124 59 58MB
German Pages 492 [493] Year 1992
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 611
Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Strukturen, Medien, Auftrag und Grenzen eines informalen Instruments der Staatsleitung
Von
Frank Schürmann
Duncker & Humblot · Berlin
FRANK SCHÜRMANN
Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 611
Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung Strukturen, Medien, Auftrag und Grenzen eines informalen Instruments der Staatsleitung
Von
Dr. Frank Schürmann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schürmann, Frank: Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung : Strukturen, Medien, Auftrag und Grenzen eines informalen Instruments der Staatsleitung / von Frank Schürmann. Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 611) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07325-8 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-07325-8
Dieu même a besoin de cloches Alphonse de Lamartine
Vorwort Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit steht seit jeher bei ihrer Zielgruppe, der sie mit ihren Steuermitteln finanzierenden Öffentlichkeit, naturgemäß bei der Opposition, aber auch bei den Regierungsparteien und nicht zuletzt mitunter selbst bei Regierungsmitgliedern, im Hautgout einer — je nach Perspektive — nicht immer ganz legalen oder verspielten „Prämie auf den legalen Machtbesitz". Für die Rechtsprechung hat sich der Blick lange Zeit nur auf die Wahlkampfproblematik verengt. Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1977 zur Abgrenzung von zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und unzulässiger Wahl Werbung der Bundesregierung sind zwar noch eine Reihe weiterer verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Judikate zu diesem Problemkreis ergangen, die aber nur wenig zur Orientierung beigetragen haben. Erst neue mediale Handlungsformen der Exekutive, insbesondere ihr verstärkter Griff zu Warnungen, Appellen und Empfehlungen, haben die Diskussion belebt und — nicht zuletzt vor dem Hintergrund kostenintensiver Social-Marketing-Kampagnen in der jüngeren Vergangenheit — nachhaltig die Notwendigkeit einer modernen Analyse des Instrumentariums und seiner Legitimationsgrundlagen unterstrichen. Bekanntlich gehört die Öffentlichkeitsarbeit zur nicht immer sehr geordneten Kategorie des „informalen", nach traditioneller Betrachtungsweise schlichthoheitlichen Staatshandelns. Angeregt zu der Untersuchung hat mich meine Tätigkeit als Referent im Presseund Informationsamt der Bundesregierung. Sie hat mir vor allem den nötigen Überblick über das umfangreiche Faktenmaterial ermöglicht. Den ersten Anstoß gab mir Herr Ministerialrat a. D. Paul Boekers, mit dem ich die Informationskampagne zur Volkszählung im Jahre 1987 vorbereiten konnte. Dennoch versteht es sich von selbst, daß die Bearbeitung keine Amtsmeinung wiedergibt, sondern die persönliche Auffassung des Verfassers. Die Arbeit wurde im Sommersemester 1991 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn als Dissertation angenommen. Dem Erstgutachter, Herrn Prof. Dr. Fritz Ossenbühl, bin ich dankbar für die Freiheit, die er mir bei der Gestaltung gewährte, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Löwer für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens und dem Bundesminister des Innern für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Dank schulde ich auch Frau Anne-Kirsten Wohlleben für ihre tatkräftige Unterstützung bei den Korrekturen und nicht zuletzt all denjenigen Freunden und Kollegen, die mich in zahlreichen Gesprächen immer wieder zu einer Auslotung meiner Standpunkte gezwungen oder auch nur in Zeiten besonderer Anspannung mit Geduld ertragen
Vorwort
6
haben. Ich widme die Arbeit meinen Eltern, die mit ihrer stetigen Unterstützung den größten Anteil daran haben, daß sie überhaupt geschrieben wurde. Das Manuskript wurde im Januar 1991 abgeschlossen. Später veröffentlichte Judikatur, insbesondere die Glykolwein-Urteile und die Jugendsekten-Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, sowie im Anschluß daran erschienenes Schrifttum wurden — soweit möglich — berücksichtigt. Auch das Urteil des Verfassungsgerichtshofes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 1991 zur Wahlein Wirkung einer Kampagne der Landesregierung zum Umweltschutz konnte in einigen Verweisen noch verarbeitet werden. Bonn, im Dezember 1991
Frank Schürmann
Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Zum Selbstverständnis staatlicher Selbstdarstellung II. Anlaß der Untersuchung und Problemstellung III. Zum Untersuchungstableau
19 19 25 27
1. T e i l Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit im Spiegel der Judikatur
28
1. Kapitel Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Legitimation regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit I. Das Erste Fernsehurteil vom 28. Februar 1961 II. Das Erste Parteienfinanzierungsurteil vom 19. Juli 1966
28 28 28
III. Das Urteil zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf vom 2. März 1977
30
IV. Das Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 V. Der AIDS-Beschluß vom 28. Juli 1987
30 32
2. Kapitel Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur „Staatsfreiheit" der politischen Willensbildung und zur Chancengleichheit der Parteien
33
I. Der Beschluß über den Volksentscheid zur Badenfrage vom 2. April 1974 ....
33
II. Der Beschluß zum Verfassungsschutzbericht 1973 vom 29. Oktober 1975 ....
34
III. Das erste Urteil zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf vom 2. März 1977
35
1. Sondervoten der Richter Dr. Geiger und Hirsch
39
2. Sondervotum des Richters Dr. Rottmann
40
IV. Die zweite Entscheidung zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf vom 23. Februar 1983
41
8
Inhaltsverzeichnis
3. Kapitel Die Anschlußjudikatur der Landesverfassungs- und -Verwaltungsgerichte sowie des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgrenzung von Öffentlichkeitsarbeit und Wahlwerbung I. Inhaltlich unbeanstandete Maßnahmen II. Inhaltlich unbeanstandete, aber dennoch nicht wettbewerbsneutrale Maßnahmen
43 44 46
III. „Offenkundige" Grenzüberschreitungen
47
IV. Die hinreichende Gewichtigkeit
47 4. Kapitel
Öffentlichkeitsarbeit und Grundrechtseingriff
50
Ergebnis
51
2. T e i l Grundlagen
53
1. Kapitel Gibt es einen Rechtsbegriff „Öffentlichkeitsarbeit"? I. Der Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" im Schrifttum II. Der Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" in der Judikatur
53 53 56
1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
56
2. Die sonstige verfassungs- und verwaltungsgerichtliche Judikatur
59
3. Zwischenergebnis
60
III. Normative Annäherungen an den Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" 1. Bundeshaushaltsrecht
61 61
2. Sonstige Bundes- und Landesgesetze
64
3. Sonstige Rechtsquellen a) Der Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 18. Januar 1977 b) Der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 1. November 1977 4. Zwischenergebnis
66 66 66 67
IV. Abgrenzung zum Begriff „Propaganda"
67
1. Der allgemeine Sprachgebrauch
67
2. Die Gesetzessprache
71
3. Verwendung des Propagandabegriffs in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 4. Bewertung
72 72
V. Ergebnis
nsverzeichnis
2. Kapitel Organisationsstrukturen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit I. Die ressortspezifische Öffentlichkeitsarbeit II. Die ressortübergreifende Öffentlichkeitsarbeit des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1. Aufgaben 2. Organisation a) Das Bundespresseamt als Organ b) Das Bundespresseamt als Behörde c) Stellung des Bundespresseamtes im System der Bundesverwaltung d) Amt und Funktion des Regierungssprechers aa) Der Regierungssprecher als beamteter Staatssekretär aaa) Dienstrechtliche Probleme bbb) Funktionale Probleme bb) Der Regierungssprecher als Parlamentarischer Staatssekretär ... cc) Der Regierungssprecher als Bundesminister für besondere Aufgaben e) Die Binnenstruktur des Bundespresseamtes aa) Leitungsebene bb) Abteilungsebene III. Koordinierung der Außeninformation der Bundesregierung
75 75 77 77 80 80 82 82 90 90 90 91 93 94 98 98 99 101
3. Kapitel Die Erscheinungsformen regierungsamtlicher Informationsmaßnahmen in der gegenwärtigen Praxis I. Differenzierung nach dem Kommunikationsinhalt 1. Tatsacheninformation 2. Bewertung 3. Empfehlungen, Appelle, Warnungen II. Differenzierung nach dem Kommunikationsmittel 1. Die unmittelbare bezahlte Öffentlichkeitsarbeit a) Broschüren und andere Druckschriften b) Beteiligung an Publikationen Dritter c) Informations- und Pressedienste d) Materndienste e) Anzeigen, Beilagen, Beihefter f) „Redaktionelle" Anzeigen und Beilagen g) Plakate h) Direkt Werbung i) Elektronische Medien j) Mobile Maßnahmen k) Die Vertriebsorganisation 2. Die unmittelbare unbezahlte Öffentlichkeitsarbeit 3. Die mittelbare bezahlte Öffentlichkeitsarbeit
103 104 104 105 105 106 106 106 108 108 109 109 110 110 110 111 111 111 112 113
Inhaltsverzeichnis
10
4. Die mittelbare unbezahlte Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit) a) Allgemeine Pressekonferenzen b) Hintergrundgespräche, Interviewpolitik
113 113 117
3. T e i l Kompetenzgrundlagen der Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit
118
1. Kapitel Die Verfassungskompetenzen der Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit I. Kein Rückgriff auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG II. Die Ableitung aus der Aufgabenkompetenz 1. Der Ansatz in der Literatur 2. Position der Rechtsprechung III. Die Ableitung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit
119 120 122 122 124 125
1. Die Ableitung aus dem Demokratieprinzip a) Der Prozeß der politischen Willensbildung aa) Das Volk als kreatives Staatsorgan bb) Das Volk als Mitautor der öffentlichen Meinung b) Das Gebot der Publizität des Regierungshandelns c) Die Pflicht der Regierung zum Ausgleich gesellschaftlicher Kommunikationsstörungen aa) Die Kommunikationsordnung des Grundgesetzes bb) Die Organisation der Massenkommunikation in den Medien ... cc) Die Effektivität des Informationshandelns und ihre Abhängigkeit von der tatsächlichen Konsensfähigkeit und Aufnahmebereitschaft der Bürger d) Die Mitbestimmung der öffentlichen Meinung durch regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit
125 126 126 128 130
2. Die Ableitung des Informationsgebotes aus dem Rechtsstaatsprinzip ... a) Das Rechtsstaatsprinzip als Verfassungsgrundsatz b) Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips mit Blick auf das Informationsgebot aa) Das rechtsstaatliche Gebot der Verbreitung und Verständlichmachung von Rechtsnormen bb) Das Informationsgebot aus Art. 19 Abs. 4 GG cc) Das Informationsgebot aus den Grundrechten dd) Der Vorrang sprachlicher vor tatsächlicher Gewalt c) Die Reichweitenbestimmung der rechtsstaatlichen Informationspflicht durch den Zustand der Gesetzgebung
156 157
. Ergebnis
132 133 137 141 147
158 158 161 163 164 165 1
Inhaltsverzeichnis
2. Kapitel Sonderbefugnisse der Regierung zur Meinungsäußerung und Verlautbarung I. Das parlamentarische Redeprivileg II. Das Verlautbarungsrecht
171 171 173
1. Der rundfunkrechtliche Standort des Verlautbarungsrechts
174
a) „Verlautbarungen" in den Programmen des ZDF und der Rundfunkanstalten des Bundes
175
b) „Verlautbarungen" in den Landesrundfunkanstalten
176
c) „Verlautbarungen" im ARD-Gemeinschaftsprogramm
177
d) „Verlautbarungen" im privaten Rundfunk
177
2. Die Verfassungsmäßigkeit der Verlautbarungsvorschriften
179
a) Der Grundsatz der Staatsferne des Rundfunks
179
b) Allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG
179
c) Auslegung der Verlautbarungsvorschriften im Lichte der Wechselwirkungslehre
181
4. T e i l Öffentlichkeitsarbeit und Parlamentsvorbehalt
187
1. Kapitel Inhalt und Grenzen des Parlamentsvorbehalts I. Die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts II. Grenzen des Gesetzesvorbehalts
187 187 190
2. Kapitel Öffentlichkeitsarbeit als Bestandteil des zugriffsfesten Kernbereichs der Exekutive I. Der Regierungsbegriff
191 192
II. Öffentlichkeitsarbeit als Staatsleitung
194
III. Die Regelungsfeindlichkeit der Materie
196
IV. Die Wahrung der Kontrollfunktion des Parlaments durch die etatgesetzliche Bereitstellung der Mittel
198
V. Gewaltenübergreifende Öffentlichkeitsarbeit VI. Ergebnis
200 201
12
nsverzeichnis
5. Teil Ansprüche gegen die Regierung auf Information
202
1. Kapitel Das subjektive Informationsrecht des Bürgers I. Der Zugang zu Informationen im internationalen Vergleich
202 202·
II. Verankerung eines subjektiven Rechts des Bürgers auf Information im Völkerrecht 205 III. Der verfassungsrechtliche Informationsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz GG 206 1. Übersicht über den Meinungsstand 206 a) Befürworter 206 b) Gegner 207 c) Vermittelnde Ansicht 209 2. Stellungnahme
210
3. Ergebnis
215 2. Kapitel Der Rechtsanspruch der Presse auf regierungsamtliche Information
I. Der verfassungsrechtliche Informationsanspruch der Presse aus Art. 5 Abs. lSatz2GG
215 215
1. Die Position der Rechtsprechung
216
2. Die Position der Literatur
218
3. Stellungnahme
220
II. Informationsansprüche der Presse nach den Landespressegesetzen
223
1. Anspruch auf Auskunft auf Verlangen
224
2. Kein Anspruch auf selbsttätige Unterrichtung durch die Bundesregierung
225
III. Derivative Teilhabeansprüche der Presse aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz
226
1. Beschränkung des Kreises der Berechtigten a) Das Auswahlkriterium des politischen Standortes b) Das Auswahlkriterium der fachlichen Qualifikation c) Das Auswahlkriterium der Raumkapazität d) Das Auswahlkriterium der Kommunikationseffizienz e) Sonstige Ausschlußgründe
228 228 229 230 230 231
2. Beschränkungen bei Zeit, Inhalt und Umfang
232
IV. Zur Zulässigkeit von Nachrichtensperren
232
1. Begriffliche Abgrenzung
232
2. Rechtfertigung von Nachrichtensperren
234
nsverzeichnis
6. T e i l Modale Schranken regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit
240
1. Kapitel Die Wahrung der Aufgaben- und Verbandskompetenz I. Das „ureigene verfassungsmäßige Recht" der Bundesregierung zur politischen Meinungsäußerung
240 242
II. Tatsacheninformationen und Erläuterungen in der Vorbereitungs- und Planungsphase 244 III. Öffentlichkeitsarbeit zur gezielten Vorbereitung oder Begleitung einer bereits getroffenen Entscheidung 244 1. Die Vielfalt der Annexverbindungen
245
2. Die Systemimmanenz der Überschneidung von Informationszuständigkeiten
248
3. Informationskooperation zwischen Bund und Ländern
251
4. Politik durch Öffentlichkeitsarbeit — Gefahrenabwehr und Gefahrenprävention
252
IV. Ergebnis
257 2. Kapitel Grundrechte als Schranken der Öffentlichkeitsarbeit
I. Information und Grundrechtseingriff
258 262
1. Die Bestimmung des thematischen Schutzbereichs a) Schutzbereichsbestimmung b) Der Dissens innerhalb der Schutzbereichsdogmatik
262 263 268
2. Zur Eingriffsqualität staatlichen Informationshandelns a) Der traditionelle „diagnostische" Eingriffsbegriff b) Der moderne Eingriffsbegriff c) Die Skalierung des Eingriffstatbestandes aa) Das eingriffsneutrale Informationshandeln bb) Warnungen und Empfehlungen cc) Der gezielte, vollzugsgleiche Informationseingriff
272 272 277 280 281 283 284
II. Zur Rechtfertigung des Informationseingriffs
285
1. Die verfassungsunmittelbare Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch Information, Aufklärung und Warnung zum Zwecke der Staatsleitung 287 2. Die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch Aufgabenzuweisungsnormen
295
3. Die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch Befugnisnormen
300
III. Ergebnis
301
14
nsverzeichnis
3. Kapitel Sonstige allgemeine Schranken I. Das Neutralitätsgebot 1. Die Pflicht der Regierung zu parteipolitischer Neutralität 2. Die Pflicht der Regierung zu weltanschaulich-religiöser Neutralität .... 3. Die Pflicht der Regierung zur Meinungsneutralität II. Zur Zulässigkeit werblicher Öffentlichkeitsarbeit
302 302 302 306 307 307
III. Das Sachlichkeitsgebot
312
IV. Die Relevanz des Grundsatzes der „Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit"
313
V. Zur Zulässigkeit staatseigener Medien 1. Eigenpublikationen a) Zeitungsähnliche Publikationen b) Broschüren und Bücher 2. Der Zugang der Bundesregierung zu den elektronischen Medien a) Teilhabe der Regierung am Kabelrundfunk zur Verbreitung von Tatsacheninformationen b) Programmungebundene Teilhabe an rundfunkähnlichen Kommunikationsdiensten aa) Videotext bb) Bildschirmtext
315 315 318 320 322
VI. Presserechtliche Schranken
326 328 328 329 331
VII. Das Hindernis des entgegenstehenden Willens des Empfängers bei aufgedrängter Information
334
7. T e i l Grenzen im Wahlkampf
336
1. Kapitel Die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Abgrenzungskriterien I. Die Schranke der Verbandskompetenz
338 338
II. Historischer Exkurs: Grenzziehung durch Wahltermine in der DDR? 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen für die Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR 2. Der Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 3. Ergebnis
340 341 342 344
III. Das Neutralitätsgebot in seiner Ausformung als Verbot des Hineinwirkens in den Wahlkampf
344
IV. Die von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien 1. Der Zeitfaktor „Vorwahlzeit"
347 347
nsverzeichnis
2. Die Indizwirkung des Werbekonzepts a) beim Inhalt b) bei der äußeren Form c) bei der Vertriebsweise d) bei der Frequenz
351 351 353 354 355
3. Das Erheblichkeitsmerkmal der „ins Gewicht fallenden Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitungen" 356 a) Evidenz der Grenzüberschreitung 359 b) Gewichtigkeit 360 c) Häufung und/oder Massivität 361 4. Wettbewerbsneutrale Öffentlichkeitsarbeit
362
5. Aktivitäten von Regierungsmitgliedern
365
2. Kapitel Kritik an der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts I. Das Gefahrenverdachtsmoment und seine Begründetheit
367 369
1. Die Schlußfolgerung des Bundesverfassungsgerichts aus der Sicht der Medienwirkungsforschung
371
2. Vorsorge unterhalb der Schwelle der Wahrscheinlichkeit
383
II. Das Abwägungsdefizit bei der Herstellung praktischer Konkordanz
384
1. Die Beeinträchtigung staatlicher Publizität
385
2. Die Dämpfung des politischen Diskurses
387
3. Die Fremdbestimmung des „mündigen Bürgers"
388
III. Die Unzulänglichkeit der Kontrollmaßstäbe zur Konkretisierung des Gefahrenverdachts durch zeitliche und formelle Abgrenzung
392
1. Der fehlsame Kontrollmaßstab der äußeren Aufmachung
392
2. Die Willkür des zeitlichen Interlokuts
393
3. Zwischenergebnis
395
4. Lösungsweg: Das Verbot kollusiven Zusammenwirkens zwischen Regierung und Parteien 396 3. Kapitel Die Bindungswirkung der einschlägigen bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur I. Der Umfang der Bindungswirkung nach § 31 ΒVerfGG II. Grenzen der Bindungswirkung
397 397 400
1. Die Möglichkeit abweichender gesetzlicher Regelung
400
2. Die Möglichkeit des „Zuwiderhandelns auf Probe"
401
nsverzeichnis
16
8. T e i l Zusammenfassung der Ergebnisse Literaturverzeichnis
403 411
Anhang Teil 1 — Dokumente und Tabellen 453 A Organisationsplan des BPA nach 454 Β Schreiben des BMI an den BMJ vom 10. Januar 1963 455 C Merkblatt des BPA für Bezug und Verteilung von Informationsmaterial der Bundesregierung 458 D Chronologischer Überblick über Wahltermine in der Bundesrepublik Deutschland von 1985 - 1990 460 E Berichte, die dem Deutschen Bundestag von der Bundesregierung vorzulegen sind (Auswahl) 461 Teil 2 — Periodika
463
Teil 3 — Anzeigen
475
Sach- und Personenverzeichnis
485
Abkürzungsverzeichnis AA AEMR AfK AfP
AöR AtomG BBesG BGBl. BHO BK BImSchG BKAmt BMA Β MB au BMBW BMF BMFT BMI BMJ BMJFFG BML BMPT BMU BMV BMVg BMWi BPA BR BReg BRH BSeuchenG BT BW BWV ChefBK DJT DtZ EMRK 2 Schürmann
Auswärtiges Amt Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung Archiv für Presserecht Archiv für öffentliches Recht Atomgesetz Β undesbesoldungsgesetz Bundesgesetzblatt Bundeshaushaltsordnung Bonner Kommentar Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundeskanzleramt Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Bundesminister der Finanzen Bundesminister für Forschung und Technologie Bundesminister des Innern Bundesminister der Justiz Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesminister für Post und Telekommunikation Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesminister für Verkehr Bundesminister der Verteidigung Bundesminister für Wirtschaft Bundespresseamt Deutscher Bundesrat Bundesregierung Bundesrechnungshof Bundesseuchengesetz Deutscher Bundestag Β aden-Württemberg Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung Chef des Bundeskanzleramtes Deutscher Juristentag Deutsch-Deutsche-Rechts-Zeitung Europäische Menschenrechtskonvention
Abkürzungsverzeichnis
18
ESVGH EuGRZ FAZ FN GGO I GMB1 GO GOBReg GOBTag HGrG IPBPR JWG KritV
= = = = = = = = = = = = =
KrO LMedienG LPG LRG M/D/H/Sch η. v. NVwZ NVwZ-RR NW NWVB1 PartG PVS Rdnr. Saarl SchlH Sten. Ber. StGH StVO UVP-Richtlinie
= = = = = = = = = = = = = = = = = = =
VerfGH VerwArch VGH WUR ZBR ZfP ZLR ZParl ZUM
= = = = = = = = =
Amtliche Entscheidungssammlungen der Verwaltungsgerichtshöfe Europäische Grundrechte - Zeitschrift Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Gemeinsames Ministerialblatt der Bundesministerien Gemeindeordnung Geschäftsordnung der Bundesregierung Geschäftsordnung des Bundestages Haushaltsgrundsätzegesetz Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Gesetz zur Jugendwohlfahrt Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kreisordnung Landesmediengesetz Landespressegesetz Landesrundfunkgesetz Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Kommentar zum Grundgesetz nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Parteiengesetz Politische Vierteljahresschrift Randnummer Saarland Schleswig-Holstein Stenographische Berichte des Deutschen Bundestages Staatsgerichtshof Straßenverkehrsordnung Richtlinie des Europäischen Rates vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht / Film und Recht
Im übrigen wird Bezug genommen auf Kirchner, Hildebert / Kastner, Fritz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 3. Aufl., Berlin/New York 1983
Einleitung I. Zum Selbstverständnis staatlicher Selbstdarstellung Selbstdarstellung ist „ein notwendiges Element einer jeden Staatlichkeit"1. Schon für Aristoteles war das Maß der Größe eines staatlichen Gemeinwesens von der Reichweite der Stimme seines Herolds bestimmt2. Solange es Staaten gibt, bemühen sich diese im Rahmen ihrer ideologischen, politischen, rechtlichen, technischen und finanziellen Möglichkeiten um die richtige Selbstdarstellung 3 als Mittel oder Werkzeug zur Präsentation und Durchsetzung ihrer staatspolitischen Ziele und nutzen, wie schon Max Weber vermerkte, „prosaische Schallwellen und Tintentropfen" als „physische Träger des leitenden (politischen und militären) Handelns"4. Absolutistische und totalitäre Regime tun es, Monarchien tun es, demokratisch-republikanische Staaten tun es — aus freilich immer anderen Motiven heraus. Kennzeichnend ist das jeweilige Verhältnis zur Presse: Napoleon I. tat es, weil er einem bekannten, ihm zugeschriebenem Wort zufolge „drei Zeitungen mehr als tausend Bajonette" fürchtete, Bismarck tat es, indem er sich die Presse gefügig machte, um so ihren unkontrollierten Einfluß auf die öffentliche Meinung zu unterbinden 5, die nationalsozialistische Diktatur tat es im Wege der Gleichschaltung der Presse zum Zwecke der „geistigen Einwirkung auf die Nation" 6 , die Regierung im demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland schließlich tut es — und darin liegt eine Eigenheit des republikanischen Staates — zur Erfüllung einer Verfassungspflicht gegenüber dem Staatsvolk und der freien Presse7. Die Bürger in der Bundesrepublik Deutschland haben von staatlicher Selbstdarstellung und staatlichem Selbstbewußtsein zumindest in der Zeit vor der Wiedervereinigung lange nichts mehr wissen wollen. Demzufolge ist auch der Auf- und Ausbau des staatlichen Informationswesens, welches nicht nur mit der Vermittlung reiner Information, sondern auch mit dem befaßt ist, was man als „Staatspflege" umschreiben mag 8 , bis heute stark belastet mit den Erinnerungen an eine ι Stern, Staatsrecht I, S. 282. Aristoteles, Politik, Siebentes Buch, 4. Kapitel, nach 1326 b. 3 Quaritsch, Herbert, Vorwort, in: ders., Die Selbstdarstellung des Staates, S. 3. 4 Max Weber, Staatssoziologie, S. 79. 5 Fischer-Frauendienst, S. 17. 6 Präambel der Verordnung über die Bildung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda vom 30.6.1933, RGBl. I, S. 449. ι S. dazu unten 3. Teil, 1. Kapitel zu II. und III. » Krüger, Staatslehre, S. 214 ff. 2
2*
20
Einleitung
Periode staatlich vollkommen beherrschter Informationspolitik, deren Ziel die Okkupation der menschlichen Sinne und die Inszenierung einer emotional fesselnden Scheinwelt war. Im politischen Streit wie im wissenschaftlichen Disput um staatliche Öffentlichkeitsarbeit wird immer wieder der Finger auf diese von der dunkelsten Epoche deutscher Geschichte geschlagene Wunde gelegt. Drei Beispiele mögen dies verdeutlichen: Als der Deutsche Bundestag am 26. Juni 1968 über die Informationspolitik der Bundesregierung debattierte — eher unvorbereitet, denn es ging um die kurz zuvor bekannt gewordene, angeblich geplante Gründung einer „Bundeszentrale für politische Aufklärung" — erschöpfte sich dies im wesentlichen in der Diskussion über die befürchtete Wiederbelebung eines „Propagandaministeriums" 9 — zweifelsohne auch eine Folge eines allzu verkürzten Blickes auf die Geschichte staatlicher Presse- und Informationspolitik. Nicht unähnlich lauteten die Kommentare, als der Bundesminister für besondere Aufgaben, Hans Klein, am 13. April 1989 in sein Amt als Regierungssprecher eingeführt wurde 10 . Ehmke erteilte im Pressedienst der SPD vom gleichen Tage den Hinweis: „Das hat es in der zweiten deutschen Demokratie bisher so wenig gegeben wie in der ersten". Gemeint war der Ministerrang des Ernannten, unterschwellig wurde damit jedoch der Regierungssprecher und seine Behörde — wieder einmal — in die Nähe zum Goebbelsschen „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" gerückt. Schließlich wurde Scholz als Verfechter der gegenüber kartellrechtswidrig agierenden Unternehmen schonungslosen Veröffentlichungspraxis des Bundeskartellamtes über seine Bußgeldverfahren 11 im Rahmen erbitterter Kontroverse die „Begünstigung totalitärer Staatsformen" vorgeworfen 12. Jede am Nationalsozialismus ausgerichtete Argumentation muß sich jedoch mit dem Einwand auseinandersetzen, „daß es nicht angeht, eine grundlegende staatsrechtliche Idee an die Begriffswelt eines bestimmten Zeitabschnitts zu binden, dem damit eine normative Rolle gegeben wird" 1 3 . Einige Spotlights auf die Historie mögen die gleichsam natürliche Verzahnung von Staatsaufgabenerfüllung und Staatspflege belegen: Schon im Römischen Reich nutzte der Staat Informationsboten als probates Mittel, sich durch geeignete Nachrichten die Verbundenheit der Provinzen zu sichern 14. Friedrich der Große gründete zwei eigene Staatszeitungen, lancierte 9 S. Sten.Ber. der 183. Sitzung, S. 9901-9919. 10 Zur organisationsrechtlichen Problematik dieser Ernennung s. oben 2. Teil, 2. Kapitel zu II.2.d)cc). π Scholz, NJW 1973, 481. 12 So Heinemann /Marx, DB 1973, 1220 (1223 in FN 61). 13 Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, S. 226; ähnlich derselbe, Verfassung, S. 182 f. 14 Vgl. etwa Altschull, S. 21.
Einleitung
positive Nachrichten und unterdrückte die negativen, verfaßte gelegentlich auch eigene Pressekommentare unter dem Titel „Tagebuch eines preußischen Offiziers". In diese Fußstapfen trat Napoleon I., zu dessen ersten Amtshandlungen es gehörte, die erst kurz zuvor befreite Presse wieder zu einem Organ staatlicher Autorität zu formen in der Erkenntnis: „Wenn ich der Presse die Zügel locker ließe, würde ich keine drei Monate im Besitz der Macht bleiben" 15 . Sein Bureau de l'esprit war das erste Propagandaministerium seiner Art und erdrosselte in der Hand des Polizeiministers Fouché alsbald die freie Presse 16. 1815 veröffentlichte der preußische Staatsrat Varnhagen van Ense eine Denkschrift über die Notwendigkeit, die öffentliche Meinung nicht ohne die Mitwirkung der Stimme der Regierung zu lassen: Die vorsichtige Lenkung der öffentlichen Meinung sei das einzige Mittel der Regierung, um das größte Gut des Staates, die öffentliche Meinung, nicht zu dessen größtem Übel werden zu lassen17. Friedrich Wilhelm IV. stellte 1841 in einer Kabinettsordre fest, heilsamer als jede Zensur sei das Bemühen der Behörden, „durch rechtzeitige Mittheilung auszuführender Maaßregeln, durch leitende Artikel in den inländischen Zeitungen und vornehmlich in der Staatszeitung der anständigen Diskussion über Zweck und Tendenzen der Verwaltung selbst Richtung zu geben und ihr dann ein angemessenes Feld freier Bewegung zu gestatten"18. Die pressepolitische Meisterschaft Bismarcks in der Steuerung subventionierter Blätter und „Preßagenten", vor allem in der Nutzung des 1849 privat gegründeten und 1867 in die preußische Pressepolitik nahtlos und monopolistisch eingebundenen Telegraphen- und Korrespondenzenbüros von Bernhard Wolff, ist allgemein bekannt19. Sein Nachfolger im Amt des Reichskanzlers, Capri vi, erkannte die Unerläßlichkeit von Informationspolitik erst nach einigen außenpolitischen Mißerfolgen. Mit Erlaß vom 23. Dezember 1893 trug er zur Konzentrierung des „Preßdienstes" den obersten Reichsbehörden auf, alle Mitteilungen politischen Charakters, die für die Presse bestimmt waren, dem „Literarischen Büro" im Auswärtigen Amt unter der Leitung Otto Hammanns zur Bearbeitung und Weiterleitung zuzuleiten20. Unter Hammann wurde auch das Hindergrundgespräch mit handverlesenen Pressevertretern institutionalisiert, das mehr als 50 Jahre später in Adenauers „Teegesprächen" wieder aufleben sollte. Pläne, die Pressepolitik in der Reichskanzlei zu zentralisieren, blieben indessen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges unerledigt. Die erste Demokratie auf deutschem Boden holte dies nach und fügte zum 1. Oktober 1919 die bis dahin bestehende Pressestelle der Reichskanzlei mit Teilen der Propagandaabteiis Zitiert nach Sänger, S. 12 bei FN 13. 16 Windsheimer, S. 19. 17 Vgl. Sänger, S. 13. is Zitiert nach Sänger, S. 13 f.; Krueger, S. 1014 f.; zu Staatszeitungen im 19. Jahrhundert s. Plenge, S. 15 ff. 19 Vgl. insbes. die kommunikationshistorische Monographie von Basse, S. 8 ff.; Fischer-Frauendienst, passim (insbes. S. 50 ff., 76 ff.); Sänger, S. 15 f.; Krueger, S. 1015; Kordes / Pollmann, S. 11. 20 S. dazu Hense, Kommunikationsobservanz, S. 155 ff.
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lung des Demobilmachungsamtes und der Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amtes zur „Vereinigten Presseabteilung der Reichsregierung und des Auswärtigen Amtes", kurz: Reichspressestelle, zusammen. Der „Pressechef der Reichsregierung" unterstand dem Reichskanzler unmittelbar und war zugleich Sprecher der Reichsregierung. Vieles der damaligen Konstruktion kam der heutigen Organisation regierungsamtlicher Informationspolitik bereits sehr nahe. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten setzte jedoch dieser Entwicklung mit Errichtung des „Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda" 21 ein vorläufiges, pervertiertes Ende. Der Apparat wurde alsbald zuständig „für alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft, der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit über sie und der Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen" 22 . Das staatliche Deutsche Nachrichtenbüro als Nachfolgeagentur der Ende 1933 aufgelösten Continental Telegraphen Compagnie Wolff's Telegraphisches Büro A G 2 3 vertrieb sog. Auflagenmeldungen, die von den Zeitungen gebracht werden mußten, Argumentationsanweisungen für Kommentatoren, allgemeines Hintergrundmaterial für Dauerthemen, aber auch Geheiminformationen für Entscheidungsträger. Die Presse nahm als „Klavier in der Hand der Regierung" 24 nur noch bindende Weisungen in Form sog. „Sprachregelungen" entgegen, die meist bis in die letzten Einzelheiten festlegten, was wann und wie zu veröffentlichen war 25 . Der Rundfunk wurde zum Manipulationsinstrument der Volks(ver)führung umgeschaltet26, die Wirkung mittels der Stimmungsberichte des Sicherheitsdienstes kontrolliert 27 . Durch den Zugang zu den Staatsfinanzen und zu sämtlichen Medien bei gleichzeitiger Liquidierung des politischen Gegners entfielen all jene Barrieren, die sich der Propaganda 28 der NSDAP vor 1933 noch entgegengestellt und deren Wirkung nach heutiger Erkenntnis beträchtlich verkürzt hatten 29 . Das System der Staatspropaganda funktionierte so perfekt 30 , daß hierüber geführte Untersuchungen in den USA die Grundlage für die Kommunikationsforschung der Nachkriegszeit bildeten 31 . 21 Erlaß vom 13.3.1933, RGBl. I, S. 104. 22 Verordnung vom 30.6.1933, RGBl. I, S. 499; vgl.dazu Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, Anhang, S. 142; vgl. auch Faust / Reinkensmeier, S. 229 ff. 23 S. dazu Basse, S. 251. 24 Goebbels, Über die Aufgaben der Presse, Zeitungsverlag vom 18.3.1933, nach Windsheimer, S. 20 in FN 21. 25 Basse, S. 253, spricht treffend vom „tendenziellen Autismus" der deutschen Presse vor dem 2. Weltkrieg; zur NS-Pressepolitik während des Krieges s. Kohlmann-Viand," passim. 26 S. Diller, S. 97 f. 27 Vgl. dazu Wilke, Pressegeschichte, S. 309; Sänger, S. 22 f.; Kordes / Pollmann, S. 15. 28 Zum Propagandabegriff s. 2. Teil, 1. Kapitel zu IV. 29 Der verbreiteten Legende von der mystischen Effizienz der NS-Propaganda setzt die Untersuchung von Paul, passim (insbes. S. 255 ff.), ein Ende. 30 S. Krueger, S. 1016.
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Der Blick auf die Geschichte amtlicher Informationstätigkeit über die Perioden der Unterdrückung öffentlicher Meinung, ihrer Lenkung bis zum unter der Geltung des Grundgesetzes vorherrschenden Transparenzgebot macht vor allem die staatsformunabhängige Selbstverständlichkeit staatlicher Presse- und Öffentlichkeitsarbeit deutlich: Einschränkungen der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit und Manipulationen der politischen Willensbildung sind zu keiner Zeit aus der bloßen Organisation des staatlichen Informationsapparates erfolgt, sondern immer eingeleitet worden durch die Beschneidung der Freiheits- und Menschenrechte, der, wie vor allem das tragische Ende der Weimarer Republik zeigt 32 , ein Sinndefizit im Demokratiebewußtsein der Bevölkerung vorausging. Kritik an staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im demokratischen System kann daher schwerlich mit Verweisen auf die geschichtlichen Erfahrungen unter diktatorischer Staatsform begründet werden 33 . „Der Mißbrauch eines Prinzips spricht nicht gegen das Prinzip, sondern gegen den Mißbrauch" 34 . Auch der Rechtsprechung gelang es stets, der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit Grenzen zu setzen, ohne auch nur eine einzige Verbindungslinie zur NS-Zeit ziehen zu müssen. Schon von daher bedarf es gar nicht erst der rechtfertigenden Argumentation, die Wesensunterschiede des heutigen Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung gegenüber dem „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" aufzuzeigen 35. Nichts ist insoweit ferner von der Manipulationsabsicht größenwahnsinniger ideologischer Eiferer als die Selbstdarstellung der Regierung durch demokratiebewußte und -verwirklichende Öffentlichkeitsarbeit. Im Gegenteil: Für die Zusammenbrüche demokratischer Ordnungen im 20. Jahrhundert ist nicht zuletzt die mangelhafte Selbstdarstellung der legitimierten Staatsorgane verantwortlich zu machen, denen es nicht gelungen war, die Ideale der demokratischen Republik emotional zu verankern 36. Wer von der Notwendigkeit staatlicher Organisation überzeugt ist, kommt um staatliche Eigenwerbung gar nicht umhin 37 . Mit gestaltloser Rationalität allein läßt sich der Staat als funktionstüchtiges Instrument seiner Bürger zur Aufgabenbewältigung nicht erhalten. Für den Staat des Bonner Grundgesetzes ist daher die Aufzeichnung dessen, was er ist und was er will, von elementarer Bedeutung, um sein Wirken und Wollen für den Souverän, das Staatsvolk, begreifbar zu machen und um dadurch einerseits berechenbar zu sein und andererseits wenigstens pauschale Zustimmung finden zu können, ohne die er nicht legitimiert ist 3 8 . Dabei geht es heute um mehr als nur um „herkömmliche Öffentlichkeitsarbeit" 39. Die gewachsene Sensibilität der Bürger 31 Wilke, Pressegeschichte, S. 312. 32 S. dazu etwa Eschenburg, Systemzusammenbruch, S. 47 ff. 33 Vgl. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 11. 34 Isensee, Grundrecht auf Ungehorsam, S. 172 in FN 6. 35 S. aber Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 142 ff. 36 Paul, S. 255; Quaritsch, Probleme der Selbstdarstellung, S. 31. 37 Bull, Staatsaufgaben, S. 367 f. 38 Vgl. insoweit von Simson, AöR 104 (1979), S. 635.
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hat deren Bedürfnis nach Aufklärung berechtigterweise stark anwachsen lassen. Aufklärungsmaßnahmen in Bereichen des Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzes, der Familien- und Wirtschaftspolitik sind zu einem weiten Betätigungsfeld eines neuen informellen und informationellen Regierungs- und Verwaltungsstils geworden 40. Die zunehmende Bedeutung regierungsamtlichen Informationshandelns spiegelt sich auch in der Expansion der Bundeshaushaltsmittel für „Öffentlichkeitsarbeit" im Inland wider: Betrugen diese — bezogen auf die Darlegung und Erläuterung der Regierungstätigkeit — im Jahre 1982 noch 38 Millionen DM, so waren im Jahr 1990 bereits 86 Millionen D M ausgewiesen. Für das gesamte Informationshandeln im Inland standen der Bundesregierung im Jahre 1982 sogar 148 Millionen D M und im Jahre 1990 324 Millionen D M zur Verfügung 41 . Für die Durchführung sogenannter Social-Marketing-Kampagnen 42 wurden in letzter Zeit erhebliche Sondermittel bereitgestellt, so im Haushalt des B M I rund 40 Millionen D M für die Aufklärungskampagne zur Volkszählung 1987 43 und im Geschäftbereich des BMJFFG bislang (1987-1990) etwa 125 Millionen D M für die AIDSBekämpfung 44. Immerhin noch 5 Millionen D M konnte das Bundespressamt 1991 für eine Kampagne zum „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" verwenden 45 . Vor diesem Hintergrund wird der dauerhafte Streit darüber begreifbar, inwieweit die Regierung ihre hierin liegende „überlegale Prämie auf den legalen Besitz der legalen Macht" 4 6 einzulösen berechtigt ist 47 . Es liegt auf der Hand, daß der 39 Philipp, S. 2; s. andererseits Haegert NJW 1967, 26, der das BPA nur als für „normale Kommunikation" legitimiert ansieht. 4 0 S. dazu ausführlich unten 2. Teil, 3. Kapitel zu 1.3. sowie 6. Teil, 2. Kapitel zu I.2.c). 41 S. die Bundeshaushaltspläne 1982/1990 einschl. des 1. Nachtragshaushalts 1990. Eine Übersicht über die Entwicklung der Bundesmittel für Öffentlichkeitsarbeit seit 1971 gibt die Drucksache Nr. 1191 vom 9.11.1989 des Haushaltsausschusses der 11. Wahlperiode, S. 46 ff. Zur Unterscheidung zwischen der auf die Organtätigkeit der Bundesregierung bezogenen Öffentlichkeitsarbeit (im Bundeshaushalt mit der Funktionskennziffer 013 ausgewiesen) und der „sonstigen" Öffentlichkeitsarbeit s. unten 2. Teil, 1. Kapitel zu III.l. 42 S. von Roehl, passim. 43 Bundeshaushaltsplan 1986 und 1987, jeweils in Kapitel 0608, Titel 531 22 — 014. Das Konzept der Kampagne wird dokumentiert bei von Roehl, S. 229 ff. 44 Bundeshaushaltsplan 1988,1989,1990, jeweils in Kapitel 1502, Titel 531 16 — 314. 45 Presseerklärung „heute im bundestag" vom 21. März 1991. 46 Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 35; Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 153. 47 Die Stimmungslage wird von dem früheren Regierungssprecher Günter Diehl, Rheinischer Merkur vom 26. Oktober 1984, für das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung treffend so umschrieben: „Das Amt ist immer unter Feuer. Die einen sehen im Bundespresseamt eine Brutstätte finsterer Pläne, die Pressefreiheit zu zerstören und das Volk in die Irre zu führen. Für andere wiederum ist das Amt ein saft- und kraftloser Haufen von rund 700 Leuten, die trotz erheblicher Mittel nicht in der Lage sind, die frohe Botschaft zu verbreiten, daß wir gut regiert werden. Schließlich wirft die jeweilige Opposition der jeweiligen Regierung vor, sie benutze das Presse- und
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Einsatz immer größerer Finanzvolumina in der Erkenntnis der auch grundrechtlichen Relevanz informationellen Regierungshandelns 48 bohrender Fragen nach seiner Legitimation bedarf, die die frühere Diskussion um die Auskunftspflichten eines angeblich arkanhaften Staates beinahe in den Hintergrund gedrängt haben49. Es verwundert daher auch nicht, daß noch immer aktive regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit der „Propaganda", passive dagegen der „Geheimniskrämerei" bezichtigt wird — beides unter dem austauschbaren Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit. Die Kontroversen mögen mit dem Grundsatzurteil des BVerfG vom 2. März 1977 50 gemildert worden sein, erledigt sind sie keineswegs51.
I I . Anlaß der Untersuchung und Problemstellung Anlaß der vorliegenden Untersuchung sind mehrere Entscheidungen des BVerfG 52 und ihnen nachfolgender Verfassungs- und Verwaltungsgerichte 53, die sich mit den Aufgaben und Grenzen (regierungs)amtlicher Öffentlichkeitsarbeit auseinandergesetzt und der Staatspraxis damit ein mehr oder weniger sorgfältig geknüpftes Netz von Zulässigkeitskriterien hinterlassen haben54. Die Resonanz in der Literatur auf die Grundsatzentscheidung vom 2. März 1977 war eher verhalten und kurzlebig. Nur wenige Autoren unterzogen sich der Mühe, dem Sinngehalt des Urteils auf den Grund zu gehen55. Solche gar, Informationsamt weniger als ein Instrument der sachlichen Unterrichtung, sondern vielmehr als eine Maschine, um den Regierungsparteien bei den nächsten Wahlen zu helfen". Die Stoßrichtung der Kritik zeigt auch die Kleine Anfrage der SPD vom 6.4.1990, BTDrucks. 11/ 6890, zur Verwendung der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, s. dazu die Antwort der Bundesregierung vom 5.6.1990, BT-Drucks. 11 /7332. 48 S. dazu unten 1. Teil, 4. Kapitel und 6. Teil, 2. Kapitel. 49 S. auch Wente, S. 121. so BVerfGE 44, 125; s. dazu unten 1. Teil, 2. Kapitel zu III. und 7. Teil. 51 S. etwa das Vorwort der Herausgeber zu Heckmann / Meßerschmidt, S. 9, sowie das soeben in FN 47 wiedergegebene Zitat. 52 BVerfGE 44, 125; 63, 230; BVerfG, Beschluß vom 15.8.1989, NJW 1989, 3269. 53 SaarlVerfGH, Urteil vom 26.3.1980, NJW 1980, 2181; StGH BW, Urteil vom 27.2.1981, ESVGH 31, 81; BayVGH, Urteil vom 22.6.1983, VGHE 36, 67; VGH BaWü, Urteil vom 7.11.1983, DVB1. 1985, 170; StGH Bremen, Entscheidung vom 30.11.1983, DVB1. 1984, 221; VerfGH NW, Urteil vom 15.2.1985, DVB1. 1985, 691; VGH Ba-Wü, Urteil vom 2.12.1985, ESVGH 36, 109; OVG Münster, Urteil vom 19.8.1988, NVwZ-RR 1989, 149; BVerwG, Beschluß vom 17.11.1988, NVwZ-RR 1989, 262; BVerwG, Urteil vom 23.5.1989, BVerwGE 82, 76 = NJW 1989, 2272; VG Darmstadt, Urteil vom 7. Juni 1990, NVwZ-RR 1990, 628; BayVGH, Beschlüsse vom 13./15.2.1991, EzKommR 5360.50/51; BVerwG, Urteile vom 18.10.1990, JZ 1991, 624; NJW 1991, 1766; VerfGH NW, Urteil vom 15.10.1991 — VerfGH 12/90 —. 54 Eine Übersicht über die Rechtsprechung bietet der folgende 1. Teil. 55 Vgl. vor allem Zuck, NJW 1977, 1054; ders., ZRP 1977, 144; Jekewitz, ZRP 1977, 300; Häberle, JZ 1977, 361; Walther, S. 197 ff.; Böckelmann / Mahle / Nahr, S. 93 ff.; Böckelmann/Nahr, S. 91 ff.; Leonardy, ZParl 1978, 23; Otto E. Kempen, Der Staat 18 (1979), 81; Murswieck, DÖV 1982, 529.
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die Kritik an dem Verdikt zu üben wagten, sind kaum auszumachen56. Noch in jüngsten Veröffentlichungen werden die Leitsätze schlicht referiert 57 mit der Folge, daß regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit in erster Linie als Wahlkampfproblem gesehen wird. Dabei hat noch in demselben Jahr der Entführungsfall Schleyer die Kehrseite der Medaille offenbart: die Verpflichtung der Regierung zum Gebrauch von „Nachrichtensperren" und Desinformation 58. Die Entscheidung des BVerfG vom 2. März 1977 hat die kritische Literatur seinerzeit die Erwartung äußern lassen, daß sich auf der Grundlage des Urteils eine verfassungskonforme Praxis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit entwickeln möge 59 . 13 Jahre danach sei die Frage erlaubt, was aus diesen Erwartungen geworden ist. Darf sich der „mündige Bürger" heute informierter, genauer: neutraler informiert fühlen? Ist seine Entscheidungsbasis für die von ihm zu treffende Wahlentscheidung breiter, ist er selbst freier, die politische Willensbildung demokratischer geworden? Oder erweist sich möglicherweise das Korsett, welches das BVerfG der Exekutive und diese in Befolgung des Urteils sich darüberhinausgehend auch selbst anlegte, als zu eng, um einem Verfassungsauftrag zur Unterrichtung der Bevölkerung — so er denn besteht — gerecht werden zu können, die kommunikativen Grundfreiheiten der Bürger zu sichern und einen Grundkonsens des Staatsvolkes mit der geltenden Verfassungsordnung und dem Handeln seiner Organe herzustellen? Schon ein Blick in die jüngere bundesverfassungsgerichtliche Judikatur zeigt, daß auch hier der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit inzwischen ein neuer Stellenwert beigemessen wird. So rügte das BVerfG einerseits die Bundesregierung im Volkszählungsurteil erstmals wegen unzureichender Informationsmaßnahmen60 und verwarf andererseits eine Verfassungsbeschwerde wegen gesetzgeberischen Unterlassens bei der Bekämpfung des AIDS-Virus auch mit dem Hinweis auf eine umfassende Aufklärungskampagne der Regierung 61. Es verwundert insoweit — zumal die Problematik eine an der Fülle parlamentarischer Anfragen ablesbare, ungeschmälert wichtige Rolle in der Staatspraxis spielt —, daß die Rechtsliteratur, die zuvor eine Reihe einschlägiger Untersuchungen hervorgebracht hatte 62 , mit Ausnahme einiger Schwerpunktthemen 63 in der
56 Vgl. Zuck, NJW 1977, 1054; Böckelmann / Mahle / Nahr, wie vor; Walther, S. 199 ff. 57 Exemplarisch Schneider, in: derselbe / Zeh (Hrsg.), S. 407 f.; Stern, Staatsrecht I, S. 310 f.; Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 31; Dumrath, S. 72 ff.; Dahlen, NWVB1. 1990, 217 (220). Die Oppositionsfraktionen im Landtag NW machten sie gar zum Gegenstand des Entwurfs eines „Gesetzes über Öffentlichkeitsarbeit in Vorwahlzeiten" (§ 1), LT-Drucks. 11 / 872 vom 17.1.1991, S. 3 f. 58 S. dazu unten 5. Teil, 2. Kapitel zu IV. 59 vgl. etwa Häberle, JZ 1977, 361 (362). 60 BVerfGE 65, 1 (3, 59). 61 BVerfG, NJW 1987, 2287; s. dazu soeben bei FN 44.
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vergangenen Dekade das Thema „regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit" weitgehend vernachlässigt hat 64 . Im folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, die modernen Erscheinungsformen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit und die aktuellen Bedingungen für die Erfüllung der Publizitätspflicht — auch aus soziologischer Perspektive — zu beleuchten, um die Kriterien der Verfassungsrechtsprüfung auf die Ebene der Verfassungswirklichkeit zurückzuführen. Ziel ist es, zu zeigen, daß auch nach den „Machtworten" des BVerfG im Jahre 1977 die Diskussion über die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit keineswegs obsolet geworden ist.
I I I . Zum Untersuchungstableau Zunächst soll als Basis der folgenden Untersuchung eine Übersicht über das in der Judikatur behandelte Konfliktmaterial geliefert werden. Vorangestellt ist weiterhin ein Untersuchungsteil, der sich mit der Frage beschäftigt, ob es einen Rechtsbegriff „Öffentlichkeitsarbeit" gibt oder wenigstens eine phänomenologische Umschreibung möglich ist, die eine Diskussionsgrundlage schafft. Nachdem sich die Arbeit alsdann den derzeitigen Strukturen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit zugewandt hat, ist nach den Kompetenzgrundlagen dieser Handlungsform zu fragen. Anschließend widmet sich die Untersuchung der Parlamentsabhängigkeit und der Fragestellung, ob es sich bei der Öffentlichkeitsarbeit um eine unentziehbare, parlamentsfeste Regierungsaufgabe handelt. Die Untersuchung wäre unvollständig, würde sie nicht auch die Seite der Informationsrezipienten einbeziehen. Sie erstreckt sich daher sowohl auf den Informations- und Auskunftsanspruch des Bürgers als auch auf denjenigen der Presse. Die Arbeit wendet sich schließlich den modalen Schranken regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere ihrer Wirkung als Grundrechtseingriff und dessen Rechtfertigung, dem Neutralitätsgebot sowie schließlich den besonderen Grenzen im Wahlkampf zu. 62 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, 1966; Sänger, Funktion amtlicher Pressestellen in der demokratischen Rechtsordnung, 1966; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, 1971; Otto E. Kempen, Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und politische Willensbildung, 1975. 63 Hierzu zählt insbesondere die Problematik um die Zulässigkeit regierungsamtlicher Warnungen und Empfehlungen, s. dazu unten 2. Teil, 3. Kapitel zu 1.3., 6. Teil, 1. Kapitel zu III.4. und 2. Kapitel. 64 Eine der wenigen Ausnahmen stellt der Aufsatz von Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 ff. dar.
1. Teil
Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit im Spiegel der Judikatur Die Judikatur, vor allem die des BVerfG, liefert Übersicht und Einführung in das Konfliktpotential zugleich, obwohl sie tastend kasuistisch entwickelt worden ist und systemleitende Prinzipien nicht von vornherein erkennbar sind. Ihr Weg soll daher zu Beginn nachgezeichnet und so als Rohmaterial für die weitere Untersuchung zur Verfügung gestellt werden. Will man die bisherige Rechtsprechung typologisch erfassen, bietet sich eine Unterteilung in die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit legitimierende und ihr Schranken setzende Judikatur an.
1. Kapitel
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Legitimation regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit I. Das Erste Fernsehurteil vom 28. Februar 1961 Die Entwicklung beginnt bereits mit dem 1. Fernsehurteil vom 28. Februar 1961 — und nicht erst, wie gemeinhin behauptet wird, mit dem 1. Parteienfinanzierungsurteil des BVerfG vom 19. Juli 1966. Dort hat das Gericht die „Notwendigkeit nationaler Repräsentation nach innen, d. h. der Selbstdarstellung der Nation vor der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland", anerkannt 1 und damit eine auch staatliche Aufgabe formuliert.
I I . Das Erste Parteienfinanzierungsurteil vom 19. Juli 1966 Die Legitimation regierungsamtlicher Selbstdarstellung ist später im Grundsatzurteil vom 2. März 1977 präzisiert worden. Diese Entscheidung führte jedoch gleichzeitig dazu, Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung vorrangig als Problem des Wahlkampfes zu sehen. Die ersten Aussagen zur Rechtfertigung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit traf das BVerfG jedoch keineswegs im Zu-
1 BVerfGE 12, 205 (252).
1. Kap.: Legitimation regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit
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sammenhang mit wahlkämpferischem Wettbewerb, sondern anläßlich des 1. Parteienfinanzierungsurteils vom 19. Juli 19662: Obwohl der 2. Senat die vielfältige Verknüpfung der Willensbildung des Volkes einerseits und der Willensbildung des Staates andererseits anerkennt, erklärt er diesen Prozeß zur „Einbahnstraße", da er sich nur „vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen" könne3. Grund hierfür sei, daß erst der Prozeß der politischen Willensbildung nach Art. 20 Abs. 2 GG die Staatsorgane hervorbringe. Infolgedessen sei es den Staatsorganen grundsätzlich verwehrt, sich in bezug auf den Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen; dieser Prozeß habe grundsätzlich, wie das Gericht, ausdrücklich in Anführungszeichen gesetzt, bemerkt: „staatsfrei" zu bleiben4. Eine Einwirkung von Staatsorganen auf die politische Willensbildung sei jedoch dann zulässig, wenn sie „durch einen besonderen, sie verfassungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt werden" kann 5 . Exemplarisch erklärt das BVerfG sodann Einwirkungen, die sich aus der Wahlrechtsgestaltung ergeben können, für „zulässig" und daneben die „sogenannte Öffentlichkeitsarbeit" der Regierung und gesetzgebenden Körperschaften für „unbedenklich", „soweit sie — bezogen auf ihre Organtätigkeit—der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern" 6. Im Verhältnis zu den späteren Entscheidungen ist diese Aussage häufig im Sinne ihrer Formulierung als „Unbedenklichkeitsbescheinigung" unter ihrem eigentlichen Wert ausgelegt worden. Richtig unter die selbstgesetzte Prämisse subsumiert bedeutet „unbedenklich", daß staatliche Öffentlichkeitsarbeit durch einen „besonderen, sie verfassungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt" ist. Dies aber beinhaltet mehr als nur eine verfassungsrechtliche Inkaufnahme, nämlich den Verfassungsauftrag, von Staats wegen Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Darüber hinaus zeigt der Kontext des daneben gewählten Beispiels der Wahlrechtsgestaltung, daß dem BVerfG schon damals die grundsätzliche Beeinflußbarkeit des Wahlaktes durchaus bewußt war.
2 BVerfGE 20, 56. 3 BVerfGE 20, 56 (99). 4 Dazu, daß es solche „Staatsfreiheit" in absoluter Form nicht geben kann, s. unten 3. Teil, 1. Kapitel zu IILl.d). 5 BVerfGE 20, 56 (99). 6 BVerfGE 20, 56 (100); diese Formulierung übernimmt der Senat später auch in E 44,125 (147). Gleichermaßen macht sie sich die Bundesregierung bei ihren Haushaltstechnischen Richtlinien, s. dazu unten 2. Teil, 1. Kapitel zu III. 1 z u eigen.
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
I I I . Das Urteil zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf vom 2. März 1977 Deutlicher als im Parteienfinanzierungsurteil liefert der 2. Senat in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 1977 die verfassungsrechtliche Legitimation für die Öffentlichkeitsarbeit von Staatsorganen: „Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist in Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig", um den Grundkonsens der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung „lebendig zu erhalten" 7. Damit ordnet das Gericht die Öffentlichkeitsarbeit erstmals ausdrücklich den Staatsaufgaben zu. Der auf die Organtätigkeit bezogenen Öffentlichkeitkeitsarbeit komme die Aufgabe zu, der Öffentlichkeit die Politik, die Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darzulegen und zu erläutern, damit der einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen, von den getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlägen genügend weiß, um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können. Insbesondere bei Maßnahmen zu Lasten der Bürger habe Öffentlichkeitsarbeit die Aufgabe, die Zusammenhänge offenzulegen und Verständnis für erforderliche Maßnahmen zu wecken oder um ein konjunkturgerechtes Verhalten zu werben. Schließlich habe Öffentlichkeitsarbeit das Anliegen des sozialen Rechtsstaats zu erfüllen, über das den Bürger unmittelbar angehende Recht diesen sachgerecht, in allgemein verständlicher Weise und objektiv zu informieren, um ihn über seine Rechte und Pflichten aufzuklären und instand zu setzen, von den ihm durch die Rechtsordnung eröffneten Möglichkeiten im persönlichen Bereich in angemessener Weise Gebrauch zu machen8. Welche gesteigerte Bedeutung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit im demokratischen und sozialen Rechtsstaat inzwischen von Seiten des BVerfG beigemessen wird, wird jedoch erst an zwei späteren Entscheidungen in völliger Prägnanz sichtbar.
IV. Das Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 So befaßte sich der 1. Senat im Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 19839 erstmals mit einem Defizit staatlicher Aufklärung: Das Statistische Bundesamt als nachgeordnete Behörde des Bundesministers des Innern hatte zur Vorbereitung der Volkszählung 1983 10 in nur sehr geringem 7 BVerfGE 44, 125 (147). s BVerfGE 44, 125 (147 f.). 9 BVerfGE 65, 1. 10 Gesetz über eine Volks-, Berufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1983) vom 25.3.1982, BGBl. I, S. 369.
1. Kap.: Legitimation regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit
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Umfang Öffentlichkeitsarbeit betrieben 11. Auf eine Vielzahl von Verfassungsbeschwerden hin erklärte das Gericht wegen des nicht gerechtfertigten Eingriffs in das „informationelle Selbstbestimmungsrecht" einzelne Vorschriften des Volkszählungsgesetzes 1983 für verfassungswidrig und ordnete für die Wiederholung der Erhebung mehrere Vorkehrungen an, darunter die „Belehrung" der Auskunftspflichtigen. Das BVerfG rügte unmißverständlich die unzureichenden, weil nicht breitenwirksam und verspätet eingesetzten Informationsmaßnahmen der Bundesregierung: „Die . . . angeordnete Datenerhebung hat Beunruhigung auch in solchen Teilen der Bevölkerung ausgelöst, die als loyale Staatsbürger das Recht und die Pflicht des Staates respektieren, die für rationales und planvolles staatliches Handeln erforderlichen Informationen zu beschaffen. Dies mag teilweise daraus zu erklären sein, daß weithin Unkenntnis über Umfang und Verwendungszwecke der Befragung bestand und daß die Notwendigkeit zur verläßlichen Aufklärung der Auskunftspflichtigen nicht rechtzeitig erkannt worden ist, obwohl sich das allgemeine Bewußtsein . . . erheblich verändert hatte" 12 . Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen stellt das Gericht zur Sicherung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung besondere „Aufklärungs- und Belehrungspflichten" auf. Die dem Bürger im Rahmen der Erhebung zustehenden Rechte seien „ . . . nur schwer erkennbar und der gesetzlichen Regelung erst im Wege der Auslegung zu entnehmen; die vorgesehene Durchführung der Erhebung lenkt von ihnen eher ab". Der Gesetzgeber habe daher sicherzustellen, daß die Bürger über diese Rechte „ schriftlich belehrt werden" 13 . Dem war zu entnehmen, daß die Belehrung der Erhebung vorausgehen, mithin eine Vorabunterrichtung der Bevölkerung erfolgen mußte mit dem Ziel, Akzeptanz und damit Mitwirkungsbereitschaft aller Bürger herbeizuführen. Der Gesetzgeber hatte demzufolge in § 16 Volkszählungsgesetz 1987 vom 8. November 1985 14 die „schriftliche Unterrichtung" der Auskunftspflichtigen über Zweck, Art und Umfang der Erhebung, statistische Geheimhaltung, Rechte und Pflichten der Zähler u. a. angeordnet. Hierdurch sollte „das Vertrauen des Betroffenen in den Schutz seiner Daten gestärkt und seine Bereitschaft, bei der Zählung mitzuwirken, gefördert werden" 15 . Die Bundesregierung hätte diesem Auftrag schwerlich mit einer bloßen „schriftlichen Belehrung" 16 anläßlich der Zählung nachkommen können. Die vom BVerfG zuvor getroffenen Feststellungen über n Im Bundeshaushalt 1982 und 1983 — Kapitel 0608, Titel 531 22-014 — waren Haushaltsmittel in Höhe von lediglich 66.000,— bzw. 33.000,— DM bereitgestellt worden. !2 BVerfGE 65, 1 (3 f.) — Hervorhebungen von mir. BVerfGE 65, 1 (59) — Hervorhebungen von mir. 14 BGBl. I, S. 2078. 15 So die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 10/2814, S. 27. 16 Gesetzesbegründung, wie vor.
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
das diffuse Wissen der Bevölkerung ließen erkennen, daß der Normzweck nur dann erfüllt werden konnte, wenn die Akzeptanz durch frühzeitige Unterrichtung aufgebaut werden konnte. Der Bundesrat forderte die Bundesregierung sogar eigens in einer Entschließung dazu auf, mit der Aufklärung umgehend nach Verkündung des Volkszählungsgesetzes zu beginnen17. § 16 Volkszählungsgesetz war daher dahin zu interpretieren, daß die Exekutive nach freiem Ermessen den effizientesten Kommunikationsweg zu beschreiten hatte. Die Bundesregierung hat aus dem Volkszählungsurteil und dem Gesetzesauftrag die naheliegende Konsequenz gezogen und 15 Monate vor dem neuen Zähltermin die bis dahin größte regierungsamtliche Social-Marketing-Kampagne aller Zeiten 18 mit einem Budget von rd. 40 Millionen D M in Angriff genommen19, in deren Schlußphase sich auch der Deutsche Bundestag20 und der Bundespräsident 21 beteiligten.
V. Der AIDS-Beschluß vom 28. Juli 1987 Diese Entscheidung zeigt, daß das BVerfG bei bestimmten Sachverhalten selbst Wert darauf legt, daß Informationsmaßnahmen umfassend und effektiv, nötigenfalls in Kampagnenform erfolgen. So hat das Gericht 22 die mangelnde Erfolgsaussicht einer Verfassungsbeschwerde wegen unterlassener Gesetzgebungsmaßnahmen zur AIDS-Bekämpfung u. a. aus der aktiven Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung abgeleitet. Indem die Bundesregierung 135 Millionen D M für Aufklärungsmaßnahmen bereitgestellt und die federführende Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung einen „großen Werbefeldzug" gestartet habe, „der seiner Dimension nach geeignet sein dürfte, langfristig jeden Bürger zu erreichen und problembewußt zu machen", könne ihr keine Untätigkeit vorgeworfen werden 23 . Das Gericht bestätigt hiermit zum einen die gesetzessubstituierende Funktion von Öffentlichkeitsarbeit 24, zum anderen rechtfertigt es incidenter die bewußtseinsbildende Wirkung von Aufklärungskampagnen 25.
i7 Beschluß vom 18.10.1985, BR-Drucks. 427/85. is Schmülling, S. 115. 19 S. dazu im einzelnen noch unten 7. Teil, 2. Kapitel zu 1.1. 20 S. Abels, S. 89 (untere Abbildung). 21 Wie vor, S. 84. 22 Spruchkörper war nicht der üblicherweise über die Öffentlichkeitsarbeit urteilende 2. Senat, sondern die 2. Kammer des 1. Senats. 23 NJW 1987, 2287. 24 S. dazu unten 3. Teil, 1. Kapitel zu III.2.c). 25 S. dazu unten 3. Teil, 1. Kapitel zu Ill.l.d).
