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German Pages [156] Year 2016
Poetik, Exegese und Narrative
Studien zur jüdischen Literatur und Kunst
Poetics, Exegesis and Narrative Studies in Jewish Literature and Art
Band 6 / Volume 6
Herausgegeben von / edited by Gerhard Langer, Carol Bakhos, Klaus Davidowicz, Constanza Cordoni
Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.
Klaus S. Davidowicz
Film als Midrasch Der Golem, Dybbuks und andere kabbalistische Elemente im populären Kino
V& R unipress Vienna University Press
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5200 ISBN 978-3-7370-0673-6 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Verçffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung des Rektorats der UniversitÐt Wien. 2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Der Golem (Deutschland 1920), Eureka
Für Daniela
Inhalt
1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die Buchstaben als Schlüssel zur Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Mathematik und Kabbala – Pi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Filmischer Midrasch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Die Geheimnisse der Seele . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. An-sky und der Dybbuk . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Der Dybbuk – zwischen Murnau und Jiddischkeit 3.3. »10 Angry Men« – Der New Yorker Dybbuk . . . 3.4. Der Dybbuk und die »Verbotene Liebe« . . . . . 3.5. Der Dybbuk und die Shoah . . . . . . . . . . . . 3.6. Der Dybbuk im Splatter-Genre . . . . . . . . . . 3.7. Die Dybbuk-Kiste . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8. Der Dybbuk im Land ohne Juden . . . . . . . . . 3.9. Seelenreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Tsimtsum und Tikkun – Der lurianische Schöpfungsmythos im Kino . 4.1. Der kabbalistische Tiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Tikkun als Familientherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Destroy Your Ego! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Kabbalistische Geheimnisse oder warum Frauen die besseren Rabbiner sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Der Golem geht um . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Golem und Adam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Die Golem-Legenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Wegeners Golem – zwischen Faust und Antisemitismus 5.4. Golem contra Hitler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5. Der Golem als sozialistischer Brotofen . . . . . . . . .
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Inhalt
5.6. Der Golem trifft Norman Bates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7. Der Golem – ein letzter Blick in die Runde . . . . . . . . . . . . .
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6. Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Filmographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.
Einführung
»Aber die Geschichten sind noch nicht tot, sie sind noch nicht zur Geschichte geworden, das geheime Leben in ihnen kann heute oder morgen bei dir oder bei mir wieder zum Vorschein kommen. Unter welchen Aspekten dieser jetzt unsichtbar gewordene Strom jüdischer Mystik wieder einmal hervorbrechen wird, ist von Menschen nicht abzusehen.«1
In den letzten Jahren setzten sich vorwiegend Religionswissenschaftler in Europa und den USA mit den vielflechtigen Beziehungen zwischen »Religionen« und »populären Filmen« auseinander, wobei das Hauptaugenmerk vor allem auf dem Christentum lag.2 Die Analyse jüdischer Lebenswelten im populären Kino ist – zumindest was die Veröffentlichungen in deutscher Sprache betrifft – eine teilweise noch zu entdeckende Bilderwelt. Eine ganze Reihe von Studien ist dagegen zu den »biblischen Epen« veröffentlicht worden.3 Auch bei der Untersuchung der Bibel-Filme ist es wichtig, sie zu kontextualisieren und ihre Quellen und Hintergründe zu untersuchen. So haben die meisten amerikanischen BibelFilme mehr mit den USA selbst als mit der Bibel zu tun. Die amerikanische Frontier und Pioniere spiegeln sich in Filmen über den Exodus und die Israeliten, die das Land Kanaan erobern wollen. Amerikanische Werte und die Politik des »Kalten Krieges« werden im Gewand der biblischen Erzählung auf die Leinwand projiziert. »The real story of the decline of the Wild West would make fairly boring viewing just as the real story of, say, Jacob and Joseph (if we could ever reconstruct it) would hardly excite. Westerns maintain the myth of the west. Similarly, we don’t want realism in the 1 Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980, S. 384–385. 2 Vgl. Schriftenreihe der Internationalen Forschungsgruppe »Film und Theologie« der katholischen Akademie Schwerte. 3 Vgl. Bruce Babington, Peter William Evans, Biblical epics: Sacred narrative in the Hollywood cinema, Manchester : Wipf & Stock Publishers 1993; David J. Shepherd, The Bible on Silent Film, Cambridge: Cambridge University Press 2013; Adele Reinhartz, Bible and Cinema, an Introduction, New York: Routledge 2013.
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Einführung
retelling of the Hebrew Bible’s stories of patriarchs, prophets and kings. (…) The similarity between the Hebrew Bible’s stylized narratives and the stylized conventions of Western film-making is striking.«4
Da wundert es dann nicht, dass Otto Preminger in seinem Film »Exodus« (USA 1960) die Entstehung des Staates Israel im Western-Style dreht, wobei die Araber die Rolle der Indianer übernehmen und John Derek den Part des »edlen Wilden« in Gestalt des friedlichen Arabers Taha gibt. »The use of American locations in Old Testament movies points to the influence of the Western movie genre in the conceptualization and execution of these films, which supported the identification between early America and ancient Israel that is an important subtext throughout this set of Bible films.«5
Die Bibel-Verfilmungen erzählen uns meist mehr über die Gegenwart, in der sie entstanden sind, als über die Bibel selbst, Filme wie »The Ten Commandments« (USA 1954) von Cecil B. DeMille (1881–1959) liefern zeitgeschichtliche Bezüge zum »Kalten Krieg« oder zum amerikanischen Antikommunismus. Oft wird bei der Interpretation der Filme nur der Bibeltext selbst gesehen (wie bei zahlreichen Kritiken zu Darren Aronofskys »Noah«), aber nicht die umfangreiche rabbinische Literatur berücksichtigt, die vielleicht ebenso bei der Drehbucherstellung zu Rate gezogen wurde. Daher greift die Deutung viel zu kurz. David Desser meinte, DeMilles »The Ten Commandments« hätte fast nichts mit dem Judentum zu tun6 und Anton Kozlovic ging so weit zu behaupten, dass DeMille die jüdischen Figuren christianisiere.7 In Cecil B. DeMilles »The Ten Commandments« wird aus dem »unwürdigen« stotternden Moses der Bibel eine messianische Rettergestalt, ein königlicher Krieger. Ist dies nun wirklich ein christlicher Subtext in einer Geschichte der hebräischen Bibel? Selbstverständlich ist die Exodus-Geschichte die Blaupause der messianischen Idee – so wie Moses die Juden aus der Sklaverei erlöste, wird der Messias das Exil beenden. Wenn Pharao Sethi (Cedric Hardwicke) sagt: »Among these slaves, there is a prophecy of a deliverer who will lead them out of bondage. The star proclaims his birth.«8 ist das nicht nur eine Annäherung an das Neue Testament, sondern die geschickte Kombination jüdischer und christlicher Erlöser-Bilder. 4 Peter Francis, Clint Eastwood Westerns, in: Cin8ma Divinit8, Religion, Theology and the Bible in Film, hg. von Eric S. Christianson, Peter Francis, William R. Telford, London: SCM Press 2005, S. 186. 5 Adele Reinhartz, Bible and Cinema, an Introduction, New York: Routledge 2013, S. 22. 6 David Desser, ›Transcendental Style in Tender Mercies‹, Religious Communication Today, vol. 8, 1985, S. 21. 7 Anton Karl Kozlovic, The Construction of a Christ-Figure within the 1956 and 1923 Versions of Cecil B. DeMille’s The Ten Commandments, in: The Journal of Religion and Film 10/1 (April 2006), S. 1–3. 8 The Ten Commandments, 0:10:15–0:10:20.
Einführung
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»That the birth of Moses is prophesied based on an ascending star has a distinct echo of the birth of Jesus, and also echoes the midrashic account of the birth of Abraham, which may well draw on Christian sources. As presented here, the birth of Moses fulfills God’s promise to the children of Israel that a redeemer would be born. This is described as a universal event, involving all the stars, who bow down to the infant Moses. In fact, the kind of birth described in this myth strongly implies a kind of messianic role for Moses, who serves as a model for the concept of the Messiah. This shows that there was a Jewish tradition beyond that of the Samaritans in which Moses was viewed as a figure of messianic proportions beyond even the role of the redeemer that the Bible attributes to him.«9
Der Historiker Henry S. Noerdlinger arbeitete seit »Samson and Delilah« (USA 1949) für DeMille. Er veröffentlichte eine über 200 Seiten starke Dokumentation über die umfangreichen Recherchen für die »Ten Commandments«, in der nicht nur die Quellen, sondern auch alle wissenschaftlichen und religiösen Hintergründe dargestellt werden. DeMille schrieb in der Einführung: »In our research for The Ten Commandments, we have consulted some 1,900 books and periodicals, collected nearly 3,000 photographs, and used the facilities of 30 libraries and museums in North America, Europe, and Africa. (…) This book is the first to attempt a complete documentation of this kind of research and the first of its kind to be offered to the general public as well as to scholars. (…) Here, I hope, Jewish, Christian, and Moslem believers and the clergy of all faiths will find the light of archaeological and historical science illuminating the Word of God. (…) Motion picture producers have sometimes been criticized for spending so much money on research—in the case of The Ten Commandments more than ever before. I do not agree with the criticism. I consider it money well spent to bring to the screen the results of the work of so many patient and selfless scholars whose labors, with spade and with pen, have helped us make the days of Moses live again. Research does not sell tickets at the box office, I may be told. But research does help bring out the majesty of the Lawgiver and the eternal verity of the Law.«10
Durch Noerdlinger erfahren wir, welche Quellen für jeden Teil des Films – von der Geburt Moses bis zur Landnahme – herangezogen wurden. Der Philosoph Philo von Alexandrien (gest.40), der Historiker Titus Flavius Josephus (37 – ca. 100) und rabbinische Midraschsammlungen wie Exodus Rabba spielen dabei eine wichtige Rolle. Noerdlinger zitiert und verweist dabei ausführlich auf wissenschaftliche Standardwerke, wichtige Übersetzungen wie Louis Ginzbergs Midrash-Sammlung »Legends of the Jews« oder Denker wie Martin Buber : 9 Howard Schwartz, Tree of Souls, the Mythology of Judaism, Oxford: Oxford University Press 2004, S. 373. 10 Cecil B. Demille »Introduction«, in: Henry S. Noerdlinger, Moses in Egypt, the Documentation of the Motion Picture The Ten Commandments, Los Angeles: University of Southern California Press 1956, S. 2–3.
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Einführung
»The ancient authors who have provided us with extrabiblical information on the life of Moses need to be discussed briefly. On the Life of Moses was written by Philo Judaeus of Alexandria. (…) His approach to the subject at hand was to ›tell the story of Moses as I have learned it, both from the sacred books . . . and from some of the elders of the nation; for I always interwove what I was told with what I read, and thus believed myself to have a closer knowledge than others of his life’s history.‹ The historian Flavius Josephus produced a work of considerable importance, the Jewish Antiquities. With it Josephus wished to inform the Roman world with the history and traditions of his people. He based his writings on ›Hebrew records.‹ Of a slightly more recent date are the writings of an early church father, Eusebius of Caesarea. In his Preparation for the Gospel he quotes ancient authors who wrote about Moses and whose works are no longer extant anywhere else.(…) The Midrash particularly studied by us in our research was the Midrash Rabbah on Exodus, which is haggadic in character.«11
Diese ungewöhnlich aufwendige Recherche für die Drehbucherstellung wird zu Beginn des Films auf ebenso ungewöhnliche Weise dem Zuschauer nahe gebracht. Man sieht einen geschlossenen Vorhang auf der Leinwand, vor den Cecil B. DeMille tritt und persönlich in den Film einführt. Er erklärt, wie das Problem der »fehlenden Jahre« in der biblischen Moses-Darstellung fürs Drehbuch gelöst wurde: »To fill in those missing years, we turned to ancient historians such as Philo and Josephus. Philo wrote at the time that Jesus of Nazareth walked the Earth, and Josephus wrote some 50 years later and watched the destruction of Jerusalem by the Romans. These historians had access to documents long since destroyed, or perhaps lost.«12
DeMille kombiniert seine antiken Quellen und zeichnet Moses als König, Propheten und messianische Figur. Bei Philo ist Moses nur »König, Priester und Prophet«. Sein Zielpublikum ist in erster Linie die nichtjüdische Leserschaft. »But Moses will be seen not only to have displayed all these powers—I mean the genius of the philosopher and of the king—in an extraordinary degree at the same time, but three other powers likewise, one of which is conversant about legislation, the second about the way of discharging the duties of high priest, and the last about the prophetic office.«13
Josephus zeigt Moses analog zu den Helden der Griechen (wie Aeneas bei Vergil) und Römer als idealen tugendhaften Führer. Auch sein Zielpublikum ist laut Louis Feldman die nicht-jüdische Leserschaft.14 Moses ist ein Gesetzgeber wie Minos, ein »Führer und Ratgeber«, der wie Minos die Gesetze auf einen Gott 11 12 13 14
Noerdlinger, Moses, S. 15–16. The Ten Commandments, 0:02:41–0:03:09. Philo, Vita Mosis II, 2. Vgl. Louis H. Feldman, Josephus’ Portrait of Moses, in: The Jewish Quarterly Review 82, 3–4 (1992), S. 285–328; 83,1–2 (1992), S. 7–50; 83, 3–4 (1993), S. 301–330; Louis H. Feldman, Philo’s Portrayal of Moses in the Context of Ancient Judaism, Notre Dame: University of Notre Dame Press 2007.
Einführung
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zurückführt, »sei es, dass sie selbst daran glaubten, sei es, dass sie, indem sie dies vorgaben, eher Glauben zu finden hofften.«15 Moses selbst ist aber für Flavius Josephus kein Halbgott, hat aber einen »direkteren« Zugang zu Gott als andere Menschen. Durch die Kombination unterschiedlicher Quellen wird so aus dem Moses der Bibel bei DeMille eine messianische Führerfigur – eine kühne »jüdisch-christliche« Melange, die zwar die antiken Autoren benutzt, sie aber der eigenen Vision unterordnet. So wundert es nicht, wenn Jochebet (Martha Scott), die Mutter Moses, von sich behauptet: »God of our fathers, who has appointed an end to the bondage of Israel, blessed am I among all mothers in the land, for my eyes have beheld thy deliverer.«16
Dieser Text erinnert natürlich sehr an Marias Magnificat aus Lukas 1, 46–55. Trotz der religiösen Elemente kann man auch sehr gut die zeitgeschichtlichen Bezüge des Films erkennen. Er entstand zu einer Zeit, in der der »Kalte Krieg« zwischen der USA und der Sowjetunion seine ersten Höhepunkte erlebt hatte und der amerikanische Antikommunismus auf dem Zenit angekommen war.17 Der Koreakrieg war gerade beendet worden und die grausame Hexenjagd durch Senator McCarthy hatte die Jahre zuvor geprägt. DeMille besetzte den Schauspieler Edward G. Robinson als Dathan, der unter McCarthy »blacklisted« war und ermöglichte ihm ein Comeback. Zugleich erzeugte er aber mit Dathan eine durch und durch antisemitische Figur. Dathan ist ein geiler geldgieriger »Judas«, der zusammen mit seinem Geld am Ende untergeht. So ist das Comeback Robinsons ein sehr ambivalentes Vergnügen. »In the early Cold War era, biblical themes were attractive to an industry seeking to defend itself against charges of Communist infiltration. The officially atheist stance of the Soviet Bloc meant that the foregrounding of religious subjects could serve as an assertion of loyalty to the American way of life. ›In God We Trust‹, adopted as the country’s official motto in 1956, the year of Commandments’ release, could easily have been the film’s tagline.«18
Der Film selbst wird mit seiner Geschichte der Befreiung der Sklaven zur Folie für den Kampf gegen den Ostblock. So erklärt DeMille sehr eindeutig zu Beginn des Films die Botschaft seiner »Ten Commandments«: »Are men the property of the state? Or are they free souls under God? This same battle continues throughout the world today.«19 15 16 17 18 19
Flavius Josephus, Contra Apionem 2, S. 16. The Ten Commandments, 1:04:18–1:04:34. Vgl. Wright, Moses in America, S. 90ff. Wright, Religion in Film, S. 57. The Ten Commandments, 0:03:23–0:03:35.
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Einführung
DeMille bringt es am Ende seiner Rede sehr markant auf den Punkt, indem er »dictatorship« »Gods Law« gegenüberstellt. So zeigt für ihn sein Film »The story of the birth of freedom. The story of Moses.« Moses wird für DeMille zum Erlöser, der den Menschen die Freiheit bringt – so wie die USA den Kampf gegen aktuelle Diktaturen führt. So sieht DeMille die kommunistische »gottlose« Sowjetunion als die Gefahr der Gegenwart für die USA, in der Gottes Gesetze noch blühen würden. Die Rolle der USA als Weltpolizist im Kampf gegen die neuen Sklavenhalter im Gewand des Kommunismus wird in einer kleinen Textänderung am Ende des Films deutlich. Als Moses zurückbleibt und die Führung an Josua (John Derek) übergibt, spricht er »Go! Proclaim liberty throughout all the lands, unto all the inhabitants thereof!«20Der Originaltext in der Bibel (Leviticus 25,10) hat nur »Land« im Singular. Am Ende hält Moses die Fackel der Freiheit in deutlicher Anspielung auf die Freiheitsstatue in Händen, »his rhetoric looks forward to the triumph of democracy.«21 DeMille gelingt es auf diese Weise eine Moses-Figur zu erschaffen, die antike Quellen benutzt, aber zugleich zutiefst amerikanisch ist – ideal verkörpert durch Charlton Heston, der durch seine Porträts übergroßer Helden und Erlösergestalten wie »Ben Hur« (USA 1959, R: William Wyler) berühmt geworden ist. DeMille schuf mit den »Ten Commandments« den bis heute »definitiven« Moses-Film. Wir wir eben bei »The Ten Commandments« im Bereich des Bibel-Films gesehen haben, sind solche Darstellungen der »alttestamentarischen« Heldengestalten nicht nur reine Unterhaltung. Filme, die sich mit jüdischen Lebenswelten und jüdisch traditioneller Literatur auseinandersetzen, sind als moderner Midrasch zu verstehen. Sie sind zeitgenössische Kommentare und mischen die Elemente der jüdischen Tradition oft bunt und mehr oder weniger geschickt durcheinander. Ich verwende den Begriff Midrasch nicht in der strengen Definition als rabbinischen Kommentar, sondern deute Midrasch auf offene Weise.22 Ich verstehe in diesem Zusammenhang Filme als modernen Midrasch zu jüdischen Texten und Lebenswelten. Dies ist ein Weg, den bereits Nathan Abrams in Zusammenhang mit den Filmen von Stanley Kubrick beschritten hat.23 Genauso wie die Texte der Bibel, so hat auch die kabbalistische Literatur ihren Weg auf die Leinwand gefunden. In einer Reihe von Spielfilmen wurden kabbalistische 20 21 22 23
The Ten Commandments, 3:45:34–3:45:41. Babington, Evans, Biblical epics, S. 55. Vgl. Gerhard Langer, Midrasch, Tübingen: Mohr Siebeck 2016, S. 270–273. Vgl. Nathan Abrams, ›A double set of glasses‹: Stanley Kubrick and the Midrashic Mode of Interpretation, in: De-Westernizing Film Studies, ed. Saer Maty Ba und Will Higbee, London: Routledge 2012, S. 141–151.
Einführung
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Elemente und Texte verarbeitet und bilden so Bausteine eines modernen filmischen Midrasches zur jüdischen Mystik. Wenn wir heute das Wort Kabbala verwenden, können wir sicher sein, daß es für den an Mystik und Esoterik interessierten Menschen gewiß kein Fremdwort ist. Das Problem besteht eher in der Tatsache, daß die Leute durchaus sehr verschiedene Vorstellungen davon haben, was Kabbala ist. Die einen sehen in ihr die alte mystische Weisheit der Ägypter, die anderen eine der wichtigsten mystischen Richtungen des Abendlandes, manche wiederum verbinden sie mit dem Christentum, vergessen aber dabei vielfach, daß es sich hier um eine ursprünglich jüdische Erscheinung handelt. Nur wenige Menschen sehen die Kabbala im Zusammenhang mit Judentum und Mittelalter. Der Begriff selbst ist natürlich viel älter als die gleichnamige mystische Lehre im Judentum. Er bedeutet nichts weiter als »das, was man empfangen hat«, bzw. Tradition. Ursprünglich wurde damit die traditionelle Lehre, die man »empfangen« hat, bezeichnet. Erst im 13. Jahrhundert begann man den Ausdruck für die damals neu aufgekommene mystische Strömung zu verwenden. Daß manche Kabbalisten der Überzeugung waren, sie tragen eine uralte Tradition vor, ändert nichts am Faktum, daß wir es hier mit einem Phänomen des mittelalterlichen Judentums zu tun haben. Hier ist es auch wichtig anzumerken, daß die Kabbala nicht der Beginn der jüdischen Mystik als solche ist, sondern nur ihr bedeutendster und in der weiteren Geschichte wirksamster Teil. Sie entstand als jüdische Mystik Ende des 12. Jahrhunderts in Südfrankreich. Spätere bedeutende Schulen gab es in Spanien im 13. und im 16. Jahrhundert in Israel. Die zentralen kabbalistischen Texte sind das Buch »Bahir« (das helle Buch), der »Zohar« (Buch des Glanzes) und »Ets Chajim« (Der Lebensbaum). Ich möchte in Folge untersuchen, wie diese kabbalistische Literatur und ihre Elemente ihren Weg auf die Leinwand gefunden haben, wobei ich den Schwerpunkt auf das amerikanische Kino setzen werde. Ich werde aufzeigen, wie jüdische mystische Themen und Motive in Spielfilmen – von der Stummfilmzeit bis zur Gegenwart – weltweit verarbeitet wurden. Dieser Bogen spannt sich von Paul Wegeners »Golem-Filmen« (Deutschland 1914–1920) bis zu David Aronofskys »Noah« (USA 2014). Die meisten der populären Filme – und auch die des »arthouse Cinemas« – haben dabei trotz der Fülle der Motive das Hauptaugenmerk auf nur einige wenige – vor allem magische – Elemente wie Golem und Dybbuk gelegt und sich diesen mehrfach gewidmet. Daher konzentriere ich mich auf vier größere Themenkomplexe, die sowohl magische Phänomene wie den »Golem«, aber auch theosophische Gedankengebäude wie die Seelenwanderung betreffen. Ein Grundproblem betrifft viele der früheren Auseinandersetzungen mit jüdischen Lebenswelten und Traditionen im Film. So fehlt es oft bei den von
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Einführung
Historikern, Judaisten oder Theologen verfassten Studien wie z. B. Omer Bartovs »The ›Jew‹ in Cinema« an vielen Stellen an filmwissenschaftlichen Kenntnissen. Auf der anderen Seite mangelt es exzellenten Überblicken wie Carrol Frys »Cinema of the Occult« an Kenntnissen der jüdischen Tradition, wie man sie bereits in Proseminaren erwerben kann. Diese Fehler versuche ich mit meiner Studie zu den kabbalistischen Elementen zu vermeiden. Mir ist es ein Anliegen, nicht die Filme an sich zu analysieren, sondern sie in Bezug zur Kabbala zu kontextualisieren und als filmischen Midrasch zu präsentieren. Julia Kristeva, Roland Barthes oder G8rard Genette haben sich innerhalb der Literaturwissenschaft mit dem Begriff der »Intertextualität« auseinandergesetzt und gezeigt, wie Texte in anderen Schriften in Form von Hinweisen oder konkreten Zitaten ein zweites Leben führen können: »Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unterschiedlichen Stätten der Kultur. […] Ein Text ist aus vielfältigen Schriften zusammengesetzt, die verschiedenen Kulturen entstammen und miteinander in Dialog treten, sich parodieren, einander in Frage stellen.«24
Genau dies können wir auch bei den Filmen feststellen, die sich der Texte und Elemente der Kabbala bedienen. Dabei können wir sehen, dass in den folgenden vorgestellten Filmen die jüdische Mystik keineswegs nur ein Beiwerk ist, sondern dass die Filme in ihrer Auseinandersetzung mit den kabbalistischen Texten auf intertextuelle Weise einen durch und durch modernen Kommentar darstellen und das Bild jüdischer Religion in der Populär-Kultur entscheidend geprägt haben – Film als Midrasch. Israelische Produktionen werden dabei nur exemplarisch berücksichtigt, weil hier andere Voraussetzungen als im europäischen und amerikanischen Film gegeben sind. Da Filmemacher und Zielpublikum jüdisch sind, ist hier ein ganz spezifischer Umgang mit der jüdischen Religion und mit religiösen Texten, bei dem vieles nicht erklärt wird, Voraussetzung. Meine Studie folgt in ihrem Ansatz der klassischen Autorentheorie, da diese »filmischen Kommentare« in ihren einzelnen Beispielen vom »Autor« des Films nicht zu trennen sind. Natürlich sind auch hier die einzelnen Regisseure der herangezogenen Filme nicht immer »auteur«, sondern oft nur ein schlichter »r8alisateur«. In den USA ist die geisteswissenschaftliche Hermeneutik, die von dem allzu strengen Korsett des Methodenzwangs befreit wird, übrigens bereits zurückgekehrt.
24 Roland Barthes, »Der Tod des Autors«, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez, Simone Winko, Stuttgart: Reclam 2000, S. 190.
Einführung
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»Unter dem Einfluß des Poststrukturalismus, der Cultural Studies und neuen Theorieformationen wie der Queer Theory entwickelt sich eine wieder eher geisteswissenschaftlich ausgerichtete Hermeneutik von Medienprodukten. (…) Dies ist nicht ohne Ironie: In der Regel wandern solche Entwicklungen mit einer gewissen zeitlichen Versetzung auch in den deutschen Wissenschaftsbetrieb ein. Man kann also gewissermaßen darauf warten, bis die Methodeninsistenz hierzulande wieder kritisiert wird und die geisteswissenschaftliche Hermeneutik eine Renaissance erfährt. Eine methodenfreie theologische Interpretation von Medienprodukten fände sich dann plötzlich ins Recht gesetzt.«25
In der Vielzahl religiöser Motive und Themen, die in zahlreichen Filmen seit dem Beginn des Esoterik-Booms der 80er Jahre auftauchen, ist auffällig, dass sich in einer ganzen Reihe von Filmen auch Elemente aus der Welt der jüdischen Mystik, der Kabbala, finden. Eric Wilson subsumierte diese doch recht unterschiedlichen Filme der verschiedensten Genres wie »Excalibur« (UK 1981, R: John Boorman), »Blade Runner« (USA 1982, R: Ridley Scott) oder »Blue Velvet« (USA 1986, R: David Lynch) unter einem neuen Sub Genre, das er »Gnostic Cinema« nannte, bestehend aus den drei Themenbereichen »Gnosis«, »Alchemie« und »Kabbala«. »In the last twenty years or so, numerous mainstream movies have drawn from the ideas and images of ancient thought to address the recent collapse of appearance and reality. These films have consistently featured the Gnostic currents that emerged from Plato: not only Gnosticism itself but also its primary outgrowths Cabbala and alchemy. Despite important differences, these traditions have provided filmmakers with ready-made ruminations on the relationship between surface and depth as well as with engaging plots and striking scenes. (…) The Cabbalistic motif of golem-making has provided such movies as A.I. (2001) and Blade Runner (1982) with profound mediations on the human and the machine as well as on freedom and determinism.«26
In seiner Auswahl der »Kabbala«-Filme (Blade Runner [USA 1982] / Robocop [USA 1987, R: Paul Verhoeven] / Making Mr. Right [USA 1987, R: Susan Seidelman]) reduziert er das kabbalistisch geprägte Kino allein auf das »GolemMotiv«. Zudem haben die künstlichen Wesen in den drei genannten Filmen mehr Ähnlichkeit mit den antiken griechischen Automaten oder den künstlichen Wesen des Paracelsus als mit dem jüdischen Golem. Die griechischen Maschinen unterscheiden sich wesentlich von dem jüdischen Mann aus Lehm, der mit Unterstützung göttlicher Namen erschaffen wird. Das von ihm als »Gnostic Cinema« bezeichnete Genre – von »The Lord of the 25 Thomas Hausmanninger, Filmanalyse und Religion, in: Thomas Bohrmann, Werner Veith, Stephan Zöller (hg.), Handbuch Theologie und Populärer Film, Band 3, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, S. 28. 26 Eric G. Wilson, Secret Cinema, Gnostic Vision in Film, London: Continuum Publ., 2006, S. VII–VIII.
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Rings« (USA 2001–03, R: Peter Jackson) bis zu »Man of Steel« (USA 2013, R: Zack Snyder) – ist vielmehr ein »Esoteric Cinema«, das ein Publikum bedient, welches sich im »New Age« – Supermarkt der Gegenwart an Heilsteinen und Seelenwanderungstheorien erfreut. So finden wir in einzelnen Filmen nicht nur einzelne Elemente aus Alchemie oder Kabbala, sondern vielmehr ein Flickwerk religiöser, esoterischer und okkultistischer Motive, wie in der »Matrix-Triologie« (USA 1999–2003, R: The Wachowski Brothers). Dennoch gibt es im populären Film einige interessante Beispiele, die sich auf sehr intelligente Weise aus dem reichen Fundus der Kabbala bedient haben. Kabbalistische Elemente in populären Spielfilmen sind nicht nur ein Phänomen der letzten Jahre, sondern ziehen sich durch die gesamte Filmgeschichte, auch wenn Wilson mit der Beobachtung Recht hat, dass sich in den letzten 30 Jahren verstärkt Filme mit der Kabbala befassen. Dies hängt nur bedingt mit dem Esoterik-Boom der letzten Jahre zusammen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde durch Gershom Scholem an der Hebräischen Universität in Jerusalem die Kabbalaerforschung quasi aus dem Nichts begründet. Seine Erforschungen wurden nicht nur vom rein wissenschaftlichen Publikum gelesen, sondern – vor allem in den USA – von allen, die sich für die vom Nimbus des Geheimnisvollen umrankte Kabbala interessieren. Harold Bloom erkannte bereits in den 80er Jahren, dass säkulare Juden ihre jüdische Spiritualität »aus den Schriften von Kafka, Freud und Scholem«27 beziehen. Neben dem intellektuellen Zugang durch das Werk Scholems hat vor allem das weltweit operierende »Kabbalah Centre« der Familie Berg es geschafft, kabbalistische Elemente massentauglich zu popularisieren – »einige rudimentäre Elemente, die (…) vermarktbar erschienen, verrührt mit Esoterik und Psycho-Gruppenerlebnissen,«28 – und dank Stars wie Madonna zu verbreiten. »Regelmäßig reist aus Paris auch der europäische Statthalter der Kabbalah an die Leine (zum Center in Hannover), Rabbi Avi Nachmias, 40. Sein Kurs »Der sechste Sinn« etwa läuft so: Jeder bekommt ein Stück Tomate, eine Gurkenscheibe, einen Stein, eine Blume und eine Schraube. Weil schon König David mit Tieren gesprochen habe, sagt Nachmias, sollen sich alle vorstellen, die Objekte seien riesengroß – und versuchen, in sie einzudringen. Es funktioniert prächtig. Eine ältere Dame berichtet danach den anderen: »In der Gurke war ich ziellos, aber in der Tomate, da habe ich mich gefühlt wie in einer Gebärmutter.« Eine junge Frau hat gar mit dem Stein gesprochen, schließlich auch noch auf der Schraube ihren Schutzengel getroffen. Pragmatisch sieht das Ganze nur ein Mann: »In der Tomate, da dachte ich an Zwiebeln, Basilikum und frisches Brot.« Dann werden unter Tränen »Blockaden gelöst«, Rabbi Nachmias erzählt noch schnell was von Vergebung und Versöhnung, singt den Beatles-Schlager »All You Need Is Love« und
27 Harold Bloom, Kafka, Freud, Scholem, Frankfurt a. M.: Stroemfeld/Roter Stern 1990, S. 80. 28 Alexander Kühn, Kabbalah und Euros, in: Der Spiegel 20 (2003), S. 65.
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schickt die Leute heim – nach sieben Stunden Seminar, für 28 Euro, einschließlich Tomate und Stein.«29
Trotz der Fragwürdigkeit wie hier »Unfug als pure Weisheit verkauft«30 wird, sind durch das »Kabbalah Centre« kabbalistische Begriffe verstärkt in die Populärkultur eingeflossen. Daneben gibt es das immer noch ungebrochene Interesse von Künstlern und Intellektuellen, die Scholem und spätere Forscher wie Moshe Idel in ihren Werken reflektieren. Neben dem »angelesenen« Zugang zur Kabbala gibt es natürlich auch Filmemacher wie Darren Aronofsky, die ihre Kenntnisse der jüdischen Mystik aus der eigenen jüdischen Tradition geschöpft haben. Es ist dabei offensichtlich, dass sich die Filmemacher weniger für die theoretischen und theosophischen Texte der Kabbala interessierten, als für die sogenannte »praktische« Kabbala, die Welt der Wunderrabbiner, Dybbuks, Golems und der Magie. Als neuen visuellen Midrasch, als moderne Deutung mystischer Elemente, möchte ich im Folgenden die von mir ausgewählten »Kabbala-Filme« verstehen.
29 Alexander Kühn, Kabbala und Euros, in: Der Spiegel 20 (2003), S. 65. 30 Johann Maier, in: Alexander Kühn, Kabbala und Euros, in: Der Spiegel 20 (2003), S. 65.
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Die Buchstaben als Schlüssel zur Schöpfung
Eine grundlegende Basis für die Spekulationen über die Erschaffung der Welt bildet der Gedanke von den hebräischen Buchstaben als Schöpfungsinstrumente. Die Buchstaben, mit deren Kombinationen und Permutationen man die Schöpfung nachvollziehen könne, stehen dabei im Zentrum. Isopsephie, das Spiel mit Zahlen und Buchstaben, ist unter der hebräischen Bezeichnung Gematria bekannt. Woher das Wort Gematria kommt, ist unklar. Es könnte vom griechischen Geometria abgeleitet worden sein, denn schließlich geht es in der Gematria auch um eine Art von »Vermessung der Welt«. Bereits in der ersten großen rabbinischen Gesetzessammlung, der Mischna (ca. 3. Jahrhundert, Mischna bedeutet Studium, bzw. mündliche Lehre), wird die Gematria erwähnt.31 Sie ist eine hermeneutische Regel der Torainterpretation und gilt als die 29. von insgesamt 32 Regeln des Eliezer ben Jose ha-Gelili aus dem 2. Jahrhundert. Da jedem der 22 hebräischen Buchstaben ein Zahlenwert entspricht, wird dies schlicht als Interpretationsmöglichkeit herangezogen. Von alef (1), dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets, bis zu tet (9), dann von jod (10) bis tzade (90) in Zehnerschritten und schließlich von kof (100) bis zum letzten Buchstaben taw (400) in Hunderterschritten. Mit den fünf anders geschriebenen Endbuchstaben von kaf (500), mem (600), nun (700), pe (800) und tzade (900) wird dies fortgeführt. In den kabbalistischen Werken wurde die Gematria nicht zu einer zentralen, aber dennoch beliebten und in ihren Deutungen oft verblüffenden Methode der Textdeutung. So versteht das »Sefer ha-Zohar« (Buch des Glanzes, 13. Jahrhundert), das Hauptwerk der Kabbala aus dem mittelalterlichen Spanien, den biblischen Aufruf »Lech lecha – geh hinweg« an Abraham als Hinweis, dass er mit 100 Jahren Vater werden würde, da der Zahlenwert von »Lech lecha« 100 ist.32 Wie wir hier sehen können, wurden nicht nur die Figuren und Ereignisse der hebräischen Bibel gematrisch interpretiert, sondern in der 31 Die Mischna, Ordnung Nezikim (Beschädigungen), Traktat Avot (Sprüche der Väter), Kapitel 3, Wiesbaden: Marix Verlag 2005, S. 18. 32 Zohar I 79b.
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Bibel selbst gematrische Verschlüsselungen gefunden. Genesis 14,14 erzählt von den 318 Dienern Abrahams, die er seinem Neffen Lot zur Hilfe schickte. Abrahams persönlicher Diener hieß Elieser (der Name bedeutet soviel wie »Gott ist meine Hilfe«). Der Zahlenwert des Dieners Elieser ist 318. Folglich schickte Abraham laut der rabbinischen Deutung nicht 318 Männer, sondern Elieser allein.33 Doch die Gematria beschränkte sich nicht nur auf Texte. Der jüdische Gebetsmantel hat bei den aschkenasischen Juden 39 und bei den sephardischen Juden 26 Knoten. 26 entspricht dem Zahlenwert des unaussprechlichen Gottesnamens, dem vierbuchstabigen Tetragrammaton (jod-heh-waw-heh), wofür in frommen jüdischen Kreisen das Wort »Ha Schem« (der Name) eingesetzt wird, 39 ist der Zahlenwert von »Ha-Schem echad« (Gott ist einzig). Eine andere Verschlüsselung ist die »Atbasch«-Methode, die auch bereits in der Bibel zu finden ist. Hier hat der erste Buchstabe »alef« den Zahlenwert des letzten Buchstabens »taw« und umgekehrt. So wird im Buch Jeremia 25,26 und 51,41 Bavel (Babylon) als Scheschach verschlüsselt. Die Theorie des Bibelforschers Hugh Schonfield, dass die Götzenfigur der Templer »Baphomet« eigentlich eine Atbasch-Verschlüsselung für »Sophia« (Weisheit) ist34, wurde von Dan Brown in seinem Bestseller »The Da Vinci Code« benutzt. Die Idee, dass allen Elementen des Universums ein Schöpfungsakt aus bestimmten Buchstabenkombinationen zu Grunde liegt, führte zu magischen Spekulationen, die Schöpfung nicht nur zu verstehen, sondern zu wiederholen oder gar Leben künstlich zu erschaffen. Im antiken »Sefer Jezira« (Buch der Schöpfung) wird beschrieben, wie Gott mit den 22 Buchstaben alles bildete, was geschaffen werden sollte. Die Buchstaben werden hier stets mit Entsprechungen im Menschen, im Jahr und im Universum verbunden. Das Buch spricht nicht nur von der Vielzahl der Möglichkeiten durch die Buchstabenkombinationen. Es führt eine interessante Mikro- und Makrokosmosentsprechung ein, in der die Affinität zwischen der astronomischen Welt und dem Körperbau des Menschen hergestellt wird. So entsprechen die drei Buchstaben alef, mem und schin – im Text »Mutter-Buchstaben« genannt – nicht nur Luft, Wasser und Feuer, sondern auch den drei Jahreszeiten (Kälte, Wärme, Gemäßigtes) sowie dem Kopf, Leib und Bauch. Die sieben doppelten Buchstaben (man kann sie auf zwei verschiedene Weisen aussprechen) werden den sieben Planeten, den sieben Wochentagen und sieben Sinnesorganen zugeordnet. Die zwölf übrigen einfachen Buchstaben entsprechen den zwölf Sternbildern, den zwölf Monaten und den zwölf leitenden Organen im Körper. »§ 19 (Lange Version): 22 Buchstaben: Er gravierte sie, meißelte sie ein, wog sie, wechselte sie aus, verband sie miteinander, und bildete damit: die Seele alles Geschaf33 Genesis Rabba 43,2. 34 Hugh Schonfield, The Essene Odyssey, Scranton, Pennsylvania: Element Books 1984, S. 164.
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fenen und die Seele all dessen, was künftig zu bilden ist. Und wie wog er sie und wechselte sie aus? Alef mit ihnen allen und sie alle mit alef, bet mit ihnen allen und sie alle mit bet, gimmel mit ihnen allen und sie alle mit gimmel, alle rotieren so fort, und so ergibt es sich, dass sie in 231 Tore hervorgehen. Daraus ergibt sich, dass alles Geschaffene und alles Gesprochene aus einem einzigen Namen hervorgeht.«35
Zahlenrätsel und Verschlüsselungen in Filmen sind nicht immer Hinweise auf die jüdische Kabbala. In der spanischen Satire »El d&a de la Bestia« (Der Tag des Tieres, Spanien 1995, R: ]lex de la Iglesia) verkündet der Priester Cura (]lex Angulo), dass ihm der genaue Ankunftstermin des Antichristen mit Hilfe von Entschlüsselungen des Textes der Offenbarung bekannt sei und er ihn nun aufhalten müsse. In einer Szene erklärt er auch einige hebräische Buchstaben und ihre Zahlenwerte. Sind hier die Buchstaben wenigstens korrekt dargestellt, sind in einer weiteren Szene der Gottesname Schadai und der Engelsname Metatron völlig falsch geschrieben. Der Schlüssel für die Berechnungen des Priesters liegen in der christlichen Kabbala. So erwähnt er auch mehrmals den Gelehrten Johannes Trithemius (Johannes Tritheim, 1462–1516) und die christliche Kabbala der Renaissance. Diese war eine geistesgeschichtliche Bewegung, die vor allem versuchte, christliche Inhalte in den kabbalistischen Texten zu entdeckten, bzw. mit kabbalistischen Methoden wie der Gematria verborgene Inhalte der christlichen Texte aufzudecken.36 So war auch Trithemius ein christlicher Kabbalist, der in seinem lateinischen Werk zur Kryptographie, »Polygraphiae libri sex« (Reichenau 1518), Systeme der Chiffrierung und Dechiffrierung von Texten beschrieb. Trithemius wurde immer wieder der Magie und Hexerei verdächtigt, so dass die Polygraphia erst posthum veröffentlicht wurde. Solche Dechiffrierungen mit Buchstaben und Zahlenwerten nutzt auch Maya Larkin (Wynona Ryder) in »Lost Souls« (USA 2001, R: Janusz Kaminski), um ebenfalls den Antichristen ausfindig zu machen. Diese Filme haben wenig mit den Schöpfungsspekulationen der Kabbala zu tun, als viel mehr mit den populären Vorstellungen rund um den höchst umstrittenen »Bibelcode«, mit dem seit einigen Jahren versucht wird, verborgene Botschaften der Bibel zu entschlüsseln. Filmisch wurden diese krausen Ideen durch die beiden Filme »The Omega Code« (USA 1999, R: Robert Marcarelli) und »Megiddo: The Omega Code II« (USA 2002, R: Brian Trenchard-Smith) passend umgesetzt – als billige Trashproduktion, bzw. mit »Der Bibelcode« (D 2008, R: Christoph Schrewe) als spekulativ-langweiliger Pro7-Eventmovie. Bedauerlicherweise ordnet Carrol L. Fry in seiner sonst sehr gut recherchierten Studie »Cinema of
35 Klaus Herrmann, Sefer Jezira, Buch der Schöpfung, Frankfurt a. M. / Leipzig 2008, S. 32. 36 Vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Christliche Kabbala; Ostfildern: Thorbecke, 2003.
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the Occult« alle genannten Filme sehr undifferenziert als »kabbalistisch«37 ein und verwechselt die Bibel mit dem Talmud.38
2.1. Mathematik und Kabbala – Pi Die faszinierendste filmische Umsetzung der kabbalistischen Suche nach dem Schlüssel zur Schöpfung gelang Darren Aronofsky (geb. 1969 in New York) in seinem Film-Debüt »p« (USA 1997). »A computer age update of Der Golem (1920) by way of Jorge Luis Borges, where technology is rendered lethal by an admixture of quasi kabbalistic symbols, p is a Heggelian occult-thriller that never sheds its sense of its own cleverness (not entirely merited).«39
Max Cohen (Sean Gullette), ein jüdisches Mathematik-Genie, das aber fern der jüdischen Tradition lebt, ist der Überzeugung, dass er alle Vorgänge mit Hilfe seines Computers Euklid (benannt nach dem griechischen Mathematiker aus dem 3. Jahrhundert) mathematisch berechnen kann. Mit 20 bereits promoviert, versucht er wie zuvor sein Mentor Sol (Mark Margolis), Muster in der geheimnisvollen Zahl p zu finden. Ist das Universum Chaos oder doch logisch berechenbar? »Max (als Erzähler): One: Mathematics is the language of nature. Two: Everything around us can be represented and understood through numbers. Three: If you graph the numbers of any system, patterns emerge. Therefore, there are patterns everywhere in nature.«40
Wenn also wirklich alles – ob natürlich oder unnatürlich – berechnet werden kann, könnten auch die Börsenschwankungen ein zu berechnendes Gesetz haben: »Max (als Erzähler): So, what about the stock market? The universe of numbers that represents the global economy. Millions of hands at work, billions of minds. A vast network, screaming with life. An organism. A natural organism. My hypothesis: Within the stock market, there is a pattern as well…Right in front of me, hiding behind the numbers. Always has been.«41
Die Börse ist für Max nur ein Beispiel, an Geld ist er nicht interessiert, »I want to understand our world.« Max’ Suche nach Erkenntnis ist aber nicht nur die 37 Carrol L. Fry, Cinema of the Occult, Bethlehem: Lehigh University Press, 2008, S. 126; S. 152– 153. 38 Fry, Cinema, S. 125. 39 Mark Sinker, Pi, in: Sight and Sound, January 1999, S. 52. 40 p, 0:03:11–0:03:35. 41 p, 0:03:56–0:04:21.
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faustische Suche nach dem »was die Welt im Innersten zusammenhält«,42 sondern eher mit den kabbalistischen Versuchen verwandt, in den heiligen Texten einen Schöpfungscode zu entdecken, was auch im Film durch die Begegnung Max Cohens mit Lenny Mayer (Ben Shenkman), einem Mitglied einer orthodoxen kabbalistischen Gruppe, gezeigt wird. »Lenny : So… What do you do? Max: I work with computers. Math. Lenny: Math? What kind of math? Max: Number theory. Research mostly. Lenny: No way. I work with numbers myself. I mean, not traditional. I work with the Torah. Amazing! Hebrew is all math. It’s all numbers. You know that? Look. Ancient Jews used Hebrew as their numerical system. Each letter’s a number. The Hebrew A, Aleph, is 1. B, Bet, is 2. Understand? But look, the numbers are interrelated. Take the Hebrew for father, »av«. Aleph, Bet.1, 2 equals 3. The word for mother, »em«. Aleph, Mem.1, 40 equals 41 .The sum of 3 and 41, 44. Right? Now, the Hebrew word for child – mother, father, child. »Yeled«. That’s 10, 30 and 4. 44. Torah is just a long string of numbers. Some say that it’s a code, sent to us from God.(…) The Garden of Eden, Kadem. Numerical translation, 144. The value of tree of knowledge, in the garden. Right? Ets ha-Chayim, 233. 144, 233.«43
Hier hat Aronofsky einige Fehler im Dialog. Der »Baum der Erkenntnis« ist nicht »Ets ha- Chayim« (Baum des Lebens), sondern »Ets ha-Da’at« (Baum der Erkenntnis). Auch kommt das Wort »Kedem« zwar in Zusammenhang mit dem Garten Eden vor, nur steht das hebräische Wort »Kedem« für »Osten«, also »jenseits von Eden, gegen Osten« (Genesis 4, 16). Max lebt isoliert und nur für seine Forschung, die an ihm freundschaftlich interessierten Nachbarn behandelt er abweisend. Aber die Suche nach Erkenntnis ist selbstzerstörerisch. Sol (benannt nach dem römischen Sonnengott), der seinen neuen Zierfisch bezeichnenderweise Ikarus »after you, my renegade pupil« nennt und selbst Jahrzehnte p erfolglos erforscht hat und einen Schlaganfall bekam, warnt wiederholt seinen früheren Schüler : »Dein Geist wird verwirrt werden, Deine Gedanken werden verworren werden, und Du wirst keinen Weg finden, den Träumereien Deines Geistes zu entfliehen. Die Kraft Deiner Phantasie wird Dich überwältigen, Du wirst viele völlig nutzlose Phantasien 42 Siehe: Peter Schraivogel, Was die Welt im Innersten zusammenhält – Die Reise ins Innere als Verzicht auf die absolute Wahrheit, psychoanalytische Überlegungen zu Pi von Darren Aronofsky, in: Peter Bär, Gerhard Schneider (hg.), Darren Aronofsky, Gießen: PsychosozialVerlag 2012, S. 337–49. 43 p, 0:14:18–0:15:32.
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haben. Deine imaginativen Fähigkeiten werden stärker werden und Deinen Intellekt schwächen, bis Deine Träumereien Dich in ein großes Meer werfen werden. Du wirst niemals die Weisheit aufbringen, daraus zu entfliehen, und wirst deshalb darin ertrinken.«44
Hier wird natürlich deutlich auf die antike griechische »Dädalus und Ikarus« Sage angespielt. Ikarus kommt der Sonne der Erkenntnis zu nahe und stirbt. Zugleich erinnert es an die zahlreichen Warnungen der Rabbiner und Kabbalisten an ihre Adepten, dass es gefahrvoll ist, sich mit den Geheimnissen der Schöpfung zu befassen. Auch Max’ Arbeit wird zunehmend gefährlicher. Er leidet immer stärker an fürchterlichen Cluster-Kopfschmerzen und Anfällen. Die unübersehbare Menge an Schmerzmitteln, die er spritzt oder schluckt, bleibt wirkungslos. Nahaufnahmen, schnelle Schnitte, untermalt von Max’ Kommentar, ziehen den Zuschauer immer tiefer in die Welt des Protagonisten. »Second attack in under 24 hours. Administered 80 milligrams Promozine HCI and six milligrams Sumattrapan orally, as well as one milligram Dihydroric-atamine-mezilayte by subcutaneous injection.«45
Nach einem Computerabsturz spuckt Euklid eine Ziffernfolge, bestehend aus 216 Zahlen, aus. Ist dies der Schöpfungscode? Hier ist Aronofsky ein weiterer Fehler unterlaufen – die Ziffernfolge, die man im Film sieht, hat 218, nicht 216 Stellen. Zumindest zwei Gruppen vermuten, dass Max auf der richtigen Spur ist und wollen ihm sein Wissen abjagen – Marcy Dawson (Pamela Hart) und ihre Wallstreet-Agenten sowie Lenny Mayer und seine chassidischen Kabbalisten. Die 216 Zahlen, bzw. Buchstaben, sind ein Hinweis auf den »Schem Ha–Mephorasch« (auseinandergesetzter Gottesname) aus 216 Buchstaben. Er besteht aus 72 Namen zu je drei Buchstaben, wodurch man 216 Buchstaben erhält. Die Idee, dass es einen Gottesnamen aus 72 Buchstaben geben soll, findet sich schon im bereits vorhin erwähnten Midrasch Genesis Rabba (entstanden im 4.–5. Jahrhundert), ohne dass die Reihenfolge der Buchstaben mitgeteilt wurde. »R. Abin sagte: Mit seinem Namen, welcher aus 72 Buchstaben besteht, wird er sie erlösen.«46
Dass dieser Gottesname eigentlich aus insgesamt 216 Buchstaben besteht und um welche es sich dabei handelt, erläutert Rabbiner Schlomo ben Jizchak (Raschi genannt, 1040–1105) aus Troyes, einer der zentralen rabbinischen Gelehrten des Mittelalters. Er lüftet das Geheimnis des Gottesnamens in seinem 44 Abraham Abulafia, Sefer HaTzeruf, Folio 1b. 45 p, 0:07:31–0:07:44. 46 Genesis Rabba 44,19.
