Formelkino: Medienwissenschaftliche Perspektiven auf die Genre-Theorie und den Giallo [1. Aufl.] 9783839426746

Genre labels determine genre corpora and histories. They guide the reading. Starting from this premise, Peter Scheinpflu

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German Pages 308 [304] Year 2014

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Formelkino: Medienwissenschaftliche Perspektiven auf die Genre-Theorie und den Giallo [1. Aufl.]
 9783839426746

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Peter Scheinpflug Formelkino

Film

Peter Scheinpflug (Dr. phil.) lehrt Medienkulturwissenschaft an der Universität zu Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind Genre-Theorie, Comic Studies, Horrorfilm und digitale Sinne.

Peter Scheinpflug

Formelkino Medienwissenschaftliche Perspektiven auf die Genre-Theorie und den Giallo

Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 2013 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2674-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1.

Einleitung | 7

2.

Die Genese des Giallos als DVD-Genre | 27

DIE G ENRE -THEORIE UND DER G IALLO 3.

Aporien der Genre-Definition | 49

3.1 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2

Der Mythos des Dialogs | 52 Genre-Pragmatik | 59 Das Spannungsverhältnis von Film und Genre | 63 Text und Genre-Lektüre-Entscheidung | 66 generic system | 71

4.

Genre- und Diskurs-Theorie | 79

4.1 4.1.1 4.1.2 4.2

Die faktische Existenz und Historizität des Diskurses | 81 generic system, oder: wider das Dispositiv des Genres | 84 Der sinntragende Diskurs des Genres | 86 Objekte und Verhandlungen | 90

5.

Genre-Theorie und Genre-Hermeneutik | 95

5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Inszenierungsstrategien und generic verisimilitude | 100 Genre und Hermeneutik | 103 Genre-Hermeneutik | 110 Genre-Hermeneutik und Lektüre-Reglements | 114 Genre-Hermeneutik und Genre-Geschichte | 118

DOPPELPERSPEKTIVE AUF DEN G IALLO 6.

Genre-Genealogie | 127

7.

Genre-Mixing und Genre-Hybridität | 135

7.1 7.1.1 7.1.2 7.2

Genre-Theorie und die Geschichtsschreibung zum Giallo | 140 Krimi-Formel und Genre-Mixing | 144 Psycho-Formel und Genre-Hybride | 147 Matrizen der Genre-Kombination | 154

8.

Genre-spezifische Text-Komponenten: das set-piece | 159

8.1 8.2

Narration und Nummern-Logik | 168 Konventionalisierung und Aktualisierung | 174

9.

Genre-Parodie und Genre-Geschichte | 183

10.

Genre und Gender: weiblicher giallo und männlicher Giallo | 199

10.1 10.2 10.3 10.4

generic gender relations | 203 gendered genres | 204 Der Giallo, oder: wenn männliche Genres sich als weibliche Genres imaginieren | 208 Gender- und Genre-Zitate in Kill Bill: Vol. 2 | 217

11.

Neo-Genres und Genres | 221

11.1 11.2 11.2.1 11.3

Die Aktualisierung des Giallos im Neo-Giallo | 225 Das Neo-Genre als Hommage: der internationale Neo-Giallo | 234 Das Neo-Genre schreibt Genre-Geschichte | 236 Das Neo-Genre als Neu-Aushandlung: der italienische NeoGiallo | 246

12.

Ausblick | 255

13.

Literaturverzeichnisse | 261

14.

Filmverzeichnisse | 289

1. Einleitung

Ab 1929 veröffentlichte das Mailänder Verlagshaus Mondadori Detektiv- und Kriminalgeschichten als Taschenbücher mit einem gelben Umschlag. Durch diese Distributionspraktik setzte sich das italienische Wort giallo, das „gelb“ bedeutet, in der italienischen Alltagssprache als ahistorische und transmediale Bezeichnung für jede Art von Kriminalgeschichte durch. Gegenwärtig bezeichnet man im deutschen und englischen Sprachraum hingegen als Giallo1 eine spezielle Gruppe von italienischen Filmen, die seit der Mitte der 60er Jahre, vor allem aber in den 70er Jahren produziert worden sind. Der Giallo gilt als ein hybrides Genre, das sich vorrangig aus dem Kriminalfilm und dem Gothic-Horror der 60er Jahre formierte. Die Filme erzählen zumeist von einer Figur – oft ein Amateur-Detektiv –, die einen maskierten Serienmörder dingfest macht, zu dessen Opfern vor allem attraktive Frauen zählen. Oft handelt es sich bei dem Serienmörder um eine traumatisierte Figur. Daher wird der Giallo filmhistorisch oft auch als eine Präfiguration des Genres Slasher aufgefasst. Während das Grund-

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Der Genre-Name wird aufgrund seines Status als italienischer und damit ‚fremdsprachiger‘ Begriff in vielen Texten klein geschrieben und kursiv gesetzt. Hier wird er hingegen im Folgenden nach deutscher Rechtschreibung groß und nicht-kursiv geschrieben. Denn das italienische giallo ist zu unterscheiden vom Giallo als FilmGenre, wie es in deutschen und englischen Texten behandelt wird. Daher wird zwischen Giallo als Film-Genre und dem italienischen Konzept von giallo im Schriftbild unterschieden. Das Film-Genre wird im Folgenden groß geschrieben, während das italienische Konzept klein geschrieben und kursiv gesetzt wird. Die Differenz der beiden Begriffe wird auf der folgenden Seite ausgeführt. Die Interaktion der beiden Konzepte steht gesondert im Kapitel über den Neo-Giallo zur Diskussion. Außerdem sei zusätzlich darauf hingewiesen, dass Gialli nur mit einer Jahreszahl angegeben werden, da die Gialli in ihrer separaten Auflistung als DVD-Archiv des Genres chronologisch sortiert sind, während die anderen Film alphabetisch sortiert sind.

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gerüst der Erzählung von den Ermittlungen über die Morde getragen wird, gelten die exzessiven Mord-Szenen als das eigentliche Spektakel des Genres. Denn sie zeichnen sich durch ausgedehnte Suspense-Inszenierungen, voyeuristische Kamera-Positionen und die Verquickung von Sexualität und brutaler Gewalt aus. Als die bekanntesten und einflussreichsten Regisseure des Giallos gelten Mario Bava und Dario Argento. Diese Skizze – und der Status als Skizze ist dezidiert zu betonen – resümiert das Wissen über den Giallo, das derzeit in verschiedenen Diskursen als Definition des Genres zirkuliert. Als Schnittmenge kann man gegenwärtig in filmwissenschaftlichen Studien, in populärwissenschaftlichen Publikationen, in Magazinen und Einführungen zur Film- oder Genre-Geschichte, auf Covern von DVDs, in Rezensionen in Zeitschriften und im Internet die obige Definition finden. Während die Filme, die als Giallo gruppiert und klassifiziert werden, bis zu 50 Jahre alt sind, ist diese Genre-Definition kaum älter als zehn Jahre: Als die gleichen Filme, die derzeit als typische Gialli bezeichnet werden, in den 60er und 70er Jahren in den US-amerikanischen Kinos aufgeführt wurden, beschrieb man sie als thriller, horror oder exploitation (vgl. Schwartz 2003: 226; Lucas 2009: 860f). Bei ihrer Aufführung in bundesdeutschen Kinosälen wurden die gleichen Filme zumeist als Krimis beworben. Adressiert wurde dadurch dasselbe Publikum, das in den 60er Jahren die Edgar-Wallace-Filme zu einem großen KinoErfolg gemacht hatte. In Italien galten die Filme hingegen zwar selbstverständlich als gialli, jedoch bezeichnet das Wort im Italienischen murder mysteries aller Art und in allen Medien: Detektiv-Geschichten, Gothic-Novels,2 Comics wie das giallo a fumetti Diabolik3 oder auch Fernseh-Formate wie TELEFONO GIALLO (I 1987-1992),4 das dem deutschen Format AKTENZEICHEN XY UNGELÖST (BRD 1967-) ähnelt. Das italienische Konzept giallo umfasst auch die Filme, die heute als Gialli ge- und be-handelt werden, ist aber nicht auf diese beschränkt.5 Erst im Zuge der Ver2

Siehe zur Giallo-Literatur beispielsweise: Vickermann 1998; Tani 1984; Neu 2005: insbesondere 39-52; Rajewsky 2005; Somigli 2005.

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Der Ausdruck il giallo a fumetti ist die Genre-Bezeichnung, die auf dem Cover des Comics (ital.: fumetto) Diabolik und über dem Titel der einzelnen Geschichten abgedruckt ist. Auf diese italienische Bezeichnung hat auch Andy Black hingewiesen (vgl. Black 2001: 160 Endnote 1).

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Siehe zu dieser Fernsehsendung auch: Thomas 1989.

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Die ‚Italieness‘ des Filmgenres Giallo wird dabei oft betont – der Giallo gilt als ein ‚rein‘ und ‚typisch‘ italienisches Genre –, obwohl der Giallo keineswegs mit dem italienischen giallo deckungsgleich ist. Beispielsweise bezeichnet Karola Schwartz den

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marktung dieser italienischen Filme auf DVD wurden sie außerhalb Italiens mit dem Genre-Namen Giallo klassifiziert. Der Distributionsdiskurs der DVD popularisierte das Wort Giallo und ein bestimmtes Konzept, was als Giallo zu verstehen sei. Beispielsweise veröffentlichte das DVD-Label Anchor Bay ab 2002 eine Giallo Collection, auf deren Cover folgende Definition des Genres zu lesen war: „The word giallo (yellow) refers to the controversial series of savage Italian suspense thrillers that shocked international audiences throughout the ’60s and ’70s. THE GIALLO COLLECTION presents these rarely seen classics fully restored from original vault elements and filled with all the explicit sex, graphic violence and startling twist endings that have come to define this brutal, stylish genre.“ (WHO SAW HER DIE: Anchor Bay: The Giallo Collection, USA 2002 [Herv. i.O.])

Etabliert wurde dadurch ein Konzept, mit dem die Filme der DVD-Kollektion als Gialli perspektiviert wurden. Darüber hinaus bildeten die Filme der Giallo Collection zugleich einen Kanon, die „classics“ dieses neuen Genre-Konzepts. Es entwickelte sich diskursiv eine Genre-Definition, wie sie heute weit verbreitet vorgefunden werden kann. Es lässt sich daher pointieren: Der Giallo ist offensichtlich ein Konstrukt. Die Geschichte des Genres und seiner Ausbildung zeigt paradigmatisch auf, dass Genres nicht inhärente Eigenschaften oder gar Wesenszüge von Filmen sind. Genre-Konzepte werden hingegen in Interdependenz zu Filmen in Diskursen ausgehandelt. Die Betrachtung des Giallos – wie jedes anderen Genres – erfordert mithin eine doppelte Perspektiv-Verschiebung in der filmwissenschaftlichen Genre-Theorie: Zum einen weg von den Genre-Definitionen, die Genres eindeutig festlegen und fixieren sollen, hin zu Genre-Konzepten, die in Diskursen stetig prozessiert, deren Name und Bedeutung stetig verhandelt werden.6 Zum anderen weg von einer Analyse entweder nur der Filme oder aber nur der Genre-Konzepte hin zu einer Doppelperspektive der Interdependenzen zwischen intertextuellen Mustern und den Praktiken und Diskursen ihrer Aneignung,7 durch die spezifische Genre-Konzepte prozessiert werden. Diese DoppelGiallo als „[b]y far the most ‚Italian‘ blending [of genres, d. Verf.]“ (Schwartz 2003: 225). 6

Auch für Genres gilt Friedrich Nietzsches Diktum „definierbar ist nur Das, was keine Geschichte hat“ (Nietzsche 2012: 316). Zur Differenzierung von definierten Bezeichnungen und historisch gewachsenen und wandelbaren Begriffen siehe auch: Koselleck 1979: XXIIf.

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Der Begriff der Aneignung ist hier in seiner Verwendung als Subjekt wie auch als Verb im Sinne von John Fiskes „appropriation“ zu verstehen (vgl. Fiske 2011). Der Begriff hebt darauf ab, dass Medien-Nutzer Texte nicht passiv rezipieren, sondern

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perspektive fragt sowohl danach, welche Effekte Iterationsmuster auf ihre Rezeption und ihre Diskursivierung8 haben können, als auch danach, welche Lektüren aus bestimmten Genre-Konzepten resultieren können. Diese Doppelperspektive, die hier entworfen wird, resultiert aus den Ansätzen der Medienkulturwissenschaft und antwortet zugleich auf die Aporien der filmwissenschaftlichen Genre-Theorien. In den Kapiteln des Blocks „Die GenreTheorie und der Giallo“ wird dieser Ansatz theoretisch modelliert und eingehend fundiert – doch hier soll er im Folgenden zunächst beispielhaft anhand des Giallos hergeleitet werden. Dazu wird zunächst die Debatte darüber referiert, dass der Giallo die Genre-Theorie irritiere und die Filme besser mit dem alternativen, italienischen Modell des filone gefasst werden könnten. Diese Kontrastierung von Genre und filone lenkt den Blick auf Axiome und Aporien aktueller GenreTheorien. Um diese zu umgehen, wird schließlich John G. Caweltis Unterscheidung von Formel und Genre fruchtbar gemacht für die Modellierung der hier vorgeschlagenen medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspektive auf Genres. Die Besonderheit des Giallos, durch die sich das Genre von anderen Genres in seiner Produktivität für genre-theoretische Reflexionen abhebt, liegt nicht nur in der Geschichte seiner Ausbildung als DVD-Genre, sondern auch in der Geschichte seiner Erforschung begründet: Bereits seine filmwissenschaftliche Erschließung setzte mit genre-theoretischen Überlegungen und Problematisierungen ein. Den ersten filmwissenschaftlichen Versuch, das Genre als solches zu beschreiben, hat 2002 Gary Needham mit seinem Aufsatz Playing With Genre: Defining the Italian Giallo vorgelegt.9 Bevor Needham in seinem Text diverse sich diese aktiv aneignen. Der Fokus wird dadurch auf die Pluralität der Praktiken und Lesarten gelegt, mit denen dem Text begegnet wird, ihm verschiedene Sinnkomplexe zugeschrieben werden und durch die er verschiedene Funktionen erfüllen kann. 8

Unter „Diskursivierung“ wird hier jede Art der Bezugnahme auf einen Film in einem anderen Zeichensystem verstanden – unabhängig vom Diskurs (beispielsweise: Rezension, DVD-Cover, Genre-Studie, Wikipedia-Eintrag etc.). Mit dem Begriff wird der Fokus auf die Regelhaftigkeit der Ausbildung von ‚Aussagen‘ zum Film unterstrichen. Aufgrund der Notwendigkeit, Quellen in einer wissenschaftlichen Arbeit anzugeben, wird hier vor allem auf gedruckte Quellen referiert, was aber nicht als eine Verengung der Diskursivierungen auf die Schrift verstanden werden darf. Dieser Argumentation liegt die Diskursanalyse zugrunde, wie sie von Michel Foucault entwickelt wurde und im Kapitel über Genre- und Diskurs-Theorie eingehend entfaltet wird.

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Der Aufsatz von Gary Needham erschien erstmals 2002 beim Online-Filmmagazin kinoeye: new perspectives on European film im Rahmen einer Spezialausgabe des Ma-

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Konventionen wie beispielsweise das Motiv der Augenzeugenschaft, das narrative Muster der Detektiverzählung, die psychoanalytischen Codes oder auch die Camp-Ästhetik durchdekliniert, stellt er am Ende seiner einführenden Bemerkungen und gleichsam als deren Schlusspointe fest, dass sich das Genre Giallo einer Definition auf Basis gängiger Genre-Theorien widersetze: „The term [Giallo, d. Verf.] itself doesn’t indicate, as genres often do, an essence, a description or a feeling. It functions in a more peculiar and flexible manner as a conceptual category with highly moveable and permeable boundaries that shift around from year to year […].“ (Needham 2003: 135)

Wie diesem Zitat bereits zu entnehmen ist, basiert Needhams Urteil „that the giallo is not so much a genre […] but a body of films that resists generic definition“ (ebd.: 136) auf einer Abgrenzung von essentialistischen Genre-Theorien, die darum bemüht sind, ein Genre exakt zu definieren. Diese essentialistischen Genre-Definitionen fixieren das Genre, indem sie ihm einen Kanon, ein ‚FilmKorpus‘10 der idealtypischen ‚Genre-Klassiker‘, zudem einen Katalog konstitutigazins über Dario Argento (Ausgabe 2/11 vom 10.06.2002; vgl. Needham 2002). Danach wurde der Aufsatz unverändert 2003 in dem Sammelband Fear Without Frontiers: Horror Cinema Across the Globe publiziert (vgl. Needham 2003). Zudem erschien 2008 eine deutlich gekürzte Version des Aufsatzes im The Cult Film Reader (vgl. Needham 2008). Im Folgenden wird aus dem Aufsatz nach seiner ersten gedruckten Publikation in Fear Without Frontiers: Horror Cinema Across the Globe zitiert, da diese Version als einzige vollständig und paginiert ist. Am Ende dieser gedruckten Version wird als Quelle des Aufsatzes eine Ausgabe des Filmmagazins kinoeye von 2001 statt 2002 angegeben. Der Vergleich mit den Angaben sowohl bei kinoeye als auch bei der zweiten, gekürzten Publikation in The Cult Film Reader ergab jedoch, dass diese Angabe falsch sein muss. 10 Bisher liegen keine Analysen zur Rhetorik der Genre-Theorie vor, obwohl manche Metapher einer näheren Betrachtung wert wäre. Man könnte beispielsweise bei der in deutschen Genre-Theorien oft gebrauchten Bezeichnung „Film-Korpus“ versucht sein, darin die „Einpflanzung von Perversionen“ zu lesen, die Michel Foucault als eine Macht-Strategie der Moderne beschrieb (vgl. Foucault 1983: 41-53): Stellvertretend am Beispiel der sexuellen ‚Perversionen‘ erläutert Foucault, dass die diagnostizierte ‚Perversion‘ im Körper des Subjekts eingeschlossen werde. Durch die „Einpflanzung“ und die Rückführung der ‚Perversion‘ auf die individuelle Biographie kann suggeriert werden, dass die ‚Perversion‘ gleichsam natürlich sei. Verschleiert wird dadurch, dass die ‚Perversion‘ stets ein diskursives Konstrukt ist. Analog verhält es sich bei den essentialistischen Genre-Theorien: Auch diese sind diskursive Konstrukte zur Identifi-

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ver Konventionen, eindeutige Grenzen und eine Geschichte zuweisen. Aufgrund dieser vorgeblich essentiellen Merkmale des Genres können Filme als dem Genre zugehörig oder nicht zugehörig erklärt werden. Eine so verfahrende, essentialistische Genre-Theorie, die noch immer in einigen Diskursen fortgeschrieben wird, ist in der filmwissenschaftlichen Debatte über Genres jedoch längst obsolet. Poststrukturalistisch und kognitionswissenschaftlich informierte Beiträge zur filmwissenschaftlichen Genre-Theorie haben seit geraumer Zeit herausgearbeitet, dass Genres keine stabilen, klar begrenzten und real existierenden Entitäten darstellen.11 Genres sind im stetigen Wandel, überlappen sich teilweise mit anderen Genres, können plötzlich entstehen und ebenso plötzlich verschwinden. Genres sind mithin keine ahistorischen Phänomene oder gar reale Objekte, die mit essentialistischen Genre-Theorien definiert werden können. Stattdessen werden Genre-Konzepte zwischen den einzelnen Texten, ihren Produktions- und Distributions-Kontexten sowie ihren verschiedenen Rezeptionskontexten ausgehandelt.12 Was als ein Genre gilt, ist mithin nicht ‚gegeben‘, sondern Gegenstand permanenter Aushandlungen in verschiedenen Diskursen. Mit diesem anti-essentialistischen Ansatz der Genre-Theorie operiert Gary Needham jedoch nicht, wenn er der essentialistischen Genre-Theorie den Giallo gegenüberstellt. Stattdessen schlägt Needham vor, den Giallo als filone zu begreifen. Dieses italienische Konzept versteht er wie folgt: „The Italians have the word filone, which is often used to refer to both genres and cycles as well as to currents and trends.“ (Ebd.: 135 [Herv. i. O.]) Dass Needham explizit auf ein itakation von – hier: intertextuellen – Phänomenen; auch dem Genre wird ein FilmKörper und eine Genre-Geschichte zugewiesen, wodurch der Eindruck erweckt werden kann, das Genre gehe natürlich aus den Filmen und der Filmgeschichte hervor. Diese Analogie mag manchem Leser eventuell allzu pointiert erscheinen. Jedoch können in Anlehnung an Foucault diverse Naturalisierungs-Rhetoriken von essentialistischen Genre-Modellen kritisch beschrieben werden. 11 Als oft zitierte Vertreter dieser aktuellen filmwissenschaftlichen Genre-Theorie wären beispielsweise Steve Neale und Rick Altman, Jörg Schweinitz, Claudia Liebrand und Gereon Blaseio zu nennen (vgl. Neale 2000; Altman 2006; Schweinitz 1994; Liebrand/Steiner 2004: 7-15; Blaseio 2004a). 12 Hier und im Folgenden wird für Filme der erweiterte Text-Begriff, wie ihn sowohl der Poststrukturalismus als auch insbesondere die Cultural Studies propagieren, in Anschlag genommen. Es geht hier nicht um eine transmediale Genre-Theorie, die Differenzen von Zeichensystemen und Medien einebnet. Entsprechend werden die theoretischen Ansätze – etwa des Poststrukturalismus, der Kognitionswissenschaft, der Cultural Studies, des New Historicism, der Diskurs-Theorie etc. – nicht blind übertragen, sondern mit Blick auf das Medium Film und die Genre-Theorie reflektiert.

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lienisches Konzept zurückgreift, um das italienische Genre Giallo theoretisch zu fassen, begründet er mit der Kritik daran, dass bisherige Genre-Theorien maßgeblich anhand von amerikanischen und insbesondere Hollywood-Filmen modelliert worden sind. Dass diese Hollywood-zentrierten Genre-Theorien für den Giallo nur bedingt produktiv seien, versteht Needham als Ausdruck ihrer begrenzten Erklärungskraft für lediglich amerikanische Genres: „This points out the limitations of genre theory built primarily on American film genres […].“ (Ebd.) Dieser Kritik ist zuzustimmen, wird die Hegemonie Hollywoods in der filmwissenschaftlichen Genre-Theorie doch allein schon an den Titeln einschlägiger Publikationen offensichtlich: Hollywood Genres. Formulas, Filmmaking, and the Studio System; Genre and Hollywood; Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film; oder Hollywood Hybrids. Mixing Genres in Contemporary Films.13 Bezeichnenderweise fordert Steve Neale, der im Jahr 2000 mit seiner Monographie Genre and Hollywood die bis dahin komplexeste – aber, wie später noch gezeigt wird, in ihren Axiomen nicht minder dogmatische – Genre-Theorie in der Filmwissenschaft vorgelegt hat, zwar explizit ein, dass die Produktivität der von ihm modellierten Genre-Theorie an anderen, bisher weniger beachteten Genres zu prüfen sei – jedoch überschreitet seine Forderung nicht die Grenzen des US-amerikanischen Films (vgl. Neale 2000: 254). Andere Vertreter der englischsprachigen Genre-Theorie haben hingegen bereits früher auf dieses Defizit hingewiesen. Beispielsweise hat Alan Williams 1984 eingefordert, dass die Genre-Theorie sich neben Hollywood auch anderen Film-Kulturen bzw. generic systems widmen müsse (vgl. Williams 1984: insbesondere 124). Auch Robert Stam kritisierte in seiner Einführung in die Filmtheorie, dass die bisherigen genre-theoretischen Beiträge der Filmwissenschaft durch einen „Hollywood-centrism“ (Stam 2000: 129 [Herv. i.O.]) geprägt und begrenzt seien. Als ein Beispiel für diesen Hollywood-centrism führt Stam genre-theoretische Studien an, die unter dem Genre Musical vorrangig und wie selbstverständlich allein das „Hollywood musical“ fassen – statt etwa auch das „Brazilian chanchadam“, das „(Bollywood) Bombay musical“ oder aber das „Mexican cabaretera“ (ebd. [Herv. i.O.]). Jüngst hat auch Barry Keith Grant dieses genretheoretische Desiderat gleichsam als Schlussfolgerung aus seiner Einführung in die filmwissenschaftliche Genre-Theorie erneut und forciert als Appell betont (vgl. Grant 2007: 102-108). Am polemischsten fällt diese Kritik jedoch bei Janet Staiger aus, die 1997 kritisierte, dass die Genre-Theorie sich zwar das Konzept der Hybridität aus den postcolonial studies angeeignet hätte, aber den Blick den13 Bei den genannten Publikationen handelt es sich um: Schatz 1981; Neale 2000; Liebrand/Steiner 2004; Jaffe 2008.

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noch weiterhin strikt auf Hollywood begrenze. Im Gegensatz zu der interkulturellen Perspektive der postcolonial studies spricht Staiger daher im Fall der bisherigen Ergebnisse der filmwissenschaftlichen Genre-Theorien polemisch zugespitzt von genre inbreds statt von genre hybrids (vgl. Staiger 2004).14 Man könnte meinen, dass mit dem Aufsatz von Gary Needham, der den Giallo und das filone so prominent für diese Kritik in Anschlag bringt, eine mögliche Antwort auf diese Forderungen nach einer stärker interkulturell perspektivierten Genre-Theorie vorläge. In Folge von Needhams prominent und forciert gesetzter Agenda des Giallos als Kritik an Hollywood-zentrierten Genre-Theorien, die er an Anfang und Ende seines Aufsatzes und somit gleichsam als dessen Rahmung platzierte, wurde diese Kritik zwar auch von anderen Autoren in Studien über den Giallo wiederholt – dies betrifft sowohl englische als auch deutsche Schriften.15 Dass jedoch keiner der Autoren die Agenda ernst nahm und anhand des Giallos zu genre-theoretischen Überlegungen überging,16 schreibt konsequent die performierte Agenda von Needhams Aufsatz fort, die im Widerspruch zur postulierten Agenda steht. Denn auch Needham untersucht trotz seiner Kritik an den bisherigen Genre-Theorien nicht das genre-theoretische Potenzial, das das Genre Giallo eröffnet, indem es gängige Genre-Theorien an die Grenzen ihrer Erklärungskraft führt. Stattdessen fällt Needham hinter seinen eigenen Anspruch zurück und definiert zentrale Konventionen des Genres: „The following points therefore, are an attempt to clarify and define familiar aspects of this ‚canon‘.“ (Needham 2003: 136) Am Ende seines Aufsatzes betont Needham zwar erneut 14 Der Aufsatz wurde erstmals 1997 in Film Criticism (Ausgabe 22/1) veröffentlicht, danach wurde er unter anderem im Film Genre Reader 3 erneut abgedruckt, aus dem hier zitiert wird. 15 So beispielsweise für den englischen Diskurs: Bondanella 2009: 373-376; Sanjek 1994: 89f; Nakahara 2004: 126; Wagstaff 1996: 224f. Für den deutschen Diskurs vergleiche stellvertretend: Stiglegger 2007a; Corso 2007: 5. 16 Ein Aufsatz von Kai Naumann könnte dafür als durchaus symptomatisch bezeichnet werden: Zwar erläutert Naumann als Auftakt zu seiner Lektüre des Neo-Giallos AMER (2009) auf einer halben Seite das Konzept filone im Anschluss an Mikel J. Koven, doch bricht die Explikationen dann abrupt mit der Rückkehr zum Genre-Begriff ab. Dies begründet er wie folgt: „Durch die Etablierung der Bezeichnung Genre in unserem Sprachgebrauch wird der vorliegende Aufsatz allerdings vorwiegend auf den Ausdruck filone verzichten und stattdessen weiterhin mit Genre arbeiten.“ (Naumann 2012: 35 [Herv. i.O.]) Der Aufsatz führt damit paradigmatisch vor, dass es selbst zur Konvention geworden ist, im Zuge der Diskursivierung des Giallos auch auf filone einzugehen, ohne das Konzept jedoch für Reflexionen über Genre-Konzepte fruchtbar zu machen.

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die Agenda, auf die schon seine Einleitung hinauslief: Der Giallo sei nicht mit (essentialistischen) Genre-Theorien zu fassen, sondern müsse diskursiv als Interaktion zwischen den Filmen und ihren Produktions- und Rezeptionskontexten untersucht werden. Der Hauptteil seiner Arbeit läuft diesem Appell jedoch zuwider, da er anhand eines Kanons der Gialli genre-konstitutive Konventionen definiert. Diese Ambivalenz zeichnet auch bereits den Titel seines Aufsatzes aus, da der Obertitel Playing With Genre dem Untertitel Defining the Italian Giallo unversöhnlich gegenübersteht. Gary Needham verschenkt damit das Potenzial für eine Reflexion über Genre-Theorien, das der Giallo und das Konzept filone eröffnen. Das italienische Wort filone bedeutet so viel wie Ader oder Strömung. Während der Begriff in englischsprachigen Studien zum italienischen Film inzwischen zum Standard-Vokabular gezählt werden kann, wurde er in deutschsprachigen Studien noch nicht etabliert.17 In den englischsprachigen Studien wird das italienische Konzept zumeist als Traditionslinie verstanden. Das Verhältnis zwischen filone und Genre ist in diesen Texten jedoch spannungsreich, da filone einerseits nicht in den gängigen Genre-Theorien aufgeht und andererseits dennoch explizit im Fall von Übersetzungen des Begriffs ins Englische und implizit durch seine Setzungen innerhalb genre-theoretischer Ausführungen wiederholt in Analogie zum Genre-Begriff gerückt wird. So umschreibt Peter Bondanella – Autor einschlägiger englischsprachiger Monographien zur Geschichte des italienischen Films – das italienische Konzept beispielsweise wie folgt: „Italian film historians and scholars are more likely to call a collection of films, such as the spaghetti western or the giallo, a filone – literally meaning a large thread, but used by Italians to indicate a collection of similar themes or styles, a genre or subgenre, perhaps also a formula or pattern.“18 (Bondanella 2009: 374 [Herv. i.O.])

17 Bezeichnenderweise übernimmt Marcus Stiglegger von Gary Needham die Argumentation, dass der Giallo essentialistische Genre-Theorien – die auch Stiglegger noch als Standard annimmt – irritiert. Jedoch propagiert er als Gegenmodell nicht filone, sondern die Forderung nach einer Perspektivierung des Genres als Diskurs, wie es auch schon von Gary Needham im letzten Absatz seines Aufsatzes angesprochen worden war (vgl. Stiglegger 2007a: 11). 18 Es sei bei dieser Gelegenheit angemerkt, dass weder Peter Bondanella noch irgendein anderer Autor je sein Konzept des filone auf Quellen zurückführt. Persönliche Gespräche mit Italienern, von denen die meisten zudem entweder Romanisten, Kulturoder sogar Film-Wissenschaftler sind, ergaben jedoch, dass filone umgangssprachlich und in Fachpublikationen etwa im Sinne einer ‚Traditionslinie‘ benutzt wird.

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Dieses Zitats steht nicht nur paradigmatisch dafür, dass die englischsprachige Diskussion des kulturspezifischen Konzepts filone auffällig an die zeitgleiche Etablierung des Giallos im filmhistorischen Kanon der italienischen Genres gekoppelt ist.19 Das Zitat zeugt auch davon, dass Bondanella sich sichtlich schwer tut, das Konzept filone begrifflich zu fassen. Auch bei anderen Autoren oszilliert filone immer wieder zwischen einer Gleichsetzung mit Genres einerseits und mit eher partikularen Kategorien wie einem Thema oder einer Agenda andererseits. So schreibt Bondanella an anderer Stelle in derselben Monographie: „The ‚political film,‘ therefore, must be understood as what Italian film historians call a filone: literally a ‚thread,‘ here a metaphorical one that runs through many directors, many genres, and a number of decades in Italian film history […].“ (Bondanella 2009: 242 [Herv. i.O.]) Im Sinne einer Traditionslinie bezeichnet filone damit eine intertextuelle Struktur, die durch sehr verschiedene Kriterien organisiert sein kann. Ein filone kann durch eine Figur wie Maciste oder Herkules konstituiert werden,20 oder durch einen Star wie die Gialli mit Edwige Fenech, oder aber durch ein narratives Muster wie den Giallo pseudofantastico.21 Filone 19 Dies wird gerade in den italienischen Filmgeschichten von Peter Bondanella offenkundig. Selbst in der dritten Auflage seiner Monographie Italian Cinema from Neorealism to the Present, die erstmals 1983 erschienen und 1990 um neues Material ergänzt worden war, kommt sowohl das Wort Giallo als auch das Wort filone kein einziges Mal vor. Auf lediglich fünf Seiten behandelt Bondanella die Filme von Dario Argento unter den Vorzeichen des auteurs und der Genre-Konzepte Horror und Slasher. In seiner neuen, erstmals 2009 erschienen Monographie A History of Italian Cinema kommt hingegen dem Giallo ein eigenes 44 Seiten starkes Kapitel zu und auch das Wort filone wird wiederholt eingebracht und erklärt (vgl. Bondanella 2008: insbesondere 419-424; Bondanella 2009: 372-415). 20 Viele italienische peplum-Filme, deren Held in der italienischen Fassung Maciste heißt, wurden für den deutschen Vertrieb so synchronisiert und betitelt, dass es sich vermeintlich um einen Herkules-Film handelte. Für diese kulturelle Adaption lassen sich zwei wahrscheinliche Gründe anführen: Erstens wollte man damit an den Erfolg des ersten Herkules-Films anknüpfen: LE FATICHE DI ERCOLE (I 1958, R: Pietro Francisci). Zweitens war Maciste in Deutschland kaum bekannt, während die Figur in Italien seit ihrem ersten Auftritt in dem Monumentalfilm-Klassiker CABIRIA (I 1914, R: Giovanni Patrone) zum festen Bestand der italienischen Populärkultur gehörte. 21 Diese Bezeichnung ist eine genre-historisch und genre-theoretisch motivierte Feinzeichnung des Begriffs giallo fantastico, wie Mikel J. Koven ihn in Anlehnung an Kim Newman benutzt (vgl. Koven 2006: 9f). Koven versteht unter dem giallo fantastico undifferenziert jede Art von Giallo-Gothic-Horror-Hybride. Koven fasst unter den Begriff damit sowohl Giallo-Gothic-Horror-Hybride mit übernatürlichen Phäno-

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kann aber auch als ein Genre wie beispielsweise der Giallo oder der Italowestern verstanden werden. Filone umfasst als vager Begriff zur Gruppierung von Filmen nach verschiedenen Kriterien damit zwar auch Genres, aber diese werden auf der Folie des Vergleichs mit filone als lediglich eine intertextuelle Struktur sichtbar, die in Relation und Interaktion mit anderen intertextuellen Strukturen wie Stars, Figurentypen, Trends etc. zu betrachten ist. In dieser Perspektive ist das, was in den filmwissenschaftlichen Studien zum italienischen Film genre-theoretisch unter filone gefasst wird, der post-strukturalistisch informierten Genre-Theorie, wie sie beispielsweise Steve Neale und Claudia Liebrand modellieren, sehr nahe. Wie diese anti-essentialistischen Genre-Theorien betont auch das Konzept filone die Historizität eines Films und dessen Verortung nicht nur in einem Genre, sondern in verschiedenen Kontexten – wie Star-Images, zeitspezifischen Trends, narrativen Mustern oder Figurentypen. Dies zeigt sich in vielen jüngeren Studien zum italienischen Film, in denen man an die Stelle des italienischen Wortes filone auch den Begriff „Genre“ setzen könnte, ohne dass ein Leser, der bei seiner Lektüre bereits mit einer anti-essentialistischen Genre-Theorie operiert, eine Irritation oder gar eine Verwerfung bemerken würde.22 Daher soll hier keine filone-Theorie als (kulturspezifischer) Gegenentwurf zur Genre-Theorie entwickelt werden – denn diese würde die Aporien der bisherigen Hollywood-zentrierten Genre-Theorien lediglich auf eine andere Kultur und ein anderes generic system23 übertragen. Der Begriff filone ist dennoch produktiv, da er den Blick noch stärker auf das Prinzip der Iteration und menen wie OPERAZIONE PAURA (I 1966, R: Mario Bava) oder SUSPIRIA (I/BRD 1977) (hier: giallo fantastico) als auch solche, die das Gothic-Horror-Narrativ nachträglich als Plot in einem Giallo-Narrativ demaskieren wie LO SPETTRO (1963) oder LA NOTTE CHE EVELYN USCI DALLA TOMBA (1971) (hier: Giallo pseudofantastico). Die historische Signifikanz der zyklischen Produktion des narrativen Musters Giallo pseudofantastico wird später näher ausgeführt. 22 So listet beispielsweise Mikel J. Koven in seiner Monographie zum Giallo diverse filoni – „the Nazi-Sexploitation filone […], the cannibal filone, the zombie filone“ (Koven 2006: 168 [Herv. i.O.]) – auf, die in anderen Studien als Genre oder Zyklen bezeichnet werden. 23 Als ein generic system – ein Genre-System – bezeichnet Tom Ryall einen Produktionsmodus, in dem Genres als Muster der Produktion, Vermarktung und Rezeption von Filmen dienen. Genre-Theorien und die Erörterung einzelner Genres müssen nach Ryall stets im Kontext ihres generic system betrachtet werden, da durch dieses System bestimmte Praktiken und Muster der Diskursivierung der Genres ermöglicht werden (vgl. Ryall 1998: 329-333; für eine Diskussion des Konnexes von filone und italienischem generic system siehe: Wood 2005: 14f).

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der konstitutiven Nachträglichkeit lenkt. Denn erst durch die Iteration wird eine Konstellation – etwa von erfolgreichen Inszenierungsstrategien – nachträglich als Iterations-Muster und der Initiationsfilm, der seriell adaptiert wurde, nachträglich als Formelfilm konstituiert.24 Das Konzept filone unterstreicht durch diese Betonung der Iterations-Muster einen zentralen Faktor von Genres, der in den aktuell avanciertesten der antiessentialistischen Genre-Theorien in den Hintergrund getreten ist: Das filone wird immer auch als eine historische Konstellation der Intertextualität gedacht, deren Muster sich durch mehrere Filme hindurch beobachten lassen. Entsprechend fasst selbst Gary Needham, der im Hauptteil seines Aufsatzes eine sehr konservative, essentialistisch-strukturalistische Genre-Theorie betreibt, das filone zunächst als „body of films that resist generic defintion“ (Needham 2003: 136) auf. Obgleich er die Interaktion der Filme mit ihren Produktions- und Rezeptions-Kontexten sowie die Kombination verschiedener Dynamiken und Trends betont, steht im Zentrum seiner Argumentation das filone als „body of films“, als eine Gruppierung von Filmen. Die jüngsten Tendenzen der antiessentialistischen Genre-Theorie haben sich hingegen in zwei Richtungen entwickelt, die gerade von diesem Minimalkonsens des Genres25 als intertextueller 24 Das Prinzip der konstitutiven Nachträglichkeit wird auf Sigmund Freud zurückgeführt. Am Beispiel des Falls des ‚Wolfsmanns‘ führt Freud aus, dass ein Erlebnis seines Patienten erst durch ein anderes, viele Jahre danach liegendes Ereignis als traumatisches Erlebnis aktualisiert worden war und nachträglich zum konstitutiven Element der Neurose des Patienten geworden waren (vgl. Freud 1999a: 55-75). Freuds Modell der konstitutiven Nachträglichkeit wurde in der Genre-Theorie insbesondere von Irmela Schneider und Claudia Liebrand stark gemacht (vgl. Schneider 2004: 24-28; Liebrand/Steiner 2004: 7-10). Das Prinzip der konstitutiven Nachträglichkeit wird hier vor allem herangezogen, um solche Phänomene wie essentialistische Konzepte von Genre-Klassikern und -Konventionen kritisch zu hinterfragen. Wie im Fall von Freuds Wolfsmann, dessen eigentlich vorgängiges Kindheitserlebnis als traumatische ‚Urszene‘ erst durch ein späteres, zweites nachträglich konstituiert wurde, wird auch erst aus der Perspektive des Iterations-Musters einer Inszenierung eben derjenige Film, in dem diese Inszenierung erstmals vorkam oder der breiter rezipiert und rezensiert worden war, nachträglich als der Formelfilm benennbar, durch den vermeintlich die Konvention bzw. das Iterations-Muster begründet worden sei. 25 Die am häufigsten in der jüngeren englischsprachigen Genre-Theorie zitierte Minimaldefinition stammt, wie hier zumindest am Rande erwähnt sein soll, von Barry Keith Grant und lautet wie folgt: „Stated simply, genre movies are those commercial feature films which, through repetition and variation, tell familiar stories with familiar characters in familiar situations. They also encourage expectations and experiences

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Struktur abrücken: Die eine Tendenz destilliert die Genre-Konzepte aus den Diskursivierungen der Filme oder dem oft beschworenen ‚Dialog‘ zwischen Produzenten und Rezipienten. Die andere Tendenz spürt den komplexen, multigenerischen Verhandlungen in einzelnen Filmen nach und betont die Singularität jedes Textes. Beide Ansätze tangieren jedoch nur noch das Genre als Beschreibung eines intertextuellen Musters und als Gruppierung von Filmen. Und doch lassen sich Iterations-Muster beobachten, die jedoch noch nicht mit einem Genre verwechselt werden dürfen. Der Titel(begriff) Formelkino ist hier ernst zu nehmen, denn der Begriff der Formel wird in Anlehnung an John G. Cawelti affirmativ benutzt. In seiner Studie Adventure, Mystery, and Romance. Formula Stories as Art and Popular Culture stellte Cawelti bereits 1975 ein literaturwissenschaftliches Modell vor, in dem er Formeln und Genres in Bezug zueinander setzt.26 Unter dem Begriff der Formel fasst Cawelti die Beobachtung einer Formation, die sich als intertextuelles Muster durch ihre Iteration in Texten ausbilde.27 Die Iteration ist für ihn dabei von zentraler Bedeutung, da sich erfolgreiche und populäre Textstrategien nicht in einem einzelnen Text, sondern nur similar to those of similar films we have already seen.“ (Grant 2003: xv) Im Anschluss an André Bazins Bezeichnung des Genres als genius of the system betont Barry Keith Grant das für Genres konstitutive Spannungsverhältnis von Iteration und Variation. 26 Cawelti führt noch einen dritten Terminus ein (vgl. Cawelti 1976: 5f): Dem Konzept der Formel als Iterations-Muster, das historisch wie kulturell spezifisch sei, stellt er die Archetypen zur Seite. Diese Archetypen bezeichnen solche Muster, die transhistorisch und transkulturell beobachtet werden könnten. Cawelti ist bemüht die Archetypen anthropologisch durch Bedürfnisse des Menschen – etwa nach Unterhaltung – zu begründen. Zugleich dienen ihm die Archetypen jedoch auch dazu, die Historizität und kulturelle Spezifik von Formeln zu betonen, da Formeln stets Aktualisierungen von vermeintlich ihnen zugrunde liegenden Archetypen darstellten. In Caweltis Ausführungen knirscht die Spannung zwischen stabilen, ahistorischen Archetypen und dynamischen, historisch und kulturell genau zu kontextualisierenden Formeln arg. Auf abstrakte, ahistorische Konzepte wie Caweltis Archetypen wird hier ganz verzichtet, da sie die historischen Transformationen von verschiedenen Mustern wie beispielsweise ästhetischen Konventionen, konventionellen Narrativen oder aber auch Figurentypen und Motiven eher zu verdecken drohen. 27 John G. Cawelti definiert die Formel sehr vage und primär nach narratologischen Gesichtspunkten wie folgt: „In general, a literary formula is a structure of narrative or dramatic conventions employed in a great number of individual works. […] a formula is essentially a set of generalizations about the way in which all the elements of a story have been put together.“ (Ebd.: 5, 30).

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als intertextuelle Muster in mehreren Texten erkennen ließen. Der Aspekt der Popularität kommt hier ins Spiel, da Cawelti das Publikum bzw. die Leser als Agenten der Selektion von Formeln versteht: Ihre Textwahl motiviert die serielle Produktion von Texten nach einem Muster, das dann als Formel beobachtet werden könne.28 Obwohl die Formeln, die Cawelti behandelt, sehr allgemein und weit gefasst sind – neben den titelgebenden Formeln Adventure, Mystery und Romance behandelt er beispielsweise auch die Classical Detective Story oder das Social Melodrama –, ist sein Ansatz interessant, da er das Konzept der Formel, verstanden als ein intertextuelles Muster, und den Begriff des Genres im Sinne eines diskursiven Konzepts zur Beschreibung der Formel in seinem Modell der zwei Phasen der Literaturanalyse in Relation zueinander setzt (vgl. Cawelti 1976: 6-8): In der ersten Phase der wissenschaftlichen Textanalyse – bei Cawelti: Literaturanalyse – würden intertextuelle Strukturen durch einen Vergleich von möglichst vielen Texten identifiziert. Das Ergebnis sei die Identifikation einer Formel. In einem zweiten Schritt würde die Formel benannt und nach normativen Aspekten bewertet. Erst diesen Namen und die Diskursivierung der Formel bezeichnet Cawelti als Genre. Ohne dass er explizit darauf eingeht, kann Cawelti als Anregung dazu gelesen werden, das Genre als ein diskursives Konzept zu denken, das zeit- und kulturspezifisch für eine Formel im Sinne eines intertextuellen Musters verhandelt wird. Mit dem Zusammendenken von Formeln einerseits und Genres andererseits skizziert Cawelti implizit, dass jede Genre-Theorie stets die Interdependenz von zwei Faktoren berücksichtigen muss: zum einen die gegebenen Texte und die durch sie konstituierten intertextuellen Muster, zum anderen die GenreKonzepte, mit denen diese intertextuellen Muster beschrieben werden. Ähnlich wie andere Genre-Theoretiker seiner Zeit – zu nennen wären vor allem Tzvetan Todorov und Andrew Tudor (vgl. Todorov 1975; Tudor 1974)29 – nimmt Ca28 Die Formulierung ‚serielle Produktion‘ ist bei Cawelti ebenso wie hier nicht negativ konnotiert, im Gegensatz beispielsweise zu kulturkritischen Ansätzen. Stattdessen ist gerade bei einer seriellen Produktion eine Dialektik aus Standardisierung und Variation bzw. dynamischem Spiel mit Konventionen zu beobachten (vgl. Cawelti 1976: 20f; Horkheimer/Adorno 2008). 29 Der Genre-Begriff wurde in der – vor allem: englischsprachigen – Filmwissenschaft gegen Ende der 60er Jahre und vor allem seit Beginn der 70er Jahre als ernsthafter Forschungsgegenstand in den Blick genommen. Einige dieser frühen Texte zur GenreTheorie lassen bereits sehr reflektierte und relativierte anti-essentialistische Züge erkennen, die (aus retrospektiver Sicht) zur diskursiven Verfasstheit von Genres hinzudeuten scheinen. Zugleich operieren die Texte jedoch vorrangig noch immer mit dem Primat des Genres als intertextuelle Struktur bzw. als Gruppierung von Texten. Zu

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welti die Methoden der Genre-Theorie kritisch in den Blick und lässt durch eine Hinwendung zur Analyse von diskursiven Genre-Konzepten eine Abkehr von essentialistischen Genre-Theorien erahnen. Dieser Ansatz wurde zwar in der Genre-Theorie später wieder aufgegriffen – insbesondere von Steve Neale –, jedoch geriet dabei aus dem Blick, was für Cawelti noch an zentraler Stelle steht: die tatsächlich gegebenen Texte und die beobachtbaren intertextuellen Muster. Nun verhält es sich jedoch so, dass die intertextuellen Muster, durch die sich Texte beispielsweise zu Genres gruppieren lassen, kontingent sind. Es ist unbestreitbar, dass Iterationen in Texten zu beobachten sind.30 Für den Giallo lassen sich beispielsweise verschiedene Faktoren nennen, die in den meisten Gialli iteriert werden: das Motiv der Blicke und der Augenzeugenschaft, die Figurentypen des traumatisierten Mörders und des Amateurdetektivs, Stile wie die subjektive Kamera, narrative Einheiten wie Befragungen und die heimliche Spurensuche, oder aber genre-typische Sequenzen (set-pieces) wie die spektakulären Morde. Diese Iterations-Muster könnten als filoni – im Sinne von Needham – oder als Formel – im Sinne von Cawelti – bezeichnet werden, jedoch müssen sie deshalb nicht automatisch als ein Genre – hier: als Giallo – identifiziert werden. Während die intertextuellen Muster sich offensichtlich im Vergleich der Filme ausmachen lassen, beweist das nicht die Existenz eines Genres. Denn das Genre ist, wie Cawelti impliziert, lediglich ein diskursives Konzept, um diese Muster zu fassen und zu benennen. Das Genre ist mithin eine Beobachterkategorie. Stattdessen könnte man die gegebenen Filme auch anders gruppieren: Man könnte nennen sind vor allem die Arbeiten von Tzvetan Todorov, Andrew Tudor und John G. Cawelti, die in der (englischsprachigen) filmwissenschaftlichen Genre-Theorie breit rezipiert worden sind. Blickt man heute auf diese Texte zurück, die erste Ansätze einer anti-essentialistischen Genre-Theorie andachten, wie sie dann Steve Neale und Barbara Klinger oder Gereon Blaseio und Claudia Liebrand entfalteten, so kann man diese Gedanken produktiv neu lesen, um die Radikalisierungstendenzen in der GenreTheorie der letzten Jahre kritisch zu relativieren. 30 In diesem Kontext sei erneut betont, dass Iteration als medienkulturwissenschaftlicher Fachterminus nicht dasselbe wie Wiederholung bedeutet. Wie auch der Begriff der Aktualisierung hebt die Iteration darauf ab, dass eine exakte Wiederholung aus zwei Gründen prinzipiell undenkbar ist: Erstens konstituiert jede Wiederholung einen Bezug zum Wiederholten und unterscheidet sich dadurch von seiner Referenz. Zweitens, und dies ist der schwerwiegendere Einwand, wird die Wiederholung in andere Kontexte, Bezüge und Sinnkomplexe gesetzt, die das Wiederholte und seine LektüreOptionen notwendigerweise modifizieren. Der Begriff der Iteration – und im Folgenden auch: der Aktualisierung – unterstreicht das Spannungsverhältnis aus Wiederholung und Variation.

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die beobachtbaren intertextuellen Muster differenzieren in Intertexte wie Stars, Motive, Figurentypen, stilistische Trends, Narrative, set-pieces, Codes etc., kurz: filoni im weiten Sinne von ganz unterschiedlichen Traditionslinien. Doch auch wenn man alle intertextuellen Muster in einem einzelnen Konzept wie einem Genre zusammenfasst, so könnte man die gleichen Filme mit verschiedenen anderen Genre-Konzepten fassen und gruppieren. Wie bereits eingangs erwähnt wurde und im nächsten Kapitel näher ausgeführt wird, schrieb man die Gialli vor ihrer Veröffentlichung auf DVD anderen Genres zu: dem Krimi,31 dem Thriller, dem Horrorfilm, dem Slasher. Die zentrale These der hier entworfenen GenreTheorie lässt sich daher wie folgt zuspitzen: Das Genre ist nicht identisch mit den intertextuellen Mustern, die es benennt. Das Genre existiert weder als reale Entität noch ist es den Filmen wesenhaft immanent: Le genre n’existe pas!32 Und dennoch zählen Genres, ohne Frage, zu den Leitparadigmen bei der Gruppierung und Aneignung von Texten: in Kinos, in DVD-Geschäften, in 31 Übrigens liegt mit dem Krimi ein ähnlicher Fall des Auseinanderfallens eines kulturspezifischen Begriffs und seiner Modellierung in ausländischen Diskursen vor wie beim Giallo/giallo: Während im Deutschen diverse Genres über diverse Medien hinweg unter dem offenen Begriff „Krimi“ subsumiert werden, hat sich in englischsprachigen Studien zum deutschen Film die Bezeichnung krimi als Genre-Bezeichnung für die Kriminalfilme der 60er durchgesetzt – beispielsweise und vor allem für die EdgarWallace-Filme. Auch für diesen Fall wird hier wie beim Giallo/giallo im Schriftbild zwischen den beiden Konzepten Krimi/krimi unterschieden. Siehe als Beispiel für Definitionen des krimi: Hanke 2003; Sanjek 1994; Grainger 2001: 118. 32 Diese Formulierung rekurriert auf Jacques Lacans kontrovers diskutierte These: „La femme n’existe pas.“ Ebenso wie nach Lacan Die Frau – La femme – in der symbolischen Ordnung keinen Platz findet, sie aber als Gegenbegriff zur Setzung des Mannes dient und frei flottieren kann (vgl. Bailly 2009), so existiert auch das Genre nicht, da es sich in der Vielzahl der Aktualisierungen und Verhandlungen in Filmen und Diskursen einer eindeutigen Definition entzieht. Diese hier für die Genre-Theorie herangezogene Lesart von Lacans provokantem Diktum wurde unter anderem von Friedrich A. Kittler und Slavoj Žižek fortgeschrieben (vgl. Kittler 2003; Žižek 2002). Insbesondere Žižek deutet Lacan dahingehend, dass es eine männliche Phantasie der idealen Frau gibt, deren Position aber nie von einer realen Frau ausgefüllt werden kann. Dieselbe Logik lässt sich auch auf Genres übertragen, deren diskursive Konzepte bzw. Definitionen ideale Konstrukte darstellen, die nie von einem Film idealtypisch erfüllt werden. Lacans Aussage wird also lediglich als eine Denkfigur – wie sie bereits für dekonstruktive Lesarten von Žižek oder Kittler verstanden worden ist – aufgegriffen und impliziert für die folgenden Ausführungen keinerlei Anspruch auf weitere Gemeinsamkeiten oder Bezüge zu psychoanalytischen Modellen.

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Film- und Fernsehzeitschriften, auf DVD-Covern, in nicht-wissenschaftlichen und wissenschaftlichen Publikationen – um nur einige Beispiele zu nennen. Beständig werden so Genre-Begriffe reproduziert und zur Gruppierung und Bezeichnung von Filmen genutzt. Das Genre lässt sich mithin nur als ein diskursives Konstrukt analysieren, als Genre-Konzept. Im Folgenden wird der Begriff Genre-Konzept daher den Begriff Genre weitgehend ersetzen, um die diskursive Konstruiertheit des Genres zu unterstreichen. Denn die Doppelperspektive, die hier im Anschluss an John G. Cawelti vorgeschlagen wird, soll das Genre nicht auf eine Text-Gruppe zurückführen und dadurch re-essentialisieren, sondern die Strategien und Dynamiken der Aushandlungsprozesse von GenreKonzepten offenlegen – sowohl in den Filmen als Spiel der Iterationen als auch in den Diskursen, in denen Genre-Konzepte prozessiert werden. Zugespitzt formuliert: Nicht als Gruppe, sondern als Gruppierung, als Beobachterkategorie steht das Genre zur Diskussion. Da jede wissenschaftliche Studie sich immer auch in der Diskussion ihrer Zeit verorten muss und auf deren Positionen antwortet, wird hier vor allem dasjenige in den Blick genommen, was in den letzten Jahren zunehmend aus dem Blick der anti-essentialistischen filmwissenschaftlichen Genre-Theorien geriet, das aber eigentlich gemeinhin als Genre verstanden wird: das Genre als Gruppierung von Texten in Interdependenz zu Genre-Konzepten – in diesem speziellen Fall: der Giallo, wie er seit dem Millennium im Kontext der Veröffentlichung der Filme auf DVD als Gruppierung von italienischen Filmen und als GenreKonzept prozessiert wird. Eine wechselseitige Perspektivierung von intertextuellen Mustern und diskursiven Genre-Konzepten erlaubt es, die Interdependenzen von Texten und den Konzepten, mit denen diese angeeignet werden, zu erhellen. Wenn die gleichen Filme mit verschiedenen Genre-Konzepten rezipiert und diskursiviert werden – dies wurde bereits eingangs anhand der verschiedenen Klassifikationen der gialli angedeutet –, so werden auch verschiedene intertextuelle Muster fokussiert, aus denen verschiedene Gruppierungen, Lektüren und Kontextualisierungen resultieren.33 Wenn der gleiche Film in bundesdeutschen Kinos als „Krimi“ beworben wird, so hebt diese Klassifikation auf den Detektionsplot ab, der Film wird als italienische Fortschreibung des deutschen Krimis der 60er Jahre historisiert – wofür eventuell Gewalt-Szenen gekürzt werden – und adressiert wird ein deutsches Publikum, das auch beispielsweise die Edgar-Wallace-Filme rezipierte. Wird der gleiche Film in den USA als exploitation klassifiziert, so werden 33 Aus diesem Grund heißt es hier stets „die gleichen Filme“ statt „dieselben Filme“, denn es handelt sich nicht um dieselben Filme, da ihre Rezeption und ihre Lesarten je nach Konzept, mit dem sie rezipiert werden, sehr verschieden ausfallen können.

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dadurch eher die erotischen und gewalthaltigen Inszenierungen fokussiert – wofür eventuell Handlungsszenen gekürzt werden –, der Film als billige Produktion mit ‚reißerischen‘ Inhalten historisiert, die sich vorrangig an ein jugendliches Publikum, beispielsweise von Auto-Kinos, richten. Die Genre-Theorie muss diese diskursiven Genre-Konzepte im Detail erforschen, da sie grundverschiedene Aneignungspraktiken von den gleichen Filmen bedingen. Darüber hinaus können aber auch die intertextuellen Muster hinsichtlich ihrer Effekte und Funktionen analysiert und genre-theoretisch diskutiert werden. Denn der Genre-Theorie und Genre-Geschichtsschreibung34 sind die Lektüren der Filme immer schon eingeschrieben. Wenn im Fall des Giallos beispielsweise eine Text-Komponente35 wie das murder set-piece als die bedeutendste der konstitutiven Genre-Konventionen diskursiviert wird, so erlaubt dies ebenso Schlüsse über die zugrunde liegende Genre-Theorie wie über die starken Effekte und die narrativen Funktionen des murder set-piece in denjenigen Gialli, die diese Text-Komponente aktualisieren. Das Genre-Konzept Giallo, wie es derzeit hegemonial in verschiedenen Diskursen zirkuliert, fokussiert beispielsweise als intertextuelles Muster das murder set-piece und schließt dabei aus seiner Gruppierung von Gialli solche italienischen Filme aus, die diese spezielle Text-Komponente nicht aufweisen – um nur einen Effekt der Aneignung zu nennen. In den so in den Blick genommenen Texten kann diese Perspektive dadurch relativiert werden, dass man die fokussierte Text-Komponente historisiert und in den textuellen Strukturen kontextualisiert, um die Effekte dieser Inszenierungsstrategie zu erwägen. Das murder set-piece fällt beispielsweise sowohl in seiner Affektmodellierung auf, da darin besonders intensive Affekte durch Sex-, Suspense- und Schock-Inszenierungen evoziert werden, und es ist darüber hinaus in seiner narrativen Funktion von zentraler Bedeutung, da es mit dem Mord nicht nur das zentrale Rätsel des Detektions-Plots konstituiert, sondern auch dem Rezipienten allerlei Spuren zur Identifikation des Täters bietet und dadurch mit anderen In34 Der Begriff der Genre-Geschichtsschreibung ist nicht auf Texte reduziert, die auf eine chronologisch erzählte Geschichte eines Genres fokussiert sind. Jeder Text beteiligt sich an der Genre-Geschichtsschreibung, wenn er ein Genre oder einzelne Filme, die er diesem zuordnet, historisch positioniert oder kontextualisiert und wenn er ein Genre in Relationen zu anderen Filmen, Genres oder filmhistorischen Phänomenen setzt. Die Genre-Geschichtsschreibung ist mithin als Praktik in einem intertextuellen Geflecht zu verstehen. 35 In vielen genre-theoretischen Schriften wird unreflektiert die Bezeichnung „Element“ benutzt – hier wird hingegen der Begriff der „Komponente“ vorgezogen, da dieser deutlicher die Konstruiertheit von Konzepten unterstreicht. Das Wort „Element“ wird hier nur dann gesetzt, wenn ein essentialistisches Modell wiedergegeben wird.

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szenierungen im Detektions-Plot interagiert. Diese paradigmatische Texte-Komponente hat also starke Effekte auf die Aufmerksamkeits-Ökonomie und die Verstehensprozesse während der Rezeption, weshalb es bevorzugt als eine Verdichtung von Iterations-Mustern, ja als konstitutive Genre-Konvention diskursiviert wurde.36 Aufgrund dieser wechselseitigen Perspektivierung sind in den meisten Kapiteln die genre-theoretischen Ausführungen und die Filmlektüren aufs Engste verzahnt: Die Filmlektüren dienen jedoch nicht einer Illustration der Argumentationen ebenso wie die Genre-Theorie nicht als ein Rahmen oder eine theoretische Beglaubigung der Lektüren fungiert. Lektüren und Theorie stehen nicht nebeneinander, sondern sind interdependent. Es gilt wechselseitig die Strukturen und Strategien sowohl der Theorien wie der Diskurse, die Genres prozessieren, einerseits und der Filme und ihrer Iterations-Muster andererseits zu erforschen. Dieser Ansatz ist notwendigerweise partikular, da er genaue Analysen sowohl der Filme als auch ihrer Diskursivierung und der bestehenden Interdependenzen erfordert. Daher wird dieser Ansatz im Folgenden an einzelnen, aber paradigmatischen Fragestellungen durchgespielt. Im zweiten Block, der sich eingehender mit dem Giallo und seiner Diskursivierung beschäftigt, wird zunächst die evolutionistische Genre-Geschichtsschreibung37 durch eine Genre-Genealogie ersetzt;

36 Diese Skizze wird im Kapitel über set-pieces weiter entfaltet. 37 Als „evolutionistische Genre-Geschichtsschreibung“ bezeichnet man einen bis heute weit verbreiteten Ansatz Genre-Geschichten als Entwicklungs- und Zerfalls-Geschichten anzulegen. Einen der ersten Ansätze zu diesem speziellen Narrativ hat Christian Metz anhand des Westerns vorgelegt, bei dem er drei Phasen der Genre-Geschichte postulierte (vgl. Metz 1974: 150-152): (1) Den klassischen Western, der jedoch in den 40er Jahren bereits parodistische Ansätze zeige; (2) den „superwestern“ der 50er Jahre, in dem die parodistischen Ansätze in eine In-Frage-Stellung („contestation“) der Genre-Konventionen überführt würden; (3) und den Italowestern der 60er Jahre, der den klassischen US-Western dekonstruiert. In allen drei Phasen würde laut Metz jedoch die Identität des Westerns fortgeschrieben. Darüber hinaus wären alle Filme der drei Phasen unverwechselbar als Western erkennbar, weshalb sie ein einziges Genre darstellten. Am prominentesten hat Thomas Schatz dieses Modell aufgegriffen und ein Narrativ mit fünf sukzessiven Entwicklungsphasen postuliert (vgl. Schatz 1981: 3641): Entstehung, Ausbildung von Konventionen, Klassikerstatus, Zerfall und Parodie. Dieses sehr rigide Narrativ wurde eingehend von Tag Gallagher kritisiert, der nachzeichnet, dass bereits frühe Western hochgradig selbstreflexiv und parodistisch ausfallen und dass die evolutionistischen Genre-Geschichten des Westerns, wie sie etwa auch Schatz erzählt, eine Vielzahl an Filmen des Genres ausblenden (vgl. Gallagher

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daran schließt die Differenzierung der beiden oft Synonym gesetzten Begriffe Genre-Mixing und Genre-Hybridität an. Im Zentrum der darauf folgenden genretheoretisch geleiteten Lektüren stehen dann das set-piece als besondere textuelle Genre-Verhandlung, parodistisch inszenierte Genre-Transformationen, die als Zäsuren in der Genre-Geschichte diskursiviert worden sind, und die Interdependenzen von Genre und Gender. Die meisten dieser Argumentationslinien laufen im letzten Kapitel zusammen, in dem gezeigt wird, wie Neo-Genres maßgeblich an der Aushandlung des Genre-Konzepts und der Genre-Geschichte ihres Referenz-Genres partizipieren. Diese Beispiele zeichnen sich alle durch ihre enge Verzahnung von Genre-Theorie und -Geschichtsschreibung aus und bieten sich daher als paradigmatische Fälle zur Analyse von Genres an. Dass die in diesem Kapitel bereits skizzierte Doppelperspektive weder als „filmwissenschaftlich“ noch als „genre-theoretisch“, sondern als „medienkulturwissenschaftlich“ bezeichnet wird, beruht auf einer Perspektiv-Verschiebung: Denn eine medienkulturwissenschaftliche Genre-Theorie bedeutet, den Versuch aufzugeben, ‚richtige‘ Genre-Definitionen und Genre-Geschichten zu konstruieren und stattdessen Genres als kulturelle Phänomene und darüber hinaus die kulturellen Praktiken und Lektüre-Reglements der Aneignung von Filmen in den Blick zu nehmen. Dazu erfolgt im ersten Theorie-Block eine Re-Modellierung der Genre-Theorie durch medienkulturwissenschaftliche Lesarten des Poststrukturalismus, der Cultural Studies, der Rezeptionsästhetik, des New Historicism, der Diskursanalyse und der Hermeneutik. Dieser Fragenkatalog und die herangezogenen Theorien sind keinesfalls beliebig, sondern greifen einerseits aktuelle Debatten und offene Fragen der filmwissenschaftlichen Genre-Theorie auf und dienen andererseits dazu, die Produktivität der entworfenen medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspektive für die Genre-Theorie und die Genre-Geschichtsschreibung beispielhaft herauszuarbeiten. Diesen beiden Blöcken ist jedoch ein kurzes Kapitel über die Genese des Genres Giallo vorangestellt. Das Kapitel stellt nicht nur das erste Beispiel für die Methode der Genre-Genealogie dar, sondern bietet dem Leser auch eine knappe Einführung in die Geschichte des Genres und der Filme.

2003). Wie das Beispiel des Giallos in extremum zeigt, muss an die Stelle der evolutionistischen Genre-Narrative eine Genealogie (im Sinne Foucaults!) treten.

2. Die Genese des Giallos als DVD-Genre

In vielen Texten zum Giallo wird wiederholt der Medienwechsel vom VHS zur DVD als eine entscheidende Zäsur für die Zirkulation von Gialli betont. In einem frühen Text bemerkte beispielsweise David Sanjek, dass die Beschäftigung mit populären italienischen Genres ohne den Zugriff auf die Filme auf VHS nur schwerlich möglich gewesen sei, da die Genres auf VHS nicht nur eine größere Verbreitung fanden als in den teilweise Jahrzehnte zurückliegenden Kino-Auswertungen, sondern die Filme auch leichter aus dem Ausland importiert werden konnten (vgl. Sanjek 2000: 314-323).1 Im Vergleich zum DVD-Archiv des Giallos mutet Sanjeks Hymne auf das VHS jedoch arg überzogen an, da auch Sanjek nur sehr wenige Gialli – vor allem Filme von Dario Argento und Mario Bava – auf VHS zur Verfügung standen und er aufgrund des Giallo-Archivs auf VHS zu dem Schluss kam, dass insgesamt wenig mehr als 60 Gialli produziert worden wären (vgl. Sanjek 1994: 84). Erst auf DVD – so der Tenor der Genre-Geschichtsschreibung zum Giallo – fand das Genre große Verbreitung. Inzwischen liegen ca. 70 % der bis zu 300 Filme, die derzeit in Filmographien und OnlineListen dem Genre zugeordnet werden, auf DVD vor.2 Mikel J. Koven weist darüber hinaus auf das Problem hin, dass die Rekonstruktion der ursprünglichen nationalen und internationalen Distributionsdiskurse des Giallos kaum mehr möglich sei, da Materialien zum Genre in den historischen Archiven kaum be-

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Auch Raiford Guins weist darauf hin, dass die internationale Filmgeschichtsschrei-

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Die Quellen unterscheiden sich je nach ihrer Definition in ihrer Anzahl der Filme, die

bung maßgeblich vom Medium VHS profitiert hat (vgl. Guins 2005: 19). sie dem Giallo zuweisen: Die deutsche Filmographie zählt 236 Gialli, die englischsprachige Filmographie umfasst hingegen lediglich 212 Filme. Im Internet, in dem sich in diversen Foren und auf anderen Plattformen viele Diskussionen von Cinephilen und Fans des Giallos finden, kursieren Listen mit bis zu 300 Filmen (vgl. Corso 2007; Luther-Smith 1999).

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wahrt worden sind. Die DVD dient daher auch Koven als essentielles Medium seines Zugriffs auf das Genre. Er merkt allerdings kritisch an, dass der Distributionsdiskurs der DVD ein spezifisches Konzept des Giallos verhandelt. Nach diesem Hinweis setzt sich Koven jedoch nicht weiter diskursanalytisch mit der Modellierung des Genre-Begriffs Giallo auseinander (vgl. Koven 2006: 7).3 Kovens These ist aber noch zu radikalisieren: Durch die Distribution des Genres auf DVD wird der Genre-Begriff nicht lediglich neu verhandelt, sondern er wird als populäres, international bekanntes Genre überhaupt erst konstituiert.4 Wie ein Überblick über die Distribution des Giallos auf verschiedenen Speichermedien und in verschiedenen kulturellen Kontexten zeigen wird, kann postuliert werden: Die ersten Gialli entstanden vor rund 50 Jahren, das Genre gibt es seit etwa 10 Jahren. 3

Auch David Sanjek postuliert, dass die ‚ursprüngliche‘ (= erste Kino-)Distribution und Rezeption der Filme aus der Perspektive der Vermarktung der Filme auf VHS nicht möglich sei (vgl. Sanjek 1994: 89).

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Ein ähnliches Argument hat Peter Hutchings hinsichtlich der Ausbildung des Labels Eurohorror im englischsprachigen Raum stark gemacht. Die Filme, die heute in den USA und in England als Eurohorror auf DVD vermarktet und rezensiert werden, wurden zur Zeit ihrer Kino-Aufführung mit anderen Genre-Bezeichnungen wie beispielsweise Horror oder Thriller versehen. Erst im Zuge ihrer Verfügbarkeit auf VHS und durch die sich dazu formierenden Fan-Kulturen entstand ein spezifisches Konzept Eurohorror, das eine Gruppe von brutalen Horror-Filmen – im weitesten Sinne des Begriffs – aus Europa bezeichnete. Hutchings bezeichnet den Begriff Eurohorror daher „as a video-based concept“ (Hutchings 2012: 16). Dieses neue Konzept wurde beim Medien-Wechsel von VHS auf DVD nicht nur fortgetragen, sondern durch entsprechende DVD-Kollektionen vom Experten-Begriff der 80er Jahre zum weit verbreiteten Genre-Begriff der 2000er Jahre transformiert. Wie andere Filmwissenschaftler betrachtet auch Hutchings die Einführung der DVD als eine gravierende Zäsur in der Diskursgeschichte: „In the 1980s, you had your third- or fourth-generation copy of an Argento film (with Dutch subtitles), and some grimy, badly photocopied fanzines – and the grainier the visual image and the grimier the written word the better because in itself this became an index of resistance [Hutchings diskutiert die Eurohorror-FanKultur der 80er Jahre unter dem Vorzeichen des paracinema als (pubertärem) Aufbegehren gegen Zensur und normative Wert- und Kunst-Vorstellungen, d. Verf.], of a kind of authenticity. Now, by contrast, you have a sleekly packaged uncut and digitally remastered version of, say, Suspiria or Tenebrae (1982) on DVD – either purchased in your own country or easily imported from elsewhere – and some very wellinformed and handsomely illustrated books on Argento provided by the likes of Alan Jones and Chris Gallant.“ (Ebd.: 19 [Herv. i.O.]).

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Zur Zeit der Kinoauswertung findet sich weder im italienischen, noch im deutschen, noch im amerikanischen Distributionsdiskurs der Genre-Begriff Giallo wieder, der als Bezeichnung für eine Gruppe italienischer Produktionen (und italienisch-europäischer Koproduktionen) so klar umrissen ist, wie er es heute ist. Wie in der Einleitung erläutert, ist der Begriff giallo in Italien als offenes transmediales und transgenerisches Konzept angelegt, so dass zwar die Filme, die außerhalb Italiens als Gialli bezeichnet werden, selbstverständlich dem giallo zugeordnet würden, aber man den Begriff nie allein auf diese Filme reduzieren würde.5 In Italien fände man den Begriff giallo, nicht aber den Genre-Begriff Giallo. In der BRD wurden die meisten Filme, die heute als Gialli gelten, hingegen in der Tradition des erfolgreichen Krimi-Genres der 60er Jahre mit dem GenreBegriff „Krimi“ beworben. In einer besonders extremen Form findet sich diese kulturelle Adaption als Angleichung an ein nationales Genre-Konzept, die neben der Werbung auch die Synchronisation und die Erstellung von alternativen Schnittfassungen betrifft, in denjenigen Fällen, da Gialli als Teil der EdgarWallace-Serie oder der Bryan-Edgar-Wallace-Serie in der BRD vermarktet wurden.6 Beispielsweise wurde Dario Argentos zweiter Giallo, IL GATTO A NOVE CODE (1971), in den deutschen Kinos als BRYAN EDGAR WALLACES DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE mit einem Trailer beworben, der den Film als „Thriller“ und „Psycho-Thriller“, aber auch als „Meisterwerk eines Krimi-Spezialisten“ anpries. In den Werbematerialien und den Pressematerialien wird der Film auch als „Action-Krimi“ kategorisiert. Im Diskurs der Filmkritik wurden die Gialli ebenfalls als Krimis klassifiziert. Beispielsweise wurde IL GATTO A NOVE CODE in der Filmkritik der Zeitschrift film-dienst als „Krimi mit Horror-Elementen“ (Filmkri5

Ich danke Simone Natale dafür, dass er diesen Schluss, der sich aus der film- und kulturwissenschaftlichen Literatur und aus dem Vergleich von italienischen mit deutschen und amerikanischen Publikationen zum giallo/Giallo aus der Sicht eines Italieners bestätigte.

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COSA AVETE FATTO A SOLANGE? (1972) und SETTE ORCHIDEE MACCHIATE DI ROSSO (1972), die als letzte Teile der offiziellen Edgar-Wallace-Kinofilmserie vermarktet wurden, und L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970), IL GATTO A NOVE CODE (1971) und L’ETRUSCO UCCIDE ANCORA (1972), die trotz des fehlenden Bezugs zum Namensgeber als Teile der Bryan-Edgar-Wallace-Serie vermarktet wurden, sind allesamt Ko-Produktionen, an deren Finanzierung zwar sowohl deutsche als auch italienische Produktionsfirmen beteiligt waren, die jedoch von einem italienischen Produktionsteam realisiert wurden und deren Ästhetik und Dramaturgie eher dem Giallo statt dem Krimi zuzurechnen sind. Durch Kürzungen und die Synchronisation wurden diese gialli teilweise wieder stärker dem deutschen Krimi angepasst.

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tik Nr. 13 144) bezeichnet. Auch die beiden Formelfilme des Giallos wurden als Krimis rezensiert: Bei SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964) handele es sich um übliche „Krimiunterhaltung“ (Filmkritik Nr. 16 845), während die Kritik von L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) zu folgendem Fazit kommt: „Trotz brillanter Optik oberflächliche Krimi-Unterhaltung nach einem Roman von Bryan Edgar Wallace.“ (Filmkritik Nr. 17405) Der Genre-Begriff Giallo ist für das deutsche Kino-Publikum der 60er und 70er Jahre vor allem aus zwei Gründen obsolet: Erstens bot der italienische Begriff einem deutschen Massenpublikum keine Anschlussfähigkeit an ihr Genre-Wissen, da der Begriff in Deutschland nicht geläufig war. Zweitens ließen sich die Filme einem deutschen Publikum als ‚neue Generation‘ bzw. Fortschreibung des deutschen Krimis verkaufen, da die Gialli in ihren Narrativen und ihrer Ästhetik durchaus auch auf den deutschen Krimi rekurrierten. In den 70er Jahren wurden Gialli dann hingegen aufgrund der expliziten Darstellung von Sex, Gewalt und sexualisierter Gewalt auch in Bezug zu populären Horrorfilmen gesetzt. So besteht der deutsche Trailer zu PASSI DI DANZA SU UNA LAMA DI RASOIO (1972) aus einer Aneinanderreihung von konventionellen Horror-set-pieces, während die Handlung vollends ausgeblendet wird. Der Film wird in dem Trailer durch das voice-over explizit als Horrorfilm beschrieben7 und dem Publikum wird ein so intensives Gruseln versprochen, dass man sich nicht alleine ins Kino wagen solle. Zudem wird der Film sowohl durch den deutschen Titel DIE NACHT DER ROLLENDEN KÖPFE als auch durch das voice-over im Werbetrailer explizit in eine Reihe mit dem US-amerikanischen Zombiefilm THE NIGHT OF THE LIVING DEAD/DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN (USA 1968, R: George R. Romero) und dem spanischen Vampir-Zombie-Gothic-Horrorfilm LA NOCHE DEL TERROR CIEGO/DIE NACHT DER REITENDEN LEICHEN (SP/P 1971, R: Amando de Ossorio) gestellt, die beide damals sehr erfolgreich waren und mehrere Fortsetzungen nach sich zogen. Diese Kategorisierung von Gialli und Gothic-Horrorfilmen als Horrorfilme oder gar als Exploitation8 trifft auch auf die Kino-Auswertung in den USA zu. Aufgrund ihrer expliziten Inszenierungen wurden die Filme zumeist in Autokinos und Mitternachtsvorstellungen beispielsweise zusammen mit Filmen von 7

Auf die genre-spezifische Rhetorik im Zusammenspiel mit ästhetischen Konventionen von Genres als Genre-Signale bzw. -Lektüreanweisungen in der Filmwerbung, die dadurch die explizite Verwendung von Genre-Begriffen substituieren kann, gehen auch Vinzenz Hediger und Patrick Vonderau ein (vgl. Hediger/Vonderau 2005: 242f).

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Unter Exploitation versteht man einen speziellen Produktionsmodus, der aus einer „reißerischen Grundidee ein Höchstmaß an visuellen Schauwerten“ zu erzielen versucht, wie Marcus Stiglegger treffend formuliert (Stiglegger 2007b: 182).

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Roger Corman und Exploitationfilmen gezeigt (vgl. Schwartz 2003: 226).9 Die italienische Bezeichnung giallo ist aber auch in diesem Kontex nicht aufzufinden. Mit der Ausbildung eines Heimvideomarktes10 fand der italienische Horrorfilm und der Giallo erstmals eine breitere Vermarktung, da sich ein eigenes Marktsegment für Horror- und Splatterfilme entwickelte.11 Wie Raiford Guins in einer exemplarischen Diskursanalyse aufzeigte, wurde die dominante Vermarktungsstrategie der Kinoauswertung, die ganz auf die Drastik von sexuellen und gewalthaltigen Darstellungen ausgerichtet war, bei dem Medienwechsel zum VHS fortgesetzt. Auch für die Heimrezeption wurden die Gialli aber nicht mit diesem Begriff beworben, sondern als Horror- und Splatterfilme oder auch als „Gewaltvideos“ kategorisiert.12 Bei damaligen Publikationen spielten zuerst weder der Regisseur als auteur noch die Exotik eines italienischen Genre-Begriffs eine Rolle, da die Filme vor allem für ihre ‚Schauwerte‘ angepriesen wurden (vgl. Guins 2005: 20f). Da jedoch viele italienische Filme wie zuvor für die Kinoauswertung auch für die Veröffentlichung auf VHS-Kassetten noch immer

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Tim Lucas geht außerdem auf Mario Bavas REAZIONE A CATENA (1971) ein, der unter verschiedenen Titeln und mit verschiedenen Laufzeiten die gesamten 70er Jahre hindurch als Exploitationfilm in den USA vertrieben worden ist (vgl. Lucas 2009: 860f).

10 Für diskursanalytische Studien zur Einführung und Durchsetzung von VHS in Deutschland siehe folgende Aufsätze: Bartz 2007; Hahn/Otto 2004. 11 Als Splatter bezeichnet man die Tendenz im Horrorfilm seit den 60er Jahren, eine maximale Sichtbarkeit von – zumeist gewaltsamen – Deformationen und Transformationen des Körpers zu inszenieren. Als Pionier der Splatter-Ästhetik gilt Herschell Gordon Lewis, in dessen Filmen die Zerstückelung des menschlichen Körpers zum zentralen Spektakel avancierte. So ließ er etwa in einer der für die Splatter-Ästhetik einflussreichsten Szenen seines Kannibalismus-Films BLOOD FEAST (USA 1963, R: Herschell Gordon Lewis) seinen Protagonisten Glieder einer Schaufensterpuppe, die mit roten Flüssigkeiten gefüllt waren und als Prothesen der Darsteller fungierten, zersägen. Dadurch etablierte er die Sparte der special-effects, die zumeist als gore-effects bezeichnet wird und die auf möglichst brutale und spektakuläre Inszenierungen von Gewaltakten am Körper abzielt. Der Begriff Splatter wurde geprägt durch die Studie Splatter Movies. Breaking the Last Taboo of the Screen von John McCarty (vgl. McCarty 1984). Für einen Abriss über die Geschichte und die Aneignungstechniken der Splatter-Connaisseurs siehe: Meteling 2006: 59-107. 12 Zum in Deutschland lange gebrauchten Begriff der ‚Gewaltvideos‘, der von seinen Kritikern mit einer negativen Konnotation genutzt wurde, siehe beispielsweise: Reß 1990: 20-17; Büttner 1990; Ammann/Doelker 1995.

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stark zensiert wurden,13 bildete sich ein Kult darum, die möglichst längste bzw. vollständigste Fassung eines Films gesehen zu haben. Daraus entwickelte sich schließlich eine Subkultur, in der VHS-Kopien von ungeschnittenen Fassungen getauscht wurden und die mit der Konstitution eines Mythos des Originals bzw. der Ursprungsfassung und eines Spezialwissens einherging (vgl. ebd.: 27). Insbesondere Dario Argento profitierte von dieser Entwicklung. Es entstand regelrecht ein Fan-Kult, den Peter Hutchings als Argento effect bezeichnet: Die Fans trotzten der Zensur und der Dämonisierung der Filme dadurch, dass sie selbst einen Gegendiskurs der Kritik schrieben. In diesem wurde filmhistorisches Wissen zu populären Genres wie dem Giallo erarbeitet und verbreitet, das bisher in der kanonisierten Filmgeschichte ausgeblendet worden war. Für dieses Phänomen hat sich in der englischsprachigen Filmwissenschaft inzwischen der Begriff des paracinema etabliert (vgl. Sconce 1995; Jancovich 2008). Durch den Begriff wird der Blick auf Fan-Kulturen dahin verschoben, diese als Spezialdiskurse zu betrachten, die als Experten eines Themas Spezialwissen akkumulieren, das in der hegemonialen Wissensordnung peripher verortet oder sogar ausgeblendet wird. Jedoch weisen diese Spezialdiskurse auch ihre eigenen Regeln auf. Die Logik des Gegendiskurses über den Giallo folgt beispielsweise dem Prinzip: Je exotischer und spezieller das Wissen war, als desto wertvoller galt es. Zugleich entstand eine Bewegung der Nobilitierung, durch die der Kult um die ‚ursprünglichen‘ unzensierten Fassungen in eine normative auteur-Politik transformiert wurde. Diese fußte auf dem Postulat, dass man allein in der Ursprungsfassung das Talent und die Kunstfertigkeit des Regisseurs erfahren könne. Der auteur ginge in den gekürzten Fassungen hingegen notwendigerweise verloren. Kurz: Argento verstünde man nur (und wisse ihn zu schätzen), wenn man seine Filme im Director’s Cut ‚genießen‘ könne. Unter einem auteur verstehen Filmwissenschaft und Filmkritik heute gemeinhin einen Filmschaffenden, dessen individuelle ‚Handschrift‘ in seinen Filmen zu erkennen sei.14 Je nach auteur fallen unter die Handschrift unterschied13 Laut Raiford Guins wurden die amerikanischen VHS-Fassungen von PHENOMENA (1985) um ca. 28 Minuten, von TENEBRAE (1982) um ca. 10 Minuten und von PROFONDO ROSSO (1975)

um ca. 5 Minuten gekürzt. (Guins gibt bei PROFONDO ROSSO ca.

25 Minuten Kürzungen an, da er das VHS mit dem rund 20 Minuten längeren Director’s Cut statt mit der ursprünglichen Schnittfassung vergleicht, die in den Kinos gezeigt worden war; vgl. Guins 2005: 21). 14 Bereits die Vertreter der politique des auteurs – die maßgeblich von den Autoren des Filmmagazins Cahiers du Cinéma wie vor allem André Bazin und François Truffaut ausgearbeitet wurde (vgl. Truffaut 1999) – argumentierten, dass sich Regisseure wie John Ford oder Alfred Hitchcock von dem ‚Standard‘ der Hollywoodfilme dadurch

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liche Faktoren wie Stil, Themen, Narrative, Figuren, Gender-Konstellationen oder auch spezielle Markierungen der Filme als auteur-Filme wie beispielsweise die Cameo-Auftritte von Alfred Hitchcock in seinen eigenen Filmen. Nicht nur bei auteurs wie Alfred Hitchcock, die im Rahmen von Filmindustrien und unter deren Bedingungen arbeiten, ist die Privilegierung des Regisseurs als auteur umstritten, da sie andere Beteiligte an der Filmproduktion wie beispielsweise den Produzenten, den Drehbuchautor, den Kameramann oder auch den Komponisten marginalisiert – und wer würde beispielsweise Komponisten wie Bernard Hermann oder Hans Zimmer absprechen, dass ihre Filmmusik einen Wiedererkennungswert und einen Einfluss auf die Rezeption der Filme hätte?15 Viel frappierender als diese Kritik ist jedoch der Befund, dass auteur und Genre, wie es hier durch die angelegte Doppelperspektive analysiert wird, sich kaum unterscheiden: Beide Konzepte dienen der Gruppierung und Bezeichnung von Filmen und werden zur Kommunikation von Rezeptions-Erwartungen genutzt – denn die meisten Rezipienten haben recht genaue Vorstellungen, was sie von dem neuen Film eines Michael Bay oder eines Quentin Tarantino erwarten. Auteur und Genre werden auf der Basis von intertextuellen Mustern definiert, was bedeutet, dass

abhöben, dass ihre Filme eine eigene Handschrift des auteurs erkennen ließen. Diese Handschrift mache die Filme des auteurs unverkennbar und zum Ausdruck einer Künstler-Persönlichkeit. Dieses Konzept des Regisseurs als auteur wendet sich explizit gegen das Verständnis des Regisseurs als réalisateur oder metteur en scène, der wie ein ‚Handwerker‘ lediglich fremde Stoffe adaptiere. Wie die auteurs, die in Personalunion für Drehbuch und Film bzw. ‚Idee‘ und ‚Werk‘ verantwortlich zeichnen, würden auch auteurs wie Alfred Hitchcock die Produktion zum künstlerischen Werk erheben. In diesem Umfeld der Cahiers du Cinéma entstand zunächst der Ansatz einer politique des auteurs. Dieser Ansatz verstand sich explizit als eine politique bzw. eine Praktik der Filmproduktion und/oder Filmlektüre. Erst Andrew Sarris prägte den Begriff der auteur theory bzw. auteur-Theorie durch seinen Aufsatz Notes on the Auteur Theory in 1962, in dem er den französischen Ansatz aufgriff (vgl. Sarris 2004). Als eine kompakte Überblicksdarstellung und Einführung in die filmwissenschaftliche auteur-Debatte siehe auch den Aufsatz von Jürgen Felix (vgl. Felix 2003). 15 Jüngere auteur-Theoretiker, wie beispielsweise Ivo Ritzer, haben auf diese Kritik damit reagiert, dass sie die Kontinuität der Mitarbeiter eines Regisseurs hervorheben (vgl. Ritzer 2009: 18-35). Man kann Ritzers Argument jedoch gegenlesen: Diese Logik würde bedeuten, dass man bewusst ausblendet, dass sich der auteur, der anhand der Filme identifiziert wird, aus der Beteiligung mehrerer Personen speist.

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sie Effekte spezifischer Strategien der Diskursivierung von Filmen sind. Pointiert formuliert: Der auteur ist ein Genre!16 Gerade das Beispiel Dario Argento und die Nobilitierung seiner Filme in einem Spezialdiskurs zeigen, dass der auteur ein Produkt von Aushandlungen in verschiedenen Diskursen ist. Und um die Zuschreibung des Status als auteur formieren sich so stets auch Debatten, die als Machtkämpfe darum gelesen werden können, wer aufgrund welcher Kriterien den auteur benennen darf. Dies zeigt sich beispielhaft daran, wie kritisch die etablierte Kritik auf die Umschrift des Kanons der italienischen Filmgeschichte durch Spezialdiskurse und deren strategische auteur-Politik reagiert. So kann beispielsweise bei Francesco Pitassio nachgelesen werden, der insbesondere auf die „Cinephilie in ihrer Sonderform des häuslichen Konsums“ (Pitassio 2008: 408) abwertend antwortet: „Diese Art von Nobilitierung entdeckt im seriösen Handwerker den Autor, im populären Spektakel die Pop Art, in einer Randproduktion ein zentrales Segment der nationalen Kinoindustrie.“ (Ebd.: 408f) Dario Argento war die Galionsfigur im Fall der Nobilitierung des populären italienischen Horrorfilms und des Giallos. Sein Status als auteur wurde dadurch unterstützt, dass einige seiner Filme wie SUSPIRIA (1977) oder PROFONDO ROSSO (1975) bereits bei ihrer Kino-Auswertung bei Publikum und Kritikern Zuspruch genossen hatten, während seine Filme auf VHS sehr stark von der Zensur betroffen waren (vgl. Hutchings 2003). Dieser von Experten für den italienischen Genre-Film getragene Diskurs, der für die aktuelle filmwissenschaftliche Forschung zum Horrorfilm bedeutendes filmhistorisches Wissen erarbeitet hat, war jedoch hauptsächlich auf spezielle Zeitschriften wie VideoWatchdog oder Fangoria begrenzt, während in Büchern eher ein undifferenzierter Ansatz vorherrschte. Beispielsweise subsummiert John McCarty in seinem Buch Splatter Movies. Breaking the Last Taboo of the Screen unter die Bezeichnung Spaghetti Splatter – eine Bezeichnung, die offensichtlich der Bezeichnung Spaghetti Western entlehnt ist17 – sowohl Filme, die heute als Gialli gelten, als auch Gothic-Horror16 Stattdessen wurde bisher in Filmwissenschaft und Filmkritik zumeist streng zwischen auteur und Genre unterschieden: Der auteur hebt sich, dies gilt bereits für die politique des auteurs, vom Gros des Genres ab. Diese Logik basiert jedoch auf einem essentialistischen Modell von Genres. Denn der auteur kann nur dann als Variation des Genres erkannt werden, wenn man bereits von einem klar definierten Genre ausgeht und Dynamiken der Genre-Verhandlung ausblendet. 17 Noch immer durchzieht die ‚Teig‘-Semantik – etwa als Spaghetti oder Pasta – viele Texte zum italienischen Film. Ein kurioses Beispiel stellt das Booklet zur deutschen DVD des italienischen Gothic-Horror-Films I VAMPIRI (I 1956, R: Mario Bava/Ricardo Freda) dar. Der zweiseitige Kommentar von Thomas Wagner ist überschrieben mit

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filme ebenso wie diverse Zombiefilme und den sehr brutalen Science-FictionFilm ALIEN DUE - SULLA TERRA (I 1980, R: Ciro Ippolito). Der Genre-Begriff Giallo wird dabei jedoch nicht erwähnt (vgl. McCarty 1984: 119-124). Diese Kluft zwischen Zeitschriftenpublikationen und Buchpublikationen wird insbesondere auch im Vergleich der Schriften des Filmkritikers Kim Newman offensichtlich: Im ersten Teil seiner 1986 im Filmmagazin Film Quarterly publizierten Aufsatzserie zu populären italienischen Genres nutzt er die Genre-Bezeichnung giallo wie selbstverständlich (vgl. Newman 1986a); in seinem lediglich zwei Jahre später veröffentlichten Buch erläutert er zwar die historischen Bezüge derselben Filme zur Romanreihe giallo, benutzt den Begriff aber darüber hinaus nicht als Bezeichnung für das Filmgenre (vgl. Newman 1988). Dario Argento widmet er hingegen ein eigenes Unterkapitel im Kapitel „auteurs“ und lässt ihm die Ehre zuteil werden, sogar als erster auteur in einer Reihe besprochen zu werden, deren Anordnung weder nach einem alphabetischen noch chronologischen, sondern offenbar nach einem normativ-qualitativen Prinzip geordnet ist (vg. ebd.: 105109). Die Genre-Bezeichnung Giallo zirkulierte zwar in einem kleinen und sehr speziellen Diskurs von Cinephilen und Experten des italienischen Genre-Films, dem Titel „Als die Pasta bluten lernte…“. Der Autor betont im Text jedoch seine Vertrautheit und Würdigung der italienischen Kultur, indem er betont, dass von Pasta und nicht von Spaghetti zu sprechen sei, da nur Pasta als korrekte kulinarische Bezeichnung der italienischen Kultur gerecht würde, während der Spaghetti-Begriff eine vereinheitlichende und reduzierende Mode-Vokabel sei (vgl. Wagner 2009: 4f). Um lediglich noch ein zweites kurioses Beispiel zu nennen: Die langsame Durchsetzung des Begriffs „Italowestern“ anstelle der noch immer beliebten Bezeichnung „SpaghettiWestern“ führt in einigen Fällen auch zu prekären Verwerfungen. So wurde die Ausstrahlung des Films ¡VAMOS A MATAR, COMPAÑEROS! (I/SP/BRD 1970, R: Sergio Corbucci) am 11.11.2011 in der Fernsehzeitschrift TV-Spielfilm doppelt kategorisiert: Unter dem Titel der Programm-Ankündigung steht in roter Schrift als Genre-Bezeichnung „Italowestern“ (TV-Spielfilm 23/11: 121). Doch am Ende der Ankündigung steht wiederum die Formulierung „Schmackhafter Spaghetti-Western“ (ebd.). Diese zweite Bezeichnung ist jedoch der ersten gegenüber insofern hervorgehoben, da sie gerahmt ist von dem Bild, der in großen Lettern gedruckten Empfehlung „NACHT-Tipp“ (ebd. [Herv. i.O.]) und dem roten-Daumen-nach-oben; alle diese Signale einer dezidierten Rezeptionsempfehlung lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters eher auf die Bezeichnung „Schmackhafter Spaghetti-Western“. Die Übergänge zwischen kultureller Geringschätzung und Wortspielerei sind in den meisten Fällen fließend, obgleich die ‚Wortspiele‘ selten die Semantik subvertieren oder problematisieren. Wenn man die obigen Beispiele als Wortspiele läse, denen keine abschätzige Intention unterstellt würde, so schrieben sie dennoch naiv die ‚Teigwaren‘-Semantik fort.

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war aber über dessen Grenzen hinaus weder bei der Distribution der Filme noch in anderen Diskursen verbreitet. Ähnlich verhält es sich in der BRD, in der Verleihfirmen wie beispielsweise Astro, Laser Paradise oder Mike Hunter Video italienische Genre-Filme zusammen mit Horror-, Splatter- und Sexfilmen vertrieben und dabei explizit die Filme unter Betonung der exzessiven Darstellung von Gewalt und Sexualität bewarben. In speziellen Magazinen wurden die Filme hingegen in ihrem historischen Kontext besprochen. So wurde Christian Kesslers erster längerer Beitrag zum Giallo 1994 in der Zeitschrift Splatting Image publiziert (vgl. Kessler 1994),18 in der 2007 auch der viel zitierte Aufsatz von Marcus Stiglegger erschienen ist. Dieses Schattendasein des Genres als Sub-Gruppierung der Über-Begriffe Horror und Splatter, die als eigene Genres lediglich in speziellen Fachmagazinen kritisch reflektiert wurden, änderte sich jedoch maßgeblich mit dem nächsten Medienwechsel. Als das Speichermedium DVD eingeführt wurde und sich die größeren Filmverleiher zuerst kaum den Horror-Genres zuwandten, füllten kleine Labels wie Image Entertainment und Anchor Bay in den USA oder X-Rated in Deutschland diese Nische.19 Der Distributionsdiskurs hatte sich jedoch maßgeblich gewandelt: Man hatte die rhetorischen Strategien des ehemaligen Experten-Diskurses übernommen. So wurden die italienischen Filme zwar noch immer mit einer Konnotation des Exotischen vermarktet. Doch daran schloss nun ein dezidierter Kunst-Anspruch an. Um diese Nobilitierung und zeitgleiche Popularisierung der Filme zu erreichen, wurden die Filme mit einer Fülle an Informationen zu ihrer Position in der Filmgeschichte und zum Genre versehen (vgl. Guins 2005: 27f). Auch das Konzept der großen italienischen auteurs, wie beispielsweise Frederico Fellini oder Michelangelo Antonioni, wurde auf spezielle DVD-Kollektionen übertragen, die sich einzelnen Regisseuren widmeten. So veröffentlichte Image Entertainment eine Mario Bava Collection, Anchor Bay eine Dario Argento Collection und eine Lucio Fulci Collection, NoShame eine Sergio Martino Collection. Um den Kunst-Anspruch für die auteurs zu stärken, 18 Der Artikel erschien erstmals im Juni 1994 in der achtzehnten Ausgabe der Splatting Image und ist mittlerweile auch online einsehbar (vgl. http://www.christiankessler.de/ giallo1a.html vom 14.05.2011). 19 Philippe Met stellte in einem Aufsatz über den Giallo verwundert fest, dass das Genre zwar ‚massenhaft‘ auf DVD präsent sei, jedoch noch immer in der Filmwissenschaft – selbst in italienischen Filmgeschichten – kaum Beachtung gefunden hätte (vgl. Met 2006: 196). Dies kann jedoch, was Met entging, dadurch erklärt werden, dass giallo im Italienischen eine andere Bedeutung innehat und dass die Filme, die heute als Klassiker des Giallos gelten, anfänglich in der Marktnische der Horror- und SplatterDVDs verortet wurden.

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wurden die Filme auf DVD in der ‚Originalversion‘, im ‚korrekten‘ Bildformat, mit einem bestmöglichen Bild auf Basis eines digitalen Masters von Originalnegativen, mit ‚Originalton‘20 und Untertiteln, mit bestmöglichem Ton und einer Vielzahl an informativen Bonusmaterialien angeboten, die sowohl die Genres, ihre auteurs als auch ihre Kunstfertigkeit ‚erklärten‘.21 Auch in den Fällen, da die Filme innerhalb von auteur-zentrierten DVDKollektionen erschienen, waren in den Booklets oft bereits Ausführungen zum Genre Giallo zu finden. So beginnt das Booklet des Films LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971), der 2005 innerhalb der Sergio Martino Collection von NoShame erschien, mit der folgenden knappen filmhistorischen und genregeschichtlichen Verortung des Films: „The early 1970’s were a busy time for Italian genre cinema. The Euro-western cycle was peaking; the giallo thriller was being re-born with a fresh eye-popping intensity […].“ (Wiesman 2005) Auf der Rückseite des Covers kann man dem Kommentar/Werbetext zum Film gar eine Konkurrenz der Autoren- und Star-Politik einerseits und der Genre-Politik andererseits um die Hegemonie als Wissensrahmen und Qualitätsmerkmal entnehmen: Einerseits sind die Namen von Darsteller-Stars des populären italienischen Films wie Edwige Fenech oder George Hilton fett gedruckt und um die Angabe einiger ihrer bekanntesten Filme ergänzt, aber andererseits handelt es ich bei den erwähnten Filmtiteln fast ausschließlich um Gialli.22 Auf den ersten Blick fallen vor allem die Namen der Beteiligten auf – Regisseur Sergio Martino, Darsteller wie Edwige Fenech und George Hilton, Drehbuchautor Ernesto Gastaldi und 20 Da italienische Filme zumeist ohne simultane Tonaufnahme gedreht wurden und oft alternatives Material für die Erstellung verschiedener Schnittfassungen und Filmversionen produziert wurde, ist die Kategorie des ‚Originals‘ prinzipiell prekär (vgl. Fujiwara 2007: 252f). 21 Raiford Guins hat darauf hingewiesen, dass diese Vermarktung diverse Ähnlichkeiten zur berühmten Criterion Collection aufweist, in der diverse kanonisierte Klassiker der internationalen Filmgeschichte und ‚Kunstfilme‘ versammelt sind (vgl. Guins 2005: 28f). Auch dies kann als Nobilitierungsgeste gelesen werden. Gereon Blaseio zeigt in einem Aufsatz, dass dieser Kult um die Fassung eines auteurs inzwischen von den meisten Labels genutzt wird, um Filme mehrfach in verschiedenen Fassungen und Editionen zu verkaufen (vgl. Blaseio 2008). Auch Lutz Nitsche widmet sich dieser Kopplung von Autorenpolitik und Paratexten als Vermarktungsstrategie, die zugleich auch als Lektüre-Anweisungen fungiert (vgl. Nitsche 2005). Alle diese Beispiele unterstreichen, dass die Vermarktung eines Films unterschiedliche Konzepte und Verortungen anbietet, mit denen der Rezipient sich einen Film aneignen kann. 22 Siehe hierzu und für die nachfolgenden Ausführungen: THE STRANGE VICE OF MRS. WARDH: NoShame Films: The Sergio Martino Collection, USA 2005.