2. Kap.: Staatsfreiheit politischer Willensbildung
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2. Kapitel
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur „Staatsfreiheit" der politischen Willensbildung und zur Chancengleichheit der Parteien Wie bereits das oben dargestellte Urteil zur Parteienfinanzierung deutlich werden ließ, bedarf die Einwirkung der Regierung auf den Prozeß der politischen Willensbildung bzw. auf die Wettbewerbssituation der Parteien besonderer Legitimation. Auch hierzu liegen einige richtungsweisende Äußerungen des BVerfG vor:
I. Der Beschluß über den Volksentscheid zur Badenfrage vom 2. April 1974 Die erste Entscheidung des BVerfG, die sich mit dem Einwirken der Exekutive auf die politische Willensbildung im Wege amtlicher Öffentlichkeitsarbeit zu beschäftigen hatte — und die in diesem Zusammenhang selten gesehen wird — ist der Beschluß zum Volksentscheid über die Badenfrage im Jahre 1970 26 . Während des Abstimmungskampfes hatte sich die Landesregierung von BadenWürttemberg in Pressekonferenzen, über die Medien und auch im Wege der Verbreitung einer Werbebroschüre über die Vorzüge des Landes zu Wort gemeldet und für den Verbleib Badens beim Land Baden-Württemberg geworben. Aus diesen und anderen Gründen legten Bürger des Gebietsteils Baden Einsprüche gegen die Gültigkeit des Volksentscheides ein und führten — nach deren Zurückweisung durch den Deutschen Bundestag — Beschwerde vor dem BVerfG. In seinem Beschluß hat der 2. Senat der Landesregierung „ein legitimes Interesse" zugestanden, „in angemessener Weise ihre Auffassung über die Vor- und Nachteile der einen oder anderen Lösung zu äußern, ihre Politik darzustellen und die bisherigen Leistungen des Landes zu würdigen" 27 . Das Gericht zeigt aber auch auf, daß den insoweitigen Aktivitäten einer Regierung durch das Verfassungsgebot der grundsätzlich staatsfreien Willensbildung des Volkes bei Abstimmungen Grenzen gezogen seien. Diese Grenzen seien von der Regierung überschritten worden, „wenn sie gleichsam neben den beteiligten Gruppen wie eine von ihnen in den Abstimmungskampf eingriff' 2 8 . Von der Chancengleichheit politischer Parteien ist in der Entscheidung freilich keine Rede, da diese bei einem Volksentscheid nicht in Konkurrenz zueinander treten. Die Entscheidungsgründe lassen indessen nicht erkennen, ob für die gerügten Maßnahmen eine Überschreitung der vorgenannten Grenzen angenommen wurde, da dies für die 26 BVerfGE 37, 84. 27 BVerfGE 37, 84 (90 f.). 28 BVerfGE 37, 84 (90 f.) 3 Schürmann
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
Rechtsfindung nicht erheblich war 29 . Der Wahlprüfungsausschuß des Deutschen Bundestages hatte die Maßnahmen im Einspruchsverfahren gegen die Volksabstimmung als „Selbstdarstellung in vertretbarem Rahmen" gebilligt 30 .
I I . Der Beschluß zum Verfassungsschutzbericht 1973 vom 29. Oktober 1975 Eine weitere, im Zusammenhang mit regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit ebenfalls selten wahrgenommene Entscheidung des 2. Senats behandelt den im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesinnenministeriums publizierten Bericht „Verfassungsschutz '73" 3 1 , in welchem die klagende NPD als „eine Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung und Betätigung", als „rechtsradikal, rechtsextrem, eine Feindin der Freiheit und eine Gefahr für die freiheitliche Grundordnung" dargestellt wurde 32 . Die Urteilsbegründung setzt sich in bemerkenswerter Weise von den späteren Entscheidungen zur „Wahlkampfwerbung" ab: Obwohl das Gericht die Veröffentlichung als „von der Absicht der Bundesregierung getragen" ansieht, „die Auseinandersetzung mit der Antragstellerin als politischer Partei mit politischen . . . Mitteln zu führen... also im freien Wettbewerb um die Stimmen der Wähler" auszutragen, beanstandet es diese Zielrichtung nicht 33 . Zum einen schütze Art. 21 GG nicht gegen faktische Nachteile 34 . Zum anderen verbiete das Recht einer politischen Partei auf Chancengleichheit staatliche Maßnahmen nur dann, wenn diese deren Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtige, also aufgrund sachfremder, bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlicher Erwägungen 35. Nach Ansicht des Gerichts sind 29 Mit Blick auf das Abstimmungsergebnis — 82 Prozent sprachen sich für den Verbleib Badens beim Land Baden-Württemberg aus — hat das Gericht die Wahlfehler insgesamt als unerheblich angesehen. 30 BT-Drucks. VI/2341, S. 3 ff.; die Einspruchsbegründung führt im übrigen aus, daß „im parlamentarischen System der Regierung ein natürlicher Vorsprung an Autorität und der Vorteil, sich in der Ausübung der Macht darstellen zu können, zugute kommt" (S. 13). Auch bei einem Volksentscheid werde letztlich über die Arbeit der Regierung und der sie tragenden Parteien entschieden. Das Vorgehen staatlicher Organe finde seine Grenze allerdings dort, „wo die Einmischung in den demokratischen Prozeß der staatlichen Willensbildung durch Einsatz staatlicher Machtmittel — personeller und finanzieller Art — erfolgt, der auf eine Manipulation der freien Entscheidung des Bürgers gerichtet ist", S. 15. 31 S. dazu nunmehr die gesetzliche Grundlage in § 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (Art. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20.12.1990), BGBl I 1990, S. 2954 (2974). 32 BVerfGE 40, 287. 33 BVerfGE 40, 287 (292); kritisch dazu Gusy, NVwZ 1986, 6 (7). 34 BVerfGE 40, 287 (293). 35 Bestätigt von BVerfGE 57, 1 (7); in der Ableitung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien — und damit in der Anwendung des Willkürverbots — ist das
2. Kap.: Staatsfreiheit politischer Willensbildung
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aber sogar staatliche Werturteile im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit nicht willkürlich, wenn sie die Form sachlich gehaltener Meinungsäußerungen wahren 36 . Bei den späteren, im Organstreitverfahren ergangenen Entscheidungen zu Eingriffen in das Recht der Parteien auf Chancengleichheit durch regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit zur Wahlzeit sucht man den Maßstab des Willkürverbots indessen vergebens.
I I I . Das erste Urteil zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf vom 2. März 1977 Die entscheidende Weichenstellung erfolgte mit der Grundsatzentscheidung vom 2. März 1977, dem Verdikt über die bis dahin gebräuchlichen Aktivitäten regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit im Bundestagswahlkampf. Bereits 1965 hatte die damalige Opposition der Regierung unter Bundeskanzler Erhard in einem Organstreitverfahren 37 und in einem Normenkontrollverfahren gegen die Haushaltsgesetze der Jahre 1964 und 1965 38 vorgeworfen, mittels staatlichen Werbematerials die chancengleiche Mitwirkung der Oppositionsparteien an der politischen Willensbildung und das Neutralitätsgebot verletzt zu haben39. Hätte die klageführende SPD nicht 1967 nach Eintritt in die Große Koalition durch Antragsrücknahme eine Verfahrenserledigung herbeigeführt, so hätte der 2. Senat schon früher die Frage nach den Grenzen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf beantworten müssen. Es dauerte indessen zehn Jahre, bis das BVerfG wegen folgenden Sachverhalts erneut angerufen wurde 40 : In der Zeit von Mai 1976 bis zu den Bundestagswahlen am 3. Oktober 1976 hatte die Bundesregierung über Werbeagenturen in Tageszeitungen und Zeitschriften Anzeigenserien veröffentlicht, die aus Haushaltsmitteln finanziert wurden und deren Gesamtkosten sich auf rund 10 Millionen D M beliefen. So erschienen in zehn überregionalen Tageszeitungen beginnend viereinhalb Monate vor Gericht allerdings nicht konsequent. Während BVerfGE 1, 208 (242) und 44, 125 (145) eine Ableitung nicht aus Art. 3 GG vornehmen, sehen E 7, 99 (107) und 47, 198 (225) den Grundsatz in Art. 3 i. V. m. Art. 21 GG verankert. Ähnliche Differenzen zeigen sich zwischen den Entscheidungen, die wie E 20, 56 (116 ff.); 14, 121 (134); 41, 399 (413 f.) eine Ungleichbehandlung nur aus einem „besonderen zwingenden Grund" zulassen und anderen wie E 8, 51 (64, 69); 52, 63 (84); 66, 107 (114); 73 40 (89), die nur einen „Grundsatz der formalen Gleichheit" beachtet wissen wollen. Gegen die Herleitung aus Art. 3 siehe auch Lipphardt, Gleichheit, S. 21 ff. und passim. 36 BVerfGE 40, 287 (293). 37 2 BvE 1/66. 38 2 BvF 1/66. 39 Zum Sachverhalt s. Hoffmann, in: Flechtheim (Hrsg.), S. 235 (237). 40 BVerfGE 44, 125; der Gang des Verfahrens ist dokumentiert in einer Veröffentlichung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Bundesverfassungsgericht, s. Dokumentation I. 3*
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
dem Wahltermin über einen Zeitraum von ca. sechs Wochen zahlreiche großformatige Anzeigen, in denen die Leistungen der Bundesregierung teilweise seit Beginn ihrer Machtübernahme im Jahre 1969 in allen wesentlichen Politikbereichen herausgestellt wurden mit dem einheitlichen Slogan: „Die Zwischenbilanz zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg. Leistung verdient Vertrauen. Wir sichern Deutschlands Zukunft. Die Bundesregierung" 41. Ergänzt wurde die Serie durch ähnliche Anzeigen in Funk- und Fernsehzeitschriften, die die positiven Leistungen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Rentenversicherung hervorhoben und etwa zehn Wochen vor dem Wahltermin geschaltet wurden 42 . Etwa vier Monate vor dem Wahltermin veröffentlichte die Bundesregierung zehn Wochen lang wöchentlich eine über drei bis fünf Seiten laufende Anzeige im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel". Dabei wurden unter einer plakativen Überschrift schlagwortartig Leistungen der Bundesregierung unter gleichzeitiger Abwertung kritischer Stellungnahmen der Opposition dargestellt. Der informative Gehalt der Anzeigen stand dabei teilweise außer Verhältnis zu ihrem Umfang. Die Gesamtkosten lagen bei rd. 950 000,— D M bei einer Auflagenhöhe von 900 000 Exemplaren 43. Weiterhin erschien im gleichen Zeitraum in einer großen Publikumszeitschrift eine wöchentliche Anzeigenserie mit jeweils fünf ganzseitigen Inseraten, die aus nicht mehr als einer plakativen Kernaussage und einer kleingedruckten Kurzerläuterung bestanden. Die Gesamtkosten der insgesamt 50 Anzeigen beliefen sich bei einer Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren auf rund 1,1 Millionen D M 4 4 . Zwei Monate vor der Wahl veröffentlichte die Bundesregierung fünf Wochen lang in vierzehn Zeitschriften eine Anzeige über Inhalt und Auswirkungen der Reform des Eherechts. Im gesamten Wahljahr wurden eine Vielzahl von Büchern, Broschüren, Faltblättern und sonstigen Publikationen unterschiedlichen Inhalts (Leistungsbilanzen, Arbeitsberichte, Reden und Programme, Gesetzestexte zum Bundesausbildungsförderungsgesetz und Strafvollzugsgesetz, Servicebroschüren) herausgegeben, die teilweise Auflagenhöhen von über 1 Million Exemplaren erreichten. Der weitaus größte Teil wurde den Regierungsparteien und ihren Untergliederungen zur Verteilung überlassen. So gingen von 22 verschiedenen Druckschriften, die im 1. Halbjahr 1976 mit über 6 Millionen Exemplaren ausgeliefert wurden, 59,5 % an die Regierungsparteien, dagegen nur 0,26 % an die Oppositionsparteien. Ein Faltblatt mit einer Aufzählung von Leistungen und Erfolgen seit 1969, das auch die Regierungsparteien hervorhebt, wurde gar zu 73 %, eine Erfolgsbilanz des Wahljahres 1976 zu 74% den Regierungsparteien überlassen und von diesen planmäßig im Wahlkampf eingesetzt. Hierfür fielen, neben dem Einsatz von 41 Dokumentation 42 Dokumentation 43 Dokumentation 44 Dokumentation
I, I, I, I,
Teil Teil Teil Teil
1/Anlage 1/Anlage 1/Anlage 1/Anlage
14 (S. 233 ff.). 17, 18 (S. 345 f.). 15 (S. 249 ff.). 16 (S. 293 ff.).
2. Kap.: Staatsfreiheit politischer Willensbildung
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Personal- und Verwaltungskosten, Druck- und Versandkosten in Millionenhöhe an. Gegen diese Maßnahmen erhob die CDU am 23. Juli 1976 Organfeststellungsklage beim BVerfG 45 . Das Gericht nimmt den ihm unterbreiteten Sachverhalt erklärtermaßen zum Anlaß, erstmals „in groben Umrissen" 46 den Verlauf der Grenzen zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und verfassungswidrigem Hineinwirken in den Wahlkampf aufzuzeigen 47 und damit eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Frage zu klären, „deren Tragweite weit über den konkreten Anlaß hinausgeht"48. Das Gericht unterscheidet dabei zwischen allgemeinen, stets zu beachtenden Grenzen und solchen, die sich aus der Nähe zu Wahlen ergeben: Eine solche allgemeine Grenze ergebe sich aus der föderalen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern: „Ebenso wie die Verfassungsorgane der Länder ihre Öffentlichkeitsarbeit auf den Aufgaben- und Kompetenzbereich des jeweiligen Landes zu beschränken haben, muß sich die Bundesregierung — soweit sie nicht zuständig ist — jedes Eingriffs in den Länderbereich enthalten. Diese wechselseitige Schranke ist stets zu beachten"49. Eine zweite, wichtige allgemeine Grenze folge aus der Beschränkung der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung auf den Bereich ihrer S ach Verantwortung gegenüber Volk und Parlament: Sie muß „sich stets der offenen oder versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Parteien oder sonstigen an der politischen Meinungsbildung beteiligten Gruppen enthalten" und daher „auch schon den Eindruck einer werbenden Einflußnahme zugunsten einzelner Parteien ebenso wie willkürliche, ungerechtfertigt herabsetzende und polemische Äußerungen über andere Parteien vermeiden. Die Öffentlichkeitsarbeit darf nicht durch Einsatz öffentlicher Mittel den Mehrheitsparteien zu Hilfe kommen oder die Oppositionsparteien bekämpfen" 50. Für die Bestimmung der besonderen Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf läßt sich das Gericht von dem Grundsatz leiten, daß „Öffentlichkeitsarbeit der Regierung dort ihre Grenze findet, wo die Wahl Werbung beginnt". Hiervon seien alle Maßnahmen betroffen, „die — gewollt oder ungewollt — geeignet sind, der Wahlwerbung zu dienen oder den Wahlkampf zu beeinflussen" 51 . Das Gericht entwickelt sodann eine Reihe von Kriterien — Zeitfaktor, 4 5 Die Antragsschrift ist abgedruckt in: Dokumentation I, S. 6 ff., die Erwiderung des Bundesministers des Innern ebendort, S. 35 ff. 46 BVerfGE 44, 125 (155). 47 BVerfGE 44, 125 (166). 48 BVerfGE 44, 125 (167) 49 BVerfGE 44, 125 (149); s. dazu ausführlich unten 6. Teil, 1. Kapitel, und 7. Teil, 1. Kapitel zu I. so BVerfGE 44, 125 (149 f.); s. dazu ausführlich unten 6. Teil, 3. Kapitel zu 1.1. 51 BVerfGE 44, 125 (150).
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
Inhalt, Aufmachung und Frequenz — als Beweisanzeichen, an denen zu messen sein soll, wann eine unzulässige Wahlwerbung vorliegt 52 . Voraussetzung für die Feststellung eines Verfassungsverstoßes sei jedoch erst „eine ins Gewicht fallende Häufung und Massivität offenkundiger Grenzverletzungen" 53. Einschränkend muß jedoch festgestellt werden, daß das Urteil nicht nur vom Streitgegenstand her, sondern auch nach der Eingrenzung der Entscheidungsgründe nur die „bezahlte" Öffentlichkeitsarbeit 54 betrifft. Die vom Gericht „aufgezeigten Beschränkungen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit gelten für alle unter Einsatz von Haushaltsmitteln finanzierten Anzeigen, Broschüren, Faltblätter und sonstige Druckwerke" 55 . Das Urteil läßt die mittelbare Information der Bevölkerung über die Presse und den nicht amtlichen Einsatz von Regierungsmitgliedern im Wahlkampf ausdrücklich unberührt: Die Beschränkungen „schließen . . . weder aus, daß die Mitglieder der Bundesregierung sich in amtlicher Funktion über Rundfunk und Fernsehen an die Öffentlichkeit wenden oder Presseerklärungen abgeben, noch daß sie außerhalb ihrer amtlichen Funktionen für eine Partei in den Wahlkampf eingreifen" 56 . Da die Druckschriften der Bundesregierung mit werbendem Charakter sich in aller Regel als zusätzliches Wahlkampfmaterial für die Regierungsparteien, nicht aber für die Opposition eigneten, müsse die Bundesregierung Vorkehrungen dagegen treffen, „daß die von ihr für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit hergestellten Druckwerke nicht von den Parteien selbst oder von anderen sie bei der Wahl unterstützenden Organisationen oder Gruppen zur Wahlwerbung eingesetzt werden" 57 . Durch einen Teil der beanstandeten Maßnahmen hat die Bundesregierung nach Ansicht des Gerichts gegen Art. 20 Abs. 2 GG verstoßen und die Oppositionspartei dadurch in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei der Bundestagswahl nach Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 GG verletzt: In einer Vielzahl der Anzeigen, für die kein von der Sache her gebotener, akuter Anlaß bestand, sei unverkennbar die Absicht der Bundesregierung hervorgetreten, die von ihr vertretene Politik in der nächsten Legislaturperiode fortzuführen, verbunden mit dem mehr oder minder deutlich ausgesprochenen Appell an die Wähler, ihr dazu bei der Bundestagswahl die Möglichkeit zu verschaffen. In anderen habe der informative Gehalt außer Verhältnis zu dem Umfang der Anzeigen gestanden58. 52 BVerfGE 44, 125 (150 ff.); ausführlich dazu unten 7. Teil, 1. Kapitel zu IV. 53 BVerfGE 44, 125 (156). 54 Zu den Erscheinungsformen regierungsamtlichen Informationshandelns s. unten 2. Teil, 3. Kapitel zu II. 55 BVerfGE 44, 125 (154). 56 BVerfGE 44, 125 (154 f.). 57 BVerfGE 44, 125 (154). 58 BVerfGE 44, 125 (160).
2. Kap.: Staatsfreiheit politischer Willensbildung
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Das Gericht mißbilligt ferner die massive Verbreitung von Arbeits-, Leistungsund Erfolgsberichten im nahen Vorfeld der Wahl. Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegneten hingegen Broschüren, die sich im wesentlichen in der Wiedergabe von Gesetzestexten erschöpften, für deren Herausgabe ein akuter Anlaß, etwa eine Gesetzesänderung, bestand und solche, von denen eine ernsthaft ins Gewicht fallende Werbewirkung nicht ausging, weil sie sich darauf beschränkten, die Bürger über Gefahren aufzuklären, Auswege aufzuzeigen und Hilfen zu vermitteln 59 .
1. Sondervoten der Richter Dr. Geiger und Hirsch In ihrem in der Begründung abweichenden Votum vertreten die Verfassungsrichter Dr. Geiger und Hirsch die Auffassung, Streitgegenstand sei nicht Öffentlichkeitsarbeit, sondern ausschließlich von der Bundesregierung mit öffentlichen Mitteln hergestelltes Wahlkampfmaterial 60. Für die Bestimmung deren Legitimation und Grenzen habe kein Anlaß bestanden, zumal beides ohne Definition des Begriffs „Öffentlichkeitsarbeit" nicht möglich sei 61 . Das Sondervotum wendet sich auch dagegen, die Bestimmung der „Wahlkampfzeit" offen-, bzw. den betroffenen Verfassungsorganen zu überlassen. Die Formalisierung dieses Zeitraums sei „entscheidend wichtig, um zu einer handhabbaren zeitlichen Eingrenzung des Streitgegenstandes zu gelangen" 62 . Das Bundeswahlgesetz ergebe eine zureichende Fixierung in den §§ 16 ff. 6 3 . Die von der Senatsmehrheit entwickelten Kriterien zur Abgrenzung werbewirksamen und neutralen Materials seien untauglich, da im Wahlkampf „alles" seine Wirkung habe. Gerade im Zusammenhang mit dem Umstand, daß relativ kleine Stimmenverschiebungen Mehrheiten im Parlament ändern könnten, könne keine Aktivität bagatellisiert werden. Im übrigen seien nicht konkrete Einzelmaßnahmen isoliert zu bewerten, sondern alle Aktivitäten müßten zusammen gesehen und aus ihrer Massierung die hinreichende Evidenz gewonnen werden, daß die Feststellung der Verfassungswidrigkeit gerechtfertigt sei 64 . In seinen verfassungsrechtlichen Ausführungen deckt sich das Sondervotum allerdings mit der Mehrheitsentscheidung: Der Bundesregierung sei es als auf Zeit bestelltes Verfassungsorgan verwehrt, gleichzeitig mit der Auseinandersetzung der politischen Kräfte gleichsam ihren 59 BVerfGE 60 BVerfGE 61 BVerfGE 62 BVerfGE zu ΠΙ.2. 63 BVerfGE 64 BVerfGE
44, 44, 44, 44,
125 (164). 125 (167, 169). 125 (167); s. dazu unten 2. Teil, 1. Kapitel. 125 (167); s. dazu unten 7. Teil, 1. Kapitel zu IV. 1. und 2. Kapitel
44, 125, 167 (168). 44, 125, 167 (169 ff.).
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
eigenen Wahlkampf um ihre Wiederwahl zu führen 65 . Amtliche Wahl Werbung der Bundesregierung sei „eine massive Einmischung 'von oben' in einen Vorgang, der in unserer Demokratie 'von unten her' den Anfang eines Prozesses setzen soll, an dessen Ende erst die Neubestimmung des 'Oben' im organisierten Staat steht". Der Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien im Wahlkampf sei darin zu sehen, daß die tatsächlich bestehende Ungleichheit noch verstärkt werde, indem den Regierungsparteien einseitig ein aus dem Bundeshaushalt finanzierter zusätzlicher Werbeaufwand in Millionenhöhe zugute kam 66 . Nicht zu beanstanden seien indessen alle nur mittelbaren Auswirkungen auf die Wahlentscheidung, die von der Politik oder den handelnden Personen ausgehen67. Für gleichwohl auch während der Wahlkampfzeit notwendige Aufklärungsarbeit stünden der Bundesregierung daher Pressekonferenzen, Rundfunk und Fernsehen zur Verfügung 68 . 2. Sondervotum des Richters Dr. Rottmann Das dissenting vote des Verfassungsrichters Dr. Rottmann weicht auch im Ergebnis von der Senatsentscheidung ab. Nach seiner Auffassung liegt kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip und nur eine geringfügige Beeinträchtigung des Rechts auf Chancengleichheit vor. Die Grenzziehung zwischen den Interessen der Regierung und denen der Parteien erfolge im Urteil zu einseitig zu Lasten der Bundesregierung und erschwere damit zu weitgehend deren Aufgabe, den Staat in der Öffentlichkeit zu repräsentieren, die Regierungspolitik darzustellen, zu verdeutlichen, zu popularisieren und Angriffe anderer gegen sich und die Bundesrepublik Deutschland abzuwehren 69. In Anlehnung an die Leibholzsche Parteienstaatslehre 70 gerät aus der Sicht Rottmanns die Argumentation der Senatsmehrheit in Kollision zur Verfassungswirklichkeit. Das Gemeinwohl, zu dessen Förderung und Verwirklichung die Bundesregierung verpflichtet sei, werde von ihr nicht in politischer Neutralität bestimmt. Die Bundesregierung suche vielmehr das Wahlprogramm der sie tragenden politischen Parteien, soweit es Grundlage ihres eigenen Regierungsprogramms geworden sei, zu verwirklichen. Für die Dauer der Amtszeit der Regierung sei die Verwirklichung des Programms der Mehrheitsparteien und des darauf fußenden Regierungsprogramms die Verwirklichung des Gemeinwohls und müsse in der politischen Auseinandersetzung verteidigt werden 71 . Demgemäß verbiete das Demokratieprinzip der Bundesregierung nicht, sich mit politischen Parteien 65 BVerfGE 66 BVerfGE 67 BVerfGE 68 BVerfGE 69 BVerfGE 70 S. zuletzt 71 BVerfGE
44, 125, 167 (172). 44, 125, 167 (176). 44, 125, 167 (174). 44, 125, 167 (178). 44, 125, 181 (196). Leibholz, in: Leibholz / Rinck, Art. 21 Anm. 10 (S. 549 ff.). 44, 125, 181 (183 f.).
2. Kap.: Staatsfreiheit politischer Willensbildung
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zu identifizieren, sich zur Wiederwahl zu stellen und für diese Wiederwahl zu werben 72 . Die Bundesregierung könne nicht in Wahlkampfzeiten „politisch entmannt" werden, sie bleibe auch während des Wahlkampfes bis zum letzten Tage ihrer Amtszeit zum Handeln verpflichtet und befugt. „Vollends untragbar" sei, daß mit der Festsetzung des Wahltermins selbst die Verbreitung von Erfolgs- und Leistungsberichten untersagt werde, da auf diesem Wege „sachlich notwendige und hochwertige Informationsarbeit der Bundesregierung und damit ein Stück Darstellung des Staates in der Öffentlichkeit wegen einer nur theoretisch möglichen Beeinträchtigung der Wahlchancen der parlamentarischen Opposition" verboten werde 73 . Ausfluß der allgemeinen Handlungspflicht und -befugnis sei auch die wertende Darstellung des Regierungsprogramms durch Öffentlichkeitsarbeit 74 . Zudem liegen die Auswirkungen des Regierungshandelns durch Öffentlichkeitsarbeit nach der Ansicht Rottmanns in der Regel „unter der Schwelle dessen, was durch den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien abgesichert werden soll" 7 5 . Solange sich die Bundesregierung bei dem Umfang ihrer Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der ihr vom Bundestag zugebilligten Mittel halte, sei selbst eine auffällige Verstärkung des Umfangs der Öffentlichkeitsarbeit in der Vorwahlzeit allein noch keine Beeinträchtigung der Chancengleichheit76. Diametral zum Sondervotum Geigers, das keinerlei Auswirkung als „quantité négligeable" ausklammern will, hält Rottmann die Argumentation der Senatsmehrheit, reklamehafte Aufmachung („Primitivreklame") beeinträchtige die Chancengleichheit der Oppositionspartei, in Anbetracht der „völlig unbewiesenen Wirksamkeit auf den Wahlbürger" für verfehlt, ebenso die nachweislose Unterstellung des Urteils zur Wirkung voluminöser, zum Teil höchst schwierig zu lesender Arbeitsberichte zu Lasten der Opposition 77 .
IV. Die zweite Entscheidung zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf vom 23. Februar 1983 Spätere, unmittelbar nach dem Regierungswechsel Ende 1982 betriebene Maßnahmen bezahlter Öffentlichkeitsarbeit blieben hingegen unbeanstandet: Wenige Wochen vor der Anordnung von Neuwahlen durch den Bundespräsidenten am 6. Januar 1983, jedoch nach dem faktischen Beginn des Wahlkampfs, 72 BVerfGE 44, 125, 167 (185 f., 191). 73 BVerfGE 44, 125, 181 (194). 74 BVerfGE 44, 125, 167 (187, 189). 75 BVerfGE 44, 125, 181 (190). 76 BVerfGE 44, 125, 181 (193). 77 BVerfGE 44, 125, 181 (193); zur Kommunikationswirkung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit s. ausführlich unten 7. Teil, 2. Kapitel zu 1.1.
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
hatte die Bundesregierung mehrere aus Haushaltsmitteln finanzierte Zeitungsanzeigen veröffentlicht. So erschien in sechs überregionalen Zeitungen eine Anzeige, die Einzelheiten des zum 1. Januar 1983 geänderten Mietrechts erläuterte. Eine Woche später folgte in 261 regionalen und fünf überregionalen Zeitungen eine Anzeigenserie zu den Haushaltsbeschlüssen der Bundesregierung, zum Bundeshaushalt 1983, zum Haushaltsbegleitgesetz und anderen zum Jahresbeginn in Kraft tretenden Gesetzesänderungen, die unter der Überschrift: „Die Bundesregierung informiert" die Themenkreise Arbeitsplätze, Wohnungsbau, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung und Familie behandelte. Die Leser wurden mittels Coupons zum Abruf weiteren Informationsmaterials aufgefordert. Daneben veröffentlichte und vertrieb die Bundesregierung Broschüren mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers, der Haushaltsrede des Bundesfinanzministers und zu Fragen der Sozialversicherung, ein Faltblatt zur Wohnungsbauförderung und in der Reihe „Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik" Abhandlungen über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung, zur Entlastung des Bundeshaushalts sowie über die Mietrechtsänderungen. Die Verfassungsbeschwerde eines Wahlkreisbewerbers der Opposition wies das BVerfG zurück. In seinem Beschluß repetiert der Senat die Kriterien, nach denen er schon 1977 den Bereich zulässiger Öffentlichkeitsarbeit von der Wahlwerbung abgegrenzt hatte, präzisiert sie teilweise, verändert sie aber auch in bestimmten Nuancen: Wenn das Gericht feststellt, daß im nahen Vorfeld der Wahl die Befugnis der Regierung, den Bürger auch über zurückliegende politische Tatbestände, Vorgänge und Leistungen sachlich zu informieren, „zunehmend" hinter das Gebot zurücktrete, die Willensbildung des Volkes vor den Wahlen „nach Möglichkeit" von staatlicher Einflußnahme freizuhalten 78, so zieht das Gericht die Grenze damit nicht mehr so scharf und stringent wie im Urteil von 1977. Für den Beginn der Vorwahlzeit hält das Gericht am Termin der Wahlanordnung des Bundespräsidenten nach § 16 BWahlG als „Orientierungspunkt" fest, obwohl dieser Zeitpunkt wegen der vorzeitigen Auflösung des Bundestages erheblich näher am Wahltermin lag als sonst. Daß der Wahlkampf schon zuvor begonnen hatte und auch vom Bundeskanzler der Wahltermin bereits öffentlich in Aussicht genommen war, ficht das Gericht nicht an. Vor der Anordnung durch den Bundespräsidenten sei offen gewesen, ob der Bürger zu einer Wahlentscheidung aufgerufen würde. Die allgemeinen Grenzen, die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit stets zu beachten habe, gewährleisteten einen hinreichenden Schutz des demokratischen Meinungsbildungsprozesses und der Chancengleichheit der Parteien 79. 78 BVerfGE 63, 230 (244). 79 BVerfGE 63, 230 (245).
3. Kap.: Anschlußjudikatur zur Wahlerbung
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Auch über den Inhalt der Anzeigen urteilt das Gericht diesmal moderater: Selbst schlagwortartige und eindeutig komparative, auf die Bestätigung des durch Mißtrauensvotum herbeigeführten Regierungswechsels durch den Wähler hinzielende Aussagen wie „Bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft", „Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung", „Gesunde öffentliche Finanzen" anerkennt das Gericht als „neutral gehalten" ohne unmittelbaren Bezug zur Opposition 80 . Wertende Darstellungen der Regierungspolitik, die Rückschlüsse darauf zuließen, wie die Regierung die politischen Vorstellungen der Opposition beurteilt, seien als Nebenfolge hinnehmbar, wenn es überhaupt Öffentlichkeitsarbeit geben soll. Die Information werde auch nicht dadurch zur reklamehaften Werbung, daß sie auch auf den Zweck abgestimmt ist, Verständnis für die Politik der Bundesregierung zu wecken — nicht einmal dadurch, daß ihre Formulierungen ζ. T. in Werbeanzeigen politischer Parteien aufgegriffen und verwendet werden 81 . Für Druckschriften, die durch akuten Anlaß gerechtfertigt sind, läßt das Gericht „das Bemühen um eine möglichst wettbewerbsneutrale Gestaltung" genügen82. Das Gericht gibt ferner zu erkennen, daß es die von der Bundesregierung in Verfolg des 77er Urteils in der Zwischenzeit gewählte Vertriebsmethode billigt, Informationsmaterial an Parteien und andere wahlunterstützende Gruppierungen nur gegen Abgabe einer Verpflichtungserklärung zu versenden, daß der Einsatz im Wahlkampf unterbleibt 83 . Da die gerügten Druckschriften, so stellt das Gericht schließlich fest, nicht einmal ein Prozent aller Wahlberechtigten erreichen, ergebe sich auch aus der Summe der Publikationen kein Anzeichen für eine Grenzüberschreitung zur unzulässigen Wahl Werbung84. 3. Kapitel
Die Anschlußjudikatur der Landesverfassungs- und -Verwaltungsgerichte sowie des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgrenzung von Öffentlichkeitsarbeit und Wahlwerbung Seit 1977 sind eine Reihe weiterer Entscheidungen zur Abgrenzung verfassungsrechtlich zulässiger Öffentlichkeitsarbeit bzw. amtlicher Verlautbarung vom verfassungswidrigen parteiergreifenden Einwirken von Staatsorganen in Land80 BVerfGE si BVerfGE 82 BVerfGE 83 BVerfGE Teil 1 C. 84 BVerfGE
63, 230 (245). 63, 230 (246). 63, 230 (248). 63, 230 (249 f.) — die Formularerklärung ist abgedruckt im Anhang 63, 230 (249).
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
tags- und Kommunalwahlkämpfe ergangen. Die Judikatur ist im Rahmen der Auslegung des Landes Verfassungsrechts der Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 2. März 1977 im wesentlichen gefolgt 85 , ohne jedoch zur weiteren Konkretisierung der bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben beizutragen 86. Für die Fortentwicklung der Abgrenzungskriterien kann kaum mehr als das Spektrum der Sachverhalte, die in der Zwischenzeit judiziert worden sind, fruchtbar gemacht werden. Hieran wird die Tendenz erkennbar, daß für die Gerichte die eigentliche Problematik neben der Grenzbestimmung zur Wahl Werbung darin liegt zu beurteilen, ob eine Maßnahme in ihrer Auswirkung auf die Wahl „ins Gewicht fällt". Typologisch läßt sich das Rechtsprechungsmaterial wie folgt erfassen:
I. Inhaltlich unbeanstandete Maßnahmen Der Saarländische VerfGH sah in seinem Urteil vom 26. März 1980 87 in einer von der saarländischen Landesregierung rund drei Monate vor den Landtags wahlen als Beilage zu verschiedenen Zeitungen und Anzeigenblättern in einer Auflage von mindestens 300.000 Exemplaren verbreiteten zeitungsähnlichen Druckschrift, die einen werblich aufgemachten Artikel des Ministerpräsidenten über die künftige Regierungspolitik und mehrere Fotos von Kabinettsmitgliedern enthielt, keine offenkundige Grenzüberschreitung, in ihrer einmaligen Erscheinung schon gar keine Häufung und Massivität 88 . Als wettbewerbsneutrale Sachunterrichtung wertete der StGH Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 27. Februar 1981 eine vor einer Landtags wähl herausgegebene Broschüre über eine Haushaltsrede des Finanzministers mit dem Titel „Mit Augenmaß und Realitätssinn in die 80er Jahre" 89 . Gleichermaßen ließ das Gericht einige Publikationen mit Tatsacheninformationen über Umweltschutz, Ausbildung und Staatsorganisation wie auch ihren Vertrieb über staatliche und kommunale Organe unbeanstandet90. Als zulässig wurde selbst eine Zeitungsbeilage eingestuft, die eine Selbstdarstellung der Regierung und der sie tragenden Partei enthielt, da man — eine fragwürdige Argumentation — auch der klagenden Oppositionsfraktion Raum zur Selbstdarstellung angeboten, diese davon jedoch 85 So ausdrücklich SaarlVerfGH, Urteil vom 26. März 1980, OVGE 19, 96 = NJW 1980, 2181; StGH BW, Urteil vom 27.2.1981, ESVGH 31, 81 (85 f.); BayVerwGH, Urteil vom 22.6.1983, VGH n. F. 36, 67 (68) = BayVBl. 1984, 79; BremStGH, Urteil vom 30.11.1983, DVB1. 1984, 221 (223); VerfGH NW, Urteil vom 15.2.1985, DVB1. 1985, 691. 86 Eine Ausnahme bildet das eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Kriterien des BVerfG enthaltende Urteil des OVG Münster vom 19.8.1988, NVwZ-RR 1989, 149 = NWVB1. 1989, 16, bestätigt durch BVerwG, Beschluß vom 17.1.1988, NVwZRR 1989, 262 = DVB1. 1989, 948 (nur LS) = DÖV 1989, 600 (nur LS). 87 OVGE 19, 96 ff. = NJW 1980, 2181. 88 OVGE 19, 96 (101) = NJW 1980, 2181 (2183). 89 ESVGH 31, 81 (89). 90 ESVGH 31, 81 (90).
3. Kap.: Anschlußjudikatur zur Wahlerbung
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keinen Gebrauch gemacht hatte 91 . Unbeanstandet blieb schließlich auch der Abdruck einer Pressekonferenz des Regierungschefs zu Wahlkampfauseinandersetzungen im Staatsanzeiger. In einem Periodikum, dessen Aufgabe gerade in derartiger Berichterstattung bestehe und an einen festen Abonnentenkreis gegen Bezahlung abgegeben werde, sei ein solcher Bericht auch in der Vorwahlzeit zulässig, solange keine Sonderauflage unter zusätzlichem Einsatz von Steuermitteln kostenlos verbreitet werde 92 . Für zulässig erachtete der Bayerische VGH im Urteil vom 22. Juni 1983 eine drei Monate vor der Kommunalwahl veröffentlichte Anzeigenserie der Verwaltung zu kommunalen Themen, die gestaltet war in Form einer persönlichen Anrede der Bürger mit Grußformel und Unterschrift des zur Wiederwahl stehenden Oberbürgermeisters. Das Gericht verneinte eine unmittelbare Wahlwerbung, sah den Text vielmehr jeweils durch akuten Anlaß gerechtfertigt 93. Der VerfGH für das Land Nordrhein-Westfalen rechnete in seinem Urteil vom 15. Februar 1985 eine Leistungsbilanz, die lediglich dem Präsidenten des Landtages, den Mitgliedern des Hauptausschusses und auf Anfrage den übrigen Abgeordneten zur Verfügung gestellt worden war, nicht der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit zu, obwohl das Gericht zugestand, daß die Unterlage mittelbar leicht für Wahlwerbung auszuwerten und dies von der Regierung auch bezweckt war. Die Maßnahme habe indessen „bei weitem nicht die Bedeutung und das Ausmaß . . . wie . . . ein massives Aufgebot direkt auf die Öffentlichkeit einwirkender Werbematerialien". Zum einen könnten sich die Abgeordneten die darin enthaltenen Informationen auch auf andere Weise beschaffen, zum anderen sei die Ausgabe nicht in der „heißen Phase" des Wahlkampfs erfolgt und diene schließlich auch der Erleichterung der Wahrnehmung der Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive. Die Beeinflussung der Chancengleichheit gehe infolgedessen nicht über den unvermeidlichen Regierungsbonus hinaus 94 . Das OVG Münster folgte mit Urteil vom 19. August 1988 dem BVerfG 95 dahingehend, daß amtliche Öffentlichkeitsarbeit, die sich in Gestalt von Presseerklärungen oder Pressegesprächen vollzieht, auch im nahen Vorfeld der Wahl unbedenklich ist. Dies habe seinen wesentlichen Grund darin, daß Erklärungen gegenüber der Presse ihre Öffentlichkeitswirkung erst nach deren kritischer Betrachtung und Umsetzung entfalten können, was die Gefahr einer werbenden Einflußnahme auf die Bürger wesentlich mildere und deshalb vernachlässigt werden könne. Übermäßige oder tendenziöse Presseerklärungen könnten zudem Anlaß zu kritischen Meldungen geben und damit in der Öffentlichkeit das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt war 96 . 91 ES VGH 31, 81 (89). 92 ES VGH 31,81 (90). 93 VGHE n. F. 36, 67 (69). 94 DVB1. 1985, 691 (692 f.). 95 BVerfGE 44, 125 (155).
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
Mit Urteil vom 15. Oktober 1991 wies der Verfassungsgerichtshof für das eine im Organfeststellungsverfahren erhobene Klage Land Nordrhein-Westfalen des Landesverbandes der Partei DIE GRÜNEN gegen den nordrhein-westfälischen Umweltminister zurück. Die Partei hatte eine Verletzung ihres Rechts auf chancengleiche Teilnahme an der Landtags wähl im Mai 1990 sowie des Demokratieprinzips gerügt, da der Minister über eine Zeitstrecke von rund zwei Monaten bis zum Vortag der Wahl mit einem Kostenaufwand von fast 5 Millionen D M eine Kampagne zur Müllvermeidung unter der Formel „ . . . rät der Umweltminister in NRW" mit einer Serie von 168 Anzeigen unterschiedlichen Formates nebst Hörfunk- und Fernsehspots durchgefühlt hatte. Hierdurch habe sich nach Ansicht der Partei der Minister in der heißen Phase des Wahlkampfes in einem sensiblen politischen Bereich als aktiver und kompetenter Problemloser darstellen wollen und damit Sympathiewerbung für sich als Wahlkampfteilnehmer betrieben. Das Gericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, es habe sich bei der Kampagne nicht um „Öffentlichkeitsarbeit über Politik" gehandelt, sondern um die „Wahrnehmung gesetzes- oder sonstiger sachbestimmter Regierungsaufgaben mit medialen Mitteln", also um die Sachpolitik selbst, die unterhalb der Mißbrauchsschwelle gelegen habe. Die Pflicht der Regierung, in Wahlkampfzeiten die Chancengleichheit der miteinander konkurrierenden Parteien zu wahren, zwinge sie nicht, von legitimen Regierungsmaßnahmen nur deshalb Abstand zu nehmen, weil diese Maßnahmen Sympathie oder Zustimmung auslösen könnten. Vielmehr müsse die Regierung bis zum Beginn der neuen Legislaturperiode in vollem Umfang handlungsfähig bleiben, um ihre verfassungsrechtlichen Pflichten zu erfüllen 97 .
I I . Inhaltlich unbeanstandete, aber dennoch nicht wettbewerbsneutrale Maßnahmen Eine an sich neutrale Sachinformation kann nach Ansicht des OVG Münster 98 und des VGH Baden-Württemberg 99 aufgrund ihrer Nähe zum Wahltermin und ihrer gegenständlichen Relevanz für die im Wahlkampf behandelten Themen oder antretenden Bewerber die Grenze zur unzulässigen Wahlbeeinflussung überschreiten, sofern nicht ihre Veröffentlichung aus überwiegendem Interesse der Allgemeinheit unerläßlich ist.
96 NVwZ-RR 1989, 149 (152). 97 So die noch unveröffentlichte Urteilsbegründung — VerfGH 12/90 — sub B.III. 1. und IV. Das Gericht liegt damit auf der Linie, wie sie Rottmann in seinem Sondervotum zur 77er Grundsatzentscheidung des BVerfG vertreten hatte, s. dazu oben bei FN 73; vgl. demgegenüber OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 149 (151), unten bei FN 109. 98 NVwZ-RR 1989, 149 (151). 99 ESVGH 36, 109 (111).
3. Kap.: Anschlußjudikatur zur Wahl Werbung
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I I I . „Offenkundige" Grenzüberschreitungen Als „Wahlwerbung" bewertete der StGH Baden-Württemberg im Urteil vom 27. Februar 1981 nicht nur 10 Wochen vor der Landtags wähl im Jahre 1980 veröffentlichte Anzeigen und Druckwerke mit der Darstellung des Regierungsprogramms als hoffnungsvolle Zukunftsperspektive und der Aufforderung, die amtierende Regierung im Amt zu belassen 10°. Das Gericht mißbilligte auch den Abdruck von Regierungserklärungen, sofern sie „in grafisch werbehafter Aufmachung mit Sympathiewerbung für den Autor publiziert und verbreitet" wurden 101 sowie Faltblätter und Broschüren, die der Sympathiewerbung für den Ministerpräsidenten und die Regierungsmitglieder dienten, teilweise sogar auf deren Parteiämter hinwiesen. Dem Verdikt des StGH unterfiel auch die Verteilung eines Wochendienstes der Regierung an Zeitungsredaktionen 102, obgleich das BVerfG den Weg der Pressearbeit als unbedenklich angesehen hatte 103 . Mit der Disqualifizierung als Wahlwerbung seien die Grenzen des Zulässigen überschritten, ohne daß es auf eine besondere Gewichtigkeit durch Häufung und Massivität ankomme 1 0 4 . Als „unverbrämte, parteiergreifende Wahlkampfmaßnahme" erkannte der Bremer StGH in seinem Urteil vom 30. November 1983 eine vom Senat wenige Wochen vor der Bundestagswahl 1983 an alle Haushalte des Landes verteilte Monatszeitung, die — herausgehoben durch schlagzeilenartige Überschriften — die Politik der Bundesregierung angriff („CDU-Politk schadet dem kleinen Mann", „Bonn treibt Mieten hoch"). Da die Maßnahme „eindeutig außerhalb der Grenzen einer zulässigen staatlichen Öffentlichkeitsarbeit" stehe, bedürfe der Inhalt der Veröffentlichung keiner Prüfung 105 .
IV. Die hinreichende Gewichtigkeit Schon der Bremer StGH stand bei seiner Entscheidung vom 30. November 1983 vor dem Problem, daß nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Verfassungsverstoß eine „ins Gewicht fallende Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitungen" voraussetzt. Das Gericht hatte indessen nur über drei einmalig erschienene Artikel zu befinden. Der StGH kommt zu dem Ergebnis, 100 ESVGH 31, 81 (87). ιοί ESVGH 31, 81 (88).
102 ESVGH 31, 81 (88). 103 BVerfGE 44, 125 (155). 104 ESVGH 31,81 (87); s. dazu aber unten 7. Teil, 1. Kapitel zu IV.3.c). los DVB1. 1984, 221 (223 f.); s. dazu die kritische Anmerkung von Ladeur, DVB1. 1984, 221 (225), der vermutet, daß diese Begründung nur dazu führen werde, daß Presseämter nach bewährten „Verbrämungsmustern" verfahren bzw. Formulierungsprobleme bei Staatszeitungen Gegenstand von Verfassungsstreitverfahren werden.
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
„daß die Anforderungen an die Massivität und Häufigkeit nicht ohne Blick auf das konkrete Erscheinungsbild der staatlichen öffentlichkeitswirksamen Maßnahme beurteilt werden dürfen". Sei der Inhalt unverfänglich, folge die Einflußnahme erst aus der „Überschwemmung" mit werbewirksamem Material. Je stärker aber der Inhalt als parteiergreifende Wahlkampfaussage zu werten sei, desto mehr seien die Anforderungen an Massivität und Häufigkeit zu senken. Die Argumentation des BVerfG sei von dem ihr zugrundegelegten Sachverhalt ausgehend stark auf den massenhaften Materialeinsatz zur Darstellung von Eigenleistungen der Regierung und nicht auf eigenständige inhaltliche Grenzüberschreitungen konzentriert gewesen. Eindeutig parteiliche Wahlkampfaussagen verletzen nach Ansicht des StGH aber die Neutralitätspflicht so gravierend, daß es nicht auf ihre massenhafte und wiederholte Verbreitung ankomme. Allerdings räumt auch der StGH ein, daß ein Verfassungsverstoß nur bei einem Mindestmaß an Verbreitung bejaht werden könne. Diese Untergrenze sei aber jedenfalls dann überschritten, wenn landesweit nahezu alle Wähler erreicht wurden 106 . An jener Untergrenze der Mandatsrelevanz scheiterte eine Maßnahme, über die das OVG Münster mit Urteil vom 19. August 1988 zu befinden hatte 107 : Im Vorfeld der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im September 1984 veröffentlichte die Stadt Münster etwa sechs Wochen zuvor den „Umweltbericht 1984" in einer Auflage von 1000 Exemplaren, der den Mitgliedern des Rates und der Bezirksvertretung sowie den Fraktionen überlassen und über die Bürgerberatungsstelle an interessierte Bürger verteilt wurde. Dabei konnten jedoch nur 100 Exemplare abgesetzt werden. Vier Wochen vor dem Wahltermin veranstaltete die Kommune ferner einen von etwa 400 Personen besuchten „Informationstag 84" zu kommunalpolitischen Themen und warb hierfür durch Inserate in der Lokalpresse und per Handzettel. Da die Umweltpolitik ein zentrales Wahlkampfthema war, sei die Veröffentlichung des Berichts als Nachweis für die Richtigkeit der von der Mehrheitspartei verfochtenen Politik geeignet gewesen, die Wettbewerbsverhältnisse im Wahlkampf zu Gunsten der in der bisherigen Mehrheit stehenden Bewerber zu verbessern 108 . Gleiches gelte für den Informationstag, der ebenfalls ohne zwingenden Grund durchgeführt wurde und dabei Themenkreise der im Wahlkampf geführten Auseinandersetzungen berührt habe 109 . Diese objektiv vorliegenden Grenzverletzungen haben nach Auffassung des OVG Münster jedoch nicht zu einer Rechtsverletzung geführt. Ähnlich dem Bremer StGH 1 1 0 , jedoch in Abweichung zu diesem und anderen Verfassungsge-
106 DVB1. 1984, 221 (224). ιόν NVwZ-RR 1989, 149. los NVwZ-RR 1989, 149 (151). 109 Vgl. demgegenüber aber VerfGH NW, Urteil vom 15.10.1991 (oben zu FN 97). no DVB1. 1984, 221 (224).
3. Kap.: Anschlußjudikatur zur Wahlerbung
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richten erst bei der Prüfung der subjektiven Rechtsverletzung 111, ist auch das OVG Münster der Ansicht, daß das BVerfG mit seinem Kriterium der „ins Gewicht fallenden Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitungen" angesichts des ihm unterbreiteten Falles einer regelrechten Flut von Anzeigenserien keinen allgemeingültigen Maßstab formuliert hat, sondern daß auch einmalige Grenzüberschreitungen von besonderem Gewicht das Recht auf Chancengleichheit verletzen können 112 . Andererseits räumt das OVG Münster ein, daß eine einschränkende Betrachtung bei der Frage der Rechtsverletzung mit Rücksicht auf die „Sachbedingungen praktischen Verwaltungshandelns" und zur Abwehr der „Versuchung, den Wahlkampf in den Gerichtssaal zu tragen", notwendig sei 113 . Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall müßten nach Möglichkeit vermieden werden 114 . Anderenfalls könne die amtliche Öffentlichkeitsarbeit in der Vorwahlzeit wegen der damit verbundenen Risiken zum Erliegen kommen 115 . Demzufolge sei für die Annahme der Verletzung subjektiver Rechte erforderlich, „daß amtliche Öffentlichkeitsarbeit die Grenzen zur unzulässigen Wahl Werbung in einem ins Gewicht fallenden, spürbare Auswirkungen auf das Wahlergebnis nahelegenden Umfang überschritten hat bzw. zu überschreiten droht" 116 . Die unmittelbare wie mittelbare Öffentlichkeitswirkung des mit nur 100 Exemplaren abgesetzten Berichts wie auch des Informationstages, der mit rund 400 Personen nur einen kleinen Teil der Wahlberechtigten erreichte, habe jedoch auch im Zusammenwirken beider Maßnahmen „nicht den Grad erreicht, jenseits dessen von einem massiven Eingriff in den Wahlkampf gesprochen werden kann". Die angegriffenen Maßnahmen seien ungeeignet, mehr als unwesentliche Auswirkungen auf das Wahlergebnis nach sich zu ziehen und verletzten daher die subjektiven Rechte der Wahlbewerber nicht 117 . Dies hat auch das BVerwG in seiner Beschwerdeentscheidung als folgerichtig anerkannt 118. Den Einwand, die Argumentation des OVG Münster lasse den effektiven Rechtsschutz praktisch leerlaufen, da die aufgestellten Voraussetzungen erst nach der Wahl
m S. dazu klarstellend auch den Beschluß des BVerwG über die Nichtzulassungsbeschwerde im selben Verfahren, NVWZ-RR 1989,262 (263). Daß das OVG das Kriterium erst bei der Prüfung der Verletzung subjektiver Rechte anwendet, stellt nach Ansicht des BVerwG keine Abweichung dar, die eine grundlegende Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und damit eine Revision hätte begründen können. Π2 NVwZ-RR 1989, 149 (151). 113 Kritisch dazu hingegen Ehlers, NWVB1 1990, 44 (46); s. dazu auch unten 7. Teil, 2. Kapitel zu II. 114 Dies deckt sich mit der Formulierung bei BVerfGE 44, 125 (155 f.). us NVwZ-RR 1989, 149 (152). 116 NVwZ-RR 1989,149 (152) — Hervorhebungen von mir; ähnlich auch Murswieck, DÖV 1982, 529 (537 f.) m. w. Nachw.; zur Gefahrenprognose s. ausführlich unten 7. Teil, 2. Kapitel zu I. 117 S. zu Vorstehendem S. 29 f. der Urteilsbegründung, insoweit bislang nicht veröffentlicht. us NVWZ-RR 1989, 262 (263). 4 Schürmann
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
beurteilt werden könnten, läßt das BVerwG nicht gelten: Vor der Wahl — insbesondere bei Eilverfahren — werde die Auswirkung gerade nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden können 119 . Wie umstritten das Erheblichkeitsmerkmal ist, zeigt schließlich das Urteil des VG Darmstadt vom 7. Juni 1990. Das Gericht vermochte einen an alle Gewerbetreibenden einer Stadt verschickten Leistungs- und Erfolgsbericht, der von einer Gemeindeverwaltung drei Tage vor der Kommunalwahl veröffentlicht wurde und die Behauptung angeblicher Eingemeindungsabsichten des politischen Gegners auf Landesebene enthielt, trotz dieses Inhalts sowie des weiteren Umstands, daß die Partei der Kläger die 5-Prozent-Hürde um lediglich 16 Stimmen verfehlt hatte, nicht als gravierende Beeinflussung der Wahl anzusehen, da „kaum davon ausgegangen werden kann, daß er (der fachkundige Personenkreis der Gewerbetreibenden) sich von einer oberflächlichen Aneinanderreihung von Anpreisungen in seiner Stimmabgabe beeinflussen ließ" 1 2 0 . 4. Kapitel
Öffentlichkeitsarbeit und GrundrechtseingrifT Die jüngste Entscheidung des BVerfG zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit, der Jugendsektenbeschluß vom 15. August 1989121, steht am vorläufigen Ende einer Kette von Judikaten, die sich mit der Wirkung regierungsamtlicher Aufklärung, Warnungen und Empfehlungen als Grundrechtseingriffe auseinanderzusetzen hatten 122 . Anhänger der „Transzendentalen Meditation" hatten sich nach erfolglosem Rechtsmittelverfahren 123 mit einer Verfassungsbeschwerde gegen Äußerungen der Bundesregierung gewandt, die sie als ehrverletzend und als Beeinträchtigung ihrer Glaubensfreiheit empfanden. Damit war die Frage aufgeworfen, ob und unter welchen Voraussetzungen mittels Öffentlichkeitsarbeit in Grundrechte Dritter eingegriffen werden darf. Das BVerfG hat hierzu u. a. ausgeführt: „Wenn die Bundesregierung im Rahmen ihrer vom Grundgesetz vorausgesetzten Aufgabenstellung einerseits zur Beobachtung, Vorsorge und Lenkung in besonderen Teilbereichen verpflichtet Π9 BVerwG, NVwZ-RR 1989, 262 (263). 120 NVwZ-RR 1990, 628 (630). 121 NJW 1989, 3269 (Kammerbeschluß). 122 Vgl. hier nur die Jugendsektenentscheidungen des OVG Münster, DÖV 1985, 285; OVG Münster, ZevKR 1986, 219; OVG Münster, NVwZ 1986, 400; VGH BW, NVwZ 1989, 279 = DÖV 1989, 169; VGH BW, NVwZ 1989, 878; BVerwGE 82, 76; weitere Judikatur zu anderen Eingriffslagen unten 6. Teil, 2. Kapitel zu I. 123 OVG Münster, Beschluß vom 8.8.1985, NVwZ 1986, 400; OVG Münster, Urteil vom 18.12.1985, ZevKR 1986, 219; BVerwG, Urteil vom 23.5.1989, BVerwGE 82, 76 = NJW 1989, 2272.
4. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit und Grundrechtseingriff
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ist und wenn sie andererseits befugt und gehalten ist, diese Tätigkeit gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit darzustellen bzw. zu vertreten, dann kommt ihr damit auch die Befugnis zu, in den Grenzen einer ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzen gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen sowie Empfehlungen oder Warnungen auszusprechen" 124 , ohne daß es hierfür einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedürfe. Die Bundesregierung habe dabei aber zum einen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wonach öffentlichkeitsbezogene staatliche Stellungnahmen nicht nur geeignet sein müßten, sondern sich auch „strikt innerhalb der Grenzen der Erforderlichkeit und der Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit halten" müßten. Ferner gebiete das Willkürverbot, daß die mitgeteilten Tatsachen zutreffend sein müßten und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürften 125 . Diese Entscheidung, die einen Grundrechtseingriff durch Aufklärung ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage unmittelbar aus der Verfassung rechtfertigt, soll neben einer Reihe weiterer Entscheidungen des BVerwG 1 2 6 zum Anlaß genommen werden, die Frage nach der Eingriffsqualität von Öffentlichkeitsarbeit und ihrer Legitimation eingehend zu erörtern 127 .
Ergebnis Das BVerfG hat — wie es selbst einräumt — in seinem Grundsatzurteil vom 2. März 1977 die Schranken staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld von Wahlen nur „in groben Umrissen" aufgezeigt 128 und damit geradezu zwangsläufig Beurteilungsspielräume und Grauzonen für Staatspraxis und Rechtsprechung hinterlassen. Die bislang ergangenen landesverfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen scheinen diese Unsicherheiten eher vergrößert zu haben. Differenzen zeigen sich vor allem bei den Kriterien zur Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit von verfassungswidriger Wahlbeeinflussung. Dies gilt insonderheit für das Kriterium der „ins Gewicht fallenden Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitungen". Die Rechtsprechungsübersicht läßt desweiteren erkennen, daß sich das Konfliktpotential inzwischen von der Ebene der „herkömmlichen" Öffentlichkeitsarbeit als Angebotsinformation zur Herstellung von Transparenz und Publizität gelöst hat und heute subtile Formen des Informationshandelns mittels Aufklärung, Empfehlungen und Warnungen einbezieht. Eine Untersuchung „regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit" kann diesen Bereich daher nicht aussparen. 124 NJW 1989, 3269 (3270). 125 NJW 1989, 3269 (3270). 126 S. BVerwGE 82, 76; BVerwG, JZ 1991, 624; NJW 1991, 1766; NJW 1991, 1770. 127 S. dazu unten 6. Teil, 2. Kapitel. 128 BVerfGE 44, 125 (155). 4*
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1. Teil: Rechtsprechungsübersicht
Die Ungenauigkeit in der systematischen Qualifizierung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit in Abgrenzung zur Wahlwerbung nimmt ihren Anfang mit der semantischen Flucht in den definitionslosen Terminus der „sogenannten Öffentlichkeitsarbeit". Sie setzt sich neuerdings fort mit dem Versuch, Aufklärung, Warnung und Empfehlung begrifflich aus der Öffentlichkeitsarbeit herauszunehmen129. Es soll daher im folgenden zunächst untersucht werden, ob sich ein Rechtsbegriff „Öffentlichkeitsarbeit" gewinnen läßt.
129 Gröschner, DVB1. 1990, 619 (620 ff.); Heintzen, VerwArch 1990, 532 (551).
2. T e i l
Grundlagen 1. Kapitel
Gibt es einen Rechtsbegriff „Öffentlichkeitsarbeit"? Die soeben dargestellte Judikatur wirft als erstes die Frage auf, ob sich überhaupt ein hinreichend konkreter Begriff für den Untersuchungsgegenstand „Öffentlichkeitsarbeit" gewinnen läßt. Die dem BVerfG zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalte und nicht zuletzt der stetig schwelende politische Streit um die Selbstdarstellung des Staates, seine Informationsstrukturen und -budgets machen deutlich, daß eine differenzierende Betrachtung des Diskussionsobjektes vonnöten ist. Vorwürfe an die Adresse der Bundesregierung, sie habe seit Übernahme der Regierungsverantwortung im Jahre 1982 ihre im Bundeshaushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit verdoppelt 1 und unterhalte neben den „offiziellen" Ansätzen prallgefüllte „Geheimfächer", aus denen sie ihre Öffentlichkeitsarbeit finanziere 2, sind weder nachzuvollziehen noch zu verifizieren, solange man sich nicht darüber verständigt, was „Öffentlichkeitsarbeit" eigentlich ist. Zu suchen ist daher nach einer Definition, die eine möglichst verläßliche Abgrenzung der Kriterien zulässiger Öffentlichkeitsarbeit von denen unzulässiger Beeinflussung des Wahlaktes erlaubt. Dabei die Gefahr zu erkennen, Begriffsjurisprudenz zu betreiben oder in einen nahezu „uferlosen Begriffsstreit" 3 hineinzugeraten, ist ein erster Schritt, ihr auszuweichen.
I. Der Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" im Schrifttum Der Begriff Öffentlichkeitsarbeit wird oft als feststehender benutzt, ohne jedoch definiert zu werden 4. Andere sehen in ihm resignativ eine „bloße Worthülse als ι Vgl. die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion vom 6. April 1990 — BT-Drucks. 11 / 6890. 2 Vgl. Fuchs, Michael, Geheimfächer, S. 14 ff.; dieser Vorwurf wurde von Seiten der Opposition bereits 1977 erhoben, s. BVerfGE 44, 125 (132). 3 Zuck, ZRP 1977, 144 (146). 4 So etwa Stern, Staatsrecht I, S. 310 f.
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2. Teil: Grundlagen
Folge kombinierter Meisterleistungen von appeasement, Begriffsvermanschung, Sinnentleerung, verdrängender Gedanken- und wortreicher Sprachlosigkeit" 5 oder ein „begriffliches Sammelbecken"6. Es spricht für sich, daß Oeckl schon im Jahre 1964 allein in den USA für den synonym verwandten Begriff der „Public Relations" mehr als 2000 Definitionen zählen konnte7. Auch in der deutschen kommunikationswissenschaftlichen („Public-Relations"-)Fachliteratur hat sich kein einheitlicher Sprachgebrauch entwickelt, so daß die dortigen Definitionsversuche für eine verfassungsrechtliche Untersuchung wenig hilfreich sind. So wird unter „Öffentlichkeitsarbeit" sowohl die „Außenkommunikation" (die an die Medien oder unmittelbar an die Öffentlichkeit bzw. externe Zielgruppen gerichtete Information) als auch die „Binnenkommunikation" (die nach innen vermittelte, auf die internen Informationsverarbeitungsprozesse der Organisation gerichtete Information) verstanden8. Andere unterscheiden Öffentlichkeitsarbeit als die nicht an den Tag gebundene Gesamtdarstellung einer Politik oder eines Politikbereichs von der „Informationspolitik" als die aktuelle Unterrichtung der Öffentlichkeit über einzelne politische Sachfragen, Entscheidungen oder Absichten 9. Koszyk/Pruys wiederum verstehen unter Informations- bzw. Kommunikationspolitik „die Gesamtheit der Maßnahmen des Staates und der gesellschaftlichen Organisationen, die sich auf die Regelung des Prozesses der gesellschaftlichen Kommunikation richten"10. Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur verbinden sich mit dem Begriff der regierungsamtlichen „Öffentlichkeitsarbeit" meist nur sehr vage Vorstellungen: Die einen definieren Öffentlichkeitsarbeit als allgemeine Informationsaktivitäten von Regierung und Verwaltung 1 \ als das Recht und die Pflicht der Regierung, über ihre Tätigkeiten und Ziele zu informieren 12 oder — noch allgemeiner — als das in geeigneten Maßnahmen ausgedrückte Bestreben einer Regierung, für ihre Politik Verständnis und Vertrauen zu wecken, wobei das Objekt dieser Bemühungen die Bevölkerung des eigenen Landes oder die Öffentlichkeit eines fremden Landes sein kann 13 oder schlicht als alle Formen der gezielten Steuerung kommunikativer und meinungsbildender Prozesse 14. Es handelt sich danach also 5
Ridder, Grundgesetz, S. 63. 6 Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (53). 7 Oeckl, S. 25. 8 AfK, S. 73. 9 Bergsdorf, Information und Kommunikation als Regierungsleistung, S. 7; derselbe, Public Relations der Bundesregierung, S. 258. 10 AaO, S. 185. h So Kloepfer, Handbuch Staatsrecht II, § 35 Rdnr. 60. 12 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 14. 13 Rückriegel, S. 222. 14 Wente, S. 126.
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
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um einen Oberbegriff für die Erteilung von Informationen an Presse und Öffentlichkeit sowie diejenigen Maßnahmen, die unter dem weiteren Begriff der „Public Relations" zusammengefaßt werden. Stern ordnet Öffentlichkeitsarbeit dem weiten Bereich der staatlichen Selbstdarstellung zu 15 , während Krüger sie als einen „Nachbarn der Staatspflege" 16 definiert und sie von der „Selbstdarstellung" im Sinne der Image-Pflege durch „Sichtbarmachung geistiger Gebilde" in Form von Paraden, Denkmälern, Bauvorhaben u. ä. gerade unterschieden wissen will 1 7 . Damit grenzt Krüger Öffentlichkeitsarbeit vom Begriff der „Public Relations" ab. In der Tat trägt es zur verfassungsrechtlichen Erörterung ebenso wie zur Schlichtung des politischen Streits um Etatvolumina nichts bei, wenn man entsprechend den Empfehlungen von sog. PR-Beratern das äußere Erscheinungsbild der Mitarbeiter, die Gestaltung von Briefköpfen und Foyers und die Freundlichkeit der Telefonistin zur staatlichen Öffentlichkeitsarbeit hinzuzählt. Sänger assoziiert mit „staatlicher Öffentlichkeitsarbeit" die Vorstellung, diese beschränke sich auf die unmittelbare „bezahlte" Informationstätigkeit (im Gegensatz zur mittelbaren Pressearbeit) 18. Diese Unterscheidung wird andererseits für bedenklich gehalten, weil sie geeignet sei, einen obsoleten Gegensatz zwischen „sachlicher", durch die Massenmedien kontrollierter Informationstätigkeit einerseits und unmittelbarer, häufig schlicht mit Werbung bzw. Propaganda identifizierter Öffentlichkeitsarbeit andererseits zu perpetuieren und so den Blick auf komplexe informationspolitische Funktionszusammenhänge zu verstellen 19. Nach Otto E. Kempen bedeutet amtliche Öffentlichkeitsarbeit die Offenlegung und Bekanntmachung von Vorgängen, Entscheidungen und Plänen aus dem staatlichen Bereich durch bloße Informationsvermittlung, amtliche Meinungsäußerung und werbende Stellungnahme sowie die Methode der Informationspolitik („news management") mit dem Ziel, erwünschte Meinungen entstehen zu lassen und unerwünschte Ansichten zu verhindern 20. Kempen unterscheidet zwischen der Pressearbeit als mittelbarer Öffentlichkeitsarbeit und der unmittelbaren, sich direkt dem Publikum zuwendenden Öffentlichkeitsarbeit, die sich der klassischen Medien Annonce, Flugblatt, Plakat etc. bedient, zu der er aber auch den öffentlichen Auftritt eines Organwalters zählt 21 .
is Staatsrecht I, S. 283. 16 Krüger, Staatspflege, S. 25. π Wie vor, S. 23 f. ι» Sänger, S. 132 f. 19 AfK, S. 184 f. 20 Grundgesetz, S. 21 ff. 21 Wie vor, S. 24 ff.; die gleiche Differenzierung nimmt Scherer, Öffentlichkeitsarbeit, S. 319, vor.