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Talmud-Kommentar.47 Der Name wird aus drei Versen aus Exodus 14, 19–21 abgeleitet, die alle drei je 72 Buchstaben haben. Man nimmt zuerst den 1. Buchstaben des 1. Verses, dann den letzten Buchstaben des 2. Verses und schließlich den 1. Buchstaben des dritten Verses und gelangt so zum 1. Namen. Daraufhin wieder den 2. Buchstaben des 1. Verses, den vorletzten Buchstaben des 2. Verses und den 2. Buchstaben des 3. Verses usw. So gelangt man zu 72 Namen zu je drei Buchstaben. Dass dieser Gottesname aus 216 Buchstaben in gelehrten jüdischen Kreisen bereits seit dem Mittelalter »entschlüsselt« ist und es in den wichtigsten kabbalistischen Texten, dem Buch Bahir, dem Zohar und in den Werken der lurianischen Kabbala dazu lange Diskussionen gibt, übergeht Aronofsky bewußt. »He says they’re after a 216-digit number in the Torah.«48
Die Zahl 216 kann natürlich auch eine Anspielung auf die berühmte »Zahl des Tieres« aus der Offenbarung des Johannes 13,18 sein: 6x6x6 ergibt ebenfalls 216. Als die Wallstreet-Agenten eines Abends Max gegenüber handgreiflich werden, retten ihn die Kabbalisten, nur um ihn zugleich auf ebenso brutale Weise zu entführen. Sie bringen ihn zu ihrem Oberhaupt, Rabbi Cohen (Stephen Pearlman). Es ist natürlich kein Zufall, dass sowohl Max als auch der kabbalistische Rabbi »Cohen« heißen. Dies bedeutet, ihre Vorfahren gehörten zu den Priestern (Kohanim) des im 1. Jahrhundert durch die Römer zerstörten Jerusalemer Tempels und kannten womöglich den wahren Gottesnamen… »Rabbi Cohen: The Romans also destroyed our priesthood, the Cohanim. And with their deaths, they destroyed our greatest secret. In the centre of the temple was the heart of Jewish life, the holy of holies. It was the earthly residence of our God. The one God. It housed the Ark of the Tabernacle, which stored the original 10 Commandments which God gave to Moses. Only one man was allowed to enter this holy of holies on one day, the holiest day of the year, Yom Kippur. On the Day of Atonement, all of lsrael would descend upon Jerusalem to watch the High Priest, the Cohen Gadol, make his trip to the holy of holies.(…) The High Priest had one ritual to perform there. He had to intone a single word. That word was the true name of God. The true name, which only the Cohanim knew, was 216 letters long. Max: Are you telling me that…That the number in my head is the true name of God. Rabbi Cohen: Yes! It’s the key to the Messianic age. It will take us closer to the Garden of Eden. As the temple burnt, the Talmud tells us the High Priest walked into the flames.
47 Raschis Kommentar zum Babylonischen Talmud, Traktat Sukka, Folio 45a. 48 p, 0:28:53–0:28:56.
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He took the key to the top of the building, the heavens opened and received the key from the priest’s outstretched hand. We have been looking for that key ever since. And you may have found it.«49
Aber Max verweigert die Zusammenarbeit mit Rabbi Cohen und seiner mystischen Truppe, die im Film genau wie die Wallstreet-Agenten als selbstsüchtige »Gang« gezeigt wird, welche rücksichtslos ihre eigenen Interessen verfolgt. »Max: It was given to me. It’s inside of me. It’s changing me.(…) It’s just a number.(…) The number is nothing. It’s the meaning. The syntax. It’s what’s between the numbers. You haven’t understood it. It’s because it’s not for you. I’ve got it. I’ve got it! I understand it. And I’m gonna see it. Rabbi, I was chosen.«50
Sol stirbt an einem weiteren Schlaganfall. Max entdeckt in dessen Unterlagen, dass er die Suche nach p wieder aufgenommen hatte. Er geht in seine Wohnung zurück, betet die 216 Zahlen und erleidet einen Anfall, den er diesmal jedoch ohne Tabletten übersteht. Er zerstört seinen Computer und verbrennt das Blatt mit den 216 Zahlen. Danach bohrt er sich mit einer Bohrmaschine in den Kopf. Max hat die Suche nach dem Schöpfungscode aufgegeben – der Preis ist der Verlust seiner mathematischen Fähigkeiten. Übrig bleibt Max als lächelnder Niemand auf einer Parkbank. Aronofsky, der mit p einen Film über »God, Math and Badass Jews«51 drehen wollte, schuf damit auch einen sehr anti-religiösen Film: »The film [though] in a lot of ways is anti-religion and pro-spirituality. I think a lot of religious groups often forget why and what they’re doing. Anyone who believes that they should kill in the name of God I think, has totally lost all sense of spirituality. You know, that’s not what it’s about.«52
Die Produktion des Films war ein reines Familienunternehmen. Freunde und Verwandte investierten je 100 Dollar (mit Aussicht auf spätere Gewinnbeteiligung), um das erforderliche Budget von 60 000 Dollar zu erreichen. Gedreht wurde in Eile auf den Straßen New Yorks, da das Team keine Drehgenehmigung hatte, bzw. in einer Fabrikhalle eines Freundes. Im Drehbuch verarbeitete Aronofsky auch eigene Erfahrungen. Wie viele junge traditionell erzogene junge Juden aus Brooklyn ging er nach Israel. Die israelische Realität aus Säkularismus und religiösen Fanatismus führte ihn zu mystischen Gruppierungen, die zum Vorbild für Rabbi Cohen und Lenny Meyer wurden. 49 50 51 52
p,1:06:05–1:08:27. p,1:09:01–1:10:08. Aronofsky zitiert nach: Nathan Abrams, The New Jew in Film, London: Tauris 2012, S. 148. http://aronofksy.tripod.com/interview21.html.
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»When I was eighteen I went to travel around Europe with a backpack and started in Israel. Because I had no money, I put myself on a kibbutz with dreams of being in an avocado field, picking avocados with my shirt off and catching some rays. In fact, they stuck me in a plastic factory and my job was to run between to assembly lines for eight hours a day. Literally, it was timed so that when I finished the work on one line, I would have to run, I couldn’t walk, I would have to run to the next line or else the boxes would start falling on the ground, and I would get screamed at. It was horrible. It was a nightmare, so I ran away after two days. And if you have no money and you’re walking around the Western Wall in Jerusalem with a backpack, you get brought into religious sects that introduce you to mysticism, that show you the beauty and magic of religion, to bring you back into the fold and away from Satan. For me it didn’t quite work, because the devil has some nice toys. I did come away with some nice stories and some good ideas. That was the seed for a lot of the Kabbalah stuff in the film. When we started working on Pi and putting these elements into the film, I used my Hassidic connections in Brooklyn to get to some of the leading Kabbalah scholars in the world. There are basically three heavy-duty rabbis out there who are these big, big mystics. They’re like these Jewish shamans that go around the world and perform little miracles. They shared a lot of their secrets with me, and a lot of their stories. There’s some stuff that would blow your mind and we brought that to Pi. Everything in the film is completely, 100 % true.«53
Aronofsky gelingt es mit p, authentische Elemente der Kabbala mit einer modernen Geschichte zu verbinden, die auf höchst unkonventionelle Weise gefilmt wurde. Obwohl es billiger gewesen wäre, den Film in Farbe zu drehen, dreht er auf 16 mm in Positiv-Schwarz-Weiß, wodurch der fertige Film keine Grautöne hat, sondern nur entweder schwarz oder weiß ist. Um den hohen subjektiven Eindruck des Films zu erreichen, benutzte er nicht nur eine auf den Bauch geschnallte SnorriCam, sondern eine Montagetechnik, die er als »Hip-Hop«Montage bezeichnet, welche sich durch extreme Großaufnahmen auszeichnet, die in schneller Abfolge oder Zeitraffer wiederkehrende Handlungen zeigt. Unterstützt wird der Sog der Bilder durch die Musik Clint Mansells, die die Reise in die Innenwelt des Protagonisten ständig begleitet. Mit p gelingt es Aronofsky, die kabbalistischen Spekulationen rund um die Schöpfung mit Hilfe der Buchstaben passend umzusetzen und zugleich die Warnungen vor den Gefahren, die diese Suche mit sich bringen, eindrucksvoll zu schildern. Max, das »Gefäß« für den Empfang dieser göttlichen Botschaft, erweist sich als zu zerbrechlich und dieser Aufgabe nicht gewachsen, was wiederum eine Anspielung auf den Schöpfungsmythos der lurianischen Kabbala des 16. Jahrhunderts ist. Dort zerbrechen die Gefäße der Schöpfung ebenfalls unter der Gewalt des göttlichen Lichtes. Ein interessantes Element hat Aronofsky nicht berücksichtigt, nämlich, dass 3,14, der Zahlenwert von p, nach der Gematria dem Zahlenwert von Schadai, einem der zentralen Gottesnamen, entspricht. In seinen weiteren Fil53 http://aronofksy.tripod.com/interview21.html.
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men wird sich der »dunkle Romantiker« Aronofsky wiederum kabbalistischer Anspielungen und Elemente bedienen, auf die wir später zurückkommen werden. »Als Jahrgang ’69 gehört er zwar zur gleichen Generation wie Fincher, Nolan, Wes Anderson und Paul Thomas Anderson und bildet mit diesen bei allen Unterschieden in scope und Stil eine Art »New New Hollywood«. Anders aber als die Kollegen hat er in den zwölf Jahren seiner Karriere trotz jeder Menge Kritikerlob und einer Reihe von Auszeichnungen (…) die Aura des eigenwilligen Außenseiters nie ganz abgeschüttelt.«54
2.2. Filmischer Midrasch Darren Aronofskys »Noah« (USA 2014) kann man auf den ersten Blick als ökologische Mahnung verstehen. Die Menschheit hat durch rücksichtslose Ausbeutung der Natur die Tier- und Pflanzenwelt zerstört, die Menschen selbst sind zu rohen Bestien verkommen. Noah wird von Gott auserwählt, die Tiere in der Arche zu retten, um dann in einer gereinigten Welt von neuem zu beginnen. Diese in eindrucksvollen Bildern erzählte Geschichte ist gerade in unserer Zeit mehr als berechtigt. An »Noah« zeigt sich aber auch sehr deutlich der Unterschied zwischen christlicher und jüdischer Lesart eines »Bibelfilms«. Gerade christliche fundamentalistische Kreise reduzieren die Bibel auf natürlich sehr unhistorische Weise auf den Text selbst, dessen Erzählungen sich wortwörtlich zugetragen hätten. In Bezug zu Noah ergibt das nur rund vier Kapitel in der Genesis. Und wenn dann evangelikale Zuschauer wie Ken Ham keine exakte Bebilderung dieser short story im Kino erleben, werden sie ausfällig und verdammen den Film als »disgusting and evil – paganism!«55 Die jüdische Lesart der Tora dagegen impliziert auch immer die rabbinische Deutung und Interpretation, die man endlos erweitern kann bis hin zu kabbalistischen und chassidischen Auslegungen zu Noah. So können wir gerade bei »Noah« sehen, wie die Figuren der hebräischen Bibel, ergänzt durch das Geschichten-Meer der rabbinischen Auslegungen, den Midraschim, die jüdische Mythologie bilden. Vor allen Dingen beinhaltet die jüdische Tradition auch die Freiheit, dass Denker der Gegenwart oder auch Filmemacher ihre eigene neue Sicht entwickeln können. Aronofsky hat einen modernen filmischen Noah-Midrasch gestaltet, in denen er rabbinische, kabbalistische und eben modern ökologische Probleme verschmilzt. Aronofsky selbst sagte ebenfalls, dass er seine Arbeit in der Tradition des jüdischen Midrasch sehe. 54 Kai Mihm, Darren Aronofsky – der dunkle Romantiker, in: epd-Film 1 (2011), S. 28. 55 https://answersingenesis.org/blogs/ken-ham/2014/03/28/the-noah-movie-is-disgustingand-evil-paganism/.
Filmischer Midrasch
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»Working in what he calls »the tradition of Jewish Midrash« (stories based on the Bible by scholars), in which he and Handel work to fill gaps in the biblical narrative, Aronofsky created a story that tries to explicate Noah’s relationship with God and God’s relationship with the world as it has become.«56
Dieser Umgang mit der Bibel hat bereits eine lange filmische Tradition, wie wir schon in den Bibel-Filmen von Michael Curtiz (1886 geboren als Mih#ly Kert8sz Kaminer in Budapest – LA 1962) sehen können. In Wien drehte er 1922 sein erstes biblisches Epos für die Sascha-Film: »Sodom und Gomorrha«. Der ursprünglich 178 Minuten lange zweiteilige (Teil 1 Die Sünde: 2135 Meter, Teil 2 Die Strafe: 1810 Meter) Film ist nicht mehr erhalten. Das Filmarchiv Austria rekonstruierte die bereits 1923 im Umlauf befindliche Einabendfassung von 95 Minuten Länge. Die durchaus vorhandenen sozialkritischen Aspekte sind in der erhaltenen Fassung nur noch am Rande enthalten, da die »Syrien-Episode« als auch der Prolog fehlen. In einer in der Sowjetunion hergestellten Schnittfassung wurde der Film dementsprechend zur reinen Kapitalismus-Kritik umgeschnitten – das Volk straft für die Ungerechtigkeit und nicht mehr Gott für die Sünden. Auch die Einabend-Fassung vermittelt ein anschauliches Bild, wie eine kurze biblische Episode von wenigen Zeilen in eine wahre Materialschlacht verwandelt wurde. Curtiz drehte die Geschichte von »Sünde und Strafe« im Wiener Prater und an Stätten der gerade untergegangenen Donaumonarchie wie Schönbrunn, Laxenburg oder der Hermesvilla. Am Laaerberg wurden künstliche Seen und Wasserleitungen angelegt sowie ein 25 Meter hohes Stadttor errichtet. Das Prunkstück der Aussattung war jedoch die 64 Meter hohe sechsstöckige Tempelanlage der Astarte, die am Ende in einem Flammenmeer untergehen sollte. Da dies zu gefährlich schien, wurde der Tempel in »kontrollierten Sprengungen« dem Erdboden gleichgemacht. Schon Zeitgenossen mokierten sich damals über den »bis zur Lächerlichkeit überspannten Ausstattungswahnsinn«.57 »Bei den Szenen, welche die russische Revolution darstellten, wurden 5000 Artisten, bei der Aufnahme der Sprengungen in Eisenerz 2000, bei den grossen Festen in Laxenburg wiederholt 7000 Personen beschäftigt, darunter auch das gesamte Ballettchor der
56 John Horn, For his hot-button ›Noah‹, Darren Aronofsky gave ark builder an arc, Los Angeles Times 13. 03. 2014. 57 B8la Bal#zs, Fräulein Frau, in: Der Tag (7. 9. 1923) Nr. 28, S.7., zitiert nach: Thomas Ballhausen, Sodom und Gomorrha, in: Armin Loacker, Ines Steiner (hg.), Imaginierte Antike, Österreichische Monumental-Stummfilme; Historienbilder und Geschichtskonstruktionen in Sodom und Gomorrha, Samson und Delila, Die Sklavenkönigin und Salammbi, Wien: Filmarchiv Austria 2002, S. 83.
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Wiener Staatsoper. (…) Insgesamt waren an der Herstellung des Films ›Sodom und Gomorrha‹ 120.000 Personen beschäftigt.«58
Curtiz und Ladislaus Vajda entwickelten nach dem Vorbild des Analogie-Films eine komplexe Erzählstruktur. Während üblicherweise die (biblische) Antike als längerer oder kürzerer Prolog oder umgekehrt die moderne Geschichte als Rahmenhandlung dient, entwarf Curtiz eine verwirrende Variante. Die moderne Geschichte hat eine Traumsequenz, in der ein weiterer Traum eingeflochten ist. In dieser »dream within a dream« Sequenz findet der Untergang von »Sodom und Gomorrha« statt. Nicht nur Sigmund Freuds Traumdeutung und die Ägyptomanie haben hier Pate gestanden, sondern auch die märchenhaften Orientvorstellungen des 19. Jahrhunderts. Biblische Motive, Bilder und Schlagworte wie »Galiläa« oder »Syrien« wurden ohne Rücksicht auf Historizität munter gemischt. Die »mise-en-scHne« wirkt, als wären die bunt zusammengewürfelten Gottheiten von Freuds Schreibtisch geradewegs über die Leinwand marschiert und hätten einige seiner Sexualtheorien im Gepäck. Das Ziel war ein großes Spektakel, das den dräuenden Untergang des Abendlandes feiert. In dieser Dekadenz-Kritik stellt Curtiz ein zutiefst frauenfeindlich gezeichnetes Porträt ins Zentrum der Handlung, er thematisiert sexuelle Verworfenheit und Sittenverfall. Mary Conway (Lucy Doraine) übernimmt nicht nur den Liebhaber ihrer Mutter und flirtet mit einem Priester und dessen Schüler Eduard, sondern träumt auch davon, wie Eduard seinen Vater ermordet. In einer doppelten Traumsequenz erfährt sie dann den Untergang Sodoms, worin Lucy Doraine wiederum Lots Frau Sarah spielt. Dass der Palast dann eher dem antiken Babylon nachempfunden ist, liegt wohl daran, dass sowohl D.W. Griffith (Intolerance, USA 1916) als auch Cecil B. DeMille (Male and Female, USA 1919) gerade babylonische Impressionen gestaltet hatten und Babylon ohnehin als Synonym für »großstädtisches Laster« stand. Bei Curtiz ist eindeutig Mary die »Tochter Sodoms« und für alle Verdorbenheit verantwortlich. Ihr gegenüber steht eine ganze Galerie an ehrenwerten Herren, die ihr entweder widerstehen, wie der in seiner bigotten Reinheit geradezu unerträgliche Priester (Victor Varconi, geb. als Mih#ly V#rkony) der verkündet: »Wehe dir, elende Welt, du neues Sodom und Gomorrha. Du bist reif, um vernichtet zu werden.« Dementsprechend darf Varconyi in der Sodom-Epiosde gleich einen Engel geben und später bei DeMille Pontius Pilatus. In der Sodom-Episode aus Genesis 18, 16–19, 29 steht Abrahams Neffe Lot im Zentrum. Seine Frau und seine zwei Töchter bleiben namenlos. Bei Curtiz bekommt sie den Namen von Abrahams Frau, nämlich Sarah, während die zwei Töchter ganz weggelassen werden. Lots Frau Sarah wird im Gegensatz 58 Erstaufführungsprogramheft, in: Armin Loacker, Ines Steiner (hg.), Imaginierte Antike, S. 435.
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zur Bibel zur lasterhaften Astarte-Kultpriesterin – da passen zwei erwachsene Töchter natürlich nicht ins Bild. »Der gigantische Tempel der Astarte, der sich über die ganze Stadt erhebt, ist eindeutig beeinflusst von (…) Bauten des babylonischen Königs Nebukadnezar, vor allem vom Ischtar-Tor mit Prozessionsstrasse und dem Stufentempel für den Stadtgott Marduk. Kein Astartetempel hatte solche Dimensionen.«59
Lot sieht passiv dem wilden Treiben Sarahs zu. Als diese ihm zum ekstatischen Gottesdienst im Tempel bittet, lehnt er ab: »Damit ich sehe, wie im Gottesdienst dich fremde Männer mit ihren Armen umfangen? Ich gehe nicht, denn der Herr sprach zu Abraham: Du sollst keinen fremden Göttern dienen.« Dieser Hinweis erinnert eher an die noch nicht übergebenen zehn Gebote, aber im jüdischen Midrasch wird Abraham jedoch tatsächlich als Kämpfer für den Monotheismus dargestellt, der alle Götzenbilder seines Vaters Terach zerstört hätte.60 Im Gegensatz zur Bibel bittet Lot Gott um einen Sendboten, der der Schande der Götzendiener ein Ende setzen sollte. Daraufhin erscheint ein Engel (in der Bibel kommen zwei an die Stadttore) außerhalb der Stadt, der gleich von Lot gewarnt wird: »Hüte dich Fremder. Hier bestraft das Gesetz jeden mit dem Tod, der die Stadtmauer durchschreitet.« Während in der Bibel die Einwohner Sodoms mit den beiden besuchenden Engeln Geschlechtsverkehr haben wollen, soll bei Curtiz Lot den Engel ausliefern, damit er Astarte geopfert werden kann. Während Lot versucht, die aufgebrachte Menge durch Gold zu bestechen, versucht Sarah ihn zu verführen. Der Engel widersteht Sarah, worauf diese ihn warnt, dass ein Fingerzeig von ihr genügen würde, um ihn Astarte zu opfern. Der Engel erklärt ihr, dass er sie zur Umkehr bringen möchte. Die erzürnte Sarah will ihn daraufhin opfern lassen. Der Scheiterhaufen wird errichtet, wobei der Engel, mit ausgebreiteten Armen an einer Art Kreuz hängend, überdeutlich an eine Jesus-Darstellung erinnert. Sarah entzündet den Scheiterhaufen und fordert ihn auf, er solle beweisen, dass er ein Engel sei. Dieser vernichtet Sodom daraufhin in einem gigantischen furiosen Finale. Der Engel gestattet Lot zusammen mit Sarah zu fliehen – aber ohne sich umzuwenden. Sie dreht sich dennoch um und verwandelt sich, wie in Genesis 19,26, in eine Salzsäule. Curtiz’ Gesellschaftskritik ist nicht zu trennen von der frischen Erfahrung des 1. Weltkrieges, der erst wenige Jahre zurücklag. Er zeichnet eine sittenlose und verderbte Gesellschaft, die zu Recht untergeht. Gott vernichtet Sodom, so wie die »Welt von Gestern« selbst ihren eigenen Untergang herbeigeführt hatte. Mary/Sarah/Lia ist ein rücksichtloser Vamp, der von Priestern und ehrbaren Männern gezügelt und gezähmt wird – eine ausgesprochen negative Darstellung einer ungebändigten 59 Regina Heilmann, »That Old Time Religion«, in: Armin Loacker, Ines Steiner (hg.), Imaginierte Antike, S. 106. 60 Genesis Rabba 38,13.
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freien Frau. Die biblische Episode ist jedoch trotz der Veränderungen ein interessanter zeitgenössischer Kommentar, in der die biblischen Elemente keineswegs reines Beiwerk sind, sondern eine zentrale Rolle spielen. Die Darstellung Sodoms erinnert an das Leidenskonzept der rabbinischen Literatur, nach der Gott frevelhaftes Verhalten straft. Die Not wird als Chance zur Einsicht und Umkehr interpretiert und die Ursache des Leides wird im eigenen Fehlverhalten gesucht. »(Geliebt) sind Züchtigungen; denn so wie die Opfer Sühne bewirken, so bewirken auch die Züchtigungen Sühne. (…) Und nicht nur das; denn die Züchtigungen sühnen mehr als die Opfer. Warum? Weil die Opfer den Besitz betreffen, die Züchtigungen aber den Körper.«61
In Curtiz Sodom herrschen Menschenopfer, Götzendient und Unzucht – just die drei Todsünden der rabbinischen Literatur, allesamt vollzogen von Sarah, der Frau des monotheistisch-frommen Lot. Der Priester erzählt Mary die SodomGeschichte als Mahnung zur Umkehr, welche schließlich auch erfolgt. Kurz nach dem Ende des 1. Weltkrieges darf das gekränkte und beschädigte männliche Selbstbewußtsein die »femme Fatale« wieder an die Kandare nehmen und an Haus und Hof binden – eine gewisse Doppeldeutigkeit hat der Film auch dadurch, dass der im 1. Weltkrieg verwundete Curtiz seine Ehefrau Lucy Dorraine hier als Mary inszeniert, von der er sich ein Jahr später scheiden ließ. »Strafe für den sexuellen Appetit, für die Prasssucht, für die Laszivität. Diese Frau muss gezügelt werden, und daran macht sich der Film. So kurz nach dem verlorenen Krieg, den damit einhergehenden Versehrungen an Leib und Seele ist dies sicher kein Zufall. Denn in dem Maße, wie die Frau gezähmt wird, läßt sich kriselndes männliches Selbstbewußtsein wiederherstellen. Kert8sz’ Film bietet eine Art imaginäre Wiedergutmachung, indem er die Erfahrung von Ohmnacht im Schützengraben mit der von Macht über eine unbotmäßige Frau verrechnet. Je mehr Mary Conway und Lots Frau in die Schranken gewiesen werden, umso eher hat der erschütterte Nachkriegsmann die Gelegenheit, sich aus seiner Krise wieder aufzurichten.«62
Bei aller Kritik am Sündenbabel Sodoms müssen natürlich Geilheit und Orgien deutlich in Szene gesetzt werden, sodaß Curtiz die verdammenswerte Welt der Dekadenz in ungemein faszinierenden und anziehenden Bildern zeichnet. Mary ist niemals der kalt-bösartige Vamp, dessen Vernichtung die Zuschauer herbeisehnen. Außerdem fehlt auch die lieblich-fromme weibliche Gegenfigur, die normalerweise in diesen Konstellationen auftritt. Lot mit seiner lächerlichen schwarzen Lockenperücke und der bleiche Engel sind im Film keine überzeu61 Mekhilta De-Rabbi Jishmael, ein früher Midrasch zum Buch Exodus, übersetzt und herausgegeben von Günter Stemberger, Berlin: Verlag der Weltreligionen 2010, S. 295. 62 Cristina Nord, Opulente Götzendienste, im Klappentext der DVD Sodom und Gomorrha, Hoanzl / Filmarchiv Austria 2008.
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genden Sympathieträger und so erfreut sich der Film in einer todessehnsüchtigen Lust an Zerstörung und Untergang. Die Umkehr, die er predigt, überzeugt weniger als Sarahs Lockruf zur Orgie im Astarte-Tempel. Nach dem Untergang von »Sodom und Gomorrha« warf Curtiz mit der »Sklavenkönigin« einen ganz eigenen Blick auf das Exodus-Geschehen. Die Vorlage bildete aber nicht die Bibel, sondern der Roman »Moon over Israel« (1918) von Henry Rider Haggard (1856–1925), der vor allem durch die »She«Romane bekannt ist. Im Roman wird Moses nur einmal kurz erwähnt und auch in der Verfilmung »Die Slavenkönigin« (Österreich 1924) ist Moses nur eine Nebenfigur, obwohl der Film die Teilung des Roten Meeres zeigt. Der Schwerpunkt liegt dagegen bei der jüdischen Sklavin Merapi (Maria Corda), die sich ausgerechnet in den Sohn des Pharaos verliebt. Der Film wurde mit tausenden Komparsen in Wiener Studios gefilmt und ist ebenfalls Ausdruck der Ägyptomanie, die Europa nach den Ausgrabungen von Howard Carter in Bann hatte. Besonders eindrucksvoll ist die Teilung des Roten Meeres. Da im Dezember 1923 Cecil B. DeMilles Hollywood-Produktion »The Ten Commandments« seine US-Premiere hatte, wollte Curtiz vermeiden, dass die österreichische Tricktechnik neben der US-Produktion zu bescheiden wirken könnte. Mit großem Aufwand wurde daher am Laaer Berg in Wien ein gigantisches Holzbecken errichtet, in der die Wassermassen hineingegossen wurden. Die Schauspieler wurden erst später in die bereits fertige Szene kopiert, wodurch »Die Sklavenkönigin« ein herausragendes frühes Beispiel für die Kombination realer Szenen und Tricktechnik wurde. Die Sklavenkönigin kam im Oktober 1924 in die Wiener Kinos, DeMilles Film erst ein Jahr später. In »Paimann’s Filmlisten«, einem von 1916 bis 1965 in Österreich erschienen Filmprogramm, schrieb damals Joseph E. Bernard zu den »Ten Commandments«: »Die technische Ausführung ist, besonders in den farbigen Szenen, sehr zu loben, lediglich den Durchgang durch das Rote Meer haben wir in einem Wiener Film schon besser gesehen.«63
Die Sklavenkönigin wurde dank Paramount erst 1927 in den USA aufgeführt, damit DeMilles »Ten Commandments« ihr Geld einspielen konnten. Curtiz’ Film ist ein wunderschöner Monumentalfilm mit einer hochmodernen Frauenfigur, jedoch in erster Linie Verfilmung eines Bestsellers und kein Bibelfilm. Außerdem teilte er das Schicksal vieler Stummfilme und war Jahrzehnte lang nicht zu sehen gewesen. Da er erst 2004 restauriert wurde und bis heute nicht auf DVD erschienen ist, wurde er nur wenig rezipiert. Für Curtiz war der Erfolg des Films das Ticket nach Hollywood. Er wurde von den Warner-Brothers in die USA gerufen, wo er 1928 »Noahs Ark« inszenieren 63 Paimann’s Filmlisten, 11. 9. 1925.
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sollte. Dieser Film zeigte, dass das Analogie-Modell überholt war und in einer verzweifelten Bemühung um Sensationen biblische Motive so wild durcheinander gewürfelt wurden, dass der Film teilweise unfreiwillig komisch wirkt. Das liegt aber nicht daran, dass die ursprüngliche Premierenfassung von 135 Minuten Länge nicht mehr erhalten ist (die restaurierte Fassung ist 108 Minuten lang). Zu Beginn sehen wir den Turmbau zur Babel, der deutlich an Pieter Breugel erinnert. Danach springt der Film zur Episode rund um das goldene Kalb. Die Götzendiener werden als geldgierige und lüsterne Kreaturen gezeigt, worauf der Film ins »moderne Babel« einer Großstadt mit Börse und Hochhäusern überblendet. Die eigentliche Geschichte des Films erzählt nun eine Episode aus dem 1. Weltkrieg. 1914 – zwei Amerikaner Travis (George O’Brien) und Al (Guinn ›Big Boy‹ Williams) befinden sich in Europa. Sie überleben ein Zugunglück, bei dem sie die aus Deutschland stammende Marie kennenlernen. Marie muss sich der Nachstellungen des russischen Geheimdienstoffiziers Nickoloff (Noah Berry) erwehren. Travis heiratet Marie, dennoch zieht er gemeinsam mit Al in den Krieg. Dieser erstürmt eine Maschinengewehrstellung, die Travis ebenfalls erobern will. Travis bemerkt die Anwesenheit seines Freundes allerdings nicht und sprengt die Stellung mit einer Handgranate, was Al nicht überlebt. Marie muss sich unterdessen wiederum gegen Nickoloff wehren und wird bei ihrer Flucht als vermeintliche deutsche Spionin verhaftet. Sie soll mit anderen Spionen hingerichtet werden. Ausgerechnet Travis gehört zu ihrem Erschießungskommando. Kurz vor ihrer Hinrichtung jedoch werden sie durch Bomben verschüttet. Unter den Eingeschlossenen befindet sich ein Priester, der den Krieg und dessen Blutflut mit der biblischen Sintflut vergleicht: »The Flood and the War – God Almighty’s Parallel through the Ages.« Hier setzt nun nach über einer Stunde Spielzeit die biblische Rückblende ein. Die Weltkriegsepisode war mit all seinem Pathos, haarsträubenden Zufällen und stereotypen Figuren – die zwei entzückend-naiven amerikanischen Saubermänner, der wolllüstige böse Russe im Pelzmantel und das blonde, süße, unschuldige Mädchen– schon schwer verdaulich, wobei einzig das Zugunglück wirklich furios inszeniert wurde. Die biblische Episode zeigt »the City of Akkad, in the land of Ur of the Chaldees«, in der sich ein frommer Noah gemeinsam mit seinen drei Söhnen Japheth, Ham und Sem gegen den sittenlosen König Nephilim (Noah Berry) zur Wehr setzt: »But King Nephilim had led his people from Jehova, to worship the false God Jaghuth.« Die Königsstadt Ur, die traditionelle Heimat Abrahams, sollte ja erst viel später auf der Landkarte erscheinen – schließlich wurde zur Zeit von Abrahams Vorfahren Noah die gesamte Menschheit bis auf die Insassen der Arche ausgerottet. Auch der Name des Königs ist absurd. Die biblischen Nephilim sind eigentlich Riesenwesen, die laut Genesis 6,4 aus dem Verkehr zwischen den »Gottessöhnen« (Bnei Ha-Elohim, in den apokryphen Texten »Wächter« genannt) und normalen irdischen Frauen enstanden seien.
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König Nephilim bringt auch Menschenopfer und möchte Noahs Dienstmagd Miriam hinrichten lassen. Japheth versucht erfolglos, sie zu befreien und wird wie Samson geblendet und an ein Mühlrad gekettet. Aber der Höhepunkt des unfreiwilligen Humors ist jene Szene, in der Noah auf einen Sinai ähnlichen Berg steigt, Gott ihm in einem brennenden Dornbusch erscheint und zwei gigantische Steintafeln mit Hilfe eines Blitzes aus dem Stein gemeisselt werden, auf denen die Androhung der Flut und der Rat, eine Arche zu bauen, zu lesen sind. Die Flut schließlich ist ein gigantisches Spektakel, wobei bei den Dreharbeiten allerdings Stuntmen verletzt und getötet wurden. Curtiz blieb trotz dieses Mißerfolges ein unermüdlicher filmischer Handwerker, aus dessen großem Oeuvre einzelne Meisterwerke wie »Captain Blood« (USA 1935), »The Adventures of Robin Hood« (USA 1938), »Casablanca« (USA 1942) oder »Mildred Pierce« (USA 1945) herausragen. In Curtiz’ Bibel-Filmen, wie auch bei DeMille oder Herny King, ist die biblische Vorlage nur noch bruchstückhaft in dem von ihm neu konzipierten Rahmen zu erkennen. Aber auf diese Weise bildet z. B. »Sodom und Gomorrha« einen neuen Kommentar zur biblischen Geschichte, der ganz stark von den zeitgeschichtlichen Problemen seiner Zeit, vom 1. Weltkrieg, Dekadenz und Ägyptomanie geprägt ist. Genauso hat die Entstehung des Noah-Films von Aronfsky mit aktuellen Nöten als auch mit dem Fantasy-Boom der »Post-Lord-of-the-Rings-Ära« zu tun, in der die Produzenten nach geeigneten Mythen-Stoffen Ausschau halten und so in der Bibel und den Apokryphen geeignete Elemente finden. So ist »Noah« ein Fantasy-Film in der Tradition von »Lord of the Rings« und »Game of Thrones«, der aber dem jüdischen Mythos aus Bibel und Midrasch eher gerecht wird als manche der behäbigen früheren Bibel-Verfilmungen / la Cecil B. DeMille, die den Flair einer langweiligen Bibelstunde am Sonntagnachmittag verströmen. Nach Abschluß des Drehbuches gestaltete Arnofsky zusammen mit Co-Autor Ari Handel und Zeichner Niko Henrichon eine vierteilige Graphic Novel »Noah« (2014). Einen bemerkenswerten Unterschied zum Film sehen wir hier bei Noahs Großvater Methusalem. Seine Behausung ist im Film eine karge, verzweigte Höhle, während im Buch die Wände voller Zeichen sind, die an Darstellungen der Sefirot erinnern. Auch sagt Methusalem: »The Creator reaches down to us with two hands. In his left, a sword that shears away wickedness. That is Justice. But in his right, a canopy. It shelters us from judgement and creates a space for grace. That is mercy. Which one the creator intends for us now, that is a mystery.«64
Hier beschreibt Methusalem exakt die linke und die rechte Säule der Sefirot. Die linke Seite ist die strenge Seite des göttlichen Gerichtes, während die rechte Seite 64 Darren Aronofsky, Ari Handel, Noah, Berkeley : Image Comics 2014, S. 25.
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der Sefirot die Welt der göttlichen Gnade symbolisiert. Ob der göttliche Einfluß auf die Welt von Erbarmen oder Strenge bestimmt hat, hängt von den Handlungen der Menschen ab. So entscheidet am Ende des Films Noah über das Schicksal der Menschheit – läßt er sich von Gnade oder doch von Strenge führen? Aronofsky bringt mit diesem Element der beiden Säulen der Sefirot-Welt eine neue Idee in die Noah-Geschichte. Der Film-Noah (Russel Crowe) sieht sich als Vollstrecker des göttlichen Willens, die Schöpfung neu zu beginnen – aber ohne Menschheit. Die einzigen Menschen an Bord sind seine Frau Naamah (Jennifer Connelly), seine drei Söhne Shem (Douglas Booth), Ham (Logan Lerman), Japhet (Leo McHugh Carroll) und Ila (Emma Watson), die durch eine schwere körperliche Verletzung unfruchtbar geworden ist. Als Ham eine Frau (Madison Davenport) mit an Bord bringen möchte, unterstützt dies Noah nicht und sie kommt in den Kämpfen mit den Menschen, die die Arche stürmen wollen, um sich zu retten, um. Aber Naamah untergräbt die Aktionen Noahs und schickt Ila zu Methusalem (Anthony Hopkins), der offensichtlich außergewöhnliche magische Fähigkeiten besitzt. Er segnet Ilas Schoß und ihre Verletzung ist geheilt. Sie wird von Shem schwanger. Dies stürzt Noah in einen Konflikt. Falls sie ein Mädchen gebärt, könnte dies für seine Familie und damit für die Menschheit einen neuen Anfang bedeuten. Welchen Einfluß hätte dies auf seine göttliche Mission? Noah versucht zunächst, diesen fragwürdigen Auftrag zu erfüllen und zerstört das Boot, mit dem sein Sohn Shem und Ila die Arche verlassen wollen. Aber als er seine Enkelinnen, ein Mädchen-Zwillingspaar sieht, bringt er es nicht übers Herz, sie zu töten. Ila singt ein Wiegenlied, das sie von Noah gelernt hat, was ihn vollends zerbrechen lässt. Noah ist hier also nicht das einfache Werkzeug Gottes, sondern im kabbalistischen Sinn Entscheidungsträger. Die Welt der Sefirot und damit der Einfluß Gottes auf die Welt hängt von den Taten der Menschen ab. Noah muss sich entscheiden und wählt die Gnade. »Naamah: He chose you for a reason, Noah. He showed you the wickedness of man and knew you would not look away. But then you saw goodness, too. The choice was put in your hands because He put it there. He asked you to decide if we were worth saving. And you chose mercy. You chose love. He has given us a second chance.«65
Aronofsky bedient sich auch bei anderen jüdischen Texten, wie dem apokryphen Henoch-Buch. Im ersten Henoch-Buch (Kapitel 1–36), das nur vollständig in einer äthiopischen Übersetzung aus dem 5. Jahrhundert erhalten ist, erscheint im »Buch der Wächter« (entstanden ca. im 3.–4. Jahrhundert v. d.Z.) eine Gruppe rebellischer Engel. Der Name Wächter (aram. Iyrin) für Engel kommt bereits im biblischen Buch Daniel (4, Vers 13) vor.
65 Noah 2:06:16–2:16:55.
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»Nachdem die Menschenkinder sich gemehrt hatten, wurden ihnen in jenen Tagen schöne und liebliche Töchter geboren. Als aber die Engel, die Himmelssöhne, sie sahen, gelüstete es sie nach ihnen, und sie sprachen untereinander: ›Wohlan, wir wollen uns Weiber unter den Menschentöchtern auswählen und uns Kinder zeugen.‹ (…) Es waren ihrer im Ganzen 200, die in den Tagen Jarebs auf den Gipfel des Berges Hermon herabstiegen. (…) Diese und alle übrigen mit ihnen nahmen sich Weiber, jeder von ihnen wählte sich eine aus, und sie begannen zu ihnen hineinzugeben und sich an ihnen zu verunreinigen, sie lehrten sie Zaubermittel, Beschwörungsformeln und das Schneiden von Wurzeln und offenbarten ihnen die heilkräftigen Pflanzen. Sie wurden aber schwanger und gebaren 3000 Ellen lange Riesen, die den Erwerb der Menschen aufzehrten. Als aber die Menschen ihnen nichts mehr gewähren konnten, wandten sich die Riesen gegen sie und fraßen sie auf, und die Menschen begannen sich an den Vögeln, Tieren, Reptilien und Fischen zu versündigen, das Fleisch voneinander aufzufressen, und tranken das Blut. (…) Asasel lehrte die Menschen Schlachtmesser, Waffen, Schilde und Brustpanzerung verfertigen und zeigte ihnen die Metalle samt ihrer Bearbeitung und die Armspangen und Schmucksachen, den Gebrauch der Augenschminke und das Verschönern der Augenlider, die kostbarsten und erlesensten Steine und allerlei Färbemittel. So herrschte viel Gottlosigkeit, und sie trieben Unzucht, gerieten auf Abwege und alle ihre Pfade wurden verderbt. Semjasa lehrte die Beschwörungen und das Schneiden der Wurzeln, Armaros die Lösung der Beschwörungen. Baraael das Sternschauen, Kokabeel die Astrologie, Ezeqeel die Wolkenkunde, Arakiel die Zeichen der Erde, Samsaveel die Zeichen der Sonne, Seriel die Zeichen des Mondes.«66
Bei Aronofsky sind diese Wächter viel positiver gezeichnet. Sie folgten den Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies auf die Erde. Durch diese Rebellion verbanden sich die Lichtgestalten wortwörtlich mit der Materie und wurden zu gigantischen flügellosen Steinwesen. Dennoch wurden sie wie im Henoch-Buch zu Helfern der Menschen und lehrten sie viele Dinge. Aber die Menschen nutzten diese Fertigkeiten und die Herstellung von Waffen nur, um die Wächter selbst zu töten. Daher zogen sie sich, enttäuscht von den Menschen, zurück. Erst als ihr Anführer Semjasa (Nick Nolte) erkennt, dass Noah anders als die übrigen Menschen ist und er im Auftrag des Schöpfers handelt, unterstützen er und die anderen Wächter den Bau der Arche. Sie bekämpfen auch den Ansturm der verzweifelten Menschen und kehren nach ihrem Tod als Lichtgestalt wieder in den Himmel zurück. Gott hat ihnen vergeben und sie dürfen heimkehren. Der Fall der Engel und ihre Wandlung von Licht zu Materie spiegelt sich im Film im Fall Adam und Evas. Noah erzählt seiner Familie vom Werdegang der Menschheit. Wir sehen das Paradies, Adam und Eva jedoch nicht als sympathisches nacktes Urwaldpäarchen, sondern als körperlose Lichtgestalten. Erst nach der Verführung durch die Schlange und dem Genuß der verbotenen Frucht bekommen sie einen menschlichen Körper : 66 Erich Weidinger, Die Apokryphen, Augsburg: Weltbild 1996, S. 303–304.
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»Noah: Then The Creator made Man. And by his side, Woman. Father and mother of us all. He gave them a choice. Follow the temptation of darkness or hold on to the blessing of light. But they ate from the forbidden fruit. Their innocence was extinguished. And so for the ten generations since Adam, sin.«67
In den wunderschönen Bildern von Adam und Eva als fluoreszierende Lichtgestalten bezieht sich Aronofsky konkret auf den Zohar : »When Adam was in the Garden of Eden, he wore a garment on the supernal pattern, a garment of celestial light. As soon as he was expelled from the Garden and needed fashions oft he world (…) originally they were (…) garments of light.«68
Aronofsky spielt aber auch mit den gnostischen Bildern von Licht und Finsternis, wobei er sich im Bezug auf das Paradies bei Adam, Eva und der Schlange auch vom gnostischen Kult der Ophiten und ihrer Deutung der Schlange inspirieren ließ. Die Ophiten sahen in ihren dualistischen Lehren den Schöpfergott und die Schlange als Antagonisten, wobei die Schlange als positive Kraft zu sehen ist, die sich gegen den Schöpfer auflehnt und Adam und Eva hilft. »Sie konnte daher im gleichen Maße zu einem Symbol für die Erlösungsmächte werden, in welchem der biblische Gott zu einem Symbol der kosmischen Unterdrückung herabgewürdigt worden war.«69
Im Film übergibt Noahs Vater Lamech seinem Sohn die Haut der ParadiesSchlange in einer Art von Initiationsritus weiter, indem er sie um den Arm wickelt, wobei dieser Ritus im Film eindeutig als Vorbild der späteren Gebetsriemen dienen soll. Aronofsky ist es mit »Noah« gelungen, nicht nur die verschiedenen Elemente der jüdischen Tradition, von der Bibel bis zu Kabbala und Apokryphen, geschickt miteinander zu verweben, sondern auch aktuelle Bezüge herzustellen. Die dunkle Lavaerde der von den Menschen mit ihren Maschinen zerstörten Welt, die Art und Weise, wie sie Tiere – teilweise noch lebendig – grausam zerreißen, um sie zu essen, zeigt das völlig überholte und so oft mißverstandene System, sich die »Erde untertan zu machen«, personifiziert durch den despotischen Anführer der Menschen, Tubal-Cain (Finn Wittrock). Auf der anderen Seite steht, einer Hippie-Kommune gleich, Noah und seine Patchwork-Familie, die für einen nachhaltigen Umgang mit der Schöpfung und für Vegetarismus steht. Im Comic wird dies noch deutlicher, wenn Tubal-Cain Ham dazu verführt, rohes Fleisch zu essen. Dabei sind diese Öko-Botschaften nicht aufgesetzt, sondern beiläufig, wobei »Noah« natürlich in erster Linie auch gewaltiges Bombast-Kino mit gigantischen Fantasy-Schlachten ist. Er ist aber vor allem ein 67 Noah, 1:26:28–1:27:03. 68 Zohar II, 229b. 69 Hans Jonas, Die Gnosis, Frankfurt a. M.: Insel Verlag 1999, S. 122–123.
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wunderschönes Beispiel dafür, wie Elemente jüdischer Traditionsliteratur in einem modernen 3D-Fantasy-Film nicht nur um eine neue Kommentarebene zu Ökologie erweitert werden können, sondern auch bekannte Figuren wie Noah neue Deutungen erfahren. Auch alte Fragen der Noah-Kommentare werden auf interessante Weise beantwortet: wie konnten die Tiere, die sich auf freier Wildbahn gejagt und gegenseitig aufgefressen hätten, friedlich in der Arche leben? Noah hatte sie durch ein Räuchermittel in einen tranceähnlichen Dämmerschlaf versetzt.
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»Did you hear the one about the girl who didn’t pay her exorcism bill? Her soul got repossessed.«70
Neben dem »Golem« ist der Dybbuk und der dazugehörige Exorzismus wohl das populärste kabbalistische Motiv, das filmisch bearbeitet wurde, wovon aktuelle Produktionen wie »The Unborn« (USA 2009, R: David S. Goyer) oder »The Possession« (USA 2012, R: Ole Bornedal) zeugen. Der ursprünglichen jüdischen Geisteswelt der hebräischen Bibel und des rabbinischen Schrifttums ist die Vorstellung der Seelenwanderung völlig fremd. Gilgul ha Neshamot, die Lehre der Transmigration der Seelen, findet sich erst in kabbalistischen Schriften ab dem 12. Jahrhundert, zuerst im Buch Bahir. Wie diese Idee ihren Weg in die Kabbala gefunden hat, ist bis heute ungeklärt. Da traditionelle Kabbalisten gerne ihre eigentlich revolutionären Vorstellungen mit der Patina der Tradition umhüllten, wurde das mittelalterliche Buch Bahir gar als Werk des 1. Jahrhunderts aus der Feder des Rabbis Nehunja ben ha-Kana ausgegeben, wodurch die Seelenwanderung zu einer antiken und vortalmudischen Lehre wurde. So ist es verständlich, dass der Gilgul auch in der Gegenwart ausschließlich in der religiösen Welt kabbalistischer und chassidischer Kreise eine zentrale Rolle spielt. Es gibt für die Kabbalisten unterschiedliche Gründe, warum eine Seele wandern sollte. Die Mitzwot, die religiösen Gebote und Verbote, sind auch hier wiederum richtungsweisend. Kinderlosigkeit oder Übertritte im sexuellen Bereich71 sind folglich Gründe für den Gilgul. Ebenso stellt sich hier natürlich die Frage, wie oft eine Seele denn wandern muss. Das Ziel ist zumindest, so oft zu reinkarnieren, bis die 613 Gebote erfüllt worden sind. So ist eigentlich nur der wahre Fromme vom Gilgul befreit. Allerdings kann er dennoch nochmals auf die Erde kommen, um anderen Menschen zu helfen. Dies ist die Idee vom Ibbur (Seelenschwän70 The Duxorcist, in: Daffy Duck’s Quackbusters, USA 1987, R: Greg Ford, Tony Lennon, 0:49:12. 71 Zohar II, 95a–109b.
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gerung), dem Eintritt einer zweiten Seele in den Körper, die aber keinen Schaden anrichtet. So wurde auch die schon seit der Antike immer wieder auftretende Besessenheit durch die Gilgul-Lehre besonders gedeutet. Nicht etwa von Teufeln und Dämonen sind die Opfer besessen, sondern von Seelen, die ihrer Sünden wegen nicht weiter wandern und Zuflucht vor den strafenden Engeln suchen. Diese Seelen, Dybbukim genannt, werden durch Austreibung erlöst. Das Wort Dybbuk leitet sich von Dybbuk me-Ruach-ra (Umklammerung oder Anheftung durch einen bösen Geist) ab. Die Austreibung wird von Rabbinern, bzw. den kabbalistischen Wunderheilern, den Ba’alei Schemot (Meister des Gottesnamens) bis heute durchgeführt.72 Zahlreiche Exorzismus-Geschichten rund um bekannte praktische Kabbalisten wie Isaak Luria (1534–1572) oder Chajim Vital (1543–1620) sind seitdem Teil der jüdischen Folklore. Auch die romantische Vorstellung der Seelenverwandtschaft erhält durch den Gilgul andere Dimensionen. Die verwandte Seele entschließt sich, trotz Sündlosigkeit, freiwillig zu reinkarnieren, um beim Partner bleiben zu können. Die Suche nach dem wahren Seelenpartner durch die Jahrhunderte wird zum Thema kabbalistischer Gedankengebäude wie Scha’ar ha-Gilgulim (Tor der Seelenwanderungen) von Chajim Vital.
3.1. An-sky und der Dybbuk Durch den weißrussischen Schriftsteller Salomon An-sky (Schlomo Rappoport, 1863–1920) wurde die kabbalistische Idee vom »Dybbuk« zur Weltliteratur.73 An-sky gründete 1908 in St. Petersburg die »Jüdische Historische Ethnographische Gesellschaft«, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, ostjüdische Folklore zu sammeln. Dieses Unternehmen war Teil der gesamteuropäischen »Renaissance«-Bewegung im Judentum, die versuchte, das Judentum neu zu beleben. »Gathering folklore is not only a scholarly task, but a national and topical one. To educate our children in a national Jewish spirit, we must give them folktales, folk songs, in short, what forms the basis of children’s education for other peoples.«74
Dies bedeutete aber für Teilnehmer der Expeditionen (1912–1914) nach Podolien oder Wolhynien nicht nur, Geschichten und Riten aufzuschreiben, sondern 72 Vgl. Jeffrey Howard Chajes, Between worlds: Dybbuks, Exorcists, and early modern Judaism, Philadelphia 2003; Matt Goldish (hg.), Spirit Possession in Judaism: Cases and Contexts from the Middle Ages to the Present, Detroit, Mich. 2003. 73 Vgl. Gabriella Safran, Steven Zipperstein (hg.), The worlds of S. An-sky. A Russian intellectual at the turn of the century, Stanford, Cal.: Stanford University Press 2006; Gabriella Safran, Wandering Soul: The Dybbuk’s Creator, S. An-Sky, Cambridge, Mass.: Harvard University Press 2010. 74 An-Sky im März 1912, zitiert nach Safran, Wandering Soul, S. 191.
