Verschieden - Im Einssein: Eine Interdisziplinare Untersuchung Zu Meister Eckharts Verstandnis Von Wirklichkeit 9789042934818, 9789042936850, 9042934816

This volume argues that the on-going fascination for the middle-age mystic, philosopher and theologian Meister Eckhart (

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
I. GEISTESGESCHICHTLICHE BEZÜGE
II. TEIL: SYSTEMATISCHE ERSCHLIESSUNG
Abkürzungen
Personenregister
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Verschieden - Im Einssein: Eine Interdisziplinare Untersuchung Zu Meister Eckharts Verstandnis Von Wirklichkeit
 9789042934818, 9789042936850, 9042934816

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ECKHART: TEXTS AND STUDIES

VOLUME 7

VERSCHIEDEN – IM EINSSEIN eine INTERDISZIPLINÄRE UNTERSUCHUNG ZU MEISTER ECKHARTS VERSTÄNDNIS VON WIRKLICHKEIT HERAUSGEGEBEN VON

Christine Büchner

PEETERS

VERSCHIEDEN – IM EINSSEIN

Eckhart: Texts and Studies EDITED BY

MARKUS VINZENT (King’s College, London & Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt)

ADVISORY BOARD

CHRISTINE BÜCHNER (Fakultät für Geisteswissenschaften, Universität Hamburg)

MARKUS ENDERS (Theologische Fakultät, Universität Freiburg)

GOTTHARD FUCHS (Kultur-Kirche-Wissenschaft, Bistümer Limburg und Mainz)

FREIMUT LÖSER

(Philosophisch-historische Fakultät, Universität Augsburg)

DIETMAR MIETH (Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Tübingen)

REGINA D. SCHIEWER (Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

LORIS STURLESE (Storia della filosofia medievale, Università del Salento)

RUDOLF K. WEIGAND (Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

Eckhart: Texts and Studies VOLUME 7

Verschieden  im Einssein Eine Interdisziplinäre Untersuchung zu Meister Eckharts Verständnis von Wirklichkeit

HERAUSGEGEBEN VON

CHRISTINE BÜCHNER

PEETERS LEUVEN — PARIS — BRISTOL, CT

2018

ISBN 978-90-429-3481-8 eISBN 978-90-429-3685-0 D/2018/0602/61 A catalogue record for this book is available from the Library of Congress. © 2018, Peeters, Bondgenotenlaan 153, B-3000 Leuven, Belgium

No part of this book may be reproduced in any form or by any electronic or mechanical means, including information storage or retrieval devices or systems, without prior written permission from the publisher, except the quotation of brief passages for review purposes.

Inhaltsverzeichnis VORWORT  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. TEIL: GEISTESGESCHICHTLICHE BEZÜGE Irmgard Rüsenberg Loslassen und in der Wirklichkeit ankommen. Berührungen westlichen und östlichen Denkens bei Meister Eckhart und Meister Dôgen . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Meik Peter Schirpenbach Wirklichkeit als Beziehung. Eckharts Verständnis der Wirklichkeit als Relationsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Mika Matsuda Nequaquam imaginandum vel iudicandum est secundum naturam et modum accidentium. Worin unterscheidet sich das Denken Meister Eckharts von dem des Thomas von Aquin? . . . . . . . . . . . . . . .

69

Silvia Bara Bancel »Einssein im Einen« (Eins in eime). Wirklichkeit als Einheitserfahrung bei Heinrich Seuse  . .

95

Harald Schwaetzer Constat autem, si haberet subiectum species, quod anima esset eius subiectum. Zum Intellektbegriff bei Eriugena, Eckhart und Cusanus . .

123

Christian Ströbele ›Möglichkeit‹ und ›Wirklichkeit‹ bei Eckhart von Hochheim und Nikolaus von Kues . . . . . . . . . . . . . . .

145

VI

I NHALTSVERZEICHNIS

Francisco Javier Sancho Fermín y Rómulo Cuartas Londoño La Trinidad como la realidad del místico: Teresa de Jesús, Juan de la Cruz y el Maestro Eckhart . . . . . . . . . . .

179

Alois Halbmayr Authentizität und Engagement. Ernst Tugendhat über die Mystik des Lebens  . . . . . .

203

II. TEIL: SYSTEMATISCHE ERSCHLIESSUNG Julie Casteigt Processio / conversio – bonum / unum: A Contradictory Simultaneity as Fundamental Structure of Reality in Eckhart’s German Sermons of the First Sunday after Trinity Sunday . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

Rolf Kühn Ursprüngliche Lebenspassibilität als ›Erste Praxis‹. Zum radikal-phänomenologischen und Eckhartschen Verhältnis von Wirklichkeit und ›Gottesgeburt‹  . . . . . . .

263

Cornelia Boss-Pfister Ein gedachter Gott? Zur sprachlichen Konstruktion von Wirklichkeit in Eckharts Reden der Unterweisung . . . . . . . . . . . . . . .

301

Udo Kern Der Grund als causa essentialis  . . . . . . . . . . . . . .

331

Christine Büchner Wirklichkeit, die sein lässt. Meister Eckharts Anregungen zu einer Theologie des Lassens und der Gelassenheit . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

Hans-Joachim Sander Vom nichts zu teilen zum rein nichts teilen. Meister Eckharts abgeschiedene Philosophie  . . . . . . .

403

I NHALTSVERZEICHNIS

VII

Jürgen Werbick Wirklich wahr! Aber wie mit der Wahrheit etwas anfangen? Eine fundamentaltheologische Annäherung an Meister Eckhart, allenfalls! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427

ABKÜRZUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

445

PERSONENREGISTER  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

449

Vorwort Meister Eckhart gab und gibt zu denken – den Menschen seiner Zeit und aller anschließenden Epochen. Auch nach 700 Jahren deutet nichts auf ein Ende hin. Im Gegenteil: Die Eckhartforschung ist gegenwärtig besonders lebendig und vernetzt die Disziplinen: Philosophie, Geschichte, Germanistik, Psychologie ... Auch Theologen und Theologinnen kommen neuerdings nicht umhin, Meister Eckharts Werk ernst zu nehmen. Was ist der Grund für diese Faszination, die verschiedene wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Interessen eint? Diese Frage wird man nur beantworten können, wenn man versucht zu verstehen, worum es Meister Eckhart geht. Die Antwort wird wiederum abhängig davon sein, welcher Aspekt als zentraler Ausgangspunkt des Verstehens betrachtet wird. Hier bietet Eckhart offenbar ein Spektrum an Möglichkeiten: die Intellektlehre, eine herausfordernde Lebenshaltung (Armut und Gelassenheit), den Prediger, den um neue Begriffe im akademischen Diskurs seiner Zeit ringenden Wissenschaftler, Ansätze zu einer Freiheitsphilosophie etc. Wir stehen vor einer hermeneutischen Dialektik: Einerseits scheint es etwas wie einen Kern des Eckhartschen Denkens zu geben; andererseits kommt man an diesen Kern nur heran durch eine höchst subjektive Entscheidung für einen spezifischen Zugang. Der Weg ins Zentrum des Eckhartschen Denkens ist insofern notwendig plural zu begreifen. Erst die verschiedenen Zugänge bringen uns einem angemessenen Verständnis der Texte Eckharts näher.1 Dies hat seinen Grund in der Art und Intention der Texte selbst: Sie entziehen sich einer Festlegung auf allzu klare Erkenntnisse und fordern die Leserinnen und Leser zum Dialog und zum Überdenken der eigenen Vorverständnisse heraus. Vielleicht macht gerade diese Eigenart die erstaunliche Faszination des mittelalterlichen Denkers heute aus. Wenn 1. Wie gefährlich die Festlegung auf einen einzigen Zugang ist, hat die nationalsozialistische Vereinnahmung Eckharts hinreichend gezeigt.

2

Vorwort

Eckhart freilich Festlegungen nicht aus denselben Gründen vermeidet wie der postmoderne Pluralismus, so ist doch die Reflexion darüber, dass die Wirklichkeit die Begriffe und Bilder, mit denen wir sie beschreiben und erläutern – das ›Dies und Das‹ nach Meister Eckhart – prinzipiell übersteigt, ein durchgängig in seinen Texten zu beobachtender Grundzug. Diesem Grundzug einer Vo r s i c h t g e g e n ü b e r a b s c h l i e ß e n d e n E r k e n n t n i s s e n entspricht ein Zugang von heute her aus möglichst verschiedenen Perspektiven. Die eine wird dabei Aspekte in Eckharts Opus entdecken und konturieren, die eine andere Perspektive nicht in demselben Maße entdecken kann. Daher ist Meister Eckharts Wirklichkeitsverständnis ein Gegenstand interdisziplinärer Forschung par excellence. Erst indem die Perspektiven Verschiedenes in den Blick nehmen, kommen sie gemeinsam zugleich dem näher, worum es Eckhart geht. Indem wir Eckhart auf der Spur sind, werden wir zugleich mit ihm zu Suchenden nach dem, was wirklich ist – mit Eckharts Worten: nach dem Einen (bzw. dem »einen, das not ist«2). Der Titel dieses Bandes „Verschieden – im Einssein“ bringt diesen komplexen Zusammenhang von Verschiedenheit und Einheit zum Ausdruck. Es handelt sich e r s t e n s um einen ontologischen und epistemologischen Zusammenhang: i n der Verschiedenheit der Wirklichkeit ist die Realität der Dimension des Einsseins aufzudecken. Unser Thema ließe sich daher auch umgekehrt formulieren als „Einssein im Verschiedensein“. Wenn wir dabei von heute her als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zugleich zu Mitsuchenden mit Eckhart werden, die Eckhart in seinem Kontext verstehen wollen, ist Verschiedensein im Einssein z w e i t e n s methodisches Prinzip und bildet die Begründung unterschiedlicher Zugangsweisen. Sie bestimmen auch die Struktur des vorliegenden Sammelbandes: Die e r s t e A b t e i l u n g setzt Meister Eckhart vor allem in Beziehung zu den philosophischen Kontexten, aus denen Meister Eckhart schöpfte, und zu Denkern, die ihrerseits Meister Eckhart rezipierten. Darüber hinaus werden auch Bezüge der Denkform thematisiert, so zur ZenBuddhistischen Schule des Dôgen. Die z w e i t e A b t e i l u n g nähert sich dem Thema stärker über systematisch-synchrone Zugangsweisen.

2. Vgl. Eckhart, Pr. 86 (DW III 486,3).

Vorwort

3

In der Zusammenschau der verschiedenen (historischen, komparatistischen und systematischen) Beiträge zeigt sich wiederum eine Gemeinsamkeit – sie markiert einen Paradigmenwechsel, der sich innerhalb der letzten fünfzehn Jahre der Eckhart-Forschung zunächst angebahnt und nun vollzogen hat. Im Fokus dieses Paradigmenwechsels steht das Verständnis von Wirklichkeit. Wurde dieses in der älteren Eckhartforschung aufgrund der Fokussierung auf das neuplatonische Erbe vornehmlich als henologisch charakterisiert, hat die jüngere Forschung diese Wahrnehmung entscheidend differenziert und damit auch die Leitbegriffe verschoben, unter denen Eckharts Werk betrachtet wird: von eher statischen Begriffen wie Sein, Einheit, Univozität hin zu mehr dynamischen Begriffen wie Liebe, Leben, Gabe.3 Ein prozessual-dynamisches Wirklichkeitsverständnis trägt auch der pluralen und zuweilen vermeintlich widersprüchlichen Redeweise Meister Eckharts Rechnung, welche eine statische, in festgefügter Terminologie beschreibbare Sicht dynamisiert bzw. offenhält. Dies gilt auch für die notwendige Veränderung der eigenen Sicht, wie sie sich zum einen im inhaltlichen Neben- und Nacheinander von Sätzen wie esse est deus, deus est intelligere und deus caritas est und zum anderen in stilistischen Wendungen wie »gelegentlich habe ich gesagt, jetzt aber sage ich es anders«4 ausdrückt. Sie charakterisieren Meister Eckhart als einen Wanderer im Certeauschen Sinne: einer, der sich zur Aufgabe gemacht hat, die Erfahrung eines prinzipiellen »Anderswo« zu artikulieren.5 Dass erst jüngst die innere Pluralität des Eckhartschen Denkens mehr und mehr in den Blick gekommen ist, hängt nicht zuletzt mit einer Verschiebung der Denkkategorien unserer eigenen Zeit zusammen. In der Gegenwart sind Pluralität und Relativität zu epistemologischen Schlüsselbegriffen der Geisteswissenschaften geworden; sie tragen der prinzipiell unabschließbaren Prozessualität der Erkenntnis von Wirklichkeit Rechnung und bewahren vor Indoktrinalisierung, Ideologisierung und Idolisierung, insofern sie Wahrheitserkenntnis an die Anerkennung der Wahrheitserkenntnis des anderen binden. Genau diese Reflexion der 3. Dabei scheint mir dem Begriff des Intellekts, da er inhaltlich sehr offen ist, eine Vermittlungsfunktion zwischen den Begriffsfeldern zu bilden. Vgl. dazu vor allem den Beitrag von H. Schwaetzer in diesem Band. Vgl. weiterhin exemplarisch: Karl Heinz Witte, Meister Eckhart: Leben aus dem Grunde der Lebens. Eine Einführung (Freiburg/München, 2013). 4. Vgl. etwa Eckhart, Pr. 39 (DW II 252,1f ) oder Pr. 52 (DW II 494,4-495,2. 499,9-500,3). 5. Vgl. Michel de Certeau, Mystische Fabel: 16. bis 17. Jahrhundert, übersetzt von M. Lauble (Berlin, 2010), 44.

4

Vorwort

prinzipiellen Unabschließbarkeit der Erkenntnis einer Wirklichkeit, aus der wir immer schon leben und die sich mit uns und unserer Praxis verändert, finden wir in den Texten des mittelalterlichen Autors und macht ihn anschlussfähig für heutige Diskurse. Die e r s t e A b t e i l u n g beginnt mit einem Bezugspunkt der zunächst sehr weit von Meister Eckhart entfernt scheint. Die Germanistin I r m g a r d R ü s e n b e r g vergleicht die Predigten Eckharts mit dem Werk des Meister Dôgen, Vertreter des japanischen Zen-Buddhismus. Der inhaltliche und sprachliche Vergleich führt sie – bei allen Unterschieden – zu dem Ergebnis, dass beide Wirklichkeit als lebendigen, sich ständig wandelnden Prozess begreifen, dem man sich weder mit einer terminologisch festgefügten Sprache noch mit eigenen Zielvorstellungen, sondern nur durch radikale Selbsthingabe annähern kann. M a i k Pe t e r S c h i r p e n b a c h betrachtet Eckhart ganz aus seiner Zeit heraus und in ihr. Auch er betont, was Eckharts Verständnis von Wirklichkeit betrifft, ihren Prozesscharakter, der sich im relationalen Charakter allen Daseins als ganz von Gott empfangendes Sein begründet. Analogie und Univozität stellen in dieser Sicht nicht alternative Denkmodelle dar, sondern zwei Seiten eines beiden Verhältnisbestimmungen noch einmal zugrundeliegenden Prinzips. M i k a M a t s u d a erörtert Meister Eckharts Lehre von den Substanzen und Akzidentien in Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin und hebt dabei folgenden Unterschied hervor: Anders als Thomas versteht Eckhart Liebe nicht als Akzidens, sondern als Substanz und somit als wirklichkeitsprägend. Auch diese Perspektive begreift Eckharts Denken im Licht eines Sowohl-als-Auch, dem nicht durch alternative Entgegensetzungen gerecht zu werden ist, sondern nur, indem man den Zusammenhang beider Dimensionen berücksichtigt: Eckhart ist nicht nur Philosoph in Auseinandersetzung mit der scholastischen Philosophie seiner Zeit s o n d e r n a u c h Mystiker und Lebemeister – und andersherum. Nicht zufällig macht S i l v i a B a r a B a n c e l in ihrem Vergleich der Rezeption des Wirklichkeitsverständnisses der Gottesgeburtspredigten Eckharts durch Heinrich Seuse die “Zwei-Contraria-Lehre” des Schülers stark: Diese ermöglicht ihm die geschöpfliche Logik des “Entweder-Oder” zu transzendieren und das Nicht-Denkbare zu denken: bleibendes Geschöpfsein i n der Einheit des Geschöpfs mit Gott – bleibendes Unterschiedensein im Einen also.

Vorwort

5

Der Beitrag von H a r a l d S c h w a e t z e r zeigt, dass es eine Entwicklungslinie bereits von Eriugena über Eckhart bis hin zu Cusanus gibt, die dahin geht, den Akt der Einung des Subjekts (als dieses selbst) mit dem Ganzen der Wirklichkeit als Akt der Selbsttranszendenz (und die Seele als Ort dieses Aktes) zu verstehen. Auch C h r i s t i a n S t r ö b e l e zeigt auf, wie Cusanus Eckharts Denken des Wirkens Gottes als des transzendentalen Grundes menschlichen Wirkens weiterführt, indem er es auf seine Konsequenzen für die Gottesrede hin bedenkt. Ausgehend vom Begriff des possest denkt er Gott als Koinzidenz von Können und Sein bzw. als Realität des Könnens und so als Ermöglichungsgrund all unseres (Erkennen- und Handeln-)Könnens. Fr a n c i s c o Ja v i e r S a n c h o Fe r m í n und R ó m u l o C u a r t a s L o n d o ñ o setzen Meister Eckhart in Beziehung zur spanischen Mystik des 16. Jh. (Teresa von Avila und Juan de la Cruz) und beobachten folgende Parallele, welche jene drei als Mystiker charakterisiert und vielleicht erhellt, was ›Mystik‹ überhaupt kennzeichnet und worauf sich die (in ihrem Woher und Woraufhin nicht benennbare) Sehnsucht des Menschen nach Einheit und Ganzheit gründet: auf eine zugleich transzendente und immanente Wirklichkeit, die sich als Gabe schenkt und den Menschen in ihre Dynamik einbezieht, insofern er aus ihr und in ihr lebt. Indessen wollen Philosophen der Gegenwart, in hervorragender Weise etwa der Meister-Eckhart-Preisträger Ernst Tugendhat, Meister Eckhart für eine ›religionslose Mystik‹ in Anspruch nehmen. Dem liegt eine Entgegensetzung von Mystik und Religion zugrunde, die m. E. nicht ganz unberechtigt ist, insofern Religion immer auch mit Abgrenzungen arbeitet, Mystik aber solche Abgrenzungen gerade überwinden will. A l o i s H a l b m a y r zeigt auf, dass diese Entgegensetzung aber, wenn man sich auf Meister Eckhart beruft, zu kurz greift, und trägt so dazu bei, den notwendigen Zusammenhang von Theologie, Philosophie und Mystik bei Eckhart angemessen zu würdigen. Dessen Rezeption durch Tugendhat rückt einen zentralen, in der Forschung lange Zeit übersehenen Aspekt des eckhartschen Zugangs zur Wirklichkeit in den Blick: die unbedingte Bejahung (statt Überwindung) der Welt. Anhand der aufgezeigten geistesgeschichtlichen Bezüge konturiert sich ein Eckhartbild, das eine neue Attraktivität entfaltet für systematische Fragen der Gegenwart, nicht zuletzt auch für die Systematische Theologie. Vor allem der zweite Teil des vorliegenden Bandes belegt dies.

6

Vorwort

Zunächst beschäftigt sich Ju l i e C a s t e i g t in detaillierter Arbeit an der Predigt 63 mit Eckharts Modifikation der neuplatonischen Rückkehrbewegung des Vielen zum Einen, den sie als einen ›johanneischen Weg‹ benennt: Es ist ein Weg der Liebe (die Gott ist). Er führt zu einer Einheit ohne Teile und erfordert daher nicht, dass der Einzelne sich dem Ziel seines Sehnens schrittweise angleicht und annähert; vielmehr ist das Umgekehrte der Fall: er/sie kann als er/sie selbst und in seiner/ihrer Differenz vom anderen eins sein mit dem anderen. R o l f K ü h n beleuchtet Eckharts Denken aus der Perspektive der transzendentalen Lebensphänomenologie. Dabei eröffnet sich ein Zugang zum Denken der Gottesgeburt als „Erste Praxis“: Dass ich durch die Wirklichkeit zuinnerst berührt werden kann und werde, hat seinen transzendentalen Grund in der „Selbstgebung“ der Wirklichkeit, über welche daher auch nur im Rückgriff auf Praxis gesprochen werden kann (als Gabe, als Fülle, als Leben). Im Mittelpunkt des Beitrags von C o r n e l i a B o s s - P f i s t e r steht der Zusammenhang von Konstruktion und Wirklichkeit, der Eckhart zugleich mit der Moderne verbindet und von ihr trennt: Dass Gott real ist, steht für Meister Eckhart einerseits nicht infrage. Seine Realität ist andererseits davon abhängig, dass der Mensch ihn gegenwärtig habe bzw. mache. Die Wirklichkeit verändert sich also in Abhängigkeit vom Grad der Einübung des Menschen in Gott. Darin sieht Boss-Pfister auch eine Begründung für die ständige Evokation der Einheit von Mensch und Gott im Werk Eckharts: Es geht ihm darum, Gott wirklich und lebendig werden zu lassen für uns. Ud o K e r n analysiert den Begriff der causa essentialis bei Eckhart. Ähnlich wie andere Begriffe zur Kennzeichnung Gottes, die unsere gewohnte Sprechweise von Gott hinterfragen, z. B. intelligere oder puritas essendi, nimmt dieser Gott aus allen geschöpflichen Zusammenhängen heraus und verbindet die Kreaturen gerade dadurch auf eine ihnen nicht mögliche Weise mit ihm. Weil Gott keine Ursache wie andere Ursachen ist, vielmehr das Prinzip aller Ursächlichkeit, bezieht er sich ständig fundierend auf unsere Wirklichkeit. Wenn in der Folge Univozität mit Gott daher nicht statisch zu fassen ist, sondern als ständige prinzipiierende Bewegung Gottes auf uns zu, scheint sich mir auch von diesem Ansatzpunkt her eine Begründung für die prinzipielle Bejahung der Weltwirklichkeit bei Eckhart zu ergeben.

Vorwort

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Abschließend folgen drei weitere durchaus verschiedene und dennoch die skizzierte Tendenz fortsetzende Beiträge, Meister Eckhart als Quelle für eine heutige nicht-dualistische, sondern integrative Theologie zu erschließen: Eckhart vertritt eine Theologie des Sein-Lassens und der Gelassenheit, wie ich sie in m e i n e m B e i t r a g in diesem Band von Eckharts Wirklichkeitsverständnis her zu entwickeln und in ihrer Relevanz für heute zu akzentuieren versuche. Auch H a n s Jo a c h i m S a n d e r interpretiert Meister Eckhart mit dezidiert systematisch-theologischem Interesse. In der Kategorie des lûter niht, das sich jeder Konkurrenz entzieht, entdeckt er das Potential zu einer gewalt- und machtüberwindenden Realität. Der Abschlussbeitrag von Jü r g e n We r b i c k nähert sich Meister Eckhart von der Lektüre des zeitgenössischen Schriftstellers Andreas Maier her in fundamentaltheologischer Absicht. Dass Gott bzw. die Wahrheit im Menschen geboren werden und wohnen will und so sich einzeugend »den glaubenden Menschen und sich im glaubenden Menschen anfängt«, begründet das für die Theologie als Glaubenswissenschaft konstitutive Ineinander von unmittelbarem Inanspruchgenommensein durch eine Wahrheit, die sich dem Diskurs entzieht, und der Notwendigkeit ihrer argumentativen Vermittlung. Der Band hat eine längere Genese hinter sich, die es mit sich bringt, dass ganz neue Forschungsliteratur nicht mehr in allen Beiträgen berücksichtigt werden konnte. Dafür bitte ich um Nachsicht. Ich danke sehr herzlich allen, die zum Zustandekommen des Bandes beigetragen haben, an erster Stelle allen Autorinnen und Autoren für ihre inspirierenden Beiträge. Danken möchte ich ebenfalls meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Gerrit Spallek für seine Unterstützung sowie meinen studentischen Hilfskräften: Nadia Castrillón-Janzen, Richard Melz, Annika Vosskuhl und Rahel Wagner. Mein besonderer Dank gilt Markus Vinzent für die Aufnahme des Sammelbands in die Reihe Eckhart. Texts and Studies. Danken möchte ich auch Bert Verrept, Peeters Publishers, für die freundliche Zusammenarbeit. Schließlich danke ich Andres Quero-Sánchez für die Idee und viele Vorarbeiten zu diesem Band. Hamburg, 15.11.2016 Christine Büchner

I. GEISTESGESCHICHTLICHE BEZÜGE

Loslassen und in der Wirklichkeit ankommen. Berührungen westlichen und östlichen Denkens bei Meister Eckhart und Meister Dôgen Irmgard Rüsenberg*, Bonn

Abstract The great Christian thinker of the European Middle Ages, Meister Eckhart, can be seen in comparison with the outstanding exponent of the Japanese Master of Zen-Buddhism, Master Dôgen. Despite all cultural diversity their ideas and their thinking are related, and this is exemplarily shown by comparing how these two authors deal with the issue of „letting be/leaving“ – using selected sermons and treatises of Meister Eckhart on the one hand and selected chapters of Dôgen’s main work Shôbôgenzô („Treasury of the True Dharma Eye“) on the other. Eckhart’s rede der underscheidunge are based on the concept of „letting be“ as the inner structure of a person, who has been able to detach himself from his egoistic desires as well as from inner norms. In his „sermon on poverty“ (sermon 52) Eckhart deals with the idea of an inner poverty and of what he calls a „break-through“ as an existential experience of being, that happens beyond both self-knowledge and knowledge of God. With entbilden in turn Eckhart means to leave all inner concepts, which were always projections of one’s own desire, but not of an objective reality. The process of inner entbilden responds to these concepts and leads to action without intention, where man finds himself in unity with every being (Pr. 86) From there we draw attention to Dôgen, for whom „letting go of body and soul“ is the main focus of spiritual exercise as represented in the sitting meditation of Za-Zen. This „letting go“ for Dôgen goes hand in hand with a forgetting of the self which opens the door to self-discovery (chapter 3 et al.). From the buddhist point of view this speculative context of the principal instability and mobility of all being is very

* Vormaliger Name bis 2010: Irmgard Gephart.

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Irmgard Rüsenberg

important, since it results in a concept of time in which every moment has its own perfection. The Buddhist „awakening“, which has similarity to Eckhart’s „letting go“, is for Dôgen beyond intellectual knowledge as much as „the pure and graceful action of the Buddhas“ itself. Finally, a comparative study teaches us that the idea of complete devotion to the ever-changing process of life itself, which has overcome all personal desire, constitutes the core of both teachers’ thinking. Both Eckhart and Dôgen focus with similar precision on the psychological phenomenon of everyday self-delusion. Only by letting go of all personal burden, which results in a pure action without intention – the message of both teachers – do we experience a durchbrechen into the reality of the present – or, in Dôgen’s words, the “awakening”. To communicate their thoughts, both teachers use a decidedly multidimensional language, which repeatedly outlines dual valences and at the same time takes them back again, and transfers these texts onto a level beyond their immediate meaning.

D

as Ordensmilieu des 13. Jahrhunderts hat in Ost und West zwei große Denker hervorgebracht: den Dominikanermönch Meister Eckhart und den Zen-Buddhisten Meister Dôgen.1 Beide kennzeichnet die Verwurzelung in traditionalen Denksystemen, beiden kommt aber auch, wenn man so will, eine Überschreitung derselben zu. Sowohl Eckhart als auch Dôgen lassen dabei in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche ihre paradoxalen Denkbewegungen auf ein radikales Verständnis von Freiheit zulaufen. Diese Ansätze fordern nach wie vor zur Auseinandersetzung heraus. Vereinfacht ließe sich ein gemeinsamer Fokus beider Denkrichtungen mit der Formel umreißen, dass eine existentielle Selbsterfahrung an eine existentielle Selbstaufgabe gekoppelt wird. Eine vergleichende Betrachtung möchte in diesem Rahmen Spiegelungen zwischen den Denkern sichtbar machen und hofft so, zu einem vertieften Verständnis ihrer Gedanken beitragen zu können. Vorab soll eine lebensweltliche Gemeinsamkeit von Meister Eckhart und Meister Dôgen nicht unerwähnt bleiben, die beide so unterschiedliche Zuschreibungen wie ›Philosoph‹, ›Mystiker‹, ›Literat‹ und ›Seelsorger‹ auf sich ziehen. Eine kommunitäre Einbettung – der Dominikanerorden für Meister Eckhart, für Meister Dôgen ein buddhistisches Kloster der 1. Meister Eckhart (Tambach ca. 1260 - vermutlich Avignon 1328); Meister Dôgen (Kyôto 1200 - ibid. 1253).

Loslassen und in der Wirklichkeit ankommen

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Tendai-Schule und spätere selbständige Klostergründungen – bringt es mit sich, dass beide stets unmittelbar auf eine Gemeinschaft hin gelehrt und gelebt haben. Christlich gesprochen kam ihnen die Funktion von ›Seelenführern‹ zu. Beide verbindet zudem ein eminent schöpferischer Umgang mit Sprache. Eckhart hat sich der Aufgabe gestellt, theologische Inhalte nicht nur im Latein des Klerus, sondern auch in der deutschen Volkssprache, deren Entwicklung durch ihn entscheidende Impulse erfahren hat, zu verkünden. Dôgen wiederum hat, anders als die meisten buddhistischen Gelehrten seiner Zeit, nicht in Chinesisch, sondern in Japanisch geschrieben, mit dem er überdies ungewöhnlich frei umging.2 Einen entsprechenden Kanon lehrhafter Texte durchzieht bei beiden Denkern eine explizite Aufforderung des Lassens, die hier exemplarisch zum Ausgangspunkt genommen werden soll. Zunächst wird die Bedeutung des lâzens in den deutschen Schriften Eckharts ins Auge gefasst,3 im Anschluss soll ein Versuch der Näherung an die Vorstellung des Lassens für Dôgen folgen. 1. Meister Eckhart Beispielhaft lassen sich zwei deutsche Schriften Eckharts zum Thema der Gelassenheit anführen: Die rede der underscheidunge mit den Kapiteln 3 und 4, und die Predigt 52 (Beati pauperes spiritu) (›Armutspredigt‹). Wenngleich letztere sich eines anderen Bezugsrahmens bedient, so geht es doch bei Eckharts Konzept einer geistigen Armut um eine Weiterentwicklung des Grundgedankens des Lassens. Schon in den früheren Erfurter Reden, die Eckhart primär für seine Klosterbrüder in Erfurt verfasst haben dürfte,4 entwickelt er wichtige Grundgedanken. Im Kapitel 3 Von ungelâzenen liuten, die vol eigens willen sint (»Von ungelassenen Leuten, die voll Eigenwillens sind«) stellt Eckhart in anschaulich-prägnanter Form eine gelingende beziehungsweise verfehlte Gelassenheit dar.

2. Vgl. Heinrich Dumoulin, Geschichte des Zen-Buddhismus, Bd. 2: Japan (Bern, 1986), 52-3. 3. Zur Radikalität des Lassens bei Eckhart vgl. Irmgard Gephart, »Der Christ der Zukunft hat vergessen, dass er ein Christ ist. Meister Eckhart und die Radikalität des Lassens«, in: Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik 6 (2009) (= Von der Wissenschaft zur Mystik), 168-78. 4. Vgl. Kurt Ruh, Meister Eckhart: Theologe, Prediger, Mystiker (München, 1985; ²1989), 31-46, insbes. 31-3.

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Irmgard Rüsenberg

Eckhart bringt zunächst eine typische Verhaltensweise ungelâzener liute in stellvertretender Rede zur Sprache: Die menschen sprechent: ›eyâ, herre, ich wölte gerne, daz mir alsô wol mit gote wære und alsô vil andâht hæte und vride mit gote, als ander liute hânt, und wölte, daz mir alsô wære oder ich alsô arm sî‹, oder: ›mir enwirt niemer reht, ich ensi denne dâ oder dâ und tuo sus oder sô, ich muoz in ellende sîn oder in einer klûsen oder in einem klôster‹. (Die Leute sagen: ›Ach, ja, Herr, ich möchte gern, dass ich auch so gut zu Gott stünde und dass ich ebensoviel Andacht hätte und Frieden mit Gott, wie andere Leute haben, und ich möchte, mir ginge es ebenso oder ich wäre ebenso arm‹, oder: ›Mit mir wird’s niemals recht, wenn ich nicht da oder dort bin und so oder so tue, ich muss in der Fremde leben oder in einer Klause oder in einem Kloster‹).5 Beide Beispiele, der Selbstvergleich nach Maßgabe eines spirituellen Besitzens und die Klage über unvollkommene äußere Bedingungen, sind in einem religiösen Kontext situiert. Dies sollte aber nicht darüber hinwegsehen lassen, dass Eckhart hier eine allgemeine menschliche Schwäche zum Gegenstand nimmt. Im ersten Beispiel ist es die, sich stets mit anderen zu vergleichen und ein vermeintliches Defizit zu beklagen, im zweiten Beispiel, über die Absenz eines erwünschten Zustands Klage zu führen. Beide Klagen aber überführt Eckhart ihrer heimlichen Selbstbezüglichkeit, und seine Antwort ist klar und entschieden: In der wârheit, diz bist dû allez selber und anders niht zemâle. Ez ist eigener wille, aleine enweist dû es niht oder endünket dich es niht (»Wahrlich, darin steckt überall dein Ich und sonst ganz und gar nichts. Es ist der Eigenwille, wenn zwar du’s auch nicht weißt oder es dich auch nicht so dünkt«);6 und weiter: dû bist ez in den dingen selber, daz dich hindert, wan dû heltest dich unordenlîche in den dingen. Dar umbe hebe an dir selber an ze dem êrsten und lâz dich (»du bist es selbst in den Dingen, was dich hindert. Denn du verhältst dich verkehrt zu den Dingen«).7 Eckhart nimmt hier die Position einer predigenden Autorität ein, die zur Umkehr auffordert, zum Lassen von sich selbst. Er führt weiter 5. Eckhart, RdU (DW V 191,6-192,2). 6. Ibid. (192,2-3). 7. Ibid. (193,1-4).

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an, dass der Mensch in allen seinen äußeren Fluchtbewegungen nur Unfrieden fände, der Friede aber allein im Lassen von »äußeren Dingen« (ûzwendigen dingen) zu finden sei.8 Darin sieht Eckhart ein grundlegendes Moment der Freiheit enthalten: wan, der sînen willen und sich selber læzet, der hât alliu dinc gelâzen als wærlîche, als si sîn vrî eigen wæren und sie besezzen hæte in ganzem gewalte (»Denn wer seinen Willen und sich selber lässt, der hat alle Dinge so wirklich gelassen, als wenn sie sein freies Eigentum gewesen wären und er sie besessen hätte mit voller Verfügungsgewalt«).9 Das Kapitel 3 endet schließlich mit den einprägsamen Worten: Nim dîn selbes war, und swâ dû dich vindest, dâ lâz dich; daz ist daz aller beste (»Richte dein Augenmerk auf dich selbst, und wo du dich findest, da lass von dir ab; das ist das Allerbeste«).10 Da dieser Text von Eckhart in einem klösterlich-lehrhaften Kontext entstanden ist, liegt fürs Erste eine Deutung im Sinne eines normativen Anspruchs nahe, wonach es einen egoistischen Eigenwillen aufzugeben gilt. Gott, dessen Name erst ganz am Ende des Kapitels fällt,11 wird hierfür als kompensatorische Verheißung ins Spiel gebracht. Tatsächlich aber bringt Eckhart in seiner Rede weit mehr als nur eine Moraldidaxe vor, er liefert uns vor allem ein Psychogramm, das ein idealtypisches Projektionsmuster abbildet. Im ersten Beispiel lässt er einen Sprecher Klage führen, der das eigene Ich im Vergleich als minderwertig erlebt. Der Sprecher macht die anderen ›groß‹ und sich selbst daneben ›klein‹, möchte sich aber gleichzeitig gerne aufgewertet sehen, das heißt ebenfalls spirituell arm sein. Darüber führt er Klage. Ähnlich verhält es sich im zweiten Beispiel. Hier schildert Eckhart in paraphrasierender Ich-Rede, wie personales Glück an die Bedingungen von Kloster und Klausur gebunden wird. Über die Absenz dieser Bedingungen glaubt das Subjekt Klage führen zu sollen. Ein Subjekt rechtfertigt also sein Ungenügen an sich und der Welt nach Maßgabe von polarisierenden Zuschreibungen. Es idealisiert andere Menschen beziehungsweise andere Verhältnisse und bleibt somit auf diese fixiert. Eine neuzeitliche Diagnose würde hier wohl infantile Positionen der Abhängigkeit ausmachen. Nach Eckhart werden so notwendigerweise 8. Ibid. (193,6). 9. Ibid. (195,4-6). 10. Ibid. (196,3-4). 11. Ibid. (195,7-196,3).

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innere Spannungen produziert beziehungsweise hindernisse und unvride,12 aus denen der Mensch nur im Lassen herausfinde. Erst indem er seine Verfügungsgewalt über das, was er gelassen habe, unter Beweis stelle, mache er sich frei und gewinne auf bedeutsame Weise gewalt13 über sich selbst. Loslassend erhebe er sich über die Dinge, die er zuvor begehrend festgehalten habe.14 Der bedeutsame Angelpunkt der Eckhartschen Konzeption von Gelassenheit liegt nun darin, dass es nicht um das Lassen der Dinge an sich geht, sondern um das Lassen des Wollens der Dinge, das heißt der geistigen Vorstellung, welche die Dinge haben möchte. Diese Vorstellung ist bei Eckhart selbst das Hindernis. Die Hindernisse sind die inneren Bilder, die nach außen projiziert werden und die sich gleichsam in Nichts auflösen, wenn ich sie in meiner Vorstellung fallen lasse. Dem solchermaßen gelassenen Menschen aber mangele es fortan an nichts mehr. Das Lassen besetzter Objekte bringe es vielmehr mit sich, dass der Mensch sich im Gegenzug mit der ganzen Fülle des Seins beschenkt sähe. Ob er im Sinne einer Vorstellung von sich selbst geistig arm ist oder nicht, ob er im Kloster lebt oder nicht, spielt, um Eckharts Beispiele noch einmal aufzugreifen, dann keine Rolle mehr. Die Fülle des Seins kommt ihm genau dort zu, wo er gerade steht. Dabei hat der gelassene Mensch genaugenommen zweierlei hinter sich gelassen: die Identifikation mit seinem Begehren (›ich will geistig arm sein‹) und die Identifikation mit einer dieses kontrollierenden normativen Vorstellung (›du sollst geistig arm sein‹). Eckhart exemplifiziert hier eine Einsicht, die Sigmund Freud als die Bindung einer moralischen Über-Ich-Instanz an die Energien eines triebgesteuerten Es beschreibt. Denn dem normierenden Über-Ich liegt nach Freud die Triebbesetzung eines geliebten Objekts zugrunde. Ihm zuliebe werde die kulturell geforderte Entsagung verinnerlicht. Das ursprüngliche Begehren oder Habenwollen aber werde damit nicht beseitigt, sondern lediglich umgelenkt.15 Eckhart argumentiert also genau dort mit dem Eigenwillen des Menschen, 12. Ibid. (193,5). 13. Ibid. (195,6). 14. Ibid. (195,6-7). 15. Zum Aufbau des Instanzenmodells vgl. bei Freud u.a. das siebte Kapitel seiner Schrift Das Unbehagen in der Kultur, in: Sigmund Freud, Gesammelte Werke: chronologisch geordnet, ed. A. Freud u.a., Bd. 14: Werke aus den Jahren 1925-1931 (London, 1948) (Nachdr. Frankfurt a.M., 1955; 1963; 1968; 1972; 1976; 1991; 1999), 419-506.

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wo Freud noch hinter asketischen Entsagungen einen menschlichen Triebegoismus ausmacht. Vor diesem Hintergrund mag noch einmal deutlicher hervortreten, dass es Eckhart in seinem Modell des Lassens nicht um eine Wahl zwischen den Dualitäten von Gut und Böse geht, sondern um das Aussetzen eines inneren Konflikts im Lassen aller Vorstellungen und Bilder, ›guter‹ und ›böser‹. Am Ende des hier besprochenen dritten Kapitels zitiert Eckhart das Bibelwort ›saælic sint die armen des geistes‹16 und verknüpft damit den Gedanken des Lassens mit dem Gedanken der geistigen Armut, der zuvor bereits als Gegenstand seines Exempels Erwähnung gefunden hatte. Dieser Topos der geistigen Armut steht nun im Mittelpunkt der ›Armutspredigt‹,17 wo Eckhart die Kategorien des Nichtwollens, Nichtwissens und Nichthabens auflistet. Für die Kategorie des Nichtwollens führt er als Negativbeispiel fromme Leute an, die sehr betont danach trachteten, Gottes Willen zu erfüllen und führt vor, dass diese noch in ihrem hehren Vorsatze, nicht besser als Esel, von ihrem eigenen Willen angetrieben seien.18 In der geistigen Armut aber gehe es um die grundsätzliche innere Verfassung eines Nichtwollens, wobei sich das obige Beispiel aus den Erfurter Reden hier passgenau einfügen ließe. Für die zweite Kategorie des Nichtwissens verweist Eckhart auf einen Zustand ohne alle Selbsterkenntnis oder Gotterkenntnis. Als Drittes schließlich bedeute Nichthaben, dass der Mensch nicht einmal mehr über eine Stätte verfüge, darin Gott wirken könne, weil Gott im Menschen gleichsam in sich selbst verweile.19 Ausgehend von einem Verständnis des absoluten Nichtwollens, das folgerichtig nicht einmal mehr einen Willen Gottes erfüllen will, kommt Eckhart in der ›Armutspredigt‹ zu seiner vielleicht radikalsten Spekulation um die Seinseinheit von Gott und Mensch, die sich an jenem Punkt des Nichtwollens offenbart. Denn in der êwigen art gotes20 wusste der Mensch noch nicht um ein Leben Gottes in ihm, weil in ihm nichts anderes lebte, als er selbst: waz dâ lebete, daz was er selber.21 Er war ohne 16. 17. 18. 19. 20. 21.

Eckhart, RdU (DW V 195,8). Id., Pr. 52, ed. G. Steer, LE 1, 168-81 (vgl. DW II 486-506). Ibid., 170,4-6 (vgl. DW II 489,5-490,1). Ibid., 174,23-176,4 (vgl. DW II 498,3-499,8). Ibid., 172,29 (vgl. DW II 495,2). Ibid., 172,30 (vgl. DW II 495,2-3).

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eigenes Wissen, das heißt ohne Wissen um sich selbst oder um Gott. Dieser imaginierte Urzustand entspricht für Eckhart der vollkommenen geistigen Armut, wie sie der Mensch anstreben soll. In diesem uranfänglichen Sein Gottes war kein Unterschied zum Sein des Menschen: wan in dem wesene gotes, dâ got ist obe wesene und ob underscheide, dâ was ich selbe, und dâ wolte ich mich selben und bekante mich selben ze machenne disen menschen. Her umbe sô bin ich mîn selbes sache nâch mînem wesene, daz êwic ist, und niht nâch mînem gewerdenne, daz zîtlich ist. (In jenem Sein Gottes nämlich, wo Gott über allem Sein und über aller Unterschiedenheit ist, dort war ich selber, da wollte ich mich selber und erkannte mich selber , diesen Menschen zu schaffen. Darum bin ich Ursache meiner selbst meinem Sein nach, das ewig ist, aber nicht meinem Werden nach, das zeitlich ist).22 Eckharts Urzustand in der Ewigkeit ist demnach ein Zustand der vollkommenen Identität eines Ichs mit sich selbst. Es ist zugleich ein Zustand vollkommener Freiheit, in dem auch der Wille zum Geboren- oder Nichtgeborenwerden eingeschlossen ist. Insofern als der Mensch hier in seiner eigenen Ursache ruht, gibt es keine Ursache-Wirkungs-Relation, keine Zeit und keinen Ort. Hier steht der Mensch ganz in der Ewigkeit. Dem ›zeitlichen‹ Menschen allerdings, der zwischen Geburt und Tod steht, ist diese Dimension nur als ein durchbrechen23 erfahrbar. Da, wo er sich in diesem durchbrechen selbst als nichtunterschieden von Gott erfährt, gibt es diesen dann aber auch nicht mehr. Es ist dies der Punkt der größten Armut, des letztmöglichen Lassens, des größten Selbstverlustes und des größten Gottesverlustes. Eckhart entwirft damit einen in die Vergangenheit rückprojizierten Zustand der Einheit, der grundsätzlich unerreichbar ist. Gleichzeitig denkt er eine solche Dimension irdischer Existenz unabdingbar beigegeben. Das Geborene ist demnach nicht getrennt vom Ungeborenen, aber dieser Umstand entzieht sich in der Welt der Zeitlichkeit einem erkennenden Zugriff. Wir können ihn nicht in unser Bewusstsein von uns 22. Ibid., 178,3-6 (vgl. DW II 502,7-503,2). 23. Ibid., 178,17-180,4 (vgl. DW II 504,4-505,9). Zum Durchbruchsmotiv bei Eckhart vgl. Alois Maria Haas, »Durchbruch zur ewigen Wahrheit«, in: A. Quero-Sánchez und G. Steer (Hgg.), Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt (Stuttgart, 2008) (MEJb 2), 171-87.

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selbst integrieren, er ist allenfalls in einem durchbrechen blitzartig erfahrbar. Diesem durchbrechen aber kommen weder Selbsterkenntnis noch Gotteserkenntnis zu. Es weiß nichts von sich. Es ist durch und durch arm, ohne Wollen, ohne Wissen, ohne Haben. Zu Beginn des vierten Kapitels in den Erfurter Reden mit der Überschrift Von dem nützen lâzenne, daz man tuon sol von innen und von ûzen (»Vom Nutzen des Lassens, das man innerlich und äußerlich vollziehen soll«) spricht Eckhart davon, dass ein Mensch nie so viel gelassen haben könnte, als dass er nicht noch mehr zu lassen fände.24 In einem stets aufs Neue zu unternehmenden Vollzug des Lassens setzt er sich in einen Prozess der Näherung an die Ewigkeit, der unabschließbar ist. Frieden findet sich für Eckhart in dieser permanenten Bewegung. Knüpfen wir von hier aus noch einmal an die Einsicht an, dass es Eckhart um das Lassen innerer Bilder und Vorstellungen als um ein radikales Entbilden25 geht und nehmen wir zur Kenntnis, dass ein solcher Prozess grundsätzlich nicht abschließbar ist, so liegt auf der Hand, dass es um ein fortwährendes Lassen als Antwort auf ein fortwährendes Neuentstehen von Vorstellungen und Bildern geht. Eckhart sieht also eine menschliche Psyche dauerhaft damit beschäftigt, innere Bilder zu produzieren und diese wieder aufzugeben. Bleibt sie an einzelnen Bildern haften und räumt ihnen eine objektive Wirklichkeit ein, gerät sie in Verwirrung. Kann sie sich aber von diesen immer wieder lösen, gesellt sich zu dieser Bewegung eine innere Ruhe, in der Gott erfahren werden kann. Gott, so möchte man meinen, ist aus dieser Perspektive ein Gott der Bewegung und des Wandels. Ihm gilt es, sich zu überlassen. Die inneren Vorstellungen aber, die wir mit uns herumtragen, bilden laut Eckhart keine objektive Wirklichkeit ab, sondern nur uns selbst und unser eigenes Begehren. Räumen wir diesen irrigerweise den Status einer äußeren Realität ein, sitzen wir in einem selbstgeschaffenen Käfig, in dem wir nur Gitterstäbe beziehungsweise hindernisse sehen. Lassen wir diese jedoch, sind wir frei. Wie aber sieht bei Eckhart gelebte Gelassenheit aus? In der Predigt 86 (Intravit Iesus in quoddam castellum) geht Eckhart explizit auf eine lebenspraktische Dimension ein. In ihr widmet er sich anhand der 24. Eckhart, RdU (DW V 196,7-8). 25. Vgl. etwa id., BgT (DW V 12,22); Pr. 86 (DW III 486,13-5).

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Perikope von Maria und Martha aus dem Lukas-Evangelium der Spannung zwischen Handeln und Kontemplation. Dabei schlägt er einen Grundton an, der die Position Marthas, als der tätig Dienenden, gegenüber der Position Marias, die im Banne der Person Christi zu dessen Füßen sitzt, verteidigt. Eine Kritik Marthas an Maria nimmt er jedoch in der Aussage Christi wieder zurück, der Maria ihre Haltung der Anlehnung durchaus als ein notwendiges Entwicklungsstadium zubilligt.26 Die tätige Martha aber steht in dieser Predigt beispielhaft für einen Menschen, der bî den dingen und nicht ín den dingen steht und somit Eckharts Ideal einer inneren Abgeschiedenheit erfüllt.27 Dieses ist wiederum aufs Engste mit seiner Vorstellung des Lassens verbunden, denn der gelassene Mensch verfügt insofern über innere Abgeschiedenheit, als er sich nicht mehr in der Identifikation mit Objekten der Außenwelt in dieser verliert. Sein Handeln markiert dabei zugleich Distanz und Verbundenheit, Freiheit und Hingabe: wan, swer dâ würket in dem liehte, der gât ûf in got, vrî und blôz alles mittels: sîn lieht ist sîn gewerbe, und sîn gewerbe ist sîn lieht. Alsô stuont diu liebe Marthâ. (Denn wer da wirkt im Licht, der steigt hinauf zu Gott, frei und bloß von allem Vermittelnden: sein Licht ist sein Wirken, und sein Wirken ist sein Licht. Ganz so stand es mit der lieben Martha).28 Die biblische Martha steht in diesem Sinne ganz im Lichte ihres Tuns, auf das allernæhste29 bezogen. An anderer Stelle heißt es: Marthâ bekante baz Marîen dan Marîâ Marthen, wan si lange und wol gelebet hâte; wan leben gibet daz edelste bekennen. Leben bekennet baz dan lust oder lieht allez, daz man in disem lîbe under gote enpfâhen mac, und etlîche wîs bekennet leben lûterer, dan êwic lieht gegeben müge. Êwic lieht gibet ze erkennenne sich selber únd got, aber niht sich selber âne got; aber leben gibet ze erkennenne sich selber âne got. (Martha kannte Maria besser als Maria Martha, denn sie hatte lange und recht gelebt; denn das Leben gibt das edelste Erkennen. Das Leben erkennt besser als Lust oder Licht 26. 27. 28. 29.

Id., Pr. 86 (DW III 483,17-20). Ibid. (458,5-6). Ibid. (486,1-3). Ibid. (481,11); ibid. (482,1).

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, alles, was man in diesem Leben unterhalb Gottes erlangen kann, und in gewisser Weise reiner, als es das Licht der Ewigkeit zu verleihen vermag. Das Licht der Ewigkeit lässt uns immer uns selbst und Gott erkennen, nicht aber uns selbst ohne Gott; das Leben aber gibt uns selbst zu erkennen ohne Gott ).30 Eckhart setzt hier anstelle von Wirken und Tun das Leben selbst als obersten Wert. Denn das ewige Licht gäbe zwar sich selbst und Gott zu erkennen, das Leben aber sich selbst ohne Gott. Immer wieder führt Eckhart Aussagen über eine innere Abgeschiedenheit oder Gelassenheit, verbunden mit Exkursen über die Wesenseinheit von Gott und Mensch, zurück auf den Vollzug des Lebens selbst. Das Leben selbst ist in diesen Passagen die Aufgabe, an der sich der Mensch zu bewähren hat, es selbst ist der Lehrmeister und der Weg zur Erkenntnis, als der es alle anderen Wege der Erkenntnis überbietet. Leben und innerer Entwicklungsprozess greifen unabdingbar ineinander. Zurückgehend auf Eckharts Vorstellung eines fortwährenden Prozesses des Lassens innerer Bilder und Anhaftungen, der nie zu einem Ende gebracht werden kann, ist ein rechtes Leben im Sinne Eckharts ein Leben des Lassens, Wirkens und Übens. Ein solches Leben dient keiner Absicht, nur sich selbst, und indem der Mensch fortwährend von sich selbst ablässt, wird er immer mehr zu seinem gewerbe, seinem Tun. Statt sich in selbstbezüglichen Bildern und Vorstellungen zu verfangen, die ihn hindern und Unfrieden säen, entäußert er sich in ein absichtsloses Wirken,31 das ihn mit Gott und der Welt verbindet. Dieses Wirken ist zugleich ein Nicht-Tun, das in der Ewigkeit ruht.32 Das bis auf den heutigen Tag provokative Element in Eckharts Denken liegt darin, dass er sich zwar virtuos im Rahmen des mittelalterlichen philosophisch-christlichen Weltbildes bewegt, dieses aber auch in seiner hierarchischen Struktur gleichzeitig aufbricht. Denn wenn der Mensch Gott nicht mit seinem Denken fassen kann, sondern der Weg allein in einem radikalen ›Entbilden‹ liegt, dann beraubt Eckhart den Menschen in letzter Konsequenz jeglicher Haltepunkte in seiner inneren Vorstellungswelt. 30. Ibid. (482,17-483,2). 31. Vgl. etwa id., Pr. 1 (DW I, 10,8-12,8). 32. Vgl. id., In Gen. I, n. 181 (LW I,1 324,6-10 [Rec. CT]; LW I,2 209,9-13 [Rec. L]).

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Der Weg zu Gott ist für Eckhart mit einem grundlegenden Vergessen aller Bilder verbunden,33 an die sich menschliches Begehren heftet. Erst wenn ein solcher begehrlicher eigen wille gänzlich gelassen wird, kann der Mensch paradoxerweise zu seinem wahrhaft lebendigen eigenen finden.34 Dieser Mensch hat seine Projektionen, die ihm gleichsam die Sicht verstellen, hinter sich gelassen und ist durchlässig geworden für eine Schöpfung, von der er sich fortwährend neu empfängt und an die er sich wirkend fortwährend wieder zurückgibt.35 2. Meister Dôgen Nicht von ungefähr legt das Eckhartsche Denken, das eine personale Gottesvorstellung immer wieder abstrahierend übersteigt, nahe, nach Gemeinsamkeiten mit dem fernöstlichen Buddhismus Ausschau zu halten. Dabei geben sich die großen Gestalten Eckhart und Dôgen über die Hemisphären hinweg gleichsam ein Echo. Dennoch liegen kulturelle Unterschiede auf der Hand, und es bleibt zunächst darauf zu verweisen, dass Dôgens Werk im Rahmen buddhistischer Tradition in einer konkreten Praxis wurzelt, der Praxis des Zazen.36 Diese traditionelle Form der Sitzmeditation setzt körperlich eine sowohl aufrechte als auch entspannte Haltung zum Ziel und mental ein Vorbeiziehenlassen gedanklicher Vorstellungen, ohne an diesen festzuhalten. Man lässt diese, einem alten Zenspruch gemäß, ins Haus, bietet ihnen aber keinen Tee an. Will man dieser Praxis überhaupt die Bezeichnung Meditation zukommen lassen, so ist es eine Meditation ohne Inhalt: Shikantaza (»Nur-Sitzen«), Mushotoku (»ohne Absicht«). Begleitet wird die Übung des Sitzens von der Übung alltäglicher Verrichtungen im Dienste für die Gemeinschaft. Nach einem vierjährigen China-Aufenthalt kam Dôgen 1227 mit vertieften Erfahrungen des Zazen wieder zurück nach Japan.37 Sein Hauptwerk, 33. Vgl. etwa id., VeM (DW V 112,19-22). 34. Vgl. etwa id., Pr. 46 (DW II 383,1-384,4). 35. Diese Zirkulation einer Bewegung des Austauschs fasst Eckhart in das Motiv von der Gottesgeburt, dergemäß Gottvater den Sohn gebiert, dieser wiederum den Menschen und in der sich dieser Prozess umgekehrt wieder als ein Rückgebären vom Menschen über den Sohn hin zu Gott fortsetzt. Vgl. Rodrigo Guerizoli, Die Verinnerlichung des Göttlichen – eine Studie über den Gottesgeburtzyklus und die Armutspredigt Meister Eckharts (Leiden/Boston, 2006). 36. Vgl. H. Dumoulin, Geschichte des Zen-Buddhismus, Bd. 2 (1986), 54-9. 37. Posthum gilt er als Begründer der Sôtô-Schule des Zen-Buddhismus, deren Name mit dem berühmten, von ihm später gegründeten, Kloster Eiheiji verbunden ist. Vgl. H. Dumoulin, ibid., 88-114.

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das Shôbôgenzô,38 Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges,39 entstand im Anschluss zwischen 1231 und 1253. Im Rahmen des Shôbôgenzô, das sich in 95 Kapitel untergliedert, kommt dem dritten Kapitel Genjô kôan (»Das verwirklichte Universum«), eine besondere Stellung zu. Dieses Kapitel behandelt die Einheit von Buddha und Dharma, Selbst und Welt: Den Buddha-Weg ergründen heißt sich selbst ergründen. Sich selbst ergründen heißt sich selbst vergessen. Sich selbst vergessen heißt eins mit den zehntausend Dingen sein. Eins mit den zehntausend Dingen sein heißt Körper und Geist von uns selbst und Körper und Geist der Welt um uns fallen zu lassen.40 Die Erfahrung der Buddha-Natur aller Existenzen, das Ergründen oder Lernen des Buddhawegs liegt, so Dôgens Botschaft, in uns selbst, wobei diese Rückwendung nicht etwas Festes vorfindet, sondern gleichsam in einen offenen Raum vorstößt, in dem das Selbst, wenn es sich findet, zugleich auflöst. In diesem Selbstvergessen erfahren sich Selbst und Welt als Einheit, und diese ist wiederum gleichbedeutend mit dem Fallenlassen von Körper und Geist. Eine zentrale buddhistische Vorstellung ist hierbei die grundsätzliche Unfestigkeit aller Existenz, sowohl des personalen Selbstes als auch der äußeren Welt. Dôgen bringt hier das Beispiel ein, dass ein Mensch auf einem Boot glaube, das Ufer bewege sich. Erst wenn er unmittelbar auf das Boot schaue, erkenne er, dass das Boot sich bewege. Daraus folgert er: Genauso ist es, wenn Körper und Geist verwirrt sind und wir versuchen die zehntausend Dinge zu verstehen; dann denken wir irrtümlich, dass unser Geist und unser Wesen etwas Beständiges seien. Wenn wir jedoch unmittelbar handeln und zur konkreten Situation im gegenwärtigen Augenblick 38. Ich zitiere hier nach der vierbändigen deutschen Übersetzung von Gabriele Linnebach und Gudô Wafu Nishijima, der die dreibändige japanische Iwanami-Ausgabe zugrunde liegt. Die Übersetzer haben einen Sprachduktus gewählt, der um Verständlichkeit und Klarheit bemüht ist; ein ausführlicher Anmerkungsapparat ist dem Leser, der nicht des Japanischen mächtig ist, hilfreich: Meister Dôgen, Shôbôgenzô: Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges. Aus dem japanischen Urtext ins Deutsche übertragen von R. G. Linnebach und G. W. Nishijima-Rôshi (Heidelberg/ Leimen, 2001-8) (4 Bde.): Bd. 1 (Kapitel 1-21) (2001; 2., durchgesehene Auflage 2008); Bd. 2 (Kapitel 22-41) (2003), Bd. 3 (42-72) (2006); Bd. 4 (Kapitel 73-95) (2008). 39. Zum Begriff gen (»Auge«) vgl. H. Dumoulin, Geschichte des Zen-Buddhismus, Bd. 2 (1986), 53. 40. Dôgen, Shôbôgenzô, deutsche Übersetzung von R. G. Linnebach und G. W. Nishijima, Bd. 1 (2001; ²2008), 58,6-9.

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zurückkommen, wird die Wahrheit klar, dass die zehntausend Dinge ohne ein Selbst sind.41 Diese Erfahrung von Unbeständigkeit macht die Verwirklichung auf dem Buddha-Weg aus. Wenn Körper und Geist im Zazen zur Ruhe kommen, wird die subtile Bewegung aller Existenz, die kein festes Zentrum besitzt, wahrnehmbar. In dem poetischen Kapitel 14 des Shôbôgenzô: Sansui gyô (»Das Sûtra der Berge und Wasser«), beschreibt Dôgen diese Erfahrung anhand der Bewegung und Selbsterfahrung der Berge und Wasser: Wenn ihr an der Bewegung der Berge zweifelt, kennt ihr eure eigene Bewegung noch nicht. Eure eigene Bewegung existiert wirklich, aber ihr kennt sie noch nicht und habt sie noch nicht geklärt. Wenn ihr eure eigene Bewegung erkennt, werdet ihr gewiss auch die Bewegung der Blauen Berge verstehen.42 Eine solche Seinserfahrung, die in der Totalität des gegenwärtigen Augenblicks aufgeht, und sich der Bewegung des Universums überlässt, lässt ein vorgestelltes Kontinuum von Zeit hinter sich: Brennholz wird zu Asche, und die Asche kann niemals wieder zu Brennholz werden. Trotzdem sollten wir die Asche nicht als das Spätere und das Brennholz als das Frühere ansehen. Ihr müsst nämlich verstehen, dass das Brennholz im Dharma seinen eigenen Platz als Brennholz einnimmt. Es hat ein Vorher und ein Nachher, aber trotzdem existiert das Vorher unabhängig vom Nachher. Asche nimmt im Dharma ihren eigenen Platz als Asche ein. Sie hat ein Vorher und ein Nachher.43 Im Buddha-Dharma kommt jedem Ding in jedem Augenblick eine vollständige, unabhängige Existenz zu. Es steht zwar in einem Zusammenhang von Ursache und Wirkung, ist aber auch davon unabhängig.

41. Ibid., 58,17-22; vgl. auch Rolf Elberfeld, »Auf Bootsfahrt mit Dôgen. Zen und Philosophie«, in: K. Baier (Hg.), Handbuch Spiritualität: Zugänge, Traditionen, interreligiöse Prozesse (Darmstadt, 2006), 292-303. 42. Dôgen, Shôbôgenzô, deutsche Übersetzung von R. G. Linnebach und G. W. Nishijima, Bd. 1 (2001; ²2008), 195,2-6. 43. Ibid., 58,23-8. Zu ›Körper und Geist‹ vgl. u.a. Christian Steineck, Leib und Herz bei Dôgen: Kommentierte Übersetzungen und theoretische Rekonstruktion (Sankt Augustin, 2003).

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Aus dem Herz-Sûtra44 zitiert Dôgen die Worte »Nicht-Werden« und »Nicht-Vergehen«45 und fährt fort: Leben ist der Stand eines Augenblicks. Tod ist der Stand eines Augenblicks. [...]. Im Buddha-Dharma denken wir nicht, dass Winter zu Frühling wird, und wir sagen nicht, dass Frühling zu Sommer wird.46 Dieses Verständnis des Buddha-Dharma nimmt also nicht eine zeitliche Beziehung, welche Erfahrungen nach Maßgabe eines Werdens und Vergehens zwischen Leben und Tod miteinander verknüpft, zum Ausgangspunkt, sondern lässt Existenz in der Totalität des jeweiligen Augenblicks aufgehen. Ein jeder Augenblick existiert aus seinem eigenen Zentrum heraus.47 Und in einem jeden dieser Augenblicke ist der vollständige Buddha-Dharma über Raum und Zeit hinweg präsent. Im Wandel dieser gesättigten Augenblicke ist das Leben grundsätzlich in Bewegung – ohne einen Haltepunkt. Der Überlieferung nach beschäftigte den jungen Dôgen, bevor er nach China ging, die Frage, worin die Bedeutung des Übens zu suchen sei, wenn die Einheit des Dharma immer schon gegeben sei.48 Diese Frage verweist auf die zentrale Botschaft Dôgens, dass die Erleuchtung als Erleben einer grundlegenden Einheit nur im Üben und Handeln erfahrbar sei.49 Bei Dôgen gibt es keine Erfahrung der Wahrheit ohne Praxis

44. Das Herz-Sûtra der höchsten Weisheit ist ein kurzer Text, der die Essenz des MahayanaBuddhismus enthält, vgl. G. C. C. Chang, Die buddhistische Lehre von der Ganzheit des Seins: Das holistische Weltbild der buddhistischen Philosophie (Bern/München/Wien, 1989), 97-110. 45. Dôgen, Shôbôgenzô, deutsche Übersetzung von R. G. Linnebach und G. W. Nishijima, Bd. 1 (2001; ²2008), 58,32-3. 46. Ibid., 58,33-6. 47. Dôgen geht hierauf insbesondere im Kapitel 11 Uji (»Die Sein-Zeit«) ein. Vgl. etwa ibid., 137,12-4; 17-20: »Versteht die Zeit nicht so, als ob sie nur ›verfliegen würde‹, sondern begreift, dass ›Verfliegen‹ nicht ihre einzige Funktion ist. [...]. // Alles, was in diesem ganzen All existiert, ist eine Kette von Augenblicken, und es ist gleichzeitig für sich allein bestehende Augenblicke der Zeit. Und da Sein-Zeit ist, ist sie die Zeit meines eigenen Seins«. 48. Zum Problem von ›ursprünglicher‹ und ›erworbener Erleuchtung‹ vgl. H. Dumoulin, Geschichte des Zen-Buddhismus, Bd. 2 (1986), 42. 49. Die Annahme der Einheit von Übung und Erleuchtung wird gemeinhin als bezeichnend für die Sôtô-Schule des Zen-Buddhismus angesehen. Zur Beziehung von Buddha-Dharma, Selbst und Üben bei Dôgen vgl. Kunihiko Nagasawa, Das Ich im Deutschen Idealismus und das Selbst im Zen-Buddhismus: Fichte und Dogen (Freiburg i.Br./München, 1987), insbes. Kapitel II: Dogen, 59-79; id., »Das Prinzip des Ich bei Fichte und das Problem des Selbst bei Dôgen«, in: D. Henrich (Hg.), All-Einheit: Wege eines Gedankens in Ost und West (Stuttgart, 1985), 180-99.

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beziehungsweise ohne Handeln. Im ersten Kapitel des Shôbôgenzô mit dem Titel Bendôwa (»Ein Gespräch über die Praxis des Zazen«) heißt es: Bedenkt ferner, dass die höchste Wahrheit uns seit Anbeginn niemals fehlte; wir empfangen und benutzen sie fortwährend. Da wir aber nicht fähig sind direkt zur höchsten Wahrheit vorzustoßen, neigen wir dazu, in abstrakten Vorstellungen zu leben, denen wir nachjagen, so als ob sie wirklich wären, und gehen so an der großen Wahrheit vorbei.50 Des Weiteren: Es ist wohl offensichtlich, dass der Buddha-Dharma nicht über das verstandesmäßige Verstehen, dass wir selbst Buddha sind, zu erfassen ist.51 Dôgen legt dar, dass alle Existenz seit jeher in der Einheit des Buddha-Dharma steht, sich diese Einheit aber unserer normalen Erfahrung entzieht und wir geneigt sind, uns in unseren abstrakten Vorstellungen von der Welt zu verlieren. Die Wahrheit lässt sich nach Dôgen jedoch nicht mit dem Verstand erfassen, und an eben diesem Punkt setzt er den Wert der richtigen Übung an, welche für ihn in diesem Kapitel gleichzusetzen ist mit der Praxis des Zazen: Sitzt nur richtig und erlangt den Zustand, in dem ihr Körper und Geist fallen lasst. Wenn ein Mensch auch nur für einen Augenblick aufrecht im Samâdhi sitzt und in Körper, Rede und Geist die Buddha-Haltung offenbart, nimmt die ganze DharmaWelt diese Haltung ein, und der unendliche Raum kommt zum Erwachen.52 In der Übung des Sitzens geht es Dôgen um das ›Fallenlassen von Körper und Geist‹, eine Formel, die sich durch das ganze Werk zieht. In der Hingabe an das aufrechte Sitzen werden Körper und Geist, soweit sie fallengelassen werden, durchlässig, und die Erfahrung dieser Durchlässigkeit kommt dem ›Erwachen‹ gleich. In diesem nimmt der Erwachende zugleich alles Sein mit sich, weil sich alles Sein wechselseitig durchdringt. Weil diese Wahrheit in jedem Üben präsent ist, ist Üben Erwachen. Weil 50. Dôgen, Shôbôgenzô, deutsche Übersetzung von R. G. Linnebach und G. W. Nishijima, Bd. 1 (2001; ²2008), 33,23-7. 51. Ibid., 41,8-9. 52. Ibid., 29,24-8.

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das richtige Üben absichtslos ist, kennt es nicht das Ziel des Erwachens, sondern ist es das Erwachen selbst. In dem Kapitel 23 Gyôbutsu yuigi (»Das reine würdevolle Handeln der Buddhas«) überträgt Dôgen die Wertschätzung des Übens auf die Wertschätzung des reinen Handelns. Das reine, würdevolle Handeln der Buddhas hebt sich ab von einem Denken, das sich in einem vermeintlichen Erkennen selbst gefangen setzt: Wer nicht wie ein Buddha handelt, hat sich noch nicht von den Fesseln ›Buddha‹ und ›Dharma‹ befreit. [...]. Von der Fessel ›Buddha‹ gefangen zu sein bedeutet, dass man die Wahrheit nur als die ›Wahrheit‹ erkennt und begreift und von diesem Erkennen und Begreifen selbst gefangen ist. [...]. […] es ist so, als ob man sich selber ankettet, obwohl es keine Kette gibt. [...]. Der jetzt handelnde Buddha ist niemals in solchen Fesseln gefangen.53 Bei einem solchen Handeln lässt der Buddha nämlich selbst handeln, während die Handlung gleichzeitig den Buddha handeln lässt.54 Gerade weil das Handeln weit über das Denken hinausgeht, könnt ihr es nicht beschreiben, nicht benutzen, und ihr könnt es niemals erfassen.55 Folgen wir Dôgen, ereignen sich die Erfahrung von Einheit oder das Erwachen grundsätzlich nicht in einem abstrakten Raum des Denkens, sondern nur im konkreten Handeln eines ›konkreten Ichs‹.56 Im reinen Handeln befreit sich der Mensch von festgefügten Vorstellungen, zu denen auch jedes rein verstandesmäßige Erkennen gehört. Das reine würdevolle Handeln der Buddhas aber findet nur in der vollständigen Übergabe an den Fluss des Lebens und seine nie endende Bewegung statt, als Fallenlassen von Körper und Geist. In diesem Fallenlassen und dieser Bewegung liegt alle Seinserfüllung, in ihr erfahren sich die Blauen Berge, die Wasser und alle Buddhas selbst, diese Selbsterfahrung mit allen Wesen teilend.

53.. Id., Shôbôgenzô, deutsche Übersetzung von R. G. Linnebach und G. W. Nishijima, Bd. 2 (2003), 63,6-31. 54. Ibid., 64,24-6. 55. Ibid., 65,2-4. 56. Ibid., 64,11.

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Irmgard Rüsenberg

3. Schluss Sowohl Eckhart als auch Dôgen bewegen sich in religiösen Denksystemen, die traditionale Dualitäten verhandeln: die Relation von Gott und Mensch, Ewigkeit und Endlichkeit im christlichen Horizont sowie die Beziehung von Täuschung und Erwachen in den Koordinaten von Buddha und Dharma. Sowohl Eckhart als auch Dôgen nehmen in ihren Schriften jedoch eine mehrdimensionale Perspektive ein. Immer wieder konturieren sie die Differenz zwischen einer Welt der Ewigkeit und einer Welt der Zeitlichkeit, zwischen Wahrheit und Täuschung, Buddhas und Buddha-Dämonen, Zeit und Zeitlosigkeit, Ort und Ortlosigkeit und so fort. Zugleich lassen sie diese Differenzierungen jedoch auch immer wieder auf ihre eigene Verneinung zulaufen und öffnen damit das Tor in eine Dimension, die alles begriffliche Denken hinter sich lässt. Die Einheit von Gott und Mensch oder Buddha und Dharma, wie sie für Eckhart als ein ›Durchbrechen‹, für Dôgen als ›Erwachen‹ erfahren wird, werden jenseits religiöser Lehrgebäude angesiedelt. Beide Denker relativieren mit dieser Öffnung das Denksystem, in dem sie sich bewegen und weisen damit über sich hinaus. Eckhart fasst ein radikales Lassen in das Bild der geistigen Armut mit den Kategorien des Nichtwollens, Nichtwissens und Nichthabens. Für Dôgen wiederum ist Erwachen an das ›Loslassen von Körper und Geist‹ gebunden. Beiden Denkern geht es dabei um eine grundlegende Absichts- oder Ziellosigkeit, die selbst auf das Streben nach Erkenntnis verzichtet. In letzter Konsequenz fallen sowohl ›Buddha‹ als auch ›Gott‹ dieser Ziellosigkeit zum Opfer. Hier wie dort wird eine Einheitserfahrung an eine grundlegende Selbst- und Weltaufgabe gebunden, die sich nicht als Willensakt vollzieht, sondern einer durchdringenderen Wahrnehmung entspringt. Einem Akt bewussten Erkennens bietet sie keinen Raum mehr. Sie ist einfach nur voll ständig da. Pointierter als bei Eckhart liegt für Dôgen der Schlüssel zum Buddha-Weg und zur Buddha-Erfahrung im Üben. Das konkrete Üben löst den Übenden von den Fesseln seines Denkens und damit von seiner Ich-Beschränkung. Im Üben und Handeln kann er seine Projektionen loslassen. Signifikant ist hierbei, dass beide Denker ihr besonderes Augenmerk auf eine reflexive gedankliche Tätigkeit richten, die, sofern der Mensch sich an diese als vermeintliche Objektivationen der

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Wirklichkeit hielte, ein kardinales Hindernis darstelle. Für beide Denker verläuft hier eine Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit. Festzuhalten bleibt aber zugleich, dass hier wie dort ›Täuschung‹ und ›Wahn‹ sozusagen das Material abgeben, das den spirituellen Weg markiert. Wenn für Eckhart das Lassen der Königsweg zur Gotteserfahrung ist, sind folglich alle Bilder, die es zu lassen gilt, Stufenleitern. Gleiches gilt für die Praxis des Zen. Täuschungen und Illusionen sind gleichsam der Boden, aus dem sich die spirituelle Praxis erhebt.57 Beide Denker greifen in ihren Bemühungen, die Einheit des Seins jenseits von Begriffen zu umkreisen, die notwendigerweise an eine Dualität gebunden sind, zu Paradoxien, die eine duale Ordnung wieder negieren. In diesen Ansätzen fallen alle Gegensätze von Endlichkeit und Ewigkeit, Täuschung und Wahrheit wieder in einer Wirklichkeit zusammen. Eckhart und Dôgen haben kein festes Ziel anzubieten, aber sie nehmen den Leser mit auf eine Reise, die sein Denken verändert.

57. Zur Einheit von Täuschung und Erwachen vgl. Jochen Adam, Ich und das Begehren in den Fluchten der Signifikanten: Eine Vernähung der Lacan’schen Psychoanalyse mit dem Zen-Buddhismus (Oldenburg, 2006), 213-20.

Wirklichkeit als Beziehung. Eckharts Verständnis der Wirklichkeit als Relationsgeschehen* Meik Peter Schirpenbach, Bonn

Abstract Considering an entity as being in relation represents the central key to Eckhart’s approach of reality. The radical focus on this central concept is the substantial idea of his thinking. All further thought may be developed from this. In Eckhart’s concept, relation does not mean a certain state of an entity but a process. Being means a process of being. Being is God (esse est deus) is the central message in the sense of a basic fragment and as a consequence all other entities are nothing but a modus of it, receiving their being by their being in relation. Being means being in relation and in that respect relation has the character of substance. Within this concept transcendence and immanence explain each other.

* Dieser Beitrag entstand bereits vor dem Jahr 2012 und konnte deshalb nicht mehr die inzwischen wieder-aufgefundenen neuen Pariser Quästionen Eckharts berücksichtigen, die Loris Sturlese (ed.), Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke: Die lateinischen Werke, Bd. I,2 (Stuttgart, 2011), 453-69 veröffentlicht hat. Unter diesen finden sich auch zwei einschlägige Quästionen zum Thema „relatio“. Eine deutsche Übersetzung der Quästionen wurde ebenfalls von Loris Sturlese (mit Unterstützung von Walter Senner und Markus Vinzent) publiziert als ‘Pariser Quästionen VI-IX’, in: Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke: Die lateinischen Werke. Band I,2 (Stuttgart, 2015), 715-726. Vgl. zu diesen Quästionen Markus Vinzent, ‘Questions on the attributes (of God): Four Rediscovered Parisian Questions of Eckhart’, Journal of Theological Studies 63 (2012), 156-86. Hinzu kommt inzwischen noch eine weitere Quästion Eckharts zum Thema „relatio“, die in der ebenfalls jüngst wieder aufgetauchten Handschrift Peiffer P (jetzt Wartburg-Stiftung Eisenach, Bibliothek, Sign. Ms. 1361-50) steht, eine Handschrift, die im Jahr 2015 von Balázs J. Nemes (Freiburg i.Br.) identifiziert wurde. Die Quästion findet sich als Spruch 34 bei Meister Eckhart: Predigten und Traktate, ed. Franz Pfeiffer, Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts 2 (Leipzig, 1857 = Aalen, 1991); vgl. zu dieser Handschrift Balázs J. Nemes, ‘Meister Eckhart auf der Wartburg. Fundbericht anlässlich der Wiederentdeckung einer frühen Eckhart-Handschrift aus dem Prämonstratenserinnenstift Altenberg im Bestand der Wartburg-Stiftung’, Wartburg-Jahrbuch (2015), 176-202.

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The principle and the concrete realization of relation must be distinguished in the sense that the question of univocity and analogy in Eckhart is not a question of predominance but of further explication of a common and more basic principle. There is no concept of an ontological identity of the human being and God when we keep in mind the essence of relation. The basic structure of the process of relation is predominant over any concrete terminological concept such as esse or unum. Eckhart’s concept of ontology is an ontology of structure. The so-called termini generales, proposed as an introduction to Eckhart’s opus tripartitum present an open system to be exchanged one by another, giving a different accent to the concrete approach of the realization of relationship. The strength of Eckhart’s attempt consists in this fragmental openness towards further thought. Within the idea of intellectualitas we find Eckhart’s favorite term for this concept making the comprehensibility of relation to its key moment. 1. Eckharts Relationsverständnis: Ein radikaler Fokus auf die Beziehungswirklichkeit

A

n den Beginn des Prologus generalis in opus tripartitum stellt Eckhart als Einleitung und hermeneutischen Schlüssel zu seinem Gesamtwerk 14 termini generales und deren jeweilige oppositio.1 Anhand dieses Schemas zeigt sich eine grundlegende Struktur Eckhartscher Denkwege: Der Bezug zwischen den überlieferten Fragmenten des Opus tripartitum ist weniger in einer stringenten Übereinstimmung der Terminologie als vielmehr in der Proportionalität der Denkstrukturen zu suchen. Meiner Einschätzung nach liefert eine nähere Untersuchung dieses Strukturschemas in seiner Gesamtheit einige interessante Beobachtungen, die zentrale Aspekte der Erforschung der Gedankenwelt des Opus tripartitum zu ergänzen vermögen. Kurt Flasch bezeichnete zuletzt die termini generales als »Erstbestimmungen in Wechselwirkung«.2 Der Gehalt dieser Wechselwirkung soll im Folgenden Gegenstand meiner Darstellung sein: Für Eckhart sind die Struktur eines Gedankens und das Beziehungsgefüge, das daran aufgezeigt 1. Eckhart, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 4 (LW I,1 150,1-151,1 [Rec. CT]; LW I,2 23,3-18 [Rec. L]). 2. Kurt Flasch, Meister Eckhart: Philosoph des Christentums (München, 2010), 104.

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wird, zentraler als der konkrete Begriff. Eckhart versteht die Wirklichkeit als ein Relationsgeschehen, weist der Relationalität also Substanzcharakter zu. In die Eckhartsche Konzeption des Substanzcharakters der Relationalität fließen Elemente der aristotelischen Überlegungen zur Relationalität ein, die Eckhart in eigener Akzentuierung seinem Ansatz integriert. Aristoteles unterscheidet in seiner Metaphysik zwei Weisen der Relation: zum einen Relationen, die wechselseitigen Charakter haben (relationes mutuae), zum anderen solche, die nur auf einer Seite Realität besitzen. Hinsichtlich ersterer differenziert er weiter nach – einerseits – solchen, die Zahlenverhältnisse bezeichnen, wie ›doppelt-einfach‹ oder ›halb-ganz‹, die als solche auch unbestimmt sein können (z. B. Übertreffendes und Übertroffenes), deren eines Glied jeweils nie ohne das andere gedacht werden kann, die einander also schon logisch bedingen, und – andererseits – solchen, deren Relate durch Begriffe bezeichnet werden, aus denen analytisch notwendig ein korrelierender Begriff gewonnen wird, z. B. Vater und Sohn. Während bei diesen Formen der Relation eine Umkehr möglich ist, d. h. die Relation wechselseitigen Charakter besitzt, gibt es Relationen, die nur in einer Richtung verlaufen und deshalb nur für eines ihrer Elemente Wirklichkeit besitzen. Eine solche Relation zielt auf das Fundament des Sachverhalts, der in ihr steht, wobei dieses nicht nur dessen Ziel (terminus), sondern auch dessen Ausgangspunkt ist. Letzterer – der Sachverhalt, auf den hin und durch den erst diese Relation wesentlich besteht – bedarf jedoch zu seiner eigenen Existenz in keiner Weise des von ihm abhängigen Sachverhalts. In ihrer Umkehrung ist eine derartige Relation allenfalls als gedachte Relation (relatio rationis) zu fassen; die Richtung ist also beschreibbar, hat aber in sich keinen Wirklichkeitscharakter.3 Nur die zweite Form der Relation findet sich im Eckhartschen Konzept der termini generales wieder, jedoch vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Ungleichgewichtigkeit der Relate als Grundlage der 3. Vgl. Aristoteles, Metaphysica V, 15; 1020b,26-1021b,12; vgl. Thomas von Aquin, In libros Metaphysicorum Aristotelis expositio, V, lect. 17, ed. M.-R. Cathala und R. M. Spiazzi (Turin/Rom, 1950; ³1977), 268-9 (n. 1026). Zur Konzeption der Relationalität nach der zitierten Stelle in der Metaphysik des Aristoteles siehe Klaus Bannach, »Relationen: Ihre Theorie in der spätmittelalterlichen Theologie und bei Luther«, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 47 (2000), 101-25, 102-5.

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Wirklichkeitsstruktur überhaupt, während der Aspekt der relatio rationis nicht aufgegriffen wird. Die Frage nach dem extramentalen Status der Beziehungen war ein nicht unwichtiger Aspekt der Aristoteles-Rezeption Ende des 13. und im beginnenden 14. Jahrhundert. Ockham fasst – um einen äußersten Standpunkt zu skizzieren – die Relationen nicht als Objektbeziehungen, sondern als Eigenschaften von Begriffen ohne einen Status in der Realität auf. Er ist an der empirischen Vielfalt der Dinge interessiert, nimmt jedes Ding für sich und dies in dessen jeweiliger Unmittelbarkeit zu Gott als seinem Schöpfer. Da ihre Beziehung untereinander ohne Belang ist, werden die Geschöpfe für Ockham gleichsam ekstatisch, da sie das, was sie sind, ausschließlich in ihrer Beziehung zu Gott sind. In der Fixierung dieser Perspektive geht er mit Eckhart gleich, eliminiert aber – anders als dieser – deren ontologischen Status.4 Eckhart hat die Konsequenzen aus dem auch von ihm vertretenen Unmittelbarkeitsverhältnis noch nicht in der Schärfe Ockhams gezogen. Doch auch für ihn hat die Beziehung ihren Ort nicht zwischen den Realitäten der kontingenten Welt, sondern besteht ausschließlich als die Beziehung des Kontingenten zum Nichtkontingenten. Eckhart kennt die aristotelische Lehre, die die Beziehung als eine der neun akzidentellen Kategorien (praedicamenta), die einen Sachverhalt näher kennzeichnen, betrachtet,5 er entfaltet dieses Theoriestück jedoch nicht als Kategorienlehre weiter, sondern entwickelt eine Auffassung von einer Substantialität der Beziehung als solcher, innerhalb der das In-Beziehung-Stehen eines Sachverhalts dessen Substantialität ausmacht. Die gleiche Überlegung, die Ockham dazu bewegt, die Realität der relatio zu negieren, führt Eckhart dazu, sie zum eigentlichen Status der Wirklichkeit des Kontingenten zu erheben. Dabei geht es ihm aber nicht um die relatio als eine eigene Wirklichkeit, sondern um das In-der-Relation-Sein als den Wirklichkeitsmodus überhaupt. Weitaus signifikanter als der Blick auf die relatio ist für Eckhart deshalb die Betrachtung des relativum. Im 4. Vgl. Wilhelm von Ockham, Summa Logicae, I, c. 49-54, ed. Ph. Boehner, G. Gál und St. Brown, in: Opera philosophica et theologica, Opera philosophica, Bd. 1 (St. Bonaventure, New York, 1974), 153,40-179,62; id., Scriptum in librum primum Sententiarum. Ordinatio, I, dist. 30, q. 3, ed. G. J. Etzkorn und Fr. E. Kelley, in: Opera philosophica et theologica, Opera theologica, Bd. 4 (St. Bonaventure, New York, 1979), 335,3-365,20. Vgl. K. Bannach, »Relationen« (2000), 105-13. 5. Vgl. Eckhart, In Ex., n. 64 (LW II 68,4-69,8).

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Johanneskommentar entwickelt er seine Überlegungen zur Beziehung vom Status des relativum her und umgeht damit die Problematik, die Ockham später dazu bewegt, den ontologischen Status der relatio als solcher anzuzweifeln: relativum proprium habet et suum non sibi esse nec ad se, sed sibi non esse, alii esse et alius esse et ad alterum esse. Propter quod quo magis non suum, tanto magis suum, et quo magis suum, tanto minus suum; sibi enim esse et suum esse est sibi non esse, sed alius esse. (Was in Beziehung steht [relativum], hat die Eigentümlichkeit, nicht für sich und nicht zu sich zu sein, sondern für sich nicht zu sein, für ein Anderes und des Anderen und zum Anderen zu sein. Deshalb ist es um so mehr nicht sein eigen, je mehr es sein eigen ist, und je mehr es sein eigen ist, um so weniger ist es sein eigen; denn das Für-sich-Sein und das ihm eigene Sein ist: nicht sein für sich, sondern des Anderen zu sein).6 Die Beziehung ist der eigentliche Seinsmodus des relativum, das nur in ihr seinen Bestand hat. Als ganz auf ein anderes hin Seiendes und nur in diesem bestehend geht ihm jegliche eigene Substantialität ab. Umgekehrt hat auch die Beziehung als solche keinen eigenen ontologischen Status, sondern besteht nur als der Wirklichkeitsmodus des relativum. Da das relativum aber nicht in sich besteht, ist die Beziehung freilich nicht mit dem relativum in sich identisch. Die Feststellung, dass das relativum um so mehr zu sich selbst kommt, d. h. das verwirklicht, was ihm wesentlich ist, je mehr es in seiner Beziehung steht, sagt nicht aus, dass es einen Selbststand besitzen könnte, aus dem heraus es überhaupt erst diese Beziehung eingehen könnte, sondern dass die Beziehung als solche prozessualen Charakter hat. Die Gleichsetzung der relatio mit dem Wirklichkeitsstatus des relativum führt dazu, dass Eckhart die Ausführungen über das relativum auch als Ausführungen über die relatio formulieren kann. Dies ist im Ecclesiasticuskommentar der Fall. Dieses Zitat steht wie das vorangehende im weiteren Kontext der Gottesbeziehung: Relationi autem suum esse est non suum esse; sibi esse est non sibi, sed alterius, ad alterum et alteri esse (»Das der Beziehung eigene Sein ist aber Nicht-Eigen-Sein; für sie ist 6. Id., In Ioh., n. 425 (LW III 360,9-12).

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Sein nicht Für-Sich-Sein, sondern Sein des anderen, zum anderen hin und für das andere«).7 Im Exoduskommentar stehen die Überlegungen zur relatio in Zusammenhang mit Ausführungen über die aristotelischen Kategorien (praedicamenta).8 In diesem Zusammenhang muss Eckhart die relatio von der substantia absetzen. Dennoch wird die beschriebene Grundstruktur deutlich: Relatio [...] potius oritur et principium sui est non in subiecto, sed in opposito.9 Die Beziehung kommt dem in ihr Stehenden nicht aus ihm selbst, sondern von einem Gegenüber her zu. Dass aus einer solchen Überlegung heraus die Beziehung des Kontingenten zum Nichtkontingenten einseitig linear sein muss, ergibt sich aus der Ursprunghaftigkeit und Nichtaffizierbarkeit des Nichtkontingenten.10 Eckhart konzentriert sich in seinen Überlegungen zur Relationalität auf diesen einen zentralen Gedanken als den zentralen Sachverhalt der Wirklichkeit, der den Inbegriff, nicht einen Sonderfall von Relationalität darstellt. Relation bedeutet bei Eckhart das In-der-Relation-Stehen des Kontingenten. Losgelöst davon ist keine Reflexion über Relationalität denkbar.11 Eckharts Gedanken zur Relation lassen sich auf Überlegungen Heinrichs von Gent beziehen, insofern als dieser davon ausgeht, dass die Relation als solche den Relativa vorausgeht. Entscheidend ist für Heinrich die Kritik am aristotelischen Gedanken der Substantialität des einzelnen Seienden. Diesen hält er mit dem christlichen Schöpfungsgedanken für unvereinbar und behauptet von daher die Relationalität der Substanz. 7. Id., In Eccl., n. 4 (LW II 233,1-3). 8. Zu diesen Passagen siehe Rolf Schönberger, Relation als Vergleich: Die Relationstheorie des Johannes Buridan im Kontext seines Denkens und der Scholastik (Leiden/New York/Köln, 1994), 118-24. 9. Eckhart, In Ex., n. 66 (LW II 71,1-2); vgl. ibid., n. 65 (69,16-70,2). 10. Rainer Manstetten, Esse est deus: Meister Eckharts christologische Versöhnung von Philosophie und Religion und ihre Ursprünge in der Tradition des Abendlandes (Freiburg i.Br./München, 1993), 202, weist darauf hin, dass Eckharts Argumentation zur Relation nur dort sinnvoll sei, wo ein sich selbst genügender Gegenstand mit einem bedürftigen Gegenüber gedacht werde, d. h. im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Gott und Schöpfung. Zu der zitierten Stelle bemerkt Manstetten, ibid., jedoch: »Nur wenn der Gegenstand ohne ein Gegenüber vollständig das ist, was er ist, gehören Relationen, in denen er steht, nicht ihm an, sondern dem Gegenüber, das dieser Relationen offensichtlich bedarf, um zu sein, was es ist«. Dies muss umgekehrt formuliert werden. Gerade der Natur des Kontingenten entspricht es, dass die für es wesentliche Relation vom Nichtkontingenten her konstituiert wird. Die vorhergehenden Zitate bestätigen dies. 11. Vgl. R. Schönberger, Relation (1994), 122-3.

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Die Relation bildet zwar mit der Substanz eine untrennbare Einheit, doch ist die Relation das das eigentliche Sein des Seienden konstituierende Prinzip.12 Mit diesen Überlegungen bewegt sich Heinrich genau auf dem Feld, das für Eckhart interessant wird: Das Verhältnis von Gott und Geschöpf. Hinsichtlich der begrifflichen Erfassung des Wesens der Relation, insbesondere der Lehre vom respectus als dem formalen Element der Seinsweise13, folgt Eckhart den Differenzierungen Heinrichs nicht. Seine Überlegungen zur Beziehungswirklichkeit als Begründung der Substantialität des Nichtkontingenten vom Kontingenten her gehen über den unmittelbaren Begriff der relatio, erst recht über den der relatio als ursprünglich aristotelischer Kategorie weit hinaus und bieten sich als grundlegende strukturale Überlegungen anhand der termini generales dar und weniger als explizite Thematisierungen der relatio.14 Eckharts Akzentsetzung besteht in der radikalen Konzentration auf den Gedanken einer ausschließlich relationalen Wirklichkeit des einzelnen Kontingenten auf Gott hin. In diese Grundstruktur werden alle übernommenen Traditionsstücke integriert. Die verschiedenen Strukturelemente, anhand derer Eckhart die Wirklichkeit erfasst, sind nicht allein aus systematischen Erwägungen entwachsen, sondern gehen zugleich auf verschiedene Theoriestücke zurück, die Eckhart aus der Tradition aufgreift und in seinen Ansatz integriert. Die Nebeneinanderordnung bietet den methodologischen Vorzug, die verschiedenen Elemente nicht vorschnell in eine Synthese zwingen zu müssen, die aus der Divergenz der Ansätze heraus überhaupt nicht zu leisten wäre. Solche Überlegungen lassen sich beispielsweise auch auf das Verhältnis von Einheits- und Seinsmetaphysik anwenden. Eckhart braucht innerhalb seines Strukturschemas nicht notwendig einem bestimmten transzendentalen Begriff den Vorzug vor allen übrigen zu geben, sondern kann sie als convertibiliter idem nebeneinander ordnen.

12. Vgl. Heinrich von Gent, Quodlibet IV, q. 2, ed. G. Wilson und G. J. Etzkorn, in: Opera omnia, Bd. 8 (Leuven, 2011), 5-7. Vgl. Jos Decorte, »Heinrich von Gent: Von einer Ontologie der Relation zur Relationsontologie«, in: Th. Kobusch (Hg), Philosophen des Mittelalters: Eine Einführung (Darmstadt, 2000), 152-66, 153-4. 13. Vgl. J. Decorte, ibid., 160-3. 14. R. Schönberger, Relation als Vergleich (1994), 117, sieht im Blick auf Eckhart »verhältnismäßig knappe explizite Ausführungen zum Begriff der Relation«, jedoch »beherrschen relationale Bestimmungen das Zentrum und somit das Ganze seines Denkens«.

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2. Eckharts Naturbegriff: Die Unterscheidung zwischen Ursprung und Vollzug der Relation Innerhalb der Aufzählung der termini generales fällt bei einem der Gegensatzpaare auf, dass Eckhart zur näheren Modifizierung den Begriff ›Natur‹ hinzufügt: Der zu entwerfende neunte Traktat soll »von der Natur des Oberen und des Niederen, seines Gegensatzes« handeln.15 Es ist außerdem das einzige Gegensatzpaar, das aus im Komparativ, das heißt zueinander relativ gebildeten Begriffen besteht. Nicht vom Höchsten und Niedrigsten als solchem ist die Rede, sondern von dem, was in der Ordnung zueinander als das Höhere bzw. Niedere dasteht. Das können je verschiedene Sachverhalte sein. In dem zu entwerfenden Traktat sollen diese Sachverhalte nicht als solche, sondern nur insofern sie einander übergeordnet bzw. untergeordnet sind, betrachtet werden. Es geht um das, was ihr ungleiches Verhältnis zueinander begründet und was ein solches ungleiches Verhältnis ausmacht, mit anderen Worten, es geht um die formale – washeitlich fassbare – Struktur eines solchen auf vielfache Weise in der Wirklichkeit realisierten Verhältnisses. Bei der Betrachtung des überlieferten Gesamtwerkes Eckharts lässt sich feststellen, dass in weiten Bereichen solche Relationen der Über- bzw. Unterordnung Gegenstand der Betrachtung sind, dass sie im Wesentlichen die Struktur der Wirklichkeit ausmachen, dass sie in ihrer Struktur jedoch auch auf verschiedene Weise inhaltlich gefüllt werden können. Der Naturbegriff in der hier entfalteten Konnotation, so wird in diesem Zusammenhang deutlich, hat seine Verortung innerhalb der Strukturbetrachtung der Wirklichkeit. Die Natur ist das, was einen bestimmten Sachverhalt unter einer bestimmten Betrachtungsweise zu dem macht und erkennbar macht, als was er sich hier zeigt. Einen Eindruck davon, wie der Traktat De natura superioris et inferioris konzipiert war, gewinnt man aus Ausführungen im Johanneskommentar zu Joh 1,16: »Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade« (De plenitude eius omnes accepimus et gratiam pro gratiam).16 In seinen kommentierenden Ausführungen geht es Eckhart vornehmlich um die Unterscheidung zweier Strukturen des Verhältnisses von Oberem 15. Eckhart, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 4 (LW I,1 150,10 [Rec. CT]; LW I,2 23,11 [Rec. L]): de natura superioris et inferioris, eius oppositi. 16. Id., In Ioh., n. 182 (LW III 150,5-152,13).

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und Niederem in ihrer Wirkung aufeinander, die er an dieser Stelle als analoge bzw. univoke Beziehung (in analogicis et in univocis) charakterisiert. Eine analoge Beziehung liegt in diesem Zusammenhang dort vor, wo »Aktives und Passives nicht in der Materie oder in der Gattung übereinstimmen«17, mit anderen Worten ein Verhältnis wesentlicher Ungleichheit bei dennoch bestehender Relation vorliegt. Analogizität definiert sich in diesem Zusammenhang durch relationale Einheit (Beziehungseinheit) bei wesenhafter (washeitlicher) Verschiedenheit und Verschiedenheit in der kontingenten Verwirklichung. Eckhart kann diesen Sachverhalt auf das theologische Problem der Gnade beziehen, da die Ungleichheit der beiden Korrelate im Wesentlichen darin besteht, dass das Untergeordnete alles dem Übergeordneten verdankt und zu der Relation nichts aus sich selbst heraus beisteuert. In einer solchen Beziehung sieht Eckhart das, was durch das Niedere empfangen wird, als consequens ipsam naturam superioris ut proprium, das heißt, »aus dem folgend, was der Natur des Oberen eigen ist«.18 Hiermit klingt zwar auch der washeitliche Gehalt des Oberen an, der dem Niederen vermittelt wird, doch geht es in erster Linie um die Eigentümlichkeit (proprium) übergeordnet zu sein, die erst ein solches Verhältnis in analogicis ermöglicht. Nicht jeder Sachverhalt ist geeignet, in einem solchen Verhältnis die Position des Oberen einzunehmen, sondern muss über bestimmte – an dieser Stelle jedoch nicht näher explizierte – Eigenschaften verfügen, die ihm eine solche Position einzunehmen ermöglichen. Die washeitliche Komponente bleibt bei aller Konzentration auf die Strukturalität nicht komplett ausgeblendet. Hinsichtlich einer Relation in univocis braucht Eckhart nicht mehr von einer Natur des Oberen hinsichtlich seiner Eigentümlichkeit als Oberes zu sprechen, da in einer derartigen Relation die Glieder in einem Verhältnis von Gegenseitigkeit stehen: In univocis autem activum et passivum in materia conveniunt et genere et specie: inferius id quod recipit habet quidem de gratia superioris, sed non de mera gratia. Ratio est, quia in talibus passivum patiendo agit et activum agendo patitur. Item etiam non est se toto passivum nec carens omni actu: ipsum inferius recipit 17. Ibid. (150,7): ubi activum et passivum non communicant in materia sive in genere. 18. Ibid. (150,9).

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similitudinem et formam activi de gratia quidem superioris, meretur tamen ex natura sua, eo quod sit eiusdem naturae in specie cum agente. (Bei Univokem jedoch kommen Aktives und Passives zusammen, auch Gattung und Art: Das Niedere hat das, was es empfängt, wohl aus Gnade des Oberen, aber nicht aus reiner Gnade. Der Grund ist der: In einer solchen Beziehung wirkt das Erleidende im Erleiden, und das Wirkende erleidet im Wirken. Ferner ist es auch nicht völlig passiv, noch entbehrt ihm jede Wirksamkeit; das Niedere empfängt wohl Ähnlichkeit und Form des Wirkenden von der Gnade des Oberen, verdient sie aber durch seine Natur, weil es dieselbe Natur der Art nach wie das Wirkende hat).19 ›Natur‹ steht in einer solchen Relation vornehmlich für die washeitliche Bestimmung des Sachverhalts, nicht insofern er die Stellung des Oberen oder Niederen einnimmt, sondern hinsichtlich dessen, was den beiden Gliedern der Relation gemeinsam ist, d. h. ihre gemeinsame Gattung (genus). Die gemeinsame Natur ist jedoch von relationaler Relevanz, weil sie die gegenseitige Einwirkung ermöglicht bzw. in diesem Zusammenhang erst aufgrund eines Prozesses des Einwirkens angenommen wird. Wirken zu können ist nicht bloß Bestandteil dieser Natur, sondern diese zeigt sich erst als diese Wirkung bzw. im Vollzug dieser Wirkung, so dass für diesen Zusammenhang nicht zuerst eine washeitliche im Sinne einer spezifischen Bestimmung, sondern eine strukturontologische im Sinne einer relationalen und prozessualen Bestimmung festgehalten werden kann. Die Betonung der convenientia liegt weniger auf materia, genus und species, sondern auf der convenientia von activum und passivum. Die Natur eines relationalen Sachverhalts, d. h. die Relation als solche, muss keineswegs einheitlich strukturiert sein, sondern kann sich in Form unterschiedlicher Strukturmuster entfalten. Sie bezieht zwar auch die washeitliche Bestimmtheit ihrer Glieder mit ein, erschöpft sich aber nicht in dieser, da sie in Form eines Prozesses vorgestellt wird. Die Form der Struktur steht mit dem inhaltlichen Gehalt des Sachverhalts bzw. seiner Komponenten in einem wesentlichen Zusammenhang, ist von diesen her wesentlich bestimmt, geht aber nicht darin auf. 19. Ibid. (150,12-151,6).

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Wir berühren mit diesem Zusammenhang einen Themenkomplex, dem in der Eckhartinterpretation eine Schlüsselposition zukommt. Burkhard Mojsisch sieht für das Verhältnis zwischen analoger und univoker Relationalität bei Eckhart in der Theorie der Univozität die Grundlage für ein Verständnis der Theorie der Analogizität. Analogie, Univozität und Einheit – so der Titel der Habilitationsschrift Mojsischs20 – bilden die Theorieteile einer umfassenden Relationstheorie, innerhalb der der Univozität jedoch eine Schlüsselposition für das Gesamtverständnis zukommt. Im Hinblick auf das Theorem ›Gerechtigkeit‹ bemerkt Mojsisch: »Was dem Analogiedenken verborgen bleibt, wird im Univozitätsdenken deutlich: die Selbstvermittlung des Absoluten, der ungeborenen, aber gebärenden Gerechtigkeit«.21 Die univoke Beziehung gründe auf Gegenseitigkeit. So unterschieden sich univoke Relata zwar aufgrund ihrer Entgegensetzung (inquantum opponuntur / distinguuntur), setzten sich zugleich aber wechselseitig in ihrer Relationalität (in quantum relative, mutuo se ponunt).22 Das ›In-Sein‹ der Wirkung in ihrer Ursache mache das univoke Kausalverhältnis aus. In einer analogen Beziehung hingegen stamme das Hervorgebrachte zwar vom Hervorbringenden ab, sei aber »unter seinem Ursprung, nicht bei ihm. Ferner wird es ein anderes der Natur nach, und so ist es nicht der Ursprung selbst. Allein insofern es im Ursprung ist, ist es der Ursprung selbst (dort nämlich ist es auf die Weise der Univozität)«.23 Bei der sogenannten ›univoken Korrelationalität‹24 werde gegenüber der äußerlichen Relationalität analoger Relata ein immanentes Beziehungsverhältnis herausgestellt, indem Eckhart die wechselseitige Bezogenheit der univok-kausal sich durchdringenden 20. Burkhard Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie, Univozität und Einheit (Hamburg, 1983). 21. Ibid., 67. 22. Vgl. Eckhart, In Ioh., n. 197 (LW III 166,10-3): Pater enim et filius opponuntur relative: in quantum opponuntur, distinguuntur, sed in quantum relative, mutuo se ponunt; nec est nec intelligitur pater sine filio et e converso (»Denn der Vater und der Sohn stehen [einander] auf Grund ihrer Beziehung gegenüber: insofern sie [einander] gegenüberstehen, werden sie unterschieden, aber auf Grund ihrer Beziehung setzen sie sich gegenseitig; der Vater ist weder ohne den Sohn, noch ist er ohne ihn denkbar; das gilt auch umgekehrt«). 23. B. Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie (1983), 62. 24. Burkhard Mojsisch, »Die Theorie des Ich in seiner Selbst- und Weltbegründung bei Meister Eckhart«, in: Christian Wenin (Hg.), L’homme et son univers au Moyen Age: Actes du VIIe Congrès international de philosophie médiévale, Bd. I (Louvain-la-Neuve, 1986), 267-72, 271, spricht von »Univozität im Sinne korrelationaler Transzendentalkausalität«, wobei er, ibid., 270, die Überlegungen in den Kontext einer Theorie des Ich, »das als Ursache seiner selbst sich als transzendentales Prinzip begründet«, einbettet.

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Momente betone. Anhand des Univozitätsdenkens werde eine Selbstvermittlung des Absoluten – im konkreten Beispiel der Gerechtigkeit – deutlich, was dem Analogiedenken noch verborgen bleibe. Der letzteren Einschätzung ist beizufügen, dass Eckhart in seinen Ausführungen zur Univozität weiterhin von einem Oberen und einem Niederen spricht, d. h. eine eindeutige Über- bzw. Unterordnung der Relata vornimmt. Von Gegenseitigkeit kann zwar die Rede sein, jedoch nur in einem insofern eingeschränkten Sinne, als eines der Relata – das sogenannte ›Höhere‹ – die Relation begründet, während das in Bezug dazu Niedere erst auf den Anstoß des Höheren hin in der Lage ist, auf dieses zurückzuwirken. Die Unterscheidung zwischen analoger und univoker Beziehung bezieht sich auf den konkreten Vollzug der Relation, nicht auf ihren Ursprung. Die Ursprunghaftigkeit ist aber das wesentliche Konstitutivum jeglicher Prozessualität, und ihr gilt Eckharts eigentliches Interesse. Die Schlussfolgerung, die Norbert Winkler zieht, zu deren Stützung er das noch zu untersuchende Illustrationsbeispiel von Feuer und Holz aus dem Johanneskommentar herangezogen hat, erscheint vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zu weitreichend: »Die univoke Einheit basiert auf Verwandlung dergestalt, daß sich der Mensch von seiner begrenzten Subjektivität befreit und die göttliche Subjektivität zu seiner eigenen macht. Es ist also nicht die Einheit zwischen zwei Subjekten gemeint, sondern die Umwandlung des einen in das andere«.25 Dem ist entgegenzuhalten, dass die von Eckhart entworfene univoke Relation nicht von einer verwirklichten Identität ihrer Relata ausgeht, sondern einen Prozess im Vollzug betrachtet. Eine vollendete Identität würde in letzter Konsequenz eine Aufhebung der Beziehungswirklichkeit bedeuten. Dem Beziehungsgeschehen als solchem kommt ein eigener substantialer Wirklichkeitsstatus zu, der mehr ist als die Addition oder Ineinssetzung der Relata. Zwischen den Prologen und den übrigen fertig gestellten Teilen des Opus tripartitum besteht bei aller entstehungsgeschichtlicher Distanz weiterhin ein sachlicher Zusammenhang. Die Vorbemerkungen der Prologe sind deshalb für das Verständnis der verschiedenen Theoriestücke als Hintergrund zu betrachten. Dies gilt auch für die in den Prologen grundgelegte Verhältnisbestimmung zwischen Höherem und Niederem. 25. Norbert Winkler, Meister Eckhart zur Einführung (Hamburg, 1997), 79.

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Erst von hierher sind die die Relationalität spezifizierenden Aussagen zu verstehen: Secundo est praenotandum quod universaliter priora et superiora nihil prorsus accipiunt a posterioribus, sed nec ab aliquo afficiuntur quod sit in illis; sed e converso priora et superiora afficiunt inferiora et posteriora et in ipse descendunt cum suis proprietatibus et ipsa sibi assimilant, utpote causa causatum et agens passum. (Zweitens ist vorher zu bemerken, dass ganz allgemein das Frühere und Obere durchaus nichts von dem Späteren empfängt, ja sogar auch nicht von ihm berührt wird. Sondern das Frühere und Obere berührt vielmehr das Niedere und Spätere und steigt mit seinen Eigentümlichkeiten in es herab und gleicht sich – nämlich als Ursache und als Tätiges – jenes als das Verursachte und Leidende an).26 Das solchermaßen bestimmte Verhältnis zwischen Oberem und Niederem wird auch in der univoken Beziehung nicht aufgehoben. Es liegt kein Widerspruch vor, denn in der Passage aus dem Prolog wird lediglich ausgesagt, dass dem Oberen die Ursprunghaftigkeit zukommt und dass es in Bezug auf diese uneinholbar bleibt. Der konkrete Vollzug der Beziehung kann auf die skizzierte zweifache Weise angenommen werden. Die grundsätzliche Problemstellung, die hinter einer Unterscheidung zwischen einem analogen und einem univoken Ursächlichkeitsverhältnis steht, ist, ob Ursprunghaftigkeit notwendigerweise eine Affizierbarkeit des Ursprungs ausschließt, d. h. ob eine Rückwirkung des Verursachten auf das Verursachende möglich ist oder ob eine kausale Relation grundsätzlich nur in einer Richtung bestehen kann. Hinsichtlich dieser Problemstellung unterscheidet Eckhart zwei Möglichkeiten, wobei er anhand des Schemas der Univozität die aufgeworfene Frage grundsätzlich bejaht. Vorgestellt werden also ›lediglich‹ zwei Modelle von Relationalität, die jedoch den Sachverhalt der Ursprunghaftigkeit als solchen nicht unmittelbar berühren. Im Anschluss an die oben zitierte Passage aus dem Johanneskommentar illustriert Eckhart den Sachverhalt der Univozität folgendermaßen: ignis agit in lignis calorem et ipsa assimilat sibimet in calore, et hoc quidem de gratia est quod sint calida. Generans tamen ignis, in 26. Eckhart, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 10 (LW I,1 154,13-155,1 [Rec. CT]; LW I,2 27,18-21 [Rec. L]).

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quantum generans, non sistit in calore sive calefactione ligni, sed hanc gratiam ordinat ad generationem formae substantialis, quae est maior perfectio, et sic gratiam calefactionis et assimilationis dat pro gratia specificae informationis, ut scilicet calefaciendo et assimilando formae substantialis lignum sit capax. Unde calefactio ab igne generante non est intenta nisi per accidens. Propter quod alteratio calefactionis fit per accidens sive per accidentia generantis. (Das Feuer wirkt in den Holzstücken die Hitze und verähnlicht sie mit sich in der Hitze, und das ist freilich aus Gnade, dass sie heiß sind. Das [er]zeugende Feuer, insofern es [er]zeugt, macht dennoch in der Hitze oder der Erhitzung des Holzes nicht halt, sondern ordnet diese Gnade hin auf die Erzeugung der [= seiner] Wesensform, welche die größere Vollkommenheit ist. Und so gibt es die Gnade der Erhitzung und Angleichung um der Gnade der arthaften Formung willen, damit nämlich das Holz durch die Erhitzung und Angleichung für die Wesensform aufnahmefähig sei. Daher ist die Erhitzung von dem sie erzeugenden Feuer nur akzidentell erstrebt. Deswegen geschieht die Veränderung bei der Erhitzung nur akzidentell oder durch die Akzidenzien des Erzeugenden).27 Bezugspunkt dieser Ausführungen ist der doppelte Gnadenerweis, den der Schriftvers Joh 1,15-6 unterstellt: De plenitude eius nos omnes accepimus, et gratiam pro gratia (»Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade«). Die Rede von der Gnade unterstellt von der Sache her ein ungleiches Beziehungsverhältnis. Hier finden wir bereits das durchweg vertikale Verhältnis, das den Ausgangspunkt und Bezugsrahmen für Eckharts Überlegungen hinsichtlich Univozität und Analogizität darstellt. Innerhalb der von Eckhart angeführten Illustration sind diese Zusammenhänge auf den ersten Blick verborgen, was die Frage aufwirft, wo in dem Beispiel das univoke Beziehungsverhältnis vorliegt. Innerhalb des Prozesses, den Eckhart beschreibt, sind zwei wesentliche Ebenen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung lässt sich an der Beschreibung einer zweifachen Vermittlung von Gnade festmachen: die hier aus dem Zusammenhang so genannte gratia calefactionis et assimilationis (»die Gnade der Erhitzung und Angleichung«) einerseits und die mit einem Allgemeinbegriff bezeichnete gratia specificae informationis (»die Gnade der arthaften Formung«) andererseits. Informatio ist in diesem Zusammenhang wörtlich 27. Id., In Ioh., n. 182 (LW III 151,6-14).

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im Sinne von ›Einformung‹, d. h. Umprägung der wesensbestimmenden Form eines Sachverhalts durch einen anderen Sachverhalt. Der Prozess der Angleichung des Holzes an das Feuer wird durch die Hitze ausgelöst. Der Vollzug der wesentlichen Unterscheidung, von der ab nicht mehr von Holz, sondern von Feuer die Rede ist, wird losgelöst von diesem nur vorbereitenden Prozess betrachtet. Einerseits ist der Prozess der Erhitzung und dem zu Feuer werden durch das Feuer selbst ausgelöst, er ist jedoch im Hinblick auf das zukünftige Selbst-Feuer-Sein auch eine Bewegung, gleichsam ein Entgegenkommen des brennenden Holzes. So bemerkt Eckhart weiter: Et hoc est quod hic dicitur quod de plenitude superioris recipit omne suum inferius, et gratiam pro gratia. Verum est tamen quod etiam e converso lignum recipit gratiam formae ignis pro gratia assimilationis dispositive et in fiendo. Sic ergo in univocis inferius recipit a superiori non solum ex gratia, sed etiam ex merito. (Und das ist das, was hier gesagt wird, dass aus der Fülle des Höheren das Niedere all das Seine empfängt, Gnade um Gnade. Doch ist es wahr, dass auch umgekehrt das Holz die Gnade der Form des Feuers für die Gnade der Angleichung empfängt, vorbereitend und im Werden. So also empfängt bei Univokem das Niedere vom Höheren nicht nur aus Gnade, sondern aus Verdienst).28 Das Verdienst, von dem hier die Rede ist, ist bloß ein relatives Verdienst, d. h. keine substantial eigenständige Leistung, da er die Hergabe bzw. Wirksamkeit von etwas bezeichnet, was zuvor empfangen wurde. Die Präposition pro des Ausdrucks gratiam pro gratia ist in ihrer Bedeutung schillernd, versucht man sie angemessen im Deutschen wiederzugeben. Sie bezeichnet einerseits – im Sinne eines für und damit – die Zweckgebundenheit der in diesem Beispiel ersten, gleichsam vorbereitenden Gabe, womit aber keine strikte Kausalität bezeichnet wird. Andererseits – das wird mit dem Satz verum est tamen eingeleitet – steht sie für den Austausch – für im Sinne von anstatt und einer zeitlichen Abfolge – der zuerst empfangenen und das eigene Wirken transformierenden Gnade für die zweite, die wesentliche Veränderung erwirkende Gnade. Das eigene Eingehen in die zunächst empfangende Wirksamkeit ist das, was Eckhart 28. Ibid. (151,14-152,2).

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in diesem Zusammenhang unter Univozität versteht. Univozität wird folglich als ein Prozess aufgefasst und nicht, wie sich aufgrund der Erwähnung von materia, genus und species vermuten ließe, auf die Zuordnung von in sich substantial gründenden Wesenheiten. Ginge man von letzterem aus, läge überhaupt keine sachliche Notwendigkeit mehr vor, einen Prozess gegenseitigen Einwirkens von activum und passivum zu beschreiben. Die Terminologie, aus anderen Theoriestücken bekannt, ist in diesem Zusammenhang irreführend.29 Die Annahme einer statischen Univozität unter Ausblendung der Prozessualität wäre vor dem Hintergrund des Illustrationsbeispiels von Feuer und Holz insofern absurd, als die Betrachtung reinen Feuerseins am Ende des Prozesses ohnehin zum einen die vorherige Existenz des Holzes nicht interessieren muss, zum anderen die Annahme eines reinen Feuers ohne etwas, das zu Feuer verbrennt so überhaupt gar nicht vorkommt. Eckhart geht es jedoch um eine Anschauung aus der empirisch wahrnehmbaren Wirklichkeit und von daher um die Prozesse, die sich als deren Grundlage vollziehen. In der untersuchten Passage aus dem Johanneskommentar bildet der Naturbegriff das einheitsstiftende Moment. Worin besteht im angeführten Beispiel die natura eiusdem in specie?30 Beschrieben wird der Prozess des Feuer-Werdens des Holzes, dessen Eckpunkte das wirkende Feuersein des Feuers und das Nichtfeuersein des Holzes sind. Würde der Naturbegriff auf eine für sich bestehende Wesensnatur des Holzes bzw. des Feuers angewandt, erschiene die Behauptung als sinnlos, da ja von Feuer und Holz die Rede ist. Bezöge sich die Behauptung auf eine gemeinsame Wesensnatur nach dem Prozess der Umwandlung des Holzes zu Feuer, wäre es sinnlos, die gemeinsame Natur zur Grundlage des Prozesses zu erklären, da von einer solchen erst bei Abschluss des Prozesses die Rede sein kann. Eine Identität wird hinsichtlich der Natur des inferius und der des agens behauptet. Der Blick richtet sich eindeutig auf den im Vollzuge befindlichen Prozess. Folglich wird unter natura in diesem 29. B. Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie (1983), 81, hebt weniger den Aspekt der Prozessualität, sondern vielmehr das Ergebnis des Prozesses hervor und beschreibt die Univozität als ein in sich stabiles Beziehungsverhältnis. Diese Perspektive einer Abgeschlossenheit bleibt bestimmend, auch da, wo Mojsisch den Aspekt der Prozessualität hervorhebt: Eckhart denkt, so Mojsisch, ibid., 81, »den Menschen, sofern er Gerechter als Gerechter oder Bild als Bild ist, als integratives Moment dieser Prozesse, als Moment, durch das diese Prozesse überhaupt auch erst möglich werden, indem die Momente sich wechselseitig setzen (mutuo se ponunt), ohne ihre Einheit zu verlieren«. 30. Siehe oben Anm. 19.

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Zusammenhang die relationale Ausrichtung und die Fähigkeit, einen derart substantialen Prozess einzugehen verstanden. Dies schließt nicht aus, dass mit Naturbegriff der reine Formalgehalt eines Sachverhalts, in diesem Falle des Feuers, belegt wird. Feuersein und zu-Feuer-werdenkönnen ist beides unter der rein formalen Natur des Feuers zu subsummieren. Unsere Feststellungen zum relationalen Verständnis des Naturbegriffs lassen sich auch auf ein formales Verständnis beziehen. Die Eckhartsche Konzeption umfasst beide Aspekte. 3. Das relationale Strukturprinzip in der Parallelordnung der termini generales Es stellt sich die Frage, wie angesichts der angenommenen strukturellen Kongruenz der inhaltliche Unterschied der termini generales zu fassen ist, d. h. welcher ontologische Status ihm zukommt und worin die Notwendigkeit einer Unterscheidung der verschiedenen Gegensatzpaare liegt. Offensichtlich ist, dass diese Unterscheidung, d. h. die Nichtunivozität der termini generales, mit der menschlichen Betrachtungsweise zusammenhängt, indem sie unterschiedliche Aspekte des Strukturschemas hervorkehrt und deshalb nicht grundlegend essentieller Natur ist. Die Konvertibilität der Transzendentalien besagt jedoch nicht notwendig, dass das, was durch sie bezeichnet wird, in der Konstitution seiner Grundprinzipien identisch wäre, sondern sie kann genauso eine prinzipielle Verschiedenheit nahelegen, d. h. verschiedene Bedingungen, unter denen ein Seiendes gemäß des einen oder anderen terminus generalis entsprechend derer inneren Funktionsungleichheit zu bestimmen ist.31 Eine durchgehende Klassifizierung verbunden mit einer festen Folgeordnung der Transzendentalien ist Eckhart ungeläufig, wenn es auch wiederholt der Fall ist, dass bestimmte Transzendentalien zur Exemplifizierung bevorzugt herangezogen werden, wie z. B. esse und iustitia. An verschiedenen Stellen des Opus tripartitum erläutert Eckhart einen relationalen Sachverhalt, indem er nicht bloß einen, sondern verschiedene termini generales aneinandergereiht heranzieht. Ausführungen über Sein und Nichtsein beispielsweise folgen unmittelbar Gedankengänge zu Einheit 31. Vgl. Reinhold Breil, »Das Problem der Geltungsgliederung in der scholastischen Transzendentalienlehre«, in: Philosophisches Jahrbuch 102 (1995), 61-82, 67-8.

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und Vielheit, die sich in ihrer Struktur entsprechen. Eckhart nutzt die Konvertibilität der Transzendentalien zur vielfältigen demonstratio eines Sachverhalts, der sich damit in erster Linie als struktureller Sachverhalt darstellt. Die verschiedenen inhaltlichen Ausfüllungen der Struktur werden von einer einzigen Wirklichkeit umfasst, die diese zwar übersteigt, mit inhaltlichen Begriffen jedoch nicht mehr zu fassen ist, sondern nur noch als Struktur.32 Die inhaltlichen Grundlagen dieser Vereinheitlichung werden im Opus tripartitum in den Ausführungen über den Seinsbegriff erarbeitet, insbesondere im Prologus in opus propositionum. Die Tendenz zeichnet sich dahingehend ab, dass das Eckhartsche Denken auf eine ausgearbeitete strukturelle Differenzierung der Transzendentalien zugunsten einer strukturellen Parallelität der termini generales als einheitliche Grundstruktur der Wirklichkeit verzichtet. Das Strukturschema ist der eigentliche Ausgangsgedanke im Ansatz der Metaphysik. 4. Die Begründung der Relationalität in der Unterscheidung von Sein und Seinsmodus – Analogie als intentionale Beziehungswirklichkeit Zur Vertiefung der bisherigen Beobachtungen bedarf Eckharts Analogieverständnis einer näheren Betrachtung. Explizit ist bei Eckhart vergleichsweise wenig von ›Analogie‹ die Rede.33 Der Problematik, mit der sich der Gedanke einer analogia entis befasst, der Trennung und Verbindung von Schöpfer und Geschöpf, war er sich jedoch vollauf bewusst. So ist zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach der Analogiegedanke ein Grundmoment des Eckhartschen Denkens und implizit in der für Eckhart eigenen Ausprägung durchgehend gegenwärtig.34 Eckhart bringt den Gedanken einer analogia – ohne den Begriff explizit zu verwenden – im ersten Genesiskommentar in seiner Auslegung 32. Wolfgang Wackernagel, Ymagine denudari: Éthique de l’image et métaphysique de l’abstraction chez Maître Eckhart (Paris, 1991), 100, spricht in diesem Zusammenhang von »structures répétitives qui, comme autant de facettes, reflètent l’unique réalité qui les englobe et les dépasse toutes«. 33. Eines der wenigen Beispiele werden wir aufgreifen; siehe unten, Anm. 39. 34. Vgl. Josef Koch, »Zur Analogielehre Meister Eckharts«, in: Mélanges offerts à Étienne Gilson de l’Académie Française, Études de Philosophie médiévale – Hors Série (Paris, 1959), 327-50 (Nachdr. in: K. Ruh [Hg.], Altdeutsche und altniederländische Mystik [Darmstadt, 1964], 275-308) (Nachdr. in: Id., Kleine Schriften, Bd. 1 [Rom, 1973], 367-97, 369). Neben diesem Werk siehe zur Analogielehre Eckharts auch Fernand Brunner, »L’analogie chez Maître Eckhart«, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 16 (1969), 333-49; Reiner Schürmann, Meister Eckhart: Mystic and Philosopher (Bloomington, 1978), 176-80 und 185-92.

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zu Gen 1,31 Viditque deus cuncta quae fecerat, et erant valde bona (»Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und es war sehr gut«) im Zusammenhang mit dem Begriff des Guten, der bei ihm mit dem Seinsbegriff konvertibel ist, so dass den an dieser Stelle angestellten Überlegungen eine allgemeingültige Aussagekraft im Hinblick auf den Seinsbegriff und das gesamte Schema der termini generales zukommt: Nota: singula quidem erant bona, sed omnia simul, cuncta scilicet, erant optima, quod significat li valde bona. Dei enim, utpote optimi, est optimum adducere. Sed si bene consideretur, potest dici quod singulum eorum, quae fecit aut facit deus, est optimum. Ubi tria sunt notanda. Primo, quod bonitas et eius ratio totaliter et se tota consistit in fine solo et est idem cum fine ipso convertibiliter. Propter quod deus, utpote finis omnium, est et dicitur Luc. 18 solus bonus. Ex fine ergo accipit bonitatem omnem quam habet ens quodlibet citra finem, sicut diaeta, medicina, urina nihil prorsus habent sanitatis in se formaliter plus quam lapis vel lignum, sed ab ipsa sola sanitate, quae in animali est formaliter, dicuntur sana secundum naturam analogiae, qua omnia huiusmodi transcendentia se habent ad creaturas, puta ens, unum, verum, bonum. (Merke: Das Einzelne war zwar gut, aber alles zusammen war das Beste. Gott nämlich, weil er ja der Beste ist, kommt es zu, das Beste herbeizuführen. Wenn man es recht betrachtet, kann man sagen, dass jedes Einzelne, was Gott gemacht hat oder macht, das Beste ist. Hier ist dreierlei zu bemerken. Erstens: Die Gutheit und ihr Wesensgehalt liegt ausschließlich und gänzlich im Ziel und ist mit ihm identisch, so dass sie vertauschbar sind. Deswegen ist und heißt Gott, das Ziel aller Dinge, allein gut [Lk 18,19]. Alle Gutheit also, die irgendein dem Ziel untergeordnetes Seiendes an sich hat, empfängt es vom Ziel, wie Speise, Medizin, Urin überhaupt nicht mehr Gesundheit der Form nach in sich haben als ein Stein oder Holz, sondern von der einen Gesundheit selbst her, die in den Sinnenwesen der Form nach ist, ›gesund‹ genannt werden, entsprechend der Natur des analogen Verhältnisses, in dem alle derartigen transzendentalen Bestimmungen wie seiend, eines, wahr und gut zu den Geschöpfen stehen).35 An dieser Stelle bezieht sich Eckhart auf das klassische Beispiel des Aristoteles, das bei der Rezeption und Weiterentwicklung des Analogiegedankens 35. Eckhart, In Gen. I, nn. 127-8 (LW I,1 282,6-283,6 [Rec. CT]; LW I,2 167,1-13 [Rec. L]).

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im lateinischen Mittelalter eine entscheidende Rolle spielte und auch von Thomas aufgegriffen wurde.36 Dem Beispiel liegt folgender Gedankengang zugrunde: Alles, was auf irgendeine Art und Weise ›gesund‹ genannt wird, hat den Charakter der Gesundheit nicht aus sich selbst, sondern wird analog zu einer Gesundheit als solcher so genannt, das heißt entsprechend dem Zustand der Gesundheit, in dem sich ein Lebewesen befindet. Der eine Sachverhalt Gesundheit kann nach Aristoteles auf vielfältige Weise ausgesagt werden, weil er auf vielfältige Weise verwirklicht angetroffen werden kann. Eckhart deutet das zitierte Beispiel so, dass es eine Gesundheit als solche gibt, von der alle anderen Dinge, die als ›gesund‹ bezeichnet werden, ihr Gesundsein empfangen. Eckhart versteht den Aussagezusammenhang als ontologischen Zusammenhang, wie ja auch seine Überlegungen zu den zwei Weisen der Prädikation ontologischen Charakter haben. Von der eigentlichen – in sich bestehenden – Gesundheit leiten sich alle Weisen des Gesundseins ab und können nur im Hinblick auf sie als solche verstanden werden. Gleiches gilt für die transcendentia, wie die termini generales ens, unum, verum und bonum hier bezeichnet werden. Der Analogie liegt nicht bloß eine gemeinsame Prädikation zugrunde, sondern ein Sachverhalt, auf den die Prädikation als solche gänzlich zutrifft, das heißt, der ihren Gehalt gänzlich verwirklicht und auf den hin die übrigen analogen Aussagen gemacht werden. Diese stehen zu ersterem in einem abgeleiteten Verhältnis. Der Sachverhalt, der die Analogie ausmacht, besteht als solcher nur aus dem primum analogatum, nicht in den anderen Gliedern der Analogie.37 Die ratio totaliter, den eigentlichen oder wesentlichen Gehalt dieser Bestimmungen, sieht Eckhart vollkommen in den mit Gott identischen Transzendentalien als solchen verwirklicht, in Sein, Einheit, Wahrheit, Gutheit, Gerechtigkeit etc.38 Eckhart legt der Analogie eine Zielursächlichkeit zugrunde, deutet sie also in erster Linie als ein Kausalverhältnis und nur davon abgeleitet als ein Verhältnis der Prädikation. Alle Dinge, die nicht Gott sind, sind auf Gott hin als ihr Ziel ausgerichtet, sind jedoch nicht mit ihrem Ziel 36. Vgl. Aristoteles, Metaphysica IV, 2; 1003a,34-5; Thomas von Aquin, In libros Metaphysicorum Aristotelis expositio, IV, lect. 1, ed. R.-M. Cathala und R. M. Spiazzi (1950; ³1977), 152 (n. 537). 37. Vgl. J. Koch, »Zur Analogielehre« (1959), 373. 38. Vgl. Fernand Brunner, »Eckhart ou le gôut des positions extrêmes«, in: É. Zum Brunn (Hg.), Voici Maître Eckhart (Grenoble, 1994), 209-30, 226-7.

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identisch. Der Vollkommenheit Gottes entspricht es, dass er alle Dinge auf das Ziel seiner Vollkommenheit hin erschaffen hat. Die Vollkommenheit, die ein Geschöpf haben kann, hat es nur auf sein Ziel, auf Gott hin und niemals in sich selbst. In diesem Sinne ist die Welt nur in ihrer Beziehung bzw. als Beziehung zu Gott existent, nicht aber ohne ihn. Innerhalb dieses analogen Verhältnisses ist die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf eindeutig. Das auf das Ziel hin Ausgerichtete kann unmöglich das Ziel selber sein und umgekehrt. Und doch bestehen alle Dinge nur von diesem Ziel her und niemals ohne es, weil sie dann ihrer Bestandsursache beraubt wären. Überträgt man dies auf das Eckhartsche esse est deus, ist die Unterscheidung zwischen göttlichem und geschöpflichem Sein eindeutig nachvollziehbar. Diese Distanz als solche ist nicht aufhebbar, da der ontologische Status der Entitäten nicht aufhebbar ist, sie ist aber von einem relationalen Geschehen umfangen. Dadurch, dass der ontologische Status des esse hoc et hoc, der eben kein esse ist, in seiner Infragestellung durch die Spannung von Sein und Nichtsein in sich so gefährdet ist, ist dieser Seinsmodus notwendig – um überhaupt Bestand zu haben – auf das esse als solches angewiesen. Das esse als solches wird ebenfalls so verstanden, dass es etwas, das außerhalb seiner besteht, Bestand gewähren kann. Wir können hier von einem wirklichen Seinsgeschehen reden, innerhalb dessen die ontologische Distanz überbrückt, jedoch nicht aufgehoben erscheint, da die Bewegung den Status einer Relation behält und diese nicht in eine Identität aufgehoben wird. Eckhart teilt den in seinem Ursprung platonischen Gedanken, dass die Ursache in dem von ihr Verursachten präsent ist. Von daher kann er eine allgemeine Einheit allen Seins denken. So misst Eckhart die Seinsstruktur des Seienden nicht an der Einheit des göttlichen Seins, sondern lässt sie als Beziehungswirklichkeit in der Einheit des göttlichen Seins aufgehen, als einer einzigen, alles umfassenden Wirklichkeit. Dies gilt in gleichem Sinne für alle Transzendentalien, wie sie in Form der termini generales als die Grundkonstanten der Realität eingeführt werden. In diesem Zusammenhang stehen Eckharts Gedanken zur Analogie im Ecclesiasticuskommentar. An dieser Stelle spricht er explizit von Analogie: »[...] analoga« vero non distinguuntur per res, sed nec per rerum differentias, sed »per modus« unius eiusdemque rei simpliciter. [...] Ens autem sive esse et omnis perfectio, maxime generalis, puta esse,

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unum, verum, bonum, lux, iustitia et huiusmodi, dicuntur de deo et creaturis analogice. Ex quo sequitur quod bonitas et iustitia et similia bonitatem suam habent totaliter ab aliquo extra, ad quod analogantur, deus scilicet. [...]. [...] analogata nihil in se habent positive radicatum formae secundum quam analogantur. Sed omne ens creatum analogatur deo in esse, veritate et bonitate. Igitur omne ens creatum habet a deo et in deo, non in se ipso ente creato, esse, vivere, sapere positive et radicaliter. [...]. [...] deus est rebus omnibus intimus, utpote esse, et sic ipsum edit omne ens; est et extimus, quia super omnia et sic extra omnia. Ipsum igitur edunt omnia, quia intimus, esuriunt, quia extimus. (»Das Analoge« lässt sich weder nach Dingen noch nach Unterschieden an Dingen gliedern, sondern »nach Seinsweisen« eines und desselben Dinges schlechthin. [...]. Seiendes aber oder Sein und jede Vollkommenheit [perfectio], besonders jede allgemeine, wie Sein, Eines, Wahres, Gutes, Licht, Gerechtigkeit und dergleichen, werden von Gott und den Geschöpfen analog ausgesagt. Daraus folgt, dass Gutheit und Gerechtigkeit und dergleichen ihr Gutsein ganz und gar von einem Wesen außer sich haben, zu dem sie in analoger Beziehung stehen, nämlich zu Gott [...]. Das Analoge hat nichts in sich positiv wurzelnd von der Form, auf der dieses analoge Verhältnis beruht. Nun steht aber alles geschaffene Seiende nach Sein, Wahrheit und Gutheit in analogem Verhältnis zu Gott. Also hat jedes geschaffene Seiende von Gott und in Gott – nicht in sich selbst als geschaffenem Seienden – Sein, Leben, Wissen positiv und wurzelhaft. [...]. [...] Gott ist allen Dingen zuinnerst als das Sein, und so zehrt alles Seiende von ihm. Er ist auch zuäußerst, weil über allem und so außer allem. Also zehrt alles von ihm, weil er zuinnerst, und hungert [alles nach ihm], weil er zuäußerst ist).39 Nach Eckharts Analogieverständnis sind das Sein bzw. die übrigen mit ihm konvertiblen Transzendentalien – an dieser Stelle werden Gerechtigkeit und Licht mit aufgezählt, was den offenen Charakter des Systems anklingen lässt – im eigentlichen, in sich stehenden und ursprünglichen Sinne (positive radicatum) nur von Gott aussagbar. Das Sein tritt in verschiedenen Seinsweisen (modi) auf, die aber alle nur Seinsweisen des einen Seins in der einen Vollkommenheit in Gott sind. Nur so ist ein 39. Eckhart, In Eccl., n. 52 (LW II 280,7-9; 281,1-5); ibid., n. 53 (282,1-5); ibid., n. 54 (282,13283,2).

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analog Seiendes aufgliederbar. Die verschiedenen Seinsweisen sind Manifestationen des einen Seins.40 Sehr anschaulich für diesen Gedanken ist die von Eckhart gewählte Formulierung »Der Gerechte erzählt Gott« (iustus enarrat deum).41 Eckhart schreibt nicht de deo, sondern deum, was die Unmittelbarkeit dieses Geschehens beschreibt und ausdrückt, dass der Ursprung dieses Vorgangs in Gott selbst und nicht in dem erzählenden Gerechten liegt, der aus sich heraus von Gott erzählen könnte. »Der Gerechte erzählt Gott« legt nahe, dass Gott sich selbst in dem Wirken des Gerechten ausdrückt. Dies besagt jedoch keine Passivität des Menschen gegenüber einer eigentlichen Aktivität Gottes. Das Wirken beider stellt sich in der zitierten Aussage als kongruent dar. Eckhart gebraucht den Begriff modus im Zusammenhang mit der Analogielehre anders als Thomas von Aquin. Dieser spricht von modi praedicandi, also ›Aussageweisen des Seins‹, die als modi relationales, als ›Beziehungsweisen‹, aufzufassen sind. Eckhart denkt weniger an Aussageweisen über das Sein als an Selbstaussagen im Sinne von Selbstmanifestationen des Seins. Für ihn handelt es sich um modi unius eiusdemque rei simpliciter, »Weisen, wie sich ein und dieselbe Sache als solche darbietet«.42 Während Thomas von dem dem Menschen in der Erfahrung zugänglichen Seienden ausgeht, von dem aus er das Wesen Gottes näher bestimmen kann, und davon, dass die göttlichen Vollkommenheiten nur in der Weise benennbar sind, wie wir sie von den Geschöpfen her erkennen, denkt Eckhart von Gott als dem Inbegriff des Seins überhaupt her, mit dem alle Vollkommenheiten identisch sind, die den Geschöpfen nur geliehen sind.43 An diesen beiden Ansätzen lässt sich ein tendenzieller Unterschied zwischen aristotelisch-thomanischem und neuplatonisch geprägtem Denken festmachen. Während Aristoteles dem konkreten Seienden, insofern es οὺσία (ousía) ist, eine relative Selbständigkeit, Werthaftigkeit und Wahrheit zuspricht, spricht Eckhart der Richtung des

40. Vgl. F. Brunner, »Eckhart ou le gôut des positions extrêmes« (1994), 227. 41. Eckhart, In Ioh., n. 192 (LW III 161,3-4). 42. Vgl. J. Koch, »Zur Analogielehre« (1959), 372; Maurice de Gandillac, »La ›Dialectique‹ de Maître Eckhart«, in: J. Dagens (Hg.), La mystique Rhénane: Colloque de Strasbourg (16–19 mai 1961) (Paris, 1963), 59-94 (Nachdr. [mit kleinen Änderungen] in: M. de Gandillac, Genèses de la Modernité. Les douze siècles où se fit notre Europe: De La Cité de Dieu à La Nouvelle Atlantide [Paris, 1992], 325-54, 346). 43. Vgl. J. Koch, »Zur Analogielehre« (1959), 378-9 und 392.

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göttlichen Seins folgend nur unter der Bedingung vom Einen, Guten und Wahren, dass er dabei gleichzeitig von Gott spricht.44 Der Analogiegedanke bei Eckhart ist – um die Begrifflichkeit zu präzisieren – Seinsanalogie und nicht Analogie des Seienden wie bei Thomas.45 Eckhart knüpft nur einseitig an den thomanischen Ansatz an, indem er innerhalb der verschiedenen Prädikamente der Analogie nur dem allen Vorgeordneten (prius) das alle verbindende Gemeinsame, das Sein, zukommen lässt. Das Sein in den Geschöpfen ist ganz von einem anderen her und in sich nichts. Die Seinsanalogie besitzt bei Eckhart eine dialektische Prägung, weil sie auf einen Zusammenhang verweist, in dem das innerweltliche Subjekt überschritten werden muss auf etwas jenseits seiner selbst hin.46 Der zitierte Abschnitt aus dem Ecclesiasticuskommentar lässt ferner anklingen, dass Eckhart den Analogiegedanken nicht allein auf das Sein, also auf den Existenzgrund der Wirklichkeit angewandt wissen will: Igitur omne ens creatum habet a deo et in deo, non in se ipso ente creato, esse, vivere, sapere positive et radicaliter (»Also hat jedes geschaffene Seiende von Gott und in Gott – nicht in sich selbst als geschaffenem Seienden – Sein, Leben, Wissen positiv und wurzelhaft«).47 Nicht bloß der Existenzgrund, sondern auch der Lebensvollzug (vivere) und die Erkenntnis (sapere) werden anhand des Schemas der Analogie verstanden und spielen eine die Wirklichkeit begründende Rolle. Damit wird ein für das Verständnis des Eckhartschen Ansatzes entscheidender Zusammenhang formuliert: Die Wirklichkeit und unser Verständnis von ihr gründen im selben Ursprung außerhalb unserer selbst in Gott, in dem der Wirklichkeit eigenen Selbstverhältnis. Dass die Fundierung hinsichtlich des Ursprungs (radicaliter) der Fall ist – der Ursprung oder die Bedingung 44. Vgl. Ludwig Hödl, »Metaphysik und Mystik im Denken des Meister Eckhart«, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 82 (1960), 257-74, 262. F. Brunner, »L’analogie« (1969), 349, konstatiert Eckhart einen »refus de penser le monde en lui-même«. 45. Wenn man analogia entis im Blick auf Thomas als Seinsanalogie/Analogie des Seins übersetzt, so trifft das den Sachverhalt nicht. Thomas spricht vom Seienden (entis!). Bei Eckhart hingegen kann man von einer analogia essendi sprechen, also einer Analogie des Seins im eigentlichen Sinne. Dem entspricht die Beobachtung von F. Brunner, »L’analogie« (1969), 347, dass der Analogiegedanke bei Thomas in erster Linie dazu dient, etwas über Gott, bei Eckhart hingegen dazu, etwas über die Geschöpfe aussagen zu können. Eckhart kann vom Sein nur von seinem Inbegriff her sprechen; Thomas dagegen kennt verschiedene modi praedicandi des Seienden. 46. Vgl. Wolfgang Kluxen, »Analogie«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1 (Darmstadt, 1971), 214-27, 223. 47. Eckhart, In Eccl., n. 53 (LW III 282,3-5). Siehe oben Anm. 39.

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der Möglichkeit sinnvoller Erkenntnis in Gott – erscheint vor dem Hintergrund des bisher Gesagten nicht außergewöhnlich. Eckhart formuliert diesen Gedanken jedoch noch weitreichender: Das Wissen hat der Mensch auch positive, das heißt in seinem konkreten Vollzug in Gott und nicht in seinem Geschöpfsein, auch wenn es sich freilich innerhalb dessen vollzieht. Denkt man diesen Gedanken weiter, so wäre daraus zu schließen, dass es keine individuelle Erkenntnis gibt, sondern dass jede Form von Erkenntnis Mitvollzug der göttlichen Erkenntnis ist. In dem zitierten Abschnitt aus dem Ecclesiasticuskommentar nimmt Eckhart nun aber keine Engführung auf die menschliche Intellektualität vor. Eckharts Ausführungen beziehen sich auf omne ens, auf »jedes Seiende«, nicht nur auf den Menschen und nicht nur auf Lebendiges in einem biologischen Sinne. Dies ist im Hinblick auf vivere (»leben«) und insbesondere sapere (»wissen«) interessant. Was Eckhart im Hinblick auf omne ens unter sapere versteht, kann folglich nicht auf ein subjektives Selbstbewusstsein im menschlichen Sinne reduziert werden, sondern bezieht sich auf eine Weise der Intentionalität, die die gesamte Wirklichkeit bestimmt. Damit beschreibt Eckhart innerhalb der Linearität der Beziehungswirklichkeit die Elemente, durch die das untergeordnete, abhängige Glied im Stande ist, eine eigene Aktivität, einen Ausgang aus sich selbst hin auf anderes seiner selbst und damit nicht bloß eine Antwort in Richtung seines Ursprungs zu vollziehen, sondern überhaupt erst zu seiner Verwirklichung zu gelangen. Die durchgängige Abhängigkeit ist also keineswegs als Passivität zu verstehen, sondern ermöglicht erst die eigene Aktivität, während die Trennung vom Ursprung mit der Nichtigung auch Passivität bedeutet. Die Eckhartsche Schlüsselkonjunktion in quantum (›insofern, als‹) hat vor dem Hintergrund des Analogieverständnisses eine weiter reichende Signifikanz als die bloße Ausrichtung der Perspektive auf einen bestimmten Aspekt eines Sachverhalts. Die Inbezugsetzung eines kontingenten Sachverhalts zu einem der transcendentia stellt nicht nur einen perspektivischen, sondern einen wesentlichen, d. h. substantialen Zusammenhang her. In diesem Sinne wird das in quantum spezifizierend, nicht reduplizierend gebraucht.48 Ist vom iustum in quantum iustum (»der 48. Zur Unterscheidung zwischen spezifizierender und reduplizierender Anwendung des in quantum siehe Ludger Honnefelder, Ens inquantum ens: Der Begriff des Seienden als solchen als Gegenstand der Metaphysik nach der Lehre des Johannes Duns Scotus (Münster, 1979), 102-5.

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Gerechte, insofern er gerecht ist«) die Rede, so bezeichnet in quantum den Bezug zum Gerechtsein als solchem, das seine eigentliche Wirklichkeit in der Gerechtigkeit als solcher hat, auch wenn es von dieser bei Eckhart formal noch einmal unterschieden wird. Das Verhältnis zwischen der Gerechtigkeit als solcher und dem Gerechten – insofern er gerecht ist – hat den Status einer relativen Identität, einer Identität in natura, d. h. einer Identität, die nur innerhalb dieses Beziehungsverhältnisses besteht, nicht jedoch, wenn man den kontingenten Sachverhalt des Gerechten für sich betrachtet. Die Konjunktion in quantum zeigt folglich ein Identität begründendes Beziehungsverhältnis, d. h. eine Analogie im Eckhartschen Sinne an. Im oben zitierten Textabschnitt ist von positive habere die Rede, d. h. von einem ›tatsächlichen Haben‹ des Seins durch die einzelnen Entitäten. Wenn dieses auch in Gott verortet wird, so wird damit nicht negiert, dass dies eine Wirklichkeit auch in dem konkreten Seienden und nicht bloß eine Scheinwirklichkeit begründet. Habere bezeichnet eine wirkliche Aneignung dieser Realität – nicht jedoch im Sinne einer Eigensubstantialität –, wodurch die oben angerissene Manifestation im Sinne einer Vergegenwärtigung möglich wird.49 Eine andere Wirklichkeit als die Wirklichkeit dessen, was hier manifestiert wird, will Eckhart nicht annehmen. Diese Positivität ist rein relationaler Natur. 50 5. Transzendenz und Immanenz als bestimmende Momente der Relation Die Behauptung der Unmittelbarkeit des Gottesverhältnisses – alle Dinge haben in Gott ihr Sein – wirft die Frage auf, wie innerhalb einer solchen Konzeption Transzendenz zu denken ist. Diese Frage hat nicht allein Relevanz im Hinblick auf das christliche Gottesverständnis und eine mögliche 49. F. Brunner, »L’analogie« (1969), 342, prägt in diesem Zusammenhang den Ausdruck »attribution extrinsèque«. 50. Die positive Begründung des Seinshabens, d. h. der wirklichen Existenz der geschaffenen Dinge in dem durch das in quantum bezeichnete Beziehungsverhältnis beschreibt F. Brunner, »Eckhart ou le gôut des positions extrêmes« (1994), 228, wie folgt: »Ce célèbre in quantum a pour effet de rapporter et de susprendre la créature à Dieu, mais il n’annule point la part que la créature prend à ces perfections, pas plus que le mode sous lequel ces perfections sont en elle. Cette remarque est essentielle, puisqu’elle invite l’interprète de la doctrine eckhartienne à restituer à la créature son être propre, encore que cette restitution ne puisse aboutir à isoler l’être de la créature dans une autonomie et une hétérogénéité qu’il ne saurait avoir«.

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Abweichung davon hin zu einer mehr pantheistisch bestimmten Konzeption, sondern betrifft rückwirkend das Verständnis der kontingenten Wirklichkeit. Die Frage nach dem Verhältnis von Transzendenz und Immanenz ist die Frage danach, wie die ontologische Differenz zwischen Gott und Welt zu messen ist.51 Sie stellt die zentrale Problemstellung in der christlichen Rezeption neuplatonischen Gedankenguts überhaupt dar. Die aus der Frage, wie Gott zugleich als immanente und transzendente Ursache der Wirklichkeit zu denken ist, entwickelte Dialektik ist das Grundcharakteristikum eines christlichen Neuplatonismus.52 Im Eckhartschen Denken ist die reine Transzendenz in die Nähe reiner Immanenz gerückt, und in dieser Spannung wird der Wirklichkeitsstatus des Kontingenten begreifbar.53 Aus dem Verständnis der Seinsanalogie bei Eckhart erschließt sich für das Verhältnis von Gott und Welt, dass die Dinge der Welt ausschließlich von Gott her und auf ihn hin sind. Sie sind also ganz und gar in Bezug auf ihn, in einem Verhältnis, das durch Transzendenz und relationale Immanenz – nicht Gottes in den Dingen, sondern der Dinge in Gott – zugleich bestimmt ist.54 Das Verhältnis beruht nicht auf Gegenseitigkeit, sondern besteht nur in einer Richtung. Das esse kann ohne das esse hoc et hoc gedacht werden, nicht jedoch umgekehrt das esse hoc et hoc ohne seine Gründung im esse. Mit Gott und den Dingen werden nicht zwei mit einem gemeinsamen Maßstab messbare Größen in Beziehung gesetzt, sondern die beiden wesentlich verschiedenen Qualitäten, die so voneinander verschieden sind, dass neben ihnen vom Begriff her nichts Weiteres gedacht werden kann. Neben dem in sich Selbständigen ist nur Unselbständiges denkbar. Die Relationalität beider besteht bei Eckhart darin, dass zu letzterem 51. Vgl. W. Wackernagel, Ymagine denudari (1991), 97: »En effet, comprendre la différence ontologique de l’être et de l’étant, c’est mesurer toute la distance qu’il y a entre le participé et le participant, entre Dieu et la créature«. 52. Vgl. Bernard McGinn, »Meister Eckhart on God as Absolute Unity«, in: D. J. O’Meara (Hg.), Neoplatonism and Christian Thought (Albany, New York, 1982), 128-39, 137. Zur Rezeptionsgeschichte siehe Stephen Gersh, From Iamblichus to Eriugena: An Investigation of the Prehistory and Evolution of the Pseudo-Dionysian Tradition (Leiden, 1978), 153-67 und 283-8. 53. Vgl. F. Brunner, »Eckhart ou le gôut des positions extrêmes« (1994), 226. Über die termini generales schreibt F. Brunner, »L’analogie« (1969), 340: »Ils descendent sans descendre«. Darin ist die Paradoxie anschaulich ausgedrückt, dass sie einerseits durch die Relation mit dem Kontingenten nicht wirklich affiziert werden, dass andererseits das Kontingente aus sich heraus überhaupt keine Relation mit dem Nichtkontingenten eingehen kann und außerhalb dieser Relation, d. h. außerhalb der Wirkung des Nichtkontingenten, überhaupt nicht als existent gedacht werden kann. 54. Vgl. id., »L’analogie« (1969), 344-5.

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wesentlich die Relationalität auf ersteres hin gehört, während sie ersterem nicht notwendig zukommt. Gottes Bezug zur Welt ist notwendig nur insofern, als die Welt in Gott gründet, d. h. das esse hoc et hoc im esse besteht. ›Notwendig‹ soll hier nicht im Sinne von ›nicht kontingent‹ verstanden werden, denn dann müsste umgekehrt für das Verhältnis Gottes zu seiner Schöpfung Kontingenz angenommen werden. Dass er überhaupt als Schöpfer wirkte, käme Gott kontingent zu, da er nicht notwendig auf eine Schöpfung angewiesen ist. Kontingenz ist etwas, was dem Begriff von Gott widerspricht. Stattdessen kann im Blick auf Gott von Freiheit gesprochen werden. Eckhart bedenkt diese Problemstellung innerhalb seiner Überlegungen zum Seinsbegriff nicht, da sich die Frage nach dem Wie der Relationalität für ihn nur vom ens hoc et hoc auf das esse hin stellt, nicht jedoch umgekehrt. Relationalität als ontologischer Status begründet sich aus Kontingenz und Mangel. Die Frage, was aus wem gründet – schafft Relationalität erst Kontingenz oder ruft der Mangel die Relationalität hervor? –, stellt sich für Eckhart nicht, da die Relationalität nicht ein Status ist, der von zunächst als selbständig genommenen Elementen eingegangen wird, sondern als solcher den ontologischen Status von Anfang an darstellt. Es wird deutlich, dass es sich hier um eine ungleichwertige Relationalität zwischen auf ungleicher Stufe stehenden Partnern handelt. Der eine Partner ist notwendig auf Relationalität angewiesen, da er nur in ihr besteht. Die Welt als solche besteht nur innerhalb des Modus der Relationalität als dem eigentlichen Seinsmodus des esse hoc et hoc. Dass wir in diesem Zusammenhang im Blick auf die Relationalität sowohl von Seinsmodus als auch von Seinsstatus sprechen, soll nicht irritieren, denn beides fällt hier zusammen. Das esse hoc et hoc besteht nur im Modus der Relationalität. Wir fassen Relationalität in gleicher Weise als einen Seinsmodus auf wie ›kontingent‹ oder ›notwendig‹. Der Modus ist zugleich ein Status, da er die Stellung innerhalb eines Ordnungsgefüges beschreibt. Dieses Ordnungsgefüge ist bei Eckhart nur zweistellig. Der Zusammenhang von Modus und Status hinsichtlich der Relationalität ergibt sich daraus, dass die Relationalität sich nicht auf Gleichartiges bezieht, sondern auf den ontologischen Status, das heißt auf die Beziehung des unselbständigen Einzelnen auf das Sein im Ganzen. Das In-Beziehung-Sein steht zugleich für die ontologische Unselbständigkeit. Dem Sachverhalt der Relation denkt Eckhart im

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Hinblick auf das Kontingente keinen akzidentellen, sondern substantialen Charakter zu. Man kann bei Eckhart hinsichtlich der Dinge der Welt zu Recht von einem bloß ›geliehenen Sein‹ sprechen, nicht von einem Seinsbesitz.55 Folglich bleibt das Sein als solches immer in sich selbst und die Wirklichkeit erscheint als eine einzige begreifbar. Alle Geschöpfe besitzen ihr Sein nur durch die aktive Präsenz des einen göttlichen Seins in ihnen, aber nur im Modus eines fortwährenden Empfangens, weil es ursprunghaft nur in Gott ist. Die Grundhaltung des Empfangens drückt Eckhart durch das mit einem ›Hungern‹ (esurire) verglichene Streben der Geschöpfe nach Gott aus. Im Modus des Strebens und Empfangens liegt der Seinsmodus der Geschöpfe. Das Sein als solches hingegen kennt keinen Mangel an sich selbst, also auch kein Empfangen und kein Streben. Die sachliche Unterscheidung zwischen dem Sein als solchem und dem Modus des Seinsbesitzes, der entweder in der mit Gott identifizierten Vollform und für Eckhart einzig denkmöglichen Wirklichkeit des Seins oder in davon substantial abhängiger Seinsbegrenzung besteht, begründet die Eckhartsche Konzeption von Relationalität, da aufgrund des exklusiven Seinsbesitzes der perfectio ein anderer Seinsmodus nur in einer wesentlich abhängigen Hinordnung auf diese denkbar erscheint. Die Wirklichkeit ist in ihrem Verhältnis zu Gott von einer dialektischen Spannung von Immanenz und Transzendenz bestimmt. Gott und damit der Seinsgrund ist den Dingen innerlich, das heißt, er ist ihr innerster Existenzgrund und damit ihre eigentliche Wirklichkeit; zugleich ist er von ihnen wesentlich verschieden und zu ihnen transzendent. Diese Spannung von intimus (›zuinnerst‹) und extimus (›zuäußerst‹) ist nicht aufhebbar, sondern grundlegend für das Bestehen von Relationalität. Die Dinge sind im Sein und sind es, für sich betrachtet, doch nicht, da das Im-Sein-Sein der Dinge nicht in ihnen selbst gründet, sondern eine Beziehung bezeichnet, die das Seiende, um existent zu sein, fortwährend eingeht. Beziehung bedeutet einen permanenten Vollzug, ist also nicht in einem statischen Nebeneinanderstehen zweier Entitäten zu begreifen. Sie muss fortwährend eingegangen werden, so dass sie für Eckhart auch in Form eines Anspruchs und einer ethischen Forderung formuliert werden kann, ohne jedoch davon auszugehen, 55. Vgl. B. Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie (1983), 54.

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dass dem einzelnen Seienden außerhalb seiner Beziehung zum Sein in Gott überhaupt ein eigener Wirklichkeitsstatus – abgesehen von der Nichtigung – zukommen kann. 6. Das Moment der Unterscheidung Hinsichtlich Gottes als der unmittelbaren Erstursache der Schöpfung stellt sich die Frage, wie Gott aus sich selbst heraustreten kann und wem er sich außer sich selbst mitteilen will. Bleibt die Schöpfung in letzter Konsequenz Selbstmitteilung Gottes, nicht in dem Sinne, dass er sich selbst jemandem mitteilt, sondern dass er sich sich selbst mitteilt? Selbstaussprache bedarf eines Raumes, in den hinein sie gesprochen wird. Bei Gott wird dieser Raum erst durch die Selbstaussprache geschaffen oder aber dieser Raum ist er selbst. Muss die Terminologie, die Eckhart verwendet, nicht von einem ewigen Verhältnis von Gott und Welt ausgehen? Von Gott her ist kein anderer Modus als der der Ewigkeit zu denken. Eckhart denkt jedoch das Relationsschema vom Kontingenten auf das Nichtkontingente. Da der Blick zuerst auf die Relation gerichtet ist und Eckhart dort die eigentliche Substantialität des kontingenten Sachverhalts verortet, kann er die Zeitlichkeit des Geschaffenen und zugleich die Überzeitlichkeit des Schöpfers denken, ohne eine Wirklichkeit in die andere aufzuheben.56 Was bei der Betrachtung des Seinsbegriffs ausgespart wird, das Zustandekommen und den Vollzug der Relation zwischen dem esse und dem esse hoc et hoc, mit anderen Worten das Wirken Gottes und insbesondere seine Schöpfertätigkeit, reflektiert Eckhart in der weiteren Entfaltung der Metaphysik des Wortes im Anschluss an den Gedanken des unmittelbaren Hervorgehens. Entsprechende Abhandlungen finden sich im Opus expositionum zu Beginn der beiden Genesiskommentare und des Johanneskommentars, wo es um die Schöpfertätigkeit Gottes geht. Für Eckhart ist im Anschluss an die Gedanken des Johannesprologs das 56. Zu den Überlegungen Eckharts hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Zeit und Ewigkeit vor dem Hintergrund der Ansätze anderer zeitgenössischer deutscher Dominikanergelehrter siehe Niklaus Largier, »Time and Temporality in the German Dominican School: Outlines of a Philosophical Debate between Nicolaus of Strasbourg, Dietrich of Freiberg, Eckhart of Hocheim and Ioannes Tauler, in: P. Porro (Hg.), The Medieval Concept of Time: Studies on the Scholastic Debate and its Reception in Early Modern Philosophy (Leiden/Boston/Köln, 2001), 221-53, 240-53; zum ontologischen Status dieser Relationalität insbesondere 247-52.

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Verbum der Ursprung alles Gewirkten, wobei ihm hinsichtlich des Gewirkten der Charakter einer similitudo, einer vorbildhaften ›Ähnlichkeit‹ zukommt. In diesem Zusammenhang vermischt sich in Eckharts allgemeinen Überlegungen zur Kausalität eine Begrifflichkeit aus dem Bereich der Sprache mit der Begrifflichkeit eines Bildschemas und einer Lichtmetaphorik: Notandum ergo quod universaliter in agente quolibet principaliter praeest similitudo sui effectus, ad quam et ex qua producit omnia, et sine ipsa nihil. [...]. Haec autem similitudo proles est et verbum, in quo sunt et lucent omnia quae causae sunt et quod ipsa causa est, inquantum causa. Ipsa similitudo ergo verbum est, quo se ipsum dicit et manifestat causa, inquantum causa, et omnia quae ipsius sunt [...]. Ipsum est principium totius effectus secundum omne sui [...]. (Es ist also zu bemerken, dass allgemein in jedem beliebigen als Prinzip Wirkenden ein Vorbild [ein Gleichnis] seiner Wirkung vorausgeht, nach und aus dem es alles hervorbringt und ohne das nichts ist. [...]. Dieses Vorbild [Gleichnis] aber ist der Spross und das Wort, in dem alles ist und leuchtet, was der Ursache eigen ist und was die Ursache als solche selbst ist. Dieses Vorbild [Gleichnis] ist also selbst das Wort, durch das sich die Ursache als solche samt allem, was ihr eigen ist, ausspricht und kundtut. [...]. Das ist der Ursprung der gesamten Wirkung, gemäß allem, was ihr eigen ist [...]).57 Alles Wirken (agere) in der Welt ist bereits so in der Ursache vorgebildet, dass es von ihr unterschieden werden kann, ohne wesentlich von ihr getrennt zu sein. Der eigentliche Schritt, das heißt die qualitative Genese, vollzieht sich innerhalb der Ursache selbst, was freilich nicht in dem Sinne zu verstehen ist, dass das Gewirkte (effectus) als solches schon in der Ursache da ist. Ursächlichkeit besteht in der Selbstprädikation eines Sachverhalts. Im Hinblick auf Gott als dem Sein und der ersten Ursache überhaupt bedeutet das: Das Wort ist zuallererst Selbstprädikation Gottes und seine Selbsterkenntnis als der allgemeinen Erstursache. In diesem ersten beschreibbaren Vorgang liegt alles Wirken begründet, und nach seinem Schema vollzieht sich jeder Vorgang überhaupt.

