Film als Weltkunst: Zur Genealogie einer Reflexionstheorie der Kunst 9783839450345

Von der Erfindung des Kinematographen 1895 bis zum Ende der Stummfilmära in den 1930er Jahren wandelte sich der Film von

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German Pages 200 Year 2019

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Table of contents :
Editorial
Inhalt
Einleitung
1. Soziologische Perspektiven auf Ästhetik und Kunst des Films
1.1 Konturen des Filmkunstdiskurses
1.2 Filmhistorischer Forschungsstand
1.3 Kunstsoziologischer Forschungsstand
2. Struktur, Medium und Reflexion der Filmkunst
Einleitung
2.1 Gesellschaftsstruktur und Semantik
2.2 Wechsel der Anlehnungskontexte
2.3 Kunst als Beobachtung zweiter Ordnung
2.4 Die Funktion der Reflexion
2.5 Ausblick auf die historischen Fallstudien
3. Phase 1: Film als Reproduktion und Attraktion
3.1 Apparate optischer Reproduktion
3.2 Kino der Attraktionen
3.3 Selbstbeschreibung des Illusionismus
3.4 Zukunftsentwürfe der Kinoreformbewegung
3.5 Zwischenfazit
4 Phase 2: Film als Kunst/Unkunst
4.1 Film als Massenmedium
4.2 Von Attraktion zu Narration
4.3 Film als Gefahr oder Potential?
4.4 Zwischenfazit
5. Phase 3: Film als Eigenwelt
5.1 Spielfilm als Industriestandard und Kunstwerk
5.2 Filmästhetik als Reflexionstheorie der Filmkunst
5.3 Zwischenfazit
6. Ausdifferenzierung der Filmkunst in der Moderne
6.1 Phasen der Ausdifferenzierung
6.2 Mechanismen der Ausdifferenzierung
6.3 Konsequenzen
Ausblick
Literatur
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Film als Weltkunst: Zur Genealogie einer Reflexionstheorie der Kunst
 9783839450345

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Stefan Priester Film als Weltkunst

Global Studies & Theory of Society  | Band 4

Editorial Die Gesellschaft des 18. bis 21. Jahrhunderts ist Weltgesellschaft. Die Buchreihe dokumentiert Forschungen, die diesen Befund vertiefen, insbesondere im Blick auf die globalen Funktionssysteme Politik, Religion, Wissenschaft und Hochschulerziehung. Alle diese Systeme ruhen auf Inklusion, jeder kann und soll an ihnen teilnehmen, alle sind responsiv, sie beobachten ihre gesellschaftliche Umwelt und produzieren Problemlösungen. Sie sind extrem diversifiziert und postulieren zugleich ihre eigene Unverzichtbarkeit: Studien zur Entstehung und zum globalen Vergleich dieser Systeme werfen für die Theorie der modernen Gesellschaft die Frage nach Einheit und Diversität auf. Welches sind die Probleme, die nur durch Politik, Religion, Wissenschaft und Universitäten gelöst werden können? Die Reihe wird herausgegeben von Adrian Hermann, David Kaldewey und Rudolf Stichweh.

Stefan Priester forscht am Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Theorie der Weltgesellschaft, die Geschichte der frühen Filmkunst und die Probleme einer Soziologie der digitalen Gesellschaft.

Stefan Priester

Film als Weltkunst Zur Genealogie einer Reflexionstheorie der Kunst

Zugleich: Universität Hamburg, Dissertation, 2018 Gefördert durch ein Promotionsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Mirco Limpinsel Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5034-1 PDF-ISBN 978-3-8394-5034-5 https://doi.org/10.14361/9783839450345 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Einleitung 1

2

9

Soziologische Perspektiven auf Ästhetik und Kunst des Films 17 1.1

Konturen des Filmkunstdiskurses

1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3

Filmhistorischer Forschungsstand 22 Geschichte und Theorie der Filmkunst 23 Phasen der Filmgeschichte 26 Attraktionskino/Narrativität 27

1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4

Kunstsoziologischer Forschungsstand Legitimität 37 Hierarchie 41 Autonomie 44 Zwischenfazit 48

18

32

Struktur, Medium und Reflexion der Filmkunst

49

2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3

Gesellschaftsstruktur und Semantik 51 Inkongruente Perspektive 53 Semantiken als generalisierte Fremdreferenz 54 Kritik 55

2.2

Wechsel der Anlehnungskontexte

2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4

Kunst als Beobachtung zweiter Ordnung 61 Die polykontexturale Form der Gesellschaft 62 Operative Schließung 63 Medien zweiter Ordnung 64 Potentielle Universalität 66

2.4 Die Funktion der Reflexion 67 2.4.1 Formen kommunikativer Selbstreferenz

59

69

2.4.2 Die Funktion der Reflexionstheorien 2.5 3

70

Ausblick auf die historischen Fallstudien

Phase 1: Film als Reproduktion und Attraktion 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3

Apparate optischer Reproduktion 77 Der Kinematograph 77 Die Chronophotographie 80 Technische Verbesserung bestehender Medien

3.2 Kino der Attraktionen 83 3.2.1 Optische Berichterstattung 84 3.2.2 Der Kinematograph als Illusionsmaschine

75

82

88

3.3 Selbstbeschreibung des Illusionismus 3.3.1 Kinematographische Tricks 95 3.3.2 Medialer Sprung 97

4

72

91

3.4

Zukunftsentwürfe der Kinoreformbewegung

3.5

Zwischenfazit

102

Phase 2: Film als Kunst/Unkunst

105

4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4

Film als Massenmedium 106 Ortsfeste Spielstätten 106 Generalisierung der sozialen Inklusion 108 Zentralisierung der Programmierung 111 Konsequenzen 113

4.2

Von Attraktion zu Narration

4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4

Film als Gefahr oder Potential? Kritik des Spielfilms 119 Kunst des Lichtspieltheaters 119 Debatte um das Kino 123 Film als Kulturfaktor 124

4.4

Zwischenfazit

126

113 117

99

5

6

Phase 3: Film als Eigenwelt

131

5.1

Spielfilm als Industriestandard und Kunstwerk

5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7 5.2.8

Filmästhetik als Reflexionstheorie der Filmkunst Film als Kunst 135 Antimimetischer Konsens 136 Kontext und Spezifika von Film als Kunst 139 Zensur als Anlass ästhetischer Reflexion 142 Der Rezipient als Adressat der Theorie 143 Mechanische Reproduktion 144 Weltbild und Filmbild 146 Identität durch Reduktion 151

5.3

Zwischenfazit

154

Ausdifferenzierung der Filmkunst in der Moderne 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3

Phasen der Ausdifferenzierung 158 Phase 1: Vom Apparat zum Medium 158 Phase 2: Kinotheater und Spielfilm 159 Phase 3: Kulturindustrie 159

6.2 Mechanismen der Ausdifferenzierung 6.2.1 Pluralität von Anlehnungskontexten 161 6.2.2 Ausdifferenzierung im Horizont anderer Kunstarten 167 6.2.3 Populäre Genealogie der Reflexionstheorien 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3

Konsequenzen 170 Kunstsoziologie 170 Gesellschaftstheorie 173 Soziologie der Selbstbeschreibungen

Ausblick

179

Literatur

181

132

175

160

168

157

134

Einleitung

Zwischen 1895 und 1935 wandelt sich Film von einer technischen Attraktion zu einer institutionell etablierten Kunstform, die bis heute ebenso populär wie umstritten ist und Anlass zu stets neuen Versuchen filmästhetischer Reflexion gibt. Diese Beschreibungen der Filmkunst untersuche ich von ihren wissenschaftlichen und populären Anfängen im späten 19. Jahrhundert, über die feuilletonistischen Debatten des beginnenden 20. Jahrhunderts bis hin zu den ersten umfangreichen Monographien der 1920er Jahre, die sich dem Film als einer neuen Form von Kunst widmen. Der Untersuchungszeitraum endet mit dem Übergang zum Tonfilm zu Beginn der 1930er Jahre, der zugleich eine Zäsur in der Filmproduktion und im filmästhetischen Diskurs markiert. Greifbar wird diese in einer 1932 von Rudolf Arnheim unter dem programmatischen Titel Film als Kunst publizierten Monographie. Arnheims Werk stellt den letzten Versuch dar, eine umfassende und ambitionierte Filmästhetik vorzulegen, die noch den Stumm- und nicht bereits den Tonfilm als Medium vor Augen hat. Perspektive und Gegenstand Im Anschluss an die luhmannsche Differenzierungstheorie gehe ich von der Leithypothese aus, dass die Emergenz von Kunstarten in der Moderne plausibel als interne Ausdifferenzierung eines gesellschaftlichen Teilsystems beschrieben werden kann. Im Vergleich zu anderen Kunstarten vollzieht sich dieser Prozess im Falle der Filmkunst in einem überschaubaren Zeitraum und ist zugleich sowohl in Hinblick auf die Quellenlage als auch das Ausmaß historischer Forschung äußerst umfangreich dokumentiert.

10 F ILM ALS W ELTKUNST Die ersten öffentlichen Vorführungen von »Filmen« finden Mitte der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts statt. Zwar besteht in der historischen Forschung zu den Anfängen des Films kein Konsens darüber, welches Ereignis letztendlich den Titel der ersten Filmvorführung verdient und welchen Personen dementsprechend die Erfindung des bewegten Bildes zugerechnet werden soll, aber sämtliche Datierungen beziehen sich auf das Ende des 19. Jahrhunderts. Am häufigsten wird als Datum der ersten öffentlichen kinematographischen Vorstellung der 28. Dezember 1895 genannt. An diesem Tag führen die Brüder Lumière in Paris einen knapp einminütigen Film vor, der den Titel Sortie de l’usine trägt.1 Der Titel ist in diesem Fall bereits eine vollständige Inhaltsangabe, denn der Film zeigt einzig aus einer statischen Kameraperspektive, wie Arbeiter die lumièresche Fabrik in Lyon verlassen. Von diesen dokumentarischen Anfängen entwickelt sich der Film innerhalb eines Jahrzehnts zu einem Medium fiktionaler Narration. Wie Bowser (1990) zeigt, dominieren bereits 1907 in den Vereinigten Staaten fiktionale Filme das Angebot. Gleichzeitig werden die Filme immer länger, so dass schon 20 Jahre nach der lumièreschen Aufnahme von Arbeitern auf dem Weg in die Mittagspause mit The Birth of a Nation von David W. Griffith einer der ersten mehrstündigen fiktionalen Filme entsteht. Griffith’ Film gilt aufgrund einer Reihe von erstmals eingesetzten filmischen Mitteln, wie Parallelmontage und Zoom, bis heute als ein zentrales Werk der Filmkunstgeschichte.2 In einem Zeitraum von weniger als einem halben Jahrhundert ereignet sich demnach, ausgehend von einer technischen Erfindung, die Etablierung einer neuen Kunstart. Diese zeitliche Konzentration der Entstehungsgeschichte der Filmkunst eröffnet die Möglichkeit, den Prozess der Ausdifferenzierung eines Subsystems der Kunst in einem zeitlich vergleichsweise überschaubaren Rahmen zu untersuchen. Dieser Prozess der Entstehung der Filmkunst zeichnet sich dadurch aus, dass die Geschichte der Werke, Apparate und Orte des Films von einer durchgehenden semantischen Reflexion begleitet wird. Carroll bezeichnet wegen

1 Gaudreault/Gunning (2009, S. 3) weisen darauf hin, dass es bereits zu einem früheren Zeitpunkt im selben Jahr eine nicht-öffentliche Vorführung gab. 2 Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der Film zugleich für seine rassistische Machart scharf kritisiert wird (Stokes 2007).

E INLEITUNG

11

dieser Parallelität von Entstehungsprozess und semantischer Reflexion den Film als eine »self-consciously invented art« (Carroll 1996, S. 3). Einer der ersten Autoren, der sich mit filmästhetischen Reflexionen befasst, ist Georges Méliès, der große Konkurrent der Brüder Lumière. Bereits 1907 beschreibt er in Les Vues Cinématographiques (Méliès 1907/2008, 1907/2004)3 die Produktionsstätte seiner Filme als eine Kombination von Theaterbühne und Photoatelier. In diesem Text wird zwar noch nicht dezidiert der Anspruch erhoben, dem Film müsse ein Platz unter den anderen Künsten zu Teil werden, aber Méliès überträgt bereits Semantiken der Kunst, genauer Begrifflichkeiten aus der Welt des Theaters, auf den Film, um die Produktion seiner Werke zu beschreiben. So begreift Méliès beispielsweise die Vorbereitungen zu den Filmaufnahmen als »Arrangement einer Szene« (Méliès 1907/ 2004, S. 33). Dieser Rückgriff auf Konzepte des Theaters, wie Bühnenbild, Requisite, Kostüm, Schauspieler und Komparserie (ebd., S. 34 ff.) bleibt kein Spezifikum der mélièsschen Reflexion auf das neue Medium Film, sondern avanciert zu einer Darstellungsweise, die in kurzer Zeit weite Verbreitung findet. In Deutschland veröffentlicht fünf Jahre nach Méliès Text über die Vues Cinématographiques Herbert Tannenbaum (1912/1987) unter dem Titel Kino und Theater eine kurze Abhandlung, mit der er den Nachweis führen möchte, »daß dem vielgeschmähten Kinematographen Möglichkeiten innewohnen, die ihn befähigen, künftig auf theatralisch-künstlerischem Gebiete eigenartige, tiefgehende Wirkungen zu erzielen« (ebd., S. 34). Die semantische Reflexion des neuen Mediums Film führt schließlich in den zwanziger Jahren zu ersten Versuchen, den Film als eine neue Kunstart theoretisch zu reflektieren. Exemplarisch für den Typus der elaborierten Filmästhetik dieser Zeit steht Film als Kunst von Rudolf Arnheim, der die Differenz von optischer Normalwahrnehmung und filmischem Abbild entfaltet, um den Beweis der Existenz des Films als eigenständiges künstlerisches Mediums zu erbringen. In einem Zeitraum von weniger als dreißig Jahren lassen sich demnach das Entstehen

3 In den historischen Fallstudien greife ich auf deutsch-, englisch- und französischsprachiges Material zurück. Dabei zitiere ich, sofern eine hinreichende Übersetzung des jeweiligen Textes vorhanden ist, jeweils die deutsche Fassung. In manchen Fällen, wie dem des mélièsschen Textes, sind die Übersetzungen unvollständig, so dass ich mich sowohl auf die deutsche Fassung als auch ergänzend auf das Original beziehe.

12 F ILM ALS W ELTKUNST von Selbstbeschreibungen des Films als Kunst und die hieran anschließende Ausbildung von ersten Reflexionstheorien beobachten. Erkenntnisinteresse Mein Erkenntnisinteresse zielt nicht darauf, selbst einen historiographischen Beitrag zur Herausbildung der Filmkunst zu leisten. Vielmehr dient mir die Filmkunst als exemplarischer Untersuchungsgegenstand, um Aufschluss darüber zu gewinnen, wie sich Subsysteme der Kunst und die sie begleitenden Reflexionstheorien ausdifferenzieren. Ich untersuche diese historische Dynamik unter zwei aufeinander bezogenen Leitfragen: Wie entstehen die strukturellen Voraussetzungen und medialen Möglichkeiten, die die Reproduktion von Filmkunst als Kommunikation ermöglichen? Wie entwickeln sich auf Basis erster populärer Selbstbeschreibungen von Film Reflexionstheorien, die Film als eigenständige Kunstart thematisieren? Der Prozess der Entstehung der Filmkunst soll zu diesem Zweck aus einer Perspektive der Beobachtung zweiter Ordnung entlang der Ebenen von Struktur, Medium und Reflexion rekonstruiert und auf die der Ausdifferenzierung zu Grunde liegenden Mechanismen befragt werden. Ich verfolge dabei ein doppeltes Erkenntnisinteresse: Zunächst analysiere ich aus einer kunstsoziologischen Perspektive die Entstehung der Filmkunst und einer sie kommentierenden Ästhetik. Darüber hinaus stelle ich die differenzierungstheoretische Frage danach, wie sich Reflexionstheorien im Zusammenspiel mit der medialen Entwicklung und der strukturellen Ausdifferenzierung des Films historisch entfalten. Der gesellschaftstheoretische Hintergrund dieses Interesses ist die Beobachtung, dass die luhmannsche Systemtheorie zwar ausführlich den Übergang von der vormodernen zur modernen Gesellschaft thematisiert, hingegen die historische Dynamik der Moderne und damit den Wandel der primär funktional differenzierten Gesellschaft selbst kaum in den Blick nimmt. Aus kunstsoziologischer Perspektive speist sich mein Erkenntnisinteresse aus der Beobachtung, dass die Kunstsoziologie bis dato an der Erklärung von Phänomenen künstlerischer Innovation, die sich, wie im Falle der Entstehung der Filmkunst, am Schnittpunkt der Kunst mit anderen Teilsystemen vollziehen, scheitert, weil sie nicht hinreichend zwischen soziologischer Beschreibung, Fremdbeschreibungen und künstlerischer Selbstbeschreibung unterscheidet.

E INLEITUNG

13

Der kunstsoziologische Beitrag der Analysen zur Entstehung der Filmkunst besteht deshalb darin, diese Indifferenz durch eine gesellschaftstheoretisch reflektierte Perspektive im Modus der Beobachtung zweiter Ordnung aufzulösen. Vor diesem Hintergrund soll der Prozess der Entstehung der Ästhetik wie Kunst des Films mit dem doppelten Ziel rekonstruiert werden, einen gesellschaftstheoretischen Beitrag zur Analyse von Ausdifferenzierungsprozessen in der Moderne und eine Reflexion kunstsoziologischer Erklärungen zur Entstehung neuer Kunstarten zu leisten. Aufbau der Arbeit Ausgehend von der These, dass eine soziologische Beobachtung von Filmkunst mit dem Problem konfrontiert ist, die Konturen ihres Gegenstandes angesichts konkurrierender gesellschaftlicher Beschreibungen nicht zweifelsfrei feststellen zu können (vgl. Kapitel 1.1), schlage ich unter Rückgriff auf den filmwissenschaftlichen (vgl. Kapitel 1.2) und in Kritik des kunstsoziologischen Forschungsstandes (vgl. Kapitel 1.3) vor, die Entstehung der Filmkunst wie -ästhetik im Anschluss an die wissenssoziologischen Prämissen der luhmannschen Gesellschaftstheorie aus einer Perspektive der Beobachtung zweiter Ordnung in den Blick zu nehmen. Damit stellt die Arbeit zugleich den Versuch dar, eine Lücke der systemtheoretischen Analyse der modernen Gesellschaft beispielhaft anhand einer Episode aus der Geschichte der Kunst zu schließen. Denn obschon die systemtheoretische Wissenssoziologie begrifflich sehr ausgefeilt ist, beschränkt sich der luhmannsche Blick empirisch in der Hauptsache auf den zunächst strukturellen und, so Luhmanns zentrale These, in der Folge semantischen Umbruch zur modernen Gesellschaft. Hingegen interessiert sich Luhmann kaum für die Geschichte der so entstandenen Weltgesellschaft selbst (vgl. Kapitel 2). Deshalb entfalte ich zunächst – ausgehend von einer Rekonstruktion der systemtheoretischen Diskussion über die Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik – die wissenssoziologischen Prämissen der historischen Fallstudien, deren Grundidee darin besteht, die Entstehung der Filmkunst auf drei zugleich autonomen und sich wechselseitig ermöglichenden Ebenen zu untersuchen (vgl. Kapitel 2.1): erstens auf struktureller Ebene als Prozess des

14 F ILM ALS W ELTKUNST Wechsels von Anlehnungskontexten (vgl. Kapitel 2.2), zweitens auf medialer Ebene als Prozess der Emergenz eines kunstspezifischen Kommunikationsmediums zweiter Ordnung (vgl. Kapitel 2.3) und drittens auf der Ebene der gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen beziehungsweise Reflexionstheorien als ideengeschichtlicher Wandel semantischer Formen (vgl. Kapitel 2.4). Auf Basis dieser gesellschaftstheoretischen Grundlagen wird das Erkenntnisinteresse der Arbeit als Rekonstruktion der Genealogie der Reflexionstheorien der Filmkunst präzisiert und als Prämisse der folgenden historischen Fallstudien die Hypothese formuliert, dass der Prozess der strukturellen Ausdifferenzierung der Filmkunst, die Etablierung eines Mediums zweiter Ordnung der Filmkunst und schließlich die Genealogie der Reflexionstheorien drei getrennt verlaufende, aber sich wechselseitig ermöglichende und damit zugleich konditionierende Prozesse darstellen (vgl. Kapitel 2.5). Die historischen Fallstudien (vgl. Kapitel 3–5) dieser Arbeit untersuchen drei Phasen des Ausdifferenzierungsprozesses. Sie beschreiben vor dem skizzierten theoretischen Hintergrund das Zusammenspiel zwischen der sukzessiven Entfaltung des operativen Reproduktionszusammenhanges der Filmkunst einerseits und der Ideengeschichte der Filmästhetik andererseits. Die erste Studie (vgl. Kapitel 3) untersucht die Entwicklung von den um Konzepte von optischer Wahrnehmung zentrierten Erfindungen neuartiger technischer Apparate gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die den Film als Wahrnehmungsmedium begreifen, hin zum Film als Kommunikationsmedium. Die Analyse setzt mit der Erfindung diverser optischer Apparate in primär wissenschaftlichen Kontexten zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ein. Zu dieser Zeit werden die neuen Apparate vor allen Dingen mit dem wissenschaftlich als relevant erachteten Potential in Verbindung gebracht, die bewegte Realität optisch aufzeichnen und wiedergeben zu können. Es ist der Wechsel des Anlehnungskontextes hin zur Unterhaltung, der dem Film eine neue Funktion als illusionäres Spektakel abgewinnt. Es ist nicht länger entscheidend, was der Kinematograph zeigt, sondern wie das Gezeigte auf die Zuschauer wirkt. Den Eindruck von Realität zu vermitteln, wird selbst zu einer Form von Spektakel. Während Erfinder wie die Brüder Lumière die Apparate selbst als die entscheidende Innovation ansehen, fokussiert sich aufgrund einer Verschiebung der primären Orientierung auf ein dem Publikum zugeschriebenes Bedürfnis nach Unterhaltung die Konkurrenz auf die Ebene der Gestaltung des Films als Kommunikationsmedium. Konkurriert wird nun nicht länger primär um tech-

E INLEITUNG

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nische Verbesserungen der Apparate, sondern um die möglichst einfallsreiche und das heißt ein Massenpublikum überraschende Gestaltung medialer Formen (vgl. Kapitel 3.2). Im Zuge dieses Wechsels des Anlehnungskontextes von der Wissenschaft hin zur Unterhaltung finden sich erste Beschreibungen, die den Film nicht länger als Medium der optischen Realitätsreproduktion, mithin als Wahrnehmungsmedium, thematisieren, sondern seine ästhetischen Qualitäten als Medium des populären Illusionstheaters in den Fokus rücken (vgl. Kapitel 3.3) oder – in Gestalt der sogenannten Kinoreformbewegung – nach ästhetischen Strategien im Umgang mit Film suchen (vgl. Kapitel 3.4). Die zweite Fallstudie untersucht, wie das rasante Wachstum ortsfester Spielstätten zu einer Generalisierung der sozialen Inklusion führt (vgl. Kapitel 4.1). Die Durchsetzung des ortsfesten Kinos ist zugleich untrennbar mit dem Übergang zu einer Zentralisierung der Programmierung verbunden. Damit ist die zentral koordinierte Zusammenstellung von Filmprogrammen für eine Vielzahl unterschiedlicher einzelner Säle gemeint. Auf dieser Grundlage entstehen von nun ab erstmalig längere Filme, die mehrere Szenen in einen Zusammenhang stellen anstatt diese als Nummernrevue aneinander zu reihen. Ein besonders populäres Format ist in dieser Zeit das sogenannte »Kino-Drama«. Dieses verwendet Film in Anlehnung an Theatertraditionen zur »szenisch-dramatischen Unterhaltung« und ist somit narrativ angelegt (vgl. Kapitel 4.2). Während die Theater-Krise, d. h. der starke Rückgang der Zuschauerzahlen in den traditionellen Schauspielhäusern, die erste elaborierte Kritik des neuen Mediums provoziert und Gegner des neuen Mediums, insbesondere mit argumentativem Verweis auf die etablierte Sprechbühne, den Kunstwert des Films negieren, lässt sich zeitgleich beobachten, dass erstmalig ästhetische Theorien für das künstlerische Potential des neuen Mediums argumentieren (vgl. Kapitel 4.3). Die dritte und abschließende historische Fallstudie (vgl. Kapitel 5) untersucht die Emergenz eigener Reflexionstheorien der Filmkunst in Form von ersten Filmästhetiken in den 1920er Jahren. Zunächst wird die Definition des Spielfilms durch die entstehende Kulturindustrie, mithin der Anlehnungskontext »Wirtschaft«, als Voraussetzung für Film als Kompaktkommunikation der Kunst identifiziert. Es wird die These vertreten, dass mit dem Spielfilm der 1920er Jahre Filme die Form von komplexer Kompaktkommunikation annehmen. Auf dieser Basis ist es nunmehr möglich, Kommunikation zwischen Produzenten und Rezipienten im Medium der Filmkunst zu realisieren. Der

16 F ILM ALS W ELTKUNST im Kontext der Unterhaltungsindustrie als Standard definierte Spielfilm wird, anders gesagt, als historisch kontingente Bedingung der Möglichkeit für die Reproduktion von Filmkunstwerken, interpretiert (vgl. Kapitel 5.1). Die semantischen Formen, mit denen die frühen umfassenden Filmästhetiken im Sinne von Reflexionstheorien die Identität des Films als Kunst konstruieren, werden sodann anhand der ausführlichen Analyse eines Klassikers des filmästhetischen Diskurses, »Film als Kunst« von Rudolf Arnheim (1932/2002), herausgearbeitet (vgl. Kapitel 5.2). Die Arbeit schließt mit einer Betrachtung der in den historischen Fallstudien gewonnenen Erkenntnisse und wertet diese in drei Schritten aus (vgl. Kapitel 6). Ausgehend von einem resümierenden Blick auf die drei historischen Fallstudien zur Ausdifferenzierung der Filmkunst (vgl. Kapitel 6.1) werden die drei zentralen Mechanismen identifiziert, die die Entstehungsgeschichte der Filmkunst prägen. Erstens wird die These vertreten, dass sich Filmkunst nicht durch das Abschütteln externer Einflüsse etabliert, sondern vielmehr eine Pluralität von Anlehnungskontexten beobachtbar ist, die ihre Reproduktion ermöglichen. Zweitens wird argumentiert, dass sich Subsysteme der Kunst auf Basis kunstsysteminterner Vergleichsoperationen ausdifferenzieren. Und drittens wird anhand der Untersuchung der historischen Genese der ästhetischen Reflexionstheorien der Filmkunst die gesellschaftstheoretische These vertreten, dass sich Reflexionstheorien nicht in kategorialer Differenz, sondern in einem historisch-genealogischen Zusammenhang mit populären Selbstbeschreibungen entwickeln (vgl. Kapitel 6.2). Das dritte und abschließende Unterkapitel vollzieht einen weiteren Abstraktionsschritt und fragt zunächst nach der kunstsoziologischen und sodann nach der gesellschaftstheoretischen Generalisierbarkeit der am Beispiel der Filmkunst gewonnen Ergebnisse. Das Kapitel schließt mit der These, dass die historische Analyse des Zusammenspiels von Strukturen, Medien und Selbstbeschreibungen geeignet ist, um über die luhmannschen Untersuchungen zur Transformation von der vormodernen Gesellschaft zur Moderne hinaus zu gehen und den historischen Wandel wie die regionale Vielfalt der modernen Weltgesellschaft selbst zu untersuchen (vgl. Kapitel 6.3).

1 Soziologische Perspektiven auf Ästhetik und Kunst des Films

Debatten über den Status des Films als – je nach Perspektive – Kunst oder eben »Unkunst« sind seit der Erfindung des Kinematographen gegen Ende des 19. Jahrhunderts in diversen Variationen beobachtbar. Bereits wenige Jahre nach seiner Erfindung feiert der Film weltweit immense Publikumserfolge. Während in den Großstädten zunächst Arbeiter und Angestellte der Faszination des neuen Mediums erliegen, formiert sich mit dem wachsenden Erfolg der Nickelodeons und Lichtspieltheater zugleich ein mächtiger Widerstand. Dieser reicht von Protesten gegen die zeitgenössische Filmproduktion bis hin zu Invektiven, die den Film grundsätzlich ablehnen. Das Vergnügen der Arbeiter ist der Schrecken der Bürger; der Erfolg auf der Straße fordert die Kritik der bürgerlichen Öffentlichkeit heraus. Über die immense Durchschlagskraft des Kinematographen und einer Reihe technisch verwandter Apparaturen besteht zwischen den Kontrahenten Einigkeit. Umstritten ist hingegen, wie das, was sich da, ausgehend von einigen Großstädten der industrialisierten Welt, in Windeseile in nahezu jeden Winkel des Erdballs ausgebreitet hat, zu bewerten ist. Im Folgenden schildere ich zunächst entscheidende Charakteristika der Filmkunst. Im Zentrum steht dabei zum einen die Beobachtung, dass in sozialer Hinsicht kein Konsens in Bezug auf die Frage möglich zu sein scheint, ob und wenn ja, in welcher Weise Film eine Kunstart darstellt. Zum anderen stelle ich den Diskussionsstand der heutigen Filmästhetik vor, der sich dahingehend zusammenfassen lässt, dass eine dem Gegenstand Filmkunst entsprechende Realdefinition ein unmögliches Unterfangen ist, und folglich

18 F ILM ALS W ELTKUNST von einer prinzipiellen Vielfalt sich widersprechender Auffassungen in Hinblick auf Filmkunst auszugehen ist (vgl. Kapitel 1.1). Hieran schließt sich eine knappe Darstellung der filmhistorischen Debatten um den so genannten »frühen Film« an, die sich auf drei Punkte konzentriert: erstens die umstrittene Frage nach Begriffen, die angemessen sind, die Anfangsjahre des Films in ihrer eigentümlichen Gestalt zu analysieren; zweitens die Debatte um die Periodisierung von Phasen der Filmgeschichte und drittens die begrifflichen Auseinandersetzungen in Hinblick auf die Bedeutung der frühen Formen kinematographischer Produktion wie Rezeption für die spätere Entwicklung des Spielfilms. Zusammenfassend soll in Auseinandersetzung mit der filmhistorischen Forschung gezeigt werden, dass in Bezug auf den frühen Film Fragen nach dem historischen Verlauf zugleich stets Theoriefragen sind, über die im Lichte der Quellen entschieden werden muss (vgl. Kapitel 1.2). Abschließend gehe ich auf den kunstsoziologischen Forschungsstand ein (vgl. Kapitel 1.3) und zeige anhand der drei Leitthemen Legitimität, Hierarchie und Autonomie, dass der Mainstream der Kunstsoziologie in der Beschreibung künstlerischen Wandels mit Prämissen operiert, die sich auf eine zu geringe Differenz zwischen künstlerischer Selbst- und soziologischer Fremdbeschreibung zurückführen lassen und sich in der Untersuchung des Gegenstandes »Filmkunst« letztlich als Erkenntnisblockaden erweisen.

1.1 KONTUREN

DES

F ILMKUNSTDISKURSES

Heute, mehr als ein Jahrhundert nach der ersten öffentlichen Filmvorstellung in Paris durch die Brüder Lumière, wird die kulturelle Bedeutung dieses Mediums weithin anerkannt. So verwundert es nicht, wenn sich die Vereinten Nationen im Jahr 1995 für den Erhalt von Filmaufnahmen einsetzen: »Like the cathedrals of the Middle Ages, these images [gemeint sind Filmaufnahmen, S.P.] have to be saved, for they bear witness to the art and culture, history, ideas and life of the twentieth century.« (UNESCO 1995)

Dieser Vergleich von mittelalterlichen Kathedralen mit Filmen, der zum Ende des 20. Jahrhunderts im Rahmen der UNESCO nicht allein als verständlich, sondern darüber hinaus als legitim empfunden wird, findet sich bereits

S OZIOLOGISCHE P ERSPEKTIVEN AUF Ä STHETIK UND K UNST DES F ILMS

19

in einem Text des Kunsthistorikers Erwin Panofsky von 1936. In »Stil und Medium im Film« schreibt Panofsky, »daß der Film, der durch eine gemeinschaftliche Anstrengung ins Leben gerufen wird, in welcher alle Beiträge den gleichen Grad von Dauer erreichen, am ehesten das moderne Äquivalent einer mittelalterlichen Kathedrale ist.« (1936/1993, S. 46). Panofsky gilt der Film als »die einzig bildende Kunst, die wirklich lebt« (ebd., S. 20). Allerdings stößt er mit dieser Einschätzung in der zeitgenössischen Öffentlichkeit auf ausgesprochenes Unverständnis. Dies dokumentiert sich exemplarisch in den Reaktionen auf einen Vortrag, den Panofsky ebenfalls 1936 im New Yorker Metropolitan Museum hält. So kommentiert der New York Herald Tribune den Vortrag mit den Worten: »Films Are Treated As Real Art by Lecturer at Metropolitan« (zit n. Levin 2003). Die Ablehnung und Irritation, mit der auf die Idee reagiert wird, Film sei Kunst, beschränkt sich nicht allein auf die breite Öffentlichkeit. Selbst ein Großteil derjenigen, die Filme produzieren, gehen zunächst auf Distanz zu der Behauptung, die von ihnen geschaffenen Werke seien als Kunst einzustufen. Der prominenteste unter den Gegnern der Filmkunst ist D.W. Griffith, dessen Film Birth of a Nation (1915) inzwischen zu den Kronjuwelen in der Sammlung der Film Library des New Yorker Museum of Modern Art gehört. Als die Gründer der Film Library in den 1930er Jahren beginnen, ihre Sammlung aufzubauen, spricht sich Griffith ausdrücklich gegen dieses Vorhaben aus, da Film seiner Einschätzung nach nicht im Geringsten etwas mit Kunst zu tun habe. In ähnlicher Weise reagiert Charlie Chaplin auf dieses Ansinnen (Wasson 2005, S. 138). Sowohl der Begriff von Filmkunst als auch der Kanon der Werke, die als relevant erachtet werden, unterliegen einer bis heute andauernden Kontroverse. Selbst unter jenen Autoren, die sich insoweit einig sind, als dass sie die Existenz einer Kunst des Films unterstellen, herrscht kein Konsens über den Umfang und die genauen Konturen derselben. Sowohl in der Frage, was unter dem Label »Filmkunst« zu verstehen ist, als auch hinsichtlich des Kanons von Werken, die dieser Kunstform zuzurechnen sind, gehen die Ansichten weit auseinander. So ist nach Hermann Häfker, einem der ersten deutschsprachigen Autoren, der Film bereits im Jahr 1908 als Kunstform beschreibt, Filmkunst gleichbedeutend mit Pantomimen-Film. Hierunter versteht der Autor Filme, die sich der Mittel der Pantomime bedienen. So schreibt Häfker:

20 F ILM ALS W ELTKUNST »Soll ein Pantomimen-Film ein Erzeugnis ›höherer Kunst‹ sein, so muß er lediglich durch Gebärdensprache wirken, und diese muß an jeder Stelle verständlich, ausdrucksvoll, unzweideutig, deutlich – kurz schön sein.« (Häfker 1908)

Eine ganz andere Richtung schlägt beispielsweise Renan Sheldon (1967, S. 257) ein, der unter dem begrifflichen Label »Expanded Cinema« postuliert, es seien »only light and time that link all the forms of cinema«. Aus der Sicht von Galt und Schoonover (2010) verweisen die vielfältigen und sich wechselseitig widersprechenden Auffassungen von dem, was Filmkunst ist, auf ein ungelöstes Problem filmwissenschaftlicher Forschung: »Art cinema poses a problem for film scholarship, because while the term is widely used by critics and audiences alike, it has proved very hard to pin down within any of the common rubrics for categorizing types of cinema.« (Ebd., S. 6)

Sie schlagen deshalb vor, diese Widersprüchlichkeit selbst zum Ausgangspunkt zu machen und Filmkunst durch ihren ambivalenten Bezug zu Kategorien, wie Publikum, Studiosystem oder Genre zu definieren (ebd., S. 6 f.) . Und Verrone (2011) kommt angesichts der Multiplizität von Deutungsangeboten beziehungsweise -ansprüchen zu dem Vorschlag, Werke der Filmkunst durch ihre wie auch immer geartete Verschiedenheit von den Produkten des »Mainstream« zu fassen: »[T]here is no one particular way of defining any avant-garde film. There are far too many characteristics and peculiarities that signify an alternative approach to filmmaking. [...] Perhaps the most important thing one must recognize and remember about avant-garde film is that even when the subject matter is similar to mainstream films, they are fundamentally dissimilar.« (Ebd., S. 27 f.)

Dabei sind Filme nicht die einzigen Erzeugnisse, deren Status als Kunstwerke umstritten ist. Die Vielfältigkeit der Auffassungen und Haltungen gegenüber der Frage, ob Film eine Kunst sein kann und wie diese ggf. zu definieren ist, lässt sich auch im Falle anderer Kunstarten beobachten.1 Von den Salonstrei-

1 Mehr noch: Es gilt prinzipiell für den Begriff Kunst (Weitz 1956, S. 149, dazu ausführlicher Schmücker [1998]).

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tigkeiten in der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts (Bourdieu 1999) bis hin zu zeitgenössischen Musikgenres wie Heavy Metal (Lena/Peterson 2008) finden sich zahlreiche kunstsoziologische Beschreibungen dieses Phänomens. Aus soziologischer Sicht zeichnet sich für Heise und Tudor (2007, S. 165) Kunst gerade dadurch aus, dass stets umstritten ist, welche Objekte überhaupt als Kunstwerke anzusehen sind. Die Diskussion um den Kunststatus des Films gilt ihnen als eine der signifikantesten und schärfsten Kunstkontroversen des 20. Jahrhunderts (ebd., S. 165 f.). Es ist jedoch nicht allein die Schärfe der Debatte um den Kunststatus des Films, die das Kino im 20. Jahrhundert vor anderen Kunstarten auszeichnet, sondern auch der schiere Umfang an Stellungnahmen mit theoretischem Anspruch. So schreibt Carroll (1988): »Considering the short history of film [...] it is surprising that the field has amassed such a large body of theoretical writing. Proportionally speaking, film theory [...] comprises more titles than the theoretical wings of such ancient arts as dance and theater.« (Ebd., S. 4)

Eine weitere Eigentümlichkeit der Diskussion über den ästhetischen Status des Films liegt darin, dass sie sich aus sehr disparaten Quellen speist. Es sind gleichermaßen Filmschaffende, Kritiker, Filmwissenschaftler und Philosophen, die den Diskurs über den Kunststatus des Films mit Stellungnahmen versorgen. Diese Vielfältigkeit des Filmkunstdiskurses zeigt sich bereits bei einem Blick auf den Höhenkamm der einschlägigen Literatur: Dieser reicht bereits für den historischen Zeitraum der Konsolidierung der Filmkunst von den frühen Texten der deutschen Filmkunsttheorie (vgl. Diederichs 1996, S. 63 ff.), über Überlegungen des linguistisch inspirierten russischen Formalismus (vgl. Beilenhoff 2005) und Walter Benjamins (1936) Essay »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« bis hin zu den Aufsätzen und Artikeln der französischen Filmkritik, wie sie insbesondere von Bazin (1985) nachhaltig geprägt worden ist. Die Mannigfaltigkeit sich widersprechender Beschreibungen des Gegenstandes Filmkunst durch eine Vielzahl unterschiedlicher Beobachter wirft die Frage auf, wie ein Zusammenhang zwischen diesen in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht disparaten Beschreibungen konstruiert werden kann. Wie verhält sich die Soziologie zu diesem erstens vielgestaltigen, von popu-

22 F ILM ALS W ELTKUNST lären Beschreibungen bis hin zu elaborierten wissenschaftlichen beziehungsweise philosophischen Theorien reichenden Diskurs, der sich zweitens auf einen nicht eindeutig identifizierbaren und zudem drittens divergente bis konträre Bewertungen provozierenden Gegenstand bezieht? Unter dieser Leitfrage nach dem Verhältnis der Soziologie zur Filmkunst als einem stets umstrittenen diskursiven Konstrukt wird im folgenden Abschnitt der Stand der für das Vorhaben der Arbeit relevanten Ergebnisse der filmhistorischen (vgl. Kapitel 1.2) wie soziologischen Forschung zur Filmkunst resümierend rekonstruiert (vgl. Kapitel 1.3). Auf der Grundlage dieser problemorientierten Rekonstruktion des Forschungsstandes werden sodann die theoretischen wie methodologischen Prämissen der historischen Fallstudien entfaltet (vgl. Kapitel 2).

1.2 F ILMHISTORISCHER F ORSCHUNGSSTAND Die vorliegende Arbeit unternimmt nicht den Versuch, selbst einen Beitrag zur Ideen-, Ereignis-, Struktur oder Kausalgeschichte der Filmkunst zu leisten. Dennoch macht sie umfangreichen Gebrauch von den Forschungsergebnissen der Filmwissenschaft. Dabei zielt die Rezeption der vorliegenden Forschung zur Filmgeschichte einerseits und zur Ideengeschichte des Filmkunstdiskurses andererseits auf die Identifikation von Umbruchphasen im Prozess der strukturellen Ausdifferenzierung der Filmkunst wie diskursiven Konstruktion einer auf diese bezogenen Ästhetik. Die auf dieser Basis ausgewählten Phasen werden sodann in Form von drei Fallstudien als spezifische historische Konstellationen von Kommunikation durch und über Filmkunst analysiert. Die Selektion der Fallstudien folgt demnach dem systematischen Interesse der Arbeit, die Ausdifferenzierung der Filmkunst im Wechselspiel von diskursiver und operativer Ebene zu analysieren. Ausgewählt für die Fallstudien werden deshalb Phasen des Umbruchs, in denen sich entscheidende Transformationen erstens der Struktur, zweitens des Mediums Film und drittens der semantischen Grundlagen der Selbstbeschreibung der Filmkunst beobachten lassen. Motor dieser Transformationen sind historisch im Einzelnen aufzuzeigende Verschiebungen der Anlehnungskontexte des Films.

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1.2.1 Geschichte und Theorie der Filmkunst Die Filmgeschichte ist in ähnlicher Weise wie die Kunstsoziologie mit dem Problem konfrontiert, sich von den Konzepten und Semantiken des Selbstbeschreibungsdiskurses zu emanzipieren. So stuft der Filmhistoriker Thomas Elsaesser (2002, S. 40) den Mainstream der filmhistorischen Arbeiten zur Frühgeschichte des Films in Deutschland als »Teil dessen, was oft als Industrie des kulturellen Erbes oder als Geschäft mit der Nostalgie bezeichnet wird« ein und kommt resümierend zu dem Schluss, dass sich »diese Publikationen grob in zwei Gruppen unterteilen: in biografische und geografische Untersuchungen.« Dieser Bestandsaufnahme stellt Elsaesser (ebd., S. 40) das Postulat entgegen: »Eine Filmgeschichte, die sich nur an ›Fakten‹ hält, ist streng genommen unvorstellbar.« In ähnlicher Weise wie Elsaesser kritisiert auch Gaudreault (2008) eine positivistisch-teleologische Ereignisgeschichte der Kinematographie. Ihm zufolge impliziert jede Geschichte des Films eine Theorie des Films: »Quand on y pense, il est tout à fait dans l’ordre des choses que les questions relatives aux premiers temps du cinéma intéressent autant l’historien que le théoricien. Tout historien du cinéma est aussi, qu’il le veuille ou non, un théoricien du cinéma [...]« (Ebd., S. 24)

Gaudreault formuliert dieses Postulat eines inhärenten Zusammenhanges zwischen der Geschichtsschreibung und der Theorie insbesondere angesichts der filmhistorischen Kontroversen um den frühen Film. Die empirische Erforschung dieser Phase der Filmgeschichte zwischen 1895 und der Etablierung von Kinos, also festen Spielstätten, zu Beginn des 20. Jahrhunderts führt letztlich vor Aporien, die Theorieentscheidungen erzwingen. Im deutschsprachigen Kontext fordert Kreimeier (2011, S. 8) in ähnlicher Weise eine Abkehr von überholten historiographischen Mustern und eine verstärkte Begriffsarbeit, wenn er von einer Wende von den Kriterien der ›alten‹, an Kunst- und Literaturgeschichte orientierten Filmgeschichtsschreibung zu einer dem Gegenstand angemesseneren Methodologie spricht. Damit meint er, »[d]ass Film- und Kinogeschichte nicht nach dem Muster nationaler Historiografien geschrieben werden kann, sondern für ihre Parameter – ob Ökonomie oder Technik, Präsentations- und Rezeptionsformen, ob Fragen der Äs-

24 F ILM ALS W ELTKUNST thetik oder die der Massenkultur – vergleichende, im internationalen Rahmen überprüfbare Maßstäbe entwickeln muss« (2011, S. 8). Dabei möchte er (ebd., S. 10) allerdings zugleich die Engführung der New Film History auf die Umweltbedingungen des Gegenstandes Film zu Ungunsten des Films selbst vermeiden und sich stattdessen der »Eigenart und dem ästhetischen und inhaltlichen Reichtum der frühen Filme widmen.« Es stellt sich die Frage, in welcher Weise die vorliegende Arbeit Anschluss an den umfangreichen historiographischen Diskurs zum frühen Film, zur Entstehung des Kinos sowie zur Etablierung des Spielfilms suchen kann, und dabei zugleich den Versuch unternehmen kann, die Komplexität des Gegenstandes aus soziologischer Perspektive zu beschreiben. Letzteres ist aus Sicht der Filmhistoriker, darauf sei ausdrücklich hingewiesen, eine potentiell problematische, da reduktionistische Vorgehensweise: »Die Filmgeschichte wird zu oft von Historikern der Vereinheitlichung geschrieben, die im Durcheinander des frühen Films etwas suchen, was es dort nicht gibt.« (Gaudreault 2003, S. 35)

Die vorliegende Studie schließt sich der Diagnose Gaudreaults an, dass sich in der Zeit zwischen der ersten öffentlichen kinematographischen Vorführung und der Ausbildung des Spielfilms in den 1910er Jahren – und auch noch weit darüber hinaus – eine mediale Vielgestaltigkeit beobachten lässt, die sich der Darstellung nach Maßgabe einer eindimensionalen Entwicklungslogik entzieht. Gaudreault (ebd., S. 35) kritisiert den Hang der Filmgeschichtsschreibung zu einer »Periodisierung a posteriori« mit dem Argument, der Filmhistoriker ließe sich »auf ein Unterfangen ein, bei dem er riskiert, gerade das, was man historisches Verstehen nennt, zu verfehlen und gleichzeitig in das Korsett eines teleologischen Ansatzes gezwängt zu werden«. (ebd., S. 35) Stattdessen sollten »[d]ie Filmhistoriker [...] großes Interesse daran haben, diese zu verwerfen, und sich stattdessen für eine Vielfalt an Perspektiven entscheiden« (ebd., S. 35). Dies sei gerade in Auseinandersetzung mit der Präkinematographie und dem Film der Frühzeit von entscheidender Bedeutung, denn »[b]eide Gegenstandsbereiche teilen ein gemeinsames, wesentliches Merkmal, das bis jetzt noch nicht nachdrücklich genug zur Kenntnis genommen wurde: ihre Vielgestaltigkeit« (ebd., S. 35).

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Ich schließe an diesen Forschungsstand an, wenn ich ebenfalls das Erfordernis neuerlicher Theorieanstrengungen betone, schlage jedoch einen sich von der filmhistorischen Forschung deutlich unterscheidenden, nämlich soziologisch grundierten Lösungsansatz vor. Aus dieser Warte ist Gaudreault zwar darin Recht zu geben, dass die Geschichte der Filmkunst zu facettenreich ist, um unter einem eindeutigen Leitbegriff in ihrer Gänze angemessen beschrieben werden zu können. Allerdings teilen die vorliegenden historischen Studien nicht den von Gaudreault gezogenen Schluss, dass angesichts des Facettenreichtums der Filmkunstgeschichte jede wissenschaftliche Beschreibung derselben ebenfalls stets mit einer Vielfalt an Perspektiven arbeiten sollte. Stattdessen gehen sie von der Prämisse aus, dass gerade aus einer einheitlichen theoretischen Perspektive die Vielgestaltigkeit der historischen Vergangenheit sichtbar gemacht werden kann. Aus den filmhistorischen Debatten über den frühen Film lassen sich drei Schlüsse ziehen, die als Prämissen den historischen Fallstudien zur Entstehung der Kunst wie Ästhetik des Films zu Grunde gelegt werden sollen: Es gilt erstens keinen Historismus zu betreiben, der sich darauf beschränkt, ein rückblickendes Resümee des Selbstbeschreibungsdiskurses zu konstruieren. Anstatt anhand von »Fakten« die Geschichte des Films in Form von Biographien, Firmenportraits oder nationaler Historiographie zu erzählen, gilt es, eine Perspektive einzunehmen, die sich von den Semantiken des Selbstbeschreibungsdiskurses und den in sie eingeschriebenen Beobachterperspektiven der beteiligten Akteure emanzipiert. Hierzu bedarf es zweitens einer theoretischen Reflexion. Diese nimmt drittens zwar den filmhistorischen Hinweis hinsichtlich der Gefahren einer theoretischen Vereinheitlichung a posteriori ernst, ohne hieraus allerdings zu schlussfolgern, dass deshalb die Filmgeschichte in ihrer Vollständigkeit durch den Rückgriff auf eine Vielfalt der Perspektiven zu erschließen sei. Stattdessen soll Anschluss an die soziologische Differenzierungs- wie Wissenssoziologie gesucht werden. Damit wird der Anspruch aufgegeben, die Entstehungsgeschichte des Films in ihrer Gänze zu erfassen, um stattdessen eine an den genuin soziologischen Erkenntnisinteressen von Gesellschaftstheorie und differenzierungstheoretischer Kunstsoziologie orientierte, selektive Rekonstruktion der Ausdifferenzierung der Filmkunst anzufertigen.