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auch Kultobjekte zu archivieren, zu fotografieren und Musik auf Wachszylindern aufzunehmen. Der Fragenkatalog umfasste über 10 000 Fragen »covering all aspects of everyday life and the beliefs of the people.«75 Allein in den ersten beiden der insgesamt drei Expeditionen (Juli–Oktober 1912; Juli–November 1913; Juli 1914) sammelte An-sky zusammen u. a. mit dem Fotographen Solomon Yudovin und dem Musikwissenschaftler Yoel Engel 1300 Geschichten, 2200 Lieder und Melodien, zahlreiche Manuskripte, 600 Kultobjekte und machte 1400 Fotographien. Diese Fotos zeigen Menschen, Gemeinden, Synagogen, Kultobjekte und Friedhöfe, die wenige Jahre später während der Shoah vernichtet wurden.76 Aber An-sky beließ es nicht nur bei der wissenschaftlichen Erforschung des Ostjudentums, sondern ließ seine Kenntnisse und Erfahrungen in sein Theaterstück »Der Dybbuk« von 1914 einfließen. »Almost every shtetl in Ukraine had its old women whom people went to for advice in times of crisis. (…) The old women were very careful not to divulge their secret spells and remedies to others; they even refused to tell members of their own family. (…) We employed various strategies to get these old women to tell us their charms. (…) Often Ansky would go to these old healers and complain that he was suffering continual bad luck.«77
»Der Dybbuk« ist An-skys ganz persönliches literarisches Denkmal für die damals noch lebendige ostjüdische Folklore, das er selbst vom russischen Original ins Jiddische übertrug. Im Fragenkatalog der Expeditionen kann man deutliche Bezüge zur mystischen Welt des Dybbuks sehen: »2034. Do you know any stories about a dead person’s soul that finds no rest and that turns into a dybbuk and enters a living person? 2035. What does a dybbuk normally say and shout? 2036. Because of what sins does a dybbuk enter a person? 2037. Does a male dybbuk enter a female and vice versa? (…) 2039. Which antidotes or remedies can be effective in such a case? 2040. Does a dybbuk ever harm other people (outside the person it enters)? 2041. Which tsaddiks were famous for exorcising dybbuks?«78
Trotz aller Authentizität unterscheidet sich das düstere Stück drastisch von den sonst üblichen Bühnenwerken des jiddischen Theaters. Kitsch, Schmalz und Komödie sucht man hier vergeblich, dazu war der »Dybbuk« viel zu sehr »gothic 75 An-Sky, zitiert nach Safran, Wandering Soul, S. 192. 76 Liudmila Uritskaya, Ashkenazi Jewish Collections of the State Ethnographic Museum in St. Petersburg, in: Mariella Beukers, Rene8 Waale (hg.), Tracing An-sky : Jewish Collections from the State Ethnographic Museum in St. Petersburg, Zwolle: Waanders Uitgevers 1992, S. 24–57. 77 Avrom Rechtman, Healers, Magicians and Fortune-tellers, in: Beukers, Rene8 Waale (hg.), Tracing Ansky, S. 111. 78 S. Ansky, From The Ethnographic Expedition Questionnaire, in: The Dybbuk and the Yiddish Imagination, a Haunted Reader, editetd and translated by Joachim Neugroschel, Syracuse, New York: Syracuse University Press 2000, S. 56.
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horror«. An-Sky versuchte bis zu seinem Tod erfolglos, das Stück aufzuführen, aber kein Theater sah das Potenzial des Stoffes. Da An-sky ein gefeierter Schriftsteller war, wurde es ihm zu Ehren einen Monat nach seinem Tod, am 9. 12. 1920 in Warschau von der »Wilnaer Truppe« unter der Regie von David Herman uraufgeführt. Avrom Morewski (1886–1964) spielte den Wunderrabbi von Miropol, der diese Rolle auch später in der Verfilmung von 1937 übernehmen sollte. Der »Dybbuk« wurde ein beispielloser Bühnenerfolg. Über den Warschauer Dybbuk schrieb Nachman Meisl: »Wo man ging und stand, am Fenster, an der Tür, an Haltestellen, in den Tramwagen, pfiff und summte man die Melodien des ›Dibbuk‹. Wenn die Tram auf der Krakowska bei der Karowa hielt, wo der ›Dibbuk‹ aufgeführt wurde, pflegte der polnische Tramschaffner auszurufen: ›Kto na Dibbuk – prosze˛ wysiadac´ !‹ (Wer zum Dibbuk will – bitte aussteigen!) Die Dibbukiade verzauberte damals nicht nur den Großteil der jüdischen, sondern auch einen guten Teil der nichtjüdischen Bevölkerung Warschaus.«79
Chaim Nachman Bialik übersetze den »Dybbuk« 1918 ins Hebräische. Nachdem das Stück durch die hebräischsprachige Bühne »Habima« in Moskau 1922 zu einem Meisterwerk des Expressionismus wurde, setzte sich der Erfolg des Stückes auch auf deutschen, französischen und englischsprachigen Bühnen fort. Die Geschichte eines Heiratspaktes über ungeborene Kinder war schon ohne die Dybbuk-Elemente 1907 von Perez Hirschbein (1880–1948) in »Tkies Kaf – Der Schwur« bearbeitet worden, der 1924 als Stummfilm und 1937 von Henryk Szaro in Wilna und Warschau verfilmt wurde. Im Gegensatz zum »Dybbuk« kommt es aber dank des Propheten Elia zum Happy-end und die beiden Kinder können heiraten. Viel schauerlicher und trostloser ist dagegen die Welt des Dybbuk, die mehrfach filmisch adaptiert wurde. Durch die Filme und die Bühnenbearbeitungen hat der Dybbuk eine nur dem Golem vergleichbare Popularität erreicht.
3.2. Der Dybbuk – zwischen Murnau und Jiddischkeit Bereits 1937 entstand in Polen unter der Regie von Michał Waszyn´ski (Kovel 1904 – Rom 1965) eine meisterhafte Dybbuk-Verfilmung. Geboren wurde er als Waks in einem Shtetl in Wolhynien. Unter seinen Vorfahren sind zwei berühmte Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts – der chassidische Zadik Dov Baer aus Mersritsch und der falsche Messias Jakob Frank, der zum Christentum konvertierte.80 1919 verläßt er Kovel, aus Waks wird Michał Waszyn´ski und er läßt – wie sein Urahn Jakob Frank zuvor – die jüdische Tradition und die Welt von 79 Salcia Landmann, Der Dibbuk von An-Ski, Frankfurt a. M.: Insel 1989, S. 133. 80 Samuel Blumenfeld, L’homme qui voulait Þtre Prince, les vies imaginaires de Michal Waszinski, Paris: Grasset et Fasquelle 2006, S. 33–35.
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Cheder und Yeshiva weit hinter sich. 1922 landet der aufstrebende polnischjüdische Künstler schließlich beim polnischen Film – als Schauspieler, Regieassistent und Regisseur. Dazwischen soll er Assistent bei F.W. Murnau in Berlin in den Glanzzeiten der »dämonischen Leinwand« des deutschen Stummfilms gewesen sein. »Ich war der Schützling von Murnau und daher auch der von Nosferatu. Murnau hat den Film gezeichnet, aber mein Einfluß ist in vielen Sequenzen spürbar.«81
Waks wurde einer der am meisten beschäftigten polnischen Regisseure. Trotz des großen Erfolges in den 30er Jahren sollte keiner seiner rund 40 polnischsprachigen Spielfilme zu zeitlosem Ruhm gelangen – außer seinem jiddischsprachigen Meisterwerk »Der Dybbuk«. »Over the next decade he directed some forty films, virtually all of them money-makers. (No less than eight of these opened in New York between 1934 and 1938). Waszynski’s speed, range, and impersonality suggest a Polish equivalent of a Hollywood contract director such as Michael Curtiz. He worked in almost every genre, making melodramas, musicals, romantic fantasies, farces, military films, a Polish-Czech coproduction of the Soviet satire The Twelve Chairs, even an adventure film shot in Morocco. Polish critics, however, are consistent in declaring Der Dibek to be Waszynski’s finest work.«82
Während des Krieges kämpft er als aktiver Soldat der polnischen Armee und sollte später als Mitglied der Filmcrews der Alliierten die legendäre Schlacht um das Kloster Monte Cassino in Italien aufnehmen. Nach dem Krieg bleibt er in Italien und Spanien. Er arbeitet bei in Italien produzierten amerikanischen Filmen wie »Quo Vadis?« (USA 1951, R: Mervyn LeRoy) oder »Roman Holiday« (USA 1953, R: William Wyler) als »art director« mit und wird dort bis zu seinem Lebensende die großen Epen von Samuel Bronston koproduzieren – »King of Kings« (USA 1960, R: Nicholas Ray), »El Cid« (USA 1961, R: Anthony Mann), »55 Days at Peking« (USA 1963, R: Nicholas Ray), »Circus World« (USA 1964, R: Henry Hathaway) und »The Fall of the Roman Empire« (USA 1964, R: Anthony Mann) und in der High Society den aristokratischen »Prinzen« geben.83 Leon Liebgold, Darsteller des Chonen im »Dybbuk«, erzählte der »New York Times«, Waszyn´ski hätte bei den Dreharbeiten zum Dybbuk versucht, seine jüdischen Wurzeln so zu tarnen, dass er vorgab, kein Jiddisch zu verstehen. »›Michal Waszynski, the director of The Dybbuk, was a talented man who knew Yiddish but didn’t know Yiddish,‹ said Leon Liebgold, who had a starring role in the film as the young ill-fated son. ›That is, he was a director, and he didn’t let it be known that he knew 81 Zitiert nach Blumenfled, L’homme, S. 48. 82 James Lewis Hoberman, Bridge of Light: Yiddish Film Between Two Worlds, Hanover / London: University Press of New England, updated Edition 2010, S. 282. 83 Blumenfeld, L’homme, S. 219ff.
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Yiddish. With the anti-Semitism of those days, anything that had to do with Yiddishkeit had to be covered up.‹«84
Der durch und durch traditionell-jüdische Stoff und die Dreharbeiten mit den Stars des Yiddischen Theaters und Films waren für den assimilierten Juden Waszyn´ski, den homosexuellen Dandy,85 sicherlich eine Herausforderung, was man dem Film allerdings nicht anmerkt. Nachdem er Jahrzehnte leider nur verstümmelt zu sehen war, ist es dem National Center for Jewish Film an der Brandeis University zu verdanken, dass der »Dybbuk« nun wieder ungekürzt zu sehen ist: »Prints deteriorated; negatives were lost or cut. It was sedulous detective and laboratory exertions that put it all together again, according to Sharon Pucker Rivo, executive director of the National Center for Jewish Film. (…) The worldwide search for »Dybbuk« film of higher quality led to Poland, where it was learned that original materials had been destroyed during World War II, and, no more fruitfully, to France, Israel and the Netherlands, where prints were found but were of inferior quality. An excellent nitrate print, with no subtitles and missing two reels, was discovered at the British Film Institute. (…) Other prints came from a private collector in Los Angeles and from the Australian Film Archives in Canberra.(…) Professor David Roskies and Sylvia Fuks Fried translated »The Dybbuk« into the new English subtitles.«86
Der Film fängt gekonnt die Atmosphäre am Hof des chassidischen Wunderrabbis von Miropol ein, wobei der mystische »Sendbote« (Ayzyk Samberg) wiederholt die kabbalistische Fähigkeit der »Wegverkürzung« (Kefitzat Ha-Derech) einsetzt. Er »verschwindet« vor den Augen des Zuschauers, um an einem anderen Ort sehr rasch wieder zu erscheinen. Diese Überblendungen erinnern natürlich auch an die Spiegeleffekte von Murnaus deutschen Stummfilmen wie »Nosferatu« oder »Faust«. »According to the believers, only exceptional individuals attain kefitzat ha-derekh, due to their expertise in the writing of amulets and adjurations – actions based on a knowledge of the Names. According to those engaging in the practical Kabbalah, there is a ›name for kefitzat ha-derekh‹, that is a specific formula different from other Names used for other supernatural actions.«87
Sender (Mojzesz Lipman) und Nissan (Gerszon Lemberger), zwei chassidische Studenten des Wunderrabis Azriel von Miropol, beschließen, ihre noch ungeborenen Kinder (Leah und Chonen/Chanan) miteinander zu verheiraten. Was84 85 86 87
Richard F. Shepard, »The Dybbuk« Rises From the Ruins, The New York Times 10. 09. 1989. Blumenfeld, L’homme, S. 68. Richard F. Shepard, »The Dybbuk« Rises From the Ruins, The New York Times 10. 09. 1989. Gedalyah Nigal, Magic, Mysticism and Hasidism, the Supernatural in Jewish Thought, Northvale, New Jersey : Jason Aronson 1994, S. 35.
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zyn´ski entwickelt aus dem knapp 50 Seiten langen Stück von An-sky88 geradezu ein chassidisches Epos von über zwei Stunden Länge, in denen nicht nur Raum bleibt für Gesangs- und Tanznummern, sondern auch für Tableau-artige Inszenierungen ostjüdischen Lebens. Joachim Neugroschel unterstellt Waszyn´ski, dass er aufgrund seiner Homosexualität die im Stück nicht vorhandenen Szenen mit Sender und Nissan am Hof Azriels »spritual and erotic« dargestellt hätte.89 Waszyn´skis Präsentation inniger Freundschaft der Chassidim erinnert weniger an Homosexualität denn an das 1923 in Prag erschienene Werk »Die Erotik der Kabbala« von Georg Langer, Kafkas Hebräischlehrer. Langer, der selbst Chassid in Belz gewesen ist, verbindet hier Freudsche Sexualtheorien mit Kabbala. Nissan stirbt dramatisch während einer Bootsfahrt und erinnert Sender mit seinen letzten Worten noch an das Versprechen. Der reich gewordene Sender vergisst dies jedoch. Als Chonen (Leon Liebgold) als armer Student in die Stadt Senders kommt, verlieben sich Leah (Lili Liliana) und Chonen ineinander. Aber Sender träumt von einem reichen Schwiegersohn. Chonen, der Talmud-Student, wendet sich der Kabbala nicht erst durch die unglückliche Liebe zu Leah zu. Gleich bei seinem ersten »Schabat-Mahl« bei Sender erklärt er ihm: »Chonen: Der Talmud ist kalt und trocken, die Kommentare sind kalt und trocken. Die Kabbala aber reißt die Seele von der Erde und führt den Menschen in die höchsten Sphären. Sender : Es ist gefährlich, solche Höhen zu erklimmen, man kann leicht in den Abgrund stürzen. Chonen: Ich werde nicht fallen!«90
Leah und Chonen sind Seelenverwandte, die sich durch alle »Gilgulim« hindurch immer wieder suchen und finden. Im Film gibt es einen wichtigen Hinweis darauf, dass sie bereits in einem früheren Leben hätten zusammenkommen sollen. Mitten auf dem Marktplatz befindet sich das »heilige Grab«. Es erinnert an die grausamen Kosakenunruhen des Jahres 1648, als unter Bogdan Chemielnicki tausende Juden abgeschlachtet wurden. Während dieser Pogrome wurde auch ein junges Brautpaar direkt unter dem Hochzeitsbaldachin ermordet, das danach in dem »heiligen Grab« beerdigt wurde. Durch den »Sendboten« wird klar, dass Chonen und Leah das wiedergeborene Brautpaar sind, die jetzt endlich zueinanderkommen wollen. Hatte sich Chonen bislang nur den theoretisch meditativen kabbalistischen Aspekten zugewandt, versucht er sich, nachdem er erfahren hat, dass Leah verheiratet werden soll, in magisch-kab88 Neugroschel, The Dybbuk, S. 3–53. 89 Neugroschel, The Dybbuk, S. XIV. 90 The Dybbuk, 0:32:19–0:33:02.
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balistischen Praktiken, um »zwei Fässer Gold« zu erhalten. Er geht ins Lehrhaus und greift gezielt ein Buch aus dem Regal. Nachdem er es aufgeschlagen hat, wird klar, dass es sich um das Buch des Engels Raziel (Sefer Raziel ha-Malach, Amsterdam 1701) handelt, ein Buch, das zahlreiche Amulette enthält, vor allem Wochenbettamulette zum Schutz gegen die dämonische Vampirin Lilith. »Geldzauber« und »Satansbeschwörungen« finden sich allerdings nicht darin. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde der Film recht konventionell gefilmt, die Handlung plätschert gewissermaßen dahin. Mit Chonens Schritt zur Magie kippt auch der Film selbst zunehmend in die Welt des Übernatürlichen. Chonen beschwört Satan, dass er durch seine Hilfe zu Gold und in weiterer Folge zu Leah komme. Das antisemitische Motiv, dass die Juden mit dem Teufel im Bund sind, wird dadurch abgeschwächt, dass Chonen durch die Geister, die er rief, zu Tode kommt. Zuvor warnt der »Sendbote«, dass durch solche Praktiken das »Gefäß zerbrechen kann«. Die Hinwendung zu Satan wird durch die Gematria erläutert: »Neun Torarollen…neun..das bedeutet so viel wie Wahrheit in kleiner Zahl (Anm.: Wahrheit, hebr. emet, Alef, mem, taw in kleiner Rechnung ohne die Nullen: 1+4+4=9)..und in jedem Buch vier Lebensbäume…zusammen 36…36 ist auch das Zahlwort von Leah und dreimal 36 ergibt Chonen. Leah kann man auch lesen lo hashem.. nicht durch Gott…«91
Bei der sehr »faustischen« Beschwörung stirbt Chonen und wird bei Nacht beerdigt. Keiner wagt es, für ihn das traditionelle Totengebet zu sprechen, Leah, schwarz gekleidet und zerbrechlich, erlebt den Abschied von Chonen nur noch fiebrig dahin dämmernd. Sender, der zu spät realisiert hat, dass Chonen der Sohn seines Freundes Nisan und der versprochene Bräutigam seiner Tochter ist, übernimmt gebrochen diese Aufgabe. Nichts von der Leichtigkeit oder Melancholie der jiddischen Filme eines Joseph Green oder Sidney Goldin verströmt diese Szene, die Verwandtschaft liegt eher bei den nachtblauen Bildern von Murnaus »Nosferatu«. Waszynski steigert aber noch die Stimmung des Unheimlichen in der Inszenierung der Hochzeitsfeier. Zuvor widmet sich der Film in einer kurzen komischen Szene dem ostjüdischen, bzw. russischem Brauchtum. Leah begegnet zusammen mit ihrer Tante Frade (Dinah Halpern) einem Wasserträger mit leeren Eimern, nach dem slawischen Volksglauben bringt das Unglück. Daher spuckt Frade mehrmals aus, um die Verwünschung aufzuhalten. Leah geht auf den Friedhof und lädt ihren »wahren Bräutigam« Chonen zu ihrer Hochzeit ein. Dort erklärt ihr der »Sendbote«, was ein Dybbuk ist. Leah umarmt in einer ergreifenden Szene Chonens Grabstein und singt ein trauriges Lied über ihre gemeinsamen ungeborenen Kinder. Sender lädt die Armen der Stadt zur Hochzeit ein und Leah muss mit ihnen auf dem Dorfplatz tanzen. Die 91 The Dybbuk, 1:00:40–1:01:33.
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grotesken Tänze der teilweise behinderten Bettler werden untermalt von Henoch Kons suggestiver Musik und gipfeln in einem wirklichen Totentanz. Choreographiert wurde diese Szene – wie alle anderen Tanzszenen – von Judith Berg, Kons Ehefrau und Gründerin der ersten jüdischen Tanzschule Polens. Dieser »danse macabre« braucht den Vergleich mit den zur selben Zeit entstandenen Gruselklassikern des Universal Filmstudios nicht zu scheuen. Ein Tänzer (Judith Berg) tritt auf, gehüllt in den Gebetsmantel, jedoch trägt er eine Totenmaske. Am Anfang weicht Leah entsetzt zurück, als sie dann aber in der Gestalt des Todes Chonen erkennt, fällt sie bereitwillig in seine Arme und tanzt mit ihm. »The fanciful ›tojtntanz‹ (dance of Death), led by Berg herself, is based on descriptions she heard from her grandmother. (…) Berg’s vivid, Brueghelian set pieces are the heart of the film; the haunting music Kon wrote for them is faintly reprised at the end when the dybbuk is exorcised (…) One almost wishes that Berg had directed the entire movie.«92
Die ohnehin recht unheimliche und erschreckende Hochzeit wird abgebrochen, da Chonen als »Dybbuk« in Leah hineinfährt. Die letzten 30 Minuten des Films fallen gegenüber der Hochzeit wieder merklich ab. Daher ist der Wunsch Hobermans, Judith Berg hätte besser den ganzen Film inszenieren sollen, nicht unberechtigt. Die stärksten Szenen des Films sind unbestritten die Choreographien von Judith Berg. Bilder dieser Szenen haben den Weltruhm des »Dybbuks« in der Zeit weiterbestehen lassen, als der Film selbst noch nicht rekonstruiert war. Die Szenen davor und danach sind eher dem konventionellen Melodrama verpflichtet und haben auch starke Längen. Im letzten Teil des Films stehen nicht mehr das Unheimliche und Schockierende im Zentrum, sondern Leah und ihre unglückliche Liebe zu einem Geist. Man bringt sie zu Azriel von Miripol, einem völlig überarbeiteten und erschöpften Wunderrabbi. Um den Exorzismus erfolgreich durchführen zu können, bittet er seine Vorfahren, zu ihm zu kommen und ihm durch diesen »Ibbur« zusätzlich Kraft zu geben. Er exorziert Leah erfolgreich, wobei diese Szene ganz authentisch dem jüdischen Ritual verpflichtet ist. Die jüdischen Exorzisten wollen stets beiden Seelen, die in Not geraten sind, helfen und sie auf den richtigen Weg bringen. Chonen wird mit den üblichen Sprüchen, schwarzen Kerzen und Schofarblasen aus der Gemeinde gebannt, verläßt Leahs Körper und wird wieder ins Judentum aufgenommen, damit seine Seele friedlich weiter wandern kann. Sender muss sich in einer gespenstischen Gerichtsverhandlung mit dem Geist Nissans und seinem nicht eingelösten Versprechen auseinandersetzen. Leah jedoch, von Chonen verlassen, will dies nicht dulden und stirbt, damit sie mit ihrem Seelenverwandten im Tod vereint sein kann. Waszynski gelingt es Dank der Unterstützung seiner Schauspieler und der herausragenden Kamera von Albert Wywerka suggestive 92 Hoberman, Bridge of Light, S. 281–283.
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Bilder der ostjüdisch-chassidischen Lebenswelt zu kreieren, die am nachhaltigsten in den Tänzen von Judith Berg wirken. Dass im »Dybbuk« kabbalistische Elemente auf eine so authentische und beeindruckende Weise eingefangen werden konnten, liegt natürlich an der Vorlage An-skys. Der Erfolg des »Dybbuks« sprengte die Grenzen des jiddischen Kinos: »In New York, Der Dibek opened on January 27,1938, at the Continental Theater and remained there seven weeks, receiving more press than any previous Yiddish (or Polish) film, including coverage by both Times and Newsweek.«93
3.3. »10 Angry Men« – Der New Yorker Dybbuk »Der Dybbuk« sollte noch mehrfach verfilmt werden, u. a. von Sidney Lumet (1924–2011). Lumet ist vor allem als meisterhafter Regisseur zeitgenössischer Dramen wie »12 Angry Men« (USA 1957) oder »Network« (USA 1976) bekannt. Darüber hinaus sind dem aus einer polnisch-jüdischen Emigrantenfamilie stammenden Lumet die vielleicht beeindruckendsten filmischen Präsentationen jüdisch-New Yorker-Lebenswelten gelungen. In vier »celluloid Haggadahs«94 setze er sich mit unterschiedlichsten jüdischen Themen wie der Überlebensschuld Shoah-Überlebender (The Pawnbroker, USA 1964), den Erinnerungen an frühere Zentren jüdischen Lebens in New York (Bye Bye Braverman, USA 1968), der Jagd auf jüdische Kommunisten (Daniel, USA 1983) und dem chassidischen Leben in New York (A Stranger among us, USA 1992) auseinander. Aber auch die vielen Gerichts-und Polizeifilme, die Lumet inszenierte, wären es wert, unter dem Aspekt der Schuld und Verantwortung beleuchtet zu werden: »The guilt of an individual member, which in turn threatens the fabric of the family, allows Lumet to explore Old Testaments questions of guilt and responsibility.«95
Lumets »The Dybbuk« (USA 1960) ist zum einen eine Verbeugung vor seinen Eltern Baruch und Eugenia, die beide in den Jiddischen Theatern New Yorks gearbeitet hatten, und zum anderen der endgültige Abschied von seiner Fernseharbeit, die zu Beginn seiner Karriere gestanden hatte. Der »Dybbuk«, adaptiert von Joseph Liss, war ein Teil der Serie »Play of the Week« und wurde als zweite Folge der zweiten und letzten Staffel am 3. Oktober 1960 erstmalig von »National Telefilm Associates« in den USA ausgestrahlt. Die anderen Folgen waren Verfilmungen klassischer und moderner Autoren, darunter Euripides, 93 Hoberman, Bridge of Light, S. 284. 94 David Desser, Lester D. Friedman, American Jewish Filmmakers, Urbana/Chicago: University of Illinois Press 2004 (2nd edition), S. 173. 95 Desser / Friedman, Jewish Filmmakers, S. 172.
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Schiller, Shaw, Ibsen, Sartre, Steinbeck oder Capote. Zu Beginn sehen wir Lumet, der das Stück vorstellt: »It’s a play that’s very close to me. My father appeared in it, I think it was 1927. It’s the first play that I ever saw in the Yiddish Theater. .«96
Allerdings gibt es zwei unnötige Fehler in Lumets »Dybbuk«. Azriels (Ludwig Donath) helfende Erklärungen als Erzähler des Films sind zum Teil etwas zu simpel geraten, so sagt er »He read the book called the Kabbalah, a book filled with mysterious fears.«, wobei es in der ganzen mystischen jüdischen Literatur kein Buch namens »Kabbala« gibt. Die »Kabbala« ist eben kein zusätzliches drittes Buch neben Bibel und Talmud, sondern eine ganze Bibliothek verschiedener kabbalistischer Texte. Sehr irritierend ist die Szene, in der das »heilige Grab« erklärt wird und man den Namen des Kosakenhauptmanns Chemielnicki unsinnigerweise durch »Camelot« ersetzt. Der TV-Film wurde nur im Studio – und in teilweise sehr dürftigen Kulissen – gedreht und man verzichtete auf jegliche Außenaufnahmen. Das unterstreicht das »Theaterhafte« – passend für das »Play of the Week«. Die Szenen in Synagoge und Lehrhaus bekommen dadurch einen beengten Charakter, der dem Film abernicht abträglich ist. Auch Ludwig Donath (1900–1967) als Azriel entschädigt für die durch das TV-Format bedingten Grenzen. Donath war ein Wiener Schauspieler, der sich in der amerikanischen Emigration zunächst, wie so viele, mit der Darstellung von Nazis begnügen musste – so war er in »The Hitler Gang« (USA 1944, R: John Farrow) oder »The Master Race« (USA 1944, R: Herbert J. Biberman) zu sehen, und in »The Strange Death of Adolf Hitler« (USA 1943, R: James Hogan) gab er die Titelrolle. Völlig mißglückt und mitunter unfreiwillig komisch wirkt Anna Sokolovs Choreographie der Tanzszenen, die nicht nur den Tanz mit den Bettlern, sondern auch die Besetzung durch den Dybbuk und die Austreibung umfassen, da diese ballettartig inszeniert wurden. Carol Lawrence als Leah wirkt darin wie ein bemühter Schwan, der sich in den falschen Film verirrt hat. Es scheint, als ob Lumet nicht der richtige Regisseur für diesen mystisch-magischen Stoff gewesen sei. In seiner gesamten Filmographie findet sich auch nur noch ein weiterer Film mit fantastischen Elementen, die Verfilmung des Musicals »The Wiz« (USA 1978), die ein Mißerfolg war. Als Chonen (Michael Tolan) stirbt, fehlen – wie auch in der Vorlage von An-sky – jegliche übernatürlichen Elemente, die dieselbe Szene im »Dybbuk« von 1937 so prägten. Im Stück als auch bei Lumet ist der Tod Chonens zwiespältig. Er könnte schlicht an körperlicher Erschöpfung durch das viele Fasten zu Grunde gegangen sein. Im Stück fällt ihm das »Buch des Engels Raziel« aus der Hand und der Sendbote sagt »Er wurde von den Dämonen zerstört«, wodurch eine weitere Todesursache erwähnt wird. Bei 96 The Dybbuk (1960), 0:01:00–0:01:13.
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Lumet murmelt ein Chassid einfach nur traurig »Kabbala«. In der Verfilmung von 1937 wird eine rationale Möglichkeit erst gar nicht zugelassen und Chonen fällt nach der Satansbeschwörung, in dicken Rauchschwaden stehend, schreiend zu Boden. Die Satansbeschwörung wird im Stück nur angedeutet, indem Chonen sagt: »Was für ein schrecklicher Gedanke und doch so verführerisch…« Als Chonen als Dybbuk zurückkehrt und ausgetrieben wird, folgen im Stück mehrere Szenen voll von sprechenden Toten und magisch-unheimlichen Momenten. Lumet weicht dem Problem der Darstellung des »gothic horror« aus, indem er diese Sequenzen teilweise durch Tanzdarstellungen inszeniert, bzw. so nüchtern und ohne jede Phantastik inszeniert, dass sie seltsam befremdlich wirken. »The Dybbuk« ist der traditionellste jüdische Film Lumets und bedauerlicherweise einer seiner schwächsten. Von der Kraft seiner nur ein paar Jahre zuvor – allerdings fürs Kino – gedrehten »12 Angry Men« ist nur wenig zu spüren. Lumet, der große Regisseur von Gerichtsdramen, dreht im »Dybbuk« eine Gerichtsverhandlung mit einem Toten – aber leider sehr uninspiriert. Miropol ist eben nicht New York.
3.4. Der Dybbuk und die »Verbotene Liebe« Eine besondere und sehr faszienierende Variante von An-skys Dybbuk wurde 1997 von Yossi Somer unter dem Titel »Ahava Asura, ha-Dybbuk b’sde hatapuchim hakdoshim« (Verbotene Liebe, der Dybbuk vom Feld der heiligen Äpfel) in Israel gedreht. Der Film beginnt mit einem Flug über den Wolken und wir hören die gebrochene Stimme Azriels (Moshe Ivgy), die vom Schwur zwischen Nissan ben Karina und Moshe Sender über die Heirat ihrer noch ungeborenen Kinder erzählt. Schließlich sehen wir Jerusalem aus der Vogelperspektive. Die Kamerafahrt endet in Mea Shearim, dem ultra-orthodoxen Viertel Jerusalems mit einer Nahaufnahme von Chanan (Yehezkel Lazarov). In Mea Shearim wurde sozusagen die osteuropäische Welt der Chassidim mit ihren Regeln und Sitten nach Israel transportiert. Ein Bezirk, in dem das moderne Israel keinen Platz hat. Dennoch ist Chanan kein Talmudstudent mehr, sondern ein moderner säkulärer Israeli ohne Kippa mit Walkman. Er ist von Anfang an ein Fremdkörper. Auf der Suche nach Spiritualität möchte er wie viele andere junge Israelis nach Indien fahren. Er kommt nur nach Mea Shearim, um das Grab seiner orthodoxen Eltern zu sehen, die er nicht gekannt hatte. Chanan besucht Moshe Sender (Igal Naor), hier der Besitzer einer Schlachterei und früherer Geschäftspartner des Vaters, der anders als bei An-sky weiß, wer Chanan ist und sich sogleich an den Schwur erinnert. Chanan, der nichts davon weiß, findet auf der Straße eine Mezuzah und sieht daraufhin in einer Vision den tödlichen Unfall der Eltern und wird ohnmächtig. Als die Eltern sterben, fliegen
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ihre »Seeleneulenvögel« in den Himmel. Um mehr über seine Ohnmacht und die Vision zu erfahren, besucht er den kabbalistischen »Wunderrabbi« Azriel. Azriel erklärt ihm anhand der Sephira »Keter« (hebr. Krone), dass die Seele immer nach Einheit streben würde. In der Kabbala werden die zehn Sefirot zu Potenzen und Wirkungsweisen Gottes. Diese dynamische Einheit ist es, in der Gott aus seiner tiefen Verborgenheit (En-Sof) heraustritt und sich dem Menschen als Schöpfer offenbart. Hier ist zu betonen, dass es sich bei den Sefirot um eine Art Entfaltung der göttlichen Einheit handelt und sie einen Vorgang in Gott selber und nicht außerhalb von ihm darstellt. Die Welt der Sefirot ist vielmehr jener Aspekt Gottes, an den man sich in der Meditation oder im Gebet wendet, da ja En-Sof als solches nicht anvisiert werden kann. Die Sefirot erscheinen als Kräfte Gottes. Es werden ihnen göttliche Eigenschaften zugeschrieben, die in Form eines Weltenbaumes, der zugleich auch der Ursprungsort der Seelen ist, dargestellt werden. Sie sind in drei obere und sieben untere Sefirot geteilt. Die Reihe der oberen besteht aus den Sefirot: Keter eljon (höchste Krone), auch Machschava (Gedanke, Denken, Idee) genannt, Chochma (Weisheit) und Bina (Einsicht, Verstehen). Die erste Sefira ist kein Gegenstand einer Schau oder Vision, sie hat kein Ende und genügt sich selbst. Sie ist nicht von Gott zu trennen und symbolisiert daher die Einheit. Azriel warnt ihn vor »starken Kräften«, die seinen Weg zur Wahrheit blockieren würden und rät ihm zum Thora-Studium. Das hatte ihm bereits ein anderer Gelehrter vorgeschlagen – Chanan möchte ein Aspirin gegen Kopfschmerzen, während Rabbi Kalir, der Leiter der Talmudhochschule, ihm das Studium religiöser Schriften als Heilmittel vorschlägt. An-skys Vorlage, die in einer rein traditionell-chassidischen Gesellschaft spielt, bildet jetzt den Hintergrund für die zeitgenössischen Konflikte einer tragischen »Romeo und Julia« Geschichte zwischen ultra-religiösen und säkularen Israelis. Chanan verliebt sich in Lea Sender (Ayelet Zurer), die seine Liebe erwidert. Als säkularer und noch dazu mittelloser Jude ist er aber für Sender kein passender Schwiegersohn. Menashe Kalir, der Sohn des Rabbiners, soll Leah stattdessen heiraten. Die Mutter Senders kennt den Schwur und ist der Meinung, Chanan fordere nur sein Recht ein. Aber auch sie stößt bei Sender auf taube Ohren. Als Chanan von der geplanten Hochzeit erfährt, zieht er wie betäubt durch die Straßen Mea Shearims, wobei wir Roger Waters Coverversion von Bob Dylans »Knocking on Heaven’s Door« hören. Ein irritierender Kontrast, der aber filmisch wunderbar funktioniert. Er ist fest davon überzeugt, in Leah seine Seelenverwandte gefunden zu haben. Er möchte mit ihr zusammen Mea Shearim verlassen, aber Leah ist in den Zwängen ihrer Gesellschaft gefangen. Chanan verwandelt sich jetzt auch äußerlich in einen Talmudstudenten. Er schneidet sich die langen Haare ab, kleidet sich im orthodoxen Stil und möchte bei Azriel Kabbala lernen. Azriel gibt ihm die traditionelle Antwort, dass man sich erst nach dem Studium
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von Mischna und Talmud der geheimen Lehre widmen sollte, da das Studium der Buchstaben zwar sehr viel Wissen, aber auch den Tod bringen kann. Azriel studiert daraufhin alleine kabbalistische Texte wie den Zohar. Er öffnet die Mezuzah, die er gefunden hatte. Statt des üblichen Textes aus der Bibel befindet sich darin ein Amulett aus dem praktisch-kabbalistischen Buch Raziel. In dieser Szene ist Somer wieder bei der Vorlage An-skys angelangt und zitiert Chanans gematrische Interpretationen. »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun – neun Thorarollen…und jede Thorarolle hat vier Griffe, macht 36…36, das ist die Zahl des Namens Lea, dreimal 36 aber das ist ›Chanan‹.«97
Chanan bekommt während des »Kol Nidre«-Gebetes am Vorabend zu Yom Kippur eine weitere Vision von den Seeleneulen. Diesmal sieht er auch das »heilige Apfelfeld«, die Welt der göttlichen Emanationen. Sender will mit allen Mitteln die Verbindung seiner Tochter zu Chanan verhindern und lässt den durch das nächtelange Studium gesundheitlich bereits Angeschlagenen von einem bezahlten Schlägertrupp in der Mikwe verprügeln. Chanan bekommt eine Lungenentzündung. Lea lehnt sich offen gegen ihren Vater auf und trifft sich mit ihm. Sie schlafen miteinander. Chanan erkennt ihre sexuelle Vereinigung als Spiegel der Union des göttlichen männlichen und weiblichen Prinzips im Baum der Sefirot. Wieder sieht er das »heilige Apfelfeld« und wird Zeuge der Erschaffung von Adam und Eva aus einem zweigeschlechtlichen Ur-Adam. Chanan stirbt. Nach seinem Tod soll Lea verheiratet werden. Doch der Verstorbene kehrt während der Trauung als Dybbuk zu ihr zurück. Lea ist besessen und schockiert u. a. ihre Familie, indem sie Sex mit dem Geist Chanans hat. Azriel wird gerufen und er vollzieht den Exorzismus. Senders Nichteinhaltung des Schwurs wird offenbart und er muss als Strafe seinen Reichtum den Armen stiften und täglich das Kadisch-Gebet für Nissan und Chanan sprechen. Chanan verläßt Lea als Dybbuk durch den Zeh und fliegt als Seeleneule davon. Sie beschließt, wie im Stück ihm in den Tod zu folgen und beide Seeleneulen fliegen Richtung Himmel. Das »Feld der heiligen Äpfel« ist ein Ausdruck, der schon im Talmud (Traktat Ta’anit 29b) vorkommt, aber im »Zohar« stets das weibliche Prinzip in der Welt der Sefirot symbolisiert, die zehnte Sefira, die »Schechina« (göttliche Einwohnung). Eine Reihe von Gleichnissen im kabbalistischen Buch »Bahir« oder im »Zohar«, wo sie als Brunnen, Schwester, Tochter oder Mutter dargestellt wird, zeugen davon. »That holy well stands beneath Him – Field of Holy Apples. From this well were watered the flocks that Moses tended in the wilderness. From this well were watered the flocks 97 Der Dybuk, einzige vom Autor autorisierte Übersetzung, Berlin: Verlag Ost und West 1921, S. 21.
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that Jacob selected, when they were selected for his share – all those chariots, all those winged beings. Three pillars rest upon this well; from them, this well is filled.«98
Die Schechina ist die Mittlerin zwischen den irdischen und den göttlichen Mächten, sie empfängt den Strom der göttlichen Energie von den oberen Sefirot. Sie erzeugt also selbst keine Kraft und wird dadurch oft als das »passiv Weibliche« bezeichnet. Das ist sehr gut in den Bildern des »Bahir« zu sehen, wo die Schechina als Brunnen, der sich mit Quellwasser füllt, oder als Meer, in das die Flüsse strömen, bzw. als Garten, der bewässert wird, dargestellt wird. »Ein Gleichnis: Jemand hatte einen schönen Garten und außerhalb des Gartens, nahe daran, ein Stück guten Feldes. Er richtete einen schönen Garten ein, bewässerte den Garten zuerst, so daß das Wasser sich über den ganzen Garten ausbreitete, außer über jenes Stück Feld, das nicht damit zusammenhängt, obwohl alles eines ist. Darum öffnete er ihm einen Ort und bewässerte es gesondert.«99 »Sie bringen Wasser von oben und füllen den Brunnen, weil die Quelle, die das Fundament der Welt ist, wenn sie beim Brunnen wohnt, Früchte hervorbringt und ständig hinein strömt und der Brunnen mit ihm gefüllt ist. Wenn der Brunnen gefüllt ist, dann (steht), um sicher zu sein (geschrieben): aus diesem Brunnen tränkten sie die Herden (Gen.29,2) – das sind alle Heere und die heiligen Heerscharen, sie alle trinken und erfrischen sich vom Brunnen, wie es sich jedem von ihnen schickt.«100
Aus diesem letzten Zitat ist auch die seit dem Zohar auftretende Symbolik der sexuellen Vereinigung sichtbar. Die vorletzte Sefira, hier als Fundament der Welt bezeichnet, verbindet sich als männlicher Aspekt mit dem Brunnen, dem passiven Weiblichen. Zur Symbolik der sexuellen Vereinigung passt natürlich die ebenfalls im Film gezeigte Idee des zweigeschlechtlichen männlich-weiblichen Ur-Adams, die tief verwurzelt in der rabbinischen und kabbalistischen Tradition ist. »Als der Heilige, gesegnet sei Er, Adam erschuf, erschuf er ihn als einen Hermaphroditen, denn es steht geschrieben ›Als Mann und Frau erschuf er sie und nannte sie Adam‹ (Gen.5, 2).«101
Die Geschichte vom zweigeschlechtlichen Adam erinnert auch an die Platonische Vorstellung vom übermütigen »Kugelmenschen«, dem »Mannweib«, das von Zeus in zwei Hälften geschnitten stets die verlorene Hälfte sucht. »Erst so lange also ist es her, dass die Liebe zueinander den Menschen eingeboren ward, zusammenführend die ursprüngliche Natur und bestrebt aus Zweien Eins zu machen und der menschlichen Natur Heilung zu verschaffen. Jeder von uns ist daher nur das 98 99 100 101
Zohar II, 13a. Bahir § 90. Zohar I, 151b–152a. Genesis Rabba 8,1.
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Halbstück eines Menschen, weil wir gespalten, wie die Schollen, aus einem zwei geworden sind.«102
In der Liebe von Chanan zu Lea wird durch die Adams-Vision auch an die bereits in den anderen Dybbuk-Verfilmungen aufgenommene Suche nach dem Seelenverwandten, dem »basherten« (jidd. für Schicksal, bzw. den göttlich Bestimmten) erinnert und dass die passenden Ehepartner bereits im Himmel bestimmt werden: »Dass vierzig Tage vor der Bildung der Geburt eine Hallstimme ertöne und spreche: die Tochter von jenem für diesen.«103
Yossi Somer gelingt es, zum einen die Dybbuk-Vorlage geschickt zu modernisieren und zum anderen aber auch die dort schon angelegte kabbalistische Symbolik viel tiefer zu entwickeln. Die eher dunklen kammerspielartigen Szenen in der Talmudschule, im Haus von Sender oder auf nächtlichen Plätzen mit vielen Nahaufnahmen kontrastieren zu den gleißenden hellen Bildern der Visionen und den Flügen der Seeleneulen. Diese mystischen Impressionen sind von Emmanuel Kadosh ähnlich grell und plastisch eingefangen worden, wie in Ken Russells »Altered States« (USA 1980) oder seinen Musiker-Filmen wie »Mahler« (UK 1974). Besonders faszinierend ist die Szene in der Synagoge zu »Kol Nidre«, als sich plötzlich für Chanan die Decke der Synagoge öffnet und er den Himmel und das bunte Spiel der Farben und Wolken beobachten kann. Ayelet Zurer, die nicht nur in israelischen Produktionen, sondern auch in Filmen wie »Munich« (USA 2005, R: Steven Spielberg) oder »Man of Steel« (USA 2013, R: Zack Snyder) mitwirkte, spielt Lea mit einer fiebernden Präsenz und ihr gelingt es, in der Exorzismus-Szene nicht überzogen zu wirken, sondern stattdessen die Seelennöte überzeugend zu porträtieren. Auch die anderen Rollen sind bis in die Nebenrollen ausgezeichnet besetzt, vor allem Moshe Ivgy als überzeugender Wunderrabbi. Daher ist es umso verwunderlicher, dass diese neben dem Klassiker von 1937 mit Abstand beste An-sky -Verfilmung bislang weltweit (!) nie auf VHS oder DVD erschienen ist.
3.5. Der Dybbuk und die Shoah Das Dybbuk-Phänomen wurde auch losgelöst von An-skys düster- romantischer Vorlage filmisch mehrfach bearbeitet. Der israelische Regisseur Amos Gitai erwies dem Dybbuk-Film von 1937 eine bestürzende Referenz in seinem Beitrag 102 Plato, Gastmahl, neu übersetzt und erläutert von Otto Apelt, Hamburg: Felix Meiner 1926, S. 29 (Symposion, 191d). 103 Babylonischer Talmud, Ordnung Moed, Traktat Sota, Folio 2a.
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»Le Dibbouk de Haifa« zu »Chacun son cinema: une d8claration d’amour au grand 8cran« (Frankreich 2007), einer Sammlung von 34 Kurzfilmen (darunter David Cronenberg, Ken Loach, David Lynch, Claude Lelouch, Roman Polanski, Nanni Moretti, Wim Wenders) zum 60. Filmfestival in Cannes. Der Kurzfilm beginnt in einem Kino in Warschau 1936, in dem der »Dybbuk« von Waszyn´ski gezeigt wird – ungeachtet der Tatsache, dass der Film erst in Polen am 29.9. 1937 seine Premiere hatte. Man sieht die Beschwörung Satans und die begeisterten Zuschauer. Der Film blendet über von den Zuschauern in Warschau 1936 zu Zuschauern in der Gegenwart, die wiederum den Dybbuk und die Satan-Szene ergriffen beobachten, diesmal allerdings in Haifa 2006. Der Film wird durch einen Bombenalarm unterbrochen. Eine Bombe trifft das Kino, man sieht eine der Zuschauerinnen, die durch die Explosion getötet wurde, am Boden liegen. Dieser ergreifende dreiminütige Beitrag Gitais zeigt die schlichte, aber nichtsdestoweniger tragische Tatsache, dass Juden seit über 2000 Jahren keinen normalen Alltag leben können, da man stets zum Opfer spontaner oder geplanter antisemitischer Attacken werden kann. Das kabbalistische Element des Dybbuks wurde auch mehrfach mit der Shoah in Beziehung gesetzt, wie in »Genghis Cohn« (UK 1993). Einer der schillerndsten Autoren des 20. Jahrhunderts, Romain Gary (1914–1980), schrieb bereits 1967 mit dem französischsprachigen Roman »La Danse de Gengis Cohn«104 die Vorlage zum Film. »To tell the true story of Romain Gary is a decidedly problematic undertaking. The main difficulty in pinning him down and making sense of the relationship between his life and his work is the awkward but unavoidable fact that he was, among many other things, a skillful liar.«105
Gary gelang es mit Schärfe und beißendem Wortwitz, die jüdisch-deutschen Beziehungen der Adenauer-Ära auf eine so pointierte Weise zu schildern, dass es mehr als bedauerlich ist, dass das Buch seit 1970 nicht mehr aufgelegt wurde. »Nehmen Sie zum Beispiel Deutschland. Es ist heute ein ganz und gar von Juden bewohntes Land. Selbstverständlich sieht man sie nicht, sie sind körperlich nicht gegenwärtig, und doch…wie soll ich’s sagen? Sie sind zu riechen. Es ist sehr merkwürdig, aber es ist so: Sie gehen durch eine deutsche Stadt – und in Warschau, in Lodz und anderswo 104 Editions Gallimard Paris 1970, die deutsche Übersetzung erschien als Der Tanz des Dschingis Cohn, München: dtv 1970, allerdings ist die englische Übersetzung Dance of Genghis Cohn von Romain Gary zusammen mit Camilla Sykes angefertigt worden, wobei das französische Original von Gary selbst verbessert wurde; zu Romain Gary siehe: David Bellos, Romain Gary, a tall story, London: Harvill Secker 2010; speziell zu »Genghis Cohn« Elvira Grötzinger : Le juif imaginaire. Romain Garys Dybbuk. in Brigitte Sändig (hg.), Zwischen Adaption und Exil. Jüdische Autoren und Themen in den romanischen Ländern, Wiesbaden: Otto Harrassowitz 2001, S. 103–123. 105 Bellos, Romain Gary, S. 3–4.
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ist es genauso–, und es riecht nach Juden. Die Straßen sind voll von Juden, die nicht da sind. Es ist ein ergreifender Eindruck. Es gibt übrigens im Jiddischen eine Wendung, die auf das römische Recht zurückgeht: Der Tote ergreift den Lebenden. Genau das ist es. Ich will nicht ein ganzes Volk kränken, aber Deutschland ist ein völlig verjudetes Land.«106
Gary zeichnet das muffige Adenauer-Nachkriegsdeutschland mit seinen braunen Flecken auf der mit »Persilscheinen« weißgewaschenen Weste, in der man die Nazizeit und die Shoah unter den Nierentisch verdrängte. Gary orientiert sich an Heinrich Heine und »denkt an Deutschland« und wie stark die NaziVergangenheit in die Gegenwart des Autoren reicht. »Der Dibbuk erkennt im Übrigen die Ausweglosigkeit des Dilemmas, welches darin besteht, dass Kunst über den Holocaust notwendig ist, aber nicht anders kann, als das Leiden der Vernichteten auszunutzen. So nimmt er die kulturelle Aneignung des Massenmordes im selben Augenblick, da er sie verhöhnt und verdammt, mit ironisch gefärbter Erleichterung zur Kenntnis: ›Ich atme leichter. Die Vorstellung, dass ich unser imaginäres Museum bereichern werde, tut mir gut. Unter der Hand eines genialen Malers oder eines grossen Schriftstellers bin ich wenn schon nicht für mich, so doch wenigstens für die Kunst ein guter Fund.‹ – Myriam Anissimov nennt dieses Werk, eines der ersten, die die Vernichtung der europäischen Juden in die französische Literatur eingeführt haben, einen ›heftigen, grotesken und monströsen Schrei, ein bissiges, zynisches und komisches Buch‹.«107
Bayern bildet auch den Schauplatz des britischen TV-Films von 1993, dem Garys Buch zu Grunde liegt und der auch vor Ort in Berching gedreht wurde – die Stadt »Licht« ist ja fiktiv. Daher ist in diesem Fall ausnahmsweise die deutsche Synchronfassung mit leicht bayerischem Akzent passender als die in britischem Englisch gedrehte Originalfassung. Der Komiker Moishe Cohn (Antony Sher), der unter dem Pseudonym »Genghis Cohn« im Berliner Kabarett »Schwarze Schickse« auftrat, war 1944 von der SS unter dem Kommando von Otto Schatz ermordet worden. Seither sitzt er als Dybbuk in der Seele seines Mörders, der nun als Polizeihauptkommissar in der bayerischen Kleinstadt Licht amtiert und eine Mordserie aufdecken soll. Der Regisseur Elijah Moshinsky (geb. 1946) entlarvt – gewürzt mit britischem und jüdischem Humor – die abgründigen Mechanismen der Verdrängung und Verherrlichung der Nazi-Zeit. Moshinsky, der ausschließlich fürs Fernsehen arbeitet und vor allem als Opernregisseur bekannt ist, reduzierte und veränderte zugleich Garys schwer verfilmbare Farce auf die Beziehung des Dybbuks zu Schatz. Anthony Sher (geb. 1949), der später für die BBC Benjamin Disraeli in »Her Majesty, Mrs. Brown« (UK 1997, R: John Madden) und Primo Levi in »Primo« (UK 2005, R: Robin Lough) spielen sollte, 106 Romain Gary, Der Tanz des Dschingis Cohn, München: dtv 1970, S. 21. 107 Heisshunger auf Leben, Der Schriftsteller Romain Gary und sein Werk, Neue Zürcher Zeitung vom 04. 05. 2006.