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Komponistin Nora Orlandi samt Quentin Tarantino, der Auszüge des Soundtracks in seinem Film KILL BILL: VOL. 2 (USA 2004, R: Quentin Tarantino) nutzte.23 Der Text kreist jedoch explizit um das Genre Giallo: „Scream Queen [ein Begriff, der vor allem für die Hauptdarstellerinnen von Slashern genutzt wurde und somit auf das sehr ähnliche, doch bekanntere Genre verweist, d. Verf.], Edwige Fenech […] stars in this violent masterpiece, the first giallo film directed by Sergio Martino […] one of the most celebrated and influential giallo of all time […] also stars giallo regulars George Hilton […].“ (THE STRANGE VICE OF MRS. WARDH: NoShame Films: The Sergio Martino Collection, USA 2005.)

Dienen die Star- und die Autorenpolitik also dem Blickfang des Betrachters, so wird der erfolgreich gelockte Leser auch in eine kleine Skizze des Genres Giallo eingeführt, das den Rahmen der Verortung und Erläuterung der fett gedruckten Namen stiftet. Eine eigene Giallo Collection vertrieb dann als erstes Label Anchor Bay seit dem Jahr 2002. Auf den ersten Titeln war auf der Rückseite des Covers zu lesen: „The word giallo (yellow) refers to the controversial series of savage Italian suspense thrillers that shocked international audiences throughout the ’60s and ’70s. THE GIALLO COLLECTION presents these rarely seen classics fully restored from original vault elements and filled with all the explicit sex, graphic violence and startling twist endings that have come to define this brutal, stylish genre.“24 (WHO SAW HER DIE?: Anchor Bay: The Giallo Collection, USA 2002 [Herv. i.O.])

Die erste Veröffentlichung einer Gruppe von Filmen innerhalb dieser Giallo Collection, die diese Filme durch den Paratext als ‚Klassiker‘ des Genres auswies, konstituierte zugleich das Genre, da sie dieses jenseits des Kreises von Ci23 Dieser intertextuelle Verweis wird natürlich auf dem Cover sowohl der englischen als auch der deutschen DVD erwähnt, um von Tarantinos Popularität und Kunstanspruch und der damit einhergehenden Nobilitierung von populären Genres durch seine Filme zu profitieren. (vgl. THE STRANGE VICE OF MRS. WARDH: NoShame Films: The Sergio Martino Collection, USA 2005; DER KILLER VON WIEN: Koch Media, BRD 2006). 24 Auf die Ikonographie der Cover-Graphiken, Bilder vom Film und Namen der Beteiligten, die teilweise durch ihre vornehmliche Präsenz in einem Genre als Genre-Signale verstanden werden können, wird hier hinsichtlich der filmischen Paratexte der DVDs nicht eingegangen, da die Etablierung des Genre-Begriffs Giallo fokussiert wird.

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nephilen und Experten des italienischen Genre-Films potenziell gesamtgesellschaftlich verfügbar machte. Diese Verbreitung der Bekanntheit des Genres durch beigefügte Erläuterungen zum Genre wird besonders evident im Vergleich mit der fast zeitgleich in Deutschland entstandenen ersten Giallo-Serie des Labels X-Rated. Während Anchor Bay auf dem US-Markt allinkludierend auftrat, wurden die DVDs von X-Rated nicht im regulären Handel angeboten, sondern lediglich auf DVD-Börsen, in Horrorabteilungen von Videotheken oder später im Internet auf Tausch- und Kauf-Börsen. X-Rated hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine treue Käuferschaft, die als Zielpublikum auch für die Giallo-Serie anvisiert wurde. Diese spezialisierte Zielgruppe wird auch von den Kategorisierungen, die die Paratexte dem Rezipienten anbieten, als Experten mit einem speziellen Fachwissen angesprochen. Entsprechend wird der Giallo auf den Covern von X-Rated wie eine Selbstverständlichkeit als Genre genannt, während im Gegensatz zur Giallo Collection von Anchor-Bay jede Erläuterung des Begriffs fehlt. So wird beispielsweise zu IL CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE (1973), der den ersten Titel der Serie darstellte, auf der Rückseite des Covers lediglich angemerkt: „Dieser Horrorschocker gehört zu den besten Giallos der italienischen Filmgeschichte und wird in einer neu abgetasteten Fassung präsentiert, die erstmals in Deutschland seine Urform darstellt.“25 (TORSO: X-Rated: The X-Rated Italo-GialloCollection, BRD 2003) Der dritte Titel der Serie, UN DELITTO POCO COMUNE (1988), wurde mit folgendem Text beworben: „Dieser absolute Spät-Giallo von Ruggero Deodato (‚Cannibal Holocaust‘) verbindet mehrere Elemente des Horrorgenres miteinander. Darüber hinaus wartet der Film mit beeindruckenden Masken und Spezialeffekten auf und wird erstmals ungekürzt und auf DVD präsentiert.“ (DER TOD WARTET IN VENEDIG: X-Rated: The X-Rated Italo-GialloCollection, BRD 2003.) Der Giallo pseudofantastico LA NOTTE CHE EVELYN USCI DALLA TOMBA (1971), der als neunter Teil der Serie veröffentlicht wurde, sei laut Cover „[d]er Klassiker schlechthin! Ein Film, der vom sonst üblichen Giallo-Strickmuster abweicht und zusätzlich mit Sadismus, Erotik und echtem Gruselhorror aufwartet. Die hier vorliegende Fassung ist erstmalig komplett ungeschnitten in deutscher Sprache.“26 (DIE GROTTE DER VERGESSENEN LEICHEN: X-Rated: The X-Rated Italo-Giallo-Collection, BRD 2004 [Herv. i.O. in roten Buchstaben]) Bei dem vierzehnten Titel der Serie wird explizit darauf hingewiesen, dass der Giallo PASSI DI DANZA SU UNA LAMA DI RASOIO (1972) ein „äußerst 25 Man beachte die Betonung der Formulierung „Urform“ am Ende des Satzes, die in der Tradition des Kults um unzensierte Fassungen steht. 26 Am Kopf des Kommentars auf der Rückseite des Covers prangt übrigens in fett gedruckten Lettern: „2 MINUTEN LÄNGERE FASSUNG“ (ebd. [Herv. i.O.]).

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beliebte[r] Giallo“ sei – unter Cinephilen und Experten des Genres, versteht sich –, der „von einer letzten 35mm Kopie neu abgetastet“ worden sei. Der historische Wert des als rar apostrophierten Films und seine strapaziöse Wiederentdeckung seien gleichsam dem Material selbst eingeschrieben: „Die noch teilweise vorhandenen Verschmutzungen bitten wir zu entschuldigen.“ (DIE NACHT DER ROLLENDEN KÖPFE: X-Rated: The X-Rated Italo-Giallo-Collection, BRD 2005) Diese Giallo-Veröffentlichungen schreiben die Tradition des Giallos als Spezialwissen eines Spezialpublikums sowohl in der Form ihres Vertriebs als auch in der Adressierung der Rezipienten und ebenso in der Rhetorik fort. Jedoch werden die Filme in den Folgejahren zunehmend auch – oftmals in geschnittener Fassung – im regulären Handel angeboten.27 Zeitgleich beginnen auch andere Labels, Gialli mit dem Genre-Begriff zu vertreiben – jedoch für den regulären DVD-Markt. Ein Jahr nach der von Quentin Tarantino moderierten Filmserie zum populären italienischen Genrefilm auf den Filmfestspielen von Venedig, durch die auch die Presse auf Genres wie den Italowestern und den Giallo aufmerksamer gemacht worden war,28 bringt das inzwischen insolvente Label e-m-s 2005 Mario Bavas SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964) auf DVD in die Läden. Paratextuell wird der Film wie folgt angepriesen: „Mario Bavas Pionierwerk des Giallos zeigt eine Welt voller Dekadenz und verborgener Obsessionen. Ein stilistisches Meisterwerk und der Ur-Film des modernen Horrorkinos.“29 (BLUTIGE SEIDE: e-m-s: BRD 2005) In demselben Jahr veröffentlicht auch Koch Media seinen ersten Giallo. Allerdings wird der Film LA POLIZIA CHIEDE AIUTO (1974) noch als „ein echtes Highlight unter den Italo-Thrillern“ bezeichnet (DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER: Koch Media, BRD 2005). Auch die beiden Filme, die Koch Media im Jahr darauf auf DVD erscheinen lässt und die in Filmographien und spezialisierten Diskursen als Klassiker des Giallos gehandelt werden, sind auf den DVD-Covern noch nicht als solche klassifiziert: LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971) sei „ein Prachtstück des italienischen Genre-Kinos“ (DER KILLER VON WIEN: Koch Media, BRD 2006) und bei MA27 Etwa IL CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE (1973), IL GATTO A NOVE CODE

(1971), UN DELITTO POCO COMUNE (1988), PASSI DI DANZA SU UNA LAMA

DI RASOIO

(1972), PROFONDO ROSSO (1975), TENEBRAE (1982), PHENOMENA (1985).

28 Quentin Tarantino hat sich damit sogar wiederum in jüngere Geschichtsbücher zum italienischen Film eingeschrieben (vgl. Bondanella 2009: 334f, 583 Endnote 6 von Kapitel 11). 29 Der Wortlaut dieser Auflage ist identisch mit dem Wortlaut auf der etwa zwei Jahre zuvor erschienenen, streng limitierten DVD-Edition, deren 2000 Exemplare im Samtschuber nie den regulären Handel erreichten, sondern schnell auf Spezialplattformen wie Börsen ausverkauft waren.

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(1972) handele es sich um „den großen Klassiker des italienischen Psychothrillers“ (MALASTRANA: Koch Media, BRD 2006). In den USA war der gleiche Film hingegen bei Anchor Bay als einer der ersten vier Filme der Giallo Collection erschienen. Wirft man jedoch auch einen Blick in das Booklet von Christian Keßler, das der deutschen DVD beiliegt, so findet man eine Erläuterung des Genres Giallo, dessen Detailliertheit die des DVD-Covers von Anchor Bay um ein weites übertrifft:

LASTRANA

„Bezeichnet man in Italien auch gern die gesamte Bandbreite thrillender Hausmannskost mit dem Begriff ‚Giallo‘ (nach der Umschlagfarbe populärer Groschenromane = gelb), so hat sich mit der zunehmenden Beliebtheit italienischer Genrefilme auf dem internationalen Markt doch eine wesentlich engere Definition dessen herausgebildet, was einen echten Giallo ausmacht. Diese Definition fußt im Wesentlichen auf den Werken Mario Bavas und Dario Argentos: Wahnsinnige Mörder mit einem schweren sexuellen Knacks wühlen sich mit ihren phallischen Mordwerkzeugen quer durch die weibliche Bevölkerung von Roma, Milano, Genova, oder wo auch immer der Blitz gerade einschlägt. Im Vordergrund steht dabei – im Gegensatz zu den eher auf Logik beruhenden Mordgeschichten angelsächsischer Prägung – nicht die Handlung, sondern die visuell mehr oder weniger beeindruckende Gestaltung der Spannungssequenzen. Bei Meistern wie Bava oder Argento führte dies zu atemberaubenden Resultaten.“30 (Keßler 2006)

Diesem Booklet ist sowohl die oben diskutierte Rhetorik der Experten-Kultur eingeschrieben, an der in Deutschland auch der Autor der Booklets durch seine Beiträge im Fachmagazin Splatting Image maßgeblich beteiligt war. Aber es ist auch erkennbar, wie dieses Spezialwissen durch die Erläuterungen für eine breite Öffentlichkeit als Grundlagenwissen zum Genre rhetorisch aufbereitet wird.31 30 In den von Christian Keßler verfassten Booklets zu den anderen genannten Gialli, die von Koch Media auf DVD veröffentlicht wurden, finden sich zwar keine so ausführlichen Ausführungen zum Genre, aber dennoch stets filmgeschichtliche und genregeschichtliche Verortungen und Erläuterungen zum Giallo. So geht Keßler beispielsweise auch im Booklet zu LA POLIZIA CHIEDE AIUTO (1974) auf den Giallo ein und beschreibt eine, seiner Meinung nach, besonders „giallo-eske Szene“ (vgl. Keßler 2005) im Detail, wodurch er zugleich die vermeintlichen konstitutiven Konventionen des Genres und deren Status als Konventionen affirmativ reproduziert: die hoch stilisierte Inszenierung von exzessiver Gewalt, die maskierte männliche Serientäter an Frauen verüben. 31 Ein ähnlicher Fall liegt bei der deutschen DVD von OCCHI DI CRISTALLO (2004) vor, die 2006 als zweite nicht-italienische DVD des Films nur wenige Monate nach der britischen DVD erschienen ist: Auf der Rückseite des Covers wird der Giallo als Gen-

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Und tatsächlich ist im Jahr 2008 – nachdem auch in Österreich bei Sazuma, in Skandinavien bei Another World Media und in England bei Shameless Films ebenfalls eigene Giallo-DVD-Kollektionen entstanden sind – der Genre-Begriff Giallo so etabliert, dass nun Koch Media den Film L’UOMO SENZA MEMORIA (1974) auf dem DVD-Cover als „eine echte Giallo-Granate“ bewirbt (DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS: Koch Media: BRD 2008). Mit der Distribution der Filme auf DVD steht damit erstmals ein international etablierter Begriff für die Gialli zur Verfügung, der als Bezeichnung einer speziellen Gruppe von Filmen in verschiedenen Diskursen konsensuell genutzt wird.32 Der Genre-Begriff Giallo ist inzwischen so erfolgreich, dass er auch als Vermarktungsstrategie genutzt wird. So bewirbt das kleine US-Label mya den italienischen Film APPUNTAMENTO IN NERO (I 1990, Antonio Bonifacio) auf der re-Zuordnung nicht erwähnt. Stattdessen wird der Film in die Tradition der beiden bekanntesten amerikanischen Serienkillerfilme der 90er Jahre gesetzt. Beworben wird er als ein „[v]erstörender Gruselschocker, der für Nervenkitzel sorgt – ganz im Stil von ‚Sieben‘ und ‚Das Schweigen der Lämmer‘.“ Auf der Unterseite der Rückseite des DVD-Covers findet sich zudem neben der Laufzeitangabe die explizite Genre-Zuordnung des Verleihers: „Genre: Thriller/Horror“. Diese eher vagen Genre-Kategorien und die populären Referenzfilme sind für den schnellen Blick eines interessierten, potenziellen Rezipienten schnell anschlussfähig. Wenn man jedoch die DVD-Hülle öffnet, so findet man darin ein vierseitiges Booklet und der Text dieser Begleitbroschüre handelt weder von „Gruselschockern“ noch von „Thriller/Horror“, sondern gänzlich vom Giallo. Mit der Überschrift „Ein besonderes Genre: DER GIALLO“ wird eine ausführliche Darstellung der dominanten Geschichtsschreibung und Definition des Giallos geboten. Diese Einführung zum Giallo endet auf eine neue Genre-Verortung des Films, dem das Booklet beiliegt: „Ein echter Giallo eben.“ Auch in diesem Fall wird der potenzielle Rezipient durch das Cover mit bekannten Genre-Kategorien geködert, um ihm dann durch das Booklet eine ausführliche Belehrung über den Giallo zu geben (vgl. Anonymus 2006). 32 Bei den ersten Gialli, die auf dem neuen Speicher-Medium Blu-ray veröffentlicht wurden, findet man hingegen zumeist die Kombination der beiden Erfolgskategorien auteur und Giallo. In roten Buchstaben steht den Informationen auf der Rückseite der britischen Blu-ray von PROFONDO ROSSO (1975) beispielsweise Folgendes voran: „The bloody kills and red herrings come thick and fast as Dario Argento weaves a twisted web of sadistic intrigue in this classic Giallo from the genres golden era.“ (DEEP RED: Arrow Video, UK 2010) Auch die Vermarktungsstrategie, die die Filme durch die Anpreisung der bestmöglichen Qualität und der ungeschnittenen Fassung sowie vieler Zusatzinformationen zu nobilitieren versucht, wird im Distributionsdiskurs der Blu-ray fortgesetzt.

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Frontseite des Covers als „[a]n [sic!] hot thriller in the Italian giallo tradition“ (BLIND DATE: mya communication, USA 2009 [Herv. i.O.]).33 Da die DVD sich zum vorherrschenden Speichermedium von Filmen für die private Rezeption durchgesetzt hat, stellen die Gialli, die seit 2002 auf DVD veröffentlicht worden sind, das Film-Archiv dar, auf dem sowohl die Mehrheit der filmwissenschaftlichen Texte zum Giallo basieren als auch die Genre-Verhandlungen des nichtitalienischen Neo-Giallos.34 Die zumeist jungen Regisseure dieser Filme, die als Re-Inszenierungen oder Hommage an den Giallo distribuiert und rezensiert werden, waren vor allem durch das Medium DVD mit dem Genre vertraut geworden. Beispielsweise nennen die Regisseure des Neo-Giallos AMER (2009), der im Jahr 2010 auf internationalen Filmfestspielen wie dem deutschen FantasyFilmfest sehr erfolgreich aufgeführt wurde, in einem Interview die Gialli, die sie besonders beeinflussten (vgl. P./Wirsching o.J.). Bei diesen handelt es sich allesamt um Filme, die als ‚Klassiker‘ auf DVD veröffentlicht worden waren. Auch der Distributionsdiskurs des Neo-Giallos schreibt das Genre Giallo fort: „The candy coloured style and art house sensibilities of classic Euro-Horror are brought back from cinematic grave in Amer, an eye-popping tribute to the originators of Giallo movies.“ (AMER: Anschor Bay, UK 2009) Dieses Archiv muss jedoch stets reflektiert, auf seine Effekte und Bedingungen hin befragt werden, da es nicht einen historischen Genre-Begriff reproduziert, sondern ein eigenes Genre-Konzept und eine eigene Genre-Geschichte produziert. Daher müssen die komplizierten Wege der Distribution und ihre Effekte im Detail nachgezeichnet werden, wie die nachfolgenden beiden Beispiele exemplarisch zeigen werden: Mario Bavas IL ROSSO SEGNO DELLA FOLLIA wurde erst 1970 mit Verspätung in den italienischen Kinos gezeigt, obwohl die Dreharbeiten bereits im September 1968 begonnen hatten und circa zu Beginn des Jahres 1969 abgeschlossen worden waren.35 In dem Film ermordet ein Mode-Designer 33 Dies hat aber auch zur Folge, dass der Genre-Begriff als erfolgreicher Kaufanreiz beständig ausgeweitet wird und das Genre gleichsam neu verhandelt wird. 34 Die Agenda der nicht-italienischen Neo-Gialli ist eine grundsätzlich verschiedene von den italienischen Neo-Gialli, da letztere weniger als Hommage an den Giallo der 60er und 70er Jahre, denn als Aushandlung eines italienischen giallo in Abgrenzung und zugleich im Austausch mit Slashern, Serienkillerfilmen und düsteren Thrillern wie THE SILENCE OF THE LAMBS (USA 1991, R: Jonathan Demme) daherkommen. 35 Bei Lucas ist eine genauere Darlegung des problematischen Produktionsprozesses nachzulesen, der aus finanziellen Gründen unterbrochen werden musste. In der Drehpause führte Mario Bava zur Finanzierung des unterbrochenen Films bei der Erotikkomödie QUANTE VOLTE... QUELLA NOTTE (I 1972, R: Mario Bava) Regie, der wiederum selbst zwar 1968 gedreht worden war, aber erst 1972 in die italienischen Kinos

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für Hochzeitskleider diejenigen Frauen, die seine Kleider getragen haben. Durch diese Serienmorde will er das Trauma des Mordes an seiner Mutter erkunden. So muss er letztlich einsehen, dass die Serienmorde selbst bereits die Wiederholung der traumatischen Erfahrung gewesen sind, da er selbst seine Mutter und deren Liebhaber ermordet hatte.36 Dieser Film operiert bereits mit dem traumatisierten Killer der Psycho-Formel der 70er Jahre und bietet viele hochgradig stilisierte und sexualisierte Morde, die auch für die Gothic-Horrorfilme und Gialli von Mario Bava in den 60er Jahren typisch sind. Zugleich fügt sich der Film reibungslos in die späteren Gialli der 70er Jahre. Doch nicht nur bei Kritikern, sondern auch an den Kinokassen war dem Film kein Erfolg beschieden, so dass er kaum be(tr)achtet wurde (vgl. Lucas 2009: 791). Auch in den USA wurde er erst 1974 in den Kinos gezeigt – unter dem Titel HATCHET FOR THE HONEYMOON. In Deutschland wurde der Film hingegen nie im Kino aufgeführt, sondern erschien erstmals 1986 auf VHS-Kassette (vgl. Huber 2004). Dennoch wurde der Film sowohl in den USA als auch in der BRD auf DVD als ‚Klassiker‘ eines GialloKonzepts vermarktet, dessen Definition seine ‚essentiellen‘ Konventionen vorrangig aus den Gialli der 70er Jahre ableitete. Es verwundert daher wenig, dass der Film bereits 2004 von Koch Media als einer der ersten Gialli im regulären deutschen DVD-Handel angeboten wurde und dadurch zum vermeintlichen ‚historischen Klassiker‘ des Genres avancierte, wodurch er das inzwischen weit verbreitete Genre-Verständnis/-Konzept des Giallos als Genre-Mischung aus Gothic-Horror und Krimi mitbegründete. Darüber hinaus sind die spezifischen Traditionen und Regeln eines Distributionsdiskurses stets zu reflektieren: Beispielsweise wurde das deutsche GialloKonzept stärker vom Horrorfilm und Exploitationfilm geprägt als beispielsweise in den USA oder in England, da das erste Label, das in der BRD Gialli systematisch vertrieb, X-Rated war und dieses Label in der Tradition des VHS-Distributionsdiskurses den Giallo als besonders extreme Horrorfilme unter besonderer Berücksichtigung der Sex- und Gewaltszenen vermarktete. Gialli, die in beiden Aspekten – wobei jedoch die Gewalt deutlich dominiert – verhaltener ausfallen, kam. Auch das Drehbuch von IL ROSSO SEGNO DELLA FOLLIA musste umgeschrieben werden, um Laura Betti nachträglich zu integrieren, die vor allem für ihre Zusammenarbeit mit Pier Paolo Pasolini bekannt ist und 1968 in Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet worden war (vgl. Lucas 2009: 778-800). 36 Dies ist zumindest die Lesart, die der Film dem Rezipienten explizit anbietet. Stattdessen könnte man den Film auch so lesen, dass durch die Serienmorde erst eine sich selbsterklärende Deckerinnerung modelliert wurde, die das eigentliche Trauma verbirgt, und dass so die Deckerinnerung als Basis der psychischen Realität des Protagonisten nachträglich konstituiert wird.

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wurden in der BRD nie auf DVD vertrieben. Der Film GLI OCCHI FREDDI DELLA PAURA (1971), der sich an Kunstfilmen der Zeit orientierte, wurde beispielsweise in den USA, in England, in Skandinavien, in den Niederlanden und in Japan auf DVD veröffentlicht. Der Film, der zwar die sexualisierten Morde als konstitutive Konvention des Giallos explizit in seiner opening sequence vorführt, während man den Rest als Verabschiedung dieses Giallo-Konzepts und eine NeuVerhandlung des Genres lesen kann, wurde in Deutschland nie legal – und auch nie illegal – veröffentlicht. Diese Verankerung des deutschen Genre-Konzepts im Diskurs der ‚Gewaltvideos‘ geht einher mit einem sehr speziellen, um nicht zu sagen: historisch ‚schiefen‘ Bild des Giallos. Während im deutschsprachigen Raum breiter Konsens darüber vorherrscht, dass der Giallo auch in den 60er Jahren bereits als Genre-Mischung aus Krimi und Gothic-Horror formiert worden sei, zeigt der Vergleich mit den englischsprachigen DVD-Veröffentlichungen und Filmographien, dass dieses Genre-Bild nur für wenige Gialli der 60er Jahre zutrifft. Die meisten Gialli der 60er Jahre kombinieren den Krimi hingegen mit anderen Genres wie dem psychologischen Drama, dem Melodrama, dem Abenteuerfilm oder auch der Gesellschaftssatire. Die Vorherrschaft des horror-lastigen Genre-Konzepts im deutschsprachigen Raum kann vorrangig darauf zurückgeführt werden, dass bisher in Deutschland zwar viele Gialli der 70er Jahre, aber kaum Gialli der 60er Jahre auf DVD veröffentlicht worden sind. Dies mag daran liegen, dass die anderen Gialli der 60er Jahre weder die explizite Erotik und Gewalt noch deren Kopplung bieten, die aufgrund der Vorherrschaft der Gialli der 70er Jahre als konstitutive Konventionen des Giallos angesehen wurden. Ein weiterer signifikanter Faktor ist die Identifikation der Filme von Mario Bava als ‚ideale‘, ‚typische‘ oder ‚reine‘ Gialli eines essentialistischen Genre-Konzepts, die in ihrer Kombination von Krimi, sadistischen sexualisierten Morden und ästhetischen Strategien des Gothic-Horrors vermeintlich zwangsläufig auf den Giallo der 70er Jahre hinauszulaufen schienen. Die deutsche Genre-Geschichtsschreibung zum Giallo schließt damit viele Filme der 60er Jahre aus, die in englischsprachigen Genre-Geschichten als Gialli klassifiziert worden sind. Diese Beispiele zeigen paradigmatisch, dass jede Verbreitung eines Films immer auch an der Diskursivierung dieses Films und damit an der Aushandlung von Genre-Konzepten und Genre-Geschichten partizipiert. Im Fall des Giallos liegt lediglich der besondere Fall vor, dass das Genre Giallo erst auf DVD Verbreitung fand und sich „Giallo“ dadurch als Genre-Name für Filme durchsetzte, die zuvor mit anderen Kategorien wie Krimi, Thriller, Horror oder Slasher angeeignet worden waren. Zur Kenntlichkeit entstellt, führt der Giallo vor, dass Genre-Konzepte nicht einfach mit den Filmen entstehen, die ihnen zugeschrieben

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werden, sondern sich in Diskursen, die zumeist die Veröffentlichung der Filme begleiten, hervorgebracht und ausgehandelt werden. Mithin lassen sich Filme und ihre Diskursivierung ebenso wie Genre-Geschichtsschreibung und GenreTheorie nicht unabhängig voneinander betrachten. In jedem Moment der GenreGeschichtsschreibung werden immer auch Modelle der Genre-Theorie realisiert, auf deren Definitionen, was etwa ein Genre sei und wie sich dieses entwickle, die Schreibung der Genre-Geschichte fußt. Daher wird in den nun folgenden drei Kapiteln, die den ersten Block bilden, die medienkulturwissenschaftliche Doppelperspektive auf Genres, wie sie in der Einleitung bereits skizziert wurde, zunächst theoretisch hergeleitet und weiter geschärft. In den sechs Kapiteln danach liegt der Fokus dann hingegen stärker auf Fragestellungen zur Genre-Geschichtsschreibung und auf dem Giallo.

3. Aporien der Genre-Definition

Der Genre-Begriff wurde in der – englischsprachigen – Filmwissenschaft gegen Ende der 60er Jahre und vor allem seit Beginn der 70er Jahre als ernsthafter Forschungsgegenstand in den Blick genommen. In den 60er Jahren waren Genres zumeist nur als Folien der Standardisierung behandelt worden, von denen sich auteurs abhoben. Die Verschiebung der Perspektive vom auteur zum Genre kann beispielhaft Texten wie The Idea of Genre in the American Cinema von Edward Buscombe oder The Notion of Genre von Tom Ryall abgelesen werden (vgl. Buscombe 1970; Ryall 1970). Insbesondere Ryall setzt sich mit seinem Aufsatz von 1970 das Ziel, überzeugend zu entfalten, was man als ein Genre verstehen kann und wie man den Begriff analytisch nutzen kann – um ihn letztlich als Gegenstand der filmwissenschaftlichen Lehre zu etablieren. Seitdem hat sich die filmwissenschaftliche Genre-Theorie intensiv an der Frage abgearbeitet, wie Genres und ihre Film-Korpora definiert werden könnten. Janet Staiger hat bei einer Analyse der verschiedenen Antworten auf diese viel diskutierte Frage vier verschiedene Methoden identifiziert: • • • •

idealist method empiricist method a priori method social convention method

Wie der Vergleich dieser vier methodischen Herangehensweisen im Folgenden zeigen wird, nehmen die vier Verfahren jeweils unterschiedliche Setzungen vor, um die Selektion ihres Materials und die Definition ihres Erkenntnisgegenstandes zu ermöglichen (vgl. Staiger 2003: 187): Durch die (1) idealist method werden Filme auf Basis eines zuvor festgelegten Standards oder einer normativen Genre-Definition einem Genre zugeordnet. Die (2) empiricist method geht hingegen von einer Auswahl von Filmen aus, die als ‚ideale Vertreter‘ eines Genres

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definiert sind und auf deren Basis einerseits die Definition des Genres und andererseits die Klassifikation von anderen Filmen als mehr oder weniger getreue Genre-Filme erfolgt. Als (3) a priori method bezeichnet Staiger wiederum Genre-Definitionen, bei denen im Voraus ausgewählte, vorgeblich konstitutive Konventionen des Genres als Basis zur Identifikation eines ‚Genre-Korpus‘ dienen. Sowohl die empiricist als auch die a priori method der Genre-Definition operieren mit einer zirkulären Logik: Filme oder Konventionen werden bereits nach einem Muster als konstitutiv für das Genre identifiziert, obwohl erst ihre Analyse das entsprechende Muster hervorbringen soll, das für das Genre konstitutiv sei. In der Filmwissenschaft gilt Andrew Tudor als der erste breit rezipierte Kritiker an dieser Tautologie, deren Aporie verschleiert wird, um die GenreDefinition zu naturalisieren. Als Alternative dazu schlug Tudor vor, man solle analysieren, welche Filme als Kanon oder Klassiker eines Genres gälten, um auf der Basis dieser Zuschreibungen das Genre zu bestimmen.1 Diesen Ansatz hat Janet Staiger, womit die oben begonnene Liste der vier Methoden abgeschlossen wird, als (4) social convention method bezeichnet. Jedoch stellt Staigers Be1

Im Original lautet die breit rezipierte und oft zitierte Passage wie folgt: „These writers, and almost all writers using the term genre, are caught in a dilemma. They are defining a ‚Western‘ on the basis of analysing a body of films which cannot possibly be said to be ‚Westerns‘ until after the analysis. If Kitses’ themes and conventions are the defining characteristics of the ‚Western‘ then this is the previously discussed case of arbitrary definition – the category becomes redundant. But these themes and conventions are arrived at by analysing films already distinguished from other films by virtue of being ‚Westerns‘. To take a genre such as a ‚Western‘, analyse it, and list its principle characteristics, is to beg the question that we must first isolate the body of films which are ‚Westerns‘. But they can only be isolated on the basis of the ‚principal characteristics‘ which can only be discovered from the films themselves after they have been isolated. That is, we are caught in a circle which first requires that the films are isolated, for which purposes a criterion is necessary, but the criterion is, in turn, meant to emerge from empirically established common characteristics of the films. This ‚empiricist dilemma‘ has two solutions. One is to classify films according to a priori chosen criteria depending on the critical purpose. This leads back to the earlier position in which the special genre term is redundant. The second is to lean on a common cultural consensus as to what constitutes a ‚Western‘, and then go on to analyse it in detail. This latter is clearly the root of most uses of genre. It is this usage that leads to, for example, the notion of conventions in a genre.“ (Tudor 1974: 135, 138 [Herv. i.O.]) Siehe hierzu auch die Kritik von Barry Keith Grant an Andrew Tudors Vorgehen, das letztlich doch wieder auf eine möglichst stabile Genre-Definition abzielt (vgl. Grant 2007: 22f).

A PORIEN

DER

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zeichnung bereits eine Umschrift von Andrew Tudors Vorschlag dar, denn auch Tudor zielt eigentlich auf die Identifikation eines ‚Kerns‘ von Genre-Filmen ab, von denen ausgehend das Genre gefasst werden könne. Er ersetzt lediglich die Identifikation dieses ‚Kerns‘ nach theoretisch motivierten Setzungen durch die Analyse von Kanon- und Klassiker-Debatten. Um dieser Substitution eines ‚Kerns‘ von idealtypischen Genre-Filmen durch einen anderen ‚Kern‘ des Genre-Korpus zu entgehen, haben Genre-Theoretiker wie Janet Staiger, Barbara Klinger, Barry Keith Grant oder Steve Neale den Ansatz von Tudor erweitert: Statt lediglich zu analysieren, welche Filme als ‚Klassiker‘ oder ‚typische‘ Genre-Filme einem Genre zugewiesen werden, propagieren sie die Analyse der Genre-Bezeichnungen und -Konzepte, die diskursiv ausgehandelt werden. Der Fokus wird dahingehend verschoben, dass erforscht werden soll, wie Rezipientengruppen mit Genres und Filmen interagieren (vgl. Staiger 2003; Klinger 1989: insbesondere: 11-14; Grant 2003; Neale 2003). Dass diese Antwort auf die Aporie der Genre-Definition inzwischen so prominent und erfolgreich geworden ist, mag dadurch begründet sein, dass sie es erlaubt, die Genre-Theorie von essentialistischen und normativen Genre-Definitionen abzurücken und sie stattdessen poststrukturalistischen Denkmustern sowie diskurstheoretischen Methoden und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen anzunähern. Das Ergebnis wäre kein ‚rein‘ theoretisches Konstrukt, sondern eine Genre-Theorie, die die gesellschaftliche Relevanz und die gesellschaftlichen Funktionen von Genres in den Blick nimmt. Die Tücke dieser vermeintlich so einfachen und überzeugenden Antwort ist aber natürlich die Frage: Welche social conventions? Welcher common cultural consensus?2 Wie kann die dominante 2

Mit „common cultural consensus“ (Tudor 1974: 138) bezeichnet Andrew Tudor 1974 das Set an Vorstellungen und Filmen, die möglichst viele Rezipienten mit einem gemeinsamen kulturellen Hintergrund einem Genre zuschreiben. Tudor fasst seine Position wie folgt zusammen: „In short, to talk about the ‚Western‘ is (arbitrary definitions apart) to appeal to a common set of meanings in our culture. From a very early age most of us have built up a picture of a ‚Western‘. […] Genre notions […] are not critic’s classifications made für special purposes; they are sets of cultural conventions. Genre is what we collectively believe it to be.“ (Ebd.: 139 [Herv. i.O.]) Wie aus diesem Zitat hervorgeht, wendet Andrew Tudor sich zwar gegen eine Definition des Genres auf Basis eines vermeintlich genre-konstitutiven Text-Korpus, aber sein Appell zur Analyse von Genres als kulturellen Phänomenen und zur Analyse der diskursiven Verfasstheit von Genres läuft letztlich auf die Identifikation eines Minimalkonsens und eines stabilen und fixierten Genre-Konzeptes hinaus, das Gültigkeit für eine Kultur beanspruchen darf und sich daher, nach Tudor, für kulturwissenschaftliche Analysen der kulturellen Funktionen von Filmen anbiete.

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Vorstellung in einer Gemeinschaft, was als ein bestimmtes Genre zu verstehen sei, diskursanalytisch erfasst werden?

3.1 D ER M YTHOS

DES

D IALOGS

Die wohl prominenteste Antwort lautet: Genres werden ausgehandelt im ‚Dialog‘ zwischen Produzenten und Rezipienten. Dieser Mythos des Dialogs ist in seiner Simplizität ebenso verführerisch wie trügerisch. Das Problem des ‚Dialogs‘ kann leicht anhand der Verwerfungen in der Genre-Theorie von Steve Neale nachgezeichnet werden: Steve Neale hat mit seiner Monographie Genre and Hollywood die bisher komplexeste filmwissenschaftliche Studie zur GenreTheorie vorgelegt (vgl. Neale 2000: insbesondere 9-47, 151-177, 207-230): Mit einem pluralen Theorie-Design – das beispielsweise auf Denkfiguren des Strukturalismus und des Poststrukturalismus, der Rezeptionsästhetik, der Cultural Studies und der Gender Studies zurückgreift – wendet sich Neale gegen eindimensionale, essentialistische Ansätze zur Definition von Genres, die auf stabile, ahistorische und klar begrenzte Genres abzielen. Zu diesen von Neale kritisierten Ansätzen kann beispielsweise die Ikonographie gezählt werden, die zu Beginn der filmwissenschaftlichen Genre-Debatte zur Identifikation von Genres wie Western oder Gangster-Film als bevorzugtes Kriterium der Genre-Definition genutzt worden war. Zu diesen eindimensionalen Definitionen zählen zudem aber auch strukturalistische Genre-Theorien, die Genres anhand eines Sets binärer Kodierungen definieren wollen. Darüber hinaus zählt zu den kritisierten GenreTheorien auch das der Linguistik entlehnte Modell von Rick Altman, durch das ein Genre in seinen semantischen, syntaktischen und pragmatischen Dimensionen definiert werden soll.3 Steve Neale setzt diesen Ansätzen eine Genre-Theorie entgegen, die Genres als offene, multidimensionale Konzepte versteht, deren konstitutive Historizität und Prozessualität zu betonen sind. In seinem oft zitier-

3

In seinem viel zitierten Aufsatz A Semantic/Syntactic Approach to Film Genre, der erstmals 1984 im Magazin Cinema Journal (23/3: 6-18) erschienen war, hatte Rick Altman zunächst ein zweidimensionales Modell vorgestellt, das auf eine Definition von Genres als ‚stabile‘ Konfigurationen aus semantischen Elementen und syntaktischen Strukturen abzielte. Aufgrund der heftigen Kritik an diesem Modell, insbesondere durch Steve Neale, erweiterte Altman sein Modell in seiner Monographie Film/Genre von 1999 um eine dritte Dimension: die Pragmatik. Damit trug Altman den diskurstheoretischen Problematisierungen seines alten Modells Rechnung (vgl. Altman 2006).

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ten Diktum – „generic conventions are rather in play than simply being replayed“ (ebd.: 219 [Herv. i.O.]) – kristallisiert sich dieser Ansatz, der davon ausgeht, dass jeder Film Genre-Konventionen aufgreift, aber er sie nicht nur fort-, sondern auch umschreibt. Jeder Film kann die Genre-Konventionen variieren, sie neu kontextualisieren, neu kodieren oder mit anderen Konventionen anderer Genres kombinieren. Steve Neale geht von der konstitutiven Hybridität von Hollywoodfilmen aus. Zugleich betont er, dass Genre-Konzepte keine Eigenschaften von Filmen sind, sondern in Diskursen ausgehandelt werden.4 Soweit ist Steve Neale zuzustimmen. An diesem Punkt jedoch, an dem die Interdependenz von textuellen und diskursiven Verhandlungen5 von Genres zu analysieren wäre, verengt Neale seine Genre-Theorie wieder und setzt schließlich selbst ein weiteres Primat der Genre-Definition: Das historische GenreKonzept, das im – zur nahezu hohlen Phrase gewordenen – ‚Dialog‘ zwischen Produzenten und Rezipienten ausgehandelt worden sei, dient ihm zur Kritik und Korrektur von filmwissenschaftlichen Genre-Definitionen. So kommt er zu seinem berühmten Postulat, dass der film noir kein Genre sei, da die Filme, die inzwischen dem Genre zugeschrieben werden, zum Zeitpunkt ihrer ersten Aufführung in den US-amerikanischen Kinos in den diese begleitenden Diskursen – vor allem Produktionsnotizen, Werbematerialien und Rezensionen – mit anderen Bezeichnungen klassifiziert worden waren.6 Der Neo-Noir sei, so Neale, hingegen ein Genre, da zu dem Zeitpunkt der Produktion der Filme ebenso wie zum Zeitpunkt ihrer ersten Kino-Auswertung bereits die Genre-Konzepte film noir und Neo-Noir ausgehandelt gewesen wären (vgl. Vgl. Neale 2000: 173-175). Diesem Urteil über den Genre-Status des film noir im Vergleich zum Neo-Noir liegt eine Agenda zugrunde, die ebenfalls auf eine Definition des Genres und eines Genre-Korpus abzielt – die sich jedoch den Anschein der ‚historischen Korrektheit‘ gibt. Bei genauerer Betrachtung liegen die Genre-Definition und der 4

Dieses Postulat hat Steve Neale vor allem durch seinen Aufsatz Questions of Genre

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Bei dieser Wendung, die wiederholt gesetzt werden wird, handelt es sich um eine the-

auf die Agenda der filmwissenschaftlichen Genre-Theorie gesetzt (vgl. Neale 2003). oretisch unsaubere, der Textökonomie geschuldete Formulierung, da natürlich Texte – auch Filme – als Diskurse betrachtet werden können. Um dennoch Texte/Filme von ihren Diskursivierungen zu unterscheiden, wird hier diese begriffliche Differenzierung vorgenommen. 6

In den USA wurden die betreffenden Filme als thriller oder melodrama beworben, die Filmwissenschaft schloss sich jedoch den französischen Kritikern an, die nach dem 2. Weltkrieg eine neue Qualität des thriller zu sehen glaubten: den film noir. Aufgrund dieser zwei Geschichten der Genre-Klassifikation für die gleichen Filme, streitet die Genre-Theorie seither darüber, ob film noir ein Genre sei oder nicht.

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Genre-Kanon auch im Zentrum von Neales Kritik am Verständnis des film noir als Genre: „As a single phenomenon, noir, in my view, never existed. That is why no one has been able to define it, and why the contours of the larger noir canon in particular are so imprecise.“ (Ebd.: 174 [Herv. i.O.]) So verwundert es wenig, dass 150 Seiten seiner Monographie aus Darstellungen von Genres bestehen, die sich von anderen Definitionen derselben Genres vor allem durch ihr filmhistorisches Material unterscheiden, durch das andere Definitionen derselben Genres kritisiert und vermeintlich ‚korrigiert‘ werden sollen. An die Stelle der, folgt man Neale, stets ihre Willkür verdeckenden filmwissenschaftlichen GenreDefinitionen setzt Steve Neale damit nicht weniger dogmatisch die historischen Genre-Konzepte. Diese Verengung der Pluralität der Genre-Verhandlungen in verschiedenen Diskursen auf die Gegenüberstellung eines historischen Genre-Konzepts, das im ‚Dialog‘ zwischen Produzenten und Rezipienten ausgehandelt werde, und einer filmwissenschaftlichen Genre-Definition ist in drei Punkten genre-theoretisch und genre-historisch problematisch: Zunächst muss beachtet werden, dass bei dieser Gegenüberstellung des ‚historischen‘ und des ‚theoretischen‘, d.h. nachträglich modellierten Genre-Konzeptes, die bereits Tzvetan Todorov skizzierte (vgl. Todorov 1975: 13f), je nach Argumentation und Erkenntnisinteresse das eine oder das andere Konstrukt legitim gewählt werden kann. Während Steve Neale sich für ein spezielles historisches Genre-Konzept entscheidet, weist beispielsweise Christine Gledhill darauf hin, dass eine nachträgliche Gruppierung von Filmen für eine Geschichtsschreibung produktiv sein kann, da sich Dynamiken, Transformationen und Zäsuren leichter und gezielter aus einer historischen Distanz beobachten lassen. Gerade weil jede Geschichtsschreibung immer beobachter-relativ ist, da ihr Narrativ und ihre Selektion des Materials auf bestimmten ihrer Zeit geschuldeten Perspektiven und Axiomen beruhen, plädiert Gledhill für eine unvoreingenommene Diskussion jener Neu-Verhandlungen, die sich in die Aktualisierungen der Film- und Genre-Geschichtsschreibung einschreiben: „The job that critics do, whether journalistic, academic, or counter-cultural, is to make connections across generic boundaries, to bring into view previously unperceived configurations and patterns – for example: film noir, the small-town movie, the woman’s film – that were present if unarticulated in a previously figured terrain of an earlier period, and which hold a different significance for us now.“ (Gledhill 2000: 239 [Herv. i.O.])

Wie dieser wichtigen letzten Nebenbemerkung zu entnehmen ist, sind alternative Genre-Geschichten immer auch Symptome alternativer Fragestellungen und Per-

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spektivierungen der Filmgeschichte. Die Film- und Genre-Geschichtsschreibung kann ihrerseits nach den theoretischen Modellen und den Genre-Konzepten befragt werden, die der Geschichtsschreibung in verschiedenen Diskursen zu verschiedenen Zeiten eingeschrieben sind. Diese Betonung der Historizität der Aushandlung von Genre-Konzepten und Genre-Geschichten tangiert jedoch eine zweite Problematik, die zwar wiederholt anklingt, doch selten eingehend problematisiert wird. Die Gegenüberstellung eines historischen und eines filmwissenschaftlichen Diskurses ignoriert zumeist, dass diese Diskurse weder stabil noch eindimensional sind. Einerseits werden auch in diesen Diskursen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Genre-Konzepte ausgehandelt. Andererseits müssen diese Diskurse nicht nur diachron, sondern auch synchron in ihren Differenzen perspektiviert werden. Steve Neale entscheidet sich explizit dafür, als Primat der GenreDefinition das historische Genre-Konzept zu wählen, das erstens zum Zeitpunkt der allerersten Kino-Auswertung und zweitens nur in den USA ausgehandelt worden sei. Dies ist legitim, da sich seine Genre-Theorie explizit aus amerikanischer Perspektive mit Hollywood-Genres beschäftigt. Jedoch müssen zwei wichtige Ergänzungen gemacht werden: Zum einen kann man auch danach fragen, welche Genre-Konzepte in den USA zu den Zeitpunkten späterer Kino-Auswertungen, der VHS-Auswertung, der DVD-Auswertung oder natürlich auch zu den jeweils verschiedenen Zeitpunkten einer Ausstrahlung im Fernsehen zirkulierten. Andererseits könnte man ebenso danach fragen, welche Genre-Konzepte zu diesen Zeitpunkten in den USA und welche in der BRD oder in Italien oder beispielsweise in Japan ausgehandelt worden sind. Keines dieser Genre-Konzepte kann als ahistorisches Primat gelten, sondern muss stets historisch und kulturell kontextualisiert und reflektiert werden. Beispielsweise wurden viele Gialli in den 60er und 70er Jahren von der deutschen Kinowerbung als „Krimis“ und „Thriller“ klassifiziert, während deutsche Verleiher die gleichen Filme zu VHS-Zeiten zumeist als „Horror“-Filme bewarben. Erstmals bei ihrer DVD-Auswertung wurden diese Filme dann schließlich als Gialli apostrophiert. Das heißt jedoch nicht, dass die Filme erst auf DVD mit dem vermeintlich ‚richtigen‘ Genre-Namen bezeichnet worden wären. Diese variierenden Genre-Zuschreibungen zeigen hingegen, dass man die gleichen Filme zu verschiedenen Zeitpunkten in verschiedenen Diskursen anders generisch verortete und sich die Filme mit anderen Genre-Konzepten aneignete. Alle GenreKonzepte sind gleichermaßen diskursive Konstrukte. Mithin ist die Historizität und kulturelle Spezifik historischer Genre-Konzepte dezidiert zu betonen. Diese Feststellung mag banal und geradezu selbstverständlich erscheinen – dennoch

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wurde sie in der Genre-Theorie bisher kaum berücksichtigt, geschweige denn eingehend diskutiert. Das obige Beispiel der verschiedenen Genre-Bezeichnungen je nach Speicher-/Distributions-Medium eines Films impliziert wiederum bereits die dritte Problemstellung: Als Beispiele für den oft beschworenen ‚Dialog‘ zwischen Produzenten und Rezipienten – und dies gilt für die Theorie der Kommunikationsfunktion von Genres ebenso wie für poststrukturalistisch und diskurstheoretisch informierte Genre-Theorien – wird gerne auf Werbematerialien und Rezensionen verwiesen. Kein Autor geht jedoch näher darauf ein, wie dieser Dialog zu denken ist. Geklärt werden weder die Existenz von mehreren Diskursen, die sowohl in ihrer Vernetzung als auch in ihrer Verschiedenheit näher beschrieben werden müssten, noch die Richtungen der zirkulierenden Informationen. Stattdessen werden aus den kulturellen Artefakten der Werbung und der Rezensionen die angeblichen historischen Genre-Konzepte destilliert. Der ‚Dialog‘ zwischen Produzenten und Rezipienten, in dem Genre-Konzepte verhandelt werden, umfasst jedoch diverse sehr verschiedene Diskurse. Und diese Diskurse gilt es im Detail zu unterscheiden, operieren sie doch mit jeweils anderen Regeln, anderen Agenden, anderen Akteuren, anderen Geschichten und anderen Zirkulationswegen, die wiederum verschiedene Reichweiten und Effekte haben. Ein Fernsehspot unterscheidet sich beispielsweise von einem Kinospot, von einer Plakatwerbung, von einer Rezension in einer Tageszeitung, von einer Rezension in einer Fernsehzeitschrift, von einer Rezension in einer Filmzeitschrift, von einer Lektüre in einer wissenschaftlichen Studie, von einem Eintrag in der deutschsprachigen Wikipedia, von einem Eintrag in der englischsprachigen Wikipedia und so weiter. Der ‚Dialog‘ besteht aus einem Bündel verschiedener Diskurse, die unterschiedliche Genre-Konzepte verhandeln können. Die Vorstellung jedoch, dass sich daraus ein ‚Master-Konzept‘ ergäbe, das eindeutig benannt werden könnte, simplifiziert die Verhandlungsdynamiken.7 Zweitens suggeriert die Vokabel ‚Dialog‘ den gleichwertigen Austausch von Informationen zwischen zwei Kommunikationspartnern. Doch die ‚Dialog‘7

Auch die Monographie Film/Genre von Rick Altman ist paradigmatisch für die Problematik des Postulats eines Genre-Konsenses: Zwar fordert Altman eine Analyse der Aneignungsprozesse und -praktiken von Filmen und Genre-Konzepten ein, jedoch gesteht er im gleichen Atemzuge am Rande ein, dass deren Durchführung kaum zu leisten sei, da selbst gruppenspezifische Aneignungsmodi, ihre Verknüpfungen mit Spezialdiskursen und ihre Abgrenzung von anderen Diskursen – wie etwa Tageszeitungen oder auch Filmmagazinen mit einer größeren und inhomogenen Leserschaft – zu komplex seien, um die Bildung von konsensuellen Genre-Konzepten nachzuzeichnen. Dieses Eingeständnis ist in Nebensätzen versteckt (vgl. Altman 2006: 195, 206).

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Partner begegnen einander mit unterschiedlichen Interessen: Auf der Seite der Rezipienten besteht ein Bündel an heterogenen Faktoren für die Teilhabe am ‚Dialog‘ – um nur einige zu nennen: eine effiziente Auswahl von Filmen, ein besseres Verständnis der Filme, eventuelle Gratifikationen aber auch die Reduktion der Wahrscheinlichkeit, Geld in einen Film investiert zu haben, der keinen der eigenen Interessen genügt. Auf der Seite der Produzenten steht hingegen vorrangig das Interesse an einer Gewinnoptimierung. Von ihrer Seite aus gestaltet sich der ‚Dialog‘ unter dieser Prämisse prinzipiell prekär: Der ökonomische Erfolg eines Films lässt sich letztlich nicht eindeutig voraussagen. Solange, bis der Film schließlich veröffentlicht wird, besteht bei den Produzenten eine prinzipielle Ungewissheit über den Erfolg des Produkts. Der ‚Dialog‘ bietet damit auch ihnen Möglichkeiten, um diese prinzipielle Ungewissheit teilweise zu kompensieren. Zu diesen Möglichkeiten können etwa, um wiederum nur einige Beispiele zu nennen, die Auswertung von Befragungen oder Test-Screenings zählen. Aber auch Genres und die Iteration von Formeln und Mustern, die sich bereits als erfolgreich erwiesen haben, müssen auf der Seite der Produktion als einer der wichtigen Faktoren bedacht werden. Robert E. Kapsis hat in einer beispielhaften empirischen Studie gezeigt, wie komplex der Prozess der Erfolgsabwägung auf Seiten der Produzenten ist, welche Vorstellungen von erfolgsversprechenden Genre-Konventionen sie dabei prozessieren und wie leicht sich Produzenten verspekulieren können. In den frühen 80er Jahren führte Robert E. Kapsis Interviews mit US-amerikanischen Filmemachern und Produzenten von Horror- und insbesondere Slasher-Filmen durch, um zu erforschen, wie diese ihre Vorstellungen von Horror aushandeln und nach welchen Kriterien sie entscheiden, welche Filme finanziert werden und welche Filme nicht (vgl. Kapsis 1991): Kapsis kam zu dem Ergebnis, dass sich Produzenten über einige Jahre hinweg hauptsächlich an dem immensen Überraschungserfolg von HALLOWEEN (USA 1978, R: John Carpenter) orientierten und diesen wiederholt als zu erreichenden Standard ansetzten, um ihre Erwartungen an die zu produzierenden Filme zu kommunizieren. Da Investitionen und Filmproduktionen in Film-Industrien, die wie Hollywood seriell Filme hervorbringen, im Voraus kalkuliert werden, richteten sich die Produzenten, die für die Studie von Kapsis interviewt wurden, nach drei Kriterien, um zu entscheiden, ob zukünftig eine bestimmte Sorte von Horror-Filmen wie der Slasher gewinnbringend sein könnten: (1) die Entwicklungen auf dem heimischen Kino-Markt; (2) die Entwicklungen auf ausländischen Märkten; (3) die Resonanz und die Absatzmöglichkeiten in anderen Medien wie damals vorrangig dem Fernsehen. Kapsis kommt auf Basis eines Vergleichs der Aussagen der Produzenten mit Statistiken zu dem Schluss, dass die interviewten Produzenten

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ab ca. 1983 falsch spekuliert hatten: Die Produzenten reduzierten die Zahl der produzierten Horror-Filme, während gleichzeitig die Nachfrage stieg. Die Produzenten von Horror-Filmen hatten beobachtet, dass in Europa bereits die Produktion von Horror-Filmen zurückgefahren worden war und dass der HorrorFilm in Fernsehen und Printmedien zunehmend eher kritisch bewertet wurde, da die Filme stetig brutaler geworden waren, weshalb sie sich auch schlechter ans Fernsehen verkaufen ließen. Daher reduzierten auch die von Kapsis interviewten US-amerikanischen Produzenten die Anzahl der Horror-Produktionen. Zugleich entstand jedoch die Videotheken-Kultur, durch die die Nachfrage nach HorrorFilmen – nun als ‚Horror-Videos‘ – im US-amerikanischen Markt sogar noch weiter anstieg. Für die Genre-Theorie ist an dieser Studie zum einen interessant, dass die Produzenten ihrerseits versuchten, aus dem Vorbild HALLOWEEN und den nachfolgenden Filmen, die sich bereits als erfolgreich erwiesen hatten, intertextuelle Iterations-Muster zu erkennen, die sie als Erfolgsfaktoren annahmen. Daraus resultierte ein sehr vages Genre-Bild, das während der Entscheidungen der Produzenten prozessiert wurde und flankiert wurde von Tendenzen wie der zunehmend expliziten Darstellung von Sex und Gewalt. Zum anderen sieht man an diesem wenig rezipierten Beispiel einer empirischen Genre-Studie aber auch, wie wichtig die oft als Heim-Medien apostrophierten Medien VHS und – seit dem Millennium – DVD gerade für die Produktion und Rezeption von HorrorFilmen sind. Im Fall des Horror-Films und des Slashers der 80er Jahre entwickelten sie sich zum bedeutenden Absatzmarkt; im Fall des Giallos motivierte der internationale DVD-Markt sogar die Ausbildung des Genre-Begriffs Giallo und die Produktion von Neo-Gialli. Der ‚Dialog‘, dies lässt sich zweifelsohne resümieren, erweist sich mithin nicht als ein Dialog, sondern als ein komplexes Bündel heterogener Diskurse, in denen Genre-Konzepte unterschiedlich prozessiert werden. In Anbetracht dieser drei gravierenden Problemstellungen wird umso deutlicher, dass die Zielsetzung einer solchen Diskursanalyse eines postulierten ‚Dialogs‘ der Genre-Verhandlung, wie sie etwa Steve Neale propagiert, gerade nicht die Analyse verschiedener Genre-Konzepte mit ihren verschiedenen Logiken und Rhetoriken, Agenden und Akteuren, Funktionen und Effekten ist, sondern stattdessen die erneute Findung einer Genre-Definition, die als vermeintlich historisch korrektes GenreKonzept absolut gesetzt werden kann. Die Kritik daran kann zu einer GenrePragmatik, um einen Begriff von Rick Altman aufzugreifen, weiter entfaltet werden.

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3.2 G ENRE -P RAGMATIK In Anlehnung an die linguistisch informierte Literaturtheorie – insbesondere mit Bezug auf Jurij Lotman – forderte Rick Altman eine pragmatische Analyse von Genres in all jenen Kontexten und Kommunikationssituationen ein, in denen Genre-Konzepte genutzt bzw. prozessiert werden (vgl. Altman 2006: 208-213).8 Altman hält seinen Begriff der Pragmatik betont offen und zählt zu deren Material sowohl diverse Diskurse wie wissenschaftliche Studien, die Werbung, Rezensionen als auch verschiedene Kommunikationssituationen wie die gemeinsame Auswahl eines Films oder die Diskussion eines Films; darüber hinaus zählt er auch die Rezeption von Filmen dazu. Die Bündelung all dieser verschiedenen Fälle begründet er damit, dass in ihnen Genre-Konzepte prozessiert werden. Altmans genre-theoretische Pragmatik wird hier zugespitzt zur Formulierung: Genre-Pragmatik. In einem Aufsatz hat auch Knut Hickethier darauf hingewiesen, dass die Bedeutung von Genre-Begriffen, so wie sie in vielen Diskursen zirkulieren, sich zumeist durch große Vagheit auszeichnen (vgl. Hickethier 2003: 65, 80). Diese Begriffs-Unschärfe – so sein Terminus – versteht Hickethier jedoch als wichtigen Faktor für die Produktivität von Genres in Kommunikations-Prozessen, da sie die Anpassung des Genre-Konzepts an den jeweiligen Einzelfall eines speziellen Films oder einer Kommunikationssituation erlauben, in der das GenreKonzept als Rahmen der Rezeption und/oder Diskussion eines Films dienen soll. Die Unbestimmtheit des Begriffs macht ihn gleichsam für diverse verschiedene Fälle produktiv. Hickethier begrenzt diese Argumentation jedoch vorrangig auf den Rezeptionsprozess. Daneben klingt bei ihm als ein analoger Fall nur am Rande an, dass dieselbe Unschärfe von Genre-Begriffen auch in der Distribution von Filmen vorteilhaft ist, da ein Film die Erwartungen der Rezipienten kaum gänzlich enttäuschen kann, wenn durch die vagen Genre-Begriffe ein ebenso

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Durch die Genre-Pragmatik erweiterte Altman seine breit rezipierte Theorie der Genre-Definition nach semantischen und syntaktischen Komponenten. Die Genre-Pragmatik diente ihm gleichsam zur Stabilisierung seiner Theorie, die vor allem von Steve Neale scharf kritisiert worden war. Hier wird die Idee der Genre-Pragmatik aus Altmans Genre-Theorie herausgelöst und einzeln aufgegriffen, da sich sein Gedanke auch unabhängig davon produktiv machen lässt – ironischerweise führt dies Altman selbst vor, indem er den Ansatz der semantisch/syntaktischen Definition von Genres schnell links liegen lässt, um die Analyse der Genre-Pragmatik unabhängig davon zu diskutieren (vgl. ebd.).

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großes Varianzspektrum der Erwartungen evoziert wird.9 Zu beachten ist, dass Hickethier der Begriffs-Unschärfe nicht generell eine Produktivität zuschreibt, sondern er sich dabei auf einen speziellen kommunikativen Kontext bezieht: Den Dialog von Produzenten und Rezipienten. Die Argumentation von Hickethier, deren implizites Plädoyer für unscharfe Begriffe zuerst einer Wissenschaftsethik der Exaktheit zu widersprechen scheint, kann aber auch zu einer allgemeinen Genre-Pragmatik erweitert werden. Wie wichtig die Genre-Pragmatik ist, zeigt sich schnell an einer eher gewöhnlichen Unternehmung wie beispielsweise einem gemeinsamen KinoBesuch: Dieses soziale Ereignis erfordert die Kommunikation über die (gemeinsame) Filmwahl. Bereits zu diesem Zeitpunkt wird die Begriffs-Unschärfe produktiv – und nicht erst bei der Rezeption, die Hickethier vorrangig behandelt. Denn zur Konsens-Findung werden verschiedene Faktoren als Kriterien der Selektion in Betracht gezogen werden müssen. Zu diesen Faktoren können beispielsweise Stars – Darsteller, Regisseure, Komponisten etc. –, Empfehlungen etwa von Freunden und auch Genres gerechnet werden. Insbesondere die Genres, die explizit – beispielsweise den Rezensionen oder den Trailern – oder auch implizit – etwa den Konnotationen der Ikonographie der Filmankündigungen und denen der Filmtitel – entnommen werden können, dienen einer Hauptunterscheidung, die die Evokation der Affekte und kognitiven Rezeptionsprozesse betrifft: Will man sich gruseln, erschrecken, ekeln, will man lachen, weinen, philosophieren, will man sich belehren lassen oder erregen lassen – diese Liste ließe sich leicht fortführen. In diesem komplexen Aushandlungsprozess wären möglichst exakte GenreKonzepte, mit denen etwa die Filmwissenschaft operiert, ausgesprochen unproduktiv. Denn sonst könnte man sich beispielsweise nicht einfach auf einen ‚Horror-Film‘ einigen, sondern müsste exakt bestimmen, ob man Lust hätte auf torture-porn,10 Backwoods-Horror,11 Gothic-Horror,12 einen speziellen Monster9

Hickethier spricht etwas diffuser von „diffusen Vorstellungen“ (Hickethier 2003: 65) und knüpft damit an David Bordwell an (vgl. ebd.: 80).

10 Beispielsweise auf einen weiteren Teil der berühmt-berüchtigten SAW-Serie (2004– 2010) oder aber auf einen der vielen anderen torture-porn-Filme der letzten Jahre wie etwa SCAR (USA 2007, R: Jed Weintrob). Während torture-porn in filmwissenschaftlichen Diskursen als ein zeitspezifischer Trend der Gewalt-Ästhetik verstanden wird, hat sich der Begriff inzwischen in Fan-Diskursen als Name für eine eigene Gruppierung durchgesetzt. So wurde beispielsweise auf der Internetseite Schnittberichte, die verschiedene Schnittfassungen und Filmversionen vorrangig für Gewaltdarstellungen dokumentiert, über den Film PENANCE (USA 2009, R: Jack Kennedy) diskutiert, der unter anderem Urteile erntete wie (aufgrund der unzähligen sprachlichen Fehler in den

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Typ etc. Im Fall eines Kinobesuchs ist der Aushandlungsprozess zwar noch dadurch begrenzt, dass man mit einer kleineren Auswahl an möglichen Filmen und eher rezenten Genre-Konzepten und Trends konfrontiert ist. Verlegt man dieses Szenario hingegen in eine Videothek oder ein DVD-Fachgeschäft, so erstreckt sich die Auswahl über die Filmgeschichte und man müsste daher zudem die verschiedenen historischen Genre-Konzepte unterscheiden, um sicher zu sein, dass man anhand derselben Vorstellungen und Erwartungen seinen gemeinsamen Entschluss fasst. Im Fall des Giallos könnte man beispielsweise zwischen den Filmen vor und nach 1970 unterscheiden. In den 60er Jahren zwischen den eher vom Krimi dominierten Gialli,13 den eher vom Gothic-Horror dominierten Gialli14 und den von den Kunstfilmtrends der Zeit dominierten Gialli.15 In den 70er Jahren wiederum zwischen den Filmen des Giallo pseudofantastico wie beispielsweise LA NOTTE CHE EVELYN USCI DALLA TOMBA (1971) sowie diversen anderen möglichen Gruppierungen innerhalb des Giallos: Gialli, die Konventionen des Okkult-Horrors aufgreifen wie TUTTI I COLORI DEL BUIO (1972); Gialli, die monströse Tiere beinhalten wie IL GATTO NERO (1980); Gialli, in denen ähn-

Zitaten wird in diesem Fall ausnahmsweise nachfolgend auf deren Markierung durch ein „[sic!]“ verzichtet): „So das ist er also, der absolute brutale die Normen sprengende Torture Porn Reisser […].“ Ein anderer Disputant schreibt darauf im Forum: „Oh Mann, schon wieder nen Torture Porn wie aufregend ich kann kaum erwarten bis es losgeht... gäääääähn.“ Diese Debatte kann im Anschluss an den Schnittbericht zum Film nachgelesen werden: http://www.schnittberichte.com/schnittbericht.php?ID=500 533 vom 04.08.2012. 11 Wie beispielsweise einen Film der Serien TEXAS CHAINSAW MASSACRE, THE HILLS HAVE EYES oder WRONG TURN, um nur drei Serien der vielen Backwoods-Horrorfilme der letzten Jahre zu nennen. 12 Zwei prominente jüngere Beispiele sind der Erfolgsfilm PARANORMAL ACTIVITY (USA 2007, R: Oren Peli), in dem eine Familie des Nachts mit einer Digitalkamera mysteriöse Laute und bewegte Objekte in ihrem Schlafzimmer aufzeichnet, und die an den Kinokassen wenig erfolgreiche Großproduktion THE WOLFMAN (USA/UK 2010, R: Joe Johnson) mit den Stars Benicio Del Toro und Sir Anthony Hopkins. 13 Wie beispielsweise IL DOLCE CORPO DI DEBORAH (1968), UNA SULL’ALTRA (1969) oder NUDE . . . SI MUORE (1968). 14 Wie beispielsweise LO SPETTRO (1963), SCHREIE IN DER NACHT (1969) oder LA DONNA DELLA DOMENICA (1975).

15 Wie beispielsweise COL CUORE IN GOLA (1967), LA MORTE HA FATTO L’UOVO (1967) oder UN TRANQUILLO POSTO DI CAMPAGNA (1968).

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lich wie im zeitgleichen Genre poliziesco16 der Ermittlungsplot dominiert wie in MIO CARO ASSASSINO (1971); Gialli, in denen das Melodrama – im Sinne des woman’s film17 – aktualisiert wird wie in LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971) – auch diese Liste könnte man fortsetzen, wenn man versuchen würde, exakte Gruppierungen von Gialli zu konstruieren, die sich untereinander ähnlicher sind als sie anderen entsprechend konstruierten Gruppen ähneln. Bald würde man jedoch feststellen müssen, dass die Gruppierungen nicht exklusiv sein können, da Filme wie TUTTI I COLORI DEL BUIO sowohl zu den Filmen zu zählen sind, die Okkultismus beinhalten, aber auch zu den Filmen mit Edwige Fenech, die sehr stark vom Melodrama bestimmt sind. Einigte man sich hingegen darauf, dass man einen Giallo sehen wollte, so hätten alle Gesprächsteilnehmer eine vage Vorstellung der wahrscheinlichen Erwartungen: das Grauen von seriellen Morden und die spannende Erzählung über die kriminalistischen Ermittlungen. Falls ein Kommunikationsmitglied beispielsweise Edwige Fenech verehrt oder die explizitere Gewalt und Sexualität der 70er Jahre bevorzugt, so können schnell kleinere Modifikationen und Spezifikationen des zunächst vagen Genre-Konzepts vorgenommen werden. Die Konsens-Findung dauerte jedoch nicht länger als der letztlich gewählte Film. Die vermeintliche Unschärfe von Genre-Begriffen ist somit nicht nur produktiv, sondern sie ermöglicht in den meisten Fällen überhaupt erst die erfolgreiche (und effiziente) Kommunikation und bietet darüber hinaus in vielen Situationen die Chance für eine Konsensfindung. Das Varianz-Spektrum der Genre-Konzepte entspricht somit üblicherweise den Bedingungen und Zielen der jeweiligen Kommunikationssituation, in denen sie aktualisiert werden. Die Erkenntnisse der letzten beiden Unterkapitel können in der polemischen Zuspitzung zusammengefasst werden: Die Frage ‚Was ist das Genre XY?‘ ist prinzipiell falsch! Auch die Frage danach, ob ein Film ein XY-Film sei – also beispielsweise: ‚Ist dies ein Giallo?‘ – ist prinzipiell falsch gestellt, da sie die Möglichkeit einer eindeutigen Antwort und einer exakten Benennung des Genres suggeriert. Doch Genres existieren ebenso wenig als real gegebene Objekte wie 16 Der Begriff bezeichnet den italienischen Polizeifilm. Manchmal wird das Genre auch als poliziottesco oder poliziotto bezeichnet. Manchmal werden darunter auch italienische Mafiafilme gefasst. Für eine kurze Skizze siehe: Barry 2004; Bondanella 2009: 453-494. 17 In englischsprachigen Schriften zur Genre-Theorie findet sich diese Genre-Bezeichnung sowohl im Plural als women’s film als auch im Singular als woman’s film und manchmal auch innerhalb eines Textes sowohl im Plural als auch im Singular (vgl. Altman 2006: 72-77; Neale 2000: 188-196; Langford 2006: 44-46). Hier wird der gebräuchlichere Singular woman’s film genutzt.

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sie wesenhafte Qualitäten von Filmen darstellen. Genres sind allein beobachtbar als kulturelle Konzepte, die in Diskursen ausgehandelt werden, um gewisse intertextuelle Muster zu benennen. Diese Konzepte können bei der Produktion und Distribution einerseits und der Rezeption von Filmen andererseits herangezogen werden. Auf der Seite der Produktion dienen Genre-Konventionen einer seriellen Produktion von Filmen, deren kommerzieller Erfolg, so die Grundannahme der Genre-Theorie, abgeschätzt werden kann. Auf der Seite der Rezipienten dienen die Genre-Konzepte unterschiedlichen Zwecken – zunächst vor allem der FilmAuswahl und der Aneignung der Filme. Die Frage lautet damit jedoch nicht, ob ein Film ein Genre-Film ist, sondern welche Lektüre aufgrund welcher GenreKonzepte erfolgen kann. Diese Betonung der Lektüre eines einzelnen Films unter dem Vorzeichen verschiedener Genre-Konzepte und unter Berücksichtigung der Genre-Verhandlungen des Films darf jedoch ebenso wenig absolut gesetzt und zum Primat der Genre-Theorie erhoben werden, wie es dem ‚Diskurs‘ in der Modellierung zum mythischen ‚Dialog‘ zwischen Produzenten und Rezipienten wiederfuhr. Denn die Fokussierung des einzelnen Films darf das Genre, wie es hier mit einer medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspektive als Interdependenz von intertextuellen Mustern und diskursiven Genre-Konzepten verstanden wird, nicht aus dem Auge verlieren, wenn die Dynamik der Iterationen, die Interdependenz von Fortschreibungen und Umschriften im einzelnen Film adäquat beschrieben werden soll. Anders gesagt: Es gilt im Folgenden, auch das Spannungsverhältnis von einzelnem Film und Genre näher zu beleuchten.

3.3 D AS S PANNUNGSVERHÄLTNIS

VON

F ILM

UND

G ENRE

Die zweite Tendenz der Radikalisierung in der jüngsten Genre-Theorie, die es zu relativieren gilt, betrifft das Verhältnis von Genre und einzelnem Film. Dass ein einzelner Text nicht nur als eine weitere Ergänzung des ‚Korpus‘ eines Genres verstanden werden darf, sondern dieser Text die Konventionen eines Genres ebenso reproduziert, wie er sie verschieben oder modifizieren kann, hat bereits Tzvetan Todorov im Vorwort seiner Studie über das Fantastische betont (vgl. Todorov 1975: 6). Gerade im Fall von populären Genres wurde wiederholt argumentiert, dass Rezipienten zwar gerne ähnliche Texte, nicht jedoch den immer selben Text rezipieren wollen. Genres zeichnet mithin eine Spannung aus, da sie einerseits Konventionen fortschreiben und sie andererseits diese auch immerzu variieren müssen, um ihr Publikum nicht zu langweilen. Steve Neale hat dies in der bereits zitierten Formulierung „generic conventions are rather in play than simply being re-played“ (Neale 2000: 219 [Herv. i.O.]) auf den Punkt gebracht.

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Dieser Ansatz wurde im Anschluss an Steve Neale insbesondere von Claudia Liebrand in diversen Arbeiten zur Genre-Theorie und zu genre-theoretisch fokussierten Lektüren ausgebaut.18 In der zusammen mit Ines Steiner verfassten Einleitung zum Sammelband Hollywood hybrid pointierte Liebrand ihre GenreTheorie wie folgt: „Jeder Film bezieht sich auf Genre-Konventionen, schreibt sie aber gleichzeitig um, modifiziert und konstruiert sie. Das Genre (von dem wir doch eigentlich annehmen, dass es dem Film vorgängig ist), ist also immer ein Effekt jener Filme, in denen es sich ausdrückt/konkretisiert/dokumentiert. Wir haben es also mit der Schwierigkeit zu tun, dass das Genre nicht Film ist, aber uns nur im Film begegnet: Das Genre geht dem Film (logisch) voraus und ist doch (faktisch) sein Effekt.“19 (Liebrand/Steiner 2004: 8 [Herv. i.O.])

Noch stärker als Steve Neale betont Claudia Liebrand das komplizierte Spannungsverhältnis zwischen Genres und dem einzelnen Film, der Genres je spezifisch aktualisiert. Diese Fokussierung auf den einzelnen Text, dessen Singularität und konstitutive Offenheit Liebrand in ihren Lektüren unterstreicht, steht in der Tradition des Poststrukturalismus.20 Für die poststrukturalistisch informierte 18 Im Gegensatz zu Steve Neale hat Claudia Liebrand keine explizite Genre-Theorie im Sinne eines Theorie-Textes vorgelegt. Stattdessen hat sie ihre Genre-Theorie in einzelnen Film-Lektüren entfaltet, denen ihre Genre-Theorie als Rahmen und LektüreModelle eingeschrieben ist. 19 Einen ähnlichen Gedanken formulierte auch schon Tzvetan Todorov in den 70er Jahren: „We have postulated that literary structures, hence genres themselves, be located on an abstract level, separate from that of concrete works. We would have to say that a given work manifests a certain genre, not that this genre exists in the work.“ (Todorov 1975: 21). 20 Die wiederholte Betonung der Singularität ist – ähnlich wie das Spiel der Sprache – ein Kristallisationspunkt der poststrukturalistischen Kritik an der strukturalistischen Agenda der exakten Identifikation von Strukturen und Sinn-Komplexen. Gilles Deleuze hat diese poststrukturalistische Agenda in Logik des Sinns zugespitzt auf den Punkt gebracht: „Singularitäten, die weder allgemein noch individuell, weder persönlich noch universelle sind, all dies durchquert von Zirkulationen, Echos, Ereignissen, die mehr Sinn und mehr Freiheiten verschaffen, mehr Wirksamkeiten, als der Mensch je erträumt und Gott je sich vorgestellt hatte. Das leere Feld zirkulieren zu lassen und die prä-individuellen und unpersönlichen Singularitäten zum Sprechen zu bringen, kurz, den Sinn zu produzieren: Darin besteht heute die Aufgabe.“ (Deleuze 1993: 100).

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Genre-Theorie ist insbesondere Jacques Derridas Aufsatz The Law of Genre von zentraler Bedeutung. Darin argumentiert Derrida für die konstitutive Singularität des Textes, da jeder einzelne Text, so Derrida, mit verschiedenen Genres spielen könne und ebenso mit verschiedenen Genres gelesen werden könne – wobei Derrida jedoch betont, dass genre im Französischen semantisch offener und weiter angelegt sei als im englischsprachigen Gebrauch des Wortes, wo es zumeist im Sinne einer Text-Gruppierung Verwendung findet (vgl. Derrida 1980: 74).21 Diese Betonung des einzelnen Films und seiner komplexen generischen Verhandlungsmuster muss aber selbst historisch betrachtet werden, denn es handelt sich dabei um eine deutliche Abgrenzung von essentialistischen Genre-Theorien, die die ‚konstitutiven‘ Genre-Konventionen als ‚Wesenszüge‘ den Filmen zuschreiben und die von einer eindeutigen Genre-Zuordnung von Filmen ausgehen.22 Obgleich diesem poststrukturalistischen Argument prinzipiell zuzustimmen ist, muss seine Dogmatik relativiert werden. Auch Jacques Derrida setzt in diesem Sinne in seinem Aufsatz implizit gewisse Genre-Namen und -Konzepte voraus, die zwar vom einzelnen Text spezifisch aktualisiert werden, die aber dennoch als diskursive Konzepte zirkulieren und vom Leser beispielsweise zur Lektüre oder zur Kommunikation über einen Text herangezogen werden können. Derrida plädiert nicht dafür, dass jeder Text als ein eigenes Genre gedacht werden könnte oder dass es gar keine Genres gibt. Er zeigt aber die komplexen Genre-Verflechtungen und -Verhandlungen im einzelnen Text auf. Daher ist das Argument von Derrida als eine theoretische Erweiterung von anti-essentialistischen Genre-Theorien zu verstehen, die den einzelnen Text in Interdependenz zum Genre akzentuieren. Denn es darf auch nicht aus dem Auge verloren werden, was gemeinhin als Genre verstanden wird: ein Konzept zur Perspektivierung und Bezeichnung einer intertextuellen Struktur. Diese stetige Rückbesinnung auf den Minimalkonsens des Genre-Begriffs ist wichtig, um den tatsächlichen Gebrauch des Konzepts nicht aus dem analytischen Blick zu verlieren. Denn die Zielsetzung der Genre-Theorie kann es nicht sein, ‚kompliziertere‘ und ‚stabilere‘ Genres zu konstruieren; stattdessen gilt es 21 In Derridas Erwiderung auf essentialistische und normative Genre-Theorien kann Genre so weit gefasst sein, dass es jede erdenkliche Gruppe oder Sorte bezeichnet und daher auch an Gender anschlussfähig ist, dessen Interdependenzen, um mit Gereon Blaseio zu sprechen, Jacques Derrida gesondert behandelt. Zur Interdependenz von Genre und Gender siehe den gleichnamigen Aufsatz von Gereon Blaseio (2004). 22 Gerade im Fall von Claudia Liebrand wird auch gegen die germanistische GattungsTheorie angeschrieben, deren normative Ansätze die Historizität und Dynamik von Genre-Konzepten und von textuellen Genre-Verhandlungen weitgehend ausblenden.

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die diskursiv und bei der Rezeption prozessierten Genre-Konzepte zu analysieren und damit eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive zu verfolgen. Um dieses komplexe Spannungsverhältnis von Einzelfilm und Genre genauer zu beschreiben, werden im Folgenden zwei Faktoren näher diskutiert: erstens die Interdependenz von Texten und der Lektüre-Entscheidung für ein Genre-Konzept unter besonderer Berücksichtigung der Prozessualität der textuellen Genre-Verhandlung und des Genres als Rahmen der Rezeption; zweitens die Spezifität von generic systems. 3.3.1 Text und Genre-Lektüre-Entscheidung Man könnte die oben zitierte Passage von Claudia Liebrand auch dahingehend missverstehen, dass das Genre selbst ein Ergebnis der individuellen Lektüre sei. Ein radikaler Ansatz der Genre-Theorie denkt das Genre, mit dem ein Film rezipiert wird, als eine Lektüre-Entscheidung des Rezipienten. Dieses Axiom geht einher mit der Argumentation, dass ein Film auch mit verschiedenen Genres gelesen werden könnte, woraus jeweils verschiedene Lektüren hervorgingen. Prinzipiell mag dies theoretisch richtig sein, jedoch, praktisch gesehen, handelt es sich dabei um eine extreme Zuspitzung, die Genres zu theoretischen Spielbällen werden lässt, statt sie als kulturelle Artefakte zu betrachten. Denn ein Hollywood-Blockbuster wie TITANIC (USA 1997, R: James Cameron) mag mit den Genre-Konzepten Melodrama, Historien-/Kostüm-Film und Katastrophenfilm produktiv zu lesen sein. Jedoch käme kaum ein Rezipient auf die Idee, den Film als Western, als Science-Fiction-Film, als Slasher oder aber als Samurai-Film zu lesen. Denn das Genre mag zwar eine Lektüre-Entscheidung sein, aber dennoch ist diese nicht beliebig. Die Frage, welches Genre-Wissen eine Lektüre implizit oder explizit zu steuern vermag, wird im Prozess der Lektüre geprüft. Das heißt wiederum, dass ein Genre als Lektüre-Entscheidung auch wieder fallengelassen werden kann, wenn der Film keine wiedererkennbaren Spuren oder ‚Konventionen‘ des Genre-Konzeptes aufweist. Das Genre ist also keine vollkommen freie Lektüre-Entscheidung; das Genre ist auch nicht allein als ein Effekt der Film-Lektüre zu verstehen. Nein, es ist interdependent zur textuellen Aktualisierung des Genres. Ein Film muss bereits Spuren eines Genres aufweisen, damit der Rezipient die Genre-Lektüre-Entscheidung trifft. Der Begriff der Spur ist dabei im Sinne Derridas ernst zu nehmen. Derrida propagiert eine Logik der Signifikanten-Ketten, nach der ein Signifikant nie auf ein Signifikat, sondern stets nur metonymisch auf weitere Signifikanten verweist. Deshalb kann, so die Logik der Signifikantenketten, ein Sinn nie endgültig fixiert werden, sondern lediglich durch diskursive Strategien kurz-

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fristig festgesetzt werden (vgl. Derrida 1983: 77-114).23 Auch die Aktualisierungen von Genre-Konventionen bilden eine Kette, die als Signifikanten eines Genres verstanden werden können, ohne dass das Genre als Signifikat oder aber gar als reales Objekt des Verweises existiert – obwohl Diskurse, wie etwa GenreStudien, das Genre in einer Definition, einem Kanon und einer Genre-Geschichte fixieren wollen. Filme rekurrieren stets zugleich auf kanonisierte Genre-Konzepte, die in diversen Diskursen zirkulieren, und auf rezente AktualisierungsTrends. Denn Filme-Macher – und das gilt für Arthouse-Filme wie für Blockbuster – greifen einerseits auf das kulturelle Archiv an Genre-Konzepten und Genre-Klassikern zurück und versuchen andererseits an aktuelle Trends, also gegenwärtig erfolgreiche Phänomene anzuschließen, um durch diese IterationsMuster die Absatzchancen ihrer Filme zu steigern.24 Dieses Spannungsverhältnis zwischen einzelnem Text, kanonisierten und aktuell sich formierenden intertextuellen Mustern sowie diskursiven Konzepten wie Genres ist durch die doppelte Dynamik der Fort- und Um-Schrift gekennzeichnet. Denn Filme können sich von den Genre-Konventionen abheben, mit denen sie spielen oder die sie eventuell auch brechen, aber sie können zugleich auch als deren Fortschreibung gelesen werden. Obgleich manchen Lesern die Umschriften interessanter erscheinen mögen, muss dennoch auch nach der Fortschreibung im Sinne einer Reproduktion von Genre-Konventionen gefragt werden, da beide Varianten der textuellen Genre-Verhandlung nur in Interdependenz zu beobachten sind und von eminenter Bedeutung für Genre-Lektüre-Entscheidungen sind.

23 Für einen schnellen, aber fundierten Überblick über die Diskussionen zum SpurBegriff siehe auch den von Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube herausgegeben Sammelband von 2007. 24 Beispielsweise hat Claudia Liebrand nachgezeichnet, dass der James-Bond-Film CASINO ROYALE (UK/USA/BRD/CZ/BS 2006, R: Martin Campbell) nicht nur die Konventionen der James-Bond-Serie verhandelt, sondern auch diverse damals aktuelle filmische und kulturelle Trends. Der Film integriert beispielsweise die Erfolgsstrategien und ästhetischen ‚Innovationen/Neuerungen‘, die der Genre-Konkurrent THE BOURNE SUPREMACY (USA/BRD 2004, R: Paul Greengrass) zu den Genre-Konventionen des Spionage-Action-Films beigesteuert hat. CASINO ROYALE schließt zudem an den Trend des Reboots von Franchises durch Prequels wie BATMAN BEGINS (USA 2005, R: Christopher Nolan) oder STAR WARS: EPISODE I - THE PHANTOM MENACE (USA 1999, R: George Lucas) an. Daneben finden sich weitere kulturelle Bezüge wie etwa die Trendsportart Parcour in den Action-Szenen, die auch in anderen ActionFilmen wie BANLIEUE 13 (F 2004, R: Pierre Morel) bereits ihre Action-FilmTauglichkeit gezeigt hatte (vgl. Liebrand 2012a).

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Betrachtet man die Genre-Fortschreibungen in Interdependenz zu den GenreUmschriften, so gilt es die Prozessualität der Genre-Verhandlungen in einem Film näher zu beleuchten. Nicht nur Genres, sondern auch Text-Lektüren sind unter dem Vorzeichen der konstitutiven Nachträglichkeit zu betrachten. Claudia Liebrand und Ines Steiner bringen diese vermeintliche Paradoxie wie folgt auf den Punkt: „Das Genre geht dem Film (logisch) voraus und ist doch (faktisch) sein Effekt.“ (Liebrand/Steiner 2004: 8) Jedoch ist diese pointierte Zuspitzung von Liebrand nicht hermeneutisch misszuverstehen. Obwohl erst die Lektüre eines Films das nachträgliche Urteil zum Effekt haben kann, ob der Film mit einem Genre-Konzept produktiv gelesen und was unter dem Genre-Konzept verstanden werden kann, da der Film dieses Genre-Verständnis eben auch aktualisiert und modifizieren kann, ist dieser Prozess der textuellen Genre-Verhandlungen in einem Film und der interdependente Prozess seiner Rezeption weder vom Ende her noch vom Ganzen des Films her zu denken. Eine solche Verfahrensweise entspräche einer sich ‚aufgeklärt‘ gebenden Perspektive von konservativen hermeneutischen Interpretationen, die einen Text in seiner Gänze erklären wollen. Ein Rezipient wird jedoch mit der Entscheidung, ob ein Film mit einem Genre-Konzept rezipiert werden kann, nicht erst bis zum Ende des Films warten und dann sein Genre-Konzept eventuell durch die Film-Lektüre (grundlegend) ändern. Der Film muss bereits einige populäre oder aktuell zirkulierende GenreZuschreibungen evozieren und bestätigen, damit der Rezipient das Genre nicht zugunsten eines anderen Lektüre-Ansatzes fallen lässt. Der generische Rahmen der Text-Lektüre wird ebenso im Verlauf der Rezeption prozessiert, wie der Text Genres prozessiert. Zur Diskussion der Prozessualität der Genre-Verhandlungen sowohl in Texten als auch in deren Rezeption hat die kognitionswissenschaftliche GenreTheorie in den letzten Jahren einige der interessantesten Impulse gegeben.25 Insbesondere die Arbeiten von Siegfried J. Schmidt und Jörg Schweinitz sind inso25 Während in den USA der Impuls, der von David Bordwells kognitivistischen Studien seit der Mitte der 80er Jahre ausging (vgl. Bordwll 1985; Bordwell/Staiger/Thompson 1985; Bordwell/Carroll 1996; Bordwell/Thompon 2004), die englischsprachige Genre-Theorie kaum beeinflusst hat, entstanden in der deutschsprachigen Filmwissenschaft seit Anfang der 90er Jahre einige Studien wie Peter Wuss’ Monographie Filmanalyse und Psychologie (1999) und diverse Aufsätze, die der Übersetzung der inzwischen zu Klassikern avancierten Texte von David Bordwell in der filmwissenschaftlichen Zeitschrift montage/av folgten (vgl. Bordwell 1992; Wuss 1992; Casetti 2001; Keppler 2002; Keppler/Seel 2002; Schweinitz 2004; für einen Überblick siehe Hartmann 2003). Innerhalb der Filmwissenschaft kann die kognitionswissenschaftliche Genre-Theorie also durchaus als deutschsprachige Theorietradition gesehen werden.

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fern für die hier entfaltete Genre-Theorie, die eine medienkulturwissenschaftliche Doppelperspektive auf Genres wirft, produktiv, da sie ebenfalls bereits Ansätze dazu erkennen lassen, Text- und Diskurs-Analyse zusammen zu denken. Im Folgenden wird es jedoch nicht darum gehen, die kognitionswissenschaftliche Genre-Theorie in ihrer Gänze darzustellen und sie zu übernehmen. Trotz ihres sehr verschiedenen Theorie-Designs und anderer Fragestellungen bietet die kognitionswissenschaftliche Genre-Theorie diverse Schnittmengen mit der poststrukturalistisch-diskursanalytischen Genre-Theorie, wie sie hier fortgeschrieben wird. Daher können aus der kognitionswissenschaftlichen Genre-Theorie für die hier verfolgten Ausführungen aufschlussreiche Impulse und Modelle gewonnen werden, wie sich insbesondere mit Blick auf die Diskussion von Genre-Klassikern bei Schmidt und Schweinitz zeigt. Siegfried J. Schmidts konstruktivistisch-kognitivistischer Ansatz, der sowohl auf kognitivistische Fragestellungen zum Verständnisprozess medialer Inhalte als auch auf kommunikative Prozesse abzielt, stellt nicht allein eine Verschiebung der analytischen Perspektive zum Rezipienten und zu dessen Aneignung von Texten hin dar, sondern auch die Kopplung an eine diskursanalytische Genre-Theorie (vgl. Schmidt 1994: 185-190). Aus der Analyse etwa der Modellierung von Genrebegriffen in populären Metatexten wie Fernsehzeitschriften26 und der Frage, wie Genrebegriffe und -Zuschreibungen intersubjektiv kommuniziert und damit ausgehandelt werden, folgert Schmidt ein dynamisches Genremodell, in dessen Perspektivierung beispielsweise ‚Klassiker‘ sich als kanonisierte Texte darstellen. Diese ‚Klassiker‘ fungieren aufgrund ihrer Kanonisierung, ihrer Bekanntheit und ihrer mehrheitlichen Zuordnung zu einem Genre als privilegierte Intertexte, durch die Konventionen von Genre-Konzepten und Erwartungen an ein Genre ausgehandelt werden können (vgl. ebd.: 178f, 181f). Diese besonderen Texte stiften zeitspezifisch eine Gruppe notwendiger Bedingungen der GenreZuschreibung, die aber keine ausreichende und erschöpfende Liste der GenreEigenschaften darstellt (vgl. ebd.: 181f). Die Invarianten der Genreschemata, die die kognitionswissenschaftliche Genre-Theorie in den Blick nimmt, wären damit gleichsam als die Konventionen von Genre-Konzepten zu verstehen, die durch Metatexte und die Iteration in einzelnen Texten, die dem Genre zugeschrieben werden, reproduziert und stabilisiert werden (vgl. ebd.: 168.). Schmidt operiert mithin mit einem konstruktivistischen Ansatz, der nach der Ausbildung von Schemata fragt, die Wahrnehmungs-, Zuschreibungs- und Kommunikationsprozesse nicht nur erleichtern und beschleunigen, sondern auch vorstrukturieren. In diesem Ansatz deutet sich das Verständnis von Genres als Lektüreschlüsseln und 26 Zwar beziehen sich Schmidts Ausführungen zumeist auf das Fernsehen, aber sie lassen sich leicht auf den Film und die Theorie der Film-Genres übertragen.

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Lektüreentscheidungen an, wie sie die poststrukturalistische Genre-Theorie prozessiert (vgl. ebd.: 171-173). Ähnlich konzipiert auch Jörg Schweinitz Genres als dynamische Felder ohne eindeutige Grenzen, die sich vielfach überlappen (vgl. Schweinitz 2002): Einerseits betont dieses Genremodell die Prozessualität, die intergenerischen Austauschprozesse und die Dynamik der Genre-Aktualisierungen; andererseits argumentiert Schweinitz aber auch dafür, dass sich Ballungen von Konventionen beobachten ließen, die als einzelne Zyklen bzw. historische Sukzession von Stereotypisierungen aufgefasst werden können. Schweinitz paraphrasiert diese Ballungen explizit als „Konventionalisierungen von erfolgreichen Mustern“ (ebd.: 84), womit er implizit auf die Interdependenz von intertextuellen Ballungen und ihrer Diskursivierung als Genre-Konventionen hindeutet. Stabilisiert und strukturiert, so Schweinitz, werden die Felder durch „Prototypen“ bzw. Klassiker, die als Grundpfeiler des prinzipiell offenen Feldes eines Genres die ausgehandelten Konventionen des Genre-Konzeptes und damit die grundlegenden Strukturen der Genre-Schemata für Produzenten und Rezipienten darstellen (vgl. ebd.: 115f).27 Diese kanonisierten Klassiker sind zeitspezifisch, da sie von Metadiskursen wie beispielsweise Programmzeitschriften oder der intersubjektiven Kommunikation reproduziert werden. Hierin wird auch bei Jörg Schweinitz die Kopplung von textuellen Genre-Verhandlungen und ihrer Diskursivierung erkennbar, in deren Interdependenz Genre-Schemata – oder poststrukturalistisch gesprochen: GenreKonzepte – als „Genrebewußtsein“ modelliert werden, auf deren Folie sich das Filmverstehen – poststrukturalistisch: die Lektüre – und die Kommunikation bzw. Aushandlung von Genre-Schemata/-Konzepten vollziehen (vgl. ebd.: 113). Die kognitionswissenschaftliche Genre-Theorie hat sehr interessante Fragen gestellt – jedoch bleibt sie überzeugende Antworten noch immer schuldig. Denn die Methoden und Axiome der Kognitionswissenschaft zielen letztlich immer auf eine empirische Überprüfung ihrer Thesen ab. Es ist bereits sehr schwer, alle Diskurse, in denen ein Genre prozessiert wird, in ihren Kopplungen und Synergieeffekten, aus denen zum Beispiel ein Genre-Kanon hervorgehen kann, zu beobachten und zu analysieren. Noch schwieriger ist es jedoch, empirische Analysen durchzuführen, deren Ergebnisse generalisiert werden müssten – und die Probleme der Generalisierung von Ergebnissen empirischer Forschung sind wohl

27 Ein ähnliches Genre-Modell der Prototypen entwirft auch Torben Grodal als Antwort auf essentialistische – bzw. in seiner Terminologie: metaphysische – Genre-Theorien, die von essentiellen Elementen eines real existierenden Genres ausgehen (vgl. Grodal 2009: 43-50).

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bekannt.28 In der deutschsprachigen Debatte hat am prominentesten Andrea B. Braidt einen Vorschlag für eine empirische Überprüfung der kognitionswissenschaftlichen Genre-Theorie im Anschluss an David Bordwell, Siegfried J. Schmidt und die Heidelberger Strukturlegetechnik vorgelegt (vgl. Braidt 2008). Auch Braidt konzentriert sich jedoch auf detaillierte Stellenlektüren, die für Operationalisierungen für eine empirische Überprüfung in Form eines Fragebogens dienen könnten. Und auch die hier vorgeschlagene medienkulturwissenschaftliche Doppelperspektive kann zwar letzten Endes nur von empirischen Studien profitieren; im Vergleich zu den kognitionswissenschaftlichen Fragestellungen sind diese jedoch anders gelagert – dieser Faden wird im letzten Kapitel, das einen Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder der Genre-Theorie eröffnet, wieder aufgegriffen werden. Die Doppelperspektive, wie sie hier paradigmatisch auf den Giallo gelegt wird, kann jedoch bereits für diverse Problemstellungen der empirischen Überprüfung von Axiomen der kognitionswissenschaftlichen Genre-Theorie Lösungs-Ansätze offerieren. Denn durch diskursanalytische Methoden können Aneignungs- und Verhandlungs-Prozesse von Genre-Konzepten und Genre-Geschichten erhellt werden. Statt der individuellen Psyche von Rezipienten geraten dadurch kulturelle Praktiken, Regime des Wissens und LektüreReglements in den Blick, mit denen Rezipienten sich Filme aneignen. 3.3.2 generic system Zur Kontextualisierung des Verhältnisses von Genre und einzelnem Film ebenso wie zur Relativierung der Singularität des Textes hilft ein Blick zurück auf einen frühen Vertreter dieser interdependenten Betrachtung von Genre und Einzeltext. Wie bereits erwähnt, argumentierte Tzvetan Todorov, dass jeder einzelne Text nicht nur das ‚Korpus‘ eines Genres erweitere, sondern auch das Konzept des Genres – mithin das, was man unter dem Genre verstehen kann – ergänzen und verschieben kann. Obwohl jeder Text, der einem Genre zugeschrieben wird, die Konventionen des Genres nicht nur fortschreiben, sondern auch umschreiben kann, merkt Todorov explizit an, dass einerseits nicht jeder Film das Genre im gleichen Maße umschreibt und dass andererseits jeder Text immer auch Konven28 Insbesondere bei der (Film-/Text-)Lektüre ist eine ‚zuverlässige‘ Generalisierung von Ergebnissen sehr unwahrscheinlich, da die Lektüre nicht allein auf der individuellen Medienkompetenz sowie der individuellen Vertrautheit mit Genre-Konventionen beruht, sondern es ließen sich sowohl auf textueller Ebene durch etwa das poststrukturalistische Axiom der konstitutiven Polysemie von Texten aber auch auf der Rezeptionsebene durch das Axiom der Cultural Studies, dass die pluralen Aneignungstechniken von Texten analysiert werden müssen, generelle theoretische Einwände vorbringen.

