunderle (Bünderlin?) mitgeteilt (TSCHACKERT, Urkundenbuch, S. 286, Nr. 867); obwohl dieser Oswald auch in Liegnitz war, gibt es keinen Anlaß, ihn mit Glaidt zu identifizieren, da Glaidt Cham als seinen Geburtsort angibt. 226

227

LIECHTY, F i s c h e r , S . 8 0 - 8 2 . ( D e r B r i e f ist n i c h t d e r v o n URBAN 1 9 8 0 i m

ARG 71 veröffentlichte Brief des Andreas von Kremnitz.) 228 Die Erfurter Urgicht des Täufers Volkmar Fischer vom 9. März 1535 nennt einen Andreas Fischer, wohnhaft in Wiesenthal, etwa 30 km südwestlich von Liegnitz (WAPPLER, Die Täuferbewegung in Thüringen, S. 372, Nr. 47h). Volkmar Fischers Aussage bezieht sich jedoch auf seine Täufertätigkeit aus dem Jahr 1528; danach hat er vom Täufertum Abstand genommen (vgl. WAPPLER, ebd., S. 46). Daher läßt sich besagter Andreas Fischer allenfalls für 1528 und nicht, wie LIECHTY, Fischer, S. 83 andeutet, für 1535 in Wiesenthal lokalisieren. Weil aber der Name Andreas Fischer sehr häufig vorkommt, könnte es sich durchaus um einen anderen Andreas Fischer handeln. 229 S.o., S. 222, bes. Anm. 202 und 203. 230 VGL WILLIAMS, Radical Reformation, 3. Aufl. S. 642f und S. 638. 231 Siehe WEIGELT, Spiritualistische Tradition, S. 124; DERS., Die Auseinandersetzung, S. 365. WEIGELT setzt allerdings das Ende der Täuferduldung Friedrichs schon im Jahr 1531 oder 1532 an, weil sich Fischer zu dieser Zeit von Liegnitz nach Mähren gewandt habe (Spiritualistische Tradition, S. 125); WEIGELT beruft sich dort

228

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Krautwalds 'Bericht' wieder. Fischer hat in Schlesien nicht vor 1535 seine Verteidigung des Sabbats, den 'Scepastes Decalogi', verfaßt. Diese »Spätdatierung« läßt für die Entfaltung des Sabbatismus wesentlich mehr Zeit, als LIECHTYS Vorschlag. Da für Fischers Sabbatismus kein anderes Zeugnis zur Verfügung steht, als Krautwalds 'Bericht', hängt auch LIECHTYS »Frühdatierung« allein von der Datierung dieser Quelle ab. Da sie aber nicht vor 1535 anzusetzen ist 232 , gibt es keinen Hinweis, daß Fischer sich schon vor seinem Slowakeiaufenthalt für den Sabbat begeistert habe. Mit der hier vertretenen »Spätdatierung« sind freilich LIECHTYS Thesen über Fischers österreichische Herkunft und hauptsächliche Wirksamkeit als Sabbater nicht generell bestritten. Der in einzelnen Erwähnungen bezeugte Fortbestand der Sabbater bis zum Ende des 16. Jahrhunderts dürfte in erster Linie das Verdienst Fischers und nicht Glaidts gewesen sein, denn nach Hutterischer Überlieferung starb Glaidt 1546 in Wien als einer ihrer Märtyrer. 2 3 3 Es ist durchaus denkbar, daß der theologisch unstete Glaidt in Mähren auch Kontakt zu Jakob Hutter hatte, der seit 1533 dort weilte, und vielleicht schon bald von diesem für seine Sache gewonnen werden konnte. Als Indiz für einen solchen Kontakt mag eine Stelle aus dem Brief Hutters dienen, den er 1534 von Auspitz in Mähren an die Gefangenen zu Hohenwart sandte. Hutter bezieht darin den Sabbat auf die leibliche Erlösung. 234 In dieser Auslegung könnten sich Reste von Glaidts Sabbatismus niedergeschlagen haben. Dessen Übergang zum Huttertum würde auch Krautwalds Verwunderung erklären, auf seine Wider-

aber auf den in dieser Hinsicht ganz unzuverlässigen Aufsatz von RATKOS, der seinerseits jedoch über einen Aufenthalt Fischers in Schlesien - in Unkenntnis des Krautwaldschen 'Berichts' - nichts verlauten läßt. Neuerdings sieht WEIGELT die tolerante Haltung des Liegnitzer Herzogs schon 1529 oder 1530 enden, als Glaidt und Fischer die Stadt verließen (WEIGELT, Die Auseinandersetzung, S. 365f); er stützt sich auf die Arbeiten von LIECHTY. Da dessen Chronologie aber korrigiert werden muß, sind auch die Indizien hinfällig, mit denen WEIGELT das Ende der Toleranz Friedrichs II. terminiert. 232 Siehe oben S. 223f. 233 ZIEGLSCHMID, Chronik, S. 259f. Allerdings erwähnt die Chronik nicht den Nachnamen, sondern spricht nur vom »Brueder Oswalt von Jamnitz« (ebd., S. 266). LIECHTY, Fischer, S. 51 (vgl. DERS., Oswald Glaidt, S. 9), nimmt sogar an, daß Glaidt vor seinem Tod der Leiter der Hutterischen Gemeinde von Jamnitz gewesen ist; vgl. auch WISWEDEL, Glait, S. 564. 234 »Wir warten mit grossem verlangen / auf vnnsers Leibs erlösung auff den sabath / wann wir Rueen vnd feiren werden von aller müeh vnnd Arbait / vnnd von allen vnsern werckhen / das wir einmal die müesäligen hüten ablegeten / das vnnser Seel ain mal zu Rue vnd stifft kam / auch zu dem ewigen frid / dohin Arbaiten wir auch mit grossem verlangen / nach disem göttlichen vatterlandt« (ZIEGLSCHMID, Letters, S. 128).

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229

legung von Glaidts Sabbatbuch keine Verteidigung von diesem, sondern stattdessen den 'Scepastes' von Fischer erhalten zu haben. 235

8.4.2. Der Fortgang Ohne daß Glaidt und Fischer namentlich erwähnt werden, tauchen die Sabbater noch in späteren Quellen auf. Luther hat 1538 seine Schrift 'Wider die Sabbather' geschrieben. 236 Erst durch sie sind die Sabbater allgemein bekannt geworden. Jedoch trägt sie zur Erhellung dieser Gruppe wenig bei, da Luther ausschließlich gegen die Juden schreibt. Er meinte, in den Sabbatern die Opfer einer aggressiven jüdischen Propaganda sehen zu müssen. Lediglich eine kurze Notiz über den Anlaß des Traktats - es handelte sich ursprünglich um einen Brief an Graf Wolf Schlick zu Falkenau 237 - verdient in unserem Zusammenhang Interesse. Schlick habe Luther gemeldet, »wie jnn den Lendern hin und widder die Jüden mit jrem geschmeis und lere ein reissen, auch etliche Christen schon verfüret haben, das sie sich beschneitten lassen und gleuben, das Messias oder Christus noch nicht komen sey, Und der Jüden gesetze müsse ewiglich bleiben, dazu von allen Heiden angenommen werden etc.« 238 Daß hier tatsächlich die Sabbater gemeint sind, geht nicht nur aus dem Titel der Schrift hervor, sondern auch aus einer Tischrede vom 18. Juni 1537. Anläßlich des Bittgesuchs Joseis von Rosheim an Luther um dessen Eintreten beim Kurfürsten für den freien Durchzug der Juden durch Kursachsen rechtfertigt der Reformator seine ablehnende Haltung vor der Tischrunde damit, daß die Juden »die leut beschedigen re et corpore et suis superstitionibus multos christianos avocarent. Nam in Morauia multos circumciderunt christianos et appellant eos novo nomine die Sabbather«.239 Beide Notizen stimmen in dem für Luther entscheidenden Punkt überein: Juden verführen Christen zur Beschneidung. Das Halten des Sabbats wird dagegen nicht direkt erwähnt. Dennoch trifft es die Lehre der Sabbater exakt, wenn Luther angibt, daß die Sabbater die ewige Gültigkeit des Mosaischen Gesetzes behaupten. Und wenn sie nach Luther glauben, daß der Messias noch nicht gekommen sei, so spiegelt dies die starke Hoffnung der Sabbater auf die Parusie wieder.

235

Vgl. Krautwalds 'Bericht', Anhang S. 264,13-15; 265,4-6.12-14. WA 50,312-337. 237 In der Druckfassung nennt Luther den Adressaten nicht. Das Titelblatt vermerkt nur: »An einen guten Freund« (WA 50,310). Von Mathesius ist aber zu erfahren, daß sich dahinter Wolf Schlick verbirgt (ebd.). 238 WA 50,312,8-12. 239 WATR 3,442,4-7 (Nr. 3597). 236

230

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Dies belegt, daß Luther schon 1537 ein Schreiben von Schlick - es ist nicht erhalten - über das Treiben der Sabbater bekommen hat. Er entschuldigt sich auch zu Beginn seines Antwortbriefes bei Schlick, nicht sogleich geantwortet zu haben. 240 Man hat aus dieser Verzögerung geschlossen, Luther habe bereits 1532 durch Schlick von den Sabbatern erfahren. Dies belege eine Tischrede aus diesem Jahr. 241 In dieser Tischrede wird tatsächlich das Sabbat-SonntagProblem sowie die Frage der Verbindlichkeit des Dekalogs angesprochen. Der Tischrunde liegt die Kunde über Leute vor, die die Feier des Sabbaths sowie die Einhaltung aller zehn Gebote für nötig halten: »Contra novum errorem de necessitate sabbathi, quod sit servandum sicut reliqua decalogi opera«. 242 Aber man weiß hier noch nichts über eine Beschneidung, sonst könnte Luther nicht argumentieren: »si urgent sabbathum, so müssen sie sich auch beschneyden«. 243 Ebenso wird diese neue Irrlehre hier noch nicht mit jüdischen Umtrieben in Verbindung gebracht. Darum kann die Mitteilung Schlicks noch nicht 1532 erfolgt sein. Vielmehr wird einer der Tischgenossen mit einer Abschrift von Glaidts Sabbatbuch bekannt gewesen sein oder über die Sabbater bei Schwenckfeld gelesen244 und die Tischrunde informiert haben. Ebenso dürften die Erwähnungen der Sabbater bei Erasmus 1533 und 1535 auf Schwenckfelds Traktat beruhen. 245 Weil Luther von Graf Wolf Schlick von Falkenau über die Sabbater unterrichtet worden ist, wurde mehrfach angenommen, daß auch in Falkenau eine Sabbatergemeinde existierte. 246 Durch Luthers Schrift 'Wider die Sabbather' wird dies jedoch nicht direkt bestätigt. Dort heißt es nur ganz unbestimmt: »jnn den Lendern«. 247 In der Tischrede von 1537, die Schlicks Nachricht bereits voraussetzt, ist dagegen von Mähren die Rede. Schlick hat sich also Luther gegenüber nicht auf Sabbater in der Gegend um Falkenau, sondern auf die Mährischen Sabbater bezogen. Eine Zwischenbemerkung aus Luthers

240

WA 50,312,3-7. So THIELE und BRENNER in der Einleitung zur Sabbatherschrift, WA 50,309. 242 WATR l,149,4f (Überschrift von Veit Dietrich). 243 Ebd. 149,18f. 244 Dies würde bedeuten, daß der erste Teildruck von Schwenckfelds Sabbatschrift schon Mitte 1532 erfolgt ist, vgl. CS 4,445-447. 245 »Nunc audimus apud Bohemos exoriri novum Judaeorum genus, Sabbatarios appellant, qui tanta superstitione servant Sabbatum« (Erasmus, De amabili Ecclesiae Concordia, 1533 - Op. Om. Bd. 5, Sp. 505D-506A); »Dicuntur & hodie repullulascere Sabbatarii, qui septimi diei otium incredibili superstitione observant« (Erasmus, Ecclesiastes sive de Ratione Concionandi, lib. III, 1535 - Op. Om. Bd. 5, Sp. 1038B). 246 CS 4 , 4 5 0 ; HASEL, Sabbatarian Anabaptists, S. 1 1 4 ; LIECHTY, Fischer, S. 5 0 . 247 WA 50,312,8. 241

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231

Genesisvorlesung zu Gen 13,16, die auch ins Jahr 1537 fällt 248 , bestätigt dies. »Nostris temporibus in Moravis natum est stolidum hominum genus, Sabbatharii, qui Iudaeorum exemplo Sabbathum servandum contendunt«.249 Die im Hinblick auf die Geschichte der Sabbater zentrale Frage, ob sie irgendwann auch die Beschneidung praktiziert haben, scheint man mit Berufung auf Luther und seinen Informanten bejahen zu können. 250 Doch sind in diesem Punkt Zweifel an der Zuverlässigkeit Luthers angebracht. Theologisch liegen für Luther der Sabbat als 'Zeremonie' - also nicht der geistlich verstandene Sabbat - und die Beschneidung auf einer Linie. Beides sind Riten, die ausschließlich zum Judentum gehören, beides ist Teil des Zeremonialgesetzes, das nur die Juden betrifft. 251 Man muß bei Luther damit rechnen, daß theologische Überzeugungen die Wahrnehmung historischer Sachverhalte prägen. Wer den Sabbat hält, erweist sich als Jude. Wer den Sabbat hält, läßt sich auch beschneiden. Wie sehr Luther geneigt ist, beides zusammen zu sehen, zeigt schon 1525 eine Replik gegen Karlstadts Buch vom Sabbath aus 'Wider die himmlischen Propheten': »Ja wenn Carlstad weytter vom sabbath würde schreyben, müste der Sontag noch weychen und der sabbath, das ist der sonnabent, gefeyrt werden, Er würd uns warlich aller dinge zu Juden machen, das wyr uns auch beschneytten müsten etc.«. 252 Wenn Luther bei Karlstadt, der mit keinem Wort die Feier des siebten Tags gefordert hat, schon diese Konsequenz zieht, um wieviel mehr kann er bei den Sabbatern - der Logik seiner Theologie folgend - vermuten, daß sie auch zur Beschneidung greifen. Daß man es dabei mit einer Mutmaßung Luthers zu tun hat, belegt die Fortsetzung der oben angesprochenen Bemerkung aus der Genesisvorlesung von 1537. Luther sagt, daß die Sabbater in Mähren, dem Beispiel der Juden folgend, den Sabbat halten »et forte circumcisionem quoque pari ratione urgebunt«. 253 Was Luther hier noch als Vermutung formuliert, ist ihm dann über der Arbeit an seinem Brief 'Wider die Sabbather' zur unverrückbaren Gewiß248 Luther las 1537 über Gen 10-17 (WA 42,VII). REICHERT datiert zwar in WA 44, S. X, Gen 13 gerade wegen der Sabbaternotiz ins gleiche Jahr wie 'Wider die Sabbather', also 1538, aber laut den Angaben KOFFMANES, der sich auf Lauterbachs Tagebuch beruft, war Luther schon im Februar 1538 (nicht 1535! Druckfehler in WA 42, S. VII) bei Gen 17. Außerdem bedenkt REICHERT nicht, daß Luther schon einige Zeit vor der Abfassung von 'Wider die Sabbather' die Nachricht von Schlick erhalten hatte. 249 WA 42,520,22f (Hervorhebung von mir, J.K.). 250 So etwa WILLIAMS, Radical Reformation, 3. Aufl., S. 631f. 251 Vgl. oben Kap. 5, S. 120-124. 252 WA 18,77,24-27. Ähnlich 1524 in einem Brief an Brück, in dem es um die Frage von Polygamie in Orlamünde geht: »Tarnen sinitote ire, quod it, forte etiam adhuc circumcidentur Orlamundae, et toti Mosaici futuri sunt«. (WAB 3,231,19-21 Nr. 702). 253 WA 42,520,23f (Hervorhebung von mir, J.K.).

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Der Sabbatismus

heit geworden. Im Februar 1538 geht er vor seinen Studenten in der Genesisvorlesung zu Beginn eines großen Exkurses über die Beschneidung abermals kurz auf die Sabbater ein: »In Austria et Moravia audio hodie quosdam iudaizantes urgere et Sabbatum et circumcisionem, hi si verbo Dei non praemunitos invaderent, certe magnum darent malum«. 254 Wie er sich weigert, einen Unterschied zwischen dem Halten des Sabbats und der Beschneidung gelten zu lassen, so identifiziert er auch kurzerhand die Sabbater mit den Juden. Im gleichen Monat läßt er bei Tisch verlauten: »Sicut hodie in Morauia Iudaei, die Sabbati, cogunt christianos ad circumcisionem«.255 Die Sabbater sind für Luther keine Täufer, die den Dekalog wörtlich nehmen und den Sabbat halten, sondern sie sind vor allem Juden, die für die Beschneidung werben. »Talia exempla opponenda sunt furoribus Iudaeorum et Sabbathariorum, qui nuper extiterunt in Austria 256 , et homines ad legem circumcisionis servandam adigere conati sunt, quasi non possint salvari, nisi circumcidantur.« 257 Nicht nur die Behauptung, daß die Sabbater die Beschneidung praktizieren, ist eine in Luthers theologischem Denken geborene »Erfindung«. Um eine Fiktion handelt es sich meines Erachtens auch, wenn Luther sich in den eben besprochenen Quellen auf jüdische Propaganda beruft. Von einer solchen ist für den böhmisch mährischen Raum nichts bekannt. Man hat in der breiten Diskussion zum Thema »Luther und die Juden« die auffallende Veränderung in Luthers Äußerungen zum Umgang mit den Juden immer wieder auf Luthers Erfahrung zurückgeführt, daß in Mähren Teile der von Ferdinands harter Politik eingeschüchterten Christen einer jüdischen Mission zum Opfer gefallen seien. Diese Erfahrung habe Luthers anfängliche Hoffnung auf eine Bekehrung der Juden unter dem Stern der Reformation zunichte gemacht. Statt von einer christlichen Bekehrung der Juden mußte er von einer jüdische Bekehrung der Christen erfahren. 258 Nachrichten von jüdischer Proselytenmacherei tauchen in dieser Zeit in christlichen Quellen vereinzelt auf. Es dürfte sich jedoch meist um Gerüchte handeln, die auf Mißverständnissen oder Verleumdungen beruhen und von Christen gerne als Anlaß zu antijüdischen Ausschreitungen kolportiert wurden. 259

254

WA 42,603,20-22. WATR 3,600,lf (Tischrede vom 22. Febr. 1538 - Anton Lauterbach). 256 Mähren gehört seit 1526 zu Österreich. 257 WA 44,411,39-41 (Genesisvorlesung zu Gen 41,25, 1543). 258 So z.B. MAURER, Kirche und Synagoge, S. 416.428; ROGGE, Luthers Stellung zu den Juden, S. 23; EHRLICH, Luther und die Juden, S. 79. 259 Auf Denunziation oder wenige Einzelfälle lassen sich die Nachrichten zurückführen, die in Litauen und Polen in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts aufkommen und von Konversionen in großer Anzahl sprechen. Dies hat ZIVIER, Jüdische Bekehrungsversuche im 16. Jahrhundert, überzeugend nachgewiesen. 255

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Wir haben herausgestellt, daß sich die Frage nach der Beschneidung der Sabbater nicht mit dem Verweis auf Luther bejahen läßt. Andere Quellen bringen die Sabbater überhaupt nicht mit der Beschneidung in Verbindung. Vergegenwärtigt man sich allerdings die Theologie der Sabbater, so könnte es durchaus plausibel erscheinen, daß sie mit der Zeit doch zur Beschneidung gegriffen haben. Solange die Parusie Christi noch aussteht, sind die Bedingungen, unter denen der Sabbat geistlich gehalten werden kann, noch nicht gegeben, und solange muß der Sabbat so gehalten werden, wie er geboten worden ist. Diese Logik, die zur Sabbatpraxis führte, könnte leicht auf andere zeichenhafte Riten des Alten Testament ausgedehnt worden sein. Wie beim Sabbat bietet das Alte Testament auch bei der Beschneidung in der Rede von der Herzensbeschneidung Ansätze zur Spiritualisierung260, und wie beim Sabbat könnten diese ins rein Eschatologische verlagert worden sein. Da die Herzensbeschneidung erst mit der Parusie Christi erfolgt 261 , muß die rituelle Beschneidung noch als Zeichen der Hoffnung auf diese Parusie und der mit ihr verbundenen Erwählung praktiziert werden. Freilich könnten die Sabbater ihre Theologie um den Punkt der Beschneidung erst erweitert haben, nachdem Glaidt seinen Einfluß auf sie verloren hatte, denn er lehnte die Beschneidung mit Gal 5,2 explizit ab. Sein Nachfolger Fischer könnte aber durchaus für die Einführung der Beschneidung infrage kommen. In Ordnungsfragen etwa scheint sich Fischer noch stärker als sein Lehrer am Alten Testament zu orientieren. 262 Die Beschneidung hätte man aber sicher nicht als Übertritt ins Judentum verstanden. Kaum denkbar ist indes, daß das zeitgenössische Umfeld dies so differenziert wahrgenommen hätte. Unter den Bedingungen des 16. Jahrhunderts wären Christen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - beschneiden, als Juden identifiziert worden. Die übrigen Quellen, in denen die Sabbater Erwähnung finden, stimmen jedoch alle darin überein, daß es sich bei ihnen um eine Täufersekte oder jedenfalls um eine Sekte im Umfeld des Täufertums handelt. So erwähnt der Täuferanhänger Schuhhans von Landshausen bei Bruchsal in einem Straßburger Verhör vom 23. August 1536 die Vielfalt der Täufergruppen. Er nennt neben den 'Schwertlern' und 'Münsterischen' die Sabbater, die den Sabbat wieder aufgerichtet haben, und distanziert sich von ihnen allen. 263

260

Jer 4,4; Dtn 10,16 u.ö.; hier bes. Dtn 30,6. Vgl. obenS. 201. 262 Krautwald, 'Bericht', Anhang S. 298,18-23; Krautwald nennt den Scheidebrief und die mosaischen Rechtssatzungen. 263 QGT 1,52,32-35. Schuhhans gibt an, von Blesy Kaumauff in Heilbronn getauft worden zu sein; Kaumauff hatte Beziehungen zu Mähren (vgl. ebd. 52,5f.20f). 261

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Der Sabbatismus

Bei dem Religionsgesprächen zwischen den Böhmischen Brüdern und Täufern 1559 im mährischen Eibenschitz und Znaim betont der Vertreter der Täufer, Balcar, die Verschiedenheit von den übrigen Täufersekten, namentlich von den Sabbatern und den Hutterern. 264 Für Mähren sind die Sabbater ferner durch den Venezianer Marcantonio Varotto bezeugt. Varotto kam 1567 nach Austerlitz bei Brünn, eigens um die Täufer kennenzulernen. Er zählt elf Gruppen auf, wovon nur die Böhmischen Brüder, die Lutheraner und die Calvinisten keine Täufer sind, während die übrigen, darunter die Hutterer und die Sabbater, die Kindertaufe ablehnten. 265 Georg Eder, ein Jurist der Gegenreformation, nennt die Sabbater zusammen mit etwa 40 weiteren, teils kaum identifizierbaren Gruppen in seiner 'evangelischen Inquisition' von 1573. 266 Schließlich enthält auch die Liste eines Stredowsky um ca. 1600 die Sabbater an dritter Stelle von insgesamt elf Gruppen; die Liste bezieht sich auf Austerlitz und nennt neben den Sabbatern und den Täufern auch die Juden. 267 Dieses sporadische Aufblitzen im Verlauf des 16. Jahrhunderts zeigt, daß die Sabbater ihr eigenständiges Gepräge auch im Bewußtsein der Zeitgenossen bewahrt haben. Dies wäre kaum möglich gewesen, wenn sie die Beschneidung praktiziert hätten. Obwohl die Beschneidung der Sabbater denkbar ist, weil es der inneren Logik ihrer Theologie entsprechen könnte, läßt sie sich nicht durch äußere Belege bestätigen. Diese äußeren Belege sprechen sogar eher gegen die These von der Beschneidung der Sabbater. Fast alle Quellen lokalisieren die Sabbater in Mähren. Sabbatergemeinden bestanden in Nikolsburg, in Wisternitz bei Nikolsburg und in Austerlitz bei Brünn, also in einem recht kleinen Gebiet. Einzig Krautwalds 'Bericht' bezeugt ihr Wirken in Schlesien. Die dortigen Missionserfolge werden aber kaum von langer Dauer gewesen sein. Der mährische Sabbatismus des 16. Jahrhunderts ist somit eine Form der Verarbeitung des Hutschen Täufertums, die sich auf dem Boden der von Hubmaier in Nikolsburg gegründeten Täufergemeinde für mindestens ein halbes Jahrhundert etablieren konnte. An ihm zeigt sich, wie Spiritualismus in Legalismus umschlägt. In einem durch die apokalyptisch chiliastische Orientierung verschobenen heilsgeschichtlichen Koordinatensystem wandelt sich das Sabbatmotiv vom Deutezeichen zum Erkennungszeichen. War der Sabbat bei Lu 264

Siehe ZEMAN, The Anabaptists and the Czech Brethren, S. 25If. Siehe D E W I N D , A sixteenth century description of religious sects in Austerlitz, S. 45f; zu Varotto ebd., S. 44. 266 Ebd., S. 47-49. Die Erwähnung der meisten dieser Gruppen - darunter die Sabbater - durch den katholischen Priester von Nikolsburg, Christoph Erhard, im Jahre 1589 geht auf die Aufzählung Eders zurück (vgl. ebd.). 267 Ebd., S. 47.49f. 265

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ther eine Chiffre für die anthropologische Dimension von Rechtfertigung und Heiligung und schloß Karlstadt von da aus wieder auf ein exemplarisches Heiligungsverhalten zurück, so widersetzen sich die Sabbater der Spiritualisierung, da sie die soteriologische Grundlage der Heiligung ins Eschatologische verlagern. Der dann wieder legalistisch verstandene Sabbat wird zum Erkennungszeichen der Erwählung: Indem er als Zeichen die zukünftige Erlösung verheißt und sie als Ritus vergewissert, wird er zum »Siegel der Hoffnung«.

9. Der Sabbatismus1 auf dem Boden der evangelischen Konfessionen

Wir haben den mährischen Sabbatismus der Reformationszeit aus den erhaltenen Quellen rekonstruiert und ihn in seiner theologiegeschichtlichen Stellung zu begreifen versucht. Das Bild soll nun durch einen Blick auf andere Gestalten des Sabbatismus abgerundet werden. Wenn dabei parallele Strukturen und historische Analogien sichtbar werden - und nur dann wird man berechtigt sein, von dem Sabbatismus zu sprechen -, dann werden sich die mährischen Sabbater nicht nur als eine historische Individualgestalt, sondern als Phänomen eines kirchen- und theologiegeschichtlichen Typus zu erkennen geben. Der Blick richtet sich auf die drei bedeutendsten Gruppen von Sabbatverehrern seit der Reformation: auf die Siebenbürgischen Sabbatisten, die englischen Siebenten-Tags-Baptisten und die amerikanischen Siebenten-Tags-Adventisten.

9.1. Der Siebenbürgische Sabbatismus 2

Der Siebenbürgische Sabbatismus läßt sich als eine Art »umgekehrtes« Judenchristentum - also gewissermaßen als Christenjudentum - charakterisieren. Er nahm 1588 mit dem primär literarischen Wirken Andreas Eössis (sprich: Öschi) seinen Ausgang vom christlichen Unitarismus und beschloß seine Ge-

1

In der Literatur sind auch die Begriffe Sabbatianismus, Sabbatarianismus bzw. Sabbatarier und Sabbatarianer gebräuchlich. Um den Unterschied zwischen diesen, den Sabbat haltenden, christlichen Gruppen und der von Sabbatai Zewi ausgehenden, jüdisch messianischen Bewegung der zweiten Hälte des 17. Jahrhunderts, für die sich - soweit ich sehe - der Begriff Sabbatianismus durchgesetzt hat, terminologisch zu markieren, spreche ich hier von Sabbatismus bzw. Sabbatisten. 2 Die deutschsprachige Literatur hierzu ist spärlich. Immerhin hat SAMUEL KOHN sein grundlegendes Werk selbst ins Deutsche übertragen: Die Sabbatharier in Siebenbürgen (1894); in weiten Passagen ein Auszug daraus ist das Büchlein von PAKOZDY, Der Siebenbürger Sabbatismus (1973), dessen Extrakt sich in PAKOZDYS Beitrag zu 'Kirche und Synagoge' (Bd. 2, S. 577-581) findet.

Spätere Sabbatisten

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schichte 1868 mit der Umwandlung der letzten sabbatistischen Gemeinde in eine jüdische Proselytengemeinde. Die politisch heikle Lage Siebenbürgens in dem von Johann Zäpolya gegründeten, von den Türken abhängigen Wahlfürstentum zwischen dem christlichen und dem muslimischen Weltreich, die Vielfalt der Volksgruppen (Szekler, Ungarn und Sachsen, nebenher die Walachen) sowie die in Religionsangelegenheiten offenherzige Regierung Johann Sigismunds erzeugten eine für die Zeit nahezu beispiellose Konfessionsfreiheit, die in der offiziellen Anerkennung von vier Konfessionen - der lutherischen, der reformierten, der katholischen und der unitarischen - durch den Landtag von Torda 1568 gipfelte. Namentlich die Duldung der Unitarier wurde für die Genese des Sabbatismus entscheidend. Das Unitariertum gelangte 1563 durch den Leibarzt Johann Sigismunds, Georg Biandrata, von Polen nach Siebenbürgen, spaltete sich dort aber rasch an der Frage der Anbetung Jesu in den gemäßigten, adorantistischen Zweig, der unter Biandrata zur religio recepta avancierte, und in den radikalen, nonadorantistischen Zweig unter Biandratas einstigem Schüler Franz David. 3 Eössi, der Begründer des Sabbatismus, muß ohne Zweifel als ein Schüler Davids angesehen werden. Während jedoch K O H N keinen weiteren äußeren Einfluß auf Eössi annimmt und den Sabbatismus allgemein als eine Schöpfung des Szekler Volksgeistes wertet4, weist PAKOZDY auch auf weitere Antitrinitarier hin, die neben David auf Eössi gewirkt haben dürften. So gerieten die Lehren von Jacobus Acontius und Jacobus Palaeologus nach Siebenbürgen, und die Heidelberger Flüchtlinge Adam Neuser und Matthias Glirius agitierten dort für den Antitrinitarismus. Daß all deren Ansichten das geistige Klima für Eössis Sabbatismus bereiteten, erhellt auch daraus, daß ihr Zweifel am Trinitätsdogma sie nötigte, die Autorität der beiden Testamente sowie die heilsgeschichtliche Stellung von Juden und Heiden neu zu bewerten und insbesondere Jesu Auftrag und Würde sowie sein Verhältnis zum Judentum in ein anderes Licht zu rücken. Die Überzeugung, daß zwischen den beiden Testamenten wie auch zwischen dem Gesetz des Alten Bundes und der Verkündigung Jesu keinerlei Unterschied bestehe, führt faktisch zumeist zur absoluten Normativität des Alten Testaments, an dem sich das Neue messen muß. Jesus wird auf die Ebene der alttestamentlichen Prophetie abgestuft; er öffnet den Heiden den Zugang zum Alten Bund. Solche Lehren stießen in Ungarn auf geneigte Ohren, weil in der ungarischen Reformationsgeschichte das Alte Testament von Anfang an eine vorzügliche Rolle im interkonfessionellen Ausgleich spielte

3

Zu Biandrata und David siehe BENRATH, Die Lehre des Humanismus und Antitrinitarismus, S. 61-65 und ROTONDO, Art. Biandrata. 4 KOHN, Sabbatharier, S. 1 und S. 11.

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Der Sabbatismus

und sich das bedrängte und leidgeprüfte Volk gerne in der Geschichte Israels spiegelte. Angesichts dieser Lehren verwundert es nicht, daß besonders David und sein Gefolge mit dem Schimpfwort »Judenzier« belegt wurden - ein Vorwurf, der streng genommen nicht berechtigt war, da David nie für die Einführung des mosaischen Gesetzes (auch nicht des Sabbats) warb. Gleichwohl sieht K O H N und, ihm folgend, PAKOZDY in diesem Vorwurf eine der Wurzeln für die Genese des Sabbatismus: Nach dem Märtyrertod Davids im Jahre 1579 haben dessen Schüler das Schimpfwort »Judenzier« gleichsam verinnerlicht und sich eine jüdische Identität zur Ehre gereichen lassen. 5 Damit sind die möglichen Faktoren genannt, die Andreas Eössi 6 den Weg in ein dezidiertes Judenchristentum haben einschlagen lassen, das nicht nur an der unbedingten Einheit Gottes festhält und den Menschen Jesus auf der Bahn der jüdischen Messiaserwartung wandeln läßt, sondern auch das alttestamentliche Gesetz in weiten Teilen als für die Heiden verbindlich ansieht, namentlich im Hinblick auf den Sabbat und die jüdischen Feste sowie die Speisevorschriften. Die Sabbatisten sahen zumindest in der ersten, von Eössi geprägten Periode ihrer Geschichte noch einen deutlichen Unterschied zu den Juden, denn im Gegensatz zu diesen erkannten sie die Messianität Jesu an. Wegen dieser Messianität gilt ihnen Jesus mehr als Mose, der Neue Bund in den Herzen mehr als der Alte auf steinernen Tafeln. Freilich wendet sich Jesus mit keinem Iota gegen das Gesetz, vielmehr war es seine wesentliche Aufgabe, die Heiden zum Gesetz zu führen. Die Erfüllung dieser Sendung war ihm jedoch nicht gegönnt. Bald nach dem Tod der Apostel fielen die Anhänger Jesu ins pure Heidentum zurück, sie scherten sich nicht mehr um den Sabbat, mißachteten die biblischen Feste und aßen Schweinefleisch. Die Zeit der Jünger und Apostel Jesu war eine kurze Heilsepisode 7 , nun aber lebt man bis zu Jesu erneuter, endzeitlicher Wiederkehr wieder unter den Heilsbedingungen, die der 5

KOHN, Sabbatharier, S. 3 0 - 3 9 ; PAKOZDY, Sabbatismus, S. 2 4 . In Siebenbürgen lebten zu dieser Zeit noch keine Juden; das Schimpfwort war also hier nicht durch eine reale Diskriminierung der Juden gedeckt, so daß seine positive Umwertung möglich scheint. 6 Nach einer zeitgenössischen Chronik hat Eössi 1588 durch intensives Bibelstudium den Sabbatismus »schön erfunden« (PAKOZDY, Sabbatismus, S. 26; KOHN, Sabbatharier, S. 40). Er war ein begüterter Szekler Adliger, der, vom Tod seiner ganzen Familie und von schwerer Krankheit heimgesucht, Trost in der Religion fand. Er verfaßte polemische Traktate, hauptsächlich aber Lehrgedichte und geistliche Lieder und schuf dergestalt den Grundstock für die neue Religion. 7 Zeugnis dieser Heilsepisode ist das Neue Testament. Die Sabbatisten sehen es in erster Linie als ein geschichtliches Dokument, das hauptsächlich Gelegenheitsschriften (Briefe) enthält, nicht aber als Bundesbuch; einzig die Johannesoffenbarung gilt ihnen unter den Schriften des Neuen Testaments als göttlich inspiriert (PAKOZDY, Sabbatismus, S. 33-35; KOHN, Sabbatharier, S. 52f).