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verkörpert auf hinreißende Weise den tragikomischen Dybbuk Cohn. Im Gegensatz zum Buch, wo Schatz bereits zu Beginn von seiner eigenen Besessenheit weiß, wird dies im Film durch Drehbuchautor Stanley Price auf sehr spannende Weise erst entwickelt. Cohn lebt als Zweitseele unbemerkt nach seiner Ermordung im Körper von Otto Schatz (Robert Lindsay). Nach einer Feier im Jahr 1958 landet Schatz im Bett der verwitweten Gräfin Frieda von Stangel (Diana Rigg), die eine schräg-perverse Bitte äußert. Schatz soll sich die SS-Uniform ihres gefallenen Gatten anziehen, bevor er zu ihr ins Bett darf. Diese sehr deutliche Hinwendung zu seiner SS-Vergangenheit, die Schatz bis dahin erfolgreich verdrängt hatte, führt dazu, dass Cohn zum richtigen Dybbuk wird und von nun an Schatz wortwörtlich in den Wahnsinn treibt. In dem berührendsten Moment des Films geht Schatz in eine verwaiste Synagoge und sagt zusammen mit Cohn das Totengebet für Cohn selbst. Die Umwelt reagiert zunehmend verwirrt und bestürzt auf Schatz. Zum einen wurde er von mehreren Bewohnern in der SSUniform gesehen, zum anderen von einem Journalisten in der Synagoge fotografiert – mit Kippa und Gebetsmantel. Es fließen immer wieder jiddische Ausdrücke wie »tuches« oder »shtupn« in seine Alltagssprache hinein, er liest das »Tagebuch der Anne Frank«, schmettert »Bei mir bist du schön« und entwickelt eine Vorliebe für die polnisch-jüdische Küche, inklusive gehackter Leber. Schatz, unfähig die Mordserie aufzuklären, wird vom Dienst suspendiert und muss in eine Anstalt. Nach der Therapie stellt er fest, dass seine Wohnung demoliert und mit Davidsternen und Hakenkreuzen beschmiert wurde. Der frühere Wachtmeister Guth (Daniel Craig) hat jetzt seinen Posten und klärt die Mordserie auf. Schatz konvertiert zum Judentum, macht einen Stand für »koschere Hausmannskost« auf und wird am Ende von Neonazis verprügelt. Diese Szene ähnelt in Dekor und Stil bewusst der Anfangsszene, in der Cohn von Nazis in Wien 1936 brutal zusammengeschlagen wird. Cohn selbst hat eine neue Aufgabe – er wird zum Dybbuk des nächsten noch lebenden Nazis, der in seinem Erschießungskommando war. In »Genghis Cohn« gibt es keine Erlösung für den Dybbuk und auch keinen helfenden Wunderrabbi. Cohn ist der ewig wandernde Dybbuk in KZ-Kleidung, der am Ende müde durch ein ungastliches München der Gegenwart wankt. Während die Massen sich weltweit durch »Schindler’s List« (USA 1993, R: Steven Spielberg) erschüttern ließen, entstand mit »Genghis Cohn« zugleich nahezu unbemerkt ein Drama, das ohne Pathos und Kitsch den Finger auf die sich nie schließenden Wunden des deutsch-jüdischen Miteinanders gelegt hatte. In der Konversion von Otto Schatz tritt zudem die Problematik schmerzlich zu Tage, die Henryk Broder in seinem Essay »Zur Hölle mit den Konvertiten« deutlich gemacht hatte – die Geschichte der »Instant-Juden«, die
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durch Mikwe und »Kosherland« vom Lager der Täter zu dem der Opfer springen.108
3.6. Der Dybbuk im Splatter-Genre In der kabbalistischen und chassidischen Tradition gibt es zahlreiche Geschichten und auch offizielle Protokolle über Exorzisten und deren erfolgreiche Austreibung von Dybbukim, die ganz und gar nicht friedlicher Natur sind. Es sind aber immer noch ruhelos umherstreifende Geister Verstorbener und keine dämonischen Kräfte. Die bösartigen Dybbukim sollten erst in den letzten Jahren ihren Weg auf die Leinwand finden. Das steht einerseits im Zusammenhang mit der deutlichen Zunahme jüdischer Themen im amerikanischen Kino, aber andererseits auch mit dem aktuellen Boom der Exorzismus-Filme. Dämonen- und Teufelsaustreibungen sind vor allem seit William Friedkins erfolgreicher Adaption des Romanes von William Peter Blatty »The Exorzist« (USA 1973) Teil der populären Filmkultur. Friedkin läutete mit dem Exorzisten und der VorabWerbung auf breitester Front die Ära der Blockbuster-Filme ein, die vor allem ein möglichst breites Publikum ansprechen sollten. Der Film selbst beinhaltet unzählige teils höchst überflüssige Schockeffekte, deren spekulativer Einsatz an die Zeit der Teen-Horror-Filme der 50er Jahre erinnert. Es folgte mit »Exorcist II: The Heretic« (USA 1977, R: John Boorman) ein intelligentes Sequel, in dem Boorman eine sehr philosophische Reflexion zum Thema Besessenheit präsentiert, unterstützt von der Musik Ennio Morricones und einem überzeugenden Richard Burton als Priester. Der Film konnte natürlich nicht ein Publikum mitten in der Welle der Katastrophenfilme befriedigen, das nach noch mehr Blut und Körperflüssigkeiten gierte, die eigentlich schon Friedkins »Exorcist« bis zum Überschwappen geliefert hatte. Es dauerte lange, bis mit »Exorcist III« (USA 1990, R: William Peter Blatty) ein weiterer Nachfolger in die Kinos kam. Nachdem 2001 der »directors cut« des Ur-Exorzisten präsentiert wurde, sollten aufgrund von Studio-Auseinandersetzungen statt dem ursprünglich geplanten Prequel gleich zwei Varianten gestartet werden: »Exorcist: The Beginning« (USA 2004, R: Renny Harlin) und »Dominion: Prequel to the Exorcist« (USA 2005, R: Paul Schrader). Die beiden Filme liefen zu einer Zeit an, als bereits eine ganze Flut an Exorzismus-Filmen das Horror-Filmgenre prägte, darunter »The Exorcism of Emily Rose« (USA 2005, R: Scott Derrickson), »Constantine« (USA 2005, R: Francis Lawrence), »Exorcism: The Possession of Gail Powers« (USA 2006, R: Leigh Scott), »The Possessed« (USA 2009, R: Christopher Saint Booth, Philip Adrian Booth), »La posesijn de Emma Evans« (Spanien 2010, R: Manuel 108 Henryk Broder, Zur Hölle mit den Konvertiten, Tagespiegel vom 11. 09. 2007.
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Carballo), »The last Exorcism« (USA 2010, R: Daniel Stamm), »The Rite« (USA 2011, R: Mikael H,fström), »Devil Inside« (USA 2012, R: William Brent Bell), »The last Exorcism Part II« (USA 2013, R: Ed Gass-Donnelly) sowie »The Conjuring« (USA 2013, R: James Wan). In all diesen meist sehr vorhersehbaren Filmen sind die Rollen eindeutig verteilt: heroischer katholischer Priester und erzböser Dämon oder Verstorbener, der sein Opfer besetzt, quält und der ausgetrieben werden muss. Beeinflusst von den ewig aktuellen Verschwörungstheorien rund um den Vatikan, den Spekulationen eines Dan Brown und unterstützt vom Esoterik- und Hexerei-Boom, treffen diese Filme den Nerv eines Publikums, das auf der Suche nach Sinn und Spiritualität in einer zunehmend entzauberten und technisierten Welt ist. Der erste jüdische Exorzismus-HorrorFilm war »The Unborn« (USA 2009, R: David S. Goyer). Er ist pures HorrorTrash-Kino und verschmelzt in seiner Dybbuk-Interpretation christliche »Exorcist«-Elemente mit jüdischen Dybbuk-Traditionen. Darüber hinaus vermittelt er die Botschaft, dass das Grauen der Konzentrationslager von keinem übernatürlichen Horror übertroffen werden kann. Diese wertvolle Erkenntnis hätte in den Händen eines sensiblen Regisseurs zu einem ganz außergewöhnlichen Film führen können. Leider ist Goyer weder sensibel noch ein ernst zu nehmender »auteur«. »The Unborn« bringt also eine interessante Erklärung, wie es einem alten Dämon gelingen konnte, sich wieder auf der Erde zu verkörpern. Sofi Kozma und ihr Zwillingsbruder Barto werden 1944 Opfer Josef Mengeles (Braden Moran) unvorstellbar grausamer Zwillings-Experimente. Barto Kozma wird von Mengele ermordet. Mengele ist durch Filme wie »The Boys of Brazil« (USA 1978, R: Franklin J. Schaffner) oder »Marathon Man« (USA 1976, R: John Schlesinger) bereits Teil der Shoah-Populärkultur geworden. Er wird zur Chiffre für einen modernen diabolischen und skrupellosen Dr. Frankenstein. »Sofi Kozma: Horrible experiments that blurred the line between science and occult. One of their obsessions was eye colour. By trial and error, they attempted to fabricate blue eyes from brown. The injections were painful. Some caused blindness. Some caused death.«109
Aber Mengele hat durch seine widerwärtigen Forschungen eine Pforte zur Hölle geöffnet und es so dem Dämonen ermöglicht, als Dybbuk den Leichnam Bartos zu benutzen. Allerdings ist die dämonische Besetzung eines Leichnams kein tatsächlicher Dybbuk, wie man ihn aus der jüdischen Tradition kennt. »Sofi Kozma: Have you ever heard of a dybbuk? It is the soul of a dead person that has been barred from entering heaven. So it endlessly wanders the borderlands between the worlds, trying to find a new body. Some people are doorways. (…) Because what is a twin 109 The Unborn, 0:37:43–0:38:14.
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but another kind of mirror? And mirrors have always been doorways to the other world. (…) From the moment he came back, I knew it wasn’t Barto. A dybbuk had crossed over and taken his place. It had used his body to enter our world. I killed it. It’s been trying to find its way back ever since.«110
In einer Großaufnahme von Sofi Kozmas Arm sehen wir ihre Auschwitz-Nummer, aber auch ein rotes Band. Diese Kombination ist genauso unfreiwillig komisch, wie die Szenen im KZ den Zuschauer das von Claude Lanzmann geforderte »Shoah-Bilderverbot« förmlich herbei sehnen lassen. Das rote Band und die KZ-Nummer sind sozusagen Zeichen, um dem letzten vom Handy abgelenkten Kinozuschauer zu verstehen zu geben, dass Sofia eine Shoah-Überlebende ist und sich mit »Kabbala schützt«. Durch Madonna und das KabbalaCenter der Familie Berg und andere Stars und Sternchen, die ein rotes Band tragen, wurde dieses zum Accessoire der Pop-Kultur. Eigentlich handelt es sich dabei um eine alte mystische Tradition aus Israel: ein Band wird sieben Mal rund um das Grab der Rachel in der Nähe von Bethlehem gewunden, danach in kleine Bändchen zerschnitten und zu Armbändern geknüpft. Dann, so heisst es, soll es dem Träger oder der Trägerin Schutz gegen den »Bösen Blick« geben. Sofi tötet Barto, um den Dämonen zu vernichten. Seitdem wird ihre Familie vom rachsüchtigen »Dybbuk« heimgesucht. Ihre Enkelin Casey (Odette Yustman), deren eigener Zwillingsbruder bereits vor seiner Geburt starb, ist das aktuelle Opfer. »Sofi Kozma: I killed it. It’s been trying to find its way back ever since. Casey. The dybbuk’s blood is on our hands now. This thing, this entity, it tried to take hold of your unborn twin! And when it couldn’t have him, it turned its gaze to the other child. It’s been circling you ever since you were born, Casey.It takes time for it to make its way from the other side. It enters our world in stages. Always it inhabits the helpless creatures first, from insect to animal, slowly making its way up the ladder of life forms. But a twin is what it most desires.«111
Die erste Hälfte des Films zeigt, wie Casey vom Dybbuk besetzt wird und sie langsam in Erfahrung bringt, um wen es sich handelt. Da der Dybbuk über Spiegel immer wieder Kontakt aufnimmt, verwundert es nicht, dass Sofi sie auf das »Sefer ha-marot – Das Buch der Spiegel« aufmerksam macht. In einer Bibliothek findet Casey das kabbalistische »Buch der Spiegel« – eine reine Erfindung Goyers. Das tatsächliche »Buch der Spiegel« von David Jehuda he-Chasid hat nichts mit Kabbala zu tun. Die Vorstellung, dass Geister, Engel und Dämonen über Spiegel kommunizieren, bzw. dass Spiegel ein Portal zu ihrer Welt sind, ist eine alte Vorstellung, die es ebenso in der Kabbala gibt. Im »Zohar« werden die Sefirot als glänzende Spiegel bezeichnet und die Schechina als »dunkler Spiegel, der nicht glänzt« (Zohar I, 88b). Spiegel als Mittel der Kommunikation mit 110 The Unborn, 0:38:58–0:40:07. 111 The Unborn, 0:40:00–0:41:09.
Der Dybbuk im Splatter-Genre
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Engeln erwähnt z. B. Chajim Vital in seiner Autobiographie.112 Die vier FilmSeiten aus dem »Spiegel-Buch« wurden eigens für »The Unborn« konzipiert, wobei Goyer auch hier ein Fehler unterlaufen ist. Obwohl es ein hebräisches Buch ist, ist es wie ein in lateinischen Buchstaben geschriebenes Buch gebunden. Auf dem vermeintlichen Einband sind die zehn Sefirot abgebildet. Die Zeichnungen wie auch die Erscheinungen des Dybbuk sind dagegen an die Dämonen-Bilder aus dem »Dictionnaire infernal« des Okkultisten Jacques Collin de Plancy von 1863 angelehnt, welches 69 solcher Zeichnungen enthält. Anschließend folgt der Film bereits ausgetretenen blutigen Pfaden, indem Sofi und andere Personen aus Caseys näherer Umgebung in deutlicher Anlehnung an die Mordserien in Splatter-Horrorfilmen wie »Halloween« (USA 1978, R: John Carpenter) grausam getötet werden. Casey besucht schließlich Rabbiner Sendak (Gary Oldman), der ihr von Sofi empfohlen wurde. Sendak soll das »Buch der Spiegel« für sie deuten und sie vom Dybbuk befreien. Sendak, amüsiert gespielt von Gary Oldman, wirkt wie ein moderner Rabbiner des Reformjudentums und reagiert zunächst auch entsprechend: »Sendak: Well, as for dybbuks, there really is no such thing, Miss Beldon. At least, not outside the realms of folklore. You have to understand, back in the Middle Ages, things like spirits and demons were really just a catchall for conditions people weren’t capable of properly diagnosing. Mental illness, as we know it, didn’t exist back then…I’ve never performed an exorcism before, I wouldn’t even know where to begin.«113
Während sich die Mordserie abspult, studiert Sendak das »Buch der Spiegel« in seiner Synagoge. Ein Gewitter kommt auf, der Strom fällt aus und er sieht sich in der dunklen Synagoge dem Dybbuk gegenüber, der in einen Hund gefahren ist, dessen Kopf um 180 Grad verdreht ist – entsprechend einer Illustration aus dem vermeintlichen »Buch der Spiegel«. Daraufhin beginnt Sendak, Casey zu unterstützen und stellt eine Gruppe von Exorzisten aus verschiedenen Religionen zusammen, darunter den Episkopal-Priester Arthur Wyndham (Idris Elba). »Arthur : There are certain elements to these kind of rites that are pretty common to virtually all religions, and it’s these elements that I’m familiar with. You gotta understand, this thing that’s after you, if it exists, it predates religion. It probably predates mankind. It’s not as if there’s one kind of demon that is vulnerable to Jewish prayer, or another that’s allergic to Christian or Muslim.«114
Das Phänomen, dass der Minjan der Austreiber aus verschiedenen Religionen zusammenarbeitet, ist nicht so verwunderlich. Genau dies berichtet auch der Rabbiner und Exorzist Yehuda Petaya (1859–1942) in seinem Werk »Minchat 112 Chajim Vital, Sefer Ha-Hezionot, Book of Visions, Jewish Mystical Autobiographies, ed. by Morris M. Faierstein, New Jersey 1999, S. 68. 113 The Unborn, 0:44:21–0:46:12. 114 The Unborn, 1:06:17–1:06:43.
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Yehuda« (Jerusalem 1985), in dem er sich an seine Erfahrungen in Bagdad als praktizierender Austreiber erinnert. Er erzählt von einem muslimischen Exorzisten, der seine Patientin an einen christlichen Priester verwies, weil sie von einem christlichen Dämon besessen sei, den er nicht bannen konnte. »Sendak: Now, typically, a Jewish exorcism rite involves 10 people. 10 fingers, 10 commandments. 10 is also the number of the Sephiroth, which are the known attributes of God. The idea is that these 10 form a protective circle around the afflicted person.«115
Die recht blutige Austreibung – immerhin sterben die meisten der beteiligten Exorzisten – beinhaltet klassische Methoden, wie die Rezitation von Psalmen (vor allem Psalm 91) und das Blasen des Widderhorns, des Schofars. Warum der offensichtlich aschkenasische Reform-Rabbiner Sendak ein Schofar im jemenitischen Stil benützt, hat wohl eher mit der Wirkung zu tun – die kleinen aschkenasischen Schofarot wirken filmisch natürlich nicht so imposant. Der Dybbuk wird vertrieben, aber am Ende stellt Casey fest, dass sie schwanger ist. Sie wird Zwillinge austragen… Hätte »The Unborn« nicht die Verbindung zur Shoah, wäre dieser Film kaum erwähnenswert. Dass die Nazis durch ihr Grauen die Dämonen auf die Erde holten, ist ein interessanter Gedanke, der aber hier filmisch völlig verschenkt wird. Unglaubwürdige Charaktere – abgesehen von Gary Oldman und Idris Elba, die sich offensichtlich in diesen billigen Trash verirrt haben, ist kaum einer der Schauspieler erwähnenswert – ein holpriges, löchriges und vorhersehbares Drehbuch wird durch vordergründige Schockmomente angereichert, die nicht einmal den Charme von alten Geisterbahnen haben. Die ständigen Szenen von Casey in Unterwäsche sind nicht erotisch, sondern durch den offensichtlichen Voyeurismus nur unfreiwillig komisch. Die nach dem gleichen Muster ablaufenden Splatterfilme der späten 70er und 80er Jahre konnten nur durch Witz und Satire wiederbelebt werden, wie man an den erfolgreichen »Scream«-Filmen (USA 1996–2011) von Wes Craven erkennen kann. Aber »The Unborn« ist staubtrocken und völlig humorfrei, wodurch manche Szenen dann umso unfreiwilliger komisch wirken. David S. Goyer, der sonst für spannende Drehbücher wie für die Batman-Dark Knight Serie bekannt ist, scheitert in »The Unborn« an der Herausforderung, sowohl seine eigenen Ideen als auch das Dybbuk-Thema filmisch adäquat umzusetzen.
115 The Unborn, 1:09:07–1:09:19.
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3.7. Die Dybbuk-Kiste Dem dänischen Regisseur Ole Bornedal und dem Produzenten Sam Raimi gelang es mit »The Possession« (USA 2012) fast, die Gradwanderung zu meistern, den jüdischen Dybbuk mit modernem Horrorfilm zu paaren. Juliet Snowden nahm als Hintergrund für ihr Drehbuch eine Geschichte, die seit einigen Jahren die Gemüter erhitzt – die »Dybbuk«- Kiste. Ursprünglich gehörte die Kiste einer mittlerweile verstorbenen polnischen Shoah-Überlebenden, die sie aus Spanien mit in die USA gebracht hatte. Sie hatte gewünscht, zusammen mit der »Dybbuk«-Kiste begraben zu werden, was allerdings nicht geschehen ist. Stattdessen wurde sie mehrfach weiter verkauft und ist zur Zeit in Besitz von Jason Haxton, einem Museumskurator in Missouri. Wenn man diese mit Weintrauben verzierte Mahagoniholzkiste öffnet, findet man einen Stein, auf welchem auf Hebräisch »Schalom« steht, zwei Münzen aus den Jahren 1925 bzw. 1928, eine getrocknete Rose, einen Weinkelch, einen Kerzenhalter und Babyhaare. Auf der Rückseite der Kiste ist das »Höre Israel« auf Hebräisch eingeritzt. Haxton beschrieb die Geschichte und seine eigenen Erfahrungen mit der »Dybbuk«-Kiste, die laut ihm übernatürliche Erscheinungen und Krankheiten allein durch Kontakt mit ihr auslösen würde. Er holte rabbinischen Rat ein und umhüllte die Kiste mit einer weiteren aus Akazienholz und 25 karätigem Gold, angelehnt an die Bundeslade.116 Das Motiv des »Dibbuks in der Kiste« ist völlig zeitgenössisch und es gibt meines Wissens nach keinen kabbalistischen oder chassidischen Text, der davon erzählt, dass Exorzisten bei einer Austreibung den Dybbuk nicht weiter auf seine Seelenreise schicken konnten und ihn stattdessen in eine Kiste gesperrt hätten. Nichts von dieser »urban legend« floß in den Film ein, außer der Idee, dass ein Dybbuk in einer Kiste wie ein Dschinn in der Flasche eingesperrt ist. Die Ehe von Clyde (Jeffrey Dean Morgan) und Stephanie Brenek (Kyra Sedgwick), die zusammen zwei Töchter, Em (Natasha Calis) und Hannah (Madison Davenport) haben, ist gerade geschieden worden. Em kauft bei einer Auktion die »Dibbuk«Kiste, die zuvor einer alten Dame gehört hat, welche durch den Kontakt damit fast gestorben wäre. Em öffnet die Kiste, die hebräische Schriftzeichen trägt, und findet eine Motte, einen Zahn und einen Ring, den sie ansteckt. Der Dybbuk hat dadurch von ihr Besitz ergriffen. Nun beginnt sie sich psychisch zu verändern, wird aggressiv und beginnt mit der Kiste Gespräche zu führen. Clyde, der zunächst mit dem Misstrauen seiner Ex-Frau zu kämpfen hat, die Ems Veränderungen auf die Scheidung zurückführt, bringt die Kiste zu einem Universitäts-Professor (Jay
116 Leslie Gornstein, A jinx in a box? Los Angeles Times, 25. 7. 2004; Jason Haxton, The Dibbuk Box, Kirksville: Truman State University Press 2011.
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Brazeau), der die Kiste als »jüdisch-polnische Dibbuk-Kiste aus den 20er Jahren« identifiziert. »A dibbuk box was made with the belief that the evil itself could somehow be contained. Think of it. If you believed such a thing, that you could trap a demon. And now, it’s in your hands, Coach Brenek. Carrying around this curse. Very brave man. Whoever made this box certainly had intense convictions. It’s why they concealed this lock and carved these words. Basically what they’re saying is… ›Warning. Deadly.‹›Do not open.‹ So, don’t open it.«117
Die weiteren Informationen aus Büchern und Internet verunsichern und verängstigen Clyde immer mehr, sodass er Kontakt mit Tzadok Shapir, Mitglied einer chassidischen Gruppe, aufnimmt. Er fährt nach Brooklyn, um dort mit ihm zu sprechen. Clyde trifft bei den streng orthodoxen Juden kurz vor Schabbatbeginn ein, nicht gerade ein guter Zeitpunkt. Die Menschen haben wenig Zeit und sind mit den Feiertagsvorbereitungen beschäftigt. Tzadok führt ihn zu seinem Vater (Armin Chaim Kornfeld), Oberhaupt der chassidischen Gemeinde. So stimmig die Begegnung mit den Chassidim ist, umso lächerlicher ist die Szene, in der Clyde seine Tasche öffnet, damit die Chassidim einen Blick auf die Kiste werfen können. Sie weichen schreiend zurück, als würde Lilith persönlich aus der Tasche steigen. Clyde erfährt vom Rabbiner, dass es nur eine Möglichkeit gäbe, seine Tochter von der Besessenheit zu heilen: »The only way to stop the dibbuk is by commanding it back into the box by its name.«118
Das Wissen und die Suche nach den richtigen Namen – sei es den Gottesnamen oder Namen der Engel und Dämonen – ist ein seit der Antike zentrales Motiv der jüdischen Magie und Kabbala. So verwundert es nicht, dass auch hier der Name eine zentrale Bedeutung annimmt, um Macht auf den Dybbuk auszuüben. Was an dieser Szene sehr verwundert, ist das Verhalten des Rabbiners. Er weiß um die Bedeutung der Kiste und der Gefahr, in der Clydes Tochter schwebt, hilft aber nicht. Dieser Fatalismus ist sehr untypisch und hat auch nichts mit dem Schabbatbeginn zu tun, denn die Rettung eines Lebens ist nach den rabbinischen Regeln wichtiger als die Einhaltung des Schabbats. Auch die Aussage des Rabbis »The dibbuk could come upon anyone attempting to perform the ceremony« ist zwar kabbalistisch korrekt, hat aber die jüdischen Exorzisten bis in die Gegenwart nicht davon abgehalten, Austreibungen durchzuführen. Selbst wenn sich Shapir nicht in der Lage sehen würde, den Exorzismus selbst durchzuführen, hätte er doch zumindest Clyde an einen kompetenteren Rabbiner verweisen können. Es wirkt ziemlich herzlos, wie die Chassidim den weinenden und ver117 The Possession, 0:51:08–0:52:02. 118 The Possession, 0:59:38–0:59:45.
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zweifelten Vater einfach stehen lassen. Dementsprechend wütend und enttäuscht reißt sich Clyde in der Synagoge die Kippa vom Kopf und geht mit den Worten: »If this were your child, would you leave it to the will of God?« Tzadok, kongenial gespielt vom jüdisch-chassidischen Musiker Matisyahu, sieht sich dagegen verpflichtet, Clyde zu helfen und begleitet ihn. Tzadok zerstört den Spiegel, der in der Kiste ist und entdeckt dahinter den Namen des Dybbuks – Abyzou. Abizou bzw. Obizuth ist ein weiblicher Dämon aus Sumer, der in der jüdischen Tradition als Lilith bezeichnet wird. Im »Testament Salomos«, einem antiken jüdischen Text, der im 4. Jahrhundert christlich überarbeitet wurde, ist Abyzou eine Kindsmörderin, die Neugeborene aus Eifersucht tötet, da sie selbst keine Kinder haben kann.119 In der Bibel kaum erwähnt, wird Lilith im Talmud als ein weiblicher, langhaariger, geflügelter Dämon geschildert, der Männer nachts heimsucht. (Babylonischer Talmud, Traktat Eruvin, Folio 100b) Lilith wird erst im satirischen »Alphabet des Ben Sira« (wahrscheinlich 9./ 10. Jh.) ausführlich beschrieben, in welchem über die zwei unterschiedlichen biblischen Versionen von der Erschaffung der ersten Menschen reflektiert wird. Darin wird nicht auf die Problematik des doppelten Adam, sondern nur auf die doppelte Frau eingegangen, der Mythos von Lilith als erste Frau Adams war geboren. Sie wird als emanzipierte Frau geschildert, die sich weigert, sich Adam in sexuellen Fragen unterzuordnen, da sie ja gleichberechtigt erschaffen wurden. Isaak ha-Kohen, ein Kabbalist aus Soria in Kastilien, entwickelte im 13. Jahrhundert eine mythisch phantastische Lehre, in der gleich zwei Lilith-Figuren (Großmutter und junge Lilith) von zwei satanischen Gestalten – Aschmedai und Samael – begleitet und begehrt werden. Bei Isaak ist Lilith nicht die erste Frau Adams, stattdessen bilden Lilith und Samael das dämonische Gegenbild zu Adam und Eva. Die Vorstellung von der alten Großmutter Lilith als Gemahlin des Samaels sollte in der christlichen Folklore als »Teufels Großmutter« wiederkehren. Da im Christentum die Ehe ein Sakrament ist, wurde es wohl als unpassend gesehen, den Teufel mit einer alten Frau zu verheiraten, so wurde sie zu seiner Großmutter. Im kabbalistischen Zohar wird Lilith als Herrin der dämonischen Unterwelt ausführlich beschrieben. Sie ist der »unreine Spiegel« (Zohar I, 24a) mit dem verführerischen roten Haar. Hier wird Lilith als gefährliche »männermordende« Hure dargestellt, die die Narren, die ihr verfallen, geradewegs in die Hölle abtransportiert. Ein anderer Aspekt Liliths im Zohar, der direkt mit den ursprünglichen Geschichten aus dem »Alphabet des Ben Sira« zu tun hat, ist Lilith als vampirische Kindsmörderin. (Zohar III,76b–77a.) Das Bild von Lilith als Adams erster Frau wird später von Johann Wolfgang von Goethe in der 119 Vgl. Dennis C. Duling, Testament of Solomon, in: James H. Charlesworth (hg.), The Old Testament Pseudepigrapha, Volume 1: Apocalyptic Literature and Testaments, Hendrickson: Peabody, Mass.: Hendrickson 2011, S. 935–989.
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Walpurgisnacht des »Faust I« (1808) aufgenommen und taucht später auch bei Thomas Manns »Zauberberg« wieder auf, wo Settembrini in Anlehnung an Goethes Faust sagt: »Lilith ist das. (…) Adams erste Frau. Nimm dich in Acht. (…) Diese Lilith ist zum Nachtspuk geworden, gefährlich für junge Männer besonders durch ihre schönen Haare.«120
Von der verführerischen Vampirschönheit Abyzou – Lilith bleibt bei »Possession« nichts übrig und es ist fraglich, warum Juliet Snowden ausgerechnet sie – abgesehen vom Aspekt der Kindsmörderin – als dämonischen Dybbuk ausgewählt hat, schließlich ist das »Dictionnaire infernal« von Jacques Collin de Plancy voll von wirklich grausigen Dämonen, die sich besser geeignet hätten. Em wurde in der Zwischenzeit von ihrer Mutter ins Krankenhaus gebracht und man kann auf einem Röntgenbild den Dybbuk deutlich erkennen. Zuvor hatte Em selbst mit einer Taschenlampe die Hand des Dybbuks in ihrer Kehle gesehen. Mit dem allzu sichtbaren Dybbuk wandelt sich »Possession« bedauerlicherweise vom klugen Psycho-Thriller, der auf vordergründigen Schock verzichtet, zum teilweise unfreiwillig komischen Trash. Die Austreibung vollzieht Tzadok im Krankenhaus, wobei er sieben orangefarbene Kerzen statt der üblichen schwarzen und den bereits bewährten Psalm 91 verwendet. Der Dybbuk verläßt Em und besetzt dagegen Clyde. Tzadok treibt Abyzou aus Clyde, der dann tatsächlich aus dessen Mund austritt und wieder in der Kiste verschwindet. Auch in den kabbalistischen und chassidischen Protokollen und Geschichten haben Dybbukim einen physischen Körper, der etwa die Größe eines Eis oder einer Bohne hätte. Bei der Austreibung wird darauf geachtet, dass der Dybbuk den Körper durch den kleinen Finger oder Zeh verläßt, damit er nicht den Kopf oder die Geschlechtsteile verletze. »There is no equality of stature in the realm of the spirits, because some grow to the size of a man’s palm of the hand. There are smaller ones, and even minute spirits with the confines of a white bean.«121
In »Possession« hat der Dybbuk dagegen einen Körper und ein Aussehen, das an Gollum aus »Lord of the Rings« erinnert und keineswegs an eine verführerische Lilith. Die Szene, in der zuerst die Hand und dann schließlich der ganze große Körper des Dybbuks aus Clyde schlüpfen, ist schlichtweg lächerlich und nimmt dem Film viel von seiner sonst eher subtilen Wirkung. Offenbar setzten die Produzenten auf dieses unnötige Schockmoment, sonst hätten sie nicht genau dieses Hauptmotiv gewählt, um den Film zu bewerben. Am Ende kommt Tzadok bei einem Autounfall ums Leben und die Kiste wartet auf einen neuen Besit120 Thomas Mann, Der Zauberberg, Fischer: Frankfurt a. M. 1986, S. 346. 121 Minchat Yehuda, Folio 50b.
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zer…»The Possession« ist zwar nicht so ein filmisches Desaster wie »The Unborn«, leider aber auch nur teilweise gelungen. Der moderne Horrorfilm, der das Dybbuk-Motiv intelligent und passend verarbeitet, läßt leider immer noch auf sich warten. Was bleibt, ist die satirische Szene zu Beginn von »A Serious Man« (USA 2009, R: Ethan und Joel Coen), eine witzige Hiob-Farce, die zeigt, dass auch Rabbiner nicht klüger als andere Menschen sind – vom liberalen bis zum orthodoxen Wunderrabbi. Hier gibt es zu Beginn eine rätselhaft-schräge Vorgeschichte, die in einem »Stetl« spielt. Dora, eine offensichtlich fest im Aberglauben stehende Frau, ermordet den besuchenden Rabbi Groshkover, da sie ihn für einen wandelnden Toten hält, den sie als »Dybbuk« bezeichnet. In ihrer Vorstellung sei der Rabbi schon vor Jahren gestorben und ein Dybbuk hätte seine Leiche besetzt. Da der Rabbi blutet, war er offensichtlich kein »Untoter«. Mit den Worten »Ein Mensch weiß wann er unerwünscht ist« verläßt er wieder das Haus. Am Ende steht bei den Credits: »No Jews were harmed during the filming of this movie.« »The real question is whether the Coen brothers are being literal about the teachings of tradition, selling short the value of a religious tradition like Judaism. One thing is clear. They must have had teachers like the ones depicted in the movie.«122
3.8. Der Dybbuk im Land ohne Juden Wenn man die ersten winterlichen Bilder einer trostlosen, menschenleeren, polnischen Landschaft sieht, in der ein Bagger einsam seine Runden dreht, erkennt man, dass es sich bei »Demon« nicht um eine typische Shtetl-Verfilmung des Dybbuk-Stoffes handelt. Die vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Brücken wurden nicht wieder aufgebaut. Die Wunden der Landschaft sind genauso wenig verheilt wie die Wunden der Geschichte. Sie wurden mit dem Bagger nur notdürftig zugeschüttet und verdrängt. Der Film setzt sich, ähnlich wie »Pokłosie« (Nachlese, Polen 2012, R:Wladyslaw Pasikowski), mit der polnisch-jüdischen Geschichte und der Erinnerungskultur auseinander. »Demon« erzählt von einer Hochzeit auf dem Land. Der Bräutigam Piotr (Itay Tiran) hat ein altes verlassenes Haus, das der Grovater der Braut bewohnt hatte, als Hochzeitsgeschenk bekommen. Und wieder sind die jüdischen Lebenswelten im polnischen Kino nur traurige Vergangenheit – der Film spiegelt polnische Realität, denn das jüdische Polen ist endgültig tot, es gibt keine nennenswerte jüdische Gegenwart mehr in Polen. Der Raub jüdischer Häuser, die Ermordung ihrer Bewohner – verdrängt und vergessen. Der jüdische Schullehrer Szymon Wentz erzählt auf 122 Norman M. Cohen, A Serious Man, in: Journal of Religion & Film: Vol. 15 (2012): Iss. 2, Article 8. http://digitalcommons.unomaha.edu/jrf/vol15/iss2/8.
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der Hochzeit von der Vergangenheit, die man nicht vergessen darf. Aber keiner der Gäste hört ihm zu. Man will sich besinnungslos betrinken und tanzen. Piotr jedoch stößt auf diese Vergangenheit. Er findet nicht nur den Namen Hana in einer Tür eingeritzt, sondern beim Umgraben ein Skelett. Er lässt die Vergangenheit wortwörtlich in der Erde ruhen, aber sie läßt ihn nicht in Ruhe. Piotr beginnt sich schon während der Hochzeit mit Z˙aneta (Agnieszka Z˙ulewska) zu verändern. Statt das geleerte Glas hinter sich zu werfen, zertritt er es nach dem jüdischen Brauch mit dem Fuß. Nur »Mazal Tov« sagt er nicht. Während seiner Rede erscheint ihm Hana (Maria Debska), die »jüdische Braut« – stereotyp dunkelhaarig und mit schwarzen Augen, während seine Braut polnisch-blond und blauäugig ist. Piotr wird vom Geist Hanas besessen, was die Hochzeitsgesellschaft zunächst fälschlicherweise als Epilepsie deutet. Piotr brüllt auf Jiddisch »Ich will nicht!« und ausgerechnet der Arzt muss dem anwesenden Priester erklären, dass ihm ein Geist innewohnt. Ab jetzt ist Piotr eigentlich verschwunden, da der Dybbuk ihn völlig kontrolliert. Während der Priester hilflos mit polnischen Gebeten versucht, den Geist auszutreiben, antwortet dieser ihm auf Jiddisch: »Was willste von mir?«, worauf ein Anwesender vorschlägt, man solle vielleicht etwas Stärkeres ausprobieren, Latein eventuell. Der Dybbuk /Piotr steht schließlich auf und fordert auf Jiddisch, dass alle aus »seinem Haus« verschwinden sollen, worauf ein heftiger Sturm einige Hochzeitsgäste durcheinander bringt. Die Band spielt unbeirrt weiter, die Brautjungfern betrinken sich oder treiben es mit den Musikern. Der Priester versucht es weiter – diesmal lateinisch. In einer angedeuteten Vision sieht Piotr, wie der Bräutigam bei seiner Hochzeit mit Hana ermordet und auf dem Hof verscharrt wurde und fragt auf Jiddisch, warum ihn denn alle so schlecht behandeln würden. Schließlich befragt ihn Wentz auf Jiddisch und es stellt sich heraus, dass der Dybbuk Hana ist, die Wentz gekannt hatte. Daraufhin singen sie gemeinsam »Rosinkes mit Mandeln« und die Gäste glauben, ein »jüdischer Dämon« habe Piotr besessen. »Hochzeitsgast: In the old days it was all simple. Everyone was Polish. Poland was as big as the whole world. It was peacefull and happy. And then the bad ghosts came in and divided all the Poles. That is why our land was taken! First Germany then Russia and then finally Israel!«123
Es gibt auch einen Hintergrund, warum Hana ausgerechnet jetzt in Piotr hineingefahren ist. Piotr war Hanas Bräutigam und sogar ihr »basherter«, ihr Seelenverwandter, gewesen, und wurde ermordet. Wentz versucht, der Familie das Dybbuk-Phänomen zu erklären:
123 Demon, 1:02:33–1:02:37.
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»Wentz: In Jewish tradition the soul of a dead person can cling to a living one, in order to carry out what death interrupted. It’s a dybbuk. The clinging. It’s the chance for it to purge itself, but also to purge the soul of the possessed one.«124
Der Brautvater (Andrzej Grabowski) ist an diesen Erklärungen nicht interessiert. Er sieht nur, dass Piotr, den er kaum kennt, krank ist und glaubt, er sei wahnsinning. Er will ihn daher einweisen lassen und die Hochzeit annullieren. Während die verbliebenen Gäste sich völlig dem Alkohol, Tanz oder Sex ergeben haben, beginnt Zaneta, die glaubt, dass auf dem Hof noch mehr Menschen begraben worden sind, die Skelette auszugraben, um ihnen ein anständiges Begräbnis zu ermöglichen. Piotr verschwindet und die Ambulanz, die ihn abholen sollte, muss wieder fortgeschickt werden. Einer der Gäste, Ronaldo (Tomasz Zietek), schaufelt das ausgehobene Loch wieder zu. Szymon erinnert sich, während er mit Zaneta durch das Dorf auf der Suche nach Piotr fährt: »Wentz: Butcher…It used to be a synagogue. Every day at dawn the tsaddik walked here 12 kilometres from his village. He washed in the mikvah before entering the synagogue so he could touch the Torah, and read the holy words. All came to him for blessings: Jews, Orthodox Christians and Catholics. And Scheffer the butcher was here. This was the Dalachs’ bakery. »The best challah every Friday for regular customers«. This way Eliza, Sarka and Mela walked to school. Hana’s sisters. The most beautiful girls I ever saw. That was… My whole world. Almost nothing is left. Only what’s in the memory.«125
Mittlerweile ist es Morgen geworden. Piotr bleibt verschwunden. Der Brautvater versucht den verbliebenen Gästen einzureden, dass alles nur eine Halluzination gewesen sei und eine Hochzeit nie stattgefunden hätte. Die Hochzeitsgesellschaft schwankt nach Hause. Draußen treffen die ganz in Weiß gekleideten Gäste auf eine schwarz gewandete Trauergemeinde. Ronaldo läßt Piotrs Auto im Steinbruch verschwinden, während der Bagger Haus und Scheune abreisst. Auf den Trümmern sehen wir ein zerstörtes Hochzeitsfoto. Es zeigt Hana und ihren Bräutigam, der Piotrs Gesicht hat. Marcin Grona zeigt alptraumhafte graue Bilder eines grauen Landes im Dauerregen, bevölkert von wild gestikulierenden und kreischenden Figuren, die sich fortwährend bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, streiten, Gläser zertrümmern oder sich prügeln. Piotr war ein Fremder dort, da er aus England kam und eigentlich Peter hieß. Am Ende wird er genauso verdrängt und vergessen wie die Juden, deren Haus der Großvater in Besitz genommen hatte. Grona gelingt es, die noch immer aktuellen Probleme der polnisch-jüdischen Gegenwart über die verdrängten und ermordeten Nachbarn, die Jan Tomasz Gross in seinen Studien wie »Neighbors« (2001) beschrieben hat, in dieser mitunter fast satiri124 Demon, 1:05:32–1:05:50. 125 Demon, 1:14:20–1:16:12.
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schen »Hochzeitsnacht« grandios zu bebildern. Er deutet nur die Farce an und zeigt einen makabren Totentanz der betrunkenen Polen auf den namenlosen Gräbern der Juden. Ein tieftrauriger Film, der die Dybbuk-Legende nicht nur gelungen mit der Post-Shoah verbindet, sondern auch mit Hana den ersten weiblichen Dybbuk auf die Leinwand bringt.
3.9. Seelenreisen Trotz der zahlreichen filmischen Dybbukim wurde die jüdische Lehre vom »Gilgul«, der Seelenwanderung, dagegen kaum filmisch aufgegriffen. Der Seelenwanderungs-Film schlechthin, die Verfilmung von David Mitchells »Cloud Atlas« (USA 2012, R: Tom Tykwer, Andrew und Lana Wachowski), braucht die Vorstellung von wandernden und verbundenen Seelen gar nicht erst religiös verorten, sondern sieht sie als Weltgesetz, passend zu dem Esoterik-Warenhaus, in dem sich viele der von dem Film Angesprochenen bedienen. Ein substanzloser Bilderrausch mit unverbindlichen Botschaften, in welchem das meiste Vergnügen für den Zuschauer alleine darin besteht, sich zu fragen, in welcher Maske Tom Hanks oder Hugh Grant in der nächsten Szene wohl auftauchen werden. »Cloud Atlas ist zweifellos die Leistungsschau eines Kinos, das nicht mehr in Bildern erzählt, sondern Ideen durch Bilder und Handlung ›morpht‹. (…) Was bei Mitchell freilich eine einsichtig-aufklärerische moralische Haltung ist, das wird in diesem Film zu einer etwas verquasten Mischung aus Esoterik, Sonntagsschule und halb verdauten Philosophiebrocken.«126
Einen vergleichbaren, an »2001 – a Space Odyssey« (USA 1968, Stanley Kubrick) orientierten Bilderreigen drehte Darren Aronofsky mit »The Fountain« (USA 2006), in dem er bewusst auf CGI-Effekte verzichtete und stattdessen MacroBilder einsetzte, wodurch er eine viel suggestivere Bildsprache schaffen konnte. Auch »The Fountain« stellt die Seelenwanderungslehre ins Zentrum des Films. Aber anders als im »Cloud Atlas« sind hier deutliche Bezüge zur jüdischen Tradition zu finden. Der Film, der die Suche nach dem Baum des Lebens und die Überwindung des Todes thematisiert, beginnt mit einem biblischen Zitat über den Fall Adam und Evas (Genesis 3,24). Nach dem Essen vom Baum der Erkenntnis und der Vertreibung aus dem Paradies begann das uns bekannte Dasein aus Leben und Tod. Der Film spielt auf drei ineinandergreifenden Zeitebenen (1535 /2000 /2500) mit zwei Hauptfiguren und ihren Inkarnationen: Eroberer Tomas/ Forscher Tom/ Sternenreisender Tommy (Hugh Jackman) und 126 Georg Seßlen, Surück in die Sukunft, in: Die Zeit vom 15. 11. 2012.
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Isabella/ Izzi (Rachel Weisz). Die drei bzw. zwei Rollen sind eigentlich nur Seelensplitter ein und derselben Person. Das urbiblische Menschheitsdrama setzt Aronofsky in seinen drei Zeitebenen miteinander in Beziehung. »Adam« scheitert hier immer wieder beim Versuch, die Früchte vom Baum des Lebens zu erreichen, um dadurch den Tod seiner Geliebten »Eva« aufzuhalten. Aber so wie das Rad der Unendlichkeit – symbolisiert durch einen Ring – ist der stets wiederkehrende Tod eine Chance für ein nächstes Leben und ein Wiedersehen der Geliebten. Adam und Eva als Symbol für die unermüdliche Suche nach dem Zusammensein der echten Seelenverwandten, die wir aus Chajim Vitals kabbalistischem Werk »Tor der Seelenwanderungen« kennen, und das auch im »Dybbuk« im Zentrum stand, ist das Grundthema in »The Fountain«. Es ist aber auch die Jagd nach dem biblischkabbalistischen Baum des Lebens und dem »verlorenen Eden«. Dieser Weltenbaum ist zugleich auch der Ursprungsort der Seelen oder wie es in »The Fountain« heißt: »die Geburtsstätte des Lebens«. »Und was ist (dieser) Baum, von dem du gesprochen hast? Er sagte zu ihm: Alle Kräfte Gottes sind übereinander, und sie gleichen einem Baum: wie der Baum durch das Wasser seine Früchte hervorbringt, so mehrt auch Gott durch das Wasser die Kräfte des Baumes. Und was ist Gottes Wasser? Das ist Chochma (Weisheit), und das (die Frucht des Baumes) ist die Seele der Gerechten, die von dem Quell zum großen Kanal fliegen, und sie steigt auf und haftet am Baum.«127
Aronofsky gelingt es, unterstützt von Clint Mansell und dem Kronos-Quartet, dieses romantische Liebesthema in eine ergreifende Zeit- und Raumreise umzusetzen, ohne sich esoterischer Plattitüden zu bedienen. Adam und Eva als Reisende der Menschheit auf der bedeutungsvollen Suche nach dem Baum des Lebens und seiner unsterblich machenden Früchte. »The 31-year-old filmmaker says he’s not interested in doing gimmick-oriented sci-fi that ›pushes technology and science.‹ He says, ›We’ve seen it all. It’s not really interesting to audiences anymore. The interesting things are the ideas; the search for God, the search for meaning.‹ He calls this project, ›the most ambitious thing I’ve done to date and the biggest challenge.‹«128
Aber schon vor Aronofsky hatte sich Claude Lelouch, einer der bedeutendsten französischen Regisseure, wiederholt mit der Suche nach dem »Seelenverwandten« jenseits der Grenzen von Zeit und Reinkarnationen befasst. Er ist ein vielseitiger Filmemacher, der auch immer wieder zu seinen jüdischen Wurzeln und der Shoah in seinem großen filmischen Werk zurückkehrt, darunter »Toute 127 Bahir § 85. 128 Brian Linder, Aronofsky Pitt Team for Sci-fi-Epic, (05. 04. 2001), http://www.ign.com/ar ticles/2001/04/05/aronofsky-pitt-team-for-sci-fi-epic.
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une vie« (Ein ganzes Leben, Frankreich1975) »Les uns et les autres« (Ein jeglicher wird seinen Lohn empfangen, Frankreich 1981), »Les Mis8rables« (Die Elenden, Frankreich1995) oder »Ces amours l/« (What Love may bring, Frankreich 2010). Die Idee der Reinkarnation und die Suche der Geliebten über Zeit und Raum hat er mehrfach filmisch gekonnt umgesetzt, am deutlichsten in »Partir, revenir« (Weggehen und Wiederkommen, Frankreich1984) und »La Belle Histoire« (Die schönste Geschichte der Welt, Frankreich 1991), den er seinen Eltern gewidmet hat. Sergei Wassiljewitsch Rachmaninows 2. Klavierkonzert bildet den musikalischen Hintergrund für Lelouchs »Partir, revenir«, eine »romantische Geschichte für Klavier, Orchester und Kamera«, die zur Zeit der Shoah in Paris spielt. Die jüdische Familie Lerner wird von der Hausmeisterin denunziert, kann jedoch kurz vor dem Zugriff der Gestapo fliehen. Sie tauchen in einem Schloss der befreundeten Familie RiviHre unter. Die Nazis, unterstützt von französischer Polizei, stürmen jedoch nach einer erneuten Denunziation das Versteck. Nur Salom8 Lerner (Evelyne Bouix) überlebt das Konzentrationslager und kehrt ins Schloss zurück. Roland RiviHre (Jean-Louis Trintignant) läßt das Dorf versammeln, um den Denunzianten zu enttarnen, wobei er an eine Vorführung des Films »Le Corbeau« (Frankreich 1943, R: Henri-Georges Clouzot) erinnert, in welchem es auch um anonyme Denunziationen geht. Obwohl Salom8 versprochen hat, den Informanten nicht anzuzeigen, verlassen alle schweigend den Raum. Für Salom8 ist es unmöglich, in dieser Gesellschaft weiter zu leben und fährt zurück nach Paris. H8lHne RiviHre (Annie Girardot) gesteht ihr im Zug, dass sie aus Eifersucht auf Sarah Lerner (FranÅoise Fabian) sie damals alle denunziert hat. Nach dem Geständnis begeht sie Selbstmord. Salom8 geht in ihre alte Wohnung zurück. Im Treppenhaus begegnet sie der Hausmeisterin, die vor Schreck zu Tode stürzt. Bei einem Interview in der Gegenwart erzählt Salom8, dass sie glaubt, der bekannte Pianist Eric Berchot sei die Reinkarnation ihres ermordeten Bruders Salomon. Der Glaube an die Wiedergeburt war bereits Teil der Vorstellungswelt ihres Vaters Simon (Michel Piccoli), einem Psychoanalytiker, der als völlig assimilierter Jude präsentiert wird. Simon hatte Salomon wiederholt gesagt, dass er mindestens noch ein Leben brauche, um Rachmaninow spielen zu können. »Simon: Madness is a painful passage between two lives, genius comes after that passage, when previous experience can be used in the next life. Salom8: His view on age is amazing. He didn’t see people as 20 or 50, but saw them in the 2nd, 7th or 30th lives.«129
Der Clou von Lelouch ist, dass Eric Berchtot in den Shoah-Szenen Salomon darstellt. Salom8 trifft sich mit Eric, besucht weiter seine Konzerte und freut 129 Partir, revenir, 0:18:14–0:18:31.