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tionen fortschreibt (vgl. Todorov 1975: 6f). Todorov lenkt damit den Blick auf das interdependente Verhältnis von Fort- und Umschrift. Während die Umschriften die einzelnen Texte nicht nur für Lektüren interessant machen können, sondern die Variation der Genre-Konventionen auch als Grundprinzip der kommerziell erfolgreichen seriellen Produktion gelten kann, sind die Fortschreibungen bekannter Konventionen nicht minder wichtig, erlauben sie dem Rezipienten doch eine generische Verortung und ein leichteres Verständnis des Textes auf der Basis bekannter Genre-Konzepte. Die Dynamik der Variation von Genre-Konventionen in einzelnen Texten muss aber auch vor dem Hintergrund des jeweiligen generic system der Filmproduktion analysiert werden. Während Hollywood-Filme, und insbesondere Blockbuster, aufgrund ihrer immens hohen Produktionskosten ein möglichst breites, heterogenes und zumeist auch internationales Publikum adressieren müssen, um kommerziell erfolgreich zu sein, adressieren weniger kostspielige Filme zumeist ein vergleichsweise kleineres und auch anders zusammengesetztes Publikum. Der Hollywood-Film, und insbesondere der Blockbuster, der seit dem Ende von New Hollywood zu dem dominanten Geschäftsmodell Hollywoods avanciert ist,29 stellt ein so spezielles Modell der kommerziellen Filmproduktion dar, dass bereits vorgeschlagen wurde, den Blockbuster als ‚Meta-Genre‘ zu bezeichnen (vgl. Mikos et al. 2007: 19-29).30 Für das Blockbuster-Modell ist beispielsweise die Genre-Hybridität konstitutiv, da der Blockbuster ein möglichst heterogenes Publikum mit unterschiedlichen Erwartungen und Vorlieben an einen unterhaltsamen Film zufrieden stellen soll. Ohne Frage stellt der Blockbuster einen besonderen Modus der Film-Produktion und -Distribution dar. Es ist daher nicht nur produktiv, sondern auch notwendig, zwischen der Blockbuster-Produktion und anderen Produktionsweisen zu unterscheiden, die grob wie folgt eingeteilt werden könnten: (1) andere teure Hollywood-Produktionen; (2) verschiedene 29 Hier wird New Hollywood im Sinne einer filmhistorischen Epoche von 1967 bis 1977 verstanden. Dies ist zwar die dominante Bedeutung der Bezeichnung, aber manchmal wird darunter auch der US-amerikanische Film von 1967 bis in die Gegenwart gefasst. Diese weite Epochen-Bezeichnung wird dadurch begründet, dass diverse Strategien wie das postmoderne Spiel mit Genres, die Gewalt-Ästhetik oder aber das Geschäftsmodell Blockbuster noch heute angewandt würden. Siehe hierzu beispielsweise: King 2005; Schneider 2004; Schatz 1993. 30 ‚Meta-Genre‘ ist nicht als ein weiteres normatives Genre-Modell zu verstehen, sondern im Sinne eines speziellen Produktionsmodus, der auf besonders große Varianz setzt. Es sei jedoch auch betont, dass gerade billigere Produktionen auch viele Experimente mit Genre-Konventionen, ästhetischen Konventionen etc. erlauben, da sie weniger Geld erwirtschaften müssen, um kommerziell erfolgreich zu sein.

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billigere Produktions-Modi wie Independent-Filme, Direct-To-DVD-Filme etc.; (3) sowie andere Film-Industrien in anderen Ländern und ihre ProduktionsModi. Die genre-theoretischen Schlüsse, die anhand von teuren Hollywoodfilmen gezogen werden, lassen sich nicht unkritisch generalisieren. Bereits für relativ ‚billigere‘31 und schneller produzierte Filme wie die meisten Action- oder Horror-Filme kann diese Genre-Theorie nicht reibungslos greifen. Dies gilt insbesondere für solche Filme, die oft auch nicht im Kino aufgeführt werden, sondern auf dem inzwischen sehr lukrativen DVD-Markt ihre Premieren feiern. Diese ‚kleinen‘ Filme, die zumeist ein kleineres, aber dafür stärker spezialisiertes Publikum adressieren, sind oft auch wesentlich homogener als ein Set von Hollywood-Filmen, die einem gemeinsamen Genre zugeschrieben werden. Das heißt nicht, dass im Bereich der Genre-Film-Produktion das immer gleiche produziert würde, aber es heißt, dass die Variationsdynamik und -Breite eine andere ist und auch die Stabilität von Konventionen zumeist einen kleineren Varianzbereich aufweist. Dennoch besteht ein Varianz-Bereich, weshalb es gerade bei diesen Filmen wesentlich wichtiger ist, die Interdependenz von Genre-Fortschreibung und Genre-Umschriften zu analysieren.32 Zu diesen Filmen müssen auch die italienischen Genres gezählt werden. Die italienischen Genres bieten sich insofern als Brückenschlag zu den Genre-Theorien an, die vorrangig anhand des Hollywood-Films modelliert worden sind, da die italienische Kino-Industrie Filme, ähnlich wie Hollywood, seriell nach erfolgreichen Mustern wie beispielsweise Genres produziert. Die Ähnlichkeiten der generic systems Hollywood und italienische Kino-Industrie erlauben zunächst eine Übertragung der bisherigen, Hollywood-zentrierten Genre-Theorien. Zugleich ist das italienische generic system aber auch wiederum so speziell, dass sich diverse produktive Irritationen bei einem sensiblen und selbstkritischen Transfer der Hollywood-zentrierten Genre-Theorien einstellen. Gerade durch diese Friktionen lassen sich daher einige Problemkonstellationen und offene 31 Guillermo Del Toro scherzte einst, dass er ja nur ein Regisseur von B-Filmen sei, da seine Filme kaum mehr als 40 Millionen Dollar kosteten. Dieser Scherz spielt auf die immensen Kosten eines Hollywood-Films in den letzten ca. 20 Jahren an. Gemessen an Hollywood-Filmen entspräche das Budget einer deutschen A-Produktion wohl bestenfalls einer Hollywood-C-Produktion. 32 Volker Neuhaus hat 1977 im Zuge eines Aufsatzes über die Geschichtsschreibung der Detektiverzählung einen ähnlichen Vorschlag gemacht. Neuhaus skizziert ein Modell der Genres als Varianz-Muster der Variationen. Zu analysieren seien, welche Komponenten, Codes und Konventionen leichter und öfter variiert würden als andere. Neuhaus entwickelt diesen Ansatz in seinem Aufsatz jedoch nicht weiter, sondern präsentiert ihn dezidiert als Vorschlag (vgl. Neuhaus 1977: 270).

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Fragestellungen in den Genre-Theorien aufzeigen. Die italienische KinoIndustrie gleicht, metaphorisch gesprochen, einem Zerrspiegel Hollywoods, durch den die Formen und Verläufe von Genres und die Axiome und Aporien von Genre-Theorien, mit denen diese beschrieben werden sollen, umso deutlicher zu Tage treten. Bei dieser genre-theoretischen Perspektivierung der italienischen Kino-Industrie muss kurz auf ein ‚berühmt-berüchtigtes‘ Vorurteil zum italienischen generic system eingegangen werden: Die italienische Kino-Industrie, so das Vorurteil, ‚schlachte‘ Erfolgsformeln aus, indem sie möglichst viele Filme nach dem Vorbild eines sehr erfolgreichen Filmes produziere. Durch diese Massen-Produktion einer Formel würden der eigene Markt aber auch die Exportmärkte überschwemmt, weshalb die Rezipienten schnell an einer Formel ermüdeten und weshalb so viele italienische Genres so ‚kurzlebig‘ seien. Dieses Vorurteil ist dahingehend richtig, dass sich für die italienische Kino-Industrie tatsächlich Genres wie beispielsweise der Italowestern, der peplum33 oder der Giallo anführen lassen, deren Produktion maßgeblich durch den Erfolg eines einzelnen Filmes motiviert wurde. Diese weit verbreitete Geschichtsschreibung italienischer Genres führt den peplum auf den phänomenalen Erfolg von LE FATICHE DI ERCOLE, den Italowestern auf PER UN PUGNO DI DOLLARI (I/BRD/SP 1964, R: Sergio Leone) und den Giallo zunächst in den 60er Jahren auf SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964) und in den 70er Jahren auf L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) zurück. Luigi Cozzi, der Drehbuchautor vieler Gialli, erklärte in einem Interview, dass man in der italienischen Filmindustrie von den Produzenten, denen man seine Filmprojekte vorschlage, nicht gefragt würde: What is your film like? Stattdessen laute die Frage der Produzenten: What film is your film like? Daher, so Cozzi, könne man in Italien immer nur Zombie 2, aber nie Zombie 1 produzieren.34 Diese Aussage ist nicht nur viel zitiert worden in wissenschaftlichen und 33 Als peplum werden italienische Filme bezeichnet, die in der Antike spielen – oder wie man früher salopp und eher abwertend auf Deutsch sagte: Sandalen-Filme. Als peplum (griechisch: peplos oder peplon) wird in der Antike ein „faltenreiches, weites und reich besticktes“ Gewand für Frauen, später dann hingegen ein prächtiges Obergewand für Männer bezeichnet (siehe: Schenk 2004: 190f, Fußnote 4). 34 Diese Aussage wurde, soweit sich dies rekonstruieren lässt, vermutlich erstmals 1986 von Kim Newman zitiert und seitdem wiederholt in Texten über das italienische generic system aufgegriffen (vgl. Newman 1986b; Hunt 2000: 325; Koven 2006: 10f). Bei Zombie handelt es sich um den Titel, mit dem DAWN OF THE DEAD (USA/I 1978, R: George R. Romero) in Europa vermarktet worden war. An dessen Erfolg wollten die Produzenten des italienischen Zombiefilms ZOMBIE 2 (I 1979, R: Lucio Fulci) anschließen.

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populärwissenschaftlichen Studien zum italienischen Genre-Film, sondern sie nährte auch das weit verbreitete Vorurteil, dass die italienische Filmindustrie lediglich erfolgreiche Formeln aus dem Ausland imitiere. Die Italowestern, so das Vorurteil, seien billig produzierte Imitationen des US-amerikanischen Westerns und der in Europa erfolgreichen Karl-May-Western; der poliziesco, der italienische Polizeifilm, kopiere wiederum Hollywoods rogue-cop-Genre, zu dem zum Beispiel DIRTY HARRY (USA 1971, R: Don Siegel) und THE FRENCH CONNECTION (USA 1971, R: William Friedkin) zählen. Der italienische Genre-Film sei ein Formelkino, das Erfolgsformeln in seriellen Produktionen ‚ausschlachte‘. Dieses Vorurteil muss in zwei Punkten relativiert werden: Erstens, was jedoch die schwächere Relativierung ist, sind nicht alle Genres in der Nachfolge erfolgreicher ausländischer Filme entstanden. Beispielsweise folgt der Film LE FATICHE DI ERCOLE, der den Zyklus des peplum der späten 50er und frühen 60er Jahre initiierte, keinem ausländischen Vorbild, sondern greift den italienischen peplum der 10er und 20er Jahre auf. Zweitens stellen die Filme, selbst wenn sie ausländische Erfolge aufgreifen, keine exakten Kopien dar, sondern gehen aus einem Prozess der kulturellen Aneignung hervor. Die serielle Produktion des poliziesco setzte zwar nach den erfolgreichen US-amerikanischen rogue-cop-Filmen ein, aber die Formel wurde im Kontext der italienischen Gesellschaft und Kultur neu verhandelt. Christopher Barry hat diese kulturellen Umschriften durch einen Vergleich des US-amerikanischen und des italienischen Genres aufgezeigt (vgl. Barry 2004: 77-89). Zugleich greift der italienische poliziesco auch Konventionen des Italowesterns auf. Der Italowestern seinerseits war zudem bereits dem US-amerikanischen rogue-cop-Genre eingeschrieben, da diese PolizeiFilme der 70er Jahre durch den Italowestern beeinflusst worden waren. Beispielhaft steht hierfür die Karriere von Clint Eastwood, der nach seinen Auftritten in den Italowestern von Sergio Leone,35 die ihm den Weg nach Hollywood ebneten, bei US-amerikanischen Western der späten 60er Jahre und der frühen 70er Jahre mitgespielt und teilweise auch Regie geführt hatte.36 Diese US-Western griffen

35 PER UN PUGNO DI DOLLARI, PER QUALCHE DOLLARO IN PIÙ (I/BRD/SP/F 1965, R: Sergio Leone), IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO (I/BRD/SP 1966, R: Sergio Leone). 36 HANG ’EM HIGH (USA 1968, R: Ted Post), JOE KIDD (USA 1972, R: John Sturges), HIGH PLAINS DRIFTER (USA 1973, R: Clint Eastwood), THE OUTLAW JOSEY WALES (USA 1976, R: Clint Eastwood). In TWO MULES FOR SISTER SARA (USA/MEX 1970, R: Don Siegel), für den Ennio Moricone die Filmmusik komponierte, werden diese Bezüge zum Italowestern am stärksten bis zur Kenntlichkeit verdichtet. Auf der Folie des außerhalb Italiens berühmtesten Komponisten für Italowestern – insbesondere für die Filme von Sergio Leone – werden auch andere Spuren des Italowesterns wie bei-

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deutlich einige Konventionen des Italowesterns auf. Diese US-amerikanischen Western der Zeit wurden dann wiederum in Filmen des rogue-cop-Genres wie etwa DIRTY HARRY fortgeschrieben. Gespielt wurde die titelgebende Figur Dirty Harry wiederum von Clint Eastwood. Diese rhizomatische Figur ist auch bei anderen Genres zu beobachten: Der Giallo greift beispielsweise sowohl Konventionen des italienischen GothicHorrors als auch des deutschen Kriminalfilms der 60er Jahre auf. In den 70 Jahren aktualisiert das Genre dann zusätzlich auch den Figurentyp des psychisch gestörten Serienkillers, wie PSYCHO (USA 1960, R: Alfred Hitchcock) ihn populär in Szene gesetzt hatte. Ihrerseits werden Gialli in den späten 60er Jahren wiederum zunehmend von deutschen Produzenten ko-produziert und in der BRD als Krimis vermarktet.37 Zudem hat der Giallo auch Effekte auf den US-amerikanischen Slasher und auf Serienkiller-Filme wie DRESSED TO KILL (USA 1980, R: Brian De Palma). Wie diese Beispiele zeigen, lassen sich beim italienischen Film paradigmatische Zirkel des wechselseitigen kulturellen Austauschs beobachten. Studien, die solchen Dynamiken des kulturellen Austausches nachspüren, wurden beispielsweise auch zum Italowestern (vgl. Eleftheriothis 2004) und zum Zombie-Film verfasst (vgl. Koven 2006; Totaro 2003; Goodal 2012).38 Des Weiteren muss der Vorwurf des Formelkinos dahingehend relativiert werden, dass sich zwar innerhalb von Genres einzelne Zyklen beobachten lassen, die ein spezielles erfolgreiches Muster seriell iterieren. Doch zugleich werden so viele Filme produziert, dass diese ein breites Varianz-Spektrum aufweisen. Im Fall des Giallos wurden allein in den Jahren 1971 ca. 29 und 1972 ca. 30 Filme spielsweise die Ästhetik, die Figurenzeichnung, aber auch die Thematisierung der mexikanischen Revolution geradezu frappierend offensichtlich. 37 Dies gilt nicht nur für Filme, die in Italien als gialli vertrieben wurden, während deutsche Verleiher sie in den bundesdeutschen Kinos als Teile etablierter Film-Serien bewarben: COSA AVETE FATTO A SOLANGE?/EDGAR WALLACE: DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN

STECKNADEL (1972), SETTE ORCHIDEE MACCHIATE DI ROSSO/EDGAR

WALLACE: DAS RÄTSEL DES SILBERNEN HALBMONDS (1972), L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO/BRYAN

EDGAR WALLACE: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN

HANDSCHUHE (1970), IL GATTO A NOVE CODE/BRYAN EDGAR WALLACE: DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE

(1971).

38 Beispielsweise hat Mikel J. Koven darauf hingewiesen, dass Lucio Fulcis erster Zombiefilm zwar unter dem Titel Zombie 2 vermarktet worden war und die Produzenten den Film finanzierten aufgrund des enormen Erfolgs von George R. Romeros DAWN OF THE

DEAD, der in Europa unter dem Titel Zombie veröffentlicht worden war. Je-

doch orientierte sich Fulci bei seinem Zombiefilm vorrangig an anderen Quellen wie dem italienischen Mondo-Genre oder Comic-Strips (vgl. Koven 2006: 14).

A PORIEN

DER

G ENRE-D EFINITION

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produziert, die dem Genre zugeschrieben werden.39 Diese Filme weisen Ähnlichkeiten auf, sind aber nicht identisch. Auf der Folie dieses Vorurteils fällt schnell auf, dass beim italienischen Film lediglich offensichtlich wird, dass das in diesem Fall kritisierte Modell der seriellen Produktion einer durch Iteration nachträglich konstituierten Formel ein Grundprinzip der kapitalistischen Filmproduktion ist. Auch Hollywood-Produzenten orientieren sich an einzelnen Erfolgen und sind bemüht, diese Erfolge zu wiederholen. Beispielsweise initiierte der Erfolg von HALLOWEEN das Slasher-Genre der 80er Jahre, wie oben bereits anhand der Studie von Robert E. Kapsis nachgezeichnet wurde. Das empirische Material von Kapsis unterstützt auch die Argumentation von David Bordwell, dass Filmindustrien – im Fall von Bordwells filmhistorischen Studien: Hollywood – mit Standards operieren, die als zu erreichende Ideale aufgefasst werden können (vgl. Bordwell/Staiger/Thompson 1985: 97).40 David Bordwells Modell des Standards bei der Analyse von Produktionsprozessen rekurriert nicht nur auf kognitivistische Modelle, sondern steht auch der soziologischen Tradition von Max Webers Idealtypen nahe (vgl. Weber 1968: 190-202). Denn auch Webers Idealtypus, dies sei zumindest am Rande erwähnt, stellt keine empirische Entität dar, sondern einen heuristischen Pol. Dieser dient dazu, Informationen durch den Vergleich mit ihm zu verarbeiten und aufgrund der Relation zu ihm wahrscheinliche Zuschreibungen vornehmen zu können. Weber will den Idealtypus dezi39 Diese Angaben basieren auf der deutschsprachigen Giallo-Filmographie Giallo – Die Farbe des Todes. Eine umfassende Chronologie, die 2007 erschienen ist und die insgesamt 236 Filme behandelt (vgl. Corso 2007). Wie bei jedem anderen Genre existieren auch für den Giallo verschiedene Varianten eines ‚Kanons‘, die sich in der Anzahl der Filme deutlich unterscheiden (vgl. ebd.; Luther-Smith 1999; http://dirtypictures. phpbb8.de/gialli-f6/die-giallo-komplettliste-t180.html vom 30.12.2012). Die Differenzen in der Anzahl der Filme, die dem Genre zugewiesen werden, sind symptomatisch für die Aushandlung einer Definition des Genres, die eine exklusive Liste der GenreFilme erlaubt. Zugleich zeigt sich darin aber auch, wie sehr jedes Genre-Korpus vom verfügbaren Archiv abhängt. Die verschiedenen Film-Listen zum Giallo zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Archiv sich international und multimedial formiert, da in den Listen stets auch angegeben ist, in welchen Ländern die Filme auf welchen Medien vorliegen. 40 Anhand der Analyse der Schriften und Aussagen von Filmschaffenden, der Filmdistribution und der Filmgeschichte weist David Bordwell darauf hin, dass Standardisierung nicht totale Vereinheitlichung bedeutet. Bordwell argumentiert hingegen, dass in der Filmindustrie ein Erfolgsfilm, der einen ‚neuen‘ Standard konstituiert, als ein Ideal des Erfolgs, der Technologie, der Narration etc. fungiert, das in nachfolgenden Filmproduktionen erreicht werden soll.

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diert als notwendiges Mittel zur Erschließung der Bedeutung „konkreter Kulturerscheinungen“ (ebd.: 193) verstanden wissen und bietet sich damit für medienkulturwissenschaftliche Fragestellungen und Ansätze an. Er betont aber auch, dass der Idealtypus ein kulturelles Konstrukt ist. Als solches unterliegt er nicht allein einem historischen Wandel, weshalb seine Historizität stets zu beachten ist, sondern er dient oft auch als Grundlage für Werturteile (vgl. ebd.: 199). Weber hebt jedoch hervor, dass es bei Idealtypen gerade nicht darum geht, empirische Phänomene als ideale Vertreter der konstruierten Konzepte zu verstehen, sondern gerade im Vergleich zum Idealtypus die Besonderheiten des einzelnen Phänomens zu erkennen: „Denn Zweck der idealtypischen Begriffsbildung ist es überall, n i c h t das Gattungsmäßige, sondern umgekehrt die Ei ge n a r t von Kulturerscheinungen scharf zum Bewußtsein zu bringen.“ (Ebd.: 202 [Herv. i.O.]) Max Webers Argumentation ließe sich gewinnbringend auf die Aneignung von Genres übertragen, doch im Konnex der bisherigen Ausführungen erlaubt sie auch eine Pointierung von Bordwells Modell des Standards: Der Standard kodiert bei Bordwell gleichsam Idealtypen für Filmschaffende.41 Zu diesen zählen unter anderem auch Erfolgsformeln für Zyklen und Genres. Der italienische Film kann daher auch als Folie zur Analyse anderer Film-Industrien, die mit Genres operieren, dienen, da sich an den italienischen Genres die Dynamiken aus GenreFortschreibung und Genre-Umschrift besonders gut analysieren lassen.

41 Die offensichtlichen Ähnlichkeiten von Webers Modell des Idealtypus zu poststrukturalistisch ebenso wie zu kognitionswissenschaftlich informierten Genre-Theorien sind frappierend. Dieses theoretische Potenzial von Webers Idealtypen müsste von der Genre-Theorie noch geborgen werden.

4. Genre- und Diskurs-Theorie

Wie im einführenden Kapitel dargelegt wurde, benutzen viele Studien zum Giallo im Anschluss an Garry Needhams Aufsatz von 2002 den italienischen Begriffe filone für eine gezielte Abgrenzung von (essentialistischen) Genre-Theorien, mit denen sich der Giallo nicht adäquat erfassen ließe. Da viele Autoren nicht mit poststrukturalistisch informierten Genre-Theorien operieren, übernehmen die meisten Genre-Studien den Vergleich des filone mit einem Diskurs, wie es ebenfalls bereits Gary Needham in seinem Aufsatz angeregt hatte (vgl. Needham 2003: 135, 145).1 In Anbetracht dieser prominenten Stellung des Begriffes Diskurs in der filmwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Genre Giallo wird in diesem Kapitel die Diskurs-Theorie im Hinblick auf ihre Produktivität für filmwissenschaftliche Genre-Theorien diskutiert. Die Begriffe Diskurs und Diskurs-Analyse avancierten in den letzten Jahren geradezu zu Mode-Vokabeln und zählen inzwischen zum basalen Handwerkszeug der Medien- und Kulturwissenschaft, vieler Philologien aber auch der Sozialwissenschaften – dies belegt schon ein Blick auf die Vielzahl der Einführungswerke.2 In den Schriften von Michel Foucault, auf denen die meisten DiskursTheorien beruhen,3 variiert die Auslegung des Begriffs discours; nicht selten

1

Auch Mikel J. Koven behandelt den Begriff an zentraler Stelle in seiner Monographie über den Giallo (vgl. Koven 2006: 5-10). Im deutschsprachigen Raum hat hingegen Marcus Stiglegger den Appell von Gary Needham affirmativ wiederholt, dass das Genre als Diskurs gefasst werden solle (vgl. Stiglegger 2007a: 11).

2

Als Überblicksdarstellung und Einführung zu Foucaults Diskurs-Begriff sei der konzise Handbuch-Eintrag von Rolf Parr (2008) empfohlen. Um nur einige weitere einschlägige Beispiele für die unzähligen Einführungen anzuführen: Jäger 1999; Mills 2007; Keller 2004; Kerchner/Schneider 2006; Fohrmann/Müller 1988.

3

Jedoch wurde der Diskurs-Begriff im deutschsprachigen Raum auch durch Jürgen Habermas geläufig, der unter dem Diskurs jedoch einen öffentlichen Diskurs versteht.

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spielt Foucault mit der semantischen Vieldeutigkeit des Begriffs. So setzt er in Die Ordnung des Diskurses beispielsweise mit der alltagssprachlichen Bedeutung von discours als Rede oder Gespräch ein und überführt diese Bedeutung in sein Diskurs-Konzept (vgl. Foucault 2007: 1f). Dieses Konzept und die Modelle der Diskurs-Theorie werden in den Schriften verschiedentlich modifiziert und unter verschiedenen Schwerpunkten wie beispielsweise den Mechanismen der Ausschließung, dem Bezug zur Macht, den Strategien der Perpetuierung des Diskurses, der Kopplung an Praktiken und Raumordnungen oder der Entstehung von Wissensordnungen perspektiviert.4 An Foucaults Diskurs-Theorie schlossen wiederum diverse medienkulturwissenschaftliche Fortschreibungen an, wie beispielsweise Jürgen Links Arbeiten, die Publikationen des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialgeschichte oder die Mediendiskursgeschichte am Kölner Sonderforschungsbereich FK/SFB 427 „Medien und kulturelle Kommunikation“ – um nur drei besonders prominente und einschlägige Vertreter zu nennen.5 Im Folgenden soll es weder darum gehen, die Geschichte und die Debatte über die Diskurs-Theorie zu reproduzieren – hierfür sei auf die eingangs genannten einschlägigen Einführungen verwiesen. Es wird auch nicht versucht, ein Modell der Diskurs-Theorie vollständig auf die Genre-Theorie zu übertragen. Stattdessen werden hier drei zentrale Eckpfeiler von Michel Foucaults Modell des Diskurses, Wie Peter Schöttler polemisch bemerkte, werden in deutschen Schriften der Habermas’sche und der Foucault’sche Diskurs-Begriff des Öfteren überblendet (vgl. Schöttler 1997: 141; siehe dazu auch Schrage 1999: insbesondere 63-65). 4

Angespielt wurde unter anderem auf folgende Schriften: Foucault 2007; Foucault 1973; Foucault 1981; Foucault 1983; Foucault 2008; Foucault 1994. In folgendem Aufsatz resümiert Foucault diverse seiner Ansätze der Diskurs-Theorie: Foucault 1996.

5

Auf die Schriftenreihe des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialgeschichte wurde bereits im Zuge der Überblicksdarstellungen und Einführungen zur Diskurs-Theorie am Beispiel der Monographie von Siegfried Jäger eingegangen, weshalb hier nur kurz die anderen beiden genannten Referenzen kommentiert werden: Jürgen Link hat seine Ausführungen zur Diskurs-Theorie sowohl in Monographien wie in zahlreichen Aufsätzen dargelegt und darüber hinaus die Zeitschrift KutluRRevolution. Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie herausgegeben. Zentrale Eckpfeiler seiner Modelle waren dabei vor allem der Interdiskurs, die Kollektivsymbolik und der Normalismus – um nur die wohl prominentesten Beispiele anzuführen: Link 2009; Link 1988; Link 1986. Siehe auch die bisher dreibändige Reihe Diskursgeschichte der Medien nach 1945, die am SFB 427 entstand. Im ersten Band der Reihe wird das Programm einer diskurstheoretisch geschärften Medienkulturwissenschaft entworfen (vgl. Schneider/Spangenberg 2002).

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UND

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wie er es in seiner Archäologie des Wissens entwarf, für die Genre-Theorie produktiv gemacht. Es wird also nicht die gesamte Diskurs-Theorie rekapituliert, da die Darstellung aller Segmente – wie Archiv, Genealogie, historisches Apriori, Aussagefunktion etc. – für den hier vorgestellten Ansatz nur bedingt relevant sind und viele der Begriffe und Modelle in anderen Kapiteln erläutert und für spezielle Fragestellungen produktiv gemacht werden. Bei den drei Eckpfeilern, die bereits in diesem Kapitel eingehend diskutiert und genre-theoretisch fruchtbar gemacht werden, handelt es sich um: die faktische Existenz des Diskurses, die Historizität des Diskurses und die Interdependenz von Objekt und Diskurs. Im Zuge der Diskussion der Produktivität dieser drei Punkte für die Schärfung sowohl des hier verwendeten Diskurs-Modells als auch der hier formulierten medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspektive auf Genres werden auch Stuart Halls Modell der En- und Dekodierung sowie das Modell der Verhandlungen erörtert, wie es maßgeblich von Stephen Greenblatt geprägt wurde. Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass die Diskurs-Theorie für die Schärfung der hier verfolgten medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspekitive auf Genres zwar sehr produktiv ist und daher Genres im Folgenden als „Diskurs-Formationen“ theoretisch modelliert werden, die diskurs-theoretische Rhetorik nach dem Kapitel jedoch wieder abgelegt wird. Dies liegt darin begründet, dass das semantische Feld des Diskurses seit der Einleitung für die Diskursivierungen von Filmen bzw. Inszenierungen vorbehalten ist, um diese von den textuellen Genre-Verhandlungen, wobei textuell auf die Filme oder ‚Primärtexte‘ verengt worden ist, zu unterscheiden. Diese im Text kohärente Sprachregelung würde durch eine Bezeichnung von Filmen und Iterations-Mustern mit diskurs-theoretischen Vokabeln maximal irritiert werden.

4.1 D IE DES

FAKTISCHE E XISTENZ UND D ISKURSES

H ISTORIZITÄT

Die basale Definition des Diskurses lautet bei Michel Foucault: Der Diskurs ist eine Menge von faktisch und regelhaft ergangenen Aussagen. In der Archäologie des Wissens definiert Foucault den Diskurs wie folgt: „Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nennen, insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören. Er bildet keine rhetorische oder formale, unbeschränkt wiederholbare Einheit, deren Auftauchen oder Verwendung in der Geschichte man signalisieren (und gegebenenfalls erklären) könnte. Er wird durch eine begrenzte Zahl von Aussagen konstituiert, für die man eine Menge von Existenzbedingungen definieren kann. Der so verstan-

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dene Diskurs ist keine ideale und zeitlose Form, die obendrein eine Geschichte hätte. […] Er ist durch und durch historisch: Fragment der Geschichte, Einheit und Diskontinuität in der Geschichte selbst, und stellt das Problem seiner eigenen Grenzen, seiner Einschnitte, seiner Transformationen, der spezifischen Weisen seiner Zeitlichkeit […].“ (Foucault 1981: 170)

Diese kurze Definition enthält bereits zwei der hier genauer in den Blick genommenen Eckpfeiler des Foucault’schen Diskurs-Modells: Erstens beschäftigt sich Foucault nicht mit einer abstrakten Logik, einer transzendentalen Philosophie oder einem allgemeinen System, sondern mit faktisch ergangenen Aussagen.6 Zweitens betont Foucault die Historizität der Aussagen ebenso wie die Historizität der Regeln, nach denen diese gemacht wurden. Der Diskurs ist keine ahistorische, stabile Einheit, sondern hat eine historische und kulturelle Existenzspanne, deren Zäsuren und Diskontinuitäten nicht unterschlagen werden dürfen. Die oben zitierte Definition muss jedoch an einer Stelle ergänzt und erläutert werden: Foucault versteht unter einer diskursiven Formation eine erkennbare Regelmäßigkeit der Aussagen, ein „System ihrer Streuung“ und „der Existenzbedingungen (aber auch Bedingungen der Koexistenz, der Aufrechterhaltung, der Modifizierung und des Verschwindens)“ des Diskurses (ebd.: 58). Der womöglich vage anmutende Begriff der Regelmäßigkeit hat für Foucault eine signifikante Bedeutung, da er mit dem Begriff eine erkennbare Struktur zwischen den Aussagen betont, die weder fest fixiert ist, noch absolute Gültigkeit beansprucht. Michael Ruoff fasst Foucaults Verständnis der Regelmäßigkeit pointiert wie folgt zusammen: „Es geht um eine auffällige Häufung desselben Zusammenhangs, die sich als Ordnung, Korrelation, Ablauf etc. bemerkbar machen kann, aber immer die Möglichkeit der Ausnahme einschließt. Die Regelhaftigkeit erlaubt die Beschreibung von stabilen Zusammenhängen, aber sie versteift sich nicht auf die Gesetzmäßigkeit. Sie gestattet also Abweichungen, da sie nicht auf einen festen monokausalen Zusammenhang zielt. Statt einer ahistorischen Gesetzmäßigkeit bringt die Regel Ausschnitte mit lokaler Gültigkeit zum Ausdruck.“7 (Rouff 2007: 178) 6

Stefan Münker und Alexander Roesler haben zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade in dieser Abkehr von der Beschreibung eines abstrakten Systems und der Hinwendung zur Analyse von Einzelfällen Michel Foucaults Abkehr vom Strukturalismus gesehen werden kann (vgl. Münker/Roesler 2000: 25f).

7

Für eine Kritik an dem Axiom der Regelhaftigkeit siehe diesen Aufsatz von Stuart Hall, in dem er Foucaults strikte Ablehnung von kausalen Beziehungen als eine Verunmöglichung jeder Ideologiekritik kritisiert: Hall 1999b: 136f.

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Der Diskurs ist zu verstehen als eine Menge von faktisch ergangenen Aussagen/Komponenten, die einem gemeinsamen Reglement entsprechen und einen historischen (und kulturellen) Index aufweisen. Bisher griffen die filmwissenschaftlichen Genre-Theorien die Diskurs-Theorie hauptsächlich als Analyse-Methode für historisch spezifische Diskursivierungen von Filmen auf. Genre-theoretische Studien analysierten insbesondere, wie und was über Filme und Genres in verschiedenen historischen Diskursen wie Distributionsdiskursen, Filmrezensionen oder Fan-Diskursen geschrieben worden ist (vgl. Neale 2003; Altman 2006: 49-68; Klinger 1989: 11-14; Jancovich 2002). Wie bereits im vorangegangenen Kapitel ausgeführt wurde, handelt es sich bei diesen Diskursen um historisch und kulturell differente Diskurse, die zudem auf verschiedenen Bedingungen und Reglements der Produktion und Zirkulation der Aussagen des Diskurses basieren. Die Aussagen dieser Diskurse über die Filme entsprechen einem bestimmten Reglement – beispielsweise der Zielsetzungen, Rhetorik und Argumentationsmuster – und ermöglichen eine unterschiedliche Verbreitung der Aussagen – so erreicht die Werbung beispielsweise mehr Rezipienten als die meisten filmwissenschaftlichen Fachstudien. Jedoch erlaubt die oben vorgestellte Minimaldefinition des Diskurses auch eine zweite diskurs-theoretische Fokussierung der filmwissenschaftlichen Genre-Theorie. Gerade die beiden Eckpfeiler der faktischen Existenz und der Historizität des Diskurses lenken den Blick auf die Filme selbst als faktisch existente Diskurse. Denn auch die Filme weisen historische Regelmäßigkeiten auf. Inhaltlich bestehen diese beispielsweise in der Iteration von narrativen Mustern, von Ästhetiken oder auch von Gender-Konstellationen, die zu einer bestimmten Zeit eine signifikante Häufung in Filmen erkennen lassen und dann als Konventionen diskursiviert werden. Zu diesen historischen Regelmäßigkeiten, die in dem prinzipiell unbegrenzten Feld der Intertextualität eine Gruppierung zu einem Zyklus oder einem Genre erlauben, zählen aber beispielsweise auch signifikante Häufungen, die als eine Traditionslinie identifiziert werden können, wie etwa Motive – wie die Augenzeugenschaft im Giallo – oder sogar Muster der Filmtitel. In der italienischen Sprache sind beispielsweise Konstellationen mit „dalle/dalla“ eher ungewöhnlich;8 im Giallo der 70er Jahre ist diese Konstellation jedoch in der Nachfolge von Dario Argentos eminent einflussreichem Regie-Debüt L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) wiederholt in Filmtiteln wie L’IGUANA 8

Ich danke Simone Natale, der sich als italienischer Muttersprachler sehr intensiv bemühte, meine genre-theoretischen Überlegungen nachzuvollziehen, und mir maßgeblich das italienische Verständnis von filone als Traditionslinie nahebrachte. Beispielsweise gab er mir auch diesen wunderbaren Hinweis.

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DALLA LINGUA DI FUOCO (1971) oder LA ROSSA DALLA PELLE CHE SCOTTA (1971) aufgegriffen worden. Dieses Beispiel der regelhaften Filmtitel weist zugleich darauf hin, dass auch die Produktion und Distribution der Filme auf einer Regelmäßigkeit beruhen: die historischen Produktions- und Distributionskontexte. So fand beispielsweise Antonio Bido für sein Regie-Debüt zwar Produzenten, die ihm zugestanden, einen Film über den Umgang mit dem Holocaust im Nachkriegs-Italien zu finanzieren. Im Gegenzug verlangten die Produzenten aber, dass der Regisseur seinen Film nach dem Muster des Giallos der 70er Jahre bilde, damit man den Film kommerziell erfolgreich vertreiben könne.9 Die Aussage, die der junge und engagierte Regisseur mit seinem Film treffen wollte, musste er nach dem Reglement der Giallo-Filme der Zeit realisieren, damit sie überhaupt im damaligen Diskurs der populären Genre-Filme zur Existenz gelangen konnte. Dieses Beispiel zeigt, dass Filme mithin selbst faktisch gegebene Artefakte sind, die in ihrer Historizität zu perspektivieren sind, insofern sie in historischen Produktions- und Distributionskontexten zu verorten sind und sie an historische Linien anschließen. In diesem Sinne könnte man mit Foucault das Genre als eine diskursive Formation auffassen.

4.1.1 generic system, oder: wider das Dispositiv des Genres Michael Wedel hat hingegen am Rande eines Aufsatzes über den Kriegsfilm für einen deutlich weiter gefassten Begriff des Genre-Diskurses plädiert – ohne bei seinem diskurs-theoretischen Modell jedoch Michel Foucault explizit zu nennen: „Die Genrefunktion eines einzelnen Films erschließt sich aus dem systematischen Ineinandergreifen bzw. der spezifischen historischen und kulturellen Konstellation von Genreästhetiken, Genrepraxis und Genrewissen, die zusammen den Genrediskurs in seiner Gesamtheit ergeben.“ (Wedel 2010: 79) Unter der „Genrefunktion“ versteht Wedel „jene[n] Austausch von die Rezeption steuernden Signalen zwischen filmischem Text (Genreästhetik), Produktions- und Aufführungsmodus (Genrepraxis) sowie kulturellem Kontext (Genrewissen)“ (ebd.: 79f). Obgleich Wedel darin zuzustimmen ist, dass die Interdependenzen von Texten, Produktions-, Distributions- und Rezeptionskontexten betrachtet werden müssen, ist ihm darin zu widersprechen, dass alle gemeinsam einen einzigen Genre-Diskurs konstituierten. Mit Michel Foucaults Diskurs-Theorie liegt es näher die Diskurse zu unterscheiden, da diese mit verschiedenen Regelsystemen 9

Dies berichtet der Regisseur in einem Interview, das zum Bonusmaterial der britischen DVD des Films zählt: WATCH ME WHEN I KILL: Shameless Screen Entertainment: Shameless Fan Edition, UK 2009.

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operieren und sich durch verschiedene Effekte, Reichweiten und Dynamiken der Aushandlung auszeichnen. Wollte man einen Oberbegriff für das System der gesamten Interaktionen finden, so läge in der Foucault’schen Terminologie der Begriff des Dispositivs nahe. Wie der Diskurs so hat auch der Begriff Dispositiv ein gewisses Auslegungsspektrum in den Schriften von Foucault, das von räumlichen Ordnungen, die Subjektpositionen und -Konzepte konstituieren und in denen Diskurse sich realisieren und verhandelt werden, bis hin zu komplexen Netzen aus Diskursen, Praktiken und Institutionen. Der obige Vorschlag für die Bezeichnung ‚Dispositiv des Genres‘ folgt dem Dispositiv-Konzept, wie es Michel Foucault in einem Gespräch formulierte: „Das, was ich mit diesem Begriff zu bestimmen versuche, ist erstens eine entschieden heterogene Gesamtheit, bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen Lehrsätzen, kurz, Gesagtes ebenso wie Ungesagtes, das sind die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das man zwischen diesen Elementen herstellen kann. […] unter Dispositiv verstehe ich eine Art – sagen wir – Gebilde, das zu einem historisch gegebenen Zeitpunkt vor allem die Funktion hat, einer dringenden Anforderung nachzukommen. Das Dispositiv hat also eine dominante strategische Funktion. […] Ich habe gesagt, dass das Dispositiv von einer wesentlichen strategischen Beschaffenheit wäre, was unterstellt, dass es sich dabei um eine bestimmte Manipulation von Kräfteverhältnissen handelt, um einen rationalen und abgestimmten Eingriff in die Kräfteverhältnisse, um sie in irgendeine Richtung zu entwickeln, um sie zu blockieren oder um sie zu stabilisieren, sie zu verwenden. Das Dispositiv ist also immer in ein Machtspiel eingeschrieben, doch immer auch an eine oder an mehrere Wissensgrenzen gebunden, die daraus hervorgehen, es aber genauso auch bedingen. Das eben ist das Dispositiv: Strategien von Kräfteverhältnissen, die Arten von Wissen unterstützen und von diesen unterstützt werden.“10 (Foucault 2003: 392-395)

Dieses Modell wird hier jedoch nicht weiter verfolgt, da die Erforschung des gesamten Dispositivs des Genres Giallo aufgrund seiner Komplexität kaum adäquat erbracht werden könnte und dies aufgrund der Fokussierung auf genretheoretische Fragestellungen auch nicht notwendig ist. Stattdessen werden Schlaglichter auf solche einzelnen Interaktions-Momente, Diskurse und Praktiken des Dispositivs des Genres gesetzt, die genre-theoretisch relevant sind. Die10 Siehe zu Foucaults Verständnis des Dispositivs und seinem Stellenwert in Foucaults Arbeiten: Agamben 2008.

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se sehr speziellen Argumentationslinien jeweils in einem übergeordneten Dispositiv-Modell zu verorten und zu reflektieren, würde eine dysfunktionale ÜberKomplexität produzieren, da die Argumentation dadurch unnötig verkompliziert und verstellt würde. Der Ausdruck ‚Dispositiv des Genres‘ wird aber auch deshalb vermieden, um Missverständnisse zu vermeiden, da der Begriff Dispositiv in der deutschen Filmwissenschaft durch die Schriften von Jean-Louis Baudry vor allem für die Analyse medialer und räumlicher Anordnungen der Filmrezeption, ihrer Konstitution von Subjektpositionen und ihrer – vor allem: ideologischen – Effekte geprägt wurde (vgl. Baudry 2004).11 Zudem ist für das, was als ein ‚Dispositiv des Genres‘ verstanden werden könnte, bereits der Begriff generic system etabliert. Ein Transfer der Diskurs-Theorie auf die Genre-Theorie, wie sie hier vorgeschlagen wird, erfordert hingegen eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie im Fall des Films die Aussagen identifiziert werden können, aus denen sich ein Diskurs formiert. Eine Antwort auf diese Frage offerieren sowohl die filmsemiotischen Schriften von Christian Metz als auch Stuart Halls Modell des „‚sinntragende[n]‘ Diskurs[es]“ (Hall 1999a: 97). 4.1.2 Der sinntragende Diskurs des Genres Gegen eine Übertragung von Foucaults Diskurs-Modell auf den Film könnte eingewandt werden, dass die Identifikation und Abgrenzung einer Aussage von anderen Aussagen schon im Fall von Schrift und Rede Streitgegenstand u.a. von linguistischen Diskursen gewesen ist.12 Im Fall des audiovisuellen Mediums Film könnte daher die Identifikation der Aussage noch problematischer erscheinen. Als Erwiderung auf diesen möglichen Einwand sei daran erinnert, dass Christian Metz in seinen filmsemiotischen Schriften zwar auf diverse Probleme der Analogie von Film und Sprache eingeht, jedoch die Identifikation einer Aussage gerade nicht dazu gehört (vgl. Metz 1997: 65-67, 79-81, 114-116): Dass sich kleinste, distinkte filmische Einheiten, die den kleinsten sinntragenden Einheiten der Sprache oder den kleinsten Lauteinheiten vergleichbar wären, nicht definieren lassen, führt Metz darauf zurück, dass jede Einstellung immer bereits eine Anordnung von diversen Zeichen und Codes darstellt. Die Einstellung kann daher bereits als Aussage verstanden werden und bildet die kleinste gegebene vi11 Diese Diskussion des Dispositivs des Mediums Film wird auch unter der Bezeichnung Apparatus-Theorie geführt. Für eine kritische Kontextualisierung und einen Überblick über die Kritik an Baudry siehe: Paech 2005. 12 Foucault widmet seiner Definition einer Aussage ein eigenes Kapitel (vgl. Foucault 1981: 115-127).

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suelle Einheit des Films. Man denke beispielsweise an die ikonische Einstellung eines Cowboys, der auf seinem Pferd durch die Prärie reitet. Diese Einstellung kann weder auf einzelne Zeichen wie den Cowboyhut, das Pferd oder die Landschaft noch auf einzelne Codes wie die Differenzierung von Natur und Zivilisation oder Mensch und Tier reduziert werden. Die Bestandteile der Einstellung, so Metz, können zwar in ihrer Anordnung gleichsam als Fragmente abstrahiert gedacht werden, aber die Einstellung kann nicht auf ihre Bestandteile reduziert werden.13 Wie das oben angeführte hypothetische Beispiel des Cowboys jedoch auch verdeutlicht, ist die Einstellung, insbesondere im populären Film, bereits – in diesem Fall zum Zwecke der Anschauung: hochgradig – mit einem Genre konnotiert, hier namentlich mit dem Western. Zu den Zeichen und Codes der Aussage einer Einstellung gehören mithin auch Konventionen und Codes von Genres. Dies verweist aber wiederum auch darauf, dass jede Einstellung im Kontext einer diskursiven Formation wie beispielsweise eines Genres entsteht. Die Einstellung wird bereits im Kontext einer gewissen Vorstellung, was ein Western sei, in Szene gesetzt und ebenso mit einer gewissen Vorstellung, was ein Western sei, dekodiert. Wie die voranstehende Formulierung bereits durch eine rhetorische Verschiebung impliziert, ist das Diskurs-Modell von Michel Foucault anschlussfähig an das Modell des sinntragenden Diskurses, das Stuart Hall in seinem Aufsatz Kodieren/Dekodieren entworfen hat. Der Diskurs bzw. die diskursive Form steht auch im Zentrum von Stuart Halls Kommunikations-Modell als dessen Vermittlungsinstanz zwischen Produzenten und Rezipienten von Medieninhalten (vgl. Hall 1999a: insbesondere 92f, 97f, 103, 109f): Der Diskurs wird auf beiden Seiten von Praktiken flankiert: der aktiven Kodierung und der ebenso aktiven Dekodierung. Im Gegensatz zu einem linearen Kommunikations-Modell, dessen aktiver Sender seine Botschaft (mit eventuellen Störungen des Kanals) an einen passiven Empfänger vermittelt, liegt Halls Fokus darauf, dass die Praktiken der Kodierung und der Dekodierung von Medieninhalten – etwa eines Fernsehprogramms – gleichwertig sind. Beide Praktiken werden durch Kontexte geregelt, zu denen beispielsweise Wissensrahmen, Produktionsverhältnisse, die technische Infrastruktur, soziale Milieus oder auch die Generationen-Zugehörigkeit zählen. Diese Kontexte, die die Prak13 Christian Metz geht hingegen als Beispiel für sein Argument, dass die Einstellung bereits eine Aussage sei, auf ¡QUE VIVA MEXICO! – DA ZDRAVSTVUYET MEKSIKA! (UdSSR/MEX/USA 1979) von Sergej M. Eisenstein ein. Die Wahl dieses Beispiels aus einem Film eines kanonisierten auteurs ist möglicherweise dadurch motiviert, dass Metz in diesem Argumentationszusammenhang die filmische Aussage in Analogie zur gesprochenen und geschriebenen Sprache einem Urheber, nämlich dem autuer, zuschreiben will.

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tiken der Kodierung ebenso wie der Dekodierung durch Bedeutungsmuster, Argumentationsmuster, Codes, Interessen etc. prägen, sind hochgradig kulturell und historisch verschieden. Dass Hall dabei die Vermittlungsebene nicht schlicht als Medium oder Kanal bezeichnet, sondern als diskursive Form, hat seine Signifikanz. Denn wie Foucault, auf den er sich jedoch nicht explizit bezieht, ist auch in Halls Modell der Diskurs geregelt nach gewissen Codes und Verteilungsbzw. Zirkulationsbedingungen. Der Diskurs ist prinzipiell „sinntragend“ und zirkuliert weder wild noch unkontrolliert.14 Für die Genre-Theorie ist Halls Modell produktiv, da es den Transfer der Diskurs-Theorie von Michel Foucault auf den Film ergänzt und neben der Regelmäßigkeit des Diskurses einen noch stärkeren Akzent auf die interdependenten Praktiken der En- und Dekodierung setzt. Folgt man Stuart Halls Modell, so stellen populäre Filme einen Diskurs dar, der durch eigene Regeln und Zirkulationsbedingungen formiert wird. Damit ein Film beispielsweise in den Kinos mit einer gewissen Anzahl an Kopien und einem gewissen Aufwand an Werbung aufgeführt werden kann, muss er kommerziell vertrieben werden. Dafür muss ein Geldgeber auf den kommerziellen Erfolg des Films vertrauen, dessen Wahrscheinlichkeit dadurch gesteigert werden kann, dass der Film an aktuell erfolgreiche Trends und/oder Genres anschließt. Genres, wie oben am Beispiel des politisch ambitionierten Regisseurs Antonio Bido ausgeführt wurde, stellen einen der historischen und kulturspezifischen Kontexte dar, die Kodierungsmuster für die Inhalte der Diskurse des populären Films bereitstellen. Dieser Kontext ist jedoch nicht ahistorisch und fixiert, sondern dynamisch. Daher gilt es filmhistorische Trends, Zyklen, Motive, Traditionslinien etc. in ihren Iterations-Mustern und die ihnen eingeschriebenen Genre-Konzepte unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung und Zirkulation zu verfolgen. Auf der Seite der Kodierung gilt es also den filmischen Diskurs in seiner Dynamik genau zu beschreiben. Auf der Seite der Rezeption stellt das Genre ebenfalls einen der Codes dar, mit denen Inhalte des filmischen Diskurses gelesen werden können. Allerdings sind auch die Kontexte der Lektüre nicht ahistorisch und fixiert, sondern unterliegen ebenso Dynamiken des historischen, kulturellen, technologischen etc. Wandels. Es gilt also zu analysieren, welche Verständnisweisen eines Genres, 14 Der Clou von Halls Modell besteht darin, dass der Sinn, der durch den Diskurs zirkuliert, weniger von der Seite der Enkodierung, denn derjenigen der Dekodierung her betrachtet wird. Die Grundannahme von Hall lautet, dass ein Sinn nach gewissen Mustern und Codes in den Diskurs eingespeist wurde und ebenso nach bestimmten Mustern und Codes dekodiert wird. Und in dieser Praktik des Dekodierens öffnet sich ein Spielraum für Lesarten – dies wird im Kapitel über Genre-Hermeneutik und Lektüre-Reglements weiter entfaltet.

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mit denen die Filme angeeignet werden, zu bestimmten Zeiten in einer Kultur zirkulieren. Ebenfalls gilt es verschiedene Distributions-Modi und -Diskurse zu unterscheiden. Dass sich die Distribution der gialli als Kinofilme im Italien der 60er oder 70er Jahre deutlich von der Distribution der gleichen Filme als Gialli auf DVD nach dem Millennium in den USA, der BRD oder dem UK deutlich unterscheidet und die Filme mit verschiedenen Praktiken und Kontexten gelesen werden, ist offenkundig. Die Stärke von Halls Modell liegt jedoch darin, dass nicht allein die Produktion von Diskurs-Inhalten, die dann passiv rezipiert würden, oder allein die aktive Lektüre von Diskurs-Inhalten, deren Kodierung keine Rolle spielen könnte, fokussiert werden, sondern in einer interdependenten Perspektive Kodierung und Dekodierung zugleich betrachtet werden. In diesem Sinne müssen auch Genres mit einer Doppelperspektive betrachtet werden: Einerseits gilt es die Genre-Konzepte zu analysieren, die bei der Kodierung bzw. der Produktion zur Anwendung kamen und als bestimmte Muster der Iterationen und Konventionen den Filmen eingeschrieben sind. Andererseits muss die Analyse aber auch das Verständnis eines Genres berücksichtigen, das zu bestimmten Zeiten in bestimmten Kulturen als Genre-Konzepte und -Geschichten zirkuliert und auf dessen Folie die Filme angeeignet und diskursiviert werden. Denn auch Genre-Theorien, Genre-Definitionen und Genre-Geschichtsschreibungen basieren auf Filmen und deren Lektüre, die beide ihre eigene Historizität aufweisen. Beide Seiten der genre-theoretischen Analyse, den Filmen als Iterations-Muster eingeschriebene Genre-Konzepte und in anderen Diskursen zirkulierende GenreKonzepte, müssen wechselseitig perspektiviert werden, um ihre Interdependenz zu erhellen. Die Filme fungieren gleichsam als Gelenk der Aushandlung von GenreKonzepten, die bei der En- und Dekodierung prozessiert werden – und die keinesfalls identisch, mithin dasselbe Genre sein müssen. Insbesondere jedoch mit Blick auf die Dekodierung der Filme und ihre Diskursivierung in anderen Diskursen verfolgt diese Doppelperspektive vor allem zwei interdependente Erkenntnisinteressen: Zum einen können im filmischen Diskurs spezielle Inszenierungsstrategien erkannt werden, die bestimmte Effekte auf ihre Lektüre und ihre Diskursivierung haben können. Zum anderen können in den Diskursivierungen der Filme und den Diskursen, die Genre-Konzepte prozessieren – den Genre-Theorien, Genre-Studien und Genre-Geschichten –, ihre (persuasiven) Strategien, ihre impliziten Logiken und ihre Aporien herausgestellt und kritisch hinterfragt werden. Denn Genre-Konzepte und -Geschichten sind nicht den Diskursen prä-existent, sondern werden von ihnen als ihre Objekte nach ihren Regeln überhaupt erst hervorgebracht.

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4.2 O BJEKTE

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V ERHANDLUNGEN

Der Diskurs, so Michel Foucault, gibt vor, er handele von einem Objekt, das ihm vorausginge und das er lediglich beschreibe und ergründe (vgl. Foucault 1981: 49-51). Foucault argumentiert hingegen, dass das Objekt erst durch den Diskurs hervorgebracht wird. Verschiedene Diskurse zu verschiedenen Zeiten fassen, verstehen und begrenzen ihre jeweiligen Objekte – wie Wahnsinn oder Sex – prinzipiell verschieden. Daher handelt es sich keinesfalls um dieselben ahistorischen, real existierenden Objekte, sondern um verschiedene Vorstellungen, wie das Objekt beschaffen, also zu denken sei. Die Diskurse bringen damit, indem sie vermeintlich von den Objekten handeln, diese erst als historisch und soziokulturell spezifische Konzepte hervor. In diese Argumentation spielt das Konzept der konstitutiven Nachträglichkeit hinein, da die Diskurse durch rhetorische Strategien vorgeben, die Objekte seien ihnen vorgängig, während diese erst durch ihre Thematisierung im Diskurs entstehen. Wie bereits in der Einleitung angemerkt wurde, kann diese Logik der konstitutiven Nachträglichkeit, die Objekte als diskursive Effekte entlarvt, die Perspektive auf die Diskurse schärfen, die Genres hervorbringen. Denn der gleiche Film, davon war schon wiederholt die Rede, kann zu verschiedenen Zeiten oder auch in verschiedenen kulturellen Kontexten verschiedenen Genres zugeordnet werden. Beispielsweise wurde IL GATTO A NOVE CODE (1971) zur Zeit seiner Kino-Auswertung in der BRD mit dem Genre „Psycho-Thriller“ beworben und als „Krimi mit Horror-Elementen“ rezensiert, während er heute bei seiner Distribution auf DVD wie selbstverständlich als Giallo klassifiziert wird.15 Ähnliche Diskursanalysen wurden beispiels-

15 Die Genre-Zuordnung „Psycho-Thriller“ konnte das damalige Publikum dem Trailer entnehmen, mit dem der Film in den bundesdeutschen Kinos angekündigt worden war. Für die Genre-Klassifikation als „Krimi mit Horror-Elementen“ siehe: Filmkritik Nr. 13 144. Dario Argentos Regie-Debüt L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) wird auf dem Cover der handelsüblichen deutschen DVD hingegen mit folgendem Schriftzug beworben: „Hochspannender Wallace-Thriller vom italienischen Kultregisseur Dario Argento – mit Musik von Ennio Morricone!“ (BRYAN EDGAR WALLACE: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN

HANDSCHUHE: Universum Film: Bryan Edgar Wallace

DVD Collection 3, BRD 2006) Die Genre-Zuordnung „Thriller“ mag auf den ersten Blick verwundern, da der Film nicht nur einer der bekanntesten Gialli ist, sondern er auch wiederholt als Formelfilm des Giallos der 70er Jahre, teilweise sogar des ‚klassischen‘ Giallos bezeichnet worden ist. Im Vergleich dazu wird der Film auf dem Cover der US-DVD wie folgt beworben: „In his first film as writer/director, Dario Argento

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weise auch zum film noir und zum Melodrama vorgelegt (vgl. Neale 2000: 151175; Klinger 1989). Indem Diskurse Filme Genres zuordnen, diese Genres beschreiben und einen Kanon von ‚Klassikern‘ bestimmen, entstehen diskursive Genre-Konzepte, die je nach Diskurs mit unterschiedlicher Reichweite zirkulieren und mit denen Rezipienten den Filmen begegnen. Diese Genre-Konzepte sind jedoch weder ahistorisch noch stabil und klar fixiert. Stattdessen werden sie in Diskursen immer wieder neu verhandelt und ausgehandelt. Michel Foucault betont die Konflikte, die in den Diskursen ausgetragen werden, wenn um die Objekte der Diskurse disputiert wird.16 In einer für eine diskurs-theoretisch informierte Genre-Theorie beispielhaften Diskursanalyse hat Mark Jancovich nachgezeichnet, wie in einem Fan-Diskurs darüber debattiert wurde, ob der Slasher SCREAM (USA 1996, R: Wes Craven) ein ‚richtiger‘ Horrorfilm sei oder nicht. Während die einen Disputanten eine neue Qualität des Horrorfilms darin sahen, lehnten die anderen den Film ab, da die Genre-Parodie ihrer Meinung nach jeden ernsthaften Horror verfehle.17 Der zentrale Streitpunkt war jedoch eigentlich gar nicht die Klassifikation des einzelnen Films SCREAM, sondern die Definition dessen, was als Horrorfilm zu verstehen sei (vgl. Janco[…] single-handedly created the giallo genre […].“ (THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE: Blue Underground: 2-Disc Special Edition, USA 2005 [Herv. d.O. getilgt]) Dass vom Giallo auf dem Cover der oben zitierten deutschen DVD gar keine Rede ist, muss allerdings wiederum im Kontext des Distributions-Diskurses relativiert werden. Denn, wie die Genre-Komposition „Wallace-Thriller“ andeutet, ist die DVD Teil der dritten Box der Bryan-Edgar-Wallace-DVD-Kollektion. Im Rahmen dieser DVD-Kollektion werden diverse Filme vertrieben, die in bundesdeutschen Kinos im Rahmen der Bryan-Edgar-Wallace-Filmreihe vermarktet worden waren. Auch dieses Beispiel zeigt damit, dass die Distributions-Diskurse eine zentrale Rolle bei der Genre-Verortung eines Films und damit bei der Verhandlung von Genre-Konzepten spielen. 16 Siehe beispielsweise Michel Foucaults Resümee über seine bisherigen Fragestellungen in dem folgenden Aufsatz: Foucault 1996. 17 Diese Analyse ist dahingehend sehr aufschlussreich, da sie implizit zum einen die postmodernen Doppelkodierungen des Films betont, die je nach Genre-Kenntnis die gleichen Genre-Verhandlungen des Textes – hier ist nicht von den explizit im Dialog präsenten Genrereferenzen die Rede – entweder als Parodie oder als ernsthaften Slasher lesbar machen. Zum anderen wird die Rolle von SCREAM als ein Gelenk der kontrovers geführten filmwissenschaftlichen Diskussionen über die ‚Postmoderne‘ hervorgehoben. Denn beispielsweise argumentierte Andrew Tudor, dass der Film keine postmodernen Qualitäten aufweise, die es nicht auch schon zuvor gegeben hätte, weshalb der Film ‚late modern‘ sei (vgl. Tudor 2006: 105-116).

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vich 2002). Der Streit um die Klassifikation des Einzelfalls war mithin lediglich ein Anlass zur neuen Aushandlung des Objektes Horrorfilm.18 Die MachtKonstellationen, die Diskurs-Regeln und Objekte des Diskurses müssen stetig verhandelt werden, wobei sie reproduziert und stabilisiert, aber auch in Frage gestellt und neu ausgehandelt werden können. Während Foucault die Diskursanalyse anhand schriftbasierter Diskurse modellierte, lässt sich seine Argumentation, dass Diskurse ihre Objekte nicht einfach nur abbilden, beschreiben oder dieselbe Definition reproduzieren, sondern diese immer wieder kontextualisieren, in Verhältnisse setzen, be- und abgrenzen von anderen Objekten und Diskursen und letztlich dadurch ihre Objekte diskursiv hervorbringen, auch auf andere mediale Diskurse wie Filme übertragen, wenn man diese Prozessualität der Diskurse mit dem von Stephen Greenblatt geprägten Begriff der negotiation bzw. Verhandlung zusammenbringt. Stephen Greenblatt, dem wohl bedeutendsten Vertreter des New Historicism, dient das Modell der Verhandlungen zu einer Abgrenzung von Vorstellungen der Repräsentation.19 Texte – und es sei daran erinnert, dass der New Historicism wie die britischen Cultural Studies und der Poststrukturalismus mit einem sehr weiten Text-Begriff operiert20 – bilden Objekte oder Themen nicht ab, sondern sie ‚machen‘ etwas mit diesen. Sie prozessieren sie. Sie setzen sie in Kontexte und Verhältnisse. Die Texte können die Konzepte affirmativ aufgreifen und sie somit fortschreiben oder aber sie problematisieren und dadurch umschreiben. Die Texte ‚verhandeln‘ Konzepte und Modelle ihrer Zeit. 18 Letztlich blieb diese Spezialdiskussion jedoch für die hegemoniale Genre-Geschichtsschreibung vollends bedeutungslos, da der Film durch andere, weiter verbreitete und verschaltete Diskurse wie Fernsehzeitungen, Filmmagazine, DVD-Cover, Senderankündigungen aber auch die Mehrheit der wissenschaftlichen Einführungen in den Horrorfilm als Apotheose des postmodernen Horrorfilms etabliert worden ist. Spätestens Generationen, die nach SCREAM den Horrorfilm kennen lernten, sind mit dieser Genre-Geschichtsschreibung aufgewachsen und nutzen den Film als einen Klassiker des postmodernen Horrorfilms, um andere Filme im Vergleich dazu zu bewerten. Um nur einige einschlägige Monographien als Beispiele zu nennen: Hutchings 2004: 211-216; Hills 2005: 182-197; Seeßlen/Jung 2006: 786-791; Worland 2007: 113. 19 Siehe hierzu auch Foucaults Ausführungen zur Krise der Repräsentation in: Foucault 1974. 20 Auch der New Historicism betont im Anschluss an Foucaults Diskursanalyse die Historizität seines Materials. Zu diesem Material zählt er jede Art von historischem Artefakt, sei dies ein Dramentext, der Text einer Theateraufführung, eine Verordnung, Schriften des medizinischen, juristischen oder irgendeines anderen Diskurses oder ein materielles Gewebe.

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Greenblatt hat dieses Modell der Verhandlung prominent anhand der Dramen von Shakespeare exemplifiziert (vgl. Greenblatt 1990). So zeigt er beispielsweise, dass das damalige Theater zwar keinen Sex auf der Bühne aufführen durfte, aber im Dramentext dennoch Vorstellungen über Sex verhandelt wurden (vgl. ebd.: 66-91): In den Dialogen geht der Paarbildung eine Erhitzung der Gemüter und des Gesprächs voraus, die Greenblatt in ein Verhältnis setzt zu einem zeitgleich zirkulierenden Modell der Sexualität, das davon ausging, dass eine Erhitzung der primären Geschlechtsorgane die Fortpflanzungswahrscheinlichkeit steigere. Im historischen Kontext dieses Modells liest Greenblatt die Dialogpassagen, die auf eine ‚romantische‘ Vereinigung zweier Figuren hinauslaufen, als eine Verhandlung dieses Modells. Jedoch wird es nicht einfach nur repräsentiert, sondern der Dramentext ‚macht‘ etwas mit diesem Modell. Der Text dramatisiert es, er aktualisiert das Modell auf (s)eine Weise, indem er es beispielsweise an die heterosexuelle Paarbildung koppelt und es in Verhältnisse zu Gender-Konzepten setzt. Zugleich – dies bemerkt Greenblatt nicht – stellt der Text aber beispielsweise auch die diskursive bzw. sprachliche Verfasstheit des Modells aus, indem er es im Dialog prozessiert. Ein Film wie Antonio Bidos IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA (1977) kann, mit Foucault und Greenblatt gesprochen, als Verhandlung von Faschismus und Holocaust innerhalb der diskursiven Formation des Giallos der 70er Jahre gelesen werden. Der Film kann aber natürlich auch als Verhandlung des Genres im Aushandlungsprozess mit dem Themenkomplex Faschismus/Holocaust gedeutet werden. In diesem Sinne werden mit genre-theoretischem Blick auf filmische Verhandlungen unter dem Begriff der Verhandlung im weiteren Verlauf solche Inszenierungen verstanden, die verschiedene Konzepte und Themen aktualisieren – beispielsweise wenn Filme Gender-Konzepte und Themen wie Faschismus oder Rassismus aufgreifen und im Verhältnis zu den Genre-Konventionen in Szene setzen. Insbesondere werden im Folgenden jedoch auch die Genre-Verhandlungen in Filmen im Zentrum der Lektüren stehen. Denn jeder Film setzt auch ein je spezifisches Set von Iterations-Mustern bzw. Genre-Konventionen in Szene. Diese Aktualisierungen des Genres verhandeln gleichsam das Genre, da sie seine Konventionen in Verhältnisse einerseits zueinander aber andererseits auch zu anderen intertextuellen Phänomenen wie etwa Themen, Trends, StarIntertexten oder auch anderen Genres setzten. Die bisherigen diskurs-theoretischen Erörterungen zur Schärfung der hier entwickelten medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspektive auf Genres sind – geht es doch um Fragen der En- und Dekodierung – eng verzahnt mit dem Programm einer Genre-Hermeneutik, wie es im folgenden Kapitel vorgstellt wird.

5. Genre-Theorie und Genre-Hermeneutik

Bei der Analyse von Genre-Verhandlungen fallen immer wieder einzelne Filme auf, die den latenten privilegierten Code eines Genres auszubuchstabieren scheinen. Diese Filme, die sich forciert als Enunziationen des Genres geben,1 sind daher hochinteressant, da sie nicht ein Set von historischen Verhandlungen, sondern ein einziges Thema als für das Genre konstitutiv in Szene setzen. Die Frage, die diese Filme dadurch aufbringen, ist diejenige, ob die konventionelle Anordnung der Genre-Konventionen als Kodierung eines Sinns des Genres gelesen werden kann. Zur Erörterung dieser Frage wird hier der Begriff Genre-Hermeneutik eingeführt. Während unter Hermeneutik – zunächst sehr allgemein und undifferenziert gesprochen – die Lehre vom Verstehen gefasst wird, bezieht sich die Wort-Schöpfung Genre-Hermeneutik auf die Erforschung des Verstehens von Genres. Die zentrale Frage der Gerne-Hermeneutik lautet damit, ob den intertextuellen Mustern und Codes, die einem Genre als konstitutive Konventionen zugeschrieben werden, auch ein eindeutiger Sinn zugewiesen werden kann. Im Gegensatz zum ersten Kapitel dieses theoretischen Blocks geht es hier nicht allein um genre-theoretische Fragestellungen – etwa hinsichtlich von GenreLektüre-Entscheidungen –, sondern allgemeiner um das Verstehen bzw. die Dekodierung von Genres und Filmen.

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Enunziation bezeichnet in der Sprachwissenschaft einen Sprechakt, in dem dessen Markierung als solcher mitkommuniziert wird. Christian Metz hat im Anschluss daran unter einer filmischen Enunziation solche filmischen Inszenierungen verstanden, die selbstreflexiv auf das Medium verweisen (vgl. Metz 1997b). Dieses Konzept der medienreflexiven Enunziation wird hier zur Genre-Reflexion verschoben und bezeichnet solche Inszenierungs-Strategien, in denen Konventionen und Effekte eines Genres explizit als solche ausgestellt werden. Unter Effekten werden hier auch Lektüre-Anweisungen oder Dekodierungen verstanden, die Filme explizit machen bzw. enunzieren können.

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Obwohl die Forschung zum Giallo wiederholt darauf hingewiesen hat, wie virtuos, selbstbewusst und oftmals ironisch die italienischen Genre-Filme damit umgingen, dass sie Genre-Filme seien,2 blieb der oben erwähnte Spezialfall eines Genre-Films, der die Bedeutung des Genres zu ‚verraten‘ scheint, bisher weitgehend unberücksichtigt. Einzig Mikel J. Koven hat diese Frage in seiner Monographie über den Giallo tangiert. Ohne näher theoretisch zu eruieren, ob sich den Genre-Konventionen ein (spezifischer) Sinn zuschreiben lässt, liest Koven den Giallo IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA/DIE STIMME DES TODES (1977) als den Film, der seiner Meinung nach ausbuchstabiere, was alle anderen Gialli (implizit) behandelten (vgl. Koven 2006: 109). Da Koven nur am Rande auf den Film selbst eingeht und lediglich eine knappe Inhaltsangabe zum Film in zwei Sätzen anbietet, wird der Film und die Lesart der Aktualisierung der Genre-Konventionen als eine vorgebliche Offenlegung ihrer ‚wesenhaften‘ Bedeutung im Folgenden kurz vorgestellt. In dem Giallo IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA von 1977 werden diverse Konventionen des Giallos, die oft in Gialli iteriert und als dominante Konventionen diskursiviert wurden, explizit auf die Zeit des Faschismus und insbesondere auf den Holocaust zurückgeführt: Bei dem genre-typischen maskierten Serienmörder handelt es sich um einen jungen Mann, der als Kind durch die Deportation und Ermordung seiner Geschwister und seiner Mutter traumatisiert worden ist. Als Erwachsener realisiert er die unterdrückten Rachephantasien seines Vaters, der in der italienischen Nachkriegsgesellschaft Richter geworden ist.3 Das Motiv der Gewalt als Bestrafung der Opfer wird in dem Film derart aktualisiert, dass es sich bei den Opfern um Italiener handelt, die die jüdische Familie des Täters denunzierten, um sich zu bereichern. Das Motiv der Schuld wird somit explizit als historische Schuld an faschistischer Gewalt und am Holocaust lesbar. 2

Die Betonung der Ironie und Selbstreflexivität richtet sich gegen den sich wacker haltenden Vorwurf, dass es sich bei dem italienischen Genre-Kino um eine uninspirierte, rein gewinnorientierte, seriell produzierte Imitation erfolgreicher Muster wie des Westerns oder der Edgar-Wallace-Filme handele (vgl. Met 2006: 197, 203; Wood 2007: 238; Silver/Ursini 2006: 100).

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Der Film setzt damit Jacques Lacans Argumentation in Szene, nach der das Begehren eines Subjekts immer das Begehren eines Anderen ist. Der Protagonist begehrt die Rache, von der er glaubt, dass er damit das Begehren seines Vaters realisiere, der zugleich als Agent der Gerechtigkeit und der symbolischen Ordnung auftritt – eine Rolle, die noch durch seinen Beruf als Richter unterstrichen wird. Die Annahme des Begehrens des Anderen ist die Basis dafür, dass etwas überhaupt als begehrenswert erscheint. Vgl. zu diesem Themenkomplex, der bei Lacan wiederholt behandelt wird, beispielsweise: Lacan 1996: insbesondere 210-236.

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Auch die exzessive Gewalt der Morde wird mit dem Holocaust in ein Verhältnis gesetzt – ein Opfer wird sogar in ihrem Herd durch Gas getötet. Auch weitere Genre-Konventionen werden in diese Logik eingefügt, durch die sich der Giallo als Holocaust-Verhandlung deuten lässt: Das Motiv der Augenzeugenschaft wird als genre-spezifische Verhandlung einer historischen Augenzeugenschaft lesbar. Ebenso wird die Konvention der unheimlichen Stimmen, die am Telefon oder auf Tonbändern erklingen, im Rahmen der Verhandlung des Holocaust und seiner Aufarbeitung aktualisiert, da es sich bei den klagenden Stimmen, den harschen Befehlen und den laut bellenden Hunden um ein unheimliches Echo der Geräuschkulisse der Deportation zu handeln scheint. Mithin erscheint die genrekonstitutive Spurensuche als eine historische Spurensuche, die Ermittlungen über den Täter und über sein Motiv als Ermittlungen über die italienische Vergangenheit, das Trauma als ein historisches, nationales Trauma. Zugleich setzt der Film diverse andere Konventionen des Giallos in Szene wie beispielsweise einen persönlich beteiligten Amateurdetektiv, dessen Freundin Zeugin des ersten Mordes war. Auch die Morde sind als genre-konforme Sequenzen inszeniert, in denen der sadistischen Gewalt lange Suspense-Szenen vorausgehen. Der Täter trägt eine stereotype schwarze Verkleidung inklusive der ‚notorischen‘ schwarzen Lederhandschuhe. Entsprechend wurde der Film als typischer und kohärenter Giallo rezipiert. Beispielsweise wirbt das Cover der deutschen DVD des Films mit dem folgenden Zitat: „Antonio Bidos Film ist einer von vielen ähnlich konzipierten Thrillern, die seit ‚Das Geheimnis der schwarzen Handschuh‘ [sic!] die italienischen Studios verlassen haben. Gerade in den genüsslich ausgetretenen Mordszenen beweist sich die Nähe zu Dario Argentos Giallo-Klassikern.“4 (DIE STIMME DES TODES: X-Rated: The X-Rated ItaloGiallo-Collection, BRD 2004) Wenn der Film jedoch als typischer Giallo in der Tradition der ‚Klassiker‘ des Genres gelesen wird, so suggeriert er zugleich durch seine Verdichtung der Genre-Konventionen überzeugend, dass er offenlegt, dass die Konventionen des Genres als Verhandlung des Holocaust zu lesen seien. Der Film bzw. Filme dieser Art könnten gleichsam als eine GenreAllegorie bezeichnet werden, da die Struktur der Filme sich auch als eine Alle-

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Dass der Film im Zitat als „Thriller“ bezeichnet wird, die DVD selbst jedoch zur Giallo-Serie des Labels X-Rated gehört, deren Nummer 5 der Film darstellt, zeigt erneut die Durchsetzung des Genre-Namens im Zuge der Vermarktung des Genres auf DVD: Das Zitat stammt von 1998, die DVD von 2004. Denn das Zitat stammt aus dem Magazin Die Angst sitzt neben Dir und wurde auf dem Cover der DVD explizit als Zitat mit Anführungszeichen, dem Titel des Magazins und der Jahresangabe reproduziert.

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gorie der Genre-Muster und eines vorgeblich durch sie konstituierten Sinns dekodieren ließe.5 Der Film IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA, wenn er im Sinne einer GenreAllegorie gelesen würde, erzählte einen Fall von Genre-Hermeneutik, in der nicht nur die Logik einer Mord-Serie, sondern auch die latente Logik der konventionellen Anordnung der Genre-Konventionen erklärt zu werden scheint. Dieser Film lässt in der Figurenrede sogar explizit einen Deck-Diskurs vortragen und das Prinzip erklären: Der Vater des Mörders gibt vor, der Täter zu sein und trägt sein falsches Geständnis in eben demjenigen Stil der kriminalistischen Auflösungen vor, mit denen Gialli üblicherweise enden. Doch nachdem die Protagonisten des Films bereits davon überzeugt sind und sich am Ende der Ermittlungen glauben, erscheint der ‚wahre‘ Mörder, der die ‚wahre‘ Geschichte der Morde erzählt und das zunächst überzeugende Geständnis des Vaters als DeckErzählung offenbart.6 Der Film legt dem genre-kundigen Leser dadurch nahe, dass die konventionelle Auflösung der Gialli eine Deck-Erzählung für den ‚wahren‘ Sinn hinter dem Genre sei, den dieser Film nun jedoch enunziere, indem er die Konventionen reproduziert und zugleich deren vorgebliche Kodierung ausstellt. Dieser Giallo lässt kaum einen Zweifel daran, dass die Konventionen des

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Es sei hier explizit angemerkt, dass es sich hierbei um eine spezielle Konzeptualisierung der Allegorie handelt. Dieses Konzept ist informiert durch die ‚klassische‘ Rhetorik. Die Allegorie wird im Vergleich zu punktuellen Tropen wie Metapher und Symbol gleichsam als eine ‚ausgeschriebene‘ Metapher gedacht. Dieses Konzept der allegorischen Lesart ist angeregt durch die Definition der Allegorie als interdependente Doppelkodierung. Im Fall der Genre-Allegorie ließe sich das Modell wie folgt fassen: Die erste Struktur – die Verhandlung des Holocaust – ist vollständig interdependent zur zweiten Struktur – der Verhandlung von konventionellen Genre-Mustern und dem vorgeblich durch sie konstituierten Sinn. Allein indem zuerst die erste Struktur analysiert wird, kann die zweite Struktur gelesen werden (vgl. Kurz 2009: 30-69). Für dieses Allegorie-Konzept stand unter anderem Goethe Pate, der die Allegorie als Dekodierung des ‚Allgemeinen‘ im ‚Besonderen‘ verstand (vgl. Goethe 2009: 239). Dieses Modell ist nicht konzipiert, um anschlussfähig zu sein für andere AllegorieKonzepte wie das von Walter Benjamin und solche, die darauf aufbauen, wie etwa das Allegorie-Konzept von Paul de Man, das von der Unlesbarkeit des Prätexts ausgeht (vgl. Benjamin 1978: 138-212; de Man 1988: insbesondere 110-112).

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Das Konzept der Deck-Erzählung rekurriert auf Freuds Konzept der Deckerinnerungen. Diese stellen Erinnerungen dar, die zwar faktisch falsch sind, in denen aber diverse für das Subjekt signifikante Erlebnisse überblendet und/oder als Spuren realisiert sind (vgl. Freud 1999b; Freud 1999c; Freud 1999d).

G ENRE-T HEORIE UND G ENRE -H ERMENEUTIK

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Giallos eine Lesart des Genres als Verhandlung von Faschismus und Holocaust privilegieren würden. Zu diesem Schluss kommt auch Mikel J. Koven: „Bido’s film makes explicit what the other gialli imply: that the real past trauma is not about fathers raising daughters to be boys or watching your brother fall to his death trying to rescue a little girl’s doll or even witnessing your crazy mother kill your father. The real trauma is a historical one: the defeat and emasculation of Italy in the war and under fascism. And this trauma has been haunting Italians ever since.“7 (Koven 2006: 109 [Herv. i.O.])

An anderer Stelle in seiner Monographie nennt Koven den Film IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA wiederholt als einen typischen Giallo und ordnet ihn bruchlos in eine Reihe mit anderen konventionellen Gialli ein (vgl. ebd.: 33, 64, 67, 86f, 89, 101, 109). Dabei berücksichtigt – oder zumindest: erwähnt – Koven weder Brüche noch Umschriften von Genre-Konventionen in dem Film. Daher kann er den Film auch zu demjenigen Genre-Film erheben, der den impliziten Sinn der konventionellen Struktur des Genres explizit mache. Folgt man der Lesart des Genres, für die der Film zu plädieren scheint, und folgt man Mikel J. Kovens affirmativer Lesart des Films als eben dieses Ausbuchstabieren der Bedeutung des Genres, so scheint der Giallo IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA beispielhaft das zu predigen und zu performieren, was oben als Genre-Hermeneutik bezeichnet wurde. Der Film scheint zu versprechen, den Sinn-Horizont des Genres bzw. den genre-konstitutiven Sinn der ‚typischen‘ Anordnung der Konventionen zu erschließen. Der Film suggeriert, dass das Genre durch seine Konventionen eine spezifische Dekodierung privilegieren würde. Bevor näher geprüft wird, ob sich das Versprechen des Films, nämlich Genre-Hermeneutik performativ in Szene zu setzen, theoretisch fundiert einlösen lässt, sei zunächst in einem kurzen Exkurs das Feld der Hermeneutik umrissen. Diese Skizze wird vor allem auf die 7

Koven will seine Lektüre untermauert wissen durch das Alter der Protagonisten und Antagonisten sowie das Alter der mutmaßlichen Rezipienten der Filme in den 70er Jahren. Indem er ihr Alter zurückrechnet, schlussfolgert Koven, dass die Kindheitstraumata, die im Giallo der 70er Jahre wiederholt als Motivation zu den Mordserien enthüllt werden, sich etwa in die 30er und 40er Jahre zurückdatieren ließen. Daher, so Kovens Logik, sei es geradezu evident, die Trauma-Konfigurationen der Filme als ‚historische‘ Traumata zu lesen. Da Koven das Trauma als eine konstitutive Konvention des Giallos versteht, gelangt er schließlich zu dem Schluss, dass das Genre generell als Verhandlung dieser ‚historischen‘ Traumata zu lesen sei. Darüber hinaus erörtert er jedoch nicht, ob andere Konventionen des Genres mit seiner Lektüre harmonieren oder nicht.

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Historizität der Filme und ihrer Verhandlungsfiguren abheben, um daraufhin den Giallo IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA und seine Aktualisierung der GenreKonventionen näher zu betrachten und schließlich kritisch zu diskutieren, ob ein Genre tatsächlich die Zuschreibung eines eindeutigen Sinns erlaubt. Dieser schrittweisen Entfaltung des Programms einer Genre-Hemeneutik steht jedoch zunächst eine selbstreflexive (Er-)Klärung voran, die die Axiome und damit die Paramter der nachfolgenden Ausführungen absteckt.

5.1 I NSZENIERUNGSSTRATEGIEN

UND

GENERIC VERISIMILITUDE Da hier wiederholt prominente und rezente filmwissenschaftliche Theorien und Modelle zu Filmgenres hinsichtlich ihrer Axiome und Aporien kritisiert werden, erscheint es angebracht, an dieser Stelle die eigenen Axiome offenzulegen, da natürlich auch die hier entworfene Doppelperspektive wie alle Theorien mit Grundannahmen operiert, die nicht eindeutig entschieden oder restlos geklärt werden können. Stattdessen werden sie gesetzt und tragen das gesamte Gedankengerüst. Ihre ‚Legitimität‘ kann allein in ihrer Produktivität für die Theorie bewertet werden. Zu den Axiomen dieser Arbeit zählt der Begriff der ‚Inszenierungsstrategie‘, der im gesamten Text wiederholt benutzt wird. Unter Inszenierungsstrategie wird hier eine Inszenierung verstanden, die zwar nicht intendiert sein muss, die aber historische Muster (des auteurs, der ästhetischen Trends, der Genre-Konventionen etc.) aktualisiert und daher vom Rezipienten als potenziell sinntragendes Ereignis gelesen wird. Die Annahme, dass die Inszenierung einer Strategie folgt, gleicht der Zuschreibung der prinzipiellen Möglichkeit der Dekodierung durch den Rezipienten aufgrund der Annahme der bereits erfolgten Enkodierung der Inszenierung, wie sie auch Stuart Hall als Axiom seines Modells des sinntragenden Diskurses annimmt. Implizit ist diesem Axiom, das allen weiteren Ausführungen zugrunde liegt, ein zweites Axiom zu entnehmen: Es wird davon ausgegangen, dass Rezipienten einen Film prinzipiell verstehen und ihm einen kohärenten Sinn zuschreiben wollen. Das bedeutet nicht, dass Rezipienten dem Film einen einzigen Sinn zuschreiben wollen oder dass Filme einen einzelnen speziellen Sinn privilegieren, wie ideologiekritische Ansätze gerne argumentieren.8 Die Polysemie des filmischen Diskurses bedingt ein weit größeres

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Am prominentesten und einflussreichsten für diesen Ansatz war ein Aufsatz von Colin MacCabe, in dem er argumentiert, dass Filme eine spezielle Subjektposition privilegieren würden, da allein aus dieser der Film Sinn ergeben und die Rezeption Lust be-

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Spektrum der Lesarten. Aber es wird davon ausgegangen, dass Rezipienten den Film mit der Vorannahme rezipieren, dass einem Film prinzipiell ein kohärenter Sinn zugeschrieben werden kann bzw. der Film prinzipiell ‚sinntragend‘ sein kann. Dieses Axiom schließt an Gilles Deleuzes Argumentation an, dass NichtSinn prinzipiell nicht denkbar ist und dass allem prinzipiell ein Sinn zugeschrieben werden kann – und sei dies der Sinnkomplex ‚Unsinn‘. Denn Unsinn ist nicht Nicht-Sinn, sondern ein Sinn, der beispielsweise von Paradoxa geprägt ist (vgl. Deleuze 1993: 92-100). Wenn also ein Rezipient feststellt, dass etwas in einem Film ‚keinen Sinn ergibt‘, so versucht er bereits dem Film einen kohärenten Sinn zuzuschreiben. Auch wenn ein Rezipient dagegen argumentierte, dass etwas ‚keinen Sinn ergeben müsse‘, so ist auch dies bereits eine Sinnzuschreibung, die auf eine Kohärenz des Sinns abzielt und diese kittet. In diesem Sinne argumentiert auch Jonathan Culler, dass prinzipiell immer eine Sinnzuschreibung möglich ist, die darüber hinaus Anlass zur Reflexion sein kann: „If all else failed, we could read a sequence of words with no apparant order as signifying absurdity or chaos and then, by giving it an allegorical relation to the world, take it as a statement about the incoherence and absurdity of our own language.“ (Culler 1975: 138) Es mag nun offenkundig erscheinen, welche zentrale Bedeutung Genre-Konzepte für dieses Axiom haben, da sich je nach den der Lektüre zugrunde liegenden Genre-Konzepten verschiedene Muster der Kohärenz des Sinns ergeben: Von einem Actionfilm erwartet der Rezipient eventuell weniger Sinn hinsichtlich einer eindeutigen Figurenmotivation oder hinsichtlich einer logischen und komplexen Handlung als beispielsweise von einem psychologischen Drama. Von einem Giallo mag der genre-kundige Rezipient nicht erwarten, dass alle Fährten und Spuren auf einen einzigen Sinn zulaufen; aber er kann erwarten, dass die Auflösung am Ende des Films durch eine Selektion der Spuren einen Sinn nachträglich konstituiert, der vorgeblich den Taten bzw. der Handlung bereits zugrunde gelegen haben soll. Diese Funktion von Genre-Konzepten für das Verständnis eines Films hat Steve Neale im Anschluss an Jonathan Cullers Ausführungen zur vraisemblance als generic verisimilitude bezeichnet. Unter vraisemblance versteht Culler im Rekurs auf Positionen des Formalismus und des Strukturalismus die Verhältnisse, in die ein Text treten kann und durch die das Verständnis des Textes geleitet sein kann. Culler unterscheidet fünf verschiedene Typen der vraisemblance (vgl. reiten würde (vgl. MacCabe 1974: insbesondere 7-12). Aber auch Laura Mulvey geht in ihrer feministischen Kritik am Blickdispositiv des klassischen Hollywood-Kinos von der Konstitution eines idealen, männlichen Rezipienten-Subjekts aus (vgl. Mulvey 2004).

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ebd.: 138-160):9 (1) den Vergleich mit der Alltagswelt des Lesers (the „real“); (2) den kulturellen Kontext, der durch verschiedene kulturspezifische Konzepte wie Stereotypen, einen Kanon etc. dem Verständnis eines Textes dient (cultural vraisemblance); (3) Genre-Konzepte, deren Codes und Konventionen die Aneignung eines Textes lenken könne (genre); (4) die forcierte Verweigerung und Zurschaustellung von Genre-Konventionen (conventional natural); und (5) Parodie und Ironie (parody and irony). Steve Neale greift vor allem die generic verisimilitude auf und betont, dass verschiedene Genre-Konzepte verschiedene Muster vorgeben, was in ihrer diegetischen Realität möglich, wahrscheinlich bzw. ‚glaubwürdig‘ sein kann und wie Genre-Texte mit diesen Mustern verstanden werden können (vgl. Neale 2000: 31-39). Es werden hier jedoch die Positionen von Culler und Neale dahingehend erweitert, dass Genre-Konzepte und -Geschichten nicht allein Muster zum Verständnis von Filmen vorgeben, sondern das Verständnis zudem auch stets auf einen kohärenten Sinn abzielt. Explizit betont sei auch, dass dieses Axiom nicht ausschließt, dass der Rezipient ebenso Filme als Spektakel affektiv erleben kann. Die Dichotomie von Spektakel und Text wurde in den letzten Jahren stark gemacht, um die Ereignishaftigkeit des Films in Abgrenzung zum Textparadigma zu betonen, das, so die Kritik, seit den 70er Jahren die Filmwissenschaft nicht nur dominiere, sondern vor allem auch begrenze.10 Doch Filmerlebnis und Filmlektüre sind in der Filmrezeption nicht zu trennen. Wiederum gilt, dass auch die Annahme, dass eine Szene vermeintlich keinen Sinn trage, sondern nur Spektakel sei, eine SinnZuschreibung ist – die vor allem aufgrund von Genre-Konzepten erfolgt –, die wiederum eine Kohärenz des Sinns ermöglicht. Die Rezeption besteht immer aus dem Erleben des Films als Spektakel und dem Verstehen eines Films, das auf Kohärenz abzielt. Inwiefern es sich bei dieser Praktik der Filmrezeption selbst um – mit Hall gesprochen – eine „dominante kulturelle Ordnung“ (Hall 1999a:

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Cullers Typen rekurrieren auf die drei Typen der vraisemblance, die Tzvetan Todorov beschrieb (vgl. Culler 1975: 138f): den Bezug des Textes (1) zur Alltagskultur, (2) zum Genre und (3) der Maskerade der eigenen textuellen Struktur. Steve Neale, der sowohl Todorov als auch Culler referiert, hat bei Todorov im Gegensatz zu Culler lediglich die ersten beiden Typen, Kultur und Genre, identifiziert und versteht die Maskerade, die Culler als dritten Typ bei Todorov gelesen hat, als Funktion der ersten beiden Typen zur Verschleierung der Struktur und Konstruiertheit des Textes durch eine vorgebliche Referenz auf die Realität des Lesers (vgl. Neale 2000: 32).

10 Rick Altman hat in einem Aufsatz sein ‚Donut‘-Modell des Kino-Ereignisses entworfen, das in der deutschsprachigen Filmwissenschaft vor allem von Sabine Nessel aufgegriffen wurde (vgl. Altman 1992; Nessel 2008; Nessel et al. 2008).

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103 [Herv. d.O. getilgt]) handelt, ist eine andere Diskussion, die in den folgenden Kapiteln über die Genre-Hermeneutik weiter entfaltet wird.

5.2 G ENRE

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H ERMENEUTIK

Unter dem Überbegriff Hermeneutik werden verschiedene Ansätze der Interpretation gefasst. Die gleichsam ‚moderne‘ Hermeneutik, deren Einsetzen oft mit dem Erscheinen von Hans-Georg Gadamers Monographie Wahrheit und Methode auf das Jahr 1960 datiert wird, ist längst davon abgerückt, die Psyche eines Autors und die Mentalität seiner Zeit eindeutig diagnostizieren zu wollen, wie es Interpreten von ‚Werken‘11 vor allem im Anschluss an Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Dilthey noch versuchten. Auch zielt die Hermeneutik nicht mehr auf eine Annäherung an den ‚wahren‘ Sinn eines ‚Werkes‘ ab, der dieses in allen seinen Einzelteilen ebenso wie in deren Relation als ‚Werk-Ganzes‘ restlos erklären können soll. Insbesondere Hans-Georg Gadamer hat wegbereitende Impulse sowohl für eine philosophische Hermeneutik im Sinne einer Lehre vom Verstehen des Verstehens als auch für eine sehr progressive Hermeneutik als eine Theorie des Text-Verständnisses vorgelegt, die von der stetigen Verschiebung des Sinn-Horizontes eines Textes ausgeht, da die Leser an den gleichen Text verschiedene Erwartungshorizonte und Fragestellungen anlegen können (vgl. Gadamer 1975: insbesondere 162–360). Jedoch gibt es gerade in der deutschen Literaturwissenschaft auch Theorien, die Gattungstheorie12 und Hermeneutik zusammendenken. Diese Ansätze – wie sie oft mit Rekurs etwa auf Georg Friedrich Wilhelm Hegel und Peter Szondi verfolgten werden – zielen darauf ab, statt einzelner ‚Werke‘ ganze ‚Gattungen‘ zu interpretieren. Gleichsam in einer Hermeneutik der Gattungen sollen die Formprinzipien der Gattungen als Ausdruck

11 Für eine Unterscheidung dieses eher normativ angelegten Werk-Begriffs von dem Text-Begriff, wie er hier Verwendungen findet, siehe den einschlägigen Aufsatz von Roland Barthes (2006b). 12 Wie Dieter Lamping über die Begriffs-Geschichte in Deutschland resümiert, wurde der Begriff „Genre“ zwar seit den 1970er Jahren vorrangig durch französische und englischsprachige Genre-Theorien auch in der deutschen Gattungs-Theorie etwas populärer, jedoch sei 1997 das ernüchternde Fazit zu ziehen: „In der Gattungstheorie [der deutschen Literaturwissenschaft, d. Verf.] hat Genre sich gegenüber Gattung nicht durchsetzen können.“ (Lamping 1997/2007: 704 [Herv. i.O.]).

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einer historischen Konstellation gelesen werden.13 Ein solch forcierter Ansatz, der die Hermeneutik auf eine Benennung eines für Gattungen vorgeblich konstitutiven Sinns verkürzt, ist auch in der Genre-Theorie weit verbreitet. Obgleich die filmwissenschaftliche Genre-Theorie kleinere Einheiten als die literaturwissenschaftliche Gattungs-Theorie in den Blick nimmt,14 waren insbesondere strukturalistisch geprägte Genre-Studien um hermeneutische Interpretationen ganzer Genres bemüht, indem sie die von ihnen diagnostizierten Konventionen als eine bestimmte Kodierung begriffen, die für das Genre konstitutiv sei. Das wohl bekannteste Beispiel für diese strukturalistisch-hermeneutische GenreTheorie ist der Western, der nach binären Codes wie Wildnis/Zivilisation, Gesellschaft/Individuum etc. organisiert sei.15 Die bekannteste Opposition zu solchen strukturalistisch-hermeneutischen Interpretations-Modellen bilden poststrukturalistische Ansätze, die stattdessen die Singularität und konstitutive Polysemie von einzelnen Texten betonen. Aus textökonomischen Gründen kann und soll hier nicht erneut die post-strukturalistische Revision der Hermeneutik und des Strukturalismus referiert werden. Jedoch sei an zwei paradigmatische Vertreter erinnert, die für die filmwissenschaftliche Genre-Theorie und deren Diskussion der Text-Lektüre besonders bedeutsam wa13 Für einen aktuellen Beitrag, der im Anschluss an Hegel und Szondi diese hermeneutische Gattungs-Theorie wiederbeleben will, siehe: Kohns 2012. 14 Gattung sei hier nicht als Synonym von Genre zu verstehen, sondern im Anschluss an Knut Hickethier als Formprinzip, innerhalb dessen sich diverse Genres realisieren lassen, die ihrerseits wiederum multidimensional verhandelt werden – etwa über narrative Muster, Codes, Figurentypen, Gender-Konstellationen etc. Im Fall des Films wären beispielsweise Realfilm und Animationsfilm zwei Gattungen, die beide die gleichen Genres realisieren können – jedoch unter anderen Bedingungen und mit anderen gestalterischen Möglichkeiten. Ein Verständnis der Gattung als „Modus des Erzählens und Darstellens“ einerseits und der Genres als „historisch-pragmatisch entstandenen Produktgruppen“ andererseits ist jedoch lediglich in einem Modell der Interdependenz von Gattung und Genre zu denken (Hickethier 2007: 206 [Herv. d.O. getilgt]). 15 Jim Kitses hat 1969 eine Studie zum Western vorgelegt, in der er seiner strukturalistischen Definition des Film-Genres eine oft zitierte Gegenüberstellung der binären Oppositionen zugrunde gelegt hatte, die den genre-konstitutiven frontier-Code des Genres konstituierten und in jedem Western in unterschiedlichen Gewichtungen aktualisiert würden (vgl. Kitses 1969: 11). Siehe zu Kitses strukturalistischer Definition des Westerns durch binäre Kodierungen auch die ausführliche Kritik an Kitses GenreStudie und vor allem an deren Fortschreibung, die Steve Neale mit einem breit angelegten Blick auf die Geschichte der Genre-Studien zum Western erbracht hat (vgl. Neale 2000: 134-142).

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ren: Jacques Derrida und Roland Barthes. Im ersten Kapitel dieses theoretischen Blocks wurde bereits Jacques Derridas Logik der Spur erläutert, die davon ausgeht, dass sich der Sinn nicht fixieren lässt, sondern sich stetig verschiebt (vgl. Derrida 1983: 77-114). Auch Roland Barthes vertritt in den Publikationen seiner poststrukturalistischen Phase16 diesen Ansatz und formuliert einige der radikalsten Thesen des Poststrukturalismus über die Lektüre von Texten. In Schriften wie S/Z (1987), Die Lust am Text (1974) oder in seinem Aufsatz Der Tod des Autors (2006a), dessen Titel zur catch-phrase avancierte, argumentiert Barthes, dass es den Text und einen einzigen in ihm angelegten Sinn mithin nicht gibt. Für Barthes realisiert sich der Text erst in der Lektüre; die Sinn-Zuschreibungen an den Text sind Effekte der jeweiligen variablen Codes und Intertexte, die der Leser an den Text anlegt. Die teilweise polemisch ausfallenden Ansätze von beiden Theoretikern müssen in ihrem historischen Kontext perspektiviert werden. Denn wogegen sie anschreiben, ist eine Hermeneutik, die oft noch um das ‚richtige‘ Verständnis der ‚Werke‘ bemüht war. Ihre Schriften sind Irritationen und Herausforderungen dieser konservativen hermeneutischen Praxis. Jedoch wurden ihre Impulse für die Text- und Lektüretheorie oft unreflektiert aufgegriffen und schienen einem anything goes der Lektüre von Texten und Genres Tür und Tor zu öffnen. Pointiert und zugleich ebenso polemisch hat Torben Grodal auf solche Ansätze, die die Sinn-Zuschreibung ganz dem Leser überlassen, wie folgt geantwortet: „But even though this is true, films are not usually Rorschach tests designed to purely elicit free-floating associations.“ (Grodal 2009: 45) Grodal hebt in seiner Polemik darauf ab, dass die Lektüre keine willkürliche Operation der Zuschreibung eines vollends beliebigen Sinns an einen Text ist, sondern Sinn zwischen Text und Leser ausgehandelt wird. Ebenso wie der Leser jedoch seine Vorkenntnisse und Lektüre-Strategien bei der Lektüre mitbringt, so trägt auch ein Text sein Material mit sich, zu dem beispielsweise historisch und kulturell 16 Bei Roland Barthes muss zwischen den frühen strukturalistischen Schriften wie Mythen des Alltags und Elemente der Semiologie und den poststrukturalistischen Schriften unterschieden werden (vgl. Barthes 1983; Barthes 1964). In einigen frühen Arbeiten wie dem Aufsatz über Fotographie Die Rhetorik des Bildes aus dem Jahr 1964 zeichnet sich diese Entwicklung des Poststrukturalismus aus der Kritik am Strukturalismus bereits ab: Barthes entwirft in seinem Aufsatz zunächst über viele Seiten hinweg ein Modell zur Analyse der ‚Bild-Sprache‘ im Anschluss an die strukturalistische Linguistik, problematisiert jedoch auf den letzten Seiten das gesamte Modell (vgl. Barthes 1990), wobei bereits Überlegungen zum punctum anklingen, die er in seinem poststrukturalistischen Essay über Fotographie, Die helle Kammer, ausführte (vgl. Barthes 1989).

