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German Pages 992 [996] Year 1991
Festschrift für Theodor Heinsius zum 65. Geburtstag
Festschrift für T H E O D O R HEINSIUS zum 65. Geburtstag am 25. September 1991
herausgegeben von
Friedrich Kübler
Hans-Joachim Mertens
Winfried Werner
w DE
G
1991
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Einheitsaufnahme
Festschrift für Theodor Heinsius zum 65. Geburtstag am 25. September 1991 / hrsg. von Friedrich Kübler . . . - Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 ISBN 3-11-012867-5 N E : Kübler, Friedrich [Hrsg.]; Heinsius, Theodor: Festschrift
© Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Saladruck, D-1000 Berlin 36. Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer G m b H , D-1000 Berlin 61.
Vorwort
Am 25. September 1991 vollendet Theodor Heinsius sein 65. Lebensjahr. Aus diesem Anlaß haben sich Freunde und ihm besonders verbundene Kollegen zusammengetan, um ihm mit dieser Festschrift für lange Jahre ebenso wirkungsvoller wie angenehmer Zusammenarbeit, für tatkräftige kollegiale Hilfsbereitschaft, für sein unermüdliches, pädagogisches und wissenschaftliches Engagement und für vielfältige praktische und theoretische Anregungen und Ratschläge zu danken. Die Beiträge reflektieren fast alle Facetten eines ungewöhnlich vielseitigen und erfolgreichen Berufslebens: in der Rolle des Chefsyndikus einer Großbank die des Leiters und Mentors eines hochqualifizierten Rechtsstabes wie die des loyalen und unabhängigen Rechtsberaters seines Unternehmens, in der Rolle des Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundesverbandes deutscher Banken e. V. die des in allen Fragen der Tagespraxis versierten Bankjuristen wie die des umsichtigen Rechtspolitikers, in der Rolle des Frankfurter Honorarprofessors schließlich die des mitreißenden Hochschullehrers wie die des Verfassers vielbeachteter und einflußreicher rechtswissenschaftlicher Abhandlungen zum Bank-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht. Auch insoweit fungiert der Band als Spiegel: Das breite Spektrum der von Theodor Heinsius aufgeworfenen Fragen, der in seinen Analysen betonten Aspekte und der von ihm empfohlenen Lösungen wird in vielen der Beiträge aufgegriffen, erneut zur Diskussion gestellt und einvernehmlich oder kritisch weitergeführt; das belegt die fortwirkende Aktualität seiner wissenschaftlichen Arbeit. Die Autoren und die Herausgeber der Festschrift hoffen, daß diese Quelle auch in Zukunft unverändert klar und lebendig sprudeln wird; sie wünschen Theodor Heinsius, daß ihm Glück und Gesundheit, Lebensfreude und Schaffenskraft auch im neuen Abschnitt seines Lebens die Treue halten. Friedrich Kübler
Hans-Joachim Mertens
Winfried Werner
Inhalt
H E I N Z - D I E T E R ASSMANN,
Dr. jur., LL. M., o. Professor an der Universität
Tübingen: Börsentermingeschäftsfähigkeit
1
UWE BLAUROCK, Dr. jur., o. Professor an der Universität Göttingen: Stille Publikumsgesellschaften im Rechte der Bankenaufsicht KLAUS BÖHLHOFF,
33
Dr. jur., Rechtsanwalt, Düsseldorf:
Kriterien und Methoden einer Regulierung der internationalen Kapitalund Wertpapiermärkte
49
Dr. jur., Mitglied des Vorstandes der Industriekreditbank A G - Deutsche Industriebank, Düsseldorf, Honorarprofessor an der Universität Hamburg: Perspektiven für die Kommanditgesellschaft auf Aktien
61
Dr. jur., Dr. h. c. mult., em. o. Professor an der Universität Frankfurt a. M., em. Direktor des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt a. M., Vizepräsident der MaxPlanck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.: Übernahme des Trusts in unser internationales Privatrecht?
79
CARSTEN PETER CLAUSSEN,
HELMUT COING,
HANS-JOACHIM FLECK,
Richter am Bundesgerichtshof a. D., Karlsruhe:
Eigengeschäfte eines Aufsichtsratsmitglieds
89
AXEL FLESSNER, D r . jur., o . P r o f e s s o r an der Universität Frankfurt a. M . :
Internationales Insolvenzrecht in Europa
111
Dr. jur., Rechtsanwalt, Leitender Syndikus der Dresdner Bank AG, Düsseldorf:
JÜRGEN FOCK,
Stimmrechtslose Geschäftsanteile
129
Dr. jur., Rechtsanwalt, Stellv. Chefsyndikus der Dresdner Bank A G , Frankfurt a. M.:
PAUL FRANKEN,
Grenzen der Mitwirkungspflichten der Kreditinstitute bei Ermittlungsund Fahndungsmaßnahmen der Steuerbehörden 147 REINHARD GOERDELER, D r . jur., D r . h. c., R e c h t s a n w a l t und W i r t s c h a f t s -
prüfer, Vorstandsmitglied der Deutschen Treuhand-Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Frankfurt a. M. : Stiftungen in der Bundesrepublik aus heutiger Sicht 169
Vili
Inhalt
Dr. jur., o. Professor an der Universität Mainz: Die einseitige Aufhebung der Geschäftsverbindung aus wichtigem Grund gemäß Nr. 17 Satz 2 A G B der Banken/Nr. 13 Abs.2 A G B der Sparkassen 183
WALTHER HADDING,
Dres. jur., Mitglied des Vorstandes der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Frankfurt a. M.:
HEINRICH HARRIES,
Die Parteiautonomie in internationalen Kreditverträgen als Instrument der Vertragsgestaltung 201 THORWALD HELLNER, D r . jur., Hauptgeschäftsführer, C h e f s y n d i k u s des
Bundesverbandes deutscher Banken e. V., Köln: Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland
211
Dr. jur., o. Professor an der Universität Göttingen: Haftung für Altverbindlichkeiten eines insolventen Unternehmens wegen Betriebsübergangs 261
WOLFRAM HENCKEL,
KLAUS J . H O P T ,
München:
Dr. jur., Dr. phil., M. C .
J.,
o. Professor an der Universität
Insiderwissen und Interessenkonflikte im europäischen und deutschen Bankrecht 289 NORBERT HORN,
Dr. jur., o. Professor an der Universität zu Köln:
Kreditfähigkeit und Kapitalausstattung umgewandelter Unternehmen im neuen Bundesgebiet 323 UWE HÜFFER, Dr. jur., o. Professor an der Ruhr-Universität Bochum: Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften - Eine hilfreiche Kategorie bei der Begrenzung von Stimmverboten im Recht der GmbH? 337 INGO KOLLER, Dr. jur., o. Professor an der Universität Regensburg: Sicherung des Eigenkapitals bei der gesetzestypischen Kommanditgesellschaft 357 WALTHER KOLVENBACH,
Universität zu Köln:
Dr. jur., Rechtsanwalt, Honorarprofessor an der
Die Europäische Aktiengesellschaft-eine wohlgemeinte Utopie? FRIEDRICH
a. M.:
KÜBLER,
379
Dr. jur., o. Professor an der Universität Frankfurt
Haftungstrennung und Gläubigerschutz im Recht der Kapitalgesellschaften - Zur Kritik der „Autokran"-Doktrin des Bundesgerichtshofes 397
Inhalt
IX
F. KÜNZEL, Dr. jur., Rechtsanwalt, Chefjurist der Hypo-Bank, München: Rechtsschutzbedürfnis bei aktienrechtlichen Anfechtungsklagen 425
RUDOLF J .
LAULE, Dr. jur., Rechtsanwalt und Notar, Frankfurt a. M., Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes: Die Umstrukturierung der Frankfurter Wertpapierbörse - ein Modell - . 437
GERHARD
Dr. jur., o. Professor an der Universität Frankfurt a. M.: Mißbräuchliche aktienrechtliche Anfechtungsklagen und Strafrecht Vorüberlegungen und Materialien 457
KLAUS LÜDERSSEN,
Dr. jur., o. Professor an der Universität Bonn: Vorleistungsrisiko der Zeichner und „freie Verfügbarkeit" bei Gründung und Kapitalerhöhung 497
M A R C U S LUTTER,
Dr. jur., o. Professor an der Universität Hamburg: Die Organisation des Konzernvorstands 523
KLAUS-PETER MARTENS,
Dr. jur., o. Professor an der Universität Frankfurt a. M . , und ANDREAS C A H N , L L . M . , Rechtsanwalt, Frankfurt a. M . : Wettbewerbsverbot und verdeckte Gewinnausschüttung im GmbHKonzern 545
HANS-JOACHIM MERTENS,
Dr. jur., o. Professor an der Universität Tübingen: Wurzeln der Bankenaufsicht 575
WERNHARD MÖSCHEL,
MÜLLER, Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied der Treuarbeit Aktiengesellschaft, Frankfurt a. Μ.: Zur Begründung differenzierter Anforderungen für die Leistung von Sacheinlagen in das Eigenkapital von Kapitalgesellschaften 591
HANS-PETER
Dr. jur., o. Professor an der Universität zu Köln: Analyse, Prognose, Empfehlung und Erfüllung - Das Bankrecht der DDR im Übergang zur Marktwirtschaft vor dem Hintergrund der Empfehlungen des Forschungsbeirates für Fragen der Wiedervereinigung (1954/56) 611
KLEMENS PLEYER,
Dr. jur., Honorarprofessor an der Universität Hamburg: Einheitsbilanzklauseln im GmbH-Vertrag 621
HANS-JOACHIM PRIESTER,
Dr. jur., o.Professor an der Universität Gießen: Die Einrede der Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen in der GmbH 645
THOMAS RAISER,
Χ
Inhalt
Dr. jur., Rechtsanwalt, Syndikus und Direktor der Sal. Oppenheim Jr. & Cie., Köln: Sicherung und Sicherungszweck 659
DIETER REHBEIN,
Dr. jur., Syndikus, Generalbevollmächtigter der Westdeutschen Landesbank, Düsseldorf: Ubernahmeangebote - Verhaltenspflichten des Vorstandes der Zielgesellschaft und Abwehrmöglichkeiten 683
DIETRICH RÜMKER,
Vors. Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe: Zur Rechtsnatur der Wertstellung
HERBERT SCHIMANSKY,
705
Dr. jur., o. Professor an der Universität Hamburg: Wider eine „lex Holzmüller" - §§251 f des Diskussionsentwurfs eines neuen Umwandlungsrechts in der Kritik 715
KARSTEN SCHMIDT,
UWE H. SCHNEIDER, Dr. jur., o. Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt und an der Universität Mainz: Europäischer und globaler Wettbewerb der Bankensysteme 733 Dr. jur., o.Professor an der Ruhr-Universität Bochum: Voraussetzungen und Grenzen der persönlichen Gesellschafterhaftung in der GbR 753
EBERHARD SCHWARK,
ULF R. SIEBEL, Dr. jur., Rechtsanwalt, Frankfurt a. M.: Zur Auskunftspflicht des Aktionärs (Übersicht mit Hinweisen auf englisches Recht) 771 Dr. jur., Rechtsanwalt, Syndikus der Dresdner Bank AG, Frankfurt a. M.: Kapitalmarkt und Globalurkunde 809
JÜRGEN THAN,
Dr. jur., o. Professor an der Universität zu Köln: Zur Kollision kapitalersetzender Gebrauchsüberlassungen (§32 a GmbHG) mit Grundpfandrechten und Zessionen der Kreditinstitute . . . 841
WILHELM UHLENBRUCK,
Dr. jur., o. Professor an der Universität Heidelberg: Zur Berechnung der für die Anwendung des MitbestG auf Kapitalgesellschaften maßgebenden Arbeitnehmerzahl 855
PETER U L M E R ,
Dr. jur., Rechtsanwalt, in: Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., Köln: Auf dem Weg zum europäischen Insider-Recht 875
GOTTFRIED WALTHER,
XI
Inhalt
DOLF WEBER, Rechtsanwalt und Notar, Frankfurt a. M.: „Bankenklauseln" bei der Fusionskontrolle - Gemeinschaftsrecht und Rechte der Mitgliedstaaten 895 WINFRIED WERNER, Dr. jur., Rechtsanwalt, Frankfurt a. M., Honorarprofessor an der Universität Göttingen: Fehlentwicklungen in aktienrechtlichen Auskunftsstreitigkeiten Zugleich ein Beitrag über die Zulässigkeit negativer Feststellungsanträge im Auskunftserzwingungsverfahren 911 H A R M PETER WESTERMANN, D r . j u r . , o . P r o f e s s o r a n d e r U n i v e r s i t ä t
Tü-
bingen: Zwecke der AGB-Kontrolle im Bankvertragsrecht
931
HERBERT WIEDEMANN, Dr. jur., o. Professor an der Universität zu Köln: Zu den Treuepflichten im Gesellschaftsrecht
949
MANFRED WOLF, Dr. jur., o.Professor an der Universität Frankfurt a. M.: Störungen des Binnenmarktes durch das Verbraucherkreditgesetz Verzeichnis der Schriften von Theodor Heinsius
967 979
Börsentermingeschäftsfähigkeit H E I N Z - D I E T E R ASSMANN
I. Einleitung Mit den 1987 und 1989 in Kraft getretenen Novellen zum Börsengesetz hat das deutsche Börsenrecht innerhalb weniger Jahre weitreichende Änderungen erfahren, die vor allem nachhaltig auf die Struktur und den Umfang der börslichen Märkte eingewirkt haben: Die Novelle von 19871 brachte neben der Umgestaltung des „Amtlichen Marktes" die Einführung eines neuen Marktsegments in Form des „Geregelten Marktes". Ziel des Gesetzgebers war es, kleineren und mittleren Unternehmen zum Zwecke der Verbesserung ihrer Eigenkapitalausstattung den Weg zur Börse zu erleichtern sowie damit den „Organisierten Kapitalmarkt" durch differenziertere Zugangsbedingungen und Betriebsanforderungen zu beleben2. Markterweiterung und -differenzierung sind auch die Effekte der Novelle von 19893. Ihre wesentliche Aufgabe 4 bestand darin, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einrichtung eines erfolgreichen deutschen Terminhandels zu schaffen5. Dies erfolgte zum einen durch die Ausdehnung des Begriffs der Börsentermingeschäfte und zum anderen durch die Erweiterung des Kreises jener Personen, die rechtsverbindlich Börsentermingeschäfte betreiben können. Während die Novelle von 1987 zwischenzeitlich aus der Diskussion verabschiedet wurde, dürfte diejenige von 1989 die Bank-, Börsen- und Kapitalmarktrechtler sowie die Rechtsprechung noch für geraume Zeit beschäftigen. Dies ist im wesentlichen dem Umstand geschuldet, daß die Neugestaltung der börsengesetzlichen Regelungen zum Terminhandel (§§50 ff BörsG) nicht nur zahlreiche dogmatische Unklarheiten mit sich gebracht hat, sondern zugleich gewichtige konzeptionelle Fragen in bezug auf ihre Börsenzulassungsgesetz vom 16.12.1986, B G B l . I, 2478. Vgl. dazu im einzelnen die Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucks. 10/ 4296 sowie die Übersichten bei Schäfer, ZIP 1987, 953 und Schwark, N J W 1987, 2041. 3 Gesetz zur Änderung des Börsengesetzes vom 11.7.1989, B G B l . I, 1412. 4 Gesamtüberblick bei Rümpel, W M 1989, 1313 (I.), 1485 (II.); Schäfer, ZIP 1989, 1103; Schwark, N J W 1989, 2675. 5 Näher hierzu die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Börsengesetzes, BT-Drucks. 11/4177, S . 9 f . 1
2
2
Heinz-Dieter Assmann
Stellung im System des Anlegerschutzes auf dem Kapitalmarkt und die daraus zu ziehenden Folgerungen aufwirft. Der Versuch, in beiderlei Hinsicht sowohl zu einer Bestandsaufnahme als auch zu einer Klärung der durch die Novelle 1989 geschaffenen Rechtsprobleme beizutragen, darf in mehrfacher Hinsicht auf das Interesse des Jubilars hoffen: Zum einen hat Theodor Heinsius selbst zu einigen der im folgenden anzusprechenden Grundprobleme des Anlegerschutzes einen frühen und vielbeachteten Beitrag geleistet, und zum anderen hat ihm aufgrund seines beruflichen Wirkungskreises das Gesetzgebungsverfahren gewiß mehr als dessen kritische Beobachtung abverlangt. II. Ziele und Anlässe der Neuregelung Ziele und Anlässe der Neuregelung der Börsentermingeschäfte sind vielfach beschrieben worden 6 und bedürfen insoweit keiner vertiefenden Darstellung. Zur Verdeutlichung des Grundanliegens der Börsengesetznovelle 1989 genügt der Hinweis, daß der Gesetzgeber es nicht nur für volkswirtschaftlich sinnvoll, sondern auch zur Stärkung der internationalen Konkurrenzfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland als geboten betrachtete, die Rahmenbedingungen für die Entfaltung eines nach Markttiefe und -breite funktionsfähigen deutschen Terminmarktes 7 zu schaffen 8 . Daß die noch auf die Börsenrechtsreform von 1908 und die seinerzeitig grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber spekulativen Börsengeschäften zurückgehenden Bestimmungen des BörsG einerseits und die sich an die restriktiven gesetzlichen Vorgaben gebunden füh6 S. (m. w. Nachw.) die oben in Fn. 4 angeführten Arbeiten. Zum abundanten Schrifttum, welches sich mit den Mängeln bisherigen Rechts beschäftigte, s. die Nachw. in der altes und neues Recht umfassenden Darstellung bei Häuser/Weiter, in: Assmann/ Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, 1990, § 15 (Rdn. 1). 7 Als organisatorische Grundlage eines solchen Terminmarktes stand dem Gesetzgeber insoweit das Vorhaben zur Errichtung einer Deutschen Terminbörse (DTB) vor Augen, die dann auch Anfang 1990 ihre Tätigkeit aufnahm. Vgl. dazu Kindermann, WM Sonderbeil. 2/1989. Die Novelle 1989 beschränkt sich indes nicht darauf, die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen allein der DTB zuzuordnenden Terminmarkt zu begründen. Dies kommt vor allem darin zum Ausdruck, daß die Verbindlichkeit von Termingeschäften nicht mehr von einer Börsenzulassung der Handelsgegenstände abhängt (§§ 50, 53 und 58 BörsG). 8 S. im einzelnen Begründung, aaO (Fn. 5), S. 9. Als Reformgründe werden (ebd.) weiter angeführt: Die aufgrund des Wachstums anlagefähigen Vermögens gestiegene Nachfrage privater Investoren nach Anlageformen auch spekulativer Art und das Erfordernis der Anpassung der terminrechtlichen Bestimmungen an EG-rechtliche Gebote zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs und der Beseitigung von Schranken der (aktiven und passiven) Dienstleistungsfreiheit. Letzteres Argument dürfte indes der Sache nach kaum stichhaltig sein, da die bisherigen Bestimmungen den einschlägigen EG-rechtlichen Vorgaben und Verpflichtungen standgehalten hätten.
Börsentermingeschäftsfähigkeit
3
lende Rechtsprechung andererseits den Spielraum für die Entwicklung eines Terminmarktes weitgehend einengten, bedarf ebensowenig einer in die Einzelheiten gehenden Erörterung 9 . Auf der Grundlage einer Regelung, die das Zustandekommen verbindlicher (nicht dem Termin- und Differenzeinwand nach §§ 762, 764 BGB ausgesetzter) oder zumindest liquidierbarer Termingeschäfte davon abhängig machte, daß ein eng begrenzter Personenkreis in bezug auf ausdrücklich zum Börsenterminhandel zugelassene Waren oder Wertpapiere kontrahierte oder ein nicht verbotenes Geschäft abwickelte bzw. der nicht zu den Börsentermingeschäftsfähigen zählende und erfüllungsunwillige Vertragspartner zuvor Sicherheit leistete oder über eine aus früheren Börsentermingeschäften aufrechenbare Forderung gegen seinen termingeschäftsfähigen Kontrahenten verfügte, war die Entfaltung eines funktionsfähigen deutschen Terminmarktes nicht zu erwarten. Soweit sich ein solcher überhaupt herausbildete, beschränkte er sich - eingeleitet durch eine V O des Bundesministers für Wirtschaft aus dem Jahre 197010 - auf einen engen Kreis von zum Optionshandel zugelassenen Wertpapieren. In gleichem Maße, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen das Entstehen eines deutschen Terminmarktes einschränkten, verhinderten sie aber auch ein Ausweichen auf ausländische Märkte: Geschäfte mit einem Inländer waren für ausländische Vertragspartner aufgrund des Zusammenwirkens von §§50, 52 und 61 BörsG a. F. regelmäßig dem Termin- und Differenzeinwand ausgesetzt und erstickten damit auch einen „transnationalen" Terminmarkt im Keim". Damit waren zugleich die Randbedingungen geschaffen, unter denen sich das spekulationsfreudige Anlegerpublikum in ausländischen Warentermingeschäften engagierte und dem unseriösen Geschäftsgebaren der auf solche Anlageformen spezialisierten Anlagevermittler aussetzte. Die dort zutage getretenen und erst kraft Statuierung weitreichender Aufklärungspflichten der Vermittler durch die Rechtsprechung 12 leidlich eingedämmten Mißstände haben bis in die Novelle 1989 nachgewirkt, die Warentermingeschäfte von der Neuregelung der Termingeschäfte ausnimmt (§53 Abs. 3 BörsG) 13 .
9 Uberblick über die Rechtsentwicklung des Terminhandels in Deutschland bzw. die Handhabung der bisherigen Bestimmungen durch die Rechtsprechung bei Häuserl Welter, aaO (Fn. 6), §15 Rdn. 1 ff bzw. §16 Rdn. 1 ff; zu letzterem insbes. auch Bundschuh, WM 1986, 725. 10 BGBl. 1970 I, S. 933; gestützt auf §63 Abs. 1 S.2 BörsG a.F. 11 Uberblick über die Rechtsfragen ausländischer Börsentermingeschäfte nach bisherigem Recht bei Häuser/Welter, aaO (Fn.6), §16 Rdn. 478 ff. 12 Dazu Bundschuh, WM 1985, 249. 13 Begründung, aaO (Fn. 5), S. 20: „Es haben sich in diesem Bereich in der Vergangenheit erhebliche Mißbräuche gezeigt. Deshalb sieht der Entwurf insoweit von einer Lockerung des Anlegerschutzes ab."
4
Heinz-Dieter Assmann
Die für das Zustandekommen in- und ausländischer Termingeschäfte sowie die Herausbildung eines diesbezüglich funktionsfähigen Marktes hinderliche Gesetzeslage vor Erlaß der Novelle 1989 ist in den letzten Jahren in ganz unterschiedlicher Hinsicht unter zunehmenden Legitimationsdruck geraten14: Auf der einen Seite fanden sich diejenigen Stimmen, die die wirtschaftlichen Nachteile eines praktisch inexistenten Terminmarktes in den Vordergrund rückten und im wesentlichen auch die Begründung der Novelle 1989 tragen. Gegen die in der bisherigen Regelung zum Ausdruck kommende Termingeschäftsfeindlichkeit wandten sie ein, „daß weder die Verhältnisse an den Terminmärkten selbst noch deren Auswirkungen auf die Kassamärkte oder gesamtwirtschaftliche Gründe ein negatives Urteil über die Terminspekulation" 15 rechtfertigten. Für eine Liberalisierung der Terminhandelsregelung führten sie die wirtschaftliche Funktion 16 von Terminmärkten für eine zunehmend in internationale Bezüge eingebettete nationale Volkswirtschaft, die ebenfalls nicht ohne die Internationalisierung der Kapitalmärkte zu betrachtende Wettbewerbsbenachteiligung inländischer Anbieter im Anlagegeschäft, die erkennbare und fehlgeleitete Nachfrage nach spekulativen Anlageformen und die europa- und weltweite Liberalisierung der Kapitalmarktregulierung an17. Diese zunehmend positive Sicht der Termingeschäfte wurde durch jene Stimmen verstärkt, die auf der anderen Seite an die Systematik und den Regelungsgehalt der bisherigen Vorschriften anknüpften. Gerügt wurden insoweit nicht nur die Regelungsdetails wie etwa die quer zu den akzeptablen Schutzbedürfnissen stehende gesetzliche Abgrenzung des Kreises der Börsentermingeschäftsfähigen18 oder die Behandlung der Auslandsgeschäfte". Zunehmend Beanstandung fand vielmehr auch die Haltung der Rechtsprechung bei der Anwendung einzelner Normen im Regelungsgefüge der §§ 50 ff BörsG a. F. und die Stellung des in diesen Bestimmungen zum Ausdruck 14 Auf Einzelnachweise der Kritik an der bisherigen Regelung der Termingeschäfte wird im folgenden aus Platzgründen verzichtet. Sie erschließt sich leicht aus der Darstellung bei Häuser/Weiter, aaO (Fn. 6), § 1 6 Rdn. 1 ff, insbes. aber Rdn. 547 ff, auf die wiederum verwiesen werden kann. 15 So resümierend Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 480. 16 Vgl. dazu die Hinweise und Nachweise bei Th. Bauer, Börsenmäßige Termingeschäfte und Differenzeinwand im schweizerischen und deutschen IPR, (Basel) 1988, S. 7 ff; Imo, Börsentermin- und Börsenoptionsgeschäfte, 1988, Bd. I, S. 311 ff; Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 474ff. 17 Sehr deutlich in diesem Sinne die Rechtfertigung der Novelle bei Steuer, Die Bank 1989, 364. 18 Diesbezügliche Kritik findet sich selbst in der Rechtsprechung; vgl. etwa BGH W M 1981, 711, 712; 1981, 758, 759; 1984, 1598, 1599. 19 Vgl. m. w. Nachw. zum umfangreichen Schrifttum und der in diesem geäußerten Kritik Häuser/Welter, aaO (Fn. 6), § 16 Rdn. 478 ff.
Börsentermingeschäftsfähigkeit
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kommenden Marktteilnehmerschutzes im System der sich verstärkt an internationalen Standards orientierenden Kapitalmarktregelung sowie der darin verwirklichten Formen des Anlegerschutzes. III. Grundlinien der Neuregelung Trotz des über Jahre gewachsenen Unbehagens an der börsengesetzlichen Regelung der Börsentermingeschäfte war es stets unbestritten, daß eine liberalisierende Neugestaltung mit einem solchen Maß an Anlegerschutz einhergehen müsse, das die gegenüber tradierten Anlageformen erheblich größeren Risiken bei Termingeschäften berücksichtige. Während der Gesetzgeber für sich beansprucht, diesem Anliegen - unter Verwendung der der neueren Rechtsentwicklung entsprechenden Formen des Anlegerschutzes 20 - hinreichend gerecht geworden zu sein, wird die Neuregelung neben zustimmenden Stellungnahmen indes in wachsendem Maße kritischer beurteilt 21 . Ausschlaggebend hierfür ist vor allem der Umstand, daß der Kreis der Börsentermingeschäftsfähigen neben den kraft ihres Status Qualifizierten letztlich auf all jene ausgedehnt wird, die im Vorfeld eines Geschäftsabschlusses mittels einer Informationsschrift über die für Termingeschäfte typischen Risiken informiert wurden. Tatsächlich erweist sich nach der Umstrukturierung der Bestimmungen über die Termingeschäfte die Börsentermingeschäftsfähigkeit als der zentrale Begriff an dem die Verbindlichkeit der abgeschlossenen Verträge anknüpft. Während nach altem Recht - abgesehen von den Fällen der faktischen Erfüllung eines nicht verbotenen Geschäfts (§ 57 BörsG) überhaupt nur solche Geschäfte Börsentermingeschäftsfähiger verbindlich werden konnten, die sich auf (in Deutschland 22 ) zum Börsenterminhandel zugelassene Waren oder Wertpapiere bezogen (§§50, 58 BörsG a. F.), sind unter dem neuen Recht sämtliche (in- und ausländische, börsliche und außerbörsliche) Termingeschäfte vom Termin- und Differenzeinwand ausgenommen, sofern sie nach dem BörsG verbindlich sind. Dies wiederum ist - neben erfüllten Kontrakten (§ 57 BörsG) - für alle nichtverbotenen (§52 BörsG 23 ) Geschäfte Termingeschäftsfähiger der Fall (§58 BörsG). Termingeschäftsfähig sind (vorbehaltlich der S. dazu unten Fn. 75. Insbes. Henssler, ZHR 153 (1989), 611; Koller, BB 1990, 2202; Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473; moderater Horn, ZIP 1990, 2. 22 So die Auslegung des §58 BörsG a. F. durch die im Anschluß an das RG seit BGH WM 1972, 178 ständige Rechtsprechung. Vgl. statt vieler Häuser/Weiter, aaO (Fn. 6), §16 Rdn. 491 ff. 23 Verboten sind gem. §§52, 55 BörsG nach wie vor Termingeschäfte in Getreide und Erzeugnisse der Getreidemüllerei. 20 21
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Heinz-Dieter Assmann
später - unter IV. - zu erörternden Details) zum einen Kaufleute im Sinne des BörsG - d. h. Kaufleute kraft Eintragung in ein Handels- oder Genossenschaftsregister, die zur Erlangung eines solchen Status nicht Eintragungsbedürftigen, die gewerbsmäßig oder berufsmäßig Börsentermingeschäfte betreibenden Personen und schließlich die zur Teilnahme am Börsenhandel Zugelassenen (§53 Abs. 1 BörsG) - und zum anderen sämtliche in der bereits angeführten Weise mittels Informationsschrift über die Risiken von Termingeschäften Informierten (§53 Abs. 2 BörsG). Die Termingeschäftsfähigkeit letzterer erfährt nur für Geschäfte in Waren - mit Ausnahme solcher in Edelmetallen - eine Einschränkung (§ 53 Abs. 3 BörsG). Die unter dem bisherigen Recht (§ 54 BörsG a. F.) eröffnete Möglichkeit, Wertpapiertermingeschäften mit nicht börsentermingeschäftsfähigen Partnern durch von diesen geleistete Sicherheiten eine beschränkte Wirksamkeit zu verschaffen, ist mit der Novelle 1989 entfallen. Der sachlichen Ausweitung der Börsentermingeschäftsfähigkeit auf in- und ausländische Geschäfte entspricht die neugestaltete kollisionsrechtliche Vorschrift des §61 BörsG, deren Regelungsgehalt sich nunmehr darauf beschränkt, nach deutschem Recht nicht börsentermingeschäftsfähigen Inländern (im Sinne der Norm) bei im Inland abgegebenen Willenserklärungen unabhängig von dem auf das Geschäft anzuwendende Recht mindestens den nach deutschem Recht eröffneten Schutz zu gewähren 24 . Der Gesetzgeber ist mit der Umgestaltung der Vorschriften zu den Börsentermingeschäften der diesbezüglichen Regelungstradition des BörsG treu geblieben, die Verbindlichkeit von Termingeschäften aus der Idee einer formal eingegrenzten - die Geschäftsqualifikation der Beteiligten festlegenden - „Börsenrechtssphäre" 25 zu bestimmen. Neu ist an dem - hinsichtlich seiner konkreten Ausgestaltung nach wie vor international singulären - Ansatz indes die ergänzende Heranziehung der Information als Qualifikationskriterium. Damit wird im Zusammenhang mit der Festlegung von Qualifikationsanforderungen auf ein (auch international zunehmend Berücksichtigung findendes) Element des in verschiedenen ausländischen Rechtsordnungen anzutreffenden Regelungsansatzes zurückgegriffen, welches in deren Kontext - verbunden mit haftungsbewehrten vertriebsorientierten Verhaltenspflichten der einer Aufsicht unterliegenden Vermittler - die auf der Basis von zu leistenden Sicherheiten oder Einschüssen grundsätzlich verbindlichen börslichen
24 Zu der auch im folgenden nicht näher erörterten Neuregelung des §61 BörsG s. etwa Henssler, Z H R 153 (1989), 611, 637ff; Horn, ZIP 1990, 2, 15; Kümpel, W M 1989, 1485, 1495 f; Samtleben, NJW 1990, 2670. 25 Zum Begriff s.u. Fn.47f.
Börsentermingeschäftsfähigkeit
7
Geschäfte ergänzt 26 . Die Frage, inwieweit das Regelungselement der Information im System der deutschen Regelung geeignet ist, die andernorts in einem anderen Kontext übernommenen Schutzfunktionen zu gewährleisten, führt zurück zu den kritischen Stimmen, die in der Neuregelung der Termingeschäfte im BörsG ein den Risiken dieser Transaktionen angemessenes Maß an Anlegerschutz vermissen und auf verschiedene Weisen zu kompensieren versuchen. Ihnen ist im Zusammenhang mit den einschlägigen Vorschriften zur Bestimmung der Börsentermingeschäftsfähigkeit nachzugehen, die nicht nur insoweit offene und zur Beurteilung des tatsächlich erreichten Maßes an Anlegerschutz klärungsbedürftige Fragen hinterlassen haben.
IV. Einzelheiten der Börsentermingeschäftsfähigkeit 1. Börsentermingeschäfte als Bezugspunkt der Börsentermingeschäftsfähigkeit Altes und neues Börsenrecht bezeichnen diejenigen Geschäfte, die rechtsverbindlich nur auf der Grundlage bestimmter persönlicher Qualifikationserfordernisse geschlossen werden können, als Börsentermingeschäfte und legen damit sowohl den sachlichen Bezugspunkt als auch den Bedeutungsumfang der Börsentermingeschäftsfähigkeit als Bestandteil der Termingeschäftsregelung fest 27 . Der Umfang der das bisherige Recht „liberalisierenden" Neugestaltung der Termingeschäftsbestimmungen im BörsG läßt sich deshalb nicht nur an den erleichterten Voraussetzungen zur Erlangung der Termingeschäftsfähigkeit ermessen, sondern muß zugleich die Erweiterungen berücksichtigen, die sich unter dem neuen Recht in bezug auf den Begriff des Börsentermingeschäfts ergeben haben. Altes und neues Recht verzichten - aus im wesentlichen gleichen Gründen 28 - auf eine Legaldefinition des Begriffs der Börsentermingeschäfte. Gleichwohl erweitert die Novelle 1989 den bislang gebräuchlichen Begriff der Börsentermingeschäfte in verschiedenerlei Hinsicht. Während dieser nach bisheriger Rechtslage nur Kontrakte in börsenzu-
26 Dies gilt namentlich für das US-amerikanische Recht, mit Modifikationen aber auch für das britische. S. zur Rechtsvergleichung etwa Bauer, aaO (Fn. 16), S. 71 ff, 360 ff; Imo, aaO (Fn.16), S.27ff. 27 Eine Ausnahme ergibt sich insoweit lediglich in bezug auf die schon erwähnte Regelung des § 53 Abs. 3 BörsG, der die Termingeschäftsfähigkeit „kraft Information" nicht auf Warentermingeschäfte in andere Waren als Edelmetalle erstreckt. 28 S. im einzelnen Häuser/Welter, aaO (Fn. 6), § 1 6 Rdn. 67 ff; Begründung, aaO (Fn. 5), S. 18. S.a. unten zu Fn. 35.
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gelassenen Objekten und an einer Börse abgeschlossenen Geschäfte erfaßte29, ist dieses Erfordernis nunmehr entfallen. Die Neuregelung und auf diesem Wege ist das (begriffliche) Paradoxon30 nichtbörslicher Börsentermingeschäfte zu entschlüsseln - bezieht sich auf alle börslichen und außerbörslichen Termingeschäfte, die den Begriff des Börsentermingeschäfts, wie er sich in Rechtsprechung und Lehre herausgebildet hat, erfüllen31. Weiterhin ist die Beschränkung von Börsentermingeschäften auf solche in Waren oder Wertpapiere aufgegeben worden, so daß insbesondere die zumeist außerbörslich getätigten Devisentermingeschäfte nunmehr unmittelbar (und nicht erst kraft Verweises aus §96 BörsG a. F.) der Regelung der §§50 ff BörsG unterfallen. Schließlich sollen nach § 50 Abs. 1 S. 2 BörsG zu den Börsentermingeschäften auch solche Geschäfte zählen, die - auch wenn sie nicht auf Erfüllung ausgerichtet sind - wirtschaftlich gleichen Zwecken dienen. Exemplarisch führt die Begründung zum Regierungsentwurf hierfür Indexoptionen, Futures und sog. Leerverkäufe an32. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich des neuen Rechts sind die Konsequenzen eines Vorgehens, welches zwar Kriterien für die Erweiterung eines Begriffs angibt, diesen aber selbst - obwohl tatbestandlicher Anknüpfungspunkt der gesamten Termingeschäftsregelung - Undefiniert läßt33, nicht leicht zu ermessen34. Zunächst steht allerdings außer Frage, daß der Gesetzgeber auf eine Legaldefinition von Börsentermingeschäften verzichtete, um die Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs und mithin die Festlegung der Regelungsreichweite der §§50 ff BörsG n. F. unter Berücksichtigung neuer Geschäftsformen und -arten auch künftig Rechtsprechung und Literatur zu überlassen35. Diese entscheiden folglich nicht allein darüber, welche Anlagegeschäfte verbindlich nur zwischen Börsentermingeschäftsfähigen zustande kommen, sondern auch
§§50, 58, 60 BörsG a . F . Zur mißverständlichen Begriffsbildung auch Baumbach/'Duden/Hopt, HGB, 28. Aufl. 1989, Schlußanh. III., Anmerkungen, § 5 0 n.F., Anm. 1) A. 31 Hierzu ausführlich Häuser/Welter, aaO (Fn.6), § 1 6 Rdn.89ff. 32 Begründung, aaO (Fn. 5), S. 18. 33 Auf die Merkwürdigkeit dieses Ansatzes weist insbes. Horn, ZIP 1990, 1, 9, hin. 34 Kritisch zum Fehlen einer gesetzlichen Definition von Börsentermingeschäften einerseits und zur unveränderten Aufrechterhaltung eines im Zusammenhang mit der Termingeschäftsregelung zu sehenden §764 BGB Häuser/Welter, aaO (Fn.6), § 1 6 Rdn.548, 558 ff; zu letzterem Aspekt auch Henssler, Z H R 153 (1989), 611, 631 ff, insbes. 633. 35 Begründung, aaO (Fn. 5), S. 18. Zur Behandlung des Begriffs des Börsentermingeschäfts vor dem und im BörsG 1908 s. Nußbaum, Kommentar zum Börsengesetz, 1910, 4. Abschn., Vorbem. (vor §§50 ff) Rdn.46ff. 29 30
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darüber, welche Zeitgeschäfte 36 durch die Herbeiführung personeller Qualifikationsvoraussetzungen dem Spiel- und Differenzeinwand nach §§ 762, 764 B G B entzogen werden können. Das mag insofern gerechtfertigt sein, als sich in Rechtsprechung und Literatur die Definition des Begriffs der Börsentermingeschäfte weitgehend konsolidiert hat. Danach handelt es sich bei diesen- unter Berücksichtigung des Wegfalls der Beschränkung auf bestimmte Objekte des Kontraktes - um nach gleichartigen Bedingungen geschlossene Zeitgeschäfte mit Beziehung zu einem Terminmarkt 37 . Unklarheiten hat indes der Zusatz in § 50 Abs. 1 S. 2 BörsG ausgelöst, demzufolge der solchermaßen gefaßte Begriff der Börsentermingeschäfte auf diesen unter wirtschaftlicher Betrachtung zweckentsprechende Geschäfte zu erweitern ist. Die Frage nach dem Vergleichsmaßstab („welche Zwecke welcher Geschäftsformen sind gemeint?" 38 ) läßt sich insoweit pragmatisch beantworten als die Einfügung der neuen Gesetzesformel auf einen entsprechenden Hinweis des B G H zurückgeht, der darauf zielte, die Begriffsmerkmale von Börsentermingeschäften zu konkretisieren und den Fixcharakter eines Geschäfts von diesen auszunehmen 39 . Ebensowenig - so darf man diesen Gedanken unter Zugrundelegung von § 50 Abs. 1 S. 2 BörsG ergänzen - gehört es zu den Merkmalen von Börsentermingeschäften, daß sie auf Erfüllung ausgerichtet sind. Wenn der Gesetzgeber unter der Herrschaft der neuen Formel - neben unzweifelhaft von den geschilderten Erweiterungen bereits gedeckten Geschäftsarten - auch Leerverkäufe als Börsentermingeschäfte erfaßt sieht40, so kommt man allerdings nicht an der Frage vorbei, um welcher als wirtschaftlich vergleichbar anzusehender Zwecke willen welche Begriffsmerkmale von Börsentermingeschäfte welche Modifikation erfahren sollen. Unzweifelhaft muß die Einbeziehung von Leerverkäu-
36 Nicht jedes Zeitgeschäft ist (Börsen-)Termingeschäft. Zur Abgrenzung Rümpel, WM-Sonderbeilage 6/1982; Kiimpel/Häuser, Börsentermingeschäfte, (WM-Script) 1986, S. 43 ff. 37 Etwa B G H WM 1965, 766; 1984, 1598, 1599. Aus dem abundanten Schrifttum s.
Bundschuh,
WM 1986, 725, 726; Rümpel/Häuser,
aaO (Fn.36), S. 28 ff. Zugleich zum
Versuch Rümpels (WM-Sonderbeil. 6/1982, 6ff; WM 1986, 661, 662), die Differenzabsicht des Kunden als einengendes subjektives Merkmal von Börsentermingeschäften einzuführen, s. kritisch Häuser/Welter, aaO (Fn.6), § 1 6 Rdn. 104 ff; ablehnend auch B G H WM 1988, 1717, 1718. 38
Henssler,
ZHR 153 (1989), 611, 634.
B G H WM 1984, 1598, 1599 (m.w.Nachw.): „Die Rechtsprechung hat von jeher abweichende Geschäftsgestaltungen dann als Börsentermingeschäfte angesehen, wenn sie wirtschaftlich dem gleichen Zwecke dienten"; vgl. auch Bundschuh, WM 1986, 725, 726. So schon das RG; vgl. Nußbaum, aaO (Fn. 35), 4. Abschn., Vorbem. (vor §§ 50 ff) Rdn. 46 m. w. Nach. 40 Begründung, aaO (Fn. 5), S. 18; zum bisherigen Stand der Diskussion Häuser/ 39
Weiter, aaO (Fn. 6), § 16 Rdn. 148 ff; Rümpel!Häuser,
aaO (Fn. 36), S. 71 ff.
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fen in die Börsentermingeschäfte Auswirkungen sowohl auf den Begriff des Zeitgeschäfts sowie des Terminmarktbezugs haben. Letzteres ließe sich (im Anschluß an eine bereits geführte Debatte) dahingehend konkretisieren, daß der Bezug zu einem Terminmarkt nicht dadurch entfällt, daß - aufgrund eher akzidenteller Konstruktionselemente des einzelnen Geschäfts41 - die Glattstellung von Zeitgeschäften durch gegenläufige Geschäfte in bezug auf das gleiche Handelsgut auf einem Kassamarkt durch ein Kassageschäft erfolgt42. Schwerlich bestreitbar trägt der Leerverkauf - soweit man hierfür (bei faktischer Akzentverlagerung auf das Kreditgeschäft) allein die diesbezügliche Position nur einer Vertragspartei (i. e. der Verkäuferseite) als ausreichend betrachten will - auch Momente eines Zeitgeschäfts43. Mithin sind durchaus Modifikationen des Begriffs der Börsentermingeschäfte denkbar, die zwar Leerverkäufe, nicht aber andere hochspekulative Kassageschäfte in Verbindung mit Kreditbeziehungen erfassen. Der Frage, ob solche Erweiterungen und Ausgrenzungen indes noch sachlich unter dem Gedanken gleicher oder unterschiedlicher wirtschaftlicher Zwecke zu rechtfertigen sind, kann indes an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Gelten die Leerverkäufe erst kraft neuen Rechts als Börsentermingeschäfte, so kann eine andere - und von der Rechtsänderung nicht unmittelbar gelöste Abgrenzungsfrage zwischenzeitlich aus anderen Gründen als geklärt gelten: Aufgrund einer zwischenzeitlich vorliegenden Äußerung des BGH 44 darf die insoweit vorherrschende Auffassung als bestätigt gelten, wonach Optionsscheingeschäften 45 - im Gegensatz zu (Aktien-) Optionsgeschäften 46 - die Eigenschaft von Börsentermingeschäften fehlt. 2. Statusbezogene a) Herkunft
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und Stellung in der Neuregelung des Terminhandels
Wie bereits der Übersicht über die Grundlinien der Neuregelung des Terminhandels entnommen werden kann, hält auch die Novelle 1989 an 41
Vgl. Häuser/Welter, aaO (Fn. 6), § 16 Rdn. 151. Ähnlich Horn, ZIP 1990, 1, 10. 43 Der B G H behandelt ihn — unter Billigung von Teilen des Schrifttums — zumindest als Differenzgeschäft i.S.v. §764 BGB; B G H W M 1978, 1203. 44 B G H WM 1989, 1881 im Rahmen eines Beschlusses über einen Prozeßkostenhilfeantrag. 45 Ablehnend gegenüber der Termingeschäftseigenschaft von Optionsscheingeschäften auch O L G Bamberg W M 1989, 745; O L G Frankfurt W M 1990, 1452. Zum jüngsten Stand der instanzgerichtl. Rspr. Pohle, WuB I G 5 . - 7.90; zu den einzelnen Positionen Häuser/Welter, aaO (Fn.6), § 16 Rdn. 131 ff. 46 So bereits B G H WM 1984, 1598, 1599 und nachfolgend B G H WM 1988, 144, 146; 1989, 807. Zu den einzelnen (zustimmenden und ablehnenden) Standpunkten im Schrifttum ausführlich Häuser/Weiter, aaO (Fn. 6), § 16 Rdn. 110 ff. 42
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dem tradierten und seit dem Erlaß des BörsG verfolgten Konzept fest, demzufolge verbindliche Börsentermingeschäfte nur innerhalb einer durch personelle Ein- und Ausgrenzung der Teilnehmer herbeizuführenden, im übrigen aber unreglementierten „Börsenrechtssphäre" geschlossen werden können. Lediglich die Kriterien zur Bestimmung dieser Börsenrechtssphäre haben sich erneut 47 gewandelt. Entstanden ist ein eigenwilliges zweigleisiges System, welches der Gruppe der nach wie vor kraft ihres kaufmännischen oder professionellen Status in die Börsenrechtssphäre Gelangenden eine solche gleichstellt, deren Mitglieder kraft Information über die Risiken der zu tätigenden Geschäfte Börsentermingeschäftsfähigkeit erhalten. War es seit jeher das erklärte Ziel einer gesetzlichen Ordnung der Börsentermingeschäfte über die Schaffung einer Börsenrechtssphäre, „dem Mißbrauche des Börsenterminhandels" und der Übernahme der in diesem steckenden außergewöhnlichen Risiken durch ein unkundiges, aber spekulationsgeneigtes Publikum „ohne Gefährdung berechtigter Interessen entgegenzutreten" 48 , so muß sich die diesen regulatorischen Gedanken beibehaltende Reform der doppelten Frage stellen, inwieweit die jetzt von ihr gewählten Kriterien zur Herbeiführung der Börsentermingeschäftsfähigkeit im Hinblick auf die Verfolgung dieses Zwecks funktional vergleichbar und je für sich geeignet sind. Auch wenn die statusorientierte - d. h. an der Kaufmannseigenschaft und ihr gleichgestellten beruflichen Betätigungsformen ansetzende Qualifikation zur Termingeschäftsfähigkeit unter der Neufassung der diesbezüglichen Bestimmungen zukünftig zugunsten der informationsbezogenen an praktischer Bedeutung verlieren dürfte, muß die Beibehaltung dieses Ansatzes angesichts der ihm in der Vergangenheit (vor allem seitens der Rechtsprechung) zuteil gewordenen Kritik 49 überraschen. Abgesehen von begrifflichen Abgrenzungsproblemen und daraus resultierenden Ungereimtheiten galt dieser die Börsentermingeschäftsfähigkeit kraft beruflicher Nähe zu solchen Geschäften noch als sachgerecht. Zunehmend Unverständnis hat indes vor allem die Anknüpfung der Termingeschäftsfähigkeit an die (Voll-)Kaufmannseigenschaft hervorge-
47 Schon die Begründung zu dem der Novelle von 1908 zugrundeliegenden Entwurf eines Gesetzes betreffend Änderung des Börsengesetzes von 1907, Verhandlungen des Reichstags (1907/1908), Aktenstück Nr. 483, S.2597, 2602, hebt ausdrücklich hervor, in bezug auf die zu schaffende Börsenrechtssphäre, „innerhalb deren allein dem Börsenterminhandel völlige Freiheit eingeräumt werden" könne, würden gegenüber dem bisherigen Recht lediglich andere Mittel gewählt. 48 Ebd., S. 2602 unter Hinweis auf das „ursprüngliche Ziel des Börsengesetzes". 49 S.o. Fn. 18; zur Kritik an Einzelpunkten der Regelung s. die Hinweise bei Häuser/Weiter, aaO (Fn.6), § 1 6 R d n . l 8 9 f f , 5 5 0 f f ; letzte Korrekturversuche bei Grunewald,, W M 1988, 1077.