26 F ILM ALS W ELTKUNST 1.2.2 Phasen der Filmgeschichte Der Ausgangspunkt für die Auswahl der im Folgenden präsentierten historischen Fallstudien (vgl. Kapitel 3–5) ist die Suche nach Episoden, die im zeitgenössischen Diskurs und in der wissenschaftlichen Forschung als Zeiten des Wandels beschrieben worden sind. Die Identifikation der verschiedenen Phasen der Entstehung der Kunst wie Ästhetik des Films stellt demnach zunächst keine spezifisch soziologische Erkenntnisleistung dar. Hier schließt die vorliegende Arbeit an den bereits im filmhistorischen Diskurs erlangten Erkenntnisstand an. Die drei Phasen, die im Zentrum der Fallstudien stehen, sind im Einzelnen: erstens die Erfindung der kinematographischen Apparate im späten 19. Jahrhundert, zweitens die Etablierung ortsfester Spielstätten und die zeitgleiche Innovation »Spielfilm« zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie drittens schließlich die Institutionalisierung der Filmwelt in den 1920er Jahren und die Entstehung erster umfangreicher Ästhetiken des Films. Die Unterscheidung der drei Phasen ist heuristisch gemeint. Das Ziel besteht nicht darin, tatsächliche Zäsuren im historischen Kausalverlauf zu identifizieren. Vielmehr sind die drei Phasen aus einer gesellschafts- beziehungsweise differenzierungstheoretischen Perspektive von Interesse, da sich in ihnen jeweils prägnant drei grundlegend verschiedene Konstellationen von Struktur, Medium und Semantik zeigen. Auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung greife ich auf die Erkenntnisse der filmhistorischen Forschung zurück. Ich unternehme allerdings ganz bewusst nicht den Versuch, den filmhistorischen Forschungsstand auf der Ebene überprüfbarer Fakten zu korrigieren oder zu erweitern. Denn das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit bewegt sich auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung und konzentriert sich darauf, erstens den sozialen Prozess zu rekonstruieren, in dessen Zuge sich die Filmkunst als kommunikatives Subsystem ausdifferenziert, und zweitens die diesen Prozess tragenden Mechanismen zu identifizieren. Die soziologische Perspektive zielt auf eine spezifische Form der Beobachtung zweiter Ordnung, die die Gesellschaft anhand ihrer Selbstbeschreibungen darauf hin beobachtet, wie sich ein Unterscheidungsgebrauch entwickelt, der die Ausdifferenzierung der Filmkunst als eigenständiges Kommunikationssystem trägt. Dieses hoch selektive Erkenntnisinteresse unterschei-

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det sie von anderen Typen der Beobachtung zweiter Ordnung des filmästhetischen Diskurses. So beobachtet Victor F. Perkins (1972) ebenfalls Filmästhetiken auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung. Er verfolgt dabei allerdings ein anderes Erkenntnisinteresse, nämlich selbst eine Ästhetik des Films zu formulieren.2 Die folgenden Fallstudien verstehen sich nicht als Beitrag zur Geschichte oder Ästhetik der Filmkunst oder gar als MetaFilmgeschichtsschreibung im Sinne einer die bestehenden Beschreibungen der Filmkunst überbietenden Superbeschreibung, sondern als Rekonstruktion der Ausdifferenzierung der Filmkunst in der modernen Gesellschaft. 1.2.3 Attraktionskino/Narrativität Seit den 1980er Jahren hat sich die Geschichte des frühen Films zu einem relativ eigenständigen und elaborierten Forschungszweig innerhalb der Filmgeschichtsschreibung entwickelt. Ausgangspunkt dieser, wie Bottomore (1994, S. 127) schreibt »›revolution‹ in early cinema studies« ist 1978 die Brighton Conference, auf der erstmalig eine umfassende Auswahl des Filmschaffens zwischen 1900 und 1906 zu sehen ist. Gaudreault (2006, S. 100) unterstreicht die fachhistorische Bedeutung der Konferenz, wenn er in einem Rückblick von der »Brighton generation« der Filmhistoriker spricht, und damit auf die performative Bedeutung anspielt, die dem Akt der Brightoner Deklaration des Forschungsgegenstandes »früher Film« zukommt: »In fact, one of the oddities of early cinema, which raises significant confusion for both early cinema scholars and outside observers, is that its existence partially depends on the performative act of declaring it exists.« (Gaudreault/Dulac/Hidalgo 2012b, S. 1)

Der performative Akt, von dem Gaudreault spricht, besteht im Kern in einer Abgrenzungsbewegung. So grenzt sich die Forschung unter dem Leitbegriff »Early Cinema« (Gaudreault/Holman 1982; Abel 2005; Gaudreault/Dulac/ Hidalgo 2012a) von einer Filmgeschichtsschreibung ab, die das frühe Kino einzig als defizitäres Unterfangen einstuft, dem höchstens eine vorbereitende Rolle in der Etablierung des Spielfilm-Formats zukommt, das sich in para-

2 Eine ausführliche Rekonstruktion und kritische Würdigung des Ansatzes findet sich in Carroll (1988, S. 174 ff.).

28 F ILM ALS W ELTKUNST digmatischer Weise im Hollywood der 1920er Jahre entwickelt (Bordwell/ Staiger/Thompson 1985). Einen Überblick über den gesamten Verlauf der Debatte über den Status des frühen Films geben die Aufsatzsammlungen von Elsaesser (1990c) sowie Strauven (2006b). Im Folgenden konzentriert sich die Darstellung auf zwei Fragen, die sich ergeben, wenn man den Historikern der New Film History (Elsaesser 1986, 1990b; Gaudreault/Gunning 2006, S. 365) darin folgt, dass sich die zwischen 1895 und 1906 produzierten wie projizierten Filme radikal von späteren Werken unterscheiden. Zum einen stellt sich die Frage, wie, d. h. mit welchen Leitkonzepten der Film vor 1906 zu beschreiben ist, wenn die Begriffe des um Handlung kreisenden Spielfilms hierfür nicht die geeigneten Ressourcen zur Verfügung stellen. Zum anderen ist zu fragen, wie das Verhältnis von »frühem« Film und »späterem« Spielfilm zu interpretieren ist, wenn man nicht länger davon ausgeht, die Jahre vor 1906 seien in jeder zentralen Hinsicht in einer Kontinuität sowohl gegenüber der Vergangenheit als auch gegenüber der Zukunft zu analysieren. Unter den Kritikern der traditionellen Filmgeschichtsschreibung lassen sich nach Bottomore (1994) zwei Hauptströmungen unterscheiden: erstens das Konzept des Kinos der Attraktionen, wie es maßgeblich von Tom Gunning (1986) und André Gaudreault ausgearbeitet worden ist, und zweitens der Begriff der »screen history« in der Fassung von Musser (1990a). Obschon sich die Einschätzungen hinsichtlich dessen, worin das frühe Kino besteht, deutlich unterscheiden, ist allen Beobachtern zumindest gemeinsam, dass sie überhaupt von einer Eigentümlichkeit und Eigenständigkeit des frühen Films im Vergleich zum Kino ab den 1920er Jahren ausgehen. Worin diese sodann jedoch besteht, daran scheiden sich, wie im Folgenden gezeigt werden soll, bis heute die Geister. Early Cinema Publizistisch steht am Beginn des Forschungszweiges, der sich seit circa dreißig Jahren mit dem frühen Film befasst, ein Beitrag von Tom Gunning (1986) in der Zeitschrift Wide Angle. In diesem kritisiert der Autor die Hegemonie einer Perspektive, die das frühe Kino auf seine Funktion als Vorläufer des narrativen Spielfilms reduziert:

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»The history of early cinema, like the history of cinema generally, has been written and theorized under the hegemony of narrative films. Early film-makers like Smith, Méliès, and Porter have been studied primarily from the viewpoint of their contribution to film as a storytelling medium, particularly the evolution of narrative editing. Although such approaches are not totally misguided, they are one-sided, and potentially distort both the work of these filmmakers and the actual forces shaping cinema before 1906.« (Ebd., S. 64)

Gunning vertritt die These, dass es eine »hegemony of narrative films« gebe, die sich prägend auf die Forschungsbemühungen zum frühen Film auswirke und diesen in ebenso reduktionistischer wie teleologischer Manier als Vorläufer des späteren Spielfilms behandele. Im Unterschied zu Gunning und Gaudreault zielt Musser unter dem Leitbegriff »screen history« nicht primär auf die Filme selbst. Vielmehr macht er die historische Zäsur, die den frühen Film vom »klassischen« Spielfilm trennt, insbesondere am Kontext fest, in dem die Aufnahmen gezeigt werden. Musser vertritt in seinen historischen Untersuchungen (Musser 1990c, 1994; Mathews/Musser/Braun 2005) die These, dass die frühe Filmpraxis primär durch die sogenannten »post-production narratives« bestimmt gewesen sei (Musser 1991). Zudem interessiert sich Musser (1990a) für die Abgrenzung des Kinematographen von früheren optischen Medien. Hierbei kommt er zu dem Schluss, dass es die Fähigkeit zu einer das Publikum überwältigenden Sinnestäuschung ist, die die differentia specifica der neuen Apparate begründet.3 Strauven (2006a, S. 17) fasst den zentralen Unterschied, der zwischen den Ansätzen von Gunning und Gaudreault einerseits sowie von Musser andererseits besteht, folgendermaßen zusammen: »Whereas the concept of monstration implies a (narratological) instance that shows something, the notion of attraction emphasizes the magnetism of the spectacle shown. In the mode of attraction the spectator is attracted toward the filmic (or the apparatical); this direction is somehow reversed in the case of monstration, where the filmic (or the

3 Der Vollständigkeit halber sei zudem auf Burch (1990) hingewiesen, der eine Unterscheidung zwischen einem ›institutional mode of representation‹ und einem ›primitive mode of representation‹ vorschlägt, um die Differenz von frühem Film und klassischem Studiosystem zu beschreiben.

30 F ILM ALS W ELTKUNST apparatical) is monstrated to the spectator. Attraction involves, more manifestly than monstration, the spectator; it is a force put upon the latter.« (Strauven 2006a, S. 17)

Kreimeier (2011, S. 168) hält allerdings – trotz der hier dargestellten Unterschiede – fest, dass sich »die Vertreter beider Lager auf einen gemeinsamen Maßstab beziehen«, der sich an den »Kriterien des Hollywood-Kinos« orientiert.4 Deshalb kommt er in Bezug auf die filmhistorische Debatte um das Verhältnis von Attraktion und Narration im frühen Film letztlich zu einem Fazit, das die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen »Schulen« der New Film History in den Mittelpunkt rückt: »Sowohl das cinema of attractions als auch das erzählende Kino, die Fiktionen wie die Aktualitäten stehen in alten Traditionslinien, zugleich revolutionieren sie den Anspruch, das Feld des Sichtbaren zu besetzen und die Aufmerksamkeit durch wirkmächtige Wahrnehmungsmuster zu steuern. In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts stehen Formen und Richtungen der Weltkinematografie, die Bedingungen, unter denen sie sich zum Massenmedium entwickeln wird, noch zur Disposition. Zwei ›Ausdruckskulturen‹ – Attraktion und Narration – halten sich die Waage.« (Ebd., S. 182)

Beide Ansätze einer Rekonstruktion der Geschichte des »early cinema« widersprechen sich nicht fundamental, sondern schätzen allein die relative Bedeutung von Spektakel und Programmgestaltung unterschiedlich ein. Während Vertreter des »cinema of attractions«-Modells ihre Aufmerksamkeit auf einzelne Filme konzentrieren, nehmen die Anhänger des »›screen‹ history«Ansatzes die gesamte Aufführungspraxis in den Blick und situieren damit die einzelnen Filme jeweils im Kontext eines Programms. Für die vorliegende Ar-

4 Dieselbe Beobachtung äußert bereits Elsaesser (1990a, S. 405 f.), der im Nachwort zu einem Sammelband, der versucht, das ganze Spektrum der Forschung zum frühen Film abzubilden, festhält: »In analyzing ›primitive‹, ›early‹, or ›pre-Griffith‹ cinema, there has thus been throughout a tendency to define it against what it was not, by using the classical paradigm as the implicit vantage point. This is where the ›old‹ history intersects with the ›new‹, and where one needs to be especially vigilant not to construct binary models around early cinema, but also not posit total rupture between different modes.«

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beit ist insbesondere ein Befund, den beide Ansätze teilen, von Interesse: die Abwesenheit intendierter Narrativität in den Filmen selbst. Die Narrativisierung der Attraktionen Festhalten lässt sich also, wie der soeben skizzierten Debatte über den Status des »early cinema« zu entnehmen ist, dass Film zunächst als unterhaltsames Wahrnehmungsmedium fungiert: »Setzt man die Vorführungen der Lumières im Dezember 1895 im Grand Café am Boulevard des Capucines und Edwin S. Porters The Great Train Robbery von 1903 als Eckdaten der kinematografischen Frühphase an, so haben in den Zwischenjahren, außer Georges Méliès, britische Hersteller wie Hepworth und George Albert Smith Grundlagen für ein ›filmisches‹, dem Medium adäquates und von ihm inspiriertes Sehen geschaffen.« (Ebd., S. 175)

Es stellt sich somit die Frage, wie auf dieser Basis binnen weniger Jahre der in festen Spielstätten gezeigte Spielfilm entstehen konnte. Mit Gunning ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung zwischen 1907 und 1913 vollzog. In dieser Zeit habe sich die »true narrativization [Hervorhebung im Original, S.P.] of the cinema, culminating in the appearance of feature films«, ereignet (Gunning 1986, S. 68). Ähnlich fällt das Urteil von Gaudreault aus: »Nous avons identifié [...] deux modes de la pratique filmique. Le premier mode aurait dominé jusqu’aux environs de 1908, le second aurait étendu sa domination jusque vers 1914. Nous avons appelé le premier ›système des attractions monstratives‹, le second ›système d’intégration narrative‹.« (Gaudreault 2008, S. 97)

Zwar setzt dieser die Zäsur ungefähr zwei Jahre später als Gunning an, dennoch vertritt er letztlich dasselbe Argument. Im Anschluss an die Unterscheidung zweier Modi filmischer Praxis, einem bis ca. 1908 dominanten System der »attractions monstratives« einerseits und einem hierauf folgenden System der »intégration narrative« andererseits, entfaltet er die These, die »diverses figures filmiques, caractéristiques de ce qu’il est convenu d’appeler, peut-être à tort, le langage cinématographique« seien bereits im Rahmen des Systems der »attractions monstratives« (ebd., S. 97 f.) entwickelt worden. Filmische Figuren wie »gros plan, plongée, travelling, etc.« (ebd., S. 98) hatten zur Zeit des

32 F ILM ALS W ELTKUNST frühen Films keine erzählerische Funktion, bilden aber dennoch die zentralen Anschlusspunkte zur Entwicklung des Spielfilms. Dasselbe Argument findet sich bei Gunning (1986, S. 68), der am Beispiel von Filmen, die spektakuläre Verfolgungsjagden zeigen, die These vertritt: »towards the end of this period (basically from 1903–1906) a synthesis of attractions and narrative was already underway.« Beide Autoren gehen demnach davon aus, dass das Format des Spielfilms durch die Refunktionalisierung von vormals im Kontext optischer Spektakel entwickelter filmischer Formen zum Zwecke des Erzählens entstanden ist. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Gaudreaults These von der »intégration narrative« der filmischen Formen der »attractions monstratives« und Gunnings These von »true narrativization« des »cinema of attraction« beide davon ausgehen, dass der Spielfilm als Folge einer Refunktionalisierung filmischer Formen entstanden ist. Im Anschluss an die filmhistorische Forschung lassen sich für die Zwecke der Fallstudien somit die folgenden drei Phasen heuristisch annehmen: Erstens die Zeit von 1895 bis zur Etablierung ortsfester Spielstätten in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts; zweitens die Entstehung erster Spielfilme in den 1910er Jahren und drittens die Institutionalisierung des Films als eigenständiger Kunstart. Diese Phasen sind nicht als Zäsuren der Filmgeschichte gemeint, sondern sie beziehen sich auf die Frage, in welchem Prozess und auf Basis welcher Mechanismen sich Film zu einem unterscheidbaren und in Selbstbeschreibungen reflektierten künstlerischen Medium entwickelt. Diese Frage steht in der bisherigen kunstsoziologischen Forschung, wie im Folgenden gezeigt werden soll, nicht im Zentrum (vgl. Kapitel 1.3), so dass eine gesellschaftstheoretisch interessierte Kunstsoziologie anders ansetzen muss (vgl. Kapitel 2).

1.3 K UNSTSOZIOLOGISCHER F ORSCHUNGSSTAND Die Entstehung der Filmkunst kann, wie die Etablierung einer Avantgarde oder Aufstieg, Blüte und Verfall eines Stils aus allgemeinsoziologischer Sicht als Phänomen des Strukturwandels von Kunst aufgefasst werden. Der Fall der Filmkunst unterscheidet sich allerdings von den anderen genannten Beispielen, da mit dem Film der seltene Fall des Aufkommens eines ganz neuen Mediums beobachtbar wird, während der gewöhnliche Strukturwandel nur schon

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Bestehendes variiert. Bildende Kunst, Musik und Literatur bestehen seit der Antike und evoluieren auf Basis derselben Wahrnehmungsmedien, der Film markiert hingegen das Aufkommen eines neuen Mediums, das alle bisher für Kommunikation durch Kunst verwendeten Medien integriert. Zudem haben diverse Kunstarten ihrerseits Anleihen beim Film genommen oder gerade umgekehrt ihre Eigentümlichkeit in Abgrenzung vom Film betont. Eine kunstsoziologische Perspektive, die diesen Veränderungsprozess erfassen möchte, sollte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ansetzen. Sie kann sich nicht darauf beschränken, die Interaktion von Künstlern oder Organisationen der Kunst zu untersuchen. Mit dieser Prämisse schließt die vorliegende Arbeit an Bourdieu an, der bereits in seiner Auseinandersetzung mit Webers Religionssoziologie, also noch vor den späteren Studien zu einzelnen Feldern kultureller Produktion (Bourdieu 1984, 1992), zu dem Schluss kommt: »[I]l faut opérer une [...] rupture et subordonner l’analyse de la logique des interactions qui peuvent s’établir entre des agents directement en présence et, en particulier, les stratégies qu’ils s’opposent, à la construction de la structure des relations objectives entre les positions qu’ils occupent dans le champ religieux, structure déterminant la forme que peuvent prendre leurs interactions et la représentation qu’ils peuvent en avoir.« (Bourdieu 1971, S. 5)

Bourdieu führt die Unterscheidung zwischen der Logik der Interaktion (»logique des interactions«) und der der objektiven Struktur des religiösen Feldes (»structure des relations objectives«) ein, um auf dieser Basis die These zu formulieren, dass die Strukturen des Feldes die Formen möglicher Interaktionen determinieren (Bourdieu/Wacquant 1996a, S. 127). Die gesellschaftstheoretische Perspektive auf Formen kultureller Produktion, für die Bourdieu in obigem Zitat mit Verweis auf den determinierenden, übergeordneten Charakter von Feldern argumentiert, erfüllt für die vorliegende Arbeit die Funktion, die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes zu reduzieren. Während Gunnar Otte (2012, S. 137) aus der »Komplexität künstlerischer Phänomene und ihrer Spezifika nach Raum, Zeit und Sparte« die Notwendigkeit zur »Großforschung« in diesem Bereich ableitet, »um Aufschlüsse über die Reichweite soziologischer Erklärungen zur Kunst zu erhalten«, schlägt die vorliegende Arbeit an dieser Stelle als Alternative vor, eine zweifache Reduktion vorzunehmen. Zum einen wird es darum gehen,

34 F ILM ALS W ELTKUNST das spezifisch soziologische Erkenntnisinteresse im Unterschied zu anderen Beschreibungen der Kunst, wie sie beispielsweise die Kunstgeschichte oder die philosophische Ästhetik anfertigen, zu fokussieren. Zum anderen konzentriert sich der Blick sodann in einem zweiten Schritt der Reduktion auf eine primär gesellschaftstheoretische Ebene, die auf Basis eines Sets differenzierungstheoretisch informierter Begriffe präzisiert wird. Sowohl die Soziologie der Kunst im Allgemeinen als auch soziologische Arbeiten zur Filmkunst im Besonderen sind durch eine Vielzahl sehr heterogener Paradigmen, Schulen und Erkenntnisinteressen geprägt, die im Resultat eine Vielfalt an Fragestellungen und Forschungsergebnissen zu Tage gefördert haben. Eine umfassende Darstellung hat Alfred Smudits (2014, S. 2) vorgelegt, der von der Prämisse ausgeht, dass »[e]ine Darstellung aktueller kunstsoziologischer Positionen und Fragestellungen [...] nur relevant und sinnvoll vor dem Hintergrund der Entwicklung des Faches der Kunstsoziologie« sei und zugleich eine »Soziologie der Kunstsoziologie zu betreiben« habe. Weitere Überblicksdarstellungen zum aktuellen Forschungsstand der Kunstsoziologie sind in der jüngsten Vergangenheit ebenfalls von Dagmar Danko (2012), Valerie Moser (2014, S. 19 ff.), Walther Müller-Jentsch (2012) sowie Dagmar Danko und Andrea Glauser (2012) publiziert worden. Gunnar Otte (2012) hat zudem eine Bestandsaufnahme der Arbeiten der empirischanalytischen Kunstsoziologie der »Kölner-Schule« (Thurn 1973; Silbermann 1986) erstellt, um auf dieser Basis eine Programmatik zu entwickeln, die die Vielzahl von in Einzelstudien gewonnen Ergebnissen in Abgrenzung zu den Forschungsbemühungen verwandter empirisch-sozialwissenschaftlicher Disziplinen wie Kunstökonomik und -psychologie integriert. Eine vergleichbare fachhistorische Einordnung der Kunstsoziologie soll im Folgenden nicht geleistet werden. Stattdessen wird es darum gehen, den kunstsoziologischen Forschungsstand in Hinblick auf seine Anschlussfähigkeit für die gesellschafts-, genauer differenzierungstheoretische Leitfrage nach der Entstehung der Filmkunst und einer auf sie bezogenen Ästhetik zu sichten. Angesichts dieser Prämisse eines gesellschaftstheoretisch motivierten Erkenntnisinteresses konzentriert sich die Darstellung im Folgenden auf jene Schulen und Konzepte der Kunstsoziologie, die Kunst erstens in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang rücken und sich dabei zweitens spezifisch für den künstlerischen Wandel als Teilaspekt des Strukturwandels der modernen Gesellschaft interessieren und dadurch in Hinblick auf die dif-

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ferenzierungstheoretischen Erkenntnisinteressen der vorliegenden Untersuchung potentiell anschlussfähig sind. Aus dieser Entscheidung folgt, dass Ansätze, die ebenfalls auf das Verhältnis von Kunst und moderner Gesellschaft abstellen, dabei allerdings nicht aus einer differenzierungstheoretischen Warte beobachten, in der Darstellung des Forschungsstandes keine Berücksichtigung finden. Dieser Fokus auf Soziologien, die Kunst im Anschluss an Weber als eine von mehreren koexistierenden Wertsphären der Moderne beschreiben, schließt insbesondere zwei prominente Varianten, Gesellschaft und Kunst zu relationieren, explizit aus: Dies sind zum einen Ansätze, die Kunst und Gesellschaft als Gegensatz auffassen und sodann etwa nach der sozialen Einbettung von Kunstphänomenen fragen. Zum anderen sind dies Versuche, Kunst(werke) als Spiegel der Gesellschaft zu lesen, wie dies für den Fall der Filmkunst und die Gesellschaft der späten Weimarer Republik von Siegfried Kracauer (1947) in Von Caligari zu Hitler vorgeführt und später insbesondere durch die »Cultural Studies« popularisiert worden ist. Statt einen dieser beiden Modi der Relationierung von Kunst und Gesellschaft zu wählen, nimmt die vorliegende Untersuchung eine Perspektive ein, die Kunst nicht im Unterschied, sondern selbst als Vollzug von moderner Gesellschaft versteht. Blickt man unter dieser spezifischen Prämissen auf den Forschungsstand der Kunstsoziologie, rücken drei Ansätze ins Zentrum der Aufmerksamkeit: die bourdieusche Feldtheorie, der Neoinstitutionalismus und die Systemtheorie. Allen drei ist gemeinsam, dass sie Kunst auf der Ebene von Gesellschaft betrachten anstatt den Blick auf einzelne Gruppen (Avantgardebewegungen, Schulen, Künstlergruppen), Organisationen (Museen, Opernhäuser), Typen von Interaktion (Konzert, Performance) oder andere künstlerische Phänomene, die auf der Mikro- oder Mesoebene angesiedelt sind, zu richten. Wie erklären diese Kunstsoziologien den Wandel moderner Kunst und der auf sie bezogenen Ästhetiken? Zur Beantwortung dieser Frage werde ich im Folgenden anhand der drei Leitbegriffe Legitimität, Hierarchie und Autonomie sowohl die Potentiale wie die Defizite der kunstsoziologischen Erklärungen des historischen Wandels der Kunst herausarbeiten. Als Unterscheidungen formuliert handelt es sich erstens um die Grenze zwischen legitimer und illegitimer Kunst, zweitens um die Unterscheidung von oben und unten sowie drittens um den Gegensatz von Autonomie und Heteronomie. Die Aufarbeitung des Forschungsstandes entlang dieser drei Unterscheidungen zeigt, dass die bourdieusche Feldtheorie wie auch der Neo-Institutionalismus den Mög-

36 F ILM ALS W ELTKUNST lichkeitsraum empirischer Analysen auf begrifflicher Ebene bereits so stark beschränken, dass sie den Wandlungsprozess der Kunst nicht adäquat erfassen können. Der Grund hierfür liegt in einer mangelnden Reflexion der Differenz von künstlerischer Selbstbeschreibung und soziologischer Fremdbeschreibung. Dies führt einerseits dazu, dass historisch kontingente Semantiken der Kunst ungeprüft in die soziologische Begriffsbildung überführt werden. Andererseits lässt sich ein soziologischer Reduktionismus beobachten, der Spezifika der Kunst ausblendet. So etwa, wenn ästhetische Präferenzen auf Schichtzugehörigkeiten reduziert werden, ohne zu reflektieren, dass die Diagnose, dass Bürger häufiger ins Theater oder in Museen gehen als Angehörige der Unterschicht, nicht den kunstspezifischen Unterschied zwischen Drama und Malerei zu erhellen vermag. So fragt beispielsweise Klein (1997, S. 338), was eine kunstsoziologische Studie über die Besucher von Kunstmuseen »über deren demographische und soziale Charakteristika, Erwartungshaltungen, Erfahrungen, Besuchsmotivationen, Verhaltensweisen und Urteile soziologisch Mitteilenswertes« zu berichten hat, und beantwortet diese Frage mit einer offenen Liste von »soziologisch relevanten Fragestellungen [, die] im Zusammenhang mit Rezipienten und Rezeptionsbedingungen sowie Formen und Stilen bildender Kunst auftreten« (ebd., S. 355). Dabei bleibt allerdings die Frage nach dem spezifischen Erkenntnisinteresse der Kunstsoziologie, wie Klein (ebd., S. 355) selbst vermerkt, unbeantwortet. Angesichts dieser Erkenntnisblockaden des Mainstreams der Kunstsoziologie, die die kunstspezifische Emergenz von Teilsystemen, d. h. die dem System »Kunst« im Unterschied zu anderen Funktionssystemen eigentümliche Form interner Differenzierung, letztlich bereits durch begriffliche Vorentscheidungen der Beobachtung entziehen, schlage ich eine Beobachtung zweiter Ordnung der Kommunikation über sowie durch Filmkunst als alternative soziologische Perspektive auf den Fall »Filmkunst« vor (vgl. Kapitel 2). Der Vorteil dieser Betrachtungsweise mit den Theoriemitteln der luhmannschen Gesellschaftstheorie liegt darin, dass sie ohne weitreichende soziologische Prämissen an den Gegenstand Kunst herantritt und dabei zugleich Distanz zum Selbstbeschreibungsdiskurs desselben wahrt.

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1.3.1 Legitimität Legitimität ist eines der zentralen Konzepte der Kunstsoziologie, das zahlreichen Fallstudien, auch zur Entstehung der Filmkunst, als Leitkategorie dient (Baumann 2007a; Bourdieu 1993; Gauthier 2008; Kapsis 1989; Smith 1997; Zolberg 2000). So analysiert Paul Lopes (2002, S. 94) die Entwicklung der Jazz-Musik im US-amerikanischen Kontext des 20. Jahrhunderts als »quest for legitimacy«, Lawrence W. Levine (1988, S. 79) untersucht die Legitimierung von Shakespeare-Stücken als »Shakespeare’s transformation from popular to elite culture« und Pierre Bourdieu (1981) geht in seinen Untersuchungen zur Photographie sogar soweit, die geringe Legitimität dieser Kunstart als deren zentrales Charakteristikum zu erachten, und stellt entsprechend seine Untersuchung unter den programmatischen Titel »Eine illegitime Kunst«. Das entscheidende Merkmal eines Kunstwerkes ist folglich aus dieser Warte dessen Konsekration durch eine legitime Institution des künstlerischen Feldes. Der Kampf um die Konsekration der Werke und damit verbunden die Frage nach der legitimen Definition von Kunst ist, wie Pierre Bourdieu (1999, S. 355) ausführt, der Motor der Historizität der Felder künstlerischer Produktion: »Daß die Geschichte des Feldes die Geschichte des Kampfes um das Monopol auf Durchsetzung legitimer Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien ist: diese Aussage ist noch unzureichend; es ist vielmehr der Kampf selbst, der die Geschichte des Feldes ausmacht; durch den Kampf tritt es in die Zeit ein.« (Ebd., S. 253)

Dass Legitimität in Bourdieus eigener Forschung und in den zahlreichen an sein Feldkonzept anschließenden Studien die zentrale begriffliche Ressource darstellt, um die historische Entwicklung von Kunst zu erklären, zeigt sich beispielhaft an einer Untersuchung von Ingrid Gilcher-Holtey zum Aufstieg der Akteure der Gruppe 47: »Eine Erklärung für den Aufstieg der ›Gruppe 47‹ von einer marginalen zu einer mehr und mehr beherrschenden Position innerhalb des literarischen Feldes läßt sich gewinnen, wenn man die Strategien und Praktiken der Gruppe innerhalb des literarischen Feldes ansieht. Geht man davon aus, daß die Strategien, die eine Gruppe von Autoren verfolgt, abhängig sind von ihrer Position im Feld und unterstellt ferner, daß die-

38 F ILM ALS W ELTKUNST se Position bestimmt wird durch Verfügung über spezifisches Kapital, stellt sich die Frage, über welches spezifische Kapital die Gruppe verfügte und welche Strategien sie einsetzte, um Anerkennung und Konsekration zu erwirken.« (Gilcher-Holtey 2000, S. 152 f.)

Das Konzept der Legitimität verbindet die Struktur des Feldes mit den Akteurspositionen und der sozialen Praxis der symbolischen Auseinandersetzungen. Allerdings übergeht die feldtheoretische Rekonstruktion des Wandels kultureller Produktion die sachlich wie zeitlich vorausliegende Frage danach, wie die Absicht entsteht, ein bestimmtes Objekt zum Kunstwerk erklären zu wollen. Ungeklärt bleibt deshalb, was den Kampf um die Anerkennung der Werke der »Gruppe 47« als legitime Kunst motiviert; ausgeblendet wird mithin die Frage nach den kommunikativen Bedingungen der Möglichkeit des Anspruches auf Kunst. Der Mechanismus, der den Kampf der Akteure und damit den historischen Wandel des Feldes in Gang setzt und schließlich zu einer Umverteilung des feldspezifischen Kapitals zu Gunsten der Autoren der »Gruppe 47« sowie zugleich zur Durchsetzung ihrer Denk-, Wahrnehmungsund Bewertungsschemata im literarischen Raum führt, wird in diesem Modell bereits vorausgesetzt beziehungsweise mit der paradoxen Formulierung, die illusio (Bourdieu/Wacquant 1996b, S. 148 f.) sei zugleich Voraussetzung wie Produkt des Kampfes, in die bourdieusche Erklärung künstlerischer Veränderungsprozesse eingebunden. Aus der Perspektive der bourdieuschen Feldtheorie ist somit zu erwarten, dass sich die Entstehung der Filmkunst als ein sozialer Kampf um die legitime Anerkennung von Filmen als Kunstwerken vollzieht. Dieser Kampf wird zwischen unterschiedlichen Klassen des sozialen Raums ausgetragen, der in der bourdieuschen Soziologie per definitionem als Ungleichheitsstruktur aufgefasst wird. Jeder soziale Raum ist demnach ein Raum mit einem Oben und einem Unten. Auf der einen Seite situieren sich jene Akteure, die viel Kapital haben, auf der anderen Seite jene, die über so gut wie nichts verfügen. Damit ist die Frage, ob Film als Kunstart anerkannt wird, bereits aufgrund der theoretischen Prämissen der bourdieuschen Perspektive eine Frage, die auf Verhältnisse symbolischer Ungleichheit verweist. Die Emergenz der Filmkunst wird beschrieben als eine Veränderung des symbolischen Kapitals, das dem Medium Film im Allgemeinen oder einzelnen Filmwerken und ihren Produzenten im Besonderen zugerechnet wird. Die Entstehungsgeschichte der Filmkunst

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wird damit zu einer Erzählung über den sozialen Aufstieg des neuen Mediums, dessen Basis die wachsende Legitimität des Films ist: »In the beginning, then, the struggles over legitimacy which are always characteristic of consecration processes were struggles between fractions of the Bourgeoisie: attempts by a new generation to change the entrenched aesthetic positions of the older establishment, or, at least, to quarry out a place for film in the accepted panoply of the arts.« (Heise/Tudor 2007, S. 179)

Diese Variante der Entstehungsgeschichte der Filmkunst greift in entscheidender Hinsicht zu kurz. Denn sie erklärt einzig, durch welche Mechanismen der Film als Kunst anerkannt wird. Aus dieser Perspektive ist es allein entscheidend, dass der Film erfolgreich mit bereits etablierten Kunstarten verglichen beziehungsweise gleichgesetzt wird. Welche Kunstart jeweils als Vergleichsgröße herangezogen wird, spielt aus bourdieuscher Perspektive einzig insofern eine Rolle, als dass es darauf ankommt, den Film erfolgreich als etablierten Kunstarten gleichwertig gegenüber zu stellen. Kurz und an einem Beispiel gesagt: Feldtheoretisch ist für die Konstitution der Filmkunst zunächst entscheidend, dass sie als ebenso legitime Kunstart angesehen wird wie etwa das Theater oder die Malerei. In vergleichbarer Weise reduziert der Neo-Institutionalismus die Frage nach der Entstehung einer neuen Kunstart auf einen spezifischen Aspekt des historischen Geschehens, indem er auf die Popularisierung der Idee, Film sei Kunst, fokussiert (Baumann 2007b). Zum einen rekonstruiert Baumann die Motive der Filmindustrie, die dazu führen, dass man in Hollywood in den späten 1960er Jahren beginnt, die Kunstfähigkeit des Mediums Film als Strategie gegen rückläufige Zuschauerzahlen und somit schrumpfende Umsätze einzusetzen. Zum anderen zielt er darauf, die gesellschaftlichen Bedingungen zu analysieren, die die Voraussetzung für die erfolgreiche Legitimierung bestimmter Hollywoodproduktionen als Kunstwerke sind. Allerdings verzichtet Baumann darauf, die Frage zu stellen, wie die unterschiedlichen Akteure überhaupt dazu kommen, die Vorstellung zu entwickeln, Film sei eine neue Kunstart, um sodann für die breite Akzeptanz dieser Einschätzung des Mediums Film zu kämpfen. Zudem impliziert Baumanns Vorgehen, Ausdifferenzierung ließe sich mit der Durchsetzung von Legitimität gleichsetzen.

40 F ILM ALS W ELTKUNST Die Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Kunst ist nicht allein leitend für die soziologische Fremdbeschreibung der Kunst, sondern ist ebenso relevant für die kunstsoziologische Selbstbeschreibung der eigenen Subdisziplin. So stellt beispielsweise Joachim Fischer (2012, S. 185) fest: »Während kunstsoziologisch für frühere Kunstepochen die Erforschung des Verbundes von Kunst und (Klassen-)Herrschaft selbstverständlich legitim erscheint (feudale und höfische Kunst; die repräsentative Kunst des 19. Jahrhunderts), ist die Frage nach dem Zusammenhang von avantgardistischer, vor allem der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts und Herrschaftsdispositionen eher verpönt.« (Ebd., S. 185)

Während Fischer die Legitimität bestimmter soziologischer Erkenntnisinteressen in Bezug auf Kunst, wie beispielsweise die Frage nach dem Zusammenhang von Herrschaft und Werken der zeitgenössischen Kunst problematisiert, wirft Julian Müller die noch grundsätzlichere Frage auf, ob es sich für einen Soziologen überhaupt gehört, Kunstwerke zu analysieren: »Sind die Kunstwerke selbst gar keine legitimen Untersuchungsgegenstände der Soziologie? Fällt man automatisch hinter Bourdieu zurück und macht sich der Naivität schuldig, wenn man einen soziologischen Zugang zu den Kunstwerken anstrebt?« (J. Müller 2013, S. 166 f.)

Eine soziologische Untersuchung des Gegenstandes Filmkunst ist wiederum, wie manche soziologische Beobachter notieren, mit dem genau entgegengesetzten Problem konfrontiert. So sieht Hans Trenz (2005, S. 402) gerade in dem fragwürdigen Status des Films als Kunst den Grund dafür, dass eine eigenständige Filmsoziologie »nicht zu den Bindestrichsoziologien, die einen festen Platz in den Fakultäten unserer Universitäten beanspruchen könnten«, gehört. Die Filmkunst erscheint aus dieser Warte weder als ein bislang übersehenes Phänomen noch als eine wieder in Vergessenheit geratene historische Episode, sondern erweist sich vielmehr als ein geradezu »illegitimes« Thema: »Der Verdacht liegt nahe, dass Soziologinnen und Soziologen hier ihr Hobby zum Thema kurzweiliger Gelegenheitsarbeiten erheben, ohne in jedem Falle den vollen Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit genügen zu müssen. Filme sind eben Kunstwerke, und

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eine Beschäftigung mit ihnen gilt als Liebhaberei, nicht als wissenschaftliche Ernsthaftigkeit.« (Ebd., S. 402)

Soziologen, die sich mit Film beschäftigen, setzen sich demnach einem ähnlichen Verdacht aus, den schon die frühen Gegner des Films gegenüber den proletarischen Massen der Großstädte hegten: dem Verdacht auf Zerstreuung.5 1.3.2 Hierarchie Legitimität und Autonomie sind nicht bloß zentrale Begriffe der soziologischen Beschreibung von Kunst, sondern nehmen zugleich einen prominenten Platz in den Selbstbeschreibungsdiskursen der Kunst ein. Dies gilt für den Begriff der Hierarchie nicht in vergleichbarer Weise. Nichtsdestotrotz kommt der Zurechnung ästhetischer Phänomene auf unterschiedliche Positionen in einer hierarchischen Sozialstruktur eine zentrale Rolle in empirischen Untersuchungen aus dem Bereich der Kunstsoziologie zu. So nehmen Anheier und Gerhards (1997, S. 126) »die theoretische Vorstellung, daß man das Sozialgebilde Literatur als ausdifferenziertes und intern vertikal differenziertes System begreifen kann als Modellvorstellung zur Interpretation einer Befragung von Schriftstellern« und Sébastien/Pierre (2013) weisen mit einer Analyse der Karriereverläufe zeitgenössischer französischer Lyriker nach: »poetry is not characterized by anarchy but, instead, is a very structured social space wherein recognition is consensual, as well as hierarchized.« Die weitaus meisten kunstsoziologischen Fallstudien orientieren sich dabei an Bourdieus Feldbegriff oder am neo-institutionalistischen Konzept der »art world«6 (DiMaggio 1987).

5 Entsprechende Gegenreaktionen lassen sich sodann auch beobachten: »I never apologize for combining the word ›art‹ with the word ›cinema.‹« (Dudley 2010, S. V). 6 Mit einem Begriff von »art world« arbeitet auch Arthur Danto (1964), der allerdings kein soziologisches Konzept vorlegt, sondern im Anschluss an Weitz (1956), der – angesichts der Unmöglichkeit einer Definition des Begriffs »Kunst« – auf Basis der Sprachphilosophie von Wittgenstein (1953) einen philosophisch-analytischen Begriff von Kunstwelten erarbeitet. Ebenfalls unter dem Label »art world« ist im soziologischen Kontext insbesondere Howard S. Becker (1974) einflussreich, der auf mikrosoziologischer Ebene die kollektive Herstellung von Kunst analysiert.

42 F ILM ALS W ELTKUNST Bourdieu (1999, S. 253) stellt die Geschichtlichkeit und damit die Kontingenz gesellschaftlicher Strukturen in das Zentrum seiner Analysen. Allerdings beschränkt er den historischen Variationsspielraum auch in dieser Hinsicht wiederum bereits auf grundbegrifflicher Ebene, indem er von der Prämisse ausgeht, Felder seien prinzipiell hierarchisch strukturiert (Bourdieu/ Wacquant 1996a, S. 127). Das Modell eines sich in permanentem Kampf befindlichen sozialen Feldes impliziert, dass jede bedeutsame Veränderung der Kunstwelt das Produkt von Auseinandersetzungen zwischen Akteuren ist, die sowohl im Feld der Kunst als auch im gesamtgesellschaftlichen Sozialraum in hierarchischen Beziehungen zueinander stehen und ihren sozialen Positionen entsprechend konträre Ziele verfolgen. Prozesse ästhetischen Wandels, wie das Aufkommen der Kunst und Ästhetik des Films um die Jahrhundertwende, werden damit vor jeder empirischen Untersuchung zu spezifischen Varianten des Klassenkampfes erklärt (Bourdieu 1975, 1983b; Bongaerts 2011). Zugespitzt kann man sagen: Kunstproduktion ist aus dieser Sicht die Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln (Bourdieu 1985a).7 In sehr ähnliches Weise gilt dies auch für den neo-institutionalistischen Blick auf Kunst: Sowohl die Präferenz für hierarchische Unterscheidungen als auch die Zurechnung von Kunstarten auf soziale Klassen kennzeichnet ebenfalls die amerikanischen Varianten eines sozialkonstruktivistischen Umgangs mit Kunst. Dies zeigt sich zunächst an der Entscheidung, das Entstehen ästhetischer Klassifikationen (DiMaggio 1987) und künstlerischer Innovation als kollektives Handeln sozialstrukturell verorteter Statusgruppen zu beschreiben, wie etwa DiMaggio (1982, S. 33), der seiner richtungsweisenden Studie zur Etablierung der Bostoner Oper im 19. Jahrhundert folgende Prämisse zu

7 Vgl. zum Verhältnis von hierarchischer Klassendifferenzierung und horizontaler Ausdifferenzierung unterschiedlicher Wertsphären in der Feldtheorie auch die Diskussion zwischen Kieserling (2008) und Petzke (2009) um die relative Relevanz beider Formen gesellschaftlicher Differenzierung. Siehe zur Verknüpfung von Kunst und Klassenstrukturen zuletzt Fischer (2012), der Kunst als bürgerliches Herrschaftsmedium beschreibt, und als Klassiker LeBon (1910), der von Musik als Kunst der Massen spricht, und damit bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Topos verwendet, der in den 1960er und 70er Jahren unter dem Begriff »Kulturindustrie« (Horkheimer/Adorno 1973, S. 108) von der Frankfurter Schule popularisiert wird.

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Grunde legt: »the creation of modern high-cultural institutions was a task that involved elites as an organic group«. Die Verknüpfung des Modells hierarchischer Klassenstrukturen mit Erklärungsproblemen der Kunstsoziologie beschränkt sich nicht darauf, Kunst primär als Objekt von an Hierarchien orientiertem Klassenhandeln zu beschreiben. Vielmehr wird die Struktur der Sphäre der Kunst selbst auch in Begriffen klassensoziologischer Provenienz beschrieben. Es entsteht so das Bild der Kunst als »cultural hierarchy«, die durch Differenzen des »artistic status« (Baumann 2007b, S. 14) strukturiert ist.8 Dementsprechend wird die Entstehung verschiedener »art worlds« nicht als Ausdifferenzierungsgeschichte, sondern als Aufstiegsgeschichte erzählt: Baumann (ebd., S. 7) stellt beispielsweise seine Analyse der Etablierung einer »art world« des Hollywoodfilms in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts unter die Leitfrage: »How did a body of Hollywood films [...] gain recognition as art?«. So heißt es programmatisch: »we are looking for the story of film’s valorization as art« (ebd., S. 7). Die Geschichte der Etablierung von Hollywoodfilmen als Kunstwerke wird sodann im Anschluss an Peterson (1994) als ein Prozess von »›aesthetic mobility‹« (Baumann 2007b, S. 175) beschrieben, dessen Resultat der erfolgreiche soziale Aufstieg, die »elevation of these entertainments to the status of art« (ebd., S. 16) ist. In ähnlicher Manier untersucht Kapsis (1989, S. 19) die Periode, »in which Hitchcock’s reputation as a ›serious artist‹ was established«, worunter das »upgrading of an artist’s reputation« verstanden wird. Dabei wird dieses Upgrade nicht als gradueller Zuwachs künstlerischer Reputation, sondern als Konversion von der Figur des »popular entertainer« zum »serious auteur« (ebd., S. 30) aufgefasst. Damit übernimmt die soziologische Beschreibung der Kunst die Ausgrenzungssemantik des Feldes selbst und begeht dabei den

8 Diese Tendenz zeigt sich bereits an den von Baumann (2007b) verwendeten Semantiken, Begriffen und Vergleichen. So finden sich an vielen Stellen der Rekurs auf die Figur der Hierarchie oder die Zurechnung auf sozial ungleiche Klassen: »film’s valorization as art« (ebd., S. 7), »›aesthetic mobility‹« (ebd., S. 14), »public acceptance of a cultural product as art« (ebd., S. 14), »lowbrow end of the spectrum« (ebd., S. 15), »higher form of drama« (ebd., S. 15), »working-class audience« (ebd., S. 15), »upward status mobility of the entire genre of film« (ebd., S. 18), »prestige« (ebd., S. 16), »status and resources« (ebd., S. 16).

44 F ILM ALS W ELTKUNST Fehler, die kunstspezifische Figur des nicht-anerkannten Kunstschaffenden als Fremdreferenz zu zurechnen. Übersehen wird dabei, dass ein gescheiterter Künstler ebenso zur Kunst gehört wie ein insolventes Unternehmen zur Wirtschaft oder eine in Wahlen erfolglose Partei zur Politik. Grundsätzlicher ist zu fragen, inwieweit die Analyse des Kampfes um künstlerische Anerkennung soziologischen Aufschluss über die systemspezifische Eigenlogik der Kunst und ihrer Teilsysteme geben kann. Denn die Analyse der Allokation individuellen Reputationskapitals lässt die entscheidende Frage unbeantwortet, ob und wenn ja, in welcher Weise sich derartiger Erfolg auf die den jeweiligen Künstler umgebende Kunstwelt auswirkt. Die neo-institutionalistische ebenso wie die bourdieusche Perspektive gehen demnach von der Prämisse aus, sowohl die Struktur der Gesellschaft als auch die Sphäre der Kunst seien primär durch hierarchische Relationen geprägt. Geht man von der Prämisse aus, Kunst sei notwendigerweise als ein Geschehen zu beschreiben, das seiner inneren Struktur nach hierarchisch aufgebaut ist, hat dies zugleich Folgen für die kunstsoziologische Analyse der Selbstbeschreibungen, also der Reflexionsebene kunstspezifischer Kommunikation. Diese wird vor dem Hintergrund einer prinzipiell hierarchisch strukturierten Sphäre künstlerischer Produktion entweder als Rechtfertigung beziehungsweise Verteidigung der Autonomie der Kunst nach Außen oder als Instrument zur Durchsetzung und Reproduktion interner Ungleichheitsverhältnisse gelesen. Die Entstehung des Spielfilms und einer auf diesen bezogenen Ästhetik der Filmkunst entzieht sich jedoch dieser Reduktion auf das Sozialmodell konkurrierender Akteure. Damit soll nicht gesagt sein, dass handelnde Akteure und deren Absichten bedeutungslos für den historischen Wandel der Kunst sind. Allerdings verzichtet die vorliegende Arbeit auf die Vorstellung, Wertsphären und damit auch die Kunst seien notwendigerweise hierarchisch strukturierte Arenen symbolischer Auseinandersetzungen zwischen Akteuren, deren Absichten durch die Verteilungsstruktur des jeweiligen Feldes konditioniert sind. 1.3.3 Autonomie Autonomie ist sowohl ein zentrales Thema in der Selbstbeschreibung der modernen Kunst als auch ein Schlüsselbegriff, auf den diverse kunstsoziologi-

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sche Ansätze zurückgreifen. So unterscheidet Bourdieu (1983b, S. 322 ff.) zwischen einem autonomen und einem heteronomen Pol des künstlerischen Feldes, für Beckers (1982) »art world«-Ansatz konstituiert sich Kunst als ein emergentes, d. h. nicht vollständig von Außen determiniertes, über innere Freiheitsgrade verfügendes Phänomen, und Walther Müller-Jentsch (2012, S. 11) nimmt die »Dialektik zwischen Autonomie und Kommerzialisierung« zur Grundlage seiner Darstellung des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft. Schließlich rückt auch die systemtheoretische Beschreibung der Kunst mit dem Begriff der Autopoiesis ein Konzept von Autonomie in den Mittelpunkt. Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Autonomie in der Moderne lässt sich aus soziologischer Perspektive auch als die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Einbettung der Kunst formulieren. Der kunstsoziologische common sense geht dabei zunächst von einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Determination der Kunst aus. So bezeichnet beispielsweise Smudits (2014, S. 149) »die Tatsache als unanzweifelbar, dass das künstlerische Feld von ökonomisch motivierten Kräften bestimmt wird, dass also Kunstschaffen, -verbreitung und -aneignung in jedem Fall auch unter ökonomischen Prämissen gesehen werden muss.« Diese Beobachtung beschränkt Smudits nicht allein auf das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft: »Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zahlreiche Dimensionen das künstlerische Feld ›von außen‹ bestimmen, Dimensionen, die zunächst und zuallererst mit Kunst nichts zu tun haben – die Religion, das Recht, die Wirtschaft, Gender oder Ethnizität usw. gibt es auch ohne und außerhalb der Kunst. Aber: sie determinieren in ihrer jeweils historisch besonderen Erscheinungsform das künstlerische Feld und müssen aus kunstsoziologischer Sicht unbedingt berücksichtigt werden.« (Ebd., S. 149)

Denselben Gedanken formuliert Bourdieu (1983b, S. 319 ff.; 1999, S. 341 ff.), der die Felder künstlerischer Produktion gesamtgesellschaftlich in einer beherrschten Position gegenüber den Feldern Wirtschaft und Politik situiert,

46 F ILM ALS W ELTKUNST genauer am beherrschten Pol des Feldes der Macht, in dem um die relative Relevanz der einzelnen gesellschaftlichen Sphären gerungen wird.9 Intern ordnet sich das künstlerische Feld seit dem Beginn seiner relativen Autonomie laut Bourdieu wiederum auf Basis zweier Gegensätze, dem von Herrschenden und Beherrschten einerseits und dem zwischen Autonomie und Heteronomie andererseits. Insofern sich eine kunstinterne Herrschaft der autonom produzierten Kunst beobachten lässt, leitet sich diese aus dem im feldspezifischen Kampf erfolgreich durchgesetzten Anspruch auf Zurechnung von Legitimität ab.10 Bourdieu verknüpft die Frage nach der Autonomie der Kunst systematisch mit den Dimensionen von Legitimität und Hierarchie:11 Vor dem Hintergrund dieser konzeptuellen Grundlagen erscheint die Ausdifferenzierung einer neuen Kunstart als ein historischer Kampf, dessen Erfolg sich an der relativen Autonomie dieses Subfeldes erweist, die wiederum als die erfolgreiche Verteidigung genuin künstlerischer Motive gegen kommerzielle Interessen ge-

9 Vgl. zur konstitutiven Rolle des Staates in der bourdieuschen Sozialtheorie auch den Kommentar von Rémi Lenoir (2012) zu den späten Vorlesungen von Bourdieu (2013) am Collège de France. 10 »Das Ausmaß an Autonomie, das in einem Feld der kulturellen Produktion jeweils herrscht, zeigt sich an dem Ausmaß, in dem das Prinzip externer Hierarchisierung hier dem Prinzip interner Hierarchisierung untergeordnet ist: Je größer die Autonomie und je günstiger das symbolische Kräfteverhältnis den von der Nachfrage unabhängigen Produzenten ist, desto deutlicher der Schnitt zwischen den beiden Polen des Feldes, nämlich dem Subfeld der eingeschränkten Produktion, deren Produzenten nur andere Produzenten und damit ihre unmittelbaren Konkurrenten beliefern, und dem Subfeld der Massenproduktion, das sich symbolisch ausgeschlossen und diskreditiert findet.« (Bourdieu 1999, S. 344). 11 Dies gilt nicht allein für die Kunst, sondern für alle Untersuchungen Bourdieus, die sich den Felder der kulturellen Produktion widmen, wie das Beispiel der Wissenschaft zeigt: »Une analyse qui essayerait d’isoler une dimension purement ›politique‹ dans les conflits pour la domination du champ scientifique serait aussi radicalement fausse que le parti-pris inverse, plus fréquent, de ne retenir que les déterminations ›pures‹ et purement intellectuelles des conflits scientifiques.« (Bourdieu 1975, S. 93).

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dacht wird. So kommt beispielsweise Tudor auf Basis einer Untersuchung nach Maßgabe der Feldtheorie zu folgendem Schluss: »[T]he art-movie was a product of the logic of the field, a conjoint consequence of the ineradicably commercial character of the cinema and the then established view of ›art‹ as grounded in relative autonomy from commercial pressures.« (Tudor 2005, S. 138)

Empirische Fälle, die diesem Muster nicht entsprechen, kommen aus der Warte dieses Modells, wie Sapiro ausführt, nicht als potentielle Anzeichen für einen sich ausdifferenzierenden kunstspezifischen Kommunikationszusammenhang in Betracht: »Sie [die Feldtheorie, S.P.] hat universelle Anwendungsmöglichkeiten unter der Bedingung, dass sie die Untersuchung der notwendigen Elemente der Autonomisierung (Arbeitsteilung, ein Korps von Spezialisten, spezifische Instanzen, Markt) mit der empirischen Erforschung ihrer Strukturierungsprinzipien in einem gegebenen historischen Kontext verbindet. Wenn alle Felder durch Gegensätze zwischen ›Herrschenden‹ und ›Beherrschten‹und zwischen ›Autonomie‹ und ›Heteronomie‹ strukturiert sind, so muss man insbesondere die Formen untersuchen, die diese Gegensätze [...] entsprechend des Autonomisierungsgrades des betreffenden Feldes annehmen.« (Sapiro 2004, S. 170)

Der interessante Punkt an der Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst ist nun jedoch, dass sich ihre operativen Grundlagen nicht einem erfolgreich durchgesetzten Anspruch auf Legitimität und der effektiven Durchsetzung von Autonomie durch das Zurückdrängen äußerer, allen voran wirtschaftlicher und politischer Einflüsse verdanken. Filmkunst ist, wie in den historischen Fallstudien gezeigt werden soll, nicht das Ergebnis eines erfolgreichen Kampfes um symbolische Anerkennung und gestalterische Autonomie in der Herstellung von Filmen. Vielmehr differenziert sich die Filmkunst, wie zu zeigen sein wird, aus, indem Lösungen für praktische Probleme der Anschlussfähigkeit filmischer Kommunikation gesucht werden. Als zentraler Bezugspunkt fungiert dabei letztlich das Problem, einen für ein anonymes Kinopublikum geeigneten längeren Film herzustellen. Es ist, so die These, die Konsolidierung des Spielfilms als Ware in den 1920er Jahren, die die Basis schafft, auf der Film als

48 F ILM ALS W ELTKUNST Kompaktkommunikation (Luhmann 1996a, S. 63), mithin als Objekt und damit potentiell als Kunstwerk, referenziert (Luhmann 1986) sowie zum Bezugspunkt erster elaborierter Reflexionstheorien werden kann. 1.3.4 Zwischenfazit Angesichts der empirischen Widerstände gegen die theoretische Setzung einer primären Relevanz von Legitimität, Hierarchie und Autonomie als Erklärungsvariablen für die Veränderung von Kunst,12 gilt es, den Gegenstand der Untersuchung so zu konstruieren, dass es der Empirie überlassen bleibt, darüber zu entscheiden, welche Relevanz Hierarchie, Legitimität und Autonomie als Strukturform im jeweils untersuchten Einzelfall zukommt. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, Anschluss an die Systemtheorie zu suchen. Denn obschon Luhmann (2008a, S. 409) ebenfalls konzediert, dass es »[s]elbstverständlich [...] immer noch religiöse oder auch politische Versuche, auf Kunst Einfluß zu nehmen«, gibt, teilt er nicht den breiten kunstsoziologischen Konsens hinsichtlich der Einschätzung der gesellschaftlichen Einbettung der Kunst. So geht Luhmann nicht von einem Gegensatz von Autonomie und Heteronomie aus, sondern sieht stattdessen die künstlerische Autonomie gerade als Voraussetzung ihrer kausalen Beeinflussbarkeit durch andere gesellschaftliche Teilsysteme. Diese Auffassung ergibt sich, wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, aus der der Systemtheorie eigenen Definition des Begriffs der Autonomie als autopoietischer Schließung eines Kommunikationssystems.

12 Vgl. hierzu auch die maßgeblich von Peterson (1992) angestoßene Diskussion über die Ablösung des Gegensatzes von Elite und Masse durch die Unterscheidung omnivore vs. univore sowie für den Fall der Filmästhetik die These von Stanley Cavell (1978), Filmkunst sei prinzipiell allein unter Berücksichtigung der populären Werke adäquat rezipierbar.