Seelenreisen
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sich, dass Salomon/Eric jetzt in der Lage ist, Rachmaninow zu spielen. Lelouch gelingt es hier, eine filmische Reflexion zum »Gilgul« zu entwickeln, die eine tiefe Kenntnis der jüdischen Reinkarnationslehre verrät. Isaak Luria und alle großen Kabbalisten nach ihm verhielten sich im Grunde wie moderne Psychoanalytiker. Sie deuteten Träume und versuchten, die Psyche ihrer »Patienten« zu ergründen. Allerdings waren Menschen wie Luria – glaubt man den Legenden – in der Lage, die verschiedenen Reinkarnationen zu erkennen und zu deuten. »Er konnte alles wahrnehmen, was jemand getan hatte und was er in der Zukunft tun würde. Er konnte die Gedanken der Menschen lesen, oft schon, bevor der Gedanke in den Verstand der Person vordrang. Er kannte die Ereignisse der Zukunft und war all dessen gewahr, was hier auf Erden geschah und im Himmel verordnet wurde. Er kannte die Mysterien der Reinkarnation, wer bereits zuvor geboren war und wer zum erstenmal hier war. Er konnte eine Person anblicken und konnte ihr sagen, wie sie mit dem Adam Kadmon verbunden war und wie sie mit Adam verwandt war.«130
Der Psychoanalytiker Simon verwendet in seinen Behandlungen die Reinkarnationen blind – er weiß nichts über die Vorleben seiner Klienten. Aber durch diese Figur stellt Lelouch bewusst eine Verbindung zu Gestalten wie Isaak Luria da. So wie Luria hilft Simon den verwundeten Seelen der Menschen. Seine Lehre lindert die seelischen Schmerzen seiner Tochter Salom8 nach der Shoah, die wie so viele Überlebende ohne Heim und ohne Familie dasteht, aber glaubt, dass das Rad der Leben sich weiter drehen würde. Die Vorstellung vom »Gilgul« schafft so ein tröstliches Ende für ein außergewöhnliches Shoah-Drama, welches nicht nur für seine kabbalistischen Lehren, sondern auch wegen seiner filmhistorischen Reflexionen interessant ist. Mit dem Rückgriff auf »Le Corbeau« begreift der Zuseher sofort die Welt des Dorfes. Die zeitgenössischen Zuschauer von »Le Corbeau«, der beschreibt, wie ein Dorf durch anonyme Denunziationen in den Wahnsinn getrieben wird, hatten Clouzot üble Franzosenhetze vorgeworfem, zudem war der Film für die neu gegründete deutsche Produktionsfirma »Continental Film« gedreht worden, für deren Produktionen Clouzot einige Drehbücher schrieb. Als Resultat hatte Clouzot nach dem Krieg bis 1947 Regieverbot. Auch Lelouchs »La Belle histoire« spielt auf zwei Zeitebenen, in Israel zur Zeit Jesu und im Paris der Gegenwart. Diesmal ist das Thema Reinkarnation ganz eng mit allen Hauptfiguren verbunden. Im Zentrum steht der Roma Jesus (G8rard Lanvin), eine Reinkarnation von Jesus von Nazareth und Odona (B8atrice Dalle). Odona, wie alle anderen Figuren des Films, sind ebenfalls Wiedergeburten von Personen rund um eine Jesu-Geschichte, die nicht in den Evangelien zu finden ist. Jesus lebt mit den Leprakranken in einer Art Kolonie zusammen, die im Laufe des Filmes von den Römern zerstört wird. In den Bergen leben aggressive 130 Chajim Vital, Ez Chajim, Jerusalem 1988, Vorwort, S. 8.
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Bienen, von denen Jesus allerdings nicht gestochen wird. Der Honig dieses 2000 Jahre alten Bienenstocks in Israel soll magische Wirkung haben. In einer beeindruckenden Szene sticht sich Jesus in die Hand und die Bienen trinken sein Blut. Die Beziehung von Bienen und ihre Eigenschaften wie Fleiß und Ordnung, wurden schon früh Teil der christlichen Ikonographie. Dies wurde unterstützt durch die irrige Annahme, Bienen würden sich geschlechtslos fortpflanzen. Daher wurden sie zum Symbol für die Jungfräulichkeit. Der Film setzt aber keine spezifisch christlichen oder jüdischen religiösen Elemente ein, sondern zeichnet Jesus als einen charismatischen Magier. Er fällt der römischen Herrschaft zum Opfer und reinkarniert sich wie alle anderen Menschen. Lelouch präsentiert hier die Wiedergeburt als Naturgesetz, nicht als Teil einer religiösen Ideologie, eine märchenhafte Fabel über Leben, Tod und vor allem Liebe.
4.
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Dybbukim und auch die Idee der Reinkarnation sind filmisch dankbare Elemente der Kabbala. Wie sieht es dagegen mit komplexen theoretischen kabbalistischen Gedankengebäuden aus? Kann man überhaupt Mystik und die inneren Welten der Kabbalisten adäquat auf die Leinwand bringen? Zu den schwierigsten Texten in der Geschichte der Kabbala gehören die Werke von Abraham Abulafia (1240–1291) und die Weltschöpfungs- und Erlösungsgedanken Isaaks Lurias (1534–1572). Und es mag verwundern, dass gerade diese filmisch auf einzigartige Weise bearbeitet wurden.
4.1. Der kabbalistische Tiger »Life of Pi« (USA 2012) ist einer der wenigen Filme, der tatsächlich das Medium »3D« sinnvoll eingesetzt hat und dessen Regisseur Ang Lee mehr als verdient von der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences zum besten Regisseur des Jahres 2013 gekürt wurde. Ihm war es gelungen, das wunderschöne Buch von Yann Martell in betörende Bilder umzusetzen, ohne die philosophischen und religiösen Bezüge der Vorlage dabei ganz außer Acht zu lassen. Ang Lee ist ein großartiger Geschichtenerzähler, der sein dankbares Publikum seit mehr als 20 Jahren mit Dramen überrascht, die die Grenzen aller Genres sprengen – vom Western (Ride with the Devil, USA 1999) bis zum Superheldenfilm (Hulk, USA 2003). »Life of Pi« ist eine faszinierende Umsetzung der Kosmogonie des Kabbalisten Isaak Luria. Pi(scine) Patel steht im Zentrum des Films, ein junger Inder, der eigentlich nach einem Schwimmbad benannt wurde und dann seinen Namen bewußt abkürzt, um so nach der Zahl p benannt zu sein, die, wie wir oben schon gesehen haben, gematrisch dem Gottesnamen »Schadai« entspricht. Gleich zu Beginn hören wir, dass Pi sich in seinem Examensessay mit der Lurianischen Weltentstehungstheorie beschäftigt hat.131 Als er mit seiner Familie, die in Indien 131 Yann Martell, Life of Pi, Frankfurt a. M.: Fischer Verlag 2012, S. 17.
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einen Zoo besaß, per Schiff nach Kanada aufbricht, sinkt dieses. Der Name des Schiffes ist »Tsimtsum«, einer der zentralen Aspekte von Lurias Schöpfungstheorie. Isaak Luria erkannte, wie es denn einen leeren Raum geben könne, ein »Nichts«, wenn Gott vollkommen ist und das ganze Universum erfüllt. Um folglich eine »Schöpfung aus dem Nichts« möglich zu machen, mußte Gott zunächst leeren Raum erschaffen. Er komprimierte einen Teil seiner Wesenheit, wodurch ein Platz für die Schöpfung entstand. Luria bezeichnet diesen Rückzugsakt »Selbstverschränkung Gottes« (hebr. Tsimtsum). Im Film geht das Schiff »Tsimtsum« unter, fast alle Menschen und Tiere sterben dabei und durch das Chaos entsteht etwas Neues – fünf Überlebende in einer (Nuß)schale. »Water and sky run together, making Pi appear as a sort of cosmic traveller – and drawing a visual connection to the zero-gravity weightlessness of the Piscine Molitor. Pi encounters a breaching whale; an underwater cosmos of illuminated jellyfish; a roiling and roaring storm at sea; a blizzard of flying fish; and a sinister island whose surface ripples with innumerable meerkats. There are even in-film aspect-ratio changes, an innovation as old as the masking effects common to the silents, or the suddenly flungopen wings of Abel Gance’s Napol8on. All this is, in a word, Awesome.« .132
Pis kosmische Überlebensreise wird von ihm unterschiedlich geschildert – als fantastische Reise mit Tieren (Tiger, Orang-Utan, Hyäne, Zebra) oder als nüchternes Drama mit Menschen (Pi [Tiger], Mutter [Orang-Utan], Koch [Hyäne], Matrose [Zebra]). In Lurias Kosmogonie sollen besondere Gefäße das göttliche Schöpfungslicht aufnehmen. Aber nur die Schalen für die drei höchsten göttlichen Attribute (Sefirot genannt) – Keter (Krone), Chochma (Weisheit), Bina (Vernunft) – konnten dies bewerkstelligen. Die unteren Schalen, die die weiteren sieben Sefirot auffangen sollten, konnten das Licht nicht in den Gefäßen bewahren und zerbrachen. Durch diesen »Bruch der Gefäße« (hebr. Schvirat ha-kelim) entstanden fünf (!) neue Strukturen der göttlichen Welten. Pis religiöse Odyssee führt ihn zu Beginn des Films vom Hinduismus zu Christentum und Islam und er muss erfahren, dass sich diese religiösen Konzepte gegenseitig ausschließen. Als seine religiösen Meister von seiner »Dreifach-Religion« erfahren, versuchen sie ihm vergeblich nahe zu legen, dass er nicht gleichzeitig frommer Hindu und hingebungsvoller Christ oder Moslem sein könne. Die Auseinandersetzung mit diesen drei Religionen bildet nur den Auftakt zu Pis spiritueller Reise. »Writer: So, you’re a Christian and a Muslim? Pi: And a Hindu, of course. Writer: And a Jew, I suppose. 132 Nick Pinkerton, Life of Pi, in: Sight and Sound Nr. 1 (2013), S. 89.
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Pi: Well, I do teach a course on the Kabbalah at the university. And why not? Faith is a house with many rooms. Writer: But no room for doubt? Pi: Oh, plenty. On every floor. Doubt is useful. It keeps faith a living thing. After all, you cannot know the strength of your faith until it’s been tested.«133
Sobald die »Arche Noah« Tsimtsum mit Menschen und Tieren sinkt, beginnt Pis Auseinandersetzung mit dem Judentum, ein Test seines Glaubens. Seine Odyssee mit dem Tiger Richard Parker (die anderen drei Tiere sterben gleich zu Beginn), dauert genau 227 Tage – nach der Gematria der Zahlenwert des Wortes »Zachor« (sich erinnern), eines der wichtigsten Konzepte der jüdischen Religion – die Erinnerungskultur. So soll man sich am Purim-Fest an eine sagenhafte Rettung durch Esther erinnern, aber auch an die tödliche Gefahr durch Haman – stetige Erinnerung an Rettung und drohende Vernichtung. Ebenso ist das sinnlich erlebte Erinnern an die Sklaverei in Ägypten der Kern des Pessachfestes und Rosch HaSchana, das Neujahrsfest, nennt man auch »Yom HaZikkaron« (Tag der Erinnerung).134 Drohende Vernichtung und wunderbare Rettung, Verlust der Heimat und Exil – Pis wundersame Bootsreise wird zum Symbol jüdischer Geschichte. Und wie oft hat sich im Laufe der jüdischen Geschichte eine rettende Insel genauso wie in »Life of Pi« als weitere tödliche Gefahr herausgestellt und die Juden zum Weiterziehen genötigt? Aber genauso wie Pi seine Geschichte mehrdeutig erzählt, gibt es mehrere Deutungsmuster. So ist der Schiffbruch und die Figur des Tigers Richard Parker auch eine Hommage an Edgar Allan Poes einzigen Roman »The Narrative of Arthur Gordon Pym of Nantucket« (1838). Dieser handelt von einem Schiffsuntergang, wobei der Name des Hundes des Erzählers »Tiger« ist und einer der vier Überlebenden den Namen Richard Parker trägt. Bei Poe fällt Richard Parker allerdings dem durch den Hunger erwachten Kannibalismus der anderen Überlebenden zum Opfer. Ang Lee jedoch lässt den Tiger Richard Parker die Hyäne und die Reste von Zebra und Orang-Utan fressen, die beiden von der Hyäne getöteten Tiere. 1884, Jahrzehnte nach der Veröffentlichung von Poes Roman, überlebten übrigens drei Schiffsbrüchige den Untergang der Mignonette, indem sie den vierten Kameraden aufaßen. Dieser Schiffsjunge hieß Richard Parker.135 Wer nun etwa an Poes mögliche halluzinatorische Prophetengaben denkt, sollte einräumen, dass »Ri133 Life of Pi ,0:21:07–0:21:29. 134 Vgl. Astrid Greve, Erinnern lernen. Didaktische Entdeckungen in der jüdischen Kultur der Erinnerung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1999; Yosef Hayim Yerushalmi, Zachor : Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis, Berlin: Wagenbach Verlag 1988. 135 Vgl. Neil Hanson, The Custom of the Sea: The Story that Changed British Law, London: Doubleday 1999.
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chard Parker« kein seltener Name ist und es vielleicht das Pech des Schiffsjungen war, dass seine Gefährten Poe gelesen hatten…
4.2. Tikkun als Familientherapie Die durch den kosmischen Bruch im Chaos versunkenen göttlichen Welten können aber wieder hergestellt werden. Dieser Vorgang, auf Hebräisch als »Tikkun Olam« bezeichnet, kann durch den Menschen vervollständigt werden. Die lurianische Kabbala regt daher ein Leben im Geist der Tora an, damit der fromme Jude durch Gebet und Gebotserfüllung zu einer Hilfe Gottes werden kann. Der Begriff des »Tikkun Olam« findet sich bereits in Gebeten (wie dem »Aleinu l’shabeach«) und Texten aus rabbinischer Zeit und wurde dort rechtlich verstanden. Eine bestimmte rabbinische Entscheidung soll um der »Wiederherstellung der Welt« Willen und für eine bessere Gesellschaft befolgt werden. In der Orthodoxie versteht man unter »Tikkun« auch die persönliche Rückkehr zur Welt der Tradition und die Befreiung von den Sünden der Vergangenheit. Der Idee des kabbalistischen »Tikkun Olam« widmeten sich gleich mehrere Filme auf unterschiedliche Weise. »Bee Season« (USA 2005, R: Scott McGehee und David Siegel) zeigt den Versuch des »Tikkun« durch eine säkulare jüdischamerikanische Familie, während »Ha-Sodot« (The Secrets, Frankreich/Israel 2007, R: Avi Nesher) im Rahmen der israelischen Orthodoxie spielt. »Bee Season« ist es gelungen, den komplexen kabbalistischen Schöpfungsmythos filmisch eindrucksvoll in einer für ein allgemeines Publikum verständlichen und zugleich ergreifenden Weise zu präsentieren. Scott McGehee und David Siegels »Bee Season« war ihr erstes größeres Studio-Projekt, nachdem sie mit ihren Neo-Noir-Thrillern »Suture« (USA 1993) und »Deep End« (USA 2001) das amerikanische Independent-Kino geprägt hatten. »Suture« ist noch deutlicher als »Deep End« zugleich Hommage und Fortführung des »Film Noir«, aber auch Verbeugung vor dem japanischen Kino der 60er Jahre und wurde in schwarzweissen Breitwandbildern gedreht. »Deep End« basiert auf dem Roman »The Blank Wall« (1947) von Elisabeth Sanxay Holding, den bereits Max Ophüls als »The Reckless Moment« (USA 1949) verfilmt hatte. In beiden Filmen geht es um Identitätssuche und zerbrochene Familienstrukturen, die allerdings zu Gewalt und Mord führen. Die beiden Thriller rund um Familienkrisen wurden von McGehee und Siegel produziert und auch geschrieben. »Bee Season«, ihr erster Studio-Film, basiert allerdings auf dem Drehbuch von Naomi Foner Gyllenhaal, nach der Romanvorlage von Myla Goldberg. »There are certain themes which always interest us: how families work, how identities are defined. But the story of these people struggling towards a relationship with God was
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new and was handled in a way we found exciting. Myla Goldberg’s idea of putting spelling and kabbala together seemed so clever to us, managing to talk about language and something beyond language, about communication.«136
Das traditionelle amerikanisch-jüdische Ehepaar des Romans – der Kantor Saul Naumann und seine Frau Miriam, werden im Film verändert. Aus dem Kantor wird der säkulare Religionswissenschaftler Saul Nauman (Richard Gere) der Berkeley Universität, seine Frau Miriam (Juliette Binoche) wird hier zu einer Katholikin, die erst für die Ehe mit Saul zum Judentum konvertiert ist. Auch in seinem dritten Film behandelt das Regie-Paar eine Familienkrise. Alle zentralen Gestalten des Films, neben Saul und Miriam auch deren Kinder Aaron (Max Minghella) und Eliza (Flora Cross), streben daher bewußt auf verschiedene Weise nach ihrer persönlichen Erlösung, ihrem Tikkun. »Saul: God is everything, a perfect, luminous essence. But even God wants more, to experience more, to give. So God creates a vessel, a container that can receive this gift of God’s pure light. His divine light pours into the vessel. The vessel of course can’t contain the magnitude of this light, and it shatters. Destroying the vessel, and scattering its broken shards in a big bang of creation. Now, man’s job is to locate and gather these shards to make the vessel – our world – whole again. Now the kabbalists called this fixing, this mending they called it Tikkun. Tikkun olam, the fixing of the world. Now, any act of goodness, altruism, kindness that contributes to that idea is considered tikkun olam. It’s an extraordinary idea that we can restore what has been shattered. In fact, it’s our responsibility to try, each of us. Out of the very pieces of the destruction God has left us hope.«137
Nachdem Saul von den unglaublichen Buchstabierkünsten seiner Tochter Eliza erfährt – die er vorher deutlich weniger beachtet hatte – geht er voll und ganz in der Förderung ihrer Talente auf. Er übt mit seiner Tochter und reist mit ihr von einem Buchstabierwettbewerb zum nächsten. Dabei vernachläßigt er seinen Sohn Aaron, mit dem er zuvor sehr oft Cello gespielt hatte. Dieser fühlt sich durch die konstante Zuwendung Sauls zu Eliza ausgeschlossen und beginnt eine religiöse Suche. Sein Leben und das seiner Familie ist fragmentiert, aus den Fugen geraten. Aarons Versuch, die einzelnen Puzzlestücke des Daseins zusammenzufügen, scheitert. Er besucht eine christliche Messe und nimmt am Abendmahl teil. Schließlich lernt er ein Mädchen kennen und wird durch sie Mitglied der Hare Krishna Bewegung. Als Saul davon erfährt, kommt es zum Bruch zwischen Vater und Sohn. Aaron wirft Saul vor, er sei krank und wolle die Familie nur kontrollieren und benutzen. Das frühere gemeinsame Musizieren von Saul und Aaron war nicht nur ein Zeichen der Nähe zwischen Vater und 136 Interview mit McGehee und Siegel, in: Jason Wood, Spellbound, in: Sight and Sound (December 2005), S. 29. 137 Bee Season, 0:11:45–0:13:11.
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Sohn. Musik als Methode zur Vereinigung mit Gott erinnert an den Kabbalisten, der im Zentrum von »Bee Season« steht, Abraham Abulafia (1240–1291) aus Saragossa. »Saul: You know that to become a professor I had to write a thesis, kind of a book. I wrote about something very special. About Kabbalah. Jewish mysticism. And one of the most famous of the Jewish mystics was a man called Abraham Abulafia. (…) Abulafia believed that by concentrating on letters the mind could be opened up and reach what he called shefa. Eliza: What? Saul: The most special way of being together with God. Steps to getting there are in these books. Exercises, words and letters. Eliza: Like what we’ve been doing. Saul: Yes, exactly. Let me show you.«138
Das Erlangen der Prophetie und die Vereinigung mit Gott ist das Ziel von Abulafias Lehre, die sich auf Namen und Buchstaben konzentriert, die Gotteserkenntnis mit Hilfe der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. So setzt sich der größte Teil seiner Texte mit der Sprache, dem Alphabet und den göttlichen Namen, die in vielfältiger Weise permutiert werden, auseinander. In seinen Texten finden wir nicht nur seine mystischen Erfahrungen, sondern auch genaue Meditationsmethoden und Atemtechniken. In »Bee Season« zitiert Saul direkt aus den Texten Abulafias, die Jahrhunderte lang nur in Handschriften vorlagen. Nur in wissenschaftlichen Texten wie bei Scholem oder in Moshe Idels »Abraham Abulafia und die mystische Erfahrung« (1994) finden sich lange Auszüge aus seinen Schriften, die hier für das Drehbuch offensichtlich herangezogen wurden. Erst 1999 sind Abulafias Texte in zweisprachigen Ausgaben erschienen. »Saul: This notebook is my translation of Abulafia’s words. It’s his guide, Elly, for reaching shefa. ›Cleanse your heart and soul. Permute the letters back and forth. This will arouse in you many words, one after the other. You will feel then as if an additional spirit is within you. You will experience ecstasy and trembling. In this manner, go slowly, as the path is dangerous and must be traveled with caution.‹«139
Saul, aber auch Miriam, erkennen in den Künsten ihrer Tochter die exakte Umsetzung von Abulafias Meditationsmethoden. »Miriam: When you’re trying to spell a word what happens to you? I mean, when you close your eyes?
138 Bee Season, 0:32:15–0:33:50. 139 Bee Season, 0:53:50–0:54:20.
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Eliza: I start out hearing it in my head in the voice of whoever said it. Then the voice changes into something else. The word’s voice. And then I can see it. Miriam: What? Eliza: The word. I can see the word.«140
Saul, der selbst diese Methoden ausprobiert hatte, um sich mit Gott zu vereinen, war gescheitert. Umso gieriger und rücksichtsloser mißbraucht er die Talente seiner Tochter. Er führt das kleine, elfjährige Mädchen in die komplexe Gedankenwelt Abulafias ein und übt mit ihr seine gefährlichen Mediations-Techniken. »Saul: I’d like us to try this. Eliza: What? Saul: A permutation. Other people have tried to do these, but almost no one has felt that special feeling that he wrote about. I haven’t been able to do it. I tried. It was very important to me, but I couldn’t. But I think maybe you can. I think you have what Abulafia had. I saw it on the stage at the bee. I think you can use his methods to achieve shefa to reach the ear of God.«141
Saul ist ja ein Kenner der Schriften und Techniken Abulafias und weiß um die Gefahren, die darin stecken. »Meine Seele erwachte in mir, und ein Geist Gottes berührte meinen Mund. Ein Geist der Heiligkeit fuhr durch mich hindurch, und ich sah viele fürchterliche Bilder und Wunder, durch Zeichen und Wunder. Aber zur gleichen Zeit versammelten sich Geister der Eifersucht um mich herum, und ich wurde mit Phantasie und Fehlern konfrontiert. Mein Geist war völlig verwirrt, da ich niemanden wie mich finden konnte, der mich den rechten Pfad lehren konnte. Ich war deshalb wie ein Blinder, der am hellen Mittag herumtastet. Fünfzehn Jahre war der Satan an meiner rechten Hand, mich zu verleiten. Die ganze Zeit wurde ich fast wahnsinnig von dem was meine Augen sahen.«142
»Bee Season« zeigt in betörenden Bildern Abulafias Permuations-Methoden. Man schreibt ein Wort nieder und permutiert und vertauscht die Buchstaben auf jede nur mögliche Art. Wenn der Initiierte in immer höhere Zustände aufsteigt, muss er die Buchstaben nicht mehr wirklich niederschreiben, sondern permutiert sie nur noch verbal oder geistig. So buchstabiert Eliza z. B. das Wort »Löwenzahn« und die Buchstaben fliegen nicht nur dahin, sondern aus den Buchstaben entsteht die Schöpfung. Um sie herum fliegen Blüten, bei anderen Worten 140 Bee Season, 0:21:15–0:21:52. 141 Bee Season, 0:54:20–0:54:59. 142 Abraham Abulafia, Ozar Eden Ganus (Schatzkammer des verborgenen Eden), zitiert nach: Gershom Scholem, HaKabbala schel Sefer HaTemuna we-schel Abraham Abulafia (hebräisch), Jerusalem 1965, S. 194–195.
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wachsen Pflanzen aus ihrer Schulter. Selten wurden kabbalistische Ideen so plastisch und eindrucksvoll in Bilder umgesetzt. Miriam und ihr Weg zum Tikkun ist der verstörendste Versuch der Familie. Der traumatische, tödliche Autounfall ihrer Eltern verfolgt sie noch immer und sie hofft vergeblich, durch den »Tikkun Olam« die Einzelteile ihres zerstörten Selbst wiederherzustellen und ihre problematische Beziehung zu Saul zu verbessern. Auch Miriam, wie später Aaron und schließlich Eliza, war einmal Sauls »Partnerin« bei seinem Versuch, den Tikkun zu vollziehen. »Saul: We’re not alone. Any of us, we can make connections. Miriam: Tikkun olam. Saul: Yes, we can fix what’s been broken. We can make things whole again. Miriam: Gathering shards. Saul: Yes. Together.«143
Aber Miriam übersetzt die Metapher der zerbrochenen Gefäße und des zerstreuten göttlichen Lichtes in eine konkrete Skulptur. Seit Jahren sammelt sie Glassplitter, Ketten, Ohrringe, Juwelen, Edelsteine und ähnliche durchsichtige Materialien. Allerdings bricht sie in Wohnungen und Häuser ein, um an diese Stücke zu gelangen. In einer von ihr gemieteten Garage fügt sie die überall aufgefundenen »göttlichen Funken« in einer gigantischen Skulptur zusammen. Schließlich wird sie von der Polizei verhaftet und kommt in eine Klinik. Tief betroffen, irritiert und entsetzt sieht man Saul durch Miriams gläserne Welt des »Tikkun« gehen. »Miriam: It’s beginning to hold the light. Saul: I’m sorry. I don’t understand. Eliza: The shards, putting them together. Tikkun olam – to make things whole. Hold the light. You showed me. Saul: Miriam, it…It was a metaphor. A… A poem. Miriam: Yes, a poem. I made a poem. Saul: The police think that you took all those things. Miriam: Some of them are mine… ours. Saul: And some aren’t. Miriam: I needed more. (…) I just wanted to hold the light, that’s all.«144 143 Bee Season, 0:50:33–0:50:55. 144 Bee Season, 1:15:30–1:17:20.
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Eliza, die zu Beginn von Saul eher vernachlässigt worden war, genießt die plötzliche intensive Zuwendung des Vaters und läßt sich auf alle Experimente ein, um ihn zufriedenzustellen. Als sie aber von der Einweisung der Mutter hört und den Bruch zwischen Vater und Bruder erlebt, versucht sie in der Nacht vor dem »National Spelling Bee«, ihre Welt wieder zu »heilen«, indem sie allein mit Hilfe von Abulafias Methoden versucht, sich mit Gott zu vereinen. Hebräische Buchstaben aus Licht schwirren um sie, als sie schließlich wortwörtlich abhebt und eine Vision von kaleidoskopartigen Bildern und Lichtreflexen erlebt. Sie bricht zusammen, hat Krämpfe und Zuckungen. Die Gefahren des Meditationsweges, die Abulafia und viele andere Kabbalisten und Mystiker beschrieben haben, werden in Elizas Zusammenbruch manifest. Sie überlebt und versagt absichtlich beim Buchstabierwettbewerb, indem sie »Origami« falsch buchstabiert – sie hatte das Wort am Abend zuvor sogar mit Saul geübt. Saul, der im Publikum sitzt, bricht zusammen und wird von Aaron umarmt. Miriam hat den Wettbewerb im TV verfolgt und lächelt – Eliza hat sich erfolgreich ihrem Vater ent- und zugleich den Tikkun der Familie vollzogen. Die tränenreiche Schlußsequenz zeigt die Stärken und Schwächen des Dramas. Die Filmemacher scheiterten auf hohem Niveau. »Bee Season« gelingt es Dank der ausgezeichneten literarischen Vorlage von Myla Goldberg und dem Drehbuch von Naomi Foner Gyllenhaal, komplexe theoretische kabbalistische Gedankengebäude wundersam filmisch aufzulösen und man kann sich kaum der Anziehungskraft der Bilder von Giles Nuttgens entziehen. Scott McGehee und David Siegel sind das richtige Team für Familiendramen, die in Gewalt und Mord eskalieren, was aber bei »Bee Season« nicht der Fall ist. Sie sind nicht in der Lage, die Mischung »Familienkrise und Kabbala« souverän zu meistern. So ist das tatsächliche Familiendrama zäh und bemüht inszeniert und es misslingt der Regie, mit großartigen Schauspielern wie Richard Gere und Juliette Binoche Spannung zu erzeugen. Die von der Regie offensichtlich allein gelassene Binoche wiederholt unlustig Gesten und Ausdrücke, die man aus früheren Filmen kennt. Gere wirkt sichtlich unsicher und vermittelt den Eindruck, als ob er nicht genau wisse, ob er in der nächsten Szene seine Familie im Amoklauf ermorden oder einfach weinend in die Arme schließen soll und hält sich krampfhaft an seiner Brille als wichtigstes Utensil seiner Darstellung eines Professors fest. Hätten die Regisseure an Stelle mystischer Meditationen Neo-Noir-Thrilleratmosphäre mit Blutbädern inszenieren dürfen, wäre der Film sicher überzeugender geworden. Es bleibt ein ausgezeichneter »Kabbala-Film«, der als Drama aber einschläfert. Der Film fand in Deutschland keinen Verleih und der unpassende deutsche DVD-Titel »Die Buchstabenprinzessin« verwirrt natürlich vollends.
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4.3. Destroy Your Ego! Der chassidische Kabbalist Yehuda Ashlag (1866–1954) kommentierte die lurianische Kabbala vor dem Hintergrund seiner Zeit. Durch die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges und der Vernichtung vor allem des osteuropäischen Judentums, aus dem Ashlag stammte, kam er zu dem Schluß, dass die Mächte des Bösen nun so stark geworden seien, dass es erlaubt sei, die Kabbalah nicht mehr als verborgene Lehre zu betrachten, sondern zu verbreiten. In Ashlags Interpretation ist das Übel der Zeit im Egoismus und der Egozentrik der Menschheit zu sehen. Der persönliche Tikkun sollte dahingehend gehen, die bodenlose Gier des Menschen zu zähmen und das aufgeblähte Ego zu zerstören. Der Mensch solle lieber mit den anderen teilen, statt alles an sich zu reißen. »Our heart is the sum of our egoistic desires, and the small point within it is part of the spiritual, altruistic desire implanted from Above by the Creator Himself. It is our task to nurture this embryo of a spiritual desire to such an extent that it (and not our egoistic nature) will determine all of our aspirations. At the same time, the egoistic desire of the heart will surrender, contract, wither, and diminish. After being born in our world, one is obliged to change his heart from egoistic to altruistic, while living in this world. This is the purpose of his life, the reason behind his appearance in this world, and it is the goal of all creation. A complete replacement of egoistic desires with altruistic ones is called »the End of Correction.« Every individual and all of humanity must attain it in this world together. Until one achieves this, he will continue to be born into this world. The Torah and all the prophets speak exclusively of this. The method of correction is called »Kabbalah.« One can change his desires only if one wishes to change them. Man is created an absolute egoist; he can neither adopt different desires from other people or from the surrounding world – as his surroundings are just like him – nor does he have any link to the spiritual worlds, since such a link is possible only through mutual properties. The spiritual can only be perceived in altruistic desires.«145
Es verwundert daher nicht, dass Ashlag, der in den 20er Jahren nach Israel emigrierte, die sozialistische Kibbutz-Bewegung unterstützte. Ashlag kommentiert die lurianische Kabbala, indem er ein Plädoyer für Altruismus und Überwindung der Ich-Bezogenheit als einen im Menschen angelegten spirituellen Kampf hält. Ashlags faszinierend psychologische kabbalistische Lehre verbindet so individuelle Nöte, Weltprobleme und traditionelle Kabbala. Diese moderne Deutung der lurianischen Lehren, die man auch als ökologisch und Kapitalismus-Kritik lesen kann, beeinflusste wiederum die bereits oben erwähnten und heute sehr populären und weltweit verbreiteten Kabbala-Zentren der Familie Berg. In jenen kann jeder Mensch, sofern er oder sie über das nötige Geld verfügt, Seminare besuchen und sich intensiv in die durch die Brille der 145 Kommentar von Yehuda Ashlag zu Zohar I, 1a, in: The Zohar, Toronto: Kabbalah Publishers 2007, S. 41–42.
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Berg-Lehrer gefilterten kabbalistischen Lehren vertiefen. Eine der prominentesten Berg-Schülerinnen ist Madonna. In ihrem Musik-Video zu dem Titelsong des James-Bond-Films »Die another Day« (USA 2002, R: Lee Tamahori) wird die Idee der Überwindung des Egos sehr plastisch umgesetzt. Das Ego, symbolisiert durch eine »schwarze Madonna« kämpft verbissen gegen die gute »weiße Madonna«. Passend dazu heißt es im Liedtext: »Sigmund Freud, analyze this, I’m gonna break the cycle, I’m gonna shake up the system, I’m gonna destroy my ego.«
Die Zerstörung der Ich-Bezogenheit und damit auch der Kreislauf aus Schmerzen und den Qualen des Ichs – dargestellt durch eine grausige FolterSzene – bestimmen das Duell. Am Ende wird die »schwarze Madonna« / la »Thunderball« (UK 1965, R: Terence Young) harpuniert und die Folter endet. Auch gibt es im Video eine Anspielung auf den oben erwähnten Gottesnamen, der aus 72 Gruppen zu je drei Buchstaben besteht. Eine dieser Dreiergruppen ist »lamed-alef-waw«. Und genau diese Buchstaben sehen wir eingebrannt am Ende auf dem verlassenen Folterstuhl. Die weiße Madonna hat mit Hilfe der Kabbala, der Gottesnamen und dem Anlegen der Gebetsriemen ihr Ego zerstört. Der Kampf gegen das Ego, den Ashlag und alle Schulen, die seine Lehren adaptierten, als zentrale Lebensaufgabe verstehen, wurde ebenfalls von Darren Aronofsky in seinem düsteren »Black Swan« (USA 2010) aufgegriffen. Die Handlung – angelegt zwischen Halluzination und Realität – erzählen von der Ballerina Nina (Natalie Portman). Sie beherrscht bereits die helle Seite der Darstellung des weißen Schwans aus dem Ballett »Schwanensee«, aber für den schwarzen Schwan fehle ihr laut Regisseur Leroy (Vincent Cassel) noch Leidenschaft und Bösartigkeit. Sie muss ihren Weg zur dunklen Seite ihres Egos finden. Der Film zeigt nun den kabbalistischen Tikkun als Spiegel des Verfalls auf dem Weg zur Perfektion. Nina verbessert ihr Bühnenspiel, aber ihre Persönlichkeit wird egoistischer, schizophrener und sexuell hemmungsloser. Sie kann zunehmend nicht mehr zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheiden und verwandelt sich von der sympathischen »weißen« Nina in den dunklen gefährlichen »Black Swan«, der am Ende den »White Swan« besiegt. Der weiße Schwan wird ausgelöscht und verblutet auf der Bühne. Hier zeigt Aronofsky einen »Black Tikkun« – Nina strebt nach egoistischem Perfektionismus und überwindet den »White Tikkun« mit der altruistischen Zerstörung des Ichs und seiner gierigen Wünsche. Der Egoismus triumphiert als »Black Swan« und die sympathische »weiße Nina« ist gebrochen. Der Film wirkt oberflächlich wie eine Kritik an der Welt des Balletts und der Suche nach Perfektionismus, die die Menschen in Wahn und Zerstörung treibt, bzw. als ein Drama des »ErwachsenWerdens«, Nina verwandelt sich von der braven kindlichen Tochter mit Stofftieren zur reifen Frau. »Black Swan« ist so ein Mystik-Psychothriller mit hin-
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reißenden Tanzszenen einer grandiosen Natalie Portman, ist aber zugleich auch eine Abrechnung mit den zu der Zeit so modischem großstädtischen KabbalaMumbo-Jumbo und esoterischen Weltfluchten. Der Egoismus ist nicht nur ein Teil des Menschen, sondern in »Black Swan« die bei weitem attraktivere und faszinierendere Seite Ninas. Bei Aronofsky triumphiert, anders als bei Madonna, das dunkle Böse, er zeichnet so ein realistischeres Porträt der Menschen als egoistisch-rücksichtslose Perfektionisten des Bösen, in deren Welt »weiße Schwäne« nur eine Chance haben, zu überleben – durch Aktivieren ihrer »dunkle Seite«.
4.4. Kabbalistische Geheimnisse oder warum Frauen die besseren Rabbiner sind Anders als bei amerikanischen Produktionen wie »Bee Season« sind bei israelischen Spielfilmen natürlich die Szenen mit Erklärungen in Bezug auf jüdische oder kabbalistische Elemente im Grunde überflüssig. Dennoch gibt es auch im israelischen Kino nur wenige Filme, die sich ganz den kabbalistischen Traditionen gewidmet haben. Avi Neshers »Ha-Sodot« ist zu einer Zeit gedreht geworden, in der es im israelischen Kino zu einem markanten Wendepunkt gekommen war. Zuvor hatten teilweise abgehobene politische Filme oder pures Unterhaltungskino im Stil des »Boureka«-Kinos oder der »Eskimo Limon« (dt. »Eis am Stiel«)-Reihe von Boaz Davidson dominiert. Als das israelische Publikum zunehmend das Interesse an den eigenen Produktionen verlor, haben sich junge Filmemacher wieder der israelischen Wirklichkeit zugewandt. Regisseure wie Nir Bergman, Rapha[l Nadjari oder Eytan Fox setzten den Schwerpunkt auf das israelische Alltagsleben jenseits des Nahostkonflikts. Im Zentrum ihrer Geschichten steht das Gefühlsleben ihrer Figuren und das Recht auf Selbstbehauptung gegen Fremdbestimmung und religiöse Bevormundung – ohne dabei apolitisch zu sein. Filme wie »Knafayim Shvurot« (Broken Wings, Israel 2002, R: Nir Bergman), »Medurat Hashevet« (Campfire, Israel 2004, R: Joseph Cedar), »Or« (A Daughter, Israel 2004, R: Keren Yedaya) oder »Avanim« (Stones, Israel 2004, R: Rapha[l Nadjari) führten zu einem Boom des israelischen Films nicht nur im Land selbst, sondern auch zu einem internationalen Preisregen für israelische Filme. Bezeichnenderweise wurden 2007 bis 2009 drei israelische Filme (Beaufort/ Waltz with Bahir/ Ajami) hintereinander für den »Best Foreign Picture Oscar« nominiert – in der gesamten Geschichte des israelischen Kinos sind 10 Filme nominiert worden – wobei »Beaufort« von Joseph Cedar auch gewann. Durch die Verlagerung auf die filmischen Inhalte und auch bedingt durch den filmischen »Ziehvater« vieler Regisseure, dem Fernsehen, verloren einige dieser
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bemerkenswerten Filme den Bezug zum »Kino« selbst und hatten teilweise eine karge Bildsprache mit vielen Nahaufnahmen, die an durchschnittliche TVProduktionen der 80er oder 90er Jahre erinnert. Eine Ausnahme davon ist Avi Nesher, der in dieser »Boom«-Zeit des israelischen Kinos zurückkehrte. Nesher, 1953 in Ramat Gan geboren, war nach ersten Erfolgen in Israel in die USA gezogen, wo er in den 90er Jahren erfolgreiche »low budget« Filme drehte. Zurück in Israel gelang ihm mit »Sof Haolam Smola« (Turn Left at the End of the World, 2004) der größte kommerzielle Erfolg des israelischen Films bis dahin. »Ha Sodot« (The Secrets, 2007), »Pa’am Haiti« (Once I Was, 2010) und »Plaot« (Wonders, 2013) sind faszinierende Filme, die in der Bildsprache eindeutig vom französischen und italienischen Kino und filmischen Bewegungen wie dem poetischen Realismus beeinflußt wurden. In »Pa’am Haiti« werden Dramen der Hafenstadt Haifa, Liebesgeschichten und Erinnerungen aus dem Blickwinkel eines Jugendlichen zu einem unverfälschten und poetisch-realistischen Bild der israelischen Gesellschaft in den späten 60er Jahren und zugleich zu einem der beeindruckendsten Filme über die psychischen Folgen der Shoah. »Putting the film in the context of his earlier work, Nesher says that some have suggested that Turn Left, The Secrets and Once I Was are a kind of trilogy. ›People have said you should call it ›The Others Trilogy.‹ One film is about immigrants from India and Morocco in the Negev, the other is about ultra-Orthodox girls and a Frenchwoman hiding from her past and this one is about the Holocaust survivors and all the others who don’t fit in down there by the port. All of these are people who were somehow not part of mainstream Israeli society.‹«146
Nesher erzählt in »Ha Sodot« den erzählerischen Kern von Barbra Streisands »Yentl« (USA 1983) einmal anders – nämlich mit einer stärkeren Prise Authentizität. Naomi (Ania Bukstein) ist eine junge orthodoxe Jüdin, die lernen will. Man erlebt hier die Welt der orthodoxen Frauen, die ihr Recht auf Bildung durchsetzen wollen, ohne ihre religiöse Identität aufgeben zu müssen. Avi Nesher, selbst kein ultra-orthodoxer Jude, dreht einen Film über die Orthodoxie für ein Publikum, welches selbst nicht orthodox ist. Eine spannende Gradwanderung, die erst seit den späten 90er Jahren im israelischen Kino mit Amos Gitais »Kadosh« (Israel 1999) und dem bereits oben erwähnten »Dybbuk«-Film von Yossi Somer erstmals versucht wurde. Es verwundert daher nicht, dass die typischen Reibungspunkte zwischen der säkularen und der orthodoxen Welt Israels – die Stellung der Frau und die Sexualität- in all diesen Filmen eine zentrale Rolle spielt. Um die streng religiöse Welt möglichst authentisch zu zeigen, wurde nicht nur in Safed gedreht, sondern auch die Schauspieler mit Hilfe orthodoxer Berater für ihre Rollen vorbereitet. So führte Menachem Shabtai sie und Avi 146 Hannah Brown, Once I was Avi Nesher, Jerusalem Post, 25. 6. 2010.
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Nesher in die religiöse Sicht der Kabbala ein. Der Kern des Films bildet die Unterdrückung von Frauen in ultra-orthodoxen Kreisen. Naomi (Ania Bukstein) wurde von ihrem verwitweten Vater, dem Leiter einer Jerusalemer Talmudhochschule, ins rabbinische Denken eingeführt. Naomi ist gelehrter als Michael (Guri Alfi), mit dem sie verheiratet wird und der später die Leitung der Jeschiwa übernehmen soll. Sie hat keinerlei Interesse an dieser Heirat und würde viel lieber selbst Rabbinerin werden, was in der Orthodoxie jedoch immer noch nicht gestattet ist. Sie bekommt jedoch die Erlaubnis, an einem religiösen Seminar für Frauen in Safed zu studieren. Der Unterricht wird zwar von einer »Rabbanit« (Tikva Dayan) geleitet, die tatsächliche Oberaufsicht haben jedoch Rabbiner. Die Leiterin ist auch ständig darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit zu erregen, damit ihre Schule nicht geschlossen wird. Naomi verliebt sich in ihre Zimmergenossin Michelle (Michal Shtamler) und sie kommen sich körperlich näher. Michelle ist dadurch sehr verwirrt und kann sich nicht zwischen der Liebe zu Naomi und dem Apotheker Yanki (Adir Miller) entscheiden. Naomi fühlt sich dagegen bestärkt und weigert sich erfolgreich, Michael zu heiraten. Sie löst die Verlobung, zieht allein in eine Wohnung und plant, mit Michelle zusammenzuziehen. Diese entschließt sich jedoch, ihre Liebe zu Naomi zu verdrängen und entscheidet sich für den traditionellen Weg, indem sie Yanki heiratet. Allein die Haupthandlung des Films zeigt nicht nur das Verständnis Avi Neshers für die jüdische Tradition, sondern auch für den Kampf orthodoxer Frauen gegen ein fremdbestimmtes Dasein, festgehalten in warmen und einfühlsamen Bildern vom französischen Kameramann Michel Abramowicz. Besonders das eigens für den Film gebaute Set der Frauen-Jeschiwa wurde so plastisch eingefangen, dass man keinen Unterschied zum pittoresken Safed mit all seinen verwinkelten Gassen erkennen kann. Durch die Französin Anouk (Fanny Ardant), die todkrank nach Safed gezogen ist, kommt die Kabbala ins Spiel. Anouk, die eigentlich Christin ist, hatte ihre Familie verlassen, um mit einem jüdischen Künstler in Safed zu wohnen. Als er sie jedoch verläßt, ermordet sie ihn, worauf sie eine lange Haftstrafe antritt. Nachdem sie von ihrer tödlichen Krankheit erfährt, möchte sie – obwohl sie Nichtjüdin ist – einen persönlichen Tikkun in Safed. Naomi und Michelle wollen ihr dabei helfen »Michelle: We can help her cleanse herself through tikkun. Naomi: Are you crazy? tikkun? What are you talking about? Do you think I’m Holy Saint Naomi? Michelle: But everyone knows you’re brilliant. It won’t be hard for you searching the books of Kabbalah for ways to help her. Naomi: What? Are you crazy? Nowadays, every other person seems to think they are experts in Kabbalah. To do this, we need years of studying. We need comprehensive knowledge of the Mishna and the Gemara.
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Michelle: To me it seems you know a bit about it. Naomi: And even then it can be dangerous. Michelle: I’m not asking you to create a golem.«147
Michelle und Naomi vertiefen sich in die Schriften Maimonides und Isaak Lurias. Da es für diesen speziellen Fall der Mörderin keinen direkten Tikkun in den Texten gibt, kombinieren sie verschiedene Tikkunim. Sie umgehen geschickt das Verbot, dass die Mikweh von Isaak Luria eigentlich nur für Männer bestimmt ist und beginnen mit Anouk dort ihre spirituelle Reinigung, da die Mikweh auch für einen geistigen Neubeginn steht. Später gehen sie mit der körperlichen Askese noch weiter und Naomi quält sich blutig mit einem »Büßerhemd«: »Naomi: To remove sickness of the soul, the Ari says the medicine is: ›fasts, sackcloth, ashes and stripes, ritual immersions and purifications‹.«148
Diese asketische Haltung, die an dunkle Mönchszellen erinnert, ist typisch für die extreme Haltung der lurianischen Kabbala und ihre Buß-Rituale: »Und wohl dem, der sich in Sack und Asche hüllt, seine Sünden beweint und beklagt und sie weinend und gesenkten Hauptes bekennt, und sich niederbeugt, bis die Wirbel knacken, und damit erfüllt er das Wesen der Buße, das in den Anfangsbuchstaben der Worte liegt: Fasten, Sack und Asche, Weinen, Trauerrede (Anm.: die Anfangsbuchstaben der hebräischen Worte Taanit, Sak wa-Efer, Bechia, Hesped ergeben Tschuwa, Umkehr.)«149
Am Ende stirbt Anouk nach Vollendung ihres Tikkuns. Naomi tanzt zwar auf Michelles Hochzeit, hat sich aber in eine einsame Lage gebracht. Die Familie hat sie fallen gelassen und es bleibt offen, wie ihr weiterer Weg aussehen wird. Doch den Tikkun im Sinne einer Neuausrichtung ihres Lebens hat auch sie geschafft. So zeigt Nesher das kabbalistische Element des Tikkun als Idee einer spirituellen Umkehr, die jedem offensteht, gleich ob man Christin ist wie Anouk, oder Naomi, die weibliche Rabbinerin ohne Ordination aufgrund einer bigotten Männergesellschaft. Der einzige Wermutstropfen in dieser auch schauspielerisch großartigen Fabel aus Safed ist die aufgesetzte Liebesnacht zwischen Naomi und Michelle. Dadurch dass Naomi- für die Handlung im Grunde irrelevant-lesbisch ist, unterstützt Nesher die kabbalistische Theorie, dass eigentlich eine männliche Seele in ihr sei, wodurch dann auch ihre außerordentliche Gelehrsamkeit chauvinistisch erklärbar ist. Diese Liebesbeziehung zwischen Naomi und Michelle ist schlichtweg unnötig und nimmt dem Film viel von seiner Überzeugungskraft. 147 Ha-Sodot 00:32:17–00:33:01. 148 Ha-Sodot 00:46:13–00:46:20. 149 Y. Horovitz, Schnei Luchot Habrit, Amsterdam 1698, Kap.421, S. 1.
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»Unterwegs sprach Rabbi Löw zum Golem also: ›Wisse, dass wir dich aus einem Erdkloß geformt haben. Deine Aufgabe wird es sein, die Juden vor Verfolgungen zu schützen, du wirst Josef genannt werden und wirst in der Rabbinatsstube nachten. Du Josef sollst meine Befehle befolgen, wann und wohin ich dich schicken werde: in Feuer und Wasser, und wenn ich dir befehle, vom Dache zu springen, und wenn ich dich auf den Meeresgrund schicke.«150
Der »Golem« ist das wohl populärste kabbalistische Element, das filmisch verewigt wurde und zudem in fast allen Verfilmungen mit Prag assoziiert. Daher möchte ich kurz auf die Hintergründe des »Golem« eingehen.
5.1. Golem und Adam Der Golem ist die jüdische Variante der vor allem männlich besetzten uralten Suche der Menschen, den Göttern gleich Leben zu erschaffen. Erst Cynthia Ozick (geb. 1928) macht in ihrem Roman »The Puttermesser Papers« (1996) eine Frau zur Erschafferin eines weiblichen Golems namens Xanthippe. Das in der Psychologie erforschte Phänomen des männlichen Gebärneides und vor allem seiner Verdrängung ist der Hintergrund für Mythen und Legenden, in denen Männer oder Götter durch Worte, handwerkliche Fähigkeiten und andere Geschicklichkeiten mehr oder weniger erfolgreich die Schöpfung imitieren. Die Gegenwart und wahrscheinlich gerade die Zukunft werden wohl zunehmend von künstlichen männlichen Schöpfungen aus den Abteilungen der Roboterund Gentechnologie geprägt sein. »Dieses Bedürfnis nach Transzendenz ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen, das seine Wurzel in der Tatsache hat, daß er sich seiner selbst bewußt ist, daß er sich mit 150 Chajim Bloch, Der Prager Golem, von seiner »Geburt« bis zu seinem »Tod«, Berlin: Verlag Benjamin Harz 1920, S. 51.
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seiner Rolle als Kreatur nicht begnügt, daß er es nicht hinnehmen kann, wie ein Würfel aus dem Becher geworfen zu sein. Er muß sich als Schöpfer fühlen, der die passive Rolle eines bloßen Geschöpfs transzendiert. Es gibt viele Möglichkeiten, diese Befriedigung des Schöpferischen zu erreichen; der natürlichste und einfachste Weg ist die Liebe und Fürsorge der Mutter zu dem, was sie als Mutter hervorgebracht hat. Sie transzendiert sich selbst in ihrem Kind; ihre Liebe zu ihm verleiht ihrem Leben Bedeutung. In der Unfähigkeit des Mannes, sein Bedürfnis nach Transzendenz durch das Gebären eines Kindes zu befriedigen, ist sein Drang begründet, sich selbst dadurch zu transzendieren, daß er selbstgeschaffene Dinge und Ideen hervorbringt.«151
Bereits im antiken Griechenland glaubten die Menschen an die künstliche Herstellung automatisierter Wesen, die den Erschaffern in vielerlei Weise dienstbar sein könnten. So verwundert es nicht, dass in der klassischen griechischen Literatur sprechende Statuen, Köpfe und andere Automaten keine Seltenheit sind. Bereits Homer (ca. 8. Jahrhundert v. d. Z.) erzählt davon, wie Hephaistos, der Gott des Feuers und der Schmiede, goldene Dienerinnen erschuf. »Hüllte den Leibrock um, und nahm den stemmigen Scepter, Hinkte sodann aus der Tür’; und Jungfraun stützten den Herrscher, Goldene, Lebenden gleich, mit jugendlich reizender Bildung: Diese haben Verstand in der Brust, und redende Stimme, Haben Kraft, und lernten auch Kunstarbeit von den Göttern.«152
Hephaistos schuf aber nicht nur diese »selbst-bewegenden« Dienerinnen, sondern auch den mächtigen eisernen Talos, einen gigantischen antiken Automaten, der die Insel Kreta bewachte. Seine Taten erinnern an die modernen Golemlegenden aus Prag. Dreimal täglich umrundete er Kreta und bewarf herannahende Feinde mit Steinen oder verbrannte sie. Am Leben gehalten wurde er durch eine Blutader, die seinen ganzen Körper bedeckte. Deren Ende war mit einem Nagel verschlossen. Schließlich wurde er durch das Entfernen des Nagels besiegt, indem er ausblutete. In dem vierbändigen Argonautenepos des Apollonios von Rhodos (295 v. d. Z.–215 v. d. Z.) ist es Medeia, die den Nagel durch eine Beschwörung herausspringen lässt.153 Platon (427 v. d. Z.–347 v. d. Z.) berichtet, dass Daidalos, der bekannt für seine Heraklesbildnisse war, lebendige Statuen schuf, die er fesseln musste, damit sie nicht davonliefen. 151 Erich Fromm, Die Kunst des Liebens, in: Gesamtausgabe Band 9, München: dtv 1999, S. 470. 152 Homer, Illias, übersetzt von Johann Heinrich Voß, Frankfurt a. M.: Insel Verlag 1990, XVIII. Gesang, 416–420. 153 Apollonius Rhodius, Argonautica, translated by R. C. Seaton, London / Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1912, Book IV, 1638–1673.