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rufen. Im Bemühen, den Kreis schutzwürdiger von nicht schutzbedürftigen Personen abzugrenzen, lag ihr historisch die Vorstellung zugrunde, Börsentermingeschäftsfähigkeit sei Kaufmannsprivileg und gehöre damit in den Kreis der Verbindlichkeiten, für die der Kaufmann voll einzustehen habe50. Mit zunehmender Differenzierung, Spezialisierung und Komplexitätssteigerung wirtschaftlicher Beziehungen hat indes sowohl der Gedanke von Standesprivilegien hinsichtlich bestimmter Geschäftsarten als auch derjenige der Vollverantwortlichkeit und mangelnden Schutzbedürftigkeit von Kaufleuten in allen Geschäftsbeziehungen an Berechtigung und rechtlicher Akzeptanz verloren. Kaum verwunderlich ist deshalb im Zuge dieser Entwicklung sowohl der Katalog der regelmäßig die Kaufmannseigenschaft auslösenden Grundhandelsgewerbe als auch die Anknüpfung von privatrechtlichen Sonderregelungen an das subjektive Kaufmannssystem selbst in wachsendem Maße bemängelt worden 51 . Die Folge der Verbindung von Termingeschäftsfähigkeit und Kaufmannseigenschaft waren indes nicht nur einige als untragbar empfundene Schutzdifferenzierungen, sondern auch verschiedene dogmatische Irritationen 52 : Für erstere steht beispielhaft die bisherigem Recht entspringende Unterscheidung zwischen der Termingeschäftsfähigkeit des ins Handelsregister eingetragenen Bäckermeisters oder derjenigen des Komplementärs einer OHG einerseits und der nicht gegebenen Termingeschäftsfähigkeit des Vorstands einer AG oder des Geschäftsführers einer GmbH andererseits53. Für letztere sind die Versuche anzuführen, durch die Heranziehung spezieller Bestimmungen des Handelsrechts als Sonderrecht des Kaufmanns schutzzweckbezogene Korrekturen des bislang geltenden Systems der Regelung der Börsentermingeschäftsfähigkeit von Kaufleuten vorzunehmen54. Die Übernahme eines nur mit einigen Randkorrekturen versehenen und hinsichtlich seiner Schutzgewährsdifferenzierung als verfehlt erkannten Systems der Zuschreibung der Börsentermingeschäftsfähigkeit wird nicht dadurch legitimierbar, daß ihm ein gänzlich anders
Verhandlungen des Reichstags (1907/1908), aaO (Fn.47), S.2603. Statt vieler K.Schmidt, Handelsrecht, 3. Aufl. 1987, S.44ff. 52 S. dazu Kumpel, ZfK 1986, 558. 53 Vgl. m.w.Nachw. Kumpel, ZfK 1986, 558. 54 Anzuführen ist etwa die Auffassung, die Termingeschäftsfähigkeit des Kaufmanns entfalle im Anschluß an §§343, 344 HGB bei dessen privater Spekulation. So Capelle/Canaris, Handelsrecht, 21.Aufl. 1989, §24 I 2 b ; Grunewald, WM 1988, 1077, 1081. Nicht minder fragwürdig ist der Versuch, die Einbeziehung des eingetragenen Minderkaufmanns in den Kreis der Termingeschäftsfähigen nach neuem Recht unter Hinweis auf § 5 HGB und den darin zum Ausdruck kommenden Gedanken der Rechtssicherheit zu rechtfertigen; so indes Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 628f. 50
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gelagertes System zur Erlangung dieser Qualifikation zur Seite gestellt wird, das zumindest den Gedanken der Termingeschäfte als Kaufmannsprivileg aufhebt und den Kreis der Termingeschäftsfähigen erweitert. Indem beide Systeme auf inkompatiblen Qualifikationskriterien und Schutzmechanismen aufbauen, schaffen sie nicht nur neue bzw. perpetuieren alte Ungereimtheiten, sondern stellen sich zugleich wechselseitig in Frage: Bedarf der Vorstand einer AG der Risikoaufklärung, nicht aber der kurz vor der Gewerbeauflösung stehende und noch eingetragene Minderkaufmann? Weshalb bedarf letzterer im Gegensatz zu dem noch nicht eingetragenen Vollkaufmann keiner Risikoinformation? Kann der Gesetzgeber, der nunmehr den risikoinformierten Privaten als börsentermingeschäftsfähig ansieht, ernstlich die Auffassung vertreten, jeder Kaufmann verfüge auch in bezug auf sämtliche Anlageformen bereits über solche Kenntnisse oder werde sie sich kraft einer mit dem Vollkaufmannsstatus erworbenen und erkannten Vollverantwortlichkeit ggf. selbst verschaffen? b) Einzelfragen der Neuregelung Ungeachtet der in diesen Fragestellungen angesprochenen vorhersehbaren Aporien hat der Gesetzgeber am bisherigen Ansatz einer statusorientierten Zuerkennung der Börsentermingeschäftsfähigkeit festgehalten und diesen nur in einzelnen Punkten modifiziert. Einer nunmehr strikt formalen und mit dem Bedarf an Rechtssicherheit begründeten Anknüpfung folgend, erlangt jeder in das Handelsoder Genossenschaftsregister eingetragene Kaufmann kraft dieser Eintragung Termingeschäftsfähigkeit 55 . Diese entfällt entgegen früherer Regelung nicht dadurch, daß es sich bei dem Betroffenen um einen zu Unrecht im Register geführten Minderkaufmann handelt. Sie kann umgekehrt - aber auch nicht in der Weise begründet werden, daß es sich bei dem Nichteingetragenen um einen Rechtsscheinskaufmann oder um einen ein Grundhandelsgewerbe betreibenden Vollkaufmann handelt 56 . Soweit in diesem Sinne begründet, erstreckt sich die Termingeschäftsfähigkeit - ungeachtet des §343 HGB - auch auf Privatgeschäfte des Kaufmanns 57 . Konsequenterweise wird sich der Eingetragene mithin auch nicht auf die den „öffentlichen Glauben" des Handelsregisters (§ 5 HGB) außer Kraft setzende Einwendung berufen können, in Wahrheit
55 56 57
Begründung, aaO (Fn.5), S. 18/19. So schon nach altem Recht; s. BGH WM 1984, 1245, 1246. Entgegen vereinzelten gegenteiligen Stimmen, ausdrücklich in diesem Sinne
Begründung,
aaO (Fn. 5), S. 19.
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kein Gewerbe zu betreiben. Organe einer juristischen Person sind nach alledem - im Gegensatz zu den Komplementären von Personenhandelsgesellschaften - mangels Registereintragung nach wie vor58 nicht termingeschäftsfähig. Fehlende Eintragung schadet allerdings nicht in den gesetzlich vorgesehenen Fällen59, in denen die Kaufmannseigenschaft ohne Registereintragung begründet wird (§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BörsG). Entsprechendes soll im Interesse einer materiellen Gleichstellung von Inländern und Ausländern auch dann gelten, wenn im Inland nicht eintragungsfähige Ausländer aus der Sicht des deutschen Rechts als Volloder Formkaufleute anzusehen sind (§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BörsG). Entgegen der bisherigen, durchweg kritisierten60 Regelung (§53 Abs. 2 S. 2 BörsG a. F.) partizipieren damit auch Ausländer bei der Anwendbarkeit inländischen Rechts61 an den Inländern gewährten Schutzvorkehrungen. Kaufleuten - aufgrund unterstellter Erfahrung mit Termingeschäften - gleichgestellt sind schließlich solche Personen, die bei Geschäftsabschluß oder früher gewerbsmäßig oder berufsmäßig Börsentermingeschäfte betrieben haben oder zur Teilnahme am Börsenhandel dauernd zugelassen waren (§ 53 Abs. 1 S. 2 BörsG). Diese Bestimmung bringt teils eine Einengung, teils eine - hinsichtlich ihrer Reichweite allerdings schwer zu ermessende - Erweiterung der bisherigen Regelung der Börsentermingeschäftsfähigkeit von „Börsenleuten" mit sich. Einengend wirkt der Umstand, daß entgegen altem Recht weder der bloße Börsenbesuch noch das berufsmäßige Betreiben von Bankiersgeschäften (i. S. d. in § 1 Abs. 1 K W G aufgeführten Bankgeschäfte) die Termingeschäftsfähigkeit zu begründen vermögen. Wohl kaum anders denn als Erweiterung des bisherigen Rechts gedacht, läßt die Novelle 1989 neben dem berufsmäßigen nunmehr auch das gewerbsmäßige Betreiben von Börsentermingeschäften als Qualifikationskriterium für die Termingeschäftsfähigkeit genügen. Uber die Abgrenzung beider Begriffe und mithin über die Bedeutung der Neuregelung für den Umfang des Kreises der Börsentermingeschäftsfähigen besteht indes Unklarheit. Ihre sachgerechte Beseitigung wird sich nicht im Wege einer - die unterschiedliche Regelungszwecke außer acht lassenden - Option für eine der verschiedenen Fassungen des
58 59
S. 19.
S.o. Fn.53 und Schwark, Börsengesetz, 1976, §53 Rdn.4. Vgl. die beispielhafte Aufzählung solcher Fälle in der Begründung,
aaO (Fn. 5),
S.o. Fn. 19. Unabhängig vom anwendbaren Recht kann sich Ausländern die Partizipation an (den für sie möglicherweise günstigeren) deutschen Schutzstandards auch nach Maßgabe des §61 BörsG eröffnen. 60 61
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Gewerbebegriffs im Gewerbe-, Handels- oder Steuerrecht bewerkstelligen lassen62, sondern muß an dem - unbestreitbar kärglichen - Hinweis der Begründung zum Regierungsentwurf anknüpfen. Diesem zufolge reagiert die Neuregelung auf den Umstand, „daß mit dem Merkmal des berufsmäßigen Betreibens allein keine sachgerechte Abgrenzung" unter denjenigen erzielt werden könne, denen kraft ihrer Erfahrung neben den Vollkaufleuten die Börsentermingeschäftsfähigkeit zuzuerkennen sei63. Die damit angesprochene Abgrenzungsproblematik bezog sich seit jeher auf die Frage, ob mit dem Merkmal der Berufsmäßigkeit nicht eine zu enge Eingrenzung derjenigen Betätigungsfelder erfolgte, von denen - bis hin etwa zum gewohnheitsmäßigen privaten Abschluß von Termingeschäften - angenommen werden dürfe, daß sie eine hinreichende Grundlage für die Erlangung von Erfahrungen mit Börsentermingeschäften abgäben. Die noch unter dem bisherigen Recht unternommenen Vorstöße, die Grenzlinien gänzlich zum Kriterium des gewohnheitsmäßigen Abschlusses von Termingeschäften zu verschieben64, sind in Rechtsprechung65 und Schrifttum 66 - mit auch nach der Novelle nicht überholten Argumenten 67 - auf Ablehnung gestoßen und haben nunmehr vom Gesetzgeber insofern eine Absage erhalten, als ihm mit entsprechender Wortwahl ohne weiteres eine diesbezügliche Neuregelung in einem bekannten Konfliktfeld möglich gewesen wäre. Die mit dem Begriff der Gewerbsmäßigkeit verschobene Schnittstelle zur Börsentermingeschäftsfähigkeit muß mithin an anderer Stelle gesucht werden. Sie kann nach dem vom Gesetzgeber beibehaltenen Qualifikationssystem nur in dem Punkt gefunden werden, in dem die Art und Weise nicht beruflich begründeter Abschlüsse von Börsentermingeschäften mit einiger Sicherheit eine der beruflichen Betätigung gleich zu erachtende und nicht „privat" erworbene Erfahrungsbasis erwarten läßt. Hierzu hat der BGH
62 Hierfür spricht im übrigen auch der Umstand, daß diese teils keine begriffliche Abgrenzung zwischen beruflicher und gewerblicher Tätigkeit erlauben teils gar nicht auf eine solche abzielen. So ist etwa die berufliche Betätigung Bestandteil des handelsrechtlichen Gewerbebegriffs, während es im steuerrechtlichen Gewerbebegriff - im Zusammenhang mit Börsentermingeschäften zuletzt BFH WM 1989, 494 - primär um die Unterscheidung der privaten von der gewerblichen Tätigkeit und mithin nur um einen - zudem von der Besteuerungsgerechtigkeit geleiteten - Teilaspekt des vorliegenden Abgrenzungsproblems geht. 63 Begründung, aaO (Fn.5), S. 19.
64
Grunewald,
WM 1988, 1077, 1078 f.
« Häuser/Welter, aaO (Fn.6), § 1 6 Rdn.204; Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 630. 66 Eine Absage an den Ansatz enthielt schon BGHZ 104, 205. 67 Auch nach der Novelle kann nicht ohne weiteres argumentiert werden, der Abschluß von Börsentermingeschäften durch Private biete ein der Risikoinformation nach § 53 Abs. 2 BGB vergleichbare Kenntnis und Erfahrungsbasis; vgl. ähnlich Häuser/Weiter, aaO (Fn.6), § 1 6 Rdn.204.
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noch unter altem Recht im Zuge eines das Merkmal der Berufsmäßigkeit (durch eher weite Auslegung) konkretisierenden Urteils68 zu erkennen gegeben, daß eine außerhalb dieser Betätigungsform liegende, aber für die Begründung der Termingeschäftsfähigkeit adäquate Erfahrungsbasis zumindest auf der Grundlage eines planmäßigen Geschäftsbetriebs mit hierfür genutzter organisatorischer Ausstattung beruhen müsse. Sind diese Voraussetzungen gegeben, wird man es in der Tat als eher akzidentiell ansehen können, ob die fragliche Grundlage der Befassung mit Termingeschäften im Zusammenhang mit einer Tätigkeit steht, die mitunter sogar neben und mit anderen69 - der „Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage" dient oder neben bzw. außerhalb eines solchen Zwecks auf „Gewinnerzielung" ausgerichtet ist. Geht es allein um die aus diesem Betätigungsfeld erwartbare Erfahrungsbasis, so bedarf es keiner weiteren Anleihen bei den Gewerbebegriffen anderer Rechtsgebiete. Insbesondere besteht vorliegend - anders als im Handels- oder Steuerrecht - kein Anlaß, nur der in einem auch äußerlich erkennbaren70 Gewerbebetrieb entfalteten Tätigkeit die Gewerbsmäßigkeit zuzuschreiben71. Im übrigen sind an den Begriff des gewerbsmäßigen Tätigwerdens keine weitergehenden Anforderungen als an den der berufsmäßigen Betätigung zu stellen72. Es genügt mithin, wenn der Betroffene einen als Erfahrungsbasis geeigneten Teil seiner Tätigkeit auf den Abschluß von Termingeschäften konzentrierte, insoweit lediglich als Organ oder Angestellter eines Unternehmens handelte oder sich zur Durchführung der Geschäfte auf die organisatorischen Voraussetzungen eines anderen stützte. 3. Börsentermingeschäftsfähigkeit
kraft
Risikoinformation
Handelt es sich bei den Neuregelungen in bezug auf die statusbezogene Termingeschäftsfähigkeit weitgehend nur um Randkorrekturen der bisherigen Eingrenzung der Börsenrechtssphäre, so schafft erst die Einführung einer Termingeschäftsfähigkeit von Nichtkaufleuten nach Maßgabe des § 53 Abs. 2 BörsG die Rahmenbedingungen für die Herausbildung eines - nach Breite und Tiefe bislang unterentwickelten - deutschen Terminmarktes. Deren Einlaßkarte in die Börsenrechtssphäre ist die schriftliche Information seitens eines termingeschäftsfähigen und
BGHZ 104, 205. B G H Z 104, 205, 210. 70 BFH W M 1989, 493, 494; im Anschluß an diese Entscheidung wohl ebenso Kumpel, W M 1989, 1485, 1486. 71 Wie hier Horn, ZIP 1990, 2, 6. 72 So auch Kumpel, W M 1989, 1485, 1486; Horn, ZIP 1990, 2, 6. 68
69
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Börsentermingeschäftsfähigkeit
einer gesetzlichen Banken- oder Börsenaufsicht unterliegenden Kaufmanns (i. S. v. § 53 Abs. 1 B ö r s G ) über die regelmäßig mit Börsentermingeschäften verbundenen und in § 53 Abs. 2 S. 2 B ö r s G zugrunde gelegten Risiken. Grenzen der Termingeschäftsfähigkeit kraft Information bestehen lediglich im Hinblick auf Warentermingeschäfte mit Ausnahme solcher in Edelmetallen ( § 5 3 Abs. 2 BörsG) 7 3 . Es bedarf nur geringer Phantasie, um in dem neuen und letztlich leicht zu handhabenden Qualifikationsmerkmal der Risikoinformation dasjenige zu erkennen, welches zukünftig - universalisiert und die anderen überlagernd - den Kreis legitimierter Marktteilnehmer bestimmen wird.
a) Eintritt in die Börsenrechtssphäre
durch
Risikoinformation
Während der Gesetzgeber der Auffassung ist, mit den angeführten Anforderungen die notwendigen Voraussetzungen für die Entwicklung eines funktionsfähigen und zugleich international wettbewerbsfähigen Terminmarktes geschaffen zu haben, wird zunehmend in Zweifel gezogen, ob die vorgenommenen Maßnahmen tatsächlich auch als hinreichend betrachtet werden können, um einen funktionseffizienten Terminmarkt als Bestandteil eines gleichen Regelungszielen unterworfenen Kapital- und Finanzmarktes hervorzubringen. Zur Funktionseffizienz von Kapital- und Finanzmärkten sowie ihren Teilmärkten gehört u. a., das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Stabilität und Integrität des Marktes dergestalt zu erlangen, zu festigen und zu erhalten, daß ein in Breite und Tiefe funktionsfähiger Markt entstehen kann 74 . Insoweit unterliegt es keinen Bedenken, daß die mit der Novelle 1989 eingeleiteten Maßnahmen geeignet sind, den bisher engen Kreis der Terminmarktteilnehmer beträchtlich zu erweitern. Weniger eindeutig fällt dagegen das Urteil darüber aus, ob dies in einer Art und Weise geschehen ist, die auf Dauer das Vertrauen der privaten Anleger in die Stabilität und Integrität des Marktes zu sichern vermag. J e nach dem diesbezüglich vertretenen Standpunkt gestalten sich auch die Vorschläge, die in bezug auf die Handhabung der - zudem in sich mit erheblichen Unklarheiten belasteten - Neuregelung der Termingeschäftsfähigkeit vorgetragen werden. Ausgangspunkt der Kritik ist die
73 S . o . Fn. 13. Kritisch zur Differenzierung zwischen Wertpapier-/Finanz- und Warenterminkontrakten einerseits und zur Sonderbehandlung der Termingeschäfte in Edelmetallen als Rückausnahme Schwark, FS Steindorff, 1990, S. 473, 489 f. Ebensowenig wie andere unverbindliche Termingeschäfte können auch unverbindliche Warentermingeschäfte aufgrund des entfallenen § 54 B ö r s G a. F. zukünftig kraft Sicherheitsleistung eine zumindest beschränkte Verbindlichkeit erlangen. 74 M . w . Nachw. R d n . 2 2 f f , 26.
Assmann,
in:
Assmann/Schütze
(Hrsg.),
aaO
(Fn. 6),
§1
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Vorstellung des Gesetzgebers, die Neuregelung der Termingeschäftsfähigkeit von Nichtkaufleuten gewähre diesen - in Einklang mit vergleichbaren Regelungsansätzen in der jüngeren Rechtsentwicklung75 - dadurch hinreichenden Schutz, daß ihnen auf der Grundlage qualifizierter Information über die Risiken von Termingeschäften eine verantwortliche Eigenentscheidung möglich sei. aa) Bezweifelt werden mag an dieser Auffassung zunächst die Ansicht, die Risikoinformation sei in Anbetracht der fraglichen Spekulationsgeschäfte und der von ihnen angezogenen Anlegerkreise überhaupt ein geeignetes Mittel des Anlegerschutzes. Der historische Gesetzgeber des BörsG und derjenige der Novelle von 1908 jedenfalls stellten dies unter Hinweis auf die Gefährlichkeit der Geschäfte und die vermeintliche Erfolglosigkeit einer Warnung des aus den verschiedensten Gründen Spekulationsgeneigten in Abrede76. Auch wenn dieser Standpunkt weitaus tiefer in der generellen Abneigung gegen Spekulationsgeschäfte gründete, kann eine gewandelten Rahmenbedingungen in der Bedeutung und Organisation solcher Märkte gerecht werdende, wohlwollendere Haltung im Zuge der Verwirklichung liberalerer Vorstellungen solche Einwände nach wie vor nicht a limine abweisen. Denn ebenso wie es der vom Gesetzgeber der Novelle berufenen neueren Rechtsentwicklung entspricht, gefährliche und risikoreiche Geschäfte nicht durch Verbot oder Ausschluß weiter Kreise zu unterdrücken, sondern einer marktgelenkten Risikoverteilung und, -beherrschung zugänglich zu machen, sind in diesem Zusammenhang die nach der Art der in Frage stehenden Geschäfte unterschiedlich gelagerten Faktoren eines Marktversagens mitzuberücksichtigen. Solches Marktversagen kann auf ungleich verteilter Primärinformation über den Gegenstand oder die Konditionen einer Transaktion, aber auch - alternativ oder kumulativ - auf der mangelnden Befähigung einer Partei beruhen, die ihr solchermaßen erteilten oder nachzufragenden Informationen adäquat77 zu verarbeiten. Eine an der Funktionsfähigkeit von Märkten ausgerichtete Rechtspolitik kann sich folglich in denjenigen Fällen auf Verteilungsregeln im Hinblick auf
75 Begründung, aaO (Fn. 5), S. 19. Zu Recht kritisch zu dem völlig untauglichen Versuch der Rechtfertigung des Informationsmodells unter Bezugnahme auf die Informationspflichten in verschiedenen, überwiegend dem Verbraucherschutz zuzurechnenden Gesetzen (angeführt werden BDSG, AGBG, AbzG, HWiG und selbst die Verbraucherkredit-Richtlinie der EG) Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 483. Ferner Koller, BB 1990, 2202, 2205; Rollinger, Aufklärungspflichten bei Börsentermingeschäften, 1990, S. 106, 108 ff. Zustimmend Steuer, Die Bank 1989, 364, 368. 76 Vgl. die Hinweise bei Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 620. 77 Die Ursachen hierfür können in mangelndem Sekundärwissen (Informationsverarbeitungswissen) oder in Rationalverhalten ausschließenden Anreizstrukturen liegen.
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Primärinformationen beschränken und die Verarbeitung derselben der Eigenverantwortung der Betroffenen überlassen, in denen es um wenig komplexe Transaktionen mit beschränktem und überschaubarem Risikogehalt sowie deutlich zutage liegende Bezugspunkte von Informationsasymmetrien geht und typischerweise das Rationalverhalten der Beteiligten verzerrende Motivationslagen nicht zu erwarten sind. Sind diese Voraussetzungen zumindest teilweise nicht gegeben, unterstützt das Recht regelmäßig und sinnvollerweise 78 die Herausbildung sekundärer Märkte, die entsprechende Informationen hervorbringen, oder reagiert - soweit die Inanspruchnahme solcher Märkte mangels Erkenntnis von Informationsdefiziten seitens der Beteiligten unwahrscheinlich ist - durch ergänzende Verhaltenspflichten der informationsüberlegenen Marktpartei bis hin zu zwingenden Schutzvorkehrungen 79 . So kann man sich auf dem Wertpapierneuemissionsmarkt mangels typischerweise motivationsverzerrender Anreizverhältnisse einerseits und aufgrund des Vorhandenseins informationsverarbeitender Intermediäre oder Intermediärinstitutionen andererseits auf haftungsbewehrte Prospektinformationspflichten beschränken, auch wenn von vornherein unterstellt werden darf, daß selbst der durchschnittliche Anleger nicht in der Lage ist, diese adäquat auszuwerten und weder hierfür noch für einen weitergehenden Anlagerat zwangsläufig auf Fremdhilfe zurückgreift. Hiermit - aber auch mit den in der Begründung der Novelle 1989 angeführten Fällen, in denen er sich als Schutzmaßnahme auf Unterrichtungspflichten beschränkt - nicht vergleichbar ist die Lage in bezug auf Termingeschäfte. Bei diesen handelt es sich einerseits um (zudem neuartige) komplexe und komplizierte Anlageformen mit hohem Risikogehalt, die andererseits bei geringem Einsatz zwar hohe Gewinne ermöglichen, aber statistisch80 bislang überwiegend im Verlust des Anlegers endeten. Die vorgesehene Risikoinformation behebt diesbezüglich allein Defizite im Bereich der Primärinformationen, zielt aber in keiner Weise auf die weitaus gravierenderen im Bereich der Sekundärinformationen und der Informationsverarbeitungsfähigkeit des angesprochenen Publikums. Verstehen wird die Risikoinformationen nur, wer bereits über
78 Assmann, aaO (Fn. 74), § 1 Rdn. 46, 54 f; Hopf, Information für Märkte und Märkte für Informationen, 1983; H. Reuter, Aktienmarkt und Aktieninformationsmarkt, 1980. 79 Zu einem solchermaßen zu begründenden Anlegerschutz s. Assmann, ZBB 1989, 49 ff. 80 Es ist allerdings in Rechnung zu stellen, daß diese Erkenntnisse - s. die Hinweise bei Schwark, FS Steindorf, 1990, S.473, 480, und Henssler, Z H R 153 (1989), 611, 624 f auf anderen marktorganisatorischen Grundlagen als den jetzt eingeführten beruhen.
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erhebliche Geschäftserfahrung verfügt 81 . Ihr Warneffekt, der bewußt unterhalb der Abschreckungswirkung gehalten ist, ist - wie der jeglicher abstrakter Warnungen - gering zu veranschlagen 82 ; dies ist allemal dann der Fall, wenn die Warnung von demjenigen stammt, der als seriöses (der Beaufsichtigung unterliegendes) Institut die Anlage zugleich offeriert 83 . Die Vertriebsumstände und der Konkurrenzdruck in einer kompetitiven und nicht nur von Kreditinstituten gebildeten Anlagebranche werden ein übriges dazu beitragen, den Wert der erteilten Primärinformationen für das Zustandekommen einer adäquaten Anlageentscheidung durch entsprechende Gegengewichte zu schmälern84. bb) Läßt sich auf diese Weise schon die generelle Eignung einer schriftlichen Risikoinformation in Frage stellen, dem Anleger diejenigen Informationen und denjenigen Schutz zu gewähren, welche es gestatten, ihn in bezug auf Termingeschäfte auf ein Selbstbestimmungsrecht und seine Eigenverantwortlichkeit zu verweisen, so mag die zunehmende Kritik an deren gesetzlicher Ausgestaltung fast als zweitrangig erscheinen. Wenn über solche Beanstandungen in bezug auf Form und Inhalt der verlangten Risikoinformation 85 im Schrifttum gleichwohl der Versuch unternommen wird, die Informationsschrift unter dem Gesichtspunkt ihrer Informationsfunktion zu optimieren 86 , so kann hierfür nur der Versuch ausschlaggebend sein, auf diesem Wege und mangels anderweitiger gesetzlicher Schutzvorkehrungen zur Schadensbegrenzung beizutragen. Die Ansatzpunkte, die das Gesetz hierzu eröffnet, sind freilich gering87. Es verlangt zunächst nicht mehr als die Information über die in §53
81 Möglicherweise sogar erst im Falle leidvoller Erfahrungen; Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 484. 82 Ebenso Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 626. 83 Den Umstand, daß Risikohinweise und gut piazierte Warnungen in einem Verkaufsgespräch Vertrauens- und damit verkaufsfördernd wirken können, machte sich die Branche telefonischer Vermittlung von Warentermingeschäften in der Vergangenheit bereits zunutze; vgl. den Abdruck eines (praxistypischen) Leitfadens für den Telefonverkauf bei Wach, Der Terminhandel in Recht und Praxis, 1986, S. 321 ff. 84 Zur Befürchtung, die Vertriebsmethoden der Praxis könnten den Effekt der Risikoinformation zudecken, insbes. Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 485; Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 622; Rössner, Handelsblatt Nr.235 v. 7.12.1988, S.36; Rollinger, aaO (Fn. 75), S. 110. 85 Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 626 f; Koller, BB 1990, 2202, 2205 ff; Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 482ff. 86 Moderate Vorschläge bei Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 4 8 3 f ; extrem weitgehend Koller, BB 1990, 2202, 2205 ff. 87 Koller vermag seine Vorschläge, welche das gegenwärtige, vom Kreditgewerbe verwandte Risikoinformationsblatt als Waschzettel erscheinen lassen, letztlich nur auf einige Wortsplitter in der Begründung des Regierungsentwurfs zu stützen; s. ders., BB 1990, 2202, 2203 (sub C i l ) .
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Abs. 2 S. 1 BörsG angeführten typischen Risikofaktoren. Der Begründung des Gesetzesentwurfs mag man entnehmen, daß hierunter nicht nur die Wiederholung des Gesetzeswortlauts, sondern eine „Darstellung" der „Grundrisiken" gemeint sei. Inwieweit eine diesbezügliche Darstellung gelungen ist88, wird man sicherlich nicht adressatenunabhängig beurteilen können. Der hier nicht aufgreifbare Streit darüber, ob die vom Gesetz intendierten Adressaten dieser Darstellung - wie regelmäßig bei standardisierten schriftlichen Informationspflichten - der „Durchschnittsanleger" 89 oder - ausnahmsweise - der „geschäftsunerfahrene Kleinanleger" 90 oder gar „alle potentiellen Anleger ohne Rücksicht auf ihre intellektuellen Fähigkeiten" 91 seien, wird letztlich nicht auf der Grundlage jeweils ins Feld zu führender recht vager, gewagter und eher vordergründiger Parallelen zu einzelnen Verbraucherschutzgesetzen oder anhand fragwürdiger Anknüpfungspunkt in der Gesetzesbegründung entschieden werden, sondern vor dem Hintergrund der Frage, ob der unzureichende Anlegerschutz im Bereich der Börsentermingeschäfte eher durch eine Aufrüstung der Risikoinformationsbroschüre oder eher durch entsprechende vertriebsbezogene Verhaltens- und Aufklärungsnebenpflichten zu kompensieren ist. Die angeführten generellen Schwächen des Anlegerschutzes durch schriftliche standardisierte Risikoinformation sprechen für letztgenannte Alternative. Im übrigen gibt die Begründung des Gesetzesentwurfs selbst keinen wirklichen Anhaltspunkt für die Annahme, §53 Abs. 2 BörsG verlange ein Risikoinformationsblatt, dessen Darstellungen nach Form und Inhalt - gleichsam bis zur Zumutbarkeitsschwelle - dem Verständnishorizont eines jeden der angesprochenen Anleger angepaßt sein müßte. Sie hat weitaus eher das knapp gehaltene, nicht als Produktinformation gedachte92 "risk disclosure statement" nach dem Muster ausländischer Rechtsordnungen 93 vor Augen 94 .
88 Dazu mit unterschiedlichen Positionen Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 626ff; Horn, ZIP 1990, 2, 7; Koller, BB 1990, 2202, 2205 f; Kumpel, WM 1989, 1485, 1487; Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 483 f; Steuer, Die Bank 1989, 364, 369. 89 So etwa Horn, ZIP 1990, 2, 7. 90 Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 626. 91 Koller, BB 1990, 2202, 2205 ff. 92 So ausdrücklich Begründung, aaO (Fn. 5), S. 19, 20. 93 Vgl. den Hinweis bei Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 626, auf die Ähnlichkeit zum nach amerikanischem Recht erforderlichen risk disclosure statement. 94 Die in Deutschland seitens der Kreditwirtschaft verwandte Risikoinformationsschrift ist abgedruckt in W M 1989, 1193 und ZIP 1989, 1158. Darüber hinaus wurde ohne börsengesetzliche Verpflichtung die im Kundenverkehr verbreitete Schrift „Basisinformationen über Börsentermingeschäfte" (Bank-Verlag) vorbereitet. Kumpel, WM 1989, 1485, 1493, ordnet sie hinsichtlich ihrer rechtlichen Wirkungen den außerbörslichen Aufklärungspflichten der Kreditinstitute im Termingeschäft zu.
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cc) Die in der Begründung des Gesetzesentwurfs dargelegte Auffassung, mit der Risikoinformation sei der private Anleger in den Bereich der Selbstverantwortung seines Handelns auf dem Terminmarkt (zu) entlassen, ist nach alledem nicht ohne Grund auf Kritik gestoßen. Sie ist teils als „Wunschdenken" 95 bezeichnet worden, teils wurde ihr entgegengehalten, sie bewirke anstelle der gewollten Termingeschäftsfähigkeit „kraft Information" eine solche „kraft Informationsblatt" 96 und sei damit nicht mehr als der Versuch, der Kreditwirtschaft und den Berufshändlern gegen geringen Aufwand die zur Durchsetzung ihrer Handelsinteressen notwendige Kulisse zu verschaffen97. Nicht minder deutlich wurde darauf aufmerksam gemacht, es gäbe Gefahren, die so schwer wögen, daß - gerade weil zur Sicherung der Handlungsfreiheit auch die Verhinderung von Selbstschädigungen gehöre - auch das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers zurücktreten müsse98. Trotz dieser Einwände wird man auf absehbare Zeit mit der Entscheidung des Gesetzgebers, die Termingeschäftsfähigkeit Privater auf der Grundlage des formalen Aktes der Risikoinformation herbeizuführen, zu leben haben. Das diesbezüglich verordnete Qualifikationsverfahren ist eines, der (zunehmend auch als verfassungsrechtlich geboten angesehene99) Anlegerschutz im Bereich der Termingeschäftsanlage indes ein anderes100. Kann nicht davon ausgegangen werden, daß dieser dem Anleger in Gestalt der Risikoinformation zuteil wird, so finden - wie bei allen anderen Anlagegeschäften 101 - diejenigen Regeln Anwendung 102 , die
95
Rössner, Handelsblatt Nr. 235 v. 7 . 1 2 . 1 9 8 8 , S.36. Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 484. Rössner/Worms, wistra 1987, 319, 321, sprechen von „Papieraufklärung". 97 Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 623 ff. 98 Horn, ZIP 1990, 2, 6. 99 Grundlegend H opt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 261 ff; Schwark, Anlegerschutz durch Wirtschaftsrecht, 1979, S. 74 f; ders., FS Steindorff, 1990, S.473, 4 8 0 f . 100 Zu den allerdings strukturellen Unterschieden im Hinblick auf die verschiedenen Pflichtenlagen, insbes. aber die Rechtsfolgen, etwa Henssler, ZHR 153 (1989), 6 1 1 , 625 ff. 101 In diesem Sinne auch die Begründung, aaO (Fn. 5), S. 19: Zusätzliche Beratungs-, Auskunfts- und Warnpflichten sind durch die Risikoinformation nicht ausgeschlossen. Zu diesen im Zusammenhang mit Kapitalanlagegeschäften Heinsius und Kühler, ZHR 145 (1981), 177 ff bzw. 204 ff; v. Heymann, in: Assmann/Schütze (Hrsg.), aaO (Fn. 6), § 5. 102 Speziell zu den Aufklärungspflichten in bezug auf Börsentermingeschäfte s. etwa Imo, aaO (Fn. 16), S.471 ff, 648 ff, 836 ff, 850 ff, 858 ff; Pulver, Börsenmäßige Optionsgeschäfte, (Zürich) 1987, S. 120 ff; Wach, aaO (Fn. 83), S. 93 ff. Angesichts der besonderen Risiken von Termingeschäften einerseits und der Fachunkundigkeit des breiten Publikums in bezug auf diese Anlageform andererseits sollten zukünftig auch die Verhaltenspflichten von Vertriebshelfern neu überdacht und verschärft werden. Ein insoweit negatives Beispiel für die noch zu geringen Anforderungen bspw. an die (angestellten) Telefonverkäufer 96
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darauf abzielen, durch Aufklärungs- und Beratungspflichten informationsbedingtes Marktversagen zu vermeiden und die institutionelle Funktionseffizienz der Märkte zu gewährleisten103. Da es sich beim mit nicht unerheblichen gesetzlichen Anstrengungen ausgeweiteten Terminmarkt nicht um einen inferioren Teilmarkt der Kapital- und Finanzmärkte handelt, bedarf es keiner näheren Begründung, daß auch der spekulative Charakter der Termingeschäfte die Teilhabe der Marktteilnehmer - gleich welcher Qualifikationsgruppe sie zugehören - am Anlegerschutz nicht entfallen läßt104. Dementsprechend ist auch das Eingreifen der Informationsverhaltenspflichten der gewerbsmäßigen Anbieter von Terminanlagen unabhängig vom Wissensstand oder der Erfahrenheit des jeweiligen Kunden zu beurteilen105. Dagegen ist es eine Frage des Einzelfalls, inwieweit im Rahmen der Aufklärungspflichten über die Risiken der Anlage davon ausgegangen werden darf, der Kunde habe die schriftliche Risikoinformation auch tatsächlich verstanden. Muß sich der gebotene Anlegerschutz in seiner konkreten Ausgestaltung am Gefahrenpotential und den betroffenen Risiken orientieren106, ist angesichts der Lücke im (börsen)gesetzlichen Anlegerschutz und des Risikogehalts der Termingeschäfte eher seine Ausweitung denn seine Beschränkung gefordert. Richtet sich die Ausdehnung der Beratungspflichten konsequent am Maßstab der Schaffung der Grundlagen für eine informierte Anlegerentscheidung aus, so ist damit keine Verlagerung des Spekulationsrisikos verbunden: Der „Spekulant (trägt) selber die Gefahr und Verantwortung" für „den Ausfall des Spekulierens" 107 , ist aber des -
bietet die Entscheidung des Hans. O L G Bremen WM 1990, 1703 (Warentermingeschäfte betreffend). Für einen Fachkundenachweis im Rahmen der Bank- und Börsenaufsicht über Anbieter und Vermittler von Termingeschäften de lege ferenda Rollinger, aaO (Fn. 75), S. 130 ff. 103 Nicht einheitlich beurteilt wird im Schrifttum indes die Frage, in welchem Umfange neben der schriftlichen Risikoaufklärung weitere Warn-, Aufklärungs- und Beratungspflichten geschuldet sind. Uberblick über einzelne Positionen bei Koller, BB 1990, 2202 f. Im einzelnen: Horn, ZIP 1990, 2, 16; Koller, BB 1990, 2202, 2206; Kumpel, WM 1989, 1485, 1490; Rollinger, aaO (Fn. 75), S. 91 ff; Schwark, FS Steindorff, 1990, S. 473, 484 f; Steuer, Die Bank 1989, 364, 370. 104 Die in Rechtsprechung und Schrifttum befürwortete Sonderbehandlung von Spekulationsgeschäften in bezug auf die Vermittler- und Beraterpflichten geht in der Sache nur so weit, als damit ein Uberwälzen des Spekulationsrisikos ausgeschlossen werden soll. Vgl. im einzelnen die Hinweise bei v. Heymann, aaO (Fn. 101), §5 Rdn.38; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rdn. 1883; ferner unten zu Fn. 107 f. 105 In diesem Sinne bspw. B G H WM 1984, 960; dazu auch Heinsius, ZHR 145 (1981), 177, 186 f. 106 £) e r B G H spricht in anderen Fällen von der Angewiesenheit der Anleger (als Gruppe und nicht als individueller Investor). S. etwa B G H Z 74, 103, 106 f; 77, 172, 176; 79, 337, 344. Dazu auch Assmann, ZBB 1989, 49, 56. 107 So die Forderung des RG Bankarchiv 1911/1912, 233.
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zudem gesetzlich gebilligten - Spekulierens halber nicht weniger schutzwürdig als derjenige, der ihm hierzu die Eintrittskarte löst. Wer darüber hinaus die Auffassung vertritt, Beratungs- und Aufklärungspflichten der termingeschäftsfähigen Vertragspartner oder Vermittler dürften sich nicht über das bisherige Maß derselben im Hinblick auf Termingeschäfte hinaus ausweiten und dürften sich erst recht nicht an den einschlägigen Anforderungen bezüglich bankmäßiger Effektengeschäfte ausrichten108, der übersieht nicht nur den teilweise bloß graduellen Unterschied zwischen diesen Geschäftsformen, sondern vor allem auch den Umstand, daß das bisherige Recht einen recht radikalen Anlegerschutz in Gestalt des Termin-, Spiel- und Differenzeinwands bot und die Verhältnisse sich (insoweit zum Nachteil des Anlegers) gewandelt haben109. In der Sache verwirklicht der vorkontraktuelle - nach h. L. aus den Grundsätzen des sonderprivatrechtlich fortgebildeten Rechtsinstituts der culpa in contrahendo abzuleitende - Anlegerschutz auf nicht notwendigerweise gleiche, aber funktional vergleichbare Weise diejenigen Schutzvorkehrungen zugunsten des privaten Marktteilnehmers, die andere Rechtsordnungen - teilweise bereits in der börsenrechtlichen Sphäre - als angemessen betrachten. Von Nachteil mag insoweit lediglich sein, daß anstelle formaler Qualifikationskriterien die regelmäßig mündliche110 Bewerkstelligung vorvertraglicher Pflichten Raum für deren Ziele konterkarierende Darstellungen läßt und darüber hinaus die bekannten Beweisprobleme mit sich bringt111. Anders als es nach der Begründung zum Regierungsentwurf scheinen mag112, sind die auch nach dessen Darlegun-
In diesem Sinne etwa Kumpel, WM 1989, 1485, 1490 f. Diese Situation faßt auch ein (im Ansatz allerdings schief liegender) Versuch ins Auge, der die „Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung" zum Anlegerschutz auch nach der Börsenrechtsnovelle durch die Anwendung derjenigen Kriterien zu begründen unternimmt, die der B G H (in B G H Z 90, 370, 376 ff) in bezug auf die - als neuerlichen Akt der Rechtsfortbildung gedeutete - Fortgeltung der Rechtsprechungsgrundsätze zur Behandlung kapitalersetzender Darlehen nach der Einfügung der §§ 32 a und b in das GmbHG aufgestellt hat; Rollinger, aaO (Fn. 75), S. 89 ff. 110 Nach der Begründung, aaO (Fn.5), S. 19, besteht kein Anlaß, die lediglich für die Risikoinformation geforderte Schriftlichkeit auf die daneben bestehenden Beratungspflichten auszudehnen. Zur Frage der Ubertragbarkeit des in bezug auf Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Warenterminoptionen statuierten Schriftformerfordernisses (BGH WM 1988, 1256) - mit überwiegend ablehnender Haltung - vgl. Horn, ZIP 1990, 2, 17 (allerdings „sinnvoll"); Kumpel, WM 1989, 1485, 1488, 1491; Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 485. Nicht anwendbar auf Börsentermingeschäfte sind auch die speziell in bezug auf den Vertrieb von Warenterminoptionen und die in diesem Bereich zutage getretenen Mißständen entwickelten Aufklärungspflichten; Kumpel, WM 1989, 1485, 1492; offener („grundsätzlich möglich") Horn, ZIP 1990, 2, 16/17. 111 Hierzu näher Henssler, Z H R 153 (1989), 611, 622; Schwark, FS Steindorff, 1990, 473, 484 f. "2 Begründung, aaO (Fn.5), S. 19. 108 109
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gen nicht durch die Risikoinformation ausgeschlossenen vorvertraglichen Pflichten oder Vertragsnebenpflichten eines Kontrahenten oder Vermittlers - je nach der Art der in Frage stehenden Sonderverbindungen zwischen den Parteien - allenfalls im Umfang, nicht aber hinsichtlich ihres Eintritts einzelfallabhängig. Die angesprochene Ausweitung des Anlegerschutzes113 dürfte sich vor allem auf die Frage beziehen, inwieweit der termingeschäftsfähige Vertragspartner verpflichtet sein soll, die Risikotragungsfähigkeit des Kunden bei der Erfüllung seiner - über die standardisierte Risikoinformation hinausgehenden - Pflichten zur anlegergerechten Informationserteilung miteinzubeziehen. Daß solche Anforderungen114 in bezug auf die Ergründung der Vermögensverhältnisse bislang nicht bekannt und dem deutschen Rechtsempfinden fremd sind115, läßt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen116. Zu diesen gehört auch der Umstand, daß die tradierten Anlageformen kein dem Termingeschäft vergleichbares Risikopotential in sich trugen und die Neuregelung der Termingeschäfte auf die - in funktional vergleichbarer Weise eine Verbindungslinie zu den Vermögensverhältnissen des Investors herstellende und vielfach in Anlehnung an die Regelung anderer Rechtsordnungen befürwortete Maßnahme der Sicherheitsleistung verzichtete117. Insoweit ist eine Lage entstanden, die die verstärkte Einführung diesbezüglicher Pflichten zu rechtfertigen vermag, ja als geboten erscheinen läßt. Die sonst zur Initiierung besonderer Warn-, Aufklärungs- oder Beratungspflichten erforderliche Sonderbeziehung wird vorliegend nicht durch ein Vertrauensverhältnis, sondern durch das gehandelte Gut und die ihm immanenten
113 Hinweise zur Anspruchssystematik nach neuem Recht etwa bei Horn, ZIP 1990, 2, 16 f; Schwark, FS Steindorf, 1990, S. 473, 490 ff. Zum Verhältnis zur Bestimmung des §89 - dessen Voraussetzungen nicht allein deshalb entfallen, weil eine schriftliche Risikoinformation erteilt wurde (a. A. Kumpel, WM 1989, 1485, 1493/94) - s. etwa Horn, ZIP 1990, 2, 17; Rollinger, aaO (Fn.75), S.88, 107; Rössner/Worms, in: Assmann/Schütze (Hrsg.), aaO (Fn.6), § 9 Rdn.29. 114 Dazu und zu ihrer Herkunft aus dem amerikanischen Recht s. im einzelnen Kühler, FS Coing, 1982, S. 193; Assmann, The Broker-Dealer's Liability for Recommendations, 1982, S. 50 ff; ders., Prospekthaftung, 1985, S. 191 ff. Zur Heranziehung der diesbezüglichen Regeln im vorliegenden Zusammenhang Henssler, Z H R 153 (1989), 611, 621; Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 487 f. 115 Schwark, FS Steindorff, 1990, 473, 487. 116 Hierzu zählt etwa der Umstand, daß Kapitalanlagen in denjenigen Ländern, die - wie die USA - solche Pflichten kennen, in weitaus stärkerem Maße eine die soziale Lage des Investors (und der von ihm sozial abhängigen Personen) absichernde Bedeutung haben. 117 Angesichts des bei Börsentermingeschäften dominanten Motivs, mit niedrigem Einsatz kurzfristig hohe Gewinne erzielen zu können - vgl. Wach, aaO (Fn. 83), S. 92 dürfte der Warneffekt der Sicherheitsleistung und die von dieser ausgehende Durchkreuzung dieses aleatorischen Motivs größer als der der schriftlichen Risikoinformation zu veranschlagen sein.