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2. Teil: Grundlagen
Den jüngsten Versuch einer begrifflichen Systematisierung unternimmt Gröschner, der einen materiellen Begriff der „Öffentlichkeitsarbeit" vertritt 22 . Er beschränkt Öffentlichkeitsarbeit „bis zur Grenze der Wahl Werbung" auf den Teil informellen Handelns, der über die eigene Regierungstätigkeit unterrichtet und auf eine politische Willensbildung des Wahlbürgers abzielt. Demgegenüber definiert er die Unterrichtung der Allgemeinheit über Vorgänge außerhalb des Regierungsbereichs, die auf die Bewußtseinsbildung des privat handelnden Individuums einwirkt, als „verbraucherbezogene Öffentlichkeitsaufklärung". Beide Bereiche faßt er oberbegrifflich als „Öffentlichkeitsaufklärung" zusammen und grenzt diese von Empfehlungen und Warnungen ab 23 . In ihrer Generalität können alle diese Umschreibungen nicht den Anspruch erheben, einen normativen Begriff Öffentlichkeitsarbeit zu fixieren 24 , sondern verwenden ihn in auffällig unterschiedlicher Weise deskriptiv-phänomenologisch als Oberbegriff für informationelles Handeln staatlicher Stellen.
II. Der Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" in der Judikatur 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Schon im 1. Fernsehurteil vom 28. Februar 1961 kapituliert das BVerfG vor dem Begriff der staatlichen Selbstdarstellung, mit dem „unverkennbar" Aufgaben bezeichnet seien, „die sich einer näheren Bestimmung entziehen"25. Auch im 1. Parteienfinanzierungsurteil vom 19. Juli 1966 spricht das BVerfG nur von der „sogenannten Öffentlichkeitsarbeit" 26, wissend, daß es sich um etwas handelt, „was dem Namen nach bekannt, damit aber nur umschrieben, nicht definiert ist" 2 7 . Das Gericht hat es seinerzeit also bewußt vermieden, den „uferlosen Begriffsstreit" 28 zu entscheiden29. Gleichwohl hat es eine vage Abgrenzung des Begriffs geliefert: Es müsse ein Bezug zur Organtätigkeit der Regierung gegeben sein und sie müsse darauf ausgerichtet sein, die Politik der Regierung, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darzulegen und zu erläutern 30. Das Gericht klammert damit jedenfalls den weiten kommunikationswissenschaftlichen „Public-Relations"-Begriff aus. 22 DVB1. 1990, 619 (620); derselbe, WUR 1991, 71 (73). 23 Ähnlich Heintzen, VerwArch 1990, 532 (551 f.); Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (79) m. w. Nachw. 24 So aber Gröschner, DVB1. 1990, 619 (620). 25 BVerfGE 12, 205 (252). 26 BVerfGE 20, 56 (100). 27 So Zuck, ZRP 1977, 144, 145. 28 Zuck, wie vor, S. 146. 29 So auch Kremmer, S. 8 in FN 3. 30 BVerfGE 20, 56 (100).
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
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In seiner ersten unmittelbar mit staatlicher Informationstätigkeit befaßten Entscheidung, dem Verfassungsschutzbericht-Urteil vom 29. Oktober 1975, verwendet das BVerfG den Begriff Öffentlichkeitsarbeit für eine Maßnahme, bei der es sich im Grunde nicht um die Darlegung von Politik oder Regierungstätigkeit der Bundesregierung handelte, sondern um die Veröffentlichung von Ergebnissen über die Recherchen politischer Strömungen 31. Welche Definition von Öffentlichkeitsarbeit das Gericht dabei zugrundelegt, wird nicht erkennbar. Jedenfalls ordnet es den Zweck, die Öffentlichkeit über eine Lagebeurteilung zu informieren, ausdrücklich der soeben zitierten Passage im 1. Parteienfinanzierungsurteil 32 zu, wobei es auch Werturteile über Parteien „in sachlich gehaltenen Meinungsäußerungen" billigt 3 3 und damit über die Kriterien der früheren Entscheidung letztlich doch hinausgeht. Auch in späteren Entscheidungen erfolgt keine Begriffsklärung, sondern eine Annäherung an den Terminus „Öffentlichkeitsarbeit" als allgemeinen, undifferenzierten Oberbegriff für informationelle Maßnahmen: Im Grundsatzurteil vom 2. März 1977 entwickelt das Gericht offenbar eine Art Subjektslehre, indem es all das der „Öffentlichkeitsarbeit" zuordnet, was die Regierung zum Zwecke der Information, Aufklärung und Werbung an die Öffentlichkeit adressiert 34. Auch hier erscheint der Begriff zunächst im Tatbestand wiederholt in Anführungszeichen gesetzt35, während in den Entscheidungsgründen nur noch allgemein von der Öffentlichkeitsarbeit als feststehendem Terminus die Rede ist und eine Demarkationslinie nur zwischen der zulässigen und der unzulässigen, wahlwerbenden Form gezogen wird 3 6 . Allerdings erweitert der Senat seine frühere terminologische Umschreibung der Öffentlichkeitsarbeit aus dem 1. Parteienfinanzierungsurteil 37 , indem er zum einen anführt, daß „auch" — also nicht nur — die Darlegung und Erläuterung der Politik der Bundesregierung in den Rahmen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit falle 38 . Zum anderen erkennt er bei Vermittlungs31 BVerfGE 40, 287 (292); vgl. auch Gusy, NVwZ 1986, 6; Frotscher, JuS 1978, 505 (511). 32 BVerfGE 20, 56 (100). 33 BVerfGE 40, 287 (293). 34 BVerfGE 44, 125 (127). 35 BVerfGE 44, 125 (130, 131, 132, 134). 36 BVerfGE 44, 125 (151); nach dem Sondervotum von Geiger (167 f.) trifft das Gericht die Unterscheidung jedoch nicht klar genug, weil es andererenfalls hätte erkennen müssen, daß Streitgegenstand allein Wahlwerbung und nicht Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sei; ebenso Zuck, NJW 1977, 1054, der die Auffassung vertritt, für das BVerfG habe kein Anlaß bestanden, sich allgemein mit Kriterien der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung auseinanderzusetzen; s. dazu auch die Empfehlung Lipphardts, Gleichheit der Parteien, S. 286, „den Interventionsbegriff von vornherein auf die unzulässigen Einflüsse zu beschränken". 37 BVerfGE 20, 56 (100). 38 BVerfGE 44, 125 (147); zu eng daher Zuck, NJW 1977, 144 (145), der in der wiederholenden Bezugsnahme auf BVerfGE 20, 56 (100) den „Begründungskniff der Traditionsklausel" entdeckt haben will.
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2. Teil: Grundlagen
Schwierigkeiten, etwa bei unpopulären Maßnahmen, auch das „Wecken von Verständnis" und das „Werben um konjunkturgerechtes Verhalten" als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit an 39 . Andere begriffliche Eingrenzungen nimmt das Gericht nicht vor. Insbesondere übernimmt es nicht etwa, wie Zuck meint 40 , eine Formulierung aus den Haushaltstechnischen Richtlinien des Bundes. Vielmehr hatten diese Richtlinien umgekehrt zuvor exakt die o. g. Umschreibung von Öffentlichkeitsarbeit aus dem 1. Parteienfinanzierungsurteil 41 übernommen 42. Die Schlußfolgerung Zucks, das BVerfG habe eine communis opinio der haushaltsrechtlichen Praxis fortgeschrieben und damit den Übergang zu einem Rechtsbegriff geschaffen, ist daher — so erwünscht das Ergebnis sein mag — unzutreffend. Hieran knüpft auch das Sondervotum Geigers an, der moniert, daß die Begründung der Verfassungsmäßigkeit und die Fixierung der Grenzen von Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung nicht möglich sei, ohne zu bestimmen, was eigentlich „Öffentlichkeitsarbeit" der Bundesregierung ist 43 . Demgegenüber läßt das Sondervotum Rottmanns erkennen, daß dieser gleichsam definitionslos von der „üblichen Öffentlichkeitsarbeit" ausgeht und hierunter Sachinformation, schönende Darstellungen, Werbung 44 bis hin zur „Primitivreklame" 45 versteht. Im späteren Beschluß desselben 2. Senats vom 23. Februar 1983 findet sich dann durchweg der Oberbegriff Öffentlichkeitsarbeit für alle streitbefangenen Maßnahmen (wiederum Anzeigen und Broschüren) von der objektiven Sachinformation 46 über die Sympathie Werbung47 bis hin zur unzulässigen Wahl Werbung48 — auch für Informationen aus akutem Anlaß 49 . Das BVerfG hat mit dieser seiner letzten Entscheidung zu regierungsamtlichen Informationsmaßnahmen den Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" offensichtlich adoptiert, ohne ihn jedoch begrifflich faßbar gemacht zu haben.
39 BVerfGE 44, 125 (148). Der Politikbegriff wiederum wird ausgedehnt, indem das Gericht auch die „sachgerechte, objektiv gehaltene Information über das Recht" als gerechtfertigt ansieht. 40 ZRP 1977, 144 (146). 41 BVerfGE 20, 56 (100). 42 Dem Vorwurf der Antragstellerin, die Bundesregierung finanziere ihre Öffentlichkeitsarbeit nicht nur aus dem hierfür vorgesehenen Titel 531 013, den das Gericht noch in den Streitstand aufgenommen hat, BVerfGE 44,125 (132), ist es in seiner Begründung entgegen Zuck, wie vor (FN 40), nicht nachgegangen. 43 BVerfGE 44, 125, (167 f.). 44 BVerfGE 44, 125 (189). 45 BVerfGE 44, 125 (192, 194 f.). 46 BVerfGE 63, 230 (243). 47 BVerfGE 63, 230 (244). 48 Wie vor. 49 BVerfGE 63, 230 (246).
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
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2. Die sonstige verfassungs- und verwaltungsgerichtliche Judikatur In der den Entscheidungen des BVerfG nachfolgenden Judikatur der Instanzgerichte hat die Flucht in den Terminus der „sog. Öffentlichkeitsarbeit" zunächst ein Ende gefunden. Allein der BremStGH unternimmt sie noch an einer Stelle 50 , um alsdann aber sogar eine „unverbrämte, eindeutig parteiergreifende Wahlkampfaussage" — „CDU-Politik schadet dem kleinen Mann" — ohne Bedenken unter den Begriff der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit zu subsumieren. Einige Entscheidungen suchen den Begriff zu vermeiden 51, wobei nicht erkennbar wird, ob die untersuchte Maßnahme aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit ausgesondert werden soll 52 . Auffällig ist, daß die Judikatur in keinem einzigen Fall eine Maßnahme erklärtermaßen nicht zur Öffentlichkeitsarbeit gezählt hat. Diese Möglichkeit zieht allein der SaarlVerfGH in Betracht mit der beiläufig erwähnten Schlußfolgerung, dann die Zulässigkeitskriterien des BVerfG nicht prüfen zu müssen53. Im übrigen verwendet die Judikatur den Begriff als feststehenden Terminus, wobei sie freilich bei bloßer Übernahme der bundesverfassungsgerichtlichen Kriterien das dortige Definitionsdefizit zwangsläufig fortführt 54 . Das BVerwG, in seinem Jugendsektenurteil vom 23. Mai 1989 mit der Handlungsform der regierungsamtlichen Warnung konfrontiert, liefert schließlich einen vagen Definitionsversuch, indem es nicht nur die Information, sondern auch die Aufklärung der Öffentlichkeit zur „sog. Öffentlichkeitsarbeit" zählt 55 . Ein Blick auf die bislang vorliegende Rechtsprechung zeigt die Großzügigkeit, mit der Informationsmaßnahmen dem Begriff der Öffentlichkeitsarbeit zugeordnet werden. Das Spektrum reicht von den „klassischen" Mitteln der Druckschriften, Faltblätter und Beilagen 56 — selbst wenn deren Inhalt eindeutig parteiergreifenden Charakter aufweist 57 oder in parteipolitische Auseinandersetzungen so DVB1. 1984, 221 (223). 51 BVerwG NJW 1984, 2591 (Werturteil in einer Broschüre des Bundespresseamtes); BVerwGE 71, 183; OVG Berlin Pharma Recht 1984, 214 (Veröffentlichung von Arzneimittel-Transparenzlisten zur Wirtschaftslenkung); OVG Münster DÖV 1985, 285 (Werturteil eines Ministers im Interview); OVG Münster, NJW 1986, 2783; OVG Münster GewArch 1988, 11 (Veröffentlichung glykolhaltiger Weine zur Gefahrenabwehr); LG Stuttgart NJW 1989, 2257 (Produktwarnung durch Pressemitteilung); VGH Mannheim NVwZ 1989, 878 (Äußerung und publizistische Verbreitung im Rahmen politischer Auseinandersetzung). 52 So im Fall der Weitergabe einer Leistungsbilanz an Landtagsabgeordnete bei VerfGH NW, DVB1. 1985, 691; oder bei wahlbeeinflussenden Äußerungen von Amtsinhabern, VGH BW, DVB1. 1985, 170; ESVGH 36, 109 (110 f.). 53 NJW 1980, 2181 (2183). 54 So etwa StGH BW, ESVGH 31,81 (86); Bay VGH, VGH n. F. 36, 67. 55 BVerwGE 82, 76; nunmehr auch BVerwG, NJW 1991, 1770; a. A. Gröschner, DVB1. 1990, 619 (620); Heintzen, VerwArch 1990, 532 (551 f.). 56 SaarlVerfGH, NJW 1980, 2181; StGH BW, ESVGH 31, 81; BremStGH, DVB1. 1984, 221; OVG Münster, NJW 1983, 2402; OVG Münster, NVwZ — RR 1989, 149. 57 BremStGH, DVB1. 1984, 221.
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2. Teil: Grundlagen
eingreift 58 — über Anzeigen 59 , Informations Veranstaltungen 60, Erfolgsberichte 61, bis hin zu Presseerklärungen und -gesprächen 62 und gar zur Akkreditierung 63 . Was die vermittelten Inhalte betrifft, so wird Sympathiewerbung ebenso selbstverständlich der Öffentlichkeitsarbeit zugeordnet 64 wie die sachbezogene Richtigstellung irreführender Behauptungen und die sachliche Erwiderung auf gegen Staatsorgane gerichtete Angriffe 65 , Warnungen vor Gefahren und Empfehlungen 66 , die mit medialen Mitteln betriebene Sachpolitik 67 , die mittelbare und unmittelbare Darlegung von Erkenntnissen und Absichten vor der Öffentlichkeit 68 und öffentliche Stellungnahmen zu gesellschaftspolitischen Erscheinungen 69.
3. Zwischenergebnis Die Judikatur scheint damit einer Art von „Subjektslehre" entgegenzustreben. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist danach alles, was zur „Erfüllung von Informationsbedürfnissen der Öffentlichkeit" 70 von staatlicher Seite entäußert wird und Wirkungen in der Öffentlichkeit zeitigt 71 . Eine werthafte Anreicherung zur schon begrifflichen Abgrenzung zulässiger Öffentlichkeitsarbeit von unzulässigen Eingriffen in die politische Willensbildung kann der Rechtsprechung nicht entnommen werden. Im Gegenteil: Der Beschluß des BVerwG vom 17. November 1988 macht deutlich, daß diese Abgrenzung bis heute offen ist. Im Rahmen der Prüfung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat das BVerwG die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht in Abrede gestellt, jedoch mangels Beschwer durch die Vorinstanz eine Erheblichkeit ihrer Erörterung in der vorgelegten Rechtssache verneint 72 . 58 OVG Münster, NJW 1983, 2404. 59 StGH BW, ESVGH 31,81; BayVGH, VGH n. F. 36, 10. 60 VGH BW, ESVGH 22 (1971), 78 (83); BVerwGE 47, 247 (253) — Abgrenzung von Öffentlichkeitsarbeit als Eigeninformation gegenüber der Auskunft auf Befragen; OVG Münster, NVwZ — RR 1989, 149. 61 StGH BW, ESVGH 31, 81. 62 VG Berlin, AfP 1985, 77; OVG Münster, NVwZ — RR 1989, 149. 63 VG Köln, Urteil vom 19.3.1979 — 6 Κ 2591 / 78 — S. 13 der Urteilsausfertigung, sowie 6 Κ 2592/78, S. 14 der Urteilsausfertigung, beide n. v. 64 SaarlVerfGH, NJW 1980, 2181; StGH BW, ESVGH 31, 81. 65 VGH BW, DVB1. 1985, 170. 66 BVerwGE 82, 76 (80 f.); BVerfG, NJW 1989, 3269 (3271). 67 VerfGH NW, Urteil vom 15.10.1991 — VerfGH 12/90 — sub B.III.l. 68 BVerwGE 82, 76 (80 f.). 69 BVerfG, NJW 1989,3269 (3270), wenngleich nicht ausdrücklich unter Verwendung des Begriffs Öffentlichkeitsarbeit. Der Bezug wird aber durch die Verweisung auf die vorinstanzliche Entscheidung BVerwGE 82, 76 hergestellt. 70 So BVerwGE 82, 76 (81). 71 Deutlich auf die ÖffentlichkeitsWirkung ausgerichtet etwa OVG Münster, NVwZ — RR 1989, 149 (152); ebenso VerfGH, NW DVB1. 1985, 691 (692).
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
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Festzuhalten bleibt, daß der Terminus „Öffentlichkeitsarbeit" auch von der Rechtsprechung nicht als Rechtsbegriff verstanden wird, sondern lediglich als deskriptiv-phänomenologischer Oberbegriff für öffentlichkeitswirksames Staatshandeln mittels Information, Werbung, Warnung, Empfehlung, Appell und Hinweis. Für die Judikatur steht erkennbar die Frage der Wirkung einer solchen Maßnahme im Vordergrund, nicht ihre Einordnung als „Öffentlichkeitsarbeit".
I I I . Normative Annäherungen an den Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" 1. Bundeshaushaltsrecht Normative Verwendung hat der Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" allein im Haushaltsrecht gefunden. So wird er im Bundeshaushaltsplan neben den Begriff der Informationspolitik gestellt: Nach der Vorbemerkung zu Kapitel 0403 „erläutert und vertritt" das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zur Unterrichtung der Bürger und der Medien „mit den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit und der Informationspolitik Tätigkeiten, Vorhaben und Ziele der Bundesregierung" 73. Eine Definition liefert indessen auch der Haushaltsplan nicht. Die definitorische Unsicherheit hat geradezu zwangsläufig auch in der parlamentarischen Diskussion über die Höhe der im Bundeshaushalt ausgewiesenen Mittel für Öffentlichkeitsarbeit immer wieder eine tragende Rolle gespielt. Bei den Beratungen des Bundeshaushalts 1975 verständigten sich schließlich Regierung und Parlament darauf, daß zur Öffentlichkeitsarbeit im haushaltsrechtlichen Sinne nur diejenigen Maßnahmen gehören, die zur unmittelbaren Darstellung der Politik der Bundesregierung oder einzelner Ressorts dienen und sich an einen unbegrenzten Bevölkerungskreis richten74. Demgemäß bestimmen die Haushaltstechnischen Richtlinien des Bundes unter wörtlicher Übernahme der maßgebenden Passage aus dem 1. Parteienfinanzierungsurteil 75: „Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit' von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften, soweit sie — bezogen auf ihre Organtätigkeit — der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern, sind grundsätzlich bei Titeln der Gruppe 531 — immer mit Funktion 013 — zu veranschlagen. Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist die funktionale Kennziffer des betreffenden Fachbereichs zu verwenden" 76 . Seither werden die Haushaltsmittel für „Öffentlichkeitsarbeit" des Bundes 72 NVwZ-RR 1989, 262 (263). 73 Zum gesamten Wortlaut s. unten 2. Kapitel zu II.l. 74 Schriftsatz des Bundesministers des Innern vom 2.9.1976, abgedruckt in: Dokumentation I, S. 38; im Original sind die Worte „unmittelbar" und „unbegrenzten" hervorgehoben — weitere Hervorhebung von mir. 75 BVerfGE 20, 56 (100).
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2. Teil: Grundlagen
einheitlich in denjenigen Titeln zur Titelgruppe 531 veranschlagt, die zur Funktion „Informations wesen" (Kennziffer 013) gehören und ausdrücklich die Zweckbestimmung „Öffentlichkeitsarbeit" tragen 77 . Sie umfaßt diejenigen Agenden der Öffentlichkeitsarbeit, die über die Politik des betreffenden Staatsorgans, quasi als „Metapolitik", betrieben werden, also für Selbstdarstellung und Imagewerbung tauglich sind. Erfaßt werden aber auch Aufklärungsmaßnahmen und Beratungsaktivitäten78. Sie soll hier als „Öffentlichkeitsarbeit im engeren Sinne" bezeichnet werden. Demgemäß enthalten die vierteljährlichen Übersichten der Bundesregierung über ihre inlandsbezogene „Öffentlichkeitsarbeit" nur solche bezahlte Maßnahmen wie Broschüren, Faltblätter, Beilagen und Sonderdrucke, Anzeigen, Filme, Tonbildschauen und Ausstellungen79. In gleicher Weise hat die Bundesregierung die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion vom 6. April 1990 zur „Verwendung der Mittel für Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung" 80 nur unter Bezug auf die zur Funktion „Informations wesen" der Kennziffer 013 gehörenden Titel der Titelgruppe 531 beantwortet 81. Während die „Öffentlichkeitsarbeit im engeren Sinne" demnach im Bundeshaushalt noch leicht erkennbar ist, sind darüberhinaus im Haushaltsplan jedoch zahlreiche weitere Ansätze enthalten, in denen Mittel etwa für Veröffentlichungen und Fachinformationen 82, für Aufklärungsmaßnahmen 83, politische Bildungsarbeit 8 4 oder die Durchführung von Informationstagungen 85, also auch für die „Politik durch Öffentlichkeitsarbeit" ausgewiesen sind 86 . 76 Haushaltstechnische Richtlinien des Bundes, Ziff. 5.3.16 — Hervorhebungen von mir. 77 S. die Antwort der Bundesregierung vom 5.6.1990 auf eine Kleine Anfrage der SPD (BT-Drucks. 11/6890), BT-Drucks. 11/7332. 78 S. etwa den Haushaltsansatz für Öffentlichkeitsarbeit im BMA, Bundeshaushaltsplan 1990, Bd. 2, Kapitel 1101, Titel 531 02 — 013. 79 Vgl. etwa Bulletin Nr. 135 vom 20.11.1990, S. 1401 ff. so BT-Drucks. 11/6890. 81 Antwort vom 5.6.1990, BT-Drucks. 11/7332. 82 Vgl. etwa Kapitel 0805, Titel 531 01 — 662; Kapitel 0903, Titel 531 01 — 171; Kapitel 0907, Titel 531 01 — 171; Kapitel 1002, Titel 685 63 — 174; Kapitel 1101, Titel 531 01 — 011; Kapitel 1211, Titel 532 08 — 719; Kapitel 1508, Titel 531 01 — 015; Kapitel 1605, Titel 531 03 — 330; Kapitel 3001, Titel 531 02 — 169. 83 Ζ. B. die Kampagne der Bundesregierung zur AIDS-Aufklärung in Kapitel 1502 (BMJFFG), Titel 531 16 — 314 (1990: 35 Mio DM); die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Volkszählung 1987 in Kapitel 0608 (BMI), Titel 531 22 — 014 (1987: 33,5 Mio DM); Aufklärung der Bevölkerung über Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Kapitel 1602 (BMU), Titel 531 01 — 330 (1990:9,4 Mio DM); Verbraucheraufklärung zur sparsamen Energieverwendung in Kapitel 0902 (BMWi), Titel 531 31 — 629 (1990: 6,5 Mio DM). 84 Etwa die „Globalzuschüsse zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit" in Kapitel 0601 (BMI), Titel 68405 — 156 (1990: 164,5 Mio DM), die zum größten Teil (125,5 Mio DM) den Stiftungen der politischen Parteien zufließen, sowie die „Zuschüsse zur Förderung der politischen Bildungsarbeit" in Kapitel 0635 (BMI —Bundeszentrale für politische Bildung), Titel 685 11 —156(1990:7,9 Mio DM).
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
63
Die Ausweisung dieser ζ. T. auch projektbezogenen Haushaltsmittel ist systematisch nicht mehr erfaßbar 87. Eine Selbstbindung des BMF durch Verwaltungsvorschriften, etwa die o. g. Haushaltstechnischen Richtlinien, existiert nicht. Jene Maßnahmen, die nach den bisherigen Umschreibungen begrifflich gewiß zur Öffentlichkeitsarbeit gehören, weisen entweder, wie im Fall der reinen Fachveröffentlichungen, keinen Bezug zur Politik der Bundesregierung auf, scheiden deshalb als Gegenstand (partei-)politischer Auseinandersetzung aus und spielen infolgedessen auch für den Prozeß der politischen Meinungs- und Willensbildung keine Rolle 88 . Oder aber — dies gilt insbesondere für Aufklärungsmaßnahmen im Bereich der Gesundheits- und Umweltpolitik — es handelt sich um die Sachpolitik selbst, die sich zur unmittelbaren Umsetzung des regelungsersetzenden Instruments der Öffentlichkeitsarbeit bedient 89 . Bei einem Tätigwerden im Bereich der Gefahrenabwehr, etwa einer Empfehlung des Bundesumweltministers nach § 9 Abs. 1 Strahlenschutzvorsorgegesetz 90 zum Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Verseuchung, kann Öffentlichkeitsarbeit sogar den Vollzugsbereich berühren 91. Diese Art der „Öffentlichkeitsarbeit im weiteren Sinne" ist nicht auf die Organtätigkeit der Regierung bezogen und eignet sich zur Selbstdarstellung und Imagewerbung nicht mehr als jede andere Maßnahme unmittelbar wirkender Sachpolitik 9 2 . Die Übergänge zwischen der „Öffentlichkeitsarbeit im weiteren Sinne" und der „Öffentlichkeitsarbeit im engeren Sinne" sind erkennbar fließend. So sind auch fachbezogene und sonstige Informationstätigkeiten der Bundesregierung denkbar, die sich nur an eine bestimmte, sachlich interessierte Zielgruppe wenden, mittelbar aber die Darstellung der Politik zum Gegenstand haben und damit auch eine Rolle für den Prozeß der politischen Willensbildung spielen können. Dies gilt beispielsweise für die Maßnahmen des Bundesumweltministers zur Aufklärung der Bevölkerung über Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, die 85 Kapitel 0403 (BPA), Titel 531 09 — 011 (1990: 18,5 Mio DM). 86 Dies übersieht Zuck, ZRP 1977, 144 (146). s? Die Behauptung Scherers, Öffentlichkeitsarbeit, S. 319, der Umfang der unmittelbaren Öffentlichkeitsarbeit der Regierung könne aufgrund der Haushaltspläne nur unvollständig festgestellt werden, trifft also cum grano salis zu. Insbesondere steht die Funktionszuordnung im Belieben des BMF und ist mangels stringenter Systematik nur noch für Haushaltsexperten nachvollziehbar. 88 So bereits der Hinweis der Bundesregierung in einer Stellungnahme zu einem Wahlprüfungsverfahren vor dem Bundestag, BT-Drucks. 7/ 1956, S. 14. 89 Vgl. auch Heintzen, NJW 1990,1448 (1449); derselbe, VerwArch 1990,532 (552); Philipp, S. 2 ff., 69; Gröschner, DVB1. 1990, 619 (62); Robbers, AfP 1990, 84 (85) sowie nunmehr VerfGH NW, Urteil vom 15.10.1991 — VerfGH 12/90 — sub B.III.l. 90 BGBl. I, 2610 (2612). 91 S. dazu unten 6. Teil, 2. Kapitel zu I.2.c)cc); so auch Heintzen, NJW 1990, 1448 (1450), zur Warnung der Bundesregierung vor Jugendsekten. 92 S. jetzt auch VerfGH NW, Urteil vom 15.10.1991 — VerfGH 12 / 90 — sub B.III. 1.
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2. Teil: Grundlagen
untrennbar mit dem umweit- und energiepolitischen Standpunkt der Bundesregierung verbunden ist. Gleiches gilt für die Einstellung von Mitteln für die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Volkszählung in den Haushaltplänen 1985 — 1987 in Kapitel 0608, Titel 531 02 — 014, zumal die Erhebung 1987 zur politischen Grundsatzfrage hochstilisiert worden war, oder die Veranschlagung von Mitteln für die Information der Öffentlichkeit in Fragen der Aussiedlerpolitik im Haushaltsplan 1988 / 89 in Kapitel 0640, Titel 531 01 — 246. Hier ließe sich ebenso vertreten, daß es sich um die Darstellung von Politik anstelle von eigenständiger Aufklärungspolitik handelt, die eher der Funktion 013 zuzuordnen wäre. Kann danach die systematische Abgrenzung des Haushaltsgesetzgebers über die Funktionskennziffer 013 letztlich nicht alleinentscheidend für die begriffliche Eingrenzung sein, so weist sie doch den Weg für eine sinnvolle weitere Differenzierung: im engeren Sinne " ist auf die Organtätigkeit der Bundes„ Öffentlichkeitsarbeit regierung bezogen, stellt die Politik unmittelbar gegenüber einem unbegrenzten Bevölkerungskreis dar und wirkt final auf den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß ein. Hierzu gehört die haushaltsmäßig erfaßte bezahlte Öffentlichkeitsarbeit, aber ebenso die unbezahlte Öffentlichkeitsarbeit über Medien und Multiplikatoren. im weiteren Sinne soweit sie einen Bezug zur Politik „ Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung aufweist, kann auf den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß einwirken und muß die sich hieraus ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen beachten. Hierzu gehört auch die ohne haushaltsrechtliche Relevanz wirkende allgemeine Informationspolitik. „Öffentlichkeitsarbeit im weiteren Sinne" t soweit sie entweder als Fachinformation keinen direkten Bezug zur Regierungspolitik aufweist oder Teil der Sachaufgabe selbst ist (Gefahrenabwehr, Gesundheitsaufklärung, Umweltberatung etc.), zeitigt keine Einwirkung auf den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozeß, ist also im politischen Meinungsstreit wettbewerbsneutral. 2. Sonstige Bundes- und Landesgesetze In anderen Bundesgesetzen ist der Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" nicht zu finden, wenngleich es einige Kompetenzvorschriften gibt, die in der Sache damit befaßt sind: So ermächtigt § 9 Abs. 1 des Gesetzes zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gegen Strahlenbelastung (Strahlenschutzvorsorgegesetz) vom 19. Dezember 1986 93 den Bundesumweltminister zur „Empfehlung bestimmter Verhaltenswei-
93 BGBl. I, 2610 (2612).
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
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sen zum Schutz der Bevölkerung". § 2 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes vom 22. Juli 1974 94 sieht die „Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen" vor 9 5 . § 16 Volkszählungsgesetz vom 8. November 1985 96 ordnete an, daß die Auskunftspflichtigen „schriftlich zu unterrichten " sind über Zweck, Art und Umfang der Erhebung, die statistische Geheimhaltung, ihre Rechte, die Rechte und Pflichten der Zähler u. a. Auch nach den Vorschriften der Gemeindeordnungen hat der Rat oder ein anderes Organ die Pflicht, die Einwohner über die allgemein bedeutsamen Angelegenheiten der Gemeinde „zu unterrichten" 97 und vereinzelt auch „das Interesse der Bürger an der Selbstverwaltung zu pflegen" 98 . Schließlich findet sich auch im Hochschulrecht mitunter die gesetzliche Verpflichtung des Rektorats, „die Öffentlichkeit im erforderlichen Umfang über die Tätigkeit der Gremien zu unterrichten". 99 Der Gesetzgeber bestimmt demnach in diesen Vorschriften das Ziel, die Unterrichtung oder Aufklärung der Bevölkerung, stellt jedoch die hierfür zu wählende Kommunikationsmethode in die Prärogative der Exekutive. Schon die gesetzliche Terminologie führt indessen zu einer differenzierten Handlungskompetenz. So deckt der Begriff der „Aufklärung" zwar die Tatsachenmitteilung und Bewertung, nicht aber die Erteilung einer konkreten Empfehlung, während der Begriff „Empfehlung" in § 9 Strahlenschutzvorsorgegesetz auch eine Warnungsbefugnis enthält. Generell stehen Aufklärung, Empfehlung und Warnung in einem Abstufungsverhältnis zueinander 10°.
94 BGBl. I, 1505. 95 Vgl. jetzt auch § 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz: „Aufklärung der Öffentlichkeit durch den Bundesminister des Innern über Bestrebungen und Tätigkeiten" der Verfassungsschutzbehörden, BGBl. I, 1990, 2954 (2974). 96 BGBl. I, S. 2078. 97 Vgl. §§ 6b, 37 Abs. 2 GO NW, 15 Abs. 1 GO RhPf., 57 Abs. 5 Satz 2 GO Nds., 20 Abs. 1 GO BW, 18 BayGO, 8a, 66 Abs. 2 HessGO, 20 Abs. 1 SaarlKSVG, 16a GO SchlH; s. dazu Kolz, S. 22 f.; s. auch die Übersicht bei Staak, S. 716 in FN 1. 98 § 66 Abs. 2 HessGO, ähnlich § 16a Abs. 1 KrO SchlH. 99 So § 67 Abs. 4 Satz 1 Hochschulgesetz SchlH vom 28.2.1990 (GVOB1. S. 85); beinahe wortgleich Art. 49 Abs. 4. Satz 1 Bayr. Hochschulgesetz i. d. F. vom 8.12.1988 (GVB1. S. 399). 100 Vgl. Gröschner, DVB1. 1990, 619 (621). 5 Schürmann
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3. Sonstige Rechtsquellen a) Der Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 18. Januar 1977 Im Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 18. Januar 1977 101 ist die Zweckbestimmung der Öffentlichkeitsarbeit des Bundespresseamtes unter Ziffer lc) wie folgt umschrieben: „Unterrichtung der Bürger und der Medien über die Politik der Bundesregierung durch Darlegung und Erläuterung der Tätigkeit, der Vorhaben und Ziele der Bundesregierung" 102.
b) Der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 1. November 1977 Öffentlichkeitsarbeit wird nicht nur vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, sondern auch von den Ressorts betrieben 103 . Als einziges 104 Fachressort verfügt das BMVg über einen Erlaß zu „Zielen, Grundsätzen und Aufgaben der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen" 105. Danach ist Presse- und Öffentlichkeitsarbeit „die gezielte Vermittlung von Information unter Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden Medien" (Ziff. 4 Abs. 1) zu dem Zweck, „die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland in der Öffentlichkeit verständlich und die Bevölkerung mit der Bundeswehr vertraut zu machen " (Ziff. 1) und mit dem Ziel, „das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland und die Wirksamkeit des Nordatlantischen Bündnisses zu stärken, das Ansehen der Bundeswehr zu fördern, den Verteidigungsw/Z/en der Bevölkerung zu festigen" (Ziff. 2) 1 0 6 . Nach diesem Erlaß enthält die sicherheitspolitische Öffentlichkeitsarbeit demnach auch konsens- und sympathiefördernde Elemente. Nach der Maßnahmenumschreibung in Ziff. 6 umfaßt die Pressearbeit: Informationsgespräche, Informationsbesuche, Informationsreisen, Pressekonferenzen und -empfänge, Interviews (Abs. 1). Als Öffentlichkeitsarbeit werden u. a. angesehen: Herstellung und Verbreitung von Broschüren, Plakaten, Flugblättern und sonstigen Informationsschriften, von Filmen, Diaserien, Tonbildschauen, Schallplatten und Tonbändern, die Zusamloi BGBl. I, 128 = Bulletin der Bundesregierung vom 22.1.1977, S. 63; der Inhalt wird vollständig wiedergegeben unten 2. Kapitel bei II.l. ι 0 2 Hervorhebung von mir. 103 S. dazu nachfolgend im 2. Kapitel zu I. ι 0 4 Sieht man von den Richtlinien des Auswärtigen Amtes über die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Botschaften und berufskonsularischen Vertretungen ab, die auslandsbezogen und damit nicht Gegenstand dieser Untersuchung ist. los VMB1 1977, Nr. 3, S. 30. 106 Hervorhebungen von mir.
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
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menarbeit mit wehrpolitischen Organisationen und staatsbürgerlichen Institutionen für deren sicherheitspolitische Öffentlichkeitsarbeit, Information der Stationierungsstreitkräfte über die Bundesrepublik Deutschland, Informationsreisen von Ausländern und Bundesbürgern, Lehrgänge, Tagungen, Seminare, Diskussions- und Vortragsveranstaltungen, Filmvorführungen, aber auch Paraden, Vereidigungen, Zapfenstreiche, Manöver sowie Tage der offenen Tür (Abs. 2). Dieser Erlaß differenziert also — anders als der Organisationserlaß des Bundeskanzlers — zwischen Pressearbeit einerseits und Öffentlichkeitsarbeit andererseits, versteht letztere aber allumfassend als jedwede der Informationspolitik dienende Maßnahme einschließlich der Public Relations. 4. Zwischenergebnis Festzustellen ist demnach, daß es auch im materiellen Recht keinen einheitlichen normativen Begriff für regierungsamtliche „Öffentlichkeitsarbeit" gibt.
IV. Abgrenzung zum Begriff „Propaganda" Die erwähnte parlamentarische Debatte über eine „Bundeszentrale für politische Aufklärung" 107 beruhte letztlich auf einer ebenso häufigen wie problematischen Begriffsverwirrung. Nur aus ihr ist die damalige Reaktion der Abgeordneten zu verstehen, die glaubten, eine „propagandistische" Zentralstelle amtlich determinierter Meinungsbildung verhindern zu müssen. Auffallend ist auch, daß das BVerfG in seiner Entscheidung vom 2. März 1977 den von Antragstellerseite wiederholt in seinen Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung benutzten Propagandabegriff 108 an keiner Stelle des Urteils verwendet, jedoch in Entscheidungen zum Parteienwahlkampf von „Wahlpropaganda" spricht 109 . Dies zeigt, daß man sich über die Öffentlichkeitsarbeit der Exekutive nur dann verständigen kann, wenn man eine begriffliche Abgrenzung zur Propaganda vornimmt 110 . 1. Der allgemeine Sprachgebrauch Das Wort „Propaganda" verdankt seinen Ursprung einer Institution der Katholischen Kirche — der Congregatio de Propaganda Fide, die im Jahre 1622 von Papst Gregor XV. mit dem Ziel eingerichtet worden war, zu Beginn des Kolonial107 S. oben Einleitung bei FN 9. io» BVerfGE 44, 125 (129 f.), Dokumentation I, S. 6 ff., 84 ff., 89 ff. 109 Vgl. BVerfGE 14, 121 (131 ff.); s. auch BVerfGE 48, 271 (276 f.). no So bereits Hämmerlein, DÖV 1969, 193. 5*
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Zeitalters die Heidenmission zu fördern. Gewiß hat auch diese kirchliche Einrichtung dazu beigetragen, den Propagandabegriff in der Weise zu prägen, wie er bis heute aktuell ist 1 1 1 . Verweltlicht und auf die politische Bühne gehoben wurde der Begriff wohl erstmals in der Französischen Revolution 112 . Größere Verbreitung fand er in dem Maße wie die Kirche sich nicht mehr auf die Verbreitung des einen Glaubens beschränkte, sondern die erkannte Möglichkeit nutzte, Menschen politisch zu beeinflussen und Glauben „nach wohlassortierten Rezepten zu erwecken" 113 . Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff „Propaganda" häufig mit der Politik verknüpft, so wie der Begriff „Reklame" mit der Wirtschaft in Verbindung gebracht wird. Propaganda richtet sich nach diesem Verständnis an den Staatsbürger zur Erzielung eines politischen Erfolgs, Reklame an den Konsumenten um des materiellen Profits willen. Beiden gemeinsam ist die Beeinflussung, die Manipulation von Einstellung und Verhalten des Adressaten unter weitgehender Paralysierung freier Meinungsbildung 114 ; beide benutzen aus den Erkenntnissen der Tiefenpsychologie abgeleitete Techniken zur Durchsetzung eines Produkts oder einer politischen Idee 115 . Dieser Sprachgebrauch ist jedoch unscharf und so nimmt es nicht Wunder, daß eine Abgrenzung der politischen Öffentlichkeitsarbeit von den Begriffen „Werbung", „Propaganda", „Agitation" der Wissenschaft bis heute nicht gelungen ist 1 1 6 . So gibt es auch heute Lehrmeinungen, die Propaganda als ethisch und rechtlich neutral ansehen. Allein die dabei angewandten Methoden, die Ziele und Motive des Absenders, des „Propagandisten", seien gut oder schlecht, rechtmäßig oder rechtswidrig 117 . In dieser neutralen Form wurde der Begriff „Propaganda" in erster Linie von marxistisch-leninistischen Staaten verstanden 118. Daß in der Praxis bis vor kurzem daraus geistige Bevormundung und Nachrichtenmanipulation wurde, ist aber nicht nur ihrem Inhalt und ihrer Zweckbindung, sondern gewiß auch der Form der Massenkommunikation über Staats- und Parteizeitungen sowie Staatsrundfunk anzulasten. πι Reich, S. 13; Rückriegel, S. 222. 112 Reich, S. 12. 113 Wie vor, S. 13. 114 S. Ueberwasser, S. 242. us Reich, S. 16; Sänger, S. 120, umschreibt Propaganda als die „aufdringlichere, umfassendere und lautstärkere Form der staatlichen Einflußnahme"; Wassermann, Zuschauerdemokratie, S. 145, ordnet ihr das kämpferische Element zu; zum Begriff Manipulation s. auch Stadt, DÖV 1964, 126 (128 f.). 116 So schon Friedmann, S. 25 f. in Reich, S. 19 mit Nachw. in FN 42; ähnlich Bull, Staatsaufgaben, S. 368; Bord, S. 86 ff.; Krüger, Der Rundfunk im Verfassungsgefüge, S. 41 ff.; Leisner, Werbung und Verfassung, S. 11; Kloepfer, Produkthinweispflichten, S. 38 in FN 124. 118 So definierte das vom Bibliographischen Institut der DDR in Leipzig herausgegebene „Kleine Fremdwörterbuch" Propaganda als „systematische Verbreitung und Erklärung von Ideen, Lehren, politischen Theorien".
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
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In nichtkommunistischen Staaten wird der Propagandabegriff zumeist mit dem der Agitation vermischt, jene nicht als ein aliud, sondern vielmehr als demagogische Steigerungsform von besonderer Einseitigkeit verstanden 119. Nach Rückriegel ist der Begriff „Propaganda" infolge der Handhabung des Instruments durch die europäischen Diktaturen derartig abgewertet und in Mitleidenschaft gezogen worden, daß ihm „wohl auch in Zukunft das Stigma der Unwahrhaftigkeit anhaften wird" 1 2 0 . Die Presse war im Dritten Reich zur Trägerin einer vom Staat bestimmten Aufgabe gemacht worden, nämlich zur Erzieherin der Öffentlichkeit im Sinne der national-sozialistischen Weltanschauung. Die Volksaufklärungsinstanzen dienten ausschließlich der Führung, das Reichsgericht selbst sah vom Führer über den Propagandaminister und den Präsidenten der Reichspressekammer bis zu Schriftleitern und Verlegern eine „einheitliche Führungslinie" 121 . Primärzweck der NS-Staatspropaganda war die „geistige Einwirkung auf die Nation" 1 2 2 , die hierzu mittels stereotyper, emotionsstarker Bilder und dramaturgischer ritueller Inszenierungen eine Pseudo-Realität konstruierte, also nicht Aufklärung, sondern Regression betrieb 123 . Die Presse wurde zur „Kampftruppe in der Hand der Führung" 124 pervertiert. Propaganda in diesem Sinne ist in der Form militant, im Inhalt monoton 125 . Außerhalb eines totalitären Staatswesens ist sie praktisch nicht vorstellbar 126 . Man kommt daher heute nicht umhin, wie Gornig die Fortentwicklung des Sprachgebrauchs in ihrer historischen Dimension zu akzeptieren und entsprechend zu definieren: „Da es die Absicht der Propaganda ist, zu überreden, arbeitet sie mit Vereinfachungen, Verallgemeinerungen und ständigen Wiederholungen. Auch auf die Wahrheit kommt es ihr nicht so sehr an. Im Gegensatz zur Nachrichtenübermittlung erfolgt sie nicht um ihrer selbst willen; sie ist zweckgerichtet und versucht dem Menschen bestimmte Ansichten aufzuoktroyieren und bei ihm bestimmte Verhaltensweisen zu erzeugen. Propaganda ermöglicht es, Menschen ohne Gewaltanwendung geistig zu bevormunden" 127 . Sie paralysiert mithin eine 119 Reich, S. 16 f. 120 Rückriegel, S. 222. 121 RG vom 28.4.1936, DJ 1936, 1131, 1133. 122 Präambel der Verordnung über die Bildung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda vom 30.6.1933, RGBl. I, S. 449; dazu auch Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 147. 123 S. dazu die bemerkenswerte Aufarbeitung der NSDAP-Propaganda vor 1933 von Paul, S. 259 f. 124 Richter, J., Das neue Presserecht, DR 1935, 365, 366 f. 125 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 148. 126 Leisner, wie vor; Krüger, Staatspflege, S. 21. 127 Gomig, S. 423; s. auch Sänger, S. 120f., derzufolge mit staatlicher Propaganda die Unfreiheit der Meinungsbildung angestrebt und erreicht wird mittels vorbehaltlosen Infiltrierens zweckbestimmter Ansichten ohne Rücksicht auf Einseitigkeiten oder Verzerrungen der Wahrheit; ähnlich Lipphardt, Die kontingentierte Debatte, S. 113, mit der Gegenüberstellung gebotene Information / verbotene Propaganda; vgl. auch Ridder, Grundgesetz, S. 68 f.
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freie Meinungsbildung und schafft das uniforme Bild, das die Regierung haben will128. Von der Propaganda leicht zu unterscheiden ist die reine Information als die Verbreitung von Nachrichten um ihrer selbst willen, die sich ausschließlich an das Selbstdenken richtet129. Reich weist jedoch zu Recht auf den Irrealis dieser Idealvorstellung „selbstloser Objektivität" hin, der nur in einer Gesellschaft vollkommenen Wissens mit vollkommener Einsicht in die Abweichung der Urteile und ihrer Ursachen denkbar sei 130 . Jede bei der Informationsflut der Moderne unvermeidliche Hervorhebung, Kürzung, Kommentierung macht sich indessen — gewollt oder ungewollt — die stete Diskrepanz zwischen Tatsachen und Ansichten zunutze, um beim Rezipienten zu einem positiven oder negativen Schluß zu führen. Nahezu jedes Informationsangebot gesellschaftlicher Akteure an die Adresse der Massenmedien ist unvollständig, ungleichgewichtig und einseitig, da damit Partikularinteressen verfolgt werden 131 . Diese Veränderung der Nachricht — sei es durch den Nachrichtengeber oder den Nachrichtenvermittler — ist mit dem Begriff Information im obigen strengen Sinne nicht zu vereinbaren; es handelt sich um Informationspolitik, aber nicht um Propaganda im oben dargestellten Sinne 132 . Zwischen Propaganda und Werbung sollte daher ein deutlicher Trennstrich gezogen werden. Wenn nach Leisner jede Information allein durch die Auswahl derselben einen „notwendigen Propagandaannex" in Kauf nehmen muß 1 3 3 , so spiegelt sich darin die Erkenntnis wider, daß werbende Information gerade um der Einwirkung auf den Empfänger willen erteilt wird 1 3 4 . Wenn auch für Lerche Propaganda und politische Werbung schlechterdings Synonyme darstellen, so deswegen, weil er Propaganda als wertneutralen Begriff ansieht, der mit dem Begriff Werbung als diejenige Tätigkeit, die mittels planmäßiger Anwendung beeinflussender Mittel darauf abzielt, andere Menschen, sei es in deren Eigenschaft als Individuum oder in deren Eigenschaft als Mitglieder bestimmter Grup128 Ueberwasser, S. 242. 129 Reich, S, 14. 130 Reich, wie vor; Gornig, S. 155, verweist auf den lateinischen Ursprung, das Wort „informare", das im übertragenen Sinne bedeutet „durch Unterweisung bilden", „unterrichten", „benachrichtigen", „belehren", also die Kommunikation von der Nachricht, über Auskunft und Belehrung bis hin zur Aufklärung umfaßt. 131 S. Deetz, Rundfunkinformation, S. 146 f.; Starck, AfP 1978, 171 (174), versteht Information als „stets gedeutete, gefilterte Wirklichkeit"; ähnlich Otto E. Kempen, Grundgesetz, S. 221. 132 So aber Reich, S. 15 m. Nachw. in FN 22; Sänger, S. 121, spricht hier in Abgrenzung zur Propaganda von „Nachrichtenpolitik". 133 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 148; umgekehrt stellt nach der Ansicht Gornigs, S. 155, auch Propaganda Information dar, wenn auch von bestimmter Art, die zusätzlich darauf abzielt, für bestimmte Ziele zu werben und die Meinungsbildung zu beeinflussen. 134 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 28; P. Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 118.
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pen, für eine konkrete Meinung oder Verhaltensweise zu gewinnen, kongruent zur Deckung zu bringen ist 1 3 5 . Mögen danach auch die Definitionsversuche zum Propagandabegriff Legion sein 136 , übereinstimmend wird das Merkmal der Beeinflussung betont 137 .
2. Die Gesetzessprache Im bundesdeutschen Recht begegnet man dem Propagandabegriff in § 86 StGB, der die Verbreitung von „Propagandamitteln" verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt: Nach der Legaldefinition des § 86 Abs. 2 StGB handelt es sich dabei um Schriften, deren Inhalte gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind, darunter vornehmlich auch solche zur Fortsetzung von Bestrebungen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen. Aus dem Wortbestandteil „Propaganda" wird geschlossen, daß es sich um ein Mittel mit „aktiv kämpferischer, aggressiver Tendenz" handeln muß 1 3 8 . Daneben ist der Begriff „Wahlpropaganda" in der Gesetzesüberschrift des § 32 BWahlG zu finden, in dessen Abs. 1 „jede Beeinflussung der Wähler durch Wort, Ton, Schrift oder Bild" untersagt ist. Im Internationalen Recht ist die begriffliche Verwendung für sich betrachtet wenig aufschlußreich. Im Englischen bedeutet „propaganda" dasselbe wie „publicity", steht also für Information und Werbung; im Französischen gilt für den Begriff „propagande" dasselbe. Es zeigt sich, daß hier nicht mehr und nicht weniger als die klassische Umschreibung des „zu Verbreitenden" in den Sprachgebrauch eingegangen ist. Das Völkerrecht verbietet keine bestimmte Form der Massenbeeinflussung, verbindet aber den Propagandabegriff augenscheinlich mit bestimmten Inhalten, zumeist in der Verbindung zur öffentlichen Befürwortung von und Anstiftung zu Gewalttaten. So verurteilt die Resolution Nr. 110 I I der Generalversammlung der Vereinten Nationen alle Formen von „propaganda" in welchem Land sie auch verbreitet wird, sofern sie bestimmt und geeignet ist, einen Bruch des Friedens oder einen Angriffskrieg zu provozieren oder zu fördern 139 . Gleichermaßen verurteilt die „Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation among States in accordance with the Charter 135 Werbung und Verfassung, S. 11; ebenso Kirchhof, wie vor; Kloepfer, Produkthinweispflichten, S. 38 in FN 124. 136 Vgl. Gomig, S. 423 m. w. Nachw. in FN 46. 137 Reich, S. 13; Ridder, Grundgesetz, S. 68. 138 BGHSt 23, 64 = NJW 1969, 1970 (1972); Lackner, Kommentar zum StGB, Anm. lb zu § 86. 139 Gomig, S. 424 m. w. Nachw.
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of the United Nations" jede „propaganda" für Krieg und Aggression durch die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 140 . In ähnlichem Zusammenhang steht das Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten 141 , in dessen Art. 51 Abs. 1 Satz 2 der Besatzungsmacht jede Propaganda verboten wird, die zum Dienst in ihren Streitkräften verlocken soll. Soweit in derartigen Dokumenten in deren deutscher Fassung der Begriff „Propaganda" verwendet wird, wird mit diesem Begriff zugleich ein manipulativer „Anschlag auf die innere Meinungsbildung" impliziert 142 .
3. Verwendung des Propagandabegriffs in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das BVerfG verwendet den Propagandabegriff entsprechend § 32 BWahlG in einigen Entscheidungen als „breitenwirksames Mittel im Wahlkampf der politischen Parteien". Es spricht von „Plakat- und Flugblattpropaganda" und qualifiziert diese als „wichtigen Bestandteil der Wahlvorbereitung in der heutigen Demokratie" 143 . Wenn Sendezeiten von öffentlich-rechtlichen Anstalten an die politischen Parteien zum Zwecke ihrer „Wahlpropaganda" zu verteilen sind 144 und sogar das BVerfG darüber wacht, daß die zugeteilten Zeiten im verfassungsrechtlich gebotenen Rahmen eine „wirksame Wahlpropaganda" ermöglichen 145 , so erweist sich, daß das Gericht in diesem Zusammenhang den Propagandabegriff offensichtlich als Synonym für breitenwirksame, aufmerksamkeitserregende, omnipräsente Wahlwerbung verwendet, aber eben nur im Zusammenhang mit dem Wahl-„Kampf ' der Parteien.
4. Bewertung Vor dem Hintergrund der normativen und umgangssprachlichen Verwendung des Propagandabegriffs sollte von mühsamen Versuchen seiner wertmäßigen Neutralisierung Abstand genommen werden. Für die demokratische Form der Willens- und Bewußtseinsbildung steht der Begriff der politischen Werbung zur Verfügung, die die Bundesregierung im September 1968 auf eine entsprechende Große Anfrage der FDP in Abgrenzung zur politischen Bildungsarbeit wie folgt umschrieb: „(Sie) verfolgt im allgemeinen das Ziel, die Zustimmung des Bürgers für bestimmte aktuelle politische Ziele und Entscheidungen zu gewinnen. Politi140 Prinzip Nr. 1 der Deklaration, nach Gornig, wie vor, FN 57. 141 BGBl. 1954 II, S. 917 ff.; 1956 II, S. 1586. 142 Gornig, S. 423 in FN 48 m. w. Nachw. 143 BVerfGE 14, 121 (131 f.); s. auch BVerfGE 48, 271 (276 f.). 144 BVerfGE 14, 121 (133). 145 BVerfGE 14, 121 (139).
1. Kap.: Öffentlichkeitsarbeit als Rechtsbegriff
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sehe Bildungsarbeit ist demgegenüber letztlich darauf gerichtet, die Bürger zu befähigen, sich auf Grund eigener Einsichten zu politischen Fragen ein kritisches, selbständiges Urteil zu bilden und sich für die Durchsetzung dessen, was sie als richtig erkannt haben, in demokratischer Weise einzusetzen."146 Vor einer Ausweitung des Propagandabegriffs auf die Informationstätigkeit des freiheitlich-demokratischen Staates, ohne daß gleichzeitig der Vorwurf manipulativer Verführung trägt, ist zu warnen. Zu weit geht daher das Sondervotum Geigers zum Grundsatzurteil vom 2. März 1977, der bereits „eine Menge Papier" zum Maßstab für Propaganda erheben w i l l 1 4 7 oder Lübbe-Wolff, nach deren Auffassung eine „propagandistische Bewußtseinsverwaltung" schon dann vorliegt, wenn diese nicht sach-, sondern „rein darstellungsorientiert" ist und „primär auf andere Mittel als das der rationalen Überzeugung" 148 setzt. Auch die immer wieder anzutreffende sprachliche Diskreditierung der Ämter und Dienststellen für Öffentlichkeitsarbeit in Bund und Ländern als „Propagandaapparate" 149 sollte unterbleiben. Derartige Anmerkungen greifen über den Zenit sachlicher Kritik hinaus, indem sie unterschwellig staatlicher Öffentlichkeitsarbeit eine Verführungswirkung und -absieht unterstellen, die ihr gerade nicht ohne weiteres zugeschrieben werden darf. Aber auch das BVerfG sollte bei Umschreibung der Parteiwerbung vom Begriff der „Wahlpropaganda" Abschied nehmen, so wie auch der 2. Senat im Urteil zur Öffentlichkeitsarbeit vom 2. März 1977 den von Antragstellerseite verwendeten Begriff der „Propagandaanzeigen, -beilagen, -faltblätter" nicht übernommen und stattdessen von „Wahlwerbung" gesprochen hat. Das Gericht läuft sonst ungewollt Gefahr, das nach Art 21 Abs. 1 Satz 1 GG gebotene Bemühen der Parteien, bei der politischen Willensbildung mitzuwirken, zu diskreditieren. Vor diesem Hintergrund ist freilich gleichermaßen die Terminologie in der Überschrift von § 32 BWahlG in Frage zu stellen.
V. Ergebnis Der Begriff „Öffentlichkeitsarbeit" hat also weder in der Literatur noch in der Gesetz- und Verordnungsgebung noch in der Judikatur eine geschlossene, subsumtionsfeste Definition gefunden. Von einem Eingang in die Rechtssprache der Gegenwart kann daher entgegen der Ansicht von Zuck 1 5 0 keine Rede sein. Wie 146 BT-Drucks. V / 3297, S. 9. Abweichend allerdings die Definition der Bundesregierung im Verfahren E 44, 125: „Werbung ist im wesentlichen produkt- oder dienstleistungsbezogen, will verkaufen helfen und ist einseitig auf den Käufer marktorientiert", vgl. den Schriftsatz des BMI vom 2.9.1976, abgedruckt in: Dokumentation I, S. 35 ff. (37). 147 BVerfGE 44, 125 (170). 148 NJW 1987, 2705 (2708 in FN 35). 149 Vgl. zuletzt Heintzen, NJW 1990, 1448 (1449).
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zu sehen war, erschließt der Begriff auch keinen genau bestimmbaren Vorstellungsinhalt 151 . Er kann nicht terminologisch fixiert, sondern höchstens inhaltsoffen umschrieben werden, ist damit aber immerhin mehr als nur eine „Worthülse" 152 . Seine Umschreibung wird aufgrund der Situationsgebundenheit einer Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit immer lückenhaft und damit juristisch weitgehend wertlos bleiben. Zu finden sind indessen eine Reihe durchaus nützlicher Differenzierungen zwischen „Öffentlichkeitsarbeit im engeren Sinne" und „Öffentlichkeitsarbeit im weiteren Sinne", zwischen „bezahlter" und „unbezahlter", zwischen „unmittelbarer" und „mittelbarer" Öffentlichkeitsarbeit. Normativ sind alle diese Termini freilich nicht. Vor allem gibt es keine subsumtionsfähige begriffliche Unterscheidung zwischen „zulässiger" und „unzulässiger" Öffentlichkeitsarbeit. Es läßt sich schon hier leicht vermuten, daß die festgestellte sprachliche Ungenauigkeit — wie noch zu zeigen sein wird — grundlegende Meinungsverschiedenheiten und Unsicherheiten in der Sache, d. h. in der systematischen Qualifizierung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit und damit auch in der Bestimmung ihrer Zulässigkeitsgrenzen signalisiert 153 . Eine rechtsbegriffliche Erfassung von „Öffentlichkeitsarbeit" ohne Rekurs auf die Verfassungswurzeln erweist sich letztlich in der Tat als sinnlos und würde eher zur Verschleierung der angewandten Methoden und verfolgten Absichten als zu ihrer Offenlegung beitragen. Der Versuch einer Umschreibung im Erlaß des B M V g 1 5 4 , der etwa das wichtige Werbemittel der Anzeige nicht aufführt, zeigt, daß ein solches Bemühen zu einer ungewollten Zementierung und Eingrenzung des eher grenzenlosen, stets am Wandel der Informationsgesellschaft und ihren Bedürfnissen orientierten Instrumentariums führt. Die normative Erfaßbarkeit des Tätigkeitsfeldes regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit ist daher auch vom BVerwG 1 5 5 sowie vom BVerfG 1 5 6 jüngst zu Recht verneint worden. Richtigerweise praktiziert das BVerfG eine Art „Subjektslehre", indem es generell all das als Öffentlichkeitsarbeit des Staates ansieht, was dieser an die Öffentlichkeit zum Zwecke der Information, Werbung, Aufklärung, Warnung adressiert. Eine werthafte Anreicherung kann nur im Rahmen der Prüfung der verfassungsrechtlichen Legitimation zur Öffentlichkeitsarbeit der Regierung 157 und ihrer Grenzen 158 inzidenter herausgearbeitet werden.
150 NJW 1977, 144 (146). 151 So auch Reich, S. 13 m. w. Nachw. in FN 15; ebenso jetzt Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (53). 152 So Ridder, Grundgesetz, S. 63; Kremmer, S. 8. 153 S. dazu ausführlich unten 6. und 7. Teil. 154 S. oben zu III.3.b) 155 BVerwGE 82, 76 (81). 156 BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270). 157 S. dazu unten 3. Teil, 1. Kapitel. 158 S. dazu unten 6. und 7. Teil.
2. Kap.: Organisationsstrukturen
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2. Kapitel
Organisationsstrukturen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit I. Die ressortspezifische Öffentlichkeitsarbeit Die Selbstdarstellung, Staatspflege und Informationspolitik der staatlichen Organe richtet sich nach der Zuständigkeitsverteilung 159. Sie ist also sektoral und folgt der Organisationsstruktur der Bundesregierung, insbesondere dem Richtlinien- und Ressortprinzip nach Art. 65 GG. Universal sind allenfalls Regierungserklärungen des Bundeskanzlers angelegt. Im übrigen bestimmt jeder Bundesminister selbst über seine Informationspolitik. So erklärt sich der Umweltminister zur Umweltpolitik, der Familienminister zur Familienpolitik, der Finanzminister zur Steuerpolitik, der Wirtschaftsminister zum Subventionswesen, der Verteidigungsminister zum Verteidigungsauftrag des Grundgesetzes oder der Außenminister zu den Abrüstungsverhandlungen. Dementsprechend verfügt jedes Ressort über ein Pressereferat und zumeist auch ein eigenes Referat für Öffentlichkeitsarbeit, die als Stabsstellen unmittelbar der Amtsleitung unterstellt sind und über eigene Etats verfügen. Einige Ressorts unterhalten u. a. auch zur Unterstützung ihrer Öffentlichkeitsarbeit sog. Bundeszentralen, der Rechtsform nach nichtrechtsfähige Anstalten, die ihnen direkt unterstellt sind. Es handelt sich dabei um die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Geschäftsbereich des BMJFFG 1 6 0 und die Bundeszentrale für politische Bildung im Geschäftsbereich des B M I 1 6 1 . Um dabei eine Mindestharmonisierung zu gewährleisten, müssen Äußerungen eines Ministeriums, die in der Öffentlichkeit erfolgen oder für die Öffentlichkeit bestimmt sind, nach § 12 GOBReg mit den vom Bundeskanzler bestimmten Richtlinien der Politik übereinstimmen. Verlautbarungen der Ministerien, die über die Behandlung fachlicher Angelegenheiten aus dem Geschäftsbereich eines Ministeriums hinausgehen und allgemein-politische Bedeutung haben, sind nach § 81 Abs. 2 Satz 2 G G O I über das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zu leiten. Schließlich haben nach § 81 Abs. 5 GGO I die Ministerien das Presse- und Informationsamt so bald und so weit wie möglich über Absichten und Maßnahmen zu unterrichten, die eine Erörterung in der Öffentlichkeit erwarten lassen. 159 S. dazu unten zu II.2.c). ι 6 0 Erlaß über die Errichtung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vom 20.7.1967, GMB1., S. 374. 161 Erlaß über die Errichtung der Bundeszentrale für Heimatdienst vom 25.11.1952, GMB1., S. 318. Die Änderung des Behördennamens erfolgte 1963.
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Die Autonomie der Ressorts in Angelegenheiten der Öffentlichkeitsarbeit wird auch in den jeweiligen Haushaltsansätzen erkennbar 162: Im Bereich der „Öffentlichkeitsarbeit im engeren Sinn" (Funktionskennziffer 013) 1 6 3 beliefen sich die Haushaltsansätze aller Ressorts für Öffentlichkeitsarbeit im Inland im Jahre 1990 auf rd. 80 Millionen D M (1982: 38 Millionen DM), während der Haushalt des Bundespresseamtes hierfür 27 Millionen (1982: 14 Millionen DM), also etwa ein Drittel, betrug 164 . Die Haushaltsansätze für „Öffentlichkeitsarbeit im weiteren Sinne" (außerhalb der Funktionskennziffer 013) 1 6 5 betrugen daneben sogar 246 Millionen D M (1982: 110 Millionen D M ) 1 6 6 . Die Einzelansätze für „Öffentlichkeitsarbeit im engeren Sinne" sind bei den Ressorts von unterschiedlichem Gewicht 167 . Sie bewegen sich von 0,1 bis 0,5 Millionen D M (BMBau, BMB, BMJFFG, BMFT, BMBW, BMU) über 0,6 bis 0,9 Millionen D M (BMPT, BMJ, BMV, BMWi, BMF), 1,0 bis 2,0 Millionen D M (BMI, AA, BML) bis hin zu 2,5 Millionen D M (BMZ), 3,3 Millionen D M ( B M A ) 1 6 8 und 5,5 Millionen D M (BMVg). Zum Vergleich: Die Mittel im Etat des Deutschen Bundestages für Öffentlichkeitsarbeit betrugen 1990 8,0 Millionen D M 1 6 9 nebst 3,6 Millionen D M für die Betreuung von Besuchergruppen 170; dem Bundesrat standen zu diesem Zweck 1 Million D M zur Verfügung 171 . Für „Öffentlichkeitsarbeit im weiteren Sinne" verfügen die Ressorts teilweise über beträchtliche Sondermittel 172 : Beispielsweise waren in den Jahren 1986/ 1987 im Haushalt des B M I 6,0 bzw. 33,5 Millionen D M ausgewiesen für die „Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Aufgaben der einmaligen Erhebungen" (Volkszählung) 173 , im Haushalt 1989 17 Millionen D M als „Kosten für informa!62 Eine Querschnittsübersicht über die seit 1971 ausgegebenen bzw. in den Bundeshaushalt eingestellten Haushaltsmittel enthält die Drucksache 1191 vom 9.11.1989, Haushaltsausschuß 11. Wahlperiode, S. 46 ff. 163 Zur Definition s. oben 2. Teil, 1. Kapitel zu ULI. 164 Bundeshaushaltsplan 1990, Bde 1-3; Drucksache Nr. 1191 vom 9.11.1989, Haushaltsausschuß 11. Wahlperiode, S. 46 ff. 165 Zur Definition s. oben 2. Teil, 1. Kapitel zu III. 1. 166 Drucksache 1191, Haushaltsausschuß 11. Wahlperiode, S. 46. 167 S. dazu die tabellarische Übersicht in Haushaltsausschuß-Drucksache 1191, wie vor, S. 62 ff. 168 Dem BMA standen daneben noch Sondermittel für Aufklärungsmaßnahmen über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung (5,6 Mio, Titel 531 03 — 013) sowie über die Gesundheitskostenreform zur Verfügung (nach 7,4 Millionen DM im Jahre 1988 und 3,2 Millionen DM im Jahre 1989 beliefen sich diese auf 0,85 Millionen DM im Jahre 1990, Titel 5 3103 — 013). 169 Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 0201, Titel 53101 — 013. no Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 0201, Titel 53102 — 011. πι Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 0301, Titel 53101 — 013. 172 S. dazu die Haushaltsausschuß-Drucksache 1191, wie vor (FN 164), S. 65 ff. 173 Bundeshaushaltsplan 1986,1987, Kapitel 0608, Titel 53122 — 014; s. auch BVerfGE 65, 1 (3, 59); dazu auch 1. Teil, 1. Kapitel zu IV.; ausführlich auch unten 7. Teil, 2. Kapitel zu 1.1.