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spezifische Erzähl-Strategien, Konventionen und Codes gezählt werden können. Vereinfacht gesagt: Ein Rezipient, der den Vietnam-Film THE GREEN BERETS (USA 1968, R: Ray Kellogg/John Wayne/Mervyn LeRoy) von und mit John Wayne sieht, kann zwar behaupten, dass er den Film als einen Film über den Irak-Krieg versteht, jedoch ist diese Lesart insofern schief, als der Film von 1968 unmöglich auf den späteren Irak-Krieg Bezug nehmen kann. Das schließt jedoch nicht aus, dass ein Rezipient die historischen Kodierungen und Verhandlungen des Vietnam-Kriegs bewusst ignoriert oder sie im Kontext der Diskurse über den Irak-Krieg als eine historisch verschobene Verhandlung bzw. als eine Projektionsfläche für eine Verhandlung dieser Diskurse lesen könnte. Wie diese Formulierung bereits andeutet, wird hier für vermittelnde Modelle zwischen den extremen Polen der Festlegung eines einzelnen Sinns eines ‚Werkes‘ einerseits und der willkürlichen Lektüre von Texten andererseits plädiert. Entsprechende Positionen, die hier für die Genre-Theorie fruchtbar gemacht werden sollen, wurden beispielsweise von der Rezeptionsästhetik, den britischen Cultural Studies und dem New Historicism vorgestellt. Obwohl diese drei Schulen historisch, disziplinär und natürlich auch kulturell unterschiedlich zu verorten sind, teilen sie einige Schnittpunkte in der Analyse der Rezeption von Texten einerseits und der Historizität von Texten andererseits, die für das Ausloten der Potenziale und Aporien einer Genre-Hermeneutik produktiv sind. Aus dem großen Theorie-Schatz der drei Schulen, der hier nicht in seiner Gänze referiert werden soll, seien daher im Folgenden lediglich solche Modelle in ihren Grundzügen in Erinnerung gerufen, die für die Diskussion der Dekodierung von Genres und von Genre-Filmen relevant sind, um daraus im nachstehenden Unterkapitel ein gezielt genre-theoretisch perspektiviertes Modell der Genre-Hermeneutik abzuleiten. Wie der Poststrukturalismus so verschieben auch die Text-Theorien, die unter dem Begriff der Rezeptionsästhetik oder der Konstanzer Schule firmieren, den Schwerpunkt des Text-Verständnisses weg vom ‚Werk‘ und seinem Autor und stärken stattdessen die Funktion des Lesers und insbesondere den Akt des Lesens. Ähnlich wie etwa Roland Barthes argumentiert so auch Wolfgang Iser, einer der führenden Theoretiker der Rezeptionsästhetik, dass der Text virtuell sei, bis er sich im Akt des Lesens realisiere und ein Sinn zwischen Leser und Text ausgehandelt werde (vgl. Iser 1994: insbesondere 259-263).17 Im Zuge die17 In seinem Vortrag Der Lesevorgang argumentiert Wolfgang Iser dafür, dass sich ein Lektüre-Prozess prinzipiell nicht exakt wiederholen lässt, sondern jede Lektüre mit dem Text in einen neuen Aushandlungsprozess um den Sinn eintritt. Da der Text nicht vorgibt, wie seine Leerstellen gefüllt werden müssen, sondern dies dem Leser und seinen Dispositionen überlässt, offeriert der Text stets mehr potenzielle Lesarten, als

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ses Lese-Vorgangs, dessen Prozessualität es zu betonen gilt, ist zwar der Sinn eines Textes prinzipiell offen und nicht fixiert, aber der Text kann durch poetische Strategien seinerseits die Lektüre lenken.18 Die Aushandlung des Sinns im Lesen bzw. die Lektüre des Textes ist durch den Text sowohl durch ‚Bestimmtheiten‘ (wie historische Codes und Schemata/Muster) als auch durch ‚Unbestimmtheiten‘ (wie Leerstellen) mitbestimmt. Leerstellen bezeichnen dabei alle Arten von unbestimmten Textstellen und können sowohl in Form von Ellipsen (Auslassungen) als auch in Form von ungeklärten Bezügen zwischen einzelnen Textkomponenten oder Textstrukturen auftreten. Da sich Leerstellen nie ganz eliminieren lassen – ruft doch jede Füllung einer Leerstelle weitere Leerstellen hervor – eröffnen sie einen Lektüre-Spielraum für den Leser. Dieser Spielraum ist aber dezidiert nicht im Sinne einer Willkür der Lektüre zu verstehen, sondern als Varianz-Bereich der Lektüre. Obwohl ein Text nie einen einzigen ‚wahren‘ Sinn oktroyiert, kann er ebenso wenig beliebig gelesen werden, da der Sinn eines jeden Textes im Dialog mit dem Leser ausgehandelt wird, bei dem auch der Text Vorgaben macht (vgl. Iser 1970: insbesondere 5-9). Eine ähnliche Argumentation des Varianz-Bereichs kann auch bei den britischen Cultural Studies ausgemacht werden. Stuart Halls Modell des encoding/decoding wurde in vorherigen Kapiteln bereits angeführt und wird deshalb hier gezielt mit Blick auf seine Ausführungen zu Lesarten erneut aufgegriffen (vgl. Hall 1999a: insbesondere 97f, 103f, 109f): Da die Kontexte der Produzenten und der Rezipienten, mit denen sie Medieninhalte en- bzw. dekodieren, selten symmetrisch sind, resultieren aus den verschiein der Lektüre realisiert werden. Iser schlussfolgert pointiert: „Folglich überschießt das Potential des Textes jede im Lesen erfolgende Realisierung.“ (259) Gerade in diesem Vortrag über den Prozess des Lesens als Aushandlungsprozess des Sinns wird deutlich, dass Iser allein die Literatur behandelt. In seinen Ausführungen über die Imagination des Lesers postuliert er anhand von Literaturverfilmungen, dass in der Filmrezeption jede Imagination und aktive Lektüre ausgeschlossen seien. Seine Ausführungen über den ‚Bilderfluß‘ dienen jedoch offenkundig einer Stärkung seiner literaturwissenschaftlichen Argumentation und referieren auf den Film stets nur in Abgrenzung zur Literatur. Diese Agenda verstellt leider den Transfer des Modells auf Texte in anderen Medien, wie einen Film oder eine Fernsehsendung, die ebenfalls erst gelesen bzw. dekodiert werden müssen. 18 Eines der kanonisierten Beispiele für die Lenkung der Lektüre durch Textstrategien stellt Stanley Fishs Analyse des Lesevorgangs von John Miltons Paradise Lost dar. Fish zeigt in seiner Analyse, wie Miltons Text den Leser durch verschiedene moralische Positionen leitet, um ihn durch den Leseprozess in seiner moralischen Einstellung anzuleiten (vgl. Fish 2004: 195-216).

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denen Kontexten verschiedene Lesarten. Hall geht jedoch davon aus, dass es in einer Gesellschaft stets eine „dominante kulturelle Ordnung“ (ebd.: 103 [Herv. d.O. getilgt]) gibt. Gemeinschaften können hegemoniale Wissensregime ausbauen, auf deren Basis Medien-Inhalte en- und dekodiert werden. In Relation zu dieser hegemonialen Kultur bestimmt Hall – eher grobgliedrig – drei Typen von Lesarten: die dominant-hegemoniale Lesart, die oppositionelle Lesart und die ausgehandelte Lesart. Während die dominant-hegemoniale Lesart die Inhalte des Diskurses, die nach der dominanten kulturellen Ordnung kodiert sind, affirmativ dekodiert, liest die oppositionelle Lesart die Inhalte des Diskurses kritisch gegen den Strich. Diese beiden Lesarten stellen gleichsam Extreme dar, weshalb die meisten Rezipienten, wie Hall einräumt, mit einer ausgehandelten Lesart die Inhalte des Diskurses dekodieren. Diese Leser kennen die beiden extremen Lesarten und handeln ihre Lektüre zwischen den beiden Polen aus. Als Beispiel führt Hall eine Fernsehnachricht an, in der ein liberaler Politiker appelliert, dass die Bürger aufgrund einer wirtschaftlichen Krise Lohnkürzungen hinnehmen müssten, um das Wirtschaftssystem und ihre Arbeitsplätze zu sichern. Eine affirmative Lesart würde dieser Logik als notwendigem Übel zustimmen. Ein Mitglied einer Gewerkschaft würde hingegen dieselbe Nachricht gegen den Strich lesen: als Propaganda zur Benachteiligung und Schwächung der Arbeiter und Angestellten nach der Misswirtschaft von Wirtschaftsbossen und Politikern. Eine ausgehandelte Lesart mag sowohl die Logik des ‚Jeder muss den Gürtel enger schnallen‘ als auch die Kritik der Opposition verstehen, aber Sonderregelungen und Relativierungen aufgrund eigener Interessen und Vorkenntnisse in Betracht ziehen. Wie man an diesem Beispiel sieht, schreibt der Leser in Halls Modell dem Text nicht irgendeinen individuellen, willkürlichen Sinn zu, sondern alle Leser einer Gemeinschaft verstehen aufgrund der hegemonialen Kultur prinzipiell denselben hegemonialen Sinn, um den herum jedoch ein Varianzraum der Auslegung bzw. der Lesarten besteht. Obwohl Stuart Hall also mit den beiden Axiomen der konstitutiven Polysemie von Texten einerseits und eines weiten Textbegriffes andererseits operiert, ist erneut zu betonen, dass er die Willkür der Polysemie dezidiert einschränkt. Die verschiedenen Lesarten führt Hall mithin nicht auf Individualität zurück – dann wäre es überflüssig, Texte und Lesarten zu untersuchen, und die Cultural Studies büßten jedes kritische Potenzial der Medien- und Textanalyse ein –, sondern auf Kontexte wie soziales Milieu, Alter, Kultur, Geschlecht, Geschichte, Schulbildung etc. Lesarten sind mitnichten willkürlich und individuell, sondern die individuellen Lesarten liegen in einem Varianz-Bereich von kontext-abhän-

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gigen dominanten Lesarten.19 Neben die „dominante kulturelle Ordnung“ tritt bei Hall ein zweiter Faktor: Die Interdependenz von En- und Dekodierung, wie Hall durchaus analog zu den oben angeführten Modellen der Rezeptionsästhetik zur Lektüre darlegt, „bewirkt der Kodierungsvorgang, daß einige der Grenzen und Parameter, in deren Rahmen die Dekodierung abläuft, bereits (vor-)strukturiert werden.“ (Ebd.: 106) Wie in vorangegangenen Kapiteln bereits gezeigt wurde, ist es für die Analyse von Filmen und Genres sinnvoll, Stuart Halls Modell auf Seiten der Enkodierung der Texte um die Ansätze des New Historicism zu erweitern. Denn auch der New-Historicism operiert wie der Poststrukturalismus und die Cultural Studies mit einem weiten Text-Begriff.20 Eines der zentralen Axiome des New Historicism, auch dies wurde bereits ausgeführt, besagt, dass alle Texte mit Diskursen ihrer Zeit und ihrer Kultur in Verhandlung stehen. Diese Verhandlung ist weniger intentional, als dass sich die Diskurse der Zeit in die Texte einschreiben. Ihrerseits ‚machen‘ die Texte jedoch etwas mit den Diskursen, sie dramatisieren sie und setzen sie dadurch beispielsweise in Relationen und Kontexte (vgl. Greenblatt 1990: 66-91). Die Verzahnung dieser drei Positionen erlaubt eine erneute Fokussierung der Diskussion der Genre-Hermeneutik und von Genre-Allegorien wie IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA (1977).

19 Auch das geradezu aberwitzige Beispiel, das John Fiske für die Polysemie von Texten vorbringt, unterstreicht diese Abgrenzung der Polysemie von der individuellen Willkür: Fiske bezieht sich auf die Studie Children and Television von Bob Hodge und David Tripp, laut der australische Schulkinder sich mit den Protagonistinnen einer amerikanischen Fernsehserie des Frauen-Gefängnis-Genres identifizierten, da sie in dem Leben der Frauen im Gefängnis Analogien zu ihrer Wahrnehmung des Schulalltags sahen. Auch in diesem Beispiel teilt eine Gruppe von Rezipienten – hier: Schulkinder – eine Lesart aufgrund eines gemeinsamen Kontextes – hier: Schulalltag (vgl. Fiske 2001: 67-69). 20 Stephen Greenblatt und Catherine Gallagher haben sich in der Einleitung ihrer gemeinsamen Monographie Practicing New Historicism, in der sie das Programm des New Historicism resümieren, explizit vom Poststrukturalismus und der Dekonstruktion abgegrenzt. Ihrer Meinung nach sei die Dekonstruktion auf literarische Texte begrenzt, während der Textbegriff des New Historicism weit darüber hinausgehe (vgl. Gallagher/Greenblatt 2000: 14). Diese Abgrenzung ist jedoch hochgradig problematisch, da die Dekonstruktion keinesfalls auf literarische Texte begrenzt ist, sondern als Methode an jedem beliebigen Text praktiziert werden kann.

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5.3 G ENRE -H ERMENEUTIK Überträgt man die oben angeführten Positionen auf die Fragestellungen einer Genre-Hermeneutik, so kann zunächst über die Enkodierungen das Folgende geschlussfolgert werden: Populärkulturelle Texte sind prinzipiell heterogene und polyphone Texte, die diverse Spuren zeitspezifischer Themen aufweisen. Einem Genre und einem Genre-Film kann nie nur ein einziger fixierter Sinn zugeschrieben werden, aber auch nicht jeder beliebige Sinn. Genres sind durchzogen von verschiedenen historisch und kulturell spezifischen Codes ihrer Produktionszeit. Manche Codes werden verstärkt in einem Zyklus verhandelt, andere durchziehen das Genre recht gleichmäßig und wieder andere Codes werden verstreut in einzelnen Filmen fokussiert. Um für jeden dieser drei Fälle der Verhandlungen ein Beispiel zu nennen: Der monetär motivierte Mörder in der Krimi-Formel, der in den 60er Jahren die Gialli bestimmte, offeriert eine Lesart als Kapitalismus-Kritik, die das Genre mit vielen Italowestern der Zeit teilt.21 Die traumatisierten Serienmörder mit gender trouble in der Psycho-Formel, die in den 70er Jahren die meisten Gialli iterieren, erlauben diese Lesart hingegen nicht, sondern eröffnen eher eine Lesart als Verhandlung des Feminismus der Zeit. Dabei operieren die Filme in einigen genretypischen Sequenzen (set-pieces) wie beispielsweise den Mord-Sequenzen (murder set-pieces) oder den Sexszenen mit denselben misogynen Gewaltinszenierungen wie die Gialli der 60er Jahre. Diese Verhandlungen von Gender-Konzepten durchziehen also alle Gialli, werden aber in den 70er Jahren zu Verhandlungen des Feminismus verdichtet. Das Motiv des unheimlich konnotierten Telefons ist hingegen nur in einigen Gialli verstreut zu finden. Über das Telefon melden sich mysteriöse Stimmen, es erfolgen Erpressungen und Drohungen, in einigen Filmen werden die Telefonierenden gar unmittelbar nach dem Telefonat ermordet. Dieses narrative Muster findet sich in Gialli wie I TRE VOLTI DELLA PAURA: IL TELEFONO (1963) oder DELIRIO CALDO (1972). In PROFONDO ROSSO (1975) ist es besonders ausgeprägt, da der Protagonist an der Kommunikation per Telefon scheitert. Durch sein Schei-

21 Die Italowestern wurden bereits zur Zeit ihrer Kino-Auswertung in der BRD als allegorische Kapitalismus-Kritik gelesen, wie die Analysen des Genres von HansChristoph Blumenberg aus dem Jahr 1969 und von Wolf Lepenies aus dem Jahr 1970 zeigen (vgl. Blumenberg 1999: 11f; Lepenies 1972: 15-38). Auch Christopher Frayling widmet in seiner einflussreichen Studie zum Genre ein ganzes Kapitel den politischen Verhandlungen des Genres (vgl. Frayling 1998: 217-244). Eine aktuelle Studie zu diesem Thema hat Austin Fisher vorgelegt (vgl. Fisher 2011: insbesondere 43-74).

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tern kann er seine Helfer nicht vor dem Mörder warnen, der ihnen bereits auflauert und sie ermorden will. Dieses Motiv ist häufig genug, dass es in Anlehnung an den italienischen Genre-Namen telefono bianco22 als telefono rosso bezeichnet wurde (vgl. Newman 1988: 107; Hunt 2000: 331); es ist jedoch selten so zentral in der Narration verankert und so eng mit anderen Konventionen wie beispielsweise den Morden verwoben, wie es andere Iterations-Muster wie etwa das Trauma oder die Gender-Konstellationen sind. Zu jedem dieser Beispiele lässt sich wiederum auch ein Giallo finden, der den Code explizit macht: In LA MORTE HA FATTO L’UOVO (1967) werden die Morde als Effekte der Entfremdung des Menschen in einer vollautomatisierten Fabrik und der mechanischen Arbeit in Szene gesetzt. In LA RAGAZZA DAL PIGIAMA GIALLO (1977) wird der feministische Code ausbuchstabiert, da der Mord an einer jungen Frau explizit als männliche Bestrafung ihrer EmanzipationsAnstrengungen inszeniert wird. In E TANTA PAURA (1976) wird das unheimliche Telefon, das eine anonyme Kommunikation sowie die Loslösung der Stimme vom Körper erlaubt, als ein tödliches Kommunikations-Medium ins Zentrum der Handlung gerückt, das die Konstitution eines sozialen Netzes von fremd gelenkten Mördern erlaubt.

22 Die Gruppen-Bezeichnung telefono bianco (weißes Telefon) geht darauf zurück, dass in den Komödien und Melodramen der 30er Jahre oft weiße Telefone als ein Statussymbol in Szene gesetzt worden seien. Ohne weitere Ausführungen beschränken sich die meisten Studien zum italienischen Film auf diese kurze Erläuterung des telefono bianco, wie sie hier wiedergegeben wurde (vgl. Bordwell/Thompson 2000: 8; dalle Vacche 1992: 239). Nimmt man einige der Filme – wie GLI UOMINI, CHE MASCALZONI... (I

1932, R: Mario Camerini) oder LA SIGNORA DI TUTTI (I 1934, R: Max Ophüls)

–, die in der Fachliteratur als ‚Klassiker‘ des telefono bianco bezeichnet werden, unter die Lupe, so wird man schnell feststellen, dass schwarze Telefone weitaus öfter als weiße vorkommen. Dennoch kommt den Telefonen in den Filmen eine bedeutende Funktion zu, da sie für die sozialen Effekte der Moderne stehen, beschleunigen sie doch die Kommunikation und verdichten den sozialen Raum der Stadt. Daher kommt das Telefon womöglich auch als Verhandlungsfigur der sozialen Veränderungen und Konflikte in den Gialli der 60er und 70er Jahre als telefono rosso wiederholt vor. Bezeichnenderweise hieß die finale Episode von Mario Bavas I TRE VOLTI DELLA PAURA (I/F 1963) „il telefono“. Bei der Episode handelt es sich um ein Kriminalkammerspiel, das an einem einzigen Ort in einer einzigen Nacht spielt und dessen Intrigen über Eifersucht und sexuelle Obsessionen allein durch das Telefon ermöglicht werden. Die Episode wird in vielen Genre-Studien zum Giallo zusammen mit Bavas LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO

(1963) als ‚Proto-Giallo‘ aufgefasst.

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Aus diesen Beispielen lässt sich bereits ersehen, dass die Konventionen eines bestimmten Genres in ihrem historischen Kontext als Verhandlungen gelesen werden können. Diese schließen gleichsam an ein Set von Themen und Codes an. Aber nicht alle Themen und Codes einer Zeit gehören zu diesem Set. Befragt man die Gialli der 70er Jahre beispielsweise hinsichtlich der Mafia oder hinsichtlich der Debatte über Faschismus, so wird man keine isolierten Verhandlungsfiguren im Genre finden. Hingegen wird man beim italienischen Mafia-Film und beim poliziesco (dem italienischen Polizei-Film) schnell fündig. Und so verwundert es wenig, dass diese Themen und die konventionellen Muster ihrer Inszenierung in Genre-Hybriden wie LA POLIZIA CHIEDE AIUTO (1974), …A TUTTE LE AUTO DELLA POLIZIA (1975) oder MORTE SOSPETTA DI UNA MINORENNE (1975) vorkommen, die einige Konventionen des poliziesco mit denen des Giallos kombinieren. Dass diese spezifischen Themen und konventionellen Inszenierungen bzw. Verhandlungsfiguren jedoch nur in diesen Hybriden aktualisiert werden, verdeutlicht, dass sie erst durch die Hybridität aufgerufen werden und nicht zu dem Set der für das Genre Giallo typischen Verhandlungsfiguren gehören, wohl aber zu den konventionellen Themen des zweiten hybridisierten Genres, des poliziesco.23 Aus diesem Vergleich von Genres und Genre-Hybriden lässt sich schlussfolgern: Das Set der Verhandlungen in einem Genre ist mithin zwar facettenreich, aber nicht unendlich oder willkürlich. Zugleich werden die historischen Verhandlungsfiguren flankiert von einem anderen Typ, der als Phänomen zwar ahistorisch ist, dessen Konzepte jedoch jeweils spezifisch aktualisiert werden. Gemeint sind mit dieser zweiten Klasse beispielsweise Gender-Konzepte, die in jedem Film prozessiert werden. Eine Zuspitzung dieser Differenzierung legt den wichtigen Unterschied zwischen diesen beiden Klassen der Verhandlungen offen: Jeder Film kann auf seine GenderKonzepte hin gelesen werden, und auch feministischen Positionen kann in jedem Film nachgespürt werden. Aber nicht jeder Film verhandelt die Diskurse der 70er Jahre zum Feminismus und die spezifischen, damit einhergehenden Gender-Konzepte. Historisch spezifische Kodierungen in historisch spezifischen Konventionen und Codes sind von denjenigen Verhandlungen zu unterscheiden, die in jedem Film prozessiert werden. Die verschiedenen Kodierungen sind dabei jeweils in ihrem Arrangement zu analysieren, wie sie in einzelnen Filmen aber auch in iterativen Mustern angeordnet sein können. Einzelne Codes können in den Genre-Filmen verdichtet oder verstärkt in Szene gesetzt werden, um diese Codes in dem Set der historischen 23 In diesen Hybriden müssen dann jedoch auch die Verhältnisse der verschiedenen genre-typischen Verhandlungsfiguren analysiert werden, die aus der Genre-Hybridität in den jeweiligen Filmen hervorgehen.

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Verhandlungen des Genres zu exponieren. Denn jeder einzelne Film aktualisiert dieses Set, kann einzelne Verhandlungsfiguren ebenso fort- wie umschreiben. Jedoch stabilisiert die Iteration eines Musters über mehrere Filme hinweg gewisse Verhandlungsfiguren in ihrer Kopplung an das Iterations-Muster bzw. die Genre-Konventionen. Dass gewisse Verhandlungsfiguren genre-typisch erscheinen, ist also kein essentialistischer Schluss aufgrund der Konventionen selbst, sondern gleichsam eine Abstraktion der geringen Varianz der Aktualisierungen in Interdependenz zur relativen Stabilität ihrer Kodierungen in mehreren Filmen des Genres oder in einem bestimmten Zyklus. Die Genre-Konventionen können aber auch so arrangiert werden, dass sie sich für verschiedene Allegorien anbieten. So hat Antonio Bido, der Regisseur von IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA (1977), in einem Interview berichtet, dass er eigentlich, dies wurde bereits früher erwähnt, einen Film über die Vergangenheitsbewältigung in Italien machen wollte.24 Die einzigen Geldgeber, die er für das Projekt fand, verlangten jedoch, dass er seine Geschichte als Giallo inszenieren musste, damit man den Film kommerziell vertreiben konnte. Wie eingangs gezeigt wurde, hat Bido dafür lediglich diverse Konventionen des Giallos auf den Fluchtpunkt der Holocaust-Verhandlung hin angeordnet. Daraus entstand ein so konventioneller und kohärenter Giallo, dass der Film gerne-hermeneutisch dahingehend gelesen werden konnte, dass das Thema des Films das latente, strukturell privilegierte Thema des Genres selbst sei. Im Fall des Westerns hat André Bazin analog von „Über-Western“ gesprochen, die die Konventionen des US-Westerns als Folie für politische Allegorien nutzten (vgl. Bazin 2004: 267278). Obgleich die Historisierung, die Bazin vornimmt, problematisch ist, zeigt sein Beispiel – ungeachtet der evolutionistischen Genre-Geschichte –, dass Genre-Konventionen als Erzählmatrize für Allegorien fungieren können. Eine Themen-Fixierung im allegorischen Genre-Film geht jedoch stets mit Friktionen und Umschriften der Genre-Konventionen sowie der Exklusion von Codes einher. In IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA wurde beispielsweise das Thema Feminismus durch die exponierte Stellung der Holocaust-Verhandlung verdrängt: Der Film spielt weder mit genre-typischen Motiven des gender trouble des Mörders, wie beispielsweise Impotenz oder cross-dressing, noch handelt es sich bei seinen Opfern um den Stereotyp der attraktiven, jungen Frau. Die Morde selbst sind zwar extrem brutal, aber entbehren der sexuellen Aufladung, die für das Genre konventionell sind. Insgesamt sind die Kodierungen von Sexualität und Gender, die in den anderen Gialli der Zeit in Bezug auf den Feminis24 Dieses Interview kann auf der britischen DVD des Films eingesehen werden: WATCH ME WHEN I KILL: Shameless Screen Entertainment: Shameless Fan Edition, UK 2009.

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mus gelesen werden können, in diesem Film umgeschrieben oder ausgelassen, um nicht mit der Verdichtung der Holocaust-Verhandlung zu einer GenreAllegorie zu konfligieren.25 Dieses Beispiel fundiert das Postulat, dass es keine ahistorischen privilegierten oder gar genre-konstitutiven Themen und Codes gibt. Die Kodierung einzelner Konventionen und bestimmter Anordnungen von Konventionen ist nur in Interdependenz mit ihrem historischen Kontext zu betrachten. Wenn jedoch Genres prinzipiell keine einzelne Lesart privilegieren, so muss danach gefragt werden, wie sich bestimmte Lesarten als hegemoniale Lesarten ausbilden und durchsetzen, die als vermeintlich für das Genre konstitutive Kodierungen naturalisiert werden. Die Antwort auf diese Frage ist wiederum Stuart Halls Modell des sinntragenden Diskurses zu entnehmen: Auf der Seite der Produktion bilden sich spezifische Enkodierungs-Reglements aus – aber auch auf der Seite der Dekodierung bilden sich spezifische Lektüre-Reglements aus, die ihrerseits stetig aktualisiert werden.

5.4 G ENRE -H ERMENEUTIK

UND

L EKTÜRE -R EGLEMENTS

Nimmt man die Diskursivierung der vorgeblichen Genre-Allegorie IL GATTO in den Blick, so wird man nach einer Auseinandersetzung mit ihrer allegorisch erzählten Genre-Hermeneutik und den Umschriften der Genre-Konventionen vergeblich suchen. Abgesehen von Mikel J. Kovens Lesart, der dem genre-hermeneutischen Programm des Films auf den Leim geht und dessen Allegorie zur Enunziation des konstitutiven Sinns des ganzen Genres erhebt (vgl. Koven 2006: 109), wird die Verhandlung des Holocaust weder auf den Covern der DVDs noch in Rezensionen näher erörtert. Die Werbetexte der DVD-Veröffentlichungen des Films stellen stattdessen heraus, inwiefern der

DAGLI OCCHI DI GIADA (1977)

25 Dies gilt aber auch für die anderen oben ausgeführten Fallbeispiele: LA MORTE HA FATTO L’UOVO

(1967) verzichtet vollends darauf, seine Erzählung durch Mord-

Ermittlungen zu strukturieren, um stattdessen in einer auf die Figuren zentrierten Erzählung die Morde als Effekte der Entfremdung des Menschen in der Moderne zu zeigen. In LA RAGAZZA DAL PIGIAMA GIALLO (1977) gilt es keine Mord-Serie, sondern lediglich einen Mord aufzuklären, da so die Erzählung auf die Rekonstruktion der Biographie einer Frau fokussiert werden kann. Auch E TANTA PAURA verzichtet auf die Konvention eines einzigen Mörders und ersetzt zudem die konventionellen Muster der Motivation der Mörder, da die Mörder im Film sich weder bereichern wollten, noch traumatisiert sind, sondern zur Verübung der Morde erpresst wurden.

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Film ein typischer Giallo sei und den ‚Klassikern‘ von Dario Argento besonders nahe stehe.26 In den Rezensionen des Films in der deutsch- ebenso wie in der englischsprachigen Giallo-Filmographie wird zwar jeweils erwähnt, dass die Ermittlungen über die Morde eine Spur zur „Kollaboration mit dem Feind zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges“27 (Corso 2007: 94) bzw. zu „Nazi collaborators“28 (Luther-Smith 1999: 21) verfolgen. Nach dieser eher beiläufigen Erwähnung in den Inhaltsangaben, die auf die brutalen Morde abheben, thematisieren jedoch auch diese Texte nicht die Kodierung der Genre-Konventionen und ihres spezifischen Arrangements als forcierte Allegorie, sondern eruieren ebenso wie die DVD-Cover die möglichen Bezüge des Films zum Giallo und insbesondere zu Dario Argentos Giallo-‚Klassikern‘. In Anbetracht dieses Befundes kann man verwundert fragen, wie es kommt, dass mit Ausnahme von Mikel J. Kovens Lektüre des Films keine der anderen Diskursivierungen darauf eingeht, dass der Film zwar diverse Genre-Konventionen in Szene setzt, sie dabei jedoch durch den Fluchtpunkt der Holocaust-Verhandlung arrangiert. Haben die Autoren den Film ‚falsch‘ oder ‚unvollständig‘ gelesen? Die Antwort lautet natürlich: nein. Die Rezensenten, die im Gegensatz zu Mikel J. Koven die genre-hermeneutische Lesart des Films nicht sahen oder zumindest nicht erwähnten, operieren in einem Diskurs, dessen Lektüre-Reglement nicht auf eine Deutung von Genre-Konventionen abzielt. Stattdessen erzielt das Reglement die eindeutige Genre-Klassifikation, die Verortung in der Genre-Geschichte und die Relation zu Genre-Klassikern. Dieser Diskurs fokussiert zudem insbesondere die spektakulären Sex- und Gewalt26 Vom Cover der deutschen DVD wurde bereits im vorherigen Kapitel zitiert; ähnlich wird der Film auf dem Cover der britischen DVD beworben: „[…] director Anthony [sic!] Bido […] pulls off a brilliant homage to early giallos of Dario Argento with this razor-sharp thriller […] Bido weaves a web of one nod and a wink after another to any fan of Argento’s most baroque thrillers with skilful [sic!] murder set-pieces of his own and a soundtrack that could easily have been performed by Goblin [der Rock-Band, die einige von Argentos berühmtesten Gialli wie beispielsweise PROFONDO ROSSO (1975) vertonte, d. Verf.]. Intricate, suspenseful and satisfying, Bido applies his own visceral vision of the art of giallo film-making and pulls off a stunning bloodied gem.“ (WATCH ME WHEN I KILL: Shameless Screen Entertainment: Shameless Fan Edition, UK 2009). 27 Um welchen „Feind“ es sich dabei handeln soll, lässt die Inhaltsangabe offen. Im Film selbst wird hingegen ein naives Feind-Bild vermieden, um die Verhandlung des Holocaust nicht zu trivialisieren. 28 Auch in diesem Fall sei jedoch angemerkt, dass der Film nicht den Nationalsozialismus ins Zentrum seiner Holocaust-Verhandlung rückt, sondern die Denunzianten.

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Darstellungen. In diesem Lektüre-Reglement ist eine Genre-Hermeneutik keine regelhafte Lektüre-Strategie. Wenn man in diesem Sinne jedoch Lektüre-Reglements als spezifische Sets an unterschiedlichen Faktoren wie beispielsweise Denkfiguren, Rhetoriken, Lektüre-Strategien und Lektüre-Ansätzen (auch: Genre-Konzepte und Genre-Geschichten) versteht, so stellt sich die viel brisantere Frage nach dem Verhältnis von Lektüre-Reglements und individueller Lektüre. Ansätze zu einer Antwort wurden von verschiedenen theoretischen Seiten geboten: Beispielsweise hat Michel de Certeau eingewandt, dass bestimmte Lese-Praktiken und Lektüre-Strategien in einer Kultur hegemonial sind, indem sie in Institutionen wie etwa der Schule eingeübt werden (vgl. de Certeau 1988: 293-311). Das Lernen der Sprache hat auch Friedrich Kittler kritisch in den Blick genommen. In seiner kontroversen Habilitationsschrift hat er beispielhaft nachgezeichnet, dass bereits das Lernen der Sprache und das Lesen-Lernen um 1800 durch bestimmte Praktiken und Strategien ein spezifisches Verständnis von Sprache und Schrift nicht nur hervorbringt, sondern auch naturalisiert.29 Diese Durchdringung von Macht und Diskurs steht auch im Zentrum der diskurstheoretischen Arbeiten von Michel Foucault, auf die Kittler teilweise bereits zurückgreift. Wie Foucault ausführt, bilden sich in Diskursen verschiedene Reglements aus, die jedoch stetig neu verhandelt werden. Durch das Konzept der Regelhaftigkeit betont Foucault, dass sich in Diskursen gewisse Lesarten als Norm her29 Beispielsweise hat Friedrich Kittler diskursanalytisch gezeigt, dass Kinder durch die von Müttern praktizierte Lautier-Methode – die jedoch, wie man gegen Kittler einwenden muss, nicht die einzige Methode und Praktik des Spracherwerbs um 1800 war – Codes wie die Gleichsetzung der Frau mit einem Konzept von ‚Mutter‘ und ‚Natur‘, aber auch etwa die Identität von Signifikant und Signifikat erlernten (Vgl. Kittler 2003: 35-152). Auch Félix Guattari – um lediglich ein weiteres Beispiel für die Kritik an der Naturalisierung einer Wissensordnung durch Diskurse und Institutionen anzuführen – hat in einer Kritik an der Psychoanalyse argumentiert, dass gesellschaftliche Institutionen durch ihre Diskurse und Praktiken erst die psychischen Strukturen hervorbringen, die die Psychoanalyse als natürliche Organisation der Psyche annimmt: „‚Das Unbewußte ist strukturiert wie eine Sprache.‘ Klar! Aber wodurch? Durch die Familie, durch die Schule, durch die Kaserne, durch die Fabrik, durch das Kino und, in besonderen Fällen, durch Psychiatrie und Psychoanalyse. Wenn man es beim Kragen gepackt hat, wenn es gelungen ist, die Polyvozität seiner semiotischen Ausdrucksweisen niederzuwalzen, wenn man es an einen bestimmten Typ von semiologischer Maschine angekettet hat, ja, dann ist es zu guter Letzt wie eine Sprache strukturiert! Es verhält sich schön ruhig. Es fängt an, die Sprache des herrschenden Systems zu sprechen. Nicht die Alltagssprache, sondern eine spezielle, sublimisierte, psychoanalytisierte Sprache.“ (Guattari 1977: 87f).

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vorheben lassen, die jedoch zugleich andere Lesarten unterdrücken (vgl. Foucault 2007). Wenn eine Gruppe von Rezipienten dieselben Lektüre-Reglements teilt, so können diese naturalisiert werden, da sie im intersubjektiven Konsens wie selbstverständlich erscheinen. Solche Diskurse und die Gruppen, deren Mitglieder ein gemeinsames Lektüre-Reglement teilen, hat Stanley Fish eine interpretive community genannt. Auch Fish geht davon aus, dass es den Text nicht gibt, sondern der Sinn eines Textes erst in der Lektüre je nach Lektüre-Strategien und -Reglements ausgehandelt wird. Das Phantasma der Existenz des ‚gleichen‘ Textes (same text) perspektiviert Fish als einen diskursiven Effekt von hegemonialen Lektüre-Reglements (vgl. Fish 1976).30 So unterschiedlich diese Ansätze theoretisch zu situieren sind, so teilen sie doch die Gemeinsamkeit der Einschränkung einer Willkür der Lektüre, die in der Ungewissheit der individuellen Aneignung von Texten zerfasert und analytisch unscharf wird. Dem entgegen wenden sie ihre analytische Aufmerksamkeit den Lektüre-Reglements zu. Auch eine Genre-Hermeneutik muss eine Analyse der Lektüre-Reglements einbeziehen: An die Stelle einer Zuschreibung von dem Genre immanenten Sinnstrukturen muss eine Analyse der Lektüre-Reglements treten, um nachzeichnen zu können, welche Sinnzuschreibungen und Verstehensmuster sich zu Genres in verschiedenen Diskursen ausbilden. Ebenso wie auf der Seite der Produktion der Texte bestimmte EnkodierungsReglements wie beispielsweise Genre-Konzepte sich ausbilden, so bilden sich auch auf der Seite der Dekodierung von Genres und Genre-Filmen ebenfalls Lektüre-Reglements aus. Nicht die Genres oder die Filme privilegieren eine Lesart, sondern bestimmte Lektüre-Reglements, die in Diskursen über Filme ausgeprägt werden. So waren beispielsweise die frühen Genre-Studien, die oben erwähnt wurden, geprägt von einem strukturalistisch-hermeneutischen LektüreReglement. Die Rezensionen der Filmograpien und die Vermarktung der Gialli auf DVD operieren hingegen mit einem Lektüre-Reglement, das die Definition des Genres und die eindeutige Identifikation der Genre-Filme zugunsten anderer möglicher Ansätze privilegiert. Auch genre-theoretische Modelle lassen sich natürlich auf ihre Logiken bzw. Lektüre-Reglements hin dekonstruieren. Dies wird im Folgenden anhand des prekären Begriffs des Sub-Genres ausgeführt, um im

30 Dass es nicht den einen Text gibt, hat Stanley Fish zudem auch in dem Titel seiner Monographie Is There a Text in This Class? so pointiert auf den Punkt gebracht, dass dieser Titel zur einschlägigen Phrase avancierte, um dieses Axiom der Rezeptionsästhetik in nuce zu kommunizieren (vgl. Fish 1980). Selbstverständlich benutzt Fish in seinen Texten nicht den Begriff „Lektüre-Reglement“; er operiert stattdessen mit der Formulierung interpretive strategies.

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Anschluss daran der genre-hermeneutischen Frage nach historisch spezifischen Konstellationen und ihren genre-historischen Lesarten nachzugehen.

5.5 G ENRE -H ERMENEUTIK

UND

G ENRE -G ESCHICHTE

Bei dem Giallo pseudofantastico handelt es sich um einen ebenso prägnanten wie paradigmatischen Fall eines Zyklus, der in seiner genre-historischen Dimension erfasst werden muss. Der Giallo pseudofantastico bezeichnet ein spezielles Narrativ im Giallo: Der Hauptfigur wird darin vorgespielt, dass phantastische Ereignisse stattfänden und Totgeglaubte am Leben wären – zumeist handelt es sich um die vermeintliche Rückkehr einer vermeintlich toten Figur aus dem ‚Reich der Toten‘. Über weite Teile der Narration hinweg entsprechen diese speziellen Gialli den Konventionen des Genres Gothic-Horror. Erst die Auflösung, die zumeist natürlich erst zu Filmende erfolgt, offenbart einen menschlichen Täter und lässt die vermeintlich phantastischen Ereignisse als Täuschungen lesbar werden, die dazu dienen sollten, die Morde zu vertuschen oder die Hauptfigur in den Wahnsinn zu treiben. Als einer der ersten Gialli, die diesem Narrativ zuzurechnen sind, kann LO 31 SPETTRO von 1963 gelten. Der Film erzählt davon, dass der schwer kranke Dr. Hichcock seine Ehefrau und deren Liebhaber, seinen Arzt, in den Wahnsinn treibt, um sich an den beiden für ihren Ehebruch zu rächen und sich ihrer zu entledigen. In demselben Jahr erschien auch Mario Bavas LA FRUSTA E IL CORPO (I/F 1963), der ganz ähnlich gelagert ist: Die Rückkehr eines sadistischen Adli-

31 Trotz einerseits dieser Auflösung der phantastischen Erzählung als Verbrechens-Plot sowie einer Mordszene, die mit den späteren Giallo-Konventionen wie einem Rasiermesser als Tatwaffe und subjektiven Kamerapositionen aufwartet, und trotz andererseits eines möglichen Bezugs zu den Gialli der frühen 70er Jahre, die dieses Narrativ iterieren, wird der Film in vielen Genre-Studien nicht als Giallo aufgeführt, wie sich sowohl anhand der Monographie von Mikel J. Koven wie auch der Filmographien zeigen lässt (vgl. Koven 2006; Luther-Smith 1999). Dies mag daran liegen, dass die Figur des Dr. Hichcock bereits in dem Gothic-Horror-Film L’ORRIBILE SEGRETO DEL DR. HICHCOCK (I 1962, R: Ricardo Freda) vorkam, von dem jedoch LO SPETTRO (1963) trotz des gemeinsamen Namens der Hauptfigur keine Fortsetzung darstellt. Sowohl Peter Bondanella als auch Gian Piero Brunetta – und damit die Autoren der beiden Standardwerke zur Einführung in die italienische Filmgeschichte – verorten den Film wie selbstverständlich im italienischen Gothic-Horror (vgl. Bondanella 2008: 308-310; Brunetta 2009: 200).

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gen, der Rache an seiner Familie zu nehmen scheint, wird in der letzten Szene des Films als die Wahnvorstellungen seiner ehemaligen Geliebten enthüllt. 1969 suchte in A DOPPIA FACCIA wiederum Klaus Kinski in einer seiner wenigen Rollen als Protagonist nach dem Geist seiner toten Frau.32 Im Jahr darauf scheitert der hoch ambivalente IL ROSSO SEGNO DELLA FOLLIA (1970) beim italienischen Publikum und den Kritikern. Dieser Film von Mario Bava bietet genügend Hinweise sowohl für eine Lesart als Gothic-Horror als auch für eine Lesart als Giallo pseudofantastico. Es kann jedoch selbst am Ende des Films keine eindeutige Entscheidung für nur eine Lesart getroffen werden, die den Film als kohärenten Text lesbar machen würde. Im Jahr 1971 erschienen hingegen gleich zwei Filme im italienischen Kino, die damit enden, dass in einer für den Giallo konventionellen Auflösung des Verbrechens durch einen Amateurdetektiv explizit erläutert wird, wie die Antagonisten die Rückkehr eines Toten inszeniert hatten, um die Hauptfigur in den Wahnsinn zu treiben und ihr dadurch ihr Vermögen abzujagen: LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971) und LA NOTTE CHE EVELYN USCI DALLA TOMBA (1971). Insbesondere LA NOTTE CHE EVELYN USCI DALLA TOMBA schließt narrativ insofern an LO SPETTRO (1963) an, als der Film bis auf die Endsequenz als kohärenter Gothic-Horror-Film lesbar ist und erst die allerletzte Sequenz den Film einer Re-Lektüre als Giallo unterzieht. Es folgen in den Jahren darauf weitere Iterationen dieses Narrativs: LA DAMA ROSSA UCCIDE SETTE VOLTE (1972), IL TUO VIZIO È UNA STANZA CHIUSA E SOLO IO NE HO LA CHIAVE (1972), MORTE NEGLI OCCHI DEL GATTO (1973), SPASMO (1974), LA SANGUISUGA CONDUCE LA DANZA (1975) und MACCHIE SOLARI (1975). Im Jahr 1975 endet das Iterations-Muster jedoch abrupt.33

32 Klaus Kinski war in den 60er Jahren vor allem in Western und krimis zumeist auf die Rolle als Schurke abonniert. 33 Ein ambivalenter und gerade deswegen sehr interessanter Fall stellt LA SORELLA DI URSULA (1978) dar: Die psychisch labile Schwester der Protagonistin hat vermeintliche Visionen, in denen sie ihren (toten) Vater als Mörder sieht. Kurz darauf wird die Leiche des Opfers, das sie in der Vision sah, tatsächlich gefunden. Mit dieser Inszenierung lockt der Film den Rezipienten in einen übernatürlichen Plot über die Rache eines Untoten. Am Ende des Films wird jedoch offenbart, dass die Schwester selbst sich als ihr Vater verkleidet und die Opfer ermordet hat. Die Inszenierung der Visionen wird erst nachträglich als Inszenierung ihrer Persönlichkeitsspaltung lesbar. Ähnlich, aber etwas virtuoser sind Erinnerungen, Wahnvorstellungen und Realität in Dario Argentos LA SINDROME DI STENDHAL (1996) verquickt, in dem eine junge Frau sich ebenfalls von einem Mörder bedroht fühlt, dessen Identität sie nach dessen Tod selbst angenommen hatte.

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Man könnte alle diese Filme aufgrund ihres gemeinsamen Narrativs als ein Sub-Genre des Giallos bezeichnen. Die filmwissenschaftliche Genre-Theorie hat bisher noch kein theoretisches Modell des Verhältnisses von (Über-)Genre und seinen Sub-Genres anzubieten. Stattdessen herrscht der Minimalkonsens vor, dass das Sub-Genre eine Untergruppierung eines Genres sei. Nach welchem Kriterium die Gruppierung erfolgt und welche genre-theoretischen und genrehistorischen Implikationen dies bedeuten kann, blieb dabei bisher stets unreflektiert. So finden sich in Genre-Studien ganz unterschiedliche Kategorien zur SubGenre-Bildung wie beispielsweise Figurentypen,34 das setting35 oder auch die Anzahl und Bekanntheit von Filmen.36 In allen diesen Fällen wäre das SubGenre gleichsam als ein ‚Sub-Set‘ eines bereits definierten Genre-Korpus zu verstehen. Zudem zielen alle diese Modelle auf die Konstruktion von stabilen Genres bzw. Sub-Genres ab, die nahezu ausnahmslos in einer essentialistischen Logik als ahistorische Phänomene aufgefasst werden, die die Dynamik der Genre-Verhandlungen sowohl in Filmen als auch in ihren Diskursivierungen ausblenden. Betrachtet man die Debatte über den Status des Giallos als Sub-Genre, so zeigen sich rasch die Aporien des Sub-Genre-Begriffs: Der Giallo wird in vielen filmwissenschaftlichen Texten als ein Sub-Genre bezeichnet. Jedoch ist sich die Forschung nicht einig darüber, von welchem Genre – bzw. ‚Über-Genre‘– der Giallo ein Sub-Genre sei. Die Mehrheit der Autoren konstatiert, dass es sich beim Giallo um ein Sub-Genre des Horror-Films handele (vgl. Pitassio 2008: 408; Balmain 2002: 25; Guins 1996: 141; Guins 2005: 15, 23; Hunt 2000: 329332; Paul 1998: 24). Andere Autoren hingegen postulieren, dass man den Giallo als Sub-Genre dem Thriller zurechnen müsse (vgl. Worland 2007: 113; Wood 2005: 53f). Wieder andere Autoren sind darum bemüht, den Plot von der Ästhetik zu trennen, um eine doppelte Sub-Genre-Verortung zu begründen: Der Er34 Beispielsweise wenn Knut Hickethier den „Kriminalfilm mit seinen Subgenres des Detektiv-, Polizei- und Gangsterfilms“ thematisiert (Hickethier 2003: 86). 35 Beispielsweise werden oft die Pennsylvania-Western im Vergleich zur gesamten amerikanischen Western-Produktion aufgrund ihres settings (östlich des Mississippi vor dem Unabhängigkeitskrieg) und ihrer Themen (Kolonisierung des Ostens der USA, die Konfrontation mit Indianerstämmen, Konflikte zwischen Engländern und Franzosen) als Sub-Genre gruppiert (vgl. Moine 2008: 3f). 36 Linda Williams argumentiert in diesem Sinne, dass das „subgenre of sadomasochistic pornography“ weniger bekannt sei und ihm weniger Filme zugeschrieben werden könnten als dem Genre der sadistischen Pornographie, das im Gegensatz zur sadomasochistischen Variante laut Williams dominant sei (vgl. Williams 2003: 150, 156). Dieses Sub-Genre-Modell scheint zunächst dem Begriff der Sub-Kultur entlehnt zu sein.

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mittlungsplot wird dem Thriller, die drastische Schock- und Gewalt-Ästhetik wird hingegen dem Horror zugerechnet. In diesem Sinne bezeichnet beispielsweise Paul Johnson den Giallo als Kombination aus einer Thriller-Story und dem „visceral impact“ des Horror-Films (http://www.saturn-in-retrograde.com/2007/ 09/terrore-italiani-classical-detective.html vom 06.01. 2008).37 Man kann bereits anhand dieser wenigen einschlägigen Beispiele ersehen, dass die jeweilige Kategorisierung als Sub-Genre weniger etwas über die Filme als vielmehr darüber aussagt, welche Perspektive und welche Fragestellungen der jeweilige Autor an die Filme anlegt, woraus wiederum unterschiedliche Genre-Zuweisungen und Verortungen in verschiedenen Genre-Geschichten resultieren. Denn die jeweilige Analyse bringt erst eine Einteilung hervor, durch die das Sub-Genre als eine Unterkategorie bestimmt und mit derselben Perspektive und Logik analysiert wird, mit der zuvor bereits das jeweils übergeordnete Genre definiert und beschrieben worden ist. So kann beispielsweise die Bezeichnung des Giallos als Sub-Genre des Horrorfilms dadurch erklärt werden, dass diese Autoren den Giallo entweder auf der Folie des Slashers – der bereits als Sub-Genre des Horrors gilt38 – oder auf der Folie des italienischen Gothic-Horrors der 60er Jahre analysieren. Die Kategorisierung des Giallos als Sub-Genre des Thrillers wird hingegen von der stärkeren Betonung der Ähnlichkeit zum film noir, zur Edgar-Wallace-Filmserie, zu den Filmen von Alfred Hitchcock oder zum literarischen Vorbild, dem giallo, getragen. Man kann daher den Sub-Genre-Begriff als ein Symptom39 der Perspektive der Analyse verstehen, die den Gruppierungen implizit zugrunde liegt. 37 Die Forschung zum Giallo offeriert viele entsprechende Versuche, den Giallo als doppeltes Sub-Genre zu fassen. Beispielsweise schlägt Philipp Met eine Kombination aus adjektivischer und substantivischer Genre-Bezeichnung vor, die sehr an Rick Altmans Modell der Genre-Geschichte erinnert, und nennt den Giallo einen „horrific thriller“ (Met 2006: 209.). Steven Jay Schneider und Kevin W. Sweeney bezeichnen, um nur ein weiteres von vielen einschlägigen Beispielen zu nennen, die Filme des Giallos ohne weitere Erläuterungen als „Italian giallo horror-thrillers“ (Schneider/Sweeney 2005: 181 [Herv. i.O.]). 38 Beispielsweise befasst sich Adam Knee mit den Gialli von Dario Argento auf der Schablone des Slashers, den er als Sub-Genre des Horror-Films ausweist (vgl. Knee 1996: 213). 39 Dieser Symptom-Begriff rekurriert auf Slavoj Žižeks Verwendung des Begriffs im Anschluss an Jacques Lacan und unter Betonung der konstitutiven Nachträglichkeit der Lektüre/Analyse: „Der Sinn des Symptoms wird von der Analyse nicht aufgedeckt, sondern konstruiert. […] [Da] der Analysand voraussetzt, der Analytiker sei schon im Voraus im Besitz eines Wissens (des Wissens vom wahren Sinn seines

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Es kann hier nicht darum gehen, die unterschiedlichen Varianz-Bereiche von Genre-Modellen und -Hierarchien zu kritisieren, da im Zuge der Erörterung der Genre-Pragmatik ja bereits ausgeführt wurde, dass je nach Kommunikationssituation und Diskurs unterschiedlich stark differenzierte Genre-Konzepte unterschiedlich produktiv sind. Aber es wird statt des prekären Begriffs des SubGenres ein alternatives Konzept vorgeschlagen, das die Historizität der Filme betont und für genre-theoretische und medienkulturwissenschaftliche Fragestellungen anschlussfähiger ist: der Zyklus. Betrachtet man den Giallo pseudofantastico nicht als Sub-Genre, sondern als ein narratives Muster, das in einem Zyklus iteriert worden ist, so fällt die Häufung im Zeitraum von 1971 bis 1975 ins Auge, in dem das Narrativ jährlich in Gialli fortgeschrieben wurde. Statt allgemein zu fragen, was das Sub-Genre ausmache, kann aus dieser Perspektive gefragt werden, worin sich die Gialli, die diesem speziellen Zyklus der 70er Jahre zugerechnet werden können, ähneln und warum das Narrativ ausgerechnet in dieser Zeit serialisiert wurde und nicht beispielsweise in den 60er Jahren, obwohl die beiden Filme LO SPETTRO und LA FRUSTA E IL CORPO das gleiche Narrativ bereits 1963 erzählt hatten. Mit Blick auf die gesamte Filmographie des Giallos könnte man zwar einräumen, dass um 1970 die Produktionszahl der Gialli insgesamt sprunghaft um ein Vielfaches anstieg und dadurch ein größerer Bedarf an Mustererzählungen bestand. Dies erklärt aber noch nicht die Ballung gerade dieses speziellen Narrativs. Vor dem Hintergrund der italienischen Film-Geschichte wird dieser Zyklus aber als ein Dominanz-Wechsel der italienischen Genres lesbar: In den 60er Jahren dominierte der italienische Gothic-Horror noch über den Giallo. In den 70er Jahren gehen die Produktionszahlen des Gothic-Horrors jedoch zurück, während die Produktionszahl der Gialli steigt. Der Zyklus des Giallo pseudofantastico kann als eine allegorische Verhandlung der zunehmenden Dominanz des Giallos über den Gothic-Horror zu Beginn der 70er Jahre gedeutet werden, da am Ende derjenigen Filme, die den Zyklus konstituieren, die Inszenierungsstrategien des Gothic-Horrors als Trugspiel enttarnt werden und gleichsam das ganzes Genre aus der Perspektive des Giallos gegengelesen wird. Anhand des Giallo pseudofantastico lässt sich also resümieren: Der Zyklus ist die Beschreibung einer faktisch ergangenen Reihe von ähnlichen Filmen, die ebenso plötzlich abbrechen kann, wie sie initiiert wurde. Der Zyklus ist nicht aSymptoms), eines Wissens, das der Analytiker natürlich nicht hat, da es sich erst nachträglich, durch das Fortschreiten der Analyse konstituieren wird […] Ja, die Wirkung kann ihrer Ursache vorangehen: das Symptom ist wortwörtlich die Wirkung von etwas, das sich erst später, nachträglich, durch seine Symbolisierung konstituiert, es ist die Spur einer zukünftigen Wahrheit.“ (Žižek 1991a: 9f).

G ENRE-T HEORIE UND G ENRE -H ERMENEUTIK

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historisch, sondern kann lediglich in Bezug gesetzt werden zu anderen Zyklen, die durch Iterationsmuster konstituiert werden. Das Konzept des Zyklus unterstreicht die Historizität von Iterations-Mustern, an die wiederum kulturwissenschaftliche und genre-historische Fragestellungen anschließen können. Das Plädoyer für eine stärkere Beachtung der Historizität von IterationsMustern und Genre-Konzepten impliziert natürlich auch, dass Genre-Theorien und Genre-Geschichten stets als interdependente Forschungsperspektiven zu verstehen sind. Dabei soll die genre-theoretische Hinwendung zu einer Analyse von Zyklen keinesfalls suggerieren, dass die Genre-Geschichte wie selbstverständlich gegeben und stabil sei, weshalb man Genre-Theorien im Vergleich zur Genre-Geschichte relativieren oder gar ‚korrigieren‘ könnte. Ein solches Vorhaben entspräche dem Vorgehen, wie es beispielsweise Steve Neale verfolgt und das zu Beginn dieses Theorie-Blocks eingehend problematisiert wurde. GenreGeschichten sind ebenso wie Genre-Konzepte Gegenstände und Effekte von permanenten diskursiven Aushandlungsprozessen. Im Folgenden wird daher weniger die Genre-Geschichte, denn die Genre-Geschichtsschreibung zur Diskussion stehen. Der Begriff der Genre-Geschichtsschreibung wird hier bemüht, um die Prozessualität der Aushandlung von Genre-Geschichten zu unterstreichen. Die Genre-Geschichtsschreibung bringt in dieser Logik Genre-Geschichten, historische Narrative über Genres hervor. In dem nachstehenden Block sind sechs Kapitel versammelt, in denen die hier verfolgte medienkulturwissenschaftliche Doppelperspektive beispielhaft auf den Giallo angelegt wird, wobei verstärkt die Genre-Geschichtsschreibung mit unterschiedlichen Fragestellungen kritisch in den Blick genommen wird. Den Auftakt bildet die Kritik an dem weit verbreiteten Verfahren, das Genres auf einen Ursprung zurückzuführen versucht. Im Anschluss an Michel Foucault wird stattdessen das Verfahren der Genre-Genealogie entwickelt.

6. Genre-Genealogie

Im Anschluss an die Einleitung wurde im Detail nachgezeichnet, wie den gleichen Filmen zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Kulturen, auf verschiedenen Speicher-Medien und in verschiedenen Diskursen sehr verschiedene Genre-Konzepte zugewiesen worden sind, aus denen nicht nur andere Lesarten, sondern auch andere Gruppierungen und filmhistorische Verortungen resultierten. Erst mit der Verbreitung der Filme auf DVD setzte sich im deutsch- und englischsprachigen Raum der Genre-Name Giallo und ein spezielles GenreKonzept breit durch. Die Methode, die im ersten Kapitel praktiziert wurde, entspricht Michel Foucaults Verständnis von Historiographie: die Genealogie (vgl. Foucault 1993).1 Die Genealogie, wie Foucault sie verfolgt, zielt nicht darauf ab, einen historischen Ursprung und ein kausales, eventuell sogar teleologisches Narrativ für ein Phänomen oder einen Diskurs zu enthüllen. Im Fokus der genealogischen Spurensuche stehen hingegen die Bedingungen der Entstehung eines Phänomens. Betont werden ebenso die verschiedentlichen Beziehungen zu vorgängigen Phänomenen und Diskursen wie auch die Diskontinuitäten. Auch Spannungen und Konflikte eines Phänomens in verschiedenen Kontextualisierungen werden nicht unterschlagen. Unter dem Vorzeichen der Genealogie lassen sich keine Stammbäume, keine Phasen der Entwicklung und Vervollkommnung, auch keine vermeintlich eindeutigen oder gar selbstevidenten KausalLogiken von Ursache und Wirkung erzählen. Die Genealogie steht bei Foucault für die prinzipielle Unabschließbarkeit der historischen Spurensuche und die Hinwendung zur genauen Analyse der Rahmenbedingungen und Möglichkeiten dafür, dass ein Phänomen zutage tritt. In diesem Sinne wird hier im Folgenden von Genealogie die Rede sein, um zu zeigen, dass die Spurensuche nach den Wurzeln eines Genres ein unentwirrbares Rhizom ergibt – um die berühmte

1

Als kompakte Einführungen zu Foucaults Konzept der Genealogie siehe beispielsweise auch: Vogl 2008; Ruoff 2007: 126-130.

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Terminologie von Gilles Deleuze und Félix Guattari aufzugreifen (vgl. Deleuze/Guattari 2005: 12-42).2 Da der Fokus dezidiert auf Genres liegt, wird der Neo-Logismus „Genre-Genealogie“ eingeführt. In diesem Kapitel werden jedoch im Gegensatz zum Kapitel über die Genese des Giallos als DVD-Genre nicht die Aushandlunsgprozesse des Genre-Namens und eines spezifischen GenreKonzeptes genealogisch erhellt, sondern die genealogische Perspektive wird auf die filmhistorischen Spuren derjenigen Inszenierungen gelenkt, die derzeit als konstitutive oder zumindest bedeutende Konventionen des Giallos gelten. Mario Bavas SEI DONNE PER L’ASSASSINO von 1964 gilt als der Film, der diverse als konstitutiv diskursivierte Konventionen des Giallos – wie den maskierten Mörder, die sexualisierten Morde, die Ästhetik des Horrorfilms etc. – in Szene setzte und damit die erste Erfolgsformel zur seriellen Produktion des Genres darstellte. Allerdings wird auch oft der ein Jahr zuvor entstandene LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO (1963) angeführt, bei dem ebenfalls Mario Bava Regie geführt hatte. Auch dieser Film beinhaltet diverse erst später iterierte und konventionalisierte Genre-Komponenten: eine Amateurdetektivin, die durch ihre Augenzeugenschaft zu den Ermittlungen motiviert wird; eine psychotische Mörderin, die mit einem phallisch konnotierten Messer mordet; düstere Szenen, die dem Gothic-Horror entlehnt zu sein scheinen; viele Wendungen und Überraschungen. Doch auch Alfred Hitchcocks PSYCHO (USA 1960) gilt als einer der bedeutendsten Prototypen des Giallos (insbesondere der 70er Jahre), wie fast jeder Text über den Giallo zumindest kursorisch erwähnen muss.3 Carol Clover dient der Film in ihrer zum Standardwerk über den Slasher avancierten Studie Men, Women and Chain Saws als wichtigster Prototyp ihrer Genre-Geschichte. Plausibel liest Clover PSYCHO als Präfiguration vieler Konventionen des Slashers. Dabei weist sie auf eine signifikante Differenz des Films zum konventionellen Slasher hin: In PSYCHO gibt es noch kein final girl, also gerade denjenigen Figurentyp, der eine zentrale Stelle in Clovers Projekt der psychoanalytisch und gendertheoretisch perspektivierten Genre-Definition einnimmt. Das final girl fusioniert die Figurentypen des Opfers einerseits mit dem Retter oder der Detektivfigur andererseits (vgl. Clover 1992: 35-41). In PSYCHO trägt jedoch der professionelle Privat-Detektiv Arbogast den Großteil der Ermittlungen über den Mord an Marion Crane. Durch Arbogast rückt Clover PSYCHO ein Stück 2

Auch das Modell des Rhizoms lenkt die Aufmerksamkeit auf die Verästelung von Phänomenen. Die Kritik von Deleuze und Guattari richtet sich gegen die Konstruktion von linearen, zumeist kausalen und eindimensionalen Logiken und Narrativen, die ihre Phänomene simplifizieren.

3

Für eine hingegen ausführlichere Analyse des Giallos in Bezug auf Alfred Hitchcocks Filme und insbesondere PSYCHO siehe: Met 2006.

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weit vom Slasher ab (vgl. ebd.: 40f). Es ist gerade dieser Faktor, der den Film hingegen dem Giallo annähert, da sich die meisten Gialli von konventionellen Slashern durch die Ermittlungen einer (Amateur-)Detektiv-Figur strukturell unterscheiden. Konzeptualisiert man den Giallo hingegen, wie es etwa Koven vorschlägt, als ein Genre, das sich stark an Kriminalgeschichten und insbesondere an der amerikanischen Schule der hard-boild detective fiction orientiert, dann kann OSSESSIONE (I 1943) von Luchino Visconti als erster Giallo betrachtet werden (vgl. Koven 2006: 3). Denn Viscontis Film erzählt eine Kriminalgeschichte in Anlehnung an James M. Cains Roman The Postman Always Rings Twice. Durch diesen Nobilitierungsversuch fiele die Geburtsstunde des Giallos mit der Geburtstsunde des italienischen Neo-Realismus zusammen.4 Als Alternative könnte man auch versuchen, innerhalb der Edgar-Wallace-Serie denjenigen Film herauszufiltern, der das Krimi-Genre soweit modifiziert, dass er als Proto-Giallo erscheinen mag. Dies könnte zum Beispiel ZIMMER 13 (BRD/F 1964, R: Harald Reinl) sein: Neben einem konventionellen Krimi-Plot erzählt ein zweiter Plot von Morden, die eine traumatisierte Täterin mit einer Rasierklinge begeht. Oder ist nicht bereits beim film noir so mancher prototypischer Giallo zu entdecken? So enthält etwa Fritz Langs WHILE THE CITY SLEEPS von 1956 einen Amateurdetektiv und einen psychotischen Mörder mit Ödipus-Komplex, der grausame, sexualisierte Morde begeht, die teilweise sogar aus der subjektiven Kamera-Position des Mörders – der Killer-Cam – gedreht sind. Andererseits kann man auch bereits Hitchcocks SPELLBOUND aus dem Jahr 1945 als zahmen Proto-Giallo lesen, der dem Rezipienten ein melodramatisch erzähltes murdermystery präsentiert. Des Weiteren, und dies könnte ihn als Proto-Giallo qualifizieren, operiert der Film mit einer persönlichen – nämlich aus Liebe – in den Fall involvierten Amateur-Detektivin. Da die Protagonistin, gegeben von Ingrid Bergman, von Beruf Psychoanalytikerin ist, werden in ihr exemplarisch psychoanalytische und kriminalistische Detektion überblendet.5 Der Film bietet sogar 4

Gegen diese Verortung von OSSESSIONE innerhalb des italienischen Neo-Realismus wird oft die Fiktionalität des Stoffes vorgebracht. Jedoch wird dem Film auch zugestanden, dass er die ästhetischen Strategien des Neo-Realismus antizipiert (vgl. Bordwell/Thompson 2003: 280f; Bondanella 2009: 58).

5

Am prominentesten hat Slavoj Žižek herausgearbeitet, dass Psychoanalytiker und Detektiv gleichermaßen Spuren sammeln (vgl. Žižek 1991b: 48-66). Durch Fragestellungen und Hypothesen folgen beide einer Signifikanten-Kette, einer Serie der Spuren und Hinweise auf ein Abwesendes, um deren konstitutives Geheimnis zu rekonstruieren. Dieses Geheimnis geht im Fall der Psychoanalyse als psychische Störung und im Fall der Detektiverzählung als Verbrechen vermeintlich der Kette voraus und

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eine düster gehaltene Suspense-Szene mit einem Rasiermesser – mithin eine der ikonischen Mordwerkzeuge vieler Gialli –, in der lange mit dem Verdacht gespielt wird, dass John Ballantyne, der von Gregory Peck gespielt wird, tatsächlich der gesuchte Mörder sein könnte. Doch all dies wird dem Giallo noch nicht gerecht – all dies ist noch nicht radikal genug. Nein, Edgar Allan Poes Erzählung Der Doppelmord in der Rue Morgue von 1841 kann als der allererste Giallo gelesen werden (vgl. Poe 1965): Die Erzählung schildert schließlich eine Kriminalgeschichte, die nicht allein mit einer sehr überraschenden Wendung aufwartet – die bereits die vermeintliche Rationalität des durch sie konstituierten Genres parodiert6 –, sondern sich dadurch auch dem Horrorgenre annähert. Denn der Mörder ist ein Monstrum: Ein Orang-Utan. Die Mordszenerie ist darüber hinaus mehr als anzüglich, wurden doch zwei Frauen, Mutter und Tochter, im gemeinsamen Bett und in leichter Bekleidung grausam ermordet. Zudem mordet der monströse Täter ausgerechnet mithilfe einer Rasierklinge und der Tathergang wird in all seinen grausigen Details geschildert – bis hin zu den verstümmelten Leichen und der Entstellung einer Leiche durch den Versuch, sie in den Kaminschacht einzuführen. Wahrhaftig bietet die Erzählung damit diverse der kanonisierten Konventionen des Giallos. Die Genre-Geschichte muss also vollends neu geschrieben werden: GothicHorror und Detektivgeschichte werden aus dem Giallo heraus geboren, danach erfolgt jedoch eine historische Ausdifferenzierung der zwei verschwisterten Genres, bis sie endlich im Film-Genre Giallo in den 60er Jahren wieder zusammengeführt werden. Diese etwas polemisch ad absurdum geführte These kann als schlicht und zugleich grundlegend genre-theoretisch unsinniges Projekt bezeichnet werden, da sie weder die konstitutive Historizität von Genres beachtet, noch für genretheoretische und medienkulturwissenschaftliche Fragestellungen produktiv ist. Genres entstehen nicht aus dem Nichts, dem berühmten ‚luftleeren‘ Raum des vermeintlichen Genies oder des vermeintlich gänzlich Neuen, dessen historisches Material in Vergessenheit geraten ist oder durch rhetorische Strategien scheint diese zu begründen, obwohl die Lösung in beiden Fällen erst aus der Spurensuche hervorgeht. 6

Peter Nusser liest die Auflösung hingegen wie folgt: „Die Kuriosität des Verbrechens und seine Entwicklung zum bloßen Rätseleffekt dienen der Überhöhung der intellektuellen Fähigkeit des Detektivs.“ (Nusser 1980: 91) Jedoch kann man eben diese Überhöhung als Parodie der kognitiven Überlegenheit des Detektivs lesen, da die Rationalität ins Unwahrscheinliche überhöht wird. Das Ideal der Rationalität ist gleichsam phantastisch, der Leser wird durch die Auflösung um jede (Illusion der) Möglichkeit der eigenen logischen Deduktion der Identität des Täters betrogen.

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vergessen gemacht wird. Texte referieren immer bereits auf ein kulturelles Archiv/Repertoire.7 Daher ist es aber auch möglich, einzelne Genre-Konventionen in ihren historischen Spuren beliebig weit zurück zu verfolgen. Durch dieses retrospektive Projekt erscheinen die Texte, in denen Spuren der Genre-Konventionen gefunden werden, als vermeintliche Vorgänger oder Proto-Genre-Vertreter. Das Genre-Konzept wird damit immer mehr zu einer ahistorischen Qualität überhöht, jedoch zugleich auch entweder auf einzelne Konventionen reduziert oder gegenteilig in seinen Konventionen beliebig erweitert.8 Die Debatten um die Datierung des Ursprungs eines Genres führen paradigmatisch vor, dass der Ursprung sich lediglich durch eine Genre-Definition setzen lässt, die immer arbiträr ist. Die Genre-Genealogie, auch wie sie eingangs skizziert wurde, zielt daher auf die kulturellen Prozesse der Aushandlung von Genres ab – mit Cawelti: von intertextuellen Formeln und diskursiven Genre-Konzepten. Dass diese Spurensuche im Fall populärer italienischer Genres sich meistens darauf beschränkt, dass man zwar Vorgänger erwähnt, dann aber mit einem großen ‚aber‘ die Entstehung des Genres eindeutig benennt, liegt daran, dass man für die meisten italienischen Genres einen Film benennen kann, der als Formel der seriellen Adaption fungierte: So wurde der peplum der späten 50er Jahre durch LE FATICHE DI ERCOLE initiiert (vgl. Dyer 1997: 145-283; Lagny 1992; Sorlin 2008; Bondanella 2009: 163), der Italowestern durch PER UN PUGNO DI DOLLARI (vgl. Eleftheriotis 2004; Frayling 1998; Studienkreis Film 1999; Wagstaff 1992; Bruckner 2006: 9-11; Bondanella 2009: 338f) der italienische Gothic-Horror durch LA MASCHERA DEL DEMONI (I 1960, R: Mario Bava) (vgl. Stiglegger 2008: 415; Bondanella 2009: 310-313). Diese Argumentation, die auf die Notwendigkeit eines genealogischen Verständnisses von Historiographie hindeutet, findet sich auch beim Giallo: „Mario Bavas Blutige Seide [der deutsche Titel von SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964), d. Verf.] ist der Großvater aller Gialli. Er war zwar nicht der erste Film, der in dieses Genre gehört, aber er 7

Im Gegensatz zum Genealogie-Begriff wird der Begriff des Archivs hier nicht im Sinne von Foucault, sondern in seinem umgangssprachlichen Verständnis als eine Sammlung kultureller Artefakte benutzt.

8

Die genealogische Forschung ist für andere Fragestellungen – etwa nach der GenreFormation, dem interkulturellen Austausch, der Intertextualität, dem historischen Wandel von Motiven und Konfigurationen wie kulturellen Codes oder Gender-Konstellationen etc. – sehr produktiv. Wenn die Genre-Genealogie jedoch lediglich der Vordatierung des Genres oder aber der Reduktion oder gegenteilig der Expansion der als konstitutiv postulierten Genre-Konventionen dient, ist dies für eine differenzierte diskursanalytische Erforschung von dynamischen Genre-Konzepten und ihren Aushandlungsprozessen nur bedingt produktiv.

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war der Film, der das Genre für alle Zeiten definieren sollte.“ (Corso 2007: 13 [Herv. d.O. getilgt]) Man beachte die kleine Verwerfung in der Argumentation, dass der Film zwar nicht der erste Giallo, aber nicht allein der direkte Vater, sondern sogar der „Großvater“ des Genres sei. Diese etwas contra-intuitive Bezeichnung und ihre nachfolgende Begründung erklären implizit die Vormachtstellung des Films in der Genre-Geschichtsschreibung: Er weist am deutlichsten auf die Gialli der 70er Jahre voraus, auf denen die meisten Genre-Definitionen basieren. Der italienische Film mit seinen in den Genre-Geschichten recht leicht identifizierbaren Formelfilmen kann als extremer Fall einer Genre-Theorie der Genre-Klassiker9 gedacht werden. Dass ein Film innerhalb eines populären italienischen Genres als Formel für das Genre bezeichnet wird, bedeutet lediglich, dass der Film so erfolgreich war, dass Film-Produzenten es als gewinnträchtig erachteten, ähnliche Filme wie diesen (oft: Überraschungs-)Erfolg zu finanzieren. Der große Erfolg bedeutet auf der anderen Seite, die die Seite der Rezipienten ist, aber auch, dass ein großes Publikum den Film gesehen hatte und der Film damit als Referenzfilm für nachfolgende Film-Lektüren fungieren konnte. Der Erfolg der Formelfilme und die daraus abgeleitete Popularität geht zumeist auch damit einher, dass der Film öfter besprochen oder genannt wird und öfter zugänglich gemacht wird – sei dies in Kinos, im Fernsehen, auf Festivals oder auf VHS, DVD und Blu-ray. Der Film avanciert dadurch erst zum Genre-Klassiker, der als ein idealer Vertreter eines Genres zum Vergleich von Filmen sowie zu deren Aneignung und Lektüre von einer großen Rezipientengruppe genutzt werden kann. Der Status als Genre-Klassiker kann einem Film also vorrangig auf drei Weisen zukommen: Erstens kann ein Text in verschiedenen Diskursen als GenreKlassiker explizit bezeichnet werden und sein Status als Klassiker durch seine wiederholte Diskursivierung beispielsweise als Referenztext fortgeschrieben und stabilisiert werden. Zweitens kann ein Text zum Genre-Klassiker aus Gründen der Distribution avancieren, weil er leichter und öfter verfügbar ist als andere Texte und daher eher von Rezipienten als Referenztext genutzt wird. Drittens kann einem Text der Status als Klassiker zukommen, wenn er einen Zyklus oder ein intertextuelles Muster konstituiert, das in seiner Nachfolge iteriert wird. In diesem letzten Fall bezeichnet der Status des Genre-Klassikers einen Film, der in seinem historischen Kontext besonders erfolgreich war und an dessen Erfolg andere seriell produzierte Filme anzuknüpfen versuchten, indem sie dessen Inhalte 9

Hier ist dezidiert zu betonen, dass lediglich von Klassikern des Genres die Rede und nicht von Klassikern, die als kanonische Klassiker der Filmgeschichte oder als Klassiker eines Regisseurs, eines Stils oder einer Technologie diskursiviert wurden.

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teilweise iterierten. Durch dieses Wiedererkennen iterierter Komponenten und Muster werden diese gleichsam konventionalisiert. Wie verschieden die GenreTheorien in ihren Argumentationen auch sein mögen, so stimmen sie zumeist in diesem Axiom überein, dass ein Genre erst aus dieser Intertextualität einer seriellen Produktion entsteht (vgl. Cawelti 1976: 20; Moine 2008: 146; Altman 1987: 100f.).10 Auch hier beweist die Denkfigur der konstitutiven Nachträglichkeit, wie sie in der Einleitung eingehend erörtert wurde, ihre Produktivität für die Genre-Theorie: Denn die Iteration und Konventionalisierung von Mustern, die als Genre-Konventionen diskursiviert werden können, konstituieren den GenreKlassiker erst nachträglich. Denn erst nachdem die Genre-Konventionen durch ihre Iteration in diversen anderen Filmen als solche etabliert wurden, können sie als solche auch in dem Genre-Klassiker identifiziert werden. Diese zyklische Konstitution von Genres, deren Konventionen nachträglich auf einen durch Iterationen nachträglich konstituierten Formelfilm zurückgeführt werden, kann als generelles Prinzip serieller bzw. kulturindustrieller (Film-)Produktion verstanden werden. Zwei besondere ‚Klassiker‘ und ihre Diskursivierung in der Genre-Geschichtsschreibung des Giallos stehen auch im Zentrum des nächsten Kapitels: SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964) und L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) gelten als die beiden Formelfilme, die als Initiationsmomente zweier verschiedener Zyklen des Genres Giallo diskursiviert wurden. Diese beiden Zyklen werden dominiert von Filmen, die zwei grundverschiedenen Modi der GenreKombination zugeschrieben werden können: dem Genre-Mixing und der GenreHybridität. Die Geschichtsschreibung zum Genre Giallo hat diese zwei Modi der 10 Das zugrunde liegende Argument, dass ein einzelner Text zwar nachträglich als Begründung eines Genres bezeichnet werden kann, aber kein einzelner Text bereits ein Genre darstellt, wurde in der Literaturwissenschaft in einigen Fällen in Frage gestellt. So postuliert beispielsweise Hartmut Steinecke, dass E.T.A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels auf das Genre des Stammbaum-Romans rekurriere (vgl. Steinecke 2007: 577, 588). Die wenigen literaturwissenschaftlichen Erforschungen des Genres kommen aber zu dem Schluss, dass Hoffmanns Text (zumindest in der deutschen Literatur) den einzigen Vertreter dieses Genres darstellt. Derartige Diskussionen über ‚Phantom-Genres‘ sind in der Germanistik keine Ausnahme. So geht die Forschung zum Bildungsroman inzwischen auch davon aus, dass es das Genre des Bildungsromans nicht gibt, da die meisten literarischen Texte, die als Bildungsromane klassifiziert wurden, eigentlich Anti-Bildungsromane seien und bereits der vermeintliche Formel-Text des Genres, Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre, erst durch die Rezeptionsgeschichte nachträglich als Ideal-Typus des Bildungsromans modelliert worden sei (vgl. Schweikle 1990).

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Genre-Kombination als zwei verschiedene Stadien einer Genre-Geschichte diskursiviert. Das Genre-Mixing wird mit der ‚Entstehung‘ und gleichsam der Vorstufe der ‚Genre-Ausbildung‘ assoziiert, während die Genre-Hybridität als kohärentes neues Genre verstanden wird. Im Zuge der Kritik an den essentialistischen und evolutionistischen Axiomen dieser Genre-Geschichtsschreibung wird ein Modell zur Differenzierung von Genre-Mixing und Genre-Hybridität entwickelt. Beide Begriffe, die zumeist synonym benutzt werden, werden dadurch theoretisch geschärft und analytisch produktiv gemacht.

7. Genre-Mixing und Genre-Hybridität

In den letzten Jahren avancierte der Begriff der Hybridität zu einem der Leitkonzepte der Genre-Theorie. Die derart fokussierte Aufmerksamkeit galt vor allem dem Hollywoodblockbuster, da viele Blockbuster möglichst viele erfolgreiche Genres zu kombinieren versuchten. Genre-Hybridität wurde als eine bedeutende Produktions- und Vermarktungsstrategie diskutiert, um möglichst viele potenzielle Rezipienten zu adressieren und dadurch die Gewinne eines einzelnen Films zu maximieren. Der Hollywoodblockbuster galt daher als paradigmatische Genre-Hybride schlechthin (vgl. Blanchet 2003: insbesondere 160-165; Krämer 2005: 89-103; Dammann 2007: 344f). Spätestens im Zuge der populären Postmoderne der 90er Jahre, die als filmhistorisches Phänomen immer wieder durch ihr Spiel mit Genre-Konventionen und auch ihre Kombination von Konventionen verschiedener Genres zu fassen versucht wurde, erschienen damit essentialistische Genre-Theorien unhaltbar geworden zu sein.1 Die zunehmende Beach-

1

Diese Krise der essentialistischen Genre-Theorien kann kurz anhand der GenreTheorie von Peter Wuss nachgezeichnet werden: Die kognitionswissenschaftlich orientierte Genre-Theorie, die Peter Wuss entwirft, ist eindimensional nach dem Kriterium des emotionalen „Wirkungsgesetzes“ einzelner Genres modelliert. Im Anschluss an die normativen Poetiken des 18. Jahrhunderts und die high/low-culture-Dichotomie klassifiziert Wuss Genres wie das Drama, die Komödie, die Tragödie aber auch die Parabel als „klassische Filmgenres“ (Wuss 1999: 315 [Herv. d.O. getilgt]), die der Film früheren Medien wie dem Theater entlehnt habe. Unter „populäre Filmgenres“ (ebd. [Herv. d.O. getilgt]) fasst er hingegen die „nicht-klassischen“ (ebd.) Genres wie Detektivgeschichten, den Horrorfilm, den Western et al. Darauf bauen zwei Varianten der Genre-Kombination auf: Werden „klassische Filmgenres“ kombiniert, so bezeichnet Wuss sie als „Mischgenres“ (ebd. [Herv. d.O. getilgt]). Als „Polygenres“ (ebd. [Herv. d.O. getilgt]) bezeichnet er hingegen die Kombination der „Gesetzmäßigkeiten“ von „klassischen“ und „nicht-klassischen“ bzw. „populären Filmgenres“. Als Pa-

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tung der Genre-Hybridität förderte die Kritik an essentialistischen Genre-Theorien und die Durchsetzung von anti-essentialistischen Ansätzen. Vor allem Steve Neale prägte durch seine Beiträge zur Genredebatte den Begriff der Hybridität, der auch in der deutschen Diskussion aufgegriffen wurde.2 Dieser Diagnose der steigenden Tendenz der Genre-Hybridität soll zwar nicht widersprochen werden, aber sie muss filmhistorisch relativiert werden. Zum einen wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass in der Vermarktung von Hollywoodfilmen stets auf eindeutige Genre-Zuweisungen verzichtet worden ist, um möglichst keine Zuschauergruppe aus der Adressierung auszuschließen.3 Zum anderen wurde von der Forschung darauf hingewiesen, dass die Anzahl an Genres, deren Kombinationen und die daraus resultierende Prozessualität ihrer Konventionen in den 30er Jahren den Hollywoodblockbustern und der populären Postmoderne der 80er und vor allem der 90er Jahre in nichts nachstand (vgl. Neale 2000: 244).4 Eine Tendenz, die aus der Betonung der Hybridität resultierte, radebeispiel wird unter anderem André Bazins „Über-Western“ genannt, der ein „populäres Filmgenre“ mit einem ‚Kunstanspruch‘, einer ‚politischen Botschaft‘ oder einem ‚klassischen Genre‘ kombiniere. Aufgrund seines streng essentialistischen GenreModells sieht Wuss die „reine[n] Genres“ (ebd.: 397) durch die Postmoderne gefährdet. Die Tendenz der „Eskalation der Stereotypen“ (ebd. [Herv. d.O. getilgt]) brächte „‚Kultur-Schutt‘“ (ebd.) und „‚Stereotypen-Müll‘“ (ebd.) hervor, da sich „reine Genres in Mischgenres und diese weiter zu Polygenres immer höheren Grades ausdifferenzieren[.]“ (ebd.). 2

Vgl. hierzu vor allem die Beiträge von Gereon Blaseio, Irmela Schneider, Claudia Liebrand und Ines Steiner im Sammelband Hollywood hybrid, der deutlich der Agenda der Popularisierung des Hybriditätskonzepts im deutschen Fachdiskurs verschrieben ist: Blaseio 2004a; Schneider 2004: 20f; Liebrand/Steiner 2004: 7-9.

3

Eine kritische Diskursanalyse der Werbematerialien zu Hollywoodfilmen und eine teils pointierte, teils polemische Analyse der multiplen Genre-Kodierungen von Hollywoodfilmen hat beispielsweise Rick Altman vorgelegt (vgl. Altman 2006: 54-57, 123-143).

4

Dies gilt zum einen für die Filmserien der 30er und 40er Jahre, die oft miteinander hybridisiert wurden. So produzierte Universal bereits 1943 das Serien-Crossover FRANKENSTEIN MEETS THE WOLF MAN (USA1943, R: Roy William Neill) und überbot dieses Crossover zweier Monster in den Jahren darauf noch in den Filmen HOUSE OF

FRANKENSTEIN (USA 1944, R: Erle C. Kenton) und HOUSE OF DRACULA (USA

1945, R: Erle C. Kenton), in denen die drei Universal-Monster Frankensteins Monster, Dracula und der Wolfsmensch sowie der mad scientist Frankenstein und sein monströser Gehilfe zusammen auftraten. Vor allem aber gilt diese Tendenz auch für die serielle Produktion von B-Movies seit den 30er Jahren. Diese kombinierten virtuos die

G ENRE-M IXING

UND

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war jedoch, dass immer mehr die Analyse von einzelnen Filmen ins Zentrum der genre-theoretischen Forschung rückte, um die konstitutive Hybridität des einzelnen Films im Detail herauszuarbeiten.5 Mit Blick auf die Genre-Geschichte zeichnete Rick Altman hingegen die Entstehungs- und Transformations-Prozesse von Genres nach, die sich aus der Kombination von Konventionen verschiedener Genres ergaben. Seine Beobachtungen führten Altman zu dem Schluss, dass ‚Hybridität‘ prinzipiell konstitutiv sei für die Genre-Geschichte (vgl. Altman 2006: 62-68).6 In seiner Revision der Konventionen von verschiedenen Genres, die zum jeweiligen Zeitpunkt entweder gerade im Kino sehr populär oder aber dem Publikum bereits wohl bekannt waren. So sind beispielsweise in ein Abenteuerplot und -setting in VOODOO WOMAN (USA 1957, R: Edward L. Cahn) ein mad-scientist-Plot samt monströser Figuren und ästhetischer Konventionen des Horrorfilms eingebettet. Außerdem läuft anfangs auch noch ein Gangsterplot parallel, dessen Figuren inklusive einer femme fatale – wie sie aus dem film noir bekannt ist – zusätzlich in die Abenteuer-Horror-Hybride integriert werden. 5

Insbesondere Claudia Liebrand verfolgt dieses Vorhaben in diversen genre-theoretischen Filmlektüren. Siehe beispielsweise für Liebrands Argument der konstitutiven Bedeutung der Genre-Hybridität für die Film-Lektüre: Liebrand 2003: 172-174; Liebrand 2012b.

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Rick Altman koppelt sein Modell der Genre-Formation – die durch Zyklen von ‚Genre-Experimenten‘ erfolge, in denen durch verschiedene Muster des Genre-Mixings die Formation neuer Genres erprobt werde – an eine Diskursanalyse zur Etablierung von Genre-Begriffen in der Presse und im Marketing. Nach Altman wird ein bestehendes Genre, das einen substantivischen Namen trägt, um ein weiteres Genre ergänzt, das sich in Meta-Diskursen des Films als Adjektiv realisiert. Beispielsweise wird das Genre comedy durch eine romantische Story zur romantic comedy. Daraus kann dann wiederum durch die Entstehung einer komplementären, stabilen Syntax in Interdependenz zur romantischen Semantik das neue Genre romance hervorgehen. Anhand der Durchsetzung des Begriffs musical gegenüber backstage geht Altman auch darauf ein, wie Begriffe in den Diskursen um die Ausprägung als substantivischer Genre-Begriff konkurrieren können. Obwohl Altman es nicht explizit ausführt, geht aus seinem vereinfachten Modell hervor, dass die ‚alten‘ Genre-Begriffe nach der Entstehung des neuen Genre-Begriffs weiterhin genutzt werden. Nachdem aus der romantic comedy die romance hervorgegangen ist, besteht zugleich noch immer die comedy fort. Auch in diesem viel zitierten Modell der Genre-Geschichte Hollywoods geht Altman also von einer Mischung von bestehendem und entstehendem Genre aus, die nach dem Zyklus, in dem ein neues Genre aus dem Genre-Mixing entsteht, als distinkte Genres fortbestehen. Altman skizziert dieses Modell auf nur wenigen Seiten und nutzt dazu nicht

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Genre-Geschichte setzte Altman jedoch nicht den weitverbreiteten HybriditätsBegriff, sondern die Bezeichnung mixing of genres (vgl. ebd.: 123-143). GenreMixing und Genre-Hybridität wurden danach von der Forschung zumeist explizit und implizit als Synonyme für die Kombination von verschiedenen Genres verwendet.7 Frappierend ist jedoch, dass die genauere Bestimmung von GenreMixing und Genre-Hybridität noch immer ein Desiderat der Genre-Theorie darstellt. Auf das Postulat einer konstitutiven Hybridität folgen selten nähere Ausführungen, wie diese zu denken ist oder welche Mechanismen sie ausmachen. Altman geht als einziger darauf ein und präsentiert verschiedene Beispiele für das Genre-Mixing wie etwa das frühe Musical, das prototypische Elemente der Semantik des Musicals mit der Syntax des Melodramas kombiniert (vgl. Altman 1987: 110-120). Als weitere Beispiele nennt Altman zwei Fälle eines ScienceFiction-Genre-Mixings: ALIEN (UK/USA 1979, R: Ridley Scott) und STAR WARS (USA 1977, R: George Lucas). Nach Altman wird die Semantik des Science-Fiction-Films bei ALIEN mit der Syntax des Horrorfilms, bei STAR WARS mit der Syntax des Westerns kombiniert.8 Auffallend sind einerseits die undiffenur eine frühe Phase der Hollywoodgeschichte, in der sich diverse Genres erst ausbildeten, sondern auch sehr vage gefasste Genre-Konzepte. Dieses Modell müsste wesentlich differenzierter erörtert werden. Altman dient es jedoch letztlich lediglich dazu, – auch durch polemische Überspitzung, da er die Genre-Begriffe martial und mirthful logisch ableitet – die Formation von Genres aus Prozessen des GenreMixings anzudeuten. Auf die retrospektive Logik dieses Modells wird im Folgenden noch kritisch eingegangen werden. 7

Diese fehlende Differenzierung prangt signifikanterweise bei einer der jüngeren Beiträge zur Genre-Theorie bereits auf dem Cover, deren Titel Hollywood Hybrids. Mixing Genres in Contemporary Films (Jaffe 2008) lautet. Weder Jaffe, die Autorin, noch Moine, die ebenfalls eine jüngere Monographie zur Genre-Theorie vorgelegt hat und die sich eingehend und teilweise kritisch mit Rick Altmans Genrestudien auseinandersetzt, differenzieren zwischen den beiden Begriffen (vgl. Moine 2008: 119). Siehe als ein weiteres Beispiel auch: Jancovich 2005: 5.

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Unter Semantik zählt Altman verschiedene Aspekte der Bildgestaltung wie etwa Ikonographie, setting oder Kamera-Einstellungen. Die Syntax oszilliert bei ihm hingegen irgendwo zwischen Narration und Code. So würde die semantische Komponente ‚Pferd‘ in der Syntax des Westerns kodiert als ‚Kraft‘, ‚Unabhängigkeit‘, ‚Naturverbundenheit‘, ‚Abenteuer‘ etc. Altmans Modell ist sehr populär bei einzelnen Genrestudien, deren Analysen jedoch entweder wenig differenziert ausfallen oder die sich in Widersprüche verwickeln. Diese sind symptomatisch für die problematische Differenzierung von Semantik und Syntax des Films, wie Christian Metz bereits in den 70er Jahren plausibel darlegte (vgl. Metz 1997: 67f, 75-90, 114-116). Beispielsweise wird

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renzierten Genre-Begriffe und andererseits die problematische Logik, dass das Genre-Mixing zumeist die Semantik eines Genres mit der Syntax eines anderen Genres zusammenführt. Auf die Problematik dieses Konzepts hat insbesondere Steve Neale hingewiesen: Altman vernachlässigt die Interdependenz der beiden Kategorien, die lediglich heuristisch trennbar sind. Steve Neale weist beispielsweise plausibel darauf hin, dass die Semantik, wenn sie nicht allein Ikonographie, sondern einen speziellen Code bedeutet, erst in der Anordnung verschiedener semantischer Elemente, also durch die Syntax Sinn erhält (vgl. Neale 2000: 214-216). Die Semantik, die also scheinbar der Syntax voran geht, ist im Rezeptionsprozess auch ihr logischer Effekt.9 Abgesehen von diesen konzeptionellen Problemen weisen Altmans Beispiele jedoch auf ein wesentlich zentraleres Axiom seiner Argumentation hin, das oft übersehen wird: Altman setzt bewusst den Begriff Genre-Mixing statt GenreHybridität, da die beiden Begriffe verschiedene Modelle bezeichnen. In Altmans Modell des Genre-Mixings sind die Genres noch immer klar differenzierbar. In Genre-Hybriden sind die hybridisierten Genres hingegen zwar noch als Spuren erkennbar, in ihrer Verquickung lassen sie sich aber nicht mehr eindeutig einem einzigen Genre zuweisen. Um eine recht anschauliche physikalische Metapher für diese Unterscheidung einzuführen: Das Genre-Mixing gleicht einem Molekül, das besondere Eigenschaften besitzt, dessen Atome jedoch klar unterschieden und auch wieder getrennt werden können; die Genre-Hybride entspräche hingegen eher einer Atomfusion.10 Zwei kritische Fragestellungen lassen sich daraus ableiten: (1) Handelt es sich nicht um zwei verschiedene Dimensionen der in Kanes Genre-Geschichte des Vampirfilms dieselbe Konvention – der Vampir schrickt vor einem Kreuz zurück – mal als semantisches Element (vgl. Kane 2006: 8), mal als syntaktisches Element (ebd.: 15) und schließlich als semantisch-syntaktisches Element (ebd.: 19) kategorisiert. 9

Rick Altman rückt in seinem Buch hingegen in diese Leerstelle seines Modells die Genre-Pragmatik, durch die Codes für die Lektüre ausgehandelt würden, die die semantische und syntaktische Genredimension in Beziehung setzen würden. Die GenrePragmatik durchzieht implizit Altmans ganzes Buch (2006), wird jedoch vorrangig auf den Seiten 207 bis 210 explizit vorgestellt.

10 Die Metapher der Fusion wird unter anderem auch von Yvonne Spielmann benutzt, um darauf hinzuweisen, dass die Hybride sich nicht in distinkte Einheiten dekonstruieren lässt. Indem Spielmann jedoch in ihrer Studie zu kultureller und medialer Hybridisierung anhand der japanischen Kultur gerade im Rahmen ihrer Randbemerkung zur Fusionsmetapher den Begriff der „hybriden Mischformen“ (Spielmann 2010: 49) setzt, verwischt sie zugleich wieder jede implizite Unterscheidung von Hybridität und Mixing.

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Genre-Verortung, da das Genre-Mixing auf textueller Ebene angelegt ist,11 während die Komponenten verschiedener Genres im Lektüreprozess stets interdependent und somit als Hybride gelesen werden können? (2) Dienen die beiden Modelle nicht der Analyse verschiedener Phänomene: Genre-Zyklen bei Altman und vorrangig einzelne Filme bei Neale? Beide Fragen werden im Folgenden anhand der zwei verschiedenen Formeln des Giallos erörtert. Dabei werden auch die Wechselbeziehungen von Genre-Theorie und Genre-Geschichtsschreibung paradigmatisch aufgezeigt: Es kann beim Giallo zwischen den Filmen der 60er Jahre unterschieden werden, die sich stärker am krimi der Zeit orientieren und in denen die Taten zumeist monetär motiviert sind – daher: Krimi-Formel –, und den Filmen der 70er Jahre, in denen die Morde auf Traumata und auf psychische Störungen zurückgeführt werden, wie es als Narrativ insbesondere Alfred Hitchcocks PSYCHO als Muster popularisierte – daher: Psycho-Formel. In der bisherigen Genre-Geschichtsschreibung zum Giallo wird die Krimi-Formel oft als Vorstufe des Giallos und die Psycho-Formel als Ausprägung des Genres gedeutet. Dieses evolutionistische genre-geschichtliche Narrativ lässt sich größtenteils dadurch erklären, dass sich textuell die Krimi-Formel als Genre-Mixing und die Psycho-Formel als Genre-Hybride formiert.

7.1 G ENRE -T HEORIE ZUM G IALLO

UND DIE

G ESCHICHTSSCHREIBUNG

Die verschiedenen Diskurse, die an der Genre-Geschichtsschreibung des Giallos beteiligt sind, privilegieren nicht allein den Giallo der 70er Jahre, sondern beschränken sich bei der Behandlung der 60er Jahre zumeist auch auf die Nennung der Filme von Mario Bava. Dies trifft nicht allein auf populärwissenschaftliche Publikationen, Filmographien oder ähnliche Schriften zu, die nicht an eine wissenschaftliche Ethik der Reflexion über die eigenen Methoden und Axiome gebunden sind, sondern auch auf das Gros der filmwissenschaftlichen Texte. Zwar wird diese historische Begrenzung nur selten so explizit wie in der Formulierung „the 1970s–80s series of Italian giallo horror-thrillers“ (Schneider/Sweeney 2005: 181 [Herv. i.O.]), aber die Privilegierung der Gialli der 70er Jahre ist in fast allen Texten an zwei interdependenten Faktoren implizit ablesbar: zum einen in der Auswahl derjenigen Filme, die vorgestellt oder analysiert werden, und zum anderen in den postulierten Konventionen des Genres, die vorrangig auf

11 Auch Blaseio hat darauf hingewiesen, wie sehr Altman sein Modell von den Texten herleitet (Vgl. Blaseio 2004a: 32 Fußnote 15).