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außergewöhnlichen Anlagerisiken selbst begründet. Da es andererseits wenig Sinn macht, die Anlage in Gestalt von Termingeschäften gegenüber anderen zu privilegieren, werden die suitability-Verpflichtungen funktional auf das mit einer risikoadäquaten (nicht kreditfinanzierten) Sicherheitsleistung118 verbundene Schutzniveau auszurichten und mithin auch durch eine solche zu substituieren sein. Im Hinblick auf die mögliche praktische Umsetzung dieser Anforderungen müssen hier einige wenige, an den Erfahrungen der solche Verhaltenspflichten praktizierenden Länder ausgerichtete Hinweise genügen: Werden Sicherheiten nicht verlangt oder seitens des Anlegers abgelehnt, so ist der Anleger - ergänzend zu den ansonsten bestehenden Aufklärungs- und Beratungspflichten - unter Bezugnahme auf das konkrete Geschäft (schriftlich oder mündlich) angemessen darauf hinzuweisen, daß dieses wegen dessen Risikopotential seine Risikotragungsfähigkeit überfordern könnte und der termingeschäftsfähige Vertragspartner gehalten ist, sich dieser zu vergewissern. Soweit der Anleger nachweislich (i. d. R. durch entsprechende schriftliche Verzichtserklärung, sog. waivers) nicht bereit ist, sich hierauf einzulassen, mag dies den Vertragspartner von weiteren Nachforschungspflichten entlasten. So oder so ist ein solches Verfahren zumindest geeignet, dem Anleger eine deutliche Warnung in bezug auf die Risikoträchtigkeit des konkreten Termingeschäfts zu gewähren. dd) Vorstehende Ausführungen beschäftigten sich mit dem Qualifikationskriterium der Risikoinformation unter dem Gesichtspunkt seiner Angemessenheit im Hinblick auf den gebotenen Anlegerschutz. Darüber hinaus bringt die Regelung der Termingeschäftsfähigkeit zahlreiche Einzelfragen mit sich, die im folgenden aufgegriffen und mit knapp kommentierenden Ausführungen behandelt werden sollen. b) Formale Anforderungen an die Erlangung der Termingeschäftsfähigkeit kraft Risikoinformation Die Börsentermingeschäftsfähigkeit eines Nichtkaufmanns kann nur dann im Wege der Risikoinformation herbeigeführt werden, wenn diese schriftlich erteilt wird (§ 53 Abs. 2 S. 1 BörsG), keine über die Börsentermingeschäfte und ihre Risiken hinausgehenden Informationen enthält (§ 53 Abs. 2 S. 2 BörsG) und der termingeschäftsfähige Vertragspartner einer gesetzlichen Bank- oder Börsenaufsicht untersteht. Ziel des letzteren, erst auf Veranlassung des Finanzausschusses in die Novelle über118 Zur Frage der Einbeziehung einer Sicherheitsleistung in die Termingeschäftsregelung de lege ferenda und ihrer Schutzfunktionen s. Henssler, ZHR 153 (1989), 611, 635; Horn, ZIP 1990, 2, 8, 14; Kumpel, WM 1989, 1485, 1485/86, 1487; Rollinger, aaO (Fn. 75), S. 129 f; Schäfer, ZIP 1989, 1103, 1106; Schwark, FS Steindorff, 1990, S.473, 481, 487, 488.
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nommenen Erfordernisses ist es, „daß das Informationsmodell nur im Rahmen einer qualifizierten Beratung zur Anwendung kommt" 119 . Nimmt man diese Vorgabe beim Wort, ist sie ein weiterer Beleg für die Annahme des Erfordernisses einer über die Risikoinformation hinausgehenden Pflichtenlage der Vertragspartner und bezweckt mehr als die Sicherung von dessen Bonität oder der Seriosität seines Geschäftsgebarens. Der mit dem Qualifikationserfordernis auf Seiten des Informanten verbundene (verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende 120 ) Ausschluß der nicht einer entsprechenden Beaufsichtigung unterliegenden deutschen Finanz- und Wertpapierdienstleistungsunternehmen vom Termingeschäft mit Privaten einerseits und der damit einhergehende Wettbewerbsnachteil gegenüber entsprechenden (zumeist bereits der Aufsicht unterworfenen) ausländischen Firmen andererseits wird spätestens mit der Verabschiedung und nachfolgenden Umsetzung einer EG-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 121 - welche auch deren Tätigkeit einer Beaufsichtigungspflicht unterwerfen wird - ein Ende finden. Dagegen erfüllen bereits jetzt alle ausländischen Vertragspartner, die einer gesetzlichen Banken- oder Börsenaufsicht unterliegen, das fragliche Qualifikationskriterium. Eine diesbezügliche Uberprüfung der Äquivalenz der ausländischen Aufsicht mit der deutschen scheidet bereits heute für Unternehmen aus europäischen Mitgliedsländern aus, verbietet sich aber auch dem Wortlaut des § 53 Abs. 2 S. 1 BörsG zufolge in den übrigen Fällen122. Die Frage, ob die Termingeschäftsfähigkeit des Nichtkaufmanns auch dann begründet wird, wenn diesem die Risikoinformation von einem anderen Termingeschäftsfähigen als dem Vertragspartner zuteil wurde, wird dem klaren Wortlaut des § 53 Abs. 2 S. 1 BörsG nach zu verneinen sein123. Die Termingeschäftsfähigkeit des Privaten ist in diesem Sinne relativ. Soweit sich gegenteilig - zugunsten der Absolutheit der Termingeschäftsfähigkeit - urteilende Stimmen auf den Normzweck der Risikoinformation berufen124, ist dieser mit der „Fremdinformation" nur teilweise - bezüglich der rein faktischen Unterrichtung - erfüllt. Die Information durch den konkreten Vertragspartner hat neben der Signalwirkung, daß es sich bei den mit diesem zu schließenden Geschäften um BT-Drucks. 11/4721, 21. Horn, ZIP 1990, 2, 8. 121 Derzeit vorliegend als Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen vom 8.2.1990, ABl. EG Nr. C vom 22.2.1990, S. 7; dazu Assmann, EWS 1990, 220, 222 f. 122 A . A . wohl Samtleben, NJW 1990, 2670, 2671. 123 Ebenso Horn, ZIP 1990, 2, 8. 124 Schäfer, ZIP 1989, 1103, 1104. Obwohl zweifelnd mit ähnlichem Argument Kumpel, W M 1989, 1485, 1490; Rollinger, aaO (Fn. 75), S. 124. 119
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solche einer speziellen Risikogruppe handelt, oder der Aktualisierung der Risikoinformation aber auch den Sinn, den Absender der Information als Adressaten von Rückfragen oder Beratungspflichten in den Vordergrund zu rücken. Die Vertragspartner haben es indes selbst in der Hand, die Relevanz dieser Problemstellung in der Praxis125 durch entsprechende - schon aus Gründen der Beweissicherung gebotenen Sorgfaltspflichten bei der Risikoinformation zurückzudrängen. Relativ ist die Termingeschäftsfähigkeit des Nichtkaufmanns auch in dem Sinne, daß sie nur diejenigen Geschäfte umfaßt, über deren Risiken die Risikoinformationsschrift informiert. Das ist bei einer den gesetzlichen Vorgaben des §53 Abs. 2 S. 1 BörsG genügenden Schrift nach Auffassung der Begründung zum Gesetzesentwurf bei allen derzeit marktgängigen Kontraktarten der Fall126. Sollen indes Geschäfte geschlossen werden, die neuartige und von einer Risikoinformationsschrift nicht abgedeckte Risikoformen enthalten, so ist diese entsprechend zu aktualisieren. Termingeschäftsfähigkeit erlangt insofern nur derjenige Vertragspartner, der die solchermaßen revidierte Risikoinformation erhalten und gegengezeichnet hat127. Von einer Relativität der Termingeschäftsfähigkeit von Nichtkaufleuten läßt sich schließlich auch aufgrund ihrer zeitlichen Begrenzung (gem. § 53 Abs. 2 S. 3 BörsG) sprechen. Erstmals wirksam erlangt, erlischt sie, wenn die Unterrichtung nicht binnen eines Jahres wiederholt wurde. Ist dies geschehen, bleibt die Termingeschäftsfähigkeit auf weitere drei Jahre erhalten und kann dann aufgrund neuerlicher Unterrichtung nach Ablauf dieses Zeitraums für jeweils weitere drei Jahre aufrechterhalten werden. Berücksichtigt man eine der Zielsetzungen dieser strikten Fristenstaffelung, welche nach den Darlegungen des Finanzausschusses auf dessen Beschlußempfehlung die einschlägige Bestimmung im BörsG teilweise128 zurückgeht - darin besteht, die Risikoinformation nicht zu einem Routinevorgang werden zu lassen129, so wären alle zwischen den gesetzlich bestimmten Unterrichtungszeitpunkten vorgenommenen Informationserteilungen nicht nur als unbeachtlich anzusehen und könnten als solche keinen neuen Fristenlauf in Gang setzen, sondern wären darüber hinaus auch als unzulässig zu betrachten. Allein letztere
125 Sie wird von Kumpel, WM 1989, 1485, 1490, zu Recht als gering erachtet, könnte aber mit einer Ausweitung des Terminmarktes und der auf diesem auftretenden Vermittler an Bedeutung gewinnen. 126 Begründung, aaO (Fn. 5), S. 20. 127 Begründung, ebd. 128 Einfügung der Wiederholungspflicht der Unterrichtung nach einem Jahr, BTDrucks. 11/4721, S. 12, 19. 129 BT-Drucks. 11/4721, S.21.
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Konsequenz ist fraglich, weil es den qualifizierten Kaufleuten (im Klartext: den Kreditinstituten) aus Praktikabilitätsgründen gestattet sein sollte, die Unterrichtung im Jahresturnus vorzunehmen130 und dadurch nicht mehr an Routine aufkommt, als sie das (im Hinblick auf den angestrebten Anlegerschutz ohnehin weitgehend untaugliche131) Verfahren bereits mit sich bringt. Ist die Termingeschäftsfähigkeit des Vertragspartners entfallen, weil die erforderlichen Fristen nicht eingehalten wurden, muß die geschilderte Prozedur von neuem beginnen. Ist streitig, ob oder zu welchem Zeitpunkt der Kaufmann seinen Vertragspartner entsprechend den gesetzlichen Anforderungen unterrichtet hat, so trifft die diesbezügliche Beweislast den ersteren (§ 53 Abs. 2 S. 4 BörsG). Diese Beweislastregelung gilt - auf den formalen Akt der Übermittlung der Informationsschrift beschränkt - auch für den Zeitpunkt der erstmaligen Unterrichtung, die nach dem Wortlaut des Gesetzes „vor Geschäftsabschluß" zu erfolgen hat (§ 53 Abs. 2 S. 1 BörsG). Vor dem Hintergrund wenig brauchbarer Hinweise in der Begründung zum Regierungsentwurf132 ist diese Bestimmung unterschiedlich gedeutet worden: Zum einen wird die Auffassung vertreten, die Gesetzesformulierung wolle zumindest sicherstellen, daß „die Information möglichst nicht zum unselbständigen Teil eines aktuellen Geschäftsabschlusses" werde133; zum anderen wird - weitergehend - geltend gemacht, zwischen Unterrichtung und Geschäftsabschluß müsse dem Vertragspartner eine je nach seinem Kenntnisstand ausreichende Zeit zur Verarbeitung der Informationen zur Verfügung stehen134. Verbindet sich mit der ersteren Position keine nennenswerte Konkretisierung des Unterrichtungszeitpunkts, so trägt letztere adressatenbezogene Anforderungen in die ansonsten formale Gesetzesgestaltung. Es spricht wenig dafür, gerade an dieser Stelle der Termingeschäftsfähigkeitsregelung zuvor abgelehnte135 Korrekturversuche eines Gesetzes anbringen zu wollen, welches - aus-
So die Vorstellungen bei Kumpel, WM 1989, 1485, 1489 Fn.37. Kritisch zum Verfahren etwa Schwark, FS Steindorff, 1990, S. 473, 489. 132 Begründung, aaO (Fn. 5), S. 19. Deren Formulierung, die Unterrichtungsschrift sei „vor oder bei Abschluß des ersten Geschäfts zu unterzeichnen", ist in mindestens zweierlei Hinsicht unklar: Zum einen bezieht sie sich lediglich auf die „Unterzeichnung" der Informationsschrift und zum anderen hat es den Anschein, daß sie noch (in einem Redaktionsversehen?) einer früheren Entwurfsfassung verhaftet ist, aus der die Formulierung, die Unterrichtung könne auch „bei" Vertragsschluß erfolgen, gestrichen wurde. Hierzu näher Horn, ZIP 1990, 2, 7/8; Koller, BB 1990, 2202, 2208. 133 Horn, ZIP 1990, 2, 8. 134 Kumpel, WM 1989, 1485, 1489. 135 Die Austauschbarkeit und in gewisser Weise auch die Beliebigkeit der Korrekturversuche belegt ein Vergleich zwischen der Position Kumpels und derjenigen Kollers (BB 1990, 2202, 2208) in bezug auf den Informationszeitpunkt: Lehnt erstere eine 130 131
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weislich des Fehlens jeglichen diesbezüglichen Anhaltspunktes in der Entwurfsbegründung - auf eine anlegerbezogene Differenzierung einzelner Kriterien zugunsten von Rechtssicherheitsgesichtspunkten verzichtet. Bringt man die im Interesse eines effektiven Anlegerschutzes entwickelten Erleichterungen in bezug auf den Kausalitäts- und Verschuldensnachweis auch vorliegend berechtigterweise zur Geltung, so sind adressatenbezogene Verhaltenspflichten in bezug auf das Zustandekommen der Termingeschäftsfähigkeit ohne ersichtliche Nachteile in bezug auf die dogmatisch unterschiedlichen Rechtsfolgen - hier Schadensersatz, dort mangelnde Termingeschäftsfähigkeit - im Bereich vorvertraglicher oder deliktischer Verhaltenspflichten anzusiedeln. Die Konsequenz dieses Ansatzes ist dann diejenige, die gesetzlich geforderte und in jedem Zeitpunkt vor dem ersten Geschäftsabschluß unterbreitbare Risikoaufklärung als Bestandteil der über diese hinausgehenden Warn-, Aufklärungs- und Beratungspflichten zu betrachten und auf ihren Beitrag hinsichtlich der von diesen erwarteten Wirkungen für eine informierte Anlageentscheidung hin zu beurteilen. Wie nach altem Recht ist die Termingeschäftsfähigkeit nicht nur im Hinblick auf die sog. Hauptgeschäfte (Innen- und Außengeschäfte)136 der Terminanlage, sondern auch in bezug auf die sog. Neb enge Schäfte (insbes. Erteilung und Übernahme von Aufträgen) erforderlich und beurteilt sich hinsichtlich ihres Zustandekommens nach den vorstehenden Grundsätzen (§ 60 BörsG). Ist danach mit einem - noch in Gestalt eines Hauptgeschäftes auszuführenden und dieses vermittelnden Geschäftsbesorgungsverhältnis (Kommission, Auftrag, Maklervertrag u. ä.) bereits der Abschluß eines Börsentermingeschäfts unter den Parteien desselben verbunden, muß die Termingeschäftsfähigkeit des Vertragspartners in diesem Verhältnis - aber auch nur in diesem - hergestellt werden. Hierzu reicht es mithin nicht aus, daß allein die Partei des Hauptgeschäftes beaufsichtigter Kaufmann ist und die Risikoinformation erteilt. Ebensowenig kann sich der beaufsichtigte Kaufmann und Partner des Nebengeschäfts aufgrund der Relativität der Termingeschäftsfähigkeit auf die Risikoinformation eines gleicherweise qualifizierten Dritten berufen. Ein Nebengeschäft in vorstehendem Sinne liegt im Hinblick auf den Normzweck des § 60 BörsG, Geschäfte zur Umgehung terminrechtlicher Schutzbestimmungen auszuschließen, auch dann
adressatendifferenzierende Unterrichtungsschrift ab, so differenziert sie im Bereich des Unterrichtungszeitpunkts; bejaht letztere eine zielgruppendifferenzierende Gestaltung der Informationsschrift, so kann sie im Bereich des Informationszeitpunkts großzügiger verfahren (enger zeitlicher Zusammenhang zum Geschäftsabschluß zulässig). 136 Zur begrifflichen Unterscheidung ausführlich Häuser/Welter, aaO (Fn. 6), §16 Rdn. 54 ff.
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vor, wenn eine Person oder ein Unternehmen als Bote auftritt, in die Abwicklung der Forderungen aus der solchermaßen zustande gekommenen Geschäftsverbindung eingeschaltet ist und insoweit eigene Aufwendungsersatzansprüche haben soll137. Die Termingeschäftsfähigkeit von Nichtkaufleuten setzt auf dessen Seite nicht mehr als die schriftlich bestätigte (§53 Abs. 2 S. 2 BörsG) Empfangnahme der Risikoaufklärung seitens des (qualifizierten) Vertragspartners voraus. Da die Information des Nichtkaufmanns über die Risiken eines Termingeschäfts keinen Akt einer rechtsgeschäftlichen Erklärung darstellt, kommt insoweit eine Stellvertretung nicht in Betracht138. Erfolgt der Abschluß eines Termingeschäfts durch den Stellvertreter eines Nichtkaufmanns, so ist - um den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht leerlaufen zu lassen - ungeachtet der dem Vertretenen übermittelten Risikoinformation auch dessen Termingeschäftsfähigkeit erforderlich 139 . V. Resümee Unter dem bisherigen Recht der Termingeschäftsfähigkeit konnte sich ein funktions- und international wettbewerbsfähiger deutscher Markt für Termingeschäfte nicht entwickeln. In dem Versuch, diese Schwäche des Finanzplatzes Deutschland zu beseitigen, führte die Börsengesetznovelle von 1989 ein Regelungsmodell ein, das angesichts der Risiken von Termingeschäften den gebotenen Anlegerschutz nur unzureichend verwirklicht und die institutionelle Funktionseffizienz des deutschen Terminmarktes in Frage stellt. Die Annahme, mit dem Informationsmodell ein der neueren (nationalen und internationalen) Rechtsentwicklung entsprechendes Regelungselement eingeführt zu haben, ist insoweit trügerisch, als die für dessen Funktionsfähigkeit erforderlichen Randbedingungen im Bereich der Verhaltensregulierung und -pflichten der Anbieter und Marktintermediäre vernachlässigt werden. Die insoweit beste137 Horn, ZIP 1990, 2, 8/9, will unter diesen Voraussetzungen wohl anders auf die Geschäftsverbindung zwischen dem Kunden und dem diesem durch Boten vermittelten Geschäftspartner abstellen und fragt mithin lediglich, inwieweit auf die Risikoaufklärung durch den Boten genügt. Da er insoweit Qualifikation des Boten und Aufklärung über die Identität des Vertragspartners verlangt, ergeben sich Differenzen zur hier vertretenen Einordnung solcher Geschäfte als Nebengeschäfte nur f ü r den Fall, daß der vermittelte Geschäftspartner (und de iure: Vertragspartner), nicht aber der Bote - mit der zwangsläufigen Folge mangelnder Termingeschäftsfähigkeit des Kunden - informiert. W i e hier vertreten dagegen Häuser/Weiter, aaO (Fn. 6), § 16 Rdn. 275. 138 Unter Hinweis darauf, daß handelsrechtliche Formvorschriften auch dann keine Anwendung finden, wenn ein Nichtkaufmann von einem Kaufmann vertreten wird, Schäfer, ZIP 1989, 1103, 1105, insbes. F n . 2 6 (m. w. Nachw.). 139 Kümpel, W M 1989, 1485, 1489.
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hende Lücke im deutschen Kapitalmarktrecht muß dazu führen, daß börsenrechtliche Schutzdefizite in bezug auf den Terminhandel mit einem breiten Publikum durch allgemeine vertriebsbezogene Verhaltenspflichten ergänzt werden. Da das bislang hierzu entwickelte Instrumentarium sich weitgehend an solchen Anlageformen ausrichtete, deren Risikoträchtigkeit den Termingeschäften nicht vergleichbar ist, dürfte deren Fortentwicklung - insbesondere im Hinblick auf die Übernahme bestimmter dem deutschen Recht bislang so nicht bekannter suitabilityPflichten - unvermeidbar sein. Diese Entwicklung könnte sich allenfalls durch die börsenrechtliche Einführung funktional äquivalenter Schutzstandards - wie etwa das Erfordernis der Sicherheitsleistung - abwenden lassen. Abzulehnen sind dagegen die Versuche, den gebotenen Anlegerschutz durch eine Qualifizierung der börsenrechtlich gebotenen Informationsschrift anzustreben. Zum einen bieten die einschlägigen Bestimmungen des Börsengesetzes hierzu keine tragfähigen Anknüpfungspunkte und zum anderen lassen sich dadurch die Mängel einer jeden standardisierten schriftlichen Risikoinformation in bezug auf spekulative, mit besonderen Anlageanreizen einhergehende Anlagen nicht ausräumen. Die Novelle dürfte der Termingeschäftsbranche im Vergleich zum bisherigen Recht damit zwar nicht Steine statt Brot, wohl aber beides in unerwarteter Mischung anbieten. Dazu tragen auch verschiedene dogmatische Probleme bei, welche jene Rechtswissenschaft und Rechtsprechung zur Klärung hinterlassen hat.
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I. Einführung Der Schutz der Kapitalanleger bei Anlagen, deren Risiko sie nicht übersehen können, ist schon seit vielen Jahrzehnten Gegenstand juristischer Bemühungen. Der einzelne Gesellschafter soll einerseits vor unredlichen Manipulationen von Gründern, Mitgliedern der Unternehmensverwaltung oder Mehrheitsgesellschaftern geschützt werden; als Kapitalgeber soll er andererseits aber auch auf einem möglichst transparenten Markt unter fairen Bedingungen sein Kapital anlegen. Ging man früher vorwiegend vom Gesellschaftsrecht1 aus, so gelangte immer stärker auch die Banktätigkeit in das Blickfeld 2 . Schwark schließlich suchte im Wirtschaftsrecht einen Ordnungsfaktor für funktionsfähige Kapitalmärkte 3 . Der Bankenmarkt ist dabei (neben dem Versicherungsmarkt) das Musterbeispiel eines aufsichtsrechtlich geordneten Marktes. Für die Kapitalanlage hat heute neben den klassischen, in zahlreichen Sondergesetzen näher geregelten Anlageformen der „graue" Kapitalmarkt eine erhebliche Bedeutung. Wurde hier meist die PublikumsKommanditgesellschaft in der Form der Abschreibungsgesellschaft als Paradigma genannt, so hat sich inzwischen die stille Gesellschaft zu einer bevorzugten Gesellschaftsform für die Kapitalsammlung entwickelt 4 . Wenn hier das von den Kapitalsammelgesellschaften durch stille Beteiligungen hereingenommene Kapital wieder zu Drittinvestitionen, etwa durch Beteiligung an anderen Unternehmen, durch Baufinanzierung 1 Vgl. Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, 1968; Wiedemann, Minderheitenschutz und Aktienhandel, 1968; Immensa, Aktiengesellschaft, Aktionärsinteressen und institutionelle Anleger, 1971; Günther H. Roth, Das Treuhandmodell des Investmentrechts, eine Alternative zur A G , 1972. 2 Als Beispiele seien lediglich die Untersuchungen von Möschel, Das Wirtschaftsrecht der Banken, 1972; Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972 und Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, genannt. 3 Schwark, Anlegerschutz durch Wirtschaftsrecht, 1979. 4 Hierzu eingehend Keusch, Die stille Gesellschaft als Publikumspersonengesellschaft, 1989.
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oder ähnliches, herausgelegt wird, so liegt der Gedanke nicht fern, diesen Teil-Kapitalmarkt ebenfalls dem aufsichtsrechtlich geordneten Bankenmarkt zuzurechnen. D a bei der stillen Gesellschaft als einer Innengesellschaft die Einlage des stillen Gesellschafters in das Vermögen des Außengesellschafters übergeht und jedenfalls bei der typischen stillen Gesellschaft ohne Verlustbeteiligung des Stillen auch Fremdkapitalcharakter hat, kann man durchaus daran denken, die stillen Beteiligungen als Einlagen i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 K W G anzusehen. Dies hätte Konsequenzen einerseits im Hinblick auf das Konzessionserfordernis des § 32 K W G sowie andererseits auf die Kontrolle der Geschäfte der stillen Publikumsgesellschaften im einzelnen. In seiner Entscheidung vom 15.3.1984 5 hatte der III. Zivilsenat des B G H festgestellt, daß stille Gesellschafter einer Bank nicht zu den durch die staatliche Bankenaufsicht geschützten Einlagegläubigern gehören. Es ging hier um eine Haftung der Bundesrepublik wegen angeblich unzureichender Aufsicht. Mit der Einfügung des §6 Abs. 3 K W G durch das Dritte KWG-Änderungsgesetz ist heute nach überwiegender Ansicht die Grundlage für einen solchen Amtshaftungsanspruch entfallen6. Die vom B G H zum Verhältnis von stiller Gesellschaft zur Bankenaufsicht angestellten Überlegungen haben indessen unverändert Bedeutung. Allerdings betrafen sie eine Konstellation, die nicht ohne weiteres mit derjenigen moderner Kapitalsammlungsgesellschaften in der Form der stillen Gesellschaft vergleichbar sind. Die neuen Entwicklungen auf dem grauen Kapitalmarkt sollen deshalb Anlaß sein, allgemein der Frage nachzugehen, wie stille Publikumsgesellschaften im Hinblick auf die Bankenaufsicht zu beurteilen sind. II. Entwicklung und A n k n ü p f u n g der Bankenaufsicht 1. Geschichtliche
Entwicklung
Bis zum Zusammenbruch der deutschen Kreditwirtschaft im Juli 1931 bestand auch für die Kreditinstitute weitgehende Gewerbefreiheit 7 . Zwar B G H Z 90, 310. Nach Auffassung von E. Habscheid, Staatshaftung für fehlsame Bankenaufsicht?, 1988, S. 85 ff konnte der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen die Amtshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht durch die Einführung des § 6 Abs. 3 K W G nicht wirksam ausschließen; Bedenken auch bei MünchKomm-Ai/ver, §839 R d n . 2 1 5 sowie Maurizi Dürig/Herzog/Papier, Art. 34 G G Rdn. 175. 7 Ausnahmen bildeten lediglich die Hypothekenbanken, die durch das H y p B a n k G v. 13. 7.1899 ( R G B l . I, S. 375) mit Wirkung vom 1.1.1900 der Aufsicht unterstellt wurden, sowie die Sparkassen, die als Anstalten des öffentlichen Rechts einer besonderen Länderaufsicht unterstanden, vgl. hierzu Keßler, Aufsichtskonkurrenz im Sparkassenwesen, Jur. Diss. Tübingen 1987, S . 7 f f . 5
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hatte es während und nach dem ersten Weltkrieg staatliche Eingriffe in die bankgeschäftliche Tätigkeit gegeben, die allerdings in erster Linie der Währungssicherung und der Verhinderung von Kapitalflucht dienen sollten. Trotz zweier Wirtschaftskrisen und vieler Bankenzusammenbrüche blieben mehrere Initiativen zur Einführung von Vorschriften zum Schutze der Bankkunden erfolglos8. Das als Vorabregelung für ein späteres umfassendes Aufsichtsrecht gedachte Gesetz über Depot- und Depositengeschäfte vom 16.6.1925 9 erhielt zwar erste Elemente einer speziellen Bankenaufsicht; für die Praxis hatte das von vornherein befristete und nach zweimaliger Verlängerung bereits zum 31.12.1929 außer Kraft getretene Gesetz jedoch keine große Bedeutung. Erst im Gefolge der großen Bankenkrise von 1931 setzten sich dann die Befürworter einer allgemeinen Bankenaufsicht durch. Es wurden zahlreiche Vorschriften und Verordnungen erlassen, die den geschäftlichen Spielraum der Kreditinstitute einschränkten10. Grundlage hierfür war die Erkenntnis, daß im Hinblick auf die Bedeutung des Kreditgewerbes für die gesamte Volkswirtschaft das Prinzip der Gewerbefreiheit für diesen Bereich nicht aufrechtzuerhalten war. Nach längeren Vorarbeiten wurde 1934 das Kreditwesengesetz verabschiedet, das an die Stelle der Gewerbefreiheit nunmehr endgültig ein Gewerbeverbot mit Erlaubnisvorbehalt setzte und die bereits 1931 eingeführte allgemeine staatliche Aufsicht über alle Kreditinstitute erweiterte. Für die Bankenaufsicht zuständig war seit 1931 zunächst das Kuratorium für das Bankgewerbe, ein Gemeinschaftsorgan von Reichsbank und Reichsregierung11, an dessen Stelle nunmehr das Aufsichtsamt für das Kreditwesen trat. Später wurde die Aufsichtskompetenz auf den Geschäftsbereich des Reichswirtschaftsministers konzentriert. In Verbindung mit der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Bank- und Sparkassenwesens12, die dem Wirtschaftsminister nahezu uneingeschränkte Befugnisse gegenüber den Kreditinstituten einräumte, war der Reichswirtschaftsminister
8 Hierzu eingehend Pleyer, Bankkrisen und die Vorgeschichte der Bankenaufsicht, in: Festschrift der rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 105 (116 ff). 5 RGBl. I, S. 89. 10 Besonders hervorzuheben ist die „Notverordnung über das Aktienrecht, die Bankenaufsicht und eine Steueramnestie" vom 19.9.1931, RGBl. I, 493, 501. 11 Szagunn/Wohlschieß, Gesetz über das Kreditwesen, 4. Aufl. 1986, Einl. S. 66; Bahre/Schneider, KWG-Kommentar, 3. Aufl. 1986, Einl. S.49f. 12 Vom 5.12.1939 (RGBl. I, 2413), geändert durch die Verordnung vom 31.12.1940 (RGBl. I 1941, 19), abgedruckt bei Reichardt, Das Gesetz über das Kreditwesen, 1942, S. 790 ff.
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so in der Lage, die Kreditwirtschaft in jeder beliebigen Richtung zu steuern13. Das am 25.9.1939 neu bekannt gemachte KWG 1 4 galt nach dem Zusammenbruch des Reiches fort, soweit keine rechtsstaatlichen Grundsätze entgegenstanden. Die Bankenaufsicht oblag nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gemäß Art. 84 Abs. 1 G G den Ländern. Hinsichtlich der Aufsichtskompetenzen gab es zwar zunächst Unsicherheiten, die aber durch eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Stellen überwunden wurden15. An die Stelle des K W G 1939 trat am 10.7.1961 ein neues KWG 1 6 , das wieder eine zentralisierte Aufsicht durch ein neu geschaffenes Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen einführte. Im wesentlichen setzte das neue Gesetz die Konzeption des K W G 1939 fort 17 . Auch die späteren Novellen haben jedenfalls im Bereich der Anknüpfungsnormen und des Begriffs der Kreditinstitute nichts geändert. 2. Anknüpfung der Bankenaufsicht Die staatliche Bankenaufsicht soll die Funktionsfähigkeit des Kreditapparates und den Schutz der Gläubiger von Kreditinstituten vor Verlusten gewährleisten18. Dabei soll die gesetzliche Regelung die Ordnung im Kreditwesen sichern, dazu beitragen, die Krisenanfälligkeit der Kreditinstitute zu vermindern, sowie insbesondere die Gefahren auszuschließen, die sich aus einer Verletzung der gesetzlich verankerten allgemein gültigen Bankregeln ergeben können 19 . Eine Bankenaufsicht nach dem K W G kann allerdings den Zusammenbruch eines Kreditinstitutes nicht in jedem Fall ausschließen, denn dies würde, sollte es überhaupt erreichbar sein, so starke Eingriffe in die Freiheit der Kreditinstitute erfordern, daß die private Initiative und der Wettbewerb in diesem Wirtschaftszweig weitgehend zum Erliegen käme. Aus diesem Grunde wird der durch das K W G gewährleistete, notwendigerweise jedoch lückenhafte Schutz der Gläubiger durch zusätzliche Maßnahmen zur Einlagensicherung ergänzt20. 13 Ausführlich zur Geschichte der Bankenaufsicht bis 1945: Ruland, Zur Entwicklung des Bankenaufsichtsrechts bis 1945, Jur. Diss. Münster 1988. 14 RGBl. I, 1955. 15 Hierzu näher Bahre/Schneider, Einl. S. 51 f. 16 BGBl. I, S. 881. 17 Hopt, S. 46. 18 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über das Kreditwesen, BT-Drucks. 3/ 1114, S.20. " Zu den einzelnen Zielsetzungen der Bankenaufsicht näher Werner A. Müller, Bankenaufsicht und Gläubigerschutz, 1981, S. 25 ff. 20 Hierzu näher Szagunn/Wohlschieß, Einl. S. 70; zur Notwendigkeit der Bankenaufsicht trotz bestehender Einlagensicherung Bahre/Schneider, Einl. S. 65.
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Das Kreditwesengesetz ist mit Ausnahme der Verbotsnorm in §3 K W G , die sich gegen jedermann richtet, nur auf Kreditinstitute anwendbar. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 K W G sind Unternehmen dann als Kreditinstitute zu qualifizieren, wenn sie in vollkaufmännischem Umfang Bankgeschäfte betreiben. Was als Bankgeschäft anzusehen ist, ist im einzelnen in § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 9 K W G aufgezählt. Dieser Katalog ist abschließend. § 1 Abs. 1 S. 3 K W G ermächtigt jedoch den Bundesminister der Finanzen, im Benehmen mit der deutschen Bundesbank weitere Geschäfte durch Rechtsverordnung zu Bankgeschäften zu erklären. Von dieser Möglichkeit wurde bisher allerdings noch kein Gebrauch gemacht, obwohl dies gelegentlich ζ. B. für das Factoringgeschäft oder das Leasinggeschäft gefordert wurde 21 . Daß über den Katalog in § 1 Abs. 1 S. 2 K W G hinaus durchaus auch noch andere Geschäfte als typische Bankgeschäfte und damit als aufsichtsbedürftig angesehen werden können, zeigt ein Blick über die Grenzen. So rechnet das ähnlich dem deutschen K W G formulierte österreichische K W G beispielsweise zusätzlich die zweckbestimmte Eigenemission, das Factoring und die Kapitalbeteiligungsgeschäfte zu den Bankgeschäften 22 . III. Bankenaufsicht und stille Gesellschaft 1. Struktur der stillen Gesellschaft Die stille Gesellschaft erschöpft sich als Innengesellschaft hinsichtlich ihrer Rechtswirkungen in den durch den Gesellschaftsvertrag festgelegten rein schuldrechtlichen Beziehungen zwischen dem Inhaber des Handelsgeschäfts und seinem stillen Teilhaber. Das Gesellschaftsverhältnis erzeugt keine Wirkungen gegenüber dritten Personen, weder eine Haftung des stillen Gesellschafters für die Schulden des Inhabers noch seine dingliche Mitberechtigung an der Substanz des Handelsgewerbes. Der Zweck der stillen Gesellschaft ist lediglich darauf gerichtet, daß die vom Inhaber des Handelsgeschäfts allein und im eigenen Namen abgeschlossenen Geschäfte nunmehr im Verhältnis der Gesellschafter untereinander auf gemeinschaftliche Rechnung gehen23. Allerdings darf dies nicht zur Annahme führen, als handele es sich bei der stillen Gesellschaft lediglich um ein Verhältnis gegenseitiger Verpflichtungen, also um ein 21 Vgl. nur Büschgen, Zeitgeschichtliche Problemfelder des Bankwesens der Bundesrepublik Deutschland, in: Ashauer/Hom (Hrsg.), Deutsche Bankengeschichte, Bd. III, 1983, S. 349-409 (383). 22 Hahn, Struktur der Bankwirtschaft, Band 1, Berlin 1981, S. 1; § 1 K W G (Österreich); ausführlich hierzu Ρauger, Österreichisches Bankrecht, 1989, S. 79 f. 23 Paulick/Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 4. Aufl. 1988, S.55.
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Schuldverhältnis i. S. eines gegenseitigen Vertrags. Daß sich die Gesellschafter — wenn auch nur im Innenverhältnis — zur Erreichung eines gemeinschaftlichen Zwecks verpflichten, bedeutet mehr als nur die Begründung wechselseitiger Leistungspflichten 24 . Freilich ist die gesellschaftliche Verbundenheit bei den verschiedenen Formen der stillen Gesellschaft unterschiedlich stark ausgeprägt. Am stärksten ist dies der Fall bei der atypischen stillen Gesellschaft mit (schuldrechtlicher) Substanzbeteiligung und Geschäftsführungsbefugnis des Stillen. Bei den stillen Publikumsgesellschaften kommt diese Variante praktisch nicht vor. Bei diesen tritt vielmehr die unmittelbare Einflußmöglichkeit des stillen Gesellschafters in den Hintergrund, dessen Rechte in der Regel nur in mediatisierter Form geltend gemacht werden können. Häufig ist bei stillen Publikumsgesellschaften dabei diejenige Variante, bei der der stille Gesellschafter, ohne selbst unmittelbar unternehmerischen Einfluß ausüben zu können, doch schuldrechtlich am Gesellschaftsvermögen beteiligt ist und darüber hinaus auch an den Verlusten teilhat25. In solchen Fällen wird wegen der ausgeprägten Übernahme des Unternehmerrisikos trotz des mediatisierten Einflusses regelmäßig auch eine steuerliche Mitunternehmerschaft vorliegen. Aber auch die typische stille Gesellschaft ohne schuldrechtliche Mitbeteiligung des stillen Gesellschafters am Unternehmensvermögen kommt als Publikumsgesellschaft vor; oft wird hier darüber hinaus auch die Verlustbeteiligung ausgeschlossen (§231 Abs. 2 HGB). Daß gleichwohl auch bei der letztgenannten Form eine echte Gesellschaft anzunehmen ist, ist unbestritten. Allerdings führt die weniger intensiv ausgeprägte gesellschaftliche Verbundenheit in eine Grauzone. So greift beispielsweise bei der Publikumspersonengesellschaft bereits allgemein der Verschuldensmaßstab des § 708 BGB nicht ein26. Vielmehr haften der Geschäftsinhaber sowie die Initiatoren des Kapitalanlagemodells gemäß §276 BGB für jedes Verschulden, weil es an dem in §708 BGB vorausgesetzten gegenseitigen Vertrauensverhältnis fehlt27. Gerade bei der „typischen" stillen Publikumsgesellschaft — also derjenigen ohne schuldrechtliche Substanzbeteiligung und ohne unmittelbaren Einfluß auf die unternehmerische Tätigkeit — ist auch der Uberschneidungsbereich zur bankgeschäftlichen Tätigkeit gegeben. Von
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Paulick/Blaurock, S. 57. Näher Reusch, Die stille Gesellschaft als Publikumspersonengesellschaft, 1989, S. 23 ff. 26 Schlegelberger / Karsten Schmidt, Handelsgesetzbuch, 5. Aufl. §335 (§230 n. F.) Rdn. 134. 27 So zur Publikums-KG B G H Z 69, 207 (209 ff); B G H Z 75, 321 (328). Für die stille Publikumsgesellschaft Paulick/Blaurock, S. 215 f; Keusch, S. 119. 25
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der Funktion her kommen dabei einerseits das Investmentgeschäft sowie andererseits allgemein das Einlagengeschäft in Betracht. 2.
Investmentgeschäft
Nach § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 K W G sind Bankgeschäfte die in § 1 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften bezeichneten Geschäfte (Investmentgeschäfte). Diese Verweisung entspricht der Regelung in § 2 Abs. 1 K A G G , wonach Kapitalanlagegesellschaften stets Kreditinstitute sind, für die dann aber darüber hinaus die besonderen Einschränkungen des K A G G gelten, die also den doppelten Regelungsschranken sowohl des K W G als auch des K A G G unterliegen. Nach § 1 Abs. 1 K A G G sind Kapitalanlagegesellschaften solche Unternehmen, deren Geschäftsbereich darauf gerichtet ist, bei ihnen eingelegtes Geld im eigenen Namen für gemeinschaftliche Rechnung der Einleger nach dem Grundsatz der Risikomischung in Wertpapieren, in Wertpapieren und stillen Beteiligungen28 oder in Grundstücken sowie Erbbaurechten gesondert von dem eigenen Vermögen anzulegen und über die hieraus sich ergebenden Rechte der Einleger Urkunden auszustellen. Die strenge Beschränkung auf bestimmte Anlagen führt dazu, daß andere Beteiligungs- oder Vermögenswerte, wie ζ. B. GmbH-Anteile, als Anlageobjekte eines Sondervermögens nicht zugelassen sind29. Ein wesentliches Kennzeichen einer Kapitalanlagegesellschaft ist das vom Eigenvermögen der Gesellschaft getrennte Sondervermögen. Für die Wertpapier-, Beteiligungs- und Grundstückssondervermögen gelten dabei eingehende Vorschriften. Der Zweck des Sondervermögens i. S. des § 6 K A G G besteht darin, die Anteilsinhaber dinglich zu sichern und von den Vermögensverhältnissen sowie dem rechtlichen Schicksal der Kapitalanlagegesellschaft selbst unabhängig zu machen30. Das aus den Einlagen gebildete Sondervermögen unterscheidet die Kapitalanlagegesellschaft in ihrer Struktur entscheidend von der stillen Gesellschaft. Die stillen Gesellschafter sind, anders als die Anteilsinhaber bei einer Kapitalanlagegesellschaft, von den Vermögensverhältnissen
28 Zur Anlage in stillen Beteiligungen und zur Diskussion um die Neuregelung in §§ 25 a-j KAGG näher Lütgerath, Die Erweiterung des Anlagekatalogs von Investmentgesellschaften, 1984, S. 121-191. 29 Baur, Investmentgesetze, Kommentar zum Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG), 1970, §1 KAGG Anm.II 4 und § 6 KAGG Anm. II; Flachmann/ Scholtz/Schork/Steder, Investment-Handbuch, 1970 (Loseblatt Stand Juni 1989) 425 § 6 KAGG Rdn.3. 30 Baur, §1 KAGG Anm.II 5; Schuster, Investment-Handbuch, 1971, S.214f; Flachmann/Scholtz/Schork/Steder, Investment-Handbuch, 425 § 1 KAGG Rdn. 5 und 425 § 6 K A G G Rdn. 1, 2.
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des Geschäftsinhabers abhängig; sie erwerben keine Anteile an den von diesem erworbenen Vermögensgegenständen. Da vielmehr der Erwerb dieser Gegenstände auf eigene Rechnung des Geschäftsinhabers erfolgt, sind sie auch nur ihm zuzurechnen. Ein Anteilserwerb, so wie er für das Investmentgeschäft typisch ist, stellt für ein stilles Beteiligungsverhältnis ein wesensfremdes Element dar. Die Einlagen der stillen Gesellschafter gehen vielmehr gemäß § 230 Abs. 1 H G B zwingend in das Vermögen des Geschäftsinhabers über und fließen nicht in ein vom Vermögen des Geschäftsinhabers getrenntes Sondervermögen. Auch dann, wenn den stillen Gesellschaftern ein Beteiligungszertifikat über ihre stille Beteiligung ausgestellt wird, ist dieses nicht als Anteilschein i. S. des § 1 Abs. 1 KAGG 3 1 zu qualifizieren. Mit dem Zertifikat über die stille Gesellschaft wird kein Anteilsrecht wie mit einem Investmentzertifikat verbrieft, sondern lediglich die Einlage quittiert. Wenn eine stille Publikumsgesellschaft - wie das inzwischen häufig ist - als reine Kapitalsammelstelle tätig wird und das aufgenommene Kapital dann in Grundstücken oder Unternehmensbeteiligungen investiert, so sind zwar die rechtlichen Unterschiede zu einer Kapitalanlagegesellschaft eindeutig. Gleichwohl muß es doch irritieren, daß hier bei funktionaler Gleichwertigkeit unterschiedliche Maßstäbe gelten. Daß bei Kapitalanlagegesellschaften das aufgenommene Kapital in Sondervermögen angelegt wird, die in ihrer Substanz von einer etwaigen Insolvenz der Kapitalanlagegesellschaft nicht betroffen werden, bedeutet einen ganz wesentlichen Anlegerschutz, der bei der Schaffung des K A G G gegenüber der früheren unsichereren Rechtslage verwirklicht wurde. Die festumrissene Definition in § 1 Abs. 1 K A G G sowie der Verweis in § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 K W G führen aber andererseits dazu, daß gerade das Schutzinstrument „Sondervermögen" funktionell gleichartige Anlagegesellschaften, bei denen ein Sondervermögen nicht gebildet wird und von der Struktur her auch nicht gebildet werden kann, aus dem Regelungsbereich des K A G G ausgrenzt. Der Anlegerschutz verkehrt sich damit in sein Gegenteil. 3.
Einlagengeschäft
Damit rückt für stille Publikumsgesellschaften die Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 K W G in den Mittelpunkt. Bankgeschäfte sind danach die Annahme fremder Gelder als Einlagen ohne Rücksicht darauf, ob Zinsen vergütet werden (Einlagengeschäft)32. Hierzu Baur, § 1 K A G G Anm. II 6. Zum Einlagengeschäft Baumbauch/Duden/Hopt, HGB-Kommentar, 28. Aufl., 1989, (7) Bankgeschäfte II Anm. 1; Bähre/Schneider, §1 K W G Anm. 7; Szagunn/Wohl31
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Ob die Beteiligung typischer oder atypischer stiller Gesellschafter an einer stillen Publikumsgesellschaft als Einlagengeschäft zu qualifizieren ist, hängt maßgeblich davon ab, wie der Begriff der Einlage im Sinne dieser Bestimmung auszulegen ist. Eine gesetzliche Definition der Einlage selbst gibt es nicht. Aufgrund der Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten wäre eine feste Definition auch wenig sinnvoll. Allerdings fehlt im Kreditwesengesetz auch eine nähere Umschreibung oder Typisierung der Einlage. Insbesondere stellt das Gesetz keine geeigneten Kriterien zur Verfügung, die im einzelnen für die Abgrenzung des Einlagengeschäfts von der erlaubnisfreien Aufnahme fremder Gelder tauglich wären. Nach allgemeiner Ansicht handelt es sich bei „Einlagen" um einen rein wirtschaftlichen Begriff. Ob die fraglichen Geschäfte im Einzelfall eine Tätigkeit darstellen, die dem bankgeschäftlichen Bereich zuzuordnen ist, muß daher in erster Linie unter wirtschaftlichen und nicht unter rechtlichen Gesichtspunkten gesehen werden33. Auch ist die Frage, ob eine einzelne Tätigkeit zum bankgeschäftlichen Bereich gehört, nicht für alle Zeit festgelegt, sondern unterliegt vielmehr stetem Wandel. In der Vergangenheit wurde bei der Abgrenzung der Einlagen von sonstiger darlehensweiser Geldannahme primär darauf abgestellt, von wem die Initiative für die Geldanlage ausgeht. Wenn die Initiative vom Geldgeber ausging, bejahte man den Einlagencharakter des Geldes, wenn die Initiative dagegen vom annehmenden Unternehmen ausging, so verneinte man sie34. Nach dieser Initiativtheorie definiert Nirk35 das Einlagengeschäft noch heute als „Annahme fremder Gelder auf Kundeninitiative". Die Abgrenzung nach der Initiativtheorie wird dem Schutzzweck des KWG, einerseits die Funktionsfähigkeit des Bankensystems zu gewährleisten, andererseits aber auch das breite Publikum vor Verlusten bei der Geldanlage bei Kreditinstituten zu schützen, jedoch nicht gerecht36. So hat die Wettbewerbssituation, in der sich die Kreditinstitute befinden, bewirkt, daß die Initiative für die Entgegennahme von Geldern nicht
schieß, §1 K W G Anm. 17-27; Panowitz/Jung, Kreditwesengesetz, Deutsch-englischer Kommentar, 1988, § 1 Rdn. 4; Reischauer/Kleinhans, Kreditwesengesetz, Kommentar, Band 1, 1963 (Loseblatt Stand August 1990), § 1 Anm. 12 ff. 33 Szagunn/Wohlschieß, §1 K W G Anm. 16; Reischauer/Kleinhans, §1 K W G Anm. 13. 34 Vgl. hierzu Reischauer/Kleinhans, § 1 K W G Anm. 12; Bähre/Schneider, §1 K W G Anm. 7. 35 Nirk, Das Kreditwesengesetz, 8. Aufl. 1985, S.29 36 So zutreffend Bähre/Schneider, § 1 K W G Anm. 7; ebenso Reischauer/Kleinhans, § 1 K W G Anm. 12 u. 13; für einen engeren Schutzzweck des K W G jedoch BVerwG N J W 1985, 929 = WM 1984, 1364.