57. Eckhart, In Gen. II, n. 49 (LW I,1 517,5-13 [Rec. CT]; LW I,2 363,26-364,4 [Rec. alt.]).

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Ausführungen über die Struktur der Wirklichkeit haben einen notwendig allgemeinen Charakter. Sie beziehen sich auf das Ganze, auch wenn sie es unter einem bestimmten Aspekt betrachten. Die Wirklichkeit als solche ist nicht teilbar in etwaige partikulare Wirklichkeiten. Dass sie dennoch unter bestimmten Aspekten geschaut werden kann, hebt den Ganzheitscharakter nicht auf. Die Frage nach dem ontologischen Charakter dieser transzendentalen Aspekte und damit dem Sinn dieser Strukturparallelität lässt sich dahingehend beantworten, dass eine Grundsubstantialität der Wirklichkeit in der relationalen Struktur der Wirklichkeit als solcher gegeben ist. In ihr lässt sich die Beziehung der Welt zu Gott am adäquatesten begreifen. Der ontologische Status der transzendentalen Aspekte gründet darin und unterscheidet sich nicht von diesem, da die termini generales die inhaltliche Ausfüllung des Schemas darstellen und die verschiedenen Aspekte dieses Schemas hervorheben, diesem aber von der Sache her nichts hinzufügen. Näher erläutert hat Eckhart diese Zusammenhänge nur im Hinblick auf das Verhältnis von esse und unum, d. h. die beiden ersten Glieder der Aufzählung der termini generales. Hinsichtlich der übrigen Glieder gehen Eckharts Ausführungen weniger ins Detail, doch ließen sich ähnliche Beobachtungen aufstellen. Von ›Ontologie‹ kann bei Eckhart umfassend weniger hinsichtlich des Seinsbegriffs als vielmehr hinsichtlich der Seinsstrukturen gesprochen werden. 7. Der Ursprung der Relationalität in den Prinzipien der intellectualitas und simplicitas Dem Menschen ist es gegeben, auf die wahrgenommenen Aspekte auf seine Weise zu reagieren, da in ihm eine differenzierte Rezeptivität angelegt ist. So antwortet dem Wahrheitscharakter das Erkenntnisvermögen und der Gerechtigkeit das gerechte Handeln. Die Einheit ruft den Menschen zur Einswerdung mit Gott. Der Mensch gleicht sich der Wirklichkeit an, denn ihre Struktur, das heißt ihre Selbstaffirmation verlangt dem Menschen eine Antwort ab. Der Umgang des Menschen mit der Wirklichkeit kann von daher nicht rein rezeptiver Natur sein, indem er sie sich aus der Position des Gegenübers verobjektiviert. Er ist vielmehr durch eine Aneignung im Wortsinn bestimmt. Die Wirklichkeit ist nicht aus der Rolle des Beobachters heraus wahrzunehmen, sondern nur im

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Mitvollzug. Der Beobachterstatus setzte einen objektiven Standort voraus, den es so nicht geben kann. Eckhart führt diesen Gedankengang so zwar nirgendwo aus, aber die Tatsache, dass er keinerlei Überlegungen zum Beobachterstatus anstellt, sondern vielmehr zum Mitvollzug der Prozessualität anhält, lässt darauf schließen, dass er einen solchen nicht angenommen hat und auch von seinen eigenen Denkvoraussetzungen her gar nicht annehmen konnte. Dass die Wirklichkeit nur im Mitvollzug wahrnehmbar sein kann, liegt für Eckhart darin begründet, dass sie selbst im Wesentlichen Vollzug und nicht etwas statisch Gegebenes ist. Sie hat als solche Prozesscharakter. Dieser Gedankengang erscheint zunächst schwer nachvollziehbar, wenn man mit ›Prozess‹ an die Entstehung aus einem Grad der Vollkommenheit hin zu einem anderen Grad der Vollkommenheit denkt. ›Prozess‹ bedeutet dann ›Veränderung‹, und dies setzt immer einen Zustand der Unvollkommenheit voraus, der die Veränderung auslöst oder notwendig macht. Dies gilt sicher für das Verhältnis der kontingenten Welt zu Gott. Erst unter Hinzunahme der Eckhartschen Konzeption des intellectus runden sich die Überlegungen zur Beziehungswirklichkeit ab. Die konkrete Zuordnung des intellectus zum Schema der termini generales erfolgt über den Seinsbegriff. Dieser und der Intellektbegriff werden als zwei verschiedene Aussageweisen für Gott gegenübergestellt: Notandum primo quod in deo, principio omnium, est considerare duo, ut sic dicamus, puta quod ipse est esse verum, reale, primordiale. Adhuc autem est ipsum considerare sub ratione qua intellectus est. Et huius rationis proprietas altior apparet ex hoc, quod omne ens reale in natura »procedit ad certos fines« et »per media determinata« tamquam rememoratum per causam altiorem, ut ait Themistius. Propter quod etiam »opus naturae dicitur« et est »opus intelligentiae«. (Es ist zuerst zu bemerken: Man muss in Gott, dem Ursprung aller Dinge, zweierlei unterscheiden, wie wir also sagen, [erstens] dass er das wahre, wirkliche uranfängliche Sein ist. Zweitens aber muss man ihn unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass er Intellekt ist. Dass die Eigentümlichkeit dieses Gesichtspunktes die höhere ist, erhellt daraus, dass alles wirkliche Seiende in der Natur »sich auf klare Ziele hin bewegt« und »bestimmte Mittel dazu benutzt«, als erhielte es, durch eine höhere Ursache Weisung, wie Themistius sagt. Daher »wird

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das Werk der Natur das Werk einer Intelligenz genannt« und ist es auch).58 Diesen Ausführungen zufolge ist das Intellektsein Gottes ›höher‹ (altior) anzusetzen als seine Gleichsetzung mit dem ursprunghaften Sein. Altior ist nicht im Sinne einer höheren Stufe einer Wirklichkeitshierarchie gemeint, sondern im Sinne von ›angemessener‹, d. h. angemessener in der Aussagekraft über den bezeichneten Sachverhalt. Dieser Vorzug wird nicht anhand des Begriffs intellectus selbst erörtert. Als Begründung seiner Einschätzung gibt Eckhart die teleologische Seinsordnung der Natur an, die sich nicht bloß als eine sich ergebende, sondern als eine ›festgelegte‹ (determinata) Ordnung darstellt. Diese Ordnung gründet in einer einzigen Ursache. Warum dieser intentionale Zusammenhang als die rationis proprietas, d. h. die Eigentümlichkeit des intellectus als Wirklichkeitsaspekt Gottes diesen gegenüber dem esse hervorhebt, wird nicht erläutert. Offensichtlich reicht Eckhart die Ausweisung von Relationalität und Prozessualität bzw. deren bessere Explizierbarkeit anhand des Begriffs intellectus aus, um ihn hinsichtlich der Beschreibung der göttlichen Wirklichkeit und als Ausfüllung des Strukturschemas als aussagekräftiger zu betrachten. Die wahrnehmbare Wirklichkeit bietet sich wie von einem höheren Verstand geordnet dar. Die Ordnung des Seienden ist demzufolge nicht einfach gegeben, sondern sie ist in dieser Gegebenheit sinnvoll. Sie ist ein bewusst geordnetes Ganzes, und dies ist für Eckhart nur denkbar, wenn hinter dem Ganzen ein ordnendes Denken angenommen wird. Gott als Intellekt ist »seinsstiftender Intellekt«,59 indem er die Struktur alles Seienden grundlegt. ›Denken‹ (intelligere) und ›Hervorbringen‹ (producere) stehen in einem wesentlichen Zusammenhang, indem sie einen in seiner Struktur identischen Vollzug darstellen. Eckhart betrachtet die Intellekthaftigkeit als die eigentliche Voraussetzung dafür, dass aus dem ›einfach Einen‹ (unum simplex) überhaupt die ›Diversität des Vielen‹ (plura distincta et diversa), d. h. quantitativ und qualitativ Verschiedenes, hervorgehen kann.60 Handelndes Subjekt dieses Hervorgehens kann nur 58. Ibid., n. 214 (LW I,1 690,3-9 [Rec. CT]; LW I,2 439,4-9 [Rec. alt.]). 59. Vgl. Karl Albert, Meister Eckharts These vom Sein: Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum (Kastellaun/Saarbrücken, 1976), 257. 60. Vgl. Eckhart, In Gen. I, n. 10 (LW I,1 193,11-3 [Rec. CT]; LW I,2 69,2-5 [Rec. L]): Tertio restat videre quomodo ab uno simplici, puta deo, possint immediate esse sive produci plura distincta et

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Gott selbst sein. Das Denken in Gott steht für den Ursprung aller Relation, die aus der Einfachheit Gottes heraus weist, d. h. für die Grundlage der Möglichkeit von etwas anderem, was Gott nicht wesensgleich ist: dato deus agat necessitate naturae, tunc dico: deus agit et producit res per naturam suam, scilicet dei. Sed natura dei est intellectus, et sibi esse est intelligere, igitur producit res in esse per intellectum. Et per consequens: sicut suae simplicitati non repugnat intelligere plura, ita nec producere plura immediate. (Angenommen, Gott wirke mit Naturnotwendigkeit, so sage ich: Gott wirkt und bringt die Dinge durch seine göttliche Natur hervor. Gottes Natur aber ist intellectus, und bei ihm ist das Sein Denken [intelligere]. Also bringt er die Dinge durch seinen intellectus zum Sein. Daraus folgt: wie es seiner Einfachheit nicht widerstreitet, Mehreres zu denken, so auch nicht, unmittelbar Mehreres hervorzubringen).61 In diesen Ausführungen finden wir die Grundlage für die im Schema der termini generales ausgesagte Struktur überhaupt. Das Denken (intelligere) wird von Eckhart als der ursprüngliche und genuine Prozess überhaupt angesehen. Dafür muss keine Begründung mehr gebracht werden. Eckhart erkennt im Prozess des Denkens die Grunderfahrung von Wirklichkeit überhaupt, an dem andere Wirklichkeitserfahrung oder theoretische Aussagen über die Wirklichkeit gemessen werden können. Aus dem Textzusammenhang wird nicht deutlich, ob Eckhart auf die Einfachheit des göttlichen Intellekts oder auf die des Intellekts als solchem anspielt, ob er also auf göttliches Denken oder auf die Erfahrung des Denkens allgemein sich bezieht. Letztlich muss diese Frage aus der inneren Logik des Eckhartschen Denkens heraus auch nicht geklärt werden, da Eckhart die eigentliche ratio der Begriffe, d. h. ihre ursprüngliche Aussagekraft, und ihren Inbegriff ohnehin in ihrer Applikation auf Gott erkennt. Mit der Aussage sibi esse est intelligere (»für ihn ist das Denken diversa, puta caelum et terra et similia. Ait enim: in principio creavit caelum et terram (»Drittens bleibt zu untersuchen, wie von einem Einfachen, von Gott nämlich, mehrere unterschiedene und verschiedene Dinge, nämlich Himmel, Erde und so weiter, unmittelbar sein oder hervorgebracht werden können. Denn es heißt: Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde«). Mit dem folgenden Zitat gibt Eckhart eine Antwort auf die hier aufgeworfene Frage; siehe unten, Anm. 61. 61. Ibid., n. 11 (LW I,1 194,10-195,3 [Rec. CT]; LW I,2 69,14-7 [Rec. L]). Zum göttlichen intellectus als principium aller productio siehe ibid., n. 168 (LW I,1 313,12-314,5 [Rec. CT]; LW I,2 199,23-8 [Rec. L]).

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das Sein«) behauptet Eckhart keine Überordnung des intelligere über das esse, sondern dessen explikative Bedeutung hinsichtlich letzterem. Es geht nicht um die Alternative, ob Gottes Sein oder der göttliche Verstand die eigentliche Ursache der Welt sei, sondern darum, wie die Allgemeinursächlichkeit des Seins begriffen werden kann. Der Seinsbegriff ist nicht notwendig mit einer relationalen Dimension behaftet, der Intellektbegriff hingegen ist es wohl, da dem Denken notwendig ein Gegenstand zugehört, den es denkt, und sei es auch eine reine Selbstreflexion. Die explikative Bedeutung, die der Intellektbegriff für den Seinsbegriff hat, bezieht sich auf den strukturellen Bereich, d. h. auf die Frage, wie sich das Sein als solches vollzieht. Von dieser Unterscheidung her lassen sich bei Eckhart zwei Begriffsgruppen ausmachen. Dies klingt in folgenden Ausführungen an, die in Zusammenhang mit Überlegungen zur Gotteserkenntnis stehen: sicut unum et ens convertibiliter se habent, sic simplicitas et intellectualitas. Radix enim prima et ratio intellectualitatis est simplicitas (»Wie das Eine und das Seiende sich zueinander konvertibel verhalten, so auch die Einfachheit und die Geistigkeit. Denn der erste Ursprung und die ratio der Geistigkeit ist die Einfachheit«).62 Das Verhältnis von esse und unum, das sich durch Konvertibilität auszeichnet, wird nicht bloß zur Veranschaulichung demjenigen von intellectualitas und simplicitas gegenübergestellt, so, als ließen sich aus einem anderen Bereich weitere Illustrationsbeispiele heranziehen. Verglichen werden hier die beiden ausschließlichen Weisen, die Wirklichkeit strukturell zu erfassen. Esse und unum stehen für die inhaltliche Ausfüllung des Strukturschemas. Dies gilt für die Gesamtheit der im Schema der termini generales aufgeführten transzendentalen Begriffe. Sie beschreiben das, was in der Prozesshaftigkeit der Wirklichkeit vollzogen wird. In ihrer positiven begrifflichen Ausfüllung sind sie mit Gott gleichzusetzen und liefern so die inhaltliche Ausfüllung des Gottesbegriffs, der bei Eckhart letztlich insofern asymptotischen Charakter hat, als er – Eckhart – zu keiner abschließenden Definition gelangt. Die Formulierung Esse est deus hat keinen definitorischen, sondern explikativen Charakter. Dasselbe gilt für die übrigen transzendentalen Begriffe der termini generales. Intellectualitas und simplicitas hingegen stehen für die Strukturalität des Strukturschemas als solche. Sie beziehen sich auf das wie des Vollzugs, nicht auf 62. Id., In Sap., n. 5 (LW II 326,7-9).

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das, was vollzogen wird, sondern darauf, warum dies gerade so vollzogen wird. Während die intellectualitas die Möglichkeit und den Grund von Relationalität überhaupt darstellt, repräsentiert die simplicitas nicht das Eine als solches, sondern die Einfachheit schlechthin, d. h. das feste In-sich-Gründen eines Sachverhalts und damit die Möglichkeit von Einheit überhaupt. Beide Begriffe sind insofern konvertibel, als sie die Grundstruktur einer transzendentalen Vollkommenheit wiedergeben. Die inhaltlichen Aspekte sind den strukturellen gleich geordnet, da beide einander benötigen. Ein Struktursystem ohne inhaltliche Aspekte lieferte keine Grundlage zur Erfassung der Wirklichkeit, da diese in sich leer bliebe, aber ohne die wesentliche Beziehungsstruktur bliebe alles in sich haltlos. 8. Ertrag Die Konzeption einer Substantialität der Beziehung als solcher liefert meines Erachtens den entscheidenden Schlüssel zum Verständnis von Eckharts Ansatz. Die radikale Konzentration auf diesen Grundgedanken, der implizit immer mitschwingt, ist das Grundcharakteristikum seines Denkens. Alles Weitere lässt sich darauf hinordnen. Es wurde deutlich, dass Beziehung für Eckhart keinen Zustand bezeichnet, sondern einen Prozess: Sein bedeutet Seinsgeschehen. Die Struktur dieses Prozesses geht einer konkreten inhaltlichen Ausfüllung voraus: Nicht ein bestimmter Begriff liefert den Zugang, sondern das Schema ist entscheidend, innerhalb dessen sich der Begriff einfügt. Die termini generales sind sich von daher einander kompatibel; sie stehen für ein offenes System, und der fragmentarische Charakter von Eckharts Gesamtwerk erweist sich letztlich als dessen Stärke, da mit dem Zentralfragment Esse est deus die entscheidende Vorlage gegeben ist. Eckharts Entwurf zeigt sich als ein genuin christlicher Entwurf eines Wirklichkeitsverständnisses: Es geht um das Geschöpfsein des Einzelnen, das sich weder als ein Substanzsein in sich noch als ein Nichtsein fassen lässt, sondern eben als ein Sein in Beziehung.

Nequaquam imaginandum vel iudicandum est secundum naturam et modum accidentium. Worin unterscheidet sich das Denken Meister Eckharts von dem des Thomas von Aquin? Mika Matsuda, Kyoto

Abstract In the first of three preliminary notes to the Prologus generalis in Opus tripartitum Eckhart analyses the differences between the termini generales and the accidentia. This differentiation is of fundamental significance for his thinking as is obvious from the programmatic content of this preface. The thesis ›Esse est deus‹ which is formulated in the third preliminary note of the same preface and constitutes the main thesis of the Opus propositionum, is treated especially closely in the study of Eckhart. However, this first preliminary note is skipped or mentioned only briefly by many experts, although in this note the subject of the above mentioned thesis, esse, is the first general term. The deficiencies of the previous study have to be compensated in two different respects. The first refers to passages of Eckhart, which means the differentiation from the accidentia is not only found in the general preface but also in other works of Eckhart. Indeed some researchers have considered these texts in which Eckhart differentiates not the termini generales but the perfectiones spirituales from the accidentia, but have up to now ignored that in some passages he differentiates also the caritas from the accidentia. Such passages have in fact been examined but not considered in connection with the passages where the termini generales or the perfectiones spirituales are differentiated from the accidentia. The second aspect, which was neglected in the past study, concerns these sources. In this article one passage from Thomas Aquinas is mentioned in particular, which Eckhart could contradict by differentiating the caritas from the accidentia. In comparison it becomes clear that behind Eckhart’s understanding of the termini generales lies his struggle with the

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teaching of caritas of Thomas Aquinas. Also, it becomes obvious how the reversed application of substantia – accidentia characterizes Eckhart’s understanding of the termini generales. This reversed application, which does not only influence the way of thinking but also includes the ethical demand for leaving one’s own things, forms his understanding of reality. 1. Einleitung […] de terminis generalibus, puta esse, unitate, veritate, sapientia, bonitate et similibus nequaquam est imaginandum vel iudicandum secundum naturam et modum accidentium, quae accipiunt esse in subiecto et per subiectum et per ipsius transmutationem et sunt posteriora ipso et inhaerendo esse accipiunt. (Die Allgemeinbegriffe, zum Beispiel Sein, Einheit, Wahrheit, Weisheit, Güte und dergleichen darf man sich keineswegs vorstellen oder beurteilen nach der Seinsweise und Natur der Akzidenzien. Denn diese empfangen ihr Sein in einem Träger und durch einen Träger und durch dessen Veränderung, sind also [ihrer Natur nach] später als er und empfangen ihr Sein als Sein an etwas).1

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ies ist die erste von drei Vorbemerkungen, die Eckhart in der Allgemeinen Vorrede zum dreiteiligen Werk (Prologus generalis in Opus tripartitum) zum Verständnis seines darin angewendeten Verfahrens macht. Wenn man die programmatische Stellung dieser Vorrede für das ganze Werk berücksichtigt, so liegt es nahe, dass die Abgrenzung der termini generales gegen die accidentia eine grundlegende Bedeutung für das Denken Eckharts hat. Aber während die These ›Esse est deus‹, die in der dritten Vorbemerkung derselben Vorrede formuliert wird und die Hauptthese des Opus propositionum ist, in der Forschung besonders ausführlich behandelt wird,2 wird die oben angeführte erste Vorbemerkung,

1. Eckhart, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 8 (LW I,1 152,9-12 [Rec. CT]; LW I,2 25,15-9 [Rec. L]). Das Verneinungswort nequaquam gebe ich mit ›keineswegs‹ wieder, statt mit ›nicht‹, wie es Josef Koch tut. So kommt zum Ausdruck, wie sehr Eckhart vor der Verwechslung der termini generales mit den accidentia warnt. 2. Hier sind vor allem diejenigen Studien zu nennen, die die gerade erwähnte Hauptthese des Opus propositionum schon im Titel anführen: Karl Albert, Meister Eckharts These vom Sein: Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum (Kastellaun bzw. Saarbrücken, 1976); Reiner Manstetten, Esse est Deus: Meister Eckharts christologische Versöhnung von Philosophie und Religion und ihre Ursprünge in der Tradition des Abendlandes (Freiburg i.Br./München, 1993). Das besondere Interesse dieser beiden Autoren an dieser These ist insofern gerechtfertigt, als Eckhart selbst, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 22 (LW I,1 165,9-12 [Rec. CT]; LW I,2 39,2-4 [Rec. L]), sie dem ganzen

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obwohl in ihr das Subjekt der gerade erwähnten These, esse, als erster Allgemeinbegriff genannt ist, von manchen Forschern übersprungen oder nur flüchtig erwähnt.3 Stattdessen begnügt man sich damit, eine Stelle in der Responsio zu erwähnen, wo erklärt wird, dass es bei der These ›Esse est deus‹ nicht um das esse formaliter inhaerens, sondern um das esse absolutum geht.4 Und man tut dies vor allem, um die These ›Esse est deus‹ von dem Verdacht des Pantheismus freizusprechen.5 Das Defizit der bisherigen Forschung ist in zweierlei Hinsicht auszugleichen. Die erste bezieht sich auf Textstellen Eckharts. Die Abgrenzung gegen die accidentia findet sich nämlich nicht nur in der Allgemeinen Vorrede, sondern auch in anderen Schriften Eckharts. Einige Forscher Opus tripartitum zugrundelegt: ex praemissa prima propositione, si bene deducantur, omnia aut fere omnia, quae de deo quaeruntur, facile solvuntur, et quae de ipso scribuntur – plerumque etiam obscura et difficilia – naturali ratione clare exponuntur (»aus der ersten vorausgeschickten These lassen sich, wenn sie richtig abgeleitet werden, alle oder doch fast alle Gott betreffenden Probleme leicht lösen und die Schriftworte über ihn – fast immer auch die dunkeln und schwierigen – mit natürlicher Begründung lichtvoll auslegen«). 3. K. Albert, Meister Eckharts These (1976), 37, zeigt z. B. wenig Interesse für die erste Vorbemerkung, weil sie »nicht speziell auf das ›esse est deus‹ [...] bezogen« ist. Für ihn, ibid., bedeutet die erste Vorbemerkung nur, dass es bei den im Subjekt genannten Begriffen (Sein, Einheit, Wahrheit, Weisheit, Güte …) um »ein unvergängliches, ein überzeitliches Sein« geht. Allerdings erwähnt er, ibid., 179, die erste Vorbemerkung noch einmal bei der Erörterung des Traktats De substantia et accidente, und zwar im Zusammenhang mit den Stellen aus dem Sapientiakommentar, wo die perfectiones spirituales gegen die accidentia abgegrenzt werden. Albert hat sicherlich recht, wenn er, ibid., 174, diesen Traktat für »von besonderem Gewicht« hält, aber er gibt der Abgrenzung gegen die accidentia weniger Gewicht als der Analogielehre. 4. Vgl. Acta Echardiana, n. 48 (Responsio) (LW V 289,3-5) (Proc. Col. I, n. 116): Ad quartum cum dicitur: »Ipsum esse non accipit quod sit in aliquo nec ab aliquo« etc. Dicendum est quod verum est, distinguendum tamen de esse formaliter inhaerente et de esse absoluto, quod est deus (»Wenn es heißt: »Das Sein selbst empfängt sein Dasein nicht in einem andern oder von einem andern« usw., so ist zu sagen, dass dies wahr ist. Zu unterscheiden ist freilich zwischen dem formhaft innewohnenden und dem absoluten Sein, das Gott ist«). Auch Thomas von Aquin, De ente et essentia, c. 5, in: Opera omnia, ed. Leonina, Bd. 43 (Rom, 1976), 378,15-21, unterscheidet zwischen dem Sein von Dingen und dem Sein Gottes: Nec oportet, si dicimus quod Deus est esse tantum, ut in illorum errorem incidamus, qui Deum dixerunt esse illud esse uniuersale, quo quelibet res formaliter est. Hoc enim esse quod Deus est huiusmodi condicionis est ut nulla sibi additio fieri possit, unde per ipsam suam puritatem est esse distinctum ab omni esse (»Wir dürfen auch nicht, wenn wir sagen, dass Gott allein das Sein ist, in den Irrtum derer verfallen, die behaupten, Gott sei jenes allgemeine Sein, wodurch jedes Ding formal ist. Dieses Sein nämlich, das Gott ist, ist von der Art, dass ihm nichts zugefügt werden kann. Daher ist es durch seine Reinheit selbst das von jedem [anderen] Sein verschiedene Sein«). An der ziterten Stelle der Responsio schließt sich Eckhart wohl dieser Thomasischen Unterscheidung an. Vgl. auch Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 3, art. 4, ad 1, in: Opera omnia, ed. Leonina, Bd. 4 (Rom, 1888), 42b,21-32. 5. Siehe etwa Werner Beierwaltes, Platonismus und Idealismus (Frankfurt a.M., 1972; 22004), 58-9.

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haben dabei zwar diejenigen Texte in Betracht gezogen, in denen Eckhart statt der termini generales die perfectiones spirituales (»geistige Vollkommenheiten«) gegen die accidentia abgrenzt, aber übersehen wurde bisher, dass er an einigen Stellen6 auch die caritas (»Liebe«)7 gegen die accidentia abgrenzt. Solche Passagen wurden ihrerseits freilich schon untersucht, aber eben nicht in Zusammenhang mit denjenigen Stellen betrachtet, wo die Abgrenzung der termini generales oder der perfectiones spirituales gegen die accidentia vorgenommen wird. Die zweite Hinsicht, die in der Forschung bis dato vernachlässigt wurde, betrifft die herangezogenen Quellen. Zwar sind einige Quellenhinweise gemacht worden,8 es sind damit jedoch nicht a l l e in diesem Kontext relevanten Quellen in Betracht gezogen. Im vorliegenden Beitrag wird insbesondere auf eine Textstelle bei Thomas von Aquin hingewiesen, der Eckhart bei seiner Forderung nach der Abgrenzung der caritas gegen die accidentia widersprechen dürfte. Auf Grund dieses Hinweises wird deutlich, dass im Hintergrund des Eckhartschen Verständnisses der termini generales seine Auseinandersetzung mit der caritas-Lehre des Thomas von Aquin steht.9 Durch die vergleichende Analyse versucht dieser Beitrag, das Denken Meister Eckharts, wie es aus seiner Abgrenzung der termini generales gegen die accidentia zu ersehen ist, in der Gegenüberstellung mit Thomas von Aquin zu konturieren. Aus dieser Gegenüberstellung geht auch hervor, wie Eckhart die Wirklichkeit versteht.10 Nach der Prüfung von bisherigen Untersuchungen in den Abschnitten 2 und 3 werden Thomasische (Abschnitt 4) sowie Eckhartsche 6. Siehe unten, 44-6 (Abschnitt 5). 7. Die caritas ist derjenige Begriff, der, so Eckhart, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 4 (LW I,1 150,1-151,1 [Rec. CT]; LW I,2 22,3-18 [Rec. L]), im fünften von insgesamt 14 Traktaten des Opus propositionum behandelt werden sollte. Es ist bemerkenswert, dass die caritas hier außer den vier Begriffen, die auch in der ersten Vorbemerkung der Allgemeinen Vorrede als Beispiel von termini generales angeführt werden – nämlich esse, unitas, veritas und bonitas –, als erstes genannt wird. So kommt dem Begriff caritas eine hervorragende Bedeutung zu. 8. Siehe unten, 35-40 (Abschnitt 2 bzw. 3). 9. Jan A. Aertsen, »Meister Eckhart: Eine außerordentliche Metaphysik«, in: Recherches de Théologie et Philosophie médiévales 66 (1999), 1-20, hier 17, weist darauf hin, dass bei Eckhart – im Unterschied zu Johannes Duns Scotus – die moralischen Vollkommenheiten die Zentralstellung einnehmen. Über diesen Hinweis hinaus möchte ich die These vertreten, dass im Hintergrund des Eckhartschen Verständnisses der termini generales seine Auseinandersetzung mit der Thomasischen caritas-Lehre steht. 10. Siehe auch Meik Peter Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung: Das strukturontologische Schema der Termini generales im Opus tripartitum Meister Eckharts (Münster, 2004), 160.

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(Abschnitt 5) Texte über die caritas analysiert. Im sechsten Abschnitt wird anschließend erörtert, inwieweit die betreffende Abgrenzung der caritas gegen die Akzidenzien die Forderung nach dem Lassen des hoc et hoc involviert. Im siebten Abschnitt wird schließlich das Ergebnis der Untersuchung zusammengefasst. 2. Die ›platonisierende Transformation der Transzendentalienlehre des Thomas‹: Die Interpretation von Kurt Flasch und Wouter Goris Nach Kurt Flasch vollzieht Eckhart mit seiner ersten Vorbemerkung im Prologus generalis den »Bruch mit dem schularistotelischen Inhaerenzschema«.11 Eckhart gehe es um »ein In-Sein ohne Inhaerenz«, »das sowohl g a n z , ungeteilt innerhalb u n d außerhalb des Einzelnen ist«.12 Solches Insein »läßt sich innerhalb des Schemas von Ding und Eigenschaften nicht denken«, so dass es »die Denkregeln durchbricht, die für die Analyse der Dingwelt aufgestellt worden sind«.13 Flasch gibt aber keine bestimmten Texte des Thomas oder eines anderen Scholastikers an, die Eckhart bei seinem ›Bruch‹ im Auge gehabt haben könnte. Seine Interpretation bleibt also zu abstrakt, ohne Textgrundlage, wie es auch Wouter Goris kritisiert.14 Zudem bezieht er die für Eckhart charakteristische Ansicht auf das D e n k e n . Er achtet also nicht darauf, dass Eckharts Auffassung der termini generales auch eine e t h i s c h e Forderung beinhalten könnte, obwohl Flasch selbst Eckharts Ansicht über die Gerechtigkeit erwähnt. Nach Flaschs Formulierung nämlich »betont er [sc. Eckhart]: Die Gerechtigkeit ist n i c h t im Gerechten, sondern der Gerechte ist in der Gerechtigkeit«.15 Obwohl dieser bzgl. des Verhältnisses der Gerechtigkeit zum Gerechten von Flasch formulierte Satz eine Opposition formuliert, scheint er sich eines solchen Opposition-Charakters des Eckhartschen Verständnisses – dass das charakteristische Verhältnis der Gerechtigkeit zum Gerechten nämlich im Gegensatz zu dem Verhältnis zu denken ist, in welchem das 11. Kurt Flasch, »Die Intention Meister Eckharts«, in: H. Röttges, Br. Scheer und J. Simon (Hgg.), Sprache und Begriff: Festschrift für Bruno Liebrucks (Meisenheim am Glan, 1974), 292-318, 306. 12. Ibid. 13. Ibid. 14. Siehe unten, 36. 15. K. Flasch, »Die Intention« (1974), 310.

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Akzidens zum Subjekt steht – nicht ganz bewusst zu sein. So gibt er den von Eckhart gebrauchten lateinischen Ausdruck opposito modo16 mit »prinzipiell anders als« wieder: »Geistige Qualitäten verhalten sich prinzipiell anders als die vorstellbaren körperlichen Eigenschaften, opposito modo«.17 Während sich Erwin Waldschütz prinzipiell der Ansicht Flaschs anschließt,18 erhebt Wouter Goris in seiner Dissertation19 manche Einwände gegen Flasch. Er kritisiert Flaschs Verständnis und bemerkt, dass es nicht die Auffassung Avicennas ist, die hinter der ersten Vorbemerkung Eckharts steht. Im Gegenteil: die betreffende Abgrenzung gegenüber den Akzidenzien schließe sich an »die bei Thomas vorfindbare Ablehnung der Auffassung Avicennas, der das Seiende und Eine als Akzidentien bestimmt«, an.20 Während Avicenna das Sein »als eine akzidentelle Zufügung [...] am Wesen« versteht, verstehe Thomas es »als intrinsisches Prinzip des Seienden«.21 Goris weist auf eine Stelle in Thomas‘ Kommentar zum zehnten Buch der Metaphysik hin, wo er Avicenna deswegen kritisiert, weil dieser den Unterschied zwischen den communia und den accidentia nicht bemerkt habe. Nach Thomas bedeuten die communia die Natur selbst der Träger (ipsam naturam suppositorum), während die accidentia die hinzugefügte Natur (aliquam naturam additam) bezeichnen.22 16. Der Ausdruck opposito modo kommt nicht in der ersten Vorbemerkung des Prologus generalis, sondern im Sapientiakommentar vor (siehe unten [Abschnitt 3]). Allerdings wird ein ähnlicher Ausdruck (e converso) in der zweiten Vorbemerkung derselben Vorrede, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 10 (LW I,1 154,13-155,1 [Rec. CT]; LW I,2 27,18-21 [Rec. L]), verwendet, wo die Auffassung der ersten Vorbemerkung auf die superiora und die inferiora verallgemeinert wird: Secundo est praenotandum quod universaliter priora et superiora nihil prorsus accipiunt a posterioribus, sed nec ab aliquo afficiuntur quod sit in illis; sed e converso priora et superiora afficiunt inferiora et posteriora et in ipsa descendunt cum suis proprietatibus et ipsa sibi assimulant, utpote causa causatum et agens passum (»Zweitens ist vorher zu bemerken, dass ganz allgemein das Frühere und Obere durchaus nichts von dem Späteren empfängt, ja sogar auch von nichts in ihm berührt wird. Sondern das Frühere und Obere berührt vielmehr das Niedere und Spätere und steigt mit seinen Eigentümlichkeiten in es herab und gleicht sich – nämlich als Ursache und als Tätiges – jenes als das Verursachte und das Leidende an«). 17. K. Flasch, »Die Intention« (1974), 310-1. 18. Vgl. Erwin Waldschütz, Denken und Erfahren des Grundes: Zur philosophischen Deutung Meister Eckharts (Wien/Freiburg i.Br./Basel, 1989), 75-6. 19. Wouter Goris, Einheit als Prinzip und Ziel: Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts (Leiden/New York/Köln, 1997). 20. Ibid., 56. 21. Ibid., 57. 22. Vgl. ibid., 57-8. Vgl. Thomas von Aquin, In libros metaphysicorum Aristotelis expositio, X, lect. 3, ed. M.-R. Cathala und R.M. Spiazzi (Turin/Rom, 1950; ²1971), 471-2 (nn. 1980-1).

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Diese Thomasische Formulierung über den Unterschied zwischen den communia und den accidentia scheint der Eckhartschen Abgrenzung der termini generales gegen die accidentia zu entsprechen. Die von Goris angegebene Stelle aus dem Metaphysikkommentar des Thomas kann somit sehr wohl eine Quelle der ersten Vorbemerkung Eckharts sein, und insofern hat Goris recht, wenn er diese Vorbemerkung als »eine implizite Avicenna-Kritik« bezeichnet.23 Zugleich sieht Goris auch eine Differenz zwischen dem Thomasischen Verständnis der communia und Eckharts Verständnis der termini generales. Dabei weist er auf die Tatsache hin, dass als termini generales nicht nur esse, unitas, veritas und bonitas (»Sein, Einheit, Wahrheit und Gutheit«), sondern auch sapientia (»Weisheit«) genannt werden, und sieht mit Recht den Grund dafür in einem Zitat aus Augustins De trinitate, wo von der sapientia gesprochen wird, die sich, anders als die Weiße in einem Körper, nicht wandelt, auch wenn die einzelne Seele aufhört, weise zu sein.24 Nach Goris verwendet Eckhart dieses Zitat, um den Unterschied zwischen den termini generales und den accidentia zu »erhärten« und den termini generales »einen Faktor der Subsistenz« zuzuweisen.25 Mit dieser Auslegung kommt Goris der Ansicht Flaschs entgegen, nach dem es bei Eckhart um die »»platonisierende Transformation« der Transzendentalienlehre des Thomas« geht.26 Die beiden Textstellen, auf die Goris hinweist, nämlich die aus dem Metaphysikkommentar des Thomas und die aus De trinitate Augustins, können freilich sehr wohl den Hintergrund der ersten Vorbemerkung im Prologus generalis bilden. Aber sind damit a l l e Quellen für Eckharts Abgrenzung der temini generales gegen die accidentia in Betracht gezogen worden? Zumindest soll – zunächst – darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Wort subiectum an der von Goris genannten Stelle aus dem Metaphysikkommentar des Thomas von Aquin n i c h t vorkommt.

23. W. Goris, Einheit als Prinzip und Ziel (1997), 56. 24. Ibid., 60. Vgl. Eckhart, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 9 (LW I,1 154,6-12 [Rec. CT]; LW I,2 27,12-7 [Rec. L]); Augustinus, De trinitate, VII, c. 1, n. 2, ed. W. J. Mountain (Turnhout, 1968) (CCL 50), 248,136-46. 25. W. Goris, Einheit als Prinzip und Ziel (1997), 60. 26. Ibid. Vgl. K. Flasch, »Die Intention« (1974), 307.

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3. Die ›Auflösung des Begriffs der Tugend als habitus und Hypostasierung der Tugenden in Gott‹: Heinrich Suso Denifle und Otto Langer Ähnliche Abgrenzungen gegen die accidentia finden sich nicht nur im Prologus generalis, sondern auch an anderen Stellen, wo es allerdings nicht um die termini generales, sondern um die perfectiones spirituales geht, so etwa an folgender: Sciendum enim, quod omnino aliter [se habet] et opposito modo de accidentibus corporalibus, puta albedine, sapore et huiusmodi, et aliter de perfectionibus spiritualibus. [...]. Ipsae enim in nullo prorsus accipiunt esse a subiectis, et per consequens nec divisionem nec numerum nec desitionem. (Man muss nämlich wissen, dass es sich völlig anders, ja entgegengesetzt mit den körperlichen Bestimmtheiten, wie zum Beispiel dem Weißsein, dem Geschmack und dergleichen, verhält, und anders mit den geistigen Vollkommenheiten. [...]. Diese empfangen nämlich in gar keiner Weise ihr Sein von ihren Trägern und werden infolgedessen auch nicht mit ihnen geteilt oder gezählt noch hören sie mit ihnen auf zu sein).27 Die Ähnlichkeit mit der ersten Vorbemerkung im Prologus generalis fällt ins Auge. Was dort von den termini generales gilt, wird hier von den perfectiones spirituales gesagt, als welche die iustitia und die sapientia (»Gerechtigkeit und Weisheit«) genannt werden.28 Die Entsprechung lässt sich auch am Beispiel von corpus – anima erkennen, das hier wie dort angeführt wird.29 Ebenfalls wird in den folgenden Abschnitten zweimal Augustin zitiert, einmal aus dem achten Buch De trinitate, zum andern aus dem dritten Buch der Confessiones,30 also zwar aus anderen 27. Eckhart, In Sap., n. 41 (LW II 362,5-7 und 363,5-7). Die Übersetzung von Josef Koch wurde von mir leicht geändert. 28. Vgl. ibid., n. 74 (404,5-6). 29. Vgl. id., Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 10 (LW I,1 155,6-156,3 [Rec. CT]; LW I,2 27,26-29,5 [Rec. L]); In Sap., n. 42 (LW II 364,8-12). Während es im Prologus generalis um die Einheit und Ungeteiltheit der Seele in vielen Teilen eines Lebewesens geht, wird an der betreffenden Stelle des Sapientiakommentars gesagt, dass nicht die Seele im Körper, sondern umgekehrt der Körper in der Seele ist. Es ist bemerkenswert, dass Eckhart das Insein des Körpers in der Seele, von dem schon Thomas von Aquin gesprochen hatte, auch im Zusammenhang mit seiner Diskussion der caritas nennt. Siehe unten, 47, Anm. 61. 30. Vgl. id., In Sap., n. 43 (LW II 365,6-12); vgl. Augustinus, De trinitate, VIII, c. 3, n. 4, ed. Mountain (1968), 273,38-44; Eckhart, In Sap., n. 44 (LW II 366,7-12); vgl. Augustinus, Confessiones, III, c. 7, n. 13, ed. L. Verheijen (Turnhout, 1981) (CCL 27), 33,20-2 und 34,40-2; ibid., n. 14, 34,48-53.

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Stellen als derjenigen, die im Prologus generalis erwähnt wird, aber immerhin aus Augustins Schriften. Die oben zitierte Stelle (genauer: In Sap., nn. 41-2 [LW II 362,7364,13]) hält Heinrich S. Denifle nun für »die [sc. (angeblich) für Eckhart] gewöhnliche Verwirrung und Aequivocatio der Begriffe«.31 Auf Grund der Thomasischen Summa Theologiae, I-II, q. 55, art. 4, bemerkt Denifle, die iustitia sei nichts anderes als virtus (»Tugend«) und als solche ein accidens, das eines subiectum bedarf. Deswegen habe Eckhart an dieser Stelle »wieder gesprochen, ohne gedacht zu haben«.32 An der von Denifle genannten Stelle der Summa Theologiae geht es nun um die Definition der Tugend nach Petrus Lombardus, nach der virtus est bona qualitas mentis, qua recte vivitur, qua nullus male utitur, quam Deus in nobis sine nobis operatur (»Tugend ist jene gute Beschaffenheit des Geistes, kraft deren man recht lebt, die niemand schlecht gebraucht, die Gott in uns ohne uns bewirkt«).33 Thomas antwortet in dem betreffenden Artikel, dass diese Definition völlig dem Wesen der Tugend entspricht. Nach ihm ist mit der Bestimmung mentis das Subjekt der Tugend genannt. Auf Grund dieser Stelle weist Denifle Eckharts Abgrenzung der perfectiones spirituales gegen die accidentia schroff zurück. Denifle fällt freilich ein negatives Urteil über das Tugendverständnis Eckharts, aber gleichzeitig stellt er heraus – und das scheint mir besonders wichtig zu sein –, wie das Wort subiectum eine zentrale Rolle im Tugendverständnis des Thomas spielt. Nach Denifle steht Eckhart mit seinem Tugendverständnis in einem scharfen Gegensatz zu Thomas von Aquin, anders als nach Goris, der Eckhart zuerst einmal auf der Seite des Thomas sieht. Otto Langer erwähnt in seiner Habilitationsschrift diese Ablehnung Denifles: Gerecht ist der Gerechte nach thomistischer Auffassung, wie sie auch Denifle gegen Eckhart geltend macht, durch die Tugend der Gerechtigkeit, die ihm als Akzidens anhaftet. Für Eckhart 31. Heinrich Suso Denifle, »Meister Eckeharts lateinische Schriften, und die Grundanschauung seiner Lehre«, in: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 2 (1886), 417-615, 506. 32. Ibid.; zitiert auch bei Otto Langer, Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie: Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner Zeit (München/Zürich, 1987), 181. 33. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I-II, q. 55, art. 4, arg. 1, in: Opera omnia, ed. Leonina, Bd. 6 (Rom, 1891), 353a,5-8. Vgl. Petrus Lombardus, Sententiae, II, dist. 27, c. 5, n. 243, ed. studio et cura PP. Collegii S. Bonaventurae (Florenz, 21916), Bd. 1, 446,5-7.

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dagegen ist der Gerechte nicht Subjekt der Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit Subjekt des Gerechten.34 Langer führt die oben zitierte Stelle aus dem Sapientiakommentar (In Sap., n.41 [LW II 362,5-7 und 363,5-7]) an und kennzeichnet Eckharts Auffassung über die perfectiones spirituales als »Auflösung des Begriffs der Tugend als habitus und Hypostasierung der Tugenden in Gott«.35 Er sieht also Eckhart, wie Denifle, im Gegensatz zu Thomas von Aquin, nur fällt er, anders als Denifle, ein positives Urteil über Eckharts Verständnis der perfectiones spirituales. Darüber hinaus sagt Langer nichts über den Zusammenhang des Eckhartschen Tugendverständnisses mit dem augustinischen Platonismus, während Denifle der Meinung ist, dass Eckhart die Stelle aus Augustins Confessiones, III, c. 7, n.13, missverstehe.36 4. Die caritas als virtus bei Thomas von Aquin Nun äußert Eckhart die gleiche Abgrenzung gegen die accidentia nicht nur hinsichtlich der termini generales und der perfectiones spirituales, sondern darüber hinaus hinsichtlich der caritas. Aber gerade hinsichtlich der caritas gab es damals eine Diskussion darüber, ob sie als habitus oder als spiritus sanctus zu verstehen sei.37 Eckhart selbst erwähnt diese Diskussion, zwar ohne konkrete Namen zu nennen, wie es damals üblich war, aber schon explizit.38 In der Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 2, behandelt Thomas die Frage Utrum caritas sit aliquid creatum in anima (»Ist die Gottesliebe etwas Geschaffenes in der Seele?«).39 Nach seiner Darstellung habe Petrus Lombardus folgende Position vertreten: caritas non est aliquid creatum in anima, sed est ipse Spiritus Sanctus mentem inhabitans (»die Gottesliebe ist nicht etwas Geschaffenes in der Seele, sondern der Heilige Geist

34. O. Langer, Mystische Erfahrung (1987), 179. 35. Ibid., 179-81. 36. Vgl. H. S. Denifle, »Meister Eckeharts lateinische Schriften« (1886), 506. 37. Vgl. Édouard-Henri Wéber, »Maître Eckhart et la grande tradition théologique«, in: H. Stirnimann und R. Imbach (Hgg.), Eckardus Theutonicus, homo doctus et sanctus: Nachweise und Berichte zum Prozess gegen Meister Eckhart (Freiburg [Schweiz], 1992), 97-125. 38. Siehe unten, 42-5. 39. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 2, ed. Leonina, Bd. 8 (Rom, 1895), 164ab-165ab.

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selbst, der im Geiste [sc. des Menschen] wohnt«).40 Thomas ist mit dieser lombardischen Auffassung nicht zufrieden. Nach ihm »führt das eher zur Zerstörung der Gottesliebe (hoc magis redundat in caritatis detrimentum)«.41 Der Grund seiner Kritik liegt im Folgenden: Wenn der menschliche Geist nur vom Heiligen Geist bewegt würde und sich selbst nicht bewegen würde, oder wenn er doch sich selbst bewegte, aber ausschließlich als Werkzeug des Heiligen Geistes tätig wäre, wäre der Akt der Liebe nicht freiwillig (voluntarium), so dass der Grund für das Verdienst ausgeschlossen würde und der Akt der Liebe nicht lustvoll (delectabiliter) vollzogen würde.42 Deswegen »muss es so sein, dass der Wille derart vom Heiligen Geist zum Lieben bewegt wird, dass er [sc. der Wille] auch selbst diesen Akt setzt« (oportet quod sic voluntas moveatur a Spiritu Sancto ad diligendum quod ipsa sit efficiens hunc actum).43 Die caritas ist also aliqua habitualis forma superaddita potentiae naturali, inclinans ipsam ad caritatis actum, et faciens eam prompte et delectabiliter operari (»eine dem natürlichen Vermögen hinzugegebene zuständliche Form, die ihm die Neigung zum Akt der Gottesliebe schenkt und es befähigt, leicht und lustvoll tätig zu sein«).44 Im nächsten Artikel (Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 3) bestimmt Thomas ferner die caritas als virtus. Wichtig dabei ist vor allem seine Antwort auf den dritten Einwand, der behauptet, die caritas, weil sie vornehmer (nobilior) als die Seele selbst sei, sei keine Tugend, die als habitus accidentialis dem Subjekt inhäriere: omne accidens secundum suum esse est inferius substantia: quia substantia est ens per se, accidens autem in alio. Sed secundum rationem suae speciei, accidens quidem quod causatur ex principiis subiecti est indignius subiecto, sicut effectus causa. Accidens autem quod causatur ex participatione alicuius superioris naturae est dignius subiecto, inquantum est similitudo superioris naturae: sicut lux diaphano. Et hoc modo caritas est dignior anima, inquantum est participatio quaedam Spiritus Sancti. 40. Ibid., 165a,3-5. Vgl. Petrus Lombardus, Sententiae, I, dist. 17, c. 1, n. 143, ed. PP. Collegii S. Bonaventurae (21916), Bd. 1, 106,8-23. Nach É.-H. Wéber, »Maître Eckhart« (1992), 108, nahm Lombardus diese Identifizierung von Wilhelm von St. Thierry auf. 41. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 2, ed. Leonina, Bd. 8 (1895), 165a,13-4. 42. Vgl. ibid., 165a,14-31. 43. Ibid., 165a,31-4. 44. Ibid., 165b,11-4.

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(Jedes Akzidens ist seinem Sein nach niedriger als ihr Träger. Denn der Träger ist durch sich seiend, das Akzidens aber ist seiend in einem anderen. Nun ist zwar nach der Bewandtnis ihrer Art ein Akzidens, das aus den Ursprungsgründen des Trägers verursacht wird, weniger vornehm als der Träger, wie die Wirkung [weniger vornehm ist] als die Ursache; ein Akzidens aber, das von der Teilhabe an einer höheren Natur verursacht wird, ist vornehmer als der Träger, sofern es eine Ähnlichkeit zur höheren Natur besagt, wie das Licht [vornehmer ist] als das Lichtdurchlässige. Und in dieser Weise ist die Liebe vornehmer als die Seele, insofern sie [sc. die Liebe] irgendwie Teilhabe am Heiligen Geiste besagt).45 Dies ist eben die Textstelle, die sowohl die Kontinuität als auch die Diskontinuität zwischen Thomas und Eckhart deutlich zeigt. Nach dieser Stelle versteht Thomas die caritas nicht als etwas, »das aus den Prinzipien des Trägers verursacht wird«, sondern als etwas, »das aus der Teilhabe an irgendeiner oberen Natur verursacht wird«. Dabei besteht Thomas jedoch zugleich darauf, dass die caritas ein Akzidens ist. Nach Thomas ist die caritas somit zwar »irgenwie Teilhabe am Heiligen Geist«, aber immerhin ein Akzidens, das dem einzelnen Menschen als dem Subjekt inhäriert, so dass sich der Mensch zur caritas verhält wie ein Subjekt zu einem Akzidens. Gerade gegen diese Thomasische Auffassung erhebt Eckhart Einwände, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird. 5. Eckharts umgekehrte Anwendung des Begriffspaars substantia – accidens auf das Verhältnis der Seele zur caritas In der deutschen Predigt 27 erwähnt Eckhart die Kritik des Thomas am lombardischen caritas-Verständnis: minne diu ist alsô lûter, alsô blôz, alsô abegescheiden in ir selber, daz die besten meister sprechent, daz diu minne, mit der wir minnen, 45. Ibid., art. 3, ad 3, 168b,14-24. Die Übersetzung der deutschen Thomas-Ausgabe: Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa theologica, übersetzt und kommentiert von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, hg. von der Albertus-Magnus-Akademie Walberberg bei Köln, Bd. 17 A (Heidelberg bzw. Graz/Wien/Köln, 1959), 16, wird von mir geändert angeführt. Dort wird das Wort inferius mit ›minder‹ und das erste Vorkommnis des Wortes participatio mit ›Ursprungsgründen‹ übersetzt, was nicht korrekt ist. Ferner wird der lateinische Ausdruck sicut lux diaphano mit ›wie das Licht in Bezug auf das Lichtdurchlässige‹ übersetzt, so dass es nicht mehr klar ist, dass dabei diaphano gleich wie subiecto als Ablativ des Vergleichs gebraucht werden.

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ist der heilige geist. Etlîche wâren, die wolten ez widersprechen. Daz ist iemer wâr: alliu die bewegede, dâ wir beweget werden ze minne, dâ beweget uns niht anders wan der heilige geist. Minne in dem lûtersten, in dem abegescheidensten, in ir selber enist niht anders dan got. (Die Liebe ist so lauter, so entblößt, so abgelöst in sich selber, dass die besten Meister sagen, die Liebe, mit der wir lieben, sei der Heilige Geist. Es gab manche, die dem widersprechen wollten. Dies aber ist immer wahr: Alle Bewegung, durch die wir zur Liebe bewegt werden, in der bewegt uns nichts anderes als der Heilige Geist. Liebe im Lautersten, im Abgelöstesten, in sich selber ist nichts anderes als Gott).46 Josef Quint weist in der Anmerkung zu dieser Stelle auf die oben im vierten Abschnitt angegebenen zwei Stellen, nämlich Petrus Lombardus, Sententiae, I, dist. 17, c. 1, n. 143, und Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 2, hin,47 und bemerkt dazu: »es wird deutlich, daß Eckhart mit ›die besten meister‹ ( 41,4-5) u.a. Petrus Lombardus meint und 42,1 mit ›Etlîche‹ Thomas und andere zeitgenössische Theologen«.48 Wenn diese Quellenangabe stimmt, steht Eckhart weniger auf der Seite des Thomas als vielmehr des Lombardus, und denkt, dass die Liebe, mit der der Mensch liebt, der Heilige Geist selbst ist. In der Tat finden sich bei Eckhart mehrere Äußerungen, nach denen die Liebe der Heilige Geist ist. Im lateinischen Sermo IV etwa sagt er: pater et filius diligunt nos spiritu sancto, et nos diligemus deum in spiritu sancto (»der Vater und der Sohn lieben uns durch den Heiligen Geist, und wir sollen Gott im Heiligen Geist lieben«).49 In der Anmerkung zu dieser Stelle wird ebenso Petrus Lombardus, Sententiae, I, dist. 17, c. 1, nn. 143-5, genannt.50 Und auch in der deutschen Predigt 10 wird eine solche Position angeführt: Ez sprichet ein meister, daz diu sêle berüeret wirt âne mittel von dem heiligen geiste, wan in der minne, dâ sich got selben inne minnet, in der minne minnet er mich, und diu sêle minnet got in 46. Eckhart, Pr. 27 (DW II 41,4-43,1). Vgl. Petrus Lombardus, Sententiae, I, dist. 17, c. 1, n. 143, ed. PP. Collegii S. Bonaventurae (21916), Bd. 1, 106,8-23. 47. Siehe oben, 40-2. 48. Josef Quint, DW II 42, Anm. 4. 49. Eckhart, Sermo IV, n. 25 (LW IV 26,10-1). 50. Vgl. LW IV 26, Anm. 4. Vgl. Petrus Lombardus, Sententiae, I, dist. 17, c. 1, nn. 143-5, ed. PP. Collegii S. Bonaventurae (21916), Bd. 1, 106,8-108,5.

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der selben minne, dâ er sich selben inne minnet, und enwære disiu minne niht, dar inne got die sêle minnet, der heilige geist enwære niht. Ez ist ein hitze und ein ûzblüejen des heiligen geistes, da inne diu sêle got minnet. (Es sagt ein Meister, dass die Seele unmittelbar vom Heiligen Geist berührt wird, denn in der Liebe, darin sich Gott selbst liebt, in dieser Liebe liebt er mich, und die Seele liebt Gott in derselben Liebe, darin er sich selbst liebt; wäre aber diese Liebe nicht, darin Gott die Seele liebt, so wäre [auch] der Heilige Geist nicht. Es ist eine Hitze und ein Ausblühen des Heiligen Geistes, darin die Seele Gott liebt).51 In der Anmerkung dazu wird auch die schon genannte Stelle des Lombardus angegeben (Sententiae, I, dist. 17, c. 1, nn. 143-5) und als ein meister Lombardus genannt.52 Allerdings weist Eckhart an der oben zitierten Stelle aus der deutschen Predigt 27 die Auffassung des Thomas nicht einfach zurück, sondern verteidigt Thomas, sofern auch nach diesem die menschliche Liebe aus dem Heiligen Geist entspringt. Deswegen bemerkt Quint, dass sich Eckhart »mit der abschwächenden Bemerkung, daß der Hl. Geist die bewegende Ursache für unsere Liebe sei (DW II 42,1-2), der Auffassung des Thomas zu nähern scheint«.53 Aber trotz dieser Annäherung unterscheidet sich die Auffassung Eckharts über die caritas, wie ich meine, entscheidend von der des Thomas. Denn während Thomas die caritas nicht mit dem Heiligen Geist gleichsetzt, bemerkt Eckhart in Predigt 27, dass die Liebe, mit der der Mensch liebt, in ihrer Lauterkeit Gott selbst sei. Andererseits ist Eckhart auch nicht zufrieden mit der Auffassung des Lombardus, wie aus der folgenden Stelle aus der deutschen Predigt 65 hervorgeht: Ez wâren solche meister, die sprâchen, daz diu minne, diu in uns ist, daz diu der heilige geist wære, und daz enist niht wâr. Diu lîplîche spîse, die wir in uns nemen, diu wirt gewandelt in uns; aber diu geistlîche spîse, die wir enpfâhen, diu wandelt uns in sich; und dar umbe sô enwirt götlîchiu minne niht in uns enthalten, wan daz wære iezunt zwei. Aber götlîchiu minne diu entheltet uns und sîn in ir ein. Diu varwe, diu an der want ist, diu wirt enthalten an 51. Eckhart, Pr. 10 (DW I 168,3-8). 52. Vgl. DW I 168, Anm. 1. 53. J. Quint, DW II 42, Anm. 4.

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der want; alsô werdent alle crêatûren enthalten in irm wesene von der minne, diu got ist. Næme man die varwe von der want, sô verlür si ir wesen: alsô verlürn alle crêatûren ir wesen, ob man sie næme von der minne, diu got ist. (Es gab gewisse Meister, die sagten, dass die Liebe, die in uns ist, der Heilige Geist sei, und das ist nicht wahr. Die leibliche Speise, die wir zu uns nehmen, die wird in uns verwandelt; die geistige Speise aber, die wir aufnehmen, die verwandelt uns in sich; und darum wird göttliche Liebe nicht in uns aufgenommen, denn das wären jetzt Zwei [sc. wir und die göttliche Liebe = der Heilige Geist]. [Die] göttliche Liebe aber nimmt uns auf, und wir sind mit ihr eins. Die Farbe, die an der Wand ist, die wird an der Wand gehalten; so [auch] werden alle Kreaturen in ihrem Sein durch die Liebe, die Gott ist, gehalten. Nähme man die Farbe von der Wand, so verlöre sie ihr Sein: ebenso verlören alle Kreaturen ihr Sein, wenn man sie von der Liebe, die Gott ist, wegnähme).54 Während in Predigt 27 die meister als beste bezeichnet werden, welche die Liebe, durch die der Mensch liebt, mit dem Heiligen Geist identifizieren, wird hier die Auffassung, nach der die Liebe im Menschen der Heilige Geist ist, zurückgewiesen. In Bezug auf den ersten Satz der gerade zitierten Stelle bemerkt Otto Karrer, »Eckehart polemisiert hier mit Thomas gegen Petrus Lombardus «.55 Wie Karrer richtig sagt, polemisiert Eckhart hier zwar gegen Lombardus, aber das bedeutet nicht, dass er Thomas zustimmt, wie ich gegen Karrer bemerken möchte. Eckhart widerspricht Lombardus im Hinblick auf dessen Formulierung, wonach der Heilige Geist im Menschen sei, denn er ist der Meinung, wie die darauf folgenden Sätze deutlich zeigen, dass umgekehrt der Mensch in der Liebe, die der Heilige Geist ist, ist, was aber Thomas gerade n i c h t vertritt.56 54. Eckhart, Pr. 65 (DW III 97,10-98,7). 55. Otto Karrer, Meister Eckehart: Das System seiner religiösen Lehre und Lebensweisheit (München, 1926), 240, Anm. 358. 56. Allerdings kommt der Unterschied zwischen der leiblichen Speise und der geistigen Speise, der von Augustins Confessiones, VII, c. 10, n. 16, ed. Verheijen (1981), 104,19-20, stammt, auch bei Thomas von Aquin, Summa Theologiae, III, q. 73, art. 3, ad 2, in: Opera omnia, ed. Leonina, Bd. 12 (Rom, 1906), 140b,52-141a,7, vor, wo es um die Eucharistie geht: haec est differentia inter alimentum corporale et spirituale, quod alimentum corporale convertitur in substantiam eius qui nutritur […]. Sed alimentum spirituale convertit hominem in seipsum: secundum illud quod Augustinus dicit, in libro C o n f e s s i o n u m , quod quasi audivit vocem Christi dicentis: »Nec tu me mutabis in te, sicut cibum carnis tuae: sed tu mutaberis in me« (»Der Unterschied zwischen leiblicher und geistiger Speise

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Eckhart weist zurück, dass die götlichiu minne57 oder der Heilige Geist in dem Menschen e n t h a l t e n sei. Das Verb ›enthalten‹ bedeutet hier das Verhältnis von Akzidenzien zu deren Subjekt, dem sie inhärieren, wie das Beispiel von der Wand und der Farbe zeigt. Die Wand ist eine Substanz, und die Farbe ist eine Qualität der Wand. Die Wand verhält sich zu der Farbe wie ein Subjekt zu einem Akzidens. Eckhart weist somit also jene Auffassung zurück, nach der die caritas in der menschlichen Seele so enthalten sei, wie ein Akzidens einem Subjekt inhäriert. Nach seiner Ansicht ist es nicht so, dass die caritas in der Seele ist, sondern umgekehrt so, dass die Seele in der caritas ist, so dass die Seele der caritas inhäriert wie ein Akzidens dem Subjekt.58 Dieses Verhältnis der Seele zur caritas wird im lateinischen Sermo VI explizit formuliert: in corporalibus albedo est in corpore, in spiritualibus e converso iustus est in ipsa iustitia. Unde secundum idiotas anima est in corpore, secundum sapientes verius est corpus in anima. Substantia ergo animae se habet respectu caritatis ut accidens. (im Bereich des Körperlichen ist die Weiße im Körper, im Bereich des Geistigen ist umgekehrt der Gerechte in der Gerechtigkeit selbst. Daher ist nach [der Ansicht der] Ungebildeten die Seele im Leib, nach [der Ansicht der] Weisen ist richtiger der Leib in der Seele. Die Substanz der Seele verhält sich also im Hinblick auf die Liebe wie ein Hinzukommendes).59 Hier wird die Weiße als ein Beispiel dafür angegeben, was Thomas ein »Akzidens, das aus den Ursprungsgründen des Trägers verursacht wird«, nennt.60 Sowohl bei Thomas als auch bei Eckhart ist die caritas also kein besteht darin, dass die leibliche Nahrung in den Leib dessen, der genährt wird, verwandelt wird …]. Die geistige Speise aber verwandelt den Menschen in sich selber, wie Augustinus, gleichsam als hätte er die Stimme Christi gehört, sagt: »Nicht du wirst mich in dich verwandeln wie die Speise deines Leibes, sondern du wirst in mich verwandelt werden««). Bei Thomas jedoch, anders als bei Eckhart, spielt dieser Unterschied keine Rolle für das Verständnis des Verhältnisses der menschlichen Seele zu der caritas. 57. Caritas wird im Mittelhochdeutschen oft mit götlichiu minne übersetzt. Vgl. Paulus Engelhardt, Thomas von Aquin: Wegweisungen in sein Werk (Leipzig, 2005), 36. 58. É.-H. Wéber, »Maître Eckhart« (1992), versucht die Problematik der caritas im 12. und 13. Jahrhundert darzustellen, er bemerkt jedoch nicht, dass Eckhart die caritas auf umgekehrte Weise wie Thomas versteht, und verpasst so den Kernpunkt des caritas-Verständnisses Eckharts. 59. Eckhart, Sermo VI, n. 62 (LW IV 60,14-61,4). Diese Stelle wird schon von K. Flasch, »Die Intention« (1974), 310, Anm. 34, angeführt, der sich dabei allerdings nicht für den Begriff caritas interessiert. 60. Siehe oben, 41-2.

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solches körperliches Akzidens. Aber beide Autoren unterscheiden sich insofern voneinander, als bei Thomas die caritas immerhin ein Akzidens ist, dessen Subjekt die Seele ist, während Eckhart diese Auffassung umkehrt, so dass sich nach ihm die Seele zur caritas verhält wie ein Akzidens zum Subjekt. Die Ansicht, nach der der Leib in der Seele ist, lässt sich zwar auch bei Thomas nachweisen,61 aber allein bei Eckhart führt sie dazu, dass man die Seele als Akzidens gegenüber der caritas bestimmt. Aus den oben zitierten Stellen lassen sich die Auffassung des Thomas und die Eckharts gegenüber der Position des Petrus Lombardus wie folgt zusammenfassen: Anders als Lombardus unterscheidet Thomas zwischen dem Heiligen Geist und der caritas und vertritt die These, dass die caritas als Teilhabe am Heiligen Geist ein akzidenteller Habitus ist. Im Gegensatz zu Thomas identifiziert Eckhart einerseits – worin er mit Lombardus einverstanden ist – die Liebe, mit der der Mensch liebt, mit dem Heiligen Geist,62 wie die oben angeführte Stelle aus der deutschen Predigt 27 zeigt,63 und behauptet andererseits – worin er mit Lombardus nicht einverstanden ist –, dass die caritas nicht in der Seele ist, und zwar insofern, als sie kein Akzidens der Seele ist, wie in der deutschen Predigt 65 und im lateinischen Sermo VI dargelegt wird.64 Zu betonen wäre vor allem, dass die Identifizierung der caritas mit dem Heiligen Geist bei Eckhart erst dadurch möglich ist, dass er sie nicht als ein Akzidens der Seele 61. Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 52, art. 1, co., in: Opera omnia, ed. Leonina, Bd. 5 (Rom, 1889), 20b,23-7: substantia incorporea sua virtute contingens rem corpoream, continet ipsam, et non continetur ab ea: anima enim est in corpore ut continens, et non ut contenta (»Denn ein unkörperliches Selbstandwesen, das durch seine Kraft ein Körperding berührt, hält dieses und ist nicht von ihm gehalten, denn die Seele ist im Leibe als Haltende und nicht als Gehaltene«). Thomas, ibid., q. 8, art. 1, ad 2, ed. Leonina, Bd. 4 (1888), 82b,24-8, sagt sogar, dass Gott die Dinge e n t h ä l t : licet corporalia dicantur esse in aliquo sicut in continente, tamen spiritualia continent ea in quibus sunt, sicut anima continet corpus. Unde et Deus est in rebus sicut continens res (»Wenn die körperlichen Dinge in einem andern enthalten sind wie in einem Gefäß, so haben die geistigen Wesen das Eigentümliche, dass sie vielmehr die Dinge [ent-]halten, in denen sie sind, wie die Seele den Körper [ent-]hält. So ist auch Gott in den Dingen wie der, der die Dinge hält«). Diese Aussage stimmt mit der Ansicht Eckharts überein, nach der die menschliche Seele in Gott enthalten ist. Aber Thomas versteht trotz allem die caritas als Akzidens der Seele, anders als Eckhart. 62. Mit dieser Identifizierung der caritas mit dem Heiligen Geist geht Eckharts Betonung des Einsseins der menschlichen Seele mit dem Sohn Gottes einher, was für seine Gottesgeburtslehre eigentümlich ist. Zu diesem Einssein siehe vor allem Eckhart, Pr. 6 (DW I 109,2-110,7) sowie Acta Echardiana, n. 48 (Responsio) (LW V 351,1-352,27) (Proc. Col. II, nn. 139-45). 63. Siehe oben, 42-3. 64. Siehe oben, 44-7.

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konzipiert. Wenn die Liebe nämlich, mit der der Mensch liebt, ein Akzidens der Seele wäre und sie mit dem Heiligen Geist identifiziert würde, entstünde ein Problem: der Heilige Geist wäre dann ein Akzidens der Seele. Aber dieses Problem hat Eckhart eben n i c h t , da er ja, wie gerade gesagt, die Liebe, mit der der Mensch liebt, n i c h t für ein Akzidens der Seele hält. Der grundsätzliche Unterschied der caritas-Auffassung Eckharts gegenüber der des Thomas liegt nun in der Umkehrung des Verhältnisses der caritas zu der menschlichen Seele. Nach Thomas verhält sich die caritas zu der Seele wie ein Akzidens zu dessen Substanz, nach Eckhart dagegen wie eine Substanz zu einem Akzidens. Dieses umgekehrte Verhältnis gilt auch von den perfectiones spirituales und von den termini generales. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass viele Forscher im Hinblick auf die These ›Esse est deus‹ eine Stelle der Responsio zitieren, wo Eckhart erklärt, dass es bei dem esse, von dem gesagt wird, es sei Gott, nicht um das esse formaliter inhaerens, sondern um das esse absolutum geht.65 Diese Erklärung zeigt sicherlich, wie Eckhart das esse versteht, aber die oben angeführten Textstellen, die die termini generales, die perfectiones spirituales und die caritas gegen die accidentia abgrenzen, machen deutlich, nicht nur, dass das esse nach Eckhart dem subiectum nicht inhäriert, sondern darüber hinaus auch, dass das Verhältnis beider gerade das umgekehrte ist: das esse verhält sich dem subiectum gegenüber nämlich wie eine Substanz einem Akzidens gegenüber. Eckhart vertritt eine Auffassung über die Tugenden, die genau die Umkehrung der aristotelisch-thomasischen ist.66 In dieser Umkehrung nähert sich Eckhart wohl dem augustinischen Platonismus, wie aus seiner Zitation Augustins an 65. Siehe oben, 33. 66. O. Langer, Mystische Erfahrung (1987), 156, deutet schon an, dass »[d]as Umdrehen gängiger Meinungen« »den Stil Eckharts insgesammt kennzeichnet«. Dies gilt vielleicht auch von Eckharts These ›Esse est deus‹ oder von der Aussage in der Quaest. Par. I, n. 4 (LW V 40,5-6): non ita videtur mihi modo, ut quia sit [sc. deus], ideo intelligat, sed quia intelligit, ideo est (»ich meine nicht nur, dass Gott erkennt, weil er ist; sondern, weil er erkennt, deshalb ist er«). Allerdings wählt Langer, ibid., 181, im Hinblick auf die Eckhartsche Abgrenzung der perfectiones spirituales gegen die accidentia nicht den Ausdruck ›Umdrehen‹, sondern bei ihm ist einfach von einer ›Hypostasierung‹ die Rede. Dagegen spricht Tiziana Suárez-Nani, »Philosophie- und theologiehistorische Interpretationen der in der Bulle von Avignon zensurierten Sätze«, in: H. Stirnimann und R. Imbach, Eckardus Theutonicus (1992), 31-96, 79, im Hinblick auf die Gottesgeburtlehre Eckharts ausdrücklich von einer ›Umkehrung‹: »Die Gottessohnschaft des Menschen besteht in der Umkehrung der Perspektive, die eine Umkehrung der Subjektivität ist. […] es gilt, den Menschen zu deuten, als wäre er – durch Verzicht auf seine Subjektivität – Attribut Gottes«.

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den oben genannten Stellen des Prologus generalis (Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 9) und des Sapientiakommentars (In Sap., n. 43; ibid., n. 44) ersichtlich ist,67 und wie Flasch und Goris nahelegen, indem sie von einer ›platonisierenden Transformation der Transzendentalienlehre des Thomas‹ sprechen.68 Darüber hinaus möchte ich jedoch darauf aufmerksam machen, dass Eckhart nicht einfach platonisch-augustinistisch denkt, sondern dass er dies tut, indem er die aristotelisch-thomasische Auffassung über die Substanz und die Akzidenzien zwar voraussetzt, sie dann aber umkehrend anwendet. Obwohl die Abgrenzung gegen die accidentia im Hinblick auf alle drei Konzepte – die termini generales, die perfectiones spirituales und die caritas – gemacht ist, setzt Eckhart bei seiner Auseinandersetzung mit Thomas besonders dessen caritas-Lehre voraus. Dies lässt sich an folgenden drei Beispielen beobachten: E r s t e n s entspricht das Beispiel vom Licht und Lichtdurchlässigen in der Thomasischen Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 3, ad 3,69 dem vom »Glanz im Mittel« an folgender Stelle des Eckhartschen Sapientiakommentars: Virtutes enim, iustitia et huiusmodi, sunt potius quaedam actu configurationes quam quid figuratum immanens et habens fixionem et radicem in virtuoso et sunt in continuo fieri, sicut splendor in medio et imago in speculo. (Die Tugenden, Gerechtigkeit und dergleichen, sind nämlich viel eher so etwas wie sich [je und je] vollziehende Gleichgestaltungen als etwas eingeprägt Innebleibendes, was im Tugendhaften fest verwurzelten Bestand hätte; sie sind in einem beständigen Werden, wie der [Licht-]glanz im Mittel und das Bild im Spiegel).70 Hier werden die Tugenden mit dem Glanz im Mittel verglichen, so wie Thomas die caritas als »Akzidens, das von der Teilhabe an einer höheren Natur verursacht wird«, mit dem Licht im Lichtdurchlässigen vergleicht.71 67. Siehe oben, 38-9. 68. Siehe oben, 37. 69. Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 3, ad 3, ed. Leonina, Bd. 8 (1895), 168b,14-24. 70. Eckhart, In Sap., n. 45 (LW II 368,4-7). 71. Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 3, ad 3, ed. Leonina, Bd. 8 (1895), 168b,19-23: Accidens autem quod causatur ex participatione alicuius superioris naturae est dignius subiecto, inquantum est similitudo superioris naturae: sicut lux diaphano.

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Während Thomas aber das Licht trotzdem als Akzidens des Lichtdurchlässigen ansieht, ist der Glanz bei Eckhart doch etwas, was dem Mittel n i c h t inhäriert und darin n i c h t verwurzelt ist.72 Hier weist Eckhart nämlich zurück, dass der Glanz ein Akzidens des Mittels ist, und betont, dass die Tugend dem Menschen nicht inhäriert wie auch der Glanz nicht dem Mittel. Aufgrund seines Verständnisses von Tugend als habitus besteht Thomas darauf, dass auch die caritas ein habitus accidentalis ist, wohingegen Eckhart der Meiung ist, dass sowohl die caritas wie auch die anderen Tugenden k e i n e Akzidenzien sind. Zw e i t e n s spricht Thomas in der Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 3, ad 3, von der »oberen Natur«,73 was einen Zusammenhang mit der zweiten Vorbemerkung des Prologus generalis Eckharts andeutet, wo von dem Oberen und Niederen die Rede ist.74 Während allerdings bei Thomas der Heilige Geist als natura superior von der caritas als participatio des Heiligen Geistes verschieden ist, wird bei Eckhart die caritas, die, als das Obere, der Seele nicht inhäriert, mit dem Heiligen Geist identifiziert. D r i t t e n s besteht Thomas darauf, dass die caritas ein habitus accidentalis ist, um die Freiwilligkeit der caritas nämlich zu gewährleisten. Nach ihm ist der Akt der Liebe erst freiwillig, wenn die Seele nicht nur vom Heiligen Geist bewegt wird, sondern sich selbst bewegt. Damit die caritas solch ein inneres Prinzip ist, muss sie ein habitus accidentalis sein. Für Eckhart dagegen wird der Akt der Liebe eben dadurch lustvoll vollzogen, dass die Seele von Gott bewegt wird, da Gott ja der Seele innerlicher ist als sie sich selbst, wie aus folgender Stelle aus dem ersten Genesiskommentar (Expositio libri Genesis) hervorgeht: Nec tamen imaginandum est tamquam ab extra in nos veniat, eo quod deus, utpote causa prima, intimius sit entibus, et eius effectus sive influentia utpote primi et supremi est naturalissima et suavissima et convenientissima, sicut declaratur in O p e r e p r o p o s i t i o n u m , tractatu D e s u p e r i o r e , ratione et exemplo. (Das darf man sich aber nicht so vorstellen, als ob das Sein gleichsam von außen in uns hineinkäme; denn Gott ist als die 72. Vgl. Eckhart, In Eccli., n. 46 (LW II 274,14-275,10), wo aer als medium von lux oder lumen genannt wird. 73. Siehe oben, 41-2. 74. Siehe oben, Anm. 16.

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Erstursache allem Seienden zuinnerst, und was er, der Erste und Oberste, wirkt oder beeinflusst, ist im höchsten Grad natürlich, angenehm und angemessen, wie im Werk der Thesen in der Abhandlung Vom Oberen durch Beweise und an Beispielen klargemacht wird).75 Unter Berufung auf Sap 8,1 (disponit omnia suaviter [»Er hat alles milde geordnet«]) vertritt Thomas die These, dass Gott den einzelnen Dingen die Form gegeben hat, durch die sie zu ihren eigenen Zielen hingeneigt werden.76 Eckhart – denselben Ausdruck von Sap 8,1 aufgreifend – ist hingegen der Meinung, dass der Einfluss vom Oberen angenehmer ist als der von der eigenen substantiellen Form: Omne siquidem superius suaviter disponit et afficit suum inferius longe amplius quam ipsa forma substantialis propria ipsius inferioris, ut patet in O p e r e p r o p o s i t i o n u m , tractatu D e n a t u ra superioris. (Alles Obere ordnet ja das im Verhältnis zu ihm Niedere mit Milde und beeinflusst es weit mehr als dessen eigene Wesensform, wie aus der Abhandlung Von der Natur des Oberen im Werk der Thesen erhellt).77 Aus den oben genannten Stellen geht hervor, dass Eckhart Thomasische Auffassungen und deren Begründungen in der caritas-Lehre weitgehend im Auge behält. Diese Feststellung lässt ferner vermuten, dass der Brennpunkt seiner umkehrenden Verwendung der aristotelisch-thomasischen Auffassung über die Substanz und die Akzidenzien nicht so sehr im Seinsbegriff als in der Liebeslehre liegt.78 75. Eckhart, In Gen. I, n. 14 (LW I,1 197,11-5 [Rec. CT]; LW I,2 71,24-73,3 [Rec. L]). 76. Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q. 23, art. 2, resp., ed. Leonina, Bd. 8 (1895), 165a,35-41: Nullus autem actus perfecte producitur ab aliqua potentia activa nisi sit ei connaturalis per aliquam formam quae sit principium actionis. Unde Deus, qui omnia movet ad debitos fines, singulis rebus indidit formas per quas inclinantur ad fines sibi prastitutos a Deo: et secundum hoc ›disponit omnia suaviter‹, ut dicitur Sap VIII (»Kein Akt aber wird von einem tätigem Vermögen in vollendeter Weise hervorgebracht, wenn er dessen Natur nicht innerlich verwandt ist auf Grund einer Form, die der Wirkgrund der Tätigkeit ist. Deshalb hat Gott, der alle Wesen zu den ihnen gesteckten Zielen bewegt, den einzelnen Wesen die Form eingesenkt, durch die sie hingeneigt werden zu den ihnen von Gott gesetzten Zielen; und insofern ›hat Er alles milde geordnet‹ [Weish 8,1]«). 77. Eckhart, In Gen. I, n. 63 (LW I,1 229,1-4 [Rec. CT]; LW I,2 111,16-9 [Rec. L]). 78. Die Zentralität der Liebe bei Eckhart betont auch Charlotte Radler, »›In love I am more God‹: The Centrality of Love in Meister Eckhart’s Mysticism«, in: The Journal of Religion 90 (2010), 171-98.

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Eckharts umkehrende Verwendung des Verhältnisses der Substanz zu den Akzidenzien in der Liebeslehre wirft ferner Licht auf seine Forderung nach dem Lassen des Eigenen, wie im nächsten Abschnitt erörtert wird. 6. Abgrenzung gegen die Akzidenzien als Forderung nach dem Lassen des Eigenen Wie oben dargestellt wurde, ist Thomas der Ansicht, dass die caritas ein Akzidens der Seele ist. Die Seele eines jeden Menschen verhält sich zu der caritas wie eine Substanz zu einem Akzidens. Dies bedeutet, dass bei Thomas die caritas ein bonum (›Gut‹ oder ›Gutes‹79) ist, das der Mensch für sich selbst wollen darf, anders gesagt, dass sie ein Gegenstand des amor concupiscentiae (»Begehrensliebe«) sein darf.80 Dass die caritas nach Thomas die Begehrensliebe zur caritas selbst involviert, geht z. B. aus folgender Stelle hervor: caritas est illud bonum quod optamus omnibus quos ex caritate diligimus. – Et eadem ratio est de beatitudine et de aliis virtutibus (»die Gottesliebe ist jenes Gut, das wir all denen wünschen, die wir aus Liebe zu Gott lieben. – Und dieselbe Bewandtnis hat es mit der Seligkeit und den anderen Tugenden«).81 Die caritas, wie auch die Seligkeit und die anderen Tugenden, ist das Gut, das wir haben dürfen. Ebenfalls sagt Thomas: Et ideo amatur [sc. caritas] sicut bonum desideratum omnibus quod ex caritate diligimus (»Und so wird sie geliebt wie das Gut, das wir allen wünschen, die wir aus Liebe zu Gott lieben«).82 Die caritas, wie auch die anderen Tugenden, ist für Thomas ein Akzidens, d. h. ein eigenes Gut (bonum proprium),83 das wir haben dürfen, und das wir f ü r u n s wollen dürfen. 79. P. Engelhardt, Thomas von Aquin (2005), 37, weist auf die Schwierigkeit bei der Übersetzung des Wortes bonum hin: »Oft steht der Übersetzer vor der Schwierigkeit, ob er mehr den Objektcharakter des Gewollten und Geliebten hervorheben soll und bonum mit ›das Gut‹ (z. B. Gott, das höchste Gut) oder den Wertcharakter betonen und mit ›das Gute‹ wiedergeben soll«. 80. Der Gegenstand der Begehrensliebe ist nämlich nach Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I-II, q. 26, art. 4, ad 1, ed. Leonina, Bd. 6 (1891), 191a,2-3, etwas, was wir f ü r u n s wollen: illud autem dicimus concupiscere, quod volumus nobis (»das hingegen ›begehren‹ wir, was wir für uns wollen«). Sofern Thomas den amor concupiscentiae somit in einem wertneutralen Sinn versteht, hat diese Liebe als ihren Gegenstand nicht nur materielle Güter oder zwischenmenschliche Ehre, sondern auch Tugenden, und zwar auch die theologischen Tugenden wie etwa die caritas. Dass wir f ü r u n s solche Tugenden wollen sollen, steht normalerweise nicht in Frage, wogegen Eckhart aber ein anderes Konzept vorlegt. 81. Ibid., II-II, q. 25, art. 2, resp., ed. Leonina, Bd. 8 (1895), 199b,2-4. 82. Ibid., ad 2, 199b,13-5; vgl. auch ibid., ad 1, 199b,5-10. 83. Vgl. ibid., q. 125, art. 2, resp., in: Opera omnia, ed. Leonina, Bd. 10 (Rom, 1899), 44a,33-b,13.

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Bei Eckhart dagegen sind die perfectiones spirituales oder die virtutes keine Akzidenzien, die dem Subjekt inhärieren, folglich keine Gegenstände der Begehrensliebe des Menschen. Eckharts Verständnis der Tugenden schließt auch die Forderung mit ein, sich der Liebe, mit der der Mensch für sich selbst ein Gut will, völlig zu entledigen, und sich nicht mehr als Subjekt eines Guten zu verhalten. So lehrt Eckhart, nicht nur die perfectiones spirituales, sondern auch jedes Gut überhaupt als etwas zu lieben, das dem Subjekt n i c h t gehört. Im Johanneskommentar sagt er in diesem Sinne: Non enim habet illud nec de ipso gaudet, ut suum aut alicuius alterius, nec amat, sed amat et per consequens habet illud et gaudet, quia bonum nude et simpliciter, absolutum ab omni hoc et hoc, huius aut illius. Et in hoc consistit substantia beatitudinis, qua unus est beatior alio. Habendo autem, sciendo et amando bonum hoc aut illud, huius vel illius, non facit quempiam beatum, sed nec beatiorem, nisi [in]quantum intensius amare bonum simpliciter causat amare plura bona extensive. (Denn er [sc. der Heilige] besitzt es nicht und freut sich nicht darüber und liebt es nicht, insofern es sein eigenes oder das eines andern ist, sondern er liebt und besitzt es infolgedessen und freut sich darüber, weil es gut ist, bloß und schlechthin, frei von jedem dies und das, von allem, was diesem oder jenem zugehört. Und darin besteht das Wesen der Seligkeit, in der einer seliger ist als der andere. Dieses oder jenes Gut aber, das Gut von diesem oder jenem besitzen, erkennen und lieben, das macht keinen selig und auch nicht seliger, insofern nicht heftigere Liebe zum Guten schlechthin Ursache dafür ist, mehrere Güter extensiv zu lieben).84 Nach Eckhart darf der Mensch ein Gut nicht nur insofern nicht lieben, als es sein eigenes Gut ist, sondern auch nicht insofern, als es überhaupt jemandem gehört. Die Ausdrücke ›dieses oder jenes Gut‹ und ›das Gut von diesem oder jenem‹ bedeuten ein Gut, sofern es irgendeinem Subjekt inhäriert, sei es einem Menschen oder einem Ding. Der Mensch darf nicht insofern ein Gut lieben, als es einem Subjekt inhäriert, sondern allein insofern, als es das bloße, einfache, vom Subjekt a b g e s c h i e d e n e Gute ist. Dieses Verständnis von ›Lieben‹ bildet einen Kontrast zu dem des Thomas. Für diesen gilt nämlich: amare est velle alicui bonum 84. Eckhart, In Ioh., n. 391 (LW III 334,2-7).

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(»Lieben heißt, einem Gutes wollen«).85 Einer, für den das Gute – sei es von ihm selbst oder von einem anderen – gewollt wird, verhält sich zum Guten, das ihm gewollt wird, ähnlich wie ein Subjekt zu einem Akzidens. Dabei wird das Subjekt simpliciter et per se (»schlechthin und an sich«) geliebt, während das Akzidens bloß alteri (»um eines Anderen willen«) und secundum quid (»in gewisser Hinsicht«) geliebt wird.86 Für Eckhart dagegen ist es nicht das Subjekt, sondern das Gut, das im eigentlichen Sinne geliebt wird, und zwar nicht sofern es einem Subjekt gehört, sondern sofern es vom Subjekt a b g e s c h i e d e n ist. Ferner bedeutet bei Thomas ›lieben‹ wollen, dass das Subjekt ein Gut besitzt, während bei Eckhart jemand gerade dadurch, dass er das Gut, sofern es vom Subjekt a b g e s c h i e d e n ist, liebt,87 sich über das Gute freut und es besitzt.88 Die 85. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I-II, q. 26, art. 4, co., ed. Leonina, Bd. 6 (1891), 190b,26-7. 86. Vgl. ibid., 190b,36-45: Sicut enim ens simpliciter est quod habet esse, ens autem secundum quid quod est in alio; ita bonum, quod convertitur cum ente, simpliciter quidem est quod ipsum habet bonitatem; quod autem est bonum alterius, est bonum secundum quid. Et per consequens amor quo amatur aliquid ut ei sit bonum, est amor simpliciter: amor autem quo amatur aliquid ut sit bonum alterius, est amor secundum quid (»Wie nämlich ›Seiendes schlechthin‹ das ist, was Sein hat, ›Seiendes in gewisser Hinsicht‹ aber, was in einem andern ist, so ist ›Gut – was mit Seiendem vertauschbar ist – schlechthin‹, was selber Gutheit hat. Was aber Gut eines andern ist, ist ›Gut in gewisser Hinsicht‹. Folglich ist die Liebe, mit der man etwas liebt, damit ihm ein Gut zugehöre, ›Liebe schlechthin‹. Die Liebe hingegen, mit der etwas geliebt wird, damit es das Gut eines andern sei, ist ›Liebe in gewisser Hinsicht‹«). An einigen Stellen, etwa an der gerade angeführten, habe ich die Übersetzung der deutschen Thomas-Ausgabe geändert, in der ›bonum secundum quid‹ mit ›Gut mit Einschränkung‹ übersetzt wird; vgl. Summa theologica, ed. von der Albertus-Magnus-Akademie Walberberg bei Köln, Bd. 10 (Heidelberg bzw. Graz/Wien/Köln, 1955), 72. Zum andern wird in dieser Ausgabe, ibid., der Nebensatz ›quod convertitur cum ente‹ – m. E. fälschlich – mit dem Nebensatz ›quod ipsum habet bonitatem‹ zusammengeschlossen: »so ist ›Gut schlechthin‹, was mit ›Seiendem‹ vertauschbar ist und selber Gutheit hat«. Während sich aber der Nebensatz ›quod convertitur cum ente‹ auf das vorhergehende Wort ›bonum‹ bezieht, funktioniert der Nebensatz ›quod ipsum habet bonitatem‹ als Subjekt des Hauptsatzes. 87. So verabschiedet sich Eckhart, Sermo XL, n. 391 (LW IV 337,1-4), von der aristotelischen benevolentia, die sich nur auf das Lebewesen richtet (vgl. Aristoteles, Ethica Nicomachea, VIII 2; 1155b,27-31), so dass sich nach ihm die Nächstenliebe auf alle Dinge erstreckt: omnis vere amans deum necessario amat proximum sicut et quantum se ipsum, et non solum omnem proximum, scilicet hominem, sed omne proximum, omne citra deum diligit sicut se ipsum (»jeder, der Gott wahrhaft liebt, muss den Nächsten ebenso und in gleichem Maße wie sich selbst lieben, und nicht nur alle Nächsten, alle Menschen, sondern alles Nächste, alles, was es außer Gott gibt, liebt er wie sich selbst«). 88. Wenn Eckhart, In Ioh., n. 386 (LW III 329,12-330,2), im Hinblick auf das Gute von habere spricht, meint er nicht – wie Thomas – das Verhältnis des Subjektes zu seinen Akzidenzien, sondern das des Vermögens zu seinem Gegenstand: scibile ut scibile non habetur nisi sciendo, visibile ut visibile non habetur nisi videndo; ergo bonum, utpote amabile, etiam solum habetur amando. Ex quo concluditur quod omne bonum quod amo in altero, sive ille bonus sit sive malus, ipsum bonum illius meum est et in me est. Quod si ego illud amo et ipse non amat, meum est et non suum: ego habeo, ille non

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Positionen beider Autoren stehen also – zumindest was das Verständnis von Liebe angeht – in einem scharfen Gegensatz zueinander. Aus den gerade durchgeführten Erörterungen ergibt sich nun, dass die Abgrenzung der termini generales gegen die accidentia nicht nur »die Denkregeln« betrifft, wie Flasch ohne Weiteres annimmt,89 sondern eine e t h i s c h e Forderung nach dem Lassen des Eigenen involviert.90 Die gedankliche Umkehrung des Verhältnisses des Subjektes zu den Akzidenzien im Hinblick auf die Allgemeinbegriffe bedeutet somit die Forderung nach einer e t h i s c h e n Umkehrung des Menschen, wobei der Mensch die Stelle als Subjekt für die Akzidenzien aufgibt. 7. Schluss In der oben durchgeführten Untersuchung habe ich herausgearbeitet, wie im Hintergrund der Eckhartschen Abgrenzung der termini generales gegen die accidentia seine Auseinandersetzung mit der caritas-Lehre des Thomas von Aquin steht, wie dabei die umgekehrte Anwendung des Begriffspaars substantia – accidentia das Verständnis Eckharts über die termini generales charakterisiert und wie zuletzt diese Umkehrung nicht nur »die Denkregeln« betrifft (Flasch), sondern die e t h i s c h e Forderung nach dem Lassen des Eigenen in sich enthält. habet (»das Wissbare als solches wird nicht erworben als nur durch Wissen, das Sichtbare als solches wird nicht erworben als nur durch Sehen; also wird auch das Gute, das ja liebenswert ist, nur durch Lieben erworben. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung: Alles Gute, das ich im andern liebe, ob dieser nun gut oder böse ist, dieses sein Gut ist mein und ist in mir. Wenn ich es also liebe und er es nicht liebt, dann ist es mein und nicht sein: Ich habe es, er hat es nicht«). 89. Siehe oben, 35. 90. Das Lassen des Eigenen ist nicht nur die Forderung, sondern die Dynamik der von der Liebe Gottes durchdrungenen Seele, wie eine Stelle aus Eckharts Erfurter Reden, RdU (DW V 232,5233,3), deutlich zeigt: Der mit gote wol künde, der sölte alwege anesehen, daz der getriuwe minnende got den menschen hât brâht ûz einem sündigen lebene in ein götlich leben, ûz einem sînem vîende hât gemachet einen sînen vriunt, daz mêr ist dan ein niuwez ertrîche machen. Daz wære der meisten sachen einiu, daz den menschen zemâle sölte in got setzen, und wære ein wunder, wie sêre ez den menschen sölte enzünden in starker grôzer minne alsô, daz er des sînen zemâle ûzgienge (»Wer recht zu Gott stünde, der sollte sich allwegs vor Augen halten, dass der getreue, liebende Gott den Menschen aus einem sündigen Leben in ein göttliches gebracht, aus einem Feind zum Freund gemacht hat, was mehr ist, als eine neue Erde zu erschaffen. Das wäre einer der stärksten Antriebe, der den Menschen ganz in Gott versetzen würde, und man sollte sich wundern, wie sehr es den Menschen in starker, großer Liebe entzünden müsste derart, dass er sich seiner selbst völlig entäußert«). Diese Stelle verrät auch, dass Eckharts Denken, soviel es auch die Einheit zwischen Gott und dem Menschen hervorheben mag, in der christlichen Botschaft – Vergebung der Sünde – verwurzelt ist.

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Sofern ich in diesem Beitrag einerseits die Bezeichnung ›Mystiker‹ nicht verwendet und mich bemüht habe, Eckhart in seinen historischen Hintergründen zu verstehen, bin ich in der Linie von Flasch.91 Sofern ich andererseits nicht so sehr auf die (neu-)platonischen Elemente bei Eckhart als vielmehr auf seine Auseinandersetzung mit der caritas-Lehre des Thomas von Aquin hinweise u n d die ethischen Elemente der Eckhartschen Lehre unterstreiche, entferne ich mich von der Forschungsrichtung, die Flasch vertritt, und komme in die Nähe der anderen Forschungsrichtung, die Eckhart gerne als ›Mystiker‹ bezeichnet,92 obwohl ich allerdings keinen einschlägigen Grund dafür kenne, dass man diese Bezeichnung gebraucht. Indem ich Eckharts Auseinandersetzung mit der thomasischen caritas-Lehre untersuche, kann ich also sowohl den Vorteil der einen als auch den der anderen hermeneutischen Richtung – nämlich die von Flasch angestrebte, streng wissenschaftliche historische Kontextualisierung des Denkens Eckharts und die Betonung des ethisch-religiösen Charakters seiner Lehre – integrieren. Ich denke, ich habe durch diesen meinen interpretativen Blick darüber hinaus Aspekte hervorheben können, die keine der genannten Richtungen bis dato in Betracht gezogen hat.

91. Vgl. etwa K. Flasch, »Die Intention« (1974), 301: »Dem Verständnis der Intention Eckharts hinderlich ist auch, dass er als ›My s t i k e r ‹ gilt«. 92. Kurt Ruh, Meister Eckhart: Theologe, Prediger, Mystiker (München, 1985; ²1989), 191, räumt Eckhart, in Bezug auf dessen Aussage am Ende des Trostbuches, BgT (DW V 60,5-61,9), mit welcher er sich vor zu erwartender Kritik zu verteidigen sucht, eine mystische Erfahrung ein: »Diese – wir würden sagen: intuitive – Wahrheit im Kontext mystischer Aussagen darf man mit mystischer Erfahrung gleichsetzen«.

»Einssein im Einen« (Eins in eime). Wirklichkeit als Einheitserfahrung bei Heinrich Seuse Silvia Bara Bancel, Madrid

Abstract According to Henry Suso OP, a disciple of Master Eckhart, God is “the most real”. Human beings can come to experience this reality and become “one with the One”. Throughout this article, we analyse how in Suso’s Little Book of the Truth, the author approaches the issues raised in the Eckhartian sermons 101-104 on the eternal birth of God. In sermon 101, Eckhart answers four questions: 1) Where does the birth take place? In the ground of the soul. 2) How does it take place? God pronounces his word, without image or intermediary whatsoever, in the unity of the divine nature. 3) How should human beings act? They should stay receptive and silent – ›unknowing‹. And finally, 4) the fruit of birth – to be sons of God. Suso tries to go deeper and explore the sense and the limits of the Eckhartian affirmations, offering his own interpretation. He begins with the fruit of the union, becoming sons of God, and blessed. He also delves in the ignorance of the mystical experience and clarifies that it is about another type of perception beyond the principle of non-contradiction: a docta ignorantia. United with the Son, the human being “loses himself in God”, and “has betaken himself into the One and has become one”. Suso’s main input is centered on how to explain how human beings can be immersed in the divine Unity while remaining creatures of God. The Eckhartian notion of in quantum plays a significant role in order to understand the proposal.

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en Begriff ›Wirklichkeit‹ bei Heinrich Seuse (1295-1366), einem der bedeutendsten Schüler Eckharts, zu untersuchen, stellt sich als schwieriges Unterfangen dar, bedenkt man, wie selten sowohl dieser

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Ausdruck selbst als auch dessen Ableitungen in seinem gesamten Werk vorkommen.1 Seuse gebraucht das Adjektiv wúrklich lediglich in sechs Fällen: viermal im Sinne von ›tätig‹ oder ›wirksam‹,2 einmal im Sinne von ›esse in actu‹, also ›in Wirklichkeit seiend‹ oder ›tatsächlich‹,3 und noch einmal in der Bedeutung von ›echt‹.4 Damit verwendet er das Wort in ebenso vielfältiger Weise wie etwa die mittelhochdeutsche Übersetzung der Summa theologiae des Thomas von Aquin, in deren Glossar wirkelich neben den lateinischen Begriffen activus, agens, agibilis, effectivus, operativus und practicus erscheint.5 Außerdem gebraucht Seuse an vier Stellen der Vita das Substantiv wúrklichkeit: dreimal im Sinne von ›Wirksamkeit‹ oder ›Tätigkeit‹,6 einmal in der Bedeutung des neuhochdeutschen 1. Für die Übersetzung dieses ursprünglich in spanischer Sprache verfassten Beitrags möchte ich an dieser Stelle Rainer Sörgel sehr herzlich danken. Die deutschsprachigen Werke Seuses werden nach der Ausgabe von Karl Bihlmeyer jeweils mit Werk-, Kapitel-, Seiten-, und Zeilenangaben zitiert: Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, im Auftrag der Württembergischen Kommission für Landesgeschichte hg. von K. Bihlmeyer (Stuttgart, 1907 [Nachdr. Frankfurt a.M., 1961]). Ich gebrauche zudem die neuhochdeutschen Übersetzungen von Georg Hofmann: Heinrich Seuse, Deutsche mystische Schriften (Düsseldorf 1966 [Nachdr. (mit neuer Paginierung sowie einer Hinführung von E. Jungclaussen und einer Einleitung von A. M. Haas) Zürich/Düsseldorf, 1999]). Für das Büchlein der Wahrheit verwende ich die neuhochdeutsche Übersetzung von Rüdiger Blumrich: Heinrich Seuse, Das Buch der Wahrheit / Daz buͤ chli der warheit. Kritisch hg. von L. Sturlese und R. Blumrich. Mit einer Einleitung von L. Sturlese. Übersetzt von R. Blumrich. Mittelhochdeutsch – Deutsch (Hamburg, 1993) (Philosophische Bibliothek 458). 2. Heinrich Seuse, Vita, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 38, 124,23: die wúrkliche sinne; ibid., c. 49, 165,15: Du klagest, daz du noh siest ze wúrklich; ibid., c. 53, 192,32: die vor in dem usbruch gar ze wúrklich waren; id., Büchlein der Wahrheit, ibid., c. 5, 341,20-1: sin sinne also entgiengen nach eigener wúrklicher wise. 3. Id., Vita, ibid., c. 51, 177,25-6: so merkst du, daz es [daz wesen in siner einvaltigen luterkeit genomen] ist daz aller wúrklichest, daz aller gegenwúrtigest, daz aller volkomenst. Bihlmeyer hatte schon darauf aufmerksam gemacht, dass Seuse dabei in einer Passage das Itinerarium mentis in Deum des Heiligen Bonaventura inspiriert; der mittelhochdeutsche Ausdruck daz aller wúrklichest würde dann dem lateinischen actualissimum entsprechen. Vgl. Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum, c. 5, n. 5, in: Opera omnia, ed. Collegium S. Bonaventurae, Bd. 5 (Quaracchi, Florenz, 1891), 309ab. 4. Heinrich Seuse, Großes Briefbuch, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 23, 475,1-2: in einer wúrklichen nachvolgunge des hohen bildes unsers herren Jesu Cristi. 5. Vgl. Middle High German Translation of the S u m m a T h e o l o g i c a by Thomas Aquinas, hg. von B. Q. Morgan und Fr. W. Strothmann (Stanford/London/Oxford, 1950), 399. 6. Vgl. Heinrich Seuse, Vita, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 52, 185,2: er vergat na sin selbs wurklichkeit; ibid., 189,20: er entsinket och der wúrklichkeit siner kreften; ibid., 185,10: Dú einikeit hat ir wúrklichkeit an der driheit und dú driheit hat ire mugentheit an der einikeitt. Auch Meister Eckhart gebraucht das Wort würklicheit in dieser Bedeutung: als ›Tätigkeit‹ in der Predigt 37 (DW II 220,2); als ›Wirksamkeit‹ in den Erfurter Reden, RdU, c. 23 (DW V 291,6); sowie als ›wirklicher Vollzug‹ in der Predigt 48 (DW II 416,9): in der würklicheit der angesiht (vgl. ibid. [416,12]: in der würklicheit de gesiht).

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Ausdrucks ›Wirklichkeit‹.7 An dieser letzten Stelle weicht Seuse leicht von seinem Lehrer, Meister Eckhart, ab. Denn die Kreaturen in ihrer Mannigfaltigkeit werden von Seuse nicht bloß als lûter niht (»reines Nichts«) bezeichnet,8 sondern zugleich mit dem Attribut wúrklichheit bedacht. Ausdrücklich spricht Seuse auch im Büchlein der Wahrheit dem wesen der kreature einen gewissen Wert zu. Hier sagt er nämlich, dass die kreaturlicheit einer ieklicher kreature ist ir edeler und gebruchlicher denne daz wesen, daz si in gotte hat (»die Kreatürlichkeit einer jeden Kreatur für sie edler und besser ist als das Wesen, das sie in Gott hat«).9 Außerdem ist für Seuse daz wesen in siner einvaltigen luterkeit genomen (»das Sein in seiner einfachen Lauterkeit genommen«), d.h. Gott, daz aller wúrklichest (»das Allerwirklichste«), somit also ›nur‹ die höchste Wirklichkeit, nicht jedoch – im Unterschied zu dem, was bei Eckhart an einigen Stellen der Fall zu sein scheint – dasjenige, was allein und ausschließlich wirklich ist.10 Auf den ersten Blick scheint sich diese Auffassung sehr von dem zu unterscheiden, was Eckhart an einigen Stellen auszusagen scheint. Auf den zweiten Blick nivelliert sich m. E. dieser scheinbare Gegensatz beider Autoren.11 Seuse beruft sich bei der Formulierung seiner Seinslehre freilich oft auf Bonaventura und andere ›klassische‹ Autoritäten wie Bernhard von Clairvaux, Augustinus oder Thomas von Aquin. Seine Ausführungen zielen dabei aber im Grunde darauf ab, Eckharts Lehre zu rechtfertigen, deren Grundpositionen er weitgehend übernimmt, aber präzisiert.12 7. Vgl. Heinrich Seuse, Vita, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 51, 183,14: von usser menigvaltiger wúrklichheit. 8. Das geschieht bei Eckhart, Pr. 4 (DW I 69,8) ausdrücklich. 9. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 3, 332,16-7 (Ich folge immer der Kapiteleinteilung der Ausgabe Bihlmeyers). Für eine ausgiebigere Analyse des geschaffenen Seins bei Seuse siehe Silvia Bara Bancel, »Heinrich Seuses mystische Anthropologie«, in: Heinrich-Seuse-Jahrbuch 1 (2008), 37-70, 50-4. 10. Gehen wir von einer Interpretation des Wirklichkeitsverständnisses Eckharts aus, wie wir sie bei Andrés Quero-Sánchez, »Sein als Absolutheit (esse als abegescheidenheit)«, in: A. QueroSánchez und G. Steer (Hgg.), Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt (Stuttgart, 2008) (MEJb 2), 189-218, 189, Anm. 2, finden, so müsste man hier einen grundlegenden Unterschied zwischen Eckhart und Seuse feststellen. 11. Derselben Meinung ist auch Christine Büchner, Die Transformation des Einheitsdenkens Meister Eckharts bei Heinrich Seuse und Johannes Tauler (Stuttgart, 2007) (MEJb.B 1), 49: »Heinrich Seuses Denken unterscheidet sich nicht gravierend von Eckharts, aber es akzentuiert die bleibende Subjektivität der Wahrnehmung des eigenen Seins – als entweder getrennt von Gott (aber trotzdem auf ihn bezogen) oder eins mit Gott«. 12. Loris Sturlese hat Seuses Strategie zur Verteidigung Eckharts im Büchlein der Wahrheit sehr deutlich aufgezeigt. Siehe dazu seine Einleitung zur Übersetzung von R. Blumrich, Das Buch der

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Das gesamte Denken Seuses, wie auch dasjenige Eckharts, scheint von einem Streben nach Rückkehr zur göttlichen Einheit (inkere, widerinkommen, wideringang) – und das heißt zugleich: zur Einung mit Gott – motiviert zu sein.13 Diese Einheit ist der Anfang und das Ziel des gelassenen Menschen. Ausdrücklich schreibt er: ein gelazener mensche beginnet und endet in einikeite (»ein gelassener Mensch beginnt und hört auf mit der Einheit«).14 Zwei Aspekte sind allerdings in diesem Zusammenhang hervorzuheben. Zum einen: Eine solche Einheit zu erreichen, bedeutet schon in diesem Leben die Seligkeit – und damit das Ziel und die Verwirklichung des Menschen – zu erlangen, wenn auch noch nicht im vollen Maße, so doch zumindest als ein vorversu˚chenne (»Vorkosten«)15 oder eine teilhafte gemeinsamkeit (»teilhabende Gemeinsamkeit«)16 mit ihr. Zum anderen: Diese Einheit – oder Einung – steht in enger Verbindung mit der Gottessohnschaft. Sie findet nämlich insofern statt, als man »Gottes Sohn wird« (vgl. Joh 1,12) oder »aus Gott geboren wird« (vgl. Joh 1,13). Es handelt sich hierbei um johanneische Formulierungen, die in Eckharts und Seuses theologischem System eine zentrale Bedeutung bekommen. Im Folgenden werden Seuses Darlegungen im breit angelegten fünften Kapitel seines Büchleins der Wahrheit – welches in der Ausgabe von Karl Bihlmeyer mit 15 der 33 Seiten fast die Hälfte des Werkes ausmacht17 – und das 52. Kapitel der Vita erörtert.18 In dem uns beschäftigenden Zusammenhang sind beide Kapitel von außerordentlichem Interesse, da sie zeigen, wie Seuse die Rückkehr und die Einheit des Menschen zu Wahrheit (1993), XLIX-L. Auch in den Kapiteln 50-3 der Vita ist eine solche Strategie feststellbar. Vgl. Silvia Bara Bancel, »›Gottheit‹ und ›Gott‹, Einheit und Dreifaltigkeit: Heinirch Seuses Gottesverständnis«, in: M. Enders (Hg.), Heinrich-Seuse-Jahrbuch 4 (2011) (= Das Gottesverständnis der Deutschen Mystik [Meister Eckhart, Johannes Tauler, Heinrich Seuse] und die Frage nach seiner Orthodoxie), 79-111, 88-9. 13. Vgl. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 4, 333,2-7 und 334,19-21. 14. Ibid., c. 1, 328,10. 15. Ibid., c. 5, 344,7. Vgl. ibid., 347,7-12. 16. Ibid., c. 4, 337,29. Das Thema hat auch den Heiligen Thomas beschäftigt; vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I-II, q. 5, art. 3 (Utrum aliquis in hac vita possit esse beatus), resp., in: Opera omnia, ed. Leonina, Bd. 6 (Rom, 1891), 49ab. 17. Ibid., c. 5, 338-52 (Von den hohen und nútzen fragen, die ime dú warheit lies werden von der glichnússe eins gelassen menschen [»Von den schwierigen und wichtigen Fragen, die die Wahrheit mit ihm aufgrund der Gestalt eines gelassenen Menschen erörtete«]). 18. Id., Vita, c. 52, 184-90 (Von dem aller hoͤ hsten úberflug eins gelepten vernúnftigen gemuͤ tes [»Vom höchsten Flug einer im geistlichen Leben erfahrenen vernünftigen Seele«]).

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(bzw. mit) Gott versteht; sie zeigen insbesondere, was es seinem Verständnis nach bedeutet, mit Gott ›eins‹ zu werden.19 Wir werden hier sehen, dass Seuse seine Positionen offensichtlich in Auseinandersetzung mit den Thesen Eckharts – wohl als gesuchte Präzisierung derselben – entwickelt hat. Die Positionen Eckharts und Seuses finden eine gute Begründung in verschiedenen Stellen der Heiligen Schrift, speziell in einigen johanneischen Texten: »Allen aber die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden« (Joh 1,12); »[...] und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen« (Joh 14,23); oder auch: »Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es«, aber »was wir sein werden ist noch nicht offenbar geworden«: »[...] dass wir ihm ähnlich sein werden [...] denn wir werden ihn sehen wie er ist« (1 Joh 3,1-2). Beide Dominikaner lassen sich zudem von der Theologia mystica des Dionysius (Pseudo)Areopagita inspirieren, besonders von dessen christlicher Umformung des Neuplatonismus und dem darin ausgedrückten Streben nach hénôsis (»Einung«, »Einigung«, »Vereinigung«; was bereits im Lateinischen mit verschiedenen Ausdrücken übersetzt wird: unitas, unitio oder unio).20 Seuse ist ebenso wie Eckhart, bestens mit der Lehre der visio beatifica des Thomas von Aquin vertraut, welche er für seine Darstellung der Einung des Menschen mit Gott in diesem 19. Seuse gebraucht manchmal den Ausdruck vereinunge (vgl. Büchlein der Wahrheit, ed. Bihlmeyer [1907/1961], c. 5, 347,13 und 348,4; ibid., c. 6, 356,13 und 356,16; Büchlein der ewigen Weisheit, ibid., c. 12, 245,5 und c. 21, 279,5; Großes Briefbuch, ibid., Brief 22, 472,8 und Brief 24, 476,3); öfters jedoch erscheint einikeit (vgl. Büchlein der Wahrheit, ibid., c. 1, 328,10; c. 4, 337,19 und 338,5; c. 5, 339,12; 344,18 und 344,27; c. 6, 356,17). Er verwendet ebenso den Ausdruck eins (mit Gott sein) (vgl. Vita, ibid., c. 53, 193,25; Büchlein der Wahrheit, ibid., c. 5, 338,7 und 340,29; Großes Briefbuch, ibid., Brief 19, 465,7 [eins mit im]; Büchlein der Wahrheit, ibid., c. 5, 340,29 [eins in eime]; 342,6-7 [eins in dem, daz da niht ist aller der dingen, die man besinnen alder geworten mag]; 343,22 [eins in dem, daz ie ist gewesen] und 344,13 [eins ist worden]; Vita, ibid., c. 5, 22,6 [eins mit got]). Seuse spricht ebenso von innemunge, was soviel wie »Versenkung in Gott« bedeutet (vgl. Büchlein der Wahrheit, ibid., c. 5, 339,12, 346,17 und 349,17; siehe noch ähnlich ibid., 344,4 [innemennes]; 338,16; 343,25; 344,2 [in genomen] und c. 1, 329,16 sowie Vita, ibid., c. 52, 188,5 [ingenomenheit]). 20. Vgl. insbes. Dionysius (Pseudo)Areopagita, De mystica theologia, I,1 in: Corpus Dionysiacum, Bd. 2: Pseudo-Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia, De ecclesiastica hierarchia, De mystica theologia, Epistulae, ed. G. Heil und A. M. Ritter (Berlin/New York, 1991), 142,5-11 (deutsche Übersetzung von A. M. Ritter [Stuttgart, 1994], 74. Dionysiaca: Recueil donnant l’ensemble des traductions latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopage, Bd. 1 (Brügge, 1937 [Nachdr. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1989]), 568. Eckhart zitiert diese Passage in seiner Predigt 101 (DW IV,1 359,146-360,150). Seuse gebraucht seinerseits diese Stelle des Dionysius in seiner Vita, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 52, 190,4-16.

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Leben gebraucht. Als Schüler Meister Eckharts nimmt Seuse dessen Begrifflichkeit auf und zitiert ihn auch wörtlich, um die Schwierigkeiten, die mit Eckharts Thesen im Zusammenhang stehen, sowohl aufzuzeigen als auch zu klären. Ähnlich wie Meister Eckhart in seinem Predigtzyklus Von der ewigen Geburt, der eine systematische Lehre zu diesem Thema enthält, entfaltet auch Seuse sein Denken in Form eines Dialogs.21 Ich möchte im Folgenden zunächst auf Eckharts Theologie im genannten Zyklus eingehen, um anschließend Seuses Positionen darzulegen, welche große Ähnlichkeiten mit denen Eckharts aufweisen. Dabei wird aber zugleich die Originalität der Zugänge Seuses zu den angesprochenen Themata erkennbar werden. 1. Die ewige Geburt, nach Meister Eckhart Während die Predigt 101 eine Art Synthese zum Thema präsentiert, werden in den Predigten 102-4 einige Aspekte im Frage-Antwort-Stil erläutert, welche zuvor im Laufe der Predigt 101 als Probleme erkannt worden sind. Es wird zunächst gefragt, wâ got der vater spreche sîn wort in der sêle (»wo Gott der Vater sein Wort in der Seele spricht«).22 Anschließend wird folgende Frage gestellt: Wie gebirt got der vater sînen sun in dem grunde der sêle? (»Wie gebiert Gott der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele?«).23 Eine weitere darin untersuchte Frage lautet: Wie sich der mensche ze disem werke sülle halten? (»Wie soll der Mensch sich zu diesem Wirken verhalten?«).24 Ebenso wird untersucht, wie grôz der nutz sî, der an dirre geburt liget (»wie groß der Nutzen ist, der in dieser Geburt liegt«),25 welcher darin besteht, dass der Mensch mit dem gesprochenen 21. Zu diesem berühmten Predigtzyklus Eckharts siehe insbes. Georg Steer, »Predigt 101: Dum medium silentium tenerent omnia«, in: LE 1 (Stuttgart, 1998), 247-88; Rodrigo Guerizoli, Die Verinnerlichung des Göttlichen: eine Studie über den Gottesgeburtszyklus und die Armutspredigt Meister Eckharts (Leiden/Boston, 2006). Ich habe die Predigten 101-4 Eckharts sowie andere in diesem Zusammenhang relevante Texte Seuses im sechsten Kapitel meiner Dissertation untersucht: Silvia Bara Bancel, Teología mística alemana: Estudio comparativo del L i b r o d e l a Ve r d a d de Enrique Seuse con el Maestro Eckhart (Münster, 2015) (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge, 78), 394-455. 22. Eckhart, Pr. 101 (DW IV,1 338,15). 23. Ibid. (350,85). 24. Ibid. (340,23). 25. Ibid. (341,32).

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Wort eins wird26 und dadurch die Seligkeit erreicht, wie Eckhart in der Predigt 104 festhält.27 Eckhart ist also der Meinung, dass Gott enmitten in dem swîgenne (»mitten im Schweigen«) sein Wort im edelsten und reinsten Grund des Menschen spricht, dort nämlich, wo allein er Zutritt hat.28 Diese Geburt entspricht Gottes innertrinitarischem Prozess, das ›in der Ewigkeit‹, in einem Augenblick über aller Zeit, geschieht. Sie findet ohne Mittel und Abbild statt und ist auf diese Weise wahre Einung. Jede bildhafte Vermittlung würde nämlich Gott fernhalten, denn er ist ewig und unaussprechlich. Entscheidend ist, dass im Akt der Zeugung er selbst es ist, der sich ausspricht und dadurch den Sohn in der Seele zeugt. Auf diese Weise wird der Mensch durch Gnade, was der Sohn durch Natur ist. Die Seele soll ihrerseits ›in Stille‹ bleiben, entblößt von jedem Bild, zurückgezogen und nach innen gekehrt; sie soll alle Kräfte auf sich konzentrieren, um sich gänzlich für Gott zu öffnen und »Gott zu erleiden« (got lîden). Darin besteht – paradoxerweise – die höchste menschliche Aktivität: sich zu entleeren und gelassen zu sein, damit Gott in die Seele wirkend hineinkommt. Meister Eckhart ist davon überzeugt, dass die Geburt eine Gabe Gottes ist, dessen Gegenwart im menschlichen Subjekt eine immer größer werdende Empfänglichkeit vorbereitet.29 Dabei ist es immer Gott selbst, der die Initiative führt, der im Menschen den Gedanken und den Wunsch nach seiner Gegenwart hervorruft.30 Wo er auf einen bereitwilligen – und das heißt: auf einen durch die Gnade 26. Vgl. id., Pr. 104 (DW IV,1 610,581-3 [A-Fassung]): [...] daz daz êwic wort in uns gesprochen werde und verstanden, daz wir einez werden mit im (»[...] dass das ewige Wort in uns gesprochen wird sowie verstanden wird, dass wir Eines mit ihm werden«). 27. Vgl. id., Pr. 101 (DW IV,1 352,93): Und in der wâren einunge liget alliu iriu sælicheit (»Und in der wahren Einung liegt ihre vollständige Seligkeit«). In der Fußnote 47 verweist der Herausgeber auf zahlreiche Stellen, an denen Eckhart die Einung des Menschen mit Gott als die Seligkeit versteht. 28. Vgl. ibid. (343,38-40): ez ist in dem lûtersten, daz diu sêle geleisten mac, in dem edelsten, in dem grunde, jâ, in dem wesene der sêle, daz ist in dem verborgensten der sêle. Dâ ist ›daz mittel swîgen‹ (»Das ist in dem reinsten Werk, das die Seele vollbringen kann, im edelsten Teil der Seele, in deren Grund, ja im Wesen der Seele, welches im Verborgensten der Seele ist. Da ist es, ›wo die Mittel schweigen‹«). 29. Vgl. id., Pr. 102 (DW IV,1 423,148-9): Und ein ieglîchiu gâbe bereitet die enpfenclicheit ze einer niuwen gâbe, jâ, ze einer mêrern gâbe (»Und jegliche Gabe bereitet die Empfänglichkeit zu einer neuen, ja größeren Gabe vor«). 30. Vgl. id., Pr. 103 (DW IV,1 484,85-8): Dû woltest gerne bereit werden ein teil von dir und ein teil von im, daz doch niht gesîn enmac. Mêr: dû enkanst des bereitennes niemer sô schiere gedenken noch begern, got der ensî vor dâ, daz er dich bereite (»Du hättest es gerne, wenn deine Bereitschaft teils von

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Gottes bereitgestellten – Menschen trifft, m u s s Gott aktiv werden und sich in diesen Menschen hineingießen, so etwa, wie die Sonne, welche ganz natürlich ihre Strahlen durch die reine Luft ausbreiten m u s s .31 Freilich führt Gott die Initiative. Eckhart betont jedoch zugleich, dass es dem Wesen und der Güte Gottes entspricht, dass er dort, wo Er empfangen werden kann, sich dann auch selbst mitteilt. Die Frucht der Geburt besteht in der wahren Einung mit Gott und im vollkommenen Glück. Dies ist die ewige Seligkeit, in welcher der Mensch Gott selbst schaut und erkennt. Paradoxerweise ist ein solches Sehen und Erkennen allerdings als eine dünsternis (»Finsternis«), ein unwizzen (»Unwissen«), als unbekante bekantnis (»unerkannte Erkenntnis«) oder als eine unbekanntheit (»ein Nicht-Erkennen«) zu verstehen, denn das menschliche Erkenntnisvermögen bleibt dabei selbst inaktiv und seiner e i g e n e n Tätigkeit beraubt.32 Das Besondere dieser Erkenntnis besteht nun darin, dass die im menschlichen Geist entstehende Erkenntnisform – das (Erkenntnis)Bild – allein Gott selbst ist, genauer gesagt: das Wort, welches alle Dinge in sich einschließt und somit auch das esse virtuale des Menschen selbst umfasst. Selbst wenn dies bei Eckhart nicht so deutlich hervortritt wie bei seinem Schüler, so unterscheidet auch er die ewige Geburt im innertrinitarischen Leben, dank welcher Gott alle Dinge und auch den Menschen ins Dasein ruft und erhält, von der Geburt in der Seele, die eine ›neue Geburt‹ ist – eine widergeburt, wird Seuse sagen33 –, welche jedoch in jenen, die für Gott nicht empfänglich sind, nicht stattfinden kann.34 dir selbst, teils von Gott bewirkt würde. Das kann aber nicht sein, sondern du kannst die Bereitschaft dir nicht wünschen noch begehren, wenn Gott nicht vorher da wäre, der dich bereit macht«). 31. Vgl. ibid. (484,92-4): Wâ oder wenne dich got bereit vindet, sô muoz er würken und sich in dich ergiezen. Ze glîcher wîse als der luft lûter und rein ist, sô muoz sich diu sunne ergiezen und enmac sich niht enthalten (»Da, wo – und dann, wenn – Gott dich bereit findet, muss er wirken und sich in dich ergießen. Ähnlich verhält es sich mit der Luft, wenn sie lauter und rein ist: da nämlich muss die Sonne in der Luft leuchten, ohne dass sie [die Sonne] sich dessen enthalten kann«). 32. Vgl. id., Pr. 101 (DW IV,1 360,151-3): Nu möhtest du sprechen: swaz got würket ane bilde in dem grunde und in dem wesene, des enmac ich niht gewizzen, wan die krefte niht genemen enkünnen dan in bilden, wan sie alliu dinc müezen nemen und bekennen in irn eigenen bilden (»Nun könntest du sagen: Was auch immer Gott in der Seele, im Grund und im Wesen bildlos wirkt, das kann ich nicht erkennen, denn die Kräfte können nur durch Bilder erkennen, da sie nur dasjenige aufnehmen und erkennen können, was ihren eigenen Bildern entspricht«). 33. Vgl. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 348,19-23; 349,4-8 und c. 6, 355,10. 34. Vgl. Eckhart, Pr. 102 (DW IV,1 412,28-423,41).

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Hat sich die Geburt aber erst einmal ereignet, dann kann die geschöpfliche Welt kein Hindernis für das Empfangen Gottes mehr bilden (niht gehindern), denn für jene Menschen hat sich alles in den reinen Gott (lûter got) verwandelt, so dass sie kein anderes Interesse und keine andere Liebe mehr haben als zu Gott selbst.35 2. Innemung (»Versenkung in Gott«) und Seligkeit bei Seuse Seuse behandelt die gleichen Fragen wie Eckhart in seiner Predigt 101. Er beginnt seine Darlegung aber mit der Erörterung dessen, worin die Frucht oder das Resultat der Geburt besteht: der Seligkeit. Dazu nimmt er zunächst die Eckhartsche Lehre auf, wonach die Seligkeit der Seele darin »besteht, an erster Stelle, Gott rein (got bloz) zu betrachten«.36 Ausgehend von Eckharts Darlegungen formuliert er das Erreichen der Seligkeit dann auf folgende Weise: Man mag es nemmen ein geberlich wis, als da stet geschriben an sant Johans ewangelio, daz er hat gegeben macht und múgen, gottes sún werden allen den, die von nihti anders denne von gotte geborn sint. Und daz geschihet in glicher wise, als man geberunge nach einer intragender gemeiner wise nemmet. Waz nu daz ander in solicher wise gebirt, daz bildet es nach im und in sich und git ime glichheit sins wesens und wúrkunge. Und dar umbe, in einem gelazsenen menschen, da got allein vatter ist, in dem sich nút zitliches gebirt nach eigenschaft, dem werdent sinú ǒgen uf getan, daz er

35. Vgl. id., Pr. 103 (DW IV,1 488,136-7): jâ, alliu dinc werdent dir lûter got, wan in allen dingen sô enmeinest noch enminnest du niht dan lûter got (»Ja, alle Dinge werden für dich wie der reine Gott, denn in allen Dingen erstrebst und liebst du nichts anderes als den reinen Gott). 36. Vgl. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. Bihlmeyer [1907/1961], c. 5, 346, 8-11: Die lerer sprechent, daz der sele selikeit lit ze vorderlichest dar an: so si schǒwet got bloz, so nimet si alles ir wesen und leben und schepfet alles, daz si ist, als verre si selig ist, von dem grunde dis nihtes‹ (»Die Lehrer sagen, dass »die Seligkeit der Seele vor allem darin besteht, dass sie Gott unverhüllt schaut. Darin empfängt sie ihr ganzes Sein und Leben und schöpft alles, was sie ist, insofern sie selig ist, aus dem Grund dieses Nichts««). Seuse spricht dabei von »den Meistern«, aber in Wirklichkeit zitiert er wörtlich Eckhart, VeM (DW V 116,28-30): wan daz êrste, dâ sælicheit ane liget, daz ist, sô diu sêle schouwet got blôz. Dâ nimet si allez ir wesen und ir leben und schepfet allez, daz si ist, von dem grunde gotes (»denn das erste, worin die Seligkeit besteht, ist dies, dass die Seele Gott unverhüllt schaut. Darin empfängt sie ihr ganzes Sein und ihr Leben und schöpft alles, was sie ist, aus dem Grunde Gottes«).

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sich da verstat, und nimet da sin selig wesen und leben und ist eins mit im, wan ellú dinge sint hie eins in eime. (Man kann es eine ›gebärende Weise‹ nennen, wie es im Johannes-Evangelium heißt, dass er »allen, die nur aus Gott geboren sind, die Macht und das Vermögen gegeben hat, Söhne Gottes zu werden«. Und das geschieht so, wie man im allgemeinen von ›gebären‹ spricht. Was ein anderes in dieser Weise gebiert, das bildet es sich nach und in sich und verleiht ihm dasselbe Wesen und Wirken. Darum werden einem gelassenen Menschen, in dem Gott allein der Vater ist und in dem nichts Zeitlich-Eigenes geboren wird, die Augen geöffnet, dass er sich selbst erkennt und darin sein seliges Sein und Leben erhält und eins mit ihm ist, denn alle Dinge sind hier Eines in dem Einen).37 Wie versteht Seuse nun das ›Eins-sein‹ oder die Einheit mit Gott? Wird damit implizit eine Verwandlung in die göttliche Natur zum Ausdruck gebracht, verstanden als Verlust der geschöpflichen Kondition, so wie es die Vertreter des Freien Geistes behaupteten? Seuses Antwort auf diese Frage fällt sicherlich negativ aus: Die Geschöpflichkeit geht in der Einheit mit Gott nicht verloren; gleichzeitig sagt er aber, dass der Selige eins ›ist‹ in dem Einen, und dies nicht nur in patria, also nicht nur im Himmel oder in einem Leben nach dem Tode, sondern auch in via, d. h. auf Erden. Im Verlauf des fünften Kapitels des Büchleins der Wahrheit wird dann eine Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs angeboten. 3. Zwei contraria im eime und Nichterkennen Um verständlich zu machen, inwiefern alles »in dem Einen eins ist«, führt Seuse einen neuen Vernunftbegriff ein. Das Cusanische Konzept der coincidentia oppositorum antizipierend gebraucht er dafür den Ausdruck zwei contraria in eime (»zwei contraria als Eines«).38 Als der Junge im Gespräch mit dem lúter Wort darauf aufmerksam macht, dass die Wahrnehmung von »Berg und Tal und Wasser und Luft und vielerlei

37. Heinrich Seuse, ibid., 340,19-29. Dieser Text ähnelt bestimmten Passagen im Werk Eckharts sehr; vgl. Eckhart, In Ioh., nn. 106-10 (LW III 90,9-95,12); RdU, c. 6 (DW V 202,9-10): wan er ist einez in dem einen, dâ alliu manicvalticheit einez ist und ein unvermanicvalticheit ist (»denn er ist eins in jenem Einen, in dem alle Mannigfaltigkeit Eins und eine Nicht-Mannigfaltigkeit ist«). 38. Vgl. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 341,10.

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Kreaturen« sich der Behauptung entgegenstellt, dass alles nur eins sei,39 antwortet daz lúter Wort wie folgt: Ich sagen dir noch me: es si denn, daz der mensch zwei contraria, daz ist zwei widerwertigú ding verstande in eime mit einander, – fúrwar ane allen zwifel, so ist nút gůt lihte mit ime ze redenne von soͤ lichen dingen; wan so er dis verstat, so ist er aller erst getretten dez halb uf den weg des lebennes, daz ich mein. (Ich sage dir noch mehr: Wenn der Mensch nicht zwei contraria, d. h. zwei sich widersprechende Dinge als Eines denken kann, so kann man zweifellos nicht richtig mit ihm über solche Dinge sprechen. Wenn er aber dies begreift, so hat er erst die Hälfte des Weges zu dem Leben, das ich meine, zurückgelegt).40 Im weiteren von Seuse konstruierten Dialog folgt der Einwand, dass es gegen alle Wissenschaft sei, »zwei contraria als Eines« zu behaupten.41 Auf diesen Einwand hin führt Seuse eine Unterscheidung von zwei Zugangsweisen zur Wirklichkeit ein: die der (bloß) »menschlichen Gedanken« (us menschlichen sinnen), und jene andere der »Gedanken, die das Verständnis der Menschen übersteigen« (us den sinnen, die da sint úber aller menschen gemerke).42 Um zur vollen Wahrheit zu finden, die Gott selbst ist, muss der Mensch demnach seine Sinne verlieren, ja gewissermaßen »sinnlos werden« (sinlos werden). Denn: mit unbekennen wirt dú warheit bekant (»mit Nichterkennen wird die Wahrheit erkannt«).43 In der Nachfolge Meister Eckharts nimmt auch Seuse nicht nur die augustinische, sondern vor allem die dionysische und neuplatonische Tradition auf. Sie alle halten daran fest, dass der Weg zu Gott im Nichterkennen liege,44 39. Vgl. ibid., 340,30-2: Ich sich doch, daz berg und tal ist und wasser und luft und manigerley kreature; waz seist du denne, daz núwan eins si? (»Ich sehe doch, dass es Berg und Tal und Wasser und Luft und vielerlei Kreaturen gibt. Wie kannst du da sagen, dass nur Eines ist?«). 40. Ibid., 341,1-6. 41. Ibid., 341,10-1: Zwei contraria in eime sinde nach aller wise widerwerfent alle kúnste (»Zwei contraria als Eines widersprechen jeglicher Wissenschaft«). 42. Ibid., 341,13-5: Dine fragen gand us menschlichen sinnen, und ich antwúrt us den sinnen, die da sint úber aller menschen gemerke (»Deine Fragen entstammen menschlichen Gedanken, und ich antworte in Gedanken, die das Verständnis der Menschen übersteigen«). 43. Vgl. ibid., 341,15-6: Du mu˚ st sinnelos werden, wilt du hin zu˚ komen, wan mit unbekennen wirt dú warheit bekant (»Überwinde dein Denken, wenn du dahin gelangen willst, denn mit Nichterkennen wird die Wahrheit erkannt«). 44. Vgl. Dionysius (Pseudo)Areopagita, De mystica theologia, I,1, ed. Heil/Ritter (1991), 141,3– 142,4 (deutsche Übersetzung von A. M. Ritter [1994], 74). Albertus Magnus, Super Mysticam theologiam Dionysii, ed. P. Simon, ed. Coloniensis, Bd. 37,2 (Münster, 1978), 456,75-458,26; Eckhart, Pr. 101 (DW IV,1 361,155-60); id., Pr. 103 (ibid., 477,34-6). Auch bei Seuse lassen sich einige Stellen

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weil das Sein Gottes durch absolute Einheit und Unterschiedlosigkeit ›charakterisiert‹ sei.45 Die Erfahrung der mystischen Einung, der Einung mit dem gänzlich unterschiedslosen und ungeteilten Einen, setzt daher die Transzendierung der auf Unterscheidung basierenden Logik des (bloßen) Verstandes voraus. Dies jedoch fordert ein »Nichtwissen«, ein »unbekanntes Wissen« oder, wie Nikolaus von Kues es sogar als Titel seines Hauptwerkes formuliert, eine »gelehrte Unwissenheit« (docta ignorantia). Um zu verdeutlichen, dass es sich dabei um ein Wissen handelt, das nicht die Folge bloßer Spekulation ist, sondern auf konkreter (innerer) Erfahrung basiert, berichtet das Büchlein der Wahrheit vom Erleben einer einschneidenden Veränderung im Jünger. Zehn Wochen lang war dieser, heißt es, so kreftekliche entwúrket [...], daz im mit offenen sinnen, in der lúten biwonunge und ane die lúte, sin sinne also entgiengen nach eigener wúrklicher wise, daz im úberal in allen dingen núwan eins antwurte und ellú ding in eime ane alle manigvaltigkeit disses und jenes (»[...] so außer sich, dass er [...] in der Gegenwart anderer Menschen oder auch allein nicht mehr Herr seines Denkens war, dass ihm in allen Dingen nur Eines und alle Dinge nur als Eines ohne jegliche Vielfalt von diesem oder jenem entgegentraten«).46 Eine solche Erfahrung bringt den Jünger zu einem neuen, besonderen Zustand, den er wie folgt beschreibt: Ja, daz ich vor nit moht glǒben, daz ist mir nu worden ein wissen (»Ja, was ich zuvor nicht glauben konnte, das ist mir nun ein Wissen geworden«).47 Seuse geht es in diesem Bericht von der Erfahrung des Jüngers nicht darum, das menschliche Argumentieren völlig zu entwerten, vielmehr möchte er daran veranschaulichen, was er zuvor diskursiv oder theoretisch in diesem Zusammenhang erwähnen: Büchlein der Wahrheit, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 346,8347,6; Vita, ibid., c. 52, 187,17-20 und 190,3-14. Die hénôsis wird im Neuplatonismus, speziell bei Plotin, als eine andere Art des Denkens und der Schau präsentiert, bei der die Differenz zwischen Schauendem und Geschautem überwunden wird, so dass das Eine zur Geltung kommt. Vgl. insbes. Werner Beierwaltes, Denken des Einen: Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte (Frankfurt a.M., 1985), 137-8. 45. Für Eckhart siehe etwa, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n.10 (LW I,1 155,3-5 [Rec. CT]; LW I,2 27,23-5 [Rec. L]): Semper enim divisum inferius unum est et indivisum in superiori. Ex quo patet quod superius nullo modo dividitur in inferioribus, sed manens indivisum colligit et unit divisa in inferioribus (»Immer ist das im Niederen Geteilte eins und ungeteilt im Oberen. Daraus erhellt, dass das Obere in keiner Weise im Niederen geteilt wird, sondern es bleibt ungeteilt und bindet und eint das im Niederen Geteilte«). 46. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 341,19-23. 47. Ibid., 341,26-7.

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bestimmt hatte: dass das unmittelbare Wissen um Gott die menschlichen Fähigkeiten übersteigt und als solche überbeansprucht. Der Mensch müsse sich deshalb seiner Fähigkeiten entledigen und unwissend Gott erkennen. Die beiden Gegensätze, die in der ›unwissenden‹ Erfahrung übereinstimmen, sind ein ewiges niht und sin zitlichú gewordenheit (»ein ewiges Nichts und was es in der Zeit geworden ist«).48 Es handelt sich dabei um zwei Seinsweisen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: um das Seiende, das also, ›was ist‹ (oder ›was geworden ist‹), im Gegensatz zum ›Nichts‹; oder auch: um ›das Zeitliche‹ im Gegensatz zum ›Ewigen‹. Grundsätzlich geht es Seuse um die Möglichkeit der Einung von Gott und Mensch. Zugleich betont er aber immer wieder, dass man die bloß menschliche Art und Weise, eine solche ›Einung‹ zu verstehen, überwinden muss. Denn es geht dabei ja um keine bloße Summe oder Zusammenfügung von verschiedenen, einer gleichen Kategorie gehörenden Elementen. Deshalb stellt er fest: Alle die wile, so der mensche verstat ein einunge oder solich ding, daz man mit rede kan bewisen, so hat der mensch noch inbaz ze gaͤ nne (»Solange der Mensch unter ›Einung‹ oder ähnlichem etwas begreift, worüber man mit dem Verstand denken kann, muss er noch tiefer eindringen«).49 3. Das »Wo« (wa) oder der ›Zielort‹, in dem die Einung stattfindet: die Dreieinigkeit Sowohl im fünften Kapitel des Büchleins der Wahrheit als auch im 52. der Vita wird die Frage nach dem ›Zielort‹ der den Menschen beseligenden Einung aufgeworfen: Wa lendet eins gelazsenen menschen verstandenheit? (»Wohin führt die Erkenntnis eines gelassenen Menschen«)50 bzw. Wa und wie eins wolgeuͤ pten menschen bescheidenheit in der tiefsten abgrúndkeit uf sin hoͤ hstes zil enden soͤ lte (»Wo und wie eines in geistlicher Übung wohlerfahrenen Menschen Erkenntnis im tiefsten [göttlichen] Abgrund als seinem höchsten Ziel enden sollte«).51 Seuse bemüht sich zu zeigen, dass es sich dabei um ein unausprechliches ›Wo‹ handelt: das innertrinitarische 48. Ibid., 341,8-9. 49. Ibid., 342,23-5. 50. Ibid., 342,3-4. 51. Id., Vita, c. 52, ibid., 184,5-7.

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Leben bzw. die einfache Einheit, die jeden Namen und alles Begreifen übersteigt und daher als ›Nichts‹ zu bezeichnen ist.52 Auch im 52. Kapitel der Vita wird die eben beschriebene Position diskutiert; es kann daher zum Verständnis des fünften Kapitels des Büchleins der Wahrheit herangezogen werden. Seuse erklärt dort die trinitarische Dimension des ›Wo‹ oder des ›Zielorts‹ der Einung, ähnlich wie es Eckhart macht, wenn er erklärt, ›wie der Vater seinen Sohn im Seelengrund zeugt‹. Seuse erwähnt in diesem Zusammenhang insbesondere Joh 12,26: »Wo ich bin, soll auch mein Diener sein«. Es gilt daher: Wer nu daz wa, daz der sun nam nah der menschheit in sterbender wise an sinem crúze, wer daz streng wa in nahvolg nút hat geschúhet, daz ist wol múglich nah siner gehaiss, daz der daz lustlich wa siner súnlichen blossen gotheit werde in vernúnftiger froͤ denbernder wise niessende in zit und in ewikait, als verr es denn múglich ist, minr und me. (»Wer nun dies ›Wo‹, das der Sohn seiner Menschheit nach am Kreuz sterbend auf sich nahm, wer das harte ›Wo‹ in Christi Nachfolge nicht gescheut hat, dem kann nach des Heilands Verheißung wohl zuteil werden, das gnadenvolle ›Wo‹ zu erfahren der lauteren Gottessohnschaft, in erkenntnisreicher, freudevoller Weise in Zeit und Ewigkeit, so weit wie möglich, mehr oder weniger«).53 Und daz wa der blossen goͤ tlichen sunheit (»das ›Wo‹ der reinen göttlichen Sohnschaft«) besagt die gemeinsame göttliche Natur der Personen in der Dreieinigkeit und deshalb die göttliche Einheit.54 Der Weg zur Einheit/ Einung ist kein anderer als die Gottessohnschaft: Man wird nämlich selbst Sohn, freilich nicht durch Natur, sondern nur, indem man die Sohnschaft durch Gnade, dank der Wirkung des Heiligen Geistes, empfängt,55 indem man, wie es heißt, »mit dem ewigen Sohn zusammen wohnt«,56 und zwar 52. Vgl. etwa id., Büchlein der Wahrheit, ibid., c. 5, 342,15-6: Dionysius schribet von eime, daz ist namelos und daz mag sin daz niht, daz ich meine (»Dionysius schreibt vom Einen, das ist namenlos: Das ist wohl das Nichts, das ich meine«). Cf. S. Bara Bancel, »›Gottheit‹ und ›Gott‹« (2011), 80-6. 53. Heinrich Seuse, Vita, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 52, 184,13-9. 54. Vgl. ibid., 184,20-1. 55. Vgl. ibid., c. 53, 193,17-8: [...] so wirt der creatúrlich geist von dem úberweslichem geist begrifen in daz, da er von eigenr kraft nit mohte hin komen (»[...] dessen geschaffener Geist wird von dem überwesenhaften Geist dahin gezogen, wohin er aus eigener Kraft nicht kommen konnte«). 56. Vgl. ibid., c. 52, 187,9-10: da ein bewerter diener sol dem ewigen sune mitwonend sin (»wo ein erprobter Diener mit dem ewigen Sohne die Wohnstätte teilen soll«).

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in jenem endlos wa (»unendlichen Wo«),57 vernúnftig wa (»im Wo der Vernunft«),58 oder auch úbervernúnftig wa (»Wo über der Vernunft«),59 ja, in jenem wilden gebirge des úbergoͤ tlichen wa (»wilden Gebirge des übergöttlichen ›Wo‹«).60 Dieses ›Wo‹ ist die blosse einvaltige einikeit (»die reine einfaltige Einheit«),61 auch daz grundlos tiefes abgrúnd (»der tiefe, bodenlose Abgrund«) genannt62 sowie grund dis nihtes (»der Grund des Nichts«).63 Die Rede ist dabei sowohl von einem »Wo der Vernunft« als auch von einem »über der Vernunft«. Denn es geht um das für Seuse (und für Eckhart) charakteristische Verständnis des innertrinitarischen Lebens als ein Denken von sich selbst und ein Zurückfließen der Personen in die Einheit, um die für die göttliche Erkenntnis charakteristische reditio in se ipsum (»Rückkehr zu sich selbst«). Allein Gott selbst erkennt sich selbst, erklärt Seuse; nur er allein erkennt daz grundlos tiefes abgrund (»den tiefen, bodenlosen Abgrund«), und er wird nur von denen erkannt, mit welchen er diese seine Erkenntnis teilen will.64 In diesem Sinne stellt die Heilige Schrift in 1 Kor 13,12 ganz ähnlich fest: »dann [...] werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin«. Daher hat der menschliche Geist, leer geworden von sich selbst und dank der göttlichen Gnade in vollständiger Einung mit dem Sohn lebend, an der Selbsterkenntnis Gottes seiner selbst gewissermaßen teil. ›Dort‹ verliert sich dann der Mensch selbst. Er versinkt in die Einheit, indem er sich in die immanente Bewegung der göttlichen Personen verstrickt, welche diese Einheit konstituiert.65 57. Ibid., 185,3 (daz endlos wa). 58. Ibid., 187,9 (Daz selb vernúnftig wa). 59. Ibid., 185,26 (in dis úbervernúnftig wa). 60. Ibid., 188,20 (In disem wilden gebirge des úbergôtlichen wa). 61. Ibid., 189,23-190,1 (in der blossen einvaltigen einikeit). 62. Ibid., 189,2 (daz grundlos tiefes abgrúnd). 63. Vgl. id., Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 346,11 (von dem grunde dis nihtes); 350,22 (in dem grunde dez nihtes) und 349,29 (in dem grunde des ewigen nihtes). 64. Vgl. id., Vita, c. 52, ibid., 189,3-4: daz ist och verborgen allem dem, daz er selber nit sî, denn allein dien, den er sich wil gemeinden (»dieser Grund ist auch allen verborgen außer ihm selbst und denen, welchen er sich mitteilen will«). Hier klingt das Evangeliumswort aus Mt 11,27 an: »Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will«. 65. Vgl. Heinrich Seuse, ibid., 189,7-10: Dis bekentnús hat der geist nit von sin selbsheit, wan dú einikeit zúhet in in der driheit an sich, daz ist an sin rehten úbernatúrlichen wonenden stat, da er wonet úber sich selb in dem, daz in da gezogen hat (»Diese Erkenntnis hat der Geist nicht aus seinem Selbst, sondern die Einheit zieht ihn in die Dreiheit an sich, das ist an seine rechte übernatürliche Wohnstätte, wo er über sich selbst in dem wohnt, was ihn dahingezogen hat).

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4. Die Einung aus menschlicher Sicht Fragen wir nach dem ›Wo‹ der unmittelbaren Erfahrung Gottes im Menschen, so werden wir von Seuse auf den tiefsten und verborgensten Ort der Seele, ihren weslichen grunt,66 verwiesen, welcher unaussprechlich ist: Sol er dar komen, so můz er sin in dem grunde, der verborgen lit in dem vor genemten nihte. Da weis man nút von núte, da ist nit, da ist ǒch kein da; waz man da von redet, so verhoͤ net man es. (Um dahin zu gelangen, muss er in dem Grund sein, der in dem genannten Nichts verborgen liegt. Da weiß man nichts vom Nichts, da gibt es kein ›nicht‹ und auch kein ›dort‹. Wenn man davon spricht, so setzt man es herab).67 Im fünften Kapitel des Büchleins der Wahrheit bleibt Seuse hinsichtlich des Grundes zweideutig. Es bleibt nämlich unklar, ob er den Grund Gottes, den des Menschen, oder den Grund beider im Sinne hat. Denn die ›Versenkung‹ des Menschen in Gott bringt eine Vernichtung des eigenen Grundes mit sich, so dass es von nun an, wie es scheint, einen einzigen – göttlichen – Grund gibt. Der Autor bemüht sich hingegen sehr zu präzisieren, worin die Einung, die ›wesentliche Versenkung‹ (ein weslich ingenomenheit), besteht.68 Um auf die Frage zu antworten, ob das Resultat einer solchen ›Versenkung‹ eine einzige – die göttliche – Wesenheit darstellt, verweist Seuse zunächst auf die Erfahrung der mystischen Einung bzgl. des Seins, das für die Dinge kennzeichnend war, »als sie noch nicht waren«. Er verweist also auf das Sein der Dinge in ihrem wesentlichen Grund, als Gedanken oder Ideen in Gottes Denken. Dort sind sie nämlich eins mit Gott.69 Jedoch, einmal ins Leben gerufen, gilt: Der mensch mag nút kre66. Id., Büchlein der Wahrheit, c. 5, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), 342,2. 67. Ibid., 346,2-5. 68. Id., Vita, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 50, 174,17-8. 69. Vgl. id., Büchlein der Wahrheit, ibid., c. 5, 345,3-6: E i n f ra g e : Waz ist daz gesprochen: do er nút waz, do waz er daz selbǒ // E n t w ú r t : Es ist, daz sant Johans sprichet an sime ewangelio: »daz geworden oder geschaffen ist, daz waz in im daz leben« (»E i n e Fr a g e : Was bedeutet das: Als er nicht war, war er dasselbe? // A n t w o r t : Das ist es, was der heilige Johannes in seinem Evangelium sagt: »Was geworden oder geschaffen ist, das war in ihm Leben««). Vgl. Joh 1,4: quod factum est in ipso vita erat). Vgl. Eckhart, In Ioh., n. 54 (LW III 45,8-9): rationes rerum in deo aeternae sunt et esse omnium, quae in deo sunt aut facta sunt (»Die Ideen der Dinge in Gott sind ewig und das Sein von allem, was in Gott ist, oder was geworden ist«). Man muss darauf hinweisen, dass das esse virtuale oder die ratio der Dinge in der Weise in ihnen ist, dass es zugleich ganz außerhalb derer liegt; vgl. ibid., n. 12 (11,14-6): Sciendum quod v e r b u m , logos sive ratio rerum sic est in ipsis et se tota in singu-

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ature und got sin nach únser rede (»Der Mensch kann nach unserem Verständnis nicht Kreatur und Gott sein«).70 Seuse fügt allerdings noch hinzu: mer got ist drivalt und eins; also mag der mensch in etlicher wise, so er sich in got vergat, eins sin in dem verlierenne und nach usserlicher wise schǒwende niessende sin, und des glich. Und des gib ich ein glichnúst. Daz ǒge verlúret sich in sinem gegenwúrtigen sehenne, wan es wirt eins an dem werke der gesihte mit sinem gegenwurfe, und blibet doch ietweders, daz es ist. (Vielmehr: Gott ist dreifaltig und einer. Und so kann der Mensch, wenn er sich in Gott entäußert, in gewisser Weise im Sich-Verlieren eins sein und nach außen schauend und genießend sein und desgleichen. Das zeige ich dir in einem Vergleich: Das Auge verliert sich, indem es sieht, denn es wird in der Sehtätigkeit eins mit seinem Gegenstand, und doch bleiben beide, was sie sind).71 Es ist bedeutsam, dass Seuse sich bei seinen Ausführungen sowohl auf die Tatsache bezieht, dass Gott ›dreifaltig und einer‹ ist, als auch des Beispiels des Sehens bedient. In beiden Fällen spielt die Perspektive oder das in quantum nämlich eine entscheidende Rolle.72 Denn, nach seinem Wesen ist Gott eines, hinsichtlich der Beziehungen ist Er jedoch dreifaltig. So verhält es sich auch, wenn das Auge ein Objekt sieht. Da wird das Objekt nämlich im Auge präsent und ist als Gesehenes ›eins‹ mit dem Auge, ohne dabei jedoch aufzuhören zu sein, was es an sich ist. Auch Meister Eckhart macht an verschiedenen Stellen von diesem Beispiel des Sehens Gebrauch, um die Möglichkeit des Menschen aufzuzeigen, mit Gott eins zu werden, ohne dass dabei weder der Mensch aufhört, Kreatur zu sein, noch Gott aufhört, Gott zu sein.73 Auch wenn der Eckhartsche lis, quod nihilominus est se tota extra singulum quodlibet ipsorum, tota intus, tota deforis (»Man muss wissen: das Wort, der Logos oder die Idee der Dinge ist so in ihnen, und [zwar] ganz in den einzelnen, dass sie trotzdem ganz außerhalb jedes einzelnen ist, ganz drinnen, ganz draußen«). 70. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 345,10-1. 71. Ibid., 345,11-6. Die dabei erwähnte Erklärung des Sehens und überhaupt der Identität des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen findet sich insbesondere bei Aristoteles, De an. III, 2, 425 b 26-7. 72. Beide Beispiele wurden auch von Meister Eckhart gebraucht, um zu zeigen, dass Gleichheit und Ungleichheit gleichzeitig stattfinden können. Das ›Inquantum‹ ist dabei der Grund dafür, dass man innerhalb eines Gleichen Verschiedenes in Betracht ziehen kann. Vgl. Eckhart, In Ex., nn. 125-6 (LW II 116,9-117,12). 73. Vgl. id., Pr. 48 (DW II 416,2-417,1).

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Schwerpunkt mehr auf dem Einssein von Gott und Mensch liegt,74 schließt er doch hierdurch die Verschiedenheit des Geeinten nicht völlig aus. Eben das Beispiel des Sehens erlaubt uns, die Lehre Eckharts besser zu verstehen, welche ein Einssein zu begründen sucht, das jedoch keine absolute Identität des Verschiedenen mit sich bringt.75 Um jedes Missverständnis bezüglich dieses Aspektes auszuschliessen, betont Seuse: Dú sele blibet iemer kreature (»Die Seele bleibt immer Kreatur«). Er fügt allerdings noch hinzu: aber in dem nihte, so si da ist verlorn, wie si denne kreature si oder daz niht si, oder ob si kreatur si oder nit, des wirt da nútznút gedaht, oder ob si sie vereinet oder nit (»aber wenn sie sich in das Nichts verloren hat, so wird nicht mehr darüber nachgedacht, inwiefern sie Kreatur oder das Nichts ist, ob sie vereint ist oder nicht«).76 Der von sich selbst gelöste und seiner selbst entledigte Mensch empfängt die Gabe der unmittelbaren Gegenwart Gottes; er wird dabei von einem Anderen erhalten und getragen. Ein solcher Mensch ist eins mit Gott, aber er wird dadurch nicht selbst zu Gott, noch geht dadurch seine kreatürliche Natur verloren. In der Vita bezeichnet Seuse eine solche absolute Vernichtung des Eigenen als daz sterben des geistes,77 welches er dann wie folgt beschreibt: in der vordren entgangenheit schinet uss der einikeit ein ainvaltiges lieht, und dis wiseloses lieht wirt gelúhtet von den drin personen in 74. Siehe etwa id., Pr. 12 (DW I 201,2-8): Sol mîn ouge sehen die varwe, sô muoz ez ledic sîn aller varwe. Sihe ich blâwe oder wîze varwe, diu gesiht mînes ougen, daz dâ sihet die varwe, daz selbe, daz dâ sihet, daz ist daz selbe, daz dâ gesehen wirt mit dem ougen. Daz ouge, dâ inne ich got sihe, daz ist daz selbe ouge, dâ inne mich got sihet; mîn ouge und gotes ouge daz ist éin ouge und éin gesiht und éin bekennen und éin minnen (»Soll mein Auge die Farbe sehen, so muss es ledig sein aller Farbe. Sehe ich blaue oder weiße Farbe, so ist das Sehen meines Auges, das die Farbe sieht – ist eben das, was da sieht, dasselbe wie das, was da gesehen wird mit dem Auge. Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist e i n Auge und e i n Sehen und e i n Erkennen und e i n Lieben«). 75. Vgl. id., In Ioh., n. 57 (LW III 47,16-48,4): in omni potentia sensitiva vel rationali nostra primo omnium necesse est gigni speciem, prolem objecti, ita quod visus actu est alius, non aliud quam visibile actu, sed sunt unum, ut ait philosophus, parens visibile et proles in visu, pater et filius, imago ipsa et cuius est imago, et coaeterna sunt, in quantum huiusmodi, actu scilicet, sunt (»in allen unsern sinnlichen oder vernünftigen Vermögen muss zuerst ein Erkenntnisbild, ein Kind des Gegenstandes gezeugt werden, so dass der Gesichtssinn im wirklichen Sehen ein anderer ist, aber nicht ein anderes als das wirklich Sichtbare, vielmehr das zeugende Sichtbare und sein Kind, wie der Philosoph sagt, im Sehen eins sind, Vater und Sohn, das Abbild und das Abgebildete, und sie als solche, das heißt als wirkliche, gleich ewig sind«). 76. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 345,20-4. 77. Vgl. id., Vita, ibid., c. 52, 189,11.

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die luterkeit des geistes. Von dem inblike entsinket der geist im selben und aller siner selbsheit, er entsinket och der wúrklichkeit siner kreften und wirt entwúrket und entgeistet. Und daz lit an dem inschlag, da er uss sin selbsheit in daz froͤ md sinsheit vergangen und verlorn ist, na stillheit der verklerten glanzenrichen dúnsterheit in der blossen einvaltigen einikeit. (In der zuvor [geschilderten] Versenkung strahlt aus der Einheit ein einfaches Licht, und dieses weiselose Licht wird von den drei Personen ausgestrahlt in die Unverhülltheit des Geistes. Von dieser Einstrahlung entsinkt der Geist sich selber und all seiner Selbstheit, er entsinkt auch der Wirksamkeit der Kräfte und wird vernichtet und des Geistes beraubt. Und das liegt an der Entrückung, durch die er aus seiner Selbstheit in die fremde Seinsheit gegangen ist und sich darin verloren hat, gemäß der Stille der verklärten, glanzvollen Finsternis in dem lauteren, einfachen Einen).78 Diese Passage macht deutlich, dass solch eine Erfahrung der Einung eine Gabe Gottes ist. Daz ainvaltige lieht (»das einfache Licht«) der göttlichen Einheit bereitet nämlich die Seele vor und befähigt sie so für die Einung.79 Demnach wird der menschliche Geist vollständig gereinigt und von allen Bildern entleert. Er ist gewissermassen ›ausser‹ sich, er entbehrt sich selbst (wirt entgeistet) und alles, was er besitzt, auch seine ›Selbstheit‹ und seine Aktivität (wirt entwúrket); er ist selbst vernichtet und verloren im Anderen, wird gestützt und getragen durch daz froͤ md sinsheit (»die fremde Seinsheit«), die göttliche Einheit. Diese erscheint dem Menschen als dúnsterheit (»Finsternis«). Er kann sie, so Seuse in Anlehnung an Formulierungen des Dionysius (Pseudo-)Areopagita, mit seinem eigenen Verstand nicht fassen, wenngleich sie selbst das Licht ist, das den Seelengrund erleuchtet, welcher dadurch zur Fülle des Seins kommt. Die mystische Einung ist somit allein als ›Ent-Eignung‹ zu verstehen: als Verlust und völlige Entleerung des (bloß) Menschlichen, als 78. Ibid., 189,16-190,1. Eine ähnliche Passage finden wir bei Eckhart, Pr. 83 (DW III 443,5-7): Dvձ solt alzemal entzinken diner dinisheit vnd solt zer fliesen in sine sinesheit vnd sol din din v n d sin s i n éin min werden als genzlich, das dvձ mit ime verstandest ewiklich sin vngewordene istikeit vnd sin vngenanten nitheit (»Du sollst ganz deinem ›Deinsein‹ entsinken und in sein ›Seinsein‹ zerfließen, und es soll dein ›Dein‹ und sein ›Sein‹ so gänzlich ein ›Mein‹ werden, dass du mit ihm ewig erkennest seine ungewordene ›Seinsheit‹ und seine unnennbare ›Nichtigkeit‹«). 79. Diese Anspielung auf das »Licht der Einheit« steht vermutlich in Verbindung mit dem lumen gloriae, von dem Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q. 12, art. 5, resp., in: Opera omnia, ed. Leonina, Bd. 4 (Rom, 1888), 123ab, spricht.

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höchste Rezeptivität seitens der Kreatur (für Gott). Es geht dabei also um eine Radikalisierung der ontologischen Abhängigkeit der Kreatur von Gott, welche von Gott bewegt und geführt wird. All dies wird möglich dank der Fleischwerdung, durch die der Mensch durch Gnade das zu werden vermag, was der Sohn durch Natur ist. Die hypostatische Einheit, der höchste Grad der Einheit zwischen dem Menschlichen und Göttlichen – bei welcher jedoch weder absolute Identität noch Trennung existiert80 – bietet damit ein bereitliegendes Modell für die theologische Reflexion über die generelle Möglichkeit der Einung von Gott und Mensch an. Damit wird die Frage aufgeworfen, wie man den soeben erwähnten Verlust der ›Selbstheit‹ zu verstehen hat. Wenn es heißt: der mensch wirt so gar vereinet, daz got sin grunt ist (»der Mensch wird so vollständig vereint, dass Gott sein Grund ist«), bedeutet dies etwa, dass daz persoͤ nlich underscheiden wesen des Menschen – das jeweilige konkrete Sein des Einzelnen – dadurch völlig verschwindet?81 Seuses Antwort auf diese Frage lautet nun: Dis ist alles sament ze verstenne allein nach des menschen nemunge, in der nach dem inswebenden inblike in entwordenlicher wise diz und daz unangesehen ist, nút in der wesunge, in der ein ieklichs blibet, daz es ist, als sant Augustinus sprichet: »la vallen dis und daz gůt in verahtunge, so blibet lůter gůti in sich swebende in siner blozsen witi, und daz ist got«. (Dies alles ist allein nach menschlichem Begreifen aufzufassen, in dem während der inneren Schau in vernichtender Weise Dies und Das verschwindet, aber nicht nach seinem Wesen, denn da bleibt ein jedes, was es ist. Und so sagt es der heilige Augustinus: »Beachte nicht dieses oder jenes Gute, dann bleibt das

80. Vgl. Konzil von Chalkedon, 5. Sitzung, 22. Oktober 451: Glaubensbekenntnis von Chalkedon (nn. 300–3), in: H. Denzinger (Hg.), Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum / Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von H. Hoping hg. von P. Hünermann (Freiburg i. Br./Basel/Wien, 432010), 131 (n. 302). Seuse erwähnt an verschiedenen Stellen die Beziehung zwischen der Einung mit Gott und dem Geheimnis der Fleischwerdung. Vgl. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 4, 333,8-25; c. 5, 339,4-13 und c. 6, 356,6-14. 81. Vgl. ibid., c. 5, 350,15-22: E n t w ú r t : [...] wan der mensch wirt so gar vereinet, daz got sin grunt ist. // E i n f ra g e : Ob dem menschen blibe sin persoͤ nlich underscheiden wesen in dem grunde dez nihtes? (»A n t w o r t : [...] denn der Mensch wird so vollständig vereint, dass Gott sein Grund ist. // E i n e Fr a g e : Bleibt dem Menschen sein persönliches Ich in dem Grund des Nichts erhalten?«).