2. Kap.: Organisationsstrukturen
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tionspolitische Maßnahmen" (Aufklärung in Aussiedlerfragen) 174. Dem B M W i standen 1990 6,5 Millionen D M für die „Allgemeine Aufklärung über die Möglichkeiten einer rationellen und sparsamen Energie Verwendung" zur Verfügung 1 7 5 . Der BMJFFG verfügte für die „Gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung" im Jahre 1990 über 23 Millionen D M 1 7 6 , für seine Kampagne zur AIDSAufklärung im Jahre 1988 über 42 Millionen DM, im Jahre 1989 über 47 Millionen D M und im Jahre 1990 über 35 Millionen D M 1 7 7 , für seine Aufklärungsarbeit zu „Frauenfragen" waren im Haushalt des Ressorts 1990 15 Millionen D M 1 7 8 , für Informationen zur „Zukunft der Familie" 19 Millionen D M 1 7 9 ausgebracht. Mit erheblichen Mitteln (11,4 Millionen DM) konnte sich im Jahre 1990 auch der B M U bei der „Aufklärung der Bevölkerung über Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit" engagieren 18°. Neben den ressortspezifischen Maßnahmen gibt es auch die ressortübergreifende, also zuständigkeitsüberschneidende Öffentlichkeitsarbeit, etwa wenn die Kernenergiepolitik von B M U und B M W i oder die Abrüstungspolitik von A A und BMVg oder die Politik der Bundesregierung insgesamt darzustellen ist. Hierzu verfügt die Regierung im Presse- und Informationsamt über eine Koordinierungsstelle.
II. Die ressortübergreifende Öffentlichkeitsarbeit des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1. Aufgaben Die Aufgaben des Bundespresseamtes werden u. a. in der Vorbemerkung zu Kapitel 0403 des Bundeshaushaltsplanes seit 1963 wie folgt umschrieben: „Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat den Bundespräsidenten und die Bundesregierung auf dem gesamten Nachrichtenbereich laufend zu unterrichten. Zu diesem Zweck unterhält es die erforderlichen Verbindungen zu den Nachrichtenträgern des In- und Auslandes unter Einsatz moderner technischer Mittel. Zu seinen Aufgaben gehört die Erforschung und Darstellung der öffentlichen Meinung als Entscheidungshilfe für die politische Arbeit der Bundesregierung. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung ist zuständig für die Unterrichtung der Bürger und der Medien über die Politik der Bundesregierung. Es erläutert und 174 Bundeshaushaltsplan 1989, Kapitel 0608, Titel 531. 175 Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 0902, Titel 53131 — 629. 176 Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 1504, Titel 5 3106 — 314. 177 Bundeshaushaltspläne 1988,1989,1990, Kapitel 1502, Titelgruppe 12, Titel 53116 — 314. 178 Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 1502, Titel 68503 — 175. 179 Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 1502, Titel 68506 — 299. 180 Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 1602, Titel 53101 — 330.
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vertritt hierbei mit den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit und der Informationspolitik Tätigkeiten, Vorhaben und Ziele der Bundesregierung. Dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung obliegt im Zusammenwirken mit dem Auswärtigen Amt die politische Öffentlichkeitsarbeit im Ausland, deren Ziel es ist, das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu stärken, ein umfassendes und wirklichkeitsnahes Deutschlandbild zu vermitteln und die deutsche Politik im Ausland verständlich zu machen. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung koordiniert seine ressortübergreifende Öffentlichkeitsarbeit und die ressortbezogene Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien bei Maßnahmen, die Angelegenheiten von allgemein-politischer Bedeutung betreffen. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung fördert das deutsche Nachrichtenwesen im In- und Ausland, auch auf den Gebieten von Bildberichterstattung, Film, Funk und Femsehen." Innerhalb der Geschäftsverteilung der Bundesregierung sind die Zuständigkeiten und Aufgaben des Amtes in § 81 GGO I eingegrenzt: Ihm obliegt es nach Abs. 1, „die Bundesregierung über die Verlautbarungen der in- und ausländischen Nachrichtenträger (Nachrichtenagenturen, Presse, Rund- und Fernsehfunk) und der anderen Organe der öffentlichen Meinungsbildung (Film, Publikationen) zu unterrichten". Es hat andererseits nach Abs. 2 die Aufgabe, den Informationsfluß auch in die andere Richtung zu lenken, nämlich „die Nachrichtenträger und die anderen Organe der öffentlichen Meinungsbildung über die Politik der Bundesregierung zu informieren". Hierzu vertritt das Amt die Bundesregierung auf den Pressekonferenzen (Abs. 3) 1 8 1 . Trotz der sachlichen Nähe zur Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers vermag das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung nicht von sich aus Verlautbarungen über die Arbeiten eines Ministeriums zu verbreiten. Vielmehr bedürfen diese nach § 81 Abs. 4 GGO I des Einvernehmens mit dem betroffenen Ressort. Abweichende Vereinbarungen zwischen den einzelnen Ministerien und dem Presse- und Informationsamt stehen nach Abs. 6 unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Kabinetts. Ein Vergleich der beiden Aufgabenstellungen verdeutlicht, daß § 81 GGO I enger auf die „Sprachrohrfunktion" gegenüber den Medien abstellt, während der Haushaltsplan das BPA mehr zum „Organ gou vernementaler Öffentlichkeitsarbeit" macht 182 . Diese organisationsrechtlichen Differenzen 183 sind durch den Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 18. Januar 1977 184 bereinigt worden,
181 S. dazu ausführlich unten 3. Kapitel zu II.4.a). 182 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 15. 183 Vgl. dazu noch Leisner, wie vor, S. 18. 184 BGBl. I, S. 128; s. auch Bulletin der Bundesregierung vom 22.1.1977, S. 63. Es handelt sich um den ersten Organisationserlaß seiner Art, der im BGBl, veröffentlicht wurde. Gleichwohl war eine solche Veröffentlichung nach Art. 56 des Zuständigkeitsanpassungsgesetzes vom 21.3.1975 (BGBl. 1975 I, S. 716) nicht erforderlich, da es sich nicht um den Geschäftsbereich eines Bundesministers handelte; vgl. dazu auch WolffBachof, VerwR II, § 78 II c 1 (S. 132). Daran hat sich auch unter der Leitung eines
2. Kap.: Organisationsstrukturen
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der die Aufgaben des BPA präzisiert und teilweise auch erweitert. Auslöser dieser erstmaligen förmlichen Festlegung war die Feststellung aufgrund eines richterlichen Hinweises, daß der Chef des Bundespresseamtes mangels einer Regelung durch Rechtssatz oder Organisationserlaß zur gerichtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland — auch in seinem Zuständigkeitsbereich — nicht befugt war 1 8 5 . Der Erlaß laulet: „1. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung unter der Leitung eines Staatssekretärs untersteht dem Bundeskanzler unmittelbar. Als Hauptstelle der Bundesregierung für den Verkehr mit den Nachrichtenträgern und den Organen der öffentlichen Meinungsbildung hat es folgende Aufgaben: a) Unterrichtung des Bundespräsidenten und der Bundesregierung über die weltweite Nachrichtenlage. b) Erforschung und Darstellung der öffentlichen Meinung als Entscheidungshilfe für die politische Arbeit der Bundesregierung. c) Unterrichtung der Bürger und der Medien über die Politik der Bundesregierung durch Darlegung und Erläuterung der Tätigkeit, der Vorhaben und Ziele der Bundesregierung mit den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit; dies gilt für Gegendarstellungen auch dann, wenn zugleich die Öffentlichkeitsarbeit von Bundesministerien berührt ist. d) Vertretung der Bundesregierung auf den Pressekonferenzen. e) Politische Informationen des Auslandes im Zusammenwirken mit dem Auswärtigen Amt. f) Koordinierung der ressortübergreifenden Öffentlichkeitsarbeit des Amtes und der ressortbezogenen Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministerien bei Maßnahmen, die Angelegenheiten von allgemeinpolitischer Bedeutung betreffen. 2. Im Geschäftsbereich nach Ziffer 1 wird die Bundesrepublik Deutschland durch den Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung oder den Stellvertretenden Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung gerichtlich vertreten." Da sich aus den o. g. Bestimmungen keine feste Begrenzung des Aufgabenumfangs herleiten läßt, hat das Amt bei der Wahrnehmung seiner Zuständigkeiten einen gewissen Handlungsspielraum, der im wesentlichen durch die in Art. 65 GG niedergelegte Ressortzuständigkeit und die richterliche Rechtsfortbildung eingegrenzt wird 1 8 6 .
Bundesministers für besondere Aufgaben — also ohne Geschäftsbereich — nichts geändert, s. dazu unten zu 2.d)cc). iss OLG München, Urteil vom 1.10.1976 — 21 U 2690/76 — n. v.; vgl. dazu Lehngut/Vogelgesang, AöR 113 (1988), S. 531 (575). 186 S. dazu auch das Organisationsgutachten des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung von September 1988, S. 13 — n. v.
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2. Organisation a) Das Bundespresseamt als Organ Als Organe im Sinne organisationsrechtlicher Zurechnungssubjekte gelten diejenigen Funktionseinheiten, die rechtlich in ihrem Namen für eine Organisation zu handeln befugt sind 187 . Die Funktionseinheit muß also selbständiges Subjekt von Wahrnehmungszuständigkeiten sein 188 . Im Bereich der Bundesregierung, die ihrerseits ein kollegiales Verfassungsorgan ist 1 8 9 , wird auch der Bundeskanzler nicht nur als Organteil, sondern als Organ mit eigener Zuständigkeit angesehen, soweit er Zuordnungsobjekt eigener Kompetenzen ist 1 9 0 . In seiner Eigenschaft als „Dienststelle des Verfassungsorgans Bundeskanzler" 191 stellt neben dem Bundeskanzleramt auch das Bundespresseamt grundsätzlich nur einen Organteil dar. Im Gegensatz zum ausschließlich nach innen wirkenden Bundeskanzleramt 192 kommt dem Bundespresseamt allerdings durchaus eine verwaltungsrechtliche Außenzuständigkeit zu, nämlich die Unterrichtung der Öffentlichkeit und der Presse über die Politik der Bundesregierung 193. Daß das Aufgabenfeld symptomatisch nicht auf rechtserhebliche Außenhandlungen (den Erlaß von Rechtsverordnungen, Rechtsvorschriften oder Verwaltungsakten etc.), sondern auf informelles Verwaltungshandeln ausgerichtet ist, ändert daran nichts 194 . Entscheidend ist die interne rechtserhebliche Handlungszuständigkeit195, die sowohl nach der Aufgabenumschreibung im Haushaltsplan, der GGO I, als auch nach dem Organisationserlaß gegeben ist. Aber nur soweit ihm durch die o. g. Aufgabenzuweisungen Zuständigkeiten erwachsen, die das Amt im eigenen Namen selbständig wahrnimmt, kann es selbst Organ sein. Gerade an dieser Selbständigkeit und der Befugnis, im eigenen Namen zu handeln, fehlt es jedoch:
187
Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rdnr. 166; Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 30 in FN 32. iss Wolff/ Bachof, VerwR II, § 74 I f 10 (S. 52). 189 Wolff /Bachof, wie vor. 190 Stern, Staatsrecht II, S. 274; dies ist etwa der Fall bei Art. 63, Art. 64 Abs. 1, Art. 67 Abs. 1 S. 1, Art. 68 Abs. 1, Art. 69, Art. 115b, Art. 115 h Abs. 2 GG. 191 Loeser, Bundesverwaltung, Bd. 2, S. 23. 192 Vgl. etwa Schiffer (Hrsg.), Staatshandbuch, S. 57. 193 Nach Wolff / Bachof, VerwR II, § 78 II c 1 (S. 132), hätte wegen dieser Befugniszuweisung gegenüber der Öffentlichkeit der Organisationsakt in Form einer Rechtsverordnung oder Satzung erfolgen müssen. Sie räumen jedoch selbst ein, daß in der Praxis derartige Zuständigkeiten oft nur durch Bekanntmachung von Schreiben des Bundeskanzlers im Bulletin geregelt werden. 194 Anders für das Bundeskanzleramt Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 237 in FN 18, der diesem rechtserhebliche Handlungen zwar abspricht, andererseits aber eine Kennzeichnung als bloßer „Organteil" als der Sache nicht gerecht werdend ansieht. 195 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 30 in FN 32
2. Kap.: Organisationsstrukturen
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Betrachtet man den Aufgabenkatalog, so handelt das Bundespresseamt bei der Nachrichtenbeschaffung nicht in eigener Wahrnehmungszuständigkeit, sondern als bloßer Dienstleistungsapparat für die Bundesregierung und andere Organe wie Bundestag und Bundespräsident. Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Politik der Bundesregierung handelt das Amt zwar insoweit in eigener Zuständigkeit, als es über das Ob und Wie der Unterrichtung eigenständig entscheidet, aber nur, soweit nicht der Bundeskanzler oder das Bundeskabinett konkrete Vorgaben setzen. Diese binden das Bundespresseamt stärker als eine Richtlinie nach Art. 65 GG ein Ressort. Darüber hinaus handelt das Bundespresseamt bei der Darstellung der Politik oder ihrer Verlautbarung nicht „im eigenen Namen", sondern im Namen der gesamten Bundesregierung oder im Namen des Bundeskanzlers, also jedenfalls im fremden Namen 196 . Dies gilt auch für den Auftritt des Regierungssprechers auf Pressekonferenzen, bei denen er die Bundesregierung vertritt 197 . In Gerichtsverfahren handelt das Bundespresseamt bei allen Aufgaben seines Geschäftsbereichs nicht im eigenen Namen, also nicht organschaftlich, sondern nach Ziff. 2 des Organisationserlasses vom 18. Januar 1977 im Namen der Bundesrepublik Deutschland198. Die Vergabe von Zuwendungen 199 erfolgt zwar im eigenen Namen, jedoch handelt es sich dabei um rechtsgeschäftliche Vertretung, die keine Rückschlüsse auf den Organcharakter erlaubt. Nur im fiskalischen Bereich der Auftragsvergabe an Verlage, Agenturen, Druckereien etc. — also in der bloßen Bedarfsverwaltung — handelt das Bundespresseamt autonom. Dies reicht freilich nicht aus, dem Amt in seiner Gesamtheit Organcharakter zu verleihen. Der Chef des Bundespresseamtes ist daher nur Organwalter des Verfassungsorgans Bundeskanzler, das Bundespresseamt selbst ist ebensowenig ein Organ wie das Bundeskanzleramt 200.
196 s. die Vorbemerkung zu Kapitel 0403 im Haushaltsplan, § 81 Abs. 2 GGO I sowie Ziff. lc des Erlasses vom 18.1.1977. 197 § 81 Abs. 3 GGO I sowie Ziff. ld des Erlasses vom 18.1.1977. 198 S. oben bei FN 185. 199 S. Vorbemerkung zu Kapitel 0403 des Bundeshaushaltsplans a. E. (oben bei II.l). zoo a. A. Wolff / Bachof, VerwR II, § 741 f 10 (S. 52), trotz der dortigen Bezeichnung als „koordinierendes Sekretariat"; Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 237, dessen alleinige Begründung, es handele sich beim Bundeskanzleramt um „eine vom Bundeskanzler abgesonderte organisatorische Funktionseinheit" (von der er zugleich einräumt, daß sie wegen des Fehlens verwaltungsrechtlicher Außenzuständigkeiten nicht in Erscheinung tritt (aaO in FN 18)), jedoch ebenfalls nicht überzeugt. Richtiger erscheint es, Bundeskanzleramt und Bundespresseamt mangels jeglicher — oder zumindest hinreichender — Außenzuständigkeiten als bloße dem Organ Bundeskanzler attachierte Stabsstellen, als dessen „verlängerten Arm" zur Durchsetzung seiner Richtlinienkompetenz zu sehen,.vgl; entsprechend für das Bundespräsidialamt Köttgen, DÖV 1954, 4 (5); derselbe, JöR 11 (1962), 173 (263); auch Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 236, verwendet den Terminus „Arbeitsstab". 6 Schürmann
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2. Teil: Grundlagen b) Das Bundespresseamt als Behörde
Behörde ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 4 VwVfG „jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt". Sie muß vom Wechsel der in ihr tätigen Personen unabhängig, mit hinreichender organisatorischer Selbständigkeit ausgestattet und zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihr übertragener Aufgaben zuständig sein 201 . Diese Voraussetzungen werden vom Bundespresseamt erfüllt. Es besitzt insbesondere einen eigenen Geschäftsbereich, in welchem es für die Bundesrepublik Deutschland handelt und diese gerichtlich vertritt 202 , bildet eine weitgehend verselbständigte organisatorische Einheit 203 , und auch an der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben gibt es — im Gegensatz zum Bundeskanzleramt 204 — aufgrund seiner Öffentlichkeitsorientiertheit keinen Zweifel. Das Bundespresseamt ist daher als Behörde im Rechtssinne anzusehen205, die von ihm geleistete Veröffentlichung, Erläuterung und Verbreitung der Regierungspolitik ist seine Verwaltungsaufgabe 206.
c) Stellung des Bundespresseamtes im System der Bundesverwaltung Noch immer ist umstritten, ob es sich beim Bundespresseamt um eine oberste Bundesbehörde handelt. Ohne weitere Begründung wird dies ebenso apodiktisch behauptet207 wie das Gegenteil 208 . Oberste Bundesbehörden werden gemeinhin durch einen Organisationsakt ausdrücklich als solche bestimmt. Der Behördencharakter des Bundespresseamtes ist jedoch bis heute weder gesetzlich noch durch eine Verordnung oder einen besonderen Organisationserlaß ausdrücklich festgelegt 209. Die Qualifikation des Amtes als oberste Bundesbehörde wird auch nicht etwa — wie Kordes/Pollmann 201 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, § 1 Rdnr. 20. 202 S. dazu den Organisationserlaß vom 18.1.1977 unter Ziff. 2). 203 Otto E. Kempen, Grundgesetz, S. 51. 204 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 238, der aber dennoch den Behördencharakter auch für dieses Amt bejaht. 205 S. auch Rudolf, Verwaltungsorganisation, § 56 III lb (S. 644); Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 31 in FN 36; Sänger, S. 82; Leihe, MDR 1969, 445; zuletzt Gröschner, DVB1. 1990, 619 (620). 206 Die Einordnung regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit in die Typologie des schlichthoheitlichen Verwaltungshandelns Handeln ist heute völlig unbestritten, vgl. statt vieler nur Gröschner, DVB1. 1990, 619 (620) m. w. Nachw. 207 So läßt es das jüngste Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung bei der bloßen Feststellung bewenden, das Bundespresseamt werde „in der Praxis . . . allgemein als oberste Bundesbehörde behandelt"; s. auch Karpen, Medienrecht, S. 847. 208 S. etwa Rudolf, Verwaltungsorganisation, § 57 I 1 (S. 658): Bundesoberbehörde. 209 So schon vor dem Organisationserlaß von 1977 Otto E. Kempen, Grundgesetz, S. 49.
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zu vermuten scheinen210 — durch eine Korrespondenz zwischen dem Bundesminister des Innern und dem Bundesminister der Justiz 211 konstituiert. Einmal abgesehen davon, daß die Frage nach der Rechtsstellung des BPA dort gar nicht abschließend beantwortet wird 2 1 2 , hätte sie mangels Organisationskompetenz der beiden Ressorts außerhalb des Kabinetts auch nicht entschieden werden können. Der Umstand, daß das Bundespresseamt unter Nr. 25 des amtlichen Abkürzungsverzeichnisses für „Verfassungsorgane, die obersten Bundesorgane und die obersten Gerichtshöfe des Bundes" 213 aufgeführt ist, hilft nicht einmal indizweise weiter, da dort auch der Chef des Bundespräsidialamtes, des Bundeskanzleramtes und der Direktor des Bundestages aufgeführt sind. Auch das BPA könnte also als Dienststelle des Verfassungsorgans Bundeskanzler erfaßt sein. Um über die Rechtsnatur der Behörde befinden zu können, bedarf es eines tieferen Blickes auf ihre Verortung innerhalb der Bundesverwaltung: Geklärt werden konnte, daß das Bundespresseamt dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers zuzuordnen ist. Der Bundeskanzler bedient sich zur Durchführung seiner Aufgaben mehrerer Dienststellen: neben dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung unterstehen ihm das Bundeskanzleramt als unmittelbares Arbeitsinstrument, der Bundesnachrichtendienst und — bis zum 3. Oktober 1990 — der Bevollmächtigte der Bundesregierung in Berlin. Die frühere Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR unterstand hingegen dem Bundeskanzleramt. An dieser Stelle ist es hilfreich, einen Blick in die Entwicklungsgeschichte des Amtes zu werfen: Nach Bildung der ersten Bundesregierung wurde zunächst ein Presse- und Informationsamt „beim Bundeskanzleramt" eingerichtet. Mit dieser Formulierung sollte verdeutlicht werden, daß es sich nicht um eine dem Bundeskanzleramt nachgeordnete Dienststelle handelte, wie sich auch aus der von Anfang an eigenständigen Etatisierung des Amtes ergab 214 . Am 1. Juli 1958 wurde das Amt mit der Ernennung eines beamteten Staatssekretärs zum „Bundespressechef 4 2 1 5 auch organisatorisch selbständig und dem Bundeskanzler unmittel-
210 AaO, S. 30. 211 Schreiben des BMI vom 10. Januar 1963, abgedruckt im Anhang Teil 1 B. 212 Die Frage, ob das Amt eine selbständige oberste Bundesbehörde darstellt oder ein organisatorisch weitgehend verselbständigter Teil einer obersten Bundesbehörde „Der Bundeskanzler" ist oder ob es nur in Verbindung mit dem Bundeskanzler oberste Bundesbehörde ist, hat der Bundesminister des Innern gerade dahingestellt sein lassen. Festgelegt hat er sich negativ nur darauf, daß es sich nicht um eine obere Bundes- oder höhere Verwaltungsbehörde handelt. 213 Bekanntmachung des BMI vom 5.11.1986 — OI2-131 064 / 1 — GMB1 1986, 614, abgedruckt bei Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 2, S. 16. 214 S. das oben in FN 211 zitierte Schreiben des BMI zu Ziff. 3. 215 So die überkommene—von den jeweiligen Amtsinhabem zuweilen zurechtgerückte, weil vor dem Hintergrund der Pressefreiheit unangemessene — Formulierung in § 23 Abs. 1 GGO BReg. *
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bar unterstellt 216 . Die Kompetenz des Bundeskanzlers zur Errichtung und Organisation des Bundespresseamtes als ihm unterstellte Dienststelle ressortiert bei seiner Geschäftsleitungsbefugnis nach Art. 65 Satz 4 GG 2 1 7 . Damit steht fest, daß es sich entgegen zuweilen vertretener Auffassung jedenfalls nicht wie beim Bundesnachrichtendienst um eine dem Bundeskanzleramt nachgeordnete Behörde handelt 218 . Dies wird auch durch den Organisationserlaß vom 18. Januar 1977 klargestellt 219 . Wenn also der Etat des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung im Haushaltsplan im Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Einzelplan 04) ausgebracht wird, so gilt insofern die Zuordnung ausschließlich dem Bundeskanzler. Ein Indiz dafür, daß es sich auch nach dem Willen des Haushaltsgesetzgebers beim Bundespresseamt jedenfalls um den Teil einer obersten Bundesbehörde handelt, ist die Ausweisung entsprechender Planstellen der Besoldungsgruppe Β für den Leitungsbereich nach Anlage 1 zum BBesG sowie die Zahlung einer Zulage für oberste Bundesbehörden nach dem BBesG. Der Haushaltsplan vermittelt insoweit durchaus einen wichtigen Aufschluß über die organisatorische und funktionelle Gliederung der Bundesregierung 220. Kein Zweifel besteht zudem daran, daß es sich beim Bundespresseamt um eine Verwaltungseinheit der unmittelbaren Bundesverwaltung nach Art. 86 Satz 1 GG handelt. Das Amt verfügt über keinen nachgeordneten Bereich, gegenüber den ihm verbundenen bzw. von ihm subventionierten Privatrechtssubjekten 221 bestehen keine Direktionsrechte, sondern nur Haushaltskontrollen und informale sowie finanzielle Ingerenzen. Es könnte sich bei ihm somit um eine sog. Zentralbehörde handeln, die entweder als oberste oder obere Bundesbehörde existieren kann 222 .
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S. dazu auch das Protokoll der 35. Sitzung des II. Deutschen Bundestages vom 26.6.1958, Sten. Ber. 2. WP, 1954 Β ff. 217 Vgl. dazu auch Oldiges, S. 246. 218 Unrichtig daher Ellwein, S. 314, der das BPA wie den BND und den Bevollmächtigten der Bundesregierung in Berlin dem Bundeskanzleramt zuordnet.; ebenso Dittmann, S. 119 bei FN 34; ähnlich Karpen, Medienrecht, S. 847, demzufolge das BPA „als oberste Bundesbehörde Teil des Kanzleramtes" sein soll, was schon in sich widersinnig ist. 219 Der Organisationserlaß wiederholt insoweit eine Formulierung, wie sie bereits in der alten Fassung des Vorworts zum Einzelplan 04 im Bundeshaushaltsplan der Jahre vor 1963 enthalten war. 220 Vgl. Isensee, Handbuch Staatsrecht III, § 57 Rdnr. 149. 221 Inter Nationes e. V., Gesellschaft für Wehrkunde e. V., Deutsche Atlantische Gesellschaft e. V., Deutsche Reportagefilm Produktions-, Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH, Presseclub-Wirtschafts-GmbH, Gesellschaft für Deutsche Fernsehtransskription mbH „transtel", Europäische Televisions-Service GmbH „e-te-s". 222 Stern, Staatsrecht II, S. 817.
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Eine Bundesoberbehörde kann nach Maßgabe des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG jedoch nur durch Bundesgesetz errichtet werden. Ein solches Gesetz fehlt für die Dienststellen des Bundeskanzlers. Da davon auszugehen ist, daß die Behördeneigenschaft der Dienststellen des Bundeskanzlers identisch ist, da sie gleichgeordnet nebeneinander stehen 223 , könnte ein Blick auf die anderen Dienststellen, namentlich das Bundeskanzleramt, hilfreich sein. Es erweist sich aber, daß auch insoweit keine einheitliche Rechtsauffassung herrscht: Maunz zählt das Bundeskanzleramt neben der Bundesbank, dem Bundesrechnungshof und dem Statistischen Bundesamt zu denjenigen Bundeszentralbehörden, die wie die Bundesministerien zu den obersten Bundesbehörden gehören 224. Auch Dennewitz 225 und von Mangoldt/Klein 226 ordnen das Bundeskanzleramt neben dem Bundespräsidialamt den obersten Bundesbehörden zu. Dagegen läßt das Nachordnungsverhältnis zum Bundeskanzler es nach Otto E. Kempen 227 bereits begrifflich nicht zu, beim Bundespresseamt von einer „obersten Bundesbehörde" zu sprechen, da ihm das entscheidende Merkmal, die Selbständigkeit, fehle 228 . Es sei allenfalls als Teil einer obersten Bundesbehörde „Bundesregierung" anzusehen. Auch Böckenförde 229 ist der Auffassung, daß es sich beim Bundeskanzleramt weder um eine oberste Bundesbehörde noch um ein einer solchen gleichgestelltes Amt handeln kann. Dies setze voraus, da oberste Bundesbehörden in keinem organisationsrechtlichen NachordnungsVerhältnis stehen 230 , daß der Bundeskanzler selbst Ressortchef ist. Da dies jedoch nicht der Fall sei, behalte das Bundeskanzleramt wie das Presse- und Informationsamt den Charakter einer nachgeordneten Behörde. Dieser Auffassung haben sich Stern 231 und Loeser 232 angeschlossen. Loeser ist allerdings insoweit inkonsequent, als er andererseits das Bundespräsidialamt als oberste Bundesbehörde ansieht 233 , obgleich auch der Bundespräsident ihm 223
Vgl. die Übersichtsskizze bei Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 2, S. 24. 4 In: M / D / H / Sch, Rdnr. 2 zu Art. 36 GG. 22 5 BK (Erstbearb.), Art. 36 Anm. II.l. 22 6 Von Mangoldt/Klein, Grundgesetz, Vorbem. VI 4a vor Art. 62 (S. 1208). 22 7 Grundgesetz, S. 51. 22 8 Ebenso Maunz, in: M / D / H / S c h , Rdnr. 16 zu Art. 87, der ausschließlich den Bundesrechnungshof und die Bundesministerien zu den obersten Bundesbehörden zählt — und sich damit in Widerspruch zu seiner eigenen Kommentierung, ebendort, Rdnr. 2 zu Art. 36, setzt. 22 9 Organisationsgewalt, S. 238. 2 30 S. dazu auch Lerche, in: M / D / H / Sch, Rdnr. 59 zu Art. 85, der zudem verlangt, daß die Bundesbehörde „vom GG zugelassen" ist; Stern, Staatsrecht II, S. 813; von Mangoldt / Klein, GG, Anm. IV 2 d) dd) eee) zu Art. 85 m. w. Nachw. 2 31 Staatsrecht II, S. 280. 232 Die Bundesverwaltung, Bd. 2, S. 23. 2 33 Ebenso Spath, S. 37; Stern, Staatsrecht II, S. 216, beide jedoch ohne Begründung. 22
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nicht als „Ressortchef 4 vorsteht 234 . „Aus systematischem Interesse" faßt Loeser indessen den Bundeskanzler mit den ihm nachgeordneten Dienststellen und Institutionen als oberste Bundesbehörde auf 235 , während er an anderer Stelle das Bundespresseamt (neben der Zentralen Verkaufsleitung der Deutschen Bundesbahn!) „in die Nähe nichtministerieller Oberbehörden" rückt 236 . Jedoch zeigt der eigene Hinweis Loesers auf die Bedeutung der Zuordnung der Dienststellen des Bundeskanzlers zu den obersten Bundesbehörden für deren Weisungsbefugnis gegenüber Landesbehörden bei der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 Abs. 3 GG 2 3 7 , daß die Fixierung der Dienststellen des Bundeskanzlers im Behördenschema nicht nur ordnende Bedeutung hat. Denkbar ist beispielsweise, daß nicht das zuständige Bundesministerium, sondern das Bundeskanzleramt oder Bundespresseamt von den Landesbehörden per Weisung Informationen einholen oder Weisungen zur Durchführung bestimmter Öffentlichkeitsarbeitsmaßnahmen erteilen wollen 238 . Als oberste Bundesbehörde müßte das Bundespresseamt wesensnotwendig Spitzenbehörde und als solche keiner höheren Instanz unterstellt sein 239 . Dies trifft jedoch für das Verhältnis zum Bundeskanzler nicht zu. Dieser besitzt dem Amt gegenüber vielmehr die unmittelbare, über seine Richtlinienkompetenz hinausgehende Weisungsbefugnis auch in weniger staatstragenden Einzelfällen 240 , ist damit vorgesetzte Instanz. In diesem organisationsrechtlichen Nachordnungsverhältnis kann das Bundespresseamt ebensowenig oberste Bundesbehörde sein wie das Bundeskanzleramt oder wie das Bundespräsidialamt in seiner Zuordnung zum Staatsoberhaupt 241. 234 Spath, wie vor, spricht allerdings bezeichnenderweise nicht von der Nachordnung des Bundespräsidialamtes, sondern von seiner „Zuordnung" zum Verfassungsorgan Bundespräsident. 235 Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 63, 69; ebenso Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rdnr. 218; hingegen faßt Loeser, Das Bundesorganisationsgesetz, S. 268, in dem von ihm vorgeschlagenen Entwurf eines Gesetzes über die Verwaltungsorganisation des Bundes das Bundeskanzleramt als oberste Bundesbehörde auf (§ 10), für das Presseund Informationsamt gelingt ihm indessen keine Verortung innerhalb der Bundesverwaltung, was seine Schwierigkeit belegt, seine eigene Argumentation durchzuhalten. 23 6 Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 55 in FN 276; Becker, Öffentliche Verwaltung, S. 293, sieht als nichtministerielle Organisationseinheit im Geschäftsbereich des Bundeskanzlers allein den Bundesnachrichtendienst an. 237 Wie vor, S. 52 in FN 254. 23% Deren Kosten freilich nach Art. 104a Abs. 2 GG der Bund zu tragen hätte. 23 9 Maunz, in: M / D / H / Sch, Rdnr. 16 zu Art. 87; widersprüchlich daher Bachmann, S. 178, der Bundeskanzleramt und Bundespresseamt als „nachgeordnete Oberste Bundesbehörden" ansieht. 240 Richtlinienentscheidungen können auch Einzelfälle betreffen, wenn ihnen besonderer politischer Charakter zukommt, der sie von einer normalen Ressortsache unterscheidet, vgl. Bachmann, Das Bundeskanzleramt, S. 161 (167). 241 Nach Zimmermann / Borowsky, S. 32 ff., untersteht das Bundespräsidialamt nicht dem Staatsoberhaupt, sondern allein dem Amtschef; vgl. auch Rausch, Der Bundespräsident, S. 175.
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Grundsätzlich können nur Bundesministerien die Stellung einer obersten Bundesbehörde beanspruchen. Weitere „zentrale Immediatbehörden" können daneben nur dann errichtet werden, wenn die Behörde im Grundgesetz zugelassen ist und die Verfassung ihre Unabhängigkeit von anderen Instanzen, insonderheit von der Regierung, vorsieht 242 . Diese essentiale Unabhängigkeit von anderen staatlichen Stellen ist im Grundgesetz nur für den Bundesrechnungshof (Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG) 2 4 3 und für die Bundesbank (Art. 88 GG) 2 4 4 geregelt. Demgemäß hat der Bundesgesetzgeber für beide Behörden eine Sonderregelung getroffen: § 1 Satz 1 des Gesetzes über den Bundesrechnungshof vom 11. Juli 1985 245 weist diesen als oberste Bundesbehörde aus, die „als unabhängiges Organ der Finanzkontrolle nur dem Gesetz unterworfen ist". Im Bundeshaushalt ist ihm der eigene Einzelplan 20 zugeteilt. § 29 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank vom 26. Juli 1957 246 weist dem Zentralbankrat und dem Direktorium der Deutschen Bundesbank die Stellung von obersten Bundesbehörden zu, die nach § 12 Satz 2 von Weisungen der Bundesregierung unabhängig sind 247 . Vergleichbare Verfassungs- und einfachgesetzliche Normen fehlen verständlicherweise für die Dienststellen des Bundeskanzlers, deren Unabhängigkeit organisatorisch sinnwidrig wäre. Der Bundeskanzler wurde mit der Errichtung des Bundeskanzleramtes und des Bundespresseamtes auch nicht von eigenen Ressortzuständigkeiten entlastet wie durch die Errichtung des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für Verteidigung 248 . Das Bundespresseamt verfügt nicht über den für oberste Bundesbehörden essentiellen eigenen Einzelplan im Bundeshaushalt249, sondern seine Mittel werden, wie bereits erwähnt, im Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes (Einzelplan 04) ausgebracht.
242 So bereits Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 90; ebenso Lerche, in: M / D / H/Sch, Rdnr. 59 zu Art. 85; Stem, Staatsrecht II, S. 813; von Mangoldt/Klein, Bd. III, Anm. IV 2 d)dd)eee) zu Art. 85 m. w. Nachw.; s. auch Badura, Bundesverwaltung, Sp 370 f. 243 Vgl. dazu Jarass / Pieroth, GG, Art. 114 Rdnr. 4 m. w. Nachw.; Stem, Die staatsrechtliche Stellung des Bundesrechnungshofes, S. 42. 244 Obgleich diese Regierungsunabhängigkeit aus dem Wortlaut des Art. 88 GG nicht hervorgeht, hat BVerfGE 62, 169 (183) festgestellt, daß „die Deutsche Bundesbank .. . kraft ihrer verfassungsrechtlichen unabhängigen Stellung keiner Aufsicht anderer Organe der Exekutive unterliegt". 2 *5 BGBl. I, 1445. 246 BGBl. I, 745. 247 Teilweise wird allerdings aus dem Wortlaut („haben die Stellung von") geschlossen, daß Zentralbankrat und Direktorium den obersten Bundesbehörden nur gleichgestellt sind, s. Uhlenbruck, S. 81 m. w. Nachw. 24% Vgl. Röttgen, JöR 11 (1962), 173 (259). 249 Zu diesem Erfordernis s. Köttgen, wie vor, S. 257.
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Signifikant für das Bundespresseamt ist, wie beim Bundeskanzleramt, seine unmittelbare Nachordnung zum Bundeskanzler. Dieser vermag als Verfassungsorgan indessen nicht selbst Behörde zu sein. Dazu müßte er „eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln (sein), die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein" 250 oder nach der noch weiter gehenden Legaldefinition des § 1 Abs. 4 VwVfG eine Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Bei aller Mehrdeutigkeit des Behördenbegriffs 251 steht damit doch fest, daß er organisationsrechtlich in erster Linie an die Ressortzuständigkeit und -abhängigkeit anknüpft 252 , die beim Verfassungsorgan Bundeskanzler im Gegensatz zu den Bundesministern nicht gegeben ist 2 5 3 . Er wird vielmehr erst im Verbund mit den ihm untergeordneten Dienststellen Bundeskanzleramt, Bundespresseamt, Bundesnachrichtendienst zu einer zusammengefügten obersten Bundesbehörde 254. Dieses Organisationsgefüge ist in das herkömmliche Behördenschema nicht einzuordnen. Eines seiner wesentlichen Merkmale ist, daß zwischen den Dienststellen und dem übergeordneten Bundeskanzler kein behördlicher Instanzenzug besteht, sondern das stabsmäßige Element zum Durchbruch kommt 2 5 5 . Diese Struktur erlitt vorübergehend eine weitere, elementare Widersprüchlichkeit: Der Bundeskanzler hatte 1989 zum Chef des Bundespresseamtes einen an sich weisungsunabhängigen „Bundesminister für besondere Aufgaben" 256 ernannt, ohne seinen Organisationserlaß von 1977 abzuändern, wonach „das Presse250 BVerfGE 10, 20 (48). 251 Vgl. dazu Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 31 FN 36. 252 Vgl. Rudolf, Verwaltungsorganisation, § 56 III lb (S. 643). 253 Die Ansicht Sterns, Staatsrecht II, S. 813, und ihm nachfolgend Lerche, in: M / D / H / Sch, Rdnr. 59 zu Art. 85, denen zufolge auch die Bundesregierung selbst u. U. als oberste Bundesbehörde erscheinen kann, steht zu der hier vertretenen Auffassung nicht in Widerspruch, da für das Kollegialorgan durchaus denkbar ist, daß es als Behörde im o. g. Sinne handelt. Der Bundeskanzler kann zwar rein theoretisch Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Dann müßte er aber eben all das an sich ziehen, was in seinen Dienststellen behandelt wird. Der Auffassung Beckers, S. 278, der Bundeskanzler sei eine monistische Behörde, die nur einen Amtsträger aufweise, kann daher nicht gefolgt werden. 254 So auch Loeser, Die Bundesverwaltung, Bd. 1, S. 69; wohl auch Rudolf, Verwaltungsorganisation, § 57 I 1 (S. 658); Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 14; der — nicht weiter verfolgte — Referentenentwurf des BMI eines Gesetzes über die Verwaltungsorganisation des Bundes (Bundes verwaltungsorganisationsgesetzBVwOG) aus dem Jahre 1980, der in § 4 Abs. 2 in einem Katalog der obersten Bundesbehörden sowohl das Bundeskanzleramt als auch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung aufführt, wäre nur bei Auflösung der Weisungsunterworfenheit gegenüber dem Bundeskanzler organisationsrechtlich konsequent gewesen. Der nicht veröffentlichte Entwurf ist abgedruckt bei Loeser, Das Bundesorganisationsgesetz, S. 106 f. mit FN 445; s. auch derselbe, Organisationsgesetze, Bd. III, S. 324 ff. 255 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 238. 256 Zu dieser Rechtsfigur s. sogleich unter d)cc).
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und Informationsamt unter der Leitung eines Staatssekretärs dem Bundeskanzler unmittelbar untersteht". Diese Konstellation konnte danach nur als staatspolitischer Formelkompromiß verstanden werden, weil der Bundeskanzler ersichtlich kein Informationsressort schaffen wollte. Denn dies hätte zur Folge gehabt, daß er im Regierungssprecher über keinen Organwalter verfügt hätte, den er mit gezielten Weisungen vor die Presse entsenden konnte. Gleichwohl wäre die Schaffung eines solchen selbständigen Informationsressorts — in zahlreichen westlichen Demokratien wie selbstverständlich vorhanden — verfassungsrechtlich unproblematisch. Ohne die gleichzeitige Schaffung eines Ressorts mußte der Bundeskanzler konsequenterweise dem ressortlosen „Informationsminister" diese Eigenständigkeit von vornherein nehmen. Diese Widersprüchlichkeit läßt sich nur auflösen, indem man das Bundespresseamt nicht selbst als oberste Bundesbehörde, auch nicht allein als Teil des Organs Bundeskanzler, sondern zugleich als Teil des Kollegialorgans Bundesregierung begreift. Zu Recht mahnt Otto E. Kempen 257 an, daß die Aufgabenkompetenz des Bundespresseamtes in allen Rechtsnormen darauf zugeschnitten ist, im Namen der Bundesregierung zu handeln 258 , mag sich auch das Amt selbst in erster Linie als „Sprachrohr des Bundeskanzlers" sehen259. Dies deckt sich auch mit der Staatspraxis, wonach das Bundespresseamt Aufgaben sowohl vom Bundeskanzler als auch vom Kabinett entgegennimmt. Bei Überschneidungen von Ressortkompetenzen und sich daraus ergebenden Meinungsverschiedenheiten, wie sie insbesondere bei der Informationspolitik nicht selten sind, hat nach § 9 GOBReg ohnedies das Bundeskabinett das letzte Wort. Der daraus abgeleiteten Annahme Kempens, das Bundespresseamt sei organisationsrechtlich allein Teil einer obersten Bundesbehörde „Bundesregierung" 260, steht jedoch die über die Richtlinienbindung hinausgehende Weisungsunterworfenheit der Dienststelle gegenüber dem Bundeskanzler entgegen. Dem Bundespresseamt kommt daher die Funktion einer Assistenz- oder Stabsstelle zu, wie sie das Bundeskanzleramt als Planungs- und Koordinierungsstelle für den Regierungschef darstellt 261 . Es ist jedoch zugleich Assistenz des Kanzlers und der Regierung 262 und damit integraler Teil beider Organe und obersten Bundesbehörden. 257 Grundgesetz, S. 51. 258 Ziff. 1 des Organisationserlasses vom 18.1.1977 qualifiziert das Amt als „Hauptstelle der Bundesregierung für den Verkehr mit den Nachrichtenträgem und den Organen der öffentlichen Meinungsbildung"; s. auch Eschenburg, S. 747. 259 Vgl. die vom Bundespresseamt herausgegebene Beilage „Das Bundespresseamt", Journalist / prmagazin Mai 1990, S. 5; aus dieser Sicht wäre die Ämtertrennung zwischen dem Regierungssprecher und dem Amtschef des BPA und die Zuordnung des Sprechers zum Bundeskanzler die organisationsrechtlich stringentere Lösung, so schon eine Anregung des früheren Regierungssprechers von Hase, zitiert nach Schulze-Fürstenow, II 2b. 260 Grundgesetz, S. 51. 261 Kröger, S. 46; s. auch den Hinweis von Hennis, Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, S. 19, daß der Bundeskanzler ohne das Bundeskanzleramt „ein bedauernswerter Vollinvalide" sei.
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d) Amt und Funktion des Regierungssprechers Das Amt des Regierungssprechers und Chefs des Bundespresseamtes wurde in den Jahren 1958 bis 1989, von einer Ausnahme abgesehen263, von einem beamteten und damit weisungsgebundenen Staatssekretär 264 wahrgenommen. Von April 1989 bis Dezember 1990 stand die Behörde unter der Leitung eines „Bundesministers für besondere Aufgaben". Beide Organisationsfiguren werfen Probleme auf: aa) Der Regierungssprecher
als beamteter Staatssekretär
aaa) Dienstrechtliche Probleme Hemmnisse des Beamtenrechts bei der Ernennung weiß die Praxis durch entsprechende Formalakte zu überwinden: Bei Regierungssprechern, die üblicherweise das 50. Lebensjahr vollendet haben, stimmt der Bundesfinanzminister gemäß § 48 BHO der Einstellung in den Bundesdienst als Beamter zu mit der Begründung, bei dem „außerordentlichen Mangel an geeigneten jüngeren Bewerbern" stelle die Ernennung einen „erheblichen Vorteil für den Bund" dar. Gleichermaßen läßt der Bundespersonalausschuß eine Ausnahme von § 38 Abs. 3 Nr. 2 der BLVO zu und entbindet den Betroffenen von der Notwendigkeit der Ableistung einer Probezeit, da sich diese mit der Leitung einer obersten Bundesbehörde nicht vereinbaren ließe 265 . Ein ernsteres Problem bei der Amtsausübung ergibt sich für den beamteten Regierungssprecher aus § 53 BBG. Danach hat er bei politischer Betätigung — und was an seinem Amt ist nicht politisch — das Gebot der Neutralität, Mäßigung und Zurückhaltung zu achten, wodurch seine Amtsführung nicht unwesentlich erschwert werden kann. Die erforderliche Abgrenzung zu dem auch dem Regierungssprecher eigenen Grundrecht auf freie Meinungsäußerung hat das BVerfG in seinem Beschluß vom 30. August 1983 266 vorgenommen: Bei Beamten sei dieses Grundrecht nur insoweit gewährleistet, „als es nicht unvereinbar ist mit dem in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten, für die Erhaltung eines funktionsfähigen 262 Ähnlich Becker, S. 656; wie hier Kröger, S. 49. 263 Der von 1980 bis 1982 amtierende Regierungssprecher Kurt Becker war Angestellter, weil er im Zeitpunkt seiner Berufung bereits das 60. Lebensjahr vollendet hatte und damit nicht mehr zum Beamten ernannt werden konnte. Er war jedoch durch den Bundespräsidenten ermächtigt worden, während seiner Tätigkeit die Bezeichnung „Staatssekretär" als Funktionsbezeichnung zu führen. 264 S. dazu umfassend Echteler, passim; Fehlig, passim. 265 Vgl. zu Vorstehendem die Stellungnahme der Bundesregierung, Sten. Ber. 9. WP, 131. Sitzung vom 26.11.1982, S. 8162 f. Bereits diese „Kunstgriffe" verdeutlichen, daß die Ernennung des Regierungssprechers im Rang eines beamteten Staatssekretärs nicht zu den Idealfällen des Staatsorganisationsrechts zählt. 266 BVerfG (Kammerbeschluß), NJW 1983, 2691.
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Beamtentums . . . unerläßlichen Pflichtenkreises". Im Einzelfall soll die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung von Form und Inhalt der Betätigung, der Amtsstellung des Beamten und dem dienstlichen Bezug abhängen267. Das Amt des Regierungssprechers wird man schon von der Aufgabe her nicht als geeignet ansehen können, den Inhaber auf „politische Neutralität seiner Amtsführung" 268 zu verpflichten und jeglicher Stellungnahme zu parteipolitischen Themen zu entheben269. Der beamtete Regierungssprecher ist aber auch als politischer Beamter kein parteipolitischer Beamter. Er bleibt insoweit in dem Konflikt, zwischen Amtsführung und Parteipolitik trennen zu müssen 270 . Die Frage bleibt offen, ob sich die beamtenrechtlichen Pflichten dem verliehenen Amt anpassen müssen 271 oder ob nicht von vornherein zur Vermeidung dieses Konfliktes ein den Pflichten entsprechendes Amt verliehen werden muß 2 7 2 , wie es in den Jahren 1989/1990 der Regierungssprecher im Ministerrang bekleidete. bbb) Funktionale Probleme Auch aus einem anderen Grunde stellt sich die Frage, ob die Funktion des Regierungssprechers als politischer Berater des Bundeskanzlers seine Bestellung als beamteter Staatssekretär überhaupt zuläßt. Es ist dies die Frage nach der verfassungsrechtlichen Regelung des Zugangs zum Machthaber 273 . Böckenförde weist daraufhin, daß das konstitutionell-parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes grundsätzlich nur denjenigen als Berater des Machthabers zuläßt, der hierfür gegenüber der Volksvertretung verantwortlich ist. Ein System parlamentarisch unverantwortlicher „Kabinettsräte alten Stils" 267 S. Schmitt-Vockenhausen, JuS 1985, 524 (525); Schauer, ZBR 1973, 8 (11). 268 Vgl. BVerwGE 84, 292 (294). 269 So auch Schauer, ZBR 1973, 8 (10 bei FN 15). 270 Schauer, wie vor. 271 Dafür spricht der Wortlaut des § 53 BBG: „ . . . diejenige Mäßigung und Zurückhaltung . . . , die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben". In der Parlamentarischen Debatte am 16.1.1986, die einen Namensartikel des damaligen Regierungssprechers Ost in der Welt vom 6.1.1986 zum Gegenstand hatte, vertrat die Bundesregierung die Auffassung, daß nicht nur die dienstrangmäßige Einordnung, sondern auch zu berücksichtigen ist, daß der Regierungssprecher kraft seines Amtes die Aufgabe, das Recht und die Pflicht hat, die Politik der Bundesregierung nachdrücklich und gerade gegenüber den Oppositionsparteien zu vertreten, also für die Politik der Bundesregierung — nicht einer bestimmten Partei — zu werben, vgl. Sten. Ber. 10/14220 (14223). 272 So deutlich Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 242, für den Leiter des Bundeskanzleramtes. 273 Böckenförde, wie vor, S. 187 ff., S. 242; s. auch Sombart, S. 198 ff., in dessen Abhandlung über das Werk von Carl Schmitt, für den „der Topos vom ,Vorhof der Macht4 in den Mittelpunkt seiner Spekulation über das Wesen des Politischen" trat als „Kernstück einer Machtsoziologie, die er in seiner staatsbezogenen Phase geflissentlich ausgespart hatte."
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widerstrebe jeder potestas indirecta, jeder politischen Macht ohne entsprechende öffentliche und parlamentarische Verantwortlichkeit 274 . Ohne Kabinettsrang ist der Regierungssprecher und Chef des Bundespresseamtes an der Ausübung der sog. Kollegialkompetenz der Bundesregierung nicht beteiligt, d. h. er besitzt kein Stimmrecht, auch wenn er an den Kabinettsberatungen teilnimmt. Die parlamentarische Verantwortung für den Geschäftsbereich des Bundespresseamtes trägt der Bundeskanzler als Machthaber selbst nach Art. 65 Satz 1 und Art. 67 GG 2 7 5 . Diese Verantwortlichkeit des Regierungschefs läßt Böckenförde allerdings nicht genügen. Ihmzufolge können verfassungsrechtlich legitimierte politische Berater, die nicht lediglich Sachverständige sein sollen, nur die Minister sein, die das Ressortwissen für die Richtlinienbestimmung übermitteln 276 . Beamte, so stellt Böckenförde weiter fest, sind nach ihrer rechtlichen Stellung „und dem spezifisch bürokratischen Arbeitsstil, der ihre Tätigkeit bestimmt", gerade das Gegenteil von politischen Beratern 277 . Konsequent schließt Böckenförde daraus für das „als Beraterstab nicht legitimierte" Bundeskanzleramt: Soll dessen Chef nicht leitender Beamter, sondern politischer Berater des Kanzlers sein, so müsse er statt Staatssekretär Kabinettsmitglied werden und Ministerrang erhalten 278 . Außerhalb des Ministerrangs läßt Böckenförde nur Berater für die nicht richtlinien-politischen Teile des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers zu. Hierzu zählt er neben dem Aufgabenbereich der Spionageabwehr auch das Informationswesen 279 . Richtig daran ist, daß in den meisten Fällen die Richtlinienentscheidung bereits getroffen ist, wenn die Öffentlichkeitsarbeit einsetzt. Die generelle Ausklammerung des „Informations wesens"280 aus dem Bereich der politischen Richtlinien berücksichtigt indessen nicht, daß die Beratung durch den Regierungssprecher bereits im Vorfeld der Richtlinienentscheidung einsetzen und diese auf ihre Öffentlichkeitswirksamkeit hin erfassen sollte. Außerdem ist „Öffentlichkeitsar274 Böckenförde, wie vor (FN 271), S. 189, 242. Bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes / Bundespresseamtes ist keine einheitliche Linie erkennbar. Die Beantwortung wurde in der Vergangenheit sowohl vom Staatsminister im Bundeskanzleramt als auch vom Regierungssprecher als beamtetem Staatssekretär übernommen. In eigener Sache hat sich der Chef des Bundespresseamtes als Staatssekretär in der Vergangenheit dem Parlament — soweit ersichtlich — nicht verantwortet. Statt seiner stand ebenfalls der Staatsminister im Bundeskanzleramt oder Kanzleramtsminister zur Verfügung, vgl. etwa Sten. Ber. 10. WP, 187. Sitzung vom 16.1.1986, S. 14219 ff. 275 So auch Kröger, S. 46, für das Bundeskanzleramt. 276 Böckenförde, wie vor (FN 271), S. 190. 277 Wie vor. 278 Wie vor. 279 Organisationsgewalt, S. 192 280 Vgl. die oben, 1. Kapitel bei III.l., zitierte Definition in den Haushaltstechnischen Richtlinien des Bundes.
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beit", wie noch zu zeigen sein wird, der Staatsleitung zuzuordnen 281. Wie oben gezeigt wurde 282 , erfaßt die Informationspolitik des Bundespresseamtes zudem nicht nur die darstellende Öffentlichkeitsarbeit („Öffentlichkeitsarbeit über Politik"). Vielmehr kann Öffentlichkeitsarbeit auch selbst Politik sein („Politik durch Öffentlichkeitsarbeit"). In dieser Variante kann sie daher auch unmittelbar selbst richtlinien-politisch orientiert sein. Folgt man der Ansicht Böckenfördes, so kann ein Regierungssprecher in der Funktion eines beamteten Staatssekretärs nur ausführender Organwalter, nicht aber unmittelbarer politischer Berater des Bundeskanzlers sein. Indessen kann bereits aus der Gesetzessystematik in § 36 Abs. 1 Ziff. 1 und 4 BBG geschlossen werden, daß Chef des BPA nicht unbedingt ein beamteter Staatssekretär sein muß. Auch die Besetzung der Funktion durch einen Parlamentarischen Staatssekretär oder einen Bundesminister kommt in Betracht. bb) Der Regierungssprecher
als Parlamentarischer
Staatssekretär
Die Institution des Parlamentarischen Staatssekretärs wurde durch Gesetz vom 6. April 1967 geschaffen 283. Bei ihrer Einführung wie bei ihrer jeweiligen Besetzung haben durchweg koalitionspolitische Gründe eine Rolle gespielt 284 . Parlamentarische Staatssekretäre gehören — wie sich aus § 14 GOBReg ergibt — nicht zur Bundesregierung 285. Ihr Amt ist streng an das eines Bundesministers gekoppelt, dem sie als Vertreter (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 GOBReg) oder als Gehilfe bei der Erfüllung der Regierungsaufgaben (vgl. § 1 Abs. 2 ParlStG) beigegeben werden. Dies zeigt bereits, daß ein Parlamentarischer Staatssekretär als Behördenleiter ohne einen ihm übergeordneten Minister nicht ohne weiteres eingesetzt werden kann. Entsprechend regelt § 14 Abs. 3 GOBReg, daß der Bundesminister in der vom Bereich der Regierung abgehobenen Funktion als Ressortleiter grundsätzlich durch den beamteten Staatssekretär vertreten wird, es sei denn durch den Parlamentarischen Staatssekretär in dem diesem übertragenen Aufgabenbereich. Fraglich ist, ob es einen Parlamentarischen Staatssekretär oder Staatsminister 286 beim Bundeskanzler oder im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung geben kann. Entscheidend ist insoweit, daß, wie bereits erwähnt, der Bundeskanz281 S. dazu 4. Teil, 2. Kapitel zu II. 282 S. 1. Kapitel zu III. 1. 283 Die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staastsekretäre regelt heute das Gesetz vom 24.7.1974 — BGBl. I S. 1538 — i. d. F. vom 22.12.1982 — BGBl. I S. 2007; grundlegend Laufer, passim. 284 Die diesbezügliche Vermutung Stems, Staatsrecht II, S. 289, trägt der Realität durchaus Rechnung; s. auch die zahlr. Nachw. Stems in FN 96. 285 Arg. Art. 62 GG; vgl. Stem, wie vor. 286 Hierbei handelt es sich um die nach § 8 ParlStG hervorgehobene Amtsbezeichnung.
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1er kein Ressort verwaltet, sondern die Regierung leitet und die Richtlinien der Politik bestimmt. Als politischer Gehilfe in diesen Führungsaufgaben könnte ein Staatsminister eine den Bundesministern übergeordnete Stellung erhalten, wie sie nur der Stellvertreter des Bundeskanzlers gemäß Art. 69 GG ausüben könnte 2 8 7 . Im Rahmen der Organisationsgewalt denkbar wäre allenfalls, einen Parlamentarischen Staatssekretär als Regierungssprecher im Bundeskanzleramt einzubinden. Soll er dagegen auch Leiter des Bundespresseamtes sein, so würde er die typischen Funktionen eines beamteten Staatssekretärs versehen, die jenem „mit gutem Grund" 2 8 8 vorbehalten sind. cc) Der Regierungssprecher
als Bundesminister für besondere Aufgaben
Der Bundeskanzler hat kraft seiner Organisationsgewalt aus Art. 65 S. 1 GG sowie der deklaratorischen Bekräftigung in § 9 GOBReg 289 die Befugnis zur Errichtung und Abgrenzung der einzelnen Ministerien und der Berufung von Ministern bis an die Grenze der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung 290. Der Bundeskanzler entscheidet kraft seines Kabinettsbildungsrechts nach Art. 64 Abs. 1 GG und seiner Richtlinienprärogative auch darüber, ob Minister ohne Geschäftsbereich oder zur Erfüllung von Sonderaufgaben berufen werden sollen 2 9 1 . Die Einrichtung derartiger Sonderminister 292 tauchte erstmals bei der Bildung der zweiten Bundesregierung im Jahre 1953 auf, um gleich fünf Sonderminister wurde das Bundeskabinett nach dem Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 erweitert. Grundsätzlich handelt es sich dabei um „Minister ohne Portefeuille", nämlich solche, denen von der Doppelfunktion des normalen Ministers, der sowohl Ressortchef als auch Kabinettsmitglied ist, nur die Seite der Kabinettsmitgliedschaft zukommt 293 und die damit auf die Teilhabe an der Koordinierungsfunktion der Bundesregierung beschränkt sind 294 . Entgegen gelegentlich aus dem Wortlaut des Art. 65 S. 2 GG abgeleiteten Bedenken gegen die Figur des ressortlosen Ministers 295 , kann diesem die verfas287 S. Schenke, BK (Zweitbearb.), Rdnr. 51 zu Art. 64. 288 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 230. 289 Vgl. Oldiges, S. 249; Stem, Problematik der Inkorporierung, S. 579; Kröger, S. 34. 290 s. Schenke, BK (Zweitbearb.), Rdnm. 44, 47 zu Art. 64; Kröger, S. 32 f. 291 Erstmals in der Geschichte des Amtes wurde am 21.4.1989 der Bundesminister für besondere Aufgaben, Hans Klein, zum Chef des BPA ernannt. Die Überlegungen, dem Chef des BPA Kabinettsrang zu verleihen, waren keineswegs neu, vgl. Hofsähs / Pollmann, S. 19; zur früheren Planung der Gründung eines Informationsministeriums s. Walker, S. 276 ff. (286). 292 Die amtliche Bezeichnung geht möglicherweise zurück auf den in Art. 49 Abs. 2 der bayerischen Verfassung vorgesehenen „Minister für Sonderaufgaben". 293 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 222. 294 Schröder, Handbuch Staatsrecht II, § 51 Rdnr. 30. 295 S. Hamann/Lenz, Art. 62 Anm. B2; Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 222 f.
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sungsrechtliche Legitimation nicht abgesprochen werden. Art. 65 S. 2 GG garantiert nur die selbständige Führung eines zugewiesenen Ressorts, setzt aber nicht voraus, daß jeder Minister auch über ein solches verfügt 296 . Mag es sein, daß derartige ressortlose Minister zu funktionslosen Randfiguren werden können 297 , gilt dies freilich dort nicht, wo ihnen — als „Bundesminister für besondere Aufgaben" — neben ihrer politischen Funktion ein sachlich begrenzter, wenn auch nicht ressortausfüllender 298 Aufgabenkreis übertragen ist 2 9 9 . Dies gilt insonderheit dann, wenn er zugleich Chef einer Regierungsbehörde ist 3 0 0 . Im Grundsatz ist die Bestellung eines solchen „Bundesministers für Sonderaufgaben" verfassungsrechtlich ebenfalls unbedenklich 301 . Es handelt sich bei diesem Ministertypus normalerweise um eine Art „Vorratsminister", dessen Ressort im Ernennungszeitpunkt noch nicht feststeht. Die ihm später zugewiesene Aufgabe wird dann zu seiner Ministeraufgabe, die er in eigener Verantwortung erfüllt. Anders verhält es sich dagegen bei einem Minister, der eine dem Bundeskanzler untergeordnete Dienststelle leitet wie der Kanzleramtsminister und der „Informationsminister" als Regierungssprecher und Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. Schon der Kanzleramtsminister hatte in der Staatsrechtslehre nicht unerhebliche Zweifel provoziert, die nunmehr auch auf den Regierungssprecher im Ministerrang durchschlagen: Einerseits ist ihm innerhalb des Bundeskabinetts eine Koordinierungsaufgabe zugewiesen — dem Kanzleramtsminister eine richtlinienpolitische, dem Informationsminister eine informationspolitische — , für deren Umsetzung es ihm jedoch aufgrund Art. 65 S. 2 und 3 GG an der nötigen Weisungsbefugnis gegenüber den Ressortministern fehlt 302 . Zum anderen geraten der Kanzleramtsminister wie der Informationsminister aufgrund ihres Verhältnisses zum Regierungschef in ein „verfassungsrechtliches Zwielicht", weil sie als Kabinettsmitglied selbständig, nicht einmal für einen Geschäftsbereich parlamentarisch verantwortlich und nur durch die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers zu begrenzen sind, andererseits aber als Leiter
296 Vgl. Oldiges, S. 248; Schenke, BK (Zweitbearb.), Rdnr. 52 zu Art. 64, jeweils m. w. Nachw.; von Mangoldt / Klein, Art. 62 Anm. III 6b; Schröder, Handbuch Staatsrecht II, § 51 Rdnr. 30 und § 52 Rdnr. 37; Stern, Staatsrecht I, S. 985. 297 S. auch Peter Pragal, Sonderminister — „Zu entscheiden haben die nichts", SternMagazin Nr. 46 vom 8.11.1990. 298 S. dazu Kröger, S. 141. 299 Diese Einrichtung wird durchweg für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, vgl. Schröder, Handbuch Staatsrecht II, § 51 Rdnr. 30; Schenke, BK (Zweitbearb.), Art. 64 Rdnr. 53. 300 Zum Chef des Bundeskanzleramtes im Ministerrang s. Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 242; Kröger, S. 46, 141. 301 Böckenförde, wie vor, S. 221 f.; Oldiges, S. 248 FN 269; Schenke, wie vor (FN 299); Schröder, wie vor (FN 299); Kröger, S. 139. 302 Vgl. etwa Schenke, wie vor, Rdnr. 51 m. w. Nachw., Rdnr. 53 f. zu Art. 64.
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einer dem Bundeskanzler nachgeordneten Dienststelle uneingeschränkt der Weisungsbefugnis des Regierungschefs unterliegen 303 . Weder der Kanzleramtsminister noch der Informationsminister sollen die ihnen übertragene Aufgabe in ihrer Eigenschaft als Minister wahrnehmen. Dies ergibt sich schon haushaltsrechtlich aus der Unterbringung ihrer Mittel im Etat des Bundeskanzlers. Für die gesamte Dauer ihrer Amtszeit ist nicht vorgesehen, ihnen eine Ministeraufgabe zuzuweisen. Der „Vorrat" den ihre Ernennung begründet, wird zu keiner Zeit ausgeschöpft, so daß die Figur derjenigen eines „Titularministers" nahekommt, wie ihn das Staatsrecht bislang nur in dem aus protokollarischen Gründen zum „Staatsminister" erhöhten parlamentarischen Staatssekretär kennt 304 . Die Figur des Sonderministers als Amtsleiter eines Teils einer obersten Bundesbehörde „Der Bundeskanzler" mag daher organisationsrechtlich verworren sein. Sie ist jedenfalls verfassungsrechtlich unschädlich, weil die Weisungsbefugnis des Bundeskanzlers am Kabinettstisch und die Koordinierungskompetenz gegenüber den Ressortministern an deren Verantwortungsbereich endet. Daher muß zwischen der Ministerfunktion und der des Amtschefs sauber unterschieden werden: Als Minister steht der „Bundesminister und Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung" dem Bundeskanzler im Kabinett gleichgeordnet gegenüber mit der Folge, daß er gegebenenfalls gegen ihn abstimmen kann. Als Chef des Bundespresseamtes hingegen ist er ihm untergeordnet. Das von ihm geleitete Bundespresseamt ist nicht sein Ressort 305 , das er in ministerieller Selbständigkeit verwalten könnte, sondern bleibt dem Bundeskanzler unterstellt, solange es nicht als Ministerium organisiert ist 3 0 6 . Die Leitung des Bundespresseamtes ist auch nicht sein ministerieller „Sonderauftrag", nur als Person ist er Minister und als dieser zwangsläufig „ohne Portefeuille" 307 . Bei der parlamentarischen Verantwortlichkeit ist danach zu trennen, in welcher seiner beiden Funktionen der Minister gehandelt hat 308 . Agiert er als Kabinettsmit-
303 Schenke, wie vor (FN 299), Rdnr. 54 zu Art. 64; Kröger, S. 46, zum Chef des Bundeskanzleramtes im Rang eines Sonderministers: „eine unmögliche Konstruktion"; ebenso Fromme, FAZ vom 10.10.1969. 304 Vgl. § 8 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre vom 24.7.1974, BGBl. I, S. 1538. 305 Daran ändert auch der im Verhältnis zu anderen Ministerien nicht unbedeutende Etat von rd. 220 Mio DM (1989) nichts. 306 Zu dieser Umwandlungsmöglichkeit s. Fromme, FAZ vom 14. April 1989. 307 Diese Darstellung der Zwitterfunktion von ChefBK und ChefBPA findet sich bei Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 242 in FN 39. Sie wird mitunter scharf kritisiert, so etwa von Kröger, S. 46; beipflichtend Schröder, Handbuch Staatsrecht II, § 52 Rdnr. 37 in FN 51; s. auch Stem, Staatsrecht II, S. 280, für ChefBK im Ministerrang. Die organisationsrechtliche Exotik führt in der Praxis beispielsweise dazu, daß das BPA grundsätzlich nicht dafür zuständig ist, für den Regierungssprecher im Ministerrang dessen Kabinettsvotum vorzubereiten, da es insoweit nicht sein Geschäftsbereich ist.