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Uwe Blaurock
ausschließlich vom Anlegerpublikum, sondern immer mehr auch von den Kreditinstituten ausgeht. Der Schutzzweck des KWG erfordert es daher, ein Einlagengeschäft unabhängig davon zu beurteilen, wer die Initiative zum Geschäftsabschluß ergriffen hat. Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen setzt dementsprechend einen weiten Rahmen und geht davon aus, daß Einlagen i. S. des Kreditwesengesetz in der Regel dann vorliegen, wenn „jemand von mehreren Geldgebern, die keine Kreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 1 sind, fremde Gelder auf Grund typisierter Verträge als Darlehen oder zur unregelmäßigen Verwahrung (§ 700 BGB) ohne Bestellung banküblicher Sicherheiten und ohne schriftliche Vereinbarung im Einzelfall laufend annimmt" 3 7 .
Dieser Auffassung haben sich die Kommentarliteratur 38 und auch ein Teil der Gerichte 39 angeschlossen40. Allerdings wird auch betont, neben der Ausrichtung am Gesetzeszweck müsse bei der Auslegung des Begriffs der Einlage auch die Verkehrsauffassung berücksichtigt werden, nach der zu beurteilen sei, ob der konkrete wirtschaftliche Vorgang die Annahme fremder Gelder als Einlage darstelle41. Dabei kommt das BVerwG insgesamt zu einer engeren Beurteilung des Einlagengeschäftes als das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen 42 . Allein der Umstand, daß fremde Gelder aufgrund typisierter Verträge ohne Bestellung banküblicher Sicherheiten entgegengenommen werden, soll keine abschließende Bewertung dahin zulassen, ob diese Vorgänge bei umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der bankwirtschaftlichen Verkehrsauffassung als Einlagengeschäfte anzusehen sind. Als Indiz gegen den Einlagencharakter von fremden Geldern sei zunächst zu werten, wenn die gezahlten Gelder vertragsgemäß nicht zur Finanzierung der unter-
37 Schreiben v. 24.4.1968, abgedr. bei Reischauer/Kleinhans, §1 KWG Anm. 13. Zur Bedeutung der vom Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen aufgestellten Kriterien ausführlich Canaris, Die Ausgabe von Namensgewinnschuldverschreibungen an Arbeitnehmer in bankaufsichtsrechtlicher Sicht, BB 1978, 227 ff. 38 Schork, KWG-Kommentar, 1965, §1 Anm. 40; Bahre/Schneider, §1 K W G Anm. 7; Panowitz/Jung, § 1 K W G Rdn. 4; Szagunn/Wohlschieß, § 1 KWG Anm. 17. 39 O V G Berlin v. 14.11.1973 (I Β 68/72) und v. 20.2.1980 (I Β 13/77) - unveröffentlicht —, vgl. ferner die Nachweise bei Bahre /Schneider, § 1 KWG Anm. 7. 40 Szagunn/Wohlschieß, §1 KWG Anm. 17, nennen darüber hinaus noch als Kriterium die Berechtigung des Gläubigers, die Gelder nach Fälligkeit jederzeit zurückfordern zu können. O b dieses Kriterium bei Abgrenzungsschwierigkeiten von Nutzen ist, muß allerdings bezweifelt werden. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, ob die Gelder nach Fälligkeit jederzeit zurückgefordert werden können, sondern auch darauf, wann sie zur Rückzahlung fällig sind. 41 O V G Berlin W M 1984, 865; BVerwG N J W 1985, 929 = W M 1984, 1364. 42 BVerwG NJW 1985, 929ff = WM 1984, 1364ff; für eine enge Auslegung des Begriffs Einlagengeschäft auch Canaris, BB 1978, 227 (228).
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nehmerischen Tätigkeit geleistet werden, sondern ausschließlich zu dem Zweck entgegengenommen werden, den Einzahlern eine direkte Beteiligung am Ertrag des Unternehmens zu ermöglichen. Außerdem spreche es gegen den Einlagencharakter von fremden Geldern, wenn die Verzinsung vom Unternehmensgewinn abhängig ist, wenn die Zinshöhe über marktgerechten Sätzen liegt, wenn die Entgegennahme von Geldern befristet ist und auf einen Gesamtbetrag begrenzt wird und wenn ein Mindestzins vereinbart wird 43 . Für das annehmende Unternehmen setzt das Einlagengeschäft nach Auffassung des BVerwG darüber hinaus eine Gewinnerzielungsabsicht voraus. Diese Gewinnerzielung tritt in der Zinsspanne zwischen Passivgeschäft (Annahme von Geldern) und Aktivgeschäft (Kreditvergabe) zutage. Das Einlagengeschäft diene unter bankwirtschaftlichen Gesichtspunkten der kontinuierlichen Ansammlung und Bereithaltung liquiden Kapitals für die laufende Finanzierung des Aktivgeschäfts. Charakteristisch für das Vorliegen eines Einlagengeschäfts i. S. des § 1 Abs. 1 S. 2 N r . 1 KWG ist nach Auffassung des BVerwG demnach stets der spezifische Funktionszusammenhang zwischen der Annahme von Fremdgeldern auf der Passivseite und der Kreditvergabe dieses Kapitals auf der Aktivseite 44 . a. Stille Gesellschafter
als
Einleger
Diese allgemeinen Erwägungen sind nunmehr bei der Beurteilung der Frage zugrunde zu legen, ob bei stillen Publikumsgesellschaften ein Einlagengeschäft vorliegt. Bei diesen ist der Abschluß des stillen Gesellschaftsvertrages standardisiert. Üblicherweise erfolgt er durch eine auf einem Zeichnungsschein abzugebende Beitrittserklärung des typischen bzw. atypischen stillen Gesellschafters und ihrer Annahme durch den Geschäftsinhaber, meist eine Kapitalgesellschaft. Bei den aufgrund der Beitrittserklärung erfolgenden Zahlungen nimmt der Geschäftsinhaber damit von einer Vielzahl von Geldgebern auf der Grundlage typisierter Verträge in darlehensähnlicher Weise laufend Gelder entgegen, die ihrer Art nach nicht banküblich besichert sind. Damit sind die wesentlichen Kriterien, die zur Annahme einer Einlage i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 2 N r . 1 43 Im entschiedenen Fall ging es um die Ausgabe von Namensschuldverschreibungen durch ein Unternehmen an Betriebsangehörige zur Vermögensbildung. Das Gericht stellte abgesehen von den allgemeinen Erwägungen in concreto ferner noch darauf ab, daß für die Verwaltung und Verwahrung der bei Entgegennahme der Gelder ausgestellten Namenspapiere keine Kosten entstanden seien und daß es sich nicht um eine Maßnahme der Unternehmensfinanzierung, sondern um eine rein sozialpolitische Maßnahme gehandelt habe. 44 Gegen die vom BVerwG angeführten Kriterien Bähre/Schneider, § 1 KWG Anm. 7.
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U w e Blaurock
K W G führen, erfüllt. Hierfür ist, wie sich aus dem Wortlaut der N o r m ergibt, auch unerheblich, ob Zinsen vergütet werden oder nicht. Ohne Bedeutung für die Qualifizierung als Einlage wäre ferner auch, wenn die stille Publikumsgesellschaft über die stillen Beteiligungen Beteiligungszertifikate ausstellt 45 . Wenngleich es so zunächst den Anschein hat, als könne man die Entgegennahme von Geldern im Rahmen einer stillen Publikumsgesellschaft als Einlagengeschäft ansehen, so gibt es doch hiergegen erhebliche Gegengründe, die letztlich den Ausschlag geben müssen. b. Atypische stille
Gesellschaft
So ist zu berücksichtigen, daß bei der Beteiligung stiller Gesellschafter an der stillen Publikumsgesellschaft kein reines schuldrechtliches Austauschverhältnis, sondern vielmehr ein auf Leistungsvereinigung gerichtetes Gesellschaftsverhältnis begründet wird 46 . Diese Feststellung gilt zunächst uneingeschränkt für die atypische stille Beteiligung, und zwar auch in der Form der atypischen stillen Publikumsgesellschaft. Sofern die atypische stille Beteiligung zur Annahme einer steuerlichen Mitunternehmerschaft führt, ist für diese Voraussetzung, daß Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko auf Seiten des stillen Gesellschafters gegeben sind 47 . Beides entspricht nicht der Stellung eines Darlehensgebers, vielmehr steht die unternehmerische Beteiligung im Vordergrund. Aber auch in den Fällen, in denen eine steuerliche Mitunternehmerschaft nicht gegeben ist, jedoch eine (schuldrechtliche) Substanzbeteiligung des stillen Gesellschafters vereinbart wurde, liegt es ebenso. Hier nehmen die stillen Gesellschafter an den Wertänderungen des vom Geschäftsinhaber und den stillen Gesellschaftern gemeinsam finanzierten und dem Unternehmenszweck gewidmeten Vermögens teil. Dies ist mit den Einlagen bei Banken nicht vergleichbar. c. Typische stille
Gesellschaft
Nicht ganz so eindeutig ist die Situation dagegen bei der typischen stillen Beteiligung. Bei dieser sind gewisse Parallelen zwischen einem partiarischen Darlehensverhältnis und der Errichtung einer typischen stillen Gesellschaft nicht zu leugnen. Jedoch zielen auch die Parteien eines typischen stillen Gesellschaftsvertrages auf die Bildung einer 45 Vgl. O V G Berlin, Urt. v. 2 0 . 2 . 1 9 8 0 ( O V G I Β 13/77) abgedr. bei Beckmann/ Bauer, Bankaufsichtsrecht ( B A R ) - Entscheidungssammlung, 1989, N r . 4 zu § 1 Abs. 1 S. 2 N r . 1 K W G zur Entgegennahme von Geldern gegen Schuldscheine oder Namenspapiere. 46 So auch Β G H Z 90, 310 (314). 47 Näher Paulick/Blaurock, S. 361 ff.
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Zweckgemeinschaft ab. Der Einlagegläubiger (stiller Gesellschafter) tritt dem Geschäftsinhaber auch hier nicht wie ein außenstehender Kreditgeber gegenüber, der ausschließlich seine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Er verbindet vielmehr seine Interessen mit denen des Geschäftsinhabers, indem er eine Einlage leistet und am Ergebnis, welches der Geschäftsinhaber erzielt, partizipiert48. In diesem Sinne hatte das O V G Berlin bereits 1973 geurteilt49. Das O V G Berlin geht bei seiner Entscheidung auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen einem darlehensähnlichen Verhältnis und einem stillen Beteiligungsverhältnis ein und hebt hervor, daß die stille Gesellschaft dem Ziel dient, eine Zweckgemeinschaft zu bilden, während der Zweck bei einem Darlehensverhältnis auch dann darauf gerichtet ist, lediglich einen Kredit zu gewähren, wenn die Gegenleistung in einer vereinbarten Beteiligung am Gewinn besteht. Dieser Unterschied ist dann aber nicht nur bei der Normalform der stillen Gesellschaft, sondern auch bei der stillen Publikumsgesellschaft zu berücksichtigen. Die Einlagen typischer stiller Gesellschafter sind deshalb keine Einlagen i. S. des § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG, und zwar auch dann nicht, wenn in einer Publikumsgesellschaft die Einlageleistungen standardisiert sind50. d. Ausschluß der Verlustbeteiligung Bei der bisherigen Erörterung der atypischen oder typischen stillen Publikumsgesellschaft ging es um die „Normalform", also diejenige, bei der der stille Gesellschafter das Risiko trägt, daß seine Einlage durch Verlust gemindert wird und er bei Beendigung des stillen Gesellschaftsverhältnisses seine Einlage nicht mehr in voller Höhe oder schlimmstenfalls überhaupt nicht mehr zurückerhält. Die Beteiligung des stillen Gesellschafters am Verlust kann jedoch durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden (§231 Abs. 2 Halbs. 1 HGB). Das kann auch stillschweigend geschehen. Dabei wird ein stillschweigender Verlustausschluß in der Regel dann anzunehmen sein, wenn dem stillen Gesellschafter ein Mindestgewinn garantiert ist51.
48 Zur Abgrenzung zwischen partiarischen Darlehen und stiller Gesellschaft Paulick/Blaurock, S. 112 ff m. w. N . 4 9 O V G Berlin, U r t . v. 1 4 . 1 1 . 1 9 7 3 ( O V G I Β 6 8 / 7 2 ) abgedruckt bei Beckmann/ Bauer, Bankaufsichtsrecht (BAR), N r . 6 zu § 1 Abs. 1 S . 2 N r . 1 K W G . 50 Szagunn/Wohlschieß, § 1 K W G Anm. 18; ebenso Beck, Gesetz über das Kreditwesen, Kommentar, 1961 (Loseblatt Stand Juni 1983), § 1 Rdn. 35. 51 Schlegelberger / Karsten Schmidt, § 3 3 6 ( § 2 3 1 n . F . ) Rdn. 2 0 ; Zutt, in: G r o ß komm. H G B § 231 Rdn. 5, 11. Die Vereinbarung, der stille Gesellschafter solle bei der Auflösung der Gesellschaft seine Einlage in voller H ö h e zurückerhalten, bedeutet dagegen nicht ohne weiteres den Ausschluß der Verlustbeteiligung. Vielmehr wird eine solche
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Uwe Blaurock
Bei stillen Publikumsgesellschaften, bei denen die Verlusttragungspflicht der stillen Gesellschafter ausgeschlossen ist, ist die Nähe zum Einlagengeschäft am deutlichsten. Hier liegt auch die eigentliche Grauzone zwischen dem Gesellschaftsrecht und dem Bankrecht 52 . Für die Abgrenzung sollte man auf die Informations- und Kontrollrechte des stillen Gesellschafters abstellen. Wenn diese den gesetzlichen Vorgaben in §233 H G B bzw. §716 B G B entsprechen, dann steht die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit im Vordergrund. Die Einlagen der stillen Gesellschafter sind dann keine Einlagen im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG. Bei einer stillen Publikumsgesellschaft sind allerdings die Informationsrechte der einzelnen stillen Gesellschafter üblicherweise in der Weise beschränkt, daß sie nur über einen Treuhänder, Beirat o. ä. geltend gemacht werden können 53 . Aber auch ein so mediatisiertes Informations- und Kontrollrecht reicht aus und unterscheidet den Gesellschafter ganz wesentlich von einem Einleger bei einem Kreditinstitut, der jedenfalls aufgrund seiner Stellung als Einleger gegenüber dem Kreditinstitut keine Informations- und Kontrollrechte hinsichtlich dessen Geschäftstätigkeit hat. e. Privatkonten der Gesellschafter Unter Berufung auf ein Urteil des O V G Berlin halten Bahre/Schneider jedenfalls solche Guthaben für Einlagen i. S. des § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 K W G , die Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften auf Privatkonten bei der Gesellschaft unterhalten und über die sie frei verfügen können 54 . Bahre/Schneider gehen davon aus, daß diese Guthaben anders als diejenigen auf reinen Einlagekonten oder Verlustverrechnungskonten
Vereinbarung regelmäßig dahin zu verstehen sein, daß der stille Gesellschafter während des Bestehens der Gesellschaft am Verlust beteiligt sein, daß er aber bei Beendigung der Gesellschaft seine Vermögenseinlage auch dann in voller Höhe zurückerhalten soll, wenn sein Einlagekonto unter den Betrag der ursprünglichen Einlage gesunken ist. Der stille Gesellschafter hat in einem solchen Fall praktisch einen Teil des Verlustes mitzutragen, da die in den einzelnen Jahren auf ihn entfallenden Gewinne zunächst zur Wiederauffüllung seines durch die Verluste geminderten Einlagekontos zu verwenden sind, mithin zur Ausschüttung an ihn nicht zur Verfügung stehen (§232 Abs. 2 S.2 HGB), näher Paulick/ Blaurock, S. 105 f. 52 Bei dieser Variante der stillen Publikumsgesellschaft sind allerdings die meist erstrebten steuerlichen Vorteile der Mitunternehmerschaft nicht zu erreichen. 53 Zum Informationsrecht des stillen Gesellschafters in einer Publikumspersonengesellschaft näher Keusch, S. 152 ff. 54 Bahre!Schneider, § 1 KWG Anm. 7.
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im Vermögen des Gesellschafters als Forderung gegen die Gesellschaft bleiben 55 . Gegen diese Auffassung bestehen erhebliche Bedenken. Auch die Guthaben auf den Privatkonten haben ihre Grundlage in der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung und stammen in der Regel nicht aus gesonderten Leistungen der Gesellschafter, sondern aus stehengelassenen Gewinnen. Sie werden zwar bei der Gesellschaft als Verbindlichkeiten aus Forderungen der Gesellschafter ausgewiesen und bilden Fremdkapital. Andererseits tragen die Gesellschafter aber das Risiko, daß diese Forderungen im Falle einer Krise der Gesellschaft als nachrangiges Haftkapital ausgewiesen werden, sofern das Stehenlassen zur Finanzierung der Gesellschaft erfolgte. Schon hierin zeigt sich, daß nicht pauschal alle Guthaben auf Privatkonten als Einlagen qualifiziert werden können. Bähre/Schneider ziehen diese Konsequenz auch nicht, sondern nehmen solche Forderungen aus, die erst nach Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger im Auseinandersetzungsverfahren abgerechnet werden dürfen. Die befremdliche Folge wäre dann aber, daß „Einlagen" der Gesellschafter in der Krise plötzlich den Einlagencharakter verlieren, sich also auch in ihrer Rechtsnatur umwandeln würden. Das kann nicht richtig sein. Angesichts der Tatsache, daß Gesellschafterguthaben bei Personenhandelsgesellschaften durchaus üblich sind, hätte die Auffassung von Bähre/Schneider außerdem zur Konsequenz, daß die meisten Personenhandelsgesellschaften Bankgeschäfte i. S. des § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG betreiben und somit eine Erlaubnis gemäß §32 Abs. 1 KWG benötigen würden. Daß ein solches Ergebnis unhaltbar ist, liegt auf der Hand.
IV. Ergebnis Kapitalanleger, die auf dem grauen Kapitalmarkt ihr Geld in stillen Beteiligungen an Gesellschaften anlegen, die ihrerseits als Kapitalsammeisteilen für Investitionen im Immobilienbereich oder in gewerblichen Unternehmen tätig werden, sind häufig nicht in der Lage, die Risiken ihres Engagements sicher einzuschätzen. Sie durch die staatliche Bankenaufsicht zu schützen, die neben dem Institutionenschutz hinsichtlich eines funktionsfähigen Bankensystems auch den individuellen Schutz des Bankkunden zum Ziele hat, ist jedoch nicht möglich.
55 Für Einlagen i.S. der § § 1 2 1 , 167, 169, 171 H G B gehen auch Bähre/Schneider davon aus, daß sie als Vermögensbeiträge der Gesellschafter zur Ausstattung der Gesellschaft mit Eigenkapital eingebracht werden und deshalb nicht unter § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 K W G zu subsumieren sind.
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Einerseits ist Zielrichtung der Bankenaufsicht die Erhaltung eines funktionsfähigen Bankensystems. Während Insolvenzen einzelner Banken wegen des möglicherweise hierdurch verursachten massenhaften Abzugs von Einlagen auch bei anderen Banken das gesamte Banksystem gefährden können, ist die Situation bei Kapitalsammelstellen in der Form stiller Publikumsgesellschaften völlig anders. Weder sind die Einlagen so liquide wie Sicht- oder Spareinlagen bei Banken, noch gefährdet der Zusammenbruch eines auf dem grauen Kapitalmarkt tätigen Unternehmens, das sich das erforderliche Kapital durch stille Beteiligungen verschafft hat, unmittelbar auch die übrigen gleichartig tätigen Unternehmen. Zum anderen rechtfertigt sich der bankenaufsichtsrechtliche Schutz der Einleger daraus, daß diese selbst keine Möglichkeit haben, auf die Verwendung der eingezahlten Gelder Einfluß zu nehmen oder eine Kontrolle über die Verwendung der Gelder auszuüben. Wenn, wie bei Gesellschaftsverhältnissen, entweder die eine oder die andere oder auch beide Möglichkeiten gegeben sind, besteht dagegen keine Notwendigkeit, den Kapitalanlegern den Schutz staatlicher Aufsicht zukommen zu lassen. § 1 Abs. 1 S. 2 N r . 1 KWG enthält keinen allgemeinen Schutz für Gläubiger von RückZahlungsansprüchen 56 , die in typisierten Verträgen ohne Stellung banküblicher Sicherheiten vereinbart werden. Die Vorschriften des Kreditwesengesetzes sollen vielmehr nur die Einlagengläubiger schützen, deren Einlagen gerade der Finanzierung der banktypischen Aktivgeschäfte des annehmenden Unternehmens dienen. Stille Beteiligungen gehören nicht hierzu 57 . Bei diesen muß es vielmehr bei den gesellschaftsrechtlichen Schutzmechanismen sowie bei dem allgemeinen Schutz verbleiben, der bei standardisierten Beitrittsverträgen durch eine Inhaltskontrolle erfolgt 58 .
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So auch BVerwG NJW 1985, 929 (931) = W M 1984, 1364 (1368 f). B G H Z 90, 310 im Anschluß an B G H Z 74, 144 ff. 58 Stille Publikumsgesellschaften unterliegen zwar der Bereichsausnahme des §23 Abs. 1 AGBG; eine Inhaltskontrolle nach §242 BGB bleibt davon jedoch unberührt, hierzu Reusch, S. 48 f. 57
Kriterien und Methoden einer Regulierung der internationalen Kapital- und Wertpapiermärkte KLAUS BÖHLHOFF
Als der Partner eines New Yorker Anwaltsbüros - beauftragt, die Russische Sowjetrepublik in Fragen der Wertpapiergesetzgebung zu beraten - ein auf den amerikanischen SEC-Bestimmungen beruhendes Modell erläuterte, war die bezeichnende Reaktion eines Beamten: „Das haben wir doch gerade hinter uns!" Angesichts der vielzitierten Globalisierung der Kapital- und Wertpapiermärkte ist deren Regulierung für viele eine als selbstverständlich unterstellte Notwendigkeit, bei der es vor allem um die richtige Methode und die geeigneten Zuständigkeiten geht, jedoch kaum die Frage nach dem Regulierungsbedarf überhaupt gestellt wird. Bei der Diskussion werden die Konturen verwischt durch Kompetenzzersplitterufig und zum Teil gegenläufige Bemühungen von Behörden und Institutionen mit überlappenden Zuständigkeiten, die einerseits wegen des Wettbewerbs der Finanzplätze die Deregulierung vorantreiben und gleichzeitig auf nationaler oder multinationaler Ebene neue Barrieren in Form von Zulassungsbestimmungen, Insider-Regelungen, Prospekterfordernissen und weiteren Aufsichtsbehörden errichten. Die Motive schwanken zwischen Öffnung der Kapitalmärkte und Erleichterung der Kapitalströme einerseits und dem Schutz des (welchen?) Investors andererseits. Der Widerspruch zwischen der tatsächlichen Freiheit der Märkte und den tradierten nationalen Ordnungen ist evident. Die Verwirrung und eine gewisse Hilflosigkeit der zuständigen Stellen wird vollkommen durch die fast unbegrenzten Möglichkeiten der Telekommunikation sowie die Innovationskraft (z.B. securitization) der Teilnehmer, d.h. der Banken, Investmentbanken, Konzerne, Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds, ergänzt durch Länder und sonstige Gebietskörperschaften, die die Freiheit und Flexibilität der Kapitalmärkte nutzen, während ihre Regierungen gleichzeitig an deren Regulierung arbeiten. Wegen der Vielschichtigkeit und Internationalität der Kapitalströme (bedroht durch die latente Schuldenkrise) entziehen sich diese weitgehend dem Zugriff nationaler Regelung. Eine umfassende und befriedigende internationale Regelung erscheint mangels einheitlicher
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Klaus Böhlhoff
Zuständigkeit und - noch wichtiger - einheitlicher Regelungs- und Eingriffskriterien weitgehend ausgeschlossen, sieht man einmal von der Verfolgung evidenter, strafrechtlich relevanter Mißbräuche ab. Die Situation hat der Chairman der SEC, Richard C. Breeden, mit dem Satz umschrieben "The market is well ahead of the regulators"1. Auch wenn man einen grundsätzlichen Regelungsbedarf akzeptiert und eine einheitliche internationale Motivation hinsichtlich der zu regelnden Tatbestände unterstellt, herrscht - einmal abgesehen von dem Sonderfall der EG - Uneinigkeit über die richtigen Methoden. Minimumstandards, gegenseitige Anerkennung, Harmonisierung, "home country" gegenüber "host country" Prinzip sind nur einige der Schlagworte. Die am häufigsten genannten Gegenstände, die einer international angepaßten Regelung bedürften und zugänglich wären, sind Prospekterfordernisse, sog. „Intermediäre", d.h. Banken, Investmentbanken, Broker und ähnliche Institutionen, die Sekundärmärkte sowie schließlich die Kontrolle und Durchsetzung der einschlägigen Bestimmungen durch öffentliche, halböffentliche oder private Institutionen. Zu dem vorstehend umrissenden Thema, insbesondere zu den bisher geleisteten Vorarbeiten stehen eine Reihe von vorzüglichen Darstellungen zur Verfügung, z. B. die Beiträge von Lusser2, Hopt3, Horn4, Baumbach/Breidenbach5 und Assmannb. Diesen und anderen Ausarbeitungen soll nicht noch ein weiterer Bericht hinzugefügt werden. Sinn des vorliegenden etwas polemischen, aber durchaus ernstgemeinten Beitrags ist die Frage nach den Motiven, Kriterien und praktisch erzielbaren Ergebnissen bisheriger und zukünftiger Bemühungen. I. Zuständigkeiten
Außer den nationalen Behörden befaßt sich mit dem vorstehend umrissenen Themenkreis eine große Zahl internationaler öffentlicher und privater Organisationen, von denen hier nur die wichtigsten genannt seien. - United Nations - Center on Transnational Corporations - Intergovernmental Working Group of Experts on International Standards of Accounting and Reporting; 1 Business Week, November 11, 1990, S. 132, "Will the watchdogs be ready f o r tomorrow's markets?" 2 ZBB 1989, S. 101 ff. 3 Banking and Fiancial Law Review 1989, S . 3 0 9 f f . 4 ZBB 1989, S. 1 0 7 f f . 5 W M , Beilage 6/1990, S. 1 ff. 6 Assmann in Handbuch des Kapitalanlagerechts, München 1990, S. 1 ff - vgl. insbesondere auch die Ausführungen zum Begriff des Kapitalmarktrechts.
Regulierung der internationalen Kapital- und Wertpapiermärkte
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- Organisation for Economic Cooperation and Development ( O E C D ) - Committee on International Investment and Multinational Enterprises; - International Organisation of Securities Commissions (IOSCO); Mitglieder der I O S C O sind vor allem die Wertpapier- und Bankaufsichtsbehörden einer Vielzahl von Ländern. I O S C O ist ein wichtiges Forum für die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Wertpapiersektor und der Harmonisierung einschlägiger Bestimmungen. Das sog. Technical Committee umfaßt Vertreter von 12 Ländern mit den höchstentwickelten internationalen Kapitalmärkten, etwa vergleichbar der Mitgliedschaft im Basler Ausschuß; - Basler Ausschuß für Bankenbestimmungen und -Überwachung (Basler Ausschuß); der 1974 auf Initiative der Notenbankgouverneure der Zehnergruppe ins Leben gerufene Ausschuß war und ist wegweisend in Fragen der Verbesserung und Koordinierung der Bankenaufsicht. Das sog. „Cooke Committee", das Basler Konkordat in seinen Fassungen von 1975 und 1983 und das Basler Abkommen von 1988 stehen für grundlegende Arbeiten und Anregungen auf den Gebieten der Uberwachung und der Eigenkapitalausstattung von Banken; - die Europäische Gemeinschaft; - North American Securities Administrators Association; eine Vereinigung von Wertpapierbehörden von US-Staaten und kanadischen Provinzen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Verbänden und professionellen Organisationen, die - teilweise in Zusammenarbeit mit den vorgenannten multinationalen Organisationen - sich mit grundlegenden und praktischen Fragen der internationalen Kapital- und Wertpapiermärkte befassen. Beispielshalber seien genannt die Group of Thirty (G 30), die International Federation of Stock Exchanges (FIBV), die Federation of Stock Exchanges in the EC (FSEEC), die Interamerican Federation of Stock Exchanges (FIABV), die International Federation of Accountants (IFAC), das International Accounting Standards Committee (IASC), die International Bar Association (IBA) und die International Capital Markets Group (ICMG - eine gemeinsame Arbeitsgruppe der IBA, der IFAC und der FIBV) 7 . Von den vorgenannten Organisationen haben die I O S C O und insbesondere der Basler Ausschuß die Diskussion erheblich gefördert8. Die 7 Die erste gemeinsame Untersuchung "Constraints on Crossborder Takeovers and Mergers - A Catalogue of Disharmony" ist als Februarausgabe 1991 des "International Business L a w y e r " veröffentlicht worden. 8 Zur Tätigkeit des Basler Ausschusses siehe Lusser, a a O S. 103 ff.
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Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere die verschiedenen bank- und wertpapierrechtlichen Richtinien gehen weit darüber hinaus. Ziel ist die Schaffung eines einheitlichen Kapital- und Wertpapiermarktes mit einem einheitlichen oder wenigstens weitgehend harmonisierten Regelwerk. Auch wenn das Verfahren kompliziert ist und entsprechende EG-Richtlinien jeweils erst der Umsetzung in innerstaatliches Recht bedürfen, ist die E G wegen ihrer zentralen Rechtsetzungsbefugnis ein aliud gegenüber den sonstigen multinationalen Bemühungen um eine einheitliche oder harmonisierte Regelung der internationalen Kapital- und Wertpapiermärkte. Hier entsteht - jedenfalls auf weite Sicht - ein Regelwerk, das dem in den U S A mit einheitlichen Bundeswertpapiergesetzen und daneben bestehenden Einzelstaatsregelungen ähnlich werden könnte 9 . Auch wenn man die E G insoweit schon als Einheit auf eine imaginäre zukünftige Weltkarte der kapital- und wertpapierrechtlichen Bestimmungen projiziert, bleibt die Frage der Harmonisierung zwischen den verbliebenen großen Märkten weiterhin offen.
II. Methoden der Regulierung Völlig unterschiedliche Auffassungen bestehen hinsichtlich der wünschenswerten, geeigneten oder - realistischer gesprochen - der praktisch durchsetzbaren Methoden der Regulierung der internationalen Kapitalund Wertpapiermärkte. 1. Wenn man einmal von Sonderentwicklungen wie in der E G absieht, erscheint als erfolgversprechendste Methode die der bilateralen Verhandlungen. Hierfür ist der US-kanadische Versuch insofern bezeichnend, als die S E C sich damit wohl endgültig von der früheren Politik der weltweiten unilateralen Anwendung ihres eigenen Regelungswerks verabschiedet hat. Die US-kanadischen Verhandlungen sind in einem fortgeschrittenen Stadium 10 . Einen geänderten und ergänzten Vorschlag 11 hat die S E C Ende Oktober 1990 zur öffentlichen Diskussion gestellt. Dieser Versuch ist nicht nur deshalb vielversprechend, weil er durch die Konzentration auf zwei Rechtssysteme den Konfliktstoff begrenzt; es kommt hinzu, daß zwischen beiden Ländern wirtschaftlich, kulturell, hinsichtlich der bestehenden gesetzlichen Regelungen sowie der Praxis der Kapital- und Wertpapiermärkte bereits erhebliche Gemeinsamkeiten 9 Die im weiteren Sinne einschlägige, aber noch in der politischen Diskussion befindliche europäische Währungsunion ist nicht Gegenstand dieses Beitrags. 10 Siehe Baumbach/Breidenbach, aaO S. 28 f. 11 Release N o . 33-6879, 34-28561, 39-2254.
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bestehen. Dies gilt insbesondere für die gemeinsame Überzeugung hinsichtlich dessen, was regelungsbedürftig ist und welche Prinzipien bei der Regelung verwirklicht werden müssen. Es fehlt also der in der Literatur zu diesem Thema vielbeschworene "cultural clash", der Bemühungen um die Schaffung einheitlicher internationaler Regelungswerke erheblich behindert, wenn nicht unmöglich macht. 2. Demgegenüber sind wirklich multinationale Bestrebungen problematisch. Die Ergebnisse bleiben weitgehend im Detail stecken. Der große Durchbruch ist nirgends zu entdecken 12 . Zwar wären die Fortschritte bei der Verwirklichung der EG-Bankrichtlinien ohne die Vorarbeiten von Basel nicht denkbar gewesen. Die Umsetzung der Basler Vorschläge in geltendes Recht setzte jedoch die zentrale Rechtssetzungsbefugnis der E G voraus. Es handelt sich um ein zwar komplexes, aber einheitliches Regelungswerk und nicht um eine multinationale Harmonisierung. 3. Als Antwort auf die unlösbar erscheinenden Probleme wird häufig die Selbstregulierung genannt. Diese hat zwar den Vorteil der Marktnähe, der Praktikabilität und der größeren Flexibilität. Sie kann jedoch nur zu Ergebnissen führen, wenn sie nicht auf einzelne Jurisdiktionen beschränkt bleibt, sondern länderübergreifend, z. B. durch Vereinbarungen zwischen den führenden Wertpapierbörsen der Welt, erfolgt. Ortliche Selbstregulierung führt zu noch größerer Zersplitterung und läuft zudem Gefahr, durch örtliche Egoismen ("competition by laxity") 13 , insbesondere den Wettbewerb unter den großen Finanzplätzen der Welt, beeinflußt zu werden. Es gibt Ansatzpunkte für Vereinbarungen zwischen einzelnen Börsenplätzen, z. B. sog. Memoranda of Understanding zwischen London, N e w York und Tokio 1 4 . Abgesehen davon, daß es sich auch hier nur um Stückwerk handelt, besteht darüber hinaus die Gefahr, daß derartige begrenzte Regelungen zu Wettbewerbsnachteilen für andere Finanzplätze führen. 4. Eine Gefahr jeglicher Harmonisierung ist das Bestreben der potentiellen Teilnehmer, vertraute Regelungen beizubehalten und für deren Aufnahme in ein internationales Regelwerk zu sorgen. Die Konsequenz 12 Baumbach/Breidenbach, a a O S. 7: „Die tradierten rechtlichen Strukturen der einzelnen Wertpapiermärkte stehen derzeit noch in deutlichem Widerspruch zur Realität gewordenen Internationalisierung des Geschäfts. Dies liegt neben historisch bedingt unterschiedlichen Regelungsansätzen nicht zuletzt auch darin begründet, daß es bislang in vielen Fragen kein den verschiedenen Rechtsordnungen gemeinsames Verständnis von ,richtigem' und .Unrechtem' Verhalten gibt." 13 Lasser, a a O S. 103. 14 Zu den Kooperationsbemühungen der S E C insbesondere bei der Verfolgung fraudulöser Transaktionen siehe Baumbach/Breidenbach, a a O S. 14 ff.
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ist dann nicht die Bereinigung oder die Schaffung eines neuen Konzepts, sondern die Akkumulation von nationalen, häufig nur historisch begründbaren Regelungen, also nicht die Erleichterung der internationalen Kapitalströme, sondern eher deren Komplizierung. ß. D a umfassende internationale Regelungswerke technisch und politisch innerhalb absehbarer Zeit nicht realisierbar erscheinen 15 , besteht eine Tendenz zu Teilregelungen. Selbst die E G ist hierfür ein Beispiel. Zwar ist das Ziel die Schaffung eines einheitlichen Bank- und Wertpapiermarktes. Verwirklicht sind jedoch nur (allerdings wichtige) Teilbereiche. Bei der Regelung von Teilbereichen wird leicht übersehen, daß innerhalb einer nationalen Rechtsordnung jede Teilregelung im Gesamtzusammenhang mit anderen gesetzlichen Bestimmungen, dem wirtschaftlichen Umfeld und den verfestigten Verhaltensstrukturen der Marktteilnehmer wirksam wird. An die (allerdings nicht wirklich getesteten) Leitsätze für öffentliche Ubernahmeangebote haben sich die deutschen Banken auch ohne gesetzliche Grundlage gehalten. Hinzu kommt der häufig unterschiedliche Charakter der Marktteilnehmer. Man denke nur an den Unterschied zwischen Universalbanken und Investmentbanken sowie den häufig nicht rechtlich geregelten, sondern nur tatsächlich bestehenden Einfluß der jeweiligen Zentralbank; die Rolle der Bank of England ist das klassische Beispiel. Weiter sind der unterschiedlichen Ausgestaltung von strafrechtlichen Vorschriften sowie dem typischen Verhalten und der Reife des normalen Investors Rechnung zu tragen. Diese uneinheitlichen Ausgangspunkte führen dazu, daß eine vordergründig schlüssige Harmonisierung von bank- und wertpapierrechtlichen Bestimmungen sich in einzelnen Teilnehmerländern völlig unterschiedlich auswirkt. Letztlich ist daher eine überzeugende Harmonisierung bank- und wertpapierrechtlicher Bestimmungen nur in einem einheitlichen Markt möglich. Die E G ist zwar auf dem Weg dorthin, von der Realisierung jedoch noch weit entfernt. Was selbst für die E G problematisch ist, rückt für die Harmonisierung zwischen unterschiedlichen Systemen, z. B. zwischen der E G und dem nordamerikanischen Markt in weite Ferne. 6. Auch im rein nationalen Rahmen, d.h. innerhalb eines weitgehend homogenen Rechts- und Wirtschaftssystems finden sich bruchstückhafte Regelungen, die das eigentliche Anliegen, nämlich den Schutz des Anlegers nur unvollkommen regeln. Ein Beispiel ist die neue Verkaufsprospektverordnung. Sie bezieht sich nur auf Wertpapiere und ergreift damit nur einen Teil des Marktes. Viel größere Probleme des Anlegerschutzes bestehen im sog. grauen Markt, in dem nicht Wertpapiere, 15
So im Ergebnis auch Baumbach/Breidenbach,
aaO S. 5 ff.
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sondern Beteiligungen aller Art vertrieben werden. Hier und nicht im Wertpapiermarkt tummeln sich die Haie. Der Schutz des Investors bleibt dem Strafrecht (z.B. § 2 6 4 a StGB) und der Rechtsprechung über die Prospekthaftung überlassen 16 .
III. Deregulierung statt Regulierung Wie eingangs erwähnt, hat der Ausdruck Regulierung der Kapitalund Wertpapiermärkte eine gewisse Suggestivkraft. Auch wenn man die grundsätzliche Wünschbarkeit eines international einheitlichen Regelungswerks bejaht, erscheint dessen Realisierung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums derart unwahrscheinlich, daß es angezeigt erscheint, nach Alternativen zu suchen. Auch wenn dies den „Regulators" der Welt wider die Natur gehen mag, ist die einfachste und effizienteste Form der Harmonisierung nicht die Regulierung, sondern die Deregulierung. Wenn alle oder jedenfalls die wesentlichen Kapitalund Wertpapiermärkte der Welt sich auf ein Minimum an Regulierung beschränken, ist das vorrangige Ziel der Erleichterung der Kapitalströme, frei von wettbewerbsbeschränkenden Verzerrungen, weitgehend erreicht. Zur Deregulierung bzw. Liberalisierung die folgenden Gedanken: 1. Beflügelt durch den Wettbewerb zwischen den Börsen- und Finanzplätzen der Welt hat bereits eine Liberalisierungswelle eingesetzt. Man denke lediglich an den „Big Bang" in Großbritannien, in der Bundesrepublik an die Aufhebung der Kuponsteuer, der Börsenumsatzsteuer und der §§795 und 808 B G B sowie die Zulassung des Terminhandels. Es wäre bedauerlich, wenn diese hoffnungsvollen Tendenzen durch eine gegenläufige Regulierungswelle, sei es im Rahmen der E G oder im Rahmen multinationaler Ansätze wieder relativiert würden 17 . 2. Daß Regulierung nicht einen Wert an sich darstellt, sondern daß per saldo die Vorteile der Liberalisierung überwiegen, zeigt sich am Beispiel des Auslandsinvestmentgesetzes. Dieses im Jahre 1969 als Nachwirkung des IOS-Schocks erlassene Gesetz hat den Bogen völlig überspannt. Die als Schutz vor IOS-Nachahmern gedachte Registrierungspflicht wurde verbunden mit steuerlichen Sonderregelungen - derart kompliziert ausgestaltet, daß nicht nur - wie gewünscht - die schwarzen Schafe ferngeAssmann, a a O S. 7. Ein Beispiel für gegenläufige Strömungen innerhalb eines Landes sind die scharfen, den Wertpapiermarkt regelnden Bundesgesetze in den U S A , denen der Wettbewerb der Einzelstaaten um das flexibelste Gesellschaftsrecht gegenübersteht - vgl. u. a. Assmann, a a O S. 11. 16 17
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halten wurden, sondern auch ausländische Investmentsfonds, deren Bonität außer Frage stand. Dies gilt insbesondere für die amerikanischen Mutual Funds, die mit Sicherheit nicht in dem Ruf nicht ausreichender Regulierung standen. Im Ergebnis hat damit der deutsche Gesetzgeber in dem Bemühen, den deutschen Anleger zu schützen, diesem eine Palette höchst solider Anlagemöglichkeiten vorenthalten und damit ungewollt dazu beigetragen, die risikofreudigen Anleger auf den grauen Markt zu treiben. 3. Wie Mertens18 schon im Jahre 1976 zum Ausdruck gebracht hat, wird eine Investition nicht notwendigerweise im gleichen Maße attraktiver, wie der Anlegerschutz verstärkt wird. Mit anderen Worten, ein höherer Ertrag und eine höhere Wertsteigerung kann nur mit einer möglichst wenig beschränkten Geschäftstätigkeit erzielt werden; höherer Ertrag und Risiko stehen in einer zwangsläufigen Wechselbeziehung. Anleger, die diese Binsenwahrheit nicht verstehen oder verstehen wollen, bedürfen - mit Ausnahme strafrechtlicher Vorschriften - keines besonderen Schutzes. 4. Man könnte sogar die etwas provokative Frage stellen, ob der Käufer eines Wertpapieres eines intensiveren Schutzes bedarf als die Käufer von Automobilen oder schlecht konstruierten technischen Geräten. Natürlich gelten die Grenzen des Strafrechts, aber im übrigen sollte man mit mehr Gelassenheit das Prinzip des „caveat emptor" beherzigen, statt bei jedem fehlgeschlagenen Investment nach dem Gesetzgeber zu rufen. Nochmals: Zu viel Regulierung ist kontraproduktiv. Man nehme als Beispiel nur die bekannten amerikanischen Prospekte. Die in Fettdruck hervorgehobene routinemäßige Warnung, daß dies eine riskante Investition sei, die nur von erfahrenen Anlegern vorgenommen werden solle, die sich leisten könnten, ihren Kapitaleinsatz zu verlieren, erhält durch die häufige Wiederholung letztlich die Wirksamkeit der Warnungen vor der Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens. Und schließlich: Komplexe gesetzliche Regelungen werden tendenziell vor allem von denen eingehalten (und belasten damit deren Tätigkeit), die sich ohnehin im geschäftlichen Verkehr einwandfrei verhalten. Die Haie zeichnen sich gerade durch die Nichtbeachtung von Vorschriften aus. Dies legt nahe, jedenfalls von solchen gesetzlichen Regelungen abzusehen, die sich in der schnell wechselnden Landschaft der internationalen Finanzmärkte ohnehin nicht durchsetzen lassen. 5. Sämtliche gesetzgeberischen Bemühungen stehen unter dem Vorzeichen des allseits akzeptierten Anlegerschutzes. Auch hier sollte man 18 Referat zum 51. Deutschen Juristentag, in Verhandlungen des 51. DJT Bd. II, 1976, S. Ρ 10 ff.
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kritisch prüfen, welchen Anleger man im Sinn hat. Den kleinen und unerfahrenen Anleger, der auch heute noch den ganz überwiegenden Anteil seiner Ersparnisse in Sparkonten und Bundesschatzbriefen anlegt? Hier reicht doch der Einlagensicherungsfonds. Wenn dieser Anlegerkreis - wie vielfach gewünscht - in großer Breite in zahlreichen Instrumenten des Kapitalmarkts anlegen würde, wäre ein verstärkter Schutz in der Tat angemessen, wobei auch hier die seit 1991 bestehenden und ggf. noch zu verfeinernden Verbraucherschutzregelungen den Zweck weitgehend erfüllen dürften. Anders liegt es mit dem eher relevanten Kreis der Anleger, den höheren Angestellten und den sprichwörtlichen Zahnärzten und Rechtsanwälten. Wenn dieser Kreis von Anlegern, der beim Kauf eines neuen Autos wochenlang vergleicht, Erkundigungen einzieht und probefährt, ohne lange nachzudenken auf bloße Versprechungen ein Mehrfaches des für ein Auto erforderlichen Betrages in Abschreibungsmodelle und ähnliche Anlageformen investiert, ist der Bedarf für einen besonderen Anlegerschutz nicht ersichtlich. Unberührt bleiben die Grenzen des Strafrechts. Uberhaupt keines besonderen Schutzes bedürfen institutionelle Anleger. SEC Rule 144 A ist ein Schritt in die richtige Richtung. 6. Auch bei der SEC scheint sich nach neueren Berichten die Erkenntnis von der Notwendigkeit einseitiger Liberalisierungsmaßnahmen durchgesetzt zu haben19. Die Gefahr, daß ein einsetzender Liberalisierungswettbewerb Banken veranlassen könnte, sich in Ländern mit „weichen" Aufsichtsbestimmungen niederzulassen und daß solche Institute dann einen unangemessenen Wettbewerbsvorteil haben könnten, erscheint eher gering. Letztlich beruht das Banken- und Finanzgeschäft vor allem auf Vertrauen und gutem Ruf, denen ein anerkannt „hartes" rechtliches Umfeld eher zugute kommt 20 . IV. Regulatorisches Minimum Selbst der überzeugteste Verfechter einer liberalen Haltung wird sich einem Mindestmaß an Regulierung nicht widersetzen. Wo dieser Mindestschutzbereich beginnt und endet, wird im einzelnen streitig und von 19 Business Week aaO. " . . . t h e dominance of institutional trading and the growing globalization of the markets are forcing the SEC to rethink some of the basic tenets underlying 60 years of federal securities law. Ultimately, Washington may be compelled to loosen some of its longstanding tough disclosure and accounting standards to harmonize its rules with those of other countries. The SEC, says Harvard's Sammuel Hayes, 'will have to make significant compromises'." 20 Steinherr, Der europäische Bankensektor im integrierten Finanzmarkt, ZBB 1989, S. 122.