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reine Gute, das in sich selber in seiner uneingeschränkten Weite schwebt, und das ist Gott«).82 Erneut betont Seuse also die Verschiedenheit der Perspektiven, das ›Inquantum‹. Aus der epistemologischen Perspektive geht es um die die mystische Einung charakterisierende Erkenntnis. Sie hat einen einzigen, nämlich den göttlichen, Grund. Denn in der mystischen Erfahrung sieht der Mensch mit dem göttlichen Licht, dem er die eigene Perspektive nicht mehr in den Weg stellt; daher nimmt er keine weitere Verschiedenheit mehr wahr. In der gerade zitierten Passage bezieht sich Seuse darauf mit dem Ausdruck inswebender inblick auf das, was Rüdiger Blumrich mit »während der inneren Schau« übersetzt. Es handelt sich dabei um den auf das Innere gerichteten Blick, um die Tätigkeit der von Gott erleuchteten – und ihrer e i g e n e n Tätigkeit entledigten – menschlichen Vernunft. Aus der ontologischen Perspektive behält der Mensch seine Kreatürlichkeit und sein persönliches Sein. Das Zitat des Augustinus soll Seuses Ausführungen Autorität verleihen: Lässt man die Mannigfaltigkeit, dis und daz gůt (»dieses oder jenes Gut«), bei Seite und richtet man den Blick allein auf dasjenige, was darin gut ist, so erkennt man das reine Gut, das Gott ist. Gleicherweise gilt es: Lässt man die jeweilige Partikularität außer Acht, dann vermag die Gegenwart Gottes in der menschlichen Seele die Einung zu stiften, ähnlich wie es sich im Beispiel des Sehens verhält, wo das Gesehene und das sehende Auge geeint – und damit gewissermaßen ›eins‹ – sind. Geht es aber um das Sein des Gesehenen und des sehenden Auges, so sind sie doch voneinander verschieden, so wie dies ja auch bei Gott und Mensch der Fall ist. Auf diese Weise wird verständlich, dass der Mensch in der »Ekstase« (entgangunge) sich in daz eine hat vergangen und eins ist worden (»sich in das Eine entäußert hat und eins geworden ist«). Durch seine Vereinigung mit Gott ist der Mensch nämlich sozusagen vergangen, denn da wúrket der mensch nút als mensch (»da wirkt der Mensch nicht als Mensch«). Er 82. Ibid., 350,23-8. Vgl. Augustinus, De trinitate, VIII, c. 3, n. 4, ed. W. J. Mountain (Turnhout, 1968) (CCL 50), 272,15-7: Tolle hoc et illud, et uide ipsum bonum, si potes; ita deum uidebis, non alio bono bonum, sed bonum onmis boni. Seuse folgt allerdings nicht Augustinus‘ Text, sondern scheint Meister Eckhart, BgT (DW V 25,1-3), wörtlich zu zitieren: Sant Augustînus sprichet: hebe ûf diz und daz guot, sô blîbet lûter güete in ir selber swebende in sîner blôzen wîte: daz ist got (»Sankt Augustinus spricht: Nimm weg dies und das Gute, so bleibt die lautere Gutheit in sich selbst schwebend in ihrer bloßen Weite: das ist Gott«).

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erhält nun alles von Gott und, wie Gott selbst auch, »hat er alle Kreaturen in Einheit in sich«. Er erfährt alles Glück, denn Gott ist die vollständige Freude. Auch wirkt er nicht mehr von sich aus, sondern Gott selbst wirkt in ihm. In diesem gemeinsamen Wirken (mitwúrken) hat der Mensch aufgehört, selbst tätig zu sein, vielmehr empfängt und ›erleidet‹ er das Wirken Gottes.83 »Nach ›vereinter Weise‹« (nach der vereinter wise), d. h. in der Einheit oder mit Gott geeint, trägt der Mensch, so Seuse, seine leibliche Existenz uf der erde (»auf der Erde«), befindet sich aber zugleich úber zit (»jenseits des Zeitlichen«), dort nämlich, da sich dis niht nússet und geberlich ist (»worin dieses Nichts sich genießt und gebärend wirkt«).84 Es handelt sich dabei sicherlich um eine Anspielung auf das innertrinitarische Leben, in welchem die Fruchtbarkeit das Gebären des Sohnes bezeichnet und dieser ›Genuss seiner selbst‹ die freudige Liebe des Vaters und des Sohnes meint, welche den Geist aushaucht. Die »Einung« (vereinunge) des Menschen mit Gott beschreibt Seuse nun wie folgt: Daz wesen der sele wirt vereinet mit wesenne des nihtes, und die krefte der sele mit werken des nihtes, die werk daz niht hat in im selben (»Das Wesen der Seele wird mit dem Wesen des Nichts vereint und die Kräfte der Seele mit dem Wirken des Nichts, das dieses in sich selbst

83. Vgl. Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 344,8-18: E i n f ra g e : Wie ist es aber umb daz mitwúrken des menschen mit gotte? // E n t w ú r t : Daz da von gesprochen ist, daz ist nit ze verstenne nach blozser hellunge, als dú wort hellent nach gemeiner rede, es ist ze nemenne nach der entgangunge, da der mensch im selber nút ist bliben und sich in daz eine hat vergangen und eins ist worden; und da wúrket der mensch nút als mensch. Und us disem grunde ist ze verstenne, wie dirre mensch in ime hat alle kreaturen in einikeite und alle wolluste, ja dennoch, die man hat in liplichen werken, ane liplichú und geistlichú werk, wan er ist es selber in der vor gesprochenner einikeit (»E i n e Fr a g e : Was hat es mit dem Mitwirken des Menschen mit Gott auf sich? // A n t w o r t : Das Gesagte ist nicht nach seinem äußeren Wortlaut zu verstehen, so wie man die Worte gemeinhin auffaßt, vielmehr im Sinn des Sich-abhanden-Kommens, in dem der Mensch nicht er selbst geblieben ist, sondern sich in das Eine entäußert hat und eins geworden ist. Da wirkt der Mensch nicht als Mensch. Aus diesem Grund kann man verstehen, wie dieser Mensch alle Kreaturen in Einheit in sich hat und jede Lust, auch die, die aus körperlicher Tätigkeit kommt, selbst ohne körperliches oder geistiges Tun, denn er ist es selbst in der genannten Einheit«). 84. Vgl. ibid., 347,7-12: E i n f ra g e : Mag sich der mensch dis niht verstan in disem zite? // E n t w ú r t : Nach geistes wise verstan ich nit, daz es mug sin; aber nach der vereinter wise so verstat er sich vereinet in dem, da sich dis niht nússet und geberlich ist. Dis ist wol, so der lip uf der erde ist nach gemeiner rede, aber der mensch ist úber zit (»E i n e Fr a g e : Kann der Mensch dieses Nichts in dieser Zeit erkennen? // A n t w o r t : In der Weise unseres Geistes sehe ich nicht, wie es möglich ist. Aber nach ›vereinter Weise‹ erkennt er sich geeint in dem, worin dieses Nichts sich genießt und gebärend wirkt. Und dies geschieht, wenn der Leib, wie man sagt, noch auf der Erde weilt, der Mensch aber jenseits des Zeitlichen ist«).

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hat«).85 Das dabei gebrauchte Passiv soll betonen, dass nicht die menschliche Seele selbst, sondern allein Gott aktiv ist. Diese These weist eine große Ähnlichkeit mit der von Eckhart in seiner Kölner Responsio vertretenen Position auf.86 Eckhart hebt dort hervor, dass Gott im Innersten des Menschen wirklich präsent ist, wo das göttliche Wesen ohne Vermittlung empfangen wird.87 Und sein Schüler Seuse nimmt diese Position dann wieder auf. In der mystischen Einung wird Gott im Wesen der Seele gegenwärtig. Der Grund der Seele und der Grund Gottes bilden dann einen einzigen Grund, da die menschliche Seele als solche abgründig geworden ist, so dass sie ausschließlich von dem erhalten und getragen wird, der ihr das Sein und das Leben gibt. Hier werden Eigentümlichkeit, Besonderheit und Verschiedenheit der jeweiligen menschlichen Seele außer Acht gelassen und die Seelenvermögen empfangen all ihr Kraft als ein »Wirken des Nichts«.88 Deshalb geschieht in jenen Menschen im Grunde immer nur e i n e i n z i g e s Wirken, denn im Hinblick auf die Einung gibt es nur e i n e Geburt und e i n e n Grund: Und dar umb dem menschen, dem hie reht beschiht, der wúrket niemer werk me denne ein werk; wan es ist ein geburt und ein grunt, ja nach vereinunge (»Darum wirkt der Mensch, dem dies widerfährt, nur mehr ein Werk; denn hinsichtlich der Vereinigung gibt es nur noch eine Geburt und einen Grund«).89 Die radikale Position Seuses impliziert also, dass in dem Menschen, der aus Gott geboren ist und in disem nihte sich also verlorn hat (»sich im diesem Nichts verloren hat«), allein Gott

85. Ibid., 347,15-7. 86. Acta Echardiana, n. 48 (Responsio) (LW V 303,2-5) (Proc. Col. I, n. 147): Verum est tamen, sicut ibidem dicitur, quod deus sub ratione veri capitur ab intellectu, sub ratione boni a voluntate, quae sunt potentiae in anima, ratione esse illabitur essentie anime (»Wahr jedoch ist, wie es dort heißt, dass Gott als Wahrheit erfasst wird vom Verstand und als Gutheit vom Willen – also von Kräften in der Seele, unter der Rücksicht des Seins aber dringt er in das Wesen der Seele ein«). Siehe noch ibid. (347,5-9) (Proc. Col. II, n. 122); Sermo XXIV, n. 249 (LW IV 227,11-2); In Ioh., n. 581 (LW III 508,11) und n. 585 (513,4-5). 87. So auch öfter, etwa id., Pr. 101 (DW IV,1 345,50-3): in dem grunde dâ ist ›daz mittel swîgen‹. [...]. Wan daz enist von natûre nihtes enpfenclich dan aleine des götlichen wesens âne allez mittel (»der Grund [der Seele] ist der Ort, wo ›jegliche Vermittlung schweigt‹. [...]. Denn es kann durch Natur dort nichts anderes empfangen werden als allein und unmittelbar das göttliche Wesen«). 88. Vgl. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 347,15-7: Daz wesen der sele wirt vereinet mit wesenne des nihtes, und die krefte der sele mit werken des nihtes, die werk daz niht hat in im selben (»Das Wesen der Seele wird mit dem Wesen des Nichts vereint und die Kräfte der Seele mit dem Wirken des Nichts, das dieses in sich selbst hat«). 89. Ibid., 348,2-4.

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wirkt.90 In Gott versunken wirken die Kräfte der Seele Gottes Werk. Wie es auch Eckhart formuliert hat, wirken diese Kräfte ein einziges Werk, in dem Sinne nämlich, dass Gottes Einheit und Einfachheit dem Wesen und dem Wirken der Seele zugrunde liegt.91 Seuse diskutiert verschiedene seine Position angehende Einwände. Es könnte etwa gefragt werden, wie es möglich sei, dass der Mensch in der Einung ein einziges Wirken habe, wenn doch selbst Christus in der Fleischwerdung zwei Wirkweisen – menschlich und göttlich – gehabt habe. In seiner Antwort auf diese Frage gebraucht Seuse die erste Person, was deutlich zeigt, dass er eben seine eigene Position zum Ausdruck bringen will: Ich achte, daz der mensch nit me wúrke denn ein werk, der nit sehens hat zů keinem werke, núwan als dú ewige geburt es wúrket. Gebere got sinen sun nit ane underlaz, Cristus hette naturlich werk nie gewúrket. Da von ahte ich es nit wan ein werk, man welle es denne nemen nach menschlicher verstentnúst. (Ich behaupte, dass der Mensch, der auf kein anderes Wirken als das der ewigen Geburt achtet, nur mehr ein Werk wirkt. Würde Gott seinen Sohn nicht ununterbrochen gebären, hätte Christus nie ein natürliches Werk vollbracht. Deshalb erachte ich es nur als ein Werk, außer man begreift es mit dem menschlichen Verstand).92 Dabei betont Seuse wiederum die Verschiedenheit der Perspektiven (das ›inquantum‹) als Schlüssel zur Lösung des vorgebrachten Einwandes. Betrachtet man das Wirken vom Aspekt der Einheit her, so bleibt nur ein einziges Wirken, bei dem der Mensch allein vom Wirken der ewigen Geburt her bestimmt ist, d. h. von der Zeugung des Wortes im göttlichen Intellekt, mit welcher zusammen auch alle Dinge ausgesprochen und ins Leben gerufen werden.93 Interessant ist, dass Seuse wiederum auf Jesus 90. Vgl. ibid., 349,21-3: aber nochdenne, so man in disem nihte sich also verlorn hat, so wúrkent die krefte daz, daz ir ursprung ist (»Aber wenn man sich in diesem Nichts verloren hat, wirken die Kräfte das, was ihr Ursprung ist«). 91. Vgl. Eckhart, In Gen. I, n. 12 (LW I,1 195,10-196,2 [Rec. CT]; LW I,2 69,23-7 [Rec. L]). Siehe auch id., Pr. 101 (DW IV,1 358,139): Got würket alliu sîniu werk in im selber und ûz im selber in einem blicke (»Gott wirkt all seine Werke in ihm selber und aus ihm selber in einem Augenblick«). 92. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 348,7-11. 93. Vgl. Eckhart, In Gen. I, n. 7 (LW I,1 190,11-191,5 [Rec. CT]; LW I,2 65,17-22 [Rec. L]): Simul enim et semel quo deus fuit, quo filium sibi coaeternum per omnia aequalem deum genuit, etiam mundum creavit, Iob: ›Semel loquitur deus‹. Loquitur autem filium generando, quia filius est verbum;

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Christus als Modell zum Verständnis der Einheit/Einung zwischen Gott und Mensch verweist, bei der es weder totale Identität noch Trennung gibt. Aus der Perspektive der Einheit muss man sagen, dass das natürliche Wirken Christi allein auf der ewigen Zeugung gründet: auf einer Zeugung nämlich, die ein stets gegenwärtiges ›Jetzt‹ darstellt, ohne welche es weder Schöpfung noch Fleischwerdung gegeben hätte und somit auch kein natürliches Wirken in Jesus überhaupt. Von der Perspektive aber des menschlichen Verstandes her betrachtet, der allein die Welt der Vielheit und der Besonderheit des ›Dies-und-jenes‹ kennt, gibt es im Menschen Jesus trotz seiner hypostatischen Union mit Gott zugleich verschiedene Wirkungsweisen. Ein zweiter von Seuse diskutierter Einwand besagt, dass entsprechend dem, was die heidenschen meister sagen, enkein ding ensetzet wirt siner eigenen wúrkunge (»das Wirken eines Dinges werde nie aufgehoben«),94 so dass auch der mit Gott geeinte Mensch sein eigenes Wirken nicht verlieren könne. Er begegnet diesem Einwand, indem er sagt, dass in der mystischen Einung das menschliche Wirken nicht aufgehoben wird, sondern nur unangesehen (»außer Betracht«) bleibt.95 Es geht dabei um eine zweite Geburt, eine widergeburt, die ausschließlich den Menschen betrifft.96 Wird sie vollständig erreicht, geschieht es wie mit dem loquitur etiam creaturas creando, Psalmus: ›Dixit et facta sunt, mandavit et creata sunt‹. Hinc est quod in alio Psalmo dicitur: ›semel locutus est deus, duo haec audivi‹. ›Duo‹, inquam, c a e l u m e t t e r ra m , vel potius ›duo haec‹, scilicet personarum emanationem et mundi creationem (»In demselben und einen [Jetzt] nämlich, in dem Gott war und in dem er den ihm gleich ewigen, den durchaus gottgleichen Sohn zeugte, schuf er auch die Welt: ›einmal spricht Gott‹. Er spricht aber in der Zeugung des Sohnes, weil der Sohn das Wort ist. Er spricht auch in der Schöpfung der Kreaturen: ›er sprach, und sie wurden gemacht, er gebot, und sie wurden geschaffen‹. Daher heißt es in einem anderen Psalm: ›einmal hat Gott gesprochen, diese zwei hörte ich‹. ›Zwei‹, nämlich H i m m e l u n d E r d e , oder vielmehr ›diese zwei‹, nämlich das Ausfließen der Personen und die Schöpfung der Welt«). 94. Vgl. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), c. 5, 348,12-4: Nu sprechent doch die heidenschen meister, daz enkein ding entsetzet wirt siner eigener wúrkunge (»Aber die Philosophen sagen doch, dass »das Wirken eines Dinges nie aufgehoben wird««). Vgl. Aristoteles, Physica II, 6, 197 b 25-7; id., De caelo et mundo, II 3, 286 a 8-9. Siehe ebenfalls Eckhart, Sermo XXXIII, n. 332 (LW IV 290,5-6): Nihil enim destituitur propria operatione (»Denn nichts entbehrt die ihm eigene Tätigkeit«). 95. Vgl. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), 348,15-6: Der mensch wirt nit entsetzet siner eigenen wúrkunge, mer si blibet da unangesehen nach der wise (»Der Mensch verliert nicht sein Wirken, jedoch bleibt es hinsichtlich dieser Weise außer Betracht«). 96. Vgl. ibid. 349,6-11: Die ewigen geburt heiss ich die einigen kraft, in der ellú ding und aller dingen sachen hein, daz sú sint und daz sú sachen sint. Aber die widergeburt, dú deme menschen allein zů gehoͤ ret, heis ich ein widerlenken eins ieklichen dinges, daz gevellet, wider in den ursprung, ze nemenne nach dez ursprunges wise, ane alles eigen anesehen (»Als ›ewige Geburt‹ bezeichne ich die einigende

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Branntwein: der hat nit minre materilicheit, ein kreftiger und stiller uswúrken, denne der win, der in siner ersten geburte ist bliben (»der nicht weniger Materialität hat, aber kräftigerer und stiller wirkt als der Wein, der in seiner ersten Geburt geblieben ist«).97 Hat sich die widergeburt im Menschen erst einmal ereignet, so geschieht es in analoger Weise, daz dú nature wúrket in dem menschen als in eime vernúnftigen tiere solichú werk, die zů dez menschen lebenne hoͤ rent (»dass die Natur im Menschen als vernünftigem Lebewesen dies Werk, das zum menschlichen Leben gehört, wirkt«),98 jetzt allerdings so, dass er sich nicht mehr wie die Tiere nach seinen Instinkten richtet. Die Person unternimmt nun nichts mehr in wúrkender wise (»in wirkender Weise«), so wie sie es vor der Wiedergeburt tat, sondern wirkt in besitzender wise (»in besitzender Weise«). Es geht dabei um eine verinnerlichte Form des Tuns, die weder eine spezielle Aufmerksamkeit erfordert, noch von der Vereinigung mit Gott ablenkt.99 In der Einung oder dem Eins-Werden verliert sich der Mensch also gewissermaßen selbst, er büßt die Erkenntnis und jegliche Ausübung seiner Kreatürlichkeit ein.100 6. Schluss Wir konnten zeigen, dass Seuse die von Eckhart in dessen Predigten 101-104 behandelten Themen wieder aufnimmt und anhand eigener Reflexion über die Bedeutung und die Grenzen der darin diskutierten Probleme vertieft.

Kraft, in der alle Dinge und die Ursachen aller Dinge das besitzen, dass sie sind und dass sie Ursachen sind. Aber als ›Wiedergeburt‹, die nur dem Menschen zu eigen ist, bezeichne ich das Rückkehren eines jeden Dinges, das es gibt, in seinen Ursprung, begriffen in der Weise des Ursprungs und ohne eine Rücksicht auf das ihm Eigene«). Vgl. auch ibid., c. 6, 355,7-13, wo Seuse sich eindeutig auf Eckhart, In Ioh., n. 123 (LW III 107,9-14) bezieht (Der meister sprichet). 97. Heinrich Seuse, Büchlein der Wahrheit, ed. K. Bihlmeyer (1907/1961), 349,1-3. 98. Ibid., 348,24-6. 99. Vgl. ibid., 348,26-8: und hat der mensch neiswie nút me ze tunne, ja in wúrkender wise, als er hatte vor siner urstendi; mer in besitzender wise so wúrket es disú werk (»und der Mensch hat nichts mehr zu tun in wirkender Weise, wie es vor der Wiedergeburt der Fall war, sondern wirkt dies Werk in besitzender Weise«). 100. Vgl. ibid., 349,17-9: [...] dú sele in der innemunge vergat nach bekentnússe und aller ir kreatúrlichen gebruchunge [...] (»[...] die Seele verliert im Eins-Werden die Erkenntnis und jegliche Ausübung ihrer Kreatürlichkeit [...]«).

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Zum einen präzisiert er den Aspekt der für die mystische Erfahrung kennzeichnenden ›Unwissenheit‹. Sie versteht Seuse als eine über den Widerspruchsatz hinausgehende Erfahrung: um eine nichts-wissende Erkenntnis, bei der alles in seinem Ursprung, in der göttlichen Einheit – im Nichts-Sehen – wahrgenommen wird, somit nicht als etwas Geschaffenes und Besonderes. Die Besonderheit wird dabei aber nicht vernichtet, sondern bloß außer Acht gelassen. Zum anderen weist Seuse, und zwar mit größerer Klarheit als sein Vorgänger und Lehrer Eckhart, auf die trinitarische Dynamik hin, die diesem Prozess zugrunde liegt. Grund und Ergebnis der Einung ist das unaussprechliche Mysterium, das er als ›Nichts‹ bezeichnet, konkret: das Wesen Gottes (d.h. die Gottheit, der Grund oder Abgrund der göttlichen Unendlichkeit). Wer es also wagt, Christus in seiner Menschlichkeit zu folgen (die Betonung der Menschlichkeit ist auch Seuses besonderer Beitrag), dem wird es gestattet, mit ihm auch in seiner Göttlichkeit einzuwohnen; er ist dann vom Vater gezeugt als Sohn im Sohn. Zusammen mit den göttlichen Personen verliert er sich selbst und nimmt am immanenten innertrinitarischen Leben teil sowie am Denken, mit dem Gott sich selbst denkt und die Dreifaltigkeit und überhaupt jede Verschiedenheit als Eines gedacht wird. Der so verwandelte Mensch genießt eingetaucht in den Einen und mit ihm die ewige Seligkeit. Der wesentliche Beitrag unseres Autors besteht also in der Art und Weise, wie er »das Einssein im Einen« (eins in eime) erörtert, d. h. die Einheit und Unterschiedslosigkeit von Mensch und Gott in der mystischen Erfahrung. Für das Verständnis seiner Position kommt dem Begriff ›inquantum‹ eine entscheidende Rolle zu. Einheit – jede(r) ist nämlich ›Eines‹ in Gott – und Besonderheit – denn weder hört die Kreatur auf, Kreatur zu sein, noch hört Gott auf, Gott zu sein – bestehen gleichzeitig, da es allein auf die Perspektive ankommt, von der aus der Sachverhalt betrachtet wird. Bei der Einung zwischen Gott und der menschlichen Seele verhält es sich ähnlich, wie es sich beim dreifaltigen Gott verhält, der Einheit (vom Wesen her) und zugleich Dreiheit (von seinen wesentlichen Beziehungen her) ist. Analog verhält es sich auch beim Sehen, wo das sehende Subjekt und das gesehene Objekt eins und zugleich verschieden sind. Aus der Perspektive der Einheit bleibt zwar die Unterschiedenheit oder Besonderheit bestehen, welche jedoch außer Acht gelassen wird. Die Aussage, der Mensch sei »eins im Einen« (eins in eime) bedeutet

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somit keinen Verlust im Sinne einer Aufhebung der menschlichen Natur in der Einheit/Einung, vielmehr handelt es sich dabei um ein Losgelöstsein und eine Ent-Eignung (um den ›Tod des Geistes‹). Der Mensch wird in einen Zustand versetzt wird, in dem man ganz von einem Anderen getragen wird, der f ü r den ent-eigneten Menschen wirkt. Dasselbe Verständnis gilt für die höchste Einung zwischen Gott und Mensch: die hypostatische Einheit, in welcher die Menschheit Jesu das ›Instrument‹ der Gottheit war, ohne dass eine absolute Identität oder Trennung beider Naturen existierte. Hinsichtlich der ›Versenkung in Gott‹ wird der Mensch als ›Eines‹ im Einen erfahren, jedoch ohne dass dies seiner Kreatürlichkeit Abbruch täte. Die Unterschiedslosigkeit betrifft somit allein die Erkenntnis, nicht das Sein. Die Frage, ob dieses Verständnis auch für Meister Eckhart zutreffend wäre, muss allerdings offen gelassen werden. In seiner Kölner Responsio und in seinem lateinischen Werk finden wir es. In seinen deutschen Predigten begegnet uns jedoch ein Verständnis der Einung, das radikaler als dasjenige Seuses ist. Aber ist es nicht auch möglich, dass Seuse eine viel tiefere – weil direktere – Einsicht in die Absichten und Lehren seines Meisters gewinnen konnte, als wir sie siebenhundert Jahre später überhaupt erreichen können, zumal das Werk Eckharts uns heute nicht vollständig vorliegt? In jedem Fall vermag Seuses Synthese die Erfahrung der Einung mit Gott ohne Unterscheidung zu denken, ohne zugleich postulieren zu müssen, dass die menschliche Natur in derselben aufgehoben wird, sondern welche vielmehr eben dadurch zu ihrer Fülle und Erfüllung findet.

Constat autem, si haberet subiectum species, quod anima esset eius subiectum. Zum Intellektbegriff bei Eriugena, Eckhart und Cusanus Harald Schwaetzer, Bernkastel-Kues

Abstract The paper discusses a more or less Neoplatonic path of the metamorphosis of the intellect. It starts from the ancient mysteries, where intellect, recognized as a sense, perceives the Goddess as divine light. In Eriugena, intellect is described on the one hand as an angelic power, man participates in it by grace. On the other hand, the Periphyseon forms a theory of an individualized intellect, especially with regard to the saints. From Eriugena to Cusanus the discussion of the intellect is based more and more on a transcendental realm (in the Kantian sense of the word), without neglecting its transcendent roots. In this context, the paper argues for an understanding of Eckhart’s theory of intellect that aims at a modern subjectivity with one specific difference: the soul is not considered as the cause, but only as the locus of the ideas (thus being aware of the non-subjective, transcendent source of cognition). At least, as it is shown in the last part, Nicholas of Cusa pursues this idea in his concept. Both Eckhart and Cusanus thus offer a new inspiring perspective of the relation between intellect and imagination, leading directly to the discussion of philosophy and painting in the 15th century.

»E

riugena played a key role in originating […] one of the most important traditions of later Western mysticism, dialectical Platonic mysticism that is to be found in thinkers like Meister Eckhart and Nicholas of Cusa.«1 1. Bernard McGinn, The Growth of Mysticism: From Gregory the Great to the Twelfth Century (London, 1995), 81.

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Diese von Bernhard McGinn so trefflich beschriebene Linie erfährt in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit. Die Grundlagen in diesem Bereich haben die Arbeiten von Werner Beierwaltes gelegt.2 Unter den jüngeren Beiträgen hat Donald F. Duclow in seinen Betrachtungen noch stärker die Rolle des Intellekts in dieser Tradition akzentuiert und die docta ignorantia als Leitmotiv für die gemeinsame Denkbewegung von Eriugena, Eckhart und Cusanus gewählt.3 Agnieszka Kijewska hat ausgehend von einer Studie zum Intellektbegriff von Eriugena und Cusanus4 eine Tagung dazu angeregt, die inzwischen auch publiziert ist.5 Auch das Verhältnis von Eckhart zu Cusanus ist insbesondere in den letzten Jahren intensiver untersucht worden.6 Die grundsätzliche Bedeutung dieser philosophischen Entwicklung würdigte im französischen Raum zuletzt eine großangelegte Enzyklopädie.7 1. Der Geist der Mysterien und das endliche Subjekt Eine Beschreibung des Intellektverständnisses kann verschiedene Wege wählen. Hier soll damit eingesetzt werden, dass darauf hingewiesen wird, 2. Werner Beierwaltes, Denken des Einen: Studien zum Neuplatonismus und dessen Wirkungsgeschichte (Frankfurt a.M., 1985); id., Eriugena: Grundzüge seines Denkens (Frankfurt a.M., 1994); id., »Theophanie: Nicolaus Cusanus und Johannes Scottus Eriugena«, in: K. Reinhardt und H. Schwaetzer (Hgg.), Nikolaus von Kues in der Geschichte des Platonismus (Regensburg, 2007), 103-33. In dieser Linie steht auch die Arbeit von Anke Eisenkopf, Zahl und Erkenntnis bei Nikolaus von Kues (Regensburg, 2007). 3. Donald F. Duclow, Master of Learned Ignorance: Eriugena, Eckhart, Cusanus (Aldershot/ Burlington, 2006). 4. Agnieszka Kijewska, »Conception of Intellect in Eriugena and Cusanus«, in: K. Reinhardt und H. Schwaetzer (Hgg.), Ein bewundernswerter historischer Brennpunkt: Philosophische Tradition und wissenschaftliche Rezeption (Regensburg, 2008), 11-20. 5. A. Kijewska, R. Majeran und H. Schwaetzer (Hgg.), Eriugena – Cusanus (Lublin, 2011); vgl. darin vor allem, was die Rezeption betrifft: Donald F. Duclow, »Coinciding in the Margins: Cusanus Glosses Eriugena«, in: A. Kijewska, R. Majeran und H. Schwaetzer, Eriugena – Cusanus (2011), 83-103. 6. Harald Schwaetzer und Marie-Anne Vannier (Hgg.), Zum Subjektbegriff bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (Münster, 2011); Georg Steer und Harald Schwaetzer (Hgg.), Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (Stuttgart, 2011) (MEJb 4); zu den Cusanus-Marginalien vgl. was Eckhart betrifft: Stefanie Forst, Nikolaus von Kues und Meister Eckhart: Rezeption im Spiegel der Marginalien zum Opus tripartitum Meister Eckharts (Münster, 2006); ferner: Harald Schwaetzer, »Viva imago Dei: Überlegungen zum Ursprung eines anthropologischen Grundprinzips bei Nicolaus Cusanus«, in: I. Bocken und id. (Hgg.), Spiegel und Porträt: Zur Bedeutung zweier zentraler Bilder im Werk des Nikolaus von Kues (Maastricht, 2005), 113-32; Johann Kreuzer, »Der Geist als lebendiger Spiegel: Zur Theorie des Intellekts bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues«, in: H. Schwaetzer und G. Steer (Hgg.), Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (2011), 49-66. 7. M.-A. Vannier u.a. (Hgg.), Encyclopédie des mystiques rhénans d’Eckhart à Nicolas de Cues et leur réception (Paris, 2011).

Zum Intellektbegriff bei Eriugena, Eckhart und Cusanus

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dass bereits Eriugena den Intellektbegriff in einer Weise aufgreift, dass demselben ein bestimmtes Problem inhärent ist. Dieses Problem soll in einem ersten Schritt beschrieben werden. Eriugenas Rückgriff auf die Spätantike zielt vor allem auf zwei Positionen. Sein Denken ist mit dem Neuplatonismus der ersten christlichen Jahrhunderte, und insbesondere mit den Bestrebungen, Philosophie und Theurgie in eine intellektuelle Verknüpfung zu bringen, wie sie etwa bei Iamblich vorliegen, verbunden. Daraus ergeben sich bestimmte Einsichten, die für eine Behandlung des Intellektbegriffs von Eriugena bis Cusanus gleichsam den Hintergrund bilden. So hält Stephen Gersh fest – darauf hat schon Agnieszka Kijewska8 hingewiesen: »For Iamblichus and his successors in the schools of pagan Neoplatonism the spiritual world is not only a hierarchy of causation but also one of cognition. These two aspects represent what we might term the objective and subjective sides of the system.«9 Was also von der Spätantike her die Debatte prägt, ist auf der einen Seite ein reales Verhältnis der Erkenntnis zu einer als real verstandenen geistigen Welt (dieses als ein Erbe der Theurgie und Einweihungstradition), aber auf der anderen Seite eine Subjektivität eben dieses Erkenntnisvorgangs. Diese beiden Seiten seien noch ein wenig genauer konturiert. Beginnt man mit der ersteren, so steht in der Tradition der antiken Mysterien außer Frage, dass Einweihung ein Geschehen ist, welches eine unmittelbare Begegnung mit göttlich-geistigen Wesen vermittelt. Dabei steht aber ebenso außer Frage, dass der Moment einer solchen Ekstase in einem strengen Sinne als »Außer-Sich-Sein« verstanden worden ist. Mit dem in diesem Zusammenhang gern assoziierten Begriff der Selbstaufgabe oder verwandten Termini ist dieser Sachverhalt nur begrenzt zutreffend beschrieben. Denn es handelt sich nicht darum, dass der Mensch keine individuelle geistige Substanz sei. Es ist nur gemeint, dass diese individuelle geistige Substanz im Erleben des Real-Geistigen kein Bewusstsein ihrer selbst hat. Die Erfahrung dieses Vorganges des Bewusstseinsverlustes in ein überwaches Geistiges hinein wird u.a. mit dem griechischen Terminus ܻȝijȚijĮȒȢ (amphiphaes), des Ringsumleuchtenden,

8. Agnieszka Kijewska, »Conception of Intellect« (2008), 8-20. 9. Stephen Gersh, From Iamblichus to Eriugena: An Investigation of the Prehistory and Evolution of the Pseudo-Dionysian Tradition (Leiden, 1978), 82.

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beschrieben.10 Der Vorgang selbst stellt sich als eine Art Inkubation einer Gottheit dar. In der Inkubation ersetzt deren Bewusstsein das Bewusstsein des Einzuweihenden.11 Dass diese Tradition ganz ursprünglich die Grundlage für ein Konzept von Intellekt zu bilden vermag, verdeutlicht schon der erste Spruch der sogenannten »Chaldaeischen Orakel«, die das Grundbuch dieser neuplatonischen Strömung bildeten: Denn es gibt etwas Intelligibles, das man mit der Blüte des Intellektes denken muss; denn wenn man seinen Intellekt hinneigt und jenes denkt, als ob man etwas denkt, dann wird man nicht jenes denken; es ist nämlich ringsumleuchtender Stärke Kraft, blitzend mit intellektualen Schnitten. Also muss man jenes Intelligible nicht mit Gewalt denken, sondern mit zarten Intellektes zarter Flamme, die alles misst, außer jenem Intelligiblen; man muss es also nicht angespannt denken, sondern, indem man das keusche Auge abgewandt lenkt, den leeren Intellekt der Seele auf das Intelligbile richten, um das Intelligible zu erkennen, da es außerhalb des Intellekts ist.12 »Ringsumleuchtender Stärke Kraft« ist eine Definition von Intellekt, die auf ihre Weise in der Tradition fortleben wird. Auch der zart-keusche Vorgang der Erkenntnis des Intelligiblen, welches, ganz im Sinne des Aristoteles, außerhalb des Intellektes selbst ist (so wie die Farbe nicht im Auge sein kann), stellt einen der Grundzüge neuplatonischen Intellektdenkens dar. Aber vor allem ist es der Bezug zu einer realen geistigen Erfahrung, der unstrittig das proprium einer solchen Intellektform ausmacht.13 10. Vgl. Helmut Seng, »ਝȝijȚijĮȒȢ: Facetten einer chaldaeischen Vokabel«, in: id. und M. Tadieu (Hgg.), Die Chaldaeischen Orakel: Kontext – Interpretation – Rezeption (Heidelberg, 2010), 235-254. 11. Vgl. dazu: Lutz Bergemann, »Inkubation, Photagogie und Seelengefährt bei Iamblich: Zum Zusammenhang von Mystik, Ritual und Metaphysik in Iamblichs De mysteriis und den Chaldaeischen Orakeln«, in: H. Seng und M. Tadieu (Hgg.), Die Chaldaeischen Orakel (2010), 79-92. Zum weiteren Kontext vgl. Lutz Bergemann, Kraftmetaphysik und Mysterienkult im Neuplatonismus: Ein Aspekt neuplatonischer Philosophie (München, 2006). 12. OC 1 in der Übersetzung von Helmut Seng, »ਝȝijȚijĮȒȢ« (2010), 236 (‫ݕ‬ıIJȚȞ ȖȐȡ IJȚ ȞȠȘIJȩȞ‫ݺ‬ȤȡȒıİȞȠİ߿ȞȞȩȠȣܿȞșİȚ‫ݙ‬ȞȖ‫ޟ‬ȡ‫݋‬ʌİȖțȜȓȞ߯ȢıާȞȞȠࠎȞțܻțİ߿ȞȠȞȠȒı߯Ȣ‫ޔ‬ȢIJȚȞȠࠛȞȠ‫ރ‬ țİ߿ȞȠ ȞȠȒıİȚȢÂ ‫ݏ‬ıIJȚ Ȗ‫ޟ‬ȡ ܻȜț߱Ȣ  ܻȝijȚijĮȠࠎȢ įȪȞĮȝȚȢȞȠİȡĮ߿ȢıIJȡȐʌIJȠȣıĮ IJȠȝĮ߿ıȚȞ  ȅ‫ ރ‬į‫ ޣ‬Ȥȡ‫ޣ‬ ıijȠįȡȩIJȘIJȚ ȞȠİ߿Ȟ IJާ ȞȠȘIJާȞ ‫݋‬țİ߿ȞȠ  ܻȜȜ‫ ޟ‬ȞȩȠȣ IJĮȞĮȠࠎ IJĮȞĮ߲ ijȜȠȖ‫ ޥ‬ʌȐȞIJĮ ȝİIJȡȠȪı߯  ʌȜ‫ޣ‬Ȟ IJާ ȞȠȘIJާȞ‫݋‬țİ߿ȞȠȤȡİޫį‫ޣ‬IJȠࠎIJȠȞȠ߱ıĮȚȠ‫ރ‬țܻIJİȞࠛȢܻȜȜ¶ܼȖȞާȞܻʌȩıIJȡȠijȠȞ‫ݻ‬ȝȝĮijȑȡȠȞIJĮı߱Ȣ ȥȣȤ߱ȢIJİ߿ȞĮȚțİȞİާȞȞȩȠȞİ‫ݧ‬ȢIJާȞȠȘIJȩȞ‫ݻ‬ijȡĮȝȐș߯ȢIJާȞȠȘIJȩȞ‫݋‬ʌİ‫ޥ‬ȞȩȠȣ‫ݏ‬ȟȦ‫ބ‬ʌȐȡȤİȚ). 13. Man kann im Übrigen auch auf die Patristik schauen, die Kobusch als Herkunftskontext bei Eckhart ausmacht. »Metaphysik im Sinne der Epoptie ist von nun an immer die Schau des

Zum Intellektbegriff bei Eriugena, Eckhart und Cusanus

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Hat man in der Mysterienphilosophie zwar durchaus eine Wertschätzung der individuellen Substanz, so spielt doch das individuelle Bewusstsein darin keine Rolle. Ganz anders ist dieses Verhältnis bei Augustinus, der als andere Quelle der hier zu besprechenden Linie genannt werden muss.14 Augustinus widmet dem subjektiven Bewusstsein und seiner Selbstkonstitution sehr viel Aufmerksamkeit, so sehr, dass er sicherlich als einer der frühesten Theoretiker eines auf sich selbst begründeten endlichen Bewusstseins verstanden werden darf.15 Den platonischen Begriff der memoria wendet er dezidiert nicht an, um dadurch zu seiner jenseitigen Ideenschau zu kommen, sondern um aus dem Erinnerungsstrom des endlichen Lebens eine identitätsbildende Entität desselben zu bilden. Die Spannung, die sich aus diesem zweifachen Traditionsstrom ergibt, lautet folglich, wie das endlich-irdische, subjektive Bewusstsein mit einer Erfahrung eines real-geistigen Überindividuellen in einer mystischen Intellekttheorie verknüpft werden kann. Die Lösung dieser Spannung ist derjenige Aspekt innerhalb der Traditionslinie eines Intellektverständnisses von Eriugena über Eckhart zu Cusanus, dem im Folgenden nachgegangen werden soll.16 Dabei soll versucht werden zu zeigen, dass diese Göttlichen«; Theo Kobusch, »Mystik als Metaphysik des Innern«, in: R. K. Weigand und R. D. Schiewer (Hgg.), Meister Eckhart und Augustinus (Stuttgart, 2011) (MEJb 3), 17-36, 21. Ibid., 22, nennt er diese Schau eine philosophische Disziplin. 14. Zu Augustinus als Quelle Eckharts vgl. Christine Büchner, »Non enim fecit atque abiit, sed ex illo in illo sunt: Schöpfung und Innerlichkeit bei Augustinus und Meister Eckhart«, in: R. K. Weigand und R. D. Schiewer (Hgg.), Meister Eckhart und Augustinus (2011), 37-86, hier 73. Sie umschreibt den hier bezeichneten Gegensatz von ihrem Thema der Schöpfung und Innerlichkeit her analog; ibid. 77: »Augustinus schließt bei seinen Überlegungen anders als die kosmisch-neuplatonischen Denker seiner Zeit nicht ›von oben‹ […], sondern er geht von unserer eigenen Erfahrung der Zeit […] aus.« Ferner zu Augustinus als Gewährsmann Eckharts: Freimut Löser, »Augustinus sprichet: Wann, wie oft und wie genau wird Augustinus im deutschen Werk Eckharts zitiert?«, in: R. K Weigand und R. D. Schiewer (Hgg.), Meister Eckhart und Augustinus (2011), 87-136. 15. Ich folge hier vor allem Johann Kreuzers Analysen. Vgl. Johann Kreuzer, »Der Geist als imago Dei – Augustinus und Cusanus«, in: K. Reinhardt und H. Schwätzer (Hgg.), Nikolaus von Kues in der Geschichte des Platonismus (Regensburg, 2007), 65-86; id., Augustinus zur Einführung (Hamburg, 2005). Eine ähnliche Position vertritt auch Silke Wulf, Zeit der Musik: Vom Hören der Wahrheit in Augustinus’ De Musica (Freiburg i. Br./München, 2013). 16. Es gibt selbstverständlich auch andere; so ist das Verhältnis von Bild, Subjekt und Intellekt, wie es gegenwärtig von Marie-Anne Vannier und Harald Schwaetzer in drei Sammelbänden erschlossen wird eine andere sehr wichtige Seite; vgl. zum Subjektbegriff: Harald Schwaetzer und Marie-Anne Vannier (Hgg.), Zum Subjektbegriff bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (Münster, 2011). Dazu vgl. auch Johann Kreuzer, »Der Geist als lebendiger Spiegel: Zur Theorie des Intellekts bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues«, in: H. Schwaetzer und G. Steer (Hgg.), Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (2011), 49-66. Eine Entwicklung in Hinsicht auf eine

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Harald Schwaetzer

drei Denker ein Konzept eines intellektuellen Existentialismus entwickeln, welches die Konstitution des Bewusstseins und die Erfahrung eines Geistigen aus einem Vollzugsakt transzendentaler Transzendenz17 verstehen. 2. Eriugena In einem ersten Schritt soll gezeigt werden, dass Eriugena in seiner Intellekttheorie einen Ansatz findet, Individualität und Geistigkeit zusammenzudenken. Neben dem realen Geistbezug kommt bei ihm ein Anklang an eine Transzendentalphilosophie (den Begriff in einem modernen, kantschen, Sinne genommen) zum Tragen. Eriugena denkt – vor allem in den Büchern I und IV von Periphyseon – den Menschen zunächst einmal von seiner geistigen Seite her. Dazu diskutiert er ausführlich das Verhältnis des Menschen zum Engel. Insbesondere seine These, dass beide wechselseitig durcheinander konstituiert sind, verdient für den vorliegenden Zusammenhang Aufmerksamkeit. »Wenn du aufmerksam der intellektualen und rationalen Naturen wechselseitige Verbindung und Einheit anschaust, wirst du in der Tat finden, dass das englische im menschlichen Wesen und das menschliche im englischen Wesen konstituiert ist.«18 Dass eine solche Konstitution die Tendenz in sich birgt, den Menschen nicht individuell, sondern gattungsmäßig, und darüber hinaus nicht vom Bewusstsein, sondern vom Sein her zu denken, liegt auf der Hand. Eine solche Aussage wird man nicht unbedingt als direkte

Transzendentalphilosophie lässt sich auch anhand eines Vergleichs der Auslegungen zum JohannesProlog darstellen; vgl: Harald Schwaetzer, »Nikolaus von Kues als Vordenker der Subjektivität«, in: id. und A.-M. Vannier (Hgg.), Zum Subjektbegriff bei Meister Eckhart (2011), 67-75. 17. Den Begriff der transzendentalen Transzendenz entlehnt der Beitrag von Heinrich Barth. Vgl. zum Begriff: Harald Schwaetzer, »Transzendentale Transzendenz – eine Annäherung via Kultur und Religion«, in: C. Graf, H. Schwaetzer und M.-A. Vannier (Hgg.), Existentielle Wahrheit: Heinrich Barths Philosophie im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Kunst und christlichem Glauben (Regensburg, 2010), 103-22. 18. Johannes Scottus Eriugena, Periphyseon, IV, n. 780A, ed. É. A. Jeauneau (Turnhout, 2000) (CCM 164), 56,1565-57,1568: Si intentus intellectualium et rationabilium naturarum reciprocam copulationem et unitatem inspexeris, invenies profecto et angelicam essentiam in humana, et humanam in angelica constitutam. (Übersetzung der Eriugena-Texte hier und im Folgenden: H.S.).

Zum Intellektbegriff bei Eriugena, Eckhart und Cusanus

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Anknüpfung an Augustinus verstehen, sondern eher an neuplatonische Strömungen. Gerade diese Konzeption führt aber zu einer interessanten Konsequenz mit Blick auf die Intellekttheorie. Denn für Eriugena ist der Mensch ein Gedanke Gottes: »Wir können also den Menschen so bestimmen: Der Mensch ist ein bestimmter intellektualer Begriff, der im göttlichen Geist auf ewige Weise entstanden (gemacht) ist.«19 Ein solcher Begriff ist zwar von einer Konzeption irdischer Subjektivität weit entfernt, aber er hat doch einiges Gewicht. Denn offenkundig formuliert er eine Art transzendentalen Grundgedanken. Eriugenas intellektualer Begriff vom Menschen ist von einem transzendentalen Verständnis zwar dadurch geschieden, dass er seinen Begriff auch transzendent denkt, aber man wird der Definition die Tendenz zu einer Transzendenzphilosophie nicht absprechen können. Auf diesem Hintergrund kann Eriugenas Cogito betrachtet werden. Dieses ist sicherlich in Aufnahme von und im Rückgriff auf Augustinus formuliert. So beginnt die Stelle mit einem »Ich weiß nämlich, dass ich bin« (Scio enim me esse).20 Wie auch immer man die textkritischen Entscheidungen im weiteren Verlauf von Eriugenas Cogito vollzieht, eindeutig ist jedenfalls, dass er eine Art transzendental-allgemeines Ego denkt. Das Scio tendiert eher in die Richtung einer kantischen Transzendentalphilosophie als in die Richtung einer Subjektphilosophie. Damit ist aber für die weitere Entwicklung bei Eckhart und Cusanus etwas Entscheidendes gewonnen. Denn mit einem solchen transzendentaltranszendenten Griff gelingt es Eriugena zumindest anfänglich, Subjektivität und Geistigkeit zusammenzudenken, indem die Bestimmung eines Ichs von den Bedingungen der menschlichen Erkenntnis her gedacht wird. Bei aller Behauptung einer Transzendentalität muss man doch festhalten, dass Eriugena anders als weite Teile der Moderne nicht das Denken vom Subjekt, sondern umgekehrt das Subjekt vom Denken abhängig macht. Diese Vorordnung des Intellekts vor das Subjekt sichert die Verbindung zwischen Subjekt und Objekt, weil das Subjekt sich als Subjekt mit Hilfe des Intellekts bestimmt. Der eigentliche Nerv einer 19. Ibid., n. 768B, 40,1073-4: Possumus ergo hominem definire sic: Homo est notio quaedam intellectualis in mente divina aeternaliter facta. 20. Ibid., 776B, 51,1397.

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solchen Wesenskonstitution aus dem Intellekt liegt nun darin, dass er für Eriugena gleichermaßen den Engel wie den Menschen betrifft. Gerade die Idee einer wechselseitigen Konstitution aus dem Intellekt heraus macht deutlich, dass für ihn irdisches Bewusstsein (des Menschen) und geistiges Sein (des Engels) aus einer gemeinsamen Quelle stammen – nämlich aus dem Intellekt. Nun kann man fragen, ob es von Seiten des Menschen aus einen Bereich gibt, wo irdisches Bewusstsein und geistiges Sein so zusammenkommen, dass sich die Individualität auch geistig als distinkte Entität, die um sich weiß, erhält. Eriugena kennt ein solches Individualitätsdenken. Wenig überraschend angesichts der neuplatonischen Tradition, die im Hintergrund steht, ist es für ihn primär eine Frage der moralischen Entwicklung und Stellung des Menschen. Individualität ist nur für besonders vollkommene Menschen erreichbar. Christlich gesprochen, sind es die Heiligen, deren Individualitäten erhalten bleiben. Generell gilt aber folgender Individualitätsgrundsatz: »Jeder einzelne wird nämlich gemäß der Höhe seiner eigenen Heiligkeit und Weisheit, von einer und derselben Form, die alle erstreben – das [göttliche] Wort meine ich – geformt werden.«21 Stellen wie diese erinnern ohne jede Frage an Plotins Enneade I,6,9.22 Plotin beschreibt dort, wie die Seele, einem Bildhauer gleich, alles von sich abmeißelt, was nicht schön ist, um sich ganz der idealen Form anzupassen. Die Stellen sind in der Tat sehr verwandt. Man kann sich freilich die Frage stellen, ob die Idealität, die Plotin im Auge hat, eine allgemein menschliche ist: Wenn man sehe, dass man noch nicht schön sei, so meißele man fort, was hässlich sei – diese Aufforderung klingt nach einer inhaltlich verbindlichen Füllung von Schönheit; bei Eriugena ist jedenfalls mit dem betonten Possessivpronomen suae in Verbindung mit sanctitatis und sapientiae eine klare Betonung des Individuellen gegeben, die, gerade weil sich das suae nicht auf celsitudinem bezieht, den einzelnen nicht einfach als Exemplar seiner Gattung verstehen kann. Gleichwohl ist die Argumentation Eriugenas noch sehr zurückhaltend – denkt sie doch eher in eschatologischen Kategorien oder nimmt besondere 21. Johannes Scottus Eriugena, Periphyseon. I, n. 448C, ed. É. A. Jeauneau (Turnhout, 1996) (CCM 161), 12,270-2: Unusquisque enim secundum suae sanctitatis atque sapientiae celsitudinem ab una eademque forma, quam omnia appetunt, verbum dico, formabitur. 22. Vgl. Plotini Opera I, 103f, ed. P. Henry und H. R. Schwyzer (Oxford, 1964).

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Menschen, die Heiligen, nicht den »gewöhnlichen« Einzelnen in den Blick. Insgesamt scheint damit aber eine Transzendentalphilosophie angelegt, die Individuum und reale Geistigkeit aus dem Intellekt heraus zu konstituieren vermag. 3. Eckhart Eckhart von Hochheim gelingt ein deutlicher Schritt der Klärung des vorliegenden Problemfeldes.23 Dazu sei auf eine Stelle aus den Pariser Quaestiones geblickt, und zwar auf die zweite, die den Titel trägt: Utrum intelligere angeli, ut dicit actionem, sit suum esse (Ist das Erkennen des Engels, insofern es eine Tätigkeit besagt, mit dessen Sein identisch)? In der Quaestio II behandelt Eckhart folglich die Frage, ob das Denken des Engels, insofern es Tätigkeit ist, sein Sein ist. Wie zuvor Thomas und andere verneint Eckhart die Frage. Denn ein Wesen, bei dem die Eigentätigkeit das Sein ist bzw. garantiert, ist offenbar ein göttliches Wesen. Weniger die Beantwortung der Frage selbst ist also von Bedeutung als vielmehr die Art und Weise, wie Eckhart argumentiert. Eckhart betont das methodische Gewicht auch selbst. Er hält fest, dass aliqui schon bene die richtige Antwort gegeben haben: Sed hoc ostendo aliis viis (»Ich zeige dies aber mit andern Beweisen«).24 Es sei nur nebenbei vermerkt, dass Eckhart, wie Eriugena, es überhaupt nicht für nötig befindet, zwischen dem menschlichen Intellekt und dem englischen eine grundsätzliche Trennung vorzunehmen.25 Gerade die für den vorliegenden Zusammenhang relevanten Überlegungen betreffen ein Argument, welches de facto von der menschlichen Seele her gedacht ist (und offenbar die englische genauso umfassen soll).

23. Selbsterkenntnis und Metaphysik in augustinischer Tradition zu verbinden zeichnet auch den Meister aus Hochheim aus. Dazu vgl. u.a. Andreas Speer, »Weisheit bei Augustinus und Meister Eckhart«, in: R. K. Weigand und R. D. Schiewer (Hgg.), Meister Eckhart und Augustinus (2011), 1-16; Theo Kobusch, »Metaphysik als Lebensform: Zur Idee einer praktischen Metaphysik«, in: W. Goris (Hg.), Die Metaphysik und das Gute: Aufsätze zu ihrem Verhältnis in Antike und Mittelalter (Leuven, 1999), 27-56. 24. Eckhart, Quaest. Par. II, n. 1 (LW V 49,11). 25. Gleiches wird auch noch für zumindest den jungen Cusanus gelten, vgl. Harald Schwaetzer, »Motus intellectualis, qui est motus angelicus: Intellect, Human Mind, and Angel’s Nature«, in: A. Kijewska, R. Majeran und id. (Hgg.), Eriugena – Cusanus (2011), 135-47.

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Im Mittelpunkt der Analyse soll folgende Passage stehen: Wenn das Erkenntnisbild etwa ein Seiendes ist, so ist es ein Akzidens; denn es ist nicht Substanz. Nun ist aber das Erkenntnisbild kein Akzidens, weil das Akzidens ein Subjekt hat, welches ihm das Sein gibt. Das Erkenntnisbild aber hat ein Objekt und kein Subjekt, weil Ort und Subjekt etwas Verschiedenes sind. Nun ist das Erkenntnisbild in der Seele nicht als seinem Subjekt, sondern als seinem Ort. Denn die Seele ist der Ort der Erkenntnisbilder, das heißt nicht die Seele als Ganzes, sondern der Intellekt. Es steht aber fest, dass, wenn das Erkenntnisbild überhaupt ein Subjekt hätte, nur die Seele dieses Subjekt sein könnte. Daher ist das Erkenntnisbild kein Seiendes.26 In der Passage fällt der Einschub auf: »Es steht aber fest, dass, wenn das Erkenntnisbild überhaupt ein Subjekt hätte, nur die Seele dieses Subjekt sein könnte«. Er wäre für die Argumentation unnötig. Das folgende »Daher« des letzten Satzes bezieht sich nicht auf ihn, sondern auf den Satz zuvor. Eckhart hat den fraglichen Satz mit Rücksicht auf Thomas eingefügt – das zumindest wäre eine Möglichkeit, und soll als These zur historischen Diskussion kurz systematisch beleuchtet werden. Denn das, was Eckhart im Irrealis formuliert, wäre im Indikativ offenbar eine Umsetzung der Position, dass auch der aktive Intellekt individuell zu denken wäre (was in dem Sinne, dass dieser Intellekt der göttliche ist, die Quaestio natürlich verneint, wie Thomas übrigens auch). Thomas verwendet u.a. in der »Summe gegen die Heiden« sehr viel Mühe darauf, genau dieses zu erweisen. Zunächst liefert er Beweise dafür, dass der intellectus possibilis nicht ein einziger in allen Menschen ist.27 Dann erfolgt eine relativ lange Begründung dafür, dass auch der intellectus agens individuell ist. Den ersten Schritt bildet eine systematische 26. Eckhart, Quaest. Par. II, n. 5 (LW V 51,5-12): Si species sit ens, est accidens; non enim est substantia. Sed species non est accidens, quia accidens habet subiectum, a quo habet esse. Species autem habet obiectum et non subiectum, quia differunt locus et subiectum. Species autem est in anima non sicut in subiecto, sed sicut in loco. Anima enim est locus specierum, non tota, sed intellectus. Constat autem, si haberet subiectum species, quod anima esset eius subiectum. Quare species non est ens. Zu: Anima enim est locus specierum, non tota, sed intellectus vgl. Aristoteles: De anima III, 4, 429 a 27. Der Begriff des Seins wird in dieser Passage im Sinne der ersten Kategorie bzw. des Verhältnispaares Substanz – Akzidenz gebraucht; das ist wichtig zu notieren, damit man nicht denkt, das Sein der Ideen wäre in Frage gestellt. Zur Diskussion vgl. Marie-Anne Vannier, »Eckhart und die Frage nach dem Subjekt«, in: H. Schwaetzer und ead. (Hgg.), Zum Subjektbegriff bei Meister Eckhart (2011), 17-23. 27. Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles II, c.73.

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Argumentation.28 Als zweiten Schritt versucht Thomas zu zeigen, dass die beiden Intellekte durchaus individuell in einer Seele zusammenkommen können.29 Dann schließlich unternimmt er den (problematischen) Nachweis, dass schon Aristoteles gelehrt habe, der tätige Intellekt sei etwas der Seele Zugehöriges.30 Die Brisanz des Thomasischen Ansatzes kann beispielsweise an folgendem Argument verdeutlicht werden: Da der tätige Verstand nicht in Potenz ist, macht er die Erkenntnisbilder nicht […] dazu aktuell erkennbar, dass er selbst durch sie erkennt, sondern vielmehr dazu, dass der aufnehmende Verstand durch sie erkennt. Er macht sie daher nur zu solchen, wie sie dem aufnehmenden Verstand zukommen, damit er erkennt. Er macht sie aber auch so, wie er selbst ist; denn jedes Wirkende wirkt ein ihm Ähnliches.31 Thomas unterscheidet im Erkenntnisprozess also zwei »Subjekte«. Das eine bewirkt Erkenntnis und das andere erfährt Erkenntnis. Beide sind in dem Erkenntnisbild verbunden, indem das eine dieses als sich ähnlich wirkt und das andere dieses dem ersten ähnliche aufnimmt (was es nur kann, wenn es auch ihm ähnlich ist). Die Nähe dieser beiden Intellekte zu einer Konstruktion zweier Subjekte, von denen das eine als Ideenwirkendes, immer schon selbst actu seiendes ihnen vorausliegendes und das andere als transzendentales durch den Prozess bestimmtes gedacht werden kann, liegt auf der Hand. Thomas geht auch noch einen Schritt weiter in diese Richtung, indem er schließt: Es gibt also in der geistigen Seele eine auf die Vorstellungsbilder hin tätige Kraft, die sie zu aktuell erkennbaren macht; und dieses Vermögen heißt tätiger Verstand. Es gibt in ihr aber auch eine Kraft, die hinsichtlich der bestimmten Abbilder der sinnenfälligen Dinge in Potenz ist: nämlich das Vermögen des aufnehmenden Verstandes.32 28. Ibid., c. 76. 29. Ibid., c. 77. 30. Ibid., c. 78. 31. Ibid., c.76: Intellectus agens non facit species intelligibiles actu ut ipse per eas intelligat […], sed ut per eas intelligat intellectus possibilis. Non igitur facit eas nisi tales quales competunt intellectui possibili ad intelligendum. Tales autem facit eas qualis est ipse: nam omne agens agit sibi simile. 32. Ibid.: Est igitur in anima intellectiva virtus activa in phantasmata, faciens ea intelligibilia actu: et haec potentia animae vocatur intellectus agens. Est etiam in ea virtus, quae est in potentia ad determinatas similitudines rerum sensibilium: et haec est potentia intellectus possibilis.

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Ohne jeden Zweifel argumentiert Thomas an dieser Stelle mit dem endlichen Bewusstsein, insofern es an die Imaginationskraft gebunden ist. Dabei unterscheidet er die beiden Intellekte als Kräfte der individuellen Seele in der Weise, dass die eine der Seele zur Verfügung steht als diejenige, welche in einer Vorstellung das geistige Erkenntnisbild, die Idee, aufscheinen lässt, so dass eine Vorstellung erkennbar wird. Die andere hingegen ist diejenige Kraft, welche eben dieses Erkenntnisbild als durch die jeweilige Vorstellung determiniert erlebt. Überblickt man den Vorgang nicht von der erzeugenden Genese her, sondern vom Gewahrwerden des Bewusstseins, so stellt er sich offenkundig in der anderen Reihenfolge dar. Für uns (als Bewusstsein) ist das erste, um diese aristotelische Unterscheidung zu gebrauchen, dass wir der Erkenntnisbilder in der determinierten Vorstellung ansichtig werden. Die spätere Frage ist, ob das Bewusstsein sich in einen Zustand versetzen kann, der es ihm erlaubt, auch an den actu bestehenden Ursprung der Ideenerzeugung heranzukommen. Für Thomas scheint diese Möglichkeit gegeben zu sein; denn die Ansicht, eines individuellen intellectus agens fordert eine individuelle Seele im Ursprung der Bildung von Erkenntnisbildern für den aufnehmenden Intellekt. Auf diese Problematik geht nun die zitierte Stelle aus Eckharts zweiter Pariser Quaestio genauer ein. In der bereits zitierten Passage hieß es: »Das Erkenntnisbild aber hat ein Objekt und kein Subjekt, weil Ort und Subjekt etwas Verschiedenes sind.« Eine Idee, so kann man verstehen, ist der Sache nach durch ihr Objekt bestimmt. Wenn ein Subjekt etwas Seiendes erkennen will, dann kann dieses Seiende nur durch ein diesem Seienden entsprechendes Erkenntnisbild begriffen werden. Dabei ist aber vorausgesetzt, dass das Erkenntnisbild einen strengen Identitätsbezug zu seinem Objekt hat und ganz und gar von ihm her konstituiert ist. Wäre eine strenge Relation des Erkenntnisbildes auf seinen Erkenntnisgegenstand nicht gegeben, so geriete alles Erkennen in Gefahr. Insofern braucht ein Erkenntnisbild ein Objekt, aber kein Subjekt. Daraus folgt aber zumindest im heutigen Verständnis die Frage, wer denn das Erkenntnisbild erzeuge. Auch im Kontext der historischen Diskussion steht diese Frage, wie anhand der Passagen bei Thomas gesehen, im Hintergrund. Eckhart formuliert deswegen, wie zitiert, weiter: »Denn die Seele ist der Ort der Erkenntnisbilder, das heißt nicht die Seele als Ganzes, sondern der Intellekt.« Die Einschränkung auf die anima

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intellectiva ist – hier in Anlehnung an Aristoteles getroffen – der erste bemerkenswerte Umstand. Nicht das empirische Bewusstsein als solches (der an sich selbst zweifelnde Descartes beispielsweise), sondern die rein intellektive Seele ist Gegenstand der Überlegungen. Aber auch sie wird nicht als Subjekt verstanden, sondern, das ist der zweite und eigentlich wichtige Befund, ausschließlich als Ort. Eckhart scheint also hier der gegenüber Thomas schwächeren These zu folgen, dass allein der aufnehmende Intellekt individuell ist. Mit dieser Ansicht ist ausgeschlossen, dass die erkennende Seele selbst ›subjektiv‹ auf die Erkenntnisbilder gestaltend zugreifen kann. Ein solcher Zugriff muss, wie bereits klar geworden ist, ausgeschlossen werden, weil eine subjektive Einmischung die gegebene reine Relation zum Objekt, welche die Erkenntnis erst möglich macht, aufhebt oder zumindest in Frage stellt. Bis hierher wäre also das Ergebnis, dass Eckhart eine auch transzendental verstandene Intellektseele annimmt, die vom tätigen Intellekt ausgeschlossen ist. Nun fügt er an dieser Stelle den auf Thomas verweisenden, eigentlich unnötigen Satz ein: »Es steht aber fest, dass, wenn das Erkenntnisbild überhaupt ein Subjekt hätte, nur die Seele dieses Subjekt sein könnte.« Zwar ist der Satz im Irrealis formuliert, aber er ist nicht einfach nur eine Kritik an Thomas.33 Denn er birgt einige Brisanz. So deutet er trotz des Irrealis‘ negativ einen wesentlichen Sachverhalt zumindest an: Gott muss nicht unbedingt als Subjekt der Erkenntnisbilder gedacht werden. Dadurch entsteht ein eigentümliches Schweben. Auf der einen Seite folgt Eckhart nicht mehr einer Idee, welche den tätigen Intellekt an Gott bindet, auf der anderen Seite will er ihn aber auch nicht einfach der Seele vindizieren. Dasselbe Schweben entsteht, wenn man den Irrealis bei Eckhart mit dem Indikativ bei Thomas vergleicht. Zwischen beiden könnte so etwas wie ein Potentialis liegen. Die Idee dieses Potentialis ließe sich von Thomas’ Indikativ und Eckharts vermutlichen Einwand her formulieren. Gegen Thomas wird Eckhart einwenden, dass die Seele nicht per se einen individualisierten tätigen Intellekt hat. Denn es fehlt ihr auch in Bezug auf den Intellekt 33. Ein ähnliches Verhältnis zwischen Eckhart und Thomas hat Quero-Sánchez mit Blick auf den Seins-Begriff festgestellt, vgl. Andreas Quero-Sánchez, »Sein als Absolutheit (esse als abgeschiedenheit)«, in: A. Quero-Sánchez und G. Steer (Hgg.), Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt (Stuttgart, 2008) (MEJb 2), 189-217, 197-202.

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offenbar an »Gelassenheit«. »Lässt« die Seele die Erkenntnisbilder aber nicht, so nimmt sie verzerrenden Einfluss auf sie, und das Unternehmen des Erkennens ist gefährdet oder ganz in Frage gestellt. Es käme also zunächst darauf an, dass die Seele als Subjekt sich so reinigt und bildet, dass sie zwar Subjekt ist, aber in einer Weise als wäre sie nur Ort der Erkenntnisbilder. Dieser Reinigungsvorgang (auch in seiner mystischen Komponente) ist ohne jeden Zweifel typisch für das Eckhartsche Denken. Erinnert sei stellvertretend nur an eine Stelle: der ain bilde malet an ain wand, so ist die wand ain enthalt des bildes. Wer nun mynnet das bilde an der wand, der mynnet die wand darmitte; der di wand danne näme, der näme och das bild dannan. Nun nement dannen die wand, also das das bilde beleibe, so ist das bild sein selbs enthalt; wer dénn mynnet das bilde, der mynnet ain lauter bilde.34 Mit Blick auf die Subjektfrage gesprochen, ist das Bild an der Wand das an eine Vorstellung gebundene Erkenntnisbild. Die Vorstellung als Vorstellung bleibt dabei subjektiv – es gibt eine Minne auch der Wand, nicht nur des Bildes. Erst wenn man das Bild so liebt, dass die Wand keine Rolle spielt, minnet man ein reines Erkenntnisbild. Nun gibt es theoretisch zwei Möglichkeiten, wie die Aussage gemeint sein kann. Auf der einen Seite kann man die endliche Subjektivität ganz abstreifen, um auf einer höheren Ebene des reinen Erkenntnisbildes gewahr zu werden. Auf der anderen Seite könnte man das endliche Bewusstsein so läutern, dass es zwar vorhanden ist (als Form), aber nur noch wie ein Ort wirksam wird. Der Unterschied zwischen beiden Versionen wäre der folgende: Im ersten Falle hätte die erkennende Seele eine intellektuelle Anschauung eines rein geistigen Erkenntnisbildes j e n s e i t s der Vorstellung. Im zweiten Falle hätte es eine intellektuelle Anschauung eines rein geistigen Erkenntnisbildes i n n e r h a l b der Vorstellung.35 34. Eckhart, Pr. 63 (DW III 78,6-10): »Wenn einer ein Bild an eine Wand malt, dann ist die Wand Träger des Bildes. Wer nun das Bild an der Wand liebt, der liebt die Wand mit; wer die Wand wegnähme, der nähme auch das Bild weg. Nehmt aber nun die Wand so weg, dass das Bild bleibt, dann ist das Bild sein eigener Träger; wer dann das Bild liebt, der liebt ein reines Bild.« 35. So einfach der Unterschied ist, so wird er doch nicht immer gesehen. Wenn etwa das Eigentümliche der Mystik in der Selbstzurücknahme der Egoität oder im Transzendieren derselben gesehen wird, vgl. etwa Ernst Tugendhat, Egozentrik und Mystik (München, 2003), 3; dann ist nicht klar, um welche der Möglichkeiten es sich handelt. Auch Tugendhats Blick auf die Buddhastatuen, ibid. 111-3, legt zwar eine bestimmte Position nahe, aber die Verbindung von Konzentration und

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Welche der beiden Optionen die bevorzugte ist, unterliegt zumindest mit Blick auf Thomas keinem Zweifel. Er hat deutlich artikuliert, dass der individualisierte tätige Intellekt eine virtus activa in phantasmata (eine aktive Kraft in die Vorstellungsbilder hinein) ist. Dabei gibt in phantasmata als Akkusativ zwar die Richtung des Wirkens der Kraft und nicht den Ort der Kraft selbst, aber es ist doch klar, dass die Erkenntnisbilder nicht außerhalb des imaginativen Vermögens geschaut werden. Während die erste Option eher im Sinne eines klassischen Neuplatonismus ist, bietet die zweite genau eine Verbindung von Geist und Individualität als Lösungsvorschlag für das eingangs skizzierte Problem. Man hat Eckhart bis in die Gegenwart immer wieder unterschiedlich gedeutet. Manchmal scheint er auf ein Überwinden und Verlassen des äußeren Menschen, der Vorstellungen etc. zu deuten, manchmal scheint er an ein Verwandeln des äußeren Menschen zu denken, so dass dieser zur Aufnahme des inneren oder der Erkenntnisbilder in ihrer Reinheit fähig wird. Mit Blick auf die in Rede stehende Intellekt-Konzeption scheint die Anlehnung an Thomas und damit die Wandlung des endlichen Subjektes in der Weise, dass es als Subjekt so rein wird, als sei es nur Ort, die naheliegende Auffassung.36 Zumindest ist sie aber diejenige Position, die Nikolaus von Kues aufnehmen und konsequent weiterführen wird. 4. Nikolaus von Kues Die Rolle des Nikolaus von Kues in der Ausbildung moderner Subjektivität gehört zu den immer wieder intensiv behandelten Problemfeldern der Cusanus-Forschung.37 An dieser Stelle soll nicht auf die Diskussion Selbstbewusstsein ist, so treffend sie als Beschreibung sein mag, noch keine Hilfe. Vgl. dazu auch Theo Kobusch, »Mystik als Metaphysik« (2011), 17f. 36. Mit Blick auf Eckhart muss noch angemerkt werden, dass er mit Thomas mitgeht und den tätigen Intellekt als Teil der individuellen Seele deutet, aber diesen dann nicht mehr als reinen Intellektvollzug auffasst. Der Intellectus agens in diesem Sinne ist nichts, bei dem die Seele als Subjekt nur Ort wäre, vgl. z.B. Eckhart, Pr. 104 (DW IV 570,45-52). In diesem Sinne ist die benutzte Terminologie ein wenig unscharf und zu einfach; sie scheint aber für den vorliegenden Zweck ausreichend. 37. Vgl. zuletzt: H. Schwaetzer und M.-A. Vannier (Hgg.), Zum Subjektbegriff bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (Münster, 2011). Grundlegend noch immer: Norbert Herold, Menschliche Perspektive und Wahrheit: Zur Deutung der Subjektivität in den philosophischen Schriften des

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im Ganzen eingegangen werden. Vielmehr sollen einige Aspekte in der Philosophie des Cusanus hervorgehoben werden, die sich als Fortsetzung der geschilderten Diskussion lesen lassen.38 Einen systematischen Beitrag stellt bereits seine Lehre von der Konjekturalität dar.39 Cusanus definiert die Konjektur in De coniecturis als Partizipation an der Wahrheit in Andersheit.40 Diese Bestimmung erläutert er durch ein Bild.41 Die Kardinäle stehen wie im Kreis um Papst Eugen IV., wobei jeder Kardinal den Papst nur unter einer bestimmten Perspektive und nicht in toto sieht. Die Wahrheit wird demnach in einer eingeschränkten Form erfahren. In De coniecturis will Cusanus den Nikolaus von Kues (Münster, 1975); ferner: Inigo Bocken, »Konjekturalität und Subjektivität: Einige Anmerkungen zur Position der Geistesphilosophie des Nicolaus Cusanus in der neuzeitlichen Philosophiegeschichte«, in: K. Reinhardt und H. Schwaetzer (Hgg.), Nicolaus Cusanus: Perspektiven seiner Geistesphilosophie (Regensburg, 2003), 51-63; ferner: Tom Müller und Matthias Vollet (Hgg.), Die Modernitäten des Nikolaus von Kues (Mainz, 2012), vor allem der Aufsatz von Isabelle Mandrella. Einen Überblick über die Forschungslage bietet: Harald Schwaetzer, Art. »Sujet (Nicolas de Cues)«, in M.-A. Vannier u.a. (Hgg.), Encyclopédie des mystiques (2011), 1109-11. 38. Außen vor bleibt auch die Frage, ab wann von einem relevanten Einfluss Eckharts auf Cusanus gesprochen werden kann. Vgl. dazu: H. Schwaetzer und G. Steer (Hgg.), Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (2011), Einleitung: IX-XXV. 39. Vgl. dazu vor allem: Inigo Bocken, L’Art de la Collection: Introduction historico-éthique à l’herméneutique conjecturale de Nicolas de Cues (Leuven, 2007); Harald Schwaetzer, »Vom Reinigen der Brille«, in: J. Krautz (Hg.), Kunst, Pädagogik, Verantwortung: Zu den Grundfragen der Kunstpädagogik (Oberhausen, 2010). 40. Cusanus, De coniecturis I, c. 11, n. 57, ed. J. Koch, K. Bormann und H. G. Senger, Bd. III (Hamburg, 1972), 58,10-1: Coniectura igitur est positiva assertio in alteritate veritatem, uti est, participans (»Daher ist die Mutmaßung eine bejahende Feststellung, die in der Andersheit am Wesen der Wahrheit teilhat«). Die Bandangabe bezieht sich hier und bei allen folgenden Cusanus-Verweisen auf die Heidelberger kritische Gesamtausgabe (Nicolai de Cusa opera omnia). 41. Ibid., 58,1-10: Nam dum tu, pater, clarissimis tuis oculis faciem pontificis summi, sanctissimi domini nostri Eugenii papae quarti, coram conspicis, de ipsa positivam assertionem concipis, quam praecisam secundum oculum affirmas. Dum autem ad radicem illam, unde discretio sensus emanat, te convertis – ad rationem dico –, intelligis sensum visus participare vim discretivam in alteritate organice contracta. Ob quam causam defectum casus a praecisione intueris, quoniam faciem ipsam non, uti est, sed in alteritate secundum angulum tui oculi, ab omnibus viventium oculis differentem, contemplaras. »Wenn du z.B., Vater, mit deinen hellen Augen das Antlitz des obersten hohen Priesters, unseres heiligsten Herrn und Vaters Eugen IV., vor dir siehst, dann bildest du dir davon einen Begriff, und zwar eine bejahende Feststellung, die du für genau entsprechend deinem Gesichtssinn hältst. Sobald du dich aber der Wurzel zuwendest, aus der die Unterscheidungsfähigkeit der Sinne herausfließt – ich meine zur Vernunft –, dann siehst du ein, dass der Gesichtssinn an der Unterscheidungskraft nur in einer dem Organ entsprechend eingeschränkten Andersheit teilhat. Daher erkennst du auch, dass hierin ein Mangel und ein Abfall von der Genauigkeit liegen, da du ja das Antlitz nicht in seinem Wesen betrachtest, sondern in der Andersheit gemäß deinem Sehwinkel, der von dem aller andere Menschen unterschieden ist.«

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konjekturalen Charakter vor allem in der Beschränkung des Winkels verankert wissen, unter dem man blickt. Dies gilt auch für solche Gegenstände, die nicht rein sinnlicher Natur sind, etwa für die Mathematik. Was Cusanus also mit der angeführten Stelle in De coniecturis begründet, ist eine Lehre von den Standpunkten. Dabei sind diese Standpunkte keineswegs relativistisch gemeint, sondern Cusanus will gerade deutlich machen, dass in jedem Standpunkt doch die Wahrheit erfahren wird, freilich auf seine Weise. Perspektivität ist für Cusanus aber keineswegs bloße Subjektivität. Mit der Akzentuierung des Subjektes formt Cusanus Ideen der Moderne, mit der Rücknahme des Geltungsanspruchs des Subjektes trägt er schon in ihrem Entstehen eine Alternative in das gewöhnliche Denkmuster der Moderne. Die Lehre von den Konjekturen erweist sich also systematisch der Idee Eckharts im Sinne des Potentialis verwandt: dass die Seele nicht nur Ort der Ideen ist, sondern sie auch erzeugt, und dass alles darauf ankommt, dass die Seele die Begriffe so erzeugt, als wäre die Seele nur Ort, aber nicht Subjekt. Mit Blick auf die Intellekttheorie genauer und detailreicher als seine Vorgänger entwickelt Cusanus nun die Konsequenzen und Möglichkeiten dieses Modells. Mit Augustinus denkt Nikolaus vom endlichen Bewusstsein und seiner Konstituierung her. Dabei ist ihm deutlich, dass im Sinne der Idee Eckharts, die Seele genau dann nicht nur Ort, sondern auch Erkenntnis beeinträchtigendes Subjekt ist, wenn sie ihre Aktivität auf die Ideenbildung übergreifen lässt, wenn sie also Vorstellungsbildung und Ideenbildung in der Vorstellung verwechselt. Mit dieser Erkenntnis ist aber zugleich ein Ansatzpunkt für das Bewusstsein gegeben. Denn es weiß, dass seine Aktivität, insofern sie nicht rein ist, störend ist. Es handelt sich also nicht um äußere Faktoren, welche die Erkenntnis stören, sondern die Frage, ob die Seele Subjekt und Ort der Erkenntnisbilder zugleich sein kann, ist eine Frage, die sie ausschließlich mit sich selbst abzumachen hat. Kein anderer Mensch, kein Engel, kein Gott, keine Offenbarung kann ihr dabei helfen oder auch nur eingreifen. Auf der anderen Seite ist dadurch aber auch die positive Möglichkeit gegeben, dass sie selbst frei sich so gestaltet, als sei sie als Subjekt nur Ort der Erkenntnisbilder. Insofern diese Gestaltung aktiv vom endlichen Bewusstsein ausgeht, votiert auch Cusanus immer für die Version

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des Thomas: in phantasmata. Es geht ihm nicht darum, eine jenseitige visio auszubilden.42 Es ist nur konsequent, wenn Nikolaus in De visione Dei Gott den berühmten Satz an den Menschen in den Mund legt: »Sei du dein, und ich werde dein sein« (Sis tu tuus et ego ero tuus).43 In der genannten Schrift, aber auch in anderen Werken wie De beryllo oder schon früher in De filiatione Dei, beschreibt Cusanus den entsprechenden Vorgang als Reinigen einer Brille oder eines Spiegels.44 Wie nämlich unser körperliches Auge, durch ein rotes Glas schauend, alles, was es sieht, für rot erachtet und, wenn es durch ein grünes Glas schaut, alles für grün, so urteilt auch ein jedes Geistesauge, verstrickt in eine Beschränkung und eine Empfindung, Dich, der Du Gegenstand des Geistes bist, gemäß der Natur der Beschränkung und Empfindung. Der Mensch kann nicht anders als menschlich zu urteilen.45 Cusanus möchte also nicht, dass die Brille abgelegt wird, sondern dass sie gereinigt wird. Das Ablegen der Brille käme dem Zustand gleich, dass die intellektive Seele unter Verlust oder mit Ablegen ihres endlichen 42. Vgl. dazu: Harald Schwaetzer, »›... quia naturae similitudo‹: Natur und Kunst im cusanischen Konzept der intellektuellen Anschauung«, in: A. Moritz (Hg.), Ars imitatur naturam: Transformationen eines Paradigmas menschlicher Kreativität im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Münster, 2010), 267-90; id., »›visio intellectualis‹ – Cusanus und Schelling«, in: K. Reinhardt und H. Schwaetzer (Hgg.), Nicolaus Cusanus und der deutsche Idealismus (Regensburg, 2007); id., »Die methodische Begründung der Cusanischen Symbolphilosophie: Zum systematischen Verhältnis von imaginatio und visio«, in: João Maria André, Gerhard Krieger und id. (Hgg.), Intellectus und Imaginatio: Aspekte geistiger und sinnlicher Erkenntnis bei Nikolaus von Kues (Amsterdam/Philadelphia, 2005), 83-95. 43. Cusanus, De visione Dei, c. 7, n. 25, ed. A. D. Riemann, Bd. VI (Hamburg, 2000), 27,145. Vgl. auch Jorge Machetta, »Kontemplativer Intellekt in dem Cusanischen Wort: ›Sis tu tuus et ego ero tuus‹«, in: J. M. André, G. Krieger und id. (Hgg.), Intellectus und Imaginatio (2005), 19-29. 44. Vgl. zum Spiegelmotiv zuletzt: Isabelle Mandrella, »Das Spiegelmotiv in der Philosophie des Nicolaus Cusanus«, in: E. Filippi und H. Schwaetzer (Hgg.), Spiegel der Seele: Reflexionen in Mystik und Malerei (Münster, 2012), 139-50; Isabelle Mandrella, »Gott als Porträtmaler in Sermo CCLL«, in: I. Bocken und H. Schwaetzer (Hgg.), Spiegel und Porträt: Zur Bedeutung zweier zentraler Bilder im Denken des Nicolaus Cusanus (Maastricht, 2005), 133-45; Stephan Grotz, »Der Spiegel als Gleichnis: Über den Einsatz einer Metapher bei Nicolaus Cusanus«, in: E. Filippi und H. Schwaetzer (Hgg.), Spiegel der Seele (2012), 129-38; Harald Schwaetzer, Art. »Miroir«, in: M.-A. Vannier u.a. (Hgg.), Encyclopédie des mystiques (2011), 813-20; id., »Viva imago Dei: Überlegungen zum Ursprung eines anthropologischen Grundprinzips bei Nicolaus Cusanus«, in: I. Bocken und H. Schwaetzer (Hgg.), Spiegel und Porträt (2005), 113-32. 45. Cusanus, De visione Dei, c. 6, n. 19, ed. Riemann, 21,11-6: Sicut enim oculus iste carneus per vitrum rubeum intuens omnia, quae videt, rubea iudicat et, si per vitrum viride, omnia viridia, sic quisque oculus mentis obvolutus contractione et passione iudicat te, qui es mentis obiectum, secundum naturam contractionis et passionis. Homo non potest iudicare nisi humaniter.

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Vorstellungsvermögens schauend würde. Ein solches Vorgehen würde keine Reinigung, sondern eben ein Ablegen bedeuten. Damit würde aber auch die Individualisierung des aufnehmenden Intellekts aufgegeben. Die Idee des Reinigens impliziert die andere Bewegungsrichtung, dass nämlich beide Intellekte im endlichen Bewusstsein individualisiert werden, wodurch dasselbe eine ganz neue geistige Qualität enthält: nämlich aus eigener Kraft bloßer Ort und Subjekt zu sein. Es darf inzwischen als sicher gelten, dass Nikolaus diese Ideen im Rahmen seiner Anthropologie einer viva imago Dei in unmittelbarer Auseinandersetzung mit Meister Eckhart entwickelt hat.46 In De mente greift er darauf zurück und arbeitet das Modell weiter aus. Dabei ist für den vorliegenden Zusammenhang der Begriff des iudicium concreatum von Bedeutung. An dem Begriff lässt sich nämlich das Verhältnis des Subjektes zum Intellekt bestimmen.47 Auf den ersten Blick scheint ein deutlicher Bruch vorzuliegen. Denn Nikolaus hält ganz anders als Eckhart die Seele für den ausschließlichen Urheber der Begriffe. Für ihn ist es der menschliche Geist, welcher die Begriffe schafft, »fabriziert«.48 Aber Subjekt und menschlicher Geist sind nicht gleichzusetzen. Denn die Tradition stellt bereits eine anima intellectiva in einem transzendentalen Sinne zur Verfügung. In der Tat denkt Nikolaus mit Eriugena, aber in einem Bruch mit der Moderne, wenn man so will, den menschlichen Geist zwar als je einzelnen und individuellen, aber er denkt einen B e g r i f f v o n m e n s c h l i c h e r I n d i v i d u a l i t ä t . Der Unterschied zu Eriugena liegt darin, dass das, was bei dem letzteren nur für die Heiligen galt oder als Perspektive gedacht war, bei Cusanus für jeden Menschen gilt. Nikolaus 46. Vgl. Harald Schwaetzer: »Viva imago Dei« (2005). Bestätigend: Johann Kreuzer, »Das Bild und sein Sehen bei Nikolaus von Kues«, in: W. C. Schneider u.a. (Hgg.), »›videre et videri coincidunt‹«: Theorien des Sehens in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Münster, 2011), 81-96. 47. Vgl. dazu vor allem: Johann Kreuzer, »Der Geist als lebendiger Spiegel: Zur Theorie des Intellekts bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues«, in: H. Schwaetzer und G. Steer (Hgg.), Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (2011), 49-66; Isabelle Mandrella, »Das Subjekt bei Nicolaus Cusanus: Freie und intellektuelle Natur«, in: H. Schwaetzer und M.-A. Vannier (Hgg.), Zum Subjektbegriff bei Meister Eckhart (2011), 77-88; Isabelle Mandrella, »Intellektuelle Selbsterkenntnis als Anähnlichung an Gott bei Meister Eckhart und Nicolaus Cusanus«, in: H. Schwaetzer und M.-A. Vannier (Hgg.), Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (2011) 67-82; Isabelle Mandrella, »Natura intellectualis imitatur artem divinam: Nikolaus von Kues über die Angleichung des Menschen an Christus als ars Dei«, in: A. Moritz (Hg.), Ars imitatur naturam (2010), 187-202. 48. Cusanus, De mente, c. 7, n. 97, ed. R. Steiger, Bd. V (Hamburg, 1983), 146,10-1: […] mentemque ex se notiones fabricare […].

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führt deswegen das Produzieren der Begriffe darauf zurück, dass dem menschlichen Geist überhaupt ein iudicium concreatum gegeben sei, eine »angeborene Urteilskraft«. Er versucht zu zeigen, quomodo est sine notionibus, habens tamen iudicium concreatum (»wie der Geist ohne Begriffe ist, aber dennoch eine angeborene Urteilskraft hat«).49 Bezeichnenderweise ist diese angeborene Urteilskraft, darauf hat Isabelle Mandrella hingewiesen,50 notionum universitas.51 In ihr liegt also die „Gesamtheit der Begriffe“, obwohl der menschliche Geist nur sie, aber keine Begriffe hat. Verständlich wird das Verhältnis, wenn man sich vor Augen hält, dass zwischen der Urteilskraft und den Begriffen ein Verhältnis von Produzieren und Produziertem besteht. Der konturierte Begriff ist die zu einem Produkt gewordene Urteilskraft. Daraus folgt aber auch für das menschliche Ich Wesentliches. Denn selbstverständlich, das ist Nikolaus schon aus dem Gedankengut Meister Eckharts klar, geht es nicht um das Ich, insofern es ein Produziertes ist, sondern insofern es ein Produzierendes ist. Das produzierte Ich ist die gewordene, fixierte Vorstellung meines Ichs. Jedoch liegt das proprium des Menschen darin, sich individuell selbst zu bilden, also zu werden und zu produzieren. Das aber bedeutet, eine Individualität auf der Ebene des Produzierens zu entfalten, nicht nur auf der Ebene des Produktes. Dieses aber heißt nichts anderes, als dass der aktive Intellekt individualisiert verstanden werden muss. Ein Beispiel, welches Cusanus keineswegs zufällig aus der Malerei seiner Zeit entnimmt, verdeutlicht diesen Sachverhalt: Das ist so, wie wenn ein Maler zwei Bilder malte, von denen das eine, tote, ihm in Wirklichkeit ähnlicher schiene, das andere aber, das weniger ähnliche, lebendig wäre, nämlich ein solches, das, durch seinen Gegenstand in Bewegung gesetzt, sich selbst immer gleichförmiger machen könnte. Niemand zweifelt daran, dass das zweite vollkommener ist, weil es gleichsam die Malerkunst mehr nachahmt.52 49. Ibid., c. 4, n. 74, 112,4-5 sowie die Entfaltung ibid., n. 77, 116,1-119,26. 50. Isabelle Mandrella, »Das Spiegelmotiv in der Philosophie des Nicolaus Cusanus« (2012), 144. 51. Cusanus, De mente, c. 3, n. 72, ed. Steiger, 109,6. 52. Ibid., c. 13, n. 149, 203,5-204-9: quasi si pictor duas imagines faceret, quarum una mortua videretur actu sibi similior, alia autem minus similis viva, scilicet talis, quae se ipsam ex obiecto eius ad motum incitata conformiorem semper facere posset, nemo haesitat secundam perfectiorem quasi artem pictoris magis imitantem. Cusanus konnte bei Eckhart einen Gedanken finden, der dieses Bild

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Ohne auf den Kontext des damals ausgesprochen ungewöhnlichen Bildes einzugehen (als Nikolaus dieses Gleichnis niederschrieb, entstanden gerade erst die frühen Selbstporträts, aber noch keines davon war beispielsweise signiert, schon das »tote« Porträt ist also außergewöhnlich aktuell),53 sei nur darauf aufmerksam gemacht, dass Nikolaus den Menschen so versteht, dass ein Teil der göttlichen Schöpferkunst, der ars divina, auf ihn übergegangen ist. Anders als die übrige Schöpfung ist der Mensch insofern nicht bloßes Abbild im Sinne des Produkts, sondern er ist Abbild im Sinne des Produzierens. Insofern steht dem Menschen eine vis creativa zur Verfügung, eine kreative Kraft.54 Diese kreative Kraft versteht Nikolaus als eine intellektuelle Kraft, die zu kreativen Schöpfungen fähig ist; diese können auch in Erfindungen ihren Niederschlag finden. Aber der ursprüngliche und eigentliche Raum der Kreativität ist der Intellekt. Dabei ist es Cusanus aber wichtig, dass lebendiges und totes Bild keinen einander ausschließenden Gegensatz bilden. Denn nur indem die intellektuelle Seele jeweils durch das Erstellen eines »toten« Porträts eine Vorstellung bildet, kann sie ihre Vorstellungen korrigieren und reinigen. Und nur indem sie Vorstellungen bildet, betätigt sie individuell diejenige Kraft in sich, welche als virtus activa in phantasmata die Vorstellungsbilder durchsichtig für Ideen macht. 5. Ausblick Die Wahl des Gleichnisses vom Porträt macht eine weitere Spur der Entwicklung des Intellektbegriffs sichtbar. Sie führt unter Einbeziehung von Rogier van der Weydens »Der Hl. Lukas malt die Madonna«55 hin zu Dürers berühmtem Selbstbildnis von 1500, dessen Bezüge zu Cusanus

inspiriert haben mag, vgl. Eckhart, In Ioh, n. 36-7 (LW III 31,1-12). Der Maler besitze erstens die Form des Gemäldes in sich; es müsse zweitens als Urbild in ihm sein, während er an dem äußeren Bild arbeite; das gemalte Bild im Geiste des Malers sei drittens die Kunst selbst, durch die der Maler Ursprung des Bildes sei. Zudem ist auf Plotins Enneade VI, 4 (22), 10 zu verweisen. Insgesamt vgl. zum Spiegelgleichnis bei Cusanus und Eckhart: Harald Schwaetzer, Art. »Miroir« (2011). 53. Vgl. Harald Schwaetzer, »Zum lebendigen Selbstporträt bei Nikolaus von Kues und Rogier van der Weyden«, in: E. Filippi und H. Schwaetzer (Hgg.), Spiegel der Seele (2012), 169-82. 54. Nikolaus gebraucht diesen Ausdruck u.a. im sogenannten Kosmographengleichnis, vgl. dazu: Harald Schwaetzer, »›... quia naturae similitudo‹« (2010). 55. Vgl. Harald Schwaetzer, »Zum lebendigen Selbstporträt« (2012).

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in der letzten Zeit herausgearbeitet worden sind.56 Dürer zeigt sich auf dem Bild im Maßstab 1:1, dem Betrachter frontal zugewandt mit Christuszügen. Darin liegt keineswegs eine Provokation oder eine Überhöhung des Künstlers, der sich in Hybris gottgleich macht, sondern umgekehrt die malerische Umsetzung jener Vision, die Nikolaus vorschwebte, als er die aus dem doppelten Strang der Spätantike kommende Linie von Eriugena über Eckhart aufgriff. Wenn Dürer auf dem Bild vermerkt, er habe sich darauf in den ihm eigenen Farben porträtiert, dann zeigt es nur einmal mehr, was Individualität für die Seele bedeutet: nicht bloße Subjektivität, sondern die Fähigkeit zur Individualisierung auch des tätigen Intellektes in der Weise, dass die Seele selbst als Subjekt nur Ort ist. Dieser Vorgang ist es, der eingangs mit dem Stichwort des intellektuellen Existentialismus gemeint war. Bewusste Individualitätsbildung auf der Ebene des Produzierens ist nur möglich, wenn das Individuum sich nicht als geformtes, sondern als formendes bewusst zu verhalten vermag; diese Formung jedoch bedingt eine Reinigung der Seele, so dass sie so Subjekt ist, als wäre sie nur Ort der Erkenntnisbilder.

56. Vgl. Elena Filippi, Umanesimo e misura viva: Dürer tra Cusano e Alberti (San Giovanni Lupatoto, 2011); ead., »Maß und Vermessenheit des Menschen: Cusanus und Dürer als Erzieher«, in: W. C. Schneider u.a. (Hgg.), »›videre et videri coincidunt‹« (2011), 333-50; Elena Filippi, »Imitatio naturae und imitatio Christi: De coincidentia oppositorum in der viva imago Albrecht Dürers von 1500«, in: A. Moritz (Hg.), Ars imitatur naturam (2010), 107-17; ead., »Die Unendlichkeit im Endlichen: Momente des Austausches zwischen Cusanus und der Kunst: Proportio, Speculum, Visio«, in: Coincidentia: Zeitschrift für Europäische Geistesgeschichte 1 (2010), 347-67.

›Möglichkeit‹ und ›Wirklichkeit‹ bei Eckhart von Hochheim und Nikolaus von Kues Christian Ströbele, Stuttgart-Hohenheim Abstract For Eckhart of Hochheim and Nicolas of Cusa, ›possibility‹ and ›actuality‹ describe a relation not only of causality in the natural world, but also of the dynamics of intellection and its interconnection with divine being and action. Based on negative theology, which highlights the ineffability of divine essence, the topic of divine actualization becomes central for religious language and epistemology in general. After a short summary of the history of the concepts under consideration, the paper traces outlines of Eckhart´s position in his vernacular German, as well as in his Latin works, and with comparison to Nicolas of Cusa, who incorporates key notions of Eckhart, but with significant modifications. For Eckhart, divine action constitutes the transcendental foundation of human action, which necessitates a culmination where the deposition of human activity, in as much as it would have been considered discretely within itself, reverts to the divine as actor and as of being itself. This affects the Eckhartian rewriting of the Aristotelian-Avicennian theory of intellection and causality, and the systematic differentiation between relative viewpoints of their substantiations. Cusanus, while sympathetic to core ideas of Eckhart, among which the starting point of the analysis being intellection and the divine, is systematically more discreet towards the emblematic formal and univocal unity of Eckhart´s account. In Nicolas of Cusa, human intellection and action describe a process of indeletable intermediation with their condition and vanishing point in unity with the divine, which in itself transcends the coincidence of possibility and actuality. Cusanus highlights the incommensurability of the divine and a categorical difference between coming-to-be and the eternal, while the divine is beyond differentiation and is, as possest the coincidence of possibility and being, encompassing all that would be. While there is no place for the singularity of absolute possibility beyond the divine, in the last step of his analysis, Cusanus apprehends the divine as posse ipsum

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and thus as a concept describing transcendentality in itself and therefore the basis for all conceptualisation, amounting especially to being the transcendental condition for religious epistemology and language, and for mystical and philosophical theology. 1. Exposition des Themas: Possibilitätsphilosophie als Grundlegung von Theologie

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utabam ego aliquando ipsam [sc. veritatem] in obscuro melius reperiri. Magnae potentiae veritas est, in qua posse ipsum valde lucet. Clamitat enim in plateis [...]. Valde certe se undique facilem repertu ostendit (»Einst meinte ich, die Wahrheit werde eher im Dunkeln gefunden. Von großem Vermögen ist die Wahrheit. Hell leuchtet in ihr das ‚Können selbst’ auf. Laut schreit sie auf den Gassen [...]. Mit starker Gewissheit streckt sie sich entgegen und ist von überallher leicht auffindbar«).1 – Was erzeugt diese Helligkeit der Wahrheit und diese Leichtigkeit der Rede, von der Cusanus in seinem letzten Werk spricht? Sie sollen resultieren aus einer Fassung des ersten Prinzips als posse ipsum. Damit führte Cusanus auch über den Zusammenfall von Sein und Können hinaus, für welchen er den Kunstbegriff possest geprägt hatte. Die Probleme der Rede von Gott, die Cusanus fortwährend diskutierte, sie sollen gelöst sein mit der Einsicht in die Identität von Göttlichem und ›Können-Selbst‹. Tatsächlich hatte Cusanus zuvor vielfach davon gesprochen, dass unser Wissen letztlich im Dunkeln verbleibt, oder auch: letztlich ins Dunkel hineinführt. So im Zusammenhang mit einem Wissen von letzten Grenzbegriffen der Vernunft, die Substanz bzw. Washeit bzw. deren Prinzip betreffend. Das Wissen um derartige Grenzbegriffe bleibe negativ.2 Nur wenn die Substanz in »positiver Weise« aufgewiesen würde,

1. Cusanus, De apice theoriae, n. 5, ed. R. Klibansky, Bd. XII (Hamburg, 1982), 120,9-13. 2. Das Nicht-Teilbare beispielsweise, als solches zu begreifen, heißt: begreifen, dass die Substanz nicht Quantität ist, nicht Qualität ist, kein Akzidens ist. Eine derartige, fortsetzbare Reihung von Negationen aber bleibt scientia obscura (»dunkles Wissen«). Vgl. Cusanus, De beryllo, c. 31, n. 53, ed. L. Baur und H. G. Senger, Bd. XI (Leipzig, 1988), 60,10. Die Unerreichbarkeit der quidditas, die sich als Notwendigkeit zur Möglichkeit unseres Denkens verhält, formuliert Cusanus schon im ersten Hauptwerk, vgl. Anm. 101, rückblickend dann: die nach Aristoteles, Metaphysica VII, 1, 1028 b 2-4, stets gesuchte quidditas von Allem bleibe unwissbar, weil wir das ›Was‹ Gottes nicht wissen, aber das Dasein Gottes Ursache von Allem ist (vgl. Cusanus, De venatione sapientiae, c. 12, n. 31, ed. R. Klibansky, Bd. XII (Hamburg, 1982), 31,9-32,14; Parallelstellen und begriffsgeschichtlicher Überblick ibid., 165-6; zur cusanischen Problembehandlung der quidditas vgl. inzwischen Christian

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hätten wir clara scientia (»helles Wissen«). Das sind keine technischen Spezialfragen. Die Frage nach dem Grund des Einzelseienden ist die Frage nach dem Grund von Wirklichkeit und soll zugleich eine Hinführung ins Mysterium des Göttlichen darstellen – in das »allerheiligste Dunkel«.3 Es ist eine Einsicht mit langer Tradition, dass der Nichtwissbarkeit des Wesens des Göttlichen die Nennbarkeit des Göttlichen kraft seines Wirkens korrespondiert. Jeder Teilaspekt von Wirklichkeit, etwa die Stabilität distinguierbarer Substanzen, hat darin seine Ermöglichung. Gottes Wesen also ist nicht begreifbar, wohl aber Gottes Wirken. Wenn dies Grundlage theologischer Rede sein soll, muss das Thema der Verwirklichung aus göttlicher Ermöglichung aufgearbeitet werden. Das Arrangement nichtnennbaren Wesens und nennbarer Wirkungen des Göttlichen bleibt aber prekär.4 Die von Cusanus in Gottesbegriffen wie ›Können selbst‹ verdichteten Überlegungen sind ein Beitrag zur dieser Problematik einer Begründung der Gottesrede aus einer Präzision der Begriffe von Können, Vermögen, Verwirklichung, relativer und vollendeter Wirklichkeit. Die Konzentration auf dieses Thema ist im Falle des Cusanus zumal in seinen Spätschriften schon an Werktiteln und Werkeinleitungen ablesbar. Nicht weniger zentral ist die Thematik für Eckhart. Sie verbindet die Themenbereiche Naturphilosophie, Intellekttheorie und mystische Theologie. Wie diese Verbindung geschieht und begründet wird, soll im Folgenden rekonstruiert werden. Die eckhartsche Themenbehandlung wird nach kurzen Erinnerungen einiger Stationen ihrer Vorgeschichte zunächst anhand signifikanter Ströbele, Performanz und Diskurs: Religiöse Sprache und negative Theologie bei Cusanus (Münster, 2015), 28-72). 3. Cusanus, De visione dei, n. 1, ed. H. D. Riemann, Bd. VI (Leipzig, 2000), 4,12. 4. Vonseiten metaphysischer Terminologie etwa, weil die aus dem Wirken des Göttlichen gewonnene Rede schwerlich in wissenschaftlich exakte Rede transformierbar ist, allenfalls als Negationen. Vonseiten religiöser Sprach- und Sinnhorizonte ist sie prekär, weil bereits die UrsachenWirkungs-Relation schwerlich passfähig ist, wo zumal die vortheoretische Rede von Gott, maßgeblich doxologisch fundiert, verlangt, dass Gott nicht etwa auf eine mit Naturnotwendigkeit wirkende Ursache reduzierbar ist. Vgl. die Diagnose bei Wolfhart Pannenberg, »Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie«, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 70 (1959), 1-45. Pannenbergs Problemformulierung ist insofern noch keine philosophisch befriedigende Lösung, als die Rede von einem ›Handeln Gottes‹ als Metapher, freilich als irreduzible Metapher qualifizierbar ist, so etwa Ulrich H. J. Körtner, »Der handelnde Gott: Zum Verständnis der absoluten Metapher vom Handeln Gottes bei Karl Barth«, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 31 (1989), 18-40.

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Passagen des mittelhochdeutschen Werks exemplifiziert. Anschließend wird die zugrundeliegende Systematik anhand von Passagen der lateinischen Werke Eckharts zu skizzieren versucht. Die Position Eckharts soll abschließend im Vergleich zu Optionen des Cusanus weiter profiliert werden. 2. Begriffs- und ideengeschichtliche Vorbemerkungen Die Problemgeschichte, in welche die hier behandelten Texte einzuordnen sind, ist umfänglich. Das Begriffspaar Möglichkeit-Wirklichkeit ist ein zentrales Theoriestück mittelalterlicher Ausarbeitungen sowohl metaphysischer wie auch epistemologischer Entwürfe.5 Aristoteles prägt und benötigt die Begriffe enérgeia (bzw. entelécheia) und dynatón bzw. dýnamis für die Dynamisierung einer Metaphysik stabiler Substanzen, für die Konzeptualisierung von Werden, von Veränderung aus eigenem oder fremdem Vermögen,6 von Bewegung, insbesondere für deren teleologische Interpretation,7 darüber hinaus für die Bezugnahme auf ontologische Möglichkeit, bei jeweiligem Vorrang der Wirklichkeit.8 Extremfälle sind die form- und damit bestimmungslose erste Materie einerseits, das Göttliche als reine enérgeia andererseits.9 Auch insofern das Begriffspaar kreative Akte begreifbar macht, wird es rezeptionsgeschichtlich theologisch 5. Modallogische Zusammenhänge sind nachfolgend ausgeklammert, da ohnehin kaum behandelt (abgesehen z.B. von Suspendierung des Logisch–Möglichen bei Cusanus); explizit abgegrenzt wird dies schon bei Aristoteles, etwa Metaphysica V, 12, 1019 b 34-5; vgl. Josef Stallmach, Dynamis und energeia: Untersuchungen am Werk des Aristoteles zur Problemgeschichte von Möglichkeit und Wirklichkeit (Meisenheim am Glan, 1959), 15-20; August Faust, Der Möglichkeitsgedanke: Systemgeschichtliche Untersuchungen, Bd. 1: Antike Philosophie (Heidelberg, 1931), 163-204. 6. Ersteres als Grundbedeutung des Ausdrucks etwa Aristoteles, Metaphysica V, 12, 1019 a 15-6. 18-9; Metaphysica IX, 1, 1046 a 11; ibid., 7, 1049 a 11; ibid., 8, 1049 b 6-8; letzteres etwa id., Metaphysica V, 12, 1019 a 20-1; Metaphysica IX, 1046 a 12-3. Knappe weitere Hinweise bei Dietrich Schlüter, »Akt/Potenz«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1 (Darmstadt, 1971), 134-42, hier 136-8; Hermann Weidemann, »dynamis«, in: Aristoteles-Lexikon, hg. von O. Höffe (Stuttgart, 2005), 139-44. Platon hatte im Sophistes 247d-e den eleatischen ›Fremden‹ eine metaphysische Verwendung des dýnamis-Begriffs erwägen lassen: das Seiende sei dýnamis; statt dieser These findet aber dann (ibid., 249a) nur jene Zustimmung, dass wahrhaft Seiendes zumindest nicht gänzlich unbewegt, leblos usf. sein könne. 7. Eine Veränderung durch Fremdwirkung in Richtung auf Vervollkommnung beschreibt etwa Aristoteles, Metaphysica XII, 1019 a 22. Vgl. dazu Josef Stallmach, Dynamis und energeia, 39-46 et passim. 8. Vgl. Aristoteles, Metaphysica IX, 6, 1048 a 25. 9. Für die entsprechende Charakterisierung der hýlē vgl. Aristoteles, Metaphysica VII, 3, 1029 a 1-34, für die des Göttlichen: id., Metaphysica XII, 7, 1072 a 25.

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einschlägig besonders für Versuche, die göttliche Schöpfung zu beschreiben. Hinzu kommt die Anwendbarkeit auf die Realisierung von Intellekttätigkeit überhaupt, die als Aktualisierung der Potenz im Blick auf Intelligibles gilt.10 In Vereinbarungsversuchen mit platonischen und monotheistischen Rahmenbedingungen wurde eine Lokalisierung der Ideen bzw. Formen im göttlichen Geist11 sowie deren Wirksamkeit als dynamisch-aktive Vermögen vermittels eines gesonderten Intellekts erwogen. Da sowohl dýnamis wie potentia einerseits passives ‚bloßes’ Vermögen, andererseits vermögende Mächtigkeit beschreiben können, bemühen sich Autoren wie Thomas von Aquin um terminologische Differenzierungen, z.B. zwischen potentia activa, die dann Gott als reinem Akt zukommt und potentia passiva, die einerseits Materie relativ zur Form ist, andererseits dem endlichen, materielosen Intellekt relativ zu seiner noch ausstehenden Verwirklichung zukommt.12 Zu Reaktionen auf den Problemüberhang in der Theorie der Kausalität, Aktualität und des göttlichen Wirkens gehört auch der kontroverse13 thomasische Vorschlag, die Form als (nun nur noch) Potenz relativ zur Aktualisierung qua Sein14 zu fassen. 10. Vgl. Aristoteles, De anima III, 4, 429 a 10 - 430 a 9; ibid. III, 8, 431 b 20 - 432 a 14. Entsprechend für die sonstigen Seelenvermögen und in Absetzung von der megarischen Identifikation von Realmöglichem und Aktualwirklichem: Aristoteles, Metaphysica IX, 3, 1046 b 29-1047 b 2. Mentale Vollzüge wie Glücksempfinden oder Kontemplation sind mit ihrem Beginn zugleich an ihrem Vollendungsziel: ibid. IX 6, 1048 b 18-35. Mit Bezug auf das Verhältnis zwischen Wissen von Allgemeinem und Einzelseiendem: Aristoteles, Metaphysica XII, 10, 1075 a 12 - 1076 a 5. Wie Stallmach, Dynamis und energeia, bes. S. 232-7, herausarbeitet, liegt ein intellectus agens in der Konsequenz dieser Priorisierung der enérgeia. Dabei hat allerdings, seiner abschließenden und am Kommentar des Aquinaten entwickelten Skizze zufolge, dieser eine nur die vorliegende Gegenstandsstruktur intelligibel machende Funktion. 11. Grundlegende Aufarbeitung bereits bei Harry A. Wolfson, »Extradeical and Intradeical Interpretations of Platonic Ideas«, in: Journal of the History of Ideas 22/1 (1961), 3-32. 12. Gott als sowohl reiner Akt wie höchste aktive Potenz: Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 25, art. 2; vgl. ibid., I, q. 3, art. 2 co.; Intellekt und sonstige Seelenvermögen als potentiae passivae: ibid., I, q. 79, art. 2, und I-II, q. 22, art. 2 ad 2; Quaestiones disputatae de veritate q. 26, art. 3; Quodlibet II, q. 2, art. 1 ad 2. Zur Begriffsgeschichte des lateinischen Ausdrucks possibile (für gr. dynatón) und der ahd.-mhd. Terminologie: August Faust, Der Möglichkeitsgedanke: Systemgeschichtliche Untersuchungen, Bd. 2: Christliche Philosophie (Heidelberg, 1932), 296-319. 13. Beispielsweise beharrt Dietrich von Freiberg, wie Siger von Brabant nach Averroes, auf Identifikation von esse und essentia der Sache wie dem Begriffsgehalt (ratio) nach; nur die Bezeichnungsweise differiere, und zwar bezeichneten ›esse‹ per modum actus, aber ›entitas‹ und ›ens‹ per modum habitus; vgl. dazu Armand A. Maurer, Being and knowing: Studies in Thomas Aquinas and later medieval philosophers (Toronto, 1990), 178-81. 14. Unter den Problembehandlungen im thomasischen Werk vgl. insb. Quaestio disputata de potentia q. 7, art. 2 ad 9; Summa Theologiae, I, q. 3, art. 4 co.; ibid., I, q. 4, art. 1 ad 3: esse est

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3. Eckhart: Ineinander-Wirken und -Erleiden Gottes und des Menschen Die Thematik der Verwirklichung aus Möglichkeit bzw. Vermögen ist bei beiden hier behandelten Autoren ein Teilaspekt eines Ansatzes, Wirklichkeit allgemein weniger als System stabiler, ihre jeweiligen Vermögen aktualisierender Einzelsubstanzen zu beschreiben, sondern als fundamental intelligible Realität. Für beide Autoren ist dabei ersichtlich, dass bis dato ins Spiel gebrachten Distinktionen nicht durchgehend gefolgt wird. Wenn Eckhart im Lateinischen Werk in geringerem Ausmaß eine eigenständige Terminologie ausbildet, ist sein ungewöhnlicher Um g a n g mit etablierteren Redeweisen und Sachstrukturen um so auffälliger. Im deutschen Werk, wo das Ineinandergreifen von Naturphilosophie, Intellekttheorie und mystischer Theologie besonders eng ist, prägt Eckhart auch mehrere ungewöhnliche Formulierungen. Das beginnt bereits mit dem deutschen Ausdruck ›Wirklichkeit‹. Das ›Grimmsche Wörterbuch‹15 führt bezeichnenderweise gleich zu Beginn des entsprechenden Lemmas eine Stelle aus Eckharts Reden der Unterscheidung über ›innerliche und äußerliche Werke‹ an: Der Mensch, auch der, welcher die Einkehr in sich selbst sucht, solle es sich an nichts genügen lassen (auch gerade nicht an der werk-losen Einkehr). Selbst, wenn es ihn zu keinem Werk zieht, solle er sich zu einem inneren oder äußeren Werk zwingen, daz man mêr mac nemen, daz der mensche dâ werde geworht dan daz er würke, daz der mensche dâ lerne mitewürken mit sînem gote. Niht, daz man dem innern sül entgân oder entvallen oder vermeinen, sunder in dem und mit dem und ûz dem sol man lernen würken alsô, daz man die innicheit breche in die würklicheit und die würklicheit înleite in die innicheit und daz man alsô gewone lediclîche ze würkenne (»so dass man es eher so auffasst, dass hier der Mensch g e w i r k t w i r d , als dass er selbst wirkte, und so dass der Mensch dann lerne, m i t z u w i r k e n actualitas omnium rerum, et etiam ipsarum formarum (»das Sein ist die Wirklichkeit von allem, auch der Formen«) – eine These, die auch Eckhart vertritt, s.u. Anm. 85, und auch sachgemäß auf Avicenna (Metaphysica 8, 6 – vgl. Avicenna Latinus, ed. S. van Riet, Bd. 4 [Leiden, 1980], 412) und Thomas zurückführt. 15. Jacob u. Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, s.v. Wirklichkeit, Bd. 14/2, (Leipzig, 1960), Sp. 582-7, hier 582.

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mit seinem Gott. Nicht soll man sich vom Inneren entfernen, oder sich davon lösen, oder es ächten. Sondern man soll lernen, i n d i e s e m (Inneren) und mit ihm und aus ihm zu wirken – so dass man die Innigkeit i n d i e W i r k l i c h k e i t r e i ß e , und die Wirklichkeit hineinleite in die Innigkeit, und so dass man auf diese Weise sich angewöhne, u n g e b u n d e n zu wirken«).16 Wirken Gottes und Wirken des Menschen fallen dann, wenn der Mensch s i c h (insofern er sich in Selbststand wähnt und sein Wirken sich selbst zurechnet) zu Nichts macht, zusammen, ebenso wie Passivität der Einkehr kontemplativen und die Außenwirksamkeit aktiven geistigen Lebens. Die Wirk-Realität des actus purus (d.i. Gottes) aktualisiert sich in dem In-die-Wirklichkeit-Reißen menschlicher Innerlichkeit; die ›Bloßheit‹ (puritas) göttlichen Wirkens kann ein Mit-wirken des Menschen aktualisieren und ganz an die Stelle menschlichen Wirkens treten, wenn der Mensch sich jeder Bindung an Eigenes entschlägt, selbst ungebunden, ›bloß‹ (mhd. ledic) ist. Hier zeigt sich ein Akzent auf Internalisierung, sofern Wirklichkeit primär Geschehen je zugleich menschlicher Innerlichkeit und deren Auf-Brechen ist, auf prozessuale Dynamik und eine Relationalität, die mindestens zur Univozität tendiert. So spricht Eckhart in Predigt 40 davon, dass der Mensch, insoweit er von gott-gleicher Natur ist, wie dies die Rede vom »Bild« Gottes zum Ausdruck bringe, insoweit also von der Geschaffenheit abgesehen wird, unterschiedslos »in Gott bleibe«, wie dieser in seiner »reinen Substanz« diesseits von Unterscheidungen wie »gut« oder »gerecht« ist.17 Hier wirkt, weiß und erkennt der Mensch m i t Gott, im Vollzug ein und d e s s e l b e n Wirkens, Wissens und Erkennens.18 Die im Bild-Begriff vielfach insbesondere in Bezug auf die Aktualisierung des Intellekts theoretisch ausgedeutete essentielle Gott-Gleichheit fasst Eckhart hier und vielerorts auch im Theologoumenon der G e b u r t : Gottes Sohn ist nicht wesensverschieden von Gott, nur relational verschieden, und vom Menschen kann gleichfalls unter rein dieser Hinsicht gesprochen werden. In Spitzenformulierungen überschreitet Eckhart dann die üblichen 16. Eckhart, RdU (DW V 291,2-7). Vgl. für das Motiv der Koinzidenz von göttlichem Wirken und Passivität der Seele z.B. id., Sermo IX, n. 100 (LW IV 95,3-4) (und Apparat). 17. Vgl. id., Pr. 40 (DW II 273,4-277,9). 18. Vgl. ibid. (DW II 275,1-3).

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Produktionsregeln der Idiomenkommunikation: Da der Vater wirkend und der Sohn leidend ist, müsse in Gott Wirken u n d Leiden angesetzt werden.19 4. Eckhart: Gott wird in der passiven Vernunft ›erlitten‹ Ausführlicher behandelt Eckhart mügelicheit und würklicheit in Predigt 37. Eckhart spricht dort von zwein sünen der vernünfticheit (»zwei Söhne des Intellekts«).20 Der Kontext ist eine Ausdeutung des Vernunft›Fünkleins‹ in der Seele. Auffällig ist, dass beide Termini hier ohne weiteren Zusatz gebraucht werden und so auf intellectus agens und intellectus possibilis zu beziehen sind. Natürlich ist das auch dem Kontext geschuldet, aber doch eben typisch für seine Transformation von Substanzmetaphysik in Gnoseologie. Spezifisch für Eckhart ist bei diesem Thema eine Verbindung von Seligkeit und Empfangen bzw. Erleiden Gottes.21 Dieses Motiv, dessen Behandlung man vielleicht eher in einer Passionsmystik im engeren Sinne vermuten würde, wird dabei als ein Empfangen Gottes i n d e r Ve r n u n f t interpretiert. Im Kontext von Predigt 37 sind mehrere Klärungen vorangestellt. Die Vernunft sei a) e m p f a n g e n d e r und b) b e w a h r e n d e r als Wille und Liebe, und zwar jeweils c) f ü r G o t t (statt für sich selbst).22 Denn Wille und Liebe richten sich nur auf ein Objekt als Gutes, das hier und andernorts, aber nicht durchgehend, in für Eckhart spezifischer 19. Ibid. (DW II 278,2-279,2). 20. Id., Pr. 37 (DW II 220,1-2). Mit dieser Stelle beginnt Faust, Der Möglichkeitsgedanke, Bd. 2, 307-18, seine Darstellung. 21. Dietrich von Freiberg bezieht die Seligkeit auf den intellectus agens als Wesen zugleich der Seele und betont das ›Erleiden Gottes‹ weniger, vgl. De visione beatifica, 4,1, ed. B. Mojsisch, Opera omnia, Bd. 1 (Hamburg, 1977), (Corpus philosophorum Teutonicorum medii aevi 2,1), 105; dazu Eckharts Pr. 67 (DW III 133,1). Wenn wenig später der intellectus als ein enpfenclîchez (»etwas Empfangendes«) (ibid. 133,4) bezeichnet wird, ist das lesbar als Vorrang der rezeptiven Vernunft (intellectus possibilis), oder z.B. als Wirkung des intellectus agens – Wirkung nicht seiner selbst, sondern rezeptiv-übernommene Wirkung Gottes, etwa im Sinne von Eckhart, RdU (DW V 307,2-6) bzw. Pr. 104 (DW IV 600,412-604,477). Die höchste Stufe der Erfassung Gottes wird zudem erst einige Zeilen später beschrieben. Vgl. dazu Kurt Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. 3 (München, 1996), 199-203 und die m.W. leider nicht weiterverfolgten, auch dort angeführten Beobachtungen Sturleses. 22. Vgl. Eckhart, Pr. 37 (DW II 215,4-216,1).

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Weise als bloßes Akzidens und dem Einen und Wahren n a c h g e o r d n e t 23 beschrieben wird. W i l l e u n d L i e b e (ad a) empfangen daher nur in Grenzen, und darum (ad b) ruhen sie auch nicht an ihrem Ziel, dieses in sich bewahrend, so dass (ad c) ein Selbstbehalt verbleibt. Die Ve r n u n f t hingegen ›drängt hinauf‹ zu Gott als Sein und unterschiedslosem Einen.24 Sodann werden zwei ›Antlitze der Seele‹ beschrieben. Das eine Antlitz ist mit Welt, Leib, Tugend, Kunst und ›heilic Leben‹ verbunden, allesamt also Aktivitäten. Das andere Antlitz ist allein auf Gott gerichtet, welcher der Seele das Leben gibt. I n Gott nun wird das ›Fünklein der Vernunft‹ rein erfasst, nicht in Zeit, sondern Ewigkeit, nicht in Wissen und Gedanke, die nur ›daheim‹ statt in Gott statthaben. Hier ist der Bereich der Natur und ihrer Kausalität des Hervorbringens und Bewegens von essentiell Unterschiedenem verlassen; hier wird die Seele zeitlos ›geboren‹ (anstatt in der Zeit geschaffen).25 Nach kurzem Einschub folgt nun die Passage über ›Möglichkeit und Wirklichkeit‹ als zwei Söhnen der Vernunft:26 Mit Avicenna hat die m ö g l i c h e Vernunft die Kraft, im Modus des Geistes alles zu werden; sie gleicht der Art, wie der Engel (als reine Vernunftnatur) alles in seinem natürlichen Licht sieht und n i c h t i n d i e D i n g e a u s g e h t (im ›Abendlicht‹). Durch die w i r k e n d e Kraft gleicht die Seele Gott dem Vater, sie w i r k t alle Dinge zu einem neuen Sein, sie gleicht dem Engel, insofern er alle Dinge i n Gott sieht; sie trägt alle Dinge in Gott hinaus, sie i s t alle Dinge (im ›Morgenlicht‹). Einerseits wird hier die mögliche Vernunft nicht explizit mit dem Sein in Gott in Verbindung gebracht, scheint also unterhalb der 23. Vgl. etwa id., In Gen. II, n. 97 (LW I 562,9-11); n. 99 (LW I 564,3-6); n. 55 (LW I 523,1-2); In Gen. I, n. 241 (LW I 385,8); In Ioh., n. 514 (LW III, 445,9-14): Wahres betrifft Innerseelisches, Gutes Naturhaftes; in beiden Bereichen sei verschieden zu reden; ähnlich id., In Gen. II, n. 35 (LW I 503,3-7); In Gen. II, n. 62-63 (LW I 530,2-8); vgl. n. 68, (LW I 232,3-4); In Ioh., n. 677 (LW III 591,6-11). Damit hängt der Vorrang von Vernunft vor Willen zusammen, vgl. z.B. id., Pr. 104A (DW IV 574,97-9). In anderem Kontext sind für Eckhart Wahres, Gutes usf. aber konvertibel, z.B. id., In Gen. II, n. 86 (LW I 548,12-4); n. 95 (LW I 561,1-3 und Apparat). 24. Id., Pr. 37 (DW II 217,5): ein âne underscheit (»unterschiedslos Eines«). 25. Vgl. ibid. (DW II 218,4-19,6). 26. Vgl. ibid. (DW II 220,3-223,5).

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Gotteserkenntnis zu verbleiben; andererseits korrespondiert für Eckhart sonst der Grad der Nichtzuwendung zu den Dingen ›draußen‹ dem Grad an vernunftbegabtem Sein.27 Zudem formuliert Eckhart im Anschluss an die erste Charakterisierung der wirkenden Kraft: Got wolte in sie gedrücket haben natûre aller crêatûren; dô enwas si niht vor der werlt (»Gott hätte in diese die Natur aller Kreaturen eindrücken wollen, aber nun war sie nicht vor der Welt«).28 Das Eindrücken aller Kreaturen scheint so dem Alleswerdenkönnen der möglichen Vernunft zu entsprechen und eine Potenz zu sein, die der wirkenden Vernunft, weil sie bereits in Zeit und Welt geschaffen ist, nicht verleihbar ist. Wem hier der Vorzug gebührt, ist damit zumindest nicht völlig eindeutig.29 Interessanterweise werden in Pr. 10430 d r e i Ausprägungen von Vernunft unterschieden: 1. die wirkende Vernunft steht je in ihrem Wirken. Sie setzt die ›Bilder‹, von allem Akzidentellen g e r e i n i g t , in die leidende Vernunft und e r h ä l t sie dort auch im Wissen, dabei kann sie j e n u r e i n Bild haben. Insofern der Mensch ›abgeschieden‹ ist und die eigene wirkende Vernunft ›besiegt‹ ist, tritt an deren Stelle allerdings Gott, der sich selbst in der leidenden Vernunft gebiert und der noch w e i t m e h r wirkt; inbesondere gebiert Gott v i e l e Bilder; 2. die erleidende Vernunft g e b i e r t , ›schwanger geworden‹ durch die wirkende Vernunft, die geistlichen Bilder; eigentlich wirkt dabei Gott, der menschliche Geist hält still:31 27. Vgl. etwa Eckhart, Pr. 15 (DW I 164,15-165,2). 28. Id., Pr. 37 (DW II 221,2). 29. Maarten J. F. M. Hoenen, Predigt 37 Vir meus servus tuus mortuus est, in: G. Steer und L. Sturlese (Hgg.), LE 2 (Stuttgart, 2003), 89-110, hier 109, konstatiert die Abweichung zu sonstigen Positionierungen Eckharts und resümiert: »Möglicherweise [...] hat [Eckhart] nur ein sprachliches Mittel gesucht, um das unmittelbare Erkennen Gottes als Erkennen im tätigen Ursprung selbst darzustellen.« Niklaus Largier, EW 1 (Frankfurt a.M., 2008), 996: »Es ist die Unbestimmtheit des rein rezeptiven Intellekts, die als reine Möglichkeit offen ist für die Überformung durch die Absolutheit des freien Seins der Gottheit«, mit Verweis auf die obig als nicht völlig eindeutig bewertete Stelle in Pr. 67. 30. Eckhart, Pr. 104 (DW IV,1, bes. 568,39-573,85 und 585,222-590,272). Der Text ist außerordentlich interpretationsbedürftig, was hier, wie einige auch inhaltliche Differenzen der Textfassungen A und B, nicht ausführbar ist. Eine Zusammenfassung gibt Georg Steer (DW IV,1 562-4). Die Zuschreibung zu Eckhart wird hier mit den von Steer (DW IV,1 318-29 und 560f.) angeführten Gründen trotz z.T. auch anders erklärbarer Befunde übernommen; ohne dass eine andere Zuschreibung vielleicht »ganz ... ausgeschlossen« (Steer, in: ibid., 325) werden kann. 31. Eckhart, Pr. 104 A (DW IV,1 571,65-7).

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3. die mögliche Vernunft bezieht sich sowohl auf das Wirken Gottes wie auch das Erleiden des Geistes.32 Wirken und Leiden sind dabei bezeichnenderweise gleichermaßen Bezüge der nur äußerst knapp überhaupt angesprochenen ›möglichen Vernunft‹. In dieser Dreiteilung tritt an die Stelle der zuvor beobachteten Ambivalenz eine entwickeltere Dynamik. 5. Eckhart: Zusammenhang der Kontexte der Themenbehandlung im ›Opus Tripartitum‹ In den eben vorgestellten Texten wird deutlich, wie Eckharts theoretische Optionen auch für praktische-religiöse Anfragen von Zeitgenossen z.B. zum Stellenwert der vita activa nutzbar werden. Im lateinischen Werk finden sich für viele dieser teils kontextspezifischen Zuspitzungen systematische Begründungen, auch für ein Mitwirken und Mit-Leiden mit Gott bis zum Mit-Gebären des göttlichen Sohnes und die Engführung auf den Intellektvollzug. Eckharts Werkaufriss, etwa in der Liste der Grundbegriffe, lässt nicht klar erkennen, welchen systematischen Ort die Grundbegriffe von Möglichkeit33 und Wirklichkeit haben sollen. Ihre Behandlung erfolgt in Einzelabschnitten, relativ ausführlich im Johanneskommentar und in der Genesisauslegung parabolice, also zwei späten Werken.34 Der Zusammenhang von Theologie und Naturphilosophie wird dabei methodologisch begründet. Eckhart unternimmt ja eine Auslegung (expositio), also zunächst ein Herausarbeiten, nicht beispielsweise eine rationale Deduktion, dessen, was der heilige christliche Glaube, was Altes und Neues Testament aussagen. Diese Auslegung soll mittels der »natürlichen Gründe« (rationes naturales) der Philosophen geschehen. Die Formulierung muss nicht zuallererst rationale Beweisgründe meinen.35 Eckharts 32. Ibid. (DW IV,1 570f,54-8). Eine Helwic von Germar zugeschriebene Predigt – Pr. 43, 78r-80v, in: Paradisus anime intelligentis, ed. Ph. Strauch (Berlin, 1919), 95-8 – identifiziert lidinde oder [...] muglich fornuft (»leidende oder mögliche Vernunft«) – ibid. 95,29. 33. Eckhart gebraucht u.a. posse und potentia vielfach synonym, so etwa Eckhart, In Ioh., n. 551 (LW III 481,9). 34. Selbst die relative Datierung ist unsicher, wie z. B. im Vergleich von Kurt Flasch, Meister Eckhart: Philosoph des Christentums (München, 2010), 151, mit ibid., 200, deutlich wird. 35. Vgl. Eckhart, In Ioh., n. 2-3 (LW III 4,5-15). Die Kommentierung durch Flasch, Meister Eckhart [2010], 60f., dürfte nach wie vor die profilierteste sein. Hinsichtlich der Übersetzung seien

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Stoffsystematik ist oftmals: 1. theologische, 2. naturphilosophische und 3. die ›Moral‹ (einschließlich der spirituellen Praxis) betreffende Gegenstände. Die ›natürlichen Gründe‹ können auch diesen zweiten Themenbereich meinen; zumindest entspricht dies vielfach Eckharts Vorgehen.36 Ohnehin lassen sich nicht nur Strukturen theologischer Wahrheiten, etwa der Gottesgeburt, auf solche philosophischer Konzeptualisierungen, etwa der Bild-, Intellekt-, Kausalitätstheorie abbilden, sondern je auch umgekehrt. Das Verhältnis ist nicht reduktiv, sondern eher vom Charakter eines Kippbildes: Philosophische Begründungen sind auch Rekonstruktionen. Sie lassen sich wiedereinbetten in theologische Kontexte – mit Effekten rationalen Erkenntnisfortschritts ebenso wie semantischer Anreicherung um Bedeutungsaspekte, die in der philosophischen Rekonstruktion methodisch nicht einholbar waren.37 6. Eckharts Priorisierung unter den vier Ursachentypen Der Begriff der Wirklichkeit ist für die Fassung des Gottesbegriffs bei Eckhart kaum weniger zentral als etwa für Thomas. Das hebt schon der Programmentwurf zum Opus Tripartitum hervor: esse comparatur ad abweichende Nuancen benannt (sacra unübersetzt, proprietates als »Wesenseigenschaften«, per illa naturalia als »im Hinblick auf die Naturdinge«, zuvor per rationes naturales als »mit Hilfe der natürlichen Gründe«) später: »philosophische[ ] Beweisgründe[ ]« (ibid., 61); »philosophische Erkennbarkeit der Trinität und der Menschwerdung Gottes« (ibid., 62); »mit der natürlichen Vernunft argumentieren« (ibid., 95, vgl. ibid. 83, mit Bezug auf Eckhart, Pr. 101 (DW IV/1 342,33): mit natiurlichen reden - »also mit philosophischen Argumenten«; der Kontext, ibid., 342,33-5, ist: Eckhart selbst glaubt der Schrift mehr als den »natürlichen Reden«, anders f ü r d i e R e z i p i e n t e n ). Tatsächlich sagt Eckhart: der Intellekt erkennt im Geschaffenen Sohn und heiligen Geist. Man kann conspicere, exponere usf. aber auch unstrittiger z.B. auf vestigia trinitatis beziehen; von demonstratio spricht Eckhart hier ja nicht und auch nicht erkennbar von einer Natur-Gnade-Dichotomie. Prüfbar wird die Intention dieser Ankündigungen mittelbar daran, ob Eckhart tatsächlich z.B. die Trinität »philosophisch [zu] beweisen« (Flasch, Meister Eckhart [2010], 62) unternimmt und dabei von sonst gebotenen Erklärungen oder Parallelisierungen methodisch und inhaltlich abweicht. 36. Ein Beispiel für die Themenfolge: Eckhart, In Gen. II, n. 26 (LW I,1 496,12); dann ibid., n. 27 (LW I,1 497,1-2); In Ioh., n. 510 (LW III 441,10) (Konkordanz von Theologie, Moral- und Naturphilosophie); ibid., n. 492 (LW III 424,5-7): die Wunder deuten Prinzipien der Naturdinge an, darunter Formaufnahmefähigkeit usw.; ibid., n. 96 (LW III 83,8-9); n. 98 (84,6). Vgl. auch z.B. ibid., n. 142f. (LW III 119f.): erst historische Wahrheit, dann Wahrheiten der Naturdinge und deren Eigentümlichkeiten: was von Johannes gesagt wird (der ja auf die Vollendung in Christus vorbereitet, Bewegung hin zur Verwirklichung der Sohnesgeburt ist), weise auf die Natur der Veränderung hin (die sich im Entstehen mit Seinshabe durch Wesensform vollendet); von Christus Gesagtes weise auf Eigentümlichkeiten der Wesensformen etc; umgekehrt: Naturwirken diene zur Sohnwerdung – ibid., n. 474 (LW III 406,13-407,1). Vgl. auch ibid., n. 226 (LW III 189,6-7). 37. Vgl. als ein Beispiel etwa nachstehende Anm. 64.

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omnia sicut actus et perfectio et est ipsa actualitas omnium, etiam formarum (»das Sein ist selbst die Wirklichkeit von allem, auch der Formen, und verhält sich zu allem wie Wirklichkeit und Vollkommenheit«).38 Da Gott Sein selbst und mithin Genügen selbst ist, gibt es in Gott keine (noch unvollendete) potentia, insofern diese von vollendeter Aktualität unterschieden wäre.39 Zu Eckharts Akzentsetzungen zählt aber z.B. eine Absetzung des göttlichen und überhaupt eigentlichen Wirkens von Naturwirkung, insofern dies als Effizienzkausalität begriffen wird. Für diese Absetzung folgt Eckhart sehr weit der Kausalitätstheorie Avicennas, die überhaupt Grundlage der Kontroversen des 14. Jh. zum Thema ist.40 Eckhart folgt der avicennischen Präferenz der Formursache. Er führt auch den thomasischen Ansatz weiter, das Was der Sache selbst als Potenz zu fassen. Für Eckhart heißt dies zugespitzt: als r e i n e Potenz. Dagegen sei das ›Wodurch‹ mit den übrigen drei Ursachentypen verbunden.41 Zumal in der Gottheit ist keine causa efficiens.42 Nur die Form-Ursache, durch welche das Sein des Dings das Sein Gottes ›schmeckt‹, gibt sich ihrer Substanz nach, nur die Form wird der Materie u n m i t t e l b a r geeint, nur sie ist i n n e r e Ursache des Dings, von der Materie ersehnt – all das gilt für Wirkendes und Ziel nicht.43 Diese reine Form-Mitteilung unter Ausschluss der übrigen Ursachentypen kommt dann zur Anwendung, um das Verhältnis zwischen Seelenvermögen und Gott in letzter Hinsicht zu beschreiben.44

38. Vgl. Eckhart, Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 8 (LW I,1 153,7f.); n. 14 (LW I,1 175,2-3). 39. Vgl. z.B. id., In Ex., n. 46 (LW II 51,4): in deo ... nulla potentialitas ab actu differens (»in Gott ist keine von Wirklichkeit verschiedene Potentialität«), hier im Kontext einer Anlehnung an Maimonides, ›Dux neutrorum I‹, c. 55 (ed. Augustinus Justinianus, Moses Maimonides: Dux seu director dubitantium et perplexorum [Paris, 1520], f. 21r, nach dortiger Zählung, wie in den meisten lateinischen Handschriften und bei Eckhart, c. 54, aufgrund der Zusammenziehung von I, 27 in I,26) – dort mit ausführlicher Begründung. 40. Vgl. Avicenna, Metaphysica 6, 1, ed. van Riet, Bd. 4, 291f. Vgl. dazu Barry S. Kogan, Averroes and the metaphysics of causation (Albany/N.Y.,1985), bes. 271; Maurer, Being and knowing (1990), 278. 41. Vgl. z.B. Eckhart, Sermo XXV, n. 251 (LW IV 230,6-10); Sermo XXXV, n. 357 und 359 (LW IV 309f.). 42. Vgl. z.B. id., Sermo XXV, n. 252 (LW IV 231,5-7): stattdessen eine ratio causandi et efficiendi (»ein Grund für Verursachung und Wirken«). 43. Vgl. id., In Ex., n. 52 (LW II 55,10-5). 44. Für das Absehen von Wirk- und Zielursache unter der Hinsichtnahme des Metaphysikers vgl. id., Sermo XLIX,3, n. 511 (LW IV 425,15-426,2) (mit Parallelstellen); id., In Eccl., n. 8 (LW II 237,4-8).

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7. Eckharts Kausalitätstheorie – eine systematische Skizze Um Themen der Erkenntnis, Gotteserkenntnis und Einheit mit Gott kausalitätstheoretisch zu präzisieren, entwickelt Eckhart neben dem vorstehend angeführten Verständnis der Form-Ursächlichkeit eine Reihe grundlegender Unterscheidungen, zunächst: 1. Jedes Seiende kann unter zweierlei Hinsichten beschrieben werden: 1a) hinsichtlich seines Seins außerhalb Gottes als ein von anderen der Form nach distinktes, geschaffenes Objekt in Natur, Zeit und Raum. Im Geschaffenen sind Sein (Wodurch) und Wesen (Washeit) verschieden, weil nur ersteres jeweils von einem anderen stammt.45 Hier sind auch (individueller) Träger und Wesensnatur verschieden.46 1b) hinsichtlich seines Seins in den ursprünglichen Ursachen47 bzw. als Gedachtes.48 Im Ungeschaffenen sind Sein (Wodurch) und Wesen (Washeit) identisch.49 Die Wirkung hat in ihrer Ursache wahreres Sein, in der Erstursache absolutes Sein.50 Hier sind (individueller) Träger und Wesensnatur identisch.51 45. Id., In Gen. II, n. 34 (LW I,1 501,15-502,3.7-10); ähnlich Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 13 (LW I,1 159,1-2) – vgl. Apparat – mit Bezug auf Avicenna, Metaphysica 5, 1, ed. van Riet, Bd. 4, 233; vgl. ibid., 1,5, ed. van Riet, Bd. 4, 34f.; Thomas von Aquin, De ente et essentia, c. 3, mit einem Argument, dessen Beginn z.B. deutlicher noch als jener der gerade angeführten Stelle aus Avicenna bei Eckhart anklingt: Eckhart, In Ioh., n. 195 (LW III 163,14-5). 46. Vgl. id., In Gen. II, n. 53 (LW I,1 521,4-5.8-9) mit Verweis auf Thomas von Aquin, Quodlibet II, q.2, art. 2 co.: in Deo est omnino idem suppositum et natura (»in Gott sind Träger und Natur gänzlich identisch«). Was Thomas nur in Bezug auf Gott selbst zu sagen scheint, bezieht Eckhart auf jede res, insofern sie in Gott betrachtet wird. Während die Washeit (quiditas) in den Trägern vermischt ist, ist das Wahre nicht außerhalb in den Dingen, sondern in der Seele bzw. im Intellekt; vgl. Eckhart, In Gen. II, n. 54 (LW I,1 522,3-7). 47. Vgl. ibid., n. 35 (LW I,1 502,15-503,1); mit den Beispielen der Farbe im Licht und in der Hitze in der Sonne, also die beiden nachfolgend auf (2a) und (2b) verteilten Fälle. 48. Vgl. z.B. ibid., n. 55 (LW I,1 523,8-11), mit Begründungen und Erläuterungen nachfolgend, u.a. nn. 58-62 (LW I,1 526-530). Höherordnung von Intellekt über Natur z.B.: id., In Ioh. n. 45 (LW III 37,13-4); n. 500 (LW III 431,6–9). Indistinktion von Allem im Intellekt z.B.: id., Sermo XXIX, n. 305 (LW IV 270,14-5). In Eccl., n. 9 (LW II 238,2-7): Der Intellekt erfasst die Dinge in ihren Prinzipien, vor dem Ausgang in die Dinge. Id., In Sap., n. 32 (LW II 353,1-6): Die Geschaffenen haben im Äußeren, in der Natur, formales Sein, unter den eigentümlichen Formen, durch die sie sind; in Gott sind sie nicht als solche Dinge, sondern als Leben und Erkennen. 49. Id., In Gen. II, n. 34 (LW I,1 501,15-502,4). 50. Vgl. id., In Ioh., n. 44 (LW III 36,6-8). 51. Vgl. id., In Gen. II, n. 53 (LW I,1 521,1-4) (»volles« und »unvermischtes« Sein). In ihrer (analogen) Ursache sind die Dinge freilich nicht manifest, sondern verborgen, vgl. ibid., n. 47 (LW I,1 515,12-5); von analoger Ursache spricht dann explizit erst n. 51 (LW I,1 519,11-2). Die im

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Eine von Eckharts Pointen ist nun, dass jede Sache, und besonders jeder Vermögensvollzug, unter zwei Perspektiven betrachtet werden kann: gemäß dem eigenen Sein als (distinktes) Seiendes, außerdem als bloßes Vermögen. Im Falle bloßen Vermögens stammt das ganze Sein vom Gegenstand. Ganz so, wie der Wille von seinem Formalobjekt, dem Guten, sofern er s e l b s t reines Vermögen ist, sein g a n z e s Sein erhält.52 Von hier aus erklärt sich auch die starke Aufwertung der möglichen Vernunft, wie obig z.B. an Predigt 37 beobachtet. Für diese Bloßheit des Vermögens können auch Termini der Strebensethik und religiösen Praxis eingesetzt werden: oblivio omne aliud, omne circumstans (»Vergessenheit alles Anderen, aller Umstände«), vergezzen aller dinge, aller crêatûren (»Vergessen aller Dinge, alles Geschaffenen«), komen in ein nihtwizzen, ein lûter unwizzen (»Eintritt in ein Nichtwissen, ein bloßes Unwissen«), abegescheidenheit (»Abgeschiedenheit«).53 Das bloße Vermögen sieht ab von jedem Selbststand und jeder Bestimmung, vom Strukturganzen distinkter Naturdinge (1a) und sieht auf die Einheit im ewigen Ursprung (1b) hin. Für die Rekonstruktion der eingangs präsentierten Textaussagen der deutschen Predigten ist eine weitere Unterscheidung wichtig: 2. Es können zwei Grundtypen von Kausalität unterschieden werden: 2a) a n a l o g e s Wirken,54 wo Wirkendes und Wirkung-Erleidendes nicht von gleicher Materie und Gattung sind;55 die Form wird nicht mitgeteilt;56 das Wirkende erleidet, wenn es wirkt, nichts.57 Ohne das

Hintergrund stehende Vorstellung eines Seins der Ideen in Gott, das wegen der Einfachheit des Göttlichen keine Distinktion zulässt, ließe sich vielfachst belegen, verwiesen sei nur auf Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 15, art. 1 ad 3. 52. Vgl. (neben den Verweisen in Anm. 87-96) Eckhart, In Ioh., n. 677 (LW III 591,4-6); neben den in Anm. 88 angeführten Textstellen noch ibid., n. 679 (LW III 593,10-1); n. 681 (LW III 595,5-6); n. 682 (LW III 597,1-4); id., Sermo XI,1, n. 112 (LW IV 105,11); zum Motiv der nuditas animae id., Sermo IX, n. 99 (LW IV 94,3-7) mit den Stellenangaben ibid., not. 5. 53. Verwiesen sei hier nur auf id., Sermo VIII, n. 86, (LW IV 82,1-4) und die Stellenangaben im Apparat. 54. So zunächst nur die Inhaltsübersicht, id., In Gen. II (LW I,1 458,8-9), dann aber auch ibid., n. 120 (LW I,1 585,10-2) mit Verweis zurück auf ibid., n. 23f. (LW I,1 203). 55. Id., In Gen. II, n. 22 (LW I,1 492,7-8); In Ioh., n. 182 (LW III 150,6-12), mit dem Bild (vgl. die Parallelstellenangaben): die (analog) Erleidenden dürstet, während sie trinken. 56. Id., In Gen. II, n. 24 (LW I,1 493,12-4); der Erleidende ist auch formaliter unaffiziert: ibid., n. 26 (LW I,1 496,6). 57. Ibid., n. 22 (LW I,1 493,1-2). Dies kann als Unterfall des allgemeinen Axioms, dass Oberes nicht durch Unteres berührt wird, angesehen werden (vgl. Anm. 76).

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Wirkende fehlt die Wirkung.58 Hier handelt es sich um einen »äußeren Akt«; die Natur des Hervorbringenden kann auch ohne ihn bestehen.59 Das Erleidende ist selbst bedürftig und leer, es ersehnt die Wirkung und preist den Wirkenden,60 von dem die Benennung der Ursache stammt.61 Gleichwohl ist potentiell Seiendes immerhin nicht e i n f a c h h i n Nichts, sondern nur, sofern es ›in sich‹ betrachtet wird; sofern es aber nach Verwirklichung strebt, hat es doch eine Ähnlichkeit zum Strebensziel.62 2b) u n i v o k e s Wirken. Das Hervorgebrachte hat nicht nur an der Natur des Hervorbringenden teil, sondern empfängt sie ganz und in derselben Vollkommenheit.63 Derart »wesenhaft Wirkendes«, wie es auch für die Spitzenaussagen der angeführten deutschen Predigten vorliegt, identifiziert Eckhart (auf intellektualer Ebene) mit Geist (spiritus) und Leben64 und logos-haftem Prinzip, ratio.65 Eine w e s e n t l i c h e Ursache spricht s i c h in ihrer Wirkung (restlos) aus und leuchtet erst in dieser auf. In diesem Fall kann die Wirkung ›Wort‹ genannt werden.66 Nur

58. Ibid., n. 23 (LW I,1 493). 59. Ibid., n. 111 (LW I, 1 576,9-12); das Geschaffene tritt hier aus der Einheit (hier: mit Gott) heraus (was 2a in 1a einordnet): n. 112 (LW I,1, S. 578,1-2). 60. Ibid., n. 25 (LW I,1 495, 8-13); anders ausgedrückt: die rationes leuchten im Hervorgebrachten wieder, vgl. z.B. id., In Ioh., n. 11 (LW III 11,6-8). 61. Vgl. ibid., n. 74 (LW III 61,13-4); n. 471 (LW III 404,12-3) und n. 472 (LW III 405,1-2). Id., In Exod. n. 31 (LW II 37,9-10). Ähnlich vielfach Cusanus, z.B. De venatione sapientiae, c. 8, n. 19, ed. Klibansky, 20. 62. Vgl. Eckhart, In Gen. II, n. 72 (LW I,1 537f.) mit der Schlussbemerkung, das Ausgeführte gelte für Materielles, aber verhalte sich ähnlich bei sonstigem (potentiell und aktual Seiendem). Für das Streben zum Sein, wo dann Bewegung usf. schweigen, vgl. id., In Exod., n. 158 (LW II 140,12-141,2) mit den im Apparat genannten Verweisen, darunter Avicenna, Metaphysica 8, 6, ed. van Riet, 412. 63. Vgl. Eckhart, In Ioh., n. 5 (LW III 7,5-7). Vgl. auch ibid., n. 17 (LW III 15,1-3): der Gerechte ist der Gerechtigkeit gleich und der Natur nach eines, freilich bei relationalem Unterschied (Prinzip-Prinzipiiertes) (ibid. [15,6]). 64. Vgl. id., In Gen. II, n. 45 (LW I,1 512,13-4). 65. Vgl. id., In Ioh., n. 31 (LW III 25,8-10). 66. Vgl. id., In Gen. II, n. 110 (LW I,1 575f.): Das Hervorbringende spricht nur in seinem Wirken und seinen Akten; ibid., n. 47 (LW I,1 515,5-6). Die Übersetzung »Ursache in der Wesensordnung« lässt nicht mehr erkennen, dass es sich um einen insb. durch Dietrich von Freiberg diskutierten Fachterminus handelt; vgl. dazu die komprimierte Darstellung bei Burkhard Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie, Univozitat und Einheit (Hamburg, 1983), 24-7. Die Abweichungen zur Darstellung bei Thomas von Aquin, insb. Super Sententiis I, d. 8, q. 1, art. 2, sind frappant. Gott wirkt demnach nur analog. Eckhart klassifiziert z.B. das von Thomas für äquivoke Ursachen angeführte Beispiel der Sonne, welche Wärme hervorbringt ohne selbst warm zu sein, als analoge Kausalität. Die Zeugung eines Menschen führt Thomas für univoke Kausalität an, aber unter Vorbehalt u.a. letzter inaequalitas zwischen göttlicher und menschlicher Weisheit. Eckharts Musterbeispiel ist gerade die Zeugung des Sohnes oder Wortes durch Gott (vgl. z.B. Eckhart, In Ioh., n. 5 [LW III

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mittels des ›Wortes‹ kann das Prinzip wirken.67 Dieses ›Wort‹ ist eine Ähnlichkeit zwischen Ursache und Wirkung, die im Wirkenden je im Vorhinein schon ist.68 Gott wirkt hier unmittelbar und allein, und die Wirkung bleibt ausnahmslos unwandelbar bestehen.69 Das Wirken 7,4-7]), was wiederum Muster der Bestimmung des Menschen und der Aktualisierung des Intellekts überhaupt ist. 67. Vgl. z.B. id., In Ioh., n. 19 (LW III 16,5-7): alles Werk der Gerechtigkeit wird durch die gezeugte Gerechtigkeit gewirkt. Das Verhältnis wird im Johanneskommentar besonders explizit reziprok dynamisch formuliert: Der Gerechte ist secundum se, in se nichts – aber in der Gerechtigkeit leuchtend und umgekehrt leuchtet diese im Gerechten (ibid., n. 22 [18,10-4]). 68. Vgl. id., In Gen. II, n. 49 (LW I,1 517,5-11). Vgl. id., In Ioh., n. 75 (LW III 63,2): Das Prinzip leuchtet im Prinzipiierten als seinem Wort. Id., In Gen. II, n. 50 (LW I,1 518,1-3); In Ioh., n. 14-15 (LW III 13,1-3.6-10): der Gerechte ist im Vorhinein in der Gerechtigkeit und in ihr manifestiert sich letztere, er ist ihr »Wort«; ibid., 14,3-5. Wenn Eckhart in solchen Fällen der Natur nach keine, nur der Relation (z.B. gebärend-geboren) nach eine Andersheit akzeptiert (ibid., n. 16 [LW III 14,6-8]), ist das natürlich strukturgleich der Rede von den trinitarischen Personen, vgl. nur Petrus Lombardus, Sententiae, I, dist. 26, c. 2f., ed. PP. Collegii S. Bonaventurae (21916), Bd. 1, 197-9, mit Bezugstexten. Eckhart spricht dann auch von alius – non aliud, u.a. Sermo XXXV, n. 357 (LW IV 309,5); In Ioh., n. 5 (LW III 7,8f.); n. 57 (48,1-2); n. 133 (114,10-5); n. 161 (132,7-8); n. 477 (410,7); n. 479 (411,8-412,1); n. 362 (307,11-2). So für jedes Zeugende (generans) oder Hervorbringende (producens) als solches in den Naturdingen (in naturalibus) (ibid. [307,7-8]). Bezüglich des Hauses im Geist des Künstlers gilt das unter einer bestimmten Hinsicht ebenfalls: als das Haus draußen hervorbringend ist es ungezeugt (ibid., n. 363 [LW III 308,11-3]) – aber insofern der Künstler vom Haus draußen erst die Kunst empfängt, durchaus gezeugt (ibid. [308,8-11]). Entsprechend mit Bezug auf das Verhältnis von Ding und Begriff (species) bzw. Abbild (imago): unum – non unus. Vgl. ibid., n. 194 (LW III 162,11); so bezüglich Vater und Sohn: ibid. (162,13-163,2); n. 197 (166,10-2). 69. Vgl. id., In. Gen. II, n. 91 (LW I,1 556,8-9). Für die Subsumierung unter (2b) spricht u.a. der hier angesprochene Aspekt der Permanenz, vgl. dagegen obige Anm. 58. Vgl. auch id., In Ioh., n. 474 (LW III 407,6-7): das Erleiden, welches nicht im Träger bleibt, vergeht; darauf folgt eine p a s s i v e Q u a l i t ä t , d i e i m Tr ä g e r b l e i b t , haftet, Erbe und Sohn ist. Der Ausdruck passibilis qualitas (unklar übertragen z.B. als »im Erleiden zu erwerbende Beschaffenheit«), id., In Gen. II, n. 25 (LW I,1 495,13), wird von Aristoteles, Categoriae 8, 9a 35f in der Übersetzung des Boethius (Aristoteles Latinus I 1-5, ed. L. Minio-Paluello [Paris, 1961] 25) verwendet. Dies sind permanente Dispositionen, welche in den Sinnen eine Affektion bewirken: die Süße des Honigs bewirkt den süßen Sinneseindruck im Geschmackssinn. Eckhart spricht z.B. davon, der leuchtende Körper teile dem Mittel sein Leuchten nicht derart bleibend mit (Eckhart, In Ioh., n. 70 [LW III 59,8-9]). Das Erleidende hat seinen Besitz nur leihweise, nicht derart bleibend (vgl. id., In Gen. II, n. 25 [LW I,1 495,12-3]). Anders beim agens naturale univocum (»natürlich-univok Wirkenden«). Hier wird die aktive Qualität, durch die es wirkt, etwa die Hitze beim Feuer, bleibend mitgeteilt (ibid., n. 122, [LW I,1 587,6-9]). So auch das analog Wirkende im Geistigen: ibid., n. 206 (LW I,1 681,2-6). Was sich noch verändert, noch nicht gezeugter Sohn ist, ist keine solche qualitas passibilis (id., In Sap., n. 101 [LW II 438,1-2]); vgl. id., Sermo VI,3, n. 62 (LW IV 60,7-61,4) (z.T. fast gleichlautend Sermo VI, 4, n. 75 [LW IV 72,2-9]; Sermo XXXIII, n. 333 [LW IV 291,4-5]). Bereits Thomas gebraucht den Begriff nicht nur für eine Qualität des sinnlichen Seelenteils (Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I-II, q. 110, art. 3 arg. 3), sondern u.a. auch habituell-rezeptive Vermögen, vgl. id., Quaestiones disputatae de veritate, q. 20 art. 2 co.: so bei Christus jedes zur seiner Seele Hinzukommende; etwa zur Gottesschau befähigendes Licht, das in ihm von Anbeginn ist. Eckhart verallgemeinert auch dies für den Sohn als solchen.

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geschieht aus Gnade des Oberen, aber nicht aus reiner Gnade. Wegen der Naturgleichheit von Wirkendem und Erleidendem, ist sie durch das Niedere »verdient«.70 Wegen der essentiellen Verbundenheit mit dem Prinzip der Hervorbringung spricht Eckhart auch von »innerem Akt«71 und einem Bezug der göttliches Sein verleihenden Gnade auf das Wesen der Seele, unterschieden vom Vermögen, das sich auf äußere Werke beziehe.72 Die Aufnahme der Ursachenform geschieht analog (mit gewissen Einschränkungen) auch im Bereich der (materiellen) Natur (1a): Im Falle des Feuers gibt es ein Vermittelndes, dessen Materie für die Form des Feuers vorbereitet; die Feuerform haftet auch im Mittel und hat ein »Erbe«, wenngleich unvollkommen.73 Mit der Verleihung der jeweiligen Form (etwa des Feuers) werden auch Dispositionen und Vermögen und Strebensorientierungen zu entsprechenden Betätigungen (nach oben zu streben usw.) mitgeteilt.74 Das Verhältnis von Ursache und Wirkung ist hier also ein prozessuales Ineinander bei Naturgleichheit. Darum: in talibus passivum patiendo agit et activum agendo patitur (»im Erleiden wirkt das Erleidende und im Wirken leidet das Wirkende.«)75 Bildhafter: Die Ursache steigt hinab in die Wirkung, die Wirkung in die Ursache hinauf, und zwar je nach Art der Relation auf ungleiche (2a) oder gleiche Weise (2b). Das Aufstiegsvermögen wird aber nochmals je durch die als Prinzip und Ziel korrespondierende Ursache verliehen. Darum ist noch präziser zu sagen: Die (selbst rein aktive) Ursache gleicht sich die (in sich selbst rein passive) Wirkung selbst an, ›zieht sie hinauf‹.76 Auf diese Weise wirkt Wirkendes, insoweit es vermag, sich Ähnliches, und wirkt sich selbst im 70. Eckhart, In Ioh., n. 182 (LW III 151,1-2.4-6). 71. Vgl. id., In. Gen. II, n. 111-112 (LW I,1 576,12-577,14). 72. Vgl. id., In Ioh., n. 521 (LW III 449,12-450,7); so mache auch die Feuer-Form nur mittels der von ihr ausfließenden Wärme warm, wie von der Seele das Vermögen und von der Gnade die Tugend ausfließt. 73. Id., In Gen. II, n. 23-24 (LW I,1 493,6.12-494,3). 74. Vgl. ibid., nn. 85-93 (LW I,1 546-559); n. 169 (630,8-631,1). 75. Eckhart, In Ioh., n. 182 (LW III 151,2-3). 76. Vgl. dazu id., Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 10 (LW I,1 154,10-3); Prolog. in Opus propositionum, n. 24 (LW I,2 55,1-4 [Rec. L] oder LW I,1 180,6-10 [Rec. CT]). Das entspricht Eckharts Axiom: Das Obere (Frühere, als Ursache und Tätiges) empfängt nichts vom Unteren (Späteren, Verursachten, Leidenden), sondern steigt herab und gleicht sich – mit seinen Eigentümlichkeiten (proprietates) das Untere an. So der zweite allgemeine Grundsatz, vgl. id., Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 10 (LW I,1 154f.). Vgl. dazu prägnant Flasch, Meister Eckhart (2010), 105.

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Anderen. Es wirkt Anderes aus Anderem, zum eigenen Selbst Gemachtes. Es beginnt bei Anderem, kehrt vom Anderen zurück und zieht es zu sich selbst hin; das Andere ist der Endpunkt, von dem her, das eigene Selbst der Endpunkt, zu dem hin Wirkendes zieht und wirkt.77 Näherhin sind, indem mit der Unterscheidung von (1a) materialem und (1b) intellektualem Sein kreuztabelliert wird, insgesamt vier Wirktypen zu unterschieden:78 [1a, 2a] natürliches, analoges Wirken79 [1a, 2b] natürliches, univokes Wirken80 [1b, 2a] intellektuales, analoges Wirken:81 Die Ursache ist gleichsam nur wie ein Erleiden, im Fluss, in der Wirkung, wie die Form der Truhe im Werkzeug des Handwerkers. [1b, 2b] intellektuales, univokes Wirken:82 Die Ursache haftet dem geistigen Sein nach an der Ursache, wie die Truhe im Geist des Handwerkers. Bei aktualisierbaren, prozessualen Relationen von Wirkendem und Erleidendem können jeweils a) die Relate g e s o n d e r t , oder b) i m Z u s a m m e n w i r k e n beschrieben werden; beide Beschreibungsebenen verhalten sich wiederum zueinander wie Möglichkeit zu Wirklichkeit: 3a) Die Fo r m ist im Wirkenden Prinzip des Wirkens;83 sie ist identisch mit ihrer Wirklichkeit. Es gibt keine Disposition, die zwischen 77. Eckhart, In Ioh., n. 67 (LW III 55,9-11). Vgl. id., Sermo XLIX,2, n. 510 (LW IV 425,1-12): Ursprung und Abbild sind der Substanz nach nicht zwei; das Bild ist allein in der intellektualen Natur, wo sich das Bild auf sich selbst vollkommen zurückwendet, wo Zeugender und Gezeugtes bzw. Spross Eines und Selbes sind in seinem Anderen und sein Anderes in seinem Anderen findet. Auf derartigen Strukturen basiert die Intellekttheorie Dietrichs, vgl. z.B. Mauritius Wilde, Das neue Bild vom Gottesbild (Freiburg/Schweiz, 2000), 117. 78. Vgl. zunächst Eckhart, In Gen. II, n. 202 mit der Hinordnung der Ideen in Gottes Sein auf [1a] naturales Sein in der Materie, [1b] intellektuales Sein in der ratio des Menschen (LW I,1 674,3-7); sodann n. 206 (LW I,1 680f.) mit der Anführung der vier Typen von Ursache-WirkungsVerhältnissen, ferner id., In Ioh., n. 31 (LW III 24f ). 79. Vgl. id., In Gen. I, n. 206 (LW I,1 680,11-3). 80. Ibid. (LW I,1 680,8-11). 81. Ibid. (LW I,1 681,2-7). 82. Ibid. (LW I,1 680,13-681,2.4-5). Vgl. id., In Ioh., n. 31 (LW III 24,8-14): nur im Intellekt, nicht in der Natur ist die Wirkung, als Wort wie auch als ratio, logos. In der Natur dagegen sind ideales und reales Sein nicht unterschieden und damit ist ersteres auch nicht als solches bestehend. 83. Vgl. id., In Ex., n. 28 (LW II 32,10); vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 15, a. 1 co.; I q. 47 ad 1; Eckhart spitzt Terminologie und Sache zu, unterschlägt z.B. eine abschwächende ›Ähnlichkeit‹ und spricht von generatio in eminenterem Sinne als Ziel des Werdens, von Form und Sein als Prinzip des Wirkens, wegen der Identifikation von Form bzw. Substanz Gottes mit dem Sein beim göttlichen Wirken von der Mitteilung des Seins.