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glied und als politischer Berater des Bundeskanzlers, trägt er vor dem Parlament auch die Verantwortung hierfür 309 . Er muß sich dem Zitierrecht des Parlaments beugen, hat auf der anderen Seite aber auch das Recht auf Gehör, d. h. er kann sich durch sein Redeprivileg auch außerhalb der Tagesordnung im Plenum oder in den Ausschüssen zu Wort melden 310 . Er hat diese Stellung aber nicht für den ihm zugewiesenen Aufgabenbereich als Regierungssprecher und Chef des Bundespresseamtes inne 311 , was die Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Redeprivilegs in der Praxis nahezu leerlaufen läßt 312 . Agiert er in dieser Funktion, etwa bei Verlautbarungen, bei der Vergabe von Subventionen, bei Personalentscheidungen oder Organisationsakten, so wird man ihm in Konsequenz der oben dargestellten Janusköpfigkeit eine parlamentarische Verantwortlichkeit absprechen müssen. Diese steht dann — wie in der Vergangenheit mit einem beamteten Staatssekretär als Behördenleiter — ausschließlich beim Bundeskanzler selbst. Abgrenzungsschwierigkeiten sind daher nicht auszuschließen313. Man wird davon ausgehen müssen, daß der Akt der Amtseinführung des neuen Bundesministers am 13. April 1989 314 für die Dauer dessen Amtsperiode den früheren Organisationserlaß, der noch von der Leitung durch einen beamteten Staatssekretär spricht, abgeändert hat. Es steht dem Bundeskanzler frei, auch eine andere Form als die eines schriftlichen Organisationserlasses zu wählen, die den Inhalt seiner Organisationsentscheidung zum Ausdruck bringt, etwa, indem er dem Bundespräsidenten einen Bundesminister zur Ernennung vorschlägt und dabei dessen Geschäftsbereich nennt 315 . 308 Α. A. Kröger, S. 141: dem ressortlosen Sonderminister fehle es am Gegenstand der parlamentarischen Rechenschaftspflicht, da die Verantwortung für Kabinettsentscheidungen vom Bundeskanzler, nicht von der Bundesregierung getragen werde. Kröger übersieht hierbei den Beraterstatus der amtsleitenden Sonderminister und ihre politische Außen Wirkung. 309 s. hierzu die Erklärung des Bundesministers für besondere Aufgaben und Chef des Bundespresseamtes, Hans Klein, wegen persönlicher politischer Äußerungen am 15.6.1989 vor dem Deutschen Bundestag, Sten. Prot. Nr. 11/11088 ff. 310 ist er — wie seinerzeit Regierungssprecher Hans Klein — zudem Abgeordneter des Deutschen Bundestages, kann er sogar das Indemnitätsprivileg nach Art. 46 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen, s. dazu Graul, NJW 1991, 1717 ff. m. w. Nachw. 311 Vgl. Kröger, S. 141, für den Chef des Bundeskanzleramtes im Rang eines Sonderministers. 312 Demgemäß hat auch der Regierungssprecher Hans Klein davon in seiner Amtsperiode keinen Gebrauch gemacht. 313 Sie erscheinen andererseits nicht als so groß, daß allein dieser Mangel an Eindeutigkeit in der parlamentarischen Verantwortlichkeit verfassungsrechtlich zu Bedenken gegen die Ernennung eines Bundespressechefs als Minister führte. 314 Bulletin der Bundesregierung Nr. 34 vom 15.4.1989, S. 298. 315 Lehngut / Vogelgesang, AöR 113 (1988), 531 (536); Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 282, fordert allerdings, daß Organisationsregelungen, auch die Organisationserlasse der Bundeskanzler, als Bestimmungen objektiven Rechts förmlich gefaßt und amtlich bekanntgemacht werden. Der alleinige Abdruck der öffentlichen Erklärung des Bundeskanzlers über die Ernennung des Regierungssprechers im Range eines Bundesmi7 Schürmann
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e) Die Binnenstruktur des Bundespresseamtes Im Rahmen dieser Arbeit kann auf die Organisationsstruktur des Bundespresseamtes nur kursorisch eingegangen werden. Ergänzend wird auf die im Anhang 316 abgedruckten Organisationspläne verwiesen 317 . Ende 1990 318 gliederte sich das Amt wie folgt: aa) Leitungsebene Wie ein Ressortminister verfügt auch der Chef des Bundespresseamtes über typische „Chefassistenzen" 319, nämlich über — das Ministerbüro mit einem Leiter und einem persönlichen Referenten, — die Stabsstelle „Redaktion" zur Vorbereitung von Reden und Interviews des Bundeskanzlers, — ein Pressebüro „Chef vom Dienst" zur eigenen Sofortunterrichtung, als Koordinierungsstelle zu den Fachabteilungen des Amtes und den Pressestellen der Ressorts und als Kontaktstelle zu den Medien 320 . Abweichend von der üblichen Ressortstruktur sind das Kabinetts- sowie das Parlamentsreferat nicht unmittelbar der Amtsleitung zugeordnet, sondern finden sich auf Abteilungsebene (Referat I A 5, Referat III A 3). Der Grund hierfür liegt darin, daß das Amt vor der Leitung durch einen Bundesminister für besondere Aufgaben Kabinettsvorgänge lediglich nachrichtlich zur informationspolitischen Bearbeitung erhielt. Als Minister bedurfte der Chef des Bundespresseamtes eines Votums für die Kabinettsabstimmung. Obgleich das Amt nicht sein Ressort war, erhielt er dieses Votum vom sachlich zuständigen Referat über das Kabinettreferat. In der Leitung des Amtes wird der Chef von einem Beamten der Besoldungsgruppe Β 10 vertreten, in seiner Funktion als Regierungssprecher durch zwei Beamte der Besoldungsgruppe Β 9 3 2 1 . In seiner Eigenschaft als ressortloses Kabinettsmitglied erfolgte keine Vertretung. nisters für besondere Aufgaben im Bulletin der Bundesregierung Nr. 34 vom 15.4.1989, S. 297, würde, da es sich dabei nicht um ein amtliches Verkündungsorgan handelt, dem nicht genügen. 316 Teil 1 A. 317 S. auch die Übersichten bei Kordes / Pollmann, S. 51 ff.; Schiffer (Hrsg.), Staatshandbuch, S. 59 f.; Schulze-Fürstenow, unter II.3. 318 Die Anfang 1991 vollzogene Abkehr vom Bundesminister für besondere Aufgaben als Regierungssprecher stellte mit der Ernennung von Staatssekretär Dieter Vogel den traditionellen Organisationszustand wieder her. Am übrigen Aufbau des Amtes änderte sich seither nur wenig. 319 Vgl. dazu etwa Bernd Becker, S. 644 f. 320 Diese Stabsstelle sowie der persönliche Büroleiter waren schon früher vorhanden. 321 Seit März 1991 amtiert nur noch ein Vertreter.
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bb) Abteilungsebene Das Amt teilt sich derzeit in die vier Abteilungen: Verwaltung, Nachrichten, Inland, Ausland. Die Zentralabteilung nimmt die klassischen Verwaltungsaufgaben wahr wie Mittelbewirtschaftung, Personal, Organisation, Innerer Dienst, Rechts- und Kabinettsachen. Der ebenfalls zu dieser Abteilung gehörende Besucherdienst organisiert und finanziert für politisch interessierte Bürger und Fachgruppen (Journalisten, Gewerkschaften, Verbände etc.) Informationstagungen in Bonn, Berlin und Straßburg — zum überwiegenden Teil auf Einladung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die hierzu über bestimmte Kontingente verfügen können. Auf diese Weise reisten 1989 über 1500 Gruppen mit rund 70 000 Teilnehmern nach Bonn, Berlin und Straßburg. Der Haushalt 1990 sah hierfür ein Finanzvolumen von 18,5 Millionen D M vor 3 2 2 . Der zentralen Verwaltungsabteilung gehört auch der regierungseigene Bilderdienst durch die „Bundesbildstelle" an. Fotografen des Amtes begleiten das Staatsoberhaupt und Regierungsmitglieder bei inländischen Terminen und auf Reisen. Die so entstehenden Bilddokumente werden, durchaus in Konkurrenz zu Bildagenturen und freien Fotografen, Interessenten von Presse, Fernsehen und Verlagen auf Anfrage zur Verfügung gestellt (rd. 150 000 Fotos und Dias jährlich) sowie für eigene Zwecke verwendet. Schließlich leistet die Zentralabteilung auch die „Erfolgskontrolle" des Amtes, indem sie Kommunikationsmedien, ihre Aufmachung und ihren Vertrieb im Hinblick auf Wirkung und Wirtschaftlichkeit mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Instrumentarien untersucht. Die Nachrichtenabteilung erfüllt die umfassenden Nachrichtenbeschaffungsund Dokumentationsaufgaben des Amtes 323 . Hierzu sammelt sie alle wichtigen Meldungen und Kommentare der Nachrichtenagenturen, der Printmedien, des Hörfunks und des Fernsehens und wertet sie aus — derzeit rund 23 Nachrichtenagenturen, 100 Hörfunkprogramme, 25 Fernsehprogramme, 80 in- und ausländische Zeitungen und Zeitschriften sowie 30 Pressedienste. Das gesichtete Material wird in täglich erscheinenden Nachrichtenspiegeln und Informationsdiensten zusammengefaßt, die allen Ressorts, aber auch sämtlichen Abgeordneten des Deutschen Bundestages zugestellt werden. Zur Bewältigung des Materials verfügt die Abteilung über eine EDV-gestützte Textdatenbank, das „Zentrale Dokumentationssystem", die allen Dienststellen der Regierung, aber auch dem Parlament zum Zugriff auf ca. 2, 5 Millionen gespeicherte Informationen zur Verfügung 322 Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 0403, Titel 531 09 — 011. 323 Erstattet aufgrund des Beschlusses des Bundestages vom 12.3.1976 zu Nr. 2 des Antrags in BT-Drucks. 7/4770, s. zuletzt BT-Drucks. 10/5663 vom 16. Juni 1986. 7*
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steht. Daneben werden über ein „Nachrichtenbearbeitungs-System" an über 60 Empfänger, darunter das Bundespräsidialamt, Bundeskanzleramt, alle Ressorts, den Deutschen Bundestag, die eingehenden Meldungen (rund 200 000 monatlich) umgehend übermittelt. Über Meldungen von Dringlichkeit werden Regierungssprecher und Bundeskanzler sofort unterrichtet. Auf Reisen von Regierungsmitgliedern und -delegationen sowie des Bundespräsidenten sorgt eine Sonderunterrichtung über Fernschreiber, Telefax und Telefon für stetige Information. Die Nachrichtenabteilung sendet auch Ton- und Bildübertragungen aus dem Bundestag, dem Bundesrat und — im Ausnahmefall — den Bundespressekonferenzen an die Abgeordneten des Bundestages, die Ressorts, das Bundeskanzleramt und die angeschlossenen Pressehäuser und -büros 324 . Schließlich strahlt der sogenannte Informationsfunk des Amtes über Kurzwelle aktuelle Informationen über das tagespolitische Geschehen und die Politik der Bundesregierung an die meisten diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen im Ausland, um die dortigen Pressereferenten auf dem laufenden zu halten. Die Struktur der Inlandsabteilung entspricht im wesentlichen dem Aufbau der Bundesregierung insgesamt. Die einzelnen Bundesministerien spiegeln sich in Fachreferaten, um die informative Rückkopplung und den in § 81 Abs. 4 bis 6 GGO I vorgesehenen Abstimmungsprozeß zu gewährleisten. Die Abteilung hat zum einen die Aufgabe der über die aktuelle Tagespolitik hinausreichenden Binneninformation. Sie beobachtet die politische und öffentliche Meinungsbildung bei Bundestag und Bundesrat, Fraktionen, Landesregierungen, Fachministerien, Verbänden und erarbeitet auf der Grundlage der so erhaltenen und analysierten Hintergrundinformationen Material für die informationspolitische Behandlung innenpolitischer Themen durch Erklärungen und Interviews des Regierungssprechers, Pressemitteilungen und Hintergrundgespräche. Sie betreut daneben die kommunikationswissenschaftlichen Forschungsprojekte des Amtes, die ihrerseits in den „Medienbericht der Bundesregierung" 325 einfließen. Andererseits betreibt die Abteilung auch unmittelbare Außeninformation über bezahlte Medien 326 . Die Auslandsabteilung gliedert sich in Länderbereiche, daneben finden sich Referate mit speziellen oder überregionalen Aufgaben wie die Zentralredaktion, Film- und Fernsehproduktion sowie Akkreditierung. Auch diese Abteilung hat die Aufgabe, nach innen zu berichten, was die Medien des Auslands über die Bundesrepublik veröffentlichen. Vorwiegend betreibt sie jedoch in enger Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt die politische Öffentlichkeitsarbeit im
324 s. Satz 1 der Vorbemerkung im Haushaltsplan zu Kapitel 0403 sowie § 81 Ziff. 1 GGO I, wiedergegeben oben bei II.l. 325 s. dazu auch unten 6. Teil, 3. Kapitel zu V.2. 326 s. dazu sogleich im 3. Kapitel zu II.l.
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Ausland. Zu diesem Zweck unterhält sie ein vielsprachiges Angebot an Druckschriften und audio-visuellen Medien. Ihr obliegt zudem die Betreuung der in der Bundesrepublik tätigen ausländischen Korrespondenten und Presseattachés der diplomatischen Vertretungen, die Einladung und Betreuung ausländischer Multiplikatoren sowie die Unterstützung der Pressestellen der deutschen diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen.
I I I . Koordinierung der Außeninformation der Bundesregierung Trotz der Zuordnung zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers ist der Aufgabenbereich des Bundespresseamtes unzweifelhaft auf die Tätigkeit der gesamten Bundesregierung bezogen, wie sich schon aus seiner Bezeichnung sowie aus § 81 Abs. 2 GGO I ergibt. Daß die GGO als Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien — anders als die Geschäftsordnung der Bundesregierung — keinen Rechtssatzcharakter besitzt, sondern als allgemeine Verwaltungsvorschrift nur den Dienstbetrieb in und unter den Ministerien regelt 327 , ändert an der Verbindlichkeit dieser AufgabenzuWeisung bis zu ihrer Korrektur durch den Bundeskanzler oder das Bundeskabinett nichts. Es liegt daher einerseits nahe, die Tätigkeit des BPA wie die des Bundeskanzleramtes in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Leitung der Bundesregierung und der besonderen Richtlinienkompetenz des Regierungschefs zu sehen328. Die Abgrenzung des Aufgabenbereichs des BPA von demjenigen der Ressortpressestellen entspricht also nach Art. 65 Satz 2 GG i. V. m. § 81 Abs. 2 Satz 2 GGO I der Abgrenzung zwischen der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers 329 und der Eigenverantwortlichkeit der Minister 330 . Unter dem Gesichtspunkt der Kabinettssolidarität sowie nach Maßgabe des § 12 GOBReg kann zwar der Bundeskanzler verlangen, daß Äußerungen eines Bundesministers, die in der Öffentlichkeit erfolgen oder für die Öffentlichkeit bestimmt sind, mit seinen Richtlinien der Politik übereinstimmen 331. Dem Bundespresseamt fehlt jedoch jegliche „Richtlinienkompetenz in Sachen Öffentlichkeitsarbeit". Die Bestimmungen des §81 Abs. 4 bis 6 der GGO I, die das Zusammenwirken des Amtes mit den Bundesministerien regeln, gehen vielmehr von der organisatorischen Gleichrangigkeit des Amtes und der Ministerien aus 332 . In der Praxis sah und sieht die 327 Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 307 m. Nachw. in FN 195 328 s. Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 199 f.; Walker, S. 165; ebenso Hennis, Zur Kunst des Regierens, S. 292; a. A. Otto E. Kempen, Grundgesetz, S. 51. 329 S. dazu Achterberg, Handbuch Staatsrecht II, § 52 Rdnrn. 15 ff. 330 Sänger, S. 131; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 151. 331 S. Kröger, S.41. 332 s. auch das Gutachten des Beauftragten der Bundesregierung für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, 1966, S. 13 — n. v.; vgl. auch Ellwein, S. 315, der die Funktion des BPA gegenüber den Pressestellen der Ressorts vergleicht mit derjenigen des Bundeskanzleramtes gegenüber den Ministerien.
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Erfüllung dieses Koordinierungsauftrages indessen noch anders aus: Bereits die Vorläufer-Fassung der GGO I von 1951 war ungeeignet, die Ministerien in ein informationspolitisches Korsett zu zwingen 333 . Der bislang einmalige Versuch, diesem Umstand abzuhelfen, war sogleich Anlaß für die Ressorts, sich gegen eine „Oberaufsicht" des BPA in Verlautbarungsangelegenheiten massiv zur Wehr zu setzen. Der maßgebliche Passus lautete in seiner ursprünglich geplanten Fassung: „Die Ministerien unterrichten das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung rechtzeitig über alle Absichten und Maßnahmen, die Anlaß zu Erörterungen in der Öffentlichkeit geben könnten" 334 . Um eine „nachgeordnete Dienststelle", die „selbst keine Ressortbefugnisse hat", als „Zensurbehörde der Ministerien"335 zu verhüten, setzten die Ressorts schließlich die weiche Formel des § 81 Abs. 5 GGO I durch, der den Ressorts nunmehr lediglich auferlegt, das Bundespresseamt „sobald und soweit wie möglich" zu unterrichten. Die Tatsache, daß die Koordinierungsregel in Ziff. 1 f) des Organisationserlasses von 1977 nicht in die GGO I aufgenommen wurde, zeigt, daß die Vorbehalte innerhalb der Bundesregierung als Gesamtorgan gegen eine Kompetenzerweiterung bzw. -klarstellung fortbestehen 336. Aus diesen Kompetenzregelungen wird deutlich, daß dem Amt keine „Richtlinienkompetenz" für die Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Bundesminister zukommt, sondern lediglich eine — zudem eingeschränkte — Koordinierungsfunktion im Rahmen seiner umfassenden Zuständigkeit für die gesamte regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit 337. Diesem Koordinierungsauftrag entspricht es auch, daß dem „Bundespressechef 4 in § 23 Abs. 1 GO BReg die grundsätzliche Teilnahme an den Kabinettsitzungen — ungeachtet seines derzeitigen Status als Kabinettsmitglied — zugebilligt ist. Rückschlüsse auf eine etwaige Sonderstellung des BPA als Behörde sind daraus nicht herzuleiten. Es gibt keine institutionalisierten Koordinierungsmittel mit Ausnahme der unter Beteiligung des Regierungssprechers stattfindenden „Lage", der morgendlichen Arbeitsbesprechung mit der Leitungsebene des Kanzleramtes, bei der die Substanz der Regierungsgeschäfte mit der Öffentlichkeitsarbeit in Einklang gebracht werden kann 338 , des vom BPA gehaltenen Vorsitzes in der Koordinierungs333 Der Beauftragte der Bundesregierung für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung stellte in seinem Gutachten von 1952 (S. 7) fest: „Nach meinen Beobachtungen werden aber die Richtlinien der GGO nicht immer mit der notwendigen Sorgfalt beachtet. . . . Es bedarf großer Selbstdisziplin der Pressereferenten in den Ministerien und ständiger Selbstkontrolle, um die ihnen gezogenen Grenzen nicht zu überschreiten" (zitiert nach Walker, S. 119 zu FN 146). 334 Die Formulierung wird von Walker anhand mehrerer übereinstimmenden Presseberichte widergegeben, S. 120. 335 PPP-Meldungsdienst vom 6.2.1957, S. 5, zitiert nach Walker, S. 121 zu FN 154. 336 Vgl. dazu Walker, S. 121 f. 337 Otto E. Kempen, Grundgesetz, S. 51. 338 Vgl. König, Der Staat 28 (1989), 49 (59).
3. Kap.: Erscheinungsformen
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runde der Pressereferenten der Ressorts 339, der „Konferenzschaltung" mit den Pressesprechern vor den Regierungspressekonferenzen 340 sowie — cum grano salis — die Einrichtung des „Sprechzettels für den Regierungssprecher", der seit einer entsprechenden Weisung des Chefs des Bundeskanzleramtes im Jahre 1970 von den Ressorts zu entwerfen und dem Bundespresseamt mit den Kabinettsvorlagen zu deren Erläuterung vorzulegen ist. Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet nach § 9 GOB Reg das Bundeskabinett. Bei der Informationsbeschaffung von anderen Dienststellen ist das Bundespresseamt auf die Gewährung von Amtshilfe nach Art. 35 GG angewiesen341. Eine Bändigung der durch das deutsche Kabinettsystem bedingten zentrifugalen Kräfte der Ressorts3^2 ist damit freilich nicht zu bewerkstelligen 343. Selbst öffentlich ausgetragene Meinungsunterschiede und Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der Regierung resultieren also aus dem verfassungsrechtlich beabsichtigten Nebeneinander von Kanzlerprinzip, Ressortprinzip und Kabinettsprinzip. Hierdurch werden einer homogenen Außenkommunikation zwangsläufig Grenzen gesetzt, aber auch eine künstlich erzeugte, und damit letztlich unwirkliche, Übereinstimmung vermieden 344 .
3. Kapitel
Die Erscheinungsformen regierungsamtlicher Informationsmaßnahmen in der gegenwärtigen Praxis Bevor die Frage nach der Zulässigkeit und dem Gebot regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie ihren Grenzen beantwortet werden kann, gilt es ihre Erscheinungsformen in der Praxis aufzuzeigen 345. Dabei ist zu berücksichtigen, daß seit einigen Jahren die Kommunikation immer häufiger im Wege längerfristiger, multimedialer Aktivitäten betrieben wird, die in der Regel nach einer Analyse 339 s. den Beschluß des Bundeskabinetts vom 15.2.1978 zur Konzeption der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in der 8. Legislaturperiode, Ziff. 3, abgedruckt bei Walker, Anhang 2, S. 400 (402); vgl. dazu generell auch Walker, S. 175 f. 340 Es handelt sich dabei um eine fernmündliche Abstimmung der Inhalte; vgl. dazu Walker, S. 172 ff.; Köhler, S. 246; Kordes / Pollmann, S. 81. 341 Sänger, S. 69. 342 Vgl. Hüttl, DVB1 1970, 66. 343 Auch die 1978 eingeführte überressortliche Kommunikationsplanung hat sich nicht durchhalten lassen, s. auch Hennis, Richtlinienkompetenz und Regierungstechnik, S. 26; Walker, S. 122. 344 Vgl. die allerdings zu weit gehende Kritik an einer zwanghaften Informationsharmonisierung von Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 (2708): „propagandistische Bewußtseins Verwaltung". 345 Die Schwierigkeiten einer empirischen Erfasssung regierungsspezifischer Kommunikationsformen zeigen sich an dem Versuch Gramms, Der Staat 30 (1991), 51 (55 ff.)
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des als veränderungsbedürftig angesehenen gesellschaftlichen Tatbestandes im Verbund einer zieldefinierten Kampagne zusammengefaßt werden 346 . Nach dem Kommunikationsschema sind zu unterscheiden: — die Informationskampagne, die auf eine Wissenserweiterung bei der Zielgruppe hinwirken soll (AIDS-Aufklärung, Unterrichtung über die Steuerreform, Gesundheitsreform etc.); — die Werte- und Einstellungskampagne, die auf die Veränderung bestehender und die Schaffung neuer Einstellungen gerichtet ist (Informationen zur Familienpolitik, Umweltpolitik etc.); — die Verhaltenskampagne, gerichtet auf die Neubildung von Verhaltensweisen (Teilnahme an der Volkszählung, Katalysatorwerbung, Verbraucherberatung etc.). Trotz ihres nicht selten konzertierten Wirkens läßt sich regierungsamtliche Kommunikation wie folgt unterscheiden.
I. Differenzierung nach dem Kommunikationsinhalt Äußerungen der Regierung, auch wenn sie in aller Regel komplexer Art sind, können in folgende Bestandteile zerlegt werden 347 :
1. Tatsacheninformation Tatsacheninformationen sind Wissenserklärungen der Regierung, mit denen diese über die eigene Tätigkeit, den eigenen Kenntnisstand oder über objektive Tatsachen und Rechtslagen Auskunft gibt. Sie können an den Kriterien „wahr" oder „falsch" gemessen werden 348 . Tatsacheninformationen machen den Kern der „herkömmlichen" Öffentlichkeitsarbeit, nämlich die „Darstellung und Erläuterung" der Regierungspolitik, aus. Durch sie kann der Bürger aber auch motivationsgelenkt und zu einem bestimmten Verhalten veranlaßt werden, etwa durch die Mitteilung über gesundheitsschädliche Schadstoffkonzentrationen in Nahrungsmitteln.
346 S. dazu grundlegend von Roehl, passim; Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (60). 347 Die gleichen Differenzierungen finden sich etwa bei Ossenbühl, Umweltpflege, S. 58 f.; Dolde, S. 7 f.; Kirchhof, Handbuch Staatsrecht III, § 59 Rdnr. 177 ff.; Gröschner, DVB1. 1990, 619 (622); s. auch Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (52). 348 Vgl. Palandt/Thomas, BGB, Anm. 2 zu § 824 BGB; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 58; Wenzel, NJW 1968, 2353 (2355); Merten, DÖV 1990, 761 (762); OVG Münster, DÖV 1985, 285.
3. Kap.: Erscheinungsformen
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2. Bewertung Mit der Bewertung von Tatsachen oder Rechtslagen begibt sich die Regierung in den Bereich der Meinungsäußerung bzw. des Werturteils 349 . Sie bringt dabei ihre Überzeugungen zum Ausdruck oder teilt die Schlußfolgerung mit, die sie aus eigenem Wissen oder durch die Einschätzung eines bestimmten Sachverhalts zieht. Bewertungen können an den Kriterien der Sachkunde, Objektivität, Neutralität und Vertretbarkeit gemessen werden 350 , es sei denn, sie erfolgten im Rahmen der politischen Auseinandersetzung 351.
3. Empfehlungen, Appelle, Warnungen Auf der Grundlage von Tatsacheninformationen und ihrer Bewertung will die Regierung oftmals auf die Bürger einwirken und sie zu einem bestimmten Verhalten veranlassen. Derartige verhaltensbestimmende Erklärungen der Regierung verlassen die Ebene des Publizitätswirkens und der Konsensbildung. Es handelt sich vielmehr um Mittel der Staatsleitung oder solche zur Erfüllung konkreter Verwaltungsaufgaben 352. Je nach Anlaß, Formulierung und Zielrichtung weist ihre Einwirkung unterschiedliche Intensität auf 353 : Die grundsätzlich schwächere Ingerenzform ist die der Verhaltensempfehlung. Je genereller sie erfolgt, desto näher steht sie der Information oder Aufklärung. In der Wirkung einer Warnung gleichstehend kann dagegen eine konkrete Empfehlung auf der Grundlage eines Gefahrentatbestandes sein. Die Empfehlung, auf den Genuß eines gesundheitsgefährdenden Nahrungsmittels zu verzichten, ist nur in der Semantik, nicht im Effekt von der Warnung vor diesem Produkt zu unterscheiden 354. Warnungen ergehen in der Regel bei konkreten Gefahrenlagen, so etwa nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahre 1986. Empfehlungen, Appelle und Warnungen sind insbesondere auf dem Gebiet des Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzes zum selbstverständlichen Mittel staatlicher Einflußnahme und Steuerung geworden 355 . Im Unterschied zu Warnungen vor Seuchen und Naturkatastrophen können aber Warnungen vor konkreten Produkten die Grundfreiheiten der Hersteller und Vertreiber tangieren 356 .
349
Ossenbühl, Umweltpflege, S. 58; zu der Frage, ob die Regierung eine Befugnis zur Meinungsäußerung hat, s. unten 3. Teil, 1. Kapitel zu I. 350 Vgl. BGHZ 65, 325 (334 f.); BGH NJW 1987, 2222 (2223). 351 Vgl. BVerwG, NJW 1984, 2591. 352 Zu dieser Differenzierung s. unten 6. Teil, 2. Kapitel zu I.2.c) und II. 353 Zu einer solchen Intensitätsskala s. auch Gröschner, DVB1. 1990, 619 (621). 354 s. dazu auch unten 6. Teil, 1. Kapitel zu III.4. 355 s. dazu ausführlich unten 6. Teil, 2. Kapitel. 356 s. dazu im einzelnen unten 6. Teil, 2. Kapitel zu I.
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I I . Differenzierung nach dem Kommunikationsmittel 1. Die unmittelbare bezahlte Öffentlichkeitsarbeit a) Broschüren und andere Druckschriften Der Schwerpunkt der bezahlten Öffentlichkeitsarbeit liegt entsprechend der bisherigen Tradition politischer Kommunikation derzeit noch im Printbereich, da sich die Bundesregierung zum einen an der Erreichbarkeit der Medien 357 , an der noch dominanten Kulturtechnik des Lesens und an der leichter organisierbaren und kontrollierbaren Distribution orientiert. Sie gibt daher durch die Fachministerien und das Bundespresseamt im jeweiligen Zuständigkeitsbereich eine Vielzahl periodischer und nichtperiodischer Publikationen heraus 358. Diese Tätigkeit erfaßt den grundsätzlichen Problembereich staatlicher Eigenpublikationen, der an späterer Stelle behandelt wird 3 5 9 . Es handelt sich dabei im wesentlichen um folgende Kategorien: — Informationsbroschüren und Ratgeber: Sie treffen auf das weitaus größte Interesse beim Bürger, was auch die Auflagenstärken ausweisen360, — Dokumentationen (Berichte, Redetexte, Gesetzestexte)361,
357 Zur Nutzung der elekronischen Medien s. unten 3. Teil, 2. Kapitel zu II. sowie 6. Teil, 3. Kapitel zu V.2. 358 Eine Übersicht über die im Jahre 1989 herausgegebenen Druckschriften liefert die Antwort der Bundesregierung vom 5.6.1990 auf eine Kleine parlamentarische Anfrage der SPD, BT-Drucks. 11 / 7332, S. 7 ff. (Anlage zu Frage 1). Die Zahl der veröffentlichten Publikationen stieg von 68 im Jahre 1989 auf 96 in Jahre 1990, der Gesamtabsatz stieg zugleich um nahezu 100% auf rd. 30 Millionen Exemplare (Presseerklärung des BPA vom 12.2.1991). 359 Vgl. unten 6. Teil, 3. Kapitel zu V.l. 360 Exemplarische Auflagenstärken im Jahre 1989: Mietrecht (BPA) = 460.000; Wohngeld (BPA) = 500.000; Politik für Frauen (BPA) = 200.000; Steuerreform (BPA) = 900.000; Ehe- und Familienrecht (BMJ) = 100.000; Erben und Vererben (BMJ) = 155.000; Unsere Steuern von Α — Ζ (BMF) = 134.000; Leitfaden für Behinderte (BMA) = 290.000; Rentenreform (BMA) = 433.000; Gesundheitsreform (BMA) = 3 Mio; Tiefflug (BMVg) = 4,3 Mio; Sozialhilfe (BMJFFG) = 600.000; Erziehungsgeld / Erziehungsurlaub = 550.000; die auflagenstärkste Publikation des Jahres 1990 war ein „Extrablatt" zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit 7,5 Millionen Exemplaren, eine erläuternde Broschüre zum Einigungsvertrag erreichte 1990 immerhin eine Auflage von 516.000 Exemplaren (Presseerklärung des BPA vom 12.2.1991). 361 Exemplarische Auflagenstärken im Jahre 1989: BPA: Regierungserklärungen = 60.000 bzw. 90.000; Bericht zur Lage der Nation = 117.000; Reden des Bundeskanzlers = 52.000 bzw. 59.000; Dokumentationen zu Staatsbesuchen der Präsidenten der USA und der UdSSR = 51.000 bzw. 55.000; Jahresbericht der Bundesregierung 1988 = 20.000; Jahresabrüstungsbericht 1988 = 48.000; BMF: Haushaltsrede = 50.000; Bundesfinanzplan 1989-1993 = 300; BMA: Sozialgesetzbuch = 30.000; Arbeitsförderungsgesetz = 81.000; Mitbestimmung = 77.000; Gesundheitsreform = 21.000; eine Dokumentation zum Staatsvertrag mit der DDR erreichte 1990 eine Auflage von 630.000 Exemplaren.
3. Kap.: Erscheinungsformen
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— Gutachten und Forschungsberichte. Zahlreiche Wissenschaftsbereiche befassen sich mit staatlichen Untersuchungsaufträgen, auf deren Dokumentation die Regierung Wert legt. Dabei handelt es sich jedoch meist nur um Kleinstauflagen für einen beschränkten Interessentenkreis 362. — Handbücher 363. Vor allem der Bundesjustizminister veröffentlicht zuweilen juristische Handbücher, die als Beilage zum Bundesanzeiger, einem amtlichen Bekanntmachungsorgan der Bundesregierung, an dessen Abonnenten vertrieben werden, so ζ. B. 1982 eine Sammlung von Mietrechtsentscheidungen. Die eigenverlegerische Tätigkeit der Bundesregierung in der Zeit von 19491979 ist im Auftrag des Deutschen Buchhandels vom Zentrum für Kulturforschung in Bonn untersucht worden 364 . Danach wurden in der Zeit von 19751979 63 Prozent aller Buchpublikationen mit einem Umfang über 50 Seiten als Eigenpublikation herausgegeben. Die Publikationspolitik ist allerdings nicht einheitlich. Während das Bundespresseamt im Untersuchungszeitraum über 80 Prozent seiner Schriften als Eigenpublikationen herausgab, wickelten andere Ressorts wie BMF, BMJ, BMA, BMI, BMJFG ihre Publikationen mehrheitlich über Verlage ab. Der Broschürenanteil lag seinerzeit bei rd. 30 Prozent, der Anteil der Bücher mit über 100 Seiten überwog mit 41 Prozent. Bei der Mehrzahl der Erstauflagen betrug die Auflagenhöhe über 10.000, bei einem beträchtlichen Teil über 100.000 Stück. Daneben nehmen periodische Druckschriften einen breiten Raum ein 3 6 5 . Es handelt sich dabei um anzeigenfreie Druckwerke, die sich in redaktioneller Aufbe362
Auflagenstärken in 1989: BPA: Dokumentation über das 6. Wissenschaftliche Gespräch 1988 = 880; BMF = Jahresgutachten des Sachverständigenrates = 50; 363 Auflagenstärken in 1989: BPA: Bonner Almanach 1989 / 90 = 248.000; Die Bundesregierung. Volkshandbuch 1989 = 60.000 (Ankauf). 3 S . dazu den Kurzbericht von Fohrbeck / Wiesand, S. 12 ff. 3 65 Z. Zt. gehören hierzu auf der Ebene der Bundesregierung die im Inland vertriebenen Periodika des Bundespresseamtes „aus Bonn" (12 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von je 47 000 Stück), „Politik — Informationen aus Bonn" (8 Ausgaben in einer Auflagenhöhe zwischen 190.000 und 208.000 Stück) sowie das nahezu täglich erscheinende „Bulletin", eine Dokumentation aktueller Reden, Erklärungen, Kommuniqués ohne redaktionelle Aufbereitung (Auflage 25.000); die Zeitschriften „Innenpolitik" und „Innere Sicherheit" des BMI (5 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von 50.800 bzw. 17.600 Stück); die Zeitschrift „recht" des BMJ (12 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von jeweils 9750 Stück); die Zeitschriften „Umwelt (12 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von 7300 Stück) und „Wir und unsere Umwelt" (3 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von 750.000 Stück) des BMU; die „Verkehrsnachrichten" des BMV (12 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von 9000 Stück); der „Mittler-Brief und die „Europäische Wehrkunde" des BMVg (3 bzw. 12 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von 40.000/ 1750 Stück); der „Verbraucherschutz-Report" des BMJFFG (12 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von 1300 Stück); das „BMFT-Journal" (5 Ausgaben in einer Auflagenhöhe von je 60.000 Stück) — die Angaben beziehen sich auf das Jahr 1989; s. auch die im Anhang Teil 2 abgedruckten Beispiele. Zur Zulässigkeit staatlicher Eigenpublikationen s. unten 6. Teil, 3. Kapitel zu V.l.a).
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reitung mit der Darstellung aktueller politischer Themen befassen, mitunter aber auch zu gesellschaftsrelevanten Sachgebieten Position beziehen. Das Impressum weist entweder das Bundespresseamt oder ein Fachministerium als verantwortlichen Herausgeber aus. b) Beteiligung an Publikationen Dritter Veröffentlichungen, die zur Erläuterung der Regierungspolitik geeignet sind, werden zuweilen in mehr oder weniger großer Stückzahl von der Bundesregierung zum eigenen Vertrieb erworben. Im Jahre 1989 kaufte das Bundespresseamt insgesamt 13 Publikationen mit über 1 Million Exemplaren zu Kosten von 1,125 Millionen D M an. Das Ankaufvolumen der Ministerien war eher gering 366 . Meist handelt es sich dabei um die kostengünstigste Realisierung einer beabsichtigten Maßnahme 367 . Zuweilen bietet der Verlag auch eine spezielle Vertriebslogistik an, so ζ. B. im Schulbereich, in dem aufgrund der Kulturhoheit der Länder ein unmittelbares Tätig werden des Bundes nicht möglich ist. Dabei handelt es sich entweder um fertige Konzeptionen oder aber auch um solche, bei denen im Wege der Koproduktion der Bundesregierung ein Mitspracherecht bei der Konzeptionierung eingeräumt wird. Der Verlag begibt sich im zweiten Fall im Rahmen der Privatautonomie in eine gewisse Abhängigkeit von der Abnahme durch die Regierung. Er entscheidet gleichwohl in eigener Verantwortung über Inhalt und Form 368 . c) Informations- und Pressedienste Bundesministerien 369 wie Bundespresseamt sind Herausgeber einer Vielzahl von Diensten. Es handelt sich hierbei um das Standardwerkzeug der Presseerklärung, die teils, wie im BMWi, auch in „Tagesnachrichten" zusammengefaßt 366 Allein das BMVg erwarb diverse Verlagsveröffentlichungen zu sicherheitspolitischen Themen in einer Auflage zwischen 30.000 und 170.000 Exemplaren. 367 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine pari. Anfrage, BT-Drucks. 10/ 6541. So wurden im Jahre 1984 mit einem Gesamtkostenaufwand von rd. 3 Mio DM von insgesamt 45 periodisch erscheinenden Publikationen einschließlich Pressediensten entweder Exemplare angekauft oder Vergütungen für vertraglich vereinbarte Leistungen gezahlt, vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine pari. Anfrage, BT-Drucks. 10/ 2673. 368 Inhalt und Umfang der Vertragsbeziehungen zu Dritten werden von der Bundesregierung aus Gründen des vertraglichen Vertrauensschutzes, des Datenschutzes und der Vorschriften der VOL nicht bekanntgegeben, können daher auch hier weder dargestellt noch untersucht werden. Daß die Bundesregierung Kooperationen mit privaten Unternehmen für zulässig und im Einzelfall für erwünscht hält, hat sie in ihrer Anwort vom 5.6.1990 auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage zum Ausdruck gebracht, BT-Drucks. 11 /7332, S. 4 f. zu Frage 7, 8. Hier erwähnt die Regierung auch Projekte, bei denen der Produzent einen Teil der Herstellungskosten übernommen hat. 369 Veröffentlichungen nachgeordneter Behörden wie etwa der Bundeszentrale für politische Bildung seien hier ausgeklammert.
3. Kap.: Erscheinungsformen
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werden 370 , teils auch um Pressespiegel 371 und Dokumentationen mit teilweise eigenen redaktionellen Beiträgen 372 . d) Materndienste Einen Grenzbereich der „Public Relations" zum Marketing stellen vorgefertigte Druckvorlagen dar, die die Regierung über hierauf spezialisierte Verlage bzw. Agenturen, sogenannte presseredaktionelle Hilfsunternehmen nach § 7 Abs. 2 LPG, herstellen und vertreiben läßt. Sie profitieren von Zeitnot und „Staatsferne" der Lokalredakteure, vor allem bei sogenannten Anzeigenblättern, denen sie mit Bildern oder Grafiken versehene, bereits als druckfähige Fotofolie gefertigte Artikel zum Abdruck anbieten. Abdrucke in Millionenauflagen sind keine Seltenheit. Die Zeitung erhält für die Veröffentlichung kein Honorar und entscheidet selbst, ob sie die Vorlage übernehmen will. Es erfolgt in aller Regel keine Kennzeichnung des Beitrags, so daß für den unbefangenen Leser nicht erkennbar wird, daß es sich um eine derivative Medienaussage der Regierung handelt 373 .
e) Anzeigen, Beilagen, Beihefter Eine in ihrer Wirksamkeit umstrittene Form bezahlter Öffentlichkeitsarbeit stellt der Erwerb von Anzeigenraum in Tages- und Wochenzeitungen, Publikumszeitschriften sowie der Fachpresse dar. Dieser Weg eröffnet ein Forum auch in den weniger regierungsfreundlichen Medien, da die Anzeigenaquisition in aller Regel von der Chefredaktion unabhängig ist. Auch Anzeigen in den Mitgliederzeitschriften der Parteien sind nicht ungewöhnlich 374 . Insgesamt verausgabte die Bundesregierung für Anzeigen, einschließlich Beilagen und Beihefter, im Jahre 1989 rd. 27,6 Millionen DM, davon allein 16,4 Millionen D M für eine Kampagne des Bundesarbeitsministeriums zur Gesundheitsreform 375. 370 s. dazu im Anhang Teil 2 H. 371 So etwa die wöchentlichen Pressespiegel des BMJ und BMVg. Die Nachrichtenspiegel und Kommentarübersichten des Bundespresseamtes gehören nicht zur Öffentlichkeitsarbeit, sondern dienen dem dienstlichen Gebrauch als Basismaterial über die Nachrichtenlage des Tages. 372 ζ . B. im Geschäftsbereich des Bundespresseamtes: das Bulletin der Bundesregierung (werktägliche Erscheinung, Aufl. 25.000), „Aktuelle Beiträge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik" (rd. 100 Ausgaben jährlich, Aufl. 2000), „Sozialpolitische Umschau" (wöchentlich, Aufl. rd. 7000), „Informationen für Werkredakteure" (monatlich, Aufl. rd. 650), „Stichworte zur Sicherheitspolitik" (monatlich, Aufl. 3000). 373 Zu der damit verbundenen presserechtlichen Problematik s. unten 6. Teil, 3. Kapitel zu VI. 374 s. etwa die Antwort der Bundesregierung vom 5.6.1990 auf eine parlamentarische Anfrage, BT-Drucks. 11 /7332, S. 35 (Anlage zu Frage 2). 375 Wie vor, S. 35 ff. (Anlage zu Frage 2).
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f) „Redaktionelle" Anzeigen und Beilagen Mitunter findet man eine Form des Erwerbs von Printmedienraum, die nicht für jeden Leser auf den ersten Blick als regierungsamtliche Aussage zu erkennen ist, weil sie in ihrer Gestaltung dem redaktionellen Umfeld angepaßt wird und einen auf die jeweilige Leserschaft zugeschnittenen Beitrag enthält 376 . Ihre Zulässigkeit hängt davon ab, ob der Beitrag in noch hinreichender Weise erkennen läßt, daß es sich um eine Regierungsinformation handelt. Anderenfalls würde die Regierung mit dem von ihr gestalteten Anzeigenraum auf den redaktionellen Teil des Mediums Einfluß nehmen, dem die Regierungsaussage zugerechnet würde 377 . g) Plakate Aus den bundesweiten Informationskampagnen kaum mehr hinwegzudenken ist seit einigen Jahren die Plakatierung — teils auf Ballungszentren beschränkt, teils aber auch über das ganze Staatsgebiet bis in entlegene Regionen erstreckt. Sie wird kommerziell in Auftrag gegeben, da Anmietung und Beklebung der Werbeflächen verläßlich nur über Agenturen bewerkstelligt werden kann. In ihrer Eigenschaft als Blickfänger sind großflächige Plakate, die ein Format bis zu 3,6 mal 2,6 Meter erreichen, stets reklamehaft aufgemacht, ihr Informationsgehalt ist vergleichsweise gering. Die Kosten sind beträchtlich 378 , so daß dieses Medium nur bei besonderen Anlässen zum Einsatz kommt und am ehesten dem Vorwurf der UnWirtschaftlichkeit ausgesetzt ist 3 7 9 . h) Direktwerbung Hierzu zählen vor allem Postwurfsendungen und Telefonrechnungsbeilagen — Medien, die das Bundespresseamt u. a. nutzte, um bei der Volkszählung die Gesamtbevölkerung entsprechend den Vorgaben des BVerfG und des Gesetzgebers 380 zu erreichen. Wegen des hohen Kostenaufwands — eine Aussendung an alle bundesdeutschen Haushalte kostete 1987 über 5 Millionen D M — sind auch solche Maßnahmen vergleichsweise selten. In rechtlicher Hinsicht stellt sich hier das Problem der dem Empfänger gegen seinen Willen aufgedrängten Information 381 . 376
S. dazu die im Anhang Teil 3 D und E abgedruckten Beispiele einer mehrseitigen Beilage des BPA zur BILD-Zeitung und einer Illustrierten-Anzeige des BMA. 377 Vgl. Jarass, Freiheit der Massenmedien, S. 77 f., 272; s. dazu unten 6. Teil, 3. Kapitel zu VI. 378 Sie betrugen bspw. für eine Plakataktion zur Öffnung der Berliner Mauer in der Zeit vom 15.12.1989 bis zum 29.1.1990 rd. 2 Millionen DM. 37 9 S. dazu unten 6. Teil, 3. Kapitel zu IV. 3 80 S. dazu oben 1. Teil, 1. Kapitel zu IV.
3. Kap.: Erscheinungsformen
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i) Elektronische Medien Hörfunk- und TV-Spots außerhalb des Verlautbarungsrechts 382 gehören inzwischen ebenso wie Btx zu den Standardmedien der Regierung 383 . Allerdings üben die Anstalten bislang eine starke Zurückhaltung in der Bereitschaft zur Ausstrahlung. Nach den Statuten der öffentlich-rechtlichen Anstalten kann die Regierung nicht auf dem normalen Weg Sendezeit erwerben, da das Werbeprogramm ausschließlich der Wirtschafts Werbung vorbehalten ist 3 8 4 . Diese Problematik stellt sich dagegen bei den privaten Anstalten nicht, die gegen entsprechendes Honorar zur Ausstrahlung amtlicher Spots bereit sind.
j) Mobile Maßnahmen Seitdem die Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 2. März 1977 die Bundesregierung dazu anhielt, nach neuen Vertriebswegen zu suchen, beteiligt sie sich in verstärktem Maße auch an Verbraucherausstellungen und Publikumsmessen mit Informationsständen. Zum Einsatz gelangen in jüngerer Zeit auch Infomobile als dezentrale Informationsstellen. Von rollenden Werbeträgern hat die Bundesregierung erstmals Ende 1989 zur Unterrichtung der Besucher aus der damaligen DDR Gebrauch gemacht. Dabei ist die straßenrechtliche Genehmigungspflichtigkeit zu beachten385. Diese Maßnahmen zeichnen sich dadurch aus, daß sie keinerlei Zwangskontakt herstellen und somit die wohl ideale Form der Angebotsinformation darstellen. k) Die Vertriebsorganisation Unterstellt man mit Leonardy, daß die damalige, mangels eines funktionstüchtigen regierungseigenen Vertriebsapparates beinahe zwangsläufige massive Inanspruchnahme der Vertriebswege der Parteien die hauptsächliche Provokation darstellte, die schließlich zum Organstreitverfahren und zum Urteil des BVerfG vom 2. März 1977 führte 386 , so wird deutlich, welcher Wandel der Distributionslogistik mit der Versperrung dieses Verteilers notwendig wurde. Seit 1977 wurden die Verteiler der privatrechtlich organisierten „Deutschen Reportagefilm GmbH", deren Geschäftsanteile der Bund hält, konsequent ausgebaut. Heute kann die „Bringschuld" der Information gegenüber den Bürgern durch ein standardisiertes 381 S. dazu unten 6. Teil, 3. Kapitel zu VII. 382 Zum Verlautbarungsrecht unten 3. Teil, 2. Kapitel zu II. 383 Zur Nutzung elektronischer Medien s. ausführlich unten 6. Teil, 3. Kapitel zu V.2. 384 s. etwa § 7 Abs. 1 der Richtlinien für die Werbesendungen des ZDF i. d. F. vom 17.3.1989, abgedruckt bei Ring, Medienrecht, C-IV.3.4. 385 Vgl. dazu etwa Walther, Wahlkampfrecht, S. 105 ff., 114 ff. 386 Vgl. dazu Leonardy, ZParl 1978, 23 (29)
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Vertriebssystem weitgehend erfüllt werden 387 — ohne daß es der Schaffung der von Leonardy vorgeschlagenen „staatlichen Informationsläden" nach britischem Vorbild 3 8 8 bedurfte. Auch die Parteien erhalten auf Anforderung amtliche Publikationen, wenn sie sich verpflichten, das Material nur zur Unterrichtung ihrer Mitglieder oder außerhalb der Vorwahlzeit zur sachthemenbezogenen Information neben anderen Materialien einzusetzen389. Naturgemäß übersteigt das Interesse der Regierungsparteien das der Oppositionsparteien bei weitem 390 .
2. Die unmittelbare unbezahlte Öffentlichkeitsarbeit Der direkte — und zumindest in den öffentlich-rechtlichen Anstalten kostenfreie — Weg für eine an die Gesamtbevölkerung gerichtete Information führt über das Verlautbarungsrecht, von dem bis heute jedoch nur sehr restriktiv Gebrauch gemacht wird 3 9 1 . Über das Verlautbarungsrecht hinaus ist seitens der öffentlich-rechtlichen Anstalten nur in besonders gelagerten Einzelfällen Sendezeit zur kostenlosen Ausstrahlung von Regierungsinformationen zur Verfügung gestellt worden, so zum Zwecke der Verbraucherberatung im Bereich des Umweltschutzes. Als einziges politisches Thema wurde 1987 die Volkszählung in zehn Fernsehspots behandelt, die von der Bundesregierung in Abstimmung mit den Anstalten produziert worden waren 392 . Der Öffentlichkeitsarbeit dient schließlich neben jeder öffentlichen Äußerung auch die Abgabe von Erklärungen im Parlament, die die Öffentlichkeit mit Ausnahme der wenigen Parlamentszuhörer allerdings nur durch die Medien, aber nicht selten im Wege der Direktübertragung erreicht. Auch die Parlamentsdebatte dient der Regierung als publizistisches Instrument, da der dortige Meinungsaustausch weniger andere Abgeordnete als die Medienöffentlichkeit beeindrucken und beeinflussen soll 3 9 3 . 387 im Jahr 1990 wurden über den EDV-Verteiler des BPA 1,78 Millionen Periodika vertrieben sowie 0,45 Millionen Publikationen an Multiplikatoren, 2,07 Millionen über Banken und Sparkassen, 1,59 Millionen über Kommunen, 0,98 Millionen über Grenzzollämter und Reisebüros, weitere 2,33 Millionen wurden auf Messeständen verteilt, s. Presseerklärung des BPA vom 12.2.1991, S. 3. 388 wie vor, S. 30 ff. 389 S. die im Anhang Teil 1 C abgedruckte Formularerklärung . 390 s. die Antwort der Bundesregierung vom 5.6.1990 auf eine parlamentarische Anfrage, BT-Drucks. 11 /7332, S. 5 zu Frage 10. 391 S. etwa neben den traditionellen Ansprachen des Bundeskanzlers zum Jahresende seine Fernsehansprachen zur Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR am 31.6.1990 sowie zum Beitritt der DDR am 3.10.1990. Die Frage, ob die Regierung in stärkerem Maße von ihrem Verlautbarungsrecht Gebrauch machen kann, wird unten, 3. Teil, 2. Kapitel zu II., untersucht. 392 s. Herles, S. 123 ff.
3. Kap.: Erscheinungsformen
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3. Die mittelbare bezahlte Öffentlichkeitsarbeit Hierzu zählt insbesondere die Durchführung von Informationsveranstaltungen (ζ. B. Fachtagungen) für Journalisten und Multiplikatoren, die einer ausgesuchten Zielgruppe 394 Hintergrundinformationen über aus der Sicht der Regierung berichtenswerte Themen vermitteln sollen. Im übrigen aber ist die bezahlte Form der mittelbaren Öffentlichkeitsarbeit eher die Ausnahme. Anders verhält es sich freilich mit der unbezahlten Form:
4. Die mittelbare unbezahlte Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit) a) Allgemeine Pressekonferenzen Als wichtiges Instrument 395 zur ständigen Unterrichtung aller in Bonn tätigen Journalisten steht dem Regierungssprecher und den Ressortsprechern das Forum der „Bundespressekonferenz" an drei Tagen in der Woche zu fest terminierten Zeiten zur Verfügung, bei begründeten Anlässen machen auch Bundeskanzler und Bundesminister von der Institution Gebrauch. Veranstalter und Inhaber der Organisationsgewalt ist nicht etwa die Bundesregierung, sondern der „Bundespressekonferenz e. V . " 3 9 6 , ein freiwilliger Zusammenschluß Bonner Korrespondenten, dessen Vereinszweck es nach § 3 der derzeit geltenden Satzung von 1988 ist, „Pressekonferenzen zu veranstalten und seinen Mitgliedern Möglichkeiten einer umfassenden Unterrichtung der Öffentlichkeit zu verschaffen". Die Auskunftgebenden werden als Gäste des Vereins geladen, die Pressekonferenzen demgemäß vom Verein selbst geleitet, der nach der Satzung für die Dauer der Pressekonferenz auch das Hausrecht ausübt (§ 16), zumal der Verein Mieter der Konferenzräume ist. Auf die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises hat die Bundesregierung keinerlei Einfluß. Zugangsberechtigt sind in erster Linie nur die Mitglieder des Vereins. Zum Erwerb der Mitgliedschaft heißt es in § 2 der 393 Vgl. Kirchhof, JZ 1989, 453 (455); Dieterich, S. 85 ff. unter Hinw. auf Leibholz, Gestaltwandel, S. 227; zustimmend Binder, DVB1. 1985, 1112 (1114); kritisch Hett, S. 91 ff.; zum parlamentarischen Redeprivileg der Regierung s. unten 3. Teil, 2. Kapitel zu I. 394 Zum Gleichbehandlungsgebot s. ausführlich unten 5. Teil, 2. Kapitel zu III. 395 Der ehemalige Regierungssprecher Bölling schrieb den Bundespressekonferenzen etwa 30 Prozent seiner informationspolitischen Leistung zu, zitiert nach Köhler, S. 240. 396 in dieser Form findet die Bundespressekonferenz im internationalen Vergleich keine Parallele; s. dazu Köhler, S. 170 ff.; findet dagegen die Pressekonferenz in Amtsräumen der Bundesregierung statt, ist sie auch Veranstalter und übt das Hausrecht aus, ungeachtet, ob ein Journalist die Gesprächsleitung übernimmt; vgl. den von OLG Stuttgart, NJW 1972, 877, entschiedenen Fall einer regelmäßig im baden-württembergischen Staatsministerium stattfindenden Landespressekonferenz; mit einem Zutrittsverbot zu einer in Dienstgebäuden der Regierung stattfindenden Landespressekonferenz beschäftigte sich auch das OVG Bremen, AfP 1990, 74. 8 Schürmann
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Satzung: „Der Verein ist der Zusammenschluß von Bonner Korrespondenten deutscher Staatsangehörigkeit. Bonner Korrespondent ist, wer in Bonn hauptberuflich als angestellter Redakteur oder freier Journalist für Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Wochenzeitschriften, Nachrichtenagenturen, Rundfunk- und Fernsehanstalten tätig ist. Die Tätigkeit muß in ständiger Berichterstattung über die Bundespolitik bestehen. Den in Satz 2 aufgeführten Medien sind diejenigen Presse- und Informationsdienste gleichgestellt, die regelmäßig erscheinen, ausschließlich gegen Entgelt verbreitet werden und deren Inhalt regelmäßig von den in Satz 2 aufgeführten Medien veröffentlicht wird. Gleichgestellt sind auch Korrespondentenbüros, die ihre journalistische Arbeit den in Satz 2 aufgeführten Medien gegen Entgelt zur Verfügung stellen (Abs. 1). Für Korrespondenten, die ausschließlich für deutsche Medien tätig sind, kann in besonderen Fällen auf das Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit verzichtet werden (Abs. 2)". Die derzeit geltende Satzung zieht den Mitgliederkreis deutlich enger als die zuvor geltende Fassung von 1953. Während danach als Mitglied zugelassen werden konnte, wer als politischer oder wirtschaftspolitischer Journalist in Bonn tätig war, muß nunmehr von ihm die Nutzbarmachung der auf einer Bundespressekonferenz gebotenen Information unmittelbar und ständig zu erwarten sein. Das Erfordernis der Entgeltlichkeit bei der Belieferung von Medien durch Korrespondenten soll sicherstellen, daß das Interesse an den Informationen nicht nur formal nachgewiesen wird, womit insbesondere Lobbyisten ausgeschlossen werden sollen 3 9 7 . Die Mitgliederstatistik wies im März 1987 458 ordentliche Mitglieder aus 398 . Der Bundespressekonferenz und ihren Mitgliedern kommt dennoch kein Sonderstatus zu, der zu einer rechtlich abgesicherten Monopolstellung führen könnte 3 9 9 . Um anderen Journalisten, die die o. g. Voraussetzungen nicht erfüllen, die Teilnahme an den Pressekonferenzen gleichwohl nicht unmöglich zu machen, sieht § 2 der Satzung eine erweiterte Teilnehmerzulassung vor: „In Bonn tätige Journalisten, die nicht sämtliche Voraussetzungen über die Mitgliedschaft in 397 Vgl. Köhler, S. 106; dazu, daß auch freiwillige Zusammenschlüsse von Journalisten die Pressefreiheit beeinträchtigen können, wenn durch sie die Gefahr eines auch nur teil weisen Nachrichtenmonopols heraufbeschworen wird, vgl. OLG Stuttgart, NJW 1972, 877 (878) = JZ 1972,490, zum Anspruch eines Journalisten auf Aufnahme in den Verein der baden-württembergischen „Landespressekonferenz e. V.". Das Gericht verlangte nicht wie die herrschende Zivilrechtsprechung (s. RGZ 106, 120; BGHZ 21, 1 (5 f.); 29,344 (347); BGH LM Nr. 3 zu § 38 BGB; BGH NJW 1969,316 (317)) die mißbräuchliche Ausnutzung einer Monopolstellung als Voraussetzung für einen Aufnahmezwang, sondern knüpfte an die Funktionsbedingungen einer freiheitlichen Kommunikation an, s. auch die Urteilsanm. von Kübler, JZ 1972, 492 f.; s. auch OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.5.1979, — 9 U 4/79 —, n. v., und LG Bonn, Urteil vom 19.9.1977 — 9 Ο 68/77 —η. v. 398 Vgl. Köhler, S. 124. 399 Vgl. entsprechend zur baden-württembergischen Landespressekonferenz VG Stuttgart, AfP 1986, 89 (91).
3. Kap.: Erscheinungsformen
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diesem Verein erfüllen, können vom Mitgliedsausschuß als Ständige Gäste zu den Pressekonferenzen zugelassen werden. Die Zulassung kann mit Einschränkungen versehen und jederzeit widerrufen werden (Abs. 3). Für die im Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen kann jeweils ein Pressesprecher der Bundespressekonferenz als außerordentliches Mitglied angehören. Die außerordentlichen Mitglieder haben das Recht, an den Pressekonferenzen als Zuhörer teilzunehmen (Abs. 4)". Auch wenn von dieser Möglichkeit in der Praxis großzügig Gebrauch gemacht wird, ist doch der weite Ermessensspielraum, mit dem der Verein über die Zulassung und ihre Aberkennung entscheiden kann, unübersehbar. Zur Absicherung der Informanten können die Mitteilungen von jenen unter bestimmte Beschränkungen gestellt werden: „unter 1" zu beliebiger Verwendung (Regelfall), „unter 2" zur Verwendung ohne Quelle und ohne Nennung des Auskunftgebenden oder „unter 3" vertraulich. Die Teilnehmer der Konferenz sind kraft Satzungsrecht (§ 17) an diese Einstufung gebunden. Die Routine-Pressekonferenzen finden immer statt, auch wenn — ein seltener Fall — der Regierungssprecher nichts zu berichten hat. Regelmäßig tragen Regierungs- und Ressortsprecher zunächst aktiv ihren aktuellen Lagebericht vor. Zur Darstellung von Kabinettsbeschlüssen kann der Regierungssprecher auf die vom federführenden Ressort verfaßten „Sprechzettel" zurückgreifen, die Bestandteil der Kabinettsvorlage sind, an die er jedoch nicht gebunden ist. Die Vielfalt und Komplexität der vom Kabinett beratenen Tagesordnungspunkte machen es vielmehr in aller Regel erforderlich, die Information zu verdichten und aufzubereiten. Nach der Präsentation der von der Regierung angebotenen Eigeninformation haben die Journalisten auf der Grundlage ihres Auskunftsanspruchs nach § 4 Landespressegesetz N W 4 0 0 die Möglichkeit, sich mit Fragen zu jedweder Thematik an Regierungs- und Ressortsprecher zu wenden 401 . Neben der oben beschriebenen Kompetenzverteilung zwischen dem Bundespresseamt und den Fachressorts in Sachen Öffentlichkeitsarbeit ist vor allem die stets unübersehbare Stoffülle einer Pressekonferenz der Grund dafür, daß dem Regierungssprecher die Pressesprecher der Ministerien und diesen oftmals wiederum Fachbeamte zur Seite stehen402. 400 s. dazu ausführlich unten 5. Teil, 2. Kapitel zu II.l. 401 So wurden im Jahre 1980 über 5000 Fragen an die Regierungsvertreter gestellt, vgl. Walker, S. 191, was freilich weder etwas über die Qualität des Informationsbegehrens noch über die der Information selbst aussagt. Auch wird nicht jeder Journalist seine Frage stets vor der versammelten Zunft kundtun wollen, sondern nutzt seine eigenen Kommunikationswege (Gesprächskreis oder Interview), um zumindest ein Minimum an Exklusivität zu erzielen. 402 Nach empirischen Untersuchungen stellt der Regierungssprecher den Hauptkommunikator der Bundesregierung dar. Der Anteil seiner Äußerungen liegt in ihrer Häufigkeit (ca. 140 Auftritte jährlich) und in ihrem Umfang zwischen fünfzig und sechzig Prozent, die Anteile der Ressortsprecher zwischen vierzehn und dreißig Prozent, die des 8*
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Wie sie Fragen beantwortet, steht im Ermessen der Regierung. Dabei obliegt es dem Geschick ihres Sprechers, den manchmal schmalen Grat zwischen den Informationswünschen der Journalisten und den informationspolitischen Interessen der Bundesregierung erfolgreich zu beschreiten 403. Die große Schwierigkeit, beide Seiten in angemessener Weise zufriedenzustellen, dürfte hauptursächlich sein für die im Durchschnitt mit einer Verweildauer von zweieinhalb bis drei Jahren eher kurze Amtsperiode von Regierungssprechern 404. Eine Input-Output-Analyse aus dem Jahre 1972 hat gezeigt, daß die Bundespressekonferenz trotz des bei Journalisten im übrigen ungeliebten „Gießkannenprinzips" und einer gewissen „Bürokratisierung des Informationsprozesses" 405 durchaus in der Lage ist, den Informationsfluß anzuregen 406. In acht Prozent der Untersuchungsfälle war das Forum als Quelle unmittelbar erkennbar. Eine Analyse der Informationsleistungen der Bundesregierung vor der Bundespressekonferenz ergab, daß rund ein Viertel der untersuchten Artikel einen eindeutigen Bezug zur Quelle auf wies 407 . Köhler zieht aus diesen Erhebungen den wohl zutreffenden Schluß, daß die Regierung durch ihren Auftritt vor der Bundespressekonferenz mitbestimmt, welche Themen auf verbreiterter Basis publizistisch erörtert werden 408 . Eine zeitgleiche Übertragung der Pressekonferenz in das öffentliche Rundfunknetz wird vom Verein in aller Regel nicht zugelassen. Dies gilt auch für die eigenen Ton- und Bildaufzeichnungen der anwesenden Journalisten 409. Grund für diese Einschränkung ist zum einen die Gleichstellung der Vertreter der langsaKanzlers (etwa drei Auftritte jährlich) und der Minister (zunehmende Tendenz auf derzeit rd. fünfundfünfzig Auftritte) zwischen neun und zweiundzwanzig Prozent; vgl. die Empirie Walkers, S. 184, für die Jahre 1957, 1964, 1970, 1980 sowie die von Köhler, S. 248 in FN 81 zitierten Erhebungen. Dabei lag der Anteil der Äußerungen auf Eigeninitiative gegenüber dem auf Befragen beim Regierungssprecher eindeutig höher, bei den Ressortsprechern war das Verhältnis umgekehrt. Insgesamt betrugen im Beobachtungszeitraum die Auskünfte auf Befragen das achtfache von den auf Eigeninitiative erteilten. Von den Ressortsprechern nahm der Sprecher des Auswärtigen Amtes, der sich in der Hälfte aller Pressekonferenzen äußerte, die Vorrangstellung ein, in etwa zwanzig bis dreißig Prozent der Konferenzen kamen die Sprecher des Verteidigungs-, des Wirtschaftsministeriums und des Innenministeriums zu Wort, während die Sprecher der übrigen Ressorts nur gelegentlich in Erscheinung traten, vgl. Walker, S. 186 ff. 4 °3 Zum Recht der Nachrichtensperre s. unten 5. Teil, 2. Kapitel zu IV. 404 Einen Überblick über Amtsauffassung und Arbeitsweise der bisherigen Regierungssprecher liefern Köhler, S. 235 ff.; Walker, S. 123 ff. 405 Vgl. Köhler, S. 272. 406 So die Bewertung von Köhler, S. 255. 407 Köhler, S. 267 f. in FN 131 ff., unter Hinw. auf die Studie von Roloff/Tausch, Input-Output-Analyse der Informationsleistung staatspolitischer Organe in der Bundesrepublik Deutschland, Salzburg 1972, S. 202 ff., 274. 408 s. zur sog. Agenda-Setting-Funktion unten 7. Teil, 2. Kapitel zu 1.1. 409 Anders etwa in den USA, wo Pressekonferenzen des Präsidenten durchweg life augestrahlt werden. Der Präsident befindet aber darüber, wann und zu welchen Themen eine Pressekonferenz stattfindet und welche Journalisten mit Fragen zugelassen werden; vgl. dazu Köhler, S. 173 m. w. Nachw., sowie S. 280 f.