2 Struktur, Medium und Reflexion der Filmkunst

Nachdem angesichts der vielgestaltigen und widersprüchlichen Konturen des filmästhetischen Diskurses (vgl. Kapitel 1.1), der zentralen Kontroversen der filmhistorischen Forschung (vgl. Kapitel 1.2) und der Erkenntnisblockaden der Kunstsoziologie (vgl. Kapitel 1.3) die epistemologische Entscheidung dargelegt wurde, die Entstehung der Filmkunst mit den begrifflichen Mitteln der Systemtheorie zu beschreiben, stellt sich nunmehr die methodologische Frage, wie diese Perspektive begrifflich präzisiert werden kann, um den historischen Fallstudien (vgl. Kapitel 3–5) als begrifflicher Rahmen dienen zu können. Hierzu skizziere ich im Folgenden zunächst die Diskussion um die systemtheoretische Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik und das mit dieser einhergehende Verhältnis der systemtheoretischen Wissenssoziologie zur Geschichtlichkeit der modernen Gesellschaft. Dieses beschränkt sich, wie gezeigt werden soll, auf den Umbruch von der Vormoderne zur Moderne und blendet den historischen Wandel der modernen Gesellschaft selbst aus. Allerdings bietet die Systemtheorie, so die im Anschluss formulierte Hypothese, dem Desinteresse der luhmannschen Forschungen zum Trotz, das begriffliche Potential, um den historischen Wandel der funktional differenzierten Weltgesellschaft und damit zugleich der modernen Kunst als eines der primären gesellschaftlichen Teilsysteme soziologisch in den Blick nehmen zu können (vgl. Kapitel 2.1). Die historischen Fallstudien dieser Arbeit schließen dabei an drei Punkten an die Systemtheorie an: Erstens wird die Vorstellung aufgegriffen, dass sich die Ausdifferenzierung der Kunst zwi-

50 F ILM ALS W ELTKUNST schen Renaissance und Romantik anhand des Wechsels der Anlehnungskontexte und somit aufgrund der Struktur der Beziehungen zu den anderen Teilsystemen der Gesellschaft rekonstruieren lässt (vgl. Kapitel 2.2). Zweitens teilen die Fallstudien die gesellschaftstheoretische Beobachterperspektive, indem sie ebenfalls von der Prämisse ausgehen, dass sich die moderne Kunst auf der Basis von Operationen im Modus der Beobachtung zweiter Ordnung als potentiell universelles und damit dekontextualisiertes Teilsystem der funktional differenzierten Weltgesellschaft reproduziert, dessen Werke als Formen in Medien zweiter Ordnung beschrieben werden können (vgl. Kapitel 2.3). Drittens wird in Anlehnung an die systemtheoretische Unterscheidung zwischen Kommunikation durch Kunst (Ebene der Struktur) und Kommunikation über Kunst (Ebene der Semantik) die These formuliert, dass Kommunikation durch Filmkunst einerseits und Kommunikation über Filmkunst, mithin die Selbstbeschreibungen respektive Reflexionstheorien des Systems, andererseits in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis stehen, das seinerseits durch eine Betrachtung der Anlehnungskontexte beschrieben werden kann. Um die semantische Ebene in den Fallstudien beschreibbar zu machen, wird der Begriff der Reflexionstheorie über seine Funktion der Identitätskonstruktion für Funktionssysteme definiert. Die Ebene der Selbstbeschreibungen und Reflexionstheorien unterliegt zwar einem eigenständigen Wandel, steht aber in einem Verhältnis der wechselseitigen Ermöglichung mit der strukturellen Ebene und der Ebene des Films als Kommunikationsmedium (vgl. Kapitel 2.4). Auf Basis dieser konzeptuellen Grundlagen wird der Vorschlag gemacht, aus soziologischer Perspektive die soziale und sachliche Kontingenz der Filmkunsttheorien zu akzeptieren und deshalb nicht nach der wahren Antwort auf die Frage nach der tatsächlichen Struktur der Filmkunst zu suchen, sondern stattdessen die semantische Genese der Filmkunsttheorien in ihrem Wechselspiel mit der zunehmenden strukturellen wie medialen Ausdifferenzierung der Filmkunst zu untersuchen (vgl. Kapitel 2.5). Mit der Entscheidung, Filmtheorien als Reflexionstheorien zu beschreiben, fokussiert die vorliegende Arbeit somit auf deren Funktion für die Ausdifferenzierung eines entsprechenden Subsystems der Kunst. Diese besteht darin, das System mit einer Konstruktion seiner Identität zu versorgen, an der es sich orientieren kann. Genau diese Funktion erfüllen die Reflexionstheorien der Funktionssysteme, indem sie die unstrukturierte Komplexität des Systems auf einen strukturierbaren Ausschnitt reduzieren.

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In historischer Perspektive bedeutet dies, die Ideengeschichte (Luhmann 2008d) der Filmkunsttheorien als Evolution der Reflexionstheorien eines Subsystems der Weltkunst zu rekonstruieren. Methodisch konkretisiert heißt dies, die Quellentexte hinsichtlich der Frage zu untersuchen, wie sie die Einheit der Filmkunst konstruieren. Leitend ist die Frage danach, mit welchem Arrangement beobachtungsleitender Unterscheidungen die Identität der Filmkunst hergestellt wird. Denn am Wandel der Selbstbeschreibungen und Reflexionstheorien der Filmkunst lässt sich indirekt der sich jeder Beobachtung entziehende Komplexitätszuwachs der sich ausdifferenzierenden Filmkunst ablesen. Schließlich gibt dieser ihnen das spezifische Bezugsproblem vor, zu dessen Lösung sie beitragen und dessen Konturen sich somit in ihnen zu erkennen geben. Kurz gesagt: Man kann zwar nicht den operativen Vollzug der Ausdifferenzierung beobachten, aber anhand neu aufkommender Reflexionsprobleme auf diesen schließen.

2.1 G ESELLSCHAFTSSTRUKTUR

UND

S EMANTIK

Die systemtheoretische Wissenssoziologie der Moderne arbeitet mit der Leitunterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik. Dabei entlehnt Luhmann (1980, S. 19) den Begriff der Semantik den historischen Studien Reinhart Kosellecks (1972; siehe dazu auch Stichweh 2000c, S. 239). Die Parallele zwischen beiden Forschungsprojekten liegt darin, dass Luhmann ebenso wie Koselleck von dem »Problem der Korrelation von semantischem Gehalt und sozialer Struktur« (Luhmann 1980, S. 62) ausgeht.1 Allerdings unterscheiden sich Luhmanns historische Semantikstudien von der Begriffsgeschichte Kosellecks fundamental dadurch, dass sie die Einheit der Untersuchung nicht bereits in der Gesellschaft vorfinden, sondern mit den Mitteln von Theorie konstruieren.. Während Koselleck die Differenz von »zwei Realitätsebenen«, nämlich »einerseits die in der Form konkreter Ereignisse stattfindende Sozialgeschich-

1 In der Sozialtheorie von Pierre Bourdieu (1996a, S. 136) steht an derselben Problemstelle die Unterscheidung zwischen dem Feld der Positionen, d. h. der Kapitalverteilungsstruktur, und dem Feld der Stellungnahmen.

52 F ILM ALS W ELTKUNST te, andererseits die sich in Form von sprachlichen Kondensaten äußernde Begriffsgeschichte« (Kaldewey 2013, S. 181) zum Ausgangspunkt nimmt, bezieht Luhmann die Geschichte der Semantiken auf eine theorieintern erzeugte Beschreibung sozialer Strukturen. Die Theoriestelle, die Koselleck mit dem Konzept »konkreter Ereignisse« identifiziert, besetzt Luhmann mit dem Theoriekonstrukt sich operativ realisierender Kommunikation (soziale Strukturen). Die entscheidende Differenz zwischen Kosellecks und Luhmanns Form von Begriffsgeschichte ist demnach sozial- beziehungsweise gesellschaftstheoretischer Art: Während Koselleck die Veränderung der Semantik mit dem Wandel historischer Sachverhalte korreliert, greift Luhmann auf das theorieinterne Konstrukt der Gesellschaftsstruktur zurück, um die semantische Evolution an soziale Strukturen zurückzubinden. Auf Basis dieser Leitunterscheidung von Struktur und Semantik spezifiziert Luhmann das Erkenntnisinteresse seiner historischen Wissenssoziologie als die »Frage nach einer Korrelation oder Kovariation von Wissensbeständen und gesellschaftlichen Strukturen« (Luhmann 1980, S. 15). Die Ideenevolution von Selbstbeschreibungen zu analysieren, heißt für Luhmann, die semantischen Effekte des Übergangs zu funktionaler Differenzierung zu rekonstruieren. Diese Effekte variieren in Abhängigkeit vom jeweiligen teilsystemischen Kontext, so dass sich die Semantiken der modernen Gesellschaft, deren primäre Teilsysteme funktional ausdifferenziert sind, zuvorderst durch ihre immense thematische Spannbreite auszeichnen.2 Es ist eine Leistung der Theorie, die Vergleichbarkeit dermaßen heterogener Phänomene wie Politik (Luhmann 2000), Liebe (Luhmann 1982) oder Sport (Werron 2009) zu ermöglichen, indem sie dieselben Unterscheidungen als Vergleichspunkte für extrem heterogenes semantisches Material verwendet.

2 Luhmann (1990, S. 666) verwendet in diesem Zusammenhang auch den Begriff der Polykontexturalität der modernen Gesellschaft, um die Irreduzibilität, Inkommensurabilität und Idiosynkrasie der einzelnen Kontexte im Verhältnis zueinander zu beschreiben.

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2.1.1 Inkongruente Perspektive Die Wahl der Leitunterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik rechtfertigt das wissenssoziologische Forschungsprogramm der Systemtheorie nicht mit einer wissenschaftstheoretischen Begründung, sondern mit dem Verweis auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sie zu produzieren vermag. Eine prägnante Formulierung dieser epistemologischen Grundhaltung findet sich bereits in Luhmanns frühen Analysen zur Funktion der Religion. Dort heißt es mit Blick auf den Begriff der Funktion: »Ob und unter welchen Bedingungen ein solches Vorgehen wissenschaftstheoretisch zu rechtfertigen ist, soll uns hier nicht beschäftigen. Wir wollen es praktizieren und vorläufige Erfahrungen damit sammeln. Wenn solche Erfahrungen vorliegen, wird die Wissenschaftstheorie wohl in der Lage sein, eine Begründung dafür nachzuliefern.« (Luhmann 1977, S. 10)

Dieses Prinzip gilt auch im Fall des wissenssoziologischen Leitbegriffs der luhmannschen Gesellschaftstheorie, dem Begriff der Semantik. So ist es eine forschungsstrategische Entscheidung, die Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik als analytischen Ausgangspunkt zu wählen. Zugleich ist die Unterscheidung ein Moment einer Gesellschaftstheorie, die Luhmann (1997, S. 1132) als ein »Begriffsspiel, das an sich selber Halt findet« beschreibt. Die Selektion dieser Leitunterscheidung begründet sich theorieintern dadurch, dass sie eine neue Perspektive auf die Gesellschaft als den Gegenstand der Soziologie eröffnet. Sie gibt der Gesellschaftstheorie den Ausgangspunkt, um Unterscheidungen anders zu ziehen als der common sense gesellschaftlicher Kommunikation und auf dieser Basis »soziologische Aufklärung« (Luhmann 1967) zu betreiben. Im aufklärerisch motivierten Begriffsspiel der Gesellschaftstheorie ist die Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik die Basis für eine »inkongruente Perspektive«. Diese Praxis des Beobachtens skizziert Luhmann am Beispiel der funktional ausdifferenzierten Wissenschaft: »Ein System wie die Wissenschaft, das andere Systeme beobachtet und funktional analysiert, benutzt im Verhältnis zu diesen Systemen eine inkongruente Perspektive. Es zeichnet nicht einfach nach, wie diese Systeme sich selbst und ihre Umwelt erleben.

54 F ILM ALS W ELTKUNST Es dupliziert nicht einfach die vorgefundene Selbstsicht. Vielmehr wird das beobachtete System mit einem für es selbst nicht möglichen Verfahren der Reproduktion und Steigerung von Komplexität überzogen.« (Luhmann 1984, S. 88)

Die Vorstellung, Soziologie zeichne sich durch ihre »inkongruente Perspektive« im Verhältnis zu ihrem Untersuchungsgegenstand aus, findet sich bereits in Luhmanns frühen Untersuchungen über Grundrechte als Institution. Dort wird mit diesem Perspektivwechsel die Differenz von Rechtsdogmatik und Soziologie des Rechts begründet: »Ein anderer bezeichnender Unterschied der dogmatischen und der soziologischen Betrachtungsweise besteht darin, daß jene die Normen und die Rechte in ihrem gemeinten Sinn interpretiert, sie also so erläutert, wie der Handelnde sie verstehen soll; während der Soziologe das Erwarten und Handeln an ›inkongruenten Perspektiven‹, an nicht notwendig mitbedachten Strukturen der Sozialordnung mißt, dem Erleben des Handelnden also sehr viel distanzierter gegenübersteht.« (Luhmann 1965, S. 186 f.)

Die vorliegende Arbeit folgt der epistemologischen Intuition der Systemtheorie, soziologische Beschreibungen zunächst allein durch die Freiheiten zu definieren, die ihnen im Vergleich zu in der gesellschaftlichen Praxis verwendeten Beschreibungen möglich sind und damit zugleich Fragen sowohl nach ihrer wissenschaftstheoretischen Begründung wie auch nach ihrer praktischen Verwendbarkeit jenseits des soziologischen Diskurses zurückzustellen. 2.1.2 Semantiken als generalisierte Fremdreferenz Der Begriff der Semantik bezeichnet jene Ideen, Bedeutungskonglomerate und Begriffe, die die Systemtheorie nicht dem Begriffshaushalt ihrer eigenen Theoriesprache, sondern ihrer Umwelt zurechnet. Die Semantiken der Gesellschaft sind aus Sicht der Systemtheorie der äußere Gegenstand des eigenen Begriffsspiels. Und die Form des Spiels heißt: Forschung, genauer: Beobachtung zweiter Ordnung der Semantiken der Gesellschaft. Semantik ist, so kann man dies auch formulieren, die generalisierte Fremdreferenz der Gesellschaftstheorie. Das Ziel der Gesellschaftstheorie ist es vor diesem Hintergrund, eine begrifflich reflektierte Wiederbeschreibung der Selbstbeschreibungen der Moderne anzufertigen. Im Verhältnis zur gesellschaftlichen

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Kommunikation bedeutet dies, dass die Systemtheorie nicht den Versuch unternimmt, die »falschen« Selbstbeschreibungen durch die Konfrontation mit der Realität als Ideologien zu enttarnen. Stattdessen zielt sie darauf, Selbstbeschreibungen und Operationen als Momente desselben Systems in ihrem Zusammenspiel zu analysieren. Methodologisch folgt aus dieser gesellschaftstheoretischen Rahmung, die den wissenssoziologischen Blick in die Quellen konditioniert, dass sich Luhmanns Vorgehen einzig in einem, allerdings entscheidenden Punkt von dem Kosellecks unterscheidet: Er interpretiert die Ergebnisse der Quellenarbeit anders. Im Unterschied zur Begriffsgeschichte im Sinne Kosellecks leitet sich für Luhmann die Qualität der semantischen Untersuchungen nicht aus den zu Grunde gelegten Quellen oder dem methodischen Raffinement ihrer Beschreibung ab. Vielmehr ist es die Perspektive auf bereits vorliegendes Wissen, mithin die Rekontextualisierung des bereits Bekannten, mit der die Relevanz der wissenssoziologischen Studien begründet wird. Und diesen neuen Kontext findet Luhmann in der Gesellschaftstheorie.3 2.1.3 Kritik Der luhmannsche Umgang mit der Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik ist von einer Reihe von Autoren kritisch diskutiert und ergänzt worden (Stäheli 1998, 2000, S. 196 ff.; Stichweh 2000c; Göbel 2000; Kieserling 2004; Kaldewey 2013). Göbel (2000) weist auf die Diskrepanz zwischen der grundbegrifflichen Komplexität der systemtheoretischen Wissenssoziologie und ihrer forschungspraktischen Umsetzung in Form der Semantikstudien hin (Luhmann 1980, 1981a, 1989, 1995b). Luhmann beschränke, so Göbel, seine eigene Forschung, aller wissenssoziologischen Begriffsarbeit zum Trotz, zeitlich wie sachlich auf das spezifische Problem des Übergang von der vormodernen Gesellschaft Europas zur funktional differenzierten Weltgesellschaft:

3 Vgl. Luhmann (1981b, S. 5) zur Abgrenzung dieses Vorgehens gegenüber der Alternative, sich auf Basis einer Rezeption der Klassiker des eigenen Faches zu positionieren.

56 F ILM ALS W ELTKUNST »Sein wissenssoziologisches Programm ist im Kern, trotz seiner immensen grundbegrifflichen Ausrüstung, in der konkreten Durchführung eine Art semantischer Transformationsbegleitforschung für den Übergang von stratifikatorischer zu funktionaler Differenzierung; zumindest geht es in den semantischen Studien deutlich um diese semantische Katastrophe.« (Göbel 2000, S. 274)

Dass Luhmann seine Untersuchungen letztlich allein auf den Übergang von der vormodernen stratifizierten Gesellschaft zur modernen, funktional differenzierten Gesellschaft konzentriert, hat laut Göbel gravierende Folgen. Mit dieser Diagnose verweist er insbesondere auf die »methodisch-methodologischen Konsequenzen dieser Wissenssoziologie, sofern sie sich auch auf sozialhistorisch-gesellschaftsgeschichtlicher Ebene als fruchtbar (und anschlussfähig) erweisen will.« (ebd., S. 274). Letztlich führt die Konzentration auf die semantischen Folgen der strukturellen Transformation im Übergang zum Primat funktionaler Differenzierung dazu, dass die historische Dimension der modernen Gesellschaft aus dem Horizont der systemtheoretischen Wissenssoziologie verschwindet. Stäheli (1998, S. 326) problematisiert eine zweite Beschränkung der luhmannschen Wissenssoziologie, nämlich das Postulat eines einseitigen Bestimmungsverhältnisses zwischen Struktur und Semantik. So beschreibt Luhmann, wie Stäheli herausarbeitet, das Verhältnis zwischen den basalen Systemoperationen auf der einen Seite und den Selbstbeschreibungsoperationen auf der anderen Seite als prinzipiell asymmetrisch: »Die Systemtheorie geht davon aus, daß ein blindes Operieren die Grenzen eines Systems erzeugt und damit auch bereits Komplexität reduziert, die durch Selbstbeobachtungen und -beschreibungen weiter reduziert werden kann. Gerade diese Präexistenz des Systems macht es möglich, die Beziehung von operativer Autopoiesis und ihrer semantischer Selbstbeschreibung letztlich mit einem Modell zu erklären, das von einem präkonstituierten Signifikat (›dem funktional differenzierten System‹) für die Semantik ausgeht.« (Ebd., S. 327)

Im Anschluss an diese Kritik an der Einseitigkeit des Bestimmungsverhältnisses zwischen Struktur und Semantik zeigt Stäheli (2000, S. 214) auf, dass »das Verhältnis von Semantik und Sozialstruktur nicht in einem Verhältnis logischer Nachordnung gefaßt werden kann«. Anstatt, wie Luhmann, zu postu-

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lieren, dass Beobachtungsoperationen stets in einer Situation »linearer Nachträglichkeit« gegenüber dem Beobachteten erfolgen, müsse man vielmehr von einer »konstitutiven Verwicklung von semantischer Beobachtung und sozialstrukturellem Operieren aus[gehen]« (Stäheli 1998, S. 330). Entsprechend ist eine dezidierte Asymmetrie zwischen basalen Operationen und Beschreibungsoperationen nicht der Normalfall, sondern ein historisch zu erklärender Ausnahmezustand. Ebenso denkbar sind Beschreibungsoperationen, die ihren Gegenstand im Beobachtungsprozess überhaupt erst konstituieren. Diese Form des Verhältnisses von Semantik und Sozialstruktur nennt Stäheli (2000, S. 214) »konstitutive Nachträglichkeit«. Ihm zufolge ist es aus kommunikationstheoretischer Sicht demnach denkbar, dass Kommunikation über Filmkunst konstitutiv für Kommunikation durch Filmkunst ist. Stichweh betont ebenfalls, dass das Verhältnis von Gesellschaftsstruktur und Semantik mit dem Modell einer einseitigen Bestimmung der Semantiken durch die Strukturen nicht angemessen erfasst wird: »Das deutet auf ein Problem bei Niklas Luhmann hin. In den Büchern zur historischen Semantik hat Luhmann wiederholt von einer Korrelation von Gesellschaftsstruktur und Semantik gesprochen, und gelegentlich wirkt es so, als sei diese Korrelationsfrage das eigentliche Erklärungsprogramm der Studien. Von Korrelationen kann aber nur die Rede sein, wo die korrelierten Sachverhalte nicht durch Beziehungen einseitiger oder wechselseitiger Konstitution miteinander verbunden sind, und aus diesem Grund wird man die Korrelationssprache in diesem Fall aufgeben müssen.« (Stichweh 2000c, S. 241)

Zusammenfassend diagnostiziert Stichweh (ebd., S. 245) ein »Versagen der Korrelationssprache«, sobald historische Entwicklungen in den Blick treten, die sich nicht auf das eng umgrenzte Interesse Luhmanns an den semantischen Folgen des katastrophalen Übergangs zur modernen, funktional differenzierten Gesellschaft beschränken (Luhmann 2007, S. 286). Allerdings nimmt Stichweh diese Diagnose gerade nicht zum Anlass, die Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik aufzugeben, sondern hält in Bezug auf die beiden Begriffe fest: »die Interrelationen [werden] vielfältiger, und sie werden komplizierter« (Stichweh 2000c, S. 242). Im Unterschied zu Luhmann besteht die Lösung des Problems für Stichweh (ebd., S. 248) darin, »eine historische und situative Variabilität der Un-

58 F ILM ALS W ELTKUNST terscheidung« von Semantik und Sozialstruktur zu postulieren. Die Grundlage dieser Überlegung ist bei Stichweh zunächst die Beobachtung einer basalen Gemeinsamkeit von Struktur und Semantik: Denn beide »haben es mit höherstufig generalisiertem Sinn zu tun, der über eine einzelne Situation des Unterscheidens und des Kommunizierens hinausreicht« (Stichweh 2000c, S. 248). Dies führt zu der Frage nach dem Unterschied von Struktur und Semantik, die Stichweh folgendermaßen beantwortet: »Was Semantik von Sozialstrukturen unterscheidet, ist, daß der Sinn, der in Semantiken generalisiert und auf mögliche situationsübergreifende Erwartungen hin spezifiziert ist, noch relativ unspezifisch hinsichtlich der Unterscheidung von kognitivem und normativem Erwarten fungiert. Diese Festlegung, ob Strukturen des Erwartens normativ oder kognitiv ausgeflaggt werden, vollzieht sich in Prozessen der Strukturbildung selbst, zu denen die semantische Kultur einer Gesellschaft gerade dadurch Distanz hält, daß sie die Festlegung auf normatives oder kognitives Erwarten nicht selbst mitsteuern muß.« (Ebd., S. 248)

Der historische Wandel der modernen Gesellschaft soll im Folgenden in Differenz zu Luhmann nicht auf Basis der These interpretiert werden, das Primat funktionaler Systemdifferenzierung konditioniere den sich nachträglich vollziehenden Wandel der Semantiken. Stattdessen geht die Arbeit mit Stichweh (ebd.) davon aus, dass das Verhältnis von Sozialstruktur und Semantik in der Moderne historisch variabel ist. Sie schließt an diese Beobachtung den Vorschlag an, Kommunikationsmedien neben Struktur und Semantik als eine dritte Form höherstufig generalisierten Sinns aufzufassen, die in der Moderne ebenfalls einem eigenlogischen historischen Wandel unterliegt, der von strukturellen wie semantischen Veränderungsprozessen konditioniert wird wie auch konditionierend auf diese einwirkt. Die Unterscheidung der drei miteinander interagierenden Ebenen von Struktur, Medium und Semantik soll in den Fallstudien als Methode dienen, um die Zusammenhänge zwischen der technischen Entwicklung der frühen Apparate, die Entstehung von Institutionen und Formaten und die Diskussion der Frage, ob und wenn ja, in welchem Sinne es sich beim Film um eine Kunstart handelt, in einen gesellschaftstheoretisch interpretierbaren Zusammenhang zu bringen. Der Vorschlag, den Wandel der modernen Gesellschaft auf drei miteinander interagierenden und zugleich autonomen Ebenen zu un-

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tersuchen, soll dazu im Folgenden (vgl. Kapitel 2.2–2.5) näher ausgearbeitet werden. Dabei werde ich zunächst auf die strukturelle Ebene des Wechsels von Anlehnungskontexten (vgl. Kapitel 2.2), sodann auf die mediale Ebene der Kunstkommunikation durch die Beobachtung anhand von Medien zweiter Ordnung (vgl. Kapitel 2.3) und schließlich auf die semantische Ebene der Selbstbeschreibungen beziehungsweise Reflexionstheorien (vgl. Kapitel 2.4) jeweils einzeln näher eingehen, um zum Abschluss des Kapitels, in einem Zwischenfazit die methodologischen Konsequenzen für die historischen Fallstudien zu ziehen (vgl. Kapitel 2.5).

2.2 W ECHSEL

DER

A NLEHNUNGSKONTEXTE

Nachdem, ausgehend von einer Rekonstruktion der systemtheoretischen Diskussion über die Grundlagen und Beschränkungen der Wissenssoziologie, der Vorschlag entwickelt wurde, den historischen Wandel der modernen Gesellschaft auf den drei Ebenen Struktur, Medium und Semantik zu untersuchen (vgl. Kapitel 2.1), soll es im Folgenden darum gehen, Anknüpfungspunkte in der systemtheoretischen Beschreibung des strukturellen Wandels moderner Kunst im Zuge ihrer Ausdifferenzierung zu identifizieren. Im Zentrum steht dabei das Konzept einer zunehmenden Ausdifferenzierung durch den Wechsel von Anlehnungskontexten. Luhmann thematisiert die Historizität der modernen Kunst im Kontext der funktional differenzieren Gesellschaft folgendermaßen: »[W]as geschieht eigentlich mit der Kunst, wenn andere Bereiche der Gesellschaft [...] sich als Funktionssysteme begreifen, sich verstärkt auf ein Sonderproblem konzentrieren, alles von da her zu sehen beginnen und sich im Blick darauf operativ schließen? Was ist Kunst, wenn im Florenz des 14. Jahrhunderts die Medicis Kunst fördern, um fragwürdig erworbenes Geld politisch zu legitimieren? Um es, könnte man auch sagen, in den Aufbau einer politischen Position zu investieren? Was geschieht mit der Kunst, wenn die funktionsbezogene Ausdifferenzierung anderer Systeme die gesellschaftliche Differenzierung in Richtung auf funktionale Differenzierung treibt? Wird Kunst dann anderen, jetzt dominierenden Funktionssystemen unterworfen, oder ist – und so wollen wir argumentieren – gerade dieser Trend zur Autonomisierung der Funktionssysteme

60 F ILM ALS W ELTKUNST für die Kunst der Anlaß geworden, ihre eigene Funktion zu entdecken und sich auf sie zu konzentrieren?« (Luhmann 1996a, S. 222)

Luhmann bezieht diese strukturhistorischen Veränderungen sodann auf synchron sich vollziehende semantische Veränderungen und kommt so zu der These, »daß die zunehmende Ausdifferenzierung und Autonomisierung einzelner Funktionsbereiche zu neuen Problemstellungen und zu einem verstärkten Einsatz von Theorien zur Lösung dieser Probleme führt« (Luhmann/Lenzen 2004, S. 132). Auf Grundlage des von Stichweh (1991) übernommenen Konzepts der Anlehnungskontexte beschreibt Luhmann die Entstehung moderner Kunst als eine aus drei Phasen bestehende Ausdifferenzierungsgeschichte. Diese führt vom italienischen Patronagesystem der Renaissance über den im England des 17. Jahrhundert entstehenden Kunstmarkt zur deutschen Romantik. Letztere ist Luhmann zur Folge der historisch erste Fall einer Kunstrichtung, die auf die Tatsache reagiert, dass die Kunst in der modernen Gesellschaft über einen eigenen, systemspezifischen Universalkontext verfügt. Die Grundidee hinter dieser Rekonstruktion ist, dass die Kunst durch einen Wechsel der gesellschaftlichen Anlehnungskontexte (Kirche, fürstliche Politik, Wirtschaft) immer neue Freiheiten bei der Produktion autopoietischer Elemente gewinnt (Luhmann 2008c, S. 316 ff.).4 Es ist wichtig, in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen der prinzipiellen Autonomie der Kunst im Sinne ihrer autopoietischen Schließung einerseits und ihrer graduellen, mit den Anlehnungskontexten variierenden Freiheit andererseits hinzuweisen. Ohne eine gesicherte kunsteigene Autopoiesis ist keine Ausdifferenzierung möglich. Denn für den als Ausdifferenzierung beschriebenen Zuwachs an Freiheit ist die autopoietische Autonomie ständige Voraussetzung. Luhmanns historische Untersuchungen zur modernen Kunst gehen davon aus, dass man seit der Renaissance von einer

4 Es handelt sich bei dieser Dynamik nicht um ein Spezifikum der Kunst. Luhmann (1996a, S. 222) geht vielmehr von einem »Trend zur Autonomisierung der Funktionssysteme« im Allgemeinen aus und formuliert entsprechend dieselbe These auch in Bezug auf andere Funktionssysteme, etwa in der Diagnose einer »zunehmenden Ausdifferenzierung und Autonomisierung des politischen Systems« (Luhmann 1999, S. 163).

S TRUKTUR , M EDIUM UND R EFLEXION DER F ILMKUNST

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operativen Schließung der Kunst sprechen kann. Als Indikatoren für die operative Schließung der Kunst werden die Verortung von Kunstwerken in einer kunsteigenen Geschichte, die kunstspezifische Rekrutierung der Beobachter von Kunstwerken und die Zurückweisung von Unterscheidungen, die nicht der Kunst entstammen, zur Beschreibung von Kunstwerken genannt (ebd., S. 322 f.). Mit Ausdifferenzierung ist dann die seit der Renaissance beobachtbare Veränderung der Komplexität des Systems in der Zeit gemeint. Diese Veränderung der Komplexität erklärt sich durch einen Wandel der SystemUmwelt-Verhältnisse des Systems oder konkreter: durch einen Wechsel der Anlehnungskontexte. Sie zeigt sich in einer Zunahme der künstlerisch möglichen Formen und einer gesteigerten Selektivität bei der Entscheidung für bestimmte Formen. Dieser Prozess, der zu immer neuen Freiheiten führt, ist nur möglich, weil die Kunst bereits als autopoietisches System operiert, das über Wahlmöglichkeiten bei der Einschränkung und Spezifikation von Umweltrelevanzen verfügt (Luhmann 1996a, S. 255). Das soeben skizzierte Konzept eines wiederholten Wechsels der Anlehnungskontexte ermöglicht die Analyse von Transformationen auf der Strukturebene. Der folgende Abschnitt fragt analog nach den Ebenen Medium und Semantik, indem zunächst dargelegt wird, wie sich Kunst in der Form einer Beobachtung zweiter Ordnung in der Moderne konstituiert (vgl. Kapitel 2.3), und sodann die Funktion von Selbstbeschreibungen beziehungsweise Reflexionstheorien in der Moderne skizziert wird (vgl. Kapitel 2.4).

2.3 K UNST

ALS

B EOBACHTUNG

ZWEITER

O RDNUNG

Luhmann (1995a, S. 571 ff.) geht davon aus, dass die moderne Gesellschaft durch einen Primat der Form funktionaler Differenzierung konditioniert ist (Luhmann 1995a, S. 572, 1997, S. 743 ff.). Die Zentralität dieses Theorems ergibt sich daraus, dass der »Begriff der modernen Gesellschaft durch ihre Differenzierungsform« (Luhmann 1997, S. 743) bestimmt wird. Das Theorem funktionaler Differenzierung ist somit nicht eine unter vielen anderen Aussagen über den Gegenstand »Gesellschaft«, sondern das zentrale Definitionsmerkmal des Begriffs der modernen Gesellschaft. Insofern ruhen alle Aussagen, die im Rahmen der Systemtheorie über die moderne Gesellschaft formu-

62 F ILM ALS W ELTKUNST liert werden, stets auf der Annahme, diese Gesellschaft sei primär funktional differenziert. Dies betrifft nicht allein Aussagen über die einzelnen Funktionssysteme im engeren Sinne, sondern beispielsweise auch Thesen zu den erhöhten Freiheitsgraden von Interaktionssystemen in der Moderne (Luhmann 1984, S. 551 ff.) oder Analysen zur Funktion der Menschenrechte (Luhmann 1965, S. 197). Die Primatthese trifft eine Aussage über die Differenzierungsform der modernen Gesellschaft. Mit dem Begriff der Differenzierungsform ist die Art gemeint, »wie in einem Gesamtsystem das Verhältnis der Teilsysteme zueinander geordnet ist« (Luhmann 1997, S. 609). Im Fall der Gesellschaftstheorie ist das Gesamtsystem die Weltgesellschaft. Die Primatthese bezieht sich demnach auf die Frage, wie sich das Verhältnis der primären Teilsysteme dieser Gesellschaft gestaltet. Luhmanns These lautet, dass in der modernen Weltgesellschaft ein einziges Formprinzip das Verhältnis aller primären Teilsysteme zueinander bestimmt. Dieses Formprinzip bezeichnet er als funktionale Differenzierung (ebd.). 2.3.1 Die polykontexturale Form der Gesellschaft Luhmann verfolgt nicht das Ziel, in parsonianischer Manier bestimmte Teilsysteme zu identifizieren, die für die Reproduktion der Gesellschaft notwendig oder zumindest von vergleichsweise herausgehobener Bedeutung sind. Ebensowenig steht für ihn die Frage im Zentrum, über welches Ausmaß an Autonomie und damit Eigenrationalität einzelne Funktionssysteme in ihren Operationen verfügen, sondern ihn interessiert das Verhältnis unterschiedlicher Teilsysteme zueinander. Laut Luhmann (ebd., S. 743 ff.) ist das Verhältnis der Teilsysteme in der modernen Gesellschaft durch die Form funktionaler Differenzierung geprägt. Das entscheidende Merkmal dieser Form besteht darin, dass jedes Funktionssystem jeweils eine einzige Funktion exklusiv erfüllt, in Bezug auf die es durch kein anderes Funktionssystem ersetzbar ist. Dabei ist die Funktion, die ein System erfüllt, jeweils ein Eigenkonstrukt dieses Systems selbst. Die Gesellschaft als das übergeordnete System ist nicht in der Lage, die Interdependenzen zwischen den primären Teilsystemen zu steuern. Sie verfügt über keine Rationalität, die den (funktions-)spezifischen Rationalitäten der

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Funktionssysteme übergeordnet ist. Diese spezifisch moderne Konstellation beschreibt Luhmann mit dem Begriff der Polykontexturalität.5 Erst in der Moderne entsteht vor diesem Hintergrund eine Situation, in der es potentiell möglich ist, jede Kommunikation mit jeder anderen Kommunikation dadurch zu verbinden, dass beide Kommunikationen auf dieselbe gesellschaftliche Funktion bezogen werden. Im Folgenden soll präzisiert werden, welche spezifische mediale Form Kunstkommunikation laut Luhmann unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung annimmt. 2.3.2 Operative Schließung Die operative Schließung des modernen Kunstsystems basiert auf einem spezifischen Modus, Kunstwerke zu beobachten. Diese spezifische Art des Beobachtens bezeichnet Luhmann als Beobachtung zweiter Ordnung. Mit diesem formalen Begriff wird ein Modus des Beobachtens bezeichnet, der nicht darauf abzielt, Dinge in der Welt zu beobachten, sondern andere Beobachter. Und zwar beobachtet der Beobachter zweiter Ordnung andere Beobachter daraufhin, wie sie beobachten. Dies geschieht, indem der Beobachter zweiter Ordnung den Unterscheidungsgebrauch eines Beobachters beobachtet. Der Beobachter zweiter Ordnung zeichnet sich demnach nicht allein dadurch aus, dass das Objekt seiner Beobachtungen selbst wiederum ein Beobachter ist. Ebenso wenig genügt es zur Realisierung einer Beobachtung zweiter Ordnung, die vom Beobachter erster Ordnung verwendete Unterscheidung zu unterscheiden. So handelt es sich nicht um eine Beobachtung zweiter Ordnung, wenn kommuniziert wird: »Soziologen beobachten die Gesellschaft im Unterschied zur Natur.« Vielmehr liegt eine Beobachtung zweiter Ordnung nur dann vor, wenn der Beobachter zweiter Ordnung die vom Beobachter erster Ordnung verwendeten Unterscheidungen daraufhin beobachtet, wie sie von diesem Beobachter gehandhabt werden (Luhmann 1996a, S. 92 ff.). Ein Beispiel für die-

5 Die polykontexturale Form der Gesellschaft ist für Luhmann zugleich die erstaunlichste Errungenschaft und das größte Problem der Moderne. Und entsprechend ist Luhmanns Verhältnis zur Rationalität der Funktionssysteme wesentlich skeptischer – er möchte »sich ein abschließendes Urteil über die Rationalität lieber offen halten« (Luhmann 1984, S. 638) – als das der bourdieuschen Sozialtheorie gegenüber der Eigenrationalität kultureller Felder (Bourdieu 1991, 2001).

64 F ILM ALS W ELTKUNST sen Modus der Beobachtung zweiter Ordnung ist der Satz »Bourdieu unterscheidet zwischen autonomem und heteronomen Pol des literarischen Feldes, um die Relativität des ökonomischen Einflusses auf die Literaturproduktion und -rezeption zu beschreiben.« Sämtliche Funktionssysteme der modernen Gesellschaft sind durch diesen Übergang zur Beobachtung zweiter Ordnung gekennzeichnet. Allerdings liegt einzig im Falle der Kunst eine detaillierte Beschreibung dieses Beobachtungsarrangements von Seiten Luhmanns vor (Luhmann 1996a, S. 105 ff.).6 So verwendet die Kunst diese Form des Beobachtens zweiter Ordnung, um Kunstobjekte, wie Bilder, Texte oder Theateraufführungen zu beobachten. Ein Objekt als Kunstwerk zu beobachten heißt, die in es eingelassenen Unterscheidungen, also die Formen, die das Kunstwerk bilden, auf ihren Gebrauch hin zu beobachten. Und zwar als Beobachtungen eines Beobachters. Man sieht dann nicht einen schwarzen Klecks, also ein Ding, sondern einen schwarzen Klecks im Unterschied zu einer weißen Leinwand und damit eine Unterscheidung, die die Frage aufwirft, welche Funktion diese Form schwarzer Klecks auf weißer Leinwand für das Formenspiel des Kunstwerks übernimmt. Diese Konstellation gilt sowohl für die Produktion als auch die Rezeption von Kunst. Denn Kunst herstellen heißt, sich an einem imaginierten Betrachter zu orientieren, und Kunst betrachten heißt, die Formen eines Kunstwerks einem Künstlers als Entscheidungen zuzurechnen. Sobald dies geschieht, operiert Kunst im Modus der Beobachtung zweiter Ordnung und erreicht auf diese Weise, also durch einen formalen Wandel in der Art und Weise des kommunikativen Beobachtens, operative Schließung (ebd., S. 65 f.). 2.3.3 Medien zweiter Ordnung Bisher habe ich von Formen gesprochen, die ein Beobachter an einem Kunstwerk wahrnimmt, ohne dass ich die Frage thematisiert habe, in welchem Me-

6 Luhmann (1996a, S. 105 ff.) bezieht sich vergleichend noch auf zweite weitere Beispiele, die Rolle der öffentlichen Meinung in die Politik und den Markt in seiner Funktion für die Wirtschaft, ohne dabei jedoch in vergleichbarer Weise darzulegen, wie in diesen unterschiedlichen Fällen jeweils der Übergang zur Beobachtung zweiter Ordnung realisiert wird.

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dium diese Formen gebildet werden. Auf den ersten Blick scheint es schwierig, eine alle Kunstarten übergreifende Antwort auf diese Frage zu geben. Zu verschieden sind die Kunstarten, als dass es sinnvoll erscheint, die Formen Ulrich/Diotima (Literatur), schweres Betondach/filigrane Säule (Architektur) oder Pissoir/Museum (Bildende Kunst) als unterschiedliche Formen desselben Mediums zu begreifen. Luhmann (2008b, S. 127 f.) löst dieses Problem, indem er zwischen Medien erster Ordnung und Medien zweiter Ordnung unterscheidet. Für Medien erster Ordnung gilt, dass sie den Formen, die in ihnen gebildet werden, vorgängig sind. Im Falle der Kunst sind die Primärmedien der Wahrnehmung (z. B. Optik, Akustik) als Medien erster Ordnung zu behandeln. Einzelne Geräusche sind dann als Formen im Medium der Akustik zu verstehen, Farbflecke auf einer Leinwand als Formen im Medium der Optik. Film nutzt in den meisten Fällen beide Medien zugleich. Auf dieser Ebene der Medien erster Ordnung unterscheiden sich die Kunstarten. Die Einheit der Kunst jenseits aller Differenzen der Primärmedien und der Kunstarten kommt nach Luhmann (1996a, S. 186 ff.) erst dadurch zu Stande, dass die Formen, die ein Kunstwerk bilden, auf ein Medium zweiter Ordnung bezogen werden. Medien zweiter Ordnung werden im Unterschied zu Medien erster Ordnung überhaupt erst durch die Formen in einem Kunstwerk geschaffen. Damit ist gemeint, dass sich jede einzelne Form, die an der Komposition eines Kunstwerks beteiligt ist, nur durch den Verweis auf die anderen Formen des Kunstwerks definiert. Dies geschieht, indem die andere Seite jeder Unterscheidung die eine Seite einer anderen Unterscheidung ist (ebd., S. 119 f.). Dies ist nur möglich, wenn man dem beobachteten Kunstwerk selbstreferentielle Schließung unterstellt, also jede Form nur im Rahmen des jeweiligen Kunstwerks betrachtet. So definiert sich Hamlet durch seine Beziehung zu Ophelia und Ophelia durch ihren realen Wahnsinn im Unterschied zum vorgetäuschten Irrsinn Hamlets. Hamlet/Ophelia, Ophelia/Wahnsinn, Hamlet/Wahnsinn, Wahn/Realität lassen sich demnach als Formen lesen, die in dem Medium gebildet werden, das durch das Formenspiel des Kunstwerks zustande kommt. Luhmann erläutert denselben Sachverhalt am Beispiel der Musik: »Als Kommunikation funktioniert Musik nur für diejenigen, die diese Differenz von Medium und Form nachvollziehen und sich über sie verständigen können: nur für die, die den entkoppelten Raum mithören können, in dem die Musik spielt; nur die, die mit-

66 F ILM ALS W ELTKUNST hören können, daß die Musik durch ihre Tonalität sehr viel mehr Geräusche möglich macht, als normalerweise zu erwarten waren und dies im Hinblick auf Disziplinierung durch Form. Die Kunst etabliert, mit anderen Worten, eigene Inklusionsregeln, denen die Differenz von Medium und Form als Medium dient. Und während man normalerweise Geräusche als Differenz zu Ruhe hört und dadurch auf sie aufmerksam wird, setzt die Musik diese Aufmerksamkeit schon voraus und zwingt sie zur Beobachtung einer zweiten Differenz: der von Medium und Form.« (Luhmann 2008b, S. 128)

Dieses Prinzip der Schaffung eines Mediums zweiter Ordnung durch das Formenspiel des Kunstwerks garantiert nach Luhmann (ebd., S. 133) die Einheit der Kunst. Es erklärt auch, weshalb die Kunst sogar Werke, die nicht als Kunstwerke intendiert sind, dennoch als solche beobachten kann. Die Autonomie der Kunst ist nicht durch die Freiheit der Formenkombination im einzelnen Werk begründet, sondern durch die Möglichkeit, jegliche Formen eines Werkes als Selektion vor dem Möglichkeitsraum zu verstehen, der durch ein kunstspezifisches Mediums zweiter Ordnung konstituiert wird. Das Readymade von Marcel Duchamp ist eine symbolische Kondensation dieser grundsätzlich der Kunst in jeder Operation zugänglichen Möglichkeit, jegliche Formen unter systemeigenen Prämissen zu beobachten. Dieses Potential zur Bildung von Medien zweiter Ordnung ist die Basis für die Universalität moderner Kunst, die im Folgenden behandelt werden soll. 2.3.4 Potentielle Universalität Die Universalität moderner Kunst basiert auf diesem Beobachtungsmodus zweiter Ordnung, der es ihr ermöglicht, »jederzeit und bei jeder Gelegenheit gegenstandsunabhängig ästhetische Erfahrungen zu aktualisieren, das heißt: kunstmäßig zu beobachten« (Luhmann 2008e, S. 216 f.). Es ist wichtig zu betonen, dass die These von der Universalität des kunstmäßigen Beobachtens zweiter Ordnung sich auf ein Potenzial bezieht, das sich gesellschaftlicher Kommunikation in der Moderne eröffnet. Anders gesagt: Die Universalität des Funktionssystems Kunst steht »nur in der Form einer Modalität zur Verfügung, in der Form einer jederzeit ergreifbaren Möglichkeit, deren Extravaganz davon lebt, daß sie nicht immer benutzt werden muß« (ebd., S. 217). In welchen Formen und in welchem Ausmaß sich dieses Potenzial auf der

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Ebene von operativ realisierter Kommunikation reproduziert, ist folglich eine empirische Frage. Formen, die in einem spezifischen Kontext der Beobachtung erster Ordnung gebildet wurden, gewinnen durch eine kunstspezifische Beobachtung zweiter Ordnung universale Anschlussfähigkeit. Denn der Kontext der Beobachtung zweiter Ordnung ist unabhängig von den Motiven der Beobachtung erster Ordnung stets der Horizont eines Funktionssystems mit Universalzuständigkeit. Im Anlehnung an Rudolf Stichwehs (2000d, 2008, S. 17) Beschreibung der »Mechanismen der Globalisierung« kann man sagen, dass die Operationen eines Systems erst durch den Übergang von der ersten zur zweiten Beobachtungsebene »globale Selektivität« (Stichweh 2008, S. 346 ff.) gewinnen, da sie sich in diesem Modus auf den durch das jeweilige Funktionssystem gebildeten Letzthorizont beziehen. Diese Möglichkeit des Übergangs von der Beobachtung erster Ordnung zur Beobachtung zweiter Ordnung ist durch das Funktionssystem Kunst für beliebige Formen potentiell gegeben (Luhmann 1996a, S. 115 f.).

2.4 D IE F UNKTION

DER

R EFLEXION

Nachdem im Anschluss an eine kritische Auseinandersetzung mit der wissenssoziologischen Leitunterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik der Vorschlag entwickelt wurde, die Entstehung der Filmkunst auf drei miteinander verknüpften, aber eigenlogisch sich entwickelnden Ebenen zu untersuchen, ist zunächst zur Beschreibung der strukturellen Ebene der Filmkunst das Konzept eines Wandels der Anlehnungskontexte (vgl. Kapitel 2.2) und sodann zur Rekonstruktion der medialen Ebene Luhmanns Begriff des Mediums zweiter Ordnung skizziert worden (vgl. Kapitel 2.3). Im Folgenden soll schließlich die dritte und für diese Arbeit zentrale Ebene der Selbstbeschreibungen beziehungsweise Reflexionstheorien näher betrachtet werden. Hintergrund der folgenden Überlegungen ist die zu Beginn der Arbeit formulierte Beobachtung, dass sich ein soziologischer Blick auf die Entstehung der Filmkunst mit bereits existierenden Beschreibungen dieses Sachverhaltes konfrontiert sieht (vgl. Kapitel 1.1). Dieses Problem reflektieren die Differenzierungstheorien von Luhmann und Bourdieu bereits in der Konstruktion

68 F ILM ALS W ELTKUNST ihrer Leitbegriffe. So unterscheiden beide zunächst zwischen der soziologischen Beschreibung der Strukturen, d. h. der Felder beziehungsweise Funktionssysteme, einerseits und den bereits im gesellschaftlichen Diskurs auffindbaren Darstellungen andererseits, also Stellungnahmen im Falle Bourdieus und Selbstbeschreibungen beziehungsweise Reflexionstheorien in der Terminologie Luhmanns. Bourdieu (1985b, S. 33 f.) fasst diesen Unterschied mit Hilfe der Unterscheidung zwischen einem internen und einem externen Blick, während die Systemtheorie an dieser Theoriestelle die Unterscheidung von Struktur und Semantik platziert. Während Luhmann mit Struktur die in soziologischen, genauer systemtheoretischen Begriffen gearbeitete Beschreibung der modernen Gesellschaft meint, bezieht er den Begriff der Semantik auf alle sonstigen innergesellschaftlichen Beschreibungen von Gesellschaft (vgl. Kapitel 2.1). Diese grundlegenden sozialtheoretischen Überlegungen sind im systemtheoretischen Diskurs in unterschiedlicher Weise aufgegriffen und weitergeführt worden, um eine Definition des Begriffs »Reflexionstheorie« zu entwickeln, der sich in der empirisch-historischen Forschung als heuristischer Bezugspunkt eignet. Unter dem programmatischen Titel Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung führt Kieserling (2004) die luhmannschen Überlegungen fort, indem er Reflexionstheorien von fremdreferentiellen Beschreibungen desselben Gegenstandes unterscheidet. Der Ausgangspunkt dieser Definition ist die Überlegung, dass Systeme jeweils Beschreibungen ihrer eigenen Identität sowie derjenigen anderer Systeme anfertigen. Reflexionstheorien werden der Logik dieser beobachtungsleitenden Unterscheidung folgend als ein bestimmter Typus von Selbstbeschreibungen aufgefasst. Eine andere prominente Variante, den Begriff der Reflexionstheorie mit Bezug auf Funktionssysteme zu konkretisieren, besteht darin, auf die Produzenten oder allgemeiner auf die Produktionsbedingungen des reflexionstheoretischen Wissens zu verweisen. Luhmann (1997, S. 965) selbst unterbreitet diesen Vorschlag, wenn er Reflexionstheorien als das Produkt von sogenannten »Reflexionseliten« beschreibt. Hierunter versteht Luhmann eine Population von Autoren, die ihre Textproduktion einem bestimmten Funktionssystem zuordnen, ohne allerdings an dessen operativer Realisierung direkt beteiligt zu sein. Im Unterschied zu diesen beiden Strategien basieren die folgenden historischen Fallstudien auf einer funktionalen Bestimmung des Begriffs Reflexionstheorie. Es wird der Vorschlag unterbreitet, den Begriff der Reflexions-

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theorie ausgehend von der Funktion zu definieren, die diese Theorien als Formen der Selbstbeschreibung für die primären gesellschaftlichen Teilsysteme, also die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft, erfüllen. Die Funktion von Reflexionstheorien besteht, wie dargelegt werden soll, darin, Systemen eine Identität zuzuschreiben, an der diese sich sodann orientieren können. 2.4.1 Formen kommunikativer Selbstreferenz Luhmann leitet die Begriffe Selbstbeschreibung und Reflexionstheorie aus Überlegungen zur Selbstreferenz von sozialen Systemen schlechthin ab. Der Begriff der Reflexionstheorie wird von Luhmann im Anschluss an die Unterscheidung von Formen der Selbstreferenz als eine spezifische, besonders anspruchsvolle Spielart systemischer Selbstreferenz definiert. Das bedeutet, dass jegliche Merkmale von Formen der Selbstreferenz auch für jede Form von Reflexionstheorie gelten. Eine Operation realisiert Selbstreferenz, wenn sie etwas »bezeichnet [...], mit dem sie sich identifiziert« (Luhmann 1984, S. 600). Dabei kann »die Zuordnung der Selbstreferenz zu einem Selbst [...] verschiedene Formen annehmen je nachdem, durch welche Unterscheidung das Selbst selbst bestimmt wird« (ebd., S. 600). Insgesamt unterscheidet Luhmann drei verschiedene Typen von Selbstreferenz, die sich jeweils danach bestimmen, welcher Art das Selbst ist, dem sich die jeweilige Operation zurechnet: Erstens basale Selbstreferenz, zweitens prozessuale Selbstreferenz und drittens den uns interessierenden Fall der Reflexion. Im Fall der Selbstreferenzform der Reflexion »ist das Selbst das System, dem die selbstreferentielle Operation sich zurechnet« (ebd., S. 601). Jede Operation, die sich selbst einem System im Unterschied zu seiner Umwelt zurechnet, fällt demnach unter den Begriff der Reflexion. Und dies zunächst ganz unabhängig davon, um welche Art von sozialem System es sich handelt. Damit komme ich zum Begriff der Reflexionstheorie, der für diejenigen Fälle reserviert ist, in denen »die Identität des Systems im Unterschied zu seiner Umwelt nicht nur bezeichnet [...], sondern begrifflich so ausgearbeitet wird, daß Vergleiche und Relationierungen anknüpfen können« (ebd., S. 620). Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass Reflexion und folglich Reflexionstheorien theoriesystematisch gesprochen eine spezifische Form von Selbstreferenz realisieren:

70 F ILM ALS W ELTKUNST »Von Reflexion wollen wir sprechen, wenn die Unterscheidung von System und Umwelt zu Grunde liegt. Nur im Falle der Reflexion erfüllt die Selbstreferenz die Merkmale der Systemreferenz, nur hier überschneiden sich die Bereiche dieser beiden Begriffe. In diesem Falle ist das Selbst das System, dem die selbstreferentielle Operation sich zurechnet. Sie vollzieht sich als Operation, mit der das System sich selbst im Unterschied von seiner Umwelt bezeichnet. Das geschieht zum Beispiel in allen Formen von Selbstdarstellung, denen die Annahme zu Grunde liegt, daß die Umwelt das System nicht ohne weiteres so akzeptiert, wie es sich selbst verstanden wissen möchte.« (Luhmann 1984, S. 600 f.)