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Form und M a t e r i e vermitteln würde.84 Form-haben und Sein-haben sind identisch; das Sein ist in Bezug auf alles das Ziel des Strebens, die Verwirklichung (actus, actualitas) und Vollendung.85 Die Materie ist bloßes Können, identisch mit ihrer potentia passiva und darum aus sich ohne Aktivität. Ihr mangeln Form oder Formen oder species. Sie strebt so aufgrund ihres Wesens zur essentia und zum Sein der substantiellen Form. Der Mangel besteht stets, gleich wie vollkommen die Form ist, unter der die Materie steht. Er ist so tief ins Wesen der Materie eingetreten, dass sie, wenn das möglich wäre, z.B. »NichtsEtwas« genannt werden müsste.86 Denn ein etwas ist ja erst, was eine Formbestimmung hat, und was in Bezug auf das Sein nur Potenz ist, ist eher Nichts. Diese Struktur prägt auch jedes Seelenvermögen. Die Aktivitätslosigkeit ist dann Bedingung der Möglichkeit der Einheit mit göttlichem Wirken in actu: 3b) Wirkendes und Wirkung-Erleidendes, Form und Materie sind erst und nur in der tätigen Realisierung in Verbindung und im Sein.87 84. Vgl. id., In Exod., n. 52 (LW II 56,2-5) und n. 139 (LW II 126,15-127,7) (mit den dort genannten Parallelstellen): im Sein des zusammengesetzten Dinges ist die Form eine und unmittelbar Sein-verleihend. Generatio verwendet Eckhart spezifisch für die Mitteilung von Natur und Substanz, die wiederum Ursache und Quelle aller Eigentümlichkeiten ist, weshalb hierdurch »alles« mitgeteilt werde, vgl. z.B. id., In Ioh., n. 572 (LW III 500,1-3) und obig Anm. 36. Fieri verwendet Eckhart gemeinhin für die Kausalität von Zweitursachen, vgl. etwa id., Sermo XXVIII,2 n. 284f. (LW IV 256f.): das S e i n des Werdens aber ist ganz und gar von Gott. Eckhart kürzt Debatten über eine etwaige Hervorbringung von Vielem aus Einem radikal ab: vgl. noch id., In Gen. I, n. 10 (LW I,1 194,9-10); dann: das Eine ist das ganze universum, Sermo XXVIII,2, n. 287 (LW IV 258,3-5). 85. Vgl. z.B. id., Prolog. Gen. in Opus tripartitum, n. 8 (LW I,1 153,7-11); id., In Gen. I, n. 164 (LW I,1 311,8-9); id., In Ex., n. 52 (LW II 55,10-3): jede substantielle Form ist und gibt Sein, ist innere Ursache des Dings. In einem Zusammengesetzten kann je nur genau eine substantielle, seinverleihende Form sein: ibid., n. 52 (LW II 56,6-7) (zur Strittigkeit derartiger Thesen vgl. z.B. Errores philosophorum, ed. J. Koch [Milwaukee/Wisconsin, 1944], 24,21-26,2, dort als Irrtum Avicennas, vgl. Metaphysica 2, 2, ed. S. van Riet, Bd. 3 [Leiden, 1977], 78,77-81); Eckhart, In Exod., n. 125 (LW II 116,11-3); id., In Sap., n. 31 (LW II 352,1-2); bildhafter z.B. ibid., n. 185 (LW II 521,1-4): Gottes Wirken distanziert vom Nicht-Seienden oder Nichts, von der Potenz, von der Unähnlichkeit zu Gott (der ja mit dem Sein zu identifizieren ist); id., Sermo XXVII,2, n. 279 (LW IV 253,5); id., In Ioh., n. 325 (LW III 273,9-11); vgl. Averroes, De anima II, 1, comm. 7 zu 412 b 9, ed. Juncta 1562, f. 52r B: composito non est ens in actu, nisi per formam (»Das Zusammengesetzte ist in Wirklichkeit Seiendes nur durch die Form«) und ibid., comm. 8 zu 412 b 10-17, f. 53r C; weiter Eckhart, Sermo XXIX, n. 305 (LW IV 270,9-10) (Sein als erster Akt); wie erwähnt (Anm. 14) und wie Eckhart auch Proc. Col. I, n. 34 (LW V 311,16f ); n. 115 (288,16-298,1), ausführt, eine u.a. von Avicenna und Thomas vertretene These. Vgl. z.B. auch id., In Ioh., n. 129 (LW III 110,15-111,12): Holz erlangt mit der Feuer-Form die volle Hitze, wie aus der Feuer-Form selbst hervorgehend, damit auch sein Sein. Id., Sermo XI,1, n. 112 (LW IV 105,12-106,1). 86. Vgl. id., In Gen. I, n. 36-37 (LW I,1 213,1-214,7). 87. Vgl. ibid., n. 199 (LW I,1 345f ); vgl. Aristoteles, De anima III, 2, 425 b 25-31.

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Mehr noch: Sofern Erleidendes r e i n von jeder Aktivität ist, kann es sich mit wiederum r e i n Wirklichem tatsächlich e i n e n , anstatt akzidentell v e r e i n i g e n . So kann etwa der farb-lose Sehsinn jede Farbe rezipieren.88 Durch die Form (und das Wirken) sind dann Materie und Form eines.89 Wessen das Sein ist, dessen ist auch das Wirken. I m S e i n aber haben Form und Materie e i n Sein und e i n Wirken.90 Dies gilt insbesondere für epistemische Relationen: Intellekt und intelligibler Gegenstand, Sehsinn und Sichtbares,91 Sprechen und Gesprochenwerden, Zeugen und Gezeugtwerden (Vaterschaft und Sohnschaft),92 aber auch Bauen und Gebautwerden.93 Das Wissen hat dabei das Sein des Wissbaren, insofern 88. Vgl. Eckhart, In Gen. II, n. 30-32 (LW I 498-501); n. 124 (589,7-11): die Reinheit gereicht der Materie zur Zierde; je reiner, desto aufnahmefähiger, desto inniger die Einigung von Materie und Form, von Wirkendem und Erleidendem, desto bereiter für das Sein; ibid., n. 125 (LW I 589f.): die reine Aufnahmebereitschaft ist eine Wendung nach Innen statt auf die Weltdinge – vgl. die eingangs angeführten Passagen aus den RdU und Pr. 40; neben in der obigen Anm. n. 52 genannten Textstellen: id., In Exod., n. 52 (LW II 55,7-9); id., In Ioh., n. 100 (LW III 86,3-7); n. 106 (LW III 91,3-4); n. 107 (LW III 91,6) (ganzes Sein vom Gegenstand); n. 232 (LW III 194,12-3); n. 469 (LW III 402,6-8); n. 655 (LW III 569,7-9); id., In Eccl., n. 8 (LW II 236,1-237,8) (nur Beachtung der Form) und n. 9 (LW II 237,9-238,12). 89. Vgl. id., In Gen. II, n. 123 (LW I,1 588,6-7). Natürlich besteht derartige Einheit hier und sonst nie in jeder Hinsicht – Eckhart unterscheidet ja z.B. ›alius – non aliud‹ in actu, s. oben Anm. 68. 90. Ibid., n. 33 (LW I,1 501,7-9). 91. Vgl. ibid. (LW I,1 501,10-3); id., In Ioh., n. 57 (LW III 47,17-48,4). 92. Vgl. id., Sermo II,1 (LW IV 8,11-4); id., In Gen. II, n. 51 (LW I,1 519,2-3): Bezüglich des Sprechenden ist das aktive Sagen dasselbe (dem Wa s oder S e i n nach), was bezüglich des (gesprochenen) Wortes das passive Gesagtwerden ist; aktives Zeugen und passives (Gezeugtwerden) sind dasselbe, der Vater (ist hinsichtlich des Was oder Seins dasselbe wie) der Spross, die Vaterschaft (ist hinsichtlich des Was oder Seins dasselbe wie) die Sohnschaft). Auf diesen Gedanken beruft sich Eckhart, Proc. Col. II, n. 87-8 (LW V 339,8-16), zur Rechtfertigung seiner Pr. 14 (DW I 239,4-7) entnommenen Formulierung, der edle Mensch strebe nach der den Sohn zeugenden Vaterschaft selbst, nicht nur nach dem Sohnsein (LW V mit gleichfalls einschlägigen Formulierungen aus id., In Ioh., n. 507-8 [LW III 439f.] belegt); ibid., n. 573 (LW III 500,8-12) verbindet Eckhart das Mitväter-Sein mit dem Sichzeigen Gottes und der Einheit von species, imago und deren Spross in Betrachtung (meditatio), Denken (cogitatio) und Liebe; ähnlich id., Pr. 22 (DW I 383,8); id., Sermo LI (LW IV 433): die Seele gebiert mit Gott-Vater zusammen den Sohn; id., Pr. 2 (DW I 32,2-4 sowie 41,3-4). 93. Vgl. id., In Gen. II, n. 51 (LW I 519,3-8). Allerdings mit der Einschränkung (im Unterschied zu Gott, in dem, vgl. id., In Ex., n. 20 (LW II 26,1-8), das Wesen und Genügen, Substanz und potentia, Sein und Wirken identisch sind), dass der (menschliche) Baumeister nicht seiner Substanz nach ein Bauender ist und als Bauender nicht seine eigene Wesensform (Menschsein) gibt; für das gebaute Haus sind entsprechend Sein und Gebautwerden nicht identisch. Ähnlich id., In Ioh., n. 30 (LW III 23,8-24,6) (dann wäre seine Wirkung »Wort«); ibid., n. 66 (LW III 55,1-4): Wäre des Künstlers Substanz identisch mit dessen Kunst, wäre die Statue (wie jede Wirkung) im Künstler (als Prinzip des Wirkens, hier der ars, die nach Voraussetzung ja des Künstlers als solchen Wesen selbst wäre) – faktisch aber ist der menschliche Künstler nur per accidens Ursache der Statue (ibid. [54,10]).

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es im Prozess des Wissens begriffen ist, welches wiederum vom Wissenden wie vom Gewussten abhängt. Mögliches (Empfangendes) und Wirkliches (Wirkendes) wird so e i n Sein.94 Erkanntes und Erkennendes (und deren Sproß, das aktuale Denken) sind dann einfachhin und absolut dasselbe hinsichtlich der Substanz, hinsichtlich Möglichkeit und Wirklichkeit, hinsichtlich Früher und Später und hinsichtlich des Trägers.95 Eckhart nennt sein Thema daher zutreffend ›de potentia obiecto‹96 und spricht auch von »Umformung«.97 Von hier aus verstehen sich die eingangs vorgestellten, theologisch kühnen Passagen über die Mit-Wirkung mit Gott im s e l b e n Wirken und sogar über das Wieder-Gebären des Sohnes. Eckhart bietet sogar die Skizze eines transzendentalen Arguments für seine These: »Der Sohn ist Prinzip alles Wirkens«:98 ›Sohn‹ wird hier nicht deskriptiv beschreibend, sondern als Strukturbegriff gebraucht. ›Sohn‹ steht für die Struktur, in sich vorher gezeugtes Prinzip für Hervorzubringendes zu sein. So ist ›Sohn‹ auch Vorbegriff jedes Gesagten. Also ist die These identisch mit: »Für jedes Wirken gibt es ein in sich im vorhinein zeugendes Prinzip dieses Wirkens (das ›Sohn‹ genannt werden kann)«. Ein Unterfall davon ist: Niemand kann einen (wahrheitsfähigen) Sprechakt vollziehen, ohne vorher den Gehalt des Auszusagenden im Geiste konzipiert zu haben. Wer dies n e g i e r t , vollzieht damit selbst einen Sprechakt, für welchen er den Gehalt im Vorhinein konzeptualisiert haben muss. (Was aber nicht negierbar ist, ist wahr.) Natürlich wären die verschiedenen Voraussetzungen dieser Argumentationsskizze ausführlich zu diskutieren; stattdessen sei hier nur nochmals die Struktur der Überlegung hervorgehoben: Die Relation von Vater-Sohn ist gleich der von Wirkendem-Bewirkten und insbesondere von Denkendem-Gedachtem; eine Negation der These 94. Vgl. z.B. id., In Gen. I, n. 199 (LW I,1 346,1-15); id., In Ioh., n. 354 (LW III 301,2-3). 95. Vgl. ibid., n. 508 (LW III 440,7-10). Die hier nicht nur auf Gott als reinen Akt bezogene Wendung totum est quod esse potest (»ist alles, was sein kann«) findet bei Cusanus vielfach Anwendung, vgl. Anm. 110. 96. Vgl. ibid., n. 505 (LW III 435,13-4). Eben weil das Vermögen sein (Was und sein) Sein in actu ganz vom Objekt bzw. Akt selbst (vgl. id., In Sap., n. 266 [LW II 596,5-6]) her hat, kann Eckhart Potenz und Akt auch ›indistinkt‹ nennen – so jedenfalls scheint letztere isoliert in: ibid., n. 155 (LW II 491,1-2) formulierte These erklärbar; unter anderen Hinsichten distinguiert Eckhart natürlich sehr wohl, etwa insofern sich der Akt auf Eines, die Potenz auf noch Vieles (Verwirklichbares) bezieht, ibid., n. 157 (LW II 493,9-10). 97. Id., In Ioh., n. 507 (LW III 439,1-3). 98. Vgl. ibid., n. 59 (LW III 49,5-12).

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würde, da sie ein Denken präsumiert, selbst von eben der Struktur Gebrauch machen, die sie negieren will. Auch hier ist kenntlich, wie eng die Themen von Wirken, Gottesgeburt und Erkennen zusammenhängen. 8. Cusanus: Bleibende Disproportionalität zum Unendlichen Wenn man begreifen will, in welchem Sinne das Göttliche das ermöglichende Prinzip allen Wirkens ist, so muss, wie man zusammenfassend für Eckhart sagen kann, eine Orientierung an Effizienzkausalität und analogem Wirken überwunden werden. Die Ebene der Analyse muss diejenige der Intellektualität sein, dabei muss es letztlich um eine Reduktion der Wirkung aus Selbststand gehen, eine Reduktion auf reines Vermögen, da nur so eine vollendete Aufnahme von Form und Sein möglich wird. Letztere folgt dann aus der Struktur göttlicher Wirksamkeit und menschlichen Intellektvollzugs selbst. Aus Konzepten von Wirkursächlichkeit und analoger Kausalität resultierende Vorstellungen sind dabei so weitgehend aufzugeben, dass sogar die Relate von Wirkendem und Bewirktem uneindeutig werden, sie greifen ineinander, da beider Form und Sein letztlich zu identifizieren sind, woraus Eckharts Aussagen über ein ›Erleiden‹ in Gott oder ein ›Mit-Gebären‹ des Sohnes resultieren. Cusanus teilt diesen Ansatz in wesentlichen Grundoptionen: Für die Aufklärung der Möglichkeit der Erkenntnis und Rede von Gott muss bei Gott als ermöglichendem Grund jeder eingeschränkten Wirklichkeit angesetzt werden, und die Analyse muss auf dem Niveau von Intelligibilität und deren Grund ansetzen. Seine Reflexion hat dabei vielfach die Struktur transzendentaler Reflexion bzw. Argumentation. Gehalt oder Struktur des zu Denkenden wird in der Struktur des Denkens selbst zu finden versucht. Ein Beispiel ist: Gott sei B e g r i f f d e r B e g r i f f e . Un s e r Begriff vom Begriff nähere sich daher dem Unbegreifbaren.99 Auf diese Denkfigur wird abschließend zurückzukommen sein. Schon die eben paraphrasierte Formulierung macht aber eine Differenz zur Position Eckharts kenntlich: Zwar spricht Cusanus, anders als Eckhart, vielerorts z.B. von mystischer Theologie, aber gerade n i c h t z.B. von formal-aktualer Einheit mit Gott. Es bleibt vielmehr bei der Nä h e r u n g , 99. Cusanus, Idiota de Sapientia II, n. 28, ed. L. Baur und R. Steiger, Bd. V (Hamburg, 1983), 58,16-7.

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bei nur Te i l h a b e statt univoker Einheit, auch nicht in actu, was überhaupt für das Verhältnis von Intellekt und Wesen der Sache gilt. Die Aktualität unserer Einsicht besteht in der Te i l h a b e am göttlichen Intellekt. Teilhabe ist kein Mit-Wirken in s e l b e r Wirkweise wie bei Eckhart. Göttliche Vernunft ist dabei ›wirklichste Kraft‹. Sie kann aber nur in der Ve r s c h i e d e n h e i t d e r A n d e r s h e i t aufgenommen werden. Die göttliche Vernunft ist nicht im r e i n e n Vollzug substantiellformal und im Sinne eines Ineinander-Wirkens identisch mit der menschlichen. Als eine Wirklichkeit, an welcher ein Geist aktual teilhat, ist sie n o c h m a l s bezogen auf göttliches Erkennen, nochmals nur in Andersheit und Vermögen, nur in Annäherung, aber ohne Erreichen.100 Das sichert axiomatisch die ›Regel der belehrten Unwissenheit‹ ab: Von dem, was ein Mehr oder Weniger annimmt, wie eben jedes menschliche Erkennen und Vermögen, gelangt man nie zu einem einfachhin Größten oder Kleinsten.101 9. Cusanus: Gott ist jenseits des Zusammenfalls von Möglichkeit und Wirklichkeit Sein Axiom der Disproportionalität von je Steigerbarem zu Unbegrenztem bringt Cusanus von seinem ersten Hauptwerk an in der Diskussion der Begriffe ›Materie‹ und ›absolute Möglichkeit‹ zu Anwendung.102 Absolute Möglichkeit ist, anders als für Eckhart, für sich dann eigentlich unmöglich. Denn sonst existierte im Bereich des je Steigerbaren ein Maximum (eine ›schlechte Unendlichkeit‹). Nur das Erste selbst ist von absolutem Vermögen und ist unendliche Wirklichkeit.103 So gilt für die 100. Vgl. (hier unter Auslassungen paraphrasiert) id., De coniecturis I, c. XI, n. 56, ed. J. Koch, K. Bormann und H. G. Senger, Bd. III (Hamburg, 1972), 57,6-58,5. 101. Vgl. Cusanus, Dialogus de ludo globi, n. 96, ed. H. G. Senger, Bd. IX (Hamburg, 1998), 121,22-4; id., De venatione sapientiae, n. 79, ed. Klibansky, 76,1-3. Die Regel wird (ohne dort schon als solche benannt zu werden) in id., De docta ignorantia I, c. 3, n. 9-10, ed. E. Hoffmann und R. Klibansky, Bd. I (Leipzig, 1932), 8,20-2, als Schlussfolgerung aus dem fehlenden gemeinsamen Maß für Unendliches und Endliches gefolgert, dann ibid., II, c. 1, n. 91, ed. Hoffmann/Klibansky, 61,8-9, als »Wurzel« bezeichnet. Dort wird die in ihrer Präzision je unfassliche Wahrheit selbst (auch die Washeit als Wahrheit der Dinge) mit der absoluten Notwendigkeit verbunden, dergegenüber unser Intellekt »Möglichkeit« (possibilitas) ist (ibid., I, c. 3, n. 10, ed. Hoffmann/Klibansky, 9,21-6). 102. Vgl. den Schluss von id., De docta ignorantia II, c. 8, n. 140, ed. Hoffmann/Klibansky, 89,22-3. Eckharts zweite allgemeine Regel (vgl. Anm. 76) hat ähnliche Implikationen. 103. Cusanus spricht auch von rein(st)em Akt, z.B. id., De venatione sapientiae, c. 9, n. 25, ed. Klibansky, 26,2.

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absolute Möglichkeit, was für jedes Maximum (oder Minimum) gilt: Sie ist »in Gott Gott« – alles a u ß e r h a l b Gottes aber ist eingeschränkt.104 (Relative) Wirklichkeit (von Einzelseiendem außerhalb Gottes) ist umgekehrt natürlich je auch eine Einschränkung (von absoluter auf relative Möglichkeit).105 Cusanus nimmt hier, insofern über Eckharts Aspektuierung außerhalb Gottes (1a) oder i n G o t t (1b) hinausführend, eine semantische Entkernung vor. Nicht nur die Entgrenzung limitierter A k t u a l i t ä t auf absolute Aktualität hin, sondern auch die Entgrenzung von limitiertem Vermögen auf absolute M ö g l i c h k e i t hin, wie sonst als erste Materie reifiziert, fällt mit Gott als erstem Prinzip zusammen. Das ist n i c h t einfachhin identifizierbar mit der von Cusanus einen Textabschnitt früher referierten peripatetischen (und von Eckhart als Grundlage übernommenen) Position, wonach in Gott alles in actu ist, sondern führt noch darüber hinaus.106 Zwar findet sich, wie gezeigt, auch bei Eckhart eine Aufwertung der Passivität, aber unter Annahmen, die Cusanus so nicht teilt, nämlich einer angenommenen Kapazität reiner Materialität zur dann reinen Formaufnahme, auch der Fo r m d e r Fo r m e n . Dass Gott reiner Akt ist, formulieren beide, aber mit divergierenden Ergänzungen: bei Eckhart ergänzt um die Aussagbarkeit z.B. eines Erleidens in Gott, bei Cusanus um den Zusammenfall mit absoluter Möglichkeit. Sein Argument dafür ist zunächst dieses: Absolute Möglichkeit kann n i c h t f r ü h e r (wirklich) sein als die Wirklichkeit, denn (wirklich) (früher) sein könnte sie nur d u r c h die Wirklichkeit; die absolute Möglichkeit kann n i c h t s p ä t e r sein als die Wirklichkeit, denn was (wirklich) ist, das ist je auch möglich.107 Also fallen (absolute) Möglichkeit, (absolute) Wirklichkeit und beider Verknüpfung zusammen. 10. Cusanus: Kategoriale Differenz von Werden-Können und Ewigem Eine Differenz zur bloßen Identifikation von Gott und Aktualität wird noch deutlicher, wenn die Inkommensurabilität des Ersten, Göttlichen von allem Deklinierbaren, Wandelbaren, mehr oder weniger Verwirklichten 104. 105. 106. Klibansky, 107.

Id., De docta ignorantia II, c. 8, n. 136, ed. Hoffmann/Klibansky, 88,2-5. Ibid., n. 137, ed. Hoffmann/Klibansky, 88,9-10. Ibid., n. 135, ed. Hoffmann/Klibansky, 87,17-9. Vgl. noch ibid., n. 140, ed. Hoffmann/ 89,17. Vgl. id., Trialogus de possest, n. 6, ed. R. Steiger, Bd. XI/2 (Hamburg, 1973), 7f,5-18.

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dadurch abgebildet wird, dass für »alles, was sein kann« und wodurch Gott »alles macht«,108 ein eigenes Prinzip bzw. ontologischer Status eingeführt wird. Dieses Prinzip nennt Cusanus posse fieri (»Werden/GeschehenKönnen«). Es wird, kurz resümiert, wie folgt eingeführt:109 (i) Wenn etwas unmöglich ist, dann geschieht es nicht. (Axiom der aristotelischen Physik) (ii) Wenn etwas geschieht oder geschehen wird, k o n n t e oder k a n n es geschehen. (aus i durch Kontraposition) (iii) Wenn etwas ist, aber n i c h t geworden ist, dann k o n n t e und k a n n es nicht (ein anderes) werden (bzw. geschaffen werden). (eine Fallunterscheidung zu Fällen von ii) (iv) Das Ewige ist ein Fall von iii. Es ist »früher« als alles, wovon gilt: es »kann werden«. Es ist früher als das »Werden-Können«. (v) Das Ewige »ist alles, was es sein kann«. (aus iii, da es nichts a n d e r e s werden und also nichts anderes s e i n kann)110 (vi) Wenn aber etwas geschaffen ist, dann ist es s p ä t e r als das »Werden-Können« und nur durch dieses geworden. (aus ii) (vii) Das Werden-Können ist nicht gemacht. (aus vi, sonst wäre es später als es selbst) Aber es hat einen Anfang. (aus iv)111 Von dieser Argumentation beansprucht Cusanus, auf einem letzten Gewissheitsgrund (i) aufzuruhen. Die Qualität dieses Arguments muss 108. Id., De venatione sapientiae, c. 9, n. 25, ed. Klibansky, 26,1-2. Insofern ersetzt das posse fieri die ›absolute Möglichkeit‹ ewiger Materie, wie Cusanus auch ibid., n. 26, ed. Klibansky, 27,1-12 gegen Aristoteles entwickelt. 109. Ibid., c. 3, n. 7, ed. Klibansky, 9f. 110. Vgl. ibid., ed. Klibansky, 10,11: est omne quod esse potest (vgl. auch ibid., c. 13, n. 34, ed. Klibansky, 35,6-8). Diese Wendung gebraucht Cusanus vielerorts, vgl. insb. id., Trialogus de possest, n. 7, ed. Steiger, 8,7f; eindeutig id., Compendium, n. 45, ed. B. Decker und K. Bormann, Bd. XI/3 (Hamburg, 1964), 34,7-8: cum sit omne, quod esse potest, tunc et omnia, quae esse possunt (»es [das Können, demgegenüber nichts mächtig ist] ist alles, was es sein kann, darum auch alle [Dinge], die sein können«); sowie id., Sermo XXIV, n. 14, ed. R. Haubst u.a., Bd. XVI (Hamburg, 1991), 399,16: Got allein is alles, das da syn mach (»nur Gott ist alles, was da sein kann«). Die eingangs angeführten Stellen sind auch mit »Gott ist alles, was sein kann« übertragbar, obwohl das Beispiel der Sonne in n. 8, welche die Formel nicht erfüllt, »...was e r sein kann« nahelegt. Hier geht es m.E. Cusanus zunächst nicht um eine Aussage wie »Gott ist erster Seinsgrund und letzte Seinsvollendung v o n A l l e m «, sondern (u.a. weil sonst der Schluss von iii auf v nicht gelänge) um die Identifikation von Ewigem und absoluter Wirklichkeit. Vgl. aber dann Anm. 119. 111. Vgl. dazu id., Trialogus de possest, n. 29, ed. Steiger, 34,2-3: das Werden-Können setzt das a b s o l u t e K ö n n e n voraus, welches vertauschbar ist mit der Wirklichkeit.

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hier dahingestellt bleiben. Hervorzuheben ist die Relationierung des G e w o r d e n e n zunächst auf ein Prinzip des We r d e n - K ö n n e n s und davorliegend noch ein e w i g e s P r i n z i p , wie veranschaulichbar am sichtbar Werdenden, am Sichtbar-Werden-Können der Farbe, und am ewigen, unsichtbaren Licht, dessen Ähnlichkeit aber die Farbe ist.112 Der Kunstausdruck possest (»Können-Ist«) fasst (v) zusammen: »Nur Gott ist das possest, weil nur Gott aktual ist, was er sein kann.«113 11. Cusanus: Gott ist Alles in Wirklichkeit, was überhaupt sein kann Da es Vermögen und Verwirklichung (und Werden-Können und Wirklich-Sein) je nur in steigerbaren Vorkommnissen gibt, muss Gott, dem Disproportionalitätsaxiom zufolge, selbst v o r der Unterscheidung von Potenz und Akt gesucht werden.114 Gleichwohl ist es die Nachahmung der Wirklichkeit des possest, was die Wirklichkeit von Allem ermöglicht.115 Alle Dinge haben so Anteil am Werden-Können als der Ähnlichkeit der einzigen Erstursache.116 Man kann sie im Ewigen intellectualiter schauen, wie sie werden sollen.117 Oder auch: Absolut (losgelöst von Einschränkungen) in sich betrachtet, ist Gott die Wirklichkeit jedes Könnens.118 Die Ewigkeit ist identisch mit der Eins, sofern dabei jeder Unterschied, insbesondere der von Verwirklichung und Vermögen, getilgt ist.119 Da Cusanus nämliches nicht nur von der Eins, sondern auch unter selber Hinsicht von der Zwei usw. sagt, scheint man die Aussage überhaupt verallgemeinern zu dürfen. Denn die Zahlreihe repräsentiert für Cusanus die Vielfältigkeit der Gegenstände. Damit wird (v) umgewendet auf alle Möglichkeiten und Verwirklichungen hin – und diese Hinsichtnahme ähnelt dann derjenigen Eckharts, etwa in Formulierungen wie »alles

112. Id., De venatione sapientiae, c. 6, n. 14, ed. Klibansky, 15f. 113. Ibid., c. 13, n. 34, ed. Klibansky, 35,12-3; vgl. ibid. n. 36, ed. Klibansky, 36,1-2. 114. Ibid., n. 35, ed. Klibansky, 35,5-6. 115. Ibid., n. 36, ed. Klibansky, 36,2-4. 116. Ibid., c. 7, n. 16, ed. Klibansky, 17,1-18,15. 117. Ibid., c. 3, n. 8, ed. Klibansky, 10f. Vgl. ibid. c. 9, n. 25, ed. Klibansky, 27,5-8; id., Trialogus de possest, n. 71, ed. Steiger, 83,11-2. 118. Ibid., n. 59, ed. Steiger, 70,1-2; vgl. n. 69, ed. Steiger, 81,1-5. 119. Vgl. id., De venatione sapientiae, c. 13, n. 37, ed. Klibansky, 36f,4-8. Vgl. id., De docta Ignorantia I, c. 2, ed. Hoffmann/Klibansky, 7,5-12; dazu Kurt Flasch, Die Metaphysik des Einen bei Nikolaus von Kues (Leiden, 1973), 168-74.

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gemeinsame, insofern es gemeinsam ist, ist Gott«.120 Cusanus spricht auch von einer essendi aequalitas (»Seins-Gleichheit«) jeder Größe mit dem possest.121 So sagt Cusanus zunächst von den intelligibilia: Sie sind, was geschaffen ist als das, was es überhaupt werden kann,122 so etwa die Schönheit, das Gute, das Wahre, all das ist in Gott mit dem ewigen Gott als Form-, Wirk- und Zielursache identisch.123 Eine etwaige Priorisierung der Kausalitätstypen (bei Eckhart zugunsten der Formursächlichkeit) gibt Cusanus hier und andernorts nicht. Wo Cusanus von Einfaltung und Ausfaltung spricht, spricht Eckhart von (in Gott) verborgen und (außerhalb Gottes) manifest. Eckhart formuliert dies für sämtliche Formen und die Einzeldinge in ihrem Grund, Cusanus scheinbar zunächst nur von Maxima und Minima bzw. intelligibilia. Aber das Beispiel von Eins, Zwei usw. und seine Auffassung, dass die Vielfalt aller Dinge analytisch als Ausfaltung der Zahlen rekonstruierbar sei, legt bereits eine Verallgemeinerbarkeit nahe – die Cusanus in der Tat auch entwickelt: Die Sonne, so sein Beispiel, sofern man sie intellectualiter hinüberträgt in das posse esse, also dergestalt entgrenzt, dass die Sonne alles ist, was sie sein kann, wäre n i c h t s a n d e r e s a l s Gott.124 Gott hat das Sonne-Sein freilich in besserer Weise, ganz wie die Hand w a h r e r in der Seele als am Körper ist.125 Letztlich ist dazu alle Grenze fortzunehmen, auch jene, welche das Sein der Sonne vom Sein des Mondes unterscheidet, so dass auf das ewige Sein geschaut wird.126 Begründet ist diese Entgrenzbarkeit darin, dass Gott Grund (ratio) und Wahrheit von allem ist – eine Auffassung, deren Präzisierungen Kunstbegriffe wie possest zusammenfassen. Ganz im Sinne der via affirmativa sive causalitatis ist so, unter freilich von Cusanus vielfach diskutierten Vorbehalten, eine Benennung mit den Namen, die von eingeschränkten Dingen und Eigenschaften genommenen sind, p r i n z i p i e l l doch möglich.127 120. Vgl. Eckhart, Sermo VI/1, n. 51 (LW IV 52,3). 121. Vgl. Cusanus, Trialogus de possest, n. 9, ed. Steiger, 11,23-5. 122. Id., De venatione sapientiae, c. 3, n. 8, ed. Klibansky, 10,4-5. 123. Ibid., c. 7, n. 18, ed. Klibansky, 19,15-9; n. 22, ed. Klibansky, 23f., wird Wirkursache auf Einheit, Formalursache auf Seiendheit, Zielgrund auf das Gute bezogen und dieser Ternar mit der Trinität verbunden. 124. Vgl. id., Trialogus de possest, n. 11, ed. Steiger, 13f. 125. Vgl. ibid., n. 12, ed. Steiger, 14f,10-7. 126. Vgl. ibid., n. 68, ed. Steiger, 80f,14-23. 127. Vgl. hier z.B. ibid., n. 70, ed. Steiger, 82,6-9, am Beispiel der Größe.

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Die Bezugnahme auf das Sein in der Seele entspricht zunächst dem eckhartschen Akzent auf Intellektualität (1b). Ebenso die geistige Abstraktion z.B. im intellektual-entgrenzenden Sehen der Sonne als nicht-anderes denn Gott. Aber derartiges bleibt für Cusanus nur eine Analogie zum Verhältnis von begrenzter zu absoluter Wirklichkeit. Eckharts Bezugnahme auf ein unum in actu und eine Form-Gleichheit mit dem Objekt des Intelligierens findet sich so bei Cusanus nur beiläufig und ohne Eckharts theologische Pointen.128 Eckhart hätte in den entsprechenden Passagen z.B. sagen können: Die Kraft des Ursprungs wird zwar nie g a n z in irgendetwas gegeben, was (noch) s e i n k a n n ,129 aber ein reines Intelligieren in actu wäre als solches auch frei von Potentialität. Stattdessen vertritt Cusanus: Erkennen ist zwar a n g l e i c h e n , aber eben nicht formale Identität in actu mit dem Erkannten.130 Ebenso gibt es bei Cusanus auch keine direkte Entsprechung zu Eckharts Theorie univoker Kausalität: Zwar ist die Ursache im Verursachten, aber das Warm-machenKönnen, beispielsweise, ist n i c h t die essentia der warmen Dinge, sondern (nur) deren causa.131

128. Vgl. etwa id., De venatione sapientiae, c. 36, n. 106, ed. Klibansky, 100,14-9. Ein anderes Beispiel ist, dass Cusanus das Spiegel-Gleichnis nicht wie Eckhart (Sermo V,1 [LW IV 35,6-15]) dahingehend modifiziert, dass die Substanz des Geschauten im Erkennenden selbst wäre; vgl. stattdessen Cusanus, Compendium, c. 8, n. 24, ed. Decker/Bormann, 19f: Gott ist (mit den Chartrensern) forma essendi, bleibt aber in allem Seienden unfassbar; leuchtend in den intellektualen Zeichen, aber ohne begriffen zu werden, wie ein Antlitz in vielen Spiegeln leuchtet, aber ohne der Materie nach einzugehen, sonst in sich bleibend und sich vielfältig zeigend, wie menschlicher Intellekt in sich bleibt und sich vielfältig darstellt. (Vgl. die Angaben im Apparat ibid.). 129. Vgl. id., Trialogus de possest, n. 27, ed. Steiger, 33,13-4; vgl. dagegen ibid., n. 30, ed. Steiger, 35,4-6: Unser Intellekt ist nicht das Können-Ist, da nicht in Wirklichkeit, was er sein kann; ibid., n. 29, ed. Steiger, 35,14-7, bringt Cusanus das Beispiel des Eingefaltetseins des Geschriebenwerdens (und insofern Nichtseins) des Buches (›passives Können‹) im Buchschreiben (›aktives Können‹). Vgl. dazu die eckhartschen Überlegungen zum Baumeister: Anm. 84 und 93. 130. Vgl. z.B. Cusanus, De venatione sapientiae, c. 17, n. 50, ed. Klibansky, 47,1; auch die Selbsterfassung als Abbild und Ähnlichkeit verbleibt in der Gradualität und Disproportionalität, vgl. ibid., ed. Klibansky, 48,12-3. An die Stelle unmittelbarer Form-Erfassung im Intellekt tritt bei Cusanus die Vermittelung durch produzierte, stets nur graduell genaue Zeichen, wie dies u.a. im Compendium ausführlich entwickelt wird, vgl. Compendium, c. 2, n. 3, ed. Decker/Bormann, 4,1-11; c. 4, n. 8, ibid., 7,2-8,20; c. 5, n. 11f., ibid., 9,2-10,10. 131. Vgl. id., De venatione sapientiae, c. 39, n. 118, ed. Klibansky, 109,11-7; Namen, die man von spezifisch Hervorgebrachtem nimmt, bleiben damit problematisch (vgl. ibid., n. 100, ed. Klibansky, 95), zumindest nach von uns gebildeter Bedeutung.

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Christian Ströbele

12. Cusanus: das posse ipsum als Strukturbegriff von Transzendentalität Eckharts t h e m a t i s c h e r Akzent auf einer Univozität der Vernunft in actu mit ihrem Objekt, dem Göttlichen als Sein und Form der Aktualität selbst, hat bei Cusanus zumindest eine gewisse s t r u k t u r e l l e Entsprechung. Während Namen, die wir selbst bilden, indem wir bei einzeln herausgreifbarem Verursachtem ansetzen, je nur die von uns beigelegte begrenzte Bedeutung besitzen, führt die Reflexion auf die Struktur der Ermöglichung von Benennung, Begründung und Ermöglichung weiter. Die cusanischen Gottesbegriffe sind damit nicht eigentlich Wesensbegriffe, sondern Meta-Begriffe, die auf Begreifen, Begriffsbildung und deren Ermöglichung selbst reflektieren. Das gilt auch für seine früheren Vorschläge, etwa die Koinzidenzformel oder das Nicht-Andere. Cusanus konzentriert in seinen spätesten Schriften, ansatzweise im Compendium und entwickelter in De apice theoriae, noch entschiedener die Struktur von Ermöglichung überhaupt, oder anders gesagt, von Transzendentalität im Sinne eines Vorgriffs auf Möglichkeitsbedingungen überhaupt, in einem einzigen Begriff, dem des ›Können selbst‹ (posse ipsum). Es ist das eine Prinzip, ohne welches überhaupt nichts sein kann. Insofern die Frage nach dem ›Was etwas ist‹ als Antwort den Verweis auf genau e i n Prinzip hat, ist das ›Können selbst‹ dieses eine Prinzip.132 Die Antwort auf die Frage nach der Washeit lautet dann: Sie ist (auf diverse Weise e r s c h e i n e n d e s ) K ö n n e n .133 Der humorige Dialog zwischen Peter und Kardinal – Quid quaeris? – Recte ais. – Ego te interrogo, et tu me derides (»Was suchst du? – Das sagst du wohl. – Ich frage dich, und du machst dich über mich lustig«)134 – stellt bereits die Sachstruktur vor: Voraussetzung und Referenz der Frage (nach dem Was, aber letztlich jeder Frage, in letzter Hinsicht) fallen zusammen. Diesen Begriff des posse ipsum nun f i n d e t die Vernunft zirkulär zugleich als das, w a s sie je s u c h t , wenn sie nach d e m ›Was‹ sucht. Das Beziehen auf einen Grund und ein Vermögen ist daher, so Cusanus, jedem Laien und Jugendlichen vertraut135 und ohne den vorauszusetzenden Bezug auf den 132. Vgl. id, De apice theoriae, n. 4, ed. Klibansky, 119,4-15. Cusanus knüpft damit an die Identifikation von ›Was‹ und potentia wie z.B. bei Thomas und Eckhart an, geht aber unter den genannten Hinsichten darüber hinaus. 133. Vgl. ibid., n. 9, ed. Klibansky, 123,7-9. 134. Vgl. ibid., n. 2, ed. Klibansky, 118,9-11. 135. Vgl. ibid., n. 6, ed. Klibansky, 120,1-121,13.

›Möglichkeit‹ und ›Wirklichkeit‹ bei Eckhart von Hochheim und Nikolaus von Kues

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Begriff des Könnens ist schlechterdings keine In-Frage-Stellung möglich. Darum ist das ›Können selbst‹ von höchster Evidenz. Die zugrundeliegende transzendentale Argumentationsform sei kurz verdeutlicht: Für die Rückfrage nach ersten Prinzipien gibt es das Testverfahren bezüglich zweier Begriffe F und G: »K a n n F gegenüber G früher sein bzw. realiter gedacht werden«, oder expliziter: »K a n n G sein bzw. realiter gedacht werden o h n e F« oder auch »Kann e t w a s G zukommen, dem F nicht zukommt«? Wenn nicht, dann ist F ›früher als‹ G. Setzt man für F eben ›das Können selbst‹ ein, dann führt d i e S t r u k t u r d i e s e r Fr a g e , und das heißt zugleich: die Struktur dessen, was es heißt, wenn die Vernunft nach ›früheren‹ Gründen fragt, dazu, dass sich zeigt: Das ›Können selbst‹ ist früher als Werden, als (überhaupt) S e i n , d i e s e s o d e r j e n e s Sein, Nichtsein, Eines, Erkennen, Machen und gleich welche anderen Kandidaten man für G einsetzen mag.136 Mit der Probe gegenüber ›Sein‹ zeigt sich die Evidenz des Können selbst, denn es resultiert, dass ›Sein‹ das Sein-Können und damit K ö n n e n überhaupt voraussetzt, womit die Frage ›Ist das Können?‹ keine verneinende Antwort zulässt. Kann man wirklich gleich welchen Kandidaten für G einsetzen? Kann man nicht z.B. wiederum das Können in die Non-aliud-Struktur einbetten: ›Das Können ist n i c h t s a n d e r e s a l s das Können‹? Ist dann nicht das Nicht-Andere (bei Eckhart strukturanalog: indistinctum) früher als das Können? Nicht früher, aber gleichursprünglich. Cusanus spricht hier zwar nicht mehr vom ›Nicht-Anderen‹, aber von der Gleichheit (aequalitas), die er auch dem Können ›gleich‹ stellt.137 Die Gleichheit, die Seinsform und Erkenntnisform von Allem ist, manifestiert sich in Allem, da nichts ihr unähnlich ist. Sie wird im Intellekt durch reine, von Qualität und Quantität entkleidete species erreicht.138 Das heißt nicht, dass das We s e n des ersten Grundes im Sinne sonstiger Wesenseinsicht (z.B. nach Angabe von Art und spezifischer Differenz) oder im Sinne Eckharts durch aktuale Form-Identität vollkommen erfasst würde. Aber die 136. Vgl. id., Compendium, n. 29, ed. Decker/Bormann, 23f,8-19 und id., De apice theoriae, n. 13, ed. Klibansky, 126,5-18. Mit der Regel »das Frühere hat eingefalteterweise alles Spätere« folgt die Koinzidenz von allem im posse ipsum, die der Schluss der Passage deutlich macht, vgl. auch ibid., n. 8, ed. Klibansky, 122,1-3: Das Können ist Hypostase und Washeit von allem und in seiner Macht ist notwendigerweise e n t h a l t e n , was ist und nicht ist; ibid., n. 10, ed. Klibansky, 124,1-4: Sein-Können, Erkennen-Können usw. sind Manifestationen des Könnens. 137. Vgl. id., Compendium, n. 30, ed. Decker/Bormann, 24,1-7. 138. Vgl. ibid., n. 33, ed. Decker/Bormann, 26,4-12.

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S t r u k t u r der Möglichkeitsbedingung jeder begrenzten Wirklichkeit erscheint in dieser Denkfigur und damit im Auf-Gründe-beziehen des Intellekts. Die Einsicht in die essentielle Nichtfasslichkeit des Können-Selbst ist damit zugleich eine Selbstüberschreitung des eigenen limitativen Könnens 139 und hat damit die Struktur w i s s e n d e n Nichtwissens. Weiter geht Cusanus nicht – eine informatio der Form der Formen selbst im Intellekt, der in actu die Form seines Objekts nicht nur erfasst, sondern einschränkungslos ist, ein univokes Mit-Wirken unter substantiell-formaler Gleichheit der Wirkenden in actu, mit den entsprechenden theologischen Korrelaten etwa eines Mit-Gebärens der Gottesgeburt in der Seele, derartige materiale Thesen formuliert Cusanus nicht. Statt von substantiell-formaler univoker Einheit spricht Cusanus nur von Annäherung, aber immerhin auch Überschreitung und Entgrenzung, und von einer zwar letztlich disproportional bleibenden, aber in der Einsicht in ihre Nichterreichbarkeit mit endlichen Erkenntnismitteln doch zugleich durch die mens i n s i c h selbst dem eigenen ›Können‹ nach vollendet auffindbare G l e i c h h e i t . Dieses Auffinden hat also bei Cusanus den Charakter einer transzendentalen Reflexion auf Transzendentalität selbst, einer Einsicht in das ›Können selbst‹ als Ermöglichungsgrund jeder Manifestation von Vermögen und limitativer Wirklichkeit. 13. Rückblick Eckhart wie Cusanus bringen die Frage nach dem letzten Grund fasslich begrenzter Wirklichkeit zusammen mit der Frage nach der Möglichkeit, Gott im Denken und Lebensvollzug soweit als möglich zu erreichen. Die Thematik der Verwirklichung aus gründender Möglichkeit ist für beide ein Theoriestück, welches die Verbindung beider Fragestellungen denkbar und analysierbar macht. Ein erster Ansatzpunkt ist: Ein We s e n des Göttlichen kann nicht im Wege rationaler Zergliederung begreiflich werden, eher erfasst man das Göttliche im Modus seiner Ve r w i r k l i c h u n g selbst. Diese kann aber keinesfalls z.B. im Sinne der Kausalbeziehungen zwischen vorhandenen Einzeldingen, etwa als Effizienzkausalität begriffen werden. Vielmehr ist auf gemeinsame Strukturmomente menschlichen 139. Vgl. id., De apice theoriae, n. 10-1, ed. Klibansky, 124f.

›Möglichkeit‹ und ›Wirklichkeit‹ bei Eckhart von Hochheim und Nikolaus von Kues

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Intellektvollzugs und deren Ermöglichungsgrund zurückzukommen. Dieser Ansatz führt Eckhart zur seiner Theorie der Wirk- und Erleidenseinheit gemäß univoker Kausalität mit dem Zielpunkt formaler Identität, deren Voraussetzung absolute Bloßheit des Vermögens wäre – eine Konzeption, die insbesondere für eine Bestimmung spiritueller Praxis direkt applikabel wird. Cusanus hält, trotz vieler Parallelen, stärker an seiner axiomatisch begründeten Disproportionalität fest, gelangt aber in der Strukturanalyse von Ermöglichung überhaupt zum Ermöglichungsgrund jeder Gottesrede.

La Trinidad como realidad del místico: Teresa de Jesús, Juan de la Cruz y el Maestro Eckhart Francisco Javier Sancho Fermín y Rómulo Cuartas Londoño, Ávila

Abstract One of the most fascinating topics in relation to the mystical experience is the decryption of the true space and environment where the mystic lives, which offers us a unique view of life. It is like the context without which we could not have a clear and accurate understanding of his experience and doctrine. The reality of the mystic delves into a vision of faith of the world and of events, in a sublime capacity to learn to see things in God and from God. That is why, in the world of Christian mysticism, the space of reality is none other than the scope of the Trinity. And so we see this in the three characters that are presented in this article: Teresa of Jesus, John of the Cross and Meister Eckhart. The main objective of this article is to show the importance for each of these great mystics to identify the true meaning of the reality in which they live and from which they write. Therefore we can understand the significance for the mystics of the mystery of the union with God, towards which their lives lead and to which all of us aim. A union that, independent of the conceptual language, points to the emerging founding experience of Christian mysticism: the gift that is already taking place, to be inhabited by the Trinity, to live submerged in the dynamism of the ineffable presence of God.

H

ablar de realidad supone adentrarse en el misterio más profundo de la vida. Para los místicos de todos los tiempos, la realidad no se confunde ni se identifica con cuanto acontece o cuanto vemos en el transcurso de la historia. Para el místico, la realidad es el misterio

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escondido que trasciende y va más allá de los acontecimientos. Es el fondo desde el cual todo puede ser justamente leído e interpretado. Una realidad que se confunde con el Misterio que acontece y que no resulta visible a los ojos profanos. La visión que tiene el místico de la realidad puede, de hecho, ser confundida con un idealismo utópico, porque la gran mayoría son incapaces de adentrarse en esa comprensión que les lleva a tener una mirada siempre optimista de los acontecimientos, tanto personales como comunitarios. La realidad del místico se adentra en una visión de fe del mundo y de los acontecimientos, en una capacidad sublime de aprender a ver las cosas en Dios y desde Dios. Por eso, en el ámbito de la mística cristiana, ese espacio de realidad no es otro que el ámbito de la Trinidad, del Misterio que nos habita y que todo lo envuelve. La Beata Isabel de la Trinidad, carmelita descalza, discípula de Teresa y Juan, y gran admiradora de Juan Ruysbroeck, afirmaba que: »La Trinidad: he ahí nuestra morada, nuestro ›hogar‹, la casa paterna de donde nunca debemos irnos. Así lo dijo un día el Maestro: ›El esclavo no se queda en la casa para siempre, mientras que el hijo sí se queda para siempre‹ [Jn 8,35].«1 Los místicos y, en concreto, Teresa de Jesús, Juan de la Cruz y el Maestro Eckhart, nos enseñan que la ›realidad‹ vista en Dios es la base de una nueva mentalidad que regiría con autenticidad nuestras relaciones: No seríamos los señores que explotan sin misericordia el cosmos, sino los constructores comprometidos de un mundo digno de los hijos de Dios; ni veríamos a los demás como enemigos, competidores, víctimas o sujetos de dominación, sino como hermanos, con quienes construimos una historia común en la única familia de Dios; y Dios dejaría de ser un extraño, un refugio al que acudir en coyunturas extremas, para ser el Dios en nosotros. Ya no seríamos los desterrados que no saben qué camino llevan, y reconoceríamos que la Trinidad, que vive en nuestro más profundo centro, es el hogar de donde nunca debemos salir.

1. Isabel de la Trinidad, »El cielo en la fe«, en: Obras Completas, Traducción: Manuel Ordóñez Villarroel. Introducción y notas: Alfonso Aparicio, ed. Monte Carmelo (Burgos, 62004), 183. En esa misma dinámica, podemos citar cuanto escribe en su Carta 185: »Lo que me dice acerca de mi nombre me ha hecho mucho bien. Es un nombre que me gusta mucho. Revela toda mi vocación. Cuando pienso en él, mi alma se eleva a impulsos de la gran visión del misterio de los misterios, hasta esa Trinidad que ya en esta tierra es nuestra clausura, nuestra morada, el Infinito en que nos podemos mover hagamos lo que hagamos« (cf. Elisabeth de la Trinité, Œuvres complètes, ed. P. C. de Meester [Paris, 1991, réimpr. 2007], 1112).

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Desde esta perspectiva, queremos acercarnos a las figuras de Teresa de Jesús y Juan de la Cruz, en relación con el Maestro Eckhart, con el ánimo de descubrir cómo el espacio en el que ellos viven e interpretan el acontecer de la historia, no es otro que la inmensidad del Dios Trinidad, en donde sienten habitar y por quien se sienten habitados. Básicamente, nos dejaremos llevar de la mano de los dos grandes místicos españoles, para luego evidenciar algunos ecos de esta misma experiencia en el Maestro Eckhart. 1. ›La Unión de amor‹: el fin para el cual fuimos creados según Juan de la Cruz2 Toda la mística de San Juan de la Cruz apunta a ello: la unión de amor con Dios. Tanto su propia experiencia como sus escritos presentan claramente ese objetivo. De hecho, es la verdadera motivación lo que llevó al poeta místico a tratar de explicar por escrito el trasfondo de sus poemas. Insistentemente lo encontramos reflejado en las introducciones a sus obras mayores. En el Prólogo de la Subida escribe: Toda la doctrina que entiendo tratar en esta Subida del Monte Carmelo está incluida en las siguientes canciones, y en ellas se contiene el modo de subir hasta la cumbre del monte, que es el alto estado de la perfección al que aquí llamamos unión del alma con Dios (n. 1). En el libro La Noche Oscura, en la declaración que antecede a todo el comentario, escribe: Antes que entremos en la declaración de estas canciones, conviene saber aquí que el alma las dice estando ya en la perfección, que es la unión de amor con Dios, habiendo ya pasado por los estrechos trabajos y aprietos, mediante el ejercicio espiritual del camino estrecho de la vida eterna que dice nuestro Salvador en el Evangelio (Mt 7, 14). En el Argumento que sigue a las canciones en el Cantico Espiritual (CB), el Santo escribe: El orden que llevan estas canciones es desde que un alma comienza a servir a Dios hasta que llega al último estado de perfección, que 2. Citamos las obras de San Juan de la Cruz por la edición crítica de Obras Completas preparada por Eulogio Pacho (Burgos, 1982). Usaremos, para referirnos a sus obras, las siglas que normalmente se utilizan en relación con sus escritos: S – Subida del Monte Carmelo; N – Noche Oscura; CB – Cántico Espiritual (segunda redacción); LB – Llama de amor Viva (segunda redacción); R – Romances. El número que antecede a la sigla se refiere al »libro«. Los posteriores indican el capítulo y el número del párrafo, tal como parece en la edición crítica y en la mayoría de las traducciones.

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es el matrimonio espiritual. Y así, en ellas se tocan los tres estados o vías de ejercicio espiritual por las cuales pasa el alma hasta llegar al dicho estado, que son: purgativa, iluminativa y unitiva, y se declaran acerca de cada una algunas propiedades y efectos de ella. (n. 1) (Cf. también n. 2 y CB 22, 3) Queda evidenciado como su objetivo único y primordial es conducir al hombre hacia esa unión, el tesoro escondido que el místico descubre y necesita que los otros descubran y conozcan. En ese empeño, juega un papel primordial el ›Misterio‹ en el cual nos adentramos y hacia donde apunta todo el camino: El Dios Trinidad. Sin perder de vista en ningún momento la cristificación de todo el proceso espiritual, Juan nos lleva a mirar a la meta ansiada y definitiva: la unión de amor. Principalmente lo deja de manifiesto en sus obras más tardías y completas: Cántico Espiritual y Llama de amor viva. Antes de señalar algunos elementos de esa ›realidad trinitaria‹ del místico, podemos detenernos en uno de los pensamientos más bellos que el Santo de Ávila nos transmite en sus poemas menores, concretamente en sus Romances. Allí, aparece con fuerza la dimensión de la humanidad unida para la eternidad a la Trinidad. No solo unida, sino como integrante de la misma. Casi como si se tratase de un diálogo entre las diferentes personas de la Trinidad, nos va desvelando en sus versos el proyecto de la Creación en el seno eterno de la Trinidad cual obra de amor que el Padre proyecta para el Hijo, cual don para manifestarle su infinito amor. Pero una creación, especialmente la humanidad, pensada cual esposa del Hijo y, por lo tanto, predestinada desde la eternidad a ser su imagen y a vivir en su mismo seno. Por eso, el mismo misterio de la Encarnación lo interpreta Juan de la Cruz cual culminación de ese amor, cual matrimonio indisoluble, a través del cual la humanidad, la creación entera, ha entrado a ser parte misma de la vida Trinitaria. Ese era su destino original, y esa obra es la que ha realizado el Verbo encarnándose. Merece la pena detenerse en alguno de esos versos, especialmente los dedicados a la ›encarnación‹: Mi voluntad es la tuya -el Hijo le respondíay la gloria que yo tengo es tu voluntad ser mía; Y a mí me conviene, Padre, lo que tu alteza decía,

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porque por esta manera tu bondad más se vería; veráse tu gran potencia, justicia y sabiduría; irélo a decir al mundo y noticia le daría de tu belleza y dulzura y de tu soberanía. Iré a buscar a mi esposa y sobre mí tomaría sus fatigas y trabajos en que tanto padecía; y porque ella vida tenga yo por ella moriría y sacándola de el lago a ti te la volvería. (R VV. 245-266) Aquí nos deja bien claro el Doctor Místico que la única Realidad vista en Dios y desde Dios es la del espacio de la Trinidad, espacio hacia el cual Dios quiere introducirnos; será la principal misión del Hijo: a ti te la volvería. Consideramos que este pensamiento se encuentra muy presente, aunque con otro lenguaje, en la experiencia que nos transmite el Maestro Eckhart y cualquiera de los grandes místicos de todos los tiempos. Sin embargo, tal Realidad, vista sólo conceptualmente, puede confundirse con un panteísmo. En este sentido, Juan de la Cruz nos ayuda a adentrarnos más en la experiencia del Misterio, donde se encuentra la verdad más allá de todo concepto. En el Cántico Espiritual, el hombre comienza su búsqueda de Dios desde la realidad en minúsculas, es decir, la creación y las criaturas. En ellas va descubriendo huellas del Amado, hasta que cae en cuenta de que esas »huellas« están muy lejanas de la verdadera Realidad. Sólo cuando se ha adentrado en Dios descubre que está en su verdadero centro, en su lugar natural, hacia el cual tiende su misma naturaleza. Y solo desde allí, en la medida en que vive la unión con el Creador, comienza a percibir el verdadero sentido de las criaturas. La realidad en la que caminaba le ha orientado a la Realidad. Y desde aquí percibe todo de un modo nuevo y diferente; en la unión con Dios se siente unido a todo. No es extraño que ese estado suscite el deseo y anhelo de Plenitud, de totalidad: »rompe la tela de este dulce encuentro« (LB 1), que canta en el poema de la Llama de amor viva.

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La unión, en su sentido más amplio y genérico, se corresponde con la presencia de Dios en el hombre. El Santo considera tres formas de presencia:3 a ) Pr e s e n c i a s u s t a n c i a l o e s e n c i a l por la que Dios está conservando el ser: Es de saber que Dios, en cualquier alma, aunque sea la del mayor pecador del mundo, mora y asiste sustancialmente. Y esta manera de unión está siempre hecha entre Dios y todas las criaturas, en la cual les está conservando el ser que tienen; de manera que si de ellas de esta manera faltase, luego se aniquilarían y dejarían de ser (2S 5,2-3; CA 1,6; CB 8,3; 11,3; LB 2,5; 3,18; 4,7). b ) P r e s e n c i a p o r c o m u n i ó n y g r a c i a : morando Dios en el alma, agradado y satisfecho con ella (CB 11,3), produce una unión misteriosa de orden sobrenatural. Se refiere al ordinario del que se habla en la teología sacramental y que se pierde por el pecado (2S 5,4; CB 22; CB 23; LB 4,16). c ) Pr e s e n c i a p o r Un i ó n y t r a n s f o r m a c i ó n , que no está siempre hecha, sino sólo cuando hay/existe semejanza de amor. Se da cuando echado todo lo que es disímil y disconforme a Dios, el alma viene a recibir semejanza de Dios, no quedando en ella cosa que no sea voluntad de Dios; y así se transforma en Dios (2S 5,4). Cuando San Juan de la Cruz insiste en que la perfección está en la unión con Dios no se está refiriendo ni a la unión-presencia, esencial o sustancial, que es permanente y natural; ni a la unión-presencia, por comunión y gracia, común a todos los que no están en pecado; sino a la unión-presencia, por unión y transformación, que no está siempre hecha y que se realiza por semejanza: cuando las dos voluntades, conviene a saber, la del alma y la de Dios están en uno conformes, no habiendo en la una cosa que repugne a la otra. Y así, cuando el alma quitare de sí totalmente lo que repugna y no conforma la voluntad divina, quedará transformada en Dios por amor. Mientras la primera es natural, ésta es sobrenatural; aquella sustancial o esencial, ésta es de semejanza; aquella mantiene y conserva el ser natural, ésta nos transforma en Dios (2S 5,3-4). 3. Cfr. E. Pacho, San Juan de la Cruz: Temas fundamentales I (Burgos, 1984), 99-122.

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La dimensión sobrenatural no es algo opuesto o excluyente del plano natural, sino que lo supone, lo asume y progresivamente lo perfecciona (2S 17). San Juan de la Cruz no se propone un ideal abstracto o un objetivo utópico, sino algo concreto, real y al alcance de toda persona. No se identifica con ningún valor transitorio por muy alto y estimable que sea, ni siquiera con una elevación moral superior. Plantea ante todo una meta y un destino que da plenitud a la vida aquí en la tierra y conecta directamente con la vida sin límites que esperamos. La realización de este ideal integra en unidad el plano natural y el plano sobrenatural. Considera al hombre en su totalidad. El germen de la vida sobrenatural, de la gracia divina, llega a su pleno desarrollo en la comunión de todo el ser humano en la vida íntima con Dios, en su integración en la misma vida trinitaria (CB 37-9). Por cuanto la unión se realiza en el amor y por el amor, implica necesariamente cierta igualdad entre Dios y el hombre. Lo mismo que en el plano natural, el amor asemeja e iguala al amante con el amado (1S 4,3-4; 5,1; 2N 13,9). Se da una profunda reciprocidad entre Dios que ama y la persona humana que recibe ese amor. La unión incluye todo lo que Dios es y hace por el hombre y todo lo que el hombre es y hace por Dios. Unión de amor quiere decir pasión de Dios por el hombre y pasión del hombre por Dios. Pero siempre es Dios aquí el principal amante, que con la potencia de su abisal amor absorbe el alma en sí, con más eficacia y fuerza que un torrente de fuego a una gota de rocío de la mañana (CB 31,2; 2S 17,3; 3S 2,13). E l c a m i n o : S a l i r d e s í p a r a a d e n t r a r s e e n l a Tr i nidad La unión es motor y posibilidad de salir, y fuerza dinamizadora del caminar. Es, por lo mismo, la razón de la negación afectiva de todo lo que no es Dios, porque el amor es unidad de dos solos (CB 36,1). La negación está en la entraña del amor. Y, en este contexto, el amar es trabajar en despojarse y desnudarse por Dios de todo lo que no es Dios (2S 5,7). El creyente sale de la casa de la sensualidad porque ha prendido en Él el amor. Sale de un estado de esclavitud, de centramiento en sí, de una relación posesiva y utilitarista con las cosas, y entra en la libertad que es una forma nueva de acercarse y relacionarse con la realidad. La

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grandeza del hombre está en descubrir el fin de amor para el que ha sido creado (CB 29,3), su capacidad infinita (2S 17,8), y que, por lo mismo no puede satisfacerse con menos que Dios. (LB 3,22) La persona humana, que ha de unirse con Dios por gracia y amor (2S 4,4), no puede apoyarse ni servirse de algo que no le es semejante y conforme. Entre ambos debe existir cierta conveniencia y proporción (2S 8,2; 12,5; 16,7-8). Y esta conveniencia y proporción no se da entre Dios y ninguna de todas las cosas criadas en conjunto o en particular; de ahí que ninguna pueda ser medio próximo para realizar la unión (2S 13,1; 16,7). El recurso a lo criado, a sus formas, imágenes y consideraciones es conveniente y útil en los primeros pasos de la vida espiritual, como medio remoto para ir enamorando y cebando el alma, y disponerse al buen camino de salir para ir a Dios. Pero hemos de servirnos de estos medios remotos de manera que pasemos por ellos y no nos estemos siempre en ellos, porque, de esa manera, nunca llegaríamos al término, el cual no es como los medios remotos, ni tiene que ver con ellos (2S 12,5). La negación o rechazo de todas las cosas criadas ha de entenderse en el plano de estimación, asimiento y valoración, no en la carencia de las mismas. El hombre no puede dejar de ver y oír, de sentir y palpar, de entender, recordar y amar: no ocupan al alma las cosas de este mundo ni la dañan, pues no entra en ellas, sino la voluntad y apetito de ellas que moran en ella. No se trata, pues, de carecer de las cosas, porque eso no desnuda al alma si tiene apetito de ellas, sino de la desnudez del gusto y apetito de ellas, que es lo que deja al alma libre y vacía de ellas, aunque las tenga (1S 3,4). Este vaciar el alma de todas las cosas, produce en ella una alteración de su modo natural de proceder, tanto a nivel del sentido como de las potencias, por el desorden que tiene de la razón (1S 1,1). Produce oscuridad en el sentir y entender; olvido y pobreza en el recordar; despego y renuncia en el querer. En consecuencia, la negación estimativa se convierte en purificación de todo lo natural a nivel de capacidad sensitiva, afectiva, cognoscitiva y volitiva. Es noche oscura para todas las facultades, potencias y sentidos del hombre porque vacía y oscurece las potencias al sacarlas de su bajo modo de actuación natural y de sus objetos correspondientes (1S 3-4; 11; 2S 3; 4; 3S 15). En este proceso purificativo-liberador de la noche, intervienen dos protagonistas: el hombre que sale sacándolo Dios y sólo por amor de Él

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(1S 1,4) y empeñado en despojarse de toda la impureza-esclavitud proveniente de la adhesión a lo particular, criado y finito; y Dios asistiéndole, animándole y completando lo que el hombre no es capaz de realizar. Si se enfatiza la intervención-respuesta del hombre, tenemos la purificación-liberación activa, y si el énfasis lo ponemos en la acción de Dios, tenemos la purificación-liberación pasiva. Sin olvidar que si bien hemos de trabajar, es Dios quien se mueve en nosotros durante todo el proceso. (Flp 2,13). En ningún caso la purificación es fin en sí misma: es condición indispensable para la unión transformante en Dios (2S 11). Tampoco espiritualmente se da el vacío absoluto; el alma se llena de criatura o se llena de Dios, pues dos contrarios no pueden estar en el mismo sujeto (1S 6,3), 25, pero el hombre no puede vivir de la nada. En vilo. En el vacío. Si opta por las criaturas frente a Dios, se queda con menos que nada, porque estas contrariedades de efectos y apetitos contrarios son más opuestos y resistentes a Dios que la Nada, ya que ésta no resiste (1S 6,4). El vacío producido por la catarsis [reeducación, recreación] en las facultades y potencias del alma se va colmando con la progresiva presencia de lo divino a través de los medios que unen directamente con Dios, es decir, la gracia y las virtudes teologales. En este nivel sobrenatural, en el que se efectúa la unión transformante, solamente la vida teologal enlaza próxima y directamente con el Dios vivo y verdadero tal como es (2S 4): faltando lo natural al alma enamorada, luego se infunde de lo divino, natural y sobrenaturalmente, para que no se dé vacío en la naturaleza (2S 15,4). Para entender la raíz de la negación y su contenido, es fundamental y decisiva la referencia a Jesucristo. Entrar en la desnudez y vacío de espíritu por Cristo (1S 13,6) es entrar en el camino de ser, en la libertad, en la unión con Dios. La negación es una traducción seria y vigorosa de la espiritualidad del seguimiento. Hay que posponer todo al Evangelio (Mc 8,34-38). Jesús es presencia determinante. Su amor desata en nosotros el deseo dinámico de hacerse semejante a Él en vida, condiciones y virtudes (D prólogo). De ahí la radicalidad [no rigorismo] y la urgencia con que el Santo acentúa las actitudes [no formas externas] evangélicas. Una radicalidad que es fruto de un amor mayor y mejor, insaciable, puro, dinámico, creativo y gratuito (1S 14,2). El único apetito que recomienda Juan de la Cruz es imitar a Cristo en todas sus cosas (1S 13,3). De tal manera que sea él quien determine

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nuestra relación con todo. Porque cuanto no pase por Jesús y no lleve el sello de nuestra pertenencia a Él, no puede contribuir al desarrollo de nuestra personalidad cristiana. El que hace algún caso de sí, no se niega ni sigue a Cristo (3S 23,2). Consigue así armonizar todo un proceso que a la vez que es humanizador, es trinificador o divinizador de la persona. De esta manera, Juan de la Cruz nos presenta un programa seguro que nos conduce a radicarnos en la Realidad del Dios Trinidad, en quien ›vivimos, nos movemos y existimos‹. Todo hombre está invitado en su ser a alcanzar esa plenitud, que le hace vivir en la única Realidad que es su verdadero hogar. 2. Una existencia trinitaria o la trinificación de la persona: la experiencia de Teresa de Jesús4 Teresa de Jesús coincide en su experiencia con lo esencial que hemos subrayado en Juan de la Cruz. Pero con el ánimo de ampliar la comprensión de esta ›Realidad‹, vamos a fijarnos, junto con su experiencia trinitaria, en otros aspectos que amplían y complementan cuanto hemos señalado en relación a Juan de la Cruz. Lo más natural es ser persona humana, vivir como tal y caminar constantemente en un progresivo desvelamiento de nuestra identidad más honda, que es la vivencia de Dios en nuestro interior. Esta presencia escondida es la que nos hace vivir, buscar, luchar, perseverar… En este sentido, podemos considerar que el proceso teresiano es paradigmático y altamente iluminador. Santa Teresa es maestra en el arte de practicar, exponer y enseñar el propio conocimiento. Según la Santa, esto del conocimiento propio jamás se ha de dejar. Ni hay alma, en este camino, tan gigante que no haya menester muchas veces tornar a ser niño y a mamar… conocimiento propio es el pan con que todos los manjares se han de comer (V 13, 15). Son afirmaciones que surgen de su experiencia y que apuntan a recrearnos en la gran belleza interior que cada uno de nosotros tiene. 4. Citamos las obras de Santa Teresa de Jesús siguiendo la edición crítica preparada por Tomás Álvarez: Obras completas (Burgos, 81997). Utilizamos las siglas habituales para citar las obras de Teresa: CE – Camino de Perfección (Códice de El Escorial); CV o C – Camino de Perfección (Códice de Valladolid); F – Fundaciones; M – Moradas del Castillo Interior; P – Poesías; V – Libro de la Vida. Los números se refieren al capítulo y al parágrafo respectivamente.

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2.1 Profundo conocimiento y alto concepto de sí misma Teresa se conoce a sí misma. Y, aunque muchas de sus expresiones parecen sugerirnos lo contrario, tiene un concepto altamente positivo de sí. La luz que surge de su experiencia mística la lleva a reconocer los grandes bienes de los que ella es portadora.5 En sus sobrios y escasos relatos de infancia, empieza reconociendo las muchas gracias de naturaleza que recibió (V 1, 8); su capacidad de dar contento donde quiera que estuviese (V 2, 8) su aprecio y facilidad para la amistad, lo mismo que el vivir la virtud del agradecimiento (V 5, 4). Junto con estos dones naturales, presentados con cierta modestia, pero con toda verdad, presenta su temprano sentido de la trascendencia (V 1, 5), su capacidad para encontrar salida a las contradicciones y vislumbrar nuevos horizontes (V 1, 6) y el sentido de la solidaridad; así fuera de una manera incipiente, concretamente, hacer limosna como podía, [aunque] podía poco (V 1, 6). Sus escritos, se ha dicho muchas veces, son una pequeña muestra (cifra) de las mercedes que Dios le ha hecho. Se sabe favorecida, llena de todas las gracias y valores necesarios para ser feliz y hacer felices a los demás. Su narración autobiográfica es una confesión humilde, sincera y transparente de cuanto es y ha recibido. Para Teresa, el propio conocimiento implica el reconocimiento responsable y agradecido de todos los bienes recibidos, pasando por las cualidades y valores humanos, hasta las virtudes que se desarrollan a merced de las gracias místicas y los grandes acontecimientos fundacionales. Toda su historia es un conjunto de conceptos que hacen de la Santa una persona armónica, feliz, realizada; aunque no exenta de incoherencias, contradicciones, dificultades y luchas. 2.2 Encuentro con la Trinidad en su interior Teresa, en su propia vida espiritual, ha observado que esta experiencia se da cuando el Señor mete el alma en su morada: así como la tiene en el cielo, debe tener en el alma una estancia donde sólo su Majestad mora, y digamos: otro cielo (7 M 1, 3); dándose lo que los escrituristas denominan la ›inmanencia recíproca‹: Dios en mí y yo en Dios. Este doble movimiento 5. Cf. M. Herráiz, Sólo Dios basta: Claves de la espiritualidad teresiana (Madrid, 1992), 217-25.

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inhabitacional sucede en el interior mismo del hombre: [...] metiendo el Señor al alma; en esta morada suya, que es el centro de la misma alma; y así queda el alma constituida en un cielo empíreo donde está nuestro Señor (7 M 2, 9), porque quiere el Señor manifestarle por aquel momento la gloria que hay en el cielo, por más subida manera que por ninguna visión ni gusto espiritual (7 M 2, 3). Este misterio de la morada de Dios, de su permanencia en el hombre, marca el arranque, la dinámica del proceso y la meta de la experiencia de Teresa.6 Efectivamente, después de leer el testimonio de su experiencia en la cumbre, vemos que también en el otro extremo, cuando Teresa comienza la narración de su vida dándonos a entender que a Dios no le quedó nada por hacer y ella, a cambio de todas las gracias, se comenzó a ayudar para ofenderle; expresa, a pesar de todo, su conciencia de ser la morada de Dios: ¡Oh, Señor mío! [...] ¿no tuvierais por bien – no por mi ganancia, sino por vuestro acatamiento – que no se ensuciara tanto la posada donde tan continuo habíais de morar? (V 1, 8). Pero aún más. Lo que ve que ha ocurrido siempre en su vida, »que nunca se partieron de con ella«, lo afirma también de todo hombre, aunque se encuentre en la extrema postración del pecado mortal: No hay tinieblas más tenebrosas ni cosa tan oscura y negra que no lo esté mucho más. No queráis más saber de que, con estarse el mismo sol que le daba tanto resplandor y hermosura todavía en el centro de su alma, es como si allí no estuviese para participar de Él, con ser tan capaz para gozar de Su Majestad como el cristal para resplandecer en él el sol (1 M 2, 1), e insiste con fuerza y sin ninguna duda: Es de considerar aquí, que la fuente y aquel sol resplandeciente que está en el centro del alma no pierde su resplandor y hermosura que siempre está dentro de ella, y cosa no puede quitar su hermosura [...] (1 M 2, 3). Y lo mismo sucede en el dinámico desarrollo del proceso. Cuando trata lo mucho que importa la perseverancia para llegar a las postreras moradas,7 narra admirablemente las crisis del camino y las aflicciones de la pobre alma que no sabe si pasar adelante o tornar a la primera pieza; aunque la voluntad viene en su ayuda y en especial le pone delante cómo n u n c a , s e 6. Cf. G. Castro, »Evangelio«, en: Tomás Álvarez, Diccionario de Santa Teresa de Jesús (Burgos, 2000), 285. 7. Epígrafe de las segundas moradas.

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q u i t a d e c o n é l e s t e v e r d a d e r o a m a d o r, acompañándole, dándole vida y ser. Luego el entendimiento también le acude con darle a entender que no puede cobrar mejor amigo, aunque viva muchos años [...] y le dice que ¿quién hay que halle todo lo que ha menester como en su casa, en especial teniendo tal huésped que le hará señor de todos los bienes? (2 M 1, 4). Ahondando en el aspecto de la i n m a n e n c i a r e c í p r o c a , tiene esta una presencia singular en Santa Teresa, no sólo cuando ella da testimonio de v e r que la Trinidad permanece en ella y en todo hombre, como lo acabamos de tratar, sino también cuando Teresa se ve en Dios y ve en Él a todas las criaturas: Acaecíame en esta representación que hacía de ponerme cabe Cristo... venirme a deshora un sentimiento de la presencia de Dios, que de ninguna manera podía dudar que estaba dentro de mí, o y o t o d a e n g o l f a d a e n É l (V 10, 1). En este sentido, en la medida en que perseveramos en el proceso de caminar dándonos a Dios y, sobre todo, recibiendo y dejándonos conducir por Dios, o mejor, según el lenguaje teresiano, disponiéndonos, llega un momento en que Su Majestad es nuestra morada. Así lo da a entender la Santa en el texto que acabamos de citar y lo afirma con mayor seguridad al terminar de exponer las moradas a s c é t i c a s y comenzar su exposición sobre la oración de u n i ó n , al inicio de las moradas m í s t i c a s . Ya desde la introducción a la magnífica alegoría del gusano de seda, con que comienza esta etapa de la vida mística, afirma: Pues, crecido este gusano..., comienza a labrar la seda y a edificar la casa donde ha de morir. Esta casa, quería dar a entender aquí, es Cristo... Pues veis aquí, hijas, lo que podemos con el favor de Dios hacer: que su Majestad mismo sea nuestra morada, como lo es en la oración de unión, labrándola nosotros. En este mismo texto, para evitar equívocos, agrega: Parece que quiero decir que podemos quitar y poner en Dios, pues digo que él es la morada y la podemos nosotros fabricar para meternos en ella. Y ¡cómo si podemos, no quitar de Dios ni poner, sino quitar de nosotros y poner [...]. (5 M 2, 4). Después de relatarnos la experiencia de ser su alma como un espejo claro toda, sin haber espaldas, ni lados, ni alto, ni bajo que no estuviese toda clara,

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y en el centro de ella se me representó Cristo nuestro Señor, como le suelo ver (V 40, 5); y cómo esta visión le aprovechó para enseñarse a considerar al Señor en lo muy interior del alma (V 40, 6), nos presenta, no con menos convicción, esta otra experiencia: Estando una vez en oración, se me representó muy en breve (sin ver cosa formada, mas fue una representación con toda claridad) como s e v e n e n D i o s t o d a s l a s c o s a s y c o m o l a s t i e n e t o d a s e n s í . No duda la Santa en calificar ésta como una de las grandes mercedes que el Señor me ha hecho (V 40, 9). Más adelante, en su esfuerzo por explicarse, junta las dos experiencias y se afirma en lo dicho, dando un avance de singular importancia: Dios es inmanente a toda la creación y, a la vez, todo el cosmos permanece en Dios: Digamos ser la Divinidad como un muy claro diamante, muy mayor que todo el mundo, o espejo, a manera de lo que dije del alma en estotra visión, salvo que es por tan más subida manera, que yo no lo sabré encarecer; y que todo lo que hacemos se ve en este diamante, siendo de manera que él encierra todo en sí, porque no hay nada que salga de esta grandeza (V 40, 10). Tan fuerte es la experiencia que tiene Santa Teresa de estar en Dios y Dios en ella, siendo morada recíproca, que no solamente nos lo ha narrado, sino que también nos ha dejado la versión poética de esta experiencia en el poema Alma buscarte has en Mí, y a Mí buscarme has en ti 8 del cual extraemos estos versos: Porque tú eres mi aposento, eres mi casa y morada, Y así llamo en cualquier tiempo, si hallo en tu pensamiento estar la puerta cerrada. (P8) Queda propuesto así, cómo el permanecer de la Trinidad puede considerarse la causa, la fuerza que guía interiormente y la meta que jalona todo el proceso espiritual del hombre y del mundo.

8. El contenido de este poema fue la base del Vejamen, propuesto y coordinado por Santa Teresa en las Navidades de 1576 con la participación, entre otros, de su hermano Lorenzo (carta del 2 de enero de 1577) y San Juan de la Cruz.

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2.3 Experiencia de gratuidad y esfuerzo Pero no es este un motivo de vanagloria, soberbia o autosuficiencia. Teresa se sabe favorecida y con la misma fuerza sabe que todo lo ha recibido de Dios (V 10, 2). Nada ha sido conquista suya, sino el desarrollo dinámico del acontecer de Dios en ella que nunca se cansa de dar. Este reconocimiento es una consecuencia lógica del sano principio teresiano de andar en verdad, porque para ella no es verdadera humildad no reconocer que el Señor va dando dones. Al contrario, el secreto está en recibirlos, disfrutarlos y comunicarlos. Por eso insiste con fuerza: Entendamos bien, bien, como ello es, que nos lo da Dios sin ningún merecimiento nuestro, y agradezcámoslo a Su Majestad; porque si no reconocemos que recibimos, no despertamos a amar. Y es cosa muy cierta, que mientras más vemos, más ricos somos; y en el conocer que somos pobres, más aprovechamiento nos viene, y aún más verdadera humildad. Lo demás es acobardar el ánimo para parecer que no es capaz de grandes bienes; si comenzando el Señor a dárselos, comienza él a atemorizarse con miedo de vanagloria (V 10, 4). Esta actitud, además de ayudarnos a ser agradecidos, nos impulsa a manifestar el agradecimiento a través de la generosidad y la fidelidad. De ahí sale la fuerza para asumir los retos que nos ofrece la vida y los que nos presentan grandes oportunidades para hacer el bien. Porque siempre, ante cada desafío, es menester sacar fuerzas de nuevo para servir y procurar no ser ingratos, pero siempre sabiendo que es imposible [...] para quien no entiende que está favorecido por Dios, tener ánimo para cosas grandes (V 10, 6). Teresa ha vivido lo que enseña. Por eso, según va avanzando en la vida del espíritu, va teniendo más claro conocimiento de sí misma, como persona enriquecida por Dios, sin considerarse una excepción. Al contrario, cuenta todo lo que ha pasado por ella, para que sea más conocido Dios en su generosidad y para que todos seamos conscientes de que no hace acepción de personas; que también hoy y en todos los tiempos favorece a quien recibe con humildad cuanto quiere darnos. 2.4 La oración como el espacio de la Realidad (camino y medio para conocernos y conocer a Dios) El alto y positivo concepto que Teresa tiene de sí misma ha sido el desarrollo en su historia y en sus tareas de una verdadera marcha de amistad.

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Ha descubierto en la oración el secreto para estar en el mundo, participar de sus luchas, valores y contradicciones y, sin embargo, traerlo bajo sus pies. Porque su fundamento, su seguridad, el valor auténtico de todo cuanto hace; no proviene del poder, de los bienes, de la nobleza de sangre o de las influencias, sino de Quien la ha buscado, conquistado y se ha hecho su amigo. El trato de amistad con que Teresa define la oración, no es otra cosa que la permanente toma de conciencia de no estar »hueca por dentro«, sino habitada por quien sabe la ama. Pero con una certeza: lo que sucede en ella, sucede también en todos los demás. De ahí que su obra cumbre, las Moradas del Castillo Interior, se abra con aquella solemne obertura, que es un canto a la dignidad y excelencia de las personas: nuestra alma es como un castillo, todo de diamante o muy claro cristal, donde hay muchos aposentos; así como en el cielo hay muchas moradas (1 M 1, 1). Teresa ha conocido a Dios por lo que ha hecho en ella. Su argumento es: mirad lo que ha hecho en mí. Y como se ve a sí misma, nos invita a que nos veamos nosotros. Para ello se vale de las comparaciones más delicadas y persuasivas: El alma es un palacio de grandísima riqueza, todo su edificio de oro y piedras preciosas (CV 28, 9); un castillo en cuya morada más interior vive el Señor (7 M 1, 3); un paraíso adonde dice Él tiene sus deleites (1 M 1, 1); clara y resplandeciente como un espejo (V 40, 5). Tanta dignidad y hermosura tienen su fundamento en que Dios nos ha hecho a imagen y semejanza suya (1 M 1, 1) y en la grandeza, hermosura, majestad y dignidad de la presencia que la habita; que no es otro que el mismo Dios, que ha puesto su morada en nosotros (Jn 14, 23; 7 M 1, 6). Es cierto que hubo un tiempo en el que para Teresa todo fue oscuro y sólo percibía nubes grises y poco estimulantes: Bien entendía que tenía alma; mas lo que merecía esta alma y quién estaba dentro de ella…, no lo entendía. Que, a mi parecer, si como ahora entiendo que en este palacio pequeñito de mi alma cabe tan gran Rey, que no le dejara tantas veces solo…Mas ¡qué cosa de tanta admiración, quien hinchiera mil mundos y muy mucho más con su grandeza, encerrarse en una cosa tan pequeña! A la verdad, como es Señor, consigo trae la libertad, y como nos ama, hácese a nuestra medida (CV 28, 11). La razón de esta ignorancia en la que ella vivió algún tiempo la encuentra en la falta de oración (V 8, 1) y en la ignorancia o falta de luz interior.

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Por eso, podemos decir que el ›hombre exterior‹ en santa Teresa es aquella persona que no ha descubierto quién es y su dignidad, y no se ha dejado encontrar por Jesucristo. Por eso, permanece en los arrabales, fuera del castillo, porque la puerta para entrar en este castillo tan deleitoso es la oración como trato de amistad con quien sabemos nos ama bien (1 M 1, 7). Para la Santa, la oración es el lugar donde conocemos a Dios y lo que hace y está dispuesto a hacer por nosotros, lo que somos nosotros y lo poco que podemos hacer por nosotros mismos y el gran poder que recibimos si recibimos a Dios, siempre tan ganoso de dársenos. La descripción de este ›hombre exterior‹ es certera y de gran expresividad: Son las almas que no tienen oración como un cuerpo con perlesía o tullido que, aunque tiene pies y manos no los puede mandar; que así son, que hay almas tan enfermas y mostradas a estarse en cosas exteriores, que no hay remedio ni parece que pueden entrar dentro de sí; porque ya la costumbre la tiene tal de haber siempre tratado con las sabandijas y bestias que están en el cerco del castillo, que ya casi está hecha como ellas, y con ser de natural tan rica y poder tener su conversación no menos que con Dios, no hay remedio. Y si estas almas no procuran entender y remediar su gran miseria, quedarse han hechas estatuas de sal por no volver la cabeza hacia sí [...] (1 M 1, 6). De ahí su constatación: ¿No es pequeña lástima y confusión que, por nuestra culpa, no nos entendamos a nosotros mismos ni sepamos quién somos? Valiéndose de una comparación elemental, pone una premisa que la lleva a una conclusión inapelable: ¿No sería gran ignorancia [...] que preguntasen a uno quién es, y no se conociese ni supiese quién fue su padre ni su madre ni de qué tierra? Pues si esto sería gran bestialidad, sin comparación es mayor la que hay en nosotros cuando no procuramos saber qué cosa somos, sino que nos detenemos en estos cuerpos, y así a bulto, porque lo hemos oído y porque nos lo dice la fe, sabemos que tenemos almas. Mas qué bienes puede haber en esta alma o quién está dentro en esta alma o el gran valor de ella, pocas veces lo consideramos; y así se tiene en tan poco procurar con todo cuidado conservar su hermosura (1 M 1, 2). En cambio, el ›hombre interior‹ conserva y cultiva toda su grandeza. Una grandeza que es inabarcable para nuestro entendimiento, porque hecha

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a imagen y semejanza de Dios, y teniéndolo dentro de nosotros mismos, tenemos la misma grandeza de Dios: No hallo yo cosa con qué comparar la gran hermosura de un alma y la gran capacidad; y verdaderamente apenas deben llegar nuestros entendimientos, por agudos que fuesen, a comprenderla; así como no pueden llegar a considerar a Dios, pues él mismo dice que nos crió a su imagen y semejanza (1 M 1, 1). Y más aún: La persona humana es el lugar donde Dios habita. Por eso es otro cielo, aunque pequeñito. Y, aunque Dios es siempre Dios y la persona su criatura, en este castillo, en el centro y mitad, en la principal de estas moradas, pasan las cosas de mucho secreto entre Dios y el alma (1 M 1, 3). No nos podemos considerar, entonces, como una cosa vacía y hueca, arrinconada y limitada; sino como un mundo interior [...] pues dentro de esta alma hay morada para Dios (7 M 1, 5). 2.5 Vida interior y compromiso apostólico Este es el »hombre interior« de santa Teresa, y de él se derivan consecuencias que determinan nuestro estilo de vivir y la manera de relacionarnos con todo y con todos. Ante todo, la inhabitación divina dignifica a la persona humana y cura de raíz toda actitud pesimista, postrada o encogida, como gusta decir Teresa. Refiriéndose a su vivencia de la inhabitación trinitaria, nos dice que es cosa de grandísimo provecho entender esta verdad. Y como ella misma se espantaba de ver tanta majestad en cosa tan baja y ruin, como se consideraba ella, entendió: No es baja, hija, pues está hecha a mi imagen (CC 41, 2). Teresa reflexiona sobre esto que entiende y lo hace magisterio general en Camino de Perfección, donde, con una afirmación muy suya, nos anima a todos a no alborotarnos por vernos tan pequeños para tener en nosotros tal grandeza: Dios tiene el poder de hacer grande el palacio (C 28, 11). Aunque podríamos ampliarnos en este punto, presentando la brillante descripción existencial que hace del hombre nuevo en el capítulo tercero de las séptimas Moradas, concluyamos con una comparación propia de la narrativa teresiana y que nos da una idea muy cercana del pensamiento y experiencia de la Santa: El ›hombre interior‹ es como un árbol de vida que está plantado en las mismas aguas vivas de la vida, que es Dios. Por esto son sus obras tan agradables a los ojos de Dios y de los hombres, porque proceden de esta fuente de vida (1 M 2, 2).

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De esta manera, en Teresa de Jesús, la mirada sobre el hombre se convierte en una mirada sobre Dios, que viviendo en nosotros nos hace vivir su propia vida divina. No precisamente una vida ausente, rara o lejana e indiferente; sino la vida cotidiana, a veces gris y rutinaria, en los trabajos y obligaciones de cada día. Ahí es donde el Dios que vive en nosotros se convierte en el principio donde nuestra virtud es virtud y donde cobra sentido todo cuanto hacemos (1 M 2, 8). 3. En la unidad con Dios todo es posible: el Maestro Eckhart Cuanto hemos ido señalando en relación con la experiencia de Teresa de Jesús y Juan de la Cruz, puede ayudarnos, sin duda, a tratar de comprender aún mejor la experiencia trinitaria del Maestro Eckhart. En su experiencia, los místicos se iluminan y clarifican unos a otros. Nunca podemos olvidar que hablan de una realidad inefable, difícil – por no decir imposible- de conceptualizar. Un estudio comparativo de la experiencia de los tres místicos sería profundamente clarificador. No obstante, es un objetivo que desborda ahora los límites de este artículo. Ahora simplemente vamos a evidenciar algunos aspectos, principalmente de carácter experiencial, que pueden orientarnos a descubrir una coincidencia entre los tres místicos. En la reflexión que hace Eckhart sobre los grados del hombre interior (Stufen des inneren Menschen), en relación con el grado más alto de la vida interior, el sexto, escribe: Der sehste grât ist, sô der mensche ist entbildet und überbildet von gotes êwicheit und komen ist in ganze volkomen vergezzenlicheit zerganclîches und zîtlîches lebens und gezogen ist und übergewandelt in ein götlich bilde, gotes kint worden ist. Vürbaz noch hœher enist enkein grât, und dâ ist êwigiu ruowe und sælicheit, wan daz ende des innern menschen und des niuwen menschen ist êwic leben.9 Para el Maestro Eckhart, la verdadera realidad del hombre, y de sus actos y obras, se encuentra solo en Dios. En la medida en que el hombre realiza actos, aunque estos sean buenos, si no los hace en Dios o desde Dios, se está engañando a sí mismo y no vive en la Unidad con Dios, 9. Eckhart, VeM (DW V 112,19-24).

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que hace todo posible y da el verdadero valor a las cosas. Hay una serie de afirmaciones, que evidencian fuertemente esta verdad esencial para Eckhart: Und der mensche sol ze allen sînen werken und bî allen dingen sîner vernunft merklîchen gebrûchen und in allen dingen ein vernünftigez mitewizzen haben sîn selbes und sîner inwendicheit und nemen in allen dingen got in der hœhsten wîse, als ez mügelich ist. Wan der mensche sol sîn, als unser herre sprach: ›ir sult sîn als liute, die alle zît wachent und beitent irs herren!‹ Entriuwen, die beitenden liute sint wacheric und sehent sich umbe, wâ er her kome, des sie beitent, und wartent sîn in allem dem, daz dâ kumet, swie vremde ez in doch sî, ob er dâ mite iht sî. Y más adelante lo clarifica con estas palabras: Alsô suln wir haben ein wizzendez warnemen unsers herren in allen dingen. Dar zuo muoz vlîz gehœren und muoz kosten allez, daz man geleisten mac an sinnen und an kreften, sô wirt den liuten reht und nement got in allen dingen glîche und vindent gotes glîche vil in allen dingen. Und dâ ist wol ein werk anders dan daz ander; [...] dar umbe sô lerne der mensche sînen got haben in allen dingen und ungehindert blîben in allen werken und steten.10 Esta presencia de Dios en todo, como la realidad auténtica que experimenta el místico, la hemos encontrado muy presente también en Teresa de Jesús y Juan de la Cruz. Presencia que no se confunde con ›sentimiento‹, sino que incluso va más allá de toda capacidad de percepción. Para el místico renano la presencia es tan real que se da también, y sobre todo, en la ausencia, donde el comportamiento de la persona no debería cambiar en virtud del sentir o no la presencia; es decir, la realidad sigue siendo la misma, la de Dios: Ouch solt dû wizzen, daz der guote wille gotes niht mac gemissen. Mêr: daz enpfinden des gemüetes daz misset sîn underwîlen und wænet dicke, got sî vür gegangen. Waz solt dû denne tuon? Rehte daz selbe, daz dû tætest, dâ dû in dem grœsten trôste wærest; daz selbe lerne tuon, sô dû in dem meisten lîdenne bist, und halt dich in aller wîse, als dû dich dâ hieltest. Ez enist kein rât als guot, got 10. Id., RdU (DW V 210,1-211,10).

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ze vindenne, dan wâ man got læzet; und wie dir was, dô dû in zem lesten hâtest, alsô tuo nû, die wîle dû sîn missest, sô vindest dû in. Mêr: der guote wille der enverliuset noch envermisset gotes niht noch niemer.11 Para el Maestro Eckhart, esa Realidad de Dios implica necesariamente que Él está siempre con el hombre, que nunca lo deja solo: Der mensche ensol sich deheine wîs niemer verre von gote genemen, weder umbe gebresten noch umbe krankheit noch umbe dehein dinc. Nû sî iemer, daz dich dîne grôze gebresten alsô ûztrîben, daz dû dich niht nâhen ze gote mügest nemen, sô solt dû dir doch got nâhen nemen. Wan dâ liget grôzer schade ane, daz der mensche im got verre setzet; wan der mensche gâ verre oder nâhe, got engât niemer verre, er blîbet ie stânde nâhent; und enmac er niht innen blîben, sô enkumet er doch niht verrer dan vür die tür.12 Son muchos los textos donde Eckhart expresa esta comunión Dioshombre, como el espacio de esa Realidad en la que todo acontece. Pero hay un texto al que dan suma importancia los estudiosos de la mística de Eckhart. Un texto que, precisamente en el ámbito de este artículo, adquiere suma importancia y donde el Maestro nos deja clara constancia de lo que implica que Dios haga partícipe al hombre de su ser trinitario: der vater von himelrîche, der gibet dir sîn êwic wort, und in dem selben worte gibet er dir sîn selbes leben und sîn selbes wesen und sîne gotheit alzemâle; wan der vater und daz wort sint zwô persônen und éin leben und éin wesen ungeteilet. Als dich der vater nimet in diz selbe lieht, vernünfticlîche ane ze schouwenne diz lieht in disem liehte nâch der selben properheit, als er sich und alliu dinc nâch veterlîcher gewalt in disem worte bekennet, daz selbe wort nâch rede und nâch wârheit, als ich gesprochen hân, sô gibet er dir gewalt, mit im selben ze geberne dich selben und alliu dinc, und sîn selbes kraft glîch disem selben worte. Alsô bist dû mit dem vater gebernde âne underlâz in des vaters kraft dich selben und alliu dinc in einem gegenwertigen nû. In disem liehte, als ich gesprochen hân, dâ enbekennet der vater keinen underscheit zwischen dir und im noch kein vorteil, niht mê noch minner dan zwischen im und sîn

11. Ibid. (DW V 224,9-225,6). 12. Ibid. (DW V 249,9-250,5).

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selbes worte. Wan der vater und dû selber und alliu dinc und daz selbe wort ist ein in dem liehte.13 Alois M. Haas en su estudio »Meister Eckhart als normative Gestalt geistlichen Lebens«,14 lo cita en dos ocasiones significativas. La primera para hablar del tema del nacimiento de Dios en los creyentes, y la segunda en el apartado titulado »Mensch in Gott«. Aquí nos dice expresamente: »Dieses Angenommensein des Menschen in der Sohnesgeburt im Vater von Eckhart in die Vorstellung einer unerhörten Aktivität überschritten. Der Mensch, der im Sohn als Sohn immer schon, immer wieder und je neu gezeugt wird, darf in dieser ›ersten Lauterkeit‹, in die er so gelangt, am Schöpfungsprozess aktiv teilnehmen.«15 Con otros matices, Ilia Delio en su reciente obra »The emergent Christ«, subraya que para Eckhart, Dios, el Dios trinitario y creador, es un Dios dinámico, relacional, comunitario, y trascendente en el amor.16 Trascendencia que, en definitiva, se hace inmanencia por el amor hacia su criatura, y porque la creación entera surge en Él y desde Él [...] No cabe duda: la verdadera realidad se entiende y encuentra su puesto sólo en el seno de la Trinidad, hacia la cual todo ser tiende como a su fin: Dios es algo íntimo a todas las cosas, en tanto que es el ser, y de este modo, todo ente ha comido de Él. Él es también lo que está más alejado de todas las cosas, porque está por encima de todo, y, así, fuera de todo. Todo ha comido, por tanto, de Él, en tanto que es algo íntimo, y todo sigue teniendo hambre de Él, en tanto que es lo más alejado. Todo ha comido de Él, en tanto que Él está en su totalidad dentro; todo sigue teniendo hambre de Él, en tanto que Él está en su totalidad fuera.17 13. Id., Pr. 49 (DW II 436,7-438,2). 14. Alois M. Haas, Meister Eckhart als normative Gestalt geistlichen Lebens (Einsiedeln, 1979). 15. Ibid., 122. 16. Cfr. Ilia Delio, The emergent Christ (New York, 2011), 41-2: »The relational life of the Trinity is not a static communion but a dynamic flow of love, love unto love or, we might say, a nested hierarchy of loves – generative, expressive, and unitive loves. The Trinity is eternal flowing love, whereby the love of one to another – Father to Son to Spirit – is a complexified union of love in which each divine person recapitulates the generation of love as a new horizon. [...] As Eckhart wrote: ›When we say God is eternal we mean God is eternally young [...] God is the newest thing there is, the youngest thing there is. God is the beginning and if we are united to God we become new again.‹« 17. Maestro Eckhart, Sermones y lecciones sobre el capítulo 24, 23-31 del Eclesiástico, ed. A. Quero Sánchez (Pamplona, 2010), 165-7 (= LW II 282,13-283,3: deus est rebus omnibus intimus, utpote ese, et sic ipsum edit omne ens; est et extimus, quia super omnia et sic extra omnia. Ipsum igitur edunt omnia, quia intimus, esuriunt, quia extimus; edunt, quia intus totus, esuriunt, quia extra totus).

La Trinidad como realidad del místico

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4. Concluyendo La experiencia de Dios, de la que son testigos los místicos, en nuestro caso Teresa, Juan y Eckhart, abre el verdadero panorama de lo Real. Nada acontece fuera de Dios, y solo en Dios se descubre su verdadero sentido. Pero no un Dios alejado, extraño, sino un Dios inmanente que sostiene y alienta a toda criatura, y que ha puesto su mirada en el hombre. Para nuestros místicos, Dios es el único posible centro de la vida y existencia del hombre. Sólo ahí encuentra su hogar y la razón de ser de todas las cosas, así como la correcta valoración de los acontecimientos.

Authentizität und Engagement. Ernst Tugendhat über die Mystik des Lebens Alois Halbmayr, Salzburg »Mystiker ist, wer nicht aufhören kann zu wandern und wer in der Gewissheit dessen, was ihm fehlt, von jedem Ort und von jedem Objekt weiß: D a s i s t e s n i c h t «.1 Abstract In 2005, the philosopher Ernst Tugendhat was awarded the Meister Eckhart Prize. His understanding of mysticism is strongly influenced by his studies of Meister Eckhart. This article presents Ernst Tugendhat’s unconventional concept of mysticism and discusses commonalities and differences to the Christian idea of mysticism. He interprets mysticism as an oppositional alternative to religion. Separating mysticism from religion is for him the only way to overcome egocentricity and to appreciate the present world. This concept corresponds to major critical approaches to religion: On the one hand, these approaches want to translate and transform the substance of religion without the burden of tradition and, on the other hand, they are linked to the conviction that any dimension of transcendence is in truth related to the human self, not to metaphysical alterity. In this paper, special attention is given to Tugendhat’s reference to Meister Eckhart and particularly to the question to what extent he rightly draws on Eckhart’s ideas. According to Eckhart, mysticism is not an alternative to religion at all, but rather a form to express it. Eckhart’s theology indeed provides an understanding of mysticism as a search for humans’ innermost being, not as a process of alienation. But in contrast 1. Michel de Certeau, Mystische Fabel: 16. bis 17. Jahrhundert, übersetzt von M. Lauble (Berlin, 2010), 487 (erstmals franz.: La fable mystique: XVIe-XVIIe siècle [Paris, 1982], 411: »Est mystique celui ou celle qui ne peut s’arrêter de marcher et qui, avec la certitude de ce qui lui manque, sait de chaque lieu et de chaque objet que ce n’est pas ça [...]«).

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to Tugendhat, Eckhart is convinced that the success of this search depends on a profound relation between mysticism and religion. Only within the framework of an ever greater transcendence can mysticism become a force which allows one to be at ease with oneself without forgetting one’s true origin and relationship.

I

m Jahr 2005 erhielt Ernst Tugendhat den renommierten Meister-Eckhart-Preis, der seit 2001 alle zwei Jahre von einer gemeinnützigen Stiftung für Philosophie in Zusammenarbeit mit der Universität Köln vergeben wird. Der Preis möchte Persönlichkeiten auszeichnen, »die in ihren Arbeiten existenzielle Fragen der persönlichen, sozialen und interkulturellen Identität aufgreifen und durch ihr Wirken einen breiten öffentlichen und internationalen Diskurs beleben«.2 Die Verbindungslinien zu dem großen Dominikanertheologen bewegen sich nicht auf einer theologischen, sondern auf einer sprachtheoretischen Ebene, insofern Meister Eckhart »als der führende Kopf der deutschen Mystik und als prägend für die heutige wissenschaftliche Sprache« bezeichnet wird.3 In der Dankesrede, aber auch in verstreuten Passagen anderer Texte bietet uns Tugendhat einen Einblick in sein ungewöhnliches Verständnis von Mystik, das auch stark von der Auseinandersetzung mit Meister Eckhart geprägt ist. Der vorliegende Beitrag möchte sich aus einer systematischtheologischen Perspektive mit dem Mystik-Verständnis von Tugendhat auseinandersetzen und sowohl die Überschneidungen als auch die Differenzen zu einem christlichen Verständnis herausarbeiten. Der erste Punkt wird daher Tugendhats Positionen über die Mystik nachzeichnen, ehe in einem zweiten Schritt die wesentlichen Differenzen zu einem christlichen Mystikverständnis analysiert werden. Der dritte Abschnitt zeigt anhand ausgewählter Texte, welch großer Stellenwert für Meister Eckhart der Aufmerksamkeit auf die Dinge der Welt zukommt. Der abschließende vierte Punkt stellt noch einige Überlegungen an, warum eine ausschließende Gegenüberstellung eines philosophischen, theologischen und mystischen Eckharts nicht möglich ist, sondern erst ihre Einheit dem Kernanliegen dieses großen Philosophen, Theologen, Mystikers und Lebemeisters gerecht wird. 2. Vgl. www.meister-eckhart-preis.de (Zugriff 11.08.2016). Ausgelobt wird der Preis von der ›Identity Foundation‹ und der Universität zu Köln. 3. So im Einleitungsabschnitt zum Meister-Eckhart-Preis (ibid.).

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1. Tugendhats Verständnis von Mystik Tugendhat zählt zu den prägenden Gestalten der deutschsprachigen Philosophie im ausgehenden 20. Jahrhundert. 1930 in Brünn in eine wohlhabende jüdische Familie hineingeboren, die 1938 emigrieren musste, schlug Tugendhat nach umfangreichen Studien in den USA und Deutschland eine akademische Laufbahn ein, die ihn an zahlreiche Stationen führte, etwa an das ›Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt‹ in Starnberg (1975-80) sowie an die FU Berlin, wo er von 1980 bis zu seiner Emeritierung 1992 Philosophie lehrte. Als einer der ersten im deutschsprachigen Raum hat er sich intensiv mit der analytischen Philosophie auseinandergesetzt und von dieser Perspektive her die klassische Tradition, vor allem aber das Denken Husserls und Heideggers neu erschlossen. Weiters verdanken wir ihm viel diskutierte Beiträge im Bereich der praktischen Philosophie, wie insbesondere die Rezeptionsgeschichte seines bekanntesten Buchs, die Vorlesungen über Ethik, zeigt. Dieses Werk gilt als ein Meilenstein in der Moralphilosophie, weil hier die klassischen Frontlinien zwischen Aristoteles, Kant, Hume und ihren jeweiligen Traditionen souverän aufgehoben werden. Tugendhat zeigt darin, wie sehr das Interesse am eigenen Wohlergehen immer schon an die Bedürfnisse und Ansprüche anderer zurückgebunden ist. Wohl findet moralisches Verhalten seinen Ausgangspunkt in den Eigeninteressen des Individuums, aber es wächst und greift doch weit darüber hinaus und offenbart so einen universalistischen Anspruch, der auch die Entferntesten und längst Vergessenen mit einzuschließen vermag. So erscheint es nur konsequent, dass Tugendhat sich auch politisch engagiert und immer wieder zu konkreten gesellschaftlichen Fragen Stellung bezogen hat. Auch nach seiner Emeritierung blieb Tugendhat als Philosoph und streitbarer intellektueller Zeitgenosse produktiv. In den letzten Jahren wandte er sich verstärkt der Anthropologie zu, die innerhalb des philosophischen Diskurses eine bemerkenswerte Renaissance erfährt. Die Titel seiner jüngsten Publikationen dokumentieren das Interesse an diesem Diskurs.4 Tugendhat kommt in all diesen Werken an verstreuten 4. Vgl. Ernst Tugendhat, Egozentrizität und Mystik: Eine anthropologische Studie (München, 2003) (Nachdr. 2004; 2006 [1. Auflage in der Beck’schen Reihe]); id., Über den Tod (Frankfurt a.M., 2006) (erstmals allerdings in: M. Stamm [Hg.], Philosophie in synthetischer Absicht [Stuttgart, 1998],

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Stellen – und oftmals auch nur indirekt – auf die Religion zu sprechen. Nicht zuletzt kennzeichnet diese Schaffensphase eine Auseinandersetzung mit der Mystik, die er in eigenwilliger Weise als Alternativmodell zu einem herkömmlichen religiösen Glauben entfaltet. Auf Meister Eckhart, so betont er in seiner Preisrede, sei er während seines Studiums in Stanford gestoßen, im Rahmen eines Seminars über christliche Mystik; gleichzeitig besuchte er auch ein Seminar über Zen-Buddhismus. Fünfzig Jahre später habe er sich erneut mit Eckhart beschäftigt und in diesem Zusammenhang Rudolf Ottos Buch über West-östliche Mystik gelesen.5 Otto vergleiche darin Meister Eckhart mit dem Vedānta-Philosophen Śankara und hebt die Gemeinsamkeiten ihrer Anschauungen hervor, insbesondere ihr Verständnis der Gottheit als das absolut Eine ohne alle Unterscheidungen. Anders als Otto, der mit diesem Vergleich die Besonderheit der christlichen Religion und Mystik hervorheben wollte, richtet sich das Interesse Tugendhats jedoch auf das Fundament dieser parallelen Entwicklung: Welche anthropologischen Motive und Bedingungen liegen dem offensichtlichen Bedürfnis nach Religion und Mystik zugrunde? Warum begeben sich Menschen auf die Suche nach einem Urgrund, stellen sie Fragen nach Transzendenz und Heil? Aber nicht erst im Kontext der Preisverleihung, sondern bereits in seiner Schrift Egozentrizität und Mystik habe er sich intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt, und damals wie heute würden ihn seine eigenen Antworten noch nicht restlos überzeugen.6 Entscheidend für die Rekonstruktion von Tugendhats Verständnis von Mystik ist die aus sprachphilosophischer Reflexion gewonnene Überzeugung, dass das, was mit den Ausdrücken ›Mystik‹ und ›Religion‹ gemeint sei, sich überzeugend nur aus der Perspektive der ersten Person

487-512; Nachdr. in: E. Tugendhat, Aufsätze 1992-2000 (Frankfurt a.M., 2001), 67-90]) (im Folgenden zitiert nach der Paginierung der erstgenannten Ausgabe); id., Anthropologie statt Metaphysik (München, 2007; ²2010). 5. Vgl. Rudolf Otto, West-östliche Mystik: Vergleich und Unterscheidung zur Wesensdeutung (Gotha, 1926). Das Buch ist in mehreren Auflagen erschienen; bekannt ist vor allem die dritte Auflage (München, 1971), die von Gustav Mensching überarbeitet wurde, nach deren Paginierung im Folgenden zitiert wird. 6. Die ersten Kapitel von Egozentrizität und Mystik, so betont Martin Seel, »Ein Solitär. Zum 80. Geburtstag des Philosophen Ernst Tugendhat«, in: Die Zeit (4. März 2010, Nr. 10), 48, bieten eine vorzügliche Einführung in die Grundlinien seines Denkens.

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beantworten lasse.7 Dies berührt den erkenntnistheoretischen Kern seines Verständnisses der Mystik. Denn mit dem Wort ›ich‹ nimmt der Mensch nicht bloß Bezug auf etwas in ihm (das man ›Ich‹ nennt), sondern mit dem Wort ›ich‹ nimmt der Sprecher auf sich selbst Bezug. Daher kommen die inneren Prädikate ihm selbst, d.h. dem Sprecher zu, nicht einem Ich. Das Wort ›ich‹ aber »r e f e r i e r t auf den Sprecher, d.h. es steht für diesen Menschen, aber es i d e n t i f i z i e r t ihn nicht«.8 Stets bleibt eine uneinholbare Differenz zwischen dem Ich und dem, der spricht. Alle sprachlichen (singulären) Termini referieren, i n d e m sie identifizieren. Etwas identifizieren heißt, eine Relation herzustellen. So kann sich der Mensch nicht mit sich selbst identifizieren, weil er etwas nur identifizieren kann, wenn er ihm eine Stelle relativ zu sich selbst zuspricht. Entscheidend ist nun, d a s s alle Prädikate, die ich mir selbst zuspreche, ich mir selbst als einer Person zuspreche, die sich von allen anderen Personen und Gegenständen unterscheidet. Allerdings ist mit dem Wort ›ich‹ noch nicht gesagt, welcher einzelner ich bin, denn das Wort ›ich‹ besitzt keine identifizierende Funktion, sondern gibt lediglich ein Differenzmerkmal an, dass ich mich von allen anderen unterscheide. Was ich in der ›ich‹-Perspektive von mir aussage, kommt mir als einem einzelnen im Unterschied zu allen anderen zu. Gleichzeitig o b j e k t i v i e r e ich meine Meinungen, Gefühle, Wünsche, Ideen und Absichten, indem ich sie prädikativ von mir selbst als diesem einzelnen aussage und nicht bloß habe. In diesem Aussagen, so die Schlussfolgerung, erfolgt der Schritt vom vorpropositionalen Bewußtsein zum ›ich‹-Bewußtsein. Selbstbewußtsein ist nicht ein innerer Reflexionsakt auf ein sog. Ich, sondern erfolgt, indem ich meine bewußten Zustände – die Absichten, Gefühle usw. – mittels Prädikaten mir und damit einer Person zuspreche, die innerhalb des realen, objektiven Universums unterscheidbarer Gegenstände e i n e r u n t e r a l l e n ist.9 7. Zur Differenz von ersten und dritten Person vgl. E. Tugendhat, Egozentrizität und Mystik (2003), 114-7 und 164-70. Die dritte Person-Perspektive hat ein Interesse an den Überzeugungen und Meinungen von jemandem, während in der ersten Person-Perspektive das Interesse auf der Wahrheit der Sache selbst liegt. Für Tugendhat, ibid., 169, ist zwar »die Perspektive der 1. Person die wichtigere Fragerichtung [...], aber sie setzt doch die möglichst weitgehende Erforschung in der Perspektive der 3. Person voraus«. 8. Ibid., 27. 9. Ibid., 28.

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Der Mensch hat nicht nur Gefühle, Ideen, Wünsche und dergleichen, er weiß auch um sie. Keiner, der eine propositionale Sprache spricht, könnte ein Bewusstsein von sich haben, wenn er nicht zugleich ein Bewusstsein von einer objektiven Welt hätte, so wie er umgekehrt kein Bewusstsein von einer objektiven Welt haben kann, wenn er nicht auf sich selbst referieren könnte: »Man kann also auf e i n z e l n e s nur bezugnehmen, indem man sich zugleich auf eine We l t bezieht«.10 Keiner kann für sich allein ›ich‹ sagen, mit jedem Akt des Selbstbezugs wird daher gleichzeitig eine Vielzahl von anderen ›ich‹-Sagern Wirklichkeit. Für den ›ich‹-Sager konstituiert sich nicht allein eine objektive Welt selbstständiger Wesen, von der er selbst lediglich ein Teil ist, sondern diese objektive Welt konstituiert ihrerseits Teilwelten aus wechselseitig sich als eigenständig wahrnehmenden ›ich‹-Sagern, jeder mit seiner eigenen Geschichte an Gedanken, Gefühlen, Wünschen etc. Weil dem Menschen bewusst wird, dass er in diesem Universum nicht allein ist und die anderen eigenständigen Wesen nicht weniger wichtig sind und daher ebenfalls Rechte in Anspruch nehmen können, wird die eigene Bedeutung tendenziell immer wieder in Frage gestellt und relativiert. Einerseits begreift sich der Mensch damit als Nabel der Welt, wie könnte es auch anders sein? Der je einzelne Mensch ist es, der die Erfahrungen macht, niemand vermag ihm diese abzunehmen, er allein nur kann für sich selbst ›ich‹ sagen. Ausführlich erörtert Tugendhat die innere Struktur des ›ich‹-Sagens und betont, dass sie nicht bloß auf Reflexivität und Handlungsorientierung zielt, sondern elementar auf das Gute hin ausgerichtet ist.11 Den Wandel von einem vorbewussten Selbstbezug zum expliziten Wissen nennt Tugendhat mit einer etwas missverständlichen Formulierung ›Egozentrizität‹.12 Wie aber kann nun diese (natürliche) Egozentrizität so gestaltet bzw. angebunden werden, dass auch die anderen Ansprüche und Identitäten zu ihrem Recht kommen? Für Tugendhat kann dies nicht das fragile Konstrukt einer Ethik und schon gar nicht die Religion gewährleisten, sondern allein die Mystik. Ihr kann es gelingen, die einander in Spannung stehenden anthropologischen Konstanten zu versöhnen: einerseits ganz bei sich selbst, also beim Ich zu bleiben, 10. Ibid., 21. 11. Vgl. ibid., 46-87. Hier folgt Tugendhat explizit Aristoteles, der in der prädikativen Struktur der Sprache das Bewusstsein des Guten gründet. 12. Hin und wieder auch ›Ego-Zentrizität‹ (vgl. etwa ibid., 29).

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zugleich aber das eigene Sichwichtignehmen hintanzustellen, sich dem anderen zu öffnen. Tugendhat unterscheidet »drei Weisen des Zurücktretenkönnens«,13 nämlich (1) das Zurücktreten von den unmittelbaren Gefühlen mit Rücksicht auf die Intentionen und die eigene Zukunft; (2) das Hintanstellen des eigenen Wohls zugunsten eines anderen; sowie (3) das Bewusstsein der eigenen Geringfügigkeit und seiner Sorgen innerhalb des Universums. 1.1 Trennung von Religion und Mystik Für Tugendhat ist die Mystik keine Form innerhalb des breiten Stroms einer religiösen Überlieferung, sondern ihre radikale Alternative. Auch wenn es in den Religionen durchaus mystische Komponenten gebe, müsse man dennoch die Mystik stets als etwas von der Religion Unabhängiges verstehen; wäre sie eine Form von Religion, »dann könnte es keine buddhistische und keine taoistische Mystik gegeben haben«,14 denn für Tugendhat sind Buddhismus und Taoismus keine Religionen. An dieser Stelle ist natürlich zu beachten, dass sich Tugendhats Verständnis von Religion als weitgehend frei von religionswissenschaftlichen Analysen und empirischen Debatten erweist. Ob und in welcher Weise Buddhismus und Taoismus als Religionen bezeichnet werden können, hängt vom jeweiligen Religionsbegriff ab. Tugendhat möchte jedenfalls über eine anthropologische Reflexion verständlich machen, warum Menschen überhaupt Religion benötigen und wie sich religiöse Verhältnisse beschreiben lassen. Es ist nicht überraschend, dass an dieser Stelle klassische religionskritische Versatzstücke hervorgeholt werden: In einem frühen evolutionären Stadium deute der Mensch Kontingenz und Endlichkeit als »Ausfluß mächtiger, übernatürlicher Wesen«.15 Der Götterglaube entwickle sich aus pragmatischen Gründen: »wofür Menschen gerade Götter b r a u c h e n , ist, daß sie die Welt zugunsten der eigenen Wünsche beeinflussen wollen«.16 Wohl seien in der religionsgeschichtlichen Entwicklung weitere Vertiefungen und Differenzierungen im 13. Ibid., 40. 14. Ernst Tugendhat, Über Mystik: Vortrag anläßlich der Verleihung des Meister-Eckhart-Preises, in: Id., Anthropologie statt Metaphysik (2007; ²2010), 176-90, 178. 15. E. Tugendhat, Über Mystik (2007; ²2010), 179. 16. E. Tugendhat, Egozentrizität und Mystik (2003), 123.

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Gottesverständnis und spezifische Begründungen sowie Verhaltensweisen hinzugekommen, dennoch habe die Aufklärung diesen ganzen Komplex von Vorstellungen und Haltungen hinweggefegt. Anders als durch Tradition oder durch übernatürliche Offenbarung sei eine religiöse Wahrheit nie wirklich zugänglich gewesen, so dass ein Festhalten an Religion nach der Aufklärung immer mit einem Festhalten an einem privilegierten Zugang zum Göttlichen verbunden bleibt. Damit aber werde jegliche intersubjektive Verständigung abgebrochen, denn weder könne man die Existenz Gottes beweisen, noch sei sie verständlich, noch semantisch bedeutsam. Daher ist und bleibt, so Tugendhat in apodiktischer Tonart, die Religion für den modernen Menschen kein gangbarer Weg.17 Der Glaube an Gott scheitere an der Barriere des intellektuellen Gewissens. Darüber hinaus wendet Tugendhat gegen die Religion ein – und dies ist für ihn der gewichtigere Einwand –, dass sie die Wünsche eben lässt, wie sie sind, und stattdessen »eine Tr a n s f o r m a t i o n d e r We l t mittels einer Wunschprojektion vornimmt«.18 Damit kann Tugendhat auch deutlich benennen, worin der unabschätzbare Vorzug der Mystik liegt und warum sie gegenüber der Religion als der bessere Weg gelten kann: Denn die Mystik bettet die eigenen Wünsche in einen größeren Kontext ein, sie relativiert (oder leugne geradezu) ihre Bedeutung. Anders als die Religion zielt die Mystik nicht auf eine Veränderung der Welt, sondern auf »eine Tr a n s f o r m a t i o n d e s S e l b s t v e r s t ä n d n i s s e s «.19 Wenn der Weg eines religiösen Verhältnisses in der Moderne überhaupt nicht mehr gangbar ist, kann der Mensch sein Streben nach Transzendenz sowie sein Bedürfnis nach Einheitlichkeit und Sammlung nur mehr im Modus eines mystischen Verhältnisses leben. Denn unbestritten ist, dass der Mensch aufgrund seiner anthropologischen Struktur nur auf etwas hin gesammelt leben kann, was ›nicht von dieser Welt‹ ist. Wie anders als durch Mystik sollte er seinem Grundbedürfnis nach Transzendenz Ausdruck verleihen können? Noch dazu, wo sie einen Weg repräsentiert, der »allen Menschen zugänglich ist«?20 17. Allerdings nimmt Tugendhat die Apodiktik etwas zurück, wenn er, ibid., 124, als Klammersatz hinzufügt: »Ich weiß, daß die Sache damit aus der Sicht des Gläubigen nicht abgetan ist, ich wollte auch nur meine Karten auf den Tisch legen und will niemandem etwas ausreden, hier spreche ich in der 1. Person lediglich im Singular«. 18. Ibid., 122. 19. Ibid. 20. Ibid., 115; vgl. auch id., Über Mystik (2007; ²2010), 180.

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Aus diesen Beobachtungen formuliert nun Tugendhat seine prinzipielle These: »Wenn es stimmt, daß man heute nicht mehr religiös im engeren Sinn sein kann, und wenn es stimmt, daß man nur auf etwas Unverlierbares hin sich selbst sammeln kann, kann dies nur das mystisch gedeutete Universum sein«.21 Dem Ich als dem Subjekt dieser Bewegung und dem Universum als dessen Objekt gilt dabei alle Aufmerksamkeit, denn sie sind »die zwei anthropologischen Wurzeln der Mystik«.22 In Bezug auf das Ich betont Tugendhat, dass man seinen Seelenfrieden erreichen könne, wenn man eine vollständige Entsagung von allem Wollen anstrebt, wenn man auf Weltverneinung zielt, wie dies etwa für die Haupttraditionen des Buddhismus und die indische Mystik charakteristisch ist. Allerdings könne man auch einen Seelenfrieden i n n e r h a l b unserer Welt anstreben. Dann wird unsere Willens- und Bedürfnisstruktur nicht verneint, sondern relativiert und eingeschränkt. Mehr noch, die Frustrationen werden nicht überwunden, sondern integriert. Diesen exemplarischen Weg führt uns insbesondere der Taoismus vor Augen. Das Verhältnis zum Universum lässt sich nämlich auf vielfache Weise gestalten. Man kann es zunächst als Eines verstehen, in dem sich alle Differenzen aufheben. Ziel bleibt dann die Verschmelzung mit diesem Einen, die unio mystica. Man kann das Universum aber auch als eine differenzierte Einheit verstehen, als eine Pluralität der Dinge in Raum und Zeit. In einer solchen Perspektive stellt sich der Mystiker wieder in die Welt zurück. Statt alles aus der ichzentrierten Perspektive zu sehen, sieht er sich selbst von der Welt her. Auch diese Form des Verhältnisses zum Universum wird exemplarisch vom Taoismus repräsentiert. Im Gegensatz zu den hinduistischen (samsara) und anderen buddhistischen Lehren ist die taoistische Mystik radikal diesseitig, sie ist keine Mystik der Weltflucht. Deshalb spielt das Leiden in ihr auch keine zentrale Rolle und kann daher auch gar nicht vermieden werden. Anders als im Buddhismus sucht der taoistische Mystiker seinen Seelenfrieden »nicht außerhalb dieser Welt, sondern in ihr«,23 er will sich vom Leiden nicht frei machen, sondern es integrieren. Wo nun im Christentum diese (pragmatischen) Motive der Mystik aufgenommen werden, unterscheidet es sich nach Tugendhat vom taoistischen Zugang nur auf der motivatorischen 21. Id., Egozentrizität und Mystik (2003), 124. 22. Id., Über Mystik (2007; ²2010), 181. 23. Id., Egozentrizität und Mystik (2003), 132.

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Ebene. Während der christliche Mystiker aus Gehorsam gegenüber Gott hinter die Dinge zurücktritt, da ihm ja eine Einsicht in das Wesen und in den Willen Gottes schlechterdings unmöglich ist, entscheidet sich der taoistische Mystiker aus eigenem Antrieb dazu. Will man aber – etwa aus intellektuellen Gründen – dem Gehorsamsmotiv nicht das letzte Wort lassen, muss auch die christliche Interpretationsvariante eingestehen: »was mit Gott gemeint ist, ist das Tao, nichts spezifisch Personales«.24 In seiner Preisrede nennt Tugendhat noch eine weitere Gestalt, diese Einheit von Egozentrizität und Weltbewusstsein zu leben. Sie lässt auch noch jenen Einheitsbezug hinter sich, wie er für den Taoismus kennzeichnend ist. Sie relativiert das Selbst nicht auf ein Eines hin, heißt es Gott oder Welt, sondern »auf das unbestimmt viele andere im ganzen«.25 Dieses Verhältnis findet er etwa im Mahayana-Buddhismus mit seiner Lehre vom Mitgefühl und der wechselseitigen Interdependenz aller Dinge sowie in der christlichen Liebesidee. 1.2 Meister Eckhart als Paradigma einer religionslosen Mystik »Mystik« ist, so betont Tugendhat, »nicht ein Gefühl und auch nicht eine Erfahrung, sondern ein Wissen und eine entsprechende Haltung«,26 sie ist die Einheit von Gesammeltsein und Weltbewusstsein. Darüber hinaus ist sie für uns Menschen »eine realisierbare Möglichkeit geblieben«,27 nachdem die Religion als Gestaltungsform unseres Bedürfnisses nach Transzendenz nicht mehr zur Verfügung steht. Meister Eckhart habe die Unterscheidung von Religion und Mystik noch nicht vollziehen können, »weil es für ihn selbstverständlich war, sich ausschließlich als Adressat der Traditionen zu verstehen, in denen er sich gesehen hat«.28 Er stand noch nicht vor der Notwendigkeit einer a n t h r o p o l o g i s c h en Begründung. Aber Meister Eckhart versteht Mystik nicht als Rückzug von den Dingen, wie Tugendhat mit Verweis auf die Erfurter Reden betont, sondern als ein Eintauchen und ein prinzipielles Einverständnis in das Gegebene.29 24. 25. 26. 27. 28. 29.

Ibid., 140. Id., Über Mystik (2007; ²2010), 185. Ibid., 184. Ibid., 186. Ibid. Vgl. id., Egozentrizität und Mystik (2003), 140-3.

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Dieses Einverständnis meint für Tugendhat keine schicksalhafte oder kritiklose Akzeptanz der Welt, wie sie ist, sondern impliziert eine Aufforderung, sie zu gestalten, sie auf mehr Barmherzigkeit und mehr Liebe hin zu verändern. Das Paradigma schlechthin dieser Variante eines mystischen Verhältnisses ist Jesus von Nazareth, der für Tugendhat ein Mystiker war. Zwar habe er in religiöser Form und im Interpretationshorizont des Judentums seine Lehre verkündet, gleichzeitig aber »das Spezifische der jüdischen Tradition, die Gebote eines autoritären Gottes, verworfen oder jedenfalls relativiert«.30 Was als Kernaussage Jesu übrig bleibe, sei die Idee einer selbstlosen und universal verstandenen Liebe, die Reich-Gottes-Idee, die als Metapher zu interpretieren sei. Eine Begründung dieser Interpretation sei weder historisch noch mit Berufung auf eine göttliche Offenbarung möglich, sondern allein auf anthropologischer Ebene. Worin diese anthropologische Begründung nun liege, wird von Tugendhat allerdings nicht näher ausgeführt. Lediglich wird betont, dass sich damit die scharfe Trennung von Religion und Mystik auch im Verständnis Jesu und im persönlichen Bezug zu ihm selbst durchhalten lasse. Für Tugendhat ist von zentraler Bedeutung, dass sich die kontemplative Haltung des Mystikers zu einer aktiven transformiert. Wie immer man diesen Umgestaltungsprozess nennen mag, allseitiges Mitleid, desinteressierte Liebe oder auch Herzensgüte, entscheidend sei, dass die aktive Zuwendung prinzipiell allen gilt, den Mitmenschen ebenso wie den Tieren, dem Kosmos oder der Natur. Ein solch universalistisches, parteiloses und engagiertes Verhalten und Verhältnis lässt sich nicht anders begründen denn mystisch, d.h. im Sinne Tugendhats, anthropologisch – und nicht moralisch-ethisch oder genetisch. Auch wenn man Jesu Sorglosigkeit gegenüber der Zukunft (Mt 6,25) – darin den Taoisten nahe stehend – als Mystik im religiösen Gewand deuten könne, so sei die Höchstform dieses absichtslosen Weltverhältnisses im Mahayana-Buddhismus zu finden. Denn solange Mystik nicht auf eine umfassende Durchdringung und Transformation der Welt zielt, sondern lediglich den eigenen Seelenfrieden anstrebt, ist es dem ›ich‹-Sager noch nicht gelungen, radikal von sich abzusehen und zur universalen Solidarität vorzudringen. Von daher, so Tugendhat, wäre das Bhodisattva-Ideal, das 30. Id., Über Mystik (2007; ²2010), 188.

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die Grenzen der Bezugsmöglichkeiten souverän überschreitet, »die letztlich einzig konsistente Form der mystischen Haltung«.31 Die Mystik drängt als ein Weltverhältnis und als ein fundamentales Gegenüber zur Religion nicht auf Überwindung oder Ablösung der Welt, sondern auf ihre Transformation, auf eine grundlegende Veränderung auf Basis einer prinzipiellen Zustimmung zur Wirklichkeit. All dies ist für Tugendhat im Kontext eines religiösen Verhältnisses nicht möglich, weil das prinzipielle Einverständnis mit der Welt, wie sie ist, fehle. 2. Ein reduzierter Begriff von Religion und ein einseitiges Verständnis von Mystik Tugendhat reiht sich mit seiner diametralen Gegenüberstellung von Religion und Mystik in den breiten Strom religionskritischer Ansätze ein. Ihnen geht es, nachmetaphysisch gesprochen, um die Rettung des semantischen Kerns der religiösen Überzeugungen, ohne zugleich den Ballast an institutionellen Strukturen, dogmatischen Entscheidungen und rituellen Formen mitnehmen zu müssen. Mehr noch, diese Kritik sieht in der Religion die eigentliche Ursache, warum sich das anthropologische Potential, die versöhnende Kraft zwischen Selbstzentriertheit und Berücksichtigung des Anderen nicht im Menschen entwickeln kann. Tugendhat bietet keine näheren Begründungen, warum Religion nicht von Ich-Fixierung befreit und lediglich ein falsches Bewusstsein (Wunschprojektion) widerspiegelt. Ebenso wenig setzt er sich mit den verschiedenen Traditionen und gegenwärtigen Gestalten des Christentums auseinander. Begründet wird dies mit einem Verweis auf die Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer, die nicht auf Objektivität ziele, sondern die Subjektivität ins Spiel bringe. Gleichzeitig grenzt er sich aber auch vom Ansatz Gadamers ab und kritisiert, dass dieser wie Heidegger nur von Wahrheit, nicht aber von Gründen sprechen würde. Wenn man aber nicht mehr von Gründen spreche oder sprechen könne, müsse man den Wahrheitsbegriff aufgeben. Denn ein Gespräch ist eine Auseinandersetzung über Argumente, die eben zu keiner Verschmelzung führe, sondern zu definierbaren Konsensen und Dissensen.32 Tugendhat betont selbst: 31. Id., Egozentrizität und Mystik (2003), 149. 32. Vgl. ibid., 169.

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Wenn man eine Position nicht kennt, kann man sich mit ihr nicht auseinandersetzen. Man müsse aber ›Prioritäten setzen‹ und es sei eine Ermessensfrage, wie intensiv man eine Position rezipiere, um mit ihr in ein Gespräch treten zu können. Traditionen glichen einem Steinbruch, aus dem man nach Erfordernis eben selektiv herausbrechen könne.33 Friedo Ricken hat den zentralen Einwand gegen diese Position so formuliert: Eine Tradition ist ein Gesprächspartner und eine Herausforderung an mein Verstehen, sie ist kein Steinbruch für Sachfragen, so wie ich sie sehe, sondern zunächst eine Frage an mich, ob meine Sicht der Dinge richtig ist oder ob man die Dinge auch anders sehen kann. Wie gut ich eine Position kennen muss, um mich mit ihr auseinandersetzen zu können, ist keine Ermessensfrage; vielmehr lautet die Frage, ob eine Auseinandersetzung der Position gerecht wird.34 Auch der Mystikbegriff erscheint in mehrfacher Hinsicht problematisch. Wenn die primäre Aufgabe der Mystik darin bestehe, »die eigene E g o z e n t r i z i t ä t zu transzendieren oder zu relativieren, eine Egozentrizität, die andere Tiere, die nicht ›ich‹ sagen, nicht haben«,35 dann zeigt sich hier eine Unschärfe in der Funktionsbestimmung, die auf das Mystikverständnis selbst zurückwirkt: Denn ›transzendieren‹ bedeutet ja nicht dasselbe wie ›relativieren‹. Ist nicht der Transzendenzbezug, die Hinwendung zu einem Gegenüber, das zentrale Element jedes Mystikverständnisses, wie immer man auch das Woraufhin bezeichnet und wo immer man es auch verorten möchte? Darüber hinaus bleibt auch die Verhältnisbestimmung von Egozentrizität und Egoismus defizitär, denn, so bringt es Hans-Martin Barth auf den Punkt, »Egozentrizität ermöglicht Egoismus wie Altruismus«.36 Es bedarf einer Kriteriologie, warum sich die Egozentrizität auf das andere und nicht auf sich selbst richten kann und soll. Dennoch vertritt 33. Vgl. ibid., 167-8. 34. Friedo Ricken, »Der Religionsbegriff in der gegenwärtigen religionsphilosophischen Diskussion«, in: F.-J. Bormann und B. Irlenborn (Hgg.), Religiöse Überzeugungen und öffentliche Vernunft: Zur Rolle des Christentums in der pluralistischen Gesellschaft (Freiburg i.Br./Basel/Wien, 2008), 114-31, 127. 35. E. Tugendhat, Egozentrizität und Mystik (2003), 7. 36. Hans-Martin Barth, »Egozentrizität, Mystik und christlicher Glaube: Eine Auseinandersetzung mit Ernst Tugendhat«, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 46 (2004), 467-82, 470.

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Tugendhat ein Anliegen, das durchaus den Grundintentionen der Mystik entspricht. Er möchte einen Begriff von Egozentrizität entwickeln, der weit über Ich-Fixierung und Egoismus hinausreicht und das mystische Gefühl der All-Einheit ermöglicht. Wer innerhalb der zwischenmenschlichen Verhältnisse seine Wünsche und Bedürfnisse zurückstellen kann, sich also nicht unbedingt wichtig nimmt, der ist oder verhält sich wie ein Mystiker.37 Egozentrizität meint nicht Egoismus, sondern seine Umpolung nach außen, hin zu den Menschen, den Tieren, zur ganzen Welt. Von daher lässt sich Mystik als ein Transformationsprozess bezeichnen, der die egoistischen Motive und Antriebe transformiert und so den (mystischen) Wunsch nach Seelenfrieden erfüllen kann. Schließlich wirft auch die wechselseitige Ausschließung von Religion und Mystik Fragen auf. Für Tugendhat erscheint dieser Antagonismus unproblematisch, weil Religion und Mystik sehr unterschiedliche Weisen des Selbst- und Weltbezugs repräsentieren. Dort aber, wo er den religiösen Traditionen mystische Elemente konzediert, muss er sie konsequenterweise umdeuten und neu interpretieren. Dann lässt sich auch Jesu Gebet in Gethsemane mystisch und damit religionsfrei interpretieren. Denn die Bitte Jesu an den Vater, den Kelch vorübergehen zu lassen, schlägt in das tiefe Einverständnis ins Gegebene um: »Dein Wille geschehe« (Mt 26,34). Diese Haltung des Loslassens und der Akzeptanz dessen, was ist, definiert auch den wahren, heißen Kern der Mystik. Als Habitus ist dieses Einverständnis mit dem, was ist, identisch mit der Haltung eines taoistischen Mystikers wie Tschuang-Tse. Die Differenz liegt allein wieder im Motiv und im Referenzobjekt. Während Jesus auf den Willen Gottes rekurriert (Referenz), bezieht sich der Taoist »unpersönlich auf den Himmel«.38 Während der Taoist aus seinem Versenktsein das Zusammengehören der Gegensätze akzeptiert (Motiv), findet der Christ die Begründung für das Einverständnis in das Gegebene im Gehorsam gegen Gott, womit sich allerdings der Projektionsverdacht erneut bestätigt. Weil für Tugendhat das religiöse Motiv die Rationalitätskriterien nicht erfüllt, andererseits aber auch im religiösen Vollzug mystische Momente zum Vorschein kommen, wird ihre Semantik verändert: Was mit Gott gemeint ist, ist nichts Personales mehr, eben das 37. Vgl. E. Tugendhat, Egozentrizität und Mystik (2003), 86-7. 38. Ibid., 139.

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Tao.39 Um die These von der Ähnlichkeit des mystischen Denkens zwischen Jesus und Tschuang-Tse zu begründen, bezieht sieht Tugendhat auf Meister Eckharts Erfurter Reden. Sachlich ist das, was der taoistische Mystiker als Himmel oder Schicksal bezeichnet, identisch mit dem, was Jesus als Gottes Wille bezeichnet: »Effektiv steht, im gesamten Text von Eckhart, das, was Gottes Wille genannt wird, einfach für das, was jeweils real vorgegeben ist«.40 Die religiöse Haltung nimmt hier das Mystische in sich auf. Damit aber endet die religiöse Haltung, sie geht in Mystik über. Das Problem, ob und in welcher Weise man ohne Religion ein Mystiker sein könne, stellt sich nicht für jemanden, der in einer buddhistischen oder taoistischen Tradition steht, wohl aber für jene, die der christlichen Tradition verbunden sind. Letztlich erweist sich also auch ein religiöses Verhältnis als mystisch, wenn es in die Vorgegebenheit der Wirklichkeit einstimmt. Aber auch hier ist zu fragen, ob dies die Tradition und das Selbstverständnis des Christentums trifft. Erstreckt sich Gottes Willen wirklich nur auf die Bestätigung des Vorgegebenen, auf die Zu- und Einstimmung zum Endlichen? Meint Mystik nicht viel mehr als die Zustimmung zum dem, was ist, und die Transformation des Bewusstseins von Egoismus zum Altruismus? Tugendhat betont lediglich, dass die jüdisch-christliche Tradition keinen Zugang zum Transzendenten aus der Perspektive der 1. Person mehr erlaube, während der Mystik genau dies gelinge und diese darüber hinaus eine Möglichkeit sei, die allen Menschen offen stehe. Fast alles, was heute über die Phänomenologie und Geschichte der Religion geschrieben werde, erfolge aber aus der dritten Person-Perspektive, während nur die erste Person-Perspektive die entscheidenden Fragen beantworten könne, ob und in welcher Weise etwas »für uns bedeuten kann und wieweit es für uns Gründe oder Gegengründe gibt, diesen Weg oder einen vergleichbaren selbst zu beschreiten«.41 Da allein die Perspektive der ersten Person relevant erscheint, gibt es für die Mystik auch keine andere Quelle, 39. Die Rede vom Tao ist für Tugendhat, ibid., 142, eine »Abbreviatur für irgendeine nichtpersönliche Auffassung des Numinosen«. 40. Ibid., 142. 41. Ibid., 115. Bernd Irlenborn, »Die religionsfreie Mystik des Philosophen: Ernst Tugendhats Kritik der Religion und des Christentums«, in: Theologie und Glaube 95 (2005), 207-17, 211, merkt zu Recht an, dass Tugendhat, wenn er von der Perspektive der ersten Person spricht, stets Pluralformulierungen oder das allgemeine ›man‹ verwendet. Gleichzeitig betont er aber, dass er in der ersten Person lediglich im Singular spreche.

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aus der sie ihre Kraft und ihre Lebendigkeit schöpfen könnte. Auch hier stellt sich die Frage, ob der Diskurs über Mystik, das Abtauschen von Argumenten, kurz jede Reflexion und Verständigung, überhaupt anders als im Modus einer dritten Person-Perspektive geführt werden könne. Wie wäre ein Prüfen von Gründen und Erfahrungen allein in der Ich-Perspektive möglich? Bleibt die dritte Person-Perspektive für die der ersten Person irrelevant? Bedarf es darüber hinaus, um über die auf Altruismus gepolte Egozentrizität sprechen zu können, nicht auch der Perspektive des ›ich‹-Hörers, der damit einen Horizont eröffnet, den allein eine diskursive Rationalität abschreiten kann? Die Möglichkeiten der dritten Person-Perspektive bleiben für Tugendhat sehr begrenzt. So schreibt er in seiner kleinen philosophischen Studie über den Tod: Philosophieren geschieht nicht in dritter Person, in der wir über etwas – und auch über andere und auch über mich selbst – beschreibend und erklärend reden, sondern in erster und zweiter Person, in der wir miteinander über willentliche Einstellungen, tradierte oder nicht-tradierte, sprechen – Einstellungen, die wir zu haben glauben oder die wir erstrebenswert finden.42 Die eigentlichen Fragen, die uns angehen, sind praktischer Natur, »Fragen, wie wir leben wollen, nicht Fragen, wie wir sind oder woher wir kommen«.43 Und schließlich: Gibt es überhaupt eine Mystik als solche, d.h. jenseits von Traditionen und religiösen Überlieferungen? Rudolf Otto, auf den Tugendhat verweist,44 gab bereits in seiner großen Studie über die west-östliche Mystik von 1926 zu bedenken: Immer ist noch die Meinung sehr allgemein, daß Mystik, auf wie verschiedenem Grunde sie sich auch erheben möge, im Grunde eines und dasselbe sei, und als solche zeitlos, raumlos, unabhängig von Umständen und Gelegenheitsbedingungen. Dieses scheint mir aber den Tatsachen zu widersprechen. Vielmehr scheint mir bei allem Gleichklang der Formeln, der in der Tat verblüffend genug sein kann, eine B e s o n d e r u n g auch des mystischen Gefühles stattzuhaben, die nicht minder groß ist, als die Besonderung religiösen Gefühles überhaupt.45 42. 43. 44. 45.

E. Tugendhat, Über den Tod (2006), 56-7. Ibid., 57-8. Vgl. id., Egozentrizität und Mystik (2003), 119 und 127. R. Otto, West-östliche Mystik (1926), 161-2.

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Mystik gibt es also nur in einer konkreten Gestalt, angebunden an Traditionen und Überlieferungen, in deren Rahmen sie interpretiert werden kann. Was sollte man sich auch unter einer religionsfreien Mystik vorstellen? Kann ein solcher Begriff von Mystik, der die Verbindungslinien allein nach innen zieht, überhaupt mit den Hauptlinien der christlichen Mystik in Beziehung gesetzt werden? Denn zwischen dieser im Ich des Menschen aufgipfelnden Konzeption, wie sie Tugendhat pointiert und in Fortsetzung einer wirkmächtigen neueren Tradition formuliert, und jener klassischen Linie eines Transzendenzbezugs auf ein ganz anderes als mein Gegenüber hin, für die paradigmatisch Meister Eckhart stehen mag, liegt ein tiefer Graben. Die gesamte Mystik christlicher Provenienz ist in allen ihren höchst unterschiedlichen Ausprägungen dadurch gekennzeichnet, dass sie ohne konsequenten Bezug auf ein – gewiss namenloses und unnennbares, aber dennoch höchst präsentes – Gegenüber nicht versteh- und denkbar ist. Mehr noch: Es ist ein durchgehendes Kennzeichen der christlichen Mystik, dass der Mensch sich selbst und den anderen erst von diesem Gegenüber her wahrhaft verstehen und seine Tiefe ausloten kann. 3. Mystik im Spannungsfeld von Identitätsdenken und Theozentrik Dennoch ist dieser breite Graben überbrückbar, wenn sich der Blick nicht allein auf Tugendhats materiale Bestimmungen von Religion und Mystik richtet, sondern auf die Intention, die dieser dichotomischen Unterscheidung zugrunde liegt. Denn hinter dieser strikten Trennung kann sich ja auch das Anliegen verbergen, das als falsches Bewusstsein apostrophierte Anspruchsdenken der Religion zu überwinden und die dadurch bedingte Entfremdung aufzuheben; nur so könne der Mensch wieder Zugang zu seinem Inneren und zur Welt finden. Erst auf dieser Basis werde es wieder möglich, eine Haltung der Offenheit und Hinwendung zum anderen einzunehmen. Aber gerade mit Meister Eckhart lässt sich zeigen, dass die radikale Trennung von (äußerer, entfremdeter) Religion und (innerer, wahrer) Religiosität bzw. Mystik keinesfalls eine Voraussetzung für die Verbindung mit dem Innersten des Menschen darstellt. Im Gegenteil: Religion i s t Ermöglichung einer Begegnung des Menschen mit sich selbst – und damit mit den anderen und mit Gott. Daher zählt es zu den anthropologischen Grundaufgaben der Religion,

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die Zugänge zu diesem Inneren aufzuspüren oder freizulegen, um die Verbundenheit mit Gott erkennen und die Aufmerksamkeit auf die Welt um sich herum stärken zu können. In einem christlichen Verständnis ist Mystik also nicht das Gegenüber, die Alternative zur Religion, sondern eine ihrer Ausdrucksformen. Das schließt eine Kritik religiöser Entfremdungserscheinungen notwendig ein, wenn das Heil in Äußerlichkeiten und Werkgerechtigkeit gesucht wird. Umgekehrt aber ist es keinesfalls selbstverständlich, dass eine Innenschau von sich her zu seinem eigenen, w a h r e n Kern führt und in der Folge zu Alterität und Engagement. Woher weiß man, dass die Überwindung der Ich-Fixierung und die Einheit von Gesammeltsein und Weltbewusstsein zum Frieden und zu einem guten Leben führen? Es könnte ja auch sein, dass damit zerstörerische Kräfte freigesetzt werden, die sich ohne ein kritisches Gegenüber zu einer fundamentalen Bedrohung des Humanum auswachsen können. 3.1 Transzendenz nach innen oder nach außen? Das Anliegen, den möglicherweise w a h r e n und p r o d u k t i v e n Kern der Religion herauszuschälen und in neue, nichtreligiöse Formen zu kleiden, galt vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts vielen Denkern als Ausweg aus der tief empfundenen gesellschaftlichen und kulturellen Krise, die insbesondere durch entfesselte Industrialisierung und kapitalistische Produktionsweise ausgelöst wurde. Das Andere der Religion als Hoffnungsschimmer erhielt unterschiedliche Namen, es wurde als Religiosität, Mystik, Metaphysik des Lebens, Dionysische Kraft, innerer Antrieb etc. bezeichnet. Gemeinsames Kennzeichen war, dass es stets als Ausdruck für die große Alternative zu den Entfremdungserfahrungen der etablierten religiösen Formen verstanden wurde. Man denke nur an die Differenzierung von Religion und Religiosität bei Georg Simmel, mit der die Religion als materialer Gehalt verabschiedet wird, die Religiosität als Form des Lebens jedoch erhalten bleibt.46 Die Transzendenz beziehe sich in Wahrheit nicht auf ein Anderes, Äußeres, sondern richte sich im 46. Vgl. Georg Simmel, Beiträge zur Erkenntnistheorie der Religion, in: Gesamtausgabe, ed. O. Rammstedt, Bd. 7, hg. von R. Kramme, A. Rammstedt und O. Rammstedt (Frankfurt a.M., 1995), 9-20; id., Die Religion, in: Ibid., Bd. 10, hg. von M. Behr, V. Krech und G. Schmidt (Frankfurt a.M., 1995), 39-118.

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Letzten nach innen, auf den Menschen selbst. Diese ursprüngliche, von der objektiven Religion verdeckte Struktur religiöser Erfahrung gelte es daher wieder freizulegen. In Anknüpfung an Überlegungen von Feuerbach und vor allem Nietzsche müsse es im Aufklärungsprozess nun darum gehen, dass sich die Religion »aus ihrer Substanzialität, aus ihrer Bindung an transzendente Inhalte zu einer Funktion, zu einer inneren Form des Lebens selbst und aller s e i n e r Inhalte zurück- oder emporbilde«.47 Diese »reine Transzendenz ohne einen Jenseitsbegriff«48 ist das zentrale Merkmal dieser religionskritischen Ansätze. Die Mystik gilt als Paradigma dieser religionslosen, d.h. nach innen gewendeten Transzendenz ohne Bezug zu einer dogmatischen Religion. Die Mystik gilt es von der Religion zu trennen, auch gegen Meister Eckhart, wie Tugendhat anfügt: Wenn Jesus sagte: »Das Reich Gottes ist schon unter Euch«, so war ja mit diesem ›ist‹ nur gemeint ›es könnte sein, es liegt an Euch‹, universell mitleidig zu sein (die Trauer der Welt auf sich zu nehmen). Es ist, als würde gesagt: versucht es doch, und Ihr werdet finden, dass Ihr dann besser lebt. Das ist die Form, in der Mystiker sich ausdrücken. So lässt sich also meine scharfe Trennung von Religion und Mystik auch im Verständnis oder, wenn Sie so wollen, in der möglichen Aneignung von Jesus durchhalten.49 Doch für dieses Verständnis von Mystik finden sich weder im Hinblick auf Jesus, noch im Hinblick auf Meister Eckhart überzeugende Anhaltspunkte. Denn Mystik ist elementar geprägt vom Transzendenzbezug und dieser richtet sich im christlichen Verständnis auf ein unaussprechliches Gegenüber, wie immer man es nennen mag, Gott, das Absolute, die Fülle, das Unaussprechliche. Im christlichen Verhältnis richtet sich die Transzendenz stets auf ein anderes, auf ein ›Du‹, auf ein Etwas jenseits seiner selbst. Gerade das Denken Meister Eckharts steht paradigmatisch für jenen Transzendenzbezug ein, der an seiner konstitutiven Orientierung 47. Georg Simmel, Das Problem der religiösen Lage, in: Gesamtausgabe, ed. O. Rammstedt, Bd. 14, hg. von R. Kramme und O. Rammstedt (Frankfurt a.M., 1996), 367-84, 380. Vgl. dazu: Alois Halbmayr, »Mystik ohne Transzendenz: Georg Simmel als Leser Meister Eckharts«, in: Th. Pröpper, M. Raske und J. Werbick (Hgg.), Mystik: Herausforderung und Inspiration. Gotthard Fuchs zum 70. Geburtstag (Ostfildern, 2008), 285-303. 48. Margarete Susman, Die geistige Gestalt Georg Simmels (Tübingen, 1959), 33. 49. E. Tugendhat, Über Mystik (2007; ²2010), 189.

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an einem Außen festhält. Dieses Festhalten führt jedoch nicht zu Entfremdung, sondern legt den Zugang zum Inneren des Menschen frei und erfasst ihn in seiner ganzen Tiefe. 3.2 Einheit von Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis Es zählt zur Grundüberzeugung nicht nur Meister Eckharts, sondern der christlichen Mystik insgesamt, dass dem Menschen wahre Gotteserkenntnis möglich ist. Gerade für die rheinische Traditionslinie, die man nach Bernard McGinn treffender als ›Mystik des Grundes‹ bezeichnen sollte, stand die Gotteserkenntnis und Gottesbegegnung stets im Vordergrund, weniger die Einigung mit Gott.50 Gegenüber ekstatischen Erfahrungen im Sinne einer unio mystica blieb Meister Eckhart äußerst reserviert. Denn Gotteserkenntnis i s t Gottesbegegnung bzw. Gotteserfahrung, sie kennt keinen anderen Ort. Für den großen Dominikaner ist aber zugleich Gotteserkenntnis untrennbar mit Selbsterkenntnis und Selbstreflexion verknüpft. Es gibt kein Begegnen und kein Erkennen Gottes, das nicht eine Begegnung mit sich selbst impliziert. Meister Eckhart macht das Bewusstsein und Erkennen seiner selbst sogar zur Voraussetzung der Gottesbegegnung: Wan swer komen wil in gotes grunt, in sîn innerstez, der muoz ê komen in sînen eigenen grunt, in sîn innerstez, wan nieman enmac got erkennen, er enmüeze ê sich selben erkennen (»Denn, wer kommen will in Gottes Gr u n d , in dessen Innerstes, der muss zuvor in seinen eigenen Grund, in s e i n Innerstes kommen, denn niemand kann Gott erkennen, der nicht zuvor sich selbst erkennen müsse«).51 Die Erkenntnis Gottes, die Erkenntnis meiner selbst und damit auch Erkenntnis des anderen ist eine einzige Bewegung. Dieser Dreiklang lässt sich natürlich in seinen jeweiligen Elementen gesondert analysieren, aber diese bleiben erkenntnistheoretisch konstitutiv miteinander verbunden. Sein und Leben, Denken und Handeln, Wirklichkeit und Wahrheit sind nicht trennbar, sie gehören zusammen wie Sonne und Licht, Wasser und Leben.

50. Vgl. Bernard McGinn, Die Mystik im Abendland, Bd. 4: Fülle: Die Mystik im mittelalterlichen Deutschland (1300-1500), übersetzt von B. Schellenberger (Freiburg i.Br./Basel/Wien, 2008), 167-340 (erstmals engl.: The Presence of God: A History of Western Christian Mysticism, vol. 4: The Harvest of Mysticism in Medieval Germany [1300-1500] [New York, 2005], 94-194). 51. Eckhart, Pr. 54b (DW II 565,13-566,2).

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Dieser Dreiklang spiegelt sich insbesondere in Eckharts Schöpfungsverständnis wider.52 Gott, der ohne Anfang und Ende ist, gibt das Sein. Indem Gott den Kreaturen das Sein schenkt, schenkt er sich ihnen selbst. Es ist bemerkenswert, wie deutlich und klar Eckhart formuliert, dass Gott, wenn er sich mitteilt, sich selbst mitteilt, nicht etwas von ihm. In allen Gaben, die er gibt, gibt er zuerst sich selbst. Er gibt sich als Gott.53 Sein kann nur Gott allein geben, kein Geschöpf. Aber Gott selbst ist mehr als das Sein, er steht über dem Sein: Ich spræche als unrehte, als ich got hieze ein wesen, als ob ich die sunnen hieze bleich oder swarz. Got enist weder diz noch daz (»Ich würde etwas ebenso Unrichtiges sagen, wenn ich Gott ein Sein nännte, wie wenn ich die Sonne bleich oder schwarz nennen wollte. Gott ist weder dies noch das«).54 Auch wenn Gott in allen Kreaturen ist (sofern sie Sein haben), so ist er doch »darüber«.55 Als der Seins- und Namenlose gibt er sich dem Menschen, legt er in ihm den Seelengrund, den Gott als Fünklein nâch sîner hœhsten volkomenheit (»nach seiner höchsten Vollkommenheit«)56 schuf und dadurch Teilhabe am Ursprung, an Gott selbst gibt. Von diesem ganz von Gott her geschenkten Seelengrund sind die Vermögen der Seele zu unterscheiden. Mit ihnen wirkt der Mensch sein Leben, denkt, handelt und will er, stets in innerer Verbindung mit dem Göttlichen. So schreibt Eckhart in der Predigt 26: dâ der mensche erhaben ist über zît in êwicheit, dâ würket der mensche ein werk mit gote (»Wenn der Mensch erhoben ist über die Zeit in die Ewigkeit, so wirkt dort der Mensch ein Werk mit Gott«).57 Der Mensch kann jene Werke vollbringen, die Gott vor Tausenden von Jahren gewirkt hat und auch in Zukunft wirkt, weil der Mensch durch den Seelenfunken über die Zeit erhoben ist in die Ewigkeit hinein, die 52. Hier ist zu bedenken, dass in der Forschung, wie Christine Büchner, »Was heißt lûter niht? Meister Eckharts Schöpfungsverständnis im Rahmen seines Denkens der Einheit Gottes«, in: V. Leppin und H.-J. Schiewer (Hgg.), Meister Eckhart aus theologischer Sicht (Stuttgart, 2007) (MEJb 1), 111-23, 111, es formuliert, »noch immer nicht hinreichend« geklärt ist, wie Eckhart das Verhältnis von Gott und Schöpfung denkt. Vgl. auch: Ead., Wie kann Gott in der Welt wirken? Überlegungen zu einer theologischen Hermeneutik des Sich-Gebens (Freiburg i.Br./Basel/Wien, 2010), 264-81. 53. Vgl. Eckhart, Pr. 9 (DW I 141-58); ähnlich Pr. 22 (DW I 385,10-1): Daz got gibet, daz ist sîn wesen, und sîn wesen daz ist sîn güete, und sîn güete daz ist sîn minne (»Was Gott gibt, das ist sein Sein, und sein Sein ist seine Gutheit, und seine Gutheit ist seine Liebe«). 54. Id., Pr. 9 (DW I 146,1-3). 55. Vgl. ibid. (143,1-2): Got ist in allen crêatûren, als sie wesen hânt, und ist doch dar über (»Gott ist in allen Kreaturen, sofern sie Sein haben, und ist doch darüber«). 56. Id., Pr. 22 (DW I 389,6). 57. Id., Pr. 39 (DW II 261,2-3).

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Gott vor tausend und nach tausend Jahren gewirkt hat. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermögen sich im Seelenfunken in ein einziges Werk mit Gott zusammenzufügen. Wer ganz aus der Verbundenheit mit Gott heraus lebt, der sucht nichts für sich, weder Großes noch Kleines. Wer Gott ganz und gar begegnen will, der muss sich selbst aufgeben, sich selbst entäußern, in der Sprache Tugendhats: seine auf Ich-Fixiertheit gepolte Egozentrizität überwinden. Erst dieser Mensch enpfæhet glîch von gote allez, daz er hât (»empfängt von Gott alles, was Gott hat«).58 Erst in dieser Absichtslosigkeit findet der Mensch zu sich: ich lebe dar umbe daz ich lebe (»Ich lebe darum, dass ich lebe«).59 Eckhart bezeichnet die Menschen, die nicht sich selbst oder das Eigene suchen, sondern sich ganz dem Willen Gottes überantworten, als die gerechten Menschen. Ihr Maßstab ist allein die Gerechtigkeit Gottes, die dem Menschen als Orientierung in seinem Bemühen um das Loslassen und Annehmen der Dinge dient. Der Gerechtigkeitsgedanke ist auch ein Schlüssel für das Verständnis von Eckharts Mystik: Swer underscheit verstât von gerehticheit und von gerehtem, der verstât allez, daz ich sage (»Wer die Lehre von der Gerechtigkeit und vom Gerechten versteht, der versteht alles, was ich sage«).60 Eine wichtige Metapher für das Empfangen der analogen Vollkommenheiten ist nach Eckhart das Licht, das es so lange gibt, so lange es von der Lichtquelle ausgestrahlt wird, und das verschwindet, sobald die Lichtquelle erlischt.61 Welch herausragende Bedeutung die Gerechtigkeit für das Gottesbild des Dominikaners besitzt, zeigt die starke Formulierung, dass der gerechte Mensch, wenn Gott nicht gerecht wäre, »nicht die Bohne auf Gott achten« würde.62 Wer aus der Gerechtigkeit kommt, d.h. gerecht ist, der handelt gerecht; wer gelassen ist, verhält sich anders als der, der bloß losgelassen hat; wer frei und losgelöst ist, hat keine Selbstinteressen mehr. Dort, wo der Mensch sein Eigenes aufgibt und

58. Id., Pr. 4 (DW I 72,1-2). 59. Id., Pr. 5b (DW I 92,1). 60. Id., Pr. 6 (DW I 105,2-3). 61. Vgl. id., In Eccl., n. 46 (LW II 274,14-275,10). 62. Vgl. id., Pr. 6 (DW I 103,1-2): Den gerehten menschen den ist alsô ernst ze der gerehticheit, wære, daz got niht gereht wære, sie enahteten eine bône niht ûf got (»Den gerechten Menschen ist es so ernst mit der Gerechtigkeit, dass, wenn Gott nicht gerecht wäre, sie nicht die Bohne auf Gott achten würden«).