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Land zu Land verschieden sein. Einigkeit wird jedoch über den wichtigsten Bereich bestehen, nämlich den der Banken, Investmentbanken und sonstigen professionellen Teilnehmer der Kapital- und Wertpapiermärkte, deren Verhalten, Struktur und Personalausstattung die wichtigste Voraussetzung für ein ordnungsgemäßes und störungsfreies Funktionieren dieser Märkte sind. In einer gewissen Verengung der Perspektive auf diesen wegen seiner Homogenität leichter überschaubaren21 Bereich das Folgende: 1. Ganz oben auf jeder Liste wird die angemessene Kapitalausstattung stehen. Hier sind die Arbeiten des Basler Ausschusses und die E G Richtlinien wegweisend. Nur ein mit angemessenem (d.h. auch angemessen zusammengesetztem) Kapital ausgestatteter Marktteilnehmer kann seinen Pflichten (einschließlich der Haftpflicht) nachkommen. Die Regelungen des deutschen K W G brauchen insoweit einen internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Auch das tendenziell zu größeren und damit kapitalkräftigeren Einheiten führende Universalbankensystem hat im Vergleich zu ausländischen Erscheinungsformen erhebliche Vorteile. 2. Fast genauso wichtig wie die Eigenkapitalausstattung sind die an die Qualität der leitenden Mitarbeiter zu stellenden Anforderungen. Auch hier sind die Regelungen des K W G beispielhaft. Ein Marktteilnehmer mit angemessenem Kapital und qualifiziertem Personal garantiert einen besseren Schutz für den Markt und die Anleger, als dies ein Prospekt jemals gewähren könnte. 3. Schließlich muß - wie dies in Deutschland seit langem der Fall ist das rechtliche Umfeld sicherstellen, daß von Banken und anderen Marktteilnehmern verwaltete Vermögenswerte von Anlegern gegen Konkurs oder betrügerische Machenschaften der Bank oder sonstiger Marktteilnehmer weitgehend geschützt sind. Auch hier bestehen zwangsläufig Grenzen, so daß der darüberhinausgehende - unvollkommene - Schutz des Anlegers dem Strafrecht überlassen bleibt. 4. Wenn das jeweils anwendbare Regelwerk Marktteilnehmer hervorbringt, die diese drei Grundvoraussetzungen erfüllen, angemessenes Eigenkapital, qualifiziertes Personal und eine gegen Konkurs und Mißbräuche geschützte Verwaltung des Anlegervermögens, ist der Schutz des Anlegers in weitem Maße verwirklicht. Was allerdings hinzukommen muß und sich nicht verordnen läßt, sind ungeschriebene, durch "peer pressure" erzwungene Regeln des geschäftlichen Verhaltens. Wegen der entscheidenden Bedeutung qualifizierter Marktteilnehmer wäre eine Ausweitung des Begriffs derjenigen Geschäftsbereiche (z.B. 21
Lusser, aaO S. 105.
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der Vertrieb von Beteiligungen) zu erwägen, die nur durch regulierte Marktteilnehmer betrieben werden können, also insoweit ein Mehr an Regulierung. Hierdurch ließe sich der graue Markt erheblich einschränken und den Gefahren der zunehmenden Verwischung von Risikokapitalmarkt und Geld(anlage)markt 22 steuern. Wer dann noch außerhalb dieses durch Qualitätskontrolle geregelten Markts investiert, bedarf wirklich keines Schutzes. V. Schlußfolgerung Liberalisierung und Deregulierung der Kapital- und Wertpapiermärkte sollten nicht nur aus wirtschaftspolitischer Uberzeugung, sondern auch in der Erkenntnis gefördert werden, daß dies mittelfristig die einzige realisierbare Form der internationalen Harmonisierung darstellt. Das notwendige Mindestmaß an Regulierung sollte sich auf die Sicherstellung der Qualität der Marktteilnehmer konzentrieren. Qualifizierte Marktteilnehmer werden - im gesunden Wettbewerb miteinander - von sich aus die gesetzgeberischen Ziele des Anlegerschutzes und der Freiheit des Kapitalverkehrs viel schneller und effizienter verwirklichen, als dies ein Gesetzgeber jemals könnte. Sowohl die generelle Liberalisierung des Marktes als auch die Qualitätssicherung der Marktteilnehmer bedürfen keiner komplizierten internationalen Regelung; beides läßt sich - im Rahmen internationaler Konvergenz - separat verwirklichen und durchsetzen. Wird dies ergänzt durch die bereits in effizienter Weise praktizierte (auch nicht formal geregelte) Zusammenarbeit der Notenbanken, ist ein erheblicher Schritt getan, um den Gefahren der Globalisierung der Finanzmärkte zu begegnen. Den eigentlichen Zweck allen gesetzgeberischen Bemühens hat ein Teilnehmer eines im Oktober 1990 in New York von der International Capital Markets Group veranstalteten Seminars wie folgt zusammengefaßt: " T o promote the free flow of capital around the world and to see that it is used most effectively." Wenn in Verfolgung dieses Grundsatzes nationale und internationale Regelungssysteme liberalisiert und vereinfacht werden, führt dies zu höherem Werttbewerb und damit auch zu überschaubareren Dienstleistungen und Produkten, womit letztlich dem Anleger am besten gedient wird und es offenbleiben kann, ob im Sinne von Mertens23 der Anleger ein „rechtspolitisch ungeeignetes Konstrukt" ist.
22 23
Assmann, aaO S. 15. Mertens, aaO S. 14.
Perspektiven für die Kommanditgesellschaft auf Aktien CARSTEN P E T E R CLAUSSEN
Wenn der Praktiker für den zu ehrenden Praktiker zur Feder greift, sollte er im Bereich der praktischen Rechtsanwendung bleiben. Wer für den rechtspolitisch Denkenden und Agierenden den Vorzug hat, schreiben zu dürfen, sollte Rechtspolitisches aussagen, und zwar in dem Sinne, daß er das wirtschaftlich Erforderliche und rechtlich Vertretbare gemeinsam sieht. Aus diesen beiden Gründen soll im folgenden der Frage nachgegangen werden, ob für kapitalbedürftige mittelgroße Unternehmen mit starker Familienausrichtung die Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien geeignet ist - ein Thema, das die Praxis beschäftigt und das nicht frei ist vom rechtspolitischen Einschlag. Die Zahlen sprechen gegen die Annahme, daß die KGaA die richtige Rechtsform für aufstrebende Familiengesellschaften sei. In der über 250 Jahre währenden Geschichte der KGaA' ist diese Rechtsform nicht in wesentliche Zahlendimensionen hineingewachsen, noch weniger hat sie große Kapitaldimensionen entwickelt. Dieser Charakter der „Sonderrechtsform für wenige" haftet der KGaA nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern, in denen diese Rechtsform bekannt ist, an. Nur zweimal in der Geschichte der deutschen KGaA ist es ihr gelungen, sich zahlenmäßig signifikant darzustellen, nämlich einmal in der Mitte der Industrialisierungsepoche um die Jahrhundertwende. Damals - also im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts - konnten 150 KGaA gezählt werden2. Damals hatte die KGaA den Vorteil, das aktienrechtliche Konzessionsprinzip zu unterlaufen. 1 Die erste KGaA wurde 1716 in Frankreich gegründet, die Banque Royal; in Deutschland war es die Discontogesellschaft Berlin, gegründet 1851, Vorgänger der Deutschen Bank AG. Die erste Kodifizierung der KGaA erfolgte 1807 in Frankreich in Art. 38 Code de Commerce; in Deutschland ist die K G a A seit 1861 in Art. 173 ff A D H G B geregelt. 2 Bundschuh, Die wirtschaftliche Entwicklung der deutschen KGaA, Diss. 1914, S. 22.
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Carsten Peter Claussen
Der zweite Höhepunkt wurde in der Inflation von 1923 erreicht, als man mit geringem Aufwand an Dollars oder Pfunden in Deutschland Aktiengesellschaften aufkaufen konnte. Damals bewährte sich die KGaA als ein angemessenes Schutzmittel gegen diese Aufkäufe, weil die machtvolle Figur des Komplementärs auf Aufkäufer eine abschreckende Wirkung ausübte. Damals gab es im Deutschen Reichsgebiet 200 KGaA 3 . Im Dritten Reich mit seiner Betonung des Familiengedankens und noch stärkerer Betonung des Führerprinzips hätte diese Rechtsform eigentlich an Bedeutung gewinnen sollen. Dieses war indessen nicht der Fall, so daß die KGaA auf die Minimumanzahl von 17 Gesellschaften sich reduzierte4. Heute haben wir wohl 26 KGaA. Branchenmäßig ist hierin ein steigender Anteil von Banken vertreten, glanzvolle Namen wie B H F , Sal. Oppenheim & Co., Trinkaus & Burckardt KGaA in Düsseldorf, Hauck Bankiers in Frankfurt/Main sind in dieser Rechtsform organisiert. Eine erhebliche Verbreitung hat die Rechtsform der KGaA auch in der Getränkebranche; Namen wie Deinhard, Kupferberg, Spatenbräu stehen hierfür. Die größte KGaA mit DM 6 Mrd. Umsatz ist das Haus Henkel & Cie. in Düsseldorf. Wenn die Zeichen nicht trügen, gibt es gegenwärtig eine stärkere Aufgeschlossenheit für diese Rechtsform. 1989 sind 4 neue Gesellschaften hizugekommen, z. B. Alu-Team KGaA und die Gebrüder März KGaA. Wir haben auch eine erneut belebte Diskussion in der Literatur, die dieses Interesse unterstreicht, nämlich die Arbeiten von Theisen5, von Christiane Beyer6, sodann die Diskussion der Haftungsfrage zwischen Hennerk.es/May1 und Binz/Sorg*. Deshalb ist es richtig, an dieser Stelle die Diskussion über die KGaA fortzuführen und zu versuchen, über die Haftungsfrage hinaus die Vielzahl weiterer Aspekte anzusprechen, im übrigen durch weiteres Sprechen über diese Rechtsform ihrem wichtigsten Manko - nämlich ihrem Bekanntheitsund ihrem Vertrautheitsdefizit - entgegenzuwirken. Eischenbroich, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, Diss. 1959, S. 29. Theisen, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) auf dem Prüfstand, DBW Die Betriebswirtschaft 1989, S. 138; ders., Die Besteuerung der KGaA, DB 1989, S. 2191. 5 Theisen, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) auf dem Prüfstand, Fn. 4, eine betriebswirtschaftlich und steuerrechtlich ausgerichtete Arbeit, die breit angelegt ist. 6 Christiane Beyer, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien - Erfahrungen mit dem Aktienrecht und der Börse, in: Albach u. a., Die Private Aktiengesellschaft, Schriften zur Mittelstandsforschung, 1988, S. 431; Beyer führte eine Befragung über die Akzeptanz dieser Rechtsform im Mittelstand - alternativ zu einer gesetzlich vorzusehenden Mittelstands-AG — durch und berichtet über die Ergebnisse dieser Befragung. 7 Hennerkes/May, DB 1988, S.537ff und Betriebs-Berater 1988, S.2393ff. 8 Binz/Sorg, Betriebs-Berater 1988, S.2041 ff; dies, im Handelsblatt v. 3.10.1988. 3 4
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I.
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Ausgangstage
Dies geschieht vor einem ökonomisch wie folgt zu sehenden Hintergrund für die mittelständische Industrie: 1. Der zukünftige Kapitalbedarf bei mittelständischen Gesellschaften wird größer sein als in der Vergangenheit, weil die Erschließung neuer Märkte in Ost-Deutschland und in Europa höheren Einsatz kosten wird als in der Vergangenheit. Der Kapitalbedarf wird auch auf der Produktionsseite größer sein als in der Vergangenheit, weil die Produktionsstätten teurer werden und die menschliche Ressource durch industrielle Investitionen substituiert wird; 2. ein weiterer Kapitalbedarf der mittelständischen Wirtschaft ist zu erwarten aus dem anstehenden Generationswechsel ab der 90er Jahre, wenn viele mittelständische Familienfirmen auf die nächste Generation übergehen, wobei Abfindungsfragen Anforderungen an das Kapital stellen; 3. es wird keine steuerlichen Erleichterungen geben, die die Kapitalbildung in Deutschland erleichtern würden, sondern es wird bei der Faustregel bleiben, daß das selbstgeschaffene, sichtbare Eigenkapital zuvor eine Gesamtsteuerbelastung von rd. % zu durchlaufen hat. W o diese Daten vorliegen, kann die Rechtsform der KGaA das geeignete Rechtskleid sein, weil sie die Deckung des entstehenden Kapitalbedarfs unter Aufrechterhaltung der Familienorientierung, der Unternehmerorientierung, kurzum unter Aufrechterhaltung der bisherigen Identität ermöglicht. Aber auch in ähnlich gelagerten Fällen des Generationsüberganges ohne Kapitalbedarf, bei Aversionen gegenüber der reinen A G wegen deren Uberregulierung, die die A G für den Mittelstand belastet, kann man an die K G a A denken. - Nicht nur bewahrende Gesichtspunkte rücken die K G a A ins Blickfeld, auch unternehmensstrategische, vorwärtsgerichtete neue Ansätze können von Einfluß sein. Soll ζ. B. eine dauerhafte Einbindung eines familienfremden Unternehmers erreicht werden; soll eine Marke, die zugleich die Firma eines Unternehmens ist, durch tägliche Börsennotiz popularisiert werden; soll einem Zulieferbetrieb, der überwiegend Familienunternehmen als Kunden hat, ein gleich gestimmter Zulieferer gegenübertreten, also ebenfalls ein familienbetonendes Unternehmen - auch in diesen Fällen ist an die KGaA zu denken. II. Wesen der KGaA Uber die Grundstrukturen dieser Rechtsform braucht hier nur berichtet zu werden, daß die gesetzliche Regelung in § § 2 7 8 - 2 9 0 AktG 1965 steht. Diese Regelung entspricht nahezu vollständig der früheren Rege-
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lung in den §§219-232 A k t G 1937. Auch das jetzt, seit 25 Jahren unverändert geltende Recht der KGaA ist im wesentlichen ohne Kritik geblieben, also nicht Gegenstand von Anderungserwägungen. Es wird dieses Beharrungsvermögen auch als Schwäche der Ordnung des K G a A ausgelegt9. Dieses Regelwerk der KGaA ist umfassend kommentiert 10 und in Lehrbüchern ausgebreitet". Interessante Monographien beleuchten Einzelaspekte 12 . Uber die Grundstrukturen und das Wesen der K G a A braucht also bei dieser starken literarischen Aufarbeitung nicht berichtet zu werden, aber die wesentlichen Positiveigenschaften sollten herausgestellt werden: 1. Die K G a A ist eine Kombination von personengesellschaftsrechtlichen und aktienrechtlichen Strukturen. Es gilt das gesetzgeberische Bestreben, aus beiden Regelungsfeldern die wichtigsten Elemente zu übernehmen; 2. die KGaA stellt sich als eine flexible, in den wesentlichen Fragen geöffnete, also nach dem Willen des Unternehmers frei entscheidbare Gesellschaftsform dar - eine Qualität, die bei zunehmender Regulierung der A G durch Gesetz, Richterrecht und Befürchtung von zukünftiger weiterer Regulierung an Qualität gewinnt; dies ist eine Position, die Heinsius besonders berührt, weil ein wesentlicher Teil seiner rechtsgestaltenden Energie darauf gerichtet ist, die fortschreitende Überregulierung im Gesellschaftsrecht einzudämmen; 3. das Recht des Aufsichtsrats berücksichtigt die unbeschränkte Haftung des Komplementärs und damit die Besonderheiten der Rechtsstruktur einer KGaA. Der ansonsten wie der aktienrechtliche Aufsichtsrat mitbestimmte Aufsichtsrat hat nur verminderte Befugnisse, ist auf die Überwachungsfunktion beschränkt und nach dem Gesetz ohne Personalkompetenz; 4. persönlich haftende Gesellschafter bestimmen das Bild der KGaA, sie sind das geschäftsführende Organ; sie haften auch mit ihrem gesamten ' So Mertens, FS Barz, S. 254: „Das Recht der KGaA" sei „im großen und ganzen unkritisch tradiert". 10 Von Mertens, in: Kölner Komm. l.Aufl. §§276ff in Bd. 3 - die 2. Aufl. ist in Vorbereitung und wird 1991 erscheinen; von Semler, in: Gessler/Hefermehl, Komm. z. AktG, 1. Aufl. von 1986; noch immer lesenswert Barz, in: Groß-Komm. z. AktG, 3. Aufl., Bd. III, 3. Lieferung von 1973, §§276ff AktG. 11 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1986, S. 732; Kühler, Gesellschaftsrecht, 1981, S. 203 ff; Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., 1981, S. 251. 12 Z.B. behandelt Mertens die Frage nach der Existenzberechtigung der KGaA in FS Barz S. 253; Steindorff untersucht die Mitbestimmungsrechtslage in FS Ballerstedt, 5. 127.
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Privatvermögen unbeschränkt für alle Schulden der KGaA. Nach der Vorstellung des Gesetzes und nach der Typenlehre ist der persönlich haftende Gesellschafter eine natürliche Person, aber dieser Rechtssatz ist zunehmend reflektierend auszusprechen; 5. die Aktien der KGaA können an der Börse je nach Marktlage placiert werden. Denn der Kapitalmarkt steht dieser Rechtsform uneingeschränkt offen, um dort Eigenkapital aufzunehmen 13 . III. Die personalistische KGaA und die kapitalistische KGaA Die an den Einzelbedürfnissen ausgerichtete Ausformung der KGaA kann zwischen den beiden Extrem-Positionen, nämlich der KGaA als „personalistischer Gesellschaft" oder als „kapitalistischer Gesellschaft" variieren. Zwischen diesen beiden Formen gibt es ein breites Spektrum von Spielarten. Denn „die Variationsmöglichkeiten bei der Machtverteilung innerhalb einer KGaA - . . . werden von keiner anderen Unternehmensform in einer solchen elastischen Weise angeboten" 14 . 1. Die personalistische
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Die personalistische ist die richtige Rechtsform für einen oder mehrere Unternehmer, der eine starke Rechtsstellung sucht, dies für eine Vielzahl von Jahren und mit der Option, diese seine starke Rechtsposition auf eine vorbestimmte nachfolgende Generation zu übertragen. Dies ist auch die richtige Gestaltung für ein Unternehmen, das in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft lebt und zufriedenstellend als KG organisiert ist, aber zusätzlich den Bedarf nach fremdem Eigenkapital entwickelt, der durch die neue Rechtsform gedeckt werden soll. In solchen Fällen ist die Ausweitung des bisherigen Kommanditistenkreises durch die von der Börse zur Verfügung gestellten Kommanditaktionäre die Aufgabe der KGaA. Ihrem inneren Wesen und dieser Interessenlage entsprechend ist diese auf die Unternehmerfigur fixierte KGaA nicht 13 Beyer, aaO, Fn. 6, S. 504 untersucht die Frage, ob Aktien von Kommanditaktiengesellschaften einen niederen Erlös bei der Einführung an der Börse erzielen als Aktien von AGen, weil der Aufsichtsrat nur geringere Kompetenzen hat. Beyer vermutet, daß die KGaA-Aktie einen um etwa 1 0 % niederen Emissionserlös einbringt. Die praktische Erfahrung belegt einen solchen Abschlag nicht.
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So Eischenbroich,
aaO, Fn.3, S. 115.
Diese Aufteilung - als Grobraster - wird stärker im betriebswirtschaftlichen als im rechtlichen Schrifttum vorgenommen; vgl. Theisen, DBW Die Betriebswirtschaft, 1985, S. 147f; Ott, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, Diss. 1961, S. 3 7 f f ; Beyer aaO, Fn. 4, S. 478; aber auch Knur, FS Flume 1978, S. 174 f. 15
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recht vorstellbar ohne eine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter, der einzeln und uneingeschränkt geschäftsführungsbefugt und vertretungsberechtigt ist. Diese Rechtsstellung wird diesem Komplementär auf lange Frist - gesetzlich zulässig ist sogar die Befugnis bis auf Lebenszeit - eingeräumt. Die Entziehung dieser Befugnis wird nach § 2 8 5 Abs. 5 A k t G i . V . m . § 1 4 0 H G B ausgeschlossen. - Das Vermögen des Unternehmers ist dieser K G a A zur Verfügung gestellt, und zwar - wenn auf die Vermögensteuer vornehmlich abgestellt wird richtigerweise als Einlage und nicht als Kommanditaktienkapital. Die Rechtsstellung des Komplementärs wird durch das Recht der Personenhandelsgesellschaften bestimmt, also durch § 2 7 8 Abs. 2 A k t G und §§161 Abs. 2, 164, 114-119 H G B und nicht durch das Recht des aktienrechtlichen Vorstandes nach §§ 7 6 - 9 4 A k t G . Die Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte der Hauptversammlung § 2 8 5 A k t G - sind in der personalistischen K G a A in der Satzung stark eingeschränkt und umfassen nur die Pflichtzuständigkeiten, wie Wahl des Wirtschaftsprüfers, Wahl des Aufsichtsrats, Entlastung von Aufsichtsrat und Komplementären. Doch schon die Gewinnverwendungskompetenz nach § 174 A k t G wird von der Zustimmung des Komplementärs abhängig gemacht. Denn die Gesellschafter einer K G a A können nach § 2 7 8 Abs. 2 A k t G und §§ 161 Abs. 2 und 105 Abs. 2 H G B frei das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis gestalten. So ist es typisch für die personalistische K G a A , daß die Komplementäre über ihre Rekrutierung selbst beschließen, also darüber, wer zusätzlicher oder nachfolgender persönlich haftender Gesellschafter der K G a A wird. Dies geschieht in der Weise, daß das Zustimmungsrecht der in der H V versammelten Kommanditaktionäre zu Berufungen in den Kreis der Komplementäre, und Abberufungen hieraus, durch die Satzung ausgeschlossen wird. Die gleiche „Entmachtung" erfolgt gegenüber dem Aufsichtsrat. Die wichtigste Funktion des aktienrechtlichen Aufsichtsrats, nämlich die Bestellung und die Anstellung des geschäftsführenden Organs, steht dem Aufsichtsrat in der K G a A ohnehin nicht zu. Das Recht des Aufsichtsrats zur Genehmigung besonderer Geschäfte wird ihm in der Satzung der personalistischen K G a A nicht gewährt, der Aufsichtsrat in dieser Gestalt wird auf die Uberwachungsfunktion beschränkt. Neben dem Aufsichtsrat wird ein weiteres Beratungs- und Interessenwahrungsorgan, etwa ein Gesellschafterausschuß, nicht eingerichtet. Auch im Bereich des Aktienwesens sind bei der personalistischen K G a A Verstärkungen der Position des Komplementärs denkbar, nämlich durch die Emission von vinkulierten Namensaktien, deren Übertragung von der Zustimmung der Komplementäre abhängt, oder durch den Einsatz von stimmrechtslosen Vorzugsaktien.
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In diesem so skizzierten Rahmen läßt sich die personalistische KGaA gestalten. Diese Gestaltung entspricht den Interessen von starken Unternehmerpersönlichkeiten, die zugleich wesentliche Anteile am Unternehmenskapital halten, neben sich keine Großaktionäre kennen, sondern die entweder über die Börse von einer Vielzahl von Anlegern Kapital einwerben oder gegenwärtig noch kein Kapital von außen benötigen, sondern die Rechtsform der KGaA aus anderen Gründen wählen, etwa um die juristische Stabilität und rechtlichen Detailregelungen in Anspruch zu nehmen, die für eine juristische Person typisch sind16. 2. Die kapitalistische KGaA Liegen die Interessen der am Unternehmen Beteiligten genau umgekehrt als bei der personalistischen KGaA - etwa so, daß das Eigentum bei mehreren Familienstämmen liegt, jeder Stamm mit mehreren Mitgliedern, und die Unternehmensleiter keine Familienmitglieder sind, sondern von außen angeworbene Führungskräfte - wenn also Eigentum und Management auseinanderfallen - aber ein Bedürfnis besteht, die Figur des Unternehmensleiters stark herauszuheben und mit ihm eine langfristige Bindung und eine persönliche Identifikation herzustellen, dann empfiehlt sich die auf das Kapital hin orientierte KGaA. Die auf die Hauptversammlung orientierte KGaA wird als die „kapitalistische K G a A " , mitunter auch die „hauptversammlungsorientierte Organisationsform" 1 7 genannt. In der Praxis sollte man über diese Gestaltung einer KGaA in den Fällen nachdenken, in denen bei Unternehmen mit starker Familienorientierung die alte Generation aus der Verantwortung abtritt, die nächste Familiengeneration das Management noch nicht übernehmen kann, der starke Familienbezug aber später wiederhergestellt werden soll. In diesen Fällen behält die alte Generation noch das Kapital, die an sich empfehlenswerte Schenkung 18 an die nachrückende Generation ist nicht vorgesehen. Die Unternehmensleitung liegt in den Händen von Familienfremden. Die Entscheidungskompetenz - oberhalb
16 Beyer hat ermittelt, daß 4 1 , 7 % der von ihr Befragten die Rechtsform der KGaA wählen, ohne Kapitalbedarf zu haben, aaO, S. 494. 17 Theisen, aaO, Fn. 16, unterteilt anders; er nennt die hier beschriebene KGaA die hauptversammlungsorientierte Organisation und versteht unter der kapitalistischen KGaA die G m b H & Co. KGaA und die Publikums-KGaA. 18 Wenn die Kommanditaktien im Wege der Schenkung an die nächste Generation weitergereicht werden, bleibt die Konstruktion der kapitalistischen KGaA die gleiche, wie wenn die alte Generation die Aktien behält. Bei der Schenkung sind neuerdings die steuerrechtlichen Konsequenzen aus dem Beschluß des Großen Senats des B F H v. 9. 7.1990, D B 1990 S.2196 zu bedenken; das Stichwort lautet: Aufgabe der Einheitstheorie. Dies ist Veranlassung, alle Unternehmertestamente neu zu überdenken.
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des Operationalen - soll in solchen Fällen bei dem Unternehmenseigentümer, also bei den Kommanditaktionären liegen. Dann bilden diese einen starken Aufsichtsrat, der zwar auf das Unternehmensinteresse hin verpflichtet ist, aber auch die Interessen der Kommanditaktionäre wahrzunehmen hat. Daneben bilden die Eigentümer einen Gesellschafterausschuß, der unabhängig und neben dem Aufsichtsrat besteht. O b man dieses Gremium Aktionärsbeirat, Gesellschafterausschuß, Markenausschuß, wenn der Familienname in der Marke erscheint, oder ähnlich nennt, ist eine verbale Frage. Dieser Ausschuß kann durch die Satzung eine starke Stellung erhalten, und zwar dann, wenn dieses Gremium als Organ mit organspezifischen Aufgaben ausgestattet wird, ihm also Aufgaben übertragen werden, die sonst, also bei Nichtregelung in der Satzung, dem Aufsichtsrat zufielen. Für diese Lösung - also den machtvollen Gesellschafterausschuß in der kapitalistischen K G a A - spricht, daß der KGaA-Aufsichtsrat an sich schwach positioniert ist und nur eine eingeschränkte Uberwachungsaufgabe hat, außerdem mitbestimmt ist 19 . Dagegen spricht, daß ein organschaftlicher Ausschuß von Mertens20 für unzulässig angesehen wird, mit der Folge, daß dieses Gremium nur außerhalb der Satzung vorgesehen werden kann, also rechtsgeschäftlich eingerichtet werden darf. Wenn sich diese Rechtsansicht durchsetzt, dann kann der Gesellschafterausschuß nur mit der Funktion der Beratung der Komplementäre und der Interessenwahrung der Kommanditaktionäre außerhalb der Hauptversammlung betraut werden. Dann ist die Wirkungsweise eines solchen Gesellschafterausschusses eher atmosphärisch, was aber bei Familiengesellschaften nicht unterschätzt werden sollte. Es ist also im Einzelfall zu entscheiden, ob man mit der Umstrittenheit der Zulässigkeit eines solchen zusätzlichen Organs leben kann oder zur Vermeidung von juristisch offenen Flanken sich mit dem rechtsgeschäftlichen Gesellschafterausschuß zufriedengibt und dann den Aufsichtsrat im Rahmen der vom Gesetz erlaubten freien Gestaltungsräume stark macht. Dies läßt das Gesetz zu, das in §287 Abs. 1 A k t G dem Aufsichtsrat neben der Uberwachungsfunktion die Aufgabe zuweist, die Beschlüsse der Kommanditaktionäre auszuführen 21 . Hierbei kann es sich durchaus um Beschlüsse handeln, die vornehmlich im Interesse der Kommanditaktionäre liegen. Des weiteren kann die Satzung vorsehen, daß dem Aufsichtsrat in der kapitalistischen K G a A die
19 I.e. Semler, in: Gessler/Hefermehl, K o m m . z. A k t G § 2 8 7 R d n . 4 6 f f ; Martens, A G 1982, S. 114. 20 In Kölner K o m m . §278 R d n . 9 6 , l . A u f l . ; abzuwarten bleibt, wie die in Kürze erscheinende 2. Aufl. sich zur Frage der Zulässigkeit von Organbefugnissen bei einem Gesellschafterausschuß entscheidet. 21 Ausführlich hierzu Mertens, Kölner K o m m . §287 Rdn. 2 und 3.
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Mitwirkung an geschäftsführenden Maßnahmen gestattet wird22; er wird statutarisch an der Bestellung und der Abberufung der Komplementäre beteiligt und regelt deren Anstellungsverträge. Bei alledem dürfen die nichtdisponiblen Kompetenzen der einzelnen Organe nicht verschoben werden.
3. GmbH & Co. KGaA Die ausgeprägteste Form der kapitalistischen KGaA ist die, die auf eine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter verzichtet und sie durch eine juristische Person ersetzt. An diese Gestaltung ist in Fällen von Generationswechsel bei einem Unternehmen zu denken, wo die Kapitaleigner noch nicht für die Unternehmensleitung zur Verfügung stehen, also ein Fremdmanagement auf Zeit das Unternehmen führt und diesem eine unbeschränkte Haftung nicht zuzumuten ist. Häufiger ist der Fall, daß die Rechtsform der KGaA wegen des Familienbezuges wichtig ist, aber die persönliche Haftung wegen der Unberechenbarkeit der Risiken in nicht rechenbaren Zeiten und Umfeldbedingungen nicht anzuraten ist. Dann ist daran zu denken, eine GmbH & Co. KGaA zu bilden. Diese Rechtsform ist lebhaft umstritten. Die Wissenschaft vom Gesellschaftsrecht23 ist nahezu geschlossen von der Unzulässigkeit dieser Rechtsfigur überzeugt und tituliert sie als „juristischen Bastard" 24 oder auch als Unfug 25 . Diese Position von der Notwendigkeit einer natürlichen Person als Komplementär wird u.a. damit begründet, daß der Komplementär auch die Eigenschaft des geschäftsführenden Vorstandes habe, für den unter Bezugnahme auf §278 Abs. 3 AktG §76 Abs. 3 AktG gilt, wonach Vorstand nur eine natürliche Person sein kann. Hier soll über diesen Austausch an Argumenten nicht erneut referiert werden, weil hierüber ausreichend Literatur26 vorhanden ist und die Entscheidung eines einzelnen in diesem Disput für die unternehmerische Beratungspraxis irrelevant ist. Wichtig ist allein, daß
22 Semler, in: Gessler/Hefermehl, Komm. z. AktG § 2 8 7 Rdn. 32-34. Dieser Komplex, ob § 111 Abs. 4 S 2 AktG auch für den Aufsichtsrat der KGaA gelten kann - also daß der Aufsichtsrat der kapitalistischen KGaA das Satzungsrecht erhalten kann, bestimmte Geschäfte an seine Genehmigung zu binden - ist umstritten; dafür Semler aaO; dagegen Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl., S. 231 mit Ubersicht über den Streitstand. 23 Nach Bim/Sorg, Betriebs-Berater 1988 S. 2046 ist „die komplette erste Garnitur der Gesellschaftsrechtler Deutschlands in seltener Einmütigkeit" gegen die Zulässigkeit; mit kompletter Literaturübersicht in Fn. 45. 24 Barz, NJW 1972, S.465. 25 Lutter, DB 1980, S. 1326. 26 Allein in den Jahren 1988-1989 sind hierzu folgende Arbeiten erschienen: von Theisert in DB 1989, S. 149 ff - die GmbH & Co. KGaA für zulässig ansehend; von Binz/
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die unternehmerische Praxis und die Praxis der Registergerichte mit kleinen, aber beharrlichen Schritten in Richtung auf die Zulässigkeit einer K G a A mit einer juristischen Person als persönlich haftendem Gesellschafter marschiert, dort ist also von einer ansteigenden Akzeptanz dieser Rechtsform auszugehen. Mit einhelliger Akzeptanz ist in den Fällen zu rechnen, in denen neben der juristischen Person auch eine natürliche Person als Komplementär vorhanden ist und die juristische Person von Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen ist 27 . Damit dürfte dem Verstetigungsgesichtspunkt bei plötzlichem Tod eines Komplementärs entsprochen sein. Darüber hinaus ist eine K G a A als Holding - vgl. unten Kap. 3. d) - zulässig, also eine Haftungsbegrenzung durch Anbindung des unternehmerischen Risikos an Ges. m. b. H . , die unter der K G a A angesiedelt sind. Diese beiden Ausnahmen von der unbegrenzten persönlichen Haftung des Komplementärs für die Gesamtverbindlichkeiten nähren die Vermutung, daß damit die Ausnahmen nicht abschließend aufgeführt sind. Weitere Anhaltspunkte dafür, wie der B G H entscheiden würde, wenn ihm unsere Frage nach der Zulässigkeit der G m b H & C o . K G a A vorgelegt würde, sind: Soweit ersichtlich, hat sich der B G H in seiner Rechtsfortbildung nie gegen Neuentwicklungen von gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen gewandt, sondern diese auf den Prüfstand des angemessenen Aktionärs-, Anlegerund des Gläubigerschutzes sowie der Inhaltskontrolle und des richtigen Innenrechtes gestellt und keine kautelarjuristischen Gestaltungen von vornherein ausgeschlossen. So ist die G m b H & C o . K G zu einer der meistverbreitetsten Gesellschaftsformen geworden, so ist die kapitalistische K G entstanden und die Haftung bei der V o r - G m b H gefunden 28 worden. Gesichtspunkte der Methodenlehre, der Typenlehre und der Typengerechtigkeit haben bei der Rechtsfortbildung des B G H , soweit ersichtlich, nicht den Ausschlag gegeben 29 . Die stark wertende Rechtsprechung nahm ihre Maßstäbe aus dem Einzelfall, nicht aus einer vorgegebenen Typologie einer Rechtsform. So gesehen ist die Praxis der 6 Registergerichte, die die G m b H & C o . K G a A eingetragen 30 haben, in Ubereinstimmung mit Grundstrukturen der obersten Rechtsprechung.
Sorg in Betriebs-Berater 1988, S. 2048; von dens. in Handelsblatt v. 3.10.1988 - die GmbH & Co. KGaA für unzulässig ansehend; von Hennerkes/May in D B 1988, S. 537; von dens. in Betriebs-Berater 1988, S.2393; von Hesselmann in Betriebs-Berater 1989, S.2345, die Letztgenannten wiederum die GmbH & Co. KGaA für zulässig erklärend. 27 So Mertens, Kölner Komm. §278 Rdn. 11. 28 B G H Z 65, S. 378. 29 In der Analyse der „Richterlichen Rechtsfortbildung des B G H von 1971-1985" von Ulmer kommen diese Begriffe nicht vor. 30 Aufstellung bei Hesselmann, Betriebs-Berater 1989, S. 2345-2346 neben dem Beschluß des Han. O L G Hamburg v. 1968, AG 1969, S.259.
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Hinzu kommt, daß seit eh der Unterschied zwischen der personalistischen und der kapitalistischen KGaA anerkannt ist31. Dieser Unterschied zwischen diesen beiden Grundkonzeptionen liegt im Rahmen der zulässigen Typenausformung. - Vielleicht sollte man noch den Gedanken aufzeigen, daß das deutsche Gesellschaftsrecht den Weg gegangen ist, die gesetzlich vorgegebenen Grundraster der Gesellschaftsformen aufzubrechen und Zwischenformen und Ubergänge zu schaffen bis hin zur GmbH & Co. KG, der doppelt und dreistufig aufgestockten GmbH & Co KG. Diese Grundentscheidung ist am Beispiel der GmbH & Co KGaA prinzipiell vor mehr als 50 Jahren gefallen und nicht mehr zu diskutieren, so daß es sich hier um ein Grenzziehungsproblem handelt. Diese Tendenzen sprechen dafür, daß die Satzung einer KGaA bei weiteren Registergerichten akzeptiert wird, wenn sie - wie oben in Kap. 3. b) dargestellt - stark kapitalistische Züge trägt, d. h. der gesetzliche Pflichtenkatalog der Hauptversammlung und des Aufsichtsrates um fakultative Pflichten ergänzt ist. Im übrigen sollte das haftende Kapital der juristischen Person, die in die persönliche Verantwortung bei der KGaA tritt, in vernünftiger Relation zu dem angestrebten Geschäftsumfang stehen, auch in Relation zu dem an der Börse eingeworbenen Eigenkapital von fremden Kommanditaktionären. Zugleich sollte man an eine Erklärung zur Bereitschaft zur Kapitalerhöhung bei der Komplementär-GmbH oder -AG denken, wenn dies diese beiden Relationen erfordern. Denn eine GmbH & Co. KGaA mit einem GmbH-Kapital von DM 50 000,-, die sich anschickt, an der Börse zweifache Millionenbeträge als Kommanditkapital aufzunehmen, verletzt gewiß die Gestaltungsfreiheit und trägt Konturen des Mißbrauches. Eine derart konstruierte KGaA sollte nicht emissionsfähig sein. Dieser Hinweis auf das Kapital einer Komplementär-GmbH berührt keine Rechtsfragen, vor allem nicht die Rechtsfrage nach deren Zulässigkeit, führt aber zu einem bisher in der Diskussion noch nicht behandelten Zentralpunkt: der Akzeptanz am Kapitalmarkt. Über die Zulässigkeit einer juristischen Person als Komplementär einer KGaA sollte nicht nur zwischen Rechtsdogmatikern und Kautelarjuristen diskutiert werden, sondern diese Frage auch der Marktbeantwortung überlassen bleiben. Jede Sonderform einer KGaA senkt den Emissionspreis. Wenn keine natürliche Person als Komplementär eintritt, sollte der Emissionspreis für die Kommanditaktien niedriger liegen, als wenn ζ. B. familienangehörige Komplementäre in die persönliche Verantwortung gehen. Diese Marktentwicklung haben wir in den Jahren 1984-1989 bei dem Instrument der Vorzugsaktie erlebt, die mit dem Einsetzen des Weges an die Börse anfangs
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Vgl. oben Kapitel 3, Abschn. a und b.
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hochwillkommen und stark nachgefragt war, heute einen Abschlag gegenüber der Stammaktie von bis zu 20 % erlebt. Die nur juristische Betrachtung führt diesen Abschlag auf ihren Rechtsmangel des fehlenden Stimmrechts zurück, was eine verkürzte Betrachtung ist. Der Abschlag ist eine Marktfolge, keine Rechtsfolge. Die Vorzugsaktie wird zu stark angeboten. So wird es bei einer weiteren Verbreitung der KGaA auch sein mit der Folge, daß kautelarjuristische Besonderheiten mit niedrigen Emissionserlösen bezahlt werden müssen32. Wer in ordnungspolitischen Kategorien denkt, wird zu dem Ergebnis kommen, daß dann diese Debatte um den Komplementär der KGaA eine weitere Dimension erhält, nämlich auch in die Entscheidung des Marktes gestellt wird. Zusammenfassend ist zu sagen, daß die KGaA mit einer geschäftsführenden Kapitalgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft & GmbH als alleinigem Komplementär bei den Gerichten zunehmend Akzeptanz gewinnt. Wer an diese Gestaltung denkt, ist zuerst an sein heimisches Registergericht zu verweisen, um dessen Einstellung zu erfahren. 4. Das Holding-Modell Eine weitere Form der Begrenzung der Haftung für Unternehmensverbindlichkeiten besteht in dem Holding-Konzept: Die KGaA ist eine Gesellschaft mit natürlichen Personen als Komplementären, aber das unternehmerische Leben findet in 100%igen Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH statt. Dort werden die Verbindlichkeiten generiert und dort entstehen die Risiken, die es heute legitim machen, über Haftungsbegrenzung aus dem Gesichtspunkt der Unrechenbarkeit nachzudenken, ζ. B. Produkthaftungsrisiken, möglicherweise aus fremden Rechtsordnungen, Folgelasten aus Umweltschäden, Verbindlichkeiten aus Fortdauern der Gesellschafterhaftung. Das Holding-Konzept empfiehlt sich auch - abseits von der Haftungsfrage - dann, wenn zwischen der strategischen Führung und der operativen Führung getrennt werden soll. Für ersteres ist dann die Holding zuständig, für letzteres die Geschäftsführer der Ges. m. b. H. Ein Familienbezug wird allerdings bei diesem Modell nicht hergestellt. Auch eignet sich das Holding-Modell nicht für Generationsübergänge, weil es mehrere Unternehmensleiter erfordert und höhere Transaktionskosten generiert wie jeder Konzern im Vergleich zur Einheitsgesellschaft33. Das Holding-Modell wird von Henkel KGaA praktiziert.
Zust. Hennerkes/May, Betriebs-Berater 1988, S.2401. » Hierzu auch Binz/Sorg, Betriebs-Berater 1988, S.2050; Theisen, DB 1989, S. 151. 32
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IV. Steuerrechtliche Aspekte 1. Steuerpflichten der KGaA Sie unterliegt mit ihrem zu versteuernden Einkommen der Körperschaftsteuer. Bei der Gewinnermittlung sind die an die Komplementäre verteilten Gewinnanteile und sonstigen gewinnabhängigen Vergütungen abzuziehen, so §9 Nr. 2 KStG, vgl. auch §8 Abs. 3 S.2 KStG. Eine einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung findet nicht statt. - Die Körperschaftsteuer beträgt 50 % bei Thesaurierung und 36 % bei Ausschüttung, diese Sätze sind Gegenstand von Reformüberlegungen unter dem Stichwort: Unternehmens-Steuerreform, die langfristig niedrigere Sätze bringen sollte. Andererseits sind bei der Einkommensteuer mit dem Spitzensatz von 53 % Zuschläge wie der für die sogenannten Besserverdienenden im Bereich des Möglichen. Personenbezogene Unternehmen sollten dieses Risiko von höherer Spitzensteuer bei der ESt. mit in Betracht ziehen. Die KGaA unterliegt der Gewerbesteuer. Bei der Ermittlung des Gewerbeertrages sind die Gewinnanteile und Vergütungen der Komplementäre nicht abzugsfähig, sondern dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen, für die Gewinnanteile gilt dies gem. §8 Nr. 4 GewStG, für die festen Vergütungen für Arbeitsleistungen nach Abschn. 55 GwStR34. Hinzu kommt, daß das Zuführen zu Pensionsrückstellungen für Komplementäre ebenfalls dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen und nicht abzugsfähig ist. Dies sind wichtige Benachteiligungen dieser Rechtsform KGaA. - Ist Komplementär der KGaA eine GmbH, besteht das Risiko der gewerbesteuerlichen Doppelbelastung, einmal bei der KGaA, dann ist der auf den Komplementär entfallende Ertrag bei der GmbH gewerbesteuerpflichtig, weil diese kraft Rechtsform der Gewerbesteuer unterliegt35. Diese Steuerpflicht ist umstritten. - Bei der Gewerbekapitalsteuer gelten die allgemeinen Grundsätze, nämlich daß Bemessungsgrundlage der zuletzt festgestellte Einheitswert ist. Im Gegensatz zur Personengesellschaft KG wird das Sonderbetriebsvermögen der Komplementäre nicht hinzugerechnet, es gehört nicht nach §12 Abs. 2 Nr. 2 GewStG zum Einheitswert des Betriebsvermögens36. 34
BFH in BStBl. III 1965 S.418; B F H in BStBl. II 1984, S.381. Einzelheiten zu diesem Komplex Hennerkes/May, Betriebs-Berater 1988, S. 2400. Einschlägig ist § 8 Ziff. 4 GewStG. Der BFH, BStBl. II 1986, S. 72 hat entschieden, daß die Gewerbesteuer auf die Komplementär-GmbH Anwendung findet, aber gleichzeitig offengelassen, ob dann auch die KGaA steuerpflichtig sei. O b aus dieser Entscheidung herauszulesen ist, daß der BFH eine gewerbesteuerliche Doppelbelastung wollte oder nicht, ist umstritten: gegen Doppelbelastung Hennerkes/May, BB 1988, S. 2400; dafür Binz/Sorg, BB 1988, S.2045. 36 Theisen, DB 1989, S. 161. 35
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Schließlich unterliegt die KGaA der Vermögensteuer, die aber nur das den Kommanditaktionären zuzurechnende Vermögen der KGaA erfaßt, während die Einlagen und Kapitalkonten der Komplementäre von dem Einheitswert des Betriebsvermögens abzuziehen sind 37 . Diese Rechtslage hat zur Folge, daß Komplementäre nicht Kommanditaktien zeichnen sollten, sondern Einlagen zu leisten haben, wenn sie diesen Vorgang nicht unter dem Gesichtspunkt der Stimmrechte in der H V , sondern unter dem Gesichtspunkt der Vermögensteuerminimierung sehen. 2. Besteuerung der
Komplementäre
Sind die Komplementäre natürliche Personen, ergeben sich steuerrechtlich keine Besonderheiten: Die ihnen zufließenden Arbeits-, H a f tungsvergütungen und Gewinnanteile sind einkommensteuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach §15 Abs. 1 N r . 3 EStG. Er kann Sonderbetriebsvermögen haben 38 . Sein Gewinnanteil wird der H ö h e nach durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Besitzt der Komplementär Kommanditaktien, sind daraus fließende Gewinnanteile Einkünfte aus Kapitalvermögen und kein Sonderbetriebsvermögen; dies legt der Umkehrschluß aus § 15 Abs. 1 N r . 3 EStG nahe, so auch der B F H im Herstatt-Fall, Fn. 38. Der Gewerbesteuer unterliegt der Komplementär nur dann, wenn er außerhalb der Regel einen selbständigen Gewerbebetrieb unterhält und sich seine Einlage, möglicherweise auch seine Kommanditaktien in dessen Betriebsvermögen befinden 39 . 3. Besteuerung der
Kommanditaktionäre
Die aus der KGaA an die Kommanditaktionäre fließenden Einkünfte sind der jeweiligen Einkunftsart zuzuordnen und zu versteuern, in der Regel als Einkünfte aus Kapitalvermögen, bei Kursgewinnen innerhalb der Sechs-Monatsfrist nach §23 Abs. 1 N r . 1 b EStG als sonstige Einkünfte. - Gewerbesteuer fällt an, wenn die Aktien in einem Betriebsvermögen gehalten werden. Das Schachtelprivileg gilt auch in der Gewerbesteuer, nämlich dann, wenn die Kommanditaktien in einer Schachtel als Betriebsvermögen gehalten werden, vgl. §9 N r . 2 a GewStG. — Die Doppelbelastung mit Vermögensteuer - einmal für die Kapitalgesell37
BFH in BStBl. II 1975, S.470Í. BFH in A G 1990, S.32 (Fall I . D . Herstatt); Besprechung des Urteils durch Theisen, Der Betrieb 1989, S.2191. 39 Zust. Menzel, Die Besteuerung der Entgelte der Kommanditgesellschaft auf Aktien an ihren persönlich haftenden Gesellschfter, StuW 48. Jahrgang, S. 204-214 m. w. N . 38
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schaft, dann für den Anteilseigner — als typisches Merkmal jeder Kapitalgesellschaft haftet auch der K G a A an. Nimmt man „alles nur in allem", dann ist die KGaA steuerrechtlich kein privilegiertes Unternehmen. Die Vor- und Nachteile gegenüber der G m b H und der A G müssen im Einzelfall errechnet werden und sind nicht generalisierungsfähig. Die Vorteile gegenüber der echten K G liegen in den drei Punkten Differenz zwischen dem Spitzeneinkommensteuer- und dem Körperschaftsteuersatz für einbehaltene Gewinne sowie in der Vermeidung eines etwa kommenden Einkommensteuerzuschlags. V. Finanzierungsaspekte der KGaA Die KGaA ist unbeschränkt börsenfähig. Das Börsengesetz und das sonstige Kapitalmarktrecht kennt für sie keine Sondervorschriften, die die Kommanditaktien von der AG-Aktie unterscheiden würden. Für 89 % der von Beyer Befragten ist dieser Kapitalmarktzugang das „wichtige" oder „sehr wichtige" Argument für die Wahl der Rechtsform der KGaA 4 0 . Uber die zu erzielenden Emissionserlöse im Vergleich zu Aktien einer A G gibt es keine verläßlichen Daten. Für die Vorstellung, daß Aktien einer K G a A gegenüber einer A G einen niedrigeren Wert hätten, weil die Rechte des Aufsichtsrates eingeschränkt wären 41 , gibt es keine Beweise. Insbesondere ist die Gleichstellung mit der Vorzugsaktie nicht treffend, weil die Vorzugsaktie inflationiert ist und die Kommanditaktie Seltenheitswert hat. Der Vergleich der Performance der HenkelAktie mit anderen Chemiewerten und der BHF-Aktie mit der anderer Banken stützt nicht die Theorie, daß für Kommanditaktien ein niedrigerer Preis gezahlt wird als für Aktien von AGen. Hingegen sind Kommanditaktien von Gesellschaften, bei denen eine juristische Person Komplementär ist, anders einzuschätzen als solche, die eine natürliche Person haben. Dieser Qualitätsunterschied ist oben bereits angesprochen. Die Rechtsform der KGaA verbessert die Kreditnehmerqualität, weil das finanzwirtschaftliche Image dieser Rechtsform, trotz einiger Problemfälle auch dieser Rechtsform, erstklassig ist. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die persönliche Haftung von Unternehmern verbunden ist mit dem ausführlichen Regelungsmechanismus der A G und der weitreichenden Publizität der Kapitalgesellschaft - alles Komponenten, die für eine hohe Vertrauensbildung am Kreditmarkt sorgen —. So haben auch 48 % der von Beyer Befragten gemeint, daß diese Verbesserung in den Finanzierungsmöglichkeiten im Vergleich zur Personengesellschaft oder
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Beyer, Beyer,
aaO, F n . 6 S.487. aaO, Fn. 13, S.504.