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eben dieser Filmauswahl basieren. Selbst zentrale Studien wie die von Gary Needham und Mikel J. Koven beschränken sich hinsichtlich der 60er Jahre auf die Filme von Mario Bava – vor allem LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO (1963) und SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964), der als erster Formelfilm des Giallos angesehen wird (vgl. Needham 2003; Koven 2006: 4f; Hunt 2000; Hanke 2003). Für diese Schieflage könnten Erklärungsansätze sowohl aus produktions- als auch aus rezeptionshistorischer Perspektive vorgebracht werden: Die Zahl der produzierten Filme, die dem Giallo zugeschrieben werden und die intertextuelle Muster der Iteration erkennen lassen, war in den 70er Jahren beinahe viermal so hoch wie in den 60er Jahren. Allein in den Jahren 1971 und 1972 wurden mehr Gialli produziert als in den gesamten 60er Jahren. Der immense Erfolg des Genres folgte tatsächlich erst auf Dario Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970), der eine neue Formel für das Genre vorlegte und dadurch die zweite Phase des Giallos begründete. Gerade der Status von Dario Argento als ein auteur des italienischen Horror-Films ist von unerlässlicher Bedeutung dafür, dass seine Filme fortwährend im genre-historischen Gedächtnis bewahrt blieben, insbesondere trotz und wegen des Medienwechsels. Denn seine Filme erfreuten sich besonderer Beliebtheit auf VHS und DVD bei Cinephilen und Fans des phantastischen Films. Dieser Spezialdiskurs des Fankults – dies wurde bereits im ersten Kapitel im Detail nachgezeichnet – privilegierte die Gialli der 70er Jahre aber auch deswegen, weil diese deutlich mehr Gewaltszenen bieten als die Gialli der 60er Jahre. Auch daher fanden sich die Filme eher in den Mitternachtsvorstellungen, Videotheken, Fanmagazinen und Tauschbörsen neben anderen Exploitationfilmen und den gewalthaltigen Horrorfilmen der 70er und 80er Jahre wieder. Aus denselben Gründen erfuhren die Gialli der 70er Jahre auch eine bevorzugte Auswertung auf DVD. Diese verschiedenen Faktoren mögen erklären, warum Rezipienten eher mit dem Giallo der 70er Jahre, denn mit dem Giallo der 60er Jahre in Berührung kamen. Die Hegemonie der Gialli der 70er Jahre in der Genre-Geschichtsschreibung kann dadurch jedoch nicht vollends erklärt werden. Zumindest im Fall der wissenschaftlichen Autoren, die an der Genre-Geschichtsschreibung partizipieren, sollte man die Relativierung ihrer Theorien und Modelle durch die Produktions- und Distributionsgeschichte des Genres eigentlich erwarten können. Im Fall von populär- oder nichtwissenschaftlichen Genre-Geschichten handelt es sich hingegen zumeist gerade um Autoren, die sich forciert als Spezialisten verstehen und präsentieren, weshalb sie mit einer möglichst profunden Kenntnis der Filme und ihrer Geschichte glänzen wollen. Gerade diese Publikationen sind daher aber auch sehr interessant und aufschlussreich für eine kritische Analyse der Strategien der Genre-Geschichtsschreibung und der ihr einge-

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schriebenen Genre-Theorie. Die Rhetorik, mit der diese Publikationen das Verhältnis der Hegemonie des Giallos der 70er Jahre moderieren, gibt Aufschluss über die Aporien und Problemkonfigurationen der Genre-Geschichtsschreibung – wie die nachfolgende Analyse der deutschsprachigen Filmographie zum Giallo paradigmatisch zeigen wird.12 In der in Deutschland vertriebenen Genre-Filmographie Giallo – die Farbe des Todes, deren Material chronologisch sortiert ist, muss zuallererst auffallen, dass ab 1970 und somit ab den Filmen, die zumeist an die zweite Formel bzw. die Psycho-Formel des Giallos anknüpfen, der Begriff „Giallo“ ohne Abstriche oder Einschränkungen zur Klassifizierung genutzt wird. Filme der 60er Jahre werden hingegen zumeist einem anderen Genre zugeordnet, obwohl auch betont wird, dass die Filme bereits Genre-„Elemente“ des Giallos aufwiesen. Um nur einige Beispiele aufzuführen: „früher italienischer Thriller mit leichten GialloAnleihen“ (Corso 2007: 12), „[f]rüher Thriller, der viele Giallo-Elemente vorwegnimmt“ (ebd.), „ein Film, der mehr Thriller, denn Giallo ist[;] [d]ennoch gibt es einige Giallo-Elemente“ (ebd.: 21) oder „[d]ieser italienische Thriller ist allenfalls ein Borderline-Giallo“ (ebd.: 13). Dass erst Filme der 70er Jahre als Gialli bezeichnet werden, fällt insbesondere aber in denjenigen Fällen auf, in denen ein Film zwar die Kriterien des Giallo-Konzepts erfüllt, das der Beschreibung zugrunde liegt, aber dennoch nicht als „reinrassiger Vertreter“ (ebd.: 16) des Genres, sondern als „Früh-Giallo“ oder „Proto-Giallo“ (ebd.: 14) bezeichnet wird. So wird beispielsweise BLOW-UP (I/UK 1966, R: Michelangelo Antonioni) – dessen Vorkommen in der Genre-Filmographie auch als Nobilitierungsgeste gelesen werden kann – beschrieben als ein „exzellenter Film von Regiestar Michelangelo Antonioni […], der in seinen Grundzügen vorwegnimmt, was Dario Argento später mit seinen Gialli machen sollte.“ (Ebd.: 15) Aus diesen Beispielen wird offensichtlich, dass der genre-historischen Verortung, der Klassifikation 12 Zur Analyse wird die deutsche Filmographie statt der englischsprachigen Filmographie herangezogen, da die englischsprachige Filmographie sich bei den Angaben zu den einzelnen Filmen auf die Zusammenfassung der Story und einige Hintergrundinformationen zur Produktion und zu den Mitwirkenden beschränkt. An keiner Stelle sind den Texten die Kriterien der Filmauswahl und das ihr implizit eingeschriebene Genre-Konzept zu entlocken (vgl. Luther-Simth 1999). Daher ist die deutschsprachige Filmographie für die Analyse beträchtlich ergiebiger (vgl. Corso 2007). Übrigens ist die deutsche Filmographie zum poliziesco (italienischen Polizeifilm) ganz ähnlich darum bemüht, bei jedem einzelnen Film genau zu benennen, inwiefern der Film dem (essentialistischen) Genre-Konzept entspricht oder davon abweicht, welches der Filmographie zugrunde liegt (vgl. Cholewa/Thurau 2008). Man könnte beinahe versucht sein, dies als Symptom einer deutschen Obsession für das Klassifizieren zu deuten.

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und der Rezension der Filme der Code einer essentialistischen Genre-Theorie zugrunde liegt. Dieser essentialistische Code operiert in diesem Fall mit folgenden Axiomen: (1) Vor 1970 gibt es keinen „reinrassigen“ Giallo. (2) Filme der 60er Jahre können daher bestenfalls als ‚Proto-Gialli‘ auf das spätere Genre hinausweisen oder aber einzelne „Giallo-Elemente“ aufweisen, die aber nicht ausreichten, um den Film dem Genre eindeutig zuzuordnen. Neben der evolutionistischen Vokabel „reinrassig“ sei hier auch der Begriff des Genre-„Elements“ beachtet, der nicht allein an Naturformen erinnert, sondern auch zum Ausdruck bringt, dass die Konventionen des Genres in den 60er Jahren noch nicht ausgeprägt seien. In dem Kommentar zu NUDE . . . SI MUORE (1968), der ebenfalls als „früher Giallo“ klassifiziert wird, heißt es dann explizit: „[…] ein durchaus anschaubarer Film, der insofern interessant ist, da er wie viele andere Frühwerke des Subgenres erst noch das Regelwerk genau abstecken muss.“ (Ebd.: 21) Was die Inhalte dieses „Regelwerks“ sind, die das Genre eindeutig konstituieren sollen, geht aus einem anderen Kommentar hervor: BLONDE KÖDER FÜR DEN MÖRDER (BRD/I 1969, R: Harald Philipp) sei „ein früher Giallo, der weder den Stil, noch die brutaleren Einlagen späterer Filme sein eigen nennen kann. Stattdessen mäandert Harald Philips Film ziellos dahin und generiert sich eher wie ein stinknormaler Krimi, denn ein Giallo. Dass Francesco [der vermeintliche Frauenmörder des Films, d. Verf.] mental krank ist, bettet den Film dann wieder im Subgenre ein.“13 (Ebd.: 22)

Diesem Kommentar können zumindest drei Konventionen des Giallos entnommen werden, die als konstitutive Konventionen jeder Bewertung der Filme vorausgegangen sein müssen: die Ästhetik, die Gewalt und der psychotische Killer. Das Genre-Konzept dieser Filmographie geht also nicht von verschiedenen Zyklen oder Formeln des Giallos aus, sondern nur von einer. Die Formel, die die Gialli der 70er Jahre prägt, wird als die Folie für die Bestimmung der „reinrassige[n] Vertreter“ des Genres gesetzt. Alle früheren Filme werden in Bezug zu dieser Formel positioniert, auf die sie vermeintlich linear zuzulaufen haben. Bei dieser evolutionistisch geprägten Rhetorik und der essentialistischen Genre-Theorie, die der Rhetorik implizit zu entnehmen ist, handelt es sich nicht um einen Spezialfall des Diskurses Genre-Filmographie. Ganz ähnlich wird das Bild des Genres auch in anderen Publikationen gezeichnet. Um lediglich ein 13 Im Gegensatz zur normativen Autorenpolitik wird der Code der essentialistischen Genre-Theorie, der diese Filmbeschreibungen durchzieht, in der Einleitung des Buches weder reflektiert noch klar artikuliert (vgl. ebd.: 4-35, insbesondere 12f, 21f).

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weiteres aussagekräftiges Beispiel anzuführen: In der populärwissenschaftlichen Einführung Inferno Italia werden für die gesamten 60er Jahre lediglich vier Filme aufgeführt (vgl. Paul 1998: 24-30.). Bei dreien hat Mario Bava Regie geführt, beim vierten ist er für die Story/Idee verantwortlich. Diese Fokussierung auf den auteur Mario Bava wird erst mit dem Erscheinen von Dario Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) gelockert. Argentos Gialli sind immerhin eingebettet in eine Liste von 17 Gialli, die für die nachfolgenden neun Jahre aufgelistet werden. Im einleitenden Kommentar werden die Gialli der 60er Jahre explizit als „richtungsweisend“ (ebd.: 24) und als Entwurf von Konventionen beschrieben, die jedoch erst durch die Giallo-Produktionen im Anschluss an Dario Argentos Gialli „gelungen“ (ebd.) realisiert worden seien.14 Auch in dieser Publikation wird den Gialli der 60er Jahre lediglich eine Funktion als Prototypen zugeschrieben, die einzelne Genre-‚Elemente‘ vorwegzunehmen scheinen, aber nicht das Genre. Dieses habe sich erst in Argentos Debütfilm kristallisiert, weshalb das Genre erst danach in großer Zahl produziert worden sei. Aus diesen Beispielen geht hervor, dass das Genre Giallo fast ausschließlich anhand der Gialli der 70er Jahre definiert wird. Dieses Genre-Konzept wird dann auf die 60er Jahre rückprojiziert, weshalb für die Gialli der 60er Jahre Defizite der ‚Genre-Treue‘ diagnostiziert werden und die Filme in der Peripherie oder Vorgeschichte des Genres verortet werden. Damit stellt sich die Frage, ob eine nähere Betrachtung der Gialli der 60er und 70er Jahre mit Blick auf ihre Gemeinsamkeiten und ihre Unterschiede nicht helfen kann, diese Genre-Genealogie weiter zu verfolgen und die Ausbildung dieses speziellen Genre-Konzepts weiter zu erhellen. 7.1.1 Krimi-Formel und Genre-Mixing Vergleicht man den oben zitierten Kommentar der deutschen Giallo-Filmographie mit dem Film BLONDE KÖDER FÜR DEN MÖRDER (1969), so kommt man nicht umhin, feststellen zu müssen, dass die Schilderung des Films in dem Kommentar recht forciert ausgefallen ist. Der junge, psychisch gestörte Mann Francesco ist kein wahnsinniger Mörder, wie der Kommentar behauptet. Er würgt zwar seine Sexualpartnerinnen während des sexuellen Vorspiels besinnungslos, aber er erwürgt sie nicht. Dies erfährt der Zuschauer spätestens bei der Auflösung. Zudem kreist die Handlung keinesfalls um ihn allein. Der Protago14 Die Autorenpolitik und der normative Ansatz des Buches können teilweise dadurch erklärt werden, dass die Publikation sich vor allem an eine Leserschaft von Fans des Horrorfilms und des phantastischen Films richtet. Die Rhetorik kann als Nobilitierungsversuch verstanden werden.

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nist des Films ist hingegen ein Detektiv, der nicht nur angeheuert wird, um einen Mord zu klären, sondern auch den Diebstahl einer wertvollen Halskette. Sehr früh interessiert sich der Protagonist bereits mehr für das Verbrechersyndikat, in dessen Kreisen der erste Mord geschah, als für den vermeintlich wahnsinnigen Frauenmörder Francesco. Nach kaum 25 Minuten erfährt der Zuschauer außerdem aus einem Dialog der Gangster, dass sie Francesco die Morde anhängen wollen, um sich zu bereichern und sich ihrer Probleme mit dem Syndikat zu entledigen. Neben diesem Krimi-Plot mit seinen diversen Schlägereien, Verfolgungsjagden und Schießereien läuft der Francesco-Plot eher parallel.15 Der Francesco-Plot dient zunehmend nur noch dazu, erotische Szenen und sexualisierte Gewalt zu präsentieren. Entsprechend wartet der Film auch mit einem doppelten Finale auf: In einer Schießerei wird der Krimi-Plot aufgelöst und schließlich die gesamte Story lückenlos erklärt. In einer daran anschließenden Szene wird Francesco vom Protagonisten dabei gestört, wie er am Strand in sexueller Erregung das love interest16 des Protagonisten würgt, das auf Francesco als Informantin angesetzt worden war. Francesco flüchtet in die Fluten und ertrinkt. Durch dieses abrupte Ende wird weder seine Psychose noch der Plot näher beleuchtet oder gar abgeschlossen. Die beiden Plots kreuzen sich zwar wiederholt und der Krimi-Plot greift immer wieder Geschehnisse des Francesco-Plots auf – umgekehrt ist dies selten der Fall –, aber dennoch sind die beiden Plots so klar geschieden, dass Ihnen getrennte Ereignisse und diesen wiederum getrennte Funktionen zugewiesen werden können. Da die beiden Plots nie soweit ineinander verschränkt werden, dass eine einzige Auflösung beide Plots abschließen könnte, werden am Ende des 15 Wurde der andere Plot dem Krimi zugeschrieben, so wäre – in einem essentialistischen Genre-Modell – der Francesco-Plot am ehesten als psychologisches Drama zu fassen, das dann bereits diverse Konventionen des Giallos der 70er Jahre antizipierte. 16 Als love interest bezeichnet man die zumeist misogyne Inszenierung der weiblichen Figur, die dem Liebes-Plot der Classical Hollywood Narration dient. Die Classical Hollywood Narration (vgl. Bordwell 1985: 162f) ist in zwei Plots gesplittet: Der Protagonist muss (1) eine Aufgabe lösen und (2) die Liebe zu einer Frau gewinnen und damit ein happy ending herbeiführen. Die Frau hat in beiden Plots selten Handlungsmacht, aber sie ist im Liebes-Plot zumindest von größerer narrativer Relevanz. Aufgrund ihrer Passivität bzw. ihrer Funktion als Screen für den Helden – und damit letztlich für den Rezipienten, der sich vor allem mit dem Protagonisten identifiziert – wird sie entsprechend ihrer narrativen Funktion oft als love interest für den Protagonisten bezeichnet. Die Classical Hollywood Narration ist trotz ihrer Bezeichnung nicht auf Hollywood beschränkt, sondern viele populäre Genres wie etwa die EdgarWallace-Filme oder auch der Giallo entsprechen dieser narrativen Struktur.

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Films zwei Schluss-Sequenzen aufgeboten, die je einen Plot beenden. Der Epilog, der dieses Verhältnis zuletzt doch abrunden soll, bringt hingegen gerade dieses Auseinanderfallen der beiden Plots zum Ausdruck: Als der Protagonist in seinem Bericht an seinen Auftraggeber und an die Polizei beide Plots zusammenfasst, hebt er den Krimi-Plot deutlich hervor und ordnet den Francesco-Plot diesem unter. Francesco sei lediglich ein Statist und ein beiläufiges, unschuldiges Opfer der Verbrechen des Syndikats gewesen. Man könnte also Folgendes aus dem Film BLONDE KÖDER FÜR DEN MÖRDER ableiten: Die kombinierten Genres kommen zwar innerhalb eines Films zusammen, dabei sind sie aber in einem Verhältnis angeordnet, in dem sie keine signifikanten Austauschbeziehungen unterhalten, keine signifikanten Effekte aufeinander haben und sich eher überschneiden denn bündeln. Die Frage, die sich damit stellt, lautet: Könnte diese Art der Genre-Kombination spezifisch sein für den Giallo der 60er Jahre und werden die Gialli der 60er Jahre daher in einer essentialistischen Logik der Genre-Geschichtsschreibung als ‚reine‘ Gialli disqualifiziert? Zur näheren Erörterung dieser These ist ein vergleichender Blick auf SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964) aufschlussreich, gilt doch Mario Bavas Film als derjenige Film, der die erste Formel des Giallos gestiftet und die serielle Produktion des Genres in den 60er Jahren initiiert haben soll. SEI DONNE PER L’ASSASSINO ist berühmt dafür, auf Basis des Krimi-Genres die Horrorkonventionen – die bereits in den Edgar-Wallace-Filmen teilweise angelegt gewesen waren – intensiviert zu haben und so durch den (nachträglich erst postulierbaren) Einfluss des Films auf nachfolgende Filme die erste Formel des Giallos als Kombination zweier Genres hervorgebracht zu haben. Betont werden dabei vor allem die Mordsequenzen mit ihren ästhetischen Konventionen und der hoch stilisierten und sexualisierten Gewalt, die für den italienischen Gothic-Horror, kaum jedoch für den Krimi der Zeit konventionell waren. Die Narration wird hingegen von einem Krimi-Plot getragen, der zwar eine Kohärenz der Story, nicht aber der spektakulären Szenen bietet. Beispielsweise wird die sexualisierte Gewalt nicht durch das Krimi-Genre motiviert oder erklärt. Sie bleibt bei der Auflösung als Residuum.17 Ebenso wenig wird die Ästhetik des Gothic-Horrors der 60er Jahre 17 Einzig das Puppenmotiv des Films, das bereits im Vorspann eingeführt und danach in diversen Szenen – auch in einer Mordszene – wiederholt wird, schreibt dieser Sexualisierung Sinn zu, da Frauen und Puppen als analoge Objekte männlicher Blicke und Gewalt präsentiert werden. In dieser Serie der impliziten Kritik an einer hegemonialen, kapitalistischen, patriarchalischen Kultur, die Frauen objektiviert und sie nach misogynen Mustern modelliert, wären die sexualisierten Morde sinnhaft kodiert. Doch dieser Code ist an ein Motiv gekoppelt, das weder genre-spezifisch ist noch durch den

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wie die Lichtsetzung – oder besser: Farb- und Schatten-Dramaturgie –, das setting oder die Blickführung durch den Krimi-Plot motiviert oder mit einem spezifischen Sinn aufgeladen. Jedoch mag das damalige Publikum ebenso wie die heutigen Spezialisten/Cineasten diese Konventionen des Gothic-Horrors durch den Code des auteurs erschlossen haben, da Mario Bava sein Regie-Debüt im Genre des italienischen Gothic-Horrors gegeben hatte und in den 60er Jahren bei einigen der erfolgreichsten und bekanntesten Filme des Genres Regie geführt hatte.18 Obwohl die Konventionen des Gothic-Horrors und die für das Genre damals konventionellen Sequenzen (set-pieces) aufgrund des auteurs vom Publikum erwartet werden könnten und sie als spannende und unheimlich wirkende Episoden rezipierbar sind, fallen sie doch aus dem Krimi-Plot heraus, der die Story und die Figuren trägt und letztlich die Sinnzuschreibung und Kohärenzstiftung des Films dominiert.19 Wie im vorangegangenen Beispiel stehen die kombinierten Genres also auch in SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964) eher in einzelnen Sequenzen nebeneinander und lassen sich in den von ihnen aktualisierten Konventionen und ihrer Abfolge recht klar voneinander scheiden. Dieses Phänomen könnte daher mit Rick Altman als Genre-Mixing bezeichnet werden. Damit stellt sich die weitere Frage, was durch die zweite Formel des Giallos in den 70er Jahren verändert wurde, dass diese Filme in der Genre-Geschichtsschreibung privilegiert werden. 7.1.2 Psycho-Formel und Genre-Hybride Dass die Ästhetik der 70er Jahre sich von der der 60er Jahre unterscheidet, ist weder verwunderlich, noch ausgesprochen genre-spezifisch, sondern folgt geneKrimi-Plot motiviert erscheint. Durch ihre häufige Iteration avancierten hingegen in den 70er Jahren vor allem zwei Puppenmotive zu Konventionen: Das eine Puppenmotiv ist die Gleichsetzung von Frauen und Mode-/Schaufenster-Puppen. Das zweite Puppenmotiv ist die Puppe als Kinderspielzeug, das auf ein Kindheitstrauma verweist. 18 LA MASCHERA DE DEMONIO, I TRE VOLTI DELLA PAURA, OPERAZIONE PAURA, LA FRUSTA E IL CORPO.

19 Es muss hier daran erinnert werden, dass die Genre-Zuschreibungen nicht auf essentialistischen Genre-Definitionen beruhen können. Die hoch stilisierte und sexualisierte Gewalt zum Beispiel ist keine ahistorische Eigenschaft eines ahistorischen Genres ‚Horror‘. Aber sie ist in den 60er Jahren eine Konvention des italienischen GothicHorrors, jedoch keine Konvention des Kriminalfilms. Die Argumentation folgt also streng der Prämisse der prinzipiellen Historizität von Genres: Die Aussagen operieren auf Basis der zeitspezifischen Zuschreibung von zeitspezifischen Konventionen zu zeitspezifischen Konzepten eines Genres.

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rellen transgenerischen Trends der Zeit – obgleich diese Trends teilweise in einer genre-spezifischen Ausprägung im Giallo realisiert werden. Auch die zunehmende Darstellung von Gewalt und Sexualität – neben einer stärkeren Hinwendung zu gegenwärtigen urbanen settings statt den für den Gothic-Horror typischen ländlichen settings – ist ein transgenerischer Trend, der ebenso für die Ablösung des Italowesterns durch den poliziesco und selbst für den italienischen Gothic-Horror festzustellen ist.20 Die Figuren des Flaneurs und des Amateurdetektivs sind hingegen auch aus Gialli der 60er Jahre wohl bekannt. Was sich jedoch maßgeblich geändert hat, ist die Figur des Mörders und seine Motivation. Diese Veränderungen mögen marginal erscheinen, sie stellen jedoch eine Zäsur in der Genre-Geschichte dar, da das Genre dadurch eine neue Anordnung seiner Komponenten erfährt. Der Killer ist in den Gialli der 70er Jahre kein kapitalistisches ‚Monster‘ mehr. Er ist kein rational handelnder Täter, der eine Serie von Morden begeht, um sich zu bereichern. Stattdessen handelt es sich bei ihm um einen traumatisierten Mörder, der in den Morden sein Trauma re-inszeniert. Diese Konstellation wird prominent natürlich im Formelfilm L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO in Szene gesetzt: Die Täterin mordet aufgrund des Traumas einer erlittenen Vergewaltigung.21 In den Morden nimmt sie die Rolle des Gewalttäters ein und schreibt in den hochgradig sexualisierten Morden mit dem phallisch konnotierten Messer in die Körper der Opfer die blutige Wunde ein, als die die Frau wiederholt semantisiert worden ist.22 Die Morde figurieren gleichsam tödliche Vergewaltigungen. Im seltensten Fall dienen die Morde noch einem Verwischen derjenigen Spuren, die zur Auflösung führen könnten. Vorrangig handelt es sich bei den Morden um die Spuren des Traumas, von dem sie zeugen

20 Zu nennen wären etwa: GLI ORRORI DEL CASTELLO DI NORIMBERGA (I/BRD 1972, R: Mario Bava), LISA E IL DIAVOLO, IL MEDAGLIONE INSANGUINATO (I/UK 1975, R: Massimo Dallamano), NERO VENEZINAO (I 1977, R: Ugo Liberatore). Dasselbe gilt natürlich im besonderen Maße für den Giallo pseudofantastico. 21 Die Trauma-Theorien haben im Anschluss an Sigmund Freud darauf hingewiesen, dass traumatisierte Patienten ihr Trauma re-inszenieren bzw. wiederholen. Claudia Liebrand ist den filmischen Verhandlungen dieser speziellen Trauma-Theorie anhand paradigmatischer Lektüren nachgegangen (vgl. Liebrand 2006a; Liebrand 1999). 22 Für den Film hat dies insbesondere Barbara Creed nachgezeichnet (vgl. Creed 1993): In ihrer Monographie zur monströsen Weiblichkeit geht Creed den verschiedenen Figurationen des Weiblichen als Darstellungen einer abjekten und monströsen Körperlichkeit nach. In Analogie zur Geburt und zu Menstruationsblut beleuchtet die Autorin auch die weibliche Semantisierung der Darstellungen von Wunden, durch die die imaginäre Einheit des Subjekts gestört wird.

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und das sie – im Fall von L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO: in verkehrten Rollen – re-inszenieren. Das Trauma motiviert nicht allein die sexualisierte Gewalt, sondern auch weitere Inszenierungen, die aufgrund ihrer Iteration in vielen Filmen als GenreKonventionen diskursiviert wurden. Zu nennen wären beispielsweise das Ausstellen von Sexualität, die voyeuristische Blickordnung, die Fetischisierung von Frauen und Gegenständen, unter denen insbesondere die Tatwaffen oder die zentralen Beweise hervorgehoben werden, da sich in ihnen die psychische Wahrheit über das Tätersubjekt kristallisiert. Diese Konventionen fügen sich in die ästhetischen Strategien des Gothic-Horrors, die gebündelt nun als filmische Zur-Schau-Bringung der gestörten Psyche des Täters lesbar werden. Nicht zuletzt werden aber auch die Ermittlungsarbeiten durch das Trauma gebündelt, indem sie die kriminalistische und die psychoanalytische Spurensuche koppeln – wie dies die Forschung bereits wiederholt betonte, ohne jedoch auf genretheoretische Aspekte einzugehen.23 Durch das Trauma wird auch der Protagonist der Ermittlungen neu konfiguriert: Seine Augenzeugenrolle oder sein Versagen bei den Ermittlungen versehren auch ihn. In den Filmen der 70er Jahre wird diese versehrte Männlichkeit immer wieder explizit ausbuchstabiert: In L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) wird beispielsweise der Sex-Akt von den Erinnerungen des Protagonisten an die beobachtete Tat nicht nur unterbrochen, sondern letztlich gar verunmöglicht. Damit spiegeln sich das Trauma und der gender trouble des Täters im Detektiv; seine detektivische Tätigkeit wird somit ebenfalls durch ein Trauma und den Wunsch nach der Wiederherstellung eines intakten Subjekts motiviert.

23 Für den Giallo hat insbesondere Xavier Mendik im Anschluss an die psychoanalytischen Theorien von Jacques Lacan die für das Genre konventionelle Detektivfigur als einen Agenten der Symbolischen Ordnung beschrieben (vgl. Mendik 1996; Mendik 2000): Dem Detektiv stellt Mendik den Serienkiller gegenüber, dessen brutale Morde und dessen vermeintlichen Wahnsinn er mit Lacan als Einbruch des Realen in die Symbolische Ordnung, als Irritation und Destabilisierung der Ordnung versteht. Indem der Detektiv die Spuren sammelt, liest und dadurch eine kohärente, kausal-logische Verbrechenserzählung herstellt, fungiert er als eine Instanz, durch die die Morde und der Killer wieder in die Symbolische Ordnung eingeschrieben werden. In Dario Argentos TENEBRAE (1982) sieht Mendik dieses Modell idealtypisch allegorisiert, da Mörder und Detektiv nicht nur dieselbe Person sind und die beiden oppositionellen Figurentypen dadurch als Kippfigur ausgestellt werden, sondern da es sich zudem um einen Autor handelt, einen Agenten der Symbolischen Ordnung im engsten, nämlich literalen Sinne.

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Diese vermeintlich kleinen Modifikationen des Täters und seiner Motivation ändern die Konstellation der Iterations-Muster also grundlegend. Zwar finden sich noch immer Spuren der zusammengeführten Genres, doch diese lassen sich nun nicht mehr einem Genre allein zuordnen. So gibt es zwar einen Krimi-Plot, doch dieser ergründet zugleich die psychologischen Codes der Horror-Inszenierungen. Die sexualisierte Gewalt, die dem Gothic-Horror entlehnt wurde, wird selbst zur wichtigen Spur für die detektivische Arbeit. Der Täter wird zum Fluchtpunkt der Ermittlungen und ist das vermeintlich irrationale Monster des Gothic-Horrors.24 In einem solchen Fall wie der Psycho-Formel, da die Genres so sehr miteinander fusioniert wurden, dass ihre Spuren zwar noch erkennbar sind, aber keine eindeutigen Genre-Zuordnungen mehr möglich sind, kann von einer GenreHybridität die Rede sein. Diese Genre-Hybridität der 70er Jahre kann im Vergleich zum Genre-Mixing der 60er Jahre aber auch erklären, warum die Gialli der 70er Jahre in den Schriften über das Genre und insbesondere in den Versuchen einer Genre-Definition eine Vormachtstellung innehaben. Die Hegemonie der Gialli der 70er Jahre ist weniger dadurch bedingt, dass die Hybridität vermeintlich kohärenter ist als das Mixing, als vielmehr dadurch, dass in dem Moment, da die hybridisierten Genres nur noch als Spuren lesbar sind und dadurch nicht ausreichen, um die Hybride adäquat als kohärenten Text zu beschreiben, ein eigenständiger Begriff für diese hybride Genre-Formel sinnvoll ist. Die Gialli der 70er Jahre gelten also daher als vermeintlich ‚reine‘ Gialli, da zu ihrer Beschreibung eine eigene Bezeichnung produktiver ist. Die Klassifizierung als ‚Krimi mit Horror-Morden‘ oder ‚Horrorfilm mit Krimiplot‘ würde der hybriden Textorganisation nur bedingt gerecht. Die Hybride befördert somit eine eigene Bezeichnung, die das Hybridisierungs-Muster benennt. Nun könnte man daher annehmen, dass das Genre auch tatsächlich erst durch die Hybridität konstituiert werde, während die 60er Jahre einen Zyklus von Genre-Mixings darstellten, durch die eine Formel für eine stabile Hybridität gefunden werden sollte. Dies entspricht Rick Altmans Konzept der Genre-Entwick24 Eine solche Fusion von Krimi und Gothic-Horror ist mit der ersten Formel bzw. der Krimi-Formel der 60er Jahre hingegen nicht möglich, da die beiden Genres strukturell zwar sehr ähnlich sind, aber sich gerade durch die Kippfigur rationale/irrationale Auflösung scheiden. Da diese Formel mit einem rationalen Täter operiert, können entweder nur beide Genres nebeneinander realisiert werden oder ein Genre muss in das andere kippen, wodurch das vorherige Genre negiert wird. Dies ist bei dem Giallo pseudofantastico der Fall, der einen konventionellen Gothic-Horror-Plot vortäuscht, um letztlich die vermeintliche Rückkehr der Toten als Täuschung zu offenbaren. In diesen Fällen liegt also der Modus des Genre-Mixings vor.

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lung, wie er sie vor allem anhand des Musicals darlegt (vgl. Altman 1987: 110119):25 Nach Altman wird das Genre erst dann konstituiert, wenn die Semantik des Genres in eine stabile Syntax überführt wird, die keinem anderen Genre entnommen ist. Daher, so argumentiert Altman, stellten die ersten HollywoodMusicals noch keine Musicals dar, da in ihnen die Semantik des Musicals noch in einer gleichsam ‚fremden‘ Syntax, beispielsweise des Melodramas, realisiert worden sei. Es handele sich bei diesen Filmen lediglich um Proto-Musicalfilme, da sie noch keine eigene Syntax aufwiesen, in der beispielsweise die Musiknummer nicht mehr neben dem melodramatischen Liebes-Plot existiere, sondern sich die Liebesgeschichte in den Musiknummern realisiere. Altman beschreibt diese Phase des Genre-Mixings aus Proto-Musical und Melodrama als ein Laboratorium, das dazu diene, eine stabile und genrespezifische Syntax für die Semantik des Musicals zu entwickeln, woraus dann das eigentliche Genre Musical hervorgehe. Dieses Konzept operiert mit einer ähnlichen evolutionistischen Rhetorik und einer essentialistischen Genre-Theorie wie die oben beschriebenen genre-geschichtlichen Diskurse des Giallos. Mit diesen teilt das Konzept, das Altman damit vorstellt, neben der bereits oben angeführten Kritik an der problematischen, nämlich: heuristischen Unterscheidung von Genre-Semantik und -Syntax auch deren zentralen theoretischen Aporien. Im Rahmen dieser Argumentation sind das gravierendste Problem die Dimensionen, auf denen Altman die konstitutiven und die nicht-konstitutiven Genre-‚Elemente‘ verortet. Wenn er eine Semantik als einem Genre zugehörig beschreibt, die jedoch noch kein eigenes Genre darstelle, da sie noch keine eigene Syntax ausgebildet habe, sondern mit der Syntax eines anderen Genres gemischt werde, so verfällt Altman in eine irrige Rückprojektion: Die genre-spezifische aber nicht genre-konstituierende Semantik kann erst als solche gedacht werden aus ihrer konstitutiven Position im späteren Genre. Nach Altman konstituierten die Zyklen zwar noch kein eigenes Genre, aber sie stellten eine insofern greifbare Gruppe dar, als die Filme des Zyklus demselben Prinzip gehorchen und somit von Altman als ein Zyklus beschrieben werden können. Nach der gleichen Logik könnte man die Filme dann aber eben doch als Genre bezeichnen, da sich offensichtlich eine gemeinsame intertextuelle Struktur bzw. ein Iterations-Muster erkennen lässt. Altman argumentiert hingegen, dass diese Filme als eine spezifische Phase und gleichsam als Entstehungszeit des 25 Autoren wie Tim Kane, die das Genre-Modell von Rick Altman ihren Studien zugrunde legten, übernahmen bezeichnenderweise zumeist die Differenzierung von Zyklus und Genre nicht. Stattdessen dient ihnen die Unterscheidung von verschiedenen syntaktischen Strukturen des Genres zu einer Historisierung des Genres (vgl. Kane 2006).

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Genres beschrieben werden könnten. Doch auch dieser Schluss ist irreführend, da er noch immer einem essentialistischen Genre-Konzept und einer evolutionistischen Genre-Geschichtsschreibung folgt. Ähnlich stellt sich auch das Modell der bisherigen Genre-Geschichtsschreibung zum Giallo dar, das besagt, dass erst die Genre-Hybridität den ‚richtigen‘ Giallo konstituiere und dass diese Hybridität das Zentrum eines multipolaren Genre-Feldes darstelle, das zu seinen Peripherien hin zu Genre-Mixings ausfranse. Statt solcher zentrierter und tendenziell essentialistischer Genre-Modelle muss die genre-theoretische Perspektive dahingehend verschoben werden, dass es sich bei der Geschichte des Giallos nicht um einen Zyklus und ein daraus hervorgehendes Genre handelt, sondern um zwei Zyklen von Formeln, die sich darin unterscheiden, dass die eine Formel nach dem Prinzip des Mixings und die andere nach dem Prinzip der Hybridität Genre-Komponenten kombiniert. Lediglich die zweite Formel als Genre zu definieren, ist eine willkürliche Setzung, der essentialistische und evolutionistische Modelle der Genre-Theorie und GenreGeschichtsschreibung eingeschrieben sind. Diese Setzung geht mit der Exklusion von Filmen einher, die die essentialistische Genre-Definition irritieren würden. Beispielsweise wird zugunsten der Stabilität der Genre-Definition und der evolutionistischen Genre-Geschichte ausgeblendet, dass die erste Formel nicht durch die zweite Formel vollends abgelöst wird. Zwar folgen die meisten GialloProduktionen der 70er Jahre der Psycho-Formel bzw. können nur durch sie als kohärente Texte erschlossen werden, doch ebenso werden noch immer Gialli nach der ersten Formel inszeniert.26 Insbesondere in der Zeit, da die zweite For26 Ebenso in den 60er wie auch in den 70er Jahren wurden Filme nach denselben GenreMixing-Mustern produziert: Beispielsweise wird der Giallo pseudofantastico, der eine Kriminalgeschichte mit Konventionen des italienischen Gothic-Horrors mischt, bereits 1963 in LO SPETTRO realisiert und dann in einem Zyklus von Filmen in den 70er Jahren erneut adaptiert: LA MORTE NEGLI OCCHI DEL GATTO (1973), LA NOTTE CHE EVELYN USCI DALLA TOMBA (1971), LA DAMA ROSSA UCCIDE SETTE VOLTE (1972). Auch das Mixing aus Krimi und film noir findet sich sowohl in den 60er Jahren in Filmen wie COL CUORE IN GOLA (1967) und UNA SULL’ALTRA (1969) als auch in den 70er Jahren in Filmen wie GIORNATA NERA PER L’ARIETE (1971) oder GLI OCCHI FREDDI DELLA PAURA (1971).

Das in Filmen ebenso wie in der Literatur beliebte Mi-

xing aus Krimi und Gesellschaftssatire wurde ebenso als Giallo in den 60er Jahren, wie etwa LA MORTE HA FATTO L’UOVO (1967), wie auch in den 70er Jahren in Filmen wie LA DONNA DELLA DOMENICA (1975) realisiert – bei diesen beiden Beispielen war sogar derselbe Darsteller, Jean-Louis Trintingant, jeweils neben berühmten Stars des italienischen Films wie Gina Lollobrigida bzw. Marcello Mastroiani beteiligt. Weitere Genre-Mixings, die sich von den 60er Jahren in die 70er Jahre fortsetzen, sind das

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mel durch ihre serielle Adaption konventionalisiert und dadurch erst nachträglich als Formel konstituiert wurde, also in den ersten ein bis zwei Jahren nach L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) gibt es diverse Filme, die beide Formeln bedienen. So bietet beispielsweise der Giallo LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH von 1971 sowohl einen irrationalen, psychisch gestörten Frauenmörder als auch rational handelnde Mörder, die sich finanziell bereichern wollen. In dem Giallo LA BESTIA UCCIDE A SANGUE FREDDO (1971), um ein weiteres Beispiel anzuführen, wird das Motiv des Täters zwar dahingehend erklärt, dass er rational gehandelt habe, um sich zu bereichern. Die Darstellung seiner exzessiven und hoch sexualisierten Taten zeugen jedoch, wie es für die PsychoFormel typisch ist, von einer psychischen Störung, die sich in den Morden gewaltsam äußert. Es drängt sich die Frage nach der Ubiquität dieser Argumentation der Unterscheidung von Genre-Mixing und Genre-Hybridität auf, die anhand des Giallos sowohl hergeleitet als auch dargelegt wurde. Aber schnell finden sich einschlägige Vergleiche: Man denke beispielsweise an den jüngsten ‚Mega-Kassenschlager‘ von James Cameron, AVATAR (USA/UK 2009), der sich durch eine Genre-Hybridität auszeichnet, die für viele Hollywoodblockbuster typisch ist:27 In dem Film sind beispielsweise die Spuren der Genres Science-Fiction, Kriegsfilm, Indianerwestern und Abenteuerfilm zwar noch erkennbar, aber der Film lässt sich nur schwer in Episoden, die einzelnen Genres zugeordnet werden könnten, oder gar in seine generischen Teile zerlegen, da diese im Film überblendet, fusioniert, hybridisiert sind.28 Als Genre-Mixing kann hingegen beiKrimi-Melodrama, bei dem in Filmen wie LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971) oder LA RAGAZZA DAL PIGIAMA GIALLO (1977) ein melodramatischer Plot um eine Frau im Zentrum von Narration und Spektakel steht, und das Krimi-Psychodrama, in dem die psychotischen Mörder selbst statt eines Ermittlers das Zentrum und Movens von Filmen wie IL TERZO OCCHIO (1966), NELLE PIEGHE DELLA CARNE (1970), LA ROSSA DALLA PELLE CHE SCOTTA (1971) oder SPASMO (1974) darstellen. 27 Diese generelle Hybridisierungs-Tendenz von Hollywood-Blockbustern beruht auf der für den Blockbuster konstitutiven Maximierung der Adressierung heterogener Rezipientengruppen. 28 Die Genre-Hybridität von Blockbustern ist zumeist so komplex, dass sie sich nur schwer in detaillierten Stellenlektüren beschreiben lässt, da in Fällen wie beispielsweise AVATAR diverse Genres den ganzen Film strukturell durchziehen. Die Analyse der Hybridität kann daher im Rahmen dieses Kapitels nicht geleistet werden. Um lediglich ein Beispiel zu schraffieren: Die Landung auf dem fremden Planeten erinnert in AVATAR an Kriegsfilme, kann aber auch im Rahmen des Genres Science-Fiction als die Erschließung neuer Territorien und ebenso wie im Abenteuerfilm als Landung

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spielsweise die berühmte Bibelfilm-Parodie LIFE OF BRIAN (UK 1979, R: Terry Jones) der britischen Komikergruppe Monty Python beschrieben werden. Mitten in die Schilderung der Biographie von Brian, der seit seiner Geburt mit Jesus Christus verwechselt wird, ist eine einzelne Episode des Genres Science-Fiction eingebettet. Brian stürzt von einem Turm in den sicheren Tod, als er unerwartet in einem außerirdischen Raumschiff landet und als unfreiwilliger blinder Passagier an einem interstellaren Kampf teilnimmt, bevor er wieder auf die Erde stürzt. Die Episode kann zwar als Parodie auf vorgeblich rational anmutende Erklärungen von Lücken und Unwahrscheinlichem in der Bibel bzw. in BibelFilmen gelesen werden, da Brians Überleben eines eigentlich tödlichen Sturzes durch die im Genre Bibelfilm unwahrscheinliche und kaum zu erwartende Science-Fiction-Episode erklärt wird. Jedoch hat diese Episode für den weiteren Verlauf des Films keinerlei Bedeutung; sie wird auch nicht weiter thematisiert, indem etwa Figuren darüber sprechen – wodurch die oben skizzierte Lesart textuell gestützt würde. Obwohl sich die kurze Episode also auf abstrakter Ebene in einen sinnhaften Bezug setzen lässt, stellt sie auf textueller Ebene eine klar identifizierbare Episode eines anderen Genres dar, die vom Rest des Films klar geschieden werden kann. Es liegt somit ein Genre-Mixing vor. Diese Beispiele werfen ihrerseits die genre-theoretische Fragestellung auf, ob es Genres gibt, die sich eher für einen Typ der Genre-Kombination anbieten, und ob es in GenreKombinationen dominante Genres gibt.

7.2 M ATRIZEN DER G ENRE -K OMBINATION Wenn man von einer prinzipiellen Unterscheidbarkeit von Genre-Mixing und Genre-Hybridität ausgeht, dann stellt sich die Frage, ob sich einige Genres eher zur Mischung und/oder Hybridisierung anbieten als andere. Denn es lässt sich filmhistorisch beobachten, dass weder der Italowestern, noch der Gothic-Horror, noch der peplum oder der poliziesco eine so große Varianz der Genre-Kombinatorik aufweisen wie der Giallo. Zur Beantwortung dieser Frage ist eine Bemerkung von Jonathan Culler zur verisimilitude der Detektiverzählung sehr aufschlussreich (vgl. Culler 1975: 148): Obwohl die Detektiverzählung beim Le-

der Entdecker in ‚unzivilisierten‘ Regionen, wenn nicht zuletzt eventuell auf der Folie des Westerns sogar als Ankunft der Kavallerie im Fort an der Grenze zum IndianerTerritorium gelesen werden. Der Clou an AVATAR scheint es gerade zu sein, dass er sehr verbreitete Narrative aufgreift, die in der (US-)Filmgeschichte bereits wiederholt in diversen Genres in Szene gesetzt worden sind.

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ser sehr klare Erwartungen an die Rahmung eines Textes durch die narrativen Komponenten Mordfall/Geheimnis und Auflösung generiert, gibt sie keine exakt determinierte und stringente Text-Struktur vor. Im Gegenteil: Sie erlaubt gerade eine große Varianz an thematischen und inszenatorischen Freiheiten, zu denen auch die Inkorporation von Konventionen anderer Genres gezählt werden kann. Denn die Kohärenz des Textes wird erst durch die Auflösung gestiftet. In diese werden jedoch nicht alle Komponenten des Textes aufgenommen, sondern nur diejenigen, die für die Auflösung relevant sind. Diese Argumentation lässt sich jedoch umkehren: Die selektierten Komponenten werden überhaupt erst durch die Auflösung als relevante Komponenten nachträglich konstituiert. Dieses Spiel der Selektion relevanter, irrelevanter oder sogar in die Irre führender Spuren – bzw. ‚Hinweise‘ – macht gerade ein zentrales kognitives Vergnügen der Lektüre einer Kriminalgeschichte aus. Eine finale Wendung oder eine überraschende Auflösung kann in den meisten Gialli vorgefunden werden und wurde daher auch als eine narrative Konvention des Genres beschrieben (vgl. Corso 2007: 18; Bondanella 2009: 375f). Im Anschluss an die Ausführungen von Jonathan Culler ließe sich daher argumentieren, dass im Giallo gerade die virtuose Kombination verschiedener GenreKonventionen die Lust an der Auflösung steigert, da dadurch das Angebot an Spuren umso umfangreicher, vielseitiger und anspruchsvoller für den Rezipienten wird, die er für die Auflösung des murder mystery selektieren muss. Die falschen Fährten, die in vielen Gialli sehr forciert in Szene gesetzt werden, sind also innerhalb der Kriminalgeschichte als legitime und – im Sinne einer genrespezifischen verisimilitude – möglichen Eröffnung möglichst vieler Lustangebote und generischer bzw. detektivischer Puzzleteile zu perspektivieren. Etwas zugespitzter formuliert: Die Konvention der Auflösung befördert mithin die Auflösung der Konventionen. Die obigen Ausführungen könnten dazu verleiten, anhand der zwei Formeln des Giallos zu mutmaßen, dass das Genre-Mixing eine größere Varianz der Genre-Kombination erlaube als die Genre-Hybridität. Gerade die Hybridisierung der verschiedenen Genre-Komponenten durch die Konvention des psychotischen Killers, so könnte dieser Gedanke entfaltet werden, strukturiere den Text womöglich klarer als die des rationalen, monetär interessierten Killers, da die verschiedenen Genre-Komponenten mit einem (zusätzlichen) Sinn versehen werden bzw. sich in eine kohärente Logik innerhalb der Pathologie des Täters einfügen müssten, wie sie durch die Auflösung konstituiert wird. Doch dem ist zu entgegnen, dass gerade die Pathologie des Täters in der Psycho-Formel letztlich entweder so vage oder aber so komplex gehalten sein kann, dass theoretisch alles damit nachträglich als potenziell sinnhaft und kohärent konstituiert werden kann.

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In beiden Formeln bietet sich also die Kriminalgeschichte als narrative Matrix für Genre-Mixing und -Hybride an. Durch diese bisher verfolgte Argumentation stellt sich die weiterführende Frage, ob die Kriminalgeschichte damit das dominante Genre in beiden Formeln darstellt.29 Ohne Frage lassen sich Dominanz-Verhältnisse in Genre-Kombinationen ausmachen. Welche Dominanz-Verhältnisse dies jedoch sind, ist abhängig von dem Kriterium, unter dessen Primat die Genre-Kombinationen perspektiviert werden. Es wäre möglich ein Primat zu setzen – beispielsweise die Narration und die Kohärenz des Sinns, wodurch im Fall des Giallos der Kriminalfilm dominieren würde, da erst seine Auflösung der Verbrechen die Kohärenz nachträglich konstituiert. Aber ebenso legitim könnte nach der affektiven Dominanz gefragt werden, wodurch gerade diejenigen Inszenierungen wie etwa die SexSzenen und murder set-pieces stärker gewichten würden, die beim vorherigen Kriterium als marginal betrachtet werden können. Es lässt sich auf die Frage nach dem Dominanz-Verhältnis in Genre-Kombinationen zumeist keine eindeutige Antwort geben, da Rezipienten sich Filme mit ganz unterschiedlichen Konstellationen von Interessen aneignen, zu denen der Plot, die Ästhetik, spezielle Affekt-Modellierung, Gewalt- und Sexszenen, Gender-Verhandlungen, politische Verhandlungen, Kohärenz und vieles mehr zählen können. Je nach Konstellation und diese überwiegendes Primat des fokussierten Interesses werden auch unterschiedliche Dominanzverhältnisse postuliert werden. Es ist mithin nur möglich ein Dominanz-Verhältnis bei gleichzeitiger Angabe und Reflexion seines Kriteriums zu postulieren. Diese und andere Überlegungen zur Dominanz eines Genres innerhalb einer Genre-Kombination und eine exemplarische Analyse eines Genre-Mixings werden im folgenden Kapitel über set-pieces erörtert. Beim set-piece handelt es sich um eine spezielle Sequenz, die gerade im Zuge der Definition des Giallos und 29 Peter Wuss hat versucht, diese Frage zu klären (vgl. Wuss 1999: 389f): Wuss geht in seiner kognitionswissenschaftlich angelegten Genre-Theorie davon aus, dass sich Genres durch ein genre-spezifisches Wirkungsgesetz differenzieren und definieren lassen. Obgleich diese Genre-Theorie hochgradig problematisch ist, ist es interessant, dass Wuss davon ausgeht, dass es auch in Genre-Kombinationen ein dominantes Wirkungsgesetz gibt. Dieses Wirkungsgesetz strukturiere den Text. Es fungiert bei Wuss gleichsam als Fluchtpunkt der Rezeption. Unter dem Wirkungsgesetz des „Suspense“ fasst er allerdings alle populären Genres – wie Horrorfilm, Kriminalfilm, Western etc. Diese Einteilung ist nicht nur sehr vage und grobgliedrig, sondern auch nicht zielführend. Wuss selbst räumt ein, dass die Bestimmung eines dominanten Wirkungsgesetzes im Fall von Genre-Kombinationen auf Basis seiner Genre-Theorie kaum möglich ist.

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seiner Genre-Geschichtsschreibung zu einer der bedeutendsten ‚genre-konstitutiven‘ Konventionen avancierte. An das set-pieces schließen daher Fragen dazu an, wie spezielle Text-Komponenten Lektüre-Ansätze anregen und Effekte auf ihre Diskursivierung und die Diskurse haben können, die Genre-Konzepte und Genre-Geschichte prozessieren.

8. Genre-spezifische Text-Komponenten: das set-piece

Der (vorrangig) kanadisch-italienische Film UNA MAGNUM SPECIAL PER TONY SAITTA von 1976 ist ein Mixing aus Giallo und rogue-cop-Film.1 Mit dem Label rogue cop bezeichnet man in der Filmgeschichte solche Polizei-Filme, die seit den 70er Jahren in der Nachfolge des enormen Erfolgs von DIRTY HARRY sowohl in den USA als auch insbesondere in Italien seriell produziert worden sind und sich durch einen Anti-Helden auszeichnen, dessen Methoden sich kaum von den Kriminellen unterscheiden, die er mit brutaler Gewalt bekämpft.2 Das außergewöhnliche an dem Film UNA MAGNUM SPECIAL PER TONY SAITTA ist, dass er diese beiden Genres nicht hybridisiert, sondern der Giallo den Plot einleitet und trägt, während das Genre rogue cop lediglich in einzelnen speziellen Sequenzen Eingang in den Film fand. Der Film beginnt damit, dass der Protagonist, ein älterer Polizist, rücksichtslose Bankräuber verfolgt, deren Gewalt einige Zivilisten das Leben kostet. Diese Handlung ist anfangs parallel montiert mit dem Versuch 1

Anhand des Italowesterns, dessen Filme italienische Produzenten oft mit spanischen, deutschen und manchmal französischen Partnern ko-produzierten, argumentiert Tim Bergfelder, dass auch in internationalen Ko-Produktionen ein kulturelles Machtverhältnis zu beobachten sei (vgl. Bergfelder 2006: 65). Wenn die These von Bergfelder zunächst unkritisch akzeptiert wird, so könnte man für den Film UNA MAGNUM SPECIAL PER

TONY SAITTA behaupten: Obwohl das Geld für den Film aus vier Ländern

stammte, kann doch aufgrund der Genres und der vor wie hinter der Kamera Mitwirkenden attestiert werden, dass der Film von der nordamerikanischen und italienischen Filmkultur dominiert wird. 2

Da der rogue cop am Rande der Legalität operiert und das Verbrechen mit geradezu sadistischer und menschenverachtender Härte ausmerzt, wurden die Filme oft als tendenziell faschistoid (ab)gewertet. Dies gilt insbesondere für den brutalen italienischen poliziesco (vgl. Barry 2004).

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der Schwester des Protagonisten, ihn anzurufen. Doch schließlich verdrängt die Action-Sequenz den parallelen Plot, da der Protagonist sich über die Kontaktversuche seiner Schwester als lästige ‚Störung‘ empört und sie letztlich ignoriert, um die Verfolgung der Bankräuber fortzusetzen. Erst im Nachhinein, wenn der Giallo in der Aktualisierung mehrerer GenreKonventionen explizit geworden ist, kann die Spannung in dieser Parallelmontage genre-theoretisch gelesen werden: Innerhalb der opening sequence, die aufgrund des Sujets, der Verfolgungs-Sequenz und des stereotypen Protagonisten vorrangig dem Genre rogue cop zugeschrieben werden kann, bahnte sich durch die Schwester der Giallo-Plot als generische ‚Störung‘ an. Das ‚KonkurrenzGenre‘ Giallo wurde durch die genre-konstitutive Figur des rogue cop denunziert und letztlich vom Genre rogue cop verdrängt, damit dessen genre-typische opening sequence ungehindert fortgesetzt werden konnte. Und so verfolgt der Protagonist die Bankräuber im Verlauf der Flucht mit einer Gewalt, die den Verbrechern in nichts nachsteht. Diese Action-Sequenz macht den Rezipienten mit einem Protagonisten vertraut, der als stereotyper brutaler, raubeiniger Polizist daherkommt. Darüber hinaus kann der Rezipient aufgrund der für das Genre rogue cop konventionellen Eröffnungs-Sequenz für den weiteren Verlauf des Films erwarten, dass der Protagonist in den späteren Verfolgungsjagden und Schießereien, die im Film als genre-typisches Spektakel geboten werden mögen, mit derselben Kälte und Härte agieren wird. Kurz: Die Sequenz legt dem Rezipienten nahe, dass es die erste Kostprobe eines konventionellen rogue-cop-Films ist. Umso mehr kann es überraschen, dass direkt im Anschluss plötzlich die Erzählperspektive wechselt: zunächst hin zur enttäuschten und besorgten Schwester des Protagonisten, dann schließlich zu einem Arzt, der mit ihr ein außereheliches Verhältnis hat und von ihr dazu veranlasst werden soll, seine Gattin zu verlassen. Diese melodramatische Dreieckskonstellation führt schließlich zum gewaltsamen Tod der Schwester durch Gift. Damit beginnt die eigentliche Handlung des Films, für die wiederum die unmittelbar vorangegangene opening sequence des Genres rogue cop kaum eine weitere Bedeutung hat. Bereits diese knappe Skizze der Struktur der Genre-Verhandlungen in UNA MAGNUM SPECIAL PER TONY SAITTA wirft unübersehbar die Frage danach auf, wie man eine solche recht klar eingrenzbare und identifizierbare Sequenz wie die opening sequence des Genres rogue cop bezeichnen kann, die für die GenreZuschreibung des Rezipienten von zentraler Bedeutung ist? Für solche Inszenierungen von genrespezifischen Sequenzen wurde von der Forschung zum Horrorfilm die Bezeichnung der ‚Nummer‘ übernommen. Verwendung hatte der Begriff zunächst vorrangig in Studien zum pornographischen Film gefunden, wo er zur Analyse von einzelnen Szenen innerhalb der Matrix einer episodischen,

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DAS SET - PIECE

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wenig kohärenten Narration diente (vgl. Meteling 2006: 98-101). Obwohl sich strukturelle Analogien zwischen der Pornographie und dem postklassischen Horrorfilm3 ausmachen lassen und das Konzept der Nummer daher ein analytisches Potenzial offeriert, trägt die Bezeichnung ‚Nummer‘ immer auch den populären Vorwurf mit sich, dass es sich beim postklassischen Horrorfilm um ‚Gewaltpornographie‘ handele. Dieser Vorwurf, zu dem es eine Vielzahl an Positionen gibt, kann eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Strukturen des Zusammenspiels von Narration und Spektakel in beiden Genres leicht verstellen. Daher wird hier auf eine andere, ‚verwandte‘ Bezeichnung zurückgegriffen, die sich in der Forschung zum Giallo als eine Alternative zu der problematischen Bezeichnung ‚Nummer‘ ausgebildet hat: Statt der negativ konnotierten ‚Nummer‘ hat Mikel J. Koven im Anschluss an Donato Totaro den Begriff des „elaborate set-piece“ vorgeschlagen. Das set-piece beschreibt Totaro folgendermaßen: „[...] a situation or set of actions where narrative function (character development, plot exposition or key story point) gives way to ‚spectacle‘.“ (Totaro 2003: 162) Indem das set-piece4 weitaus länger und spektakulärer in Szene gesetzt 3

Als postklassischen Horror bezeichnet man den Horrorfilm seit ca. 1968. Obwohl ein Bruch mit den Regeln des klassischen Horrorfilms – wie etwa der Exotik des sujets, die Verfremdung der Bedrohung zum Monster, der geschlossenen Narration etc. – auch bereits 1960 in den etwa zeitgleich erschienen Filmen PSYCHO und PEEPING TOM (UK 1960, R: Michael Powell) erfolgt war, war daraus kein erfolgreicher Zyklus des Horrorfilms hervorgegangen, in dem die neuen Inszenierungsstrategien iteriert und konventionalisiert wurden. Dies erfolgte erst 1968 nach dem Überraschungserfolg von THE NIGHT OF THE LIVING DEAD, der nicht allein die Produktivität des Genres zur Verhandlung von Gegenwartsproblemen – wie dem Vietnamkrieg oder den innenpolitischen Konflikten in den USA – aufzeigte, sondern der auch das Produktionsmodell etablierte, dass Horrorfilme statt von Studios von unabhängigen Produzenten finanziert wurden, die diese dann zur Distribution an Studios verkauften. Für einen kurzen Abriss der Entstehung und Abgrenzung zum klassischen Horrorfilm siehe die Monographie von Catherine Shelton, die ebenfalls 1968 als Jahr der Etablierung des postklassischen Horrors mit Blick auf die Kombination aus THE NIGHT OF THE LIVING DEAD als erfolgreiche Independent-Produktion und ROSEMARY’S BABY (USA 1968, R: Roman Polanski) als erfolgreiche Hollywood-Produktion behandelt (vgl. Shelton 2008: 120-151). Für die Analyse des Wechsels vom klassischen zum postklassischen Horrorfilm siehe die für die Forschung eminent wichtige Abhandlung von Robin Wood, der den postklassischen Horrorfilm in ‚konservativen‘ und ‚apokalyptischen‘ Horrorfilm untergliedert (vgl. Wood 2003: 63-84).

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Ebenso wie bei Koven wird auch hier Totaros Definition des elaborate set-pieces für die Bezeichnung set-piece übernommen, da das, was Totaro als reguläres set-piece be-

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wird, als es für den Fortgang der Story notwendig wäre, wird es selbst zum aus der Narration fallenden cinema of attraction.5 Obwohl set-pieces auch in Hollywoodgenres vorkommen, argumentiert Totaro dafür, dass im populären italienischen Film wesentlich öfter und gravierender für das set-piece als einem „entertainment as pure spectacle“ (ebd.) auf die „narrative coherency and characterisation“ (ebd.) verzichtet wird, die insbesondere für die Classical Hollywood Narration konventionell sind.6 schreibt, nichts anderes als ein anderer Terminus für Sequenz ist. Daher ist es sinnvoller zwischen der regulären Sequenz und dem set-piece zu unterscheiden. 5

Tom Gunning hat die Unterscheidung von cinema of attraction und cinema of narration etabliert (vgl. Gunning 2008), um darauf hinzuweisen, dass in den ersten zehn Jahren der Filmgeschichte solche Filme, die ein Spektakel boten – seien dies die naturalistischen Filme der Lumières oder die Spielereien mit den Möglichkeiten filmischer Gestaltung bei Méliès –, narrative Filme bei weitem in ihrer Zahl und Beliebtheit übertrafen. Obwohl jedem Film eine Narration vom Rezipienten zugeschrieben werden kann, betont Gunning damit, dass das neue Medium anfangs vor allem als neue mediale Erfahrung angepriesen wurde, um Zuschauer anzulocken und sich als Massenmedium zu etablieren. Genres wie Action, Thriller oder Horror werden oft aufgrund der Dominanz eines audiovisuellen Spektakels über eine Classical Hollywood Narration als cinema of attraction bezeichnet. Linda Williams hat schlüssig argumentiert, dass seit dem Entstehen des neuen Blockbuster-Kinos in der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine Renaissance des cinema of attraction in Hollywood andauert, in der zwar nicht die Inszenierungsstrategien der Frühzeit des Films aufgegriffen werden, wohl aber die Agenda, durch das mediale Spektakel und das Staunen über die Weiterentwicklung der medialen Möglichkeiten Zuschauermassen (zurück) in die Kinos zu locken, um sich gegen andere Massenmedien wie damals das Fernsehen oder heute das Internet und das Home Cinema zu behaupten (vgl. Williams 2000: 356-358).

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Nach Bordwell zeichnet sich die Classical Hollywood Narration unter anderem durch eine streng progressive lineare Handlung, zwei Plotstränge und einen durch diese motivierten Protagonisten, einen klarer vorgegebenen zeitlichen Endpunkt und damit eine geschlossene Narration aus (vgl. Bordwell 1985: 156-166). Totaros Betonung des Exzesses des set-piece in Relation zu seiner narrativen Funktion rückt diese spezielle Textkomponente auch in die Nähe des Konzeptes des cinematic excess, wie es maßgeblich von Kristin Thompson ausgearbeitet wurde (vgl. Totaro 2003: 163). Nach Thompson muss jeder cinematic excess in konventionellen Spielfilmen (nachträglich) narrativ motiviert werden (vgl. Thompson 1986: 133f). In diesem Sinne würden die set-pieces des Giallos entweder durch ihre Funktion als Spuren zur Auflösung des Kriminalfalls oder durch ihre Funktion als Re-Inszenierung des Traumas des psychisch gestörten Mörders ‚motiviert‘ werden.

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Einen der wenigen Ansätze zur genre-theoretischen Erörterung von genrespezifischen Nummern und deren Exzess der Inszenierung hat Linda Williams mit ihrem Aufsatz über verschiedene systems of excess vorgelegt, die unter der alternativen Bezeichnung der body genres zum Standardvokabular der GenreTheorie avancierten (vgl. Williams 2003: 141f): Die Ausgangsthese von Williams besagt, dass in den Genres Melodrama, Horror-Film (seit den 70er Jahren) und Pornographie das Spektakel des materiellen bzw. körperlichen Exzesses die Narration dominiert. In den ‚Nummern‘ dieser Genres werden die jeweiligen emotionalen Intensitäten, die vorrangig durch die weiblichen Figuren verkörpert werden, mimetisch von den Rezipienten miterlebt – daher: body genres.7 Die Nummern bzw. set-pieces – eine Unterscheidung wird später getroffen und begründet werden – bieten daher genrespezifische Kopplungen von Spektakel und Affektmodellierung. Im Umkehrschluss stellen sie somit auch deutliche GenreMarkierungen dar und haben besondere Effekte auf die Genre-Verhandlungen in einem Film und deren Diskursivierung. Eine eingehende genre-theoretische Erörterung des set-pieces ist die Forschung bisher schuldig geblieben. Auch Mikel J. Koven diskutiert das set-piece lediglich innerhalb seiner Funktion des italienischen vernacular cinema8 als eine ‚effekthascherische‘ Inszenierung, die die Aufmerksamkeit eines unkonzentrierten Publikums lenken kann (vgl. Koven 2006: 127-129).9 Das set-piece muss 7

Das zentrale Argument von Linda Williams zur Ein- und Abgrenzung der body genres ist, dass derselbe Affekt, der durch den weiblichen Körper inszeniert werde, zwangsweise auch im Körper des Rezipienten evoziert werde. In der Komödie wird hingegen oft aus Schadenfreude über etwas gelacht, das gerade nicht komisch ist. Das Missgeschick des Clowns ist eigentlich tragisch, evoziert aber Lachen. Diese Definition ist jedoch zu dogmatisch, da je nach den Konventionen und Rezeptionserfahrungen die dem Melodrama, der Pornographie oder dem Horror zugeschriebenen Affekte ihre Wirkung verfehlen können und sehr verschiedene Effekte haben können. Williams operiert zudem mit sehr weit gefassten Definitionen von Genres, die sie vorrangig durch drei forciert gesetzte Kriterien bestimmt: (1) die Konkretisierung von Affekten in Körpern und die Evokation von körperlichen Affekten, (2) ihre psychoanalytische Systematik und (3) die Organisation, den Typ und die Zeitlichkeit der Lust. Eine präzisere Eingrenzung und Differenzierung der Kategorien wäre jedoch wesentlich produktiver (vgl. Williams 2003: 143, 148-156).

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Als vernacular cinema bezeichnet Koven einen Ansatz, der Filme aufgrund der Rezeptionspraxis eines kulturell und geschichtlich spezifischen Publikums in seiner Funktion als Folklore bzw. ‚Volkskultur‘ analysiert (vgl. Koven 2006: 19-43).

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Mikel J. Koven greift für diese Argumentation die Ausführungen von Christopher Wagstaff auf, der drei Typen von italienischen Kinos in den 60er und 70er Jahren un-

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nach Koven früh die Erwartungen des Publikums evozieren, damit dieses auf deren Erfüllung gespannt ist und sich auf die Modellierung von Affekten durch erotische Inszenierungen, spannende Verfolgungsjagden, den Aufbau einer unheimlichen Atmosphäre oder ähnliche Inszenierungen einlässt. So detailliert Koven auch diese seduktiven Strategien der set-pieces deskriptiv darlegt, so wenig erklären dieselben Strategien die generischen Effekte der set-pieces. Dies ist besonders daher frappierend, da Koven, der auf Totaro und Williams referiert, nicht näher darauf eingeht, dass seine Beispiele für set-pieces hochgradig genrespezifisch sind: Von den vier set-pieces, die Koven für den Giallo identifiziert, behandelt er nur das murder set-piece, das er als das ‚zentrale‘ set-piece des Genres bezeichnet und das alle anderen set-pieces beinhalten könne (vgl. ebd.: 127).10 Auch Totaro benennt lediglich Beispiele, die sich eindeutig jeweils einem Genre zuweisen lassen, wie beispielsweise die Musical-‚Nummer‘ im Genre Musical (vgl. Totaro 2003: 173). Paradoxerweise bezeichnet Koven das set-piece zuvor in einem Nebensatz passend als „a unique mini-movie within a larger filmic context.“ (Koven 2006: 127) Es gilt zu betonen, dass es hier nicht darum geht, das set-piece als ein Modell der Analyse von Genre-Verhandlungen zu begründen, das sich in allen Genres analog zum Giallo finden lässt.11 Stattdessen steht das set-piece und seine Releterscheidet (vgl. Wagstaff 1992): das prima visione, das seconda visione und das terza visione. Unterschieden werden durch diese Begriffe die großen und teuren Kinos in den Großstädten (prima visione) von den billigeren Kinos (seconda visione) und von den ländlichen Kinos (terza visione). Wagstaff argumentiert, dass viele Genre-Filme vor allem für das terza visione geplant gewesen wären, dessen Publikum eher mit einem zerstreuten Fernsehpublikum zu vergleichen ist. Beispielsweise redet das Publikum des terza visione während der Vorstellung, kommt und geht unabhängig von Anfang und Ende des Films und trifft keine gezielte Filmauswahl, da es mehrmals in der Woche ins Kino geht. Dass Gialli auch im terza visione aufgeführt wurden, steht außer Frage, dass die Filme aber dieses Publikum als Hauptzielgruppe adressierten, kann Koven nicht belegen oder plausibel begründen. 10 Als weitere set-pieces des Giallos nennt Koven: die suspense sequence, die sex sequence und die violence sequence. Auf den problematischen Status dieser weiteren set-pieces, seine unreflektierte Verwendung von set-piece und sequence als Synonyme und die Frage, warum er lediglich das murder set-piece eingehend analysiert, wird im Folgenden noch einzugehen sein. 11 Es sei in diesem Kontext erwähnt, dass das set-piece bisher nicht in die filmwissenschaftlichen Genre-Theorien integriert worden ist. Einzelne Genre-Studien zum Horrorfilm und insbesondere zum Slasher operieren manchmal mit der Bezeichnung „setpiece“ – in englischen Texten – bzw. der Bezeichnung „Nummer“ – in deutschen

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vanz sowohl für die Genre-Verhandlungen in den Filmen als auch für ihre Diskursivierung paradigmatisch für signifikante Text-Komponenten, die sich – wie das set-piece im Giallo – durch ihre relative Stellung in der konventionellen Struktur der Genre-Muster auszeichnen. So nimmt das murder set-piece im Giallo beispielsweise eine zentrale Funktion in der Narration ein. Da zugleich aber auch durch seine besondere Position in der Spektakelökonomie und der Affektmodellierung die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf diese Text-Komponente gelenkt wird, hat es besonders starke Effekte auf seine Diskursivierung. Im Fall des Giallos wurde das murder set-piece im Zentrum der Genre-Definitionen als die wichtigste konstitutive Genre-Konvention verankert. Das set-piece steht damit beispielhaft für die Identifikation von signifikanten Text-Komponenten, die sich als Varianzbereiche der Genre-Verhandlung begreifen lassen. Mit dem genre-theoretischen Modell des set-pieces lassen sich nun auch die Genre-Verhandlungen von UNA MAGNUM SPECIAL PER TONY SAITTA genauer herausarbeiten: Dass das erste set-piece, die Verfolgungs-Sequenz, in sich so sehr geschlossen sein kann, dass es kaum eine weitere Relevanz für den nachfolgenden Kriminalplot hat, zeigt, inwiefern jedes set-piece als „mini-movie“ – wie Koven pointiert formulierte – für sich allein stehend als ‚gesättigtes‘ Rezeptionserlebnis angesehen werden kann.12 Da jedoch dieses set-piece zugleich als Teil der Exposition dem Rezipienten seinen Protagonisten vorstellt, kann es daher auch die Erwartung generieren, dass dessen Eigenschaften und Berufsauffassung, die von außerordentlicher Aggressivität und Menschenverachtung domiTexten –, ohne das Konzept jedoch genre-theoretisch zu reflektieren. Interessanterweise hat sich das set-piece jedoch in Diskursen zum Giallo so breit etablieren können, dass der Begriff beispielsweise in den Filmographien aber auch auf englischsprachigen DVD-Covern zu finden ist. Über den Giallo IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA

(1977) heißt es beispielsweise in der englischsprachigen Filmographie: „[The

film] represents director Bido’s first attempt to follow in Argento’s footsteps, even though it lacks the audacious set pieces of the latter.“ (Luther-Smith 1999: 21) Das Cover der britischen DVD bewirbt den Film mit einem ähnlichen, doch (werbewirksam) positiv ausfallenden Hinweis: „Bido weaves a web of one nod and a wink after another […] with skillful set-pieces of his own […].“ (WATCH ME WHEN I KILL: Shameless Screen Entertainment: Shameless Fan Edition, UK 2009). 12 Gesättigt nenne ich diese besondere Sequenz daher, da in ihr sehr viele IterationsMuster und Codes des Genres verdichtet werden und die für das Genre typische Affektmodellierung über einen klar strukturierten Spannungsbogen zu einem eindeutigen Höhepunkt – im Giallo: der sexualisierte Mord – als zugleich Realisierung und Entladung der Affekte kommt. Das vom Genre vorrangig gebotene Rezeptionserlebnis tritt also in dem set-piece in höchster Intensität auf.

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niert werden, den weiteren Film generisch determinieren und strukturieren werden. Es wäre also aufgrund des ersten set-pieces zu erwarten, dass der Protagonist für den Tod seiner Schwester Rache nehmen wird, indem er den Mörder mit derselben oder einer noch größeren Brutalität stellt und bestraft, mit der er schon die Bankräuber verfolgt hatte. Doch dem ist nicht so. Stattdessen findet ein Bruch mit den Erwartungen statt. Das Verbrechen fungiert nicht als Anlass für einen rogue-cop-Film, sondern läutet einen Kriminalfilm ein, der mit vielen Konventionen des Giallos aufwartet. Der rogue cop erweist sich so als kompetenter Detektiv, der insgesamt sehr kontrolliert und ruhig auftritt. Sein Verhalten und die Fortsetzung des Kriminalfalls als murder mystery konfligieren jedoch mit den Genre-Signalen des eröffnenden set-pieces. Stattdessen mehren sich zunehmend die Genre-Signale des Giallos. Zu diesen ist beispielsweise die Erinnerungsthematik zu zählen,13 da der Freund der Schwester in einer Gesprächsszene einen Teil der opening sequence kommentiert, die der Rezipient während des Vorspanns und vor dem ersten set-piece des Genres rogue cop ohne Ton gesehen und womöglich gerade aufgrund des direkt darauf folgenden spektakulären setpieces leicht wieder vergessen haben kann. Kurz darauf konkretisiert sich das Genre Giallo in zwei murder set-pieces, in denen diverse Genre-Konventionen in Szene gesetzt werden: das musikalische Leitmotiv zur Ankündigung des Mordes, die quasi subjektiven Kamera-Einstellungen aus der Perspektive des Mörders, die düster inszenierte mise-en-scène,14 die Andeutung und Verschleierung des Täters durch Indizien wie Schuhe und spezielle Geräusche und letztlich schließlich der Mord durch eine phallisch konnotierte Waffe, ein Eisenrohr. Alle diese Inszenierungen erscheinen hochgradig konventionell für den Giallo und können daher dem Rezipienten vermitteln, dass es sich beim Film inzwischen 13 Mit der Etablierung der zweiten Giallo-Formel 1970 durch Dario Argentos Debütfilm L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO wurden zwei für das Genre zentrale Erinnerungsthematiken eingeführt. Da der durch Geldgier motivierte rationale Mörder durch einen traumatisierten Psychopathen ersetzt wurde, ist es das Trauma als unverarbeitete Gewalterfahrung in der Vergangenheit, die in den Morden in der Gegenwart re-inszeniert wird. Da die Detektivfigur zudem eine persönlich in den Fall involvierte Figur ist – zumeist ein Augenzeuge – liegt der Schlüssel zur Identifikation des Mörders zumeist in einem Erlebnis der Detektivfigur, das als Erinnerung wiederholt reproduziert, re-perspektiviert und re-modelliert wird. Die Detektivfigur kann ebenso wenig vergessen wie der Mörder. Durch die Erinnerung wird zugleich das murder mystery konstituiert und es letztlich auch gelöst. 14 Als mise-en-scène seien hier im Anschluss an Bordwell und Thompson lediglich setting, staging, lighting und costume and make-up verstanden (vgl. Bordwell/Thompson 2004: 179-207).

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um einen Giallo handelt.15 Spätestens diese murder set-pieces des Genres Giallo stehen als eindeutige Genre-Markierungen und Knotenpunkte der Filmrezeption und -Lektüre im direkten Widerspruch mit dem ersten set-piece des rogue-copGenres. Das Genre Giallo wurde gerade durch den Kriminalplot, der erst durch es initiiert und vorangetrieben worden ist, und die zwei murder set-pieces16 im Kontrast zu dem ihnen vorangehenden set-piece des rogue cop als das dominante Genre des Films etabliert, als sich in der 39. Minute ein weiterer Genrebruch ereignet: Die Befragung eines von vielen Verdächtigen entwickelt sich plötzlich zu einer rüden Schlägerei, auf die eine kurze Verfolgungsjagd zu Fuß folgt. Diese Inszenierung schließt somit wieder an das allererste set-piece an. Und tatsächlich ist sie für die Ermittlungen des murder mystery kaum von Relevanz; sie setzt aber stattdessen eine Reihe von drei weiteren analog inszenierten set-pieces in Gang, in denen der rogue cop Informanten verfolgt und ihnen durch Gewaltanwendung Informationen abringt. Der Genre-Wechsel vollzieht sich merklich in verschiedenen Inszenierungsstrategien wie der Narration – war der Giallo zugleich progressiv und retrospektiv angelegt,17 so ist der rogue cop als Rachestory nur progressiv ausgerichtet – oder der extradiegetischen Musik – wurden die murder set-pieces des Giallos durch ein für das Genre typisches musikalisches Leitmotiv begleitet, so erklingt in den set-pieces des Genres rogue cop eine für das Genre und den Actionthriller der 70er Jahre typische Funk-Musik. Da die set-pieces des Genres rogue cop jedoch ebenso wie das allererste set-piece des Genres nicht in den Giallo (re-)integriert werden und keine Effekte auf dessen Kriminalplot haben – der Genre-Wechsel sich also als Sackgasse für die konventionellen Ermittlungsmethoden des Giallo-Plots erweist –, ereignet sich nach diesen set-pieces des rogue-cop-Genres schließlich ein weiterer Bruch, in dem dieselbe Inversion unter umgekehrtem Vorzeichen erfolgt. Durch einen neuen Beweis wird ein neuer erster Mordfall der bisherigen Handlung vorangestellt, den es zu klären gilt und der eine neue Spurensuche für den Protagonisten in der 15 Sofern der Rezipient das Genre kennt. Einen kanadischen statt italienischen oder cineastisch bewanderten Rezipienten mögen die set-pieces hingegen wohl eher verwirren und enttäuschen, da sie weder Schusswaffen beinhalten, die im ersten set-piece als Instrumente sowohl der Bedrohung der Ordnung als auch ihrer Rekonstitution eingeführt wurden, noch den Protagonisten motivieren, zum schießwütigen Rächer zu werden. 16 Im zweiten set-piece gelingt der Mord zwar nicht, aber er erfüllt die Konventionen des Genres durch seine Inszenierung und die Montage, die einen Verdächtigen generiert und zugleich Interpretationsspielraum lässt, damit der Rezipient weiter rätseln kann. 17 Zur Dynamik der beiden Plots eines murder mystery siehe: Lindemann 2002.

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Funktion des professionellen Detektivs des Giallo-Plots ermöglicht. Dass kurz nach dem Genre-Wechsel erneut ein sehr konventionelles murder set-piece folgt, kann als Stabilisierung des gerade wieder eingeführten Genres Giallo gedeutet werden. Wie die bisherige genre-theoretische Lektüre der Struktur des Filmes zeigt, interagieren die Genres rogue cop und Giallo in diesem Film nicht, sie werden nicht als Hybride ausgehandelt, sondern stehen als Genre-Mixing nebeneinander, da die set-pieces der beiden Genres konfligierende Lektüre-Anweisungen hinsichtlich des Genres und der daraus ableitbaren Erwartungen an den weiteren Verlauf präsentieren. Insbesondere die rogue cop set-pieces stellen zwar in sich geschlossene, stringente generische und inszenatorische Einheiten dar und mögen als „mini-movies“ rezipiert werden können, aber sie werden nicht in das Genre Giallo integriert, das insgesamt den Film dominiert und vorrangig die Handlung trägt.

8.1 N ARRATION UND N UMMERN -L OGIK An dieser Stelle ist es angesagt, das Verhältnis von Nummer und set-pieces zur Narration zu erörtern.18 In der Forschung sind zwei Formationen dieser Diskussion zu unterscheiden: Zum einen hat Linda Williams eine genre-unspezifische Erörterung der Nummer vorgelegt (vgl. Williams 1995: 176-178), während zum anderen diese Argumentation für die strukturelle Analyse von einzelnen Genres aufgegriffen wurde, was den Großteil der Forschung zur Nummer ausmacht. In einer der ausführlichsten und meist zitierten Genre-Studien, die dieser Agenda

18 Es kursieren sehr verschiedene Vorstellungen davon, was unter Narration zu fassen sei. David Bordwell und Kristin Thompson verstehen Narration beispielsweise als den Prozess, durch den Rezipienten Wissen vermittelt wird (vgl. Bordwell/Thompson 2004: 67-72): Narration ist die Art und Weise, in der die Story – die chronologische Handlung und die diegetische Welt mitsamt all dessen, was der Rezipient zu den vom Film präsentierten Informationen ergänzt – als Plot – die tatsächlich vom Film audiovisuell präsentierten Informationen – realisiert wird. Damit können auch Inszenierungs-Strategien wie Kamera-Einstellungen und Montage zur Narration gezählt werden. In anderen Studien findet sich hingegen öfter ein eher vager Begriff von Narration, der sich als voranschreitende Handlung begreifen ließe. Dieser Unterschied ist gravierend, da exzessive Spektakel bei Bordwell und Thompson natürlich zur Narration gezählt würden, während sie in anderen Studien als eine Verlangsamung oder sogar als ein Aussetzen der voranschreitenden Handlung aufgefasst werden.

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folgen, hat Cynthia A. Freeland – soweit sich dies re-konstruieren lässt: als erste – die Nummer für die Analyse des Horrorfilms fruchtbar gemacht (vgl. Freeland 2000: 256-265): Ohne jegliche genre-theoretische Reflexion versteht Freeland die Nummern als eine explizite Inszenierung dominanter Genre-Konventionen, die zugleich aufgrund ihrer Bekanntheit als Genre-Markierungen perspektiviert werden können. Als die Nummern des Horrorfilms bezeichnet sie solche Szenen, in denen das Monster oder unheimliche Ereignisse das organisierende Zentrum der Ästhetik und der Narration seien. Diese eher allgemeine Formulierung erlaubt ihr wiederum die Unterscheidung von drei verschiedenen Funktionen der Nummern: (1) Nummern, die die Narration befördern – wie zum Beispiel die Interaktion mit dem Monster; (2) Nummern, die die Affektmodellierung des Genres intensivieren – wie zum Beispiel die Verdichtung einer unheimlichen Atmosphäre in der Furcht erregenden Erscheinung des Monsters; (3) Nummern, die ein für sich stehendes Spektakel zum Lustgewinn, ein „aesthetic pleasure of cinematic display“ darstellen – wie zum Beispiel die zerstörerischen Taten des Monsters. Diese Funktionen sind keine exklusiven Alternativen, sondern überschneiden sich. So beeinflusst beispielsweise eine Nummer, in der das Monster eine Figur angreift, sowohl die Narration (Typ 1) als auch die Affekte des Schocks und des Entsetzens (Typ 2) und kann je nach Inszenierung und LektüreReglement auch als exzessives Spektakel rezipiert werden (Typ 3). Freelands Ausführungen laufen auf die genre-historische Diagnose hinaus, dass in den Horrorfilmen der 80er und 90er Jahre – deren serielles Prinzip vor allem in Slasher-Serien wie HELLRAISER (9 Filme, 1987-2011), NIGHTMARE ON ELM STREET (9 Filme, 1984-2010) und FRIDAY THE 13TH (12 Filme, 1980-2009) explizit wird – zunehmend die ersten beiden Funktionen durch die dritte Funktion verdrängt würden, die zugleich zum autonomen Spektakel gesteigert würde. Freeland ist bemüht, dies nicht abzuwerten und spricht implizit eine Reflexion der höheren Serialität des Horrorfilms in der Verdichtung der für eine Serie typischen Konventionen auf eine reine Nummernlogik an, an deren subtilen Iterations-Mustern sich vorrangig ein mit der Serie vertrautes Spezialpublikum delektieren kann. Dennoch unterliegt ihrer Argumentation einer latenten Kritik an den fehlenden mit einander gekoppelten narrativen und affektpolitischen Funktionen, da sie zuvor bereits das Werturteil eingeführt hatte, dass sich in sozusagen ‚gelungenen‘ Horrorfilmen diese Funktionen überlagern. Dies verdeutlicht wiederum, dass die Nummer bei der streng genre-immanenten Analyse von Cynthia A. Freeland eher als narratives Prinzip verstanden wird, ohne jedoch genre-theoretisch reflektiert zu werden. Dass die Nummern die Handlung nicht nur strapazieren, sondern tendenziell sogar teilweise aussetzen, ist eine Kritik, die von Freeland und anderen vor allem

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an den Horrorfilmen der 80er und 90er Jahre gerichtet wird (vgl. ebd.: 261-263). In diesem nicht weiter spezifizierten Zeitraum dominierten einerseits nicht allein die Genres Slasher und Zombiefilm, sondern Splatter setzte sich auch als ästhetisches Leitprinzip für ein Publikum durch, dessen Rezeptions- und Aneignungsmodi sich durch das Medium Video maßgeblich geändert hatten. Diese Tendenz der Auflösung einer kohärenten Erzählung zugunsten eines iterativen Spektakels bezeichnet Arno Meteling pointiert als „Nummern-Revue“ des Horrorfilms (vgl. Meteling 2006: 88-95, 100f). Eine konventionelle Narration wird in diesen Fällen substituiert durch eine Nummern-Logik, die oft gekoppelt ist an eine Überbietungslogik. Doch dieses Muster findet sich nicht erst in den Horrorfilmen der 80er Jahre, sondern – und man könnte diese Tradition filmhistorisch bis zu den SlapstickFilmen der Stummfilmzeit zurückverfolgen – auch in einem Film wie UNA MAGNUM SPECIAL PER TONY SAITTA, dessen set-pieces des Genres rogue cop ebenfalls keiner narrativen, sondern einer Logik des Spektakels und dessen Überbietung folgen: Die Verfolgungsjagd beginnt, wie eine andere Verfolgungsjagd zuvor auch, zunächst zu Fuß, wird dann aber schnell in eine Autoverfolgungsjagd überführt. Dieser Wechsel der Fortbewegungsart stellt nicht allein die Überbietungslogik unter den set-pieces aus, sondern auch ihre Funktion zur Steigerung der Spannung und des Rezeptionsvergnügens innerhalb des set-pieces, da die Stunts mit den zunehmend desaströser demolierten Autos immer spektakulärer ausfallen. Die Dominanz dieses Spektakels wird in der viermaligen Wiederholung eines Sprungs über eine rapide abfallende Straße am Hang explizit. Aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven wird dasselbe Spektakel gezeigt, das zugleich für Verfolgungsjagden im rogue-cop-Genre der 70er Jahre konventionell ist. Dieser vermeintliche Höhepunkt des set-piece wird dann jedoch durch einen Sprung über einen Güterzug überboten. Obwohl diese ca. 20 Minuten, die lediglich aus aneinander gereihten Action-set-pieces des rogue-cop-Genres bestehen, weder den Giallo-Plot voranbringen, noch mit dessen Konventionen vereinbar sind, ist die Sequenz unterhaltsam, da die narrative Logik durch eine Nummernund Überbietungslogik substituiert ist. Doch die Nummern-Logik ist nicht allein als eine Verkettung von spektakulären Sequenzen zu verstehen, sondern die Nummern-Logik kann auch eigene Muster und Codes konstituieren. Linda Williams sah in diesem Sinne in der Nummer kein Aussetzen der Narration. Obwohl die Nummer sich eindeutig als besondere Einheit in der Narration identifizieren lässt, betont Williams zwei wichtige Aspekte: Erstens haben Narration und Nummer Effekte aufeinander. Zweitens unterhalten die Nummern untereinander Beziehungen, da zum Beispiel die in einer Nummer auftretenden Konflikte durch eine andere Nummer gelöst

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werden können. Mit Rekurs auf Steve Neale führt Williams das Beispiel des Westerns an, in dem die Gewalt des Antagonisten durch die Gewalt des Protagonisten beantwortet und beendet wird (vgl. Williams 1995: 176-178): Das finale Duell fungiert gleichsam als Flucht- und Endpunkt der Serie der vorherigen Duell-Nummern. Analog zeigt Williams, wie Tanznummern im Musical der 30er Jahre aufeinander Bezug nehmen und so in ihrer Nummernlogik einen eigenen narrativen Strang darstellen. Die Besonderheit dieser Nummernlogik liegt für Williams, wie sie wiederum mit Rekurs auf Neale ausführt, gerade darin, dass transgenerische strukturelle Topoi/Funktionen – wie etwa die Inszenierung von Konflikten und deren Lösungen – in den Nummern ihre genrespezifische Konkretisierung erfahren.19 Der Gedankengang von Williams lässt sich leicht durch die Nummernlogik der murder set-pieces des Giallos fundieren, da sich darin vor allem der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Formel des Genres äußert: In der Krimi-Formel folgen die Morde aufeinander, um das Initial-Verbrechen zu verschleiern, indem etwa Zeugen an vorherigen Morden eliminiert werden, belastende Beweise durch den Mord an deren Besitzern der Ermittlung entzogen werden oder willkürlich gewählte Opfer als Ablenkung ermordet werden. In der Psycho-Formel wird hingegen in den Nummern ein Trauma re-inszeniert, das als erste Nummer stets abwesend ist. Diese Nummernlogik ist keine narrative Lo-

19 Ähnlich hat dies Carol J. Clover mit Rekurs auf Williams paradigmatisch auch an den Gender-Verhandlungen gezeigt, die im Slasher vorrangig in den Nummern prozessiert werden und so die Konstellation von Serienkiller, Opfern und final girl hervorbringen (vgl. Clover 1992: 21-64): Carol J. Clover hat in ihrer Pionierstudie zur Interdependenz von Genre und Gender im Horrorfilm aufgezeigt, dass der Mörder und die weibliche Heldin im Slasher unter gender trouble leiden. Der Killer wurde zumeist in der Kindheit traumatisiert und entwickelte sich nie über die ödipale Phase hinaus. In seinen Gewaltakten schreibt er den Opfern durch die mit phallischen Waffen zugefügten Wunden eine verletzliche Weiblichkeit körperlich ein, wodurch er selbst seine Männlichkeit performativ herzustellen versucht. Die weibliche Heldin, das final girl, ist hingegen weniger weiblich als ihre Freundinnen, die entweder einen sinnlicheren Körper als das final girl haben oder sexuell aktiver sind. Aufgrund dieser Ambivalenz und der Spiegelung des gender trouble des Mörders ist es das final girl, das nicht zum Opfer des Mörders wird, sondern überlebt. Wenn Sie am Ende den Mörder stellt und ihn mit seiner phallisch konnotierten Waffe ermordet – so vor allem in der zweiten Phase des Slashers –, ihn gleichsam kastriert, ‚ermannt‘ sie sich performativ. Diese Gender-Verhandlungsprozesse erfolgen primär performativ in den Gewalt-Nummern des Slashers.

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gik, sondern eine des autonomen Spektakels und der Überbietungslogik, zu deren Legitimierung das Trauma-Motiv dienen kann. Auch für die von Linda Williams und Cynthia A. Freeland diskutierten Beispiele für die Interdependenz von Nummer und Narration – Musical und Slasher – gilt es jedoch zu bemerken, dass diese ausgesprochen genrespezifisch sind. Der Begriff des set-pieces, wie er im Anschluss an Mikel J. Koven oben modelliert wurde, ist daher für diese Text-Komponenten produktiver, da dadurch der Blick auf die Genre-Signale der ‚Nummern‘ und ihr Verhältnis zu den Genre-Verhandlungen innerhalb eines Films gelenkt wird. Das Beispiel der rogue-cop-Eröffnungssequenz von UNA MAGNUM SPECIAL PER TONY SAITTA zeigt dies augenfällig: Einerseits handelt es sich zwar um eine Nummer mit der narrativen Funktion der Exposition des Protagonisten, aber durch die Bezeichnung als Nummer kommt der Genre-Konflikt des eindeutig generisch markierten set-pieces mit dem darauf folgenden dominanten Genre des Films – dem Giallo – nicht adäquat zum Ausdruck. Das set-piece ist hingegen mithin als Perspektivierung der Funktion der ‚Nummern‘ für die Verhandlungen und Lektüre-Anweisungen von Genres zu verstehen. Durch diese Unterscheidung kann auch Mikel J. Kovens intuitive Strategie erklärt werden, von den vier von ihm als set-pieces des Giallos identifizierten sequences lediglich das murder set-piece zu analysieren. Seine Begründung, dass dieses die Affektpolitiken der anderen set-pieces zumeist umfasse, ist zwar zutreffend. Viel relevanter ist aber, dass es sich bei diesem set-piece als einzigem tatsächlich um ein set-piece handelt, das für die Genre-Verhandlungen der Filme von zentraler Bedeutung ist. Die anderen drei von Koven genannten Text-Komponenten erfüllen eher die Funktion von Nummern, die aber im Giallo nicht genrespezifisch sind. Dies kann auch an der Vagheit ihrer Bezeichnungen abgelesen werden, verweisen diese doch lediglich auf das in der Nummer gebotene Spektakel der Gewalt, der Erotik oder des Suspense. Im Vergleich zum murder setpiece handelt es sich bei diesen Nummern – die übrigens höchst arbiträr sind und um andere Szenen wie beispielsweise die Kindheitstrauma-Szene erweitert werden könnten – um ein Spektakel, dessen konkrete Realisierung im Giallo, respektive in jeder generischen Konstellation jeweils genauer erörtert werden müsste. Die erotische Tanznummer, die sich zum Beispiel in vielen Gialli findet und die Koven zu den sex sequences zählt, findet sich sowohl im neorealismo rosa20 als auch im peplum, im Agentenfilm, in manchen Italowestern,21 in Ko20 So wurde beispielsweise Silvana Mangano erst durch ihre erotischen Tanznummern in RISO AMARO (I 1949, R: Giuseppe de Santis) zu einem Sexsymbol der 50er Jahre. In den Filmen der 50er Jahre musste sie dann aber auch stets diesen Nummern-Typ iterieren – unabhängig vom Genre des Films (vgl. Vitti 2004).

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mödien und natürlich in diversen ‚Autorenfilmen‘ der Zeit. Es steht außer Frage, dass die Tanznummer in der Nummernlogik jedes Genres strukturelle Funktionen und Konnotationen erhält. So dient sie im Giallo oft der Verunsicherung der Männlichkeit des Protagonisten und spiegelt die Kastrationsdrohung, die sich genre-spezifisch vor allem im murder set-piece kristallisiert. Jedoch zeichnet die erotische Tanznummer – beispielsweise im Giallo – keine genrespezifische Ästhetik, Ikonographie oder Funktion aus, die sie von Tanznummern in anderen Genres eindeutig unterscheidet. Auch im peplum dient die Tanznummer einem vergleichbaren Zweck: der Verführung des Helden, auf dass dieser seine Rechtschaffenheit oder seine Männlichkeit einbüßt. In beiden Genres, Giallo und peplum, trägt die erotische Tanznummer auch keine besonderen GenreMarkierungen, die sie etwa im Musical oder Tanzfilm als Konkretisierung und Verdichtung des Genres innehat. Dieses Beispiel der Tanz-Nummern zeigt, dass die Nummer nicht an sich genre-spezifisch oder genre-konstitutiv ist. Sie kann in manchen Genres konventionell aktualisiert werden, ohne dass sie an weitere Genre-Konventionen anschließt, während sie in anderen Genres wiederum auch als set-piece fungieren kann, in dem sich Genre-Konventionen verdichten und das als Lektüre-Anweisung gelesen werden kann. Gerade dadurch, dass die set-pieces des Genres rogue cop lose an den GialloPlot angeschlossen, aber nicht in diesen integriert werden, zeigt das GenreMixing UNA MAGNUM SPECIAL PER TONY SAITTA, dass das set-piece als Konkretisierung und Verdichtung von Genre-Konventionen vor allem in Genres des cinema of attraction – wie dem Actionfilm, dem Horrorfilm, dem Musical etc. – in dieser Funktion auftritt. In Genres, die stärker durch eine kohärente Narration gekennzeichnet sind – wie die Detektiverzählung oder das Beziehungsdrama –, können sie zwar vorkommen, werden aber kaum dieselbe Intensität und starken Effekte auf die Genre-Lektüre-Entscheidungen des Rezipienten und die Diskursivierung der Filme haben. Die Frage, ob Genres nach narrativen Kriterien produktiv differenziert werden können und welche Relevanz set-pieces in einem solchen narratologischen Genre-Modell innehätten, müsste in der Genre-Theorie noch eingehend diskutiert werden.22 In dem nachfolgenden Kapitel wird hingegen die Argumentation fortgeführt, dass set-pieces als Verdichtungen von Gen-

21 Der Eurowestern VIVA MARIA! (I/F 1965, R: Louis Malle) stellt dies parodistisch aus, indem er die für den Italowestern üblichen Tanz-und-Gesangs-Nummern explizit als maskierte Striptease-Nummern entlarvt. 22 Claudia Pinkas hat mit ihrer Monographie einen Vorschlag vorgelegt, der jedoch bezeichnenderweise gerade nicht auf der Ebene der Genres, sondern der Gattungen mit narratologisch gezogenen Differenzierungen operiert (vgl. Pinkas 2010).

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re-Konventionen und daher als besonders starke Genre-Lektüre-Anweisungen verstanden werden können.

8.2 K ONVENTIONALISIERUNG

UND

AKTUALISIERUNG

Dass die set-pieces zugleich eine in sich geschlossene Einheit bilden – mit Koven: „mini-movies“ (Koven 2006: 127) – und strukturelle Beziehungen zur gesamten Narration unterhalten sowie zusätzlich als Verdichtung von GenreSignalen gelesen werden können, wird insbesondere bei solchen set-pieces offensichtlich, die zugleich als opening sequences, also gleichsam als ‚generische Exposition‘ fungieren und dadurch die grundlegende Erwartungshaltung an den gesamten weiteren Film im besonderen Maȕe vorstrukturieren.23 Dem set-piece als verdichtete Anordnung von Genre-Konventionen ähnlich verweist Britta Hartmann auf die „narrativ in sich geschlossenen, actionreichen und spannungsgeladenen pre-title sequences wie etwa in den THE RAIDER OF THE LOST ARK-Serials oder in den James Bond-Filmen, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers fesseln und zugleich sämtliche Elemente der spezifischen erzählten Welt einführen.“24 (Hartmann 1995: 101f [Herv. i.O.]) Dass gerade bei seriellen Erzählungen im engeren Sinne zu Beginn jeder Erzählung durch Typen und die Iteration der Konventionen eine möglichst schnell und leicht dekodierbare Markierung der Texte als Bestandteil einer spezifischen Serie erfolgt, hat bereits

23 Britta Hartmann wählt für die Theoretisierung der Funktion einer opening sequence das aus der kognitiven Psychologie stammende Konzept des „priming“: „Die Konzepte primacy effect resp. priming beschreiben damit zugleich die Leistung des Textes, durch die gezielte und strategische Informationsvergabe in der Anfangsphase der Narration den Zuschauer gewissermaßen zu ‚programmieren‘ und ihn zum Aufbau prägender Eindrücke und bestimmender Handlungshypothesen anzuregen.“ (Hartmann 1995: 105 [Herv. i.O.]) Aufgrund der poststrukturalistischen statt kognitionswissenschaftlichen Anlage der hier verfolgten Argumentation wird auf das Konzept des priming verzichtet, da Genre-Signale den Rezipienten eben nicht „programmieren“, sondern ihm Lektüreschlüssel bieten, um den Film generisch zu bestimmen, worauf wiederum durch sein Vorwissen um die Konventionen des Genres seine Erwartungen hinsichtlich des Spektakels, der Affekte, der Narration etc. aufbauen können. 24 Britta Hartmann hat zu demselben Thema auch ihre Dissertation vorgelegt (vgl. Hartmann 2009).

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Umberto Eco hervorgehoben (vgl. Eco 1984: 117-159).25 Hartmann führt hingegen neben den Serien- bzw. Genre-Signalen auch Hinweise auf „die narrative Struktur, das stilistische System, textpragmatische Momente etc., die normalerweise in einem Text nicht gewechselt werden“ (Hartmann 1995: 113) als wichtige Informationen für den Rezipienten an, da sie aus einer narratologisch informierten kognitionswissenschaftlichen Forschungsperspektive die Prozesse des Verstehens und Erlebens von Filmen interessieren, die durch die Anfangssequenz nicht allein in Gang gesetzt, sondern auch vorstrukturiert werden. Ohne dies weiter zu kommentieren oder die Problematik der Differenzierung von einzelnen Genres und von solch vagen Dimensionen wie Narration oder Stil zu diskutieren, die sich weder eindeutig voneinander noch von ihren genre-spezifischen Aktualisierungen ablösen lassen, zeigt die weitere Argumentation von Hartmann und ihre Auswahl des Beispiels, das die Produktivität ihres analytischen Fokus’ auf Filmanfänge vorführen soll, dass gerade die Genre-Signale von besonderer Relevanz bei der anfänglichen Orientierung des Rezipienten sind. Die Autorin liefert eine pointierte Gegenlektüre zu David Bordwells kognitionswissenschaftlicher Analyse von MILDRED PIERCE (USA 1945, R: Michael Curtiz): Ging es bei Bordwell darum, wie Spannung für den nachfolgenden Plot des murder mystery in der opening sequence aufgebaut und Fährten ausgelegt werden (vgl. Bordwell 1992), so beschäftigt sich Hartmann mit einem Beispiel, in dem gerade falsche Fährten gelegt werden, wodurch die Erwartungen des Publikums so sehr enttäuscht würden, dass das Publikum Interesse und Lust am nachfolgenden Film verlieren könnte (vgl. Hartmann 1995: 116). Wenn das Publikum aber bereits bei der opening sequence erkennt, dass es sich um ein Genre mit Kriminalplot handelt, dann kann es sich, so Hartmanns Argumentation, auf das lustvolle Spiel mit falschen Fährten und fortwährend modifizierten Verschleierungen der Identität des Mörders einlassen. Die Genre-Signale der opening sequence sind also von zentraler Bedeutung für die Erwartungshaltung der Rezipienten und den Umgang der Rezipienten mit den Sequenzen als Lektüre-Anweisung. Durch die Genre-Signale wird ein Rahmen für die Verarbeitung der Sequenz und für die daraus abgeleiteten Rezeptionserwartungen abgerufen. Dass sich in einem set-piece die Genre-Konventionen so weit verdichten, dass es als deutliche Genre-Markierung rezipiert wird, bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass viele der dominantesten Konventio25 Eco führt dies anhand von Comicstrips in Tageszeitungen aus, bei denen die Leserschaft weniger treu erscheinen könnte als bei seriell produzierten Filmen. Aber auch Filme müssen einem inhomogenen Publikum, das nicht jeden Film eines Genres gesehen hat, möglichst früh das Genre anzeigen, damit das Publikum seine genre-geleitete Rezeption bzw. Lektüre beginnen kann.