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vergisst, wo er durch Denken, Wille, Liebe, durch Streben und Begehren nach der Gerechtigkeit strebt, dort erfährt er Freiheit. Ähnlich wie das Modell von iustus-iustitia zielt auch die Urbild-Metaphorik darauf ab, die Bedeutung der Gottesgeburt für den einzelnen Menschen herauszustellen.63 Sie ist nicht etwas, das allein auf das Christusereignis beschränkt bliebe, sondern sie ereignet sich fortwährend in jedem Menschen. Die Menschwerdung Christi ist das historische Paradigma der fortwährenden Menschwerdung Gottes, die in jedem Menschen geschieht und ihn eigentlich erst zum Menschen macht.64 Die Inkarnation hat daher nicht bloß irgendeinmal stattgefunden, sondern sie ist als bleibende Gegenwart Sinn des ganzen Weltprozesses. Got würket alliu sîniu werk dar umbe, daz wir der eingeborne sun sîn (»Gott wirkt alle seine Werke darum, dass wir der eingeborene Sohn seien«).65 Jegliches Bild empfängt sein Sein ganz von dem, dessen Bild es ist: In dem vater sint bilde aller crêatûren (»Im Vater sind die Urbilder aller Kreaturen«).66 So ist der Sohn als zweite Person der Trinität Bild des Vaters. Der Vater gebiert seinen Sohn in der Ewigkeit sich gleich, und in gleicher Weise gebiert er auch uns Menschen als seinem Sohn gleich. In unserem Innersten, in unserem inneren Quell, da quellen wir aus im Heiligen Geist, da ist éin leben und éin wesen und éin werk (»e i n Leben und e i n Sein und e i n Werk«).67 Aus diesem Grund gebiert uns Gott auch heute ohne Unterlass und ohne jeden Unterschied. Wo der Vater seinen Sohn in mir gebiert, dâ bin ich der selbe sun und niht ein ander; wir sîn wol ein ander an menscheit, aber dâ bin ich der selbe sun und niht ein ander (»da bin ich derselbe Sohn und nicht ein anderer; wir sind wohl verschieden im Menschsein, dort aber bin ich derselbe Sohn und nicht ein anderer«).68 Weil der himmlische Vater (nur) e i n Werk wirkt, darum wirkt er uns als seinen einziggeborenen Sohn ohne Unterlass. Daher kann man Gott auch nur in sich selbst, nicht in einem Äußeren oder Anderen 63. Siehe dazu: Karl Heinz Witte, »Von Straßburg nach Köln: Die Entwicklung der Gottesgeburtslehre Eckharts in den Kölner Predigten«, in: A. Quero-Sánchez und G. Steer (Hgg.), Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt (Stuttgart, 2008) (MEJb 2), 65-94. 64. Inkarnation ereignet sich daher auch in jedem Menschen. Daher weist Eckhart, Pr. 30 (DW II 93-109), auch den Gedanken zurück, Gott sei nur in Bethlehem Mensch geworden, er ist und wird es in jedem Menschen. 65. Id., Pr. 12 (DW I 194,1-2). 66. Id., Pr. 22 (DW I 377,1). 67. Id., Pr. 6 (DW I 109,11). 68. Id., Pr. 4 (DW I, 73,1-2).

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erkennen. Eckhart erklärt: Gott, so denken viele Menschen, stünde hier oder dort, aber dem ist nicht so. Denn Gott ist mein Eigen und das, was in uns ist. Daher sind Gott und ich eins. Durch das Erkennen nimmt der Mensch Gott in sich hinein, durch die Liebe geht der Mensch in Gott ein. Wirken und Werden sind eins, nicht das Wirken und Wollen. So wie durch das Wirken eines Zimmermannes ein Haus entsteht, so verändert sich durch das Wirken Gottes der Mensch. Wie das Feuer das Holz in sich verwandelt (und nicht umgekehrt), so werden auch wir durch Gott verwandelt, damit wir erkennen, wer er in Wahrheit ist.69 Die Geburt Gottes im Herzen der Menschen ereignet sich ständig, »weil die Welt ohne Gott ins Nichts fiele und weil Gott sich die Welt durch den Menschen anverwandelt«.70 Mit den obersten Kräften berührt die Seele Gott und wird dadurch nach Gott gebildet. Gott aber ist nach sich selbst gebildet, er hat sein Bild von sich selbst und von sonst niemand. Sein Bild ist, dass er sich durch und durch erkennt und nichts ist als Licht: got ist ouch ein lieht; und swenne sich daz götlîche lieht giuzet in die sêle, sô wirt diu sêle mit gote vereinet als ein lieht mit liehte (»Gott ist ein Licht; und wenn das göttliche Licht sich in die Seele gießt, so wird die Seele mit Gott vereint wie ein Licht mit dem Lichte«).71 In der Seele des Menschen spiegelt sich Gott selbst als Bild, das Gott in alle Seelen natiurlîche gedrücket hât (»naturhaft eingedrückt hat«).72 Eckhart leitet daraus eine Handlungsanleitung für das Leben ab. Der Mensch soll nach dem Bild leben, nicht aus sich selbst, nicht für sich selbst und niemandem zugehörig. Darum ist daz aleine ein gereht mensche, der alliu geschaffeniu dinc vernihtet hât und an einer glîchen linien âne allez ûzluogen in daz êwige wort gerihtet stât und dar în gebildet und widerbildet in der gerehticheit (»einzig der nur ein gerechter Mensch, der alle geschaffenen Dinge zunichte gemacht hat und geradlinig ohne alles Auslugen auf das ewige Wort hin gerichtet steht und darein eingebildet und wiedergebildet in der Gerechtigkeit«).73 Ein solcher Mensch

69. Vgl. id., Pr. 6 (DW I 113,1-115,4). 70. Dietmar Mieth, »Meister Eckhart: Leidenschaft des Denkens, Spiritualität und Lebenskunst, mit Überlegungen zur heutigen Rezeption«, in: V. Leppin und H.-J. Schiewer, Meister Eckhart aus theologischer Sicht (2007), 71-95, 83. 71. Eckhart, Pr. 32 (DW II 142,2-3). 72. Id., Pr. 16b (DW I 268,12). 73. Ibid. (272,11-273,3).

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ahmt nicht nur Jesus, den Sohn Gottes nach, sondern macht sich ihm gleich, muss selbst zum Sohn werden: der vater enhât niht dan einen einigen sun, und als vil als wir minner hân meinunge oder ahtunge ûf ihtes iht anders dan ûf got und als vil als wir an nihte ûzluogen, als vil werden wir überbildet in dem sune, und als vil wirt der sun in uns geborn, und wir werden geborn in dem sune und werden éin sun. (Der Vater hat nur einen einzigen Sohn, und je weniger wir unser Streben oder Achten auf irgendetwas anderes als auf Gott richten und je mehr wir in nichts nach draußen lugen, um soviel werden wir ihm überbildet, und insoweit wird der Sohn in uns geboren und werden wir im Sohn geboren und werden wir ein Sohn).74 Damit das gelingt, muss der Mensch nach Eckhart ze einem lûtern nihte werden und sîn selbes ûzgân zemâle (»zu einem lauteren Nichts werden und sich seiner selbst ganz entäußern«).75 Nur indem die Seele über sich hinauskommt, ihr Leben, ihre Kräfte, ihre Natur ganz nach Gott richtet, wird sie am Seelengrund eins mit Gott. Die Entblößung von allen Dingen ist die Bedingung für die Einigung und Seligkeit. Die Seele wird dabei weder geschwächt noch zerstört, sondern neugeboren in Gott – und sie gebiert den, der sie geboren hat.76 Daher gibt es einen unauflösbaren Zusammenhang von Welterschaffung und Gottesgeburt im Menschen. Denn alles, was Gott tut, zielt auf die Geburt des Menschen, damit got geborn werde in der sêle und diu sêle in gote geborn werde (»Gott in der Seele geboren werde und die Seele in Gott«).77 Aus diesem Grund trägt der Mensch schon alle Wahrheit wesenhaft in sich, sie kommt von innen heraus und kennt unterschiedliche Namen: Loslösung, Armut, Gelassenheit, Abgeschiedenheit. Überall dort, wo der Mensch über die Zeit in die Ewigkeit erhoben ist, dort wirkt der Mensch ein werk mit gote (»e i n Werk mit Gott«).78 Dies alles kann der Mensch 74. Id., Pr. 41 (DW II 293,7-10). 75. Id., Pr. 103 (DW IV,1 477,1). 76. Vgl. id., Pr. 22 (DW I 375-89). 77. Id., Pr. 38 (DW II 227,8-228,1). Siehe dazu auch die Überlegungen von Andrés Quero-Sánchez, Sein als Freiheit: Die idealistische Metaphysik Meister Eckharts und Johann Gottlieb Fichtes (Freiburg i.Br./München, 2004), 105-99. 78. Id., Pr. 39 (DW II 261,3). Auf den naheliegenden Einwand, wieso der Mensch die Werke wirken könne, die Gott vor tausend Jahren gewirkt hat und nach tausend Jahren gewirkt haben wird, antwortet Eckhart, ibid. (261,4-262,5), mit einem philosophischen Argument, das keiner

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nur bewirken, wenn er stets auf Gott bezogen bleibt.79 Diese konstitutive Bezogenheit auf Gott führt zum Abschied von der Konzentration auf sich selbst zugunsten eines Bewusstseins und eines Verhaltens, das nicht sich selbst will, sondern frei wird für den anderen und so in der Gegenwart Gottes lebt: In der wârheit, der mensche, der des sînen wære ganz ûzgegangen, der würde alsô mit gote unbevangen, daz alle crêatûren in niht enmöhten berüeren, sie enrüerten got ze dem êrsten, und swaz an in komen solte, daz müeste durch got an in komen; dâ nimet ez sînen smak und wirt gotvar. (Fürwahr, ein Mensch, der sich des Seinen ganz entäußert hätte, der würde so mit Gott umhüllt, dass alle Kreaturen ihn nicht zu berühren vermöchten, ohne zuerst Gott zu berühren; und was an ihn kommen sollte, das müsste durch Gott hindurch an ihn kommen; da empfängt es seinen Geschmack und wird gotthaft).80 Daher verfehlt Gott, wer ihn direkt sucht; der macht aus Gott ein Mittel zum Zweck, der schiebt ihn unter die Bank und liebt ihn nicht um seiner selbst willen, sondern um des eigenen Vorteils wegen.81 Auch in der berühmten ›Armutspredigt‹ (Quint Nr. 52) betont Eckhart die Bedeutung des n i c h t Wollen, n i c h t Wissen und n i c h t Haben für die Gotteserkenntnis wie für die Gottesbegegnung.82 Erst wenn der Mensch aller Dinge und Werke so ledig ist, dass er gleichsam eine eigene Stätte

Unterstützung durch den Glauben bedarf: In êwicheit enist weder vor noch nâch. Und dar umbe, daz vor tûsent jâren und nâch tûsent jâren und nû geschihet, daz enist niht dan einez in der êwicheit. [...] Dar umbe: der mensche, der über zît erhaben ist in êwicheit, der würket mit gote, daz got vor tûsent und nâch tûsent jâren geworht hât (»In der Ewigkeit gibt es kein Vor noch Nach. Und darum: Was vor tausend Jahren geschehen ist und nach tausend Jahren und jetzt geschieht, das ist nur e i n s in der Ewigkeit. [...] Darum wirkt der Mensch, der über die Zeit erhoben ist in die Ewigkeit, mit Gott, was Gott vor tausend und nach tausend Jahren gewirkt hat«). 79. Vgl. id., RdU, Kapitel 5 (Merke, waz daz wesen und den grunt guot mache) (DW V 199,1200,8). 80. Ibid. (228,9-229,2). 81. Siehe dazu die eingängigen Bilder Eckharts insbes. in Pr. 5a (DW I 77-82) und Pr. 16b (DW I 263-76). 82. Vgl. id., Pr. 52, ed. G. Steer, LE 1, 168-81 (Vgl. DW II 486-506); zur Interpretation vgl. Dietmar Mieth, Meister Eckhart: Einheit mit Gott. Die bedeutendsten Schriften zur Mystik (Düsseldorf, 1992; ²2002 [Nachdr. 2007; 2008]; erstmals: Olten, 1979: Meister Eckhart, hg., eingeleitet und zum Teil übersetzt von Dietmar Mieth; ²1984; ³1986), 146-8.

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Gottes sein könnte, wird er jene Freiheit finden, die nichts anderes will, als Gottes Willen selbst zu erfüllen. Gott enbetwinget den willen niht, er setzet in in vrîheit, alsô daz er niht anders enwil, dan daz got selber ist und daz diu vrîheit selber ist. Und der geist enmac niht anders wellen, dan daz got wil, und daz enist niht sîn unvrîheit, ez ist sîn eigen vrîheit. (zwingt den Willen nicht, er setzt ihn so in Freiheit, dass er nichts anderes will, als was Gott selber ist und was die Freiheit selbst ist. Und der Geist vermag nichts anderes zu wollen, als was Gott will; dies aber ist nicht seine Un f r e i h e i t , es ist seine ureigene Freiheit).83 Diese Freiheit aber drängt nach außen, drängt in das für Eckhart so entscheidende Tu n der Liebe. Daher verlangt er in seinen Predigten von den Menschen, »mit allem Eigenbezug zu brechen, Gott ohne jeden Gedanken an Nutzen, an Einsicht oder Trost zu lieben und sich allen Menschen so zuzuwenden, daß das Leid der entferntesten Menschen jenseits der Meere mir so wichtig wird wie das eigene oder das eines Freundes«.84 Seine viel diskutierte und alle bisherigen Konventionen sprengende Interpretation der Evangeliumsperikope über Martha und Maria (Lk 10,38-42) sieht nicht in der Kontemplation die höchste Form der Nachfolge, sondern in der Aktion, in der tätigen Liebe. Allerdings kann Martha erst aus der kontemplativen Gelassenheit heraus aktiv werden, sie ist bereits in hêrlîcher, wol gevestenter tugent und in einem vrîen gemüete, ungehindert von allen dingen (»in gereifter, wohlgefestigter Tugend und in einem freien Gemüt, ungehindert von allen Dingen«).85 Loris Sturlese spricht daher von einer bei Meister Eckhart charakteristischen »Verknüpfung von Ethik und Metaphysik«, 86 die bereits in den Erfurter Reden ein leitendes Motiv sei. Hier trifft sich das Anliegen Tugendhats mit jenem Meister Eckharts, für den im Tun der Liebe und in der Hinwendung zum anderen das eigentliche Kriterium erfüllten Menschseins liegt: dass man sich »dieser Welt erneut, aber nun

83. Eckhart, Pr. 29 (DW II 78,2-5). 84. Kurt Flasch, Meister Eckhart: Philosoph des Christentums (München, 2010), 234. 85. Eckhart, Pr. 86 (DW III 489,5-6). 86. Loris Sturlese, Meister Eckhart: Ein Porträt (Regensburg, 1993), 9 (Nachdr. in: Id., Homo divinus: Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse [Stuttgart, 2007], 15-34, 20).

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selbstlos« zuwendet und dadurch in einen Gefühlszustand kommt, in dem sowohl Elemente von »Heiterkeit wie Traurigkeit« enthalten sind.87 4. Meister Eckhart als moderne Projektionsfigur Der Schriftsteller und Politiker Gustav Landauer (1870-1919), der als einer der wichtigsten Theoretiker des anarchistischen Sozialismus gilt und Mitglied der Münchener Räteregierung von 1919 war, veröffentlichte 1903 eine Übersetzung Meister Eckharts ins Neuhochdeutsche unter dem Titel: Meister Eckharts mystische Schriften.88 Landauer bezeichnet Eckhart als einen kühnen Erschütterer, der lebensfroh und urkräftig die Grenzen der Sprache überschreitet, »um jenseits seines Ichbewußtseins und des Begriffsdenkens stark und innig in der unsagbaren Welt zu versinken«.89 Eckhart wird als Kritiker, Sprachschöpfer, Erkenntnistheoretiker und Pantheist vorgestellt, der »die Welt u n d den Gott in dem auf, was er manchmal Gottheit nennt, was unaussprechbar und unvorstellbar ist, was aber jedenfalls etwas jenseits von Zeit, Raum und Individualisierung und etwas Seelenhaftes ist«.90 Insgesamt sei Eckharts Mystik Skepsis, und obwohl er die christlichen Dogmen und Überlieferungen symbolisch interpretierte, habe er nicht erkannt, dass diese Vorstellungen keinen Wirklichkeitsgehalt besäßen. Auch hier repräsentiert die Mystik, vereint mit der Philosophie, die klassische Alternative zur (dogmatischen) Religion. In einer anderen Linie der Eckhart-Rezeption wird die Mystik dem Einflussbereich des Theologischen zugerechnet. Der p h i l o s o p h i s c h e Eckhart steht dem t h e o l o g i s c h e n gegenüber, zu dem auch der m y s t i s c h e gehört. Als ein klassischer Vertreter dieser Position mag Kurt Flasch gelten, dessen neue Monographie über Meister Eckhart von Alois Haas als »ein wichtiges und souverän weitsichtiges Deutungswerk«

87. E. Tugendhat, Über Mystik (2007; ²2010), 188. 88. Vgl. Meister Eckhart, Mystische Schriften. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Gustav Landauer (Frankfurt a.M., 1991) (erstmals Berlin, 1903). Im gleichen Jahr veröffentlichte Landauer auch seine Schrift Skepsis und Mystik, die seine Hinwendung zur Mystik dokumentiert. Vgl. id., Skepsis und Mystik: Versuche im Anschluß an Mauthners Sprachkritik (Berlin, 1903) (2. Auflage: Köln, 1923). 89. Id., Meister Eckhart (1903/1991), 12 (Einleitung). 90. Ibid., 10 (Einleitung).

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gewürdigt wird.91 Gleichzeitig kritisiert Haas, dass Flasch die Mystik latent in den Bereich des Irrationalismus rücke, was auch darin begründet liege, dass Mystik auf ein Einigungserlebens reduziert werde – und daher a priori vernunftwidrig sei. Darüber hinaus stellt Haas zu Recht die Frage, ob sich heute »wirklich noch im Ton eines Aufklärers der ersten Stunde ›Vernunft‹ als einziges Vehikel sinnvollen geistigen Fortkommens feiern« lassen könne.92 Eine dritte Traditionslinie hebt diese oft schroffen Gegenüberstellungen auf und betont die innere Zusammengehörigkeit des theologischen, philosophischen und mystischen Eckhart. Für Dietmar Mieth besteht der eigentliche »Sprengsatz« von Eckharts Denken darin, »dass er die Möglichkeit einer vernünftigen Selbstvergewisserung jedes einzelnen Menschen, gestärkt von den Glaubensmotiven, so hoch ansetzte, dass er dabei den Glauben vollständig in eine philosophische Übersetzung zwang«.93 Dies sei zwar in der Scholastik üblich gewesen, aber Eckhart habe dieses Programm radikal formuliert. Mieth verweist hier auf einen einschlägigen Gedanken aus dem Johanneskommentar Eckharts: Sicut enim praesumptionis est et temeritatis nolle credere, nisi intellexeris, sic ignaviae est et desidiosum quod fide credis, rationibus naturalibus et similitudinibus non investigare, praesertim cum omnis creatura ad minus sit vestigium creatoris et effectus universaliter suae causae. (Denn wie es ein Anzeichen von Anmaßung und Unbesonnenheit ist, nur glauben zu wollen, wenn man eingesehen hat, ebenso ist es ein Anzeichen von Trägheit und nachlässig, das, was man im Glauben annimmt, nicht mit Vernunftgründen und Gleichnissen zu erforschen, zumal ja jedes Geschöpf zum mindesten eine Spur des Schöpfers und ganz allgemein die Wirkung eine Spur ihrer Ursache ist).94 Gegen alle Versuche einer völlig säkularisierten Lesart müsse man daran festhalten, dass Eckhart etwas zu übersetzen versuchte, von dem er überzeugt war, dass es durch die Offenbarung Gottes vorgegeben war: 91. Alois Maria Haas, »Der wise meister Eckhart. Zum 750. Geburtsjahr des Philosophen und Mystikers«, in: Stimmen der Zeit 228 (2010), 589-99, 590. 92. Ibid., 591. 93. Dietmar Mieth, »Mystik und Politik: Zugänge bei Meister Eckhart«, in: K. Baier (Hg.), Handbuch Spiritualität: Zugänge, Traditionen, interreligiöse Prozesse (Darmstadt, 2006), 214-28, 223. 94. Eckhart, In Ioh., n. 361 (LW III 307,1-5).

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»Der Glaube gibt zu denken: Er löst sich nicht im Denken auf, sondern bleibt seine unerschöpfliche Quelle«.95 Es ist eines der herausragenden Kennzeichen von Eckharts Mystik, dass er »der Vernunft ihr volles Recht zugesteht«,96 ohne sie absolut zu setzen: Der vernunft enist niht als eigen noch als gegenwertic noch als nâhe als got (»Der Vernunft ist nichts so eigen und so gegenwärtig und so nahe wie Gott«).97 Insofern steht Eckhart für »die Annahme einer radikalen Konvergenz von Philosophie und Theologie«.98 Im Johanneskommentar schreibt Eckhart: Idem ergo est quod docet Moyses, Christus et philosophus, solum quantum ad modum differens, scilicet ut credibile, probabile sive verisimile et veritas (»Es ist also dasselbe, was Moses, Christus und der Philosoph lehren; es unterscheidet sich nur in der Art und Weise, nämlich wie das Glaubbare, das Annehmbare oder Wahrscheinliche und die Wahrheit«).99 Die Gabe und der Gebrauch der Vernunft waren für Eckhart Vervollkommnung der menschlichen Existenz und Teilnahme am göttlichen Leben. Die Vernunft vermag einerseits Gott zu erkennen, weil er selbst vernünftig ist: Dâ von bin ich aleine sælic, daz got vernünftic ist und ich daz bekenne (»Davon allein bin ich selig, dass Gott vernünftig ist und ich dies erkenne«).100 Andererseits hat sie auch ihre Grenze. Obwohl die Vernunft selbst etwas Göttliches ist und an Gottes Rationalität partizipiert, kann sie Gottes nicht vollkommen gewahr werden. Es gibt in der Interpretation von Meister Eckhart zahlreiche methodische Spannungen, verschiedene hermeneutische Ansätze und Lektüren.101 Aber alle Versuche, den philosophischen vom theologischen oder vom mystischen Eckhart zu trennen, kämpfen mit dem Problem, auseinander zu reißen, was methodisch untrennbar zusammengehört. Mystik meint ja bei Eckhart nicht »einen Gegensatz zu Philosophie und Theologie, sondern jene Sinnmitte, welche die beiden Wissenschaften auf die 95. D. Mieth, »Mystik und Politik« (2006), 224. 96. Marie-Anne Vannier, »Die Aktualität von Meister Eckhart«, in: Trierer Theologische Zeitschrift 119 (2010), 345-61, 347. Das ist auch Kennzeichen der so genannten ›Bochumer Schule‹ um Kurt Flasch und Burckhard Mojsisch. 97. Eckhart, RdU (DW V 277,5-6). 98. L. Sturlese, Meister Eckhart (1993), 16 (Nachdr. in: Id., Homo divinus [2007], 29). 99. Eckhart, In Ioh., n. 185 (LW III 155,5-7). Die angegebene, der kritischen Ausgabe entnommene Übersetzung ist hier allerdings missverständlich. 100. Id., Pr. 9 (DW I, 153,11-2). 101. Siehe dazu Alois Maria Haas, »Durchbruch zur ewigen Wahrheit«, in: A. Quero-Sánchez und G. Steer (Hgg.), Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt (2008), 171-87, 171.

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existentielle Tiefe des Lebens bezieht«.102 Eckhart fasziniert bis heute durch die Einheit von Lebe-, Lese- und Lehrmeisterschaft, die keinen Widerspruch, wohl aber eine Unterscheidung von Vernunft und Glaube, Denken und Erfahren, Tun und Lassen, Sein und Werden kennt.103 Seine Attraktivität liegt natürlich auch in seinem biographischen Schicksal, insofern er sich am Ende seines Lebens noch einem kirchlichen Untersuchungsprozess ausgeliefert sah, was seine Rezeption über viele Jahrhunderte erschwerte. Aber selbst die Verteidigungsschrift verströmt jene Gelassenheit, die er selbst immer wieder einforderte. Mit einer verblüffend einfachen Unterscheidung nahm er den Glaubenseiferern den Wind aus den Segeln: Er könne gar kein Häretiker sein, schreibt er in seiner Responsio, denn er könne zwar der Erkenntnis nach irren, aber keine Häresie begehen, denn diese beziehe sich auf das Wollen.104 In seiner Dankesrede zum Meister-Eckhart-Preis betonte Tugendhat, dass nur durch eine Trennung der Mystik von der Religion eine Überwindung der Ich-Fixierung, eine gebotene Selbstrelativierung, ein tiefes Einverständnis gegenüber der Welt und die Respektierung der Ansprüche anderer möglich sei. Aber mit Blick auf die Mystik Eckharts ist die These Tugendhats umzudrehen: Nur in ihrer inneren Verschränkung mit der sie tragenden Religion, nur durch einen konsequenten Bezug zu einer je größeren Transzendenz kann die Mystik zu einer Kraft werden, die den Menschen ganz bei sich selbst sein lässt, darin aber auch seinen Ursprung in Gott sowie seine Verwiesenheit auf Schöpfung und Mitwelt nicht vergisst. So kann der Mensch ganz bei sich sein – und ist dann doch immer auch beim anderen.

102. Ch. Büchner, Wie kann Gott in der Welt wirken? (2010), 263. 103. Vgl. Gotthard Fuchs, »Lebendiger Eckhart: Über Eckhart-Reprisen heute«, in: Zur Debatte: Themen der Katholischen Akademie Bayern (2010 – Heft 5), 46-8, 47. 104. Vgl. Acta Echardiana, n. 48 (Responsio) (LW V 277,4-5) (Proc. col. I, n. 80): Errare enim possum, haereticus esse non possum. Nam primum ad intellectum pertinet, secundum ad voluntatem (»Denn ich kann irren, ein Häretiker kann ich jedoch nicht sein. Denn Ersteres geht den Verstand an, Letzteres jedoch den Willen«).

II. TEIL: SYSTEMATISCHE ERSCHLIESSUNG

Processio / conversio – bonum / unum: A Contradictory Simultaneity as Fundamental Structure of Reality in Eckhart’s German Sermons of the First Sunday after Trinity Sunday Julie Casteigt, Toulouse, France

Abstract Procession from the Good and conversion towards the Good in Eckhart’s German sermons, delivered on the first Sunday after Trinity Sunday, constitute a figure of contradictory simultaneity. Both procession and conversion happens in complete reciprocity. And yet, in the conversion the continuity is disrupted depending on whether the principle is considered as the Good or the One. As opposed to the conversion to the Good, the return to the One implies a return to the principle independent of its function as principle, i.e. independent of its relation to that which proceeds from it. The principle as the Good and the principle as the One do not correspond in this respect. How should we return to the One, when it is precisely absolute and indefinite, i.e. neither this nor that? Meister Eckhart does not follow the path of the Plotinian extasis. He refers to 1Jn 4:16 (‘God is love and whoever is in love is in God and God is in him’) to describe the path of love. The analogical conversion of the Good in creatures to the uncreated Good is interrupted by the One. But the Johannine path to be at one with the other allows us to resolve the contradiction put forward by the simultaneity of the return to the Good and to the One. A non-contradictory simultaneity occurs in the conception of totality without parts. This kind of unity is what is unique to love.

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1. Introduction

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or two reasons, procession and conversion1 constitute a figure of contradictory simultaneity in Eckhart’s German sermons delivered on the first Sunday after Trinity Sunday. On the one hand, the procession from the Good and the conversion towards the Good represent at once opposite and simultaneous movements, as one has to conceive them in a total reciprocity. This total coincidence is what the origin always presupposes, to be itself beginning and end. On the other hand, conversion towards the principle as Good, although it happens simultaneously with the conversion towards the principle as One,2 presupposes, nevertheless, a continuity between both

1. For a general analysis of procession and conversion in Meister Eckhart’s works, see in particular, in alphabetical order: Wouter Goris, Einheit als Prinzip und Ziel: Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts (Leiden, 1997), here chap. VI, 252-87 and chap. VIII, 330-72; Wouter Goris, ‘Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart über das Gute’, in Karl Hermann Kandler and Burckhard Mojsisch (eds), Dietrich von Freiberg: Neue Perspektiven seiner Philosophie, Theologie und Naturwissenschaft. Freiburger Symposion: 10-13. März 1997 (Amsterdam/Philadelphia, 1999), 169-88; Vladimir Lossky, Théologie négative et connaissance de Dieu chez Maître Eckhart, seconde édition augmentée d’une bibliographie par A. de Libera (Paris, 1998), here 70-1; Hervé Pasqua, Maître Eckhart. Le Procès de l’Un (Paris, 2006); Dietrich Mahnke, Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt (Halle, 1937); Ernst von Bracken, Meister Eckhart und Fichte (Würzburg, 1943); Gunther Stephenson, Gottheit und Gott in der spekulativen Mystik Meister Eckharts, Diss. (Bonn, 1954); Georges Poulet, Les métamorphoses du cercle (Paris, 1961), i-xxiv; Erwin Waldschütz, Denken und Erfahren des Grundes Grundes: zur philosophischen Deutung Meister Eckharts (Wien, 1989), 103-6 and 264-85; Émilie Zum Brunn and Alain de Libera, Maître Eckhart: Métaphysique du Verbe et théologie négative (Paris, 1984); Alain de Libera, La mystique rhénane d’Albert le Grand à Maître Eckhart (Paris, 1994), reedition of Introduction à la mystique rhénane (Paris, 1984); Émilie Zum Brunn, ‘Maître Eckhart et le nom inconnu de l’âme’, Archives de philosophie 43 (1980), 655-6; Émilie Zum Brunn, ‘La doctrine albertienne et eckhartienne de l’homme d’après quelques textes des ‘Sermons allemands’, in Ruedi Imbach and Christoph Flüeler (eds), Albert der Große und die Deutsche Dominikanerschule: Philosophische Perspektiven, Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 32 (1985), 137-43. 2. On the sources of the circular pattern in the articulation of the One and the Good, see, in particular: Carlos Steel, ‘L’Un et le Bien. Les raisons d’une identification dans la tradition platonicienne’, Revue des sciences philosophiques et théologiques 73 (1989), 79-85; Stephen Gersh, From Iamblichus to Eriugena: An Investigation of the Prehistory and Evolution of the Pseudo-Dionysian Tradition (Leiden, 1978). On the procession and the conversion in Eriugena’s works: Walter Beierwaltes, Eriugena: Grundzüge seines Denkens (Frankfurt a.M., 1994); Édouard Jeauneau, ‘The Neoplatonic Themes of Processio and Reditus in Eriugena’, Dionysius XV (1991), 3-29; Pasquale Mazzarella, Il Pensiero di Giovanni Scoto Eriugena (Padua, 1957), 157-94; Stephen Gersh, ‘The Structure of the Return in Eriugena’s Peryphyseon’, in Walter Beierwaltes (ed.), Begriff und Metapher: Sprachform des Denkens bei Eriugena (Heidelberg, 1990), 108-25. On procession and conversion in the German Dominican School, see, in particular, Alain de Libera, ‘Philosophie et théologie chez Albert le Grand

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BONUM

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ends of the movement of anabasis towards the principle: the Good and the One. It is, namely, as if in those sermons of Eckhart the principle conceived as the Good does not ultimately coincide with the principle conceived as the One,3 and as if the conversion aims at going beyond the Good as the universal origin. Returning to the One would, thus, mean, returning to the principle in its absoluteness – that is, independently of its function as principle, or, in other words, independently of its relation with what proceeds from it. But how is it possible to return to the One if it is absolute – namely, devoid of any connectedness? And how should we recognize it, if the One is taken in an indefinite sense, that is if it is neither this nor that, and if we cannot predicate anything of it without immediately condemning ourselves to failure in reaching this unity? Yet, we could understand the passage from the principle as origin to the principle as indefinite in a Plotinian way, for example, that is as an extasis which would allow a union with the One and would be the unique means to accede to it. However, that is not the way that Meister Eckhart chooses here. In his sermons of the first Sunday after Trinity Sunday, he comments on the same verse of the First Epistle of Saint John, 1Jn 4:16: ‘God is love and whoever is in love is in God and God is in him’. The three philosophical challenges to the question of the contradictory simultaneity as fundamental structure of reality in those Eckhartian sermons are as follows: In the first place, what does the figure of simultaneity as opposition of catabasis and anabasis mean, as the simultaneity of opposite movements, that is the procession from the Good and the conversion towards the Good? In the second place, to what extent does the figure of simultaneity (as a solution to the continuity that the simultaneity of the conversion towards the Good and the conversion towards the One suggests) require a new elaboration of the concept of the One and the invention by Eckhart of a way to return to this indefinite One? That is the way of love. et dans l’école dominicaine allemande’, in Albert Zimmermann (ed.), Die Kölner Universität im Mittelalter: Geistige Wurzeln und soziale Wirklichkeit (Berlin and New York, 1989), 47-67. 3. See for example, Eckhart, Pr. 63 (DW III 77,4-5). “Third, I say: ‘God is love’, because God has distributed his love into all creatures, although in Himself he is one.” I thank Markus Vinzent very much for his translations of German Sermons 63 and 65, which are all his own.

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In the third place, how does Eckhart elaborate a conception of the One as total and reciprocal interiority of the one in the other which serves as an attempt to think a non-contradictory simultaneity of opposite correlative terms? 2. The simultaneity of both opposite movements of procession from the Good and of conversion towards the Good The whole sermons quoted above constitute one of the privileged places in which Meister Eckhart displays his conception of procession and of its opposite movement, that is conversion, which is itself characterised by the heterogeneity of the return towards the Good, on the one hand, and of the return towards the One, on the other. To give account for the identity asserted in the verse between God and love, Meister Eckhart gives four reasons which form a rhetorical topos at once on metaphysical and cosmological4 levels. That God is love principally means that the principle is identified with the Good, because every desire is desire for the Good. Here are the four reasons set out by the German Sermon 63 – Man liset hütt da haime in der epistel – that we shall follow as main framework, before observing the hypotheses elaborated in other sermons of the cycle about the problems raised in this sermon. The first reason, exposed in the German Sermon 63, tackles the reciprocity of the desire for the Good. Meister Eckhart sets up here the identity of the principle and the end, or of the point from which one proceeds and the one towards which one returns. The reason for the creatures to desire God, or the Good, is, namely, that God at first has desired that they desire Him and that He has given them this desire. In other words, the creatures which desire God, or the Good, are always 4. On love as a key-concept for the Eckhartian conception of the whole reality as orientated towards an end, which is the Good, and constituted as totality by its desire for this end, see, for example, in the alphabetical order: Karl Albert, Meister Eckharts These vom Sein: Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum (Saarbrücken, 1976), 158-72 and 201-11; Heribert Fischer, Meister Eckhart, Einführung in sein philosophisches Denken (Freiburg i. Br. and München, 1974), 84-7; Ruedi Imbach, ‘Amor praeter se non requirit causam – Die Liebe genügt sich selbst – Gedanken im Anschluss an mittelalterliche Theorien der Liebe’, Akademischer Festakt für den Tübinger Theologen Diethmar Mieth, Eberhard Karls Universität Tübingen, 08/01/2010 (forthcoming); Burckhard Mojsisch, ‘Der Begriff der Liebe bei Augustin und Meister Eckhart’, in Jürgen Hengelbrock (ed.), Philosophie. Anregungen für die Unterrichtspraxis, Heft 12: Freundschaft und Liebe (Frankfurt a.M., 1984), 19-27.

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in a reciprocal desire: the desire for God and the desire of God who desires them giving them this desire. The reason for this first origin of the love for God that is in the creatures is that God is love and that He is ‘so full of lust […] that He is hunted by the creatures’.5 God is, therefore, love in the double meaning of His love of loving and His loving being loved. Love is, thus, reciprocal at the same time in the relation of God to Himself and in His relation to the creatures. And this reciprocity has no ascribable beginning: loving and being loved always presuppose each other as much in God as in the creatures. The first reason is: With His love, God hunts all creatures so that they desire to love God. If someone asked me what is God, I would answer now as follows: God is a good that goes hunting with His love for all creatures, so that they will come back to hunt Him: so full of lust is God that He is hunted by the creatures.6 Thus, the first reason is that God, as identical to the Good, is the principle and the end of all beings. Meister Eckhart sets up here an ‘archy’,7 or ‘hierarchy’ (if one wishes to introduce the sacred dimension of what occupies the place of the principle, of the alpha and the omega, in the universal movement). The articulation of the procession and of the conversion relates to a systematic organisation which is ruled by a principle that aims at ensuring the return to the origin of all what proceeds from it. Yet, the procession and the conversion towards God as good are presented as opposite movements executed in a same milieu, that is love. The reciprocity of the lover for the beloved makes the beginning and the end of what could be understood as a an unascribable physical process. The love of the creatures for God has, namely, always begun, because it draws its origin from the gift of this desire by God Himself who, in some way, loves Himself through creatures. Procession and conversion appear, therefore, as the names of simultaneous and opposite movements. The 5. Eckhart, Pr. 63 (DW III 75,3-4). See infra footnote 6. 6. Ibid. (DW III 75,1-4): die erst sach ist: got iaget mit seiner mynn alle creaturen mit dem, das sy got begerent zemynnen. der mich frage, was got wäre, ich antwurti yecz also: got ist ain gůt, das da iaget mit seiner mynne alle creaturen, dar vmb das sy in wider iagent: also lüsticlich ist got, das er geiaget wirt von der creaturen. 7. This expression comes from the problematics of ‘anarchy’ developed by Reiner Schürmann, in Des hégémonies brisées (Mauvezin, 1996), in particular in chap. 11-3 on Eckhart, 347-432.

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impossibility to determine the beginning and the end of the desire indicates reliance on the simultaneity that is characteristic for the conditions of a phenomenon. As a consequence, far from pointing out the terms of a cosmological and physical becoming, the principle of the procession and the end of the conversion describe, from a metaphysical point of view, the conditions of desire as well as the unicity and identity of the principle and of the end of desire. Does this metaphysical structure concern all creatures? Meister Eckhart answers this question giving a second reason for which God is love. The final cause which is the Good is universal. All creatures love God in the measure in which they universally act in the aim of the Good. Consequently, through each of its acts, a creature returns to the Good. First of all, Meister Eckhart answers in advance a first objection according to which every desire is not a desire for the Good and every action does not tend towards the Good. Killing a man, for example, could be an exception to this rule. But, according to the Thuringian, a man murders another one aiming at the pleasure of having peace return to his own soul, when he sees this other man as an obstacle to this peace. Hence, creatures never act, in Eckhart’s eyes, for the purposes of the Bad, but always for love of the Good. The Thuringian master then anticipates a second objection concerning the universality of the Good as a final cause. According to this objection, only the rational creatures can act in the proper sense for love of the Good. Yet, Eckhart retorts that, although one cannot speak of love in the strict sense, if the lover is not endowed with intellect, God is nevertheless the origin and the end of all creatures, inasmuch as they proceed from their principle and return to it. Because God is the origin of everything, if a creature which is not endowed with intellect searches for its origin, then it desires God. That is why the tree, living and being fruitful by producing a fruit that implements in act once more its own birth from this origin, expresses its way to desire the Good, which is its own origin, and the desire to return to it. This example seems extremely relevant to bear witness to life as a search for the Good in virtue of the fertility that is inherent in vegetative life. The life of creatures, even if they are only endowed with a vegetative soul, is nothing other than the expression of this desire for the Good. The origin, which is the Good, gives life to the tree; and the tree, in virtue of the fertility of its life,

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searches for its end, which is the Good. But one may ask: to what extent does that prove that God is love? The passage from the Good to love is made in this example by means of the gift. Because God is the Good that gives, He is love. And because the tree gives its fruit and, through this gift, searches for the Good, its life is love. The procession from the Good as a principle and the conversion towards the Good as an end are, consequently, movements of love. So, Meister Eckhart develops a conception of the universal conversion towards the Good, although it is not exclusively intellective. From that, it results that procession and conversion are opposite, simultaneous, and universal movements that are throughout constituted by the love for the Good. At last, Meister Eckhart quotes Augustine:8 ‘O man, love what you can achieve with love, and preserve what can satisfy your soul’.9 In this way he distinguishes God from all creatures towards which his love is directed. God is, namely, the unique final universal cause because he is the only one who can satisfy the desire of the soul. In other words, the movement of conversion towards the Good can only find its fulfilment in its unique term, namely God. Second: with their love, all creatures go hunting for God, because there is no man so bad as to commit a sin for the sake of evil; rather, he commits it for a sweet pleasure. Somebody struck another one to death; this he does not do to hurt him; he thought that so long as the other one was alive, he could never have come to peace with himself; hence, he wants to seek pleasure in peace, because peace is sweet. So all creatures hunt for God with love. Since ‘God is love’, all creatures desire love. If a stone was equipped with intellect, he would need to go hunting for God with love. If you asked a tree why it is bearing its fruit, it would answer: if it were equipped with intellect, I do what I do that rejuvenates myself in the fruit, because in that newness I approach my origin; because being near the origin is sweet. God is origin and is love. Therefore the soul cannot be satisfied except by love.

8. Augustinus, De Genesi ad litteram, lib. 12, c. 26, ed. J. Zycha (Wien et al., 1894) (CSEL XXVIII/1), 419,19-24: una ibi et tota uirtus est amare quod uideas et summa felicitas habere quod amas […] ubi secura quies erit […]. 9. Eckhart, Pr. 63 (DW III 77,2-3): o mensch, mynne, das du mit der mynne erwerben macht, vnd behalt das, das deiner sele genůgen mag.

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‘Love is God’. Saint Augustine10 says: Lord, if You gave me everything that You can offer, it would not be enough for me, except You gave Yourself. Saint Augustine also says: O man, love what you can achieve with love, and preserve what can satisfy your soul.11 But, if God is the universal end, as He is the unique Good that is in position to satisfy the soul, how does the movement of return of the created Good, which every being is, towards the uncreated Good, which is God, happen? Meister Eckhart answers this question in the third reason for God being identical to love. Yet, one should immediately remark that, by indicating how the desire of the created being guides this being from a particular Good to the universal Good, which is the principle, the Thuringian introduces a heterogeneity between the Good and the One. It is as if there was a gap in God between the Good as a principle that gives and from which the creatures proceed, on the one hand, and the One that remains in itself and is at the origin of nothing, on the other. Yet, Meister Eckhart sees in this separation between the function of the One and the function of the Good precisely the third reason for which God is love: ‘Third, I say: “God is love”, because God has distributed His love into all creatures, although in Himself He is one.’12 How should we understand that? By those means does Meister Eckhart indicate a conception of the One that is not confined to the indefinite One that remains in itself? How does this third reason guide us towards the conception of a One as love that the Thuringian elaborates? This third 10. Source that is not identified yet. 11. Eckhart, Pr. 63 (DW III 75,5-77,3): ze dem andern mal: alle creaturen die iagent got mit ir mynne, wann es ist chain mensch so vnsälig, das er dar vmb sünde tů durch der poshait willen; mer: er tůt sy důrch ainen mynneclichen lust. Ainer schlecht ainen zetode; das tůt er nit dar vmb, das er vbel tů; in duncket des, die wile iener leben was, das er nimer zefride in im selber köme; dar vmb wil er lust sůchen in fride, wann fride mynnicliche ist. also iagent alle creaturen got mit mynne. wann ‘got mynne ist’, so begerent alle creature der mynne. wär ain stain vernüftig, er můst got iagen mit mynne. der ain böm fragti. war vmb er bäri sin frucht, wär er vernüftig, er spräche: das ich mich vernüwere in der frucht, das tůn ich dar vmb, das ich in der nüwe minem vrsprung mich nähi; won dem vrsprung nach sin, das ist mynneclich. got ist der vrsprung vnd ist mynne. dar vmbe chan die sele nit genůgen denn an mynne. ‘die mynne ist got’. Sanctus augustinus sprichet: herre, gäbest du mir alles, das du gelaisten macht, dar an genůgt mich nit, du gebest denn dich selben mir. Sanctus augustinus sprichet auch: o mensch, mynne, das du mit der mynne erwerben macht, vnd behalt das, das deiner sele genůgen mag. 12. Ibid. (DW III 77, 4-5): ze dem drytten mal sprich ich: ‘got ist mynne’, wann got hat sein mynne zersprait in alle creature vnd ist doch an im selber ain.

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reason shows a heterogeneity in its structure. The first step describes the way in which the love for what is similar leads the created being from the desire for a good being to the desire for the Good, which is the term of the conversion towards the principle. The second step introduces in this movement of ascent towards the Good a spring into the One. In the first step, Meister Eckhart guarantees, by the love for what is similar, the continuity of the desire for the Good in its anabasis from what is created towards the uncreated principle. If every creature possesses in itself something desirable, it desires in the other creature something that is similar to itself. But, in order to pass from a particular Good to the Good as good, one should make a difference between the substratum and the quality that it carries. The substratum is, according to the Thuringian, what introduces the particularity: that is what he calls ‘this and that’. The first example given by Meister Eckhart points out that, if the desire is not simple, in other words if it includes the substratum in its attraction for the quality, then it will not find any satisfaction. So it is for the women whose desire fluctuates between red and green materials. They are never satisfied and their desire can never rest in peace, because, according to Eckhart, they desire the material as well as the colour. It is the same for the creature that desires not only what is desirable in the other creature but also the substratum that carries the desired Good. The movement of conversion of the good being towards the Good, if it is continuous in the Good as object of desire, entails, however, a separation that introduces a discontinuity in the ontology of what is created. The substratum does not lead towards the principle. It constitutes a sort of residue on the way of conversion, although it is supposed to be a universal way. Only the desirable quality that it carries is a mediation for the conversion towards the end. Hence, God spreads the Good in the creatures, but the substratum for this desirable quality does not belong to the movement of ascent towards the principle. The quality must be separated from it, so as to be capable of leading towards its fulfilment. Nevertheless, is it not necessary by loving a quality always to love as well the substratum that carries it? The second example that Eckhart gives, that of the wall and of the painted image that it carries, aims at answering this objection. Meister Eckhart takes note of the difficulty that is characteristic of the property of the accidents to be inherent in a substratum and not to be able to exist

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outside it: ‘Now, those who love the picture on the wall, thus also like the wall; whoever [would] take away the wall, would take away the image, too.’13 Then, he makes the assumption of an image that would remain standing without any substratum. Why does he pass from the example of the quality (here, the colour) to the one of the image? Unlike the accident which is necessarily in something else, the image can subsist without any substratum, as long as an image is an image in virtue of the relation it has with what it is the image of. Meister Eckhart expresses this difference between the accident and the image asserting that the image has the property to be its own substratum and that, consequently, it can be loved as pure image. Yet, loving what is desirable without its substratum (which is, according to Eckhart, only apparently lovable) means loving the Good as good, detached from the substratum that makes it be this Good or that Good. Yet, desiring the Good as good is equivalent to desiring God alone. Given that by loving a quality it becomes necessary always to love the substratum that carries it, what can be said now to answer this initial objection? Because it is possible to love a quality as an image, so that the quality will be its own substratum, then it is possible to love the Good as good in any good being. And hence, it turns out to be also possible to go back from a created Good towards the uncreated Good, provided that the substratum is separated from the quality or rather, according to the second example, that a quality is considered not as an accident in the substratum but as an image. Third, I say: ‘God is love’, because God has distributed His love into all creatures, although in Himself He is one. Since in each of all the creatures there is something sweet, each creature which is truly intellectual loves something in the other that is similar to it. Women sometimes desire something red, and want to have satisfaction in pleasure, and when they do not find satisfaction in it, they sometimes switch to something green, even though they might not find their desire fulfilled. The reason for this is that they do not go for the obvious pleasure, but take the cloth, because of the colour that it contains and which makes it shine pleasantly. When, therefore, something seems pleasant to one of the creatures,14 the people love this and then that. 13. Ibid. (DW III 78, 7-8): see infra. 14. J. Quint erroneously adds into the MHG text (M. Vinzent).

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Now, take off this and that; what there is left is pure God.15 If one paints a picture on a wall, the wall is the holder of the image. Now, those who love the picture on the wall, thus also like the wall; whoever [would] take away the wall, would take away the image, too. Now, if you removed the wall so that the image remains, the image would be the holder of itself; whoever, then, [would] love the image, he would love a pure image. Now, if you love all that is lovable, and not the things on which they look lovable, then you love God purely; this is undoubtedly true.16 So far, inasmuch as we consider the conditions of desire, procession and conversion appear as opposite and simultaneous movements, as universal movements that have a terminus a quo that is identical to their terminus ad quem and that is unique, namely the Good. Yet, because the principle and the end are identical, rather than being some movements in opposite directions – that necessarily imply a discontinuity – procession and conversion appear rather as a continuous description of a circular movement. They are somehow a single movement by which God loves Himself through the Good in the creatures according to the circle of the Good. If it is thus possible, by loving any good being, to go back to the Good as such, why does Eckhart interrupt the movement of conversion from the created Good to the uncreated Good? The quotation of Dionysius Areopagita17 that Eckhart inserts here – ‘God has become nothing for the soul, that is to say: He is unknown to her’18 – seems, indeed, to 15. Vgl. Augustinus, De Trinitate, VIII, c. 3, n. 4, ed. W.J. Mountain (Turnhout, 1968) (CCL 50), 272, 4-17. 16. Eckhart, Pr. 63 (DW III 77,4-78,11): ze dem drytten mal sprich ich: ‘got ist mynne’, wann got hat sein mynne zersprait in alle creature vnd ist doch an im selber ain. wann an alle creature an ainer yeglicher etwas mynneclich ist, dar vmb so mint ain yeglich creature etwas an der ander, dz ir glich ist, die echt vernüftig ist. dar vmb begerent die frowen etwenn rotz, das sy ir genůgte an dem lust wellen nemen, vnd wen sy ir genůgde nit daran vindent, so begerend sy etwen grůns, vnd mag doch ir begirde nit erfült werden, vnd ist das dar vmb: sy nement den lust ainualtig, sy nement das tůch dar mitte, das da enthalt ist der varwe, die da lüstig scheinet. vnd wan alsus einer ieglichen creaturen etwas lüstliches schint, dar vmb so mynnent die menschen nun das vnd denn das. nu leg ab das vnd das; das denn da beleibet, das ist luter got. der ain bilde malet an ain wand, so ist die wand ain enthalt des bildes. wer nun mynnet das bilde an der wand, der mynnet die wand dar mitte; der die wand danne näme, der näme och das bild dannan. nun nement dannen die wand, also das das bilde beleibe, so ist das bild sein selbs enthalt; wer dénn mynnet das bilde, der mynnet ain lauter bilde. nun mynnent alles, das mynneclich ist, vnd nit, an dem es mynneclich schinet, so mynnest du lauter got; das ist ane zweiuel war. 17. Dionysius Areopagita, De divinis nominibus, c. 7, § 3, PG 3, 872A; Dionysiaca, Bd 1 (Brügge, 1937), 401: Et non est aliquid exsistentium neque in aliquo exsistentium cognoscitur. 18. Eckhart, Pr. 63 (DW III 78,11-79,1): see infra footnote 20.

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introduce a cut into the thread of demonstration regarding the adage: ‘What is similar loves what is similar’. Actually, this discontinuity does not do anything else than taking up the announcement that Eckhart has made at the beginning of the third reason. He wants to show the split that exists, in his eyes, between God as the Good and God as the One and, therefore, the gap between the first step of his demonstration and the second step that reflects upon God remaining one in himself, although he spreads a desirable quality in the creatures, namely the Good. How should we conceive of a solution in continuity between the conversion towards the Good and the conversion towards the One? That is the purpose of the second step of the third reason. 3. The contradictory simultaneity as a solution in continuity between the conversion towards the Good and the conversion towards the One The aim of this new argument that intervenes in the exposition of the third reason is to prove that we will not find God in creatures, ‘but rather in the One’.19 The demonstration proceeds in the following way: in the first place, if the soul does not know God, then there will be nothing left for her than loving what is good in creatures. In other words, Meister Eckhart comes back here to the example of the image that is painted on the wall. Whereas it was taken for granted, with the second example, that it was possible to love a quality as an image, Meister Eckhart seems to come back to the cognitive deadlock of the first example. This impasse leads, namely, to an ontological mistake which consists in loving the things at the same time as the Good, that is the particular substratum at the same time as the quality. The second example, that of the painted image on the wall, seems to make possible for the act of loving the Good in the creatures to be at once a love for the image of the unknown God in them, although it is also the principle of the Good. The quotation of Dionysius appears to forbid this passage from now on. Loving the Good in the creatures actually signifies reducing God to nothing for the soul and making it impossible to know Him. Saint Dionysius says: God has become nothing for the soul, that is to say: He is unknown to her. Therefore, since we do not 19. Ibid. (DW III 80,4): see infra footnote 25.

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know God, we love in creatures what is good, and as we love things together with what is good, this is what makes us sin.20 The impossibility to get to know God from the creatures rebounds on the impossibility to know God as the Good. To spot how this split between God as good and God as one takes place, Meister Eckhart works out, in the second place, an angelic device. It consists in according an extreme ontological value to the creatures, in their capacity to come closer to the absolute Good, and, then, to take it brutally away from them until reducing them to nothing and preventing us in this way from going from the created Good to the uncreated Good. Eckhart evokes, namely, an unrepresentable number of angels hierarchically situated at levels that are always more elevated. A minimum corresponds to this ascent towards a maximum: the creatures would receive a scrap, similar to a wooden shaving, of the angel that is on the lowest level of the angelic scale. This minimum, by falling onto the inferior hierarchical degree that is the one of creatures, would be enough to make it that ‘all things on earth should flourish and become fruitful’:21 a sort of hyperbole of the example of the fertility of the tree given previously in the second reason. This effect allows us to evoke what is for us unrepresentable: the nobility of the most elevated angel. Eckhart adds again to what seems to us already to be the highest ‘nobility of all the angels that they have in their nature, and the nobility of all creatures as they are in their nature’,22 so as to reduce them to nothing compared to God. So, Meister Eckhart writes as a gloss to Ecclesiastes: ‘compared to God it is evil, as all being of no value, as being pure evil’.23 That is why: if someone ‘with this nobility from around the world wanted to go to God, this one would not find God’.24 20. Ibid. (DW III 78,11-79,3): Sanctus dyonisius sprichet: got ist der sele zenitte worden, das ist, das er ir vnbechant ist. dar vmb, wann wir got nit bechennent, dar vmb so mynnen wir an den creaturen, das da gůt ist, vnd wann wir die ding mít der güte mynnen, das machet vns sünde. 21. Ibid. (DW III 79,7): alle ding auf ertrich die můssent blüen vnd fruchtbär werden. 22. Ibid. (DW III 79,8-80,1): der nu näme aller engel edelchait, so si hand an ir nature, vnd aller creature edelchait, als si sind in ir nature […]. 23. Ibid. (DW III 80,2-4): wann es ist als vor gotte als boshait, won es ist alles poshait, won es ist ain lauter poshait vnd ist minder denn poshait, won es ist ain luter nit. J. Quint misunderstood this passage and wrote als vor gotte als boshait instead of als vor gotte als boshait as attested by the manuscripts (M. Vinzent). 24. Ibid. (DW III 80,2-4): […] mit der edelkait aller welte ze got welte gan, man fùnd got nit dar mitte.

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The function of this device is thus to assert that, although God has spread the Good in creatures, He nevertheless remains in Himself. That is why He cannot be searched for in creatures, whether they are low or high, but only in the One. The argument proceeds as a passage to the superior limit that is in its turn reduced to nothing. This abolished hyperbole rebounds upon the inferior grades of Being as reduction to nothing. It is in Eckhart’s discourse both a rhetorical and a metaphysical device. However, the nothing that he talks about does not correspond to a metaphysical nothing but to what could be called, in a first approach, an ‘intellective nothing’, that is a nothing that touches the representation of God and of the creatures that the mind elaborates. The aim is to reduce to nothing its representation of the goodness of the creatures, inasmuch as it is a screen that prevents us from seeing the divine unity. However, the representation comes probably from a metaphysical and existential position that leads to bring out the creatures or the principle as both extreme terms that exclude each other. Angels are innumerable; nobody can count them, and each is a species, the one higher than the other; and if of the lowest angel, a chip fell off, as if he would cut a chip from a piece of wood, and in its nobility in which it is in its nature it fell here into this time on earth, all things on earth should flourish and become fruitful. Hence, therefore, note, how noble the supreme angel will be. Who now took the nobility of all the angels that they have in their nature, and the nobility of all creatures as they are in their nature, and with this nobility from around the world wanted to go to God, this one would not find God because compared to God it is evil, as all being of no value, as being pure evil, or even less than evil, as being pure nothing; thus, one does not find God, except as one.25

25. Eckhart, Pr. 63 (DW III 79,3-80,4): der englen der ist an zal; ir zal chan nymant gedencken, vnd yeglicher ist ain coli*, ye ainer höher denn der ander; vnd der niderste engel, enphiel dem ain spänli, als der ain spänli snitte von aim holcz, vnd das vieli här in dis zit auf ertrich in der edelkait, als es ist in seiner nature, alle ding auf ertrich die můssent blüen vnd fruchtbär werden. so achtent denn, wie edel der öbrist engel sey. der nu näme aller engel edelchait, so si hand an ir nature, vnd aller creature edelchait, als si sind in ir nature, vnd mit der edelkait aller welte ze got welte gan, man fub nd got nit dar mitte, wann es ist als vor gotte als boshait, won es ist alles poshait, won es ist ain lauter poshait vnd ist minder denn poshait, won es ist ain luter nit; also vindet man gotes nit won in ein. * About ‘ain coli’, see Walter Haug, in G. Steer and L. Sturlese (eds), LE I, 206 (Stuttgart, 1998).

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This angelic device aims at introducing a break-up between what is lovable in the creatures, whether it has the status of a general quality in a particular substratum or the status of an image (of God), on the one hand, and, on the other, the One in which one finds God. At the end of this course through Sermon 63 it appears, hence, that if the creatures proceed from God under the reason of the Good, they return to him; however, they return under the reason of the One that requires what seemed to lead to God by the chain of the Good to be reduced to nothing. Why is the way blocked, when one comes back from the created Good to the uncreated Good? By this anabasis, one could only return to God as an image, in other words as the cause of the Good in the creatures. Yet, if God as love, insofar as He is identified by the reason of the Good, appears as the universal end of the created being, He is not, in Eckhart’s eyes, the end of the movement of conversion. The accomplishment of the conversion is the unity with the One. To follow the path of analogy has no other result than reducing God to nothing, according to the words borrowed from Dionysius. Establishing a creature as something besides God means, namely, reducing God to nothing, precisely because He is everything. If, in other places of his works,26 Meister Eckhart develops the particular negation that a creature is with regard to God by the negatio negationis, that is by the negation of the negation that leads to the synthetic and prime totality which is God, it is not the case in this sermon. To achieve the conversion, one has to jump. This jump happens by the reduction of creatures to nothing. It appears to be imperative, in Eckhart’s eyes, to cut the chain of what is identical and similar. If God is the One, it is urgent to interrupt the possibility to predicate, because one can only say about the One that it is identical to itself. That is, indeed, the heart of the predication through reduplication that asserts that God is negation of negation or that He is the Good as such. But, as a result, God as one is folded up upon Himself and any otherness that would deny Him as particular is excluded from Him. That is why Meister Eckhart searches for another way in this sermon.

26. See, for example, Eckhart, In Prol. op. prop., n. 12 (LW I/2, 47,4-5); ibid. n. 15 (LW I/2, 49,18-9); In Ex. (LW II, 77,6-78,8); In Eccl., n. 60 (LW II 289,5-6); ibid. n. 63 (LW II, 293,1-2); In Sap. n. 147 (LW II 485,4-5); In Ioh. n. 556 (LW III 485,5-7).

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The path of conversion ends up at the One as origin. This One does not give Being. And again, like with the Good but on the other end of the consecution of the termini generales, we cannot go from one transcendental to the other. There is here again an interruption. The One does not beget. Only Being is the principle. How shall we then go from the principle in itself, from the One which is identical to itself, from the indefinite One to its display, in other words to Being and to the procession that follows it? Is there a split in God? Do we not meet here the focal point of the distinction between the deity and the divine persons, as Eckhart suggests it? The deity, as divine nature, is not only the name for those persons under the aspect of their nature or of their substance. It is also their nothingness, their abolition, their radical overtaking. But towards what? Precisely towards nothing or, more precisely, towards what refuses itself to the chain of language. That is why it seems to be a double-faced love. The love for God as the One is unifying. Being one with Him is the only way to remain in Him. The love for God as good is more similar to a desire that hunts for the Good in everything, being itself hunted by the Good. On the one hand, the love for God as good follows the path of analogy. It goes from the good creatures to the Good in the creatures and, finally, to the uncreated Good. This love describes an ‘archy’, or an hierarchical structure, of the universe endowing the created beings with a principle and an end. The love for the One, for its part, resembles a jump into Unity. There is, namely, no other access to the One than the union with it, insofar as no predicate could be attributed to it and as no knowledge acquired from creatures is useful to come nearer to the One. That is why the unity with the One demands at once a break-up with anything that could be known about God from creatures and with the discovery of a mode that is appropriate to what belongs to the mind, says Eckhart, namely what can be considered separately from its substratum. This inquiry points out the Eckhartian search for an ‘anarchy’,27 that is to say an absence of principle, a way to conceive the world without referring it to a principle or to an end. It seems that several questions remain.

27. See R. Schürmann, Des hégémonies brisées (1996), 347-432.

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In the first place, for what reason can God as good not be the term of the conversion, inasmuch as God is principle, precisely as He is the Good? In the second place, how does God as one, who is the origin of nothing, and God as good, who is the principle of everything, relate to one another? Is it possible to speak of a relation between the two or is there a division in God, between God as able to be said in many ways and God as one? In the third place, is the relation of contradictory simultaneity of the One and the Good dependent from the definition of the One as indefinite? Does Eckhart sketch another conception of the One in the heart of this tension between the conversion towards the Good and the conversion towards the One? In the cycle of the sermons of the first Sunday after Trinity Sunday, Meister Eckhart gives several indications to prevent the division between a God endowed with multiple reasons and a God as one. The first is the necessity for God to give, hence for the One to be good. The second is that the accomplishment of the Good is the One as totally reciprocal interiority of the one in the other. Then, the One is not conceived anymore as indefinite, perfectly heterogeneous to any reason that would be added to it or even associated with it, as the reason of the Good, but as unity without any part. 4. Attempts for a non-contradictory simultaneity of the opposite correlative terms 4.1. The One as the accomplishment of the Good In Sermons 64 and 65, Eckhart suggests a bridge within God between the Good and the One. In virtue of his goodness, God leads towards the unity. In a way, the Thuringian restores here, in God, the continuity that he seems, on the contrary, to remove from the movement of procession and of conversion of the creatures towards the Good with regard to their movement of conversion towards the One. The consideration of this metaphysical argument and the passage from German Sermon 63 to Sermons 64 and 65 rely on a hermeneutical hypothesis that we would like to make explicit.

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To carry on with his exegesis of the verse 1Jn 4:16, a liturgical text that is common to the Sermons that belong to the cycle previously mentioned, Eckhart quotes, in Sermons 64 and 65, the verse Mt 25:21 – ‘Faithful servant, I will set you above all my Good’. To what extent, in Eckhart’s eyes, are both of those verses related to one another? In the light of Sermon 63, we can assume that Eckhart searches for the articulation between the Good and the One. The commentary on verse Mt 25:21 raises, namely, an argument in favour of the continuity between the Good and the One. This metaphysical argument relies on the hermeneutical hypothesis according to which the liturgical, textual, and thematic convergence28 of those sermons draws out a common philosophical and theological project that we shall now develop, through the diversity of those texts and of the occasions in which they have been preached. Both Sermons 64 and 65 appear as parallel texts. That is why, in view of a clearer exposition, only the three interpretations of the verse given in Sermon 65 will be presented here. In a first sense,29 the Good described as the one ‘above all my Good’ is understood as the goodness of God in the created beings. Yet, what is created implies multiplicity. Hence, it aims at the unity that is characteristic for what is not created as opposite to the multiplicity in what is created. In a second sense,30 ‘above all my Good’ refers to the divine unity as the core of beatitude. In a third sense, the Good of the expression ‘above all my Good’ is understood as what we can know, comprehend, or name about God. The Good is identified somehow with the True, from the point of view of what is proper to every terminus generalis. ‘Faithful servant, I will place you above all my good’. That means: how good God is in all creatures, according to the multiplicity ‘I will place you over all my good’. 28. Loris Sturlese, ‘Hat es ein Corpus der deutschen Predigten Meister Eckharts gegeben ?: Liturgische Beobachtungen zu aktuellen philosophiehistorischen Fragen’, in A. Speer and L. Wegener (eds), Meister Eckhart in Erfurt (Berlin/New York, 2005), 393-408; in L. Sturlese (ed.), Homo divinus. Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse (Stuttgart, 2007), 79-94; in French in Julie Casteigt (ed.), Maître Eckhart (Paris, 2012), 79-103. 29. This first sense corresponds to the one that Sermon 64 gives: above all my Good understood as all my Good spread in creatures. 30. The second and the third senses enounced in Sermon 65 differ from those of Sermon 64 that are more orientated towards the other major thesis of the sermons of the cycle of the first Sunday after the Trinity Sunday: ‘being the one in the other reciprocally’.

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Second, ‘I will place you above all’ my ‘good’, that means: there all creatures take their happiness in pure unity, which is God Himself, when He takes His own happiness, and that is: as God is good, He wishes to place us ‘above all’ His ‘good’. Third, He wishes to place us ‘above all’ His ‘good’, that is, He wishes to place us above all what He is called, above all that you can articulate with words and above all that can be understood. So He wishes to place us ‘above all’ His ‘good’.31 So, from one point of view, the Thuringian highlights the heterogeneity of the return towards the Good and of the return towards the One, developed in Sermon 63, stressing in particular the split between what is created and is thus identified with multiplicity and what is uncreated and corresponds to the One, or the split between what is true which is the reason of what we can know about God and the One which indicates the unknowable divine essence. From the other point of view, he underlines the continuity between the Good and the One in the dynamics by which God leads the created beings from an aspect of Himself to the other, from the Good to the One. This argument allows us therefore to suggest an answer to the first question, namely, for what reason can God as good not be the term of the conversion, inasmuch as – precisely as the Good – God is principle? The argument is that the One, as simplicity, is the heart (ratio) of beatitude, or of the fulfilment of any desire. However, how shall we understand that the Good, which diffuses itself and is per se fruitful, leads to the One as its accomplishment, if the One is understood as indefinite? Should we suppose that Eckhart implicitly invites us here to conceive the One as the ultimate object of love or as love itself? 4.2. God gives by necessity in virtue of His Being, or the One is necessarily good Let us recall now the second question: how do God as One and God as good relate to each other? Eckhart’s answer is enounced in the fourth 31. Eckhart, Pr. 65 (DW III 100,13-101,7): ‘Dienestkneht getriuwe, ich wil dich setzen über allez’ mîn ‘guot’. Daz ist: als got guot ist in allen crêatûren, nâch dér mánicvalticheit ‘wil ich dich setzen über allez’ mîn ‘guot’. Ze dem andern mâle ‘wil ich dich setzen über allez’ mîn ‘guot’, daz ist: dâ alle crêatûren ir sælicheit nement in der lûtern einicheit, diu got selbe ist, dâ er selber sîne sælicheit nimet, und daz ist: als gót guot ist, als wil er uns ‘setzen über allez’ sîn ‘guot’. Ze dem dritten mâle: er wil uns ‘setzen über allez’ sîn ‘guot’, daz ist: über allez, daz er heizet, über allez, daz man geworten mac, wil er uns setzen, und über allez, daz man verstân mac. Als wil er uns ‘setzen über allez’ sîn ‘guot’.

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reason for God being love at the end of Sermon 63. It consists in God giving, so to speak by necessity, in virtue of His own being, which is love. This feature appears to be in contradiction with the freedom that is proper to the nature of love. God gives, namely, by necessity. Even more, Meister Eckhart, in a sort of hyperbolic rhetoric, stresses the necessity of the divine gift and talks about God being constrained at the risk of loosing His deity, if He did not give. Fourth, I say: ‘God is love’, because He must love all creatures with His love, whether they know it or they do not know it. Therefore, I want to say a something that I said last Friday:32 I never want to beg God for His gift nor ever want to thank [Him] for His gift, because if I were worthy to receive His gift, He would need to give [it] to me, whether He liked it or disliked it. For this reason, I do not want to beg for His gift, because He must give; yet, I would like to beg Him that He makes me worthy to receive His gift, and I want to thank Him because He is such, that He must give. I therefore say: ‘God is love’, because He loves me with the love with which He loves Himself; and whoever [would] take this away, would take away all His godhead. As much as He would love me with His love, I would not become happy with this; rather, I become happy by the fact that I love Him and are happy in His love.33 Why does Eckhart take the risk of a contradiction maintaining that God loves by necessity, rather than by a free gift? The Thuringian reveals us here his conception of the One. We believed at the end of the argument that could be called ‘the nobility of the angels reduced to nothing’ that we would not go any further than a conception of the One as indefinite, 32. See id., Pr. 26 (DW II 35,3-7): Ich spriche, daz ich got niht biten enwil, daz er mir gebe; ich enwil in ouch niht loben, umbe daz er mir gegeben hât, sunder ich wil in biten, daz er mich wirdic mache ze enpfâhenne, und wil in loben, daz er der natûre ist und des wesens, daz er geben muoz. Der daz gote benemen wölte, der benæme im sîn eigen wesen und sîn eigen leben. 33. Id., Pr. 63 (DW III 81,1-82,2): ze dem vierden mal so sprich ich: ‘got ist mynne’, won er mynnen müß alle creatüre mit seiner mynne, sy wissens oder wissens nit. dar vmb so wil ich sprechen ain wort, das ich nun nächst an fritag sprach: ich wil got vmb seiner gabe nymer gebitten noch wil im seiner gabe nimer gedancken, wann wär ich wirdig seiner gabe ze enpfachen, so můsti er mir geben, es wär im lieb oder laid. dar vmb wil ich in nit bitten vmb sein gabe, wann er geben můß; ich wil in wol bitten, das er mich wirdig mache seiner gabe ze enpfachen, vnd wil im dancken, das er also ist, das er geben můß. dar vmbe sprich ich: ‘got ist mynne’, wann er mich mynnet mit der mynne, mit der er sich selber mint; vnd der im das benäme, der benäme im alle sein gothait. wie das sy, das er mich mynnet mit seiner mynne, da mit mag ich doch nit salig werden; mer: ich würdi sälig da mit, das ich in mynne vnd bin sälig in seiner mynne.

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as radical autarky, as negation of the origin, as negation of the universal source of beings. At the end of the fourth reason for the identity between God and love, by contrast, it appears that the One is love by necessity. Far from choosing the way of ekstasis, or of the jump into unity, the source of love derives from the inner One,34 and it gives the principle its name of Being, in the sense of being fruitful, its name of True, in the sense of what makes it able to be known, its name of Good, in the sense of what gives the capacity to love and to be loved in turn. Thus, Eckhart sets the fertility of love into the One and allows therefore to come from the One to the Good. In this way, he answers the second question: God as One and God as good relate to each other, insofar as the Good rises from the One as what gives the capacity to love and to be loved. By both these arguments Eckhart invites us to pass from a conception of the One as indefinite to a conception of the One as love. 4.3. A conception of the One as total reciprocal interiority of the one and the other To elaborate a definition of the One as love is what appears as Eckhart’s major purpose at the threshold of the German Sermon 63: ‘This, I say: “God is love”, which I do so that one remains with One’.35 The Eckhartian purpose to give a definition of the One as love raises several questions. How does Eckhart refer the question of the One to the words of the verse 1Jn 4:16 which do not explicitly mention the One – ‘God is love and whoever is in love is in God and God is in him’? Why does Eckhart use the phrase ‘near’ (man beleibe pey36 ain) rather than ‘in’, which would be closer to the expression of the verse itself37? These questions lead the reader to the conception of the One that Eckhart sketches 34. Meister Eckhart’s texts differ on this point: the One is sometimes the name of the essence that does not beget and sometimes the name of the source, whereas, in this case, Being is attributed to the essence from which nothing proceeds. See, for example, the commentary on verse Jn 3:34 in In Ioh. n. 358 (LW III 303,10-3) or on Jn 14:8, ibid. n. 552 (LW III 481,13-482,10), for the first thesis, and on Jn 10:30 ibid. n. 512 (LW III 443,8-15) or on Jn 14:8, ibid. n. 547 (LW III 477,10-3, for the second. Cf. Wouter Goris, Einheit als Prinzip und Ziel (1997), 288-329. 35. Eckhart, Pr. 63 (DW I 74,3-4): das ich sprich: ‘got ist die mynne’, das tůn ich dar vmb, das man beleibe pey ain. 36. I would slightly differ from Markus Vinzent’s translation on that point. 37. Cf. Eckhart, Pr. 63 (DW III 74,1-2: Now, I say “God is love, and whoever is in love is in God, and God is in him”).

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to get over a contradictory simultaneity between the One and the Good. Perhaps he attempts to answer the question of the heterogeneity between the Good and the One which are, however, convertible as termini generales insofar as they indicate God’s essence under different reasons. It appears possible, from Sermon 63, to come back to the concrete termini “being”, “true”, “good” to their abstract paronyms “Being”, “truth”, “goodness”. However, this analogical anabasis seems impossible in the case of the One. There is, namely, an insuperable gap between God as good and God as one. That is why we can only stand “near the One”, as long as we are not in it. Yet, at the end of the sermon, he places the conception of the One. It consists in a totality in which one is totally and reciprocally in the other. Eckhart invites us to conceive this total and reciprocal interiority from the experience of the reciprocal immanence of the lover (the soul) in the beloved (God) that allows to be everywhere, like God is everywhere, as far as He is an ‘all without all’ – ain al on al.38 This expression would mean that He is not likely to be grasped, like material things, like a totalising of parts on a quantitative mode, but rather like an integrative unity.39 Now, I say: ‘Whoever is in love, is in God, and He is in Him’. If someone asked me, where is God, I would answer: He is everywhere. If someone asked me, where is the soul that is in love, I would say: it is everywhere; for when God loves and the soul which is in love is in God and God is in her, and when God is everywhere and she is in God, she is not with her half in God and with her other half not in God; and as God is within her, the soul must of necessity be everywhere, as He who is everywhere is in her. God is everywhere in the soul, and she is in Him everywhere; so God is an all without all and she is with Him all without all.40 38. Ibid. (DW III 82,9). See infra. For further developments on this point, see Julie Casteigt, ‘Aimer l’un dans l’autre ou d’un désordre amoureux condamné’, in D. Mieth, M-A. Vannier, M. Vinzent and C.M. Wojtulewicz (eds), Meister Eckhart in Paris and Strasbourg, Eckhart: Texts and Studies, vol. 4 (Leuven, 2017), 177-208. 39. In the Summa Theologiae, I, q. 76, art. 8, Thomas Aquinas, wondering whether the soul is entirely in each part of the body, distinguishes three modes of totality: according to the quantity, according to the species and to the essence (that qualifies the soul as substantial form with regard to the body) and, finally, according to the virtus. 40. Eckhart, Pr. 63 (DW III 82,3-9): Nun spriche ich: ‘der in mynne ist, der ist in gote, vnd er ist in ime’. der mich fragti, wo got wär, so antwurte ich: er ist vber al. der mich fragti, wo die sele wäri, die in mynne ist, so spräch ich: sy ist vber al; won got mynnet, vnd die sele, die in mynne ist, die ist in

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How should we understand the unity that is peculiar to ain al on al ? My assumption is that Meister Eckhart makes here an implicit reference to a passage of Aristotles’ De anima I, 5 (411 b 1-14). This hypothesis is corroborated by the Latin Sermon VI, 3 that comments on the same verse 1Jn 4:16 as the German Sermon 63 – ‘Who remains in love’. Why is it better to say that the soul is more in the body than the body is in the soul? According to the Thuringian, one has to distinguish between what belongs to the mind and what pertains to the body. In corporal realities, the whiteness is in the body, whereas, in spiritual realities, the Just is in justice. Yet, the soul, far from being a substance in which love would be as an accident, is, on the contrary, in a position of being an accident with regard to love. Thirdly, one must notice what he says: ‘Who remains in love’. In bodily whiteness is, namely, in the body, conversely, in spiritual the Just is in Justice.41 That is why, according to those who are ignorant, the soul is in the body and, according to those who are learned,42 the body is more truly in the soul. Therefore, the substance of the soul relates to love like an accident:43 Come nearer to Him and you will be enlightened (Ps. 33:6). Love, truth and goodness remain, whereas the soul comes nearer and withdraws, according to Is. 30:[18]: [The Lord] awaits to have mercy on you. 44 The argument that Eckhart sums up in a very brief way is exposed in a more explicit manner in the commentary on the same passage of the De anima that Thomas Aquinas gives in the Summa contra Gentiles,45 in particular. gotte, vnd got ist in ir, vnd won got vber al ist vnd si in got ist, so enist si nit ainhalb in gotte vnd anderhalb nit; vnd wann got in ir ist, so můß die sele von not vber al sein, wann er in ir ist, der vber al ist. got ist vber al in der sele, vnd sy ist in ime vber al; also ist got ain al on al vnd sy mit im ain al on al. 41. See id., Sermo XXXV n. 361 (LW IV 311,5-6); In Ioh. n. 18 (LW III 15,12-3). 42. Aristoteles, De anima I, 5, 411 b 7-8. 43. See Eckhart, In Sap. n. 74 (LW II 404,8-9): sed potius e converso subiecta formantur et informantur accedendo ad perfectiones huiusmodi. 44. Id., Sermo VI,3, n. 62 (LW IV 60,14-61,5): Tertio notandum quod ait: ‘qui manet in caritate’. Nam in corporalibus albedo est in corpore, in spiritualibus e converso iustus est in ipsa iustitia. Unde secundum idiotas anima est in corpore, secundum sapientes verius est corpus in anima. Substantia ergo animae se habet respectu caritatis ut accidens: ‘accedite ad eum et illuminamini’. Manet caritas, veritas, bonitas, anima accedit et recedit, secundum illud Is. 30: ‘exspectat, ut misereatur vestri’. 45. Thomas Aquinas develops this thesis inspired from the De anima, in the question 56 in his Summa contra Gentiles, questioning, like Eckhart, precisely the different modalities for an intellectual substance to be united to the body. He distinguishes three of them: according to the act,

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Why is the whole soul in the whole and in each of its parts? Thomas’ arguments meet Eckhart’s. On the one hand, the Doctor Angelicus bases this thesis on the difference between what belongs to the body and what pertains to the mind: ‘What is not bodily does not unite with what is bodily like a body unites itself with another one’.46 And, on the other hand, he reminds us that, when the totality belongs per se to the forms, ‘every form is entirely in the whole and entirely in each of its parts’, whether this form is the soul or the whiteness, whereas it is not the case, when the totality relates to the forms only in an accidental way. The proximity of those arguments points out that the Eckhartian sermon is also likely to be understood in the context of the commentaries on the De anima. This detour through the Thomistic commentary provides us with a pattern to understand in what sense the soul is said to be entirely everywhere, not in a local sense, but in the sense in which, according to the words of the verse, the soul is in God and God is in the soul or in the sense in which the Just is in justice and justice is in him. When Eckhart implicitly supposes the conceptual explanations that Thomas Aquinas develops, it is above all important for him to transpose them into the field of love by means of the logical-ontological paradigm of the Just and justice. This paradigm allows him to highlight the fact that, in what is spiritual, justice, love or God constitute the substance in which the Just, the lover or the soul remain like in a whole which is different from a totalising of its parts. Therefore, the One is not the Indefinite that, by definition, puts in check any attempt of cognitive determination. It is, on the contrary, what one reaches by way of love. By loving the One in this way, we love actually the One in the other and the other in the One. And we are in the One that we love, as the One is in the one who loves. The One, which is love, if it is not an assembling of parts, but a unity, embraces, nevertheless, a difference of relation between the lover and the beloved.

according to the form, according to the relation between the whole and its parts. According to this last mode, the soul is not an accidental form that would be in a part, like whiteness that is in the skin without being in the hair of a brown-haired man. But it is, says Thomas, like the whiteness, inasmuch as it is entirely in each of its parts. 46. Thomas de Aquino, Summa contra Gentiles, lib. 2, c. 72, n. 4: neque sic incorporeum corporeo coniungi sicut corpora ad invicem coniunguntur.

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5. In conclusion From this run through the sermons of the cycle of the first Sunday after Trinity Sunday, it results that the structure of the universe is orientated in its origin and in its end by a movement of procession which arises from the Good and by a movement of conversion magnetized by a final cause, which is the Good, through the love for the Good in creatures. Both those opposite movements suggest a figure of simultaneity as opposition of a catabasis and of an anabasis. However, the movement of conversion must be interrupted in the continuous ascent that goes from the created Good to the uncreated Good, so as to reach, beyond the principle as origin, the space where the principle withdraws into the Indefinite. The unknowable indefinite One is not identified with the term of an analogical anabasis from creatures. It differs from it precisely by its indetermination. Hence, a double movement of conversion towards the Good and towards the One appears, which suggests a figure of simultaneity as a solution in continuity. The interruption of the analogical conversion happens by means of the One. If God is one, we could not say anything about Him. It remains for us only to unite with such an origin that stands beyond every concept, every image, every essence. Yet, instead of suggesting an ekstasis that would enable us to spring into unity, Meister Eckhart tries to solve both figures of the contradictory simultaneity that appear in the conception of unity as totality without parts, qualified by a mode of being that is ‘being totally the one in the other’. Thus, the One as love gives itself as a non-contradictory simultaneity.

Ursprüngliche Lebenspassibilität als ›Erste Praxis‹. Zum radikal-phänomenologischen und Eckhartschen Verhältnis von Wirklichkeit und ›Gottesgeburt‹ Rolf Kühn, Freiburg i.Br. »Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um ein Haar vergrößern?« (Matth 6,27) Abstract Michel Henry has clearly referred to Meister Eckhart to provide his phenomenology of life with a foundation, especially with regard to a radical epoché (poverty) and immanence (divinity as abyss and life) that opposes the philosophical tradition of transcendence. This point is used here to develop an understanding of praxis, in both Henry and Eckhart, as an absolute certainty and a living immediacy in every feeling, thought and action and expressed as an impressional or bodily modalization. With such a perspective in mind, one is able to refer to an existential reality that remains constantly embedded in the plenitude of ›God‹ as well as in the nexus of the Lebenswelt. Beyond classical comparisons between ontology, theology, metaphysics and the thought of Meister Eckhart, this would open a new and radically phenomenological perspective which can assist both a cultural and a religious shift in contemporary times, as Hegel’s and Heidegger’s readings of the great medieval thinker already suggest. Without neglecting the exegesis of Eckhart’s works, such an approach highlights further developments in contemporary phenomenology, especially with regard to its understanding of being or life as ›donation‹ (Gabe) in the sense of ›self-givenness‹. The latter is thereby not to be understood as a unique or past action of God, but as the permanent phenomenological reality of appearing as affective ›self-appearing‹ or transcendental self-donation that is the basis for any subjective and collective praxis. The correlation between ›passibility‹ (Passibilität) and

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›Birth in God‹ (Gottesgeburt) shows conceptually how such a founding relationship is possible in reference to Henry and Eckhart. As ›first praxis‹ it means that the reality of God or life, as well as our own, cannot be grasped theoretically or from an abstract metaphysical point of view, but only through the path of ›self-affection‹, which is to be experienced on a purely practical level before its reductive discovery in thought and language.

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ie reine Passibilität als s i c h -ertragendes Empfinden oder als ursprüngliche Geburt in unserer transzendentalen Bedürftigkeit des Lebens v o r aller Freiheit ist nicht die Anzeige eines anfänglichen Mangels, kein bereits agonisierendes In-die-Welt-Geworfen-Sein, sondern die gemeinsam von Meister Eckhart und der radikalen Lebensphänomenologie gedachte absolute Anfänglichkeit als ›Empfänglichkeit‹, welche alle Wirklichkeit einschließt: Welch wunderlich stân ûze und innen, begrîfen und umbegriffen werden, sehen und sîn diu gesiht, enthalten und enthalten werden: daz ist daz ende, dâ der geist blîbet mit ruowe in einicheit der lieben êwicheit (»Wie wunderbar: draußen stehen wie drinnen, begreifen und umgriffen werden, schauen und das Geschaute selbst sein, halten und gehalten werden – d a s ist das Ziel, wo der Geist in Ruhe verharrt, der lieben Ewigkeit vereint«).1 Damit hinterschreiten wir die ideengeschichtlich bekannten Existenzialismen und Idealismen als Neutralisierungen der originären Geburtsrealität in unbestimmt notierten Termini, denn das originär ununterbrochene Geben als lebendiges S i c h g e b e n des Lebens bleibt die vorgängige Wahrheit jedes Setzens und Entwerfens.2 Das scheinbar Dunkle, Blinde, Triebhafte oder Unbewusste als das ›Immemoriale‹ solch phänomenologischer ›Onto-dologie‹ im Sinne eines grundlegenden Lebenspathos ist auch mit Hilfe keiner postmodernen ›Dekonstruktion‹ aufzuklären, da im Licht von Transzendenz, Horizont oder Differenz n a c h t r ä g l i c h nie ein Ursprung mehr auszumachen ist, der diese welthaften Erscheinensphänomenalisierungen immer schon i m m a n e n t selbstaffiziert hat. Alles historische, 1. Eckhart, Pr. 86 (DW III 488,4-6). 2. Vgl. zuletzt Jean Reaidy, Michel Henry, la passion de naître. Méditations phénoménologiques sur la naissance (Paris, 2009); id., Naissance mystique et divinisation chez Maître Eckhart et Michel Henry (Paris, 2015), sowie Karl Heinz Witte, »Von Straßburg nach Köln: Die Entwicklung der Gottesgeburtslehre Eckharts in den Kölner Predigten«, in: A. Quero-Sánchez und G. Steer (Hgg.), Meister Eckharts Straßburger Jahrzehnt (Stuttgart, 2008) (MEJb 2), 65-94.

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gesellschaftliche, anthropologische, psychologische wie theologische Erklären von empirischem Bedürfen in seiner reinen Passibilität als bloß naturalem Leben scheitert mithin an unserem prinzipiell re-flektiven Nichtwissen hinsichtlich eines metaphysisch repräsentierten ›Gebers‹, da die passive Empfänglichkeit des Lebens v o r der nominalisierenden Konstitution durch das Ich stattfindet. Die Begrenzung der herkömmlichen ›Ursprungstheorien‹ in ihrem Scheitern zur Beschreibung immanenter ›Menschwerdung‹ als zunächst rein i n n e r e r Pr a x i s ist ihnen von daher strukturell eingeschrieben. Denn jede Entstehung und Vermittlung von Wissen, jede Wort-Offenbarung, jede Identifizierung des sich-gebenden Ursprungs setzt seine ›Verborgenheit‹ als Sich-selbstVergessen im radikalen Sinne voraus. 1. Der phänomenologische Ort der Geburt Wie Marcel Mauss, Claude Bruaire, Jacques Derrida, Michel Henry und Jean-Luc Marion besonders gezeigt haben, verwirrt die ontische Habenskategorie als Subsistenz (Vorhandenheit) ohne entsprechende radikale Reduktion eine Phänomenologie des Sichgebens ebenso wie das tief verankerte Missverständnis ethischer oder gesellschaftlicher Konvention einer ›Rückgabe‹ unter Form irgendeines berechenbaren Austausches naturaler oder symbolischer Natur. Der ›Austausch‹ im rein phänomenologischen Pathos des Bedürfens als ständigem S i c h b e d ü r f e n des Lebens in dessen immanenter Selbstzeugung besteht nämlich nicht darin, sich seiner Individualität oder Selbstheit zu entledigen, um die eigene pathische Substantialität außerhalb seiner selbst zu verlagern. Vielmehr existiert der aus dem Leben als Begehren erwachende ›Austausch‹ in der unmittelbar gelebten Gewissheit des unerschütterlichen Selbstvollzugs des Lebens als Unbesiegbarkeit seines immemorialen Ursprungs, da in jedem Augenblick, in dem Leben ›sich‹ lebt, keinerlei Zweifel an dieser Wirklichkeit möglich ist, was genau unser vorstellungsfreies Gefühl ausmacht, i m Leben ›zu sein‹. Eine Rückgabe dieser absolut phänomenologischen ›Gabe‹, und dies eben auch im Hinblick auf Fragen des ›Gebers‹ im religiösen und ethischen Sinne,3 ist unmöglich, weil wir niemals der 3. Vgl. Marcel Mauss, »Essai sur le don: Forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques«, in: L'Année sociologique (Nouvelle Série) 1 (1923-1924), 30-186 (Nachdr. in: Id., Sociologie et anthropologie [Paris, 1950; 51993], 145-279); Jacques Derrida, Donner le temps, 1: La fausse monnaie

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Lebensursprung selber sind und außerdem jede onto-theologische Spekulation darüber sich einem Wissen vor-stellender Identität betreffs dieses originären Sichgebens entzieht.4 Insofern gälte bereits hier der Satz, dass wir die absolute Quelle des Lebens als transzendentalen Ort unserer Geburt nur würdigen können, indem wir allein p r a k t i s c h aus ihr heraus ›leben‹, was wiederum keine existentielle Haltung oder Wahrheit bedeutet, sondern eine innere Notwendigkeit dieses Lebens selbst, sofern dessen Pathos eine permanent innere ›Wiederholung‹ impliziert, das heißt s t ä n d i g e s S i c h b e d ü r f e n des Lebens, um zu leben. Daher ist dieser Bezug zum Leben als Ursprung im apodiktischen Sinne auch nicht auf irgendeine Weisung oder Norm zurückzuführen, die wiederum nur einer geschichtlichen Sprache dieser Welt entlehnt sein könnte und daher stets später als das originär affektive ›Wort des Lebens‹ spricht, wie dies auch mit Meister Eckhart verstanden werden soll.5 (Paris, 1991) (deutsche Übersetzung von A. Knop und M. Wetzel: Falschgeld: Zeit geben I [München, 1993]); Jean-Luc Marion, Étant donné: Essai d’une phénoménologie de la donation (Paris, 1997; ²1998), 103-15. 4. Hierin ist auch die Eckhartsche ›Dialektik‹ von ›Wollen‹ und ›Lassen‹ impliziert; vgl. etwa Markus Enders, »Die Reden der Unterweisung: Eine Lehre vom richtigen Leben durch einen guten und vollkommenen Willen«, in: K. Jacobi (Hg.), Meister Eckhart: Lebensstationen – Redesituationen (Berlin, 1997), 69-92 (Nachdr. in: M. Enders, Gelassenheit und Abgeschiedenheit: Studien zur deutschen Mystik [Hamburg, 2008], 49-75). 5. Siehe zur internationalen Diskussion bereits: Rolf Kühn und Sébastien Laoureux (Hgg.), Meister Eckhart – Erkenntnis und Mystik des Lebens: Forschungsbeiträge der Lebensphänomenologie (Freiburg i.Br./München, 2008), darin im Teil I (11-78) die übersetzten Kapitel Michel Henrys über Meister Eckhart, wie sie ursprünglich in seinem frühen Hauptwerk, L’essence de la manifestation (Diss., Paris, 1962; erschienen Paris, 1963 [2 Bde.]; ²1990 [in einem Bd.]), enthalten sind: § 39: Eckhart (Bd. 1, 385-407) (deutsch: Die innere Struktur der Immanenz und das Problem ihres Verständnisses als Offenbarung: Eckhart, in: R. Kühn und S. Laoureux, Meister Eckhart [2008], 13-33); § 40: La présupposition ontologique fondamentale de la pensée d’Eckhart et l’essence originelle du Logos (Bd. 1, 407-18) (deutsch: Die ontologische Grundvoraussetzung des Eckhartschen Denkens und das Ursprungswesen des Logos, in: R. Kühn und S. Laoureux, Meister Eckhart [2008], 34-45); § 49: La signification ontologique de la critique de la connaissance chez Eckhart (Bd. 2, 532-49) (deutsch: Die ontologische Bedeutung der Kritik der Erkenntnis bei Meister Eckhart, in: R. Kühn und S. Laoureux, Meister Eckhart [2008], 46-61); § 50: Le non-visage de l’essence (Bd. 2, 549-56) (deutsch: Das Nicht-Gesicht des Wesens, in: R .Kühn und S. Laoureux, Meister Eckhart [2008], 62-3 [Teilübersetzung]). Vgl. noch Michel Henry, »Acheminement vers la question de Dieu: preuve de l’être ou épreuve de la vie«, in: Archivio di Filosofia 58 (1990) (= L’argomento ontologico), 521-31 (deutsch: »Hinführung zur Gottesfrage: Seinsbeweis oder Lebenserweis?«, in: Id., Radikale Lebensphänomenologie: Ausgewählte Studien zur Phänomenologie, hg. und übersetzt von R. Kühn (Freiburg i.Br./München, 1992), 251-73; id., »Hinführung zur Gottesfrage: Seinsbeweis oder Lebenserprobung?«, in: R. Kühn und S. Laoureux, Meister Eckhart [2008], 64-78). – Wir lesen mithin Eckhart hier im Sinne eines E i n h e i t s d e n k e n s , worin R e d u k t i o n und I m m a n e n z als (praktische) Identität von G o t t h e i t (Grund) und Seele (Mich) notwendig zusammenfallen. Damit ist keine Substitution von historisch-exegetischer Forschung beabsichtigt, sondern nur die Möglichkeit von Parallelen zwischen seinem Denken

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Vielmehr impliziert der passible Empfang absoluten Bedürfens hinsichtlich einer unmöglichen Selbstsetzung durch uns selbst den unzerbrechlichen Grund der sich pathisch begehrenden Lebensbedürftigkeit als deren Weiterzeugung zu j e d e m Augenblick. Psychologische Reflexion, philosophisches Selbstbewusstsein sowie ethische Selbstvergewisserung in den verschiedenen personalen Akten haben jeweils in dieser selbstaffektiv autarken Bewegung von Empfang/Lebenswiederholung ihren sie phänomenalisierenden Grund. Kein ›Versammeln‹ aus irgendeinem Seins- oder Erinnerungsgedächtnis führte zu einem Wissen des Ursprungs, der absolut immemorial – und somit vergessen und abyssal – bleibt, weil bereits jedes Versammeln schon wieder lebendige ›Kraft‹ zu solcher Wiederholung voraussetzt. Anerkennung und Verneinen eines Gottes, Gebers oder Seinsinnes einschließlich der ereignishaften Kontingenz solcher Gabe setzen immer schon Ve r m i t t l u n g e n von Denken, Geschichte und Existenz voraus. Deshalb ist das rein phänomenologisch gegebene Bedürfen in seinem affektiv immanenten Pathos sowohl meta-historisch wie meta-empirisch, das heißt eben urfaktische Passibilität, und Hoffnung sowie mögliche Verzweiflung hierüber ändern nichts an dem unhintergehbar prinzipiellen Nichtwissen oder an der Unsichtbarkeit solch originären Lebens. Auch unsere ekstatische Eröffnung im Sinne der klassischen Phänomenologie (Husserl, Heidegger, Scheler etc.) auf eine Welt zu bleibt von der immanenten Bedürfenspassibilität in deren älterer Originarität gegründet und immanent ›begleitet‹, so dass jede existentielle Logik von Gabe und Lebensaustausch sowie Anerkennung, Leiden, Freude, Not und ephemerer Gewinn in ihrer subjektiven Gewissheit, nur ›messbar‹ ist dank der selbstaffektiv erprobten Lebensgabe in ihrer inneren Weiterbezeugung als unserer stets fortgezeugten transzendentalen Geburt. In der Reziprozität von Lebensabsolutheit und lebendigem Sichgeben als P h ä n o m e n a l i s i e r u n g schlechthin tritt also auf dieser immanent pathischen Ebene keine ›Andersheit‹ im Weltsinne auf, die nicht das ›Selbe‹ wäre: nämlich rein phänomenologisches Leben als Sichbegehren in seinem Selbstbedürfen, um ›zu sein‹. Die ›Gabe des Seins‹ als ›Sein der Gabe‹ bleibt in allem eine Gabe mit dem ihr inhärenten Eigenwesen des Sichgebens, wie sie und neuerer Phänomenologie aufgewiesen; allerdings im Sinne einer Kierkegaardschen ›geistigen Akkustik‹, welche eine ›Gleichzeitigkeit‹ im Geschichtlichen selbst zulässt; vgl. Søren Kierkegaard, Einübung ins Christentum (Ges. Werke 26) (Düsseldorf, 41971), 61f. und 87f.

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als innere ›Erste Praxis‹ anstelle einer metaphysisch überlieferten ›Ersten Philosophie‹ hier verstanden werden soll.6 Diese Beständigkeit als Kohärenz der Gabe bedeutet in ihrer selbstaffektiven Univozität, dass sie weder genommen, verringert noch verändert werden kann, und sich auch nicht erst im ›Hervorbrechen‹ der ekstatischen Weltmanifestation als Gegebenheit gibt. Als Gabe eines absolut phänomenologischen Sichgebens besitzt sie eine vorgängige Apodiktizität, die im Absoluten des Lebens selbst gründet, das sich nur auf diese originär praktische Weise als seine Ip s e i t ä t zu verwesentlichen vermag. Die Ipseität des Lebens ist sein Sich-Offenbaren an sich selbst in der phänomenologisch materialen Bestimmtheit eines je individuierten Sich, welches in seiner Zeugung oder Empfänglichkeit ›Selbsterleiden‹ des Lebens ist und damit die Gabe dieses Sichgebens als Passibilität umschließt, die dem Leben mithin als solchem zukommt. Dies unterscheidet unsere transzendentale Geburt von allen mundanen Akten, wo eben der Sinn niemals den Akt anschauend erfüllt bzw. die Intentionalität nicht alle potentiellen Horizonte ausschöpft, sondern nur Anstoß zu deren unendlicher Modalisierung ist, wie Husserl als unverzichtbares Erbe für alle weitere Philosophie gezeigt hat, um dadurch gerade aber auch eine Phänomenologie der sich selbst offenbarenden inneren oder lebendigen Praxis offen zu lassen, wie sie hier originär zu erkunden bleibt. Ist somit die ›ontodologische‹ Wesenseidetik eindeutig S i c h g e b e n als ›Verneinung zu verneinen‹,7 dann bestimmt dieses Erscheinensgesetz die letzte, konkrete Möglichkeit des Realen, sofern 6. Vgl. auch den Text von Jean-Luc Marion, gedruckt in der deutschen Übersetzung von S. Sandherr und J. Wohlmuth: Jean-Luc Marion, »Eine andere ›Erste Philosophie‹ und die Frage der Gegebenheit«, in: Ruf und Gabe: Zum Verhältnis von Phänomenologie und Theologie (Bonn, 2000) (Kleine Bonner Theologische Reihe, hg. vom Professorenkollegium der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät), 13-34 (Nachdr. in: M. Gabel und H. Joas [Hgg.], Von der Ursprünglichkeit der Gabe: Jean-Luc Marions Phänomenologie in der Diskussion [Freiburg i.Br./München, 2007], 56-77); Rolf Kühn, Geburt in Gott: Religion, Metaphysik, Mystik und Phänomenologie (Freiburg i.Br./München, 2003), 202-12; Andrés Quero-Sánchez, Sein als Freiheit: Die idealistische Metaphysik Meister Eckharts und Johann Gottlieb Fichtes (Freiburg i.Br./München, 2004); Pierre Gire, Maître Eckhart et la métaphysique de l’Exode (Paris, 2006). 7. Claude Bruaire, L’être et l’esprit (Paris, 1983), 63-4. Dies entspricht dem Denken Meister Eckharts zum Beispiel in Pr. 27 (DW II 52,2-3): diu eigenschaft des vaters, daz er gebirt, daz enist niht anders wan got; wan ich hân gesprochen, daz er im selber niht behalten enhât (»Die Eigenheit des Vaters, zu gebären, ist nichts anderes als Gott; ich aber habe ja doch gesagt, dass er sich selbst nichts zurückbehalten hat«). Über die dabei implizierte Rücknahme der je spezifisch personalen ›Eigenschaften‹ von Vater und Sohn als ›Gebären‹ und ›Gezeugtsein‹ vgl. K. H. Witte, »Von Straßburg nach Köln« (2008), 69-72.

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damit die unwiderruflich ›ewige‹ Geburt in der Transzendentalität des pathisch affektiven Sichübereignens und Empfangens in ein und derselben Passibilität gemeint ist. Mein Bedürfen als immanent begehrendes Lebendigsein, das in seine bloß formalisierte Notwendigkeit und projekthafte Identitätssuche verkehrt wird, sobald das Denken in der Verwaltung von Sinn und Bedeutung nur an analytischen Urteilen interessiert ist, kann daher auch nicht die Rolle eines zum hermeneutischen Universalprinzip erhobenen Seinsverstehens übernehmen, weil es dann nur apriorisch d e d u k t i v wäre, anstatt originär a p o d i k t i s c h oder r e e l l zu sein. Dieses Bedürfen unter Ausschluss jeder Weltthesis ist im unmittelbarsten ›gegen-reduktiven‹ Sinne die praktische Selbst-Offenbarwerdung des je ipseisiert geborenen Lebens im ›gottheitlichen‹ Leben und zwar als unthematisch gegebene Gabe einer Präsenz, die in einem Selbst- und Lebensgewissheit ist. Der Begriff der rein phänomenologischen Pa s s i b i l i t ä t besagt daher in unserem Zusammenhang prinzipiell S i c h - E r t r a g e n - Mü s s e n vor jedem, in benennbares Leiden umschlagenden Bedürfen. Das reine Sichbedürfen des Lebens als Weise meiner passiblen Geburt impliziert anders gesagt seine eidetische Passibilität, welche impressional gesehen unser s i c h -empfindendes Fleisch als solches in der Lebensgeburt und durch diese ist. In Bezug auf Eckhart gesprochen, machen wir also ernst damit, dass dieser das Gott-Seele-Verhältnis aus jeglicher Transzendenz nicht nur als Schöpfungsrelation, sondern auch als ›Sein‹ herauslöst, um in der ›gottheitlichen Geburt‹ den reinen ›Selbstgenuss‹ Gottes zum Wesen des zeitlos lebendigen Selbsterscheinens vor aller Denkkategorialität zu erlauben, welches von unserem praktischen Sich-Empfinden nicht verschieden ist, da reines Leben und Selbstliebe Gottes in e i n s fallen.8 Damit dürfte in phänomenologischer wie Eckhartscher Hinsicht grundsätzliche Verständigung darüber geschaffen sein, dass der pathische Status des Bedürfens und des daraus modal gezeugten Begehrens in der praktisch phänomenologischen Wahrheit des Sichgebens, das seine Erfüllung ist, im Bereich der apodiktischen Transzendentalität des absoluten Lebens aufzusuchen ist, und zwar so, dass eine solche ›Bedürfensphänomenologie‹ noch diesseits einer ›materialen Hyletik‹ im Husserlschen 8. Vgl. hierzu auch Karl Heinz Witte, »Meister Eckharts Philosophie des Innen. Zur ›Enthöhung‹ der Transzendenz«, in: R. Kühn und S. Laoureux, Meister Eckhart (2008), 258-87.

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Sinne eine notwendige Weiterführung der immanenten Lebensanalyse als ›fleischliche‹ Passibilität bedeutet.9 Denn die Selbstzeugung des Lebens als ›Prozess‹ des Sichgebens ist eine autarke Bewegung, durch die das Leben nicht aufhört, selbstgebend in sich ankünftig zu werden, um sich auf diese pathische Weise darin selbst als sich gebende Gabe zu erfahren, wobei die universal phänomenologische Eigenschaft dieser Bewegung darin besteht, dass diese passibel sich an sich selbst gebende Gabe in ihrer impressionalen Konkretheit ›Erfüllung‹ ohne mundane Begrenzung darstellt. Denn im begehrenden M e h r des lebensbedürftigen Sehens, Hörens, Empfindens, Denkens etc. bleibt solches Leben originär stets Verlangen nach sich selbst, um alles zu erfahren und zu erproben, was ihm als fleischliches Erfahren-können transzendental überhaupt möglich ist, weshalb der ›Griff des Lebens‹ in jedem sinnlichen Vorgang auch nicht im Vorhinein von seinem kontingenten Inhalt her zu begrenzen ist.10 Auf dieser verlebendigenden Grundlage wird die Welt, wird ›kulturelles Sein‹ zu einer ebenfalls ständigen Gabe, in der sich das sich-gebende Leben praktisch weitergibt, um in jedem ergriffenen Weltgehalt die immanente Gabe des Gebens zu bilden – zu je größerer Betrachtung, zu mehr Freude, zur verfeinerten Empfänglichkeit, auch wenn damit Schmerz bis zur Unerträglichkeit nicht ausgeschaltet ist, weil er zum Eigenpathos des Lebens im Sinne der ipseisierten Passibilität als solcher gehört.11 9. Für den Begriff dieser M a t e r i a l i t ä t im Sinne der G e g e n - R e d u k t i o n des selbstaffektiven Lebens vgl. Michel Henry, Phénoménologie matérielle (Paris, 1990), 61-136: „La méthode phénoménologique“ (deutsche Übersetzung „Die phänomenologische Methode“ von R. Kühn, in: Radikale Lebensphänomenologie [1992], 63-186, hier 149-68; Michel Henry, Incarnation: une philosophie de la chair (Paris, 2000), 35-134 (deutsche Übersetzung von R. Kühn, Inkarnation: Eine Philosophie des Fleisches (Freiburg i.Br./München, 2002), 43-148. 10. Dies ließe sich durchaus mit Eckharts Gedanken von der ›Zielbewegung‹ als ›Ruhenwollen des Vaters‹ in sich selbst parallelisieren, ohne damit die göttliche Einheit und Gleichheit mit dem Anfang in Frage stellen zu müssen; vgl. etwa Eckhart, Pr. 60 (DW III 13,5-14,1): Niht aleine suochet der schepfer sîne eigene ruowe, daz er sie ûz im entworfen hât und gebildet an allen crêatûren, sunder, daz er alle crêatûren mit im ziehe wider in irn êrsten ursprunc, daz ist: ruowe (»Nicht allein sucht der Schöpfer seine eigene Ruhe damit, dass er sie aus sich herausgestellt und allen Kreaturen angebildet hat, sondern er sucht zugleich, alle Kreaturen mit sich wieder in ihren ersten Ursprung, das ist in die Ruhe, zurückzuziehen«). Vgl. dazu auch Hiroshi Tomita, »Ruhe in Gott – Trinitarische Selbstliebe bei Meister Eckhart«, in: R. Kühn und S. Laoureux, Meister Eckhart (2008), 213-31. 11. Da wir im Rahmen dieses Beitrags nicht des Näheren auf die ›ethischen Folgerungen‹ eingehen können, sei auf unsere größere Veröffentlichung: Rolf Kühn, Subjektive Praxis und Geschichte: Phänomenologie politischer Aktualität (Freiburg i.Br./München, 2008), verwiesen, wodurch sich auch aufweisbare Bezüge zwischen Eckhart, Maine de Biran und Marx ergeben – nämlich gerade hinsichtlich der ›Tätigkeit‹ als rein ›subjektiven Tuns‹ oder ›ohne Warum‹, mithin für eine Phänomenologie der neu zu fassenden K u l t u r. Insofern Eckhart für Michel Henry jener

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›Aktives‹ und ›passives Ich‹ sind dabei hinsichtlich ihrer vermögenden Transzendentalität auch nicht als ein Mehr oder Minder bzw. sogar als etwas Gegensätzliches zu bewerten, denn auch das ›passive Ich‹ – wie etwa in der Husserlschen ›Urassoziation‹ als nicht-spontanes, vor-prädikatives Ich12 – bleibt als gegen-reduktives ›Mich‹ der Lebenspassibilität ein affektiv transzendentales ›Ego‹, indem es sich in jedem seiner Vermögen zunächst ergreift, die es auf der Weise der unmittelbaren Selbsterprobung durchziehen, selbst wenn diese radikalisierte Passibilität auch keine Erkenntnis im ekstatischen und apperzeptiv ego-logischen Sinne mehr zulässt. Hebt das originär gezeugte ›Mich‹ das konstituierende Ich als Phänomenalisierungsprimat auf, dann kann auch die Egologie im klassischen Sinne nur noch eine sekundäre Rolle beanspruchen, weil die phänomenologische Initiative innerhalb der Selbstgebung allein dem transzendentalen Leben zukommt, welches der unverrückbare ›Ort‹ meiner Geburt ist und daher in seiner radikalen Passibilität allem wachen Ichsagen vorhergeht. Die Selbstergreifung jedes Vermögens als bereits modalisiertes Begehren aus dem reinen Lebensbedürfen heraus ist dann gleichzeitig das ›von Anfang an‹ empfundene Lebenswissen (1 Joh 1,1) des fleischlichen ›Ich kann‹, welches nicht thematisiert sein muss, um vollzogen werden zu können, wie das unreflektierte Mitfungieren der nie abwesenden Leiblichkeit zeigt, weshalb eben solch praktisches Lebenswissen mit der schon genannten subjektiven Urleiblichkeit (Fleisch) letzten Endes zusammenfällt. Die eindeutige Parallele zu Eckhart findet sich etwa in Predigt 52: Dô ich stuont in mîner êrsten sache, dô enhâte ich keinen got, und dô was ich sache mîn selbes; dô enwolte ich niht, noch enbegerte ›außergewöhnliche Denker‹ ist, welcher die monistische Tradition des Transzendenzdenkens durchbrach, gilt dies nicht nur für eine Neubestimmung von ›Sein‹ und ›Vernunft‹, sondern auch für die Bewertung des Handelns, welches zunächst i m m a n e n t ist, bevor es im Außen sichtbar wird. Vgl. insgesamt Natalie Depraz, »En quête d’une métaphysique phénoménologique: la référence henryenne à Maître Eckhart«, in: A. David und J. Greisch (Hgg.), Michel Henry, L’épreuve de la vie: Actes du Colloque de Cerisy 1996 (Paris, 2001), 255-79 (deutsche Übersetzung: »Auf der Suche nach einer phänomenologischen Metaphysik: Der Bezug auf Meister Eckhart bei Michel Henry«, in: R. Kühn und S. Laoureux, Meister Eckhart (2008), 135-58); Gabrielle Dufour-Kowalska, Michel Henry, Passion et magnificence de la vie (Paris, 2003), 197-217 (Vertus chrétiennes et science de l’absolu: Maître Eckhart selon Michel Henry). 12. Vgl. Edmund Husserl, Analysen zur passiven Synthesis: Aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten 1918-1926, ed. M. Fleischer (Husserliana: Edmund Husserl, Gesammelte Werke, Bd. 11) (Den Haag, 1966), 117-22.

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ich niht, wan ich was ein ledic sîn und ein bekenner mîn selbes nâch gebrûchlîcher wârheit. (Als ich in meiner ersten Ursache stand, da hatte ich keinen Gott, und da war ich Ursache meiner selbst. Ich wollte nichts, ich begehrte nichts, denn ich war ein lediges Sein und ein Erkenner meiner selbst im Genuss der Wahrheit).13 Die Ausstattung des ›Ich kann‹ mit der Gebensrealität des pathisch affektiven ›Bewusstseins‹ als transzendentaler Selbstaffektion, die alle Vermögen s i c h -gebend ergreift, kann somit in strenger Hinsicht auch nicht mehr dem akt-polhaften Ich zugesprochen werden, sondern dieses originäre, von mir nicht gesetzte Können wurzelt genau in der Passibilität des empfänglichen M i c h , so dass die Analyse der transzendentalen Geburt zugleich eine Kritik der klassisch phänomenologischen Transzendentalität als Intentionalität, Streben oder Tendenz impliziert, wie sie auch bei Meister Eckart zentral hinterfragt wird: Dv´ solt in minnen, als er ist Ein nit-got, Ein nit-geist, Ein nit-persone, Ein nu´t-bilde, Mer: als er ein luter pur clar Ein ist, gesvndert von aller zweiheite, vnd in dem einen sv´len wir ewiklich versinken von ite zv˚ nv´te (»Du sollst lieben, wie er ist ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine Nicht-Person, eine Nicht-Bild, mehr noch: wie er ein lauteres, reines, klares Eines ist, abgesondert von aller Zweiheit. Und in diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts«).14 Mit anderen Worten bildet das ›Ich kann‹ als ipseisierte, mundan sprachlose Urgewissheit, die in der geringsten 13. Eckhart, Pr. 52, ed. G. Steer, LE 1, 168-181, 172,1-3 (vgl. DW II 492,3-5). Anstelle von ›Genuss der Wahrheit‹ wird auch ›in einer Wahrheit des Brauchens‹ übersetzt (nâch gebrûchlîcher wârheit), um das ›Ich‹ dieses ›ledigen Seins‹ näher als ein nicht-intentionales Vo l l z u g s i c h zu bestimmen; vgl. Karl Heinz Witte, »Von der Psychologie des Lassens und Empfangens zu einer Ontologie der absoluten Präsenz. Entwicklungslinien von den frühen Traktaten zu den späten Predigten Meister Eckharts«, in: R. K. Weigand und R. D. Schiewer (Hgg.), Meister Eckhart und Augustinus (Stuttgart, 2011) (MEJb 3), 136-94, hier 181, Anm. 185. Denn die von uns herausgearbeitete lebensphänomenologische ›Erste Praxis‹ ist in der Tat ein sich ›selbstgenießendes‹ (selbstaffektives) Bedürfen (auto-jouissance) oder ›Brauchen‹ vor aller Transzedenzverwiesenheit, wie letztere auch der ›Gottheit‹ Eckharts nicht zukommt. Allerdings bleiben die Bestimmungen über eine originäre L e i b l i c h k e i t (›Fleisch‹ im Sinne von Joh 1,14) bei Eckhart weitgehend unbestimmt und bilden sicher ein Desiderat der Forschung, wie uns scheint. Ein Anfangspunkt böte etwa Eckharts Pr. 69 (DW III 172,3-4): Nie deheinen menschen engedurste sô sêre, der im trinken gæbe, er enbegerte sîn niht, und enwære etwaz gotes dar inne niht (»Nie kann es einen Menschen noch so sehr dürsten, der, wenn man ihm zu trinken böte, dennoch nicht danach begehrte, wenn nicht etwas von Gott darin wäre«). Denn dies lässt sich nicht nur auf das Verhältnis von Gottes Sein/kreatürlichem Sein (Bild) beziehen, sondern eben auch auf die ›Gegebenheit‹ Gottes/der Gottheit ›im Begehren‹. 14. Id., Pr. 83 (DW III 448,7-9).

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Kinästhese als fleischliche Bewegtheit schon beheimatet ist, keine syn-thetische Aussage über ein bereits ›vorhandenes Ich‹ mit diesem dann irgendwie hinzukommenden Vermögen, sondern es drückt das praktische Ursprungskönnen des Lebens selbst aus, welches absolutes Sichgeben ohne jede aufweisbare ›Verausgabung‹ bleibt, wie sie die neuere, textfixierte ›Dekonstruktion‹ festschreibt.15 In dieser transzendentalen Artikulierung von Mich/Ich als vermögendem ›Ego‹ ohne jeden reflexiven Selbstanspruch auf irgendwelche Konstitutionsvorleistungen zunächst vollendet sich die transzendentale Geburt meines absoluten Lebensbedürfens als der niemals ansichtig zu machenden Urstätte allen Werdens von Tun, Fühlen und Denken. Damit sind die notwendigen, radikal phänomenologischen Voraussetzungen der von uns vorgeschlagenen ›Ersten Praxis‹ skizziert, welche letztlich den Kern a l l e r W i r k l i c h k e i t bildet und zugleich mit dem Verständnis der ›Seelengeburt‹ als ›Gottesgeburt‹ bei Meister Eckhart zusammenfallen dürfte.16 2. Einheit von absolutem und geborenem Leben Da wir hier weniger den ›Übergang‹ von Mich/Ich in seinen lebensphänomenologischen Modalisierungen ausloten,17 als vielmehr diese transzendentale Geburt hinsichtlich einer möglichen Offenbarung der ›gottheitlich‹ immanenten ›Ersten Praxis‹ analysieren wollen, wird der phänomenologische Fortgang dementsprechend in zwei unterschiedliche Richtungen zu erfolgen haben: (1) Erstens ist die Urzeugung des Ego im pathischen ›Prozess‹ der Selbstaffektion des absoluten Lebens selbst zu fassen; (2) zweitens muss dann der umgekehrte Weg zurückgelegt werden, wie das Geborene sich zum Ungeborenen oder Ungeschaffenen verhält. 15. Vgl. Martina Wagner-Egelhaaf, »Lektüre(n) einer Differenz: Mystik und Dekonstruktion«, in: E. Jain und R. Margreiter (Hgg.), Probleme philosophischer Mystik: Festschrift für Karl Albert zum siebzigsten Geburtstag (Sankt Augustin, 1991), 335-52; Sébastien Laoureux, »Le pli: Approche du sens de l’immanence chez Maître Eckhart«, in: A. Dierkens und B. Beyer de Ryke (Hgg.), Maître Eckhart et Jan van Ruusbroec: Études sur la mystique ›rhéno-flamande‹ (XIIIe et XIVe siècle) (Brüssel, 2004), 187-202. 16. Vgl. hierzu auch Jean Reaidy, »Une relecture contemporaine de la naissance de Dieu dans l’âme par Michel Henry«, in: A.-M. Vannier (Hg.), La naissance de Dieu dans l’âme chez Eckhart et Nicolas de Cues (Paris, 2006), 159-81 (deutsche Übersetzung: »Die Geburt im Leben bei Meister Eckhart und Michel Henry«, in: R. Kühn und S. Laoureux (Hgg.), Meister Eckhart [2008], 159-85). 17. Vgl. hierzu besonders Rolf Kühn, Praxis der Phänomenologie: Einübungen ins Unvordenkliche (Freiburg i.Br./München, 2009), 165-93 (Kap. II.6: Vom Ich der Vorstellung zum lebendigen Mich).

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Mit anderen Worten mithin die Frage: Wie bezieht sich meine Ur g e b u r t auf die absolute A n f ä n g l i c h k e i t der Selbstzeugung des absoluten Lebens? Denn wie Eckhart sagt: si semper i n p r i n c i p i o , semper nascitur, semper generatur (»wenn es immer im Anfang ist, dann ist die Geburt immer, das Entstehen immer«).18 Ausschließlich der radikalen Phänomenalität eines solchen W i e gegenüber verpflichtet, verlässt eine solche Phänomenologie der transzendentalen Geburt dabei konsequent sowohl die sprachliche Vorherrschaft des Seins als ontologisch kopulative Letztreferenz bis in jedes ›Ist‹ hinein sowie auch die damit verbundene Kritik der ›Subjektivität‹, um sich allein der Passibilität der letzteren als immanent eidetischer ›Empfänglichkeit‹ zuzuwenden.19 Denn diese Subjektivität in der Geburt durch das Leben ist nicht das ›überwundene‹ substantialisierte Menschenwesen als animal rationale, so wenig wie die Ontologie dadurch zur fundamentalhermeneutischen Phänomenologie wird, indem sie »das Wesen [...] als das Gedächtnis im Ereignis enthüllt«.20 Denn Gedächtnis wie Ereignis und dessen ›Versammeln‹ setzen bereits eine Universalität des Seins voraus, an der eben auch nichtsinnliche Onta wie Stein und Wasser teilhaben, während rein phänomenologisches, das heißt subjektiv e m p f i n d e n d e s Leben in dessen s i c h gebendem Bedürfen nur pathisch ›Geborenen‹ zukommt, die wirklich sich ›erleidende‹ Lebendige sind.21 Geboren-werden (es sei denn nur metaphorisch für Stein, Wasser etc.) kann daher nicht dem Seinssinn als ›Ereignis‹ in dessen universal transzendenter Wahrheit entnommen werden, da kein Stein jemals Subjektivität oder Pathos im 18. Eckhart, In Ioh., n. 8 (LW III 9,1-2). 19. Dass selbst schon beim Aquinaten die S e i n s a n a l o g i e als Letztmaßstab für das We s e n Gottes nicht gilt, zeigt Jean-Luc Marion, »Saint Thomas d’Aquin et l’onto-théo-logie«, in: Revue Thomiste 95 (1995), 31-66. 20. Martin Heidegger, Das Wesen der Philosophie: unveröffentlichtes Manuskript (Jahresgabe der Martin-Heidegger-Gesellschaft 1987), 28; vgl. kritisch auch Gerard Visser, »Dasein und Gemüt: Heideggers Seinsfrage im Lichte der Grunderfahrung Meister Eckharts«, in: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 55 (2010), 99-110. 21. Insofern wir bewusst den Begriff ›pathisch‹ benutzen, der sich sowohl von ›pathetisch‹ wie ›pathologisch‹ abgrenzt, impliziert er im Zusammenhang mit einer absoluten Lebensgeburt den originären Sinn des ›Gott-Erleidens‹, wie Eckhart ihn von Dionysius Areopagita überliefert erhielt; vgl. etwa Eckhart, Pr. 52, ed. Steer, LE 1, 176,15-7 (vgl. DW II 501,1-4): Wan, vindet er den menschen alsô arm, sô ist got sîn selbes werk lîdende, und got ist ein eigen stat sîner werke mit dem, daz got ist ein würker in im selben (»Denn findet Gott den Menschen in dieser Armut, dann nimmt Gott sein Wirken in sich selbst auf; er ist die eigene Stätte seiner eigenen Werke, denn Gott ist ein Tätiger, der in sich selbst wirkt«) [Übersetzung Flasch].

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Sinne lebendig begehrenden Bedürfens ›sein‹ wird. Die bisher schon verfolgte Überführung der Ontologie in eine wirkliche Onto-do-logie erweist sich hier material phänomenologisch als eine umfassend durchgeführte (gegen-reduktive) Phänomenalisierung der Ontologie. Denn wenn das von Herbart eingeführte sowie von Husserl und Heidegger wiederholte Prinzip ›soviel Sein wie Erscheinen‹ phänomenologisch maßgeblich bleiben soll,22 dann entscheidet nur die konkrete Phänomenalität jedes Mal, was ›Sein‹ ist. Die sichtbare Ge-gebenheit des Seins entspricht niemals dem S i c h -geben der sich phänomenalisierenden ›Gabe‹ in der Lebendigkeit ihrer Selbstgebung, so dass das ›Sein‹ im ›Zum-Sein-Kommen‹ der transzendentalen Geburt nichts mit dem Zum-Sein-Kommen ›auf die Welt‹ gemeinsam hat, das heißt mit dem Hervorbrechen einer ekstatischen Manifestation in der ›Kluft‹ von Gebung/Gegebenheit bzw. im ›Ereignis‹ von Zeit/Sein. Über die Geburt des transzendental lebendigen Bedürfens als meines unaufhebbaren Erstpathos kann daher auch kein leerer Vor-Begriff des Seins wachen, um diesen dann existenzial aufzuklären, wozu eben das hermeneutische Versammeln des Gedächtnisses im Heideggerschen Ereignis dient. Die Dichotomie Geburt/Welt führt dementsprechend auf ihre Weise eine ›Destruktion‹ der abendländischen Ontologie durch, indem nämlich in einer von der Welt oder vom ›Außen‹ als Transzendenz beherrschten Phänomenalität ›geboren werden‹ allein heißen kann: ›auf die Welt kommen‹.23 Das Zum-Sein-Kommen als Auf-die-Welt-Kommen für lebendiges wie totes Sein impliziert folglich eine unaufgeklärte phänomenologische ›Gebung‹, die das lebendige Sichgeben der subjektiv affektiven Urphänomenalisierung als Bedürfen und Begehren unter dem 22. Vgl. Michel Henry, Phénoménologie de la vie, I: De la phénoménologie (Paris, 2003), 77-104 (Kap. IV: Quatre principes de la phénoménologie); id., „La méthode phénoménologique“ (Anm. 9) (deutsche Übersetzung von R. Kühn, in: Radikale Lebensphänomenologie [1992], 86-92). 23. Diesem letzten Sinn folgen außer Hannah Arendt ausschließlich auch Martin Heidegger, Sein und Zeit, ed. Fr.-W. von Herrmann, in: Gesamtausgabe, Bd. 2 (Frankfurt a.M., 1977), 493-5, und Maurice Merleau-Ponty, Phénoménologie de la perception (Paris, 1945), 294 (deutsche Übersetzung von R. Boehm: Phänomenologie der Wahrnehmung [Berlin, 1966], 296-7). Husserl kennt zwar den Begriff der ›transzendentalen Geburt‹, verwendet ihn aber ausschließlich in Bezug auf die hyletisch affektive Weltwerdung durch (vor-)ichliche Affektionen; vgl. Ms E III 9, 4, zitiert in: Nam-In Lee, Edmund Husserls Phänomenologie der Instinkte (Dordrecht/Boston/London, 1993), 164: »Meine transzendentale Geburt. Die angeborenen Instinkte – die wach werdenden Instinkte im Strömen der ›passiven‹, der ›ichlosen‹, der Urboden konstituierenden Zeitigung. Sie werden ›der Reihe nach wach‹, das sagt, von den im Urboden sich konstituierenden Einheiten gehen auf den Ichpol Affektionen aus«.

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m o n i s t i s c h e n Erscheinensbegriff des Sich-Zeigen-Müssens aller Phänomene subsumiert. Aber der absolute Ursprung als unsichtbares Wesen des lebendigen Sichgebens kann nicht ins Licht einer welthaften Manifestation treten. Mithin ist die Phänomenalität seines Geborenwerdens, das sich aufgrund seiner Passibilität außerhalb eines Vergleichs mit den Onta vollziehen muss, auch von jedem es bedingenden Bezug zum In-der-Welt-sein als ›Dasein‹ abzulösen, denn im letzteren ist die fundierende Verknüpfung mit dem Leben ausgelöscht. Im § 10 von Sein und Zeit wird die Analyse des Lebens auf die Behauptung zurückgeführt, Leben sei ›eine eigene Seinsart‹, die ›wesenhaft nur im Dasein zugänglich‹ wäre, womit Heidegger fundamentalontologisch seine frühen Untersuchungen zum ›faktischen Dasein‹ in einer mehr Diltheyschen Sicht der ›Lebenszusammenhänge‹ hinter sich lässt, um den Lebensbegriff durch den rein intentionalen S o r g e b e g r i f f zu ersetzen.24 Mit der zitierten Feststellung aus Sein und Zeit wird allerdings nicht nur die Kontingenz des Lebens behauptet, die seinem originären Eigenwesen im Unterschied zu anderen ontischen Seinsarten w i e Vorhandenheit, Zuhandenheit etc. keinerlei Rechnung trägt, sondern diese ›Kontingenz‹ des Lebens als Bedürfen und Begehren im bisher dargestellten Sinne müsste gerade einsichtig machen, wie das ›lebende Wesen‹, das heißt der transzendentale ›Mensch‹, als s i c h empfangende Subjektivität überhaupt lebendig wird. Denn genau dies ist der Sinn von ur-anfänglicher Geburt, auf solch apodiktische Weise zum Leben zu gelangen, dass durch solchen Zugang prinzipiell ein ›Sich‹ (Ipseität) generiert wird. Dies bedeutet mit Meister Eckhart, nunmehr an der unaufhebbaren Sich-Erfahrung des ›Lebens‹ (Gottheit) als unmittelbarster (›Ich‹-) Gewissheit des ›Mich‹ vorstellungslos teilzuhaben, da letztere in der Lebensgabe als ein und demselben Pathos des Sich-Selbst-Erleidens und Sich-Selbst-Erfreuens im Sinne transzendental effektiver Passibilität praktisch ›gewusst‹ wird. Denn zu leben heißt nicht primär, etwas Anderes zu empfinden, sondern im Sinne der ursprünglichen Passibilität sich selbst rein empfindend zu erproben (s’éprouver).25 Und diese Unmittelbarkeit des 24. Vgl. Leo Dümpelmann, »Leben als faktischer Vollzug – Zu Heideggers früher Freiburger Phänomenologie des Lebens«, in: Lebensethik (Freiburg a.Br./München, 2009) (Psycho-logik. Jahrbuch für Psychotherapie, Philosophie und Kultur 4), 80-97. 25. Vgl. für alle Facetten dieses Begriffs die Beiträge in: A. David und J. Greisch, Michel Henry (2001), sowie zuletzt: Studia Phaenomenologica 9 (2009): Michel Henry’s Radical Phenomenology.

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Sich-Empfindens als Sich-Erproben ist so einzig, dass nichts auf der Welt diese pathische Materialität (das heißt unser phänomenologisches Fleisch als ›Leib‹, wie es gerade das Bedürfen als solches offenbart) jemals wird aufheben können, da mit dem Verschwinden des absolut phänomenologischen Lebens auch das Wahrnehmen von Welt verschwände. Mit anderen Worten kann eine Ek-statisierung dieses unveräußerbaren Pathos, aus dem gegen-reduktiv jede impressionale Erfahrung als praktische cogitatio in ihrem phänomenologischen Eigenwesen besteht, nur die Zerstörung dieses Pathos bedeuten, sofern letzteres eidetisch verschwinden muss, sobald sich Welt zeigt. Die phänomenologische Heterogenität zwischen der je mundanen Gegebenheit als Phänomen und dem pathischen Selbsterscheinen als Erscheinensprinzip überhaupt, in dem sich das hier genannte Leben vollzieht, entspricht damit einer phänomenologischen D u p l i z i t ä t , die nicht von außen überbrückt werden kann, ohne jedoch einen letzten metaphysischen Dualismus zu bedeuten, denn das tiefere Wesen dieser Erscheinensdoppelheit ist selbstaffektive E i n h e i t , welche die Transzendenz trägt, ohne darin als einer ihrer thematischen Gehalte erscheinen zu müssen.26 Für die jeweils konkrete lebensphänomenologische Analyse bedeutet dies, dass in allen sichtbaren Vollzügen diese affektiv lebendige ›Kraft‹ der inneren Selbstphänomenalisierung ›beschrieben‹ werden kann, indem die immanenten Modalisierungen des Erscheinenden von der Gegen-Reduktion des Lebens her als dessen ›Hervorbringungen‹ apriorisch plausibel werden, ohne auf dieser Ebene zum horizonthaften Gegenstand des Denkens fixiert werden zu müssen. So lässt das Bedürfen unmittelbar rein p r a k t i s c h verstehen, was die phänomenologische Tragweite vom ›Vollzug des Lebens‹ sagen will. Denn auf den von Heidegger kritisch im Zusammenhang mit den ›Personenakten‹ gegenüber Scheler formulierten Einwand: »Aber welches ist der ontologische Sinn von ›vollziehen‹?«,27 bleibt genau zu antworten: S i c h - v o l l z i e h e n ist die pathisch bedürftige Selbstaffektion des Lebens in der gegen-reduktiv indizierbaren passiblen Rekurrenz einer Ipseität. Das heißt, die phänomenologische Materialität dieser ursprünglichen 26. Vgl. für diesen prinzipiellen Aufweis M. Henry, L’essence de la manifestation (1962/1963/1990), 165-72. Zur Diskussion dieses Immanenzdenkens auch Rolf Kühn, Leiblichkeit als Lebendigkeit: Michel Henrys Lebensphänomenologie absoluter Subjektivität als Affektivität (Freiburg i.Br./München, 1992), 68-75; zur Übereinstimmung mit der Eckhartschen ›Reduktion‹ (Loslösung) hinsichtlich ›Bildlosigkeit‹ und ›Nicht-Wissen‹ bereits ibid., 106-7. 27. Vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, ed. von Herrmann (1977), 64.

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Affektion (als Sich-geben des Lebens in sein eigenes Sich-Bedürfen hinein, von dessen Passibilität her es ständig als Kraft oder Selbstbewegtheit weiterlebt) ist ein unveräußerbares Pathos, wie hier gerade auch mit Eckhart im Sprechen vom ›(Nicht-)Wirken‹ der Gottheit verstanden werden kann.28 Mit anderen Worten handelt es sich um einen ›Prozess‹, in dem nicht selbstzeugend ›etwas‹ hervorgebracht wird, sondern in dem das Leben i n s i c h g e l a n g t , indem es sich von sich selbst her vollzieht oder ›ereignet‹, falls man von diesem letzteren Begriff die Heideggerschen Konnotationen abstreifen will. Daraus ergibt sich mit aller schon genannten Konsequenz für eine rein phänomenologisch anzusetzende ›Erste Praxis‹, d a s s e s z u m L e b e n k e i n e n a n d e r e n Z u g a n g g i b t , um zu leben, als zum Inneren dieser immanenten S e l b s t a f f e k t i o n s e l b s t z u g e h ö r e n u n d a u f d i e s e We i s e durch sie zu leben, das heißt in der Einheit der absoluten Selbstaffektion sowie ›meiner‹ Selbstaffektion als › M i c h ‹ .29 Diese originärste Übereinstimmung mit der Gebung des Lebens, indem ich sie rein passibel empfange, um aus diesem Leben im 28. Das unterschiedliche Sprechen bei Eckhart in Bezug auf ein ›Wirken‹ bzw. ›Nicht-Wirken‹ Gottes, was ebenso für die Begriffe ›Kraft‹ und ›Werk‹ gilt, betrifft den Übergang vom anfänglichen ›Loslassen‹ etwa in den Erfurter Reden zugunsten der späteren reinen ›Empfänglichkeit‹ in der ›Finsternis‹ der Gottheit, wo alle Seinsdifferenzierungen ausgeklammert sind; vgl. etwa Eckhart, Pr. 39 (DW II 253,4-5): wan die iht suochent in irn werken, die sint knehte und mietlinge, oder die umbe einic warumbe würkent. (»Denn diejenigen, die mit ihren Werken irgend etwas suchen, oder auch solche, die um eines Warum willen wirken, die sind Knechte und Mietlinge«); id., Pr. 109 (DW IV,2, 763,16764,17): Dô got den menschen gemachete, dô worhte er in der sêle sîn glîch werc, sîn würkendez werc unde sîn iemerwerndez werc (»Als Gott den Menschen machte, da wirkte er in der Seele sein (ihm) eigenes Werk, sein wirkendes Werk und sein immerwährendes Werk«) [=Pr. LVI (179,32f. Pfeiffer)]; id., Pr. 86 (DW III 485,11-3): Wan dar umbe sîn wir gesetzet in die zît, daz wir von zîtlîchem vernünftigen gewerbe gote næher und glîcher werden. (»Denn dazu sind wir in die Zeit gestellt, dass wir durch vernunfterhelltes ‚Gewerbe’ in der Zeit Gott näher und ähnlicher werden.«). Dies schließt aber nicht aus, dass die ursprüngliche Selbstaffektion in jeder ›Kraft‹ mit dem identisch ist, was Eckhart auch das ›Fünklein‹ oder ›Bürglein‹ in der Seele als die unmittelbare Gottesgeburt diesseits aller Wahrnehmung nennt. 29. Diese radikal phänomenologische Sichtweise könnte dazu verhelfen, die Schwierigkeiten einer bloß transzendentalen Ichkonstitution bzw. einer ethischen oder ›theonomen‹ Negation des Ich zugunsten der Gottesgeburt in der Eckhartforschung zu überwinden; vgl. Burkhard Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie, Univozität und Einheit (Hamburg, 1983), 116-7; Niklaus Largier, »Intellekttheorie, Hermeneutik und Allegorie: Subjekt und Subjektivität bei Meister Eckhart«, in: R. L. Fetz, R. Hagenbüchle und P. Schulz (Hgg.), Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität (Berlin/New York, 1998), Bd. 1, 460-86, hier 472-3; Otto Langer, »Meister Eckharts Konzept der ›armen Vernunft‹ – ein Korrektiv von Formen der Rationalität und der Spiritualität?«, in: J. Sánchez de Murillo und M. Thurner (Hgg.), Von der Wissenschaft zur Mystik (Stuttgart, 2009) (Aufgang: Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik 6), 146-67, insbesondere 155-7.

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verbalen Sinne heraus allein in absolut phänomenologischer Hinsicht zu leben, ist keiner Welterscheinung möglich, weil eine noetisch-noematische Bedeutung oder axiologische Vorstellung niemals mehr als den irreell repräsentierten Charakter des ›Lebendigen‹ in seinem objektivierten ekstatischen Gegenüber und dessen Variation erfassen kann, woraus das urimpressionale Cogito schon für immer verschwunden ist.30 Das Aufdie-Welt-Kommen des situativ erschlossenen Daseins in seiner zeitlich geschichtlichen ›Geworfenheit‹ enthält infolgedessen eine täuschende Nichtunterscheidung zwischen dem Leben des Lebens im verbalen Sinne und dessen mundaner Erscheinung, das heißt des empirischen Lebewesens mit seinen isolierbaren Vermögen und Funktionen, deren ›Seinsart‹ auf dem immanenten Lebenspathos als Selbstaffektion gründet – und nicht umgekehrt. Zumindest führt uns diese Problematik vor die eigentliche Ab-gründigkeit der transzendentalen Geburt, denn Geborenwerden scheint trotz des absoluten Anfangs einer solchen ›Geburt‹ noch ein vorausgesetztes ›Vorher‹ darin zu enthalten. Wir stießen schon auf diese phänomenologische Frage beim ontodologischen Verweis der Gabe auf einen möglichen impliziten ›Geber‹, der als metaphysische oder onto-theologische Instanz ein uneinholbarer ›Ursprung‹ bleibt – selbst im Versuch der Rückgabe, die ihrerseits immer schon das originär bleibende Geben voraussetzt, worin sich gerade im weiter modal vollziehenden Bedürfen die praktische Lebensselbstoffenbarung je konkretisiert. Denn das Bedürfen in seinem pathischen Wesen ist diese absolute Abkünftigkeit in deren ›Empfänglichkeit‹ als Passibilität selbst, sofern das Sichgeben des Lebens im Bedürfen das Sich-weiter-Bedürfen des Lebens selbst bildet, wodurch es sich als innere Selbstbewegtheit ›offenbart‹. Deshalb kann die Geburt aus der Sicht klassischer Phänomenologie auch ein Grenzphänomen oder ein ›absolutes Phänomen‹ genannt werden,31 denn in der präsumptiv 30. Vgl. M. Henry, Incarnation (2000), 115-21 (deutsche Übersetzung von R. Kühn, Inkarnation [2002], 129-37 [Kap. 14]). 31. Außer den oben, in der Anmerkung 2 genannten Arbeiten siehe auch M. Henry, De la phénoménologie (2003), 123-42 (Kap. VI: Phénoménologie de la naissance), wobei die Hauptthese von der Geburt im absoluten Leben in seinem Buch: C’est moi la vérité: Pour une philosophie du christianisme (Paris, 1996), insbesondere 46-70 (deutsche Übersetzung von R. Kühn: ›Ich bin die Wahrheit‹: Für eine Philosophie des Christentums [Freiburg i.Br./München, 1997] [Nachdr. 1999], insbesondere 51-78), weiter vertieft wurde. Siehe dazu auch Sébastien Laoureux, »De L’essence de la manifestation à C’est moi la vérité: La référence à Maître Eckhart dans la phénoménologie de Michel Henry«, in: Revue philosophique de Louvain 99 (2001), 220-53 (deutsche Übersetzung: »Von Das Wesen der

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intuitiven Erfahrung des Geboren-werdens wird auf ein ›Vorher‹ verwiesen, das nicht mehr unmittelbar intuitiv erlebbar ist und welches wir deshalb schon als prinzipiell phänomenologisches ›Vergessen‹ hervorhoben, sofern gegen-reduktiv aus jenem ›Vorher‹ auch jede horizonthafte Zeitlichkeit ausgeklammert werden muss, so wie auch Eckhart die Geburt in das zeitlose ›Nun der Ewigkeit‹ verlegt.32 Solche Urgeburt als absolutes oder eben gegen-reduktives Phänomen ohne jede Anschauungserfüllung, ohne reflektive Cogito-Abhängigkeit sowie ohne metaphysische Kausalnotwendigkeit – das heißt als reines Leben – ist jene ›Offenbarung‹, von der ur-anfänglichen Zeugung im Leben an für immer und je neu die Bestimmung des s i c h erfahrenden Lebendigen zu besitzen. Anders gesagt, rein praktisch für immer des Lebens bedürftig zu sein, um es zu leben, da es selbst nichts anderes vermag, als s i c h zu leben, und zwar aus dem eigenen Sichgeben an sich selbst heraus. Die Urgeburt im Leben als Zeugung aus diesem Leben heraus ist folglich als lebendig transzendentales Geschehen kein Schlusspunkt einer Bewegung, sondern der je absolut selbstaffektive Anfangspunkt im ›voraus liegenden‹ Wesen des Lebens – nämlich die Tatsache, vom zeitlosen Augenblick der mich-zeugenden Geburt an zu ›leben‹, und zwar i n a l l e m zu leben, was wir in unseren transzendentalen Leib- wie Geistvermögen empfindend, denkend und handelnd sind. Dieses unser unmittelbar lebendiges Urwissen als schon angesprochenes Lebenswissen mit seinem ›Können‹ des originären ›Menschen‹ ist als lebendiges Ego im Sinne einer radikal ›Ersten Praxis‹ zu verstehen. Aber nichts an diesem Ego, das wir daher in seinem Ursprung auch als passives M i c h in seiner prinzipiellen Lebenspassibilität definierten, ist in a u t o n o m e r Weise selbst originär, sondern seine Originarität (sowie die daraus sich ergebende singuläre Originalität) lebt permanent vom ewigen ›Voraus‹ des Wesens des Lebens, das in seiner Selbstbewegtheit als ewig ›gottheitlicher‹ Selbstparusie in diesem Zeugungsvorgang keinen Stillstand kennt: Dieses Leben gibt mithin stets Alles, ohne sich als dieses Alles irgendwie Erscheinung zu Ich bin die Wahrheit. Die Bezugnahme auf Meister Eckhart in der Phänomenologie Michel Henrys«, in: R. Kühn und S. Laoureux (Hgg.), Meister Eckhart [2008], 103-34). 32. Vgl. besonders die Predigt 43 (DW II 319,3-6): Alsô ist der sêle, diu geistlîche gebirt: dér geburt ist vil mê; in einem ieglîchen ougenblicke sô gebirt si. […] Got ist alle zît würkende in einem nû in êwicheit […] (»So auch steht es mit der Seele, die geistig gebiert: deren Geburt ist häufig; in jedem Augenblick gebiert sie. […] Gott wirkt allzeit in einem Nun in der Ewigkeit«).

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zu begrenzen, zu entleeren oder sonst wie zurückzuhalten, wie wir gerade auch mit Meister Eckhart sagen konnten. Aber ebenfalls ist ein Pantheismus hier ausgeschlossen, weil das Leben kein allgemein umfassendes Prinzip ist, in das alle Singularität diffundierend aufginge, sondern es zeugt sich vielmehr als ein je bestimmtes Sich.33 Der Zeugungsakt des lebendigen Ego als ›Mich‹ in seinem passiblen Lebensbedürfen entspricht folglich dem absoluten Selbstzeugungsvorgang des Lebens in dem ihm eigenen ewigen Sich-Selbst-Affizieren, in dess e n Vo l l z u g d i e s e s L e b e n s i c h i n s i c h s e l b s t › e r e i g n e t ‹ , und zwar so, dass es in dieser gleichsam wie gegen sich selbst erdrückten Selbsterprobung sich so über sich in sich selbst erfreut, dass es nichts anderes als diese ewige Selbstfreude in der ›sich genießenden‹ Autarkie seiner s e l b s t › i s t ‹ . Solches Leben in dieser reinsten Ursprungsphänomenalisierung existiert nirgendwo anders als im ›Durchbruch‹ in die abgeschiedene Gottheit, wie es deutlich Predigt 43 (Adolescens, tibi dico: surge) hervorhebt: Diu sêle gebirt ûzer ir got ûz got in got (»Die Seele gebiert aus sich Gott aus Gott in Gott«).34 Die Seele oder unser Leben hat daher keinerlei adäquaten Ort in der Welt, weder als Raum- noch als Zeitstelle, so wie auch Eckhart eben jede Form von Zeitlichkeit im Bereich der Gottesgeburt ausklammert. Vielmehr ist dieses absolute Leben seine eigene Selbstbewegtheit als lebendige Bewegung des Sich-insich-Ereignens, anders gesagt die rein innerpraktische Selbstbewegung 33. Vgl. auch die Diskussion bei Andrés Quero-Sánchez, »Das panentheistische Verständnis der ›Mystik‹. Meister Eckhart und Nikolaus von Kues über die Nichtigkeit des Bedingten«, in: J. Sánchez de Murillo und M. Thurner (Hgg.), Von der Wissenschaft zur Mystik (2009), 86-110. Diese grundlegende Studie zum Verständnis des esse est Deus und ego sum ›qui sum‹ scheint uns allerdings das Ve r h ä l t n i s v o n S e i n / L e b e n nur in seinem Verständnis vom aristotelischen Lebensbegriff abzugrenzen, ibid., 90-1, ohne auf die spätere Eckhartsche Um s t e l l u n g v o n S e i n u n d L e b e n zugunsten des letzteren einzugehen, welche sich als die reine Immanenzoffenbarung des Lebens ohne Sein als Horizont (›Finsternis‹) offenbart. Damit würde die ›Ausschließlichkeitsthese‹ des unbedingt ›ewigen Seins‹ insofern anders akzentuiert, als in der menschlichen ›Existenz‹ nicht nur der kreatürliche ›Abfall‹ (casus) vom allein in sich konsistenten Seins Gottes gegeben wäre (ibid., 103-7), sondern gerade die Ge-gebenheit des göttlichen Lebens in dieser Ek-sistenz selbst dank der in ihr zu Tage tretenden zweifachen Phänomenalisierung. Vgl. in diesem Sinne auch unsere Anm. 5 sowie weitere Hinweise über ›Das affektive Leben als grundloser Grund der Gabe‹ bei Martin Thurner, »Die Philosophie der Gabe bei Meister Eckhart und Nikolaus Cusanus«, in: Id. (Hg.), Nicolaus Cusanus zwischen Deutschland und Italien: Beiträge eines deutsch-italienischen Symposiums in der Villa Vigoni (Berlin, 2002), 153-84, hier 163-4. 34. Eckhart, Pr. 43 (DW II 328,10).

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des Lebens als die modal affektive oder material pathische ›Verzeitlichung‹ außerhalb jeder Weltzeit. Was so in der S e l b s t h i s t o r i a l i s i e r u n g der Selbstaffektion vor allen Zeitekstasen im reinen Sich-erfahren des Lebens im verbalen Sinne geboren wird, ist eine lebendige Ur - Ip s e i t ä t , denn die Erfahrung des Lebens ist nur als eine solche möglich, die dieses Leben ständig und ausschließlich mit sich selbst macht. Das lebendige Eigenwesen der rein immanenten Lebenserfahrung als Lebensselbsterprobung (épreuve) ist mithin identisch mit einem jeweils material konkreten Sich in der transzendentalen Geburt aus solcher Ur-Ipseität heraus. Wir vermeiden den Begriff des substantivierten ›Selbst‹ hierbei, um jede bewusstseinsphilosophische Konnotation im Sinne einer Re-flektion von Selbsterkenntnis für das absolute Sich des Lebens sowie für das darin passiv ipseisierte ›Ego‹ auszuschließen, die nicht mehr innerhalb der Vorstellung des klassischen ›Ich denke‹ fassbar sind, sondern nur – wie bei Meister Eckhart ebenfalls – von den Voraussetzungen einer radikal phänomenologischen Gegenreduktion aus.35 Wenn sich das absolute Leben als ein Sich-Selbst im Sinne jener Ur-Ipseität (mit hier nicht weiter diskutierten christologischen Implikationen) zeugt,36 dann ist ein solches Sich eben nur als ein bestimmt singuläres Sich möglich. Denn das pathische Sicherfahren der originären Passibilität als absoluter Lebensvollzug ist ein w i r k l i c h e r Vollzug, dessen Effektivität immer jene ›Erste Praxis‹ mit ihrer jeweilig eigenen Modalität ist, die als solche stets affektiv singulär ist. Genauer gesagt ist es nicht der je-einmalige ›Gehalt‹ des Sich-Selbst-Erfahrens, der das Sich (in) der Ur-Ipseität der Selbstaffektion dieses Sich-Erfahrens vereinzelt oder material konkretisiert. Vielmehr wird die Singularität zusammen mit dem Sich gezeugt, und zwar auf dieselbe Weise, weil Akt und Inhalt als Sich-Offenbaren zusammenfallen, so dass diese Singularität dem Sich prinzipiell zugehört und jeden ›Gehalt‹ (der auch immer ›von‹ einem 35. Für das Verständnis der ›spirituellen‹ Armut, Demut, Losgelöstheit etc. gerade als einer solchen phänomenologischen G e g e n - R e d u k t i o n vgl. M. Henry, L’essence de la manifestation (1962/1963/1990), § 39: Eckhart (Bd. 1, 385-407) (deutsch: Die innere Struktur der Immanenz und das Problem ihres Verständnisses als Offenbarung: Eckhart, in: R. Kühn und S. Laoureux Meister Eckhart [2008], 13-33). Über die möglichen p l o t i n i s c h e n Hintergründe einer solchen Konzeption des E i n e n und I c h s bei Meister Eckhart vgl. Werner Beierwaltes, Das wahre Selbst: Studien zu Plotins Begriff des Geistes und des Einen (Frankfurt a.M., 2001), insbesondere 37, 115 und 155-6. 36. Zum Eckhartschen Verhältnis von ›Menschheit‹ und ›Person‹ in Bezug auf die hypostatische Union Christi vgl. kurz O. Langer, »Meister Eckharts Konzept« (2009), 160-1.

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Sich dank seiner transzendentalen Geburt erfahren werden sollte) überhaupt affektiv vereinzelt bzw. singulär bestimmt. So wird verständlich, dass es kein a l l g e m e i n e s Bedürfen im Leben gibt, sondern es gibt stets nur ein je konkretes, individuiertes Bedürfen als Passibilität, so dass ›ich-selbst‹ in dieser Bedürftigkeit dieses je singuläre Sich ›bin‹, das als passible Ipseität des ›Mich‹ in der Selbstzeugung des absoluten Lebens selbst zum Leben gelangt. Ich bin nichts anderes, wie Meister Eckhart treffend das radikal phänomenologische Verständnis hiervon bestätigt, wenn er sagt: ›Das Leben gebiert sich als mich‹. Die generatio des singulären Sich, das ich selbst als ›Mich‹ bin, und zwar indem ich innerhalb des absoluten Lebens sowie aus diesem heraus rein lebe, ist meine transzendentale Geburt: ›Ich‹ bin ganz dieses ›mein‹ Leben als mein unverwechselbares Bedürfen, das heißt, ich bin aus diesem Leben und als dieses Leben im Sich-Bedürfen des Lebens, um ein solch lebendig singuläres Sich zu bleiben. Im Sinne der ›Ersten Praxis‹ gesagt: Ich bin mein Bedürfen zu leben, weil das ewige oder ›gottheitliche‹ Leben mich als lebendiges Sich-Bedürfen aus und in seinem Leben absolut selbstaffektiv gebiert.37 Die Stätte der transzendentalen Geburt als Leben ist mithin nicht die ekstatische Weltverortung, sondern die lebendige Singularität als ›Je-Meinigkeit‹, als pathisch selbstaffektive Subjektivität, da sich solche allein absolut phänomenologisch aufgrund ihrer Lebensrezeptivität in der Passibilität des impressionalen Fleisches empfinden kann. Wenn folglich meine generatio als singuläres Sich nur in der Selbstzeugung des absoluten Lebens möglich ist, und zwar als eine effektive ›Leistung‹ derselben im transzendental phänomenologischen Sinne, dann sind diese beiden generierenden Vorgänge nicht nur voneinander nicht trennbar, sondern sie sind e i n s : Das singuläre Sich, das ich als ›Mich‹ zunächst bin, ›wird‹ nur zu einem solchem, das heißt, es gelangt nur zu sich selbst im Sich-Ereignen des absoluten Lebens in sich – innerhalb 37. Vgl. Eckhart, Pr. 6 (DW I 109,9-10): er gebirt mich sich und sich mich (»Er gebiert mich als sich und sich als mich«). Für diese Eckhart-Lektüre vgl. M. Henry, »Acheminement vers la question de Dieu« (1990); id., C’est moi la vérité (1996), 132-3 (deutsche Übersetzung: ›Ich bin die Wahrheit‹ [1997/ 1999], 147-8). Entsprechend gelten auch Eckharts Aussagen von der Einheit zwischen ›Seele‹ und ›Grund‹ bzw. ›Leben Gottes‹; vgl. Eckhart, Pr. 6 (DW I 106,1-3): Gotes wesen ist mîn leben. Ist mîn leben gotes wesen, sô muoz daz gotes sîn mîn sîn und gotes isticheit mîn isticheit, noch minner noch mêr (»Gottes Sein ist mein Leben. Ist denn mein Leben Gottes Sein, so muss Gottes Sein mein sein und Gottes Wesenheit meine Wesenheit, nicht weniger und nicht mehr«).

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des In-sich-selbst-Kommens dieses ewigen Selbstzeugungsprozesses des Lebens. Das Bedürfen als praktische Lebensgrundmodalität dieses singulär passiven Sich/Mich, das im absoluten Leben geboren wird, trägt auf diese Weise für immer als seine transzendentale Bedingung dieses absolute Leben als seine Bedingung in sich. Bedürfen ist mithin rein lebensphänomenologisch das mich wesenhaft kennzeichnende affektive Memorial des immemorialen Lebens, welches als Ursprung niemals in die Verfügbarkeit des Vorstellens und Habens zu überführen sein wird, sondern sich nur als sich-gebendes Leben im Bedürfen nach Leben im verbalen Sinne als solchem ankündigt, und zwar in einer je praktischen Selbst-Offenbarung, die keine Sprache der Welt benutzen kann, sofern dieses Sich-Offenbaren eben rein innerer Affekt bleibt. In dieser Hinsicht ist jedes Bedürfen die Permanenz und Kohärenz des Geborenwerdens aus der transzendentalen Lebensvorgabe heraus, so dass ich in jedem Bedürfen auf selbstaffizierende Weise das ›Geräusch‹ meiner lautlosen Geburt als impressionale Passibilität höre, wodurch sich die traditionelle ›Erste Philosophie‹ in eine ›Erste Praxis‹ verwandelt, ohne weiterhin metaphysischen Prinzipien zu unterliegen.38 Weil somit jedes Bedürfen das ›Leben‹ schlechthin ist und es keine Lebensäußerung ohne Bedürfen gibt, manifestiert sich im lebendigen Ego als ipseisiertem Mich auch nichts, was nicht seinerseits in allem lebendig wäre, das heißt: was nicht jenes ewige Wesen der absoluten Lebensselbstaffektion dank der sinnlichen Impressionabilität in sich trüge. Insofern ich als singuläres Sich durch meine transzendentale Geburt ›geworden‹ bin, bin ich in dieser Hinsicht ›geboren‹ zu nennen. Insoweit diese Urzeugung – absolut generativ gesehen – aber gleichzeitig ein ipseisierender Modus der Selbstzeugung des ewig gottheitlichen Lebens ist, das selbst nie geboren wurde, bin ich auch selbst ›ungeschaffen‹, das heißt ›nicht-geboren‹, wie ebenfalls Meister Eckhart zu verstehen gibt.39 Das Bedürfen als Begehren zu leben, ist deshalb kein ›Mangel‹ an 38. Dies hat Michel Henry als das Verhältnis von ›Wort des Lebens‹ und inkarnatorischer Offenbarung in seinem letzten Werk: Paroles du Christ (Paris, 2002) (deutsche Übersetzung von M. de Coulon: Christi Worte: Eine Phänomenologie der Sprache und Offenbarung [Freiburg i.Br./München, 2010]), systematisch ausgeführt. 39. Vgl. Eckhart, Pr. 48 (DW II 418,1-2. 9-10): Ich hân etwenne gesprochen von einem liehte, daz ist in der sêle, daz ist ungeschaffen und ungeschepfelich. Diz lieht pflige ich alwege ze rüerenne in mînen predigen [...]. [...]. Dâ von, als man die krefte nimet in dem wesene, sô sint sie alle ein und glîche edel (»Ich habe zuweilen von einem Lichte gesprochen, das in der Seele ist, das ist ungeschaffen und

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Leben, sondern dessen selbstaffektive Offenbarung selber als unauflösbare Wesensstruktur des Sich-Gebens/Sich-Nehmens, wodurch ›Offenbarung‹ kein bloß theologischer Begriff bleibt, sondern in den alltäglichsten Gesten und menschlichen Werken von der Ungeschaffenheit des Lebens im transzendental sinnlichen Geborenwerden von allem als ein praktisches Sich-Erproben selbst zeugt. Damit ist im Sinne Meister Eckharts ein Leben in ›Gott‹ in ›jeder Weise‹ möglich, da Er in keiner besonderen Weise mehr gegeben sein muss, um ›erfahren‹ zu werden: So wenn das sy daß ein findet, da es alles eyn ist, da bleibet sy dem einigen . Wer ›eret‹ gott? – Der gottes ere meynet in allen dingenn (»Wenn sie das Eine findet, in dem alles eins ist, da verharrt sie in diesem Einen. Wer ›ehrt‹ Gott? Wer Gottes Ehre in a l l e n Dingen im Auge hat«).40 3. Rein praktischer Sich-Bezug als Offenbarungsbezug Die Zuordnung von Ungeschaffenheit/Geburt kann gegen-reduktiv in ihrem rein praktischen Aspekt auch so analysiert werden, dass nach dem Zusammenhang der Transzendentalität des l e b e n d i g e n Ego und des Mich/Ich gefragt wird, wie wir es teilweise am Vollzug des ›Ich kann‹ schon berührten. Lebendige Transzendentalität bedeutet hier, dass es um die innerste Wirklichkeit dieser nicht-egologischen ›Ichheit‹ geht, nämlich um ihre stets effektive Ipseität ohne eigenen Autonomie- oder Konstitutionsanspruch. Das klassische Denken gibt kaum Aufschluss darüber, warum das S i c h als E g o und I c h auftritt, und dieses Denken gleitet bis in die Phänomenologie hinein leicht vom einen zum anderen, ohne sich weitere Rechenschaft darüber zu geben, es sei denn nur in Bezug auf die Abgrenzung vom empirischen Ich, das an einen naturalen Leibbegriff gebunden bleibt – was jedoch beides in der radikal phänomenologischen Reduktion fortfällt. So sagt Husserl beispielsweise: »Ich habe als ego eine fortwährend f ü r - m i c h - s e i e n d e Umwelt [...]. Ich bin für mich selbst und mir immerfort durch Erfahrungsevidenz als unerschaffbar. Dieses nämliche Licht pflege ich immerzu in meinen Predigten zu berühren [...].[...]. Sofern man daher die [Seelen-]Kräfte im Sein nimmt, so sind sie alle eins und gleich edel«). 40. Id., Pr. 51 (DW II 473,8-474,1). Für weitere theologische Konsequenzen siehe gleichfalls Rolf Kühn, Gottes Selbstoffenbarung als Leben: Religionsphilosophie und Lebensphänomenologie (Würzburg, 2009), insbesondere 151-75 (Kap. III.5) zur ›negativen Theologie‹ im Vergleich zu Eckhart.

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I c h s e l b s t gegeben«.41 Dass ›Ich‹ als reines Bedürfen, als passiver Akkusativ, jedoch rein praktisches ›Mich‹ besagt, bedeutet fundamental, dass es sich n i c h t s e l b e r in diese notwendige Bedingung hat bringen können, welche die seine ist, nämlich ständig s i c h s e l b s t als ein Sich der Passibilität zu erfahren und zu verwirklichen. Diese letzte Bedingung der Sich-Affektion als Selbstaffektion gründet allein in der ewigen Selbstaffektion des Lebens, in dessen Pathos als Ur-Ipseität, das heißt: das Sich-Bedürfen ist bleibender Verweis auf die absolute Lebensgabe in einem für mich uneinholbaren ›Voraus‹, von dem wir sprachen. Diese ursprüngliche Phänomenalisierung des absoluten Lebens als dessen immanent pathische ›Historialisierung‹ als Grund meiner ständig affektiven Bedürfensmodalisierung lässt den Mich-Akkusativ des Bedürfens so erfahren, dass jedes ›Ich‹ in dem originären Gefühl lebt, nicht nur seinen Befindlichkeiten gegenüber ›passiv‹ zu sein, sondern vor allem auch seiner eigenen ›Bedingung‹ gegenüber – im Letzten gegenüber sich selbst, was genau durch den Begriff der transzendentalen Pa s s i b i l i t ä t getroffen wird. Bedürfen des Ich sich selbst gegenüber bedeutet, dass ich selbst ›bin‹, ohne dass ich in diesem ›Ich-selbst-Sein‹ als Bedingung dafür einstehen könnte. Ich erfahre ›mich‹ mit anderen Worten selbst, ohne selber in irgendeiner Art und Weise die Quelle dieser selbstaffektiven Erfahrung zu sein. Ich lebe stets aufgrund meines sich impressional wandelnden Bedürfens, ohne selbst aktiv zunächst dieses begehrende Bedürfen als solches herbeigerufen zu haben. Ich bin mir daher in einer ›Ersten Praxis‹ dergestalt gegeben, dass diese Selbstgebung meiner selbst im Geben dieser Gabe nicht im Geringsten von mir selbst abhängt: Ich werde als Sich oder Ipseität so selbst-affiziert, dass der affizierende Gehalt ich selbst bin, nämlich je d i e s e s Empfinden, d i e s e s Verlangen, d i e s e s Denken etc. in ihrer fleischlichen Identität mit mir, ohne dass jedoch diese – mein Wesen definierende Selbstaffektion – mir vom Ursprung her als m e i n e ›Tat‹ zukäme. Deshalb kann ich eigentlich auch nicht streng phänomenologisch sagen, ich würde mich d u r c h m i c h affizieren, sondern ich w e r d e selbst-affiziert, das heißt: auf eben diese radikal passible Weise als ein Sich ohne eigene Ich-Initiative in der Selbstaffektion des absoluten Lebens gezeugt. Folglich 41. Edmund Husserl, Cartesianische Meditationen, in: Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge, ed. S. Strasser (Husserliana. Edmund Husserl, Gesammelte Werke, Bd. 1) (Den Haag, 1950) (Nachdr. 1963), 43-183, hier 102,11-30.