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zur GmbH für sie ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Wahl der Rechtsform der KGaA wäre. VI. Mitbestimmungsrechtliche Perspektiven Die KGaA hat ein Drittel Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; wenn sie mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt, ist der Aufsichtsrat paritätisch besetzt. Aufgrund der Selbstorganschaft der KGaA und der persönlichen Haftung42 hat der Aufsichtsrat der KGaA im Gegensatz zum Aufsichtsrat der AG oder der GmbH keine gesetzliche Bestellungskompetenz für die Komplementäre, §31 Abs. 1 S.2 MitbestG. Diese Kompetenz liegt vielmehr bei den Gesellschaftern, die eine KGaA gründen. Nach der Gründung steht die Kompetenz, Komplementäre zu berufen oder abzuberufen, demjenigen zu, der hierfür in der Satzung genannt wird. Dies können die in der Hauptversammlung versammelten Kommanditaktionäre sein, dies können auch bestimmte Kommanditaktionäre, z.B. Familienmitglieder sein. Es kann auch der Aufsichtsrat oder Teile des Aufsichtsrates mit der Personalkompetenz betraut werden oder ζ. B. der oben dargestellte Gesellschafterausschuß. Es spricht vieles dafür, diesen Weg des Gesellschafterausschusses als des mit der Personalkompetenz betrauten Organes zu beschreiten und in diesen Gesellschafterausschuß etwa drei Kommanditaktionäre hineinzuwählen, die sowohl Sachverstand für diese Personalfragen als auch familiäre Einbindung besitzen. Weniger rätlich ist die rechtliche Möglichkeit, schon in der Satzung anzuordnen, wer Nachfolger etwa ausscheidender persönlich haftender Gesellschafter einer KGaA wird, weil ein solches Festlegen von unternehmerischen Vitalentscheidungen die Flexibilität aus der KGaA entfernt. Wer die GmbH oder AG & Co. KGaA wählt, muß bei der Bestellung der Vorstände und Geschäftsführer der Komplementärkapitalgesellschaft die für diese Rechtsform geltenden Vorschriften einhalten. §4 MitbestG gilt nach dem Gesetzeswortlaut nicht für die KGaA, sondern nur für die KG 43 . Aber eine analoge Anwendung wird seit langem gefordert44, was zur Folge hätte, daß die Personalkompetenz dem Aufsichtsrat zufiele, also §31 Abs. 1 S.2 MitbestG entfiele45. Bislang ist bei Bericht der Mitbestimmungskommission, 1970, S. 116. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. z. MitbestG, 1978, §1 Rdn. 10. 44 Steindorff in FS Ballerstedt, 1975, S. 139. 45 Hesselmann bringt eine aktuelle Aufstellung aller Stimmen, die sich für die Einbeziehung der Komplementär-GmbH in die Mitbestimmungsregelung der KGaA aussprechen, Zumindestens dann, wenn die Kommanditaktionäre an der KomplementärGmbH wesentlich i. S. von § 4 MitbestG beteiligt sind, Betriebs-Berater 1988, S. 2045, Fn. 39. 42 43
Perspektiven für die Kommanditgesellschaft auf Aktien
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den eingetragenen Kommanditaktiengesellschaften mit einer juristischen Person als Komplementär ein Streitfall noch nicht bekannt geworden, sondern die Registergerichte haben Satzungen anerkannt, die eine der oben aufgeführten Alternativen über die Bestellung und Abberufung von Komplementären enthielten, also nicht dem mitbestimmten Aufsichtsrat die Personalkompetenz zuwiesen. Wer indessen die Ursache für die Sonderbehandlung der Komplementärberufung in deren persönlicher Haftung sieht, wird dieses Risiko, diese Rechtsunsicherheit nachvollziehen. Die zweite unternehmensrechtliche Besonderheit der K G a A besteht darin, daß ein Arbeitsdirektor nicht bestellt wird, § 33 Abs. 1 S. 2 MitbestG, was aus der Eigenschaft, gleichzeitig unbeschränkt haftender Gesellschafter zu sein, folgt. Mitbestimmungsrechtlich gibt es also bei der K G a A Aspekte, die den Familiencharakter eines Unternehmens stärker unterstreichen als die anderen Rechtsformen unseres Kapitalgesellschaftsrechts.
VII. Zusammenfassung 1. Die K G a A ist für Familiengesellschaften „im Ubergang" in Generations- und/oder in Größenordnungen geeignet. 2. Die K G a A ist eine Rechtsform, die den Zugang zum Kapitalmarkt ermöglicht ohne Aufgabe der übernommenen Familienorientierung. 3. Die Rechtsform ist flexibel, die entscheidende Einflußnahme kann in der Hauptversammlung, im Aufsichtsrat, im Gesellschafterausschuß oder bei den Komplementären angesiedelt sein. 4. Die persönliche Haftung der Komplementäre ist unbeschränkbar; ob juristische Personen Komplementäre sein können, ist bestritten, die Zahl der Registergerichte, die diese Gestaltungsform zulassen, nimmt zu. 5. Die K G a A ist keine Alternative zu einer neuzuschaffenden mittelständischen A G . Letztere ist eine Aufgabenstellung für den Gesetzgeber, um den Kapitalmarkt für Wachstumsunternehmen ohne übermäßige Regelungen und bürokratische Hemmnisse zu erschließen. Die K G a A kann sich ihre Strukturen im Wege der Satzungsautonomie selbst geben, hat also kaum Probleme mit einer Überregulierung.
Übernahme des Trusts in unser internationales Privatrecht? HELMUT COING
Die Frage der Einführung des Trusts in das deutsche Recht ist vielfach erörtert worden, schon in der Weimarer Zeit - allerdings mit unterschiedlichem Ergebnis. Inzwischen ist ein neuer Schritt in dieser Richtung getan worden. Die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht hat in den Jahren 1982-1984 eine «Convention applicable au Trust et à sa reconnaissance» ausgearbeitet. Der Text ist am 20.10.1984 angenommen worden. Eine Reihe von Ländern des kontinentalen Rechtssystems (Civil Law) haben sie akzeptiert (Italien, die Niederlande, Luxemburg). Aus diesem Grunde scheint es sinnvoll, die Frage nach dem Verhältnis des Trusts zu unserem Rechtssystem noch einmal zu untersuchen. I. 1. Bei dem Trust werden Vermögenswerte von deren Inhaber (Settlor) einer anderen Person (Trustee) übertragen und gleichzeitig festgelegt, daß der Trustee diese Güter verwalten und ihre Einkünfte zu bestimmten Zwecken verwenden soll. Es können Personen (Beneficiaries) oder auch allgemeine Zwecke damit gefördert werden. Der Trust ist daraus entstanden, daß die Chancery aus Gründen der Billigkeit (Equity) dafür gesorgt hat, daß der Empfänger, der Trustee, die ihm übertragenen Pflichten erfüllt. Dem Trustee steht der rechtliche Titel an dem übertragenen Treugut zu. Er darf es aber nicht für sich persönlich verwenden, sondern nur für die ihm übertragenen Aufgaben. Er hat also kein freies, sondern ein gebundenes Eigentum. Der Begünstigte (Beneficiary) hat ein Recht auf die ihm zugewendeten Einkünfte. Er kann aber in bestimmten Fällen das Treugut selbst in Anspruch nehmen: so wenn der Trustee es unter Verletzung seiner Pflichten an Bösgläubige (wobei Fahrlässigkeit genügt) veräußert hat. Daher spricht man auch von einem geteilten Eigentum: sowohl der Trustee wie der Beneficiary haben bestimmte Eigentumsrechte (legal-equitable ownership).
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Aus der Bindung des Eigentums, welches dem Trustee zusteht, folgt, daß das Trustgut ein Sondervermögen darstellt. Es gehört nicht zu seinem Nachlaß, wenn er stirbt; seine persönlichen Gläubiger können nicht in das Treugut vollstrecken, oder es, wenn er in Konkurs fällt, in Anspruch nehmen. 2. Der Trust wird im anglo-amerikanischen Rechtsgebiet zu sehr verschiedenen Zwecken benutzt. Die wichtigsten dürften die folgenden sein 1 . a) Die Übertragung von Vermögen, insbesondere von Nachlässen an einen Trustee, der dieses für Angehörige des Settlor, meist über mehrere Generationen verwalten soll. Ein solches Trustgeschäft kann auch dem Schutz von Angehörigen dienen, die zur Verschwendung neigen oder nicht über die notwendige geschäftliche Erfahrung verfügen (Protective Trusts; Spend thrift trusts - im amerikanischen Recht). Der Zweck solcher Trusts ist, die dem Trust unterworfenen Vermögenswerte auf längere Zeit zu binden, den Begünstigten (Beneficiaries) zwar Verwaltungs- und Verfügungsmacht zu entziehen, ihnen aber den Genuß der Einkünfte zuzuwenden und zu sichern. Solche Trusts können durch Rechtsgeschäft unter Lebenden, aber vor allem auch in Testamenten begründet werden.
b) Die Errichtung eines Trusts für gemeinnützige (sog. Charitable Trust)
Zwecke
Hierhin gehören etwa Trusts, in welchem der Trustee die Vermögenseinkünfte für die Förderung der Erziehung oder des religiösen Lebens, der Hilfe für Arme oder des allgemeinen Wohls verwenden soll. In den Vereinigten Staaten gehören hierher insbesondere die sog. Community Trusts, welche Zuwendungen annehmen und verwalten, die zur Förderung der Entwicklung der betreffenden Stadt dienen.
c) Der Trust als Mittel der Vermögensverwaltung (Business Trust; Investment Trusts) Bei diesen Trusts überträgt der Inhaber eines Vermögens dieses (oder Teile davon) an eine Bank, damit das Vermögen wirtschaftlich erfolgreich angelegt wird. Der Grund für diese Art von Trusts liegt darin, daß vielbeschäftigte Personen, etwa ein erfolgreicher Arzt oder Anwalt, sich um die Anlage ihrer Vermögenswerte im einzelnen nicht kümmern können. In den U S A haben die Banken hierfür sog. Trust-Departments eingerichtet. Neben dem Trust wird dafür allerdings auch der Agency -
1
Vgl. dazu insbesondere Kotz, Trust und Treuhand, 1963.
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Vertrag verwendet; dann kann die Rechtsbeziehung zwischen Bank und Kunden dem in Deutschland verwendeten Depotvertrag entsprechen2. Ahnliche Zwecke verfolgen die sogenannten Investment-Trusts. Hier handelt es sich aber nicht darum, daß ein einzelner einem anderen (einer Bank oder einem für diesen Zweck gegründeten Unternehmen) Vermögenswerte überträgt; vielmehr stellt eine Vielzahl von Personen Vermögenswerte dem Trustee zur Verfügung. Dieser gründet daraus einen Vermögensfonds, den er verwaltet und insbesondere in unterschiedlichen Papieren anlegt. Auch sonst kann der Trust dazu verwendet werden, für eine Personengemeinschaft, die nicht Corporation, also juristische Person ist, deren Vermögen verwalten zu lassen, ζ. B. in England für Clubs. Ebenso dient er dazu, in Aktiengesellschaften die Stimmrechte einer Mehrzahl von Aktionären einheitlich auszuüben; die Stimmrechte werden dann einem Trustee übertragen (Voting Trust). d) Trusts zur Verwaltung von Sicherheiten
(Debenture-Trusts)
Hier wird der Trust zum Halten und Verwalten von Sicherheiten - in der Regel Hypotheken - verwendet, die von einem Industrieunternehmen zur Sicherung von ihm ausgegebener Obligationen angesehen worden sind. Der Trustee wird Inhaber der Hypotheken und kann sie verwerten, wenn dies nötig wird. II. Verhältnis des Trusts zum deutschen Recht Struktur und Funktion des Trusts sind nunmehr mit dem deutschen Recht zu vergleichen. 1. Der Trust läßt sich nicht ohne weiteres in unser Rechtssystem einordnen. Unser Sachenrecht kennt auf der einen Seite das (absolute) Sacheigentum, auf der anderen Seite sog. beschränkte dingliche Rechte an Sachen, wie ζ. B. den Nießbrauch. In diese Gliederung läßt sich der Trust nicht einordnen. Wir kennen kein gebundenes Eigentum, und wir kennen auch nicht jene Teilung des Eigentums zwischen Trustee und Beneficiary. Ebenso steht der Einordnung des Trusts die klare Trennung von dinglichen und obligatorischen Rechten entgegen. Die Rechtsstellung des Beneficiary mit ihrem (in unserem Sinn) teils obligatorischem, teils dinglichem Recht ist in unserem System nicht vorgesehen. Die Einführung des Trusts in unser Recht würde also erhebliche Änderungen voraussetzen. Unter anderem müßte die in unserem 2
Vgl. hierzu Coing, Archiv für die Civilistische Praxis 167, S. 99 ff.
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Grundbuchrecht geregelte Publizität mit ihren Folgen neu geregelt werden. Ein Trust läßt sich also in unserem gegenwärtigen Recht nicht errichten. Auch unser internationales Privatrecht hat keine den Trust betreffende N o r m . 2. Dagegen kennt unser Recht eine Reihe von Instituten, welche es ermöglichen, die Zwecke, denen der Trust im englischen Recht dient, in rechtlich geschützter Form zu erreichen. Diese sind jetzt zu untersuchen. a) Was die Festlegung eines Vermögens zugunsten von Angehörigen angeht, so muß man unterscheiden, ob die Bestimmung in einem Akt unter Lebenden oder in einem Testament getroffen ist. Im zweiten Fall ermöglicht es unser Erbrecht eine VerwaltungsTestamentsvollstreckung gemäß §2209 B G B anzuordnen. Dem Testamentsvollstrecker steht die Verwaltung des Nachlasses zu; er hat eine entsprechende Verfügungsmacht (§ 2205), ist aber verpflichtet, die Einkünfte entsprechend den Anordnungen des Erblassers den Angehörigen zuzuwenden. Liegt ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vor, so ist in erster Linie auf die Treuhandschaft zurückzugreifen. b) Was die Charitable Trusts angeht, so stellt unser Recht in erster Linie die Stiftung zur Verfügung. Von besonderer Bedeutung dürfte dabei die unselbständige (fiduciarische) Stiftung sein. Eine solche Stiftung untersteht m. E. dem Treuhandrecht, sie ist allerdings auch als Schenkung mit Auflage angesehen worden 3 . Bei der selbständigen Stiftung, die juristische Person ist, spielt dagegen das Treuhandrecht keine Rolle. c) Was den Trust als Instrument der Vermögensverwaltung angeht, so kommen, soweit es sich um Verträge einzelner Personen mit Banken handelt, der Depotvertrag, der Bankrechts- und Geschäftsbesorgungsvertrag, aber auch wiederum die Treuhand in Betracht; soweit es sich um Verträge mit Kapitalanlagegesellschaften handelt (Investment Trusts), die besonderen im Kapitalanlagegesetz vorgesehenen Regelungen. Was den Voting Trust angeht, so kann nach dem deutschen Aktienrecht die Depotbank als Vertreter des Kunden auftreten (§ 135 AktG). Das Treuhandrecht ist hier nicht eingeschaltet. d) Dem Debenture Trust entspricht im deutschen Recht wiederum die Treuhand; die Regelung des B G B wird m. W. kaum noch angewendet. Das deutsche Recht kennt also eine Reihe von Instituten, welche geeignet sind, die Funktionen, welche der Trust im anglo-amerikanischen Recht erfüllt, rechtlich zu gestalten. 3
Vgl. Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, 1973, p. 110, 57.
Übernahme des Trusts in unser internationales Privatrecht
3. Die rechtliche
Wirkung der deutschen
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Institute
Hier ist zunächst das Treuhandrecht zu untersuchen. a ) Hier ist zunächst hervorzuheben, daß das deutsche Treuhandrecht (Fiducia) nicht jene Teilung des Eigentums kennt, welche dem angloamerikanischen Recht eigen ist. Dem deutschen, wie überhaupt dem kontinentalen, auf dem römischen Recht beruhenden Rechtssystem, ist diese Spaltung dagegen durchaus fremd. Die Begünstigten bzw. der Treugeber hat nur obligatorische Ansprüche gegenüber dem Treuhänder, keine dinglichen Rechte. Es fragt sich aber, ob nicht Treugeber und Treuhänder im einzelnen doch in ähnlicher Weise gesichert sind. b) Es geht hier zunächst darum, daß das Treugut gegenüber dem persönlichen Vermögen des Treuhänders ein Sondervermögen bildet, wie dies beim Trust der Fall ist. Diese Trennung beider Vermögensmassen ist ja auch in der hier diskutierten Convention ausdrücklich als Erfordernis des Trusts hervorgehoben (Art. 2). Ist das Treugut ein Sondervermögen, so hat dies sehr wesentliche praktische Konsequenzen. Das Treugut gehört, wenn der Treuhänder stirbt, nicht zu seinem Nachlaß. Die persönlichen Gläubiger des Treuhänders können nicht in das Treugut vollstrecken; das Treugut gehört, wenn es in Konkurs fällt, nicht zur Konkursmasse. Der erste Grundsatz ist in der deutschen Rechtsprechung anerkannt, den zweiten kennt unser Recht ebenfalls; er war aber ursprünglich auf diejenigen Güter beschränkt, welche der Treugeber selbst an den Treuhänder übetragen hat, nicht auf solches Treugut, das der Treuhänder von Dritten erworben hatte (sog. Unmittelbarkeitsprinzip), also auch nicht wenn es vom Treuhänder gegen ein ursprüngliches Treugut als Surrogat erworben ist4. Dieses Prinzip war daraus abgeleitet, daß bei der Fiducia römischen Rechts die unmittelbare Übertragung eine entscheidende Rolle spielte. Allerdings hat der BGH hier eine Reihe von Ausnahmen zugelassen, so wenn der Treugeber Geld auf ein Treuhandkonto einzahlt, wenn der Treuhänder ihm bar vom Treugeber gegebenes Geld auf ein Treuhandkonto einzahlt, wenn ein Dritter auf Geheiß des Treugebers an den Treuhänder Geld an den Treugeber gezahlt hat. In diesen Fällen sollen die betreffenden Werte zum Treugut gehören 5 .
4 5
RGZ 84, 214; RGZ 94, 305; RGZ 153, 366; BGH W M 69, 475. Vgl. Β GHZ 11, 37; BGH NJW 59, 1225.
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Weiter hat sich die Meinung in der Wissenschaft entwickelt. Die Aussicht, das sog. Unmittelbarkeitsprinzip sei aufzugeben, ist im Vordringen 6 . Man darf erwarten, daß auch die Rechtsprechung dem folgen wird. Dann ist der Treugeber bzw. der Begünstigte im deutschen Recht ebenso geschützt wie im Trustrecht; das Treugut bildet dann ein Sondervermögen. c) Im anglo-amerikanischen Recht ist der Settlor bzw. der Beneficiary ferner besonders geschützt, wenn der Trustee unter Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus dem Trustgeschäft Treugut veräußert oder mit eigenem Gut vermischt (etwa indem er Trustgeld auf ein Konto zahlt, auf dem auch ihm persönlich zustehendes Geld eingezahlt ist). Im Trustrecht kann in dem ersten Fall der Treugeber den veräußerten Gegenstand von dem Erwerber herausverlangen, wenn dieser auch durch Fahrlässigkeit nicht gewußt hat, daß der Trustee pflichtwidrig handelte. Im deutschen Recht werden für diesen Fall unterschiedliche Ansichten vertreten. Nach einer Meinung ist die betreffende Verfügung nur dann als unwirksam anzusehen, wenn ein Verstoß gegen die guten Sitten oder das Strafgesetz gegeben ist. Die andere Meinung tritt dagegen bei dieser Sachlage dafür ein, daß die in der Rechtsprechung für den Vollmachtsmißbrauch entwickelten Grundsätze anzuwenden sind. Diese würden im wesentlichen zu der gleichen Behandlung führen, wie sie im Trustrecht besteht7. Im Falle der Vermischung von Treugut und persönlichem Gut kann der Treugeber nach dem Surrogationsprinzip seinen Anteil aussondern; freilich setzt dies voraus, daß die jeweiligen Anteile feststellbar sind 8 . Wenn also der Schutz von Treugeber und Begünstigtem im deutschen Treuhandrecht auch in manchen Punkten schwächer ist, so kann er, insbesondere wenn das Unmittelbarkeitsprinzip aufgegeben wird, doch nicht als wesentlich schlechter bezeichnet werden. Der Verwaltungstestamentsvollstrecker ist nach deutschem Recht zwar nicht der Inhaber der ihm anvertrauten Rechte - dies bleiben die Erben - , aber er hat ein klar bestimmtes gesetzliches Recht zur Verwaltung und auch zur Verfügung über die Nachlaßgegenstände, das er nach den Bestimmungen des Erblassers auszuüben hat. Seine Stellung ist zeitlich begrenzt (grundsätzlich auf 30 Jahre); aber eine solche, im einzelnen freilich andere Begrenzung kennt auch das Trustrecht. Der Testamentsvollstrecker kann für das Nachlaßgut Prozesse führen (§2212).
6 Vgl. Kötz gand Bern. 329 7 Vgl. dazu 8 Vgl. Kötz,
I.e. p. 132f; Coing, Treuhand, p. 177ff; näheres bei Staudinger-WieAnhang zu §§929 ff. Kötz 1. c. p. 142; Coing, Treuhand, S. 164 f. p. 142 f.
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Daß das verwaltete Nachlaßgut gegenüber dem persönlichen Vermögen des Vollstreckers eine besondere Masse bildet, ergibt sich schon daraus, daß er nicht Inhaber der Rechte des Nachlasses ist. Auch Gläubiger der Erben, die nicht Nachlaßgläubiger sind, können nicht in den Nachlaß vollstrecken (§2214). Verfügungen des Testamentsvollstreckers zugunsten von Dritten, bei denen der Vollstrecker sein Verfügungsrecht mißbraucht, sind nach der Rechtsprechung schon dann unwirksam, wenn der Dritte dies hätte erkennen können 9 . Die Verwaltungstestamentsvollstreckung ist damit ein Institut, das durchaus das Ziel erreicht, welches der Nachlaß-Trust des anglo-amerikanischen Rechtes erreicht. 4. Dem Investment-Trust entspricht in Deutschland die Einbringung von Vermögen bei Kapitalanlagegesellschaften. Diese Gesellschaften können die erworbenen Wertpapiere als Treuhänder halten. Dieses Treuhandverhältnis ist im Kapitalanlagegesetz eingehend geregelt. Darin sind auch die Interessen der Einleger durch besondere Vorschriften gesichert10.
III. Nunmehr ist auf den Inhalt der Haager Konvention einzugehen. Die Konvention regelt zwei Fragen: - die international privatrechtlichen Regeln, welche für den Trust anzuwenden sind (Art. 1), und - die Anerkennung (reconnaissance) des Trusts durch die Länder, welche ihn in ihrer Rechtsordnung nicht kennen (künftig die „Nicht-Trust-Länder" genannt) (Art. 11). 1. Die international privatrechtlichen
Regelungen
a) Der Vertrag stellt Regeln darüber auf, welches materielle Recht auf einen Trust anzuwenden ist (Art. 6 ff; Art. 7). Sie sollen nicht nur für diejenigen Trusts anwendbar sein, die in einem der vertragschließenden Länder errichtet sind, sondern allgemein, d. h. in allen Fällen, in denen ein Trust in einem der vertragschließenden Länder rechtliche Bedeutung hat11. Damit sollen für die Länder, welche den Trust kennen, einheitliche internationale privatrechtliche Regeln, für die Nicht-Trust-Länder solche überhaupt erst geschaffen werden, da deren IPR solche ja gar nicht 9 10 11
Vgl. Kipp-Coing, Erbrecht, 14. Aufl., S.390. Vgl. dazu Coing, Treuhand 1. c. p. 23. Overbeck, Rapport in Actes et Documents II 370-415 (La Haye 1985).
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enthält. Grundsätzlich soll derjenige, der den Trust errichtet, das anzuwendende Recht bestimmen können (Art. 6). Hat er dies nicht getan, so soll darauf abgestellt werden, zu welchem Land der Trust eine besondere Beziehung aufweist (Art. 7). b) Der Vertragstext gibt eine eigene Definition des Trusts. Nur für eine Institution, die ihr entspricht, gilt die vorgesehene international-privatrechtliche Regelung. Als Trust ist danach ein Rechtsverhältnis anzusehen, bei dem eine Person bestimmte Güter der Kontrolle einer anderen (Trustee) unterstellt, der sie für Dritte oder für einen allgemeinen Zweck verwalten soll. Im einzelnen wird gefordert, daß das übertragene Gut gegenüber dem eigenen Vermögen des Trustees eine besondere Vermögensmasse darstellt, daß der Trustee den Rechtstitel des übertragenen Gutes erhält, daß ihm das Recht der Verwaltung und Verfügung im Rahmen der von ihm auszuführenden Verwaltung übertragen ist (Art. 2). Der Trust muß von dem Begründer (Settlor) selbst errichtet sein; für gesetzlich auferlegte Trustverpflichtungen soll der Vertrag nicht gelten (Art. 3). Was die Form der Errichtung angeht, so ist jedenfalls eine «Preuve écrite» erforderlich; die Schriftform ist damit aber nicht vorgeschrieben (Art. 3). c) Für welche rechtlichen Fragen das anwendbare Recht hinsichtlich des Trusts anzuwenden ist, ist in Art. 8 geregelt. Es soll ζ. B. für die Ernennung und eventuell Abberufung des Trustees, für sein Verwaltungs- und Verfügungsrecht sowie der Anlage hinsichtlich des Treuguts, für seine Pflicht, Rechnung zu legen, gelten. Diese Regelung soll aber nicht abschließend sein12. d) Im Ergebnis bedeutet diese Regelung vor allem zweierlei. Einmal, daß die Nicht-Trust-Länder, wenn Fragen des Trustrechtes auftauchen, nicht auf diejenigen Institute des eigenen Rechtes zurückgreifen können, die dem Trust vergleichbare Funktionen erfüllen, sondern das Trustrecht des Landes anzuwenden haben, das nach Art. 65 oder 7 der Konvention zuständig ist. Zum anderen, daß zwar eine international-privatrechtliche Regelung für den Trust des anglo-amerikanischen Rechts geschaffen wird, aber nicht für diejenigen Institute der Nicht-Trust-Länder, die ihm entsprechen. Art. 5 der Konvention legt ausdrücklich fest, daß sie nicht anwendbar ist, wenn eine Rechtsordnung berufen ist, die den Trust nicht kennt.
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Overbeck
I.e., Nr.81.
Übernahme des Trusts in unser internationales Privatrecht
2. Die Anerkennung
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des Trusts
Die vertragschließenden Länder werden verpflichtet, den Trust anzuerkennen (Art. 11). a) Was die Anerkennung bedeutet, ist in dem Vertrag ausgeführt. Es bedeutet, daß der Trustee als solcher für das Treugut Prozesse führen und soweit erforderlich, vor Notaren und Behörden auftreten kann; daß das Trustgut von seinem persönlichen Vermögen getrennt ist; daß das Treugut, wenn der Trustee es unter Verletzung seiner Pflichten mit eigenem Vermögen vermischt oder veräußert hat, vindiziert werden kann - allerdings sollen dabei für die Rechte evtl. betroffener Dritter die Regeln des Rechtes gelten, das nach dem internationalen Privatrecht des Gerichtsstaates anwendbar ist (Art. 11). Für die Trennung des Trustgutes vom persönlichen Vermögen des Trustees ist insbesondere festgelegt, daß seine persönlichen Gläubiger nicht in das Trustgut vollstrecken können, daß das Treugut bei Konkurs des Trustees nicht zum Vermögen des Trustees gerechnet wird, daß es auch nicht seinem Ehegüterrecht oder seiner Erbfolge unterliegt (Art. 11). Auch soll der Trustee das Recht haben, bei Registern über bewegliche oder unbewegliche Sachen seine Stellung als Trustee vermerken zu lassen, soweit dies nach dem Recht des Staates, in dem das Register geführt wird, möglich ist (Art. 12). b) Die Erwähnung dieser Folgen der Anerkennung des Trusts ist aber nicht abschließend. Auch sieht der Vertrag vor, daß die vorgesehenen Wirkungen durch bestimmte andere Institute des Anwendungsstaates begrenzt werden können, z . B . die Bestimmungen zum Schutz von Minderjährigen (Art. 15 ff). c) Die Anerkennung des Trusts bedeutet ebenfalls, daß die Nicht-TrustLänder das anglo-amerikanische Recht des Trusts in bestimmtem Umfange zu übernehmen haben. Sie können nicht bei Vorhandensein eines Trusts auf eigene Institute zurückgreifen. Auch werden die Länder des anglo-amerikanischen Rechts nicht verpflichtet, ihrerseits diese Institute anzuerkennen. Sie gehen insofern keine Verpflichtungen ein.
IV. Folgerungen 1. Der Trust paßt nicht in unser Rechtssystem. D a wir auch eigene Institute haben, die es erlauben, die mit dem Trust verfolgten Interessen rechtlich zu schützen, besteht keine Notwendigkeit ihn zu übernehmen. Wünschenswert wäre nur eine Entwicklung eines Treuhandrechts in dem geschilderten Sinne 13 . 13 Es ist interessant, daß man in Frankreich einen Gesetzentwurf über die Regelung der „Fiducie" vorbereitet hat, der einer solchen Entwicklung entspricht.
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2. Es empfiehlt sich ebensowenig, den Trust im Sinne des Art. 11 der Konvention anzuerkennen. Dies würde bedeuten, daß wir unter Verzicht auf einen Vergleich mit unserem Recht, die fremde Regelung des Trusts übernehmen müßten, auch wenn Tatsachen und Rechtsverhältnisse von unseren Gerichten zu beurteilen sind und sie zu dem Bereich unseres Rechtes Bezug haben. Die Konvention legt zwar fest, welche wesentlichen Konsequenzen die Anerkennung haben soll; aber diese Bestimmungen sind nicht abschließend und daraus können erhebliche Schwierigkeiten entstehen. 3. Die international-privatrechtlichen Bestimmungen der Konvention (Art. 6 ff) würden dazu führen, daß unsere Gerichte, wenn ein Trustproblem vor sie kommt, die Regeln der Konvention befolgen müßten. Die insofern bestehende Systemlücke unseres internationalen Privatrechts wäre also geschlossen. Indessen besagt eine Systemlücke im gesetzlichen internationalen Privatrecht ja nicht, daß die Lücke nicht durch Wissenschaft und Rechtsprechung geschlossen werden könnte14. Der BGH geht bei dem Problem grundsätzlich von der Systematik des eigenen Rechtes aus15, betrachtet aber bei der Prüfung im einzelnen „Sinn und Zweck" des ausländischen Institutes, seine Funktion im Rechtsleben des fremden Staates und vergleicht dieses mit den Normen und Instituten, die unser Recht für diese Zwecke bietet. Aufgrund dieser Rechtsvergleichung wird dann bestimmt, welche Regel des gesetzlichen Internationalen Privatrechts anzuwenden ist16. Auf diese Weise gelangt man bei der Frage des Trusts zu einer differenzierten Lösung. Es wird nicht der Trust in seiner Struktur als Ganzes anerkannt, sondern nach der Funktion, die er im Einzelfall erfüllt. Im Falle des testamentary trust wäre ζ. Β. Erbrecht anzuwenden. Damit wird auch die Frage gelöst, wie weit etwa fremdes Recht, wenn es maßgebend ist, bei uns anwendbar ist (auch jenseits der Frage des Ordre Public). So kann auch den in unserem Recht geschützten Verkehrsinteressen Rechnung getragen werden. Auch die Übernahme der in der Konvention vorgesehenen internationalprivatrechtlichen Regelung wäre daher m. E. kein wirklicher Fortschritt. Mit Recht haben die Vertreter der Bundesrepublik bei der Beratung der Konvention Bedenken vorgebracht. Es scheint mir nicht zweckmäßig, sie anzunehmen17.
Zu den verschiedenen Theorien vgl. Kegel I.e. §7111. Sog. Theorie der Lex fori?; BGHZ 44, 121 (124), 29, 137 (139). " Vgl. BGHZ 29, 137; 47, 324. 17 Die Ansichten sind unterschiedlich. Vgl. vor allem Steinebach, Recht der internationalen Wirtschaft, 86, S. 1 ff; Pirrung, IPRax. 87, 52 f; Gambaro, Rivista di Diritto Civile 86, 93 f; Gaillard-Trautmann, Revue critique de Droit international privé 86, S. 1 ff; Kötz, Rabels-Zeitschrift 86, 562 ff. 14
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Eigengeschäfte eines Aufsichtsratsmitglieds HANS-JOACHIM FLECK
Das Aufsichtsratsamt ist nach gesetzlicher Ausgestaltung und verbreiteter Praxis auf Interessenkonflikte hin angelegt1. Sie werden in der Rechtsprechung der Zivilgerichte verhältnismäßig selten2 und im Schrifttum vorwiegend unter Teilaspekten erörtert, wie ζ. B. dem des Verhaltens von Bankenvertretern im Aufsichtsrat 3 . Der vorliegende Beitrag beschränkt sich ebenfalls auf einen Ausschnitt aus dem Gesamtkomplex, und zwar auf den Widerstreit eigengeschäftlicher Interessen eines Aufsichtsratsmitglieds mit denen der Gesellschaft. Er erhebt nicht den Anspruch, hierzu neue Konzepte oder Thesen zu entwickeln, sondern will lediglich den vorhandenen Stoff sichten, überdenken und zusammenhängend darstellen.
I. Allgemeines zu den Aufgaben und Pflichten eines Aufsichtsratsmitglieds Nach § 116 AktG gilt für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit von Aufsichtsratsmitgliedern sinngemäß §93 AktG, nach dessen Absatz 1 Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben. Diese knappe Verweisung bringt nicht zum Ausdruck, daß sich die Rechtsstellung, die Aufgaben und die damit zusammenhängenden Rechte und Pflichten eines Aufsichtsratsmitglieds von denen eines Vorstandsmitglieds ganz wesentlich unterscheiden und deshalb eine „sinngemäße" Anwendung des § 93 AktG auf die Tätigkeit im Aufsichtsrat nur
1 Fischer, in: In Memoriam Konrad Duden, 1982, S. 35 ff; Lutter, Z H R 1981, 224 ff, 235; Ulmer, N J W 1980, 1603, 1604 und in Festschrift f. Walter Stimpel, 1985, S. 705, 707 ff; Dreher, J Z 1990, 896 ff. 2 So etwa in B G H N J W 1980, 1629 mit Bespr. Ulmer, ebenda, S. 1603. 3 Vgl. dazu die Referate Lutter und Werner sowie den Diskussionsbericht in Z H R 1981, 224, 252, 271.
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Hans-Joachim Fleck
mit erheblichen Modifikationen möglich ist4. Während Vorstandsmitglieder verpflichtet sind, die Gesellschaft eigenverantwortlich zu leiten und sich dabei mit ihrer ganzen Arbeitskraft für deren Wohl einzusetzen, ist das Aufsichtsratsamt nach den Vorstellungen des Gesetzgebers eine Nebentätigkeit (vgl. § 110 Abs. 3 AktG sowie die Mitbestimmungsvorschriften). Neben einer Reihe von einzeln genannten Funktionen (z.B. der Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern oder der Entscheidung über zustimmungsbedürftige Geschäfte, §§84, 111 Abs. 4 Satz 2-4 AktG) normiert das Gesetz als Hauptaufgabe des Aufsichtsrats in § 111 Abs. 1 AktG generalklauselartig die Überwachung der Geschäftsführung, die sich nach einhelliger Meinung auf die Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit erstreckt. Mit ihr eng verbunden, wenn auch im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, ist die Beratung des Vorstands, die bei vielen Gesellschaften im Vordergrund des Interesses steht5. Zur Erfüllung seiner Aufgaben gibt das Gesetz dem Aufsichtsrat und seinen einzelnen Mitgliedern in §§90, 111 Abs. 2 AktG ein nahezu unbegrenztes Informations-, Einsichts- und Prüfungsrecht in die Hand, mit dem die in §116 in Verbindung mit §93 Abs. 1 Satz 2 AktG angeordnete Schweigepflicht notwendigerweise korrespondiert. Im Prinzip gemeinsam sind dem Vorstands- und dem Aufsichtsratsamt allerdings die organschaftliche Treuepflicht und die Ausrichtung auf das Unternehmensinteresse 6 . II. Verfolgung beruflicher Eigeninteressen 1. Interessenverfolgung
und
Treuepflicht
Die Treuebindung eines Aufsichtsratsmitglieds und seine Pflicht, bei Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben und Pflichten stets das Interesse des Unternehmens im Auge zu behalten, bedeuten nicht, daß es so wie ein Vorstandsmitglied gehalten wäre, das Wohl der Gesellschaft in jeder Hinsicht aktiv zu fördern, auch wo es außerhalb seiner Organ4 Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 1 1 6 Anm.8; Schilling, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 1 1 6 Anm. 1; Hoffmann-Becking, in: Münchener Hdb. des Gesellschaftsrechts, Bd. 4 Aktiengesellschaft, 1988, §33 Rdn.40; Peltzer, WM 1981, 346, 349: „Leerformel". 5 Schiaus, A G 1968, 376; Hoffmann-Becking (Fn.4) §29 Rdn.31; Fischer (Fn. 1) S. 57 ff; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 2. Aufl., Einl. III 2, § 1 II 2, VI 1, S . 5 f , 17, 24; Geßler (Fn.4) § 1 1 1 Anm.36; Scholz/Schneider, GmbHG, 7. Aufl., §52 Anm. 73, 332; Dreher, JZ 1990, 896, 899; Peltzer, WM 1981, 346, 348; Mertens, in: Festschrift f. Ernst Steindorff, 1990, S. 173, 175 f; anders noch in A G 1980, 67, 68: Keine genuine Beratungskompetenz; eingehend dazu Semler, Die Uberwachungsaufgabe des Aufsichtsrats, 1980, S. 93 ff. 6 BGHZ 64, 329, 330f; 106, 54, 65; BGH NJW 1989, 979 zu 2.
Eigengeschäfte eines Aufsichtsratsmitglieds
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funktionell einer hauptberuflichen Tätigkeit nachgeht. Vielmehr darf es in diesem Bereich grundsätzlich seine eigenen Interessen verfolgen, auch wenn sie sich mit den Belangen der Gesellschaft berühren oder diesen sogar widersprechen. Insofern kommt der für Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Organtätigkeit aufgestellte Satz, daß den Interessen der Gesellschaft der unbedingte Vorrang vor allen anderen Interessen zukommt, im Regelfall nicht zum Tragen 7 . Nur muß das Aufsichtsratsmitglied, wie auch sonst, so gerade im Verhältnis zur Gesellschaft besonders gewissenhaft die Gebote des geschäftlichen Anstands und der Fairneß einhalten. Will es in seinem eigenen Betrieb eine Maßnahme durchführen, die den Interessen der Gesellschaft zuwiderlaufen könnte, wie ζ. B. eine Produktionseinstellung oder -Verlagerung, so hat es darauf bedacht zu sein, die Gesellschaft nicht über das wirtschaftlich gebotene Maß hinaus oder in einer Weise zu schädigen, die zu dem angestrebten Erfolg in keinem angemessenen Verhältnis mehr steht8. Entgegen der strengeren Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen ist das Aufsichtsratsmitglied auch im Rahmen eigener Vertragsbeziehungen zur Gesellschaft (ζ. B. als Lieferant oder Abnehmer oder auch als Berater der Gesellschaft in den Grenzen des §114 AktG) grundsätzlich nicht gehindert, seinen persönlichen Vorteil zu suchen, immer freilich unter der Voraussetzung, daß die Vertragsbedingungen auch im Interesse der Gesellschaft sachlich noch vertretbar sind9. Selbst in der Fortsetzung (vgl. § 105 Abs. 2 Satz 4 AktG) oder Aufnahme einer Wettbewerbstätigkeit ohne Abstimmung mit der Gesellschaft10 liegt, für sich genommen, noch kein Verstoß gegen die der Gesellschaft geschuldete Rücksichtnahme; wenn allerdings Art, Intensität und Dauer des Wettbewerbs die Eignung eines Aufsichtsratsmitglieds für sein Amt überhaupt in Frage stellen, kann dies die entsprechenden Folgerungen nach sich ziehen (Abberufung, Amtsniederlegung) 11 .
7 Fischer (Fn. 1) S. 55 ff, 71 f; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606 zu III 2 a-c; Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG, 1. Aufl., §93 Anm.23; Scholz ¡Schneider (Fn. 5) §52 Anm.355; für strengere Loyalitätsbindung auch in diesem Bereich: Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft, 1989, S. 25 f. 8 Vgl. Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606 zu III 2 b. 9 RGZ 148, 357, 361; vgl. dazu Fischer (Fn. 1) S. 70 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606 f zu III 3; Tiedemann, in: Festschrift f. Herbert Tröndle, 1989, S.319, 324, 333. 10 In der Praxis werden Aufsichtsratsmitglieder um der Pflege von Geschäftsbeziehungen willen nicht allein unter Kunden, Lieferanten und Banken, sondern sogar in Wettbewerberkreisen gesucht {Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604; vgl. auch den Bericht der Mitbestimmungskommission, 1970, BT-Drucks. VI 334, S. 32 f. 11 Lutter, ZHR 1981, 224, 236 ff; vgl. auch die Diskussionsberichte, ebenda S.271; Fischer (Fn. 1) S.66; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604; zum Entsendungsrecht einer Aktio-
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2. Ausnutzung von Geschäftschancen
außerhalb
des Amtes
Ebenso ist die Frage zu beurteilen, ob ein Aufsichtsratsmitglied Geschäftschancen, die sich unabhängig von seinem Amt eröffnen, nutzen darf, obwohl die Gesellschaft möglicherweise ebenfalls an dem Geschäft interessiert wäre. Anders als einem Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer, zu deren Aufgaben es gerade gehört, ohne Rücksicht auf ein etwaiges Eigeninteresse alle sich bietenden Gelegenheiten für die Gesellschaft auszuschöpfen, wird man ihm dies im allgemeinen nicht verwehren können. So lassen sich ζ. B. Entscheidungen, die es einem Geschäftsführer verbieten, eine ihm privat zur Kenntnis gelangte, für die Gesellschaft interessante Geschäftschance für sich selber auszuwerten12, nicht auf Mitglieder des Aufsichtsrats übertragen. 3. Geschäftliche
Ausnutzung des Amtes
Das Bild ändert sich sogleich, wenn bei der Wahrnehmung geschäftlicher Eigeninteressen in irgendeiner Weise die Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat eine Rolle spielt und das Ergebnis ohne sie möglicherweise anders ausgefallen wäre, so daß der Gedanke naheliegt, das Aufsichtsratsmitglied habe sein Amt zu seinem persönlichen Vorteil ausgenutzt. Die Frage, inwieweit eine solche Ausnutzung mit den Pflichten des Aufsichtsratsamtes vereinbar ist, soll im folgenden untersucht werden.
III. Das Aufsichtsratsmitglied als Geschäftspartner der Gesellschaft 1. Einwirkungen
auf die
Geschäftsführung
Die Regel, daß ein Aufsichtsratsmitglied auch dort, wo es der Gesellschaft als Vertragspartner gegenübertritt, sein persönliches Interesse mehr oder minder nachdrücklich vertreten darf, erfährt eine wesentliche Einschränkung zunächst durch das Verbot, zum Nachteil der Gesellschaft auf deren Geschäftsführung einzuwirken; das Schwergewicht liegt hierbei auf dem Wort „Nachteil" 13 . a) Grundsätzlich ist es Sache der für die Gesellschaft handelnden Geschäftsleitung, deren Belange bei der Anbahnung und Durchführung
närsgruppe bei Gefahr eigennütziger Interessenverfolgung: RGZ 165, 68, 82 - wo die Bindung an Mehrheitsentscheidungen im Aufsichtsrat vielleicht überbetont erscheint; die besondere Rechtslage im Konzern ist hier nicht zu erörtern. 12 BGH, Urt. v. 23.9.1985 - II ZR 246/84, WM 1985, 1443, 1444; v. 18.3.1976 - II ZR 210/74, zitiert in WM 1981, Sonderbeil. 3 S.6. 13 Ulmer, NJW 1980, 1603, 1607; Fischer (Fn.l) S.70f; Scholz/Schneider (Fn.5) §52 Anm. 355.