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Alte Bund voraussetzt und dessen Normen daher noch gelten. Erst dann werden die Verheißungen universal und ewig erfüllt werden. An diesem Punkt leuchten klare Parallelen zu dem mährischen Sabbatismus auf trotz der so verschiedenen Ausgangslage. Konnten wir in diesem die Bewältigung eines enttäuschten Chiliasmus erkennen, so zeigt sich der siebenbürgische Sabbatismus gut ein halbes Jahrhundert später als Weiterbildung eines radikalen Antitrinitarismus. Von diesen unterschiedlichen Ansätzen aus entwickeln beide sabbatistischen Formen aber eine ganz ähnliche Sicht der Heilsgeschichte. Jesus konnte sein Heilswerk nicht durchsetzen, die Erfüllung der Verheißungen wurde mithin auf sein künftiges Kommen vertagt. Einstweilen gelten daher noch die an die Verheißungen geknüpften Bedingungen, also die Forderungen des Gesetzes. Soweit es noch erkennbar ist, kommt in diesem Zusammenhang bei Oswald Glaidt dem Sabbat als besonderem Bundeszeichen eine herausgehobenere Bedeutung zu als bei Eössi, dem es mehr um das mosaische Gesetz insgesamt geht. Doch dürfte gerade das Halten des Sabbats auch den siebenbürgischen Sabbatisten nicht wenig dazu verholfen haben, sich der alttestamentlichen Verheißungen zu bemächtigen und sich ihrer zu versichern, war es doch gerade dieser Ritus8, der nicht nur intern, sondern auch nach außen hin ihre Besonderheit - ihre Erwählung - an den Tag legte; daß schon ihre Zeitgenossen sie Sabbatarier (ungarisch: Szombatosok) nannten9, beweist es. Auch die Unterscheidung von äußerem und innerem Sabbat war den ungarischen Sabbatisten nicht fremd. 10 Die weitere Geschichte des Sabbatismus in Siebenbürgen braucht hier nur noch knapp umrissen zu werden, denn die Sekte kappte seit 1621 unter der Ägide von Simon Pechi (sprich: Petschi) all jene Taue, die sie unter Eössi noch mit dem Christentum verband; sie will nichts mehr von Jesus und dem Neuen Testament wissen, sondern betrieb ihre gänzliche Judaisierung. Der Vollständigkeit halber sei dies noch grob skizziert. Eössi erwählte sich Pechi zum geistigen Testamentsvollstrecker, er verschaffte dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Schulmeister Zugang zum Hof, ermöglichte ihm eine ausgedehnte Bildungsreise und adoptierte ihn schließlich. Durch diese Begünstigung und durch gute Heirat gelang Pechi eine glänzende Laufbahn, in der er es sogar zum Kanzler des Fürsten Gabriel Bethlen brachte (1613-21). Nach seinem jähen Sturz, dessen Ursachen im Dunkel liegen, widmete er sich dem religiösen Studium - wie es scheint ausschließlich der Judaistik; er vertiefte sich in den Talmud und die Midrasch-Literatur. Er schuf ein Gebetsbuch, das eine Übersetzung von Siddur (allgemeines Gebetsbuch), 8 Die Siebenbürgischen Sabbatisten feierten den Sabbat wie die übrigen Festtage Israels nach jüdischem Ritus. 9

KOHN, Sabbatharier, S. 45.

10

Vgl. den Hinweis bei KOHN, Sabbatharier, S. 56.

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Der Sabbatismus

Machzor (Gebete für den Festtagszyklus) und Selichot (Bußgebete) nach sephardischem Ritus ist, er übersetzte und kommentierte die Psalmen und andere jüdische Literatur. Daß Bethlen 1623 türkische (sephardische) Juden mit großen Privilegien ins Land lockte, dürfte die Judaisierung des Sabbatismus erheblich mitverursacht haben. Die religiöse Gebrauchsliteratur, die Pechis Eifer hervorbrachte, legte die Wurzeln für das Aufblühen des Sabbatismus in Siebenbürgen. War er vor Pechis Wirksamkeit, also in der noch judenchristlichen Periode von 1588 bis 1621, fast nur unter den Bauern und dem Landadel in Eössis Umgebung verbreitet, so griff er hernach weiter um sich und drang auch in das Bürgertum und den Hochadel ein; die Zahl der Sabbatisten dürfte gut die Zehntausend überschritten haben. Offiziell gaben sie sich immer noch als Unitarier aus, dem Staat gegenüber verhielten sie sich loyal. Gleichwohl suchte die Gesetzgebung von Anfang an ihre Unterdrückung. Jedoch erst Bethlens Nachfolger Georg Räkoczy I. machte 1638 auf dem Landtag zu Des Ernst damit. Es gelang Räkoczy in der Descher Complanatio, die Unitarier zur deutlichen Abgrenzung von den Sabbatisten zu bewegen, aufgrund derer denjenigen Sabbatisten, die bis dahin nicht zu einer der vier anerkannten Konfessionen übergetreten waren, der Prozeß gemacht werden konnte. Nahezu tausend standhafte Sabbatisten wurden verurteilt; ihr Vermögen riß Räkoczy an sich, lediglich ein Todesurteil wurde vollstreckt. Pechi selbst trat nach einigem Widerstand 1639 in die reformierte Kirche über, wie die meisten aber nur scheinbar. Er starb verarmt etwa fünf Jahre danach. In den folgenden 230 Jahren tauchten die Sabbatisten immer wieder vereinzelt auf und mußten Verfolgungen leiden. Sie pflegten ihre jüdische Religiosität im Privaten, so gut es eben ging. Einzig die Beschneidung praktizierten sie nie; sie war verboten und hätte sie mehr verraten als alles andere. Viele wanderten in die Türkei aus, weil sie sich dort ungehindert den jüdischen Gemeinden anschließen konnten. Bis ins 19. Jahrhundert hielt sich eine kleine Gemeinde in dem Gebirgsdorf Bözödujfalu. Die vom Parlament 1868 beschlossene Judenemanzipation verstanden sie als Erlaubnis, sich beschneiden zu lassen, was ihnen gegen einen massiven kirchlichen Widerstand dank der Intervention des liberalen Kultusministers endlich gewährt worden ist. Einige wenige wollten sich nicht für das Proselytentum entschließen. Ihre Nachkommen, die letzten Siebenbürger Sabbatisten, wurden entweder von den Nazis ermordet oder traten, wo ihnen der »Ariernachweis« gelang, zur reformierten Kirche über.

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9.2. Der puritanische Sonntags-Sabbatismus und der baptistische Samstags-Sabbatismus im England des 17. Jahrhunderts 11

Mit Sicherheit keine judaisierenden Motive haben zu Beginn des 17. Jahrhunderts einige englische Baptisten dazu bewogen, den Sabbat zu halten. Hier war ein ganz anderes theologisches und historisches Umfeld gegeben als in Siebenbürgen. Die Entstehung des sabbatistischen Baptismus fällt in die gleiche Zeit, in der auch die Puritaner um eine rigoristische Sonntagsheiligung kämpften, in der also die Wurzeln des sogenannten »englischen Sonntags« gelegt wurden. In der Literatur wird diese Bewegung um den puritanischen Sonntag auch als Sabbatarianismus bezeichnet. 12 Obwohl dabei zu betonen ist, daß sich die überwiegende Mehrheit der Puritaner nicht für die Verlegung des Sonntags auf den Samstag ausgesprochen haben, ist diese Bezeichnung aus mehreren Gründen nicht unberechtigt. Das Engagement für eine umfassende Heiligung des Sonntags untermauern die Puritaner theologisch mit der These von der absoluten und ewigen, moralischen Verbindlichkeit des Dekalogs und des Sabbatgebots; an die Stelle der alten Substitutionslehre, nach der der Sabbat als Teil des Zeremonialgesetzes aufgehoben und durch den Sonntag ersetzt worden sei, tritt bei ihnen eine Art Kontinuitätslehre: Der Sonntag ersetzt nicht den Sabbat, sondern führt ihn seit Christi Auferstehung fort; von der Schöpfung bis zu Christus wird der Sabbat am Samstag, von Christi Auferweckung als einer zweiten, die erste überbietende Schöpfung bis zum Weltende wird er am Sonntag gefeiert. Im Unterschied zu den kontinentalen Protestanten und zu den episkopalen Anglikanern, die sich in diesem Punkt ganz den kontinentalen Reformatoren anschließen, sehen die Puritaner den Sonntag nicht durch kirchliche Satzung, sondern durch ein göttliches Gebot begründet. Der Sonntag ist der christliche Sabbat. Daher beschränkt sich das Interesse der Puritaner nicht auf den Gottesdienstbesuch, und das sozialethische Argument der Arbeitsruhe verschwindet hier fast ganz. Der Eifer, mit dem Bucer den Sonntag schützen wollte, ist nichts gegen den puritanischen, denn alle Verbote, die Bucer erwog, dienen doch letztlich nur einem ungestörten Gottesdienst. Die Puritaner indes reglementieren genau, was am Sonntag zu tun und was zu unterlassen ist, und zwar auch und vor allem dann, wenn der Gottesdienst vorüber ist. Daß sie dabei die Bestimmungen des Alten Testaments vor Augen haben, bedarf keiner Begrün11

S.

Dazu

Sabbat, S. 1 5 3 - 1 7 5 ; DOUGLAS, The Sabbath in Puritanism, Sabbath and Sectarianism in Seventeenth-Century England. So etwa COLLINSON, The Beginnings of English Sabbatarianism. R . MÜLLER,

2 3 7 - 2 3 9 ; KATZ, 12

242

Der Sabbatismus

dung. Auch deswegen wird diese Bewegung mit guten Grund »Sabbatarianism« genannt. Schwerlich waren es aber diese theologischen Überzeugungen, die den Sonntagseifer entfachten. Ein derart auf ein konkretes religiöses Verhalten dringendes Anliegen kann nie allein - und nur selten hauptsächlich - in rein theologischen Erwägungen keimen. Man wird die Wurzeln des »englischen Sonntags« nicht anderswo als unter den Wurzeln des Puritanismus überhaupt suchen müssen, und das heißt zuvorderst in den spezifisch englischen Verhältnissen. Stärker als irgendwo sonst brach die Reformation 'von oben' über die Insel herein; sie wurde von der breiten Bevölkerung weder herbeigesehnt noch entscheidend mitgetragen. Unter diesen Umständen mußte der Bruch mit der alten Religion stärker als anderswo zu einem sittlichen Verfall fuhren. Zwar war dem Elisabethanischen England eine erstaunliche kulturelle Blüte vergönnt, doch der Protestantismus war auf diese Spätrenaissance in keiner Weise vorbereitet; er konnte diese Kultur nicht integrieren, sondern ihr nur durch religiöse Abwehr begegnen. Während der hochkirchliche Anglikanismus mit seinen teilweise rekatholisierenden Tendenzen (William Laud) von der führenden Oberschicht getragen wurde, konnte der innerkirchliche Puritanismus in breiteren Schichten der religiös interessierten Bevölkerung Platz greifen und sein Heiligkeitsideal in Opposition gegen die Kultur der Führungselite formulieren. Neben dem ekklesiologischen Bereich (presbyterianisches Modell) und dem Problem der gottesdienstlichen Riten schien bald auch die Sonntagsheiligung ein geeignetes Feld abzugeben, dem puritanischen Heiligkeitsideal die allgemeine gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen. 13 Stärker als auf dem Kontinent wurde der Sonntag in England, besonders während der Elisabethanischen Renaissance, für diverse kulturelle Veranstaltungen genutzt: Theater, Tanz, »recreations« und »sports« sowie die hier verbreiteten Bären- und Stierhetzen, die ebenso beliebt wie anstößig waren. 14 Nicholas Bownd, Pfarrer von Norton, Suffolk, war der erste, der dem puritanischen Sonntagssabbatismus theologisch Bahn brach. 1595 klärte er mit seinem umfangreichen Werk die Öffentlichkeit über »The true Doctrine of the

13

Der Chronist und Zeitzeuge THOMAS FULLER bemerkte bereits in seiner großen Church History of Britain: »About this time [1595] throughout England began the more solemn and strict observation of the Lord's day (hereafter, both in writing and preaching, commonly called the Sabbath)« (Bd. 5, S. 211). 14 Schon 1569/70 versuchten die Bischöfe, ein Gesetz zum Schutz des Sonntags einzubringen, das aber von Elisabeth, die keine religiösen Angelegenheiten im Parlament verhandelt sehen wollte, abgewehrt wurde (siehe L E V Y , Der Sabbath in England, S. 136). Weitere Sonntagsgesetze finden sich ausführlich ebd., S. 158167.190.206-209.233-237.251-257.

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Sabbath« auf. 1 5 Damit war der englischen Theologie des 17. Jahrhunderts ein Thema gegeben, das »a major controversial issue in the Church of England [wurde], dividing the puritan Nonconformists from the representatives of authority«. 16 Die von den puritanischen Sonntagssabbatariern vertretene Kontinuitätstheorie - DOUGLAS spricht von einer »transfer theory« 17 - beruft sich freilich unentwegt auf den Schöpfungssabbat, um die absolute moralische Verbindlichkeit des Sabbatgebots zu belegen. Bownd bezieht sich unter anderem auf Thomas von Aquin, ja selbst auf Luthers Äußerung in der Genesisvorlesung, wonach Adam auch dann den Sabbat gehalten hätte, wenn er nicht gefallen wäre. 1 8 Hartnäckig hält Bownd am siebten Tag fest, begreift dies jedoch im Sinne von 'jeder siebte Tag'. Freilich kommt für ihn nicht jeder Wochentag als 'Sabbat' in Frage, solange er nur im Wochenrhythmus gehalten wird; vielmehr ist seit Ostern einzig der Sonntag als Sabbat und siebter Tag zu halten. Diese Lehre bildet den theologischen Grundbestand des englischen Sonntagsverständnisses, wie die Lehrdokumente der Westminster-Synode darlegen. Die Westminster-Confession von 1647 leitet zwar ähnlich wie Luther 19 den Gottesdienst an sich aus der lex naturalis her, reduziert aber anders als Luther das Sabbatgebot nicht auf die naturgesetzlichen Komponenten, sondern begreift es in seiner Gesamtheit als ein auch für die Christen verbindliches, positives und iure divino gegebenes Moralgesetz. Nach der Kontinuitätstheorie wird der Sabbat seit Christus im Sonntag fortgesetzt; da man den Sonntag nicht für eine apostolische Setzung der Kirche hält, sondern in der Schrift fundiert sieht, bricht für die Puritaner in der Sabbat-Sonntag-Frage nicht das Problem der legislatorischen Autorität der Kirche auf. 2 0 15

Zu Bownd und seiner Schrift siehe LEVY, Der Sabbath in England, S. 150153.175-188; R . MÜLLER, Sabbat, S. 143-148; KATZ, Sabbath, S. l l f ; FULLER, Church History, Bd. 5, S. 211-218 und Cox, Literature, Vol. 1, S. 145-151.418421. Bownds Buch wurde 1599 verboten, erschien aber 1606 (unter James I.) in einer erweiterten Auflage. 16 COLLINSON, Beginnings, S. 207. James I. sog. »Book of Sports« von 1618, das die Legitimität der »recreations« am Sonntag betont, verschärfte die Kontroverse erheblich (LEVY, Der Sabbath in England, S. 191-202). 17 DOUGLAS, The Sabbath in Puritanism, S. 234.237. 18 R . MÜLLER, Sabbat, S. 145; zu Luther vgl. oben Kap. 5, S. 132f. 19 Vgl. oben Kap. 5, S. 126. 20 »As it is of the Law of Nature, that in general, a Proportion of Time be set apart for the Worship of God; so in his Word, by a positive, moral, and perpetual Commandment binding all Men in all Ages, he hath particularly appointed one Day in seven for a Sabbath to be kept holy unto him: which from the Beginning of the World to the Resurrection of Christ, was the lest [sic!] Day of the Week; and from the Resurrection of Christ, was changed into the first Day of the Week, which in Scripture is called the Lord's Day, and is to be continued to the End of the World as

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Der Sabbatismus

Spätestens im Commonwealth konnte sich die puritanisch independistische Sonntagsauffassung gegen die hochkirchlich royalistische durchsetzen. Fast zwangsläufig mußten in dem damit einhergehenden theologischen Disput über den Sabbat Einzelne den Sonntags-Sabbatismus zu einem echten, also einem Samtags-Sabbatismus weiterbilden. Es war dazu keine andere Theologie, nicht mal eine andere Sabbatlehre vonnöten. Einzelne Puritaner brauchten nur an der göttlichen Verlegung des Sabbats auf den ersten Wochentag zu zweifeln, was bei der dünnen Bezeugung des Sonntags im Neuen Testament, vor allem im Vergleich zum Sabbatzeugnis des Alten, leicht geschehen konnte, und schon mußte die Feier des ersten Wochentags als Irrtum erscheinen. Hatten die Puritaner erst einmal den Sonntag als einen eigenständigen christlichen Feiertag zu einem christlichen Sabbat umgedeutet, so scheint es nur konsequent, auch die Wochentagsverlegung für illegitim zu erklären. Zuerst tat dies John Traske vor 1618. Er wurde deshalb verfolgt und äußerte sich schon bald gegen jeden Sabbatismus. 21 Theophilus Brabourne, der von 1628 bis 1660 dem Samstag-Sabbat vier Werke widmete, löste die breite Kontroverse über den letzten oder ersten Wochentag aus, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts in England mit etlichen Publikationen ausgetragen wurde. 2 2 Doch erst im Commonwealth und vor allem während der Restauration der Monarchie formierten sich kleine Gemeinden von Samstags-Sabbatisten aus den Reihen der Baptisten heraus. 23 Der gesamte Sabbatismus-Komplex auf der Insel dieser Zeit stellt sich also recht unübersichtlich dar. Im Groben befehden sich drei Parteien: die hochkirchlichen Anglikaner, die dem kontinentalen Sonntag anhängen, die puritanischen Sonntags-Sabbatisten und die baptistischen Sizmitagi-Sabbatisten. Als die führenden Köpfe unter diesen baptistischen Samstags-Sabbatisten sind zu nennen: Henry Jessey, Thomas Tillam, Peter Chamberlen, Francis Bamp-

the Christian Sabbath.« Westm. Conf., Art. 21 (MÜLLER, BSRK 589,39-590,16); vgl. den großen Westminster-Katechismus (1647), Frage 116 und den kleinen Westminster-Katechismus (1647), Frage 59 (MÜLLER, BSRK 629,8-14; 648,8-13). Die Kontinuitätstheorie findet sich auch noch in der Cumberland-Confession der Presbyterian Church, Tennessee von 1882/83 (MÜLLER, BSRK 923,5-9). 21 Über seinen Sabbatismus weiß man vor allem aus einer anonymen Gegenschrift von 1618, vgl. R. MÜLLER, Sabbat, S. 154; DOUGLAS, Sabbath in Puritanism, S. 237; KATZ, Sabbath, S. 12f; Cox, Literature, Vol. 1, S. 152f.431. 22 FULLER, Church History, Bd. 6, S. 88-90; vgl. auch KATZ, Sabbath, S. 16f. 23 Besonders die späteren 'Seventh-Day-Baptists' in Amerika betrachten sie als ihre Vorfahren und Gründer; siehe den Beitrag von GREEN und GAMBLE, in dem Sammelwerk: Seventh Day Baptists in Europe and America, Vol. 1, (Eigendarstellung); vgl. auch WHITLEY, Seventh Day Baptists in England.

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field, John Belcher und Edward Stennett. 24 Die 'Seventh Day Baptists' nur einzelne wenige Gemeinden gebildet haben. 25 Eine klare Verortung ist jedoch kaum möglich, weil die Baptisten gleichsam aus einer Kreuzung von calvinistisch independistischem Puritanismus und holländischen Täufertum (Mennoniten) herstammen. Daß die Baptisten sich an der Stellung zum Calvinismus, genauer zur Prädestinationslehre spalteten ('Gernerai Baptists': Heilsuniversalismus und 'Particular Baptists': Prädestination), belegt allein schon die Varianzfülle auf theologisch engem Raum. 2 6 Meist sind hier jedoch die Lehrdifferenzen weniger ausgeprägt als Unterschiede in den Riten (Taufe und Sabbat). Man hat es daher mehr mit religiösen Bewegungen als mit theologischen Schulbildungen zu tun. Die theologische Rechtfertigung des Samstag-Sabbats unterscheidet sich nicht wesentlich von der des Sonntag-Sabbats. Der Sabbat ist nicht nur im komplett moralgesetzlich verstandenen Dekalog, sondern auch in der Schöpfung verankert. Er wurde seit Adam, also schon vor Mose, gehalten. 27 Eine Verlegung auf den Sonntag erkennt man im Gegensatz zu den Puritanern im Neuen Testament nicht. Jesus, Paulus und die Apostel hielten den Sabbat. Wenn am Tag der Auferstehung zwei Jünger viele Meilen nach Emmaus und wieder zurück gingen (Lk 24,13.33), dann haben sie unmöglich an diesem Tag den Sabbat gehalten. 28 Dieses Argument greift freilich nur vor dem Hintergrund des sabbatistischen Sonntagsverständnisses und zeigt schön, daß die Samstags-Sabbatisten in erster Linie gegen ihre Sonntags verwandten schreiben. Einen kontinentalen »Sonntagschristen« könnte dieses Argument nicht beeindrucken. Wie üblich in diesen Fällen hält man den Sonntag für eine Erfindung des Papstes. Wie stark auch apokalyptische und chiliastische Motive zum Aufkommen des Siebenten-Tags-Sabbatismus in England beigetragen haben, ist trotz der Studie von K A T Z noch nicht hinreichend erforscht. Ohne Zweifel muß mit ihnen gerechnet werden. Schon in der Elisabethanischen Ära gewann der Chiliasmus an Einfluß, zunächst aber mehr in Gestalt des sogenannten Postmillenniarismus. Da dieser die Parusie Christi erst nach dem tausendjährigen Heilsreich 24

Ihnen hat jetzt DAVID S. KATZ eine detailreiche historische Studie gewidmet. Sabbath and Sectarianism in Seventeenth-Century England.) Die theologischen Beweggründe, die diese Männer zum Samstags-Sabbatismus verpflichtete, bleiben bei KATZ allerdings weitgehend im Dunkeln. Siehe außerdem UNDERWOOD, English Baptists, S. 114f.l47f; Cox, Literature, Vol. 1, S. 267f. 25 Allem Anschein nach haben sie sich weniger durch missionarisches Wirken als durch familiäre Bande gebildet, vgl. UNDERWOOD, English Baptists, S . 114f. 147. 26 »Some Seventh-Day Baptists were Calvinistic or Particular, others were Arminian or General. Not all who held Seventh-Day views were Baptists.« (UNDERWOOD, English Baptists, S. 94f). 27 Einzelheiten dazu bei R . MÜLLER, Sabbat, S. 169-172. 28 Ebd. S. 173. (KATZ,

Der Sabbatismus

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erwartete, mußte er keinen radikalen Bruch in der Geschichte annehmen, sondern konnte sich den politischen Gegebenheiten anpassen und auf dem erstarkenden Nationalismus aufbauen; der Sieg über die Armada wurde etwa als Zeichen dafür gedeutet, daß England die erwählte Nation im Kampf gegen den Antichristen sei.29 Während des englischen Bürgerkriegs und im Commonwealth wurde der Chiliasmus radikalisiert und wandelte sich oft zum Prämillenniarismus, der seine bedeutendste Ausprägung in der Bewegung der 'Fifth Monarchists' gewann.30 Die Hinrichtung Karls I. wurde als Beginn des Königreiches Christi gedeutet, das den vier Reichen aus Dan 7 folgt und in dem die Heiligen über die Gottlosen richten werden. Wir haben uns hier der Darstellung RICHARD MÜLLERS angeschlossen, wonach sich der Siebenten-Tags-Sabbatismus mühelos als Variante des puritanischen Sonntags-Sabbatismus begreifen läßt. Daß die Sabbatisten dabei auch chiliastische Motive integrierten, liegt auf der Hand, so z.B. die Lehre der Fifth Monarchists, daß das Gesetz in den letzten Tagen wieder aufgerichtet werden muß.31 Es scheint jedoch nicht wenig plausibel, daß die radikale apokalyptische Stimmung, die sich während des Bürgerkriegs in weiten Teilen der Independents breitmachte, den entscheidenden Impuls für die Propagierung des Sabbats am siebten Tag gegeben hat.32 Obwohl die ersten Stimmen, die für eine Verlegung auf den Samstag eintraten, schon Jahrzehnte vor den Wirren der Jahrhundertmitte laut wurden, wuchs der Siebenten-Tags-Sabbatismus doch erst im Commonwealth und während der Restauration zu einer gemeindebildenden Gruppierung an. 33 Einige seiner Verfechter tauchen auch bei den Fifth Monarchists auf. 34 In dieser revolutionär apokalyptischen Sekte geriet die Sabbatdiskussion in den Sog einer konkreten Endzeiterwartung. Das alttestamentliche Judizialgesetz, zu dem man auch den Siebenten-Tags-Sabbat zählte, sollte die rechtliche Grundlage des Königreichs Christi auf Erden bilden. 35 Die Fifth Monarchists waren sicher keine Sabbatisten, da dieses Thema nicht im Zentrum ihrer Gedankenwelt liegt und keineswegs alle vom SamstagSabbat überzeugt waren.36 Dennoch dürften die Siebenten-Tags-Baptisten nicht nur den chiliastischen Bezug ihres Sabbatismus von der Fifth Monarchy Bewegung übernommen haben37, sondern auch zum Teil als deren Erben gel29

30

BAUCKHAM, Art. Chiliasmus IV, S. 739f. Dazu CAPP, The Fifth Monarchy Men; BAUCKHAM,

Art. Chiliasmus

IV, S.

740.

Sabbat, S . 1 6 7 ; CAPP, The Fifth Monarchy Men, S . 1 5 7 - 1 7 1 . Dies vermutet auch UNDERWOOD, English Baptists, S . 9 4 . 33 R . MÜLLER, Sabbat, S. 157; 165f Anm. 52. 34 R . MÜLLER, Sabbat, S. 1 6 5 ; UNDERWOOD, English Baptists, S. 9 4 . 35 CAPP, The Fifth Monarchy Men, S. 1 6 2 - 1 6 8 . 36 Vgl. ebd. S. 175.179.188. 37 Namentlich Henry Jessey, Peter Chamberlen und John Belcher standen den Fifth Monarchists nahe (vgl. KATZ, Sabbath, S. 20.81.103f). Etliche der von KATZ 31

32

R.MÜLLER,

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247

ten. 3 8 Es ist gut denkbar - bedarf aber noch eingehender Erforschung -, daß der englische Samstags-Sabbatismus ähnlich wie der mährische der Reformationszeit und der adventistische des 19. Jahrhunderts im Grunde als die Verarbeitung einer enttäuschten Naherwartung zu begreifen ist. Die durch die puritanische Machtübernahme aktivierte endzeitliche Naherwartung wurde desillusioniert, je massiver sich die Herrschaft Cromwells behaupten konnte, besonders aber 1653 nach der Auflösung des Rumpfparlaments. Diejenigen, die weiterhin apokalyptisch orientiert waren, aber mit einer Art Parusieverzögerung rechnen mußten, gewannen in der Überzeugung, daß der Sabbat am siebten Tag gehalten werden mußte, eine sichtbare Gestalt und damit eine neue Identität. 39 Was hier über den englischen Sabbatismus nur hypothetisch formuliert wurde, kann an der Genese des Siebenten-Tags-Adventismus wesentlich deutlicher aufgezeigt werden.

wiedergegebenen Quellenauszüge enthalten apokalyptisches Gedankengut (KATZ, Sabbath, S. 110.144f.175 u.ö.); KATZ sieht zwar bisweilen die enge Verquickeung von Samstags-Sabbatismus und millennaristischen Tönen, berücksichtigt diesen inneren Zusammenhang bei der Erklärung des Samstags- Sabbatismus aber nicht hinlänglich. 38 Dies deutet auch WHITLEY, Seventh Day Baptists, S. 2 5 3 , an. CAPP hält dagegen, daß einige Seventh-Day-Baptists und ehemalige Fifth Monarchists, besonders John Belcher, Peter Chamberlen und Thomas Pooley, »seem to have adopted the Seventh Day Sabbath as an addition to their Fifth Monarchist beliefs, not as a replacement.« (CAPP, The Fifth Monarchy Men, S. 2 2 4 ) . Diese Beobachtungen belegt jedoch im Grunde nur den engen Zusammenhang der beiden Bewegungen; man wird das Verhältnis ihrer Ansichten weder als Kontinuität noch als Bruch, sondern als eine Art der Weiterentwicklung ansehen müssen. 39 Das apokalyptische Erwählunsbewußtsein der Fifth Monarchists schlug mit der Wiederherstellung der Monarchie ins Gegenteil um. So rief der inhaftierte Thomas Tilliam 1660 die Heiligen zur Emigration auf, da der Herr England wegen dessen übergroßer Sünde bald zerstören werde. Christopher Pooley, einer der militantesten der Fifth Monarchists, wanderte mit wenigen hundert Familien nach Deutschland aus, wo sie sich mit Duldung des pfälzischen Kurfürsten Karl Ludwig 1663/64 in dem verlassenen Kloster Lobenfeld niederlassen konnten, bis sie nach kurzer Zeit wieder vertrieben wurden. Bezeichnenderweise machte sich diese Gruppe in der Pfalz als 'Sabbatarier' einen Namen. (CAPP, The Fifth Monarchy Men, S. 201f; WHITLEY, Seventh Day Baptists, S. 253; KATZ, Sabbath, S. 40.45; J. MÜLLER, Karl Ludwig und die Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen, S. 133).