3. Kap.: Erscheinungsformen
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meren Printmedien, vor allem aber auch die Wahrung des Charakters als geschlossene Veranstaltung mit der Möglichkeit für die auskunfterteilenden Regierungsvertreter, ihre Äußerung mit einer Verwertbarkeitseinschränkung oder -blockierung zu versehen. In seltenen Fällen genehmigt der Verein die Zuschaltung des Bundespresseamtes in die installierte Festkamera des Westdeutschen Rundfunks und die Einspeisung in das interne Videonetz der Ministerien. Über den Verlauf einer Bundespressekonferenz erstellt das Bundespresseamt ein Wortprotokoll zum dienstlichen Gebrauch innerhalb der Regierung, welches auch dem Sekretariat des Bundespressekonferenz e. V. zur Verfügung gestellt wird. Eine weitere Verteilung der Mitschrift findet nicht statt.
b) Hintergrundgespräche, Interviewpolitik Seit jeher praktiziert die Regierung Veranstaltungen, bei denen ein handverlesener Zuhörerkreis noch besser als gut unterrichtet wird. Unter Konrad Adenauer wurde zu Beginn der 50er Jahre ergänzend zur Bundespressekonferenz ein Gesprächszirkel ins Leben gerufen, dessen Teilnehmerkreis von der Regierung bestimmt wurde. Zu Anfang nahmen daran etwa zehn bis fünfzehn regelmäßig eingeladene Journalisten teil, zudem wenige, wechselnde Gäste. Die Runde dieser „Kanzlertees" nutzte der Bundeskanzler für Zwecke der eigenen Unterrichtung und zum Dialog 410 . Mit wachsendem Teilnehmerkreis verlor die Veranstaltung diesen Charakter alsbald, dennoch führte der Bundespressekonferenz e. V. dem Bundeskanzler gegenüber wiederholt Beschwerde wegen der Ausschaltung von rund neunzig Prozent seiner Mitglieder 411 . Diese inoffizielle Ebene — „zweifellos eines der wichtigsten und subtilsten Instrumente politischer Führung" 412 — sichert auch heute dem Regierungschef oder Minister einen hohen Grad an Anteilnahme der Auserkorenen, eine Einwirkung auf sein politisches Renommee, eine Rückmeldung seines Handelns über die Diskussion mit sachkundigen Multiplikatoren. Den Journalisten verschafft sie die Möglichkeit, nicht oder noch nicht zu veröffentlichende Hintergrundinformationen zu erkunden, seinen Gesprächspartner aus der Nähe zu beobachten, sich selbst als kompetenten Beobachter der politischen Szene anerkannt zu wissen. Eine Berichterstattung über das in derartigem Kreis gesprochene Wort wird in aller Regel nicht zugelassen. Diese Art der Elitenunterrichtung wird andererseits als Reglementierungsmechanismus und Akt der Selbstzensur der Teilnehmenden kritisiert 413 . Maßstab ist auch hier der Gleichbehandlungsgrundsatz 414. 410
S. dazu Morsey / Schwarz, passim.
411 Vgl. Köhler, S. 209.
412 Morsey / Schwarz, Vorwort, S. VIII. 413 Vgl. AfK, S. 93; Köhler, S. 214 f. mit Hinweis auf die Verdrängungsgefahr für das Forum der Bundespressekonferenz. 414 S. dazu unten 5. Teil, 2. Kapitel zu III. 1.
3.
Teil
Kompetenzgrundlagen der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit Das Idealbild des Grundgesetzes ist das des mündigen Aktivbürgers, der „mit zunehmender Informiertheit Wechselwirkungen in der Politik und ihre Bedeutung für seine Existenz erkennt und daraus Folgerungen ziehen kann" 1 . Es ist jedoch sehr die Frage, ob die Verfassungswirklichkeit der modernen Informationsgesellschaft diesem Idealbild noch entspricht. Trotz der zunehmenden Abkehr des modernen Staatswesens vom Gehorsam als der „guten Tradition deutschen Staatsdenkens, dem einzelnen das Risiko eigener Schwäche abzunehmen"2, und seiner Hinwendung zu Konsens und Akzeptanz3, erscheinen Christian Wolffs im Jahre 1721 verfaßte „Vernünfftige Gedancken" zur defizitären Urteilskraft der Staatsbürger — wie so manches von Naturrechtlern Vorausgedachte — erstaunlich aktuell. Wolff hatte seinerzeit festgestellt, daß „der Gehorsam um so vielmehr nöthig (ist), weil die Unterthanen nicht immer in dem Stande sind zu urtheilen, was zum gemeinen Besten gereichet, weil sie von der Beschaffenheit des gantzen gemeinen Wesens und seinem wahren Zustande nicht genügsame Erkäntniß haben. Sie urtheilen gemeiniglich bloß darnach, ob es ihnen vortheilhafft sey, was befohlen wird, oder nicht. . . . Und demnach dienet nicht wenig sie zum Gehorsam bereit und willig zu machen, wann man ihnen deutlich zeiget, daß zu ihrem Besten gereiche, was die Obrigkeit befiehlet: welches theils durch öffentliche Schriften, theils auch durch den Unterricht der öffentlichen Lehrer geschehen kann" 4 . Die moderne regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit soll dazu dienen, die Bürger von heute in den Stand eigener Urteilskraft zu setzen und so aus der „Zuschauerdemokratie" 5 wieder eine „Beteiligungsdemokratie" zu machen. Angesichts der grundsätzlichen (und grundgesetzlichen) Akzeptanz regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit 6 und der ständigen Praxis aller Regierungen in Bund ι BVerfGE 27, 71 (82); s. dazu ausführlich unten 7. Teil, 2. Kapitel zu II.3. 2 Löwer, JZ 1981, 730 (731 in FN 8). 3 S. dazu sogleich im 1. Kapitel unter III.l.a)bb). 4 Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken, § 433 (S. 460 f.). 5 Wassermann, Zuschauerdemokratie. 6 Aus der Judikatur vgl. BVerfGE 20, 56; 44, 125; 63, 230; BVerfG NJW 1989, 3269; BVerwG NJW 1984, 2591; BVerwG, NVwZ-RR 1989, 262; BVerwGE 82, 76; BVerwG, JZ 1991, 624; BVerwG, NJW 1991, 1766; BVerwG, NJW 1991, 1770; Saarl-
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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und Ländern sowie der Kommunalverwaltungen kann deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit dem Grunde nach nicht mehr ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Kirchhof weist insoweit zutreffend darauf hin, daß das staatsrechtliche Problem nicht in der Zulässigkeit des informalen Handelns, sondern in der Bestimmung seiner Grenzen liegt 7 . Gleichwohl muß, um diese Grenzen ziehen zu können, zuvor der verfassungsrechtliche Standort der in Rede stehenden Aktivitäten bestimmt werden. Angesichts der oben dargestellten Vielfalt an Formen, Inhalten und Absichten regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit stellt sich durchaus die Frage, welche Legitimation für welche Maßnahme zur Verfügung steht, mit anderen Worten: ob die Legitimation für die „Darstellung und Erläuterung von Regierungspolitik" (Beispiel: Jahresbericht der Bundesregierung) dieselbe und von derselben Gewichtigkeit sein kann wie für „Verständniswerbung für unpopuläre Maßnahmen" (Beispiel: Tiefflugreport, Volkszählung, Gesundheits- und Steuerreform), für Servicepublikationen (Beispiel: „Urlaubs-Tips für Ihre Ferienreise" vom BPA), für Sympathiewerbung (Beispiel: Notizblöcke vom BMJFFG, Kleinradios für Jugendliche vom BMFT), für möglicherweise eingriffsqualifizierte Warnungen und Empfehlungen (Beispiel: Warnungen des BMJFFG vor AIDS, Glykolweinen und Jugendsekten, Broschüre zu Arzneimittelfestbeträgen vom BMA), für die Erläuterung von Gesetzen und Rechtslagen (Beispiel: Faltblatt „Mieterschutz bei Eigenbedarf' vom BMJ, Broschüre „Das Mietrecht" vom BPA) und für den „publizistischen Gegenschlag" im Rahmen der politischen Auseinandersetzung. Dabei ist zunächst die Informationskompetenz der Regierung zu prüfen, wobei zu untersuchen ist, ob neben einer Kompetenz im Sinne einer berechtigenden Anvertrautheit auch eine Verfassungspflicht im Sinne einer verpflichtenden Aufgegebenheit die Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit anhält, so daß sich beides zu einem „Pflichtrecht" 8 verbindet. 1. Kapitel
Die Verfassungskompetenzen der Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit Wie jede staatliche Tätigkeit bedarf auch regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit der verfassungsrechtlichen Aufgabenzuweisung 9. Die Auffassung von VerfGH NJW 1980, 2181; StGH BW, ESVGH 31,81; Bay VGH, VGHW 31, 67; VGH BW, DVB1 1985, 170; StGH Bremen, DvBl 1984, 221; VerfGH NW, DVB1 1985, 691; VGH BW, ESVGH 36, 109; OVG Münster, NJW 1983, 2402; OVG Münster, DÖV 1985, 285; OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 149. 7 Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 126. s S. Wolff/ Bachof, VerwR II, S. 14; Gröschner, DVB1. 1990, 619 (620). 9 Vgl. Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), 154 f.; Lübbe-Wolff, NJW 1987,2705 (2706).
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
Scholz, „öffentliche" Verwaltung im Sinne einer höchstmöglich transparenten, zugänglichen und informierenden Verwaltung sei die verfassungsrechtliche Grundvorstellung, die keiner Legitimation bedürfe, sondern vielmehr Legitimation verschaffe 10, ist insoweit zu unpräzise. Es bedarf durchaus der Ableitung dieser „Grundvorstellung" aus der Verfassung.
I. Kein Rückgriff auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Staatsorgane sind grundsätzlich nicht Träger von Grundrechten. Ihnen sind vielmehr Kompetenzen als Wahrnehmungszuständigkeiten zugewiesen, die als solche weder verrückbar noch verzichtbar sind und insofern eben keine subjektiven Rechte darstellen 11. Grundrechte sind Anspruchsnormen des Bürgers gegen den Staat, nicht umgekehrt Handlungsermächtigungen des Staates gegenüber seinen Bürgern 12 . Es ist also ausgeschlossen, daß der Staat vom Grundrechtsschuldner zum Grundrechtsträger mutiert, selbst dann, wenn er in den Formen des Privatrechts agiert 13 . Der Staat ist demzufolge nicht Träger der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern ihr Garant. Demzufolge gibt es auch keine „Staatsmeinung" als Ausfluß der allgemeinen Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG 1 4 . 10 Scholz, NJW 1973, 481 (482 f.). 11 Vgl. dazu statt vieler Löwer, Handbuch Staatsrecht II, § 56 Rdnr. 9. 12 BVerfGE 21, 362 (370); 61, 82 (101, 108). ι 3 Vgl. Ossenbühl, Umweltpflege, S. 35; speziell zu staatlicher Informationstätigkeit (privatwirtschaftlich organisiertes staatseigenes Presseunternehmen): Ricker, AfP 81, 320 (323 f.). 14 BVerwG NJW 1984, 2591; BVerwG NJW 1985, 2774 (2777), allerdings mit der eher mißverständlichen Wendung, daß sich eine Behörde nicht „unmittelbar" auf Art. 5 GG berufen könne; OVG Münster, NJW 1983, 2402 (2403); OVG Münster, DÖV 1985, 285 (286) m. w. Nachw.; ähnlich OVG Münster, NVwZ 1986, 400; OVG Lüneburg, NJW 1975, 76; HessStGH DÖV 1973, 524 (525); vgl. auch Hamann/Lenz, GG, Anm. Α. 1 zu Art. 5; Herzog, in: M / D / H / Sch, Rdnr. 106 f. zu Art. 5 I, II; Degenhardt, BK (Zweitbearb.), Rdnr. 185 zu Art. 5 I, II; von Mangoldt / Klein / Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 116; Jarass / Pieroth, Art. 5 Rdnr. 6; Fuhr, S. 141 m. w. Nachw.; Bethge, NJW 1985, 721; Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 128; Otto E. Kempen, Grundgesetz, S. 103; Jarass, NJW 1981, 193 (194); Wente, S. 122 f.; Ossenbühl, Umweltpflege, S. 33 f.; Ricker, AfP 1981, 320 (323); derselbe, Grundgesetz, S. 297 f.; Bethge, NJW 1985, 721; derselbe, Der verfassungsrechtliche Standort, S. 68; s. zuletzt den Bericht von Wenzel zur 67. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit, NJW 1990, 2672; Berg, ZLR 1990, 565 (573) Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (74); a. A. OVG Lüneburg, DVB1. 1974, 881 = NJW 1975, 76 (mit abl. Anm. von Bethge, NJW 1975, 662 f.): jede Meinungsäußerung eines Politikers, sei sie als Privatperson, Parteipolitiker oder Regierungschef kundgetan, genieße den Schutz des Art. 51 GG; ebenso Sänger, S. 128; Ladeur, NJW 1978, 1652 (1653), der der Regierung Meinungsfreiheit zubilligen will, solange keine Beurteilung mit „potentiell verbindlicher Feststellungswirkung" geäußert wird. Unbestritten bleibt auch Regierungsvertretern das verfassungsmäßige Recht nach Art. 5
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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Bemerkenswert hierzu ist ein jüngst eher apodiktisch ausgesprochener „Verzicht" des BVerwG auf eine grundrechtliche Herleitung des Meinungsäußerungsrechts der Bundesregierung. Im Beschluß vom 13. April 1984 heißt es, das Recht der politischen Meinungsäußerung gehöre zu den „ureigenen verfassungsmäßigen Rechten der Regierung", es umfasse auch das „Recht zum Gegenschlag"15, zu dessen Rechtfertigung es deshalb eines Rückgriffs auf Art. 5 GG nicht bedürfe 16. Diese Formulierung läßt nun nicht etwa den Umkehrschluß zu, daß der Schutzbereich von Art. 5 GG dann greifen könnte, wenn und soweit eine anderweitige verfassungsrechtliche Absicherung nicht gegeben ist. Das BVerwG hat vielmehr den grundsätzlichen Unterschied zwischen der beliebigen und willkürlichen Inanspruchnahme grundrechtlicher Freiheit und der Ausübung einer kompetenzrechtlich fundierten Pflichtigen Organfunktion hervorgehoben 17. Ähnlich der Redefreiheit des Abgeordneten im Parlament, die nicht dessen Grundrechtsausübung darstellt, sondern unmittelbar der Erfüllung der in der Verfassung normierten Staatsaufgaben dient 18 , wurzelt auch das Meinungsäußerungsrecht der Bundesregierung in ihrem kompetenzrechtlich vermittelten, organschaftlichen Status nach Art. 62 ff. GG 1 9 . Nur so ist die Behauptung des BVerwG zu verstehen, die Bundesregierung könne das „ureigene verfassungsmäßige Recht der politischen Meinungsäußerung" für sich in Anspruch nehmen. Das Äußerungsrecht des Bundeskanzlers und der Bundesminister, auch wenn sie sich eines Organwalters, etwa des Regierungssprechers oder eines Ressortsprechers, bedienen, ist daher aus Art. 65 Satz 1 bzw. Art. 65 Satz 2 GG abzuleiten20. Man sollte daher auch Abs. 1 GG, ihre persönliche Meinung zu äußern, auch wenn sich diese mit der Meinung der Regierung deckt. Inhaber von Staatsämtem, die sich in nicht amtlicher Eigenschaft am gesellschaftlichen Disput, ja sogar am Wahlkampf beteiligen (s. VGH BW, DVB1. 1985, 170 (171)), genießen für persönlich geäußerte Meinungen Grundrechtsschutz (OVG Münster, DÖV 1985, 285 (286); OLG Düsseldorf, AfP 1985, 213; Degenhardt, BK (Zweitbearb.), Rdnr. 185 zu Art. 5 I, II). Dies gilt insbesondere auch für politische Werturteile. Sie können ihre Äußerungen, solange sie als persönliche ausgewiesen sind, jedoch nicht durch amtliche Pressestellen verbreiten. Eine Zurechnung von Kommunikationsbeiträgen zur amtlichen Sphäre muß jedoch auch dann erfolgen, wenn ein Regierungsmitglied etwa anläßlich einer in amtlicher Funktion gehaltenen Rede ein Werturteil hinzufügt mit der ausdrücklichen Einschränkung, dieses Urteil „als Bürger" abzugeben. Auch eine solche Erklärung erfolgt „im Rahmen der Amtsausübung" und muß daher der staatlichen Sphäre zugerechnet werden. Zur Abgrenzung amtlicher und privater Äußerungen vgl. etwa Herzog, in: M / D / H / S c h , Rdnr. 106 zu Art. 5 I, II; Ricker, Privatrundfunk-Gesetze, S. 51. 15 Zum publizistischen Gegenschlag s. auch Degenhardt, BK (Zweitbearb.), Rdnr. 126 zu Art. 5 I, II. 16 BVerwG, NJW 1984, 2591 unter Bestätigung der Vorinstanz OVG Münster, NJW 1983, 2402 (2403); s. auch den dortigen Hinweis auf BVerfGE 40, 287 (293 f.); 57, 1 (7 f.); 61, 82 (101); ebenso OVG Münster, NVwZ 1986, 400. IV Bethge, NJW 1985, 721. is BVerfGE 60, 374 (380). 19 BVerwG, NJW 1984, 2591; OVG Münster, DÖV 1985, 285 (286); OVG Münster, ZevKR 1987, 219 (222); OVG Münster GewArch 1988, 11 (12); s. auch BVerfGE 40, 287 (292); 57, 1 (7 f.).
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
nicht von der „Meinungsfreiheit des Staates" sprechen 21, da die Wahrnehmung staatlicher Kompetenzen nichts mit dem Gebrauch von Freiheiten gemein hat 22 . Auch wenn der Staat oder seine Organe Werturteile abgeben, geschieht dies in pflichtgebundener Ausübung zugewiesener Kompetenzen23. Eine derartige kompetenzrechtliche Ableitung soll im folgenden näher untersucht werden.
I I . Die Ableitung aus der Aufgabenkompetenz 1. Der Ansatz in der Literatur Der kompetenzrechtliche Ansatz ist schon von Lenz 24 fruchtbar gemacht worden, der amtliche Verlautbarungen in Abgrenzung zur Meinungskundgabe als „für die kompetenzförmige Ausübung der Staatsgewalt rechtsmaßgeblich" erfaßt hatte. Ihm folgend ordnete auch J. Wenzel 25 die regierungsamtliche Unterrichtung der Öffentlichkeit der „verfassungsmäßigen Zuständigkeitsordnung" zu. Leisner hat in seiner frühen Studie über „Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat" die Auffassung vertreten, daß diese „in engem, notwendigen Zusammenhang mit der Ausübung der verschiedenen Zuständigkeiten der Regierung steht" 26 . Informationsarbeit sei eine auf die Politik der Regierung ausgerichtete, vorbereitende und unterstützende Hilfstätigkeit 27 , die sich einzelnen Kompetenzen der Regierung zuordnen lasse28. Auch bei Scholz klingt dieser Gedanke an, wenn er die Wahrung und Herstellung der eigenen Öffentlichkeit zu den legitimatorischen Aufgaben der Verwaltung zählt: „Die Pflicht der Verwaltung zur Publizität, Publikation und Information bildet rechtlich den Grund- oder Regeltatbestand . . . Informierende Verwaltung heißt die Regel, sie ist das grundsätzliche Recht jeder Verwaltungsbehörde . . . und bedarf damit keiner besonderen bzw. ausdrücklichen Ermächtigung" 29 .
20 Ebenso Herzog, in: M / D / H / S c h , Rdnr. 108 zu Art. 5 I, II; Degenhardt, BK (Zweitbearb.), Art. 5 I, II Rdnr. 185; Starck, in: von Mangoldt / Klein / Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 116; Bethge, NJW 1985, 721; Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (74); nunmehr auch OVG Münster, NWVB1. 1990, 226 (228); OVG Münster, NVwZ 1991, 174 (175). 21 So aber Heintzen, VerwArch 1990, 532 (548). 22 S. Bethge, NJW 1985, 721; Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (74). 23 S. Frotscher, JuS 1978, 505 (511); Bethge, NJW 1975, 663; Wiese, DVB1. 1976, 317. 24 JZ 1963, 338 (342). 25 Programmfreiheit, S. 108. 26 AaO, S. 103. 27 AaO, S. 102. 28 AaO, S. 86. 29 NJW 1973, 481 (483).
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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Der kompetenzrechtliche Ansatz ist schließlich von Kloepfer fortentwickelt worden: Kompetenzrechtlich sei mitverbürgt, was die Kompetenzausübung fördert. Da aber Verwaltung in der Demokratie nicht nur die Ermöglichung parlamentarischer Verwaltungskontrolle bedeute, bestehe zudem die Notwendigkeit zum Plausibel-Machen aller Verwaltungsaktivitäten. Verwaltungsziele auf Dauer gegen die öffentliche Meinung zu verfolgen, sei in der Demokratie — glücklicherweise — ein schwieriges, wenn nicht sogar unmögliches Unterfangen. Folglich werde das öffentliche Ringen um die Zustimmung gesellschaftlicher (aber auch staatlicher) Kräfte zur allgemeinen Zuständigkeitsvoraussetzung für jedes Verwaltungshandeln 3 0 . Ebenso wie sich etwa die Befugnis zur Planung als Annex zur Sachkompetenz darstellt 31 , ergibt sich also auch die Kompetenz der Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit als Annexkompetenz zu ihren sonstigen Aufgaben aus den einschlägigen organisationsrechtlichen Vorschriften 32 . Die Annexkompetenz der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit ist insoweit keine selbständige Kompetenzgrundlage, sondern eine „Hilfs"-Kompetenz, die von einer dem Kompetenzträger bereits zugewiesenen „Haupt"-Kompetenz — akzessorisch — abhängt33. Diese Hauptkompetenz liefert auch die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Annexkompetenz: Jede Kompetenznorm im Grundgesetz schließt letztlich die Befugnis mit ein, die zugewiesene Aufgabe so gründlich wie erforderlich zu bearbeiten, rechtfertigt somit immer auch die Hilfsgeschäfte, die zu ihrer Erfüllung nötig sind 34 . Als solches „Hilfsgeschäft" erweist sich auch die darstellende und erläuternde Öffentlichkeitsarbeit. Davon zu unterscheiden ist diejenige Information, die nicht zur Transparenz oder zur staatlichen Selbstdarstellung und Konsensbildung, sondern als Mittel unmittelbarer Aufgabenerfüllung eingesetzt wird, etwa als Aufklärung zur Gefahrenvorsorge, als Warnung zur Abwehr konkreter Gefahren oder als Empfehlung zur Vermeidung von Umwelt- oder Gesundheitsbelastungen. In 30 Kloepfer, Information als Intervention, S. 13. 31 S. dazu Ossenbühl, Normative Anforderungen, Β 72. 32 Vgl. auch Herzog, in: M / D / Η / Sch, Rdnr. 102 zu Art. 20 Abschnitt V; derselbe, ebendort, Rdnr. 108 zu Art. 5 1,11; Maunz, ebendort, Rdnr. 26 zu Art. 30; von Mangoldt / Klein / Starck, Rdnr. 116 zu Art. 5; Bull, Altemativkommentar, Rdnr. 33 vor Art. 83; Philipp, S. 70; Köstlin, S. 43 bei FN 93; Steiner, VVDStRL 42 (1984), 7 (21); Murswieck, DÖV 1982, 529 (541), Bethge, NJW 1985, 721; Lübbe-Wolff, NJW 1987, 2705 (2707); Gramm, NJW 1989, 2917 (2920); Heintzen, VerwArch 1990, 532 (552). 33 Stettner, S. 401 f.; Schröder, Handbuch des Staatsrechts III, § 50 Rdnr. 23, spricht treffend von den „funktionsakzessorischen Informations- und Darlegungsrechten"; ähnlich Heintzen, VerwArch 1990, 532 (552); Meyn, JuS 1990,630 (633): „Öffentlichkeitsarbeit als Sekundärfunktion zu den Aufgaben eines Staatsorgans"; Heintzen, VerwArch 1990, 532 (552); s. auch Maunz, in: M / D / Η / Sch, Art. 30 Rdnr. 26: „Die Ausdehnung erfolgt hier nicht in die Breite der Aufgabenpalettte, sondern in die Tiefe einer zuständigen Aufgabe"; s. auch Achterberg, DÖV 1966, 695 (698 ff.); nach Köstlin, S. 42, ist die Annexkompetenz nichts anderes als eine Methode, bereits bestehende Kompetenzen im Sinne „effektuierender Kompetenzauslegung" auszuschöpfen. 34 S. auch Stem, Staatsrecht I, S. 677; Stettner, S. 431.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
diesen Fällen folgt die Informationskompetenz unmittelbar aus der gesetzlichen Aufgabenzuweisung und endet zwangsläufig auch an den Grenzen der Sachaufgabe 35 . 2. Die Position der Rechtsprechung Auch das BVerfG hat in seiner einschlägigen Judikatur Öffentlichkeitsarbeit und Sachzuständigkeit miteinander verbunden: Schon im Verfassungsschutzberichtsurteil vom 29. Oktober 1975 hebt das Gericht darauf ab, daß die Publikation „im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesinnenministers . . . in Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen, und im Rahmen seiner daraus fließenden Zuständigkeiten " herausgegeben wurde 36 . In seinem Grundsatzurteil vom 2. März 1977 spricht das BVerfG von der „Aufgabe und Kompetenz der Regierung . . . zu informieren" 37 . Wenn es zudem den der Bundesregierung vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich als Schranke ihrer Öffentlichkeitsarbeit ansieht38, so bedeutet dies zugleich zwingend ihre kompetenzrechtliche Anbindung. Mit seinem Jugendsektenbeschluß vom 15. August 1989 hat das BVerfG 39 die kompetenzrechtliche Ableitung weiter konkretisiert und festgestellt: „Wenn die Bundesregierung im Rahmen ihrer vom Grundgesetz vorausgesetzten Aufgabenstellung einerseits zur Beobachtung, Vorsorge und Lenkung . . . verpflichtet ist und wenn sie andererseits befugt und gehalten ist, diese Tätigkeit gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit darzulegen und zu vertreten (an dieser Stelle verweist das BVerfG auf seine früheren Entscheidungen zu staatlicher Öffentlichkeitsarbeit), dann kommt ihr damit auch die Befugnis zu, in den Grenzen einer ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzen gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen sowie Empfehlungen oder Warnungen auszusprechen" 40. Noch klarer hatte es das BVerwG als Vorinstanz mit Urteil vom 23. Mai 1989 zum Ausdruck gebracht: „Grundlage (dafür, daß sich die Bundesregierung zur Darlegung ihrer Erkenntnisse und Absichten auch selbst unmittelbar an die Öffentlichkeit wenden kann) . . . ist ihre . . . unausgesprochene, aber funktionsbedingte Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit", die sich somit „aus der Verfassung 35 Philipp, S. 71; s. zur Abgrenzung der Informationszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern unten 6. Teil, 1. Kapitel. 36 BVerfGE 40, 287 (292 f.) — Hervorhebung von mir. 37 BVerfGE 44, 125 (152). 38 BVerfGE 44, 125 (149). 39 Es handelt sich um eine Nichtzulassungsentscheidung der 1. Kammer des 1. Senats, NJW 1989, 3269. 40 BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270) — Hervorhebungen von mir.
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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selbst ergibt" 41 . Auch das BVerwG begründet seine Auffassung damit, daß es „zu den im Grundgesetz vorausgesetzten Aufgaben der Bundesregierung als Organ der Staatsleitung (gehört), die gesellschaftliche Entwicklung ständig zu beobachten, Fehlentwicklungen oder sonst auftretende Probleme möglichst rasch und genau zu erfassen, Möglichkeiten ihrer Verhinderung oder Behebung zu bedenken und die erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten, und zwar unabhängig davon, ob es dazu einer Beschlußfassung des Gesetzgebers bedarf' 42 . Mit der legitimierenden Anbindung von Öffentlichkeitsarbeit an die verliehenen Sachzuständigkeiten der Regierung entfällt auch der Einwand der fehlenden verfassungsrechtlichen Ermächtigung 43. Ob die Informationskompetenz der Bundesregierung auch als ausreichende Grundlage für Eingriffe in grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen gelten kann, ist vom OVG Münster in seinem Urteil vom 5. Juli 1987 noch ausdrücklich offengelassen worden 44 . Die Frage soll an anderer Stelle erörtert werden 45 .
I I I . Die Ableitung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit Auch wenn die verfassungsrechtliche Notwendigkeit regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit seit der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 2. März 1977 nicht mehr in Zweifel zu ziehen ist, so ist damit noch nicht die Frage nach der Kommunikationsmethodik beantwortet. Zu prüfen ist vor allem, ob von Verfassungs wegen die bloße Publizität ausreicht und am Grundsatz der „Staatsfreiheit der politischen Willensbildung" endet oder ob auch eine die öffentliche Meinung mitbestimmende Öffentlichkeitsarbeit legitimiert sein kann.
1. Die Ableitung aus dem Demokratieprinzip Obwohl das demokratische Prinzip das zentrale Verfassungsprinzip schlechthin ist 46 , gibt es kaum einen verfassungsrechtlichen Begriff, dem so verschiedene Deutungen beigegeben werden 47 . Wer auf das Demokratieprinzip zur Ableitung staatlicher Pflichten zurückgreift, läuft daher leicht Gefahr, statt juristischer De41 BVerwGE 82, 76 (80) = NJW 1989, 2272 (2273). 42 BVerwGE 82, 76 (80) = NJW 1989, 2272 (2273); ebenso BVerwG, JZ 1991, 624(627) NJW 1991, 1766 (1768) jeweils m. w. Nachw.; OVG Münster, GewArch 1988, 11 (12); VGH BW NVwZ 1989, 878 = VB1BW 1989, 187 (188). 43 S. etwa Kloepfer, Information als Intervention, S. 16. 44 OVG Münster, GewArch 1988, 11 (12). 45 S. dazu unten 6. Teil, 2. Kapitel. 46 Vgl. Herzog, in: M / D / H / S c h , Rdnr. 1 zu Art. 20 Kap. I. 47 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 127; Stem, Staatsrecht I, S. 588; s. auch den dortigen Phänomenologie-Katalog, S. 591 f.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
duktion „politische Lyrik" 4 8 zu betreiben. Nichts wäre jedoch gerade für die Legitimation der den Bereich des Geistig-Emotionalen berührenden Öffentlichkeitsarbeit verheerender als eine derart fehlsame Induktion. Also gilt es, den verfassungsidealen „Mittelweg zu finden zwischen einer falschen Scham, aus dem komplexen Demokratiebegriff konkrete Rechtspflichten herzuleiten und der Versuchung, Art. 20 GG das zu entnehmen, was aufgrund persönlich-politischer Wunschvorstellungen zuvor in ihn hineingelegt wurde" 49 . Das Grundgesetz normiert „Demokratie" nicht im Sinne eines vorgefundenen geschlossenen Modells, sondern schafft die für die Funktion demokratischer Ordnung unerläßlichen Regeln und Grundstrukturen 50 mit den Eckpfeilern der Parteiendemokratie (Art. 21 GG), des Repräsentationsprinzips (Art. 38 Abs. 1 GG), des Prinzips der mittelbaren Demokratie (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) und des Mehrheitsprinzips (u. a. in Art. 42 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1, 54 Abs. 6, 121 GG). Innerhalb dieses Rahmens bleibt Raum für die Verwirklichung unterschiedlicher Vorstellungen im Wege der freien politischen Auseinandersetzung 51, des Prozesses der Volkswillensbildung. Ob und inwieweit die Exekutive gehalten ist, auf diesen Prozeß einzuwirken, kann nur unter Berücksichtigung der von der Verfassung vorgegebenen Ordnung der politischen Willensbildung beantwortet werden.
a) Der Prozeß der politischen Willensbildung aa) Das Volk als kreatives Staatsorgan Der politische Prozeß, in dem staatliche Gewalt geschaffen und wirksam wird, ist von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG vorgegeben: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Das BVerfG spricht auch vom Volk als „Kreativorgan" 52 . Das Volk selbst ist jedoch als Verfassungsorgan in seiner Unmittelbarkeit — ohne Herrschaftsorganisation — zunächst kein handlungsfähiger, homogener Körper 53 , sondern eine rechtliche Größe, nämlich der rechtlich umschriebene Verband der Staatsangehörigen. Auch der Volkswille ist a priori eine Kunstschöpfung des Rechts54. In Wirklichkeit ist er unformiert und diffus 55 , seine Bildung folglich ein überaus 48 Arndt, Landesverrat, S. 36. 49 Rotta, S. 53. so Vgl. Kloepfer, Handbuch Staatsrecht II, § 35 Rdnr. 45. 51 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 129. 52 BVerfGE 20, 56 (98). 53 Peter Schneider, S. 3. 54 Isensee, Grundrechte und Demokratie, S. 9. 55 Böckenförde, Handbuch Staatsrecht II, § 30 Rdnr. 4; so schon Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 82.; vgl. auch Peter Schneider, S. 13 ff.; das Volk als Einheit eines „unmittelbaren Gesamtwillens" ist heute allenfalls noch in Ausnahmesituationen nationaler
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dynamischer und komplexer Prozeß 56 — „a process of trial and error" 57 . Die reale Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit der Meinungen, Interessen, Willensrichtungen und Bestrebungen machen stets aufs neue die Herstellung politischer Einung als Bedingung der Entstehung und des Wirkens staatlicher Gewalt notwendig 58 . Um das Volk als Handlungseinheit zu konstituieren, bedarf es demnach der Interessenaggregation und Konzentration seines pluralistisch aufgespaltenen Willens 59 . Deshalb bedient sich die demokratische Ordnung des Mehrheitsprinzips, welches dadurch einheitsbildend wirkt, daß bereits die Gewinnung der Mehrheit die vorherige Einung und Zusammenfassung der überwiegenden Zahl partikularer Interessen und Bestrebungen notwendig macht. Wo im Wege der Verständigung ein Ausgleich gefunden wird, dem im Idealfall alle Betroffenen zugestimmt haben, wird das Ergebnis überzeugen, Konsens stiften und Zwang unnötig machen. Dem Volkswillen sind daher von der Verfassung Artikulationsund Verwirklichungsbedingungen vorgegeben, die ihn letztlich auf eine Antwortfunktion — nämlich zur Annahme oder Verwerfung eines von wenigen vorgelegten Votums — beschränken 60. Die politische Willensbildung ist demnach auch eine Rechtsschöpfung, die zu ihrer Entstehung und Ausübung der rechtlichen Organisation und des rechtlichen Verfahrens bedarf 61 . Diese formalisierte Willensbildung findet im Wahlakt statt. In seiner Rolle als Autor und Mitinhaber der staatlichen Gewalt ist der Staatsbürger auf dieses Recht zur Teilnahme am Wahlakt in Gestalt des status activus nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkt 62, mag dies auch zuweilen als „Prüderie des Grundgesetzes gegenüber direkt-demokratischen Elementen" 63 beklagt werden. Auf der Wahlentscheidung beruht also — „in ununterbrochener LegitimaErschütterung denkbar, vgl. Rinken, S. 254; schon die Formulierung in Art 21 GG („mitwirken") verweist auf die Mehrschichtigkeit der politischen Willensbildung. 56 Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 21; s. auch Krüger, Staatslehre, S. 369. 57 BVerfGE 5, 85 (135) unter Verwendung eines Zitats von I. B. Talmon. 58 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 133; Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, §31 Rdnr. 21; vgl auch Rinken, S. 254. 59 Hesse, VVDStRL 17 (1959), 1 (18 mit FN 17); s. auch derselbe, Grundzüge, Rdnr. 141. 60 S. Böckenförde, Handbuch Staatsrecht II, § 30 Rdnr. 4, 10; Schmitt Glaeser, ebendort, § 31 Rdnr. 25; Ossenbühl, Mit der Verfassung spielt man nicht, aaO; zur Kommunikationsordnung sogleich unter c)aa). 61 Isensee, Grundrechte und Demokratie, S. 10. 62 Rupp, Handbuch Staatsrecht I, § 28 Rdnr. 18 mit FN 41; zur Untauglichkeit des Modells der unmittelbaren Demokratie s. auch Böckenförde, Handbuch Staatsrecht II, § 30 Rdnr. 3; s. andererseits die scharf geführte Diskussion über die Frage, ob es nach der Wiedervereinigung eines Volksentscheids über die Verfassung bedarf, s. etwa Ossenbühl, wie vor (FN 60); Isensee, Selbstpreisgabe des Grundgesetzes? FAZ vom 28.8.1990, S. 10; Klein, DÖV 1991, 569 (577 f.); Busse, DÖV 1991, 345 (352); Bernhard Kempen, NJW 1991, 964 (966 f.). 63 Bethge, DVB1. 1989, 841 (849); vgl. auch Frotscher, DVB1. 1989, 541; von Arnim, DÖV 1985, 603.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
tionskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern" 64 — der Ableitungszusammenhang aller Staatstätigkeit65, vorausgesetzt, daß „die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozeß der Meinungsbildung gewinnen und fällen können" 66 . Es leuchtet daher unmittelbar ein, daß dieser Wahlvorgang durch regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit fundamentiert werden muß, aber nicht gestört werden darf 67 .
bb) Das Volk als Mitautor der öffentlichen
Meinung
Außerhalb der formalisierten Entäußerungsformen des Souveräns in Wahlen und Abstimmungen ist das Volk keineswegs von jedem Einfluß auf die Bestimmung der politischen Gesamtrichtung ausgeschlossen68. Das Recht der Bürger auf Teilhabe an der politischen Willensbildung „äußert sich in der lebendigen Demokratie . . . auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung" 69 . „Die Legitimität der legalen Mehrheitsentscheidung des Parlaments und der von ihm kreierten Regierung folgt nicht allein aus der ordnungsgemäßen Durchführung einer Wahl, sondern auch aus der fortgesetzten Rückkopplung des staatlichen Willensbildungsprozesses an den Vorgang der öffentlichen Meinungsbildung" 70 . Diese öffentliche Meinung ist einerseits eine diffuse, variable, irregulative Größe 71 , andererseits ist sie zweifelsohne „der Sauerteig der Demokratie" 72 . 64 BVerfGE 47, 253 (275). 65 BVerfGE 44, 125 (142). 66 BVerfGE 44, 125 (139); 73, 40 (85); Bärmeier, S. 37, zieht daraus den Schluß, daß die Legitimationskette bereits mit der Freiheit und Offenheit des den Wahlakten vorausgehenden Prozesses der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung beginnt. 67 Dazu ausführlich im 7. Teil. 68 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 149. 69 BVerfGE 8, 51 (68); 14, 121 (132), 24, 300 (360); 69, 92 (107). 70 Klein, Legitimität gegen Legalität, S. 650 f. m. w. Nachw.; derselbe, Handbuch Staatsrecht II, §40 Rdnr. 39; Stern, Staatsrecht I, § 18 II 5 (S. 617); Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 19, 24, 29 f.; vgl. zum Begriff der Rückkopplung auch Stein, Staatsrecht, § 9 I. 71 Eine allgemeingültige Definition gibt bis heute nicht, vgl. dazu statt vieler Kloepfer, Handbuch Staatsrecht II, § 35 Rdnr. 1 ff. m. w. Nachw.; Stern, Staatsrecht I, § 18 Anm. II 5 (S. 617), beide die von Fraenkel wiederentdeckte Definition Hermann Onckens, S. 203 (236), zitierend: „Öffentliche Meinung ist ein Komplex von gleichartigen Äußerungen größerer oder geringerer Schichten eines Volkes über Gegenstände des öffentlichen Lebens, bald spontan hervorbrechend, bald künstlich gemacht; in den verschiedenartigsten Organen sich ausdrückend, in Vereinen, Versammlungen, vor allem in der Presse und Publizistik, oder auch nur in dem unausgesprochenen Empfinden eines jeden, des gemeinen Mannes auf der Straße oder eines kleinen Kreises von Gebildeten; hier eine wirkliche Macht, auf die auch die Staatsmänner blicken, dort ein Faktor ohne politische Bedeutung; und immer anders zu weiten in jedem Volke; bald einheitlich, wie eine gewaltige Flutwelle gegen die Regierenden und Sachverständigen sich erhebend, bald in sich geteilt und die widerstrebendsten Tendenzen bergend; einmal das einfache und
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Volksmeinungen und -Stimmungen beeinflussen Exekutive und Justiz in ihrer Rechtsanwendung und -fortbildung erheblich — nicht nur dort, wo sie ein allgemeines Rechtsempfinden als Gewohnheitsrecht, das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" (§ 138 BGB) oder die „Verkehrssitte" (§§ 242, 826 BGB) o. ä. zur Richtschnur ihrer Entscheidungen machen müssen73. Das parlamentarische Regierungssystem und das Mehrheitswahlrecht in der Bundesrepublik machen auch die regierende Mehrheit besonders anfällig für Widerstände in der öffentlichen Meinung 74 , die als das „unsichtbare Parlament" 75 die Entschlüsse der Staatsorgane beeinflußt 76 und so ein Korrektiv des repräsentativen Staatssystems, ein „Stück unmittelbarer Demokratie im Repräsentationssystem" 77 darstellt. Der demokratische Staat ist infolgedessen grundlegend von „permanenter Massenloyalität"78 und damit von der „geistigen Verfassung" seiner Bürger im Sinne eines gemeinsamen Mindestbestandes an politischer Kultur 7 9 abhängig. Die Akzeptanz der Mehrheitsentscheidung liegt allen rechtlichen Gestaltungsgrundlagen voraus 80. Das Konsensprinzip wird so zum vorrangigen Grundsatz natürliche Gefühl des Menschen zum Ausdruck bringend, das andere Mal ein lärmender und unsinniger Ausbruch wilder Instinkte; immer geleitet und doch immer führend; von den Kennenden und Wissenden über die Achsel angesehen und doch wieder den Willen der Menschen bezwingend, ansteckend wie eine Epidemie, launisch und treulos und herrschsüchtig wie Menschen selber, und dann doch wieder nichts als ein Wort, mit dem sich die Machthaber betrügen"; s. auch Stock, Medienfreiheit, S. 25: „plurale und bewegliche intermediäre Größe zwischen Privatheit und Staatlichkeit". 72 Löffler/Wenzel, Einl. Rdnr. 72. 73 S. dazu Kratzmann, S. 72 ff. m. w. Nachw. Die Auffassungen sind sehr vielschichtig: teilweise werden gesellschaftliche Auffassungen als „Recht" im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG angesehen, so Birke, S. 13 ff., 41 ff.; teilweise wird selbst Verfassungsinterpretation durch die pluralistische Öffentlichkeit zugelassen, vgl. Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, S. 45 ff.; teilweise wird Rechtsfortbildung nur auf der Grundlage eines entsprechenden allgemeinen Rechtsbewußtseins zugelassen; vgl. etwa Fenge, JZ 1972, 700 (705); vgl. auch grundsätzlich zum Thema Demoskopie und Recht: Benda, JZ 1972, 497 ff.; die Einbeziehung der „Wirklichkeit" in Rechtsdogmatik und Rechtsanwendung wird behandelt bei Gusy, JZ 1991, 213 ff., s. aber auch die kritische Betrachtung von Würtenberger, Zeitgeist und Recht, insbes. S. 154 ff., 209 ff. 74 Schäuble, S. 10; s. auch Herzog, in: M / D / H / S c h , Rdnr. 70 zu Art. 20 Kap II; Stem, Staatsrecht I, S. 618. 75 Löffler, Die öffentliche Meinung, S. 20. 76 BVerfGE 20, 56 (98); s. auch Stein, Staatsrecht, § 121 (S. 90); Würtenberger, NJW 1991, 257 f. 77 Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 27; Isensee, Demokratie — verfassungsrechtlich gezähmte Utopie, S. 47, spricht von der Ebene der „informellen Plebiszitärdemokratie" neben der Ebene der formalisierten Repräsentativdemokratie; ebenso derselbe, Regierbarkeit in einer parlamentarischen Demokratie, S. 24. 78 Quaritsch, Probleme der Selbstdarstellung, S. 11. 79 Vgl. Rupp, Kritische Bemerkungen zum Verhältnis von Verfassungsrecht und VerfassungsWirklichkeit, S. 773 (774) unter Hinweis auf das Schicksal der Weimarer Verfassung; Rüthers, S. 19 (38), spricht vom Mindestmaß gemeinsamer, notwenig „metaphysisch" begründeter Wertüberzeugungen; s. auch Böckenförde, Die Entstehung des Staates, S. 60; Isensee, Regierbarkeit, S. 34; Pemthaler, S. 130; Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 117. 9 Schürmann
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
der Demokratie 81 . Mit Blick auf die Verfassungswirklichkeit wird man wohl ohne Übertreibung behaupten dürfen, daß der Konsensbedarf unter der Geltung des Grundgesetzes noch zu keiner Zeit so groß war wie nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 82 . Dieser Grundkonsens kann nicht von Staats wegen verordnet, sondern nur durch Kommunikation, „Bewußtseinsbildung" und Kooperation erreicht werden 83 . Er ist auch nicht ohne weiteres, wie das BVerfG anzunehmen scheint 84 , als gegebener Faktor des Gesellschaftslebens ins Kalkül zu ziehen, sondern muß als Wert von beschränkter Lebensdauer stetig neu geschaffen werden, weil sich seine Basis chronisch verändert 85. Das Grundgesetz gibt dem Volkswillen demnach größeres Gewicht als es auf den ersten Blick erscheinen mag, indem es der Bildung einer „öffentlichen Meinung" nicht als Bestandteil der demokratischen Willensbildung, aber als deren Vorstufe zur „Vorformung des politischen Willens" 8 6 Raum gibt. Die öffentliche Meinung wird so zum Bestandteil der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes 87. Die Legitimationsfunktion des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG trägt infolgedessen nicht nur die Volkswahl, sondern gleichermaßen den Volkswillensbildungsprozeß. „In der Demokratie geht nicht nur die Staatsgewalt, sondern auch die Willensbildung vom Volke aus" 88 .
b) Das Gebot der Publizität des Regierungshandelns „Publizität der Verwaltung", so schon Max Weber, „ist das, was als Vorbedingung jeder fruchtbaren Parlamentsarbeit und politischen Erziehung zu fordern ist" 8 9 . Es versteht sich beinahe von selbst, daß das Zustandekommen öffentlicher Meinung die Einsicht in die Problemzusammenhänge staatlicher Entscheidungen voraussetzt. Die für eine Demokratie schlechthin konstituierende Ausübung von Beteiligungsrechten, die Bildung des kreativen Volkswillens bei Wahlen und die freie Entfaltung von Meinung und Gegenmeinung setzen mithin Informationen so Isensee, Handbuch Staatsrecht III, § 57 Rdnr. 94; s. auch derselbe, Regierbarkeit, S. 33: „Legitimation folgt aus Konsens", m. w. Nachw. in FN 27. si Hesse, Grundzüge, Rdnr. 141; Schuster, S. 130. 82 S. dazu sogleich unter c)cc). 83 Gusy, NVwZ 1986, 6; Isensee, DÖV 1983,565 (570); Gröschner, DVB1. 1990, 619 (620). 84 BVerfGE 44, 125 (147) spricht vom „Lebendighalten" des Grundkonsenses, setzt ihn also als (noch) existent voraus. 85 Vgl. Zuck, ZRP 1977, 144 (146). 86 BVerfGE 8, 104 (112 ff.); 14, 121 (132); vgl. auch Hesse, Grundzüge, Rdnr. 149; Bullinger, Handbuch Staatsrecht IV, § 142, Rdnr. 146; Schmidt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 28 ff.; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 149 ff. 87 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 150; Schmitt Glaeser, wie vor, Rdnr. 26. 88 Schmitt Glaeser, wie vor (FN 86). 89 Staatssoziologie, S. 79.
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
131
über das Staatswesen voraus, an Hand derer sich erst eine kritische Meinung bilden kann 90 . Auch Wahlen und Abstimmungen können ihre Funktion nur erfüllen — und diese Einsicht ist geradezu trivial —, wenn der Abstimmende in der Lage ist, sich ein Urteil über die zur Entscheidung stehenden Fragen zu bilden und über die Amtsführung der politischen Führung genug weiß, „um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können" 91 . Sein Wissen muß sich dabei nicht nur auf bereits getroffene Entscheidungen beziehen, sondern auch auf Entscheidungsprozesse, -grundlagen und -alternativen 92. Das „Fabrikationsgeheimnis des Monarchen" 93 gehört der Verfassungsgeschichte an 94 . Eine informierte und kritisch respondierende Öffentlichkeit, die politische Mündigkeit und Urteilsfähigkeit der Bürger sind die Ideale jeder richtig verstandenen Demokratie 95 . „Grundlage der einenden Staatsgewalt ist die staatsbürgerliche Mitwirkungsbereitschaft, die in stetiger Unterrichtung über staatliches Planen und Handeln erneuert und gefestigt werden muß. Das demokratische Prinzip baut auf den informierten, am Staatsleben ständig teilhabenden Bürger, seine wissende Nähe zum Staat" 96 . Transparenz der Regierungsarbeit wird daher auch als „Endzustand" der repräsentativen Demokratie beschrieben 97. Sie ist daneben ein geeignetes Mittel zur Kontrolle staatlichen Handelns. Ihr Rückkoppelungseffekt erhöht die Wahrscheinlichkeit sachgerechter Entscheidungen, da aufgrund der Präsenz der von ihr selbst hergestellten Öffentlichkeit die Exekutive in jeder Etappe ihres Entscheidungsprozesses überprüft, ob sie sich in den Augen des Publikums sachgerecht verhält 98 . Das Bewußtsein, von der Öffentlichkeit beobachtet zu werden, erhöht den Legitimationsdruck auf Regierung und Administration 99 . Wo es um die Regierung als gesamtplanende Zentralinstanz geht, ist die Publizitätspflicht 90 BVerfGE 27,71 (81); Klein, Legitimität gegen Legalität, S. 650; Groß, Verschwiegenheitspflicht, S. 23; derselbe, ArchPR 1965, 490; Genscher, ArchPR 1965, 560 ff. (561); Schröder, Die Verwaltung 1971, 301 (304); s. auch Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 64. 91 So BVerfGE 44, 125 (147); s. auch Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 366. 92 Hett, S. 136. 93 Carl Schmitt, Die Diktatur, S. 14. 94 S. aber noch Karl Zeidler, Auskünfte und Zusagen, S. 10: „Was der Bürger wissen muß, erfährt er allein aus dem Gesetz und seiner Konkretisierung durch den Verwaltungsakt". 95 BVerfGE 27, 71 (81); Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 125; derselbe, Handbuch Staatsrecht III, § 59 Rdnr. 174; Stem, Staatsrecht I, S. 615; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 393; Stein, Staatsrecht, § 13 I (S. 98); Rotta, S. 53 f.; Lower, JZ 1981, 730 (735); s. auch die Empfehlung des Europarates Nr. 854/1979 vom 1.2.1979, abgedruckt bei Rotta, S. 120 f. 96 Kirchhof, JZ 1989, 453 (455) 97 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 83. 98 Schmidt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, §31 Rdnr. 27; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 152; Schröder, Die Verwaltung 1971, 301 (304 f.); Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 (67 f.); derselbe, DVB1. 1971, 139: „Transparenz im Lichte des Rechtfertigungszwangs"; vgl. auch Rotta, S. 146. 99 Rotta, S. 146. *
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
am intensivsten, da um ihrer Beweglichkeit und Dynamik willen der Rahmen der verfassungsrechtlichen Bindung relativ weit gezogen und damit weniger justiziabel ist. Gubernative Regierungstätigkeit ist daher besonders kontroll- und legitimationsbedürftig. Sie ist es weniger im Rahmen der Administrative, die als gesetzesgebundene Verwaltung lediglich Entscheidungen umsetzt und realisiert 100 . Die Pflicht der Regierung zur Publizität im Sinne „lückenloser, laufender Berichterstattung" steht infolgedessen auch völlig außer Streit 101 . Die stereotype Forderung nach Publizität sagt aber nichts darüber aus, ob allein damit das „Staatsziel Demokratie" erreicht wird, das einen „engen Kontakt zwischen Regierenden und Regierten" voraussetzt, damit die Regierungshandlungen „von der Gesamtheit wirklich angenommen werden" 102 . Wer wie Jerschke die „ständige Kommunikation" mit den Staatsbürgern einfordert 103 , zugleich aber die Ansicht vertritt, die demokratische Staatsform beinhalte nicht mehr als die grundsätzliche Verpflichtung zur Öffentlichkeit 104 , stellt dabei nicht in Rechnung, daß erfolgreiche Kommunikation auch von den Medien sowie von den Bedürfnissen der Empfänger und deren Aufnahmebereitschaft 105 abhängt. Jerschke deutet zwar immerhin an, daß die Legitimationskette zwischen Regierung und Volk abreißen kann, wenn der Kommunikationskontakt durch Isolation der staatlichen Organe gestört ist. Sein Hinweis, daß dieser Isolation durch Information entgegengewirkt werden kann 106 , ist jedoch zu undifferenziert und bestätigt die Kritik Otto E. Kempens an der himmelwärts entrückten Verschwommenheit des Transparenzgebotes 1 0 7 . c) Die Pflicht der Regierung zum Ausgleich gesellschaftlicher Kommunikationsstörungen Durch bloße Publizität kann zwar der Selbstisolierung der Regierung durch die Bildung von Arkanbereichen 108 entgegengewirkt werden. Die Isolation kann jedoch auch von den Kommunikationsmitteln, insbesondere den Medien, sowie vom Staatsvolk selbst herrühren. Diese zu überwinden oder ihr vorzubeugen, bedarf einer anderen Qualität von Öffentlichkeitsarbeit als bloße Transparenz.
loo Rotta, S. 58 f.; Kempen, Grundgesetz, S. 220. ιοί Vgl. nur Kempen, wie vor, S. 219 f. 102 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 75 unter Hinw. auf Scheuner, DÖV 1965, 577 (579 f.). 103 Jerschke, wie vor, S. 75, 121. 104 wie vor (FN 102). 105 S. Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 117. 106 Öffentlichkeitspflicht, S. 121. 107 Grundgesetz, S. 178. los Zur Rechtfertigung von Nachrichtensperren s. unten 5. Teil, 2. Kapitel zu IV.
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
133
Ob die Regierung auch von Verfassungs wegen zu mehr als bloßer Publizität verpflichtet ist, kann nur mit Blick auf den Kommunikationsmechanismus der Verfassung und auf die Verfassungswirklichkeit beantwortet werden. aa) Die Kommunikationsordnung
des Grundgesetzes
Das Grundgesetz, dessen freiheitlich-demokratische Grundordnung sich über die Entfaltung des einzelnen in Kommunikation und Interaktion konstituiert 109 und Information als „staatsbürgerliches Grundnahrungsmittel" 110 schützt, enthält eine Organisations-, eine Verfahrens- sowie eine zugehörige Informationsstruktur, in deren Rahmen sich die Meinungs- und Willensbildung zu vollziehen hat 111 . Sie verweist den Informationswilligen wie den Informationsbedürftigen auf eine Meinungsäußerungs-, Informations-, Presse- und Rundfunkfreiheit. Diese Teilelemente aus Kommunikator-, Rezipienten- und Medienfreiheit bilden eine übergreifende Kommunikationsverfassung 112, deren gemeinsamer Bezugspunkt die Willensbildungsfreiheit ist 1 1 3 . Kommunikative Entfaltung hat einerseits individualrechtliche Bezüge, da es zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen gehört, „sich aus möglichst vielen Quellen zu unterrichten, das eigene Wissen zu erweitern und sich so als Persönlichkeit zu entfalten" 114 . Andererseits ist sie das Grundelement des politischen Willensbildungsprozesses und daher für die freiheitliche Demokratie schlechthin konstituierend 115 . Die Kommunikationsfreiheiten sind also funktional eng mit den Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes verknüpft 116 . Funktionieren kann Kommunikation aber nur im Konzert gleichberechtigter Kommunikationspartner. Dabei umfaßt die Meinungsäußerungsfreiheit nach herrschender Auffassung das Recht auf freien Empfang herangetragener Informationen, stellt also ein „aufgedrängtes" Recht des Rezipienten dar, das wiederum Voraussetzung einer Meinungsäußerung des Kommunikators ist 1 1 7 . Gleichwohl trifft der Staat in dieser Kommunikations struktur bei seinem Informationsbemühen auf einen Bürger, der in „kommunikativer Selbstbestimmung"118 frei darin ist, sich dem Kommunikator
109 BVerfGE 7, 198 (208); 20, 56 (97 f.); 20, 162 (174 f.); 27, 71 (81); 50, 234 (239 f.); 57, 295 (319 f.); 69, 315 (345); Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 94; Löwer, JZ 1981, 730 (736). no Windsheimer, S. 21. m Vgl. Scholz, Medienfreiheit, S. 355 (360). h 2 Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 94; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 116; Kempen, Grundgesetz, S. 185 f. 113 Hoffmann-Riem, in: Alternativkommentar, Art. 5 Rdnr. 16; Rotta, S. 46. 114 BVerfGE 27, 71 (81). us BVerfGE 27, 71 (81 f.); Herzog, in: M / D / H / S c h , Art. 5 1,11, Rdnr. 6 ff. 116 BVerfGE 20, 162 (175 ff.); 35, 202 (219 ff.). 117 Rotta, S. 47. us Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 95.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
zu verschließen und der von seiner „negativen Rezipientenfreiheit", nicht hören und sehen zu müssen 119 , infolge des Medienüberangebots und der damit verbundenen Reizüberflutung 120 immer mehr Gebrauch macht. Die Forderung der Aufklärung, jede Meinung müsse auch eine „eigene Meinung" sein, ist heute kaum mehr erfüllbar. Es ist bei der Kompliziertheit aller Zusammenhänge und der Zeitknappheit unmöglich, zu allem eine eigene Meinung zu haben. Die heutige Situation ist vielmehr gekennzeichnet vom Hervortreten der Gruppenmeinung 121, in deren Zusammenschluß Individualmeinungen eine gewisse Aussicht auf Verwirklichung haben 122 . Schon Scheuner wies darauf hin, daß sich das Individuum heute nicht mehr hörbar zu machen vermag, es sei denn, es handelt sich um herausragende Meinungsführer 123. Politische Antriebe bedürfen also der Sammlung, Sondierung und des Ausgleichs. Diese „Vorformung des politischen Willens" geschieht vornehmlich in den Medien und im Bereich der „intermediären Gewalten", der organisierten Gruppeninteressen in Verbänden und Parteien, deren Existenz und Handeln das Grundgesetz in Art. 5, Art. 9 und Art. 21 Abs. 1 Satz 1 ermöglicht und sie damit als weiteres Element unmittelbarer politischer Willensbildung der demokratischen Ordnung einfügt 124 . Sie sind entscheidende Faktoren bei der demokratischen Willensbildung sowie bei der Vermittlung demokratischer Legitimation 125 und gelten als „Brückenköpfe" zur Überwindung der Kluft zwischen der politischen Führung und dem Staatsvolk 126 . Π9 S. Götzfried, NJW 1963, 1961 ff.; Kimminich, Der Staat 3 (1964), 61 ff.; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 148 f.; Degenhart, BK (Zweitbearb.), Rdnr. 286 zu Art. 5 GG; Kirchhof, Handbuch Staatsrecht III, § 59 Rdnr. 176; Gramm, NJW 1989, 2917 (2922); ders., Der Staat 30 (1991), 51 (75); Ehlers, JZ 1991, 231 (233); Kloepfer, Produkthinweispflichten, S. 58 ff. (63 ff.) m. w. Nachw.; siehe dazu auch unten 6. Teil, 3. Kapitel zu VII. 120 Gramm, ZRP 1990, 183 (185). 121 S. dazu schon BVerfGE 20, 56 (99): „Weiterhin versuchen Gruppen, Verbände und gesellschaftliche Gebilde verschiedener Art auf die Maßnahmen der Regierung und die Beschlüsse der gesetzgebenden Körperschaften im Interesse ihrer Mitglieder einzuwirken. Vor allem aber sind es die politischen Parteien, die zwischen den Wahlen im Sinn der von ihnen mitgeformten Meinung des Volkes die Entscheidung der Verfassungsorgane, insbesondere die Beschlüsse der Parlamente, beeinflussen; sie wirken auch auf die Bildung des Staatswillens ein." 122 Vgl. etwa Isensee, Regierbarkeit, S. 28; Klein, DÖV 1962, 615 (618 ff.). 123 Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1 (24). 124 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 151. 125 Stem, Staatsrecht I, § 18 Anm. II 5 (S. 620); Hans H. Klein, DÖV 1962, 615 (618 ff.) m. w. Nachw.; Hirsch / Schmidt-Küntzel, Plädoyer für ein Gesetz, S. 7; Bodo Klein, S. 141. 126 Herzog, in: M / H / D / Sch, Rdnr. 71 zu Art 20 Kap. I; Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 32; Kirchhof, Handbuch Staatsrecht III, § 59 Rdnr. 176; Kloepfer, Handbuch Staatsrecht II, § 35 Rdnr. 35 f.; zur Mittlerfunktion der Medien grundlegend BVerfGE 20, 162 (175) — Spiegelurteil; s. auch Jarass, AfP 1979, 228 (229); derselbe, Freiheit des Rundfunks, S. 28 f.; Bodo Klein, S. 141; Klingemann / Voltmer, Massenmedien, S. 221 ff.
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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In der Verfassungswirklichkeit wird diese Brückenkopffunktion häufig nicht erfüllt. Vielmehr haben sich Parteien, Verbände, Gewerkschaften und auch manche Medien als beherrschende „Willensbildungskartelle" entwickelt, die außerhalb ihrer Interessen liegende Alternativen vom politischen Prozeß fernzuhalten versuchen 127 und im übrigen überwiegend mit sich selbst kommunizieren 128 . Wo sich aber Tendenzträger zu Sprechern einer angeblichen „öffentlichen Meinung" machen, wird die Balance derselben als austariertes intermediäres System gestört 129 . Die Parteien haben zwar trotz ihrer verfassungsrechtlichen Sonderstellung „kein Monopol, die Willensbildung des Volkes vorzuformen und zu beeinflussen" 130 . Sie stellen jedoch anerkanntermaßen diejenige Kraft dar, die maßgeblich politischen Volkswillen in Staatswillen umsetzt 131 , aber auch umgekehrt den Staatswillen in verständlicher Form an das Volk rückkoppelt 132 . Wird dieser Rückkoppelungseffekt verfehlt, können gesellschaftliche Fehlentwicklungen entstehen, die vom bloßen Unbehagen gegenüber den Parteien bis zum extrakonstitutionellen Engagement reichen und damit die Konsensbildung gefährden 133. Es mehren sich gewichtige Stimmen, die auf die zunehmende Unzulänglichkeit dieser besonderen Aufgabenerfüllung durch die Parteien hinweisen 134 . Dennoch 127 Vgl. BVerfGE 69, 315 (346); Kempen, S. 200; Schmidt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 39; Bodo Klein, S. 140. 128 Eine Wandlung der Volksparteien zu Klassenparteien mit der Folge des Zerfalls des Konsenses über die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenwirkens befürchtet etwa Kirsch, Steuerung und Steuerungsversagen, S. 108 ff. (113, 119). 129 S. Stock, Medienfreiheit, S. 25. 130 BVerfGE 41, 399 (416 f.); anders das Sondervotum Rottmanns in BVerfGE 44, 125 (181 ff.) 131 BVerfGE 1, 208 (224); 8, 104 (113); Stem, Staatsrecht I, S. 309; abzulehnen aber die Leibholzsche Theorie vom „Parteienstaat", s. zuletzt dessen Anmerkung zu BVerfGE 20, 56, in: Leibholz / Rinck / Hesselberger, GG, Anm. 10 zu Art. 21 (S. 549 ff.). 132 Stem, Staatsrecht I, S. 459. 133 Stern, wie vor. 134 S. etwa von Arnim, DÖV 1985,593; Wassermann, Demokratiedefizite im Parteienstaat, S. 15 ff.; instruktiv auch die Beiträge von Isensee, von Münch, Biedenkopf, Schily und von Oertzen in der Podiumsdiskussion zum Thema „Parteienstaat und Bewältigung der Zukunftsaufgaben", Verhandlungen des 56. DJT 1986, Bd. II, S. Q 8 ff.; Herzog, DÖV 1989, 465 (470); Manfred Schmidt, Die Politik des mittleren Weges, S. 23 ff.; Kirsch, Steuerung und Steuerungsversagen, S. 99 (108, 114, 119), vermutet die Rückentwicklung der Volksparteien zu innovationsunfähigen Klassenkampfparteien bei erstarkendem Einfluß der Interessen verbände auf diese; Klages, Wandlungen, S. 20 f., sieht bei den Parteien die Entwicklung einer sozialwissenschaftlich reflektierten Technologie der Wählerbeeinflussung, in deren Kontext politische Programmansätze nicht mehr aus Ideen, Leitbildern und Ideologien, sondern primär aus einer wahlpolitischen Erfolgsprognose abgeleitet werden; Holzer, ZRP 1990, 60 (61), wähnt die Parteien in einer das parteipolitische Feindbild perfektionierende „Abgrenzungsmanie"; Schulz, Politikvermittlung, S. 138, bezeichnet Wahlkämpfe als „Lehrstück für die Inszenierung von Pseudopolitik"; prägnant zum parteipolitischen Koalitionswesen auch Scholz, 40 Jahre Grundgesetz; auch die von Kerssenbrock, ZRP 1989, 337, nachgewiesenen Defizite der politischen Parteien bei den ihnen von Verfassungs wegen angelegten Maßstäben ihrer inneren
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
handelt es sich bei der in § 1 Abs. 2 PartG erwähnten „Aufgabe", die politische Bildung anzuregen und zu vertiefen sowie die Teilnahme am politischen Leben zu fördern, auch nach jüngerer Ansicht des BVerfG nicht um eine Rechtspflicht, sondern um eine bloße Verfassungserwartung, die die Parteien erfüllen können, aber nicht müssen135. Ihr Kommunikationsziel ist in erster Linie auf politische Werbung ausgerichtet, die im wahren Sinne des Wortes „parteiisch" ist 1 3 6 . Es liegt insoweit daher zumindest kein Kommunikationsdefizit vor, welches durch regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit zu substituieren wäre. Anderes gilt dagegen für die Medien. Diese haben eine Vermittlungs- und Mediationsfunktion 137 und stehen in der Verantwortung, als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung zu wirken, dem Bürger Urteil und Entscheidung zu erleichtern und Schaden für die öffentliche Meinungsbildung abzuwenden 138 . Der Erfüllung dieser Aufgabe dient nicht zuletzt der Grundsatz der staatlichen Unabhängigkeit der Medien 139 . Auch ihnen obliegt zwar keine rechtsverbindliche Pflicht im Sinne einer demokratiestaatlichen Funktionalisierung der Presse- und Rundfunkfreiheit, an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken 1 4 0 , sondern „nur" eine dahingehende „öffentliche Aufgabe", deren Nichterfüllung keinerlei Sanktionen zur Folge hat 141 . Allerdings erreicht die Regierung, solange sie jeglicher eigener Verfügungsbefugnis über die elektro-physikalischen Medien 142 entbehren muß, den überwiegenden Teil der Bürger 143 nicht mehr ohne die Vermittlung der Medien 144 . Sie trifft hier aber wiederum auf Freiheitsrechte, mittels derer ihr der Informationsfluß aus der Hand genommen wird und die Informationen im „Filter des institutionalisierten Mißtrauens der Medien" 145 , der sog. vierten Gewalt 146 , ausgewählt und nach Gutdünken ausgesondert oder Ordnung (Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG) sind emstzunehmende Zeichen schwerwiegender Fehlentwicklungen in der Parteienlandschaft. 135 So BVerfGE 73, 1 (33 f.); s. auch Isensee, Der Parteienstaat, S. Q 12. 136 BVerfGE 73, 1 (34); vgl. auch Simon, Politische Bildung durch Parteien, S. 46 f. 137 Vgl. Jarass, Freiheit des Rundfunks, S. 28 ff. 138 BVerfGE 12, 205 (260); 20, 164 (175); s. dazu auch unten 2. Kapitel zu II.l. und
2.