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von Vertragsbeziehungen mit einem Aufsichtsratsmitglied zu wahren 14 . Oft steht der Vorstand aber nicht nur rechtlich (wegen §111 Abs. 1 AktG), sondern vor allem auch faktisch unter dem starken Einfluß des Aufsichtsrats oder einzelner seiner Mitglieder 15 . Das allein hindert ein Aufsichtsratsmitglied noch nicht daran, im Bewußtsein seines Einflusses der Gesellschaft ein Vertragsangebot, von dessen Seriosität es überzeugt sein darf, in der Erwartung zu unterbreiten, der Vorstand werde - eine pflichtgemäße Prüfung gem. §93 Abs. 1 AktG vorausgesetzt - auch schon mit Rücksicht auf die Person des Anbieters zur Annahme des Angebots neigen. Darüber hinaus kann es dem Anbieter auch nicht verwehrt sein, in der Weise aktiv auf den Vertreter der Gesellschaft einzuwirken, daß er mit ihm möglichst günstige (aber nicht objektiv unvertretbare) Vertragsbedingungen für sich selbst auszuhandeln versucht oder die Vorzüge seines Vertragsangebots gegenüber anderen Angeboten im Rahmen des Vertretbaren herausstellt, um andere Bewerber auszustechen. Ein solches Verhalten ist namentlich auch bei normalen Austauschgeschäften jedenfalls in den Grenzen des kaufmännisch Üblichen nicht zu beanstanden oder auch nur als Anzeichen für eine unzulässige Ausnutzung der Organstellung zu werten, wenn in Ermangelung eines Börsen- oder Marktwertes das Äquivalent zwischen Leistung und Gegenleistung im Wege beiderseitigen Nachgebens gesucht werden muß; anders ließe sich die Praxis, Aufsichtsratsmitglieder gerade im Hinblick auf bestehende oder erwartete Geschäftsbeziehungen auszusuchen, nicht halten16. Freilich sollte ein Aufsichtsratsmitglied, je stärker seine Position gegenüber dem Vorstand ist, um so sorgfältiger darauf bedacht sein, tunlichst den Eindruck zu vermeiden, es nutze diese Position aus, um den Vorstand zu einem Handeln gegen die Interessen der Gesellschaft zu veranlassen; zu diesem Zweck kann sich auch ein Verzicht auf persönliche Teilnahme an den Vertragsverhandlungen empfehlen17. Eine dem nicht entsprechende Interessenverfolgung braucht indessen noch nicht pflichtwidrig zu sein, solange ihr Ziel noch innerhalb der Unternehmensinteressen liegt18. Das kann selbst bei risikoreichen Geschäften mit letztlich ungünstigem Ausgang der Fall sein, wenn die Gesellschaft bei
Fischer (Fn. 1) S. 70; RG JW 1932, 2279, 2280. Letzteres kommt namentlich dort in Betracht, wo das Mitglied unter den Aktionären einen erheblichen Rückhalt hat, ohne daß schon der - hier ausgeklammert bleibende - Tatbestand des § 311 AktG vorliegt. 16 Ulmer, NJW 1980, 1603, 1607. 17 Ulmer, wie vorstehend. 18 Α. M. wohl insoweit Ulmer, wie vorstehend. 14 15
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Abschluß triftige Gründe hatte, das Risiko auf sich zu nehmen19. Anders verhält es sich, wenn leichtfertig ein außergewöhnliches Wagnis eingegangen werden soll; dies muß das Aufsichtsratsmitglied unbedingt zu verhindern suchen, auch wenn das gegen sein persönliches Interesse geht20. b) Auch wenn das Angebot eines Aufsichtsratsmitglieds mit den Belangen der Gesellschaft noch vereinbar wäre, darf der Anbieter, um es durchzusetzen, das Gewicht seines Amtes gegenüber dem Vorstand nicht in einer Weise ausspielen, die von diesem als Druck empfunden werden muß und ihn veranlaßt, ein anderes Angebot auszuschlagen, dem er sonst nach pflichtmäßigem Ermessen den Vorzug gegeben hätte. Denn darin liegt ein Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Vorstands, die dem Aufsichtsrat nicht zusteht21, geschweige denn in Verfolgung eigener Interessen gestattet ist. Die Grenze des Zulässigen ist eindeutig überschritten, wenn das Aufsichtsratsmitglied mit Hilfe seines Einflusses auf den Vorstand diesen zu einem Geschäftsabschluß bewegt, der, von vornherein absehbar und nicht durch ein ganz besonderes Unternehmensinteresse gedeckt, für die Gesellschaft die Gefahr wirtschaftlicher oder ideeller Nachteile mit sich bringt oder schon mit einem solchen Nachteil verbunden ist. Ein solcher Mißbrauch der Organstellung ist indiziert, wenn die Vertragsbedingungen unausgewogen sind und dem Aufsichtsratsmitglied einen Vorteil verschaffen, den es im allgemeinen Geschäftsverkehr nicht hätte erlangen können 22 . Er bedeutet einen Verstoß gegen §§116, 93 AktG und, wenn er auf eine vorsätzliche Schädigung der Gesellschaft hinausläuft, zugleich gegen §117 AktG. Das entscheidende Kriterium hierfür liegt in der „Faustregel", daß ein Aufsichtsratsmitglied den Vorstand nicht zu einem Handeln veranlassen darf, das es aufgrund seines Amtes rügen müßte23. c) § 111 Abs. 1 AktG verbietet Aufsichtsratsmitgliedern aber nicht nur, zum Nachteil der Gesellschaft auf den Vorstand einzuwirken, es verpflichtet sie auch dazu, ein fehlerhaftes oder gesellschaftsschädliches
19 So Tiedemann (Fn.9) S.329; vgl. auch B G H Z 69, 207, 213; Scholz/Schneider (Fn.5) §52 Anm. 334. 20 B G H Z 69, 207, 213; Scholz/Schneider, wie vorstehend; vgl. auch nachstehend zu b). 21 Mertens (Fn. 7) §111 Anm. 33, 44; Meyer-Landrut, in: Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., §111 Anm. 3. 22 Fischer (Fn. 1) S. 70. 23 B G H NJW 1980, 1629; Ulmer, NJW 1980, 1603 zu I 1, 1607 zu III 3 a; Lutter, Z H R 1981, 224, 240 f; Fischer (Fn. 1) S.71.
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Verhalten des Vorstands abzuwenden 24 . Sie müssen daher beizeiten gegen ein pflichtwidriges Vorhaben des Vorstands selbst dann aktiv einschreiten, wenn dies gegen ihr persönliches Geschäftsinteresse geht 25 . Unterlassen sie das und kommen sie dadurch in den Genuß von Vorteilen, die ihnen sonst nicht zugefallen wären, so liegt auch hierin schon eine verbotene Ausnutzung von Geschäftschancen. 2. Zustimmungsbedürftige
Geschäfte
Die stärkste Form unmittelbarer Einwirkung auf die Geschäftsleitung einer A G ist die Billigung oder Ablehnung von Geschäften, denen nach Bestimmung der Satzung oder eines Beschlusses des Aufsichtsrats dieser zustimmen muß (§111 Abs. 4 Satz 2 AktG). a) Hier erhebt sich zunächst die Frage, inwieweit ein Aufsichtsratsmitglied an einer solchen Entscheidung überhaupt mitwirken darf, wenn sie ein Geschäft zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft. Dazu werden im Schrifttum mit Recht eine entsprechende Anwendung des § 34 BGB (Stimmverbot) und ganz ausnahmsweise - bei wesentlicher Gefährdung einer sachgerechten Beratung und Entscheidung und damit wichtiger Belange der Gesellschaft - auch ein Teilnahmeausschluß 26 für den Fall befürtwortet, daß der Geschäftsabschluß unmittelbar Gegenstand der Entscheidung ist, unabhängig davon, ob er aus der Sicht der Gesellschaft positiv oder negativ zu beurteilen ist27. Dasselbe muß wegen der gleich schweren Interessenkollision dann gelten, wenn der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Uberwachungsaufgabe außerhalb des § 114 Abs. 4 Satz 2 A k t G zu dem Geschäftsabschluß mit einem seiner Mitglieder Stellung nimmt 28 .
« B G H NJW 1980, 1629. 25 Vgl. Lutter, Z H R 1981, 224, 240 f: Ungünstige Geldanlage bei einer vom Aufsichtsratsmitglied repräsentierten Bank. 26 So Mertens (Fn. 7) §109 Anm. 8; streitig; erheblich einschränkend: Geßler (Fn. 4) §109 Anm. 9; Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision im Aufsichtsrat, 1989, S. 15 f, 348 ff; ablehnend Dreher, JZ 1990, 896, 901; desgl. - außer bei Störung des Sitzungsverlaufs - Behr, A G 1984, 281, 283 f. 27 Mertens (Fn. 7) §108 Anm. 44; Werner, Z H R 1981, 252, 266; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1605; Ensch, Institutionelle Mitbestimmung und Arbeitnehmereinfluß, 1989, S. 191; Dreher, JZ 1990, 896, 900 f; ebenso im Ergebnis Geßler (Fn.5) §108 Anm. 29 unter Berufung auf „allgemeine Rechtsgrundsätze"; a. M. Behr, A G 1984, 218, 284ff; Matthießen (Fn. 26) S. 297 ff, 308 ff, 333 mit der - nicht überzeugenden - Begründung, durch die Erteilung oder Versagung seiner Zustimmung nehme der Aufsichtsrat selbst keine Geschäftsführung wahr. 28 Α. M. auch insoweit Matthießen (Fn. 26), weil es hier bereits an einem bestimmten Einfluß auf die Geschäftsführung fehle.
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Ein Stimmrechtsausschluß greift hingegen nicht schon dann ein, wenn sich ein Zustimmungsbeschluß des Aufsichtsrats nur mittelbar auf den Interessenkreis eines Mitglieds auswirkt, ζ. B. bei der Entscheidung über ein Investitionsprogramm, das für das Mitglied als Lieferanten der Gesellschaft interessant sein könnte 29 . Dem Mitglied hier die Mitwirkung zu versagen, vertrüge sich weder mit der Gesamtverantwortung aller Organmitglieder30 noch mit der Rechtssicherheit und dem ihr Rechnung tragenden allgemeinen Grundsatz, daß eine bloße Interessenkollision das Stimmrecht noch nicht berührt 31 . Doch ist dem Mitglied zu empfehlen, sich angesichts eines erheblichen Interessenkonflikts aus Gründen des Anstands und der Optik der Stimme zu enthalten und gegebenenfalls auch der Beratung fernzubleiben, selbst wenn sich sein Interesse mit dem der Gesellschaft deckt oder ihm jedenfalls nicht widerspricht; dazu ist es auch berechtigt, sofern die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats gewahrt bleibt32. Eine Rechtspflicht zur Stimmenthaltung33 dürfte sich freilich nach dem Gesetz nicht begründen lassen, da dies letztlich doch auf ein Stimmverbot hinausliefe. Wenn der Konflikt mit Rücksicht auf den Hauptberuf des Aufsichtsratsmitglieds beständig auftritt und es infolgedessen immer wieder gehindert sein wird, seine gesetzlichen Aufgaben voll wahrzunehmen, sollte es, schon um einem Abberufungsantrag nach § 113 Abs. 3 AktG zuvorzukommen, sein Amt beizeiten niederlegen und dabei, wenn nötig, die Gründe darlegen34.
Ulmer, NJW 1980, 1603, 1605. RGZ 161, 129, 135; Ulmer, wie vorstehend; Dreher, JZ 1990, 896, 901; Werner, ZHR 1981, 252, 266 f; Ensch (Fn.27) S. 191 ff; weitergehend - Ausschluß schon bei schwerwiegender Interessenkollision - Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl., §52 Rdn.52; Meyer-Landrut (Fn.21) §108 Anm.5; Scholz/Schneider (Fn.5) §52 Anm. 295. 31 BGHZ 68, 107, 109; 56, 47, 53. 32 Mertens (Fn. 7) §93 Anm. 22; zur Frage, wie sich eine Beschlußunfähigkeit des Aufsichtsrats vermeiden läßt, vgl. Mertens (Fn. 7) §108 Anm. 56; Geßler (Fn.4) §108 Anm. 38; Barz, in: Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., §133 Anm. 11; zur gleichen Frage bei einem Stimmverbot vgl. einerseits Duden, BB 1950, 803; Hoffmann, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl. 1985, Rdn. 501 ; andererseits - zum Stimmrecht des Aktionärs - Zöllner, in: Kölner Komm. z. AktG, l.Aufl., § 133 Anm.61; Barz (wie vorstehend) §133 Anm. 11; Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, §133 Anm. 29, 30, §136 Anm. 45, 46; vgl. auch §25 Abs. 3 WohnungsEigtG. 33 So Fischer (Fn. 1) S.65; Lutter, ZHR 1981, 224, 247; Mertens (Fn. 7) §93 Anm. 22; Meyer-Landrut (Fn. 21) § 111 Anm. 5; dagegen Dreher, JZ 1990, 896, 901 Fn. 59; Ensch (Fn.27) S. 192. 34 Mertens, wie vorstehend; Fischer (Fn. 1) S. 66; Meyer-Landrut, wie vorstehend; vgl. auch Lutter, ZHR 1981, 224, 246 f; enger Dreher, JZ 1990, 896, 902: „Nur in den wenigen Fällen eines unlösbaren Pflichtenkonflikts"; Ensch (Fn.27) S. 192 Fn.237. 29
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b) Der Grundsatz, daß ein Aufsichtsratsmitglied dort, wo das Plenum über eine Maßnahme der Geschäftsführung verantwortlich zu entscheiden hat, dem Unternehmensinteresse den Vorrang vor einem noch so gewichtigen Eigeninteresse zu geben hat, tritt in aller Schärfe hervor, wenn das zu beurteilende Vorhaben erhebliche Gefahren für die Gesellschaft mit sich bringt. Eine Stimmenthaltung oder selbst - wozu keine Verpflichtung besteht - eine Stimmabgabe gegen den nachteiligen Beschluß entheben ein Aufsichtsratsmitglied nicht seiner Pflicht, nach besten Kräften Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, in diesem Fall also seine Kollegen im Aufsichtsrat auf die der Gesellschaft drohenden Nachteile hinzuweisen 35 . c) Einen Sonderfall der (zwingenden) Genehmigungspflicht für Verträge zwischen Aufsichtsratsmitglied und Gesellschaft behandelt § 114 AktG. Danach hängt die Wirksamkeit eines Vertrages, durch den sich ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner Amtstätigkeit, und ohne daß ein Arbeitsverhältnis begründet wird, durch einen Dienst- oder Werkvertrag gegenüber der (durch ihren Vorstand vertretenen) Gesellschaft zu einer Tätigkeit höherer Art verpflichtet, von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab; fehlt diese, so ist eine von der Gesellschaft gewährte Vergütung zurückzugeben. In dieser Vorschrift, die einer unsachlichen Beeinflussung einzelner Aufsichtsratsmitglieder durch ungerechtfertigte Sonderleistungen vorbeugen will, kommt zum Ausdruck, daß der Gesetzgeber solchen Verträgen hinsichtlich der Bemessung der Vergütung mißtraut und nur Warenverkehrsgeschäfte als ungefährlich ansieht 36 . Zum Stimmrecht und dem unbedingten Vorrang der Gesellschaftsinteressen ist auf das vorstehend zu a) und b) Gesagte zu verweisen. Die Vorschrift wirft jedoch noch einige besondere Fragen auf: aa) Die geschuldete Leistung des Aufsichtsratsmitglieds muß „außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat" liegen. Das ist deshalb wichtig, weil sonst §113 AktG, der die Festsetzung einer Vergütung für das Aufsichtsratsamt allein der Satzung oder einem Hauptversammlungsbeschluß vorbehält 37 und für sie besondere Regeln aufstellt, leicht umgangen werden könnte. Voraussetzung ist also, daß die versprochene Tätig-
Fischer (Fn. 1) S.65f. Vgl. Begr. z. Reg. Entw., abgedr. bei K r o p f f , Aktiengesetz 1965, S. 158; H o f f mann-Becking (Fn. 4) § 33 Rdn. 24; Tiedemann (Fn. 9) S. 333; vgl. aber auch Wiedemann (Fn. 7), S. 19: Angemessenheitskontrolle für sämtliche Transaktionen mit Aufsichtsratsmitgliedern. 37 Heinsius/Than/Willemer/Preusche/Gesang, Aktienrecht und Mitbestimmung, 6. Aufl., S. 97 zu § 19 der Mustersatzung Fn. 8; Mertens in FS Steindorff (Fn. 5) S. 178 ff, 183 ff; a.M. Geßler (Fn. 4) § 113 Anm.18. 35
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keit nicht ohnehin schon von der gesetzlichen Überwachungs- und Beratungsfunktion des Aufsichtsrats umfaßt ist. Es genügt auch nicht, daß sie besonderen Arbeitseinsatz und Sachverstand verlangt 38 . Vielmehr muß die Aufgabe über das Maß dessen, was einem Aufsichtsratsmitglied aufgrund des Mandats, auch im Hinblick auf die bei der Bestellung an seine Person geknüpften Erwartungen, zuzumuten ist, nach Art oder Umfang eindeutig hinausgehen. Das ist in der Regel nur bei solchen Tätigkeiten der Fall, die üblicherweise von einem beruflich spezialisierten Fachmann, z . B . einem Rechtanwalt, einem Steuerberater oder auch einem Bauunternehmer, ausgeübt werden 39 . Allgemeine Beratungsverträge, die zwischen Tätigkeiten innerhalb und außerhalb des Aufsichtsrats nicht deutlich und konkret unterscheiden, sind nicht zustimmungsfähig40. bb) Ein Dienst- oder Werkvertrag, den der Verpflichtete vor seiner Berufung in den Aufsichtsrat abgeschlossen hat, bleibt wirksam. Jedoch hat er den Vertrag nach dem Sinn des § 114 AktG dem Aufsichtsrat (über dessen Vorsitzenden) und nach dessen etwaiger Neubesetzung (bei eigener Wiederbestellung) auch dem neuen Aufsichtsrat anzuzeigen, damit geprüft werden kann, ob angesichts der Vertragsbedingungen die Gefahr einer unsachlichen Einflußnahme des Vorstands besteht. Sinn und Zweck des Gesetzes erfordern es jedoch nicht, entgegen allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts den Vertrag von selbst mit der Organbestellung erlöschen zu lassen41 oder dem Aufsichtsrat unabhängig von der Angemessenheit der Vertragsbedingungen das Recht zu geben, nach (obligatorischer) Vorlage durch den Vorstand diesen verbindlich anzuweisen, den Vertrag in der vereinbarten oder gesetzlichen Frist zu kündigen 42 . cc) Ähnlich verhält es sich mit langfristig laufenden Beratungsverträgen (etwa mit dem Steuerberater der Gesellschaft). Es hieße die Anforderungen des §114 AktG überspannen, wollte man für jede einzelne in
38 Mertens (Fn.7) §114 Anm.6 und in FS Steindorff (Fn. 5) S. 176 ff, 181; von Falkenhausen, AG 1966, 379 f. 39 Mertens (Fn.7) §114 A n m . 3 - 6 ; Meyer-Landrut (Fn.21) §114 Anm.2; Hoffmann-Becking (Fn. 4) §33 Rdn.25; Schiaus, AG 1968, 376; zum früheren § 1 2 Abs. 3 KStG: Β F H BStBl. 1966 III, 688 = WM 1967, 145. 40 Mertens (Fn. 7) § 114 Anm.6 und in FS Steindorff (Fn. 5) S. 173, 175, 179. 41 So aber Mertens in FS Steindorff (Fn. 5) S. 182f; a.M. Geßler (Fn.4) §114 Anm.3. 42 So für Vertragsabschlüsse vor Inkrafttreten des AktG 1965: Mertens (Fn.7) §114 Anm. 12; ähnlich Meyer-Landrut (Fn.21) §114 Anm.6; Schiaus, AG 1968, 376, 378; anders Möhring/Tank, Handb. d. Aktienrechts, Bd. I Rdn.291.
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dessen Rahmen fallende Tätigkeit oder Honorarabsprache eine förmliche Zustimmung des Aufsichtsrats fördern. Vielmehr dürfte es hier genügen, wenn das Aufsichtsratsmitglied vor Aufnahme der Vertragsbeziehungen unter Angabe des konkreten Sachgebiets und der Vergütungsmaßstäbe hierfür die Zustimmung des gerade amtierenden Aufsichtsrats erwirkt, einen neu besetzten Aufsichtsrat von der Dauerverbindung verständigt und dem Plenum auf dessen Verlangen (unter Wahrung eines etwaigen Berufsgeheimnisses) auch über Einzelaufgaben berichtet 43 . 3. Ausnutzung
von
Informationen
Neben der Einwirkung auf den Vorstand und der - nur eingeschränkt zulässigen - Beteiligung an Beschlüssen mit Auswirkung auf persönliche Geschäftsinteressen ist die Ausnutzung betrieblicher Informationen, bevor sie allgemein bekanntgeworden sind, eine praktisch besonders bedeutsame Möglichkeit, wie ein Aufsichtsratsmitglied aus seinem A m t geschäftliche Vorteile ziehen kann. a) Ein solcher Vorteil kann darin liegen, daß das Aufsichtsratsmitglied von geschäftlichen Vorhaben dank seinem A m t früher als andere erfährt und deshalb mit seinem Angebot als erster an den Vorstand herantreten kann. Darin muß noch nichts Anstößiges zu sehen sein, wenn im übrigen die Spielregeln und Grenzen eingehalten werden, die für die Verfolgung eigener Geschäftsinteressen durch ein Aufsichtsratsmitglied allgemein zu beachten sind (vgl. zu II 1, III 1), also namentlich die Gesellschaft nicht treuwidrig übervorteilt wird. Selbst wenn es sich dabei um ein Geschäftsgeheimnis handelt, braucht seine Ausnutzung zum eigenen Vorteil nicht pflichtwidrig zu sein. Denn ein Aufsichtsratsmitglied unterliegt zwar nach §§116, 93 Abs. 1 Satz 2 A k t G einem Schweigegebot 44 . Es verletzt dieses aber nicht, wenn es seine Kenntnis von den geheimzuhaltenden Tatsachen, ohne sie einem Dritten zu offenbaren, für seinen eigenen Geschäftsbetrieb verwertet 45 . Soweit dadurch das Interesse der Gesellschaft nicht berührt oder vielleicht sogar gefördert wird, liegt in einem solchen Sachverhalt nach wohl zutreffender Auffassung auch kein „unbefugtes Verwerten eines Geschäftsgeheimnisses" im Sinne von § 404 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 85 Abs. 2 Satz 2 G m b H G , zumal es
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Hoffmann-Becking (Fn. 4) § 33 Rdn. 27. Zu dessen Inhalt und Grenzen: B G H Z 64, 325; zum Geheimnis- und Vertraulichkeitsbegriff allgemein: Lutter (Fn.5) §13 S. 129 ff, § 16 S. 157 ff; Ulsenheimer, N J W 1975, 1999, 2001; Geilen, in: Kölner Komm. z. AktG, l.Aufl., §404 Rdn.20; Fischer/ LutterlHommelhoff, G m b H G , 12. Aufl., §85 Rdn. 4 m . w . N . 45 Mertens (Fn. 7) §93 Anm.25; Fischer (Fn. 1) S. 69ff - allerdings unter Befürwortung strenger Maßstäbe. 44
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unter Umständen durch das (zumindest konkludente) Einverständnis der Gesellschaft gerechtfertigt sein wird46. b) In der eigennützigen Ausschlachtung von „Insiderinformationen" liegt aber jedenfalls dann ein Verstoß gegen die Treuepflicht eines Aufsichtsratsmitglieds, wenn sie die materiellen oder ideellen Interessen der Gesellschaft irgendwie beeinträchtigt oder gefährdet, ζ. B. einen Ansehens- oder Vertrauensverlust gegenüber Dritten zur Folge hat. IV. Drittgeschäfte eines Aufsichtsratsmitglieds 1.
Stimmabgabe
Die Zustimmung des Aufsichtsrats zu einem Rechtsgeschäft der Gesellschaft mit einem Dritten, das ein Mitglied gern für seinen eigenen Betrieb abschließen möchte, berührt dessen Interessen nur mittelbar. Das Mitglied ist daher von Rechts wegen nicht gehindert, bei der Beschlußfassung mitzuwirken. Jedoch wird es gut daran tun, sich bei einem erheblichen Interessengegensatz unter Hinweis auf die Gründe der Stimme zu enthalten (s. zu III 2 a). 2. Verwertung von
Insiderkenntnissen
Von Bedeutung ist gerade im Zusammenhang mit Drittgeschäften die Frage, inwieweit das Aufsichtsratsmitglied durch sein Amt bevorzugt erlangtes „Insiderwissen" zum Auf- oder Ausbau eigener Geschäftsverbindungen auswerten darf. Ein wichtiges Kriterium ist hier wiederum das - materielle oder ideelle - Interesse der Gesellschaft. So bedeutet es eine Verletzung der Treuepflicht und einen Vertrauensbruch, wenn das Aufsichtsratsmitglied sich mit Hilfe von Kenntnissen, die es in dieser Eigenschaft erworben hat, ζ. B. über Vertragsbeziehungen, Absatzorganisation oder Kundenkreis der Gesellschaft, Wettbewerbsvorteile vor ihr verschafft, insbesondere auch Erwerbschancen der Gesellschaft vereitelt, indem es sie an sich zieht und für Eigengeschäfte (zur Fremdgeschäftsführung s. nachstehend zu IV) ausnutzt47. Zwar braucht der Verlust einer mehr oder minder gesicherten Aussicht auf einen Geschäftsabschluß noch keinen Vermögensschaden zu bedeuten, zumal wenn anzunehmen ist, daß bei dem entgangenen Geschäft Leistung und Gegenlei46 Vgl. Ulsenheimer, NJW 1975, 1999, 2001; Scholz/Tiedemann, GmbHG, 7. Aufl., § 85 Anra. 16, 20; Geilen (Fn. 44) § 404 Rdn. 63, 64; Kohlmann, in: Hachenburg, GmbHG, 7. Aufl., §85 Rdn. 40 ff; Schulze-Osterloh, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Aufl., § 8 5 Rdn. 42 m. w. N. 47 Fischer (Fn. 1) S.69; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606 zu III 2 b a . E ; Lutter (Fn. 5) §13, 2 b S. 133.
Eigengeschäfte eines Aufsichtsratsmitglieds
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stung einander angemessen waren 48 . Aber für die zivilrechtliche Beurteilung wird in dem Eindringen in den fremden Rechtskreis unter Ausnutzung interner Kenntnisse, wenn nicht ein Indiz für eine konkret festzustellende Schädigung der Gesellschaft in ihrem Vermögen oder ihrem Image, so doch jedenfalls eine Störung ihrer Planungen und insofern auch ein Nachteil zu sehen sein. Zudem begeht ein Aufsichtsratsmitglied, das sich so verhält, nicht nur einen Vertrauensbruch, sondern, wenn die verwertete Tatsache ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis ist, auch einen Verstoß gegen § 404 Abs. 2 Satz 2 AktG oder § 85 Abs. 2 Satz 2 GmbHG 49 .
3.
Insiderhandel
Besonders zu betrachten ist die seit langem in ausländischen Staaten und in jüngerer Zeit zunehmend auch in Deutschland erörterte Problematik des sogen. Insiderhandels, d. h., auf die Stellung eines Aufsichtsratsmitglieds bezogen, die mißbräuchliche Ausnutzung 50 eines durch diese Stellung erlangten Informationsvorsprungs für Geschäfte mit Wertpapieren der Gesellschaft oder eines mit ihr gem. §§17, 18, 291 verbundenen oder gem. §§319 ff, 339 ff, 361, 362 ff AktG zusammenzuschließenden Unternehmens 51 . Als Gegenstand eines Insiderwissens kommen kursrelevante Umstände in Betracht, die nach außen hin noch nicht bekanntgegeben oder bekanntgeworden sind, wie insbesondere über eine bevorstehende Änderung des Dividendensatzes, eine Kapitalerhöhung oder -herabsetzung, über Unternehmensverträge oder -Verbindungen und damit zusammenhängende Übernahme- oder Abfindungsangebote oder auch über geplante Kurspflegemaßnahmen. Wer sein vorzeitiges Wissen um solche Umstände verwertet 52 , um durch den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren Gewinne zu erzielen oder Verluste zu vermeiden, gefährdet das Vertrauen des Publikums in die Funktionsfähigkeit der Börse53. Anders als etwa in den USA, in Frankreich und in England54 hat der Gesetzgeber in Deutschland bisher darauf verzichtet, durch straf- oder 48 So für §266 StGB: BGHSt. 31, 232, 234; kritisch dazu Schönke/Schröder/ Lenckner, StGB, 23. Aufl., §266 Rdn.46. 49 Vgl. dazu Geilen (Fn.44) §404 R d n . 6 1 f f ; Scholz Wiedemann (Fn.46) A n m . l 5 f f m. w. N. 50 Zum Begriff des „Ausnutzens": Volk, ZHR 1978, 1, 8ff. 51 Vgl. dazu §2 der Insiderhandels-Richtlinien i. d. F. von Juni 1988, abgedr. in ZIP 1988, 873. 52 Wozu nicht das Unterlassen zu rechnen ist! 53 Eingehend hierzu Dingeldey, Insiderhandel und Strafrecht, 1983, S. 63 ff; skeptisch dazu Pfister, ZGR 1981, 318, 338 f. 54 Zur dortigen Rechtslage eingehend Dingeldey (Fn. 54) S. 73 ff.
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vermögensrechtliche Sanktionen Börsen und Anleger gegen Insidergeschäfte zu schützen. Es bestehen hier lediglich die von den Spitzenverbänden der Wirtschaft und den deutschen Wertpapierbörsen erarbeiteten Insider-Regeln (Insiderhandels-Richtlinien, Händler- und Beraterregeln und Verfahrensordnung) 55 , die gegen die Ausnutzung von Insiderinformationen zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil anderer bestimmte Sanktionen (Gewinnabführung) vorsehen. Sie gelten jedoch nur für Unternehmen und Personen, die sie freiwillig anerkannt haben. Eine Möglichkeit, Insiderhandel strafrechtlich zu erfassen, bieten unter Umständen die - als Antragsdelikte freilich kaum effektiven56 Vorschriften der §§404 Abs. 2 Satz 2 AktG, 85 Abs. 2 Satz 2 GmbHG. Dagegen wird eine Anwendung des § 266 StGB (Untreue) auf Insidergeschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern meist daran scheitern, daß durch solche Geschäfte der Gesellschaft selbst in der Regel kein Vermögensschaden entsteht57. Benachteiligt sind allenfalls die Anleger, die ihr Wertpapier teurer gekauft oder billiger verkauft haben, als sie es bei Kenntnis der Insiderinformation getan hätten. Jedoch läßt sich auch eine vom Insider veranlaßte Schädigung des einzelnen Anlegers kaum nachweisen, vor allem, wenn die Insidergeschäfte den Kurs des Papiers nicht ersichtlich beeinflußt haben. Hieran scheitern meist auch zivilrechtliche Schadenersatzansprüche, die sich von Seiten der Gesellschaft aus §§116, 93 AktG - insbesondere, wenn sich das Aufsichtsratsmitglied den Insiderrichtlinien unterworfen hat - oder sonst unter den besonderen Voraussetzungen des § 826 BGB ergeben könnten 58 . Gleichwohl verletzt ein Aufsichtsratsmitglied, das sich aufgrund einer Insiderinformation durch Wertpapiergeschäfte bereichert, stets seine Pflicht, jederzeit die Interessen der Gesellschaft zu wahren. Diese Interessen schließen auch die Belange der Kapitalgeber ein59. Zudem gefährdet der so Handelnde Ruf und Ansehen der Gesellschaft, was wiederum zu einem, wenn auch betragsmäßig schwer faßbaren, Schaden führen kann 60 . Mit Recht werden daher Insidergeschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern, gleichviel, ob diese die Insider-Richtlinien ausdrücklich als für sich verbindlich anerkannt haben, allgemein als unehrenhaft betrach55 Fn. 51. Vgl. jetzt aber die EG-Insiderrechts-Richtlinie vom 13. November 1989; eingehend dazu Hopt, ZGR 1991, 17. 56 Ulsenheimer, NJW 1975, 1999, 2002 f; Dingeldey (Fn.53) S. 31 f; Kohlmann (Fn. 46) §404 Rdn. 13: „praktisch bedeutungslos". 57 Tiedemann (Fn.9) S.331. 58 Ulmer, JZ 1975, 625 (Bespr. zu Hopt/Will, Europäisches Insiderrecht, 1973) S. 628; Holschbach, NJW 1973, 2006, 2007 ff; Ρ fis ter, ZGR 1981, 318, 341 f; Dingeldey (Fn.53) S . 2 4 f f , 113, 2 1 6 f f . 59 Hofmann (Fn.32) Rdn. 510. 60 Ulsenheimer, NJW 1975, 1999, 2001; vgl. auch Lutter (Fn. 5) §13 II 2 b S. 133 f.
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tet 61 . Sie bedeuten einen groben Vertrauensbruch und damit einen Verstoß gegen die Treuepflicht, die mit dem Sorgfaltsgebot der §§116, 93 Abs. 1 AktG unvereinbar ist62. Soweit sich hieraus - in Ermangelung eines materiellen Schadens - keine Schadenersatzansprüche herleiten lassen, bleibt die Möglichkeit einer Abberufung aus wichtigem Grund gem. § 1 0 3 Abs. 3 AktG. Damit wird einem Aufsichtsratsmitglied ein hohes Maß an Disziplin abverlangt. Man denke nur an den Fall, daß es zur Befriedigung eines akuten Geldbedarfs einen Teil seines Aktienbesitzes veräußern möchte und in diesem Augenblick durch sein Amt von einer bevorstehenden Krise des Unternehmens erfährt; ohne diese Kenntnis hätte es sich vielleicht zum Verkauf anderer Aktien entschlossen. Soll es nun genötigt sein, an diesem Vorhaben gegen besseres Wissen festzuhalten oder abzuwarten, bis die schlechten Aussichten des Unternehmens allgemein bekanntgeworden sind und sich bereits auf den Kurs ausgewirkt haben? Konsequenterweise wird man dies bejahen müssen.
V. Vertragsvermittlung und Provisionsannahme 1. Geschäftsanbahnung
im Auftrag der Gesellschaft
a) Nach §111 Abs. 4 Satz 1 A k t G können dem Aufsichtsrat Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden. Das schließt jedoch nicht aus, daß der Vorstand ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied mit der Ausführung des Geschäfts einschließlich der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen beauftragt und ihm gegebenenfalls hierfür Vollmacht erteilt 63 . Nur bedarf die Verpflichtung des Mitglieds zu der Tätigkeit, wenn diese höherer Art ist und es sich um einen Dienst- oder Werkvertrag handelt, der Zustimmung des Aufsichtsrats (dazu unter III 2 c). Man könnte vielleicht daran denken, in erweiternder Auslegung der Vorschrift Maklerverträge in sie einzubeziehen. Aber als Makler tritt ein Aufsichtsratsmitglied nach dem „gesetzlichen Leitbild" 64 der Gesellschaft gegenüber wie ein Unternehmer auf, vor allem, wenn es als Handelsmakler und damit als Kaufmann (§ 1 Nr. 7 H G B ) hauptberuflich tätig ist und als solcher dauernd mit der Gesellschaft zusammenarbeitet 65 .
61 Pfister, ZGR 1981, 318, 320, 337; Ulsenheimer, mann (Fn. 32) Rdn.513. 62 Holschbach, NJW 1973, 2006, 2007; Dingeldey m. w. N., auch zur Gegenmeinung. " Mertens (Fn.7) §111 Anm.46. 64 BGHZ 61, 17, 21. 65 Vgl. Mertens (Fn. 7) § 114 Anm. 7.
NJW 1975, 1999, 2005;
Hoff-
(Fn.53) S.70f, aber auch S.25
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Zudem erscheint die vom Gesetzgeber gesehene Gefahr überhöhter Honorarabsprachen (vgl. dazu III 2 c) hier geringer, weil bei der Bemessung des Maklerlohns (§653 B G B ) die Verkehrsübung eine größere Rolle spielen dürfte. Wenn die Beteiligten aber eine den üblichen Maklerlohn erheblich übersteigende Vergütung vereinbaren, gelten dieselben Grundsätze, die oben zu II 1 zur Frage der Ordnungsmäßigkeit zwischen Aufsichtsratsmitglied und Gesellschaft ausgehandelter Geschäftsbedingungen entwickelt wurden. Eine entgeltliche Tätigkeit zugleich für die andere Seite kann, vor allem, wenn sie vertraglich gestattet ist, unter bestimmten Voraussetzungen und mit gewissen Einschränkungen zulässig sein, sie darf jedoch nicht zu vertragswidrigen Interessenkollisionen führen 66 . b) O b der Maklervertrag oder ein unter §114 AktG fallender Dienstoder Werkvertrag vorliegt, kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Für einen Dienstvertrag kann sprechen, daß er in Abweichung von § 652 B G B die Verpflichtung begründet, für den Auftraggeber tätig zu werden. Freilich kann eine solche Verpflichtung auch in einem Maklervertrag eingegangen werden; sie liegt dort regelmäßig in der Übernahme eines Alleinauftrags67. Wenn aber hinzukommt, daß der Auftraggeber entgegen dem Leitbild des § 652 B G B ein Honorar auch dann schulden soll, wenn die Bemühungen des anderen Teils nicht zu einem Vertragsabschluß führen, nähert sich ein solches Rechtsgeschäft so stark einem Dienstvertrag 68 , daß es vom Sinn des §114 AktG her geboten erscheint, ihn dem dort aufgestellten Zustimmungserfordernis zu unterwerfen. Ebenso verhält es sich, wo die Vertragsanbahnung oder -Vermittlung einen bestimmten Erfolg herbeiführen soll; hier kommt der Vertrag einem von § 114 AktG betroffenen Werkvertrag nahe 69 . c) Vermittlungsaufträge an Aufsichtsratsmitglieder, die unter § 1 1 4 A k t G fallen, dürfen grundsätzlich mit einer Provisions- oder Honorarabrede verbunden sein, sofern es sich um eine echte Sonderleistung und nicht bloß um eine verkappte Zusatzvergütung für die Aufsichtsratstätigkeit handelt (vgl. zu III 2 c aa)70. Ihre Wirksamkeit hängt jedoch wie die des ganzen Vertrages von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab. Eine Vergütung (Honorar, Provision, „Schmiergeld"), die der Beauftragte von der Gegenseite bezieht, muß er nach §§675, 667 B G B an die Ge-
Β G H Z 61, 17, 21 f; 48, 344, 348. B G H NJW 1966, 1405, 1406. 68 Vgl. O L G Karlsruhe, NJW 1958, 1495. " B G H WM 1971, 966 zu 1; Eneccerus/Lehmann, 66 67
Ile.
70
Tiedemann (Fn.9) S.333.
Schuldrecht, 15.Bearb., §157
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sellschaft herausgeben, es sei denn, daß unter den Voraussetzungen des §114 A k t G etwas anderes vereinbart ist; gleichgültig ist hierbei, ob der Dritte die Zuwendung nur dem Vermittler und nicht der Gesellschaft zukommen lassen wollte und ob der Gesellschaft ein Schaden entstanden ist, weil sie sonst zu günstigeren Bedingungen hätte abschließen können; in jedem Fall ist die Vergütung „aus der Geschäftsbesorgung erlangt" 71 . Ist der Vertrag mit dem Aufsichtsratsmitglied wegen Verstoßes gegen §114 A k t G unwirksam, so kommen die im folgenden noch zu erörternden Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht 72 . 2. Einschaltung ohne Auftrag der Gesellschaft Die Vertretung einer A G bei der Begründung oder Pflege von Geschäftsbeziehungen nach außen ist allein Sache des Vorstands. Der Aufsichtsrat oder einzelne seiner Mitglieder sind weder verpflichtet noch überhaupt berechtigt, von sich aus in dieser Weise tätig zu werden. Allenfalls in engsten Grenzen und im ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einvernehmen mit dem Vorstand und lediglich zu dem Zweck, die Belange der Gesellschaft zu fördern, darf sich ein Aufsichtsratsmitglied in deren Vertragsbeziehungen im Einzelfall einmischen, wenn dies ohne Störung ihres allgemeinen Geschäftsbetriebs möglich ist. a) So begegnet es zwar im allgemeinen keinen Bedenken, wenn ein Aufsichtsratsmitglied dem Vorstand einen Bewerber benennt, von dem es überzeugt sein darf, er werde der Gesellschaft ein günstiges oder zumindest erwägenswertes Angebot unterbreiten. Fehlt es aber an dieser Voraussetzung, so kann es pflichtwidrig sein, dem Vorstand gerade diesen Anbieter zu empfehlen oder sogar unter Einsatz der durch das Aufsichtsratsamt vermittelten Autorität zu dessen Gunsten auf den Vorstand einzuwirken. Erst recht ist es dem Aufsichtsratsmitglied - schon aufgrund des Schweigegebots - verwehrt, ohne Verständigung mit dem Vorstand eine ihm durch sein A m t bekanntgewordene Angebotssituation einem Dritten mitzuteilen, um ihn gegenüber anderen Bewerbern zu begünstigen 73 . b) Nicht anders verhält es sich mit Eingriffen in bereits schwebende oder schon eingeleitete Vertragsbeziehungen. Auch hier darf sich das Aufsichtsratsmitglied nur dann einschalten, wenn dies nach seiner Überzeugung dem Besten der Gesellschaft dient und ohne Störung ihrer Planungen geschehen kann. 71 B G H Z 38, 171, 175; 39, 1; B G H W M 1987, 781 = LM BGB §667 Nr. 30; B G H BB 1966, 99; WM 1978, 115 zu I 2; R G Z 164, 98; BFH, Urt. v. 26.4.1989, G m b H R 1989, 529; vgl. auch BAGE 11, 208 m . z . N . 72 Vgl. RGZ 138, 45, 49. 73 Tiedemann (Fn. 9) S. 332.
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c) Eine besonders grobe Pflichtverletzung ist regelmäßig darin zu sehen, daß sich ein Aufsichtsratsmitglied hinter dem Rücken der Gesellschaft von einem Dritten eine Provision für seine Bemühungen versprechen läßt, ihm einen Auftrag der Gesellschaft zu verschaffen. Unerheblich ist hierbei, ob und wie sich das Provisionsversprechen auf den Angebotspreis zu Lasten der Gesellschaft auswirkt 74 ; das mag für die Frage eines Schadenersatzanspruchs gegen das Aufsichtsratsmitglied gem. §§116, 93 Abs. 2 A k t G von Belang sein, berührt aber nicht die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens oder allenfalls deren Schwere. Das Aufsichtsratsamt verpflichtet das Mitglied nicht zum Tätigwerden im Geschäftskreis der Gesellschaft und damit insbesondere auch nicht zu Versuchen, für die Gesellschaft möglichst günstige Vertragsbedingungen zu erwirken; das ist allein die Aufgabe des Vorstands. Wenn es aber tatsächlich einmal in diesem Bereich aktiv wird, ist es aufgrund seines Amtes gehalten, ausschließlich die Interessen der Gesellschaft wahrzunehmen. Keinesfalls darf es seine Organstellung für persönliche Zwecke ausnutzen. d) O b die Gesellschaft dadurch, daß ein Aufsichtsratsmitglied von einem Dritten eine Vermittlungsprovision oder ein „Schmiergeld" bezieht, einen Schaden erleidet - was, wie gesagt, für den Tatbestand einer Pflichtverletzung unmaßgeblich ist und deshalb ein Abberufungsgrund sein kann - , läßt sich vielfach nur schwer feststellen. Ein solcher Schaden könnte darin liegen, daß die Gesellschaft sonst mit demselben oder einem anderen Anbieter zu günstigeren Bedingungen hätte abschließen können und auch tatsächlich abgeschlossen hätte - was im Einzelfall zweifelhaft sein kann. Zu denken ist aber auch daran, daß die Gesellschaft den Vorteil, den der Empfänger der Provision zum eigenen Nutzen eingesteckt hat, in Gestalt eines günstigeren Angebots selbst hätte erzielen können, wenn der Vermittler sich darum bemüht hätte. Dabei wird vorausgesetzt, daß dieser Nachteil nicht durch einen - im folgenden noch zu erörternden - Anspruch auf Herausgabe des Provisionsbetrages wieder wettgemacht wird. Hier besteht nun die Schwierigkeit, daß ein Aufsichtsratsmitglied im Gegensatz zu einem Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer 7 5 nicht von Gesetzes wegen verpflichtet ist, sich um einen möglichst günstigen Geschäftsabschluß für die Gesellschaft zu bemühen. Wenn mithin der von der Gesellschaft erzielte Vertragspreis marktüblich oder sonstwie angemessen ist und deshalb die Möglichkeit besteht, daß er ohne die Einmischung des Aufsichtsratsmitglieds in gleicher Höhe vereinbart worden wäre, entfällt mangels eines Schadennachweises in der Regel ein Ersatzanspruch gem. §§116, 93 74 75
Vgl. hierzu den von Tiedemann (Fn. 9) S. 323 mitgeteilten Fall. Zu letzterem vgl. B G H W M 1983, 498 = Z I P 1983, 689.
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Abs. 2 AktG, es sei denn, die besondere Gestaltung des Falles erlaubt eine Beweiserleichterung zugunsten der insoweit grundsätzlich beweispflichtigen Gesellschaft76. e) Um so wichtiger erscheint es, in jedem Fall zu prüfen, ob die Gesellschaft eine dem Aufsichtsratsmitglied zugeflossene Sondervergütung unabhängig von einem ihr entstandenen Schaden herausverlangen kann. In Betracht kommt hier ein Anspruch auf Herausgabe des Erlangten aus §§687 Abs.2, 681 Satz2, 667 BGB. Er setzt voraus, daß jemand ein fremdes Geschäft als sein eigenes behandelt, obwohl er weiß, daß er dazu nicht berechtigt ist. aa) Unter Berufung namentlich auf das Reichsgericht 77 und Fischer78 vertritt der BGH in seiner neueren Rechtsprechung den Standpunkt, §687 Abs. 2 BGB scheide aus, wenn ein Geschäftsführer seine Geschäftsführungsbefugnis überschreitet oder sonstwie seinen (gesetzlichen und vertraglichen) Pflichten zum eigenen Vorteil zuwiderhandelt; er hafte dann wegen Verletzung dieser Pflichten und nicht aufgrund der nur subsidiär geltenden Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag 79 . Hiergegen ließe sich anführen, daß ein Geschäftsführer, der sich von einem Vertragspartner der Gesellschaft eine Provision zahlen läßt, durchaus - zumindest auch (konkurrierend) - den Tatbestand des §687 Abs. 2 BGB erfüllt, weil er ein fremdes Geschäft, das der Gesellschaft, insoweit unbefugt als sein eigenes behandelt. Für die Praxis wird allerdings der Standpunkt des BGH hinzunehmen sein. Er führt auch insofern zu befriedigenden Lösungen, als ein Geschäftsführer, der pflichtwidrig von einem Dritten einen Sondervorteil erwirkt und für sich vereinnahmt hat, nicht nur Schadenersatz schuldet, sondern nach § 675, 667 BGB in gleicher Weise wie ein auftragloser Geschäftsführer das Erlangte an den Geschäftsherrn herausgeben muß (s. zu V 1 c). Im Schrifttum wird freilich darüber hinaus die Ansicht vertreten, daß auch sonst, also außerhalb eines Dienst- oder Auftragsverhältnisses, nicht wegen angemaßter Eigengeschäftsführung auf Herausgabe des Erlangten, sondern ausschließlich nach vertraglichen Regeln hafte, wer
76 Vgl. BGH NJW 1989, 2687 zu 2 b; zur strafrechtlichen Beurteilung: BGHSt.31, 232, 234 f; kritisch dazu Tiedemann (Fn. 9) S.232; Schönke/Schröder/Lercc&rcer. StGB, 23. Aufl., §266 Rdn.46. 77 HRR 1933, 1640. 78 Großkomm. z. HGB, 3. Aufl., § 1 1 6 Anm. 29, wo jedoch die angemaßte Eigengeschäftsführung nicht behandelt ist. 79 BGH WM 1988, 968 zu 4 a; GmbHR 1989, 365 m . w . N . ; anders noch BGH WM 1977, 194; RGZ 158, 302, 313; BAGE 11, 208; BAG AP BGB §687 Nr. 1 (= NJW 1961, 2036), 3 und 4; vgl. auch BGH NJW 1975, 977.
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einer vertraglichen Pflicht zuwiderhandelt 80 . Das leuchtet nicht ein. Denn wer dadurch, daß er ein fremdes Geschäft unberechtigt zu seinem eigenen macht, sogar eine vertragliche Verpflichtung verletzt, müßte erst recht auf Herausgabe des Erlangten haften; mit einem bloßen Schadenersatzanspruch läßt sich dieses Ergebnis, wie aufgezeigt wurde, nicht immer erreichen. Auf die Rechtsprechung des BGH, wonach die Verletzung einer Alleinvertriebsabrede keine Ansprüche aus §687 Abs. 2 BGB zu begründen vermag und ausschließlich nach vertraglichen Regeln zu beurteilen ist81, kann sich diese Auffassung nicht stützen. Denn wer ein Alleinvertriebsrecht verletzt, führt kein objektiv fremdes, zum ausschließlichen Rechtskreis eines anderen gehöriges Geschäft, wie es §687 Abs. 2 BGB verlangt, sondern betreibt allein seine eigenen Geschäfte 82 . bb) Aufsichtsratsmitglieder, die sich, ohne von der Gesellschaft (unter Wahrung des §114 AktG) eigens dazu beauftragt zu sein, in deren Geschäfte einschalten, handeln nicht, wie ein Vertretungsorgan, in Erfüllung einer vertraglichen oder gesetzlichen Pflicht, da die Geschäftsführung allein dem Vorstand obliegt. Auf sie trifft daher jene Rechtsprechung nicht zu. Beziehen sie für einen von ihnen auf eigene Faust geförderten Vertragsabschluß zum persönlichen Nutzen eine Sondervergütung, so führen sie damit ein objektiv fremdes Geschäft. Denn Vertragsverhandlungen einschließlich aller Absprachen über Leistungen der Gegenseite sind Sache der durch ihren Vorstand vertretenen Gesellschaft. Daß der eigennützig Handelnde damit zugleich eine eigene Angelegenheit wahrnimmt, steht einer Anwendung der §§667 Abs. 2, 681 Satz 2, 667 BGB nicht entgegen 83 . Nach der Rechtsprechung des BGH liegt allerdings, soweit es um Eingriffe in die vertragliche Position eines anderen geht, ein gegenständlich fremdes, als solches nach außen in Erscheinung getretenes Geschäft im Sinne von § 687 Abs. 2 BGB erst dann vor, wenn in eine zwischen dem anderen und einem Dritten schon bestehende schuldrechtliche Vereinbarung eingegriffen wird; die Vereitelung einer bloßen Geschäftschance, auch wenn sie bereits gesichert scheint, reicht hierzu nicht aus84. Das ist sicherlich richtig, wenn man an den Fall denkt, daß ein Außenstehender einem anderen ein noch nicht fest abgeschlossenes Geschäft 80 Vgl. Seiler, in: MünchKomm. z. BGB, 2. Aufl., §687 Rdn.23ff; Staudinger/ Wittmann, BGB, 12. Aufl., §687 Rdn. 7; teilweise abweichend Soergel/Mühl, BGB, 11. Aufl., §687 Rdn. 5 ff. 81 BGH NJW 1984, 2411 m.w.N. 82 Vgl. BGHZ 75, 203, 205; BGH NJW 1964, 151. 83 Vgl. BGHZ 82, 323, 329 f; Tiedemann (Fn.9) S. 331 f. 84 BGH NJW 1988, 3018; GmbHR 1989, 365.