248

Der Sabbatismus

9.3. Die Siebenten-Tags-Adventisten

Die Entstehung des Siebenten-Tags-Adventismus Mitte des letzten Jahrhunderts in Nordamerika zeigt die deutlichste Analogie zur Genese des mährischen Sabbatismus der Reformationszeit. Die Siebenten-Tags-Adventisten bilden heute in Amerika eine nicht unbedeutende christliche Gemeinschaft, die zwischen Freikirche und Sekte anzusiedeln ist und in der ganzen Welt - wenn auch weniger kräftige - Wurzeln schlagen konnte. Ihre Geschichte darf daher hier als bekannt vorausgesetzt werden; sie soll nur so weit in Erinnerung gerufen werden, wie es zum Erweis der Analogie in der Herausbildung des Sabbatismus nötig ist. 40 Die Siebenten-Tags-Adventisten gingen aus der sogenannten Millerbewegung hervor. William Miller (1782-1849), ein bildungshungriger Farmer, der erst mit dem Deismus sympathisierte, schloß sich 1816 nach einem Bekehrungserlebnis den Baptisten an und begeisterte sich in einem mehrjährigen, autodidaktischen Bibelstudium für die prophetischen Weissagungen und ihre geschichtliche Erfüllung. Dies trieb ihn zu Endzeitberechnungen: Christus komme zwischen dem 21. März 1843 und dem 21. März 1844 wieder. 41 Erst seit 1831 teilte er diese Einsichten allmählich und mehr gedrängt als freiwillig mit. Durch ausgedehntere Predigtreisen seit 1834 und die Mithilfe etlicher Prediger erreichte seine Botschaft nach und nach mehrere hunderttausend Menschen, weitere durch Zeitschriften und die Zeltmission nach methodistischem Vorbild; die Millerbewegung formierte sich. Für solch eine Verkündigung war das nordamerikanische Christentum nicht unvorbereitet. Dem urchristlich biblizistischen »Great Awakening« des 18. Jahrhunderts folgte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts das endzeitgestimmte »Great Revival«, in dem viele der typisch amerikanischen Sonderdenominationen keimten. Diese Strömung wurde getragen von einem Pioniergeist, der sich im Grunde gegen die ganze Komplexität der europäischen Geistesgeschichte zur Wehr setzte: gegen die Konfessionalisierung einesteils 40

Ich stützt mich im wesentlichen auf R . M Ü L L E R , Sabbat, S. 176-229; K. F. Die Frühgeschichte der Siebenten-Tags-Adventisten (im folgenden: K. F. MUELLER, Adventisten); ALGERMISSEN, Konfessionskunde, S. 843-852; HEYER, Konfessionskunde, S . 765-774 (D. REIMER); SCHMIDT / BUTSCHER, Art. Adventisten. 41 Die 2300 Tage bis zu erneuten Weihe des Heiligtums aus Dan 8,14 führten ihn - als Jahre gerechnet - zu diesem Termin; den Beginn der 2300 Jahre errechnete er aus Dan 9,24-27 auf 457 v. Chr.; das Heiligtum identifizierte er mit der Erde. Andere Berechnungen schienen ihm diese These zu stützen. MUELLER,

Spätere Sabbatisten

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und gegen den besonders aus der englischen Aufklärung stammenden, dem Fortschrittsglauben huldigenden Deismus und Unitarismus andernteils. Millers Botschaft ragte aus dieser Strömung heraus. Der biblische Rationalismus, mit dem er die Naherwartung berechnete - Träume und Visionen lehnte er strikt ab -, verliehen der diffusen Endzeitstimmung den Vorzug der Sicherheit. Dezidiert wandten sich die Milleriten gegen die Hoffnung auf eine tausendjährige, unsichtbare Herrschaft Christi in dieser Welt und verwiesen auf das Gericht über die Gottlosen, mit dem das Millennium anhebt. 42 Ferner war es nie ihr Anliegen, eine Kirche gründen; sie begriffen sich als eine in die bestehenden Kirchen einsickernde Sammelbewegung.43 Nach einer kurzen Enttäuschung, die dem 21. März 1844 folgte, verdichtete sich die Naherwartung noch einmal auf ein baldiges, ganz konkretes Datum: den 22. Oktober 1844. 44 Am 23. Oktober 1844 war der Spott der Umwelt heftig, gleichwohl nicht ganz unberechtigt. 45 Die Bewegung spaltete sich; der Hauptstrom gestand den Rechenfehler ein, hielt aber an der Naherwartung fest und versiegte erst 1906. Einige aber waren weiterhin von der Korrektheit der Millerschen Mathematik überzeugt, verlegten jedoch das Heiligtum aus Dan 8,14 mit Hilfe von Hebr 8,lf in den Himmel, dessen Allerheiligstes Christus am 22. Oktober 1844 betrat, um es von der Sünde zu reinigen und die Versöhnung zu vollenden. Nach diesem abschließenden Versöhnungsdienst erfolgt die zweite Parusie, nach der Christus mit den Gläubigen ein himmlisches Millennium feiert, während die Erde entvölkert ist. Mit dieser Umdeutung der Heiligtumslehre beginnt die eigentliche Geschichte der Siebenten-Tags-Adventisten, deren Zahl stetig anwuchs, namentlich unter der Führung der Charismatikerin Ellen G. White (geb. Harmon), die Ende 1844 mit 18 Jahren ihre erste Vision hatte und bis zu ihrem Tod 1915 ihre Anhänger mit zahllosen Visionen und Schriften versorgte, sowie ihres Mannes James White, der das nötige Talent zur Organisation beisteuerte. Zum Sabbatismus gelangten sie schon bald nach 1844. Die Whites hielten den Sabbat seit 1846; er wurde in dieser Zeit publizistisch breit propagiert. Wegweisend für die Hinwendung zum Sabbat war ohne Zweifel der Sabbattraktat 42

Vgl. K. F. MUELLER, Adventisten, S. 67f. Erst als mit dem heranrückenden Termin einzelne Kirchen begannen, die Milleriten auszuschließen - vermutlich wegen deren gesteigerter Erregtheit -, traten sie 1843 massenweise aus ihren angestammten, nunmehr mit Babylon identifizierten Kirchen aus; vgl. ebd. S. 95-98.103-105. 44 Samuel S. Snow entdeckte in Mt 25,6, daß der Bräutigam um Mitternacht kommt, also in der Mitte des (jüdisch-biblischen) Tages, mithin ein halbes Jahr später. 45 Viele Milleriten hatten ihre Stellung aufgegeben und ihre Habe verkauft. 43

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Der Sabbatismus

des ehemaligen Schiffkapitäns Joseph Bates. Seine Argumente sind größtenteils diejenigen der Siebenten-Tags-Baptisten. Diese kamen bereits 1665 von England nach Amerika und propagierten unter den Baptisten in Rhode Island den Samstags-Sabbat, was 1671 zur Abspaltung der Sabbatisten von den übrigen Baptisten führte. 46 Da nahezu das gesamte christliche Spektrum Europas und besonders Englands in Nordamerika Wurzeln schlug, wurde auch die englische Sabbatkontroverse des 1 7 . Jahrhunderts dorthin getragen. R . M Ü L LER weist nach, daß der kontinentalreformatorische Antisabbatismus, der puritanische Sonntags- und der baptistische Samstags-Sabbatismus auch hier miteinander wetteiferten. 47 Neben den bekannten baptistischen Argumenten erkennt Bates im Sabbat auch das Bundeszeichen. Er identifiziert Zeichen und Siegel48 und begreift so das Halten des Sabbats als eine Versiegelung der Gläubigen. Damit verbunden ist die sogenannte »Shut door«-Auffassung, eine Verbindung von Mt 25,10 und Apk 3,7f: Christus trat bei seiner Himmelsparusie vom Heiligen ins Allerheiligste, schloß dabei die Tür zum Allerheiligsten auf und verschloß hinter sich die Tür zum Heiligen ein für allemal. 49 Das Sabbathalten gewährt Zutritt zum Allerheiligsten, die Sabbatverächter bleiben draußen vor der verschlossenen Tür. Der Sabbat wurde für die Adventisten zum entscheidenden eschatologischen Heilskriterium, zur »testing truth«.50 Wie der Sabbat das Siegel auf der Stirn der Knechte Gottes ist (nach Apk 7,3; 9 , 4 ) , so ist der Sonntag das Zeichen an der Stirn des Tieres (nach Apk 1 4 , 9 ) . Die Erwählten halten die Gebote (Apk 1 4 , 1 2 ) , unter denen dem Sabbat als Bundeszeichen und Erwählungssiegel eine herausgehobene Stellung zukommt; 46

Siehe dazu KATZ, Sabbath, S. 134-177. R. MÜLLER, Sabbat, S. 185-190. 48 »The Sabbath - A Sign and signifies subscribe, represent, notify, mark. This being the signification of a sign, it is the same as seal.« (Bates, zitiert nach R. MÜLLER, Sabbat, S. 206 Anm. 30). 49 Siehe dazu K. F. MUELLER, Adventisten, S. 167f. 50 Ellen White gibt dies unmißverständlich in einer Vision wieder, die sie am 21. Aug. 1849 in der adventistischen Zeitschrift 'Present Truth' veröffentlicht: »Then Jesus rose up and shut the door in the Holy Place, and opened the door in the Most Holy, and passed within the second veil, where he now stands by the Ark; and where the faith of Israel now reaches, I saw Jesus had shut the door in the Holy Place, and no man can open it; and that he had opened the door in the Most Holy and no man can shut it (Rev. 3,7.8) and that since Jesus has opened the door in the Most Holy Place, which contains the Ark, the commandments have been shining out 47

to God's people, and they are being tested on the Sabbath question«. (Zitiert nach K.

F. MUELLER, Adventisten, S. 168 Anm. 37, Hervorhebung von mir, J.K.). James White 1853: »[...] the commandments of God hold a place, as the great testing truth, just before the Son of man takes his place on the white cloud to reap the harvest of the earth«. (Zitiert nach R. MÜLLER, Sabbat, S. 209).

Spätere Sabbatisten

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seine Mißachtung durch den Papst (»das Tier«) und alle Sonntagschristen ist geweissagt. Der Sabbat muß vor der zweiten Parusie restituiert werden. Bates' Sabbatauffassung wurde durch eine Vision von Ellen White autorisiert. Das Wissen um den Sabbat als Heilskriterium schuf eine esoterische Endzeitgemeinschaft, die zunächst nicht nach außen agitierte, zumal die erste Tür verschlossen war und die Zahl der Erwählten feststand. Getrieben von einer immer noch ungebrochenen Naherwartung glaubte Bates, daß die Versiegelung durch den Sabbat »bereits stattfand, da mehr und mehr 'Adventisten' den Sabbat annahmen«.51 Nach wenigen Jahren stellte man jedoch fest, daß die Zahl der Sabbatverehrer nicht annähernd an die 144000 (Apk 7,4) heranreichte. Vielmehr seien die willigen und potentiellen Sabbathalter über die ganze Erde zerstreut, die Versiegelung läge also noch in der Zukunft. Damit war der Grundstein zur weltweiten Mission gelegt. 52 ist den Wurzeln des adventistischen Sabbatismus nachgegangen. Er konnte deutlicher, als das bisher bekannt war, den nachhaltigen Einfluß der sabbatistischen Publizistik durch die Siebenten-Tags-Baptisten aufweisen. 53 Auch in der Millerbewegung wurde bereits über die SabbatSonntag-Frage diskutiert; Miller selbst blieb zwar immer dem puritanischen Sonntag treu, brachte aber im Rahmen seiner apokalyptischen Rechnerei den Sabbat als »Zeichen der Zeit« mit dem Millennium in Verbindung. 54 Wahrscheinlich gab es schon im März 1844, also noch vor dem Desaster des Oktobers, eine kleine Advent- oder Millergemeinde, die den Sabbat hielt. 55 RICHARD MÜLLER

Dies alles erklärt jedoch noch nicht hinreichend den durchschlagenden Erfolg des Sabbatismus nach dem Desaster unter denen, die den 22. Oktober nicht für einen Rechenfehler hielten. Die Identifizierung des Sabbats als des Heilssiegels (und des Sonntags als des Unheilszeichens) erweist sich für das anhaltende Interesse an der Apokalyptik als ebenso konstitutiv wie die Umdeutung der Millerschen Heiligtumsinterpretation. Hier liegen die eigentlichen Wurzeln des adventistischen Sabbatismus verborgen. 56 Demgegenüber bilden die biblizistischen Argumente, die die Adventisten gerne von den Baptisten übernahmen und die schon in der Millerbewegung kursierten - der Sabbat als Teil der Schöpfung und des unveränderlichen Gesetzes sowie die 51

R. MÜLLER, Sabbat, S. 206 Anm. 30. Daß die Zahl der Siebenten-Tags-Adventisten mit den Jahren die 144000 weit überstieg, erforderte dann die Lehre, die korporative Adventsgemeinde sei nicht mit der Zahl der wirklich Erwählten identisch. 53 R. MÜLLER, Sabbat, S. 189f. 197-200. 54 Ebd. S. 191-196. 55 Vgl. ebd. S. 199. 56 Diese These müßte noch an den Quellen eingehender bestätigt werden; im Rahmen dieser Arbeit kann dies nicht erfolgen, doch weisen die Referate und Belege bei RICHARD MÜLLER bereits klar in diese Richtung. 52

252

Der Sabbatismus

Bestätigung des Sabbats im Neuen Testament nur die nach außen sichtbaren Blüten. Die Apologetik bedient sich der biblizistischen Argumentation, weil diese breiter vermittelbar ist, als die esoterisch apokalyptische. Ohne Zweifel aber wurden die Adventisten ursprünglich nicht durch biblizistische, sondern durch apolayptische Motive zum Sabbatismus bewegt; nur sie passen zur anhaltenden Naherwartung und zur neuen Heiligtumslehre.57 Damit bildet die Genese des adventistischen Sabbatismus eine fast vollkommene Analogie zu derjenigen des mährischen Sabbatismus im 16. Jahrhundert. Die Milleriten, die 1844 nicht eingestehen konnten, daß sie einer Täuschung erlagen, verarbeiteten intern ihre Enttäuschung in der Suche nach weiteren, bisher übersehenen Zeichen. Hinweise von den sabbatistischen Baptisten haben sie den Sabbat als ein solches Zeichen entdecken lassen, das besonders geeignet schien, sowohl die Parusieverzögerung zu erklären, als auch sich ihrer Erwählung zu versichern. Ein esoterisches Erwählungsbewußtsein, das anfangs auch in der Idee der »shut door« einen krassen Ausdruck fand, dürfte ihnen eine Hilfe gewesen sein, den Spott der Umwelt nach dem peinlichen Desaster zu bewältigen. Gleichzeitig war mit dem Sabbat ein Ritus gegeben, der ihrer Gruppe eine innere Struktur und damit die bei einer Parusieverzögerung nötige Kontinuität verlieh; dieser Ritus steigert das Erwählungsbewußtsein um so mehr, je deutlicher er die Adventisten von allen Übrigen unterscheidet und abgrenzt. 58 Der Sabbatismus ist also hier wie in der Gruppe um Oswald Glaidt die Bewältigung der Enttäuschung einer konkreten Naherwartung und somit eine Art von Entapokalyptisierung.

57

Dies wird von R . MÜLLER nicht deutlich herausgearbeitet. Der Adventist F. MUELLER unterstellt besonders der Millerbewegung starke »irenische Tendenzen«, offensichtlich um dem Bild eines aggressiv apokalyptischen Adventismus gegenzusteuern; die apokalyptischen Elemente läßt er fast völlig außer acht, wohl weil sie heutzutage noch weniger vermittelbar sind, als Mitte des letzten Jahrhunderts; darüberhinaus mögen sie heute bei den Adventisten auch intern ins zweite Glied hinter den Biblizismus gerückt sein, denn es ist unmöglich, daß eine präzise Naherwartung auch noch nach über hundert Jahren nichts von ihrer erregenden Aktualität eingebüßt hat. Eine abgestandene Naherwartung kann nicht mehr authentisch sein. So haben sich die Adventisten nach wenigen Jahrzehnten der Kirchengeschichte zugewandt, um auch auf diesem Feld Argumente für den Sabbatismus zu rekrutieren. J. N. Andrews versuchte in seiner erstmals 1862 erschienenen History of the Sabbath and First Day of the Week ( 4 . Aufl. 1912 von L . R . CONRADI in deutsch herausgegeben) eine kontinuierliche Sabbatismuslinie durch die Kirchengeschichte zu ziehen; z.B. habe auch Karlstadt den Sabbat gehalten (siehe R . MÜLLER, Sabbat, S. 213-215). 58 Bis heute lehnen die Adventisten jede Form von Ökumene ab. KONRAD

Spätere Sabbatisten

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9.4. Phänomene des Sabbatismus

Der Sabbatismus ist ein Phänomen, das in der Christentums- und Theologiegeschichte immer wieder auftaucht. So verschieden die historischen und theologischen Konstellationen auch sind, aus denen heraus der Sabbatismus besonders seit der Reformation entsteht, es zeigen sich bei genauerem Hinsehen doch erstaunliche Parallelen. Geradezu unabdingbar für alle Formen des Sabbatismus scheint der apokalyptische Horizont zu sein. Für den mährischen Sabbatismus der Reformationszeit und den adventistischen des 19. Jahrhunderts liegt dies offen auf der Hand. Beide Formen wurzeln unmittelbar im Boden einer endzeitlichen Naherwartung, wobei beidemal der Sabbatismus eine Verarbeitung enttäuschter Endzeitberechnung darstellt. Ahnliches kann auch für das Aufkommen des englischen (Siebenten-Tags-) Sabbatismus namhaft gemacht werden. Nicht unmittelbar aus der apokalyptischen Naherwartung entstehen der Siebenbürgische Sabbatismus, der dem radikalen Unitarismus entspringt. Jedoch markiert auch dort die Eschatologie den Orientierungspunkt einer Heilsgeschichte, in der das Halten des Sabbats zum konstitutiven Kriterium wird. Es ist nicht zufällig, daß der Sabbatismus immer im Verbund mit apokalyptischer Eschatologie auftritt. Beide gehören wesentlich zusammen. Das Halten des Sabbats und ein kräftiges Hoffen auf das Ende der Welt bestärken sich gegenseitig. Des weiteren kommt der Sabbatismus jeweils in Gruppen auf, die vorher schon ein exzentrisches Randdasein führten und zumeist verfolgt wurden. Dies gilt für das Hutsche Täufertum, für die nonadorantistischen Unitarier und für die ersten Baptisten. In Nordamerika wurde freilich im letzten Jahrhundert niemand mehr bloß aufgrund seiner Religion verfolgt; dennoch keimte dort die große Erweckungsbewegung dieser Zeit in einem allgemein empfundenen Leiden an der denominalen Zersplitterung. Schürte in Europa die Übermacht je einer Konfession bei den Dissidenten den Unmut über die ekklesiale Realität des Christentums, so erlosch in Amerika dieser Unmut trotz der anderen äußeren Bedingungen keineswegs; vielmehr wurde er hier durch den übergroßen kirchlichen Pluralismus entfacht. Bezeichnend und wiederum alles andere als zufällig ist jedenfalls die Beobachtung, daß der Sabbatismus nie in einer der dominierenden Konfessionen oder etablierten Großkirchen entstanden ist. Der Sabbatismus führt nicht erst in einen konfessionellen Dissentismus hinein, sondern er setzt diesen immer schon voraus. Das Halten des Sabbats schmiedet eine abgesonderte Gemeinschaft zusammen, indem es ihr kontinuierliche rituelle Strukturen verleiht. Je ungewöhnlicher sich diese Riten ausnehmen,

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Der Sabbatismus

desto stärker ist das Erwählungsbewußtsein der Gemeinschaft. Der Sabbatismus ist also auch die Vergewisserung einer besonderen Erwählung. Schließlich ist es keinesfalls zufällig, daß der Sabbatismus nur in jenen Gebieten zu finden ist, in denen entweder keine Juden lebten oder sie keiner politischen Diskriminierung ausgesetzt waren. Die Juden im böhmisch mährischen Raum des 16. Jahrhunderts erfreuten sich eines vergleichsweise hohen wirtschaftlichen und kulturellen Ansehens, in Siebenbürgen lebten bis 1623, in England im 16. und 17. Jahrhundert keine Juden, in Amerika gab es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch nicht viele, und diese wenigen genossen die volle Gleichstellung. Wo Juden lebten, mußten sabbatisierende Christen in den Augen ihrer Umwelt unweigerlich als Juden, ' Judenzier' oder Proselyten erscheinen; das Klima des Antijudaismus ist der Entstehung und vollends der Ausbreitung des Sabbatismus sehr feindlich. Er fand nur dort gute Bedingungen, wo der Antijudaismus nicht virulent war. Die Genese der einzelnen sabbatistischen Gruppen läßt sich mithin durch den phänomenalen Vergleich und die historische Analogisierung gut erklären. Eine direkte Beeinflussung einer Gruppe durch eine andere ist bisher - mit der einen Ausnahme der adventistischen durch die baptistische - nicht ersichtlich, und es muß stark gezweifelt werden, ob es sie überhaupt gegeben hat. Man kommt gut ohne die Annahme direkter Traditionsüberlieferungen aus. 5 9

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Am Schluß seiner Arbeit stellt R . MÜLLER, Sabbat, S. 232, der weiteren Forschung die Aufgabe, solche »historischen Verbindungen« zwischen den einzelnen Sabbatisten aufzuspüren, wobei er sogar die »Sabbatauffassung des 'genuinen Judenchristentums'« einbeziehen möchte. Solch weit gespannte Erwartungen sind nicht untypisch für die von den Adventisten oder den Baptisten inaugurierte Forschung. Ihr Interesse gilt dem historischen Nachweis einer möglichst alten und kontinuierlichen Lehrtradition - in diesem Fall hinsichtlich des Sabbatismus; mit dem Aufweis der Analogie kann sie sich daher nicht zufrieden geben.

Rückblick und Ausblick

Obwohl der Sabbat in der Heiligen Schrift ein wichtiges Motiv und für das Judentum ein konstitutives Element ist, spielt er in der Geschichte des Christentums aufs Ganze gesehen keine bedeutende Rolle. Dennoch gelangt er in der Zeit der Reformation an zwei Stellen in den Vordergrund: Einmal in Täuferkreisen bei den sogenannten »Sabbatern«, die zum Halten des Sabbats am siebten Tag der Woche aufriefen und den Sonntag für einen Irrtum hielten, und bei Andreas Karlstadt, der dem Sabbat eine eigene Schrift widmete, ohne freilich die Feier des siebten Tags zu fordern. Diese Beobachtung regte eine Untersuchung zum Sabbat in der Reformationszeit an. Schon bald zeigten sich Verbindungen und Abhängigkeiten, die größtenteils auf den Einfluß Luthers zurückzuführen sind. Noch bevor Luthers Theologie ihr eigentlich reformatorisches Profil gewinnen konnte, taucht im Zusammenhang seiner Humilitas-Theologie das Motiv des Sabbats als eine Chiffre für die Ruhe der Seele auf. Die Metaphorik des Sabbatmotivs hat Luther von der Tradition übernommen. Diesen spirituellen Auslegungstyp vertieft er jedoch zu einer anthropologisch umfassenden Metapher für das Aussetzen aller leiblichen und geistigen Aktivität, für die Ruhe des Menschen von all seinem Dichten und Trachten. Der geistliche Sabbat markiert dergestalt auf anthropologischer Seite die völlige Passivität, der auf soteriologischer Seite die antischolastische Forcierung der Gnadenlehre in der Alleinwirksamkeit Gottes entspricht. Da das Wort den Sünder immer nur als Gerichtswort trifft und in die permanente Bewegung der annihilatio sui treibt, fungiert die im Sabbat abgebildete Ruhe nur als ein Leitbild, das vom Ideal der vita contemplativa geprägt ist. Monastische und mystische Konnotationen greifen ineinander. Nach dem reformatorischen Durchbruch, der sich in der deutlichen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium manifestiert und im Promissio-Charakter des Wortes die Dimension der Heilsgewißheit erschließt, findet sich die geistliche Deutung des Sabbats im Ansatz der reformatorischen Ethik. Da das Heilswirken Gottes im Menschen nicht mehr an die permanente Bewegung der annihilatio sui gebunden ist, sondern sich unabhängig vom menschlichen Verhalten allein dem Glauben eröffnet, versinnbildlicht der Sabbat die Ruhe des Menschen von allem eigenen Wirken nicht mehr als Bedingung der Alleinwirksamkeit Gottes, sondern als Konsequenz des Glaubens. Das mortifikatori-

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Rückblick und Ausblick

sehe Moment, die Stillegung alles Eigenen, begründet nicht das Gut-Sein wie noch in Luthers Humilitas-Theologie, sondern es folgt dem durch den Glauben konstituierten Gut-Sein vor und unabhängig von allen Werken. Damit steht die geistliche Sabbatdeutung nicht mehr im Erfahrungshorizont einer monastischen Frömmigkeit, sondern im Kontext des alltäglichen Handelns aus dem Glauben heraus, auf das die Neugestaltung reformatorischer Ethik zielt. Die Deutung des geistlichen Sabbats zwischen 1516 und 1520 spiegelt die anthropologische Seite des reformatorischen Durchbruchs wieder. Steht bei Luther das Sabbatmotiv immer nur als Chiffre für eine bestimmte anthropologische Erkenntnis, so kommt ihm bei Andreas Karlstadt auch eine unmittelbar praktische Bedeutung zu. Die Deutung des geistlichen Sabbats hat bei Karlstadt viel mit derjenigen aus Luthers früher Humilitas-Theologie gemein; wichtige Gedanken hat Karlstadt direkt von Luther übernommen. Er geht jedoch über Luthers Auslegung hinaus, weil er auch auf die praktische Umsetzung und Einübung des durch den Sabbat Bedeuteten hinsteuert. Nach dem Bruch mit Wittenberg bemüht sich Karlstadt in der Orlamünder Periode intensiv um das Thema der Heiligung, wobei er in einem antiakademischen Resentiment auf die Terminologie der deutschen Mystik, besonders auf die 'Theologia Deutsch', zurückgreift. Luther bleibt er dabei insofern verbunden, als er das Thema der Heiligung strukturell an der ersten Tafel des Dekalogs entfaltet. Der reformatorische Impetus der Alleinwirksamkeit Gottes gewinnt seine anthropologische Entsprechung im Motiv der Gelassenheit als der dem ersten Gebot zugeordneten Grundhaltung. Das Bilderverbot, der Verzicht auf die eigene Ehre und der Müßiggang des Feiertags konkretisieren in den ersten drei Geboten die Grundhaltung der Gelassenheit, die als die Beschneidung des Herzens von all seiner Verstrickung in die Kreatürlichkeit beschrieben wird. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Sabbatgebot zu, weil die Institution des Ruhetags die Möglichkeit einer Einübung in die Gelassenheit bietet. In der Arbeitsruhe des Feiertags läßt sich am besten ein Empfinden für die Gelassenheit entwickeln. Aus dem Ruhetag keimt für Karlstadt die Heiligung des ganzen Lebens heraus. Wie bei Karlstadt erinnert auch bei Schwenckfelds Sabbatverständnis vieles an die Ausführungen Luthers. Dahinter läßt sich jedoch eine rein spiritualistische Sabbatdeutung erkennen, die den geistlichen Sabbat mit dem ewigen Sabbat identifiziert und dadurch den Bezug zum Sabbatgebot verliert. Die geistliche Erkenntnis Christi in der Absonderung von der Welt ist der neue, christliche Sabbat und die Gegenwart des Reiches Gottes. Dieser Sabbat definiert sich aus dem Gegensatz zum alten, jüdischen Sabbat heraus. Während Luther Gebot und Zeichen klar unterscheidet, wird das Verhältnis bei Karlstadt nach der einen Seite und bei Schwenckfeld nach der anderen Seite hin verschoben. Das Gebot bezieht sich bei Luther immer auf das Halten

Rückblick und Ausblick

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des Feiertags; die Deutung des Sabbats als einer Chiffre für die Ruhe des Menschen zugungsten der Alleinwirksamkeit Gottes liegt auf einer anderen Ebene. Karlstadt dagegen verknüpft Gebot und Zeichen. Der Feiertag dient zur Einübung der geistlichen Ruhe. Die Heiligung, deren anthropologische Seite der Sabbat symbolisiert, setzt sich dabei der Gefahr der Vergesetzlichung aus. Zur anderen Seite hin löst Schwenckfeld das Verhältnis von Gebot und 'Figur' auf. Das Gebot ist als jüdisches völlig obsolet; es bleibt nur noch die Bedeutung übrig, die im Grunde mit dem Gebot auch das Zeichen selbst entbehren muß. Bei Karlstadt und Schwenckfeld werden unterschiedliche Akzentuierungen einer Deutung sichtbar, in der Luther zentrale Einsichten seiner reformatorischen Entdeckung an einem biblischen Motiv zum Ausdruck bringt. Der Sabbat versinnbildlicht die Passivität des Menschen Gott gegenüber im Prozeß von Rechtfertigung und Heiligung. Bis zum Erscheinen von Luthers Katechismen herrscht diese Auslegung im reformatorischen Lager vor, wie sich vor allem bei Melanchthon, aber auch in der katechetischen Literatur bis etwa 1530 nachweisen ließ. Bei Luther selbst treffen wir die geistliche Sabbatdeutung nur noch bis 1525 an; er hat sie danach nicht mehr aufgegriffen. Karlstadts Suche nach konkreten und praktikablen Strukturen der Heiligung gilt Luther als Rückfall in die alte Gesetzlichkeit, als gottloser Versuch der Selbstrechtfertigung durch selbsterwählte Werke. Der feiertägliche Müßiggang erzwingt das Heil von Gott. Jedoch war das, was Karlstadt zum Sabbat ausführt, im Ansatz schon in Luthers Humilitas-Theologie vorbereitet. In Karlstadt bekämpft Luther in gewisser Weise die Entfaltung einiger Gedanken und Motive, die er selbst vor seinem reformatorischen Durchbruch entwickelt hatte. Um Karlstadts Berufung auf den Dekalog in der Bilder- und Sabbatfrage zu entkräften, entfaltet Luther eine Hermeneutik des Dekalogs, die dessen Verbindlichkeit für die Kirche unter das Kriterium der Kompatibilität mit dem Naturrecht stellt. Das dritte Gebot ist dann nur noch als Feiertagsgebot mit den beiden Komponenten des Gottesdiensttages und des Ruhetages, aber nicht mehr als Sabbatgebot relevant. Die Wortverkündigung durch den Gottesdienst und die Arbeitsruhe erweisen sich als mit dem Naturrecht vereinbar und bleiben als Norm erhalten; der Sabbat als die zeitliche Fixierung dieser naturrechtlichen Komponenten auf den siebten Wochentag bildet dagegen nur die positive, nationalrechtliche Ausgestaltung der naturrechtlichen Normen und ist daher obsolet geworden. Jede zeitliche Fixierung, sei es der Sabbat, sei es der Sonntag, fallt in die Zuständigkeit des ius humanum und daher in die Obhut des weltlichen Regiments. In Konsequenz dieser Hermeneutik und Rechtsauffassung gibt Luther nicht nur die geistliche Sabbatdeutung, sondern auch die altkirchliche Begründung des Sonntags durch den Tag der Auferstehung des

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Rückblick und Ausblick

Herrn preis. Ferner wird die Abwertung des Sabbats als einer Institution positiven, menschlichen Rechts nicht der supralapsarischen Auszeichnung des Sabbats durch Gott in der Schöpfung gerecht, die Luther im Kontext der Genesisauslegung durchaus zur Kenntnis nimmt. Trotz dieser Engführungen wahrt die Reduktion des dritten Gebots auf den Gottesdienst- und Ruhetag den grundlegenden Skopus des Dekalogs, nämlich die Heiligung. Beim dritten Gebot garantiert das Moment der Wortverkündigung diesen Bezug; das Handeln und Treiben des Wortes heiligt. Dies ist der unveräußerliche Anker des dritten Gebots. Genau dies aber hat Melanchthon nicht hinreichend beachtet, als er auf dem Augsburger Reichstag in CA 28 einem Einwand Ecks entgegnete. Eck hatte bereits in seinem Enchiridion, einen Gedanken von Cochläus aufnehmend, die legislative Suprematie der Kirche über die Schrift unter anderem mit dem Argument untermauert, daß die Kirche gegen die Schrift, ja gar gegen den Dekalog den Sabbat auf den Sonntag verlegt habe. Dies Argument wog schwer, da der Sonntag im reformatorischen Lager nie hinterfragt worden war, aber in der Schrift kaum verankert ist. Es konnte gezeigt werden, daß dieses Argument für Melanchthon geradezu zum Paradigma beim Problem der »Menschensatzungen« wurde; er sah in der Sabbat-Sonntag-Frage den Präzedenzfall für eine bedingte Anerkennung bischöflicher Jurisdiktionsgewalt gegeben, die von kursächsischer Seite als Ausgleich für einen möglichen Kompromiß bei den »spänigen Artikeln« ins Auge gefaßt wurde. Melanchthon gesteht den Bischöfen eine nicht die Gewissen bindende Ordnungsgewalt zu. Ihr unterliegt auch die Einsetzung des Sonntags. Dies impliziert aber kein über der Schrift stehendes göttliches Recht der Kirche, denn die Schrift selbst habe den Sabbat bereits abgetan. Mit dieser in CA 28 gegebenen Antwort stößt Melanchthon an gewisse Grenzen. Um die christliche Freiheit abzusichern, sucht er die Sabbat-SonntagFrage ganz auf der Ebene des ius humanum zu regeln. Auf dieser Ebene sieht er dann keine Möglichkeit mehr, die Gehorsamspflicht gegenüber der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt zu begründen. Im Briefwechsel mit Luther wird Melanchthon nach der Überreichung des Bekenntnisses bewußt, daß zur fundierten Lösung des anstehendes Problems auch der Rückhalt der erlaubten Satzungen im göttlichen Recht zu beachten ist. Das Moment der Wortverkündigung verankert den Sabbat wie den Sonntag im ius divinum; aus diesem Fundament ist die Gehorsamspflicht herzuleiten. Hätte Melanchthon dies schon in CA 28 herausgearbeitet, dann wären zum einen die Bedingung für die Anerkennung der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt klarer definiert und zum andern Ecks Argumentation klarer entkräftet worden, denn die pauschale These von der Aufhebung des Sabbatgebots - sei es durch die Kirche, sei es durch die Schrift - erübrigt sich, wenn das bleibende Fundament des Sabbatgebots, nämlich die Wortverkündiung, zum Tragen kommt.

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Seit der schnellen Verbreitung von Luthers Katechismen, die den Skopus des dritten Gebots auf die Heiligung durch das Wort konzentrieren und auf die geistliche Deutung des Sabbats verzichten, und seit der Verquickung der Sabbat-Sonntag-Frage mit dem Problem der kirchlichen Ordnungen im Augsburger Bekenntnis taucht im lutherischen Einflußgebiet die spirituelle Deutung kaum mehr auf. In den reformierten Gebieten wird sie dagegen weiter tradiert und behauptet sich dort neben der Auslegung, die das Feiertagsgebot auf den Gottesdienst, die Arbeitsruhe und die Frage der kirchlichen Ordnung bezieht. Besonders schön gelingt Calvin die Integration dieser verschiedenen Momente. Seine bundestheologische Konzeption sichert die spirituelle Deutung vor dem Rückfall in die Gesetzlichkeit, wie vor dem Abweg einer spiritualistischen Geschichtslosigkeit. Indem Calvin das Verhältnis von Zeichen und Bedeutung als Analogie kenntlich macht, bekräftigt er, daß der Sabbat nur eine Chiffre für die Heiligung ist, daß der 'Figur' also nur eine hermeneutisch heuristische Funktion zukommt und keine normative. Als Kehrseite der geistlichen Sabbatdeutung unter den Bedingungen einer zur Apokalyptik verdichteten Endzeiterwartung erweist sich der Ruf der Sabbater nach einer Rückkehr zum siebten Tag als dem Sabbat des Dekalogs. Es konnte gezeigt werden, daß dieser Ruf nicht einem Biblizismus entspringt - die biblizistischen Argumente sind sekundär -, sondern einer konkreten Parusieerwartung, die enttäuscht worden war. Der Täuferführer Hans Hut hatte, Elemente der Verkündigung Müntzers aufgreifend, die Parusie Christi zum Gericht über die Gottlosen auf Pfingsten 1528 vorhergesagt und seine Anhänger, die das Gericht als Werkzeuge Gottes bestehen werden, mit der Taufe, dem Zeichen der Erwählung, gekennzeichnet. Aus dem Kreis seiner enttäuschten Anhänger formierte sich nach 1528 die Gruppe der Sabbater. Die Funktion, die Hut der Taufe beimaß, kommt nun dem Sabbat zu: Das Halten des Sabbats wird zum Zeichen und Siegel der Erwählung. Da in diesem Kontext entscheidende Heilsereignisse auf die Wiederkunft Christi verlagert werden, sind die Bedingungen noch nicht gegeben, unter denen das Gesetz und somit auch der Sabbat geistlich interpretiert werden kann. Die apokalyptisch motivierte Ablehnung der spirituellen Sabbatdeutung setzt dabei gerade die Dominanz dieser Deutung im ersten Jahrzehnt der Reformation voraus; einige Elemente der sabbatistischen Lehre ließen sich über charakteristische Umbildungen bis zu Karlstadt und damit bis zum frühen Luther zurückverfolgen. Besonders Karlstadts Sabbattraktat lenkte die Aufmerksamkeit in Täuferkreisen, bei denen ohnehin Karlstadts Schrifttum in hohem Ansehen stand, auf den Sabbat und wertete das dritte Gebot auf. Da aber im Unterschied zur einmalig vollzogenen Taufe bei Hut der Sabbat einen kontinuierlichen Ritus darstellt, der weit mehr als die Hutsche Taufe geeignet ist, feste Gemeindestrukturen auszubilden, setzt das Halten des Sabbats

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Rückblick und Ausblick

eine Art Parusieverzögerung und eine Entschärfung der Apokalyptik voraus. Der Sabbatismus ist also grundsätzlich apokalyptisch orientiert, reagiert aber gleichzeitig auf den Wegfall einer akuten Naherwartung. Diese Beobachtung sowie einige Indizien zur Quellendatierung führte zu einer sachlichen und chronologischen Korrektur der vor allem von D A N I E L LIECHTY vertretenen Thesen zur Genese des mährischen Sabbatismus. Die hier vertretenen Thesen werden gestützt durch historische Analogien im 17. Jahrhundert beim siebenbürgischen Sabbatismus sowie beim baptistischen Sabbatismus im puritanischen England und vor allem beim adventistischen Sabbatismus im 19. Jahrhundert. Die Entstehung des Letzteren weist in Vielem deutliche Parallelen zur Entstehung des mährischen Sabbatismus auf. In beiden Formen bedingt eine scharfe Apokalyptik und konkrete Endzeiterwartung, die enttäuscht wurde, die Genese des Sabbatismus, durch den die Enttäuschung religiös verarbeitet wird. Von zwei Seiten aus ist der Sabbat in neuerer Zeit wieder verstärkt ins Blickfeld der christlichen Theologie geraten. Zum einem nimmt man den Sabbat im Rahmen des christlich-jüdischen Dialogs als ein Konstitutivum des Judentums wahr, und die Betonung, daß das Alte Testament den beiden verschwisterten Religionen die gemeinsame Grundlage stellt, wirft die Frage nach der Relevanz des Sabbats für Theologie und Kirche auf. Zum andern regt die ökologische Krise eine Neubesinnung der Schöpfungstheologie an, die auch die Bedeutung des Sabbats für Mensch und Natur mitbedenkt.1 Aus der Warte dieser Untersuchung über den Sabbat in der Reformationszeit mögen dazu drei Aspekte beigesteuert werden. Der christliche Feiertag ist der Sonntag. Er entstand ursprünglich unabhängig vom Sabbat und vom Sabbatgebot als ein Tag, der mit dem Osterereignis verbunden ist. So sehr einerseits zu bedauern ist, daß Luther dieses urchristliche Motiv nicht genügend gewürdigt hat, so ist andererseits mit Luther zu unterstreichen, daß der Sabbat als Feiertag den Juden geboten ist, und nicht uns Christen. Luthers hermeneutische Frage: Zu wem redet Gott im Gesetz des Alten Testaments, in der Tora der hebräischen Bibel, wem gebietet er den Sabbat? - diese Frage ist auch heute unverzichtbar. Jeder Versuch, den Sonntag auf das Sabbatgebot zurückzuführen, wirft nicht nur die Frage auf, wem die Vollmacht zuzuschreiben ist, den Sabbat vom siebten auf den ersten Wochentag zu verlegen; dieser Versuch könnte auch als eine Anmaßung gegenüber der Tora Israels empfunden werden, in der Gott seinem erwählten Volk den Sabbat als Zeichen seines Bundes mit Israel schenkt.