Reflexion und damit Reflexionstheorien sind in allen sozialen Systemen vorstellbar, die »ein Mindestmaß an Ausdifferenzierung der Reflexionskommunikation im System« (ebd., S. 619) aufweisen. Die Reflexionstheorien der Funktionssysteme der Weltgesellschaft sind der prominenteste und komplexeste Fall dieser Art von selbstreferentieller Beschreibung eines Systems. 2.4.2 Die Funktion der Reflexionstheorien Im Anschluss an diese grundlegende sozialtheoretische Herleitung stellt sich nunmehr die Frage, in welcher Beziehung der Begriff der Reflexionstheorie zur luhmannschen These eines Primats funktionaler Differenzierung in der Moderne steht. Aus Sicht der gesellschaftlichen Teilsysteme folgt aus dem Primat, dass diese allein selbst darüber entscheiden, wie sie ihre autopoietische Autonomie strukturieren. Als Teilsystem der modernen Gesellschaft zu operieren bedeutet demnach zunächst, die eigene Autonomie selbst einschränken zu müssen. Für den Fall der Kunst beschreibt Luhmann diese Konstellation folgendermaßen: »Die Gesellschaftlichkeit der modernen Kunst liegt zunächst einmal in ihrer operativen Geschlossenheit und Autonomie mit der Maßgabe, daß die Gesellschaft diese Form allen Funktionssystemen oktroyiert, unter anderen auch der Kunst.« (Luhmann 1996a, S. 218)

Es gibt zwei Arten, in denen Teilsysteme auf diese Lage reagieren können: Entweder bearbeiten sie den sich eröffnenden Kontingenzraum durch die Verwendung eines codierbaren Mediums, das ist die technische Variante; oder sie

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71

konstruieren als Ersatz für den Code eine fiktive Einheit in Form aufwändiger Selbstbeschreibungen, später dann Reflexionstheorien: das ist die semantische Lösung. Semantische Konstruktionen wie die Reflexionstheorien der primären Teilsysteme der modernen Gesellschaft erfüllen diese Funktion, indem sie einen Ausschließungseffekt auf das System ausüben. Sie reduzieren die dem System gegebene unstrukturierte Komplexität auf die operativ verfügbare strukturierte Komplexität, indem sie eine kontingent konstruierte Systemidentität in das System einführen, deren selektiver Charakter die operative Realisierung potentiell möglicher Anschlussmöglichkeiten unterbindet.7 Welche der beiden Varianten als Problemlösung fungiert, ist eine empirische Frage. Im Fall der Politik lässt sich beispielsweise die gleichzeitige Verwendung beider Formen, der technischen wie der semantischen, der Reduktion von unstrukturierter Komplexität beobachten. Aufgrund der geringeren Technisierbarkeit des Mediums Macht im Vergleich zum Medium Geld fungiert im politischen System die Semantik des Staates inklusive entsprechender politischer Reflexionstheorien als funktional äquivalente Problemlösung (Luhmann 1984, S. 627). Die hohe funktionale Bedeutung der politischen Semantik spiegelt sich auch in der Beschreibung von Reflexionstheorien der Politik als Ideologien, mithin semantische Konstruktionen, denen weit reichende operative Auswirkungen auf das System zugeschrieben werden. Eine auch nur annähernd vergleichbare operative Relevanz lässt sich im Falle der Reflexionstheorien der Wirtschaft nicht beobachten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Reflexionstheorien im hier vorgeschlagenen Verständnis eigenlogisch operierende und sich selbst intransparente Systeme mit einer Identität ausstatten. Im Falle von Funktionssystemen basiert die konstruierte Identität auf der Projektion einer Funktion, die das jeweilige System für das übergeordnete System, also die Gesellschaft, erfüllt. Reflexionstheorien bearbeiten für die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft das Problem, dass durch deren Autopoiesis unstrukturierte Komplexität freigesetzt wird, die zu viele Anschlussmöglichkeiten bietet, als dass

7 Vgl. zur Unterscheidung von strukturierter und unstrukturierter Komplexität Luhmann (1972/1987, S. 13 ff.). Denselben Sachverhalt beschreibt Luhmann (1984, S. 50) alternativ mit der Unterscheidung von unfaßbarer beziehungsweise unbestimmbarer und bestimmt strukturierter Komplexität.

72 F ILM ALS W ELTKUNST diese noch allein durch Formen der basalen oder prozessualen Selbstreferenz verarbeitet werden könnten. Diese funktionale Definition hat den Vorteil, dass sie nicht auf die semantisch-inhaltliche Ebene abstellt. Dies unterscheidet sie von Definitionen, die Reflexionstheorien anhand bestimmter Eigenschaften identifizieren, wie etwa den Grad an »Wissenschaftlichkeit« oder die Affirmation bestimmter Sachverhalte. Reflexivität, ob nun in Form prozessualer oder systemischer Selbstreferenz wie im Falle von Selbstbeschreibungen und Reflexionstheorien, dient demnach der »Selbstvergewisserung des Systems« (Luhmann 2000, S. 319). Es eröffnet diesem, obwohl es sich selbst letztlich nicht zugänglich ist, die Möglichkeit, sich an sich selbst zu orientieren. Beides, sowohl das Problem der eigenen Intransparenz wie dessen Lösung in Form selektiver Selbstbeschreibungen, sind Produkte des Systems. Die Reproduktion von Selbstbeschreibungen und damit auch Reflexionstheorien setzt mithin die Operationsfähigkeit des Bezugssystems stets voraus. Denn erst die autopoietische Schließung erzeugt das Identitätsproblem, dessen kommunikative Lösung die Form von Selbstbeschreibungen und, unter Bedingungen der funktional differenzierten Moderne, Reflexionstheorien annimmt. Für die Ebene der Selbstbeschreibungen beziehungsweise Reflexionstheorien gilt deshalb ebenfalls, dass diese zwar einem eigenständigen Wandel unterliegt, dabei allerdings in einem Verhältnis der wechselseitigen Ermöglichung mit der strukturellen Ebene (vgl. Kapitel 2.2) und der Ebene des Films als Kommunikationsmedium (vgl. Kapitel 2.3) steht.

2.5 AUSBLICK

AUF DIE HISTORISCHEN

FALLSTUDIEN

Abschließend sollen die wissenssoziologischen Überlegungen zu den strukturellen Anlehnungskontexten, zur Medialität und zu den Reflexionstheorien des Films in den Gesamtzusammenhang der vorliegenden Arbeit eingeordnet werden. Im Folgenden werden deshalb zunächst die zentralen Ergebnisse der bisherigen Überlegungen, die den historischen Analysen zur Entstehung der Filmkunst wie -ästhetik (vgl. Kapitel 3–5) als Prämissen zugrunde liegen, zusammenfassend dargestellt und sodann ein Ausblick auf die sich anschließenden Fallstudien gegeben.

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Ausgehend von dem Befund, dass es sich bei der Filmkunst um einen Gegenstand handelt, dessen Existenz und Konturen sowohl in der öffentlichen Diskussion (vgl. Kapitel 1.1) als auch in der filmhistorischen Forschung (vgl. Kapitel 1.2) umstritten ist, wurden die kunstsoziologischen Erklärungsangebote zur Entstehung neuer Kunstarten einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen, um zu zeigen, dass diese mit Prämissen hinsichtlich der Legitimität, hierarchischen Struktur und Autonomie von Kunst operieren, die dem zu untersuchenden Gegenstand nicht angemessen sind (vgl. Kapitel 1.3). Deshalb wurde als Alternative der Vorschlag entwickelt, die strukturelle wie mediale Ausdifferenzierung der Filmkunst und die Entstehung von filmästhetischen Selbstbeschreibungen wie Reflexionstheorien aus der Perspektive einer Beobachtung zweiter Ordnung in ihrer historischer Entwicklung zu untersuchen. Diese Herangehensweise hat den Vorteil, nicht mit einer zu engen begrifflichen Vorstellung der möglichen Strukturen und Selbstbeschreibungen an den Gegenstand »Filmkunst« heranzutreten. Unter dieser Prämisse hat das vorliegende Kapitel in Auseinandersetzung mit der Diskussion über die Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik (vgl. Kapitel 2.1) eine soziologische Perspektive entwickelt, die als Grundlage der drei folgenden historischen Fallstudien dienen soll. Diese wurde in Auseinandersetzung mit der systemtheoretischen Wissenssoziologie in vier Schritten entwickelt (vgl. Kapitel 2.1–2.5). Zunächst habe ich dargelegt, wie Luhmann die systemtheoretische Vorstellung von Semantik in Abgrenzung von den historischen Studien Kosellecks zu geschichtlichen Grundbegriffen entwickelt, und die zentralen Beschränkungen der luhmannschen Wissenssoziologie anhand einer Rekonstruktion der systemtheoretischen Diskussion über die Unterscheidung von Gesellschaftsstruktur und Semantik herausgearbeitet. Hierbei handelt es sich zum einen um die (alleinige) Fokussierung auf den Übergang von der vormodernen zur modernen, funktional differenzierten Gesellschaft und zum anderen das damit einhergehende Postulat eines einseitigen Bestimmungsverhältnisses zwischen Gesellschaftsstruktur und Semantik. Die luhmannsche Wissenssoziologie besitzt somit, trotz ihres immensen theoretischen Raffinements und ihres beachtlichen empirischen Forschungsvolumens, einen zentralen blinden Fleck: die Geschichte der modernen Gesellschaft selbst (vgl. Kapitel 2.1). Angesichts dieses Desiderates habe ich den Versuch unternommen, begriffliche und konzeptuelle Anknüpfungspunkte in der luhmannschen Gesell-

74 F ILM ALS W ELTKUNST schaftstheorie zu identifizieren, die geeignet sind, die Prozesse des strukturellen, medialen wie semantischen Wandels der Kunst als Funktionssystem der modernen Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Zu diesem Zweck wurde zunächst die luhmannsche Rekonstruktion der europäischen Kunstgeschichte zwischen italienischer Renaissance und deutscher Romantik in den Blick genommen, die auf das stichwehsche Konzept eines Wechsels der Anlehnungskontexte der Kunst zurückgreift, das als Grundlage der Beschreibung der strukturellen Entwicklung der Filmkunst dienen soll (vgl. Kapitel 2.2). Sodann wurde die systemtheoretische Beschreibung der Kunst als ein Funktionssystem, dessen operative Schließung auf der Konstruktion von Medien zweiter Ordnung fußt, skizziert (vgl. Kapitel 2.3), um schließlich eine funktionale Definition des Begriffs der Reflexionstheorie einzuführen und das Wechselverhältnis zwischen der Reflexionsebene einerseits und der strukturellen wie medialen Reproduktion des Systems andererseits zu unterstreichen (vgl. Kapitel 2.4). Die zentrale theoretisch-methodologische Prämisse der historischen Fallstudien ist, so lässt sich auf dieser Basis zusammenfassend festhalten, dass die Entstehung von Filmästhetik und Filmkunst auf den drei miteinander interagierenden, aber in ihrer historischen Entwicklung autonomen Ebenen der strukturellen Anlehnungskontexte, des Kommunikationsmediums Film und der Selbstbeschreibungen zu untersuchen ist. Dabei ist das Erkenntnisinteresse der Arbeit nicht historiographisch motiviert. Es geht nicht darum, die Geschichte der Filmkunst zu erzählen, sondern die Entstehung der septième art als exemplarischen Fall eines Ausdifferenzierungsprozesses in der Kunst der modernen Gesellschaft aufzufassen, um damit einen Beitrag zur Erweiterung der begrifflichen Mittel der Gesellschaftstheorie zur Beschreibung der Historizität der Moderne zu leisten.

3 Phase 1: Film als Reproduktion und Attraktion

Die erste historische Phase, die in den Blick genommen werden soll, ist die »frühe Filmpraxis«.1 Sie gilt in der filmhistorischen Forschung als schwer zu kartographierendes Terrain. So liegt selbst zum wichtigsten Fall, dem Einsatz der neuen Apparate in der Unterhaltungsbranche, »bisher international [...] keine Studie vor, die die Filmaufführungsformen vor dem Ersten Weltkrieg in ihrer ganzen Vielfalt beschreibt und ihre Genealogie erklärt« (Garncarz 2010, S. 10). Trotz dieser vielen weißen Flecken, die die Frühgeschichte der Kinematographie in den ersten zehn Jahren nach der Vorstellung des Kinematographen durch die Brüder Lumière und bis zur Etablierung fester, allein auf den Film spezialisierter Spielstätten um 1905 aufweist, sind die beiden primären Anlehnungskontexte des neuen Mediums eindeutig identifizierbar: So operiert Film zunächst im wissenschaftlichen Kontext als Beobachtungsinstrument und sodann als Attraktion in der Unterhaltung. Es sind somit zunächst diese beiden Anlehnungskontexte, die den Rahmen für den medialen Gebrauch des Films umschreiben, also die Bedingungen der Möglichkeit von Kommunikation durch Film konditionieren (vgl. Kapitel 3.1, 3.2). Und es sind ebenfalls Semantiken dieser beiden Anlehnungskontexte, die die diskursive Ebene der Kommunikation über Film prägen (vgl. Kapitel 3.3). Hingegen wird Film zu dieser Zeit noch nicht als relevantes Mittel in der künstlerischen

1 Die Frage, mit welchem Namen die Zeit zwischen dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrundert zu belegen und unter welchen Prämissen sie zu untersuchen ist, bleibt unter Filmhistorikern weiterhin umstritten. Vgl. hierzu André Gaudreault (2006).

76 F ILM ALS W ELTKUNST Produktion eingesetzt und ebenso wenig diskursiv in ästhetischen Begriffen beschrieben. Im Fokus steht aus Sicht beider Anlehnungskontexte, sowohl der Wissenschaft wie der Unterhaltung, der Apparat selbst und nicht die Aufnahmen, die mit ihm produziert und projiziert werden können. Beispielhaft dokumentiert sich diese Haltung in der Praxis der Firma Lumière, wenn diese den Besuchern ihrer kinematographischen Vorstellungen Aufnahmen der eigenen Stadt zeigen, um auf diese Weise die Fähigkeiten des Kinematographen in der Reproduktion der Realität herauszustellen. Während allerdings, wie in den folgenden historischen Analysen gezeigt werden soll, der wissenschaftliche Blick, ausgehend von der Prämisse, die neuen Apparate seien in der Lage, die Realität aufzuzeichnen und wiederzugeben, auf die sich durch die neue Technik offenbarende Realität fokussiert, steht im Kontext der Unterhaltungsbranche die optische Illusion selbst und nicht deren Übereinstimmung mit der Realität im Vordergrund. Auf der Ebene der Selbstbeschreibung betrachtet entsteht unter diesen Voraussetzungen einer engen Bindung des Mediums Film an Wissenschaft und Unterhaltung ein Diskurs, dessen Beiträge zwar nicht darauf zielen, eine Ästhetik des Films im Sinne einer Reflexionstheorie der Kunst zu entwerfen, deren Beschreibungen des neuen Mediums allerdings dennoch die Semantiken filmästhetischer Theorien bis in die Gegenwart prägen werden. Zentral für diesen Diskurs ist die Semantik vom Kinematographen als eines Apparates, der die optische Realität zunächst aufzeichnen und sodann zu einem späteren Zeitpunkt wiedergeben kann. Es sind diese beiden dem Kinematographen zugeschriebenen Potentiale der optischen Aufzeichnung und Wiedergabe, die ihn zugleich für die Unterhaltungsbranche wie für die Zwecke naturwissenschaftlicher Beobachtungen interessant machen: einerseits die Fähigkeit zur Reproduktion der Realität des bewegten Lebens und andererseits die Fähigkeit zur Sichtbarmachung von Prozessen, die für das menschliche Auge bis dato unsichtbar geblieben sind. Dem forschenden Wissenschaftler erscheint der Kinematograph als neues Instrument zur Beobachtung der Realität, während die populäre zeitgenössische Unterhaltung in derselben Apparatur ein ungemein unterhaltsames, die Sinne fesselndes Spektakel sieht.

P HASE 1: F ILM ALS R EPRODUKTION UND ATTRAKTION

3.1 A PPARATE

OPTISCHER

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R EPRODUKTION

Die technischen Grundlagen wie auch die epistemologischen Voraussetzungen dessen, was man später Filmkunst nennen wird, werden in den Laboren des 19. Jahrhunderts entwickelt. Im folgenden Abschnitt werden an zwei historischen Fallbeispielen, der Erfindung des Kinematographen durch die Brüder Lumière und dem insbesondere von Étienne-Jules Marey vorangetriebenen Verfahren der Chronophotographie, skizziert, wie sich vor dem Hintergrund dieses naturwissenschaftlichen Anlehnungskontextes zunächst die Kommunikation über den Kinematographen und die mit ihm konkurrierenden Erfindungen und technischen Verfahren entwickelt, ohne dass diese Apparate bereits selbst als Kommunikationsmedium verwendet oder beschrieben werden. Zunächst werde ich auf den Kinematographen eingehen, der in diesem Kontext als ein Apparat beschrieben wird, der die bewegte Realität aufzeichnen und später wiedergeben kann. Um sodann ein präziseres Verständnis für den Kontext der lumièrschen Erfindung zu entwickeln, werfe ich in einem zweiten Schritt einen kontrastierenden Blick auf die Chronophotographie. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, mit dem insbesondere Étienne-Jules Marey versucht, bisher Nicht-Wahrnehmbares sichtbar zu machen. 3.1.1 Der Kinematograph Die Filmgeschichtsschreibung beginnt mit dem Disput über den historischen Ursprung der Kinematographie. Inzwischen ist deutlich geworden, dass es nicht möglich zu sein scheint, eine von allen Beobachtern geteilte und zeitlich stabile Antwort auf diese Frage zu finden. Zu unterschiedlich sind zuallererst die Definitionen des Begriffs »Film«, als dass es möglich ist, eine allgemein verbindliche Antwort zu geben (vgl. 1.1, 1.2). Und selbst wenn man die Frage zuspitzt und sich allein auf einen Aspekt, etwa auf die Geschichte der Apparate, beschränkt, zeichnet sich keine definitive Antwort ab (Ruchatz 1996a,b). Dessen ungeachtet hat sich eine Reihe von Narrativen etabliert, die dem Film aller historischen Unklarheiten zum Trotz zu einem Anfang verhelfen. Die populärste dieser Erzählungen datiert die Geburt des Films auf den 28. Dezember 1895 (Gaudreault/Gunning 2009). An diesem Tag präsentierten die Brüder Auguste und Louis Lumière ihre neueste Erfindung, den sogenann-

78 F ILM ALS W ELTKUNST ten Kinematographen, erstmalig einer zahlenden Öffentlichkeit.2 Ein Plakat preist die Veranstaltung im Pariser Salon Indien du Grand Café mit folgenden Worten an: »Cet appareil, inventé par MM. Auguste et Louis Lumière, permet de recueillir, par des séries d’épreuves instantanées, tous les mouvements qui, pendant un temps donné, se sont succédé devant l’objectif, et de reproduire ensuite ces mouvements en projetant, grandeur naturelle, devant une salle entière, leurs images sur un écran.« (Zit. in Sadoul 1964, S. 90)

In der Ankündigung ist von »Film« oder »Filmkunst« nicht die Rede. Im Zentrum steht der Apparat und dessen Fähigkeit, mit Hilfe einer Serie von Einzelaufnahmen (»séries d’épreuves instantanées«) Bewegungen aufzunehmen, um diese sodann in natürlicher Größe (»grandeur naturelle«) auf eine Leinwand zu projizieren.3 Die dem Publikum gezeigten Aufnahmen dienen dazu, die Fähigkeiten des Kinematographen zu demonstrieren. Sie sind nicht, wie in den sich zehn Jahre später etablierenden Kinotheatern die eigentliche Attraktion, sondern ein bloßes Mittel, um die technische Raffinesse des neuen Apparates zu belegen. Zudem sehen die Brüder Lumière selbst ihre Weiterentwicklung der Farbphotographie als bedeutsamer an als die Innovation des bewegten Bildes, wie in der Schilderung der Herstellung und anschließenden Präsentation des ersten Filmes deutlich wird: »Le [...] mardi 19, le thermomètre atteint 19o à l’ombre, 26o à l’air libre: c’est ce jourlà, certainement, que Louis [Lumière] peut actionner enfin sa manivelle, donnant avec ces cinquante secondes de La sortie des usines Lumière – 800 images – le coup d’envoi du cinéma mondial. La pluie reviendra le mercredi et le jeudi. Le vendredi 22, les

2 Die Vorstellung im Dezember 1895 in Paris war nicht die erste öffentliche Präsentation der Erfindung der Firma Lumière. Bereits im Frühjahr desselben Jahres hatten die Brüder Lumière ihren neuen Apparat einem Fachpublikum vorgestellt, das allerdings für den Eintritt nicht zahlen musste (Gaudreault/Gunning 2009, S. 4 f.). 3 Ein gutes Jahrzehnt später wird diese von den Brüdern Lumière mit Stolz präsentierte Fähigkeit des Kinematographen, die bewegte Realität optisch zu reproduzieren, zum zentralen Topos der vernichtenden Kritik der literarischen Intelligenz am Kinodrama (vgl. Kapitel 4.3).

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Lumière père et fils sont à Paris, rue de Rennes, pour la conférence de Louis. Devant quelque deux cents spectateurs, c’est donc la première projection publique d’un film – en Europe en tout cas. La sensation est grande: les Lumière semblent surpris que les assistants se passionnent moins pour la photographie en couleur que pour le spectacle en mouvement.« (Chardère/G. Borgé/M. Borgé 1985, S. 71)

Die Brüder Lumière sind keineswegs die einzigen Erfinder, die sich im Bereich der optischen Aufzeichnung und Wiedergabe der bewegten Realität engagieren. Die Bezeichnung des Apparates als Kinematograph situiert ihre Erfindung im Kontext einer Reihe technischer Innovationen des späten 19. Jahrhunderts (Gaycken 2015). Im Zentrum der Aufmerksamkeit dieser Generation von Wissenschaftlern und privatwirtschaftlichen Erfindern stehen nicht die gezeigten Filme und dementsprechend ebensowenig die sich eröffnenden kommunikativen Möglichkeiten, sondern die technischen Apparaturen und deren Fähigkeit, die bewegte Realität aufzuzeichnen und wiederzugeben (Elsaesser 2002, S. 35; Garncarz 2010, S. 9). Dies zeigt sich nicht zuletzt an den ökonomischen Strategien der Akteure, wie etwa derjenigen der Firma Lumière: So ist es zunächst nicht möglich, den Kinematographen käuflich zu erwerben, denn die Brüder Lumière setzen einzig auf die Vermietung der Geräte.4 Dabei teilen sie die Hoffnung, Innovationen im Bereich der optischen Aufzeichnung und Wiedergabe der Realität ökonomisch verwerten zu können, mit einer ganzen Reihe europäischer und amerikanischer Konkurrenten: »In Frankreich, England, Deutschland, den USA, Italien und anderen Ländern werden um 1895 Dutzende von Patenten auf Kameras und Projektoren erteilt. Die wenigsten der patentierten Geräte wurden zwar gebaut, nachweislich jedoch gab es erste öffentliche Filmvorführungen in fast allen genannten Ländern zugleich.« (Engell 1992, S. 41 f.)

Zu einem der schärfsten Konkurrenten der Brüder Lumière avanciert schon bald Edison mit seinem sogenannten »Vitascope« (Musser 2004; Gaudreault/

4 Méliès (1982, S. 18) schildert, wie er und zwei weitere Unternehmer der Pariser Unterhaltungsbranche des späten 19. Jahrhunderts unmittelbar im Anschluss an die erste öffentliche Vorstellung des Kinematographen den vergeblichen Versuch unternehmen, der Familie Lumière einen der Apparate abzukaufen.

80 F ILM ALS W ELTKUNST Dulac/Hidalgo 2012a, S. 382 ff.). Dieser Apparat wird am 23. April 1896 und damit kaum ein halbes Jahr nach der Pariser Präsentation der Lumières in »Koster & Bial’s Music Hall« der New Yorker Öffentlichkeit vorgeführt (Musser 1991, S. 60). Am darauffolgenden Tag feiert die New York Times (1896) die Vorstellung mit den Worten: »the views [...] were all wonderfully real and singularly exhilarating«. Die Erfinder zielen allerdings nicht allein auf Probleme der exakten optischen Reproduktion der bewegten Realität, sondern befassen sich mit der technischen Aufzeichnung von Bewegungsabläufen in einem weiteren Sinne, der auch Apparate einschließt, die keine mimetische Abbildung, sondern Repräsentationen der Realität erzeugen, die als Grundlage wissenschaftlicher Analysen fungieren (Guillet 2004). Dies soll im Folgenden am Beispiel der Chronophotographie gezeigt werden. 3.1.2 Die Chronophotographie Die Chronophotographie, ebenfalls eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, ist neben dem Kinematographen dasjenige technische Verfahren, das in der filmhistorischen Literatur am prominentesten als historischer Vorläufer des Films diskutiert wird. Rossell (1998, S. 27) geht sogar so weit, sie als »cinema’s closest relative, so close as to be indistinguishable in many ways from the very first movie presentations in both content and conception« zu beschreiben. Die drei wichtigsten Akteure auf dem Gebiet der Chronophotographie sind der französische Physiologe Étienne-Jules Marey (Dagognet 1987), der amerikanische Photograph Eadweard Muybridge (Guillet 2004, S. 22 ff.) und der deutsche Ottomar Anschütz (Kessler 2003, S. 26), ein Experte auf dem Gebiet der »instant photography«, dessen Produkte in Deutschland unter dem Namen »Sofortbildphotographie« firmieren. Bereits 1894 und damit noch ein Jahr vor der Präsentation des Kinematographen durch die Brüder Lumière veröffentlicht Marey (1894) die Quintessenz seiner bisherigen physiologischen Forschungen unter dem Titel »Le Mouvement«. Dieser Text, mit dem er die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit popularisieren möchte, enthält unter anderem auch eine ausführliche Darstellung der Chronophotographie (Leuba 1994, S. 16). Letztere ist Teil einer Reihe sehr unterschiedlich gelagerter Projekte, deren gemeinsamer Bezugspunkt das wissenschaftliche Studium der Bewegung ist. Trotz ihres hohen Stellenwertes für seine Forschun-

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gen bleibt die Chronophotographie eindeutig von rein methodischer Bedeutung. Im Zentrum des Interesses steht hingegen das Phänomen der Bewegung selbst. In Le Mouvement umreißt Marey (1894, S. 1) seine Erkenntnisinteressen als Messung, Repräsentation und Analyse von Bewegungen mit Hilfe der Chronophotographie. Das Projekt beschränkt sich dabei nicht allein auf Phänomene, die für das menschliche Auge optisch wahrnehmbar sind. Vielmehr interessiert sich Marey für jegliche Form von Bewegung, wie aus einer seiner Arbeiten zur Physiologie des Blutkreislaufs deutlich wird: »Lorsque je publiais, en 1863, la Physiologie médicale de la circulation du sang, et que j’introduisais en France la méthode graphique appliquée à la biologie, j’émettais l’espérance de pouvoir appliquer cette méthode à l’étude d’autres fonctions.« (Marey 1868, S. V)

Der Konvergenzpunkt der Arbeiten Mareys ist der Versuch, reale Bewegungen grafisch zu repräsentieren (Dagognet 1987). Dabei ist die Absicht allerdings nicht, eine grafische Darstellung zu finden, die der realen Bewegung, wie sie das menschliche Auge wahrnimmt, optisch gleicht. Vielmehr zielen seine Experimente darauf, eine adäquate grafische Repräsentation für Bewegungen gänzlich verschiedener Art zu finden (Braun 1992). Der für das menschliche Auge nicht wahrnehmbare Blutkreislauf ist aus dieser Perspektive ein Studienobjekt unter anderen, und die von Marey (1868, S. V) geäußerte Hoffnung, die methodologischen Erkenntnisse, die dessen Analyse erbracht haben, auf andere Fälle übertragen zu können (»j’èmettais l’espérance de pouvoir appliquée cette méthode à l’étude d’autres fonctions«), unterstreicht, dass die photooptische Reproduktion von Bewegungsabläufen in diesem Rahmen von nachgeordneter Bedeutung ist. Im Kontext der physiologischen Forschungen von Marey hat die visuelle Darstellung der Bewegung durch die Chronophotographie somit eine methodische Funktion. Sie ist nicht der Fixpunkt von Mareys Bemühungen. Sein Ziel besteht nicht darin, den Eindruck von Realität zu erzeugen, sondern reale Bewegungen zum Zwecke ihrer wissenschaftlichen Analyse aufzuzeichnen. In diesem Zusammenhang ist die Chronophotographie für Marey die Methode erster Wahl, um die als relevant erachteten Bewegungsdaten grafisch zu repräsentieren. Dies zeigt die Art, in der Marey die Arbeiten des amerikanischen Forschers Muybridge kommentiert. Letzterer verfolgt sehr ähnlich

82 F ILM ALS W ELTKUNST gelagerte Projekte und wird unter anderem vom ehemaligen Gouverneur Kaliforniens und späteren Universitätsgründer Leland Stanford 1872 beauftragt, die Frage zu klären, ob ein Pferd während des Galopps für kurze Zeit vollständig den Kontakt mit dem Boden verliert. Marey (1894, S. 104 ff.) diskutiert »[m]éthode et appareil de M. Muybridge« unter der Kategorie »Chronophotographie sur plaque mobile« (ebd., S. 102). In dieser Auseinandersetzung zeigt sich, dass das Ziel in diesem wissenschaftlichen Diskussionskontext nicht die mimetische Abbildung der Realität ist. So lobt Marey die Ergebnisse der Forschungen zum Pferdegalopp mit folgenden Worten: »Ces admirables expériences ont fixé bien des points de la théorie des allures du Cheval sur lesquels il y avait de grandes divergences d’opinion, même parmi les hommes spéciaux.« (Ebd., S. 107)

Die von Muybridge mit Hilfe optischer Aufzeichnungsverfahren gewonnen Ergebnisse sind für Marey besonders deshalb interessant, weil sie Informationen produziert haben, die eine Frage entscheiden, die selbst unter Experten umstritten war. Es sind demnach primär die neuen Potentiale, die bewegte Realität beobachten zu können, die die Apparateerfinder in dieser Zeit faszinieren, wohingegen die Möglichkeit zur Erzeugung optischer Illusionen, wenn überhaupt, von zweitrangiger Bedeutung ist. 3.1.3 Technische Verbesserung bestehender Medien Trotz markanter Differenzen zeichnen sich sämtliche Erfindungen, die retrospektiv als Ursprungsmomente des Films beschrieben werden (Ruchatz 1996b, S. 53), dadurch aus, dass sie als inkrementelle Verbesserung bestehender Technik intendiert sind: »If we look at the attitudes towards cinema during its first five years, we find almost everyone involved in cinema believed they were simply continuing a previous medium via technical improvements. For the Lumière Company, cinema developed out of their photographic business and was a natural development of their experiments in instantaneous photography.« (Gunning 2003, S. 27 f.)

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Die Brüder Lumière haben mit dem Kinematographen ihrer eigenen Einschätzung nach eine Maschine erfunden, die die Funktionen von Kamera und Projektor, also Aufnahme und Wiedergabe, vereint. Sie sehen die technischen Eigenschaften der Apparate als das entscheidende Feld für Innovationen (Elsaesser 2002, S. 37). Diese Einschätzung, die sie selbst mit Erfindern, die gänzlich andere Ziele verfolgen, wie etwa Marey mit seinem Projekt der Chronophotographie, verbindet (Gunning 2003, S. 27 f.), wird sich allerdings als Irrtum erweisen. Denn die folgenreichste Veränderung dieser Jahre ist rückblickend betrachtet nicht eine der zahllosen technischen Verbesserungen der Apparate, sondern, wie im Folgenden gezeigt werden soll, der Wechsel des primären Anlehnungskontextes von der Wissenschaft zur Unterhaltung, der zu einer Refunktionalisierung des neuen Mediums als unterhaltsames Spektakel führt.

3.2 K INO

DER

ATTRAKTIONEN

In der Zeit zwischen den späten 1890er Jahren und dem Ersten Weltkrieg verbreiten sich der Kinematograph und seine technischen Verwandten in rasantem Tempo in diversen Institutionen volkstümlicher Unterhaltung. Das populäre Unterhaltungsgewerbe ist der erste Anlehnungskontext, der den Kinematographen nicht länger primär als Erkenntnismittel, sondern als optisches Spektakel einsetzt. Es sind die Schausteller auf den Jahrmärkten und die Betreiber der Varietés in Städten, die das mechanische Auge des Apparates mit den Sehgewohnheiten der populären Unterhaltung des 19. Jahrhunderts in Verbindung bringen. Durch diesen Einsatz des Kinematographen und vergleichbarer Konkurrenzprodukte im massenmedialen Kontext des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts werden erstens neue Potentiale jenseits der technischen Reproduktionsfähigkeit in den Apparaten entdeckt und zweitens der Popularität der kinematographischen Vorstellungen ein entscheidender Schub verliehen (Gunning 2006). Für den deutschen Fall beschreibt Garncarz die Entwicklung folgendermaßen: »Im Untersuchungszeitraum [gemeint sind die Jahre zwischen 1896 und 1914, S.P.] entstanden in Deutschland eine Fülle unterschiedlicher Aufführungsformen: Filme wurden zunächst in ortsfesten Varietés, zu denen die internationalen und lokalen Häu-

84 F ILM ALS W ELTKUNST ser gehörten, in mobilen Kinobauten auf Jahrmärkten und in Restaurants, Hotels und Kneipen gezeigt, bevor sich ab 1905 unterschiedliche Formen des ortsfesten Kinos (Ladenkinos, Kinotheater und -paläste) etablierten.« (Garncarz 2010, S. 11)

In diesen neuen Kontexten der Unterhaltung ist das primäre Ziel nicht länger die Reproduktion der bewegten Wirklichkeit. Diese dem Kinematograph zunächst zugeschriebene Fähigkeit ist nurmehr eines unter einer Vielzahl von Mitteln, die zu einem gänzlich anderen Zweck eingesetzt werden. Dieser entspringt nicht länger dem wissenschaftlich-technischen Kontext der Apparateerfinder, sondern der Welt des Illusionstheaters und der Varietés des 19. Jahrhunderts. Der Wechsel des Anlehnungskontextes von der Wissenschaft zur Massenunterhaltung verschiebt die primären Orientierung auf ein dem Publikum zugeschriebenes Bedürfnis nach Unterhaltung. Dadurch fokussiert sich die Konkurrenz auf die Ebene der Gestaltung des Films als Medium. Konkurriert wird nun nicht länger primär um technische Verbesserungen der Apparate, sondern um die möglichst einfallsreiche und das heißt das Publikum überraschende Gestaltung medialer Formen (Haller 2008, S. 22 ff.). 3.2.1 Optische Berichterstattung Ein interessantes Beispiel für die medialen Folgen der soeben skizzierten strukturellen Veränderungen im Zuge des Wechsel des Anlehnungskontextes von der Wissenschaft hin zur massenmedialen Unterhaltung sind kinematographische Berichte über das Tagesgeschehen, die schnell zum erfolgreichsten filmischen Unterhaltungsformat der Jahrhundertwende avancieren (Gunning 2005, S. 179). In Deutschland wird das Format unter der Bezeichnung »Optische Berichterstattung« vor allen Dingen in sogenannten »Internationalen Varietés« gezeigt. Mit der französischen Wortwahl betonen deren Betreiber den internationalen Charakter des Programms, das aus einer großen Vielzahl – daher die Bezeichnung als Varieté – von einzelnen Nummern zusammengestellt wird. Im Unterschied zu den Stücken des Sprechtheaters (bildungs)bürgerlicher und populärer Spielart greifen die Nummern im Varieté nicht auf die gesprochene Sprache als Medium zurück. Dadurch sind sie nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden, so dass ein übernationaler Rezeptionsraum entstehen kann, in dem Nummern wie auch Programmkonzepte zirku-

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lieren und damit zugleich miteinander konkurrieren können. Diese Option ist den an die Grenzen der Nationalsprachen gebundenen Sprechtheatern versagt. Auch hinsichtlich des adressierten Publikums richten sich die Varietés an einen internationalen Zuschauerkreis (Kreimeier 2011, S. 153). Unter dem Namen »Optische Berichterstattung« zeigen Varietés vor den betuchteren Kreisen der Großstädte Filmaufnahmen aktueller Ereignisse. Die Auswahl der Aufnahmen folgt dabei dem Publikum zugeschriebenen Relevanzkriterien, und beworben wird ein zusammenhängendes Programm und nicht einzelne spektakuläre Filme (Garncarz 2010, S. 31 f.). Da sich die Selektionskriterien der Filmauswahl an der Aktualität der Geschehnisse orientieren, ergibt sich eine direkte Konkurrenz zur Tagespresse. Allerdings greifen Zeitungen zu dieser Zeit bereits auf telegraphisch übermittelte Informationen zurück, wohingegen sich Filmrollen und damit auch die »Optische Berichterstattung« weiterhin mit der Geschwindigkeit des zeitgenössischen Güterverkehrs bewegen. Folglich sind die Betreiber der Varietés in Hinblick auf die Aktualität der berichteten Ereignisse der Konkurrenz durch gedruckte Nachrichten prinzipiell deutlich unterlegen. Dafür zeichnet sich der Kinematograph jedoch in der Einschätzung der Zeitgenossen dadurch aus, dass er in unvergleichlicher Weise auch Abwesende an einem Ereignis durch dessen optische Aufzeichnung teilhaben läßt (ebd., S. 31 ff.). Im Unterschied zu den Absichten der Erfinder, wie Muybridge, Marey und den Brüdern Lumière, die das Ziel verfolgen, einen Apparat zu bauen, der eine möglichst exakte Reproduktion der bewegten Realität ermöglicht, zielt die »Optische Berichterstattung« darauf, die Illusion von Realität zu erzeugen. Gleichzeitig verändert sich auch die Struktur der funktionalen Alternativen, da die »Optische Berichterstattung« mit Tageszeitungen, also anderen Nachrichtenmedien, um die Aufmerksamkeit eines Massenpublikums konkurriert und nicht Ausdruck einer Konkurrenz von Geräteherstellern um die möglichst perfekte Realisierung eines spezifischen technischen Arrangements ist. Auf der Ebene der Auswahl und Gestaltung der Filmprogramme bedeutet dies, dass die »Optische Berichterstattung« ihre mediale Spezifität gegenüber einem anderen Medium, den Zeitungen, in der Erfüllung derselben kommunikativen Funktion auszuspielen versucht, um sich in der Konkurrenz um die Aufmerksamkeit eines Massenpublikums behaupten zu können. Unter dem Namen »Optische Berichterstattung« wird der Film somit in erster Linie als eine neue Möglichkeit gesehen, Bilder von der Realität abwe-

86 F ILM ALS W ELTKUNST senden Dritten zugänglich zu machen, und angesichts der hieraus resultierenden Konkurrenz zur Tagespresse unterstreichen die Betreiber der Varietés den besonderen Effekt, den die »Berichte« auf die Wahrnehmung der Zuschauer haben: »[D]er photographische Aufnahme-Apparat [steht] auf dem Vorderteil der Lokomotive, dadurch wird ein Bild geschaffen, welches gleich einem Wandelpanorama an dem Auge des Betrachters vorbeizieht.« (Programmheft des Hamburger Hansa-Theaters vom Oktober 1900, zit. n. Garncarz 2010, S. 33)

Auffällig an dieser Beschreibung der »Optischen Berichterstattung« ist, dass das Ergebnis nicht als Film, sondern als Wandelpanorama, mithin als Bild beschrieben wird. Der Film wird so als ein Medium konzeptualisiert, das neue Zugangsmöglichkeiten zur Realität eröffnet. Aufgrund dieser Möglichkeit, leicht zu vervielfältigende und damit populäre wie zugleich auch beeindruckende Bilder zu schaffen, verbindet die »Optische Berichterstattung« die Interessen der Unterhaltungsproduzenten mit jenen der Machthaber. Den Varietés liefert die Politik Ereignisse mit hohem Nachrichtenwert, und der Politik dienen die einminütigen optischen Berichte im Gegenzug als Mittel der Selbstdarstellung und Propaganda (ebd., S. 40). Dem Auge des Kinematographen räumen die Mächtigen deshalb oftmals einen privilegierten Platz unter den Zuschauern ein, wie aus folgender, an Kaiser Wilhelm II. gerichteten Dankeserklärung der Artistischen Nachrichten hervorgeht: »Nur der persönlichen Initiative Sr. Majestät allein ist es zu danken, wenn dem Biograph an jeder Stätte, wo sich heute besondere Ereignisse abspielen, ein bevorzugter Platz eingeräumt wird, um solche im Bilde und voller Naturtreue festzuhalten. So haben wir es der besonderen Gunst des Kaisers zu danken, daß es dem Biograph vergönnt gewesen ist, solche Ereignisse aufzunehmen, die sonst dem Publikum nicht zugänglich sind.« (Artistische Nachrichten, Nr. 69, September 1902: 5, zit. n. ebd., S. 40)

Das Zitat verdeutlicht, dass eine zentrale Funktion des »Biographen« darin gesehen wird, Ereignisse durch ihre Aufnahme, einem Publikum zugänglich zu machen. Der »Biograph«, der hier pars pro toto für die Apparate der ersten Erfindergeneration stehen kann, wird in dieser Darstellung auf seine verbreitungsmedialen Potentiale reduziert.

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Das Interesse der Politik an der Kinematographie ist zentral von zwei Bedingungen abhängig: Zunächst muss Film als Wahrnehmungsmedium funktionieren, d. h. es muss möglich sein, anschlussfähige Formen im Medium Film zu produzieren. Sodann müssen diese Formen die Aufmerksamkeit des Publikums binden können. Für die Produzenten der »Optischen Berichterstattung« bedeutet dies, wie Kreimeier ausführt, dem Publikum Bilder mit hohem Schauwert zu offerieren: »Die aktuellen ›Nummern‹ zielen, nicht anders als die fiktionalen Genres des frühen Kinos auch, auf den Schau- und Ausstellungswert des ›lebenden Bildes‹. Sie bieten von einem meist fixierten (Kamera-)Standpunkt aus arrangierte ›Ansichten‹ eines interessanten Gegenstands und adressieren im Idealfall das Sensationsbedürfnis eines von neuen Medien- und Unterhaltungsangeboten verwöhnten Publikums.« (Kreimeier 2011, S. 76)

Die Frage, in welchem Maße die optische Berichterstattung Realität adäquat abbildete, rückte damit, wie Garncarz (2010, S. 31) resümierend festhält, in den Hintergrund: »Wenn die nicht-fiktionalen Filme der ›Optischen Berichterstattung‹ auf eine Wirklichkeit außer ihrer selbst verweisen, so kommt es nicht so sehr darauf an, wie diese von der Filmkamera gesehen wird und welche kinematographischen Mittel dabei zum Einsatz kommen. Es muß nicht einmal ein photographisches Abbildungsverhältnis zum jeweiligen Ereignis bestehen.« (Ebd., S. 31)

Der Verzicht auf die möglichst exakte optische Reproduktion der bewegten Realität, mithin das, was die kinematographischen Vorstellungen der Brüder Lumière im Kern ausmacht, eröffnet eine größere Freiheit in der Wahl des Dargestellten. Zuvor musste sich der Kinematograph auf jenen Ausschnitt der Realität beschränken, der der optischen Wahrnehmung direkt zugänglich ist. Während also die Erfindergeneration die Differenz zwischen Wirklichkeit und Aufzeichnung in den Mittelpunkt rückt und um die immer perfektere technische Annäherung beider Seiten der Unterscheidung konkurriert (vgl. Kapitel 3.1), fokussiert die »Optische Berichterstattung« darauf, das Publikum mit möglichst gelungenen Illusionen von Realität zu unterhalten.

88 F ILM ALS W ELTKUNST 3.2.2 Der Kinematograph als Illusionsmaschine Neben den Internationalen Varietés sind es vor allen Dingen die Illusions- und Zaubertheater, die Apparate wie den Kinematographen als spektakuläres Element in ihr Programm aufnehmen. Einer der ersten, die sich nach der öffentlichen Vorstellung des Kinematographen (vgl. Kapitel 3.1) ebenso energisch wie erfolglos darum bemühen, ein Exemplar des Apparates käuflich von den Brüdern Lumière zu erwerben, ist Georges Méliès, der die neue Technik in seinem Pariser Illusionstheater einsetzen möchte. Méliès erkennt in der neuen Erfindung einen Möglichkeitshorizont, der weit jenseits der Intentionen von Ingenieuren liegt, wie es die Brüder Lumière und ihre Konkurrenten sind. Aus der Perspektive des Illusionstheaters betrachtet sind die bewegten Photographien der Brüder Lumière nicht aufgrund der nahezu »naturgetreuen« optischen Reproduktion der bewegten Wirklichkeit interessant, sondern weil sie optische Illusionen erzeugen, die die zeitgenössischen Betrachter verblüffen und begeistern. Für Méliès (1907/2004, S. 38 ff.) sind die Werke der Brüder Lumière vor allen Dingen außergewöhnliche »Tricks«, die dem Bühnenspektakel des Illusionstheater ein bis dato nicht verfügbares Potential eröffnen. Wenige Monate nachdem Méliès erfolglos versucht hatte, den Brüdern Lumière einen Kinematographen abzukaufen, gelingt es ihm, zunächst als Projektor einen englischen Bioscope zu erwerben, um sich im darauffolgenden Jahr eine passende Kamera anfertigen zu lassen, so dass er nunmehr mit der Produktion eigener kinematographischer Aufnahmen beginnen kann. Diese setzt er nicht einfach als weitere Nummer in seinem Programm ein, sondern er macht sich vielmehr daran, das ihm vertraute Illusionstheater in einem neuem Medium zu reinszenieren. Zugleich schreibt er damit dem Kinematographen eine neue Funktion zu, der sich somit nicht länger auf die getreue Reproduktion der optischen Realität beschränkt. Kommunikationstheoretisch bedeutet dies, dass Méliès’ Beschreibung den Kinematographen auf ein Medium zweiter Ordnung, nämlich den Vorstellungshorizont der Tradition des Illusionstheaters bezieht.5

5 Das Wechselverhältnis zwischen Illusionstheater und Aufnahmen kann man mit Luhmann (1996a, S. 165 ff.) als wechselseitige Reproduktion von Medium und operativ realisierten Formbildungen beschreiben. Die Realisierung von kinematographischen Formen im Medium des Illusionstheaters, die Filme also, die Méliès produ-

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Der Wechsel des Anlehnungskontextes erschließt somit sowohl dem Apparat wie auch der Tradition des Illusionstheaters neue Möglichkeiten. Allerdings sind diesen Potentialen auch klare Grenzen gesetzt: Denn die Herstellung der »Vues Cinématographiques« verursacht hohe laufende Kosten und erfordert zugleich einen enormen organisatorischen Aufwand. Der entscheidende, da kostenintensivste Moment im Produktionsablauf ist die Herstellung der Aufnahme selbst. Sie ist zugleich, wie aus Méliès Schilderungen deutlich wird, mit den größten Unwägbarkeiten und Ärgernissen verbunden: »[D]ie schäfchenbewölkten, wolkigen oder nebligen Himmel haben [...] mir im Laufe meiner Karriere unzählige verpfuschte Aufnahmen beschert, begleitet von enormen Kosten, denn jede Szene, die neu angefangen wird oder wegen schlechten Wetters nicht beendet werden kann, verdoppelt, verdrei- oder vervierfacht ihre Herstellungskosten, je nachdem, ob man sie an zwei, drei oder vier aufeinanderfolgenden Tagen neu beginnen muß, da ja die Schauspieler jedesmal extra kommen müssen. Ich habe Szenen erlebt, die acht Tage hintereinander immer wieder neu angefangen werden mußten, u.a. das Ballett von Faust, das zweieinhalb Minuten dauert und 3.2000 Francs gekostet hat. Grund genug wütend zu werden.« (ebd., S. 33)

Um einen möglichst planbaren und damit effizienten Produktionsablauf sicher zu stellen, beschließt Méliès, für die Produktion der Filme ein eigenes Atelier zu errichten, das die Unwägbarkeiten der optischen Realität besser als unter freiem Himmel kontrollieren helfen soll. Méliès beschreibt sein Atelier mit metaphorischem Verweis auf bereits etablierte Institutionen als »die Vereinigung von photographischem Atelier (in riesigen Proportionen) und Theaterbühne« (ebd., S. 31) und bezeichnet das Ganze als »im kleinen ein ziemlich genaues Abbild des Illusionstheaters« (ebd., S. 32). In der praktischen Umsetzung heißt dies für Méliès zunächst, das Theater an die Bedingungen des Kinematographen anzupassen. Dies zeigt sich pointiert in seinen Ausführungen über die verwendeten Requisiten: »Die Requisiten sind aus Holz, Leinwand, Karton, Gips, Pappmaché, Ton, oder man nimmt Gebrauchsgegenstände, wenn man aber ein photographisch gutes Ergebnis er-

zieren wird, haben aus dieser Warte den Effekt, dass sie dieses Medium mit neuen Möglichkeiten anreichern.

90 F ILM ALS W ELTKUNST zielen will, verwendet man am besten selbst für Stühle, Kamine, Tische, Teppiche, Möbel, Kandelaber, Uhren usw. Gegenstände, die speziell hierfür hergestellt werden und auch in verschiedenen, sorgfältig abgestuften Grautönen, die dem Objekt entsprechen, bemalt sind.« (Méliès 1907/2004, S. 35)

Den Vorteil der grauen Szenerie, die er vor der Kamera errichtet, erklärt Méliès folgendermaßen: »Wichtige Filme werden oft noch handkoloriert. Dies wäre bei der Photographie echter Gegenstände unmöglich, da sie, wenn sie aus Bronze, Mahagoni oder rotem, gelbem oder grünem Stoff sind, auf dem Film tiefschwarz erscheinen, folglich nicht transparent, so daß es nicht mehr möglich wäre, ihnen den für die Projektion nötigen echten, durchscheinenden Farbauftrag zu geben.« (ebd., S. 35)

Méliès manipuliert die vor der Kamera aufgebaute Realität, damit die Wiedergabe der Aufnahme real erscheint. Realität wird damit zu einer medialen Fiktion. Die Differenz zwischen der grauen Realität vor der Kamera und der farbigen Echtheit der fertigen »kinematographischen Bilder« sei, so Méliès, »einer der Punkte, von dem das Publikum im allgemeinen nichts weiß«. Er mutmaßt, die Zuschauer machten »sich bestimmt keine Vorstellungen von der Zeit und Sorgfalt, die aufgewendet werden müssen, um all die Requisiten herzustellen, die später einfach wie echte Gegenstände wirken« (ebd., S. 35). An dieser Stelle ähneln Méliès’ Ansichten den im vorherigen Abschnitt rekonstruierten Prämissen der »Optischen Berichterstattung«, deren Erfolg ebenfalls darauf beruht, dass das Publikum die Echtheit und Lebensnähe des Gezeigten nicht an dessen Ähnlichkeit mit der optisch wahrnehmbaren Realität im Moment der Herstellung der Filmaufnahme misst, sondern an ihrer Wirkung im Moment der Rezeption. Dieselbe Entwicklung lässt sich im Zuge der Einrichtung ortsfester Spielstätten, wie Charlie Keil (2002, S. 129) herausarbeitet, ab 1907 auch in der US-amerikanischen Filmproduktion beobachten. Mit seinen bereits deutlich früher produzierten »Vues Cinématographiques« ist Méliès als Filmpraktiker in einer Vorreiterrolle.6 Doch damit nicht genug: Er ist zugleich auch einer

6 »[S]ets would achieve increased verisimilitude if filmmakers replaced painted backdrops with convincingly decorated volumetric playing spaces. One can find evidence

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der ersten, die das neu entstehende Medium, wie im Folgenden dargestellt werden soll, begrifflich reflektieren.

3.3 S ELBSTBESCHREIBUNG

DES I LLUSIONISMUS

Während die Erfindergeneration vornehmlich in Form von Patenten über die Urheberschaft an technologischen Innovationen und die damit verbundenen ökonomischen Gewinne streitet (Ruchatz 1996b; Musser 2009, S. 48 f.), wählt Georges Méliès die Form der Causerie, der Plauderei, um seine Erfindung ins rechte Licht zu rücken. Der Direktor des Théâtre Robert-Houdin bleibt auch in der Selbstreflexion dem Impetus seiner Profession treu, das Publikum niemals zu langweilen. Es handelt sich nicht um Rechtfertigungs-, Legitimations- oder Verteidigungsprosa; vielmehr erläutert der 1907 unter dem Titel Les Vues Cinématographiques publizierte Text die Herstellung der magischen Bilder, mit denen Méliès so große Erfolge feiert. Sein Problem ist nicht ein Mangel an sozialer Anerkennung. Méliès wendet sich, wie er schreibt, als einer der »ältesten Filmhersteller« mit seiner »Plauderei« an das »Publikum«, um ihm »ein getreues Bild der tausend und einen Schwierigkeiten zu entwerfen, die ein Filmhersteller bewältigen muß, wenn er jene künstlerischen, amüsanten, seltsamen oder einfach naturgetreuen Werke produzieren will, die augenblicklich die unglaubliche Beliebtheit des Films (›cinématographe‹) in allen Teilen der Welt ausmachen« (Méliès 1907/2004, S. 31). Seine Reflexion zielt nicht darauf, den »kinematographischen Bildern« nachträglich Legitimität zu verschaffen, sondern er möchte Zeugnis ablegen über die Entstehung dieser Werke, von deren Wert er selbst ebenso wie sein Publikum überzeugt ist. Der Text rechtfertigt nicht die Ergebnisse, sondern erklärt, wie sie hergestellt werden und wie die Mittel zur ihrer Herstellung entdeckt worden sind. Oder, wie es Cosandey (1997, S. 53) formuliert: »Méliès s’exprime déjà sur le ton de l’autorité conférée par l’ancienneté.«

of the first approach—the use of spectacle—in films before 1907, particularly in the work of Georges Méliès, whose visually lush fantasies depended for a good deal of their effect on fanciful and detailed sets.« (Keil 2002, S. 129)

92 F ILM ALS W ELTKUNST Allerdings ist Les Vues cinématographiques weder der Text eines geschulten Analytikers noch der eines versierten Akademikers. Entsprechend verzichtet er auf das Raffinement und die Präzision einer akademischen Abhandlung. So schreibt Méliès (1907/2008, S. 200) beispielsweise die »batterie de chambres photographiques«, mit der Eadweard Muybridge die Bewegungen eines Pferdes erstmalig in Einzelbilder zerlegte und so den Nachweis erbrachte, dass dieses im Galopp für den Bruchteil einer Sekunde mit allen Beinen vom Boden abhebt, irrtümlicherweise Étienne-Jules Marey zu, der zwar an ähnlichen Problemen arbeitet, allerdings ein grundsätzlich anderes technisches Verfahren verwendet. Trotz dieser Unzulänglichkeiten und des auf Unterhaltsamkeit bedachten Charakters handelt es sich, wie Roland Cosandey (1997, S. 53) betont, um einen Text »fondamental par son ampleur, sa précision et sa richesse terminologique.« Méliès’ Ausführungen lassen sich als eine Reflexionstheorie des Mediums Film in nuce bezeichnen, da der für theorieförmige Selbstbeschreibungen, d. h. Reflexionstheorien, entscheidende Anspruch an Systematik und Konsistenz der Begriffswahl die Darstellung prägt. So unterteilt Méliès die »vues cinématographiques« zunächst in vier Kategorien: »Il existe quatre grande catégories de vues cinématographiques, ou, du moins, toutes les vues peuvent se rattacher à l’une de ces catégories. Il y a les vues dites de plein air, les vues scientifiques, les sujets composés, et les vues dites à transformations.« (Méliès 1907/2008, S. 198)

Die vier Kategorien, d. h. erstens Außenaufnahme, zweitens wissenschaftliche Aufnahme, drittens arrangiertes Sujet und viertens Trickszene, unterscheiden sich nicht allein in sachlicher Hinsicht, sondern bilden aus der Sicht von Méliès zugleich eine historische Entwicklungslogik: »Au début, les vues étaient exclusivement des sujets pris sur nature; plus tard, le cinématographe fut employé comme appareil scientifique pour devenir enfin un appareil théâtral.« (Ebd., S. 198)

Der entscheidende Schritt in dieser Stufenfolge der »vues cinématographiques« ist nach Méliès der Übergang zur dritten Kategorie, die den Kinematographen zur Aufzeichnung theatraler Formen nutzt:

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»Dès le début, le succès fut énorme; succès de curiosité pour l’apparition de la photographie animée; mais lorsque le cinématographe fut mis au service de l’art théâtral, le succès se transformera en triomphe. Depuis, la vogue du merveilleux instrument n’a fait qu’augementer chaque jour dans des proportions qui tiennent du prodige.« (Ebd., S. 198 f.)