139 Jarass, Freiheit des Rundfunks, S. 30. 140 Vgl. Starck, Handbuch Staatsrecht II, § 29 Rdnr. 38. 141 Jeder „Verfassungsauftrag" im Sinne juristischer Verbindlichkeit würde, wie Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 67, anmerkt, das Ende der Pressefreiheit bedeuten; vgl. auch Löffler/Wenzel, Rdnr. 39 zu § 3 LPG; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 233 f. 142 Mit Ausnahme ihres Verlautbarungsrechts, s. dazu sogleich im 2. Kapitel unter II. 143 Gemeint ist die sog. passive Öffentlichkeit im Gegensatz zur aktiven, sich aus den politisch Interessierten und Organisierten zusammensetzenden Öffentlichkeit. 144 Vgl. Steinmüller, BT-Drucks. VI/3826, S. 66; Isensee, Regierbarkeit, S. 22.; Gramm, ZRP 1990, 183 (185). 145 Kirchhof, JZ 1989, 453 (455). 146 Löffler /Ricker, Kap. 3 Rdnr. 25; vgl. auch Kirchhof, wie vor; Kriele, ZRP 1990, 109 (111).
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1. Kap.: Verfassungskompetenzen
dargeboten und kommentiert werden 147 . Die Nachrichtenmedien stellen also die entscheidende Schnittstelle zwischen Regierung und Öffentlichkeit dar 148 . Als einer der ersten hat Kimminich auf die damit verbundene Gefahr hingewiesen, daß der Staat durch die Medien von seinen Bürgern isoliert werden kann 149 . Da sich die öffentliche Meinung aber nur dann richtig bilden kann, wenn der Mediennutzer zutreffend und umfassend unterrichtet wird 1 5 0 , liegt es nahe, der Frage nachzugehen, ob und wie die den Medien obliegende „Aufgabe" heute erfüllt wird. bb) Die Organisation der Massenkommunikation
in den Medien
Der derzeitige Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft vollzieht sich nach Ansicht von Scholz / Pitschas „nicht ohne krisenhafte Zuspitzung" 151 . Noch nie zuvor standen wirtschaftlichen Interessengruppen und politischen Systemen solch enorme technische und finanzielle Mittel zur Kommunikation und „Bearbeitung" der öffentlichen Meinung zur Verfügung. Man spricht von der sich aus der technikgestützten Information und Kommunikation ergebenden „neuen Öffentlichkeit" 152 , sogar schon von der „Telekratie" 153 , „Fernsehdemokratie" 1 5 4 bzw. „Mediendemokratie" 155 . Im Golfkrieg beherrschte Anfang September 1990 das Wort vom „Medienkrieg" die Schlagzeilen, als die Präsidenten des Irak und der Vereinigten Staaten von Amerika die öffentliche Meinung der jeweils anderen Nation gegen ihre Regierung aufzubringen versuchten. Die organisierte Massenkommunikation steuert — nicht erst seit ihrer Mutation zum Unterhaltungsmedium — die Verteilung der knappen Ressource gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und damit zugleich die gesellschaftliche Thematisierung, die sog. Medienrealität 156 , nach bestimmten Regeln: über den Wert einer Nachricht bestimmen Kriterien wie Überraschung, Neuigkeit und Aktualität eines Ereignisses, Einfluß und Prominenz der Akteure, Konflikte, Krisen, Normverletzungen 157 . Infolge der „strukturellen Neophilie" 158 und Dramatisierungsten147 Kirchhof, wie vor (FN 145). 148 Erbring, S. 301. 149 JZ 1963,769 (770); ebenso Czajka,S. 166;Plenge, S. 36,101; Bodo Klein, S; 282 f. 150 BVerfGE 12, 113 (130); s. auch Merten, DÖV 1990, 761 (769); Kriele, ZRP 1990, 109 (113). 151 Scholz / Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 18; zur soziologischen und sozialpsychologischen Realität der Informationsgesellschaft s. Klages, Wertedynamik, S. 155. 152 Scholz/Pitschas, AöR 110 (1985), 489 (520). 153 Isensee, Regierbarkeit, S. 22. 154 Helmut Schmidt, S. 288 ff. (301). iss Heintzen, NJW 1990, 1448 (1451); von Mannstein, S. 31. 156 Sog. Agenda-Setting-Funktion der Medien, vgl. Erbring, S. 302 f.; s. dazu auch unten 7. Teil, 2. Kapitel zu 1.1. 157 Klages, Steuerung des Wohlfahrtsstaates, S. 38; Erbring, S. 304.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
denz 159 auf der einen Seite und der Neigung zur Nivellierung von Belangvollem und Belanglosem, Kompetentem und Inkompetentem auf der anderen 160 erhält das vermittelte Bild zwangsläufig eine Realitätsverzerrung. Zudem stehen die Medien, die Kritik stets besser transportieren als zustimmendes Schweigen, in dem Ruf, in ihnen habe sich „eine schleichende Zensur zugunsten des Negativen und Destruktiven" eingenistet, während Wahres, Schönes und Gutes als „provinzielle Idylle oder als Ideologie" gelten 161 . Die Folge hiervon ist eine Gewöhnung der Gesellschaft an katastrophische Entwicklungen bis hin zur Gebärung und Nährung resignativer Tendenzen162. Das Problem verstärkt sich noch, wenn die Massenmedien ihrer Rolle als Informationsvermittler zwischen Staat und Individuum nicht mehr genügen, etwa weil sie einseitig von den intermediären Gewalten in ihrer eigenen Meinungsbildung beeinflußt werden 163 , aus sich heraus die journalistische Berufsethik außer Acht lassen 164 oder weil eine gegenseitige Kontrolle infolge von weder ordnungspolitisch noch gesetzlich eindämmbaren 165 Konzentrationsbewegungen und des damit ständig wachsenden Einflusses einiger weniger Konzerne und Personen nicht mehr gewährleistet ist 1 6 6 . Auch wenn man den von Kriele erhobenen harten Vorwurf eines organisierten Mißbrauchs der Öffentlichkeit durch die Medien einmal beiseite nimmt, der die „wahre Öffentlichkeit" oft um des journalistischen Erfolges oder der eigenen politischen Idee willen entstellt sieht, indem mit Bildern suggeriert werde, Fakten iss Roegele, S. 184 ff. 159 Vgl. Quaritsch, Probleme der Selbstdarstellung, S. 49; Roegele, S. 196; Gramm, ZRP 1990, 183 (185). 160 Bergsdorf, Diskussionsbeitrag, in: Stern (Hrsg.), Rundfunk und Fernsehen, S. 82. 161 Ryffel, Pluralismus und Staat, S. 63; zustimmend Stern, Staatsrecht I, S. 620; Stürner, S. A 16.; die positive Seite dieser Tendenz zur Überbetonung von Fehlentwicklungen, nämlich die Ausübung des wichtigen „Wächteramtes", soll den Medien dabei freilich nicht abgesprochen werden. 162 Gramm, ZRP 1990, 183 (185); grundlegend Schulz, Fernseh-Paranoia, S. 112 ff.; s. dazu auch sogleich unten zu cc). 163 Vgl. dazu auch Staggat, S. 22; Steinmüller, S. 66. 164 Grundlegend Kriele, ZRP 1990, 109 ff.; vgl. auch Boventer, S. 3ff. Beispielhaft sei das Verhalten der Medien im Fall Barschel und anläßlich des Gladbecker Geiseldramas in den Jahren 1987 / 88 erwähnt, das Anlaß gab zu Appellen des Deutschen Presserates, des Deutschen Journalistenverbandes und des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger an die journalistische Kultur (Ausdruck geben die Presseerklärungen der Verbände vom 18. und 19. August 1988) — vgl. auch Mathias Schreiber, „Zu spät — Die Kamera als Mittäter", FAZ vom 19.8.1988. 165 Zu den Interventionsgrenzen s. etwa Herzog, in: M / D / H / Sch, Art. 5 I, II Rdnr. 187 ff. 166 S. die deutliche Warnung im 3. Fernsehurteil BVerfGE 57, 295 (323); vgl. auch Bullinger, AöR 108 (1983), 161 (192 f.); als Beispiel sei die Expansion der BertelsmannGruppe zum weltgrößten Medienkonzern und das Firmengeflecht des Filmhändlers Leo Kirch erwähnt; vgl. dazu Lohmeyer, S. 222 ff.; zur Pressekonzentration vgl. etwa R. Groß, DÖV 1976, 189 ff.; derselbe, DVB1. 1975, 236 ff.; König, S. 134 f.; Kunert, passim; Lerche, Verfassungsrechtliche Fragen zur Pressekonzentration, passim.
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durch Unterdrücken des Relevanten manipuliert, verdrängt oder mit Hilfe der Demoskopie labormäßig aufbereitet werden 167 , so bleibt doch der auch von journalistischer Seite als selbstverständlich zugestandene Mangel an Objektivität, da es bei der Mediendarstellung stets — auch bei der normalen seriösen Nachricht — um Auswahl und Plazierung, Regie und Dramaturgie, also um Manipulation der Information geht 168 . Diese übliche Verdichtung, Verflachung und Aufbereitung der Information zu einem Kunstprodukt reicht aber zur Unterrichtung des Bürgers über die immer komplizierter werdenden staatlichen Vorgänge häufig nicht aus 169 . Der Zuschauer, Zuhörer und Leser seinerseits identifiziert mangels besseren Wissens das ihm vermittelte Bild notwendig mit der Wirklichkeit und orientiert seine Meinung und seinen Willen daran. So kann es letztlich zu einer Perversion der Kommunikation und zu einer Machtausübung durch die Massenmedien führen, die unbestritten durch die „veröffentlichte Meinung" die Kristallisationsfragen der öffentlichen Meinung erzeugen 170. Unter der Führerschaft von Meinungsoligopolisten, aber auch unbeabsichtigt durch verfehlte Berichterstattungsregie kann bewirkt werden, daß die tatsächlichen Anschauungen des Staatsvolkes verfälscht dargestellt werden 171 . Das Meinungsklima der Bevölkerung und die unter Journalisten vorherrschende Meinung fallen auseinander. Es kommt zur sog. Schweigespirale, d. h. in einer Minderheitsphobie und Isolationsfurcht werden immer mehr Menschen veranlaßt, ihre vermeintliche Minderheitsmeinung für sich zu behalten. Dadurch verändert sich das Meinungsklima und wirkt sich schließlich auch auf die tatsächliche Willensbildung aus 172 . Kriele sieht durch diesen Kommunikationsmechanismus die Volkssouveränität ernstlich in Frage gestellt 173 . 167 Kriele, ZRP 1990, 109 (115 f.) mit Beispielen selektiver Berichterstattung, zu der er auch die hinreichend bekannte Technik der elektronischen Medien zählt, den Befragten auf eine viel zu kurze Stellungnahme zu beschränken („Einsdreißig") oder zusammenzuschneiden, so daß die Replik kaum noch plausibel erscheint; zu dieser Methode auch Helmut Schmidt, S. 299. 168 So Alt, S. 31 ff. (34); Roegele, S. 187. 169 So bereits Steinmüller, BT-Drucks. VI / 3826, S. 67; ebenso Roegele, S. 196, 201. ivo Vgl. statt vieler Kriele, ZRP 1990, 109 (111); Erbring, S. 308 ff. 171 Eindrucksvoll bspw. die sich diametral entgegenstehenden Schlagzeilen deutscher Boulevardblätter über die angebliche Mehrheitsmeinung der Bevölkerung zum künftigen Regierungssitz kurz vor dem Parlamentsbeschluß vom 20. Juni 1991. 172 S. Merten, DÖV 1990, 761 (769); Isensee, Regierbarkeit, S. 22; Noelle-Neumann, Öffentliche Meinung, S. 15 ff., 243; Lüscher, Medienwirkungen, S. H 38 m. w. Nachw. in FN 388; Kriele, ZRP 1990, 109 (114 f.); ein plastisches Beispiel lieferte die Berichterstattung über die Volkszählung 1987: Solange in den Medien die Gegner und Skeptiker die Diskussion bestimmten, ermittelte die Meinungsforschung lediglich einen geringen Teil der Bevölkerung, der sich überzeugt zeigte, die Mehrheit der Bevölkerung sei für die Volkszählung (Januar 1987: 23%). Erst nachdem das Thema auch in der Publizistik aus der Befürworter-Perspektive breit behandelt wurde, setzte ein drastischer Umschwung im Meinungsklima ein (im April 1987 glaubten bereits 48 % an die mehrheitliche Befürwortung). Entsprechend veränderte sich die Teilnahmebereitschaft, s. dazu Scheuch, S. 43; Schulz, Information? Aufklärung? Werbung?, S. 134. 173 ZRP 1990, 109 (111).
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Infolge dieses Vermittlungsmechanismus der Medien kann also eine hinreichende Information des Publikums in Frage gestellt sein. Er kann aber auch direkt auf die Politik selbst zurückschlagen, indem ein entsprechender Druck auf Verwaltung und Politik zu spontaner Mißstandsbeseitigung erzeugt wird, was die Tendenz zu Kurzatmigkeit und Dekonzentration verstärkt 174 . Unter dem Einfluß der Thematisierungszyklen der Medien entsteht durch die Beschleunigung aufeinanderfolgender Wellen von Meinungen, Gefühlen, Forderungen und Ansprüchen in der Bevölkerung und die gleichzeitige Bereitschaft politischer Parteien und Interessenverbände, kurzfristige Emotionalität aufzugreifen und sei es auch auf Kosten brauchbarer Problemlösungen auf die politische Agenda zu setzen, die Atmosphäre einer „Stimmungsdemokratie" 175 . Eine gegen sie gerichtete Diskussionswelle kann die Regierung häufig nur durch beschleunigte, nicht selten voreilige Durchsetzung ihres angegriffenen Planvorhabens brechen. Schon im Vorfeld unterliegt der auf Medienpräsenz angewiesene Politiker, da das Normale kaum Zugangschancen hat, „der Versuchung, sich mit ungewöhnlichen Vorschlägen hervorzutun, mindestens aber durch Übertreibungen für Polarisierung zu sorgen" 176 , um nach Möglichkeit das Fernsehen dem Drehbuch der Regierung folgen zu lassen177. Beide — Medien und Regierung — machen sich so nach der Ansicht Oberreuters durch Unterwerfung und Instrumentalisierung der mediendemokratischen Methodik gegenseitig zu Opfern 178 . Schon jetzt sind daher nach Ansicht zahlreicher Medien- und Politikwissenschaftler die Medien nicht in der Lage, den Kommunikationsfluß zwischen Regierung bzw. Behörden und Bürgern im nötigen Ausmaß in Gang zu setzen179. Sie wirken „mehr oder weniger intensiv, gewollt oder (meist) ungewollt, an dem Entfremdungsprozeß mit" 18 °. 174
Klages, Steuerung des Wohlfahrtsstaates, S. 38. S. Klages, Wandlungen im Verhältnis der Bürger zum Staat, S. 20; Oberreuter, Mediatisierte Politik, S. 175; s. auch Helmut Schmidt, S. 300, unter Hinweis auf die amerikanischen Verhältnisse: „Fernsehdramaturgie tritt vielfach an die Stelle von Staatskunst". 176 Wassermann, Zuschauerdemokratie, S. 149. 177 Oberreuter, Mediatisierte Politik, S. 178, unter Hinweis auf den amerikanischen „Fernsehpräsidenten" (so Helmut Schmidt, S. 301) Ronald Reagan. Oberreuter, wie vor; s. auch Maier, Recht und Politik, S. H 46. 179 AfK, S. 21 mit Hinw. in FN 54; Steinmüller, BT-Drucks. VI / 3826, S. 67; kritisch zu den „Massenblättern" bereits Krüger, Staatslehre, S. 566, der in Bezug auf die Bildung und Verbreitung der öffentlichen Meinung deren „Funktionslosigkeit" bis zur „Funktionswidrigkeit" vermutet; s. auch die von Staggat, S. 66 ff., aufgeworfenen Zweifel an der Fähigkeit der Presse zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe; zu weitgehend aber wohl die Vermutung von Bergsdorf, Über die Macht der Kultur, S. 14, die Feststellung dieses Mediendefizits habe unausgesprochen auch der Judikatur des BVerfG zur Öffentlichkeitsarbeit zugrunde gelegen; instruktiv auch die Analysen über die Wirkung des Fernsehens von Noelle-Neumann, Der getarnte Elefant, S. 139 ff.; Schulz, Fernseh-Paranoia, S. 112 ff.; Oberreuter, Mediatisierte Politik, S. 166 ff.; Roegele, S. 195 ff.; Kepplinger u. a., passim, sowie Kepplinger / Brosius, S. 8. 180 Wassermann, Zuschauerdemokratie, S. 149. 175
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Es verwundert daher auch nicht, daß trotz des beträchtlichen Anwachsens des Informationsangebotes und der gleichermaßen gestiegenen täglichen Mediennutzung der Grad an Informiertheit der politisch zumeist passiven Bevölkerung nicht zugenommen hat 181 . Vorhanden ist überwiegend ein nur oberflächliches, diffuses Wissen, das sich auf Krisen und Konflikte, einige Protagonisten und auf die eher dramatischen Formen politischen Handelns beschränkt 182. Der Bürger meint jedoch, auf dem laufenden zu sein und entwickelt auf dieser Basis seine Bedürfnisse. Folglich lebt er mit seinen partizipatorischen Ansprüchen über die Verhältnisse seiner politischen Bildung. Aus dieser Diskrepanz entstehen Ratlosigkeit, Mißtrauen und politische Entfremdung 183 . Das Lebenselexier der Demokratie, der Grundkonsens, gerät auf diesem Weg in Gefahr, so daß die Regierung verpflichtet sein kann, Kommunikationsstörungen im Bereich der Medien durch verstärkte Eigeninformation entgegenzuwirken 184. Die Einschätzung, wann eine solche Kommunikationsstörung vorliegt, ist Teil des politischen Ermessens der Regierung 185 . des Informationshandelns und ihre cc) Die Effektivität Abhängigkeit von der tatsächlichen Konsensfähigkeit und Aufnahmebereitschaft der Bürger Das Vorhandensein allgemein zugänglicher Informations- und Bildungsquellen genügt für sich allein genommen heute nicht mehr, um integrierend und konsensbildend zu wirken. Diese Quellen müssen auch vom Empfängerhorizont aus gesehen tauglich sein und von den Bürgern angenommen werden, um ein tatsächliches Mindestniveau an Information und Bildung zu erzielen 186 . Der Erfolg einer Kommunikationsmaßnahme, ob und wie sie Gehör findet, hängt von verschiedenen Faktoren ab, u. a. von der Botschaft selbst und ihrer Gestaltung und Verbreitung, von der Auslastung der Öffentlichkeit durch andere Ereignisse, vom Interesse bzw. der themenspezifischen Einstellung der Rezipienten 187 . Die Selbstdarstellung der Regierung kann insbesondere nicht lösgelöst von der „geistigen Verfassung" der Bürger betrieben werden 188 . 181 Noelle-Neumann, Femsehen und Lesen, S. 35 ff.; Schulz, Politikvermittlung, S. 143; Klages, Wandlungen, S. 15. 182 Schulz, wie vor, S. 135; Wildenmann, S. 49 f. 183 Schulz, wie vor (FN 181), S. 143 mit empirischen Belegen; zur faktischen Konsensfähigkeit s. sogleich im Anschluß unter cc). 184 Vgl. auch Ingrid Groß, S. 174, zur subsidiären Ersatzkommunikation des Staates bei Medienstreiks. iss S. dazu unten 4. Teil, 2. Kapitel zu II. 186 Isensee, Regierbarkeit, S. 36; Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken; S. 117; Ueberwasser, S. 244; Kolz, S. 22. ι«7 Vgl. etwa Schulz, Information? Aufklärung? Werbung?, S. 132; Ueberwasser, wie vor. ι 8 8 S. dazu auch Clausen / Dombrowsky, S. 19 ff.
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Wie oben dargelegt, ist die „öffentliche Meinung" ein soziales Phänomen. Sie ist eine epochaltypische und somit historische Kategorie, eine Sphäre, in der sich das Publikum als ihr Autor nach eigenen Gesetzen bildet 189 . Naturgemäß hängt auch die Konsensfähigkeit des Volkes mit seiner öffentlichen Meinung untrennbar zusammen. Ebenso wie sich Verfassungsinterpretation auch an der Verfassungswirklichkeit, also an einem Konsenswandel in der Gesellschaft zu orientieren hat 1 9 0 , muß auch die Bestimmung des Publizitätsgebotes von der Dynamik der sich ständig wandelnden Faktoren und Strukturen der öffentlichen Meinung ausgehen191. Das Bedürfnis zur Konsensherstellung wächst zwangsläufig mit dem Schwund des demokratischen Legalitätsglaubens, des Mehrheitspositivismus und des fraglosen Rechtsglaubens192. Um Konsens zu schaffen, müssen die Barrieren konträrer Stimmungen überwunden werden 193 . Je höher diese Barrieren sind, desto höhere Anforderungen sind an die Kommunikation zu stellen. Werden die Ressourcen des Konsenses und der Gehorsamsbereitschaft der Bürger knapp, müssen folglich die Staatsorgane, vor allem die Regierung, gegensteuern. Zeigen sich Partizipationsdefizite, muß auch die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit nach Wegen suchen, diese zu überwinden. Sie muß sich nötigenfalls — wie auf einer Gratwanderung — zur Kurierung gesellschaftspathologischer Symptome zwischen Bewußtseinsschärfung und Enthysterisierung bewegen 194 . Ihr Erscheinungsbild kann daher nicht statisch und auf bloße Transparenz fixiert sein. Auch das BVerfG spricht bewußt nicht von der bloßen Bekanntmachung des Regierungshandelns, sondern von seiner „Darlegung und Erläuterung" 195 . In seiner Judikatur werden in letzter Zeit mitunter sogar „plebiszitäre Tendenzen" sichtbar, in denen das vorgefundene oder nicht vorgefundene Staatsbewußtsein zur Richtschnur für Freiheitsgewährleistung und Leistungspflicht des Staates w i r d 1 % . So diagnostiziert das Gericht in seiner Brokdorf-Entscheidung ein „Bewußtsein politischer Ohnmacht und gefährliche Tendenzen zur Staatsverdrossenheit", denen durch ungehinderte Gewährleistung der Versammlungsfreiheit entgegengewirkt werden soll 1 9 7 . Im Volkszählungsurteil ist eine „Beunruhigung . . . in . . . Teilen . . . der Bevölkerung" 198 für das Gericht Anlaß, zur Bildung von 189 Vgl. Habermas, S. 13 ff.; Rinken, S. 23. 190 Vgl. Benda, DÖV 1982, 877 (879 ff.); Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 210. 191 Vgl. zuletzt Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (76). 192 So Isensee, Handbuch Staaatsrecht III, § 57 Rdnr. 94; s. nunmehr auch BVerwG, NJW 1991, 1770 (1771 1. Sp.). 193 Quaritsch, Probleme der Selbstdarstellung, S. 46. 194 Aktuelles Beispiel ist die AIDS-Kampagne der Bundesregierung, die nach der Erläuterung im Haushaltsplan verantwortungsbewußtes Verhalten entwickeln und stabilisieren, irrationale und übertriebene Ängste abbauen und solidarisches Verhalten unterstützen soll (Bundeshaushaltsplan 1990, Kapitel 1502, Titel 531 16-314). 195 BVerfGE 20, 56 (100); 44, 125 (147); 63, 230 (243). 196 Vgl. Würtenberger, wie vor (FN 190). 197 BVerfGE 69, 315 (346). 198 BVerfGE 65, 1 (3 f.).
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Vertrauen durch Offenlegung und zur Vermeidung „schwindender Kooperationsbereitschaft" 199 von Legislative und Exekutive eine effektive Unterrichtung der Bürger über ihre Rechte im Erhebungsverfahren zu verlangen 200 . Der Intensitätsgrad der Informationstätigkeit ist also von der Effizienz 201 bestimmt und diese wiederum von dem beim Rezipienten vorhandenen Kenntnisstand und Konsensgrad, seinen Vorbehalten und seiner Aufnahmebereitschaft. Es liegt auf der Hand, daß bei einem ausgeprägten Dissens in der Bevölkerung eine politisch relevante Thematik mit größerer Überzeugungskraft, Reichweite und Eindringlichkeit kommuniziert werden muß 2 0 2 , um sich im Meinungskonzert Gehör zu verschaffen. Das Maß dessen, wie intensiv die Regierung um den Grundkonsens werben muß, kann sich folglich nur bestimmen lassen, wenn ermittelt wird, wie es um den Grundkonsens bestellt ist — trotz der Schwierigkeit, dabei keinen juristischen Parameter anlegen zu können 203 : Der Wohlfahrts- und Sozialstaat der Bundesrepublik steht heute mit einer der höchsten Sozialleistungsquoten in der Spitzengruppe der westlichen Staatengemeinschaft. Dennoch ist seine Gesellschaft wie kaum eine andere in zunehmendem Maße gemeinwohlunfähig. Öffentliche Angelegenheiten und Fragen des Gemeinwohls rangieren auf der Interessenskala der meisten Bürger im unteren Bereich 204 . Karl Carstens spricht 1981 von einer „amorphen Mißstimmung gegenüber den bestehenden Verhältnissen" 205 und die unabhängige Gewaltkommission der Bundesregierung diagnostizierte bei der damals noch „Westdeutschen Wohlstandsgesellschaft im Jahre 1989 Zukunftsängste sowie Partizipationsdefizite und zeichnete das Menetekel einer „Reservearmee Staats- und Politikverdrossener" 206. Das sich dahinter verbergende Phänomen wird von Isensee ebenso scharf wie plastisch gezeichnet: „Die Deutschen proben scharenweise den Widerstand, den sie im Dritten Reich versäumt haben. Sie haben einen Typus des Widerstandskämpfers hervorgebracht, den die Jahrtausende der Geschichte des Widerstands199 BVerfGE 65, 1 (50). 200 BVerfGE 65, 1 (59). 201 S. jetzt auch BVerwG, NJW 1991, 1770 (1771 r. Sp.). 202 Auch Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 226, stellt eine unmittelbare Verbindung her zwischen vorhandenen Befürchtungen der Bürger und der Verpflichtung des Staates zur Öffentlichkeitsarbeit. 203 So Isensee, Diskussionsbeitrag in: Zur Regierbarkeit der parlamentarischen Demokratie, 15. Cappenberger Gespräch, 1979, S. 113 (115). 204 Von Roehl, S. 8 unter Hinw. auf Schulz, Information? Aufklärung? Werbung?, S. 132. 205 Reden und Interviews, S. 60. 206 S. Baumann, ZRP 1990, 105(106); ausführlich das von Edwin Kube und Wiebke Steffen erstellte „Zwischengutachten der Arbeitsgruppe B", in: Schwind / Baumann (Hrsg.), Bd. I, S. 379 ff., Rdnr. 46 ff., sowie das Erstgutachten der Unterkommission Öffentliches Recht (erstellt von Walter Rudolf, Hermann Hill und Edzard SchmidtJortzig), wie vor, Bd. II, S. 955. Rdnr. 100 ff.
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rechts noch nicht gesehen haben: den nachträglichen Widerstandskämpfer. Er kämpft gegen den Unrechtsstaat Hitlers aus sicherer Distanz, vom bequemen Unterstand einer rechtsstaatlichen Verfassung. Er zielt auf die nationalsozialistische Herrschaft, aber er trifft die parlamentarische Demokratie des Grundgesetzes" 207 . Schlechtes deutsches Staatsgewissen drücke das Selbstbewußtsein der bundesrepublikanischen Demokratie, der Ungehorsam gegen das staatliche Gesetz vermittle indessen eine Erlösung von der deutschen Erbsünde 208. Isensee listet die Widerstandsthemen der vergangenen Jahre auf: Aufrüstung, Nachrüstung, Raketenstationierung, Notstandsverfassung, Ordinarien-Universität, ,Berufsverbote 4, Großflughäfen, Kernkraftwerke, Atomdeponien, Volkszählung, fälschungssichere Personalausweise..., die gestützt seien auf die denkschematische „Technik, in jeder Suppe ein Haar, in jeder Wirklichkeit Entfremdung, in jeder Institution Repression, in jedem Verhältnis Gewalt und Faschismus zu entdekken" 2 0 9 . Kirchhof rechnet die festzustellende Grundhaltung distanzierender Kritik der langanhaltenden Periode des Friedens, der Verfassungssicherheit und des wirtschaftlichen Wohlergehens zu, die einen Hang zum Experimentieren und zum politischen Abenteuer ausgelöst habe. Der Staat werde als Ursprung und Ausdruck des Herkömmlichen gesehen, das sehr bald zum Engen werden und dann zu Grenzüberschreitungen einladen könne, auch infolge der Ermüdung durch Wiederholung politischer Formeln und Redewendungen210. Die Auseinandersetzungen der Parteien untereinander in ihrer immer ausgeprägteren Neigung zur Skandalisierung und Diskriminierung festigten schließlich die Einschätzung des beobachtenden Staatsbürgers von der Politik als „schmutzigem Geschäft", er wende sich ab, „überläßt letztlich den Staat den kritisierten Gruppierungen und zieht sich in die Salondiskussion, die Selbstberuhigung in Gesten des Protestes und Besserwissens, in die Flucht aus der Verantwortlichkeit durch zur Schau gestellte Resignation zurück" 211 . Auch Herzog erklärt die Symptome mit der „Legitimationskrise des Wohlstandsdenkens" der Mehrheitsgeneration, die nicht über den Integrationsfaktor: Überwindung des Nachkriegselends verfüge 212 . Daneben sei nicht nur das verbindende gemeinsame Bedrohungsgefühl mit dem Abbau der politischen Spannun207 Isensee, Ein Grundrecht auf Ungehorsam, S. 155; dazu auch Oberreuther, Bewährung und Herausforderung, S. 109 f.; Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 112 ff. 208 Isensee, wie vor, S. 156. 209 Isensee, wie vor, zuletzt zitierend Odo Marquard, Abschied vom Prinzipiellen, S. 11; vgl. auch Isensee, DÖV 1983, 565 ff.; hingegen ist für Würtenberger, NJW 1991, 257 (258), Bürgerprotest kein Anzeichen einer Staatskrise, sondern die Folge eines vor apokalyptischen Gefährdungspotentialen mahnenden „modernen Gefährdungsbewußtseins", welches allerdings auch auf schwer beherrschbaren aber leicht manipulierbaren Urängsten beruhe und damit leicht radikalisierbar sei. 210 Kirchhof, JZ 1989, 453 (458). 211 Kirchhof, JZ 1989, 453 (457). 212 DÖV 1989, 465 (468).
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gen zwischen West und Ost verschwunden, sondern die in einer pluralistischen Gesellschaft unbedingt nötigen einenden Elemente zur Schaffung eines Mindestmaßes an Gemeinsamkeit und Akzeptanz immer mehr abhanden gekommen. Die einander widerstreitenden weltanschaulichen Positionen seien weiter auseinandergedriftet und widersetzten sich oft schon denkgesetzlich jeder Möglichkeit eines substantiellen Kompromisses. Die ökonomischen Interessengegensätze zudem seien — merkwürdigerweise — im gleichen Maße gewachsen wie der allgemeine Wohlstand 213 . In einer viel zu unbekannten Abhandlung 214 stellt Klages eine ebenso düstere Diagnose zur Konsenskrise zwischen Staat und Gesellschaft: Eine positive gefühlsmäßige Beziehung zum demokratischen Staatswesen konzentriere sich „mit völliger Unmißverständlichkeit" allein auf die Leistungsseite des Sozialstaates215. Mit der Neigung der Bürger, den Staat aufgrund seiner sozialstaatlichen Leistungen zu bewerten, gehe die Neigung einher, bei autozentrischer Selbstzuschreibung des Guten die Negativerfahrungen dem Staat anzulasten216, was sich in der Gesamtbilanzierung der Staatsleistungen durch die Bürger im Sinne eines Abwertungseffektes niederschlage 217. Diese „sozialpsychologische Wandlungstendenz" ist nach Klages die eigentliche Begründung für die immer sichtbarer werdenden Diskrepanzen zwischen der objektiven Staats- oder Regierungsleistung und ihrer subjektiven Würdigung durch die Bürger 218 . Die Akzeptanz des Sozialstaats verbinde sich mit einem „Gefühl fundamentaler Abhängigkeit vom politischadministrativen Raum" 2 1 9 . Gleichzeitig sei die Bereitschaft zur direkten Mitwirkung im politischen Prozeß gemessen an der Gesamtbevölkerung verhältnismäßig gering 220 . Die unausweichliche Folge sei enttäuschtes Vertrauen und eine Mißtrauensneigung gegenüber „Politikern" und „Behörden" 221 . Demzufolge und auf213 Wie vor, S. 469. 214 Klages, Wandlungen im Verhältnis der Bürger zum Staat; derselbe in: Klages / von Arnim (Hrsg.), Probleme der staatlichen Steuerung und Fehlsteuerung. 215 So auch Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 107; Wildenmann, S. 57. 216 Selbst die mit dem Ölpreisschock 1973/74 ausgelösten Krisenängste wurden nicht als Probleme der Ökonomie, sondern als Zeichen des Staatsversagens und der Unregierbarkeit westlicher Demokratien interpretiert, so Jürgens, S. 17. 217 Klages, Wandlungen, S. 13; derselbe, Wertorientierungen, S. 97; derselbe, Steuerung des Wohlfahrtsstaates, S. 29. 218 Womit er zugleich ausdrücklich die Kritik an der mangelnden Fähigkeit der Bundesregierung, ihre Leistungen richtig zu „verkaufen", entkräftet (S. 13). 219 Damit erklärt sich auch, warum die seit 1982 im Amt befindliche Bundesregierung mit ihrem erklärten Ziel „weniger Staat" nicht reüssiert hat. 220 Wandlungen, S. 14. Klages verweist hier auf ein Potential an Wechselwählern von 30 bis 40%, die ihre Willensbildung von der momentanen Interessenlage abhängig machen. Mit dieser Diagnose fallen auch die Erwartungen, die der Verfassungsgeber mit Art. 21 GG hatte, in der Verfassungswirklichkeit anders aus. 221 Wandlungen, S. 16. Nach einem von Klages zitierten, im Auftrag des BMJFG im Jahr 1987 von Max Kaase erstellten Gutachten beträgt das Potential des „zivilen Ungehorsams" in der Jugend bis zu 30%. 44% aller Bundesbürger über 16 Jahre lehnen nach einer aus dem Jahre 1986 stammenden Umfrage des Allensbacher Instituts das „Gewalt10 Schürmann
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grund der stattdessen vorherrschenden Individualsouveränität sei der Bürger heutzutage zur Akzeptanz von Anforderungen, Belastungen oder Wunschversagungen von Staats wegen nur dann bereit, wenn er von deren Sinnhaftigkeit und Unvermeidbarkeit persönlich überzeugt worden sei 222 . Verbunden mit einer vorherrschend werdenden Mißtrauensdisposition werde die Inanspruchnahme von Individualsouveränität zu einem „explosiven Gemisch", in dem Protest- und Verweigerungsbereitschaft den Anschein einer Tugend erhielten, die man entwickeln müsse, um der „Würde des Menschen" teilhaftig zu werden 223 . Auch durch diese Anamnesen wird bestätigt, daß sich die Regierung zunehmend einer Stimmungsdemokratie ausgesetzt sieht. Es liegt auf der Hand, daß dies negativen Einfluß auf das Rückkoppelungsverhältnis zwischen Staat und Staatsvolk hat. Kirchhof zeigt auf, wohin Desinteresse am Staat und Streitbarkeit gegen den Staat letztlich führen: „Wenn der Bürger nicht mehr Teil des Staatsvolkes, sondern nur noch Kritiker eines von ihm abgehobenen Staates ist, die Staatsregierung nicht mehr als stabiler Repräsentant des Staates, sondern als labiler Inhaber einer von anderen begehrten Machtposition verstanden wird, die parlamentarische Opposition nur Gegner, nicht potentielle Mehrheit von morgen ist, so verliert das Staatsvolk — der Wähler — ein Stück seiner legitimierenden Souveränität und droht willfähriger Vollstrecker oktroyierter Empörung zu werden" 2 2 4 . Im hier untersuchten Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob es auf der Grundlage des Demokratieprinzips Aufgabe der Regierung sein kann, derartigen Kommunikationsstörungen durch bewußtseinsbildende Öffentlichkeitsarbeit präventiv und repressiv entgegenzuwirken.
monopol" des Staates ab; nach einer im Auftrag des BMI im August 1991 durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsumfrage des IPOS-Instituts in Mannheim („Einstellungen zu aktuellen Fragen der Innenpolitik 1991 in Deutschland") sind nur 52% der ostdeutschen Bürger mit der Demokratie zufrieden bei gleichzeitigem gegenüber dem Westen erheblich geringerem Vertrauen in die staatlichen Institutionen und größerer Konfliktbereitschaft bis hin zur Gewalttätigkeit; s. dazu etwa Süddeutsche Zeitung vom 23.8.1991, S. 8. Klages, Wandlungen, S. 17, zeigt sich überrascht, daß der Staat dazu neigt, sich solchen Entwicklungen nicht entgegenzustemmen. 222 Klages, Wandlungen, S. 16 f.; zur Anspruchsinflation derselbe, Steuerung des Wohlfahrtsstaates, S. 29; vgl. auch Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdnr. 152, sowie Jäger, Kanzlerdemokratie, S. 28 ff., zur chronischen Überforderung des Staates durch die ihm zugewiesene Allzuständigkeit. Das oben bei FN 4 angeführte Zitat Christian Wolff's zeigt, daß der Befund keinesfalls neu ist. 223 Wie vor, S. 17. 224 Kirchhof, JZ 1989, 453 (458).
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d) Die Mitbestimmung der öffentlichen Meinung durch regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit Einige. Stimmen im Schrifttum lehnen jeglichen Einfluß von staatlicher Seite auf die politische Willensbildung ab: So vertrat Lenz die Auffassung, der nur durch die Freiheit des Meinens und Wollens seiner Bürger legitimierte Staat könne — mit Ausnahme rechtsmaßgeblicher amtlicher Verlautbarungen — auf der Stufe der Meinungsformierung nicht als handelndes Subjekt erscheinen, sondern sich „nur in den Organhandlungen der Rechtserzeugung und Rechtsanwendung äußern" 225 . Ricker betrachtet es als „Verkennung der Volkssouveränität, wenn der Staat die Kompetenz erhielte, den Willensbildungsprozeß derjenigen mitzubestimmen, die ihn erst creieren sollen" 226 . Motor und Sprachrohr der öffentlichen Meinung sei die Presse; die ihr zufallende öffentliche Aufgabe könne nicht von der Staatsgewalt erfüllt werden 227 . Nach Hamann/Lenz verkehrt die Selbstdarstellung von Staatsorganen die Abfolge von der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung über den Wahlakt zur staatsorganisatorischen Willensbildung in ein System der antizipierten Repräsentation, das von Wahl zu Wahl den Regierungsparteien einen „propagandistischen Mehrwert" prolongiere 228 . Nach der Ansicht von Ridder 229 stülpt „Regierungswerbung . . . den zu den staatlichen Stellen hin verlaufenden Meinungsprozeß um, verlagert das politische Entscheidungszentrum aus der Gesellschaft in die Regierungssphäre, degradiert die Gesellschaft mündiger Staatsbürger zur pseudoplebiszitär akklamierenden Bevölkerung und gibt am Ende der Wählerschaft bei Wahlen die Gelegenheit, ihrer Verbundenheit mit der (Reichs-)regierung Ausdruck zu geben" 230 . Nach Otto E. Kempen beeinträchtigt jede Motivierung durch „werbend-propagandistische Loyalisierungskampagnen staatlicher Instanzen" außerhalb der parlamentarischen Öffentlichkeit die freiheitssichernde Balance parlamentarischer Willensbildung und ist damit verfassungswidrig 231.
225 Lenz, JZ 1963, 341 (342). 226 Ricker, Das kommunale Amtsblatt, S. 294; ähnlich VG Bremen, NJW 1978, 1650 (1651) mit abl. Anm. von Ladeur, S. 1652. 227 Wie vor, S. 295 unter Hinweis auf BVerfGE 12, 205. 228 Hamann / Lenz, GG, Anm. Α. 1 zu Art. 5 GG. 229 Grundgesetz, S. 68. 230 Zuletzt unter Verwendung eines Zitats aus der Verordnung des Reichspräsidenten vom 14.10.1933 über die Auflösung des Reichstages. 231 Grundgesetz, S. 200, 260, 265; derselbe, DÖV 1972, 740 (741); derselbe, Der Staat 18 (1979), 81 (100). 10*
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Auch in jüngerer Zeit wird mitunter noch die Ansicht vertreten, der öffentlichen Gewalt sei die Beteiligung an der geistigen Auseinandersetzung und die Einflußnahme auf die massenmediale Kommunikation untersagt 232. Die Vertreter dieser Meinungen können sich nur auf den ersten Blick auf bundesverfassungsgerichtliche Judikatur berufen: Das BVerfG hat in der Tat bereits im 1. Parteienfinanzierungsurteil hervorgehoben, daß sich die Willensbildung „vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin" vollziehen müsse 233 . Richtig daran ist zweifelsohne, daß es eine vom Staat oktroyierte Steuerung der Willensbildung und damit eine Steuerung des Machterzeugungsprozesses in einer Demokratie ebensowenig geben kann wie eine Einflußnahme auf die Wahlentscheidung234. In Zweifel zu ziehen ist aber, ob die in den restriktiven Ansichten zum Ausdruck kommende Prämisse der „Staatsfreiheit" der politischen Willensbildung, die auf der klassischen Trennung von Staat und Gesellschaft beruht, haltbar ist. Bei nur vordergründiger Betrachtung mag man hierfür eine Bestätigung im 1. Parteienfinanzierungsurteil des BVerfG finden. Dort stellt das Gericht fest, „daß es den Staatsorganen grundsätzlich verwehrt ist, sich in bezug auf den Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen, daß dieser Prozeß also grundsätzlich ,staatsfrei 4 bleiben muß" 2 3 5 . Es hieße jedoch, die Entscheidung zu mißdeuten, wollte man ihr ein generelles Verbot der staatlichen Einflußnahme auf den Prozeß der politischen Meinungsund Willensbildung entnehmen236. Das Gericht läßt nämlich die Durchbrechung dieses Grundsatzes ausdrücklich dann zu, „wenn sie durch einen besonderen, sie verfassungsrechtlich legitimierenden Grund gerechtfertigt" werden kann und sieht u. a. als solcherart legitimierte, „unbedenkliche" Einwirkung die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit an 237 . Damit macht das Gericht den „Grundsatz der Staatsfreiheit der politischen Willensbildung" sogleich wieder zur Ausnahme und relativiert zugleich sein vorausgegangenes Postulat der Einbahnstraßen-Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin 2 3 8 . Folgerichtig hat das Gericht später dieses Postulat auch nur noch für den Wahlakt, nicht für den vorausgehenden Bereich der Meinungsbildung aufgestellt 239. Es verzichtet schließlich weitge232 S. zuletzt etwa Bodo Klein, S. 280, 285. 233 BVerfGE 20, 56 (99); ebenso 44, 125 (140). 234 S. auch Kremmer, S. 66 f. 235 BVerfGE 20, 56 (99); s. dazu auch Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 28; Herzog, in: M / D / H / Sch, Rdnr. 25 zu Art. 20 Kap. II; Quaritsch, Probleme der Selbstdarstellung, S. 28. 236 So aber offenbar Bärmeier, Das Verfassungsprinzip der „Staatsfreiheit", S. 32 (insbes. S. 37 f.), zugleich mit einer Übersicht über die Rechtsprechung des BVerfG zur „Staatsfreiheit"; wie hier Rauschning, JZ 1967, 346 (348 f.). 237 BVerfGE 20, 56 (99 f.), s. dazu auch Kremmer, S. 59 f. 238 BVerfGE 20, 56 (99). 239 BVerfGE 44, 125 (140).
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hend auch auf diese Zäsur, wenn es in seinem Beschluß vom 23. Februar 1983 nur noch verlangt, die Willensbildung des Volkes vor den Wahlen „nach Möglichkeit" von staatlicher Einflußnahme freizuhalten 240. Soweit das BVerfG in anderen Entscheidungen wiederholt hervorgehoben hat, daß der gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildungsprozeß „nach dem Willen des Grundgesetzes im Interesse der personalen Autonomie und des demokratischen Systems staatsfrei zu bleiben hat" 2 4 1 , so ist dies allein Ausdruck der staatlichen Neutralitätspflicht im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG 2 4 2 . Zu Recht verweist Otto E. Kempen selbst darauf, daß die These von der „staatsfreien" politischen Willensbildung sich schon mit dem parlamentarischen Öffentlichkeitsgebot 243 als einem tragenden Grundsatz mittelbarer Demokratie nicht vereinbaren läßt 244 . Auch darf nicht übersehen werden, daß jedwede politische Tätigkeit der Regierung mehr oder weniger starke Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung der Wähler und damit auf die Integration des Staatsvolkes ausübt 245 und als legitimer Einflußfaktor der öffentlichen Meinungsbildung anerkannt ist 2 4 6 . Politische Willensbildung kann demzufolge gar nicht „staatsfrei" sein 247 . Im übrigen berührt die bewußtseins-, nicht willensbildende Angebots-Information den Grundsatz der Staatsfreiheit jedenfalls solange nicht, wie die Regierung neben anderen Kommunikatoren „von gleich zu gleich" am Meinungsmarkt teilnimmt, ohne also hoheitliche Autorität in Anspruch zu nehmen und dadurch einen beherrschenden Einfluß auf den Kommunikationsprozeß gewinnen zu können 248 , wie er etwa vom rundfunkrechtlichen Grundsatz der Staatsfreiheit verhindert werden soll 2 4 9 . 240 BVerfGE 63, 230 (244). 241 BVerfG, JZ 1989, 840 (841); BVerfGE 20, 162 (174 ff.). 242 S. dazu unten 6. Teil, 3. Kapitel zu I. 243 Vgl. Art. 42 Abs. 1 Satz 1, Art. 44 Abs. 1 Satz 1, Art. 52 Abs. 3 Satz 3 GG. 244 Grundgesetz, S. 165 f., 176; Kempen will die vor dem Bundestag artikulierte Meinungswerbung der Regierung wegen der dortigen „manipulationshemmenden Verfahrensvorschriften" zulassen, nicht jedoch im außerparlamentarischen Raum, Der Staat 18 (1979), 81 (99 f.); er vernachlässigt dabei jedoch die kompensatorische Wirkung des Meinungsmarktes, die der parlamenarischen Redekultur kaum nachstehen dürfte. Das BVerwG zieht hingegen die zutreffende Parallele zwischen dem Darlegungsrecht der Regierung gegenüber dem Parlament und der allgemeinen Öffentlichkeit (s. zuletzt BVerwG, NJW 1991, 1770 (1772 r. Sp.). 245 Vgl. Starck, in: Handbuch Staatsrecht, Bd. II, § 29 Rdnrn. 5, 31; Kremmer, S. 67; Häberle, JuS 1967, 64 (67); s. auch den Hinweis des VerfGH NW, DVB1. 1985, 691 (693) sowie dessen Urteil vom 15.10.1991 — VerfGH 12/90 — sub B.III.l, auf den unvermeidlichen Amtsbonus der Regierungsparteien. 246 Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 30 unter Hinweis auf BVerfGE 8, 104 (113); 44, 125 (140 f.). 247 Krüger, Der Rundfunk im Verfassungsgefüge, S. 41, 56; Böckelmann / Mahle / Nahr, S. 94 f. 248 So auch Heintzen, VerwArch 1990, 532 (548).
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
Es kann nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein, dem Urproblem des Dualismus' von Staat und Gesellschaft weiter nachzuspüren 250. Das oben aufgezeigte Bedürfnis der Demokratie nach konsensstiftender Einsicht der Öffentlichkeit in das Regierungshandeln zeigt aber, daß es jedenfalls im Bereich der Meinungsund Willensbildung keine strikte Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft geben kann. Die öffentliche Meinung ist gerade keine autonome, sich von „unten" nach „oben" zwanglos entfaltende Sphäre. Der Prozeßcharakter der öffentlichen Meinungsbildung sperrt sich strukturell gegen die „Zernierung in einen von unten nach oben verlaufenden Meinungskanal" 251 . Ebenso wie das Demokratieprinzip die mitwirkende Initiative des Bürgers in Richtung Staat sichert, verlangt es gleichzeitig korrelative Impulse seitens des Staates an seine Bürger 252 . Die Sphäre der Öffentlichkeit auf der einen Seite und die Sphäre der öffentlichen Gewalt auf der anderen überlagern und durchdringen sich. Diese Wechselwirkung gegenseitiger Abhängigkeit 253 steht jeder „Einbahnstraßenkommunikation" entgegen 254 . Oberreuter faßt es mit dem Schlagwort zusammen: „Repräsentative Demokratie muß kommunikative Demokratie sein" 255 . Die neuere Staatsrechtslehre spricht vom „Rückkoppelungsverhältnis" zwischen Staatsführung und Staatsvolk, das mitunter sogar als Verfassungsrechtsverhältnis angesehen wird 2 5 6 . Rückkoppelung im hier gemeinten Sinne bedeutet für die Regierung die Verpflichtung, sich ständig um die Zustimmung einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht für die eigene Politik nicht nur durch Informations-, sondern auch durch Überzeugungsarbeit zu bemühen 257 , um so „für die eigene Existenz Sorge zu tragen" 258 . Erst wenn sich der Staat durch die Darstellung der Staatswirklichkeit seinen 249 s. etwa BVerfGE 57, 295 (323); vgl. dazu ausführlich unten 6. Teil, 3. Kapitel zu V.2.a). 250 Vgl. dazu etwa Hesse, DÖV 1975, 437 ff.; Rupp, Handbuch Staatsrecht I, § 28; Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 1 f.; Arndt, Begriff und Wesen der öffentlichen Meinung, passim. 251 Ladeur, NJW 1978, 1652; ebenso Häberle, JuS 1967, 64 (66 f.); s. auch Pernthaler, S. 132. 252 Häberle, JuS 1967, 64 (67); Klein, Legitimität gegen Legalität, S. 650; Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 83; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 116; Schröer-Schallenberg, S. 20. 253 Ricker, Das kommunale Amtsblatt, S. 287 (294); Rotta, S. 56, spricht treffend von der „Osmose" zwischen Staat und Gesellschaft; s. auch Schmitt Glaeser, VVDStRL 31 (1972), 179 (200); Ritter, Staatliche Steuerung, S. 348; Pernthaler, S. 132. 254 Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 30; Bord, S. 401 ff.; Löffler / Wenzel, Einl. Rdnr. 18; s. auch Schröer-Schallenberg, S. 19; Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (66). 255 Oberreuter, Bewährung und Herausforderung, S. 139. 256 Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 32. 257 Klein, Legitimität gegen Legalität, S. 651. 258 Benda, AöR 109 (1984), 1 (8). Das verfassungsrechtliche Fundament reicht daher erheblich tiefer, als es bei Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 81, 138, 165, in dessen zu starken Betonung des — als Verfassungsgrundsatz subsidiären — Effizienzgedankens anklingt.
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Bürgern verständlich gemacht hat, können diese ihm die erforderliche Autorität gewähren 259. Daß die Mitwirkung des Bürgers als „versteckte Ressource" erkannt 260 und die Autonomie des Staates zugunsten von Kooperation mehr und mehr zurückgenommen wird 2 6 1 , verdeutlicht ein Blick auf die modernen Verwaltungsfunktionen: Der Staat der Gegenwart erfährt gegenwärtig eine deutliche Funktionsverschiebung vom hoheitlichen Moment zum sogenannten „informellen" oder „informalen" Verwaltungshandeln, das längst zum rechtstheoretischen Modethema avanciert ist 2 6 2 . Der Schwerpunkt der Verwaltungstätigkeit hat sich von der Eingriffsverwaltung auf die Planungs-, Leistungs- und Förderungsverwaltung verlagert. Demzufolge haben sich Strukturen und Handlungsformen der Verwaltung geändert. Modernes kooperatives Verwaltungshandeln ist auf der kognitiven Ebene gekennzeichnet durch Information und Konsultation, Aufklärung und Hinweise 263 . Die Unterrichtung der Allgemeinheit ist heute kein „ungewöhnliches Lenkungsmittel" 264 mehr. Im Gegenteil: In der Erkenntnis, daß verstärktes Drehen an der Sanktionsschraube meist eine Verschlechterung der Einstellung der Bürger zum Staat bewirkt 265 , werden Befehl und Zwang allein heute nicht mehr als zuverlässige Garanten von Gesetzestreue und -befolgung angesehen266. Dies gilt erst recht dort, wo — wie etwa beim Umweltschutz — alle gleichermaßen „Täter" sind 267 . Der Verwaltungsakt als punktuelle Momentaufnahme einer zumeist nur bilateralen Beziehung zwischen Verwaltung und Adressat kann den Anforderungen infolge der Komplexität und Interdependenz von Verhaltens- und Geschehensabläufen nicht mehr in jedem Fall gerecht werden 268 . Vor allem planende Verwaltung benötigt eine möglichst dissensfreie Vertrauensbasis als „operative Ressource". Offensive Öffentlichkeitsarbeit als Teil eines „Akzeptanzmanagements", die im optimalen Fall einer Entscheidung „soziale Evidenz" und „alltagsweltliche Plausibilität" verschafft 269 , dient einerseits der Förderung öffentlicher 259 Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 125, u. Hinw. auf Herzog, Staatslehre, S. 171. 260 Hill, DVB1. 1989, 321 (327). 261 Hill, DVB1. 1989, 321 (324). 262 Hill, DVB1 1989, 321 (324 f.); ders., JZ 1988, 377; Ritter, S. 338 ff.; Schulte, DVB1. 1988, 512; Sodan, DÖV 1987, 858; Becker, DÖV 1985, 1003; Püttner, DÖV 1989, 137 (140) m. w. Nachw.; s. auch Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, passim. 263 Hill, DVB1. 1989, 321 (325). 264 So noch Kloepfer, Information als Intervention, S. 5; s. auch Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 14. 265 Klages, Steuerung des Wohlfahrtsstaates, S. 28. 266 Hill, JZ 1988, 377; Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (65, 70); so auch schon Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 94; Krüger, Rundfunk im Verfassungsgefüge, S. 41. 267 Gramm, ZRP 1990, 183 (186). 268 Hill, DVB1 1989, 321 (325). 269 Zu Vorstehendem s. Würtenberger, NJW 1991, 257 (259 f.).
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Beteiligungsprozesse als Frühwarnsystem, um Problemverständnis und Kompromißzonen auszuloten, andererseits als Treibsatz zur Erweiterung von Handlungsspielräumen und Erhöhung der Reformkapazität 270. Eine „von obrigkeitsstaatlichtechnokratischem Auftreten geprägte" Aufgabenerfüllung wird heute bereits als pflichtwidrig, nämlich als Verstoß gegen die Pflicht zu bürgerfreundlichem Verhalten angesehen271. Öffentlichkeitsarbeit, die Ge- oder Verbote entbehrlich macht, ist nicht nur bürgerfreundlich, sondern freiheitsschonend 272. Das Wesensmerkmal einer pluralistischen Demokratie, das Recht zum Dissens 273 , tastet sie dabei nicht an. Der demokratische Staat setzt daher auf Kooperation 274 , Partizipation und Akzeptanz 275 sowie auf „influenzierende Maßnahmen" 276 . Ihm fällt dabei die Aufgabe zu, die Konsensbildungsprozesse zu organisieren, zu moderieren, zu stimulieren und die erzeugte Solidarität zu stabilisieren 277. Die Regierung muß daher „in der Lage sein . . . auch als Moderator, Anreger und Förderer aufzutreten und die gesellschaftliche Entwicklung zu beeinflussen" 278. Sie ist insoweit selbst Faktor der politischen Öffentlichkeit und Lieferant des Rohstoffs sowie Mitgestalter der öffentlichen Meinung 279 . Die These von der Verfassungswidrigkeit staatlicher „Meinungspflege" kann in ihrer Absolutheit heute keinen Bestand mehr haben 280 . So kann dem BVerwG nur zugestimmt werden, wenn es in seinem 270
Vgl. Langer, Ordnungspolitik braucht eine kraftvolle Stimme. 1 OVG Koblenz, NJW 1990, 466 (467) 272 Gramm, ZRP 1990, 183 (189). 27 3 Würtenberger, NJW 1991, 257 (258). 274 S. etwa Ritter, AöR 104 (1979), 389 ff.; Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, passim. 27 5 Ossenbühl, Umweltpflege, S. 8. 27 6 Wie vor, S. 10; ein prägnantes Beispiel liefert auch der Bericht der Bundesregierung „über die Entwicklung der Adoptionsvermittlung" vom 8. Juni 1988, Pressedienst Nr. 111 des BMJFFG vom 8.6.1988, S. 29: Hierin wird hervorgehoben, daß zum Abbau von Hemmnissen gegen die Adoptionsfreigabe „durch geeignete Öffentlichkeitsarbeit . . . insbesondere der gesellschaftlichen Diskriminierung der Frau . . . entgegengewirkt werden" müsse. 277 Ritter, Staatliche Steuerung, S. 348 f. 278 Hill, DVB1 1989, 321 (327 auch 324); Kirchhof, Handbuch Staatsrecht III, § 59 Rdnr. 171, spricht vom „verfassungsrechtlichen Postulat, der Staat möge regelnd die willentliche Mitwirkung des Bürgers veranlassen"; derselbe, Verwaltung durch mittelbares Einwirken, S. 117, von der „geistigen Einwirkung des Staates auf seine Bürger" als „Vorbedingung jedes staatlichen Zusammenhalts"; Krüger, Staatslehre, S. 214, davon, daß der Staat nicht umhin könne, „bei seinen Bürgern . . . auf die Staatlichkeit ihrer Motivation und ihres Verhaltens einzuwirken"; Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (62), von der „Motivation zur Innensteuerung" und „Sinnvorsorge"; s. auch Wolf, Normvertretende Absprachen, S. 129 (132). 27 9 So schon Krüger, Der Rundfunk im Verfassungsgefüge, S.41, 56; vgl. auch Kremmer, S. 72; Würtenberger NJW 1991, 1257 (1260); zu Recht für bedenklich hält Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rdnr. 150, allerdings staatlich inspirierte Bürgerinitiativen. 28 0 So hat bspw. auch die Bundeszentrale für politische Bildung gemäß Erlaß vom 8.12.1987 (GMB1. 1988, S. 71) die Aufgabe, „im deutschen Volk das Verständnis für 27
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Jugendsektenbeschluß vom 13. März 1991 konstatiert, daß „das Grundgesetz der Bundesregierung die geistige Einwirkung auf die Öffentlichkeit gestattet" 281 . Es bedarf an dieser Stelle allerdings des klarstellenden Hinweises, daß die gegenseitige osmotische Durchdringung von Staat und Gesellschaft ihre Grenzen am Repräsentativsystem findet. Staatsorgane sind nicht Vollzugsorgane der jeweiligen öffentlichen Meinung 282 . Die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft gleichsam zum „government by talking" auswachsen zu lassen, hieße, die Integrationsidee gegen das parlamentarische Entscheidungssystem auszuspielen und anarchische Tendenzen zu entfesseln 283. Die Rückkopplung an die öffentliche Meinung bedeutet daher mitnichten einen „beflissenen Nachvollzug demoskopisch ermittelter Wünsche amorpher Bevölkerungsgruppen" 284 oder gar ein Verbot für die parlamentarische Mehrheit und die von ihr getragene Regierung, gegen eine vermutete Mehrheit in der Bevölkerung zu entscheiden285. Eine solche, vor allem kurz vor Wahlen zu beobachtende populistische „Überdehnung des Akzeptanzverhaltens" 286 stünde sowohl einer neutralen, abgewogenen Entscheidung entgegen als es andererseits auch die Transparenz der Interesseneinflüsse für Außenstehende nicht mehr gewährleisten könnte 287 . Demokratie kann Autorität nicht entbehren 288. Ihr Ziel ist nicht, für richtig zu halten, was vermeintlich die Mehrheit glaubt, sondern mehrheitsfähig zu machen, was die Lage erfordert. Es kann sich als durchaus notwendig erweisen, gegen die öffentliche Meinung zu entscheiden und damit repräsentativ den „besseren" Willen des Volkes zum Ausdruck zu bringen 289 . Das Gespräch in der Demokratie kann daher immer nur politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewußtsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken"; Ziel der Aufklärungskampagne gegen AIDS ist nach der Erläuterung im Bundeshaushaltsplan 1990 (Kapitel 1502, Titel 53116 — 314), „ein verantwortungsbewußtes Verhalten . . . zu entwickeln und zu stabilisieren", irrationale und übertriebene Ängste abzubauen und solidarisches Verhalten zu unterstützen. 281 NJW 1991, 1770 (1771 l.Sp.) 282 Auf die Selbständigkeit der politischen Entscheidungsgewalt abstellend etwa BVerfGE 9, 268 (281 f.); Krüger, Staatslehre, S. 452; Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 30. 283 So Isensee, Regierbarkeit, S. 24 f. 284 Klein, Legitimität gegen Legalität, S. 654; über Wert und Unweit der Demoskopie für staatliches Handeln s. auch die Nachw. bei Stem, Staatsrecht I, § 9 Anm. III 5 in FN 65; Isensee, Handbuch Staatsrecht III, § 57 Rdnr. 95; Benda, JZ 1972, 497 (500 f.). 285 Klein, wie vor, S. 651. 286 Röken, DÖV 1989, 54 (55). 287 Hill, DÖV 1988, 666 (668). 288 Stem, Staatsrecht I,S. 619m. w. Nachw. in FN 210; Isensee, DÖV 1983,565(570). 289 Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, §31 Rdnr. 30; Krüger, Staatslehre, S. 238 ff., 241 f.; Stem, Staatsrecht I, S. 619; Isensee, Handbuch Staatsrecht III, § 57 Rdnr. 95; derselbe, DÖV 1983, 565 (570); Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 341; vgl. auch Benda, JZ 1972, 497 (498), unter Hinweis auf die Beispiele: Abschaffung der Todesstrafe, Wiederbewaffnung, Einführung der sozialen Marktwirtschaft (die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen: Nachrüstung, Volkszählung, Gesundheitsreform, Unternehmenssteuerreform, Abgabenreform zur Finanzierung der Deutschen Einheit etc.).
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auf das letzte Wort einer entscheidenden Instanz hinauslaufen 290. Auch dieses „letzte Wort" der Staatsleitung muß dem Staatsvolk vermittelt, „hörbar" gemacht werden. Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit wird daher auch vom BVerfG nicht nur als eine bloß hinzunehmende Ausnahme von einem grundsätzlichen Verbot 291 , sondern als essentiell notwendig erachtet, um den Grundkonsens, das für die Demokratie nötige Einverständnis der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung, lebendig zu halten 292 , bzw. ihn gar erst zu schaffen 293. Auch die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit dient somit in demokratiestaatlicher Hinsicht dem freien politischen Willensbildungsprozeß und nur nachrangig der Effizienz 294 . Sie spielt insbesondere bei der „Vermittlung" getroffener und bevorstehender Entscheidungen, zur Werbung um Zustimmung und Konsens sowie zur Darlegung und Erläuterung mittel- und langfristiger Planungen eine herausragende Rolle 2 9 5 , kompensiert aber auch das Fehlen konkreter Publizitätspflichten im Sinne freier Zugänglichkeit des Staatsapparats296. Öffentlichkeitsarbeit ist insoweit mehr als bloße Publizität, da sie aktiv auf die Bürger zugeht und deren Mitarbeit mobilisiert. Der Staat, der sich ständig um die Zustimmung und das Vertrauen einer möglichst breiten Bevölkerungsmehrheit für seine Politik bemühen muß, hat nach heutigem Verfassungsverständnis nicht nur Informations-, sondern auch Überzeugungsarbeit zu leisten 297 . Der Staat muß also eine Meinung für das schaffen, was von ihm gewollt ist 2 9 8 . Er muß mit „werbender Überzeugung" dem anderen Extrem der Stimmungsdemokratie vorbeugen, indem er für unpopuläre Maßnahmen um Verständis wirbt 2 9 9 und zugleich den Bürger durch authentische Informationsaufbereitung vor Überforderung schützt 300 . Staatliche Öffentlichkeitsarbeit schließt insoweit neben der reinen Wissensvermittlung durchaus auch die Steuerung kollektiver Bewußtseinsprozesse ein 3 0 1 . Die neuere Judikatur des BVerfG läßt erkennen, daß die
290 Isensee, DÖV 1983, 565 (570). 291 So konnte man noch BVerfGE 20, 56 (99f.) interpretieren, vgl. Rauschning, JZ 1967, 346 (348 f.). 292 BVerfGE 44, 125 (147); 63, 230 (242 f.). 293 Zuck, ZRP 1977, 144 (146). 294 So auch Kremmer, S. 69; s. auch Kloepfer, Produkthinweispflichten, S. 37. 295 BVerfGE 63,230 (243 f.); Schmitt Glaeser, Handbuch Staatsrecht II, § 31 Rdnr. 31. 296 Kloepfer, Handbuch Staatsrecht II, § 35 Rdnr. 60; zum individualrechtlichen Auskunftsanspruch s. unten 5. Teil. 297 Klein, Legitimität gegen Legalität, S. 650 f.; anders, nämlich nur die objektive Tatsacheninformation billigend Otto E. Kempen, Grundgesetz, S. 266; derselbe, Der Staat 18 (1979), 81 (100); Kremmer, S. 72. 298 Krüger, Der Rundfunk im Verfassungsgefüge, S. 41. 299 BVerfGE 44, 125 (148); Hill, DÖV 1988, 667; Krüger, Rundfunk im Verfassungsgefüge, S. 41; zur werblichen Öffentlichkeitsarbeit s. unten 6. Teil, 3. Kapitel zu II. 300 Vgl. Sarchielli, Politikvermittlung, S. 33 ff. (34).