1 Siehe dazu etwa MOLTMANN, Gott in der Schöpfung, S. 279-298 und Schöpfung, Bd. 2, S. 384-387; vgl. auch ebd. Bd. 1, S. 138-141.

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Der Sabbat der Schöpfung allerdings ist Gottes Geschenk an die ganze Welt. Der wöchentliche Ruhetag zur Regeneration der leiblichen und der geistigen Kräfte sowie zum Gedenken Gottes, seiner Taten und seiner Worte geht jeden Menschen, ja jede Kreatur an. Die Schöpfung lebt aus dem Sabbat heraus, in dem der Schöpfer sie vollendet hat. 2 Die Reformatoren haben diesen Aspekt mit Hilfe naturrechtlicher Begründungszusammenhänge grundsätzlich gewahrt, wenngleich auch das zeitlich periodische Moment, das mit dem Schöpfungssabbat und der Siebentagewoche verbunden ist, namentlich von Luther ausgeblendet wird. Den wertvollsten Beitrag zu einem christlichen Sabbatverständnis liefert die Reformation sicherlich in der geistlichen Sabbatdeutung, in der sie einen altkirchlichen Topos aufgreift und mit der Rechtfertigungslehre als ihrem theologischen Kernbereich verbindet. Auch ohne einen monastischen oder mystischen Frömmigkeitshorizont läßt sich der rechtfertigende Glaube gerade als Verzicht auf die eigene Selbstmächtigkeit, als die Ruhe des Drangs zur Selbstverwirklichung erfahren. 3 In unseren Gottesdiensten entdeckt man wieder zunehmend die innere Stille, die Ruhe der Seele als einen unverzichtbaren Erfahrungsraum Gottes. Gott wirkt in uns, wo wir aus der Hektik des Alltags, aus dem Streß der Arbeits- und Freizeit herausgerissen werden. Die Erfahrung der Ruhe in Gott und der Gelassenheit in der Welt ist für den Christen die Erfül2

Diesen Aspekt hat vor allem K A R L BARTH im Rahmen seiner bundestheologischen Konzeption zur Geltung gebracht (KD III/l, S. 240-258). 3 K A R L BARTH hat die Forderung nach dem »Abstehen und Ruhen des Menschen von seinen eigenen Werken« (KD III/4, S. 58) als den grundlegenden Sinn des Feiertaggebots herausgestellt: »Das Gebot, Sabbat zu feiern und also zu lassen und abzusterben von allem eigenen Wissen, Wirken und Wollen - auch von allem eigenmächtigen Verzichten und Untätigwerden, auch von allem willkürlichen Stillwerden und Ruhen! - dieses Gebot fordert vom Menschen das, was er auf Grund seines Selbstverständnisses nur als Preisgabe seiner menschlichen Natur und Existenz verstehen, dem er sich eigentlich nur widersetzen kann, wie sich das Leben dem Tod widersetzt. [...] Nicht als das also, was er aus sich selbst machen wollte und gemacht hat, sondern als das, was er dann auf Grund der Fügung und laut des Urteils Gottes sein wird! Das Gebot des Feiertages verlangt vom Menschen, daß er sein Leben von da aus verstehen und leben soll.« (Ebd. S. 63). Ohne diesen grundlegenden Sinn hängen für BARTH die Forderungen nach der Arbeitsruhe und nach dem Gottesdienstbesuch in der Luft (ebd. S. 65-69). BARTH möchte aber diesen auf die Heiligung bezogenen Sinn des Feiertaggebots, der im Allgemeinen für alle Tage gilt, auch »als besondere Regel des Feiertages« verstanden wissen (ebd. S. 69f, vgl. S. 58 und S. 64). Damit verfolgt er einen ähnlichen Gedanken wie Karlstadt, ohne allerdings mystische Konnotationen aufzugreifen: Die feiertägliche Heiligung soll auf die alltägliche abstrahlen und so das ganze Leben durchdringen. Keineswegs jedoch ist dies im Sinne Luthers und Calvins, wie BARTH meint (ebd. S. 70), denn beide Reformatoren unterscheiden präzise zwischen der Bedeutung des Sabbats und dem Feiertagsgebot.

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Rückblick und Ausblick

lung des dritten bzw. vierten Gebots. Bedauerlicherweise hat Luther bei allen nötigen Abgrenzungen selbst nicht die Gelassenheit aufbringen können, an diesem Gesichtspunkt festzuhalten. Der geistliche Sabbat des Christentums muß keineswegs zwangsläufig einem gesetzlich verstandenen jüdischen Sabbat entgegengestellt und übergeordnet werden. So formuliert etwa MOLTMANN: »Die Sabbatrahe kann als die jüdische 'Rechtfertigungslehre' angesehen werden. Wer Israel am Sabbat sieht, kann Israel keine 'Werkgerechtigkeit' vorwerfen. Auf der anderen Seite ist darum der christliche Rechtfertigunsglaube vergleichsweise als die christliche 'Sabbatruhe' zu verstehen.« 4 Der Glaube feiert den Sabbat oder, wie Luther zu Ostern 1521 predigt: »Der Sabbath ist das gantz Christlich leben, das sein eygen werck nicht wurcke.« 5

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MOLTMANN, Gott in der Schöpfung, S. 288.

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W A 9 , 6 6 3 , 3 8 - 6 6 4 , 1 ( O s t e r p r e d i g t v o n 1521).

ANHÄNGE

1. Quelleneditionen

1.1. Editionsrichtlinien:

Der Buchstabenbestand ist unverändert. Die Quellen werden immer in gemäßigter Kleinschreibung wiedergegeben; nur Namen und die üblichen Satzzeichen fordern die Großschreibung. Leicht modernisiert wurde die Trennung bzw. Zusammenschreibung der Worte und die Zeichensetzung. Zusätze des Herausgebers werden durch eckige Klammern [] markiert. Die Marginalien werden in den Fußnoten wiedergegeben. Die Fußnoten enthalten außerdem textkritische Anmerkungen, Worterklärungen sowie die Nachweise der Bibel- und Väterzitate, die im Text kursiv gesetzt sind.

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Anhänge

1.2. Valentin Krautwald: Bericht und Anzeigen, wie gar one Kunst und guoten Verstandt Andreas Fischer vom Sabbat geschriben

Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Sign. Ms. germ. fol. 527, Bl. 36r-55r

[fol 36r] Bericht und anzeigen, wie gar one kunst und guoten verstandt Andreas Fischer vom sabbat geschriben; auch das er jnen wider alles rechten sucht, noch als nöttig im Christenthum zuo halten hab mögen schützen.1

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Paulus spricht von ihm selb. Gal: 2[19f|: Dan ich bin durch das gesetz dem gesetz abgestorben, auf das ich Gott leben werdt, mit Christo bin ich gecreütziget, ich leb aber nun nit mehr, sonder es lebt in mir Christus. Underricht des christlichen lesers zum eingang.

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Christlicher leser, ich flieg dir zuo wissen, das, nachdem der Oswalt Glaidt in Mehrren verschiner zeit einen sabbat auffzurichten, auch dauon ein büechlin zuo schreiben, als solt der sabbat2 nöttig im Christentum gehalten werden, fürgenomen, und ich aus befelch, darzuo mancherley beger dahin gebracht, das ich auff sein büechlin mein bedenckhen, urtheil oder meinung als einer antwurt widerumb schrifftlich gestellet, habe ich bey solcher antwurt zuogleich bedacht, das gar nahet dem Oswaldt nach meinem schreiben Ursachen zuofallen wurden, durch welche er beweret, das er sich in eigner person von weiterem schreiben in diser sach enthielte, besunder wo er nun auff seinen rhum und grossen trotz mit äugen sehe, das man sich gegen seinem nöttigen sabbat mit schütz und antwurt anhuobe zusetzen und auffzuolehnen. Dan ich habs nun mehrmal in erfahrung, das, wo man denen, welche von Osswalten sect und gesellschafft sein, ist under äugen getreten und sie auff den plan der gegenredt braht3 oder je einen andern artickel gründtlich entgegengesetzt hat, seyhet sie zuohand blöd, schamrot und gantz flüchtig worden, darumb das sie nur gemeinlih mit etlichen stuckhen und articklen, aus heyliger schrifft gezogen, umbgehn, aber umb die gantze schlifft sie in ernst sich nit annemen noch bekümmeren. Solche artickel halten sie alsdan für grosse kunst, auch für recht und gantz gewiss, pflegen strackh bey ihren armen zuohörern, welche sie gar nit richten noch verstehn mögen, für die lautere

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Marginalie: Crautwaldt N.12 Marginalie: sabbat. = gebracht

Krautwald, Bericht und Anzeigen

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heele warheit auszuopredigen. Wan sie nun einen widerstandt, des sie sich nit vorsehen, auff solche artickel vermerckhen, ist ir lehr dahin, und sie miessen weiter zuo gedenckhen ursach nemen, oder gar still schweigen, oder auf das wenigst nit weiter daruon schreiben. Wie ich solches gedacht, also ist es ietzund geschehen, dan der Osswalt hat zuo disem mal widerumb zuo schreiben sich enthalten, und ist ohne antwurt vom plan gezogen, so ich doch mit im selbs gern noch weiter vom gesetz Mosi und judenthum, vom newen testament, von der freyheit der heiden4, mit welcher sie von Christo dem herren begnadet, vom sabbat, von dem verbringen der gebott und willen [fol 36v] Gottes durch Jesum Christum und andern stuckhen, die sich ihn [in] weiterem schreiben heten mögen erregen, wellt5 gesprech und gegenred gehalten haben. Osswalt, sag ich, hat also, vom sabbat gegenantwurt bey mir zuo thun, dazumal auffgehört, aber einem andern aus seiner geselschafft, der soll Andreas Fischer heisen, will er zuschreiben und auff den plan zuo treten vergunst. Diser Fischer darf sich als ein hiert herfiir thon, dan er hat auf den plan je gewöllet und sich gar langest darnach gesehnet, gibet sich für einen apostel, für ein gesanten von Gott, für ein beschützer der zehen gebott aus, verhafft darbey, er sey zu den künsten, spraachen und heyliger schrifft, zusampt den hendlen Gottes wol bekant und sehr gelehret; hat also ein buch zusamengerauffet und dasselbig für sich selbst mir zur antwurt geschriben, mit guter verhoffnung, so bald ich es ansehe, wurde er 6 mich mit seinem rhum obuermelten titlen und solhem buch7 sehr erschröckhen, als wurde ich sie aus den gnaden Christi nit kennen, als mir sonst keiner wer fürkomen aus denen, die gros ding fürgeben und doch weder grund noch hinderhalt wüsten. Es ist wol dis buoch mit vil sprächen und Ziffern gesamlet, aber der rechte verstand der sprüch und schrifft ist disem Fischer noch sehr frembd. Es hat mancherley ungereimbte meinungen aber doch vil irrige und ungesunde lehr und lose fischerey. Wan ich sie gar an tag bringen und das buch nach der lenge handien oder darinn sein unwissen und irthum anzeigen solte, müeste ich vil guoter zeit verliehren und ein ander buoch, das seines etlich mal mit grosse und dickhe übertrefft, zur gegenantwurt schreiben und meinen Fischer wider auf das neue zuo schuol füren. Darumb für mich selbs hett ich, Schreiber, dis buoch auf eim ort ruohen lassen, nachdem ich es zuo verantwurten gar unnöttig achte, dan es ist solche irrige lehr und lose thedung darinnen, das es selbs gnugsam anzeigt, das es nichts wert und wer der meister seye. Der Osswalt hat ein wunderbarlich buch geschriben; diser Fischer irrt herfür und will es besser machen. Aber zuogleich, wie das buch des Fischers gröser ist dan Osswaldts, also ist es auch irriger und unbescheidner, mehr ohne witz, kunst und verstandt, das es sich selber urtheilt und falsch erzeuget, dauon es nit der mieh wert zuuerantwurten. Zwar für mich selbs het ich kein anders thon, dan wie gesagt buoch und Schreiber auf einem hauffen ligen lassen, wo mich nit abermal etlicher herren und guoter freund beger und anhalten dahin vermöchte, das ich disem Fischer seinen grossen unuerstand etlichermassen muste anzeigen, und mit ihm etwas von irem irrigen ungegründten und eüsserlichen sabbat, als nöttig bey der seelichkeit im christenthum zuo halten, 4 5 6 7

Marginalie: freyheit der heyden. Konjiziert; Text: welch. Konjiziert; Text: es. solhem buch als Einfügung am Rand.

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kurtzlich handien. Darauff ich nun alhie am ersten, wie es umb disen Fischer und sein schuolkunst gestalt sey, das [fol 37T ist, ob er auch etwas wenigs gelernet hab und wisse, darnach vonn andern stuckhen etwas aufschreiben. Ich will auch seine argument, mit welchen er in grossem irthum seinen eüsserlichen sabbat als nöttig vermeinet zuo schützen, besehen und, das sie unrecht und falsch sein, beweissen mit andern articklen, welche werden nacheinander folgen. Aus sollichem alsdan, hoff ich, ein jeder auch mesig verstendiger bald wirt urtheilen mögen, wie es umb disen Fischer, sein buoch, kunst und lehr mög gestalt sein, dieweil ich sein buoch nit nach der lenge will handien, noh im all seinen grossen irthumb anzeigen, und das umb der kürtz willen, wie hernach folgen wirt.

Wie es ihn [in] gemein umb die kunst und verstandt dises Andrae Fischers stehe.8

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Mein guoter Fischer will ein apostel und gesanter Gottes sein, sehr gelert und als ein lehrer angesehen werden. Es zeuget aber sein buoch mit gnugsamer gewissenschafft, das er kaum ein mal oder zwey mit dem Donat9, wie man pflegt zuo sagen, in die raben sey geworffen, es sey ohne schuolkunst. Auch die zum anheben in der schuol pflegen jetzund zuuor angehn. Des latines hat er so uil gelernet, das im zum verstand und dolmetschen der alten bibel nit wol gnug sein möchte. Er rhüemet sich wol der spraachen, so er doch in den selben kein schuolrecht weyst. Im latin weist er so uil bescheidt, das er darfiir helt, das wort gentes10 in der bibel heys nit heiden, es heisse nur fölker 11 , gotlose und ungläubige, es heisse mehr das ander volckh, das nit juden noch israel sey, ob es gleich gar vil mal in der schrifft also mus genomen werden und von dem Fischer auch also getheütschet wirt. Im griechischen ist er so weit komen, das er weist, wie ergazome12 nicht arbeiten, sonder werckhen heys, unangesehen das es auch die kinder vür eüsserlich arbeiten, nit allein sonst an vil orten sonder auch in der 2. Tessal: 3[8] lehrnen auslegen. Diatheke heist mir einen bundt, nicht einen handel oder was anders. Er hat sein buoch mit eim griechischen namen genant, Scepastes decalogi13, so doch ich mit andern, welche disen Fischer gesehen und mit seiner kunst wol kennen, gantz für gewis halte, er möge solches titels gründtliche urkund, auch nach seiner schlechten grammatica in all seiner kunst und gantzem haubte nirgent finden. Man findt wol meh zeugnus in seinem buoch, das er in den gezungen nit über die buchstaben komen ist, welche ich aussen lasse. Sonderlich der hebreischen spraach will er mit den seinen so uil können, das in niemand des soll betriegen. Er hat etwa in seinem buoch ein hebreischs wörtlin lassen auff den rand schreiben, und das für ein gros meister stuckh wollen gehalten haben, [fol 37v] aber in selbiger spraach noch nit

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Am Rand: I. Lateinische Standardgrammatik im Mittelalter. 10 Marginalie: gentes. 11 Marginalie: völcker. 12 Marginalie: ergazome. 13 = Beschützer des Dekalogs

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funden, was da heisse olam leolam 14 , ob es allweg ein ewige zeit oder auch offtmal ein langwüerige zeit heisse, gleich wie man auff theütsch saget, manch ewig jar, ewige zeit stehet das gebaüde. Darzuo über die zaaltaffel ist er noch nit komen in hebreischer spraach, sonst het er je lehrnen mögen, das bey den hebreern das wörtlin Eins in der zaal auch das erste heist 15 , welches unzelich exempel gefunden, und diss stücklin bey dem anfang diser spraachen den schuolern furgetragen wirt. Der Osswaldt hat es dannocht gemerckhet, aber dem Fischer ist es bas alhie in seiner kunst nit für äugen komen, also fleissig hat er die hebreisch bibel gelessen. Die namen etlicher alter christlicher lehrer hat er lehrnen zelen, villeicht aus dem Eusebio, aber ire büecher hat er gar wenig gelesen und noch weniger verstanden. Das erscheint an dem, das er S. Augustini buochlin De litera & spiritu nicht hat mögen richten, so er auch ursach gehabt; was aus dem Tertuliano, das ich in meiner antwurt auf Osswaldts büechlin vom sabbat gedacht zuo dolmetschen, ist im gemeinlich all seiner kunst zuo wenig dariber worden, also das er etlich mal die meinung Tertulliani weder erreicht, noch recht deüten und seinen synn dargeben, noch eigentlich hat mögen auffschreiben, auch etlich mal gar zuo ubergehn und aussen zuo lassen durch seinen Unverstand ursach funden. Im buch wider die juden ist von Tertulliano geschrieben 16 , das Christus sey ein signaculum^1, das ist, ein besieglung, beschluss, und also zureden ein potschafft summ und endtschafft aller propheten, erfuller auch alles, das zuuor von im wehr geweissaget. Daselbst hat mein armer Fischer das wort signaculum für ein zeichen geteütschet und verstanden, dieweil ers in all seiner kunst und spraachen nit besser hat funden, auch solch wörtlin 18 bey S.Paulo bis alher nie änderst hat mögen bedenckhen. Ro: 4[11], Was soll ich mich aber alhie lenger seumen. Mein Fischer weist nit, warumb ich mit Osswalt zuo gesprech komen, was die haubtsach ist, warumb es entlich zuo thon sey. Er hat alhie kein urtheil noch wissenheit, so auch diese zwen wollen nuer zuo den sabbat und sibenden tag nöttig gehalten haben, sag ich darauff, das man billich im Christenthum den tag des herren, den achten tag oder sontag soll halten. Und so es also umb den sibenden und achten tag zuo thon ist, weist der Fischer nit, wieuil tag in der wochen sein. Ehr helt es darfür, die woch wer hiemit lenger worden umb einen tag; er weist nihts von Ordnungen, zaal und herkomen der tag, im ist nie fürkomen, das man sagt, über acht tag kom wider, innen acht tagen will ich dich bezalen, etc. und dergleichen. Allein bey dem Osswalt hat er vom sabbat gehört, den wolle er seines gantzen Vermögens schützen und handt haben. Wie ers aber treffen wirt, soll auff seinem ort wol erscheinen, [fol 38T

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Marginalie: olam leolam. Gemeint ist die Bezeichnung für den ersten Tag der Woche: »der erste des ( = nach dem) sabbat«. 16 Tertullian, Adv. lud. VIII, 12; XI, 10 (CChrSL 2,1361; 1383). 17 Marginalie: Signaculum. 18 Marginalie: Signaculum iusticiae fidei. Ro: 4[11], 15

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Wie Fischer seinen unuerstand weiter beweysset, das auch sein lehr ungereümbt19 und an ir selb uneinig sey. 2 0

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Wiewol das nechste stuckh gar bald genug sein möchte anzuozeigen, was diser Fischer für ein schuoler und gelerter were, für welchen gesellen er auch mit all seinem rhum, lehr und schreiben soll gehalten werden, damit er dannoch so uil mehr erkant und besichtiget werde, will ich noch andere artickel aufschreiben, die solches alles auch weiter bezeugen werden, und in disem ort will ich dauon zwen punct anzeigen. Der erst ist, wie er in dolmetschung etlicher spräche seinen unuerstand und, das er gantz nichts gelernet, hat mercken lassen, darnach, das er sein lehr nit allein ohne grund und verstand, sonder auch ir selbs widerwertig, streitig, ungereimpt und ohneinig gestellet, und damit weiter seinen grossen unuerstand und irrung gewaltig berüempt und in Schriften gefasset hat. Zum ersten wollen wir sehen, wie er sich im dollmetschen der heyligen schrifft gehalten und nun etlich spräch bestetigen. Zum ersten. 21 Ihn [in] der epistel zuo den Ephesern am 6[lf], da Paulus redt vom ampt und gehorsam der kinder22, hat Fischer also geteütschet, das ist das erste gebott, das ein verheissung het ec. 2 3 , so doch Paulus geschriben, welches ist das erste gebott in der verheissung ec. 2 4 , nit aber das ein verheissung hete, und mit dem wörtlin der verheissung meinet Paulus das alt testament, welches ein testament, bund und handel des verheissen und zuosagens gewest, gleich wie das new ist ein testament und handel des gewehren, leisten, geben und erfüllen des, das im alten verheissen ist, ja ein gezweig desselbigen durch Jesum Christum unsren herren, dauon Heb: 11 [39f], 2. Cor. 1[20], Eph: 2[11-13], und anderstwo geschriben ist. Darumb im alten testament ist vater und muoter ehren ein gros gebott gewest, aber im newen, in welchem die liebe herschet, ist den feind zuo lieben gleich so ein gros gebott, als vater und muter ehren, sein auch in eim gebott der liebe vergleichet. Zuo 2 5 den Römern am 8[3] stet also: Das unuermögen des gesetzes, in welchem es gekrencket oder geschwecht durch das fleisch ec. 2 6 Darfür hat Fischer geschriben: Welches zuo schwach was zuo thon, das es an uns erfordert, und das mehr mal widerhollet. Wehr aber in disem Fischer irgent witz oder kunst, het er je disen sunderlichen spruch höher achten, fleissiger besichtigen, und eigentlicher teütschen sollen. Und in 27 derselben epistel am zehenden [Rom 10,17] 28 , derhalben sagt Paulus: Der glaub ist aus dem gehörr und das gehör durch das wort Gottes ec., teütschet er also: 19

= ungereimt Am Rand: II. 21 Am Rand: 1. 22 Marginalie: Eph: 6. 23 Marginalie: Luthers versio. Tatsächlich hat sich Fischer an Luthers Übersetzung gehalten. 24 So wörtlich nach dem griechischen Text. 25 Am Rand: 2. 26 Marginalie: Ro: 8. 27 Danach durchgestr.: der. Am Rand: 3. 28 Marginalie: Ro: 10 darunter: Fides est ex auditu. 20

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Dan aus dem gehör [fol 38 v ] oder predig kombt der glaub, das predigen durch das wort Gottes ec., welches anzeiget, das er diss und andere text aus den büechlin, die heut zuo marckt komen, allein nachgeschriben habe, auch die sprüch ursprennglich 29 zuo besichtigen und recht zuuerstehn sich nie beflissen. Ich weis wol, das man auch disen ort als Gal: 3 [2] also deütet, und das gehör des worts Gottes für die eüsserlich predig verstet und lehrnet, wie weit es aber der warheit und synn Pauli damit gefeiet ist, mus auf einen andern ort verschriben werden.

Es 30 ist darnach ein haubtspruch in diser Sachen Col: 2[16f], Der ist von im etwa also gedolmetscht, deshalb soll auch niemandt urtheilen in speis oder tranckh, oder 10 in eins teils feyrtag oder newmonaten oder sabbaten, welches ist ein schaten der zukünftigen dingen, der leib aber Christi ec. Alhie zum ersten hat er den sprach nit verstanden, niht besihtiget, niht wellen nach der grammatica zuorichten, noch zu uerdeütschen 31 , dan es stet aber im theil des feyrtages, und welche sein ein schaten, zum andern dise wort, aber im theil des feyrtagen, macht er ein mal in eins theils 15 feyrtag, das ander zum theil, weist also nit, wo hinaus, so doch diser text, wo er in richten und verstehn möcht, allein genug wer, seinen irthumb zu bezeugen und umbzuostürtzen.

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Aus disen dolmetschungen mag sein meisterschafft leichtlich gemerckhet werden, wiewol dennoch diser Fischer, als ein solcher lehrer pflegt, gern wolt bisweilen die anderen dolmetschen straffen, wolt, das die zwo dolmetschungen des Luthers und der Zürcher gantz abgethon weren. Er wolle an ort und stet des alten und newen testaments kurtzlich zusamentragen, da sie schedlich und bös gedeütschet haben, so doch ime in disem allem keinswegs möglich ist, auch das kleinest zuo thon. Er mus für sich einer gebetelten dolmetschung gebrauchen, wiewol er sich nit nennet, dannoch kennet man sie wol. Wo er aber selbst sollt die text teütschen, da macht ers, wie jetzund gehört ist, das ist ohne kunst und verstand, dan wie man ein ding weist oder verstehet, also redt man und schleuset oder dolmetschet daruon. 32 Nun will ich das ander stuckh alhie sehen, wie sich die lehr des Fischers mit ir selbs reime und vertrage. Die lehr und schreiben dises Fischers, hab ich gesaget, ist über dis nit allein ohne grund und verstandt, sonder auch widerwertig, ohngereimpt, streitig, und gantz uneinig, welches stücklin wirt weiter bey den verstendigen disen Fischer wol bekant machen und, wie es umb in stehet, selben erkleren; diser Uneinigkeit ist auch so uil und manigfaltig, das ich nun etliche hieher anschreiben mus, sonst wurd dem leser alle zeit zuo lang werden. An einem ort helt es Fischer darfur, alle gute werckh komen allein und entpriessen aus den zehen gebotten, den tafflen Moisi, den pundt Worten, und ausserhalb inen sey kein guot werckh, am anderen sagt er, alle guote werckh komen von Christo und seinem geyst, sie sein zuuor bereitet von Gott, das die [fol 39 r ] Christen darinnen wandleten, item der heylig geyst wirckhe allein in uns die gebott Gottes, merckt alhie keinen zwispalt noch ungereimpts, obwol das gesetz nit sey aus dem glauben, 29 30 31 32

ursprennglich am Rand eingeßgt Am Rand: 4. Marginalie: Col: 2. darunter: Besehet den text in graeco. Marginalie: Donum interpretationis. 1. cor: 12[10].

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Christus, auch sein geyst, darf Moisi gesetz noch tafflen zu den guotten werckhen gar nicht, und, so sie von Christo kemmen 33 , mögen sie bey den Christen weder aus Moyse seinem gesetz noch taflen irgent ein ankunfft haben. 5

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Jetzund ist Moyses kein gebieter im newen testament, er könne auch nichts darin befelhen. Wan er aber an seinen sabbat gedenckt, so mus es alles aus Moyse herkomen, und seine tafflen sollen uberal das best thun. Da kombt Moyses an stat des heyligen geysts, und seine zehen gebott sein die guotte werckh, welche er würckhet in den glaubigen mit dissem bescheid, das sein sabbat mus dabey gehalten werden. Es ist bey im geystlich werckh 34 , was der geyst Gottes etwa befolhen hat, wan mans im nach thuot, als die tauff ist ein götlich geistlichs werckh 35 , und tauffwasser ein geystlich wasser, darumb das es der geyst Gottes eingesetzt und verordnet hat. Bald anderstwo ist das ein geistlich werckh, welches der geyst würckte und thüe in den Christen.36 Was nun, spricht er, die glidmassen aussen thon durch die wircklicheit des geists, das ist geyst und Gott angenem. Fischer kan zwischen Moyse und Christo, jhenes dienst und Christi reich nit underscheid geben 37 , sowol als er nit scheiden kan under dem, was geystlich sein mag, schlecht es als in einen hauffen, es treff oder feel, mit verhoffen, es mies doch zuo letst ein eüsserlicher sabbat darauss werden, wo es je nit besser geratte. Ich hab wider den sabbat des Osswalten geschriben, das die newigkeit38, welche durch den herren Christum aufgericht 2. Cor: 5[17], seinen eüsserlichen sabbat mit seiner not keineswegs mög erdulden. Solches gefeit meinem Fischer offtmal nit. Darnach unuersehens schreibt er an etliche örtern gleich dieselbige meinungen, füret darzuo mit ein jetzt gemelten sprach Sanct Pauli, sihet dannoch nit, was er fischet, auch nit, das solche newigkeit von Christo eingesetzt, den buchstaben des gesetzes, mit dem was figurlich und bedeütlich gewest, darzuo auch der sabbat ghörig, nit werden leyden nachzugeben sollen.

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Auch gefeit niendert ime nicht, sieht es auch für unrecht an, das man alhie zuo Lignitz seinem Esaian 39 , wer der auch gewest, habe zuo Gott geweist unnd heissen beeten; darnach sagt er, Christus köndt verstand und synn 40 aufthun, die heylig schrifft zuuerstehn ec. und, schrifft soll und mus man lesen ec. aber Gott von hertzen umb verstand biten, das er unser liecht sey ec.; hat gleichwol nit gedacht, das, so wir seinem Esaian solches auch geratten, hatten wir daran nichts unbillichs gethon. [fol 39v]

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Aus dem abtilgen, endtlehren und aufreümen des gesetzes Mosi durch die erfüllung Christi mus ich in meinem schreiben dem Osswaldt das aufhören seins eüsserlichen sabbats auch fürstellen. So dis Fischer gelesen, hat er in seinem buoch vil daruon ge 33 34 35 36 37 38 39 40

Marginalie: Nota bene. Konjiziert; Text: Ein ist bey ein geystlich werckh... Marginalie: Ein geystlich werckh. Marginalie: Sic etiam Lutheram dicunt. Marginalie: Discrimen. Marginalie: Nouitas per Christum et producta. Vielleicht ein weiterer sabbater und Helfer oder Freund Fischers. Marginalie: Gott gibt den verstand der schrifft.

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raspelt ohn allen verstandt, dan das stücklin verstehet ir keiner gründtlicher, und doch derselben meinung hat Fischer offtmal geschriben und mit mir zuogestimpt, bis im wider der sabbat ist eingefallen, dan also saget er 4 1 , Christus ist, der allein freyet von Sund, tod und hell, von zwang des gesetzes ec., item das ein sollichen auch das gesetz fürhin nit mehr verklagen noch vermaledeyen mög ec. und ausserhalb disem Christo ist es alles tod, entwicht und unnütz ec. und abermal, die sein under der gnaden und nit under dem gesetz, in diesen würckhet die genad Gottes vonn hertzen und nicht das gesetz aus krafft des fleisches, item vom gesetz gefreyet, item alsdan hört das gesetz auf mit seinen gebotten, mehr, weil die schrenckwant 42 weggenomen sey, und Christi aber und des geysts Gottes art ist, das gesetz zuerfüllen, vollenden, Volbringen in uns ec., wie diss auss verstand geschriben, het er je erst sehen mögen, ob sihs reime, ob es für mich oder wider mich sey, darnach niendert bedenckhen, das Moisés bey disem grund, zuuorab sein sabbat, nicht mocht Platz finden. So aber mein Fischer noh nicht gelernt, was Moyses oder gesetz, was Christus, gnad, geyst, und glauben sey, mus er alles also mengen und im selbst strickh legen, in welchen er bald gefangen und als ein irriger behalten werde. Ecclesiasticus ist diss orts aus den besten und bewertesten büecher der schrifft eins. Nit uberlang hat er seine apocrypha nit bey im gehabt, das ers darunder het angesehen, die exemplar weren auch falsch gewest. Dort fraget er etwas von mir, alhie gibt er im selb antwurt darauff und kennet sie doch nit. So ich auch Moysi zehen gebott 43 , die buchstabischen gebott und sein ampt den buchstaben genennet, erstlich aus der lehr des herren Christi, Joan: 5[45-47], und hernach Pauli, Ro: 7[6], 2[29], 2. Cor: 3[6], verstehet ers ein zeit vom buchstaben der schrifft 44 , als het ich die zehen gebott schrifft in den büechern und geschribne buchstaben geheissen 45 , dan also schreibt er, und die zehen gebott, buchstaben, schrifft ec. und aber buchstab, prediger, gehörts wort ist ein ding ec. dan er fischet wunderbarlich ding von buchstaben. Zur ander zeit spricht er also: Liget uns doch nichts am buchstaben oder lederstab, oder holtzstab, oder beltz 46 noch papirstab ec. Zum driten stet also im buch: Paulus was nit ein diener des buchstabens sonder des geysts, ec. Aber solcher Uneinigkeit und Verwirrung ist sein gantzes buch vol. Es mus bey diesenn 47 apostel also zuogehn, das sie nicht wissen, wovon sie handien und fischen. Den spruch Ro: 7[6]: Nun aber sein wir vom gesetz ledig ec., für welchen die not seines eüsserlichen sabbats nit bestehn mag, will er mit dem 1. Corr: 8[1]: wissen blesset auf, die liebe aber erbauet [fol 40r] reümen 48 und auslegen. 49 Darnach: an einem der sabbaten, act: 20[7], wie auch hernach wirt folgen, will er zuodem reümen, Luc: 13[10]: er lerte in einer Synagogen. Also ist diser mensch verirret und betöret, das er nit wei 41

Marginalie: wol dem, der Christum ergreifft mit dem glauben. »schrank« mittelhochdt. = Absperrung, Gitter; evtl. Anspielung auf 2. Kor 3,13-16. 43 Marginalie: zehen gebot. 44 Marginalie: Buchstab. 45 Marginalie: Expendi. 46 = pelz(-stab) 47 Konjiziert; Text: diesem 48 = reimen (so auch Kustode) 49 Marginalie: Ob die 10. gebott geschribne buchstaben mögen genant werden. 42

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ßet, was er schreibt. Es gilt im gleich, es sey für in oder wider in, es reüme sich recht oder gar nicht, so allein der sabbat offt in seinem buoch stet. Es ist wunder zuo schreiben und zuo lesen, wie diser Fischer mit im selbs parthen50 kan halten. Solches hat aber sein ursach daher, das er auf beiden achslen will tragen, wie auch sonst andere zuo unsrer zeit. Er will nit Christum allein alles in allenn würckhen lassen, noch im allein alle ehr geben, dieweil er bey Christo seinen sabbat möchte verlieren, sonder neben Christo und im gleich sollen des Moysi tafflen, zehen gebott51 und ampt im christenthumb stelle haben; darnach werde sie Christus der herr mit seinem geist richten und die gute werckh in den gleübigen darnach würckhen, und je seines sabbats nit vergessen. Solches, so es sich weder reümen noch in warheit finden mag, mus er sprüch und schrifft, lehr und meinung gar durcheinander werffen, widerwertig schreiben und halten. Es mus sich nit mit dem andern vertragen noch vereinigen mögen, und voll irthumb und Unwissenheit finden lassen, wie wir gehört haben, und bald hernach weiter haben zuuermerckhen.