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»Von seinen Werken eines zu besitzen, das losgebunden ist, hat keinen besonderen Wert. Es steht damit wie mit einem Durchgänger : er verharrt nicht an seiner Stelle. Befestigt aber ist es von großem Wert; denn es sind sehr schöne Werke.«154
Im kultischen Bereich wurden »lebendige und sprechende Statuen« eingesetzt, in denen Götter vermutet wurden. Der spätantike Dichter Lukianos von Samosata (120–180) in Syrien erinnert daran in seinen »Lügengeschichten«. So berichtet er im »Lügenfreund« darüber, wie er ein Orakel aus der Statue des Memnon hörte. Natürlich darf man nicht vergessen, dass Lukian mit Absicht »Lügenmärchen« wie die Reise zum Mond, der aus Käse bestünde, erzählt: »denn ich sage doch wenigstens EINE Wahrheit, indem ich sage, dass ich lüge.«155 Der Historiograph Polybios (200 v. d. Z.–120 v. d. Z.) erwähnt in seinem 40 bändigen Geschichtswerk Apega, die erste »eiserne Jungfrau«, die der spartanische König Nabis (207 v. d. Z.–192 v. d. Z.) für säumige Tributzahler hatte bauen lassen. Konnte Nabis seine Forderungen nicht durchsetzen, setzte er die »Überredungskünste« Apegas ein. Die mit Nägeln gespickte Statue drückte das wehrlose Opfer an sich und spießte es langsam auf.156 Diese griechischen Automaten sind, anders als der jüdische Lehm-Golem, mechanische Wunderwerke. Doch auch das weit verbreitete, eher töpferische Moment finden wir in antiken Mythologien – dass der Mensch aus Erde, Staub oder Lehm erschaffen wurde. So erzählt der römische Dichter Ovidius (43 v. d. Z.–17 n. d. Z.) in seinen »Metamorphosen«, wie Prometheus Menschen aus Lehm und Wasser formt (im Kapitel »Die Schöpfung«, 82–88) und wie Pygmalion (im Kapitel »Pygmalion«, 243–297) eine Frauenstatue aus Elfenbein erschafft und sich in sie verliebt. Dank Venus wird sie schließlich zum Leben erweckt. Der römische Fabeldichter Phaedrus (15 v. d. Z.–50 n. d. Z.) erzählt in »De Veritate et Mendacio« von Prometheus und Dolus, die wie eine antike Variante des Zauberlehrlings Goethes erscheint. Prometheus erschafft die Statue der Wahrheit. Da er aber zu Zeus berufen wird, bleibt sein Lehrling Dolus (lat. Betrug, List) mit der Statue allein und kreiert eine zweite, idente. Allerdings ging ihm der Lehm aus und er kann ihre Füße nicht mehr modellieren. Prometheus brennt beide Statuen und schenkt ihnen das Leben. Aber der »Lüge« fehlen im Gegensatz zur »Wahrheit« ja die Füße, was Phaedrus zur Ansicht bringt, dass 154 Platon, Menon oder über die Tugend, übersetzt und erläutert von Otto Apelt, Hamburg: Felix Meiner 1993, S. 68. 155 Lukian, Lügengeschichten und Dialoge, übersetzt und mit Anmerkungen und Erläutrungen versehen von Christoph Martin Wieland, Nördlingen: Greno 1985, S. 284. 156 Polybios, Geschichte, übersetzt und eingeleitet von Hans Drexler, Band 2, Zürich: Artemis 1963.
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sich am Ende stets die Wahrheit durchsetzen wird.157 Ein künstliches Wesen, das in Verbindung mit der Wahrheit steht, erinnert natürlich an das spätere emet (hebr. Wahrheit) – Motiv der Golemlegenden. Der jüdische Golem-Mythos taucht erst im Mittelalter auf. Jedoch baut er auf Motiven und Elementen jüdischer und nicht-jüdischer Schriften der Antike auf. Hier ist es zunächst vor allem die Figur des Adam, die besonders zu berücksichtigen ist. »Das Buch Genesis, das viel engere Verbindungen mit griechischen, phönizischen, hethitischen, ugaritischen, sumerischen und anderen Mythensammlungen aufweist, als fromme Juden und Christen zugeben möchten, wurde…vielleicht vom sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in moralistischer Absicht neu herausgegeben… Viele Jahrhunderte lang waren sich jüdische und christliche Theologen darüber einig, dass die in der Genesis enthaltenden Erzählungen über den Ursprung der Welt nicht nur von Gott inspiriert waren, sondern nichts von irgendwelchen anderen Schriften entlehnt hatten. Bis auf die Fundamentalisten sind mittlerweile alle von dieser extremen Meinung abgerückt.«158
Das Buch Genesis beinhaltet zwei unterschiedliche Schöpfungsberichte – Genesis Kapitel 1, Vers 1 – Kapitel 2, Vers 3 und Genesis, Kapitel 2, Vers 4 – Vers 23. Im ersten Bericht heißt es nur, dass Gott den Menschen – männlich und weiblich – »in seinem Bilde« (Gen 1, Vers 27) geschaffen (hebr. bara) hätte. Im zweiten Bericht dagegen wird, ähnlich den ägyptischen Mythen, der Mensch aus Erde gebildet. So wie der Gott Chnum Menschen, Tiere oder Pflanzen auf einer Töpferscheibe schuf, formte (hebr. jotser) Gott Adam aus Erde und hauchte ihm den »Hauch des Lebens« ein. An diese Schöpfung erinnert auch das Buch Hiob: »Der Geist Gottes, der mich schuf…aus Lehm geformt bin ich auch.« (Hiob 33, 4–6)
Die Frau allerdings wird im zweiten Schöpfungsbericht nicht gleichzeitig wie der Mann erschaffen, sondern aus der Rippe gebaut. (Genesis 2, 21–23) »Beim zweiten Bericht über die Schöpfung der Frau ist das Paradoxon des männlichen Gebärens noch viel eindeutiger und unverhüllter dargestellt als im vorangegangenen Teil des Mythos. Die Natur ist auf den Kopf gestellt. Nicht die Frau gebiert, nicht sie trägt
157 Vgl. Moshe Idel, Der Golem, jüdische magische und mystische Traditionen des künstlichen Anthropoiden, Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2007, S. 42–43. Der lateinische Text und eine englische Übersetzung bei: Barbrius and Phoedrus: Fables, translated by Brian Edwin Perry, London / Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1965. 158 Robert von Ranke-Graves, Raphael Patai, Hebräische Mythologie, über die Schöpfungsgeschichte und andere Mythen aus dem Alten Testament, Hamburg: Rowohlt 1986, S. 14;24.
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das Kind in ihrem Schoß, der Mann bringt die Frau zur Welt, er ist der Gebärer, seine Rippe die Gebärmutter.«159
Die Schöpfung aus dem Wort, die Erich Fromm die »Zauberformel« des männlichen Schöpfungsmythos nennt160, ist auch der Schlüssel für den mittelalterlichen jüdischen Golemmythos, in der der Mensch die Adamsschöpfung nachahmt. »Hier haben wir in aller Deutlichkeit das Extrem der rein männlichen Schöpfung, der Schöpfung rein durch das Wort, der Schöpfung durch den Gedanken, der Schöpfung durch den Geist… Der Gedanke, dass der Mann allein, mit seinem Munde, durch sein Wort, aus seinem Geist, lebendige Wesen schaffen kann, ist die widernatürlichste Phantasie, die nur denkbar ist… Sie setzt sich über alle Schranken der Natur hinweg, um das eine Ziel zu erreichen: den Mann darzustellen als den schlechthin vollkommenen, als den, der auch die Fähigkeit besitzt, die ihm das Leben versagt zu haben scheint, die Fähigkeit zu gebären.«161
Mit dem Wort zu erschaffen als »imitatio dei« wird erst bei den mittelalterlichen jüdischen Mystikern wirklich zum Thema. Verfolgen wir weiter den Weg dorthin: Die Erderschaffung des Adam wird auch im Psalm 139 thematisiert – auch wenn Adam selbst nicht erwähnt wird. In diesem Psalm kommt auch das Wort »Golem« zum einzigen Male in der Bibel vor: »Nicht verhohlen war mein Wesen vor dir, da ich entstand im Verborgenen, gewirkt ward in den Tiefen der Erde. Meine Masse [hebr. galmi] sahen deine Augen … Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne meine Gedanken.« (Psalm 139, Vers 15–16; 23)
Das Wort »golmi« (mein Golem) wird von Leopold Zunz mit »Masse«, von Luther mit »unbereitet«, von Franz Eugen Schlachter mit »unentwickelt« und Martin Buber und Franz Rosenzweig mit »Knäuel« und von der Elberfelder Übersetzung mit »Urform« übersetzt. Die rabbinische Tradition hatte diesen Psalm stets mit Adam in Verbindung gebracht: »Rabbi Tanchuma sagte im Namen des R. Elasar: In der Stunde, da Gott den ersten Adam schuf, schuf er ihn als Golem, und er war von einem Ende der Welt bis zum anderen ausgestreckt, wie es im Psalm 139 heißt: ›Meinen Golem sahen deine Augen.‹ Rabbi Juda Ben Simon sagte: Während Adam noch als Golem vor dem, der da sprach und die Welt war, lag, da zeigte er ihm alle Geschlechter und ihre Führer.«162 159 Erich Fromm, Die männliche Schöpfung, in: Gesamtausgabe Band 9, München: dtv 1999, S. 194. 160 Fromm, Schöpfung, S. 192–193. 161 Fromm, Schöpfung, S. 206–207. 162 Genesis Rabba 24,2.
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Hier muss man noch ergänzen, dass das Wort Golem in Talmud und Midrasch nicht nur auf Adam beschränkt blieb. So wird zum Beispiel eine Frau, die noch nicht empfangen hat, ebenfalls als »Golem« bezeichnet. Auch hier ist das Verständnis des Golems als ein bestimmtes Stadium eines Prozesses. Erst mit der Mutterschaft erreicht die Frau für die Rabbinen eine höhere Stufe des MenschSeins. »Der Mensch ist sich selbst als Materie von Anfang an ein Rätsel, und die Idee eines Golem füllt die Lücke in der menschlichen Erkenntnis. Daraus ergibt sich die Verbindung zu Adams Schöpfung. Einerseits ist der Mensch nach einem Ebenbild geschaffen, Gottes Ebenbild (Gen. 1), andererseits ist er aus Staub der Erde gemacht und bekommt durch den Anhauch Gottes Sprache und Leben (Gen.2). Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis fallen hier zusammen, und das Thema der Paradiesgeschichte ›Sein wie Gott‹ – nicht im äußerlichen Sinn, sondern in der ›Erkenntnis von Gut und Böse‹ – ist die Fortsetzung dieser Gedanken.«163
An der Adamsschöpfung können wir aber auch bereits erkennen, dass die Bezeichnung »Golem« nicht das Endprodukt, sondern ein bestimmtes Stadium in der Erschaffung eines Menschen darstellt. Adam ist im Psalm zu einer bestimmten Zeit noch »unfertig«, eine unbelebte Masse. »Ach bar Chanina hat gesagt: Zwölf Stunden hatte der Tag. In der ersten Stunde wurde die Erde zusammengehäuft; in der zweiten wurde er ein Golem (eine noch ungeformte Masse); in der dritten wurden seine Glieder ausgestreckt; in der vierten wurde die Seele in ihn geworfen; in der fünften stand er auf seinen Füßen; in der sechsten gab er den Tieren ihre Namen; in der siebten wurde ihm Eva gegeben; in der achten legten sie sich ins Bett zu zweit und verließen es zu vieren; in der neunten bekam er das Verbot, nicht vom Baum zu essen; in der zehnten sündigte er; in der elften wurde er gerichtet; in der zwölften wurde er ausgetrieben vom Paradies und ging, wie es im Psalm 49:13 heißt: ›Und Adam, in seiner Herrlichkeit, bleibt nicht übernachten.‹«164
Erst der Anhauch Gottes macht aus dem Golem Adam den ersten Menschen. Auch die späteren menschlichen Nachahmungen in den jüdischen Legenden sind mangelhaft. Meist sind sie sprachlos, bzw. entsprechen eher menschlichen Automaten ohne jede Reflektion ihrer Taten. So ist die höchste Gott-Ähnlichkeit, die der männliche Mensch erreichen kann, auf künstliche Weise einen Golem zu erschaffen, währenddessen die Frau in der Lage ist, auf natürliche Weise Leben zu schenken. Nach der Vertreibung aus dem Paradies sollte Adam in den biblischen Schriften keine Rolle mehr spielen. Dennoch wird seine Gestalt in zahlreichen apokryphen Texten behandelt. 163 Eveline Goodman-Thau, Golem, Adam oder Antichrist – Kabbalistische Hintergründe der Golemlegende in der jüdischen und deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, in: Eveline Goodman-Thau, Gert Mattenklott, Christoph Schulte (hg.), Kabbala und die Literatur der Romantik zwischen Magie und Trope, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1999, S. 89–90. 164 Baylonischer Talmud, Traktat Sanhedrin fol. 38b.
Golem und Adam
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In dem christlichen gnostischen Text »Die Apokalypse des Adam« (Mitte 4. Jahrhundert), der zu den zahlreichen Schriften gehört, die 1945 im oberägyptischen Nag Hammadi gefunden wurden, finden wir ein Motiv, das im Golemmythos sehr wichtig wurde – die Angst vor der übermenschlichen Stärke des geschaffenen Wesens. Meist kann der entfesselte Golem erst durch List besiegt werden. In der Apokalypse sind Adam und Eva ein vereintes engelhaftes Wesen, das mächtiger als der Schöpfergott gewesen ist. Adam erzählt darüber seinem Sohn Seth: »Und wir glichen den großen ewigen Engeln, denn wir waren über den Gott erhaben, der uns erschaffen hatte… Da trennte uns Gott… im Zorne. Da wurden wir zu zwei Äonen. Und es verließ uns jene Herrlichkeit, die in unserem Herzen war, mich und deine Mutter Eva.«165
Die rabbinische Literatur erweiterte das Spektrum des ersten Golem Adam. »Rabbi Berachia sagte: Als Gott die Welt schaffen wollte, da begann er seine Schöpfung nur mit dem Menschen, und machte ihn zu einem Golem. Als er sich daran machte, eine Seele in ihn zu werfen, sagte er: Wenn ich ihn jetzt hinstelle, wird man sagen, dass er mein Partner beim Schöpfungswerk war, ich will ihn daher als Golem (ungeformt) lassen, bis ich alles geschaffen habe. Als er nun alles geschaffen hatte, sagten die Engel zu ihm: Machst du denn den Menschen, von dem du gesprochen hast, nicht? Er antwortete: Ich habe ihn schon gemacht, nur das Einwerfen der Seele fehlt. Da warf er die Seele in ihn und fasste die ganze Welt in ihn zusammen. Mit ihm begann er, und mit ihm endete er, wie es heißt ›vorn und hinten hast du mich gebildet‹ (Psalm 139,5).«166
Der Golem ist folglich eine eigenständige jüdische Variante der uralten Menschheitssuche, den Göttern gleich, Leben zu erschaffen. Bereits in den Homilien über Simon Magus finden sich Hinweise auf die Herstellung künstlicher Menschen. Die verschiedenen Beschreibungen, wie z. B. das Rezept des Alchemisten und Arztes Theosphrastus Bombastus von Hoheneim (1493–1541), genannt Paracelsus, unterscheiden sich allerdings deutlich von den Golem-Erschaffungen. Leichenteile und menschliche Körperflüssigkeiten wie Blut und Sperma spielen dabei tragende Rollen. »Wiewohl solches bisher in großer Heimlichkeit und gar verborgen gehalten geworden, und nit ein kleiner Zweifel und Frag unter etlichen der alten philosophis gewesen, ob auch der Natur und Kunst möglich sei, dass ein Mensch außerthalben weiblichen Leibs und einer natürlichen Mutter möge geboren werden? Darauf gib ich die Antwort, daß es der Kunst Spagyrica und der Natur in keinem Weg zuwider, sondern gar wohl möglich sei: Wie aber solches zu ganz und geschehen möge, ist nun sein Prozess also: Nämlich 165 Die Apokalypse des Adam (NHC V,5), in: Nag Hammadi Deutsch Studienausgabe, hg. von Hans-Martin Schenke, Hans-Gebhard Bethge, Ursula Ulrike Kaiser, Katharina Schwarz, Berlin: Walter de Gruyter 2007, S. 319. 166 Jalkut Schimoni zu Genesis 34, Midrasch Abkir.
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Der Golem geht um
dass der Sperma eines Mannes, in verschlossenen Cucurbiten per se mit der höchsten Putrefaction, ventre equino (Anm.: Pferdemist), petreficiert werden auf vierzig Tag, oder so lang bis er lebendig werde, und sich beweg und rege, welchs leichtlich zu bemerken ist.«167
Die seltsamen Versuche der Renaissance-Alchemisten wie Paracelsus oder Agrippa von Nettesheim finden ihren späten literarischen Niederschlag in Romanen, wie Mary Wollstonecraft Shelleys (1797–1851) »Frankenstein oder der moderne Promotheus« (1818). In den Quellenstudien zu Shelley findet sich übrigens kein einziger Hinweis auf die Golemsage. Mary Shelley verbrachte zusammen mit Percy Bysshe Shelley und Claire Clairmont Mai und Juni des Jahres 1816 am Genfer See. Dort wohnten sie im Hause Lord Byrons. Gemeinsam mit dessen Hausarzt, John William Polidori (1795–1821), vertrieben sie sich die verregneten Tage mit Schauerromanen, wobei jeder in einer Art Dichterwettstreit auch eine eigene Geschichte erzählen sollte. In einer seltsam-fantastischen Nacht voller Albträume soll Mary Shelley ihre Inspiration für den FrankensteinRoman gefunden haben. Eine andere Frucht dieses »schwarzen Sommers« war die erste moderne Vampirgeschichte, Polidoris »Der Vampyr« (1819). Shelleys »Frankenstein« ist eine der deutschen Schauerromantik nachempfundene Geschichte. Hierin erweckt der Genfer Dr. Victor Frankenstein im deutschen Ingolstadt mit Hilfe elektrischer Experimente eine aus Leichenteilen zusammengenähte Kreatur zum Leben. Shelley warnt mit ihrem »Frankenstein or the modern Prometheus« (1818) vor den Umtrieben des männlichen Schöpfungswahnes sehr eindringlich.
5.2. Die Golem-Legenden Gershom Scholem und Moshe Idel gelang es bereits erfolgreich, die Entwicklung der jüdischen Golem-Idee von der rabbinischen bis zur kabbalistischen Literatur nachzuerzählen. Gershom Scholem hatte einen ersten Überblick zur Entwicklungsgeschichte des Golems vorgelegt – von der Bibel bis ins 20. Jahrhundert.168 Moshe Idel erweiterte den Blickwinkel, indem er zahlreiche zusätzliche Quellen zusammenstellte.169 Beate Rosenfeld170, Sigrid Mayer171und Eliza167 Klaus Völker (hg.), Künstliche Menschen, Dichtung & Dokumente über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, München: dtv 1976, S. 48. 168 Gershom Scholem,,Der Golem von Prag und der Golem von Rehevot, in: Gershom Scholem, Judaica 2, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1970, S. 77–86; Gershom Scholem, Die Vorstellung vom Golem in ihren tellurischen und magischen Beziehungen, in: Gershom Scholem, Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1973, S. 209–261. 169 Moshe Idel, Der Golem, jüdische magische und mystische Traditionen des künstlichen Anthropoiden, Frankfurt a. M.: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2007.
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beth Baer172 haben in ihren Forschungen die literarische Wirkungsgeschichte des Golems ausführlich untersucht. Erst in mittelalterlichen Kommentaren – nicht im Talmud oder im »Sefer Jezira« – finden wir diese Vorstellung, mit Hilfe von Buchstabenkombinationen ein künstliches Wesen zu erschaffen, wie im Kommentar R. Salomo ben Isaaks (genannt Raschi, 1040–1105) zu Sanhedrin 65b. Raba erschuf den Menschen »durch das Buch der Schöpfung, da sie die Kombination des Gottesnamens lernten.« Die Idee aber, dass alle Teile der Schöpfung ein inneres Wesen haben, das aus beliebigen Buchstabenkombinationen besteht, führte vor allen bei den mittelalterlichen deutschen Chassidim dazu, sich tiefer mit der Erschaffung künstlicher Wesen zu befassen. In mehreren mystischen Texten aus dem Kreis der »Chasside Aschkenas« finden sich daher die ersten wirklichen Berichte über Golemerschaffungen, wie in Eleasar von Worms (ca. 1165–1230) Kommentar zum »Sefer Jezira« oder in Geschichten über R. Schmuel. »Wer immer das Buch Jezira studiert, muß sich zunächst reinigen (und) weiße Kleider anziehen…Es obliegt ihm, jungfräuliche Erde von einem Platz in den Bergen zu nehmen, wo noch niemand gepflügt hat. Und er soll den Staub mit lebendigem Wasser kneten, einen Körper (Golem) bilden und dann beginnen die Alphabete der 221 Pforten zu permutieren, Glied für Glied, jedes Glied mit dem entsprechenden Buchstaben, wie er im Sefer Jezira genannt wird.«173
In einem weiteren Text aus den mittelalterlichen Rheingemeinden, dem »Sefer ha-Gematriot« (Buch der Buchstabenkombinationen, 13. Jahrhundert) finden wir folgende Begebenheit geschildert: »Ben Sira wollte das Buch Jezira studieren. Da erging eine himmlische Stimme: Du kannst ihn nicht allein machen. Er ging zu seinem Vater Jeremia… Sie befassten sich damit, und nach drei Jahren wurde ihnen ein Mensch erschaffen, auf dessen Stirn ›emet‹ stand, wie auf der Stirn Adams. Da sagte der Mensch, den sie erschaffen hatten zu ihnen; Gott allein hat Adam erschaffen, und als er den Adam sterben lassen wollte, löschte er einen Buchstaben (das Aleph) von emet weg, und er blieb met, tot. So sollt ihr auch an mir tun und nicht nochmals einen Menschen schaffen… Der erschaffene Mensch sagte zu ihnen: Kehrt die Buchstabenkombinationen um. Und sie tilgten das aleph des Wortes emet von seiner Stirn – und sofort zerfiel er zu Staub.«174 170 Beate Rosenfeld, Die Golemsage und ihre Verwertung in der deutschen Literatur, Breslau: Verlag Dr. Hans Priebatsch 1934. 171 Sigrid Mayer, Golem: Die Literarische Rezeption eines Stoffes, Bern: Peter Lang 1975. 172 Elizabeth R. Baer, The Golem Redux. From Prague to Post-Holocaust Fiction, Detroit: Wayne State University Press 2012. 173 Eleasar von Worms, Perush al Sefer Jezira, hrsg. von Moshe Shapiro, Przemysl 1883, fol. 15d. 174 Sefer ha-Gematriot, in: Abraham Epstein, Beiträge zur jüdischen Alterthumskunde, Wien: Ch. D. Lippe 1887, S. 122–123.
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In einem anonymen Kommentar zum »Sefer Jezira«, dem sogenannten »PseudoSa’adja« (13. Jahrhundert), wird die hier erwähnte Umkehrung der Buchstabenkombination praktiziert. Dies veranschaulicht sehr deutlich die belebende aber auch vernichtende Kraft der Buchstaben: »Ein Mensch schafft sein Geschöpf aus jungfräulicher Erde, knetet es durch und vergräbt es in der Erde, macht Kreis und Sphäre rings um das Geschöpf, spricht bei jeder Umkreisung ein Alphabet und so 442 mal. Geht er vorwärts, steigt das Geschöpf lebend auf durch die Kraft der Rezitation der Buchstaben, die der Heilige, er sei gepriesen, in sie gegeben hat. Will er zerstören, was er geschaffen hat, kehrt er sich rückwärts ringsherum beim Abschreiten von Kreis und Sphäre unter Rezitation der Buchstaben, dann sinkt das Geschöpf von selbst in den Boden ein und stirbt.«175
Beruhen diese Berichte auf konkreten Erfahrungen und haben die mittelalterlichen jüdischen Mystiker tatsächlich versucht, echte künstliche Wesen zu erschaffen? Scholem vertrat die These, dass es sich bei diesen Berichten über eine Golemschöpfung um eine Art Abschlussritual für den Adepten der Mystikerkreise gehandelt hätte. Der Golem wäre nur im Geiste erschaffen und danach wieder zerstört worden. Dies wäre Sinn und Zweck der ganzen ausführlichen Erläuterungen, die alle späteren kabbalistischen Golemtexte stark beeinflussten. Die späteren berühmten Golem-Legenden ranken sich vor allem um zwei Gestalten des 16. Jahrhunderts, Elijahu von Chelm (1514–1583) und »MaHaRaL« (Moreinu ha-Rav Rabbi Liva, unser Lehrer, der Rabbi Löw) Rabbi Jehuda Ben Bezalel Löw (1512/25–1609). Die polnische Golemlegende um den praktischen Kabbalisten Elijahu Ba’al-Schem (Meister des Namens) aus Chelm wurde interessanterweise zuerst durch Christoph Arnold bekannt, der sie 1674 in einem Brief niederschrieb. Dieser Brief wurde der lateinischen Übersetzung des Traktates Sota von Johann Christoph Wagenseil beigefügt. Im Gegensatz zu den hebräischen Varianten stirbt Elijahu bei der Vernichtung des Golems. Eine deutsche Übersetzung erschien dann auch bei Wilhelm Ernst Tentzel (1689) und Jakob Schudt (1714).176 Eine hebräischsprachige Beschreibung des Chelmer Golem aus dem 17. Jahrhundert existiert nur in handschriftlicher Form: »Und ich habe auf bestimmte Weise von mehreren angesehenen Personen ausdrücklich gehört, dass ein Mann, der in zeitlicher Nähe zu uns in der heiligen Gemeinde von Chelm (lebte), namens R. Elijahu, der Meister des Namens, ein Geschöpf aus Materie (Golem) und Form (zura) geschaffen hat; es leistete über einen langen Zeitraum hart Arbeit für ihn, und der Name emet hing um seinen Hals; schließlich entfernte er aus einem be175 Zitiert nach Gerold Necker, Warnung vor der Schöpfermacht: die Reflexion der GolemTradition in der Vorrede des Pseudo-Saadya-Kommentars zum Sefer Yesira, Frankfurter Judaistische Beiträge 21 (1994), S. 44–45. 176 Wilhelm Ernst Tentzel, Monatliche Unterredungen von allerhand Büchern, 1. Jahrgang 1689, S. 145f.; Jakob Schudt, Jüdische Merkwürdigkeiten, Frankfurt 1714, Band II, Buch IV, S. 206–208.
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stimmten Grund den Namen von seinem Hals, so dass es (das Geschöpf) wieder zu Staub wurde.«177
Die Golem-Legende ist in dieser ursprünglichen Form noch sehr undramatisch. In den Schriften der Nachfahren von Elijahu aus Chelm kommen diese Elemente dann erst dazu. Sein Enkel Zwi Hirsch ben Jakob Aschkenasi (1660–1718, genannt Chacham Zwi) erwähnt um 1700 in seinen Responsen178 nur kurz den Golem seines Großvaters. Er stellt sich die Frage, ob ein Golem bei einem Gottesdienst zum erforderlichen Minjan von zehn erwachsenen Männern gezählt werden kann oder nicht. Er verneint dies, da ein Golem kein Mensch sei und seine Vernichtung daher auch nicht einem Mord gleichzusetzen sei. Erst Chacham Zwis Sohn wiederum, Jakob Emden, berichtet in seiner Autobiographie etwas ausführlicher zum Werk seines Urgroßvaters. Aus dem Amulett, das dem Golem um den Hals hing, wird nun ein Pergament und er schildert einen spannenden Kampf zwischen Meister und Geschöpf: »My maternal great-grandfather was (…) Rabbi Elijah Ba‹al Schem (…) of Chelm. (…) He made a Golem: One incident that is related about him is that the creature that he had created was without speech and used to serve him like a slave. When the Rabbi saw that the creation of his hands was growing very strong through the name that was written on paper and stuck to his forehead; so that Rabbi Elijah Ba’al Shem was afraid that he would cause damage and destruction. He quickly overpowered him and tore the parchment from him on which was written the name and removed it from the forehead so he fell to the ground and turned back into clay. But he damaged his master, for he scratched him in the face as he removed the parchment and removed the name from him.«179
Für Emden ist ein Golem wie ein Tier, das man ja auch ungestraft töten darf, wobei er in seinen Responsen sogar erwähnt, dass Elijahu fürchtete, »der Golem könne die ganze Welt zerstören«.180 Während Jakob Emdens Erzählung die jüdische Tradition der Golem-Legende prägen sollte, wurde Arnolds Version mit dem Tod Elijahus von Chelm durch Jakob Grimm weiter tradiert. Er legte dadurch den Grundstein für die umfangreiche Golem-Literatur der deutschen Romantik, darunter Achim von Arnim und E. T. A. Hoffmann. »Die polnischen Juden machen nach gewissen gesprochenen Gebeten und gehaltenen Fasttagen, die Gestalt eines Menschen aus Ton oder Leimen, und wenn sie das wun177 Übersetzung nach Idel, Golem, S. 303–304. 178 Zwi Hirsch Aschkenasi, Sefer Sche’elot u-Teschuvot, Amsterdam 1712, Band 1, Nr. 93, fol. 39b. 179 Jacob Emden, Megilat Sefer, Baltimore: Shaftek 2011, 29–30 (engl. Übersetzung von Jakob Emden, Megilat Sefer, hg. von David Kahana, Warschau 1896, S. 4). 180 Jakob Emden, Sche’elot Javez, Altona 1738–1759, Teil 2, fol. 28a, Nr. 82.
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dertätige Schemhamphoras darüber sprechen, so muss er lebendig werden. Reden kann er zwar nicht, versteht aber ziemlich, was man spricht und befiehlt. Sie heißen ihn Golem und brauchen ihn zu einem Aufwärter, allerlei Hausarbeit zu verrichten. Allein er darf nimmer aus dem Hause gehen. An seiner Stirn steht geschrieben aemaeth (Wahrheit, Gott), er nimmt aber täglich zu und wird leicht größer und stärker als alle Hausgenossen, so klein er anfangs gewesen ist. Daher sie aus Furcht vor ihm den ersten Buchstaben auslöschen, so dass nichts bleibt als maeth (er ist tot), worauf er zusammenfällt und wieder in Thon aufgelöst wird.«181
Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts finden wir schriftliche Zeugnisse einer Prager Golemsage, die alle davon berichten, dass Rabbi Löw einen Golem erschaffen hätte. Diese Legende ist trotz zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen fest verankert. Prag, die »magische Hauptstadt Europas«, wie Andr8 Breton sie einmal genannt hat182, spielt heute kokett mit den Etiketten, mit denen sie im Laufe der Jahrhunderte versehen wurde. Ihre Besucher sammeln Hinweise auf Alchemie und Magie oder jagen in den verwinkelten Gassen der Kleinseite den verwehten Spuren eines Franz Kafka hinter her. Ein seltsames Trio übt jedoch auf die zahlreichen Touristen, die im »goldenen Gässchen« von Phiolen mit blubbernder Flüssigkeit träumen, eine ungebrochene Faszination aus: Rabbi Löw von Prag, sein Golem und der Herrscher, in dessen Regierungszeit die unglaubliche Schöpfung des Kunstwesens passiert sein soll, Rudolf II. (1552– 1612, Kaiser ab 1576). So verwundert es nicht, wenn der tschechische Dichter V&teˇzslav Nezval über die Prager Judenstadt schreibt, dass dies eine Gegend sei, in der der »Schem« des Rabbi Löw »unter die Zunge aller Dinge gelegt sei, sogar unter die Gehsteige gelegt.«183 Dieser Stoff, aus dem offensichtlich Träume sind, wurde in unzähligen Romanen, Stücken, Gedichten, Kinderbüchern und nicht zuletzt wissenschaftlichen Untersuchungen bis in die Gegenwart strapaziert. Dennoch – die zentrale »Prager Frage« ist ungelöst. Warum wurde ausgerechnet Rabbi Löw in der Legende zum Golemschöpfer? Sehr pointiert löst Idel am Ende seiner Studie dieses Problem auf: »In den bisherigen Erörterungen haben wir die Auseinandersetzung mit der am weitesten verbreiteten Überlieferung über die Erschaffung des Golems vermieden, jener nämlich, die dem MaHaRaL – R. Jehuda Löw ben Bezalel aus Prag – zugeschrieben wird…. An dieser Stelle soll nicht weiter darüber spekuliert werden, warum man die 181 Grimm, Jakob, April 1808, Zeitung für Einsiedler (Nr. 7, S.56), Kleinere Schriften, Band IV, Berlin 1869, S. 22. 182 Andr8 Breton, Introduction / l’œuvre de Toyen, in : Andr8 Breton, Jindrˇich Heisler, Benjamin P8ret (hgs.), Toyen, Paris: Editions Sokolov 1953, S. 11. ˇ eskoslovensky´ Sposovatel) 183 V&teˇzslav Nezval, Prazˇsky´ chodec (1938), in: D&lo XXXI, Praha (C 1958, S. 324.
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Erschaffung des Golems gerade dem MaHaRaL und nicht einem seiner Zeitgenossen, etwa R. Isaak Luria, zugeschrieben hat. Ich sehe mich nicht imstande, irgendeine plausible Erklärung zu bieten. Eine Analyse des umfangreichen Schriftums des MaHaRaL ergibt jedoch eindeutig, dass kein triftiger Grund hierfür vorliegt, eine solche Verbindung zwischen ihm und der Legende herzustellen.«184
Es wurde bereits von Rosenfeld und Scholem erschöpfend nachgewiesen, dass es keinerlei Hinweise auf eine Golem-Erschaffung durch Rabbi Löw gibt. In den umfangreichen Schriften Löws finden sich auch keine Elemente der praktischen Kabbala, auch wenn Löw, so Ben Zion Bokser185, den theoretischen Gedankengebäuden der jüdischen Mystik offen zugetan war, was für das 16. Jahrhundert ohnehin nicht ungewöhnlich ist. Die erste Prager Golemsage finden wir bei Berthold Auerbach, der sie in seinem Roman »Spinoza« (1837) nacherzählt: »In meines Vaters Haus ist eine alte Magd, die heißt Chaje, die hat mir einst erklärt, warum man in Prag das Gebet am Freitag, worin Israel eine mystische Ehe mit dem Schabbat schließt, zweimal sagt. Es lebte vor Zeiten daselbst ein großer Kabbalist, der hohe Rabbi Löw genannt, dieser formte sich aus Lehm eine menschliche Gestalt, hinten am kleinen Gehirn ließ er eine Öffnung, in welche er ein Pergament legte, worauf der unaussprechliche Name Gottes geschrieben war. Sogleich erhob sich der Kloß und ward ein Mensch; er verrichtete seinem Schöpfer alle Dienste eines Knechts, er holte Wasser, spaltete Holz etc. man kannte ihn in der ganzen Judengasse unter dem Namen der Golem des hohen Rabbi Löw. Jedes Mal am Freitagabend nahm ihm sein Herr das Pergament aus dem Kopfe, dann war er wieder Lehm bis Sonntagmorgens. Einst hatte der Rabbi diese Vorrichtung vergessen. Alles war in der Synagoge, man hatte soeben das schabbatliche Minnelied begonnen, da stürzten Frauen und Kinder in die Versammlung und schrien: Der Golem, der Golem zerstört alles. Sogleich befahl der Rabbi dem Vorsänger, mit dem Schlusse des Gebetes innezuhalten, jetzt sei noch Rettung möglich, später aber könne er nicht wehren, dass die ganze Welt zerstört würde. Er eilte nach Hause und sah, wie der Golem eben die Pfosten seines Hauses erfasst hatte, um das ganze Gebäude einzureißen; er sprang hinzu, nahm ihm das Pergament und toter Lehm lag wieder vor seinen Füßen. Von dieser Zeit betet man in Prag das schabbatliche Brautlied stets zweimal.«186
Eine der bekanntesten Fassungen aus dem 19. Jahrhundert ist diejenige von Leopold Weisel, die 1846 in den »Sippurim« – Heften des Wolf Pascheles veröffentlicht wurde.187 Allerdings ist der Golem hier nichts weiter als ein stummer Diener des Rabbi Löw. 184 Idel, Golem, S. 361. 185 Ben Zion Bokser, From the World of the Cabbalah, the Philosophy of Rabbi Judah Loew, New York 1954. 186 Berthold Auerbach, Spinoza, Stuttgart 1837, S. 18–20. 187 Sippurim, eine Sammlung jüdischer Volkssagen, Erzählungen, Mythen, Chroniken, Denkwürdigkeiten und Biographien berühmter Juden aller Jahrhunderte, insbesondere des
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»Dieser Rabbi war in allen Künsten und Wissenschaften sehr bewandert, besonders in der Kabbala. Vermittels dieser Kunst konnte er Figuren, von Ton geformt oder von Holz geschnitzt, beleben, dass sie wie wirkliche Menschen alles verrichteten, was ihnen aufgetragen war. Solche selbstgeschaffene Domestiken sind viel wert, sie essen nicht, sie trinken nicht und brauchen kein Gehalt; sie arbeiten unverdrossen, man kann sie ausschelten, und sie geben keine Antwort.«188
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden wohl bereits die ersten Legenden um den Rabbi Löw, die aber von keiner Golemerschaffung erzählen. Der Grund für diese Legenden liegt möglicherweise darin, dass er in der »magischen Periode« des Rudolf II. in Prag lebte und sogar am 16. Februar 1592 eine Audienz beim Kaiser hatte. Diese wird auch von dem Astronomen David Gans (1541–1613) in seiner Chronik bestätigt: »Er (der Kaiser) sprach mit ihm von Angesicht zu Angesicht, wie zu einem Freund. Die Art und Weise ihrer Worte waren geheimnisvoll, verschlossen und verborgen. Dies geschah hier in der heiligen Gemeinde zu Prag, am Sonntag, dem 3. Adar (5)352.«189
Was war der Gegenstand der Audienz? Es ist anzunehmen, dass sie allgemeine Probleme der jüdischen Gemeinde besprachen. Es wäre natürlich auch möglich, dass Rudolf II. von Rabbi Löw kabbalistische Lehren erfahren wollte, wofür es durch Gans einen Hinweis gibt. Er verwendet hier die drei Worte »geheimnisvoll, verschlossen und verborgen« (setumim, hatumim, ve-ne’elmim) die üblicherweise als Andeutungen auf Mystik und Geheimwissenschaften verwendet werden. Dies hat möglicherweise zur Legendenbildung beigetragen. Die Geschichten, wie sie später in den »Sippurim« – Heften des Wolf Pascheles erzählt werden, berichten dann natürlich darüber, wie Rabbi Löw mit einer Art »camera obscura« die Patriarchen vor den staunenden Augen Rudolfs erscheinen lässt. Diese Geschichten machen aus Löw eine Art jüdischen Faust – Faust lässt schließlich auch im Volksbuch von 1587 vor Kaiser Karl V. Alexander den Großen auftauchen. Die zahlreichen deutschsprachigen Golemsagen, wie wir sie bei Auerbach, aber auch Gustav Philippson (Der Golem, 1841) oder Abraham Tendlau (Der Golem des Hoch-Rabbi Löw, 1842) finden, beruhen wahrscheinlich auf älteren mündliche Traditionen, sodass Frederic Thieberger190 die Entstehung der GoMittelalters, erste Sammlung, hg. von Wolf Pascheles, Prag: Verlag Wolf Pascheles 1846– 1848. Diese Sammlung enthält die »Sagen der Prager Juden« (Der Golem / Die goldene Gasse / Meisel / Die Pinchasgasse / Die Belelesgasse) von Leopold Weisel und »Der hohe Rabbi Löw und der Graf« von C. Ludwig Kapper. Zuletzt wurde eine Auswahl der Sippurim unter dem Titel »Geschichten aus dem alten Prag, Sippurim«, von Peter Demetz, Frankfurt a.M.: Insel-Verlag 1994 herausgegeben, Weisels Golemgeschichte findet sich S. 44–47. 188 Demetz, Sippurim, S. 45. 189 David Gans, Zemach David, Prag 1592, Neudruck hg. von M. Breuer, Jerusalem 1983, S. 145. 190 Frederic Thieberger, The Great Rabbi Loew of Prague, London 1955.
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lemsage um Rabbi Löw auf ca. 1730 datiert. Dies wird dadurch unterstützt, dass Moses Meir Perles (1666–1739), ein Verwandter Löws und sein erster Biograph, keine Golemerschaffung erwähnt – nicht einmal in Form einer Legende.191 Nachdem aber im 19. Jahrhundert die Prager Golemsage fest verankert wurde, verwundert es nicht, dass Noah Chayyim Levin, der Herausgeber der späteren kommentierten Version des Textes von Perles, in einer Anmerkung schreibt: »Wir sollten nicht länger über die Geschichte des Golems, den Löw erschaffen hatte, überrascht sein und die allgemein bekannt ist.«192
1724 wurde der Grabstein Rabbi Löws erneuert. Auch darauf gibt es keine schriftlichen Hinweise auf den Golem. Kein hebräisches Werk dieser Zeit erwähnt eine Golemerschaffung durch Rabbi Löw. Selbst Yedidia Tiah Weil (1721– 1805) aus Prag, der eine Liste aller bekannten Golemschöpfungen verfasste, schreibt nichts über Rabbi Löw.193 Die Prager Golemsage ist vermutlich eine Tradition, die auf die Zeit David Oppenheims (1664–1736) als Rabbiner von Prag und Böhmen (ab 1712) zurückgeht, der der Kabbala zugetan war. Ab 1711 wirkte auch der Kabbalist Naphtali Cohen (1649–1718), der Urenkel Löws, in Prag, »It may well be that the rabbinic elites in Prague in the 1720s and 1730 s – in particular the students and faculty of the city’s yeshivot – fostered a magical-kabbalistic reinterpretation of the life of the Maharal. If this was indeed the case, then it is to the traffic between Poland and Prague in students and teachers that one needs to look for the transmission of the early-modern Golem tale to the Bohemian capital. Continued human and intellectual commerce after 1740 might explain the internalization of Maharal traditions within Polish Jewry – especially Hasidism – which one finds by the 19th century. A venue of the 1720s or 1730s would also imply that the elite circles in Prague, in producing a Maharal cult, were actually engaged in a process of historical projection, in which the mystical pursuits and cultural fashions of the present were attributed to an earlier, heroic age and to an older historical figure.«194
Das spätere Verbot des Prager Rabbiners Ezechiel Landau (1713–1793), den Dachboden der Alt-Neu Synagoge nicht zu betreten, unterstützte natürlich bis in die Gegenwart die Legende, dass der zerstörte Golem immer noch in Prag ruht. Sein Nachfolger Salomo Juda Rapoport (1790–1867) distanzierte sich deutlich von den Sagen: 191 Meir Perles, Megillat Juchassin, die Deszendenztafel des hohen Rabbi Löw, (dt. von S. H. Lieben), in: Jahrbuch der jüdisch-literarischen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1929, S. 315– 36. 192 Megillat Juchassin, Warschau 1864, Anmerkung 7. 193 Shnayer Z. Leiman, The adventure of the Maharal of Prague in London, in: Tradition 36, 1, 2002, S. 43. 194 Hillel Joseph Kieval, Pursuing the Golem of Prague: Jewish Culture and the Invention of a Tradition, Modern Judaism 17:1 (1997), S. 9–10.
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»Die Hände des Maharals kreirten keinen Golem. Seine große Weisheit zeigt sich nicht in der Erschaffung eines Golems, sondern dadurch, dass er das Gegenteil machte: d. h. er schuf einen großen Schüler (…), Rabbi Jom Tov Lipmann Heller.«195
Daher verwundert es nicht, dass der wirkliche Durchbruch für die Prager Golemsage im Rahmen des polnischen Chassidismus erfolgen sollte. Jehuda Judel Rosenberg (1859–1935) veröffentlichte 1909 unter dem Titel »Wundertaten des MaHaRaL von Prag«196 ein ganzes Volksbuch über Rabbi Löw und seinem Golem. Rosenberg197 wurde in Skaryszew, Polen, geboren und genoss eine traditionelle, chassidische Erziehung, in der sich aber auch Elemente der jüdischen Aufklärung, der Haskala, finden. So lernte er Russisch – eine Sprache wichtig für sein Werk. Er lebte als Rabbiner in Tarlow, Lublin, Warszawa und Ljdz bevor er 1913 nach Kanada emigrierte. Dort amtierte er weiter als Rabbiner in Toronto und Montreal, wo er 1935 starb. Es finden sich in seinem Werk rabbinische Studien und eine hebräische Sohar-Übersetzung auf der einen und äußerst fragwürdige Sammlungen auf der anderen Seite. So erschien bereits 1905 eine »Hagada schel Pesach« des Rabbi Löw. Sie sei angeblich 1590 von Löws Schwiegersohn Isaak ben Samson Katz (gest. 1624) kopiert worden. Wenn man sich das Werk genauer ansieht, wird man leicht feststellen, dass es eine Anthologie von Löws Schriften darstellt. Rosenbergs fragwürdige Quelle für die »alt-neuen« Schriften Löws ist ein gewisser Chayyim Scharfstein, der ihn mit Manuskripten aus der »Königlichen Bibliothek von Metz« versorgt, die übrigens nie existiert hat. Ob Scharfstein Rosenberg betrogen oder dieser ihn einfach erfunden hat, bleibt ungeklärt. Auffällig ist immerhin, dass im »Briefwechsel« im Jahre 1904 die beiden distanzierte Anreden verwendet haben, welche sich 1905 plötzlich in private wandeln, so als seien sie verwandt.198 Auf jeden Fall ist der Verkauf seiner Bücher ein einträglicher Nebenverdienst zum schmalen Rabbinatsgehalt des mehrfachen Familienvaters. So 195 Gal Ed, Prag 1856, S. 53. 196 Yudl Rosenberg, Nifla’ot Maharal mi-Prag (Die Wundertaten des Rabbi Löw von Prag), Piotrkow 1909, engl.: Yudl Rosenberg, The Golem and the Wondrous Deeds of the Maharal of Prague, translated by Curt Leviant, New Haven / London: Yale University Press 2007. Eine weitere englische Übersetzung ist in der Sammlung »Yenne Velt« (1978) von Joachim Neugroschel enthalten, jetzt unter dem Titel »Great Tales of Jewish Fanatsy and the Occult«, Woodstock / New York: The Overlook Press 1987, S. 162–229. 197 Zu Rosenbergs Biographie siehe die Arbeiten von Ira Robinson, A Letter from the Sabbath Queen: Rabbi Rosenberg Addresses Montreal Jewry, An Everyday Miracle: Yiddish Culture in Montreal (Montreal, V8hicule Press, 1990), S. 101–114; The Uses of the Hasidic Story : Rabbi Yudel Rosenberg and His Tales of the Greiditzer Rebbe, Journal of the American Association of Rabbis. l (1991), S. 17–25; Literary Forgery and Hasidic Judaism: the Case of Rabbi Yudel Rosenberg, Judaism 40 (1991), S. 61–78; Kabbalist and Communal Leader : Rabbi Yudel Rosenberg and the Canadian Jewish Community, Canadian Jewish Studies 1 (1993), S. 41–58. 198 Leiman, The Adventure of the Maharal of Prague in London, S. 40, Anm. 25.
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kommt es, dass die Metzer Handschriftenquelle nicht so schnell versiegen sollte. Rosenberg erhält wiederum von Scharfstein ein altes Manuskript (das unauffindbar ist…) aus dem Jahre 1583, das ebenfalls von Isaak Kohen stammen solle. Hierin hätte dieser die »wahre Geschichte« des Rabbi Löw aufgezeichnet, die »Wundertaten des MaHaRaL«. Dieses äußerst erfolgreiche Buch sorgte dafür, dass Rabbi Löw auf ewige Zeiten mit der lehmigen Gestalt des Golems identifiziert wurde. In 22 Kapiteln erzählt Rosenberg Rabbi Löws Abenteuer und Wundertaten nach, wobei der Schwerpunkt auf den Golemgeschichten liegt. Das Prager Ghetto wird von einem gemeinen Priester namens Taddäus bedroht. Dieser versucht mit Hilfe erfundener Ritualmordbeschuldigungen, die Juden aus Prag zu vertreiben. Rabbi Löw erfährt durch eine Traumfrage, wie er sich gegen Taddäus wehren kann. Die Lösung scheint in der Erschaffung eines Golems durch Rabbi Löw zu bestehen. Im Jahr 1580 wird dies vom Rabbi mit Hilfe von Buchstabenkombinationen aus dem »Sefer Jezira« und durch Unterstützung seines Schwiegersohns und eines Talmudstudenten erfolgreich unternommen. Danach setzt er den Golem als Spion ein und kann alles Übel abwenden. Rosenberg ergänzt die spannenden Ritualmordgeschichten durch komische Situationen. So lässt er den Golem in einer witzigen Variante von Goethes »Zauberlehrling« Wasser für das Pessach-Fest holen. Analog zur Golemerschaffung wird er 1590 auch wieder zerstört – indem die Kombinationen wie im »PseudoSa’adja« rückwärts gesprochen worden. Rosenberg rundet das Volksbuch durch fiktive »Bemerkungen des MaHaRaL über den Golem« ab. Diese spannend geschriebene Sammlung ist voller Irrtümer : einen Kardinal Sylvester gab es in Prag nie, auch war 1573 nicht Rudolph II., sondern Maximilian II. Kaiser. Namen und Plätze sind völlig falsch geschrieben und man merkt, dass der Autor Prag nie besucht hat. In diesem Buch wird der Golem erstmals nahezu rein positiv als Retter des jüdischen Volkes dargestellt, wobei die unheimliche Zerstörungskraft aus der Chelmer Traditionslinie unerwähnt bleibt. Der große Erfolg der hebräischen Ausgabe führte bald zu einer jiddischen Übersetzung. Auch andere wollten offensichtlich von dem Volksbuch profitieren und 1913 erschien eine zweisprachige Ausgabe (Hebräisch / Jiddisch) ohne die Nennung Rosenbergs. Mitunter erinnern Rosenbergs Geschichten an die damals äußerst beliebten Detektiv-Geschichten rund um Sherlock Holmes. Durchaus kein Zufall, denn Rosenberg hat später eine Sherlock-Holmes-Geschichte umgedichtet.199 Rabbi Löw löst einen Fall in London – einen Diamantendiebstahl im »Belmore Street Museum«. Dieses gab es jedoch nie und alle Gestalten sowie das nicht existente Museum dieser »Handschrift aus Metz« sind aus einer Kurzgeschichte von Arthur Conan Doyle (1859–1930), The Jew‹s Breastplate (1899) aus 199 Choshen Ha-Mishpat shel ha-Cohen ha-gadol (Das Brustschild des Hohepriesters), zweiter Band, Piotrkow 1913.