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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Rechtsprechung inzwischen durchaus geneigt ist, ihr außerhalb der sog. Vorwahlzeit 3 0 2 „volkspädagogische Bedeutung" zuzusprechen 303. Da sich regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit als solche auszuweisen hat 3 0 4 , weiß der Bürger, daß ihm von Regierungsseite eine Meinung in Steuerungsabsicht vorgetragen wird. Er vermag sie daher kritisch zu prüfen, sich mit ihr auseinanderzusetzen, so daß man, sofern er sie schließlich akzeptiert, nicht mehr von Meinungslenkung sprechen kann 305 . In welchem Maße diese Werbung zulässig ist, soll an anderer Stelle untersucht werden 306 . Wer die Bemühungen des Staates, den Kontakt zu seinen Bürgern zu suchen, als verfassungswidrige Versuche der Manipulation der öffentlichen Meinung zum Zwecke der Herrschaftsperpetuierung disqualifiziert oder als Ausdruck der Unzufriedenheit der Regierung mit der Bewertung ihrer Tätigkeit durch die Presse interpretiert 307 , leugnet im Grunde die mit der Entscheidung für die Repräsentativdemokratie begründete Notwendigkeit einer ständigen Verbindung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten 308. Eine Mitwirkung des Staates bei der Meinungsbildung ist im Hinblick auf die freie Meinungsbildung solange unbedenklich, wie sie nicht bevormundend und manipulierend wirkt 3 0 9 . Wesentliche Voraussetzung ist dabei, daß ein Kommunikationsgleichgewicht 310 besteht, der Meinungskonsument somit nicht nur von staatlicher Seite bedient wird, sondern ein genügend großes Angebot pluralistischer Meinungen erhält 311 . Dieses Gleichgewicht gilt im übrigen auch zwischen Regierung und Opposition 312 . Ist es gewahrt, führen die von der regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit ausgehenden Impulse ganz sicher nicht zu einem Freiheitsverlust auf Seiten der Willensbildung des Volkes 313 , sondern gerade zur Stärkung seiner Kommunikations301 Vgl. Gramm, NJW 1989, 2917 (2918) mit eingehender Analyse der diversen Wirkungen staatlicher Information; s. auch Kloepfer, Produkthinweispflichten, S. 38. 302 S. dazu ausführlich unten 7. Teil. 303 Vgl. das Volkszählungsurteil BVerfGE 65, 1 (3 f., 59) und den Kammerbeschluß vom 28.7.1987 zur AIDS-Abwehr, NJW 1987, 2287 — dargestellt oben 1. Teil, 1. Kapitel bei IV. und V.; s. nunmehr auch BVerwG, NJW 1991, 1770 (1771). 304 s. dazu unten 6. Teil, 3. Kapitel zu VI. 305 S. Bord, S. 41. 306 s. dazu unten 6. Teil, 3. Kapitel zu II. 307 So Ladeur, DVB1. 1984, 225. 308 Czajka, S. 165; ebenso Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 75. 309 S. etwa Kremmer, S. 66. 310 S. auch Stem, Staatsrecht I, S. 617 unter Hinw. auf Fraenkel, Festgabe für Herzfeld, 1958, S. 159. su Bord, S. 406; ähnlich Ricker, AfP 1981, 320 (322). 312 Plenge, S. 49; s. auch Heintzen, VerwArch 1990, 532 (548); die auch von Schneider, in: derselbe / Zeh, Parlamentsrecht, § 38 Rdnr. 26, für die Opposition geforderte Waffengleichheit gilt logischerweise nicht einseitig, sondern kann auch von der Regierung in Anspruch genommen werden, wo sie anderenfalls ein Kommunikations- und damit ein Legitimationsdefizit erleiden würde. 313 So auch Häberle, JuS 1967, 64 (69).
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
freiheiten. Staatliche Informationstätigkeit wirkt schließlich auch oppositionsfördernd, indem sie „Material zur Antithesenbildung" liefert 314 und die Gegenargumentation herausfordert 315, womit sie auch die Grundlage für ihren eigenen Machtverlust, den demokratischen Wechsel schaffen kann 316 . Ohne staatliche Information als Diskussionsgegenstand kann es auch keine staatsfreie Kommunikation geben 317 . Sie ist als „wesentliches Element des demokratischen Integrationsprozesses" 318 unverzichtbar. Die heutige Gesellschaft ist eine „Informationsgesellschaft" und will auch von Staats wegen als solche behandelt werden. Wozu der Mangel an Dialog zwischen Repräsentanten und Repräsentierten führt, haben nicht zuletzt unlängst die von der unabhängigen Gewaltkommission der Bundesregierung vorgelegten Expertisen in erschreckender Weise deutlich gemacht 319 . Aus gutem Grund wird auch dort die Intensivierung der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit für unerläßlich gehalten 320 .
2. Die Ableitung des Informationsgebots aus dem Rechtsstaatsprinzip Voraussetzung einer wirksamen und erfolgreichen Steuerung durch Recht ist seine Akzeptanz 321 . Ein Gesetz ohne Anwendungschance ist für den Rechtsstaat gefährlich und setzt die Autorität des Gesetzgebers aufs Spiel 322 . Würtenberger umschreibt den Idealfall als „normative Integration", die Identifikation des Bürgers mit dem Recht und damit zugleich auch mit dem Staat 323 . Diese Identität von Rechtsbewußtsein und Rechtsordnung läßt sich nur erreichen, wenn dem „aufgeklärten Demokraten" über den Akt formaler parlamentarischer Legitimation hinaus weitestgehende Einsicht in die Sinnhaftigkeit einer Regelung vermittelt wird 3 2 4 . Die Frage ist, ob sich daraus eine besondere Aufgabenstellung für regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit ergibt. 314 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 155. 315 Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 100, 155; Ridder, Grundgesetz, S. 61; ähnlich auch Hämmerlein, DÖV 1969, 193 (195) mit dem Hinweis, daß die Publizierung der Machtausübung zugleich auch die Grundlagen für den Machtverlust schaffen kann. 316 Hämmerlein, DÖV 1969, 193 (195). 317 Vgl. Rotta, S. 90 f. 318 Kloepfer, Handbuch Staatsrecht II, § 35 Rdnr. 60. 319 S. dazu Schwind / Baumann (Hrsg.), aaO. 320 s. insbesondere das von Edwin Kube und Wiebke Steffen erstellte Zwischengutachten der Arbeitsgruppe B, in: Schwind / Baumann (Hrsg.), Bd. I, S. 379 ff., Rdnr. 67. 321 Vgl. Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 117. 322 Benda, JZ 1972, 497 f. 323 Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 103; s. auch Wassermann, Ist der Rechtsstaat noch zu retten?, S. 35. 324 Isensee, Mehr Recht durch weniger Gesetze?, S. 344; von Arnim, Steuerung durch Recht, S. 52; Herzog, Von der Akzeptanz des Rechts, S. 131; Mengel, ZRP 1984, 153 (156); Hill, JZ 1988, 377; derselbe, DÖV 1988, 666 (667); Ritter, Staatliche Steuerung,
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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Nicht wenige Autoren sind der Ansicht, daß auch aus dem Rechtsstaatsprinzip Publizitäts- und Aufklärungspflichten der Regierung erwachsen 325. Die normative Verortung bleibt dabei jedoch allzu häufig im Dunkeln. Aus individualrechtlicher Sicht verpflichtet das Rechtsstaatsgebot nach Knirsch den Staat zu einem „effektiven Grundrechtsschutz", dessen Wahrnehmung Informationen über eine mögliche Beeinträchtigung eines Grundrechts und die Mittel der Inanspruchnahme rechtsstaatlicher Garantien zu seinem Schutz voraussetzten 326. Aus objektivrechtlicher Perspektive fordert Hill, dem „Gebot der Rechtsklarheit" mit publizistischen Mitteln Geltung zu verschaffen 327 und auch Jerschke bemüht das „rechtsstaatliche Gebot der Normklarheit", um aus dem „Ideal der Berechenbarkeit staatlicher Machtäußerungen" das Gebot rechtsstaatlicher Öffentlichkeit abzuleiten, macht das Ergebnis jedoch nicht speziell für die Öffentlichkeitsarbeit nutzbar 328 . Dies ging ihm möglicherweise zu weit in der Erkenntnis, daß es sich bei dem Begriff „Rechtsstaat" „um einen äußerst komplexen Begriff handelt, der die Deduktion von Rechtsfolgen nur nach sorgfältiger Prüfung zuläßt" 329 . In seiner Grundsatzentscheidung zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung vom 2. März 1977 zieht auch das BVerfG das Rechtsstaatsprinzip nur beiläufig seiner Begründung hinzu, indem es ausführt: „Schließlich kann die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über das Recht, das den Bürger unmittelbar angeht, ein berechtigtes Anliegen im sozialen Rechtsstaat sein" 330 .
a) Das Rechtsstaatsprinzip als Verfassungsgrundsatz Eine in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannte Definition des Rechtsstaatsprinzips gibt es in der Tat nicht. Bewertungen reichen von „Leerformel" und „Begriffshülse" 331 , „Schleusenbegriff' 332 bis zur Umschreibung als „Zauberkiste, aus der findige Köpfe schon alle möglichen Rechtsprinzipien und Ansprüche S. 343; auch das BVerfG hat in seinem Volkszählungsurteil, BVerfGE 65, 1 (59), das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat als wichtige Erfolgsbedingung für die Steuerung durch Recht unterstrichen; eine solche „Akzeptanzlehre" lehnt indessen Röken, DÖV 1989, 54, als Schwächung des Gesetzesgehorsams ab. 325 S. etwa Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 77 ff.; Herzog, in: Μ / Ό / H /Sch, Rdnr. 59 zu Art. 20 Kap. VII; Schröer-Schallenberg, S. 48. 326 DÖV 1988, 25 (27). 327 Hill, JZ 1988, 377 (379); vgl. auch Ricker, Das kommunale Amtsblatt, S. 292; hingegen hält derselbe, AfP 1981, 322 (323), das Rechtsstaatsprinzip als Legitimationsgrundlage für Informationstätigkeiten für ungeeignet, „da gerade die dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit entspringende Verbindlichkeit fehlt". 328 Öffentlichkeitspflicht, S. 79 (83). 329 Grundgesetz, S. 77 f. 330 BVerfGE 44, 125 (148) — Hervorhebung von mir. 331 Jesch, S. 66. 332 Stem, Staatsrecht I, S. 778.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
hervorgezaubert haben" 333 . Zweifel am Gelingen eines Definitionsversuchs 334 gehen einher mit Warnungen vor einer Überstrapazierung des Prinzips 335 . Das BVerfG, das rechtsstaatliche Prinzip mal als „Verfassungsgrundsatz" 336, mal als „Leitidee" 337 , mal als „Grundentscheidung" 338 apostrophierend, hat bis heute eine deutlichere Konturierung vermieden 339 . Als Verfassungsgrundsatz enthalte das Rechtsstaatsprinzip nicht für jeden Sachverhalt in allen Einzelheiten eindeutig bestimmte Ge- oder Verbote von Verfassungsrang, sondern bedürfe der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten340. Demzufolge sei bei der Konkretisierung „bei der Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsbegriffs . . . mit Behutsamkeit vorzugehen" 341 .
b) Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips mit Blick auf das Informationsgebot aa) Das rechtsstaatliche Gebot der Verbreitung Verständlichmachung von Rechtsnormen
und
Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausformung als Gebot der Rechtssicherheit und Verläßlichkeit der Rechtsordnung gebietet, daß förmlich gesetzte Rechtsnormen bekannt gemacht werden 342 ; für Bundesgesetze gilt insoweit Art. 82 GG. Die Verkündung stellt einen integralen Bestandteil des Rechtsetzungsaktes dar, ist also Geltungsbedingung343. Verkündung bedeutet dabei nach der Rechtspre333 Püttner, VVDStRL 32 (1974), 200 (203). 334 Vgl. Herzog, in: M / D / H / Sch, Rdnr. 3 zu Art. 20 Kap. VII. 335 Vgl. etwa Stern, Staatsrecht I, S. 782; nach der Ansicht von Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, passim und S. 481 ff., finden sämtliche rechtsstaatlichen Probleme ihre Lösung im materiellen Verfassungsrecht selbst, so daß der Rückgriff auf ein „allgemeines Rechtsstaatsprinzip" überflüssig sei. Kunig beraubt den Rechtsstaatsgrundsatz damit aber seiner Erhöhung, die nicht zuletzt auch wegen Art. 79 Abs. 3 GG von Bedeutung ist. 336 BVerfGE 52, 131 (144 f.). 337 BVerfGE 44, 187 (246). 338 BVerfGE 3, 225 (237); 6, 32 (41). 339 Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 782. 340 BVerfGE 7, 89 (92 f.); 11, 64 (72); 25, 269 (290); 35, 41 (47); 45, 187 (246); 49, 148 (164); 52, 131 (144); 53, 115 (127); 57, 250 (276); 65, 283 (290). 341 BVerfGE 57, 250 (276). 342 Herzog, in: M / D / H / Sch, Rdnr. 59 zu Art. 20 Kap. VII; Ricker, AfP 1981, 320 (323); derselbe, Privatrundfunk-Gesetze, S. 40; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 75 f. 343 BVerfGE 7, 330 (337); 65, 283 (292); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 462: „Den Schlußpunkt der Rechtserzeugung bildet die Publikation"; Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, S. 131; s. auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 212 m. w. Nachw.; zum Wesen der Verkündung s. Forsthoff, Recht und Sprache, S. 5 ff.
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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chung des BVerfG, „daß die Rechtsnormen der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich gemacht werden, daß die Betroffenen sich verläßlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können" 344 . Die Frage ist aber gerade, auf welche Weise dies zu geschehen hat, um die gebotene „hinlängliche Publizität" 345 sicherzustellen. Das BVerfG hat die Ausgestaltung des VerkündungsVorgangs bislang stets dem Gesetzgeber überlassen 346. Die gesetzlichen Veröffentlichungsvorschriften ordnen für den Bund die Veröffentlichung in speziellen periodischen Verkündungsblättern an (Bundesanzeiger, Ministerialblätter, Amtsblätter 347 ) mit einem vergleichsweise kleinen Bezieherkreis von Universitäten, Gerichten, Behörden, Verbänden und rechtsberatenden Berufen, regeln somit nur das Prinzip der formellen Publikation 348 . Dabei werden längst nicht alle Vorschriften publiziert. So besteht insbesondere bei Verwaltungsvorschriften, Auslegungsrichtlinien und allgemeinen Dienstanweisungen ein Publizitätsdefizit. Die Rechtsprechung lehnt einen Anspruch auf Bekanntgabe selbst ermessensbindender Verwaltungsvorschriften ab und sieht ein darauf gerichtetes Informationsinteresse bereits dann als befriedigt an, wenn im Einzelfall Auskünfte über die Verwaltungspraxis erteilt werden 349 . Ein besonderes Publizitätsdefizit ist auch im Bereich der Leistungsverwaltung festzustellen. Wie Herzog zutreffend feststellt, kann es Gleichheit und Gerechtigkeit im modernen Leistungsstaat erst dann geben, wenn alle Betroffenen von ihren Ansprüchen auch wirklich wissen 350 . Ohne staatliche Hinweise auf die Vergabemöglichkeiten wäre hier kaum hinreichende Kenntnis der Öffentlichkeit garantiert 351 . Publizität ist eine Funktion der Normeffektivität 352 . Das Funktionieren der staatlichen Herrschaftsordnung setzt, wie einleitend bemerkt, nicht nur die von Art. 82 Abs. 1 GG geforderte „Auffindbarkeit und Authentizität" 353 , also die 344 BVerfGE 65, 283 (291); 40, 237 (252 f., 255); 16, 6 (16 f., 18); ebenso Hess StGH, NVwZ 1989, 1153. 345 BVerfGE 44, 322 (350). 346 S. nur BVerfGE 65, 283 (291). 347 S. auch die Übersicht über den „Pluralismus der Verkündungsblätter" bei Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und GG, S. 463 in FN 59. 348 Auch die Rechtsprechung befaßt sich demzufolge nur mit den Formalien des Bekanntmachungsverfahrens, vgl. F. Kirchhof, DÖV 1982, 397 (399) u. Hinw. auf BVerfG, DÖV 1972, 349; BVerwGE 17, 192 (196); Hess StGH, DVB1. 1970, 217 (219); OVG Münster, GewArch 1972, 297 (299). 349 Vgl. BVerwGE 61, 40 (44) mit krit. Anm. von Jellinek, NJW 1981, 2235; s. auch VGH Mannheim, NJW 1979, 2117; eine Publikationspflicht für ermessensbindende Vorschriften bejahen hingegen Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und GG, S. 462 ff.; Lübbe-Wolff, DÖV 1980, 594 (596 f.). 350 Herzog, Von der Akzeptanz des Rechts, S. 131; ebenso Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 25 f. 351 Vgl. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 81; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 76. 352 Ossenbühl, VerwaltungsVorschriften und Grundgesetz, S. 464. 353 Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 77.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
faktische Möglichkeit zur Erkundung von Vorschriften mittels eigeninitiativer Recherche voraus, sondern vor allem die Vorschriftenakzeptanz der überwiegenden Mehrheit der Bürger 354 . Maßgebend hierfür ist die tatsächliche, allgemeine Kenntnis und das Verständnis der Rechtssätze — herbeizuführen im Wege regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit 355. Folglich begründet das Rechtsstaatsprinzip über die förmliche Verkündung hinaus die Pflicht des Staates zur möglichst effektiven Verbreitung und Erläuterung seiner Rechtsregeln, um durch Publizität eine allgemeine Rechtsgeltung herbeizuführen 356. Gefordert sind Publikationsbemühungen, die die Vorschriftenkenntnisse der Rechtsunterworfenen weitgehend maximieren und sicherstellen, daß die Verkündung zumindest jeden Betroffenen erreichen kann. Die Veröffentlichung in Verkündungsblättern gewährleistet aber nur die Erkennbarkeit im Sinne einer theoretischen Möglichkeit der Kenntnisnahme 3 5 7 . Die tatsächliche Verbreitung ist nur gering, so daß eine Lücke zwischen dem Rechtsstaatsgebot und der Verkündungspraxis besteht. F. Kirchhof sieht diese Lücke für den Bund allerdings durch begleitende Bekanntmachungsvorgänge in den Medien und Interessengruppierungen geschlossen und jenen daher von weiteren Publizierungspflichten befreit 358 . Dieser Ansicht kann in ihrer Apodiktik nicht gefolgt werden. F. Kirchhof übersieht, daß begleitende Berichterstattung aufgrund des oben dargestellten Selektionsmechanismus der Medien 359 nur bei sehr populären oder in gleichem Maße umstrittenen Vorhaben zu erwarten ist 3 6 0 . Im Normalfall hingegen erfolgt sie nur auf Anstoß durch vorbereitende und begleitende Pressearbeit, die die Journalisten erst in den Stand setzt, ein eigenes Verständnis für die Ziele der Gesetzgebung zu entwickeln und ihrerseits mit Sachverstand und deshalb um so verständlicher über die Rechtsetzung zu berichten. Es ist von daher ein Trugschluß, die Gesetzgebungsarbeit finde automatisch 354 Herzog, Von der Akzeptanz des Rechts, S. 130 ff.; Gusy, DVB1. 1979, 720 f.; F. Kirchhof, DÖV 1982, 397 (398). 355 Von Hammerstein, Verbesserung der Gesetzgebung, S. 142, unter Hinweis auf die Aufklärungskampagne zum Volkszählungsgesetz; s. auch Ricker, AfP 1981, 320 (323); derselbe, Das kommunale Amtsblatt, S. 292; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 78. 356 F. Kirchhof, DÖV 1982, 397 (399); s. auch Plenge, S. 28; Ricker, Das kommunale Amtsblatt, S. 292. 357 Differenzierend zwischen Verkündung und Kundbarmachung auch Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, S. 131. Zur Zeit Christian Wolffs (1721), als die öffentliche Bekanntmachung von Gesetzen erfolgte, indem „man sie an öffentlichen Oertern anschlaget, wo sie jedermann lesen kan, oder in öffentlichen Versammlungen, wo viele zusammen kommen, ablieset, oder auch durch den öffentlichen Druck ausbreitet", (Wolff, Vernüfftige Gedancken, §416 [S. 432]), konnte man noch leicht annehmen, daß es „einem jeden Unterthanen oblieget, sich darnach zu erkundigen", wie vor, § 417 (S. 432). 358 DÖV 1982, 397 (399). 359 S. dazu oben zu III. 1. c) bb). 360 So die Quintessenz des unter dem Motto „Gesetzgebung — (k)ein Thema für die Medien?" durchgeführten 3. Bonner Forums der deutschen Gesellschaft für Gesetzgebungslehre, s. den Tagungsbericht von Leich, ZRP 1990, 70 f., sowie das dort gehaltene Referat von Rolf Lamprecht, Manuskript, S. 1, 5, 7; vgl. auch Kriele, ZRP 1990, 109 (116).
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit 361 . Als Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit mag wiederum die Volkszählung des Jahres 1987 belegen, daß von einer hinreichenden Ergänzung der bloßen Verkündungspraxis durch Presse und Rundfunk nicht ohne weiteres die Rede sein kann: Die Berichterstattung der Medien zum Volkszählungsgesetz war bis kurz vor dem Erhebungstermin im April 1987 eher geeignet, Verwirrung zu stiften und Ängste vor dem „gläsernen Bürger" zu schüren. Erst durch massive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sowie der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder konnte die Berichterstattung versachlicht werden 362 . Daher ist es eben nicht „grundsätzlich zu erwarten" 363 , daß die staatliche Verkündungspraxis durch Medienveröffentlichungen ergänzt und dadurch eine breitenwirksame Unterrichtung der Öffentlichkeit sichergestellt ist. Die Regierung kann sich nicht auf die in den Fällen weniger wichtiger, weniger origineller Gesetzgebung völlig unabsehbaren Informationstransmission der Medien, Verbände oder auch der Parteien verlassen. Informationen, die dem Bürger in allgemein verständlicher Weise den Inhalt von Gesetzen und deren Änderungen nahebringen, ihn über seine Rechte und Pflichten aufklären und dadurch instand setzen, von rechtlichen Möglichkeiten auch Gebrauch zu machen und somit die Rechtswahrung aller stärken, sind aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht nur gerechtfertigt 364, sondern verfassungsrechtlich geboten 365 . bb) Das Informations gebot aus Art. 19 Abs. 4 GG Die objektivrechtliche Pflicht der Regierung zur Information über die Rechtsordnung findet einen weiteren verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt in der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Rechtsschutz kann nur dann effektiv sein, wenn der Betroffene über aufklärende, erhellende und volksnahe 366 Informationen über die Rechts- und Entscheidungsgrundlagen staatlichen Handelns, unter Umständen auch über die Motivation des ihn berührenden Staatshandelns verfügt 367 . Über das daraus gemeinhin abgeleitete Gebot der Öffentlichkeit des den 361 So aber F. Kirchhof, DÖV 1982, 397 (399). 362 S. Schulz, Information? Aufklärung? Werbung?, S. 136; s. dazu auch unten 7. Teil, 2. Kapitel zu 1.1. 363 F. Kirchhof, wie vor (FN 361). 364 BVerfGE 44, 125 (148); dagegen lehnt Ricker, Das kommunale Amtsblatt, S. 292 und derselbe, AfP 1981, 320 (323), eine Absicherung redaktioneller Aufbereitung im Rechtsstaatsprinzip mangels rechtlicher Verbindlichkeit der Informationstätigkeit ab. Grundlage ist nach seiner Auffassung allein das Demokratieprinzip. 365 Die Schaffung angemessener Informationsmöglichkeiten über gesetzliche Rechte und Pflichten wird teilweise auch dem Sozialstaatsprinzip zugeordnet, vgl. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 83 ff.; Hill, DÖV 1988, 666 (669); derselbe, JZ 1988, 377 (379); Pestalozza, ZRP 1979, 25 (29). 366 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 85. 367 Vgl. zuletzt BVerwG, NJW 1990, 2761; BVerwG, NJW 1990, 2765, zum auch aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleitenden Auskunftsanspruch über personenbezogene Daten; dazu auch Simitis / Futterer, NJW 1990, 2713 ff. 11 Schürmann
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
Bürger in seinen Rechten tangierenden Verwaltungshandelns 368 hinaus ist zur Rechtswahrung auch die dem Gesetzesvollzug vorgeschaltete rechtsetzende Tätigkeit transparent zu machen 369 . Dies gilt erst recht für die den Bürger unmittelbar berührenden Rechtsnormen, etwa Strafgesetze, statusbegründende oder Leistungsgesetze, deren Beachtung bzw. Ausschöpfung nur denen möglich ist, die die Rechtslage wirklich kennen 370 . Eine aufgrund von Informationen abgewogene Entscheidung darüber, ob ein Gericht bemüht werden soll, trägt im übrigen dazu bei, die immer stärker werdende Belastung der Gerichte abzubauen und damit den Rechtsschutz durch Verfahrensbeschleunigung zu verbessern 371. Die bereits erwähnte zunehmende Verrechtlichung, synchron verlaufen mit der abnehmenden Bereitschaft zu außerrechtlichen Konfliktlösungen, der ausgeprägte Hang des deutschen Wesens zum RechtHaben und nicht zuletzt das Aufkommen der in ihrer Sozialverträglichkeit zunehmend in Frage zu stellenden Rechtsschutzversicherungen haben zu einem gewaltigen Rechtsprechungskonsum der Bevölkerung geführt 372 . Daneben findet sich als Folge moderner „Verfassungslegitimationsphobie" 373 eine auch vom Präsidenten des BVerfG unlängst beklagte „Atomisierung des Verfassungsrechts", nachdem jedes entschiedene verfassungsrechtliche Problem eine Menge von Folgeund Abgrenzungsproblemen erzeugt, die ihrerseits erneute verfassungsgerichtliche Entscheidungen provozieren 374 . Die Überlastung der Gerichte stellt den vom Staat nach der Verfassung geschuldeten effektiven Rechtsschutz mehr und mehr in Frage. Da das geltende Prozeßrecht nur beschränkt zur Abwehr imstande ist, dient neben „synthetischer Reduzierung der Rechtsschutzperfektionierung" 375 Rechtsaufklärung mit den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit als probater Beitrag zur Abhilfe.
368 Vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 368 m. w. Nachw. in FN 303; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 80 f.; Gröschner, DVB1. 1990, 619 (623). 369 Vgl. Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 85, jedoch unter Ableitung aus dem Sozialstaatsprinzip. 370 Herzog, Von der Akzeptanz des Rechts, S. 132; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 81, 85; s. auch VGH Mannheim, NJW 1990,1438 zum Erfordernis staatlicher Informationen über die Voraussetzungen des Staatsangehörigkeitserwerbs durch Erklärung nach § 4 Abs. 1 RuStAG; sowie die in § 20 Abs. 2 Bundeswahlordnung vorgeschriebene Bekanntmachung der Modalitäten zur Wahlbeteiligung für im Ausland lebende Deutsche durch weltweite Zeitungsanzeigen. 37 1 Zur zeitlichen Komponente des Justizgewähranspruchs s. Papier, Handbuch Staatsrecht VI, § 153 Rdnr. 19 ff. 372 Kloepfer, Steuerung und Fehlsteuerung, S. 122 f. 373 Vgl. Isensee, Grundrechte und Demokratie, S. 8. 37 4 Herzog, DÖV 1989, 465 (467), frei nach Wilhelm Busch: „Ein jedes Problem, wenn es entschieden, kriegt augenblicklich Junge". 375 Kloepfer, Steuerung und Fehlsteuerung, S. 138 ff.
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cc) Das Informations gebot aus den Grundrechten Der Staat ist auch unter objektiv-rechtlichen Gesichtspunkten verpflichtet, die Voraussetzungen für die Grundrechtsausübung zu schaffen. Ihn trifft eine Grundrechtsgewährleistungspflicht, die ihm etwa im Bereich der Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG auferlegt, „Voraussetzungen zu schaffen und zu erhalten, damit aus der grundgesetzlichen Freiheitschance reale Freiheit wird" 3 7 6 . Wie noch zu zeigen sein wird, setzt zum einen die Ausübung der Kommunikationsfreiheiten einen Mindestbestand an Informationen von Staats wegen voraus 377 . Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Information kann sich andererseits aber auch für andere als die kommunikativen Freiheitsrechte aus der rechtsstaatlichen Verpflichtung des Staates zu einem effektiven Grundrechtsschutz 378 ergeben. Wahrnehmung des verbürgten Grundrechtsschutzes durch den Bürger ist ohne Informationen über den Inhalt des Schutzbereichs und Möglichkeiten seiner Beeinträchtigung undenkbar. Erst die Kenntnis vom Recht schafft dem Bürger Sicherheit im Umgang mit dem Recht, ermöglicht seine freie Entfaltung „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung" (Art. 2 Abs. 1 GG) und gestattet ihm „freien" Grundrechtsgebrauch im Wissen um Schranken und Handlungsalternativen 379 . Würde der Staat durch negatives Publizitätsverhalten die Mitverantwortlichkeit des Bürgers verkümmern lassen, wäre nach verbreiteter Ansicht gar die Menschenwürde tangiert 380 . Die Exekutive muß daher angemessen und vollständig über mögliche Eingriffe, über Leistungsansprüche und Teilhabechancen informieren 381 . Vor allem dort, wo der Staat über ein Informationsmonopol verfügt 382 , versetzt ihn dieses in eine verfassungsrechtliche Garantenstellung gegenüber dem potentiell gefährdeten Bürger. So ist der Bund Adressat betrieblicher Offenbarungspflichten u. a. des Arzneimittelrechts, des Lebensmittelrechts, des Chemikalienrechts, des Immissionsschutzrechts, verfügt aus der Sachnähe zu bestimmten Gefahrenquellen, für die er Entscheidungszuständigkeiten für Erlaubnisse, Genehmigungen und Beaufsichtigungen besitzt, oder über seine Einbindung in internationale Alarmpläne und seine diplomatischen Vertretungen über Informationen zu Gefahrenlagen,
376 Bull, Staatsaufgaben, S. 315; s. auch Jarass, AfP 1979, 228 (229); HoffmannRiem, Alternativkommentar, Art. 5 I, II Rdnr. 98; a. A. Herzog, in: M / D / H / S c h , Art. 5 I, II Rdnr. 101. 377 S. unten 5. Teil, 1. Kapitel zu III.2. 378 Vgl. etwa BVerfGE 24, 367 (401). 379 s. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 460. 380 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, S. 90 f.; Windsheimer, S. 42; Schröer-Schallenberg, S. 19; Wente, S. 126. 381 Hill, JZ 1988, 377 (379) 382 s. dazu etwa Faber, S. 93 ff. 11*
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
die sich dem Bürger nicht ohne weiteres offenbaren 383. Sind dessen Grundrechte berührt, leitet sich aus dem rechtsstaatlichen Grundrechtsgewährleistungsgebot eine selbständige eigeninitiative Unterrichtungspflicht der Exekutive ab 384 .
dd) Der Vorrang sprachlicher vor tatsächlicher Gewalt Der Hinweis auf das dem Rechtsstaatsprinzip zugehörende Übermaßverbot im Zusammenhang mit regierungsamtlicher Informationstätigkeit ist Leisner zu verdanken, der zur Diskussion stellte, ob hierin gegenüber hoheitlichem Zwang die Wahl des milderen Mittels liege 385 . Die von Leisner offengelassene Frage wird von Kirchhof dahingehend beantwortet, daß „Motivationsbestimmung" als verwaltungsrechtliches Mittel geeignet sein könne, eine vermeidbare Zwangsanwendung zu ersetzen und insofern als verhältnismäßiges Mittel zu wirken 386 . Kirchhof konstatiert daher die „Vorherigkeit sprachlicher vor tatsächlicher Gewalt" mit dem Ziel, die willentliche Mitwirkung des Bürgers zu veranlassen 387. Die Bestimmung des Bürgers zum „staatlich veranlaßten Nachvollzug" durch informelles Handeln sei auch nicht minder zum Gesetzesvollzug geeignet als der hoheitliche Befolgungszwang 388.
383 Erinnert sei an den Reaktorunfall in Tschernobyl und den Unfall im Schweizer Pharmazieunternehmen Sandoz, bei dem die in den Rhein gelangte chemische Substanz zunächst unbekannt blieb. 384 s. Knirsch, DÖV 1988, 25 (27) m. w. Nachw.; Krieger, S. 116, 199; Rotta, S. 56; s. auch die Empfehlung Nr. 854/79 des Europarates vom 1.2.1979 (abgedruckt bei Rotta, S. 120 f.); vgl. auch BVerfG, NJW 1989, 3269 (3270); BVerwGE 82, 76 (80 f.), zur aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Unterrichtungspflicht der Regierung über ihr bekannte Gefahrenlagen im Bereich der Jugendsekten; ferner OVG Münster, GewArch 1988, 11 (12) BVerwG, JZ 1991, 624 (627); NJW 1991, 1766 (1768) — Glykolweine; grds. zum Verbot des Mißbrauchs einer Monopolstellung der Exekutive BVerfGE 14, 105 (113); Stern, DVB1. 1982, 1109 (1111), jeweils m. w. Nachw.; zur Informationskompetenz der Bundesregierung zur Gefahrenabwehr s. unten 6. Teil, 1. Kapitel, III.4. 385 Öffentlichkeitsarbeit, S. 94. 386 Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 126; Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (53), nennt Informationshandeln eine „spezifische Erscheinungsform ,weichen' Staatshandelns"; ebenso BVerwG, NJW 1991, 1770 (1771); VerfGH NW, Urteil vom 15.10.1991 — VerfGH 12/90 — sub B.II.4.a); a. A. Horst, S. 43, der in staatlichen Warnungen aufgrund ihrer Unkontrollierbarkeit „einen der schärfsten Eingriffe staatlichen Handelns" sieht. 387 Kirchhof, Handbuch Staatsrecht III, § 59 Rdnr. 171. 388 Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 118; ähnlich Hill, DÖV 1988, 666 ff.; a. A. Röken, DÖV 1989, 54 ff.
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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c) Die Reichweitenbestimmung der rechtsstaatlichen Informationspflicht durch den Zustand der Gesetzgebung Die vom Staat zu verlangende Anstrengung, einer Norm „Öffentlichkeit" zu verschaffen, korrespondiert zum einen der politischen Bedeutung 389 , aber auch der sprachlichen Qualität dieser Norm 3 9 0 . Es würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen, das Dilemma der modernen Gesetzgebung in allen Schattierungen darzustellen. Wiederum war es Christian Wolff, der bereits 1721 die Idee eines Gesetzbuchs in bürgernaher Volksausgabe vortrug 391 , und Friedrich der Große befand in einer Kabinettsordre von 1780: „Was endlich die Gesetze betrifft, so finde ich es sehr unschicklich, daß solche größtentheils in einer Sprache geschrieben sind, welche diejenigen nicht verstehen, denen sie doch zu ihrer Richtschnur dienen sollen" 392 . Savigny nannte selbst noch das populäre, über 20.000 Paragraphen zählende Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 „in Form und Inhalt eine . . . Sudeley" 393 Die Klage über die Gesetzesflut, die verlorengegangene Klarheit über Inhalt und Geltung des Rechts, die Hypertrophie des Gesetzes Vorbehalts ist längst zum Gemeinplatz geworden 394 . Einer verbreiteten Meinung zufolge ist das Gesetzgebungsverfahren noch weit von einer wirkungsbewußten und somit steuerungsstrategisch reflektierten Regelungsmethodologie und -technologie entfernt 395 , näher dagegen am
389 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 395. 390 Zu den sich insoweit ergebenden Anforderungen s. P. Kirchhof, Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache, passim. 391 „Es ist aber auch nöthig, daß die Gesetze . . . jedermann kund werden . . . Zu dem Ende solte man auch besondere Gesetz-Bücher zum gemeinen Gebrauche schreiben, daraus ein jeder gleich in seiner Jugend lernen könnte, was er für Gesetze in seinen Handlungen in acht zu nehmen hat, wofeme er Schaden und Unglück vermeiden will, gleichwie wir Bücher von der Religion in dieser Absicht schreiben und den Leuten in die Hände geben, damit sie wissen, was ihre Pflicht in diesem Stücke ist", Wolff, Vemünfftige Gedancken, § 415 (S. 430 f.); „wiederentdeckt" durch von Hammerstein, Verbesserung der Gesetzgebung, S. 145 f., der den Zugang der Bürger zum Recht durch einen „Gesetzesvorspruch" verbessern will — eine vom Gesetzgeber mitbeschlossene, in einfacher und verständlicher Sprache abzufassende Umschreibung von Inhalt und Zielen eines Gesetzes. 392 Allerhöchste Königl. Cabinets-Order die Verbesserung des Justiz-Wesens betreffend. De Dato Potsdam, den 14. April 1780, in: Novum Corpus Constitutionum, Bd. VI, 1781, S. 1739 unter No. XIII, zitiert nach Isensee, Mehr Recht durch weniger Gesetze, S. 349 mit FN 33. 393 S. Wieacker, S. 334 in FN 44. 394 Vgl. an dieser Stelle statt vieler Isensee, wie vor, S. 337 ff.; derselbe, ZRP 1985, 139 m. w. Nachw. in FN 2; Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, S. 9 m. zahlr. w. Nachw. in FN 1; derselbe, Handbuch Staatsrecht III, § 61 Rdnr. 55 ff. 395 Klages, Steuerung des Wohlfahrtsstaates, S. 35, der eine „fatale Unkenntnis der Wirkungsweise und Effektivitätsbedingungen des Steuerungsinstrumentariums" beklagt; s. auch die Forderung Bendas, JZ 1972, 497, an den Gesetzgeber, mehr auf die Chancen der Durchsetzungsfähigkeit seiner Normen Bedacht zu nehmen.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
„Niedergang der Gesetzgebungskultur" 396. Es herrsche „Mißstandsbeseitigungsgesetzgebung" und „symbolische Gesetzgebung" als Demonstration gesetzgeberischer Aktivität und Problemengagiertheit vor 3 9 7 , walten Maßnahme- , Experimentier- und Zeitgesetze398 neben zahllosen EG-Verordnungen 399 und EG-Richtlinien-Umsetzungsgesetzen. Nicht zuletzt die öffentliche Meinung habe dazu beigetragen, die Gesetzgebungsmaschine unter Dampf zu halten, seit sie regelmäßig mit mehr oder weniger gewichtigen Anliegen an den Gesetzgeber herantritt 400 . Die häufig als „Bundestagstestwahlen" (miß-)verstandenen Landtagswahlen gäben der öffentlichen Meinung ein zusätzliches Gewicht und förderten hierdurch ebenfalls die Kurzfristorientierung der (Rechts)politik 401 . Die Folge sei eine innere und äußere Übernormierung durch zu viele und zu detailliert geregelte Gesetze402, die oft wenig mehr seien als „Rätselaufgaben für beamtete und unbeamtete Exegeten" 403 . Schon Jahrreiß beklagte im Jahre 1957: „Kein Mensch weiß genau, welche Normen in dieser Stunde gelten, kein Gesetzgeber, keine Behörde und kein Gericht, niemand im Volk" 4 0 4 . Dort, wo die innere Normierungssubstanz einmal hinter der äußeren Übernormierung zurückbleibt, flüchte der Gesetzgeber häufig in Generalklauseln, dilatorische Formelkompromisse, bloße Entscheidungsfassaden, „potemkinsche Pappfassaden" 405, deren Korrektur und Konkretisierung der Steuerungsfähigkeit der Rechtsprechung — oft zu deren Überforderung — überlassen bleibe 406 .
396 Hill, DÖV 1989, 666 (667); Hans Schneider, Der Niedergang des Gesetzgebungsverfahrens, S. 421. 397 Klages, wie vor (FN 395), S. 35 f.; derselbe, in: Hermann Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, S. 14; zu Recht weist Isensee, Mehr Recht durch weniger Gesetze?, S. 345, auf den circulus vitiosus hin, daß derartige Gesetze den Verlust vorrechtlichen Konsenses kompensieren sollen, aber doch nur effektive Befolgungschancen haben, wenn sie den freien Konsens der Bürger finden. 398 Hill, DÖV 1989, 666 (667). 399 Bspw. wurden in der Zeit vom 18.-27.12.1989 stattliche 58 EG-Verordnungen erlassen, die mit ihrer Veröffentlichung im BGBl. 1990, S. 288 ff., unmittelbare Rechtswirkung in der Bundesrepublik erlangt haben. 400 Mußgnug, Zustand und Perspektiven, S. 28: „Sie will Tierschutz, Datenschutz, Schutz vor Tschernobyl, vor Hochwasser, vor der Volkszählung. Mal will sie vor dem privaten, mal vor dem öffentlichen Fernsehen geschützt werden. Hat sie im Kampf um die Freigabe der Pornographie Erfolg erzielt, so schaltet sie um zum Kampf um ein Gesetz zur Bekämpfung des Horrorfilm-Verleihs in Videotheken."; vgl. auch Hill, DÖV 1989, 666 (668). 401 Von Arnim, Steuerung durch Recht, S. 58. 402 Kloepfer, Steuerung und Fehlsteuerung, S. 121; Kirchhof, JZ 1989, 453 (462); vgl. auch Püttner, DÖV 1989, 137 (139); Hill, DÖV 1988, 666 (668) mit plastischen Beispielen aus der Steuergesetzgebung. 403 Mußgnug, Zustand und Perspektiven, S. 25. 404 Mensch und Staat, S. 54 f. 405 Mußgnug, wie vor (FN 403), S. 30; Schmehl, ZRP 1991, 251 (253). 406 Kloepfer, wie vor (FN 402), S. 121 f.
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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Trotz einer „Kommission für Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung" und ihrer „blauen Prüffragen" 407 gelingt es dem Gesetzgeber in der Tat häufig nicht, sprachlich verständlich zu machen, warum eine konkrete Entscheidung so und nicht anders ausfallen sollte 408 . Gesetzessprache wird so zu einem Informationshemmnis 409. Derart zustandegekommene Regelungen entziehen sich der inhaltlichen Plausibilitätskontrolle des laienhaften Rechtskonsumenten und gefährden damit seine grundrechtliche Freiheit 410 . Sie schmälern aber auch seine Akzeptanz, da sie ihm unüberschaubar, unberechenbar und damit willkürlich erscheinen. Man mag daher mit Kirchhof an vielen Stellen die fehlende Gediegenheit der Rechtssetzung beklagen 411 . Indessen nur die Gesetzessprache zu tadeln, hieße zu übersehen, daß ein modernes Gesetz keine Literatur ist 4 1 2 . Seine Sprache ist gut, wenn sie von dem verstanden wird, der damit angesprochen werden soll. Daß der Laie sie nicht begreift, liegt meist nicht an der Sprache des Gesetzgebers 413 , sondern in der Natur der geregelten Materie 414 und dem Zwang des Gesetzgebers zur Abstraktion. Nicht zuletzt die Technisierung der zivilisierten Welt mit ihren spezialgesetzlichen Sicherheitsvorschriften hat die Gesetzeswerke in kaum noch überschaubare Dimensionen anschwellen lassen415. In ihnen wird nicht mehr zwischen Recht und Unrecht unterschieden, sondern zwischen Tatbestandsmerkmalen wie schädlich und unschädlich, vertretbar und unvertretbar, bei denen nicht der rechtsgestaltende Jurist, sondern der Sachverständige entscheidet. Über den Anwendungsbereich derartiger Normen läßt sich trefflich streiten. Dementsprechend ungesichert ist ihre Akzeptanz. Sie mögen zwar für Klarheit sorgen, aber sie überzeugen nicht 416 .
407 S. zuletzt den Beschluß der Bundesregierung vom 20.12.1989 betreffend „Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung und von Verwaltungsvorschriften" sowie als Anlage zu Ziff. 2.1 des Beschlusses erlassene „Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes (VwVR)", die unter § 4 Abs. 1 die „verständliche" Gestaltung vorschreibt, abgedruckt bei Stober (Hrsg.), Deregulierung, S. 69 ff.; zum Stand der Deregulierung beim Bund s. Stober, ebendort, S. 7 ff.; von Hammerstein, ebendort, S. 19 ff. 408 Vgl. Röken, DÖV 1989, 54 (55). 409 Plenge, S. 28. 410 Janssen, S. 4. 411 JZ 1989, 453 (462). 412 Anders etwa der an juristischer Präzision dafür gewiß viel unzulänglichere Code civil von 1804, den Paul Valéry als „großartigstes Buch der französischen Literatur" gerühmt haben soll, s. Zweigert / Kötz, S. 105 413 So aber Hill, JZ 1988, 377, (379 f.) m. Nachw. in FN 13. 414 Mußgnug, wie vor (FN 403), S. 32 f.; auch Ossenbühl, Handbuch Staatsrecht III, § 61 Rdnr. 56, hält das „gigantische Normierungsbedürfnis" für eine schicksalshafte und unvermeidbare Begleiterscheinung des modernen Sozialstaates. 415 Eine Bedrohung des Rechtsstaates durch die Fachnormenflut verneint indessen Püttner, DÖV 1989, 137 (140). 416 So Mußgnug, wie vor (FN 403), S. 27.
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
Der Präzision und Dichtheit der rechtsetzenden Sprache und der Verständlichkeit der rechtsvermittelnden Sprache gleichermaßen gerecht zu werden mag eine „fruchtbare Utopie" 4 1 7 sein, aber eben doch eine Utopie 418 . Aus einer komplizierten Regelungssubstanz läßt sich „auch mit größter stilistischer Anstrengung . . . keine populäre, eingängige Lektüre machen" 419 . Eine Abhilfe wird von Seiten der Gesetzgebung kaum zu erwarten sein, da die zunehmende Komplexität der Verhältnisse nach weiterer Überarbeitung und Ergänzung des Gesetzesbestandes verlangt 420 , wobei insbesondere das Europarecht durchschlägt und insoweit für eine düstere Zukunftsprognose sorgt. Der um sich greifenden Gesetzesverdrossenheit muß daher auf anderem Wege entgegengetreten werden: durch „bürgernahe Verwaltung", „staatlich gestützte Selbstregulierung" 421 sowie nicht zuletzt durch legitimationsverstärkende Öffentlichkeitsarbeit. Adäquates „Gesetzes-Marketing" kann zur Kompensation der Verständnisund Akzeptanzdefizite beitragen 422 . Akzeptanz des Rechts hängt überwiegend von inhaltlichen Motiven ab, kann aber ebenso beruhen auf der Einsicht in das Zustandekommen, auf Transparenz, auf der Art der Vermittlung seiner Inhalte und seiner Darreichungsform 423. Agiert die Exekutive im außerparlamentarischen Raum, also bei eigenen Gesetzesinitiativen oder im Bereich der Leistungsverwaltung, soll nach der Ansicht Hetts diese Transparenz zudem nach Art. 42 GG geboten sein 424 . Als rechtersetzende Steuerungsform bringt informationelles Regierungshandeln nicht nur in vielen Bereichen angemessenere Lösungen, sondern entlastet auch das Recht, dessen Wirkung oftmals disfunktional ist 4 2 5 . Ein Beispiel hierfür 417 Luther, Eröffnungsrede zum 57. Deutschen Juristentag 1988, in: Verhandlungen, hrsg. von der Ständigen Deputation, Band II (Sitzungsberichte), Teil H, S. 6 (11). 4 18 Therapievorschläge macht etwa Isensee, ZRP 1985, 139 (143 ff.). 419 Isensee, Mehr Recht durch weniger Gesetze?, S. 350. 420 Vgl. Brohm, Alternative Steuerungsmöglichkeiten, S. 217. 421 Brohm, wie vor, S. 218 f.(221 f.). 422 Hill, JZ 1988,377 (380); denselben Hinweis auf Ausschöpfung aller publizistischen Mittel erteilt die unabhängige Gewaltkommission der Bundesregierung, s. Rudolf / Hill / Schmidt-Jortzig, Erstgutachten der Unterkommission Öffentliches Recht, S. 955 ff. Rdnr. 123; s. auch Isensee, Diskussionsbeitrag, Verhandlungen des 57. DJT 1988, Bd. II, Sitzungsberichte, S. Ν 156 f.; Sagel-Grande, ZRP 1990, 26, die den Zusammenhang zwischen Normhandhabung, Öffentlichkeitsarbeit, Normakzeptanz und Normbefolgung am Beispiel der Einführung neuer Geschwindigkeitsbegrenzungen in den Niederlanden schildert; Würtenberger, NJW 1991, 257 (259 f.). 423 Hill, JZ 1988, 377 (388); derselbe, DÖV 1989, 666 (669); Mengel, ZRP 1984, 153 (156 f.); vgl. auch Ricker, Das kommunale Amtsblatt, S. 292. 424 Hett, S. 250. 42 5 Kloepfer, Wesentlichkeitstheorie, S. 203, weist darauf hin, daß der staatlichen Normierungstätigkeit schon aus der Natur der Sache bzw. aus der Natur des Regelungsgegenstandes faktische (Eilbedürftigkeit, nicht abstrakt-generell faßbarer Sachverhalt) oder rechtliche (Verbot der Einzelfallgesetzgebung) Grenzen gesetzt sein können. Zur regulati-
1. Kap.: Verfassungskompetenzen
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ist die AIDS-Kampagne der Bundesregierung. Sie soll leisten, was kein Gesetz vermitteln kann: Entwicklung verantwortungsbewußten Verhaltens, Abbau irrationaler Ängste und Solidarität mit den Betroffenen 426 . Auch zur Förderung der Adoptionsvermittlung geht der Abbau von Hemmnissen gegen die Adoptionsfreigabe durch Öffentlichkeitsarbeit gesetzlichen Regelungen vor 4 2 7 . Recht und Gesetz können so zurückgeführt werden auf die Funktion einer ultima ratio der sozialen Konfliktregelung für den Fall, daß der kommunikative Ausgleich endgültig mißlungen oder gar nicht erst zu erwarten ist 4 2 8 . Als vorrechtliche Steuerung kann Information im Vorfeld der gesetzgeberischen Entscheidung zur Verstärkung der Normakzeptanz dienen 429 . Gesetzesankündigung oder auch nur die Verkündung politischer Leitsätze durch die Bundesregierung 430 wird auf diese Weise zum „fast unentbehrlichen Handlungsmittel im demokratischen Staat" 431 , zum Lenkungsinstrument, das sich die Anpassung der Bürger an künftige Rechtslagen bei ihrer Zukunftsplanung zunutze macht und schon vor Durchlauf des parlamentarischen Parcours herrschende Mißstände — aber auch politischen Widerstand — zu beseitigen versucht 432 . Aus denselben Gründen kann sich freilich die Bundesregierung im Rahmen ihres staatsleitenden Ermessens auch zu einer „passiven" Öffentlichkeitsarbeit entscheiden, wenn ihr die Geheimhaltung von Gesetzes vorhaben vor der Entscheidungsreife bzw. dem Einbringen der Vorlage im Parlament tunlich erscheint 433. 3. Ergebnis Die Bedingungen, unter denen politische Entscheidungen nicht nur Legalität, sondern auch Legitimität beanspruchen können 434 , sind schwieriger, die Ressourven, rechtsersetzenden Wirkung der Öffentlichkeitsarbeit s. auch Kloepfer, Information als Intervention, S. 5; Philipp, S. 58; Gröschner, DVB1. 1990, 619 (628). 426 s. die Erläuterung im Bundeshaushaltsplan 1990 zu Kapitel 1502 Titel 531 16 — 314. 427 S. den Bericht der Bundesregierung „über die Entwicklung der Adoptionsvermittlung" vom 8.6.1988, S. 29, hrsg. als Pressedienst des BMJFFG Nr. 111 vom 8.6.1988. 42 8 S. auch BVerwGE 82, 76 (82), das die Aufklärung der Bundesregierung über Jugendsekten „im Vorfeld denkbarer Gesetzgebungsmaßnahmen'4 verankert sah. 42 9 S. etwa Isensee, wie vor (FN 422), der im Zusammenhang der Steuerpflichtigkeit von Kapitalerträgen darauf verweist, daß „ehe neue rechtspolitische Schritte erfolgen erst einmal das Rechtsbewußtsein in Ordnung gebracht werden muß. Hier zeigt sich eine Aufgabe für die Öffentlichkeitsarbeit des Staates," S. Ν 197; s. auch Gramm, Der Staat 30 (1991), 51 (67). 4 30 Kloepfer, Vorwirkung, S. 29, mit Beispielen aus der Steuerrechtspolitik in FN 119 f. «i So Kloepfer, wie vor, S. 28; Mengel, ZRP 1984, 153 (156 f.). 4 32 Ausführlich Kloepfer, wie vor (FN 430), S. 27 f.; s. auch Hill, DÖV 1989, 666 (669). 4 33 S. Mengel, wie vor (FN 431). « 4 Klein, Legitimität gegen Legalität, S. 647 ff. (648).
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
cen der moralischen Energie, von denen der Staat lebt, knapp 435 geworden. Der Staat trifft heute auf einen Bürger, der ihn eher kritisch betrachtet als mitgestaltend unterstützt 436 , sich durch ein gravierendes politisches Erfahrungs- und Wirklichkeitsdefizit 437 sowie infolge Autozentrik durch einen Fehlbestand an Staatsbewußtsein und Staatsraison 438 ausweist und in seiner Orientierungslosigkeit einen Hang zu Irrationalismus und politischer Romantik entfaltet 439 . Der Staat trifft vor allem aber auf emotional bestimmte Vermittlungs- und Argumentationsschranken, die nur schwer zu überwinden sind. Um politischer Apathie und Indifferenz mittels der Staatspflege entgegenzuwirken sowie Konsens zu pflegen und zu fördern, bedarf es einer effektiven, periodischen, stetigen 440 , aktiven, offensiven 441 und damit auch werbenden 442, kurz: hörund sichtbaren Öffentlichkeitsarbeit. Bloß reaktive Ordnungs- und Verwaltungsvollzugsmaßnahmen entsprechen nicht mehr den rechts- und demokratiestaatlichen Anforderungen. Aufgabe der Bundesregierung ist zur Existenzsicherung der Staatszielbestimmungen der Verfassung, die Öffentlichkeit im Wege des „Social Marketings" 443 an die Lebensbedingungen der Gemeinschaft heranzuführen. Vor allem die Soziale Marktwirtschaft „braucht als unverzichtbare Lebensnotwendigkeit kraftvolle Öffentlichkeitsarbeit" 444 . Parteien, Verbände und Massenmedien sind bei ihrer Aufgabe, das Staatswesen an die Öffentlichkeit zu vermitteln und die Reaktionen des Publikums an den staatlichen Willensbildungsprozeß rückzukoppeln, zunehmend überfordert. Auch insoweit ergibt sich eine Pflicht der Regierung aus dem Demokratieprinzip, ergänzend und stützend tätig zu werden und gleichsam ein „Motivationsmanagement zur Moderation der demokratischen Legitimation" 445 zu betreiben. Sie muß in ihrer Selbstdarstellung darauf ausgerichtet sein, auch „hochgradig mißtrauensanfälligen Bürgern ,Geborgenheits4-Gefühle zu vermitteln" 446 . Sie hat sich dabei grundsätzlich aller Kommunikationsmethoden und Medien zu bedienen, die erforderlich sind, um die Aufmerksamkeit des Staatsbürgers auf die zu transportierende Information zu lenken. 435 Isensee, DÖV 1983, 565. 436 Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts III, § 59 Rdnr. 176. 437 Rupp, Kritische Betrachtungen, S. 773 (775). 438 s. Herzog, DÖV 1989, 465 (469). 439 Rupp, wie vor (FN 437), S. 777. 440 Die Stetigkeit wird hervorgehoben etwa bei Kirchhof, JZ 1989, 453 (455); Klein, Legitimität gegen Legalität, S. 650 f. 441 Vgl. etwa Würtenberger, NJW 1991, 257 (259). 442 Vgl. etwa Isensee, Regierbarkeit, S. 37; s. dazu ausführlich unten 6. Teil, 3. Kapitel zu II. 443 s. dazu von Roehl, passim. 444 Langer, aaO. 445 Kempen, DÖV 1972, 740 (741). 446 Klages, Wandlungen, S. 25.
2. Kap.: Sonderbefugnisse zur Meinungsäußerung und Verlautbarung
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Der Zustand der Gesetzgebung und die Akzeptanz ihrer Produkte ist beklagenswert. Die Folge hiervon ist, daß dem Gesetz die nötige Steuerungskraft häufig abgeht. Gesetzesvorbereitende und -begleitende Öffentlichkeitsarbeit ist daher auch rechtsstaatlich geboten. Sie sichert die Normtransparenz, die Rechtsschutzgarantie, die Grundrechtsgewährleistung sowie die Effizienz des Gesetzesvollzugs. Sie kann letztlich Regelungen aber auch entbehrlich machen. Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit stellt sich damit als „notwendige Staatsaufgabe" 447 dar.
2. Kapitel
Sonderbefugnisse der Regierung zur Meinungsäußerung und Verlautbarung I. Das parlamentarische Redeprivileg Nach Art. 43 Abs. 2 GG haben Regierungsmitglieder und ihre Beauftragten 448 Zutritt zu allen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse und müssen jederzeit gehört werden 449 . Dieses Recht auf Gehör, dessen Einzelheiten die §§ 43 f. GOBT regeln, muß auch außerhalb der Tagesordnung gewährt werden 450 . Die Bundesregierung hat so die Möglichkeit, sich zu jedweder Thematik, nicht nur zu dem parlamentarischen Verhandlungsgegenstand, zu Wort zu melden. Sie unterliegt jedoch der Leitungskompetenz des amtierenden Präsidenten bzw. Ausschußvorsitzenden, der ihr das Wort erteilt und auch entziehen kann 451 . Die vornehmste und wichtigste Form der Inanspruchnahme des Redeprivilegs ist die Abgabe einer Regierungserklärung. Dabei handelt es sich um eine vor dem Plenum des Bundestages außerhalb einer Aussprache abgegebene Erklärung des Bundeskanzlers zu den Richtlinien der Politik oder eines anderen Regierungsmitglieds im Auftrag der Regierung, die zuvor im Kabinett beschlossen oder zumindest in den Grundzügen gebilligt worden ist 4 5 2 . Mittels dieser neben der 447 Zur Kategorie der „notwendigen Staatsaufgabe" s. Ossenbühl, Staatliches Femmeldemonopol als Verfassungsgebot?, S. 542 ff. 448 In der Staatspraxis wird das Rederecht im Plenum seit jeher neben Regierungsmitgliedern auf beamtete oder parlamentarische Staatssekretäre beschränkt, s. Besch, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 33 Rdnr. 16 (S. 944); nach Schröder, BK (Zweitbearb.), Art. 43 Rdnr. 69, handelt es sich dabei nicht um ein Rechtsgebot, sondern um eine politische Stilfrage. 449 Grundlegend dazu Fauser, S. 15 ff. 4 50 BVerfGE 10, 4 (17); Schröder, BK (Zweitbearb.), Art. 43 Rdnr. 94 m. w. Nachw. 4 51 Besch, wie vor (FN 448), Rdnr. 21 zu § 33 (S. 946); Fauser, S. 90 ff.; Schröder, BK (Zweitbearb.), Art. 43 Rdnr. 91. 4 52 Besch, wie vor (FN 448), Rdnr. 20 zu § 33 (S. 945).
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3. Teil: Kompetenzgrundlagen
Debatte bedeutsamsten parlamentarischen Äußerungsform stellt der Bundeskanzler herkömmlich das politische Programm seines Kabinetts vor oder legt die Auffassung der Regierung zu wichtigen aktuellen Fragen dar. Regierungserklärungen werden in aller Regel von den elektronischen Medien life übertragen und finden bei der Presse breite Resonanz. Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung dient auf diese Weise der Regierung als legitimes publizistisches Instrument, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen 453. Die Redezeit kann vom Bundestag weder beschränkt werden noch ist sie von Verfassungs wegen auf die Redezeiten der Fraktionen anzurechnen noch ist die Redezeit der Opposition entsprechend zu verlängern. Nach dem Redezeiturteil des BVerfG findet eine Eingrenzung nur durch die Verfassungsorgantreue sowie durch das Mißbrauchsverbot statt 454 . So darf der Bundestag, insonderheit die Opposition, nicht durch eine übermäßige Häufung von Regierungsreden an der Erfüllung seiner Aufgaben gehindert werden 455 . Die Möglichkeiten der Regierung, das Parlament im Rahmen eines „Ereignismanagements" zu einem Forum staatlicher Selbstdarstellung zu nutzen, sind in der heutigen Parlamentspraxis jedoch kaum noch vorhanden. Einen gewissen Ausgleich für das Redeprivileg der Regierung enthalten bereits das Erwiderungsprivileg der Opposition nach § 28 Abs. 1 2. Halbsatz, die sog. Viertelzeitregel des § 44 Abs. 2 und die 20Minuten-Regel des § 35 Abs. 3 GOBT. Darüber hinaus hat sich die parlamentarische Praxis im Wege verfassungsrechtlich unbedenklicher, freiwillig beachteter Absprachen zwischen den Fraktionen untereinander und mit der Regierung längst 456 über das umstrittene Redezeiturteil des BVerfG hinweggesetzt457. Diese Vereinbarung hat inzwischen den Charakter parlamentarischen Gewohnheitsrechts 458 . Seither werden Regierungsreden durch Anrechnung auf die Redezeit der Mehrheitsfraktionen in die parlamentarische Redezeitverteilung eingerechnet 4 5 9 , was die Bereitschaft der die Regierung tragenden Fraktionen, der Regierung das Rednerpult zu überlassen, nicht unbeträchtlich schmälert. Rechtlich ist das Redeprivileg der Bundesregierung nach Art. 43 Abs. 2 Satz 2 GG dadurch freilich nicht aufgehoben 460.
453 Kirchhof, JZ 1989, 453 (455); Dieterich, Funktion der Öffentlichkeit, S. 85 ff.; Binder, DVB1. 1985, 1112 (1114); kritisch dazu Hett, S. 91 ff. 454 BVerfGE 10, 4 (17 ff.) — Redezeiturteil — , kritisch dazu Lipphardt, Die kontingentierte Debatte, S. 90 ff. 455 BVerfGE 10, 4 (18). 456 Seit der Beratung der sog. Ostverträge im Jahre 1972. 457 S. etwa Schröder, BK (Zweitbearb.), Art. 43 Rdnr. 100. 458 Zeh, Handbuch Staatsrecht II, § 43 Rdnr. 31. 459 Vgl. Besch, wie vor (FN 448), § 33 Rdnr. 29 m. w. Nachw. 460 Zeh, wie vor (FN 458).
2. Kap.: Sonderbefugnisse zur Meinungsäußerung und Verlautbarung
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I I . Das Verlautbarungsrecht Die Bundesregierung hat kraft Gesetzes461 die Kompetenz 462 , „amtliche Verlautbarungen" unter Inanspruchnahme des Rundfunks ohne dessen Selektion und Transformation zu verbreiten. In der bisherigen Staatspraxis hat diese Form der Informationsverbreitung über die elektro-physikalischen Medien keine besondere Rolle gespielt. Sie wurde von der jeweiligen Bundesregierung nur sehr restriktiv in Anspruch genommen, etwa für die jährlichen Fernsehansprachen des Bundeskanzlers zum Jahreswechsel, dessen Ansprache zum Staatsvertrag mit der DDR am 1. Juli 1990 oder zum Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 463 . In Anbetracht der Möglichkeiten, sich über Presseerklärungen, Interviews und die Teilnahme an Diskussionssendungen in den Medien zu Wort zu melden, wird die förmliche Verlautbarung, der ein zwanghaftes und mitunter auch nüchternes Element eigen ist, offensichtlich nicht für opportun angesehen. Selbst als im Fall der Volkszählung im Jahre 1987 eine bundesweite Boykottbewegung die Erfolgsaussichten einer zuvor vom BVerfG für sozialstaatlich zwingend geboten erachteten 464, vom Parlament mit überragender Mehrheit gesetzlich beschlossenen, rund 715 Millionen D M teuren statistischen Bestandsaufnahme derart in Frage stellte, daß sich der demokratische Staat in seiner Handlungsfähigkeit ernsthaft bedroht sah, machte die Regierung keinen Gebrauch von ihrem Verlautbarungsrecht, sondern zog es vor, sich in erster Linie auf die Kommunikationsebene der bezahlten Öffentlichkeitsarbeit zurückzuziehen und hierfür Etatmittel von über 40 Millionen D M einzusetzen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten hatten sich zwar zur flankierenden Ausstrahlung trickfilmischer Werbespots bereit erklärt, jedoch stets hervorgehoben, daß es sich hierbei um einen Akt freiwilligen Entgegenkommens gehandelt habe 465 . Nicht weiter verwunderlich ist daher, daß es bislang zu keinem Streit zwischen der Regierung und den Anstalten über die Gewährung von Sendezeit gekommen ist, so daß auf weiterführende Judikatur nicht zurückgegriffen werden kann 466 . Dennoch fragt es sich, ob die Regierung damit nicht auf eine für ihre 461
S. die Darstellung der einschlägigen Normen unten zu l.a)-d). Bethge, Verfassungsrechtsprobleme der Reorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, S. 94. 4 63 S. etwa Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 118 vom 5.10.1990, S. 1225 f.; selbst in diesen Fällen erfolgte keine förmliche Inanspruchnahme, sondern eine einvemehmliche Verständigung zwischen der Regierung und den öffentlich-rechtlichen Anstalten. 4