Weiter anzeigen vom unuerstandt und irthum dises Fischers. 52 Auf das wir aber vil neher und eigentlicher unsren lieben apostel mögen können, was er für lehr füehre, will ich noch drey stucklin furtragen, in welchen weit öffentlicher soll am tag erscheinen, das diser Fischer ihn götlichen handien, der heyligen schrifft und denen articklen, welche auch einem gemeinen prediger oder dem, welcher sich ander leüt zuo lehren understhehet, solten wol bekant und bewust sein, uberaus wenig bericht hat; darzuo, das zuo gleich er seine sach nit verstehet, also auch, was dem aller in heyliger schrifft funden wirt, keinswegs hat bedacht, noch je zuo gemüet genomen, das er allein die bleter in der bibel vermag zuo zelen, sey nur allein ein spruhlese53 auf irgent einen artickel, welchen er im ausgefischet habe, wie dan solches diser geselschafft gröste kunst ist, aber vom rechten verstand, wissen und lehr götlicher schrifft noch weit und darinnen gantz unerfahren, auch ungegründet, das wollen wir hören. Das erste stuckh soll anzeigen, das er in den ersten schuolrechten, welche zum verstand der heyligen schrifft dienen, gar unbekant sey. Er soll von dem Moise seinem gesetz und ampt handien, vom sabbat, von aufhören [fol 40 v ] des gesetzes, was sey, die gebott Gottes halten, wie es zugeh mit dem verbringen des willens Gottes 54 , aber er weist sich gar nichts darin zuo finden. Vom wort Gottes hat er noch nit den wahren verstand, beyde testament mit iren handien sein im sehr frembd. Wan ich sag vom handel, gang und anligen der testament, so vernembt ers von der schrifft und büechern. Die rechte Ordnungen christlicher lehr, gang und fürderung, die predigen unnd ampten helt er nicht, dan er hat ir kein wissen. Er bawet auf vermögen des fleisches und seinen krefften. Das ampt Moisi und der apostel mit irer beider lehr und

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Parteien, Parteiungen? Marginalie: zehen gebott. Am Rand: III. = Sprüchelesen Marginalie: verbringen des willens Gottes.

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predig hat bey im wenig underscheidts. 55 Er weist nit anders, wo es vom willen und gebotten Gottes geschriben, das solle alles auf Moysi taffei deüten, wo der sabbat nit darbeystet, saget er, der sabbat ward darbey verstanden, oder darin begriffen, aber umb kürtze willen aussengelassen ec. Ich meine, das solt ja ein apostel sein, und sonst nichts thon dan den sabbat schützen, dieweil er nit weist, warumb des sabbats in schrifften der apostel, als solt man in halten, niergent gedacht ist. Er hat nit gelernt, das im newen testament allein ein gebott der lieb ist 56 , welche dan des eüsserlichen sabbats not im christenthumb gar nit dulden mag. Was geistlich verstanden soll werden, als so die propheten sagen von sitten und gerichten Gottes im christenthumb, versteht ers eüsserlich und leiblich, wie auch der Osswalt von den grichten Moisi, und widerumb, so ich offt mit Osswaldten geredt von der eüsserlichen freyheit der heiden, verstets mein Fischer von der innerlichen im hertzen, von sünd, tod und höllen. Er meinet, Christus unser herr mit Paulo haben etliche ire sprüch geholet aus dem Ecclesiastico, darumb das er ir meinung darin gesehen. Wie Gott mit den ersten vättern geredt, soll er noch anfangen zuo bedenckhen, nach dem er nit ein schuoler Christi 57 , sonder Moyse mitgenos sein will. Von der schuol Christi weist er nichts, und wo im indert ein punct darzuo gehörig fürstellet, da thut er nichts, dan das er irret und verwirret. Wan die apostel was vermanen, fordern oder lehren, helt ers darfür, sie thüeens aus der schuol Moyse, obwol sie einen andern meyster gehabt, und ir lehr und kunst anderstwo her bezeugen. Den geistlichen innerlichen sabbat heist er immer allegorisch, was aber allegoria sey, gibt im nichts zuo schaffen. Ob im auch ein esel predigte, gilt im gleich, dan also spricht er, die mir der buchstab oder prediger oder eüsser gehörts wort von Gott, engel, mensch oder esel geprediget oder gesaget hett. Vom sabbat hat er nit mehr gelernt, dan noch unsre juden können. Das Jesus Christus der einig herr, meyster und regent seines volckhs sey 58 ohne Moysen seine gebott und tafflen, kombt im seltzsam für, dan wo sie Christus nach Moyse tafflen nit richtet, het er im zuo ehren den sabbat vergeblich zuo schitzen sich angenomen. Von den gebotten und krafft der gebott redt er aus seinem [fol 41 r ] unuerstand, also das er den sabbat mus verliehren, oder er sieht nicht, was er auch selb darwider schreibet, wie er nicht verstehn kan, was man sonst darwider mög aufbringen. Das natürlich gesetz 59 helt er für die zehen gebott Moysj, wan ers soll beweiysen, so ist im alhie und sonst offtmals die kunst empfallen. Was der rechte dienst Gottes sey, wie das eüsserlich dem innerlichen diene, was der new mensch und creatur sey, kan er nit ersehen, dan ihn dunckhet, das heis ein newe creatur, namblih die gebott Gottes mit dem sabbat halten. Wie die ehesten vetter und patriarchen vor dem ampt Moyse und gesetz, den willen, die sitten, gesetz und befelch Gottes, darumb das sie der stimm Gottes gehorchet, welliches von Abraham Genes: 26[5] geschriben, volbracht haben und auch den sabbat eüsserlich nit gehalten, und das also nach dem gesetz Moysi nach seinen zehen gebott und ampt die Christen in allen willen Gottes, seinen gebotten, sitten und gerichten durch Christum wandlen ohn alle not des eüsserlichen sabbats, kan mein Fischer nit wissen. Offtmal ist er der warheit und einer rechten meinung nahe, aber wan er den sabbat soll fallen lassen, ubergibt 55 56 57 58 59

Marginalie: Marginalie: Marginalie: Marginalie: Marginalie:

ampt Moyse und der apostel lehr zuo underscheiden. im newen testament ist alleine ein gebott. wie Gott mit den vättern geredt. Schuol Christi. nota. natürlich gesetz.

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er lieber Christum mit allem, das guot und recht ist. 60 Was schaden im christentumb aus der not des eüsserlichen sabbats, was irrungen in christlichem glaubenn und gründlicher lehr entsteh, siht dieser Fischer nicht, also ist er vom judenthumb verblendet und gantz vol grosser irthumb und Unwissenheit. Von Gott dem almechtigen, von götlichen geheimnus, von 61 nutz Christi schreibt er gantz unbescheiden, dieweil er ein knecht Moysi und nit des herren Jesu Christi sein will. Im ist niht in synn körnen, das der sabbat heut im Christenthum kein zeichen oder schatten, auch kein gebott Gottes sein mög, also gar ist er ohne verstand und bedacht. Seytemal er mit Osswalt den sabbat des glaubigen hertzens mit seinem eingang, anheben und gantzen fest nit gelernt hat, duncket in immer, er sey getreumpt, so es doch ein rechter, warhafftiger, wesentlicher ruotag ist aller Christen62, welche Gott feyren und von Sünden auffhören, halten guotte sitten und lassen in durch Jesum Christum würckhen und thetig sein im heyligen geist. Wie solte aber, mein leser, Fischer änderst fischen, so er auch vom wahren christlichen glauben 63 , von seiner art und eigenschafft, was heisse und sey im geyst wandlen und in der krafft Gottes einhergehn, vor seim apostolischen umblauffen sih gar nit mag annemen zuo besünen. Das der geyst der freyheit seinen knechtischen sabbat gar nit zuolas, ja auch bey den christglaubigen nit würckhe noch je gewürcket habe, sonder das [fol 41v] gegentheil bezeuget, mag er vor seinem freuel und mutwilliger irrthumb nit ersehen, in dunckt, wan er nur sprüch lese und Ziffer schreibe und den sabbat hinanflickhe, so hab ers wol ausgericht. Er siht wol noch ein leichters nicht, als das die liebe 64 , welche ist die erfüllung des willens und gebotten Gottes im newen testament, sih [sich] auf den sabbat, eüsserlich und nöttig zuo halten, nit stricke; das er darin nit werd begriffen, so wenig als in die liebe in irem gang irgenteines wegs werd gestaten. Die liebe siht auf zwo personen, auf Gott und den nechsten, aber nit auf irgentein eüsserlichen sabbat. Wan nun diser Fischer mit Osswaldt iren sabbat wollen zur liebe setzen, thun sie, als die nichts von der liebe wissen noch gelernt haben. Item er siht darzuo gar nit, das, wan der eüsserlich sabbat nöttig wer im newen testament, het in doch eintweder Jesus Christus unser herr oder die zwelf boten oder ire nachkomen im rechten ampt und warhafftigem dienst von den Christen erfordert oder also zuo halten gebotten. Es wer auch nichts darwider geschriben, und er niht abgethon ec. Wan ich aber alle stücklein, welche ich in seinem schreiben vermerckt, dauon unser apostel und gesanter, ich weis aber nit von wem, gar nichts gelernt, auch keinen verstandt hab, so sie doch einem schlechten prediger zuo wissen von nöten, muste ich wol ein sunderlich buoch darzuo machen. Dan so uil torst 65 und freuel bey disen gesellen ist, so uil und noch vil mal mehr haben sie unverstandts und irthums. Aus denselbigen sollen diese erzelte zum ersten stücke dem christlichen leser, auf das er daraus die kunst und meisterschafft unsers Fischers in götlichen Sachen und christlicher lehr was eigentlicher und neher besehen könne, aufgeschriben sein, damit wir auch zuo den andem articklen weiter mögen gehn.

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Marginalie: also ist auch mit dem sacrament. Konjiziert; Text: van. Marginalie: vom christlichen sabbat. NB. Marginalie: glaube. Marginalie: liebe. turst = Kühnheit, Keckheit, Verwegenheit

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Zum andern: Wie ungelert und unuerstandig Andre Fischer sey in göttlichen sachen und handien, in der heyligen schrifft, auch in den articklen, welche sunst einem schlechten lehrer zu wissen von nöten, merckhet man an disem, das er ein einfeltigs leichts und, also zuo reden, schlecht sprüchlin der heyligen schrifft offt gar nit verstanden, offt unrecht gehandelt, ja geradtbrecht hat. Daran will ich ein teil anzeigen. Sanct Paulus Eph: 2[10] 66 spricht, das die Christen sein ein geschöpf Gottes, geschaffen in Christo Jesu zuo guten werckhen, welche Gott zuuor bereitet hate ec. Darauf fraget Fischer, was meinet Paulus für guotte werckh ec. Und obwol die antwurt im text stehet, noch hat sie mein Fischer nie finden mögen. Darzuo, so in selbiger epistel am end des andern capitels Paulus geschriben 67 , das die Christen auf gebawet sein, auf den grund der apostel und propheten ec., spricht Fischer, was ists anders, dan auf ir lehr; meinet, dise Christen sein gebawet [fol 42 r ] auf die lehr der apostel und prophetten, das ist nach seinem verstandt, auf Moysen und die zehen gebott, den er schreibt also: Christum mit den gebotten predigten die apostel den heyden, und aber: Paulus gibet den heyden gebott und das alles aus Moyse ec. Hat also, das Christus Jesus der grund sey der apostel und prophetten, das er auch der grundstein und eckhstein von Gott in Syon bestetiget sey, under seinen sprüchlen und Ziffern schreiben nit gesehen. Zun Römern am 7. [Rom 7,6] ist also geschriben: Damit ir nun sollet dienen in der newigkeit des geysts, und nit in dem alten wesen des buchstabens ec. Fischer aber, als der diss Sprüchlein nit verstanden, hat für die wort in der newigkeit des geysts und dem alten des buchstabens geschriben: im newen wesen und alten wesen, und also über seinen unuerstandt das Sprüchlein unrecht gedolmetscht. Warumb Paulus denen zuo Corintho. 1. Cor: 5[1]: welcher seines vatern weib hete, verdammet, auch die andern seinethalben strafft, wiewol solches die ander epistel gnugsam anzeig, dannoch weist noch heut dieser Fischer niht, warumb es geschehen ist, wo es nit von wegen der zehen gebott geschehen wer, auf das er auch seinem sabbat zum schütz gelanget. Luc: 6 6 8 , Johan: 6[38-40], da Christus redet vom willen seines vattern im himel, auch die sprüch aus den prophetten und psalmen vom heut, vom tag des herren mit vil andern in aller schrifft seint ihm alle zuo starckh gewest zuuerstehn. Er hat lieber seinen sabbat in der bibel wollen ausblettern, dan sich umb den verstand solcher und andrer sprüchlin annemen. Osswalt hat in seinem büechlin vom sabbat geschriben, in Gottes gebotten verharren bis ans end, das heist69 die 70 hoffnung ec., solches aber mit keinem gezeugnus der schrifft bestetigt. Nun hat es Fischer thun wollen dem Osswaldt und irem sabbat zuo guott, und 1. Pet. 1 [13] ein Sprüchlein geholet, das also stet: Volkommenlich hoffet auf die gnacf\ welche euch zugebracht wirt in der Offenbarung Jesu Christi ec., mit

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Marginalie: Eph:2. Eph 2,20. Marginalie: Christus est fundamentum. Unklar; evtl. Lk 6,1-11 Unsicher wegen Textverderbnis Unsicher wegen Textverderbnis Marginalie: Gnad.

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gantzem trost, er hab es gantz recht troffen, so er doch allein dardurch bezeuget, das er von der hoffnung gleich als auch von disem sprach nichts gründtlichs verstehe.

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Zun Ro: 13[8] schreibt Paulus: Der den andern liebet, der hat das gesetz erfüllet ec., welches mein Fischer also ausleget: Weiter spricht Paulus Ro: 13[9], das in der lieb72 die zehen wort verfasset sein, und erzelet etlihe ec. und weist nit anders, er hab seinem sabbat gar wol mit dieser auslegung geholffen, obwol dises klein sprüchlin in mit seiner lehr irrig und unrecht bey allen, recht verstanden dises orts Pauli, uberwindet, dauon auch nochmals etwas wirt gesaget werden, [fol 42v] Sanct Jacobi epistel will ich nit vergessen, und darnach zum driten punct dises orts weiterkomen. Sanct Jacob: 2[8] spricht: So ir aber das königliche gesetz verbringet nach der schrifft ec., in welchem sprüchle mein armer Fischer dise wort nach der schrifft also verstet: Sich, Jacobus will, das wirs nach der schrifft, nach dem buchstaben, wie sie geschriben stehn, volenden sollen, ec. Möchte aber nit ein solche auslegung allein den sabbat schützen und erhalten? Es mus aber auch war sein, das er in seinem buch geschriben, die schrifft 73 last sich wol lesen, aber nit einen jedlichen verstehn, welches dan bey disem Fischer also hoch war ist, das sich es zuuerwundern, das solche Fischer, ander zuo lehren, sich anmassen, so sie doch noch nie gelernet haben, dessen nichts wissen, noch recht verstehn von dem, das sie ander zuo lehren fürnemen.

Das sich Fischer in seiner Sachen und in unuerstandt der gegenschrifft gröblich hat finden lassen.74 Zum dritten. 75 Seintemal auch klare und heele sprach in heyliger schrifft befunden, welche zuo der Sachen76, die Osswaldt mit meinem losen Fischer angefangen, als zum sabbat, zur lehr daraon gehören, auch ob sie recht oder unrecht were, diese sabbatgesellen heten underrichten mögen und, dieweil sie irrig und unrecht ist, dauon weissen und abschreckhen, aber solche hauptsprüch in der Sachen weder bedacht noch verstanden seint, kommet gantz erfindlich und ergreifflich herfür, ja an den tag, das mein Fischer ohn alle witz, kunst und wissenheit, sonder aus lauter irrthumb, freffel und unuerstandt, lehret, schreibet und haltet vom eüsserlichen sabbat, als sey er nöttig im christenthumb zuo heyligen. Es ist aber der sprach nit wenig, daramb ich auch alhie auf das kürtzest, so möglich, nur irer etliche aufschreiben will, und also am ersten, was aus den prophetten alhier dienen möchte, am andern, was Jesus Christus unser herr und Gott von Moyse gesetz vom sabbat gehandelt und gelernet, wie er als der herr des sabbats in weder gebotten noch hindersich verlassen

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Marginalie: Liebe. Marginalie: Schrifft. 74 Am Rand: IUI. 75 Die Kapitelnummerierung, die von späterer Hand am Rand vermerkt worden ist, stimmt nicht mit der internen des Textes überein. 76 Konjiziert; Text: sahen 73

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habe, wie der eüsserlich sabbat von im erfüllet ist und aufgehaben mit andern stücken, gantz unangerüeret lassen.

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Moyses hat Exod: 31 [13.17] von sabbaten gesaget, das sie zeichen sein zwischen Gott und den kindern Israel, und dem sabbat der taffei keinen vortheil, als wer er grösser dan die andern, oder nit ein zeichen oder das er solt ewig weren, noch unsers apostels Fischern, under denselbigen gelassen, sunder aus Gottes befelch von dem sabbat, der zehen gebott und tafflen öffentlich geschriben, Exo: 31 [17], das er zwischen Gott und den kindern Isarael auch ein zeichen sey in ewige zeit, wie auch diss Ezechiel [Ez 20,12] hernach ernewert. Ist nun der sabbat der taffei ein zeichen mit den andern gewest 77 , so muß, das er bedeütet unnd [fol 43 r ] gezeuget, komen sein, und also das zeichen aussein und aufgehoben. Dieweil alle zuosagen Gottes in Christo war sein, 2. Cor: 1 [20], und Christus ist der leib der sabbaten, Coli: 2[16f], mus unwidersprechlich folgen, das der sabbat Moysi erfüllet und abgetilget sey in Christo; er sey ins new testament nit kommen, solte derohalben darin keinswegs weder aufgericht noch gehalten werden. Hett mein apostel mit seinem Osswalt ein anders gelernet oder gethon, so ist es als falsch, irrig und unrecht zuuermeiden. Darnach Heb: 3[7-] 4[11] wirt klar gesaget, das dem volckh Gottes ein ruohtag gelassen sey, das die glaubigen einen geistlichen ruohtag begehn und halten 78 , das sie darein durch den glauben gegangen sein, und noch vil mehr, das vom geistlichen ruotag des glaubens zeuget oder den eüsserlichen sabbat gar umbstosset und unrecht teilet. Seitemal dan unser Fischer diss weder gesehen noch verstanden, wirt bald gemerckt, das sein lehr und sabbat nichts anders, dan, als zuuor gesagt, irrig und unrecht sey. Weiter hat er gar nit verstanden, was Paulus öffentlich und deütlich vom aufhören und abtilgen der zehen gebott 79 , tafflen und ampten Moysi geschriben, namblich 2. Cor: 3[6f], an welchem ort sein von Paulo die zehen gebott mit irem rechten namen genennt der buchstab, die in schrifften der buchstaben stunden, und eingehawen und abgeformiert waren in den steinen. Ist das nit gantz offenbar von den zehen gebotten geredt, unangesehen, obs mein apostel under all seinen Ziffern nit gemerckhen kan? Paulus hat dabey gesaget, die herrlicheit Moysi wurd abgetilget und vergehn, auch Moysen mit seinem ampt genant diss, das man abtilget und vergienge, darnach Eph: 2[15] geredt, das Christus das gesetz der gebott in den befelhen hab vertilget und entlehret. Er hat alhie vom gesetz der gebotfi® gesaget in den befelhen, da kan je Moyses mit seinen tafflen nit aussenbleiben, oder der sabbat nit begriffen sein, dan vom sabbat hat disen ort auch Ambrosius epistola 16 81 ausgeleget, wie er auch dauon soll und mus verstanden werden. Solche wolthat Christi, und das aufheben des gesetzes, hat Paulus Coli: 2[16f] widerhollet, wiewol diser Fischer denselbigen text in seinem buoh 82 gantz unförmig und ubel verbracht und verstanden hat. Es ist auch in derselben epistel von allen jüdischen ceremonien, gesetzen und gebreüchen zuo 77 78 79 80 81 82

Marginalie: Marginalie: Marginalie: Marginalie: Ambrosius, = Buch

Signum figura. christlicher ruotag der Christen. auffhören der zehen gebott tafflen ec. vom gesetz der gebott in den befelhen. Epist 16,9 (CSEL 82 1,119).

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gleich als in der epistel zun Gallatern [Gal 4,8-10] christliche lehr gnug, darinnen die Christen von allem, das jüdisch und des gesetzes brauch gewest, gantz werden abgehalten. Des sabbats ist darbey mit namen gedacht, als der ein schatten 83 , ein tag, ein sunderliche zeit, ja ein element der weit gewest sey. Es sollen alle verstandige bezeugen, das solche epistlen wider [fol 43 v ] die lehr und Sabat des Fischers gantz streiten, nach dem auch Tertulianus wider den 8 4 [Marcion] 85 , den ort Pauli, so er Gall: 4[10] von tagen und monaten redet, vom sabbat mit rechtem wissen ausgeleget hat. Und Ro: 7[6] nun aber sein wir entfreyet und entnohmen vom gesetz, seitemal wir dem gestorben86, ihn [in] welchem wir begriffen worden, item Ro: 8[2], Gal: 2.3.4 sein öffentliche gezeugnus vom abtilgen und aufhören der zehen gebott, welche zuuor das gesetz der Sünden und des tods genant sein. Das sie mein Fischer umb seines sabbats willen allein vom priestergesetz verstet, ist nichts dan sein schand und irthumb. Dan es ist die verschmehung Christi, seiner ehr, seines reichs, das diser Fischer ein feind ist seiner erkeüffung oder erlösung. 8 7 Dan also hat uns nur Christus vom priestergesetz Moysi erlöset, und aber doch den zehen gebotten und tafflen noch underworffen und dem gebott des buchstabens underthenig gelassen. Er were unser halber heylandt; die ander helfft muste Moyses mit seiner tafflen und sabbat erfüllen, welches keine Christen, sonder allein die jüdische lehrer fürgeben und lehren mögen. Es ist wider den Christenglauben, dan also rieht man auf einen rhum der eüsserlichen werckh, welche die liebe nit berüeffen, sonder hindern. Es ist wider die würckhung des heyligen geists, welcher bey keinem Christen irgent einen eüsserlichen sabbat gewürcket, das aber sein muste, wo der sabbat sein werckh oder nöttig im christenthum solt gehalten werden, nachdem alle guotte werckh vom geyst Gottes ir ankunfft und ursprung empfangen. Ein gleicher irthumb und unuerstand mus das auch befunden und erkant werden, das ihn duncket, die apostel, Act: 15[5], haben allein von der beschneydung und priestergesetz gehandelt und sich versamelt, dieweil daselbst steht: Es wahren aber etliche aufgestanden, aus denen von der sect der phariseer, welche geglaubt haten und sprachen, sie müesten sich beschneiden und man solt ihnen befelhen und verkündigen, zuo halten das gesetz Moysi ec. Derhalben ist nicht allein umb ein stuckh, sunder umb das gantz gesetz Moysi, zuo welchem je auch der sabbat gehörig, wie sich dagegen die heyden hetten zuuerhalten, der handel und Versammlungen angestelt gewest von den apostlen. Das joch und die bürde, welliche die vetter nit haben mögen tragen, kan nit allein das priestergesetz gewest sein. Dan das was nit das untreglichst im gesetz, sonder die erforderung der ehren Gottes und seiner liebe, und des nechsten aus gantzem hertzen, gantzer seelen und allem vermögen,88 Wo nun der arme Fischer möcht vernemen, wofür die gnad Jesu Christi, durch welche die vetter mit uns geseliget, sich ausbreitet und iren uberflus ergösse, ob sie 8 9 allein auf das priestergesetz reichet, oder auf den gantzen Moysen, het er mögen besünnen, das vom gantzen Moyse [fol 44 r ] und seinem gesetz dazumal muste gehandelt sein. Uber das schreiben die apostel Act: 15[28f] in irem brief nit al-

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»Sabbat« und »Schatten« nur in Kol 2,16f, nicht in Gal 4! Lücke hinter den; womöglich konnte der Abschreiber Marcion nicht entziffern. Tertullian, Adv. Marc. I,20,4f (CChrSL l,461f). Marginalie: vom auffhören der 10. gebott. Marginalie: Christi wolthat. Mt 22,37-39par. Marginalie: Gratia Christi. Konjiziert; Text: sich

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lein von der beschneidung, sonder immerzuo vom halten des gesetzes Moysi, legen auch nichts mer den heyden auf über die stücklen, welche im selbigen ort geschriben sten. Wer nun der eüsserliche sabbat eintweder als nöttig oder bey nöttig im Christentum zuo halten, der heylige geyst und die apostel hetten sein nit alda mögen vergessen oder in bis auf Osswalten und Fischern aufschüeben. Sonder noch öffentlicher schrifft und sprüch in dieser Sachen hat er nicht besichtiget, darzuo nit verstanden, als Ro: 12 [Rom 13,8]: Welcher den andern liebet, der hat das gesetz erfiillet, und bald hernach [Rom 13,10]: Darumb ist die liebe die erfüllung und end des gesetzes ec. Hie sagt Paulus öffentlich, das gesetz steh und wer in der liebe volbracht, sie sey die summa des gesetzes. 90 Gehört der sabbat darzuo, wie hat dan Paulus sein vergessen? Und zun Gall: 5[13f]: Dienet euch urtdereinander durch die liebe, dan das gantz gesetz wirt erfiillet in einem Wort ec. O Fischer, hettestu was anders gefischet, dan den sabbat mit dem Osswalt, es wer deinem namen bas angestanden. Darzuo leidet die liebe deinen sabbat nit, das gantz gesetz wirt in einem wort erfüllet. Wo bleiben deine zehen pundt- auch gesetzwort, erfüllet in der liebe? Die liebe ist die erfüllung des gesetzes, nit das sabbathalten. Auch 1. Timot: 1[5] spricht Paulus: Aber die volle und end des befelchs ist die liebe aus einem reinen hertzen ec. Stehet 91 der befelch Gottes endtlich in der liebe, wo wirt mein Fischer den eüsserlichen sabbat mit seiner not finden, dieweil die liebe sein nit darf, will in auch nit leiden, nachdem sich nit an zeit, tag, stund noch stell sie binden lest 92 , sonder alles frey handelt und in der freyheit wolle befunden werden. Mein Fischer mit Osswalt haben hierinnen ires gefallens wollen irren, dichten, deüten und lencken. Aber es bestet gar kein ausflucht und ist eitel irtumb und unuerstandt. Noch eins mus ich nit aussenlassen. Die epistel zun Hebreern hett den Fischer in dieser Sachen vom sabbat, vom gesetz Moysi und anderen stuckhen, wie gesagt, wol mögen underweyssen. Was ist es aber? Er verstet nichts, er blettert nur dahin und schreibt Ziffern vom eüsserlichen sabbat. 93 Von disem ort wer vil zuo sagen, wiewol ich etliche punct keinswegs kan aussenlassen, auf das man aus einem die andern mög richten. Dieser Fischer meinet in seiner kunst, die epistel zun Hebreern sag nichts vom aufhören und endtlehren der zehen gebott, sonder allein vom abtilgen des priestergesetzes, so doch das gegenteil war ist, und diser Fischer mit [fol 44 v ] nichts anders dan mit stinckhenden fischereyen umbget. Erstlich zeigen sie klar an das aufhören des gantzen gesetzes Moysi, seiner tafflen und gebotten im 8. und 9. Cap: [Hebr 8,6ff] aus dem propheten Jeremia, welcher geweissaget vom abtilgen des alten bundt Gottes und aufrichten und volkomen machen einen newen [Jer 31,31-34], wie der text gnugsam ausweisset; am end des achten [Hebr 8,13] stehet also: Indem so er gesaget vom newen, hett er abtilget den vorigen. O Fischer horch, Jeremias saget nit alhie vom abtilgen des alten pundts, die epistel zun Hebreer? Sein auch die zehen gebott Moysi die zehen wort des alten bundts, seins nicht die bundwort, wie du sie auch nennest? Nun der alte bund ist aufgehoben und undergangen, Fischer wo wirt dein sabbat mit den gebotten und tafflen platz finden? Ist der alte pund Gottes allein im briestergesetz gestanden oder 90 91 92 93

Marginalie: erfüllung des gesetzes. Konjiziert; Text: sehet. Marginalie: die liebe last sich nit an zeit binden. Marginalie: Heb: 2.

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seins die zehen gebott gewest? Schern dich Fischer unnd merckh, wie grob du irrest, wie gar du nichts verstehest, auch von der Sachen, welche du mit Osswalten hast angehaben. 5

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Am andern: Wan die epistel Heb: 7[12] saget: Dan so das briesterthum fortgesetzt und gewandelt ist, mus von nöten auch des gesetzes fortsetzen und wandten geschehen, meinet sie allein mit disen Worten das priestergesetz oder gantz gesetz Moysi? Ist allein das priestergesetz oder auch das gantze gesetz auf Christum von nöttig wegen fortgesetzt und gewandelt? Zum dritten stehet in der epistel Heb: 12[18f] ein klarer text, wider sein irrige lehr von zehen gebotten, also: Dan ir seit nit kommen zuo dem betasten oder begriffnen berg und dem angezündten fewer und nebel und finsternus und ungestümigkeit und laut der posaun und stimmen der Worten ec. Alhie saget die epistel, das die Christen nit zum eüsserlichen Synai, noch zum gesetz Moysi komen, welches Gott auf dem berg Moysi in die taffei eingegraben, befolhen, wie Exod: [Ex 19-24] und die epistel daselbst [Hebr 12,19-21] ferner weissen, sunder ir seit komen, spricht sie [Hebr 12,22], zum berg Sion und stat des lebendigen Gottes. Solches, so nun diser irrige Fischer nit hat bisher mögen erblettern nach der Ziffer und vermeinet doch mit seinem Osswalt, die Christen von Christo zuo Moyse, vom geistlichen berg Syon, das ist der christlichen gemein, zum eüsserlichen berg Synaii, darauf die tafflen und gesetz dem Moysi geben, das ist in das judenthumb, vom innerlichen sabbat des hertzen, zum eüsserlichen nöttigen sabbat der werckh und gesetzes zuo füren, ja gantz durch seinen grossen auch schädlichen unuerstandt zuuerfüren, wirt jederman kundt gethon, das er nicht recht füre, sonder irre, sey blindt und leite die blinden, bis sie eins mals des irthumbs gewar werden; darzuo well in der allmechtig Gott helffen, amen, [fol 45T Mit disen dreyen stuckhen, so nechst nach einander erzelt, hoff ich, soll allen denen, welche der göttlichen warheit begierig, in kurtzem greifflich fürtragen sein, für was lehrer diser Fischer möge gehalten werden, darzuo, wie gar nichts er von den handien Gottes, noch in heyliger schrifft, noch von seiner Sachen nichtig versteh, oder ander wisse zuo lehrnen, wie schwer und erschröcklich er irre und verwirre, ja das er gantz ohn grund und verstand handelt. Solte ich aber mehr seiner sprüch, die er nit verstanden noch recht gehandelt, nach der lenge hieher geschriben haben, wunder, meniglich groses wunder und mechtige thorrheit meines losen Fischers befinden, und er abermal klagen, ich het ein gros buch geschriben, also mag unser apostel und gesanter Fischer so wenig mit seinem rhum als auch mit seiner lehr und sabbat bestehn, oder in schützen mögen. Darumb sich auch jederman vor ihm, und seiner gifftigen auch verfüerischen lehr mit fleis und ernst also zeit soll bewahren, diesen meyster fliehen, und vor seim fürgeben sich trewlich hieten.

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Das der Fischer mit keinem grundt den eüsserlichen sabbat schütze, durch etlicher seiner argument beweyse. 94

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Jetzund will ich hernach zum ersten auch seinen schütz, hämisch und gezeug, das ist schlussredt, argument und beschlus, weiter herfür tragen, mit welchem er den sabbat will bewehren und erhalten, unangesehen, ob er selbst nichts weist, wan, wie und was er bewehren, schliessen und schützen solle oder wolle, was für seinen sabbat oder darwider sey. Also gar ists alhie durcheinander gemengt und widereinander geschriben, auch ohne grund und wissen, das eins gleich so wol als das ander gantz vol irtumbs und unuerstandts leicht kan uberweisset werden, sonder wir wollen hören die argument des Fischers, welche ich aus seinem buch zuosamentragen und -geklaubet habe, wie sie kurtzlich lauten werden. Es 95 sein je zehen gebott Gottes, zehen wort des bundes, darin der eüsserlich sabbat befolhen und begriffen. Wo man in nicht hielte, so ubergang man die gebott Gottes, und bliben nur acht wort des bundes.

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Moisés 96 , propheten, mit sambt den apostlen, sein lehrer im newen testament. Sie lehren aber die zehen gebott, zuo welchen gehört auch der sabbat, darumb soll man in halten. Die 97 zehen gebott sein im newen testament zuo halten gebotten, darumb auch der sabbat.

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Christus 98 würckhet in der glaubigen hertzen die gebott Gottes, den [fol 45 v ] willen seines vatters, gibet seine werckh, gesetz, gebott an den tag, zuo welchen so auch der sabbat von Moyse gehalten wirt, soll man in halten. Der 9 9 sabbat ist der grossen gebott eins, darumb soll man in halten. Dis argument mit andern hat er offt gefiirt.