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der Sammlung »Tales of Mystery« entnommen, die Rosenberg in der russischen Übersetzung kannte.200 Rosenbergs »Golemsagen« wurden vor allem durch Chajim Blochs (1881–1973) deutsche Übersetzung unter dem Titel »Der Prager Golem. Von seiner ›Geburt‹ bis zu seinem ›Tod‹«201 weit verbreitet, der Rosenbergs geographische und historische Irrtümer übrigens berichtigte. Chajim Bloch erwähnte allerdings den Autoren Rosenberg (oder ihn als Herausgeber der Handschrift) mit keinem Wort. Bloch unterstützt durch die Auslassung Rosenbergs die Authenzität der Legende und übernimmt sozusagen Rosenbergs Ruhm, die wahre Geschichte über Rabbi Löw und seinen Golem jetzt hier erstmals einem größeren Publikum vorzustellen: »Vor mir liegt ein in hebräischer Schrift und Sprache abgefasstes Heft, das sich ›NifloetMhrL – Wunder des Rabbi Löw‹ nennt. Vor etwa drei Jahrhunderten verfasst, ist es reich an tragischen Episoden und entzückenden Legenden. Wer der Verfasser sein mag, ist nicht ersichtlich, ebenso wenig die Jahreszahl, welche einen Anhaltspunkt für das Alter der angeblich in einer Bibliothek in Metz bewahrten Urschrift gegeben hätte. Nach einer allerdings unverlässlichen Angabe soll R. Jizchak Cohn-Zedek, der Schwiegersohn Rabbi Löws, der Verfasser sein. Nach den vielen Nebenbemerkungen ist wohl anzunehmen, dass der Schreiber ein Zeitgenosse Rabbi Löws war.«202
Stolz erwähnt Bloch in der 2. Auflage von 1920 die zahlreichen positiven Buchbesprechungen des erfolgreichen Bandes, der bereits 1925 ins Englische übersetzt worden ist. »Bloch then visited the United States, basked in the glory of his book, elicited sympathy for his impoverished state, and tried to collect money to subsidize his other books – without ever even giving a shred of credit to the real author.«203
Eine wichtige historische Komponente war Blochs Nachwort, in dem er nicht nur auf die Geschichte des Golems eingeht, sondern auch mit dem Märchen von den jüdischen Ritualmorden aufräumt und ausführlich auf die berühmtesten Fälle eingeht. Zusammen mit den Golemgeschichten, in denen Rabbi Löw und der Golem gegen die absurden Vorwürfe kämpfen, war dieses Buch ein wichtiger Beitrag im zeitgenössischen Kampf gegen den Antisemitismus. Rosenbergs »Golem-Buch« als brillante literarische Leistung ist durch seine eigenen Masken und späteren Golemerzählern wie Bloch, die gewissen- oder ahnungslos sein Werk ausplünderten, bislang völlig unbeachtet geblieben. Erst durch Curt Leviants neue englische Übersetzung wird der Autor Rosenberg 200 Leiman, The adventure of the Maharal of Prague in London, S. 28–31. 201 Chajim Bloch, Der Prager Golem, von seiner »Geburt« bis zu seinem »Tod«, Berlin: Verlag Benjamin Harz 1920 (2. Auflage, erschien zunächst 1917 in der »Österreichischen Wochenschrift«, dann 1919 in Buchform im Verlag der »Österreichischen Wochenschrift«). 202 Bloch, S. 12–13. 203 Vorwort von Curt Leviant zu Rosenberg, The Golem, S. XXII.
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einer an jüdischer Folklore interessierten Leserschaft langsam wieder nahegebracht. Durch den Erfolg offenbar auf den Geschmack gekommen, brachte Bloch 1920 selbst eine weitere Golem-Sammlung heraus, die diesmal den Chelmer Golem ins Zentrum rückt. Nach dem Vorbild Rosenbergs hat Bloch einen Chelmer Gewährsmann namens Schaje Tripolsky, der die Chelmer Sagen in »verworrener jiddischer Sprache in ein Heft niedergeschrieben« hätte. Bloch erzählt nun diese Legenden nach, wobei auch hier anzunehmen ist, dass Bloch der tatsächliche Autor dieser sehr modernen Geschichten ist, die in Stil und Inhalt an die Rosenberg‹schen Geschichten um den Prager Golem und seinen Kampf gegen die Ritualmorde erinnern. So kommt es zur aberwitzigen Situation, dass die ältere Chelmer Golemlegende zum Sequel der modernen Prager Legende umfunktioniert wurde. 1924 gab Chajim Bloch zur Festigung der Prager Sagen die »Sammlung von Originalbriefen des Bescht…nebst einem Originalbriefe des bekannten Maharal (R.Löw) aus Prag aus dem Jahre 1583« heraus. Gershom Scholem bewies in seiner Rezension zu Blochs Sammlung jedoch, dass Rosenbergs Golem-Geschichten den modernen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts widerspiegeln und kabbalistische Elemente enthalten, die keineswegs aus der Zeit Löws stammen können. »Sprache und Inhalt weisen zwingend auf einen nach den Ritualmordprozessen der 1880er und 1890er Jahre schreibenden chassidischen Autor mit kabbalistischer Bildung und (in diesen Kreisen höchst ungewöhnlichen!) belletristischen Neigungen.«204
Trotz der Kritik haben Rosenbergs Volksbuch und all seine Übersetzungen und Epigonen, die im Zuge des Erfolges bis heute erscheinen, dafür gesorgt, dass Löw, Prag und der Golem ein nicht mehr zu trennendes Dreieck bildeten. In traditionellen Kreisen sind Rosenberg und Rabbi Löw als Golemerschaffer immer noch umstritten.205 So beharrt zwar Israel Holland auf der Wahrheit der Legende, auch wenn er einschränkt, es sei vielleicht deshalb nichts über den Golem des Rabbi Löw aufgeschrieben worden, da man ähnliche Übergriffe wie bei den Hexenverfolgungen befürchtet hätte.206 Ohne jede Einschränkung wird dagegen die Echtheit der Golem-Tradition von Vertretern des Chabad-Chassidismus207 verteidigt. 204 Scholem, Golem, S. 286, die hebräische Rezension befindet sich in Qiriat Sefer 1,1924–25, S. 106. 205 Siehe die freie englische Nacherzählung von Rosenbergs Volksbuch: Gershon Winkler, The Golem of Prague, New York: The Judaica Press 1980, worin Winkler die Authenzität der Legende verteidigt. 206 Israel Holland, Beilage zu Jated Ne’eman, II. Elul 5747 (1987), S. 6–7. 207 Siehe: Artikel von B. Schemuel in: Kefer Chabad, 23. 8. 1988, Nr. 348, S. 10–13 und den Brief von Pinchas-Abraham Meiers in: Kefer Chabad, 22. 9. 1988, Nr. 351, S. 51.
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»Jene, die dazu neigen, die Echtheit der Legende zu bestreiten, verneinen zugleich die Autorität der Tradition und stellen die Wundertaten des MaHaRaL in Frage. Demgegenüber dient eine Verteidigung der Echtheit der Legende zugleich der Verteidigung des wundertätigen MaHaRaL. Dahinter steckt das chassidische Establishment, das daran interessiert ist, die Legitimität des Rabbiners aus der Renaissancezeit zu bewahren, um die außergewöhnlichen Behauptungen über R. Menachem Mendel Schneerson, den Lubawitscher Rebbe, zu untermauern. Daß letzterer ständig von den nicht-chassidischen litauischen Rabbinern angegriffen wurde, bestätigt die Annahme, dass hinter dem Disput über die Wahrhaftigkeit der MaHaRaL-Legende ein religiöser Konflikt zeitgenössischer Juden über das Wesen geistiger Führung steht.«208
Rosenberg war kein klassischer »Fälscher«. Für ihn gehörten die »Wundertaten« zur jüdischen Volksliteratur. In einer Broschüre zur Feier seines 70. Geburtstages wurde das Werk »Nifla’ot Maharal« bewusst in die Reihe seiner Schriften zur Volksliteratur aufgenommen. »Im Gegensatz zu der geläufigen Meinung der Forschung kann hier nicht die Rede sein von einer Fälschung des authentischen Materials. Es ist vielmehr die Begegnung mit einer neuen Interpretation des Stoffes, ein symbolischer Erinnerungsakt, der das Alte neu belebt.«209
Es gibt folglich keinerlei ernstzunehmende Hinweise darauf, dass Rabbi Löw es jemals in Angriff genommen hätte, einen Golem auf theoretischem oder praktischem Wege zu erschaffen. Aber er lebte in der klassischen »magischen Periode« Prags, in der sich Rudolf II.210 mit Astronomie, Magie, Mystik, Astrologie und Alchemie befasste. An seinem Hof wirkten die englischen Alchemisten John Dee (1527–1608) und Edward Kelley (1555–1594). Michael Maier (1569–1622), der Leibarzt Rudolf des II., war ebenfalls Alchemist und setzte sich für das Rosenkreuzertum ein. Noch heute lassen die Sammlungen des Kaisers erahnen, in welchem geistigen Kosmos dieser Monarch gelebt haben muss: »Er hatte in seiner Sammlung eine große Anzahl Kameen und Gesteinsraritäten…zwei Nägel aus der Arche Noah…ein Lehmklumpen aus dem Hebrontal, wo Jahve Elohim den ersten Menschen geformt hatte; und große Alraunwurzeln, deren menschliche Formen auf dem feinen Samt kleiner Kästchen lagen wie in Puppenbetten…sie gehören zur gleichen Familie menschenähnlicher Figuren wie der Golem.«211
208 Idel, Golem, S. 365. 209 Eveline Goodman-Thau, Golem, Adam oder Antichrist, in: Eveline Goodman-Thau, Gert Mattenklott, Christoph Schulte (hg.) , Kabbala und die Literatur der Romantik zwischen Magie und Trope, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1999, S. 110–111. 210 Siehe: Jacqueline Dauxois, Der Alchemist von Prag, Rudolf II. von Habsburg, München: Piper 1999; Robert John Weston Evans, Rudolf II., Ohnmacht und Einsamkeit, Wien: Styria 1980; Gertrude von Schwarzenfeld, Rudolf II., München: Callwey 1979. 211 Angelo Maria Ripellino, Magisches Prag, Tübingen: Wunderlich Verlag 1982, S. 116–117.
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Daher verwundert es nicht, dass in einer Zeit, in der kabbalistisch geprägte Rabbiner in Prag wirkten, Rabbi Löw posthum zum Golemerschaffer wurde. Er war bereits durch die Audienz beim Kaiser zu einer legendären Gestalt geworden. So wurden die Vorlieben, Interessen und Experimente eines Rudolf II. und Legenden um christliche Magier wie Johannes Faust auf Löw übertragen. Wenn man nun fragt, warum ausgerechnet die Golem-Legende und nicht andere magische Unternehmungen auf Löw übertragen wurden, so muss daran erinnert werden, dass ja die Erschaffung eines künstlichen Wesens nach der rabbinischen Tradition die einzige magische Handlung ist, für die es die »volle Erlaubnis« gibt. Als schließlich Gustav Meyrink (1868–1932) seinen Roman »Der Golem« (Leipzig 1915, zuvor als Fortsetzungsroman in den »Weissen Blättern«) veröffentlichte, wurde die Prager Golemsage endgültig im Bewusstsein der Allgemeinheit verankert, obwohl der Roman tatsächlich nichts mit Rabbi Löw und dem Golem der jüdischen Tradition zu tun hat. Der Roman ist ein düsterer halluzinatorischer Doppelgänger-Roman, der an Alfred Kubins (1877–1959) »Die andere Seite« (1908) erinnert. Seine Kapitel tragen Namen wie »Schlaf«, »Nacht«, »Spuk«, »Angst«, »Trieb« oder »Weib«. Unterstützt wurde die abgründige Wirkung des Romans durch die 25 Buch-Illustrationen von Hugo Steiner-Prag (1880–1945). Meyrink, der mit dem Buddhismus sehr vertraut war, hatte nur oberflächliche Kenntnisse von jüdischen Inhalten. »Die Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurück, sagt man. Nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner da einen künstlichen Menschen – den sogenannten Golem – verfertigt haben, damit er ihm als Diener helfe, die Glocken (sic!) in der Synagoge läuten und allerhand grobe Arbeit tue.«212
Der Golem ist bei Meyrink eine Art Schreckgespenst, das immer wiederkehrt und das Ghetto in Angst versetzt. Er wurde zum erfolgreichsten Roman Deutschlands in der Zeit des Ersten Weltkrieges – von den ersten Auflagen wurden ca. 250 000 Exemplare verkauft – mit antisemitischen Spitzen: »Unter den Judengesichtern, die ich Tag für Tag in der Hahnpaßgasse auftauchen sehe, kann ich deutlich verschiedene Stämme unterscheiden, die sich so wenig durch die nahe Verwandtschaft der einzelnen Individuen verwischen lassen, wie sich Öl und Wasser vermengen wird. Da darf man nicht sagen: die dort sind Brüder oder Vater und Sohn. Der gehört zu jenem Stamm und dieser zu einem andern, das ist alles, was sich aus den Gesichtszügen lesen läßt. (…) Diese Stämme hegen einen heimlichen Ekel und Abscheu voreinander, der sogar die Schranken der engen Blutsverwandtschaft durchbricht, – aber sie verstehen ihn geheimzuhalten vor der Außenwelt, wie man ein gefährliches Geheimnis hütet. Kein einziges läßt ihn durchblicken, und in dieser Übereinstimmung gleichen sie haßerfüllten Blinden, die sich an ein schmutzgetränktes Seil klammern: der eine mit beiden Fäusten, ein anderer nur widerwillig mit einem Finger, alle aber von 212 Gustav Meyrink, Der Golem, München: Ullstein 1972, S. 46–47.
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abergläubischer Furcht besessen, daß sie dem Untergang verfallen müssen, sobald sie den gemeinsamen Halt aufgeben und sich von den übrigen trennen. Rosina ist von jenem Stamme, dessen rothaariger Typus noch abstoßender ist, als der der andern. Dessen Männer engbrüstig sind und lange Hühnerhälse haben mit vorstehendem Adamsapfel. (…) Als habe Aaron Wassertrum meinen Blick gefühlt, wandte er plötzlich sein Gesicht zu mir empor. Sein starres, gräßliches Gesicht mit den runden Fischaugen und der klaffenden Oberlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist. Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste Berührung ihres Netzes spürt, so teilnahmslos sie sich auch stellt. Und wovon er nur leben mag? Was denkt er, und was ist sein Vorhaben?«213
Meyrink schildert das Prager Ghetto als eine von widerlichen Kreaturen bewohnte Unterwelt. Bei seinen Recherchen hat er sich nicht einmal bemüht, festzustellen, dass die verschiedenen »jüdischen Stämme« schon in antiker Zeit vernichtet wurden und eben nur der Stamm Jehuda (daher auch Juden) überlebte. Abergläubisch, spinnenartig, nur unter sich verkehrend und zusammenhaltend – antisemitische Stereotypen türmen sich geradezu in Meyrinks krausen Phantasien. Die Juden »sieht man nie arbeiten« und warten stets wie eine Spinne »auf ein Opfer«, »an dem sie sich bereichern können«. Sie sind »zahnlose Raubtiere«, die aber dennoch »Millionäre« sind.214 Ein »Klassiker des Schauerromans«, in dem leider antisemitische Bilder transportiert werden. In einem anderen Roman, dem »Engel vom westlichen Fenster« (1927) schildert Meyrink eine Begegnung des Astronomen und Magiers John Dees mit Rabbi Löw, »dem Freund Kaiser Rudolfs«, in der endgültig das magische Prag Rudolfs II. und Rabbi Löw verschmelzen: »Da bin ich auch schon in des Rabbis niedriger, kahler Stube und spreche mit ihm… sein Blick ist unverwandelt auf die mit Kreide an die Wand ihm gegenüber hingezeichnete geometrische Figur des »kabbalistischen Baumes« gerichtet… Sein gelber, von unentwirrbaren Runzeln durchquerter Raubvogelkopf erinnert an den des Kaisers.«215
Die Wirkungsgeschichte der Prager Golem-Legenden durch ihre zahlreichen Bearbeitungen in Literatur, Theater, Oper, Musical und Film machte aus Rabbi Löw einen jüdischen John Dee bzw. Faust, der aber im Gegensatz zu Rudolf II. und seinen Haus- und Hofalchemisten und Magiern in seinen Unternehmungen Erfolg hat. So ist Rabbi Löw untrennbar mit »seinem« Geschöpf, dem Golem verbunden. Hier entwickelte sich nicht aus Geschichte Legende und Mythos, sondern umgekehrt. Die literarischen »Fälschungen« von Rosenberg und Bloch, die Ambitionen von Kabbalisten des 18. Jahrhunderts, eine legendäre Vergangenheit zu begründen und das bunte Panoptikum rund um Rudolf II. führten zu 213 Gustav Meyrink, Der Golem, München: Ullstein 1972, S. 13–14. 214 Gustav Meyrink, Der Golem, München: Ullstein 1972, S. 33. 215 Gustav Meyrink, Der Engel vom westlichen Fenster, München: Langen / Müller 1982, S. 312.
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einer neuen Sichtweise von Rabbi Löw und Prag, die – so erfunden sie auch sein mag – den »wahren« Rabbi Löw längst überdeckt hat. Für Prag und seine Bewohner und Besucher ist diese Legende nicht nur als Touristenattraktion mittlerweile wahr geworden. »Oft des Nachts träume ich von Prag und seinem unheimlichen, dämonenhaften Zauber… Seit ich Prag verlassen habe, lebe ich… in Deutschland und habe viele deutsche Städte gesehen – auch solche, die schöne mittelalterliche Bauten tragen wie Prag und eine ähnliche blutige Vergangenheit haben; in keiner jedoch schwingt jene unfassbar merkwürdige Stimmung. Sie sind – desinfiziert und man geht in ihnen herum wie in langweiligen Museen.«216
5.3. Wegeners Golem – zwischen Faust und Antisemitismus 1914 flimmerte der Golem zum ersten Mal über die »dämonische Leinwand« des deutschen Stummfilms. Dargestellt wurde er von Paul Wegener (1874–1948), der auch am Drehbuch mitgearbeitet hatte. Regie führte Henrik Galeen, der später auch eine Tonfilmversion des Golems (Das steinerne Phantom) in Angriff nehmen wollte. Durch die Machtergreifung der Nazis und Galeens Emigration sollte es nicht mehr dazu kommen. Sein Golem-Film von 1914 ist heute verschollen. Nur das Drehbuch und ein kurzes Fragment sind erhalten. Bei Bauarbeiten in der Gegenwart wird der Golem des Rabbi Löw gefunden. Aaron (Carl Ebert), ein jüdischer Trödler, kauft ihn und stellt ihn ahnungslos in seinem Laden aus. In einem Buch, das er von einem mittellosen Gelehrten aufkauft, findet er die Anleitung, wie der Golem mit Hilfe eines heiligen Gottesnamens, dem »Schem« (hebr. Name) wieder zum Leben erweckt werden kann. Es gelingt und der wieder erwachte Golem muss in der Schmiede Aarons die härtesten Arbeiten durchführen. Aaron hat auch eine Tochter, Jessica (Lydia Salmonova), und ist gegen ihr Verhältnis mit einem Grafen (Henrik Galeen). Der Golem soll daher auf Jessica aufpassen. Er verliebt sich in sie, wird aber von ihr als Monstrum abgewiesen. Sie entflieht in das Schloss des Grafen, doch der Golem versucht sie während eines Balles von dort zu entführen. Auf einem Turm kommt es zum Kampf, in dessen Verlauf das Mädchen den »Schem« entfernen kann, wodurch der Golem in die Tiefe stürzt. Aaron willigt schließlich in die Ehe ein. Nach Jahren findet das Kind des Paares die Reste des Golem und spielt mit ihnen. Auf den erhaltenen Standbildern wirkt Aaron so, als wollte man in seiner Gestalt alle Klischees aus antisemitischen Blättern zusammenfassen: lange Nase, 216 Gustav Meyrink in: Die unheimliche Stadt, hg. von Hellmut G. Haasis, München: Piper 1992, S. 158–159.
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Triefaugen, dazu die äußeren Merkmale des frommen Juden, wie Schläfenlocken, Kaftan und Kopfbedeckung. Wegener schuf zusammen mit dem Modelleur Rudolf Belling die äußere Erscheinung des Golems, die in späteren GolemFilmen nur geringfügig verändert werden sollte. Nach Vorbild altägyptischer Königsfrisuren bekam er eine auffällige Haartracht und riesige Füße. Daher stapft der Golem relativ unbeholfen durch die Kulissen, was den ebenfalls unsicheren Gang des Frankenstein-Monsters aus den Gruselfilmen der 30er und 40er Jahre sichtlich beeinflusst hat. Eigentlich plante Wegener schon damals, die Prager Golemlegende zu verfilmen. Die Produzenten jedoch wollten keinen teuren Kostümfilm drehen und zwangen ihm ein »modernes Gesellschaftsdrama« auf. Obwohl Galeen der Regisseur war, bezeugte Rochus Giese, der Filmarchitekt, dass alles »reiner Wegener« gewesen sei. »Er wusste genau, was er wollte, und er hat es dann bekommen. Die Golemfigur war zum Beispiel eine Schöpfung von Wegener. Das Äußere war ein Sack, da war eine Schnur drauf, alles war gepolstert, Schuhe mit Einlagen. Der Kopf war geschminkt und dann kam eine Kappe drauf.«217
Wegener, auf einem Rittergut in Ostpreußen aufgewachsen und ab 1906 Schauspieler bei Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin, war von Haus aus nicht gerade mit jüdischer Folklore vertraut, aber offensichtlich vom Golemstoff fasziniert. 1917 schrieb er einen neuen Golemfilm (Der Golem und die Tänzerin), führte selbst Regie und spielte darin wieder den Protagonisten. »Der Golem und die Tänzerin« ist eigentlich kein »richtiger« Golemfilm, sondern eine Komödie über Filmstars. Leider ist der Film ebenfalls verschollen und es blieben nur Fragmente des Drehbuchs erhalten. »Der Inhalt der Komödie ist nicht mehr im einzelnen zu ermitteln. Es handelt sich um ein Rollenspiel der verdoppelten Identitäten im Filmmilieu: Paul Wegener spielt Paul Wegener und den Golem, Lida Salmonova spielt Lida Salmonova und die Tänzerin (…). Die zentrale Szene behandelt die erotische Affäre mit der allmählich lebendig werdenden Golempuppe. Die Tänzerin hatte sie im Filmatelier gesehen und vom Produzenten für sich erbeten. Wegener nutzt die Gelegenheit. Er läßt sich (…) als Golem zurechtmachen, einpacken und in ihr Boudoir schicken.«218
Wegener war wahrscheinlich schon 1913 während der Dreharbeiten in Prag zum »Student von Prag« auf den Golemstoff aufmerksam geworden. Szenen dieser unheimlichen Doppelgängergeschichte spielen auch auf dem jüdischen Friedhof. 217 Ilona Brennicke, Joe Hembus, (hg.), Klassiker des deutschen Stummfilms, München: Goldman, 1983, S. 67. 218 Heide Schönemann, Paul Wegener, frühe Moderne im Film, Stuttgart: Edition Axel Menges 2003, S. 132.
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»Die Zeit der filmischen Anfänge stand, ganz im Gegensatz zu späteren Perioden, unter der strikten Devise: Kunst der Kamera. Die lebendige Fotografie war es, die mir die Idee gab, das verloren gegangene Spiegelbild mit mir selbst als Partner zu spielen. So wurde der Student von Prag von mir erdacht, umrissen und der damaligen Bioscop vorgelegt. Hanns Heinz Ewers war Dramaturg dieser Gesellschaft. Er arbeitete meine Idee als Manuskript um. Der Student von Prag war der erste deutsche Kunstfilm, der über die ganze Erde ging.«219
Ewers sollte später künstlerisch merklich abfallen und das Leben Horst Wessels in Romanform pressen. 1920 schließlich drehte Wegener seinen dritten Golemfilm, »Der Golem, wie er in die Welt kam.« Das Drehbuch basiert nicht, wie oftmals behauptet wurde, auf dem Roman »Der Golem« von Gustav Meyrinck und ist ebenso keine direkte Verfilmung der Prager Golemsage. Vielmehr verband Wegener Elemente der beiden wichtigsten jüdischen Golemlegenden (Chelm und Prag) sowie der Faustsage mit seiner Grundidee aus dem ersten Golem-Film, der Liebe eines jüdischen Mädchens zu einem nicht-jüdischen Adligen. Nachdem sich durch die beliebten »Sippurim« und Blochs Nacherzählung der »authentischen« Quelle die Prager Golemsage etabliert hatte, gestaltete Wegener die jüdische Golem-Legende teilweise antisemitisch um. Der »Golem, wie er in die Welt kam« gilt neben Meisterwerken wie »Nosferatu«, »Metropolis« oder »Faust« als einer der bedeutendsten deutschen Stummfilme. Er ist auch einer der überschätztesten – trotz der herausragenden Kamerarbeit und den Bauten mit ihren Anlehnungen an Expressionismus und Jugendstil. Wegener ist weder Murnau, noch Lang, auch wenn einzelne Elemente den Zyklus der klassischen Horrorfilme von Universal und späterer Monster-Filme beeinflußt haben – der Golem und Frankensteins Monster tragen die gleichen Schuhe und der Famulus ist ein Vorläufer von Frankensteins Helfer Igor. Der in fünf Kapiteln erzählte Film beginnt mit den blau viragierten Szenen eines nächtlichen Himmels. Rabbi Löw (Albert Steinrück) liest aus den Sternen drohendes Unheil »für die Judengemeinde«. Rabbi Löw, ohne Kopfbedeckung, hantiert mit Fernrohren und alchemistischen Phiolen, in denen Flüssigkeiten blubbern. Er wirkt eher wie ein Dr. Faustus. Rabbi Löw als Kenner der Sterne sollte ein paar Jahre später als antisemitische Figur in Veit Harlans Nazi-Hetzfilm »Jud Süss« wieder auftauchen. Sein Famulus (Ernst Deutsch) unterstützt das Bild der Alchemisten. Er schmachtet Miriam (Lyda Salmonova), die Tochter des Rabbis an, die als lasziver Vamp die Szene betritt. Auch dieses antisemitische Stereotyp, die »lüstern-lasternhafte Jüdin« sollte als Rebekka in »Jud Süss« nahtlos wiederkehren. Der Rabbiner zieht eine 219 Paul Wegener, Wir über uns selbst (1928), zitiert nach: Brennicke, Hembus (hg.), Klassiker des deutschen Stummfilms, S. 24.
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Art »Judenhut« an und besucht Rabbi Jehuda (Hans Stürm). Die Ältesten »sollen im Tempel zu Jehova beten«. Die Bezeichnung »Jehova« für Gott ist eine Ableitung christlicher Theologen, in keiner der vielen jüdischen Strömungen würde man diesen Namen verwenden. Der Ausdruck Tempel anstelle von Synagoge kam erst im 19. Jahrhundert im Kreise des akkulturierten Judentums auf. Die Bezeichnung »Tempel« signalisiert gewissermaßen das Ende des DiasporaGefühls. Man wähnte sich nicht mehr im Exil und hoffte weder auf eine Rückkehr nach Zion, noch auf eine Wiederherstellung des Jerusalemer Tempels. »Wir dürfen nicht mehr mit dem Munde um die Rückkehr nach Palästina beten, während unser Herz doch mit den stärksten Banden an das deutsche Vaterland gekettet ist, während das Geschick desselben mit dem unseren unauflöslich verbunden, was uns lieb und teuer, von ihm umschlossen ist. Wir dürfen nicht um die Zerstörung des Tempels in Schutt und Asche trauern, während wir längst ein anderes, umso teuer gewordenes Vaterland besitzen.«220
Allein hier sieht man einen Blick von außen auf das Judentum, der vom Antisemitismus geprägt ist. Die Juden beten im Tempel zu »Jehova«, ihre Rabbiner sind eigentlich schwarz-magische Zauberer und ihre Frauen leichtfertige Huren. In der Synagoge beten die Juden an einem Abendgottesdienst im Gebetsmantel, wodurch sie sich fortwährend schuldbewusst auf die Brust hämmern. Das kommt eigentlich nur einmal im Jahr, im Rahmen des »Kol Nidre« Gottesdienstes am Vorabend des Versöhnungstages vor – allerdings findet das Klopfen nicht in einer so geballten Form wie im Film statt. Kaiser Rudolf (Otto Gebühr) unterzeichnet in der Zwischenzeit das »Dekret gegen die Juden«, dass sie ihr Stadtviertel, »Ghetto genannt« (auch diese Verwendung für die Prager Judenstadt ist anachronistisch) in Kürze zu räumen haben, da sie Gottesmörder und »schwarzer Künste« mächtig seien. Der hakennasige Jehuda entspricht nicht nur äußerlich einer Stürmer-Karikatur. Er bettelt auf so widerwärtige Weise Junker Florian (Lothar Müthel), der das Dekret übermittelt, um eine Ausweisung an, dass dieser nur noch verächtlich seine bittenden Hände abwehrt. Rabbi Löw studiert magische großformatige Blätter über »Totenerweckung« und kommt zum Schluß, er müsse dem Dämonen Astaroth »das lebensspendende Wort entreißen, das den Golem belebt«. Astaroth ist in den schwarzmagischen Grimoires wie der »Goetia« aus dem 17. Jahrhundert ein Teufel und der Schatzmeister der Hölle. So wird Löw bei Wegener zu einem faustischen Magier, der nicht mit Hilfe von Buchstabenkombinationen und Gottesnamen einen Golem belebt, sondern zunächst eine Teufelsbeschwörung vollzieht. Während sich die Kabbalisten zur Ehre Gottes oder um Gottes Schöpfung besser begreifen zu können, mit der Erschaffung eines Golems befassen, ist bei Wegener nicht die 220 Franz Knobler (hg.), Jüdische Geschichte in Briefen aus Ost und West. Das Zeitalter der Emanzipation, Wien: Saturn Verlag 1938, S. 79.
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Verbindung mit Gott, sondern mit dem Teufel das zentrale Element. Auch hier sehen wir erneut Wegeners Blick von außen auf das »fremde Judentum«, der vom Fundus des Antisemitismus bestimmt ist. Die Juden stünden mit dem Teufel im Bunde und falls ein Christ einen Teufelspakt eingehen will, sollte er zunächst einen Juden aufsuchen. Ein ganz bekanntes Beispiel dafür ist der Vorläufer des Faust, die Theophilus-Legende aus dem 9. Jahrhundert, die in der beliebten »Legenda Aurea« aus dem 13. Jahrhundert nacherzählt wird. Theophilus engagiert eigens einen jüdischen Magier, damit er für ihn den Teufel beschwöre. In dieser antisemitischen Tradition steht die Golem-Erschaffung Wegeners, die so gar nichts mit den jüdischen Legenden zu tun hat. Während Rabbi Löw auf dem Dachboden aus einem Lehmbrocken den Golem baut, läßt die verführerische Miriam den Junker Florian in ihre Kammer und schläft mit ihm. Florian hatte zuvor den Torwächter des Ghettos bestochen, um nochmals hinein zu gelangen. Miriam ist die gefährliche Lulu, der jüdische, verruchte und satanische Vamp, dem die nichtjüdischen Männer hoffnungslos verfallen und die ihren Untergang verursacht – ein gerade im Nationalosozialismus immer wieder strapaziertes Stereotyp, das seinen Widerpart in der nordischen, einfachen, häuslichen Frau erfährt, die ihren ganzen Lebenszweck darin sieht, »dem Führer ein Kind zu schenken«. Die Vorstellung, dass der Golem in der Zeit der Not als Retter geschaffen wird, stammt aus Rosenbergs »Wundertaten«. Dies ist aber auch nur einer der wenigen Fäden zur jüdischen Traditionsliteratur, denn schließlich klären uns die Zwischentitel darüber auf, dass »der Golem schon im Altertum von einem thessalischen Zauberer hergestellt wurde« Damit werden die Bezüge des Golems zum Judentum vollends gekappt und Löw bleibt ein jüdischer Magier, welcher sich mit dem universalen Golem-Zauber befasst, der nicht in der jüdischen Tradition verwurzelt ist. Löw und sein Famulus studieren ausschließlich nichthebräische Bücher, drunter »Nekyomantie, die Kunst Totes lebendig zu machen«. Auch wird das bekannte Werk schwarzer Magie »Der Schlüssel Salomos« (Clavicula Salomonis) erwähnt, alles Texte, die ein Rabbi Löw sicher nicht gekannt, geschweige denn studiert hätte, um einen Golem zu erschaffen. Schließlich wird Astaroth von Löw gerufen, ganz wie Faust in einem Feuerkreis stehend, mit Zauberstab und Drudenfuß. Astaroth, ein wirklich gräßlich aussehender Teufel, verkündet Löw mit viel Qualm und Schwefel das wundertätige Wort, mit dessen Hilfe man den Golem lebendig werden lässt – »aemeth«, hebr. Wahrheit. Hätte Löw die jüdischen Golem-Legenden studiert, hätte er auf die Teufelsbeschwörung verzichten können, denn schließlich ist aus der Chelmer Tradition das »aemeth«-Motiv lange bekannt. Das Wort schreibt Löw auf einen Zettel nieder. Und wiederum wird die jüdische Tradition zugunsten der magischen abgeändert – der »aemeth«-Zettel wird in einem Amulett in Pentagramm-Form dem Golem ins Herz geschraubt.
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Dieser erwacht und wird von Löw als neuer Diener dem Ghetto präsentiert. Er hackt Holz, holt Wasser, kümmert sich um das Feuer und erledigt die Einkäufe. Rabbi Löw wird von Kaiser Rudolf zum Rosenfest geladen, um durch Zauberei die Gäste zu unterhalten – der Golem begleitet ihn und sorgt für Erstaunen. Wie in den Prager »Sippurim« erzählt Löw für den Hof die Geschichte der Erzväter und lässt sie bildlich erscheinen. Allerdings warnt er alle eindringlich, bei dieser Vorführung nicht zu lachen. Es ist bezeichnend, dass mitten in der Präsentation der Erzväter und ihrer Wanderungen ein einzelner hakenasiger Jude in Nahaufnahme ins Zentrum rückt: »Ahasver, der ewige Jude«. Die mittelalterliche christliche Sage erzählte zunächst von einem Römer, der Jesus auf dem Weg zur Kreuzigung verspottet hatte und von da an zur Strafe ewig rastlos auf der Welt umherziehen muss. Erst später wurde die Figur judaisiert. Die Geschichte »vom ewigen Juden« ist oft betont antisemitisch – von den Nazis bis zum Engelwerk. Im Golem macht sich der Hofnarr über Ahasver, den »ewigen Juden«, lustig und die ganze Gesellschaft bricht in schallendes Gelächter aus. Daraufhin beginnt sich die Decke des Saales abzusenken. Löw nutzt die tragische Situation schamlos aus. Der Golem stellt sich vor den rettenden Ausgang und Löw handelt mit dem Kaiser erpresserisch die Zurücknahme des Vertreibungs-Ediktes aus. Er rettet schließlich allen das Leben, da auf seinen Befehl hin der Golem die Decke abstützt. Das Ghetto feiert das abgewendete Unglück – eine wilde, fremd erscheinende Menge mit Judenhüten, endlos langen Nasen und Bärten. Löw nimmt dem Golem das lebensspendende Amulett ab, da seine Aufgabe beendet ist. Der Golem wehrt sich dabei, doch Löw kann ihn geschickt überlisten. Schließlich warnen auch die Zauberbücher, dass der Golem den Aufstand gegen seinen Meister probt und »auf Trug und Zerstörung« zielt, sobald der Uranus seine Kreise zieht. Für die Feier zieht die Gemeinde mit der Bundeslade (sic!) in den Tempel und bläst mit Schofaren, als gelte es gegen die Amalekiter in den Krieg zu ziehen. Währenddessen entdeckt der Famulus Florian bei Miriam. Von Eifersucht getrieben erweckt er den Golem wieder mit dem Amulett zum Leben und hetzt ihn auf Florian. Der Golem rast und gerät völlig außer Kontrolle. Er jagt Florian durch die von Gaudi inspirierten Kulissen auf einen Turm und wirft ihn in die Tiefe. Dann setzt er das Ghetto in Flammen und zerrt Miriam mit sich. Währenddessen feiert die jüdische Gemeinde im Tempel – groteske Szenen, die geradewegs wie eine Inspiration für Karikaturen von orthodoxen Juden im Stürmer wirken. Als sie bemerken, dass das Ghetto brennt, denkt keiner daran, es zu löschen, sondern Rabbi Löw wird um seinen Feuerzauber gebeten. Dieser vollzieht ihn mit einigen Gesten auch recht erfolgreich. Das Feuer ist gelöscht, der Turm bricht zusammen und die Leiche Florians wird unter den Trümmern begraben. Der Famulus tuschelt mit der geretteten Miriam: »In Schutt und Asche liegt des Rabbis Haus. Jede Spur des Fremden ist getilgt, niemanden ahnt
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etwas, ich werde schweigen.« Damit unterstützt Wegener im Grunde das widerliche antisemitische Lügengespinst vom Ritualmord, indem er im GolemFilm einen Christen im Ghetto einen gewaltsamenTod finden lässt und diese Tat auch noch vertuscht wird. In seiner kurzen Golem-Novelle, die er seinem Film 1921 folgen ließ, nannte er übrigens den Famulus »den bösen Judenjüngling«. Und der Golem? Selbst sein Schöpfer scheint sich nicht mehr für ihn zu interessieren. Er zerstört das riesige Ghettotor und ist frei. Draußen verschreckt er gleich eine ganze Gruppe arisch-blonder Kinderlein mit Blümchen im Haar, die allwissend »Der Golem, der Golem!« schreien. Eines bleibt zurück und bietet dem Golem eine Frucht an. Er nimmt es auf dem Arm und das Kind schraubt sein Amulett aus der Brust – eine Idee, die in keiner der Golem-Legenden zu finden ist. Der Golem liegt zerstört vor dem Ghettotor und das Kind bestaunt den Lehmkoloss. Schließlich beginnen auch die Juden sich zu fragen, wo der Golem geblieben ist, entdecken seine »Leiche« und bedanken sich bei »Jehova«. Offenbar ließ sich James Whale, dem Regisseur des Frankenstein-Films von 1931, von dieser Sequenz inspirieren. Allerdings übernimmt er nicht das süßlich – verkitschte Erlösungsbild, sondern lässt Frankensteins Monster das Kind ertränken. Eine Szene übrigens, die bis zur kürzlichen Restaurierung des Monsterfilmklassikers bislang herausgeschnitten worden war. Filmtechnisch war Wegeners Golem sicherlich ein Meilenstein. »In Berlin konnte man sich aber davon überzeugen, dass auch der Jugendstil das Gesicht des Films mitgeprägt hat, und zwar in einer oft überzeugenderen Weise, als es beim Expressionismus der Fall war. In dem Film ›Der Golem‹ von Paul Wegener und Carl Boese, 1920 gedreht, stellen die Bauten des Architekten Hans Poelzig vollkommene Entsprechungen zum Stil des spanischen ›Art Nouveau‹ – Architekten Antonio Gaudi dar. Poelzigs aus Lehm geknetete Ghettostadt weist die gleichen bewegten und verquollenen Linien auf wie Gaudis Casa Mil/ in Barcelona.«221
Wegener entfernt sich durch die faustische Interpretation des Rabbi Löw in der Golemschöpfung weit von den traditionellen Legenden. Seine offensichtliche Unkenntnis jüdischer Traditionen wird durch einen fortwährenden Einsatz antisemitischer Stereotypen ergänzt. Dies ist keineswegs harmloser »AlltagsAntisemitismus«. Wegener zeigt ein mittelalterliches jüdisches Ghetto, das zugleich aber auch die »Angst vor der Masse der fremden Juden« in der Weimarer Republik reflektiert. Die Juden sind die dunklen »Fremden«, sehen mit ihren wehenden Bärten und langen Nasen ganz anders aus als die bunte christliche Gesellschaft, betreiben schwarze Magie, verführen und ermorden ungestraft Christen. Das ist noch kein »Jud Süss«, aber Klischees wurden hier auf der Leinwand gezeigt, die dort bereitwillig aufgenommen wurden. 221 Bernnicke, Hembus, Klassiker, S. 68.
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5.4. Golem contra Hitler Julien Duvivier (1896–1967) ist einer der wichtigsten Regisseure des französischen Kinos. In seinem umfangreichen Werk finden sich zeitlose Komödien wie »Le petit monde de Don Camillo« (Frankreich / Italien 1952) oder ThrillerDramen wie »P8p8 le Moko« (Frankreich 1937) und zeigen seine gekonnte Wanderung zwischen Noir und poetischem Realismus. Einer seiner »leading men« war Harry Baur. Er spielte für ihn in der überragenden Georges-SimenonVerfilmung »La TÞte d’un homme« (Frankreich 1931) den legendären Kommissar Maigret. Baur starb an den Folgen der Gestapo-Haft 1943. Da er mit einer Jüdin verheiratet war, wurde er in der Nazi-Propaganda selbst als »Jude und Freimaurer« beschimpft. Mit Baur sollte er 1936 mit »Le Golem«, eine französisch-tschechoslowakische Co-Produktion, eine Art versteckten Anti-Nazi-Film drehen. Zu Beginn des stimmungsvollen Dramas wird ein längerer Prolog eingeblendet: »To create life, artificially, has always been an obsession of science. In 1560, Rabbi Loew, according to legend, created a being in human form, to which he imparted life. Endowed with colossal strength, and blindly obeying the orders of its creator, this mysterious being, THE GOLEM, was employed by Rabbi Loew as a servant and protector of the ghetto of Prague. In 1610, Rabbi Loew died and the Golem was abandoned in the attic of the synagogue. The Emperor Rudolph II was an artist, a collector, with a passion for the occult, he sought the Philosopher’s Stone and maintained at his palace 200 alchemists, advisors, and men of science.«
Der Film folgt eindeutig der Rosenberg-Tradition, in der der Golem der Beschützer des Ghettos ist und dessen Bewohner vor Ritualmord-Anklagen und Vertreibungen bewahrt. Rudolf II (Harry Baur) wird hier als wahnsinniger Herrscher gezeigt, der unter den üblen Einflüsterungen seines Kanzlers Lang (Roger Karl) und seiner Geliebten Gräfin Strada (Germaine Aussey) Fehlentscheidungen trifft. »Le Golem« ist im Gegensatz zu Meyrinks Roman und Wegeners über den Klee gelobten Film nicht vom Antisemitismus bestimmt, sondern im Gegenteil eine jüdisch-messianische Fantasie gegen den Judenhaß. Die Unterdrückung durch Rudolf II und Lang spiegelt die tatsächliche Unterdrückung der Juden unter Hitler und Goebbels wider. Zu Beginn sehen wir eine eindrucksvoll gedrehte nächtliche Gebetsszene in der Prager Alt-Neu-Schul. Der Nachfolger Löws, Rabbi Jacob (Charles Dorat) bittet um göttliche Hilfe, da die Juden leiden, hungern und von Seuchen heimgesucht werden. »We are suffering…We are starving…Your fathers have suffered more, and still our people have survived. God will listen to our prayers and liberty will come!«222 222 Le Golem, 0:03:42–0:04:00.
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Verzweifelt fordert die Gemeinde Jacob auf, den Golem als Retter zu erwecken, wie es Rabbi Löw prophezeit hatte. Aber Jacob hat Angst, da er von ihm weiß, dass der Golem sich gegen die Gemeinde wenden würde, falls er zu früh geweckt würde. Jacob gibt die Golem-Formel an seine Frau Rachel (Jany Holt) weiter, falls ihm etwas zustossen sollte. Sie soll dem Golem sagen: »Revolte ist das Recht der Sklaven!« Währenddessen stürmen Soldaten des Kaisers auf Befehl des Kanzlers Lang die Synagoge, um den Golem vom Dachboden mitzunehmen. Herabstürzende Mauerteile schlagen sie jedoch in die Flucht. Lang möchte die Statue des Golems zerstören, da Rudolf II große Angst davor hat. Eine Angst, die erst der intrigante Lang geschürt hatte. Kaiser Rudolf II betreibt ein gigantisches alchemistisches Labor voller blubbernder Flüssigkeiten in Phiolen und seltsamer Instrumente, in dem ein ganzes Heer von Magiern ihre Experimente durchführt. Die Belebung eines Homunkulus geht nur langsam voran, während Rudolf II an die Gespräche mit Rabbi Löw denkt, der seinen Golem nie erwähnt hätte. Der Kaiser bekommt ein gefälschtes Horoskop übermittelt, das ihn ermuntern soll, seine Cousine Isabella von Spanien zu heiraten. Jacob und andere Juden werden gefangen genommen. Während die anderen gefoltert werden, will Lang Jacob überreden, den Golem zu übergeben. Der wütende Jacob schreit Lang an: »He will crush you like a poisonous snake! His revenge will be terrible. He will give your gold to the poor, and your body to the beasts!«223
Die Gräfin Strada ist nicht gerade erfreut, als sie von Rudolfs geplanter Hochzeit mit Isabella von Spanien hört und läßt den Golem rauben, um den Kaiser zu überzeugen. Dieser droht mit der Zerstörung des Ghettos. Er foltert Jacob grausam auf der Streckbank und Rachel ahnt, dass jetzt die Stunde des Golems gekommen ist. Während die Männer der Gemeinde paralysiert und verängstigt in der Synagoge sitzen, wird sie aktiv. Zunächst erreicht sie bei Rudolf mit dem Schwert Karls des Großen, das angeblich magische Kräfte besitzt, im Austausch die Freilassung Jacobs. In einer Szene, die im Spiel von Licht und Schatten an die »dämonische Leinwand« erinnert, irrt Rudolf durch verlassene Gänge und Säale des Palastes der Gräfin Strada und findet den unbelebten Golem (Ferdinand Hart). Jacob und die Gemeinde beschließen mit Hilfe eines nicht näher genannten kabbalistischen Rituals den Geist von Rabbi Löw zu beschwören: »Jacob: And you Thy teacher, Rabbi Loew. Arise from the dead and advise us. We, who live in darkness and oppression. We don’t wish any harm to others, but for our own salvation I implore you to appear!
223 Le Golem, 0:27:49–0:28:03.
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Loew : Have courage! Be ready. When the beast roars the Golem will awake! The beast will roar – distress will descend on Israel. But at the height of our suffering liberty will come.«224
Lang beginnt eine regelrechte Terrorherrschaft, in deren Verlauf die Juden mit Verhaftungen, Ermordungen, Folter und immer mehr einschränkenden Dekreten heimgesucht werden. Lang findet den Golem bei Gräfin Strada und wirft ihn ins Verlies. Rachel wird, da sie verzweifelt versucht, Lang von seinen TerrorTaten abhzuhalten, ebenfalls ins Verlies gebracht und erweckt den Golem, indem sie »emet« auf seine Stirn schreibt. Der erwachte Golem ähnelt mit seinem Cape jetzt tatsächlich einem Superhelden. Er zerstört das Verlies und befreit die gefangenen Juden, darunter Jacob. In manchen Einstellungen erinnern die beiden nun an »Batman und Robin«. Der Golem rast durch den Palast und wirft Lang aus dem Fenster. Danach stürmt er ins Ghetto und zerstört die Tore. Die Juden sind befreit und Jacob löscht das Aleph auf der Stirn des Golems aus. Er zerfällt zu Staub, nur noch sein Cape erinnert an ihn. Matthias, der Bruder des Kaisers, kommt mit seiner Armee und Rudolf muss abdanken. Als der Film 1936 in Europa und 1937 in den USA in die Kinos gekommen ist, konnte man ihn schwerlich nur als »Kostümfilm« oder »Monsterfilm« betrachten. Zu deutlich waren die Parallelen zu Deutschland, wo seit Jahren eine beispiellose Judenhetze im Gange war, die ihren ersten Höhepunkt in den Nürnberger Rassegesetzen hatte. Ein wahnsinniger Diktator und sein Minister versuchten gerade 1936 mit den Olympischen Spielen der Welt ein »anderes Gesicht« zu zeigen, während Duvivier die Maske herunterreißt und die Fratze des Antisemitismus offen der Welt präsentiert. Der Golem ist der jüdische Superheld, der in diesem Märchen mit Hilfe einer mutigen Frau die Ghetto-Tore zerstört. Es blieb leider nur eine schöne Fantasie. Die »rettenden Armeen« der Befreier kamen viel zu spät und konnten in den KZs nur noch unvorstellbare Leichenberge vorfinden.
5.5. Der Golem als sozialistischer Brotofen Nach dem Krieg wurde der zweiteilige Golem Film »C&sarˇu˚v Pekarˇ – pekarˇu˚v C&sarˇ« (Der Bäcker des Kaisers – Der Kaiser des Bäckers) 1952 in der CSSR produziert. Martin Fricˇ (1902–1968) drehte diese farbenprächtige Kostümfilmkomödie, die dem Golem-Film von 1937 inhaltlich ein wenig folgt. Auch hier ist Rudolf II (Jan Werich) ein verrückter Herrscher, der seine Soldaten auf der 224 Le Golem, 0:56:45–0:58:31.
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Suche nach dem Golem durch Prag hetzt und Kanzler Lang (Bohusˇ Z#horsky´) höfische Intrigen spinnt. Der Film legt jedoch Wert auf die Prager jüdischen Traditionen. Als einer der Arbeiter in der Bäckerei / la Wegener erklärt, was ein Golem sei, »Once a wizard came to terms with the devil, and created an ogre!« versucht der Bäcker Matej (ebenfalls Jan Werich) dies richtig zu stellen: »Once there lived a scholarly rabbi in Prague, Rabbi Loew. (…) So he moulded a giant figure out of clay and called it Golem. And with a queer device – the Shem – he brought the Golem to life.«225
Immer wieder gibt es im Dialog eingestreute sozialistische Pointen. Als die Bevölkerung sich beschwert, dass sie kein Brot habe, streitet sie mit dem Bäcker Matej, der für den Kaiser Brot bäckt. »Frau: You’ve got flour for the Emperor but not for us! Matej: You are quite right, Mother! Frau: Oh Holy Mother Mary, you can’t leave it like this! Matej: She will, if we leave it like this!«226
Im Anschluß nimmt Matej das Brot des Kaisers und verteilt es an die bettelnden Menschen, worauf er ins Verlies geworfen wird. Rudolf II träumt davon, den Golem zu finden und einen Homunkulus herzustellen. Sein Labor, kurz CIA genannt (Central Kitchen of Imperial Alchemists), wird durch den betrügerischen Magier Edward Kelley (Jir& Plachy´) ergänzt. Hier ist Löw bereits gestorben, während Edward Kelley (1555–1595), der von 1584 an in Prag lebte, hier immer noch als Alchemist tätig ist, während er in Realität vor Löw, der bis 1609 lebte, verstarb. Bei einem absurden Ritual, das Rudolf II unter einem Galgen ausführt, findet er zufällig den Golem in einer Höhle. Er wird in den Palast gebracht, aber dem Kaiser fehlt der »Schem« (Name) – in fast allen Golemtraditionen das Wort »emet« auf einem Papier – um ihn zu erwecken. Der von Jaroslav Horejc gestaltete Golem, in Gestalt eines gigantischen Lebkuchenmonsters, sollte das Bild des Golems bis heute bestimmen. Alle Golem-Bilder, Figuren, Schlüsselanhänger etc., die heute auf den Straßen Prags verkauft werden, werden nach seinem Vorbild hergestellt. Im Film wird er durch Kelley und Lang, die Matthias, den Bruder des Kaisers, unterstützen, zum Leben erweckt, indem ihm der Schem in die Stirn geschraubt wird. Der erwachte Golem glüht und spuckt Feuer. Sie entfernen den Schem wieder und verlieren das kleine Pergament in Kugelform. Währenddessen gelingt es Matej, dem Verlies zu entkommen und 225 C&sarˇu˚v Pekarˇ – pekarˇu˚v C&sarˇ, Teil 1, 0:05:36–00:05:46. 226 C&sarˇu˚v Pekarˇ – pekarˇu˚v C&sarˇ, Teil 1, 0:07:26–00:07:36.