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bezeichnet Mich/Ich die Eigenschaft des Selbstaffiziertseins des singulären Sich, das ›ich‹ durch diese Lebensipseisierung bin – die Passibilität des Pathos als praktisches O f f e n b a r u n g s w e s e n des Lebens, sofern ich nur in dessen W i r k l i c h k e i t als phänomenologischer Wahrheit ›existiere‹.42 Da dieses Ich in der Selbstaffektion des absoluten Lebens (Gottheit) gezeugt wird, erfährt es sich folglich als ›empfänglich‹, nämlich als ein radikales Mich ohne weitere Rückzugsmöglichkeit. Aber dieses Ich im Akkusativ der ›Empfänglichkeit‹ ist nicht nur eine solche Passibilität ohne scheinbar weitere innere Modalisierungen, denn indem es sich in der Unmittelbarkeit des zeitlos pathischen Sicherfreuens und Sicherleidens erfährt (welche diese material phänomenologische Sich-Erfahrung als Sich-Gegebenheit der Passibilität bilden), gewinnt dieses Mich ›Besitz‹ von sich selbst, und zwar als ›Inbesitznahme‹ aller es durchziehenden Vermögen. Dies bedeutet, dass das passible Mich innerhalb seiner lebendigen ›Ur-Empfänglichkeit‹ zugleich ein ›Ich‹ des prinzipiellen Ur - K ö n n e n s ist, ohne auf eine autonome Spontaneität im Sinne Kants zunächst zurückgreifen zu müssen. Mit anderen Worten handelt es sich um ein Ausüben-Können aller ›Kräfte‹ auf dem passiblen Grund des Bedürfens, das damit in sich selbst modal teleologisch ist und solch praktische Modalisierung nicht erst intentional durch Reiz- oder Objektausrichtung im Sinne des Husserlschen Strebens oder Interesses als hyletisch instinktiver ›Selbsterhaltung‹ erreicht.43 Das Können ist dem Bedürfen von dessen Sich-Ertragen her bereits wesenhaft eingeschrieben, weshalb alles Begehren sich auch modalisieren muss, und zwar sich bündelnd in Anstrengung, in der sich dieses Können dann als sich erprobend konkretisiert. Diese sich bahnende Verschränkung ›affektiver Kraft‹ (Husserl) von Bedürfen/Begehren/Können/Handeln entspricht der Inbesitznahme des Mich durch das Ich, das heißt sein Werden als Ich, um eins zu sein mit all den ›Ich kann‹–Komponenten, die sein eigenes subjektives Lebendigsein als vermögendes Ego bilden. Damit sind alle Vermögen des Leibes nichts anderes als die konkrete Potentialität dieser pathisch materialen 42. Was Eckhart, In Ioh., nn. 14-22 (LW III 13,1-19,2), als die seinsmäßige Einheit von (göttlicher) Gerechtigkeit und dem Gerechten (als edlen Menschen) ausdrückt. 43. Vgl. des Näheren R. Kühn, Praxis der Phänomenologie (2009), 40-70 (Kap. I,2: ›Wiederholung‹ als Habitualität und Potentialität) und 71-103 (Kap. I,3: Affektiver Übergang und Trans-passibilität) über ›Habitualität‹ und ›Transpassibilität‹ bei Husserl, Deleuze und Richir.

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Lebendigkeit, anders gesagt die Ur - L e i b l i c h k e i t als Ur-Können, die miteinander identisch sind, weil jedes einzelne modale Können in der Selbstaffektion als affektiver Historialität selbst gründet, die ihr gemeinsames phänomenologisches Wesen bildet. Im Eckhartschen Sinne scheint uns daher das Handeln ›ohne Warum‹ in einem solchen ›Ausfluss‹ des Könnens als Einheit mit dem ewigen ›Werk‹ des Gebärens von Vater, Sohn und Seele zu gründen.44 Im je konkreten Gehen, Denken, Lieben, Arbeiten etc., das es als phänomenologische W i r k l i c h k e i t nie abstrakt vorgestellt gibt, sondern stets nur als praktischen Vollzug, hat das Mich sich schon immer als ein Ich ergreifen lassen und schreitet darin ›vorwärts‹: vom sich-gebenden Bedürfen zur sich-gebenden Anstrengung sowie zur sich-verwirklichenden Ausübung hin, die wiederum ein neues sich-gebendes Bedürfen hervorruft, nämlich Arbeiten, Essen, Ruhen sowie Wiederholung der Aktivität nach dieser Ruhe, welche daher keine mindere oder bessere Lebensweise neben der Tätigkeit ist, da sie von derselben Grundaffektion des Lebens lebt. Letzteres kann in der Tat gegenreduktiv weder r u h e n d noch t ä t i g genannt werden, a k t i v oder p a s s i v, sondern eben ›affizierend‹ – und zwar ohne irgendeine denkbare Unterbrechung, die sonst unser Tod wäre.45 Da dieser ›Zirkel‹ des lebendigen Tuns kein hermeneutischer Zirkel ist und auch ohne äußeren Normvergleich sowie ohne äquivalentes Vermessen in Verdienst und Lohn verbleibt, kann er ebenfalls die immanent affektive ›Kultur‹ genannt werden, denn sie ist zusammenfassend der Übergang vom ersten begehrenden Erwachen des Bedürfens in seine sich-steigernde Erfüllung hinein, in der die Gabe des lebendigen Gegebenseins als Sichgeben des Lebens das Wesen ihres Sich-Offenbarens als ›Selbst-Gebung‹ bildet – mit anderen Worten die 44. Vgl. zum Beispiel Eckhart, Pr. 6 (DW I 105,10-106,1): war umbe lebest dû? Umbe leben, und enweist dennoch niht, war umbe dû lebest. Sô begirlich ist daz leben in im selber, daz man ez umbe sich selber begert. [...]. Dar umbe wan ez von gote alsô vliuzet sunder mitel, dar umbe wellent sie lenen (»Warum lebst du? Um des Lebens willen, und du weißt dennoch nicht, warum du lebst. So begehrenswert ist das Leben in sich selber, dass man es um seiner selbst willen begehrt. […]. Weil es so unmittelbar von Gott fließt, darum wollen wir leben«). 45. Auf diesem Hintergrund ließe sich auch Eckharts Pr. 86 (DW III 481-492) über Martha und Maria als das notwendige Verhältnis von ›Jungfrau‹ und ›Weib‹, von ›Kontemplation‹ und ›Aktion‹ verstehen, die kein Gegensatz sind, sondern eher eine ›inwendige Gegenwärtigkeit‹ implizieren. Dazu Irmgard Gephart, »Der Christ der Zukunft hat vergessen, dass er ein Christ ist. Meister Eckhart und die Radikalität des Lassens«, in: J. Sánchez de Murillo und M. Thurner, Von der Wissenschaft zur Mystik (2009), 168-78, hier 171-2.

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fragile, leise Präsenz des überall verlebendigten Seins, insofern alles ereignishafte ›Es gibt‹ nur in diesem sich affektiv entfaltenden Sichgeben Erwachen oder Vollendung zu sein vermag, und nicht in einem neutral anonymen Eröffnen von Sein, wie bei Heidegger. Daher letztlich Ursprung ohne geschichtliches Wort, da jedes Wort bereits schon wieder von dieser Ur-Gebung selbst lebt, die keinem ›Seinsgeschick‹ unterliegt, weshalb für Meister Eckhart konsequent unser Wesen darin besteht, ein ursprüngliches ›Beiwort‹ zum Logos zu sein: Gotes sælicheit liget an der înwertwürkunge der vernünfticheit, dâ daz wort inneblîbende ist. Dâ sol diu sêle sîn ein bîwort und mit gote würken ein werk (»Gottes Seligkeit liegt im Einwärtswirken der Vernunft, wobei das ›Wort‹ innebleibend ist. Dort soll die Seele ein ›Beiwort‹ sein und mit Gott ein Werk wirken«).46 Dass das Mich/Ich ein Ego ist, kennzeichnet mithin in seinem vermögenden Sich-Bezug seinen absolut phänomenologischen Anfang als transzendentales Geborenwerden, das zugleich alle Finalität bereits als arché prinzipiell enthält. Das Ich ist ein Ich-kann, aber nicht ein bloß triebintentional kinästhetisches Ich, sich identifizierend bewährend in den synthetisch fortschreitenden Horizontvariationen.47 Vielmehr ist das originär gebürtige Ich aus dem gottheitlichen Leben heraus jenes Ur-Können, welches mit der unsichtbaren Lebendigkeit dieses Ich identisch ist, weil die praktische ›Ichheit‹ den radikal phänomenologischen wie Eckhartschen ›Grund‹ des lebenspathischen Ego im Übergang Mich/ Ich stets mit umfasst. Ich/Ego ist daher weder eine bloß tautologische noch synthetische Aussage oder performative Indexfunktion. Vielmehr enthält dieses Ego all seine erwähnten Ich-Vermögen zur unendlich freien Verfügung und erfährt sie in ihrer ursprünglichen ›Empfänglichkeit‹ im Gefühl jenes Ur-Vermögens der originären Lebenspotentialität, die das Ego als s i c h ergreifendes Ich-kann impliziert. Jetzt wird definitiv deutlich, dass das Bedürfen in seiner originären Passibilität niemals ein Mangel ist, sondern stets das Sichgeben des Lebens in dessen rein praktischer Sich-Offenbarung in sich schließt, insofern nämlich Leben-können als transzendentales Bedürfen unsichtbar sich manifestierendes, subjektiv praktisches Ich-Können ist. Das Bedürfen ist anders 46. Eckhart, Pr. 9 (DW I 158,4-6). 47. Vgl. zum Beispiel E. Husserl, Cartesianische Meditationen, ed. Strasser (1950/1963), 82-3 und 128-9.

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gesagt das erwachende Können; es ist die lebendige Präsenz der singulären Egohaftigkeit im Mich/Ich – die Gabe des Ego in denselben aus der Ab-gründigkeit der Gottheit als sich selbst verlebendigender Einheit heraus: unser sælicheit enliget niht an unsern werken, mêr: an dem daz wir got lîden. [...]. [...], wan wir mê lîden dan würken und unglîche mê nemen dan geben. Und ein ieglîchiu gâbe bereitet die enpfenclicheit ze einer niuwen gâbe [...]. [...]. alsô ist diu sêle abgründic an dem lîdenne. Und dar umbe wirt si überformet mit gote und in gote. (Unsere Seligkeit liegt aber nicht in unserem Wirken, sondern darin, dass wir Gott erleiden. [...]. [...]; denn wir erleiden mehr als wir wirken, und wir empfangen ungleich mehr als wir geben. Jede Gabe fördert die Empfänglichkeit für eine neue Gabe. […]. So abgründig ist die Seele im Erleiden; und drum wird sie mit Gott und in Gott überformt).48 In dieser Hin-gabe auf dem Boden der originären Passibilität als Sich-Ertragen, das gleichzeitig eine Über-gabe ist, gründet letztlich auch die F r e i h e i t , denn das Ich findet sich durch diese Hin-gabe im Selbst-Besitz der Vermögen des Ego vor, und zwar aufgrund des Ur-Vermögens des affizierenden Pathos der Lebensübereignung in dessen absoluter Lebensselbstaffektion. Die Freiheit des Ich ist folglich ›später‹ als die Quelle der Verfügbarkeit der lebendigen ›Kräfte‹ als solcher, was auch daran zu sehen ist, dass alle Versuche einer klassifizierenden Unterscheidung in geistige, seelische und leibliche Vermögen immer erst a posteriori erfolgen können, nämlich auf der Grundlage der sich verlebendigenden Lebensselbstoffenbarung. Deshalb sind wir in erster Linie auch nicht frei hinsichtlich äußerer Objekte, Aufgaben und Situationen, sondern frei sind wir im elementaren Sinne innerhalb des Ur-Könnens selbst, das uns in die reine Immanenz der Vollzugspotentialität eines jeden singulären Vermögens versetzt. Freiheit ist ein anderer Name für das Ego, sofern diesem ein in der Selbstzeugung des absoluten Lebens geborenes Sich ›voraus‹ geht.49 Insofern lässt sich hier ebenfalls mit Eckhart festhalten, dass unser Bedürfen als solches von unserer ›Geburt in Gott‹ zeugt, der 48. Eckhart, Pr. 102 (DW IV,1 422,1; 423,1-3 und 424,2-3). 49. Zu diesem Freiheitsbegriff siehe auch M. Henry, C’est moi la vérité (1996), 168-75 (deutsche Übersetzung: ›Ich bin die Wahrheit‹ [1997; 1999], 186-92.

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als Wesen des Lebens dessen Mächtigkeit im Sinne der Quelle allen Könnens (Seins) selbst ist: Aber swer got suochet âne wîse, der nimet in, als er in im selber ist; und der mensche lebet mit dem sune, und er ist daz leben selbe. [...]. Daz ist dâ von, wan leben lebet ûzer sînem eigenen grunde und quillet ûzer sînem eigen; dar umbe lebet ez âne warumbe in dem, daz ez sich selber lebet. (Wer aber Gott o h n e Weise sucht, der erfasst ihn, wie er in sich selbst ist; und ein solcher Mensch lebt mit dem Sohne, und er ist das Leben selbst. […]. Das kommt daher weil das Leben aus seinem eigenen Grunde lebt und aus seinem Eigenen quillt; darum lebt es ohne Warum (âne warumbe) eben darin, dass es sich selbst lebt).50 Oder in der Fortsetzung dieses Zitats: ich würke dar umbe daz ich würke (»Ich wirke darum, d a s s ich wirke«).51 In seinem alltäglichen Dahinleben hält sich allerdings das Ich für die Quelle allen Könnens, obwohl letzteres streng phänomenologisch nur dem Können als solchem in der Lebensimmanenz innewohnt. Husserl selbst führt nach der Reduktion dieses naiv empirischen Ich dennoch alles Intentionale in einer ähnlichen Verwechslung noch auf einen ›IchPunkt‹ als terminus a quo zurück, ohne sich dabei der Überbestimmtheit des von ihm gebrauchten Egobegriffs bewusst zu werden.52 Und in seiner Bindung an das ›Bewusstsein von etwas‹ als Grundzug der intentionalen Transzendenz wird dieses Ego zum Ausgangspunkt aller ›Akte‹, das heißt zum ekstatischen ›Subjekt‹ der modernen Philosophie, die so innerhalb einer Metaphysik der Vor-stellung bleibt, die man auch – trotz seines Versuchs einer neuen transzendentalen Begründung des D a s e i n s – Heidegger in seinem Hermeneutikentwurf nicht ganz absprechen kann. Von dieser Metaphysik einschließlich ihrer ›Dekonstruktionen‹ bis hin zum poststrukturalistischen Aufhebungsversuch im ›Tod des Subjekts‹ befreien auch die neueren Subjektkritiken nicht, weil diese Kritik zumeist immer noch von einem (fraktalen) Bewusstsein des ›Ich-stelle-mir-vor‹ als Cogito ausgeht, welches dergestalt den lebensphänomenologischen 50. Eckhart, Pr. 5b (DW I 91,8-10; 92,1-3). 51. Ibid. (92,6). 52. Vgl. Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 2. Buch: Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution, ed. M. Biemel (Husserliana. Edmund Husserl, Gesammelte Werke, Bd. 4) (Den Haag, 1952), 105-6.

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Übergang von der Ego-Affektion zum Ich-Können aus dem Leben heraus verdunkelt. Diese verlebendigende Ego-Realität kann in der Struktur der sinnverstehenden oder disseminierenden Ekstasis nicht gedacht werden, was sich unter anderem etwa daran zeigt, dass das reine ›Außen‹ als phänomenologisches Wesen der Vorstellung auch bei Abwesenheit des Subjekts gegeben sein kann – nämlich im seinstranszendenten Lichten, Offenstehen, Ereignen etc. Nur wenn das Subjekt als hervorbringendes Entfaltungsprinzip dieses Außen direkt gesetzt wird, ergibt sich der Fall einer unmittelbar klassischen Metaphysik der Vorstellung, die alles auf ein Ego-Subjekt bezieht, welches sich zugleich im Außen zeigt und so diese ›Subjektivität‹ zur bloßen Objektbedingung werden lässt, wie es sicher am reinsten bei Kant sichtbar wird.53 Insofern Eckhart das ›Außen‹ als kreatürliche Existenzkategorie durch einen unbedingten Seinsbegriff in Gott aufhebt,54 hat er bereits im Vorhinein diesen kantischen ›Anschauungssubjektivismus‹ überwunden. Im radikalisierten Bedürfen liegt demnach eine Epoché vor, welche die Husserlsche Intentionalität sowie die Heideggersche Inständigkeit des Da-seins und ›post-metaphysische‹ Differentialität nochmals reduziert, um durch solche Gegen-Re-duktion auf die absolute E i g e n s p h ä r e des Lebens hinzuweisen, in der die Epoché nichts mehr ›zu sehen‹ gibt. Denn das rein affektive Bedürfen des pathisch sich hingebenden Übergangs von der praktischen Lebensgabe zum Ego-Können hin vollzieht sich so, ohne dass irgendeine Vorstellung davon dieses Bedürfen auf dem Boden der Mich-Geburt in ihrer reinen Passibilität in den Blick einer ›Schau‹ oder Theorie geraten ließe. Husserls lebendiges Ego der ›lebendigen Gegenwart‹ bleibt ein bloß transzendental begrifflicher Grenzpunkt einer Präsenz ohne eigentliche Individualität in ihrer Singularität, mithin eher das latent monadologische Wesen eines a l l g e m e i n e n Erkenntnisbewusstseins, so wie auch alle Idealitäten und Potentialitäten dieses Ego aufgrund der formalen Wesensschau nach seinen eigenen Worten ›Irrealitäten‹ darstellen. Keine phänomenologische Reduktion im 53. Vgl. Michel Henry, »La critique du sujet«, in: Cahiers Confrontation 20 (1989), 141-52 (deutsche Übersetzung von R. Kühn: »Die Kritik des Subjekts«, in: Michel Henry, Affekt und Subjektivität: Lebensphänomenologische Beiträge zur Psychologie und zum Wesen des Menschen (Freiburg i.Br./München, 2005), 33-50), sowie zur Kritik der d e k o n s t r u k t i v i s t i s c h e n Sichtweise besonders bei Derrida: Rolf Kühn, Radikalisierte Phänomenologie (Frankfurt a.M., 2003), 131-74 (Teil III: J. Derrida – Präsenzkritik als Gabenreduktion). 54. Vgl. A. Quero-Sánchez, »Das panentheistische Verständnis der ›Mystik‹« (2009), 101-2.

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Sinne eines regressiven Denk-Prozesses wird uns daher jemals dieses lebendige Ego der Lebensgeburt thematisch zu geben vermögen, obwohl wir gerade p r a k t i s c h niemals davon abstrahieren können. Deshalb verbleibt die Gegen-Reduktion ihrerseits als Vorspringen einer DenkBewegung auch nur ›Index‹ für jene Stätte, wo ›Anderes‹ als die Abstraktion dieses Ego lebt – mit anderen Worten ist sie apriorischer Hinweis auf die Geburt eines jeden Ich in der ihm zukommenden selbstaffektiven Herkunftsweise, die ihm als Lebensego eigen ist. Zwar versteht sich die Gegen-Reduktion nicht mehr als unmittelbarer Methodenbegriff im Sinne des Aufweises von ›Transzendenz in der Immanenz‹, wie Husserls Programm lautete, sondern als direktes Sich-Hinein-Versetzen oder ›Sprung‹ in die Selbstbewegtheit der Lebensaffektion als solche unter Ausschluss gerade aller Transzendenz, aber in ihrer diskursiven Fassung ist auch die Gegenreduktion zu keinem Augenblick das Lebens selbst, das sich als solches nur d i e s s e i t s jeder Theorie geben kann. Deshalb lässt sich hier auf eine Problematik verweisen, welche sich für Eckhart wie für die Lebensphänomenologie stellt, nämlich letztlich nicht mehr ›über‹ das Leben zu sprechen, sondern von d i e s e m s e l b s t h e r, so wie es in j e d e m Lebendigen vorausgesetzt ist. Wir haben dies oben mit ›Index‹ (deixis) bezeichnet, was bei Eckhart als direktes Ansprechen der ›Gottesgeburt‹ als gegebene innere W i r k l i c h k e i t bei seinen Zuhörern auftritt. Es ist mithin jene Frage, die als der erwähnte Zusammenhang von ›Sprache‹ und ›Offenbarung‹ auch in Henrys Letztwerk Christi Worte (Kap. X) mit Bezug auf Meister Eckhart analysiert wird.55 Damit stehen wir hinsichtlich der Offenbarungsrealität als ›Wirklichkeit‹ vor einer phänomenologischen Kernfrage voll gewichtiger ›methodischer‹ Entscheidungen, und zwar eben nicht als Frage nach der Wahl von Methoden bzw. Gegen-Methoden, sondern nach dem Zusammenhang von Methode und Phänomenologie selbst, für die uns Eckhart gerade seine ›mystische (Vernunft-)Erkenntnis‹ und Prinzipienlehre als ›Kriteriologie‹ mit an die Hand gibt.56 Zu sagen, das Ego auf dem Grund 55. Vgl. Shizuteru Ueda, »Das Problem der Sprache in Meister Eckharts Predigten«, in: E. Jain / R. Margreiter, Probleme philosophischer Mystik (1991), 95-108; Frédéric Seyler, Eine Ethik der Affektivität: Die Lebensphänomenologie Michel Henrys (Freiburg i.Br./München, 2010), wo der Begriff der ›Quasi-Performativität‹ als ›Übersetzbarkeit‹ des rein phänomenologischen Lebens in einen Diskurs eingeführt wird. 56. Vgl. schon R. Kühn, Geburt in Gott (2003), 163-201 (Kap. II.5: Mystik des Unaussprechbaren). Es könnte hier ebenfalls gelten, was Jean-Luc Marion auf Derridas Kritik der ›negativen

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des Mich im Leben der ›Gottheit‹ sei letztlich nicht das Ergebnis irgendeiner Reduktion, um es aus seiner transzendentalen Geburt heraus zu verstehen, ist ein und dieselbe Aussage. Denn es gibt keinen anderen Zugang zum lebendigen Ego als jenen Zugang, durch den es in sich selbst gelangt, was wiederum heißt: Es gibt keinen anderen Zugang zum Wesen des passiblen Bedürfens außerhalb des Lebens-Bedürfens selbst, in dem sich die Selbstgebung des Ego als aus dem lebensaffizierten Mich erwachendes Ich-Können vollzieht. Dabei haben wir schon unterstrichen, was die Mitte des material phänomenologischen Offenbarungsbegriffs selbst ausmacht, nämlich dass diese modal motivierte Ich-Werdung und das absolute Lebensgeschehen im pathisch ipseisierten Leben als solchem in deren Passibilität als ›Praxis‹ voneinander untrennbar sind. In der selbsthistorialen Verzeitlichung seines immanenten Pathos erfährt sich in der Tat das Leben in seiner wesenhaften Ur-Ipseität als je singuläres Sich, das ich zugleich als passiv ›empfängliches‹ Mich bin, um so als originäres Ego aus solch prinzipieller Affektion des Sich-Leidens heraus die nicht-autonome Egoität der Vermögen im Ich-Können zu gewinnen. Die transzendentale Geburt von Ipseität/Sich im Mich als Ego/Ich vollzieht sich in der reinen Lebensimmanenz ohne (In-der-)Welt-Sein, denn in der ›Welt‹ gibt es weder fleischliche Impressionabilität noch originäre Passibilität, die wesenhaft zusammengehören. Die Urgeburt ist Bedürfen als Geborenwerden des je singulären Mich-Bedürfens, von dem her das Ego die ›Akte‹ seines empfindenden Ich-Bedürfens im Einzelnen erfährt. Im Bedürfen des reinen Pathos ist anders gesagt keinerlei vorstellbares oder spontanes Ich, aber sehr wohl bedarf dieses Bedürfen eines Theologie‹ als ›Über-Essentialismus‹ (Sauf le nom [Post-Scriptum] [Paris, 1993] [deutsche Übersetzung von M. Sedlaczek: Außer dem Namen [Post-Scriptum], in: Jacques Derrida, Über den Namen: Drei Essays, hg. von P. Engelmann [Wien, 2000], 63-121]) mit Hilfe von Dionysius Areopagita antwortet, dass nämlich dieselbe nicht nur die Dichotomie von Verneinen/Bejahen kennt, sondern einen ›dritten Weg‹ der ›pragmatischen Theologie der Abwesenheit‹; vgl. Jean-Luc Marion, De surcroît: Études sur les phénomènes saturés (Paris, 2001), 155-96 (Kap. VI: Au nom ou comment le taire), 189: »Ainsi, la théologie mystique n’a plus pour but de trouver un nom pour Dieu, mais de nous faire recevoir le nôtre du Nom indicible« (»Die mystische Theologie hat nicht mehr zum Ziel, einen Namen für Gott zu finden, sondern uns den unsrigen vom unsagbaren Namen empfangen zu lassen«). Marions Ausführungen gehen auf eine direkte Debatte mit Derrida auf dessen zuvor genannten Text (Sauf le nom [Paris, 1993]) sowie den Jerusalemer Vortrag, »Comment ne pas parler: Dénégations«, in: Jacques Derrida, Psyché: Inventions de l’autre (Paris, 1987), 535-95 (deutsche Übersetzung von H.-D. Gondek, in: J. Derrida, Wie nicht sprechen: Verneinungen, hg. von P. Engelmann [Wien, 1989]), zurück.

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Mich, eines rezeptiven Akkusativs des Lebens in dessen Sichgeben als solchem, der für sich selbst Bedürfen dieses absoluten Lebens ist: Und alsus enist dîn unwizzen niht ein gebreste, sunder dîn hœhste volkomenheit, und dîn lîden ist alsus dîn oberstez werk. Und alsus in dirre wîse muost dû abeslahen alliu dîniu werk und muost tuon swîgen alle dîne krefte, solt dû in der wârheit bevinden dirre geburt. (So also ist dein Unwissen kein Mangel, sondern deine oberste Vollkommenheit, und dein Erleiden ist s o dein höchstes Wirken. Und so, in dieser Weise, musst du dich aller deiner Betätigungen entschlagen und alle deine Kräfte zum Schweigen bringen, wenn du wirklich diese Geburt in dir erfahren willst).57 Mit anderen Worten geht es um eine ›Rückführung‹ (Epoché, Reduktion) auf die u n s i c h t b a r in allen erlebbaren leib-seelischen ›Kräften‹ ge-gebene (nicht-erlebbare) transzendentale Selbstaffektion (Geburt) im absoluten Leben (Gottheit). Es scheint uns daher, dass Eckhart weder allein als ›Intellekttheorie‹ noch als ›Ethik‹ angemessen erfasst werden kann, sondern eine Art P r o t o - P h ä n o m e n o l o g i e bietet, welche noch unausgeschöpft ist – und zwar in dem Sinne, dass die Möglichkeiten der Phänomenologie immer größer sind als ihre historischen Verwirklichungen. 4. Für eine post-metaphysische ›Metaphysik der Erprobung‹ Nachdem auf diese Weise die generatio des ›Ich‹ aus dem gottheitlichen Leben in der absoluten Sich-Affektion deutlich gemacht worden ist, und zwar als gegenreduktive Phänomenologie des Bedürfens im Sinne transzendentaler Geburt bzw. als ›Erste Praxis‹ des so geborenen Begehrens aus der Lebensgabe heraus, lässt sich ein weiterer Punkt noch abschließend ansprechen: Wie verhält sich in der Tat die Ur g e b u r t des Lebendigwerdens des ›Ego‹ zur weiselosen A b g e s c h i e d e n h e i t oder Fi n s t e r n i s des absoluten Lebens selbst auch im Sinne Eckharts? Wenn keine Reduktion jemals zum lebendigen Ego führt, das wir als rein Lebendige sind, dann hilft auch hier kein weiterer methodischer Hinweis von der Art etwa, das Bedürfen zeige gerade unsere ›kreatürliche‹ 57. Eckhart, Pr. 102 (DW IV,1 425,1-3).

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Endlichkeit als Abhängigkeit oder Kontingenz. Metaphysik ist Denken im Umkreis des o n t i s c h Vorhandenen, mithin ohne explizites Bewusstsein um die ›ontologische Differenz‹, wie Heidegger mit Recht als eine Weise der Reduktion in seinem Sinne gezeigt hat: Die Metaphysik sieht als ›Onto-Theologie‹ alles in der Perspektive des Gesetzten oder Geschaffenen; im ›Sein‹ oder in ›Gott‹ als dem höchsten und allgemeinsten Begriff zugleich.58 Insofern Eckhart die ›Gottheit‹ von der ›Schöpfung‹ und sogar von der ›Trinität‹ löst, überwindet er die Aporien der analogischen Seinsmetaphysik, wie etwa Predigt 22 zeigt: ›In principio‹. Hie ist uns ze verstânne geben, daz wir ein einiger sun sîn, den der vater êwiclîche geborn hât ûz dem verborgenen vinsternisse der êwigen verborgenheit, inneblîbende in dem êrsten beginne der êrsten lûterkeit, diu dâ ist ein vülle aller lûterkeit. (›In principio‹. Damit ist uns zu verstehen gegeben, dass wir ein einiger Sohn sind, den der Vater ewiglich geboren hat aus dem verborgenen Dunkel ewiger Lauterkeit innebleibend im ersten Beginn der ersten Lauterkeit, die da die Fülle aller Lauterkeit ist).59 Gibt es hingegen eine ›Metaphysik der Lebensparusie‹, die reine Phänomenologie bleibt, das heißt, wo das Bedürfen onto-do-logisch die absolute Selbst-Offenbarung des Erscheinens in seinem Selbsterscheinen ist? Die ›Gabe‹ des Ursprungs in der Immemoriabilität des ›Sich-Gebens‹? Was wir zeigen konnten, besteht sicher darin, dass das Leben sich in seinem absoluten ›Voraus‹ zeugt, ohne welches kein singuläres Sich als Mich zum Leben käme. Kein Bedürfen kann ›sein‹ ohne Leben, womit ein absoluter Ursprung angezeigt ist. Aber diese apriorische Voraussetzung für jedes transzendentale Ego ist zugleich seine wirkliche Bedingung, denn es wird in der effektiven oder absoluten Lebensselbstaffektion gezeugt, die nirgendwo einen Bruch in ihrem Zeugungsgeschehen kennt. Käme es jemals zu einer solchen Kluft, so wäre das Ego in einem solchen Augenblick genau vernichtet: Aber anders als beim heideggerschen Sein gibt es gerade für das Leben kein ›Nichts‹, keine sich-entziehende Verweigerung des Sich-gebens als Wesen des ›Seins‹ des Lebens selbst. Ist 58. Vgl. Martin Heidegger, Einleitung zu: ›Was ist Metaphysik?‹, ed. Fr.-W. von Herrmann, in: Gesamtausgabe, Bd. 9: Wegmarken (Frankfurt a.M., 1976), 365-83, hier 379-80; id., Phänomenologie und Theologie, in: ibid., 45-78, hier 63-4. 59. Eckhart, Pr. 22 (DW I 382,3-6).

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dies letztlich die phänomenologische Realität des lebendigen Menschen, dann wäre sie zugleich als dessen ›metaphysischer‹ Grund anzusprechen, ohne damit eine restaurierte Onto-Theologie zu verbinden, denn eine radikalisierte ›Metaphysik des Lebens‹ kann nur eine material oder affektiv durchgeführte Phänomenalisierung der gesamten Ontologie im Sinne der pathischen Selbstaffizierung sein.60 Schon deshalb kann die transzendentale Geburt nicht mit einer Geburt in der Welt verwechselt werden, wo wir geschichtlich oder biographisch geboren werden, das heißt e i n m a l zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort von bekannten oder zufälligen Eltern. Als empirische Wesen glauben wir naiv, ›Ich-Pole‹ zu sein, die – scheinbar über ihre eigenen Vermögen verfügend – deren Potentialität realisierten, wie etwa die biologische Zeugung. Diese ego-logische Zentrierung im klassisch philosophischen wie auch psychologischen Sinne ist aber nur konkret ge-geben, weil das Leben sich ohne Unterlass v o r dem je benennbaren Ego bereits als Sich selbstaffiziert hat. Un g e s c h a f f e n h e i t des transzendental geborenen Ego in der ›Finsternis der Gottheit‹ besagt daher, dass es nur ein und dasselbe Leben als Selbstaffektion in jedem singulären Sich geben kann, und aus diesem Grund eine vernehmbare Selbstoffenbarung in diesem gegenseitig-einheitlichen Bezug Sich/Leben bestehen muss, was Eckhart durchgehend in seinem Werk die ›Gottesgeburt‹ in der Seele nennt. Dabei geht er in seinem Spätwerk sogar so weit, dass jeglicher Unterschied zwischen A k t i v und Pa s s i v, Z e u g u n g und G e z e u g t w e r d e n , aufgehoben wird, indem » seinen eingeborenen Sohn in mich gebiert, ich ihn zurück in den Vater gebäre« – selbst Vater werde.61 Weil die transzendentale Geburt rein innerhalb dieses Bezugs (bzw. sogar als dieser Bezug selbst) stattfindet, ist sie im eigentlichen Sinne auch kein ›Ereignis‹ oder ein ›Geschehen‹, sondern ein ständiger A n f a n g im johanneischen Sinne – nämlich ohne 60. Zur Frage der Überwindung der ›Onto-Theologie‹ bereits bei Eckhart siehe auch: A. de Libera, É. Zum Brunn, Z. Kałuża, P. Vignaux und É. Wéber (Hgg.), Maître Eckhart à Paris. Une critique médiévale de l’ontotheologie: Les Questions parisiennes n° 1 et n° 2 d'Eckhart: études, textes et traductions (Paris, 1984). 61. Vgl. Eckhart, Pr. 22 (DW I 383,7-8): In dem selben, daz er gebirt sînen eingebornen sun in mich, sô gebir ich in wider in den vater. Siehe dazu für weitere Belege: K. H. Witte »Von Straßburg nach Köln« (2008), 69-71. M. Henry, C’est moi la vérité (1996), 88-9 (deutsche Übersetzung: ›Ich bin die Wahrheit‹ [1997; 1999], 98-9) u. ö., formuliert diesen Sachverhalt durch den Begriff einer radikal phänomenologischen ›gegenseitigen Innerlichkeit‹ (›intériorité réciproque‹).

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Unterlass in der Selbstzeugung des Lebens als dieses Sich in der ›Gottheit‹ gezeugt zu werden.62 Das Bedürfen als ›Leben‹ ist folglich kein Mangel, wie es dem empirischen Ich mit seinen notwendigerweise objektivierten Empfindungen und Funktionen ohne phänomenologische Gegenreduktion auf ein passives Mich hin erscheint. Vielmehr bildet das Bedürfen in seinem Sich-immer-schon-Gegeben-Sein als Ruhe wie Aktivität das e i n e , unaufkündbare Leben als Sich – das heißt im eigentlichsten Sinne eine Gabe als Selbstgebung. Es gibt kein anderes Leben, wenn Leben auf diese Weise Sich-Erfahren in ursprünglicher Passibilität bedeutet: ›empfänglichste‹ Hinnahme seines Ge-geben-Seins, um selbst weiterhin ›Gabe‹ zu bleiben, nämlich lebendig praktisches, kulturelles Ins-WerkSetzen-Können als Modalisierung von allem, was die transzendental affektive Erfahrung in ihrer Geburt aus dem Leben heraus vollbringen kann.63 Dass die Voraussetzung der Selbstzeugung des absoluten Lebens zugleich alleinige Bedingung des lebendigen Ego sei, will also schließlich besagen, dass diese Selbstzeugung des absoluten Lebens ›im‹ Ego genau das ist, was dieses Ego zu jedem Augenblick zeugt: Alsô ist der sêle, diu geistlîche gebirt: dér geburt ist vil mê; in einem ieglîchen ougenblicke sô gebirt si. […]. Got ist alle zît würkende in einem nû in êwicheit, und sîn würken ist: sînen sun gebern; den gebirt er alle zît. (So steht es auch mit der Seele, die geistig gebiert: deren Geburt ist häufig; in jedem Augenblick gebiert sie. […]. Gott wirkt allezeit in einem Nun in der Ewigkeit, und sein Wirken besteht darin, seinen Sohn zu gebären, den gebiert er allezeit).64 Was dem Ego in solcher Weise ohne zeitliche Differenz ›voraus‹ liegt, ist zugleich seine ihm innerste Bedingung, von der das Ego niemals getrennt zu werden vermag, ohne selbst ›tot‹ zu sein, wie auch Meister Eckhart von der je neuen ›Frische‹ der Gottesgeburt bezeugt.65 Deshalb sagten 62. Vgl. Eckhart, In Ioh., nn. 4-7 (LW III 5,7-8,9), über das ›Hervorgehende in dem Hervorbringenden‹, das heißt im Sinne radikaler Immanenz. 63. Vgl. hierzu entsprechend die weiteren Ausführungen von Christine Büchner, »Sein-Geben. Meister Eckharts Denken der Gott-Welt-Beziehung als Ansatzpunkt einer Ontologie des Gebens und Sich-Gebens«, in: R. Kühn und S. Laoureux (Hgg.), Meister Eckhart (2008), 358-82. 64. Eckhart, Pr. 43 (DW II 320,3-321,1). 65. Vgl. id., Pr. 105A (DW IV,1 641,1-4): sie sint verlorn, werk und zît mit einander, bœsiu und guotiu, werk als werk und zît als zît. Sie sint verlorn mit einander êwiclîche (»Sie sind verloren miteinander, Werke und Zeit, böse und gute, die Werke als Werke, die Zeit als Zeit; sie sind miteinander auf ewig verloren«) – im Gegensatz zur reinen Gottesgeburt.

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wir, das Wesen der phänomenologischen Erscheinensheterogenität von We l t / L e b e n sei die selbstaffektive E i n h e i t , denn an dieser Stelle wird greifbar, dass radikale I m m a n e n z und radikales A p r i o r i des ›Voraus‹ ohne metaphysisch kategoriale Ursachenverknüpfung sich nicht widersprechen.66 Dennoch ließe sich fragen, ob nicht jedes ›Vorher‹ per se ein Vergangenes sei – und damit verloren oder ›tot‹ für den, der d a n a c h kommt? Hier erweist sich der schon wiederholt angeführte Hinweis auf die pathisch affektive Lebensselbsthistorialisierung als besonders hilfreich, denn das ›Voraus‹ der Lebensabsolutheit entspricht nicht dem ›Zuvor‹ der ekstatischen Phänomenologie, das gerade aus einer transzendenten Zeitlichkeit heraus seine Seinsmöglichkeit schöpft. Damit sich etwas als ein ›Vorher‹ in der Wiedererinnerung phänomenalisiert, muss es sich dem Schauenden mittels der R e t e n t i o n zeigen, das heißt, in dessen retro-spektiver Ekstase gibt es ein prinzipielles ›Außen‹ mit dem Horizont des ›Zuvor‹ und etwas, das sich in diesem Horizont dann als jenes zeigt, was ›vorher einmal gewesen ist‹. Was sich hier indifferenterweise jeweils als ›Inhalt‹ zeigt, in diesem ›Früher‹ nämlich, ist im Prinzip damit i r r e e l l , denn wenn es sich zeigt, ›ist‹ es nicht mehr lebendige cogitatio, weil es ins Vergangene entglitt.67 Im reinen Bedürfen als Pathos ohne Ob-jekt, das heißt als lebensaffektive Mich-Geburt, gibt es keinen ekstatischen Bezug des Erzeugten auf das Erzeugende hin und umgekehrt. Die innere ›Lebensselbstverzeitlichung‹ als a f f e k t i v e H i s t o r i a l i s i e r u n g ist daher reine Immanenz als Sich-Offenbaren, ohne den Charakter des absoluten ›Voraus‹ der Gottheit 66. Über die Abwesenheit des (aristotelischen) Kausalitätsprinzips vgl. etwa Eckhart, Pr. 52, ed. Steer, LE 1, 172,1-3 (vgl. DW II 492,3-5). Dô ich stuont in mîner êrsten sache, dô enhâte ich keinen got, und dô was ich sache mîn selbes; dô enwolte ich niht, noch enbegerte ich niht, wan ich was ein ledic sîn und ein bekenner mîn selbes nâch gebrûchlîcher wârheit (»Als ich in meiner ersten Ursache stand, da hatte ich keinen Gott, und da war ich Ursache meiner selbst. Ich wollte nichts, ich begehrte nichts, denn ich war ein lediges Sein und ein Erkenner meiner selbst im Genuss der Wahrheit«). Vgl. zum Verhältnis zu Aristoteles hierbei auch O. Langer, »Meister Eckharts Konzept« (2009), 150-8. 67. Zur Kritik an dieser rein impressional immanenten Historialität, wie sie hier für das Lebenspathos in Anspruch genommen wird, vgl. Rudolf Bernet, La vie du sujet: Recherches sur l'interprétation de Husserl dans la phénoménologie (Paris, 1994), 323-5. Bernet vertritt die Auffassung, dass die R e t e n t i o n im ›Präsenzfeld‹ auch dem punktuell erlebten Jetzt eine ›Quasi-Dauer‹ verleihe. Ähnliche husserlnahe Diskussion in: Dan Zahavi (Hg.), Self-awareness, Temporality and Alterity: Central Topics in Phenomenology (Dordrecht/Boston/London, 1998). Für die zentrale Bedeutung dieser Problematik bei Eckhart vgl. Carlos Rafael Ruta, »El olvido de toda esperanza: Meister Eckhart y Michel Henry«, in: Id. (Hg.), El Maestro Eckhart en diálogo: entre sombra de ser (Buenos Aires, 2006), 123-46 (deutsche Übersetzung: »Das Vergessen aller Hoffnung: Meister Eckhart und Michel Henry«, in: R. Kühn und S. Laoureux (Hgg.), Meister Eckhart (2008), 186-212).

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in deren ›Wüste‹ und ›Finsternis‹ in Bezug auf das Ego aufzuheben – sondern ihn vielmehr so zu verdeutlichen, dass diese historiale Verzeitlichung stets das innere Pathos jedes Ego bleibt, nämlich die transzendentale Affektivität des Sich-selbst-Erprobens als Sich-Empfinden. Dieses verändert sich zweifellos ständig als innere Modalisierung, ohne allerdings jemals aufzuhören, die absolute Selbstaffektion zu sein. Das Bedürfen verwandelt sich in Begehren mit je unterschiedlichen Tonalitäten, aber es hört rein praktisch bzw. gegen-reduktiv nicht auf, s i c h s e l b s t in den sich immanent selbst weitergebenden ›Übergängen‹ als Bedürfen fortgesetzt zu erfahren – so wie beispielsweise bei jedem Erwachen in den Tag mit seinen vielfachen Modifizierungen an Bedürfen, Anstrengung und Verwirklichung.68 Was sich im pathischen Sich-Erfahren als ständig ›neues‹ Empfinden der impressionalen Passibilität ankündigt, ist in seiner Veränderung an ›Übergängen‹ das lebendige Sich der transzendentalen Selbstaffektion selber aus der absoluten Lebensgeburt heraus, in der es sich zugleich weiterhin als selbstaffektiv erfährt. Das Sich ist mit anderen Worten in jedem Bedürfen/Begehren eine S e l b s t b e w e g u n g , die sich in ihrer Bewegtheit selber erprobt, so dass aus dieser sich selbst erprobenden Bewegung niemals etwas in ein Außen gleitet. Vielmehr materialisiert sich jedes Mal ein immemoriales ›Voraus‹, welches stets das sich auf diese Weise selbstoffenbarende Leben schlechthin bildet: Ein kraft ist in der sêle, der sint alliu dinc glîche süeze [...]; si nimet alliu dinc über ›hie‹ und ›nû‹. [...]. Und wære ich danne mîn selbes ûzgegangen und zemâle ledic worden, eyâ, sô gebære der vater sînen eingebornen sun in mînem geiste als lûterlîche, daz in der geist widergebære. (In der Seele ist eine Kraft, der sind alle Dinge gleich süß [...]; sie fasst alle Dinge oberhalb von ›Hier‹ und ›Jetzt‹. [...]. Wäre ich aber nun aus mir selbst ganz ausgegangen und meiner völlig ledig geworden, ei, so würde der Vater vom Himmel seinen eingeborenen Sohn in meinem Geiste so lauter gebären, dass der Geist ihn wiedergebären würde).69

68. ›Übergang‹ ist hier keine Differenz, sondern ständig i n n e r m o d a l e Weise des Sichgebens des Lebens als solchem; vgl. R. Kühn, Praxis der Phänomenologie (2009), 75-80 (Kap. I.3,2: Übergang als Ipseisierung und Können). 69. Eckhart, Pr. 42 (DW II 306,6-10).

Ein gedachter Gott? Zur sprachlichen Konstruktion von Wirklichkeit in Eckharts Reden der Unterweisung Cornelia Boss-Pfister, Rapperswil-Jona

Abstract Eckhart mentions the possibility of an imagined God only very briefly, immediately to reject it. His God is not only ›imagined‹, but ›real‹ – and how does Eckhart show this? Which rhetorical means does he employ, how does he construct reality, especially the reality of God, in his rede der unterscheidunge? The concept of Eckhart’s world, his demand for equanimity when confronted with the troubles of fate, the priority of an inner attitude over visible acts – all this is necessarily based on a concept of the reality of God, a reality that is predominant over the reality of man. No man without God, but not: no God without man. Eckhart is thus an integral part of the Christian tradition; only the consistency of his argumentation and the rigour of its implementation in real life make his words unusual. Because man is nothing without God, he shouldn’t care about himself in ordinary life – he may accept everything that comes with calm, and ask only for God’s will therein. He may grow with suffering and experience joy according to God’s will, as he knows through the words of Jesus. These are simple thoughts – what makes them special is their foundation in reality, a reality that, thanks to Eckhart’s phraseology, unifies God and man over and again and therefore creates a common reality for God and man, thus allowing God to become real. The ›Ich‹, the textual ego of Eckhart, is basically, in the utmost spark of the soul, at one with God, without God the ego is nothing – the ›Ich‹ is a thought of God, not vice versa. Eckhart indicates that man can call God into being by spiritual and practical exercise; as music is created by competent musicians, God can be ›imagined‹ as well as ›real‹. Exercise leads to a condition in which God is present in life, so that his presence can be enjoyed without effort, in

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the manner of a musician who can enjoy his ability to make music, whether he is playing or not. The composer’s art, however, is only to be enjoyed if the musician plays especially well. Eckhart makes a clear distinction between beginners and masters. The rede der unterscheidunge (›Counsels of Discernment‹) are directed to beginners. The value of exercise in this text can be seen as particularly evident. 1. Einleitung

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ur ganz kurz erwähnt Eckhart die Möglichkeit eines gedachten Gottes in den Reden der Unterweisung,1 um sie gleich zurückzuweisen.2 Sein Gott ist nicht ›nur‹ gedacht, er ist ›wirklich‹ – doch wie zeigt Eckhart dies? Welche sprachlichen Mittel verwendet er, wie konstruiert er die Wirklichkeit, insbesondere die Wirklichkeit Gottes, in seinen Reden der Unterweisung? Dieser Frage möchte ich in meinem Beitrag nachgehen. Methodisch gesehen steht diese Frage in erster Linie in einer hermeneutischen Tradition.3 Mit der Frage nach der Konstruktion von ›Wirklichkeit‹ (der Wirklichkeit Gottes), insbesondere mittels Sprache, ist freilich zugleich eine moderne Frage gestellt; sie berührt den modernen Konstruktivismus, jene Strömung, die insbesondere die Naturwissenschaften und deren Theorien zum Begriff der Wirklichkeit stark beeinflusst.4 Es wird aber zu zeigen sein, inwieweit der Begriff der Konstruktion 1. Der präzisere Titel wäre ›Reden der Unterscheidung‹: nicht-häretische, theologisch unbedenkliche Reden, in Abgrenzung zu den damals zirkulierenden ketzerischen Gedanken wie etwa denjenigen im Traktat von Schwester Katrei. Es gehört zu den Grundanliegen des Predigerordens der Dominikaner, auf die spirituellen Anliegen von Laien einzugehen und auf diese Weise die Ketzerei an der Wurzel zu bekämpfen. Vgl. z.B. Franz-Josef Schweitzer, Der Freiheitsbegriff der deutschen Mystik: Seine Beziehung zur Ketzerei der »Brüder und Schwestern vom Freien Geist«, mit besonderer Rücksicht auf den pseudoeckhartischen Traktat »Schwester Katrei« (Frankfurt a.M., 1981); Mikhail Khorkov, »Zur Meister Eckhart-Rezeption im Spätmittelalter«, in: Recherches de théologie et philosophie médiévales 77/1 (2010), 125-36. 2. Eckhart, RdU (DW V 205,5-9). 3. Vgl. z.B. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, in: Gesammelte Werke, Bd. 1 (durchgesehene und korrigierte Studienausgabe Tübingen, 2010) (Erstausgabe: Tübingen, 1960), 10. 4. Vgl. vor allem: Humberto Maturana und Francisco Varela, Der Baum der Erkenntnis: Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, übersetzt von K. Ludewig (Bern/München, 1987) (erstmals span.: El árbol del conocimiento, Santiago de Chile, 1984); Roija Friedrich Weidhas, Konstruktion – Wirklichkeit – Schöpfung: Das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens im Dialog mit dem radikalen Konstruktivismus unter besonderer Berücksichtigung der Kognitionstheorie H. Maturanas (Frankfurt a.M. u.a., 1994), z.B. 57; Gerhard Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit: Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen (Frankfurt a.M., 1994), z.B. 21.

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gerade für Eckharts Auffassung von Wirklichkeit und Gott zu gebrauchen und zu spezifizieren ist. Fragen wir nach der Definition von ›Wirklichkeit‹ (lat. actualitas), bietet die Rückführung des Substantivs auf die zugrundeliegenden Verben ›wirken‹ bzw. agere einen ersten Anhaltspunkt. ›Wirken‹ bedeutet etwas auslösen, bewirken; etwas konkret ändern in der Welt; neue Verbindungen schaffen, neues Zusammenwirken bewirken. Womit bereits ein weitergehender Wortsinn aufscheint: ›wirken und weben‹, aus Fäden Stoffe wirken, aus zwei Dimensionen drei Dimensionen erschaffen – Wirklichkeit produzieren. Wirklichkeit hat also immer mit Subjekten zu tun. Absolute Objektivität ist nicht erreichbar, es gibt nur Annäherungen. Sobald jemand etwas ›wahrnimmt‹, beginnt es zur Wirklichkeit zu gehören – subjektiv. So kann auch etwas, das nur aus Nervenreizen im Gehirn besteht, trotzdem ›wahr‹, wirklich und wirksam werden. Und je mehr Subjekte diese ›Wahrnehmung‹ teilen und sich sprachlich erfolgreich darüber austauschen, desto ›wirklicher‹ wird sie. Dies gilt auch für ein intellektuell konstruiertes Konzept ›Gott‹, das nur durch Sprache aktiviert wird, durch Worte beziehungsweise durch »das Wort«.5 Diese einführenden Überlegungen umkreisen die Problematik, dass Gott ein gedachtes Konzept sein könnte, das der Mensch entworfen und damit zu einer Art geistigem Leben in die Welt gerufen hat und das nun auf den Menschen zurückwirkt. Eckhart richtet jedoch sein ganzes Sprechen darauf aus, Gott mehr Wirklichkeit als dem Menschen zuzugestehen, was modernen Theorien von ›Wirklichkeit‹, insbesondere den Theorien, die existenzialistisch, konstruktivistisch, system- oder kommunikationstheoretisch ausgerichtet sind, einerseits fundamental widerspricht, andererseits aber auch Anknüpfungspunkte für ein Gespräch mit diesen bietet. Eckharts ganzes Lebensmodell, sein Konzept der Gelassenheit, seine Anweisungen zum rechten Leben verlieren ihre Relevanz, wenn sein Gott nur gedacht ist. Sie können also auch für moderne Leserinnen und Leser nur einen Sinn haben, wenn diese die Annahme der Wirklichkeit Gottes 5. Vgl. Joh 1,1f: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott.« Genau genommen lässt sich dem Anfang des Johannes-Evangeliums nicht entnehmen, ob Gott oder das Wort zuerst da waren. Christian Morgenstern nimmt sich dieses Themas, dass erst das Wort etwas zum Sein bringe, in seinem Gedicht Das Nasobem an; über dieses Tier heißt es dort: »Es steht noch nicht im Meyer./ Und auch im Brockhaus nicht. / Es trat aus meiner Leyer / zum ersten Mal ans Licht.« (Christian Morgenstern, Das Nasobem, in: Ausgewählte Werke, hg. von K. Schuhmann [Leipzig, 1975], 269).

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teilen. Ich möchte daher zeigen, wie sich in Eckharts Reden der Unterweisung das Konzept eines gedachten Gottes zu der Annahme eines wirklichen Gottes verhält. In der Tradition, aus der Eckhart schöpft, wie auch in seinen eigenen Texten wird nicht hinterfragt, dass ›Sein‹ mehr ist als ›Nichts‹; dass es gilt, zum Sein zu gelangen. Der Mensch ist für Eckhart von sich aus ›nichts‹.6 Wenn dieser sich nun einen Gott ausdenkt, dann ist dieser Gott eine Kreatur des Menschen, also eines ›Nichts‹, und es kommt ihm nicht mehr ›Sein‹ zu als seinem Ursprung, dem Menschen. Dem widerspricht jedoch die Wahrnehmung, dass ein ›aus Gott lebender‹, Eckharts Lehren befolgender Mensch anders ›wirkt‹ als andere Menschen. Wäre das, dass der gottgeeinte Mensch anders wirkt und daher etwas Wirkliches passiert sein muss, nicht der Fall, ließe sich leichter an der Relevanz von Eckharts Ideen zu einem ›wirklichen‹ Gott zweifeln. Dieser Beobachtung einer lebenspraktischen Verifizierbarkeit des Eckhartschen Denkens entspricht eine Publikation des Dominikanerordens aus dem Jahr 1988 – sie ist auch aktuell noch auf der Website www. dominikaner.org verfügbar –, welche die einseitige Deutung Meister Eckharts als Gelehrter und Forscher beklagt, da er zumindest zugleich ein »unermüdlicher Prediger, Exerzitienmeister und Seelenführer« gewesen sei, einer, der als l e b e m e i s t e r erst richtig wirken kann: Das unglückselige Ergebnis dieser ungerechten Fehldarstellung hat dazu geführt, dass die Werke Meister Eckharts jahrhundertelang jenen verschlossen blieben, die am meisten aus ihnen hätten Nutzen ziehen können, und Fachleuten vorbehalten waren, die sehr oft gar kein Interesse hatten an der höchst praktischen, religiösen und mystischen Botschaft, die in ihnen enthalten ist, vor allem in den Traktaten und Predigten.7 Nichts scheint so sehr die lebendige Erkenntnis des seinshaften, wirklichen Gottes zu erschweren wie das Konzept des gedachten ›Gottes‹ (in Quints Übersetzung jeweils mit Anführungszeichen), dem wir etwa in Eckharts ›Armutspredigt‹ begegnen: Daz got ›got‹ ist, des bin ich ein sache; enwære ich niht, sô enwære got niht ›got‹. Diz ze wizzenne des enist 6. Vgl. Eckhart, Pr. 4 (DW I 69,8). 7. Cornelius Williams, »Meister Eckhart – Der Mensch und seine Botschaft«, in: Ordenskorrespondenz: Zeitschrift für Fragen des Ordenslebens 29 (1988), 282-3.

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niht nôt (»[...] dass Gott ›Gott‹ ist, dafür bin ich die Ursache. Wäre ich nicht, so wäre Gott nicht ›Gott‹. Dies zu wissen ist nicht nötig«).8 2. Ein ›gedachter Gott‹ in den Reden der Unterweisung? Doch obwohl Eckharts Sprechen darauf ausgerichtet ist, einen ›wirklichen‹, einen ›wirkenden‹ Gott im ›Nach-Denken‹ und im ›Nach-Leben‹ erfahrbar zu machen, gibt es auch Stellen, die daran zweifeln lassen. Der Anfangssatz der Reden zeigt das Verhältnis Gott-Mensch implizit reziprok, und Gott und Mensch erscheinen als Antagonisten: Swâ der mensche in gehôrsame des sînen ûzgât und sich des sînen erwiget, dâ an dem selben muoz got von nôt wider îngân; wan sô einez im selber niht enwil, dem muoz got wellen glîcher wîs als im selber. (Wo der Mensch in Gehorsam aus seinem Ich herausgeht und sich des Seinen entschlägt, ebenda muss Gott notgedrungen hinwiederum eingehen, denn wenn einer für sich selbst nichts will, für den muss Gott in gleicher Weise wollen wie für sich selbst).9 Wer Gott Raum gibt dort, wo sein Ich war, der wird erleben, dass Gott den Raum ›notgedrungen‹ sogleich einnimmt und mit seinem göttlichen Willen füllt, als wäre dort kein Ich mehr. Karl Heinz Witte hat in diesem Zusammenhang von Vergewaltigungsmetaphorik gesprochen.10 Die sprachliche Struktur des Zitats legt aber nahe, dass es sich um parallel verlaufende repetitive Vorgänge handelt, um eine Regelmäßigkeit, ja Gesetzmäßigkeit: Swâ ... dâ an dem selben muoz – wan ... muoz (Wo ... ebenda muss, ... denn wenn ... muss). Zwar wird der Vorgang nur in einer Richtung beschrieben: Wo i c h n i c h t s f ü r m i c h w i l l , d a w i l l G o t t f ü r m i c h . 11 Die Versuchung ist aber groß, den Vorgang umzukehren: Ohne jeden Gehorsam bleibt Gott draußen. Die Fortsetzung verschärft die Wahrnehmung einer Gesetzmäßigkeit, die für Mensch und Gott gleichermaßen gilt: Swenne ich mînes willen bin ûzgegangen in die hant mînes prêlaten und mir selber niht enwil, dar umbe muoz mir got wellen, und 8. Eckhart, Pr. 52 (DW II 504, 3). 9. Id., RdU (DW V 187,1-3). 10. Karl Heinz Witte, »Der enthöhte Gott – Zur Demutslehre Meister Eckharts«, in: V. Leppin und H.-J. Schiewer (Hgg.), Meister Eckhart aus theologischer Sicht (Stuttgart, 2007), 43-53, hier 45. 11. Eckhart, RdU (DW V 187,7); vgl. den Schluss des nächsten Zitats, Anm. 12.

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versûmet er mich an dem teile, sô versûmet er sich selber. Alsô in allen dingen, dâ ich mir niht enwil, dâ wil mir got. (Wenn ich mich meines Willens entäußert habe in die Hand meines Oberen und für mich selbst nichts will, so muss Gott darum für mich wollen, und versäumt er etwas für mich darin, so versäumt er es zugleich für sich selbst. So steht’s in allen Dingen: Wo ich nichts für mich will, da will Gott für mich).12 Gottes Wirken scheint von meinem Wirken abzuhängen: Nur wo ich nichts für mich will, kann Gott für mich wollen. Uns Heutige berührt an dieser Stelle unangenehm, dass »die Hand meines Oberen« als Hand Gottes erscheint – dass übergangslos vom Oberen zu Gott gewechselt wird. Wichtig scheint nicht das Verhalten des Oberen zu sein, sondern die Zuversicht, dass diese Haltung in sich selbst wirkkräftig ist und über den Oberen hinaus auf Gott wirkt: »so muss Gott darum für mich wollen«. Etwas von dieser Zuversicht und von diesem Augenmerk auf der eigenen Haltung, die für ihn mehr als das Verhalten seiner Obrigkeit im Zentrum steht, finden wir in Eckharts Rechtfertigung vor der Inquisition: Errare enim possum, haereticus esse non possum. Nam primum ad intellectum pertinet, secundum ad voluntatem. (»Ich kann mich irren, [weil ja irren menschlich ist], aber ich kann kein Ketzer sein. Das erste hängt vom menschlichen Verstand ab und der menschliche Verstand ist schwach [und man kann sich irren]. Das zweite aber hängt vom Willen ab.«)13 Zum Schluss dieses ersten Absatzes des Traktats beschreibt Eckhart die entworfene Gesetzmäßigkeit, welche die Willensbewegung des Menschen und diejenige Gottes bestimmt, genauer: Nû merke! Waz wil er mir, dâ ich mir niht enwil? Dâ ich mich ane lâze, dâ muoz er mir von nôt wellen allez, daz er im selben wil, noch minner noch mêr, und mit der selben wîse, dâ, er im mit wil. (Nun gib acht! Was will er denn für mich, wenn ich nichts für mich will? Darin, wo ich von meinem Ich lasse, da muss er für mich notwendig alles das wollen, was er für sich selbst will, 12. Ibid. (187,3-7). 13. Eckhart, Acta Echardiana, n. 48 (Responsio) (LW V 277,4-5) (Proc. col. I, n. 80). Ketzer sein ist also eine Frage des Willens. Die kommentierende Übersetzung stammt aus einem Interview mit Wolfgang Wackernagel aus dem Jahr 1995, nachzulesen unter: »Ein Gespräch über Meister Eckhart: Wolfgang Wackernagel im Gespräch mit Felizitas von Schönborn« (http://www.synaptic. ch/MuseumHermeticum/MaitreEckhart/eckartintd.htm – Zugriff: 22.08.2016).

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nicht weniger noch mehr, und in derselben Weise, mit der er für sich will).14 Eckhart beschreibt hier geradezu ein ›Naturgesetz‹: Und entæte got des niht, in der wârheit, diu got ist, sô enwære got niht gereht noch enwære got, daz sîn natiurlich wesen ist. (»Und täte Gott das nicht, – bei der Wahrheit, die Gott ist, so wäre Gott nicht gerecht, noch wäre er Gott, was doch sein natürliches Sein ist.«)15 Mit dem natürlichen Sein Gottes war im Mittelalter selbstverständlich nicht dasselbe gemeint wie heute16 – aber immerhin ist mit Natur doch stets das gemeint, was uns entgegentritt an Gegebenheiten auf dieser Welt, ob nun als Schöpfung oder als Werk des Zufalls interpretiert. Es ist also durchaus denkbar, dass das Ich sowohl biologischen als auch spirituellen oder geistigen Gesetzmäßigkeiten ausgesetzt ist – und dass es diesen mit verstärktem Willenseinsatz möglicherweise weit weniger gut begegnen kann als mit einer ruhigen Gelassenheit und flexiblen Offenheit gegenüber unbeherrschbaren Einflüssen, wie sie Eckhart empfiehlt.17 Anders gesagt: Du kannst diese Gesetze nicht brechen – du kannst nur selbst an den Gesetzen zerbrechen. Daher ist es besser, du beugst dich ihnen.18 14. Eckhart, RdU (DW V 187,7-9). 15. Ibid. (187,9-188,2). 16. Otto Langer, »Rationalität und religiöse Erfahrung: Drei Paradigmen: Eriugena, Bernhard von Clairvaux, Meister Eckhart«, in: Reflexion und Inszenierung von Rationalität in der mittelalterlichen Literatur: Blaubeurer Kolloquium 2006, in Verbindung mit W. Haubrichs und E. C. Lutz hg. von K. Ridder (Berlin, 2008), 299-328, hier 300, weist darauf hin, dass erst Friedrich Schleiermacher religiöse Erfahrung »zur ausschließlichen Sache des Herzens, des Gefühls« gemacht habe, während Hans Blumenberg den anderen Wirklichkeitsbegriff des Mittelalters als den der »garantierte(n) Realität« bezeichne, im Gegensatz zur Moderne und zur Antike. Der Gegensatz von Rationalität und religiöser Erfahrung sei ein Produkt der Neuzeit. 17. Der Gotteshelm (›the God Helmet‹) soll seinen Trägern auf Knopfdruck spirituelle Erlebnisse vermitteln durch Stimulation des Schläfenlappens via eingebaute Elektroden. Im Jahr 2005 wurde dieses Forschungsresultat allerdings in Frage gestellt (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15849873; Zugriff 10.12.2013). Eine neue Studie der Gotteshelm-Erfinder vom April 2011 unter Mitwirkung des federführenden Michael A. Persinger weist Unterschiede zwischen erfahrenen Meditierenden und Meditations-Neulingen nach: Christina F. Lavallee u.a., A quantitative electroencephalographic study of meditation and binaural beat entrainment (http://www.ncbi.nlm.nih. gov/pubmed/21480784; Zugriff 22.04.2017). Vgl. dazu Richard H. Jones, Curing the Philosopher’s Disease: Reinstating Mystery in the Heart of Philosophy, Lanham (Maryland, 2009), 241: »Die physiologische Basis von mystischen Erfahrungen zu identifizieren wird nicht bei der Entscheidung helfen, ob die Erfahrung eine Einsicht oder eine Täuschung beinhaltet.« 18. Zum »beirrenden Doppelsinn von ›Gesetz‹ als Sollensangebot und faktische Naturstruktur«, zum »Gott-Welt-Verständnis« und zum »Ereignis der Freiheit« vgl. Jörg Splett, Gotteserfahrung

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Mit der Entwicklung der wissenschaftlichen Forschung treten zunehmend vor kurzem noch sehr wichtige Unterschiede in den Hintergrund: Ob Zufall oder Schöpfung, es ist etwas höchst Differenziertes und systemisch Zusammenwirkendes entstanden. Ob nun draußen in der Welt oder halluziniert in meinem Gehirn, da entstehen Wahrnehmungen, die Einfluss haben auf innere Bilder19 und auf diesem Weg auch auf die Welt draußen – was sie unterscheidet, ist vor allem die Art ihrer Reproduzierbarkeit und ihrer Einbettung in Gesamtzusammenhänge.20 Wahrnehmungen lassen sich nicht falsifizieren – sie lassen sich höchstens für irrelevant erklären: Man kann sie als Täuschung entlarven, indem man anderen Wahrnehmungen mehr Bedeutung zugesteht. Psychiater im Umgang mit Wahnkranken kennen die daraus resultierenden Konflikte aus leidvoller Erfahrung. Physiker gehen routiniert mit Artefakten um – typischen Bildstrukturen, Verzerrungen, die mit einer falschen Einstellung des Mikroskops und nicht mit einer Eigenschaft des untersuchten Gegenstands zu erklären sind. Sie wissen, dass ihre Beschreibung der Welt auf von Instrumenten mitbestimmten Wahrnehmungen beruht, die täuschen könnten. Die Fragen und die Grenzen verlagern sich. Vielleicht werden wir uns nicht mehr in erster Linie fragen, ob es Gott gibt, sondern wie er wirkt.21 Zunehmende wissenschaftstheoretische Reflexion rückt Rationalität und Religion wieder im Denken: Zur philosophischen Rechtfertigung des Redens von Gott (5., aktualisierte und erweiterte Auflage München, 2005), 133-135. 19. Zu wirkkräftigen Bildern bei Eckhart vgl. z.B. Mariele Nientied, »die gleychnuß alle zerbrechenn: Sprengmetaphern bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues«, in: A. Haverkamp und D. Mende (Hgg.), Metaphorologie: Zur Praxis von Theorie (Frankfurt a.M., 2009), 181-202, hier vor allem 194-5. Sie verweist u.a. auf Rolf Schönberger, »Wer sind grobe liute?«, in: K. Jacobi (Hg.), Meister Eckhart: Lebensstationen – Redesituationen (Berlin, 1997), 239-59. 20. Vgl. z.B. eine Therapie, die der Neurologe Vilayanur S. Ramachandran erfunden hat, um eine schmerzende Phantom-Hand zu ›amputieren‹ (Vilayanur S. Ramachandran und Sandra Blakeslee, Phantoms in the Brain: Probing the Mysteries of the Human Mind [New York, 1998], 49-50; oder: http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId=101788221&ps=rs, Zugriff 22.04.2017). 21. »Ein klassischer Verdacht: Die ›Wirklichkeit‹ ist vielleicht nicht wahr, aber sie wirkt« – so lautet eine Kapitelüberschrift in: Heinz Abels, Wirklichkeit: Über Wissen und andere Definitionen der Wirklichkeit, über uns und Andere, Fremde und Vorurteile, mit einem Beitrag von B. und Th. Luckmann (Wiesbaden, 2009). Vgl. Ernst von Glasersfeld, »Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität«, in: H. Gumin und H. Meier (Hgg.), Einführung in den Konstruktivismus (München/Zürich, 1992), 9-39; von Glasersfeld prägte das für den Radikalen Konstruktivismus bedeutsame Konzept der Viabilität (Gangbarkeit): Wir speichern im Kopf zwar keine ikonographische (abbildhafte) Information über die Wirklichkeit, aber dennoch eine viable (brauchbare, passende), falls sie eine Funktion erfüllt, welche das Überleben in dieser Wirklichkeit erleichtert.

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näher zusammen, damit wären wir wieder sehr nahe an mittelalterlichen Weltvorstellungen.22 Im sechsten Kapitel der Reden der Unterweisung spricht Eckhart wörtlich von einem ›gedachten‹ Gott: War ane liget nû diz wâre haben gotes, daz man in wærlîche habe? Diz wærlîche haben gotes liget an dem gemüete und an einem inniclîchen vernünftigen zuokêrenne und meinenne gotes, niht an einem stæten anegedenkenne in einer glîchen wîse, wan daz wære unmügelich der natûre in der meinunge ze habenne und sêre swære und ouch daz aller beste niht. Der mensche ensol niht haben noch im lâzen genüegen mit einem gedâhten gote, wan, swenne der gedank vergât, sô vergât ouch der got. Mêr: man sol haben einen gewesenden got, der verre ist obe den gedenken des menschen und aller crêatûre. Dér got envergât niht, der mensche enkêre denne williclîche abe. (Woran liegt nun dieses wahre Haben Gottes, dass man ihn wahrhaft besitze? Dieses wahrhafte Haben Gottes liegt am Gemüt und an einem innigen, geistigen Sich-Hinwenden und Streben zu Gott, nicht an einem beständigen, gleichmäßigen Darandenken; denn das wäre der Natur unmöglich zu erstreben und sehr schwer und zudem nicht das Allerbeste. Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Menschen und aller Kreatur. Der Gott vergeht nicht, der Mensch wende sich denn mit Willen von ihm ab).23 Beachtet man speziell den Anfang des Zitats, so wird klar, dass es vor allem darum geht, ganz praktisch ›Haltung‹ und ›Denken‹ zu trennen. Jemand kann die ganze Zeit daran denken, dass er fröhlich sein soll. Seine Haltung wird dadurch noch nicht zwingend beeinflusst, im Gegenteil: Gerade das zwanghafte Denken kann zu einer Verkniffenheit, einer Versteifung in der Haltung führen, die jede Fröhlichkeit vermissen lässt. Der letzte Satz des Zitats hingegen enthält in sich die Möglichkeit, dass dem Menschen ›Gott vergeht‹, wenn er sich willentlich von ihm 22. Welch verblüffende Analogien zwischen Dantes Weltbild und demjenigen der aktuellen Physik und Astronomie zu finden sind, zeigt Bruno Binggeli in seinem umfangreichen Werk Primum mobile: Dantes Jenseitsreise und die moderne Kosmologie (Zürich, 2006). 23. Eckhart, RdU (DW V 205,1-9).

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abwendet. Gott könnte dem einen Menschen wesenhaft sein, dem anderen jedoch nicht. Nicht von ungefähr erscheint an dieser Stelle die ›Kreatur‹ – es dürfte um die neuplatonische Seinspyramide24 gehen, die von äußerster diabolischer Seinsferne oder -kälte zu zunehmendem Sein, zu Licht und Wärme und göttlicher Strahlkraft im Licht des höchsten Gottes, des höchsten Wesens im vollkommenen Sein, führt; vom teuflischen Gewürm über alle Kreatur, Tiere, Menschen und Engel25 bis hin zu göttlichen Wesenheiten.26 Ein Hinweis, dass es sich hier um die versteckte Auseinandersetzung mit einem Weltmodell ursprünglich antiker Prägung handelt – um eine Abgrenzung gegenüber Gottesvorstellungen des antiken Pantheons, denen die Idee, dass Götter menschliche Eigenschaften verkörpern, sehr vertraut ist.27 Eckhart wendet sich also gegen die Vorstellung eines ›gedachten‹ Gottes mit menschlichen Eigenschaften, wie sie den in den Schriften der Antike gebildeten Zeitgenossen bekannt war. Es geht um die richtige Haltung zur Wirklichkeit:28 Der mensche ist verre mêr vor gote gelobet, wan er alliu dinc götlîche nimet und mêr, dan diu dinc an in selber sint. Triuwen, hie zuo gehœret vlîz und minne und ein wol warnemen des menschen inwendicheit und ein wacker wâr vernünftigez würklîchez wizzen, war ûf daz gemüete stât in den dingen und bî den liuten. Diz enmac der mensche niht gelernen mit vliehenne, daz er diu dinc vliuhet und sich an die einœde kêret von ûzwendicheit; sunder er muoz ein innerlich einœde lernen, swâ oder bî swem er ist. Er muoz 24. Vgl. z.B. Klaus Kremer, Die neuplatonische Seinsphilosophie und ihre Wirkung auf Thomas von Aquin (Leiden, 1966), zu Eckhart 186-7 und 193. 25. Vgl. Uta Störmer-Caysa, »Die Ordnung der Engel: Mystische Denkfiguren im deutschen Predigtwerk Meister Eckharts«, in: J. Rogge (Hg.), Religiöse Ordnungsvorstellungen und Frömmigkeitspraxis im Hoch- und Spätmittelalter (Korb, 2008), 99-114. 26. Zum Einfluss des Neuplatonismus auf das Christentum vgl. vor allem Werner Beierwaltes, Platonismus und Idealismus (2., durchgesehene und erweiterte Aufl. Frankfurt a.M., 2004); id., Platonismus im Christentum (Frankfurt a.M., 1998); id., Denken des Einen: Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte (Frankfurt a.M., 1985). 27. Vgl. z. B. Karl R. Popper, Jørgen Mejer und Arne Friemuth Petersen (Hgg.), Die Welt des Parmenides: Der Ursprung des europäischen Denkens, übersetzt von S. Wieland und D. Dunkel (ungekürzte Taschenbuchausgabe, München/Zürich, 2005), 90 (engl.: The World of Parmenides, London, 1998). 28. Vgl. Hans Blumenberg, Paradigmen einer Metaphorologie (Frankfurt a.M., 21999), 183, zit. in: M. Nientied, »die gleychnuß alle zerbrechenn« (2009), 194: »[…] dass auch die ›Wahrheit‹ der Sprengmetaphorik, wie wir es für die absolute Metapher herauszuarbeiten versuchen, wesentlich pragmatisch ist: Sie induziert eine Haltung, ein Verhalten, die mit großer Allgemeinheit als ›mystisch‹ bezeichnet werden […]« .

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lernen diu dinc durchbrechen und sînen got dar inne nehmen und den krefticlîche in sich künnen erbilden in einer wesenlîchen wîse. (Dieser Mensch findet weit mehr Lob vor Gott, weil er alle Dinge als göttlich und höher erfasst, denn sie in sich selbst sind. Traun, dazu gehört Eifer und Hingabe und ein genaues Achten auf des Menschen Inneres und ein waches, wahres, besonnenes, wirkliches Wissen darum, worauf das Gemüt gestellt ist mitten in den Dingen und unter den Leuten. Dies kann der Mensch nicht durch Fliehen lernen, indem er vor den Dingen flüchtet und sich äußerlich in die Einsamkeit kehrt; er muss vielmehr eine innere Einsamkeit lernen, wo und bei wem er auch sei. Er muss lernen, die Dinge zu durchbrechen und seinen Gott darin zu ergreifen und den kraftvoll in einer wesenhaften Weise in sich hineinbilden zu können).29 Die Ausdrücke ein wol warnemen des menschen inwendicheit und ein wacker wâr vernünftigez würklîchez wizzen enthalten die wichtigsten Begriffe, die schließlich nötig waren, um im Deutschen über die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu philosophieren. Auffällig ist das Spiel mit der Sprache: Es wimmelt von Stabreimen wie wol warnemen – wacker war würklichez wissen; wie wenn dies der Aussage mehr Wirksamkeit verleihen könnte. Der Mensch soll Gott in sich entstehen lassen – allerdings nicht im Denken, sondern im erbilden in einer wesenlîchen wîse: Es soll im Menschen ein Bild entstehen, das nicht nur bloßes Abbild ist, sondern an Gottes Sein und Wesen teilhat. Eckharts Redeweise betont besonders den Prozesscharakter dieses Vorgangs. Dem liegt eine dynamische Weltund Gottessicht zugrunde, in der Gott und Mensch wirkend aufeinander bezogen und miteinander verwoben sind. Im Schlusssatz des gerade zitierten Abschnitts rückt die Konstruktion der Wirklichkeit Gottes durch den Menschen schon fast überdeutlich ins Zentrum: Er muoz lernen diu dinc durchbrechen und sînen got dar inne nemen und den krefticlîche in sich künnen erbilden in einer wesenlîchen wîse (»Er muss lernen, die Dinge zu durchbrechen und seinen Gott darin zu ergreifen und den kraftvoll in einer wesenhaften Weise in sich hineinbilden zu können«).30 Das Ergreifen Gottes geschieht also in einem Lernprozess, im wiederkehrenden Selbstgespräch, das eine Grundhaltung bestärkt. 29. Eckhart, RdU (DW V 207,1-9). 30. Ibid. (207,8-9)

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Es geht um die stetige Übung in einer Kunst. So wie zum Beispiel bei der Kunst des Schreibens, die schließlich so sehr in Fleisch und Blut übergeht, dass sie nicht mehr aktiv und bewusst ausgeübt wird, sondern ohne bilde und anedenkenne – sô schrîbet er lediclîchen und vrîlîchen – oder es sî videln oder deheiniu werk, diu ûz sîner kunst suln geschehen.31 So wird auch das Selbstgespräch mit der Zeit nicht mehr nötig sein, um die Grundhaltung zu bewirken – es genügt, die Haltung einnehmen, die Kunst ausüben zu wollen, und schon ergibt sie sich, während die Gedanken frei schweifen. Ist Gott folglich ein Produkt regelmäßig geübter Autosuggestion? Bis hierher könnte Eckharts Text eine Angriffsfläche für diese Vermutung bieten. Auffällig ist jedoch, dass bereits der nächste Abschnitt wieder eine sprachliche Passivkonstruktion enthält und der ganze Abschnitt den Menschen nicht aktiv zeigt, sondern von allem frei und empfänglich: Alsô sol der mensche mit götlîcher gegenwerticheit durchgangen sîn und mit der forme sînes geminneten gotes durchformet sîn und in im gewesent sîn, daz im sîn gegenwerticheit liuhte âne alle arbeit, mêr: eine blôzheit neme in allen dingen und der dinge zemâle ledic blîbe. Dâ muoz ze dem êrsten ein anegedenken und ein merklich înerbilden zuo gehœren, als dem schuoler ze der kunst. (So auch soll der Mensch von göttlicher Gegenwart durchdrungen und mit der Form seines geliebten Gottes durchformt und in ihm verwesentlicht sein, so dass ihm sein Gegenwärtigsein ohne alle Anstrengung leuchte, dass er überdies in allen Dingen Bindungslosigkeit gewinne und gegenüber den Dingen völlig frei bleibe. Dazu gehört zu Beginn notwendig Überlegung und ein aufmerksames Einprägen wie beim Schüler zu seiner Kunst).32 Es ist also streng zu unterscheiden zwischen dem Anfänger und dem Könner – bei Musikinstrumenten können wir dieser Unterscheidung leicht folgen. Was für den Anfänger wichtig ist, muss sich nicht mit dem decken, was der Fortgeschrittene übt. Wer Regeln beherrscht, kann damit anfangen, sie kunstvoll zu durchbrechen. Wer am Anfang mit viel Mühe und Arbeit lernt, kann am Ende aus dem Musizieren Freude und Kraft schöpfen. Wer am Anfang durch Überlegen und aufmerksames 31. Ibid. (208,5-7): »[…] so bedarf er der Bildvorstellung und der Überlegung gar nicht mehr, und dann schreibt er unbefangen und frei, und ebenso ist es auch, wenn es sich um Fiedeln oder irgendwelche Verrichtungen handelt, die aus seinem Können geschehen sollen«. 32. Ibid. (208,11-209,4).

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Einprägen Gottes Bild in sich konstruiert, kann sich am Ende an der Gegenwärtigkeit Gottes ohne Anstrengung erfreuen. Im Kapitel 11 des Traktats steht wiederum die Haltung im Zentrum. Der gute Wille kann Gott gar nicht verlieren; das Empfinden des Gemüts jedoch, daz misset sîn underwîlen und wænet dicke, got sî vür gegangen.33 In solchen Momenten soll die Haltung bleiben, wie sie war, als Gott noch gegenwärtig war: Ez enist kein rât als guot, got ze vindenne, dan wâ man got læzet; und wie dir was, dô dû in zem lesten hâtest, alsô tuo nû, die wîle dû sîn missest, sô vindest dû in. (Es gibt keinen gleich guten Rat, Gott zu finden, als ihn dort zu finden, wo man ihn fahrenlässt. Und wie dir war, als du ihn zuletzt hattest, so tu auch nun, da du ihn vermissest, so findest du ihn).34 Dieser lebenspraktisch überzeugende Rat, eine bestimmte Haltung einzunehmen, um ein gewisses Gefühl wieder hervorrufen zu können, lässt erneut skeptisch aufhorchen. Gott spüren, als Gefühl?35 – Die Skepsis ist berechtigt, wie die Fortsetzung sofort zeigt: Mêr: der guote wille der enverliuset noch envermisset gotes niht noch niemer.36 Der geübte Meister der religiösen Praxis kann Gott gar nicht verlieren, da er ihn als Resultat dieser Meisterschaft stets gegenwärtig findet. Am zuvor betrachteten Kontext dieser Stelle aber zeigt sich exemplarisch, dass Eckhart als der geübte Meister den vermeintlichen ›Anfänger‹-Fragen des religiösen Lebens eine enorme und bleibende Bedeutung zuspricht. Daher äußert er auch Verständnis dafür, dass das Üben einmal zu kurz kommen kann, und gibt entscheidende Ratschläge, die dabei helfen, die Übung in der vertrauten Form wiederaufzunehmen.37

33. Ibid. (224,10-11): Das Empfinden des Gemüts »wähnt oft, Gott sei fortgegangen«. 34. Ibid. (225,3-5). 35. Vgl. ibid. (270,1-4): Ie dû minner enpfindest und grœzlîcher gloubest, ie dîn gloube lobelîcher ist und mêr geahtet und gelobet sol werden, wan ein ganz glouben ist vil mêr dan ein wænen in dem menschen. In im sô hân wir ein wâr wizzen. (»Je weniger du empfindest und je fester du glaubst, um so löblicher ist dein Glaube und um so mehr wird er geachtet und gelobt werden; denn ein ganzer Glaube ist viel mehr im Menschen als ein bloßes Wähnen. In ihm haben wir ein wahres Wissen«). 36. Ibid. (225,5-6): »Der gute Wille indessen verliert oder vermisst Gott nie und nimmer«. 37. Haltung verliert sich ohne Übung – »Unio ist kein Zustand«, so M. Nientied, »die gleychnuß alle zerbrechenn« (2009), 194-5; vgl. auch Burkhard Hasebrink, »mitewürker gotes: Zur Performativität der Umdeutung in den deutschen Schriften Meister Eckharts«, in: P. Strohschneider

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Einen ›gedachten Gott‹ als Resultat religiöser Praxis und Meisterschaft scheint Eckhart durchaus in Betracht zu ziehen.38 Wie bei der Musik entsteht so jedoch etwas, das zwar durch den Menschen im gegenwärtigen Moment erschaffen wird, jedoch etwas ›Wirkliches‹ erfahren lässt – so wird eben doch ein ›wirklicher‹ Gott erfahrbar. Ist Musik wirklich? Ist ein so gedachter Gott wirklich? Er ist zweifellos wirkend und wirksam, und doch auch abhängig von den Fähigkeiten, der Könnerschaft des Menschen, der ihn erst wahrnehmbar macht – für sich und für andere. Die Frage, ob es Gott auch ohne solche Menschen gibt, scheint sich für Eckhart hier gar nicht zu stellen. In anderem Zusammenhang betont er jedoch, die Sonne scheine auch ohne den Spiegel, der sie widerspiegle.39 Eine klare Antwort. 3. Gottes ›Wirklichkeit‹ in den Reden der Unterweisung Eckharts Sprechen ist also darauf ausgerichtet, einen ›wirklichen‹, einen ›wirkenden‹ Gott im ›Nach-Denken‹ und im ›Nach-Leben‹ erfahrbar zu machen. Daher spricht er – wie Jesus – davon, wie wir beten sollen, und hat sich an anderer Stelle auch speziell mit dem Vaterunser befasst.40 Seine eigene Anleitung in den Reden ist aber weniger konkret und enthält keinen expliziten Hinweis auf das Vaterunser: In wârer gehôrsame ensol niht vunden werden ›ich wil alsô oder alsô‹ oder ›diz oder daz‹, sunder ein lûter ûzgân des dînen. Und dar umbe in dem aller besten gebete, daz der mensche mac gebeten, ensol niht sîn weder ›gip mir die tugent oder die wîse, oder ›jâ, herre, gip mir dich selber oder êwigez leben‹, dan ›herre, engip

(Hg.), Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, DFG-Symposion 2006 (Berlin, 2009), 62-88; zum Thema ›Haltung durch Übung‹ insbesondere 69. 38. Zu dieser Wertschätzung religiöser Praxis passen sehr gut die Empfehlungen zum häufigen Empfang des Sakraments (vgl. RdU, Kapitel 20: »Von unseres Herrn Leib, dass man den oft empfangen soll und in welcher Weise und Andacht«). Das Resultat dieser Praxis (die Seele in Gott wie ein Wassertropfen im Wein) wird z.B. in Eckhart, RdU (DW V 268,10-269,5) beschrieben. 39. Die Sonne leuchtet, auch wenn der Spiegel sie nicht spiegelt; aber der Spiegel kann kein Sonnenlicht reflektieren, wenn die Sonne ihn nicht bescheint. Wenn sie ihn aber bescheint, leuchtet aus ihm das wahre Sonnenlicht. Vgl. dazu Predigt LVI (180,34-38 Pfeiffer); zur genauen Textgestalt dieser Stelle vgl. auch Alois Maria Haas, Sermo mysticus: Studien zur Theologie und Sprache der deutschen Mystik (Freiburg/Schw., 1989), 228. Zum Thema vgl. weiter Mauritius Wilde, Das neue Bild vom Gottesbild: Bild und Theologie bei Meister Eckhart (Freiburg/Schw., 2000), 60. 40. Vgl. Eckhart, Super Oratione Dominica (LW V 102-29).

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niht, wan daz dû wilt, und tuo, herre, swaz und swie dû wilt in aller wîse‹. Daz übertriffet daz êrste als der himel die erden. (In wahrem Gehorsam darf kein ›Ich will so oder so‹ oder ›dies oder das‹ gefunden werden, sondern nur vollkommenes Aufgeben des Deinen. Und darum soll es im allerbesten Gebet, das der Mensch beten kann, weder ›Gib mir diese Tugend oder diese Weise‹ noch ›Ja, Herr, gib mir dich selbst oder ewiges Leben‹ heißen, sondern nur ›Herr, gib mir nichts, als was du willst, und tue, Herr, was und wie du willst in jeder Weise!‹ Dies übertrifft das erste Gebet wie der Himmel die Erde).41 Eckhart befasst sich hier mit dem individuellen Gebet, das er nicht weniger individuell, aber weniger ›selbstsüchtig‹ ausgestaltet sehen möchte. Gebet nicht als Ausdruck des Ich, als Innewerden des eigenen Willens, sondern als Loslassen des Eigenen, um das Göttliche empfangen zu können. Als Krönung des ersten Kapitels des Traktats erscheint ein AugustinZitat,42 das die von Eckhart geforderte Haltung sehr schön beschreibt: ›der getriuwe diener gotes den engelüstet niht, daz man im sage oder gebe, daz er gerne hœrte oder sæhe; wan sîn êrster, hœhster vlîz ist ze hœrenne, waz gote allermeist gevellet‹. (»›Den getreuen Diener Gottes gelüstet nicht, dass man ihm sage oder gebe, was er gern hörte oder sähe; denn sein erstes, höchstes Bestreben ist zu hören, was Gott am allermeisten gefällt.‹«)43 Diese Haltung steht im Zentrum des zweiten Kapitels der Reden der Unterweisung. Es geht um das ›ledige Gemüt‹: Daz ledige gemüete vermac alliu dinc.44 Interessant ist die Reihe von Eigenschaften des von Gott geprägten Gebets oder Werkes: kräftiger, würdiger, nützer, löblicher und vollkommener – unbestimmte Eigenschaften, die mit gesteigerter Wirksamkeit in Zusammenhang gebracht werden können. Wir sind nun zur ersten Stelle gelangt, wo man gewissermaßen eine Frage aus dem Publikum hört, wie im Vorwort des Traktats angekündigt: Was ist ein lediges Gemüt? Die Antwort lautet: Daz ist ein ledic gemüete, daz mit nihte beworren enist noch ze nihte gebunden enist noch daz sîn bestez ze keiner wîse gebunden enhât noch des sînen niht enmeinet in deheinen dingen, dan 41. 42. 175,8-10. 43. 44.

Id., RdU (DW V 188,3-9). Vgl. Augustinus, Confessiones X,26,37, ed. von L. Verheijen (Turnhout, 1981) (CCL 27), Eckhart, RdU (DW V 189,4-6). Ibid. (190,6-7): Das ledige Gemüt vermag alle Dinge.

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alzemâle in dem liebesten willen gotes versunken ist und des sînen ûzgegangen ist. Niemer enmac der mensche dehein sô snœde werk gewürken, ez enneme hier inne sîne kraft und sîn vermügen. (Das ist ein lediges Gemüt, das durch nichts beirrt und an nichts gebunden ist, das sein Bestes an keine Weise gebunden hat und in nichts auf das Seine sieht, vielmehr völlig in den liebsten Willen Gottes versunken ist und sich des Seinigen entäußert hat. Nimmer kann der Mensch ein noch so geringes Werk verrichten, das nicht hierin seine Kraft und sein Vermögen empfinge.)45 Dem ledigen Gemüt werden hier fast ausschließlich Eigenschaften abgesprochen – daraus zu schließen, woraus die Haltung besteht, die es einzunehmen gilt, ist schwierig. Wir wissen aber, dass diese Haltung Gott zulässt, so dass der Mensch mit dieser Haltung göttliche Eigenschaften erhält – nämlich Wahrheit, Gerechtigkeit, Güte, Frieden, Liebe.46 Solche Eigenschaften können durchaus die Haltung eines Menschen prägen. Geht es nun bei der Haltung um die Art und Weise des Wirkens? Hier ist Vorsicht geboten, denn Eckhart wird im Kapitel 22 (Wie man gote volgen sol und von guoter wîse)47 betonen, es gehe nicht darum, die beste Weise zu finden.48 Wesentlich an des Menschen Haltung ist für Eckhart nur, dass der Mensch sich nicht an eine bestimmte Eigenschaft oder Weise klammert – dass er es Gott überlässt, welche Eigenschaft er ihm zukommen lässt. Konstant bleibt hier nur eines: Gelassenheit. Gelassener Friede, gelassene Liebe und Güte, gelassene Gerechtigkeit und Wahrheit. Nur damit kann man sich der Wirklichkeit Gottes annähern, da nur dies seiner Wirkweise entspricht (ähnlich wie wir oben bereits festgehalten haben, dass ein Bezug zur Wirklichkeit überhaupt besser gelingt, wenn wir um die Beschaffenheit ihrer Kräfte wissen und ihnen entsprechen). Eckhart weist dabei dezidiert auf ein nicht reziprokes Verhältnis zwischen Gott und Mensch hin: Niemer enmac der mensche dehein sô snœde 45. Ibid. (190,9-14). 46. Vgl. folgende Beispiele: Wahrheit und Gerechtigkeit: Eckhart, RdU (DW V 188,1); Güte und Gerechtigkeit: ibid. (197,7-8); Frieden: ibid. (197,5; 211,3-5; 308,4-9); Liebe: ibid. (223,6-8: wan der mensche sol williclîchen beroubet sîn aller dinge durch got und in der minne sich verwegen und getrœsten alles trôstes von minne [»der Mensch soll aller Dinge willig um Gottes willen beraubt sein und in der Liebe sich allen Trostes entschlagen und begeben aus Liebe«]; 308,9-309,1: allez, daz in gote ist, daz ist aleine ze minnenne [»alles, was in Gott ist, das ist nur zu lieben«]). 47. Ibid. (284,8): »Wie man Gott nachfolgen soll und von guter Weise«. 48. Ibid. (286,7-287,3); ibid. (289,7-290,1).

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werk gewürken, ez enneme hier inne sîne kraft und sîn vermügen. (»Nimmer kann der Mensch ein noch so geringes Werk verrichten, das nicht hierin seine Kraft und sein Vermögen empfinge.«)49 Es ist nicht so, dass ein Werk mehr oder weniger vom Ich bestimmt sein kann – laut Eckhart gilt ein Werk nur insofern als Werk, als es von Gott stammt, ansonsten hat es keine Kraft und kein Vermögen. Wieder eine Frage der Wirksamkeit. Will der Mensch aktiv auf die Welt einwirken, so muss er Gott gegenüber passiv sein, ihn auf sich einwirken lassen. Dem entspricht die nun folgende Aussage zum Beten: Alsô krefticlîche sol man beten, daz man wölte, daz alliu diu gelider des menschen und krefte, beidiu ougen, ôren, munt, herze und alle sinne dar zuo gekêret wæren; und niht ensol man ûfhœren, man envinde denne, daz man sich welle einen mit dem, den man gegenwertic hât und bitet, daz ist got. (So kraftvoll soll man beten, dass man wünschte, alle Glieder und Kräfte des Menschen, Augen wie Ohren, Mund, Herz und alle Sinne sollten darauf gerichtet sein; und nicht soll man aufhören, ehe man empfinde, dass man sich mit dem zu vereinen im Begriffe stehe, den man gegenwärtig hat und zu dem man betet, das ist: Gott).50 Glieder, Kräfte, Sinne – was der Mensch für seine Wahrnehmung und sein Wirken braucht, soll auf Gott ausgerichtet, also des Eigenen entledigt und für Gottes Eintreten offen sein. Nicht von ungefähr steht als letztes Wort des zweiten Kapitels des Traktats das Wort ›Gott‹ – ein bestimmtes Konzept, ein Modell von Gott wird hier sprachlich konstruiert: nämlich das Konzept von Gott als tatsächlich gegenwärtige, wirkende, wahrnehmbare, empfindbare Wirklichkeit. Es geht daher stets zugleich um die Haltung des Menschen zu dieser Wirklichkeit, damit diese Wirksamkeit gewinnt. Im dritten Kapitel wird Eckhart noch deutlicher: […] daz enist nicht schult, daz dich diu wîse oder diu dinc hindernt: dû bist ez in den dingen selber, daz dich hindert, wan dû heltest dich unordenlîche in den dingen. Dar umbe hebe an dir selber an ze dem êrsten und lâz dich. In der wârheit, dû envliehest dich denne ze dem êrsten, anders, swâ dû 49. Ibid. (190,7-9). 50. Ibid. (191,1-4).

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hine vliehest, dâ vindest dû hindernisse und unvride, ez sî, swâ daz sî. […]ie verrer sie ûzgânt, ie minner sie vindent, daz sie suochent. Sie gânt als einer, der eines weges vermisset: ie verrer er gât, ie mêr er irret. Mêr: waz sol er tuon? Er sol sich selber lâzen ze dem êrsten, sô hât er alliu dinc gelâzen. In der wârheit, lieze ein mensche ein künicrîche oder alle die werlt und behielte sich selber, sô enhæte er nihtes gelâzen. Jâ, und læzet der mensche sich selber, swaz er denne beheltet, ez sî rîchtuom oder êre oder swaz daz sî, sô hât er alliu dinc gelâzen. (Nicht das ist schuld, dass dich die Weise oder die Dinge hindern: du bist es selbst in den Dingen, was dich hindert, denn du verhältst dich verkehrt zu den Dingen. Darum fang zuerst bei dir selbst an und lass dich! Wahrhaftig, fliehst du nicht zuerst dich selbst, wohin du sonst fliehen magst, da wirst du Hindernis und Unfrieden finden, wo immer es auch sei. […] Je weiter sie in die Ferne schweifen, um so weniger finden sie, was sie suchen. Sie gehen wie einer, der den Weg verfehlt: je weiter der geht, um so mehr geht er in die Irre. Aber, was soll er denn tun? Er soll zuerst sich selbst lassen, dann hat er alles gelassen. Fürwahr, ließe ein Mensch ein Königreich oder die ganze Welt, behielte aber sich selbst, so hätte er nichts gelassen. Lässt der Mensch aber von sich selbst ab, was er auch dann behält, sei’s Reichtum oder Ehre oder was immer, so hat er alles gelassen.)51 Diese Worte könnten so verstanden werden, dass weltlicher Reichtum und Besitz für die Beziehung zu Gott keine Rolle spiele, weil für das gelassene Selbst alles dies Betreffende gleichgültig sei. Dieses (Miss-)Verständnis geht unter der Hand von einem bloß gedachten Gott aus, von einem Gott also, der einfach Spiegelbild des Menschen wäre. Gleichgültigkeit a cingulo deorsum,52 für alles, was unter der Gürtellinie passiert, wird auch der Häresie des Freien Geistes nachgesagt.53 Wer von einem ›gedachten Gott‹ 51. Ibid. (192,8-194,8); vgl. auch ibid. (281,3-8). 52. Reinerus Sacco, »Liber contra Waldenses Haereticos«, cap. VI, in: Jacob Gretser, Opera omnia, XII/2 (Regensburg, 1733-1740), 30G: Quod a cingulo deorsum non committatur mortale peccatum. (»Dass unter der Gürtellinie keine tödliche Sünde begangen werden könne«). Gretser edierte 1612/1613 alte Ketzertraktate im Rahmen einer in München begonnenen Kirchengeschichte, die aus katholischer Sicht als Antwort auf die Magdeburger Zenturien des M. Flacius Illyricus gedacht war. Eine kritische Edition der Summa Fratris Raynerii de Ordine Fratrum Predicatorum de Catharis et Leonistis seu Pauperibus de Lugduno (vat. Reg. lat. 428) erstellte François Šanjek: »Raynerius Sacconi O.P. Summa de Catharis«, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 44 (1974), 31-60. 53. Vgl. z.B. die zusammenfassenden Bemerkungen zum Stichwort ›Ketzer‹ in: Cornelia Rizek-Pfister (seit 2010 Boss-Pfister), Ein Weg zu Meister Eckharts Armutspredigt: Grundlagen einer Hermeneutik seiner deutschen Predigten (Bern u.a., 2000), 96-102.

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ausgeht (und, wie gesagt, das Konzept war dem Mittelalter durchaus nicht fremd), kann leicht auf diese Fehldeutung kommen. So dürfte es den Inquisitoren ergangen sein. Welche Voraussetzung diese Fehldeutung braucht, lässt tief blicken … Geht man aber davon aus, dass Gott keineswegs wie der Mensch sei, aber der Mensch im besten Fall in Gott aufgehoben und ihm näher, je selbstgelassener, dann verbietet es sich, die Stelle so zu lesen, als sei es für Gott (und damit dann für den Menschen) irrelevant, ob der Mensch ein Königreich oder Ehre besäße – im Gegenteil, wir haben ja eben von Eckhart erfahren, dass Gott umso kräftiger, würdiger, nützer, löblicher und vollkommener wirkt, je mehr der Mensch ihn in sich wirken lässt. Die Komparative setzten einen Maßstab voraus, dieser ist Gott, nicht der Mensch. Auch die weiteren Ausführungen zeigen, dass Eckhart weiß, wovon er spricht und was Eigentum heißt: […] wan, der sînen willen und sich selber læzet, der hât alliu dinc gelâzen als wærlîche, als sie sîn vrî eigen wæren und sie besezzen hæte in ganzem gewalte. Wan, daz dû niht enwilt begern, daz hâst dû allez übergeben und gelâzen durch got. (Denn wer seinen Willen und sich selbst lässt, der hat alle Dinge so wirklich gelassen, als wenn sie sein freies Eigentum gewesen wären und er sie besessen hätte mit voller Verfügungsgewalt. Denn was du nicht begehren willst, das hast du alles hingegeben und gelassen um Gottes willen).54 Wir haben es hier mit Unterweisungen für Menschen zu tun, die ein geistliches Leben anstreben und hierfür der Welt entsagen wollen. Nun lässt sich beobachten, dass den freiwillig Armen, die Gutes tun, oft ungeahnte Mittel zufließen. Eckhart war später in leitender Position im Auftrag seines Ordens viel unterwegs, an Neugründungen von Klöstern und der Verwaltung der Klostergüter beteiligt. Offenbar bedeutet es für Eckhart einen entscheidenden Unterschied, ob man bei solchen Tätigkeiten Gottes Willen zu vollziehen versucht oder dem Eigenwillen frönt. Und dies wirkt sich natürlich auch unmittelbar auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Ehre und Reichtum aus. Nur beim Konzept eines ›gedachten Gottes‹, der grundsätzlich nach dem Muster des Menschen

54. Eckhart, RdU (DW V 195,4-7).

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funktioniert, wäre dieser Unterschied hinfällig und die ›Haltung‹ zu Ehre und Reichtum wirklich gleichgültig. Wenn sich die Frage stellt, was denn nun Gottes Wille in der Welt sei, liegt es nahe, statt beim eigenen Ich, welches immer wieder zum gedachten Gott tendiert, bei Jesu Wirken in der Welt Antworten zu suchen. So erscheint es sinnvoll, dass Eckhart zum Abschluss dieses Kapitels zwei Jesusworte anführt, gefolgt von einer Anweisung zum richtigen Handeln: Dar umbe sprach unser herre: ›sælic sint die armen des geistes‹, daz ist des willen. Und hier ane ensol nieman zwîvelen: wære dehein bezzer wîse, unser herre hæte sie gesprochen, als er ouch sprach: ›swer mir welle nâchvolgen, der verzîhe sich sîn selbes ze dem êrsten‹; dâ liget ez allez ane. Nim dîn selbes war, und swâ dû dich vindest, dâ lâz dich; daz ist daz aller beste. (Darum sprach unser Herr: Selig sind die Armen im Geist (Matth. 5,3), das heißt: an Willen. Und hieran soll niemand zweifeln: Gäb’s irgendeine bessere Weise, unser Herr hätte sie genannt, wie er ja auch sagte: Wer mir nachfolgen will, der verleugne zuerst sich selbst (Matth. 16, 24); daran ist alles gelegen. Richte dein Augenmerk auf dich selbst, und wo du dich findest, da lass dich; das ist das Allerbeste.)55 Es handelt sich um eine für diese Reden typische Anweisung mit paradoxalem Inhalt: Wenn ich mich selbst beobachte, so richte ich doch meinen Willen auf mich – aber ich soll mich ja gerade eben von mir lösen! Wie soll das aufgehen? Vielleicht liegt auch hier das Gewicht auf der Haltung: Es geht um eine frei schwebende Aufmerksamkeit,56 die – wenn überhaupt – besonderes Augenmerk auf ihre eigene Tätigkeit richtet und immer dort, wo sie sich als verfälschend wahrnimmt (wo sie ein Artefakt entdeckt, wie die Physiker sagen würden), die täuschenden Wahrnehmungen zu eliminieren sucht, so wie ein Physiker die verfälschten Bildteile löscht und mit erneuten Messungen verbessert darzustellen versucht. Wenn die Analogie stimmt, dann geht es hier nicht um ein Einwirken auf die Wirklichkeit, sondern um deren Wahrnehmung, um Erkenntnis als Basis des Handelns, nicht um Handeln zur Gestaltung der Wirklichkeit. Es geht nicht darum, ›Gott‹ zu denken, sondern 55.. Ibid. (195,7-196,4). 56. Vgl. Karl Heinz Witte, Zwischen Psychoanalyse und Mystik: Psychologisch-phänomenologische Analysen (Freiburg i. Br., 2010), 224; die Überschrift von Kapitel 9, Unterkapitel 2, lautet: »Gleich schwebende Aufmerksamkeit«.

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darum, in sich die Voraussetzungen für die Wahrnehmung Gottes zu schaffen, wie der Wissenschaftler seine Instrumente einstellt, um Wirklichkeit wahrzunehmen. Wahrnehmung hat sehr viel mit Angleichungen zu tun; man denke nur an den blinden Fleck in der Netzhaut des Auges, den unser Gehirn verlässlich mit demselben Muster füllt, das es in dessen unmittelbarer Umgebung findet.57 Es gibt eine Schwelle, ab der uns unsere Mangelhaftigkeit nicht mehr belastet – gemäß Eckhart gibt es einen Grad des Loslassens, der dorthin führt: Dâ vindest dû wâren vride und niendert anderswâ.58 Auch wenn man dann immer noch mehr loslassen könnte: Dû solt wizzen, daz sich nie dehein mensche sô vil geliez in disem lebene, er envünde sich dennoch mêr ze lâzenne.59 Und wieder, auch im vierten Kapitel, scheint es mehr um die Haltung, um die Art und Weise des Wirkens, als um das Werk selbst zu gehen: Die liute endörften niemer vil gedenken, waz sie tæten; sie solten aber gedenken, waz sie wæren. Wæren nû die liute guot und ir wîse, sô möhten iriu werk sêre liuhten. Bist dû gereht, sô sint ouch dîniu werk gereht. Niht engedenke man heilicheit ze setzenne ûf ein tuon; man sol heilicheit setzen ûf ein sîn, wan diu werk enheiligent uns niht, sunder wir suln diu werk heiligen. […] Die niht von grôzem wesene sint, swaz werke die würkent, dâ enwirt niht ûz. (Die Leute brauchten nicht so viel nachzudenken, was sie tun sollten; sie sollten vielmehr bedenken, was sie wären. Wären nun aber die Leute gut und ihre Weise, so könnten ihre Werke hell leuchten. Bist du gerecht, so sind auch deine Werke gerecht. Nicht gedenke man Heiligkeit zu gründen auf ein Tun; man soll Heiligkeit vielmehr gründen auf ein Sein, denn die Werke heiligen nicht uns, sondern wir sollen die Werke heiligen. […] 57. Der blinde Fleck ist der Ort, wo der Sehnerv austritt – er ist also sehr wichtig für den Prozess des Sehens, doch gerade dort befinden sich keine Sinneszellen. In Analogie dazu schreibt der Systemtheoretiker Niklas Luhmann: »Das Beobachten benutzt die eigene Unterscheidung als seinen blinden Fleck. Es kann nur sehen, was es mit dieser Unterscheidung sehen kann.« In diesem blinden Fleck ortet er das Religiöse, stellt aber selbst fest: »Einen Unterschied kann man nicht anbeten.« (nach Leif H. Seibert, Niklas Luhmanns Theorie der Religion: Ein interdisziplinärer Beitrag zum Verstehen kultureller Systeme [Nordhausen, 2004], 156-158). Seibert setzt sich kritisch mit Luhmann auseinander und zeigt auf, inwiefern Luhmanns Zugang zum Religiösen, insbesondere zur Paradoxie, ihn nicht überzeugt. 58. Eckhart, RdU (DW V 197,4-5): »Da findest du wahren Frieden und nirgends sonst.« 59.. Ibid. (196,1-2): »Du musst wissen, dass sich noch nie ein Mensch in diesem Leben so weitgehend gelassen hat, dass er nicht gefunden hätte, er müsse sich noch mehr lassen.«

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Die nicht großen Seins sind, welche Werke die auch wirken, da wird nichts daraus.)60 Wieder gipfelt das Kapitel in einer Anweisung: Hie merke, daz man allen vlîz sol dar ûf legen, daz man guot sî, niht als vil, waz man getuo oder welherleie geslehte diu werk sîn, sunder wie der grunt der werke sî. (Erkenne hieraus, dass man allen Fleiß darauf verwenden soll, gut zu sein, – nicht aber so sehr darauf, was man tue oder welcher Art die Werke seien, sondern wie der Grund der Werke sei).61 Im fünften Kapitel des Traktats betont Eckhart dann, mit welcher Gesetzmäßigkeit sich Gott des Menschen annimmt, sobald dieser es zulässt – er betont es so sehr, dass dieses Gesetz wiederum fast wie ein Naturgesetz erscheint: Der gote anehaftet, dem haftet got ane und alliu tugent. Und daz dû vor suochtest, daz suochet nû dich; daz dû vor jagetest, daz jaget nû dich, und daz dû vor mohtest gevliehen, daz vliuhet nû dich. Dar umbe, der gote anehaftet grœzlîche, dem haftet ane allez, daz götlich ist, und vliuhet allez, daz gote unglîch und vremde ist. (Wer Gott anhaftet, dem haftet Gott an und alle Tugend. Und was zuvor du suchtest, das sucht nun dich; wem zuvor du nachjagtest, das jagt nun dir nach; und was zuvor du fliehen mochtest, das flieht nun dich. Darum: wer Gott eng anhaftet, dem haftet alles an, was göttlich ist, und den flieht alles, was Gott ungleich und fremd ist).62 Dieser Gott hat nichts explizit Personales mehr – er erscheint als eine Kraft, ähnlich wie wir heute von der Schwerkraft reden. Und doch wird Eckhart immer wieder zu Redeweisen zurückfinden, die Ich und Gott in einen Zusammenhang bringen, der von Liebe und Einssein geprägt ist. Das Gottesbild bleibt so in der Schwebe, zwischen Gesetzmäßigkeit und liebender Vereinigung. Auch durchaus personal geprägte Freiheit kann darin einen Platz finden – wie genau sich Gottes Wirken im Menschen gestaltet, ist nicht definiert und entspricht Gottes Willen. Eckhart betont allerdings eher, dass wir Gottes liebsten Willen zu erfüllen 60. Ibid. (198,1-7). 61. Ibid. (198,7-9). 62. Ibid. (200,4-8).

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suchen sollen, als dass Gott in seiner Willensübung völlig frei sei und uns auch Schlimmes zufügen könnte – auch wenn dies nicht ausgeschlossen wird: Im Kapitel 18 betont Eckhart, eigentlich müssten alle leiden wollen; denn das Leid könne positive Auswirkungen auf den Menschen haben, und daher sei es durchaus möglich, dass Gott aus Liebe einen Menschen leiden lasse. Aber auch die Abwesenheit von Leid dürfe den Menschen nicht betrüben, da auch dies Gottes Wille sein könne.63 Nun scheint es aber doch nicht so, dass sich Gottes Wille ohne weiteres im Menschen manifestiert: Vil liute sprechent: wir hân guoten willen, sie enhânt aber niht gotes willen; sie wellent haben irn willen und wellent unsern herren lêren, daz er tuo alsô und alsô. Daz enist niht ein guoter wille. Man sol an gote suochen sînen aller liebesten willen. (Viele Leute sagen: ›Wir haben guten Willen‹, sie haben aber nicht Gottes Willen; sie wollen ihren Willen haben und unsern Herrn lehren, es so oder so zu machen. Das ist kein guter Wille. Man soll bei Gott nach seinem allerliebsten Willen forschen).64 Nicht von ungefähr ist es so, dass die menschenähnlichen Götter der Antike sehr erpicht sind auf gute Gaben – und dementsprechend auch die Menschen, die sie verehren. Diesem urtümlichen und unter der Oberfläche immer mit tradierten Merkmal des ›gedachten Gottes‹ widerspricht Eckhart vehement, nicht nur in der Hinsicht, dass man nichts begehren soll – das ist für einen Bettelorden wie die Dominikaner selbstverständlich. Nein – die guten Gaben sollen schlicht nicht zählen im Verhältnis zur Gottesliebe: Dû endarft in der wîse niht sîn beworren mit spîse noch mit kleidern, ob sie dich ze guot dünkent, sunder wene dînen grunt und dîn gemüete, daz ez verre dar über erhaben sî, und ez ensol niht berüeren ze mügenne noch ze minnenne dan aleine got; über diu andren dinc alliu sol ez erhaben sîn. (Du brauchst dich nicht über Speise und Kleider in der Weise zu beunruhigen, dass sie dich zu gut dünken; gewöhne vielmehr deinen innersten Grund und dein Gemüt daran, weit darüber erhaben zu sein. Nichts soll dein Gemüt berühren zu Lust oder 63. Ibid. (257,6-258,3). 64. Ibid. (225,6-9).

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Liebe als Gott allein; über alle anderen Dinge soll es erhaben sein.)65 Eckhart schreibt hier dünkent, nicht sîn. Es geht nicht um die korrekte Einstufung irdischer Güter, sondern um die Haltung ihnen gegenüber: Du sollst erhaben sein über die Sorgen, die Anhänger des ›erdachten Gottes‹ zuerst plagen – Sorgen um die irdische Existenz, zu deren Bewältigung die Anrufung der Götter eine Selbstverständlichkeit war. Für viele Menschen ist die Anrufung des christlichen Gottes in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Selbstverständlichkeit. Davon distanziert sich Eckhart: Gott steht außerhalb der irdischen Sorgen und Nöte um Essen, Kleidung, Unterkunft. Wer also von diesen Sorgen Abstand nimmt, hat Teil an der Konstruktion (oder: Verwirklichung) dieser Wirklichkeit Gottes, denn Gott wirkt auch in der Welt durch meine Gleichgültigkeit gegenüber gutem Essen und Trinken – nicht in der Weise, dass ich es nicht zu schätzen wüsste, sondern dass mir ›im Grunde‹ nichts daran liegt, dass mir ›Gottes Wirklichkeit‹ unendlich viel wichtiger ist. So gesehen besteht eine Reziprozität zwischen meiner Haltung, die Gott als wirklich bzw. wirkend wahrnimmt und ihm mehr Bedeutung zuordnet als den primären Bedürfnissen, und der Möglichkeit Gottes, wirkend durch mich einzugreifen in den Lauf der Welt. Insofern ich Gott Bedeutung gebe, indem ich an ihn denke und mich entsprechend verhalte, insofern wirkt Gott durch mich, denn durch meine Haltung wirke ich in der Welt. Diese Haltung bedeutet nicht ›Gleichgültigkeit‹ im heute geläufigen Sinne, sondern es geht um das Annehmenkönnen der jeweiligen Umstände, wie sie auch sind: Alsô ist ez ouch mit der spîse und mit den vriunden und mâgen und mit allem dem, daz dir got gebe oder neme. (»So auch ist es mit der Speise und mit den Freunden und Verwandten und mit allem, was Gott dir geben oder nehmen möge«).66 Daraus folgt: Und alsô ahte ich daz bezzer dan alliu dinc, daz sich der mensche gote lâze grœzlîche, swenne er ûf in ihtes werfen welle, ez sî smâcheit, ez sî arbeit, ez sî, swaz lîdens daz sî, daz er ez mit vröuden und danknæmicheit neme und lâze sich got mêr vüeren, dan daz sich der mensche selber dar în setze. Und dar umbe lernet 65. Ibid. (255,7-10). 66. Ibid. (256,6-7).

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gerne alliu dinc von gote und volget im, sô wirt in reht! Und in dem sô mac man wol êre nemen oder gemach. Geviele aber ungemach und unêre ûf den menschen, daz man die ouch tragen möhte und gerne wölte tragen. Und dar umbe mit allem rehte und urteile mügen die wol ezzen, die als reht und bereit wæren ze dem vastenne. (Und so erachte ich dies als besser denn alles: dass sich der Mensch gänzlich Gott überlasse, so dass, wenn immer Gott irgend etwas ihm aufbürden wolle, sei's Schmach, Mühsal oder was es sonst für ein Leiden sei, er es mit Freuden und Dankbarkeit hinnehme und sich mehr von Gott führen lasse, als dass der Mensch sich selbst darein versetze. Und darum lernet gern von Gott in allen Dingen und folget ihm, so wird's recht mit euch! Und dabei kann man dann auch Ehre und Gemach hinnehmen. Befiele den Menschen aber Ungemach und Unehre, so würde man auch die ertragen und gern ertragen wollen. Und darum mögen dann die mit vollem Recht und Fug getrost essen, die ebenso recht bereit zum Fasten wären).67 ›Gleichgültigkeit‹ würde bedeuten, sich nicht zu engagieren, doch das ist nicht gemeint: Wer sich ›Gott überlässt‹, lässt sich ›von Gott führen‹, das heißt, er will nicht sein Eigenes unter den gegebenen Umständen, sondern fragt sich, was Gott nun von ihm will – er will ›von Gott lernen‹. Ob das nun unter Leiden oder Freuden geschieht, sollte Eckhart zufolge gegenüber der Tatsache, dass man ›von Gott lernt‹, sekundär sein. Weil die gesamte Argumentation auf dieser Tatsache beruht, wird Gott als wirklich und wirkend gesetzt – und weil dies so ist, soll sich der Mensch ganz anders verhalten als für Menschen (und Tiere) von Natur aus üblich, nämlich ganz ›gelassen‹ gegenüber Freud und Leid: Und alsô, die wîle got benüeget, sô bis ze vride; wanne im ein anderz behaget an dir, sô bis ouch ze vride. (»Dieweil es denn also Gott genügt, so sei zufrieden; wenn ihm aber ein anderes an dir gefällt, so sei auch zufrieden«).68 Dies bedeutet jedoch auch nicht, dass sich der Mensch zurücklehnen soll: Der mensche sol sich îngebildet haben in unsern herren Jêsum Kristum inwendic in allen dingen, daz man in im vinde einen widerschîn aller sîner werke und sîner götlîchen bilde; und sol der mensche in im tragen in einer volkomenen glîchunge, als verre als er 67. Ibid. (256,8-257,5). 68. Ibid. (258,4-5).

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mac, alliu sîniu werk. Dû solt würken, und er sol nemen. Tuo dû dîn werk ûz aller dîner andâht und ûz aller dîner meinunge; des wene dîn gemüete ze aller zît und daz dû dich in allen dînen werken in in erbildest. (Der Mensch soll sich innerlich in allen Dingen hineingebildet haben in unsern Herrn Jesum Christum, so dass man in ihm einen Widerschein aller seiner Werke und göttlichen Erscheinung finde; und es soll der Mensch in vollkommener Angleichung, soweit er’s vermag, alle seine (Christi) Werke in sich tragen. Du sollst wirken, und er soll annehmen. Tu du dein Werk aus deiner vollen Hingabe und aus deiner ganzen Gesinnung; daran gewöhne dein Gemüt zu aller Zeit und daran, dass du dich in allen deinen Werken in ihn hineinbildest).69 Der Mensch wirke, Christus nehme sein Wirken an. Entgegen der bisher vorherrschenden Tendenz erscheint hier der göttliche Part passiv, der menschliche aktiv. Das gilt jedoch nur, insofern der Mensch sich Christus vollkommen angeglichen hat; dieser ›christförmige‹ Mensch nun wirkt wie Christus selbst, so dass Christus in den Werken des Menschen seine eigenen Christuswerke annehmen soll; und in diesen christlichen Werken, die nichts mehr an menschlichem Eigenwillen enthalten, wird der Mensch zunehmend ›christförmiger‹, er ›bildet sich in Christus hinein‹. Im Kapitel 19 wird die Frage behandelt, war umbe got ofte gestatet, daz guote liute, die in der wârheit guot sint, daz sie dicke werdent gehindert von irn guoten werken. (»warum Gott oft gestattet, dass gute Menschen, die wahrhaft gut sind, oft von ihren guten Werken gehindert werden«).70 Am Schluss dieses Kapitels heißt es: Wan er wil in grôz geben und enwil umbe nihtes dan von sîner vrîen güete; und er sol ir enhalt und trôst sîn, und sie suln ein lûter niht sich vinden und sich ahten in allen den grôzen gâben gotes; wan ie blôzer und lediger daz gemüete ûf got vellet und von im enthalten wirt, ie der mensche tiefer in got gesetzet wirt und in allen den wirdigesten gâben gotes enpfenclîcher wirt. Wan der mensche sol aleine ûf got bûwen. (Denn er will ihnen Großes geben und will's rein nur aus seiner freien Güte; und er soll ihr Halt und Trost sein, sie aber sollen 69. Ibid. (259, 5-11). 70. Ibid. (260,1-3).

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sich als ein reines Nichts erfinden und erachten in all den großen Gaben Gottes. Denn je entblößter und lediger das Gemüt Gott zufällt und von ihm gehalten wird, desto tiefer wird der Mensch in Gott versetzt, und um so empfänglicher wird er Gottes in allen seinen kostbarsten Gaben, denn einzig auf Gott soll der Mensch bauen).71 Es geht um Werkgerechtigkeit, darum, dass Menschen Sicherheit aus dem Gelingen ihrer Werke schöpfen können. Es geht um das Wirken der Menschen in der Welt – um Wirklichkeit im eigentlichsten Sinne, wenn man Sartre, Malraux und den französischen Existenzialisten folgen wollte: »L'homme est ce qu'il fait«72 – l'homme n'est que sa vie. In dieser Sicht wird Gott ins Reich der Märchen verwiesen und der Mensch beweist seine Größe im Mut, vor der Sinnlosigkeit der nackten Existenz zu bestehen und sein Sein, sein Wesen aus seinem Leben in der Welt zu gewinnen, also in der Größe eines selbstbestimmten Lebens. Dem widerspricht Eckhart mit größter Entschiedenheit und bringt damit im Kontrast zur existentialistischen Sicht die Wirklichkeit Gottes besonders deutlich zum Ausdruck: Der Mensch ist nichts in dem, was er tut – Gott sieht allein seinen Willen an. Und je weniger sich der Mensch auf das, was er getan hat, einbildet, je mehr er auf Gottes Gnade und nicht auf seine eigenen Werke setzt, sondern auf Gott baut, desto eher wirkt Gott in ihm. Das hat Konsequenzen: Ein scheinbar vollkommen misslungenes Leben kann gemäß Eckhart in Gott aufgehoben und vollendet sein, während den erwähnten Existentialisten nichts ›wirklich‹ zählt außer den Taten – Wollen, Denken, Fühlen ›gelten nicht‹. Eckhart sieht dies anders. Und damit als ›Wirklichkeit‹ nicht bloß eine physische Welt bleibt, in der nur Taten zählen, braucht es notwendig einen Gott, in dessen Wirklichkeit unser Wollen, Denken und Fühlen zählen. Der gesamte Entwurf von Eckharts Lebenswelt, seine Forderung nach einer gelassenen Haltung gegenüber den Wirren des Schicksals, der Vorrang der inneren Gesinnung gegenüber den äußeren Werken – all dies beruht notwendig auf dem Konzept der Wirklichkeit Gottes, einer Wirklichkeit, die vor derjenigen des Menschen Vorrang hat. Ohne Gott kein Mensch, aber nicht: ohne Mensch kein Gott. 71. Ibid. (261,8-262,5). 72. André Malraux, Antimémoires, in: Œuvres Complètes, T. III, ed. von M.-F. Guyard in Zusammenarbeit mit J.-C. Larrat und F. Trécourt (Paris, 1996), 3-484, hier 10 (Erstausgabe : Paris, 1967).

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Eckhart steht damit ganz in der christlichen Tradition; ungewöhnlich an seinem Reden ist bloß die Konsequenz, mit der er seine Argumentation führt, und die Stringenz, mit der er seine Konzepte in der Lebenswirklichkeit verankert. Weil der Mensch nichts ist ohne Gott, hat er auf sein eigenes Nichts im Alltag nicht zu achten – er nehme, was kommt, mit Gleichmut auf, und frage nur nach Gottes Willen darin. Er wachse am Leid und genieße die Freude gemäß Gottes Willen, wie er ihm durch Jesus bekannt gemacht wurde. Das sind einfache Gedanken – speziell daran ist ihre Verankerung in der Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die durch Eckharts Sprachbewegung Gott und Mensch immer wieder vereint und gerade dadurch eine gemeinsame Wirklichkeit für Gott und Mensch schafft, Gott also wirklich werden lässt. Das Ich Eckharts ist im Grunde, im Seelenfünklein, eins mit Gott,73 ohne Gott ist es ein Nichts – das Ich ist ein Gedanke Gottes, nicht umgekehrt. Diese Einseitigkeit der Beziehung, von Eckhart in vielen Metaphern ausgestaltet,74 lässt sich leicht übersehen. Im Kapitel 23 (Von den innerlîchen und ûzerlîchen werken)75 wird ein Mensch beschrieben, der sich alles Eigene ausgetrieben hat, aber keinen göttlichen Antrieb in sich spürt. Dieser Mensch soll sich gewaltsam zwingen zu einem Werk. Er soll lernen, auch unter Zwang mitzuwirken mit seinem Gott – er soll sich daran gewöhnen, unter allen Umständen zu wirken, und dann auch ungezwungen zu wirken.76 Nun war jedoch stets davon die Rede gewesen, dass der Mensch all sein Eigenes vernichten und es ganz für Gott aufgeben solle. Von einem Zusammenwirken war höchstens im Sinne der gegenseitigen Ausgrenzung die Rede gewesen. Dies wird hier zum Thema: Nû vrâge: wie sol man daz mitewürken gehaben, dâ der mensche im selben und allen werken entvallen ist und – als sant Dionysius sprach: der sprichet aller schœneste von gote, der von der vülle des inwendigen rîchtuomes allermeist kan von im geswîgen – dâ sô 73. Die ›Identität‹ ist das Ergebnis einer ›Einswerdung‹. Wir kennen dies auch aus der Psychoanalyse: Das Selbst entspringt der geglückten Vereinigung von Ich und Es. Vgl. Sigmund Freud, Das Ich und das Es (Leipzig, 1923), z.B. Teil II, 294; Carl Gustav Jung, Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten, Teil II: Die Individuation (München, 41998), 110 (Erstausgabe: Darmstadt, 1928). 74. Z.B. die Sonne im Spiegel (vgl. Anm. 39). 75. Eckhart, RdU (DW V 290,4): »Von den inneren und äußeren Werken.« 76. Ibid. (291,1-7).

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entsinkent bilde und werk, der lop und der dank, oder swaz er gewürken möhte? […] Wan allez unser wesen enliget an nihte dan in einem niht-werdenne. […] Mêr: wir suln alliu dinc haben, als ob sie uns gelihen sîn und niht gegeben, âne alle eigenschaft, ez sî lîp oder sêle, sinne, krefte, ûzerlich guot oder êre, vriunde, mâge, hûs, hof, alliu dinc. Waz meinet got dâ mite, daz er disem alsô sêre lâget? Dâ wil er selber aleine und alzemâle unser eigen sîn. Diz wil er und diz meinet er, und disem lâget er aleine, daz er ez müge und müeze sîn. Hier ane liget sîn grœstiu wunne und spil. (Nun erhebt sich die Frage: Wie soll man da noch ein Mitwirken haben, wo der Mensch doch sich selbst und allen Werken entfallen ist und – wie ja Sankt Dionysius sagt: Der spricht am allerschönsten von Gott, der vor Fülle des inneren Reichtums am tiefsten von ihm schweigen kann – wo doch alle Bilder und Werke, Lob und Dank oder was einer sonst wirken könnte, entsinken? […] Denn unser ganzes wesenhaftes Sein liegt in nichts anderem begründet als in einem Zunichtewerden. […] Wir sollen alle Dinge haben, als ob sie uns geliehen seien und nicht gegeben, ohne jeden Eigenbesitz, es sei Leib oder Seele, Sinne, Kräfte, äußeres Gut oder Ehre, Freunde, Verwandte, Haus, Hof und alle Dinge. Was beabsichtigt aber Gott damit, dass er darauf so sehr erpicht ist? Nun, er will selbst allein und gänzlich unser Eigen sein. Dies will und erstrebt er, und darauf allein hat er es abgesehen, dass er’s sein könne und dürfe. Hierin liegt seine größte Wonne und Lust).77 Hier nun finden wir den personalen Gott wieder78 – sprachlich konstruiert mit Begriffen wie Wonne und Lust, die an Liebeseinheit denken lassen. Begriffe wie Liebe, Seligkeit, Vollkommenheit werden ebenfalls in der Folge genannt, zusammen mit einem Lob der Armut des Geistes: Dar umbe, dô unser herre von allen sæligen sachen wolte reden, dô saste er die armuot des geistes ze einem houbete ir aller und was diu êrste ze einem zeichen, daz alliu sælicheit und volkomenheit al und alzemâle ein beginnen hân in der armuot des geistes. Und in der wârheit: daz dâ ein grunt wære, dâ alliu guot ûf gebûwet möhten werden, der enwære niht âne diz. […] Nie enwart nihtes sô eigen, als got mîn sol sîn mit allem dem, daz er vermac und ist. 77. Ibid. (291,1-297,1). 78. Vgl. auch ibid. (272,1-4).

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(Darum, als unser Herr von allen Seligkeiten reden wollte, da setzte er die Armut des Geistes zum Haupt ihrer aller, und sie war die erste zum Zeichen dafür, dass alle Seligkeit und Vollkommenheit samt und sonders ihren Anfang haben in der Armut des Geistes. Und wahrlich, wenn es einen Grund gäbe, auf dem alles Gute aufgebaut werden könnte, der würde ohne dies nicht sein. […] Nie ward etwas einem so zu Eigen, wie Gott mein sein wird mit allem, was er vermag und ist).79 Armut des Geistes, Aufgabe des Eigenwillens, als Voraussetzung für das Einswerden mit Gott – dies macht nur Sinn, wenn ein göttlicher Wille das im Menschen entstandene Vakuum ausfüllt und in ihm wirkt, wenn ein wirklicher, personaler Gott in Liebe sich in sein Leben einmischt; wenn dieser Gott nicht nur gedacht ist. 4. Resümee: Sprachliche Konstruktion als Verwirklichung von Wirklichkeit bei Meister Eckhart Wieder und wieder wird betont, dass Gott dort im Menschen wirkt (personal formuliert: wirken will; naturgesetzanalog formuliert: wirken muss), wo der Mensch sich aus seinem eigenen Innern zurückgezogen hat, um Gott Raum zu geben. Menschen können Gott durch gedankliche und lebenspraktische Übung entstehen lassen; wie Musik durch geübte Musiker entsteht, so könnte dieser Gott sowohl ›gedacht‹ als auch ›wirklich‹ sein. Durch die Übung entsteht eine Haltung, die Gott im Leben gegenwärtig werden lässt, so dass man sich seiner ohne Anstrengung erfreuen kann, wie ein Musiker sich seiner Fähigkeit zu musizieren erfreut, ob er sie nun gerade ausübt oder nicht. Die Kunst des Komponisten genießt er jedoch erst dann, wenn er sehr gut spielt. Eckhart unterscheidet hier scharf zwischen Anfängern und Meistern.80 Er wendet sich in den ›Reden der Unterweisung‹ oder eben den rede der underscheidunge an Anfänger: die rede, die [er] mit solchen kindern hâte.81 Daher dürfte dieser Aspekt seiner Lehre, die Wertschätzung der Übung, hier besonders klar hervortreten.

79. Ibid. (297,4-9, und 298,9-10). 80. Vgl. ibid. (207,8-208,7). 81. So lautet die Formulierung zu Beginn der Reden der Unterweisung.

Der Grund als causa essentialis Udo Kern, Rostock

Abstract This text titled „Cause as causa essentialis“ demonstrates the basic structures of the classical philosophical tradition, followed by a detailed analysis of causality in Thomas Aquinas, Martin Luther, Immanuel Kant and Paul Tillich. Meister Eckhart’s debate of causality depends on Albertus Magnus and Dietrich of Freiberg. For Meister Eckhart God is neither causa efficiens, nor causa finalis, but causa essentialis, that means the logos and reason of every causality. 1. Propädeutisches zur Kausalität

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us zwei Fundamentalwurzeln generiert sich unser ›christliches Abendland‹ in seinem Denken, Tun und Handeln, in seiner Wissenschaft, Technik, Kultur und Religion. Das sind emblematisch gesprochen die Bibel und der hellenistische Geist. Während jene fundamentalontologisch geschichtlich Wirklichkeit interpretiert, argumentiert dieser fundamentalontologisch metaphysisch bzw. substanzontologisch. Die Liaison dieser beiden Grundansätze durchwaltet unsere Geschichte. Hinsichtlich der christlichen Theologie hat es der liberale Dogmen- und Kirchenhistoriker Adolf von Harnack (1851-1930) auf die Formel gebracht: Altkirchliches Dogma ist »ein Werk des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums«1. Unser kausales Denken wurzelt im Griechentum. K a u s a l i t ä t geht von einem Wirkungszusammenhang von Dingen und Erscheinungen aus. Unter bestimmten Konditionen wird ein Ereignis B verursacht durch ein Ereignis A. Temporal gesehen geht das Ereignis A dem Ereignis 1. Adolf von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. I (Tübingen, 51931), 20.

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B voraus. Das Ereignis B kann ohne die Verursachung durch das Ereignis A nicht eintreten. Das heißt also: Ohne A kann sich B nicht ereignen. Das K a u s a l p r i n z i p erklärt die universelle Validität der Kausalität: Nihil fit sine causa (Nichts geschieht ohne Grund). Alles Geschehen, alle Veränderung hat eine causa, hat eine Ursache. Ursachelose, a-kausale Dinge und Erscheinungen gibt es danach nicht. Das K a u s a l g e s e t z korreliert dem K a u s a l p r i n z i p . Das Kausalgesetz beinhaltet, dass alles Geschehen und alle Veränderung eine causa haben. Jedes gleiche Geschehen gründet sich auf die gleiche causa. Wenn ein Folgeereignis eines kausalen Geschehens seinerseits selbst wieder zur Ursache für ein neues Ereignis wird, so ist das eine K a u s a l k e t t e . Es gilt die antike und scholastische Herausbildung der Kausalität und dessen Kausalitätsprinzip. Der Vater des antiken Atomismus Leukipp (5. Jh. v. Chr.) definiert als erster das Kausalprinzip: Nichts geschieht umsonst, sondern alles mit Grund (ek logou) und Notwendigkeit (anagke). Schon Demokrit (460-371 v. Chr.) plädiert für die Vorstellung einer umfassenden Kausalität. In Platos Timaios steht: »Alles, was entsteht, entsteht notwendig/zwangsläufig (ex anagkes) aus einer Ursache (hyp aitiou). Denn für alles ist es unmöglich, ohne Ursache (choris aitiou) zu entstehen.«2 Die eigentlichen Ursachen sind nach Plato die Ideen.3 Urbilder sind sie, auf die jeder schaut, der schafft, auch der Demiurg, der Weltbaumeister. Dieser benötigt das Urbild (die Idee) des schönsten Kosmos, um so den Kosmos kreieren zu können. Über den Ideen steht nach Plato das Gute als Ursache aller Ursachen. Es bewirkt, dass die Ideen richtig, schön und wahr sind, dass sie verstanden werden können und dass den erkannten Dingen Sein und Wesen zukommt. Für Aristoteles sind alle Ursachen (aitia) Prinzipien (archai). Allgemeines Merkmal der Prinzipien ist, dass das Prinzip (arche) »ein Erstes (to proton) ist«.4 Aristoteles differenziert zwei Arten von Prinzipien: 1) die immanenten in den Dingen seienden Prinzipien und 2) die Prinzipien außerhalb der Dinge.5 Daraus ergibt sich aristotelisch: »Darum ist sowohl die Natur (physis) Prinzip (arche) als auch das Element (stoicheion) als auch das Denken (dianoia), der Entschluss/freie Wahl (prohairesis), die 2. 3. 4. 5.

Vgl. Platon, Timaios, 28a4-6. Vgl. das Höhlengleichnis: id., Politeia, 514a-517b. Aristoteles, Metaphysica V, 1, 1013 a 18. Ibid., 1013 a 19-20

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Wesenheit (ousia) und der Zweck (to hou heneka)«.6 Aristoteles7 kennt vier Ursachen-Gattungen (ta aitia): Causa materialis (materiale Ursache): der immanente Stoff, woraus ein Ding entsteht (und zusammengesetzt ist), und zwar der konkrete Stoff und seine Gattung. Beispiel: Die Bronze ist die Ursache der Statue. 2. Causa formalis (formale Ursache): die Form und das Urbild (idea, eidos), der definitorische Begriff des Soseins und ihre Gattung. Beispiel: Die Bronzestatue entsteht dadurch, dass Bronze in der Form der Statue gestaltet ist. 3. Causa efficiens (wirkende Ursache): Ursache ist das, wovon Veränderung (Entstehung, Bewegung) oder Ruhe eines Dinges ausgeht. So ist z.B. der Vater die Ursache des Kindes, das Hervorbringende die Ursache des Hervorgebrachten. 4. Causa finalis (Zweckursache): der Zweck, worum willen etwas geschieht (entsteht), auch der mittelhafte Zweck vor dem Endzweck. In diesem Sinne ist die Gesundheit die Ursache des Spazierengehens. 1.

Die Scholastik setzt die aristotelische Causae-Einteilung voraus, übernimmt sie und differenziert sie weiter. Ihr ist jedes nicht durch sich selbst Sein seiende Seiende, also jedes, das nicht Sein im strengen ontologischen Sinne ist, sondern Sein (durch anderes) hat, kausal durch anderes bedingt. Grundsätzlich wird zwischen den internen (inneren) und den externen (äußeren) Ursachen eines Seienden unterschieden. Causa materialis und causa formalis sind innere Ursachen. Die materiale Ursache, die causa materialis, liegt in der hyle, im Stoff, aus dem etwas entsteht, und in dem, was in diesem etwas ist. So ist die Ursache der Bronze die aus dieser gestaltete Statue. Die formale Ursache, die causa formalis, ist die zweite innere Ursache. Form (eidos), Struktur oder Muster im Seienden ist sie. Die in der Form der Statue gegossene Bronzestatue kommt dadurch zustande, dass sie in der Form der Statue gestaltet ist. Causa formalis und causa exemplaris werden scholastisch oft identifiziert, wobei letztere sehr der platonischen Idee entspricht. 6. Ibid., 1013 a 20-1. 7. Aristoteles, Physica II, 3, 194 b 16 - 195 b 30 und II, 7, 198 a 14-b 9; id., Metaphysica I, 3, 983 a 24-b 6.

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Causa efficiens und causa finalis sind äußere Ursachen. Die causa efficiens ist nach Aristoteles Ursprung seiende Quelle von Veränderung oder Ruhe. Die causa efficiens bewirkt, dass etwas erzeugt wird. So ist der die Bronze hämmernd bearbeitende Schmied causa efficiens der Bronzestatue. Den Zweck menschlichen Tuns gibt die causa finalis an, die in Anlehnung an Aristoteles die Scholastiker als quasi naturwissenschaftliches Prinzip gebrauchten. Die causa finalis des Spazierganges ist die Gesundheit. In der Scholastik wird in der Regel unterschieden zwischen der causa prima und den causae secundae. In einer endlichen Kausalreihe a, b, c ... n ist n dann die prima causa, wenn n die causa der ganzen Kausalreihe ist. Allein n ist also die prima causa. Alle weiteren Ursachen sind sekundär. Die prima causa wird weitgehend mit Gott identifiziert. Auch differenziert man kausal einerseits zwischen der nächsten Ursache (causa proxima) bzw. unmittelbaren Ursache (causa immediata) und andererseits zwischen der entferntesten Ursache (causa remota) bzw. mittelbaren Ursache (causa mediata). Ausgehend von einer Kausalreihe a b c ... n ist causa proxima bzw. causa immediata die causa c hinsichtlich der Wirkung b, weil zwischen b und c keine andere Ursache ist. Causa remota bzw. causa mediata ist die Ursache c hinsichtlich der Wirkung a, da zwischen a und c die Ursache b ist. Wird zwischen causa principalis und causa instrumentalis, zwischen ursprünglicher und instrumenteller Ursache differenziert, dann ist kausal so zu argumentieren: Wirkt die Ursache n mittels des Gebrauchs der Ursachen a, b, c, dann sind a, b und c causae instrumentales, während n causa principalis ist. Zu unterscheiden ist ebenfalls zwischen hinreichender Ursache (causa efficiens) und nicht hinreichender Ursache (causa deficiens). Causa efficiens ist dann gegeben, wenn eine Ursache aus sich selbst definitive eigene Wirkung erlangt, also causa adaequata ist. Causa deficiens ist dagegen eine nicht zu Wirkungen fähige Ursache. Ebenfalls ist zu differenzieren hinsichtlich auswirkendem Grund (causa efficiens) und auswirkendem und bewahrendem Grund (causa conservans). Die Wirkung der causa efficiens besteht im Zustandekommen von etwas, das die causa conservans im Bewahren des Existierenden gewährt. Wichtig ist dem mittelalterlichen Denken die kausale Differenzierung hinsichtlich causa cognoscendi (Erkennensursache) und causa essendi (Seinsursache). Während jene die Ursache für das Erkennenkönnen bedeutet, ist diese die Ursache für das Wie-es-ist des Seienden.

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Causa sui (Ursache seiner selbst) besagt: Ein Seiendes ist unabhängig von anderem. Sie hängt also nicht von einem anderen ab, sondern sie ist allein durch sich selbst bestimmt. In zweifacher Bedeutung wird der Begriff der causa sui verwandt. Zum einen wird causa sui das genannt, was notwendiger Weise nicht möglich ist bzw. als unmöglich kausal im Sinne des esse rerum gedacht werden kann, unbeschadet seiner ›Existenz‹. Zum anderen bezeichnet causa sui das, was gänzlich frei ist, weil es in sich selbst (eo ipso) verursacht ist. In der neuzeitlichen Naturwissenschaft kommt von den vier aristotelischen Ursachenarten (causa materialis, causa formalis, causa efficiens und causa finalis) allein die causa efficiens8 zum Tragen. Sie wird zum quasi universalen Interpretationsgrund der Wissenschaften. Jedoch wurde die kausale Denkweise der klassischen Physik und Philosophie, so der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007), »erschüttert durch die Q u a n t e n t h e o r i e . In etwas zu populärer Weise spricht man von einem Versagen des Kausalgeschehens auf Grund der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation.« Formuliert man jedoch »das Kausalprinzip der klassischen Physik wie folgt: Ist der Zustand eines abgeschlossenen Systems zur Zeit t1 gegeben, so ist sein Zustand zu jeder anderen Zeit t2 streng berechenbar, bleibt dieser Satz auch in der Quantentheorie unanfechtbar.«9 2. Der kausale Gottesbeweis Thomas von Aquins und das Kausalitätsverständnis Martin Luthers, Immanuel Kants und Paul Tillichs Thomas von Aquin verwendet den Begriff der causa efficiens als zweiten Weg seines so genannten kosmologischen ›Gottesbeweises‹. In der Summa theologiae (I q. 2 art. 3) des Thomas heißt es: Der zweite Weg ist aus dem Begriff der bewirkenden Ursache (ex ratione causae efficientis). 1.) Wir finden nämlich, dass in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen (in sensibilibus esse) eine Ordnung der wirkenden Ursachen besteht (ordo causarum efficientium): Es findet sich jedoch nicht und ist auch nicht möglich, dass etwas Wirkursache seiner selbst (causa efficiens sui ipsius) sei, da es so früher wäre als es selbst, was unmöglich ist. 8. Vgl. Joachim Klowski, »Kausalität«, in: TRE, Bd. XVIII, 80-5, hier 82. 9. Carl Friedrich von Weizsäcker, »Kausalität in der Natur«, in: RGG3, Bd. 3, 1228-30, hier 1229.

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2.) Es ist aber nicht möglich, dass die Wirkursachen (causae efficientes) ins Unendliche (in infinitum) gehen, weil bei allen geordneten Wirkursachen (causae efficientes ordinatis) das Erste (primum) Ursache des Mittleren (causa medii), und das Mittlere (medium) Ursache des Letzten (causa ultimi) ist [...]. Ist aber die Ursache entfernt worden (remota autem causa), wird auch die Wirkung entfernt (removetur effectus). 3.) Wenn es also kein Erstes in den Wirkursachen (primun in causibus efficientibus) gibt, wird es kein Letztes (ultimum) und auch kein Mittleres (medium) geben. Wenn aber die Wirkursachen (causae efficientes) ins Unendliche (in infinitum) gehen, wird es keine erste Wirkursache (prima causa efficiens) geben. Und so wird es weder eine letzte Wirkung (effectus ultimus), noch mittlere Wirkursachen (causae efficientes mediae) geben, was offenbar falsch ist. 4.) Also ist es notwendig anzunehmen (est necesse ponere) eine erste Wirkursache (causa efficiens prima): Diese nennen alle Gott.10 Thomas argumentiert hier mittels der causa efficiens folgendermaßen: 1) Alle (sinnlich wahrnehmbaren) Dinge in der Welt hängen von causae efficientes ab. Ja wir finden in ihnen einen ordo causarum efficientium. 2) Ein infiniter Regress (also ein unendlicher immer wieder von anderen Wirkursachen bewirkter regressus in infinitum) ist hinsichtlich des in den Dingen festzustellenden ordo causarum efficientium nicht möglich wegen der diesen innewohnenden hierarchischen ratio: Das Erste ist hier die causa efficiens des Mittleren und diese wieder die causa efficiens des Letzten. Wirkung ist nur möglich, wenn keine der causae im ordo causarum efficientium fehlen. 3) Daraus ergibt sich, dass das primum in causibus efficientibus (Erstes in den Wirkursachen) strenge und unbedingte nichtsubstituierbare Ursache des Mittlern und Letzten ist, weil es die letztern als Wirkursachen nur unter der Voraussetzung des Ersten in den Wirkursachen geben kann. 4) Die erste Wirkursache (causa efficiens) identifiziert Thomas mit Gott. Martin Luthers Gebrauch der vier traditionellen Causae-Gattungen ist präzise in dessen Genesisvorlesung von 153511 zum Ausdruck gebracht. Luther kommt zu einer hinsichtlich Philosophie und Theologie je unterschiedlichen Wertung der Causae. 10. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 2, art. 3. 11. Martin Luther, Genesisvorlesung, cap. 2,21 (WA 42, 93,14-24).

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(1) Die Philosophie nimmt von der ratio her an, die causae materiales et formales erkennen zu können. Jedoch meint Luther, dass letztlich »de formali vera causa, die sie die Seele nennen, niemand zusammenkommt, niemals zusammenkommt unter den Philosophen«.12 (2) Die Theologie vermag vom glaubenden Hören die causa efficiens und causa finalis zu erkennen. Luther wird hier richtig von Wilfried Joest verstanden: »Es geht in der causa efficiens und finalis des Menschen um sein Geschaffensein durch Gott in der Bestimmung zur Gemeinschaft mit ihm auf ewiges Leben hin; es geht ferner um die Erkenntnis, dass der Weg zur Erfüllung dieser Bestimmung durch Sünde und Tod verstellt wird und nur in Christus und im Glauben an ihn freiwerden kann«13: 20. Theologia vero de plenitudine sapientiae suae Hominum totum et perfectum definit (Theologie aber mit der Fülle ihrer Weisheit definiert ganz und perfekt den Menschen). 21. Scilicet, quod homo est creatura Dei, carne et anima spirante constans, ab initio ad imaginem Dei facta, sine peccato, ut generaret et rebus dominaretur, nec unquam moreretur (Natürlich, dass der Mensch Geschöpf Gottes ist, mit Fleisch und Seele lebendig bestehend, von Beginn an nach dem Bild Gottes gemacht, ohne Sünde, damit er hervorbringe und die Dinge beherrsche und niemals sterben werde). 22. Post lapsum Adae vero subjecta potestati diaboli, peccato et morti, utroque malo suis viribus insuperabili aeterno (Nach dem Fall Adams aber unterjocht unter die Macht des Teufels, die Sünde und den Tod, beides Übel, die aus eigener Kraft unüberwindbar und ewig sind. 23. Nec nisi per filium Dei Jesum Christum liberanda (si credat in eum) et vitae aeternitate donanda (Nur durch den Sohn Gottes, Jesus Christus, zu befreien [wenn er an ihn glaubt] und mit dem ewigen Leben zu beschenken.)14 Entscheidend ist für Luther die Rechtfertigung des Menschen im Glauben: »Paulus Rom. 3: Arbitramur hominem iustificari fide absque operibus, breviter hominis definitionem colligit, dicens, Hominem iustificari fide.«15 12. Id., Disputatio de homine, These 15 (WA 39 I, 175,32-3). 13. Wilfried Joest, Ontologie der Person bei Luther (Göttingen, 1967), 98. 14. Martin Luther, Disputatio de homine, Thesen 20-23 (WA 39 I, 176,5-13) 15. Ibid., These 32 (176,33-4): »Röm 3,28: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerechtfertigt werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.«

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Kausalität ist für Immanuel Kant16 eine Kategorie des Verstandes, näher eine apriorische dynamische Kategorie des Verstandes. Nach Kant17 gibt es zwei Kategorienarten des Verstandes: die mathematischen und die dynamischen Kategorien. Mathematische Kategorien sind auf Gegenstände der Anschauung gerichtet, dynamische Kategorien auf die Existenz der Gegenstände. Mathematische Kategorien sind Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit) und Qualität (Realität, Negation, Limitation). Dynamische Kategorien sind Relation (Inhärenz und Subsistenz, Kausalität und Dependenz, Gemeinschaft [Wechselwirkung zwischen dem Handelnden und Leidenden]) und Modalität (Möglichkeit – Unmöglichkeit, Dasein – Nichtsein, Notwendigkeit – Zufälligkeit). Kausalität ist also für Kant eindeutig eine apriorische dynamische Kategorie des Verstandes. Sie ist eine Voraussetzung der Erfahrung, stammt aber nicht aus ihr, macht sie vielmehr erst möglich. Die Kausalität ist die Ordnung des anschaulich Gegebenen nach einem Einheitsprinzip des Denkens, eine Anwendung der Denkrelation: Grund und Folge, Bedingung und Bedingtes auf das Anschauungsmaterial. Nur wo ein solches gegeben ist, gibt es die Kausalität als Erkenntnisfaktor. Also lassen sich nur Erscheinungen mittels des Kausalitätsbegriffs erkennen, nicht die Dinge an sich. Gott ist damit jenseits aller Kausalität. Die Kategorien Zeit, Raum, Kausalität und Substanz haben für den Theologen und Religionsphilosophen Paul Tillich (1886-1965) u n i v e r s e l l e G ü l t i g k e i t für alles Existierende. Aber die vier Kategorien sind verschieden in den Lebensdimensionen im anorganischen und organischen Bereich. So sind anorganische und organische Kausalität unterschiedliche Kausalitäten.18 Kausalität ist für Tillich »die Ordnung der Dinge, nach der es für alles, was ist, ein bedingendes ›Vorher‹ gibt«19. Kausalität ist nicht deterministisch engzuführen. So gilt sie auch hinsichtlich subatomarer und kreativer psychologischer und biologischer Prozesse. Nichts geschieht ohne Kausalnexus, nichts ist a-kausal. »Die Tatsache, dass der Mensch kausal determiniert ist, macht sein Sein in 16. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 106 und B 110. 17. Zu Kant vgl. Udo Kern, »Natur und Freiheit als d i e beiden Gegenstände der Philosophie. Eine materiale Propädeutik in Kants Denken«, in: Id., Was ist und was sein soll: Natur und Freiheit bei Immanuel Kant (Berlin/New York, 2007), 93-145. 18. Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. III (Stuttgart, 1966), 28f. 19. Ibid., 367.

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Bezug auf ihn selbst kontingent.«20 Da das Leben nicht nur durch Kausalität, sondern auch durch Substanz gebildet ist, hat es als Substanz »etwas, das relativ statisch und in sich selbst gegründet ist«21. Hinsichtlich des Dominiums des Anorganischen sind konditionierendes Vorher und konditionierte Folge (Ursache und Wirkung) von einander differenziert. Kausalität und Substanz sind in den Dimensionen des Psychischen und Organischen durch Veränderung gekennzeichnet: »Das Element der Trennung zwischen Ursache und Wirkung und zwischen individuellen Substanzen wird durch das Element der Partizipation im Gleichgewicht gehalten.«22 Via zentrierte Ganzheit (in der chemisch-physikalisch quantitativ Messbares inkludiert ist) wirkt organische Kausalität und psychische Kausalität. Organische und psychologische Kausalität wirken im zentrierten Selbst, d.i. in einer individuellen Substanz mit einer bestimmten sich zwar verändernden, jedoch nicht teilbaren Identität. Jedoch ist hier ein Unterschied zwischen psychischer und organischer Kausalität zu konstatieren. Gefangenschaft der Kausalität in der Substanz charakterisiert jene, während diese die Gefangenschaft der Kausalität in der Substanz durchbricht. Jedoch bestimmt auch hier das bestimmende prius die Möglichkeiten der organisch-schöpferischen Kausalität. »In der Dimension des Geistes herrscht Freiheit über Determination und schafft das unableitbare Neue.«23 Tillich spricht auch von geschichtlicher Kausalität. Diese befindet sich in einer dreifachen Dependenz, in der Abhängigkeit von (1.) der Freiheit der schöpferischen Kausalität, (2.) den organischen und (3.) den anorganischen Entwicklungen. Substanz ist in der geschichtlichen Dimension die geschichtliche Dimension. Ausgerichtet auf Zukunft und so Neues kreierend ist geschichtliche Kausalität. Nach Tillich bezieht der Theologe – für den (1.) die Kausalitäten im In-der-Welt-sein ebenso nichtsubstituierbar geltend sind wie für wissenschaftliches Denken überhaupt –, (2.) die Kausalitäten auf eine prima causa und soteriologisch auf das Ne u e S e i n (= das Sein in Christo). In ihnen erblickt er »den Grund der ganzen Reihe von Ursachen und 20. 21. 22. 23.

Ibid. Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. I (Stuttgart, 21956), 230. Id., Systematische Theologie, Bd. III (1966), 368. Ibid., 370.

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Wirkungen«24. Das signalisiert einmal den unbedingten wissenschaftlichen Konnex, in dem Theologie mit anderem wissenschaftlichen, vernünftigen Denken steht und zum anderen – wie man heute gerne sagt – das Alleinstellungsmerkmal des theologisch wissenschaftlichen Diskurses. Bei Tillich ist so die eine theologische idealtypische Lösung des Kausalproblems in theologischer Sicht exemplarisch zu finden. Die andere philosophische und theologische Linie, die z.B. Fichte im Atheismusstreit vertrat, läuft letztlich auf einen gänzlichen kausalen Verzicht hinsichtlich Gottes hinaus. Eine Aufnahme von den Hauptargumenten beider Kausalproblemlösungen scheint mir in der Eckhartschen causa essentialis zu liegen. 3. Wende in der Geschichte des Philosophierens (B. Mojsisch) Nach Albertus Magnus (1200-1280), dem großen christlichen Wegbereiter des Aristotelismus im Mittelalter, den Meister Eckhart eventuell noch selbst als Lehrer erlebt hat, gibt es zweierlei Weise, philosophisch von der causa essentialis zu reden. Einmal kann sie verstanden werden als Eintritt der essentia der Dinge (essentia rei) wie bei materia und forma. Causa essentialis in diesem Sinne komme unter keinen Umständen, also niemals, Gott zu. Legitim Gott und causa essentialis aufeinander zu beziehen, sei nur möglich, wenn Folgendes gilt: Die »causa essentialis [...] begründet (causat) durch ihre essentia«. Gott ist also damit »prima causa maxime essentialis und begründet (causat) alles durch seine essentia«.25 Nach Burkhard Mojsisch resümiert Dietrich von Freiberg (1240/451318/20), Eckharts confrater und als Provinzial der dominikanischen Ordensprovinz Teutonia zeitweise Eckharts Vorgesetzter, in seinem Traktat De cognitione entium separatorium »seine causa-essentialis-Theorie und nennt fünf Bedingungen, die für die causae essentiales konstitutiv 24. Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. I, 33. 25. Albertus Magnus, Super Dionysium De div. nom., c. 4 n. 177 solut. 1, in: Opera Omnia, XXXVII/1, ed. P. Simon (Münster, 1972), 262,6-12 (vgl. Burkhard Mojsisch, »Causa essentialis bei Dietrich und Eckhart«, in: K. Flasch [Hg.], Von Meister Dietrich zu Meister Eckhart [Hamburg, 1984], 107-14, hier 113, Anm. 35): dicendum ad primum, quod causa essentialis dupliciter dicitur: uno modo causa essentialis dicitur, quae intrat essentiam rei sicut materia et forma, et sic deus nullius creati est essentialis causa; dicitur etiam essentialis causa, quae causat per essentiam suam, et sic prima causa maxime essentialis causa est et causat omnia per suam essentiam [...].

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sind: Causa essentialis ist 1. substantia, 2. substantia viva, 3. substantia viva essentialiter, wobei 4. die vita vita intellectualis ist, diese intellectualis vita 5. intellectus in actu ist; all diese Bedingen seien bei Gott, den Intelligenzen und den Himmelsseelen, aber auch beim intellectus agens anzutreffen.«26 In Dietrichs Intellekttheorie besaß die Theorie der causa essentialis grundlegende Bedeutung: Sie hat dort nicht kausale, instrumentale oder akzidentielle Relevanz, sondern ist dort in der Tat causa essentialis.27 Der tätige Intellekt wird von Dietrich zu den causae essentiales gerechnet. Das heißt in Bezug auf die Frage nach Gott und die Gesamtheit der Seienden: »Der tätige Intellekt erkennt Gott in Gott auf die Weise Gottes und erkennt zugleich sein Wesen und die Gesamtheit der Seienden nicht nur gemäß seinem eigenen Wesen, sondern auch in Gott auf die Weise Gottes.«28 Das ist nach Burkhard Mojsisch in der Tat eine Wende in der Geschichte des Philosophierens: Intellektualität als solche wird gedacht als absolute Intellektualität, als göttliche Intellektualität, diese aber als die des Menschen. Der geschaffene tätige Intellekt ist insofern seit je erkennende Wirklichkeit und wirkliches Erkennen, als seine Erkenntnis die von seinem Ursprung vollzogene Erkenntnis ist, mit der er anerkennend sich in seinem Wesen überhaupt erst begründet.29 4. Gott ist bei Meister Eckhart nicht causa efficiens noch causa finalis, sondern causa essentialis, also logos und ratio jeder Ursächlichkeit Causa essentialis ist bei Meister Eckhart als »von jeder naturhaften Verursacherqualität freigehaltener Ursprung«30 zu interpretieren. Gott darf in keiner Weise in die Nähe kreatürlicher »Verursacherqualität« gebracht werden. Gott ist kein kreatürlich hervorgebrachtes Produkt. Dem steht prinzipiell Gott als deus unus entgegen. Um Gott nicht als kreatürliche Verursacherqualität misszuverstehen, beruft sich Eckhart auf zwei Bibelstellen: nobis tamen unus Deus, Pater, ex quo omnia (»uns ist ein Gott, 26. B. Mojsisch, »Causa essentialis« (1984), 108. 27. Non enim est causa intellectorum instrumentalis seu accidentalis, sed essentialis. (Dietrich von Freiberg, De visione beatifica 1.1.2.1.,3, in: Opera omnia, Bd. I: Schriften zur Intellekttheorie, ed. K. Flasch und B. Mojsisch [Hamburg, 1977], 23); vgl. B. Mojsisch, »Causa essentialis« (1984), 109. 28. B. Mojsisch, »Causa essentialis« (1984), 109-10. 29. Ibid., 110. 30. Niklaus Largier, in: EW I (Frankfurt a.M., 2008), 1089.