Die Verbindung aus Bühnenkunst und Kinematographie ist für Méliès der Kern seines phänomenalen Erfolges. Es ist interessant zu sehen, wie Méliès bei der Konstruktion der vier Kategorien vorgeht. Am Beginn der von ihm postulierten historischen Entwicklung stehen die »vues de plein air«. Méliès sieht diese als historische Vorläufer sämtlicher späteren Formen von »vues cinématographiques«. Es handele sich um die Form, mit der alle an der Kinematographie Interessierten ihre Arbeit begonnen hätten: »Les vues de plein air. — Ceux qui se sont occupés de cinématographie ont tous commencé par faire du plein air [...] Ces vues consistent à reproduire en cinématographie les scènes de la vie usuelle: [...] C’est, en somme, le remplacement de la photographie documentaire [...] par la photographie documentaire animée.« (Ebd., S. 199)

Die Produktion dieser ersten Kategorie von »Bildern« sei am Leichtesten zu bewerkstelligen, urteilt Méliès. Die zweite Kategorie bilden die »vues scientifiques«, die sich nach Méliès dadurch auszeichnen, dass der Kinematograph verwendet wird »pour fixer sur la pellicule des études anatomiques du mouvement chez l’homme et chez les animaux« (ebd., S. 200). Die Darstellung der ersten beiden Kategorien, der »vues en plein air« und der »vues scientifiques«, beschließt Méliès mit der Bemerkung, letztlich handele es sich bei den wissenschaftlichen Bildern ebenfalls um »vues en plein air«, die sich eben einem bestimmten Gegenstandsbereich widmeten: »Cette branche spéciale de la cinématographie pourrait, à la rigueur, entrer dans la catégorie des vues dites plein air, puisque l’opérateur se borne [...] à cinématographier ce qui se passe devant lui [...].« (Ebd., S. 200 f.)

Interessant ist die dritte Kategorie, die Méliès als »sujets composés« bezeichnet. Obschon es sich technisch gesehen um dieselbe Konstellation wie im Fal-

94 F ILM ALS W ELTKUNST le der ersten beiden Kategorien handelt, kommt Méliès hier zu einem gänzlich anderen Schluss: »Là, le domaine du cinématographe ne connaît plus de bornes, et tout ce que l’imagination peut lui fournir de sujets est bon pour lui, et il s’en empare.« (Méliès 1907/2008, S. 201)

Der Unterschied zwischen den ersten beiden und dieser dritten Kategorie liegt für Méliès darin, dass die »sujets composés« die Grenze der alltäglichen Realität überschreiten. Diese Grenze ist, das legt die Verwendung der metaphorischen Formulierung »bornes« nahe, zweideutig bestimmt. Sie ist zugleich Grenze der allgemeinen Moral wie der gängigen Vorstellungskraft. Das Überschreiten dieser Grenze hat den Kinematographen nach Ansicht von Méliès unsterblich gemacht: »C’est surtout cette branche et la suivante qui ont rendu le cinématographe immortel, parce que les sujets dus à l’imagination sont variés à l’infini et inépuisables.« (Ebd., S. 201)

Die Unsterblichkeit der »lebenden Bilder« liegt darin, dass die Vorstellungskraft den Kinematographen mit einem unendlichen Reservoir an »sujets« versorgt, ihn mithin als Kommunikationsmedium zu nutzen weiß, dessen Faszination sich nicht verbraucht wie die Wirkung des »ursprünglichen« kinematographischen Effekts, der, als die Brüder Lumière ihre ersten Vorstellungen gaben, zwar großes Erstaunen und Faszination auslöste, ohne dies jedoch auf Dauer stellen zu können. Obschon Méliès dies nicht in entsprechenden Begriffen reflektiert, liefert er mit dieser Konstruktion eine Erklärung dafür, wie aus einem technischem Potential zur Reproduktion der optischen Realität ein Kommunikationsmedium zur Konstruktion beliebiger Formen werden konnte. Er sieht ebenfalls bereits die Verknüpfung von Formbildung und Faszination. Denn die Möglichkeit zur Formbildung bringt zugleich das Erfordernis mit sich, entscheiden zu müssen, was man zeigen möchte, wenn man sich nicht länger darauf beschränkt, Realität zu reproduzieren. Méliès löst dieses Problem, indem er diese Entscheidung an den Zuspruch beziehungsweise die Faszination des Publikums knüpft.

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Im Anschluss an diese paradigmatischen Grundlagen stellt Méliès schließlich die vierte Kategorie, das eigentliche Thema seiner Überlegungen wie seines künstlerischen Lebenswerks, vor. Das entsprechende Unterkapitel trägt den Titel »Les vues dites à transformation« (ebd., S. 201), und wird von Méliès mit einer Kritik der bestehenden Terminologie eröffnet: »Celle-ci a été dénommée par les exhibiteurs ›vues à transformations‹; mais je trouve l’appellation impropre. [...] mon opinion est que le nom de vues fantastiques serait beaucoup plus exact. Car, si un certain nombre de ces vues comportent, en effet, des changements, des métamorphoses, des transformations, il y a aussi un grand nombre d’entre elles où il n’existe aucune transformation, mais bien des trucs, de la machinerie théâtrale, de la mise en scène, des illusions d’optique, et toute une série de procédés dont l’ensemble ne peut porter un autre nom que celui de ›truquage‹, nom peu académique mais qui n’a pas son équivalent dans le langage choisi.« (Ebd., S. 201 f.)

Méliès kritisiert die von den Ausstellern eingeführte Bezeichnung »vues à transformations« mit der Begründung, dass die Transformation einer von vielen Effekten sei, die in den so bezeichneten »vues« zum Einsatz kämen. Als Alternative schlägt er die Bezeichnung »vues fantastiques« vor. Diese Begriffswahl ist allerdings, wie Méliès selbst einräumt, mehr dem Willen geschuldet, eine akademisch klingende Formulierung zu finden, als dem Versuch, eine möglichst angemessene Bezeichnung für die in Rede stehenden »vues« zu finden. Von der Sache her, so Méliès, müsse man vielmehr von »truquage« sprechen, welches allerdings eine Bezeichnung ohne akademische Weihen sei. 3.3.1 Kinematographische Tricks Während die Akribie, mit der Méliès die graue und stumme Atelier-Welt im Pariser Vorort Vincennes errichtet, um möglichst »echte«, d. h. insbesondere »natürliche« und »naturgetreue« »kinematographische Bilder« zu produzieren, die minutiöse Umsetzung einer ausgefeilten Planung ist, stellt sich hingegen die entscheidende Innovation ungeplant, als Folge eines technischen Versagens ein:

96 F ILM ALS W ELTKUNST »Wollen Sie wissen, wie mir die Idee kam, in der Kinematographie Tricks zu verwenden? Wirklich, das war ganz einfach! Eine Panne des Apparates (ein ganz einfacher Apparat, in dem der Film oft zerriß oder hängenblieb und nicht weiterlaufen wollte), hatte eine unerwartete Wirkung [...].« (Méliès 1907/2004, S. 38 f.)

Die entscheidende Idee kommt Méliès im Moment der Rezeption, nicht der Produktion der »Vues«, der er den weitaus größten Teil seiner »Plauderei« wie seiner täglichen Arbeit widmet: Es ist das Stillstehen des Apparates, die Unterbrechung der technisch vorgesehen Logik, in stets gleichen Zeitabständen eine Photographie nach der anderen aufzunehmen, um später in der Projektion die Illusion von Bewegung erzeugen zu können, die Méliès den Filmtrick entdecken lässt. »[A]ls ich eines Tages ganz prosaisch die Place de l’Opéra photographierte. Es dauerte eine Minute, um den Film freizubekommen und die Kamera wieder in Gang zu setzen. Während dieser Minute hatten die Passanten, Omnibusse, Wagen sich natürlich weiterbewegt. Als ich mir den Film vorführte, sah ich an der Stelle, wo die Unterbrechung eingetreten war, plötzlich einen Omnibus der Linie Madeleine-Bastille sich in einen Leichenwagen verwandeln und Männer zu Frauen werden. Der Trick durch Ersetzen, Stopptrick genannt, war gefunden, und zwei Tage später begann ich damit, Männer in Frauen zu verwandeln und Menschen und Dinge plötzlich einfach verschwinden zu lassen, was anfangs ja großen Erfolg hatte.« (ebd., S. 38 f.)

Das Ereignis findet nicht vor, sondern im Apparat statt, und es ereignet sich nicht in der kontrollierbaren Welt des Ateliers, sondern unter freiem Himmel. Denn in der von Méliès perfektionierten Logik der Vereinigung von Theaterbühne und Photoatelier war dieser Moment schlichtweg nicht vorgesehen. Diese »Panne des Apparates« trennt Wissenschaft und Unterhaltung und bereitet die bis heute gängige Unterscheidung von fiktionalem und dokumentarischem Film vor. Sie bricht mit der Logik, die Erfinder wie die Brüder Lumière und Muybridge aller Differenzen zum Trotz verbunden hatte, nämlich von der zeitlichen Parallelität von filmischer Aufnahme und Realität auszugehen: »[D]er intelligent angewandte Trick ermöglicht es, das Übernatürliche, das Imaginäre, sogar das Unmögliche sichtbar zu machen und wirklich künstlerische Bilder aufzu-

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nehmen, die für jeden, der bedenkt, daß bei ihrer Ausführung alle Register der Kunst gezogen werden, ein wahrer Genuß sind.« (Ebd., S. 40)7

Der filmische Trick besteht gerade darin, dass aufgenommene und projizierte Zeit auseinander fallen. 3.3.2 Medialer Sprung Die Brüder Lumière hatten sich vorab das Ziel gesteckt, den Kinematographen zu bauen und sodann nach Möglichkeiten gesucht, den Apparat tatsächlich konstruieren zu können. Méliès hingegen macht den entscheidenden Schritt in der Manier eines Flaneurs, der nicht auf der geplanten Suche nach etwas Bestimmtem ist, sondern die Haltung eines Rezipienten einnimmt. Die deutsche Fassung des Textes, in der »cinématographe« mit »Film« übersetzt wird, verdeckt Méliès’ eigentliche Pointe. Sein Argument ist nicht, dass die »kinematographischen Bilder«, d. h. die Werke, auf die sich Méliès in seinen Ausführungen bezieht, die Beliebtheit des Mediums Film ausmachen, sondern dass sie die Popularität des Apparates »Kinematograph« bedingen. Es geht ihm demnach nicht darum, dass ein Medium (»kinematographische Bilder«) die Beliebtheit eines anderen Mediums (»Film«) ursächlich begründet, sondern dass das Medium der »kinematographischen Bilder« für die Faszination des Kinematographen verantwortlich ist. Zugespitzt formuliert vertritt Méliès die These, dass nicht der Apparat, sondern die gezeigten Werke und somit das Medium die Faszinationskraft der Kinematographie bedingen. Der Kinematograph aus dem Hause Lumière wird als eine Form im Medium der Technik entwickelt. Weiterentwicklung bedeutet vor diesem Horizont für die Brüder Lumière, neue, bessere Apparate zu bauen. Sie haben hingegen nicht das Ziel, mit demselben Apparat bessere Bilder zu produzieren. Im Vergleich zu den Brüdern Lumière vollzieht Méliès einen grundlegenden medialen Sprung, weil für ihn die Weiterentwicklung von Apparaten schon

7 Méliès konzipiert an dieser Stelle die Möglichkeit, die Aufnahmen mit »Genuß« wahrnehmen zu können, (bereits) als das Wissen darum, wie der Trick funktioniert. Dies steht in überraschendem Kontrast zur Logik des Illlusionstheaters, dessen Bühnennummern nur dann gelingen, wenn das Publikum die Täuschung nicht durchschaut.

98 F ILM ALS W ELTKUNST immer verbunden war mit der Weiterentwicklung der Nummern und Tricks seiner wechselnden Theaterprogramme.8 Die Erfindung des ultimativen Apparates musste vor diesem Hintergrund bedeuten, dass von nun an die Tricks, die bisher ihre Grenzen jeweils im technisch Machbaren, d. h. in den konstruierbaren Apparaten, gefunden hatten, allein durch die Vorstellungskraft beschränkt sein werden. »[...] le cinéma permet à Méliès de faire éclater les frontières entre les différents genres de spectacle, dans une sorte de patchwork. Dans la période d’incertitude qui suit la découverte du cinéma, où il n’y a pas de mode d’emploi, Méliès n’en fixe pas et utilise le nouveau-venu pour mettre en scène n’importe quoi, de la féerie, de l’actualité, du Robert-Houdin, du théâtre populaire.« (Puiseux 1984, S. 34)

Obwohl Méliès seine Filme noch weitgehend im Rahmen der paradigmatischen Grenzen produziert, die durch die Logik der Nummernrevue vorgegeben sind, in denen sich ein kurzer Akt ohne narrativen Zusammenhang an den nächsten reiht, weiß er dennoch die medialen Potentiale des Kinematographen zu nutzen. Die Entwicklung zunächst der »vues composés« ist Méliès deshalb möglich, weil er die »kinematographischen Bilder« als kongeniale Ergänzung des ihm Bekannten rezipiert. Méliès’ Projekt zielt nicht auf »early cinema«, sondern, so könnte man in Analogie zu dieser Begrifflichkeit der filmhistorischen Forschung sagen: »late illusionism«. Zwar ist Méliès in seinem Perfektionismus den Brüdern Lumière sehr ähnlich und ebenfalls ständig bestrebt, das Bestehende zu verbessern, doch ist für ihn der Status quo etwas Anderes als für die Brüder Lumière. Letztere arbeiten an der technischen Perfektionierung der optischen Reproduktion von Bewegung. Ihnen geht es darum, dieselbe Sache besser zu machen. Da sie den Kinematographen als eine Mechanik zur Reproduktion der optischen Wahrnehmung sehen, heißt Verbesserung für sie, die Differenz zwischen realer und reproduzierter Wahrnehmung zu reduzieren. Der Kinematograph ist für sie vor allen Dingen deshalb ein bedeutender technischer Durchbruch, da er die Photographie über die statische Momentaufnahme hinaus treibt und um das Moment der Bewegung erweitert.

8 Zum Verhältnis von früher Kinematographie und Illusionstheater siehe Solomon (2010) und zum Gebrauch des Kinematographen durch Méliès vgl. Gunning (2012).

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Während die Brüder Lumière den Kinematographen als Ausgangspunkt für weitere, technisch verbesserte Apparate ansehen, kommt Méliès zu einem konträren Schluss: Für ihn ist die Erfindung des Kinematographen durch die Brüder Lumière Anlass, selbst keine weiteren Apparate im Medium der Technik zu entwickeln, sondern Werke im Medium des Illusionstheaters. Méliès verknüpft die Erfindung der Brüder Lumière mit einem neuen Kontext. Aus einer wissenschaftlich-technischen Errungenschaft, deren Potential zur Aufzeichnung und Wiedergabe der optischen Realität den Zeitgenossen so beeindruckend erscheint, dass die Resultate nicht allein aus Gründen wissenschaftlicher Erkenntnis relevant sind, sondern sich darüber hinaus als ein die Massen beeindruckendes Spektakel einsetzen lassen, wird in den Augen von Méliès eine Illusionsmaschine, die die Tradition des Zaubertheaters fortschreibt. Diese Umschreibung der Funktion des Kinematographen durch Méliès führt dazu, dass der Apparat nunmehr nicht als mechanische Vorrichtung zur Aufzeichnung und Reproduktion optischer Daten, sondern als ein Medium zur künstlerischen Formfindung erscheint, dessen Möglichkeiten allein durch den Einfallsreichtum seiner Benutzer beschränkt sind. Auf Basis der These vom Funktionswandel des Apparates – »lorsque le cinématographe fut mis au service de l’art théâtral, le succès se transformera en triomphe« (Méliès 1907/2008, S. 198 f.) – formuliert Méliès die Taxonomie der vier Kategorien von »vues cinématographiques«, deren entscheidendes Merkmal darin besteht, nicht länger entlang technischer, sondern anhand medialer Differenzen organisiert zu sein.

3.4 Z UKUNFTSENTWÜRFE DER K INOREFORMBEWEGUNG Im Gegensatz zu Georges Méliès, für den der Kinematograph den ultimativen Apparat des Illusionstheaters darstellt, der jegliche optische Täuschung ermöglicht, kommt die bürgerliche Kinoreformbewegung9 in Deutschland zu einem deutlich negativeren Urteil. Sie lehnt den Kinematographen zwar nicht

9 Zur Entwicklung dieser Bewegung vgl. Diederichs (1996) sowie Heide Schlüpmann (1990, S. 189 ff.) mit besonderem Fokus auf das Verhältnis der Reformer zur Frauenemanzipation.

100 F ILM ALS W ELTKUNST grundsätzlich ab, kritisiert allerdings den Status quo kinematographischer Produktion wie Rezeption. Entsprechend fordert sie kein Verbot kinematographischer Vorstellungen, setzt sich jedoch vehement für deren Reform ein. Dabei konzentrieren sich die Vorschläge der Kinoreformbewegung insbesondere auf die Modalitäten der Filmvorführung. Beispielhaft für die Haltung der Reformbewegung sind die Überlegungen von A. Günsberg, der bereits 1907 nachdrücklich auf die Bedeutung der Rezeptionssituation hinweist: »Aber nicht allein die Regie bei der Aufnahme von Bildern hat künstlerisches Bestreben zu zeigen, sondern auch bei der Vorführung der Bilder muß in gewissem Sinne sich ein Regisseur ausweisen; d. h. der Vorführende muß den Apparat auch künstlerisch zu handhaben verstehen, nicht nur mechanisch!« (Günsberg 1907/2004, S. 46)

Und nach Ansicht von Günsberg ist es um die »Künstlerische Regie bei kinematographischen Aufnahmen und Vorführungen« schlecht bestellt: »Da werden meist Films [...] einfach heruntergeleiert, das Bild springt von einem Schauplatz in den anderen über, ohne Aufenthalt von einer freien Gegend in einen geschlossenen Raum, ja ich sah sogar schon zwei ganz verschiedene Bilder (Nummern) unmittelbar in einander übergehen!« (Ebd., S. 46)

Der ästhetischen Handhabung stehen die ökonomische Interessen der Vorführenden ebenso entgegen wie das Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer: »Um vielleicht 1/2 oder 1 Meter Film zu sparen, wird [...] der künstlerische Geschmack des Publikums verletzt und damit gleichzeitig auch der künstlerische Kredit des Kinematographen untergraben.« (Ebd., S. 46)

Günsberg schließt seine Überlegungen mit einem programmatischen Ausblick: »[I]ch gebe mich der Hoffnung hin, daß nunmehr, durch die Verbindung geistiger und wirtschaftlicher Interessen, welche durch das neue Fachorgan ›Der Kinematograph‹ hergestellt wird, auch praktische Anregungen gegeben und Wege gewiesen werden, die zu immer größerer Vollkommenheit der Apparate, der Aufnahmen und der Vorführungen leiten.« (Ebd., S. 46 f.)

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Laut Diederichs (1996, S. 19) handelt es sich bei den in der ersten Ausgabe des Branchenblattes Der Kinematograph publizierten Ausführungen Günsbergs um »den wahrscheinlich frühesten deutschsprachigen formästhetischen Aufsatz«, der sich mit dem Film befasst. Im Jahr nach der Publikation des ersten deutschsprachigen filmästhetischen Textes vertritt Häfker, ein weiterer Autor aus dem Umfeld der bürgerlichen Kinoreform, der ebenfalls die Aufführungen und nicht die Filme ins Zentrum seiner filmästhetischen Überlegungen rückt, den Standpunkt, Film könne dann Kunst sein, wenn er sich an den Prinzipien der künstlerischen Bildphotographie orientiere und »sich im Gegenstand auf die Schönheit der menschlichen und natürlichen Bewegung beschränke« (Diederichs 2004, S. 14). Gleichzeitig entwickelt Häfker eine Dramaturgie der Kino-Vorführung. Unter dem Leitbegriff »Kinetographie« entwirft er eine Zukunft des Kinos als Aufführungsstätte Wagnerianischer Gesamtkunstwerke, die Film mit anderen Kunstarten zu vereinen (Diederichs 1990). Der Gegenstand der Betrachtungen Häfkers sind die Vorführungen, nicht die produzierten Filme. Die ästhetische Qualität einer Vorführung entscheidet sich für ihn an den Fähigkeiten derjenigen, die vor Ort die Filme zur Aufführung bringen: »Eine kinematographische Meistervorführung ist nicht möglich ohne die Mithilfe des studierten Technikers, der der Vorführung jene zauberhafte Präzision verleiht, des begabten Musikers, der die Szenen frei begleitet, des Schriftstellers, Schauspielers oder Redners, der wirkungsvoll zu sprechen vermag, des Malers oder Ausstattungsregisseurs, der, wie in der Oper, die Effekte beherrscht, auf deren Hintergrunde sich die eigentliche Aufführung erhebt. Bilder, Texte, Phonographenrollen und ganze Programme lassen sich verleihen, und dadurch wird erst finanziell eine Ausbreitung geschmackvoller Vorführungen möglich. Aber Spieler, Sprecher und technische Vorführung müssen lebhafte Begabung und gute Schulung haben, sonst wirkt das bessre Programm lächerlich. Nicht das Was des Programms, sondern das Wie der Vorführung macht die Wirkung.« (Häfker 1908; Herv. im Original gesperrt)

Diese frühen ästhetischen Überlegungen knüpfen an die lumièresche Beschreibung des Kinematographen als eines Apparates an, der die bewegte Realität zur späteren Wiedergabe aufzeichnen kann. Häfker denkt noch vollständig im Paradigma des Kinos der Attraktionen und in der Logik des Varieté-Programms. Seine Überlegungen zielen dementsprechend auf die Ebe-

102 F ILM ALS W ELTKUNST ne der Programme und betreffen mithin die Auswahl und Zusammenstellung einzelner Aufnahmen zu einer abendfüllenden Komposition. Doch genau dieses Konzept des »Programms« wird, wie im vierten Kapitel zu zeigen sein wird, durch die rasante Verbreitung der Kinotheater und des abendfüllenden Spielfilms schon bald obsolet werden.

3.5 Z WISCHENFAZIT Die Erfinder des späten 19. Jahrhunderts zielen nicht darauf, eine neue Form von Unterhaltung zu etablieren, und die Vorstellung, Film könne gar zu einer neuen, eigenständigen Form von Kunst avancieren, ist in den Selbstbeschreibungen dieser Zeit erst recht nicht auffindbar. Stattdessen dominiert zunächst die Vorstellung, Apparate zu konstruieren, die eine mechanische Aufzeichnung und Wiedergabe der bewegten Realität ermöglichen (vgl. Kapitel 3.1). Dass die Apparate aus Sicht der Zeitgenossen zugleich ein großes Spektakel darstellen, zeigt sich erst, als diese in der Unterhaltungsbranche zum Einsatz kommen. In diesem Kontext ist nicht länger entscheidend, wie exakt der Kinematograph die bewegte Realität abbildet, sondern wie die mit ihm projizierten Bilder auf die Zuschauer wirken. Den Eindruck von Realität zu vermitteln, wird selbst zu einer Form von Spektakel. Es ist diese Verschiebung der primären Orientierung auf ein dem Publikum zugeschriebenes Bedürfnis nach Unterhaltung, die die Konkurrenz auf die Ebene der Gestaltung der einzelnen Filmaufnahmen verlagert. Konkurriert wird nun nicht länger primär um technische Verbesserungen der Apparate, sondern um die möglichst einfallsreiche und das heißt ein Massenpublikum überraschende Gestaltung medialer Formen. Dieser Orientierungswechsel von der optischen Reproduktion hin zur Unterhaltsamkeit der Bilder ist die erste bedeutsame strukturelle Veränderung im kommunikativen Gebrauch des Mediums Film. Die Unterhaltsamkeit der bewegten Bilder, als Nebenprodukt einer wissenschaftlich-technischen Innovation auf dem Gebiet der Photographie entdeckt, avanciert aufgrund des Wechsels des primären Anlehnungskontextes von der Wissenschaft hin zur populären und damit massenmedialen Unterhaltung der Zaubertheater, Varietés und fahrenden Schausteller zum primären Ziel der Filmproduktion (vgl. Kapitel 3.2). Entscheidend ist demnach nicht eine Entwicklung innerhalb eines Kontextes, sondern die Verlagerung

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des primären Anlehnungskontextes von der Wissenschaft auf die Unterhaltung. Mit dem Wechsel zum Anlehnungskontext der Unterhaltung beginnt zugleich die Selbstbeschreibungsgeschichte des Mediums Film. Exemplarisch für den Diskurs dieser Zeit stehen die Schriften von Méliès (vgl. Kapitel 3.3). Zwar behandeln sie die kinematographischen Apparate weiterhin als technische Artefakte, deren Leistung in der mechanischen Produktion von Bewegtbildern besteht, allerdings beziehen sie dieses technische Potential auf einen anderen Problem- und damit Möglichkeitshorizont, nämlich den des populären Zaubertheaters des späten 19. Jahrhunderts. Aus dieser Warte erweist sich der Kinematograph als generalisierte Form der vielfältigen optischen Apparaturen, denen sich das Zaubertheater allerdings nicht bedient, um Realitäten aufzuzeichnen und wiederzugeben, sondern um die Illusion einer nicht vorhandenen Realität zu erzeugen. Entsprechend manipuliert Méliès die vor der Kamera aufgebaute Realität mit dem Ziel, die Wiedergabe der Aufnahme real erscheinen zu lassen, nicht um eine möglichst exakte Reproduktion der aufgenommenen optischen Realität sicher zu stellen. Realität wird damit zu einer medialen Fiktion, deren Qualität sich an ihrer Wirkung auf die Zuschauer bemisst. Damit rückt das Publikum und die Frage, wie dieses auf die Aufnahmen reagiert, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Entscheidend ist, das sollte in Vorgriff auf die Analysen in den nächsten beiden Kapiteln betont werden, in beiden Fällen, dem der Wissenschaft wie auch der Unterhaltung, dass es sich um Kontexte handelt, die sich bereits vor der Erfindung des Film etabliert haben. Film ist demnach zunächst eine Ergänzung des Bestehenden. So fügt er sich selbst in die Programme der Varietés und Illusionstheater, zu deren bemerkenswertester Attraktion er nahezu aus dem Stand avanciert, nahtlos ein, ohne dabei die historisch vorgegebenen Grenzen dieser Institutionen und ihres Mediums, des artistischbeeindruckenden Bühnenprogramms zu überschreiten oder gar grundlegend zu verändern. In der Entstehungszeit der ersten Apparate wird demnach zunächst nicht auf künstlerische Vergleichshorizonte Bezug genommen, um den Kinematographen und verwandte Technologien auf den Begriff zu bringen. Und die neuen technischen Apparaturen wirken zunächst auf wahrnehmungsmedialer Ebene. Erst durch den Einsatz des Kinematographen im Kontext der Unterhaltung findet Film Verwendung als Kommunikationsmedium. In der zweiten

104 F ILM ALS W ELTKUNST Phase beginnt auf dieser Basis die Konsolidierung des Films als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium der Kunst. Die entscheidende Veränderung des Mediums Film, die es im nächsten Kapitel zu untersuchen gilt, nimmt ihren Ausgangspunkt nicht von den weiterhin und noch bis heute beobachtbaren technischen Verbesserungen der Apparate zur Aufnahme und Wiedergabe von Filmmaterial, sondern von einer Veränderung der Distribution von Film und damit letztlich einem Wechsel in der Form der Inklusion des Publikums. In der zweiten Phase (vgl. Kapitel 4) wechseln die Vergleichshorizonte, die nun der Kunst selbst, allen voran dem Theater, entstammen. Der Film wird in dieser Phase erstmalig als ein künstlerisches Medium eigener Art beschrieben, dessen Logik und Möglichkeiten ihm einen spezifischen Platz unter den Künsten zuweisen. In der dritten Phase (vgl. Kapitel 5) werden Filme miteinander verglichen und auf einen geteilten Möglichkeitshorizont bezogen. Erst ab diesem Zeitpunkt kann man davon sprechen, dass die Formen in Filmwerken als Formen im Medium Film beobachtet werden und nicht mehr als minderwertiger Versuch, das bürgerliche Bühnendrama zu kopieren, oder als Ergebnisse einer technischen Innovation.

4 Phase 2: Film als Kunst/Unkunst

In der zweiten Phase der Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst wechselt strukturell betrachtet der primäre Anlehnungskontext filmischer Kommunikation. Zentral für diese Entwicklung ist die Etablierung ortsfester, auf Film spezialisierter Spielstätten (vgl. Kapitel 4.1). Parallel zu dieser strukturellen Verschiebung lassen sich auf semantischer Ebene ebenfalls grundlegende Veränderungen beobachten (vgl. Kapitel 4.3). So dominiert in den 1910er Jahren die in der sogenannten »Kino-Debatte« (Kaes 1978; Diederichs 1986, S. 35 ff.) kulminierende Auseinandersetzung um den künstlerischen Status des Films die Kommunikation über das neue Medium. Während die sich etablierende Kinobranche durch sogenannte »Kunstfilme« (Kessler/ Lenk 2008, S. 265), die bürgerliches Kulturgut aufgreifen, und den Bau von immer pompöseren Spielstätten, wie den Kino-Palästen, den Kunstanspruch des Films unterstreicht, bestreiten Gegner des Films und der Kino-Theater, insbesondere mit argumentativem Verweis auf die etablierte Sprechbühne, den Status des Films als Kunstwerk. Neben dieser kontroversen Auseinandersetzung über den künstlerischen Status lassen sich zudem erstmalig ästhetische Theorien beobachten, die das künstlerische Potential des neuen Mediums auszuloten trachten (Diederichs 1987b,c). Der Bezugspunkt dieser Art von Theoriebildung auf medialer Ebene (vgl. Kapitel 4.2) sind die ersten längeren »Spielfilme«. Im Folgenden sollen die Veränderungsprozesse auf den drei Ebenen der strukturellen, der medialen und semantischen Ausdifferenzierung beschrieben und in ihrem Zusammenspiel analysiert werden.

106 F ILM ALS W ELTKUNST

4.1 F ILM

ALS

M ASSENMEDIUM

Strukturell ist die Zeit von 1905 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges durch das rasante Wachstum ortsfester Spielstätten gekennzeichnet (BergGanschow/Jacobsen 1987, S. 19; Bowser 1990; Musser 1990a; Gomery 1992; Abel 1994; C. Müller 1994, S. 29 ff.; Abel 1999; Meusy 2009; Garncarz 2010, S. 196). Diese marginalisieren binnen weniger Jahre sämtliche anderen Formen der Filmdarbietung. Dabei beschränkt sich diese Entwicklung nicht allein darauf, dass die Kinotheater den Kinematographen beziehungsweise kinematographische Vorstellungen lediglich popularisieren. Das enorme quantitative Wachstum der Spielstätten führt zur Generalisierung der sozialen Inklusion sowie zur Zentralisierung der Programmierung und damit letztlich zu einer zunehmenden Orientierung des Mediums Film an eigenlogisch konstruierten Formen. Die Etablierung der ortsfesten Kinotheater ist somit die zentrale Voraussetzung für die Transformation des Films als Medium in den 1910er Jahren: die Entwicklung von längeren Werken, die mit filmeigenen Mitteln einen sinnhaften Zusammenhang zwischen den einzelnen Aufnahmen stiften (vgl. Kapitel 4.2). Die Entwicklung des Mediums Film wird somit nicht länger durch die Institutionen des Unterhaltungsgewerbes, wie Illusionstheater oder Varietés, konditioniert, die auf die technischen Verfahren und Apparate zur optischen Reproduktion der bewegten Realität zurückgreifen, um kurze Filmaufnahmen zu produzieren, die sich als Nummern in traditionelle Formen der Programmgestaltung volkstümlicher Unterhaltung einfügen lassen. 4.1.1 Ortsfeste Spielstätten Die wachsende Popularität des Kinematographen auf den Jahrmärkten und in den Varietés hatte den Modus der Rezeption der kinematographischen Aufnahmen kaum verändert. So stellt Musser (1990b, S. 257) mit Blick auf die US-amerikanische Entwicklung fest: »The mode of appreciation (reception) remained fundamentally unchanged between 1898 and mid-1907.« Erst mit der Etablierung der Kinotheater, die einen neuen Typus von Spielstätte darstellen, gerät dieses Rezeptionsarrangement unter Veränderungsdruck. Diese verbreiten den Film in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß und führen damit, wie dies Garncarz (2010, S. 196) beispielhaft an der Entwicklung im

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deutschsprachigen Raum aufzeigt, zu einer grundlegenden Veränderung desjenigen Mediums, dem sie ihre Entstehung verdanken. Das Wachstum der Zahl der Kinobesuche hat zwei zentrale Ursachen: Zum einen erhöht sich die Zahl der Menschen, die sich kinematographische Vorstellungen anschauen, und zum anderen steigt die Zahl der Kinobesuche pro Person. Dabei zeichnet sich die Entwicklung hin zu ortsfesten Spielstätten in sämtlichen Nationalstaaten durch eine Reihe von Parallelen aus: So vollzieht sich die massenhafte Einrichtung neuer Spielstätten in einer bereits von Zeitgenossen registrierten und durch die filmhistorische Forschung bestätigten außergewöhnlich hohen Geschwindigkeit. Charles Musser (1990a, S. 447) fasst die amerikanische Entwicklung folgendermaßen zusammen: »It was the nickelodeons that spread like wildfire«. Zwar unterscheiden sich die Städte, wie Bowser (1990, S. 1 ff.) zeigt, nach Verlauf und Ausmaß der Diffusion von Nickelodeons, doch selbst in einer Stadt wie Boston, in der sich die neuen Spielstätten vergleichsweise langsam etablieren, werden zwischen 1907 und 1910 bereits über 20 Säle eröffnet (ebd., S. 7). Zweitens ist in allen Fällen eine große Spannbreite in Art wie Ausstattung der Spielstätten beobachtbar. Und schließlich wird die Entwicklung durchweg von Spielstätten getragen, die sich im Unterschied zum »Jahrmarktkino« (Garncarz 2009) der Jahrhundertwende ausschließlich auf Filmvorführungen konzentrieren. In den Worten von Currie (2002, S. 32): »There was nothing singularly novel in the idea, only the individualizing of the moving-picture machine.« Ein nahezu idealtypisches Bild dieser dreigliedrigen Entwicklung, die sich ab circa 1905 in den Großstädten nicht allein der westlichen Welt vollzieht, zeichnet diese Schilderung aus einer mikrohistorischen Fallstudie zur Entwicklung in Lyon, der Heimatstadt der Brüder Lumière: »Le deuxième semestre 1905 constitue à Lyon une véritable rupture de la diffusion du cinématographe, non seulement par l’ampleur de sa présence dans la ville, mais aussi dans ses modes d’exploitation. C’est en effet à partir de cette période que l’on peut légitimement parler de ›spectacle cinématographique‹, dans le sens où le public se rend aux projections non plus pour le cinématographe lui-même, mais pour le contenu du spectacle. La rupture intervient sous deux formes différentes: l’émergence d’un spectacle complet qui occupe tout une soirée, et celle de projections régulières dans les salles exclusivement consacrées aux projections cinématographiques.« (Chaplain 2007, S. 35)

108 F ILM ALS W ELTKUNST In den folgenden Jahren eröffnen durchschnittlich zwei neue Kinosäle, so dass Lyon 1910 bereits über zehn allein auf Filmvorführungen spezialisierte Spielstätten verfügt. Die Diffusionsgeschwindigkeit steigert sich bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges noch deutlich. Im Ergebnis gibt es 1914 in Lyon insgesamt 39 Kinosäle (Chaplain 2007, S. 46). Dieser Wechsel in der Form der Spielstätten hat in Hinblick auf die in dieser Arbeit untersuchte Frage nach der Ausdifferenzierung der Kunst wie Ästhetik des Films zwei zentrale Konsequenzen, die es im Folgenden näher zu untersuchen gilt: Erstens führt die Etablierung dieser neuen Spielstätten, wie zu zeigen sein wird, zu einer Generalisierung der sozialen Inklusion, d. h. das adressierte Publikum beschränkt sich nicht länger auf Angehörige der Unterschichten, sondern rekrutiert sich nunmehr aus sämtlichen Kreisen der Gesellschaft. Die vormals enge Bindung an bestimmte Schichten (insbesondere das Proletariat in Europa) beziehungsweise Milieus (vor allem Migranten in den USA) löst sich damit auf. Zweitens werden die gezeigten Filmprogramme im Unterschied zum Anlehnungskontext volkstümlicher Unterhaltung nicht länger vor Ort in den Spielstätten, sondern in zentralisierter Form für eine Vielzahl von Kinos programmiert (C. Müller 1994). 4.1.2 Generalisierung der sozialen Inklusion Das durch die Einrichtung ortsfester Spielstätten in Gang gesetzte Größenwachstum verändert die soziale Zusammensetzung der Zuschauer. Der Besuch von kinematographischen Vorstellungen ist nun nicht mehr allein ein Vergnügen der Unterschicht, vielmehr wenden sich die ortsfesten Filmtheater ebenfalls an Zuschauer aus den höheren Kreisen der Gesellschaft. So trägt im Deutschen Reich insbesondere die wachsende Zahl von großstädtischen Angestellten unter den Besuchern erheblich zur Steigerung der Zuschauerzahlen bei (Kreimeier 2011, S. 159). Einen weiteren Schub erhält diese Entwicklung ab Beginn der 1910er Jahre durch die entstehenden Kinopaläste, die mit einer pompösen, dezidiert an Theaterbauten orientierten Architektur und entsprechend kostspieligen Eintrittspreisen auf den Logenplätze darauf zielen, eine zahlungskräftige bürgerliche Klientel anzulocken (Garncarz 2010, S. 208). Von Filmhistorikern wird diese Entwicklung zu der »These vom ›Arbeiterkino‹ und seiner ›Verbürgerlichung‹« (C. Müller 1994, S. 191) zugespitzt. Al-

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lerdings vermerkt die filmhistorische Forschung ebenfalls, dass selbst die Kinopaläste aufgrund ihrer hohen Sitzplatzkapazität eine relativ weite Spanne an Eintrittspreisen anbieten, so dass die Vorstellungen nicht allein von einem bürgerlichen, sondern letztlich von einem sozial äußerst heterogenen Publikum besucht werden (ebd., S. 29 ff.): »Auch Kinopaläste [...] zielten trotz ihres Aufwandes und damit verbundenen sehr hohen Betriebskosten in ihren Eintrittspreisen nicht nur oder speziell auf ein finanziell gutsituiertes Publikum, sondern auf die ›Masse‹. Jeder sollte es sich leisten, diese Kinopaläste zu besuchen, so daß auch ihre Existenz keineswegs eine Umorientierung des Kinos zu den feinen Leuten bedeutete, sondern nur für dessen Expansionsdrang in alle Richtungen stand.« (Ebd., S. 37)

Eine hohe Publikumsresonanz lässt sich angesichts der sozialen Heterogenität der potentiellen Adressaten nicht länger durch die Orientierung an den geschmacklichen Präferenzen und dem Verstehenshorizont einer spezifischen sozialen Schicht erreichen. Da die Betreiber der Kinotheater und -paläste die Auswahl und die Reihenfolge der gezeigten Filme, also die Programmierung, aus ökonomischem Kalkül so gestalten, dass sie auf ein möglichst breites Interesse beim Publikum stoßen, setzen sich Programmstrategien durch, die sowohl Arbeiter wie auch Bürger anzusprechen wissen. Allein in Bezug auf die Spielstätten selbst, insbesondere ihre Architektur und Ausstattung, kann von einer Stratifikation entlang sozialer Klassen gesprochen werden. Hinsichtlich der gezeigten Filme unterscheiden sich die Spielstätten allerdings nur unwesentlich, wie Bowser (1990, S. 8) feststellt: »In fact, the same films were shown in both kinds of exhibition places, with the most vulgar subjects mitted in the higher-class halls and a reduced amount of educational films selected for the nickelodeons. The propriety of moving-picture shows had more to do with exhibition venues and methods than the moral quality of films being shown.« (Ebd., S. 8)

Diese Konvergenz auf medialer Ebene führt letztlich, wie Bowser aus ihrer historischen Untersuchung der amerikanischen Entwicklung schlussfolgert, zu einer zunehmenden Homogenisierung der Spielstätten:

110 F ILM ALS W ELTKUNST »The trend was for these two exhibition systems, serving the high-class theaters and the nickelodeon, to come closer together. Within a few years just about everybody outside the large cities was going to the same theaters, seeing the same films, and sharing in the communal experience: people of all classes, and the whole family.« (Bowser 1990, S. 8)

Aus der kommunikationstheoretischen Perspektive dieser Arbeit betrachtet, befördern die kommerziell orientierten Kinobetreiber, ohne dies zu beabsichtigen, die selbstreferentiellen Bezüge des Films. Denn die Etablierung ortsfester Spielstätten führt letztlich dazu, dass sich eine generalisierte Vorstellung des Filmrezipienten durchsetzt, die unabhängig von einzelnen Spielstätten formulierbar ist. In der Folge entstehen neue Selektionskriterien, um zwischen zu zeigenden/nicht zu zeigenden Filmen unterscheiden zu können. Und diese orientieren sich von nun ab an der Eigenlogik des Mediums Film. Dadurch lösen sich zugleich die Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens des Gezeigten zunehmend von ihrer Bindung an sozialstrukturell fundierte Milieus. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Formen der einzelnen Werke durch den Bezug auf ein Medium und nicht aufgrund einer milieuspezifischen Bildung, d. h. schichtspezifischen inkorporierten kulturellen Kapitals (Bourdieu 1983a, S. 186 ff.), sinnhaft anschlussfähig werden. Aus einer kommunikationstheoretischen Perspektive ist vor diesem Hintergrund die Frage, ob und wenn ja, ab wann die kinematographischen Vorführungen nicht mehr proletarisch, sondern bürgerlich genannt werden können, von nachgeordneter Relevanz (Allen 1979). Ausschlaggebend ist aus dieser Warte nicht, ob die »Embourgeoisement Thesis« (Thissen 2012, S. 49 ff.), d. h. die These von einer Verbürgerlichung des vormals proletarischen Filmvergnügens in den 1910er Jahre, zutrifft oder nicht. Die entscheidende Veränderung dieser Jahre besteht vielmehr darin, dass sich durch die Etablierung ortsfester, auf kinematographische Vorführungen spezialisierter Spielstätten der Adressatenbezug des Mediums Film von einer vormals engen Verschränkung mit einem schichtspezifischen kulturellen Repertoire zunehmend ablöst. Kommunikationstheoretisch betrachtet bedeutet dies, dass die Einrichtung ortsfester Spielstätten und in der Folge die Generalisierung der sozialen Inklusion sich auf medialer Ebene in der zunehmenden Dominanz längerer Filme, insbesondere des Kinodramas, zeigt. In den Formen dieser ersten Spielfilme dokumentiert sich die gesteigerte Indifferenz des Films gegen-

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über Unterschieden sozialer Schichtung. Erst auf dieser Basis wird es später möglich sein, Filme allein anhand ihrer Qualitäten im Verhältnis zu anderen Filmen zu beschreiben und nach filmeigenen Maßstäben, wie Genre, Schauspiel oder Regie zu bewerten, anstatt auf den Abgleich mit anderen Varianten proletarischen Vergnügens beziehungsweise anderen technischen Apparaten abzustellen. Die Logik dieser Entwicklung ist kein Spezifikum der filmhistorischen Entwicklung in Deutschland. Insbesondere in einer Reihe europäischer Nationalstaaten und den Vereinigten Staaten lässt sich eine analoge Verschiebung beobachten: »Die größere Heterogenität im Abspielsektor zwingt die Fabrikanten zu Innovationen, letztlich zu neuen Programmformaten, neuen ästhetischen Strategien. In Frankreich, ebenso in Italien und dem vor 1914 so bedeutenden Filmland Dänemark werden zunehmend längere Filme produziert. Allmählich setzt sich gegenüber dem single reeler, der von einer Rolle ›abgespult‹wird und eine Maximallänge von fünfzehn Minuten umfasst, der two-, three-, und four-reeler, somit eine mittlere Spielfilmlänge durch.« (Kreimeier 2011, S. 239)

Es gilt im Folgenden, den historischen Zusammenhang zwischen der Generalisierung des Publikums im Zuge der Einrichtung ortsfester Spielstätten, der Einführung neuer Programmformate und damit in der Konsequenz dem Rückgriff auf ästhetische Formen der Innovation – im Unterschied zu den vormals zentralen technischen Verbesserungen der Apparate – genauer zu beleuchten, um zu klären, wie es zu einer ästhetischen Innovation der Programmformate kommt. 4.1.3 Zentralisierung der Programmierung Die Durchsetzung ortsfester Spielstätten führt nicht allein zu einer Veränderung in der sozialen Zusammensetzung des Publikums, d. h. zu einer Generalisierung der Inklusion, sondern sie verändert zugleich den Modus der Programmgestaltung (ebd., S. 143 f.). Denn die auf Film spezialisierten Spielstätten des beginnenden 20. Jahrhunderts führen zur Auflösung der auf den Jahrmärkten und in den Illusionstheatern präferierten Praxis, die Zusammenstellung der Filme spontan an dem Geschmack des lokal anwesenden Publikums

112 F ILM ALS W ELTKUNST auszurichten. An die Stelle dieser lokalspezifischen Form der Programmierung tritt in einem ersten Schritt die zentrale, ortsübergreifende Gestaltung abendfüllender Programme und sodann die Konstruktion längerer Filme, die aus mehreren Einzelfilmen zusammengesetzt werden. Diese Entwicklung ist wiederum in diversen Nationalstaaten beobachtbar. Die Folgen des rasanten Wachstums der ortsfesten, allein auf Film spezialisierten Spielstätten arbeitet Charles Musser (1990b, S. 257) am Fall der amerikanischen Entwicklung heraus. Auch hier wird der Wandel nicht von der Produktions-, sondern von der Rezeptionsseite filmischer Kommunikation getragen. Charles Musser beschreibt die damalige Situation in den USA zusammenfassend folgendermaßen: »A gap soon developed between the modes of film production and representation on the one hand, and the mode of exhibition and the system of distribution on the other. Film-making remained a cottage industry while exhibition had become a form of mass production.« (Ebd., S. 257)

Während die Auswahl und die Zusammenstellung der gezeigten Filme zuvor jeweils von den einzelnen Betreibern vor Ort besorgt wird, die sich dabei am Geschmack, das dem lokalen Publikum plausibel unterstellt werden kann, orientieren, geht der Aufstieg der ortsfesten Spielstätten in allen nationalstaatlichen Kontexten mit der Zentralisierung der Programmierung einher. Im Unterschied zur lokal verankerten Praxis der Varietés und Jahrmarktsbuden wird über die Form der Spielfilme nun zentral in Organisationen entschieden. Dies bedeutet eine grundlegende Veränderung in der Praxis der Selektion und Kombination von Filmen. Zwar vollziehen sich die Dreharbeiten weiterhin im Modus der Interaktion unter Anwesenden und sind somit keine mechanische Ausführung organisationaler Entscheidungen, allerdings ist die Freiheit der frühen Programmgestaltung mitsamt ihrem Raum für Idiosynkrasien und der Fähigkeit, spontan auf ein Publikum reagieren zu können, in diesem Format nicht mehr vorgesehen. Die Programmierung orientiert sich nun zunehmend an filmspezifischen Gesichtspunkten und nicht länger an lokalen Spezifika. In der Folge werden zunächst Programme jenseits einzelner Lokalitäten anschlussfähig, bis schließlich die Praxis der zentralen, ortsübergreifenden Selektion und Kombination einzelner »Filmrollen« zu einem abend-

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füllenden Programm die Grundlagen für die Etablierung des »Spielfilms« als Standardformat der Filmproduktion schafft. 4.1.4 Konsequenzen Die Programme der Kinotheater orientieren sich nicht länger primär am Paradigma der Nummernrevue, wie sie traditionell in Varietés gezeigt wird. Filme sind nun nicht mehr ein Element unter verschiedenen Formen der Unterhaltung. Vielmehr besteht das Programm, das in den ortsfesten Spielstätten gezeigt wird, ausschließlich aus einer Abfolge von Filmen unterschiedlicher Genres. Während sich vormals, wie im Werk von Georges Méliès, die einzelnen Filme konzeptuell nicht grundlegend von den für das Theater konzipierten »Nummern« unterschieden, wird nun durch die Zuordnung einzelner Filme zu Genres das eigenlogische Operieren des Films als Medium der Kunst forciert. Es handelt sich allerdings nicht um Filmgenres im heutigen Sinne des Wortes, sondern um einen Begriff, der in Analogie zur Logik des Varieté verwendet wird, um die einzelnen Filme eines Programms zu kategorisieren. Diese Programme bestehen zunächst, ebenfalls in Anlehnung an das Varieté, aus einer möglichst abwechslungsreich zusammengestellten Abfolge mehrerer Filme unterschiedlicher Genres. Diese Entwicklung lässt sich resümierend als eine Zentralisierung der Programmierung beschreiben. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Einrichtung ortsfester Spielstätten in Kombination mit der Generalisierung der sozialen Inklusion und der Zentralisierung der Programmierung letztlich zur Entwicklung neuer, genuin filmischer Formen von Kommunikation führt.

4.2 VON ATTRAKTION

ZU

N ARRATION

Die soeben skizzierten strukturellen Veränderungen markieren die Kontextbedingungen, unter denen sich in den 1910er Jahren ein grundlegender Wandel des Films als Kommunikationsmediums vollzieht. Diesen medialen Wandel des Films gilt es im Folgenden zu umreißen, um sodann die sich im Zusammenspiel mit den strukturellen wie medialen Veränderungsprozessen vollziehende semantische Evolution des Selbstbeschreibungs- beziehungsweise Reflexionsdiskurses in den Blick zu nehmen (vgl. Kapitel 4.3).

114 F ILM ALS W ELTKUNST Die ersten Filme werden zunächst in Varietés und auf Jahrmärkten gezeigt, mithin in einem Kontext, der mit der Form des Spektakels auf einen populären Bedeutungshorizont rekurriert, der dem Publikum den Sinn der Filmbilder verständlich macht (vgl. Kapitel 3.2). Die Generalisierung der sozialen Inklusion und die Zentralisierung der Programmierung haben zur Folge, dass neue Mittel gefunden werden müssen, die den für diverse Lokalitäten zusammengestellten Filmaufnahmen Sinn verleihen. Denn Filmaufnahmen müssen nun kommunikativ anschlussfähig werden, ohne dabei auf bereits etablierte Kontexte, wie die Traditionen volkstümlicher Unterhaltung in Varietés und Illusionstheatern, zurückgreifen zu können, die ihnen zuvor durch die Zuweisung eines Platzes in einem Programm Sinn verliehen haben. Die Lösung, die zunächst verfolgt wird, besteht darin, Stoffe zu verarbeiten, die möglichst vielen Zuschauern bereits vertraut sind. Dies zeigt sich beispielhaft in der Prominenz von Bibelgeschichten wie im Rekurs auf nationale Mythen oder klassische literarische wie dramatische Vorlagen.1 Vor diesem strukturellen Hintergrund löst das Kino-Drama das Problem der Filmwirtschaft, ein längeres Programm allein aus Filmen konstruieren zu müssen, ohne auf den Rahmen eines Varieté-Programms oder ähnlicher traditioneller Unterhaltungsformate des 19. Jahrhunderts zurückgreifen zu können. Zunächst dient das Drama vornehmlich als Form, die Nummernrevue inhaltlich zu motivieren. Erst im späteren Verlauf bricht sich dann die Eigenlogik des Dramas zunächst auf der Ebene des einzelnen Films in Form von auf das einzelne Werke bezogener Selektionsregeln und sodann in Bezug auf die Filmproduktion im Gesamten Bahn, als man in Anlehnung an das Theater beginnt, zwischen unterschiedlichen Typen dramatischer Narration, nämlich Filmgenres, zu unterscheiden. Genres verbinden einen dem Publikum unterstellten Habitus mit der die Einzelfilme übergreifenden Geschichte der anderem ihm zugehörigen Filme. Und dieser Einzelzusammenhang muss derart gestaltet sein, dass er sich nicht je nur lokal gegebenen Bedingungen verdankt.