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Durch100 den glauben richten wir das gesetz auf Ro: 3[31], darumb auch den sabbat. Die 1 0 1 ersten und eltesten vetter haben die gebott Gottes gehalten vor Moyse; darumb haben sie auch den sabbat eüsserlich miessen halten, sonst hetten sie nicht die zehen gebott Gottes gehalten. Das will Fischer dahin deüten, als solt man darumb nach dem gesetz den sabbat eüsserlich im Christenthum auch halten miesse.

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Jacobus 102 spricht [Jak 2,10]: Dan so jemandt sagt, er halte das gantz gesetz und sündigt an einen, der ist des gantzen schuldig, der hat wider das gesetz gethon, secht, kan oder mag alhie der sabbat aussen bleiben?

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Am Rand: V. Am Rand: 1. 96 Am Rand: 2. 97 Am Rand: 3. 98 Am Rand: 4. 99 Am Rand: 5. 100 Am Rand: 6. 101 Am Rand: 7. 102 Am Rand: 8. 95

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Paulus 103 widerhollet das gesetz, das gesetz aber beschleust den sabbat, welher alda wirt verstanden, und bey disen gebotten meinen auch die apostel die andern, wan man eins oder zwey anzeigt, so meinen sich die taflen den bundt Gottes. Paulus 104 und die apostel haben daran samlungen gehalten. 5

Die 105 schrifft sagt vil vom sabbat. Wan ich so uil sprüch und schrifften vom sontag hett als vom sabbat, so hielt ich gleich so mer den sontag als den sabbat. Glauben 106 wir doch mit den juden, das ein einiger Gott sey, und das heil ist uns von inen komen [Joh 4,22], und sein dannoch nit juden, warumb solten wir nit mit inen den sabbat halten mögen.

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Christus 107 , die apostel, und alle alte vetter haben den sabbat geheiliget und gehalten. Der 1 0 8 babst Victor und der keyser Constantinus haben den sontag aller erst zuo halten befolhen; er ist auch im decret verfasset. So hat Gott den sabbat eingesetzt und befolhen.

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Alle 109 die versamlungen der Christen nach Christi Zeiten sein vil jar am sabbat gehalten worden. Die 1 1 0 gebott Gottes stehn und bleiben ewig, Ecclesiastici: 1[1.5], Baruch: 4[1], Wan gleich alle buchstaben verbrenneten, wie auch die juden die tafflen langst verlohren haben ec., die zehen gebott Gottes bleiben bis ans end der weit, dan sie sein die ewigen gebott.

Solche argument und die inen gleichen seint der beste schütz und starckhe bewerunge meines Fischers vom sabbat, daruor der Crautwaldt zur Lignitz sich sol sehr 111 [fol 46 r ] mit seinen feisten pfrüenden erschreckhen lassen, und den Fischer ihn [in] seinem sabbat ferner fischen lassen. Sonder, Gott hab lob, ich sich [sehe] wol, was die 25 fisch sein, auch das dise reden ohne grund und verstand stehn. Etliche stehn blos, etliche sein gar falsch, alle aber sein so voll irtumbs. Ich habe noch der alten dialéctica nit gar und uberal vergessen. Wan es nit zuo lang wer, wolt ich beweisen, das mein Fischer uberal faul hering verkaufft, geht mit alefantz umb, schleust unrecht und raffet rips raps auf, ob doch der hauffen was zum sabbat thun wolte, fehlet und 30 stosset sich uberal als die, welche blind sein und im Unstern an frembden orten umbtappen. Aber wie gesagt, es wirt sich verziehen. Darumb will ich dise argument in einer andern weys besehen und urtheilen, und darauf zum ersten ein gemeinen be-

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Am Rand: 9. Am Rand: 10. Am Rand: 11. Am Rand: 12. Am Rand: 13. Am Rand: 14. Am Rand: 15. Am Rand: 16. Die letzten 3 Wörter unter der Zeile.

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rieht und auflösung darbringen, darnach auff ein jedes sunderlich antwurt geben; bald folget hernach die gemein 112 auflösung.

Ein gemein bericht und aufflösung vorgehender argument des Fischers.

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Das 113 gesetz, will und gebott Gottes, werden zweyerley weys in heyliger schrifft fürgetragen; aber man mus auf das gesetz, willen und gebott Gottes zweymal und in zweyen ämpter und Verwaltung desselbigen achtung geben. Ein ampt ist Moysi des dieners im haus Gottes, das ander ist im reich Christi. Im ampt Moysi ist der will Gottes und sein gebott schriftlich geoffenbart, im reich Christi Jesu wirt das gesetz Gottes verbracht und ausgericht durch den heiligen geyst bey allen Christen und gotteskindern. Ja, nach zeugnus der schrifft ist ein gesetz Moysi, das ander Jesu Christi, Gal: 6[2], 1. Cor: 9[9.21], Es sein gebott Gottes durch Moysen und durch Christum im heyligen geist. Im gesetz Moysi sein zehen wort oder gebott gewest, und darin ein befelch von einem eüsserlichen sabbat, dauon nun Fischer vil sprüch, wie auch der Osswaldt, aus der schrifft in ire büecher gesamlet haben. Sunder im gesetz Christi ist nit zal der gebott, es ist allein ein gebott und wort, namblich die liebe Gottes und des nechsten, Mat: 7[12], 22[36-40], Ro: 12[9f], Gal: 6[2], Joa 15[9-12], 1. Timot: 1[5] und anderstwo, welches der heyligen Joannes in seiner ersten epistel gar köstlich beschriben und ausgeleget hat. Es ist auch im gesetz Christi kein eüsserlicher sabbat, er hat darin kein stell mit seiner nott zur seeligkeit, aber ein innerlicher wahrer sabbat des glaubens in der glaubigen hertzen ist in disem gesetz. Das gesetz Moysi ist ein eüsserlich buchstabisch gesetz gewest, und mit schatten oder deütten umbgangen, aber das gesetz Christi geth mit dem geyst Gottes, mit krafft und warheit umb. [fol 46v] Es ist ein innerlich gesetz und getrüeb der hertzen durch den heyligen geist. Moyse gesetz hat fürnemblich allein auf ein volckh gereichet, als auf den Israel und die juden. Dagegen reichet das gesetz Christi auf alle völekher und die gantze weit. Darumb, welcher auch aus den juden zum gesetz Christi komet, ist schon dem gesetz Moysi gestorben, so wol als im Moyses weiter nichts gebüeten mag, damit er Christo gantz leb und Gott allein frucht bringe, Ro: 7[4], 8[2], Gal: 2[19f], Und alle Christen aus den heyden und alle völekhern gehören nicht zum gesetz Moysi. Es get sie mit seinem ampt, gebotten und tafflen gar nit an. Sie sein durch Jesum Christum daruon gefreyet, nemen derohalben kein gebott noch befelch von Moyse auf sich als nöttig; sie hören inen nicht, sollen inen auch, so weit er in gebieten wolt, gar nicht statgeben, dan wan sie Moyse gehorcheten, weren sie von Christo abgefallen. 114 Christus wer in nit nutz, Gal: 6. 1 1 5 , das 116 gesetz Christi ist vil elter dan Moysi. Es ist je der will Gottes eher und beider in die hertzen durch den finger Gottes dan in die steinern taffei oder büecher geschriben. 117 Es ist zuuor ohne

112 113 114 115 116 117

Danach durchgestr.: usleg. Am Rand: VI. Marginalie: vom underscheidt des gesetzes Moysi und Christi. Gal 5,2 Konjiziert; Text: dan Marginalie: N. das alt gebott. 1. Joa: 2[7],

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zal der gebott und eüsseren sabbat verbracht, eh der gebott zehen gerechnet send im ampt Moysi. In gesetz Jesu Christi haben die ehesten vetter auch ohne den eüsserlichen sabbat und andere ceremonien gelebet und Gott gefallen, Gottes willen und gebott volbracht und sein gericht gehalten, wiewol mein Fischer das noch nit recht verstehn mag. Moysi gesetz ist ein gesetz der dienstparkeit und knechtschafft, des todes, der sünden, des buchstabens und Verdammung, Christi aber ein gesetz der herrlichheit, der freyheit, der freyWilligkeit, ja ein königlich gesetz, dauon Jacobus geschrieben [Jak 2,8], des lebens und gnaden, des geistes und der versüenung oder hulde Gottes. Das gesetz Moysi hat die alten tafflen und gebott, aber das gesetz Christi hat ein new gebott, Joa: 15[12], newe tafflen, 2. Cor: 3[3], das ist ein new hertz, Jeremie 31[33], Heb: 8[10]. 118 Das gesetz Moysi hat wol zuohörer gehabt, aber allein das gesetz Christi macht das thon und gibt das Volbringen. Darumb sein auch werckh des herren und arbeit im herren, 1. Cor: 15[58], in welchen kein eüsserlich sabbat nöttig sein kan. Es sein auch werckh im gesetz Moysi und des gesetzes, darinnen ist ein eüsserlicher sabbat befolhen gewest, aber die werckh des gesetzes gehören nit auf die, so Christo glauben. So mögen sie auch nichts thuen, dan sie werden vom heyligen geyst getriben. Die summa, end und beschluss des gesetzes Moysi ist Christus, der erfüllet das gesetz, Matt: 5[17], Die summa, end, und beschlus des gesetzes Christi ist die liebe. Das gesetz Moysi ist nit ins Christenthum komen, es ist durch Christum aufgehaben, durch sein erfüllung und abtilgen. Das gesetz Christi ist ein ewig gesetz, das vor dem Moysi in seinem ampt und darnach weret, und bleibet. Moysi gesetz hat ein zeitlich vergengklich ampt und gebott gehabt, ist ein gesetz [fol 47r] des alten bund Gottes, des alten volckhes, der figurlich handel, der schatten und abmalen der zusagen Gottes; Christi gesetz oder des newen bundts des geistlichen ewigen und himlischen, welcher ist im thewren blut Jesu Christi aufgericht, ein gesetz der warheit, der erfüllung und des verbringens aller zuosagen Gottes, eines newen und gerechten volckes, der ewigen hendel und schetze Gottes; es hat ein ewige macht, ein ewigen hohen priester, ein ewig gebott, 1. Cor: 13[8]; und das allweg new bleibet nit veraltet noch aufhöret. Neben Christi gesetz ist Moysi gesetz einkomen, Ro: 5[20], Gal: 5 1 1 9 . Aber alle glaubige auch under dem joch und ampt Moysi sein durch das gesetz Christi und nit Moysi seelig worden, Act: 15[10f], von welchem villeicht ein ander mal, als auch von disen zweyen gesetzen mehr wirt gesaget werden. Alhie will ich weiter zum sabbat gehn. Im gesetz Christi kan kein ander gebott Gottes dan die liebe beweist werden. Diss gesetz leidet auch kein anders dan liebe. Kein eüsserlicher sabbat mag darin stat finden; es last auch keinen zuo, dan was eüsserlich, nicht aber geystlich sey. Was aus Gott durch Jesum Christum in der würckung des heyligen geysts nit herfleust, gehört nit zuo disem gesetz. Der eüsserlich sabbat under dem gesetz Moysi ist aus dem gesetz Christi offt verbrochen und nit gehalten. Christus, unser lieber herr, hat darzuo aus disem gesetz vom sabbat mit den phariseer und schrifftgelerten disputation gehalten, und seine jünger, da sie ehr rupften und aasen, verthedniget. Die liebe zwelffbotten und jünger Christi sein wol under dem gesetz Moysi funden, eh sie zuo Christo komen, und in als iren herren, Gott und meyster erkennten. So sie aber Christum und sein gesetz gelernt und empfangen, sein sie allein schuoler und jünger Christi bliben, haben Moysi gesetz mit 118

Das »new« steht in keiner der angegebenen Schriftstellen; es ist eine für Krautwalds Theologie typische Deutung. 119 Gal 3,17

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den tafflen und gebotten verlassen, und im gesetz Christi gelebet, gelernet, gehandelt und geschriben, und nit aus Moysi zehen gebott oder seinen tafflen. Das gesetz Christi ist von ihnen gefordert und geprediget, nit aber Moysi. Sie haben die erfüllung, das aufhören und ausmachen desselbigen wol geprediget und beschriben, aber keinswegs gelernt noch duldet, das man etwas daraus als nöttig im Christenthum halten oder einsetzen solte. Sie haben alle menschen trewlich dauon abgehalten, und allein zuo Christo, und nit zuo Moyse, seinen gebotten oder tafflen geweisset, welches noch heut ire schrifften jederman, der sie mit verstandt lesset, gnüeglich kundtschafft geben. Dis sey auf das mal zum bericht und gemeiner auflösung der argument meines Fischern gnug gesaget, [fol 47v] Dieweil nun solcher bericht, der underscheid diser zweyen gesetz disem armen Fischer gar unbekant, er in auch weder gelernt noch verstanden, hat er dise zwey gesetz, welche gantz weit underscheiden, undereinandergemenget, Christum und Moysen mit iren gesetzen, ämptern und gebotten in gleicher ehr und macht geachtet. Was eines ist, hat er dem andern zuogeben, hat es darfür gehalten, die Christen wurden durch das gesetz Moysi geregiert vom geist 120 Christi, hat darumb aus Moysen seinen sabbat geblettert, vom gesetz Christi nichts gewust, hat auf beiden achslen wollen tragen, auf einer Moysen, auf der andern Christum, wie noch heut auch von etlichen lehrern geschieht unnd zuuor berüert ist, nicht gesehen, das im gesetz Christi nur ein wort und gebott sey, bey welchem der eüsserlich sabbat keines wegs platz finde; aus solchem unwissen darnach mit seinem Osswalt im jüdischen irthumb vom sabbat eingefallen, hat in mit seinem meyster wollen aufrichten und schützen, so er doch nichts anders thon, dan seinen grossen unuerstand, schedliche irrung, und jüdischen unglauben bey allen denen, welche der lauterkeit und gesundheit christlicher lehr in dem gesetz Jesu Christ was begriffen, möglich an tag bracht, auch gröblich und strefflich lassen erscheinen, zuo seiner grossen schandt, unehr und thorheit.

Sunderliche antwurt auff Fischers vermeinte argument.

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Aus 121 disem vorigen bericht und underscheidt mögen nun leicht alle argument und schütz dieses Fischers beim sabbat nicht allein gerichtet, sunder auch aufgelöset und, das sie voller alefantzen und betrug sein, uberzeuget werden. Damit aber dem christlichen leser auch weiter gedienet und die argument an dem liecht klärer besehen, will ich in kurtzer einfalt ein jeder in sunderheit berüren 122 und mit antwurt, so uil von nötten, wie es darumb gestalt, lassen ermercken, also das die antwurt auf jedes nach irer Ordnung gehören soll. Auf das erst ist dise antwurt 123 , das im gesetz Moyse wol sein zehen gebott gewest, aber im gesetz Christi ist allein die liebe. Moyses hat auch ein gebott vom sabbat geben. Christi gesetz leidet kein eüsserlichen sabbat als nöttig. Es hat auch Gott der allmechtig keinen sabbat im gesetz Christi je befolhen noch gewircket bey allen chri120 121 122 123

Konjiziert, da über die Seite hinaus geschrieben. Am Rand: VII. Konjiziert, da über die Seite hinaus geschrieben. Am Rand: 1.

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sten und seinem gantzen volckh. Darumb ist des Fischers argument falsch und lauter irthumb.

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Mosen 124 und die propheten nemen wir an als zeugen von Christo, die auf Christum weisen, vom im verkündiget und anzeigen thon haben. 125 Wan sie aber aus dem gesetz befelhen und gebieten, nemen sie die Christen nit an; sie hören sie nicht, dan sie hören allein die stimm ires hirten. 126 Darumb nemen sie auch iren sabbat nit an, sein in auch nit schuldig zuo halten. Aber das die apostel [fol 48 r ] aus Moyse oder die zehen gebott lehrnen, das ist lauter irthumb. Es ist auch ein underscheid der lehr und ampt zwischen den apostlen, Moysen und den propheten, dauon nit zeit zuo reden. Derhalben auch die apostel niendert befolhen haben, den sabbat oder was anders aus dem judentum nöttig zuhalten. Sie haben im gesetz Christi wol verstanden, das Christus der leib sey aller schatten, ein summa und verbrenger des gesetzes Moysi, das auch im christenthumb der eüsserlich sabbat, der ein schatten gewest, gar müesse aufgehaben, und keins wegs soll gehalten werden. Aber wie diser Fischer fischet, also fanget er nichts dan faule hering; die wollen wir im selbert gehren lassen. Lieber Fischer 127 , arme leütlin kan man villeicht mit solchen alefantzen belistigen nach deiner gesellen, auch dein selbs gewonheit. Du soltest gleichwol gedenckhen, das auch leüt wehren, die solche irregerey mögen können. Wan man von büechern des newen testaments saget, so ist des gesetzes und der gebott Moysi wol darinnen gedacht und nicht wenig dauon gehandelt. So aber das new testament nach dem ampt, handel und Verwaltung des hohenpriesters und mitlers Jesu Christi besichtiget und verstanden, wirt niemandts die gebott Moysi mit dem eüssern sabbat darin finden oder beweysen mögen. Es sieht mein Fischer auf etlich Sprüchlein, welche im büechlin des newen testaments stehn, als Math: 5[17]: Ich bin nit komen, das gesetz aufzuolesen ec., und 19[17]: Wiltu zum leben eingehn, so halt die gebott ec., aber er versteht keinen, des ich zuo beweysen noch wol werd zeit finden; hat nit gesehen, das seines sabbats aldo auch nit gedacht noch dabey genant wirt, das auch der eüsserlich sabbat als ein schatten von Christo erfüllet und in das newe testament wie gesaget, nachdem es von Christo verwaltet, nie komen sey, seitemal das newe testament einen innerlichen, warhafftigen geystlichen rhuotag mitbringet 128 , von welchen Heb: 3[7-] 4[11] und in meinem schreiben auf Osswaldts büechlin weiter gesagt ist. Alhie 129 gib ich das vorgehend theil zuo, das Christus würcket in der glaubigen hertzen die gebott Gottes, den willen seines vatters, gibt seine werckh, gesetz, gebott an den tag. Was nachfolgendt, ist falsch und unrecht eingefüert, dan der eüsserlich sabbat mit seiner nott gehört nit zum gesetz noch werckhen Christi, sonder Moysi. Er ist wider die art und eigenschafft des gesetzes Christi in seinem geyst, welcher ein geist ist der freyheit 130 , nit der forcht, der kindtschafft, nit der dienstbarkeit, welcher freymachet vom gesetz Moyse. Christus in seinem geyst würcket eitel liebe, die 124

Am Rand: 2. Marginalie: zeugen von Christo. Heb: 3[5]. 126 Marginalie: oues Christi vocem eius audiunt. 127 Am Rand: 3. 128 Marginalie: spiritualis sabbatismus. 129 Am Rand: 4. 130 Marginalie: spiritus deus, spiritus libertarum et. 125

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keinen eüsserlichen sabbat, als auch das gesetz Christi in seinem geist gestatten [fol 48 v ] mag im christenthumb. Die Christen sein nit under dem gesetz Moysi, seint frey dauon. Moyses ist inen und sie Moysi gestorben. Christus ist allein ir leben. Sie werden auch allein von seinem geyst geregiert und geleitet, nit von Moyse. Wo mein Fischer die epistlen Pauli, in welchem diss gehandlet, verstuende, wurd im solches alles gründtlich sein für äugen komen. Aber nit ein capitel daruon hat er gelernet bestendig richten oder gewisslich zuuernemen in selbigen epistlen, das bezeuget sein missverstandt. Bey 131 dem ampt Moysi, Fischer, was der sabbat der grösten gebott eins, aber im reich Christi auch noch heut ist er kein gebott. Moyses hat alhie nichts zuo schaffen noch zuo gebieten. Es haben auch sein ampt, tafflen und gebott ir endtschafft in Christo, welcher ist die erfullung des gesetzes. Uber das hat Christus Mat: 5[17-20] und 22[37-40] vom grossen gebott, darzuo S. Johannes in seiner ersten epistel gnug geschrieben, auf das ich Pauli ein wenig vergesse und doch des sabbats nie gedacht. Das es mein Fischer nit weist, kan sein sach und sabbat nit besser machen. Wie 1 3 2 man durch den glauben das gesetz aufrichte, ist Fischern in seinem umblauf zuo lehrnen nit eingefallen, nachdem er nit weist, was Paulus Ro: 3[27.31] hat verstanden, kennet nit das gesetz des glaubens, das ist Christi gesetz, will das, so vom gesetz des glaubens geredt, vom gesetz der werckh, das ist Moysi, auslegen, weist auch nit, wie der glaub den willen und gesetz Gottes, auch die gebott verbrenget, das er einen sunderlichen sabbat hab und halte, darf keinen eüsserlichen oder werckh sabbat, das der glaubig in gantzer freyheit steh bey allem eüsserlichen, mag darzuo an nichts eüsserlichs als nöttig durch je kein weyss oder befelch gebunden werden. Die 1 3 3 ehesten vätter haben den willen, gebott, sitten und gericht Gottes im glauben nit zu eüsserlichen ceremonien und sabbat gehalten, darzuo ohn allen eüsserlichen sabbat Gott gefallen. Mein armer Fischer hat das gegentheil vermeint zubewehren. Es ist im aber seiner kunst und witz zuo wenig worden. Es ist im auch nit möglich zuo thon, dan die ehesten vetter vor Moyse sein in der freyheit der gnaden Gottes, welche nachmals in Christo öffentlich erschinen, im willen und gebott Gottes einher gangen, ohn alle nott, eüsserlicher tag, zeit oder fest. Derohalben will ich mein Fischer mit disem argument selb fangen. Die ersten und ehesten vetter vor Moysi haben die gebott, gesetz und willen Gottes gehalten vor Moyse, ohn den eüsserlichen sabbat im glauben und in freyheit des geystes. Darumb sollen auch ire kinder ohne eüsserlichen sabbat im reich Christi inen im ferbringen, willen, gebott und gesetz Gottes nachfolgen und sich an disen Fischer mit Osswaldten als ein irrige jüdische ffol 49T lehr gar nichts keren. Der will Gottes stet auch nit allweg an zehen gebotten oder an zaal, welches mein Fischer offt betrogen hat. Jacobus [Jak 1,25; 2,8.12] 134 hat vom königlichen und volkomnen gesetz der freyheit, das ist vom gesetz Christi und nit Moysi geschriben. Er hat mithin zuogesetzt nach der schrifft, nun ist Christus der könig und herr nit Moyses. Es heist von Christo dem könig das königlich gesetz, niht von eim andern vortheil. Christus ist, 131 132 133 134

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der uns gefreyet und im geyst der freyheit leitet. Moyses ist der knecht, bey im ist der geist der forcht, Ro: 8[15], 2. Timot: 1[7], nit der freyheit. Das gesetz Moysi hat knecht gezeuget, Christus hinwider hat ein freyes und freywillig volckh, Gall: 4[31]. Es ist auch in der schrifft zweyerley gesetz, dauon droben gesaget. Also sieht man aber, daß mein Fischer die epistel Jacobi nie hat mögen verstehn. Paulus 135 im apostelampt ist nit ein schuoler Moysi sonder Christi, Gall: 1 [1.12]. Sehet, von wem er sein euangelium habe. Er lernet darzuo nicht noch schreybet aus Moysi gesetz, sonder Christi, welches er in seinem ampt lernet und fürdert. Er weisst nichts, dan Jesum den136 gechreützigten^1, hat alles, was dem Moysi zuogehört, ubergeben Phil: 3[7f], weist allein in seim gewissen vom gesetz Christi, 1. Cor: 9[20f], Christus redet aus Paulo, 2. Cor: 13[3], nicht Moyses. Christus würcket in im, Ro: 15[18], nit Moyses. Im gesetz Christi streit er wider das gesetz Moysi, verkündet das aufhören und abtilgen Moysi mit seinem gesetz und ampt. Er streitet wider den sabbat Moysi und beschützet den sabbat Christi. Wie es aber komet, das sie etliche lehr miteinander vergleicht, ist meinem Fischer nit bewust, niht anders, als wie es zuogeh, das die apostel den sabbat niendert befolhen noch fordern von den Christen, das sie auch der glossen noch thading 138 dieses Fischers weder dürffen, noch das sie bey der lehr der apostel nit werden können bestehn. Ich 1 3 9 sehe wol aus disem ort und andern, das Fischer von der gemein Christi und irer versamlung wenig beriht 140 hat. Es bleib aber Fischer ein Fischer. So haben die zwelff botten auf das gesetz Christi gesehen und in seiner freyheit alles in irem ampt gehalten, auch ire schuoler versamlet, nit allein die juden am sybenden tag, sonder auch die heiden am achten tag, wie wir hören werden aus gezeugnussen der schrifft. Sie haben kein regel gemacht der tagen; sie haben wider nott der tag und zeitten hefftig gestritten, welches oben berüert und die epistlen Pauli bezeugen. Die 1 4 1 schrifft des alten testaments saget wol viel vom sabbat, aber in dem ampt des newen kan man nit darstellen irgent ein befelch vom eüsserlichen sabbat. Fischer wirt auch damit von seinem schütz geiaget, dan das [fol 49 v ] hat er mit andern stuckhen sollen glaubwirdig bewehren. Die schrifft hat wol auch sprüch und kundtschafft, welchen den achten tag preysen. Ich will sie aber noch in der feder lassen. Ob etwa weiter ein hewschreckh aus dem sabbat komen wolte. Doch ist es nit umb vil sprüch, es ist mehr umb den rechten verstand zuo thon. Fischer mit Osswalten hantlen 142 sprüch gnug; solten sie dieselben aber recht verstehn, vergleichen und jedem sein ort und zuostand geben, wurde mehr fleys und witz darzuo gehören, wan sie bis auf heutigen tag bey sich haben spüren lassen.

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Am Rand: 9. Konjiziert; Text: und 1. Kor 2,2 Gerede Am Rand: 10. = Bericht Am Rand: 11. Konjiziert; Text: santlen.

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So 1 4 3 ich Osswalts lehr vom eüsserlichen sabbat ein ebionische und jüdische geheissen, wie sie dan nit christlich ist, soll diss mein Fischer schützen und verthedingen mit dem sabbat und bekennet, das er mit den juden an einen Gott glaube; das ist einen jüdischen glauben haben. Wer kan nun nit sagen, das sein lehr jüdisch und er ein jud sey mit seinem sabbat und den gerichten Moysi, ob er auch ohne das, dieweil er das gesetz Moysi will eüsserlich gehalten haben, mit gutem recht ein jud het bleiben können, und mag nun forthin mit juden oder türcken glauben, dieweil wir hören, was sein glaub sey. Ich aber sag 144 , das die Christen nit mit den juden an ein Gott glauben, dan die juden glauben nicht das gros geheimnus der heylig dreyfaltigkeit. Sie schliessen Christum ausser Gott, sie glauben nicht an in, halten in nicht für ein wahren Gott, welcher uns im fleisch erkauffet und heut darin regieret in aller gewalt Gottes. Das beweist der juden lehr, die spann und zänckh zwischen inen und den Christen, auch die schrifft der alten christlichen lehrer, wie mann beym Tertuliano an Praxeam und andere wirt finden. Nun wan man in einen Gott, als Hilarius saget, aber ohne Christum glaubet, ist es kein glaub. Die juden schliessen Christum aus der Gottheit, haben also von Gott kein rechten glauben. Mein Fischer glaubet mit den juden an einen Gott, darumb glaubet er nit an Jesum Christum, und hat einen glauben mit den juden, welchen er auch am titel seines buchs bald gemeldet hat, das er die zehen gebott und Moysen schützen wolte, das ist den glauben der juden verthedingen, oder, wo es nit wol geriet, auf das wenigst ein gemengets im glauben und christlicher lehr zuorichten. Dan also nem ichs ann, vermerckh auch, das dieser Fischer ein heimlicher feind Christi sey, ein Moysesprediger und judengenoss, derohalben ich diss jederman anzeig, auf das sich meniglich vor solchen jüdischen lehren und irthumen hab zu bewahren. Wie 1 4 5 sich unser herr und Gott Jesus Christus mit den apostlen und vettern bey dem sabbat und gesetz gehalten, ist in der heyligen schrifft verfasset. Mein Fischer hette aber sollen ausfischen, das der sabbat in das christenthumb einigerweys were komen und darin nöttig wer bliben, das er wer darin als nöttig [fol 50 r ] gewürcket, befolchen oder gefordert oder als ein gebott Gottes eingesetzt. Solches, so er nicht vermecht, bleibt er mit Ziffern und blettern in irthum und schänden billich steckhen, besonder dieweil ich, dem Osswalt von disem zuo schreiben, nit hab underlassen. Mein 146 Fischer, der sontag ist dannoch nit erger darumb, das in der babst und keyser eintrechtig zuo halten und den sabbat abgeschafft haben. Dan der babst Victor ist wol so verstendig gewest, das er hat richten mögen, wie es umb das gesetz und gebott Moyse stunde, das Moyses gantz muste undergehn, auch das der sabbat im newen testament zuhalten unnöttig sey, sowol als das ime des herren [tag], der achte oder sohnntag billich forgezogen 147 wurde. Das decret 148 hatt vom sontag ein gute ursach geben, namblich zu verhüeten, das die 149 Christen mit dem judenthumb nit besudlet, noch die leüt mit dem judenthumb begriffen werden. Wo sunst ein rechte 143 144 145 146 147 148 149

Am Rand: 12. Marginalie: Nota. Am Rand: 13. Am Rand: 14. Konjiziert; Text: fort gezogen Marginalie: dies dominicus a Victore institutus. Konjiziert, da fleckig

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aufrichtige sach ist, mus man sie nit aus ansehen der person, sonder aus ir selb und der billicheit richten. Wer der sabbat für sich im Christenthum nöttig eingesetzt, alsdan wolten wir von dem, das etliche personen darbey gethon, auch reden. 5

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Das 150 nit alle versamlungen der Christen auch nit uberal am sabbat gehalten sein nach Christi zeit, soll hernah beweyset werden. Der achte tag oder sohnntag ist bald zur apostel zeit bey den heyden zur versamlung bestimmet und angenomen, auch auf seinem ort beliben. Sonder von disem will ich ein wenig im nechst künfftigen artickel herfür bringen, daraus man soll sehen, das Fischer auch alhie nichts schliessen noch erhalten kan. Auf 1 5 1 das ist 152 leicht aus dem vorrigen bericht antwurt zuo geben. Die geistlichen gebott Gottes im gesetz Christi bleiben ewig, nit die eüsserlichen im gesetz Moysi. Hette mein hebreischer apostel gelernt, wie es mit dem olam und leolam zugienge, welches ich droben gedacht, hette er das wort ewig alhie nit für die ewige ewigkeit verstanden, wer auch nit mit allefantzen begriffen, wiewol im gleichwol darbey nott gewest, das er den Baruch fleissiger hette zuo handen genomen und angesehen. Hiemit hab ich auch sunderlich meinem Fischer auf sein argument in kurtzer und schlechter meinung antwurt geben wollen, in welchen stuckhen, wan ich die schrifft miteinbringen und dem schreiben räum hett geben wellen, wer es allein zuo einem büechlin gnug gewest, darin man unsern losen apostel mit seiner kunst, lehr und sabbat wol hett sollen irrig vermerckhen, wan er gleich noch einmal den eüsserlichen sabbat mit Moysi taflen hett wollen schützen. Es soll bey diser antwurt bleiben, das ich forthin zum end kome. [fol 50 v ]

Das Fischer ganlicht vermocht hab zuo bewehren, das er mich beschuldigt, ich hett die gegensprüch fälschlich angezogen. 153 25

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Seyttemal ich nun hab an den tag bracht, wie diser Andre Fischer den sabbat und zehen gebott Moysi gar nit hat mögen schützen, also, das der sabbat im newen testament nöttig zuo halten und Moysi zehen gebott noch darinnen mit iren tafflen räum hette 154 , sonder aus lauter irtum und unuerstand daruon lehret, will ich hernach anzeigen, wie er hab etlich sprüch, welche ich in meiner antwurt auf des Osswaldts büechlin vom sabbat angezogen, verstehn und annemen mögen, obwol aus den vorrigen articklen ohn alles dunckel vermerckt wirt, das er die selbige antwurt und schreiben mit grund und urtheil nit hat mögen richten, als der diser Sachen gar kein eigentlichs wissen tregt und mit all seiner lehr und kunst zuo wenig darzuo gerüstet sey. Er hat geschriben, ich hett die sprüch feischlich angezogen oder dieselbigen keinswegs auch in den kleinsten mögen beweissen, sonder wie zuuor in andern stuckhen also gleich in disem aus gedunckhen, ohne witz und thorheit gehandelt.

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Am Rand: 15. Am Rand: 16. Konjiziert; Text: ich Am Rand: VIII. Marginalie: das Moysi 10. gebott im newen testament nit räum haben.