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nen des Genres insbesondere durch set-pieces wiederholt performativ (re-)produziert werden. Wenn ein Spektakel wie der hoch sexualisiert inszenierte Mord, die phallischen Waffen, die schwarzen Handschuhe und die Inszenierungsstrategien des Horrorfilms vorrangig in populären Diskursen über das Genre als notwendige Genre-Konventionen zur Definition des Genres bzw. der Zuordnung eines Films zum Genre genannt werden,26 so handelt es sich hierbei zumeist um die in den murder set-pieces verdichteten Iterations-Muster oder Konventionen. Dies ist als Effekt aus der generischen Funktion des set-pieces offenkundig, da es als primäres Spektakel des Genres die Aufmerksamkeit der Rezipienten hochgradig auf die Iterations-Muster lenkt und diese dadurch zugleich erst als eindeutige Genre-Marken, mithin als Genre-Konventionen konnotiert. Aufgrund dieser Konventionalisierungsfunktion des set-piece und seiner Funktion als Lektüre-Anweisung insbesondere im Fall des opening set-piece kann man die These diskutieren, dass gerade in den opening set-pieces der Spielraum für die Verhandlung von alten und neuen Genre-Konventionen entweder sehr gering oder aber besonders groß sein könnte, gerade in ihnen also neue Konventionen leichter etabliert bzw. konstituiert werden könnten, wenn diese störungsfrei in die iterierten Genre-Konventionen eingereiht und in die Affektmodellierung integriert werden. Um nur zwei Indizien dafür zu nennen: Erstens erfolgte der Übergang von der ersten Phase zur zweiten Phase des Giallos vor allem durch die Re-Modellierung des Mörders, wodurch die Serien-Logik der murder set-pieces und darüber die gesamte Struktur des Genres grundlegend transformiert wurden. Zweitens lässt sich diese Genre-Verhandlung bereits in den opening murder set-pieces der beiden Formelfilme des Giallos, SEI DONNE PER L’ASSASSINO und L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO, nachweisen. Im 26 So werden die vorgeblich essentiellen Konventionen des Giallos zum Beispiel auf den Seiten der deutschen Wikipedia, dem gegenwärtig wohl bedeutendsten kollektiven Archiv für eine schnelle Aneignung eines Minimalkonsens an Wissen zu einem Thema, folgendermaßen definiert: „Im Mittelpunkt des Plots steht oft ein (häufig maskiert auftretender) Serienmörder, dessen Taten in der Regel im Kontext einer psychosexuellen Pathologie stehen und der unter deutlich ritualisierten oder fetischisierten Vorzeichen (z. B. schwarze Handschuhe, phallische Tatwaffen) mordet. Bei den Opfern handelt es sich häufig um attraktive junge Frauen. Die oft spektakulär inszenierten Morde bilden die eigentliche Attraktion des Films […]“ (http://de.wikipedia.org/wiki/ Giallo vom 03.12.2010) In den weiteren Angaben zum Genre auf der deutschen Wikipedia-Seite wird der Giallo explizit auf das Spektakel einer „Nummernrevue“ der Morde reduziert, wie sie bereits für den postklassischen Horrorfilm oben diskutiert wurde und worin sich die Rückprojektion von Begriffen, Urteilen und Theoretisierungen des Horrorfilms und insbesondere des Slashers auf den Giallo erneut zeigt.

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ersten Fall, SEI DONNE PER L’ASSASSINO, wird dem Rezipienten gleich zu Beginn kommuniziert, dass er sich auf eine Aushandlung eines neuen Musters einlassen muss, wenn seine Erwartungen aufgrund seiner bisherigen Genre-Kenntnisse von verwandten Genres wie dem Edgar-Wallace-Film oder dem Horrorfilm nicht vollends enttäuscht werden sollen. Analog wird im zweiten Fall, L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO, dem Rezipienten ebenfalls die Aushandlung einer neuen Formel dieses Genres kommuniziert. Würde dieser Genre-Transformationsprozess nicht in opening set-pieces markiert und initiiert werden, könnte sich der Rezipient nicht auf ein lustvolles Spiel mit alten Genre-Konventionen und neuen Genre-Komponenten einlassen und die Aktualisierungen des Genres wären wohl nicht so wirksam diskursiviert worden. Daher werden im Folgenden beispielhaft die Genre-Verhandlungen der opening murder set-pieces in den beiden Formelfilmen diskutiert, die mit den Konventionen forciert spielen und dem Rezipienten dadurch bereits zu Filmbeginn deutliche Lektüre-Anweisungen geben. Viele Gialli beginnen mit einem Mord, der als opening sequence auf den Vorspann folgt. Diese Filme verarbeiten zumeist das Muster der Eröffnung des Giallos mit einem murder set-piece, das Mario Bava mit seinem Formelfilm SEI 27 DONNE PER L’ASSASSINO (1964) in den 60er Jahren etablierte. Dies gilt für diverse Gialli der 60er Jahre, aber vor allem für viele Gialli der 70er Jahre. Dass gerade die Gialli der 70er Jahre oft mit einem opening murder set-piece beginnen, kann auch dadurch erklärt werden, dass Dario Argentos Formelfilm L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) den Mord noch forcierter an den Anfang seines Films setzte. Während der erste Mord in SEI DONNE PER L’ASSASSINO erst nach dem Vorspann und einer etwa zweiminütigen Spielszene folgt, setzt die Mord-Sequenz in L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO bereits mit dem Vorspann ein. Zudem kann der erste Mord in Argentos Film als Spiel mit Zitaten aus dem ersten murder set-piece von Mario Bavas Formelfilm verstanden werden, da beispielsweise neben den schwarzen Handschuhen und dem schwarzen Mantel des Mörders auch der rote Mantel des Opfers als Referenzen 27 Damit ist eine gewisse Ästhetik und Dramaturgie der opening murder set-pieces gemeint, die in denjenigen Filmen oft iteriert wurden, die – gerade aufgrund dieser murder set-pieces – als Gialli klassifiziert wurden. Natürlich bedingt einerseits jede Detektivgeschichte, dass ein Rätsel gestellt wird, das es zu lösen gilt. Zudem zeichnen sich anderseits auch bereits die deutschen krimis der 60er Jahre durch EröffnungsSequenzen aus, in denen ein spektakuläres Verbrechen stattfindet. Dies gilt insbesondere für die Filme der Edgar-Wallace-Serie, in denen noch vor Einsetzen des regelhaften Vorspanns ein opening set-piece dem Publikum sehr deutliche Genre-LektüreAnweisungen vermittelt.

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auf den ersten Mord in SEI DONNE PER L’ASSASSINO gelesen werden können. Im Vergleich zu den opening murder set-pieces der beiden Formelfilme, die die Genre-Konventionen forciert fort- und umschreiben, sind die Szenen in den anderen Gialli zumeist hochgradig konventionell. Dies unterstreicht, dass das opening murder set-piece sich für forcierte Genre-Verhandlungen im Giallo anbietet und Variationen zugleich eine Lesart des Films als Genre-Verhandlung befördern, wie die folgenden Analysen im Detail nachzeichnen werden. Während sein Giallo LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO (1963), den Mario Bava im Jahr zuvor gedreht hatte und der daher zumeist als ‚Proto‘-Giallo bezeichnet wird (vgl. Harper 2005: 15; Hunt 2000: 330; Met 2006: 202; Balmain 2002: 21), mit einer eher konventionellen Exposition beginnt, in der geschildert wird, dass die Protagonistin des Films mit dem Flugzeug in Italien ankommt, um Rom kennenzulernen, folgt in SEI DONNE PER L’ASSASSINO kurz nach dem Vorspann bereits ein sehr forciert inszenierter Mord: Eine junge, attraktive Frau läuft des Nachts durch einen sehr finsteren Wald. Trotz der vielen unergründlichen Schatten wird die Frau durch ihren knallroten Regenmantel in der Bildkomposition deutlich exponiert. Groß- und Detail-Aufnahmen ihrer Augen, die alarmiert das Umfeld absuchen, und durch ihren schnellen Schritt wird eine Szenerie entworfen, die anschlussfähig ist an konventionelle Inszenierungen einer bedrohlichen Situation im italienischen Gothic-Horror-Film der frühen 60er Jahre. Diese erste Genre-Verortung wird noch verstärkt durch den auteur Mario Bava, der unter anderem mit LA MASCHERA DEL DEMONIO (I 1960, R: Mario Bava) und I TRE VOLTI DELLA PAURA bei einigen der für das Genre einflussreichsten und bekanntesten Vertreter des italienischen Gothic-Horrors Regie geführt hatte. Das unheimliche Szenario in der opening sequence von SEI DONNE PER L’ASSASSINO wird zudem unterstrichen durch die für Bava typische farbige Lichtsetzung, die den Wald in unnatürliche, satte, blaue Töne taucht. Lässt der Film sich bis zu diesem Punkt vorrangig auf der Folie des italienischen Gothic-Horrors lesen, so bricht dies, als die Kamera entbirgt, dass hinter einem Baum kein übernatürliches Monster wie eine Hexe oder ein Vampir auf die Frau lauert, sondern ein maskierter Mörder. Seine Maskerade erscheint eher grotesk, da sie aus einem schwarzen Mantel, einem schwarzen Hut, schwarzen Handschuhen und einer weißen Gesichtsmaske besteht, die das gesamte Gesicht verbirgt. Diese Maskerade erinnert am ehesten an die ebenfalls oftmals grotesken Masken der Schurken in den Edgar-Wallace-Filmen – wie beispielsweise der Antagonist in DER FROSCH MIT DER MASKE (BRD/DK 1959, Harald Reinl), der ebenfalls eine Maske trägt, die das gesamte Gesicht verdeckt und in Kombination mit einer klobigen Brille an das Antlitz eines Frosches erinnern soll. Jedoch lässt der Mord, den die maskierte Person an der attraktiven jungen Frau verübt, keinen Zweifel da-

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ran, dass sich der Film ästhetisch von dem eher harmlosen und oft komischen deutschen krimi abgrenzt:28 Der Film stellt aus, wie der Mörder mit brachialer Gewalt den Kopf der Frau wiederholt gegen einen Baum schlägt. Die Drastik der Gewalt und ihre detaillierte Zurschaustellung entsprechen zwar den drastischen Gewalt- und Folterszenen im italienischen Gothic-Horror, nicht jedoch den ästhetischen Konventionen des deutschen krimi der frühen 60er Jahre. Als der Mörder die Leiche der Frau an der Kamera vorbei aus dem Bild zieht, werden nicht nur die zerrissene Bluse der Frau in Großaufnahme ausgestellt, sondern auch ihre Beine, als ihr Rock durch einen Busch nach oben geschoben wird. Bereits dieses opening murder set-piece betont nicht nur die Drastik der Gewalt, sondern auch ihre sexuelle Aufladung. Durch den Aufbau der Sequenz wird zuerst der Gothic-Horror, dann werden ikonische Konventionen des krimi aufgerufen, um diese in einer anderen Ästhetik des Mordes zusammenzuführen. Somit wird dem damaligen Kino-Publikum bereits zu Filmbeginn signalisiert, dass der Film beide Genres aufgreift, aber durch die Genre-Kombination ein neues Muster aushandelt, in dem die drastischen, sexualisierten Morde zentrale Spektakel darstellen. Bezeichnenderweise beginnt Dario Argentos Formelfilm L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) hingegen nicht mit einem murder set-piece wie Mario Bavas Formelfilm, sondern mit den Vorbereitungen des Mörders. Während der Vorspann-Sequenz arrangiert dieser diverse Fetischobjekte: unter anderem die Bilder der jungen Frauen, die mit einem roten Stift nummeriert werden, und das Messer-Set, das in ein rotes Samt-Tuch eingewickelt ist. Aus diesem entnimmt der Mörder behutsam mit seinen schwarzen Handschuhen ein Messer, putzt es mit dem roten Samt und packt das Messer-Set dann behutsam wieder 28 Auch in den Filmen der Edgar-Wallace-Serie fehlt es nicht an Spuren des GothicHorrors. Zu diesen zählen beispielsweise die finsteren, labyrinthischen Verließe und Schlösser, die nahezu grotesken Maskeraden der Verbrecherbosse oder die romantisch-schaurige Ästhetik eines Londons, das im Nebel versinkt. Im Vergleich mit den Gothic-Horror-Filmen aus derselben Zeit – etwa dem italienischen Gothic-HorrorFilm – fällt jedoch leicht auf, dass diese Inszenierungen im deutschen krimi zumeist mit einem Augenzwinkern, übertrieben oder betont klischeehaft ausfallen. Deshalb werden die Filme inzwischen oft als Camp, als nicht ernst zu nehmender Exzess der Ästhetik gelesen. Unterstrichen wird dies noch durch den Humor vieler krimis – insbesondere derjenigen mit Joachim Fuchsberger und/oder Eddi Arent, deren Figuren selten um humoristische Sprüche verlegen waren – und durch das gänzliche Fehlen einer deutschen Tradition des Gothic-Horror-Films in der Zeit. Zu den wenigen Ausnahmen zählt DIE SCHLANGENGRUBE UND DAS PENDEL (BRD 1967, R: Harald Reinl), der jedoch eher als Abenteuerfilm mit Motiven des Gothic-Horrors ausfällt.

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mit dem roten Samt ein. In Großaufnahmen werden die Vorbereitungen für die Morde als Rituale ausgestellt. Dabei werden insbesondere die schwarzen Handschuhe prominent in Szene gesetzt. Es verwundert daher wenig, dass die schwarzen Handschuhe, auf die auch der deutsche Kinotitel des Films „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ forciert hinweist, schnell zur ikonischen Konvention des Genres avancierten. Auch das erste Opfer wird in diesem Formelfilm des Giallos der 70er Jahre anders in Szene gesetzt als noch in Mario Bavas SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964): Zwar handelt es sich auch in Argentos Giallo um eine junge, attraktive Frau, die einen roten Mantel trägt. Jedoch wird in L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO explizit ausgestellt, dass die Kamera bzw. der Rezipient diese allein aus der Perspektive des Mörders wahrnimmt. Das Bild erstarrt wiederholt, die Ränder des Suchers eines Fotoapparats erscheinen am Rand des Filmbildes und nach dem klickenden Geräusch eines Auslösers läuft die Szene weiter ab. Argentos Film bricht aber vor allem auch mit dem Muster von Bavas SEI DONNE PER L’ASSASSINO, indem er den allerersten Mord gerade nicht zeigt. Nach einem harten Schnitt auf einen Zeitungsstand, muss der Rezipient die am Zeitungsstand durch rote Kreise hervorgehobene Schlagzeile lesen, dass die Frau bereits ermordet worden ist, ohne dass der Mord gezeigt worden wäre. An diesem Zeitungsstand sind in einer späteren Einstellung auch giallo-Hefte am oberen Bildrand gut sichtbar ausgestellt, da ihr gelbes Cover in der Bildkomposition deutlich auffällt. Diese gesamte Anordnung kann als Lektüre-Anweisung gelesen werden, dass der Film eine Umschrift des Genres vornimmt. Einerseits wird recht explizit ausgestellt, dass die gesamte opening sequence zentriert ist durch den Mörder, bei dem es sich aufgrund der Fetischisierung von Objekten, von Blicken und schließlich der Tat selbst offenbar um einen Mörder handelt, dessen Psyche es zu ergründen gilt. Andererseits bricht das Vorenthalten des Mordes so radikal mit den Erwartungen des genre-kundigen Rezipienten, dass seine Aufmerksamkeit für die Umschriften des Genres im weiteren Verlauf des Films noch gesteigert wird. Dieser Bruch wird zudem durch den unkonventionellen, harten Schnitt einerseits und das unmittelbar darauf folgende Ausstellen der gelben giallo-Hefte als intermedial verschobene selbstreflexive Genre-Markierung andererseits unterstrichen. Der Film signalisiert dem genre-kundigen Publikum bereits in seiner opening sequence, dass durch ihn ein anderes Genre-Muster präsentiert wird. Dieses knüpft zwar an die bisherigen Genre-Konventionen an, setzt aber in sein Zentrum einen psychotischen Mörder, der seinerseits weitere Umschriften des Genres motiviert. Es verwundert daher wenig, dass der Film als Zäsur in der Genre-Geschichte und als neuer Formelfilm diskursiviert worden ist. Ein Indiz dafür ist auch, dass viele Inhaltsangaben zum Film zumeist mit der auf die ope-

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ning sequence folgenden Sequenz eröffnen, als beginne erst damit der Formelfilm des Giallos der 70er Jahre.29 Die beiden analysierten set-pieces stehen beispielhaft für solche Gialli, in deren opening sequence dem Rezipienten die Lektüre-Anweisung der GenreVerhandlung bereits zu Filmbeginn für den Rest des Films dadurch explizit vermittelt wird, dass Umschriften im murder set-piece stattfinden, in dem viele Genre-Konventionen verdichtet sind, während zugleich die Aufmerksamkeit des Rezipienten durch das Spektakel und die übergreifende narrative Funktion fokussiert ist. Die beiden genannten Beispiele, SEI DONNE PER L’ASSASSINO und L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO, fanden Eingang in die Geschichte des Genres Giallo als Formelfilme, als Zäsuren in der Genre-Geschichte. Inwiefern diese spezielle Diskursivierung als ein Effekt der Inszenierung und seiner Lektüre-Anweisungen perspektiviert werden kann, wird im Folgenden mit Blick auf den parodistischen Modus der Genre-Transformation näher ausgeführt.

29 „Sam Dalvas, an American writer living in Rome, is walking one night when he witnesses a violent altercation through the window of an art gallery[.]“ (Forschaw 2001: 136) Wie in dieser Filmbesprechung von Barry Forshaw setzen die Inhaltsangaben des Films ausnahmslos erst nach dem ersten Mord mit der Galerie-Szene ein (vgl. Needham 2001: 87; Corso 2007: 26f; Luther-Smith 1999: 7f).

9. Genre-Parodie und Genre-Geschichte

Im Jahr 1987 drehte Dario Argento seinen Film OPERA. Zu dieser Zeit war es in Italien bereits profitabler geworden, amerikanische Slasher-Filme zu importieren, statt italienische Gialli zu produzieren (vgl. Harper 2005: 26-28).1 Da der Slasher diverse Konventionen des Giallos adaptiert hatte, konnte das italienische Publikum das Genre als eine interkulturell vermittelte Fortschreibung des Giallos rezipieren – ebenso hatte das deutsche Publikum in den späten 60er und in den 70er Jahren die Gialli als italienische Variation des krimi rezipieren können. Dario Argentos internationaler Status als auteur ermöglichte es ihm, auch in den 80er Jahren noch aufwendige Kinofilme wie TENEBRAE (1982), PHENOMENA (1985) oder OPERA (1987) zu realisieren, die international rezipiert wurden. OPERA gilt in der Genre-Geschichtsschreibung des Giallos gleichsam als der letzte Giallo-Erfolg, der das Genre zugleich verabschiedet habe. Diese genregeschichtliche Bedeutung mag dem Film retrospektiv auch deswegen zugeschrieben worden sein, da die Filme, bei denen Argento in den darauf folgenden Jahren Regie führte, deutlich negativer rezensiert wurden.2 Ein weiterer wichti-

1

Ein weiterer Faktor der sinkenden Produktionszahl von Genre-Filmen sind die grundlegenden Veränderungen des italienischen Medienmarkts in den 80er Jahren, da die Filmproduktion in dieser Dekade zunehmend hinter dem Fernsehmarkt zurücktritt und diverse Filmemacher zum Fernsehen wechseln.

2

Adrian Luther-Smith resümiert: „These positive comments from Argento fans are taken from the Internet [im Jahr 2000, d. Verf.] and indicate that since its almost universally hostile reception in 1993, Trauma is slowly building a credible reputation. Initially, the consensus of opinion amongst the director’s usually loyal africinados seemed to be that the film was not only a disappointingly weak entry, it was (worse still) a misguided attempt to appeal to a mainstream horror audience by toning down everything that made an Argento movie so special. […] In the light of the general le-

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ger Faktor dafür, dass OPERA zum Epitaph des Giallos avancierte, kann aber auch in einer speziellen genre-historischen Konstellation gesehen werden, denn in demselben Jahr war ein weiterer Film produziert worden, der als Zäsur rezipiert wurde: DELIRIA.3 Die beiden Filme, OPERA und DELIRIA, haben mehr gemeinsam als nur das Produktionsjahr und die Inszenierung eines theatralen settings – OPERA spielt in einer Oper, während DELIRIA in einem Theater spielt, in dem ein Musical geprobt wird. Die Filme verbindet zudem Michele Soavi: DELIRIA war sein Regie-Debüt, während OPERA seine letzte Regie-Assistenz bei Dario Argento darstellte.4 Zudem spielen beide Filme deutlich mit dem StarIntertext von Dario Argento: Für die Figur des Opern-Regisseurs, der in OPERA die ästhetische ‚Finesse‘ des Horrorfilms für eine spektakuläre Oper adaptieren will, hat Dario Argento wiederholt in Interviews eine auteuristische Lesart als Selbststilisierung vorgeschlagen. Von DELIRIA heißt es hingegen, der ursprüngliche Produktions-Titel AQUARIUS sei entstanden, weil die beiden Regisseure einst gescherzt hätten, dass der Protagonist in Argentos Regie-Debüt zwischen den zwei Glastüren einer Galerie wie in einem Aquarium eingesperrt sei (vgl. Palmerini/Mistretta 1996: 148).5 Darüber hinaus wurde aber auch die Eulen-Maske des Mörders als eine Referenz von Soavis Regie-Debüt auf Argentos Regie-Debüt L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO/THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE (1970) gelesen.6 vel of disappointment that has since greeted both The Stendhal Syndrome and Phantom of the Opera […].“ (Luther-Smith 2001: 219 [Herv. d.O. getilgt]). 3

Der Film ist vermutlich bekannter unter seinem englischen Titel STAGE FRIGHT. Dass ein Film von Alfred Hitchcock von 1950 denselben Titel führt, ist dabei wohl kaum als Zufall zu betrachten, sondern als Verortung von Michele Soavis Film in einer Genre- und auteur-Tradition – zumal bereits Dario Argento, dessen Ära nach Meinung vieler Rezensenten des Films durch seinen ehemaligen Regie-Assistenten Michele Soavi beendet worden sei, oft als ‚italienischer Hitchcock‘ bezeichnet worden war.

4

Zusammen mit Lamberto Bava, dem Sohn von Mario Bava, war er zuvor bereits Re-

5

In dem hier zitierten Interview betont Michele Soavi, dass diese „unconscious refe-

6

Michele Soavi nennt in demselben Interview hingegen andere Inspirationen wie die

gie-Assistent von Dario Argento bei TENEBRAE (1982) und PHENOMENA (1985). rence“ (ebd.) auf eine Aussage von Dario Argento zurückginge. Gemälde von Max Ernst und die durch die Maske konnotierte Inszenierung des Mörders als Raubvogel (vgl. ebd.). Es kann nicht re-konstruiert werden, inwiefern es sich dabei um ursprüngliche Inspirationen oder um eine rhetorische Abgrenzung zu Dario Argento handelt, die eventuell in Erwiderung auf die Referenzziehungen der meisten Rezensionen und zugleich als Betonung des Selbstverständnisses des Regisseurs als auteur zu erklären wäre.

G ENRE-P ARODIE UND G ENRE-G ESCHICHTE

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Während OPERA als ‚letzter richtiger‘ Giallo in essentialistisch und evolutionistisch ausfallenden Genre-Geschichten beschrieben wurde, wurde DELIRIA hingegen zu dem Film erklärt, der zwar ein Bewusstsein über die Konventionen und die Geschichte des Giallos zeige, aber das Genre letztlich in den Slasher überführe.7 So lobt beispielsweis Louis Paul an dem Film, dass er ein außergewöhnliches „redefining and expanding“ (Paul 2005: 221) der Konventionen des Giallos böte, um das Genre so an den US-amerikanischen Slasher anzupassen. Auch Jim Harper lässt seine Rezension des Films auf das Resümee enden, dass DELIRIA ein Regie-Debüt sei, „that manages to effectively combine elements of the giallo with aspects of the slasher movie.“ (Harper 2005: 180 [Herv. i.O.]) In der deutschsprachigen Giallo-Filmographie ist zu lesen: „Inhaltlich bewegt man sich auf Slasher-Pfaden, […] doch die Verwandtschaft zum Giallo kann der Film

7 Im Internet, der derzeit wohl größten Plattform zur Aushandlung von Genre-Konzepten und Genre-Geschichten, finden sich diverse widerstreitende Genre-Klassifikationen für DELIRIA: Der Film wird als Giallo, Slasher, italienischer Slasher oder auch Giallo-Slasher-Hybride bezeichnet. Dazwischen finden sich auch immer wieder Texte, die in dieser Debatte um eine ‚klare‘ Genre-Definition bemüht sind: Der Internetautor Nicklas Thoft Jensen unterscheidet beispielsweise Giallo und Slasher wie Mikel J. Koven vorrangig durch die Figur des Mörders, wenn er in seiner Rezension des Films schreibt: „Let me start out by correcting a common misconception regarding this film. It is, contrary to popular belief, not a giallo film, seeing as there is no murder mystery. It’s a slasher film where the identity of the killer is never questioned – glad we got that sorted out.“ (http://www.horror-unrated.com/reviews/s/STAGE %20FRIG HT.htm vom 01.10.2012) In diesem Sinne stellt auch der Internetautor John K. in einem Forum zum Film auf der Internetseite Rotten Tomatoes, die sich der Filmkritik verschrieben hat, klar: „This is a nice slasher with an Italian flavor, but it is certainly a slasher and not a giallo.“ (http://www.rottentomatoes.com/m/deliria-bloody-birdsound -stage-massacrestage-fright/reviews/?type=user vom 01.10.2012) Paradigmatisch für diese Position ist die Doppel-Rezension des Internetautors ShiZ, der auf der Seite imdb zunächst eine negative Rezension zum Film nach einer Sichtung unter dem Vorzeichen des Giallos verfasst hatte. Später dann hat derselbe Autor eine positivere Rezension nach einer zweiten Sichtung des Films verfasst, bei der er ihn jedoch als Slasher rezipierte: „My mistake was watching it in the midst of an Argento kick. For one thing, Stagefright (Deleria) is not a giallo, but a slasher flick. Just knowing that makes a world of difference.“ (http://www.imdb.com/title/tt0092576/reviews?start=50 vom 01.10.2012) Diese Internet-Kommentare zum Film sind beispielhaft für die Ausdifferenzierungs-Operationen der diskursiven Verhandlungsprozesse von GenreKonzepten.

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natürlich auch nicht verleugnen.“8 (Corso 2007: 119) Mikel J. Koven dient der Film denn gar als das Beispiel schlechthin, um die Ähnlichkeiten und vor allem die Differenzen von Giallo und Slasher darzustellen. Unter dem Vorzeichen einer politique des auteurs verweist auch Koven auf Michele Soavis Arbeit für Dario Argento bei dessen Gialli der 80er Jahre und postuliert dann: „But Soavi chose to make a slasher movie, rather than a straightforward giallo.“9 (Koven 2006: 168 [Herv. i.O.]) Alle diese Beschreibungen des Films betonen die Position des Films in der Genre-Geschichtsschreibung als Zäsur zwischen Giallo und Slasher. Diese Zuschreibung seiner genre-geschichtlichen Relevanz findet sich sogar im Distributionsdiskurs des Films auf DVD. Auf dem Cover der US-DVD von 2002 wird der Film beispielsweise als „[o]ne of the greatest Italian (or anywhere for that matter) slasher films!“ beworben (STAGEFRIGHT: Anchor Bay, USA 2002 [Herv. d.O. getilgt]). Die Genre-Bezeichnung Giallo ist auf dem Cover zwar nicht zu finden, aber der Paratext betont, dass der Film das „stunning directorial debut of Dario Argento protègè Michele Soavi“ war, das „instantly sealed his reputation as the leader of Italian horror’s new generation of filmmakers.“ (ebd.) Auch dieses Cover operiert also mit der in der Genre-Geschichtsschreibung des Giallos üblichen Argumentation, dass durch Soavis Regie-Debüt gleichsam die Ära Argento von der Ära Soavi abgelöst worden sei. Nimmt man diese Genre-Geschichtsschreibung ernst, so stellt sich die Frage, ob textuelle Strategien eine Lesart des Films als Zäsur in der Genre-Geschichte implizieren, nahe legen oder gar privilegieren können. Nach einer Beantwortung dieser genre-theoretischen Frage muss der Rezipient des Films DELIRIA nicht lange suchen, denn bereits im opening set-piece des Films kann eine solche Lektüre-Anweisung schnell gefunden werden.10 Dieses komplexe opening set-piece wird im Folgenden im Detail dargestellt, um die Prozessualität der Genre-

8

Es sei erneut auf die prekäre Erbgut- und Familien-Semantik hingewiesen.

9

Es ist zu vermuten, dass es sich hierbei um eine vielsagende rhetorische Figur von Mikel J. Koven handelt, da er für Michele Soavis angeblich intentionale Genre-Entscheidung keinerlei Quelle anführt.

10 Mikel J. Koven bemerkt zum opening set-piece des Films lediglich: „The film begins as a stereotypical giallo: a serial killer stalking skid row for prostitutes to kill. But Soavi turns this around, revealing this opening as a stage production of a giallo/slasher narrative called ‚The Night Owl.‘“ (Koven 2006: 168 [Herv. i.O.]) Koven geht jedoch nicht genauer darauf ein, wie diese Umkehr des Genres vom Giallo zum Slasher inszeniert ist. Stattdessen reiht er die Sequenz in eine Tradition/Serie von mise-en-abîme-Konfigurationen ein, wie sie etwa in Gialli wie GLI OCCHI FREDDI DELLA PAURA (1971)

vorkommen.

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Verhandlungen adäquat aufzeigen zu können:11 Während der opening credits, die als weiße Schrift vor schwarzem Hintergrund erscheinen, hört man bereits ein schweres Atmen, das schnell an das schwere Atmen der Mörder im Giallo und im Slasher erinnert. Dazu miaut eine Katze, die im Giallo diverse Intertexte eröffnet – beispielsweise: von Edgar Allan Poes ‚Klassiker‘ The Black Cat, der unter anderem als Vorlage für den Giallo IL TUO VIZIO È UNA STANZA CHIUSA E SOLO IO NE HO LA CHIAVE (1972) diente, über Argentos zweiten Giallo IL GATTO A NOVE CODE (1971) bis hin zu Lucio Fulcis IL GATTO NERO, in dem 1980 eine telepathisch kontrollierte Katze als zwar tierischer, aber dennoch ausgesprochen konventionell inszenierter Serienmörder auftritt. Außerdem sind auch die Geräusche von Wasser und ein Plantschen zu hören. Solche isolierten akustischen Motive werden in Gialli oft als Spuren des Traumas des Killers in Szene gesetzt. Zuletzt schreit die Katze schrill auf und mit diesem akustischen Schock wird das Bild auf eine schwarze Katze aufgeblendet, die über den Bordstein läuft und an die Figur des Flaneurs erinnert, die wiederholt als stereotype Figur des Giallos beschrieben worden ist.12 Die gesamt Szenerie ist hochgradig stilisiert – die Backsteine des Hintergrundes sind in einem satten Rot gehalten, dichter Nebel wogt aus dem Off ins Bild und die Katze passiert einen auffällig im Hintergrund drapierten, schlafenden Obdachlosen. Die Kamera bewegt sich zunächst durchgehend parallel zur Katze seitwärts auf deren Höhe. Erst als die Katze an zwei Frauen-Beinen in einem auffälligen Strumpf mit einem Muster aus Blumenranken vorbei streicht, 11 Die nachfolgende Lektüre beruht auf der Klassifizierung des Films als Giallo und Slasher. Dies ist insofern relevant, da der Film erst im Zuge der Verbreitung des Begriffs Giallo durch die Diskurse rund um die Auswertung der Filme auf DVD als Giallo bezeichnet wurde. In den späten 80er und frühen 90er Jahren, als der Film in den USA und in Deutschland in den Kinos lief und auf VHS-Kassette veröffentlicht wurde, war der Genre-Name Giallo noch nicht etabliert. Der Film wurde zu dieser Zeit stattdessen als Slasher vermarktet und rezipiert. Der Streit darum, ob der Film ein Giallo oder ein Slasher sei, zeigt die Problematik auf, dass aus der Etablierung einer erfolgreichen neuen Kategorie oft eine All-Inklusions-Dynamik resultiert, die zu ReLektüren von zuvor anders klassifizierten Texten führt. Die vermeintliche ‚Korrektur‘ der ‚falschen‘ Klassifizierung ist dabei selten weniger dogmatisch als die von ihr kritisierten früheren Klassifikationen. 12 Gerade in den Filmen von Dario Argento sind es immer wieder die Protagonisten, die als Flaneure zuerst Zeugen eines Mordes und dann Amateurdetektive werden. Man denke beispielsweise an L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO (1970) oder PROFONDO ROSSO

(1975). Siehe hierzu insbesondere die Ausführungen von Mikel J.

Koven im Anschluss an Walter Benjamin (vgl. Koven 2006: 92-95).

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verharrt die Kamera und fährt in der vertikalen Achse langsam über die Beine, den goldenen Minirock, den Bauch, das Oberteil und schließlich das Gesicht der jungen, attraktiven Frau, mit der auffallend künstlichen, weißen Perücke, mit den auffällig rot lackierten Fingernägeln und dem satten roten Lippenstift. In dieser betont langsamen Kamerafahrt werden genre-typische Motive aufgerufen wie die Frau als Puppe, die Fetischisierung einzelner Körperglieder der Frau – insbesondere der Beine – und der Zurschaustellung der Frau als sexuelle Attraktion. Noch immer fehlt jeder establishing shot.13 Aus dem Off ertönt ein Ruf, auf den die Frau nicht eingeht – ein Mann fragt nach der Zeit und fährt dann mit seinem Auto weiter. Die Frau schlendert an einem dunklen Durchgang zwischen zwei Häusern vorbei. Erstmals fährt die Kamera zurück und offenbart eine StraßenSzenerie, die sehr an die künstlich anmutenden Studio-Bauten in klassischen Hollywood-Musicals aber auch in den internationalen Erfolgen SUSPIRIA (1977), PROFONDO ROSSO (1975) und INFERNO (1980) von Dario Argento erinnern. Die Frau lässt die Zigarette, die sie sich gerade erst angezündet hatte, zu Boden fallen. Die bisherigen Irritationen wie etwa der überkodierte Ton während der opening credits, die künstlich wirkende mise-en-scène oder das vollständige Fehlen eines establishing shots werden erstmals im Motiv der Zigarette zu einer selbstreflexiven Pointe gebündelt: Denn die Zigarette fällt neben weitere Zigaretten auf den Asphalt, die allesamt kaum angeraucht sind. Dann wird die gerade erst angezündete Zigarette demonstrativ von der Frau mit ihrem Schuh zertreten. Diese Aktion erlaubt der Kamera ein Verharren auf dieser irritierenden Ansammlung von Zigaretten, wodurch der Rezipient zu einer Deutung der bisherigen Inszenierung auf der Folie dieser obskuren Anordnung angeregt werden kann: Wie diese Zigaretten so führt auch der Film seine überkodierten Motive zwar demonstrativ ein, lässt sie dann aber abrupt fallen und löscht sie gleichsam demonstrativ aus, wie auch die Frau die Zigaretten anzündet, wegwirft und demonstrativ unter ihren Schuhen zerdrückt. Genre-reflexiv wird mit den Zigaretten ein An-Zitieren von expliziten Genre-Konventionen ausbuchstabiert, die dann demonstrativ abgebrochen werden.

13 Als establishing shot bezeichnet man Einstellungen, die dem Rezipienten eine eindeutige Orientierung in der räumlichen Anordnung der Szenerie ermöglichen (vgl. Bordwell/Thompson 2004: 313): So würde im Classical Hollywood Cinema ein Dialog erst in einer shot-reverse-shot-Montage inszeniert werden, nachdem ein establishing shot die Dialogpartner in ihrer relativen Position zueinander gezeigt hat. Bewegen sich die Dialogpartner, so werden wiederholte establishing shots immer wieder zur genauen Darstellung der räumlichen Anordnung eingesetzt. Mit dieser Konvention spielen oft Komödien und Horrorfilme, indem sie diese brechen.

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Darauf lehnt sich die Frau schließlich gelangweilt – von den als Klischees ausgestellten Konventionen, wie man als Rezipient zu ergänzen geneigt ist – an die Ecke des dunklen Spalts zwischen den beiden Häusern, an dem sie zuvor bereits vorbei geschlendert war. Und – wie zu erwarten war – greifen von hinten aus dem Dunkeln zwei Hände nach ihr, ziehen sie ins Dunkel hinein und erdrosseln sie. Die Kamera fährt zur Seite und beobachtet, wie Anwohner durch die Schreie der Frau aufschrecken, zum Tatort eilen und die Leiche begutachten. In diesem Moment springt aus dem nicht einsehbaren Dunkel der Mörder hervor: Er ist ganz in schwarz gekleidet und trägt eine überdimensionierte Vogel-Maske. Zeitgleich erklingt plötzlich laute Jazz-Musik und zu dem Spiel eines Saxophons beginnt der Mörder zwischen den herbei geeilten Personen auf der Straße Ballett zu tanzen. Nach diesem radikalen Bruch fährt die Kamera langsam zurück und entlarvt die Szenerie als Bühne eines Musicals. Der Bühne vorgelagert sind die Lichttechnik und die Tontechnik, die von der Kamera langsam entborgen werden. Die Off-Geräusche, wie der Ruf des Mannes und das Motorengeräusch seines Automobils, werden als Tonband identifiziert, wodurch die Konvention der vom Rezipienten angenommenen Identität von akustischer und visueller Information karikiert wird. Kritisch beäugt der Regisseur das Bühnenspektakel, in dessen Vollzug eine für den Giallo typische Story als Ballett nachgespielt wird: Pirouetten drehend, versucht der Mörder den Augenzeugen zu entfliehen; dann wirft er ihnen eine weitere Frau wie ein totes Opfer entgegen; in einem gemeinsamen Tanz ringt er mit einem anderen Mann, der den Mörder schließlich mit einer Pistole stellt – wie der Polizist in diversen Gialli. Diese tanzend zusammengefasste Giallo-Story aus Mord, Verfolgung, weiteren Morden, Konfrontationen und der Festnahme des Mörders durch einen Ermittler mit einer Pistole ist durchsetzt von weiteren radikalen Brüchen: Nahaufnahmen zeigen eine Frau, die wie Marylin Monroe in einem kurzen weißen Kleid gekleidet ist und deren Rock durch einen Ventilator aufgeworfen wird. Die Frau steht auf einem Balkon der Szenerie und spielt vermeintlich live das Saxophon, zu dessen Klängen getanzt wird. Personen verfolgen das Bühnenspiel hinter den Kulissen. Eine andere Frau rasiert sich die Achseln. Die Regie-Assistentin liest gelangweilt ein Buch. Wiederum eine andere Frau schminkt sich in der Garderobe und setzt sich eine Perücke auf, die sie einer ebenfalls geschminkten Puppe entnimmt. Auf der Bühne wird plötzlich das erste Opfer wild durch die Luft geworfen und schlägt hart auf dem Boden auf. Dabei ist deutlich sichtbar, dass es sich um eine Puppe handelt. In der nächsten Einstellung liegt statt der Puppe jedoch wieder eine echte Frau am Boden, erwacht plötzlich aus dem gespielten Tod und entkleidet den Mörder. In diesem Moment ereignet sich der finale Bruch im Spektakel: Der Regisseur unterbricht

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entsetzt die Inszenierung, stürmt auf die Bühne und wirft der Darstellerin des Opfers vor, sie habe die Rolle nicht verstanden, bei der es um die explizite Verführung des Täters durch das Opfer ginge. Dadurch werden populäre Codes der für das Genre konventionellen Inszenierung der Morde und des Mörders explizit im Dialog angesprochen. An diesem Punkt setzt die eigentliche Handlung des Films ein, in der ein psychotischer Killer die Mitwirkenden des Musicals in deren Theater festsetzt und ermordet. Wodurch sich diese Sequenz so deutlich von den opening set-pieces unterscheidet, die im vorigen Kapitel analysiert wurden, ist die Signifikanz des Genre-Bruchs. Die mise-en-abîme-Konfiguration in DELIRIA stellt das murder setpiece nicht nur als theatrale Inszenierung aus. In DELIRIA wird das murder setpiece, das als eine zentrale Konvention des Giallos diskursiviert worden ist, schlagartig in ein anderes Genre überführt: in das Musical. Giallo und klassisches Hollywood-Musical scheinen sich jedoch in einigen ihrer prominentesten Konnotationen geradezu diametral gegenüber zu stehen: schockieren/belustigen, düster/heiter, realistisch/unrealistisch. Dass der Giallo als Musical inszeniert wird, mutet daher überaus parodistisch an. Es werden prominente Konventionen und Motive des Giallos wie beispielsweise die sexualisierte Frau, der maskierte Mörder oder das Puppenmotiv ausgestellt, die durch das Musical als hochgradig stilisierte Inszenierungen vorgeführt werden. Da der Musical-Inszenierung intradiegetisch jedoch durch die Figuren eine Ernsthaftigkeit zugeschrieben wird, während der Giallo für sie lediglich ein Sujet ihres theatralen Spiels ist, werden die Konnotationen der Genres umgekehrt. Der Giallo wird vom Musical parodiert. Aufgrund der expliziten Zurschaustellung der Genre-Konventionen des Giallos und des parodistischen Bruchs mit ihnen im Musical wird eine Lektüre des weiteren Films als Nachfolger eines inzwischen lächerlich erscheinenden Genres nahegelegt. Nach dieser Verabschiedung der Konventionen des Giallos, die durch das Musical als künstlich und lächerlich neu konnotiert wurden, ist es dem Film möglich, neue Inszenierungen des Schocks und der Gewalt zu erproben. In Anbetracht dieser Lesart des Films, die er beim Rezipienten durch seine parodistische Inszenierung des Giallos geradezu herausfordert, scheint es geradezu selbstverständlich zu sein, dass der Film als Zäsur in der Genre-Geschichte des Giallos verstanden wurde. Auch wenn kein Autor auf die parodistischen Brüche in der opening sequence eingeht, so haben sie die Lesart, zu der der Film dadurch anregt, offensichtlich in der Genre-Geschichtsschreibung ausgeschrieben. Damit stellt sich jedoch die Frage, welche Funktionen dem Parodistischen in Theorien über Genres und über die Genre-Geschichtsschreibung zugeschrieben werden können. Bisher liegt zu dieser Frage kein überzeugender Ansatz in der

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filmwissenschaftlichen Genre-Theorie vor. Die Parodie wurde als Genre, als Meta-Genre, als Sub-Genre und als mode theoretisiert. Diese divergenten Konzepte werden im Folgenden kurz anhand exemplarischer Argumentationen skizziert, wobei dem Konzept des parodistischen Modus besondere Aufmerksamkeit zukommt, da dieses Modell für die hier gestellte Frage nach der Funktion des Parodistischen für die Genre-Geschichtsschreibung besonders produktiv ist. Als „Genre“ definiert beispielsweise Wes D. Gehring die Parodie anhand von sieben „basic characteristics“ (Gehring 1999: 2-16): (1) Die Parodie muss auch dann komisch sein, wenn der Rezipient die Referenz nicht kennt, die parodiert wird.14 (2) Die Parodie kann pädagogische Effekte haben, da die Parodie die Codes und Konventionen eines Genres explizit vorführt. (3) Die Parodie wird dadurch von der Satire abgegrenzt, dass die Parodie auf textuelle Strukturen wie Genres, auteurs oder Stile referiert, während die Satire gesellschaftliche Strukturen wie Normen, Klassenverhältnisse etc. als Material nutzt.15 (4) Zudem unterscheidet Gehring zwischen Filmen, die er insgesamt als parodistisch begreift, während andere Filme zwar parodistische Sequenzen beinhalteten, jedoch mehrheitlich die Konventionen der Referenzstruktur reproduzieren und dadurch als Konventionen bestätigen. (5) Die Parodie ist unbestimmt und unlimitiert hinsichtlich der inszenierten Orte und Zeiten, die beliebig kombiniert, vermischt und fusioniert werden könnten. (6) Eine dominante Form der Parodie, die compound parody, zeichnet sich oft durch die Kombination mehrerer Referenzen aus. (7) Die Parodie operiert oft selbstreflexiv und stellt beispielsweise die eigene Filmproduktion oder das Rezeptionsdispositiv aus. Im Anschluss daran konstruiert Gehring in seiner Genre-Studie durch exemplarische Filmanalysen aus amerikanischer Perspektive einen Kanon von Filmen und auteurs und eine Geschichte des von ihm als ahistorisches Phänomen konstruierten Genres. Insbesondere Gehrings viertes Kriterium der Definition der Parodie erschiene für das Phänomen produktiv, das hier zur Diskussion steht. Jedoch wird eine solche parodistische Komponente innerhalb einer Textstruktur, die nicht insgesamt parodistisch ausfällt und beispielsweise wie DELIRIA Genre-Konventionen parodistisch im Zuge einer Genre-Transformation inszeniert, von Gehring als ‚falsche‘ Parodie kritisiert und abgetan (vgl. ebd.: 6-8). Sein Modell ist insgesamt zu rigide, um auf das Phänomen übertragen werden zu können, wie es aus DELIRIA extrahiert wurde. 14 Aufgrund dieser Doppelkodierung der Parodie wird die Parodie oft unter dem Vorzeichen der Postmoderne diskutiert (vgl. Hutcheon 1990). 15 Jedoch weist Gehring auch darauf hin, dass Genres immer auch gesellschaftliche Strukturen verhandeln, weshalb Parodie und Satire zumeist zusammen betrachtet werden müssten.

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Roy Menarini beschreibt die Parodie hingegen als „Meta-Genre“, da die Parodie die Kombination „der verschiedenen filmischen Erzählweisen und komplexen Repräsentationssysteme wie Kino, Fernsehen, Theater und Werbung“ erlaube (Menarini 2008: 392). Es findet sich bei Menarini jedoch keinerlei Differenzierung seines Parodie-Konzepts. Das „Meta-Genre“ wird eher als historische Formation des „komische[n] Genre[s]“ (ebd.) speziell mit Blick auf die 60er Jahre analysiert. Dieses Konzept und sein vager Begriff der Parodie resultieren aus der Fokussierung des Autors auf ein „dichte[s] Netz von intertextueller und intermedialer Kommunikation“ (ebd.), für dessen Beschreibung die Parodie als Über-Begriff fungiert, die dieses Netz exemplarisch aufzeigen soll. Dieses undifferenzierte und für die Genre-Theorie blinde Konzept reflektiert nie seinen selbst gewählten Begriff „Meta-Genre“ sowie sein Verhältnis und seine Effekte auf die Genres, die es aufgreift. Differenzierter und genre-theoretisch informierter argumentiert Matthew R. Turner für verschiedene genre-spezifische Parodien, die er als Sub-Genres konzipiert (vgl. Turner 2003: 48f): Für seine Analyse von amerikanischen WesternParodien fokussiert Turner weniger die Strategien der Parodie, denn das Material bzw. die Kategorien der Referenz wie beispielsweise Filmtitel, setting, Musik, Figurentypen, Stars etc. Genre-theoretisch ist Turners Argumentation daher interessant, da er die Interdependenz der Fortschreibung der zitierten Genre-Konvention und deren Modifikation durch die Parodie unterstreicht. Jedoch geht er davon aus, dass nicht die zitierten Genre-Konventionen transformiert werden, sondern dass die Parodie eigene Konventionen ausbilde, durch die sie als eigenes Genre definiert werden könne. Als eine dieser Konventionen der Parodie hebt er hervor, dass die Parodie meistens früh und möglichst explizit in Filmen als Parodie inszeniert wird – zumeist bereits in der opening sequence (vgl. ebd.: 53).16 Da zugleich die zitierten Konventionen als bekannte Konventionen vorausgesetzt sind – denn sonst könnten sie nicht parodiert werden –, bestätigt die Parodie auch den Status der zitierten Konventionen als solche. Daraus resultiert bei Turner schließlich auch die Bezeichnung der genre-spezifischen Parodie – etwa der Western-Parodie – als Sub-Genre eines übergeordneten Genres – in diesem Fall: des Westerns. Die Parodie unterwirft sich in Turners Modell den Konventionen des übergeordneten Genres, da die Parodie diese reproduziert und ihren Status als Konventionen affirmiert, während sie diese zugleich parodiert und dekonstruiert (vgl. ebd.: 53f). So produktiv Turners Grundannahmen und Beobach16 Turner geht leider nicht darauf ein, inwiefern die Parodie in der opening sequence mit genre-spezifischen set-pieces operiert, um die Verweisstruktur der Parodie und die Lektüreanweisung als Parodie besonders forciert und leicht erkennbar zu präsentieren. Wie die bisherigen Analysen zum Giallo jedoch nahelegen, ist eben dies der Fall.

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tungen auch sind, so prekär ist das essentialistische Genre-Modell, das er seinem Konzept zugrunde legt. Einerseits modelliert er ein ahistorisches Modell mit historisch stabilen, fixierten, konstitutiven Konventionen der Parodie. Andererseits geht sein essentialistisches Genre-Modell – so spricht er etwa von den Genres ‚inhärenten‘ Konventionen (vgl. ebd.: 48) – mit einer evolutionistischen GenreGeschichte einher, in der das Sub-Genre Parodie spezielle Konventionen des Über-Genres am Ende von dessen Lebenszyklus aufgreife (vgl. ebd.). Damit blendet er trotz der Doppelperspektive einerseits auf die Fortschreibung der Genre-Konventionen – jedoch: des Genres – und andererseits auf die Formation von Genre-Konventionen – jedoch: des Sub-Genres – eine Umschrift der GenreKonventionen und damit eine Genre-Transformation durch parodistische Inszenierungen aus. Auch Dan Harries greift das Argument auf, dass das Parodistische immer eine Tradition fortschreibt, aber diese auch dezidiert umschreibt. Jedoch entgegnet er solchen Versuchen, die das Parodistische als Genre zu fassen versuchen, sein Konzept des Parodistischen als „discursive mode“ (Harries 2000: 7 [Herv. d.O. getilgt]).17 Den parodistischen Modus begründet er damit, dass er sich auf die Analyse der Funktion des Parodistischen konzentriert, statt den Blick auf spezifische Inhalte und Themen der Parodie zu richten. Durch „ironic, ‚disrupting‘ techniques“ wird der Referenztext in Harries’ Theorie parodistisch aktualisiert und re-kontextualisiert (vgl. ebd.).18 So produktiv dieses Konzept des parodisti17 Im Folgenden wird das Konzept von Dan Harries als ‚parodistischer Modus‘ übersetzt. In einer Endnote räumt Harries ein, dass dieses Konzept auf eine Dissertation über die Parodie zurückgeht, die Terry Caesar 1979 vorgelegt habe, die aber bisher nicht publiziert worden sei (vgl. ebd.: 10 Endnote 7). 18 Dan Harries führt sechs verschiedene Strategien der Parodie aus, die auf Rick Altmans semantisch-syntaktischem Genre-Modell basieren (vgl. ebd.: 43-89): Als „re-iteration“ bezeichnet er das explizite Zitat einer speziellen Komponente des Referenztextes, das dazu dient, einerseits die Intertextualität der beiden Texte bewusst zu machen und andererseits die an das Zitat gekoppelten Erwartungen hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Szene hervorzurufen (1). An die „re-iteration“ können die weiteren Strategien anschließen: die Inversion (2); die „misdirection“, die auf geschürte Erwartungen gezielt Erwartungsbrüche folgen lässt (3); die Literalisierung, die die Codes und Konventionen des Referenztextes in selbstreflexiven oder in mit dem Zitat spielenden Inszenierungen ausbuchstabiert bzw. explizit macht (4); die „extraneous inclusion“, unter die Harries sowohl die Integration einer ‚fremden‘ semantischen Komponente in einer Syntax, der die Komponente nicht konventionellerweise zugeschrieben würde, als auch die Integration einer genre-untypischen Szene in einem Genre-Film fasst (5); und schließlich die Übertreibung (6).

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schen Modus auch ist, so bindet Harries es doch an zwei prekäre Genre-Modelle: Seine Text-Analyse der Filme basiert auf dem strukturalistisch geprägten semantisch-syntaktischen Genre-Modell von Rick Altman. Der parodistische Modus, der eine Tradition zugleich fort- und offensichtlich umschreibt, wird daher von Harries zu einem Analyse-Schema entfaltet, dessen grundlegende Logik besagt, dass durch das Parodistische jeweils nur eine Dimension – entweder die Semantik oder die Syntax – variiert würde, während die andere Dimension ohne einen Bruch reproduziert würde. Als Beispiel führt Harries eine Szene aus BLAZING SADDLES (USA 1974, R: Mel Brooks) an. In seiner Lesart sei innerhalb der Syntax des Ritts der gesetzlosen Bande durch die staubige Prärie eine Mautstation als Irritation der Semantik gesetzt (vgl. ebd.: 8f).19 Neben der bereits in vorangegangenen Kapiteln erhobenen Kritik an Altmans Genre-Modell muss auch Harries’ Ablehnung einer Interdependenz der beiden Dimensionen kritisch hinterfragt werden. Gerade in seinem paradigmatischen Fall aus BLAZING SADDLES wird die Syntax des ungehinderten Ritts der Antagonisten, der konnotiert ist als große und unaufhaltsame Gefahr, bedeutend gestört: Die ach so gefährliche Bande der Gesetzlosen richtet sich geradezu sklavisch nach den Vorgaben der Mautstation. Die Gesetzlosen werden sowohl ihres Gefahrenpotenzials als auch ihrer Gesetzlosigkeit beraubt. Die Syntax des ungehinderten Ritts durch die Prärie, die Harries hervorhebt, wird dadurch signifikant variiert. Der zweite prekäre Anschluss an die Genre-Theorie ist, dass Harries wie Turner das evolutionistische Modell von Thomas Schatz unkritisch aufgreift, das für die Geschichtsschreibung jedes Genres die sukzessiven Phasen der Entstehung, der Ausbildung, des Klassikerstatus, des Zerfalls und der Parodie der Genres voraussetzt.20 Dieses evolutionistische Genre-Modell geht davon aus, dass Genres sich erst ausbilden müssen, bevor deren Konventionen parodiert werden können. Doch eine anti-essentialistische Genre-Theorie, wie sie mit der hier formulierten medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspektive einhergeht und die die Historizität von Genre-Zyklen und Genre-Verhandlungen voraussetzt, kehrt dieses Verständnis der Genre-Parodie um: Die Genre-Parodie geht der Etablierung von Genre-Konventionen voraus. Die Genre-Parodie wird in diesem Sinne als Genre19 Dieses Beispiel verdeutlicht Harries’ Simplifizierung von Altmans Genre-Modell, da die Genre-Syntax auf den Plot reduziert wird. Altman hielt die Grenzen der Dimensionen hingegen immer bewusst vage, um das Modell überzeugender zu gestalten. 20 Hinsichtlich der Aushandlungsprozesse eines Kanons von Filmen und Genre-Konventionen schließt Dan Harries, dass die Parodie diesen Kanon als veraltet und gleichsam lächerlich verabschiedet. Er diskutiert jedoch die Parodie nicht hinsichtlich ihrer Funktion für die Einführung und Konventionalisierung neuer Genre-Komponenten und neuer ‚Klassiker‘ der Genre-Geschichtsschreibung (vgl. ebd.: 37, 120-134).

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Formations-Modus und Genre-Transformations-Modus verstanden. Auf den ersten Blick mag dieser Schluss contra-intuitiv erscheinen, jedoch speisen sich Genres und deren Zyklen stets bereits aus der Kombination und Re-Organisation von Strukturen, die ihnen vorgängig sind und zu denen beispielsweise narrative Muster, Ästhetiken, spezielle Themen und vieles mehr gezählt werden können. Der parodistische Modus ermöglicht das explizite Zitieren von Konventionen, die ihren vorherigen Kontexten enthoben, als Konventionen ausgestellt und isoliert werden können. Indem die parodistische Inszenierung die konventionellen Erwartungen der Rezipienten,21 die an die zitierten Konventionen gerichtet werden können, radikal enttäuscht, werden die Erwartungen und Konnotationen abgestreift. Jedoch bleiben diese zugleich auch als genre-historische Vorgeschichte der parodistischen Inszenierung bewusst, da die gesamte Inszenierung im parodistischen Modus auf diesem Genre-Wissen basiert. Die Konvention selbst ist jedoch entkonventionalisiert und kann neu kontextualisiert und konnotiert, kann transformiert werden. Die Iteration dieses neuen Musters führt dann zu einer erneuten nachträglich konstituierten Konventionalisierung. Der parodistische Modus der Transformation von Genre-Konventionen legt dem Rezipienten eine Lesart als Zäsur in der Genre-Geschichte nahe, aus der vermeintlich ein ‚neues‘ Genre (Genre-Formation) oder ein ‚neuer‘ Genre-Zyklus (Genre-Transformation) hervorgeht.22 Zur Diskussion steht also kein Modell einer Parodie, durch das ganze Texte als kohärente Einheiten perspektiviert werden. Der parodistische Modus kann auch punktuell in einem Text als markierte Umschrift von Genre-Konventionen 21 Im Anschluss an Robert Jauss spricht Linda Hutcheon in diesem Kontext vom Erwartungshorizont („horizon of expectation“), mit dem die Parodie spiele (vgl. Hutcheon 1990: 130). Im Anschluss an Hutcheon greift wiederum auch Dan Harries die Rezeptionsästhetik und insbesondere die Modelle von Wolfgang Iser auf und begründet dadurch sein Modell der „re-iteration“ als Basis seiner Differenzierung von parodistischen Strategien (vgl. Harries 2000: 107-109). 22 Es könnte eingewandt werden, dass diese Argumentation einen genre-bewussten Rezipienten voraussetze. Darauf sei erwidert, dass der parodistische Modus nicht ahistorisch, sondern hochgradig zeitspezifisch betrachtet werden muss und rezente Konventionen parodistisch aufgreift. Daher kann eine Bekanntheit der Genre-Konventionen von zumindest so marginaler Art angenommen werden, dass die extremen Brüche des parodistischen Modus rezipiert werden können – zumindest als Brüche. Zudem wird ein Film als Zäsur in der Genre-Geschichte nicht vom einzelnen Rezipienten diskursiviert, sondern von Diskursen der Genre-Geschichtsschreibung wie Rezensionen, Filmographien, Genre-Studien etc., deren Gegenstand die Vermittlung eines GenreBewusstseins, eines Genre- und Geschichtswissens ist.

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fungieren. Diese Argumentation gilt nicht für alle geschichtlichen Zäsuren, da auch aufgrund anderer Faktoren wie beispielsweise technologischen Innovationen und deren Iteration Filme als Zäsuren in der Filmgeschichte diskursiviert werden können. Doch es finden sich viele ähnliche parodistische Inszenierungen von Genre-Konventionen, wie sie für DELIRIA nachgezeichnet wurden, zu Beginn anderer Filme, die ebenfalls als Zäsur in Genre-Geschichten diskursiviert wurden, sodass diese Konstellation als genre-theoretisch signifikantes Muster auffällt. Auch Sergio Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI ist beispielsweise zu Beginn von einem Spiel mit Konventionen des US-Westerns gekennzeichnet, das als parodistische Genre-Transformation gelesen werden kann. So wird beispielsweise dem amerikanischen Protagonisten, der mit seinem Poncho, seinem Maultier, seinen artistischen Einlagen und seiner zynischen Gewaltanwendung kaum dem Bild eines konventionellen Cowboys entspricht, beim Ritt in das von zwei verfeindeten Gruppen beherrschte Dorf ein aufrechter Reiter auf einem kräftigen Pferd gegenübergestellt, der zunächst wie der Held eines konventionellen Westerns daherkommt, sich dann jedoch als toter Mexikaner und seine aufrechte Haltung als Effekt eines Stocks in seinem leblosen Rücken erweist. Der Film verkettet in seiner Eröffnungs-Sequenz weitere ähnliche Momente des dekonstruktiven Spiels mit Genre-Konventionen, die schließlich in der ersten Duell-Szene kulminieren: Der Protagonist fordert von Cowboys, die sich wie konventionelle Cowboys im US-Western kleiden und gebärden, eine Entschuldigung für sein Maultier, das sie beleidigt hätten. Als die Cowboys dem nicht nachkommen, erschießt der Protagonist sie. In diesem Moment kippt die Parodie der Konventionen des US-Westerns in die zynische Gewalt, die für viele Italowestern typisch ist. An diesen Bruch mit den explizit zitierten und parodierten Genre-Konventionen schließt eine vermeintliche Neu-Aushandlung eines ‚neuen‘ Musters des Westerns, ja, eines ‚neuen‘ Genres, nämlich des Italowesterns an, der aufgrund des parodistischen Modus der Genre-Transformation als Zäsur in der Genre-Geschichte gelesen worden ist. Denn PER UN PUGNO DI DOLLARI gilt als erster Formelfilm des Italowesterns, obwohl nachweislich zuvor bereits ca. 25 italienische Western gedreht worden waren.23 Beide hier beispielhaft analy23 In diesem Zusammenhang wäre auch zu überlegen, inwiefern die expliziten Verweise auf das japanische Vorbild nicht als ‚Ablenkungsmanöver‘ gelesen werden können. Indem PER UN PUGNO DI DOLLARI auf sein Vorbild YÔJINBÔ (J 1961, R: Akira Kurosawa) verweist, der in Europa als japanischer Autorenfilm vermarktet und rezipiert wurde, kann der Film zum einen an den Kunstanspruch anschließen, der dem Vorgänger zugeschrieben wurde. Indem die Diskurse der Genre-Geschichtsschreibung diesen historischen Kurzschluss auf das japanische Vorbild und auf den damit einhergehenden Rechtsstreit zwischen Leone und Kurosawa aufgreifen können, erlaubt dies zum

G ENRE-P ARODIE UND G ENRE-G ESCHICHTE

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sierten Filme, DELIRIA und PER UN PUGNO DI DOLLARI, zeigen, dass Filme keinesfalls ‚an sich‘ Zäsuren in Genre-Geschichten darstellen, sondern sie werden – und darin sind sie ‚Klassikern‘ vergleichbar – als Zäsuren rezipiert und als solche in der Genre-Geschichtsschreibung diskursiviert. Diese Lektüren folgen dabei jedoch den Lektüre-Vorgaben, die dem Rezipienten bereits von den Filmen durch den parodistischen Modus der Genre-Transformation offeriert wurden. Die Genre-Geschichtsschreibung kann immer auf solche Symptome der Effekte der Texte und ihrer unterschiedlichen Inszenierungen hin befragt werden, da sich Effekte von Inszenierungsstrategien wie das set-piece oder der parodistische Modus der Genre-Transformation und ihre Lektüren immer schon in die GenreGeschichtsschreibung eingeschrieben haben. Eine nahezu parodistisch ausfallende selbstreflexive Inszenierung bildet auch die Schluss-Sequenz von Dario Argentos Neo-Giallo DO YOU LIKE HITCHCOCK? (2005): Ein Filmstudent, der gerade mit Hilfe einer Freundin vom Fenster aus wie sein filmhistorisches Vorbild James Stewart in Alfred Hitchcocks REAR WINDOW (USA 1954) einen Mordfall gelöst hat, beobachtet seine Nachbarin, die als sexuelles Objekt seines Blickes dargestellt wird, sich als Leserin eines gialloRomans offenbart und unerwartet seinen Blick aktiv erwidert. Der Film stellt damit die Gender-Codes des Giallos gleich doppelt zur Diskussion: Es geht gleichermaßen um konventionelle Gender-Konstellationen im Giallo und um Gender-Semantiken des Giallos. Diese Interdependenzen von Genre und Gender werden im folgenden Kapitel eingehend genre-theoretisch diskutiert.

anderen das Genre-Wissen zu verschütten, dass vor dem Film bereits über 25 italienische Western produziert worden waren, denen jedoch kein entsprechender Erfolg an den Kinokassen und bei den Kritikern beschieden war. Diese diskursive Herstellung einer exotischen Vorgeschichte des Films verbirgt gleichsam die italienische GenreVorgeschichte. Der Umweg über den japanischen Samurai-Film gleicht einem reentry des Bewusstseins um die filmhistorische Vorgeschichte des Films. Der Film wird so als vermeintliche Neuheit lesbar, die vermeintlich ein Genre neu begründet, statt nur eine Erfolgsformel für einen besonders erfolgreichen Zyklus eines bereits vorhandenen Genres zu stiften. Der Hinweis auf die ca. 25 Italowestern, die Leones erstem Italowestern vorausgingen, findet sich in fast jedem Text zum Genre; siehe beispielsweise: Bruckner 2006: 34; Landy 2000: 181.

10. Genre und Gender: weiblicher giallo und männlicher Giallo

Bei dem Protagonisten von Dario Argentos Neo-Giallo DO YOU LIKE HITCHCOCK? (2005) handelt es sich um einen professionellen ‚Voyeur‘, um einen Filmstudenten, der an einer Abschlussarbeit über Alfred Hitchcock arbeitet. Das Objekt von Giulios neugierigem Blick ist jedoch weniger die Filmgeschichte als vielmehr seine attraktive Nachbarin, deren Fenster auf der anderen Straßenseite seinem Fenster gegenüberliegt. Regelmäßig beobachtet der junge Mann unbemerkt die attraktive junge Frau beim Umkleiden, beim Workout und in anderen sexuell aufgeladenen Situationen. Doch eines Nachts ereignet sich in eben dieser Wohnung der Nachbarin ein brutaler Mord, wie der Protagonist beobachtet zu haben glaubt. Da keiner außer seiner Freundin Federica ihm Glauben schenkt, löst er allein mit ihrer Hilfe den Mordfall, in dem – frei nach Hitchcocks STRANGERS ON A TRAIN (USA 1951, R: Alfred Hitchcock) – zwei Fremde jeweils für einander einen Mord begingen. Wie sein Vorbild – James Stewart in REAR WINDOW (USA 1954, R: Alfred Hitchcock) – ist jedoch auch Giulios Bewegungsfreiheit durch einen lädierten Fuß so stark eingeschränkt, dass seine Freundin Federica sich für ihn in Gefahr begibt, um die wichtigen Spuren zu finden, die zur Lösung des Falls führen. Die attraktive Nachbarin, die Giulio heimlich voyeuristisch beobachtet hatte, offenbart sich schließlich als eine der Täterinnen des Doppelmordes. Wie bereits diese knappe Zusammenfassung der Handlung zeigt, nimmt dieser Neo-Giallo seinen Titel DO YOU LIKE HITCHCOCK? sehr ernst und folgt mit viel postmodernem Augenzwinkern im Modus der Hommage den Vorbildern Hitchcocks. Am Ende des Films – und damit weicht der Film deutlich vom Hitchcock’schen Prätext ab – zeigt sich in der Wohnung der ehemaligen Nachbarin eine neue Nachbarin. Bei weit geöffnetem Fenster bietet sie sich freiwillig in Reizwäsche dem erstaunten Voyeur als sexuelles Objekt dar.

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Auf der sich geradezu aufdrängenden Folie von Laura Mulveys feministischer Kritik kann die gesamte Schlusskonfiguration als überspitzte Inszenierung der konventionellen Blickkonstellation eines männlichen Genres1 gelesen werden: Die attraktive Frau figuriert idealtypisch eine masochistische Weiblichkeit, deren Erfüllung ihres eigenen Begehrens sich im Begehren des Mannes realisiert, dem sie sich freiwillig und freizügig als Objekt seines Voyeurismus anbietet (vgl. Mulvey 2004). Die Schlusskonfiguration dieses Neo-Giallos lässt keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Genre um ein männliches Genre mit männlichem Protagonisten und mit einem männlichen Blick handelt, das eine männliche Rezipienten-Subjektposition konstituiert. Doch zugleich ist die Männlichkeit des Protagonisten gebrochen: Er ist durch seine Fußverletzung symbolisch kastriert, zudem wird er als neurotischer Voyeur vorgeführt. Und in demselben Maße ist auch die Gender-Zuschreibung des Genres gebrochen. Denn das Genre wird in einer selbstreflexiven Inszenierung ironisch in Szene gesetzt: Während sich das Objekt des männlichen Voyeurismus in seiner Reizwäsche auf der Couch drapiert, liest die junge Frau einen giallo-Roman.2 Ebenso wie sie ihren durch die Reizwäsche kaum bekleideten nackten Körper in Großaufnahme dem voyeuristischen Protagonisten und natürlich dem ebenso voyeuristischen Rezipienten gezielt zeigt, so hält sie auch den giallo-Roman gut sichtbar mit dem ikonischen gelben Titelblatt in die Kamera. Dem aktiven männlichen Betrachter des filmischen Giallos steht die aktive weibliche Leserin des literarischen giallo als Objekt seines Voyeurismus gegenüber. Diese Bildkomposition ist eine höchst spannungsreiche, selbstreferenzielle Genre-Markierung, wird doch innerhalb des 1

Im Folgenden werden Genres als männliche oder weibliche Genres bezeichnet. Andere Autoren, wie beispielsweise Asokan Nirmalarajah, nutzen synonym die Begriffe ‚Männer-‘ und ‚Frauen-Genres‘ (vgl. Nirmalarajah 2012). Dieses Begriffspaar ist zumeist der Referenz auf die englische Forschung zum woman’s film geschuldet. Diese Begriffe sind jedoch aufgrund einer sprachlichen Nähe zu anderen Genre-Namen nicht unproblematisch. So handelt es sich bei dem Frauen-Gefängnisfilm, den Asokan Nirmalarajah thematisiert, beispielsweise eher um ein typisch männlich semantisiertes Genre. Zudem hebt das hier benutzte Begriffspaar der männlichen und der weiblichen Genres darauf ab, dass mit diesem Ansatz nicht eine Tradition der feministischen Analyse von Männer- und Frauen-Bildern, sondern gender-theoretische Lektüren von Gender-Konzepten der Männlichkeit und der Weiblichkeit fokussiert werden.

2

L. Andrew Cooper liest diese Inszenierung dahingehend, dass Giulio am Ende des Films zwar einen Plot in Tradition von Alfred Hitchcock überlebt habe, nun aber mit neuen Herausforderungen konfrontiert sei: nämlich dem Giallo (vgl. Cooper 2012: 142). Diese Lektüre blendet die Gender-Konstellationen vollends aus und greift daher zu kurz.

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männlichen Filmgenres das literarische Genre mit demselben Namen als weibliches Genre in Szene gesetzt.3 Die Interdependenz von Genre und Gender hat in den letzten Jahren in den filmwissenschaftlichen Genre-Theorien eine beinahe schon dominante Stellung als Paradigma eingenommen. Ausgehend von der gemeinsamen etymologischen

3

In diesem Konnex von Lektüre und Selbstreflexivität sei betont, dass solche selbstreflexiven Inszenierungen wie die hier behandelte nicht als Kristallisationspunkt einer selbstreflexiven Struktur, sondern als punktuelle Lektüre-Anweisung zu verstehen sind. Außer in extremen Fällen wie etwa mise-en-abîme-Konfigurationen, in denen im Film das Medium Film in Szene gesetzt wird, ist kaum zu entscheiden, ob ein Film selbstreflexiv sei oder nicht. Manche Ansätze versuchen, diese Aporie dadurch zu umgehen, dass sie zwischen Selbstreflexivität und Selbstreferenzialität oder Selbstreflexivität und Metareflexivität unterscheiden – diese Unterscheidungen der ‚Qualitäten‘ eines Textes sind jedoch bereits eine Lektüre-Entscheidung. Stattdessen sollte danach gefragt werden, ob ein Film selbstreflexiv gelesen werden kann und wie produktiv dieser Lektüre-Ansatz ist. Die Aporie der Selbstreflexivität ist, dass jeder Film als selbstreflexive Verhandlung gelesen werden kann, da jeder Film auf ein filmhistorisches Archiv referiert. Diese Referenz kann aber auch als deren Verhandlung gelesen werden. Gerade im Fall des Genre-Films lässt sich das Genre-Bewusstsein oder die generische Selbstreflexivität kaum bestimmen oder graduieren, da jeder GenreFilm Genre-Konventionen in Szene setzt, sie fortschreibt – und eventuell umschreibt – und daher auch als Verhandlung der Genre-Konventionen gelesen werden kann. Jeder Giallo kann als Verhandlung des Genres Giallo gelesen werden. Jedoch lässt sich entscheiden, ob der Film eine Selbstreflexivität explizit ausstellt. Wenn beispielsweise in einem Giallo-Film giallo-Literatur in der mise-en-scène drapiert ist, so kann dies als Lektüre-Anweisung verstanden werden, den Film als Giallo zu lesen. Die LektüreAnweisung lässt sich zumindest tendenziell graduieren: Es macht einen Unterschied, ob die giallo-Literatur im Giallo-Film nur in einer Bildkomposition positioniert ist oder ob eine Figur des Films diese liest oder die Figuren des Films einen Dialog darüber führen. Diese verschiedenen Inszenierungen lassen sich unterschiedlich leicht als Lektüre-Anweisung dafür verstehen, den Film selbstreflexiv zu lesen. Jedoch wird dem Rezipienten damit nicht ein ‚ich bin ein selbstreflexiver Film‘ vermittelt, sondern eher ein ‚lies mich doch mal unter dem Vorzeichen der Selbstreflexivität‘. Es handelt sich also nicht um einen Kristallisationspunkt einer dem Film inhärenten Lesart, sondern lediglich um eine mögliche Lektüre-Anweisung an den Rezipienten. Zur Einführung in das Differenz-Modell von Selbstreflexivität und Selbstreferenzialität siehe: Heiß 2001: 48-57.

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Wurzel des lateinischen Wortes genus4 wurden insbesondere die anti-essentialistischen Ansätze der Gender Studies, die vorrangig auf den Arbeiten von Judith Butler basieren, für die Genre-Theorie produktiv gemacht, um die Perspektivierung von Genres nicht als Naturformen, sondern als kulturelle Artefakte, die diskursiv und performativ hervorgebracht werden, zu unterstützen. Arbeiten vor allem von Irmela Schneider, Claudia Liebrand, Gereon Blaseio oder Andrea B. Braidt fundierten die Theoretisierung dieses Ansatzes in der deutschsprachigen Genre-Theorie und führten die Produktivität dieses Ansatzes beispielhaft vor (vgl. Schneider 2001; Liebrand 2003; Liebrand/Steiner 2004; Liebrand 2006b; Liebrand 2012c; Blaseio 2004a/b; Braidt 2008). Diese Doppelperspektive führte zu zwei verschiedenen Strängen der filmwissenschaftlichen Analyse der Interdependenz von Genre und Gender. Der eine Ansatz untersucht die Interdependenz von Genre-Definitionen und Gender-Konstellationen und geht textanalytisch der Verhandlung beider sowie ihrer Interdependenz in einzelnen Filmen nach. Man könnte diese Linie als die textzentrierte Erforschung der generic gender relations bezeichnen. Im Gegensatz dazu kann als die Linie der gendered genres5 die Analyse der Gender-Zuschreibung zu Genres bezeichnet werden. Dieses Kapitel ist kein weiteres Glied in dieser Kette der Theoretisierung der Interdependenz von Genre und Gender, sondern die beiden genannten Ansätze werden im Folgenden separat lediglich skizzenhaft vorgestellt. Daran schließt dann die Analyse der eingangs erläuterten Konstellation an, die von einigen Gialli durchgespielt wird und in der beide Ansätze in Interdependenz zueinander stehen. Eine solche interdependente Betrachtung ist den Arbeiten beider Linien zumeist implizit eingeschrieben, bisher aber selten explizit diskutiert worden.6 4

Wie bereits Jacques Derrida mit Rekurs auf Philippe Lacoie-Labarthe und Jean-Luc Nancy darlegte, kann derselbe Zusammenhang auch für die deutsche Bezeichnung Gattung aufgezeigt werden (vgl. Derrida 1980: 74): Derrida betont die sprachliche Beziehung zwischen der Gattung den Ehe-Gatten, aber auch dem Gattieren (mischen) und dem Begatten. In der Signifikanten-Kette, die er entfaltet, wird implizit einerseits durch den Vergleich mit der Ehe die Institutionalisierung von Gattungen und andererseits durch den Vergleich mit ‚begatten‘ und ‚gattieren‘ die Dynamik, die Durchdringung und die Kombination von Gattungen stärker betont als im Fall der Fundierung der Doppelperspektive auf Genre und Gender in der lateinischen Wurzel genus.

5

Der Begriff der gendered genres wird von Marie-Luise Angerer und Johanna Dorer übernommen, die ihn ihrerseits wiederum Charlotte Brunsdon entlehnen (vgl. Angerer Dorer 1996).

6

Dieses Kapitel beschränkt sich auf einen Spezialfall des Giallos und wird daher das weite und noch weitgehend unbestellte Feld der Interdependenz von Genre und Gender lediglich tangieren. Für eine theoretische Auseinandersetzung damit sei auf die

G ENRE UND G ENDER

10.1

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GENERIC GENDER RELATIONS

Der dominante Ansatz der filmwissenschaftlichen Forschung zur Interdependenz von Genre und Gender analysiert spezifische Gender-Konstellationen. Im Fokus stehen vor allem genre-spezifische Gender-Konzepte wie die femme fatale im film noir oder das final girl im Slasher. Diese Analysen, die Gender Studies und Genre-Theorie verzahnen, stehen in der Tradition der feministischen Frauenbildforschung der 70er Jahre, wie Gereon Blaseio in seinem zum genre-theoretischen Klassiker avancierten Aufsatz Genre und Gender. Zur Interdependenz zweier Leitkonzepte der Filmwissenschaft ausführlich darlegt (vgl. Blaseio 2004a): Im Anschluss an die genre-theoretischen Arbeiten von Claudia Liebrand verschiebt Blaseio die Perspektive auf die Interdependenz von Genre und Gender. Seine Kritik richtet sich vor allem an zwei Defizite der bisherigen Analysen: Zum einen wurde zuvor zumeist eine der beiden Kategorien als stabile und fixierte Kategorie angenommen, um die Transformationen der anderen Kategorie zu beobachten. Zum anderen wurden Gender-Konstellationen zumeist als Genre-Konventionen bzw. als Genre-Merkmale verstanden. Blaseio schreibt Gender hingegen im Verhältnis zu Genre eine konstitutive Rolle zu. Wenn gewisse Gender-Konzepte, -Performanzen und -Konstellationen als ‚typisch‘ für ein Genre gelten, dann bedeuten Gender-Verhandlungen immer auch Genre-Verhandlungen. Um zwei zugespitzte und komplementäre hypothetische Beispiele zu nennen, die nicht bei Blaseio zu finden sind: Würde beispielsweise eine femme fatale in einem Kriegsfilm in Erscheinung treten, so würde sie beim (genre-kundigen) Rezipienten eher Assoziationen und Erwartungen auf der Basis des film noir denn des typischen Kriegsfilms wecken. Würde hingegen ein Kriegsfilm seinen Handlungsort in eine düstere und labyrinthische Stadt verlegen und der Soldat sich als Amateurdetektiv verdient machen, so würde die Verschiebung hin zum film noir auch die Erwartung des wahrscheinlichen Auftretens einer femme fatale evozieren. Blaseio betont dabei erneut die zwei Perspektivierungen der Interdependenz von Genre und Gender, die für die Theoretisierung und die Filmlektüren von Genre-Gender-Kopplungen von zentraler Bedeutung sind: Einerseits hebt er die Warnung von Irmela Schneider hervor, dass diese Doppelperspektive nicht der Re-Essentialisierung der einen oder der anderen Kategorie dienen darf. Stattdes-

Dissertation von Johannes Breuer verwiesen, die am Beispiel des Musicals, das zumeist als weibliches Genre diskursiviert worden ist, der Kopplung von Gender und Genre diskurs- wie textanalytisch nachgeht und die zeitnah zu dieser Publikation erscheinen sollte.

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sen müssen beide Kategorien in ihrer Interdependenz historisiert und kontextualisiert werden. Es müssen im je spezifischen Fall ihre Relationen, Dynamiken und Transformationen nachvollzogen werden. Andererseits unterstreicht Blaseio im Anschluss an Claudia Liebrand, dass auch bei dieser Doppelperspektive Gender-Lektüren nicht einzelne Figuren und die durch sie verhandelten GenderKonzepte wie die femme fatale oder das final girl fokussieren dürfen, sondern die Gender-Konstellationen in Genres, also die relationale Anordnung der Gender-Konzepte analysieren müssen – die femme fatale und der Ermittler; das final girl, der Killer und seine Opfer. Genre-Mixings und -Hybride realisieren sich daher stets auch in Verschiebungen von Genre-Konventionen, zu denen auch Gender-Konstellationen gerechnet werden und die zugleich als Markierungen dieser Genre-Verhandlungen gelesen werden können. Gereon Blaseio spielt dieses Modell der generic gender relations in einem zweiten Aufsatz über Oliver Stones HEAVEN & EARTH (USA/F 1993) beispielhaft durch (vgl. Blaseio 2004b): Innerhalb des männlich semantisierten Genres Kriegsfilm werden, so Blaseios genre-theoretische Lektüre, Konventionen des weiblich semantisierten woman’s film aufgerufen. In der Lebens- und Leidensgeschichte der weiblichen Hauptfigur, die mit dem traumatisierten US-amerikanischen Soldaten als männlicher Hauptfigur kontrastiert wird, werden Gender- und Genre-Konventionen beider Genres überblendet. Blaseio fokussiert in seiner Film-Lektüre die im Film aktualisierten Genre- und Gender-Konventionen des Kriegsfilms und des woman’s film und geht zugleich als Ergänzung seiner Überlegungen eingehend darauf ein, dass in diesem Film Verhandlungen zwischen dem male melodrama Kriegsfilm mit dem woman’s film stattfinden. Blaseios Beispiel ist damit nicht nur ein Beispiel für die Interdependenz von Genre und Gender, sondern auch für die Interdependenz von genrespezifischen Gender-Konstellationen (generic gender relations) und GenderSemantiken von Genres (gendered genres).

10.2

GENDERED GENRES

Dieser Ansatz untersucht die Verbindung von Genre und Gender, wie sie in der Gender-Semantisierung von Genres vorkommt. So gilt beispielsweise, um die wohl bekanntesten Beispiele aufzuführen, der Western als ‚typisch männliches‘ und das Melodrama als ‚typisch weibliches‘ Genre. In diesem Gendering von Genres werden die vermeintlich konstitutiven Inhalte der Filme mit der vermeintlich mehrheitlichen Rezipienten-Gruppe kurzgeschlossen. Diese Logik zeigt sich beispielhaft im Fall der Filme, die heute als Melodramen bezeichnet

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werden und die auch als woman’s film oder tearjerker bezeichnet wurden: Die essentialistische Logik der gendered Genres besagt, dass die Melodramen durch die forcierte Inszenierung von intensiver und exzessiver Emotionalität ebenso starke Emotionen im Rezipienten-Subjekt evozieren sollen, weshalb dieses als weibliches Rezipienten-Subjekt konstituiert würde, da Frauen im Gegensatz zu Männern emotional seien. Das Melodrama sei daher weiblich und es ‚spräche‘ Frauen als Rezipienten an. Analog dazu seien beispielsweise Western männlich und würden von männlichen Rezipienten bevorzugt werden, da das Genre die Aktivität und Rationalität, die der Männlichkeit zugeschrieben werden, in Szene setze und daher von Männern als Unterhaltung bevorzugt werde. Diese essentialistische Logik schreibt einen Code fort, der eine lange Tradition in der GenderSemantisierung von Genres hat. Auch literarische Gattungen7 kennen eine ähnliche Geschichte der GenderZuschreibungen: So galten Frauen beispielsweise als privilegierte Autorinnen und Leserinnen von Briefen und Briefromanen, da der Brief vorrangig mit Intimität und Emotionalität konnotiert war. Da diese Zuschreibungen auch auf Frauen zutrafen, erschien es selbstevident, dass ein Konnex zwischen Gattung und Geschlecht bestehe.8 Wie beispielhaft Irmela Schneider dargelegt hat, resultiert diese vermeintliche Selbstevidenz aus einer solchen Vernetzung von Diskursen und einer Kopplung von Kategorien wie Genre und Gender, die verschleiern, dass diese Zuschreibungen als soziale Konstrukte und kulturelle Artefakte problematisiert werden können (vgl. Schneider 2004: 98f). Diese Geschichte der Gender-Semantisierung von Gattungen ebenso wie die Geschichte ihrer essentialistischen Theorien ließen sich sowohl weiter zurückverfolgen als auch auf andere Medien ausweiten – es seien jedoch lediglich einige einschlägige Fälle erwähnt: Beispielsweise gilt auch die Novelle als typisch weibliche Gattung.9 Susanne Kord hat hingegen diskursanalytisch gezeigt, dass auch im Fall des Theaters eine Geschichte der Gender-Zuschreibungen geschrieben werden kann 7

Gattung ist hier nicht als Synonym von Genre zu verstehen, sondern im Sinne von Knut Hickethier als Formprinzip, innerhalb dessen sich diverse Genres realisieren lassen, die ihrerseits wiederum multidimensional verhandelt werden – etwa über narrative Muster, Codes, Figurentypen, Gender-Konstellationen et al.

8

Neben dem Brief und dem Briefroman wurde auch die Gattung Roman im achtzehnten Jahrhundert als weibliche Gattung semantisiert (vgl. Fleig/Meise 2005a: 157; Fleig/Meise 2005b; Kord 1996; siehe auch als Einführung und Überblicksdarstellungen: Müller 2009; von Stackelberg 2009).

9

Claudia Liebrand hat darauf hingewiesen, dass Heinrich von Kleist aufgrund dieser Gender-Zuschreibung an die Gattung beklagte, dass er ausgerechnet als NovellenAutor berühmt geworden war (vgl. Liebrand 2012c: 355).

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(vgl. Kord 1996: 70-74).10 Populär ist aber auch die Gender-Zuschreibung im Fall von Fernseh-Formaten. So wird die Soap Opera oft als ‚typisch weiblich‘ beschrieben. In dieser Debatte ist besonders prominent und kontrovers diskutiert Tania Modleskis Begründung dafür, dass Frauen die bevorzugten Rezipienten von Soap Operas im Tagesprogramm der US-amerikanischen Fernsehsender seien (vgl. Modleski 2001): Modleski generalisiert die Frauen zu Hausfrauen und setzt die Soap Opera inhaltlich wie formal in Relation zu ihnen. So entspräche das Format inhaltlich den Interessen der Hausfrauen, da es diesen eine fiktionale Welt von großer ‚Nähe‘ zum Alltag der Hausfrauen biete und weiblich semantisierte Themen wie Ideale der Mütterlichkeit verhandele. Zu diesen zählt Modleski beispielsweise den mütterlichen Blick für Wünsche und Bedürfnisse anderer Familienmitglieder und das Changieren zwischen ‚Mikro-Problemen‘ wie Flecken auf den Hemden des Ehemanns und ‚Makro-Problemen‘ wie dem Liebeskummer der Töchter. Zudem entspreche das Format in seiner narrativen Struktur dem Tagesablauf der Hausfrau, den Modleski zu einer häufig unterbrochenen, doch zugleich prinzipiell unabgeschlossenen und redundanten Routine reduziert und generalisiert.11 Aber auch John Fiske schreibt diesen binären Code der Gender-Semantisierung von Textsorten ungebrochen fort, wenn er der ‚weiblichen‘ Soap Opera beispielsweise die ‚männlichen‘ Polizei- und Action-Serien gegenüberstellt (vgl. Fiske 2001: 181-225).12 Im Gegensatz zu diesen Beispielen der Gender-Zuschreibung an ganze Gattungen, Formate und Genres haben germanistische Studien gezeigt, dass es in der Geschichte der Gender-Semantisierung von Gattungen auch den Fall gab, dass innerhalb einer Gattung zwischen männlichen und weiblichen Varianten unterschieden wurde. Angelika Schlimmer hat in diesem Sinne gezeigt, dass innerhalb der Gattung Roman zwischen dem männlichen Bildungsroman und dem weiblichen Prüfungsroman unterschieden worden sei (vgl. Schlimmer 2005). 10 Ob Susanne Kords sehr forcierte Studie überzeugend ist oder nicht, steht hier nicht zur Debatte, denn sie wird lediglich exemplarisch als eine theaterwissenschaftliche Studie zur Gender-Semantik des Theaters herangezogen. In ihrer Diskursanalyse der Schriften über das Theater im 18. Jahrhundert, in deren Fokus vor allem Schlegel mit einem Seitenblick auf Goethe und Schiller steht, stellt Kord fest, dass die Gattungs-Theorien und -Poetiken gegen den Strich gelesen werden: Das Theater mag zwar als männlich propagiert worden sein, jedoch sei den Ausführungen zum Theater ein Code der Weiblichkeit eingeschrieben. 11 Für einen Überblick über die Kritik an Modleskis Argumentation siehe: Schneider 2004: 98-101. 12 Fiske diskutiert in seinem Kapitel über männliche Genres die Serie THE A-TEAM (USA 1983-1987, R: Stephen J. Cannell/Frank Lupo) im Detail.

G ENRE UND G ENDER

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Diese Unterscheidung innerhalb einer Gattung ist der Differenzierung des Melodramas in das männliche melodrama of action und in das weibliche melodrama of passion vergleichbar, für die Michael Walker plädierte (vgl. Walker 1982).13 Auch die Kritik von Linda Williams an der Gender-Semantisierung des Melodramas als weiblichem Genre verschiebt die Gender-Semantisierung lediglich. Auch ihrer Argumentation, in der sie im Fall des populären Films und insbesondere des Hollywoodfilms statt des Genres Melodrama den melodramatic mode als transgenerischen Modus des Erzählens fokussiert, ist derselbe Code eingeschrieben, da sich verschiedene Funktionsstellen des melodramatic mode ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ realisieren können. Die Schlusskonfiguration, so Williams, kann entweder durch „action“ bzw. Handlung im männlich semantisierten melodrama of action oder durch „suffering“ bzw. intensive und exzessive Emotionalität im weiblich semantisierten melodrama of passion realisiert werden (vgl. Williams 1998: 62-80). Insbesondere Irmela Schneider hat diese Re-Essentialisierung kritisiert, die der anti-essentialistischen Kritik an einer Kategorie – hier das Genre Melodrama – mit einer Gender-Differenzierung begegnet – die action im male melodrama und das suffering im weiblichen Melodrama. Schneider betont, dass in dieser Logik der gendered Genres die vermeintliche Stabilität einer Kategorie als Stabilisierung der anderen, krisenhaften Kategorie fungieren kann. Um das Beispiel von Linda Williams aufzugreifen: Das Melodrama, wie es zuerst als Genre definiert worden war, mag zwar durch die Analyse der melodramatischen Muster der Narration von ‚klassischen‘ Melodramen und anderen Hollywood-Genres wie dem Actionfilm einerseits und durch die Analyse der Kodierung der Bezeichnung melodrama als Versprechen von unterhaltenden und spannenden Filmen im klassischen Hollywoodkino der Studiozeit andererseits als Genre problematisiert, destabilisiert und letztlich ent-essentialisiert worden sein. Jedoch könne das male melodrama dadurch vermeintlich klar gefasst werden, dass männliche statt weibliche Hauptfiguren durch Handlung statt Emotionalität ein männliches und kein weibliches Publikum ansprächen. Die Gender-Zuschreibung erlaubt eine erneute Re-Essentialisierung des Genres, das dadurch stabil und selbstevident erscheint. Irmela Schneider plädiert daher für eine Betrachtung, bei der sich Gender und Genre, filmwissenschaftliche Genre-Theorie und Gender Studies gegenseitig perspektivieren. Und eine solche kritische wechselseitige Erhellung von Gender und Genre ist in einigen Gialli zu finden, die mit den Gender-Zuschreibungen des Genres Giallo spielen. Jedoch verschieben die Filme diese Verhandlung von gendered Genres intermedial, woraus eine Spannung zwischen dem weiblichen Literaturgenre und dem männlichen Filmgenre resultiert, da im ver13 Für eine Kritik daran siehe: Neale 2000, S. 202.

208 | FORMELKINO

meintlichen Männer-Genre Giallo Frauen als Leserinnen von giallo-Romanen inszeniert werden.

10.3 D ER G IALLO ,

ODER : WENN MÄNNLICHE G ENRES SICH ALS WEIBLICHE G ENRES IMAGINIEREN

Zunächst gilt es die Gender-Konstellationen und -Semantiken zu betrachten, wie sie den Diskursivierungen des Genres eingeschrieben sind. Danach werden die Befunde im Vergleich zu den Filmen perspektiviert. Betrachtet man also die dominante Definition des Film-Genres Giallo, so lässt sich ein Konsens in den Diskursen ausmachen, der wenig Zweifel daran lässt, dass der Giallo als ein männliches Genre verstanden wird: Im Zentrum steht vorrangig eine männliche Hauptfigur, die die Handlung vorantreibt und aus deren Perspektive der Ermittlungsplot erzählt wird. Ihm gegenüber steht der Täter, bei dem es sich entweder um eine mordende Frau handelt, die damit Barbara Creeds femme castratrice idealtypisch figuriert, oder – zumindest im Giallo der 70er Jahre, auf dem die dominante Genre-Definition basiert – um einen mordenden Mann, dessen Männlichkeit jedoch durch ein Trauma oder Impotenz versehrt ist. Protagonist und Antagonist sind interdependent: Zwar wird die Männlichkeit des Protagonisten durch den Täter in Frage gestellt, da er dessen Identität zuerst nicht enthüllen und die Opfer nicht vor ihm beschützen kann; der Täter hingegen kommt entweder als konkrete Kastrationsdrohung, als femme castratrice daher oder der Täter – wenn er männlich ist – versucht, in seinen Morden seine versehrte Männlichkeit gewaltsam wieder als eine potente Männlichkeit zu re-konstitutieren; letztlich wird die Männlichkeit des Protagonisten jedoch wiederhergestellt, indem der Antagonist gestellt und Ordnung hergestellt wird. Die weiblichen Rollen im Giallo scheinen auf die femme castratrice oder vor allem auf das Opfer und das Sexobjekt begrenzt zu sein. Der Körper der Frau wird in Tanz-, Sex- und nicht zuletzt in Gewaltszenen einem männlichen Blick zur Schau gestellt. In diese Objekt-Position begeben sich die Frauen dabei entweder freiwillig oder sie werden in diese gezwungen als Bestrafung für ihre offensive Sexualität. Auch die Gewalt der Morde selbst ist hochgradig sexualisiert: Im Fall des weiblichen Opfers wird Gewalt und Sexualität einerseits in der partiellen bis ganzen Nacktheit der weiblichen Opfer und andererseits in der Konnotation des Mordes als brutale Penetration überblendet, wenn die phallisch konnotierten Messer in die Frauenkörper eindringen. Diese ‚aggressiv männlich‘ konnotierte Gewalt schreibt zugleich die Wunde, als die die Frau in der westlichen Kultur wiederholt semanti-

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siert wurde, in den Körper des Opfers gewaltsam ein. Im Fall des männlichen Opfers erleidet dieser gleichsam eine tödliche Kastration.14 All dies führt Dario Argentos DO YOU LIKE HITCHCOCK? (2005) in seiner Schlusskonfiguration pointiert auf die Spitze, in deren Zentrum die weibliche Figur steht, die sich dem männlichen Protagonisten freiwillig als sexuelles Objekt seines Voyeurismus anbietet. Diese Bildkomposition lässt keinen Zweifel daran, dass sie vorrangig einem männlichen Rezipienten lustvoll und wünschenswert erscheinen kann. Dass es sich beim Giallo anscheinend um ein männliches Genre handelt, liegt vermeintlich so offen auf der Hand, dass statt einer expliziten Gender-Semantisierung das Genre weitgehend vorbehaltlos als hochgradig misogyn bezeichnet wird.15 Doch ein solcher Blick, wie viele Kritiker des Genres ihn auf dessen männliche Protagonisten und weibliche Opfer auf der einen Seite sowie weibliche Täterinnen oder versehrte männliche Täter auf der anderen Seite richten, ist deutlich zu eng gefasst und stellt die Gender-Konstellation verkürzt und verzerrt dar. Das Genre ist keineswegs so homogen und ‚männlich‘ strukturiert, wie die meisten Genre-Definitionen es vorgeben.

14 Psychoanalytische Lesarten der Konventionen des Giallos dominieren die filmwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Genre (vgl. Hunt 2000; Mendik 1996; Mendik 2000; Ritzer 2012; Guins 1996; Gallant 2001). 15 So schreibt beispielsweise Mary P. Wood: „One of their [the gialli’s, d. Verf.] distinguishing characteristics […] is their misogyny […].“ (Wood 2005: 53) Dieser Vorwurf der Misogynie ist so populär, dass er – mit geringer Relativierung – auch auf der deutschen Wikipedia-Seite zum Giallo als Genre-Merkmal geführt wird: „Die oft spektakulär inszenierten Morde bilden die eigentliche Attraktion des Films […] Allerdings dient vor allem auch dieser Hang zur ‚Nummernrevue‘, zur Aneinanderreihung einzelner Mordszenen, den Kritikern des Giallo zum Anlass für Vorwürfe der Gewaltverherrlichung und der Misogynie.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Giallo vom 25.10. 2012) Asokan Nirmalarajah hat darauf hingewiesen, dass zwar weibliche Genres wie der woman’s film mit einer expliziten Gender-Zuschreibung versehen sind, doch ‚männliche‘ Genres selten eine Gender-Markierung aufweisen (vgl. Nirmalarajah 2012: 367). Nirmalarajah schließt dabei an Pam Cook an, die im Vergleich zum Melodrama, das als weibliches Genres semantisiert wurde, argumentiert, dass selten explizit von männlichen Genres die Rede sei, jedoch ex negativo jeder Film, der kein Melodrama sei, ein männlicher Film sein müsse. Diese Logik folgt der poststrukturalistischen Kritik an Herrensignifikanten wie ‚weiß‘ oder ‚männlich‘, deren Definition sich lediglich ex negativo aus der expliziten Definition ihrer Gegensätze ableitet und deren kulturelle Konstruiertheit durch diese Verschleierungsstrategie naturalisiert und als Hegemonie gesetzt wird.

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Auch die Schlusskonfiguration von Dario Argentos DO YOU LIKE HITCH(2005) geht nicht vollends in dieser dominanten Definition der genrekonstitutiven Gender-Konstellation auf. Dass die weibliche Figur sich nicht nur freiwillig als passives Sexobjekt in Szene setzt, sondern es sich bei ihr vor allem, was die Großaufnahme betont, um eine aktive Leserin von giallo-Literatur handelt, irritiert die vermeintlich idealtypisch männliche Bildkomposition. Zum einen hebt die Szene hervor, dass der Protagonist Giulio noch immer derselbe obsessive Voyeur ist und er am Ende des Films keinesfalls ein konventionelles Ideal von Männlichkeit darstellt. Dies ist die eine Konfiguration, auf die der Film analog zu seinem Protagonisten einen genaueren Blick wirft. Zum anderen aktualisiert diese Szene das Motiv der Zuschaustellung von Frauen, die in Giallo-Filmen giallo-Romane lesen. Die ironisch gebrochene Schlusskonfiguration fokussiert somit die Frage nach der agency der Frauen im Giallo und dem Identifikations- und Sinnangebot des Genres für weibliche Rezipienten. Alle Filme, die dieses Motiv in Szene setzen,16 lassen keinen Zweifel daran, dass es ihnen nicht um eine Verhandlung der realen Leserschaft von gialloRomanen geht, sondern um eine dezidiert selbstreflexive, intermedial verschobene Verhandlung des Film-Genres Giallo. Denn Männer lesen nicht nur keine giallo-Romane in den Giallo-Filmen, sondern sie verhöhnen die weiblichen Leser als weltvergessene Hysterikerinnen,17 wenn sie aufgrund ihrer giallo-Lektüre COCK?