1 Aus dieser Warte betrachtet dient der Rückgriff auf den Kanon des Bildungsbürgertums weniger einer kulturellen Aufwertung des Films durch seine Legitimierung als Kunst, sondern fungiert vielmehr als Anpassung an das Vorwissen des adressierten Publikums.

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Die Programmierung wandelt sich von einer Praxis, die primär durch tradierte kulturelle Institutionen wie Jahrmarkt und Varieté instruiert und auf einen lokal definierten Kontext in Form des jeweils anwesenden Publikums zugeschnitten ist, hin zu einer Form der Selektion und Kombination von Bildsequenzen, die an einem Medium, also einem universal gegebenen Möglichkeitshorizont orientiert ist. Sowohl die Orientierung an je lokal gegebenen Bedingungen als auch die Referenz auf ein Genre bearbeiten das Problem, einen Kontext für Filmaufnahmen zur Verfügung zu stellen und sie damit überhaupt erst kommunikativ anschlussfähig zu machen. Das Kinodrama löst zwei kommunikative Probleme zugleich: Es trägt zur Erschließung neuer Zuschauerkreise bei, da die Form des Dramas an die kulturellen Vorlieben der bürgerlichen Schichten anschließt, und es bietet zugleich ein funktionales Äquivalent zur kombinatorischen Logik der Nummernrevue. Diese Übergangsfunktion des bürgerlichen Kulturguts drückt sich im Kompositum »Kinometerdichter« in Form einer zeitgenössischen Rollenbeschreibung aus. Dabei handelt es sich um die ersten Autoren, die zwar bereits für das neue Medium Drehbücher verfassen, dabei allerdings, daher die Bezeichnung als Dichter, auf Inhalte und Formate der bildungsbürgerlichen Tradition zurückgreifen. Entsprechend vertritt Jazbinsek (2000, S. 27) die »These [...], daß die Kinometerdichter nur deshalb am laufenden Band Filmideen produzieren konnten, weil sie über einen umfangreichen Fundus an Themen und Typen verfügten, den sie ihren eigenen Vorveröffentlichungen entnehmen konnten.« Bei diesen Vorveröffentlichungen handelt es sich, so Jazbinsek (ebd., S. 27) weiter, um »Reportagen, Feuilletons, Bühnenstücke, Novellen«, d. h. Textgattungen, die nicht auf die spezifischen Herausforderungen des Mediums Films zugeschnitten sind. Die Referenz auf den bildungsbürgerlichen Kanon und die Produktion von Kinodramen kann sich, angesichts der weiteren Entwicklung der Filmproduktion und damit zugleich des Mediums Film, letztlich nicht langfristig stabilisieren. Denn die Rekontextualisierung des Films im bildungsbürgerlichen Kulturraum der Jahrhundertwende, mit der zunächst auf dessen Herauslösung aus dem Kontext der Varietés und Illusionstheater reagiert wird, verursacht wiederum neue Herausforderungen. So führt die Übernahme des klassischen Kulturgutes des Bürgertums vor zwei Probleme: Erstens erhöht sich drastisch die Komplexität der zu erzählenden Handlung und zweitens handelt es sich

116 F ILM ALS W ELTKUNST um Stoffe und Erzählweisen, die jenseits des bürgerlichen Milieus kaum anschlussfähig sind (vgl. Bowser 1990, S. 19 f.). Die letztlich erfolgreiche Strategie besteht in einer Generalisierung der sozialen Anschlussfähigkeit des Gezeigten durch die zunehmende Selbstreferenz des Mediums und seiner Formen. Anders gesagt: Das Rezeptionspotential der Filme wird gesteigert, indem an die Stelle tradierten Kulturguts zunehmend Eigenwerte der Filmwelt treten. Erforderlich ist die Umstellung auf einen Modus der Beobachtung zweiter Ordnung der Filmformen, die diese auf andere Filme bezieht. Konkretisiert bedeutet dies eine Konventionalisierung der Filmformen und damit die Konstitution des Films als Kommunikationsmedium. Die wiederkehrenden Formen der populären Filmgenres und Serien sind der wohl prominenteste Mechanismus, mit der das Medium seine eigene Anschlussfähigkeit organisiert. Ein weiteres Beispiel sind die Stars, also Schauspieler, die ihre Prominenz dem Medium, zu dessen Generalisierung sie beitragen, verdanken. Mit den unterschiedlichen Filmgenres eröffnet sich die Möglichkeit, erstens die Filmhersteller, zweitens die Programmgestalter in den örtlichen Kinos und drittens das Publikum in einem geteilten Medium aufeinander zu beziehen. Genres schaffen auf diese Weise die Voraussetzungen, um die Produktion, Distribution und Rezeption von filmischen Werken in einen kommunikativen Reproduktionszusammenhang bringen zu können. Kenntnisse der Bibel und des tradierte Kanons bürgerlicher Literatur sind nicht mehr hinreichend, um diese Filme zu verstehen. Stattdessen wird die Kenntnis des Zeitgeist und anderer Filme zur conditio sine qua non angemessenen filmischen Verstehens. Die Führungsrolle, die der medialen Ebene in dieser Zeit zukommt, dokumentiert sich eindrücklich an der Sonderstellung, die der Filmproduktion im Deutschen Kaiserreich im Unterschied zu anderen Nationalstaaten zufällt: »The German film industry adapted slowly to feature films as the standard product [...] with the result that until 1913–1914, no more than 14% of the total number of films shown in German cinemas were German-produced. [...] According to Emilie Altenloh, whose case study of cinema-going in one industrial location broke down the films’ countries of origin by genres, German production did better in dramas (12% of the total) than in comedies (only 3%).« (Abel 2005, S. 388)

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Trotz technisch vergleichbarer Voraussetzungen machen Filmproduktionen deutscher Firmen in der Zeit nach der Einrichtung ortsfester Spielstätten ab 1905 kaum ein Zehntel des gezeigten Materials aus, weil sie im Unterschied zu ihren ausländischen Konkurrenten so gut wie keine Spielfilme produzieren.2 Die wichtigste Konsequenz dieser im Vergleich zur rasanten Proliferation fester Spielstätten langsamen Etablierung komplementärer Produktionsstrukturen besteht darin, dass im Deutschen Kaiserreich den Distributoren von Filmen und nicht den Produzenten die entscheidende Kontrolle über die Entwicklung des neuen Mediums Film zufällt. Diese Konstellation aus den medialen Möglichkeiten, die der Film eröffnet, und dem selektiven Interesse des Publikums, erweist sich medial längerfristig als zentraler evolutionärer Attraktor, bereitet den Praktikern des Filmgewerbes jedoch zunächst eine Reihe von Schwierigkeiten. Durchgesetzt hat sich das Modell des Spielfilms, da es zwei Funktionen am erfolgreichsten zu erfüllen vermag: erstens eine Mehrzahl von Filmrollen kombinierbar zu machen und zweitens das andauernde Interesse des Publikums zu wecken. Und zwar nicht durch die Stoffe selbst, sondern durch die Art ihrer medialen Verarbeitung.3

4.3 F ILM

ALS

G EFAHR

ODER

P OTENTIAL ?

In der zweiten Phase konstituiert sich einerseits die Fachpresse und andererseits die bürgerliche Kinoopposition, die sich sowohl aus sogenannten Kinoreformern wie Vertretern der literarischen Intelligenz speist (Diederichs 1996, S. 4). Die Fachpresse wirbt mit Blick auf die bürgerliche Öffentlichkeit für die künstlerischen Qualitäten der Filme und versucht zugleich, mit praktischen Ratschlägen das Niveau der Herstellung und Aufführung von Filmen

2 Dieser historische Befund ist zugleich ein Beleg für die hohe Anschlussfähigkeit internationaler medialer Standards filmischer Kommunikation, die sich trotz differenter nationaler Traditionen global durchsetzen. 3 Dies ist auch der Grund dafür, dass Spielfilme jegliche nationalen und vor allen Dingen auch ideologischen Spaltungen in Windeseile überwinden, wie sich beispielhaft ebenso anhand der westlichen Eisenstein- wie der sowjetischen Chaplin-Rezeption (Šklovskij 2005) zeigt.

118 F ILM ALS W ELTKUNST anzuheben. Hingegen steht die bürgerliche Öffentlichkeit dem boomenden Filmgewerbe ausgesprochen kritisch gegenüber. Dabei lassen sich im kritischbürgerlichen Diskurs zwei Stränge unterscheiden: Der erste etabliert sich im Umfeld der Kinoreformbewegung und kritisiert den Status quo filmischer Produktion wie Rezeption, ohne jedoch das neue Medium grundsätzlich abzulehnen. Vielmehr entwickeln die Vertreter der Kinoreform normative Vorstellungen von einer primär erzieherischen Verwendung der neuen Technik. Im Unterschied zu den Kinoreformern bezieht die literarische Intelligenz, der zweite markante Diskursstrang innerhalb der bürgerlichen Öffentlichkeit, aus prinzipiellen ästhetischen Gründen gegen das neue Medium Stellung (Diederichs 1996, S. 24 ff.). Die Etablierung dieser kommentierenden Öffentlichkeit ist die entscheidende Voraussetzung für die Veränderung des ästhetischen Reflexionsdiskurses über die Filmkunst. Denn während zur Zeit der ersten kinematographischen Vorstellungen der Diskurs von Experten geprägt ist, die sich entweder mit gleichgesinnten Fachleuten austauschen oder in popularisierender Manier das von den optischen Spektakeln verblüffte Publikum über die technische Funktionsweise der Apparate aufklären, tritt nun ein neuer Typus von Sprecher in den Diskurs ein, der die Vorstellungen nicht aus der Perspektive derjenigen, die sie herstellen, beobachtet, sondern den Standpunkt eines Rezipienten einnimmt. Diese neuen Sprecher verstehen sich als Vertreter des Publikums, d. h. derjenigen, die, soziologisch gesprochen, über Publikumsrollen in das Kunstsystem inkludiert sind. Entsprechend wird das Gezeigte jetzt an kunstspezifischen Maßstäben gemessen. Dies eröffnet die Möglichkeit, einzelne Werke zu bewerten, und ist zugleich die Basis für Zukunftsentwürfe, die dem Kinematographen diverse Potentiale zuschreiben. Das Auftauchen dieser dritten Position wäre in dieser Form zuvor nicht möglich gewesen, da sie sich auf Voraussetzungen stützt, die vormals nicht existierten. Die basale Voraussetzung ist die hinreichende Etablierung des Films als Medium. Sie hat zur Folge, dass eine Mehrzahl von Akteuren plausibel unterstellen kann, dass jeder Beobachter zumindest in Teilen dasselbe gesehen hat. Ohne die Voraussetzung dieses, durch ein hinreichend konventionalisiertes Medium gesicherten Einverständnisses, wäre es nicht möglich, über den Wert des Gesehenen im Lichte unterschiedlicher Ansprüche und Maßstäbe zu streiten. Schließlich ist ein ausreichender Konsens unterschiedlicher Beobachter auf wahrnehmungsmedialer Ebene die Voraussetzung für einen

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Dissens über den Wert der wahrgenommenen Kombination kommunikativer Formen. 4.3.1 Kritik des Spielfilms Es ist die rasante Verbreitung des neuen Formats »Spielfilm«, insbesondere des sogenannten »Kino-Dramas«, die die Autoren der bürgerlichen Kulturkritik provoziert. So sieht Theodor Heinrich Mayer das Kino-Drama 1912 als Zeichen für den Beginn der ›letzte[n], traurigste[n] Epoche der Kinematographie‹ (zit. n. Kreimeier 2011, S. 107). Es ist demnach die Theater-Krise, die die erste elaborierte Kritik des neuen Mediums hervorruft und die bürgerlichliterarische Intelligenz den Kunstanspruch des Kinos zurückweisen lässt (Diederichs 1986, S. 132 ff.). Bereits die ersten Auseinandersetzungen über den künstlerischen Wert des Films sind, wie zu zeigen sein wird, zentral durch eine Reihe diskursiver Oppositionen gekennzeichnet, die sich bis in die Gegenwart verfolgen lassen. Eine äußerst elaborierte Kritik, die es im Folgenden näher zu analysieren gilt, formuliert im Rahmen der Kino-Debatte Konrad Lange (1913/2004), der erste Tübinger Ordinarius für Kunstgeschichte. 4.3.2 Kunst des Lichtspieltheaters Unter der Überschrift »Die ›Kunst‹ des Lichtspieltheaters« veröffentlicht er 1913 einen Artikel im Grenzboten, dem Leitmedium des national-liberalen Bürgertums. Dass Lange den Begriff Kunst in Anführungszeichen setzt, hat seinen guten Grund. Denn sein Text würdigt nicht die künstlerischen Möglichkeiten des neuen Mediums, sondern möchte vielmehr auf »die Auswüchse des Kinematographen« (ebd.) hinweisen. Man solle diese »nicht nur literarisch bekämpfen, sondern auch auf dem Wege der Gesetzgebung eindämmen und beseitigen« (ebd., S. 75). Dies sei umso dringender geboten, als die »Mehrzahl der Menschen [...] mit ihrem Kunstverständnis noch nicht einmal so weit gekommen [ist], daß sie das Unkünstlerische an den sogenannten Dramen im Lichtspieltheater erkennt« (ebd., S. 75). Mit Sorge beobachtet Lange (ebd., S. 75), dass sich selbst »Dichter nicht scheuen, ihre Dramen – Wortdramen! – kinematographisch verhunzen zu lassen«. Angesichts dieser maßgeblich durch den Kinematographen hervorgerufenen ästhetischen Verwirrung nicht allein der Masse, sondern selbst der Dichter, kann, so die Einschätzung Lan-

120 F ILM ALS W ELTKUNST ges, »nur das Gesetz helfen. Wer nicht freiwillig und aus Überzeugung in den richtigen Weg einlenkt, bei dem müssen Staat und Polizei das Nötige tun« (Lange 1913/2004, S. 75). Da man allerdings »die Gefahren der Kinodramatik« »mit der Jurisprudenz allein nicht fassen kann«, sieht Lange (ebd., S. 76) seine Aufgabe darin, als »Ästhetiker [...] gewissen juristischen Vorurteilen entgegenzutreten«. Der »Hauptfehler« des juristischen Blicks auf den Film besteht für Lange (ebd., S. 80) darin, »daß er die kinematographischen Vorführungen [...] als Kunstwerke behandelt, was sie nicht sind, was sie schon aus rein äußerlichen Gründen nicht sein können«. Das Ziel dieser Verbalattacke ist nicht jegliche Form von Film, sondern vornehmlich »Kinodramen«, denen nach Langes Einschätzung zu Unrecht eine künstlerische Bedeutung zugeschrieben wird. So betont er, es gehe ihm »nicht um einen Kampf gegen den Kino als solchen« (ebd., S. 76). »[D]er Kampf gegen den Kino« richtet sich einzig gegen »diejenigen Vorführungen der Lichtspieltheater [...], die unter dem Namen ›Dramen‹ oder ›Kunstfilms‹ bekannt sind« (ebd., S. 76). Eine Verwendung der neuen Technik, um »allerlei Tagesereignisse nach der Art eines gewissenhaften Reporters photographisch festzuhalten« (ebd., S. 76 f.), findet er ebenso unproblematisch wie die »Benutzung des Kinematographen für wissenschaftliche Zwecke« (ebd., S. 77). Und »selbst für künstlerische Zwecke kann das Lichtspieltheater ohne Bedenken nutzbar gemacht werden« (ebd., S. 77). Als Beispiele nennt Lange die Burleske oder den Einsatz als »Surrogat des Tanzes und der Pantomime« (ebd., S. 77). Trotz dieser Konzessionen an das neue Medium lässt Lange keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Film höchstens als ein Ersatz für andere Kunstarten, jedoch nicht selbst als eigene Kunstform, sondern als »Unkunst« oder »Pseudokunst« (ebd., S. 85) anzusehen ist. Weshalb provozieren gerade die »Kinodramen« eine so vehemente Kritik von Seiten des Professors für Kunstgeschichte? Und weshalb können diese Filme seiner Ansicht nach aus prinzipiellen Gründen keine Kunstwerke sein? Dass gerade die »Kinodramen« aus Langes Sicht zu einem ästhetischen Problem geworden sind, begründet sich für ihn zunächst durch ihre Ubiquität: »sie nehmen in der Regel einen so großen Teil der Vorstellung in Anspruch – oft bis zu zwei Stunden –, daß man ruhig sagen kann: sie sind es, die ihr den eigentlichen Charakter verleihen« (ebd., S. 77). Hinzu kommt die ungeheure Beliebtheit bei den Zuschauern: »sie bilden [...] denjenigen Teil der Vorführungen, der die größte Anziehungskraft ausübt, auf den deshalb nicht

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nur die Besitzer, sondern auch die Besucher des Kinos den meisten Wert legen« (ebd., S. 77). Durch diese »bereiten [sie] dem echten Theater nicht nur insofern Konkurrenz, als sie ihm durch ihre Billigkeit und das Sensationelle ihrer Vorführungen das Publikum abspenstig machen [...], sondern sie schädigen auch die Bühne und die gesamte dramatische Kunst dadurch, daß sie das Publikum der Fähigkeit, dramatische Werte zu erkennen und zu genießen, völlig berauben« (ebd., S. 78). Es ist diese Kombination aus Allgegenwärtigkeit, stupender Beliebtheit beim Publikum und Pseudokunsthaftigkeit mitsamt ihren negativen Folgen für die Genussfähigkeit der Zuschauer und damit die Bühnenkunst insgesamt, die für Lange die Kinodramen ins Zentrum seiner Polemik gegen den Kinematographen rückt. Dieses Problemkonglomerat, das sich mit den kinematographischen Dramen verbindet, lässt sich laut Lange auf einen gemeinsamen Ursachenkomplex zurückführen. Um dies zu belegen, wird die »Kinodramatik« mit »der Kunst der wirklichen Bühne« (ebd., S. 76) verglichen. Für diesen Vergleich von Theater und Kino greift Lange auf die Unterscheidung von Wirklichkeit und Kunst zurück. Das Bühnentheater führe »Scheinhandlungen« vor und ermögliche ein »›hypothetisches Schauen‹«. So käme der Zuschauer »dem Helden, den wir auf der Bühne von dem Dolche des Mörders bedroht sehen, nicht zur Hilfe, was wir doch in der Wirklichkeit unbedingt tun würden« (ebd., S. 81). Der offensichtliche Schein des Geschehens auf einer Theaterbühne bewahre das Publikum nicht allein davor, den Theatermord mit einem realen Verbrechen zu verwechseln, er ist zugleich die Basis für das, was Lange »ästhetische Anschauung« nennt: »[D]urch diesen imaginären Charakter alles in der Kunst von uns gesehenen werden die inhaltlichen Gefühle, d. h. die Gefühle, die denjenigen entsprechen, welche der dargestellte Inhalt der Wirklichkeit bei uns auslösen würde, ganz bedeutend abgeschwächt. Und zwar wird diese Abschwächung umso größer sein, je mehr wir bei der Anschauung des Kunstwerks an den Künstler denken, der das Werk geschaffen hat, d. h. je stärker die künstlerische Individualität ist, die sich in dem Kunstwerk ausspricht. Das ist es eben, was wir ästhetische Anschauung nennen, eine Anschauung, die sich aus zwei Dingen, nämlich dem Erleben der Inhaltsgefühle und der Bewunderung des Künstlers zusammensetzt.« (Ebd., S. 81)

122 F ILM ALS W ELTKUNST Für Lange kommt es darauf an, dass die Theateraufführung zwei Momente verbindet. Erstens zeigt sie dem Publikum etwas, das es auch in der Realität gibt, und vermittelt ihm im selben Moment, dass es sich um eine Scheinrealität, d. h. ein fiktionales Geschehen handelt. Zweitens verweist sie durch die eindeutige Künstlichkeit des Geschehens die Zuschauer auf den Künstler, dem diese für das Theater erfundene und inszenierte Wirklichkeit zugerechnet werden kann. Beides zusammen führt dazu, dass das Theaterpublikum nicht die Realität, sondern das Werk eines Künstlers erlebt. Im Folgenden stellt Lange die konkreten Mittel vor, durch die das Theater die Möglichkeit einer »ästhetische[n] Anschauung« eröffnet. Es sind dies erstens das erhöhte Podium, auf dem die Ereignisse aufgeführt und damit zugleich »über die Wirklichkeit emporgehoben« werden und die Kulissen, »die das Bühnenbild einrahmen« (Lange 1913/2004, S. 81); zweitens der Zuschauerraum, dessen hinreichend helle Ausleuchtung es jedem Zuschauer ermögliche, sich als Teil eines Publikums wahrzunehmen, und drittens »die Worte, die von den Schauspielern gesprochen werden, und die zum Teil schon durch ihre poetische Form, dann aber auch durch die Art des Vortrags das Kunstwerk im wesentlichen ausmachen« (ebd., S. 81). Lange hebt hervor, dass alle diese Mittel einen doppelten Zweck verfolgen: »einerseits den, Handlungen zu verdeutlichen, das Spiel auch auf die Entfernung verständlich zu machen, andererseits den, einen Schutzwall für unser Gefühl zu schaffen, durch den wir uns der [...] Handlung gegenüber jenes Bewußtsein der Freiheit wahren können, ohne welches keine ästhetische Wirkung denkbar ist« (ebd., S. 81). Die Bestimmung der künstlerischen Mittel des Theaters ist Langes Beweisgrundlage für die Behauptung, bei der Kinodramatik handele es sich um eine »Unkunst« (ebd., S. 85). Denn nach seiner Auffassung fehlt dem Kino alles das, was den künstlerischen Charakter »der wirklichen Bühne« (ebd., S. 76) ausmacht. Der Befund könnte nicht deutlicher ausfallen: »Da gibt es keine Bühne, durch welche die Handlungen über das Niveau des Alltäglichen emporgehoben würden. Da fehlt der Kulissenrahmen, der uns die Ereignisse als etwas für sich Bestehendes, von der Wirklichkeit Getrenntes erscheinen ließe. Da fehlt die Sprache mit ihren Möglichkeiten der Idealisierung, mit ihrem Wohlklang, an dem wir uns berauschen könnten. Da ist der Zuschauerraum so verdunkelt, daß wir schon unseren nächsten Nachbarn nicht erkennen können.« (Ebd., S. 83)

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Diese Liste der medialen Defizite resümiert Lange mit der These, dass »das, was wir im Kino sehen, [...] gar nicht Kunst, sondern Wirklichkeit« (ebd., S. 83) sei. Und zwar eine »raffinierte Anhäufung alles Rohen, Gemeinen und Perversen, was es je in der Welt gegeben hat«. Für Lange ist das Lichtspieldrama geradezu das Beispiel par excellence für Unkunst: »Ich glaube, wenn man durch Zusammentragen lauter unkünstlerischer Elemente zeigen wollte, was nicht Kunst ist, so könnte man nichts besseres tun, als einfach ein solches Lichtspieldrama nennen!« (Ebd., S. 84)

Langes Streitschrift ist mit diesem Nachweis, dass das Kinodrama die Wirklichkeit zeige und damit die vermeintliche Filmkunst in Wahrheit eine Unkunst sei, noch nicht abgeschlossen. Denn sein Plädoyer für eine Zensur der Lichtspieltheater fußt nicht allein auf dem Nachweis der ästhetischen Defizite des Kinematographen. Wie die Rede vom »Rohen, Gemeinen und Perversen« bereits andeutet, strebt Lange zugleich eine ethische Kritik des Lichtspieltheaters an. Diese gründet sich zum einen auf den Umstand, dass Filme nicht Scheinhandlungen, sondern die Wirklichkeit zeigen und zum anderen darauf, dass die filmische Darstellung eine Reduktion auf »die äußerlichen Bewegungsvorgänge« (ebd., S. 84) bedeute. 4.3.3 Debatte um das Kino Die Invektive des Kunsthistorikers Lange gehört zur Phase der Reflexion über Film in Deutschland, die später als sogenannte »Kino-Debatte« der literarischen Intelligenz bezeichnet werden wird (Kaes 1978). Die Kontrahenten dieser Debatte scheiden sich nach Gegnern und Befürwortern des Films. Die Kritiker des Kinos beschreiben den Film als Gefahr für die etablierten Künste. Sie warnen davor, das »Schmuddelkind« Kino könne Theater und Literatur verdrängen und zum allgemeinen Surrogat dieser Kunstformen werden, ohne jedoch vergleichbare ästhetische Qualitäten zu besitzen. Die Ausführungen des Kunstprofessors Lange sind symptomatisch für den argumentativen Umgang mit dem Kino in den 1910er Jahren. Kinokritische Autoren, die sich wie Lange das Ziel setzen, eine Kulturkritik des Kinos zu formulieren, und zu diesem Zweck den Nachweis erbringen möchten, dass das Kino keine Kunst sei, argumentieren stets, indem sie auf andere Kunstarten als Vergleichskategori-

124 F ILM ALS W ELTKUNST en zurückgreifen. Die Frage, ob der Film eine Kunst sei, wird nicht dadurch beantwortet, dass die Eigenschaften von Filmen daraufhin überprüft werden, ob sie einem allgemeinen Kunstbegriff entsprechen. Stattdessen wird die explizit gestellte Frage »Ist der Film eine Kunst?« implizit reformuliert als die Frage: »Besitzt der Film ebenfalls diejenigen Eigenschaften, die das Theater (oder die Malerei, den Roman etc.) zu einem Teil der Kunst machen?« Ähnlichkeiten werden dann als Hinweis auf den Kunststatus des Films und Differenzen umgekehrt als Beleg dafür genommen, dass der Film gerade nicht als Kunst verstanden werden kann. Diesem Muster folgt auch Lange, wenn er den Film als »Unkunst« einstuft, da dieser nicht über diejenigen Attribute verfügt, die das Theaterdrama in Langes Augen zur Kunst adeln. Es sind demnach die Eigenarten bestimmter anderer Kunstarten, die zum Kriterienkatalog der Kunsthaftigkeit des neuen Mediums Film werden. Der Beweis dafür, dass Filme keine ästhetischen Werke sein können, besteht somit darin, zu zeigen, dass der Kinematograph nicht über diejenigen ästhetischen Mittel verfügt, die das als Vergleichskategorie bemühte Theater auszeichnen. 4.3.4 Film als Kulturfaktor Im Unterschied zu den Kritikern und Gegnern des Kino-Dramas bemühen sich diejenigen, die sich für den neuen »Kulturfaktor«, wie es zeitgenössisch heißt, stark machen, darum, auf die eigentümlichen Fähigkeiten des Films hinzuweisen und dessen noch nicht ausgeschöpften Potentiale auszuloten. Beispielhaft zeigt sich dies in der ab 1907 publizierten Zeitschrift Der Kinematograph. Diese versteht sich als Branchenblatt und wendet sich demnach an diejenigen, die am praktischen Einsatz des Kinematographen mitwirken. Im Untertitel bezeichnet sich die Zeitschrift als »Organ für die gesamte Projektionskunst« (Diederichs 1985). Zwar stehen im Zentrum der Zeitschrift zunächst die technischen und wirtschaftlichen Aspekte der Projektionskunst, aber es findet sich in der ersten Ausgabe ebenfalls bereits eine ästhetische Auseinandersetzung mit der »Projektionskunst«. Eine Ästhetik des Films als einem neuem Medium der Kunst wird in diesem Rahmen allerdings noch nicht intendiert. Die einzige Ausnahme von dieser Regel bildet die kurze Schrift Kino und Theater von Herbert Tannenbaum, die 1912 und somit auf dem Höhepunkt des »Theater-Kino-Streites« erscheint (Curtis 2005, S. 904). Es handelt sich nach der Einschätzung von Diederichs (1987b, S. 7) um »die

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erste größere Abhandlung zur Filmästhetik in Deutschland« und zugleich um »den umfassendsten formtheoretischen Ansatz der zehner Jahre«. Rückblickend schreibt Tannenbaum über die 1912 unter dem Titel »Kino und Theater« publizierte Untersuchung: »He was nineteen when he wrote what he believes was the first German to cite the broad potentialities of an infant dramatic medium – the cinema« (zit. n. Diederichs 1987a). Die Theorie befindet sich hier im Modus der Konstruktion eines Potentials, das allerdings erst in Zukunft eingelöst werden wird. Der operative Hintergrund dieser Art von Theoriebildung sind bereits existierende Formen (lange Filme), die jedoch noch nicht nach ästhetischen Gesichtspunkten programmiert sind. Filmtheorien, die auf operativ vollzogene Filmkunst verweisen, entstehen erst in der dritten Phase der Ausdifferenzierung ab den 1920er Jahren. Tannenbaum ist nach Einschätzung von Klaus Kreimeier (2011, S. 180) »[e]iner der wichtigsten deutschen Filmtheoretiker vor 1914«. Seine Abhandlung ist der Zeit weit voraus: erst ein Jahrzehnt später vertritt Béla Balázs (1924) einen in den Grundzügen sehr verwandten ästhetischen Zugang zum Film. Doch während Balázs bis heute zum Kanon filmästhetischer Literatur zählt, ist Tannenbaum schon nach dem Ersten Weltkrieg in Vergessenheit geraten. Wieder entdeckt wurde die Schrift von Tannenbaum erst Jahrzehnte später, wobei sich die Rezeption allein auf die filmhistorische Forschung beschränkt. Im Kontext der heutigen Theoriedebatten über Filmästhetik spielt der Text von Tannenbaum allerdings keine Rolle. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Der Autor ist ein neunzehnjähriger Jurastudent ohne Reputation und der Publikationsort ein kleiner Verlag in München. Das Interessante an Tannenbaums Text ist nicht dessen Rezeptionsgeschichte, sondern vielmehr der Umstand, dass er überhaupt geschrieben worden ist. Er dokumentiert, welche Reflexionsmöglichkeiten bereits zu diesem frühen Zeitpunkt verfügbar sind. Tannenbaum argumentiert systematisch, es geht ihm um eine kohärente und umfassende Beschreibung des neuen Phänomens Film. Damit ist Tannenbaums Essay in seiner Zeit eine singuläre Erscheinung, denn im Unterschied zu den anderen Beiträgen im Kontext des »Theater-Kino-Streites« konzentriert sich sein Autor auf die ästhetischen Fragen, die der Vergleich von Kino und Theater aufwirft. Während die Kino-Branche den Versuch unternimmt, ihr Produkt durch die Assoziation mit der Bühnenkunst einem bürgerlichen, mithin zahlungskräftigen Publikum schmackhaft zu machen, und damit so-

126 F ILM ALS W ELTKUNST wohl die Polemik der bildungsbürgerlichen Intelligenz als auch die Kritik der Kino-Reformer provoziert, wählt Tannenbaum einen anderen Weg. Sein Ziel ist weder eine ästhetisch begründete Rechtfertigung für die existierenden »Kunstfilms« zu verfassen noch ist ihm daran gelegen, deren Defizite im Vergleich zur etablierten Kunstform des Theaters zum Ausgangspunkt einer Kritik des Films zu nehmen. Vielmehr interessiert ihn, welches noch nicht erschlossene Potential einer noch zu schaffenden Filmkunst bereits in den gegenwärtig produzierten Werken erkennbar ist. Während die Kino-Branche den Verweis auf die Ähnlichkeit von Theater und Film als Argument für seinen ästhetischen Wert einsetzt und umgekehrt die literarische Intelligenz genau diese Ähnlichkeit bestreitet und damit ihr negatives Urteil über den Film begründet, nimmt Tannenbaum eine dritte Position ein: Wie die Autoren der Branchenblätter argumentiert er für den Status des Films als Kunst und widerspricht damit auf normativer Ebene der bürgerlichen Kinokritik, pflichtet letzterer allerdings darin bei, dass das Potential des Films zur mimetisch-mechanischen Abbildung der optischen Realität keine ästhetische Qualität darstelle.

4.4 Z WISCHENFAZIT Die zweite Phase der Ausdifferenzierung der Filmkunst ist, wie gezeigt wurde, durch eng miteinander verknüpfte Veränderungen sowohl auf struktureller (vgl. Kapitel 4.1) und medialer Ebene (vgl. Kapitel 4.2) wie auch hinsichtlich der Formen der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung des Films (vgl. Kapitel 4.3) gekennzeichnet. Der auf struktureller Ebene beobachtbare rasante Übergang von einer in den Institutionen populärer Unterhaltung verankerten Praxis der Filmvorführung hin zu allein auf Film spezialisierter Kinotheater schafft die Rahmenbedingungen, unter denen sich auf medialer Ebene das Format des narrativen Spielfilms als eine ausschließlich auf filmische Mittel rekurrierende Lösung des Problems der Adressierung eines nunmehr sozial heterogenen Publikums durchsetzt. Nachdem nun die strukturelle, mediale und semantische Konstellation der Anlehnungskontexte in der zweiten Phase klarer umschrieben ist, eröffnet sich die Möglichkeit eines historischen Blicks auf die Ausdifferenzierung des Film als Medium des Funktionssystems Kunst: In der ersten Phase, vor

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der Etablierung ortsfester Kinotheater, spielt Narration in der Produktion filmischer Aufnahmen keine Rolle. Die Brüder Lumière schreiben ihren kinematographischen Werken keinen narrativen Charakter zu. Ihre Filme werden nicht mit der Absicht produziert, eine Erzählung zu konstruieren. Vielmehr fokussieren sie ihre gesamten Anstrengungen auf den Apparat, insbesondere dessen technische Verbesserung, patentrechtliche Absicherung und ökonomische Auswertung. Hingegen sind Strategien, die auf die Weiterentwicklung der narrativen Qualitäten ihrer Produktionen zielen, in diesem Kontext nicht zu beobachten. Und auch Méliès beschäftigt sich in seiner Schrift Les vues cinématographiques ausschließlich mit den handwerklichen Fragen der Filmherstellung. Es geht ihm zwar, das ist der entscheidende Unterschied zu den Brüdern Lumière, nicht um die Apparate, sondern um die Filme selbst. Nichtsdestotrotz ist das Bezugsproblem weiterhin nicht die Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten des Mediums Film, sondern die handwerklichen Herausforderungen, die sich in der Herstellung der »vues cinématographiques« einstellen. Demnach stehen Fragen nach dem richtigen Einsatz der Beleuchtung oder der passenden Auswahl prägnanter Kulissen im Vordergrund. Es lässt sich somit festhalten, dass Méliès sich zwar durch eine Gabe zur ingeniösen Erfindung technischer Tricks auszeichnet und zugleich auch einer der ersten Autoren ist, die über die Herausforderungen der Filmproduktion nachdenken. Dies bedeutet allerdings nicht, dass er seine eigene Produktionspraxis als Arbeit am Film im Sinne eines Medium der Kunst reflektiert. Mit der Etablierung der Kinotheater gerät das gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Arrangement von Filmproduktion wie -rezeption unter Veränderungsdruck. Die Kinotheater verbreiten den Film in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß. Dabei beschränkt sich diese Entwicklung nicht allein darauf, dass die Kinotheater den Kinematographen beziehungsweise die kinematographischen Vorstellungen popularisieren. Das enorme quantitative Wachstum der Spielstätten schafft die Voraussetzungen für eine qualitative Generalisierung der sozialen Inklusion. Darüber hinaus erzwingt die Popularisierung die Entwicklung neuer kommunikativer Formen. Damit ist die Etablierung der ortsfesten Kinotheater die zentrale Voraussetzung für die Transformation des Films als Medium in den 1910er Jahren. Die Konkurrenz zwischen einer Vielzahl von nunmehr exklusiv auf den Film spezialisierten Spielstätten führt zur Etablierung des »Spielfilm«. Dieses

128 F ILM ALS W ELTKUNST neue Format löst zwei Probleme, die durch den Wechsel des Mediums Film in den Kontext der Kinotheater und den mit diesen neuen Spielstätten einhergehenden Verzicht auf das kulturelle Repertoire der Varietés und Schaustellerbetriebe entstanden sind: Zum einen stellt der Spielfilm genuin filmische Mittel bereit, um einen Zusammenhang zwischen den Aufnahmen auf den einzelnen Filmrollen herzustellen. Zum anderen rekurriert er dabei auf Strategien, die Publika an unterschiedlichen Orten und in allen Schichten der Gesellschaft anzusprechen vermögen. Mit der Etablierung als Standard der Kinotheater tritt das neue Format funktional an die Stelle, die zuvor von Programmtraditionen der Zaubertheater, Varietébühnen und Jahrmarktsbuden besetzt war. Dies heißt systematisch gesprochen, dass die Kombination der einzelnen Filmaufnahmen nicht länger in lokalen Interaktionszusammenhängen oder in Organisationen erfolgt, sondern sich auf der Ebene der Gesellschaft als Programmierung eines Mediums vollzieht. Es ist nicht länger die in Abhängigkeit von der jeweiligen lokalen Interaktionssituation variierende Reaktion des Publikums, sondern die Zahl der Zuschauer, die zudem nicht allein über den Erfolg oder Misserfolg einzelner Nummern und Szenen, sondern vielmehr ganzer Filme entscheidet. Der Spielfilm setze sich vor dieser strukturell durch die Etablierung ortsfester Spielstätten bedingten Problemlage als Lösung durch, da er die höchsten Zuschauerzahlen zu erzielen wusste. Zeitgleich mit diesen strukturellen und medialen Veränderungen wechselt auch der Schwerpunkt der gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen des Films den Kontext. Die durch den enormen Erfolg des Spielfilm-Formats und damit der Kinotheater ausgelöste Krise der Sprechtheater provoziert die nunmehr an ästhetischen und nicht länger an technisch-naturwissenschaftlichen Kriterien orientierte Kritik des bürgerlichen Kunstbetriebs. Prominent zeigt sich dies in der sogenannten Kino-Theater-Debatte, in der Spielfilme mit den Aufführungen des Sprechtheaters verglichen werden, um die ästhetische Minderwertigkeit des neuen Mediums Film zu belegen. Unabhängig davon, ob sie begeistert von der neuen Kunst des Films berichten oder, wie Lange, skeptisch bis polemisch gegen den Film als Kunstform argumentieren, greifen die meisten Autoren dieser Zeit auf die Unterscheidung von Realität und Fiktion zurück. Dabei ist stets vorausgesetzt, dass man einzig dann von Kunst sprechen kann, wenn man es mit fiktionalen Werken zu tun hat. Ein Kopieren oder Aufzeichnen der Realität als Basis von

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Kunst ist damit ausgeschlossen. Die Befähigung zur Fiktionalität gilt als Voraussetzung, um eine Arbeit als Kunstwerk zu akzeptieren. Diese Prämisse wird nicht allein von Kinogegnern wie Lange geteilt, sondern lässt sich ebenfalls bei Befürwortern der Filmkunst beobachten, wie im folgenden Kapitel in exemplarischer Weise anhand einer Analyse der formästhetischen Filmtheorie von Rudolf Arnheim deutlich werden wird.

5 Phase 3: Film als Eigenwelt

Angesichts der Diversität der frühen Anlehnungskontexte des Films, die vom wissenschaftlichen Labor (vgl. Kapitel 3.1) über das Illusionstheater, Jahrmärkte und Varietés (vgl. Kapitel 3.2) bis hin zu ortsfesten Spielstätten (vgl. Kapitel 4.1) reichen, ist es bemerkenswert, dass sich spätestens ab den 1920er Jahren eine weltweite Diffusion und Verflechtung der Produktions-, Distributions- und Rezeptionsformen von Film beobachten lässt. Diese Entwicklung beschränkt sich nicht allein auf die Studioproduktionen aus Hollywood, die nach dem Ersten Weltkrieg den globalen Filmmarkt dominieren. Auch Filme aus zahlreichen europäischen und einer Reihe asiatischer Nationalstaaten werden beispielsweise rund um den Erdball gezeigt (Trenz 2005). Auf medialer Ebene ist die Durchsetzung des Spielfilms als standardisiertem Format filmischer Kommunikation die wichtigste Entwicklung der 1920er Jahre. Filme nehmen nun die Form komplexer Kompaktkommunikation an, und es entsteht so die Voraussetzung, um sinnhafte Anschlüsse zwischen Produzenten und Rezipienten im Medium der Kunst zu realisieren (Luhmann 1996a, S. 62 f.). Indem Filme nicht länger mit alternativen Nummern aus dem Repertoire des traditionellen, national- oder regionalspezifischen populären Unterhaltungsgewerbes, sondern mit anderen Filmwerken verglichen werden, entsteht ein universaler Rezeptionskontext (vgl. Kapitel 5.1). Auf semantischer Ebene finden sich nun erste Versuche, umfassende ästhetische Theorien der Filmkunst zu formulieren. Sie zielen darauf, den Film als eigenständiges Medium der Kunst zu konzeptualisieren. Sobald sich Film als autonomes Kunstmedium etabliert, ist seine Selbstbeschreibung von den strukturellen Transformationen der Anlehnungskontexte weitgehend unab-

132 F ILM ALS W ELTKUNST hängig. Die Reflexionstheorien des Films thematisieren nun Werke, die man mit Luhmann als Kompaktkommunikationen eines eigenlogisch operierenden Subsystems der Kunst beschreiben kann. Damit verschiebt sich auch die Frage nach der künstlerischen Legitimität vom Medium schlechthin auf die einzelnen Werke. Die Kunst/Unkunst-Frage wird nun im Medium selbst entschieden, d. h. es gibt von nun an gute und schlechte Filme. Eine Beschreibung der dritten Phase aus der Beobachterperspektive zweiter Ordnung kann aus diesen Gründen die strukturelle Entwicklung, etwa die Durchsetzung des »Hollywood«-Studiosystems, zugunsten einer Analyse der neuen Art und Weise, über Filme zu sprechen, zurückstellen. Als Quelle für eine solche Analyse kämen unzählige Texte infrage, letztlich geht es aber nicht um eine Ideengeschichte der Filmästhetik, sondern vielmehr um die Art und Weise, wie nun über Film gesprochen werden kann. Rudolf Arnheims 1932 publizierte Monographie Film als Kunst zeigt bereits die Merkmale, die für Reflexionstheorien des Kunstsystems insgesamt typisch sind. Dieser Text soll im Folgenden eingehend analysiert und im Hinblick auf die strukturellen, medialen und semantischen Konstellationen diskutiert werden (vgl. Kapitel 5.2).

5.1 S PIELFILM ALS I NDUSTRIESTANDARD UND K UNSTWERK Das Medium Film operiert ab den 1920er Jahren primär in einem Anlehnungskontext, für den Bordwell und Thompson (1985, S. 88 f.) in der Filmwissenschaft den Begriff »Hollywood mode of production« geprägt haben, und der soziologisch als Kulturindustrie (Horkheimer/Adorno 1984, S. 141 ff.) beschrieben worden ist. Bis in die Gegenwart dominiert diese Form der Kopplung von Wirtschaft, Unterhaltung und Kunst die Bedingungen, unter denen Film als Medium operiert (Trenz 2005, S. 9 f.). Der »Hollywood mode of production« forciert die kulturindustrielle Standardisierung des Spielfilms und schafft damit zugleich die Voraussetzungen für die Realisierung von Kunstkommunikation im Medium Film. Denn Filmstudios wie diejenigen Hollywoods konditionieren mit ihren BusinessStandards zugleich den Möglichkeitsraum der operativen Realisierung von Kommunikation durch Filmkunstwerke (Luhmann 1996a, S. 88 f.). Das ab

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1923/24 dominierende Spielfilmformat (Haller 2008, S. 44) ist aus kommunikationstheoretischer Perspektive ein funktionales Äquivalent des Rahmens in der Malerei, da es die Möglichkeit eröffnet, zwischen Innen und Außen eines Filmkunstwerks zu unterscheiden. Es ist insbesondere die Kulturindustrie (Horkheimer/Adorno 1984, 141ff.), die durch die ökonomisch motivierte Einführung von Standards der Produktion, Distribution und Rezeption diese Funktion übernimmt. Der Grund hierfür ist, dass der Konstruktion des Spielfilms als Produkt der Filmindustrie keine ästhetischen Qualitätskriterien zu Grunde liegen. Damit eignet sich das Format als Elementareinheit für jegliche Form von Filmkunst. Die Funktion dieser Elementareinheit besteht darin, das künstlerische Kommunikationsmedium Film unabhängig von spezifischen ästhetischen Präferenzen als Rahmen zur Formfindung verfügbar zu machen. Mit dem Format »Spielfilm«, das verschiedene Werke als Formvarianten desselben Mediums vergleichbar macht, etabliert die Filmindustrie einen hinreichend eindeutigen und zugleich zukunftsoffenen »›frame‹ im ›frame‹ des Systems« (Luhmann 1996a, S. 401) der Kunst. Der Spielfilm als Format zieht eine Grenze, auf deren Innenseite eine fortdauernde Konkurrenz um die »richtige« Auffassung von Filmkunst und damit verbunden die relative Qualität der einzelnen Werke stattfindet. Die stabilste Konfliktlinie verläuft, wie Hans-Jörg Trenz darlegt, seit den 1920er Jahren zwischen dem Studiosystem Hollywoods und wechselnden regionalen Oppositionen: »Die vermeintliche Statik der Traumfabrik löst Gegenbewegungen aus. Die Suche nach einer ausdrücklichen ›Anti-Hollywood-Ästhetik‹ wird zur globalen Absetzbewegung und schafft damit ein universales Differenzierungsschema von Weltkino. Wir stoßen hier auf eine konstante Konfliktlinie, die sich als polare ideologische Struktur des weltgesellschaftlichen Kinos bereits sehr frühzeitig (spätestens seit den 1920er Jahren) ausdifferenzierte: Das Mainstream-Hollywood-Kino trifft als immer gleicher Gegner auf wechselnde Herausforderer regionaler Gegenkinos: der deutsche Expressionismus, das sowjetische Avantgardekino, der italienische Neorealismus [...], die Nouvelle Vague.« (Trenz 2005, S. 409 f.)

Das Hollywood-Studiosystem (Bordwell/Staiger/Thompson 1985, S. 473 ff.) definiert in Gestalt des Spielfilms die Kompaktkommunikation der Filmkunst. Die sich synchron auf reflexionstheoretischer Ebene vollziehende Ausar-

134 F ILM ALS W ELTKUNST beitung erster elaborierter Formen von Filmästhetik bezieht sich auf diese standardisierte Form des Films als Medium. »Der Film als Ware« (Bächlin 1975), die durch das Hollywood-Studiosystem standardisierte Form des Spielfilms, avanciert in den 1920er Jahren zum zentralen Bezugspunkt der theoretischen Selbstbeschreibung der Filmkunst, die im folgenden am Beispiel eines Schlüsselwerkes dieser Zeit, nämlich Film als Kunst von Rudolf Arnheim, einer ausführlichen Analyse unterzogen wird.

5.2 F ILMÄSTHETIK ALS R EFLEXIONSTHEORIE DER F ILMKUNST Die Durchsetzung des Spielfilms als Standardformat wird auf der semantischen Ebene, wie im Folgenden gezeigt werden soll, durch den Übergang von Selbstbeschreibungen hin zu begrifflich durchgearbeiteten Reflexionstheorien begleitet. Diese frühen Filmästhetiken teilen vier von der filmhistorischen Forschung herausgearbeitete zentrale Charakteristika: Erstens argumentieren sie aus einer Defensivposition, da sie die Existenz der Filmkunst nicht als gegeben voraussetzen, sondern als noch zu beweisende Behauptung behandeln. Denn der herrschenden Auffassung nach ist Film keine Kunstart und die produzierten Filme ohne ästhetischen Wert. Höchstens wird dem Film zugestanden, als Aufzeichnungstechnologie und damit als Medium der Popularisierung von Kunstwerken, also als Mittel zum Zweck, fungieren zu können. Die Autoren der frühen Filmtheorien reagieren auf die zeitgenössische Einschätzung des Films und versuchen mit Theorien der Filmästhetik den Beweis zu erbringen, dass der Film sehr wohl als Kunstart eigenen Rechts angesehen werden kann (Carroll 1988, S. 27). Neben dieser grundlegenden Tendenz, sich in der Position zu wähnen, den Beweis erbringen zu müssen, dass Film eine legitime Kunstart ist, greifen die unterschiedlichen Theoretiker der zwanziger Jahre zweitens auf eine ähnliche Auffassung von Kunst zurück, die sich durch einen antimimetischen Gestus auszeichnet. Damit wird die Differenz zwischen Kunst/Nicht-Kunst auf den Unterschied von Fiktionalität und Abbild projiziert. Es ist somit die Differenz zwischen einem Kunstwerk und den dargestellten realen Dingen, die zur notwendigen Voraussetzung avanciert, um ein Objekt als Kunst beobachten zu können (ebd., S. 27).