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Den text Math: 5[17] 155 von der erfüllung des gesetzes und auflösen der gebott hat er nie gelernet. Er ist hart wider sein lehr und sabbat, welches zuo seiner zeit wirt beweisset werden, dan ich hab noch aus Gottes gnaden Vorrat und schrifft gnug wider dise irrige und ungelerte Moysesprediger und judengenossen. Zuo den Ro: 10[4], da geschriben ist 156 , Christus ist die volle des gesetzes einem jeden glaubigen ec., sieht er nit, das Christus mus des gantzen gesetzes, nit eines theils, volle und endtschafft sein, welches doch alle Christen und in heiliger schrifft verstandige bekennen müessen, unangesehen disen sabbatfischer, dan wie möchte sunst die gerechtmachung des gesetzes allen glaubigen gantz widerfahren und in inen erfüllet werden, wan sie einstheils vom gesetz Moysi kerne oder darbey, nit aber bey Christo dem herren allein gehollet oder gehoffet solte werden. Wer nun Christum hat, der hat auch alles gesetz, allen willen, allen sitten, befelh, gericht und gefallen Gottes; er hat es alles, welcher Christum besitzt, dan Christus ist die volle und summa aller ding, Eph: l[22f], Col: 2[9f|. Ein solcher ist in Christo vor Gott volkomen und erfüllet, darf weiter, als zur Seligkeit nöttig, weder Moysi zeheft gebott, noch diser Fischer sabbat oder auch was anders im himel oder erden auswendig Christo, bey Gott. Wer zuo Christo kommet, den wirfft er nit von sich, weder zuo Moyse noch sonst jemandts anders, sonder behelt in, nehret in und macht in gantz gesund und seelig. Wan ich darnach weiter geh und will sehen, welches die sprach sein, die mein Fischer, als von mir feischlich angezogen, beweiset und darstellet, findt ich erstlich vil unnützer irriger thedung, darnach, das er etlich sprach, [fol 51r] so ich anzogen, nie verstanden, darzuo, das er wol etliche hat fürgenomen anzuogreiffen, sunder sie sein im zuo starckh gewest, also das er sich darfür geförcht, und ist füraber gedrabt; an etlicher sprach statt einen andern tandt aufgeschriben und also seines sabbats und zehen gebott offt gar vergessen und damit dem Osswalt sein sach mit seiner eignen fischerey gar verlohren. Etwa hebet er ein klagen an und last sonst alles ligen, aus welchem allem ich dan sich, das ich mein sprach recht angezogen und mein Fischer sie 157 feischlich verstanden, auch mich feischlich beschuldigt hat. Also sollen aber fischen und bewehren solche Moysischuler und judengenoss, auf das man sie kennen mög und vor inen sich verhüeten. Die Sprach Exod: 31[12-17], Ezeh: 20[10-26], 37[24 od. 26], Esa: 56[l-8], 58[13f], 66[23] hat er nach seiner kunst und gewonliche meysterschafft verstanden und gehandelt auch also, das sie wider in und sein lehr gantz klar stehn bleiben. Im 118. Psal: [Ps 118,24] hat er den text vom tag des herren nit sehen mögen, allein ist ihm das hosianna fürkomen. Demnach dise gesellen ein psalmichen nit mit grund gelernt haben, gleich wie auch Apoc: 1[10], so doch an beyden orten vom tag des herren gantz klar geschriben ist. Daramb sag ich noch: Hat der herr aller herren und könig aller könig, Jesus Christus, einen eignen tag, so ist es billich, das sein volckh ires herren tag helt und heyliget umb ires herren willen und nit Moysi, welcher nit der herr sonder allein ein knecht im haus gewest ist, Heb: 3[5], Solcher tag des herren ist nun der achte oder sonntag, daraus folget, das in die Christen mit aller billicheit halten und heyligen. 155 156 157

Am Rand: 1. Am Rand: 2. Konjiziert; Text: sich

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Vom newen himel und erd aus dem Esaia im angezeigten Capitel158, und wie Petrus sagt von dreyerley Wandlungen himels und der erden159, ist im sehr frembd fürkomen, dieweil sich 160 solche und andre sprüch nit blettern lassen, sonder es gehört was mehr darzuo, dan diser Moysesprediger verstet. Es ist nit sein artickel gewest vom himel und erd, sunst halt ich wol, er wurd was lenger und mehr daruon gefischet haben. Wo bleibt es nun, das Fischer von grosser falscheit gesagt, so er sie doch nit vermag zuo beweissen? Was ist, das er sich vermessen, den sabbat und tafflen Moysi im Christenthum zuo schützen, dieweil er eins gleich sovil trifft, als das ander? Was wer es auch nutz oder fromen, wan ich jetzund meinem Fischer vil sprüch vom sontag oder achten tag abermal aufschribe, so ers vor seinem unuerstand und irthumb vom sabbat gleich so wenig sehen, als bedenckhen mag, seitemal er allein uberhin [fol 51 v ] fischet und eilet zuo seiner versamlung und Ordnung, auf das er sie nit versäume noch darin 161 Verliese, und also durch sein gantz buoch kein text der heyligen schrifft hatt nennen mögen, in welchem der eüsserlich sabbat als nöttig im reich Christi und im christenthumb indert befolhen, gewirckt oder gefordert wer von der zeit Christi bis auf heutigen tag. So ich aber zuuor die zwen sprüch 1. Cor: 16[2] an einem der sabbater leg ein jeder under euch bey sich und Actor: 20[7] an einem aber der sabbaten ec. zuo behalten die büllicheit des sontags, auch zuo bezeugen, das die versamlung der Christen bey der apostel gezeiten an einem der sabbaten, das ist am ersten tag nach dem sabbat oder am achten tag und sonntag sein gehalten, dabey das die heiden den sontag angenomen und zuo irer versamlung gestimmet, dem Osswalt hett fürgehalten, und mein guotter Fischer der keinen recht geziffert noch verstanden, hat er darbey seiner grobheit und torrheit manigfaltige und offenbarliche gewissenschafft lassen erscheinen. Darumb will ich mit im noch von disen Sprüchen ein handel anstellen, auf das er seine zehn nit vollendt daran ausbeiss, auch einsmals lehrne, kluger und besser fischerey zuo marckh bringen. Ich hab gesagt, das dise text reden von einem der sabbaten, das ist vom ersten tag nach dem sabbat, und vom achten oder sohnnentag; auch das eins alhie heisse, das erst, wie es dan bey den Hebreern und in der schrifft also offtmal gebraucht wirt und mein Fischer diss aus Osswalts büechlin leicht het lehrnen mögen. Solches sieht mein armer Fischer mit all seiner kunst seltzam an, heist dise sprüch ungewisse sprüch, wie sie auch bey im ungewiss und nie verstanden sein. Darumb will ich beweissen durch andere sprüch, in welchem von einem der sabbaten gesagt wirt, das eins das erst heisse, und ein tag der sabbaten heiss der achte tag oder erste nach dem sabbat, und sey also unser sontag. Math: 28[1] steht: Des abents der sabbaten, welcher aus scheinet an einem der sabbaten ec., und Mar: 16[1]: Und sehr früe an einem der sabbaten, auch Luc: 24[1], loa: 20[1]: Aber an einem der sabbaten ec. Nun horch, Fischer, ein wenig! Lieber sag, wie verstehest du dise sprüch? Sein sie nicht den vorigen zweyen gleich, in dem das sie von einem der sabbaten sagen? Sein sie dir ungewiss? Mein Fischer, ich halt es gantz darfüir, das sie dir ungewiss sein, auch das du sie gar nit verstehest mit all deiner kunst und sabbat, so doch der sabbaten

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Jes 66,22. 2. Petr 3,10 Konjiziert; Text: sie Dittographie: noch darin

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darinnen gedacht wirt, und du hettest je nit dariber hinblettern noch rumplen sollen, darzuo, was du selbs nit verstüendest, andere zuo lehren, als wustestu es gewiss, die warheit zuo belestigen und christlihe lehr zuo besudlen, nit understehn, das aber eins alhie das erst heiss, hette dich Hieronimus an etlich andern orten und in der vierten frag zur Hedibia 162 wol mögen lehrnen, wan ir Moysesgesellen auch zuuor wol umb wollet sehen, eh dan ir solchen irthumb in die [fol 52 r ] weit brechtet, wan ir ewger Unwissenheit und torrheit möchtet lernen können, sonder ich will, das eins das erst heys, mit einem aus den vorrigen zeugen bewehren, das ist Marcus am 16.[16,9], da er spricht: So er aber wer erstanden fruo am ersten tag des sabbats - hörstu dise auslegung Fischer - wirt es schier gewiss sein, das ein der sabbaten heis der erste tag der wochen oder nach dem sabbat. Der ander ist Joannes 20[19]: So es aber abent war an jenem tage, welcher ist der ein der sabbaten ec. den tag, welchen zuuor Joannes den einen der sabbaten genant 163 , denselben heist er jetzund widerumb den einen, das ist den ersten der sabbaten. Daraus gnugsam offenbar ist und beweisset, das ein tag der sabbaten heys den ersten tag nach dem sabbat und das es der achte und sonntag sey. Dan der sonntag auf hebreisch der erste oder ein der sabbaten genennt wirt, unangesehen, ob es mein Fischer nit gewust hatt. Dieweil nun 164 dem also ist, und Paulus zuo Corintho hat heysen an einem der sabbaten einen jeden was bey sich legen, ist offenbar, das die Christen am selbigen tag, wie der text weiter lernet, zuosamen sein komen, und sich vorsamlet haben, darzuo dieweil an einem der sabbaten Paulus zuo Troade 165 das brot gebochen 166 , kan niemand verstendiger leugnen, es sey am achten tag oder am sontag und nit am sabbat geschehen, und also die ankunfft unsers sontags von der apostel zeit, auch das die Christen daran versamlungen bald in erstem anfang bestellet und in zuo irer samlung bestimmet haben, darzuo, das sie in noch heut billich halten, vertygen und mit recht begehn, gantzlich mag vermercket werden, als auch, das ausschliessen des eüsserlichen sabbats im christenthumb nöttig zuo halten. Darumb alhie dises Fischers sach mit dem nöttigen sabbat mit schütz und schirm endtlich mus irrig und unrecht getheilt sein und bleiben, wie ein jeder gottförchtiger bey im selb wol mag gedenckhen. Unser jetz genanter verkerer des wahren euangelii Christi, der ungesandt umblauffer und lose Fischer, hat in seinem gezifferten und irrigen buoch sich nit geschamet, die ehesten vätter und lehrer der christlichen kirchen, welche ich mit eingefürt, einstheils zuuerachten, ein andern mit schmehworten zuo besudlen nach solcher gesellen art und gewonheit, welche nichts gelernt, auch nichts sunderlichs gelesen und sich dannoch beredt haben, das sie durch umblauffen sein sehr gelert und apostel worden, und alle ir kunst stehet in nichts lesen, noch sich 167 weiter umbsehen auch also, das sie die bibel die helffte und dannoch durch frembde äugen kaum mögen 162 Hieronymus, Epist. 120,4 (CSEL 55,482f - Ad Hedybiam de quaestionibus duodecim). Die 4. Frage der Hedybia, Tochter des gallischen Rhetors Delphidius, lautet: »Quomodo iuxta Matheum uespere sabbati Maria Magdalene uidit dominum resurgentem et Iohannes euangelista refert mane una sabbati eam iuxta sepulchrum flere?« 163 Joh 20,1 164 Konjiziert; Text: nur 165 Troas 166 Apg 20,7 167 Konjiziert; Text: sie

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ubergehn und derohalben nichts dan irren und fehlen miessen. Gleichwol dasselbig hindangesetzt, will ich noch einen herzuo schreiben, [fol 52v] den diser Fischer, er wolle dan ohn allen synn und vernunfft handien, gar mit nichten wirt können verunehren; nicht das ich sein gros bedürffe, sonder das dem leser damit gedienet, und ehr, der Fischer, also sehe, wie wahr es ist, das ich gesaget, das der sonntag von der apostel zeit herkomme und billich gehalten werde, das auch zuuor leüt gewest, welche den sabbat, wo er nöttig im christenthumb zuo halten, vor disen sabbatgesellen wol hetten an tag bracht. Und ist der heylig bischoff und grosse gezeug Jesu Christi Ignatius, ein jünger des lieben S. Joannis des euangelisten, diser hett von unsrer sachen des sabbats und des sontags mit anderen stuckhen nachfolgende meinung in seiner epistlen geschriben. In der vierdten spricht er also: Welcher den sontag oder sonnabent wirt fasten, ausgenomen den einigen ostersonnabent, der ist ein mörder Christi.168 Nun hatt je der heylig Ignatius noch bey der zeit der apostel gelebet und ist umb Vespasiani des keysers zeiten ein bischoff zuo Antiochia gesetzt, wie die historien und cronickhen solches beweysen, das ist lang vor dem bischoff Victore zuo Rom. Und so er vom sontag geschriben, hat je der sonntag miessen zur selben zeit gehalten und im brauch bey den Christen zuo Antiochia und in umbligenden gemeinden gewest sein. Uber daselb folgent sprüche Ignatius: Welcher mit den juden wirt ostern halten oder annemen ire feyrtag, der wirt theil haben mit denen, welche den herren und seine jünger getödtet, ec. 1 6 9 Zuuor in der andern epistel stet solche meinung: Darumb sollen wir nit sabbat auf jüdisch halten, als freweten wir uns des missigangs oder feyrens, dan welcher nit arbeit, der soll nit essen [2. Thess 3,10], und ferner, in dem schweiss deins angesichts wirstu dein brot essen [Gen 3,19], sagen die heyligen schrifften, aber ein jeder under euch soll geystlich sabbat und feyr halten, soll sich frewen mit der betrachtung des gesetzes, nit aber durch ruo und nachlessigkeit seines leibes über dem werckh Gottes sich verwundern, als ein jud, welcher nit allerley isset, trinckhet allein, was lälecht und lind ist, geht nach der messen und zill, hett alein jetzund ein schreckhen und hupfen mit seinen henden, sunder anstatt des sabbats soll ein jeder Christ feyren und begehn den tag der aufferstehung des herren, der ein königlicher und der aller höchste tag ist under allen tagen, von welchem der prophet mit harren gesaget, zum ende umb den achten170, an welchem tag nit allein unser leben aufgegangen ist, sonder auch ein uberwindung unsers todts geschehen in Christo, welche die kinder des verdamnus verleügnen, nach dem sie feind sein des heylandts, welcher Gott ist der bauch, die da jüdisch111 gesinnet sein, liebhaber der wollüst und nit Gottes; sie geben wol für ein gesta.lt der frombkeit, oder gottseligkeit, sunder verlaugnen ir krafft, kaufschlagen [fol 53r] mit Christo dem wort Gottes, predigen in offnen tabernen, verlaugnen unsern herren Jesum Christum, betriegen und verderben die weyber, begeren frembd guott und haben das gelt lieb ec. 172 In diser S. Ignatii meinung wol verstanden wirt, was sich die Christen des sabbats und sontags halben sollen verhalten, darzuo was leüt er beschreiben, welche wider sein lehr wehren und nachmals sein wurden; ob nun nit auch Osswalt, Fischer und andere iren gesellen und juden168 169 170 171 172

Ps.-Ignatius, Ad Phil. 13 (PG 5,938B) Ps.-Ignatius, Ad Phil. 14 (PG 5,939A) Ps 6,1 und 11,1 Vg.: »In finem, pro octava.« Ps.-Ignatius nach PG 5,770: »terrena«, vgl. Phil 3,18f. Ps.-Ignatius, Ad Magn. 9 (PG 5,767-770)

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genoss darzuo gehören und alhie troffen werden, dieweil sie, wie Ignatius verner saget, Christum wol mit der zungen reden, aber doch das judenthum im hertzen tragen, so doch die Christenheit nit ins judenthum geglaubt hat, sonder die juden ins christenthum ec. 1 7 3 , will ich die alle, welche S. Ignatii meinung mit aufmerckhen läsen, und obgenante gesellen mit irer lehr und fürhaben können, richten und jetz bey S. Ignatii spruch bleiben lassen. Diser Fischer hat auch was vom sontag in seinem buch zusamentragen, welches zum grösten theil wider in selb wirt befunden werden. Darf auch nit grosser müe, wan ich mich anlasse, dasselbig öffentlich zubewehren; darzuo wolt ich mehr und andre schrifft und zeugnus hieran mit Gottes hilf wissen zuschreiben. Ich wils aber auf ein ander zeit, wo es von nötten sein wirt, verschieben und allein noch ein stuckh mit Fischern in disem handel fassen, welches im nachfolgenden capitel sich wirt erzeigen.

Von etlichen andren beschulden und stuckhen in Andre Fischers büechlin. 174 15

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Es hat auch mein Fischer in seinem buch geraffelt und hin und wider gestrewet etlichen staub und sandt, mit welchen er mich, wan es nit besser wurde, under die äugen wurffe. Das sein etlich lose thedung, fablen und sagmerlin. Von denselbigen will ich mit im alhie was reden, auch etliche für die nasen stellen. Seine weyber thedung aber und die hystorien seiner gesellen sollen im zuo lohn bleiben. Wan er nun vil zürnet und brummet, so mus ich lachen. Und zwar dises Fischers gantz buch ist bey mir nit ein gering frewdenspil gewest, dan ich habe dise weschben, bremen und hurrnaussen mitte zuo in irem nest gestöret, auch under sieh 175 mit ernst und güete so uil desto freyer geschlagen, auf das sie doch herausfuohren, stehen und brommeten, ja zürneten und murreten, wo es sunst nit anders sein möchte, das man also seh, wie scharff ir stahel wer, was sie doch an kunst und lehr im schilt füreten, ja das es auf das papier köme, was sie zuo nest getragen und bruotet [fol 53 v ] hetten. Dieweil nun, Gott hab lob, das geschehen, warumb wolte ich es dan nit geren sehen, wan dise apostel und ungesante umbleüffer, die 176 ich dannoch gehren hett neher können mögen, widerumb murren, porren, stehen und brummen, dan ich hab solchs umb dise judengenoss wol verdienet. Spot und hon, neidt und hass ist mir auch sonst nit seltzam. Dise Moysesprediger sein nit die ersten noch allein, welche mich verhassen. Wan sie widerumb ein spil wollen machen, und mich dabeyhaben, Gott geb, sie schreyben oder halten gemein, soll inen vergunst sein, damit ich je lenger je mehr erfahr, wie es umb solche fromme menner und heyliger leütt mit kunst und lehr gethon sey. Derhalben sollen sie solches alles auch weiter macht haben, darzuo ist mir 1 7 7 ir schelten, lestern, schreyen und beschulden vil angenemer dan ir lob und

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Ignatius, Ad Magn. 10,3 (SC 10,104) Am Rand: Villi. Konjiziert; Text: sich Davor durchgestr.: ich Konjiziert; Text: ich mich

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gunst. Ich mus gleichwol mit Fischern von sunderlichen stücklein auch reden, und will es nit gar lang machen.

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Das erst soll diss sein, damit er sein buoch anhebet und mich beschuldet, ich hette meinen namen verschwigen, darumb, das ich in nit auf das buoch, welches er gesehen, geschoben hette, ja mit grossen buchstaben. Alhie hat Fischer nit mögen besännen, das ich im gar nichts, weder klein noch gros, irgent einmal zuo geschriben; darumb nit vonnötten gewest, meinen namen hinzuozesetzen. Die antwurt auf Osswalts büechlin ist im nit von mir noch aus meinen henden zuokomen, dan auch der Osswalt von mir in diser sach kein underricht noch antwurt je begert hat, sonder ich hab auf anderer herren befelh und begehr ein antwurt und underricht auf Osswalts schreiben gestellet und dieselbige den herren, welche mich darzuo beweget, uberantwurt. Von inen ist sie also dan an Osswalt und Fischern gelanget. Bey denselbigen herren, welchen mein schreiben zum fordersten zuogehörig, hab ich meines namens nit vergessen, des ich auch ir gezeugnus habe. Hat mein Fischer seinem buoch nit ein andere und bessere vorrede zuo geben wissen, wie ers auch nit gewust noch hat bedenckhen mögen, im ist zuo gach 178 auf den plan gewest, wer dises stücklein zuo ehren seinem sabbat auch wol dahinden bliben. Das ander, das er meinet, ich hab vil feist pfrüenden und sitze in eytel reichtum, des hab ich lachen müesen. Dan ich bin für mich selbst gar nit feist, so ist mein enthalt von geringen pfrüenden, das will ich alle die, so mich kennen, zeugen lassen. Fischer meinet, darumb das ich thumherr bin, es müessen auch lauter feiste pfrüenden umb mich hangen. Wol dörfte ich sie in diser zeit und alter, auch das ich meinem ampt zuo fürderung etliche tewre und guotte büecher neben mich kauffet; dannoch sein sie nit vorhanden, sunder wie dem allem danckh ich Gott, dem almechtigen, der mir das hertz geben, das ich mich an dem, so ich hab, beniegen lasse, der mich auch [fol 54T in mancherley müeh, unruo und arbeit darbey erhelt und ein auskörnen gibet. Mein Fischer mit seinen gesellen haben nit grosse noch kleine pfrüend, wouon sie aber sich enthalten, las ich sieh 179 besorgen. Dannoch weys ich wol, das sie in irem umblauff auch in Schlesien etliche feiste schaff, das sein reiche Schultheis und pauren, welche feiste bezalte güeter und vil legergelt im vorratt gehabt, nach sich gezogen und von irer woll inen pfrüenden gestifft haben. Was darnach gefolget und was es bedeüte, ist am hellen tag, darumb will ichs nit weiter anregen. Das drite, das er die bild oder götzen, wie ers nennet, alhie geren aus der kirchen hette, ist dises Fischers grosse sunder übrige und unnütze sorg. Aber dise sabbatgeseilen müessen sich nur umb das eüsserlich in den kirchen bekömern, das eüsserlich seubern, das innerliche unnd hertz bleib, wo es wolle. Er hielt es für ein grossen gottsdienst, wan man die bilder aus der kürchen trüge. Wan er aber die hertzen des volckhes mit götzen böser und irriger lehr verunreiniget, das soll eitel frömbkeit und heyligkeit heysen. Es gehn weder mich noch jenen die bilder in der kirchen was an, wie sie uns beid gar nit hindern. Ich hab keins hineingetragen, es stett mir auch nit zuo, ir keins herauszuotragen. Das sie nun in kirchen stehn, dunckht mich, sey nit grosser sorg wert. Darumb wolt ich Fischern und seinen geseien weiter ratten, sie liessen dise unnütze kümmernus bestehn, und beetten zuo Gott, dem almechtigen, 178 179

rasch, schnell Konjiziert; Text: sich

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das er inen die götzen der irrigen lehr, der gedichten frömbkeit, der bedeckhten hoffart mit vil andern götzen in iren hertzen wolte herfürtragen und sie können lassen, auch gnad geben, das sie herausgetragen wurden, damit mein Fischer sieh 180 weiter anzuobetten und für gros zuo achten, bald abliesse. Solches dunckhet mich, wer sorgen wert. Für die bilder in der kirchen sorgen, bringet wenig frommen. Zum vierten, wie ich zuuor geschriben, das, seytemal Jesus Christus unser Gott und herr in den ewigen sabbat eingangen sey, durch in und an im der eüsserlich figurlich sabbat Moysi erfüllet und aufgehaben, das er auch nun gnad und seinen geyst gebe, auf das all sein volckh, all seine glider zuo im als zuo irem herren und haubt in solchen sabbat komen mögen, das alle, die an Jesum Christum glauben, nun angefangen, in denselben sabbat einzuogehn, und halten den innerlichen sabbat und ruotag ires herren im glauben. Dieweil aber mein Fischer solches uberal nit gelernt noch kennet, verstet ers vom eingang leibs und der seien in die ewigkeit [fol 54 v ] bey allen glaubigen und vermeinet, es werd die urstandt des fleisches darmit verleugnet. Also vil weist diser Fischer von christlihem glauben, seinen werckhen und hendlen, und das, was des glaubens ist, von leib und seel vornembt, noch wollen solche apostel, gesante und lehrer der warheit nit allein genandt, sunder auch gerüembt und verehrt werden. Er meinet, wan die Christen in den sabbat ires herren Christi eingehn solten, so müesten sie es nur mit leib und seel thon, hielt den glauben alhie sonst einen eingang in solchen sabbat, dauon er dan gar nit wüste, so mus der sabbat des glaubens ein allegorischer und getreumbter sabbat sein. Aber mein Fischer solt nit ander hering erfischen dan faule, mit welchen er auch sein buoch so gar gefüllet, das nit nur ein guott nutz oder sunderlich pünctle im gantzen schreiben mag gefunden werden. Er soldte nur allein von Moyse sabbat fischen, von dem sabbat Christi und seines volckhes möcht er kein zeug finden. Es ist alles bey im verbletert und unbedacht. Gleichwol will ich von disem stuckh was reden. Paulus, Phil: 3[20], schreibet, das der Christen burgerschafft im himel sey, und es ist recht und wol geschriben. Solte aber Paulus darumb die urstandt des fleisches verlaugnet haben? Dieweil Fischer nit weist, wie es zuogeth, auch die schrifft an den orten, an welchen diss klerlieh geschriben stett, gar nit kennet, mus die himlische burgerschafft so vil gelten, als das darumb die Christen mit leib und seel schon im himel sein, darumb so ir burgerschafft im himel ist und sie Gottes haussgesindt sein, Eph: 2[19], auch, wie Paulus daselb zuuor spricht 181 , das sie von Gott in Christo mittegesetztsein ins himlisch wesen. Hat hie abermal Paulus die urstendt des fleisches aufgehaben? Ich hab darzuo vom glauben geredt, wie kan mans dan leiblich verstehn? So lassen wir aber disen Fischer fahren mit seiner irrung und Unwissenheit, auf das auch das end dises schreibens schier kome. Noch vil mehr stuckh hett ich ursach gehabt, mit Fischern zuo handien. Folgendte soll aber jetzund das letst sein, das ich sage, schreibe und halte, das Fischer und seiner gesellen lehr, ampt, dienst, sacrament, Ordnung und versamlung oder gemein unrecht sey, ist wahr; ich bekehnne mich darzuo öffentlich, unangesehen es gefall disen gesellen oder sey inen gantz widerig. Ja, ich sag nochmehr, das es ohne Gott, gnad, krafft, geyst und gedeyhen ist, auch irrig und strefflich, das sie darzuo weder von der christlichen tauf noch von des herren nachtmal nichts rechtes noch warhafftiges 180 181

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wissen noch halten, sonder dem thuen oder nachthuen ist alhie nichts, auch offt strefflich, recht thuen und verstehn ist die meysterschafft. Ich sihe auch Fischern mit andern tauf- und Moysesgesellen gar nit für die an, für welche sie sich verkauften, und weys wol, das sie es nit sein, mögens darzuo nit glaubwirdig wahr machen. Ir gerechtscheinen182 [fol 55r] aus vermögen der krefften des fleisches und anzeigen der schrifft findet bey mir nit die stelle eines christlichen, sonder eines gedichten und geferbten wandels. Wan sie sagen und schreiben, sie sehen gantz klar, haben die erstling des geystes, seint der gantzen weit kericht, schawspiegel und schabab 183 von Christi und der warheit wegen, widersprich ich das und sag nein darzuo. Es sein auch andere mehr auf der baan, kinden sich wol rüemen: Sich der gebott Gottes!, aber was sie von Gott und seinen gebott wissen und lehrnen, soll diss mein schreiben bewysen; wollen vom sabbathalten gepreist sein. Ich sihe aber, das sieh 184 wenig still sitzen und mit gleysnerey und triegerey umbgehn; wers mit inen helt und inen folget, der ist geistlich. Darumb warne ich jederman vor in und bleibe dieweil auch fleisch und bluot; sie sein aus eignem guottdunckhen meyster worden, aber nie schuoler gewest, derohalben ir Ordnung und gemein auch also ist, wie bey solchen meystern mus erfunden werden. Was mit warheit geystlich ist, mögen sie nit suchen, seindt heimlich wider Christum den herren. Seines geistes hören sie nit alle gehren gedenckhen, haben einen eiffer umbs judentum und eignen rhum, bekömern sich umb den sabbat, den Scheidtbrief und Moyses gerichte, mit dem wenigsten aber umb Jesum Christum, umb sein ehr, reich und warheit, umb die rechte gesundte christliche lehr, dan sie haltens darfür, sie haben das nun alles aus gelernt, es sey inen zu gering, es diene wenig für ir Ordnung. Das sage, schreibe und halte ich von Fischern und seinen tauff- und sabbatbrüeder zur ehr Jesu Christi und zum preys christlicher oder gesunder lehr, das sie nit lang darnach dürffen kummer tragen, wellen anzeigen, hinwider sollen sie macht haben, zuo sagen und schreiben, was inen wol gefellet, auch ire jacobsmuschlen aufzuohenckhen, bis ich der gewar werde, auf dem mantel; als dan will ich sie mit der hilf Gottes wol wissen abzuschreiben 185 . Das sey auch ein theil der Ursachen, umb welcher willen sich jederman soll vor inen hieten und mit ernst von 186 irer lehr, Ordnung und samlung sich enthalten. Gott, der allmechtig ewig himlisch vatter, wolle aus seiner milten barmhertzigkeit umb Jesu Christi seines sohnes und unsers herren willen sein warheit, der reine gesunde und christlihe lehr, in dem heyligen geyst zuonemen und syg zu seiner ewigen glori, allen menschen trost und heyl, auch zur abtilgung aller irthumb gnediglich verleyhen bekomen und widerfahren lassen. Amen. Endt dises büechleins.

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Konjiziert; Text: Ire geriht scheinen Kehricht, Abfall Konjiziert; Text: sich Konjiziert, da undeutlich Konjiziert; Text: vor

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1.3. Caspar von Schwenckfeld: Brieffragment vom 18. Jan. 1532

Bei dem im folgenden wiedergegebenen Text handelt es sich um das Fragment eines Briefes aus dem Freiherr von Scheurlschen Familienarchiv (Manuskriptband G, fol.l32r-133r). Der Adressat wird nicht genannt. Es könnte sich um den Geistlichen Johann Haner handeln, der mit Scheurl verkehrte. Der Brief Schwenckfelds an Haner vom 18. Nov. 1544 (CS 9,151Jf) zeigt, daß er öfter mit Haner korrespondierte (vgl. SEEBASS, Caspar Schwenckfeld'S Understanding of the Old testament, S.95). Prof. Seebaß hat mir seine Abschrift des Brieffragmentes freundlicherweise zur Edition an dieser Stelle zur Verfügung gestellt.

[fol 132T 18. Ianuarii.

5

10

15

De conflictu Helveticorum et bello isto novo puto te abunde ex amicis cognovisse. Summa sie habet: Zwinglius cum suis Tigurinis oeeubuit; quinque pagi superiores bello fuere. Tigurinos simul etiam Bernâtes ad turpem concordiam coegerunt 187 nempe, ut omnibus ruptis federibus deineeps se alienis haudquaquam adiungant. Basiiienses etiamnum constanter in foedere persévérant. Predicatur tarnen euangelium illud libere etiam hodie apud Bernâtes et Tigurinos 188 , ut non videam, quod papiste habeant, in quo tantopere glorientur. Occubuerunt cum Zwinglio duo abbates, alter de Capella, alter de Einsideln, commendator unus, canonicus prelatus Tigurinus et decern parochi rurales. Neque aliud seminarium huius pernitiosissimi dissidii mihi fuisse videtur quam coactio ilia nova, qua quosvis in leges nostras pertrahere conamur. Zwinglius pensiones, ut vocant, abrogare studuit, at cum illi, unde alias vivant, non habeant, miro clandestino odio affecti postea se talem reformationem ferre non posse, publico argumenta declararunt. Plura adderem, ni ligna in silvam me portare putarem, quum res etiam a pueris vel in plateis nunc declametur. Si autem ex me desiderabis, significa! Oecolampadius morbo, quem cancrum vocant, periit. Episcopus Spirensis cum D. Frederico Palatino missus est, ut pacem perpetuam inter Turcam et Caesarem nostrum ac Ferdinandum reges statuat.

20

Eslinge hoc mense altaria sunt destructa, misse abrogate, imagines e templis eiecte. Capito profectus est per Basileam et Constantiam Augustam ibi aliquamdiu conciona turns.

25

Francofordii simul fuerunt legati omnium, qui a parte euangelii illius stant, novum, ut aiunt, foedus istic statuentes aut pristinum roborantes; aiunt Francofordii nonnullos moliri, ut istic etiam missa abrogetur. 187 188

danach gestrichen: ut etiam bis Tigurinos übergeschrieben u. eingewiesen

300

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[fol 132v] Anabaptiste passim occiduntur; in ditione Ferdinandi et Marchionis Badensis quatuor brevi extincti sunt; nobiscum 35 simul in carceres coniecti paulopost expulsi sunt 21 aut 22, quibus tantum impune relictis ea tarnen conditione, ut neminem deinceps fratrum suorum hospitio excipiant et a conventibus abstineant. 5

10

15

20

Quidam Pilgramus antesignanus eorum coram toto senato duobus ferme diebus de discrimine veteris et novi testamenti atque de baptismo parvulorum cum Bucero disputavit, verum nihil plus effecit, quam ut illi civitate interdiceretur. Osvaldus quidam sabbatum iudaicum sub necessitate salutis in Moravia instituit, ob quam rem D. Baro de Liechtenstein Capitoni et mihi scripsit misso libello Osvaldi et petiit, ut argumenta ipsius confutaremus. Feci ego, quod dominus suggessit et responsum his diebus D. Baroni misi. Scripsi de discrimine veteris et novi testamenti eo libentius, quod videam huius articuli ignorantia, quicquid ipsiam est, errorum oriri ac emergere. Addidi preterea de abrogatione legis, cur quatenus et quomodo quibus denique lex sit abrogata. Tertio de discrimine sabatis figuralis et veri, Iudaici et Christiani, et quod oporteat omnes, quotquot salvi esse velint, hic sabathum ingredi Christiani per fidem, quod Osvaldus in aliud seculum reservat. Dominus, queso, pervehat veritatem in suam gloriam, Amen. [1331 Sebastianus carceribus hic mancipatus est propter chronicam suam. Erasmus hominem apud nostras senatores detulit in hoc accusatus, quod proverbium de scarabeo et aquila chronicis Cesarum prefixit idque misterii sutoribus et cerdonibus communicarit, quod Erasmo ad seditionem facere videtur cogitur ad biennium exulari. Proverbium de scarabeo et aquila chronicis Cesarum preambulum.

2. Verzeichnis der Quellen und der Sekundärliteratur

Die Abkürzungen folgen dem Abkürzungsverzeichnis der Theologischen Realenzyklopädie (TRE), zusammengestellt von Siegfried SCHWERTNER, Berlin, New York 1976.

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308

Anhänge

Franz: Das Verbot der opera servilia in der Heiligen Schrift und in der altkirchlichen Exegese, in: ZKTh 69 (1947), S. 257-327.417-444. PFISTER, KG der Schweiz = PFISTER, Rudolf: Kirchengeschichte der Schweiz, Bd. 2, Zürich 1974. PG = Patrologiae cursus completus. Accurante Jacques-Paul Migne. Series Graeca, Paris 1857-1866. PIAGET, Arthur (Hg.): Les Actes de la Dispute de Lausanne 1536, Neuchatel 1928 (MUN 6). QGT 1 = Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer, Bd. 1: Herzogtum Württemberg, hg. v. Gustav Bossert, Leipzig 1930 (QFRG 13). QGT 2 = Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer, Bd. 2: Markgraftum Brandenburg, Bayern, I. Abteilung, hg. v. Karl Schornbaum, Leipzig 1934 (QFRG 16). QGT 7 = Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 7: Elsaß, I. Teil (Stadt Straßburg 1522-1532), hg. v. Manfred Krebs und Hans Georg Rott, Gütersloh 1959 (QFRG 26). RATKOS, Petr: Die Anfänge des Wiedertäufertums in der Slowakei, in: Aus 500 Jahren deutsch-tschechoslowakischer Geschichte, hg. v. Karl Obermann und Josef Polisensky, Berlin 1 9 5 8 , S. 4 1 - 5 9 . RAVEAUX, Thomas: Augustinus über den Sabbat, in: Aug(L) 3 1 ( 1 9 8 1 ) , S. 1 9 7 - 2 4 6 . REU, Quellen = REU, Johann Michael (Hg.): Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600. Erster Teil: Quellen zur Geschichte des Katechismusunterrichts, Bd. 1 (Süddeutsche Katechismen), Gütersloh 1904, Bd. 2,2 (Mitteldeutsche Katechismen), Gütersloh 1911, Bd. 3,2 (Ost-, Nord- und Westdeutsche Katechismen; in 3 Teilbänden mit durchgehender Paginierung), Gütersloh 1916-35. ROGGE, Joachim: Luthers Stellung zu den Juden, in: Luther 4 0 ( 1 9 6 9 ) , S. 1 3 - 2 4 . RORDORF, Willy: Sabbat und Sonntag in der Alten Kirche, Zürich 1 9 7 2 (TC 2 ) . RORDORF, Willy: Der Sonntag als Gottesdienst- und Ruhetag im ältesten Christentum, in: ZEE 7 (1963), S. 213-224. RORDORF, Willy: Der Sonntag. Geschichte des Ruhe- und Gottesdiensttages im ältesten Christentum, Zürich 1962 (AThANT 43). ROSENTHAL, Erwin I.J.: Kirche und Synagoge: Jüdische Antwort, in: Kirche und Synagoge, hg. v. Karl Heinrich Rengstorf und Siegfried von Kortzfleisch, Bd. 1, Stuttgart 1968, S. 307-362. ROTONDO, Antonio: Art. Biandrata, in: T R E 5, S. 777-781. RUPP, Gordon: Andrew Karlstadt and Reformation Puritanism, in: JThS NS 10 (1959), S. 308-326. RUPP, Gordon: Patterns of Reformation, London 1969. SC = Sources chrétiennes, Paris 1941 ff. SCHEEL, Otto: Individualismus und Gemeinschaftsleben in der Auseinandersetzung Luthers mit Karlstadt 1524/25, in: ZThK 17 (1907), S. 352-375. SCHMIDT, Martin / Butscher, Josef: Art. Adventisten, in: TRE 1, S . 454-462. SCHMIDT, Roderich: Aetates mundi. Die Weltalter als Gliederungsprinzip der Geschichte, in: ZKG 67 (1955/56), S. 288-317. SCHULTZ, Seiina Gerhard: Caspar Schwenckfeld von Ossig. Spiritual Interpreter of Christianity - Apostle of Middle Way - Pioneer in Modern Religious Thought, Norristown, Penns. 1946, 19623.