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Vater, aus dem alles ist«) (1 Kor 8,6) und ex ipso (sc. Gott), et per ipsum, et in ipso sunt omnia (»aus ihm und durch ihn und in ihm ist alles«) (Röm 11,36). Das ex ipso [sc. deo] omnia schließt das ipse [deus] inter omnia hinsichtlich Gottes aus, da Gott nicht teilhat an Zählung (non connumeratur), Teilung (nec condividitur) und Unterscheidung (nec distinguitur). Gott gehört nicht zu den Dingen, vielmehr ist er causa und ratio omnium und super omnia.31 Das ex quo omnia in Bezug auf Gott darf aber nicht im Sinne der Verursacherqualität, also als causa efficiens, und das per quem (Gott) nicht als causa formalis interpretiert werden. Gott ist nicht causa efficiens, nicht causa formalis und nicht causa finalis.32 Bei Gott ist weder causa noch efficiens, noch finalis, sondern Gott ist ratio bzw. logos der causa efficiens, der causa formalis und der causa finalis. Gott, aus dem gemäß Epheser 3,15 alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ist (ex quo omnis paternitas in caelo et in terra), ist also ratio causandi et efficiendi.33 »Gott kommt das Sein nicht zu (deo non convenit esse) und er ist kein Seiendes (nec est ens), sondern ist etwas Höheres als das Seiende (aliquid altius ente)«.34 Eckhart streitet Gott das Sein selbst ab (ego ipsi deo ipsum esse et talia), »damit er sei die Ursache allen Seins« (causa omnis esse) und alles im voraus enthält (omnia praehabeat)«.35 Im Gegensatz zu Gott ist es dem Seienden wesentlich, verursacht zu sein. Die Folge ist, dass Gott nicht als Seiendes, das als solches seinem Wesen nach verursacht ist, verstanden werden darf: Cum igitur omnia causata sunt entia formaliter, deus formaliter non erit ens.36 Aber nicht nur das ist ausgeschlossen, sondern ebenso die kreatürlichen Verursacherqualitäten causa efficiens, causa formalis und causa finalis. Dagegen ist Gott causa prima intellectualiter: »Alles aber ist in Gott wie in der causa prima intellectualiter«.37 Dem entspricht, was Eckhart zu Gott als universalis causa entis bzw. causa suprema omnium ausführt: »Da also Gott die universalis causa entis ist, so hat nichts, was in Gott ist, die 31. Eckhart, Sermo II,2 n. 14 (LW IV 15,9-11). 32. Ibid. (15,11-16,2). 33. Vgl. Eckhart, Sermo XXV,1, n. 252 (LW IV 231,6-8). 34. Id., Quaest. Par. I, n. 12 (LW V 47,14-14). 35. Ibid. (48,2-3). 36. Ibid. (46,9-10): »Da also alles Verursachte seinem Wesen nach ein Seiendes ist, so ist Gott seinem Wesen nach kein Seiendes.« 37. Eckhart, In Sap., n. 21 (LW II 342,10).

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ratio entis (die Wesenbestimmung des Seienden), sondern die ratio intellectus und des intelligere selbst; zu dessen Wesensbestimmung (ratio) gehört es nicht, dass sie eine causa hat, wie es zur ratio entis (Wesensbestimmung des Seienden) gehört, dass sie verursacht (causatum) ist. Und in demselben intelligere ist alles der Kraft nach (in virtute) als der causa suprema omnium enthalten«.38 Eckhart spricht hier von der causa essentialis oder vom principium essentiale bzw. in seinen deutschen Schriften von grunt âne grunt. Hinsichtlich des Eckhartschen Verständnisses der causa essentialis und des intellectus ist Eckhart von Dietrich von Freiberg beeinflusst – obwohl Eckhart und Dietrich in Zentralpunkten ihres Denkens divergieren. Stärker als von Dietrich von Freiberg dürfte Eckhart von der Interpretation der causa essentialis durch Albertus Magnus geprägt worden sein. Albertus Magnus und seine Schule und Eckhart stimmen darin überein, dass die Ursächlichkeit Gottes grundsätzlich nicht als kreatürliche Verursacherkausalität, als Naturkausalität, zu denken ist. Die causa essentialis ist bei Eckhart durch folgende Grunddaten ausgezeichnet: 1. Unter Bezug auf Johannes 1,139 erklärt Eckhart: Alle Dinge waren vor der Weltschöpfung nicht nichts, sondern sie waren und sind immer40 als rationes (Ideen) in der causa essentialis im hegelschen Sinne ›aufgehoben‹.41 2. Die causa essentialis bzw. das principium essentiale darf nicht als ein totes principium angesehen werden, vielmehr ist sie bzw. es vita, Leben: »omnis causa et principium essentiale vivum aliquod est et vita«.42 3. Verborgen ist die causa essentialis für alles, was von Gott, dem Obersten, unterschieden ist. Durch Fremdes kann die causa essentialis nicht erkannt werden. Allein bekannt wird sie dem aus Gott Geborenen.43 4. Die »causa essentialis eines Dinges ist immer außerhalb der Art und Natur des Verursachten (extra speciem et naturam causati), vor allem aber die prima causa«, d.h. Gott, denn »Gott ist ›principium und finis‹ von allem (Offb. 1,8; 22,13)«.44 6. »Alles ist in Gott als in der causa prima

38. 39. 40. 41. 42. 43. 44.

Id., Quaest. Par. I, n. 10 (LW V 46,2-6). Joh 1,1: »In principio erat verbum (Am Anfang war das Wort)«. Vgl. Eckhart, In Ioh., n. 31 (LW III 25,5-10). Vgl. ibid., n. 44 (37,8-12). Ibid., n. 139 (117,8-9). Vgl. ibid., n. 195 (163,6-164,2). Ibid., n. 239 (200,7-9).

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intellectualiter«.45 Gott ist »das oberste Wesen und die erste Wesensursache von allem (supremum et prima causa essentialis omnium)«.46 In seinem Johanneskommentar gibt Eckhart eine summa seines Verständnisses der causa essentialis mit der Nennung von vier conditiones principii essentialis. Hier gilt 1. Das aus einem principium »Entsprungene (principiatum) ist in ihm enthalten wie die Wirkung (effectus) in der Ursache (causa)«, gemäß Joh 1,1: in principio erat. 2. Das aus einem principium Entsprungene ist nicht nur, sondern es ist auch »vorher auf eine erhabenere Weise als in sich selbst«. 3. Das principium »ist immer reiner Verstand (intellectus purus), in dem kein anderes Sein (esse) ist als das Denken (intelligere), der [als intellectus purus] mit nichts anderem etwas gemein hat.« 4. In und bei dem principium ist »die Wirkung der Kraft nach gleichen Alters mit dem principium (effectus virtute coaevus principio)«. Durch »das verbum, das ist die Idee, werden die drei letzten [Bedingungen] ausgedrückt«. Die Begründung: »Denn was Wirkung der Form nach hat, das hat die Idee nicht bloß, sondern sie hat es zuvor und hat es in erhabenerer Weise, weil der Kraft nach. Ferner auch ist die Idee (ratio) im Verstand (in intellectu), durch Denken wird sie gebildet (intelligendo formatur), sie ist nichts außer dem Denken (nihil praeter intelligere est). Ferner ist sie gleichen Alters mit dem Verstand (coaeva est intellectui), da sie das Denken (intelligere) selbst und der Verstand (intellectus) selbst ist«, sagt Eckhart unter Berufung auf Johannes 1,1f: verbum erat apud deum, et deus erat verbum. Hoc erat in principio apud deum.47 Gott ist für Eckhart weder »causa efficiens noch causa finalis, sondern causa essentialis, also logos oder ratio jeder Ursächlichkeit«.48 Nicht grunt »im Sinne naturhafter Kausalität, sondern im Sinne der causa essentialis, die alle Dinge in sich enthält«,49 ist Gott für Eckhart. In der causa essentialis sind alle Dinge idealiter ›aufgehoben‹, bevor sie Sein als geschöpfliches Sein im In-der-Welt-sein erhalten: Eckhart lehrt, »dass Gott alles im Voraus in sich enthält in Reinheit, Fülle und Vollkommenheit, weit und groß, da er Wurzel und Ursache aller Dinge ist (exsistens radix et 45. Eckhart, In Sap., n. 21 (LW II 342,9-10). 46. Id., In Ioh., n. 195 (LW III 163,10-11). 47. Ibid., n. 38 (LW III 32,5-33,5). – Joh 1,1f: »Das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott«. 48. N. Largier, in: EW 2 (2008), 880. 49. Id., in: EW 1 (2008), 804.

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causa omnium). Und das wollte er (Gott) sagen, als er sprach: ›Ich bin, der ich bin (ego sum qui sum)‹«.50 5. Die causa essentialis steigt in das Verursachte nieder Philosophisch gilt: »[...] in causis essentialibus universaliter (in den wesentlichen Ursachen überhaupt) auch in den zweit-ersten (etiam secundo-primis) steigt (descendit) die causa ganz und gar in das Verursachte nieder (se totum descendit in causatum), so dass jedes in jedem auf jede Weise ist (ita ut quodlibet sit in quolibet modo quolibet)«,51 sagt der Thüringer Meister mit Berufung auf den Liber de causis (Prop. 12).52 Diesen philosophischen Grundsatz verbindet nun Eckhart mit der generatio patris: »In den uranfänglichsten oder ursprünglichen aller ersten Ursachen aber (in causis autem primordialibus sive originalibus primoprimis), wo in einem eigentlicheren Sinn der Name Urgrund als der Name Ursache angebracht ist (ubi magis proprie nomen est principii quam causae), da steigt der Urgrund ganz und gar und mit allen seinen Eigentümlichkeiten in das Abgeleitete nieder (principium se toto et cum omnibus suis proprietatibus descendit in principiatum).«53 Und nun kommt Eckharts – für ihn unbedingtes, philosophisches – notwendiges ›Wagnis‹: »Ich wage zu sagen (audeo dicere), [dass er] auch mit seinem Eigenen (cum suis propriis) [niedersteigt] – Joh. 14,10: ›ich bin im Vater, und der Vater ist in mir (ego in patre et pater in me est)‹ –, so dass nicht nur dieses in jenem, jedes in jedem ist, sondern dieses jenes, jedes jedes ist (ut non solum hoc sit in illo, quodlibet in quolibet, sed hoc sit illud, quodlibet quodlibet), Joh. 10,30: ›ich und der Vater sind eins (ego et pater unum sumus)‹. Der Vater ist nämlich das, was der Sohn ist (pater enim hoc est quod filius). Die Vaterschaft (paternitas) selbst ist das, was die Sohnschaft (filiatio) ist. Dasselbe (id ipsum) ist das Vermögen (potentia), durch das der Vater zeugt (generat) und der Sohn gezeugt wird (generatur). Deshalb bezeichnet (significat) das Zeugungsvermögen (potentia generandi) unmittelbar das Wesen (essentiam in recto)«.54 Diesem Gedankengang 50. 51. 52. 53. 54.

Eckhart, Quaest. Par. I, n. 12 (LW V 48,6-8). Sermo II,1, n. 6 (LW IV 8,4-6). Ibid. (8,6). Vgl. Anonymus, Liber de causis, prop. 12, ed. A. Schönfeld (Hamburg, 2003), 26-7. Ibid. (8,6-9). Eckhart, Sermo II,1, n. 6 (LW IV 8,9-14).

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stimmt auch Thomas von Aquin zu.55 Gott ist »die oberste (supremum) und die erste Ursache von allem (prima causa essentialis)«.56 Die Ruhe ist nach Niklaus Largier für Meister Eckhart ein sehr bedeutendes Motiv, weil in der Ruhe »Heilsordnung, Kosmologie und Psychologie« – und ich ergänze: Ontologie – sich »auf einem gemeinsamen Nenner« treffen.57 Die Ruhe Gottes »bezeichnet die Einheit und Fülle Gottes als absoluter, von jeder naturhaften Verursacherqualität freigehaltener Ursprung (causa essentialis)«.58 Daraus folgt für den Menschen: »Dass wir die Gleichheit göttlicher Ruhe (glîchnisse götlîcher ruowe) [...] suchen und finden mögen an Gott, dazu helfe uns Gott (suochen und vinden müezen an gote, des helfe uns got). Amen.«59 Gott darf keinesfalls, also nie – wie schon mehrfach angeführt – als naturhafter, d.h. nicht eindeutig und klar von der kreatürlichen Kreatur unterschiedener, Verursacher missverstanden werden. Er ist also weder causa efficiens noch causa finalis,60 sondern allein causa essentialis,61 das ist logos bzw. ratio jeder Ursächlichkeit.62 Gott ist die universalis causa entis,63 exakter: die causa omnis esse64 und hat deswegen nicht die 55. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I, q. 41, art. 5 (zit. LW IV, 8, Anm. 9): »potentia generandi significat in recto naturam divinam (die Zeugungskraft bezeichnet recht die göttliche Natur).« 56. Eckhart, In Ioh., n 195 (LW III 163,10). 57. N. Largier, in: EW 1 (2008), 894. 58. Ibid., 1089. 59. Eckhart, Pr. 60 (DW III 29,1-2). 60. Id., Sermo XXV,1, n. 252 (LW IV 231,6-7). 61. Zur causa essentialis bei Eckhart vgl. Udo Kern, Gottes Sein ist mein Leben: Philosophische Brocken bei Meister Eckhart (Berlin/New York, 2003), 186-90. In seinem Verständnis der causa essentialis ist Eckhart von Albertus Magnus und Dietrich von Freiberg (vgl. N. Largier, in: EW 2 [2008], 884) beeinflusst, jedoch ist seine Position hier weder mit der einen noch mit der anderen Interpretation identisch. »Anders als Albert wird Eckhart [...] nicht den universell tätigen Intellekt als – wenngleich nur unvollkommenes – Paradigma für die göttliche Vernunft wählen, sondern den möglichen Intellekt, wird Gott auch nicht zuerst als Sein denken, um dann allein die göttliche Generationsaktivität als intellektuelle Produktivität zu bestimmen. Von Dietrich wird Eckhart insofern abweichen, als die causa essentialis nicht nur als causa analoga diskutiert wird, sondern auch als principium essentiale univocum, obwohl zu berücksichtigen ist, dass auch Dietrich den ordo essentialis mit seiner Dependenz geprägten analogen Kausalitätsstruktur durchbricht, dies jedoch nicht unter dem Titel ›causa essentialis primo-prima‹ qua ›causa univoca‹, auch nicht in Rekurs auf die gerade von Eckhart betonten univoken Korrelationsverhältnisse« (Burkhard Mojsisch, Meister Eckhart: Analogie, Univozität und Einheit [Hamburg, 1983], 29). Vgl. auch id., »Causa essentialis« (1984), 106-14. 62. N. Largier, in: EW 2 (2008), 880. 63. Eckhart, Quaest. Par. I, n. 10 (LW V 44,2). 64. Ibid., n. 8 (45,2).

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Wesensbestimmungen des Seienden, nicht die rationes entis, sondern die ratio intellectus und ist eben dadurch die causa suprema omnium.65 Eckhart will zeigen, »dass in Gott kein Seiendes noch ein Sein ist (in deo non est ens nec esse), weil nichts formaliter in causa et causato (der Form nach in der Ursache und im Verursachten) ist, wenn die causa die vera causa ist. Gott aber ist die causa omnis esse (Ursache allen Seins). Folglich ist das esse formaliter nicht in Gott.«66 Allerdings lehnt Eckhart nicht den Begriff des esse für Gott ab, und zwar dann nicht, wenn dieser vom intelligere verstanden wird: Et si tu intelligere velis vocare esse placet mihi (»willst du das Erkennen Sein nennen, gefällt es mir«). »Ich sage (dico) nichtsdestoweniger, wenn in Gott etwas ist (si in deo est aliquid), was du Sein nennen willst (quod velis vocare esse), so kommt es ihm durch Erkennen zu (sibi competit per intelligere).«67 Die scientia dei geschieht durch den Intellekt. Unsere Einbildungskraft (imaginatio) versagt (deficit) hier. Unser Wissen (scientia), das verursachtes Wissen ist, unterscheidet sich vom verursachenden Wissen Gottes. Unser verursachtes Wissen ist vom verursachenden Sein abfallendes Wissen und damit ein Abfall vom Wissen des verursachenden Gottes.68 Deshalb gilt: Alles, »was in Gott ist (quidquid est in deo), ist selbst über allem Sein (est super ipsum esse) und ist ganzes Erkennen (est totum intelligere)«.69 In seinem Johanneskommentar schreibt Eckhart: Gott ist »supremum et prima causa essentialis omnium (das oberste Wesen und die erste Wesensursache von allem)«70 und als solcher gemäß Jes 45,15 deus absconditus.71 Er ist »verborgen (absconditus) [...] für all das, was anders (aliud) in der Natur von demselben Obersten und demselben fremd (alienum) ist. Prov. 5,17: ›non sint alieni participes tui (Fremde sollen keinen Anteil an dir haben)‹. Denn nichts (nihil) wird durch anderes (aliud) oder Fremdes (alienum) von ihm erkannt (cognoscitur), wie es nicht ist durch anderes (per aliud). Bekannt ist aber alles Obere (omne supremum), alles 65. Ibid., n. 10 (46,2-6). 66. Ibid., n. 8 (45,1-3). 67. Ibid. (45,3-5). 68. Ibid. (44,10-13). 69. Ibid. (44,13-14). 70.. Id., In Ioh., n. 195 (LW III 163,10-11). 71. Ibid. (163,11): »Isaias [45,15 – U.K.]: ›vere tu es deus absconditus‹ (wahrhaftig du bist ein verborgener Gott)«.

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Göttliche als solches sich selbst und dem von ihm allein Geborenen (genito a se ipso), weil das nicht aliud und nicht alienum von diesem ist.«72 6. »Gott ist eine Vernunft, die da lebt in der Erkenntnis einzig ihrer selbst««73 und wirkt in sich selbst »Alle in der Zeit seienden Dinge haben ein Warum«.74 Gott aber »wirkt ohne Warum und hat kein Warum«.75 Nun kann Eckhart zwar auch affirmativ vom Warum in Bezug auf Gott sprechen, aber nur in einem bestimmten Sinne, nämlich insofern das göttliche Warum identifiziert wird mit G o t t s e l b s t und in keiner Weise ihm begründend vorgängig ist, sondern aus dem Sein Gottes nicht nur sein Wesen, sondern ununterscheidbar sein Wesen und Sein ist. Das göttliche Werk kennt weder Ursache (principium) noch Ziel (finis), sondern »es hat Gott allein als Formursache (causa formalis). […] Die Form nämlich allein blickt auf die bloße Wesenheit (forma enim sola essentiam solam respicit): sie selbst gibt das Sein (dat esse), sie selbst ist das Sein (est esse), sie ist das Warum (quare), Ziel (finis), der Ursprung (principium) und die Ruhe (quies) jedes opus divinum«.76 Gottes eigene Form und Gottes eigenes Wesen ist für ihn finis und principium.77 Das Wort Gottes, durch das Gott alles schafft, ist als in principio bei Gott seiendes kein von Gott unterschiedenes Warum. Das Wort Gottes »›war im Anfang (in principio) bei Gott‹. (Joh. 1,2) Denn das Ziel (finis) ist im Allgemeinen dasselbe wie der Ursprung (principium). Es hat kein Warum (quare), sondern es ist selbst das Warum aller und von allen (quare omnium et omnibus); Apok. 1,8: ›ego sum principium et finis (Ich bin der Anfang/Ursprung und das Ende/Ziel)‹«.78 Eckhart spricht, wie wir sahen, in der ersten Pariser Quaestio Gott das Sein nicht ab, sondern spricht es ihm so zu, dass der klare Unterschied 72. Ibid. (163,11-164,2). 73. Vgl. Eckhart, Pr. CVII (350,4-5 Pfeiffer): [...] got ist ein vernünftikeit, diu in ir selbes wesen lebet. 74. Id., Pr. 26 (DW II 27,3-4): Alliu dinc, diu in der zît sint, diu hânt ein warumbe. 75. Id., Pr. 41 (DW II 289,3-4): [...] got würket sunder warumbe und kein warumbe enhât. 76. Id., In Ioh. n. 336 (LW III 285,2-6). 77. Ibid., n. 337 (286,8-9): Ipsa forma, ipsa substantia dei est illi finis, est illi principium (»[Gottes] eigene Form und eigne Substanz ist für ihn Ziel, ist für ihn principium«). 78. Ibid., n. 50 (41,10-3).

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zwischen Gott und Kreatur festgehalten wird.79 Gott ist nicht kreatürliches Sein oder Seiendes.80 Alles Seiende ist verursacht.81 Es gehört zu seinem Wesen, verursacht zu sein. Da Gott aber nicht deus causatus, sondern deus causans ist, also nicht verursacht wird, sondern verursacht, und zwar als universalis causa entis bzw. causa suprema omnium, kann er nicht als Seiendes bezeichnet werden, da Seiendes als solches stets als Verursachtes anzusehen ist. »Weil [...] Gott universalis causa entis ist, so hat nichts, was in Gott ist, die ratio entis, sondern die ratio intellectus und des intelligere selbst; zu dessen Wesensbestimmung (ratio) gehört es nicht, eine causa zu haben, wie es zur Wesensbestimmung des Seienden gehört, verursacht zu sein. Und in diesem intelligere ist alles in virtute enthalten als in der causa suprema omnium«.82 Eckhart kann der Identifizierung des Thomas von esse und intelligere nicht vorbehaltlos zustimmen, d.h. nicht ohne die begründende Vorrangigkeit des Intellekts herauszustellen. Ohne diese kommt es zur ontologischen kategorialen Gefangennahme des primum esse. Für Eckhart gilt: intelligere ist fundamentum esse.83 Gott ist totum intelligere und super esse.84 »Was [...] zum intellectus gehört, ist als solches Nichtseiendes (non-entia).«85 Dem entspricht, dass der anima als anima rationalis bzw. intellectualis nicht die ratio entis zukommt: »Ens [...] in anima, ut in anima, non habet rationem entis et ut sic vadit ad oppositionem ipsius esse.«86 Die species animae, das Erkenntnisbild in der Seele, ist non-ens. Wäre es das nicht, sondern hätte das in der Seele seiende Erkenntnisbild die ratio entis, käme es nicht zur Erkenntnis der zu erkennenden res, sondern verhinderte die die ratio entis besitzende species in der Seele die Erkenntnis des zu erkennenden Gegenstandes. Also, »wenn das Erkenntnisbild (species), das in der Seele ist, die Wesensbestimmtheit eines Seienden (ratio entis) hätte, 79. Vgl. N. Largier, in: EW 2 (2008), 871. 80. Eckhart, Quaest. Par. I, n. 9 (LW V 45,7-8: [...] deus non est ens vel esse creaturae (»[...] Gott ist nicht Seiendes oder Sein der Natur«). 81. Vgl. zum Folgenden ibid., n. 10-11 (LW V 46,2-10). 82. Ibid., n. 10 (46,2-6). 83. Ibid., n. 4 (40,7). 84. Ibid., n. 8 (44,13-14). Vgl. Eckhart, Sermo LIV,1, n. 528 (LW IV 445,9-10): Iuxta hoc, quomodo dei esse et vivere intelligere quoddam est et quomodo nullo addito intelligit (»Füge hinzu, dass Gottes Sein und Leben Erkennen ist und dass er ganz und gar aus sich erkennt«). 85. Id., Quaest Par. I, n. 7 (LW V 44,6). 86. Ibid. (43,13-14): »Das Seiende, wie [es] in der Seele [ist], hat nicht die ratio entis, und in dieser Hinsicht bewegt es sich auf das Gegenteil des Sein selbst hin«.

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so könnte durch es der Gegenstand (res), dessen Bild es ist, nicht erkannt werden; denn, wenn es die Wesensbestimmung eines Seienden hätte, würde es als solches zur Erkenntnis seiner selbst hinlenken und ablenken von der Erkenntnis des Gegenstandes (cognitio rei), dessen Erkenntnisbild es ist«.87 Nur wenn das Erkenntnisbild in der Seele non-ens ist, kommt es zur Vergegenwärtigung der zu erkennenden res im intellectus: »Da es [...] Zweck des Erkenntnisbildes (finis speciei) ist, die Sache dem intellectus zu vergegenwärtigen (repraesentare rem intellectui), muss es so beschaffen sein, dass es die Sache möglichst gut vergegenwärtigt (melius repraesentat rem). Es vergegenwärtigt aber besser, wenn es Nicht-Seiendes (non-ens) ist, als wenn es Seiendes (ens) wäre. Im Gegenteil, wenn es Seiendes wäre, lenkte es ab von der Vergegenwärtigung (abduceret a repraesentatione). Deshalb ist es kein Seiendes (non est ens)«.88 Esse kommt Gott nur zu per intelligere.89 Der Begriff des esse wird bei Eckhart sozusagen mit neuplatonischem Vorbehalt90 gesehen: er impliziert die »Einschränkung des Seinsbegriffs auf das Endliche«.91 Um die Übertragung des endlichen kreatürlichen pluralen Seinsbegriffes auf den unendlichen einen Gott zu verhindern, spricht Eckhart diesem einerseits das esse ab, spricht ihm aber andererseits die puritas essendi zu: Deo ergo non competit esse, nisi talem puritatem voces esse.92 Eckhart gelingt es von der puritas essendi aus, Versöhnung zwischen esse und intelligere zu leisten. Gott ist nicht esse, sondern dessen radix und causa omnis esse, der alles in puritas, plenitudo und perfectio im Voraus in sich hat.93 Alterius condicionis sind esse und intelligere.94 »Das Sein [...] ist nicht die Ursache des Seins«.95 Es bedarf des Höheren, des intelligere,96 um die 87. Ibid. (44,2-5). 88.. Id., Quaest. Par. II, n. 6 (LW V 52,8-11). 89. Id., Quaest. Par. I, n. 8 (LW V 45,5). 90. Vgl. Anonymus, Liber de causis, prop. 4, ed. A. Schönfeld (2003), 8-10. 91. N. Largier, in: EW 1 (2008), 872. 92. Eckhart, Quaest. Par. I, n. 9 (LW V 45,14-15): »Gott kommt also nicht das Sein zu, es sei denn, du wolltest eine solche Lauterkeit Sein nennen.« 93. Vgl. ibid., n. 12 (48,2-8). 94. Ibid., n. 7 (43,6-7): [...] accipio quod ipsum intelligere et ea quae ad intellectum pertinent, sunt alterius condicionis quam ipsum esse. (»[...] ich nehme an, dass das Erkennen selbst und was zum Erkennen gehört, einer anderen Schicht angehört als das Sein selbst«). Vgl. ibid., n. 5 (42,1-2). 95. Eckhart, Sermo XXIV,2, n. 247 (LW IV 226,4-5): Esse namque non est causa esse, sicut nec ignis est causa ignis, sed aliquid longe altius, in quod oportet ascendere (»Denn das Sein ist nicht die Ursache des Seins, wie auch das Feuer nicht die Ursache des Feuers ist, sondern weit Höheres, zu dem er aufsteigen muss«). 96. Id., Quaest. Par. I, n. 5 (LW V 42,1-2): [...] intelligere est altius quam esse (»[...] das Erkennen ist höher als das Sein«).

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causa esse zu begreifen. Das ist der intellectus als ascensus zu Gott. Der intellectus hat jedoch als solcher nicht Gott in sich, sondern ist ascensus ad deum.97 Ein dreifaches transcendere ist dem intellectus zur Ermöglichung des ascensus ad deum notwendig: Überschreiten 1. der eigenen imaginabilia, 2. der intelligibilia98 und 3. der reditio ad esse.99 In Folge dieses dreifachen transcendere geschieht dann der ascensus ad deum. In dem ascensus ad deum kommt das intelligere zu seiner Eigentlichkeit. Durch die Gottesgeburt in der Seele100 wird das natürliche menschliche intelligere zu seiner teleologischen Verortung gebracht. Das intelligere hominis wird nicht nur eingeschwungen auf das intelligere dei, es wird diesem univok, indem im Grunde der Seele Gott durch Gott erkannt wird, das intelligere dei das intelligere hominis bestimmt. Es kommt zur Univozität des intelligere. Das durch die Gottesgeburt in der Seele qualifizierte, nunmehr univoke intelligere gibt dem homo intellectus Einsicht in die Grundfesten des Seins. Intelligere artikuliert und ist der Grund alles Seins, fundamentum esse: Bekanntnisse ist ein gruntveste und ein fundament alles wesennes.101 Das principium, in dem Gott Himmel und Erde geschaffen hat, ist die natura intellectus, sagt Eckhart mit Hinweis auf Ps 103,24 (Vulg.): qui fecit caelos in intellectu (»der du machst die Himmel im Erkennen«).102 Denn intellectus enim principium est totius naturae (»der intellectus ist nämlich das

97. Id., Sermo XXIV,2, n. 247 (LW IV 225,13-226,2): [...] secundum Damascenum oratio est ›intellectus in deum ascensus‹. Igitur intellectus [deum] in se non attingit, nisi ascendat (»[...] gemäß [Johannes von] Damaskus ist das Gebet ›Aufstieg des Intellekts zu Gott‹. Daher berührt der Intellekt in sich nicht [Gott], außer er steigt hinauf«). 98. Id., In Ioh., n. 9 (LW III 10,1-3): [...] proprium intellectus est obiectum suum, intelligibile scilicit, accipere non in se, ut totum quoddam, perfectum et bonum est, sed accipere in suis principiis (»[...] es ist dem Intellekt eigen, seinen Gegenstand, das intelligibile, nicht in seinem An-sich zu nehmen, insofern er ein Ganzes, Vollkommenes und Gutes ist, sondern ihn in seinen Ursprüngen zu nehmen«). 99. Id., Sermo XXIV,2, n. 247 (LW IV 226,2-4): Ascensus autem ad superius est. Transcendere igitur oportet non solum imaginabilia, sed etiam intelligibilia. Item cum intellectus resolvat ad esse, oportet et hoc transire. Esse namquam non est causa esse (»Aufstieg besagt aber ›über sich hinaus’. Übersteigen [des Intellektes] ist also nicht nur das der Einbildung Zugängliche, sondern auch die intelligibilia. Ferner: da der Intellekt auf das Sein zurückführt, muss er dieses überschreiten. Denn das Sein ist nicht die Ursache des Seins«). 100. Der sozusagen klassische Eckhartsche Text von der Gottesgeburt in der Seele ist in der Pr. 6 (DW I 109,2-113,7) zu finden. Eine gute Zusammenfassung des Eckhartschen Kerngedankens von der Gottesgeburt bietet N. Largier, in: EW 1 (2008), 814-8. Vgl. auch Bernhard McGinn, Mystical thought of Meister Eckhart: The man from whom god hid nothing (New York, 53-70). 101. Eckhart, Pr. 71 (DW III 229,6). 102. Id., In Gen. I, n. 6 (LW I,2 65,1 [Rec. L]; LW I,1 189,7 [Rec. CT]).

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Principium der ganzen Natur«).103 Begründet ist das durch das Über-demSein-selbst-sein Gottes, des totum-intelligere dei.104 Der intellectus ist darum principium totius naturae, weil in intellectu Gott Himmel und Erde geschaffen hat. Durch den intellectus, der die natura dei ist, wird das Seiende ins Sein geführt.105 Das opus naturae verdankt sich dem opus intelligentiae. Alles Bewegende ist als movens intelligens in seiner Bewegung der directio intelligentiae geschuldet.106 Gott ist seiende Vernunft (istige vernünfticheit107). Diese Aussage inkludiert, Gott dann das Sein dann abzusprechen, w e n n es also als verursachtes, kategorial gefasstes verstanden wird. Gott i s t nicht im Sinne des esse rerum. Er i s t aus-sich-selbst-bestimmendes intelligere.108 In Bezug auf Gott gilt: »Gott ist intellectus und intelligere und das intelligere selbst ist das fundamentum seines esse«.109 Gott ist ein lebende, wesende, istige vernünfticheit, diu sich selber verstât und ist und lebet selber in ir selber und ist daz selbe (»ist eine lebendige, wesenhafte, seiende Vernunft, die sich selbst begreift und selbst in sich selbst ist und lebt und dasselbe ist«).110 Allein in Gott, dem primum principium von allem, ist der intellectus essentiell ganz und gar intelligere und purum intelligere.111 Wirklichkeit (res) und intellectus sind in Gott dasselbe (idem).112 Deswegen, sagt Eckhart mit Thomas,113 sind die der göttlichen operatio intellectus folgenden Relationen reales relationes; und das heißt theologisch: Der Sohn, das vom Vater intellectualiter ausgehende Wort, ist nicht als relatio begrenzt, sondern ist Wirklichkeit an sich, da intellectus und ratio eine Wirklichkeit sind.114 103. Ibid. (LW I,2 65,2-3 [Rec. L]; LW I,1 189,9 [Rec. CT]). 104. Vgl. id., Quaest. Par. I, n. 8 (LW V 44,13-4 : [...] quidquid est in deo, est super ipsum esse et est totum intelligere (»[...] was in Gott ist, ist über dem Sein selbst und ist totum intelligere«). 105. Vgl. id., In Gen. I, n. 11 (LW I,2 69,15-6 [Rec. L]; LW I,1 194,11-195,1 [Rec. CT]): Sed natura dei est intellectus, et sibi esse est intelligere, igitur producit res in esse per intellectum (»Aber Gottes Natur ist der intellectus und bei ihm ist esse intelligere. Also bringt er die Dinge durch den intellectus zum Sein«). 106. Id., Quaest. Par. I, n. 5 (LW V 42,3-4). 107. Id., Pr. 66 (DW III 124,2). 108. Vgl. id., Quaest. Par. I, n. 8 (LW V 45,1-5). 109. Ibid., n. 4 (40,6-7). 110. Id., Pr. 66 (DW III 124,2-3). 111. Vgl. id., In Ioh., n. 34 (LW V 27,12-4). 112. Vgl. ibid. (27,14). 113. Vgl. Thomas, Summa Theologiae, I, q. 28, art. 1 ad 4. 114. Vgl. Eckhart, In Ioh., n. 34 (LW III 27,15-28,2).

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Mit dem Verhältnis Gott und Seele vertreten nach der Pfeifferschen Predigt Nr. CVII die besten meister der schrift folgende philosophisch und theologisch zu berücksichtigende Auffassungen:115 1. got ist ein vernünftikeit, diu in ir selbes wesen lebet (»Gott ist eine Vernunft, die in sich selbst lebt«).116 Dieser Satz steht in strenger Korrelation mit den beiden anderen: 2. got ist etwaz, daz in sîner eigenen bekentnüsse würket (»Gott ist etwas, das in der Erkenntnis seiner selbst wirkt«).117 und 3. got ist ein eigen, des alliu dinc bedürfent, unde daz in ime selber nihtes bedarf (»Gott ist etwas, das zu eigen zu haben, alle Dinge bedürfen und das selbst nichts bedarf«).118 Die göttliche, exzellente Bedeutung des intelligere ergibt sich daher, dass dieses von Gott selbst definiert wird. Intelligere im eigentlichen Sinne ist eine ontologische Gottesbestimmung: »Gott ist eine Vernunft, die da lebt in der Erkenntnis einzig ihrer selbst«.119 Und in diesem Sinne totum bzw. purum intelligere ist ein Privileg Gottes. Gott subsistiert und wirkt in dem intelligere dei.120 Die ausgezeichnete, hervorgehobene Stellung des intelligere resultiert aus der Definition des intelligere durch den einen Gott. Denn für Eckhart gilt: intelligere ist quaedam deiformitas vel deiformatio, quia ipse deus est ipsum intelligere et non est esse.121 Eckhart vertritt die Subsistenz des intelligere.122 Der Mensch, so Aristoteles, ist das Lebewesen, das Logos hat.123 Beim Menschen hat das intelligere sein Sein im intellectus, heißt es in Eckharts Johanneskommentar, mit Hinweis auf Aristoteles.124 Der intellectus »ist nichts, bevor er nicht denkt (nihil est, antequam 115. Id., Pr. CVII (349,40-350,1 Pfeiffer). 116. Ibid. (350,4-5). 117. Ibid. (350,2). 118. Ibid. (350,3f ). 119. Diesen Satz: got ist ein vernünfticheit, diu dâ lebet in sîn aleines bekantnisse (Eckhart, Pr. 9 [DW I 142,7]) sagt Eckhart mit Bezug auf den 20. Meisterspruch des in Toledo zwischen 1210 und 1215 entstandenen (vielleicht auf den verloren gegangenen aristotelischen Traktat De philosophia zurückgehenden [vgl. N. Largier, in: EW 1 (2008), 838]) Liber XXIV philosophorum: Deus est, qui solus sui intellectu vivit (»Gott ist, der allein im intellectus lebt«). Vgl. DW I 142-3, Anm. 1, und Mischa von Perger, »Disputatio in Eckharts frühen Pariser Quästionen und als Predigtmotiv«, in: K. Jacobi (Hg.), Meister Eckhart: Lebensstationen – Redesituationen (Berlin, 1997), 115-48, hier 148). 120. Vgl. Eckhart, Pr. CVII (350,2 Pfeiffer). 121. Id., Quaest. Par. III, n. 9 (LW V 60,8-9): »[...] das Erkennen [besagt] eine gewisse Gottförmigkeit und ein Gottförmigwerden, denn Gott ist selbst Erkennen und er ist nicht Sein.« 122. Ibid., n. 10 (60,10): Item: intelligere in quantum huiusmodi est subsistens (»Ferner: das Erkennen als solches ist subsistierend«). 123. Vgl. Aristoteles, Politica I, 2, 1253 a 9-10. 124. Vgl. Eckhart, In Ioh., n. 141 (LW III 118,10-2).

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intelligat).125 Entsprechend charakterisiert Aristoteles den nous in De anima: »Die so genannte Vernunft der Seele also – ich nenne Vernunft das, womit die Seele nachdenkt und Annahmen macht – ist nichts von dem Seienden in Wirklichkeit, bevor sie erkennt«.126 Das intelligere ist dem intellectus das esse, »sowie ›das Leben für die Lebewesen das Sein ist‹«,127 sagt Eckhart sich auf Aristoteles’ De anima berufend.128 Nun ist aber nach Eckhart das intelligere des intellectus hominis nicht wie das intelligere dei totum intelligere. Der intellectus hominis ist zwar lux, aber er ist nicht wie der göttliche intellectus ›lux vera‹. Der intellectus hominis partizipiert an dieser, ist sie aber nicht, sondern ist immer hinter dieser zurückbleibend.129 Er ist vielmehr testis lucis (»Zeuge des Lichts«), erleuchtet und gesandt von der lux vera (illuminatus et missus a vera luce).130 Als dictum probantium zitiert Eckhart Joh 1,6-8.23.26.31.131 Die Differenz zwischen dem intelligere dei und dem intelligere hominis ist mit dem von Proclos abhängigen Liber de causis, auf den Eckhart hinweist,132 darin zu sehen, dass das intelligere dei als sich selbst subsistierende prima causa nicht causata und illuminata, d. h. von anderem verursacht und erleuchtet ist, sondern selbst verursacht und erleuchtet, also selbst lux vera bzw. lumen purum ist. Dagegen wird das intelligere hominis von einem lumen aliud erleuchtet, verursacht und ausgesendet; denn als causa secunda subsistiert es nicht in sich, sondern ist vom anderen her. Das

125. Ibid. (118,10-1). 126. Aristoteles, De anima III, 4, 429 a 23-25. 127. Id., De anima II, 4, 415 b 13. 128. Eckhart, In Ioh., n. 141 (LW III 118,11-2). 129. Ibid. (118,12-119,1): [...] est quidem intellectus hominum lux, non tamen ›lux vera‹, sed illam participans, remans et stans post (»[...] es ist zwar der intellectus des Menschen Licht, nicht aber das ›wahre Licht‹, er nimmt vielmehr an ihm nur teil«). 130. Ibid. (119,2-4). 131. Ibid. (119,5-7). 132. Ibid. (119,2). Ibid. (119, Anm. 1) ist folgende für die intellegentia respectu dei signifikante Stelle angegeben: De causis, prop. 6 (vgl. Anonymus, Liber de causis, prop. 6, ed. A. Schönfeld [2003], 14-7): Causa prima superior est omni narratione [...] et non narratur nisi per causas secundas quae inluminantur a lumine causae primae. Quod est quoniam causa prima non cessat inluminare causatum suum (scilicet intelligentiam – U.K.), et ipsa non inluminatur a lumine alio, quoniam ipsa est lumen purum supra quod non est lumen (»Die causa prima ist höher als alle Erzählung [...] und sie wird nicht erzählt außer durch die causae secundae, welche vom Licht der Erstursache erleuchtet werden. Das ist so, weil die Erstursache nicht aufhört, das von ihm Kausierte [also die Intelligenz – U.K.], zu erleuchten, und sie wird selbst nicht erleuchtet von einem anderen Licht, da sie selbst das reine Licht ist, über dem es kein Licht mehr gibt«).

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lumen rationis im Menschen versteht Eckhart als participium divini et supremi luminis (»Anteil am göttlichen und am höchsten Licht«).133 Durch die Gottesgeburt in der Seele ereignet sich im Grunde der menschlichen Seele das intelligere dei univok im intelligere des Menschen. »Insofern der Intellekt ›in Gott‹ ist und als ›Intellekt in Gott‹ gedacht wird, ist er göttlich; insofern er gedacht wird als ein natiurlich bilde gotes, daz got in alle sêlen natiurlîche gedrücket hât, ist er eins mit Gott. Dabei sind gotes natûre und der sêle natûre eins«.134 In diesem Sinne ist der Anfang von Predigt 76 über 1 Joh 3,1135 eine Zentralstelle für die Univozität des intelligere dei und des durch dieses geprägte intelligere hominis (ad deum): »Man muss wissen, dass Gott zu erkennen und von Gott erkannt zu werden [...] der Sache nach eins ist. Darin erkennen wir Gott [...], dass er uns [...] erkennend macht. Und so wie die Luft, die erleuchtet ist, nichts anderes ist, als dass sie erleuchtet, denn dadurch erleuchtet sie, dass sie erleuchtet ist, so erkennen wir dadurch, dass wir erkannt sind und dass er (Gott) uns sich erkennend macht«136. Darum ist auch das intelligere die praecisa causa dafür, dass wir Gott wohlgefallen. Der Wissende als der durch das intelligere Geformte ist deshalb der Gott Wohlgefällige. Beseitigte man das Wissen, stellt sich nichtiges Nichts, purum nihil, ein.137 Die Vernunft im »Licht der Gnade«138 ist »Höchstes der Seele, das – als intellectus possibilis – mit dem Seelengrund koinzidiert«, mit der »essentia animae [...] verschmilzt«.139 Das ist die Vernunft als locus gratiae, die Vernunft, in der die Gnade als vünkelîn der redelicheit 140 stets

133. Eckhart, In Gen. II, n. 200 (LW I,2 431,4 [Rec. L]); LW I,1 672,12-673,1 [Rec. CT] hat statt participium principium bzw. nach der Konjektur Kochs participatio. 134. Niklaus Largier, in: LE 2, 201, mit Bezug auf Pr. 16b (LE 1, 46,9-19). 135. 1 Joh 3,1: Videte qualem caritatem dedit nobis pater, ut filii dei nominemur et simus (»Sehet, welche Liebe uns der Vater gegeben hat, damit wir Söhne Gottes genannt werden und es sind«). 136. Eckhart, Pr. 76 (DW III 310,3-312,1). 137. Id., Quaest. Par. III, n. 12 (LW V 61,1-3): Item: illud est melius quod est praecisa causa, quare sumus grati deo. Hoc autem est intelligere. Unde praecise aliquis est gratus deo, quia sciens; quia tolle scientiam: remanet unum purum nihil. (»Ferner: das ist besser, was die entscheidende Ursache dafür ist, dass wir Gott wohlgefällig sind. Das aber ist das Erkennen. Daher ist jemand gerade deswegen Gott wohlgefällig, weil er ein Wissender ist; denn nimm das Wissen fort, [so] bleibt nur ein reines Nichts«). 138. Id., Pr. 73 (DW III 262,1). 139. N. Largier, in: EW 1 (2008), 849-50. 140. Id., Pr. 76 (DW III 315,6).

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gegenwärtig ist.141 Ist die Vernunft »reine Möglichkeit«, so »spricht sich Gott gnadenhaft in sie«142 (im Seelengrund) und es kommt zur Sohnesgeburt. Insofern im Seelengrund Gott sich in der Gottesgeburt ausspricht, wird der Mensch zum Sohn. »Vernunft als mögliche Vernunft bezieht sich somit als Möglichkeit des Geboren-Werdens aufs GeborenSein des Menschen.«143 7. Hören auf das Wort des Einen »Gottes Sprechen ist sein Wirken (dei dicere est suum facere), [...] denn anders als bei uns ist dei dicere die causa seines ganzen Werkes«.144 Das Sprechen Gottes zeugt den Sohn, der das Wort ist. Die locutio dei bringt den Sohn hervor. »Er (Gott) spricht aber in der Zeugung des Sohnes, weil der Sohn das Wort ist.«145 Gott »spricht auch in der Schöpfung der Kreaturen (loquitur etiam creaturam creando [L] et creaturas creando [CT], Psalmus [32,9 U.K.]: ›dixit et facta sunt‹ (›er sprach und sie [die Kreaturen] wurden gemacht‹«.146 Alle Schöpfung ist ein Buch Gottes und damit vol gotes.147 Das Wort ist principium (Ursprung) und causa von allem. Das Schaffen im Anfang von Genesis 1,1 interpretiert Eckhart dementsprechend: [...] creavit in principio, id est in ratione. Ratio enim, logos sive verbum, principium et causa est omnium.148 Prinzip, Wurzel und Ursache aller Dinge, Idee im platonischen Sinne, ist für Meister Eckhart das verbum, der Logos von Johannes 1,1.149 Christus als das Wort des Vaters ist die Wahrheit.150 »[…] alle Wahrheit (veritas) oder Erkenntnis (scientia) in den Menschen ist von Gott

141. Vgl. Alois M. Haas, Mystik als Aussage: Erfahrungs-, Denk- und Redeformen christlicher Mystik (Frankfurt a.M., 21997), 395-7. 142. N. Largier, in: EW 1 (2008), 850. 143. Ibid. 144. Eckhart, In Gen. I, n. 8 (LW I,2 67,4-5 [Rec. L]; LW I,1 191,15-6 [Rec. CT]). 145. Ibid., n. 7 (LW I,2 65,18-9 [Rec. L]; LW I,1 191,1 [Rec. CT]): Loquitur autem filium generando, quia filius est verbum. 146. Ibid. (LW I,2 65,19-20 [Rec. L]; LW I,1 191,1-2 [Rec. CT]). 147. Eckhart, Pr. 9 (DW I 156,9): ein ieglîchiu crêatûre ist vol gotes und ist ein buoch. 148. Id., In Gen. I, n. 20 (LW I,2 77,5-6 [Rec. L]; LW I,1 201,10-1 [Rec. CT]): »[...] er schuf im Ursprung, das ist in der Idee. Die Idee nämlich, der Logos oder das Wort, ist Ursprung und Ursache von allem.« 149. Vgl. ibid., n. 3 (LW I,2 61,14-18 [Rec. L]; LW I,1 186,14-187,4 [Rec. CT]). 150. Vgl. id., In Ioh., n.185 (LW III 155,7 und Anm. 4).

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selbst, der ja die Wahrheit und Weisheit (sapientia) ist«.151 Das Falsche entbehrt des Wortes, es ist stumm, es spricht nicht und zu niemandem.152 Nur das Wort spricht (solum verbum loquitur), und nur durch das Wort, durch das verbum dei, das die Wahrheit ist, sprechen wir und sind wir.153 Omnis creatura verbum eius [sc. dei] est.154 Zu allen spricht Gott durch den Sohn, das verbum, aber nicht alle erkennen und hören ihn.155 Der verkehrte animus der Nichthörenden und Nichterkennenden ist die selbsteigene origo falsitatis.156 In dem einen Wort, das der Sohn ist, kommt, ja i s t die Wahrheit. Es gibt für Eckhart nur eine Wahrheit. Die Wahrheit ist nicht teilbar. So optiert Eckhart für die Einheit von theologischer und philosophischer Wahrheit, die neben der Einheit der Wahrheit der Heiligen Schrift, trotz verschiedener Schriftsinne Basis seiner Hermeneutik ist. »Denn alles Wahre ist selbst von der Wahrheit, ist in ihr enthalten, fließt aus ihr und ist [von ihr] beabsichtigt«.157 Das, was wahr ist, geht also nach Eckhart – im Einklang insbesondere mit der Augustinischen Tradition – aus der einen Quelle der Wahrheit, nämlich Gott, hervor, ist in der einen Wahrheit enthalten und von ihr intendiert.158 Gottes Wahrheit in Jesus Christus ist die eine Wahrheit. Deshalb gilt für Meister Eckhart: Idem ergo est quod docet Moyses, Christus et philosophus.159 Sie lehren aus der einen Wahrheit. Aber die e i n e Wahrheit in Theologie und Philosophie bedeutet nicht ihre Nivellierung, denn die mosaische Lehre ist glaubwürdig (credibile), die des Aristoteles wahrscheinlich und annehmbar (probabile sive verisimile), aber die Lehre Christi die Wahrheit (veritas).160 151. Id., In Sap., n. 242 (LW II 576,2-3). 152. Vgl. id., Sermo XX, n. 198 (LW IV 182,12-183,1): Adhuc nota quod falsum, in quantum huiusmodi, mutum est, nihil loquitur, nulli loquitur (»Weiter bemerke, dass das Falsche als solches stumm ist, nichts spricht, zu niemandem spricht«). 153. Vgl. ibid. (183,2-4). 154. Ibid. (183,4-5): »Jedes Geschöpf ist sein [Gottes] Wort«. 155. Vgl. ibid. (183,5-9). 156. Ibid. (183,9). 157. Id., In Gen. II, n. 2 (LW I 449,8-9): Constat enim quod omne verum ab ipsa veritate est, in ipsa includitur, ab ipsa derivatur et intenditur. 158. Vgl. id., In Ioh., n. 185 (LW III 154,16-155,1): […] ex uno fonte et una radice procedat veritatis omne quod verum est, sive essendo sive cognoscendo, in scriptura et in natura (»[...] aus der einen Quelle und der einen Wurzel geht alles, was wahr ist, sowohl im Sein als auch im Erkennen, in der Schrift und in der Natur, hervor«). 159. Ibid. (155,5-6): »Es ist also dasselbe, was Moses, Christus und der Philosoph lehren«. 160. Ibid. (155,6-7). Christus wird oft bei Eckhart gemäß Joh 14,6 veritas ipsa genannt. Entsprechende Stellen sind LW III 155, Anm. 4, angegeben.

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Eckhart identifiziert das Wort-Gottes-Hören mit dem C h r i s t u s Hören: »Nun merkt, auf das, was der hört, der das Wort Gottes hört.161 Er hört Christus als geboren von dem Vater in voller Gleichheit des Vaters unter Annahme unserer Menschheit, vereint in seiner Person, wahrer Gott und wahrer Mensch, e i n Christus: das ist das Wort, das der vollends (alzemâle) hört, der das Wort Gottes hört und es bewahrt in ganzer Vollkommenheit.«162 Von und an Gottes Gegenwart hängt das Sein aller Schöpfung: »Alle Kreaturen haben kein Sein, denn ihr Sein hängt an der Gegenwärtigkeit Gottes. Kehrte sich Gott von allen Kreaturen einen Augenblick ab, so würden sie zunichte.«163 Als Mensch164 w e i ß ich das. Ich w e i ß , dass »mein Sein daran hängt, dass mir Gott nahe und gegenwärtig ist« (mîn wesen hanget dar ane, daz mir got nâhe und gegenwertic sî),165 denn »Gott ist mir näher als ich mir selber bin« (Got ist mir næher, dan ich mir selber bin).166 Zwar ist Gott auch einem Stein und einem Holzstück nahe und gegenwärtig, aber sie w i s s e n es nicht. Wü s s t e das Holz um Gott und e r k e n n t e es, wie nahe er ihm ist, so wie der höchste Engel es w e i ß , so wäre es eben so selig wie der höchste Engel. Und darum ist der Mensch seliger als ein Stein oder ein Holz, weil er Gott e r k e n n t und w e i ß , wie nahe ihm er (Gott) ist. Um soviel seliger bin ich, je mehr ich das e r k e n n e , und um soviel weniger bin ich selig, je weniger ich das e r k e n n e . Nicht dadurch bin ich selig, dass Gott in mir ist und dass er mir nahe ist und dass ich ihn habe, sondern dadurch, dass ich e r k e n n e , wie nah er mir ist und dass ich um Gott w i s s e (daz ich got wizzende bin). Der Prophet spricht im Psalter: ›Ihr sollt nicht u n w i s s e n d sein wie ein Maultier oder ein Pferd‹ [Ps. 31,9].

161. Vgl. Lk 11,28. 162. Eckhart, Pr. 49 (DW II 428,8-429,2): Nû merket, waz er hœret, der daz wort gotes hœret. Er hœret Kristum geborn von dem vater in voller glîcheit des vaters mit angenomenheit unserer menscheit, geeiniget an sîner persône, wâret got und wârer mensche, éin Kristus: daz ist daz wort, daz er hœret alzemâle, der daz wort gotes hœret und ez beheltet in ganzer volkomenheit. 163. Id., Pr. 4 (DW I 70,2-4): Alle crêatûren hânt kein wesen, wan ir wesen swebet an der gegenwerticheit gotes. Kêrte sich got ab allen crêatûren einen ougenblik, sô würden sie ze nihte. 164. Vgl. zum Folgenden id., Pr. 68 (DW III, 142,1-13). 165. Ibid. (142,2-3). 166. Ibid. (142,2).

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Ein anderes Wort spricht Jakob der Patriarch: ›Gott ist an dieser Stätte, und ich w u s s t e es nicht‹ (Gen. 28,10). Man soll um Gott w i s s e n (Man sol got wizzende sîn) und soll erkennen, dass ›Gottes Reich nahe ist‹.167 Die beatitudo des Menschen hängt exklusiv an dem W i s s e n und E r k e n n e n Gottes durch den Menschen. N i c h t e r k e n n e n d , u n w i s s e n d wird dem Menschen die beatitudo nicht zuteil. Die beatitudo als ›Tätigkeit‹ kann allein der lebendigen ›Tätigkeit‹ des intelligere Ereignis werden. Sie kann ›nur‹ g e w u s s t werden. Es gibt keine nichtgewusste beatitudo. Eine nichterkannte und nichtgewusste Nähe Gottes oder ein wie auch immer vorhandenes oder zuhandenes Haben Gottes werden der beatitudo nicht ansichtig und gegenwärtig. »Davon bin ich nicht selig, dass Gott gut ist. […] Davon bin ich alleine selig, dass Gott vernünftig ist und ich das e r k e n n e «, sagt Eckhart.168 Wie aber kommt es zum Erkennen? Hier teilt Eckhart das überlieferte epistemologische empedokledische, von Aristoteles übernommene Axiom des »›simile simili‹ cognoscimur«:169 Eckhart führt dementsprechend aus: Wir erkennen ›Ähnliches durch Ähnliches‹, ›Erde durch Erde (terra terram)‹ und nichts anderes noch durch ein anderes (nihil aliud nec alio), vielmehr führt alles Unähnliche und alles andere nicht zur Erkenntnis (omne dissimile et omne aliud non conducit ad cognitionem), sondern führt weg und trennt von der Erkenntnis (sed abducit et seducit a cognitione); zum Beispiel: die species coloris (das Erkenntnisbild der Farbe) führt nicht zur Erkenntnis des Geschmacks (ad cognitionem saporis), noch führt die species Martini zur cognitio Petri.170

167. Ibid. (142,3-13): […] sie enwizzens niht. Weste daz holz got und bekehre, wie nâhe er im ist, als ez der hœhste engel weiz, ez wære als sælic als der hœhste engel. Und dar umbe ist der mensche sæliger dan ein stein oder ein holz, daz er got bekennet und weiz, wie nâhe er im ist. Und als vil bin ich mê sælic, als ich daz mê bekenne, und als vil bin ich minner sælic, als ich daz minner bekenne. Niht enbin ich dâ von sælic, daz got in mir ist und daz er mir nâhe ist und daz ich in hân, mêr: dâ von, daz ich bekenne, wie nâhe er mir ist und daz ich got wízzende bin. Der prophête sprichet in dem psalter: ›ir ensult niht unwizzende sîn als ein mûl oder ein pfert ‹. Ein ander wort sprichet Jâkob der patriarche: ›got ist in dirre stat, und ich enweste ez niht ‹. Man sol got wizzende sîn und sol bekennen, daz › gotes rîche nâhe ist ‹. (Hervorhebungen in der Übersetzung U.K.) 168. Id., Pr. 9 (DW I 153,9-12) (Hervorhebung U.K.). 169. Id., In Sap., n. 6 (LW II 327,3): »[...] wir erkennen ›Ähnliches durch Ähnliches‹«. 170. Ibid. (327,3-6).

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Empedokles hat, wie Aristoteles und Theophrast berichten, gelehrt, dass Erkenntnis »auf Grund des Gleichen, das Nichterkennen infolge des Ungleichen« geschehe.171 Entsprechend heißt es in der aristotelischen Metaphysik: he de gnosis tou homoiou to omoio.172 Und Eckhart sagt in einer deutschen Predigt: bekantnisse kumet von glîcheit.173 Das bedeutet in Bezug auf die Gotteserkenntnis bei Eckhart: Gott kann nur durch G o t t erkannt werden. Wie aber ist das möglich? Hier nun bewährt sich der Eckhartsche Kerngedanke der Gottesgeburt in der Seele.174 Eckhart argumentiert mit Bezug auf Joh 1,1: Der Vater gebiert seinen Sohn in der Ewigkeit sich selbst gleich. ›Das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort‹ (Joh. 1,1): Es war dasselbe in derselben Natur. Noch sage ich überdies: Er hat ihn geboren in meiner Seele. Nicht allein ist sie bei ihm und er bei ihr als gleich, sondern er ist in ihr; und es gebiert der Vater seinen Sohn in derselben Weise, wie er ihn in Ewigkeit gebiert und nicht anders. Er muss es tun, es sei ihm lieb oder leid. Der Vater gebiert seinen Sohn ohne Unterlass, und ich sage mehr: Er gebiert mich als seinen Sohn und als denselben Sohn. […] Er gebiert mich nicht allein als seinen Sohn; […] er gebiert mich (als) sich und sich (als) mich und mich als sein Sein und als seine Natur. Im innersten Quell, da quelle ich aus dem Heiligen Geist, da ist e i n Leben und e i n Sein und e i n Werk. Alles, was Gott wirkt, das ist Eins; darum gebiert er mich als seinen Sohn ohne jeden Unterschied.175 In der Gottesgeburt geschieht in mir als dem Sohn Erkennen des Einen durch den Einen, Erkennen Gottes durch Gott. 171. Vgl. Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker (Berlin, 1961), 236. 172. Aristoteles, Metaphysica III, 4, 1000 b 5. 173. Eckhart, Pr. 3 (DW I 55,1). 174. Eine gute Zusammenfassung der Eckhartschen Lehre von der Gottesgeburt in der Seele gibt N. Largier, in: EW 1 (2008), 814-819, in seiner Kommentierung der diesbezüglichen Zentralstelle bei Eckhart in Eckharts Predigt 6: Iusti vivent in aeternum (DW I 109,2-113,7). 175. Eckhart, Pr. 6 (DW I 109,2-110,2): Der vater gebirt sinen sun in der êwicheit im selber glîch. ›Das wort was bî gote, und got was das wort‹: ez was daz selbe in der selben natûre. Noch spriche ich mêr: er hât in geborn in mîner sêle. Niht aleine ist si bî im noch er bî ir glîch, sunder er ist in ir, und gebirt der vater sînen sun in der sêle in der selben wîse, als er in der êwicheit gebirt, und niht anders. Er muoz ez tuon, ez sî im liep oder leit. Der vater gebirt sînen sun âne underlâz, und ich spriche mêr: er gebirt mich niht aleine sînen sun, mêr: er gebirt mich sich und sich mich und mich sîn wesen und sîn natûre. In dem innersten quelle dâ quille ich ûz in dem heiligen geiste, dâ ist éin leben und éin wesen und éin werk. Allez, waz got würket, daz ist ein; dar umbe gebirt er mich sînen sun âne allen underscheit.

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»W i e (aber) gebiert der Vater seinen Sohn in dem Grunde der Seele?«176 Die Antwort: Nicht wie die Kreaturen tun in Bildern und in Gleichnissen [...], sondern vielmehr ganz in der Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Nun denn, w i e gebiert er ihn d a ? Gebt Acht! Seht, wie der Vater hat eine vollkommene Einsicht in sich selbst und ein abgründiges volles Erkennen seiner selbst durch sich selbst, nicht durch irgendein Bild. Und so denn gebiert Gott der Vater seinen Sohn in wahrer Einheit der göttlichen Natur. Seht, in der selben wîse und keiner andern gebiert Gott der Vater seinen Sohn in der Seele Grunde und in ihrem Sein und vereinigt sich so mit ihr.177 Die Seele wird zum Ort des gebärenden Wirkens Gottes, weil Gott selbst »mit dieser Geburt« Vollkommenheit, Licht, Gnade und Seligkeit in derselben schafft.178 Die Gottesgeburt erfolgt im Grunde der Seele.179 »Diese 176. Id., Pr. 101 (DW IV,1 350,85): Wie gebirt got der vater sînen sun in dem grunde der sêle? 177. Ibid. (350,85-352,92): Als die crêatûren tuont in bilden und in glîchnissen? Nein, entriuwen! Mêr: in aller der wîse als er in in der êwicheit gebirt, noch minner noch mê. Eyâ, wie gebirt er in dâ? Daz merket! Sehet, got der vater hât ein volkomen însehen in sich selber und ein abgründic durchkennen sîn selbes mit im selber, niht mit keinem bilde. Und alsô gebirt der vater sînen sun in wârer einunge götlîcher natûre. Sehet, in der selben wîse und in keiner andern gebirt got der vater sînen sun in der sêle grunde und in irm wesene und einiget sich alsô mit ir. 178. Eckhart, Pr. 102 (DW IV,1 410,16-411,18): In der wârheit, swaz volkomenheit in die sêle komen sol, ez sî götlich einförmiclich lieht oder gnâde und sælicheit, daz muoz allez von nôt mit dirre geburt komen in die sêle und niht anders, in keiner wîse. (»Wahrlich, was an Vollkommenheit in die Seele kommen soll, es sei göttliches, einförmiges Licht oder Gnade und Seligkeit, das alles muss notwendig m i t d i e s e r G e b u r t in die Seele kommen«). 179. »Die Theorie des Seelengrundes oder des Fünkleins der Seele ist keine Erfindung Eckharts. Er selbst nennt als Quellen häufiger Cicero, Seneca, Origenes, ferner Augustin und verknüpft sie mit Gedanken des ›Johannesevangeliums‹« (B. Mojsisch, Meister Eckhart [1983], 130-1). Vgl. ibid. die Anmerkungen 112 und 113 mit den entsprechenden Stellenangaben bei Eckhart. Das bedeutet aber nicht eine Minimierung der Originalität Eckharts an diesem Punkt. Kurt Ruh (in: LE 1, 20-1) ist zuzustimmen, wenn er schreibt: »Die Lehre vom Seelenfunken ist eine spezifische stoische Lehre«. Ruh verweist auf Endre von Ivanka, »Apex mentis: Wanderung und Wandlung eines stoischen Terminus«, in: ZKTh 72 [1950], 129-76, und fährt fort: »Ein Funke des kosmischen Urfeuers belebt und erhält den menschlichen Leib. Sitz dieses göttlichen Funkens ist das ›Höchste der Seele‹, wo er in seiner ursprünglichen Reinheit erhalten ist. Es heißt griech[isch] apospasma, ›Stückchen‹, anōtaton méros, ›nach dem Höchsten ausgerichteter Teil der Seele‹, lat[einisch] supremum animae, bildhafter apex mentis, ›Spitze der Vernunft‹, nach seiner Funktion griech[isch] hegemonikón, lat[einisch] principale cordis, ›leitendes Prinzip des Herzens‹, nach ihrem Ziel synteresis, ›Bewahrung‹. Diese stoische Vorstellung wurde, zuerst bei Origenes, in der Verbindung mit dem platonischen Hen, dem Ureinen, zum Seelengrund. Eckhart kennt […] alle […] aufgeführten Begriffe in deutscher Sprache: ganster(lîn), (scintilla) [DW II 326,1 var.]; houte des geistes (synteresis) [DW I 39,2]; houbet der sêle (apex mentis) [DW II 211,1], wipfelîn des geistes (apex mentis) [DW III 482,9], das oberste teil der sêle (supremum animae) [DW I 24,3]. Dazu kommt das augustinische abditum mentis

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ewige Geburt in der Seele geschieht ganz in der Weise, wie sie geschieht in der Ewigkeit [...]; denn es ist [nur] e i n e Geburt. Und diese Geburt geschieht im S e i n und im G r u n d e der Seele«.180 Das »etwas« der Seele, dieser Grund der Seele, ist wie Gott innominabilis181 und unsprechelich182. In, mit und unter der Gottesgeburt in der Seele kommt es zur Erkenntnis des Wortes. Diese Erkenntnis ist keine von den Dingen abgeleitete aposteriorische, sondern eine, die sich auf das im Anfang bei Gott seiende Wort bezieht, insofern apriorisch. [...] es ist zu bemerken, dass Idee in zweifachem Sinn genommen wird (ratio dupliciter accipitur): Es gibt [...] eine Idee, die von den Dingen durch den Verstand genommen oder abstrahiert ist (ratio a rebus accepta sive abstracta per intellectum); und diese ist später als die Dinge, von denen sie abstrahiert wird (haec est rebus posterior a quibus abstrahitur); es gibt auch eine Idee, die vor den Dingen (est et ratio rebus prior), die Ursache der Dinge (causa rerum) und ihre Idee (ratio) ist, welche die Begriffsbestimmung ansagt (diffinitio indicat) und der Verstand (intellectus) in den inneren Ursprüngen [der Dinge] selbst erfasst (accipit in ipsis principiis intrinsecis). [...] Deshalb heißt es, dass der Logos, d. i. die Idee (ratio), im Ursprung ist (est i n p r i n c i p i o ): i m A n f a n g (in principio), sagt er, w a r d a s Wo r t (e ra t v e r b u m ).183 Zutreffend schreibt Niklaus Largier hinsichtlich der ratio dupliciter esse: Eckhart unterscheidet zwischen dem Erkennen, das von den Dingen ausgeht und deren Wesen kraft der Abstraktion – a posteriori – fasst, und dem Erkennen der ratio, a priori, auf die sich die Begriffsbestimmung bezieht und die die Vernunft in sich unmittelbar erfasst. Die erste Form der Erkenntnis der ratio vermag nicht in den Ursprung der Dinge zurückzukehren, da (grunt) [DW I 90,8; 162,5]; abgründicheit [DW II 84,7f.].« – Literatur zum Seelenfünklein ist auch zu finden bei: Udo Kern, Die Anthropologie des Meister Eckhart (Hamburg, 1994), 167-8, Anm. 697. 180. Eckhart, Pr. 102 (DW IV,1 407,3-6): […] disiu êwige geburt geschihet in der sêle in aller der wîse, als si geschiht in der êwicheit, noch minner noch mê, wan ez ist éiniu geburt. Unde disiu geburt geschihet in dem wesene und in dem grunde der sêle. 181. Vgl. id., Sermo LV,4, n. 547 (LW IV 458,11). 182. Id., Pr. 17 (DW I 284,4-6): Got, der âne namen ist – er enhât enkeinen namen – ist unsprechelich, und diu sêle in irm grunde ist sie ouch unsprechelich, als er unsprechelich ist (»Gott, der ohne Namen ist – er hat keinen Namen –, ist unaussprechlich, und die Seele ist in ihrem Grunde ebenfalls unaussprechlich, so wie er unaussprechlich ist«). 183. Id., In Ioh., n. 29 (LW III 22,13-23,4).

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sie von den Dingen abstrahiert, also von diesen ausgeht, während die zweite in sich unmittelbar in den Ursprung der Dinge zurückkehrt, indem sie deren Idee fasst. Die zweite Form der Erkenntnis ist Wo r t , also eins mit der Idee der Dinge und daher auch den Dingen vorgängig, insofern sie eins ist mit deren Prinzip, ihrer Idee in Gott.184 Der aus Gott geborene Sohn ist als der Hörende der Erkennende des Wortes. Eckhart schreibt, sich auf Joh 8,47 berufend: »( W ) e r a u s G o t t i s t , nämlich [aus ihm] geboren, h ö r t d i e Wo r t e G o t t e s . Gottes Sagen ist nämlich Zeugen, ihn hören ist Gezeugtwerden.«185 Gott hat zu uns gesprochen, indem er uns im Sohn zu Söhnen macht.186 Gott kann allein im Sohn vom Sohn gehört werden, da er nur im Sohn spricht: »Gott spricht nämlich nur im Sohn und wird nur vom Sohn gehört«.187 Das Hören des Wortes im Sohn bringt doppelten Ertrag: 1. In diesem Hören wird den filii dei Leben gegeben. Als dictum probantium zitiert Eckhart Joh 5,25: qui audierint, vivent (»die hören, leben«).188 Dem korrespondiert streng das Leben, denn »jeder Grund (omnis causa) und jedes principium essentiale ist Leben (vivum)«, da »Sein (esse) und Denken (intelligere) im Leben (in vita) Leben (vita) sind«.189 2. Die beatitudo nennt Eckhart mit Bezug auf Lk 11,28 (beati qui audiunt verbum dei) fructus audientium (Frucht der Hörenden).190 8. Causa essentialis bzw. intelligere als die praecisa causa Bezug nehmend auf Joh 1, 1 (In principio erat verbum)191 nennt Eckhart vier Bedingungen für die principii essentialis naturalis192 bzw. seiner

184. N. Largier, in: EW 2 (2008), 861. 185. Eckhart, In Ioh., n. 486 (LW III 418,9-10): qui ex deo est, natus scilicet, verba dei audit etc.; dicere enim dei generare est, audire ipsum generari est. 186. Ibid., n. 487 (LW III 420,1-2): ›diebus istis locutus est nobis in filio‹ (›in diesen Tagen hat er zu uns gesprochen im Sohn‹) [Hebr. 1,1f.], id est faciendo nos filios (das heißt, indem er uns zu Söhnen machte); supra Ioh. 1: ›dedit eis potestatem filios dei fieri‹ (›er gab ihnen Macht, Söhne Gottes zu werden‹) [Joh. 1,12].« 187. Ibid. (420,2-3): Non enim loquitur deus nisi in filio nec auditur nisi a filio. 188. Ibid. (420,4-6). 189. Ibid., n. 139 (117,8-10). 190. Ibid., n. 487 (420,6). 191. Joh 1,1: »Im Anfang war das Wort«. 192. Eckhart, In Ioh., n. 38 (LW III 32,5-6).

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causa-essentialis-Theorie:193 1. Das aus der causa essentialis Entsprungene (principiatum) ist in diesem enthalten wie die Wirkung (effectus) in der Ursache (causa). 2. In ihr i s t das aus der causa essentialis Entsprungene nicht nur, sondern es »ist vorher (praesit) und auf erhabenere Weise (eminentius) [...], als jenes (das principiatum) in sich selbst«. 3. »Der Ursprung (principium) selbst ist immer reiner Verstand (intellectus purus), in dem kein anderes Sein (aliud esse) ist als das Denken (intelligere)«. 4. Es gilt, »dass in demselben und bei demselben principium die Wirkung der Kraft nach (effectus virtute) gleichen Alters (coaevus) mit dem principium sei«.194 Nun ist hinsichtlich der drei letzten conditiones die elementare Relevanz des die Idee seienden Wortes (verbum) zu beachten: »Die drei letzten [sc. conditiones] werden ausgedrückt durch das verbum, das ist die ratio (Idee).«195 Die Ideenwirklichkeit des Wortes dimensioniert dessen Grund gebende Relevanz: Denn was den effectus formaliter hat, das hat die Idee (ratio) nicht bloß, sondern sie hat es zuvor und hat es in erhabener Weise (ementius), weil der Kraft nach (quia virtute). Ferner ist auch die Idee (ratio) in intellectu, denn durch Denken wird sie gebildet (intelligendo formatur), sie ist nichts als Denken (nihil praeter intelligere est). Wiederum auch ist sie gleichen Alters mit dem intellectus, da sie das Denken (intelligere) selbst und der intellectus selbst ist.196 Dies begründet Eckhart biblisch mit Joh 1,1f.197 Entscheidend ist, dass wir Menschen uns dem intelligere gemäß verhalten. Dafür gibt es nur eine praecisa causa. Diese befähigt uns, dass wir als Wissende, also in intellectu, Gott wohlgefällig sind.198 Die praecisa causa dafür ist der den Menschen durch die Gottesgeburt qualifizierende Gott. Wird der intellectus in Gott gedacht und in die Seele des Menschen gedrückt, ereignet sich Univozität des intelligere.199 Indem wir von Gott wissend gemacht werden, zu erkennen, also dem intelligere durch Gott zu entsprechen, ereignet sich die Univozität des intelligere und werden wir der Torheit 193. 194. 195. 196. 197. 198. 199.

Vgl. B. Mojsisch, Meister Eckhart (1983), 27. Eckhart, In Ioh., n. 38 (LW III 32,7-15). Ibid. (32,15). Ibid. (32,16-33,4). Ibid. (33,4-5): verbum erat apud deum, et deus erat verbum, hoc erat in principio apud deum. Eckhart, Quaest. Par. III, n. 12 (LW V 61,1-3). N. Largier, in: LE 2, 201.

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des Nichts entzogen.200 Es gilt also nachdrücklich für den Thüringer Meister – wie bereits gesagt –: »Alles aber ist in Gott als der Erstursache nach der Weise des Denkens (causa prima intellectualiter)«.201 Damit kann Gott nicht als Sein oder Seiendes missverstanden werden: »So sage ich denn auch, dass Gott das Sein und das Seiende nicht zukommt (deo non convenit esse nec ens), sondern er ist etwas Höheres als das Seiende (sed est aliquid altius ente)«.202 Metaphysischen Beistand holt sich Eckhart im 7. Kapitel von Buch II aus Aristoteles’ De anima:203 So sagt ebenda »Aristoteles, dass der Gesichtsinn farblos sein muss (visum esse abscolorem), um alle Farben wahrnehmen zu können (ut omnem colorem videat), und dass der intellectus nicht durch die in der Natur bestimmten Formen (formarum naturalium) bestimmt ist, um alle zu erkennen (omnes intelligent)«.204 Daraus zieht Eckhart die theologische metaphysische Konsequenz, dass für Gott das Sein an sich (ipsum esse) zu negieren sei, damit er die Ursache allen Seins sein und alles im voraus in sich enthalten könne.205 Das ist nicht Negation Gottes, keine Bestreitung des Gott Zukommenden: Also wird von Eckhart »Gott nicht abgesprochen« (non negatur deo), »was sein [Gottes] ist« (quod suum est), jedoch aber »das, was nicht sein [Gottes] ist« (quod suum non est), totaliter negiert.206 Mit Johannes Damascenus207 ist von der superabundantia affirmationis (»dem Überschwang der Bejahung«) Gottes zu reden.208 »Nicht also negiere ich Gott, was ihm von Natur zukommt (natum est convenire).209 Ich sage (dico) [...], dass Gott alles im Voraus in sich selbst enthält (praehabet) in Reinheit (puritas), Fülle (plenitudo) und Vollkommenheit (perfectio), weiter und größer (amplius et latius), existierend (existens) als 200. Eckhart, Quaest. Par. III, n. 12 (LW V 61,1-3): Item: illud est melius quod est praecisa causa, quare sumus grati deo. Hoc autem est intelligere. Unde praecise aliquis est gratus deo, quia sciens; quia tolle scientiam: remanet unum purum nihil. (»Ferner: das ist besser, was die entscheidende Ursache dafür ist, dass wir Gott wohlgefällig sind. Das aber ist das Erkennen. Daher ist jemand gerade deswegen Gott wohlgefällig, weil er ein Wissender ist; denn nimm das Wissen fort, [so] bleibt nur ein reines Nichts übrig«). 201. Id., In Sap., n. 21 (LW II 342,10). 202. Id., Quaest. Par. I, n. 12 (LW V 47,14-5). 203. Vgl. Aristoteles, De anima II, 7, 418 a 26 - 419 b 3. 204. Eckhart, Quaest. Par. I, n. 12 (LW V 47,14-48,2). 205. Vgl. ibid. (48,2-3), bereits oben, Anm. 35, zitiert. 206. Ibid. (48,3-4). 207. Vgl. Johannes Damascenus, De fide orthodoxa, I. c. 4, in: PG 94, 800. 208. Eckhart, Quaest. Par. I, n. 12 (LW V 48,5). 209. Vgl. auch id., Sermo XII,1, n. 124 (LW IV 118,12): [...] in sua natura praehabens omnia.

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Wurzel (radix) und Grund von allem (causa omnium).« Und das entspricht nach Eckhart d e r biblischen Selbstdefinition Gottes (Ex 3,14): ego sum qui sum (»ich bin, der ich bin«).210 So betont der Thüringer Meister in diesem letzten Teil seiner Quaestio Parisiensis I die Bedeutung der causa essentialis, welche von ihm »als logos, als verbum, als intellectus und mithin als puritas essendi« verstanden wird. »In der causa essentialis sind alle Dinge idealiter aufgehoben, bevor sie das Sein erhalten«.211 »Aufgehoben« sind sie im intelligere dei. Durch die Gottesgeburt in der Seele vermag der Mensch als filius dei »qua Intellekt abgeschieden, leer und frei zu werden [...]«.212 So kann dann der Mensch, »von Gott, der causa essentialis, überformt, [...] unmittelbar alles erkennen, insofern dieses, bevor es in die Schöpfungsordnung hinaustritt, in der causa essentialis aufgehoben ist«.213 In seinem ersten Genesiskommentar gibt Eckhart die intellektuale metaphysische Begründung: »Der intellectus nämlich, sofern er intellectus, ist similitudo totius entis (Gleichnis/Bild alles Seienden), in sich enthaltend die Gesamtheit des Seienden (universitas entium), nicht nur dieses oder jenes als Bestimmtes (non hoc aut illud cum praecisione). Daher ist auch dessen [sc. des intellectus] Gegenstand (obiectum) das absolute Sein (ens absolute), nicht nur dieses oder jenes (non hoc aut illud tantum)«.214 Eckhart betont den Vorteil der creatura rationalis sive intellectualis gegenüber den unter ihnen stehenden eingeschränkten Kreaturen.215 Er gründet in der similitudo dei des Menschen, also des homo intellectus. Das fundiert Eckhart natürlich biblisch und philosophisch mit Aristoteles und seinem Kommentator Avicenna. »Der Vorzug der geistigen (intellectualis) Natur besteht darin, dass sie Gott selbst zum Gleichnis (similitudo) hat, nicht etwas, was in ihm in der Art einer Idee ist (aliquid quod in deo sit ideale). Der Grund (ratio) ist der: ›Der intellectus ist als solcher 210. Id., Quaest. Par. I, n. 12 (LW V 48,5-8). 211. N. Largier, in: EW 2 (2008), 883. 212. Ibid. 213. Ibid. 214. Eckhart, In Gen. I, n. 115 (LW I,2 155,24-7 [Rec. L]; LW I,1 272,3-6 [Rec. CT]). Vgl. N. Largier, in: EW 2 (2008), 883-4. 215. Ibid. (LW I,2 153,22-155,2 [Rec. L]; LW I,1 270,5-9 [Rec. CT]).

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das Vermögen alles zu werden (intellectus ut sic est, quo est omnia fieri)‹216, nicht nur dies oder das, auf das determinierte Bild (determinatum ad speciem). Daher ist nach dem Philosophen217 ›gewissermaßen alles (quodammodo omnia)‹ und das ganze Seiende. Und der Kommentator Avicenna interpretiert Metaphysik 9, 7, 107ra 21. 27-29: ›Die Vollendung der vernünftigen Seele (perfectio animae rationalis) ist, dass sie zu einer geistigen Welt wird (fiat saeculum intellectuale) und die Form des Ganzen in ihr beschrieben wird (describatur in ea forma totius)‹, ›bis sich in ihr die Ordnung des gesamten Seins vollendet (perficiatur in ea dispositio esse universitatis) und sie so hinüberführt in eine geistige Welt (transeat in saeculum intellectum), dem Abbild des Seins der ganzen Welt (instar esse totius mundi)‹.«218 Das heißt ad hominem: Er, also »der Mensch[,] geht aus von Gott (homo procedit a deo) ›in similitudinem‹ divinae ›substantiae‹ (»in die Ähnlichkeit mit dem göttlichen Wesen«). Deswegen, weil nur die intellectualis natura fähig (capax) ist für die Vollkommenheiten, die zum göttlichen Wesen gehören (perfectionum substantialium divinae essentiae), nämlich Wissen (scientia), Weisheit (sapientia), Oberhoheit (praesidentia), Regelung über das Seiende und dessen Ordnung (dispositio entium et providentiae) und Vorsorge (gubernatio) für die anderen Kreaturen«.219 Nun muss hier die gratia, die Gnade, eingebracht werden, ohne die Gott kein Werk in der Schöpfung wirkt.220 Der Thüringer Meister unterscheidet zweierlei Arten von gratia:221 1. Gnade, die aller Schöpfung und 2. Gnade, die allein der creatura intellectiva zukommt. »Gnade (gratia) hat ihren Namen daher, dass sie gratis gegeben wird, wobei gratis als Adverb [umsonst] oder als Hauptwort« hinsichtlich des Gott Angenehmen verstanden wird. »Im ersten Gebrauch wird die Gnade umsonst (gratia gratis), das ist ohne Verdienste, gegeben (sine meritis data), die zweite [Gnade – U.K.] wird die [Gott] angenehm machende Gnade 216. Vgl. Aristoteles, De anima III, 5, 430 a 14f.: »Und es gibt eine Vernunft (nous) solcher Art, dass sie alles [sc. Intelligible] wird (ginestei), eine aber die alles macht (panta poiein)«. 217. Id., De anima I, 8, 431 b 21-23. 218. Eckhart, In Gen., n. 115 (LW I,2 155,3-9 [Rec. L]; LW I,1 270,9-271,1 [Rec. CT]). 219. Ibid. (LW I,2 155,9-13 [Rec. L]; LW I,1 271,1-5 [Rec. CT]). 220. Eckhart, Sermo XXV,1, n. 257 (LW IV, 235,2-3). 221. Vgl. für das Folgende Sermo XXV,1, n. 258 (LW IV 235,5-236,4).

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(gratia gratum faciens) genannt.« Die erste Gnade, das ist die Schöpfungsgnade, »ist Guten und Bösen und auch allen Kreaturen gemeinsam« (est communis bonis et malis et etiam omnibus creaturis). Die zweite Gnade »ist nur den vernünftigen Wesen und guten eigen (est propria tantum intellectivis et bonis).« Die erste Gnade »geht von Gott aus (procedit a deo), insofern ihm das Sein oder vielmehr die Güte eignet (sub [...] proprietate entis sive boni potius)«. Darum sage Augustin: »weil er gut ist, sind wir (›quia bonus est, sumus‹222). Denn das Wesen (essentia) zeugt (generat) und schafft (creat) nur, insofern es im [göttlichen] Selbstand (in supposito) ist«. Die zweite Gnade greift unter der Proprietät des personbildenden Wesens: Sie »geht hervor von Gott unter der ratio und Eigentümlichkeit eines personbildenden Merkmals (proprietate personalis notionis). Deswegen ist nur ein der Vernunfterkenntnis (intellectivum) fähiges Wesen, in der sie widerleuchtet (relucet), für sie empfänglich (ipsius capax)«. Eckhart differenziert die Gnade hinsichtlich effluxus (Ausfluss) und regressus (Rückkehr). Denn »die erste gratia besteht (consistit) in einer Art Ausfluss (effluxus), Ausgang von Gott (egressus a deo)« und die zweite Gnade in »einer Art Rückfluss (refluxus) oder Rückkehr in Gott (regressus in ipsum deum).«223 Das dokumentiert Eckhart christologisch: »[Wie] der Vater alles durch den Sohn wirkt (omnia operatur pater per filium), damit der refluxus dem effluxus entspreche (respondeat)«.224 Gemeinsam ist hier der ersten und zweiten Gnade deren alleiniger Ursprung von Gott (a solo deo).225 Das, was der Mensch i s t , schuldet er nicht eigener Werkproduktion. Das verdankt er allein dem einen Einen, durch den er definiert wird. Adäquat eindeutig – philosophisch und theologisch gültig – definiert das 1 Kor 15,10: »Gratia dei sum id quod sum.«226 So bin ich, der Mensch, primär ein homo intelligentiae, der als creatura intellectiva durch die Gnade und die Gottesgeburt in der Seele qualifiziert wird, je und je

222. Augustinus, De doctrina christiana, I, 75, ed. von W. M. Green (Wien u.a., 1963) (CSEL 80), 27,20-1. 223. Sermo XXV,1, n. 259 (237,1-2). Vgl. ibid., Anm. 1, entsprechende Parallelstellen. 224. Id., Sermo LVI, n. 557 (LW IV 466,7-8). 225. Vgl. id., Sermo XXV,1, n. 259 (LW IV 237,3-4): Hoc tamen habent commune gratia prima et secunda quod utraque est a solo deo. 226. Id., Sermo XXV,2, n. 262 (LW IV 239,4): »Durch die Gnade Gottes bin ich das, was ich bin« (1 Kor 15,10).

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die causa essentialis alles dessen, was durch das intelligere dei ist, w i s s e n d zu e r k e n n e n und damit univok mit Gott zu sein. Die Idee (ratio) ist (ontologisch-platonisch) in intellectu primo.227 Damit »ist sie bei Gott (est apud deum)« und so »in jedem mit intellectus begabten Wesen (intellectivo proximo sibi), das seine [sc. Gottes] imago oder ad imaginem ist« und gemäß Apg 17,29: »Geschlecht Gottes ist (genus dei est)«.228 Das intelligere ist stets bei Gott, »weil er immer erkennt (semper actu intelligit) und erkennend die Idee zeugt (intelligendo gignit rationem)«.229 Und nun wagt Eckhart mit Bezug auf Joh 1,1 die I d e n t i f i z i e r u n g von Gott und Idee mit Hilfe der Gottesgeburt: »die Idee (ratio), die sein Erkennen erzeugt (quam gignit ipsum intelligere suum), ist Gott selbst (est ipse deus)«.230 Auch das verifiziert Eckhart mit Augustinus:231 »wenn er immer Vater gewesen ist, hat er immer den Sohn gehabt (si semper fuit pater, semper habuit filium)«.232

227. Id., In Ioh., n. 31 (LW III 24,16-7). 228. Ibid. (24,16-25). 229. Ibid. (25,1-2). 230. Ibid. (25,2-3). 231. Zur Stellenangabe vgl. LW III, 25, Anm. 2. 232. Eckhart, In Ioh., n. 31 (LW III 25,4).

Wirklichkeit, die sein lässt. Meister Eckharts Anregungen zu einer Theologie des Lassens und der Gelassenheit Christine Büchner, Hamburg

Abstract This article places the term lâzen in the centre of Meister Eckhart’s theology. Lâzen has the double sense of „to refrain from/not to do“ on the one hand and „to leave room for“ on the other. God lets creation be and live, and the human being comes into true relationship to himself, to God and to the world by letting himself go and becoming a gelâzen mensche. The ability of self-detachment sets him free, because it allows emancipation from an unhealthy concept of feasibility, to get involved with what you encounter and to let the other be (according to God’s intention with creation), instead of regarding others mainly from the perspective of hindering rivalry. That’s why the gelâzene mensche is also the gerehte mensche. Who is one with God can let himself and others be. This theology of equanimity (gelâzenheit) is also a point of reference for the experience of people today and, thus, for the current theological debate. Both the life of the individual and that of society are characterized by involvement in the oppressive structures of everyday life and the search for a way out from self-centeredness. Meister Eckhart does not provide simple solutions. In fact he consistently considers answers as merely temporary, and thus ensures the necessary plurality of our answers in the face of the One. In so far that uncertainty becomes an epistemic principle of Eckhart’s thinking, it can positively accommodate the existential uncertainty of human beings today: as the way you necessarily have to go in order to reach equanimity in the One, that appears intuitive in all our acting and searching and our tension and that – by letting us be – in principle supports it at all times.

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Christine Büchner

1. Einführung

M

eister Eckhart ist einer der großen Theologen der christlichen Tradition, seinem Ordenskollegen Thomas von Aquin durchaus vergleichbar – und doch ist in den theologischen Handbüchern von ihm nicht die Rede und wird sein Denken in der Theologie der Gegenwart (anders als in der Philosophie) weiterhin nur wenig rezipiert. In der Vergangenheit war es die Bulle Johannes XXII., die, indem sie wenige, aber zentrale Formulierungen Eckharts verurteilte, verhinderte, dass Eckhart in den Kanon der zitierfähigen Autoritäten aufgenommen wurde. Noch 1886 nannte Denifle Eckhart einen Wirrkopf.1 Aber mittlerweile gilt der Meister durchaus als rehabilitiert und ist innerhalb der Kirche als spirituelles Vorbild anerkannt. Dennoch scheint sein Denken für die theologische Vermittlung des Glaubens in der Gegenwart nach wie vor wenig attraktiv. Liegen die Gründe für dieses anhaltende theologische Desinteresse also möglicherweise in Eckharts Denken selbst? Einerseits suchen Menschen des postmodernen Pluralismus nach verbindlichem, Halt gebendem Sinn, andererseits hält die Eckhartsche Theologie vordergründig keine verbindlichen Antworten auf solches Suchen bereit. Sie ist schwer zu fassen, und auch ihre Terminologie ist nicht einfach festschreibbar. Schon die zentralen Begriffe, die Eckhart für die Beschreibung der Beziehung zwischen Mensch, Welt und Gott benutzt, sind durchgängig mehrdeutig (z.B. grunt, minne, sun, wesen, selbes, esse, imago, generatio u.v.m.). Die Herausarbeitung eines festen Begriffssystems scheint schwierig, wenn nicht prinzipiell unmöglich, will man nicht Wesentliches 1. Mit diesem Beitrag soll keineswegs wieder die seit Denifle (Heinrich Suso Denifle, »Meister Eckharts lateinische Schriften und die Grundanschauung seiner Lehre«, in: Archiv für Literaturund Kirchengeschichte des Mittelalters 2 [Berlin, 1886], 417-687) kontrovers diskutierte Alternative Mystiker – Scholastiker bzw. Philosoph weitergeführt werden, sondern es soll gezeigt werden, dass gerade der oberflächlichen Verwirrung eine zutiefst philosophische (mehr noch theologische) Einsicht, nämlich diejenige in die Kontingenz all unserer Perspektiven, zugrunde liegt. Diese Einsicht bildet die logische Mitte des Denkens Meister Eckharts und unterläuft die Auffassung, zwischen Mystik und Philosophie bestünde ein unversöhnlicher Gegensatz. Wer dem Meister das Prädikat des Mystikers abspricht, scheint mir daher weiterhin die Deniflesche Einschätzung einfach zu akzeptieren: dass Mystik irrational sei und daher mit begründetem Argumentieren nichts zu tun habe, ja mehr: dass sich ein Philosoph nur als ernst zu nehmend erweise, wenn er sich dem akademischen Diskurs seiner Zeit anpasse.

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des Eckhartschen Denkens aus dem Blick verlieren. Denn es gehört zum innersten Anliegen der Eckhartschen Theologie, den Leser und Hörer nicht nur zu einer begrifflichen Erkenntnis zu führen, sondern ihn über diese gewonnene Erkenntnis hinaus stets auch wieder ins Unsichere zurückzuwerfen. Eckhart bedient sich zwar der philosophischen Begriffe seiner Zeit, aber sie genügen ihm nicht. Er entfernt sich, zumal wenn er nicht in akademischem Umfeld spricht, immer wieder von der terminologisierten Diskurssprache und arbeitet mit unvermittelten, terminologisch nicht vorfixierten Beschreibungen bzw. Metaphern. Gezielt evoziert er damit beim Hörer Assoziationen und Emotionen, die einer durch Terminologien vorformierten Diskurssprache nicht in dem Maße möglich wären. Das sei im Folgenden kurz an zwei Beispielen deutlich gemacht. E r s t e n s : In den Reden der Unterscheidung spricht Eckhart über das Streben des Menschen nach Einheit mit Gott, indem er die Metaphern ›Unruhe‹ und ›Ruhe‹ benutzt. Diese Metaphern gemahnen einen religiösen Leser zunächst an die eigene innere Unruhe und das eigene Suchen nach Gott. Gott wird ihm gegenwärtig als Zielvorstellung, in dem endlich einmal Ruhe zu finden wäre. Wir denken an Augustinus: »Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, o Gott.«2 Eckhart selbst zitiert diesen Satz des Öfteren. Doch wider Erwarten gibt Eckhart der Metapher eine völlig andere Wendung und stellt die Vorstellung von Gott als dem Ruhepunkt, auf den unser vorher immer unruhiges Suchen hinläuft, in Frage. Er sagt nämlich, der gelâzene mensche (jener gelâzene mensche verkörpert für Eckhart immer das Ziel der Einheit mit Gott) ensuochet niht ruowe, wan in enhindert kein unruowe – »der gelassene Mensch sucht nicht Ruhe, denn ihn behindert keine Unruhe.«3 Ruhe ist hier nicht etwas, das klassischerweise am Ende des irdischen Lebens erlösend auf uns zukäme, sondern etwas, das im eigenen Leben und der eigenen Daseinsweise seinen Grund hat. Das bedeutet nun aber umgekehrt, dass auch der Grund der Unruhe in uns selbst liegt (nämlich insofern wir nicht gelâzene sind): Wir sind nur deshalb auf der Suche nach Ruhe und erleben unser Leben als unvollkommen, weil wir in unserer Unruhe nicht vermögen, die Nähe Gottes wahrzunehmen. Dem gelassenen Menschen dagegen ist 2. Augustinus, Confessiones, I,1,1, ed. von L. Verheijen (Turnhout, 1981) (CCL 27), 1,7: [...] inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te. 3. Eckhart, RdU (DW V 206,13).

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Gott in jeder Lebenssituation stets gegenwärtig, daher ist für ihn die Entgegensetzung von Unruhe und Ruhe irrelevant. Zw e i t e n s : Ähnliche Irritationen erzeugt Eckhart, indem er in der Predigt Nr. 86 über den Lebensweg des Gottgeeinten spricht: Sein Weg sei deswegen nicht mehr in eigentlichem Sinne We g , weil er zugleich ein Z u h a u s e sei.4 Mit ›Weg‹ verbinden wir gemeinhin Mühe und Strapazen und zugleich Vorläufigkeit. Wir wollen nicht für immer auf dem Weg bleiben, nicht immer unterwegs sein, sondern irgendwann an dem Ziel ankommen, zu dem der Weg uns führt. Mit ›Zuhause‹ assoziieren wir Geborgenheit, Angekommensein, Nicht-weiter-Müssen, Wärme, Ruhe. Eckhart aber hebt, wider unseren sprachlich-logischen Verstand, die Kontrarität der Begriffe ›Weg‹ und ›Zuhause‹ in der/die Gottgeeintheit auf, um zu veranschaulichen: Wer mit Christus geht, der/die wohnt in ihm, wer in Christus wohnt, der/die geht mit ihm, der/die hat einen Weg und zugleich ein Zuhause gefunden.5 Wir sehen: Eckharts ›Verwirrung‹ der Begriffe ist nicht Ausdruck irgendeines mystisch-irrationalen Denkens, sondern nimmt unsere Wortlaute, die wir im Verlauf unserer Glaubensgeschichte herausgearbeitet haben (wie etwa oben den klassischen Topos von Gott als unsere Ruhe) in die Kritik und erzwingt dadurch so etwas wie eine permanente Selbstkorrektur.6 Seine Sprache unterläuft unsere Erwartungshaltung. 4. Vgl. id., Pr. 86 (DW III 487,14): Der dritte wec heizet wec und ist doch heime [...]. 5. Neben den zwei Beispielen aus den deutschen Werken sei auch ein kurzer Hinweis auf das lateinische Werk gegeben: Eckhart verwischt auch darin gerne akzeptierte begriffliche Zuordnungen, um die Ebenen (Gott, Mensch und Welt) näher zusammen zu bringen (z.B. generatio und creatio, vgl. Eckhart, In Sap., n. 26-8 (LW II 346,1-348,12 u.ö.). Dahinter steht m.E. die Überzeugung, dass jede begriffliche Trennung zwar einerseits den Diskurs erleichtert, präzisiert und für einen Erkenntnisfortschritt unabdingbar ist, aber andererseits die Wahrheit der Wirklichkeit, über die gesprochen wird, auch verschleiert. Die Begriffssprache suggeriert nämlich, es bestünden von einander getrennte Wirklichkeitsbereiche, wo doch stets das eine nur in Bezug auf das andere ist. Erst der Wechsel zwischen den Begriffen (z.B. zwischen esse, intelligere und caritas für das Wesen Gottes) macht auch im Diskurs diesen untrennbaren Zusammenhang (die ›Einheit‹) der Ebenen sichtbar. 6. Vgl. z.B. folgende typische Redeweise Eckharts (in paraphrasierender Interpretation): X hat etwas Gutes und Richtiges gesagt; ich aber sage an dieser Stelle mehr (und das scheint mir, eben gerade an dieser Stelle, besser zu sein, auch wenn es die erste, immer noch gute und richtige Aussage in Frage stellt); und an späterer Stelle: Nun möchte ich auch über das besser Gesagte noch hinausgehen und noch mehr sagen, auch wenn das, was ich nun sage, wo wir gerade etwas mühsam erreicht haben, freilich aufs Neue zu Verwirrung und Unverständnis führt. Oder: Damals an dem Ort X habe ich etwas so erklärt, und es hat zum Verständnis beigetragen; heute an diesem Ort aber erkläre ich es anders – und ich weise selbst auf diesen Widerspruch hin, weil erst dieser Widerspruch zeigt, wie komplex das ist, worüber ich rede. Vgl. Eckhart, Pr. 48 (DW II 420,3-5); Pr. 52 (DW III 488,3-6; 490,1-6; 494,4-6; 497,3-5); Pr. 72 (DW III 244,3-4). Eckhart knüpft damit an die theologische

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Sie vermeidet die bloße Affirmation des Sprach- und Gedankenhorizonts des Lesers und Zuhörers. Vielmehr will sie diesen stets aufbrechen und erweitern. Letztlich intendiert sie, dass Zuhörer und Leser diesen Horizont selbst in Zweifel ziehen, um ihn zu überprüfen. Eckhart verfährt hierbei im besten Sinne pädagogisch. Stets hat er seine konkrete, aktuelle Zuhörergemeinde und deren Erwartungshaltung im Blick. Man kann erkennen, dass Eckhart (je nachdem, zu wem und in welcher Situation er gerade spricht) für die Zuhörergemeinde unerwartete, ja ihr konträre Positionen bezieht. Dazu wiederum nur zwei kurze Hinweise. Für die Beginenfrömmigkeit ist die Freiheit der Seele zentral. Die individuelle liebende Seele kann durch Ekstase geradezu zu einem Erkenntnisort werden. Auch für Eckhart ist der Gedanke der Freiheit in unserem Verhältnis zur Welt und zu Gott von eminenter Wichtigkeit (möglicherweise wurde er hierbei selbst von der Beginenbewegung inspiriert). Aber gerade wenn Eckhart in Frauenklöstern predigt, reflektiert er diesen Gedanken eher kritisch und wendet sich gegen subjektive Ekstasen als verlässlichen Erkenntnisort.7 D.h.: Zu Frauen, die ekstatische Gottesnähe durch hingebende Liebe erfahren, spricht er gerne auch von der Intellektualität Gottes.8 Auch in akademische Diskussionen bringt er gern Unklarheit und erwägt sogar, was die dominikanische Schule angeht (die ja seine eigene Schule ist), Gegenpositionen einzunehmen.9 Zuhausesein in der Unruhe des Weges: das ist ein Motto gegen wohlfeile Gewissheit, gegen das vorschnelle Stehenbleiben und Sich-Niederlassen in dem, worin man sich im Glauben vermeintlich gut eingerichtet hat. Eckharts Bestreben ist, sich selbst und andere aus Methode bei Dionysius an (vgl. Christine Büchner, Gottes Kreatur – »ein reines Nichts«?: Einheit Gottes als Ermöglichung von Geschöpflichkeit und Personalität im Werk Meister Eckharts [Innsbruck, 2005], 383-5), geht aber über sie hinaus. Denn er hält nicht nur fest, dass Gott als das Nicht-Andere alles Kategoriale transzendiert, sondern bringt auch immer wieder neue konkrete Aspekte dieses Nicht-Anderen ins Gespräch, durch die deutlich wird, dass dieser Nicht-Andere uns (gerade wegen seiner Nicht-Andersheit) betrifft, angeht und verändern kann. 7. Vgl. dazu Dietmar Mieth, »Marguerite und der Meister: Meister Eckhart (ca. 1260-1328) und Marguerite Porete (ca. 1250-1310)«, in: concilium 47 (2011), 314-24. 8. Vgl. z.B. die Predigten 15 und 37. 9. Während Eckhart in den Quästionen vehement die These vertritt, Gott sei Erkennen und nicht Sein, kommt er im Opus tripartitum (und auch schon in den Quaestiones selbst durch die Einführung des Begriffs der puritas essendi) zeitweise zur gegenteiligen Auffassung. Vgl. dazu Ch. Büchner, Gottes Kreatur (2005), 44-155, und oben Anm. 6.

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diesem Sich-Eingerichtet-Haben zu lösen. Wir sollen uns vielmehr ergreifen lassen von jenem einfachen, aber zugleich eben auch hochkomplexen und nicht einfach zu fassenden Einen, das tatsächlich als einziges Halt zu geben vermag: dem Einen, das ›not tut«.10 Gerade hieraus könnte sich eine Attraktivität der Position Meister Eckharts für die Theologie der gegenwärtigen Situation entwickeln. Wir befinden uns heute in einer existentiellen Unsicherheit angesichts vielfältiger, unüberschaubarer, sich widersprechender Sinn-›Angebote‹. Eckharts Theologie scheint prädestiniert, diese Unsicherheit, deren sichtbarster Ausdruck eben die Vielfalt der Angebote ist, in ihren eigenen Horizont einbetten zu können. Sie hat den Umgang mit einer Vielfalt gegensätzlicher Positionen sozusagen bereits ›trainiert‹. Eckharts Theologie vermeidet für sich selbst in sich geschlossene Positionen und hat daher keine Scheu, Gedanken aus neuen Zusammenhängen aufzunehmen. Sie weiß, dass all diese Positionen zwar einen vorläufigen Halt bieten können, aber gerade dadurch auch abhalten von dem Einen, das not tut. Sie lehrt den Leser und Zuhörer, selbst vielfältig mit seinem eigenen Denken an neue Positionen anzuknüpfen, zwingt ihn schließlich aber auch, die Logik des gerade gedanklich Nachvollzogenen wieder aufzugeben. Gerade durch die offensichtliche Diversität der verhandelten Positionen bringt uns Eckhart also in eine Denkbewegung hinein, die immer wieder in den Blick bekommen soll, worum es alleine gehen kann: um das Eine-Einzige, das all unserer Pluralität Grund und Bestand verleiht; das Halt geben kann, ohne festzuhalten. Es ist die Wirklichkeit Gottes, ohne die, Eckhart zufolge, alle Pluralität in bloße Relativität auseinanderfallen und ins Nichts zerstieben würde. Gott ist für Eckhart die maßgebliche Wirklichkeit, die alles ›sein lässt‹. Diesem Gedanken möchten die folgenden Ausführung nachgehen. 2. Wirklichkeit im Fokus der Gelassenheit: den anderen sein lassen Eckhart spricht ausnahmslos ontologisch. Was der Mensch tun soll, soll er tun, um der Wirklichkeit zu entsprechen, wie sie von Gott her ist bzw. sein könnte, wenn der Mensch sich dem Wirken Gottes nicht mit seinen eigenen Wünschen und Zielen in den Weg stellte. Auch die Rede vom 10. Vgl. Eckhart, Pr. 86 (DW III 489,10) u.ö.

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lâzen des Selbst und aller Dinge11 ist vor allem in diesem Zusammenhang zu verstehen. Lassen ist zunächst das Gegenteil von Tun. In der westlichen Welt haben wir uns über Jahrtausende daran gewöhnt, im Tun grundsätzlich etwas Positives zu sehen (wir verbinden damit Verantwortung und gestaltendes Engagement ebenso wie Erfolg und Fortschritt). Das Lassen (auch das Selbstlassen) bewerten wir dagegen eher negativ. Wir unterstellen ihm die Vogelstraußtaktik, bei der man den Kopf in den Sand steckt und eben unterlässt, sich um das zu kümmern, worum man sich kümmern müsste. Aber der Ausdruck ›etwas sein lassen‹ ist doppeldeutig, er kann sowohl negativ als auch positiv gebraucht werden. Die negative Bedeutung kann man umschreiben mit ›etwas nicht in Angriff nehmen‹. Die positive lautet: ›etwas dasein lassen/nicht beeinträchtigen‹. Auch das einfache ›lassen‹ hat diese doppelte Dimension: nämlich ›aufgeben/ sich nicht kümmern um‹ (negativ) und ›freigeben/in Ruhe lassen‹ (positiv).12 Es liegt nahe, bei Eckhart zunächst die negative Konnotation von lâzen und gelâzenheit in den Vordergrund zu stellen. Dass der Mensch, wie Eckhart sagt, alle Dinge und auch sein Selbst lassen muss, bedeutet zuerst einmal, dass er sie aufgeben (relinquere) bzw. Gott übergeben (committere) muss.13 Wäre dies die einzige Dimension von lâzen, dann hätte Eckharts Aufforderung zur Gelassenheit einen eindeutig niederdrückenden Charakter und wäre eine Aufforderung zu Apathie. Eckhart hat aber beide Aspekte des Lassens im Blick, und zwar dergestalt, dass die Aufforderung zur Gelassenheit eine positive und befreiende Dimension beinhaltet, die der negativen zugrunde liegt und sie somit zugleich ihrer 11. Vgl. z.B. id., RdU (DW V, 194,4) u.ö. 12. Thomas Manns Roman Die Buddenbrooks z.B. lebt genau aus dieser Spannung heraus: Die vitale, ›tätige‹ Kraft der ersten Generationen, Ursache für Aufstieg und Erfolg, findet ihr Ende in Hanno, dem kränklichen Kind, das bereits weinen muss, nur wenn jemand es laut anspricht. Beachtenswert ist die Pointe des Romans: Hanno ist zwar unwiderlegbar ein Versager, aber Thomas Mann arrangiert seinen Text so, dass gerade Hanno die Empathie des Lesers gilt. Das ist nicht nur der Fall, weil Hannos Schwäche uns rührt, sondern vor allem, weil dieser Hanno eine Sehnsucht zum Ausdruck bringt. Indem wir Mitleid mit seiner Schwäche haben, kommt in uns unsere eigene Sehnsucht nach einer Wirklichkeit zum Vorschein, in der wir uns gegenseitig s e i n l a s s e n könnten, wie wir sind, ohne ›tätige‹ Konkurrenz zueinander. 13. Vgl. den hilfreichen Forschungsüberblick bei Markus Enders, Gelassenheit und Abgeschiedenheit – Studien zur Deutschen Mystik (Hamburg, 2008), 350-6.

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Negativität entbindet: Seinlassen eröffnet Wirklichkeit. Erst wenn ich etwas sein lasse, kann es sein, wie es ist, und muss nicht mehr so sein, wie ich es haben will. Das betrifft sowohl die anderen als auch mich; beide werden im Seinlassen erst als sie selbst möglich. Wir sind als Menschen in unserem täglichen Dasein stets versucht, uns des anderen zu bemächtigen. Der ›gelassene‹ Mensch, ein durchgängig zentrales Motiv bei Meister Eckhart,14 widersteht dieser Versuchung. Er legt sich selber Zurückhaltung auf um jener Wirklichkeit willen, die sein lässt: er deckt sie auf, indem er ihr entspricht. Ein gelassener Mensch lässt andere sein, weil er wesentlich geworden ist: er entspricht darin seinem eigenen Wesen. Er überlässt also auch nicht mit Vorsatz den anderen das Feld, um sich in Selbstzurücknahme zu üben. D.h. er macht sich anderen gegenüber nicht selbst zu einem Geringeren, als er ist. Vielmehr entspricht er ganz und gar dem inneren Grund der Wirklichkeit, wie sie von Gott her ist: Diese Wirklichkeit ist nämlich für den anderen wie für sich selbst ohne Unterschied – und daher ›sein lassend‹.15 Anders gesagt: Für den Gelassenen wird die Wirklichkeit Gottes so wesentlich, dass sie durch ihn wirklich wird. Wirklichkeit als Wirklichkeit Gottes stellt sich von daher als das dar, was ich finde, wenn ich mich sein lasse und andere sein lasse. Folgende Beobachtungen aus dem gewöhnlichen Alltag können diese Zusammenhänge vielleicht zusätzlich veranschaulichen: Ich überlege zunächst, etwas Bestimmtes zu tun; dann aber lasse ich es doch – ich werde nicht aktiv. Das kann verschiedene Gründe haben. Zum einen: Ich fühle mich der betreffenden Aufgabe nicht gewachsen, lasse sie also lieber sein (aus Angst zu scheitern). Zum anderen aber: Ich 14. Vgl. die Nachweise bei Adeltrud Bundschuh, Die Bedeutung von gelassen und die Bedeutung der Gelassenheit in den deutschen Werken Meister Eckharts unter Berücksichtigung seiner lateinischen Schriften (Frankfurt a.M. u.a., 1990), 102-7 und 395-409. 15. Das Verhältnis von Wesen(tlichkeit) und Wirklichkeit ist für Eckhart ein fundierendes: Wirklichkeit bezeichnet die Realität, in der wir leben, in ihrer Pluralität und Zerdehntheit, Wesen(tlichkeit) bezeichnet Grund, Halt, Ziel und eigene innere Tiefe dieser Realität. Anders gesagt: Die Wesentlichkeit lässt die Wirklichkeit sein – im doppelten Sinne: sie lässt sie als sie selbst da sein und sie lässt sie in Ruhe, determiniert sie nicht, sondern gibt ihr die Freiheit, ihre Weise/ihren Weg zu ihrem Wesen hin zu finden. Dies kommt in der Maria-Martha-Predigt, Eckhart, Pr. 86 (DW III 491,12), zum Ausdruck im Reden vom weselîche stân (›wesentlich Dastehen‹): Martha stuont sô weselîche (»stand ganz wesenhaft da«). Maria dagegen muss erst lernen zu leben (vgl. ibid., 491,14), von ihr heißt es, ibid., 489,7, dass sie niht weselîche stuont (»noch nicht w e s e n t l i c h dastand«).

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nehme etwas gerade deshalb nicht in Angriff, um mich vom sog. ›Gang der Dinge‹ überraschen zu lassen, d.h. ich gebe die Richtung eines Geschehens absichtlich nicht selbst vor, sondern vertraue darauf, die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Ich reagiere eher, statt zu agieren. Das kann wiederum eher unabsichtlich oder eher absichtlich geschehen: Ich lasse mich im Zug von meinem Nachbarn in ein Gespräch ziehen, weil dieser mich anspricht, obwohl ich eigentlich vorhatte, während der Fahrt ein Buch zu lesen. Vielleicht tue ich es deshalb, weil ich mich auch im emphatischen Sinne wirklich angesprochen fühle und merke, einen Gewinn von diesem Gespräch zu haben. Vielleicht merke ich aber auch, dass dem anderen das Reden gerade ein großes Bedürfnis ist. Im letzteren Fall nehme ich mich bewusst zurück und l a s s e ihm Raum zu reden. Beide Fälle tragen der Tatsache Rechung, dass ich, was mir geschieht, sowieso niemals allein bestimmen kann, sondern dass an allem, was ich tue und was mich betrifft, auch andere als Akteure beteiligt sind. Im schlechtesten Fall allerdings fühle ich mich überrumpelt – nämlich wenn der Zugnachbar mich derart unangemessen vereinnahmend in Beschlag nimmt, dass es sowieso unmöglich ist, darauf zu reagieren. Dann kann ich nur noch verärgert darüber sein, dass ich nicht dazu gekommen bin, den wichtigen Aufsatz durchzuarbeiten, wie ich es mir für die Zugfahrt doch vorgenommen hatte. Der Ärger indes hindert auch mich daran, dem anderen in angemessener, d.h. ihn so, wie er ist, würdigender Weise gegenüberzutreten. Wenn ich entgeistert sitzenbleibe und bloß höflicherweise, vielleicht sogar aus Mitleid, zuzuhören vorgebe, bleibt am Ende höchstens das (falsche) gute Gefühl, für den anderen wenigstens etwas getan zu haben.16 Es fand dann aber keine Kommunikation statt, der Bezug zum jeweils anderen (und damit zur Wirklichkeit als sein lassender) blieb beiden versperrt. D.h.: Gerade dem anderen infolge seiner (oder meiner) Schwäche heraus Raum zu geben, kann zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Ein gegenseitiges Verstehen kommt 16. Jacques Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, übers. von A. Knop und M. Wetzel (München, 1993) 17-30, hat dies hellsichtig als den ökonomischen Zirkel unserer Beziehungen beschrieben, in der eine echte selbstlose Gabe des einen an einen anderen gar nicht möglich sei, weil die Gabe dem Geber, wenn nicht durch eine Gegengabe doch notwendig durch das sich einstellende Überlegenheitsgefühl quasi zurückerstattet werde.

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nicht zustande, wenn der andere sich nicht um meinetwillen so zurücknimmt wie ich um seinetwillen. Das bedeutet auch: Wirkliches Sein-lassen-Können lebt von einem gewissen Gleichgewicht, es setzt eine Dynamik in Gang, die eine Begegnung auf Augenhöhe, einen Ausgleich der Niveaus, eine berechtigte gegenseitige Würdigung ermöglicht. Im besten Fall bringt die anfänglich einseitige Initiative des Sein-Lassens (als ich mich entschlossen habe, mein Buch oder meinen Aufsatz auf die Seite zu legen und dem Abteilnachbarn die von ihm erwünschte Aufmerksamkeit zu schenken) neue Möglichkeiten für beide Beteiligten hervor. Diese Initiative geht von einer grundlegenden Einsicht aus: dass geschöpfliches Miteinander immer fragil ist, dass es darauf ankommt, einander die Existenz zu lassen und den anderen nicht durch die eigene Existenz einzuschnüren. Noch ein Hinweis: Auch in den Situationen, in denen ich, im Gegensatz zur eben geschilderten Situation im Bahnabteil, selbst agiere und von mir aus bestimme, agiere doch nicht nur ich allein und bestimme nicht ich alles. Denn auch dann habe ich nie alles unter Kontrolle. Ich verlasse jenes Abteil, suche ein anderes auf, um mich meinem Aufsatz zu widmen, arbeite zwei Stunden, dann setzt sich ein guter Bekannter in mein Abteil, der mich zufällig antrifft, wir unterhalten uns, und nach dem gemeinsamen Aussteigen (wir sind immer noch im Gespräch) stelle ich fest, dass ich den Aufsatz mit sämtlichen Einarbeitungen im Zug habe liegen lassen. Vielleicht hätte der vorherige Vielredner mich darauf hingewiesen, hätte ich meine Mappe in seinem Abteil liegen lassen. Jenes Vertrauen auf den ›Gang der Dinge‹ oder auch nur die Angst, manche Dinge in Angriff zu nehmen, hat ihr Recht darin, dass sie uns vor einem Anspruch an uns selbst bewahrt, dem wir nicht genügen können: dem der völligen Autonomie. Sie folgt aus der ontologischen Einsicht, nicht alles zu können und vieles nicht in der Hand zu haben. Alle diese geschilderten Erfahrungen aus dem Alltag zeigen auch, dass wir stets nur bedingt und anfanghaft ›lassen‹ können. Das Misslingen unseres Seinlassens ist aber eben gerade darin begründet, dass Wirklichkeit wesentlich mehrpolig ist. Wirklichkeit ist ein Geschehen, an dem stets mehrere beteiligt sind, sie ist nie der Akt einer/s Einzelnen. Erst wer dies realisiert, kann – folgen wir Eckhart – Demut und (Selbst-)Gelassenheit gewinnen.

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Eckhartsche Gelassenheit ist motivierende, engagierte Gelassenheit, sie lässt den anderen zum Zug kommen und wagt, dass man selbst von dem anderen betroffen wird, sei es positiv oder negativ. Gelassenheit befähigt, Eckhart zufolge, zu einem Handeln, das sich der anderen nicht bemächtigt, sondern sie sein lassen kann.17 Indem sie Macht aus den Händen gibt, bedeutet sie dennoch nicht Apathie oder Gleichgültigkeit gegen sich selbst und die Dinge. Der Mensch, der sich selbst und alle Dinge gelassen hat, gibt seinen Einfluss auf den Gang der Dinge ja nicht auf, sondern beeinflusst sie auf andere (den Dingen in ihrem Wesen angemessene) Weise, nämlich auf der Ebene des Seins, nicht auf der Ebene des Willens. In der Armutspredigt (Pr. 52) geht Meister Eckhart noch einen Schritt weiter: Wer nicht einmal mehr in sich selbst einen Raum ausmachen könnte, der nur ihm/r allein gehört, der bzw. die realisierte, dass der Selbstbesitz gar nicht das ist, was ihn/sie ausmacht. Diesem Selbstbesitz liegt nämlich noch einmal etwas zugrunde: etwas, das der Person von Gott her zukommt. Sie hat darauf kein Anrecht, aber es ist das, was sie eigentlich ausmacht. Wer das realisiert, sagt Eckhart, bewegt sich auf der göttlichen Ebene der Wirklichkeit, der Ebene der caritas. Wer so sein könnte, wäre ganz er/sie selbst. Das heißt zugleich: er/sie wäre eins mit Gott, dessen seinlassende (Liebes-)Wirklichkeit er/sie in sich selbst realisierte und weitergäbe. Der/die Gelassene quillt aus der göttlichen Fülle des Innern über, in ihm/r wird Gott geboren und er/sie wird zur Selbstmitteilung Gottes.18 Es käme also darauf an, auf die seinlassende Caritas-Wirklichkeit Gottes zu vertrauen. Bloß individuelle Ziele zu verfolgen, private Sinnhorizonte zu postulieren, das hieße etwas zu tun, dessen Konsequenzen wir gar nicht im Blick haben können. Die Seele, predigt Eckhart, kann so lange kein Zuhause für Jesus sein, als er in ihr nicht zu Wort kommen kann, weil sie vremde geste [hat], mit den si redet. Sol aber Jêsus reden in der sêle, sô muoz si aleine sîn und muoz selber swîgen, sol si Jesum hœren reden (weil sie »fremde Gäste hat, mit denen sie redet. Soll aber Jesus in 17. Der gelassene Mensch hat ein biblisches Vorbild im Gottesknecht, von dem es heißt: »Er schreit nicht und lärmt nicht, [...] das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus [...] ja, er bringt wirklich das Recht« (Jes 42,2f ). Zum Zusammenhang zwischen Gelassenheit und Gerechtigkeit bei Eckhart vgl. das folgende Kapitel. 18. Vgl. Eckhart, Pr. 1 (DW I 19,3-20,5); RdU (DW V 307,2f ): Lâz got würken in dir, dem gip daz werk [...].

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der Seele reden, so muss sie allein sein und muss selbst schweigen, wenn sie Jesus reden hören will«).19 Es lohnt sich, von heute her das Augenmerk auf diesen Aspekt der Theologie Meister Eckharts zu richten: Gott lässt sein – wir werden eins mit ihm, indem wir uns und alles Begegnende sein lassen, damit es wesentlich (d.h. zu sich selbst) werden kann. 3. Verwirklichung des Lassens: der gerechte Mensch Eckharts oft wiederholtes Paradigma für die Verwirklichung des Lebens in der Wirklichkeit Gottes ist der Gerechte.20 Im Sapientiakommentar sagt Eckhart über ihn, er sei, insofern er gerecht ist, eins mit der Gerechtigkeit – denn in seinem Gerechtsein ist er Spiegelbild bzw. Mittel und Ausfluss der Gerechtigkeit selbst. In ihm kommt die Gerechtigkeit abbildhaft zur Wirkung, er verkörpert (und in ihm inkarniert sich) die Gerechtigkeit. Daher ist er ›die geborene Gerechtigkeit‹ bzw. ›Sohn der Gerechtigkeit‹.21 Der Gerechte wirkt ohne Warum, d.h. seine Augen sind nicht auf sich selbst und das eigene Wollen gerichtet, sondern ganz auf das Seinkönnen des anderen.22 Sein Wirken ist selbstgelassen. In Predigt Nr. 28 spitzt Eckhart seinen Begriff vom gerechten Menschen mit einer wiederum irritierenden Formulierung zu: der gerehte mensche endienet weder gote noch den crêatûren, wan er ist vrî [...] (»Der gerechte Mensch dient weder Gott noch den Kreaturen, denn er ist frei).«23 Dieser Satz scheint provokant. Dass der Gerechte n i c h t d e n K r e a t u r e n dient, weil der Glaube an den einen Gott und Herrn alle weltliche Herrschaft relativiert, ist zwar ohne weiteres einsichtig. Der Glaube an Gott bewahrt uns davor, irgendwelchen Kreaturen zu dienen, sie zu Götzen und uns von ihnen abhängig, also unfrei, zu machen. Er bewahrt uns vor dem Tanz um das goldene Kalb. Zumindest sollte er das. 19. Vgl. ibid. (15,6-9). 20. Vgl. id., Pr. 28 (DW II 62,1-5); Pr. 39 (DW II 252,1-256,5); In Sap., nn. 60-68 (LW II 388,10-396,11) u.ö. 21. Vgl. id., In Sap., n. 64 (LW II 392,11) u.ö. 22. Vgl. id., Pr. 41 (DW II 289,1-6). 23. Id., Pr. 28 (DW II 62,3-6).

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Aber Eckhart sagt – damit wiederum eine unhinterfragt gläubige Redeweise aufbrechend – auch, und sogar an erster Stelle: Nur der sei wirklich frei, der a u c h G o t t n i c h t dient. Der Vorwurf liegt nahe, Eckhart spreche hier von der völligen, ins Hybride gesteigerten Autonomie des Geschöpfs auch seinem Schöpfer gegenüber, und zwar gerade beim gerechten Menschen. Doch Eckharts Gedanke scheint auf der Annahme zu beruhen, die Unterordnung unter jedwedes andere, und sei es auch eben jene transzendente Dimension, die uns das Leben überhaupt erst ermöglicht, uns ›sein lässt‹, mache schlichtweg unfrei. Aber: Auch der Glaube an den befreienden Gott Jesu lehnt ja gerade eine Gottesvorstellung ab, die die Menschen zu Untertanen macht. Weil wir durch Jesus Christus Gott als den liebenden Vater erfahren haben, brauchen wir nicht mehr ängstlich ›Herr, Herr‹ sagen, denn wir sind nicht seine Diener, sondern Kinder Gottes. Jesu Botschaft lautet: In erster Linie sind nicht wir für Gott da, sondern Gott ist für uns da. Gott würdigt uns als seine Töchter und Söhne einer gleichberechtigten Kommunikation, einer Beziehung in Freiheit. Wenn wir folglich beides zusammen denken, die Verneinung jeglichen Unterordnungsverhältnisses einerseits und die Verinnerlichung der befreienden Gottesbotschaft Jesu andererseits, kann man Eckhart folgendermaßen verstehen: Das Paradigma des gerechten Menschen nimmt unser Gewürdigtsein als Gottes Kinder und damit als Ebenbilder Gottes radikal ernst. Es wendet sich damit gegen ein Gottesbild, in dem unserem Verhältnis zu Gott Unterordnung und damit Unfreiheit unterstellt wird. Das kann das von Gott gewünschte Verhältnis nicht sein. Insofern ist Eckhart hier Künder der befreienden Botschaft des Evangeliums. Der gerechte Mensch ›braucht‹ ihm zufolge keinen Gott, der ihn in seinem Tun und Denken überwacht, er benötigt keine höhere, außerhalb seiner Person liegende Instanz, die ihm sagt, was er tun soll. Wohlgemerkt: Das gilt für den gerechten Menschen – er ist gerecht, weil er mit seinem Wesen der Wirklichkeit Gottes sowieso ganz entspricht. Unsere Realität sieht freilich anders aus. Wir sind n i c h t gerecht, wir müssen uns teils immerfort selbst ermahnen, wenigstens irgendwie halbwegs gerecht zu handeln, teils brauchen wir Anleitung von außen, durch Gesetze, durch die Tradition unseres Glaubens, durch lebendige Vorbilder. Den rechten Weg finden wir nicht durch uns allein. Der Gerechte aber, insofern er gerecht ist, ist

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eins mit der Gerechtigkeit, weil er nach nichts anderem trachtet als nach Gerechtigkeit. Er liebt die Gerechtigkeit und erkennt die Gerechtigkeit. Er übt sie, ohne nach dem Warum, also dem Nutzen für ihn selbst, zu fragen. So findet die Gerechtigkeit ganz Eingang in ihn und kommt in ihm als seine Wirklichkeit zur Wirkung. Dadurch wird er zum Sohn Gottes in der Welt: Der gerehte mensche der enminnet niht an gote weder diz noch daz; und gæbe im got alle sîne wîsheit, daz er geleisten mac ûzer im, er enahtete sîn niht und ensmackete im niht, wan er enwil niht noch ensuochet niht; wan er enhât kein warumbe, dar umbe er iht tuo, alsô als got würket sunder warumbe und kein warumbe enhât. In der wîse, als got würket, alsô würket ouch der gerehte sunder warumbe; und alsô als daz leben lebet umbe sich selben und ensuochet kein warumbe, dar umbe ez lebe, alsô enhât ouch der gerehte kein warumbe, dar umbe er iht tuo. (Der gerechte Mensch liebt an Gott weder dies noch das; und gäbe ihm Gott all seine Weisheit und alles, was er außerhalb seiner selbst zu gewähren vermag, er beachtete es nicht und es schmeckte ihm nicht, weil er nichts will und nichts sucht; denn er hat kein Warum, um dessentwillen er etwas täte, so wie Gott ohne Warum wirkt und kein Warum hat. In der gleichen Weise, wie Gott wirkt, so wirkt auch der Gerechte ohne Warum; und so wie das Leben um seiner selbst willen lebt und kein Warum sucht, um dessentwillen es lebe, so kennt auch der Gerechte kein Warum, um dessentwillen er etwas tut).24 Das ist Eckharts hohe Zielvorgabe für das Leben jedes Christen in der Nachfolge Jesu, also auch für uns, die wir nicht gerecht sind wie der gerechte Mensch. Diese Vorgabe macht folglich nur Sinn, wenn jeder diese Dimension des Gerechtseins schon in sich trägt. Genau davon geht Eckhart in seiner Lehre vom duplex esse25 aus. Jeder Mensch besitzt, weil er ist, indem Gott ihn sein lässt, sowohl eine abhängige als auch eine zur Freiheit ermächtigte Dimension. Der Mensch ist einerseits, gerade als von Gott her kommend, frei und gerecht, insofern er ohne Warum und den Zwängen der Welt nicht unterworfen ist; er ist andererseits, inmitten der Schöpfung und ihren Zusammenhängen unterworfen, bloß

24. Id., Pr. 41 (DW II 288,7-289,6). 25. Vgl. dazu ausführlich Ch. Büchner, Gottes Kreatur (2005), 132-4.

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kontingentes Geschöpf. Auch diese letztere Seite nimmt Eckhart mit drastischen Formulierungen in den Blick: Alle crêatûren sint ein lûter niht. Ich spriche niht, daz sie kleine sîn oder iht sîn: sie sint ein lûter niht. Swaz niht wesens enhât, daz enist niht. Alle crêatûren hânt kein wesen, wan ir wesen swebet an der gegenwerticheit gotes. (Alle Kreaturen sind ein reines Nichts. Ich sage nicht, dass sie geringwertig oder überhaupt etwas seien: sie sind ein reines Nichts. Was kein Sein hat, das ist Nichts. Alle Kreaturen haben kein Sein, denn ihr Sein hängt an der Gegenwart Gottes).26 Hier ist nun der Mensch eben bloß Kreatur, ohne Gott ist er nichts. Wie verhält sich für Eckhart nun aber der Mensch, in seinem Kreatursein betrachtet, konkret zu dem Menschen, in seinem Gerechtsein betrachtet? Denn zunächst scheinen ihn ja, als reines Nichts, Welten von Begriffen wie Freiheit oder Eigenständigkeit zu trennen. Wenn Eckhart davon spricht, der Mensch müsse abegescheiden werden, sich abscheiden von der Kreatur, dann bezeichnet ›Kreatur‹ den allem Kreatürlichen eigenen Verdrängungsmechanismus, in dem einer dem anderen den Platz nimmt und einer vor dem anderen den Vorzug erhält oder zurückgesetzt wird. Verdrängen ist das genaue Gegenteil von Seinlassen. Abgeschiedenheit von diesem Konkurrenzverhältnis führte dagegen zu einer offenen Beziehung zur Welt, die allem, dem man konkret begegnet, gleichermaßen gälte. Eben daher ist Eckharts Beispiel für den gottgeeinten Menschen der gerechte Mensch. Was für Gottes Freiheit und Liebe gilt, gilt auch für ihn.27 Insofern lässt sich, was Eckhart unter Einheit mit Gott versteht, auch so formulieren: Das Verhältnis der Konkurrenz, das die Welt kennzeichnet, ist einem Verhältnis des gegenseitigen Sein-Lassens, wie es Gott selbst kennzeichnet, gewichen. Dadurch wird zugleich deutlich, dass die Dimension des Lassens prinzipiell über die Dimension des Machens hinausgeht. 26. Eckhart, Pr. 4 (DW I 69,8-70,3). 27. Vgl. die Fortführung der Predigt 28 (id., Pr. 28 [DW II 62,3-6]): der gerehte mensche endienet weder got noch den crêatûren, wan er ist vrî; und ie er der gerehticheit næher ist, ie mê ier diu vrîheit selber ist und ie mê er diu vrîheit ist. Allez daz, daz geschaffen ist, daz enist niht vrî (»Der gerechte Mensch dient weder Gott noch den Kreaturen, denn er ist frei; und je näher er der Gerechtigkeit ist, um so mehr ist er die Freiheit selbst, und um so mehr ist er die Freiheit. Alles, was geschaffen ist, das ist nicht frei«).

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Damit ist unsere Frage nach dem genaueren Verhältnis der beiden Seiten des duplex esse im konkreten Fall der Gerechtigkeit und des Daseins in geschöpflicher Konkurrenz freilich noch nicht beantwortet. 4. Voraussetzung des Sein-Lassens: Gottes Gerechtigkeit und Einheit Alsô in allen dingen, dâ ich mir niht enwil, dâ wil mir got. Nû merke! Waz wil er mir, dâ ich mir niht enwil? Dâ ich mich ane lâze, dâ muoz er mir von nôt wellen allez, daz er im selben wil, noch minner noch mêr, und mit der selben wîse, dâ er im mit wil. Und entæte got des niht, in der wârheit, diu got ist, sô enwære got niht gereht noch enwære got, daz sîn natiurlich wesen ist (Wo ich nichts für mich will, da will Gott für mich. Nun gib acht! Was will er denn für mich, wenn ich nichts für mich will? Darin, wo ich von meinem Ich lasse, da muss er für mich notwendig alles das wollen, was er für sich selbst will, nicht weniger noch mehr, und in derselben Weise, mit der er für sich will. Und täte Gott das nicht, – bei der Wahrheit, die Gott ist, so wäre Gott nicht gerecht, noch wäre er Gott, was [doch] sein natürliches Sein ist).28 Zwei Aspekte in diesem Zitat aus den Erfurter Reden sind für unser Thema besonders relevant: erstens, dass von Gott gesagt wird, er selbst übernehme Verantwortung für den gelassenen Menschen genauso wie für sich selbst; zweitens, dass in diesem Tun Gottes Gerechtigkeit bestehe, ohne die er nicht Gott wäre. Beides entspricht einer für Eckharts Zeit durchaus neuen Sicht des Verhältnisses zwischen Mensch und Gott. Normalerweise würde man die Rede von Gottes Barmherzigkeit dem Menschen gegenüber erwarten. Anders als Gerechtigkeit bringt Barmherzigkeit zum Ausdruck, dass die Zuwendung Gottes zum Menschen ganz und gar unverdient erfolgt, dass also der Mensch (in seiner Sündhaftigkeit) keinerlei Anspruch auf eine solche Zuwendung hat. Doch Eckhart sagt an der zitierten Stelle, dass es aus der Perspektive Gottes offensichtlich nur ganz und gar gerecht ist, den von ihm Geschaffenen und mit Abbildhaftigkeit Gewürdigten dieselbe Zuwendung zu schenken wie sich selbst. Diese Sicht hebt den Menschen. Er kann sich darauf verlassen, dass Gott ihm ausschließlich Gutes will und tut, wenn er ihn 28. Id., RdU (DW V 187,7-188,2).

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dieses tun lässt, wieder im Sinne von lâzen. Daraus ist zwar kein Anspruch abzuleiten, aber so etwas wie eine immer schon gegebene, quasi selbstverständliche Voraussetzung der vollkommenen Zuwendung Gottes zum Menschen. Für Eckhart zeigt sich daran, dass Gott für uns will, wenn wir uns ihm überlassen, göttliche Gerechtigkeit und eben nicht bloße Barmherzigkeit. Der gerechte Mensch ist gerecht, indem er diese göttliche Gerechtigkeit in sich einfließen lässt – dadurch ist er zugleich der ganz von Gott her gerecht gemachte (oder: der gerechtfertigte) Mensch. Voraussetzung für sein Gerechtsein ist daher das Lassen des Eigenwillens. Lassen des Eigenwillens heißt wiederum: die Zustimmung dazu zu geben, sich erfüllen zu lassen, statt sich durch sich selbst anfüllen zu wollen. In der Folge dieser Zustimmung entspricht der Gerechte der Gerechtigkeit Gottes,29 wie wir sie biblisch in der jesuanischen Goldenen Regel ausgedrückt finden: Er will für die anderen genauso wie für sich selbst. Gelassenheit, wie der l e b e - und l e s e m e i s t e r sie predigt, ist insofern kein rein spirituelles Konzept (wie es die moderne Verwendung des Begriffs nahelegt), sondern hat ein theologisches Fundament und zielt auf lebenspraktische Umsetzung. Könnten Menschen tatsächlich mit dem zielhaften, also dem (bloß) eigenen Lebenszielen unterworfenen, Tun aufhören und die anderen mit jenen persönlichen Zielen in Ruhe lassen und könnten sie gar die anderen in ihrem Sein lassen und ihnen stets auf Augenhöhe gegenübertreten, diese in ihrem Sein ganz und gar bejahend, ohne sich ihnen wiederum zu unterwerfen, würden sie göttlich. Die Besonderheit Jesu von Nazaret lässt sich auch in dieser Weise beschreiben: seine Aktivität bestand im Aushalten des anderen und deswegen in Proexistenz. In seiner Proexistenz für andere verlässt er sich auf die Proexistenz Gottes. Was allerdings Gott selbst angeht, so spricht Eckhart nicht von der Notwendigkeit, dass dieser sich etwa erst lâzen müsse, um die Geschöpfe zu würdigen. Gott muss nicht erst von sich lassen; er verwirklicht sein Wesen ohnehin immer schon darin, sich zu verströmen, zu verschenken 29. Vgl. id., Pr. 41 (DW II 289,3-5): [...] wan er enhât kein warumbe, dar umbe er iht tuo, alsô als got würket sunder warumbe und kein warumbe enhât. In der wîse, als got würket, alsô würket ouch der gerehte sunder warumbe (»denn er will nichts und sucht nach nichts, da er kein Warum kennt, um dessentwillen er irgend etwas täte, so wie Gott ohne Warum wirkt und kein Warum kennt. in der Weise, wie Gott wirkt, so auch wirkt der Gerechte ohne Warum«).

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ohne Warum (und zwar, weil es schlicht seiner Natur entspricht, wie Eckhart sagt).30 Gott schafft in schenkender Weise (nicht etwa in verkaufender Weise); er ist als Schöpfer largitor.31 Daher interpretiert Eckhart das dionysische Axiom des bonum diffusivum sui als ein Gut, das sich selbst verschenkt: Gott kann ohne Angst um sich selbst bedingungslos schenken, da er, trinitarisch gesprochen, in sich selbst sich verströmende Fülle ist, in der das Sein-Lassen vollständig gelingt.32 Daher kann der Schöpfer die Geschöpfe sein lassen und sie in ihre Eigendynamik hinein freigeben. Das heißt aber nicht, dass er sie etwa sich selbst überließe oder jedwede ihrer Handlungen guthieße, denn das wäre kein Sein-Lassen, sondern ein Unbeachtet-Lassen. Sie sein lassen bedeutet vielmehr: sie zu sich selbst kommen lassen zu können und sie eben darin zu würdigen. Ernsthafter und reichlicher kann man nicht geben: Gott gibt allen »überreichlich« (affluenter).33 Gott trägt und begleitet die Wege der Geschöpfe ganz prinzipiell (als creator in principio),34 determiniert sie aber nicht, sondern lässt sie sein, wie sie sind. Er kann von ihnen als sie selbst nicht lassen. Gott fordert nicht Dankbarkeit aus Verpflichtung oder gar Rückerstattung des geschenkten Seins, und er ist auch nicht darauf angewiesen. Vielmehr zielt er auf unsere echte personale Antwort, auf unsere Zustimmung zum Wesen und Prinzip der Wirklichkeit, das er selbst ist. Nur wenn Gott wirklich so ist, dass er sich zu den Menschen begibt, weil er sie ohne einen weiteren, vorgängigen Grund für dessen wert befindet, bleibt die Rede vom gelassenen und daher gerechten Menschen, der als Abbild Gottes mit ihm eins ist, nicht anmaßende Selbstüberhebung. Daher werden bei Eckhart die drastischen Formulierungen, in denen er von der Nichtigkeit der Kreatur ohne Gott redet, von jenem 30. Vgl. id., Pr. 26 (DW II 34,7-5,7); Pr. 41 (DW II 285,8-287,8). 31. Vgl. id., In Gen. I, n. 287 (LW I,2 307,13 [Rec. L]; LW I,1 421,8 [Rec. CT]. 32. Vgl. id., Pr. 5b (DW I 93,4-4,2). Vgl. auch Pr. 6 (DW I 109,2-11) sowie die Fortsetzung der Stelle In Gen. I, n. 287 (LW I,2, 307,14-21 [Rec. L]; LW I,1, 421,9-422,6 [Rec. CT]): Gen 27,28 (d e r o r e c a e l i e t d e p i n g u e t u d i n e t e r ra e a b u n d a n t i a m ) betone sowohl, dass in donis divinis semper relucet dantis liberalitas (»aus den göttlichen Gaben immer die Güte des Gebers strahlt«), als auch die utilitas recipientis (den »Nutzen des Empfängers«) als auch die doni abundantia et immensitas (den »Überfluss und die Unermesslichkeit der Gabe«). »Denn der Herr ›gibt nicht nach Maß‹ (Joh 3,34)« (›nec enim ad mensuram dat, dominus‹, Ioh 3). Und all das gelte ausschließlich für die göttlichen Gaben: Secus est de aliis donis [...] praedicta. 33. Id., Sermo XXV,1, n. 256 (LW IV 234,1). Auch hier – wie bereits In Gen I n. 287 – zitiert Eckhart Jak 1,5. 34. Vgl. z.B. id., Prolog. Gen. in Opus tripartitum, nn. 17-18 (LW I,2, 33,18-35,26 [Rec. CT]; LW I,1 160,13-163,6 [Rec. L]) u.ö.

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tröstlichen Ton flankiert, in dem er über Gott als denjenigen spricht, der die Kreatur nicht ohne sich lässt, der alles daran setzt, den Menschen auf Augenhöhe mit sich selbst zu bringen. Die folgende Passage in Predigt Nr. 22 etwa ist ganz von diesem tröstlichen Ton geprägt: Gott, heißt es da, stellt sich nicht an einen erhöhten Ort und sagt dann dem Menschen »Steig herauf!« – das würde letztlich nur Gottes unerreichbare Höhe bestätigen, denn es könnte dem Menschen von sich aus ohnehin nie gelingen, zu Gott emporzusteigen; vielmehr möchte er, dass der Mensch tatsächlich zu ihm gelange, daher sagt er ganz im Gegenteil: »Setz dich nieder!« Das bedeutet: Ich werde mich dann zu dir setzen, ehe du dich’s versiehst, wenn du mich nur lässt und nichts dagegen hast. Denn so bin ich.35 Niedersetzen heißt wiederum: Seinen eigenen, von den rein persönlichen Zielen vorgegebenen Weg unterbrechen, Abstand von ihnen nehmen. Heißt: Zur Ruhe von sich selbst kommen, Distanz gewinnen, letztlich im eigentlichen Sinne wieder ›zu sich kommen‹. Durchatmen, freiwerden. Fähig werden, den anderen wieder zu sehen. Fähig werden, Gott zu sich kommen zu lassen. Natürlich liegt das Eckhartsche Konzept der Seinsgelassenheit dieser Stelle zugrunde, auch wenn das Wort nicht fällt. Jemand, der sich niedersetzt, lernt, an Gottes Seite von Gott her und wie er zu sehen. Angesichts eines Gottes, der auf uns zukommt, ist Niedersetzen nicht bloße Passivität (zivilisatorisch gesagt: Stillstand, Ausscheren aus dem notwendigen Gang der Dinge, Verweigerung). Niedersetzen, um Gott die Möglichkeit zu geben, zu einem zu kommen, ist vielmehr vernünftig, keine Schwäche oder Kapitulation, sondern empfangene und empfangende Stärke. Sich niedersetzen kann nur, wer an sich selbst die Dilemmastruktur geschöpflichen Lebens erkennt. Dieses Dilemma besteht darin, dass wir bei unseren Handlungen, so sehr wir auch Gutes im Sinn haben mögen, dennoch immer auch zerstörerisch handeln. Wir zerstören andere und wir zerstören uns, das ist notwendiger Bestandteil all unseres Tuns.36 35. Vgl. id., Pr. 22 (DW I 385,15f ). 36. Die Systematische Theologie benennt diesen dilemmatischen Zusammenhang als strukturelle Sünde. Sie wird gerade im modernen westlichen Lebensstil evident. Und sie spielt m.E. eine bedeutende Rolle für Eckharts Vorsicht gegenüber allen menschlichen Ambitionen. Diese Vorsicht tut sich in Sätzen kund wie: Nim dîn selbes war, und swâ dû dich vindest, dâ lâz dich; daz ist daz aller beste (»Richte dein Augenmerk auf dich selbst, und wo du dich findest, da lass von dir ab; das ist das Allerbeste«) – id., RdU (DW V 196,3f ). Vgl. ähnlich ibid. (278,13f; 281,3-5).

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Der sich Niedersetzende stellt sich bewusst in Gott hinein, weil er um diesen unauflösbaren Widerspruch weiß. Er widersteht sozusagen der Versuchung, sich sein eigenes dilemmahaftes Dasein ›schönzureden‹ und damit dem Gang der Dinge die eigentliche Herrschaft über das Sein einzuräumen. Er oder sie hat erkannt, dass sie mit der Affirmation der Chimäre vom unabänderlichen Gang der Dinge möglicherweise nur seinen Eigenwillen versteckt. Wer dies erkennt, kommt nach Eckhart die Fülle Gottes quasi von selbst entgegen und sie gewinnt die Möglichkeit zu echtem (eben nicht von vordergründigen personalen Zielen her bestimmten) Handeln. Immer neu lässt Eckhart jene Abwärtsbewegung Gottes und sein Entgegenkommen als Voraussetzung alles sinnvollen weltlichen Tuns und Lassens deutlich werden: [...] im ist tûsentstunt gæher ze gebenne wan uns ze nemenne (»Er hat's tausendmal eiliger zu geben als wir zu nehmen«).37 Ihren historischen Erweis findet diese Zuvorkommenheit in Jesus Christus. Jesus Christus ist der einzige konkrete Mensch, auf den alles, was über den Gerechten gesagt ist, ganz und gar zutrifft. Deshalb ist er Sohn Gottes und eins mit Gott. Jesus Christus macht uns gewiss, dass es Gott tatsächlich ausnahmslos um u n s a l l e geht, um das Sohn- und Tochtersein von u n s a l l e n (vgl. Joh 17, Röm 8 u.ö.). Jesus fordert die Menschen dazu heraus, sich auf ihn einzulassen. Er heißt sie darauf zu vertrauen, dass sie sich ihm überlassen können, um neu zu werden und ihr eigenes Gerechtsein zu entdecken.38 Er zeigt ihnen ihr Tochter/Sohnund Gerechtsein vor Gott als die eine verlässliche und wahre Wirklichkeit. Das tägliche Leben in seiner Unzulänglichkeit und Ichverhaftung zeigt sich von dieser einen und letzten Wirklichkeit bereits getragen: es ist das ›Schon‹ und ›Noch-nicht‹ der Wirklichkeit Gottes und unseres Sohn- bzw. Tochterseins. 5. Gelassenheit: vertrauendes Sich-Einlassen auf die Wirklichkeit Alles, was wirklich ist, ist von Gott her wirklich. So lautet Eckharts ontologisches und theologisches Fundament. Der wesenhafte (nicht der 37. Ibid. (280,12-1,1); vgl. dazu auch u.a. id., Pr. 22 (DW I 377,5-9,1). Zum sich-gebenden Wesen Gottes bei Eckhart vgl. Christine Büchner, Wie kann Gott in der Welt wirken?: Überlegungen zu einer theologischen Hermeneutik des Sich-Gebens (Freiburg i.Br., 2010), 263-81. 38. Die Möglichkeit des Menschen, diese neue Seite an sich zu entdecken, hat ihre ontologische Grundlage in Eckharts Konzept des duplex esse der Kreatur (vgl. oben, Anm. 25).

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gedachte)39 Gott ist für ihn das absolut Verlässliche, Tragende, Halt Gebende, Zuspruch und zugleich Anspruch in all dem, was wir miteinander versuchen. Er gibt Halt, indem wir uns von ihm halten und von seiner befreienden Realität bestimmen lassen. So gehalten und bestimmt, können wir uns und die anderen erkennen, wie Gott selbst uns sieht und wie wir ›in Wirklichkeit‹ sind, wie wir wirklich wesenhaft sind: von unbedingtem Wert für Gott und daher von ihm frei ins Sein gestellt. Gott lässt uns sein, und Gott lässt uns handeln. Um dieser Wirklichkeit Gottes und damit unserer eigenen Wirklichkeit gewahr werden zu können, ist nötig, was Eckhart seit den ›Reden‹ immer wieder predigt: sich selbst lassen und abscheiden. Der Ungelassene und Unabgeschiedene (d.h. der Mensch in seiner gewöhnlichen Wahrnehmung der eigenen Person und der Welt) sieht alles um sich herum bloß durch die eigene Person hindurch, alles, was er erkennt, ist stets Projektion seines Ich auf anderes; sein eigenes Wollen und Denken steht zwischen sich und den anderen und hindert ihn daran, zu den Dingen selbst zu kommen.40 Der/die Gelassene dagegen vermag nach Eckhart dieselbe Realität durch Gott hindurch und mit dessen Augen zu sehen. Sie sieht dann nicht mehr in Konkurrenz oder mit spezieller, kontingenter Zuneigung auf andere, sie sucht nicht die Fehler oder das besonders Ausgezeichnete bei sich und den anderen; sie sieht nun vielmehr sich und die anderen in ihrem Eigenwert (als ›sie selbst‹). Dieser Eigenwert wird uns sonst gemeinhin durch die Projektion der eigenen, zielgelenkten Sichtweise auf die anderen und das andere verstellt. Indem aber plötzlich die Realität auf ihre eigene innere Wirklichkeit hin durchsichtig wird, verändert sich auch das Äußere der Realität: Es geschieht eine Zunahme an Wirklichkeitshaltigkeit, ein Realitätsgewinn. Dass das geschehen kann, bezeichnet Eckhart in Predigt Nr. 86 als Wunder: Welch wunderlich stân ûze und innen begrîfen und umbegriffen werden, sehen und sîn diu gesiht, enthalten und enthalten werden: daz ist daz ende, dâ der geist blîbet mit ruowe in einicheit der lieben êwicheit (»Wie wunderbar: draußen stehen 39. Vgl. Eckhart, RdU (DW V 205,6-8). 40. Vgl. den Abschnitt in den Reden Von ungelâzenen liuten, die vol eigens willens sint. Von ihnen heißt es (ibid. [194,2f ]): Sie gânt als einer, der eines weges vermisset: ie verrer er gât, ie mêr er irret (»Sie gehen wie einer, der den Weg verfehlt: je weiter der geht, um so mehr geht er in die Irre«); oder an anderer Stelle, id., Pr. 11 (DW I 186,11-7,1): Dise sint dem harte verre, daz sie sich dünkent. Sie meinent vil und wellent als vil (»Diese sind weit entfernt von dem, was sie sich dünken. Sie streben nach viel und wollen ebenso viel«).

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wie drinnen, begreifen und umgriffen werden, schauen und [zugleich] das Geschaute selbst sein, halten und gehalten werden – d a s ist das Ziel, wo der Geist in Ruhe verharrt, der lieben Ewigkeit vereint«).41 Dieses Geschehen ist deshalb ein Wunder, weil es ein Einbegriffenwerden in das ewige Geschehen der göttlichen Dreieinheit bedeutet: Aktivität und Passivität zugleich und keine Trennung mehr zwischen außen und innen. Wie Gott selbst ganz bei sich ist und darin ganz bei den anderen, also ganz und gar sprudelndes Leben, so wird dem Gelassenen das Äußere innerlich, und seine Aktivität ist Ausdruck seiner Empfänglichkeit (nicht seines Eigenwillens). Er sieht über alle äußeren Masken und Fassaden hinweg, die das Innere verbergen, und er grenzt nicht mehr aus, sondern ist gleichermaßen bei allen und allem. Wirklichkeit in ihrem Wesen ist daher für Eckhart zutiefst trinitarische Wirklichkeit: in ihr geht es um das Eine; es ist das einzige Notwendige (das eine, ›das not tut‹),42 weil es jedem ›seine Weise‹ lässt, in der jeder und jede wirklich sein kann. D.h.: Individuelles Gewürdigtsein und universale Einheit sind einander bedingende Grundkonstanten, die das Wesen der Wirklichkeit ausmachen. Eckhart sagt damit eigentlich etwas sehr Einfaches, das aber, wie er weiß, für die Menschen alles andere als einfach nachzuvollziehen ist: Gott lässt dich sein, so wie du bist! Und er lässt jeden anderen/jede andere ebenso sein. Eckhart geht es darum, dass dieses Seinlassen Gottes unsere Wirklichkeit wird. Es wird aber nur dann Wirklichkeit, wenn der Einzelne es einsieht.43 Solche Einsicht kann aber nicht einfach nur ein logisch-begriffliches Verstehen sein, sondern basiert grundlegend auf eben jener (Selbst)gelassenheit: unsere immer bloß vorläufigen ›Gewissheiten‹ aufgeben und uns stattdessen mit hineinnehmen lassen in die Wirklichkeit Gottes. Es ist etwas, das jemand eben nicht einfach von sich selbst aus und in bloßen Begriffen leisten kann. Wir bedürfen dafür der konkreten Welt des Miteinanders, nicht der abstrakten Einsichten – denn dann schrumpfte diese Einsicht sogleich zu einer ›Gewissheit‹ im oben gedachten, defizitären Sinn. 41. Id., Pr. 86 (DW III 488,4f ). 42. Vgl. oben, Anm. 10. 43. Vgl. Eckharts Beispiel vom König, der, um wirklich König zu sein, auch um sein Königsein wissen muss (aber auch von anderen als solcher anerkannt werden muss) – vgl. id., Pr. 68 (DW III 140,5f ). Ebenso das Beispiel vom Weinkellerbesitzer: wenn er nicht weiß, dass sein Wein gut ist, hat der Besitz dieses Weines für ihn keine Realitätsrelevanz (vgl. id., Pr. 10 [DW I 164,6-8]).

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Daher gibt es bei Eckhart keine Mystagogie im strengen Sinne. Man kann sich Wirklichkeit nicht mittels einer bestimmten Methode aneignen, da man sich Wirklichkeit überhaupt nicht aneignen kann; alle ›Sinn- oder Wahrheitsangebote‹, die etwas anderes insinuieren, werden als falsche oder zumindest als vorläufige Sinn- bzw. Wahrheitsangebote enttarnt. Es ist vielmehr so, dass der Gelassene und Abgeschiedene, der weiß, dass ihm die Wirklichkeit nicht zur ›Verfügung‹ steht, gerade dann irgendwann erfasst wird von ihrer Fülle, doch ohne sich selbst in ihr zu verlieren. Eckhart nimmt damit zwei Einsichten vorweg, die signifikanterweise für die Postmoderne wichtig geworden sind. Z u m e i n e n : Es führt in die Irre (und letztlich in die Unfreiheit), wenn man davon ausgeht, der Mensch könne sich jederzeit frei zum anderen, zur Welt und zu Gott verhalten. Es ist eine Täuschung zu glauben, man könne die Welt um sich herum mit seinen eigenen Zielen belegen und sie nach eigenem Gutdünken benutzen und gestalten und dieses dann Freiheit nennen. Denn man raubt sich und den anderen das Sein, und zwar, indem man es schlichtweg nicht wahrnimmt, weil man es gar nicht zu sich kommen lässt – fast ein Leben wie Totes unter toten Dingen, letztlich mechanisch bewegt von basalen Willensregungen. Es wäre der Gegebenheit unseres Seins angemessener, darauf zu vertrauen, dass unser Sein und das der anderen gerade dann auf uns zukommt, wenn wir selbst auf diese vermeintliche personale Freiheit, verstanden als Handlungsfreiheit (inklusive der Freiheit, sich beliebige theoretische oder ideologische Sinnangebote zu wählen), verzichten. Denn der Wirklichkeitsbezug im letztgenannten Sinn kann immer nur vordergründig und vorläufig bleiben. Und er hat ja auch stets seine Begleiterscheinungen: tägliches Gehetztsein, Erfolgsdruck, Beherrschtwerden vom Gedanken der Konkurrenz – als wollte man immerfort und unablässig einen Berg erklimmen (statt sich einfach niederzusetzen, wie Eckhart rät).44 Seinlassen meint aber auch nichts weniger als Untätigkeit, und es meint ebenfalls nicht, sich willentlich den eigenen Launen zu überlassen. Untätigkeit und Launenhaftigkeit wären wiederum Zeichen der Abhängigkeit vom Eigenwillen. Sie wären also wieder nur Ausdruck 44. Vgl. oben, Anm. 35.

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der erläuterten Unfreiheit.45 Gelassenheit ist – wie dargelegt – SichEinlassen-Können auf das Entgegenkommende und damit Entsprechung und Antwort auf den Zuspruch und Anspruch eines Gottes, der die Welt sein lässt, indem er sich selbst auf sie einlässt.46 Daher ist allein mit der erwähnten Metapher des Niedersetzens noch nicht alles gesagt, sondern sie bedarf der Ergänzung. Eckhart spricht deshalb komplementär auch vom Aufstehen und Nicht-Stehenbleiben.47 So, wie Niedersetzen hieß: Jeder kann zu Gott kommen, wenn er nur zuerst einsieht, dass er es nicht durch sich selbst kann, so sehr er sich auch anstrengen mag, sondern dass Gott auf ihn, so wie er ist, selbst zukommt; so besagt die Metapher des Nicht-Stehenbleibens: Wir müssen uns an bereits Erfahrenes, Eingesehenes, Gewohntes, Erworbenes nicht ängstlich klammern, um es wie einen Besitz zu behalten, sondern wir dürfen von all dem auch wieder loslassen und uns einschwingen in (und damit einlassen auf) die Dynamik des Prozesses von Geben und Empfangen, der von Gott ausgeht. Dann werden wir seiner Wirklichkeit mehr und mehr entsprechen und mehr und mehr aus ihr leben. Soweit also die erste Einsicht: Wirklichkeit kommt uns immer schon entgegen, es geht daher nicht vorrangig darum, sie aufgrund welcher Ideen auch immer zu gestalten, sondern wichtiger wäre, sich ihr zu öffnen und sich in sie hineinzustellen. Eine z w e i t e (eigentlich phänomenologische) Einsicht hängt damit eng zusammen: Wir können von uns aus überhaupt nicht sagen, was Wirklichkeit ist; wir können nicht sagen, was wir selbst und was der 45. In dieser Hinsicht wird Eckhart sehr deutlich, vgl. Eckhart, RdU (DW V 290,9-291,1): Ist aber, daz sich der mensche niht wil ze einem werke ziehen und sichs niht anenemen, sô sol man sich brechen in ein werk, ez sî inwendic oder ûzwendic, – wan an nihte ensol sich der mensche lâzen genüegen, swie guot ez schînet oder sî [...] (»Ist es aber so, dass es den Menschen zu keinem Werk zieht und er nichts unternehmen mag, so soll man sich gewaltsam zwingen zu einem Werk, sei's ein inneres oder ein äußeres – denn an nichts soll sich der Mensch genügen lassen, wie gut es auch scheint oder sein mag«). 46. Schon Heidegger hat Eckharts Verständnis von Gelassenheit als Sich-Einlassen-Können auf das Begegnende gesehen und in sein Denken aufgenommen, auch wenn er sich explizit zugleich von der Gelassenheitsauffassung Meister Eckharts abgrenzt Vgl. Martin Heidegger, Gelassenheit (Stuttgart, 142008); dazu Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Wege ins Ereignis: Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie« (Frankfurt a.M., 1994), 371-86. 47. Zum Nicht-Stehenbleiben vgl. z.B. Eckhart, RdU (DW V 278,14-279,10). Die Zusammengehörigkeit von Niedersetzen und Aufstehen zeigt wiederum anschaulich die Maria-undMartha-Predigt: Martha fordert die zu Füßen sitzende Maria Eckhart zufolge mit Recht auf, aufzustehen; nur so kann Maria zur wahren Maria werden, welche im Wissen um die eigene Unzulänglichkeit Gott empfängt. Maria korrigiert Martha und umgekehrt. Vgl. Eckhart, Pr. 86 (DW III 491,6-17).

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andere in Wirklichkeit sind. Wir können zwar über diese Wirklichkeit sprechen, aber wir können dabei immer nur vorläufig bleiben. Im schlechtesten Fall legen wir sie fest und machen sie zu unserem Besitz (und haben sie dadurch völlig verfehlt). Im besten Fall kann unser Diskurs über Wirklichkeit diese immerhin in den Blick rücken, und wir können empfänglicher für sie werden. Mehr aber nicht. Die Eigenschaften oder Fähigkeiten eines bestimmten Menschen, einer Amsel, die vor mir auf dem Zweig sitzt, oder eines Grashalms auf einer Wiese etwa kann ich beschreiben und erläutern. Von den Eigenschaften aber sagt Eckhart zu Recht, sie seien gerade n i c h t das, was uns und was Gott ausmacht (höchstens, insofern wir uns allein nach der äußeren Seite unseres Geschöpfseins, nach dem hoc et hoc betrachteten). Was diesen Menschen, diese Amsel, jenen Grashalm also ›wirklich‹ ausmacht, kann ich nicht sagen; ich kann höchstens argumentativ begründen, d a s s es da etwas (sein/ihr Wesen) gibt, und dass es daher nicht irrational oder spekulativ ist, von einem Unbedingten im je Bedingten auszugehen. Einem Unbedingten, das sich meinem Werturteil und der diskursiven Verhandelbarkeit überhaupt wesenhaft entzieht. Dies führt zurück zum Leben des Gerechten: Er kann, so Eckhart, gar nicht anders, als diese unbedingte Wirklichkeit im Einzelnen, noch so Bedingten und Begrenzten, wahrzunehmen. Wie sehr wir durch das konkrete Tun und die Eigenschaften des anderen auch enttäuscht werden mögen, als Gerechte würden wir dennoch stets an ihm festhalten. Ebenso würden wir uns durch unsere eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten nicht mehr dazu verleiten lassen, uns ihretwegen geringzuschätzen oder zu verachten. Vielleicht bekommen wir eine Ahnung von der Möglichkeit dieses unbedingten Festhaltens immer dann, wenn wir jemanden lieben. Wenn das so ist, dann könnte darin für uns fassbar werden, was Eckhart meint, wenn er davon spricht, dass der Gelassene (hier konkret: der Gerechte) die Wirklichkeit von Gott her sieht. Schon am Gestus von Eckharts Predigten kann man erkennen, welches Anliegen ihnen stets zugrunde liegt: den Menschen die Augen für diese Wirklichkeit zu öffnen – das, was ›wirklich‹ ist, diskursiv plausibel zu machen. Denn damit Menschen zur Wahrheit ihrer selbst und anderer kommen (in ihr zu stehen kommen und mit ihr überformt werden, wie Eckhart sagt) und ihr vertrauen können, muss sie zuerst einmal als Möglichkeit oder Horizont in den Blick gerückt werden.