16 Zu nennen wären etwa: LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO (1963), PASSI DI DANZA SU UNA LAMA DI RASOIO (1972) oder

MORIRAI A MEZZANOTTE (1986). Dieses Motiv

findet sich aber auch in dem Mafiafilm A CIASCUNO IL SUO (I 1967, R: Elio Petri): In einer Szene zu Beginn des Films belustigt sich ein Mann darüber, dass seine Ehefrau im Bett einen giallo-Roman liest. Auch er verurteilt das Genre als unrealistische Unterhaltung für naive Frauen. Und auch er wird kurz darauf selbst zu einem Mordopfer und damit zum Anlass einer Mordermittlung. Die italienische Polit-Satire IL DIVO (R: Paolo Sorrentino) von 2008 stellt hingegen eine Variante dieses Musters dar: Der Protagonist, eine Interpretation des kontroversen Politikers Giulio Andreotti, liest während einer Sitzung des italienischen Parlaments einen giallo-Roman. Jedoch reißt er diejenige Seite aus dem Buch, auf der der Täter enttarnt wird, da er angeblich nicht an der Identität des Täters interessiert sei, wie er per voice-over kommentiert. Der Film legt eine politische Lesart nahe, in deren Logik Andreotti die Identifikation mit dem Verbrecher oder aber die Angst davor, selbst als Verbrecher enttarnt zu werden, verdrängen will. Jedoch kann die Szene auch genre-theoretisch dahingehend gelesen werden, dass die Identifikation des Mörders im Giallo für das Genre und die (Lese-)Lust daran kaum von Relevanz ist. 17 Wie auffällt, operiert diese Kritik an der giallo-Lektüre von Frauen mit einer ähnlichen Rhetorik, mit der auch die Debatte über die Lesesucht von Frauen im ausgehen-

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die Männer frühzeitig vor Gefahr warnen oder auf eine veritable Spur hinweisen wollen. Was zunächst wie eine Profilierung des männlichen Genres Giallo gelesen werden könnte, wird jedoch schließlich dadurch untergraben, dass die Frauen letztlich natürlich Recht behalten. Dieses Motiv ist im Genre hochgradig stabil: Die Frauen, die im Giallo-Film giallo-Literatur lesen, werden von den Männern stets als ‚Krimi-Paranoikerinnen‘ abgeurteilt, wenn sie Muster in den Indizien sehen und Hypothesen zu den Mordfällen aufstellen. Die Profilierung der Souveränität und kühlen Rationalität der Männer wird letztlich gebrochen und Lügen gestraft, da sich die aus der giallo-Lektüre abgeleiteten weiblichen Schlüsse als richtig erweisen.18 Dieses Motiv buchstabiert eine wichtige Akzentuierung der Gender-Konstellation im Giallo aus: Frauen stellen im Giallo nicht nur Opfer oder Täterinnen dar, sondern sind nicht selten die Protagonistinnen von Gialli oder spielen als Begleiterinnen der männlichen Protagonisten eine zentrale Rolle bei der Ermittlungsarbeit. Paradigmatisch für beide Funktionen sind die Rollen von Edwige den achtzehnten Jahrhundert geführt wurde. Siehe für einen konzisen Überblick zur Lesesucht-Debatte: König 1977. 18 In LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO (1963) hält man die Protagonistin ebenfalls für eine phantasierende Hysterikerin, als sie glaubt, einen nächtlichen Mord beobachtet zu haben. In Mario Bavas Film von 1963 wird mit dieser Konstellation jedoch virtuos und ironisch gespielt. Denn als Mörderin kann die Protagonistin, die gegen alle Widerstände die Ermittlungen aufnimmt, schließlich eine tatsächlich psychisch gestörte Frau enttarnen. Nachdem die Protagonistin jedoch ihre psychische Gesundheit, ihre Qualitäten als Amateurdetektivin und die Produktivität der weiblichen giallo-Lektüre bewiesen hat, muss sie feststellen, dass die Zigaretten, die ihr am Flughafen ein fremder Mann zugesteckt hatte, mit Marihuana versetzt waren. Da sie jedoch nicht nur ein Fan von giallo-Literatur ist, sondern während ihrer giallo-Lektüre zu Beginn ihres Italien-Abenteuers im Flugzeug auch eine dieser Zigaretten geraucht hatte, zweifelt die Protagonistin am Ende selbst, ob sie nicht doch alles nur aufgrund und auf der Folie der giallo-Literatur phantasiert habe. Philippe Met hat darauf hingewiesen, dass die selbstreflexive Konstellation des Films von Anfang an prekär ist, da zwar eine weibliche Hauptfigur einen giallo liest und letztlich gar glaubt, den Film phantasiert zu haben, aber der Film wiederholt von einem männlichen voice-over kommentiert wird (vgl. Met 2006: 204). Mets Feststellung einer Spannung ist noch zu radikalisieren: Diese männliche Stimme, die als auktoriale Erzählinstanz den Film mitsamt dem Innenleben seiner Protagonistin kommentiert, würde durch die Schlusspointe ebenfalls als Wahn eines weiblichen Drogenrausches diskreditiert. Die Männlichkeit des Genres und der zumeist männlich semantisierten Wiederherstellung der Ordnung ist maximal ironisiert als weibliche Wahnvorstellung.

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Fenech, die in diversen Gialli wie LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971), TUTTI I COLORI DEL BUIO (1972) oder PERCHÉ QUELLE STRANE GOCCE DI SANGUE SUL CORPO DI JENNIFER? (1972) die Hauptrolle spielt, die aber auch in NUDE PER L’ASSASSINO (1975) die aufmerksame Freundin des Protagonisten gibt, die aus Zeitungsmeldungen Muster liest und sich neugierig selbst auf Spurensuche begibt.19 In beiden Fällen bedürfen die Frauen zwar letztlich eines männlichen Retters, der das happy ending ermöglicht, jedoch präfigurieren sie damit eine Vorform der ersten Generation des final girl. Als final girl hat Carol Clover die junge Frau bezeichnet, die den Serienkiller im Slasher überlebt (vgl. Clover 1992: 35-64): Das final girl ist im Vergleich zu ihren Freundinnen eine Figur des gender trouble, da sie zwar biologisch eine Frau ist, sie sich aber von den anderen jungen Frauen des Genres Slasher beispielsweise durch sexuelle Unreife oder einen knabenhaften Körper unterscheidet. Im Vergleich zum im Genre dominanten Konzept von Weiblichkeit, wie es die Freundinnen vorführen, zeigt das final girl eine gesteigerte Aufmerksamkeit und Scharfsinnigkeit. Auch durch ihre Initiative bei den Ermittlungen über die Morde und bei der Bekämpfung des Killers zeigt sie Qualitäten, die sonst männlichen Helden in Hollywoodfilmen (der 80er Jahre) zukommen. Das final girl, das nur in Interdependenz zum ebenfalls von gender trouble gezeichneten Killer zu betrachten ist, benötigt in seiner ersten Generation jedoch noch immer männliche Hilfe, um beim finalen Kampf gegen den Killer zu bestehen. Laut Clovers diachroner Analyse des Slashers kann erst das final girl der zweiten Generation ab der Mitte der 80er Jahre auf männliche Retter verzichten und sich selbst vor dem Killer retten. Als filmhistorisch vorgängige Präfiguration des final girl der ersten Generation stellen die Frauen im Giallo gleichsam final women dar. Sie mögen zwar keine Schulmädchen mehr sein, aber sie sind dennoch nicht weniger in trouble als das final girl. Entweder leiden die final women des Giallos in melodramatischen Dreiecken zwischen zwei Männern und Lebenskonzepten wie Edwige Fenech in LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971) und TUTTI I COLORI DEL BUIO (1971) oder sie laufen den männlichen Ermittlern den Rang ab, indem 19 Um lediglich einige weitere einschlägige Beispiele für Gialli mit weiblichen Hauptfiguren zu nennen: IL CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE (1973), LA DAMA ROSSA UCCIDE SETTE VOLTE

(1972), LA MORTE CAMMINA CON I TACCHI ALTI

(1971), UNA LUCERTOLA CON LA PELLE DI DONNA (1971), PASSI DI DANZA SU UNA LAMA DI RASOIO

(1972), OPERA (1987). Und um komplementär einige ebenso para-

digmatische Beispiele für Gialli zu nennen, in denen Frauen als Helferinnen bei den Ermittlungen der Protagonisten fungieren: PROFONDO ROSSO (1975) oder NON SI SEVIZIA UN PAPERINO (1972).

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sie sich als intelligentere, aufmerksamere und nicht minder mutige Ermittlerinnen erweisen. Paradigmatisch wird dieser Kampf der Geschlechter in Dario Argentos PROFONDO ROSSO (1975) vorgeführt, in dem die hyperaktive Daria Nicolodi den überforderten David Hemmings im Stil der screwball comedies der 30er und 40er Jahre nicht nur zum Wettstreit der verbalen Schlagfertigkeit, sondern auch zum Armdrücken herausfordert – und in beiden Fällen des Kräftemessens obsiegt. Aber auch Dario Argentos Neo-Giallo DO YOU LIKE HITCHCOCK? erfüllt dieses Muster, denn es ist die Freundin des Protagonisten, Federica, die letztendlich die ‚Laufarbeit‘ leisten muss und sich – wie ihr Vorbild Grace Kelly in Hitchcocks REAR WINDOW – in Lebensgefahr begibt, da der Protagonist durch seine Fußverletzung als männlicher Held verhindert ist. Historisiert man die starken Frauenfiguren im Giallo, so ist ihre Prominenz im Genre wenig verwunderlich. Der Giallo formiert sich nicht nur aus dem deutschen krimi, sondern vor allem auch aus dem italienischen Gothic-Horror. Mehr noch als beispielsweise die Edgar-Wallace-Filme, in denen die junge, weibliche und zumeist auch aufgeweckte Hauptfigur zumeist doch nur als damsel in distress und love interest für den professionellen Ermittler von Scotland Yard dient20 und ältere Darstellerinnen auf die Rolle der Schurkin oder der netten alten Dame abonniert sind,21 bieten sich die italienischen Gothic-Horror-Filme auch für ein weibliches Publikum an. Das Genre weist einige signifikante Überschneidungen mit dem Melodrama auf. Zu diesen zählen das pompöse und (gruselig-)romantisch konnotierte setting, die häufigen weiblichen Hauptfiguren, die Intensität von Gefühlen wie Liebe und Furcht, aber auch Themen wie Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Brigid Cherry hat in ihrer empirischen Studie zum weiblichen Publikum von Horrorfilmen festgestellt, dass Frauen aus eben diesen Gründen den Gothic-Horror zumeist anderen Horror-Genres vorziehen (vgl. Cherry 1999: 187-203).22 Alle diese Inszenierungsstrategien des italienischen Gothic-Horrors werden im Giallo fortgeschrieben und adressieren damit potenziell auch ein weibliches Publikum. 20 So beispielsweise in DER FROSCH MIT DER MASKE und DIE TOTEN AUGEN VON LONDON

(BRD 1961, R: Alfred Vohrer).

21 Wie etwa in DIE SELTSAME GRÄFIN (BRD 1961, R: Josef von Báky/Jürgen Roland) und DAS GASTHAUS AN DER THEMSE (BRD 1962, R: Harald Philip). 22 Cherry untersucht US-amerikanische Zuschauerinnen von US-amerikanischen HorrorFilmen; ihre Ergebnisse können jedoch aufgrund relativ ähnlicher kultureller GenderKonzepte auf italienische Gothic-Horror-Filme übertragen werden, wenn man diese entsprechend kulturell kontextualisiert, wie es im Verlauf der Ausführungen geschehen wird. Siehe in diesem Zusammenhang auch die Monographie von Helen Hanson (2007).

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Während Inszenierungen weiblicher Monstrosität wie die Hexe, der Vampir oder auch die femme castratrice von der feministischen Filmkritik oft als misogyne Inszenierungen und extremer Ausdruck einer patriarchalen Kultur beschrieben worden sind, hat Carol Clover darauf hingewiesen, dass selbst die vermeintlich so misogynen Slasher ein feministisches Potenzial aufweisen würden (vgl. Creed 1993: 53-64). Einerseits betont Clover, dass das final girl aufgrund seines gender trouble zwar als homoerotic stand-in für männliche Rezipienten fungieren könne, sich die Rezipienten aber dennoch mit einer Frau identifizieren, wenn sie mit dem final girl mitfiebern. Identifikation verläuft damit nicht eindimensional entlang eines Geschlechts. Darüber hinaus werden durch den gender trouble des final girl damals hegemoniale Gender-Konzepte problematisiert. Daher sieht Clover in der Figur des final girl eine Wegbereiterin für starke Heldinnen, deren biologisches Geschlecht und Gender-Performanz nicht als spannungsgeladener gender trouble rezipiert werden müssten (vgl. Clover 1992: 122-150). Noch einen Schritt weiter geht Isabel Cristina Pinedo, die in ihrer Studie über weibliche Rezipienten von Horrorfilmen argumentiert, dass jede Art der Inszenierung monströser Weiblichkeit immer auch eine Lesart als subversive und transgressive Inszenierung offeriert und daher auch von einem weiblichen Publikum lustvoll rezipiert werden könne (vgl. Pinedo 1997: 6568).23 Diese weibliche Gegenlesart zur männlichen Lesart der monströsen Weiblichkeit gewinnt im Fall des italienischen Giallos insbesondere dadurch an Gewicht, dass die Hexe in der italienischen Folklore und im italienischen GothicHorror nicht nur die zentrale Monster-Figur darstellt, sondern auch Feministinnen als Hexen beschimpft wurden, wie Andrea Bini dargelegt hat (vgl. Bini 2011: 66). In der Transformation der Hexe des Gothic-Horrors zur femme castratrice des Giallos sieht Andrea Bini daher eine Fortschreibung und Konkretisierung der Krise der Männlichkeit im Angesicht eines erstarkenden Feminismus im Italien der 70er Jahre. Obwohl die meisten Gialli somit kein ‚rein‘ männliches Genre konstituieren, sondern auch Rezeptionsangebote für ein weibliches Publikum offerieren, kann nicht darüber hinweg getäuscht werden, dass selbst die Gialli mit weiblichen Hauptfiguren die Darstellerinnen zumeist als Sexobjekt in Szene setzen. Auch 23 Diese Argumentation hat für den Giallo auch Kai Naumann vertreten, der in den femme castratrices und den weiblichen Opfern des Giallos, die vermeintlich für ihre Sexualität mit dem Tod bestraft werden, ein pro-feministisches Potenzial sieht: „Die grausame Zelebrierung der Morde ist keine Männerdomäne, sondern die Frau eröffnet sich selbst sexuelle Emanzipation, indem sie – selbstverständlich innerhalb eines pervertierten Kontextes – ihre dunkelsten Triebe und Begierden unter dem Mantel männlicher Zuschreibungen auslebt.“ (Naumann 2012: 38).

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die Gewalt ist in diesen Filmen nicht minder misogyn, wird sie doch zumeist explizit als Bestrafung aktiver Frauen ausgestellt. Am pointiertesten wird diese Gender-Konstellation wohl in PERCHÉ QUELLE STRANE GOCCE DI SANGUE SUL CORPO DI JENNIFER? (1972) vorgeführt, in dem Edwige Fenech die junge Protagonistin spielt, die in den Armen eines traumatisierten jungen Architekten Zuflucht vor ihrem Ex-Ehe-Mann sucht, der von ihr besessen ist. In dem Apartment-Komplex, in den sie neu eingezogen ist und der von dem jungen Architekten, gegeben von George Hilton, entworfen worden ist, ereignen sich jedoch brutale Morde an attraktiven Frauen. Eines dieser Opfer ist eine dunkelhäutige Frau, die in einem Club allabendlich im Bikini Männer zum Ringen herausfordert, doch noch nie von einem Mann, metaphorisch wie literal, auf die Matte gelegt worden ist. Die junge Frau, die Männer offensiv herausfordert und sie sich gewaltsam unterwirft, wird vom Frauenmörder brutal in ihrer Badewanne ermordet.24 Das murder set-piece stellt nicht nur den nackten Körper der attraktiven, jungen Frau aus, sondern auch ihren langsamen und sehr qualvollen Tod. Als das Opfer dem Mörder anbietet, sich ihm im Austausch für ihr Leben sexuell zu unterwerfen, also die gegenteilige Rolle zu ihrer allabendlichen Show einzunehmen, reagiert der Mörder mit sadistischer Gewalt. Bei dem Mörder handelt es sich um einen alten Mann, der seine weiblichen Opfer dafür verantwortlich macht, dass sie seine lesbische Tochter verführen würden. Doch der Film ver24 Dass die Gender-Codes so extrem und dadurch zugleich offen verhandelt werden, mag daran liegen, dass in dieser Inszenierung Gender- und race-Verhandlungen überblendet sind. Die stereotype race-Performanz des wilden, sexuell aggressiven ‚Schwarzen‘ transformiert die Gender-Performanz. In diesem Fall wird die sexuelle und soziale Selbstbestimmung der Frau zur sexuellen Aggression der dunkelhäutigen Frau übersteigert und dadurch dasjenige konventionelle Gender-Konzept des Giallos transgrediert, wie es in diesem Film beispielhaft von Edwige Fenech als Protagonistin performiert wird. Die gängige Erklärung dieser Inszenierung geht davon aus, dass dunkelhäutige Frauen vorrangig als racial other und erst an zweiter Stelle als the other sex wahrgenommen würden und daher unter dem Deckmantel der race-Verhandlung Gender-Experimente möglich seien. Gerade das hier in den Blick genommene Giallo-Beispiel zeigt jedoch, dass in dieser Variante der gekoppelten Genderrace-Verhandlung einige stereotype race-Konzepte zugunsten der progressiven oder subversiven Gender-Verhandlungen reproduziert werden. Leider können die raceVerhandlungen im Giallo hier nicht näher erörtert werden, obwohl auch andere Gialli produktive Lektüren offerieren. Zu nennen wären etwa IL CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE TANTA PAURA

(1973), CONCERTO PER PISTOLA SOLISTA (1970) oder E

(1976). Als einschlägige gendertheoretische Studien zur gekoppelten

Gender-race-Verhandlung siehe: Tasker 1998: 3f, 84-88; Schubart 2007: 41-64.

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handelt dadurch nicht nur die männliche Panik vor Homosexualität, sondern Szenen wie der geschilderte Mord kodieren vor allem die exzessive sadistische und misogyne Gewalt als Bestrafung aktiver und sexuell offensiver Frauen.25 Im Anschluss an die starken Frauenrollen können solche Inszenierungen jedoch gerade aufgrund ihrer Exzesse und ihres forcierten Gender-Codes nicht nur als Verherrlichung einer misogynen Gewalt, sondern auch als eine Kritik daran gelesen werden.26 Die misogynen Sex- und Gewalt-Exzesse, die womöglich weibliche Rezipienten abschrecken mögen, eröffnen ein Potenzial für feministische Gegenlesarten. Das Motiv der Zurschaustellung des vorgeblich weiblichen Literatur-Genres im vermeintlich männlichen Film-Genre lenkt den Blick auf die aktiven Rollen der weiblichen Figuren und die weiblichen Lektüre-Optionen des Genres. Dieses Motiv setzt selbstreflexiv und ironisch in Szene, dass die Varianz des Genres 25 Auch dieser Gender-Code wird übrigens in Dario Argentos DO YOU LIKE HITCHCOCK? (2005)

dekonstruiert: Giulios voyeuristische Obsession wird vom Film auf eine

traumatische Kindheitserfahrung zurückgeführt. Als Junge beobachtete er zwei vermeintliche Hexen, die in einer Hütte im Wald mit einem großen Küchenmesser einen Hahn für ein Ritual köpfen. Die Lust der Frauen am gemeinsamen Treiben und das Spritzen des Blutes des enthaupteten Hahns auf ihre Körper wird in einer Montage aus Zeitlupen, Großaufnahmen und langsamen Kamerafahrten inszeniert, die zwar bei Horror- und Trauma-Szenen üblich, aber ebenso auch für den Erotik-Film typisch sind. Die Betonung der Lust der Frauen am gemeinsamen Spiel mit dem phallisch konnotierten Messer und das Köpfen des Hahns, einem prominenten Symbol der männlichen Potenz, stellen die sexuelle Kodierung offen als solche aus. Als die Frauen den Voyeur Giulio entdeckt haben, verfolgen sie ihn durch den Wald und drohen explizit in lauten Rufen damit, ihn mit demselben Messer zu bestrafen. Diese überspitzte Inszenierung eröffnet die Lesart, dass Giulios Erinnerung als eine Deckerinnerung für die traumatische Kastrationsdrohung fungiert, die Giulio im Angesicht zweier Lesben erlebte. Sein Voyeurismus re-inszeniert das traumatische Ereignis aus sicherer Distanz und erlaubt die Phantasie der Machtausübung durch die heimliche sexuelle Objektivierung der Frau. Zum psychoanalytischen Konzept der Deckerinnerungen siehe: Freud 1999b; Freud 1999c; Freud 1999d. 26 Diesen Schluss zieht Andrea Bini leider nicht, der den Giallo als Verhandlung der Krise der Männlichkeit im Angesicht eines erstarkenden Feminismus der 70er Jahre lediglich aus der Perspektive eines männlichen Publikums liest (vgl. Bini 2011: 6376). Hingegen hat Ivo Ritzer in einem psychoanalytisch und gender-theoretisch perspektivierten Aufsatz über den Giallo dem Genre gerade in seinen exzessiven GewaltInszenierungen ebenfalls ein kritisches Potenzial zugeschrieben für die Zurschaustellung der durch die Inszenierung aufgerufenen Gender-Codes (vgl. Ritzer 2012: 23).

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sowohl Rezeptions-Muster für männliche als auch für weibliche Rezipienten bietet. Der Giallo lässt sich nicht ohne weiteres als homogenes ‚rein männliches‘ oder ‚rein weibliches‘ Genre apostrophieren. Und nicht nur widersetzen die Gialli sich einer eindimensionalen Gender-Semantisierung, sondern andere GenreFilme können auch mit dieser ambivalenten Gender-Semantik virtuos spielen. Daher wird zum Abschluss der Ausführungen über die Interdependenzen von Genre und Gender gezeigt, wie Quentin Tarantinos Film KILL BILL: VOL. 2 durch Genre-Zitate eine Gender-Geschichte erzählt.

10.4 G ENDER - UND G ENRE -Z ITATE

IN

K ILL B ILL : V OL . 2

Die doppelte Interdependenz von Genre und Gender – als genrespezifische Gender-Konstellation einerseits und Gender-Semantik von Genres andererseits – wird beispielhaft in Quentin Tarantinos KILL BILL: VOL. 2 durchgespielt, in dem durch den Wechsel der zitierten Genres und ihrer Gender-Konnotationen eine Geschichte der Re-Maskulinisierung erzählt wird. Als in KILL BILL: VOL. 2 der titelgebende Bill, gegeben von David Carradine, seinen Bruder Budd, verkörpert von Michael Madsen, davor warnt, dass die ‚Braut‘ Beatrix Kiddo, gespielt von Uma Thurman, ihre ehemaligen Peiniger aufsuchen würde, erwidert Budd zum Erstaunen seines Bruders, dass die Brüder und ihre Assassinen für ihre Taten den Tod verdient hätten. In diesem Moment setzt eines der vielen musikalischen Filmzitate ein, für die die Filme von Quentin Tarantino berühmt sind.27 Jedoch handelt es sich dabei nicht um eines der berühmten Musikstücke aus einem Italowestern, die den Rest der Episode dominieren, sondern um das Titelstück aus dem Giallo LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971), das Nora Orlandi komponiert hat. In diesem speziellen Giallo betont die Genre-Hybridität aus Giallo und Melodrama nicht nur, wie melodramatisch das zumeist männlich konnotierte Genre Giallo erzählt wird, sondern das Dominanzverhältnis innerhalb der Genre-Hybridität kippt auch immer wieder. Die psychischen und emotionalen Konflikte der Protagonistin des Films, Julie Wardh, werden wie in einem konventionellen woman’s film durch einen Exzess der misen-en-scène, des Schauspiels und der Musik in Szene gesetzt (vgl. Elsaesser 2003). Und eben diese melodramatische Musik rahmt und untermalt die Sequenz, in der der Rezipient mehr über den tristen Alltag des lebensmüden Budd erfährt: Dieser wohnt in einem schäbigen Wohnwagen irgendwo in der

27 Pointiert bezeichnen Martin Przybilski und Franziska Schößler den Film als Archiv aus Plattenladen und Videoverleih (vgl. Przybilski/Schößler 2006: 41, Fußnote 17).

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Wüste von Texas und arbeitet als Rausschmeißer in einem abgelegenen Striplokal, das keine Gäste hat. Von den freizügig gekleideten Tänzerinnen wird er nur angesprochen, wenn er die verstopften Toiletten reinigen muss. Durch den Musikeinsatz wird sowohl der Genre-Wechsel als auch die Verschiebung in der Gender-Verhandlung markiert: Als Budd zu seinem Wohnwagen in der Wüste zurückkehrt, die Präsenz von Beatrix Kiddo zu ahnen scheint und sich auf deren Mordanschlag vorbereitet, wird dasselbe melodramatische Musikstück aus dem Giallo LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971) in eine Variante eines Musikstücks aus dem Italowestern-‚Klassiker‘ PER UN PUGNO DI DOLLARI überführt. Musik aus diesem Italowestern von Sergio Leone, der als erster Formelfilm bzw. Begründungsfilm der seriellen Produktion des Genres gilt, dominiert auch die folgenden Szenen, in denen Budd seine versehrte Männlichkeit wieder herstellt, indem er der Protagonistin in die Brust schießt. Der Gender-Code der Reproduktion einer potenten Männlichkeit durch die Gewalt an der Frau wird im Dialog offen angesprochen, da Budd sich mit einer MachoGeste über die Brüste der Protagonistin auslässt, während diese schwer atmend und beinahe besinnungslos, mit Tränen in den Augen, verletzt vor ihm im Staub liegt. Mit einem sadistischen und misogynen Spruch betont Budd, wie schmerzvoll diese Verwundung gerade für eine Frau sein müsse. Der Film erzählt in dieser Sequenz ein male melodrama of action, in dem Budd seine versehrte Männlichkeit durch die Gewalt an der ‚Braut‘ wiederherstellt. In dieser Sequenz wird das Musikstück nicht einfach nur ‚zitiert‘ oder wiedergegeben. Durch seine Verflechtung mit der Narration und den anderen Musikstücken werden die Gender-Konstellationen und Gender-Zuschreibungen des jeweiligen Genres ausgestellt: Die Musik aus dem Giallo steht für Melodramatik und eine krisenhafte Männlichkeit. Die Musik des Italowesterns wird hingegen mit Spannung, Gewalt und der (kurzfristigen) Rehabilitation einer potenten Männlichkeit konnotiert.28 Mit LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH ist zudem eine Genre-Hybride aus Giallo und Melodrama zitiert, die die Zuschreibung von Männlichkeit zum Genre in Frage stellt, während es sich bei dem Italowestern-Zitat um ein typisches Beispiel eines männlich semantisierten Genres handelt, dessen Status als männliches Genre im Gegensatz zum Giallo bisher von der Forschung nicht in Frage gestellt worden ist. Im Genre-Zitat wird somit auch die konventionelle GenderKonstellation und die Gender-Semantik des Genres re-inszeniert. Die genrespezifischen Musikzitate im Fall von Budd in KILL BILL: VOL. 2 sind nicht willkürliche Untermalungen der Phasen seiner Re-Maskulinisierung, sondern bilden 28 Dieses Narrativ durchkreuzt der Film später jedoch wieder, wenn Budd durch die Killerin Elle Driver ermordet wird und die Italowestern-Musik zur (erneuten) Wiederkehr der Protagonistin aus dem Grab, in dem Budd sie lebendig vergraben hatte, erklingt.

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die Folie für diesen Prozess und zugleich dessen Enunziation durch die GenderSemantiken der zitierten Genres. Aber diese Stellenlektüre einer Episode aus KILL BILL: VOL. 2 zeigt auch beispielhaft, dass jedes Zitat und jede Aktualisierung einer Genre-Konvention immer auch das Genre perspektiviert. Des Weiteren partizipieren diese Re-Inszenierungen an den Diskursen des Genres und seiner Geschichtsschreibung. Jedes Zitat und jede Aktualisierung ermöglichen immer auch eine Verknüpfung der Diskurse, innerhalb derer das Genre prozessiert wird. Während die diversen filmwissenschaftlichen Analysen bei ihrer akribischen Spurensuche nach den filmhistorischen Intertexten von KILL BILL: VOL. 2 für das Musikstück aus LO 29 STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971) blind waren, wurde dieser Intertext bei der Veröffentlichung des Giallos auf DVD betont. So schwärmt beispielsweise die Rückseite des deutschen DVD-Covers: „Ein unvergleichlicher Thriller, dessen hypnotischer Soundtrack von Quentin Tarantino als Hommage in ‚Kill Bill – Volume 2‘ verwendet wurde.“ (DER KILLER VON WIEN: Koch Media: BRD 2006) Ähnlich hebt auch das Cover der US-DVD hervor: „The haunting and mesmerizing sound track by Nora Orlandi […] was featured as an homage by Quentin Tarantino in KILL BILL VOLUME 2.“ (THE STRANGE VICE OF MRS. WARDH: NoShame Films: The Sergio Martino Collection, USA 2005 (Herv. d.O. getilgt]) In beiden Fällen dient der Hinweis auf das musikalische Zitat in Quentin Tarantinos Film offensichtlich als Anregung zum Kauf, da ein Bezug zu einem aktuelleren, sehr bekannten und erfolgreichen Film hergestellt wird, der positiv rezensiert worden ist. Doch dieses Beispiel zeigt auch, dass der Distributionsdiskurs des Giallos mit anderen Diskursen vernetzt ist, die Bezüge zum Genre aufweisen. So werden der Name und die Konventionen des Genres in einer doppelten Kopplung verhandelt: in der Intertextualität von Gialli und Filmen, die Gialli zitieren, und in der Vernetzung der Diskurse, die den Giallo und seine Zitate in anderen Filmen behandeln. Besonders evident wird dies auch im Fall von Dario Argentos DO YOU LIKE HITCHCOCK? (2005), in dem die Schlusskonfiguration durch die Zurschaustellung des giallo-Romans nicht nur das Genre des Films enunziert, sondern auch die Geschichte des Giallos und dessen VorGeschichte aufgerufen wird. Die Effekte, die Neo-Gialli wie Dario Argentos DO YOU LIKE HITCHCOCK? auf das Genre-Verständnis des Giallo haben, werden im anschließenden Kapitel im Detail erörtert.

29 Beispielsweise enthalten weder der Aufsatz von Gereon Blaseio und Claudia Liebrand noch der detaillierte Überblick über die Intertexte der beiden Kill-Bill-Filme, der in einer Sonderausgabe des Filmmagazins Steady Cam geboten wurde, diesen GialloIntertext (vgl. Blaseio/Liebrand 2006; Steady Cam 48: 46-174).

11. Neo-Genres und Genres

Als der italienische Film OCCHI DI CRISTALLO (2004) seine Deutschland-Premiere auf dem FantasyFilmFest im Jahr 2005 feierte, war er mit dem folgenden Genre-Hinweis angekündigt worden: „[…] der Giallo feiert mit dieser Perle sein Comeback“.1 Die Rezeptionserwartungen derjenigen Rezipienten, die mit dem Genre vertraut waren und diese Kategorisierung des Films als Giallo ernst genommen hatten, werden von dem Film jedoch bereits in seiner allerersten Szene enttäuscht. Der Film beginnt mit einem Vorspann, in den alternierend mit den Schrifttafeln Großaufnahmen eines Auges geschnitten sind. Diese spezifische Einstellung kann als Zitat einer in den Definitionen des Giallos dominanten ästhetischen Konvention gelesen werden, betont die Forschung doch seit langem die Motive des Auges und der Augenzeugenschaft als zentrale Konventionen des Genres.2

1

Die Ankündigung des Films, die damals online und im gedruckten Programmheft erschienen war, kann noch immer online gelesen werden: http://fantasyfilmfest.com/ pages/filmarchiv_01.html vom 07.05.2012.

2

Die exponiert inszenierten Motive der Augen, Blicke und Augenzeugenschaft hat bereits Needham in seinem Begründungstext der genre-theoretischen Erfassung des Giallos als Konventionen definiert (vgl. Needham 2003: 140). Insbesondere das Motiv der Augen in Großaufnahme und des Voyeurismus ist so häufig im Genre vorzufinden und bricht radikal mit den Sehkonventionen des Hollywoodkinos, dass es wiederholt in den Texten zum Giallo als konstitutive Genre-Konvention behandelt wird (vgl. Hunt 2000: 216f; Knee 1996: 218f). Einige Gialli tragen das Motiv der Augen (italienisch: occhi) zudem explizit im Titel: GLI OCCHI FREDDI DELLA PAURA (1971), LA MORTE NEGLI OCCHI DEL GATTO

(1973), IL GATTO DAGLI OCCHI DI GIADA (1977).

Nicht zuletzt Dario Argentos Giallo OPERA (1987) hat zur Festigung des Status dieses Motivs als konstitutive Genre-Konvention maßgeblich beigetragen, da im Film in Großaufnahmen die Augen der Protagonistin gezeigt werden, die ihre Augenlider auf-

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Und auch in OCCHI DI CRISTALLO reflektiert das Auge ein bedrohliches Szenario. Jedoch handelt es sich dabei nicht um die stereotypen Messer oder Masken des Mörders; stattdessen spiegelt sich in dem Auge eine Pistole. Dadurch wird bereits allegorisch angelegt, dass zwar populäre Konventionen des Genres aufgerufen und ausgestellt werden, sich jedoch in den Aktualisierungen der Konventionen Umschriften und Brüche finden. Zugleich kann diese höchst stilisierte Einstellung aber auch als reflexive Lektüre-Anweisung an den Rezipienten verstanden werden, dass dieser nicht allein mit Genre-Umschriften rechnen muss, sondern auch ganz genau hinsehen soll. Denn nach einer weiteren Einblendung einer Schrifttafel des Vorspanns wird dieser erneut unterbrochen von einer Sequenz, die die Einstellung des Auges in Großaufnahme und die Reflektion der Pistole ebenso wie die ihr eingeschriebene Agenda der Genre-Umschrift fortschreibt: Ein Mann mit Pistole eilt durch ein Labyrinth aus Hinterhöfen und schmalen Gassen einer Frau zu Hilfe, deren panische Schreie er vernommen hat. Eine Kamerafahrt offenbart, dass ein maskierter Mann eine attraktive, junge Frau terrorisiert. Die schwarze Lederjacke, die Gesichtsmaske und die schwarzen Handschuhe des Mannes rufen die konventionelle Darstellung des Serienmörders im Giallo auf. Extreme Kamera-Einstellungen und Großaufnahmen des angsterfüllten Gesichtsausdrucks der schreienden Frau lassen aufgrund der Genre-Konventionen erahnen, dass der maskierte Täter sein weibliches Opfer an eine Wand gepresst hat, um ihr gleich eine Waffe wie beispielsweise das ikonische Messer in den Unterleib zu stoßen. Die Schreie der Frau, die in Großaufnahme gezeigt werden, reproduzieren die konventionelle Ästhetik eines murder set-piece im Giallo, in der die Großaufnahmen die Schmerzensschreie der Frauen in Szene setzen, nachdem diese mit Stichwaffen brutal ‚penetriert‘ wurden. Jedoch offenbart die Montage im Anschluss an diese Evokation der Rezeptionserwartung eines konventionellen murder set-piece des Giallos, dass es sich bei dem Mann nicht um einen Mörder, sondern um einen maskierten Vergewaltiger handelt. Er schlägt die Frau, die ihm Widerstand leisten will, drückt sie erneut gegen die Wand, doch hebt nun einen ihrer Oberschenkel an. Eine Großaufnahme betont diese Aktion, wodurch die ästhetischen Konventionen von filmischen Sex- und Vergewaltigungs-Szenen reproduziert werden. Als der Polizist den Täter stellen will, flüchtet dieser, ohne Widerstand zu leisten.

grund von unter die Augen geklebten Stecknadeln nicht schließen kann und in gefesselter Position die brutalen Morde beobachten muss. Zudem markiert der Film – zusammen mit DELIRIA (1987) – in der Genre-Geschichtsschreibung die Zäsur zwischen Giallo und Slasher.

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Diese opening sequence legt zwei genre-theoretische Lektüren nahe: Erstens wird in der Figur des maskierten Serienkillers, der eine junge und attraktive Frau attackiert, eine Konvention des Giallos aufgerufen, die in den Filmen durch die murder set-pieces und deren Diskursivierung in Schriften über das Genre als konstitutive Konvention herausgestellt worden ist. Jedoch operiert diese Szene mit einem parodistischen Modus der Genre-Aktualisierung. Auf die Betonung der zitierten Konventionen beispielsweise durch Großaufnahmen der Maske und des panischen Gesichtsausdrucks des Opfers folgt der Bruch mit den GenreKonventionen: Der maskierte Täter ist kein Frauenmörder, sondern ein maskierter Vergewaltiger. Damit buchstabiert der Film aber auch den Gender-Code der Mordsequenzen des Giallos aus. Denn die Gewalt an attraktiven Frauen ist immer hochgradig sexualisiert inszeniert. Die gewaltsame Einschreibung der Weiblichkeit in den Körper des Opfers als blutende Wunde, die durch außerordentlich forciert phallisch konnotierte Waffen wie Messer erfolgt, ist immer auch als tödliche Vergewaltigung lesbar. Der Film OCCHI DI CRISTALLO (2004) führt diese Lesart der Morde vor, die zum Allgemeinplatz der gender-theoretisch informierten Forschung zum Slasher und zum Giallo geworden ist. Zweitens sind die Brüche mit den zugleich explizit ausgestellten Konventionen des Auges und des Mörders so stark, dass die opening sequence – als frühe und deutliche Lektüre-Anweisung verstanden – darauf hin deutet, dass der Film zwar an das in den Diskursen im Jahr 2004 dominante Konzept des Giallos anschließt, er aber das Genre auch neu verhandelt. Bei dieser Lesart fällt besonders ins Gewicht, dass diese Sequenz den Vorspann unterbricht und der Vorspann erst nach der Sequenz fortgesetzt wird.3 Da der Vorspann oft als Paratext verstanden wird, kann diese Sequenz als eine Lektüre-Anweisung gelesen werden, die dem Hauptteil des Films voranzugehen scheint und den Rezipienten auf diesen einstimmt. Noch vor dem Beginn der ‚eigentlichen‘ Serienmörder-Erzählung 3

Bereits diese abrupte Unterbrechung des Vorspanns durch eine Spielszene kann als eine intertextuelle Referenz auf einen der bekanntesten Gialli gelesen werden: Auch in Dario Argentos PROFONDO ROSSO wird der Vorspann unvermittelt unterbrochen, die Musik der Rock-Gruppe Goblin wird durch ein Kinderlied ersetzt und noch vor Beginn des Films sieht der Rezipient, wie ein Mann mit einem Messer brutal ermordet wird und ein kleiner Junge das zu Boden gefallene Messer aufhebt. Im Gegensatz zu OCCHI DI CRISTALLO (2004) handelt es sich bei dieser Szene, die dem Hauptfilm vorangestellt ist und die durch den Wechsel von extra- und intradiegetischer Musik sowie die Einbettung in den Paratext des Vorspanns als einzelne Sequenz deutlich abgeabgegrenzt ist, um die traumatische (Ur-)Szene, mit der die Mordserie des Films ihren Anfang nimmt, die aber erst am Ende des Films wieder aufgegriffen wird, als der Amateurdetektiv sie als solche entdeckt und deutet.

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des Films wird die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf das Spiel mit den Genre-Konventionen und die Aktualisierungsprozesse im gleichsam ‚nachfolgenden‘ Film gelenkt. Im Fokus steht das Wechselspiel aus Genre-Aktualisierung und Genre-Bewusstsein. Auch bei der Veröffentlichung des Films OCCHI DI CRISTALLO (2004) auf DVD im Jahr 2006 wurde die Genre-Tradition des Giallos besonders stark betont. So wurde der Film auf der Frontseite der britischen DVD, die die erste DVD des Films außerhalb Italiens war, gelobt als „[t]he finest thriller since Dario Argento’s Opera […].“ (EYES OF CRYSTAL: Revolver Entertainment: fright fest presentes, UK 2006) Die Rückseite des Covers unterstreicht den Vergleich mit Dario Argento:4 „Watch out Dario Argento, director Eros Puglielli is after your chiller crown.“ (Ebd.) Auch im Fall der deutschen DVD, die wenige Monate nach der britischen DVD im Jahr 2006 erschien, wurde der Film als „[e]in echter Giallo eben[.]“ bezeichnet (EYES OF CRYSTAL: Concorde Home Entertainment, BRD 2006). Zu diesem etwas salopp formulierten Schluss kommt der Autor des Booklets, das der deutschen DVD beilag, nachdem er zuvor in seinem Kommentar zum Film das Genre näher beschrieben hat. So gibt der Film bei seiner jeweiligen Distribution in verschiedenen Medien und Kontexten immer wieder Anlass zur Diskursivierung des Genres Giallo und zu dessen Popularisierung. Unter dem Titel ANATOMIE DER ANGST wurde der Film beispielsweise im Gegensatz zu anderen Gialli wiederholt im deutschen Fernsehen auf dem Sender Tele 5 gezeigt und verschaffte dem Genre Giallo damit eine Plattform in Fernsehzeitschriften. Beispielsweise beschrieb die Fernsehzeitschrift TV-Spielfilm das Genre anlässlich einer Ausstrahlung des Films OCCHI DI CRISTALLO wie folgt: „‚Giallo‘ nennt man eine speziell italienische Thrillerspielart der 60er- und 70er-Jahre, bei der Psychos in delikat gestylten Bildern morden.“5 OCCHI DI CRISTALLO ist damit ein typisches Beispiel für das Phänomen des Neo-Giallos und seiner Effekte auf die Diskursivierung des Genres Giallo.

4

Das Cover reproduziert damit die besondere Stellung von Dario Argentos Giallo OPERA (1987) in der Genre-Geschichtsschreibung, in der der Film als Epitaph des Giallos diskursiviert worden ist.

5

Diese Definition des Genres ist im Online-Archiv der Fernsehzeitschrift einsehbar: http://www.tvspielfilm.de/kino/filmarchiv/film/anatomie-des-grauens,1322671,Appli cationMovie.html vom 07.05.2012.

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11.1 D IE AKTUALISIERUNG IM N EO -G IALLO

DES

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G IALLOS

Etwa zeitgleich zur Entstehung und Ausweitung der international zirkulierenden DVD-Distribution des Giallos und der sie begleitenden Diskurse, die das gegenwärtige Verständnis des Genres maßgeblich hervorbrachten und verbreiteten, entstanden international diverse Filme, deren Macher ihre Filme explizit als Hommage, Fortschreibung oder Umschrift des Giallos apostrophierten.6 Diese Filme formieren aufgrund ihrer textuellen Referenzen auf den Giallo und ihrer expliziten Vermarktung als Giallo-Referenzen das Genre des Neo-Giallos.7 Dieses Genre-Korpus lässt sich in zwei verschiedene Gruppen unterscheiden: Zu den internationalen Neo-Gialli zählen diejenigen Filme, die von Nicht-Italienern und/oder außerhalb Italiens produziert worden sind: ODINOCHESTVO KROVI (RUS 2002, R: Roman Prygunov), DARKNESS SURROUNDS ROBERTA (USA 2007, R: Giovanni Pianigiani), LUST FOR VENGEANCE (USA 2008, R: Sean Weathers), AMER (F/B 2009, R: Hélène Cattet/Bruno Forzani), BLACKARIA (F 2009, R: François Gaillard/Christophe Robin), IL GATTO DAL VISO D'UOMO (F 2009, R: Marc Dray), LAST CARESS (F 2011, R: François Gaillard/Christophe Robin). Komplementär dazu kann eine Gruppe von italienischen Neo-Gialli ausgemacht werden, die von Italienern realisiert oder zumindest ko-produziert worden sind: NON HO SONNO (2000), CATTIVE INCLINAZIONI (2003), CAPPUCCETTO ROSSO (2003), OCCHI DI CRISTALLO (2004), CHRISTOPHER ROTH (2010). Während es sich bei den internationalen Neo-Gialli mehrheitlich um IndependentProduktionen mit eher kleinem Budget handelt,8 entstehen die meisten der italie-

6

Siehe hierzu beispielsweise die repräsentativen Interviews mit den Regisseuren der internationalen Neo-Gialli AMER (2009) und LAST CARESS (2011), die für ihre Filme jeweils den Giallo explizit als Referenz nennen, da sie das Genre als Film-Kunst und als eine ideale Matrize für ästhetische Experimente verstehen (vgl. Booklet zu AMER: Koch Media, BRD 2012: 11–14; Booklet zu GLAM GORE: 8-Films: Ultimate Uncensored Collector’s Edition, A 2012 [ohne Seitenangaben]).

7

Als Neo-Giallo werden hier vorrangig Filme bezeichnet, die folgende Kriterien erfüllen: Ihr Produktionsjahr liegt nicht vor dem Jahr 2000, da erst mit dem Jahrtausendwechsel der Genre-Name Giallo und eine spezielle Genre-Definition Verbreitung fand, und sie wurden als Gialli oder Neo-Gialli beworben oder rezensiert.

8

Für die meisten Filme sind keine exakten Budget-Angaben vorhanden, doch Indizien wie die Technologie und das Filmmaterial – (Digital-)Video oder Super-16mm –, die kurze Drehzeit, die unbekannten Darsteller, die kostengünstige Kulisse und das Fehlen renommierter Produktionsstudios, kurz: das production value der Filme legen na-

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nischen Neo-Gialli im ‚normalen‘ Rahmen der italienischen Filmindustrie – so war an CATTIVE INCLINAZIONI beispielsweise Universal Pictures Italia beteiligt und OCCHI DI CRISTALLO wurde von Rai Cinema ko-produziert. Diese Neo-Gialli, die in Interdependenz zum ‚klassischen‘ Giallo vermarktet werden, haben immense Effekte auf die Aushandlung des Giallos. Denn die Distribution des Giallos auf DVD unterlag stets dem Verdacht der Tautologie der Genre-Definition: Die vermarkteten Gialli konstituierten eben denjenigen Kanon der ‚Klassiker‘, die die vermeintlich konstitutiven Konventionen des Genres textuell aufwiesen, deren Diskursivierung im DVD-Distributionsdiskurs aber bereits auf denselben Filmen beruhte. Die vermeintlich durch die Filme idealtypisch vertretenen konstitutiven Konventionen des Genres wurden zuvor bereits aus denselben Filmen abgeleitet, zu deren Identifikation sie dienen sollen. Diese zweifelhafte Genre-Definition wird jedoch durch die Distribution der Neo-Gialli naturalisiert. Denn die Neo-Gialli beziehen sich einerseits auf das Genre-Archiv, das durch die DVD-Veröffentlichungen konstituiert worden ist, und ihre Distribution wird andererseits mit dem DVD-Distributionsdiskurs des Giallos verzahnt. Der älteste der Filme, der innerhalb des Distributionsdiskurses des Neo-Giallos parallel zur DVD-Distribution des Giallos veröffentlich wurde, ist 5 DEAD ON THE CRIMSON CANVAS (USA 1996, Joseph F. Parda). Laut Joseph F. Parda, dem auteur, dem Drehbuchautor und Regisseur dieses Neo-Giallos von 1996, waren Gialli in den 90er Jahren sehr schwer auf VHS-Kassetten zu bekommen. Er musste die Filme gezielt ausfindig machen („track down“). Trotz großer Mühen fand er jedoch nur sehr wenige, die zumeist von schlechter audiovisueller Qualität und entweder schlecht synchronisiert oder auf Italienisch waren. Parda nennt diese Zeit des sehr begrenzten Zugriffs auf das Genre explizit „the pre-DVD, the pre-internet days“.9 Da er die italienischen Dialoge nicht verstand und ihm die Synchronisation der Dialoge unsinnig erschien, hätten ihm die Filme ein Genrehe, dass es sich um Filme mit kleinem Budget handelt. Für den Film LAST CARESS (2011) schätzt die imdb auf ein Budget von etwa 260.000 Dollar, bei LUST FOR VENGEANCE (2008) sogar nur rund 10.000 Dollar (vgl. http://www.imdb.com/title/ tt1787881/business vom 25.07.2012; http://www.imdb.com/title/tt1185604/business vom 25.07.2012). 9

Auch andere Regisseure von Neo-Gialli äußern sich wiederholt in Interviews zu dem veränderten Zugriff auf das Archiv des Giallos, das zu VHS-Zeiten in Titelzahl sowie Bild- und Ton-Qualität sehr begrenzt war. Freilich handelt es sich bei den Diskursen und dem Archiv, die durch die DVD konstituiert wurden und die die Regisseure im Vergleich zur VHS loben, um dasselbe System, in das die Regisseure sich mit ihren Filmen und Aussagen einschreiben wollen.

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Verständnis des Giallos vermittelt, bei dem er die ästhetischen Inszenierungsstrategien als konstitutive Konventionen des Genres auffasste. Aufgrund seiner Wahrnehmung der Dialoge als nebensächlich habe der Regisseur versucht, die Dialoge seines eigenen Neo-Giallos inhaltlich wie ästhetisch möglichst langweilig zu gestalten, indem diese beispielsweise mit möglichst wenigen KameraEinstellungen gedreht wurden. Parda ist jedoch nicht darüber beschämt, dass er die italienischen Dialoge nicht verstanden hatte, sondern argumentiert, dass er gerade dadurch die Ästhetik als essentielle Konvention des Genres besser habe verstehen können. Etwaige dramaturgische und inszenatorische Schwächen seines eigenen Films werden somit retrospektiv von ihm als intentional und sinnvoll rationalisiert. Joseph F. Parda eröffnet eine interessante Lesart der vermeintlichen qualitativen Mängel seines Films. Lässt man sich auf die Erklärung des Regisseurs ein, dass die schlechten Dialoge als eine Reproduktion der entweder unverständlichen Dialoge in einer fremden Sprache oder aber der billigen und daher zumeist qualitativ schlechten Synchronisation gelesen werden können, so ist dieser Neo-Giallo keine Reproduktion eines ahistorischen und abstrakten Genres, sondern eine Re-Inszenierung eines historischen Archivs des Genres und seiner Rezeption. Dieses ‚Geständnis‘ über die Produktivität der Grenzen des interkulturellen Austauschs äußert Joseph F. Parda jedoch bezeichnenderweise im Rahmen seines Audiokommentars zum Film, der auf der US-DVD erschienen ist. Obwohl der Film bereits 1997 auf VHS erschienen war, wurde er erst 2004 als Deluxe DVD Presentation der Unrated Director’s Cut Edition auf DVD vertrieben. Es ist kaum verwunderlich, dass der Film auf der Rückseite des DVD-Covers als „[…] award-winning, critically-acclaimed salute to the Italian ‚giallo‘ film (a savage and stylish sub-genre of films made popular by such horror film icons as Dario Argento and Mario Bava)[.]“ (5 DEAD ON THE CRIMSON CANVAS: Cine-

ma Image Productions: Deluxe DVD Presentation: Unrated Director’s Cut, USA 2004) bezeichnet wird, wurden doch in den Jahren davor zuerst die auteur collections mit Filmen von Dario Argento und Mario Bava und dann die diversen Giallo-DVD-Kollektionen erfolgreich gestartet. Dass Parda seine Lesart durch seinen Audiokommentar auf der DVD seines Films offeriert, in dem er die DVD explizit als eine Zäsur für das Archiv des Genres anspricht, verdeutlicht symptomatisch die Bedeutung der DVD und ihrer Diskurse für das Genre: Das Genre wurde durch das DVD-Archiv und die Diskurse rund um die DVDDistributionen neu verhandelt. Dass zudem die Vermarktung der Gialli und der Neo-Gialli auf DVD voneinander profitieren, ist im Fall derjenigen Neo-Gialli, die nach der Jahrtausendwende veröffentlicht worden sind, noch offensichtlicher, da oftmals dieselben

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Firmen auf DVD die Neo-Gialli und die Gialli vertrieben, auf die sich die NeoGialli beziehen. AMER (2009) ist der derzeit wahrscheinlich bekannteste der internationalen Neo-Gialli, da er sehr erfolgreich auf diversen internationale Filmfestivals gezeigt wurde und viele positive Kritiken erhielt. In Deutschland veröffentlichte Koch Media den Film auf DVD. Das Label hatte auch bereits ‚Klassiker‘ des Giallos wie MALASTRANA (1972) oder LO STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH (1971) auf DVD vertrieben.10 Die englischsprachige Version wurde hingegen von Anchor Bay auf DVD ausgewertet; das Label hatte nicht nur im internationalen Vergleich die allererste Giallo-DVD-Kollektion initiiert, sondern hatte auch DVD-Reihen zu italienischen Genre-Regisseuren wie beispielsweis Lucio Fulci oder Dario Argento veröffentlicht. Das Cover der englischen Blu-ray beschreibt den Film wie folgt: “The candy coloured style and art house sensibilities of classic Euro-Horror are brought back from cinematic grave in Amer, an eye-popping tribute to the originators of Giallo movies.“ (AMER: Anschor Bay, UK 2009) Auch Shriek Show, die Firma die die englische Version des italienischen Neo-Giallos CATTIVE INCLINAZIONI (2003) bereits im Jahr 2004 veröffentlichte, hatte zeitgleich bereits Gialli in ihrer eigenen The Giallo Collection und in ihren auteur collections vermarktet – beispielsweise den Giallo SPASMO (1974) in der Giallo Collection oder den Giallo UNA LUCERTOLA CON LA PELLE DI DONNA (1971) im Rahmen der Lucio Fulci Collection. Vor allem diese auteur collections, die im Jahr 2004 noch in größerer Zahl zirkulierten als die erst im Jahr davor initiierten Giallo-DVD-Kollektionen werden auf dem Cover der DVD von CATTIVE INCLINAZIONI bei der werbewirksamen Beschreibung des Films aufgerufen: „The film, distributed by Columbia Tristar Films Italia, is an ‚attempt to recreate the films of the genre, like the ones made by Lucio Fulci and Lamberto Bava, in the 1960’s and ’70’s, that were adored by the public and hated by the critics…‘“11 (BAD INCLINATION: Shriek Show, USA 2004) Auch wenn die Neo-Gialli nicht von solchen Labels auf DVD vertrieben werden, die davor oder zeitgleich auch Gialli veröffentlichten, so wird auf den DVD-Covern der Neo-Gialli dennoch stets das Genre Giallo als Referenz erwähnt und beschrieben. „[…] [I]n the spirit of classical 1970s ‚giallo‘ murder mysteries“ biete beispielsweise der amerikanische Neo-Giallo DARKNESS SUR10 Die Filme wurden nicht nur als ‚Klassiker‘ im Distributionsdiskurs apostrophiert, sondern auch dadurch als ‚Klassiker‘ markiert, da sie bei vielen Giallo-DVD-Kollektionen in verschiedenen Ländern zu den ersten Filmen gehörten, die in diesen GenreReihen veröffentlicht wurden. 11 Wie aus dem Zitat hervorgeht, wurde auf dem Cover selbst ein Zitat verwendet. Als Quelle dieses Zitats wird die Internetseite www.tamtam.cinecitta.com angegeben, die inzwischen jedoch nicht mehr online ist.

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ROUNDS ROBERTA (2007) ein außergewöhnliches Rezeptionserlebnis – so verspricht es zumindest die DVD des Films von 2007 (DARKNESS SURROUNDS ROBERTA: Cinema Image Production: Uncut Limited Editon, USA 2007). Die deutschsprachige DVD des französischen Neo-Giallos LAST CARESS (2011) gibt eine etwas ausführlichere Darlegung der Bezüge des Neo-Giallos zum Giallo, die eine sehr informative Friktion beinhaltet: „Eine französische Hommage an das italienische Giallo Kino [sic!] der 70er und 80er Jahre. Eine kreative Mischung aus heißer Erotik, Violence and Gore, Thrill & Suspense und visueller Kunst!“12 (GLAM GORE: 8-Films: Ultimate Uncensored Collector’s Edition, A 2012) Die Friktion in dieser Anpreisung des Neo-Giallos ist, dass die Aufschlüsselung der „kreative[n] Mischung“ sowohl den Neo-Giallo als auch den Giallo näher bestimmen könnte. Dass die Formulierung den Bezug der Erläuterung nicht eindeutig klärt, kann hingegen durchaus als symptomatisch für den Diskurs des Neo-Giallos verstanden werden. Denn ebenso wie jedes Neo-Genre notgedrungen auf sein Referenz-Genre verweist, so beinhaltet die Erörterung des NeoGiallos immer auch eine Erörterung des Giallos, dessen Konventionen der NeoGiallo aktualisiert und dadurch deren Status als Konventionen textuell und diskursiv reproduziert.13 Dass die Neo-Gialli zumeist als Hommage oder Nachfolger des Giallos ausgewiesen werden, naturalisiert den Giallo. Nach der Logik

12 Ob die Verschiebung von „und“ zu „and“ und schließlich gar zu „&“ eine Eigenwilligkeit oder ein Fehler oder aber gar eventuell als performative Realisierung der postulierten „kreativen Mischung“ gemeint sein könnte, sei dahingestellt. Ohne Frage kann jedoch die Vermischung von deutschen und englischen Wörtern als Symptom der Internationalität des Giallo-DVD-Diskurses gelesen werden, wie er in Vertrieb und Diskursivierung des Genres durch das Internet konstituiert wird, denn unter den schlagwortartigen Zitaten von euphorischen Internet-Rezensionen des Films finden sich neben deutschen auch englischsprachige Zitate wie „STEAMY EROTICISM, EXTREME VIOLENCE, A THRILLING SUSPENSE AND VISUAL EXPERIMENTATION“ und sprachlich gemischte Zitate wie „GIALLO REVIVAL FILM! ‚GEÖLT‘ IN BLUT!“. 13 Die Begriffe des „Neo-Genres“ und seines „Referenz-Genres“ sind eigene Wortschöpfungen, da bisher keine allgemeinen genre-theoretischen Arbeiten zu dem Themenkomplex vorliegen, die einzelne Genre-Beispiele transgredieren. Das Neo-Genre bezeichnet dabei solche Filme, die explizit in ihrer Distribution oder textuell ein historisch vorgängiges Genre, ihr Referenz-Genre, aufgreifen. Dass das historisch vorgängige Genre in diesem Kontext als Referenz-Genre bezeichnet wird, verdeutlicht die starke Gewichtung des Neo-Genres für die Aushandlung des Genres – insbesondere im Fall von Genres wie dem Giallo oder dem film noir, deren Neo-Genres spezifische Konzepte ihrer Referenz-Genres maßgeblich popularisierten und zugleich fixierten.

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dieser Rhetorik sind die Diskurse des Neo-Giallos nicht beteiligt an der Aushandlung des Genres Giallo. Stattdessen suggeriert die Rhetorik, dass das Referenz-Genre Giallo bereits gegeben sei und man darauf als filmhistorische Entität zugreifen könnte. Durch diese Genre-Politik wird gleichsam der Giallo als stabiles Genre nachträglich konstituiert, da das Verständnis des Giallos, wie es aus den Neo-Gialli und ihren Diskursivierungen erst hervorgeht, nachträglich als deren Voraussetzung postuliert wird. Ein Neo-Genre reproduziert kein Genre, sondern greift vielmehr einzelne Konventionen seines Referenz-Genres auf, die es an zentralen Funktionsstellen seiner Narration oder seiner Spektakel-Ökonomie positioniert und dadurch ihren Stellenwert als vermeintlich konstitutive Genre-Konventionen bekräftigt. Indem andere Neo-Genre-Filme diese Muster iterieren, werden die Konventionen des Neo-Genres mit den Konventionen des Referenz-Genres überblendet, da die Aktualisierung der Konventionen als Zitat der Konventionen diskursiviert wird.14 Einerseits verweisen sowohl die Neo-Gialli sowohl in ihren textuellen Referenzen als auch in ihrer Diskursivierung auf die Diskurse des Giallos, andererseits tragen sie zur Popularisierung des Genres bei, indem sie weitere Anschlussfähigkeiten für Diskurse bieten. Selbst eine kurze DVD-Ankündigung eines Neo-Giallos in einem Fernsehmagazin oder in einem Katalog steigert die diskursive Reichweite und Stabilität des Genre-Begriffs Giallo. So wurde beispielsweise der Neo-Giallo AMER (2009) zum Anlass der Veröffentlichung der deutschen DVD des Films in einer sehr knappen Ankündigung in der Fernsehzeitschrift TV Spielfilm wie folgt bestimmt: „Mit den Stilmitteln des Giallo (extreme Closeups, Farbfilter) erzählt dieser belgische Augenschmaus das metaphorische Psychogramm einer jungen Frau.“ (TV Spielfilm 7/12 (16.03.2012): 203 [Herv. d.O. getilgt]) Diese DVD-Ankündigung ist in dreierlei Hinsicht paradigmatisch: Erstens wird der Film selbst nicht als Neo-Giallo bezeichnet, sondern als „Psychodrama“, da diese offene Genre-Bezeichnung für einen größeren Leserkreis anschlussfähiger ist, den die Fernsehzeitschrift adressiert und der mit dem Gen14 Dieser Schluss hätte in der Forschung zum Neo-Noir eigentlich längst gezogen werden müssen, nicht nur aufgrund der breiten Diskussion über den Status von film noir und Neo-Noir als Genre, sondern auch aufgrund der vielen Studien, die eingehend darauf eingingen, dass der Neo-Noir spezielle Konstellationen des film noir reproduziert, in denen beispielsweise der femme fatale eine wesentlich prominentere Stellung zukommt als im film noir – wenn nicht sogar: konstitutive Stellung. Dennoch stellen entsprechende genre-theoretische Reflexionen bis heute ein Desiderat der Forschung dar. Siehe zur Neu-Bewertung der femme fatale durch den Neo-Noir beispielsweise folgende einschlägige Studien: Spicer 2002: 162-165; Bronfen 2004: 94; Kaplan 2007; Stables: 2007; Tasker 1998: 117-135.

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re-Begriff Giallo sehr wahrscheinlich noch nicht vertraut sein dürfte. Zweitens wird dennoch der Giallo als Referenz genannt und es werden (zwei) ästhetische Konventionen genannt („extreme Close-ups, Farbfilter“), die durch ihre Positionierung nach dem Wort Giallo zugleich als konstitutive ästhetische Konventionen des Genres konnotiert werden. Drittens gibt es schließlich eine Transformation dieser Klassifikation in dem Fazit der Bewertung des Films, die durch ein blaues Banner und den roten Daumen, der als Empfehlung nach oben zeigt, besonders hervorgehoben wird. Der Film wird zur „[e]xperimentelle[n] Hommage an Italo-Thriller der 70er Jahre“ erklärt (ebd. [Herv. d.O. getilgt]). Dieses Fazit bezeichnet AMER nun einerseits als eine Hommage, wodurch der Film in der DVD-Ankündigung näher an die Kategorie des Neo-Giallos gerückt wird, andererseits wird das Referenz-Genre Giallo erneut umschrieben: Der Giallo sei der „Italo-Thriller der 70er Jahre“. Eröffnung und Schluss dieser Ankündigung der deutschen DVD des Neo-Giallos AMER zeugen von der Notwendigkeit der Erörterung des Giallos bei der Distribution von Neo-Gialli, wodurch der Begriff und ein spezielles Verständnis einem nicht-spezialisierten Publikum nahe gebracht werden können. Kurz: Diskursivierungen des Neo-Giallos sind immer auch Diskursivierungen des Giallos. Die Klassifikation eines Films, der stets eine Genre-Definition bereits vorausgeht, kann (zumeist: in Spezialdiskursen) auch zu einer Debatte über den Genre-Status eines Films führen, die aber stets auch ein Streit über Genre-Definitionen und die Frage danach sind, was für ein Genre konstitutiv sei. Beispielsweise verortete der Regisseur Sean Weathers seinen Spielfilm LUST FOR VENGEANCE (2008) in Paratexten zum Film wie etwa in Interviews und auf dem DVDCover widerholt in der Tradition des Giallos (vgl. http://www.fullcircle filmworks.com/lfvpn.html vom 21.07.2010). Einige Rezensenten griffen diese Genre-Klassifikation als Neo-Giallo affirmativ auf (vgl. http://www.sover.net/~o zus/lustforvengeance.htm vom 11.01.2009). Und sie fand sich etwas relativiert als „an American Softcore, Erotic thriller, inspired by 1970s Italian thrillers called gialli“ im Jahr 2010 auch auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite zu dem Film (http://en.wikipedia.org/wiki/Lust_for_Vengeance vom 21.07.2010). Mit dem Giallo teilt der Film beispielsweise den Ermittlungsplot, die Verquickung von Sex und Gewalt, die monochromatische Ästhetik, aber vor allem auch den in schwarzem Leder gekleideten Serienmörder, dessen Motorradfahrer-Kluft samt schwarzem Helm die identische Maskerade des Mörders im Giallo NUDE PER L’ASSASSINO (1975) zitieren könnte. Der Film beinhaltet jedoch auch explizite Sexszenen, die weniger dem Giallo, denn der Ästhetik gegenwärtiger Sexfilme entsprechen. Man könnte in diesem Fall argumentieren, dass der Filme eine Aktualisierung eines Genre-

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Systems darstellt: Die Referenz von LUST FOR VENGEANCE auf Ästhetiken von rezenten Sexfilmen kann den Blick darauf lenken, dass die analogen Inszenierungen in Gialli zwar heute oft als eher ‚softe Erotik‘ rezipiert und rezensiert werden, jedoch seinerzeit ebenfalls als Referenz auf Sexfilme erscheinen konnten, die gerade in den 70er Jahren auch an deutschen Kinokassen große Erfolge feierten.15 LUST FOR VENGEANCE kann in diesem Sinne als Aktualisierung des Verhältnisses und der Austauschbeziehungen zwischen den Genres und Trends im Genre-System seiner Zeit verstanden werden. Dadurch lenkt der Film den Blick auf die Historizität von Konventionen, ihren Effekten und Lesarten im zeitspezifischen Netz der Genres. Die Disputanten des Klassifikations-Streits um LUST FOR VENGEANCE kamen ihrerseits zu anderen Genre-Klassifikationen: Der Film wurde zumeist eher als Slasher oder aufgrund seiner expliziten Sexszenen als Pornographie rezensiert, denn als Giallo. Paradigmatisch kategorisiert Simon Hill den Film als „slasher porno cross“ (http://www.celluloidnightmares.co.uk/lustforvengeance.html vom 25.07.2012). Und auch die Internetautorin Miranda bezeichnet den Film beispielsweise als „a slasher wannabee […] a student-like film that passes for a giallo but feels more like a chick magnet vehicle for a chauvinistic directors [sic!].“ (http://www.shockingimages.com/modules/smartsection/item.php?itemid =1074 vom 25.07.2012) Etwas kritischer noch fällt das Urteil von Geno McGahee aus: „[The film, d. Verf.] turns into a porno film quickly […] The focus shifts and although, the exploitive film can be popular, this seems too excessive.“ (www.scaredstiffreviews.com/news.php?readmore=583 vom 21.07.2010)16 Der Internetautor B. M. Stein ‚porschguy‘ spricht dem Film in seiner Rezension, 15 Joseph Garncarz hat im Anhang seiner Habilitationsschrift eine Auswertung der TopTen-Listen der erfolgreichsten Kinofilme in der BRD vorgelegt, die den großen Erfolg der Sexfilme in den 70er Jahren dokumentiert (vgl. Garncarz o.J.: 387-390): Bereits der allererste Teil der Schulmädchenreport-Filmserie führt die Top-Ten im Kinojahr 1970/71 an erster Stelle an. Im darauf folgenden Jahr (1971/72) stellen die Sexfilme gar die Hälfte der Top-Ten der bundesdeutschen Kassenschlager dar: Angeführt von der dänischen Sex-Dokumentation HVORFOR GØR DE DET? (DK 1070, R: Eberhardt Kronhausen/Phyllis Kronhausen) auf Platz eins verteilen sich die Filme vor allem im Mittelfeld. BLUTJUNGE VERFÜHRERINNEN I (BRD/CH 1971, R: Erwin C. Dietrich), HAUSFRAUEN-REPORT I: UNGLAUBLICH, ABER WAHR (BRD 1971, R: Eberhard Schröder) und SCHULMÄDCHEN-REPORT, 2. TEIL – WAS ELTERN DEN SCHLAF RAUBT (BRD 1971, R: Ernst Hofbauer) belegen die Plätze fünf bis sieben, auf Platz neun folgt GEFÄHRLICHER SEX FRÜHREIFER MÄDCHEN (BRD 1972, R: Alois Brummer). Dieser Trend setzt sich in den Jahren darauf fort. 16 Die Seite war zum Zeitpunkt des Drucks nicht mehr online.

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die auf den Seiten von Amazon erschien, ausdrücklich den Status als Giallo ab: „[…] and for selling itself off as a ‚giallo/gore‘ film there is little of either.“ (http://www.amazon.com/Lust-Vengeance-Anniversary-Explicit-Version/produ ct-reviews/B005ER6T0E/ref=cm_cr_dp_see_all_btm?ie=UTF8&showViewpoin ts=1&sortBy=bySubmissionDateDescending vom 25.07.2012) Etwas derber bringt der Internetautor Francis Boring ‚B-Movie Lover‘ dieselbe Ablehnung des Films als Giallo zum Ausdruck, wenn er resümiert: „Giallo my ass“ (http:// www .amazon.com/Lust-Vengeance-Anniversary-Explicit-Version/product-reviews/B 005ER6T0E/ref=cm_cr_dp_see_all_btm?ie=UTF8&showViewpoints=1&sortBy =bySubmissionDateDescending vom 25.07.2012). Diese Debatte hat sich inzwischen auch in die Kategorisierung des Films auf der Wikipedia-Seite zum Film eingeschrieben: Während der Film im Jahr 2010 noch als „American thriller“ bezeichnet wurde, trägt er zwei Jahre später das Label „Softcore, Erotic thriller“ (http://en.wikipedia.org/wiki/Lust_for_Vengeance vom 21.07.2010 und 25.07. 2012). Auch diese Debatte über die Klassifikation des Films LUST FOR VENGEANCE kann symptomatisch als eine Aushandlung des Verständnisses und der Erwartungen daran, was den Giallo und den Neo-Giallo ausmache, gelesen werden. Der breiten Kritik an dem Anspruch des Regisseurs Sean Weathers, dass sein Film LUST FOR VENGEANCE ein Giallo sei, ist eine essentialistische Definition des Giallos eingeschrieben, auf der die Kritik basiert, ohne dass dies jedoch kommentiert oder reflektiert würde. Ex negativo schreiben auch diese Kritiken dabei die derzeit dominante Genre-Definition und deren Zuschreibungen etwa hinsichtlich der ästhetischen und narrativen Konventionen aber auch hinsichtlich des postulierten Kunst-Status des Genres fort. Diese Beispiele lassen einen weiteren Effekt deutlich hervortreten, den NeoGialli auf die Diskursivierung des Giallos haben: Dass beispielsweise die „extremen Close-ups [und] Farbfilter“ als vorgeblich konstitutive ästhetische Konventionen des Giallos im oben zitierten Ankündigungstext der DVD von AMER aufgeführt werden, wird durch den rezensierten Film begründet, in dem diese Ästhetik betont inszeniert und dadurch als Genre-Konvention markiert ist. Die Neo-Gialli reproduzieren einzelne Komponenten des Giallos, die sie zugleich aufgrund ihres Status als Hommage oder Neo-Giallo als zentrale Konventionen des Giallos kodieren. Die textuellen Genre-Verhandlungen des Neo-Giallos haben Effekte somit auf die Diskursivierung nicht nur des Neo-Giallos, sondern auch des Giallos als Genre. Gerade beim Neo-Giallo müssen jedoch, wie oben bereits erwähnt wurde, zwei verschiedene Gruppen von Neo-Gialli klar unterschieden werden, die unterschiedliche Strategien der textuellen Genre-Aktualisierung aufweisen und dadurch unterschiedliche Effekte auf die Diskussion der Genre-Definition des Giallos haben: Während internationale und italienische

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Neo-Gialli zwar beide gleichermaßen im italienischen Ausland die Diskursivierung des Genres Giallo befördern und ihr DVD-Distributionsdiskurs mit dem DVD-Distributionsdiskurs des Giallos interagiert, unterscheiden sich die Filme hinsichtlich ihrer textuellen Verhandlung des Genres deutlich. Wie die folgenden Filmlektüren zeigen werden, reproduzieren die internationalen Neo-Gialli das dominante Genre-Konzept und die dominante Genre-Geschichte des Giallos, wie es maßgeblich durch den DVD-Distributionsdiskurs begründet worden ist. Stattdessen aktualisieren die italienischen Neo-Gialli den Giallo, indem sie das Genre im System rezenter Genres und Ästhetiken neu verhandeln. Dieser Modus der Genre-Neu-Verhandlung im italienischen Neo-Giallo – im Gegensatz zur GenreHommage der internationalen Neo-Gialli, die auf die Reproduktion und Stabilisierung der zuvor diskursivierten Genre-Konventionen konzentriert sind – resultiert daraus, dass die italienischen Neo-Gialli eine Aktualisierung des Genres zwischen dem internationalen Genre-Begriff Giallo und dem davon verschiedenen, eigenen, kulturspezifischen giallo-Verständnis aushandeln. Diese Friktion ist den Filmen oft als allegorische Genre-Verhandlung eingeschrieben.

11.2 D AS N EO -G ENRE

ALS DER INTERNATIONALE

H OMMAGE : N EO -G IALLO

Durch den intertextuellen Modus des Pastiche haben die internationalen NeoGialli vor allem zwei diskursive Effekte: Indem die Filme die Konventionen des Giallos der 60er und vor allem der 70er Jahre imitieren, werden diese Konventionen in ihrem Status als Konventionen reproduziert und stabilisiert. Zugleich werden sie aufgrund der Neo-Gialli in Diskursivierungen der Filme als ‚Konventionen‘ ausgezeichnet. Darüber hinaus konstituieren erst die Neo-Gialli im Zuge ihrer eigenen Diskursivierung als Neo-Gialli und als Hommage ihre Giallo-Vorbilder als ‚klassische‘ Gialli und befördern deren Kanonisierung. Diskursiv ebenso wie textuell wird so das derzeit vorrangig zirkulierende, das hegemoniale Genre-Konzept des Giallos reproduziert und stabilisiert. Internationale NeoGialli wie LAST CARESS (2011), AMER (2009), FANTOM KILLER (1998) setzen immer wieder dieselben kanonisierten Konventionen des Giallos in Szene: die Ästhetik der extremen Kamera-Einstellungen und satten Primärfarben, die setpieces voller exzessiver Gewalt und Erotik, die Ermittlungen durch einen Polizisten oder einen Amateurdetektiv, die Fetischisierung von Objekten und Augen sowie vor allem den schwarzen Mantel und die schwarzen Handschuhe des Mörders, die in restlos jedem Neo-Giallo vorkommen. Wiederholt werden auch spezielle Filme zitiert: Beispielsweise zitieren sowohl FANTOM KILLER als auch

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LAST CARESS die ikonische Maskerade des Mörders aus Mario Bavas SEI DONNE PER L’ASSASSINO (1964). Auch die ikonischen Gewalt-Inszenierungen insbesondere aus Filmen von Dario Argento werden wiederholt in Neo-Gialli wie LAST CARESS explizit zitiert. Zu diesen zählen beispielsweise ikonische Bilder wie das rückwärtige Stürzen des weiblichen Opfers in die spitzen Splitter eines zerborstenen Fensters aus TENEBRAE (1982), das LAST CARESS zitiert, oder das Stürzen eines Opfers gegen eine Glasscheibe, auf der sich die Blutfontäne eines Kehlschnitts in Zeitlupe deutlich abzeichnet, wie es der Neo-Giallo ODINOCHESTVO 17 KROVI (2002) aus Sergio Martinos LA CODA DELLO SCORPIONE (1970) zitiert. Im Sinne einer konstitutiven Nachträglichkeit werden diese Konventionen, die vermeintlich in der Hommage lediglich ausgestellt werden, jedoch erst als vorgeblich bereits historisch vorgängige Konventionen hervorgebracht. Eine vergleichbare Logik vertritt Katrin Oltmann hinsichtlich der Beziehung zwischen Remake und ‚Original‘ bzw. Premake – diesen Begriff setzt Oltmann bewusst, um die Qualitäts-Ansprüche zu umgehen, mit denen der Begriff des ‚Originals‘ noch immer konnotiert ist. An Anlehnung an Sigmund Freuds Darlegungen zur konstitutiven Nachträglichkeit und an das von Mieke Bal daraus abgeleitete Konzept der preposterous history erläutert Oltmann den spannungsreichen wechselseitigen Einfluss von Remake und Premake wie folgt: „Das Remake macht den früheren Film nicht nur zum ‚Original‘, es zeigt zugleich auch, dass dieses ‚Original‘ einem rereading unterzogen werden kann. […] Die Beziehung zwischen ‚Original‘ und Remake ist also durch das Paradox gekennzeichnet, dass ein Remake den Originalstatus des ersten Films gleichzeitig verleiht und unterläuft.“ (Oltmann 2008: 28 [Herv. i.O.])

Katrin Oltmanns Argumentation, dass das Remake im Sinne einer Re-Inszenierung seinem Referenz-Text erst den Status eines ‚Originals‘ verleiht, doch dieses zugleich einer Re-Lektüre unterzieht und dadurch die Lektüre des vermeintlich souverän zeitlich vorausgehenden ‚Originals‘ verändern kann, trifft nahezu analog auch für das Verhältnis von Genres und ihren Neo-Genres zu. Im Fall des Neo-Giallos und des Giallos wird dieses Spannungsverhältnis besonders evident. Denn die Neo-Gialli haben wie der Distributions-Diskurs des Giallos auf DVD in zwei Dimensionen Effekte auf das Genre-Konzept des Giallos: Da alle Filme 17 Es wird hier nicht die essentialistische Logik vertreten, dass eine Bildkomposition von sich aus ikonisch sein kann. Der Status als ikonische Bildkomposition wird stets diskursiv hergestellt, indem eine Bildkomposition besonders oft und euphorisch beschrieben wird oder als Bildmotiv besonders oft in Publikationen, auf Plakaten, DVDCovern etc. reproduziert wird.

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diese Schnittmenge der zitierten Konventionen aufweisen, bilden sie zum einen als Neo-Giallo ein Set an Genre-Konventionen, das auch in den Diskursivierungen des Neo-Giallos aufgegriffen wird. Durch die Verquickung der Diskursivierungen des Neo-Giallos mit den Diskursen des Giallos tragen die Neo-Gialli durch ihr Set der Genre-Zitate, die als vermeintlich konstitutive Konventionen des Genres inszeniert und diskursiviert werden, zur Re-Essentialisierung, zur ‚Wesensbestimmung‘ des Genres Giallo bei. Zum zweiten stabilisieren die NeoGialli zugleich durch das Set an gemeinsamen Gialli, die die meisten Neo-Gialli zitieren, den ‚Kanon‘ der vermeintlichen ‚Klassiker‘ des Genres, der aus dem DVD-Archiv des Giallos besteht, da die Regisseure der Neo-Gialli bereits bei ihrer Aneignung des Genres auf dieses zurückgegriffen haben. Im Folgenden wird ein in Diskursen, die den Giallo und Neo-Giallo prozessieren, viel diskutierter Neo-Giallo betrachtet, der zwar auch durch Inszenierungen im Modus der Pastiche Effekte der Re-Essentialisierung auf den Giallo hat, jedoch zudem durch eine Verfremdung einzelner Konventionen eine komplementäre, für genre-theoretische Reflexionen besonders produktive Perspektivierung des Verhältnisses von Genre und Genre-Geschichte offeriert: Der NeoGiallo AMER (2009) partizipiert an der Geschichtsschreibung seines ReferenzGenres, des Giallos. 11.2.1 Das Neo-Genre schreibt Genre-Geschichte AMER (2009) ist derzeit nicht nur der wohl bekannteste Neo-Giallo, sondern auch der Titel, der am häufigsten explizit als Neo-Giallo beworben und rezensiert worden ist. Während bei anderen Neo-Gialli andere Formulierungen – wie beispielsweise ‚Hommage‘ – zur Klassifikation der Filme vorherrschen, wird AMER bei Genre-Klassifikationen im Fließtext oder in den Titeln von Rezensionen und Ankündigungen explizit als Neo-Giallo bezeichnet.18 In den Rezensio18 Das Material für die diskursanalytische Diskussion des Neo-Giallos setzt sich größtenteils aus Online-Quellen zusammen, da viele der Filme vorrangig im Internet beworben und rezensiert werden. Siehe beispielsweise die folgenden repräsentativen Online-Rezensionen von AMER: http://buttkickingbabes.de/?p=1429 vom 07.05.2012 (die Rezension erschien ursprünglich in der einundachtzigsten Ausgabe des Filmmagazins Splatting Image); http://www.negativ-film.de/2010/08/fff-2010-amer.html vom 20.11.2011; http://www.moviepilot.de/news/amer-giallo-hommage-109841 vom 03. 05.2012; http://www.critic.de/film/amer-2305/ vom 03.05.2012; http://www.equilibriu mblog.de/wordpress/2010/02/10/festival-trailer-zum-franzoesischen-neo-giallo-amer/ vom 03.05.2012; http://www.filmtipps.at/kritiken/Amer/ vom 03.05.2012; http://twit chfilm.com/news/2010/12/neo-giallo-amer-hitting-bluray-in-the-uk.php vom 03.05.20

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nen herrscht zudem Konsens darüber, dass der Film die Konventionen des Giallos, wie sie heute in diversen Diskursen dominant sind, maximal verdichtet und inszenatorisch ausstellt. So schreibt beispielsweise Rochus Wolff: „Amer greift Themen und Mittel des Giallos auf und konzentriert sie auf ihre direkten filmischen Ausdrucksformen: Was übrig bleibt, sind die ästhetischen Konventionen des Giallos (aber nicht nur sie) in nahezu reiner Gestalt.“ (http://buttkickingbab es.de/?p=1429 vom 07.05.2012 [Herv. i.O.]) Auch in anderen deutschsprachigen und englischsprachigen Rezensionen finden sich ähnliche Formulierungen wie etwa: „[The directors of AMER, d. Verf.] have taken some of the key identifying elements of the giallo […] and distilled them […].“ (http://movieline.com/2010/ 10/25/review-giallo-homage-amer-is-a-slice-of-cruel-beauty/ vom 03.05.2012) In einem Kommentar kritisiert der Internet-Autor Alexander P. den Film gar dahingehend, dass er seiner Meinung nach eine „extreme Fetischisierung von Giallo-Motiven, bzw. des Giallos an sich“ und „reiner Selbstbezug und Essentialismus“ darstelle (http://www.eskalierende-traeume.de/gesprach-mit-helene-cat tet-bruno-forzani-amer/ vom 21.07.2012). Wie den anderen Rezensionen ist der Kritik des Autors eine essentialistische Genre-Definition eingeschrieben, die hier sogar explizit formuliert wird, wodurch jedoch gerade die Affirmation dieses Essentialismus als Schablone der Genre-Kritik und der genre-geleiteten Lektüre offensichtlich wird. Auch Thomas Groh repräsentiert das Gros der Rezensionen, wenn er resümiert: „[AMER, d. Verf.] bündelt nun alle stilistischen und inhaltlichen Erkennungsmerkmale des Giallos ohne einen Giallo zu erzählen […].“ (http://www.moviepilot.de/news/amer-giallo-hommage-109841 vom 03.05.20 12) Zentral an der forcierten Zurschaustellung der ästhetischen Konventionen des Giallos ist für alle Rezensenten, dass der Film auf eine ‚konventionelle‘ Handlung verzichtet zugunsten diverser ästhetischer Konventionen des ‚klassischen‘ Giallos. Diese ästhetischen Inszenierungsstrategien werden in AMER so forciert eingesetzt und im Vergleich zu ihrem konventionellen Einsatz überboten – die langen Kamera-Einstellungen sind noch etwas länger, die Detailaufnahmen noch etwas näher am Objekt –, dass sie als Inszenierungsstrategien und als Konventionen explizit und bewusst werden können. Nicht weniger ungewöhnlich als die Ästhetik ist die Narration von AMER. In drei klar voneinander geschiedenen Episoden wird die Lebensgeschichte der Protagonistin Anna von der Kindheit über die Adoleszenz bis zum Erwachsenenalter erzählt. Jedoch konzentriert sich die Narration jeweils auf ein Erlebnis der Protagonistin, das zentral ist für die Entwicklung der Figur in dem jeweiligen Lebensabschnitt: Das Erlebnis einer Urszene und die erste Erfahrung des Todes 12; http://www.quietearth.us/articles/2012/04/Amer-directors-shooting-new-giallo-LE TRANGE-COULEUR-DES-LARMES-DE-TON-CORPS vom 03.05.2012.

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in einer einzigen Nacht, da Anna als Kind den Beischlaf der Eltern beobachtet und mit dem Tod ihres Großvaters konfrontiert wird. Als pubertierende Jugendliche erfährt Anna dann ihre eigene Sexualität und ihre Rolle als sexuelles Objekt der begehrenden Blicke männlicher Motorradfahrer, deren Lederkluft sie als Fetische kennenlernt. Und als Erwachsene schließlich kulminieren die Codes der Verquickung von Eros und Thanatos sowie der Interdependenz von Fetischisierung und Voyeurismus in einem murder set-piece, in dem Anna sowohl Täter mit schwarzen Handschuhen und Rasierklinge als auch Opfer der Konventionen und Codes des Giallos wird. Doch diese skizzenhaft schraffierte Handlung des Films ist lediglich die Basis für die Zurschaustellung der ästhetischen Konventionen des Giallos. Pointiert hält Jochen Werner in seiner Rezension fest: „Eine Narration im engeren Sinne gibt es nicht, an ihrer Stelle steht eine Art Skelettierung des Giallo-Genres […].“ (http://www.critic.de/film/amer-2305/ vom 03.05.2012) Und auch Rochus Wolff schlussfolgert gleichermaßen pointiert, dass allein aus den zitierten Inszenierungs-Strategien des ‚klassischen‘ Giallos in ihrer Verdichtung und ohne eine Unterfütterung durch eine konventionelle Erzählung, in der eine Mordserie geklärt würde, die Handlung des Filmes resultiert (vgl. http://buttkickingbabes.de/ ?p=1429 vom 07.05.2012). Wolff bezeichnet den Film gar als „Meta-Giallo“ (ebd.), da der Film die Konventionen des ‚klassischen‘ Giallos nicht allein reinszeniere, sondern die Konventionen explizit ausstelle und dabei ihre Funktionen und Codes ausbuchstabiere. Beispielsweise werden die Fetisch-Objekte in den langen Detaileinstellungen und in ihrem Gebrauch als sexuelle Objekte explizit als Fetisch-Objekte vorgeführt.19 Bekannt wurde AMER jedoch vor allem dadurch, dass er das männliche Blickregime des ‚klassischen‘ Giallos zu einer feministischen Perspektive verschiebt und es dadurch explizit macht. Auch psychoanalytische Codes wie die Kodierung der Frau als Kastrationsdrohung oder etwa der Masochismus der weiblichen Opfer werden explizit ausbuchstabiert, wenn die Protagonistin zuerst als verfolgtes Opfer eines Mörders erscheint, sich dann jedoch als Täterin mit Persönlichkeitsspaltung erweist, die zuerst einen Mann realiter mit einem Messer kastriert, bevor sie sich selbst für die gescheiterte Unterdrückung ihrer Sexualität, die sich aggressiv in der Kastration realisierte, bestraft, indem sie Suizid begeht. Im Anschluss daran wird sie allerdings in der Leichenhalle als schöne Leiche erstmals im Film ganz nackt den voyeuristischen Blicken der Kamera bzw. des Publikums offeriert. Der Film inszeniert in verdichteter, doch expliziter 19 Hierauf weist insbesondere auch Sven Safarow hin, der diese Inszenierungsstrategie jedoch als „Freud in der reader’s digest-Version“ aburteilt (http://www.negativ-film. de/2010/08/fff-2010-amer.html vom 20.11.2011 [Herv. i.O.]).

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Weise diverse populäre psychoanalytische Argumentationen der feministischen Filmkritik und der psychoanalytisch und gendertheoretisch informierten Filmwissenschaft (vgl. beispielsweise Mulvey 2004; Bronfen 2004; Clover 1992). An dieser Stelle wird der Fokus jedoch nicht auf dieses Ausbuchstabieren der bekannten Codes des ‚klassischen‘ Giallos gerichtet, sondern auf die Effekte des Films auf die Diskursivierung des Giallos und seiner Konventionen, für deren Analyse sich der Film aufgrund seiner ungewöhnlichen Inszenierungsstrategien und seiner Popularität besonders anbietet. Der Neo-Giallo AMER (2009) erreichte international in den Diskursen, die den Giallo und den Neo-Giallo behandeln, solche Bekanntheit, dass Regisseure von anderen Neo-Gialli auf den Erfolg von AMER Bezug nehmen. François Gaillard beispielsweise erwähnt den Film in einem Interview zu seinem Neo-Giallo LAST CARESS (2011) im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Produktion seines Kurzfilms ALL MURDER, ALL GUTS, ALL FUN, mit dem er erstmals eine Hommage an den Giallo realisierte. „Das war im Jahr 2008, also bevor AMER (2009) den Giallo reanimierte“ (Booklet zu GLAM GORE: 8-Films: Ultimate Uncensored Collector’s Edition, A 2012 [Her. i.O.]); mit der Betonung der Datierung des Films wird offenkundig, dass der Regisseur, der ebenfalls im Jahr 2009 mit BLACKARIA seine erste Giallo-Hommage im Langspielfilm-Format vorlegte, sich zu AMER nicht lediglich abgrenzen will, sondern auch betonen will, dass er keinesfalls die Erfolgsformel Neo-Giallo imitierte, wie AMER sie popularisierte. Gerade diese Abgrenzungsrhetorik unterstreicht jedoch die große Bekanntheit des Films AMER. In Gaillards Formulierung der Reanimation des Genres kommt zudem das implizite Postulat zum Ausdruck, dass im Neo-Giallo, der im Fall des internationalen Neo-Giallos von seinen Machern und im Distributionsdiskurs explizit als Hommage apostrophiert wird, dasselbe Genre wiederbelebt würde.20 Der internationale Neo-Giallo gibt sich als eine Re-

20 Dass das Referenz-Genre des Neo-Genres stets bereits als ‚tot‘, gleichsam vergangen und vergraben gedacht wird – statt in einem permanenten Prozess der Aushandlung, auch durch das Neo-Genre –, erlaubt es, das Genre als vermeintliche Einheit und filmhistorische Entität zu greifen. Indem das Genre gleichsam ‚Geschichte ist‘, hat es Geschichte und Identität. Beides, Genre-Geschichte und Genre-Definition, werden jedoch erst retrospektiv nach dem implizit vorausgesetzten ‚Ende‘ des Genres postulierbar. Mit Foucault könnte metaphorisch resümiert werden, dass das Neo-Genre vermeintlich die Leiche des Referent-Genres präpariert, um dessen Lebenszyklus (GenreGeschichte) und Identität (Genre-Definition) zu diagnostizieren. Diese Denkfigur, dass erst das Phantasma des Todes nachträglich Sinn und Einheit stiftet, wurde unter anderem prominent von Walter Benjamin, Jean Baudrillard und Michel Foucault be-

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Inszenierung des ‚klassischen‘ Giallos, die sich aus der Analyse und Definition des Giallos als einem historisch vorgängigen, abgeschlossenen, fixierten Genre speist. Rochus Wolff tangiert dieselbe Logik, wenn er in seiner Rezension zu AMER argumentiert, dass der Film aufgrund seiner Konzentration „[der] ästhetischen Konventionen […] in nahezu reiner Gestalt“ dem genre-kundigen Rezipienten „eine Archäologie des Genres“ biete (http://buttkickingbabes.de/?p=142 9 vom 07.05.2012). Jedoch fährt Wolff kritisch fort: „Amer ist daher kein ‚Neo-Giallo‘ im eigentlichen Sinne, er betreibt keine Neufassung oder Wiederbelebung des Genres; man könnte ihn allenfalls einen Meta-Giallo nennen […].“ (Ebd. [Herv. i.O.]) Dieser Argumentation ist eine Logik eingeschrieben, die essentialistische Konzepte des Giallos um ein essentialistisches Konzept des Neo-Giallos („im eigentlichen Sinne“) ergänzt, da der Neo-Giallo nach Wolff den Giallo zu aktualisieren oder zumindest zu re-inszenieren habe. AMER entspreche hingegen in seiner Konzentration und expliziten Zurschaustellung der Konventionen des ‚klassischen‘ Giallos vielmehr einer Reflexion über das Genre. Ähnlich argumentiert auch Jochen Werner, der in AMER ebenfalls keine Hommage sieht, die ihr Vorbild lediglich reproduziert. Auch Werner bezeichnet die Reflexion des Films über den Giallo in einer dem Blick der Obduktion vergleichbaren Rhetorik als „ein Genre im Close-up.“21 (http://www.critic.de/film/amer-2305/ vom 03. 05.2012) Die zwar euphorische, aber auch kritische Rezension von Jochen Werner ist die einzige Rezension, die zumindest im Auftakt ihres letzten Absatzes erwähnt, dass die Giallo-Referenzen vor allem im letzten Teil des Films verdichtet werden. Werner sieht in diesem Teil des Films gar „die Vollendung der Genreanbindung von Amer“ (ebd. [Herv. i.O.]). Die Rhetorik der Vollendung schließt an die Dreiteilung des Filmes an, die jede Rezension betont, aber zumeist nicht kommentiert: Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter. Die meisten Rezensionen schlussfolgern aus dieser Dreiteilung, dass AMER keine konventionellen Narrative des ‚klassischen‘ Giallo aktualisiert. Manche Autoren postulieren gar, dass der Film gar keine Geschichte erzähle. So resümiert beispielsweise Thomas Groh: „[Amer, d. Verf.] bündelt nun alle stilistischen und inhaltlichen Erkennungsmerkma-

handelt (vgl. Benjamin 2002: insbesondere 136-144; Baudrillard 2005: insbesondere 202, 210, 259-262; Foucault 2008: insbesondere 7-17, 148-185, 206-210). 21 Diese Formulierung stellt zugleich die Schlusspointe der Rezension von Jochen Werner dar und schließt daran an, dass Werner zuvor die häufige und forcierte Verwendung von close-ups (Großaufnahmen) im Film betont hat.

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le des Giallos ohne dabei einen Giallo zu erzählen […].“22 (http://www.movie pilot.de/news/amer-giallo-hommage-109841 vom 03.05.2012) Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Sven Safarow in seiner Rezension: „Amer hat fast alle Zutaten eines Giallo- [sic!] bis auf die Geschichte.“23 (http://www.negativ-film. de/2010/08/fff-2010-amer.html vom 20.11.2011 [Herv. i.O.]) Beiden Rezensenten ist zugleich zwar hinsichtlich der unkonventionellen Handlung des Films zuzustimmen, aber auch durch eine genre-reflexive Lesart derselben zu widersprechen: AMER mag keine konventionelle Geschichte eines Giallos erzählen, aber er erzählt die konventionelle Geschichte des Giallos; Amer erzählt nicht „einen Giallo“, sondern die derzeit hegemoniale Genre-Geschichte des Giallos. Denn der Lebenszyklus der Protagonistin des Films kann als allegorische Verhandlung des ‚Lebenszyklus‘ und der ‚Evolution‘ des Genres Giallo gelesen

22 Sebastian Selig, der unter anderem für das Film-Magazin Splatting Image und das Kultur-Magazin Deadline schreibt, erhebt AMER gar zu „einem Kino wider das Erzählen“ (Booklet zu AMER: Koch Media, BRD 2012: 7). Seligs Essay zum Film ist jedoch so blumig-schwülstig und zugleich von einer so starken Fan-Rhetorik bestimmt, in deren Zuge der Giallo beispielsweise zur „Königsdisziplin des Kinos“ (ebd.) geadelt wird, dass er symptomatisch für den affirmativen Essentialismus des Fan-Diskurses zum Giallo, aber wenig reflexiv und produktiv für die Analyse der Verhandlungsstrategien von AMER ist. Auch Kai Naumann resümiert beispielhaft für die meisten Rezensionen und Lektüren von AMER, dass der Film die narrativen Konventionen des Genres entbehre, aber dadurch zugleich die ästhetischen Konventionen und die dominanten Codes des Genres zur Kenntlichkeit verdichtet: „Amer ist weniger ein NeoGiallo als vielmehr eine Meditation über Motive und Strukturen des Genres, die postmoderne Variante eines vergangenen Phänomens. Es gibt weder einen expliziten Kriminalfall, den es aufzuklären, noch einen Killer, den es zu entlarven gilt. Stattdessen entkleiden Cattet und Forzani den Giallo weitgehend von traditioneller Narration, so dass am Schluss die Quintessenz des Genres übrig bleibt. […] Amer blickt mit Mitteln des Experimentalfilms hinter die Kulissen des Giallos und setzt die dortigen Grundelemente zu einem eigenständigen Körper zusammen, der selbstständig nach Gesetzen seines Genres handelt. So gesehen ist Amer in seiner Abkehr vom klassischen Giallo vielleicht sogar der Genrebeitrag schlechthin.“ (Naumann 2012: 39, 44 [Herv. i.O.]). 23 Aus dieser Feststellung des ‚Mangels an Geschichte‘ leitet Safarow seine Kritik an AMER als ‚Verfälschung des Genres‘ ab, die auf einer sehr klaren essentialistischen Genre-Definition des Giallos beruht: „Der Giallo wird auf seine Gimmicks reduziert, auf Details, auf Fetischobjekte, die für sich allein keinen Sinn ergeben. Amer ist Sinnesorgasmus, pure Reizüberflutung, gleichzeitig trivialisiert er den Giallo zum rein sexualisierten Genre.“ (Ebd. [Herv. d.O. teilweise getilgt]).