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Eine dritte Gemeinsamkeit der frühen Filmtheorien besteht deshalb darin, dass sie zu zeigen versuchen, dass das Medium Film in der Lage ist, nichtmimetische Kunstwerke zu produzieren. Sie gehen davon aus, dass der Film nur dann als künstlerisches Medium angesehen werden kann, wenn sich zeigen lässt, dass er nicht nur als technisches Instrument der Reproduktion der visuellen Realität eingesetzt werden kann. Deshalb fokussieren die Theorien darauf, dass die Techniken des kinematographischen Ausdrucks etwas hervorbringen (statt zu kopieren) und Realität manipulieren (und nicht »bloß« aufzeichnen). Um das künstlerische Potential des Mediums Film zu belegen und genuin filmische Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks zu identifizieren, greifen die frühen Reflexionstheorien, dies ist das vierte durchgängig beobachtbare Muster, auf den direkten, paarweisen Vergleich mit anderen Kunstarten zurück (ebd., S. 20 ff.). Film als Kunst von Rudolf Arnheim, das im Folgenden einer ausführlichen Analyse unterzogen werden soll, ist in seinen Prämissen und zentralen Argumentationsmustern ein Musterbeispiel für die Form früher Filmtheorien, wie sie ebenfalls von Autoren wie Lindsay (1916), Münsterberg (1916), Balázs (1924), Kuleshov (1974), Eisenstein (2006) oder Pudovkin (1954) entwickelt wird. 5.2.1 Film als Kunst »Der Gegenstand und der Verfasser dieses Buches sind etwa gleich alt. Rund fünfundzwanzig Jahre.« (Arnheim 1932/2002, S. 14) So eröffnet Rudolf Arnheim seine 1932 publizierte Untersuchung mit dem Titel Film als Kunst. Trotz seines jungen Alters blickt Arnheim bereits auf eine ansehnliche und vor allen Dingen erfahrungsreiche Karriere zurück. Seit Mitte der zwanziger Jahre arbeitet er zunächst als Mitarbeiter, dann als Kulturredakteur der Weltbühne. Als Film als Kunst erscheint, gilt Arnheim bereits als einer der profiliertesten Filmkritiker der Weimarer Republik. Neben seiner kulturjournalistischen Tätigkeit beschäftigt er sich mit Gestaltpsychologie und wird 1928 mit einer Arbeit über »Experimentell-psychologische Untersuchungen zum Ausdrucksproblem« promoviert. Film als Kunst ist das Fazit einer Schaffensperiode des Autors und Kritikers Rudolf Arnheim sowie zugleich ein filmästhetisches Schlüsselwerk der

136 F ILM ALS W ELTKUNST Stummfilmzeit (Diederichs 1979). Es steht im Zentrum der folgenden Analysen, weil es ein nahezu idealtypisches Beispiel für den Übergang des Filmkunstdiskurses von den frühen, populären Beschreibungen hin zu reflexionstheoretischen Identitätskonstruktionen ist: Einerseits bleibt es aufgrund seiner zentralen Prämissen, etwa der Annahme, Film könne einzig durch Abweichung von der Wirklichkeit zur Kunst werden, dem Diskurs der 1910er Jahren verhaftet. Andererseits geht Arnheim über den Diskussionsstand dieser Zeit weit hinaus, indem er die filmspezifischen Gestaltungsmittel in einen theoretischen Zusammenhang stellt und in einem Medienbegriff fundiert. Er formuliert eine der ersten Identitätsbeschreibungen des Subsystems Filmkunst, die sich nicht auf einzelne Aspekte beschränkt, sondern im Gegenteil den Versuch unternimmt, sämtliche Einzelbeobachtungen in einen einheitlichen begrifflichen Zusammenhang zu stellen. Arnheims Werk ist demnach eine der ersten ausgearbeiteten Reflexionstheorien der Filmkunst. Es kombiniert und verdichtet die zunächst populären, journalistischen Beschreibungen und später dann die semantisch ambitionierteren, begrifflich gearbeiteten Beschreibungen des Films zu einer Theorie des Films als Medium der Kunst und markiert die dritte Phase in der Genealogie des Filmkunstdiskurses. 5.2.2 Antimimetischer Konsens Carroll identifiziert in den ästhetischen Theorien der Jahrhundertwende die geteilte Überzeugung, dass »a work of art was not essentially a copy, a duplicate, or a reproduction of reality. [...] In short, the artwork must in some detectable way [...] diverge from the real thing.« (Carroll 1988, S. 24) Im Geiste dieser Theorie bestritten die Kritiker des Films dessen Kunstcharakter, da sie keinen Unterschied zwischen dem, was ein Film zeigt, und der Realität, die er abbildet, zu erkennen vermochten (ebd., S. 24). Dabei unterscheidet sich die Argumentationsstruktur der Autoren jeweils danach, welche etablierte Kunstart sie als Referenz voraussetzen. Aus Sicht der Theorien der Bildenden Kunst ist Film somit ein rein mechanischer Vorgang, der es verunmöglicht, dass sich Charakter und Intelligenz eines Künstlers in einem photographischen Werk ausdrücken können (ebd., S. 21). Diese These kontinuiert die Kritik, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bereits an die Adresse der Photographie formuliert worden war. Der argumentative Ausgangspunkt ist hier ebenfalls, dass die Imitation der

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Natur nicht das Ziel von Kunst sei. Da Photographie mit der mechanischen Reproduktion von Realität identifiziert wurde, folgt auch aus dieser Sichtweise, dass Photographie keine Kunst sein kann (ebd., S. 21). Interessanterweise wird dieses Argument in einem von Carroll zitierten Beispiel auch auf ein Gemälde bezogen, dem attestiert wird keine Kunst zu sein, da es in der Manier von Film und Photographie gemalt worden sei und deshalb bloß eine Reproduktion der Realität darstelle (ebd., S. 23 f.). Dies zeigt, dass sich die Semantik der Photographie und der Kinematographie von einer Referenz auf technische Apparate, wie Kamera und Projektor, löst und ein Eigenleben zu entwickeln beginnt. In der Folge werden dann ebenfalls Sachverhalte mit dieser Semantik beobachtbar, die in technischer Hinsicht keine Ähnlichkeit mit Photographie beziehungsweise Film aufweisen. Aus Sicht der zeitgenössischen Ästhetik des Theaters lautet das Argument gegen den Kunststatus des Films schließlich, es handele sich um eine bloße mechanische Aufzeichnung von Theateraufführungen: Hier wird argumentiert, dass der Film selbst keine Kunst sei, sondern einzig als Medium der Aufzeichnung und Wiedergabe von theatralen Kunstwerken fungieren könne (ebd., S. 25). Dieses Argument wird wiederum mit Verweis auf die alleinige Befähigung des Films zur mechanischen Aufzeichnung und Wiedergabe der Realität begründet. Carroll weist darauf hin, dass diese Kritik speziell auf die zeitgenössischen film d’art zielte. Hierbei handelte es sich um »unflinching recordings of great performers [...] with stationary cameras stolidly cranking away from a centered position roughly the distance from the middle of the orchestra ring to the theater stage« (ebd., S. 25). Diese Argumentation wird von den frühen Filmtheorien schließlich über den film d’art, die gefilmten Theatervorstellungen, hinaus generalisiert und behauptet, jeder Film oder zumindest jeder »enacted fiction film« sei abgefilmtes Theater (ebd., S. 26). Diese generalisierende Einschätzung hatte bis zur Jahrhundertwende einigen Gegenhalt in der operativen Realität, entstanden doch erst mit Werken von Regisseuren wie D.W. Griffith die basalen Konventionen des Films, namentlich der Schnitt und spezifische Formen des filmischen Erzählens (ebd., S. 26). »These two charges—that film is but mechanical recording either of reality or else of theater—form the fundamental problematic with which most major silent-film theorists concern themselves.« (Ebd., S. 26)

138 F ILM ALS W ELTKUNST Wie reagieren Stummfilm-Theorien auf diese Einwände? Sie akzeptieren die Voraussetzung, von der die Kritiker des Mediums Film ausgehen, namentlich, dass reine Reproduktion und das Herstellen von Kunst sich wechselseitig ausschließen. Deshalb versuchen sie in ihren Theorien zu beweisen, dass Film gerade nicht in der reinen Reproduktion von »etwas« besteht, sondern dass seine wichtigste Rolle beziehungsweise sein zentraler Wert in der Produktion von Kunst liegt. Kurz: Die Stummfilm-Theoretiker übernehmen den KunstBegriff derjenigen, die den Film nicht als Kunst verstanden wissen wollen, und argumentieren folglich, dass Film nicht mechanische Reproduktion (von Realität oder Theateraufführungen) sei und somit durchaus als Kunst anzusehen sei (Carroll 1988, S. 26 f.). Aus diesem Grund beschäftigen sich die Stummfilm-Theorien vor allen Dingen mit einem Thema: »[W]ays in which the devices and conventions of cinema diverge from mere recording in such a fashion as to allow the emergence of expressive or formal qualities.« (Ebd., S. 27)

In der Umsetzung bedeutet dies, dass diese Theorien vornehmlich beschreiben, in welcher Weise die Prozesse des kinematographischen Ausdrucks von der reinen Aufzeichnung und Wiedergabe der normalen sinnlichen beziehungsweise visuellen Wahrnehmung abweichen (ebd., S. 27). Carroll sieht den Grund hierfür darin, dass Theater und Film um dasselbe Publikum konkurrieren, wohingegen dies im Falle der Bildenden Kunst und des Films nicht der Fall sei (ebd., S. 27 f.). Von diesen beiden Kunstarten, deren Vertreter dem Film unterstellten, einzig und allein ein Mittel zur mechanische Reproduktion zu sein, beschäftigen sich die Filmtheorien wesentlich stärker mit dem Theater. Im Zentrum ihrer Abgrenzungsbemühungen gegenüber anderen Kunstarten steht der Versuch zu zeigen, dass Film nicht bloße photomechanische Reproduktion dramatischer Kunst ist, sondern über künstlerische Potentiale verfügt, die das Theater nicht besitzt (ebd., S. 27 f.). Mit ihrer Betonung der manipulativen Seiten des neuen Mediums reflektieren die ersten Filmtheoretiker, wie Carroll hervorhebt, den Ethos der Stummfilmzeit. Auch »ambitious filmmakers« hatten das Ziel, den Film als Kunstform zu etablieren. Um dem Film einen legitimen Platz in der westlichen Kultur zu schaffen, versuchten auch sie zu zeigen, dass das Filmmedium

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zur Kunst befähigt ist. Die beiden wichtigsten Strategien waren das Imitieren etablierter Kunstarten und der Versuch, die vorgefundene Realität zu formalen oder expressiven Zwecken zu manipulieren. Dies galt um die Wende vom 19. zum 20 Jahrhundertwende als »the ends of art« (ebd., S. 28 f.). Erst die ökonomisch motivierte Durchsetzung des Tonfilms als nahezu alternativlose Form von Filmproduktion ab den 1930er Jahren wird diese Auffassung sowohl in der Theorie wie der Praxis der Filmkunst nachhaltig verändern. Entsprechend zeigen sich die Konvergenzpunkte frühen filmtheoretischen Argumentierens besonders deutlich im Kontrast zu den ab den 1930er Jahren zunehmend an Relevanz gewinnenden Tonfilmtheorien. Autoren wie Bazin argumentieren, dass die Kunst des Films insbesondere in der Fähigkeit zur mechanischen Reproduktion der Wirklichkeit liege (ebd., S. 26). Die Theoretiker des Tonfilms grenzen sich nicht länger gegen Positionen ab, die den Kunststatus des Films bestreiten, sondern formulieren eine Differenz im Horizont des bereits etablierten Konsens’, dass Film ein eigenständiges Kunstmedium darstellt. Sie markieren damit den Moment, in dem sich die Filmkunsttheorien primär wechselseitig beobachten. Eine Theorie gewinnt ihr Profil nun vor allen Dingen durch die Abgrenzung von anderen kognitiven Angeboten desselben Typs. 5.2.3 Kontext und Spezifika von Film als Kunst Arnheims Monographie zeichnet sich gegenüber der Vielzahl weiterer ästhetischer Pamphlete, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts für oder wider die Filmkunst argumentieren, in dreierlei Hinsicht aus: Erstens handelt es sich um diejenige Filmtheorie, die zum gegebenen historischen Zeitpunkt ein ungewöhnlich hohes Maß an Komplexität entfaltet. Damit soll kein Urteil über die Güte dieser Theorie gefällt werden, sondern allein angezeigt sein, dass es sich im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Filmtheorien um denjenigen Ansatz handelt, der die größte Vielfalt an Aussagen über den Film eröffnet, d. h. die größte theorieinterne Komplexität aufweist. Dabei verfügt die Theorie durch den Rekurs auf die Gestaltpsychologie über einen theoretisch reflektierten Begriffsapparat, ohne jedoch Film als bloßes Beispiel einer allgemeineren Theorie zu behandeln. Im Vordergrund steht für Arnheim stets der Untersuchungsgegenstand Film als Kunst, nicht, wie etwa im Falle Münsterbergs, der mit The Photoplay bereits 1916 eine

140 F ILM ALS W ELTKUNST ähnliche Untersuchung vorlegt, die Kohärenz der theoretischen Beschreibung (J. Anderson/B. Anderson 1996, S. 347, 366). Arnheims Theorie zeichnet sich zweitens durch die Spannbreite der berücksichtigten Filme aus. Wie Scharmann (2005, S. 6) betont, fällt an den kunsttheoretischen Texten von Rudolf Arnheim insgesamt die große Offenheit gegenüber den Entwicklungen zeitgenössischer Kunstproduktion auf: »Arnheim [war] einer der wenigen Kunsttheoretiker, die die zeitgenössische Kunst in ihre Betrachtungen mit aufnahmen, sich für die verschiedenen neuen Kunstformen seiner Zeit engagierten. Ernst Gombrich war zeitlebens skeptisch gegenüber der modernen Kunst, Erwin Panofsky verfaßte insgesamt einen Aufsatz zum Film, Theodor W. Adorno verteufelte die Jazz-Musik. Siegfried Kracauer sah das Kino als soziologische Verlängerung des Theaters.« (Ebd., S. 6)

Diese Offenheit zeigt sich auch in Film als Kunst, das den Anspruch hat, auch jeden Durchschnittsfilm als Kunstwerk – wenn auch möglicherweise als misslungenes – beobachten zu können. Arnheims Werk ist damit von allen frühen Filmtheorien diejenige, deren Aussagen sich auf die größte Zahl und vor allen Dingen Vielfalt von Filmen bezieht. Aus gesellschaftstheoretischer Perspektive bedeutet dies, dass sich Film als Kunst durch ein höheres Potential zur Verarbeitung von Umweltkomplexität vom Gros filmtheoretischer Schriften seiner Zeit unterscheidet. Und drittens ist es eine der Theorien, die auch in späteren Diskursen über Filmkunst und bis heute referenziert wird. Dies betrifft sowohl den genuin filmästhetischen Diskurs wie auch benachbarte Disziplinen, insbesondere die amerikanische Kommunikationsforschung (vgl. zu letzterem Wilke 1991, S. 348 ff.). Dudley (1976, S. 27) betont, wiederum im Kontrast zu Münsterberg, die langfristige Anschlussfähigkeit von Film als Kunst: »Hugo Munsterberg’s ideas, no matter how advanced or cogent, had little effect on subsequent film theory. Rudolf Arnheim, many of whose notions are substantially the same as Munsterberg’s in The Photoplay: A Psychological Study, has on the contrary had a vast effect. As Arnheim’s reputation in the field of art criticism and psychology of perception has grown, so has interest in Film as Art, the small book he published (originally in German) in 1932.« (Ebd., S. 27)

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Arnheims Theorie erweist sich demnach im historischer Zeitverlauf, trotz der sich wandelnden operativen Komplexität der Werke als anschlussfähig im Selbstbeschreibungsdiskurs der Filmkunst. Zugleich ist die Theorie in entscheidenden Hinsichten ihren zeitgenössischen »Konkurrenten« durchaus sehr ähnlich: Dies betrifft, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, sowohl eine Reihe von Prämissen, wie die Annahme, Film könne nur dann Kunst sein, wenn er nicht allein Wirklichkeit reproduziere, wie auch die präferierten argumentativen Muster beziehungsweise rhetorischen Strategien, insbesondere den Rekurs auf den paarweisen Vergleich des Films mit bereits etablierten Kunstarten. In Film als Kunst führt Arnheim eine polemische Auseinandersetzung mit den frühesten Debatten um den Status des Films als Kunst/Unkunst (Carroll 1988, S. 19). Die grundlegenden Topoi der arnheimschen Argumentation geben zu erkennen, in welchem Ausmaß Film als Kunst noch durch die Prämissen und argumentativen Strategien der feuilletonistischen Filmkunstdebatte der 1910er Jahre geprägt ist. Die zentrale Streitfrage dieser Debatte, ob der Film allein in der Lage ist, Realität zu reproduzieren oder darüber hinaus ein Potential zur künstlerischen Gestaltung eröffnet, stellt ein semantisches Erbe der Diskussionen über den Status der Photographie im 19. Jahrhundert dar (ebd., S. 20 ff.). Der zentrale Vorwurf an die Adresse der Photo- wie der Kinematographie lautet, es handele sich allein um Mechaniken, die der Reproduktion der Realität dienten. Das Argument wird in jeweils variierter Form im diskursiven Kontext der Bildenden Kunst einerseits und des Theaters andererseits verwendet. Der Diskurs der Bildenden Kunst beschreibt Film als Mittel zur Reproduktion der visuellen Normalwahrnehmung, das dem Künstler keine Möglichkeit zum subjektiven Ausdruck gewähre. Im zweiten Fall, der sich auf das Theater bezieht, wird Film auf die Rolle als Aufzeichnungsmedium von Theatervorstellungen reduziert. Arnheim und andere Filmtheoretiker der 1920er Jahre sehen vor dem Hintergrund dieser Debatten ihre Aufgabe darin, das Vorurteil zu entkräften, Film sei »mere mechanical reproduction« und zu begründen, dass der Film künstlerisches Potential besitzt (ebd., S. 20). Die Filmtheorien reagieren somit auf die Gegner der Filmkunst, indem sie versuchen, den Beweis zu erbringen, dass Film nicht allein ein Mittel zur Reproduktion von Realität ist. Sie akzeptieren damit ebenfalls die Prämisse, dass Kunstproduktion und Realitätsreprodukti-

142 F ILM ALS W ELTKUNST on sich wechselseitig ausschließende Konzepte sind. Dies schlägt sich letztlich in der Argumentationsstruktur der frühen Filmtheorien nieder, die stets auf den Nachweis einer Divergenz zwischen Realität und Film zielen. Entsprechend weisen die beispielhaft analysierten Schriften von Arnheim und Lange (vgl. Kapitel 4.3.2), obschon sie konträre Auffassungen in der Frage vertreten, ob es sich im Falle des Films um Kunst handeln kann, deutliche Parallelen auf: Für beide Autoren ist die politisch motivierte und rechtlich kodifizierte Zensur des Filmes Anlass über das Verhältnis des Films zur Kunst zu reflektieren. Wichtiger noch als dieses geteilte Anfangsmotiv ist die Affinität beider Autoren in Hinblick auf die Konstruktion ihrer Argumente. Sowohl Lange als auch Arnheim reduzieren das Problem des spezifischen Potentials des Mediums Film auf die Frage, ob letzterer bereits etablierten Kunstarten ähnelt. Dementsprechend wird der Nachweis, dass der Film eine Kunstart ist oder umgekehrt, dass er keine ästhetisch relevanten Qualitäten besitzt, durch eine Reihe von Paarvergleichen mit etablierten Formen von Kunst erbracht. In diesen wird der Film jeweils direkt mit einer anderen Kunstart verglichen. In den in der vorliegenden Arbeit analysierten Texten von Arnheim und Lange steht der Vergleich mit dem Theater im Zentrum der Aufmerksamkeit. Als Vergleichsmaßstab dient dabei das Fiktionalitätspotential von Kinematograph und Bühne. 5.2.4 Zensur als Anlass ästhetischer Reflexion Arnheims Apologie der Filmkunst findet ihren Anlass ebenso wie die Schmähschrift von Professor Lange (vgl. Kapitel 4.3) in der juristischen Frage der Kinozensur: »Als im Jahre 1920 in der Weimarer Nationalversammlung das Lichtspielgesetz verhandelt wurde, war sich das deutsche Volk von links nach rechts einig in seinen Stämmen, daß auf die Filmproduktion der Daumen gehalten werden müsse. [...] und so ging denn das Gesetz durch, das über den Film einen bis auf den heutigen Tag aufrechterhaltenen Belagerungszustand verhängte.« (Arnheim 1932/2002, S. 14)

Für Arnheim basiert die rechtliche Einschränkung des Films auf dem Vorurteil, Film könne keine Kunst sein. Daraus ergibt sich für ihn, dass die Frage

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nach der Angemessenheit einer Zensur des Films vorrangig danach zu entscheiden ist, ob Film als Kunst angesehen werden kann. »Aber viele wertvolle, gebildete Menschen leugnen bis heute, daß der Film auch nur die Möglichkeit habe, Kunst zu sein. Sie sagen etwa: Film kann nicht Kunst sein, denn er tut ja nichts als einfach mechanisch die Wirklichkeit zu reproduzieren.« (Ebd., S. 24)

Arnheim übersetzt in dieser Passage ein juristisches in ein ästhetisches Problem, wohingegen Lange den umgekehrten Weg eingeschlagen hatte, indem er ein ästhetisches Urteil, nämlich die Kritik der Kino-Dramen, auf juristischem Wege durchsetzen wollte. Trotz der unterschiedlichen Haltung beider Autoren hinsichtlich der Frage, wie der ästhetische Status des Films einzuschätzen ist, können beide Fälle als Beiträge zur Selbstbeschreibung der Filmkunst angesehen werden. Denn sowohl Arnheim wie auch Lange konstruieren eine Identität der Filmkunst und bestreiten die Kompetenz des juristischen Diskurses, ein angemessenes ästhetisches Urteil fällen zu können, um stattdessen eine durch ästhetische Kategorien angeleitete Beschreibung des Films anzubieten. Letztlich erfüllen beide Selbstbeschreibungen, diejenige von Lange ebenso wie jene von Arnheim, die Funktion, das System der Filmkunst mit einer reduktiven Beschreibung seiner Selbst zu versorgen. Sie ermöglichen es dem System, seine eigene unstrukturierte und damit nicht beobachtbare Komplexität durch die Konstruktion einer legitimen Identität in operativ handhabbare Komplexität zu überführen. 5.2.5 Der Rezipient als Adressat der Theorie Arnheim unterscheidet zwei Zielgruppen, an die er sich jeweils mit einem bestimmten pädagogischen beziehungsweise aufklärerischen Anliegen wendet: einerseits adressiert der Text die »Mehrzahl der Gebildeten reiferen Alters« (ebd.), die dem Film »seine ordinäre Herkunft und die Ausschweifungen seiner Jugend nicht vergessen« (ebd.) wollen; andererseits wendet sich Arnheim ebenfalls an »viele junge Leute«, die »die Begeisterung für den Film nicht viel kostet, denn sie kommen nirgendwo her sondern akzeptieren einfach das Heutige. Ihnen will dieses Buch zeigen, daß die Filmkunst

144 F ILM ALS W ELTKUNST nicht vom Himmel gefallen ist[,] sondern nach denselben uralten Gesetzen und Prinzipien arbeitet wie alle anderen Künste auch; vielleicht daß das manch einen ermuntert, auch diesen andern Künsten mit größeren Erwartungen entgegenzukommen, als das im Zeitalter der Fußballklubs und Sturmabteilungen üblich ist.« (Arnheim 1932/2002)

Diese Beschreibung des Zielpublikums erweckt den Eindruck, Arnheim denke in Kategorien wie Milieu oder Generation und in Gegensätzen wie jung/alt oder gebildet/ungebildet. Doch Arnheim konstruiert die Differenzen zwischen sozialen Milieus und Generationen als unterschiedliche Rezeptionshaltungen gegenüber der Filmkunst. Somit definiert er soziale Milieus oder Generationen im Sinne unterschiedlicher prototypischer Rezeptionshaltungen gegenüber der Filmkunst. Nachdem nunmehr Kontext, Anlass und Adressat von Film als Kunst dargelegt worden sind, wende ich mich im Folgenden Arnheims Argumentation, also der Reflexionstheorie selbst zu. Im Zentrum steht dabei die Frage, mit welchen Leitunterscheidungen Arnheim die Filmkunst beobachtet; präziser, wie er Filmkunst als Beobachtungsobjekt überhaupt erst konstruiert. 5.2.6 Mechanische Reproduktion Carroll (1988, S. 31) weist darauf hin, dass Arnheim im Verlauf seiner Argumentation wiederholt auf das Konzept der »mechanischen Reproduktion« zurückgreift, diesem allerdings je nach argumentativem Kontext durchaus unterschiedliche Bedeutung zuschreibt: »Arnheim is not always consistent in what he takes his bête noir—mechanical recording—to be. Some of them [Definitionen des Begriffs mechanische Reproduktion, S.P.] are aimed at very different concepts of mechanical recording than others.« (Ebd., S. 31)

Insgesamt greift Arnheim laut Carroll (ebd., S. 31) auf drei unterschiedliche Bedeutungen des Konzepts »mechanische Reproduktion« zurück: In der ersten Bedeutungsvariante versteht Arnheim mechanisch im Sinne von »something like automatic, that is, not requiring imagination and skill to achieve proper results« (ebd., S. 31). Carroll (ebd., S. 31 f.) erläutert diese Verwendungsweise des Begriffs »mechanisch« anhand einer Passage aus Film als Kunst, in der Arnheim auf das Beispiel der Photographie eines Würfels

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zurückgreift: Diese könne, wie jede andere Photographie eines Objektes, in unterschiedlicher Qualität ausgeführt werden. Deshalb ließe sich nicht sagen, dass automatisch, d. h. allein durch den technischen Einsatz einer Kamera, eine angemessene photographische Abbildung eines Objektes erzielt werde. Vielmehr entschieden Fähigkeit und Phantasie des Photographen über Erfolg oder Misserfolg einer Photographie. Die zweite Bedeutung des Begriffs »mechanisch«, die Carroll (ebd., S. 32) in Arnheims Theorie identifiziert, bezieht sich auf die Exaktheit filmischer Realitätsreproduktion. Hier verwendet Arnheim »mechanisch« im Sinne von »perfectly replicating«. Auch diese Vorstellung von einer »mechanischen« Reproduktion der visuellen Realität weist Arnheim zurück. Film kann keine derartige Reproduktion der Realität leisten, sondern weiche vielmehr in entscheidender Hinsicht von der Beschaffenheit der Natur ab. So seien z. B. die meisten Filme in Schwarzweiß gedreht und somit nicht in der Lage, die Farbigkeit der Natur abzubilden. Schließlich versteht Arnheim »mechanisch« im Sinne von »identisch mit der Normalwahrnehmung der Welt« (»the way we normally perceive the world«). Es ist diese dritte, von der ursprünglichen Verwendungsweise deutlich abweichende Interpretation des Begriffs »mechanisch«, der für die von Arnheim formulierte Reflexionstheorie der Filmkunst tragende Bedeutung zukommt. Ein Beispiel für diese Verwendungsweise ist die Beschreibung des »loss of the constancy of size phenomenon«: Arnheim legt dar, dass in der normalen dreidimensionalen Wahrnehmung die Größenverhältnisse zwischen unterschiedlichen Objekten konstant bleiben, selbst wenn sich der Abstand zum jeweiligen Betrachter verändert. Im Film hingegen, der aus zweidimensionalen Bildern besteht, verändert sich die wahrgenommene Größe von Objekten in Abhängigkeit von ihrer Entfernung von der Kamera. Ein weiteres von Arnheim angeführtes Beispiel ist die Auflösung des Raum-Zeit-Kontinuums der normalen Wahrnehmung durch die Montage, also den Filmschnitt. Durch den Filmschnitt wird es, so Arnheim, möglich, Sprünge in Raum und Zeit zu vollziehen, die der normalen Wahrnehmung nicht zugänglich sind (ebd., S. 32 ff.). Während in der Entstehungszeit der ersten kinematographischen Apparate im ausgehenden 19. Jahrhundert gerade die Identität von optischer Normalwahrnehmung und technischer Reproduktion den Fluchtpunkt der Bemühungen der Erfinder darstellte (vgl. Kapitel 3.1), ist für Arnheim ganz im Gegenteil die Differenz von Realität und Reproduktion in der menschlichen Wahr-

146 F ILM ALS W ELTKUNST nehmung die Bedingung der Möglichkeit von Filmkunst. Die These, dass Film keine Aufzeichnung der optischen Realität ermöglicht, die mit der visuellen Wahrnehmung des Menschen identisch ist, bildet die Basis der arnheimschen Ästhetik des Films (Carroll 1988, S. 32). Die Differenz von Normalwahrnehmung und filmischer Reproduktion ist, wie wir im Folgenden sehen werden, die Leitdifferenz der in Film als Kunst entfalteten Reflexionstheorie. 5.2.7 Weltbild und Filmbild Arnheim verbindet in seinem Werk die Perspektive einer ästhetischen Filmkritik mit den Begrifflichkeiten einer wissenschaftlich argumentierenden Gestaltpsychologie, um den Beweis zu erbringen, dass der Film eine eigenständige Kunstart darstellt. Die Konzepte der Gestaltpsychologie dienen ihm dazu, den Nachweis eines prinzipiellen Unterschiedes zwischen der visuellen Normalwahrnehmung und dem Filmbild zu erbringen (Dudley 1976, S. 36 f.). In Anlehnung an Lessings Laokoon argumentiert Arnheim, dass der Film ein Kunstmedium eigener Art darstellt, dessen künstlerisches Potential sich aus der Differenz von Normal- und Filmwahrnehmung, in Arnheims Begriffen: Weltbild und Filmbild, ableitet. Die Differenz der zwei Bilder wird durch den Film gestiftet und ist zugleich die ihn definierende Differenz, da sie aus Arnheims Perspektive die Basis filmspezifischer Gestaltungsmittel wie Montage, Kameraeinstellung und Zeitraffer ist. Die Grundlage des künstlerischen Mediums Film ist in Arnheims Augen demnach eine gestaltpsychologisch beschreibbare Differenz zwischen zwei verschiedenen Typen von Bildern. Es ist diese Differenz zwischen realem Welt- und fiktionalem Filmbild, die Arnheim als Leitdifferenz des künstlerischen Mediums Film ansieht. Arnheim setzt die Frage, ob der Film Kunst sein kann, gleich mit der Frage, ob die einzige Leistung der technischen Erfindung Film darin besteht, die Wirklichkeit nach Art einer Mechanik aufzuzeichnen und wiederzugeben. Der Beweis, dass der Film das Zeug zur Kunst hat, wird dadurch zum Nachweis, dass der Film zu etwas anderem im Stande ist, als die Realität mechanisch zu reproduzieren. Gelingt es, das fiktionale Potential des Films aufzuzeigen, ist für Arnheim der Beweis erbracht, dass filmische Kunstwerke zumindest prinzipiell möglich sind. In der Argumentation, die dies zu zeigen sucht, spiegelt sich die biographische Interessenkonstellation von moderner, experimenteller Psychologie und Filmästhetik. So übersetzt Arnheim den kunsttheoretischen

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Gegensatz von Realität und Fiktionalität in eine durch die zeitgenössische Gestaltpsychologie informierte Unterscheidung von Normalwahrnehmung und filmischer Wiedergabe der Wirklichkeit. Die Fiktionalität des Filmbildes ergibt sich, so die These Arnheims, durch ihre Differenz zu der als real qualifizierten Normalwahrnehmung. Diese Abweichung des Filmbildes von der Normalwahrnehmung ist für Arnheim die Grundlage sämtlicher filmischen Kunstmittel: »Es lohnt sich die Mühe, den Einwand, Photographie und Film seien nur mechanisch reproduzierte Wirklichkeit und hätten daher nichts mit Kunst zu tun, gründlich und systematisch zu widerlegen. [...] Zu diesem Zwecke sollen hier die elementaren Materialeigenschaften des Filmbildes einzeln charakterisiert werden und mit den entsprechenden Eigenschaften des Wirklichkeitsbildes verglichen werden. Es wird sich dabei ergeben, wie grundverschieden beide sind und daß eben gerade aus diesen Verschiedenheiten der Film seine Kunstmittel schöpft.« (Arnheim 1932/2002, S. 24)

Arnheim geht demnach davon aus, dass die Differenz zwischen »Weltbild und Filmbild« (ebd., S. 24) die Voraussetzung dafür ist, dass der Film die Fähigkeit zum Kunstmedium hat. Diese laut Arnheim für das Kunstmedium Film konstitutive Differenz zwischen kognitiver Realität und fiktionalem Film arbeitet die Studie Film als Kunst en détail heraus. Exemplarisch für das Vorgehen des Autors ist folgende Passage über den »Wegfall der raum-zeitlichen Kontinuität« (ebd., S. 34): »In der Wirklichkeit spielt sich für den einzelnen Beschauer [...] jede Erlebniskette in einem geschlossenen räumlichen und zeitlichen Ablauf ab. Ich sehe etwa, wie zwei Menschen in einem Zimmer miteinander verhandeln. Ich stehe in vier Metern Entfernung. Ich kann die Entfernung ändern, kann näher herangehen, aber diese Änderung erfolgt nicht sprunghaft; ich kann nicht plötzlich nur noch in zwei Metern Entfernung sein, sondern muß die Strecke zwischen vier und zwei Metern Abstand durchlaufen. [...] Ähnlich steht es mit der Zeit. Ich kann nicht plötzlich sehen, was diese beiden Menschen zehn Minuten später miteinander tun, sondern diese zehn Minuten müssen voll verstreichen.« (Ebd., S. 34)

Die Wirklichkeit zeichnet sich in obiger Darstellung dadurch aus, dass es »für einen Beobachter keine Zeit- und keine Raumsprünge[,] sondern eine raum-

148 F ILM ALS W ELTKUNST zeitliche Kontinuität« (Arnheim 1932/2002, S. 34) gibt. Den Film stellt Arnheim sodann als genauen Gegensatz dieses »Wirklichkeitsbildes« (ebd., S. 24) dar: »Die gefilmte Zeitstrecke läßt sich an einem beliebigen Punkt abbrechen. Sofort darauf kann eine Szene vorgeführt werden, die zu völlig anderer Zeit spielt. Und ebenso läßt sich das Raumkontinuum unterbrechen. [...] Ich kann eben noch in Sidney gewesen sein und bin gleich darauf in Magdeburg. Ich brauche nur die betreffenden Filmstreifen aneinander zu kleben.« (Ebd., S. 34 f.)

Die Möglichkeit zum sekundenschnellen Sprung von Sidney nach Magdeburg begreift Arnheim als eine technisch bedingte Möglichkeit des Films. Die Freiheit, die sich aus der Auflösung der raum-zeitlichen Kontinuität der Normalwahrnehmung ergibt, wird dadurch eingeschränkt, »daß den Inhalt des Films eine Handlung bildet, die eine gewisse Einheitlichkeit des zeitlichen und räumlichen Ablaufs hat« (ebd., S. 35). Arnheim expliziert die These einer Einschränkung der raum-zeitlichen Sprünge durch die inhaltlichen Erfordernisse der Filmhandlung. Diese narrativen Notwendigkeiten fasst Arnheim in einer Reihe von »Faustregeln« zusammen, die er jeweils an Beispielen wie dem folgenden illustriert: »Innerhalb der einzelnen Filmszene besteht ein regelmäßiger Zeitablauf: das, was hintereinander steht, folgt auch zeitlich aufeinander [...] Zeige ich z. B. die Totalaufnahme eines Menschen, der einen Revolver hebt und abdrückt, so kann ich nun nicht danach noch einmal in Großaufnahme das Hochheben und Abdrücken des Revolvers zeigen, denn dies wäre ein Nacheinander von zeitlich identischen Vorgängen.« (Ebd., S. 35)

Diese Einschränkung der filmischen Möglichkeiten, das Raum-Zeit-Kontinuum aufzulösen, torpedieren nicht grundsätzlich die für Arnheim zentrale Differenz zwischen Weltbild und Filmbild. Denn stets bleibt es möglich, von den Faustregeln abzuweichen. Schließlich stellen diese keine Notwendigkeiten wie im Falle der kognitiven Imperative der Normalwahrnehmung dar. Es sind allein Konventionen in der Verwendung des Mediums Film, von denen durchaus abgewichen werden kann, ohne dass dies den Zusammenbruch der filmischen Realität zur Folge hätte.

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Die Differenz zwischen den Notwendigkeiten der Normalwahrnehmung und den Faustregeln filmischen Erzählens kann mit systemtheoretischen Begriffen als der Übergang von einem Wahrnehmungsmedium erster Ordnung (Sehen) zu einem kunstspezifischen Kommunikationsmedium zweiter Ordnung (Filmkunstkommunikation) beschrieben werden. In den Begrifflichkeiten der arnheimschen Reflexionstheorie formuliert heißt dies, dass die unterschiedlichen Varianten, in denen ein Filmbild vom Weltbild abweichen kann, die Basis neuer, genuin filmischer Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst bilden. Dieses abstrakte Konzept erläutert Arnheim am Beispiel einer frühen ChaplinSzene: »Innerhalb der einzelnen Szene darf das Zeitkontinuum nicht angetastet werden. [...] Zeige ich, wie ein Mensch von der Tür zum Fenster geht, so muß ich den Vorgang unverkürzt geben, darf nicht etwa den mittleren Teil unterschlagen, sodaß der Zuschauer den Schreitenden nur von der Tür fortgehen und dann, nach einem ruckartigen Bildsprung, beim Fenster ankommen sieht [...] Nur zur Erzielung bewußt grotesker Wirkungen läßt sich der Zeitausfall innerhalb einer Szene verwenden: Chaplin betritt die Pfandleihe und kommt in der nächsten Sekunde ohne Mantel wieder heraus.« (Ebd., S. 36)

In der von Arnheim zitierten Chaplin-Szene wird ein in der Normalwahrnehmung unmöglicher Zeitsprung eingesetzt, um einen genuin filmischen Ausdruck des Grotesken zu erzielen. Dass das Geschehen zwischen dem Betreten und dem Verlassen des Pfandleihers nicht zu sehen ist, stellt aus Arnheims Sicht kein Manko der filmischen Erzählung dar. Ganz im Gegenteil: Deren Wirkung wird vielmehr durch die Auslassung gesteigert, da sich die Handlung auf ihren Kern reduziert. Die Differenz zwischen der »vollständigen« Handlung, wie sie das Weltbild gibt, und der reduzierten Variante des Filmbildes, wird so laut Arnheim zu einem genuin filmischen Ausdrucksmittel. Arnheim nimmt diesen Gegensatz zwischen dem Raum-Zeit-Kontinuum der Normalwahrnehmung und dessen fiktionaler Auflösung im Filmbild zum Ausgangspunkt eines Vergleiches mit dem Bühnentheater. Ebenso wie Lange vergleicht Arnheim Filmwerke und Theaterinszenierungen in Hinblick auf das jeweils mögliche Ausmaß an Fiktionalität. Allerdings stehen sich beider Urteile diametral gegenüber. Für Arnheim ist erwiesen, dass es dem Film nicht

150 F ILM ALS W ELTKUNST an Fiktionalität mangelt, sondern dass das Kino das Theater in dieser Hinsicht sogar übertrifft: »Die raum-zeitliche Selbständigkeit gegenüber der Wirklichkeit ist beim Film sehr viel größer als beim Theater. Auch die Sprechbühne leistet es sich, eine Szene zu andrer Zeit und an anderm Ort spielen zu lassen als die vorhergehende. Aber die Szenen mit naturalistischer raum-zeitlicher Kontinuität sind sehr ausgedehnt, und innerhalb einer solchen Szene gibt es keinen Bruch.« (Arnheim 1932/2002, S. 37)

Theater und Film ähneln sich für Arnheim nicht allein darin, dass sie zu einem fiktionalen Spiel mit dem Raum-Zeit-Kontinuum in der Lage sind. Darüber hinaus teilen sie eine Eigenschaft, die Arnheim »partielle Illusion« nennt und an folgendem Beispiel erläutert: »Innerhalb einer Bühnenszene wird auf Natürlichkeit Wert gelegt: [...] In einem bürgerlichen Salon darf nicht plötzlich eine Petroleumlampe stehen, neben dem Bett der Desdemona kein Telephon. [...] Jedes Publikum lacht, wenn plötzlich eine Kulisse einfällt und sich herausstellt, daß die Zimmerwand bloß bemalte Pappe ist [...] Aber kein Publikum lacht, weil das Zimmer nur drei Wände hat. Die Abweichung vom Natürlichen wird soweit stillschweigend hingenommen, als die Technik des Schauspielens es erfordert. Das meinen wir, wenn wir sagen: die Illusion ist nur partiell.« (Ebd., S. 37 f.)

Dasselbe Amalgam von Realität und Fiktion sieht Arnheim im Film realisiert: »Er [der Film, S.P.] vermittelt bis zu einem gewissen Grade den Eindruck wirklichen Lebens (und da er, im Gegensatz zur Bühne, in der Tat wirkliches Leben, d. h. ungespieltes Leben vor echter Szenerie auffangen kann, kann diese Komponente umso stärker sein). Andererseits aber ist er so stark bildmäßig, wie die Bühne es nie sein kann. Durch den Wegfall der bunten Farben, des stereoskopisch zwingenden Raumeindrucks, durch die scharfe Abgrenzung des Bildrahmens etc. ist der Film seiner Naturhaftigkeit aufs glücklichste entkleidet. Er ist immer zugleich Schauplatz ›realer‹ Handlung und flache Ansichtskarte.« (Ebd., S. 38 f.)

Arnheim unterscheidet hier zwischen filmischen Mitteln und inhaltlichen Aussagen. Ein filmisches Mittel basiert stets auf der Differenz zwischen normaler und filmischer Wahrnehmung. Es ermöglicht einen filmeigenen Aus-

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151

druck, der allein aufgrund der Differenz zu möglichen anderen Filmformen vorstellbar ist. Diese These erläutert Arnheim am Beispiel einer Person, die so aus der Froschperspektive gefilmt wird, dass sie im Film als eine mächtige Figur erscheint. Die filmspezifische Form für »mächtige Figur« basiert somit auf zwei Differenzen. Einerseits der Differenz zwischen Normal- und Filmwahrnehmung und andererseits auf der Differenz zwischen unterschiedlichen, jeweils möglichen Differenzen zwischen Normal- und Filmwahrnehmung, d. h. dem Horizont alternativer Filmformen. Diese Kombination von zwei Differenzen konstituiert in der Beschreibung von Arnheim den Raum der filmischen Möglichkeiten, mithin das Medium Film. 5.2.8 Identität durch Reduktion Arnheims Beschreibung des Mediums Film zielt somit darauf, den Rahmen der legitimen Kunst über das bereits Etablierte und Akzeptierte hinaus zu erweitern. Film als Kunst plädiert für den Kunststatus des Films und damit für eine Ausweitung des Kanons von Medien, denen ästhetisches Potential zugeschrieben wird. Für Arnheim besteht eine der multiplen Rollen des Films darin, Kunst zu produzieren. Er vertritt nicht die Ansicht, jeglicher Film sei per se ein Kunstwerk, allerdings ist er überzeugt, dass bestimmte Filme als Kunstwerk angesehen werden sollten. Die Argumentation in Film als Kunst stellt entsprechend den Versuch dar, einen theoretisch untermauerten Nachweis zu führen, dass zwar nicht jeder Film, jedoch bestimmte einzelne Werke als Kunstwerk angesehen werden sollten. Arnheim vergleicht seine Haltung zum Film mit derjenigen zum Tanz: Auch auf diesem Gebiet fänden sich einerseits Fälle, die ebenso eindeutig wie einmütig als Kunst wahrgenommen würden, während zugleich Tänze, wie Striptease, existierten, die ganz eindeutig nicht der Kunst zugerechnet werden sollten. Arnheims Begriff des Mediums Film stellt eine zweifache Reduktion, genauer eine Selektivität in sachlicher Hinsicht dar. Die Definition des Mediums Film auf Basis der Leitunterscheidung Welt-/Filmbild und damit die Zentralstellung der Differenz zwischen der unmittelbar wahrgenommenen und der technisch reproduzierten audio-visuellen Realität ist die erste Reduktion. So arbeitet Arnheim heraus, in welcher Weise die filmische Repräsentation der Realität von der Normalwahrnehmung abweicht, und definiert auf dieser Ba-

152 F ILM ALS W ELTKUNST sis den Begriff des Kunstmediums Film. Zweitens stellt die Ausarbeitung der Theorie des Films als künstlerisches Medium selbst wiederum eine Reduktion dar, blendet sie doch alternative Möglichkeiten, Filmkunst zu definieren, und damit abweichende ästhetische Bewertungskriterien aus. Dies bedingt schließlich eine selektive Konstruktion des Kanons legitimer Filmkunstwerke. Luhmann analysiert die Funktion von Selbstbeschreibungen dahingehend, dass sie »eine Grenze innerhalb der Grenze, einen ›frame‹ im ›frame‹ des Systems« einziehen (Luhmann 1996a, S. 401). Der innerhalb des Systems von einer Selbstbeschreibung konstruierte frame bezieht sich auf die systeminterne Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz. Selbstbeschreibungen können demnach als Identitätskonstruktionen aufgefasst werden, die jeweils auf einer spezifischen Form der Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz aufruhen, die zugleich alternative Varianten, das Selbst des Systems von seiner Umwelt zu unterscheiden, ausschließt. Reflexionstheorien zeichnen sich im Unterschied zu Selbstbeschreibungen im Allgemeinen dadurch aus, dass sie die von ihnen postulierte Grenzziehung nicht allein mit lose verbundenen Beschreibungen, sondern mit Theoriemitteln, d. h. aufeinander abgestimmten Begriffen und einem entsprechenden Anspruch an die eigene Kohärenz, zu begründen versuchen. Allerdings bleiben Reflexionstheorien, unabhängig von ihrer argumentativen Qualität oder ihrer wissenschaftsinternen Anschlussfähigkeit, ebenso wie Selbstbeschreibungen im Allgemeinen stets irritierbar. Da jedes System auch für sich selbst intransparent und unberechenbar operiert, sind weder Selbstbeschreibungen noch Reflexionstheorien, die nur einen selektiven Ausschnitt der operativen Ebene des Systems in Rechnung stellen können, dauerhaft stabilisierbar. Sie können in ihrer Plausibilität stets durch die operative Realität des Systems in Frage gestellt werden. Bereits Arnheim greift auf ein Kriterium zurück, das auch von Luhmann (1996b, S. 123 f.) verwendet wird, um Kunst und Massenmedien, elitäre und populäre Formen kommunikativer Zerstreuung, voneinander zu unterscheiden, nämlich die Gewöhnlichkeit/Ungewöhnlichkeit des Formenarrangements, aus dem ein Werk besteht. Während sich die Unterhaltung in der Sicht von Arnheim und Luhmann dadurch auszeichnet, in redundanter Weise auf erprobte Kombinationen von Formen zurückzugreifen, experimentiert die Kunst beiden Autoren zur Folge mit neuen und damit riskanten Konstellationen.

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So beschreibt Arnheim mit Verweis auf Gropius die Werke der »Filmindustrie«, deren Prototyp seit den 1920er Jahren das Studiosystem in Hollywood ist, als Industriewaren. Der industrielle Charakter zeige sich in der Serialität der Produktionsweise. Jeder Film sei zwar ein Unikat, allerdings nur in dem eingeschränkten Sinn, dass er eigenständig Elemente kombiniere, die jedoch, jedes für sich genommen, bereits in anderen Filmen verwendet worden seien: »Walter Gropius hat einmal den Einfall gehabt, man könne in Serienfabrikation Häuser herstellen, die nicht alle gleich sondern sogar recht verschieden aussähen, die aber alle aus denselben Elementen zusammengestellt wären [...] Genau nach diesem Prinzip fertigt die Filmindustrie ihre Ware. [...] Immer wieder sieht man Verkleidung, Verheimlichung, Rettung in letzter Minute, Konkurrenzwerben um eine Frau, falschen Verdacht, Erbschaften, Verfolgungen – es wäre nicht schwer, eine Tabelle aufzustellen, in die sich jeder dieser Filme einordnen ließe, ja mit deren Hilfe es, ähnlich wie bei dem periodischen System der chemischen Elemente, möglich wäre, Lücken aufzuweisen und rechnerisch zu ermitteln, welche Filmhandlungen noch zu erfinden seien.« (Arnheim 1932/2002, S. 160 f.)

Arnheim (ebd., S. 161) sieht dies als eine Form von »Inzucht« und somit als eine »ernstliche Gefahr« an: »Die Manuskriptautoren scheinen der Sphäre unserer Welt völlig entrückt. Der Stoff, aus dem sie ihre Anregungen schöpfen, entstammt nicht der Wirklichkeit sondern den Filmen, die mit Erfolg gelaufen sind.« (Ebd., S. 161)

Dieser kurze Kommentar ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Arnheim unterscheidet wie seine Kontrahenten aus dem Lager der bürgerlichen Kinogegner, die das künstlerische Potential des Films bestreiten, zwischen Kunst und Nicht-Kunst, allerdings zieht er die Grenze nicht zwischen Bühne und Leinwand, sondern konstruiert eine Differenz zwischen unterschiedlichen Typen von Filmen. Im Unterschied zu Arnheims Vorgehen zeichnet sich die bürgerliche Kinokritik durch eine in sachlicher und sozialer Hinsicht stabilere und damit zugleich weniger anpassungsfähige Abgrenzung aus. Sie bestreitet prinzipiell, dass Film über künstlerische Qualitäten verfügen könne, wohingegen Arn-

154 F ILM ALS W ELTKUNST heim allein bestimmten Werken, die er als schlechte Filme ansieht, den Status »Kunst« abspricht. Darüber hinaus gibt die Gegenüberstellung von Theater und Kino dem kinokritischen Diskurs eine organisatorische Referenz, die, da Theater und Kino zu dieser Zeit klar unterscheidbare Institutionen sind, zugleich sachlich stabil ist und einen sozialstrukturellen Gegenhalt in der klassenspezifischen Rekrutierung der jeweiligen Publika hat (wie umgekehrt Theater und Kino zentrale Dispositive der Ausbildung schichtspezifischer Rezeptionshaltungen sind). Arnheim greift weder auf eine mediale Differenz, wie Bühnendrama/Filmdrama, noch auf eine Unterscheidung von Institutionen, wie Theater/Kino, zurück. Er bewegt sich mit seinem Urteil allein auf der Ebene der Filme. Arnheims Theorie des Films als künstlerisches Medium leistet allerdings keine vollständige Beschreibung des Systems Filmkunst, sondern konstruiert ein kontingentes Bild der septième art. Trotz ihrer notwendigen Selektivität handelt sich um eine Beschreibung der Identität der Filmkunst, die die Funktion einer Reflexionstheorie erfüllt. Selbstbeschreibungen basieren stets auf einer selektiven Beobachtung des Systems, dessen Identität sie zu fixieren suchen. Arnheims Darstellung des Films als künstlerisches Medium entspricht dieser Regel: Ausgeblendet beziehungsweise verworfen werden von Arnheim sowohl andere Verwendungsweisen des technischen Mediums Film als auch alternative Möglichkeiten, Filmkunst zu definieren. Allerdings ist es gerade diese Selektivität, die als Bedingung der Möglichkeit der Ausarbeitung einer systemeigenen Identität fungiert.

5.3 Z WISCHENFAZIT In der dritten und letzten Phase der Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst etabliert sich der Spielfilm als weltweiter Standard filmischer Kommunikation. Diese kulturindustrielle Standardisierung des Spielfilms eröffnet die Möglichkeit zu genuin filmkünstlerischer Kommunikation, d. h. zur operativen Ausdifferenzierung der Filmkunst in der Weltkunst auf Basis eines eigenlogisch operierenden Mediums zweiter Ordnung der Kunst (vgl. Kapitel 5.1). Die Monographie Film als Kunst von Rudolf Arnheim ist eine der ersten Selbstbeschreibungen des sich ausdifferenzierenden Subsystems der Kunst, die sich nicht auf einzelne Aspekte beschränkt, sondern den Versuch unter-

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nimmt, sämtliche Einzelbeobachtungen in einen einheitlichen begrifflichen Zusammenhang zu stellen. Es handelt sich deshalb um eine der ersten Reflexionstheorien der Filmkunst (vgl. Kapitel 5.2). Arnheims Werk steht im Kontext der zeitgenössischen Debatten über den Kunststatus des Films. In diesen ist das Hauptargument gegen die Befähigung des Films zur Kunst, dass dieser eine bloße mechanische Reproduktionstechnik sei, die keinen subjektiven Ausdruck zulasse. Dieses Argument fußt auf der impliziten, von Gegnern wie Befürworten der Filmkunst geteilten Prämisse, Kunst und Reproduktion schlössen sich wechselseitig aus. Dies schlägt sich letztlich in der Argumentationsstruktur der frühen Filmtheorien nieder. So argumentiert Arnheim mit gestaltpsychologischen Konzepten sowie in Anlehnung an Lessings Laokoon, um den Nachweis einer Differenz zwischen Realität und filmischer Aufnahme zu führen und so das künstlerische Potential des Films zu belegen. Obschon die frühen Filmästhetiken über den populären Diskurs der 1910er Jahre hinausgehen, indem sie sämtliche filmspezifischen Gestaltungsmittel in einen theoretischen Zusammenhang stellen und in einem Medienbegriff fundieren, verbleiben sie zugleich mit ihrer zentralen Prämisse, Film könne nur dann Kunst sein, wenn er nicht einzig und allein Reproduktion der optischen Wirklichkeit leiste, semantisch der Vorkriegszeit treu. Die entscheidende produktive Differenz besteht demnach in den 1920er Jahren nicht länger zwischen Befürwortern und Gegnern des Films, sondern zwischen der operativen Logik des Films einerseits, die sich nunmehr primär im Rahmen des Spielfilm-Formats reproduziert, und der Ebene der Selbstbeschreibung, die weiterhin durch Semantiken einer operativ überholten Zeit zentral konditioniert ist, andererseits. Zusammenfassend lässt sich demnach sagen, dass die ersten ästhetischen Theorien des Films, die den Beginn spezifisch filmkünstlerischer Reflexionstheorien markieren, vor dem Hintergrund einer Ungleichzeitigkeit von Struktur und Semantik der Filmkunst formuliert werden. Während der Wechsel zum Hollywood-Studiosystem als primärem Anlehnungskontext filmischer Kommunikation einen grundlegenden Bruch gegenüber den Bedingungen darstellt, unter denen in der Vorkriegszeit Filme produziert, distribuiert und rezipiert wurden, überwiegen auf semantischer Ebene die Kontinuitäten sowohl hinsichtlich der verwendeten Begriffe als auch in Bezug auf die als relevant erachteten Problemstellungen.

6 Ausdifferenzierung der Filmkunst in der Moderne

Die Ergebnisse der historischen Fallstudien sollen zum Abschluss noch einmal in Hinblick darauf befragt werden, welche über den empirischen Einzelfall hinausgehende Erkenntnisse die Analyse der Entstehung der Filmkunst erbracht haben und welche weiterführenden Forschungsperspektiven sich auf dieser Basis eröffnen. Hierzu werde ich in einem ersten Schritt zunächst die Beobachtungen der einzelnen Fallstudien unter der Leitfrage nach den jeweils unterschiedlichen Konstellationen von struktureller Einbettung, medialer Entwicklung und semantischer Reflexion zusammenfassend darstellen, um aufzuzeigen, wie die Ausdifferenzierung der Filmkunst auf jeder der drei Ebenen in unterschiedlichen Phasen durch Veränderungen auf den jeweils anderen Ebenen ermöglicht beziehungsweise konditioniert wird (vgl. Kapitel 6.1). Nach dieser vergleichenden Analyse der einzelnen Phasen der Ausdifferenzierung werfe ich in einem zweiten Schritt einen Blick auf den gesamten Ausdifferenzierungsprozess der Filmkunst, um auf drei Grundmuster, nämlich den Wandel von Anlehnungskontexten, die Ausdifferenzierung im Horizont anderer Kunstarten und die Kontinuitäten der ideengeschichtlichen Entwicklung hinzuweisen (vgl. Kapitel 6.2). Schließlich sollen drittens und abschließend die Beobachtungen zur Entstehung der Filmästhetik im Kontext der strukturellen wie medialen Ausdifferenzierung der Filmkunst noch einmal grundsätzlicher auf das Verhältnis von soziologischen Beschreibungen und Selbstbeschreibungen bezogen und nach der kunstsoziologischen wie gesellschaftstheoretischen Generalisierbarkeit der in den historischen Fallstudien gewonnen Ergebnisse gefragt werden (vgl. Kapitel 6.3).