PETTIRSCH,

Quellen- und Literaturverzeichnis

309

Schwenckfeld, Caspar von: Fragment eines Briefes vom 18. Januar 1532, Freiherr von Scheurlsches Familienarchiv, Manuskriptband G, fol. 132r-133r (siehe Anhang). SEEBASS, Gottfried: Art. Hut, Hans, in: TRE 15, S. 741-747. SEEBASS, Gottfried: Caspar Schwenckfeld's Understanding of the Old Testament, in: Schwenckfeld and Early Schwenckfeldianism. Papers Presented at the Colloquium on Schwenckfeld and the Schwenckfelders 17.-22. Sept. 1984, hg. v. Peter C. Erb, Pennsburg, Pa. 1986, S. 87-101. SEEBASS, Gottfried: Müntzers Erbe. Werk, Leben und Theologie des Hans Hut, theol. HabSchr. masch., Erlangen 1972. SEEBASS, Gottfried: Das Zeichen der Erwählten. Zum Verständnis der Taufe bei Hans Hut, in: Umstrittenes Täufertum 1525-1975. Neue Forschungen, hg. v. H.J. Goertz, Göttingen 1975, S. 138-164. Seuse, Heinrich: Deutsche Schriften, hg. v. Karl Bihlmeyer, Stuttgart 1907 (Nachdr. Frankfurt a. M. 1961). SIDER, Ronald J.: Andreas Bodenstein von Karlstadt. The development of his thought 1517-1525, Leiden 1974. SPAHN, Martin: Johannes Cochläus. Ein Lebensbild aus der Zeit der Kirchenspaltung, Berlin 1898. STIRM, Margarete: Die Bilderfrage in der Reformation, Gütersloh 1 9 7 7 (QFRG 4 5 ) . STUPPERICH, Robert (Hg.): Karlstadts Sabbat-Traktat von 1524, in: NZSTh 1, (1959), S. 349-375. Suppl. Melan. V,1 = Supplementa Melanchthoniana, Bd. V,l, hg. v. Ferdinand Cohrs, Leipzig 1915. TDEHC = Textes et documents pour l'étude historique du christianisme, Paris 1904-1914. Th.Dt. = »Der Franckforter« (»Theologia Deutsch«), hg. v. Wolfgang von Hinten, München 1982 (Münchener Texte und Untersuchungen zu deutschen Literatur des Mittelalters 78). The Sabbath in Scripture and History, ed. by Kenneth A. Strand, Washington D.C. 1982. Thomas von Aquin: In duo praecepta caritatis et in decern legis praecepta expositio, in: Thomas von Aquin: Opuscula Theologica, Bd. 2, hg. v. F. Raymundi, M. Spiazzi, Turin, Rom 1954, S. 245-271 (= § 1128-1332). Thomas, S. th. = Thomas von Aquin: Summa Theologiae, hg. v. P. Caramello, Turin, Rom 1952-56. THOMAS, Wilhelm: Der Sonntag im frühen Mittelalter, Göttingen 1 9 2 9 . TSCHACKERT, Urkundenbuch = Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte des Herzogthums Preußen, hg. v. Paul Tschackert, Bd. 2, Leipzig 1890 (PPSA 44). UNDERWOOD, English Baptists = UNDERWOOD, A. C.: A History of the English Baptists, London 1947. URBAN, Waclaw: Andreas Fischer, in: Bibliotheca Dissidentium VI, Baden-Baden 1985, S:71-88. URBAN, Waclaw: Andreas Fischer - ein radikaler Anabaptist und Spiritualist aus der Slowakei, in: Der deutsche Bauernkrieg und Thomas Müntzer, hg. v. M. Steinmetz, Leipzig 1976, S. 179-182. URBAN, Waclaw: Eine theologische Auseinandersetzung um den slowakischen Täufer und Spiritualisten Andreas Fischer, 1534, in: ARG 71 (1980), S. 149-159.

310

Anhänge

VETTER, Ferdinand (Hg.): Die Predigten Taulers, Berlin 1910 (Deutsche Texte des Mittelalters 11). VÖLKER, Ludwig: »Gelassenheit«. Zur Entstehung des Wortes in der Sprache Meister Eckharts und seiner Überlieferung in der nacheckhartschen Mystik bis Jacob Böhme, in: 'Getempert und Gemischet', FS f. W. Mohr, hg. v. F. Hundsnurscher und U. Müller, Göppingen 1972 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 65), S. 281-312. VOGELSANG, Erich: Luther und die Mystik, in: LuJ 19 (1937), S. 32-54. VOGELSANG, Erich: Zur Datierung der frühesten Lutherpredigten, in: ZKG 5 0 (1931), S. 112-145.

WA = D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (»Weimarer Ausgabe«), Weimar 1883ff. WAB = D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (»Weimarer Ausgabe«), Briefwechsel, Weimar 1930ff. WATR = D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (»Weimarer Ausgabe«), Tischreden, Weimar 1912ff. WACKERNAGEL, Kirchenlied = WACKERNAGEL, Philipp: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zum Anfang des XVII. Jahrhunderts, Bd. 3, Leipzig 1870. WAPPLER, Paul: Die Täuferbewegung in Thüringen von 1 5 2 6 - 1 5 8 4 , Jena 1 9 1 3 . WEIGELT, Horst: Die Auseinandersetzung Valentin Krautwalds mit dem sabbatistischen Täufertum in Schlesien, in: Bibliotheca Dissidentium. scripta et studia 3: Anabaptistes et dissidents au XVIe siècle, hg. v. Jean-Georges Rott und Simon L. Verheus, Baden-Baden, Bouxwiller 1987, S. 361-369. WEIGELT, Horst: Sebastian Franck und Caspar Schwenckfeld in ihren Beziehungen zueinander, in: ZBKG 39 (1970), S. 3-19. WEIGELT, Horst: Spiritualistische Tradition im Protestantismus. Die Geschichte des Schwenckfeldertums in Schlesien, Berlin 1973 (AKG 43). WEIGELT, Horst: Valentin Krautwald. Der fuhrende Theologe des frühen Schwenckfeldertums. Biographische und kirchenhistorische Aspekte, in: Les Dissidents du XVIe siècle entre l'Humanisme et le Catholicisme, hg. v. Marc Lienhard, BadenBaden 1983, S. 175-190. WHITLEY, W . T . : Seventh Day Baptists in England, in: BQ 12 (1947), S. 252-258. WILLIAMS, George Huntston: The Radical Reformation, London 1 9 6 2 ; 3rd ed., rev. and expanded, Kirksville, Missouri 1992 (Sixteenth Century Essays & Studies 15). WISWEDEL,

Glait = WISWEDEL, Wilhelm: Oswald Glait von Jamnitz, in: ZKG 56 (1937), S. 550-564. WOLF, Einheit = WOLF, Hans Heinrich: Die Einheit des Bundes. Das Verhältnis von Altem und Neuem Testament bei Calvin, Neukirchen 1958 (BGLRK 10). ZAHN, Theodor: Geschichte des Sonntags vornehmlich in der alten Kirche, in: ders., Skizzen aus dem Leben der Alten Kirche, Erlangen, Leipzig 18982, S. 160-208. ZEMAN, Jarold Knox: The Anabaptists and the Czech Brethren in Moravia 15261628. A Study of Origins and Contacts, Den Haag 1968. ZIEGLSCHMID, Chronik = Die älteste Chronik der Hutterischen Brüder. Ein Sprachdenkmal aus frühneuhochdeutscher Zeit, hg. v. A. J. F. Zieglschmid, Ithaca, New York 1943.

Quellen- und Literaturverzeichnis

311

Letters = ZIEGLSCHMID, A. J. F.: Unpublished Sixteenth Century Letters of the Hutterian Brethren, in: MQR 15 (1941), S. 5-25.118-140. ZIVIER, E . : Jüdische Bekehrungsversuche im 1 6 . Jahrhundert, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden. FS zum siebzigsten Geburtstage Martin Philippsons, hg. vom Vorstande der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums, Leipzig 1 9 1 6 , S. 9 6 - 1 1 3 . 3 ZÖCKLER, Otto: Art. Sabbatharier, in: RE 17, S. 291f. ZORZIN, Alejandro: Karlstadt als Flugschriftenautor, Göttingen 1 9 9 0 . ZORZIN, Alejandro: Karlstadts »Dialogus vom Tauff der Kinder« in einem anonymen Wormser Druck aus dem Jahr 1527. Ein Beitrag zur Karlstadtbibliographie, in: ARG 79 (1988), S. 27-57. 1 2 ZSCHARNACK, Leopold: Art. Sabbatharier, in: RGG V, Sp. 118f und RGG V, Sp. 8f. Zwingli, Werke = Huldreich Zwingiis Sämtliche Werke, hg. v. Emil Egli u.a., Berlin, Zürich 1905ff (= CR 88-101).

ZIEGLSCHMID,

3. Register

Bei kursiv gesetzten Zahlen findet sich der Beleg in den Fußnoten der angeführten Seite.

3.1. Bibelstellenregister

Gen 2,2f: 12, 15, 43, 132, 133, 137, 155 Gen 3,19: 128 Gen 13,16: 231 Gen 17,12: 201 Gen 26,5: 194 Ex 16,26f: 137, 194 Ex 16,29: 195 Ex 20,8-11: 12, 155 Ex 20,9: 176 Ex 20,10: 72, 137, 195 Ex 20,11: 176, 194 Ex 23,10f: 137 Ex 31,13-17: 12, 137, 173, 192, 200 Ex 31,16: 123, 200f, 203 Ex 35,3: 72, 195 Lev 16,31: 78 Lev 20,7.26: 71 Lev 23: 13 Lev 25: 73 Num 14,22f: 200 Num 15,32-36: 137 Num 28f: 13 Dtn 5,12-15: 12, 44 Dtn 5,14: 191, 198f Dtn 6,5: 60, 61 Dtn 7,11: 212 Dtn 10,16: 233 Dtn 30,6: 201, 233 Jos 10,12f: 208 Ps 90,4: 15

Ps 95,11: 200 Ps 118,24: 155, 156 Koh 7,2: 78 Jes 2,3: 201 Jes 11,2: 217f Jes 28,21: 19, 56 Jes 29,13: 154 Jes 56,4f: 211 Jes 58,13f: 76, 216 Jes 64,8: 21 Jes 66,23: 12, 25, 41, 81, 89, 101, 115, 123, 124, 173 Jer 4,4: 201, 233 Jer 9,25: 201 Jer 11,6: 212 Jer 18,6: 21 Jer 31,33: 191, 201, 211 Ez 20,12: 173 Dan 7: 246 Dan 8,14: 249 Hos 6,6: 73 JesSir 24,11: 29, 30 Mt 5,17: 140 Mt 7,12: 121 Mt 10,37: 57 Mt 12,1-8(12): 12, 124 Mt 12,9-14: 12 Mt 12,49f: 191 Mt 15,8f: 154 Mt 16,24: 51 Mt 19,19-26: 191

Bibelstellenregister Mt 19,29: 51 Mt 22,37f: 60 Mt 25,6: 249 Mt 25,10: 250 Mt 28,1: 145, 176 Mt 28,19: 140 Mk 2,23-28: 72 Mk 2,27: 73, 107, 173, 174 Mk 3,1-6: 124 Mk 10,17-27: 191 Lk 1,53: 28 Lk 6,5: 195 Lk 10,41f: 23 Lk 13,10-17: 12 Lk 14,1-6: 12 Lk 14,26: 51, 53, 5 7 Lk 14,33: 53 Lk 17,21: 102 Lk 18,18-27: 191 Lk 24,13.33: 245 Joh 5,1-18: 12, 195 Joh 5,44: 70 Joh 7,18: 70, 76 Joh 7,22f: 76 Joh 8,34: 13 Joh 15,12: 25 Joh 16,12f: 143 Act 2,38: 140 Act 8,12: 140 Act 19,5: 140 Act 20,7: 13, 15, 145 Act 21,18-26: 140 Rom 2,14f: 121 Rom 2,29: 61, 201 Rom 3,31: 196 Rom 6,4: 169

313

Rom 8,28f: 31, 93 Rom 13,8f: 197 Rom 13,10: 25 1.Kor 8,8: 196 l.Kor 15,28: 33, 173 l.Kor 15,44-46: 199 l.Kor 16,2: 13, 145, 176 2.Kor 3,16: 81 Gal 2,20: 37, 50, 116-118 Gal 2,21: 80 Gal 3,2-5: 42 Gal 4,5: 79 Gal 4,10f: 123 Gal 4,21: 79 Gal 5,2: 233 Phil 4,7: 30 Kol 1,27: 101 Kol 2,11: 201 Kol 2,16f: 12, 16, 25, 34, 115, 123, 136, 195f, 199, 202, 209 Kol 3,11: 31 2.Thess 3,10: 191 1.Tim 4,5: 129 Hebr 3,7-4,11: 12, 101, 132, 158, 173, 192, 200, 202 Hebr 4,4: 33 Hebr 8,lf: 249 Jak 2,10: 191 Apk 1,10: 13, 145, 166, 176 Apk 3,7f: 250 Apk 7,3: 250 Apk 7,4: 251 Apk 9,4: 250 Apk 13,18: 211 Apk 14,9.12: 250

314

Anhänge

3.2. Personenregister

Nicht aufgeführt sind biblische Personen und die Autoren der Sekundärliteratur.

Acontius, Jacobus 237 Agricola, Johann 108-110 Althamer, Andreas 108, 110 Ambrosius 97, 138 Andreas von Kremnitz 227 Aquila, Caspar 164 Augustinus, Aurelius 13, 14, 21, 33, 35, 47, 48, 54, 67, 82f, 138 Aumann, Joh. 166 Bader, Johann 108, 110 Balcar 234 Bampfield, Francis 244f Bates Joseph 250f Belcher, John 245, 246f Bethlen, Gabriel 239f Biandrata, Georg 237 Boethius 61 Boethius, Heinrich 164 Bonaventura 16 Bownd, Nicholas 242f Brabourne, Theophilus 244 Brenz, Joh. 109, 166 Brück, Gregor 231 Brunfels, Otto 109 Bucer, Martin 107, 110, 141, 162, 175f, 181, 226, 241 Buchfürer Michel 71 Bugenhagen, Joh. 123 Calvin, Johannes 85, 159, 162, 169175, 178, 181, 259 Capito, Wolfgang 85, 184, 189f, 191f, 195, 198, 201-203, 207, 220, 226 Chamberlen, Peter 244, 246f Chrysostomos 176 Chrytraeus, David 165 Cochläus, Joh. 137-140, 258 Corvinus, Antonius 166 Cromwell, Oliver 247

Cyprian 138 David, Franz 237f Dietenberger, Johann 180 Dionysius Areopagita 61 Dresser, Matth. 166 Eck, Joh. 50, 139-141, 143, 145, 147, 150-154, 158, 160f, 181, 225, 258 Eckhart, Meister 51,54 Eder, Georg 234 Eössi, Andreas 236-239 Erasmus von Rotterdam 230 Erhard, Christoph 234 Eusebius von Cäsarea 75/, 197 Farel, Guillaume 157f Ferdinand I., Kaiser 227, 232 Fischer, Andreas 86, 93, 95, 97, 184235 Fischer, Volkmar 227 Franck, Sebastian 178f Friederich, Chilianus 164 Friedrich II. von Schlesien 226f, 228 Fröschel, Sebastian 165 Furbity, Guy 157f Gieffthail, Joachim 164 Glaidt, Oswald 85, 88, 141, 184-235, 239, 252 Glirius, Matthias 237 Gräter, Kaspar 108, 110 Gryphius, Matth. 164 Hadamarius, Reinhard 164 Haug, Jörg 217f Hegendorfer, Christoph 108, 110 Hercko, Nikolaus 164 Heß, Joh. 105, 224 Hieronymus 97, 138 Hilarius 97 Hippolyt 15f, 216 Huberinus, Caspar 164

Personenregister Hubmaier, Balthasar 206-209, 220, 225f Hut, Hans 187, 206f, 209-219, 221, 224-226, 259 Hutter, Jakob 228 Ignatius 9 7 Irenäus 13, 14f, 216 Jacobi, Leonhart 165 Jessey, Henry 244, 246 Jonas, Justus 156 Josef Albo 139 Josel von Rosheim 229 Justin 14f Kantz, Kaspar 165 Karl I., König von England 246 Karl Ludwig, Kurfürst von der Pfalz 247 Karlstadt, Andreas (Bodenstein) l l f , 4685, 87f, 96-98, 102-106, 110-120, 122f, 128, 134f, 141, 159, 170f, 173, 175, 178f, 181, 198, 207, 215218, 226, 231, 235, 252, 255-257, 259 Kaumauff, Blesy 233 Konstantin, Kaiser 197, 212f Krautwald, Valentin 85-103, 185, 187, 190f, 195, 198, 204f, 219-222, 224, 226-228 Laud, William 242 Leonhard von Liechtenstein 85, 184, 188f, 202f, 206, 220, 226 Leonhart, Sebastian 164 Loener, Kaspar 109, 164 Lossius, Lukas 165 Luther, Martin: passim, bes. 17-45, 112-135, 146-154, 229-234 Maier, Marx 210 Maltiz, Johann von 180 Mathesius, Joh. 229 Mauwer, Thomas 166 Meckhart, Joh. 164 Meder, David 165 Melanchthon, Philipp 104-106, 110, 135-137, 140f, 143-155, 157, 160165, 174, 181, 216, 257f Methodius von Olympus 15 Meynertzhagen, Joh. 164 Miller, William 248 Moibanus, Ambrosius 165

315

Mörlin, Joachim 164 Müntzer, Thomas 198, 209f, 213, 216f, 259 Musäus, Simon 164 Musculus, Andreas 164 Musculus, Wolfgang 177 Neuser, Adam 237 Oekolampad, Joh. 109 Omichius, Franziskus 164 Opitius, Hieronymus 164 Orígenes 13, 14, 35, 138 Osiander, Andreas 166-169, 181 Oswald von Grießkirch 227 Palaeologus, Jacobus 237 Péchi, Simon 239f Pezel, Christoph 165 Pfeiffer, Heinrich 210 Pistorius, Joh. 165 Pooley, Christopher 247 Pooley, Thomas 247 Rákóczy I., Georg 240 Rhegius, Urban 164 Rörer, Georg 116, 120, 123 Sam, Konrad 110 Sarcerius, Erasmus 164 Schenk, Georg 52 Schiemer, Leonhard 207, 210 Schlaffer, Hans 207 Schlick, Wolf 229f, 231 Schuhhans von Landshausen 233 Schultz, Petrus 109 Schwan, Joh. 88 Schwenckfeld, Kaspar von 85-103, 106, 175, 181, 184, 188-190, 195, 198, 201, 207, 210, 219-222, 224-226, 230, 256f Seuse, Heinrich 5 1 , 5 4 Siber, Adam 164 Sigismund, Johann 237 Sorg, Simprecht (Froschauer) 206 Spangenberg, Joh. 164 Spervogel, Konrad 221, 222f Spittelmaier, Hans 206, 227 Stennett, Edward 245 Stredowsky 234 Tauler, Joh. 18, 21f, 24, 29, 31, 34, 48, 51f, 54, 55f, 58, 59, 66, 82 Tertullian 97, 138

Anhänge Tetelbach, Joh. 166 Thomas von Aquin 16, 138f, 243 Tillam, Thomas 244, 247 Toltz, Johann 109f Traske, John 244 Trotzendorf, Valentin 165 Varotto, Marcantonio 234 Victor I., Papst 197, 213 Viret, Pierre 158f Vulpinus, Laurentius 164

Walther, Georg 164 White, Ellen G. 249f White, James 249 Witzel, Georg 180 Wolffhart, Bartholomäus 164 Wunderle, Joh. (Bünderlin?) 227 Zäpolya, Johann 237 Zell, Matthäus 177 Zwingli, Ulrich 92, 107f, 141, 207, 226

Sachregister

317

3.3. Sachregister

Das Stichwort »Sabbat« ist wegen der Häufigkeit der Nennungen nicht aufgeführt.

Abendmahl, Herrenmahl 13, 142, 147, 203f, 215 Ablaßstreit 17 Absonderung 99-102 Adiaphora, adiaphorisch 95, 142f, 146, 148, 152, 156 Adventismus / Adventisten 185, 187, 247-252, 254, 260 Akzidenz 149f Alleinwirksamkeit Gottes 12, 24, 61f, 83, 255 Alltag, alltäglich 38, 40, 45, 77, 84, 114, 118, 256, 261 annihilatio 20, 36, 41, 59, 115, 169, 179, 255 Anthropologie, anthropologisch 18f, 21, 26f, 33, 34, 35, 119, 122, 124, 126, 128f, 155, 159, 172f, 179, 181f, 234, 255-257 Antichrist 191, 211, 246 Apokalyptik, apokalyptisch l l f , 15, 183, 187, 201, 204f, 209f, 213f, 217f, 225, 234, 245-247, 251-253, 259f Apostel, apostolisch 130f, 136f, 139, 211-213, 225, 238, 245 Aposteldekret 140, 143f Auferstehung 43, 96f, 131f, 135, 138, 145, 156f, 160, 166, 174-176, 210, 213, 241, 245, 257 Augsburger Bekenntnis s. Confessio Augustana Augustinismus 17f, 60, 63 Baptismus / Baptisten 185, 241, 244248, 250-254, 260 Bergpredigt 14 Beschneidung 68, 92, 115, 134, 137, 172, 192f, 229-234, 240

- Beschneidung des Herzens 61-63, 66, 76-78, 83, 178f, 201, 256 Biblizismus 183, 197f, 251f, 259 Bilder / Bilderverehrung / Bildersturm 50f, 67-69, 83 , 95, 107, 112f, 117, 120-122, 193f, 207, 256f Bund / Bundestheologie 170-172, 174, 201, 21 l f , 237-239 Bundeszeichen 12, 123, 170, 200f, 215, 225, 239, 250 Buße 27f, 36, 41, 55f, 58, 60, 78, 147 Chiffre 18, 20, 24, 36, 39, 42, 44f, 102, 114, 116, 179, 183, 234, 255f Chiliasmus, chiliastisch 15, 183, 187, 198, 209-212, 216, 219, 221, 234, 239, 245f Confessio Augustana 97, 112, 136, 142146, 160, 163, 166, 174, 258f Credo s. Glaubensbekenntnis Dekalog s. Gebote Eigensinn 18 Eigenwillen 18, 53f, 56, 58, 60, 76, 86, 172, 177 Endzeitberechnung 187, 248, 251, 253 Eschatologie, eschatologisch 30f, 34, 36-38, 63f, 66, 81f, 102, 132, 134, 173, 183, 198f, 201-203, 214-218, 233, 250, 253 Ethik 21, 29, 32, 45, 95, 116, 118, 255f Fasten 15, 37, 106f, 114, 118, 142, 147, 176, 180 Feiertag, Feiertage, Festtag, Festtage 12f, 34, 41, 68, 71f, 74, 79, 81, 95, 97, 107, 114f, 125, 127, 129, 132, 140, 145, 150, 238 Figur, figura 14, 68, 71, 74, 82f, 8894, 96, 103, 170, 172, 174, 179, 181

318

Anhänge

Gebot, Gebote - die Zehn Gebote (Dekalog) 13, 15, 18, 26, 35, 40, 42, 46, 68, 93f, 102, 120f, 125, 132, 137, 139, 146, 155, 159, 171, 191, 193-197, 212f, 241, 245, 256f - erstes Gebot 25-28, 35, 40, 50f, 6062, 66f, 69, 76f, 83, 118, 119f, 126, 167 - zweites Gebot 24, 28, 40, 69f, 83 - drittes Gebot (Sabbatgebot) 13f, 24f, 27, 35, 38-41, 46, 49, 67, 75, 82f, 94, 103, 108, 124, 134, 152, 257 Gelassenheit, gelassen 27, 36, 41, 4749, 51-66, 75-78, 80-84, 87f, 99f, 102, 114f, 117, 216, 256, 261 Gericht 202f, 209f, 214f, 246, 249 Gesetz und Evangelium 19, 36, 39, 44f, 95, 175, 189, 255 Gewißheit, Heilsgewißheit 27f, 35, 39, 255 Glaubensbekenntnis, Credo 40 Gottesdiensttag 13, 97, 106-108, 125127, 129, 132f, 150, 157, 180f Heiligung 12, 14, 50f, 60, 62, 65, 66, 69, 71, 75, 78-84, 89, 98-102, 106, 110, 112f, 116, 118f, 128f, 132, 134, 155, 159f, 163, 167-177, 180f, 183, 218, 235, 256-259 Heilsgeschichte, heilsgeschichtlich 90, 102, 170, 175, 183, 211, 234, 239, 253 Heilung 12, 195 Herrentag 13, 15, 34, 96, 126, 131, 136, 138, 155f, 167, 174 Hoffnung 192, 201-204, 214f, 235 Humilitas-Theologie 17, 19, 24, 27, 36, 39, 44, 55, 64f, 82, 103, 115, 118, 255-257 Hutterer 223, 225, 228, 234 Jurisdiktion / Jurisdiktionsgewalt 142, 144, 151, 156, 160f, 258 Kalender 131 Karolinger 13 Karsamstag 15 Katechismus 107-112, 116, 125, 127, 162, 164-166, 175, 177, 180, 211, 259

- Augsburger Kat. 166 - Emdener Kat. 177 - Erlauthaler Kat. 177 - Frankfurter Kat. 164 - Genfer Kat. 170 - Heidelberger Kat. 177f - Kat. für Jauer 164 - Joachimsthaler Kat. 164 - Ostfries. Kat. 177 - Westminster Kat. 244 - Wittenberger Kat. 165, 166 Kirchenrecht 112, 146-152, 160f, 258 Konfessionalisierung 11, 162, 248 Konfination 154-156 Kreuzestheologie 23f, 29, 34, 44 Langeweile s. Müßigkeit Legalismus, legalistisch 12, 49, 70, 73, 134, 171f, 175, 184, 234f, 257, 259 Leid, Leiden 37f, 55-60, 64, 66, 78, 98, 100, 178, 214 Liebesgebot 25f, 69, 178 meditatio, meditativ 99-101 Millennium 15, 210, 212, 245f, 249, 251 monastisch, mönchisch 18, 33, 37, 40, 84, 255f, 261 mortificatio carnis / Tötung des alten Adam 18, 20, 37-39, 44, 55, 56, 58, 86-88, 98, 100, 102, 105f, 113-115, 117f, 128, 167, 171f, 177, 181, 255f "Müßigkeit" / Langeweile 76-78, 80f, 83, 100, 110 Mystik, mystisch 11, 20, 22, 28, 30, 33, 37, 40f, 44, 46-48, 53, 55, 58, 61, 63-66, 71, 79, 82, 100, 107, 109, 115, 119, 128, 159, 172, 178, 181, 216, 255f, 261 Nachfolge 55f, 57, 98 Naherwartung 184, 212, 218, 247, 249, 251, 253, 260 Naturgesetz, -recht, naturgesetzlich, -rechtlich 95, 121-126, 129, 133f, 149f, 155, 159, 171, 180, 243, 257, 261 necessitas 144, 147f, 156 opera servilia 13f, 25, 87 Ostern 13, 43, 131f, 243, 260

Sachregister Parusie / Wiederkunft 192, 200-205, 211, 213, 215, 219, 224f, 233, 238, 245f, 250-252, 259 Passah 92 Passivität 11, 18, 20-22, 24, 34, 36, 38, 40, 42, 58f, 66, 75, 78, 80, 83, 117, 119, 172, 179, 216, 255, 257 Profanität 38, 118 quies s. Ruhe Quietismus 20, 24, 35, 65 Radikalisierung 14, 19, 21, 44 raptus 20 Rechtfertigung 12, 50, 52, 55, 60, 147, 168f, 174, 181, 191, 216, 234, 257, 262 Restitution 212-214 Ruhe, quies 13f, 19f, 23-36, 39, 42-44, 71, 76, 88, 98, 101, 117, 119, 169, 172f, 255-257 - Arbeitsruhe 41f, 71-74, 77, 86, 88, 94, 97, 106-110, 125f, 159, 162, 167, 169, 175-177, 180f, 241, 256f, 259 - Grabesruhe 15, 38, 42f, 87, 105, 116, 165, 168f, 177 Ruhetag 13, 46, 77f, 81-84, 115, 124126, 129, 133, 141, 157, 165, 226, 256-258, 261 Sakrament, Sakramente 38, 92, 95, 97, 113 Samstag / siebter Tag 74, 123f, 127, 130, 157f, 183, 193, 241, 243-247, 259 Scholastik, scholastisch, Schultheologie 16, 18, 40, 42, 44, 60, 83 Schöpfung 12, 33, 43, 79, 105, 133f, 155, 173, 192, 194, 208, 217f, 241, 245, 251, 258, 260f Schöpfungsordnung 133, 160

319

Sola scriptura 80, 137, 140, 197f Sonntag 12f, 15, 34, 46, 72, 74, 96f, 110, 113f, 124-126, 129-162, 166f, 174, 176, 181, 193, 197f, 208, 213, 226, 231, 241-244, 250, 255, 257f, 260 Spiritualisierung 15, 198, 233, 235 Stände 23, 34, 77, 110, 114, 118, 128, 130 Substanz 149f Sünde 13f, 16, 18f, 21, 35-38, 53-55, 57, 64, 70, 80, 86, 98f, 102, 124, 148, 156f, 168, 196, 199, 255 Taufe 38, 140, 203f, 207, 213-215, 245, 259 Täufer / Täufertum 11, 186, 187, 206f, 212, 214-216, 219, 223, 227, 232234, 245, 253, 255, 259 Theologia Deutsch / "Frankfurter" 28, 32, 48, 52, 54, 57, 58f, 61, 63, 66, 76, 82, 256 theologia mystica 22f theologia propria 22f Translationstheorie 145 Trichotomie 18, 24 Typologie 23 Unitarismus / Unitarier 236-240, 249, 253 Unruhe, Beunruhigung 20, 27, 31, 33f Utopie 38 Vaterunser 40, 106, 177 Verheißung 12, 90, 92, 175, 183f, 211, 239 vita activa / contemplativa 22f, 29-32, 34, 44 Westminster Confession 243 Wiederkunft s. Parusie Zeremonialgesetz 67f, 95, 120f, 139, 146, 155, 173f, 176, 191, 193f, 231

Forschungen zur Kirchen -und Dogmengeschichte Herausgegeben von Adolf Martin Ritter

Eine Titelauswahl 64 Athina Lexutt Rechtfertigung im Gespräch

57 Adriaan H. B. Breukelaar Historiography and Episcopal Authority in Sixth-Century Gaul The Histories of Gregory of Tours inter-

Das Rechtfertigungsverständnis in den

preted in their historical context. 1994.

Religionsgesprächen von Hagenau, Worms

391 Seiten, geb. ISBN 3-525-55165-7

und Regensburg 1540/41.1996. 299 Seiten, geb. ISBN 3-525-55172-X 63 Volker Leppin Geglaubte Wahrheit Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham. 1995. 365 Seiten, geb.

56 Holger Strutwolf Gnosis als System Zur Rezeption der valentinianischen Gnosis bei Orígenes. 1993. 405 Seiten, geb. ISBN 3-525-55164-9

ISBN 3-525-551738

55 Matthias Schlicht

62 Johann Anselm Steiger

Überlieferung und Theologie. 1993. 183 Seiten, geb. ISBN 3-525-55163-0

Johann Ludwig Ewald (1748-1822) Rettung eines theologischen Zeitgenossen. 1995. 598 Seiten mit 6 Abbildungen, geb. ISBN 3-525-55171-1 61 Ute E. Eisen Amtsträgerinnen im frühen Christentum Epigraphische und literarische Studien. 1996. Ca. 280 Seiten, geb. ISBN 3-525-55170-3 60 Rudolf Keller Die Confessio Augustana im theologischen Wirken des Rostocker Professors David Chyträus (1530-1600) 1994. 239 Seiten, 1 Abb., geb. ISBN 3-525-55168-1 59 Ralf Kötter Johannes Bugenhagens Rechtfertigungslehre und der römische Katholizismus Studien zum Sendbrief an die Hamburger (1525). 1994. 489 Seiten, geb. ISBN 3-525-55167-3 58 Wolfram Kinzig Novitas Christiana Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius. 1994. 702 Seiten, geb. ISBN 3-525-55166-5

Luthers Vorlesung über Psalm 90

54 Griet Petersen-Szemerédy Zwischen Weltstadt und Wüste: Römische Asketinnen in der Spätantike Eine Studie zu Motivation und Gestaltung der Askese christlicher Frauen Roms auf dem Hintergrund ihrer Zeit. 1993. 239 Seiten, geb. ISBN 3-525-55162-2 53 Miikka Ruokanen Theology of Social Life in Augustine's „De civitate Dei" 1993.179 Seiten, kart. ISBN 3-525-55161-4 52 Gerhard Graf Gottesbild und Politik Eine Studie zur Frömmigkeit in Preußen während der Befreiungskriege 1813-1815. 1993.166 Seiten mit 21 Textbeilagen, 7 Abb., kart. ISBN 3-525-55160-6

V&R

Vandenhoeck &_ Ruprecht