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werden, wie sie als evolutionäres Genre-Modell den essentialistischen GenreDefinitionen des Giallos bereits eingeschrieben ist. Betrachtet man die drei Episoden von AMER einzeln und nimmt jeweils eine Genre-Zuordnung probehalber vor, so würde die erste Episode weniger die Konventionen des Giallos denn die des italienischen Gothic-Horrorfilms der frühen 60er Jahre aktualisieren. Das alte, verkommene Landhaus; die vielen Schatten und die forcierten Schlaglichter; der unheimliche tote Großvater, an dessen Tod die Protagonistin als Kind zunächst noch zweifelt; die Konzentration der Handlung auf eine geheimnisvolle Nacht; die Motive der Beobachtung und der Augenzeugenschaft; die geheimnisvollen Fetischobjekte; die langen Suspense-Sequenzen, die einhergehen mit der zunehmenden Angst des kleinen Mädchens Anna, aus deren Perspektive die gesamte Episode erzählt wird. Alle diese Motive und Inszenierungsstrategien wurden zwar primär dem Gothic-Horror zugewiesen, finden sich aber auch in diversen Gialli.24 Auch die surreal oder alptraumhaft anmutende Verzerrung der Zeit- und Raum-Wahrnehmung der Protagonistin ist noch anschlussfähig an die Definitionen von beiden Genres. Andere Filminhalte sind jedoch auf der Folie der dominanten Genre-Konzepte, wie sie in filmwissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Genre-Einführungen Verbreitung finden, allein dem Gothic-Horror und nicht dem Giallo zuzuordnen. Denn durch die Großmutter wird das Motiv des Übernatürlichen in die Episode eingeführt. Die Großmutter ist ganz verborgen von einem schwarzen Trauerschleier, unter dem jedoch eine grässliche Zahnreihe angedeutet wird. Sie schleicht durch die leeren Flure des Landhauses und zischt unverständliche Laute. In ihrer Gegenwart bewegen sich Stoffe wie von magischer Hand und Objekte gewinnen ein Eigenleben und geben laute, tiefe und durchdringende AtemGeräusche von sich. Die Großmutter entspricht mithin eher dem Stereotyp der Hexe im Gothic-Horror.25

24 Wie nahe Gothic-Horror und Giallo oft liegen, ist so offensichtlich, dass diese Verbindung bereits in den Texten von Gary Needham und Marcus Stiglegger wie selbstverständlich beschrieben wurde, die als erste filmwissenschaftliche Beiträge zur Erforschung des Giallos unter genre-theoretischem Vorzeichen auf Englisch bzw. Deutsch genannt werden können (vgl. Needham 2003; Stiglegger 2007a). Siehe darüber hinaus auch: Kessler 1997: 17-68; Humphries 2007: 181-191. 25 Rezipienten, die nicht mit dem italienischen Gothic-Horror der 60er Jahre vertraut sind, könnten in der Figur stattdessen auch den Stereotyp der hässlichen, mit Krankheit und Tod konnotierten, alten Frau lesen, die in der europäischen Kulturgeschichte oft mit dem Stereotyp der Hexe überblendet worden ist. Siehe zur Einführung zu diesem Themenkomplex: Kuch 2002; Menninghaus 2002: 132-143.

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Diese übernatürlichen Ereignisse und das Fehlen zentraler Konventionen des Giallos – wie der maskierte Mörder, ein murder set-piece oder ein Ermittlungsplot – bedeuten, dass die Episode kohärenter auf der Folie des Gothic-Horrors denn der des Giallos gelesen werden kann.26 Dass dennoch diverse andere Inhalte der Episode – wie die unheimlichen Suspense-Sequenzen, die Augenzeugenschaft et al. – beiden Genres zugeschrieben werden können, verdeutlicht lediglich, dass der Giallo diverse Konventionen des Gothic-Horrors fort- und umgeschrieben hat. Und eben dies wird auch der Film in seiner zweiten Episode tun. In der an die Gothic-Horror-Episode anknüpfenden, zweiten Episode verlässt die Protagonistin als pubertierendes Mädchen mit ihrer Mutter das abgelegene Landhaus und begibt sich in das benachbarte Dorf. Lange Kamera-Einstellungen zeigen statt des düsteren und unheimlichen Inneren des Landhauses die paradiesische Küstenlandschaft und das idyllische Dorf auf einer Klippe. Aufgrund der langen Kamera-Einstellungen wirken die Bilder geradezu wie Postkartenmotive. 26 Dass die Rezensenten den Film dennoch ohne kritische Erläuterungen oder Reflexionen allein in Bezug zum Giallo gesetzt haben, mag einerseits daran liegen, dass der Film bereits vom französischen Verleih und von seinen Regisseuren als Neo-Giallo bezeichnet worden war. Andererseits mag diskursgeschichtlich die Genre-Kategorisierung von Dario Argentos SUSPIRIA (1977) einen Effekt auf die Kategorisierung von AMER gehabt haben. Auch in SUSPIRIA, der Argentos international erfolgreichster und bekanntester Film ist, treten Hexen auf und Konventionen des Giallos sind mit denen des Gothic-Horrors hybridisiert. Dennoch wurde SUSPIRIA mehrheitlich in Schriften zum Horrorfilm allein als Horrorfilm und hingegen in Schriften zum Giallo entweder als Giallo oder als giallo fantastico kategorisiert. Die übernatürlichen Ereignisse und Figuren im Film heben ihn jedoch deutlich von der Mehrheit der Gialli und auch der Mehrheit der anderen ‚Genre-Klassiker‘ von Dario Argento wie L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO

(1970) oder PROFONDO ROSSO ab. Beide Filme, SUSPIRIA und

AMER (2009), können kohärenter als Kombination aus Giallo und Gothic-Horror gelesen werden, als es auf der Folie lediglich eines einzelnen Genres möglich wäre. Beispielhaft für die Klassifikation von SUSPIRIA als Horror-Film stehen die Aufsätze von Peter Hutchings und Brigid Cherry, mit denen der Sammelband European Nightmares. Horror Cinema in Europe Since 1945 eröffnet wird und die beide der privilegierten Stellung von SUSPIRIA in Diskursen und insbesondere in Fan-Diskursen des Horror-Films nachspüren (vgl. Hutchings 2012; Cherry 2012). Insbesondere Cherry betont im Zuge ihrer Diskursanalyse von Internetforen zum Horrorfilm, dass SUSPIRIA besonders oft als ‚idealer‘ Horrorfilm zum Vergleich mit anderen Filmen und für deren Bewertung genannt wird (vgl. ebd.: 29). Siehe darüber hinaus beispielsweise auch: Muir 2002; Paul 2005: 47f.

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In dieser Inszenierung wird die Ästhetik von paradiesischen settings des la dolce vita aufgegriffen, die in vielen Gialli der späten 60er Jahre zu finden ist – so etwa in PARANOIA (1970), LA CODA DELLO SCORPIONE (1970) oder BLONDE KÖDER FÜR DEN MÖRDER (1969). Auch in dieser Episode ereignet sich kein Mord und ein maskierter Serienmörder ist vergeblich zu suchen. Stattdessen wird durch voyeuristische Kamera-Einstellungen in eher dezent ausfallenden erotischen Inszenierungen die aufkommende Sexualität des Mädchens thematisiert, wenn beispielsweise die Kamera in einer langen Einstellung den kurzen Rock des Mädchens beobachtet, den der leichte Wind wiederholt leicht anhebt. Die Episode, die ganz auf Gewaltexzesse und explizite Nacktszenen verzichtet, schließt damit an die Diskursivierung der Gialli der 60er Jahre an, die größtenteils in nicht-wissenschaftlichen Schriften als Proto-Gialli oder Vorläufer des Giallos klassifiziert worden sind, da die als konstitutiv geltenden Konventionen des Giallos der 70er Jahre – wie die exzessiven Gewalt- und Sex-Szenen oder der psychotische Mörder – seltener darin zu finden sind. Da diese Konventionen der 70er Jahre jedoch als essentielle Elemente der hegemonialen Genre-Definition diskursiviert worden sind, werden die Gialli der 60er Jahre oft als eine Suche nach der Identität des Genres beschrieben. Hierin liegt die allegorische Analogie zwischen den ‚Proto-Gialli‘, die vermeintlich noch nach den GenreKonventionen und damit ihrer ‚Genre-Identität‘ suchen, und der Adoleszenz der Protagonistin von AMER, die in der Pubertät auf der Suche nach ihrer (sexuellen) Identität ist. Es ist diese biographische bzw. evolutionistische Rhetorik, die Genres mit Lebenszyklen oder Evolutionszyklen parallelisiert, die auch Jochen Werner in seiner Formulierung fortschreibt, wenn er postuliert, dass die „Vollendung der Genreanbindung von Amer“ erst im dritten Teil des Films stattfinde (http:// www.critic.de/film/amer-2305/ vom 03.05.2012). Denn im dritten Teil wird schließlich Annas Sexualität und ihr Körper explizit ausgestellt. Zu nennen ist beispielsweise eine Szene, in der sie bei Kerzenlicht in der Badewanne mit einem Kamm zuerst ihren Körper sinnlich reizt und dann masturbiert. In dieser finalen Episode tritt denn auch zu guter Letzt der stereotyp inszenierte Mörder mit Gesichtsmaske und schwarzen Lederhandschuhen auf. Mit einer nicht minder stereotypen Rasierklinge ermordet er sein Opfer in einem extrem brutalen und sadistischen murder set-piece, in der forciert die Konvention der fetischisierten und sexualisierten Inszenierung ausgestellt wird. Verdichtet werden in dieser Episode die bekanntesten Konventionen des Giallos der 70er Jahre. Als explizite Markierung, dass diese Episode auf die Gialli der 70er Jahre referiert, wird erstmals auch das Landhaus von außen gezeigt, das der

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Villa in Dario Argentos PROFONDO ROSSO (1975) sehr ähnlich sieht.27 Die „Vollendung der Genreanbindung“, die Jochen Werner in dieser dritten und letzten Episode sieht, geht einher mit dem Erwachsenenalter der Protagonistin und ihrem Tod. Perspektiviert man die allegorische Struktur des Films und seine Diskursivierung gegenseitig, so kommt darin eben diejenige evolutionistische Genre-Theorie zum Vorschein, die die Vollendung des Genres ebenfalls zugleich als den Schlusspunkt der Genre-Entwicklung versteht, bevor dieses vermeintlich zerfällt. Während AMER zwar die Ästhetik und die Codes von Konventionen wie der sexualisierten Gewalt oder der Fetischisierung durch eine überspitzte Inszenierung ausstellt und darin womöglich ein subversives Potenzial für genre-reflexive Lesarten offeriert, kann die Geschichte der Protagonistin ungebrochen als allegorische Darstellung der derzeit hegemonialen Geschichte des Genres Giallo gelesen werden. Die Lebenszyklen der Protagonistin können in Analogie zu den Lebenszyklen des Genres gesetzt werden, wie sie in den Schriften über das Genre zu finden sind: An die ‚Kinderstube‘ des Gothic-Horrors der frühen 60er Jahre schließt die Genre-‚Selbstfindung‘ in den ‚Proto‘-Gialli seit der Mitte der 60er Jahre an, worauf der Giallo zu Beginn der 70er Jahre seine ‚Reife‘ bzw. ‚Vollendung‘ findet, jedoch bereits in der Mitte des Jahrzehnts seine Klassiker- bzw. Erwachsenen-Zeit erlebt und ‚stirbt‘.28 Der Neo-Giallo stellt schließlich als Fetisch die ‚schöne Leiche‘ des ‚klassischen‘ Giallos ebenso aus, wie die nackte Leiche der Protagonistin im Epilog voyeuristisch ausgestellt wird. „Der Tod, das Fleisch, der Schnitt, das Blut, die Klinge, der Handschuh, das Leder, das Rasiermesser – Amer nimmt das Giallo-Kino in die extreme Nahaufnahme.“ (Ebd. [Herv. i.O.]) Ebenso wie sich diese kurze Liste der als essentielle Genre-Elemente diskursivierten Konventionen des Genres zu Beginn der Rezension von Jochen Werner findet, so dient der Film AMER auch den anderen Rezensenten dazu, gleichsam eine „Archäologie des Genres“ (http://buttkicking babes.de/?p=1429 vom 07.05.2012) zu betreiben und die Konventionen des Gi27 Auf diese Ähnlichkeit, die ein Kriterium der intentionalen Auswahl des Gebäudes als Schauplatz gewesen sein soll, haben auch die beiden Regisseure von AMER wiederholt in Interviews hingewiesen (vgl. http://www.eskalierende-traeume.de/gesprachmit-helene-cattet-bruno-forzani-amer/ vom 21.07.2012). 28 Man könnte gar in Erwägung ziehen, den Suizid der Protagonistin, die sich mit dem imaginären Mörder identifiziert, als Allegorie dafür zu deuten, dass auch der Giallo zu Beginn der 80er Jahre zunehmend Muster des US-amerikanischen Slashers übernimmt und dadurch seine alten Konventionen ersetzt. Dass der Giallo als vom Slasher verschiedenes Genre zunehmend obsolet wird, könnte als suizidaler Todesstoß des Genres mit dem Suizid der Protagonistin parallelisiert werden.

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allos, die AMER prominent und forciert in Szene setzt, aufzulisten und sie aufgrund der Zurschaustellung im Film als Genre-Konventionen zu betonen und dadurch ihren Status als konstitutive Konventionen zu reproduzieren und zu affirmieren. AMER mag zwar einerseits die Konventionen des ‚klassischen‘ Giallos nicht nur ausstellen, sondern auch deren Funktionen und Codes ausbuchstabieren. Andererseits stabilisiert der Film jedoch auch gerade dadurch den Status der Konventionen als solche und fixiert sie durch die zusätzliche Darstellung ihrer dominanten Lesarten sogar noch stärker als durch eine lediglich reproduzierende Hommage. Vor allem reproduziert und stabilisiert der Film aber ohne Brüche oder dekonstruktive Ansätze die dominante Genre-Geschichte des Giallos. Der Film kann mithin dahingehend gelesen werden, dass er durch seine Narration an der Genre-Geschichtsschreibung des Giallos partizipiert, wie sie in Filmographien, Rezensionen und anderen mit essentialistischen und evolutionistischen Modellen operierenden Diskursen vorzufinden ist. Die italienischen Neo-Gialli folgen hingegen, wie die genre-theoretischen Analysen im folgenden Kapitel zeigen werden, einer grundsätzlich verschiedenen Agenda der textuellen (Neu-)Aushandlung des Genres.

11.3 D AS N EO -G ENRE DER ITALIENISCHE

ALS N EU -AUSHANDLUNG : N EO -G IALLO

Die meisten internationalen Neo-Gialli werden als Hommage an den Giallo vermarktet und können als solche als eine Reproduktion der Konventionen des jetzigen Genre-Konzepts verstanden werden, das zum Zeitpunkt ihrer Produktion dominant war in verschiedenen Diskursen wie beispielsweise der DVD-Distribution, Filmmagazinen, Rezensionen oder filmwissenschaftlichen Studien. Diese textuelle und diskursive Stabilisierung und Fixierung des Genre-Begriffs und des damit konnotierten Genre-Verständnisses können paradigmatisch in der Verzahnung der Distributionsdiskurse des Giallos und dieser Neo-Gialli beobachtet werden. Die italienischen Neo-Gialli verhandeln den Giallo hingegen grundlegend anders. Die Filme müssen zwischen einem internationalen Giallo-Konzept, das über den Diskurs und das Archiv der internationalen DVDs von Gialli ausgebildet worden ist, und einem italienischen giallo-Konzept aushandeln. Dieser Prozess der Aktualisierung des Genres operiert vor allem mit parodistischen Zitaten von Genre-Konventionen und einer Aushandlung des Giallos im Anschluss an andere zeitgleiche narrative und ästhetische Konventionen des Thrillers und des Horror-Films. Diese Spannungen und Reibungen sind den Filmen zumeist allegorisch eingeschrieben. Sie lassen die italienischen Filme als eine andere

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filmische Diskurs-Formation des Neo-Giallos lesbar werden, die zwar an die internationalen Diskurse anknüpft, sich aber auch deutlich von diesen abgrenzt. In OCCHI DI CRISTALLO (2004) folgt beispielsweise im Anschluss an die expliziten Zitate und den forcierten Bruch mit den durch diese Zitate evozierten Genre-Erwartungen in der opening sequence, deren Analyse als parodistischer Modus der Genre-Transformation den Auftakt dieses Kapitels bildete, eine Inszenierung, die ikonische Motive des Giallos – wie die Augenzeugenschaft, den Killer mit schwarzen Handschuhen, das Kindheitstrauma, die Puppe – mit ästhetischen Strategien und Motiven von damals aktuellen Serienkillerfilmen wie THE SILENCE OF THE LAMBS (USA 1991, R: Jonathan Demme), SE7EN (USA 1995, R: David Fincher) oder LE COLLECTIONNEUR (CDN 2002, R: Jean Beaudin) hybridisiert – beispielsweise das Motiv des Puzzles aus Leichenteilen oder auch die Neo-Noir-Ästhetik der dunklen Braun- und Blau-Töne.29 Diese Verquickung von Genre-Konventionen des Giallos mit denen aktueller Serienkillerfilme wird innerhalb der Handlung des Films allegorisch verhandelt, da auch der Serienmörder eine Puppe aus Leichenteilen zusammensetzt, für deren – seiner Meinung nach – ideales Aussehen er gezielt Einzelteile verschiedener ‚Quellen‘ auswählt, die jedoch jeweils in der Kombination aneinander passen. Ebenso fügt der Film die einzelnen Konventionen der verschiedenen Register jeweils so passend aneinander, dass ein insgesamt kohärenter Text entsteht. Die Puppe aus Leichenteilen steht metaphorisch für die Genre-Hybridität des Films, da darin sowohl das Puppenmotiv des Giallos, wie es beispielsweise in IL ROSSO SEGNO DELLA FOLLIA (1970), SPASMO (1974) oder IL CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE (1973) vorkommt, als auch das Motiv der Kombination der Leichenteile, wie es in Serienkillerfilmen wie THE SILENCE OF THE LAMBS oder LE COLLECTIONNEUR prominent in Szene gesetzt wird, untrennbar verbunden sind. Der Film kann daher sowohl als Giallo, der durch Konventionen des rezenten Serienkillerfilms aktualisiert wurde, als auch als Serienkillerfilm gelesen werden kann, dessen rezentes Muster durch Konventionen des Giallos variiert wurde. Der Film ist damit eine generische und kulturelle Hybride, die sowohl von einem italienischen Publikum mit einem weiten Verständnis von giallo als auch von ei29 Es sei erneut darauf hingewiesen, dass in italienischen Diskursen giallo im Sinne des italienischen Alltagsgebrauchs des Wortes als weite Bezeichnung für jede Art von murder mystery oder – um das deutsche Äquivalent zu nennen – Krimi natürlich auch diese Serienkillergeschichten umfassen würde und sich daher aus italienischer Sicht auch keine generische Spannung aus der intrakulturellen Referenz auf das filone der italienischen giallo-Filme der 60er und 70er Jahre und der interkulturellen Referenz auf das filone der nicht-italienischen Serienkillerfilme der 90er und frühen 2000er Jahre ergäbe.

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nem internationalen Fan-Publikum mit einer vergleichsweise engen Definition des Giallos als wiederum auch von einem Publikum ohne jede Kenntnis des Giallos als kohärenter Genre-Text gelesen werden kann. Andere italienische Neo-Gialli wie etwa CATTIVE INCLINAZIONI (2003) und CHRISTOPHER ROTH (2010) können allerdings auch als Parodie derjenigen (nichtitalienischen) Neo-Gialli gelesen werden, die eine Hommage oder Pastiche des ‚klassischen‘ Giallos darstellen wollen. Wie die nachfolgende genre-theoretische Lektüre von CHRISTOPHER ROTH zeigen wird, werden in diesen Filmen die Kluft und die Spannung zwischen dem italienischen Konzept giallo und der internationalen Definition des Giallos eingehend problematisiert. Beworben wurde der Neo-Giallo CHRISTOPHER ROTH aber dennoch mit einem murder set-piece, das an die ästhetischen Konventionen des Giallos der 70er Jahre anschließt: In einem Badezimmer ereignet sich ein brutaler Mord an einer jungen Frau. Das ganz in weiß gekachelte Badezimmer, das zu groß erscheint für die kleine, ebenfalls weiße Badewanne ist ein geradezu surreales setting. Diese künstliche, wenn nicht gar surreale Stimmung wird noch dadurch unterstrichen, dass das aufgrund der weißen Kacheln bereits helle Bad zusätzlich noch sehr hell ausgeleuchtet ist und dadurch geradezu zu strahlen scheint. Das weibliche Opfer des Mörders wird beim Entkleiden gezeigt. Der nackte Körper der jungen Frau wird in dem großen, leeren, hellen Bad voyeuristisch ausgestellt. Die Nacktheit des Opfers ruft die im Giallo typische Verquickung von Sexualität und Gewalt auf. In einer langen Sequenz wird das Opfer beim Duschen gezeigt, während die Kamera in mutmaßlichen point-of-view-Einstellungen des Mörders es dabei beobachtet. Als der Mörder dann auftritt, ist er ganz in schwarzes Leder gekleidet und reproduziert somit das stereotype Bild des maskierten Mörders mit schwarzen Handschuhen, wie es in den Schriften zum Giallo als zentrale Konvention beschrieben worden ist. Wenn der Mörder seinem Opfer mit der stereotypen Rasierklinge die Kehle aufschneidet und die Kamera dies in einer langen Großaufnahme zeigt, wird das Blut sich breitflächig, doch klar abgesetzt auf den weißen Kacheln ausbreiten. Dieser Mord ruft die populärsten ästhetischen Konventionen des murder setpiece des Giallos der 70er Jahre auf, die zumeist als konstitutive Konventionen dem Genre zugeschrieben werden: Das surreale setting, die langen SuspenseSzenen vor dem Mord, die voyeuristische Kamera, die exzessive sexualisierte Gewalt, der maskierte Mörder mit schwarzen Handschuhen und Rasierklinge. Dieser Mord war das bestimmende Motiv im Werbe-Trailer und auf den Plakaten zum Film, zierte das Cover der britischen und deutschen DVD und illustrierte die meisten Rezensionen zum Film. Die filmischen Paratexte suggerieren

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damit, dass die Ästhetik des Giallos im Film dominiert und der Film wahrscheinlich eine Hommage darstellt. Mit dieser Erwartung bricht der Film jedoch. Denn diese Hommage an den ‚klassischen‘ Giallo wird im Film gleich in zweierlei Weise als Ausnahme präsentiert. Einerseits handelt es sich dabei explizit um eine Phantasie, die sich der Protagonist der Films ausmalt, als er einen Mord ahnt. Bei dem Protagonisten handelt es sich um den amerikanischen Autor Christopher Roth, der Serienkiller-Romane – also gialli im italienischen Sinne – verfasst hat, die zwar sehr erfolgreich sind, die er aber frustriert als geradezu geistlos seriell gefertigten „violent bullshit with a surprise ending“ abtut. Diese Kritik an seinen eigenen giallo-Romanen ruft offenkundig die populären Vorwürfe an den filmischen Giallo auf, dass dieser auf Kosten erzählerischer Kohärenz und einer Feinzeichnung der Figuren in sadistischer Gewalt und Plot-Twists schwelge. Der Protagonist reist daher ins italienische Umbrien, um dort einen ernsthaften Roman über das Spektrum der Gefühle zu schreiben. Sein romantisches Italien-Ideal wird jedoch gestört, als sich ausgerechnet in dieser Region brutale Morde ereignen. Als er glaubt, auf dem Weg zu einem Tatort zu sein, phantasiert er den Mord im Badezimmer. Da sich seine Phantasie an seinen eigenen Romanen orientiert, kommt dieses für den Giallo konventionelle murder set-piece als sexuell hochgradig aufgeladene Altherren-Phantasie daher, die von ihm selbst zuvor als jener „violent bullshit“ kritisiert wurde, der Klischees reproduziert. Zweitens muss erwähnt werden, dass dieses stereotype murder set-piece des ‚klassischen‘ Giallos auch mit der Ästhetik derjenigen Morde bricht, die sich in der Diegese des Films ‚real‘ ereignen. Der ‚reale‘ Mörder verübt seine Taten hingegen eher rasch. Ohne längere Suspense-Szenen tötet er in einer Schock-Inszenierung, die statt auf beinahe surreal anmutende hyperstilisierte Morde auf die Realismus-Effekte einer brutalen Gewalt-Ästhetik in einer dunkel und schäbig gehaltenen mise-en-scène setzen. Der Mörder trägt auch keine groteske Maske, sondern ist schlicht vermummt. Diese ‚realistische‘ Ästhetik30 der Morde bildet 30 Wenn hier und im Folgenden Inszenierungen als ‚realistisch‘ bezeichnet werden, so sind die einfachen Ausführungszeichen als Relativierung und Distanzierung von einem eher alltagssprachlichen Verständnis ernst zu nehmen. Wie Roland Barthes ausgeführt hat, können Texte einen Realitäts-Effekt (im französischen Original: l’effet de réel; in der deutschen Übersetzung von Dieter Hornig: „Wirklichkeitseffekt“) haben, indem sie durch textuelle Strategien suggerieren, sie würden unvermittelt die ‚materielle Realität‘ abbilden/bezeichnen (vgl. Barthes 2006). Dieser Realitäts-Effekt von Texten hat immer einen historischen Index, da er aus dem Spiel mit zeitspezifischen Konventionen resultiert. Verstärkt und stabilisiert wird der Realismus-Anspruch metafilmisch durch Diskurse, die diesem Stil Realismus attestieren. Als konzise Einfüh-

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zu der eher künstlich überstilisierten bis surrealen Ästhetik des ‚klassischen‘ Giallos die maximale Opposition, zumal eben diese Ästhetik als Phantasie eines älteren, einfallslosen giallo-Autors parodistisch ausgestellt wird.31 Entsprechend wurde der Film im Fan-Diskurs zwar als Giallo-Hommage rezipiert, jedoch als eher durchschnittlich bis enttäuschend bewertet, da er die Erwartungen an einen die Konventionen des ‚klassischen‘ Giallos reproduzierenden Neo-Giallo nicht erfüllte.32 Für die Lektüre dieser Gegenüberstellung einer nostalgischen Ästhetik der Giallo-Hommage und der seinerzeit aktuellen Ästhetik des Serienkillerfilms ist die Biographie des Regisseurs nicht uninteressant: Maxime Alexandre wurde zwar in Belgien geboren, wuchs aber in den 70er Jahren in Italien auf.33 Bevor er mit CHRISTOPHER ROTH (2010) seine zweite Regie-Arbeit vorlegte,34 war er verantwortlich für die Kamera-Arbeit bei den Filmen HAUT TENSION (F 2003), MIRRORS (USA/BRD/R 2008) und THE HILLS HAVE EYES des französischen Regisseurs Alexandre Aja. Dessen Filme hatten einen immensen Einfluss auf die Entstehung von bestimmten Zyklen und ästhetischen Trends des Horrorfilms nach der Jahrtausendwende: HAUT TENSION gilt als Initialzündung des ‚neuen‘ französischen Terrorkinos.35 THE HILLS HAVE EYES zählt wiederum zu den frürung zur filmwissenschaftlichen Diskussion über Realismus siehe: Black 2002; Hallam/Marshment 2000. 31 Man könnte hierin eventuell einen kritischen Seitenhieb auf Dario Argento lesen, der durch die Imitation der Konventionen des Giallos der 70er Jahre, die er selbst maßgeblich durch seine Filme geprägt hatte, seit dem Millennium erneut Erfolge erzielte. 32 Auf diesen Bruch und die allegorische Lesart, als deren Knotenpunkt dieser Bruch gedeutet werden kann, gehen die meisten Rezensionen jedoch nicht ein. Stattdessen wird das murder set-piece bruchlos eingereiht in die Serie der anderen Morde, die sich in der Diegese real ereignen. Siehe beispielsweise: http://filmchecker.wordpress.com/tag /giallo/ vom 03.05.2012; http://www.screamfest.co.uk/2010/12/15/review-christopherroth/ vom 03.05.2012; http://www.imdb.com/title/tt1484942/reviews vom 20.07.2012; http://www.imdb.com/title/tt1484942/reviews vom 20.07.2012. 33 Diese Information kann sowohl Internetdatenbanken wie der imdb als auch Rezensionen entnommen werden, die jedoch keine weiteren Quellen nachweisen (vgl. http:// www.imdb.com/name/nm1131817/bio vom 20.07.2012; http://www.screamfest.co.uk/ 2010/12/15/review-christopher-roth/ vom 03.05.2012). 34 Ein Jahr vor CHRISTOPHER ROTH (2010) hatte Maxime Alexandre mit dem Mafiafilm HOLY MONEY (I/B 2009, R: Maxime Alexandre) als Spielfilm-Regisseur debütiert. 35 Weitere bekannte Filme sind: À L’INTÉRIEUR (F 2007, R: Alexandre Bustillo/Julien Maury), FRONTIÈRE(S) (F/CH 2007, R: Xavier Gens) oder MARTYRS (F/CDN 2008, R: Pascal Laugier).

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hen und erfolgreichsten Filmen des Remake-Zyklus von Horrorfilmen der 70er Jahre; zu eben diesem Zyklus gehören auch die folgenden erfolgreichen Filme, bei denen Maxime Alexandre ebenfalls als Kameramann verantwortlich zeichnete: HALLOWEEN (USA 2007, R: Rob Zombie) und THE CRAZIES (USA/UAE 2010, R: Breck Eisner). Maxime Alexandre prägte durch seine Arbeit als Kameramann die Ästhetik der Horrorfilme in der ersten Dekade des dritten Jahrtausends maßgeblich. Ohne eine Autorenpolitik zu propagieren, um den Film CHRISTOPHER ROTH (2010) zu erklären, lässt sich der Biographie von Maxime Alexandre entnehmen, dass er zwar mit dem italienischen Verständnis von giallo aufwuchs, aber als Kameramann an der Gestaltung der rezenten Horror- und Serienkillerfilme zur Zeit der Entstehung von CHRISTOPHER ROTH maßgeblich beteiligt gewesen ist. Dieser Gedanke ist kein Beweis oder Beleg, aber ein Indiz dafür, dass der Film als Aushandlung zwischen dem internationalen Genre-Konzept Giallo und dem italienischen Verständnis von giallo gelesen werden kann. Der Film stellt die Reduktion des giallo auf die Filme der 60er und 70er Jahre als nostalgische Phantasie aus. Ja, er parodiert diesen Diskurs gar als fremde Italien-Phantasie, da er die ‚klassische‘ Giallo-Mordszene von seinem Protagonisten träumen lässt, der als amerikanischer Autor von Genre-Romanen seinem romantisierten Italienbild folgte, um in Italien Erquickung und Inspiration zu finden und sich als ernsthafter Autor neu zu erfinden. Diese Sinn- und Identitätssuche des Protagonisten, dessen romantische Ideale über eine andere Kultur durch sein Erleben der Kultur und ihrer Wandelbarkeit gebrochen werden, können als bissiger Kommentar auf ebensolche Diskurse gelesen werden, die außerhalb Italiens den italienischen Giallo als Kunstfilm zu erkennen glauben. Dem nostalgischen, romantisierten Genre-Bild des italienischen Giallos begegnet der Film mit dem italienischen Verständnis des giallo, das nicht als retrospektive Hommage, sondern als Aktualisierung des giallo unter Verwendung aktueller Ästhetiken und Narrative von Serienkillerfilmen inszeniert wird. In diese Lesart des Films als allegorische Verhandlung der Diskursivierung des Giallos fügt sich auch der Plot über den Serienkiller des Films: Es handelt sich um einen körperlich missgebildeten jungen Mann, der von seinem Vater seit seiner Kindheit im Keller des Hauses verborgen und misshandelt worden ist.36 36 Inwiefern es sich bei dem körperlich missgebildeten Mörder um ein Ergebnis von Inzest handeln könnte, wird im Film nicht geklärt. Die Mutter ist abwesend und wird auch nicht weiter erwähnt; jedoch wird ein Liebesverhältnis zwischen dem Mörder und seiner Schwester angedeutet. Dieses Verhältnis kann möglicherwiese als Spiegelung der inzestuösen Beziehung der Eltern gelesen werden. Der Film würde dann nicht nur an die Serienkillerfilme seiner Zeit anschließen, sondern auch an das damals

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Die Absicht des Vaters war es, den Sohn zu einem Serienkiller zu disziplinieren. Als Vorbild dienten dem Vater dafür ausgerechnet die Serienkiller-Romane des Protagonisten, die der Vater verehrte.37 Diesem forcierten Plot über die Produktion einer Giallo-Hommage durch eine ältere Generation, die in nostalgischen, romantischen Phantasien schwelgt, kann die Pointe entlockt werden, dass der Vater, der Liebhaber von giallo-Literatur, seinen monströsen Sohn wahrhaftig zu einem il mostro formen wollte. Mikel J. Koven hat darauf hingewiesen, dass es in Italien in den 60er Jahren, als die ersten Gialli entstanden, kein italienisches Wort für Serienkiller gab. Daher wurden diese in der Presse, aber auch in Filmdialogen und Filmtiteln als „il mostro“ bezeichnet (vgl. Koven 2006: 97-99 [Herv. i.O.]).38 Der Sohn erweist sich jedoch nicht als die Giallo-Hommage, zu der sein Vater ihn erziehen wollte. Die Morde des Sohnes sind zwar nicht minder ästhetisiert als die Morde des Giallos, aber sie folgen nicht der Ästhetik der Gialli der 70er und 80er Jahre, sondern der Ästhetik des Horror- und Serienkillerfilms seiner Zeit: Den langen Suspense-Szenen des ‚klassischen‘ Giallos stehen Schock-Montagen gegenüber; der Ästhetisierung des hellen und farbenfrohen settings die düsteren und größtenteils in braunen oder grauen Pastelltönen gehaltenen Tatorte; der fetischisierten schwarzen Lederkluft des maskierten eminent erfolgreiche Backwoods-Horror-Genre. THE HILLS HAVE EYES (2006), bei dem Maxime Alexandre für die Kamera-Arbeit verantwortlich zeichnete, gehört zusammen mit TEXAS CHAINSAW MASSACRE (USA 2004, R: Marcus Nispel) zu den Initialmomenten des Erfolgs-Zyklus des Genres nach 2000. 37 Aufgrund dieser Konstellation zweifelt der Protagonist an seinem Verstand und fürchtet angesichts der Imitation seiner eigenen Romane bei den Serien-Morden, selbst ein Mörder mit Persönlichkeitsspaltung sein zu können. Aufgerufen wird die Figur des mordenden giallo-Autors, die am prominentesten in Dario Argentos TENEBRAE (1982) in Szene gesetzt wird. Mit diesem Film teilt CHRISTOPHER ROTH auch das Motiv, dass die Morde durch die Imitation einer literarischen Vorlage ‚Kunstwerke‘ hervorbringen bzw. darstellen sollen. Dieses Motiv ist in Filmen mit Serienkillern wie I COME WITH THE RAIN (HK/F/SP/UK/IRL 2009, R: Tran Anh Hung), ANAMORPH (USA 2007, R: Henry Miller) oder LA CASA DELLA FINESTRE CHE RIDONO (I 1976, R: Pupi Avati) nicht unüblich. Siehe zu dem Themenkomplex Mord und Kunst auch: Schneider 2001. 38 Zu diesen Gialli zählen beispielsweise IL MOSTRO DI VENEZIA (1965) und IL MOSTRO DI FIRENZE

(1986); letzterer greift einen realen Fall von Serienmorden auf, die in den

80er Jahren in Florenz verübt wurden. Diese Bezeichnung des Serienmörders als ‚Monster‘ mag teilweise erklären, warum die Inszenierung von Serienmördern im Giallo wesentlich stärker die Konventionen des Gothic-Horrors fortschreibt als beispielsweise der bundesdeutsche krimi.

N EO -G ENRES UND G ENRES

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Mörders die eher matte und unauffällige Vermummung des Serienkillers; der exzessiven, doch eher ins Surreale hyperästhetisierten Gewalt der Blutspritzer und Schnittwunden die Ästhetik des torture-porn, die in Großaufnahmen die Wunden möglichst detailliert und realistisch zur Schau stellt; auch auf eine sexualisierte Darstellung der Gewalt wird weitgehend verzichtet. Die Ästhetik der Morde in CHRISTOPHER ROTH (2010) ist nicht minder stilisiert als die Morde im ‚klassischen‘ Giallo, jedoch re-inszeniert sie nicht dessen Ästhetik, sondern schließt an aktuelle Gewalt-Ästhetiken an.39 Wie OCCHI DI CRISTALLO (2004) oder CATTIVE INCLINAZIONI (2003) zeigt auch CHRISTOPHER ROTH (2010) ein Bewusstsein über die aktuell hegemoniale Vorstellung des Giallos als italienisches Genre der 60er, 70er und 80er Jahre. Im Gegensatz zu den internationalen Neo-Gialli, die zumeist als Hommage an den ‚klassischen‘ Giallo daherkommen, grenzen sich diese italienischen Neo-Gialli jedoch gerade davon ab und schließen an die Trends des Serienkillerfilms ihrer Zeit an, die in Italien ebenfalls als giallo verstanden werden. Alle drei Filme offerieren damit eine Aushandlung zwischen dem internationalen Genre Giallo und dem italienischen giallo, deren Ergebnis als kulturelle Hybride sowohl für ein internationales als auch für ein italienisches Publikum anschlussfähig ist, obwohl diese verschiedenen Publika mit unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen an einen Giallo/giallo die Filme rezipieren mögen. Jedoch auch in ihrer Abgrenzung vom ‚klassischen‘ Giallo und dessen Hommage reproduzieren gerade die italienischen Neo-Gialli die Vorstellung des ‚klassischen‘ Giallos, den sie durch rezente Ästhetiken und Narrative aktualisieren. Gerade der immer wieder parodistisch ausfallende Zugriff auf den ‚klassischen‘ Giallo mag dessen Konventionen zwar als Klischees ausstellen, aber reproduziert und stabilisiert zugleich auch deren Status als Konventionen, die das Genre bestimmen. Gerade die Konvention des murder set-piece, das in diversen Diskursen und Definitionen des Giallos eine zentrale Position einnimmt und mit dem sich daher auch die hier vorliegenden Argumentationen wiederholt kritisch und reflexiv beschäftigten, werden auch von den italienischen NeoGialli als prominenteste Genre-Markierungen forciert in Szene gesetzt, um dann als genre-konstitutiv diskursiviert zu werden. Auch diese italienischen NeoGialli befördern so letztlich durch ihre textuellen Genre-Verhandlungen und durch ihre Diskursivierung die Fixierung und Naturalisierung der Genre-Definition des Giallos, von der sie sich absetzen wollten.

39 So zum Beispiel in den Serienkillerfilmen SAW, W DELTA Z, ANAMORPH (USA 2007, R: Henry Miller), WAI DOR LEI AH YUT HO (HK 2010, R: Pang Ho-Cheung) oder ANGMAREUL BOATDA (ROK 2010, R: Kim Jee-woon).

12. Ausblick

Le genre n’existe pas! Bei Genres, dies wurde in allen Kapiteln deutlich, handelt es sich weder um real existierende Objekte oder Naturformen noch um essentielle Wesenszüge von Filmen, die sich vermeintlich eindeutig einer Gruppe von Filmen entnehmen lassen. Seit den 80er Jahren kritisierten führende Theoretiker der Filmwissenschaft, wie Andrew Tudor oder Steve Neale, entsprechend argumentierende, essentialistische Genre-Theorien. Diese Kritik wurde hier fortgeschrieben, indem die jüngsten genre-theoretischen Trends zu einer Doppelperspektive zusammengefasst wurden, die zum einen nicht Gruppen von Filmen, sondern Strategien und Modelle zur Gruppierung von Filmen in den Blick nimmt. Die Betonung der Konstruiertheit von Genres erfordert zum anderen ein komplementäres Verständnis von Genres als Genre-Konzepte, also als dasjenige, was unter einem Genre verstanden wird. Im Zuge der Analyse und Diskussion verschiedener Genre-Konzepte und ihrer Funktionen zur Gruppierung und Beschreibung von Filmen zeigte sich schnell, dass es sich dabei um diskursive Konstrukte handelt, die in verschiedenen Diskursen unterschiedlich prozessiert werden. Diese verschiedenen Genre-Konzepte müssen in ihren historischen, soziokulturellen und diskursiven Kontexten betrachtet werden, um ihre Komplexität adäquat zu erfassen. Die Perspektive der Genre-Theorie wurde daher zu einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive verschoben, die ein Genre nicht als ein historisches Faktum, sondern als ein multidimensionales, soziokulturelles Phänomen begreift. Diese Perspektive blendet die Texte jedoch nicht aus. Im Gegenteil: Die Doppelperspektive, wie sie hier vorgeschlagen wurde, erfordert gerade eine detaillierte Analyse der Iterations-Muster hinsichtlich ihrer Kontinuitäten und Variationen, um auf dieser Folie die Prozesse der Diskursivierung von intertextuellen Mustern in Genre-Definitionen und in der Genre-Geschichtsschreibung zu reflektieren. Denn die interdependente Betrachtung von textuellen GenreVerhandlungen und ihren Diskursivierungen erlaubte einerseits eine Erörterung

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der Frage, welche Konzepte und Modelle welche Gruppierungen, GeschichtsNarrative und Lektüren eröffnen, und andererseits eine Erkundung der Effekte von textuellen Arrangements wie dem set-piece oder von textuellen Strategien wie dem parodistischen Modus der Genre-Transformation auf die Diskursivierung der Filme. Auch in diesem Sinne wurde mit der Doppelperspektive ein medienkulturwissenschaftlicher Ansatz für die Genre-Theorie vorgestellt, der auf die Aneignung von Texten und Genres fokussiert ist. Die Darstellung und Diskussion der Modelle und Methoden, die für die hier entworfene Doppelperspektive vorgebracht wurden, erfolgte größtenteils mit Blick auf den Giallo. Eher kursorisch wurden sie auf andere Genres, Film-Industrien und Filmkulturen übertragen. Diese Limitierung auf ein Genre hat zwei Vorteile: Zum einen ermöglicht sie es, den aktuellen Stand der Genre-Theorie und Genre-Geschichtsschreibung beispielhaft an einem Genre durchzudeklinieren und auf diesem Wege deren jeweilige Erklärungspotenziale ebenso wie ihre theoretischen Axiome und Aporien offenzulegen. Zum anderen gibt diese Limitierung einen Rahmen vor, der es erlaubt, die diskursiven Prozesse der Aushandlung von Genre-Konzepten detailgenau zu analysieren und close readings durch zu führen, um damit der Komplexität und der Prozessualität der Filme ebenso wie der Diskurse gerecht zu werden. Diese Limitierung auf das Genre Giallo war darüber hinaus auch insofern produktiv, da sich am Giallo viele Phänomene der Rezeption und der Diskursivierung paradigmatisch darstellen lassen. Dennoch bedeutet diese Limitierung ohne Frage, dass viele der vorgeschlagenen Modelle und Methoden, durch die beispielhaft die medienkulturwissenschaftliche Doppelperspektive auf Genres entfaltet wurde, erst noch auf andere Genres, FilmIndustrien und Filmkulturen übertragen werden müssen, um ihre analytische Produktivität auch für diese zu zeigen und/oder um sie zu modifizieren. Ebenso selbstverständlich ist es, dass durch die Fokussierung auf genre-theoretische Fragestellungen zwar viele interessante kulturwissenschaftliche Fragestellungen zum Giallo tangiert, aber nicht näher ausgeführt werden konnten. Der Giallo bietet zweifelsohne Material und Potenzial für eine Vielzahl an weiteren kulturwissenschaftlichen Analysen. Doch um solche Fragestellungen geht es in diesem Schluss-Kapitel nicht; vielmehr soll der Blick in eine ganz andere Richtung erfolgen: An die bisherigen genre-theoretischen Ausführungen lassen sich drei weitere große Forschungsfelder anschließen, die zwar der Forderung nach einer medienkulturwissenschaftlichen Doppelperspektive folgen, aber deutlicher von der Text-Fokussierung der filmwissenschaftlichen Genre-Theorie abrücken und hingegen eine medienkulturwissenschaftliche Perspektive stärken, die interkulturell, intermedial und in-

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terdisziplinär ausgerichtet ist. Mit diesen drei Forschungsfeldern werden weitere gravierende Desiderate der filmwissenschaftlichen Genre-Theorie angezeigt: Erstens sollte sich auch die Analyse und Theoretisierung von Film-Genres stärker mit den Kontexten der Filmproduktion beschäftigen. Es muss ein besseres Verständnis darüber erzielt werden, welche Genre-Konzepte und Codes prozessiert werden und wie diese mit anderen Strukturen und Operationen der Filmindustrie interagieren. Denn, wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, ist die Beschreibung und Analyse der generic systems von zentraler Bedeutung für die Genre-Theorie. Obwohl bedeutende Forschungsergebnisse über die Produktions- und Distributionsprozesse zumindest im Fall von Hollywood bereits erbracht wurden, stellt eine gezielte Erforschung der Funktionen von und Vorstellungen über Genres derzeit noch immer ein Residuum der genre-theoretischen Forschung dar.1 Wie bereits dargelegt wurde, hat Robert E. Kapsis mit seinen Interviews mit Filmschaffenden zu deren Einschätzung von HorrorFilmen in den frühen 80er Jahren einen ersten Ansatz vorgelegt, der aber nur wenig beachtet worden ist. In Kapsis’ Schilderungen der Wahrnehmung und Entscheidungen einer kleinen Gruppe von Produzenten und Regisseuren wird aber bereits deutlich, dass die Befragten sehr verschiedene Vorstellungen von Genres, von deren wichtigsten Komponenten sowie von deren möglichen Zukunftsentwicklungen hatten (vgl. Kapsis 1991). Die Filme und ihre GenreAktualisierungen werden dadurch oftmals als eine Aushandlung zwischen den verschiedenen Positionen lesbar, die die Beteiligten an einer Filmproduktion zu einem Genre einnahmen. Mit der actor-network-theory liegt ein methodischer Ansatz – ein passendes Instrumentarium – vor, um auf Seiten der Filmproduktion das Netz sowohl der Interaktionen von verschiedenen Aktanten wie Regisseuren, Drehbuchautoren, Produzenten, Verleihern etc. als auch deren Interaktion mit Institutionen, Medien und Konzepten zu erforschen. Darüber hinaus hat auch die fernsehwissenschaftliche Forschung zum Format-Begriff in den letzten Jahren bereits diverse Methoden und Fragestellungen erarbeitet, die mit Modifikationen auch für das Medium Film aufgegriffen werden können, um das Prozessieren von Genre-Konzepten auf Seiten der Produktion zu untersuchen.2

1

Siehe beispielsweise die Studien von David Bordwell et al. und Robert Blanchet, in denen Genres lediglich kursorisch und vorrangig anhand von knappen Filmbeispielen und hinsichtlich ihrer Adressierungsfunktion behandelt werden (vgl. Bordwell/Staiger/Thompson 1985; Blanchet 2003).

2

Tanja Weber hat jüngst eine Studie zum Format vorgelegt, die die fernsehwissenschaftliche Debatte zusammenfasst und ein eigenes Modell entwirft (vgl. Weber 2012: insbesondere 134-188).

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Ebenso gilt es zweitens die Rezipienten genauer in den Blick zu nehmen. Um die Interaktion von Filmen und ihren Rezipienten sowie die Ausbildung und Aushandlung von Lektüre-Reglements besser beschreiben zu können, müssen dringend empirische Forschungen erfolgen. Im Gegensatz zu den Ansprüchen und Forderungen vieler kognitionswissenschaftlicher Studien sollen die hier eingeforderten empirischen Daten nicht einer Überprüfung von Modellen und Theorien über die Filmrezeption und die kognitive Filmverarbeitung dienen. Stattdessen muss zunächst untersucht werden, welche Genre-Konzepte überhaupt prozessiert werden und wie diese mit anderen Konzepten wie Stars oder Trends, mit Interessen und Absichten der Rezipienten interagieren. Nur am Rande kann an dieser Stelle erwähnt werden, dass hier Reflexionen theoretischer und methodischer Art notwendig sind, die einer interdisziplinären Diskussion bedürfen, an der sowohl die Medienkulturwissenschaft als auch die Soziologie, die Kulturund Sozialanthropologie und die Ethnologie beteiligt sein sollten. Hier kann nur der Hinweis erfolgen, dass die diskurstheoretischen Ansätze der Genre-Theorie dringend durch empirische Methoden erweitert werden müssen, um den diversen Funktionen nachzuspüren, die Genre-Konzepte für Rezipienten erfüllen können. Denn Genre-Konzepte stellen nicht nur Matrizen des Filmverstehens dar, sondern können vielfältigen Zwecken und Interessen dienen. Hierbei gilt es das Feld zwischen den Extremen der desinteressierten und wenig informierten Gelegenheitsrezipienten einerseits und den Fan-Kulturen mit ihrem Spezialwissen andererseits in seinen Faccettierungen und Verhältnissen differenziert in den Blick zu nehmen. Denn statt Konzepte und Funktionen von Genres undifferenziert aufzulisten oder gar zu vereinheitlichen, muss eine Genre-Pragmatik von Fall zu Fall je nach der Verwendungsweise von Genres klären, warum je nach Kontext und Zweck diese oder jene, vagere oder konkretere, essentialistische oder antiessentialistische Vorstellung über Genres und deren Geschichte vorherrscht, die ihrerseits wiederum unterschiedliche Funktionen und Grade der Produktivität für den jeweiligen Kontext und Zweck aufweist. An diese beiden umfassenden Forschungsfelder sollten sich drittens intermediale Fragestellungen der Genre-Theorie anschließen. Gerade im Fall von italienischen Filmproduktionen gilt es beispielsweise zu überlegen, ob nicht die Commedia dell’arte das italienische generic system der Filmproduktion insbesondere der späten 50er bis 70er Jahre präfigurierte. Die Strategien, die die italienische Film-Industrie zur schnellen Produktion von sehr vielen Filmen eines Genres einsetzte und die mit einem – im doppelten Sinne – besonders spannungsreichen Verhältnis aus Fortschreibungen und Umschriften von Mustern und Narrativen einhergehen, könnten historisch von den Strategien der Commedia dell’arte her perspektiviert werden; denn auch die Commedia dell’arte

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zeichnete sich durch ihre Improvisation und ihre Variation von Typen und Musternarrativen aus. Darüber hinaus sind neben intermedialen Fragestellungen zur Produktion auch auf der Seite der Rezeption intermediale Vergleiche und Analysen dringend erforderlich. Beispielsweise beförderte das Fernsehen Dario Argentos Bekanntheit in Italien maßgeblich, als Argento 1973 seine eigene GialloFernsehserie LA PORTA SUL BUIO im Stil von Alfred Hitchcocks Moderationen der Fernsehserie ALFRED HITCHCOCK PRESENTS (USA 1955) anmoderierte. Durch seine Fernseh-Präsenz erreichte Argento damals bedeutend mehr Zuschauer als durch seine Filme.3 Zugleich belegt diese Fernsehserie paradigmatisch, dass auch Genre-Konzepte – wie hier: der Giallo – intermedial adaptiert und somit prozessiert werden. Die Genre-Theorie muss ihre Fragestellungen um die Analyse der Interaktionen und Austauschprozesse zwischen verschiedenen Medien ergänzen, da Rezipienten sich Genres nur im Ausnahmefall monomedial aneignen. Diese drei hier skizzierten Forschungsfelder sind als Impulse für eine GenreTheorie zu verstehen, die ihren Blick zu einer medienkulturwissenschaftlichen Perspektive öffnet und auf diesem Wege Genres nicht als abstrakte analytische Kategorien begreift, sondern als komplexe soziokulturelle Phänomene.

3

Die Bedeutung dieser Giallo-TV-Serie für den Status von Dario Argento als auteur hat Andrew Willis in einem Aufsatz nachgezeichnet (vgl. Willis 2008: 110-116).

13. Literaturverzeichnisse

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Kessler, Christian: „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe. Eine willkürliche Auswahl italienischer Thriller“, URL: http://www.christiankessler.de/ giallo1a.html vom 14.05.2011. K., John: „Forum-Eintrag zu Deliria“, URL: http://www.rottentomatoes.com/m/ deliria-bloody-birdsound-stage-massacrestage-fright/reviews/?type=user vom 01.10.2012. McGahee, Geno: „Lust for Vengance“, URL: www.scaredstiffreviews.com/ news.php?readmore=583 vom 21.07.2010 (die Seite war zum Zeitpunkt des Drucks nicht mehr online). Miranda: „Lust for Vengance (2004)“, URL: http://www.shockingimages.com/ modules/smartsection/item.php?itemid=1074 vom 25.07.2012. Needham, Gary: „Playing with Genre: Defining the Italian Giallo“, URL: http:// www.kinoeye.org/02/11/needham11.html vom 27.08.2012. P., Alexander/Wirsching, Christoph: „Gespräch mit Hélène Cattet & Bruno Forzani (AMER)“, URL: http://www.eskalierende-traeume.de/gesprach-mithelene-cattet-bruno-forzani-amer/ vom 14.05.2011. Safarow, Sven: „FFF 2010: Amer“, URL: http://www.negativ-film.de/2010/08/ fff-2010-amer.html vom 20.11.2011. Schwartz, Dennis: „Lust for Vengeance“, URL: http://www.sover.net/~ozus/ lustforvengeance.htm vom 11.01.2009. ShiZ: „Saying this is highly overrated is an understatement“, URL: http://www. imdb.com/title/tt0092576/reviews?start=50 vom 01.10.2012. Stefan: „Festival Trailer zum französischen Neo-Giallo ‚Amer‘“, URL: http:// www.equilibriumblog.de/wordpress/2010/02/10/festival-trailer-zumfranzoesischen-neo-giallo-amer/ vom 03.05.2012. Stein, B. M. ‚porschguy‘: „Lust for Vengeance“, URL: http://www.amazon.com/ Lust-Vengeance-Anniversary-Explicit-Version/product-reviews/B005ER6T 0E/ref=cm_cr_dp_see_all_btm?ie=UTF8&showViewpoints=1&sortBy=byS ubmissionDateDescending vom 25.07.2012. Thoft Jensen, Nicklas: „Rezension zu Stage Fright“, URL: http://www.horrorunrated.com/reviews/s/STAGE%20FRIGHT.htm vom 01.10.2012. Werner, Jochen: „Amer – Die dunkle Seite deiner Träume“, URL: http://www. critic.de/film/amer-2305/ vom 03.05.2012. Wolff, Rochus: „Amer (2009)“, URL: http://buttkickingbabes.de/?p=1429 vom 07.05.2012. Zacharek, Stephanie: „REVIEW: Giallo Homage Amer Is a Slice of Cruel Beauty“, URL: http://movieline.com/2010/10/25/review-giallo-homage-amer-is-aslice-of-cruel-beauty/ vom 03.05.2012.

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13.5 B OOKLETS

VON

DVD S /B LU - RAYS

Anonymus (2006): [ohne Titel], in: Booklet zu EYES OF CRYSTAL: Concorde Home Entertainment, BRD 2006. Anonymus (2012): „Interview mit dem Regisseur François Gaillard“, in: Booklet zu GLAM GORE: 8-Films: Ultimate Uncensored Collector’s Edition, A 2012, (ohne Seitenangaben). Anonymus (2012): „Interview mit den Regisseuren Hélène Cattet & Bruno Forzani“, in: Booklet zu AMER: Koch Media, BRD 2012, S. 11-14. Huber, Uwe (2004): „Hatchet for a Honeymoon“, in: Booklet zu HATCHET FOR THE HONEYMOON: Koch Media: Classic Horror Collection, BRD 2004, (ohne Seitennummerierung). Keßler, Christian (2005): „Der Tod trägt schwarzes Leder: Unsere glückliche Welt“, in: Booklet zu DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER: Koch Media, BRD 2005, (ohne Seitennummerierung). Keßler, Christian (2006): „Wiener Blut“, in: Booklet zu DER KILLER VON WIEN: Koch Media, BRD 2006, (ohne Seitennummerierung). Selig, Sebastian (2012): „Bilder in Berührung“, in: Booklet zu AMER: Koch Media, BRD 2012, S. 3-8. Wagner, Thomas (2009): „Als die Pasta bluten lernte...“, in: Booklet zur DER VAMPIR VON NOTRE DAME: Anolis, BRD 2009, S. 4f. Weisman, Matthew (2005): „Sergio Martino: The Violent Professional“, in: Booklet zu THE STRANGE VICE OF MRS. WARDH: NoShame Films: The Sergio Martino Collection, USA 2005, (ohne Seitennummerierung).

13.6 C OVER VON DVD S /B LU - RAYS AMER: Anschor Bay, UK 2009. BAD INCLINATION: Shriek Show, USA 2004. THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE: Blue Underground: 2-Disc Special Edition, USA 2005. BLUTIGE SEIDE: e-m-s, BRD 2005. BRYAN EDGAR WALLACE: DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE: Universum Film: Bryan Edgar Wallace DVD Collection 3, BRD 2006. DARKNESS SURROUNDS ROBERTA: Cinema Image Production: Uncut Limited Editon, USA 2007. DEEP RED: Arrow Video, UK 2010. EYES OF CRYSTAL: Concorde Home Entertainment, BRD 2006.

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EYES OF CRYSTAL: Revolver Entertainment: fright fest presentes, UK 2006. 5 DEAD ON THE CRIMSON CANVAS: Cinema Image Productions: Deluxe DVD Presentation: Unrated Director’s Cut, USA 2004. GLAM GORE: 8-Films: Ultimate Uncensored Collector’s Edition, A 2012. DER KILLER VON WIEN: Koch Media, BRD 2006. MALASTRANA: Koch Media, BRD 2006. DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS: Koch Media: BRD 2008 DIE NACHT DER ROLLENDEN KÖPFE: X-Rated: The X-Rated Italo-GialloCollection, BRD 2005. STAGEFRIGHT: Anchor Bay, USA 2002 DIE STIMME DES TODES: X-Rated: The X-Rated Italo-Giallo-Collection, BRD 2004. THE STRANGE VICE OF MRS. WARDH: NoShame Films: The Sergio Martino Collection, USA 2005. DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER: Koch Media, BRD 2005. DER TOD WARTET IN VENEDIG: X-Rated: The X-Rated Italo-Giallo-Collection, BRD 2003. TORSO: X-Rated: The X-Rated Italo-Giallo-Collection, BRD 2003. WATCH ME WHEN I KILL: Shameless Screen Entertainment: Shameless Fan Edition, UK 2009. WHO SAW HER DIE?: Anchor Bay: The Giallo Collection, USA 2002.

14. Filmverzeichnisse

14.1 D AS DVD-ARCHIV DES G IALLOS UND DES N EO -G IALLOS Im Folgenden sind alle Filme aufgelistet, die zwei Bedingungen erfüllen: Erstens müssen sie in Para- und Meta-Texten als Gialli kategorisiert worden sein. Zweitens müssen die DVDs außerhalb Italiens mit Ton oder Untertiteln in Deutsch oder Englisch vertrieben worden sein. Die folgenden Filme liegen den Ausführungen zum Giallo zugrunde, auch wenn nicht alle Filme namentlich erwähnt werden. 1943 OSSESSIONE (I, R: Luchino Visconti; Alternativtitel: Obsession) 1961 CRIME (I/F, R: Mario Camerini; Alternativtitel: Die Leiche ist im falschen Koffer; And Suddenly It's Murder) 1963 RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO, LA (I, R: Mario Bava; Alternativtitel: The Girl Who Knew Too Much; The Evil Eye) SEGRETO DEL VESTITO ROSSE (I/F/SP, R: Silvio Amadio; Alternativtitel: Assassination in Rome) SPETTRO, LO (I, R: Ricardo Freda; Alternativtitel: The Ghost; The Spectre) 1964 SEI DONNE PER L’ASSASSINO (I/BRD, R: Mario Bava; Alternativtitel: Blutige Seide; Blood and Black Lace)

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1965 MOSTRO DI VENEZIA, IL (I, R: Dino Tavella; Alternativtitel: The Monster of Venice; The Embalmer) 1966 BLOW-UP (I/UK, R: Michelangelo Antonioni; Alternativtitel: Blow Up) TERZO OCCHIO, IL (I, R: Mino Guerrini; Alternativtitel: Das dritte Auge) 1967 COL CUORE IN GOLA (I/SP, R: Tinto Brass; Alternativtitel: Deadly Sweet; Ich bin wie ich bin – Das Mädchen aus der Carnaby Street) MORTE HA FATTO L’UOVO, LA (I/F, R: Giulio Questi; Alternativtitel: Die Falle; Death Laid an Egg; Plucked) 1968 ASSASSINO HA LE MANE PULITE, L’ (I, R: Vittorio Sindoni; Alternativtitel: Tödliches Erbe; Deadly Inheritance) DOLCE CORPO DI DEBORAH, IL (I/F, R: Romolo Guerrieri; Alternativtitel: Der schöne Körper der Deborah; The Sweet Body of Debora) NUDE . . . SI MUORE (I, R: Antonio Margheriti; Alternativtitel: Sieben Jungfrauen für den Teufel; Naked You Die) TRANQUILLO POSTO DI CAMPAGNA, UN (I/F, R: Elio Petri; Alternativtitel:Das Verfluchte Haus; A Quiet Place in the Country) 1969 DOPPIA FACCIA, A (I/BRD, R: Riccardo Freda; Alternativtitel: Das Gesicht im Dunklen; Liz & Helen) FEMINA RIDENS (I, R: Piero Schivazap; Alternativtitel: The Frightened Woman; The Laughing Woman) RAGAZZI DEL MASSACRO, I (I, R: Fernando Di Leo; Alternativtitel: Note 7 – Die Jungen der Gewalt; Naked Violence) SCHREIE IN DER NACHT (I/BRD, R: Antonio Margheriti; Alternativtitel: Contranatura; The Unnaturals) TOP SENSATION (I, R: Ottavio Alessi; Alternativtitel: Sklaven ihrer Triebe; The Seducers) UNA SULL’ALTRA (I/F/SP, R: Lucio Fulci; Alternativtitel: Nackt über Leichen; Perversion Story; One On Top of the Other)

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1970 CODA DELLO SCORPIONE, LA (I, R: Sergio Martino; Alternativtitel: Der Schwanz des Skorpions; Case of the Scorpion's Tail) CONCERTO PER PISTOLA SOLISTA (I, R: Michele Lupo; Alternativtitel: Solo-Konzert für eine Pistole; Weekend Murders) 5 BAMBOLE PER LA LUNA D'AGOSTO (I, R: Mario Bava; Alternativtitel: Five Dolls For an August Moon) FOTO PROIBITE DI UNA SIGNORA PER BENE, LE (I/SP, R: Lucioano Ercoli; Alternativtitel: Frauen bis zum Wahnsinn gequält; Forbidden Photos of a Lady Above Suspicion) NELLE PIEGHE DELLA CARNE (I(SP, R: Sergio Bergonzelli; Alternativtitel: In the Folds of the Flesh) PARANOIA (I(F/SP, R: Umberto Lenzi; Alternativtitel: A Quiet Place to Kill) ROSSO SEGNO DELLA FOLLIA, IL (I/SP, R: Mario Bava; Alternativtitel: Hatchet for the Honeymoon; Red Wedding Night) UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO, L’ (I/BRD, R: Dario Argento; Alternativtitel: Geheimnis der schwarzen Handschuhe; Bird with the Crystal Plumage) 1971 ALLA RICERA DEL PIACERE (I, R: Silvio Amadio; Alternativtitel: Amuck!; Play Hotel) AMANTES DEL DIABLO, LAS (I/SP, R: José Maria Elorietta; Alternativtitel: Tanz des Satans; Night of the Devils) BESTIA UCCIDE A SANGUE FREDDO, LA (I/DOM, R: Fernando Di Leo; Alternativtitel: Das Schloss der blauen Vögel; Triebmörder; Slaughter Hotel; Asylum Erotica) DIAVOLO A SETTA FACCE, IL (I, R: Osvaldo Civirani; Alternativtitel: Der Teufel mit den 7 Gesichtern; Der Teufel hat sieben Gesichtern; Die Diamantenlady; The Devil Has Seven Faces) FARFALLA CON LE ALI INSANGUINATE, UNA (I, R: Duccio Tessari; Alternativtitel: Das Messer; Blutspur im Park; Bloodstained Butterfly) GATTO A NOVE CODE, IL (I/BRD/F, R: Dario Argento; Alternativtitel: Die neunschwänzige Katze; Cat O' Nine Tails) GIORNATA NERA PER L’ARIETE (I, R: Luigi Bazzoni; Alternativtitel: Schwarze Tage des Widders; The Fifth Cord) IGUANA DALLA LINGUA DI FUOCO, L’ (I/BRD/F, R: Riccardo Freda; Alternativtitel: Die Bestie mit dem feurigen Atem; The Iguana With the Tongue of Fire) JACK EL DESTRIPADOR DE LONDRES (I/SP, R: Jose Luis Madrid; Alternativtitel: Seven Murders for Scoltand Yard)

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LUCERTOLA CON LA PELLE DI DONNA, UNA (I/F/SP, R: Lucio Fulci; Alternativtitel: Lizard in a Woman's Skin; Schizoid) MIO CARO ASSASSINO (I/SP, R: Tonino Valerii; Alternativtitel: My Dear killer; Time to Kill, Darling!) MORTE CAMMINA CON I TACCHI ALTI, LA (I/SP, R: Luciano Ercoli; Alternativtitel: Death Walks on High Heels) NOTTE CHE EVELYN USCÌ DALLA TOMBA, LA (I, R: Emilio Miraglia; Alternativtitel: Grotte der vergessenen Leichen; Die Nacht in der Evelyn aus dem Grab kam; The Night Evelyn Came Out of Her Grave) OCCHI FREDDI DELLA PAURA, GLI (I/SP, R: Enzo G. Castellari; Alternativtitel: Cold eyes of fear) POSTO IDEALE PER UCCIDERE, UN (I/F, R: Umberto Lenzi; Alternativtitel: Oasis of Fear) QUATTRO MOSCHE DI VELLUTO GRIGIO (I/F, R: Dario Argento; Alternativtitel: Vier Fliegen auf grauem Samt; Four Flies on Grey Velvet) REAZIONE A CATENA (I, R: Mario Bava; Alternativtitel: Im Blutrasusch des Satans; Bay of Blood; Last House on the Left 2; Twitch of the Death Nerve) ROSSA DALLA PELLE CHE SCOTTA, LA (I, R: Renzo Russo; Alternativtitel: Red Headed Corpse) SIE TÖTETE IN EKSTASE (BRD/SP, R: Jess Franco; Alternativtitel: She killed in Ecstasy) STRANO VIZIO DELLA SIGNORA WARDH, LO (I/SP, R: Sergio Martino; Alternativtitel: Der Killer von Wien; Strange Vice of Mrs. Wardh; Next!) TARANTOLA DAL VENTRE NERO, LA (I/F, R: Paolo Cavara; Alternativtitel: Der schwarze Leib der Tarantel; Black Belly of the Tararntula) TERRIFICANTE NOTTE DEL DEMONIO, LA (I/B, R: Jean Brisèe; Alternativtitel: Devil’s Nightmare) UOMO PIÙ VELENOSO DEL COBRA, L’ (I/SP, R: Bitto Albertini; Alternativtitel: Human Cobras) VENDITORE DI MORTE, IL (I, R: Gicca Palli; Alternativtitel: Der Galgen wartet schon, Amigo; Sarg der blutigen Stiefel; Sarg der blutigen Rache; 1000 $/Dollar Kopfgeld; Last Gunfight; Price of Death) VITTIMA DESIGNATA, LA (I, R: Maurizio Lucici; Alternativtitel: Der Todesengel; The Designated Victim; Murder by Design) 1972 L’ARMA, L’ORA, IL MOVENTE (I, R: Francesco Mazzei; Alternativtitel: Die Waffe, die Stunde, das Motiv)

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BYLETH – IL DEMONE DELL’INCESTO (I, R: Leopoldo Savona; Alternativtitel: Byleth – Horrosex im Sexschloss; Der Dämon mit den blutigen Fingern; Trio der Lust) CASA D'APPUNTAMENTO (I/BRD, R: Ferdinando Merigi; Alternativtitel: Der Ripper kommt auf leisen Sohlen; Auge des Bösen; French Sex Murders; Paris Sex Murders) CHI L’HA VISTA MORIRE? (I/BRD, R: Aldo Lado; Alternativtitel: The Child – Die Stadt wird zum Alptraum; Who Saw Her Die?) COLTELLO DI GHIACCIO, IL (I, R: Umberto Lenzi; Alternativtitel: Knife of Ice) COSA AVETE FATTO A SOLANGE? (I/BRD, R: Massimo Dallamano; Alternativtitel: Geheimnis der grünen Stecknadel; What Have You Done to Solange?) DAMA ROSSA UCCIDE SETTE VOLTE, LA (I/BRD, R: Emilio Miraglia; Alternativtitel: Die rote Dame; Red Queen Kills Seven Times) DELIRIO CALDO (I, R: Renato Polselli; Alternativtitel: Das Grauen kommt nachts; Delirium) ETRUSCO UCCIDE ANCORA, L’ (I/BRD/Y, R: Armando Crispino; Alternativtitel: Das Geheimnis des gelben Grabes; The Dead Are Alive; The Etruscan Kills Again) MALASTRANA (I/BRD/Y , R: Aldo Lado; Alternativtitel: Das Todessyndrom; Unter dem Skalpell des Teufels; Short Night of the Glass Dolls) MORTE ACCAREZZA A MEZZANOTTE, LA (I/SP, R: Luciano Ercoli; Alternativtitel: Death Walks at Midnight) MORTE HA SORRISO ALL’ ASSASSINO, LA (I, R: Joe D'Amato; Alternativtitel: Mörderbestien; Death Smiled at Murder) NON SI SEVIZIA UN PAPERINO (I, R: Lucio Fulci; Alternativtitel: Don't Trture a Duckling) PASSI DI DANZA SU UNA LAMA DI RASOIO (I/SP, R: Maurizio Pradeaux; Alternativtitel: Nacht der rollenden Köpfe; Death Carries a Cane) PERCHÉ QUELLE STRANE GOCCE DI SANGUE SUL CORPO DI JENNIFER? (I, R: Giuliano Carnimeo; Alternativtitel: Satan mit dem Skalpell; Das Geheimnis der blutigen Lilie; The Case of the Bloody Iris) RIVELAZIONI DI UN MANIACO SESSUALE AL CAPO DELLA SQUADRA MOBILE (I, R: Roberto Bianchi Montero; Alternativtitel: Schön, nackt und liebestoll; So Sweet, So Dead) SETTE ORCHIDEE MACCHIATE DI ROSSO (I/BRD, R: Umberto Lenzi; Alternativtitel: Das Rätsel des silbernen Halbmonds; Seven Bloodstained Orchids) SETTE SCIALLI DI SETA GIALLA (I, R: Sergio Pastore; Alternativtitel: Crimes of the Black Cat)

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TROPICO DEL CANCRO, AL (I, R: Edoardo Mulargia/Giampaolo Lomi; Alternativtitel: Inferno unter heißer Sonne; Tropic of Cancer; Death in Haiti) TUO VIZIO È UNA STANZA CHIUSA E SOLO IO NE HO LA CHIAVE, IL (I, R: Sergio Martino; Alternativtitel: Your Vice is a Locked Room And Only I Have the Key; Gently Before She Dies) TUTTI I COLORI DEL BUIO (I/SP, R: Sergio Martoni; Alternativtitel: Die Farben der Nacht; All the Colors of the Dark) UN BIANCO VESTITO PER MARIALE (I, R: Romano Scavolini; Alternativtitel: Spirits of Death; A White Dress for Mariale) 1973 CASA DELLA PAURA, La (I, R: Ramiro Oliveros; Alternativtitel: Girl in Room 2A) CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE, I (I, R: Sergio Martino; Alternativtitel: Torso; Die Säge des Teufels) DON'T LOOK NOW (I/UK, R: Nicolas Roeg; Alternativtitel: Wenn die Gondeln Trauer tragen) MORTE NEGLI OCCHI DEL GATTO, LA (I/BRD/F, R: Antonio Margheriti; Alternativtitel: Sieben Tote in den Augen der Katze; Seven Deaths in the Cat's Eye) OJOS AZULES DE LA MUÑECA ROTA, LOS (SP, R: Carlos Aured; Alternativtitel: Blue Eyes of the Broken Doll) PORTA SUL BUIO, LA: IL TRAM/ TESTIMONE OCCULARE/ IL VICINO DEL CASA/ LA BAMBOLA (I, R: Dario Argento/Roberto Pariante/ Luigi Cozzi/Mario Foglietti; Alternativtitel: Door into Darkness: The Tram/ Eyewitness/ The Neighbor/ The Doll) 1974 CIRKIN DÜNYA (I/TR, R: Osman F. Seden; Alternativtitel: Mondo Brutale 2; Es begann um Mitternacht; The Clockwork Orange Gang; Last House in Istanbul) MALOCCHIO (I/SP/MEX, R: Mario Siciliano; Alternativtitel: Das Geheimnis des magischen Kreises; Blutige Magie; Evil Eye) MOGLIE GIOVANE, LA (I/SP, R: Giovanni d'Eramo; Alternativtitel: Death Will Have Your Eyes) ORME, LE (I, R: Luigi Bazzoni/ Mario Fanelli; Alternativtitel: Spuren auf dem Mond; Footprints on the Moon) POLIZIA CHIEDE AIUTO, LA (I, R: Massimo Dallamano; Alternativtitel: Der Tod trägt schwarzes Leder; What Have They Done to Our Daughters?)

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PROFUMO DELLA SIGNORA IN NERO, IL (I, R: Francesco Barilli; Alternativtitel: Perfume of the Lady in Black) SPASMO (I, R: Umberto Lenzi; Alternativtitel: Death Dealer) UOMO SENZA MEMORIA, L’ (I, R: Duccio Tessari; Alternativtitel: Der Mann ohne Gedächtnis; Puzzle) 1975 …A TUTTE LE AUTO DELLA POLIZIA (I, R: Mario Caiano; Alternativtitel: Without Trace) ASSASSINO È COSTRETTO AD UCCIDERE ANCORA, L’ (I/F, R: Luigi Cozzi; Alternativtitel: The Killer Must Kill Again) DONNA DELLA DOMENICA, LA (I/F, R: Luigi Comencini; Alternativtitel: Die Sonntagsfrau) GATTI ROSSI IN UN LABIRINTO DI VETRO (I/SP, R: Umberto Lenzi; Alternativtitel: Labyrinth des Schreckens; Secret Killer; Eyeball; The eye) MACCHIE SOLARI (I, R: Armando Crispino; Alternativtitel: Autopsie – Hospital der lebenden Leichen; Sun Spots) MORTE SOSPETTA DI UNA MINORENNE (I, R: Sergio Martino; Alternativtitel: Suspected Death of a Minor) NUDE PER L’ASSASSINO (I, R: Anrdea Bianchi; Alternativtitel: Die Nacht der langen Messer; Strip for the Killer; Strip Nude For Your Killer) ONDATA DI PIACERE, UNA (I, R: Ruggero Deodato; Alternativtitel: Waves of Lust) PROFONDO ROSSO (I, R: Dario Argento; Alternativtitel: Rosso – Die Farbe des Todes; Deep Red; The Hatchet Murders) SANGUISUGA CONDUCE LA DANZA, LA (I, R: Alfredo Rizzo; Alternativtitel: The Bloodsucker Leads the Dance) ULTIMO TRENO DE LA NOTTE, LA (I, R: Aldo Lado; Alternativtitel: Mädchen in den Krallen teuflischer Bestien; Night Train – der letzte Zug in die Nacht; Night Train Murders) 1976 CASA DELLA FINESTRE CHE RIDONO, LA (I, R: Pupi Avati; Alternativtitel: House With Laughing Windows) E TANTA PAURA (I, R: Paolo Cavara; Alternativtitel: Magnum 45; Plot of Fear) NOCHE DE LOS ASESINOS, LA (I, R: Jess Franco; Alternativtitel: Im Schatten des Mörders; Night of the Skull; Suspiri) UNA MAGNUM SPECIAL PER TONY SAITTA (I/F/CDN/PA, R: Alberto Di Martino; Alternativtitel: Feuerstoß; 44 Special)

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1977 AUTOSTOP ROSSO SANGUE (I, R: Pasquale Festa Campanile; Alternativtitel: Hitch-Hike wenn du krepierst – lebe ich; Der Todes-Trip; Hitch-Hike; Hitchhike: Last House on the Left) GATTO DAGLI OCCHI DI GIA-DA, IL (I, R: Antonio Bido; Alternativtitel: Stimme des Todes; Watch Me When I Kill; The Cat's Victims) RAGAZZA DAL PIGIAMA GIALLO, LA (I/SP, R: Flavio Mogherini; Alternativtitel: Blutiger Zahltag; Frau aus zweiter Hand; Ein Mann gegen die Mafia; The Pyjama Girl Case) SETTE NOTE IN NERO (I, R: Lucio Fulci; Alternativtitel: The Psychic; Seven Notes in Black) SHOCK (I, R: Mario Bava; Alternativtitel: Beyond the Door 2) SUSPIRIA (I/BRD, R: Dario Argento) 1978 ENIGMA ROSSO (I/BRD, R: Alberto Negrin; Alternativtitel: Orgie des Todes; Phantom im Mädchenpensionat; Red Rings of Fear; Virgin Killer) L’IMMORALITA (I, R: Massimo Pirri) SETTIMA DONNA, LA (I, R: Franco Prosperi; Alternativtitel: Verflucht zum Töten; Junge Mädchen zur Liebe gezwungen; In den Klauen des Schakals; Last House on the Beach) SOLAMENTE NERO (I, R: Antonio Bido; Alternativtitel: Blutiger Schatten; Bloodstained Shadow) SORELLA DI URSULA, LA (I; R: Enzo Milioni; Alternativtitel: Sister of Ursula SUOR OMICIDI (I, R: Giullio Berruti; Alternativtitel: Geständnis einer Nonne; Killer Nun) 1980 CASA SPERDUTA NEL PARCO, LA (I, R: Ruggero Deodato; Alternativtitel: Der Schlitzer; The House on the Edge of the Park) FANTASMA D'AMORE (I/BRD/F, R: Dino Risi; Alternativtitel: Die Zwei Gesichter einer Frau) GATTO NERO, IL (I, R: Lucio Fulci; Alternativtitel: The Black Cat) MACABRO (I, R: Lamberto Bava; Alternativtitel: Macabro – Die Küsse der Jane Bexter; Macabre) 1981 FOLLIA OMICIDA (I/F, R: Riccardo Freda; Alternativtitel: Delirium; The Wailing; Murder Obsession)

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THERE WAS A LITTLE GIRL (I, R: Ovidio G. Assonitis; Alternativtitel: Madhouse – Party des Schreckens; Madhouse) 1982 ASSASSINIO AL CIMITERO ETRUSCO (I/F, R: Sergio Martino; Alternativtitel: The Scorpion With Two Tails) SQUARTATORE DI NEW YORK, LO (I, R: Lucio Fulci; Alternativtitel: Der Schlitzer von New York; New York Ripper) TENEBRAE (I, R: Dario Argento; Alternativtitel: Tenebrae – der kalte Hauch des Todes; Unsane; Tenebre) 1983 CASA CON LA SCALA NEL BUIO, La (I, R: Lamberto Bava; Alternativtitel: Das Haus mit dem dunklen Keller; A Blade in the Dark) 1984 MURDEROCK – UCCIDE A PASSO DI DANZA (I, R: Lucio Fulci; Alternativtitel: Murder Rock; Der Todestanz; Der Frauenmörder mit der Hutnadel; Murder Rock – Dancing Death; Slashdance) 1985 PHENOMENA (I, R: Dario Argento; Alternativtitel: Creepers) SOTTO IL VESTITO NIENTE (I, R: Carlo Vanzina; Alternativtitel: Nothing Underneath) 1986 CAMPING DEL TERRORE (I/USA, R: Ruggero Deodato; Alternativtitel: Bodycount – Mathematik des Schreckens) MORIRAI A MEZZANOTTE (I, R: Lamberto Bava; Alternativtitel: Midnight Ripper) MOSTRO DI FIRENZE, IL (I, R: Cesare Ferrario; Alternativtitel: Night Ripper – Das Monster von Florenz; Night Ripper) 1987 DELIRIA (I, R: Michele Soavi; Alternativtitel: Aquarius – Theater des Todes; Stage Fright; Bloody Bird) FINO ALLA MORTE (I, R: Lamberto Bava; Alternativtitel: Per Sempre – Killer aus dem Jenseits; Back From Hell – Ein Toter kehrt zurück) FOTO DI GIOIA, LE (I, R: Lamberto Bava; Alternativtitel: Das unheimliche Auge; Delirium – Photos of Gioia)

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OPERA (I, R: Dario Argento; Alternativtitel: Terror in der Oper) 1988 DELITTO POCO COMUNE, UN (I, R: Ruggero Deodato; Alternativtitel: Off Balance – Der Tod wartet in Venedig; Phantom of Death) MINACCIA D'AMORE (I, R: Ruggero Deodato; Alternativtitel: Dial: Help) NIDO DEL RAGNO, IL (I, R: Gianfranco Giagni; Alternativtitel: Spider Labyrinth – In den Fängen der Todes Tarantel; Spider Labyrinth) NON AVER PAURA DELLA ZIA MARTA (I, R: Mario Bianchi; Alternativtitel: The Murder Secret) PAGANINI HORROR (I, R: Luigi Cozzi; Alternativtitel: Paganini Horror – Der Teufelsgeiger von Venedig) SOTTO IL VESTITO NIENTE II (I, R: Dario Piana; Alternativtitel: Too Beautiful to Die) 1989 MASSACRE (I, R: Andrea Bianchi; Alternativtitel: The Massacre) NIGHTMARE BEACH (I, R: Umberto Lenzi; Alternativtitel: Welcome to Spring Break) PAURA NEL BUIO (I/USA, R: Umberto Lenzi; Alternativtitel: Hitcher in the Dark) VOCI DAL PROFONDO (I, R: Lucio Fulci; Alternativtitel: Stimmen aus dem Jenseits; Voices From Beyond) 1990 APPUNTAMENTO IN NERO (I, R: Antonio Bonifacio; Alternativtitel: Blind Date) 1992 AL CALAR DELLA SERA (I, R: Alessandro Lucidi; Alternativtitel: Submission of a Woman) MISTERIA (I, R: Lamberto Bava; Alternativtitel: Boddy Puzzle – Mit blutigen Grüßen; Body Puzzle) VORTICE MORTALE (I/F/H, R: Ruggero Deodato; Alternativtitel: The Washing Machine) 1993 TRAUMA (I/USA, R: Dario Argento; Alternativtitel: Aura – Trauma)

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1994 DELITTO PASSIONALE (I/BG, R: Flavio Mogherini; Alternativtitel: Crime of Passion) RAGAZZA DI CORTINA, LA (I, R: Maurizio Vanni; Alternativtitel: The Girl From Cortina) 1996 FATAL FRAMES (I, R: Al Festa; Alternativtitel: Okkulte Morde) 5 DEAD ON THE CRIMSON CANVAS (USA R: Joseph F. Parda) SINDROME DI STENDHAL, LA (I, R: Dario Argento; Alternativtitel: Das StendhalSyndrom – Bilder des Wahnsinns; The Stendhal Syndrome) 1998 FANTOM KILLER (PL, R: Roman Nowicki) 1999 FANTOM KILLER 2 (PL, R: Roman Nowicki) 2000 ALMOST BLUE (I, R: Alex Infascelli) 2001 NON HO SONNO (I, R: Dario Argento; Alternativtitel: Sleepless) 2002 ODINOCHESTVO KROVI (RUS, R: Roman Prygunov; Alternativtitel: Stereoblood) 2003 CATTIVE INCLINAZIONI (I, R: Pierfrancesco Campanella; Alternativtitel: Bad Inclination) FANTOM KILLER 3 (PL, R: Roman Nowicki) ROSSA VENEZIA (I/BRD, R: Andreas Bethmann) CAPPUCCETTO ROSSO (I, R: Giacomo Cimini; Alternativtitel: Red Riding Hood) 2004 CARTAIO, IL (I, R: Dario Argento; Alternativtitel: The Card Player – tödliche Pokerspiele) OCCHI DI CRISTALLO (I/UK/SP, R: Eros Puglielli; Alternativtitel: Eyes of Crystal – Die Angst in den Augen)

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2005 DO YOU LIKE HITCHCOCK? (I, R: Dario Argento) THE TERRACE (I, R: Bruno Di Marcello) 2006 NOTTE DEL MIO PRIMO AMORE, LA (I, R: Alessandro Pambianco; Alternativtitel: The Night of My First Love) 2007 DARKNESS SURROUNDS ROBERTA (USA, R: Giovanni Pianigiani) RAGAZZA DEL LAGO, LA (I, R: Andrea Molaioli; Alternativtitel: Lady in the Lake; Lady of the Lake) 2008 LUST FOR VENGEANCE (USA, R: Sean Weathers) FANTOM KILLER 4 (PL, R: Roman Nowicki) 2009 AMER (F/B, R: Hélène Cattet/Bruno Forzani) GATTO DAL VISO D'UOMO, IL (F, R: Marc Dray) GIALLO (I/USA, R: Dario Argento) 2010 BLACKARIA (F, R: François Gaillard/Christophe Robin; Alternativtitel: Glam Gore 2) CHRISTOPHER ROTH (I/B, R: Maxime Alexandre) COME UNA CRISALIDE (I, R: Luigi Pastore; Alternativtitel: Symphony in Blood Red) UBALDO TERZANI HORROR SHOW (I, R: Gabriele Albanesi) 2011 LAST CARESS (F, R: François Gaillard/Christophe Robin; Alternativtitel: Glam Gore) MASKS (BRD, R: Andreas Marschall) 2012 BERBERIAN SOUND STUDIO (UK/BRD, R: Peter Strickland)

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14.2 W EITERE F ILME THE A-TEAM (USA 1983-1987, R: Stephen J. Cannell/Frank Lupo) AKTENZEICHEN XY UNGELÖST (BRD 1967–, R: diverse) ALFRED HITCHCOCK PRESENTS (1955) (Alfred Hitchcock Präsentiert, USA, R: diverse) ALIEN (1979) (Alien – das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt, UK/USA, R: Ridley Scott) ALIEN DUE – SULLA TERRA (1980) (Alien – die Saat des Grauens kehrt zurück, I, R: Ciro Ippolito) ALL MURDER, ALL GUTS, ALL FUN (2010) (F, R: François Gaillard) ANAMORPH (2007) (Anamorph – die Kunst zu töten, USA, R: Henry Miller) ANGMAREUL BOATDA (2010) (I saw the devil, ROK, R: Kim Jee-woon) AVATAR (2009) (Avatar – Aufbruch nach Pandora, USA/UK, R: James Cameron) BANLIEUE 13 (2004) (Ghettogangz – Die Hölle vor Paris, F, R: Pierre Morel) BATMAN BEGINS (2005) (USA, R: Christopher Nolan) BLAZING SADDLES (1974) (Is’ was Sheriff?, USA, R: Mel Brooks) BLONDE KÖDER FÜR DEN MÖRDER (1969) (BRD/I, R: Harald Philipp) BLOOD FEAST (1963) (USA, R: Herschell Gordon Lewis) BLUTJUNGE VERFÜHRERINNEN I (1971) (BRD/CH, R: Erwin C. Dietrich) THE BOURNE SUPREMACY (2004) (Die Bourne Verschwörung, USA/BRD, R: Paul Greengrass) IL BUONO, IL BRUTTO, IL CATTIVO (1966) (Zwei glorreiche Halunken, I/BRD/SP, R: Sergio Leone) CABIRIA (1914) (I, R: Giovanni Patrone) CASINO ROYALE (2006) (UK/USA/BRD/CZ/BS, R: Martin Campbell) UN CHIEN ANDALOU (1929) (Ein andalusischer Hund, F, R: Luis Buñuel) A CIASCUNO IL SUO (Zwei Särge auf Bestellung, I 1967, R: Elio Petri) LE COLLECTIONNEUR (2002) (The Collector, CDN, R: Jean Beaudin) THE CRAZIES (2010) (The Crazies – Fürchte deinen Nächsten, USA/UAE, R: Breck Eisner) DAWN OF THE DEAD (1978) (Zombie, USA/I, R: George R. Romero) DIRTY HARRY (1971) (USA, R: Don Siegel) IL DIVO (I 2008, R: Paolo Sorrentino) DRESSED TO KILL (1980) (USA, R: Brian De Palma) LE FATICHE DI ERCOLE (1958) (Die unglaublichen Abenteuer des Herkules, I, R: Pietro Francisci) FRANKENSTEIN MEETS THE WOLF MAN (1943) (USA, R: Roy William Neill)

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THE FRENCH CONNECTION (1971) (Brennpunkt Brooklyn, USA, R: William Friedkin) FRONTIÈRE(S) (2007) (Frontier(s), F/CH, R: Xavier Gens) DER FROSCH MIT DER MASKE (1959) (BRD/DK, R: Harald Reinl) LA FRUSTA E IL CORPO (1963) (Der Dämon und die Jungfrau, I/F, R: Mario Bava) DAS GASTHAUS AN DER THEMSE (BRD 1962, R: Harald Philip) GEFÄHRLICHER SEX FRÜHREIFER MÄDCHEN (1972) (BRD, R: Alois Brummer) THE GREEN BERETS (1968) (Die Grünen Teufel, USA, R: Ray Kellogg/John Wayne/Mervyn LeRoy) HALLOWEEN (1978) (Halloween – die Nacht des Grauens, USA, R: John Carpenter) HALLOWEEN (2007) (USA, R: Rob Zombie) HANG ’EM HIGH (1968) (Hängt ich höher, USA, R: Ted Post) HAUSFRAUEN-REPORT I: UNGLAUBLICH, ABER WAHR (1971) (BRD, R: Eberhard Schröder) HAUT TENSION (2003) (High Tension, F, R: Alexandre Aja) HEAVEN & EARTH (Himmel und Erde, USA/F 1993, R: Oliver Stone) HIGH PLAINS DRIFTER (1973) (Fremder ohne Namen, USA, R: Clint Eastwood) THE HILLS HAVE EYES (2006) (The Hills Have Eyes – Hügel der blutigen Augen, USA, R: Alexandre Aja) HOLY MONEY (2009) (I/B, R: Maxime Alexandre) HOUSE OF DRACULA (1945) (USA, R: Erle C. Kenton) HOUSE OF FRANKENSTEIN (1944) (USA, R: Erle C. Kenton) HVORFOR GØR DE DET? (1970) (Why?, DK, R: Eberhardt Kronhausen/Phyllis Kronhausen) I COME WITH THE RAIN (2009) (HK/F/SP/UK/IRL, R: Tran Anh Hung) INFERNO (1980) (Feuertanz – Horror Infernal, I, R: Dario Argento) À L’INTÉRIEUR (2007) (Inside, F, R: Alexandre Bustillo/Julien Maury) JOE KIDD (1972) (Sinola, USA, R: John Sturges) KILL BILL: VOL. 2 (2004) (USA, R: Quentin Tarantino) LIFE OF BRIAN (1979) (Das Leben des Brian, UK, R: Terry Jones) MARTYRS (2008) (F/CDN, R: Pascal Laugier) LA MASCHERA DEL DEMONIO (1960) (Die Stunde, wenn Dracula kommt, I, R: Mario Bava) IL MEDAGLIONE INSANGUINATO (1975) (I/UK, R: Massimo Dallamano) MILDRED PIERCE (1945) (USA, R: Michael Curtiz) MIRRORS (2008) (USA/BRD/R, R: Alexandre Aja) NERO VENEZINAO (1977) (Die Wiege des Teufels, I, R: Ugo Liberatore)

F ILMVERZEICHNISSE

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THE NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) (Die Nacht der lebenden Toten, USA, R: George R. Romero) LA NOCHE DEL TERROR CIEGO (1971) (Die Nacht der reitenden Leichen, SP/P, R: Amando de Ossorio) OPERAZIONE PAURA (1966) (Die toten Augen des Dr. Dracula, I, R: Mario Bava) L’ORRIBILE SEGRETO DEL DR. HICHCOCK (1962) (I, R: Ricardo Freda) GLI ORRORI DEL CASTELLO DI NORIMBERGA (1972) (Baron Blood, I/BRD, R: Mario Bava) THE OUTLAW JOSEY WALES (1976) (Der Texaner, USA, R: Clint Eastwood) PARANORMAL ACTIVITY (2007) (USA, R: Oren Peli) PEEPING TOM (1960) (UK, R: Michael Powell) PENANCE (2009) (USA, R: Jack Kennedy) PER QUALCHE DOLLARO IN PIÙ (1965) (Für ein paar Dollar mehr, I/BRD/SP/F, R: Sergio Leone) PER UN PUGNO DI DOLLARI (1964) (Für eine Handvoll Dollar, I/BRD/SP, R: Sergio Leone) PSYCHO (1960) (USA, R: Alfred Hitchcock) QUANTE VOLTE... QUELLA NOTTE (1972) (I, R: Mario Bava) ¡QUE VIVA MEXICO! - DA ZDRAVSTVUYET MEKSIKA! (1979) (Que Viva Mexico Es lebe Mexiko, UdSSR/MEX/USA, R: Sergej M. Eisenstein) REAR WINDOW (Das Fenster zum Hof, USA 1954, R: Alfred Hitchcock) RISO AMARO (1949) (Bitterer Reis, I, R: Giuseppe de Santis) ROSEMARY’S BABY (1968) (Rosemaries Baby, USA, R: Roman Polanski) SCAR (2007) (Scar 3D, USA, R: Jed Weintrob). DIE SCHLANGENGRUBE UND DAS PENDEL (1967) (BRD, R: Harald Reinl) SCHULMÄDCHEN-REPORT, 2. TEIL – WAS ELTERN DEN SCHLAF RAUBT (1971) (BRD, R: Ernst Hofbauer) SCREAM (1996) (Scream – Schrei!, USA, R: Wes Craven) DIE SELTSAME GRÄFIN (BRD 1961, R: Josef von Báky/Jürgen Roland) SE7EN (1995) (Sieben, USA, R: David Fincher) LA SIGNORA DI TUTTI (1934) (Eine Diva für alle, I, R: Max Ophüls) THE SILENCE OF THE LAMBS (1991) (USA, R: Jonathan Demme) SPELLBOUND (1945) (Ich kämpfe um dich, USA, R: Alfred Hitchcock) STAR WARS (1977) (Krieg der Sterne, USA, R: George Lucas) STAR WARS: EPISODE I – THE PHANTOM MENACE (1999) (Star Wars: Episode I – die dunkle Bedrohung, USA, R: George Lucas) STRANGERS ON A TRAIN (Verschwörung im Nordexpress, USA 1951, R: Alfred Hitchcock) TELEFONO GIALLO (1987–1992) (I, R: diverse)

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THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (2003) (Michael Bay’s Texas Chainsaw Massacre, USA, R: Marcus Nispel) TITANIC (1997) (USA, R: James Cameron) I TRE VOLTI DELLA PAURA (1963) (Die drei Gesichter der Furcht, I/F, R: Mario Bava) DIE TOTEN AUGEN VON LONDON (BRD 1961, R: Alfred Vohrer) TWO MULES FOR SISTER SARA (1970) (Ein Fressen für die Geier, USA/MEX, R: Don Siegel) GLI UOMINI, CHE MASCALZONI... (1932) (I, R: Mario Camerini) VIVA MARIA! (1965) (I/F, R: Louis Malle) VOODOO WOMAN (1957) (USA, R: Edward L. Cahn) W DELTA Z (2007) (WAZ – Welche Qualen erträgst du?, UK, R: Tom Shankland) WAI DOR LEI AH YUT HO (2010) (Dream Home, HK, R: Pang Ho-Cheung) WHILE THE CITY SLEEPS (1956) (USA, R: Fritz Lang) THE WOLFMAN (2010) (USA/UK, R: Joe Johnson) YÔJINBÔ (1961) (Yojimbo – der Leibwächter, J, R: Akira Kurosawa) ZIMMER 13 (1964) (BRD/F, R: Harald Reinl) ZOMBIE 2 (1979) (Woodoo – die Schreckensinsel der Zombies, I, R: Lucio Fulci)

D ANK

Hierbei handelt es sich um eine auf rund die Hälfte gekürzte, komprimierte und zudem überarbeitete Version meiner Dissertation, die zwischen Oktober 2010 und Januar 2013 entstand. Dies wäre innerhalb so kurzer Zeit kaum möglich gewesen ohne die unermüdliche Unterstützung von vielen Menschen: An erster Stelle muss natürlich meine Hauptbetreuerin Irmela Schneider genannt werden, die mich wiederholt aus mancher Sackgasse des Essentialismus führte, vor antiessentialistischen Überreaktionen bewahrte und meine medienkulturwissenschaftliche Perspektive stets voran lenkte. Unermesslicher Dank gilt auch meiner Zweitbetreuerin Claudia Liebrand, die sich mit beachtlicher Ruhe ansah, wie ich ihre Forschungsergebnisse zur Genre-Theorie mir nicht nur aneignete, sondern sie forsch fort- und umschrieb. Mit viel Aufopferung und wohl auch so manchem Leiden an meinen sperrigen Texten hat sie mich in allem stets unterstützt. Zuletzt hat Peter W. Marx die Fertigstellung der Dissertation unterstützt und ich danke ihm für viele anregende Diskussionen. Thomas Wortmann und Hannah Neumann verdienen größten Dank, da sie meine Launen in den Schreibphasen ertrugen und bis in die Nacht vor der Abgabe mit mir Überarbeitungen diskutierten. Ähnlich tapfer war meine SHK Josefin Niggemeyer bemüht, in Rekordzeit aus der Druckfassung meine diversen Tippfehler zu tilgen. Eine besondere Erwähnung verdient auch Gereon Blaseio, ohne den diese Dissertation wohl nie entstanden wäre, da er mich bereits für die Genre-Theorie begeisterte. Ich bin zudem den Doktorandern-Kolloquien für ihre ihre konstruktive Kritik dankbar – Irmtraud Hnilica, Vanessa Höving, Stefan Börnchen, Johannes Stier, Vera Fischer, Stefan Udelhofen und viele mehr, die ein ständiger Quell der Inspiration gewesen sind. Auch danke ich den vielen großartigen Studierenden, die ich in den vergangenen Jahren unterrichten durfte und die mich wiederholt mit so manchen fulminanten Ideen überraschten. Der größte Dank gilt aber natürlich meiner Familie, die nicht nur drei Weihnachtsfeste auf mich verzichtet hat, da ich am Schreibtisch saß, sondern mich – und man will sagen: dennoch! – stets mit großer Aufopferung unterstützt hat. So konnte meine Mutter nach den ersten 100 Seiten der Dissertation aufgrund unserer langen Telefonate den Giallo pointierter definieren als ich. Außerordentlicher Dank gebührt aber auch meinem Vater – insbesondere dafür, dass er im Jahr 2004 die Zulassungsdokumente für die Universität zu Köln wieder aus dem Papiermüll fischte, nachdem er sie zunächst im Affekt weggeworfen hatte, da er sich wünschte, ich würde etwas Ordentliches studieren.

Film Bettina Dennerlein, Elke Frietsch (Hg.) Identitäten in Bewegung Migration im Film 2011, 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1472-5

Tobias Ebbrecht Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis Filmische Narrationen des Holocaust 2011, 356 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1671-2

Kay Kirchmann, Jens Ruchatz (Hg.) Medienreflexion im Film Ein Handbuch Februar 2014, 456 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-1091-8

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Film Daniel Kofahl, Gerrit Fröhlich, Lars Alberth (Hg.) Kulinarisches Kino Interdisziplinäre Perspektiven auf Essen und Trinken im Film 2013, 280 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2217-1

Niels Penke (Hg.) Der skandinavische Horrorfilm Kultur- und ästhetikgeschichtliche Perspektiven 2012, 320 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2001-6

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Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky, Fabian Tietke, Cecilia Valenti (Hg.) Spuren eines Dritten Kinos Zu Ästhetik, Politik und Ökonomie des World Cinema 2013, 282 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2061-0

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Tobias Nanz, Johannes Pause (Hg.) Das Undenkbare filmen Atomkrieg im Kino 2013, 180 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1995-9

Asokan Nirmalarajah Gangster Melodrama »The Sopranos« und die Tradition des amerikanischen Gangsterfilms 2011, 332 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1843-3

Christian Pischel Die Orchestrierung der Empfindungen Affektpoetiken des amerikanischen Großfilms der 1990er Jahre 2013, 266 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2426-7

Keyvan Sarkhosh Kino der Unordnung Filmische Narration und Weltkonstitution bei Nicolas Roeg April 2014, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 44,99 €, ISBN 978-3-8376-2667-4

Elisabeth Scherer Spuk der Frauenseele Weibliche Geister im japanischen Film und ihre kulturhistorischen Ursprünge 2011, 314 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1525-8

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