158 F ILM ALS W ELTKUNST

6.1 P HASEN

DER

AUSDIFFERENZIERUNG

Die historischen Fallstudien (vgl. Kapitel 3–5) haben die Ausdifferenzierung der Filmkunst in drei aufeinanderfolgenden Phasen und auf drei parallelen Ebenen untersucht. Jede Phase der Ausdifferenzierung ist durch eine spezifische Konstellation von Beziehungen zwischen diesen Ebenen gekennzeichnet. Die historischen Phasen der Ausdifferenzierung unterscheiden sich demnach erstens auf struktureller Ebene durch einen je spezifischen Anlehnungskontext der Film(kunst)kommunikation, zweitens auf medialer Ebene im Hinblick auf die im Medium Film konstruierbaren Formen (Kommunikation durch Film beziehungsweise Filmkunst) und drittens auf der Ebene der Selbstbeschreibungen (Kommunikation über Film beziehungsweise Filmkunst) durch eine Verschiebung der semantischen Vergleichshorizonte. Im Folgenden sollen anhand der drei in den historischen Fallstudien untersuchten Phasen der Entstehung der Filmkunst die zentralen Konstellationen von struktureller, medialer und Selbstbeschreibungsebene, die den Ausdifferenzierungsprozess der neuen Kunstart tragen, skizziert werden. 6.1.1 Phase 1: Vom Apparat zum Medium In der ersten Phase (vgl. Kapitel 3) führt die technische Perfektionierung diverser optischer Apparate, die entweder zum Zwecke der reproduzierenden Wiedergabe oder der Analyse von Bewegungen beziehungsweise »des bewegten Lebens« konstruiert werden, zu einer neuen Form von Spektakel. Die neuen Apparate erhalten rasch einen prominenten Platz auf dem Jahrmarkt, in den Varietés und Illusionstheatern der Jahrhundertwende. Der Anlehnungskontext massenmedialer Unterhaltung beobachtet den Film nicht als Dokument der Realität, sondern begreift ihn als Kommunikationsmedium, das zur raschen Erfindung immer neuer Formen auffordert, um das Interesse des Publikums zu befriedigen. Binnen kurzer Zeit vervielfachen sich die operativ verfügbaren Anschlussmöglichkeiten der Kommunikation durch Film. Im Vergleich zu diesem hohen Tempo der Variation auf operativer Ebene zeichnet sich die Kommunikation über Film zunächst durch ihre relative Trägheit, d.h. das Festhalten an tradierten Semantiken, aus. So klassifiziert etwa Méliès seine Werke trotz des formal-medialen Traditionsbruchs weiterhin mit Rückgriff

AUSDIFFERENZIERUNG DER F ILMKUNST IN DER M ODERNE

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auf kunsthistorische Semantiken, wenn er von „sujets“ spricht oder seine Produktionsstätte als Vereinigung von Photoatelier und Theaterbühne beschreibt. 6.1.2 Phase 2: Kinotheater und Spielfilm In der zweiten Phase (vgl. Kapitel 4) lässt sich ein Wandel von einer in der filmhistorischen Forschung als Kino der Attraktionen bezeichneten Phase hin zum narrativen Spielfilm feststellen. Während das Kino der Attraktionen strukturell zentral durch den Wechsel des Anlehnungskontextes von der Wissenschaft hin zur volkstümlichen Unterhaltung geprägt ist, zeichnet sich die zweite Phase durch die Etablierung der neuen Institution des ortsfesten Kinos aus, das zwar den zentralen Bezug zur massenmedialen Unterhaltung beibehält, diesen allerdings stärker organisiert und zugleich um explizite Bezugnahmen auf Formen der Kunst, allen voran das bürgerliche Theater, erweitert. Nunmehr wird das neue Medium Film explizit mit der Frage nach seiner künstlerischen Legitimität konfrontiert. Prototypisch zeigt sich dieser Konflikt in der Kino-Theater-Debatte, die um die Frage kreist, ob Film eine eigenständige Kunstart darstellt. Die Beschreibungen verhalten sich nunmehr nicht allein deskriptiv, sondern bewerten das operative Geschehen. Diese bewertenden Formen der Selbstbeschreibung greifen, wie auch schon zuvor Méliès, auf den Vergleich mit spezifischen anderen Kunstformen, allen voran mit dem Bühnendrama, zurück, um das neue Medium Film auf den Begriff zu bringen. 6.1.3 Phase 3: Kulturindustrie In der dritten Phase (vgl. Kapitel 5) stehen sich schließlich nicht länger Gegner und Befürworter der Filmkunst gegenüber, sondern es konkurrieren divergente Perspektiven auf Filmkunst. Die Diskussion kreist nun primär um die »richtige« Form und nicht länger um die Existenz der Filmkunst. Im Vordergrund der Auseinandersetzungen steht nicht mehr die Frage, ob der Film eine eigenständige Kunstart darstellt, sondern die Filmtheoretiker dieser Zeit diskutieren vielmehr darüber, wie dieser Status begründet und darüber hinaus die Konturen sowie Grenzen dieser neuen Kunst deskriptiv bestimmt und der Gehalt ihrer Werke normativ bewertet werden können. Kurz gesagt: Es beginnt eine eigenständige, allein auf Filmkunst bezogene Ideenevolution. Der me-

160 F ILM ALS W ELTKUNST diale Kontext, der als Bedingung der Möglichkeit dieses Überganges zu einer eigenständigen Entwicklung des Filmkunstdiskurses fungiert, ist die Durchsetzung des abendfüllenden Spielfilms als Kompaktkommunikation der Filmkunst.

6.2 M ECHANISMEN

DER

AUSDIFFERENZIERUNG

Der gesellschaftstheoretische Problemhintergrund der vorliegenden Arbeit betrifft die Frage nach den Möglichkeiten einer Beschreibung der Historizität der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft mit den begrifflichen Mitteln der Systemtheorie. Auf den ersten Blick erweist sich ein solches Unterfangen als schwierig, da Luhmann von einem irreversiblen Strukturbruch am Beginn der Moderne ausgeht, der sodann die semantischen Entwicklungen einseitig determiniert. Die vorliegende Arbeit schließt hier an die Kritik von Stäheli, Stichweh und Kaldewey an und diagnostiziert eine zweifache Beschränkung der luhmannschen Perspektive, da diese erstens historische Veränderungen in der modernen Gesellschaft selbst und zweitens die Variabilität des Verhältnisses von Struktur und Semantik ausblendet (vgl. Kapitel 2). Die Fallstudien zur Entstehung der Ästhetik wie Kunst des Films stellen den Versuch dar, mit modifizierten systemtheoretischen Mitteln die historischen Wandlungsprozesse der modernen Gesellschaft selbst in den Blick zu nehmen. Im Folgenden sollen die Erkenntnismöglichkeiten dieser die Moderne selbst historisierenden Perspektive in Form von drei Thesen zur Ausdifferenzierungsdynamik der Filmkunst, die als prototypischer Fall von historischer Veränderung in der modernen Gesellschaft angesehen werden kann, reflektiert werden. Dabei werde ich zunächst auf die Bedeutung des Wandels und der Pluralität der Anlehnungskontexte eingehen, um sodann die zentrale Bedeutung der Referenz auf spezifische andere Kunstarten zu beschreiben und abschließend die These zu formulieren, dass sich eine ideengeschichtliche Kontinuitätslinie von den frühen, populären Selbstbeschreibungen der Filmkunst bis hin zu den elaborierten Reflexionstheorien der späten 1920er Jahre ziehen lässt.

AUSDIFFERENZIERUNG DER F ILMKUNST IN DER M ODERNE

161

6.2.1 Pluralität von Anlehnungskontexten Luhmann (2008c, S. 327 f.) geht davon aus, dass sich Kunst seit der deutschen Romantik – in deutlicher Differenz sowohl zum italienischen Patronagesystem als auch zum britischen Kunstmarkt des späten 17. Jahrhunderts, die allein graduelle Formen von Autonomie aufwiesen – dadurch auszeichnet, dass sie auf jeglichen Anlehnungskontext verzichtet (vgl. Kapitel 2.2). Mit dieser Darstellung übernimmt er die Selbstbeschreibung der romantischen Kunst, die sich als vollständig autonomes Geschehen imaginiert. Während Luhmann somit mit seinem Modell von drei Phasen der zunehmenden Ausdifferenzierung der Kunst in der Moderne die These vertritt, dass die Kunst ab der deutschen Romantik vollkommen autonom operiert, möchte ich hingegen argumentieren, dass die Kunst auch im 19. und 20. Jahrhundert weiterhin nicht auf Anlehnungskontexte verzichtet, sondern vielmehr eine Pluralität derselben ausbildet: der Hollywood mode of production, die auf politische Propaganda fokussierte Filmproduktion des Dritten Reiches oder der europäische Autorenfilm sind Beispiele, die die diachrone wie synchrone Variabilität der Anlehnungskontexte belegen, auf deren Basis sich Filmkunst in der Moderne realisiert. Im Folgenden werde ich zunächst skizzieren, wie der Begriff des Anlehnungskontextes zuerst von Stichweh (1987, 1991, 2013) eingeführt und von Luhmann (1996a, 2008a,c, S. 256 ff.) auf den Fall der Ausdifferenzierung der modernen Kunst übertragen worden ist, um sodann in kritischer Auseinandersetzung mit Luhmanns Auffassung, die Kunst verfüge spätestens seit der Romantik über keinerlei Anlehnungskontext mehr, zu der These zu gelangen, dass sich in der Geschichte der modernen Weltgesellschaft statt einer Suspendierung der Relevanz von Anlehnungskontexten vielmehr eine Multiplizierung derselben beobachten lässt. Auf Basis der These der Multiplizierung von Anlehnungskontexten schlage ich in Auseinandersetzung mit dem bourdieuschen Begriff des Feldes der Macht schließlich vor, Regionen der Weltgesellschaft als lokal gegebene Konstellationen von Anlehnungskontexten zu beschreiben. Luhmann übernimmt den Begriff des Anlehnungskontextes von Stichweh, der diesen im Rahmen seiner historischen Untersuchungen zur Ausdifferenzierung von Erziehung und Politik am Beispiel der europäischen Universi-

162 F ILM ALS W ELTKUNST tätsgeschichte entwickelt.1 Stichweh (2013) verwendet das Konzept des Anlehnungskontextes, um eine historische Periodisierung der europäischen Universitätsgeschichte vorzunehmen, wobei sich die einzelnen Perioden jeweils dadurch auszeichnen, dass die Universität ihren primären Anlehnungskontext wechselt. Der Ansatz von Stichweh (ebd., S. 160) beruht auf der Überlegung, dass die »Identifikation von Primaten in den System/Umwelt-Beziehungen der Universität zur Bestimmung der Phasenübergänge in der Universitätsgeschichte benutzt« werden kann. Die Geschichte der Ausdifferenzierung der Filmkunst kann im Anschluss an dieses Modell als ein Prozess beschrieben werden, dessen einzelne Phasen sich an Hand der gesellschaftlichen Einbettung der Filmkunst unterscheiden lassen. Die Differenzen zwischen den einzelnen Phasen beziehen sich dabei sowohl auf die Frage, welches Bezugssystem in der gesellschaftlichen Umwelt der Filmkunst jeweils von primärer Bedeutung ist, als auch auf die Frage, wie jeweils die Beziehungen zwischen der Filmkunst und den anderen Teilsystemen, die als Anlehnungskontext fungieren, realisiert werden. So stützt sich die Ausdifferenzierung von Film in der zweiten Phase auf medialer Ebene primär auf den Kontext massenmedialer Unterhaltung, während sich die Selbstbeschreibungsebene zu dieser Zeit vornehmlich aus Semantiken (Konzepten, Problemstellungen, Perspektiven) der Kunst speist (vgl. Kapitel 4). Im Ergebnis führt diese historisch spezifische Konstellation in den 1910er Jahren zur Etablierung der an volkstümlichen Formen der Unterhaltung orientierten Kinotheater, die zunächst Filmprogramme und später ganze Spielfilme zeigen, die dann im Rahmen der »Kino-Debatte« nach Maßgabe kunstspezifischer Semantiken diskutiert werden. Während sich somit zwar schon in dieser Zeit auf semantischer Ebene ein Bezug des Ausdifferenzierungsprozesses auf Selbstbeschreibungen beziehungsweise Reflexionstheorien der Kunst beobachten lässt, so ist dieser im Verhältnis zum Anlehnungskontext der massenmedialen Unterhaltung von nachgeordneter Bedeutung, da er die sich abzeichnende Entwicklung hin zur Filmkunst nicht

1 Stichweh (1991, 2013, S. 154) verwendet in seiner Darstellung den Begriff des Bezugskontextes, um die jeweils primär relevanten System-Umwelt-Beziehungen der europäischen Universität zu bezeichnen. Luhmann (1996a, S. 256) greift diese Idee mit Verweis auf Stichweh unter dem Begriff des Anlehnungskontextes auf, wobei der nomenklatorische Unterschied keine Differenz in der Sache markiert.

AUSDIFFERENZIERUNG DER F ILMKUNST IN DER M ODERNE

163

produktiv begleitet, sondern sich vielmehr prohibitiv gegen einen möglichen Kunststatus des Films stellt. Diese Beobachtungen aus den historischen Fallstudien widersprechen Luhmanns These vom vollständigen Verzicht der Kunst auf Anlehnungskontexte. Ihre Plausibilität beruht zwei impliziten Prämissen seiner historischen Darstellung: Zum einen beschränken sich die Ausführungen auf den europäischen Rahmen und zum anderen endet die Darstellung der Ausdifferenzierungsgeschichte mit dem 19. Jahrhundert (vgl. Kapitel 2.1). Der soziologische Blick auf die Kunst als Teilsystem der modernen Gesellschaft bestätigt dieses Urteil allerdings nicht. Drei entscheidende Veränderungen müssen Luhmanns Perspektive entgehen: erstens die erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts beginnende Karriere neuer Formen der Kontingenzbeschränkung wie Museen oder Künstlergruppen (Luhmann 1996a, S. 270 f.), die sich in der Form von Sozialsystemen eigener Art, wie Organisationen, soziale Bewegungen oder Netzwerke, bilden; zweitens die erst im 20. Jahrhundert erfolgende Integration europäischer und außereuropäischer Werke in gemeinsame Narrative wie der »History of Art in a Global Perspective« (Zijlmans 2003) und drittens der Beginn der Populärbeziehungsweise Massenkunst, insbesondere der Aufstieg der technisch reproduzierbaren (Benjamin 1936) Kunstformen Film und Photographie. Diese empirischen Beobachtungen lassen sich mit Hilfe des Begriffs des Anlehnungskontextes systematisieren und in die These überführen, dass sich die Kunst seit dem 19. Jahrhundert nicht durch einen prinzipiellen Verzicht auf jeglichen Anlehnungskontext auszeichnet, sondern vielmehr zu einem stetigen Wechsel und damit einhergehend einer Multiplizierung der Anlehnungskontexte übergeht. In einer gegenüber der luhmannschen Definition präzisierten Begriffsfassung kann man unter einem Anlehnungskontext eine jeweils lokal gegebene Form der strukturellen Kopplungen zwischen Kunst und anderen Sozialsystemen verstehen. Während die kunstspezifische Form der Beobachtung zweiter Ordnung universal operiert, fallen die strukturellen Kopplungen des Kunstsystems jeweils regionalspezifisch aus. Der entscheidende Punkt an dieser Pluralität von Anlehnungskontexten ist nun, dass trotz der strukturell differierenden regionalen Konstellationen von Anlehnungskontexten auf der medialen Ebene des filmkunstsspezifischen Mediums zweiter Ordnung Anschlüsse jederzeit möglich sind (vgl. Kapitel 2.3.3). Zugleich ist diese universal gegebene Poten-

164 F ILM ALS W ELTKUNST tialität des sinnhaften Anschlusses, die durch das Medium zweiter Ordnung der Filmkunst gesichert wird, die Bedingung der Möglichkeit der divergierenden Regionen und damit der gleichzeitigen Reproduktion einer Mehrzahl von unterschiedlichen Konstellationen von Anlehnungskontexten. Der Wandel der Kunst in der Moderne zeigt sich aus der Perspektive dieses Konzepts als Multiplizierung lokaler Kontexte, die aufgrund des kunstspezifischen Universalismus füreinander anschlussfähig sind. Die drei Phasen der historischen Entwicklung der Filmkunst lassen sich sodann als drei Varianten der Beziehung zwischen spezifischen strukturellen Bedingungen der Einbindung in Anlehnungskontexte, die die Voraussetzungen für die Kommunikation durch Film konditionieren, einerseits und korrespondierender Selbstbeschreibungen der Filmkunst andererseits rekonstruieren.2

2 Die Entstehungsgeschichte der Filmkunst wird von zahllosen Konflikten begleitet: Beginnend mit den insbesondere patentrechtlichen Auseinandersetzungen um die Frage, wem die Erfindung des Films „tatsächlich“ zuzurechnen ist, über die Konflikte um den künstlerischen Wert der frühen Spielfilme (vgl. Kapitel 3) bis hin zur bereits von Rudolf Arnheim formulierten Kritik an der kulturindustriellen Produktionsweise Hollywoods (vgl. Kapitel 5). Allerdings zielt das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit auf eine Form von historischer Dynamik, die nicht primär durch diese sozialen Auseinandersetzungen erklärt werden kann. Stattdessen geht es darum, wie sich die drei Ebenen wechselseitig konditionieren und durch ihr sich mit jedem Wechsel des Anlehnungskontextes veränderndes Zusammenspiel zu einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Filmkunst führen. Aus dieser Warte ergibt sich, dass soziale Konflikte um die Möglichkeit/Unmöglichkeit von Filmkunst beziehungsweise deren Legitimität/Illegitimität (vgl. Kapitel 4.3) unabhängig von ihrem Ausgang die Ausdifferenzierungsdynamik des Films als Medium der Kunst stärken. Trotz dieser bewussten Schwerpunktsetzung des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit soll damit nicht die Behauptung verbunden sein, dass es nicht ebenfalls aufschlussreich ist, sich mit den sozialen Konflikten, die um die Existenz/Inexistenz der Filmkunst und ihre Grenzen kreisen, zu beschäftigen. Allerdings bewegt man sich mit diesen Fragen auf der Ebene einzelner Anlehnungskontexte. Entscheidende ist hier, dass Filmkunst als Teilsystem des Funktionssystems Kunst stets über eine Pluralität von Anlehnungskontexten verfügt. Insofern handelt es sich, zumindest aus der Warte, die die vorliegende Arbeit einnimmt, um regionale Konflikte, die stets nur eine Variation von Filmkunst betreffen.

AUSDIFFERENZIERUNG DER F ILMKUNST IN DER M ODERNE

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Welche gesellschaftstheoretischen Konsequenzen hat der Vorschlag, die Untersuchung von Konstellationen von Anlehnungskontexten funktionsystemspezifischer Kommunikation in das Zentrum der Analyse zu rücken? Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen zur Beantwortung dieser Frage ist wiederum die luhmannschen Theorieentscheidung, die moderne Gesellschaft durch die Form ihrer primären Systemdifferenzierung zu definieren (vgl. Kapitel 2.3). Vor dem Hintergrund dieses Theorems funktionaler Differenzierung fokussiert der Begriff des Anlehnungskontextes auf die Beziehungen eines Funktionssystems zu allen anderen Funktionssystemen, um in diachroner Perspektive danach zu fragen, wie sich der Wandel des Bezugs der Filmkunst auf wechselnde andere teilsystemische Kontexte auf den Verlauf ihrer Ausdifferenzierung auswirkt, um auf dieser Basis Phasen der Entstehungsgeschichte dieser neuen Kunstart unterscheiden zu können. Zugleich eröffnet der Begriff, wie im Folgenden allerdings nur angedeutet werden kann, die Möglichkeit, in synchroner Perspektive unterschiedliche Konfigurationen von Anlehnungskontexten vergleichend zu analysieren, um auf diese Weise die Differenzen zwischen verschiedenen Regionen der Weltgesellschaft zu erhellen.3 Der Begriff des Anlehnungskontextes eröffnet die Möglichkeit, die Historizität der modernen Gesellschaft aus systemtheoretischer Perspektive zu beschreiben. Während das Primat funktionaler Differenzierung eine Konstante der modernen Gesellschaft darstellt, unterliegen die Formen, in denen sich zwei oder mehr Funktionssysteme aufeinander beziehen, einem stetigen historischen Wandel. Die jeweiligen Anlehnungskontexte der Filmkunst konditionieren die Möglichkeiten wie Grenzen, also die Spielräume, über die die operative Reproduktion von Filmkunst verfügt. Die historischen Phasen können sich entweder dadurch unterscheiden, auf welche anderen Systeme sich der Ausdifferenzierungsprozess der Filmkunst stützt, oder dadurch, wie die einzelnen Systeme aufeinander bezogen werden. Während in der ersten untersuchten Phase der Wechsel vom Anlehnungskontext Wissenschaft hin zur Unterhaltung von entscheidender Bedeutung ist,

3 Luhmann (1997, S. 808) reagiert mit dem Begriff der Regionalisierung auf die Beobachtung, dass in der von ihm postulierten funktional differenzierten Weltgesellschaft »globale und regionale Optima deutlich divergieren«. Im Anschluss an Luhmann hat Stichweh (2000b, 2015) den Begriff der Region weiter ausgearbeitet und zu einem Kernstück seiner Theorie der Weltgesellschaft gemacht.

166 F ILM ALS W ELTKUNST zeichnet sich die zweite historische Phase zentral dadurch aus, dass in Form der Kino-Theatern das Verhältnis von Kunst und Unterhaltung in neuer Form strukturiert wird. In der dritten Phase ist es sodann die Innovation des Studiosystems, die den Spielfilm zugleich als Kompaktkommunikation der Filmkunst und als maßgebliche Form der Realisierung eines Anlehnungskontextes etabliert. Die Anlehnungskontexte der Filmkunst unterscheiden sich demnach nicht allein danach, in welchem Verhältnis die einzelnen Funktionssysteme zueinander stehen. Sie differieren zugleich in Bezug auf die Frage, wie die Intersystembeziehungen realisiert werden (z.B. organisiert vs. nicht-organisiert). Bringt man diese systemtheoretische Perspektivierung des Problems der historischen Variabilität der Relationen zwischen einer Mehrzahl gesellschaftlicher Teilsysteme mit der bourdieuschen Feldtheorie in Kontakt, so eröffnet sich die Möglichkeit von einer dyadischen, d.h. auf zwei Systeme beziehungsweise Felder fokussierten Betrachtungsweise zu einer Perspektive zu gelangen, die die Gesamtheit der Beziehungen der Filmkunst zu allen anderen Feldern in Rechnung stellen kann. Bourdieu behandelt die Frage nach dem Verhältnis zwischen den einzelnen Feldern mit Hilfe des Leitkonzeptes des Feldes der Macht. Formal gesehen definiert sich das Feld der Macht als ein Meta-Feld (Bourdieu/Wacquant 1996a, S. 142 ff.). Die Akteure des Feldes der Macht sind jeweils diejenigen, die in den einzelnen Feldern wie Kunst, Recht, Religion oder Wirtschaft eine herrschende Position einnehmen. Das Objekt des Kampfes ist in diesem Fall das Wechselverhältnis der feldspezifischen Kapitalsorten und damit die relative Macht eines Feldes im Verhältnis zu allen anderen Feldern (ebd., 146f.). Dieses abstrakte Konstrukt findet seine konkrete historische Gestalt im modernen Staat, dessen Genese Bourdieu (2013, S. 350) als einen Prozess der Akkumulation und Konzentration sämtlicher Kapitalsorten beschreibt. Bourdieus Entscheidung, die zwischen Feldern bestehenden Relationen ebenfalls als Feld zu denken, fokussiert die Analyse primär auf die hierarchischen Beziehungen, die zwischen den einzelnen Sphären der Gesellschaft bestehen. Im Unterschied zu Bourdieus Konzept des Staates als Meta-Feld ist der Begriff des Anlehnungskontextes bewusst offen gehalten und impliziert nicht, dass die Intersystembeziehungen, die einen Anlehnungskontext definieren, notwendigerweise eine bestimmte Form annehmen müssen.

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Der Begriff des Anlehnungskontextes ist nicht allein geeignet, die historische Variabilität der Moderne als Wandel der Interrelationen zwischen den primären Teilsystemen der Weltgesellschaft zu fassen. Neben dieser diachronen Betrachtungsweise eröffnet der Begriff auch die Möglichkeit, synchron einen vergleichenden Blick auf die regional divergierenden Formen der Einbettung der Filmkunst in die Weltgesellschaft zu werfen. In dieser Betrachtungsweise dient die Unterscheidung von Anlehnungskontexten nicht dazu, unterschiedliche Phasen in der Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst, sondern unterschiedliche koexistierende regionale Formen der Einbettung von Filmkunst zu unterscheiden. Denn während sich die moderne, funktional differenzierte Weltgesellschaft durch eine prinzipielle Gleichrangigkeit ihrer Teilsysteme auszeichnet, so lässt sich zugleich beobachten, dass in der operativen Realisierung einzelner Funktionssysteme extreme regionale Differenzen bestehen (Japp 2007; Neves 2007). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der Begriff des Anlehnungskontextes sowohl dazu eignet, in diachroner Perspektive einen Blick auf den historischen Wandel der Filmkunst in der modernen Gesellschaft zu werfen, als auch dazu dienen kann in synchroner Perspektive nach der Einbettung filmkünstlerischer Produktion in den unterschiedlichen Regionen der Weltgesellschaft zu fragen. 6.2.2 Ausdifferenzierung im Horizont anderer Kunstarten Die Fallstudien zur Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst haben gezeigt, dass sowohl die ersten Selbstbeschreibungen als auch die weiter ausgearbeiteten und abstrakter ansetzenden Reflexionstheorien der Filmkunst maßgeblich durch den Vergleich mit anderen Kunstarten instruiert sind. Diese Logik der Ausdifferenzierung des Films als eigenständiger Kunstart widerspricht sowohl den Erklärungsangeboten des kunstsoziologischen Mainstreams als auch der systemtheoretischen Beschreibung der internen Ausdifferenzierung des Funktionssystems Kunst. Denn dem kunstsoziologischen Mainstream zufolge ist die Entstehung der Filmkunst als Prozess der erfolgreichen Durchsetzung des Films als legitimer Kunst zu beschreiben (vgl. Kapitel 1.3). Und aus systemtheoretischer Perspektive wäre zu erwarten, dass sich die Ausdifferenzierung der Filmkunst als Subsystem der Kunst in der Form einer Spezifizierung allgemeiner ästhetischer Prinzipien vollzieht. Schließlich sind laut

168 F ILM ALS W ELTKUNST Luhmann (1996a, S. 191) Kunstarten jeweils als Spezifikationen des Kommunikationsmediums Kunst zu verstehen. Ausgehend von diesen Prämissen, müsste sich die Semantik der Filmkunst in einem Prozess der zunehmenden Spezifikation abstrakter ästhetischer Schemata entwickeln. Die historischen Fallstudien haben gezeigt, dass weder die kunstsoziologischen Erklärungsversuche noch die systemtheoretische Konzeptualisierung der internen Ausdifferenzierung der Kunst den Fall »Filmkunst« adäquat erfassen. Stattdessen lässt sich beobachten, dass sowohl die ersten Selbstbeschreibungen der Filmkunst (vgl. Kapitel 3.3 und 4.3) als auch die weiter ausgearbeiteten und abstrakter ansetzenden Reflexionstheorien der Filmkunst (vgl. Kapitel 5.2) maßgeblich durch den jeweils paarweisen Vergleich mit anderen Kunstarten instruiert sind. Bereits Méliès beschreibt die eigene Praxis mit Rückgriff auf Semantiken tradierten Kunstformen, wenn er etwa seine Produktionsstätte als eine Vereinigung von Photoatelier und Theaterbühne begreift (vgl. Kapitel 3.3). In gleicher Weise speist sich die spätere Argumentation des Kinorefomers Lange aus einem Vergleich von Theater- und Kinodrama. Die »Unkunst« des Films erweist sich für ihn dadurch, dass letzterer nicht über diejenigen Kunstmittel verfügt, die das Theater auszeichnen (vgl. Kapitel 4.3). Und auch Arnheim beschreibt die »partielle Fiktionalität« des Films nicht als die Spezifikation eines abstrakten Prinzips. Stattdessen rekonstruiert er Mittel und Prinzipien des Theaters, wie das dreiwandige Bühnenzimmer, um sodann auf homologe Strukturen im Film hinzuweisen (vgl. Kapitel 5.2). Die Bestimmung der Identität der Filmkunst durch den Vergleich mit anderen Kunstarten kann, wie durch den Kontrast der Positionen Langes und Arnheims deutlich wird, zu verschiedenen Zwecken eingesetzt werden. Der Vergleich kann dazu dienen, den Film als »Unkunst« zu enttarnen, aber auch umgekehrt bemüht werden, um die Befähgigung des Films zur Kunst zu beweisen. In jedem Fall forciert der Vergleich die Frage nach den Eigentümlichkeiten des Films und liefert zugleich ein semantisches Gerüst, um diese zu beschreiben. 6.2.3 Populäre Genealogie der Reflexionstheorien In den historischen Fallstudien (vgl. Kapitel 3–5) zeigt sich eine Kontinuitätslinie, die von den frühen Beschreibungen des Films (beziehungsweise des Kinematographen und vergleichbarer Apparate) im wissenschaftlichen Kon-

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text, über die Aneignung des neuen Mediums in der Unterhaltung und die feuilletonistischen Debatten um die ersten Spielfilme bis hin zu den filmästhetischen Theorien der 1920er Jahre reicht. Diese Kontinuität ist aus der Perspektive der systemtheoretischen Wissenssoziologie ein überraschender Befund, betont Luhmann doch die Diskontinuität zwischen populären Selbstbeschreibungen einerseits und »anspruchsvollen« Reflexionstheorien, wie den ästhetischen Theorien der Filmkunst, andererseits. Die filmästhetischen Reflexionstheorien der 1920er Jahre beruhen in gleicher Weise wie die frühen Selbstbeschreibungen der Film(un)kunst auf der Prämisse, dass der Film nur dann eine Kunstart sein kann, wenn er sich nicht darauf beschränkt, Realität mechanisch zu reproduzieren. Darüber hinaus ähneln sich die frühen Selbstbeschreibungen und die avancierteren Reflexionsformen der späteren Filmästhetiken darin, dass sie die allgemeine ästhetische Frage, ob der Film eine Kunst sein kann, als die Frage spezifizieren, ob der Film dieselben Eigenschaften aufweist wie eine bestimmte andere, bereits existierende Kunstart. Schließlich orientieren sich Selbstbeschreibungen und Reflexionstheorien an einem sehr ähnlichen Repertoire von Vergleichsperspektiven. Die Reflexionstheorien der Filmkunst rekurrieren wie die frühen Selbstbeschreibungen der Film(un)kunst auf das Mittel des Vergleichs von Kunstarten, um den Gegenstand Film semantisch zu fassen (vgl. Kapitel 5.2). Es lässt sich somit festhalten, dass die Reflexionstheorien der dritten Phase der Ausdifferenzierungsgeschichte des Films sich trotz ihres weitaus höheren Abstraktionsgrades und der gesteigerten Ansprüche an Konsistenz nicht kategorial von den Prämissen der frühen, feuilletonistisch grundierten Beschreibungen des Films unterscheiden. Sie sind nicht die Folge eines ideengeschichtlichen wie sozialstrukturellen Bruchs, sondern befinden sich vielmehr auf einer Kontinuitätslinie mit den frühen Beschreibungen des Films. Es besteht, so die sich aus den historischen Studien der vorliegenden Arbeit ergebende These, demnach kein, wie von Luhmann (1984, S. 617 ff.) nahe gelegt, kategorialer Bruch zwischen »alltäglichen« Semantiken der Filmkunst und avancierteren Formen der theoretischen Reflexion. Vielmehr befinden sich beide Formen in einem historisch-genetischen Zusammenhang.

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6.3 KONSEQUENZEN Nachdem die Entstehungsgeschichte der Filmkunst zum einen auf den drei Ebenen von Struktur, Medium und Selbstbeschreibung entlang einer idealtypisch zu verstehenden Abfolge von drei historisch unterscheidbaren Phasen rekonstruiert (vgl. Kapitel 6.1) und zum anderen die drei den Prozess der Ausdifferenzierung maßgeblich kennzeichnenden Mechanismen, nämlich die Pluralisierung der Anlehnungskontexte, der Vergleich mit spezifischen anderen Kunstarten und die Theoretisierung populärer Selbstbeschreibungen in Form von ästhetischen Reflexionstheorien, identifiziert worden sind (vgl. Kapitel 6.2), soll abschließend gefragt werden, welche generalisierbaren Schlüsse gezogen werden können in Hinblick erstens auf die kunstsoziologische Frage nach der Entstehung neuer Kunstarten (vgl. Kapitel 6.3.1), zweitens auf die differenzierungstheoretische Frage nach den Prozessen und Mechanismen, die den historischen Wandel der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft konditionieren (vgl. Kapitel 6.3.2), sowie drittens auf die gesellschaftstheoretische Frage nach dem Verhältnis zwischen den Strukturen und Selbstbeschreibungen der Weltgesellschaft einerseits und dem Erkenntnisinteresse der Soziologie andererseits (vgl. Kapitel 6.3.3). 6.3.1 Kunstsoziologie Im Folgenden sollen vier zentrale kunstsoziologische Erkenntnisse, die sich aus den historischen Fallstudien zur Entstehung der Filmkunst ableiten lassen, resümierend dargestellt werden, um im Anschluss in einem letzten Generalisierungsschritt nach den differenzierungs- wie gesellschaftstheoretischen Konsequenzen zu fragen. Doch zunächst zur Kunstsoziologie. Bemerkenswert ist an der Entstehungsgeschichte der Filmkunst aus kunstsoziologischer Sicht erstens, dass die Ausdifferenzierung der Filmkunst nicht als Folge der erfolgreichen Durchsetzung der Intentionen primär künstlerisch motivierter Akteure zu erklären ist. Vielmehr entsteht Filmkunst in einem Prozess, der maßgeblich durch das Zusammenspiel der Logiken von Kunst, Massenmedien und Wirtschaft konditioniert wird und damit in seinem Verlauf wie seinen Mechanismen den Rahmen der Kunst überschreitet. So ist die Entstehung der Filmkunst ein Beispiel für einen grundlegenden Strukturwandel moderner Kunst, der sowohl in seinem Ausmaß als auch in Hin-

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blick auf die Folgen für das Gesamtsystem der Kunst (und letztlich für die Gesellschaft als Ganzes) weit über viele kunstsoziologisch untersuchte Fälle, wie die Durchsetzung einer Avantgardebewegung (Gilcher-Holtey 2000; Magerski 2011), den stilistischen Wandel einer Kunstart (C. White/H. L. White 1997) oder die erfolgreiche Legitimierung bestimmter Werke als Teil der Hochkultur (DiMaggio 1982; Sapiro 2004) hinausgeht. Das Medium Film hat nicht allein zur Ausdifferenzierung eines in sich wiederum komplexen Subsystems der Kunst geführt, sondern darüber hinaus Veränderungen in (nahezu) sämtlichen anderen Teilsystemen der Kunst zufolge gehabt. Dabei hat Film andere Kunstarten sowohl dadurch beeinflusst, dass er Abgrenzungsbewegungen provoziert hat (z. B. die Konzentration des Theaters auf Mittel, die allein auf der Bühne realisiert werden können), als auch, indem er in einen Austausch mit etablierten Künste getreten ist (z. B. Filmmusik, Literaturverfilmungen, Videoinstallationen in der bildenden Kunst und »filmisches« Erzählen in der Literatur). Die zentrale Bedeutung des Films in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts spiegelt sich schließlich auch auf der Reflexionsebene der Kunst. Dies lässt sich zum einen am Umfang filmästhetischer Literatur und zum anderen an der hohen Resonanz, die zur Beschreibung des Films entwickelte Begrifflichkeiten wie Montage in der Ästhetik erfahren haben, ablesen. Zweitens zeigt sich am Beispiel der Filmkunst, dass sich die Erhöhung der Komplexität, die dem Funktionssystem Kunst zur Verfügung steht, nicht notwendigerweise als erfolgreiche Durchsetzung autonomer im Unterschied zu heteronomen Prinzipien realisiert. So definiert die Kulturindustrie, deren nahezu idealtypisches Beispiel das Studiosystem Hollywoods darstellt, einen Kontext, der die Produzenten von Filmen unter einen ständigen Innovationsdruck setzt, der zwar primär durch das ökonomisch motivierte Kalkül, möglichst große Teile eines massenmedial konstituierten Publikums anzusprechen, konditioniert wird, ohne dass dieser allerdings mit anderen als spezifisch künstlerischen Mitteln aufgelöst werden könnte. Denn die ökonomisch motivierte Fokussierung auf möglichst hohe Zuschauerzahlen ist nicht direkt mit ästhetischen Entscheidungen gekoppelt. Zwischen ökonomischem Kalkül und künstlerischer Entscheidung vermittelt das Konstrukt »Publikum«, das durch den Besuch/Nicht-Besuch eines Filmes Einfluss nimmt. Allerdings beschränkt sich dieser Einfluss darauf, durch ausbleibendes Interesse für zu geringe Einnahmen zu sorgen. Jede Filmproduktion in Hollywood unterliegt

172 F ILM ALS W ELTKUNST am Ende einer ökonomisch bilanzierbaren Kosten-Nutzen-Abwägung. Filme, die man anstatt eines gescheiterten Filmes hätte drehen können, erscheinen aus dieser Warte als Opportunitätskosten, also ebenfalls in Form einer quantifizierbaren Größe ohne instruktiven Charakter für die (stattdessen) zu treffenden ästhetischen Entscheidungen. Das Entscheidende ist, dass es keinen sinnhaften Zusammenhang zwischen den in der Umwelt der Kunst formulierten Ansprüchen und den künstlerischen Formen gibt, die diesen gerecht werden. So wie auch die Architektur in einem Zwischenraum existiert, der sich zwischen den technisch eindeutig definierbaren Anforderungen an einen Bau und dessen tatsächlicher Realisierung auftut. In der Sprache des Designers Eames kann man auch von »constraints« sprechen. Damit sind kunstexterne Einschränkungen gemeint, die in Herausforderungen an die künstlerische Gestaltung transformiert werden. Es handelt sich ebenfalls um ein Konstrukt, das durch die Umwelt motivierte Einschränkungen in einen Anlass für autonome künstlerische Formfindung transformiert. Die Ausdifferenzierung auf medialer Ebene ist somit nicht von der Legitimität des Mediums abhängig, sondern von seiner Fähigkeit, komplexe kommunikative Formen zu bilden. Ein Medium kann schlechterdings nicht legitim oder illegitim sein, sondern einzig entweder funktionieren, d. h. anschlussfähig sein und von anderen Systemen distinkte Formen bilden, oder sich auflösen, da ein Medium sich allein auf Basis der Verwendung der Formen, die es zu bilden vermag, reproduzieren kann. Aber dies ist eine Frage der operativen Reproduktionsfähigkeit und nicht der symbolischen Anerkennung. Drittens lässt sich in Hinblick auf die Kunstsoziologie festhalten, dass die heteronom motivierte Form der Spielfilmproduktion (Hollywood) der zentrale Katalysator für die vollständige Ausdifferenzierung darstellt, da die Standardisierung der gezeigten Werke dem Film die Form einer Kompaktkommunikation gibt, die eine Multiplizität der Perspektiven miteinander verbindet und damit die Kombination von mehreren Bezugssystemen zu einem Anlehnungskontext überhaupt erst möglich macht. Diese Beobachtungen führen zur vierten kunstsoziologischen Konsequenz, nämlich dem Vorschlag, in Hinblick auf Autonomie und Legitimität zwischen Kunstwerken einerseits und Medien der Kunst andererseits zu unterscheiden. Denn wenn man künstlerische Autonomie, die sich auf die Wahlfreiheit in der Kombination von künstlerischen Formen und damit auf das Medium bezieht,

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und Legitimität, die sich auf die geschaffenen Kunstwerke, also nicht auf die verwendeten Medien, sondern auf das Werk und damit auf die an ihm beobachtbaren Formen bezieht, unterscheidet, zeigt sich, dass beide Kategorien nicht unbedingt in analoger Weise ausgeprägt sein müssen. Bourdieu setzt mit seinem Feldansatz hingegen bereits durch begriffliche Vorentscheidungen beide Ebenen, die der Werke und die der künstlerischen Medien, letztlich gleich. So setzt er voraus, dass der autonome Pol der künstlerischen Produktion zugleich derjenige ist, der über die größte Legitimität verfügt. Legitimität bezieht sich dabei auf die Ebene des symbolischen Kapitals, das in der Form von Anerkennung existiert und sich auf Werke, Künstler, Stile, mithin stets auf bestimmte, besonders geschätzte Kompositionen von Formen bezieht. Die ständig wiederholte Frage nach der Legitimierung erweist sich damit letztlich als ein obstacle épistémologique (vgl. Luhmann 1977, S. 174; Bachelard 1934, S. 17 ff.), verstellt sie doch den Blick auf den Modus der operativen Schließung eines künstlerischen Subsystems, dessen Ausdifferenzierung medial basiert ist und sich nicht auf die Kunst allein beschränkt, sondern sich in einer Mehrzahl unterschiedlicher Anlehnungskontexte vollzieht. 6.3.2 Gesellschaftstheorie Im Folgenden sollen abschließend die Erkenntnisse der historischen Fallstudien zur Entstehung der Filmästhetik im Kontext der strukturellen wie medialen Ausdifferenzierung der Filmkunst noch einmal grundsätzlicher auf das Verhältnis von Gesellschaftstheorie und Selbstbeschreibungen bezogen und nach der Generalisierbarkeit der in den historischen Fallstudien gewonnen Ergebnisse über den Bereich der Kunst hinaus gefragt werden: Welche differenzierungstheoretisch anschlussfähigen Erkenntnisse konnten am Fallbeispiel der historischen Genese der Filmkunst und ihrer spezifischen Ästhetiken gewonnen werden? Und: Welche Desiderata ergeben sich angesichts dieser Erkenntnisse? Erstens zeigen die Fallstudien, dass es unangemessen ist, sich die moderne, funktional differenzierte Gesellschaft als statische, sich ständig wiederholende Struktur vorzustellen. Die Strukturen, Selbstbeschreibungen und Medien dieser Gesellschaft sind vielmehr in ständiger Veränderung begriffen. Die einzige Konstante, die die Vielfältigkeit der Moderne auf einen gemeinsamen Nenner bringt, ist die primäre Differenzierungsstruktur der Gesellschaft,

174 F ILM ALS W ELTKUNST die entlang einer funktionalen Logik eine polykontexturale Ordnung als Letztrahmen sinnhafter Kommunikation stiftet. Die Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst und die Veränderungen, die die Emergenz dieses neuen Subsystems in der Kunst insgesamt ausgelöst haben, sind sowohl ein Beispiel für das Variationspotential, über das die moderne, funktional differenzierte Weltgesellschaft verfügt, als auch ein Beleg dafür, dass trotz drastischer Veränderungen, die eine Vielzahl von Teilsystemen betreffen, die Struktur funktionaler Differenzierung konstant bleibt. Konkret gesprochen: Das HollywoodStudiosystem stellt zwar einen Anlehnungskontext dar, der Kunst, massenmediale Unterhaltung, Wirtschaft und Politik in neuartiger Weise aufeinander bezieht und dadurch zugleich deren jeweilige Grenzen verschiebt. Allerdings ist zugleich die Stabilität der Grenzen zwischen den beteiligten Systemen die Voraussetzung dafür, dass der Anlehnungskontext Hollywood operativ funktionieren kann. Als Desiderat folgt aus diesen am Beispiel der Filmkunst gewonnen Beobachtungen die Frage, ob andere Systeme in ähnlicher Weise wie die (Film)Kunst auf einige wenige Formen von Anlehnungskontexten zentral zurückgreifen. Ein interessanter Vergleichsfall wären beispielsweise die »global cities« der Finanzwirtschaft, die Universitätsstädte der Wissenschaft oder die Zentren globaler Religionen, wie Rom oder Mekka. Zweitens belegen die historischen Untersuchungen, dass die Etablierung neuer Anlehnungskontexte in zeitlicher Hinsicht entscheidende Episoden in der Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst darstellen. Wie sich beispielsweise am Wechsel des Kinematographen vom Laborkontext hin zur massenmedialen Unterhaltung zeigt, ist es jeweils eine neue Konstellation von Bezugssystemen, die neue Potentiale zur Emergenz filmkünstlerischer Kommunikation eröffnet. Das Beispiel der Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst zeigt somit, dass die Logik des Wandels der modernen Gesellschaft sich nicht auf die luhmannsche Formel einer dem Strukturbruch folgenden nachholenden semantischen Modernisierung reduzieren lässt, sondern sich vielmehr auf eine Pluralität von historisch variablen Mechanismen, wie die von Stäheli (2000, S. 214 ff.) beschriebene »konstitutive Nachträglichkeit« oder den in dieser Arbeit im Zentrum stehenden Wechsel von Anlehnungskontexten stützt. Hieraus folgt drittens, dass der Wandel der Moderne als historischer Veränderungsprozess rekonstruiert und nicht als Entfaltung einer statischen Lo-

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gik funktionaler Differenzierung beschrieben werden sollte. Hierbei ließe sich an das Modell der in den Fallstudien geleisteten idealtypischen Konstruktion von drei Phasen der Ausdifferenzierung der Filmkunst anschließen. Dies hieße auch im Fall anderer gesellschaftlicher Teilsysteme den Fokus auf die Umschaltpunkte und damit die historische Kontingenz, d. h. den weder notwendigen noch zufälligen Verlauf von Veränderungsprozessen, zu richten. 6.3.3 Soziologie der Selbstbeschreibungen Eine Beschreibung ist insofern Selbstbeschreibung eines bestimmten Systems, als dass sie für dieses die Funktion der Selbstidentifizierung übernimmt. Es ist die Fähigkeit zur Lösung des jeweils systemspezifischen Problems der Unbeobachtbarkeit eines Systems in seiner Gänze, die eine Beschreibung zur Selbstbeschreibung eines Systems macht. Das Problem, zu dessen Lösung Funktionssysteme auf eine spezifische Form gesellschaftlicher Selbstbeschreibung, nämlich Reflexionstheorien zurückgreifen, ist die Realisierung systemischer (im Unterschied zu basaler und prozessualer) Selbstreferenz. Da das System sich in seinen Operationen nicht auf sich selbst im Sinne einer Referenz auf die gesamte Eigenkomplexität des Systems beziehen kann, greift es auf Selbstbeschreibungen zurück, die die Komplexität des Systems auf ein kommunikativ handhabbares Maß reduzieren. Im Falle der Funktionssysteme der modernen Gesellschaft erfüllen deren Reflexionstheorien diese Funktion der Selbstbeschreibung. Diese funktionale Definition des Begriffs der Selbstbeschreibung schließt es nicht aus, dass ein und dieselbe gesellschaftliche Beschreibung in einer Mehrzahl von Funktionssystemen anschlussfähig ist. Ein Beispiel für die Verwendung derselben gesellschaftlichen Selbstbeschreibung in einer Mehrzahl von Kontexten bietet der Marxismus, der ausgehend von einem politischen Blick auf die wirtschaftliche Dynamik der modernen Gesellschaft, nach und nach sämtliche Funktionssysteme mit Identitätsangeboten versorgt. Die semantischen Formen der Reflexionstheorien sind durch den funktionalen Bezug zum Identitätsproblem »ihres« Systems geprägt. Sie sind mithin in ihren kognitiven Bedingungen der Möglichkeit durch das System, das sie zu beschreiben trachten, konditioniert. Dabei kommt es an dieser Stelle nicht auf inhaltliche Aspekte an. Es geht nicht darum, dass sich Reflexionstheorien, wie dies Kieserling (2000, S. 50 ff.) unterstellt, affirmativ gegenüber dem

176 F ILM ALS W ELTKUNST von ihnen beschriebenen System verhalten müssen oder notwendigerweise ein Motivationskontinuum mit diesem teilen. Der entscheidende Punkt ist rein formaler Natur und betrifft das Verhältnis von Gegenstand und Beschreibung: »Reflexionstheorien sind nicht nur Theorien, die Selbstreferenz als Identität des Systems reflektieren; sie sind selbst auch ein Moment selbstreferentieller Autopoiesis. Sie betreiben, was sie beschreiben, selbst.« (Luhmann 1984, S. 647)

Hieraus folgt, dass Reflexionstheorien stets als »eine Instrumentierung von selbstbezogenen Operationen, von selbstbezogener Informationsverarbeitung« (ebd., S. 622) fungieren. Dies eröffnet ihnen zwar keinen überlegenen Beobachterstandpunkt, aber es bringt sie in ein singuläres Verhältnis zu dem von ihnen beschriebenen Bezugssystem: »Welcher Grad an Raffinement auch immer erreicht wird in der Steigerung von Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung, Reflexion und Reflexionstheorie: es bleibt eine Instrumentierung von selbstbezogenen Operationen, von selbstbezogener Informationsverarbeitung. Wir verbinden mit dem Begriff der Selbstbeobachtung nicht die Vorstellung eines privilegierten Zugangs zu Erkenntnissen. Das würde einen ihr vorausliegenden Sachverhalt und Vergleichsmaßstäbe voraussetzen, an denen man (wer?) feststellen könnte, daß Introspektion besser abschneidet als externe Beobachtung. Die Besonderheit der Selbstbeobachtung hat einen anderen Grund: Das ›Selbst‹ der Selbstreferenz muß sich selbst als unaustauschbar behandeln. Im Falle von Selbstbeobachtung muß es sich selbst mit dem Beobachteten identifizieren.« (Ebd., S. 622)

Da Selbstbeschreibungen aufgrund ihrer Teilhabe an dem von ihnen beschriebenen System stets in kontingenter Weise dessen Komplexität reduzieren, existiert niemals eine singuläre Beschreibung eines Systems. Vielmehr reproduziert sich stets eine Vielzahl von Selbstbeschreibungen, die jeweils in anderer Manier ein selektives Bild des Systems zeichnen, dessen Identität zu rekonstruieren sie beanspruchen. Der Begriff der Selbstbeschreibung egalisiert alle Beschreibungen, unabhängig von ihrer wissenschaftlichen Qualität, ihrer gesellschaftlichen Reputation und ihrer organisatorischen Durchsetzungsfähigkeit in einer entscheidenden Hinsicht: jede Selbstbeschreibung muss sich zu dem letztlich nicht lösbaren Problem verhalten, dass eine vollständige, d. h. nicht selektiv und damit reduktionistisch verfahrende Beschreibung ei-

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nes Systems im System unmöglich ist. Keine Selbstbeschreibung ist in der Lage, etwas anderes zu sein, als die (plausible/unplausible) Entfaltung dieser Paradoxie. Diese funktionale Bestimmung des Begriffs der Selbstbeschreibung und des abgeleiteten Begriffs der Reflexionstheorie bezeichnet zugleich die entscheidende Differenz zu Fremdbeschreibungen (Kieserling 2000, S. 41). Für die soziologische Beschreibung der Gesellschaft ergibt sich hieraus ihr epistemologischer Vorteil gegenüber den Selbstbeschreibungen der Gesellschaft, kann sie doch darauf verzichten, eine Funktion für die Teilsysteme der Gesellschaft zu erfüllen. Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass sie selbst keinen Beitrag zum ästhetischen Verständnis der Filmkunst leisten möchte. Sie erlaubt es sich, eine Perspektive einzunehmen, die nicht der Interpretation oder Bewertung von Filmkunstwerken dienen können muss, um stattdessen nach der Funktion der Reflexionstheorien für die Reproduktion der Filmkunst zu fragen. Die historischen Fallstudien zur Ausdifferenzierungsgeschichte der Kunst wie Ästhetik des Films stellen in ihrer Anlage und Umsetzung den Versuch dar, dieses spezifisch soziologische Potential nutzbar zu machen. Sie sind ein Beispiel für die Beobachtungspotentiale, die sich der Kunstsoziologie eröffnen, wenn sie darauf verzichtet, eine Beschreibung ihres Gegenstandes anzufertigen, die, wie im Falle der bourdieuschen Theorie der Felder kultureller Produktion, die systemeigenen Selbstbeschreibungen zu übertreffen sucht. Über die Kunstsoziologie hinaus beabsichtigen die historischen Fallstudien zur Ausdifferenzierungsgeschichte der Filmkunst, die Beobachtungsmöglichkeiten einer soziologischen Gesellschaftstheorie zu demonstrieren, die auf das Zusammenspiel von universalen Funktionssystemen, historisch wie regional divergierenden Anlehnungskontexten und Selbstbeschreibungen respektive Reflexionstheorien fokussiert, um auf dieser Basis die Geschichte der Moderne als den sich historisch wie regional kontingent entfaltenden Variationsspielraum einer primär funktional differenzierten Weltgesellschaft zu erforschen.

Ausblick

Der Untersuchungszeitraum endet in den 1930er Jahren, zu einer Zeit also, in der »Film« fast noch synonym mit »Stummfilm« ist und es die meisten der »großen Regisseure« des 20. Jahrhunderts noch gar nicht gibt. Wäre es also nicht interessant, auch die späteren Phasen der Filmgeschichte mit dem gleichen kommunikationstheoretischen Anspruch zu untersuchen? Was wären die charakteristischen Merkmale der nächsten Phasen? Das Wort »Phase« wurde in der Arbeit terminologisch verwendet. Das Unterscheidungskriterium der oben behaupteten Phasen sind jeweils signifikante Verschiebungen der Konstellationen von Anlehnungskontexten. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Ausdifferenzierung der Filmkunst idealtypisch gesprochen in drei distinkten historischen Phasen vollzieht. Die beiden Umbrüche, also der Übergang der ersten zur zweiten und der zweiten zur dritten Phase, verändern den Möglichkeitsraum allen Sprechens über Film. Die Etablierung des abendfüllenden, stummen Spielfilms in den 1920er Jahren und erste Versuche, umfassende ästhetische Theorien der Filmkunst zu entwerfen, markieren das Ende des in den historischen Fallstudien untersuchten Ausdifferenzierungsprozesses. Seit dieser Zeit ist die Filmkunst ein eigenlogischer Zusammenhang, der gegenüber sonstigen Entwicklungen relativ abgeschlossen ist. Bedeutet dies, dass die Konstellation der Anlehnungskontexte seitdem stabil geblieben ist? Dass diese Frage zu verneinen ist, zeigt bereits ein kursorischer Blick in die Filmgeschichte. Seit den 1930er Jahren ist eine im Einzelnen nicht überschaubare Vielfalt an strukturellen, medialen und reflexionstheoretischen Veränderungen beobachtbar. Neben dem HollywoodStudiosystem haben sich eine Reihe weiterer Konfigurationen von Anleh-

180 F ILM ALS W ELTKUNST nungskontexten etabliert, die von den primär politisch konditionierten Propagandafilmen des Nationalsozialismus über das indische Bollywood und das nigerianische Nollywood, den europäischen Autorenfilm bis hin zu Avantgardebewegungen der Videokunst reichen. Und auch auf medialer Ebene lassen sich mit dem Ton-, Farb- und 3D- und schließlich dem vollständig computeranimierten Film, um nur eine Handvoll der Wichtigsten zu nennen, zahllose Innovationen beobachten. Und schließlich kann in Bezug die Ebene der Reflexion ebensowenig von Stillstand die Rede sein: Arnheims Filmästhetik markiert nicht das Ende, sondern vielmehr den Beginn eines ebenso umfangreichen wie kontroversen Diskurses ästhetischer Theoriebildung. All dies sind durchaus kunstsoziologisch interessante Entwicklungen, die sich mit dem Begriffsinsturmentarium dieser Arbeit als Geschichten der strukturellen, medialen und semantischen Verschiebungen der Filmkunst beschreiben ließen. Zu einer differenzierungstheoretisch relevanten Veränderung der Filmkunst haben sie allerdings bislang nicht geführt.

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Soziologie Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)

movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018

Februar 2019, 246 S., kart. 24,99 €(DE), 978-3-8376-4474-6

Sybille Bauriedl, Anke Strüver (Hg.)

Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten 2018, 364 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4336-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4336-1 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4336-7

Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort, Christian Scherf

Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende Soziologische Deutungen 2018, 174 S., kart., zahlr. Abb. 19,99 € (DE), 978-3-8376-4568-2 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4568-6 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4568-2

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Soziologie Gianna Behrendt, Anna Henkel (Hg.)

10 Minuten Soziologie: Fakten 2018, 166 S., kart. 16,99 € (DE), 978-3-8376-4362-6 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4362-0

Heike Delitz

Kollektive Identitäten 2018, 160 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3724-3 E-Book: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3724-7

Anna Henkel (Hg.)

10 Minuten Soziologie: Materialität 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 €(DE), ISBN 978-3-8394-4073-5

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