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verirrt sich im Palast. In einer wirklich witzigen Szene gerät er in das Badezimmer des Kaisers, der gerade ein vermeintliches »Jugendelixier« getrunken hat. Da Matej deutlich jünger als der Kaiser ist, wird dieser nun für Rudolf gehalten, während der echte Kaiser unterwegs nach Brandeis ist, um sich zu amüsieren. Der Bäcker nützt seine neue Position aus und verbessert die Situation der Bevölkerung, während Lang und Kelley ihn absetzen wollen, um ihn durch Matthias zu ersetzen. Die Gelehrtenwelt und der Hof demaskiert Matej als nutzlose egoistische Feudalgesellschaft, während Arbeiter und Handwerker das positive »Kollektiv« bilden: »This one can do this, that one can do that. And together, we can do much. (…) When you give this and she gives that. Together we will have much more than that. (…) Oil for machines. And machines for work. Work without wars. And fun after work. (…) When we all give what we have to everyone, everything will belong to us all.«227
Matej findet den Schem, erweckt den Golem und entfernt das Stück Papier wieder, nachdem er einiges im Palast zerstört hat. Lang und seine Helfershelfer stürzen Matej, den sie für den Kaiser halten und erwecken den Golem zum Leben. Die Intriganten bringen sich gegenseitig um, während der Letzte vom Golem getötet wird. Rudolf kehrt zurück und überläßt Matej den Golem. Matej setzt diesem Rohre ein und baut aus ihm eine mächtige Energiequelle für seine Brotbacköfen. Am Ende sieht man, wie dadurch viel schneller und vor allem mehr Brot für die Bevölkerung gebacken werden kann, die vereint in den Straßen tanzt. Der Film, der nichts weiter als eine leichte märchenhafte Komödie ist, spielt mit der Prager Golemlegende und streut schlichte sozialistische Weisheiten in einer Welt aus, die noch weit vom Prager Frühling entfernt ist.
5.6. Der Golem trifft Norman Bates Nachdem in den späten 50er und 60er Jahren das legendäre Hammer-Filmstudio in England nahezu jede klassische Gruselfigur – von Dracula bis zum Phantom der Oper – in farbigen und oft blutrünstigen Filmen wiedererweckt hatten, war es nur eine Frage der Zeit, dass auch der Golem in diesem Rahmen seine Auferstehung feiern würde. Warner-Seven Arts produzierte mit »It!« (UK 1966) in London eine moderne Golem-Variante, die zum größten Teil im berühmten Imperial War Museum spielt. Der frühere Kinderstar Roddy McDowall spielt in dem von Herbert J. Leder geschriebenen und inszenierten Horrorfilm den frustrierten Museumsangestellten Arthur Pimm. Einen Brand im Lagerhaus des Museums übersteht nur eine Golem-Statue, die das Museum gerade in Prag 227 C&sarˇu˚v Pekarˇ – pekarˇu˚v C&sarˇ, Teil 2, 0:40:10–00:40:47.
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erstanden hatte. Der Kurator Grove (Ernest Clark), der die Statue untersuchen will, wird von ihr getötet. Die Bewegungen der Statue finden zunächst off-screen statt, denn der Zuschauer erkennt nur an veränderten Armpositionen des steinernen Golems, dass sich etwas geändert hat. Der Golem selbst erinnert an eine antike – nicht sehr ästhetische – etruskische Statue. Pimm ist offensichtlich geisteskrank, denn er hat daheim seine verstorbene Mutter / la »Psycho« als Mumie konserviert, die artig im Schaukelstuhl sitzt. Diese Szene bestimmt bereits den Ton des Films, der eher eine britische Farce denn ein ernster Horrorfilm ist. Bereits in der nächsten Szene tötet der Golem einen vorwitzigen Arbeiter, der es wagt, an ihm ein Streichholz für eine Zigarette zu entzünden – eine bessere Werbung für das Nicht-Rauchen kann es nicht geben. In den Zeitungen sorgt der Golem bereits für Schlagzeilen: »Is the Golem a killer? The Statue strikes again!« und die Besucherzahlen des Museums steigen. Das New York Museum wird aufmerksam und schickt Kurator Jim Perkins (Paul Maxwell), der die Statue untersuchen soll, nach London. Sie möchten diese kaufen, sofern sie authentisch ist. Perkins untersucht sie und findet eine hebräische Inschrift auf dem Golem. Er kann einen Teil entziffern: »Power bringeth destruction; beware, lest it be unleashed.« Perkins klärt Pimm auf, dass diese Inschrift auf dem OriginalGolem eingraviert gewesen wäre. »Pimm: You mean, it was a sort of Frankenstein? Perkins: No, not created by parts of people, more like a Roman statue of Mars or the Greek Zeus. It has no reason or will of ist own. It could only take orders. Pimm: Was this creature real or did you say it was legend? Perkins: Well, History sometimes becomes legend, you know. No, there were a few made. The first was in 1550 by an Elizah de Chelm. And then Judah Loewe, who lived from 1513 to 1609 who said to have made one in Prague. The last recorded one was by a Baal Shem Tov in 1700.«228
Perkins klärt auch Pimm auf, wie der Golem erweckt wird – mit einem Pergament, auf dem »emet« steht, das man ihn unter die Zunge legt. Er findet eine weitere Inschrift auf dem Golem, die »Juda Loewe, Prague, 15..« lautet. Schließlich kratzt Perkins ein paar Lehmproben vom Golem ab. Falls der Lehm nachweislich aus dem Prag des 16. Jahrhunderts stammt, dann müsste es sich um den authentischen Golem handeln. Auch für die Museumskuratoren ist wohl Legende zur Geschichte geworden…. Beeindruckend ist, dass alle Kuratoren – bis auf Pimm, denn er ist ja nur Assistent – problemlos Hebräisch übersetzen können. Pimm paust die gesamte hebräische Inschrift ab, wobei diese ein Wirrwarr aus Proto-Sinaitisch, diversen anderen Alphabeten und viel 228 IT, 0:25:32–0:26:10.
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Fanatsie darstellt. Pimm trifft sich mit einem jüdischen Gelehrten (Richard Goolden), der als Jude natürlich »ein Fremder« in England ist und daher mit einem fürchterlichen Akzent spricht und die Inschrift übersetzt: »He who will find the secret of my life at his feet, him will I serve until beyond time. He who shall evoke me in the 17th century, beware, for I cannot by fire be destroyed. He who shall evoke me in the 18th century, beware, for I cannot by fire or by water be destroyed. He who evokes me in the 19th century, beware, for I cannot by fire or by water or by force be destroyed. He who in the 20th century shall dare evoke me, beware, for neither by fire, nor water, nor force, nor anything by man created can I be destroyed. He who in the 21st century evokes me must be of God’s hand himself because on this earth the person of man existeth no more. (…) This statue is the great Golem believed to have been destroyed centuries ago.«229
Pimm glaubt, dass es sich bei dem emet-Pergament um eine besondere »magic scroll« handeln würde und beginnt sie zu suchen. Er findet sie schließlich »at his feet«, da man die Inschrift wortwörtlich nehmen muss. Das Pergament war im Fuss des Golems verborgen. Der Golem ist nun erwacht und muss für seinen neuen Meister zunächst den lästigen neuen Vorgesetzen Professor Weal (Aubrey Richards) töten. »The curse of the Golem strikes again« nennen es die Londoner Zeitungen. Um Ellen Grove (Jill Haworth), die Tochter des ermordeten früheren Kurators, von seiner Macht und Männlichkeit zu beeindrucken, läßt Pimm, der jetzt Kurator des Museums geworden ist, die Hammersmith Bridge durch den Golem zerstören. Pimm wird die Macht des Golems unheimlich und er möchte ihn vernichten. Er läßt ihn das Pergament schlucken und versucht vergeblich, ihn durch Wasser und Feuer zu zerstören. Perkins hat ihn dabei beobachtet, Pimm wird verhaftet und kommt ins Needham Prison Hospital. Er ruft den Golem, der ihn befreit. Pimm entführt Ellen und holt die Mumie seiner Mutter samt Sarg und Leichenwagen. Er verbarrikadiert sich zusammen mit dem Golem in einer ländlichen, burgartigen Dependance des Museums. Die Leiterin, Miss Swanson (Dorothy Frere), versucht Ellen zu befreien, denn »one tea more with his mother« könne sie nicht ertragen. Pimm tötet Swanson, die aber davor noch die Polizei verständigen kann. Die Armee belagert die Burg und versucht mit immer größeren Waffen, den Golem zu zerstören. Ellen beginnt Pimm lästig zu werden und er läßt sie durch den Golem hinausbringen. Eine Rakete mit nuklearem Sprengkopf wird auf die Burg gefeuert, die Burg mitsamt Pimm den Erdboden gleich macht. Nur der Golem hat überlebt und zerstört sich selbst, indem er ins Meer geht und versinkt. »It!«, den man vielleicht besser »The Curse of the Golem« betitelt haben sollte, ist witziger Grusel-Trash, der nur noch wenig mit den Golem-Legenden zu tun hat. Völlig neu ist diese Idee mit der Unzerstörbarkeit des Golems, auf dem sogar Daten und Namen verzeichnet sind. In 229 IT, 0:31:27–0:32:00.
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allen Golem-Geschichten ist er nichts weiter als ein Lehmhaufen, der erst erweckt werden muss. Hier hat er bereits vor dem Erwachen ein verborgenes Innenleben und kann sogar Leute ermorden, die ihm zu nahe kommen, indem er seine Arme kurz bewegt, um dann wieder in Starre zu verfallen. Ein unterhaltsamer Film aus dem »swinging London« mit McDowall als Norman Bates, wobei sich der Film wie gesagt zum Glück selbst nicht allzu ernst nimmt.
5.7. Der Golem – ein letzter Blick in die Runde Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten alle Golemverfilmungen sich mehr oder weniger mit der jüdischen Legendentradition auseinandergesetzt. Obwohl immer wieder zu lesen ist, dass Wegeners Golem eine Meyrink-Verfilmung sei, wurde sein Roman erst viel später verfilmt. Jean Kerchbron (Paris 1924 – Neuilly-sur-Seine 2003), ein legendärer jüdischer R8sistance-Kämpfer, drehte vor allem in den 50er und 60er Jahren für das französische RTF und ORTF hochwertige TV-Filme, die zum Teil Literaturverfilmungen gewesen sind. 1967 inszenierte er »Le Golem« nach dem Roman von Meyrink. Kerchbron entfernte alle antisemitischen Elemente und konzentrierte sich auf das DoppelgängerMotiv. Andr8 Reybaz spielt den verängstigt-irritierten Athanasius Pernath, der sich in einer Wohnung mit futuristischem Dekor schlafen legt. Er erwacht – oder schläft weiter? – als Gemmenschneider Pernath in Prag. Kerchbron folgt dem Roman Meyrinks und seinen Figuren, wobei nichts vom Set an das tatsächliche Prag erinnert, sondern eher an die expressionistischen Bauten des »Cabinet des Dr. Caligari«. Aber nicht nur der Expressionismus mit seinen Schatten und Winkeln wird von Kerchbron eingesetzt, auch verweisen manche Szenen und Kostüme auf die Masken und Zeichnungen Jean Cocteaus. Kerchbron ist ebenso eindeutig von G. W. Pabsts Verfilmung der »Dreigroschenoper« (Deutschland 1931) inspiriert worden, die auch die Lieder des Film-Komponisten Jean Wiener beeinflußt hat. Der Golem selbst – ein Doppelgänger Pernaths? – taucht als Bedrohung zweimal im Film auf und Jean Gourmelins Maske zitiert »Fantomas« und Cocteau. Die Filmzeitschrift »midi / minuit Fantastique« hatte viele Fotos des Golems veröffentlicht230, die Federico Fellini bei der Gestaltung seiner Casanova-Figur (Fellinis Casanova, Italien 1976) inspirieren sollten.231 In einer filmisch atemberaubenden Szene wird der Golem / Pernath von einer Kapuzen tragenden Meute mit Mistgabeln und Keulen durch Prag gehetzt. 230 midi/minuit fantastique 15–16 (Dezember 1966- Januar 67), S. 6–15. 231 Hava Aldouby, Federico Fellini: Painting in Film, Painting on Film, Toronto: University of Toronto Press 2013, S. 114.
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Kerchbron ist mit seinem Film eine beeindruckende Meyrink-Verfilmung gelungen, die besser auf der großen Leinwand seine gelungene Schwarz-WeissFotographie hätte entfalten können als in damals noch recht kleinen TV-Geräten. Kabbala und Judentum spielen hier – wie im Roman – keine erwähnenswerte Rolle. Eine weitere Golem-Meyrink-Verfilmung wurde hinter dem »eisernen Vorhang« produziert. Piotr Szulkins dystopischer »Golem« (1980) ist wie die Credits auch schon andeuten, von Meyrinks Golem »inspiriert«, aber eher Franz Kafkas »Prozess« verpflichtet. Der post-apokalyptische Science-Fiction Film wirkt wie eine frühe Version von Terry Gilliams »The Zero Theorem« (UK 2013). Hier erschaffen gefühllose Wissenschaftler aus Pernat (Marek Walczewski) einen Doppelgänger, der aber im Gegensatz zu allen anderen Figuren und auch dem »Original-Pernat«, Mitgefühl und Individualität besitzt. Die wiederkehrenden Verhörsituationen, unschuldig verfolgt zu werden, Begegnungen mit irrwitzigen Figuren und absurde Situationen erinnern an Kafka. In einer besonders skurillen Szene wird Pernat verdächtigt, ein Ritualmörder zu sein und Blut in Flaschen abzuzapfen. In einem Kino hängen Poster von Universals Wolfsmensch, dem Frankenstein-Monster und Romeros »Night of the Living Dead« und spiegeln so die Verbindung von Pernat und anderen Kreaturen und Monstern. Obwohl von den Golem-Legenden hier zwar nichts mehr zu finden ist und auch von Meyrink nicht viel mehr als das Doppelgänger-Motiv übrig bleibt, ist der alptraumhafte Film eine spannende Reflexion über künstliche Wesen und der Rolle des Menschen in der Schöpfung. Ganz anders ist dagegen die von Amos Gitai während seines persönlichen Exils in Frankreich gedrehte Golem-Triologie, die eigentlich mehr mit Wurzellosigkeit als mit dem Golem zu tun hat. Der erste Teil »Naissance d’un Golem« (Geburt eines Golems, Frankreich 1991) dauert endlose 60 Minuten und ist fragmentarisch und enervierend. Wir hören Texte aus der Bibel (Genesis) und andere Texte, die von der Adams-Schöpfung oder vom Golem handeln. Dazu sehen wir – teilweise sehr schlecht gedrehte – Kamerafahrten, oft aus dem Zug heraus, die in Moskau oder der Wüste entstanden. Zwischen Filmemachen und Golemschaffen wird eine bemühte Analogie gezogen. Gitai erzählt keine Geschichte, sondern reflektiert über die Schöpfung. In einer sehr peinlichen Szene schält sich ein weiblicher Golem (Annie Lennox) aus dem Wüstensand. Der zweite Teil, »Golem, l’esprit de l’exil (Golem, der Geist des Exils, Frankreich 1992), hat mehr Beziehungen zur biblischen Ruth-Geschichte als zum Golem. Bis auf ein paar Auszüge aus dem Sefer Jezirah werden ausschließlich biblische Texte zitiert. Hana Schygulla spielt einen ungemein affektierten »Geist des Exils«, der legendäre Regisseur Sam Fuller darf nach ein paar Minuten durch Trunkenheit tödlich verunglücken. Der dritte Teil »Golem, le jardin p8trifi8« (Golem, der versteinerte Garten, Frankreich 1993) erzählt eine zumindest halbwegs interessante Geschichte in Form eines absurden Road-Movies. Auf der Suche nach einer vermeintlichen Golem-Statue, die sich
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als Finger einer kolossalen Lenin-Figur entpuppt, irrt der Kunsthändler Daniel Cornish (Jerome Koenig) durch die gerade zusammengebrochene Sowjetunion. In einer Sequenz schlägt Cornish einen großen Folianten auf und liest aus dem Sefer Jezirah – in der Großaufnahme entpuppt sich der Text als der biblische Jesaja. Amos Gitai hat in dieser Triologie die berühmte Grundregel von Billy Wilder gründlichst mißachtet – »Du sollst nicht langweilen!« Eine dagegen wunderschöne Reminiszenz an die alten jüdischen Legenden ist der amerikanische Kurzfilm »The Golem« (USA 1995) von Lewis Schoenbrun. Eine alte Synagoge in Los Angeles, deren Rabbiner Judah Loewenstein (sic!) kaum mehr die nötigen Männer für den Gottesdienst am Schabbat zusammenstellen kann, wird durch einen Grundstücksmakler bedroht. Einer der Beter ist der Großvater des völlig assimilierten David (Matt Letscher), der lieber Spanisch als Jiddisch lernt. Nach einer Konfrontation mit dem Makler erweckt der Großvater alleine in der Synagoge den Golem, der schon 65 Jahre in der Gemeinde ruht. Bereits 1929 war er zum Schutz der Gemeinde geschaffen worden. Der Großvater überlebt das anstrengende Ritual nicht. Aber der Golem (David Sawyer) beginnt seine Aufgabe. Er tötet den Makler und zwei Drogendealer. David, von Loewenstein (Edward Asner) darüber aufgeklärt, dass ein Golem ein Diener und Beschützer sein kann, erklärt ihm, dass der Golem für diese Taten verantwortlich sei und gestoppt werden müsse, bevor sich seine Funktion wandelt und er sich zur Gefahr für die Gemeinde entwickelt. David geht in sein Apartment, das er fast nicht betreten kann, da der Golem ihm ganz traditionell eine Fuhre Holz gehakt und geliefert hat. Als Hinweis auf die aktuellen »Golem-Filme« hängt in Davids Wohnung ein Plakat von »Blade Runner«. David glaubt an den Golem, obwohl er ihn noch nicht gesehen hat und versucht den schwarzen Polizisten Devereaux (Michael D. Roberts), der die Morde untersucht, davon zu überzeugen. Dieser hält die Golem-Story für den gleichen Aberglauben wie der Vodooglaube seiner Familie. Schließlich wird der Golem, als ein kleines Mädchen, eine Schülerin Davids, trifft, zerstört, indem sie den Buchstaben »Alef« auf seiner Stirn auslöscht. Dies erinnert natürlich an Wegeners Golem-Ende, wobei Schoenbrun die traditionell korrekte Version zeigt. Die Synagoge ist gerettet und wird nicht abgerissen. Der Golem hat seine Aufgabe erfüllt und David geht zum Freitagabendgottesdienst, um Kaddisch für den Großvater zu sprechen. Der Film spielt genial mit den Elementen der Legenden und trotz aller Nostalgie zeigt er die Wichtigkeit jüdischer Traditionen und dass die jungen Generationen diese auch pflegen sollten. Der Golem, dessen Äußeres an den französischen Golem aus den 30er Jahren erinnert, hat im doppelten Sinn die Gemeinde gerettet – das Gebäude aber auch David als Mitglied für den Minjan. In einem ganz anderen Rahmen wurde eine der intelligentensten Auseinandersetzungen mit dem Golem in jüngerer Zeit geschaffen. Für die vierte Staffel
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der amerikanischen Fox-TV-Serie »X-Files« schrieb Produzent Howard Koch die Episode »Kaddish«, die von Kim Manners gedreht wurde. »Kaddish« setzt sich nicht nur mit dem Golem-Mythos auseinander, sondern auch mit der Shoah, den Problemen der »Zweiten Generation« und aktuellem Antisemitismus. Die chassidische Gemeinde leidet hier unter den Attacken von Neonazis, die allein in einem Jahr die Synagoge 13 mal geschändet hatten. Darüber hinaus verbreitet der Copy-Shop-Besitzer Curt Brunjes (David Whittaker) widerliche antisemitische Pamphlete wie »AIDS created by Jews«. In seiner Druckerei hängt eine riesige Hakenkreuzfahne. Brunjes Hetze ermuntert drei junge Männer, nicht nur Worte gegen die Juden einzusetzen. Sie ermorden den Ladenbesitzer Isaac Luria (Harrison Coe), der gerade vor seiner Hochzeit mit Ariel Weiss (Justine Miceli) stand. In den Namen der beiden Verlobten haben wir einen doppelten Hinweis auf die Kabbala, zum einen war Luria ja der legendäre Begründer der lurianischen Kabbala und zum anderen wurde er »Ari«, der Löwe genannt. Ariel ist die Tochter des Shoah-Überlebenden Jacob Weiss aus dem böhmischen Kolin. Er war der Assistent eines Juweliers und überlebte ein grausames Massaker 1943. Ein wunderschöner Ehering, den der Juwelier mit Jacobs Hilfe gestaltet hatte, war das Einzige, was an die Gemeinde von Kolin erinnert. Jacob wollte ihn für die Trauung mit Isaac seit der Shoah zum ersten Mal verwenden. Die Episode spielt mit einigen Details auf »Schindler’s List« an: zu Beginn sehen wir bei Lurias Beerdigung ein kleines Mädchen im roten Mantel und Jacob Weiss konnte dadurch überleben, dass er kleine Finger hatte, »to make bullets at a munitions factory«. Genauso argumentiert Oskar Schindler : »They’re skilled munitions workers! They’re essential! Essential girls! Their fingers polish the insides of shell metal casings.« Die Erinnerung an die Shoah wird bei den Kindern der Überlebenden und deren Nachkommen nicht nur durch Erzählungen der ersten Generation, sondern auch zunehmend durch Filme wie »Holocaust« oder »Schindler’s List« getragen. So verbindet »Kaddish« auf der einen Seite die Tradition der Erinnerung durch die Geschichte des Vaters, die Ariel als Kind weiter gibt und zum anderen wird der Zuschauer an die bekannten filmischen Shoah-Traditionen wie »Schindler’s List« erinnert. Er zeigt aber auch den andauernden Antisemitismus und die Verschwörungsfantasien. Brunjes unterstellt den beiden FBI-Agenten Mulder (David Duchovny) und Scully (Gillian Andersen), »zionistische Kollobarateure« zu sein und darüber hinaus sähe Mulder ohnehin wie ein Jude aus. Ariel nimmt ein Exemplar des Sefer Jezirah ihres Vaters, legt es Isaac mit ins Grab und schreibt ihm »emet« auf die Hand. Aus dem Schlamm der Friedhofserde erschafft sie einen Golem, der Isaac physisch ähnelt. Sie tat das nicht aus Rachefantasien, sondern um die Trauung zu vollziehen und den Ring des Vaters zu tragen. Hier bricht die Episode mit den Golemtraditionen, da es ja »jungfräuliche Erde« sein muss und »emet« z. B. auf die Stirn des Golems geschrieben wird. Auch der Golem als wiederer-
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weckte Form Isaacs ist eine neue Idee, die den alten Mythos kreativ weiterführt. Aber der Golem rächt sich an seinen Mördern und tötet sowohl Brunjes als auch die drei Täter. Mulder und Scully recherchieren den Fall, indem sie sich u. a. durch einen Kabbala-Gelehrten über die Tradition des Sefer Jezirah aufklären lassen. Ariel vernichtet allerdings selbst den Golem, indem sie das »alef« auf seiner Hand löscht. Allerdings hat sie ihn zuvor geheiratet und hat ihr den Ring aus Kolin an den Finger gesteckt. In der Folge »Kaddish« zeigt sich beispielhaft, wie ein spannender intertextueller Kommentar zur Kabbala und der Golem-Idee aussehen kann. Nicht nur aktuelle Bezüge zu Neonazis und Antisemitismus, sondern auch die Probleme der Post-Shoah und der Erinnerungskultur werden hier verarbeitet, ohne aufgesetzt zu wirken. Wir finden ebenfalls im amerikanischen TV eine witzige Aufarbeitung von Wegeners Golem – in dem Teil »You gotta know when to Golem« der Halloween-Episode (Treehouse of Horror XVII) der 18. Staffel der »Simpsons« (USA 2006). Hier ruht der Golem unter anderem Trödel in der Rumpelkammer des jüdischen Clowns Krusty (Dan Castellaneta). Krusty erzählt die Prager Golemlegende und wir sehen hier einen Rabbi Löw, der anders als bei Wegener viel authentischer wirkt. An seiner Wand hängt auch eine Abbildung der zehn Sefirot und nicht irgendwelche schwarz-magischen Symbole. Er erschafft den Golem aus Lehm und nicht mit Hilfe Satans. Der Golem (Richard Lewis) sieht exakt so aus wie Wegeners Golem – mit einem wichtigen Unterschied. Auf seiner Brust ist kein Pentagramm, sondern ein Davidschild. Bart Simpsons (Nancy Cartwright) erweckt den Golem wieder zum Leben, indem er ihm den »Schem« unter die Zunge legt. Allerdings wird er hier zum Auftragskiller / la »It!«. Man schreibt seine Wünsche auf und wirft sie dem Golem in den Mund, der sie prompt erfüllt. Da Rabbi Löw wie Dr. Frankenstein von einer wilden Horde bewaffnet mit Mistgabeln und Fackeln bedroht wird, stapft der Golem hinaus und erledigt sie mit einer Winchester. Bart Simpsons nutzt diese Eigenschaft des Golems aus, um die Schulrüppel umzubringen oder Direktor Skinner zu quälen. Seine Schwester Liza Simpsons (Yeardley Smith) kommt auf eine witzige Idee, indem sie dem Golem befiehlt »zu sprechen«, worauf er aus seinem langem Leben als Killer beichtet. Marge Simpsons (Julie Kavner) baut daraufhin aus Play-Doh einen weiblichen Golem (Fran Drescher) und der Golem hält eine jüdische Hochzeit ab. Mazal Tov! Der Golem ist in der amerikanischen Populär-Kultur zu einer festen Konstante geworden, die in Büchern, Comics oder Filmen im Zentrum steht oder nur zitiert oder erwähnt wird, wie man in Jonathan Strouds »The Golem’s Eye«, David Wisniewskis »Golem« oder Jonathan und Jesse Kellermans »The Golem of Paris« sehen kann. Die alten Geschichten und Legenden, vor allem die moderne Version von Rosenberg, haben einen neuen Mythos erschaffen, der in der Gegenwart mit all den anderen nichtjüdischen Verwandten des Golems, den griechischen Maschinen oder dem Homunkulus wie in Ridley Scotts »The Blade Runner« verschmolzen
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wurden. Der Golem steht aber auch für die Hoffnung auf einen Erlöser. Hier trifft sich die jüdische Messias-Idee mit der Kabbala. Die Lehren der lurianischen Kabbala hatten dem Menschen eine aktive Rolle im Erlösungsprozess zugestanden und auch den Erlöser durch Taten und Rituale herbei zu zwingen. Dies verstärkte die jüdischen messianischen Spannungen und Hoffnungen und führte zu den modernen messianischen Bewegungen im Judentum im 17. und 18. Jahrhundert. Der jüdische Messianismus und seine »Erlösungsgestalten« prägten auch den amerikanischen Monomythos vom »American Superhero«. Eine Gesellschaft ist durch Banden und /oder einen bösen Diktator bedroht und der einsame Held kommt aus dem Nichts und rettet diese Menschen wie in Clint Eastwoods »Pale Rider« (USA 1985). Am Ende zieht er weiter. Es gibt aber auch die stärker durchs Christentum beeinflußte Variante, dass sich der Held am Ende aufopfert wie in George Stevens »Shane« (USA 1953). Steven Spielberg hat in mehreren seiner Filme solche überlebensgroße Erlöser- und Rettergestalten wie in »Schindler’s List« (USA 1993), »Amistad« (USA 1997) oder »Saving Private Ryan« (USA 1998). In diesen Filmen wird nicht nur Unterdrückung und Sklaverei thematisiert, sondern auch die Sehnsucht der Menschen nach Erlösung und Freiheit. Aber die Erlösung kommt nicht »von oben«, sondern die Menschen müssen aktiv dafür kämpfen und zur Not »einen Golem bauen« – und in der Zukunft die Erinnerung an diese Vergangenheit bewahren. Zuletzt hatte Spielberg in seinem Film »Lincoln« (USA 2012) den Präsidenten als Messias-Figur gezeigt, die gerne einmal »ins Heilige Land« reisen wolle, um Jerusalem zu besuchen und dort zu sein, wo David und Salomo lebten.232 Der Golem ist eine Chiffre für eine ebenso überlebensgroße Erlösergestalt geworden. In Quentin Tarantinos genialer Kriegsfantasie »Inglorious Basterds« (USA 2009) wird der Bear Jew (Eli Roth), der Nazis mit einem Baseballschläger regelrecht zermatscht, vom verängstigten Hitler (Martin Wuttke) als Golem bezeichnet. Der Bear Jew kann kein Mensch und schon gar kein Jude sein, sondern eine durch jüdische Magie erschaffene künstliche Killermaschine. Wenn am Ende des Films, der ununterbrochen amüsant auf die deutsche Filmgeschichte oder den Italo-Western anspielt, der Bear Jew Hitler und Goebbels (Sylvester Groth) mit einer Maschinenpistole in Einzelteile schiesst, dann wünscht man sich, diese Geschichte wäre doch keine Fanatsie. Der Golem killt Hitler, so schön kann Kino sein.
232 Lincoln, 2:14:18–2:14:31.
6.
Nachwort
Ich wollte mit dieser Studie zeigen, dass Filme genauso als Quelle zu berücksichtigen sind wie ein mittelalterlicher Midrasch. Auch sie kommentieren mitunter Elemente der Kabbala, deuten biblische Figuren neu oder bürsten die jüdische Geschichte gegen den Strich. Filme sind aber nicht nur moderne Kommentare zur jüdischen Kultur und zu jüdischen Lebenswelten, ihre Bilderwelten prägen auch oft das öffentliche Bild des Judentums. Paul Wegeners »Golem« von 1920 zeigte die Juden zwar als bedrohte Gruppe, aber zugleich adaptierte er eine ganze Reihe gefährlicher jüdischer Stereotypen und präsentierte die Juden als Zauberer, Teufelsbündler, Mörder und Vamps. Er zeichnete das Ghetto von Prag als Ort des Fremden im Kontrast zur bunten christlichen Gegenwelt, in der blonde Engelskindchen friedlich spielen. Im polnischen Spielfilm »Demon« spiegeln sich dagegen auf erschütternde Weise die Folgen der Shoah und der kommunistischen Periode. Polen, ein Land ohne Juden, in dem – wie im amerikanischen Horrorfilm »Poltergeist« die Geister der Native Americans – hier die Geister der ermordeten Juden zurückkehren. Eine erfreuliche Tendenz kann man dagegen im zeitgenössischen amerikanischen Spielfilm sehen. In Blockbustern wie »Noah« oder erfolgreichen und weltweit ausgestrahlten TV-Serien wie den »Simpsons« oder »X-Files« wird auf unverkrampfte Weise mit den Elementen der jüdischen Tradition umgegangen, wie im Falle der von mir behandelten Folge der »X-Files« sehr eindringlich auf die Problematik der Post-Shoah eingegangen. Ich wollte mit dieser Studie zum einen zeigen, wie wichtig es ist, Filme gerade zu jüdischen Themen zu kontextualisieren und ihre Hintergründe und verarbeiteten Quellen aufzuzeigen. Zum anderen wollte ich dazu beitragen, dass man Filme nicht nur als pure Unterhaltung sieht, sondern ebenso ihre kulturelle Leistung als Midrasch zu Bibel, Talmud oder eben Kabbala erkennt. Film als Midrasch zu deuten ist eine Aufgabe auch zukünftiger Untersuchungen zu jüdischer Literatur und jüdischen Lebenswelten.
7.
Filmographie
Ahava Asura, ha-Dybbuk b’sde hatapuchim hakdoshim (Übersetzung: Verbotene Liebe, der Dybbuk vom Feld der heiligen Äpfel) Israel 1997 Internationaler Titel: The Dybbuk of the Holy Apple Field Produktionsfirma: Condor Films Länge: 93 Minuten Deutsche Erstaufführung: Nur Festivals TV-Mitschnitt, keine VHS / DVD Erscheinung Darsteller : Yeheskel Lazarov (Chanan), Ayelet Zurer (Lea), Igal Naor (Sender), Orna Porat (Frieda), Alon Dahan (Eli), Moshe Ivgy (Azriel) Produzent: Jack Dimenstein Regie: Yossi Somer Buch: Eyal Sher, Yossi Somer Kamera (Farbe, 1.85:1): Emmanuel Kadosh Musik: Rick Wentworth, Roger Waters Schnitt: Dov Stoyer Bee Season USA 2005 Deutscher Titel: Die Buchstabenprinzessin Produktionsfirma: Fox Länge: 104 Minuten Deutsche Erstauffuehrung: DVD-Premiere: 2006 DVD-Anbieter : Kinowelt Darsteller : Richard Gere (Saul Naumann), Juliette Binoche (Miriam Naumann), Flora Cross (Eliza Naumann), Max Minghella (Aaron Nauman), Kate Bosworth (Chali) Produzent: Albert Berger Regie: Scott McGehee, David Siegel Buch: Naomi Foner Gyllenhall, nach einem Roman von Myla Goldberg
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Filmographie
Kamera (Farbe, 2.35:1): Giles Nuttgens Musik: Peter Nashel Schnitt: Martin Walsh, Lauren Zuckerman Black Swan USA 2010 Produktionfirma: Fox Searchlight Länge: 108 Minuten Deutsche Erstaufführung: 20.01. 2011 DVD / Blu Ray-Anbieter : 20th Centuy Fox Home Entertainment Darsteller : Natalie Portman (Nina Sayers), Vincent Cassel (Thomas Leroy), Mila Kunis (Lily), Barbara Hershey (Erica Sayers), Winona Ryder (Beth MacIntyre) Produzent: Jon Avnet Regie: Darren Aronofsky Buch: Mark Heiman, Andres Heinz Kamera (Farbe, 2.35:1): Matthew Libatique Musik: Clint Mansell Schnitt: Andrew Weisblum La Belle histoire Deutscher Titel: Die schönste Geschichte der Welt Frankreich 1992 Produktionsfirma: Les Films 13/TF1 Films Productions Länge: 179 Minuten Deutsche Erstaufführung: DVD-Premiere 2005 DVD-Anbieter : Black Hill/Warner Darsteller : G8rard Lanvin (J8sus), B8atrice Dalle (Odona), Patrick Chesnais (Pierre), Marie-Sophie L. (Sophie), Vincent Lindon (Simon) Regie: Claude Lelouch Buch: Claude Lelouch Kamera (Farbe, 70 mm, 2.20:1): Jean-Yves Le Mener Musik: Francis Lai, Philippe Servain Schnitt: H8lHne de Luze C&sarˇu˚v pekarˇ – Pekarˇu˚v c&sarˇ Deutscher Titel: Der Kaiser und sein Bäcker CSSR 1952 Produktionsfirma: St#tni-Film Länge: 86 Minuten + 69 Minuten Deutsche Erstaufführung (nur DDR): 6. 2. 1953 DVD-Anbieter : Filmexport Home Video
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Darsteller : Jan Werich (Kaiser/ Bäcker), Marie V#sov# (Gräfin Strada), Natasa Gollov# (Sirael), Jir& Plachy´ (Edward Kelley), Bohus Z#horsky´ (Lang) Regie: Martin Fric Buch: Jan Werich, Jir& Brdecka Kamera (Farbe, 1.37:1): Jan Stallich Musik: Julius Kalas Schnitt: Jan Kohout Demon Deutscher Titel: Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen Polen 2015 Produktionsfirma: Telewizja Polska Länge: 94 Minuten Deutsche Erstaufführung: 28.7. 2016 DVD / Blu Ray-Anbieter : Alive Darsteller : Itay Tiran, Tomasz Zietek (Ronaldo), Agnieszka Zulewska (Zaneta), Andrzej Grabowski (Schwiegervater), Wlodzimierz Press (Wentz) Produzent: Olga Szymanska Regie: Marcin Wrona Buch: Pawel Maslona Musik: Marcin Macuk Kamera (Farbe, 2.35:1): Pawel Flis Schnitt: Piotr Kmiecik Der Dibuk Internationaler Titel: The Dybbuk Polen 1937 Produktionsfirma: Warszawskie Biuro Kinematograficzne Feniks Länge: 123 Minuten Deutsche Erstaufführung: 13. 3. 1992 TV 3sat DVD-Anbieter : National Center for Jewish Film Brandeis University Darsteller : Avrom Morewski (Rabbi), Moyzesz Lipman (Sender), Lili Liliana (Lea), Leon Liebgold (Chanan), Gerszon Lemberger (Nisson), Judith Berg (Tänzerin) Produzent: Zygfryd Mayflauer Regie: Michal Waszynski Buch: S.A. Kacyzna, Andrzej Marek nach S. An-sky Musik: Henoch Kon Kamera (s/w, 1.37:1): Albert Wywerka Schnitt: George Roland Choreographie: Judith Berg
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The Dybbuk USA 1960 Produktionsfirma: NTA (TV Film) Länge: 104 Minuten (s/w, 1.33:1) Keine deutsche Erstaufführung DVD-Anbieter : Entertainment One / The Archive of American Television Darsteller : Theodore Bikel (Sender), Sylvia Davis (Frade), Michael Talon (Channon), Ludwig Donath (Azraell), Vincent Gardenia (Nissen), Carol Lawrence (Lea)h Produzent: Lewis Freedman Regie: Sidney Lumet Buch: Joseph Liss, nach S. An-sky Musik: John Gruen Choreographie: Anna Sokolov The Fountain Deutscher Titel: The Fountain – Quell des Lebens USA 2006 Produktionsfirma: Warner Bros. Länge: 98 Minuten Deutsche Erstauffuehrung: 18. 1. 2007 DVD-Anbieter : Kinowelt Darsteller : Hugh Jackman (Tomas/Tommy/Tom Creo), Rachel Weisz (Isabel/Izzi Creo), Ellen Burstyn (Dr. Lillian Guzetti), Mark Margolis (Father Avila), Stephen McHattie (Großinquisitor Silecio), Sean Patrick Thomas (Antonio), Cliff Curtis (Capt. Ariel) Produzent: Eric Watson, Arnon Milchan, Iain Smith Regie: Darren Aronofsky Buch: Darren Aronofsky Kamera (Farbe, 1.85:1): Matthew Libatique Musik: Clint Mansell Schnitt: Jay Rabinowitz Genghis Cohn Deutscher Titel: Der Tanz des Dschinghis Cohn Großbritannien 1994 Produktionsfirma: BBC (TV Film) Länge: 80 Minuten Deutsche Erstauffuehrung: 28. 11. 1995 TV West 3 DVD-Anbieter : BBC (Compilation Diana Rigg at the BBC)
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Darsteller : Antony Sher (Dschinghis Cohn), Robert Lindsay (Otto Schatz), Diana Rigg (Frieda von Stangl), Daniel Craig (Hauptwachtmeister Guth), Matthew Marsh (Herr Krüger) Produzent: Ruth Caleb Regie: Elijah Moshinsky, nach Romain Gary Buch: Stanley Price Kamera (Farbe, 1.33:1): John Daly Musik: Carl Davis Schnitt: Ken Pearce Golem Polen 1980 Produktionsfirma: Film Polski Länge: 92 Minuten Keine deutsche Erstaufführung DVD-Anbieter : Kino Lwiat (Compilation zu Szulkin) Darsteller : Marek Walczewski (Pernat), Krytyna Jana (Rozyna) Regie: Piotr Szulkin Buch: Piotr Szukin, inspiriert von Gustav Meyrink Kamera (Farbe, 1.85:1): Zygmunt Samosiuk Musik: Zygmunt Konieczny Schnitt: Elzbieta Kurkowska The Golem USA 1995 (TV Film) Produktionsfirma: Laybl Productions Länge: 25 Minuten Keine deutsche Erstaufführung DVD-Anbieter : ergo Media Jewish video Darsteller : Matt Letscher (David), Edward Asner (Rabbi Loewenstein), Dawid Awyer (Golem) Produzent: Eric P. Steckler Regie: Lewis Schoenbrun Buch: Lewis Schoenbrun Kamera (Farbe, 1.33:1): Dan Kneece Musik: Barry Salmon Schnitt: Neil Eric Wenger Der Golem, wie er in die Welt kam Deutschland 1920 Produktionsfirma: PAGU – Ufa
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Länge: 84 Minuten FSK: DVD: ab 12 Deutsche Erstauffuehrung: 29. 10. 1920 DVD-Anbieter : Eureka (restaurierte Fassung der Murnau-Stiftung) Darsteller : Paul Wegener (Golem), Albert Steinrück (Rabbi Löw), Lyda Salmonova (Miriam), Ernst Deutsch (Famulus), Otto Gebühr (Kaiser) Produzent: Paul Davidson Regie: Paul Wegener, Carl Boese Buch: Paul Wegener, Henrik Galeen Kamera (s/w, 1.33:1): Karl Freund Musik: Hans Landsberger Le Golem Frankreich/ CSSR 1936 Länge: 95 Minuten Deutsche Erstaufführung: Nur Festivals DVD-Anbieter : ergo Media Jewish Video Darsteller : Harry Baur (Rudolf II), Germaine Aussey (Gräfin Strada), Jany Holt (Rachel), Roger Karl (Kanzler Lang), Charles Dorat (le rabbin Jacob), Ferdinand Hart (Golem) Produzent: Charles Philipp Regie: Julien Duvivier Buch: Jiri Voskovec und Jan Werich Kamera (s/w, 1.37:1): Jan Stallich, V#clav Vich Musik: Josef Kumok Schnitt: Jiri Slavicek Le Golem Frankreich 1967 (TV-Film ORTF) Länge: 110 Minuten Keine Deutsche Erstaufführung DVD-Anbieter : Ina Editions Darsteller : Andr8 Reybaz (Pernath), George Douking (Zwack), FranÅois Vibert (Wassertrum), FranÅoise Winskill (Rosina), Magali No[l (Angelina), Robert Etcheverry (Prokop) Produzent: ORTF Regie: Jean Kerchbron Buch: Jean Kerchbron, Louis Pauwels, nach Gustav Meyrink Kamera (s/w, 1.33:1): Albert Schimel Musik: Jean Wiener Schnitt: Guy Fourmond
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IT! Deutscher Titel: Der Golem lebt Großbritannien 1967 Produktionsfirma: Gold Star Länge: 96 Minuten Deutsche Erstaufführung: 10. 2. 1996 ZDF DVD-Anbieter : Warner Home Video Darsteller : Roddy McDowall (Arthur Pimm), Jill Haworth (Ellen Grove), Paul Maxwell (Jim Perkins), Aubrey Richards (Professor Weal), Ernest Clark (Howard Grove) Produzent: Herbert J. Leder Regie: Herbert J. Leder Buch: Herbert J. Leder Kamera (Farbe, 2.35:1): David Boulton Musik: Carlo Martelli Schnitt: Tom Simpson Life of Pi Deutscher Titel: Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger USA 2012 Produktionsfirma: Fox 2000 Länge: 127 Minuten Deutsche Erstaufführung: 20. 12. 2012 DVD / Blu Ray-Anbieter : 20th Century Fox Home Entertainment Darsteller : Suraj Sharma (Pi Patel mit 17), (Pi als Erwachsener), Tabu (Gita Patel), Rafe Spall (Schriftsteller), G8rard Depardieu (Koch), Ayush Tandon (Pi mit 11/12), Gautam Belur (Pi mit 5) Produzent: Ang Lee Regie: Ang Lee Buch: David Magee, nach Yann Martel Kamera (Farbe, 1.85:1, 3-D): Claudio Miranda Musik: Mychael Danna Schnitt: Tim Squyres Noah Deutscher Titel: Noah USA 2014 Produktionsfirma: Paramount Pictures Länge: 138 Minuten Deutsche Erstaufführung: 13. 3. 2014 DVD / Blu Ray-Anbieter : Paramount
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Dasrteller : Russel Crowe (Noah), Jennifer Connelly (Naamah), Emma Watson (Ila), Ray Winstone (Tubal-Cain), Anthony Hopkins (Methusalem) Produzent: Darren Aronofsky Regie: Darren Aronofsky Buch: Darren Aronofsky, Ari Handel Kamera (Farbe, 1.85:1, 3-D): Matthew Libatique Musik: Clint Mansell Schnitt: Andrew Weisblum Noah’s Ark Deutscher Titel: Arche Noah – Das Drama der Sintflut USA 1928/58 Produktionsfirma: Warner Bros. Länge: 135 Minuten Deutsche Erstaufführung: 1929 DVD-Anbieter : Warner Archive Collection Darsteller : Dolores Costello (Mary/Miriam), George O’Brien (Travis/Jafet), Noah Beery sr. (Nickoloff/König Nephilim), Louise Fazenda (Hilda/Mädchen in der Taverne), Guinn Williams (Al/Ham), Paul McAllister (Priester/Noah), Myrna Loy (Tänzerin/Sklavenmädchen) Produzent: Darryl F. Zanuck Regie: Michael Curtiz Buch: Darryl F. Zanuck Kamera (s/w, 1.33:1): Hal Mohr, Barney McGill Musik: Alois Reiser Schnitt: Harold McCord Partir, revenir Deutscher Titel: Weggehen und wiederkommen Frankreich 1984 Produktionsfirma: Films 13 Länge: 117 Minuten Deutsche Erstaufführung: 18. 9. 1987 DVD-Anbieter : Black Hill/Warner Darsteller : Annie Girardot (H8lHne), Jean-Louis Trintignant (Roland), Richard Anconina (Vincent), Evelyne Bouix (Salom8), Michel Piccoli (Simon) Produzent: Tadek Zietara Regie: Claude Lelouch Buch: Claude Lelouch Kamera (Farbe, 2.35:1): Bernard Lutic
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Musik: Sergej Rachmaninow, Michel Legrand Schnitt: Hugues Darmois Pi Deutscher Titel: Pi USA 1998 Produktionsfirma: Harvest Filmworks Länge: 84 Minuten Deutsche Erstaufführung: 8. 4. 1998 DVD-Anbieter : Arthaus Darsteller : Sean Gullette (Max Cohen), Ben Shenkman (Lenny Mayer), Mark Margolis (Sol Robeson), Stephen Pearlman (Rabbi Cohen) Produzent: Tyler Brodie Regie: Darren Aronofsky Buch: Darren Aronofsky Kamera (s/w, 1.66:1): Matthew Libatique Musik: Clint Mansell Schnitt: Oren Sarch The Possession Deutscher Titel: Possession – Das Dunkle in dir USA/Kanada 2012 Produktionsfirma: Ghost House Pic. Länge: 92 Minuten Deutsche Erstaufführung: 8. 11. 2012 DVD / Blu Ray-Anbieter : StudioCanal Darsteller : Jeffrey Dean Morgan (Clyde Brenck), Kyra Sedgwick (Stephanie Brenck), Madison Davenport (Hannah), Natasha Calis (Em), Grant Snow (Brett), Matisyahu (Tzadok), Jay Brazeau (Prof. McMannis) Produzent: Sam Raimi, Robert Tapert Regie: Ole Bornedal Buch: Juliet Snowden Kamera (Farbe, 2.35:1): Dan Laustsen Musik: Anton Sanko Schnitt: Eric L. Beason, Anders Villadsen Ha-Sodot (Übersetzung: Die Geheimnisse) Internationaler Titel: The Secrets Israel 2007
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Filmographie
Produktionsfirma: Gold Star Länge: 127 Minuten Deutsche Erstaufführung: Nur Festivals DVD-Anbieter : Medusa Darsteller : Fanny Ardant (Anouk), Ania Bukstein (Noemi), Michal Stamler (Michel), Adir Miller (Yanki) Produzent: Liat Benasuly Regie: Avi Nesher Buch: Hadar Galron Kamera (Farbe, 1.85:1): Michel Abramowicz Musik: Daniel Salomon Schnitt: Isaac Sehayek The Ten Commandments USA 1956 Deutscher Titel: Die Zehn Gebote Produktionsfirma: Paramount Pictures Länge: 220 Minuten Deutsche Erstauffuehrung: 17. 2. 1958 DVD-Anbieter : Paramount (Universal Pictures) Darsteller : Charlton Heston (Moses), Yul Brynner (Ramses), Anne Baxter (Nefretiri), Edward G. Robinson (Dathan), Cedric Hardwicke (Sethi), Vincent Price (Baka) Produzent: Cecil B. DeMille Regie: Cecil B. DeMille Buch: Jesse L. Kasky Jr., Aeneas MacKenzie, Jack Gariss Kamera (Farbe, 1.85:1): Loyal Griggs Musik: Elmer Bernstein Schnitt: Anne Bauchens The Unborn Deutscher Titel: The Unborn USA 2009 Produktionsfirma: Rogue Pic./Platinum Dunes/Phantom Four Länge: 88 Minuten Deutsche Erstauffuehrung: 12. 3. 2009 DVD-Anbieter : Universal Darsteller : Odette Yustman (Casey Beldon), Gary Oldman (Rabbi Sendak), Meagan Good (Romy), Cam Gigandet (Mark), James Remar (Gordon Beldon), Jane Alexander (Sofi Kozma), Idris Elba (Arthur Wyndham) Produzent: Michael Bay
Filmographie
Regie: David S. Goyer Buch: David S. Goyer Kamera (Farbe, 2.35:1): James Hawkinson Musik: Ramin Djawadi Schnitt: Jeff Betancourt
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8.
Bibliographie
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Poetik, Exegese und Narrative. Studien zur jüdischen Literatur und Kunst Poetics, Exegesis and Narrative. Studies in Jewish Literature and Art Herausgegeben von Gerhard Langer, Carol Bakhos, Klaus Davidowicz und Constanza Cordoni Poetik – Exegese – Narrative versteht sich als eine wissenschaftliche Reihe mit kulturwissenschaftlicher Ausrichtung. In ihr wird jüdische Literatur von der Antike bis zur Gegenwart herausgegeben, analysiert, ausgelegt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Erzählungen im weiten Sinn, wozu auch Film und Medien gehören. Das Ziel ist es, Texte in ihren literarischen und strukturellen Tiefendimension sowie ihrem über die Zeiten hinweg aktuellen Aussagegehalt zu verstehen und zu vermitteln, wobei die (sozial-)geschichtlichen, politischen und kulturellen Hintergründe mitbedacht werden. Die Reihe richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, an Studierende und ein an Kulturund Literaturwissenschaft wie an Jüdischen Studien interessiertes breites Publikum. Weitere Bände dieser Reihe: Band 5: Asher D. Biemann Michelangelo und die jüdische Moderne 2016, 185 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0599-2 € 35,– D / € 36,– A Band 4: Wolfgang Treitler Über die Verzweiflung hinaus Das Jahrhundert zwischen Stefan Zweig und Aharon Appelfeld 2015, 349 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0448-3 € 50,– D / € 51,50 A Band 3: Chiara Conterno Die andere Tradition Psalm-Gedichte im 20. Jahrhundert 2014, 355 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0351-6 € 50,– D / € 51,50 A Band 2: Constanza Cordoni / Gerhard Langer (Hg.) Narratology, Hermeneutics, and Midrash Jewish, Christian, and Muslim Narratives from the Late Antiquity through to Modern Times 2014, 349 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-0308-0 € 50,– D / € 51,50 A Band 1: Armin Eidherr Sonnenuntergang auf eisig-blauen Wegen Zur Thematisierung von Diaspora und Sprache in der jiddischen Literatur des 20. Jahrhunderts 2012, 382 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-89971-994-9 € 60,– D / € 61,70 A
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