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Immer wieder versucht Eckhart, seinen Zuhörern Brücken zum Verständnis dessen, worum es ihm geht, zu bauen. Zwar sagt er einerseits: Nur wer bereits in der Wahrheit stehe, könne seine Predigten verstehen, in der diese Wahrheit zur Sprache komme; es gehe zunächst also darum, der Wahrheit, von der er spreche, gleich zu werden. Das bedeutet zunächst einmal, dass, wer der beschriebenen Erfahrung eines Unbedingten im Bedingten und Enttäuschenden fremd gegenübersteht, von Eckharts Worten nicht berührt werden kann und seine Argumentation sinnlos oder zumindest rein spekulativ finden muss. Aber da Eckhart um die Schroffheit und Größe dieses Anspruchs (dass man der Wahrheit gleich werden muss, um sie zu verstehen) weiß, betont er sein Anliegen auch von der genau entgegengesetzten Seite her: Die Hörerinnen und Hörer sollten sich keine Sorgen darüber machen, ob und inwieweit sie der Wahrheit der Wirklichkeit (ihrer selbst und der anderen) glichen.48 Diese Worte verwandeln die Schroffheit des Anspruchs in Trost und Ermunterung: Es braucht Einübung, um sich auf die Wirklichkeit zu öffnen; niemand ist von Natur aus gelassen und kann von daher schon in dieser Gewissheit leben, aber dennoch trägt jeder Mensch (sogar jede Kreatur) Empfänglichkeit in sich. Es ist folglich nicht mit Hybris zu verwechseln, wenn Eckhart sagt: Wer der Wahrheit nicht gleiche, habe von dem, was er, Eckhart, rede, noch nichts verstanden. Was dahinter steckt, kann von der eingangs erläuterten scheinbar ›verwirrenden‹ Redeweise her begriffen werden. Denn auch hier sehen wir das für Eckhart so charakteristische Denkmuster der nachträglichen Selbstaufhebung des Gesagten. In dieser spezifischen Form der Aufhebung wird das Gesagte stets neu und von einer anderen, oft sogar kontrafaktischen Seite betrachtet, aber bleibt dennoch stets erhalten, wenn auch nicht im Sinn eines fixierten Besitzes, sondern geöffnet für das von anderer Perspektive her Gesagte. Allerdings handelt es sich nicht bloß um ein Denkmuster, vielmehr bildet dieses Denkmuster das Sein eben im Sinne einer unverfügbaren Wirklichkeit ab. So kann auch der Begriff vom Gerechten für uns nie fixierter, verfügbarer Besitz sein: Keiner (außer dem Gerechten, und ein solcher sind wir nicht und war auch Eckharts Zuhörerschaft nicht) kann durch eine Eckhart48. Vgl. zum Folgenden id., Pr. 52 (DW III 487,5-7; 506,1-4).

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Predigt (oder jedwede andere Predigt) auf Anhieb das Wesentliche verstehen, wenn es um eben jenen Gerechten geht, denn jede Rede zerredet notwendigerweise zugleich das, was sie zum Vorschein bringen will, d.h. sie legt vorschnell fest, indem sie deutlich und anschaulich zu machen versucht, und muss sich daher wieder selbst korrigieren. Das, um das es ihr geht, kann höchstens h i n t e r den Worten erahnbar werden, aber es kann (und darauf zielt die Rede) doch grundsätzlich jedem in einem geglückten Moment auch i n ihnen und durch sie hindurch sichtbar werden. In einem Moment aber, für den nicht allein die Rede und der Willensentschluss der Einzelnen, verstehen zu wollen, verantwortlich ist. Diesen Moment ›umspielt‹ gleichsam Eckharts scheinbar teils kontradiktorische Rede. Würde er ihn festzuhalten und sprachlich zu fixieren versuchen, erreichte seine Rede das genaue Gegenteil: bloße Gewissheit in bloßen Worten. Wirklichkeit heißt, dass wir – stets zugleich aktiv gestaltend und passiv empfangend oder betroffen – Teil ihrer sind. Mit der Metapher der Gottesgeburt bringt Eckhart etwas ganz Ähnliches zum Ausdruck: Sie ist sogar gleich mehrfach unentschieden im Bezug auf ›Aktiv‹ und ›Passiv‹. Z u m e i n e n ist Gebären Tun und Erleiden zugleich – mir als Gebärender geschieht etwas, mit dem ich selbst übereinstimme. Die Metapher ist in dieser Zwischenposition zwischen Aktiv und Passiv gleichsam ›weiblich‹; als Geburtsmetapher nimmt sie das Leben in seiner Ganzheit in den Blick. Mit ihr korrigiert Eckhart in seinem Werk andere Metaphern und Redeweisen, die von vornherein zwischen Aktiv und Passiv polarisieren, einseitig bleiben und eher dem ›männlichen‹ Bereich zuzuordnen wären: etwa Redeweisen vom Machbaren, Leistbaren einerseits (aktiv: etwa Aufschwung und Unabhängigkeit der Vernunft), als auch jene mit einseitig niederdrückender Wirkung (etwa die Aufforderung zu Verleugnung und tiefster Demut: passiv). Z u m z w e i t e n beinhaltet die Rede von der Gottesgeburt neben dem Gebären zugleich auch immer das Geborenwerden: und zwar sowohl das Geborenwerden Gottes in der Seele als auch das Geborenwerden des Menschen als Sohn. Geborenwerden und Gebären gehen ineins. Die Pole Aktiv und Passiv sind darin deckungsgleich, ohne sich aufzuheben. Vielmehr sind sie unauflöslich in sich verschränkt. Dass er gebiert und geboren wird, kann von jedem Menschen, kann von Jesus Christus und kann von dem Einen (von Gott) ausgesagt werden. Mehr noch: Die Metapher bekommt ihre Bedeutung eigentlich überhaupt erst dann, wenn mit ihr

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alle zugleich gemeint sind. Die Rede von der Geburt bringt die gesamte Wirklichkeit in einen Austausch, der auf universale Fülle hin zielt. Wenn wir uns zustimmend in diesen Austausch hineinstellen, sind wir, Eckhart zufolge, auf dem Weg zur Gerechtigkeit, zur göttlichen Dimension unseres Seins, auf dem Weg zur eigenen Fülle. Es ist jener weglose Weg, auf dem wir zuhause sein könnten, ruhig in der Unruhe. Dass es den spezifischen, den vorgeschriebenen Weg nicht gibt, sondern ihn jeder selbst erfahren muss, stellt Eckhart seinen Hörern und Hörinnen sowie Lesern und Leserinnen klar vor Augen. Sein Rat des „Seinlassens“ ist hier wiederum für unsere eigene Gegenwart verblüffend zeitgemäß; er warnt (bzw. entlastet) vor Eiferei: So geht es, heißt es in den Erfurter Reden, nicht darum, heiligmäßigen Menschen nachzueifern, sich gar mit ihnen zu messen; denn durch wettstreitenden Eifer (der sich sonst in nahezu jedem Bereich des Lebens Bahn bricht) ist gerade hier offensichtlich kein Weiterkommen. Vielmehr handelt es sich um einen Weg, auf dem jeder »seiner Weise« folgt. Dies impliziert die Notwendigkeit, jedem seine bzw. ihre Weise zu lassen, niemanden von seinem Weg abzudrängen (weil man selbst den Weg vermeintlich ›besser kennt‹), in Eckharts Worten: »niemandes Weise zu verachten«.49 Die unterschiedlichen (Lebens-)Wege stehen in keinem Verhältnis der Konkurrenz, sie verhalten sich vielmehr komplementär; allein die Tatsache, dass es so verschiedene »gute Weisen«50 gibt, kann sowohl vor unzuträglicher Selbstzufriedenheit mit der eigenen Weise bewahren (die Komplexität der Wirklichkeit würde dadurch aus dem Blick geraten, ich könnte nicht mehr zu ihr durchdringen und verbliebe wieder beim bloßen ›Ich selbst‹) als auch zu einem Zutrauen in den eigenen Weg befähigen.51 Noch einmal: Abgeschiedenheit und Gelassenheit zielen auf ein frei zustimmendes Sich-Involvieren-Lassen in ein Dasein, das von dem Einen 49. Vgl. id., RdU (DW V 252,6): versmæhen niemannes wîse. 50. Die Rede von den guten Weisen impliziert, dass es auch schlechte Weisen gibt und verbietet so zugleich eine liberalistische Haltung, die alle Weisen als gleich gut beurteilte und statt zu einer Wertschätzung der individuellen Wege zu einer Gleichgültigkeit gegen alle Wege führte. 51. Dieses Modell der ›guten Weisen‹ ist auch im Hinblick auf eine heutige Theologie der Religionen bedenkenswert: Alle guten Weisen beinhalten etwas Richtiges, bleiben aber für sich genommen unzureichend (daher spricht Eckhart zugleich von der Weiselosigkeit des Gottsuchens). Die Konfrontation mit anderen Heilswegen hebt die eigene Heilsbedürftigkeit ins Bewusstsein. Nehmen wir sie ernst als Zugang zu einer Wirklichkeit im Licht des Gottes, der sein lässt, einer Wirklichkeit, der wir uns im Aufeinander-Zukommen nähern, müsste es darum gehen, dass sich die Religionen so begegnen, dass sie mit ihrem jeweils Besten zur Geltung kommen können.

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kommt, der in alles so involviert ist wie in sich selbst und auf alles genauso aufmerksam ist wie auf sich selbst. Freiheit bedeutet nicht einfach intellektuelle Autarkie, sondern die Fähigkeit zur Zustimmung zum Gewolltsein des anderen. Einheit mit Gott wäre folglich mit Eckhart zu verstehen als ein lebensbegleitender Prozess, der mich andauernd verändert, wenn ich mich auf die Begegnung mit der Wirklichkeit vertrauend einlasse (und nicht als ein Zustand, der einmal zu erreichen und damit fixiert wäre). Damit ist auch dem Umstand Rechnung getragen, dass für Eckhart Ekstase und überhaupt die Privilegierung eines Augenblicks (oder einer Redeweise) keine Rolle spielen. Somit ließe sich das Fazit der Eckhartschen Auffassung von Wirklichkeit zwar unspektakulär, aber theologisch deswegen nicht minder fruchtbar, folgendermaßen beschreiben: Alle Wirklichkeit kommt von Gott, daher ist ihr Wesen überreiche Fülle für jedes Geschöpf. Alles kreatürliche Habenwollen, alle personalen Wünsche (wir wollen so und so sein und dies und dies tun) beziehen sich stets auf Unwesentliches, selbst dann, wenn sie sich auf Gott als Gott beziehen. Sie hindern uns am Entdecken und am Austeilen dieses Reichtums und dieser Fülle. Wir müssten uns mehr in Ruhe lassen. Wir würden darin dem Beispiel des Gerechten folgen, der die Wirklichkeit Gottes konkret werden lässt, und damit Gott selbst. Lässt uns Gott nicht so sehr in Ruhe, dass wir meist gar nicht merken, dass er dennoch ganz präsent ist? Das Gottsein Gottes verwirklicht sich offenbar gerade darin, dass er uns uns selbst sein lassen kann, wenn er dabei auch selbst gewissermaßen in den Hintergrund tritt. Und wie würde sich unsere Realität wandeln, wenn wir auch so lebten und darin letztlich dem Beispiel Jesu, des Gerechten, folgten? 6. Schluss Man hat Eckhart als Vertreter einer längst überwundenen Einheitsmetaphysik abgetan. Es mag sein, dass er auch deshalb wenig rezipiert wurde und, bis in die heutigen Tage, wird. Mancherlei wird dabei jedoch übersehen, das bis heute zu uns spricht. Es käme darauf an, Eckharts Theologie unter heutigen Voraussetzungen zu reformulieren und überhaupt erst einmal für uns zu akzentuieren (dabei die historische Distanz nicht übergehend, sondern für eine Schärfung des Blicks auf unsere Zeit nutzend).

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Vielleicht konnten die hier angestellten Überlegungen zum Eckhartschen Begriff des Lassens und der Gelassenheit einen Beitrag dazu leisten. Was der eigentlichen Absicht nach kaum überschätzbar ist, nämlich den Einzelnen in seiner Würde (und christlich interpretiert als Gottes Geschöpf nach seinem Ebenbild) zu achten, ging seit der Aufklärung immer mehr einher mit einer wachsenden Konzentration des Einzelnen auf sich selbst. Der/die Nächste wurde zum Fremden oder gar zum Konkurrenten um die Ausübung der eigenen Freiheit. Die empirische Naturwissenschaft des 17. Jh. hat diese Tendenz der Isolierung des Einzelnen noch zusehends verstärkt. Sie stellte den Menschen der Natur als dessen Forschungs- und Nutzungsobjekt gegenüber, an der er sein Machbarkeitsideal beweisen konnte. Die Folge war, und ist bis heute immer mehr, aggressiv-expansive Selbstbehauptung – und zwar sowohl gegenüber der Natur als auch gegenüber den Mitmenschen und möglicherweise auch gegen uns selbst. Heute sehen wir uns in einer Zeit, die sich einerseits vom Gedanken der Aufklärung hin zu einem weniger isolationistischen Menschenbild gelöst zu haben scheint, andererseits in ihren ökonomischen Prinzipien immer totalitärer geworden ist. Vor ungefähr zwei bis drei Jahrzehnten erlebten wir die erste Welle eines breiten, auch außerwissenschaftlichen Interesses an Spiritualität und Mystik. (Dadurch geriet auch Meister Eckhart als Mystiker mehr in den Blick des Publikums und der Wissenschaft.) Diese Welle war – mehr oder minder ohne dass sie die ökonomischen Bedingungen ihrer selbst in den Begründungszusammenhang hineingenommen bzw. mitverhandelt hätte – tendenziell im konsumptorischen Überfluss der Dinge und Angebote begründet, bzw. gerade in der sich immer mehr zeigenden Reaktion des Überdrusses an jener Verbrauchswelt, die keinen Sinn mehr stiften sollte. Indem jene Welle sich freilich von der Verlockung, im reinen Konsum der für unser Leben von Industrie und Staat bereitgestellten Produkte und Angebote einen Sinn zu sehen, emanzipieren wollte, idolisierte sie diese Produktwelt wiederum ex negativo nicht unbeträchtlich. Dennoch: Jener Überdruss schlug zunächst um in eine Besinnung auf das Innere, auf die Bedürfnisse der Seele und die Befindlichkeit des Ich, eine mutatis mutandis dem Spätmittelalter in gewisser Weise vergleichbare Situation. Diese Wendung zum eigenen Inneren blieb aber, wie angedeutet, insgesamt in den Herrschaftskreislauf von Machbarkeit und Konsum eingebettet. Das war allein schon daran zu sehen, dass keine

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breitere gesellschaftliche Bewegung daraus wurde, sondern die Welle selbst ein Wohlstandsphänomen blieb (und ihre Ausläufer bis heute bleiben). Man verweigerte, was man sich leisten konnte. Es suchte, wer seine Suche im Rahmen seiner ökonomischen Grundlagen gestalten konnte. Gegenwärtig aber befinden wir uns tatsächlich in einer Zeit der anhaltenden – inzwischen allgemein wahrgenommenen – Krise. Das hat ebenso fundamentale wie banale Ursachen: Zwar steht Konsum (also das Leben mit immer neuen und immer neu bereitgestellten Produkten) mehr als je im Zentrum des allgemeinen Lebensgefühls und ist geradezu zum vorherrschenden Weltbild unserer Zeit geworden, aber erstmals steht die dauerhafte Möglichkeit seiner Erfüllung in Frage. Und obgleich natürlich der weitgehende Verlust von Konsummöglichkeiten nicht existentiell wäre, hat bezeichnenderweise gerade er erstmals breite existentielle Angst zur Folge. Aber eine wie sinnvolle Begründung diese Angst nun haben mag oder nicht, zumindest beginnt sich mit ihr eine, nun nicht mehr ›bloß‹ spirituell im Sinne der vorherigen Welle, sondern fundamental skeptische Haltung gegenüber dem Primat eines einseitig technik- und konsumorientierten (Machbarkeits-)Fortschritts zu formulieren. Diese Skepsis nimmt die Wirklichkeit als Ganzes in ihren Zusammenhängen in den Blick und hat damit mehr im Sinn als das bloß (und sei es spirituell) nach solitärem Gelingen strebende Leben des Einzelnen. Vor allem zerstört diese krisengeborene Skepsis neuerdings das Vertrauen in die Eingebundenheit in unseren Alltag. Dieser Alltag und unsere dauerhafte Eingebundenheit in ihn werden uns vielleicht sogar erstmals in der Krise bewusst. Wir beginnen zu begreifen, dass wir die Konsequenzen der von uns geschaffenen Wirklichkeit längst nicht mehr überblicken und dass es eine Chimäre war, wir hätten unser Leben sicher in der Hand. Zwar handeln wir in unserem bisherigen Rahmen weiter, aber er stiftet uns keinen Sinn mehr, weil wir den Glauben an unsere Gestaltungsmöglichkeiten verloren haben. Das hat weitreichende Folgen. Wir glauben nicht mehr an uns und unser Tun. Der kanadische Philosoph Charles Taylor spricht in diesem Zusammenhang von einer Krise der Bejahung des Selbst, des Anderen und des Lebens insgesamt.52 52. Vgl. Charles Taylor, Quellen des Selbst: Die Entstehung der neuzeitlichen Identität (Frankfurt a.M., 21996), 775-88, besonders 777.

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Selbstbeschränkung aber ist innerhalb unseres gegenwärtigen Weltbildes, welches hauptsächlich das Subjekt mit seinem Eigenwillen in den Mittelpunkt gestellt hat, kaum zu begründen. Das Subjekt in seinem Eigenwillen führt offensichtlich in eine tendenziell maßlose, zerstörerische Dynamik hinein. Die Kategorie des »genug« ist unserer Lebensweise vollkommen fremd, ebenso die des »zuviel«;53 dafür bräuchte es jene (Selbst-)gelassenheit, von der Eckhart spricht. Jene, die anderes sein lässt. Die Unfähigkeit zur Selbstbeschränkung wird allerdings inzwischen als die hauptsächliche Crux unserer durchökonomisierten Zivilisation betrachtet. Meister Eckhart hat eines in aller Schärfe gesehen: Gerade wenn wir auf uns selbst beharren, bleiben wir unzulänglich. Die Hybris eines jedweden Unterfangens, sich durch sich selbst einen Sinn zu geben (es ist das Unterfangen der Moderne), wird in seiner Theologie sichtbar. Mit Eckhart können wir zu horchen beginnen auf jene uns allen gegebene, aber stets verschüttete Sehnsucht nach einer viel grundsätzlicheren, aber eben nicht selbst herstellbaren Bejahung und Erfüllung unseres Lebens. Vielleicht bedarf es der Krise, um aus dem Zirkel der Selbstbehauptung und Selbstexpansion auszubrechen und deutlicher auf den mittelalterlichen Meister zu hören, dessen Denken zugleich jene Offenheit kennzeichnet, die ihn zu einem Wegbereiter der Moderne werden ließ. Diese Offenheit folgte aus seiner Überzeugung von der Einheit unserer Wirklichkeit in ihrer Tiefe, von dem Involviertsein von allem in alles. Dies ist ein Gegenkonzept zu dem, was wir täglich leben, es ist jener aufmunternde Zuspruch zu einer ontologisch endlich ernstmachenden Offenheit der Wirklichkeit und der Schöpfung gegenüber. Hier hat das anhaltende Interesse an Meister Eckhart möglicherweise seinen tieferen Grund. Und hierin liegt zugleich seine bleibende theologische Relevanz für die Gegenwart.

53. Vgl. André Gorz, Kritik der ökomomischen Vernunft: Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft, aus dem Franz. übers. und mit einem Vorw. von O. Kallscheuer (Hamburg, 1994, neu aufgelegt Zürich, 2010), 163. Ihren Ausdruck findet diese Dynamik in einer rein ökonomischen Rationalität (vgl. ibid., 173, mit Bezug auf Jürgen Habermas, Theorie kommunikativen Handelns (Frankfurt a.M., 1981), Bd. I, 484).

Vom nichts zu teilen zum rein nichts teilen. Meister Eckharts abgeschiedene Philosophie Hans-Joachim Sander, Salzburg

Abstract The quality of the »p u r e n o t h i n g « (lûter niht) plays an important role in the philosophy and theology of Meister Eckhart. One of the distinctive characteristics of pure nothing is that it is easy to share, but there is no need to divide it. This is unique. Otherwise, sharing and dividing mean the opposite, but are closely interconnected and are both, to a greater or lesser extent, related to power and domination. This interconnection and relation exists because there is no single source of empowerment, which in turn is not endangered by corruption through power and self-righteousness. In this paper it is argued that Eckhart found a way to overcome this fundamental problem of anthropology. The key element lies in his understanding of p u r e n o t h i n g . For Eckhart pure nothing is not an opposite or a negation of being. It is beyond existence. Even more, it is the common ground of creator and creatures. In this case, the sharing of p u r e n o t h i n g becomes a place where creatures are able to experience God. This place enables human beings to transcend existence without becoming themselves a counterpart of God. And what Eckhart called »detachment« is exactly what happens, when creator and creature are sharing this nothing. The hypothesis of this paper is that this kind of sharing enables growth without being a resource of power. Eckhart has thus explored a decisive factor to relativize power. Whoever is able to share p u r e n o t h i n g is able to relativize everything that exists. The consequence is that detachment is a unique ability to deal with threatening powers and forces.

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s gibt zwei Arten des Teilens. Außer demselben Wort haben sie im buchstäblichen Sinn nichts miteinander zu tun. Das erste Teilen sondert Größen voneinander ab und bricht eine Größe in Untergrößen auf. Es heißt diviser auf Französisch und to divide auf Englisch. Im Alltag

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ist es eine normale Verhaltensweise und in der Politik eine Strategie. Dort in der politischen Welt bedeutet es Macht und hier im alltäglichen Getriebe ermöglicht es Überleben, oder wenigstens vernünftig zu haushalten. Als Erfinder der Machtstrategie werden die Politiker der römischen Republik angesehen, allen voran Gaius Julius Caesar. Er gilt als Meister des divide et impera, weil er seinen Gallischen Krieg strategisch mit dieser Teilungsart geführt hat. Die Formel stammt dann allerdings erst von Ludwig XI. (1461-83), einem spätmittelalterlichen französischen König, den man auch ›den Listigen‹ nannte. Im Alltagsleben ist dieses Teilen eine Notwendigkeit, die weniger mit Macht verbunden als vielmehr den begrenzten Ressourcen geschuldet ist, mit denen sich Lebensprojekte und Überlebensstrategien üblicherweise konfrontiert sehen. Die andere Teilungsart heißt im Englischen to share und im Französischen partager. Sie teilt keine Größen voneinander ab oder in kleinere Stücke auf, sondern fügt Größen so zusammen, dass eine Bewegung entsteht, die zu einem wechselseitigen Wachstum und zu einer dritten gemeinsamen Größe führt, die gerade diesem Wachstum entspricht. Das können vielfältige Größen sein, materielle ebenso wie immaterielle. Wenn etwa Wissen auf diese Weise geteilt wird, dann entsteht ein reger Austausch über das, was bereits gewusst wird. Zugleich entstehen tiefere Einsichten in das, was bislang nicht in Erfahrung zu bringen war. Dieser doppelte Austausch führt in der Regel dazu, dass beides wächst, und das geschieht zum Vorteil des Wissensbestandes. Mit jedem neu gewonnenen Wissen steigt die Anzahl der offenen Fragen, die aber ihrerseits das erreichte Wissen bestätigen und wertvoll machen. Das Erfolgsrezept wissenschaftlichen Wissens ist deshalb auch die Veröffentlichung von Entdeckungen und Erkenntnissen sowie die freie Verfügung darüber durch andere, die das ihre damit machen können. Für diese Teilungsart des Wissens versteht es sich, dass die anderen, die fremdes Wissen nützen und verwenden, dann die Originalität derer respektieren, die zu dem nun geteilten Wissen entscheidend beigetragen haben. Dieses Teilen erhöht nicht die Macht der ursprünglichen Entdecker, wohl aber lässt es ihre wissenschaftliche Autorität steigen, weil ihre Originalität geteilt wird. Ähnlich wie Wissen kann man Sorgen mit anderen teilen oder auch das Bett, eine Mahlzeit oder auch Hoffnungen. Es wird dann jeweils etwas wachsen, was von denen als eine Stärkung wahrgenommen wird,

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die an diesem Teilungsvorgang beteiligt sind. Dieses Wachsen ist eine Art Lebensprinzip, möglicherweise sogar eine Art Quintessenz des Lebens. Jedenfalls gehen wir intuitiv davon aus, dass sich in den Prozessen der Zellteilung Leben dokumentiert. Es birgt in sich Teilungsvorgänge, die diviser in partager umwandeln und Ereignissen des diviser mit partager begegnen. Beide Teilungsweisen scheinen dabei wichtig zu sein. 1. Das prekäre Gespann partager und diviser Leider ist es nicht so einfach, dass partager und diviser schiedlich-friedlich voneinander abzuteilen wären. Die Größen, die nach der Grammatik des partager geteilt werden, können meistens ebenso nach divide et impera geteilt werden. Man kann fast jede Größe, die miteinander geteilt wird, auch aufteilen. Aus einer Mahlzeit, die Zusammengehörigkeit wachsen lässt, wird dann die Zelebration der feinen Unterschiede. Es kann so die Position der einen gestärkt werden, die das Teilen vornehmen, während die anderen, denen zugeteilt wird, auf einen nachgeordneten Rang gesetzt werden. Während sich die einen damit abfinden müssen, dass ihnen zugeteilt wird, können die anderen je nach Lage der Dinge einen höheren Rang beanspruchen, selbst wenn – oder vielleicht sogar gerade weil – sie sich den geringeren Teil des Essens zuweisen. Diviser und partager teilen sich somit nicht die jeweilige Welt, in der sie stattfinden, auf, sondern können vielfältig verwoben sein. Das muss dann geradezu zwangsläufig zu Spannungen führen. Man kann sich deshalb auch nicht dazu entscheiden, ausschließlich der einen Teilungsart zu folgen, weil schon diese Entscheidung mit der anderen arbeiten muss, um überhaupt ins Werk gesetzt zu werden. Es gibt daher keine einfach binäre Codierung von partager und diviser und auch kein einfaches gut oder böse zwischen ihnen. Andererseits sind sie nicht miteinander zu vermischen, ohne dass ein Gegensatz entstünde, der nicht der Realität entspricht. Möglicherweise haben sie jedoch etwas miteinander gemeinsam, was den Gegensatz und die Spannung überschreitet. Das müsste etwas sein, was jenseits der Macht angesiedelt ist, die ja mindestens mit dem diviser verbunden ist, und das jenseits der Illusion der reinen Güte liegt, das dem partager gerne zugeschrieben wird. Wenn es eine Größe gäbe, die sich leicht teilen ließe im Sinne des partager, aber nicht dem diviser ausgesetzt wäre noch ausgesetzt werden

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könnte, dann hätte man ein Wachstum, das sich als nachhaltiger erweisen würde als die Macht, die vom diviser Besitz ergreift. Wenn diese Größe dann auch noch eine Sonderstellung hätte, die es unmöglich macht, sie mit anderen zu vermischen oder verwechseln, dann wäre sie zugleich ein Maß für die Einschätzung oder sogar die Relativität von Macht, die mit dem diviser verbunden ist. Ein solches Wachstum wäre nicht im Besitz eines Ergreifens, wohl aber hielte sie eine Energieressource bereit, um Besitzergreifen durch andere oder anderes zu widerstehen. Man hätte eine ermächtigende Größe, die ihrerseits nicht der Selbstgerechtigkeit von Macht verfallen könnte, alles so aufzuteilen, wie es ihr beliebt. 2. Nichts teilen Meister Eckhart ist der gesuchten Größe möglicherweise auf die Spur gekommen und er hat um sie herum eine weit reichende philosophische und theologische Landschaft formuliert. Die Größe ist das Nichts, oder genauer: rein nichts. Es lässt sich nicht aufteilen und nicht abteilen. Und doch handelt es sich bei nichts um eine singuläre Größe. Im Fall des Nichts würde nichts vermindert, wenn dieses Nichts eingeteilt oder abgeteilt wird. Macht lässt sich daraus nicht gewinnen, sie versinkt vielmehr in einem gleichsam metaphysischen schwarzen Loch, das sich auftut. Nichts kann nicht geteilt werden im Sinne des diviser. Bereits die oft gewählte Substantivierung ›Nichts‹, die der Substanzontologie des alltäglichen Sprechens geschuldet ist, ist dem Phänomen unangemessen. Sie teilt es vom Etwas ab, was aber gar nicht geht, weil nun einmal nichts abzuteilen ist. Nichts teilt sich nicht vom Etwas ab und bildet kein Gegen-Sein zum Sein, von dem es getrennt zu beobachten wäre. Nichts ist kein Etwas, obwohl es eine Sonderstellung gegenüber allem, was es irgendwie gibt, beanspruchen kann. Es kann nur geteilt werden im Sinne des partager. Auf dieses partager des Nichts heben zwei markante Begriffe ab, für die Meister Eckhart in der intellektuellen Geschichte zu Buche steht: ›Abgeschiedenheit‹ und ›Gelassenheit‹. Von der ersten wird gesagt: sô enwil abegescheidenheit nihtes niht sîn. Dâ von stânt alliu dinc von ir unbeswæret (»Abgeschiedenheit hingegen will nichts sein. Daher bleiben alle Dinge von ihr unbeschwert«).1 Abgeschiedenheit kann nicht mit 1. Eckhart, VAb (DW V 406,8-9).

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etwas verglichen werden, das einen Selbstbezug hat oder über einen Zugriff auf anderes verfügt. Sie teilt nichts auf noch teilt sie etwas ab, weshalb sie selbst nicht aufzuteilen oder abzuteilen ist. Sie wirkt durch Sein hindurch jenseits dessen, was etwas oder jemand ist. Dieses ›Jenseits‹ markiert keine Gegenwelt, sondern nur ein sprachliches Konstrukt, um über das Sein hinauszugehen, an das die normale Sprache geheftet ist. In der Abgeschiedenheit oder an der Abgeschiedenheit kann man deshalb auch nur wachsen, was aber keinem Sein zum Wachstum verhilft, wohl aber jedes Sein sein lässt. Das lässt sich miteinander teilen, was wiederum als Gelassenheit Raum greift. Dieser Raum wiederum ist ein Ort, sich auf alles zu beziehen, mit allem in innerer Verbindung zu stehen und sich letztlich mit Gott zu identifizieren. Entsprechend wird die angeführte Stelle zur Abgeschiedenheit auch so eingeleitet: Volkomeniu abegescheidenheit enhât kein ûfsehen ûf keine neigunge under keine crêatûre noch über keine crêatûre; si enwil weder under noch obe sîn, si will alsô stân von ir selber, niemanne ze liebe noch ze leide, und enwil weder glîcheit noch unglîcheit mit keiner crêatûre haben noch diz noch daz: si enwil niht anders wan sîn. Daz si aber welle diz oder daz sîn, des enwil si niht. Wan swer will diz oder daz sîn, der will etwaz sîn. (Vollkommene Abgeschiedenheit hat kein Absehen auf irgendwelche Neigung unter irgendeiner Kreatur noch über irgendeine Kreatur; sie will weder drunter noch drüber sein, sie will aus sich selbst dastehen, niemand zu Liebe noch zu Leide, und sie will weder Gleichheit noch Ungleichheit mit irgendeiner Kreatur haben noch dies und das: Sie will nichts anderes als sein. Dass sie aber dies oder das sein möchte, das will sie nicht; denn wer dies oder das sein will, der will etwas sein).2 Wenn es gelänge, nichts zu teilen im Sinne des partager, dann ereignet sich Abgeschiedenheit. Sie bedeutete dann ein Wachsen, das nicht mit den Möglichkeiten des Seins zu messen wäre, das aber zugleich nicht mit den Teilungsmitteln, die Macht generieren, zu stoppen oder gar umzukehren wäre. Abgeschiedenheit wäre der Schlüssel zu einer Dimension oder die Tür in eine Betrachtung der Wirklichkeit, die anders ausfiele als alles, was auf der normalen Spur des Seins und der Seienden zu erreichen ist. 2. Ibid. (406,2-8).

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Ihre Relativierung dessen, was Realität ausmacht, erzeugt einen Erfahrungsbereich, der jeden anderen Erfahrungsbereich mit anderen Augen sehen lehrt. In der Abgeschiedenheit wird nichts zu teilen sein im Sinne des diviser, weshalb jedes Teilen von Nichts bedeutet, über sich hinauszuwachsen und in einen Zustand einzusteigen, der von keinen Machtabsichten gegenüber anderem und anderen zu stören ist. Diesen Zustand schreibt Eckhart der Kreatur als Kreatur zu, also einem Seinszustand, der sich vom Geschaffensein und nicht vom Schöpfersein erklärt: Allez daz niht ist, sol abegeleget sîn und sô bedecket, daz ez joch niemermê gedâht sol werden. Von nihte ensuln wir niht wizzen und mit nihte ensuln wir niht gemeine hân. Alle crêatûren sint ein lûter niht. Swaz niht hie noch dâ enist und dâ ein vergezzenheit aller crêatûren ist, dâ ist vüllede alles wesens. (Alles, was nichts ist, soll abgelegt werden und so verdeckt, dass es selbst nicht einmal mehr gedacht werden soll. Vom Nichts sollen wir nichts wissen, und mit dem Nichts sollen wir nichts gemein haben. Alle Kreaturen sind ein reines Nichts. Was weder hier noch dort ist und wo ein Vergessensein aller Kreaturen ist, da ist Fülle alles Seins).3 Diese Nähe zwischen Sein und Nichts, Fülle und Nichtwissen, Nicht-Identität und Identifizierung mit allem hat eine Gottesdimension, über die noch zu sprechen sein wird. Im reinen Nichts der Kreatur ist jedenfalls weiterführend, dass es nichts mit dem Nichts gemein hat. Es ist keine Strategie, der man sich unterziehen kann, um damit zur Fülle zu gelangen. Das ›rein nichts‹ der Kreatur ist nicht das Sprungsbrett, um der Nichtung zu entgehen, der jedes Geschaffene unterzogen ist. Das Nichts zu teilen kann – anders als die Negation – deshalb keine Willensentscheidung des Subjektes sein, es geht vielmehr mit dem Ereignis einher, geschaffen zu sein im Verbund mit allem anderen Geschaffenen.4 Ein Wille zum Nichts verträgt sich nicht mit diesem Nichts, weil dann 3. Id, Pr. 11 (DW I 185,3-7). 4. Diese Kreatürlichkeit führt zu einer Wirklichkeitsbeschreibung jenseits von Metaphysik und Pantheismus; vgl. Andrés Quero-Sánchez, »Das panentheistische Verständnis der ›Mystik‹: Meister Eckhart und Nikolaus von Kues über die Nichtigkeit des Bedingten«, in: Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Musik 6 (2009) (= Von der Wissenschaft zur Mystik), 86-110. Der subjektive Willensgehalt spielt noch eine Rolle für die Durcharbeitung des Gedankens bei Cusanus und Hegel; vgl. Stephan Grotz, Negationen des Absoluten: Meister Eckhart, Cusanus, Hegel (Hamburg, 2009).

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alles gleich nichtig wäre und die Unterscheidung, die mit dem Teilen des Nichts gesetzt werden kann, nicht zum Tragen käme. Vielmehr hat jedes Geschaffene das Problem und auch die Fähigkeit, aus sich oder anderem nichts zu machen, wozu die Strategie des diviser sich sehr gut eignet. Der Wille zum Nichts für sich und anderes ist eine Machtstrategie, die allenthalben verwendet wird. Sie hat nichts mit dem partager eines rein nichts gemein. Mit dem diviser zum Nichts lassen sich gerade nicht jene Unterschiede zwischen den Kreaturen setzen, die jenseits des Seins führen, sondern nur Gegensätze aufbauen, die das Geschaffensein aus dem Blick verlieren. Entsprechend rät Eckhart seinen Zuhörern, e i n ›Sohn‹ zu werden, also ein Ort der Gottesgeburt zu sein: Dar umbe hüetet iuch, daz ir iuch iht nemet nâch dem, daz ir dirre mensche noch der iht sît, sunder nemet iuch nâch der vrîen, ungeteilten menschlîchen natûre. Dar umbe: wellet ir éin sun sîn, sô scheidet iuch von allem nihte, wan niht machet underscheit. Wie? Daz merket! Daz dû nicht enbist dér mensche, daz niht machet underscheit zwischen dir und dém menschen. Und alsô: wellet ir sîn sunder underscheit, sô scheidet iuch von nihte. (Darum hütet euch, dass ihr euch danach nehmt, wie ihr d i e s e r Mensch oder j e n e r irgendwie seid, sondern nehmt euch nach der freien, ungeteilten menschlichen N a t u r. Darum: Wollt ihr ein Sohn sein, so scheidet euch von allem Nicht, denn Nicht stiftet Unterschiedenheit. Wie das? Merkt euch! Dass du nicht jener Mensch bist, dieses Nicht stiftet Unterschiedenheit zwischen dir und jenem Menschen. Und also. Wollt ihr ohne Unterschiedenheit sein, so scheidet Euch vom Nicht).5 Man muss also unterscheiden zwischen ›nicht‹ und ›nichts‹. Während das ›nicht‹ eine Negation vom Standpunkt des Seins ist, hat ›nichts‹ nichts mit dem Sein gemeinsam. Beim ›nicht‹ wird das Sein mit dem Seienden geteilt, zu dem es sich negierend verhält. Beim ›nichts‹ gibt es kein Teilen mit einem Seienden, weshalb es auch nicht unter das, was ›Sein‹ darstellt, subsumiert werden kann. Ist es also das Gegenüber des Seins? Wäre dem so, dann könnte auf das Nichts die erste Teilungsart, das diviser, angewendet werden. Dann wäre das Nichts eine potentielle Machtressource für oder gegen die Existenz, die sich gegenüber dem Sein oder mit dem 5. Eckhart, Pr. 46 (DW II 386,3-8).

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Sein entrollen würde.6 Das ist bei Eckhart aber nicht der Fall. Nichts wird bei ihm von Schöpfer und Geschöpf geteilt. 3. Rein nichts, geteilt von Schöpfer und Geschöpf Als Begründung dafür, dass der Intellekt dem Sein für den Gottesbegriff übergeordnet ist, argumentiert Eckhart: Item: illud est melius quod est praecisa causa, quare sumus grati deo. Hoc autem est intelligere. Unde praecise aliquis est gratus a deo, quia sciens. Quia tolle scientiam: remanet unum purum nihil. (Ferner: Das ist besser, was die entscheidende Ursache dafür ist, dass wir Gott wohlgefällig sind. Das aber ist das Erkennen. Daher ist jemand gerade deshalb Gott wohlgefällig, weil er ein Wissender ist; denn, nimm das Wissen fort – so bleibt nur reines Nichts übrig).7 Wissen kann man mit Gott teilen, was in der Einsicht, dass Gott da ist, kulminiert. Das ist für die Kreatur eine entscheidende Beziehung, aber sie ist es nicht für Gott. Er benötigt das Da-Sein der Kreatur nicht, um Gott zu sein. Fällt nun das Wissen weg, das die Kreatur teilen kann, dann ist Gott weiterhin da, aber seine Gegenwart wird nicht gewusst. Damit hört sie nicht auf. Aber etwas anderes stellt sich ein, was Eckhart in seinen lateinischen Werken eher lakonisch und nebensächlich markiert.

6. In der Philosophiegeschichte wird das Nichts in der Regel als geschichtliche Machtressource oder existentielle Ohnmachtserfahrung eingesetzt. Hegels Begriff des Nichts fällt dialektisch mit dem Sein in eins und kann sich deshalb mit dem Sein entrollen; vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), in: Gesammelte Werke, Edition der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 20, hg. von W. Bonsiepen und H.-Ch. Lucas (Hamburg, 1992), 123,16-7: »Dieses reine Seyn ist nun die r e i n e A b s t r a c t i o n , damit das a b s o l u t - n e g a t i v e , welches, gleichfalls unmittelbar genommen, das N i c h t s ist«. Es hat geschichtliche Qualität, insofern das Nichts eine Abstraktion zum Sein ist, die in der Geschichte in Alternativen aufgehoben wird. Bei Sartre ist das Nichts die unausweichliche Freiheit des menschlichen Bewusstseins, mit der sich eine Existenz dem Sein und sich selbst zumutet. Heideggers Begriff des Nichts basiert auf dem Thema der Angst, in die das menschliche Dasein unvermeidbar hineingehalten ist. Die Augenhöhe zwischen Sein und Nichts prägt die unbehauste Seinserfahrung der menschlichen Existenz. Heideggers doppelte Rede vom Menschen als »Platzhalter des Nichts« (vgl. Martin Heidegger, Was ist Metaphysik?, in: Gesamtausgabe, Bd. 9: Wegmarken, hg. von F.-W. von Herrmann [2., durchgesehene Auflage, Frankfurt a.M., 1996], 118) und zugleich »Hirt des Seins« (id., Brief über den »Humanismus«, ibid., 342) rückt ihn in eine Position, die klassisch-metaphysisch mit Gott identifiziert wird, aber im Modus der Angst zur Ohnmacht mutiert. 7. Eckhart, Quaest. Par. III, n. 12 (LW V 61,1-3).

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Dann ist von Gott nur mehr purum nihil aussagbar. Die Frage ist, wie man das übersetzen soll. ›Reines Nichts‹ ist sicherlich grammatikalisch richtig. Zugleich übernimmt man dabei die Sprache der mittelalterlichen Substanzontologie, die aus Zuständen, Konstellationen, Relationen in sich ruhende Metaphysica macht, die unweigerlich den Anschein von Wirklichkeiten erwecken. Das ist dieser Metaphysik nicht vorzuwerfen. Sie kann gar nicht anders, weil ihr der Sinn für Prozesse und für Geschichte fehlt. Entsprechend muss man mit purum nihil vorsichtig umgehen. Der Begriff taugt nicht als Kategorie, wohl aber eignet er sich als Umschreibung einer Entdeckung. Eckhart ist darauf gestoßen – wie auch in der Zuschreibung des intelligere für Gott –, dass die Identifizierung von Gott mit Hilfe von esse/Sein, die natürlich möglich ist und von Eckhart auch selbst vorgenommen wird, nicht zur Identität von Gott und Sein führen kann.8 Gott lässt sich mit Sein identifizieren, aber es ist nicht seine Identität. Die Identifizierung dessen, worum es bei Gott geht, überschreitet das Sein, gleich wie dieses gefasst wird. Das, was ist, und das, was rein nichts darstellt, gehören nicht zusammen. In ihrer Spannung wird eine 8. Sein kommt gleichsam vom Erkennen her, wenn es um Gott geht; wichtig ist, dass dieses Erkennen ein Herkunftsdiskurs darstellt und kein Ursprungsgeschehen. Es geht dabei schließlich um die metaphysische Dimension des Wortes; denn Sein ist jene Größe, die, da sie metaphysischer Natur ist, vom Wort herkommt. Ohne das, was ist, lässt sich kein Sein aussagen. Entsprechend kann sich Eckhart, Quaest. Par. I, n. 4 (LW V 40,5-11), auf den Jo h a n n e s p r o l o g stützen: Tertio ostendo quod non ita videtur mihi modo, ut quia sit, ideo intelligat, sed quia intelligit, ideo est, ita quod deus est intellectus et intelligere et est ipsum intelligere fundamentum ipsius esse. Quia dicit Joh. 1: ›in principio erat verbum, et verbum erat apud deum, et deus erat verbum‹. Non autem dixit evangelista: ›in principio erat ens et deus erat ens‹. Verbum autem se toto est ad intellectum et est ibi dicens vel dictum et non esse vel ens commixtum (»Drittens zeige ich, dass ich nicht mehr der Meinung bin, dass Gott erkennt, weil er ist; sondern, weil er erkennt, deshalb ist er, in der Weise, dass Gott Intellekt und Erkennen ist, und das Erkennen selbst die Grundlage seines Seins ist. Denn Joh 1,1 heißt es: ›im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort‹. Nicht aber hat der Evangelist gesagt: ›im Anfang war das Sein, und Gott war das Sein‹. Das Wort aber ist seinem ganzen Wesen nach auf den Intellekt bezogen, und es ist dort als sprechendes oder als gesprochenes und nicht als ein gemischtes Sein oder Seiendes«). Zum Vorrang der intelligere-Identifizierung vor der esse-Identifizierung vgl. Christine Büchner, Gottes Kreatur – ›ein reines Nichts‹?: Einheit Gottes als Ermöglichungsgrund von Geschöpflichkeit und Personalität im Werk Meister Eckharts (Innsbruck, 2005), 44-8; für die Argumente der esse-Identifizierung als Differenz zum kreatürlichen Sein, welche zugleich die Bezogenheit von Schöpfer und Geschöpf ermöglicht, vgl. Erik A. Panzig, Gelâzenheit und abegescheidenheit: Eine Einführung in das theologische Denken des Meister Eckhart (Leipzig, 2005), 181-213. Zum theologischen Problem vgl. auch Saskia Wendel, Affektiv und inkarniert (Regensburg, 2002), 191-5 sowie Katharina Ceming, »Deus est intellectus: Von Meister Eckharts kunstvollem Umgang mit theologischen Begriffen«, in: Ead. und M. Negele (Hgg.), Im Spannungsfeld von Glauben und Denken: Festschrift für Klaus Kienzler zum 65. Geburtstag (Münster, 2009), 35-46.

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Überschreitung dessen, was Sein ist, zu dem hin, was rein nichts ist, sichtbar. Von dieser Überschreitung ist hier mit den sprachlichen Möglichkeiten mittelalterlicher Metaphysik bereits die Rede. Mir scheint es deshalb als angemessener, statt von ›reines Nichts‹ zu sprechen, purum nihil mit ›rein nichts‹ zu übersetzen. Während die Kreatur mit Gott das Wissen teilen kann, was ihr möglich ist, kann sie nicht ›rein nichts‹ mit Gott teilen, ohne selbst Gott zu sein. Sobald das geschieht, hört sie auf, Kreatur zu sein, weil sie das Universum des Seins dabei überschreitet. Dieser Zusammenhang von ›nichts‹ und ›sein‹ scheint mir wichtig zu sein. Um das zu sein, was ›rein nichts‹ ist, muss diese Größe jenseits des Seins sein; sie ist ihm übergeordnet oder nachgeordnet, je wie man das Verhältnis nun aufziehen möchte. Das gilt für Gott und zwar nur für Gott, woher sich womöglich die Eckhartsche Behauptungen erklären, in Gott sei kein Platz für Verneinung außer für die Verneinung dieser Verneinung: Propter quod in ipso deo nullum prorsus locum habet negatio; est enim ›qui est‹ et ›unus est‹, quod est negatio negationis (»Daher hat die Verneinung in Gott ganz und gar keinen Platz. Denn er ist ja ›der da ist‹ [Ex 3,14] und ›ist einer‹ [Gal 3,20]. ›Einer‹ besagt aber eine Verneinung der Verneinung«).9 Die Verneinung von Verneinung ist die Eigenschaft jenes Merkmals Gottes, jenseits des Seins zu sein. Wenn man die Überschreitung zu ›rein nichts‹ unter dem hier gewählten Teilungsgesichtspunkt betrachtet, dann eröffnet sich ein neuer Raum, um das Verhältnis von Gott und Kreatur zu betrachten. Wissen lässt sich nur auf dem Boden eines Realitätsbezugs teilen, also im Universum des Seins. Davon geht das oben angeführte Zitat aus. Diesem Realitätsbezug ist aber das Nichts nicht zuzuteilen. Es steht in einem Jenseits dazu, weshalb es geeignet ist, Gottes Transzendenz zum Sein zu beschreiben. Er geht darüber hinaus, wenn er erschafft: Et ideo cum deus sit principium vel scilicet ipsius esse vel entis, deus non est ens vel esse creaturae (»Und deshalb, da Gott Prinzip ist, nämlich entweder des Seins oder des Seienden, so ist Gott nicht das Seiende oder das Sein des Geschöpfs«).10 Das Sein des Geschöpfs bedeutet nicht, dass Gott ihm an seinem Sein Anteil gibt. Was Gott ist, steht jenseits dessen, was vom Geschöpf zu sagen ist. 9. Eckhart, In Ex., n. 60 (LW II 289,5-6). 10. Id., Quaest. Par. I, n. 9 (LW V 45,7-8).

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Gleichwohl ist das Geschöpf mit dem Schöpfer als Geschöpf verbunden. Entsprechend kann und muss dessen Überschreitung von Sein und Seiendem auch in irgendeiner Weise für die Kreatur gelten, sofern sie Kreatur ist. Das kann nicht über ein Teilen (partager) des Seins gehen, weil hier die Abteilung (diviser) des Geschöpfs vom Schöpfer entscheidend ist. Es muss jenseits davon geschehen. Dieses ›Jenseits‹ ist dabei lediglich ein Behelfsbegriff, um den Teilungsraum zu beschreiben, der Schöpfer und Geschöpf verbindet. An dieser Stelle kommt das, was ›nichts‹ bezeichnet, ins Spiel. Es gehört nicht dem Sein an und ist doch ein verbindendes und kein trennendes Element zwischen Gott und dem Geschöpf. Denn gerade das ›rein nichts‹, das oben Gott in Abtrennung vom Geschöpf zugesagt wird, kommt zugleich der Kreatur als Kreatur zu, wie Eckhart später in seinen deutschen Predigten sagen wird: Alle crêatûren sint ein lûter niht. Ich spriche niht, daz sie klein sîn oder iht sîn: sie sint ein lûter niht. Swaz niht wesens enhât, daz enist niht. Alle crêatûren hânt kein wesen, wan ir wesen swebet an der gegenwerticheit gotes. Kêrte sich got ab allen crêatûren einen ougenblik, sô würden sie ze nihte. (Alle Kreaturen sind ein reines Nichts. Ich sage nicht, dass sie geringwertig oder überhaupt etwas seien: sie sind ein reines N i c h t s . Was kein Sein hat, das ist Nichts. Alle Kreaturen haben kein Sein, denn ihr Sein hängt an der Gegenwart Gottes. Kehrte sich Gott nur einen Augenblick von allen Kreaturen ab, so würden sie zunichte).11 Die Geschöpfe haben Sein nur durch Gott, weshalb sie nicht an ihn heranreichen können. Er steht jenseits des Seins und kann den Geschöpfen deshalb Sein geben oder nehmen. In diesem Sinn gilt das ›rein nichts‹ von den Geschöpfen, weil sie ohne Gott nichts sind. Aber damit ist mehr ausgesagt als eine Teilung im Sinn des diviser. Es wird ein Ort benannt, um beide innerlich aufeinander zu beziehen. Wie kann die Kreatur als Kreatur ein ›rein nichts‹ mit Gott teilen, also selbst über das Sein hinauswachsen, ohne zu einer göttlichen Gegengröße zu werden? Wie wird die Machtstrategie eines Teilens im Sinne von diviser vermieden, ohne das partager von rein nichts wieder in 11. Id., Pr. 4 (DW I 69,8-70,4). Siehe dazu Ch. Büchner, Gottes Kreatur (2005), 223-32.

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das Universum des Seins einzuordnen und damit den Wachstumsaspekt von Kreatur zu Schöpfer abzustellen? Darauf hat Eckhart für den Bereich des Menschen eine Antwort gefunden. Es ist die Gottesgeburt in der Seele. 4. Nichts mit Gott teilen oder die Gottesgeburt in der Seele Augustins Einsicht in die Gottesgegenwart (Tu autem eras interior intimo meo et superior summo meo [»Doch du warst innerlicher als mein Innerstes und überragtest meine höchste Höhe«])12 hat Eckhart nach innen hin radikalisiert und im Intellekt lokalisiert. Das ›größer‹ ist nicht Eckharts Thema, das ›innerlicher‹ dagegen in außerordentlichem Maß. Das ergibt sich zum einen aus der neuplatonischen Tradition.13 Aber sie ergibt sich zugleich aus der Entdeckung der eigenen Rationalität der subjektiven Erfahrung, die zu Eckharts Lebzeiten in vielen mystischen Texten zu fassen ist: Dar umbe ist alliu diu schrift geschriben, dar umbe hât got die werlt geschaffen und alle engelische natûre, daz got geborn werde in der sêle und diu sêle in gote geborn werde. […] Alsô wirt daz êwige wort gesprochen inwendic in dem herzen der sêle, in dem innersten, in dem lûtersten, in dem houbete der sêle, dâ ich nû von sprach, in vernünfticheit: dâ geschihet diu geburt inne. Der niht dan einen ganzen wân und eine hoffenunge hie zuo hæte, der möhte gerne wizzen, wie disiu geburt geschihet und waz hie zuo hilfet. (Darum ist die ganze Schrift geschrieben, darum hat Gott die Welt und alle Engelsnatur geschaffen: auf dass Gott in der Seele geboren werde und die Seele in Gott geboren werde. […] So auch wird das ewige Wort innerlich in dem Herzen der Seele gesprochen, im Innersten, im Lautersten, im Haupt der Seele, wovon ich neulich sprach, in der Vernunft: dort innen vollzieht sich die Geburt. Wer nichts als eine volle Ahnung und eine Hoffnung hierauf hätte, der möchte gern wissen, wie diese Geburt geschieht und was dazu verhilft).14 12. Augustinus, Confessiones, III, 6,11, ed. von L. Verheijen (Turnhout, 1981) (CCL 27), 33,57-8. 13. Vgl. Johannes Brachtendorf, »Meister Eckhart (1260-1328) und die neuplatonische Transformation Augustins«, in: N. Fischer (Hg.), Augustinus: Spuren und Spiegelungen seines Denkens, Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Reformation (Hamburg, 2009), 157-76. 14. Eckhart, Pr. 38 (DW II 228,1-230,3).

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Aus dem Komparativ des Augustinus wird ein Superlativ, der den Intellekt auf alles Geoffenbarte und Geschaffene bezieht und in nichts übergeht. Es ist Eckharts spirituelles Kernthema, mit dem er auch methodisch die Scholastik überschreiten musste.15 Basierend auf der Inkarnation Gottes in Jesus16 beschreibt Eckhart darin die mögliche Sohnschaft eines jeden Menschen, da sich in allen Gottesgeburt ereignen kann. Von Gott aus ist das möglich, ein Mensch muss es für sich nur mehr als möglich zulassen: Allez, daz gote gevellet, daz gevellet im in sînem eingeborenen sune; allez, daz got minnet, daz minnet er in sînem eingeborenen sune. Nû sol der mensche alsô leben, daz er ein sî mit dem eingeborenen sune und daz er der eingeborene sun sî. (Alles, was Gott gefällt, das gefällt ihm in seinem eingeborenen Sohn; alles, was Gott liebt, das liebt er in seinem eingeborenen Sohn. Nun soll der Mensch so leben, dass er eins sei mit dem eingeborenen Sohne und dass er der eingeborene Sohn sei).17 Zwischen Augustinus und Eckhart ergibt sich damit trotz aller für Eckhart entscheidenden Bezüge18 ein wichtiger Unterschied. Während Augustinus für seine Entdeckung der Innerlichkeit als theologischem Ort das Zwiegespräch mit Gott wählt (tu autem …), greift Eckhart trotz der Sohnesidentifizierung nicht zur Intimität mit Gott. Er nutzt für seine Radikalisierung der Innerlichkeit vielmehr eine Reihe von Orten im Sinne von argumentativen Fundstellen; an ihnen kristallisiert sich die Intellektualität der Gottesbegegnung. Diese Orte wie das Bürglein machen hoch abstrakte Argumentationen erfahrbar; sie sind keine Metaphern, sondern innere Erfahrungen, die sich als diskursive Wissensformen erschließen. Während Augustinus die Gotteserfahrung personalistisch-existentiell benennt, markiert Eckhart den innerlichen Zustand der 15. Vgl. Ch. Büchner, Gottes Kreatur (2005), 166: »Die Gattung der Predigt schließt von vornherein die Ambition aus, ein umfassendes denkerisches System darzulegen (wenn sie auch von einem solchen getragen ist). Diese Gattung ermöglicht es Eckhart, sofort in medias res zu gehen; er kann sich auf das konzentrieren, worauf es ihm dem Zuhörer gegenüber am meisten ankommt. […] Statt immer neue Inhalte sukzessive zu erarbeiten, kann der Prediger das eine Thema, um das es ihm geht, umkreisen, um das eigentlich Unnennbare fassbar und nachvollziehbar zu machen: die Gegenwart Gottes in der Seele des Menschen«. 16. Vgl. ibid., 233-7. 17. Eckhart, Pr. 10 (DW I 168,12-169,3). 18. Vgl. Ch. Büchner, Gottes Kreatur (2005), 414-31.

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Gottesbegegnung topologisch. Er benennt Orte, an denen sich dieser Erfahrungsvorgang kristallisiert, während es Augustinus um das unmittelbare personale Erlebnis zu tun ist. Wegen des Komparativs in dem unausweichlichen diskursiven Überschreiten, den Eckhart von Augustinus gleichsam geerbt hat, genügt jedoch zugleich keiner dieser Erfahrungen, um das zu beschreiben, worum es eigentlich geht. Eckhart hat selbst darauf reflektiert und diese Größen dabei zugleich alle zugunsten einer radikalen Abgeschiedenheit relativiert: Ich hân underwîlen gesprochen, ez sî ein kraft in dem geiste, diu sî aleine vrî. Underwîlen hân ich gesprochen, ez sî ein huote des geistes; underwîlen hân ich gesprochen, es sî ein lieht des geistes; underwîlen hân ich gesprochen, ez sî ein vünkelîn. Ich spriche aber nû: ez enist weder diz noch daz; nochdenne ist ez ein waz, daz ist hœher boben diz und daz dan der himel ob der erde. Dar umbe nenne ich ez nû in einer edelern wîse dan ich ez ie genante, und ez lougent der edelkeit und ouch der wîse und ist dar enboben. Ez ist von allen namen vrî und von allen formen blôz, ledic und vrî zemâle, als got ledic und vrî ist in im selber. Ez ist sô gar ein und einvaltic, als got ein und einvaltic ist, daz man mit dekeiner wîse dar zuo geluogen enmac. (Ich habe bisweilen gesagt, es sei eine Kraft im Geiste, die sei allein frei. Bisweilen habe ich gesagt, es sei eine Hut des Geistes; bisweilen habe ich gesagt, es sei ein Fünklein. Nun aber sage ich: Es ist weder dies noch das; trotzdem ist es ein Etwas, das ist erhabener über dies und das als der Himmel über der Erde. Darum benenne ich es nun auf eine edlere Weise, als ich es je benannte, und doch spottet es sowohl solcher Edelkeit wie der Weise und ist darüber erhaben. Es ist von allen Namen frei und aller Formen bloß, ganz ledig und frei, wie Gott ledig und frei ist in sich selbst. Es ist so völlig eins und einfaltig, wie Gott eins und einfaltig ist, so dass man mit keinerlei Weise dahinein zu lugen vermag).19 Diese Unmöglichkeit, in dieses Innen hineinzuschauen, also es zu erkennen, nennt er ein ›Bürglein in der Seele‹. Nichts und niemand kann 19. Eckhart, Pr. 2, neue Edition von Heidemarie Vogl und Georg Steer, »Die bürgelîn-Predigt Meister Eckharts: Mutmaßungen zur Entstehung der Predigt und ihrer Beziehung zu Nikolaus von Kues. Neue textgeschichtliche Ausgabe der Predigt und der lateinischen Übersetzung aus der Koblenzer Handschrift«, in: H. Schwaetzer und G. Steer (Hgg.), Meister Eckhart und Nikolaus von Kues (Stuttgart, 2011) (MEJb 4), 139-259; hier 235,121-236,130 (vgl. DW I 39,1-40,4).

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dessen Abteilung (diviser) von allem anderen überwinden, gleich wie groß die Größe auch angesetzt wird: sô einvaltic und sô ein und sô rehte hôhe boben alle krefte und boben alle wîse ist diz einic ein, daz im niemer kraft noch wîse zuo geluogen enmac noch got selber. Mit guoter wârheit und alsô wærlîche, als daz got lebet! Got selber engeluoget dâ niemer în einen ougenblik noch engeluogete nie dar în, als verre als er sich habende ist nâch wîse und ûf eigenschaft sîner persônen. Diz ist guot ze merkenne, wan diz einic ein daz ist sunder wîse und sunder eigenschaft. (so ganz eins und einfaltig ist dies Bürglein und so erhaben über alle Weise und Kräfte ist dies einige Eine, dass niemals eine Kraft oder eine Weise hineinzulugen vermag noch Gott selbst. In voller Wahrheit und so wahr Gott lebt: Gott selbst wird niemals nur einen Augenblick da hineinlugen und hat noch nie hineingelugt, soweit er in der Weise und ›Eigenschaft‹ seiner Personen existiert. Dies ist leicht einzusehen, denn dieses einige Eine ist ohne Weise und ohne Eigenheit).20 Was wie eine neuplatonisch motivierte Kritik an der Trinität erscheint, hat einen anderen Sinn. Auch Gott in seiner trinitarischen Weise kann die Grenze zum Bürglein nicht überwinden, weil es schlicht nichts zu sehen gibt. Das Bürglein markiert einen Ort, an dem die Kreatur mit Gott nichts teilt. Diesen Ort gibt es, aber man kann ihn nicht betreten. Insofern stimmt es, dass es sich um ein Etwas handelt, wie Eckhart schreibt. Aber dieser Ort ist nicht qualifiziert, weil das, was dort geschieht, jenseits dessen steht, was qualifizierbar ist. Die Unqualifizierbarkeit ist natürlich auch ein Ziel, das anvisiert werden kann. Aber wenn man das Nichts als Nichts aufzusuchen versucht, wird man genau das verfehlen, was gesucht worden ist. Man trifft dann auf ein Nichts, das nichts bedeutet, weil es sich in sich in sein Gegenteil verkehrt und zu einem quasi Etwas wird.21 Wer dagegen dieses Nichts an jenem Ort n i c h t sucht, kann es mit Gott teilen und dann stellt sich alles ein, was mit Gott verbunden ist: der niht suochet, daz der niht vindet, wem mac er daz klagen? Er vant, daz er suochte. Swer iht suochet oder meinet, der suochet und 20. Ibid., 238,143-239,149 (vgl. DW I 42,6-43,6). 21. Mit Roland Barthes, Fragments d’un discours amoureux (Paris, 1977), 44, ließe sich das Bürglein als Atopos beschreiben: »Atopique, l’autre fait trembler le langage: on ne peut parler d e lui, s u r lui; tout attribute est faux, douloureux, gaffeur, gênant: l’autre est i n q u a l i f i a b l e (ce serait le vrai sense d’a t o p o s )«.

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meinet niht und der umb iht bitet, dem wirt niht. Aber der niht ensuochet noch niht enmeinet dan lûter got, dem entdecket got und gibet im allez, daz er verborgen hât in sînem götlîchen herzen, daz es im als eigen wirt, als ez gotes eigen ist, weder minner noch mêr, ob er in aleine meinet âne mitel. (Wer das Nichts sucht, dass der das Nichts findet, wem kann er das klagen? Er fand, was er suchte. Wer irgendetwas sucht oder erstrebt, der sucht und erstrebt das Nichts, und wer um irgendetwas bittet, dem wird das Nichts zu teil. Wer aber nichts sucht und nichts erstrebt als rein nur Gott, dem entdeckt und gibt Gott alles, was er verborgen hat in seinem göttlichen Herzen, auf dass es ihm ebenso zu eigen wird, wie es Gottes Eigen ist, nicht weniger und nicht mehr, dafern er nur unmittelbar nach Gott allein strebt).22 Die Aussage, nichts mit Gott zu teilen (partager), bringt notwendigerweise einen sprachlichen Widerspruch auf. Es wird etwas aufgenommen, dessen man sich im Aufnehmen entledigen muss, damit es aufgenommen werden kann. Die Sprache, die an das Universum des Seins geheftet ist, ist davon überfordert. Von daher wird das Phänomen, das Eckhart mit der Gottesgeburt identifiziert, unsagbar und unberührbar. Nichts ist damit zu vergleichen – das aber in einem buchstäblichen Sinn. Gottesgeburt ist nur an dem Ort zu erfahren, an dem man sie lassen kann. Dieser Ort qualifiziert sie sehr präzise, weil sie an ihm ausbricht: Nochdenne daz lieht, daz wærliche got ist, nime ich daz, als ez mîne sêle rüret, im ist unreht: ich sol ez nehmen in dem, dâ ez ûzbrichet. Ich enmöhte daz lieht wol gesehen, dâ ez schînet an die want, ich erkêrte denne mîn ouge dar, dâ ez ûzbrichet. Dennoch, nime ich ez, dâ ez in im selben swebende ist. Dennoch spriche ich, im ist unreht: ich sol ez nehmen weder, dâ ez rüerende ist noch ûzbrechende ist noch in im selben swebende, wan ez ist noch allez wîse. Man muoz got nehmen wîse âne wîse und wesen âne wesen, wan er enhât keine wîse. (Ja, sogar, wenn ich das Licht, das wirklich Gott ist, nehme, insofern es meine Seele berührt, so ist dem unrecht: ich muss es in dem nehmen, wo es ausbricht. Ich könnte das Licht nicht sehen, wo es auf die Wand scheint, wenn ich nicht mein Auge dahin kehrte, wo es ausbricht. Und selbst dann, wenn ich es da nehme, wo es ausbricht, muss ich auch dieses Ausbrechens 22. Eckhart, Pr. 11 (DW I 187,1-7).

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noch entledigt werden; ich muss es nehmen, so wie es in sich selbst schwebend ist. Ja, selbst dann noch, sage ich, ist es das Richtige nicht: ich muss es nehmen, wo es weder berührend noch in sich selbst schwebend ist, denn das ist alles noch Weise. Gott aber muss man nehmen als We i s e o h n e We i s e und als S e i n o h n e S e i n , denn er hat keine Weise).23 Dort, wo Gottes Licht ausbricht, wird alles verlassen, was an ein Sein bindet, ohne dass das ein aktives Verlassen des Universum des Seins wäre. Aber es ist auch nicht einfach ein passives Geschehen, weil es ja ein Sich-Einstellen darauf bedeutet. Es nimmt allen Versuchen, das Licht Gottes von anderen abzulenken und auf sich zu lenken sowie es für sich zu reservieren, den Wind aus den Segeln. Wie kann man also nichts mit Gott teilen, ohne in die Illusion des großen, alternativen Nichts zu verfallen, das nur eine andere Weise des Seins ist? Das geht wohl nur, wenn man dieses Teilen sein lässt. Der Vorgang, mit Gott nichts zu teilen, geschieht jenseits des Seins und in ihm ereignet sich ein Wachstum, dem das Subjekt zwar nicht gewachsen ist, das es zugleich aber über sich hinaus wachsen lässt. Das lässt sich mit der Eckhartschen Version der Abgeschiedenheit beschreiben. 5. Abgeschieden teilen Wer mit dem Nichts arbeitet, steht unweigerlich vor dem Problem des Nihilismus, also der Überhöhung des Nichts als der großen Alternative und als Potential, all das zunichte zu machen, was sich als scheinbar unlösbares Problem erweist oder was die eigenen Kräfte überfordert. Die Nihilismus-Problematik ergibt sich aus einer diviser-Strategie im Umgang mit dem Nichts, also seiner Abtrennung von allem anderen auf Kosten von allem anderen. Diese Strategie handelt nicht mit rein nichts, sondern mit dem Nicht als Gegensatz zu dem, was etwas ist; sie folgt der Nichtung und Vernichtung, nicht der Nichtigkeit. Gleichwohl ist diese Strategie durchaus möglich – das ist sogar ihr Grundsignum. Sie schlägt Kapital aus dem, was im Rahmen des Seins möglich ist, und wechselt das um in Vernichtungswillen, Entwertung der Werte und Ordnungen, Ressentiment gegen alles, was sich als souverän und autonom erweist. 23. Id., Pr. 71 (DW III 230,10-231,2).

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Man kann Eckhart nicht verdächtigen, eine Nihilismusstrategie im Sinn gehabt zu haben, als er darauf stieß, wie nichts zu teilen ist. Noch nicht einmal der in vielerlei Hinsicht überflüssige Prozess wegen Häresie24 hat ihn zu einem erkennbar bitteren Mann gemacht. Obwohl der Versuch gemacht wurde, ihn zu vernichten, ließ er Nihilismus nicht auf sich wirken. Aber auch intellektuell ist Eckhart von diesem Problem enthoben. Denn er kombiniert das, was rein nichts besagt, mit dem, was Abgeschiedenheit genannt wird. Jenseits der Frage danach, ob der Traktat über die Abgeschiedenheit original Eckhart ist oder eine verzerrende posthume Vertextung zentraler Thesen, die Eckhart selbst jedoch anders vertreten hat,25 möchte ich auf diesen Traktat zurückgreifen. Die noch anhaltende Debatte der Spezialisten zeigt zumindest, dass dieser Traktat verdichtet, was zuvor in der Auseinandersetzung Eckharts mit dem Sein anvisiert wurde. Die Themen Abgeschiedenheit und Nichts gehen dort eine spezifische Verbindung ein, die einen anderen als den damals normalen metaphysischen Diskurs eröffnen: Nû rüeret abegescheidenheit alsô nâhe dem nihte, daz zwischen volkomener abegescheidenheit und dem nihte kein dinc gesîn enmac (»Nun rührt [aber] Abgeschiedenheit so nahe an das Nichts, dass zwischen vollkommener Abgeschiedenheit und dem Nichts nichts sein kann«).26 Das, worum es geht, lässt sich gar nicht anders als mit den Mitteln einer Sprache formulieren, die am Universum des Seins gebildet worden ist. Es steht keine andere zur Verfügung. Aber wenn man sie anwendet, dann ergibt sich eine entschiedene Überschreitungstendenz: Nû vrâge ich hie, waz der lûtern abegescheidenheit gegenwurf sî? Dar zuo antwürte ich alsô und spriche, daz weder diz noch daz ist der lûtern abegescheidenheit gegenwurf. Si stât ûf einem blôzen nihte, und sage dir, war umbe daz ist: diu lûteriu abegescheidenheit stât ûf dem hœchsten, in dem got nâch allem sînem willen gewürken mac. (Hier frage ich nun, was der lauteren Abgeschiedenheit Gegenstand sei. Darauf antworte ich wie folgt und sage, dass weder dies noch das der lauteren Abgeschiedenheit Gegenstand ist. Sie 24. Vgl. Winfried Trusen, Der Prozeß gegen Meister Eckhart: Vorgeschichte, Verlauf und Folgen (Paderborn, 1988). 25. Vgl. dazu ausführlich E. A. Panzig, Gelâzenheit (2005), 150-9. Panzig, ibid., 159, plädiert mit einer eigenen These zum historischen Ort für den Traktat als inhaltliche »viva vox Eckhardi«. Ch. Büchner, Gottes Kreatur (2005), geht dagegen sehr vorsichtig mit dem Traktat um; er steht auch ein wenig quer zu ihrer These vom Freiheitsbewusstsein als Brennpunkt von Eckharts Denken. 26. Eckhart, VAb (DW V 405,3-5).

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steht auf einem reinen Nichts, und ich sage dir, warum das so ist: Die lautere Abgeschiedenheit steht auf dem Höchsten. Nun aber steht der auf dem Höchsten, in dem Gott nach seinem ganzen Willen wirken kann).27 Abgeschiedenheit hat keinen Gegenstand, wie auch Nichts keinen Gegenstand hat. Und schließlich ist Gott kein Gegenstand. Entsprechend können diese drei darüber kombiniert werden, dass sie eines jeglichen Gegenstandes los sind. In der Abgeschiedenheit wird nichts geteilt – aber im Sinn des partager. Entsprechend ist das ›rein nichts‹, auf dem sie steht und von dem aus sie argumentiert werden kann, ein Ort, Gott zu erfahren. Hier ist das mit ihm zu teilen, was in der Gottesgeburt der Kreatur zum Ausdruck kommt. Abgeschiedensein kann niemals ein Seinszustand sein und erfordert deshalb von allem und jedem, der über diese Kombination von Gott, Nichts und Abgeschiedenheit verfügt, das Sein zu überschreiten. Das ist aber letztlich allein ein Prädikat für Gott.28 Deshalb kann nur Gott das vollends zur Wirklichkeit bringen, was abgeschieden sein soll: Nû ist abegescheidenheit dem nihte alsô nâhe, daz kein dinc sô kleinvüege enist, daz ez sich enthalten müge in abegescheidenheit dan got aleine. Der ist alsô einvaltic und alsô kleinvüege, daz er sich in dem abegescheidenen herzen wol enthalten mac. Dâ von ist abegescheidenheit nihtes enpfenclich dan gotes. (Nun [aber] ist die Abgeschiedenheit dem Nichts so nahe, dass nichts so fein [subtil] ist, dass es sich in der Abgeschiedenheit halten könnte, als Gott allein. [Nur] der ist so einfaltig und so feinfügig, dass er sich in dem abgeschiedenen Herzen wohl halten kann. Daher ist Abgeschiedenheit für nichts empfänglich als für Gott).29 Was wächst bei diesem Teilen der Abgeschiedenheit? Meine Ausgangshypothese besagt ja, dass ein Teilen im Modus des partager eine Wechselseitigkeit erzeugt, in der etwas wächst, was ohne dieses Teilen nicht möglich ist. Nimmt man das Zitat ernst, dann ist es Gott, der dabei wächst. In der Abgeschiedenheit wird ein Ort betreten, an dem ein Teilungsgeschehen mit Gott möglich ist, das die Einheit und Einfalt mit 27. Ibid. (423,1-5). 28. E. A. Panzig, Gelâzenheit (2005), 113, nennt die Abgeschiedenheit »die eigentliche Seinsweise Gottes«. 29. Eckhart, VAb (DW V 404,1-7).

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Gott ermöglicht. Das ist ein Wachstum – auf jeden Fall über das Sein hinaus, aber zugleich in Gott hinein. Gott kann wachsen, was keine Aussage ist über den Seinsgehalt Gottes, wohl aber über den Nichts-Anteil Gottes. Gott wächst und das ›rein nichts‹ wird umso reiner, je mehr sich an Abgeschiedenheit einstellt. Sie ist daher nicht einfach ein Weg zu Gott, sondern ein Nicht-Weg aus dem Sein, auf dem sich Gott einstellt und das wächst, was seine Wirklichkeit ausmacht. Die von der ›Bochumer Schule‹ aufgemachte diviser-Strategie zwischen Mystik und Philosophie in der Eckhart-Interpretation30 ist entsprechend künstlich; sie übergeht diesen Wachstumsaspekt. Das Denken der Wirklichkeit ist selbst eine Erfahrung, die den Selbstbezug des Bewusstseins über seine Grenzen führt und deshalb die gängige Philosophie radikal verändert. Sie wird nicht zu einer mystischen Philosophie, aber der bemühte Gegensatz zur Mystik, der in der Interpretationsvariante der ›Bochumer Schule‹ die Grammatik der Interpretation bestimmt, wird aufgelöst. Eine Philosophie, die die Rationalität in der Eckhartschen Mystik ablehnt oder nicht beachtet, schädigt sich als Philosophie. Ähnliches gilt von der Theologie. Die Stringenz des Abgeschiedenheitsarguments von Eckhart nötigt sie, im elementaren Bereich ihrer Wissensform umzudenken. Entsprechend sagt der Traktat über die Abgeschiedenheit auch, dass Abgeschiedenheit klassische theologische Tugenden wie Liebe, Demut und Barmherzigkeit übertrifft. Sie sind nun einmal nicht Gott, sondern Haltungen, die für eine Gottesbegegnung förderlich sind. Das, was Abgeschiedenheit ihnen voraus hat, ist jenes ›rein nichts‹, das Gott in ihr mit allem und jedem teilt, wer oder was in sie eintritt. Allein in der Abgeschiedenheit fehlt buchstäblich nichts, welches das Bindeglied mit Gott jenseits des Seins ist: wenne ich alle tugende anesihe, sô envinde ich keine sô gar âne gebresten und ze gote zuovüegic, als abegescheidenheit ist (»Wenn ich alle Tugenden ansehe, so finde ich keine so ohne Makel und so Gott verbindend, wie es die Abgeschiedenheit ist«).31 Sie verhindert beim Menschen jede ablenkende Fokussierung auf alle nur möglichen zupackenden positiven wie negativen Ohnmachtserfahrung und führt ihn deshalb vielmehr in die größte Identifizierung mit Gott. Diese Identifizierung gehört zu Gottes eigener Abgeschiedenheit, 30. Vgl. dazu E. A. Panzig, Gelâzenheit (2005), 17-24 und 34-7. 31. Eckhart, VAb (DW V 410,4-6).

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die seine Eigenschaften in sich birgt, und sie ist zugleich die kreatürliche Aufgabe eines jeden Menschen: wan daz der geist alsô unbewegelich stande gegen allen zuovellen liebes und leides, êren, schanden und lasters als ein blîgîn berc unbewegelich ist gegen einem kleinen winde. Disiu unbewegelîchiu abegescheidenheit bringet den menschen in die grœste glîcheit mit gote. Wan daz got ist got, daz hât er von sîner unbeweglîchen abegescheidenheit, und von der abgescheidenheit hât er sîne lûterkeit und sîne einvalticheit und sîne unwandelbærkeit. Und dâ von, sol der mensche gote glîch werden, als verre als ein crêatûre glîcheit mit gote gehaben mac, daz muoz geschehen mit abegescheidenheit. (als dass der Geist so unbeweglich stehe gegenüber allen anfallenden Lieb und Leid, Ehren, Schanden und Schmähung, wie ein bleierner Berg unbeweglich ist gegenüber einem schwachen Winde. Diese unbewegliche Abgeschiedenheit bringt den Menschen in die größte Gleichheit mit Gott. Denn dass Gott Gott ist, das hat er von seiner unbeweglichen Abgeschiedenheit, und von der Abgeschiedenheit hat er seine Lauterkeit und seine Einfaltigkeit und seine Unwandelbarkeit. Und daher, soll der Mensch Gott gleich werden, soweit eine Kreatur Gleichheit mit Gott haben kann, so muss das geschehen durch Abgeschiedenheit).32 Wenn so radikal jenseits des Seins gedacht wird, dass keine natürlichen oder übernatürlichen Tugenden etwas bewirken können, und wenn die Abgeschiedenheit als ein Teilen Gottes durch Nichts da steht, dann stellt sich dennoch erneut theologisch die Nihilismusfrage. Wird hier Gott als bloß nichts eingeführt, auf den leicht zu verzichten ist, weil Gott erst jenseits jeglichen Seins ein ernst zu nehmendes Thema darstellt? Ist das Eckhartsche Reden von der Abgeschiedenheit ein esoterisches und/oder hermetisches Denken, das Theologie als rational verantwortete Rede von Gott in einen geheimnisvollen, aber doch belanglosen Wirklichkeitsbereich führt, über den zu sprechen eben doch für nichts wirklich bedeutsam ist? 6. Nichts und Sein teilen. Denken jenseits binärer Codierung In der Abgeschiedenheit wird mit Gott nichts geteilt, weshalb sie den exemplarischen Ort der Gottesgegenwart eines Menschen verkörpert. In 32. Ibid. (412,1-8).

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ihr wird überstiegen, was der eigenen Seinsmächtigkeit möglich ist und was sich in einem Subjektbewusstsein niederschlägt. Eine Philosophie, die sich der Abgeschiedenheit bedient, kann entsprechend auch keine Philosophie über die Ermächtigung des Subjekts sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie keine Aufklärungsdimension hat. Schließlich ist sie ein abklärendes Denken über das Sein des Subjekts und diesem Denken kommt Aufklärungsqualität zu. Es relativiert das menschliche Subjekt in seiner Bereitschaft, des Seins mächtig zu werden, das es begreifen und ergreifen kann. Das löst die Dignität des Subjektes nicht auf,33 vielmehr entlastet es von den Machtgehalten, die dessen zentrale Stellung im Erkenntnisprozess unweigerlich mit sich bringt. Es erhält keine potestas der Selbstbehauptung, wohl aber auctoritas der Konfrontation mit allem, was es gibt. Diese Konfrontation ist ein Teilungsphänomen des partager, nicht des diviser. Sie findet nicht konfrontativ statt, sondern gelassen. Eine solche Gelassenheit nimmt die Relativierung des Subjekts im Sein nicht einfach nur hin, sie erzeugt vielmehr Alternativen zur Seinsmächtigkeit, sich als einzigartig zu behaupten. Statt der Singularität entsteht eine einzigartige Fähigkeit, nichts zu teilen. Sie ist einzigartig, weil so jedes abgeschlossene Sein zu überschreiten ist.34 Was immer dem Subjekt geschieht, kann nicht vermieden werden und ist doch zugleich etwas, was zu überschreiten möglich ist. 33. Siehe dazu Dietmar Mieth, »Meister Eckhart: The Power of Inner Liberation«, in: F. F. Segovia (Hg.), Toward a New Heaven and a New Earth: Essays in honor of Elisabeth Schüssler Fiorenza (Maryknoll, 2003), 314-33. 34. Das führt dann in einen Wirklichkeitsbereich jenseits der numerischen Verrechenbarkeit. Die Sprache der einzigartigen Zahl greift hier nicht mehr, weder für das Subjekt noch für Gott. Von daher wird auch der Gegensatz bedeutungslos, für den Markus Enders, »Deus unus est: Meister Eckharts Philosophie der Einheit und ihr intellekttheoretisches Fundament«, in: J. Brachtendorf und S. Herberg (Hgg.), Einheit und Vielheit als metaphysisches Problem (Tübingen, 2011), 109-35, hier 120, von Eckhart aus gegen die relativierenden postmodernen Philosophien streitet: »Aus Eckharts Sicht würde sich diese Position als der größte Abfall im Denken, als größtmögliche mentale Verirrung darstellen, die zur Annihilation aller Vielheit und damit aller Wirklichkeit führt. Denn die Vielheit kann nach ihr vor dem Nichts nur gerettet werden durch das Eine selbst. Wer dieses negiert, hebt daher sich selbst und alles Viele intentional auf«. Wenn man schon für Gott eine Zahl anbringen will, dann sollte man den kulturgeschichtlich bedeutsamen Umstand bedenken, dass das christliche Abendland nicht über die Null verfügte. Selbst Leonardo Fibonacci († nach 1241), der das arabische Zahlensystem, welches mit der Null arbeitet, in Italien einführte, räumte der Null nicht denselben Stellenwert wie den Zahlen ein; er nannte sie Zeichen und nicht Zahl. Schon von daher ist es problematisch, mit größter Selbstverständlichkeit die Eckhartsche Position von deus unus est mit der numerischen eins zu identifizieren, wie es hier bei Enders geschieht. Womöglich ist für die Übertragung in heutige Diskurse die Null die einschlägigere Zahl für Gott.

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Wenn Eckhart im Sohnesprozess des Erkennens eine Gottesidentifizierung vornimmt, dann ereignet sich diese Überschreitung. Wer fähig ist, ›rein nichts‹ zu teilen, kann alles, was Sein ist, relativieren, gerade weil es unausweichlich ist. Denn was immer einem Subjekt an Sein geschieht, kann jeweils auch ganz anders sein, wenn darin das Nichts geteilt wird.35 Das teilt nicht von Gott ab, das Subjekt wird im Sein nicht von Gott verlassen. Entsprechend führt die eigene Relativität als ›rein nichts‹ zur Relativierung von allem, was diese Relativität absolut setzen will. Dazu gehören insbesondere binäre Codierungen von Sein und Nichts, Subjekt und Objekt, Macht und Ohnmacht, Gott und Mensch, die zwingen, ebenso menschliche Subjektivität wie Gott auf einer der beiden Seiten zu fixieren. Diese Codierungen werden gelassen mit rein nichts geteilt und dabei wird ihre Macht abgeschieden.36 Diese radikal vollzogene Relativierung ist zugleich ein existentiell bedeutsamer Standpunkt im Verhältnis zu allen möglichen bedrängenden Mächten und Gewalten, die zugleich unausweichlich sind und in binäre Codierungen zwingen wie etwa Tod, Schuld, Krieg, Katastrophen. Sie werden allesamt in ihrem Zugriff auf das menschliche Leben relativiert. Diese Widerständigkeit eines abgeschiedenen Lebens entsteht in der Fähigkeit, jedes Sein mit Nichts zu teilen. Sie wächst in diesem partager-Prozess.

35. Ricardo Baeza, Die Topologie des Ursprungs: Der Begriff der Gelassenheit bei Eckhart und Heidegger und seine Entfaltung in der abendländischen Mystik und im zeitgenössischen Denken (Münster, 2009), sieht darin ein Ursprungsdenken, das sich von Eckhart aus durch das abendländische Denken zieht (u.a. Tauler, Böhme, Nietzsche, Ueda, Heidegger) und kongenial zur ›Kyoto-Schule‹ steht. Es ist ein »anders Denken« (ibid., 143-8), das Substanzialität auflöst und an die Ursprünglichkeit im reinsten Sinn des Wortes führt, weil es »versucht, den Ursprung innerhalb seiner Entfaltung selbst kennenzulernen« (ibid., 143). Es kann aber auch gefragt werden, ob ein anders Denken überhaupt ein Ursprungsgeschehen sein kann. Baeza betrachtet die Entfaltung des Ursprungs als einen Ort des Superlativs – der »Erfassung des Ursprünglichsten« als »größte Aufgabe der Philosophie« (ibid., 148). Verliert sich damit die Relativität nicht wieder, die die Gelassenheit einführt? 36. Vgl. Bernard McGinn, Die Mystik im Abendland, Bd. 4: Fülle: Die Mystik im mittelalterlichen Deutschland (1300-1500), übersetzt von B. Schellenberger (Freiburg i.Br./Basel/Wien, 2008), 213: »Meister Eckhart dürfte der eindeutigste Vertreter dessen sein, was man als mystische Identität bezeichnen kann, das heißt als ein Einssein, bei dem zumindest auf einer bestimmten Ebene alle Dualität vergeht. Für ihn und einige Verfasser der unter seinem Einfluss geschriebenen anonymen mystischen Predigten und Traktate war das Ziel des christlichen Lebens die unitas indistinctionis, in der es überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen Gott und Mensch gibt: ›Gottes Grund und der Seele Grund ist e i n Grund‹«. (erstmals engl.: The Presence of God: A History of Western Christian Mysticism, vol. 4: The Harvest of Mysticism in Medieval Germany [1300-1500] [New York, 2005], 120).

Wirklich wahr! Aber wie mit der Wahrheit etwas anfangen? Eine fundamentaltheologische Annäherung an Meister Eckhart, allenfalls! Jürgen Werbick, Münster

Abstract In discussion with the author Andreas Maier this article attempts an approach to Meister Eckhart from a fundamental-theological perspective and focusses on a „phenomenology“ of truth: truth that begins with itself within a person and makes a person, who offers it room, to its own reality. If – and because – God is this truth, he seeks to be born in the soul of man, to live in him as in his temple (his own), and to create his reality in the world in and through mankind. He begins the believing person and begins himself in the believing person, and he seeks to be allowed to begin himself within all our beginnings – and so to begin the truth. Thus, the legitimacy of a theology seems to be disputed, which considers faith’s claim to truth and aims to communicate this claim as far as possible (if not to catch up with it). Precise analysis shows that in theology the following two dynamics cross each other without cancelling each other: the dynamics of immediateness, where the divine truth is born in a person and claims him as its place of birth, as well as the dynamics of mediation through linguistic arguments, which helps to notice the richness of the gift and to realize the divine-human right of its claim to truth. As God claims man as a witness of truth, theologians are challenged to give witness to the persuasive power of what has begotten in them – by means of discursive reasoning. 1. Etwas damit anfangen können

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amit kann ich wirklich etwas anfangen: Wie freut man sich als akademischer Lehrer, wenn man das zu hören bekommt. Und wie deprimiert ist man, wenn mir jemand ins Gesicht sagt: Mit dem, was Sie

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gesagt haben, konnte ich nicht das Geringste anfangen. Ist die erste Enttäuschung überwunden, frage ich mich, warum mir der Zuhörer das ins Gesicht gesagt und nicht in stiller Enttäuschung mit nach Hause genommen hat. Was soll ich damit anfangen? Soll ich Demut lernen, oder eine bessere Didaktik? Oder soll ich mir eingestehen, dass ich eben wenig zu sagen habe, wo andere, größere Geister längst das Entscheidende gesagt haben? Vielleicht war es auch nur jemand vom Opus Dei, der gelernt hat, wie man unliebsame Theologen treffsicher verletzt. Unerfreulich, ganz unangenehm. Was soll ich nur damit anfangen? Viel netter, wenn jemand etwas mit dem anfangen konnte, was ich gerade sagte. Wenn etwa Sie jetzt etwas mit dem anfangen könnten, was ich dabei bin zu schreiben. Aber was werden Sie damit anfangen? Würde ich darüber glücklich sein, wenn ich es wüsste? Mitunter erfährt man es: Was Sie da gesagt haben – ich könnte es ja nicht so schön sagen. Ich erkenne darin genau das wieder, was ich mir schon seit Jahren denke. Und jetzt sagt’s mal jemand. Nun höre ich geduldig zu, was sich mein Gesprächspartner schon seit Jahren gedacht hat und was er nun in meinen Worten ausgesprochen findet. Mir wird ganz blümerant. Was hat er nur mit dem angefangen, was ich gesagt habe, sagen wollte. Ziemlich unangenehm, aber natürlich mache ich gute Miene zu diesem für mich prekären Spiel. Und außerdem: Wer und was gäbe mir das Recht, darüber zu urteilen, was die Leute mit mir und mit dem, was ich gesagt habe, anfangen können – was sie daraus f ü r s i c h m a c h e n ? Es gehört mir ja nicht, Urheberrecht hin oder her. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Und eigentlich habe ich auch nicht das Recht dazu. Etwas damit anfangen können: mein Ding, meine Geschichte, meine Selbstbestätigungsstrategie? Und wenn schon. Soviel Demut muss sein: Ich kann nicht darüber entscheiden, was die Menschen m i t m i r anfangen dürfen. Aber ich freue mich natürlich darüber, wenn sie es wirklich mit mir anfangen, wenn wir es m i t e i n a n d e r anfangen. Ich kann und will etwas mit dir anfangen: einen Weg, eine Geschichte, eine Freundschaft – weil du so bist, wie du bist! Wie schön – und wie riskant. Auch jetzt habe ich es nicht in der Hand, was aus mir, aus uns wird, die wir etwas miteinander anfangen. Und wir beide wissen nicht wirklich, was wir da anfangen, wie es enden, vielleicht auch sich vollenden wird – ob es gut sein wird und wir gut heißen werden, dass wir jetzt etwas miteinander anfangen können.

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Etwas – damit – anfangen können. Aber was wird daraus werden? Da mag man sich als Herr des Anfangs vorkommen: I c h kann etwas damit anfangen! Und wie ist es mit dem, mit dem etwas angefangen wird? Er hat keine Rechte mehr, nur Hoffnungen. Und wenn wir miteinander etwas anfangen (können)? Dann teilen wir unsere Hoffnung. Und das, was daraus wird. Herrschaftlich etwas anfangen – und angefangen werden: Irgendwo dazwischen können wir Menschen etwas anfangen. Und Gott, wie kann er etwas mit uns anfangen? Er, der die Wahrheit ist? Dass Er die Wahrheit ist, das ist fast schon ein Pleonasmus, hat der Dichter A n d r e a s M a i e r gesagt.1 Das ist das Mindeste, was man sagen muss, so selbstverständlich ist es. Wenn Gott ist, so ist er die Wahrheit. Wie also kann die Wahrheit etwas mit uns anfangen? Das klingt nun aber allzu esoterisch. Sollten wir nicht doch andersherum, ›menschlicher‹ fragen: Wie fängt man mit der Wahrheit etwas an? 2. Mit der Wahrheit etwas anfangen? Wie phantasielos, die Hauptüberschrift dieser Überlegungen einfach nur zu wiederholen – und ein Fragezeichen dahinter zu setzen! Aber zur Phantasie ist ein Theologe nicht verpflichtet. Vielleicht würde sie seine Texte unterhaltsamer machen und schmücken. Aber verzeihen Sie mir jetzt meine Phantasielosigkeit. Ich will nur etwas ganz Einfaches sagen, das keinen Schmuck braucht und verträgt: Mit der Wahrheit kann man nichts anfangen. Sie verhagelt alle geschönten Bilanzen. Sie sperrt sich dagegen, dass man zupackend sagt: Ja, genau, das ist doch das, was ich immer schon sagen wollte! Sie verschwindet, verdampft spurlos, wenn man s e i n D i n g mit ihr machen will. Mit der Wahrheit kann man keinen Wahlkampf machen. Kann man mit ihr Theologie machen? Vielleicht kann man und sollte man theologisch klären, was man unter dem Term Wa h r h e i t zu verstehen hat. Aber das heißt ja noch lange nicht, dass man dieser Aufgabe gewachsen wäre – oder dass man mit der Wahrheit etwas anfangen könnte. So ganz stimmt das vielleicht doch nicht, dass man mit der Wahrheit nichts anfangen kann. Wenn man in einer mühseligen Therapie sich selbst und den eigenen Verdrängungen, dem Wegschieben und dem 1. Andreas Maier, Ich: Frankfurter Poetikvorlesungen (Frankfurt a.M., 2006), 94.

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mehr oder weniger aufgezwungenen Vergessen auf die Spur kommt; wenn sich das zuvor Zugedeckte ein klein wenig zeigt oder auch nur erahnen lässt und wir es wahrnehmen, dann kann es schon sein, dass da Neues und Gutes anfangen kann – so sehr man sich auch wieder darüber täuschen mag, was da anfängt. Mit der Wahrheit etwas anfangen; in Wirklichkeit eben doch: etwas mit sich anfangen lassen dadurch, dass man anfängt, sich ihr auszusetzen. Ist es nicht so, wenn es ganz gut geht? Erst mit dieser Frage wird dieser Text eine einigermaßen wissenschaftliche Untersuchung, von der ich hoffe, dass sie gleichwohl nicht aufhört, die einfachsten Fragen der Welt zu stellen. Es ist – so die erste These – ganz einfach und geradezu unwidersprechlich so, dass über mich die Herrschaft gewinnt, wovon ich sagen muss, dass es wahr ist. Da mag man einer Consensus-Theorie der Wahrheit zutrauen, soviel man will.2 Wahrheit wird nicht dadurch zur Wahrheit, dass man ihr zustimmt. Eher andersherum: Man kann, ja eigentlich: man muss ihr zustimmen, weil sie Zustimmung verlangt. Verlangt sie nur Zustimmung? Sie verlangt, dass wir uns nach ihr richten. Wenn sie die Gestalt von offenkundig zutreffenden Behauptungen annimmt, wäre es töricht, sich nicht nach ihr zu richten. Wer sich nicht nach ihr richten will, darf sich nicht wundern, wenn es nichts wird mit dem, was er unter Nichtbeachtung zutreffender Behauptungen anzufangen gedenkt. Aber damit sind wir natürlich noch nicht bei dem, was der bekannt phantasielose Theologe geltend machen will. Wahrheit verlangt, dass man sich nach ihr richtet, ihr Recht gibt gegen die eigene Neigung, sie nicht gelten zu lassen. Soweit sie sich mit ihrem Verlangen bei uns durchsetzen kann, fängt sie mit uns etwas an; s i c h an. Das klingt in Philosophenohren nicht gut. So als wäre die Wahrheit ein Agens, ein Subjekt gar. Solche Personalisierungen klingen gar nicht gut, riechen und klingen nach Mythologisierung, nach Heideggerei. Und dabei ist doch ganz nah bei den elementarsten Erfahrung und den ganz einfachen Fragen, was ich da sage. Ich mache die Erfahrung, dass ich mich drücke, ausweiche, wenn ich mich nicht nach dem richte, wovon 2. Vgl. Jürgen Habermas, »Wahrheitstheorien«, in: H. Fahrenbach (Hg.), Wirklichkeit und Reflexion: Walter Schulz zum 60. Geburtstag (Pfullingen, 1973), 211-65. Dass damit auch für Habermas nicht das letzte Wahrheits-theoretische Wort gesagt ist, mag man sich an seinen Texten in: Id., Wahrheit und Rechtfertigung: Philosophische Aufsätze, erweiterte Ausgabe (Frankfurt a.M., 2004), vergegenwärtigen.

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ich zugestehen müsste, dass es wahr ist. Und wenn ich nur ein klein wenig übers Ausweichen und Mich-Drücken hinauskomme – wann schon? – merke oder ahne ich, dass ich nicht mehr ganz Herr des Verfahrens bin; nicht mehr Herr im eigenen Haus. Da wohnt etwas in mir, was mit mir das Wahrwerden anfangen will; die Wahrheit eben, Spuren davon, Samen, wenn man so will, Worte, denen ich nur mit schlechtem Wahrheitsgewissen widersprechen kann. Was fängt da mit mir an? Das Wahrwerden, habe ich zu sagen versucht. Wahrheit verpflichtet zum Wahrwerden. Deshalb kann man so schwer etwas mit ihr anfangen. Man muss ihr zugestehen, dass sie mit mir sich selbst anfängt, dass sie sich selbst in und mit mir realisiert, so dass ich von ihr mitgenommen werde auf dem Weg des Wahrwerdens. 3. Wahr werden? Das ist kaum vorstellbar, dass die Wahrheit etwas mit mir anfängt, wenn ich mit ihr nichts anfangen kann; dass sie mich mitnimmt auf dem Weg des Wahrwerdens, auf dem sie mein Wahrwerden herbeiführte und tatsächlich meine Wahrheit würde. Womit ich nichts anfangen kann, das kann doch mit mir nichts anfangen: Wer sich der Wahrheit seines Lebens verschließt, einer Wahrheit etwa, die mich in meinem Kleinmut und meinem Davonkommenwollen entlarvt, wie sollte der von dieser Wahrheit auf den Weg seines Wahrwerdens mitgenommen werden können? Ja, wenn die Wahrheit attraktiv wäre, anziehend, wie von selbst meine Zustimmung und mein Mitgehen hervorriefe! Aber was sind das für Wahrheiten, die wie von selbst angenommen werden? Es sind die angenehmen Wahrheiten,3 denen doch kein ernsthafter Mensch Kredit gäbe. Wahrheit muss weh tun, Nein zu mir sagen, mich meiner Verleugnungen und Verdrängungen überführen. Wahrheit, die den Namen verdient, muss mich zur Um k e h r bringen. Schon im wissenschaftlichen Betrieb ist das so: Man kommt der Wahrheit – vielleicht – näher, wenn man seine Überzeugungen auf die Probe stellt und ernsthaft ihre Widerlegung riskiert, geradewegs froh ist, wenn man sie revidieren muss. Und erst im ethischen Bereich: Seit Kant kennt man den schmerzlichen Widerspruch 3. Vgl. Wladimir Solowjew, Kurze Erzählung vom Antichrist, in: Deutsche Gesamtausgabe, hg. von L. Müller, Bd. 8 (München, 1979), 259-94, hier 270: »[…] um a n g e n o m m e n zu werden, dazu muss man a n g e n e h m sein«.

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zwischen Neigung und Pflicht, dem, was man gern tut, und dem, was vernünftigerweise getan werden muss, damit es besser, wahrer wird. Das Gute und Wahre als Forderung an mich, die mir zugleich offenbart, wie ich hinter ihr zurückbleibe, mich gegen sie wehre, weil ich sie anerkennen muss, weil sie mir aufdeckt, dass ich nicht wahr werden will – weil es mich zuviel kosten würde. Anders wäre es mit dem Wahren als H e r a u s forderung; Herausforderung nicht in der Reklamebedeutung, die den metaphorischen Hintersinn des Wortes tagtäglich ausbeutet und ums Leben bringt: Als neugewählter Politiker nimmt man die Herausforderung an; oder als mittelprächtiger Skifahrer die Herausforderung einer neuen Generation von Abfahrtsskis. Klar, wir sind der selbst gewählten oder uns zugefallenen Herausforderung gewachsen: mit männlichem Dreitage-Bart und verwegenem Blick, die wohlwollend-aufmerksam gewordenen Augen der schönsten Frauen auf uns gerichtet. Herausforderungen, denen man gewachsen ist. An denen man wächst? Die uns mitnehmen? Ich rede von der Herausforderung zum Wahrwerden, die man daran erkennt, dass man ihr eigentlich nicht ausweichen darf. Sie trifft uns so unabwendbar in unserem Innersten, dass man sich ihr nur öffnen oder eben vor ihr verschließen kann. E m m a n u e l L é v i n a s spricht vom Antlitz des Anderen (der Anderen): reines Angesprochen- und Aufgefordertsein, zu antworten, mit mir selbst zu antworten.4 Die Fo r d e r u n g mag hier zuerst sprechen – Lévinas rückt sie in den Blick: Missachte mich nicht! Würdige mich, nicht nur als Mittel zum Zweck! Aber wie viel Schönheit und Verheißung kann sich diesem Anblick aufschließen; Schönheit und die Verheißung eines Geschenks, das ich empfangen darf und für das ich da sein dürfte. In meinem Leben mag es so gekommen sein, dass ich es nicht annehmen darf, weil das Annehmen zerstörerisch wäre; vielleicht auch, weil das Geschenk nicht für mich bestimmt ist. Aus dieser Tragik sind die großen Dramen gewoben. Aber wenn es doch anders wäre, wenn das Geschenk doch dazu da wäre, mich zum Wahrwerden, und das heißt: auf Leben und Tod – zum Leben – herauszufordern, dann nimmt es mich in Anspruch. Und wenn es zum Äußersten und zum Besten kommt, dann erschließt sich mir in diesem Geschenk 4. Vgl. etwa: Emmanuel Lévinas, Die Spur des Anderen: Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, übersetzt, hg. und eingeleitet von W. N. Krewani (Freiburg i. Br./München, 3 1992), 209-35.

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jene unendlich verheißungsvolle Lebensperspektive, in die mich hineinzuwagen mir das Leben öffnet und mich frei macht: frei dazu, der zu werden, der ich zuinnerst bin und werden soll, werden will. Das macht den ›Sinn‹ dieser äußersten Herausforderung aus, die mir da widerfährt und ja zugleich in mir g e b o r e n wird, wenn ich sie empfangen habe: Ich werde ergriffen von dem, was ich nicht nur soll, sondern s e l b s t zuinnerst will – was in mir mich selbst will. Und erst darin weiß ich, was es heißt, ein Selbst zu sein, Selbst-Bewusstsein zu haben, um mit S ø r e n K i e r k e g a a r d zu sprechen. Zu mir selbst herausgefordert zu sein, dazu, mich selbst zu ergreifen, da ich mir geschenkt werde und ich in diesem Geschenk mich selbst finden kann; frei zu werden von allen falschen Rücksichten auf Vorteile und Nachteile, frei für das, worin ich auflebe, ebenso leben soll wie leben will: Darin geschieht die Freiheit, die aus der Wahrheit kommt. 4. Frei machende Wahrheit Die Wahrheit soll euch frei machen, wahr machen, was genau das Gleiche ist. Das ist offenkundig biblisch geredet, johanneisch (vgl. Joh 8,32). Und hier ist es »der Sohn«, der die Menschen zu »wirklich Freien« macht (vgl. Joh 8,36); er, der Wahrheitsweg, die Wahrheits-Herausforderung zum Leben in Person (Joh 14,6); er, für Christen die Fleisch gewordene, schlechthin verheißungsvolle Thora-Herausforderung. Für andere mag das allzu steil und unbegründet geredet sein. Warum gerade er; warum gerade in ihm? Ich will jetzt nicht zu begründen anfangen, so wichtig das sein mag, damit vernünftig entschieden werden kann, ob ich diesem Geschenk, dieser Verheißung gehören soll und gehören will – oder ob sie mich zuletzt doch verführt. Jetzt also keine Begründung, sondern bloß noch Auslegung: was da als Wahrheit geschieht, w e n n es geschieht. Die Wahrheit wird mir h e r a u s fordernd, weil sie mir anziehend und verheißungsvoll geworden ist, so dass ich mich – wenn es gut mit mir geht – ihr anvertraue, mich von ihr mitnehmen und verwandeln lasse: Exodus-Wahrheit, die mich auf den Weg in Gottes gute Herrschaft bringt. Das geschieht den Christen, wenn sie Christus-Gläubige sind, in Jesus Christus durch den heiligen Geist in Gott, den ursprünglich Vollendenden und vollendend Ursprünglichen, hinein. Es ist womöglich genau das, was das Christsein

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ausmacht: Dass das ums Wahrwerden willen Gesollte mir anziehend und überzeugend und so zur innersten verwandelnden Wirklichkeit werden kann, zuinnerst in Gott hinein verwandelnd, mein Sollen in mein innerstes Wollen hinein verwandelnd. Der Anweg zu M e i s t e r E c k h a r t hat sich lange angedeutet, die vorsichtige, vielleicht allzu umwegige Annäherung. Von der Gottesgeburt in der Seele war die ganze Zeit schon die Rede, von einer Gottesgeburt wie Feuer: Daz viur verwandelt in sich, swaz im zuogevüeget wird und wirt sîn natûre. Daz holz daz verwandelt daz viur in sich niht, mêr: daz viur verwandelt daz holz in sich. Alsô werden wir in got verwandelt, daz wir in bekennen suln, als er ist. (Das Feuer verwandelt in sich, was ihm zugeführt wird, und dies wird zu seiner Natur. Nicht das Holz verwandelt das Feuer in sich, vielmehr verwandelt das Feuer das Holz in sich. So auch werden wir in Gott verwandelt, so dass wir ihn erkennen, wie er ist [1 Joh 3,2]).5 Feuer und Erkenntnis: die Erkenntnis des Wahren verwandelt in das, was sie erkennt. Das Feuer der Erkenntnis aber hat Er in uns entzündet, da Er in uns geboren wird, mich als seinen Sohn gebiert; oder vielmehr: er gebirt mich niht aleine sînen sun, mêr: er gebirt mich sich und sich mich und mich sin wesen und sin natûre. In dem innersten quelle dâ quille ich ûz in dem heiligen geiste, dâ ist éin leben und éin wesen und éin werk. (Er gebiert mich nicht allein als seinen Sohn; er gebiert mich als sich und sich als mich und mich als sein Sein und seine Natur. Im innersten Quell, da quelle ich aus im Heiligen Geist; da ist e i n Leben und e i n Sein und e i n Werk).6 Das sind die so anfechtbaren Formeln, die Meister Eckhart kirchlich verdächtig gemacht haben. Vielleicht kann man sich ihnen auf unverdächtigem Weg wenigstens annähern. E i n Wirken, Gott und Mensch, die das Eine wirken, darin wirkt sich die Gottesgeburt aus, in jenem Quelle-Werden und Quelle-Sein der Gottesgegenwart, aus dem sich der Mensch zuinnerst empfängt, er selbst wird und neben-absichtslos über 5. Eckhart, Pr. 6 (DW I 114,5-115,2). 6. Ibid. (109,9-11).

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sich hinaus›quillt‹. Sich so in Wahrheit selbst gegeben werden, dass man sich selbst weiterschenken kann: So wird Gott im Menschen geboren; so wird der Mensch in Gott neu geboren zur Wahrheit in Freiheit: »Dann wird Gott in uns geboren, wenn alle Kräfte unserer Seele, die zuvor gebunden und gefangen waren, ledig und frei werden und in uns ein Stillschweigen aller Absicht eintritt […]«.7 Zuinnerst frei wird der Mensch, wenn er nicht mehr von Äußerem – von einem selbstgewählten Warum seines Handelns und Daseins – abhängig ist. Nichts Äußerliches soll zum Handeln anstoßen, selbst wenn es Gott selbst wäre. Aber Gott wird den Menschen inwendic anerüeren in dem innigesten der sêle (»i n w e n d i g im Innersten der Seele anstoßen«)8, so dass er aus diesem Innersten wahrhaft, aus seinem wahren Sein, in Ewigkeit lebt. Es gilt ihm die Mahnung, mit der Eckhart diese Predigt abschließt: Dar umbe kêre dich von allen dingen und nim dich blôz in wesene; wan swaz ûzwendic wesene ist, daz ist zuoval, und alle zuovelle machent warumbe (»Darum kehre dich von allem, und nimm dich rein im Sein; denn was außerhalb des Seins ist, das ist ›Akzidens‹, und alle ›Akzidentien‹ stiften ein Warum«).9 Zufälle: mir fällt etwas zu, das mich durch falsche Rücksichten bindet, durch ein Worumwillen, bei dem ich a u ß e r m i r bin: nicht in meinem Geborenwerden aus der Wahrheit und ins Wahrwerden hinein. Ich handle um eines äußeren Grundes willen: um etwas zu erreichen oder abzuwenden. Dieses Warum gilt es einzuschmelzen in das ›Ohne Warum‹,10 in die reine Gotteswirklichkeit, die sich selbst Grund und Ziel ist und – wenn sie im Menschen Wirklichkeit wird – diesen teilhaben 7. Eckhart, Pr. 39, zitiert nach der Übersetzung von Josef Quint (Hg.), Meister Eckehart: Deutsche Predigten und Traktate (München, 51978), 269 (= Pr. 25). In seiner kritischen Ausgabe der Predigt hat Quint diese Passage jedoch als eine Interpolation erkannt, die nicht zum ursprünglichen Text der Predigt gehört, und daher ausgelassen; vgl. DW II (263, Anm. 3). Der mittelhochdeutschen Text nach der Edition von Franz Pfeiffer, Pr. LIX (191,9-11 Pfeiffer): [...] danne wirt got in uns geborn, sô alle unser sêlen krefte, die ê gebunden wâren unde gevangen wâren, lidic unde frî werdent und in uns ein stilleswîgen wirt aller meine [...]. 8. Vgl. Eckhart, Pr. 39 (DW II 259,7). 9. Ibid. (266,2-4). 10. Vgl. Eckhart, Pr. 5b (DW I 90,11-91,2): Ûzer disem innersten grunde solt dû würken alliu dîniu werk sunder warumbe. Ich spriche wærlîche: al die wîle dû dîniu werk würkest umbe himelrîche oder umbe got oder umbe dîn êwige sælicheit von ûzen zuo, sô ist dir wærlîche unreht (»Aus diesem innersten Grunde sollst du alle deine Werke wirken ohne Warum. Ich sage fürwahr: Solange du deine Werke wirkst um des Himmelreiches oder um Gottes oder deiner ewigen Seligkeit willen, (also) von außen her, so ist es wahrlich nicht recht um dich bestellt«).

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lässt an der h ö c h s t e n S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t des ›Ohne Warum‹. Das wäre die höchste Selbstverständlichkeit des Wahren, das die Menschen ›wesenhaft‹ in sich tragen, so dass sie alle wârheit [...] besitzen âne mittel und âne underscheit in rehter sælicheit (»alle Wahrheit unmittelbar und ohne Unterschiedenheit in rechter Seligkeit besitzen«)11 können; die Wahrheit, die nicht um eines anderen willen als wahr zu würdigen ist, sondern allein deshalb, weil sie unwidersprechlich wahr ist: We i l u n d e b e n n i c h t Wa r u m . Sie soll und will unser Innerstes ausmachen, in uns wirklich wahr sein (vgl. 1 Joh 1,8; 2,4); sie soll uns bewohnen, damit wir tatsächlich der Tempel des guten Gottesgeistes seien (vgl. 1 Kor 3,16.19; 2 Kor 6,16), worin sonst niemand Wohnrecht hat: Dirre tempel, dâ got inne hêrschen wil gewalticlîche nâch sînem willen, daz ist des menschen sêle, die er sô rehte glîch nâch im selber gebildet und geschaffen hât […]. Her umbe wil got disen tempel ledic hân, daz ouch niht mê dar inne sî dan er aleine. (Dieser Tempel, darin Gott gewaltig herrschen will nach seinem Willen, das ist des Menschen Seele, die er so recht als ihm selbst gleich gebildet und geschaffen hat […]. Hierum will Gott diesen Tempel leer haben, auf dass denn auch nichts weiter darin sei als er allein).12 Das also ist für Eckhart der ›mystische Sinn‹ von Jesu Tempelreinigung: Got der ist diu wârheit und ein lieht in im selber. Swenne denne got kumet in disen tempel, sô vertrîbet er ûz unbekantnisse, daz ist vinsternisse, und offenbâret sich selber mit liehte und mit wârheit (»Gott ist die Wahrheit und ein Licht in sich selbst. Wenn denn Gott in diesen Tempel kommt, so vertreibt er daraus die Unwissenheit, das ist die Finsternis, und offenbart sich selbst mit Licht und Wahrheit«).13 Welche ihn nicht einlassen oder noch anderes in diesem Tempel wohnen lassen, die bekennent der wârheit kleine oder niht (»erkennen von der Wahrheit wenig oder nichts«).14 Sie lassen nicht Jesus allein in ihrem Innern reden und wirklich sein: sô swîget Jêsus, als er dâ heime niht ensî, und er ist ouch dâ heime niht in der sêle, wan si hât vremde geste, mit den si redet. Sol aber 11. 12. 13. 14.

Ibid. (96,1-2). Eckhart, Pr. 1 (DW I 5,5-6,3). Ibid. (8,8-9,1). Ibid. (8,6-7).

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Jêsus reden in der sêle, sô muoz si aleine sîn und muoz selber swîgen, sol si Jesum hœren reden. Eyâ, sô gât er în und beginnet ze sprechenne. Waz sprichet her Jêsus? Er sprichet, daz er ist (so schweigt Jesus, als sei er nicht daheim, und er ist auch nicht daheim in der Seele, denn sie hat fremde Gäste, mit denen sie redet. Soll aber Jesus in der Seele reden, so muss sie allein sein und muss selbst schweigen, wenn sie Jesus reden hören will. Nun denn, so geht er hinein und beginnt zu sprechen. Was spricht der Herr Jesus? Er spricht das, was er ist).15 Er spricht seine ursprüngliche Wirklichkeit. Das im Innersten gesprochene und gehörte, wirkliche Wort, der Logos, er selbst, in dem Gott die Menschen bewohnt und sie zu seiner eigenen W i r k -lichkeit macht, durch die er das Angesicht der Erde verwandelt; die aus ihm Geborenen, in denen er geboren wird – als die Quelle, aus der sie entspringen; als das Feuer, in das sie eingeschmolzen werden – sie sind nun selbst die Quelle, aus denen Gott in der Welt entspringt; das Feuer, das die Welt entzünden und mit Göttlichkeit durchglühen, zur Göttlichkeit läutern, will. Gemach!, möchte man dem Überschwang ins Wort fallen. Gottes Wirklichkeit, die die Menschen zu s e i n e r Wirklichkeit machen will und machen kann: Ist das nicht alles völlig überzogen; unmenschlich überzogen, so als sei in des Menschenseele und in der Welt kein Platz neben Gott, nichts, was nicht in ihn ›eingeschmolzen‹ werden müsste? Ist das nicht jener religiöse Totalitätsanspruch, der sich in der Geschichte des Christentums so intolerant gegen alles Menschliche – vielleicht Allzu-Menschliche – gewendet hat, dass man ihm in der Kraft des Willens zum Leben widersprechen musste, um dem Menschen in seinem Eigensein einen Platz zu erkämpfen? Der Verdacht liegt so nahe, dass er Aufmerksamkeit erzwingt. 5. Die Selbstverständlichkeit der Gottes-Wahrheit, ihre Wirklichkeit Der Anspruch der Wahrheit ist ursprünglich s e l b s t -verständlich: aus sich selbst zu verstehen und als Anspruch ohne weitere Begründungen selbstverständlich. Aus ihm und von ihm her ist alles zu verstehen, was sonst noch Wahrheit ›für sich‹ (?) beansprucht: aus der Gottes-Geburt des Logos im aufschließenden, sich aufschließenden Innersten meiner 15. Ibid. (15,6-10).

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von Wahrheit hervorgebrachten Überzeugungen. Nur im Maß-gebenden Zusammenhang mit diesem Selbstverständlichen und in ›seinem Licht‹ kann es wahr sein. Das ist ein schwerer Brocken für das selbstverständlich gewordene, ›postmodern‹-pluralistische Wahrheitsverständnis.16 Man müsste ihn doch wegräumen können; ja, man wird ihn wegen erwiesener Gefährlichkeit entsorgen müssen. Nicht e i n e Wahrheit, sondern mehrere; divide et impera,17 damit Wahrheit nicht totalitär wird, damit ich mich von Fall zu Fall entscheiden kann, welcher Wahrheit ich gehorchen und Wirklichkeit geben w i l l . Ob das hilft? Dürfte meine Entscheidung bloß beliebig bleiben? Wenn nicht, dann wären die vielen verhandelbaren Selbstverständlichkeiten dem Unverhandelbaren zu unterstellen: dem Selbstverständlicheren zumindest im Komparativ, wenn wir schon mit dem Superlativ vorsichtig sein müssen.18 Dieses Wort in uns selbst, dem wir, wenn wir es hören, nicht widersprechen, sondern nur gehorsam sein können, dessen Welt-Wirklichkeit wir sein müssen: ohne Warum, einfach nur w e i l , weil es die unwidersprechliche Wahrheit spricht und deshalb einen unbedingten Anspruch an uns anmelden darf, so dass wir uns zu ihm bekehren, von ihm verwandeln lassen müssen – und das zuinnerst selbst wollen, wenn wir es wirklich gehört und verstanden haben: Gottes gutes Wort, Quelle und Feuer: Wer könnte seinen Anspruch bestreiten, wenn er die Verheißung wahrgenommen und gefühlt hat, die in ihm liegt? Gottes Wort, Gottes Wirklichkeit, die uns zu seiner Wirklichkeit macht: andere Worte für die selbstverständlichere Wahrheit und ihren selbstverständlichen Anspruch? Man mag es mit Andreas Maier so sagen: »Die Christen haben das, was sowieso jedem Menschen die Wahrheit ist und immer sein wird, in das Wort Gott übersetzt, das muss zwar auch nicht stimmen, aber mit diesem Wort Gott ist es ihnen wenigstens gelungen, das woran alle glauben, besser gesagt, was alle wissen, was alle in ihrem Gewissen haben, wenigstens dem Diskurs der Menschen

16. Wie kurios, dass Meister Eckhart als Schutzpatron eines Wissenschaftspreises herhalten musste, der Richard Rorty, dem radikalen Vor- oder Nach-denker der Postmoderne verliehen wurde. 17. Vgl. Odo Marquard, »Lob des Polytheismus«, in: id., Abschied vom Prinzipiellen: Philosophische Studien (Stuttgart, 1981), 91-116, hier 98. 18. Zu diesem Komparativ vgl. Eberhard Jüngel, »›Meine Theologie‹« – kurz gefasst, in: id., Wertlose Wahrheit: Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens (München, 1990), 1-15, hier 11-2.

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zu entheben, oder zumindest es als nicht so leicht verfügbare erscheinen zu lassen.«19 Unverfügbar, unantastbar20, heilig eben, damit man sich nicht daran vergreife und sein eigenes Ding damit anfange: Diese Wahrheit kann nur mit mir, ich nichts mit ihr anfangen. Sie ist nicht nur interessant21 oder spannend, sondern schlechthin i n i t i a t i v. Sie fängt mit mir das Z e u g n i s an – wenn ich das zulasse: ihr Wirklichwerden in der Welt. Nicht weniger; und mehr kann in der Welt gar nicht geschehen. Unantastbar ist die Wahrheit, w e i l sie nicht missbraucht werden darf; weil sie die letzte Instanz ist, vor der alle Ansprüche und alle, die Ansprüche erheben, ihre Berechtigung erweisen, vorweisen, müssen. Unantastbar ist die Wahrheit vor allem und elementar deshalb, weil sie nie meine Sache, sondern ich immer nur ihre Wirklichkeit – ihr Zeuge, ihre Zeugung – sein kann, mehr oder weniger, wahrhafter oder zweifelhafter mit vielen falsch und unfrei machenden Rücksichtnahmen, mit der Befangenheit im Warum und Wofür. Zeugen zeigen, was sie in Anspruch genommen und frei gemacht hat, frei vom Warum, frei für das Weil: weil es göttlich ist, an Gottes Wohlwollen in der Welt mitzuwirken, seine Wirklichkeit hier an diesem Ort und in dieser Stunde zu sein, mehr oder weniger. Der Zeuge will nichts für sich, auch die Wahrheit nicht. Er will alles mit und aus Gottes gutem Willen. Das ist Eckharts Einsicht, die von ›normaler‹ Zeugenexistenz gewiss nur dürftig und ärmlich bewahrheitet wird. So ärmlich der Zeuge/die Zeugin auch immer Zeugen sind: sie sind Gottes Wahrheit in dieser Welt; sie geben ihr Wirklichkeit. Das zwingt aber noch einmal dazu, mit Meister Eckhart danach zu fragen, was denn das ist: W i r k l i c h k e i t . Wirklich, das sind die Selbstverständlichkeiten, die mich bewohnen und besitzen, durch mich wirklich w e r d e n . Meister Eckharts Tempelreinigungspredigt nimmt sie in den Blick: Was dich in Selbstverständlichkeit bewohnt, dessen muss der Tempel, der du bist, ›leer werden‹, damit Er/Du dich bewohnen kann – durch dich wirklich 19. A. Maier, Ich (2006), 95. 20. Vgl. weiter ibid., 95. 21. Dazu ibid., 70-1: »Ich habe ja inzwischen gelernt, dass das Verhältnis der meisten Menschen zu den Dingen das des Interesses ist, die schalste Form des Verhältnisses, die es geben kann. Ich interessiere mich für gar nichts. Mir sind gewisse Dinge wichtig, sie beinhalten mein Sein, das ja, oder haben es verändert im Sinne von ›sichtbarer gemacht‹ […]«.

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werden kann: das Selbstverständlich e r e , von dessen Wirklichkeit/Wirklichwerden vielleicht nur in dieser unmöglichen, theo-logischen Steigerung gesprochen werden kann, auf die Eberhard Jüngels geniale Formulierung verweist. Wirklichkeit jedenfalls im Sinne der Welt-Wirklichkeit: Sie ist Wirklichkeit tatsächlich von Gnaden des Menschen, der wirklich sein lässt, wovon er sich bewohnen lässt, wessen Eigentum er sein will (oder auch nur ist), weil er seiner Selbstverständlichkeit gehorcht, ihr die Wirklichkeit gibt, die sie ja zugleich gewissermaßen schon ›mitbringt‹. Heißt das, was man neuzeitlich so gern hören würde: Ich wirke, ver-wirkliche, was ich bin? Zunächst heißt es dies: Ich wirke, was mir innerlicher ist, als ich mir selbst innerlich bin. Ich bin seine wirkliche Auswirkung. Ich wirke die Sünde oder die Gnade, die ich nicht bin – aber eben zumindest m i t wirke. Wenn Er, höchste Wahrheit und Gutheit, mich bewohnt, in mir geboren wird, befreit Er mich in seiner größeren Selbstverständlichkeit von den sündigen Selbstverständlichkeiten, wird Er durch mich Welt-Wirklichkeit, da Er mir selbstverständlicher, innerlicher und so w i r k l i c h e r geworden ist als alles, was mich bisher besaß und bewohnte. Wie das geschieht, die Überwindung des Selbstverständlichen vom Selbstverständlicheren, Bekehrung, wirkliche Befreiung von der Wirklichkeitsmacht sündiger Selbstverständlichkeiten, das ist alles andere als selbstverständlich, für das hohe Mittelalter vielleicht nur in der Geburtsmetapher sagbar: Frau empfängt, was durch sie wirklich wird, so wirklich wird, dass sie selbst eine andere Wirklichkeit wird. Auch Mann weiß, was hier gesagt sein soll, ohne dass er wüsste, wie es unmissverständlich gesagt werden könnte. Aber er war und ist vielleicht geneigt, diese größte Selbstverständlichkeit – wie Gott und seine Wahrheit im Menschen geboren werden und diesen zur Wirklichkeit seiner Wahrheit machen – rechtfertigungstheologisch endlich klarzustellen. 6. Zeugnis und Lehre Die kirchliche Neigung, Gottes Wahrheit als ein Erbe anzusehen, über das die Kirche und ihr Lehramt nun Vollmacht hat – als depositum fidei – ist fast übermächtig. Das hierarchische Lehramt der katholischen Kirche will darüber entscheiden können, was wahr ist – und was um dieser Wahrheit willen abzulehnen ist. Ihr sei – so schon Irenäus – das

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Charisma veritatis mitgeteilt.22 Wahrheit als Charisma? Das kann nur die Gnadengabe meinen, der Wahrheit zu dienen, ihr einen notwendigen Dienst zu leisten, damit sie – in den Zeuginnen und Zeugen – Wirklichkeit wird. Diese Gnadengabe dient einer Wahrheit, die sich nicht im Festgestelltwerden erschöpft, auch nicht in der Forderung. Fürs bloße Feststellen und für die Forderung bräuchte es keine G n a d e n Gabe, sondern allenfalls hinreichende Kenntnisse, woher sie immer kämen, und vernünftige Einsicht ins unverhandelbar Gültige. Das Charisma veritatis ist die Gnadengabe, die Wahrheit als unendlich verheißungsvolle Wahrheit und d e s h a l b unendlich herausfordernde Wahrheit, eben als Gottes-Wahrheit verkünden zu können: so dass sie die Menschen ergreift und zu einem hoffnungserfüllten Glauben herausfordert. Dieser Dienst und das Vermögen dazu sind das Geschenk, geistliche Räume zu gestalten und offen zu halten, in denen die Wahrheit dann – durchaus in eigener Kraft – Hoffnungs-mächtig werden, Menschen bewohnen, zu ihrer Wirklichkeit formen kann; das Geschenk, den Tempel Gottes, der die Kirche ist, immer wieder neu zur Wohnung der Gottes-Wahrheit zu rüsten, damit die gute, hoffnungserfüllte Wahrheit des Logos Zeuginnen und Zeugen finde, in denen sie geboren und aus denen sie Wirklichkeit wird. Dienst an der Wahrheit Gottes ist Dienst am Zeugnis. Nur in ihm wird Gottes Wahrheit wirklich. Gottes Wahrheit kann der Mensch nur s e i n , nicht haben. Wo sie wirklich wird, beweist sie ihre Wirklichkeits-setzende, Menschen- und Welt-verändernde Macht. Was Kirche zu tun hat, ist deshalb: Gottes Wahrheit Raum geben, damit sie ihre Welt- und Menschen-verändernde Macht entfalten kann. Zu solchem Raumgeben gehört auch die Ausgestaltung des Sprachraums, in den das Zeugnis hineinwachsen und seine Sprache finden kann; in dem es sich dessen vergewissert, wovon Zeugnis gegeben werden darf, der Sprachraum der Bekenntnisse, der Liturgien, der Lieder, der Choräle, in denen die Glaubenden die Weite ihres Zutrauens, das Innerste ihrer GlaubensLeidenschaft und den Horizont ihres Dienstes aussprechen, aussingen können: was ihre Identifikation herausfordert und ermöglicht: Christus, der ist mein Leben … 22. Vgl. Irenäus von Lyon, Adversus haereses IV, 26, 2, ed., übers. und eingeleitet von N. Brox, Irenäus von Lyon. Griech., lat., dt., Bd. 4 (Freiburg i. Br. u.a., 1995), 206,7-8.

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Hierarchisches Lehramt und theologische Lehre leisten den Dienst am Offenhalten dieses Sprach- und Zeugnisraumes in unterschiedlicher Zuständigkeit. Beide haben sie mit der Neigung zu kämpfen, auf die ›unantastbare‹ Gotteswahrheit unmittelbar zuzugreifen und sich so ins Recht zu setzen: Die Wahrheit ist auf meiner Seite; sie b e s t ä t i g t m i c h , bestätigt mein Urteilen und Verurteilen. Wie könnte sie mich dann noch verwandeln? Ich diene ihr. Und deshalb bestätigt sie mich – in meinem Dienst. Eine Kirche, die mit der Wahrheit rechthaberisch umgeht, dient der Wahrheit Gottes und ihrer Bezeugung nicht; sie bleibt zumindest das Zeugnis der Wirklichkeits- und Kirchen-verändernden Macht der Wahrheit Gottes schuldig. Man ist unvermeidlich in der Rolle des Rechthabers – dessen zumindest, der Recht haben will –, wenn man im Spiel der Wissenschaften mitspielt. Die Wissenschaftler mögen sich als die Heroen der Erkenntnis stilisieren, denen nichts willkommener wäre, als durch stärkere Argumente widerlegt zu werden, weil man nur so ›weiter kommen‹ kann im unendlichen Lernprozess der eigenen Disziplin. Realistischer ist das Modell des Wettbewerbs um die besten Argumente, in dem – wie sollte es anders sein! – jeder und jede möglichst weit nach vorn kommen, möglichst nicht verlieren, sondern in der Gloriole der Wahrheit auf dem Treppchen stehen will. Man sollte diese Wettbewerbs-Konstellation nicht gering schätzen. Das Ringen um die stärkeren Argumente bringt die Erkenntnis tatsächlich voran; so jedenfalls die nicht ganz selbstverständliche, aber weithin bewährte Idealisierung, wie sie unseren wissenschaftlichen Verfahren zugrunde liegt. Kann, ja muss die Theologie dieses Spiel mitspielen? Kann sie es mitspielen in der für alle Mitspieler unerlässlichen Intention, mit der Wahrheit zu ›siegen‹, wie vorläufig auch die argumentativ erfochtenen Siege sein mögen? Man hat Eckharts harsche Warnung davor im Ohr, die Wahrheit haben und mit ihr etwas für sich selbst erreichen zu wollen. Entziehen sie der Theologie als argumentativ verfahrender Wissenschaft nicht die Geschäftsgrundlage? Die Alternative ist zu einfach, um wahr zu sein. Und so sollte man Meister Eckhart auch als großem Theologen die Ehre geben. Dem Anspruch der Gottes-Wahrheit, mich als ihren ›Tempel‹ in Besitz nehmen zu wollen und durch mich in der Welt wirklich zu werden, darf man nur gehorchen, wenn man im Anspruch die Wahrheit

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e r k e n n t . Der Wahrheit darf sich nur anvertrauen, wer sie als an-vertrauenswürdig w a h r genommen hat. Wie viele ›Wahrheiten‹ erheben doch Anspruch auf unseren selbstverständlichen Lebensgehorsam, den Anspruch auf Selbstverständlichkeit. Un m i t t e l b a r einleuchtend und selbstverständlich verpflichtend wollen sie sein. Aber ihr Anspruch muss argumentativ v e r m i t t e l t und ihre An-Vertrauenswürdigkeit muss mit möglichst guten Gründen er-wogen werden. Sonst bleibt es menschlich beliebig, sich diesem und nicht jenen anzuvertrauen. Die größere Aus-sich-Selbstverständlichkeit der verbindlichen Gottes-Wahrheit ist zu vermitteln in der argumentativen Auseinandersetzung mit anderen Selbstverständlichkeits-Ansprüchen. Nicht nur auf diesem Weg, aber a u c h auf dem Weg argumentativer Vermittlung erschließt sich, w a r u m dieser und nicht jener Wahrheitsanspruch unsere Zustimmung und unseren Lebens-Gehorsam einfordern darf – wie er ihn beansprucht, damit Wahrheit wirklich werde und nicht das zutiefst Unwahre, die Sünde. Die Spannung zwischen A u s d e r Wa h r h e i t l e b e n , i h r s o W i r k l i c h k e i t g e b e n und I m a r g u m e n t a t i v e n D i s k u s R e c h t h a b e n w o l l e n darf man nicht einseitig auflösen. Die Theologie ist von ihr regelrecht heimgesucht. Recht haben wollen: sich gegen alle anderen darin rechtfertigen, dass man es besser sieht und besser sagen kann, so dass eigentlich alle zustimmen müssten: Das ist die Dynamik aller Wissenschaft. Aber die Dynamik der unantastbaren, heiligen, mich r i c h t e n d - r e c h t f e r t i g e n d e n Gottes-Wahrheit ist das nicht. Hier hört alles Rechtfertigenkönnen auf, denn die Dynamik der Gottes-Wahrheit geht auf das Wa h r - L e b e n , nicht auf das Rechthaben. Geltungsansprüche können und müssen gerechtfertigt werden. Aber ein wahres Leben kann nicht v o n a u ß e n gerechtfertigt werden. Es lebt aus der Wahrheit. Ein Leben aus der Wahrheit zu leben, das ist kein Anspruch, den man zu begründen hätte. Insofern es ein Leben aus der Wahrheit ist – etwa das Leben des Messias Jesus –, beweist es seine Güte und Wahrheit durch Leben, nicht durch Argumentieren. Aber mit diesem ›Beweis des Geistes und der Kraft‹ stehen die schärfsten Ansprüche an meine Umkehr im Raum. Dann bin ich gefragt; dann fängt es an mit den Diskursen, in denen es darum gehen muss, was da im Raum steht, was damit verlangt ist – und was nicht verlangt werden darf. Kann es sein und kann gedacht werden, dass in der Theologie beide Dynamiken Raum finden müssen, dass sie sich in ihr überkreuzen – und

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dass die Theologie nur so Theologie sein kann? Kann es sein, dass sie beidem Rechnung zu tragen hat: der Unmittelbarkeit, in der Gottes Wahrheit in uns geboren wird und mich als ihren Geburts- und Wohnort in der Welt in Anspruch nimmt, wie der sprachlich-argumentativen Vermittlung, in der dieses Geschenk in seinem Reichtum wahrgenommen und der Anspruch in seinem göttlich-menschlichen Recht eingesehen wird? Es muss so sein. Und es wird deshalb auch so sein, dass die Theologie im Ernstnehmen dieses Zugleich ihr wissenschaftstheoretisches und wissenschaftsmethodisches Profil hat. Wie hat man sich dieses Ernstnehmen vorzustellen? Die Zeugnisse zeigen, wie Gott in Menschen Wirklichkeit wird. Die Hermeneutik der Zeugnisse a l s Z e u g n i s s e des Wirklichwerdens Gottes gibt der Theologie zu denken, was sie zu denken hat: dass die ›Gottesgeburt in der Seele‹ die Menschen zu ihren höchsten Möglichkeiten befreit und herausfordert. Die Sprache der Zeugnisse selbst zeichnet der Theologie ihren Weg vor; und dies gerade da, wo sie von der u n e n d l i c h verheißungsvollen und zuinnerst verwandelnden Schönheit dieser Herausforderung zu sprechen versucht und sie in extravaganten Metaphern ausspricht. Die unendliche und unendlich schöne Gottes-Herausforderung trägt neutestamentlich den Namen G o t t e s h e r r s c h a f t . Mit der Gottesherrschaft ist es wie … Jesus bezeugt diese Gottes-Herausforderung, macht sie verheißungsvoll. Seine Gleichnisse geben der Theologie zu denken, was es bedeutet, diese Herausforderung anzunehmen – und warum das so unwidersprechlich gut ist. Aber die Gleichnisse kommen nicht im Bedenken ans Ziel, sondern im Tun, im Sich-ergreifen-Lassen vom Angekündigten. Ihre göttliche Extravaganz fordert dazu heraus, Wirklichkeit werden zu lassen, was ihre Extravaganz kaum noch in Worte fassen kann. Zeugnis will zum Zeugnis werden. Theologie steht dazwischen. Das ist ein guter Ort für sie: Wenn der ganze Mensch beschenkt und gefordert ist, so soll die menschliche Vernunft ermessen können, was hier mit dem Menschen geschieht – und warum es zu seinem Heil geschieht. Es wäre gewiss nicht im Sinne Meister Eckharts, mystische Erfahrung gegen diese Herausforderung der Vernunft auszuspielen.

Abkürzungen Ausgaben der Werke Meister Eckharts DW / LW

Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft

DW DW I

Die deutschen Werke: 1. Band: Meister Eckharts Predigten (1-24), hg. und übersetzt von Josef Quint (Stuttgart, 1936-1958) (Nachdr. 1986). 2. Band: Meister Eckharts Predigten (25-59), hg. und übersetzt von Josef Quint (Stuttgart, 1968-1971) (Nachdr. 1988). 3. Band: Meister Eckharts Predigten (60-86), hg. und übersetzt von Josef Quint (Stuttgart, 1973-1976) (Nachdr. 1999). 4. Band, Teilband 1: Meister Eckharts Predigten (87-105), hg. von Georg Steer (Stuttgart, 1997-2003). 4. Band, Teilband 2: Meister Eckharts Predigten (106ff.), hg. von Georg Steer (Stuttgart, 2003ff ). 5. Band: Meister Eckharts Traktate, hg. und übersetzt von Josef Quint (Stuttgart, 1954-1963) (Nachdr. 1987).

DW II DW III DW IV,1 DW IV,2 DW V LW LW I,1

LW I,2

Die lateinischen Werke: 1. Band, erster Hauptteil: I. Magistri Echardi Prologi in Opus tripartitum. Expositio libri Genesis. Expositio libri Exodi secundum recensionem codicis Amploniani Fol. 181 [E]. II. Magistri Eckhardi Prologi in Opus tripartitum et Expositio libri Genesis cum Tabulis secundum recensionem Codicis Cusani 21 (C) et Codicis Treverensis 72/1056 (T). III. Liber parabolarum Genesis cum Prologo et Tabula, hg. von Konrad Weiß (Stuttgart, 1964). 1. Band, zweiter Hauptteil: II. Magistri Echardi Prologi in Opus tripartitum et Expositio Libri Genesis secundum recensionem cod. Oxoniensis Bodleiani Laud misc. 222 (L). Adiectae sunt recensiones Cod.

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LW II

LW III

LW IV LW V

Pfeiffer

LE 1

LE 2

LE 3

EW 1 EW 2

Abkürzungen

Amploniani Fol. 181 (E) ac codd. Cusani 21 et Treverensis 72/1056 (CT) denuo recognitae, hg. von Loris Sturlese (Stuttgart, 1987 ff ). 2. Band: I. Expositio libri Exodi, hg. und übers. von Konrad Weiß. II. Sermones et Lectiones super Ecclesiastici c. 24,23-31. III. Expositio Libri Sapientiae. IV. Expositio Cantici Canticorum quae supersunt, hg. u. übers. von Josef Koch und Heribert Fischer (Stuttgart, 1964). 3. Band: Magistri Echardi Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem, hg. u. übers. von Karl Christ, Bruno Decker, Josef Koch, Heribert Fischer, Loris Sturlese und Albert Zimmermann (Stuttgart, 1994). 4. Band: Magistri Echardi Sermones, hg. u. übers. von Ernst Benz, Bruno Decker und Josef Koch (Stuttgart, 1956) (Nachdr. 1987). 5. Band: Opera Parisiensia. Tractatus super oratione dominica, hg. und übers. von Bernhard Geyer, Josef Koch und Erich Seeberg. Responsio ad articulos sibi impositos de scriptis et dictis suis. Acta Echardiana, hg. und kommentiert von Loris Sturlese (Stuttgart, 2007). Meister Eckhart, hg. von Franz Pfeiffer, Erste Abtheilung: Predigten und Traktate (Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, Bd. 2) (Leipzig, 1857) (Nachdr. Aalen 1962; 1991). Lectura Eckhardi. Predigten Meister Eckharts von Fachgelehrten gelesen und gedeutet, Bd. I, hg. von Georg Steer und Loris Sturlese, koordiniert von Dagmar Gottschall (Stuttgart, 1998). Lectura Eckhardi. Predigten Meister Eckharts von Fachgelehrten gelesen und gedeutet, Bd. II, hg. von Georg Steer und Loris Sturlese, koordiniert von Dagmar Gottschall (Stuttgart, 2003). Lectura Eckhardi. Predigten Meister Eckharts von Fachgelehrten gelesen und gedeutet, Bd. III, hg. von Georg Steer und Loris Sturlese, koordiniert von Dagmar Gottschall (Stuttgart, 2009). Meister Eckhart. Werke I. Predigten, Traktate, lateinische Werke, hg. und komment. von Niklaus Largier, Frankfurt a. Main 1993 (Bibliothek des Mittelalters 21). Meister Eckhart. Werke II. Predigten, Traktate, lateinische Werke, hg. und komment. von Niklaus Largier, Frankfurt a. Main 1993 (Bibliothek des Mittelalters 21).

Abkürzungen

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Abgekürzt zitierte Schriften Meister Eckharts Acta Echardiana Acta Echardiana (= 1: Acta et regesta vitam magistri Echardi illustrantia; 2: Processus contra magistrum Echardum), hg. von Loris Sturlese, in: LW V, 149-617. BgT Meister Eckhart, Daz buoch der götlîchen troestunge, hg. v. Josef Quint, in: DW V, 1-105. Collatio Meister Eckhart, Collatio in Libros Sententiarum, hg. u. übers.von Josef Koch, in: LW V. In Eccl. Meister Eckhart, Sermones et Lectiones super Ecclesiastici c. 24,23-31, hg. von Josef Koch und Heribert Fischer, in: LW II, 229-300. In Ex. Meister Eckhart, Expositio Libri Exodi, hg. von Konrad Weiß, in: LW II, 1-227. In Gen. I Meister Eckhart, Expositio Libri Genesis, hg. von Konrad Weiß, in: LW I, 185-444 (Rec. CT); Meister Eckhart, Expositio Libri Genesis, hg. von Konrad Weiß, in: LW I, 49-101 (Rec. E); Meister Eckhart, Expositio Libri Genesis, editio altera, hg. von Loris Sturlese, in: LW I,2, 61 ff. (Rec. L). In Gen. II Meister Eckhart, Liber parabolarum Genesis, hg. von Konrad Weiß, in: LW I, 445-702. Meister Eckhart, Liber parabolarum Genesis, recensio altera, hg. von Loris Sturlese, in: LW I,2, 333 ff. (Rec. L). In Ioh. Meister Eckhart, Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem, hg. von Karl Christ, Bruno Decker, Heribert Fischer, Josef Koch, Albert Zimmermann und Loris Sturlese (= LW III). In Sap. Meister Eckhart, Expositio Libri Sapientiae, hg. von Josef Koch und Heribert Fischer, in: LW II, 301-634. Proc. Col. I Processus Coloniensis I (nn. 1-151), in: Acta Echardiana, Mag. Echardi Responsio ad articulos sibi impositos de scriptis et dictis suis I, hg. von Loris Sturlese, in: LW V, 197-317. Proc. Col. II Processus Coloniensis II (nn. 1-154), in: Mag. Echardi Responsio ad articulos sibi impositos de scriptis et dictis suis II, hg. von Loris Sturlese, in: LW V, 318-354. Prolog. Gen. in Opus tripartitum Meister Eckhart, Prologus generalis in Opus tripartitum, hg. von Konrad Weiß, in: LW I, 148-165 (Rec. CT); Meister Eckhart, Prologus generalis in Opus tripartitum, hg. von Konrad Weiß, in: LW I,

448

Abkürzungen

35-41 (Rec. E); Meister Eckhart, Prologus generalis in Opus tripartitum, hg. von Loris Sturlese, in: LW I,2, 21-39 (Rec. L). Prolog. in Opus propositionum Meister Eckhart, Prologus in Opus propositionum, hg. von Konrad Weiß, in: LW I, 166-182 (Rec. CT); Meister Eckhart, Prologus in Opus propositionum, hg. von Konrad Weiß, in: LW I, 41-48 (Rec. E). Quaest. Par. Meister Eckhart, Quaestiones Parisienses, hg. von Bernhard Geyer, in: LW V, 27-83. RdU Meister Eckhart, Die rede der underscheidunge, hg. von Josef Quint, in: DW V, 137-376. VAb Meister Eckhart, Von abegescheidenheit, hg. von Josef Quint, in: DW V, 377-468. VeM Meister Eckhart, Von dem edeln Menschen, hg. von Josef Quint, in: DW V, 106-136.

Sonstige Abkürzungen art. c. CCL co. CSEL dist. lect. lib. MEJb n. nn. PG Pr. q. WA

articulus caput Corpus christianorum. Series Latina corpus articuli Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum distinctio lectio liber Meister-Eckhart-Jahrbuch numerus numeri Patrologia Graeca Predigt quaestio Martin Luthers Werke, Weimarer Ausgabe

Personenregister Abels, Heinz 308 Adam, Jochen 29 Aertsen, Jan A. 72 Albert, Karl 64, 70f., 240, 273 Albertus, Magnus 80, 105, 331, 340, 343, 346 Álvarez, Tomás 188, 190 André, João Maria 140 Aparicio, Alfonso 180 Arendt, Hannah 275 Aristoteles 33f., 49f., 53, 92, 111, 119, 126, 132f., 135, 146, 148f., 161, 164, 170, 205, 208, 232, 259, 299, 332334, 353f., 357, 359f., 365-367 Augustinus 75f., 83f., 97, 114f., 127, 129, 131, 139, 157, 243f., 247, 272, 315, 368f., 373, 414-416 Avicenna 74f., 150, 153, 157f., 160, 164, 366f. Averroes 149, 157, 164 Baeza, Ricardo 425 Baier, Karl 24, 231 Bannach, Klaus 33f. Bara Bancel, Silvia 4, 97f., 100, 108 Barth, Hans-Martin 215 Barth, Heinrich 128 Barth, Karl 147 Barthes, Roland 417 Baur, Ludwig 146, 167 Behr, Michael 220 Beierwaltes, Werner 71, 106, 124, 238, 282, 310 Bergemann, Lutz 126 Bernet, Rudolf 299 Bernhard von Clairvaux 97, 307

Beyer de Ryke, Benoît 273 Bihlmeyer, Karl 96-99, 102-104, 106, 108-112, 114, 116-120 Biemel, Marly 291 Binggeli, Bruno 309 Blakeslee, Sandra 308 Blumenberg, Hans 307, 310 Blumrich, Rüdiger 96f., 115 Bocken, Inigo 124, 138, 140 Boehm, Rudolf 275 Boehner, Philotheus 34 Boethius 161 Bonaventura 77, 79, 81, 96f., 161 Bonsiepen, Wolfgang 410 Bormann, Franz-Josef 215 Bormann, Karl 138, 168, 170, 173, 175 Boss-Pfister, Cornelia 6, 318 Brachtendorf, Johannes 414, 424 Bracken, Ernst von 238 Breil, Reinhold 47 Brown, Stephen 34 Bruaire, Claude 265, 268 Brunner, Fernand 48, 50, 53f., 56f. Büchner, Christine 7, 97, 127, 223, 233, 298, 375, 384, 390, 411, 413, 415, 420 Buridan, Johannes 36 Casteigt, Julie 6, 254, 258 Castro, Gabriel 190 Catez, Elisabeth (Elisabeth de la Trinité) 180 Cathala, M.-Raymundus 33, 50, 74 Ceming, Katharina 411 Certeau, Michel de 3, 203 Chang, Garma C. C. 25

450

Personenregister

Coulon, Maurice de 284 Cuartas Lonoño, Rómulo 5 Dagens, Jean 53 David, Abraham 271, 276 Decker, Bruno 170, 173, 175, 446f. Decorte, Jos 37 Deleuze, Gilles 287 Delio, Ilia 200 Denifle, Heinrich Suso 76-78, 372 Denzinger, Heinrich 114 Depraz, Natalie 271 Derrida, Jacques 265, 292-294, 379 Dierkens, Alain 273 (Pseudo-)Dionysius Areopagita 99, 105, 113, 247, 274, 294 Dietrich von Freiberg 149, 152, 160, 238, 340f., 343, 346 Dôgen 2, 4, 11-13, 22-29 Duclow, Donald F. 124 Dufour-Kowalska, Gabrielle 271 Dumoulin, Heinrich 13, 22f., 25 Dümpelmann, Leo 276 Dunkel, Dieter 310 Duns Scotus, Johannes 55, 72 Dürer, Albrecht 143f. Elberfeld, Rolf 24 Enders, Markus 98, 266, 377, 424 Engelhardt, Paulus 84, 90 Engelmann, Peter 294 Etzkorn, Girard J. 34, 37 Fahrenbach, Helmut 430 Faust, August 148f., 152 Fetz, Reto Luzius 278 Fichte, Johann Gottlieb 25, 227, 238, 268, 340 Filippi, Elena 140, 143f. Fischer, Heribert 240, 446f. Fischer, Norbert. 414 Flacius, Matthias 318 Flasch, Kurt 32, 73-75, 84, 87, 93f., 155f., 162, 171, 229-232, 274, 340f.

Fleischer, Margot 271 Flüeler, Christoph 238 Forst, Stefanie 124 Freud, Anna 16 Freud, Sigmund 16, 17, 328 Fuchs, Gotthard 221, 233 Gabel, Michael 268 Gál, Gedeon 34 Gadamer, Hans-Georg 214, 302 Gandillac, Maurice de 53 Gent, Heinrich von 36f. Gephart, Irmgard → Rüsenberg, Irmgard Germar, Helwic von 155 Gersh, Stephen 57, 125, 238 Gire, Pierre 268 Glasersfeld, Ernst von 308 Gondek, Hans-Dieter 294 Goris, Wouter 73-75, 77, 87, 131, 238, 257 Graf, Christian 128 Greisch, Jean 271, 276 Gretser, Jacob 318 Grimm, Jacob und Wilhelm 150 Grotz, Stephan 140, 408 Guerizoli, Rodrigo 22, 100 Gumin, Heinz 308 Guyard, Marius-François 327 Habermas, Jürgen 402, 430 Haas, Alois Maria 18, 96, 200, 230232, 314, 356 Hagenbüchle, Ronald 278 Halbmayr, Alois M. 5, 221 Harnack, Adolf von 331 Hasebrink, Burkhrad 313 Haubrichs, Wolfgang 307 Haubst, Rudolf 170 Haug, Walter 250 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 263, 343, 408, 410 Heidegger, Martin 205, 214, 263, 267, 274-278, 289, 291f., 296, 394, 410, 425

Personenregister

451

Hengelbrock, Jürgen 240 Henrich, Dieter 25 Henry, Michel 263-266, 270f., 273, 275-277, 279f., 282-284, 290, 292f., 297, 299 Henry, Paul 130 Herbart, Johann Friedrich 275 Herold, Norbert 137 Herráiz, Maximiliano 189 Herrmann, Friedrich-Wilhelm von 275, 277, 296, 394, 410 Hödl, Ludwig 54 Hoenen, Maarten J.F.M. 154 Hoffmann, Ernst 168f., 171 Höffe, Otfried 148 Hofmann, Georg 96 Honnefelder, Ludger 55 Hoping, Helmut 114 Husserl, Edmund 205, 268f., 271, 275, 285-287, 289, 291-293, 299 Hünermann, Peter 114

Kierkegaard, Søren 267 Kijewska, Agnieszka 124f., 131 Klibansky, Raymond 146, 160, 168-176 Klowski, Joachim 335 Kluxen, Wolfgang 54 Knop, Andreas 266, 379 Kobusch, Theo 37, 126f., 131, 137 Koch, Josef 48, 50, 53, 70, 76, 138, 164, 168, 355, 446f. Kogan Barry S. 157 Körtner, Ulrich H.J. 147 Kramme, Rüdiger 220f. Krautz, Jochen 138 Krech, Volkhard 220 Kremer, Klaus 310 Kreuzer, Johann 124, 127, 141 Krewani, Wolfgang Nikolaus 432 Krieger, Gerhard 140 Kühn, Rolf 6, 266, 268-271, 273, 275, 277, 279f., 282, 285, 287, 292f., 298-300

Imbach, Ruedi 78, 86, 238, 240 Irlenborn, Bernd 215, 217

Landauer, Gustav 230 Langer, Otto 76-78, 86, 278, 282, 299, 307 Largier, Niklaus 60, 154, 278, 341, 344, 346, 349-351, 353, 355f., 360, 362-364, 366, 446 Laoureux, Sébastien 266, 269-271, 273, 279f., 282, 298f. Larrat, Jean-Claude 327 Lavallee, Christina F. 307 Leppin, Volker 223, 226, 305 Lévinas, Emmanuel 432 Libera, Alain de 238, 297 Liebrucks, Bruno 73 Lossky, Vladimir 238 Löser, Freimut 127 Lucas, Hans Christian 410 Luckmann, Benita 308 Luckmann, Thomas 308 Ludewig, Kurt 302 Luhmann, Niklas 321 Lutz, Eckart Conrad 307

Jacobi, Klaus 266, 308, 353 Jain, Elenor 273, 293 Jeauneau, Édouard 128, 130, 238 Joas, Hans 268 Joest, Winfried 337 Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz) 179-185, 187f., 192, 197f. Johannes Scottus Eriugena 5, 57, 123125, 127-131, 141, 144, 238, 307 Jones, Richard H. 307 Jüngel, Eberhard 438, 440 Jung, Carl Gustav 328 Jungclaussen, Emmanuel 96 Kandler, Karl Hermann 238 Karrer, Otto 83 Kelley, Francis E. 34 Kern, Udo 6, 338, 346, 362 Khorkov, Mikhail 302

452

Personenregister

Mahnke, Dietrich 238 Maier, Andreas 7, 427, 429, 438f. Majeran, Roman 124, 131 Malraux, André 327 Mandrella, Isabelle 138, 140-142 Manstetten, Reiner 36, 70 Margreiter, Reinhard 273, 293 Marion, Jean-Luc 265f., 268, 274, 293f. Marquard, Odo 438 Matsuda, Mika 4 Maturana, Humberto 302 Maurer, Armand A. 149, 157 Mauss, Marcel 265 Mazzarella, Pasquale 238 McGinn, Bernard 57, 123f., 222, 351, 425 Meier, Heinrich 308 Mejer, Jørgen 310 Mensching, Gustav 206 Merleau-Ponty, Maurice 275 Mieth, Dietmar 226, 228, 231f., 240, 258, 375, 424 Mojsisch, Burkhard 41, 46, 59, 152, 232, 238, 240, 278, 340f., 346, 361, 364 Moritz, Arne 140f., 144 Morgan, Bayard Q. 96 Morgenstern, Christian 303 Moses Maimonides 157 Mountain, William J. 75f., 115, 247 Müller, Ludolf. 431 Müller, Tom 138 Nagasawa, Kánihiko 25 Nemes, Balázs J. 31 Nicolaus Cusanus 5, 123-125, 127, 129, 131, 137-148, 160, 166-177, 281, 408 Nientied, Mariele 308, 310, 313 O’Meara, Dominic J. 57 Ordóńez Villarroel, Manuel Otto, Rudolf 206, 218

180

Pacho, Eulogio 181, 184 Pannenberg, Wolfhart 147 Panzig, Erik Alexander 411, 420-422 Pasqua, Hervé 238 Persinger, Michael A. 307 Petersen, Arne Friemuth 310 Petrus Lombardus 77-79, 81-83, 85, 161 Pfeiffer, Franz 31, 278, 314, 348, 353, 435, 446 Plotinus 106, 130, 143, 237, 239, 282 Popper, Karl R. 310 Porro, Pasquale 60 Poulet, Georges 238 Pröpper, Thomas 221 Quero-Sánchez, Andrés 7, 18, 97, 135, 200, 225, 227, 232, 264, 268, 281, 292, 408 Quint, Josef 81f., 228, 246, 249, 304, 435, 445, 447f. Radler, Charlotte 89 Ramachandran, Vilayanur S. 308 Rammstedt, Angela 220 Rammstedt, Otthein 220f. Raske, Michael 221 Reaidy, Jean 264, 273 Reinerus Sacco 318 Reinhardt, Klaus 124, 127, 138, 140 Richir, Marc 287 Ricken, Friedo 215 Ridder, Klaus 307 Riet, Simone van 150, 157f., 160, 164 Riemann, Heide Dorothea 140, 147 Rizek-Pfister, Cornelia → Boss-Pfister, Cornelia Rogge, Jörg 310 Rorty, Richard 438 Roth, Gerhard 302 Röttges, Heinz 73 Ruh, Kurt 13, 48, 94, 152, 361 Ruta, Carlos Rafael 299

Personenregister

Rüsenberg, Irmgard 4, 11, 13, 288 Ruusbroec, Jan van 273 Sánchez de Murillo, José 278, 281, 288 Sancho Fermín, Francisco Javier 5 Sander, Hans Joachim 7 Sandherr, Susanne 268 Šanjek, François 318 Scheer, Brigitte 73 Seibert, Leif H. 321 Scheler, Max 267, 277 Schellenberger, Bernardin 222, 425 Schiewer, Hans-Jochen 223, 226, 305 Schiewer, Regina D. 127, 131, 272 Schirpenbach, Meik Peter 4, 72 Schleiermacher, Friedrich 307 Schlüter, Dietrich 148 Schmidt, Gert 220 Schneider, Wolfgang Ch. 141, 144 Schönberger, Rolf 36f., 308 Schönborn, Felizitas von 306 Schuhmann, Klaus 303 Schulz, Peter 278, 430 Schürmann, Reiner 48, 241, 252 Schwaetzer, Harald 3, 5, 124, 127f., 131f., 137f., 140f., 143, 416 Schweitzer, Franz-Josef 302 Schwyzer, Hans-Rudolf 130 Sedlaczek, Markus 294 Seel, Martin 206 Seyler, Frédéric 293 Simon, Josef 73 Simon, Paulus 105, 340 Simmel, Georg 220f. Seng, Helmut 126 Senger, Hans Gerhard 138, 146, 168 Senner, Walter 31 Seuse, Heinrich 4, 95-100, 102-122, 229, 254 Siger von Brabant 149 Solowjew, Wladimir 431 Splett, Jörg 307 Spiazzi, Raimondo M. 33, 50, 74

453

Stallmach, Josef 148f. Stamm, Marcelo 205 Steel, Carlos 238 Steer, Georg 17f., 97, 100, 124, 127, 135, 138, 141, 154, 225, 228, 232, 250, 264, 272, 274, 299, 416, 445f. Steiger, Renate 141f., 167, 169-173 Steineck, Christian 24 Stephenson, Gunther 238 Speer, Andreas 131, 254 Stirnimann, Heinrich 78, 86 Störmer-Caysa, Uta 310 Strasser, Stephan 286, 289 Strauch, Philipp 155 Strohschneider, Peter 313 Strothmann, Friedrich W. 96 Ströbele, Christian 5, 147 Sturlese, Loris 31, 96f., 152, 154, 229, 232, 250, 254, 446-448 Suárez-Nani, Tiziana 86 Susman, Margarete 221 Tadieu, Michel 126 Tauler, Johannes 60, 97f., 425 Teresa de Jesús (Teresa von Ávila) 5, 179-181, 188-189, 201 Thomas von Aquin 4, 33, 50, 53, 69-72, 74-79, 81, 83-85, 87, 89-94, 96-99, 113, 132, 149, 158-161, 163, 258-260, 274, 310, 331, 335f., 346, 372 Thurner, Martin 278, 281, 288 Tillich, Paul 331, 335, 338-340 Tomita, Hiroshi 270 Trécourt, François 327 Trusen, Winfried 420 Tugendhat, Ernst 5, 136, 203-219, 221, 224, 229f., 233 Ueda, Shizteru

293, 425

Vannier, Marie-Anne 124, 127f., 132, 137f., 140f., 232, 258, 273 Varela, Francisco 302

454

Personenregister

Verheijen, Luc 76, 83, 315, 373, 414 Vignaux, Paul 297 Vinzent, Markus 7, 31, 239, 246, 249, 257f. Visser, Gerhard 274 Vollet, Matthias 138 Wackernagel, Wolfgang 48, 57, 306 Wagner-Egelhaaf, Martina 273 Waldschütz, Erwin 74, 238 Wéber, Édouard-Henri 78f., 84, 297 Wegener, Lydia 254 Weidemann, Herrmann 148 Weidhas, Roija Friedrich 302 Weigand, Rudolf K. 127, 131, 272 Weizsäcker, Carl Friedrich von 335 Wendel, Saskia 411 Wenin, Christian 41

Werbick, Jürgen 7, 221 Wetzel, Michael 266, 379 Weyden, Regier van der 143 Wieland, Sibylle 310 Wilde, Mauritius 163, 314 Wilhelm von Ockham 34f. Wilhelm von St. Thierry 79 Williams, Cornelius 304 Winkler, Norbert 42 Witte, Karl Heinz 3, 225, 264, 268f., 272, 297, 305, 320 Wohlmuth, Josef 268 Wojtulewicz, Chris M. 258 Wolfson, Harry A. 149 Zimmermann, Albert 239, 446f. Zum Brunn, Émilie 50, 238, 297

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