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„ausspannt". Ein solches Verhalten mag, etwa unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten, rechtswidrig sein und zum Schadenersatz verpflichten. Es bedeutet aber noch keinen Eingriff in ein von dem Betroffenen schon erlangtes, ihm ausschließlich zuzuordnendes Rechtsgut, wie ihn die Rechtsprechung für notwendig hält. Ganz anders liegt es bei einem Aufsichtsratsmitglied, das aus eigenem Antrieb eine Geschäftsbeziehung zwischen der Gesellschaft und einem Dritten anbahnt und sich dafür von diesem ein „Schmiergeld" oder eine sonstige Vergütung versprechen läßt. Es greift damit in die ihm nicht zustehende Geschäftsführung der Gesellschaft ein und verstößt gegen seine auf dem Amt beruhende Treuebindung, die es ihm gebietet, dort, wo es - mit oder ohne Verpflichtung - eine Angelegenheit der Gesellschaft besorgt, ausschließlich deren Interessen und nicht seinen eigenen Vorteil wahrzunehmen (vgl. zu IV 2 c). Bei dieser Sachlage kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob das Versprechen und die Hergabe der Vergütung etwa dem Vertragsabschluß zwischen der Gesellschaft und einem Dritten vorausgehen oder nachfolgen; § 687 Abs. 2 B G B will verhindern, daß jemand aus einem widerrechtlichen Einbruch in einen fremden Rechtskreis eigene Vorteile zieht; diese sollen vielmehr dem Rechtsinhaber zustehen85. Hinzu kommt die Besorgnis, der Empfänger der Vorteile könnte durch sie veranlaßt werden, den Interessen des Geschäftsherren zuwiderzuhandeln86. Unter diesen Gesichtspunkten muß es für den Herausgabeanspruch aus §§687 Abs. 2, 681 Satz 2, 667 B G B genügen, daß die Vergütung mit dem vom Aufsichtsratsmitglied zustande gebrachten Geschäftsabschluß in einem inneren Zusammenhang steht. Darüber hinaus könnte man sogar die Frage aufwerfen, ob ein solcher Herausgabeanspruch nicht auch dann in Betracht zu ziehen ist, wenn die Sondervergütung unabhängig davon gezahlt wird, ob ein Vertrag mit dem Geschäftsherrn auch tatsächlich zustandekommt, oder wenn die Aufgabe ihres Empfängers etwa gerade darin besteht, einen Geschäftsabschluß der Gesellschaft mit einem Konkurrenten zu vereiteln. Sinn und Zweck des Gesetzes dürften auch in diesen Fällen zutreffen. cc) In subjektiver Hinsicht erfordert § 687 Abs. 2 B G B das Bewußtsein, ein objektiv fremdes Geschäft zu führen, und die Absicht, es trotzdem als eigenes zu behandeln. Beides liegt vor, wenn sich ein Aufsichtsratsmitglied unzulässigerweise ausschließlich zum eigenen Vorteil von
85 Jauernig/Schlechtriem/Stiirner/Teichmann/Vollkommer, Anm. 3abb. 86 Vgl. B G H Z 39, 1; RGZ 164, 98; 99, 31.
BGB,
5. Aufl.,
§687
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einem Geschäftspartner der Gesellschaft eine Provision oder ein Schmiergeld versprechen und gewähren läßt. Eine Vermutung, daß derjenige, der ein objektiv fremdes Geschäft besorgt, auch den Willen zur Fremdgeschäftsführung habe87, scheidet hier nach Lage der Sache aus.
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Β GHZ 98, 235, 240 m . w . N .
Internationales Insolvenzrecht in Europa AXEL FLESSNER
I. Einführung Der Kredit braucht ein gut funktionierendes System der individuellen und der kollektiven Rechtsverfolgung; diese wird heute noch und bis auf weiteres von jedem Staat für sein Territorium organisiert. Kapital, Unternehmen und Private agieren aber zunehmend international, besonders in Europa, wo jedenfalls innerhalb der Europäischen Gemeinschaft demnächst die völlige Freiheit der Niederlassung und des Kapital- und Zahlungsverkehrs erreicht sein soll. Unter diesen Bedingungen muß die Rechtsverfolgung - die individuelle oder die kollektive - immer öfter gegen Schuldner gerichtet werden, die Betriebsstätten und sonstige Vermögenswerte (zum Beispiel Grundstücke, Gesellschaftsbeteiligungen, Bankkonten) in verschiedenen Ländern besitzen. Wie müssen das Prozeßrecht, das Vollstreckungsrecht und das Insolvenzrecht beschaffen sein, wenn sie dieser Situation angemessen sein sollen? Für die individuelle Rechtsverfolgung gibt es in der Europäischen Gemeinschaft seit 1968 das Brüsseler Abkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (EuGVÜ). Das Abkommen hat sich bewährt, mit dem Luganer Abkommen von 1988 soll es nun sogar auf die EFTA-Staaten ausgedehnt werden1. Das Brüsseler Abkommen hat für die individuelle Rechtsverfolgung in Zivil- und Handelssachen ein einheitliches Kompetenzsystem und die europaweite „Freizügigkeit" der Urteile gebracht. Für den Fall der internationalen Insolvenz ist der Zustand dagegen weniger befriedigend. In dem folgenden Beitrag soll dieser Zustand skizziert und es sollen einige Gedanken zu den internationalen und europäischen Perspektiven der Weiterentwicklung vorgetragen werden. Dabei wird als internationale Insolvenz eine solche bezeichnet, in welcher der Schuldner Betriebsstätten oder Vermögen nicht nur in einem Staat hat. In solchen Fällen entsteht die Frage, ob und wo die verschiedenen Betriebsstätten 1 Text im Amtsblatt der E G , N r . L 319 vom 25.11.1988, S . 9 ; auszugsweise auch bei Jayme/H ausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht (5. Aufl. 1990) N r . 75.
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und Vermögenswerte zur Gesamtbereinigung der Insolvenz herangezogen werden können. II. Ausgangspunkte Die rechtliche Ordnung internationaler Insolvenzen diskutiert man gewöhnlich mit dem Gegensatzpaar der Universalität und der Territorialität. Universalität bedeutet, daß ein Konkurs durchgeführt wird, für den es keine Bedeutung hat, wo das Vermögen des Schuldners sich befindet, der vielmehr das gesamte Vermögen des Schuldners ergreift. Die Universalität entspricht dem materiellen Grundgedanken jedes Insolvenzverfahrens, welches ja beim finanziellen Zusammenbruch eine Gesamtbereinigung der Vermögenssituation anstrebt. Territorialität bedeutet, daß das Insolvenzverfahren eines Staates nur das in diesem Staat befindliche Vermögen ergreift, das heißt, daß zur Gesamterfassung des Schuldnervermögens überall dort ein eigenes Insolvenzverfahren durchgeführt werden muß, wo verwertbares Vermögen des Schuldners zu finden ist. Das Territorialitätsdenken knüpft an die Tatsache, daß die angestrebte Gesamtbereinigung nur verwirklicht werden kann durch einen umfassenden staatlichen Eingriff in Schuldner- und Gläubigerrechte und daß mit der Insolvenz eines Unternehmens öffentliche Interessen berührt sein können. Die staatliche Hoheitsgewalt hat sich aber auf das eigene Territorium zu konzentrieren und deshalb auch - so mag man denken - mit dem Insolvenzverfahren, das sie durchführt. In Europa beanspruchen alle Staaten für ihre eigenen Verfahren Universalität, jedenfalls für diejenigen, die am Sitz des Schuldners eröffnet werden. Sie sind aber uneinheitlich in ihrer Bereitschaft, die Universalität den entsprechenden ausländischen Verfahren zuzubilligen. Nach manchen Staaten sind ausländische Insolvenzverfahren in keinem Falle anzuerkennen, nach anderen sind unter gewissen Umständen einzelne Wirkungen ausländischer Verfahren anzuerkennen; nirgends kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß ein ausländischer Konkurs ohne weiteres und mit allen seinen vom Ausland gewollten Wirkungen auch für das inländische Vermögen des Schuldners und gegen inländische Gläubiger hingenommen wird. Es herrscht also, nüchtern betrachtet, prinzipiell die Territorialität, die in manchen Staaten in dem einen oder anderen Punkt durch Entgegenkommen gegenüber dem ausländischen Verfahren aufgelockert wird2. 2 Die nach Breite und Tiefe umfangreichste Darstellung der internationalen Situation bietet Bogdan, International Konkurs- och Ackordsrätt (Stockholm 1984). Außerdem Hanisch, Probleme des internationalen Insolvenzrechts, in: Marschall v. Bieberstein (Hrsg.), Probleme des internationalen Insolvenzrechts (Arbeiten zur Rechtsvergleichung,
Internationales Insolvenzrecht in Europa
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Die Territorialität der Insolvenzverfahren, aber auch ihre uneinheitliche und dadurch unübersichtliche Auflockerung sind kein angemessener Rechtszustand für den einheitlichen Wirtschaftsraum, der in Europa Gestalt annimmt. Die Entwicklung muß sicherlich in die Richtung größerer und besser gesicherter Universalität gehen. Man kann es aber auch nicht machen wie im einheitlichen Wirtschaftsraum der Vereinigten Staaten von Amerika. Dort gibt es zwar die unabhängigen Privatrechtssysteme der Einzelstaaten, die Bundeskompetenz aber für das Insolvenzverfahren, welches einheitlich wirkt im gesamten nationalen Territorium. Eine solche Kompetenz ist für die Europäische Gemeinschaft nicht absehbar und sie wäre im vielfältigeren Europa auch nicht angemessen. Zu viel Einheitsstreben zeigte auch der Entwurf eines Konkursabkommens, der seit 1960 im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften ausgearbeitet wurde. Nach diesem Entwurf sollte für das Insolvenzverfahren nur der Staat zuständig sein, in dem der Gemeinschuldner den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Interessen hat, und dieses nationale Insolvenzverfahren sollte umfassend und einheitlich für das Gebiet aller EG-Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Andererseits sollte aber in diesem einheitlichen Verfahren für die Berücksichtigung von Steuerforderungen, Arbeitnehmerforderungen und von Sicherungsrechten das Vermögen des Gemeinschuldners doch nach den verschiedenen Staaten, in denen es sich befindet, rechnerisch auseinandergehalten werden, damit für jedes Land die dort gewollten Vorrechte für solche Forderungen berücksichtigt werden könnten. Das gewollte Einheitsverfahren - im Europa der vielen Sprachen und Rechtskulturen schon an sich schwer zu verwirklichen - wäre durch diese Untermassen-Rechnung vollends unpraktikabel geworden. Das Konzept des Entwurfs ist in den Verhandlungen in Brüssel inzwischen gescheitert 3 . Wie kann es in Europa weitergehen? Ich will dies für drei besonders wichtige Fragen des internationalen Insolvenzrechts näher beleuchten: 1. die Zuständigkeit, 2. die Anerkennung ausländischer Verfahren im Inland und, schließlich, 3. für die internationalen Aspekte von solchen Insolvenzverfahren, welche die Erhaltung des Unternehmens, nicht seine Liquidation, bezwecken. Band 113) (Frankfurt 1982) 9 - 2 9 , 5 1 - 5 8 ; ders., Procédure d'insolvabilité interne comprenant des biens situés à l'étranger, in: Le droit de la faillite internationale (Etudes suisses de droit international, Band 46, Zürich 1986) 15-36. 3 Vorstellung und Kritik des Entwurfs jetzt umfassend in: Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens, vorgelegt von Kegel, bearb. von Thieme (Tübingen 1988).
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III. Zuständigkeit Wo kann das Insolvenzverfahren eröffnet werden, wenn der Schuldner Vermögen in mehreren Ländern hat? Hier lassen sich die Regelungen aller europäischen Länder so zusammenfassen: Der Konkurs kann im Inland eröffnet werden, wenn der Schuldner dort das Zentrum seiner wirtschaftlichen Interessen oder Aktivitäten hat; bei der natürlichen Person wird dies durch die gewerbliche Niederlassung, sonst durch den Wohnsitz indiziert, bei den Gesellschaften und juristischen Personen durch den satzungsgemäßen Sitz. Insofern können wir also von einem lus commune der Zuständigkeit sprechen4. Der EG-Entwurf bestätigt diesen Satz und hätte ihm eine einheitliche Form gegeben (Art. 3). Der Einfachheit halber soll der aufgrund solcher Zuständigkeit eröffnete Konkurs im folgenden als Domizilkonkurs bezeichnet werden. In allen Ländern geht man ferner mehr oder weniger deutlich davon aus, daß der inländische Domizilkonkurs prinzipiell auch das ausländische Vermögen des Schuldners ergreifen soll, vorausgesetzt natürlich, daß das Ausland diesem Anspruch nichts in den Weg legt5. Übereinstimmend finden wir auch in allen Ländern eine Konkurszuständigkeit, die sich darauf gründet, daß der Schuldner, der im Ausland sein Geschäftszentrum hat, im Inland Vermögen oder eine Zweigniederlassung besitzt oder sonstwie sich am inländischen Wirtschaftsleben in nennenswerter Weise beteiligt. Im deutschen Recht gibt §238 K O dafür die Grundlage. Diese zusätzliche Konkurszuständigkeit soll den inländischen Rechtsverkehr schützen, der auf das Vorhandensein von Vermögenswerten und die allgemeine Belangbarkeit des Schuldners im Inland vertraut hat6. Es lebt in diesem Zuständigkeitsgrund aber auch die Vorstellung vom Konkurs als einer Maßnahme der staatlichen Wirtschaftspolizei, die sich selbstverständlich auf alle Personen erstreckt, die sich auf dem Territorium wirtschaftlich betätigen7. Nach dem gegenwärtigen lus commune der Zuständigkeiten ist es also möglich, daß in einer und derselben Insolvenz ein Domizilkonkurs in 4 Ausführlich Bogdan (oben Fn. 2) 49-59, 90 f; aus deutscher Sicht neuerdings Leipold, Zur internationalen Zuständigkeit im Insolvenzrecht, in: FS Baumgärtel (1990) 291 ff, 307. 5 Bogdan (oben Fn.2) 2 7 ^ 6 , 117-125; Hanisch (oben Fn.2), Probleme 11-15, Procédure 21 f. 6 Hahn, Die gesammten Materialien zur Konkursordnung (1881) 404; Bogdan (oben Fn.2) 81-88. 7 So ζ. B. für die einschlägige Vorschrift des italienischen Konkursgesetzes (Art. 9 Abs. 2 der Legge fallimentare) Daniele, Il fallimento nel diritto internazionale privato e processuale (Padova 1987) 55-58. Für das französische Recht (referierend) Lomsouam/ Bredin, Droit du commerce international (Paris 1969) 770; referierend und kritisch Trocha, Conflits de lois et conflits de juridictions en matière de faillite (Paris 1967) 53 f, 82-88.
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einem Land und unabhängig davon und voneinander Niederlassungsoder Vermögenskonkurse in anderen Ländern eröffnet und geführt werden. Ist diese Zuständigkeitskonkurrenz für das zusammenwachsende Europa ein negativer Zustand? Die Verfasser des EG-Entwurfs haben so gedacht. Der Entwurf erlaubte die Konkurseröffnung nur im Staate des Geschäftszentrums des Schuldners (Art. 3), und dieser Domizilkonkurs sollte automatisch europaweit gelten (Art. 2). Nebenkonkurse in anderen Mitgliedstaaten waren ausgeschlossen. Aber diese rigorose Ausschaltung jeglicher Vermögensoder Niederlassungskonkurse ist übertrieben und schädlich. Im integrierten Europa kann es zwar nicht hingenommen werden, daß mehrere Insolvenzverfahren unkoordiniert und mit Allmachtanspruch (jedenfalls für ihren jeweiligen nationalen Bereich) durchgeführt werden. Selbst für die Verbrechensbekämpfung und die Strafverfolgung wird heute schon die europäische Zusammenarbeit organisiert! Mit dem Gedanken der Zusammenarbeit läßt sich aber auch der internationalen Zuständigkeit für einen Vermögens- oder Niederlassungskonkurs ein neuer Sinn geben. Ein solcher Konkurs schützt dann nicht nur die lokalen Gläubiger und das jeweilige nationale Ordnungsinteresse, sondern er läßt sich einsetzen zur Unterstützung, jedenfalls zur Ergänzung, eines anderen, anderwärts eröffneten Konkurses, besonders des Domizilkonkurses; er ist also Hilfskonkurs für einen anderwärtigen Hauptkonkurs. Für solche Zwecke stellt traditionell England sein Konkursverfahren zur Verfügung (allerdings nach Ermessen des Richters) 8 , neuerdings tun es auch die Vereinigten Staaten und die Schweiz 9 . Die internationale Konkurskooperation zwischen Haupt- und Hilfskonkursen ist auch die Lösung der Konkurskonvention des Europarats, die 1990 fertiggestellt und gezeichnet wurde 10 , sowie des ebenfalls 1990 veröffentlichten deutschen Referentenentwurfs zum Internationalen Insolvenzrecht 11 . Die Kooperation, die man so anstrebt, kann darin bestehen, daß der Verwalter des Domizilkonkurses in anderen Ländern ebenfalls das Recht erhält, dort einen Vermögens- oder Niederlassungskonkurs zu beantragen; daß die Verwaltungen im Hauptkonkurs und im Hilfskonkurs sich gegenseitig informieren und unterstützen; daß ferner die Erlöse, welche ein Gläubiger in den Konkursen jeweils erhält, zusammengerechnet werden; 8 D a z u ausführlich Florian, Das englische internationale Insolvenzrecht (1989) bes. 29-36, 102-112. 9 § 3 0 4 des amerikanischen Bankruptcy C o d e ; A r t . 1 6 8 - 1 7 3 des schweizerischen IPRGesetzes. 10 European C o n v e n t i o n on Certain International Aspects of Bankruptcy - C o n v e n tion Européenne sur Certains Aspects Internationaux de la Faillite, veröffentlicht in: European Treaty Series, N r . 136, hrsg. v o m Europarat - Conseil de l'Europe. 11 Text und Begründung in: ZIP 1 9 9 0 , 1 2 9 8 - 1 3 0 3 .
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und daß schließlich ein Resterlös, der im Hilfskonkurs nach der Befriedigung übrigbleibt, an den Hauptkonkurs ausgekehrt wird. Auf die möglichen Ausgestaltungen eines solchen Systems im einzelnen ist hier nicht einzugehen. Seine Vorteile gegenüber dem gescheiterten EG-Entwurf, also auch für das integrierte Europa, liegen zum einen in der Praktikabilität und Effizienz. Der Verwalter im Domizilkonkurs, der Vermögen in anderen Ländern verwaltet und verwertet haben will, braucht sich nicht einzuarbeiten in die dortigen Rechtssysteme und lokalen Verhältnisse, und er braucht nicht Rücksicht zu nehmen auf die Interessen, welche der Staat der Niederlassung oder des Vermögens unbedingt gewahrt wissen will. Dies alles wird ihm abgenommen durch eine lokale Konkursverwaltung, die die Verhältnisse kennt und am Ort Vertrauen genießt, gleichzeitig aber zu einer Zusammenarbeit mit dem Hauptkonkurs verpflichtet ist. Der Vorteil eines solchen Systems liegt ferner darin, daß es für die effiziente europaweite Insolvenzbereinigung die vorhandenen nationalen Kompetenzen zu aktivieren, nicht auszuschalten versucht. Europa mit seinen unterschiedlichen Sprachen, Rechtskulturen und Verwaltungsstilen sollte auch auf diesem Gebiet möglichst föderal, nicht unitarisch organisiert werden. So wie die Unternehmen und ihre Kreditgeber im integrierten Europa weiterhin mit den nationalen Sprachen, Verfahrensrechten, Verwaltungsstilen und öffentlichen Interessen rechnen müssen, so können sie es auch im Insolvenzrecht. Das Insolvenzverfahren, welches „am Ort", aber im Gemeinschaftsgeist zu führen ist, ist deshalb Europa angemessener als das einheitliche Verfahren, das aus dem vielleicht fernen Domizilland des Schuldners europaweit Geltung beansprucht. Der Vorteil eines Systems von Haupt- und Hilfskonkursen liegt schließlich darin, daß es eigentlich auch ohne Gesetz oder Konvention herzustellen ist. Die gesetzlichen Texte zur internationalen Konkurszuständigkeit und zur Ausgestaltung der Vermögens- und der Niederlassungskonkurse sind überall so knapp und rar, daß Gerichte und Jurisprudenz, wenn sie nur wollen, ein solches System allmählich im Rahmen des geltenden Rechts müßten herstellen können 12 . IV. Internationale Anerkennung von Konkurswirkungen Wie steht es nun mit der grenzüberschreitenden Wirkung eines Konkurses, also mit seiner Anerkennung außerhalb des Staates, in dem das Verfahren eröffnet und geführt wird? 12 So auch seit langem schon Hanisch oben Fn. 2 zitierten Beiträgen.
in seinen zahlreichen Schriften, z.B. in den
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Die Anerkennung kommt natürlich im Ausland realistischerweise nur für den Domizilkonkurs in Betracht. Wenn der Konkursstaat seine Zuständigkeit dagegen nur auf eine dort befindliche Zweigniederlassung des Schuldners oder auf inländisches Vermögen gründet, beansprucht er in der Regel schon selbst nicht die Auslandswirkung und sie wird ihm bei diesem Zuständigkeitsgrund vom Ausland in der Regel auch nicht zugebilligt 13 . Auch die Anerkennung eines Domizilkorikurses kommt natürlich dort nur in beschränktem Maße in Betracht, wo wegen des Vermögens oder einer Zweigniederlassung des Schuldners ein eigener Sonderkonkurs eröffnet worden ist. Denn dieser Konkurs soll ja gerade dafür sorgen, daß die Gläubiger- und Staatsinteressen im Lagestaat sich gegen Regelungsansprüche des Domizilstaates behaupten können 14 . Eine Anerkennung des Domizilkonkurses kann dann vernünftigerweise nur in der vorhin geschilderten Form der Kooperationsbereitschaft in Frage kommen. Es gibt allerdings Länder, welche die Anerkennung von der förmlichen Entscheidung in einem besonderen Anerkennungsverfahren abhängig machen, dieser Entscheidung dann aber für das Inland die komplette Sperrwirkung wie einer inländischen Konkurseröffnung zubilligen; ein eigener (Sonder-)Konkurs im Inland ist dann nicht mehr möglich 15 . Die Konsequenz dieser Auffassung kann aber sein, daß man bei der Anerkennung des Domizilkonkurses noch zurückhaltender ist, weil sie dem Inland eigene Insolvenzmaßnahmen nicht mehr erlaubt. Für die praktische Insolvenzbewältigung ist dieser Alles-oder-Nichts-Standpunkt nicht unbedingt förderlich. Man sollte daher besser auch nach der Eröffnung eines an sich anerkennungsfähigen ausländischen Domizilkonkurses den inländischen Sonderkonkurs noch erlauben. So tun es die meisten geltenden und werdenden Insolvenzgesetze 16 . 13 Einzelheiten bei Bogdan (oben Fn.2) 117f, 125-127, 190-281; Hanisch (oben Fn. 2) Procedure 21 f. 14 Der Konkurs nach §238 K O verdrängt deshalb den an sich anzuerkennenden ausländischen Domizilkonkurs, selbst wenn er später als der Domizilkonkurs eröffnet worden ist; s. dazu Arnold, in: Insolvenzrechts-Handbuch, hrsg. von Gottwald (1990) §122 Rdn. 9, 43, 44. 15 So anscheinend die herrschende Meinung zum italienischen Delibationsverfahren, siehe Maffei Alberti, Commentario breve alla legge fallimentare (2. Aufl., Padova 1986) Art. 9 Anm.VII Rdn. 3; ebenso Frankreich, siehe Witz/Zierau, Französisches internationales Konkursrecht - Neue Tendenzen und Entwicklungen in der Rechtsprechung der Cour de cassation, RIW 1989, 929 ff (929 Fn.9, 931). 16 So das deutsche Recht, siehe oben Fn. 14 und § 1 6 des Referentenentwurfs (oben Fn. 11). Nach dem neuen schweizerischen IPR-Gesetz muß die Anerkennung in einem besonderen Verfahren erwirkt werden; sie führt dann zu einem schweizerischen Hilfskonkurs für das Auslandsverfahren; Art. 166 ff. Aber selbst während eines solchen Verfahrens
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Aber es kann sein, daß die Vermögenswerte oder Betriebsstätten des Schuldners, die sich in einem anderen als dem Domizilstaat befinden, ein dortiges eigenes Insolvenzverfahren nicht lohnen oder daß sich niemand findet, der den Sonderkonkurs in diesem Lagestaat beantragt. Dann entsteht als erstes die Frage, ob der Gemeinschuldner durch den Konkurs in seinem Domizilstaat auch im Ausland die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verloren hat und ob an seiner Stelle der Verwalter auch dort über dieses Vermögen verfügen darf; es geht also um die internationale Anerkennung der Beschlagnahme des Vermögens durch und für den Domizilkonkurs. In Europa gibt es nur ganz wenige Länder, die einem ausländischen Konkursverwalter überhaupt keine Verfügungsmacht über inländische Vermögensgegenstände zubilligen, so anscheinend Finnland, Norwegen, die Niederlande und wohl auch die Schweiz 17 . Der ausländische Konkursverwalter kann also nicht in Zürich oder Genf das dortige Bankkonto des Gemeinschuldners in Anspruch nehmen; er muß vielmehr erst durch einen Antrag auf förmliche Anerkennung einen Schweizer Sonderkonkurs in Gang setzen, der allerdings vorerst nur zugunsten gesicherter und privilegierter Gläubiger sowie zur Unterstützung des anerkannten ausländischen Konkurses geführt wird (Art. 166 ff des IPR-Gesetzes). Auch Deutschland hat sich bis vor kurzem noch gegen jegliche Anerkennung ausländischer Konkurse gesperrt, also auch gegen die Verfügungsbefugnis ausländischer Konkursverwalter. Diese Haltung hat der Bundesgerichtshof aber 1985 spektakulär aufgegeben 18 . Die ausländischen Konkursverwalter sind nun in Deutschland prinzipiell verfügungsbefugt, nicht mehr die Gemeinschuldner. Die prinzipielle Bereitschaft, der Konkursverwaltung, die im Domizilstaat des Schuldners eingesetzt wurde, die Verfügungsbefugnis auch außerhalb dieses Staates zuzubilligen, besteht heute' in den meisten europäischen Ländern. In manchen Ländern wird diese Anerkennung beschränkt auf Konkurse von Gesellschaften, in manchen auf die Geltendmachung von Forderungen des Gemeinschuldners gegen inländische Schuldner; in vielen Ländern West- und vor allem Südeuropas wird sie schließlich abhängig gemacht von einer förmlichen Anerkennung des
kann noch ein Schweizer Niederlassungskonkurs eröffnet und geführt werden, solange im Hilfsverfahren ein Verteilungsplan (Kollokationsplan) noch nicht aufgestellt ist, Art. 166 II. Im übrigen zu diesem Thema Bogdan (oben Fn.2) 81-93. 17 Für Skandinavien besonders ausführlich Bogdan (oben Fn.2) 246-258; im übrigen Hanisch (oben Fn.2) Procédure 24-26, und JZ 1988, 737-744 (über die Schweiz). 18 BGHZ 95, 256.
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ausländischen Konkurses, die in einem eigenen Verfahren beantragt werden muß 19 . Das besondere Anerkennungsverfahren hat den Vorteil, daß über die Anerkennung ein für allemal entschieden wird, der ausländische Konkursverwalter muß sie sich nicht in jedem Fall einer Auseinandersetzung neu erstreiten. Das Verfahren erfordert aber nicht geringe Zeit und geht damit für den ausländischen Konkursverwalter oft ins Leere; bis er die Anerkennung durch alle Instanzen schließlich erwirkt hat, kann der Gemeinschuldner sein Vermögen in diesem Land ungehindert beiseite schaffen oder an von ihm bevorzugte Gläubiger verteilen20. Das besondere Anerkennungsverfahren kann so ein ernstes Hindernis für eine effiziente internationale Konkurspraxis werden. Es erscheint deshalb besser, die Verfügungsbefugnis des Verwalters, der im ausländischen Domizilkonkurs eingesetzt wurde, unmittelbar anzuerkennen und einen Streit über die Anerkennungsfähigkeit, der im Einzelfall entstehen mag, dem ordentlichen Zivilprozeß zu überlassen. Das Konkursabkommen des Europarates enthält diese Lösung (Art. 6 ff), ebenso der deutsche Referentenentwurf (Art. 1 mit Art. 6 ff). Sie wäre vielleicht auch in anderen Ländern zu verwirklichen, wenn Doktrin und Rechtsprechung dort die fragwürdige Gleichsetzung der ausländischen Konkurseröffnung mit einem Urteil im streitigen Zivilprozeß (für welches die Prozeßordnungen zum Beispiel Frankreichs und Italiens das besondere Anerkennungsverfahren vorschreiben) aufgeben würden. Die zügige Anerkennung der Verfügungsbefugnis des Konkursverwalters, der im ausländischen Domizilkonkurs eingesetzt worden ist, ist der Mindeststandard, den das internationale Konkursrecht erreichen muß, wenn es der internationalen Mobilität von Unternehmen, Kapital und Kredit gewachsen sein soll. Der Konkurs nimmt aber nicht nur dem Schuldner sein Vermögen aus der Hand, sondern er sperrt es auch gegen den individuellen Zugriff seiner Gläubiger. Soll auch diese Sperre der individuellen Rechtsverfolgung außerhalb des Domizilkonkursstaates anerkannt werden? Man könnte meinen, die Anerkennung könne nur ganz oder gar nicht gewährt werden: wenn für den Übergang der Verfügungsbefugnis auf den Konkursverwalter, dann notwendig auch für die Sperre gegenüber den Gläubigern. So wird vielfach in der neueren deutschen Doktrin
19 Überblick bei Hanisch (oben Fn. 2) Procedure 28-30; Bogdan (oben Fn. 2) 227—258. Zur neuesten Entwicklung in Frankreich: Witz/Zierau (oben Fn. 15). Auch die Schweiz gehört mit ihrer neuen Regelung zu dieser Gruppe, siehe oben zu Fn. 16. 20 Die Schweiz erlaubt allerdings ausdrücklich von der Stellung des Antrages an sichernde Maßnahmen nach dem Konkursgesetz, Art. 166 I P R G .
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gedacht21, und der Referentenentwurf folgt dieser Vorstellung: dem ausländischen Verfahren die gleichen internationalen Wirkungen zuzugestehen, die für das Inlandsverfahren beansprucht werden, entspreche der internationalen Gerechtigkeit22. Aber so einfach ist es nicht. Der Ubergang der Verfügungsbefugnis auf den Konkursverwalter berührt das Verhältnis der Gesamtheit der Gläubiger zum Schuldner (und zum rechtsgeschäftlichen Verkehr). Die Sperrwirkung betrifft dagegen das Verhältnis der Gesamtheit der Gläubiger zu den einzelnen Gläubigern. Es ist deshalb für die internationale Konkursanerkennung nicht denknotwendig, beide Wirkungen gleich zu behandeln. Zwar wird man nicht die Sperrwirkung gegenüber den einzelnen Gläubigern international anerkennen, dem Gemeinschuldner aber die Verfügungsbefugnis außerhalb des Konkursstaates belassen wollen. Aber umgekehrt kann man durchaus den Ubergang der Verfügungsbefugnis auf den Konkursverwalter anerkennen, nicht aber die Sperre gegenüber den Gläubigern, weil doch unterschiedliche Interessen betroffen sind23. Es gibt in Europa bisher anscheinend nur zwei Länder (Belgien und Luxemburg), in denen ein ausländischer Domizilkonkurs ohne Einschränkung auch die individuelle Rechtsverfolgung hindert. Selbst die Länder, in welchen die Verfügungsbefugnis des ausländischen Konkursverwalters ohne weiteres anerkannt wird, gewähren die Anerkennung zumeist nicht ebenso problemlos und ohne Vorbehalt dem Verbot der individuellen Rechtsverfolgung, das der ausländische Konkurs aufgestellt hat24. Die Lösung des Referentenentwurfs würde Deutschland also in der gesetzlichen Festschreibung der Anerkennungsbereitschaft die Alleinstellung an der Spitze verschaffen. Teilweise ist es schon geschehen, jedenfalls dem Buchstaben nach. Die „Gesamtvollstreckungsverordnung" der D D R vom 6.6.1990 gewährt in ihrem §22 dem ausländischen Domizilkonkurs die Anerkennung so einschränkungslos, wie auch der Referentenentwurf es will25. Das Insolvenzrecht ist eine der ganz wenigen Materien, die durch den Einigungsvertrag nicht vereinheitlicht wurden; die Gesamtvollstreckungsverordnung der D D R ist dort vielmehr ausdrücklich als partikulares Bundesrecht für das Gebiet der ehemaligen D D R und Ostberlins aufrechterhalten wor21 In jüngster Zeit z.B. Kuhn/Uhlenbruck/Lüer, K O (10.Aufl. 1986) §§237, 238 Rdn.37, 40-42, 70-72; Kilger, K O (15. Aufl. 1987) §237 Anm. 5. 22 Referentenentwurf (oben Fn. 11) 1302. 23 Die Unterscheidung wird besonders klar herausgearbeitet von Bogdan (oben Fn. 2) 190-193. 24 Darstellung im einzelnen bei Bogdan (oben Fn. 2) 194-226; Hanisch (oben Fn. 2) Procédure 30 f. Für Deutschland siehe §237 K O . 25 Zur Gesamtvollstreckungsverordnung siehe Lühchen/Landfermann, Das neue Insolvenzrecht der D D R , ZIP 1990, 829-838.
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den26. Es bleibt abzuwarten, ob ihre Anerkennungsregel die individuelle Rechtsverfolgung im Inland wirklich so ausnahmslos ausschließt, wie der Wortlaut der Norm es zu gestatten scheint. Die Zurückhaltung gegenüber dem ausländischen Verbot der individuellen Rechtsverfolgung hat Gründe. Wenn man es im Inland befolgt, schickt man Gläubiger, die auf eine inländische Zuständigkeit für Prozeßführung und Vollstreckung gegen den Schuldner vertraut haben, nun auf den Weg ins vielleicht sehr entfernte und unvertraute ausländische Konkursverfahren. Es gibt insbesondere „lokale" Gläubiger, denen es persönlich oder wegen des Charakters ihrer Forderung besonders schwerfällt, ihre Rechte im Ausland geltend zu machen. Auf solche besonders schutzwürdigen Gläubiger will die Konvention des Europarates Rücksicht nehmen; sie sollen jedenfalls vorübergehend noch in das inländische Vermögen des Schuldners vollstrecken können (Art. 11 Nr. 2). Als besonders schutzwürdig in diesem Sinne werden angesehen die Gläubiger mit Vorrechten, ebenso Gläubiger mit öffentlich-rechtlichen Forderungen und schließlich Gläubiger, deren Forderungen aus dem Betrieb einer inländischen Niederlassung oder aus einem Arbeitsverhältnis im Inland entstehen. Wie man dieses Problem im zusammenwachsenden Europa letztendlich lösen soll, ist schwer zu entscheiden. Der Konkurs in einem internationalen Fall, der keine Sperrwirkung auch in anderen Staaten hat, wo der Schuldner nennenswertes Vermögen besitzt, ist dort nicht viel wert. Auch müßten Gläubiger, die sich außerhalb des Konkursstaates aus dem Vermögen des Schuldners befriedigen, damit rechnen, daß ihnen das Erlangte im Konkursstaat vom Konkursverwalter doch wieder abverlangt wird. Andererseits ist lokales Vertrauen in bestehende Zuständigkeiten zu schützen, und man kann die Gläubiger auch nicht auf die Beantragung eines lokalen Sonderkonkurses verweisen, wenn ihnen diese kollektive Form der Rechtsverfolgung zu aufwendig oder sonst untunlich erscheint. Das Problem wird zur Zeit in Deutschland diskutiert, nachdem der Bundesgerichtshof sich in der vorhin genannten Entscheidung sehr grundsätzlich für die Anerkennung ausländischer Domizilkonkurse ausgesprochen hat, es bisher aber nie wirklich mit der Anerkennung einer ausländischen Rechtsverfolgungssperre zu tun hatte27.
26 Einigungsvertrag, Art. 8 und 9 mit Anlage I Kap. III Sachgebiet A , Abschnitt I Nr. 1 und 4 sowie Anlage II Kap. III Sachgebiet A, Abschnitt II Nr. 1. 27 Für die grundsätzliche Anerkennung die oben Fn. 21 Genannten mit weiteren Nachweisen; Leipold, Ausländischer Konkurs und inländischer Zivilprozeß, in: Festschrift Schwab (1990) 289 ff. Gegen die Anerkennung: Arnold, (oben Fn. 14) § 1 2 2 Rdn.40; Flessner, ZIP 1989, 753; Lüderitz, J Z 1986, 96 (97).
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Die Lösung könnte auch in der Mitte liegen28. Wenn der Konkursverwalter die Berechtigung der Forderung bestreitet, sollte der Gläubiger weiterhin berechtigt sein, den notwendigen Rechtsstreit gegen den Konkursverwalter in dem ihm bisher gesicherten Forum zu führen. Wenn die Forderung dagegen nicht streitig ist, ist die Anmeldung im ausländischen Konkurs als solche ein geringeres Problem. Man sollte aber wenigstens eine vorläufige Sicherungsvollstreckung zulassen, die das Vermögen des Schuldners im Lagestaat so lange festhält, bis gewährleistet ist, daß der Gläubiger im ausländischen Verfahren und am dortigen Erlös gerecht beteiligt wird. In diesem Sinne hat kürzlich der englische High Court entschieden29, was besonders bemerkenswert ist, weil England unter allen europäischen Staaten traditionell besonders liberal gegenüber ausländischen Konkursen eingestellt ist30. V. Unternehmenserhaltung Wie behandelt man international Verfahren, welche auf die Erhaltung, nicht die Auflösung, des insolvent gewordenen Unternehmens gerichtet sind? Im modernen insolvenzrechtlichen Denken ist die Unternehmenserhaltung eine prinzipiell gleichrangige Alternative zur Liquidation. Die internationalrechtlichen Implikationen solcher Verfahren sind bisher aber noch nicht in aller Deutlichkeit hervorgetreten. Die Hauptwirkung eines unternehmenserhaltenden Verfahrens ist, daß es nicht nur auf das Vermögen des Gemeinschuldners einwirkt, sondern vor allem auf die Forderungen der Gläubiger, indem mit oder ohne Gläubigerzustimmung durch gerichtliche oder behördliche Entscheidung die Forderungen gestundet, herabgesetzt oder in andere Rechte umgewandelt werden. Internationalrechtlich stellt sich die Frage, ob ein Gläubiger sich solche Eingriffe auch außerhalb des Konkurslandes entgegenhalten lassen muß oder ob er den Schuldner und sein Vermögen im Konkursausland in unverminderter Forderungshöhe in Anspruch nehmen kann. Diejenigen Rechtsordnungen (es sind die meisten), die ausländische Konkurswirkungen überhaupt zulassen, erstrecken diese Bereitschaft ganz überwiegend auf die unternehmenserhaltenden Beschlüsse in solchen Verfahren, sie erkennen also auch die Herabsetzung oder Umwandlung der Gläubigerrechte an - vorausgesetzt allerdings, daß es sich um einen Domizilkonkurs handelt und in das dort beschlossene 28 So der Vorschlag von Grasmann, Effets nationaux d'une procédure d'exécution collective étrangère, in: Revue critique de droit international privé 1990, 421 ff. (460-463). 29 Felixstowe Dock and Railway Co. ν. United States Lines Inc., (1988) 2 A 1 1 E R 77. 30 Florian (oben Fn. 8) 55 ff.
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Sanierungskonzept das gesamte, also auch das ausländische Vermögen des Schuldners einbezogen wird 31 . Dieser Standpunkt findet sich auch im EG-Entwurf, in neueren bilateralen Konventionen, z.B. in der italienisch-österreichischen und der deutsch-österreichischen Konkurskonvention, sowie in neuerer nationaler Gesetzgebung, z.B. in der Schweiz 32 . Gefragt wird gelegentlich allerdings, inwieweit man für Forderungseingriffe nicht nur auf das Recht des Insolvenzstaates, sondern auch auf das die Forderung selbst beherrschende Recht, das Forderungsstatut, abstellen muß. Von der Anerkennung durch das Forderungsstatut scheint ζ. B. England die Anerkennung ausländischer Vergleiche abhängig zu machen33. Aber das ist eine höchst unpraktische Sicht, weil sie die einheitliche Beurteilung von Forderungsherabsetzungen verhindert und dadurch gerichtliche Vergleiche zur Unternehmenserhaltung, die eine Gleichbehandlung der Gläubiger voraussetzen, erheblich erschwert. Die überwiegende Meinung in der neueren internationalen Literatur geht dahin, dem Recht des Konkursstaates die Alleinherrschaft zu überlassen34. Bis zu diesem Punkt kann man festhalten, daß auch für den Vergleich und andere unternehmenserhaltende Insolvenzverfahren nichts anderes gilt als für das klassische liquidierende Insolvenzverfahren: dem Verwalter im Verfahren am Domizil des Schuldners sollte man auch im Ausland die Verfügungsbefugnis unverzüglich zubilligen, die gegebenen Zuständigkeiten für Rechtsstreit und sichernde Zwangsvollstreckung (Arreste) sollten den Gläubigern aber nicht genommen werden. Unternehmenserhaltung ist jedoch oft ein Politikum, und manche Länder haben Verfahren geschaffen mit dem ausdrücklichen Zweck, im gesamtwirtschaftlichen Interesse für die Erhaltung von Arbeitsplätzen, von Unternehmen oder von nationalen oder regionalen Wirtschaftsstrukturen zu sorgen. Können solche vom Allgemeininteresse inspirierte Verfahren, in denen vielleicht sogar eine Mitwirkung der staatlichen Verwaltung organisiert ist, überhaupt auf Anerkennung im Ausland rechnen? In Europa kann diese Frage vor allem für die italienische Bogdan (oben Fn. 2) 305-326; Hanisch (oben Fn. 2) Procédure 33 f. EG-Entwurf, Art. 1 I; Konvention Italien-Österreich vom 12.7.1977, Art. 1 I, abgedruckt in: Italienisches Konkursrecht und andere Insolvenzverfahren (zweisprachige Ausgabe), herausgegeben von Bauer/König/Kreuzer (Bozen 1988) 229 ff; deutsch-österreichischer Vertrag vom 25.5.1979, Art. 25; abgedruckt in Jayme/Hausmann (oben Fn. 1) Nr. 130; Konvention des Europarats, Art. 1 in Verbindung mit Anhang A; Schweiz: Art. 175 I IPRG. 33 Darüber Florian (oben Fn.8) 73, 97-100. 31 Hanisch (oben Fn. 2) Procédure 34-36; Bogdan (oben Fn. 2) 322-324; Plessner, ZIP 1989, 755. 31 32
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„Außerordentliche Geschäftsverwaltung" (amministrazione straordinaria) gestellt werden 35 . Aber auch das französische Insolvenzrecht insgesamt könnte so auf internationale Zweifel stoßen, weil das dortige Insolvenzgesetz als seinen Primärzweck die Erhaltung von Unternehmen und Arbeitsplätzen nennt36. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Grundsatzentscheidung, mit welcher er eine liberale Anerkennungspraxis einleiten wollte, vorsorglich eine Einschränkung gemacht: Eine Anerkennung nach den Grundsätzen des internationalen Konkursrechts verdienten solche Verfahren nicht, welche „Maßnahmen zur Durchsetzung vorwiegend staats- oder wirtschaftspolitischer Interessen des ausländischen Staates" seien. Es müsse sich bei dem Auslandsverfahren vielmehr nach den inländischen Rechtsgrundsätzen überhaupt um einen Konkurs handeln, also um ein Verfahren, das „nicht dem Staat, sondern ausschließlich allen Gläubigern des Gemeinschuldners dient, dessen Regelungen die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger bezwecken und das von dem allen Staaten gemeinsamen Bemühen um die Verwirklichung der Gerechtigkeit zwischen den einzelnen bestimmt ist" 37 . Man darf diese Äußerungen aber nicht wörtlich nehmen. Das französische Verfahren ist zwar mit viel wirtschaftspolitischer Emphase geschaffen worden und wird in Frankreich auch so diskutiert. Es ist aber das allgemeine Insolvenzgesetz Frankreichs und hat, abgesehen von Titel und Eingangsvorschrift, insolvenzrechtstypischen Inhalt; von anderen Insolvenzgesetzen unterscheidet es sich nur dadurch, daß es die Bereinigung der Insolvenz mit geringeren Rücksichten gegenüber Gläubigern und Schuldnern zu forcieren versucht38. Mit der italienischen außerordentlichen Geschäftsverwaltung ist es etwas anders. Sie ist ein Sonderverfahren zur Rettung von Großunternehmen, das eindeutig unter staatlichen Vorzeichen geführt wird: ist die Zahlungsunfähigkeit vom Konkursgericht festgestellt, dann ordnet der Industrieminister im Einvernehmen mit dem Schatzminister die außerordentliche Verwaltung an und setzt einen oder mehrere Staatskommissare ein. Der Kommissar steht unter der Aufsicht des Industrieministers, hat die Geschäfte des Unternehmens zu führen und hat im Hinblick auf 35 Für kein anerkennenswertes Insolvenzverfahren hält sie z.B. Arnold (oben Fn. 14) § 121 Fn. 16. Entgegenkommender aber Jayme, Sanierung von Großunternehmen und internationales Konkursrecht, in: lus Inter Nationes, Festschrift Riesenfeld (1983) 117-128. 36 Dazu Flessner, ZIP 1989, 756. 37 Β GHZ 95, 265, 270. 38 Darüber Flessner ZIP 1989, 755 f m.w. N.; Zierau, Die Stellung der Gläubiger im französischen Sanierungsverfahren im Hinblick auf die Entwicklung des deutschen Insolvenzrechts (Diss. Frankfurt 1990), bes. 66 ff.
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die staatliche Industriepolitik und mit Hilfe des Subventionensystems ein Sanierungsprogramm aufzustellen. Eine Befriedigung der Gläubiger sieht das Verfahren selbst nicht vor, es ist gesetzlich aber auf eine Höchstdauer von vier Jahren festgelegt39. Nach den Einschränkungen, die der Bundesgerichtshof gemacht hat, müßte man die italienische außerordentliche Verwaltung in Deutschland eindeutig für nicht anerkennungsfähig halten. Es gibt aber einige Entscheidungen von Instanzgerichten in Deutschland (allerdings aus der Zeit vor 1985), in denen die Wirkungen einer amministrazione straordinaria für die Bundesrepublik nicht pauschal negiert wurden: Anerkannt wurde die Verfügungsbefugnis des staatlichen Kommissars auch für das in Deutschland befindliche Vermögen der italienischen Gesellschaft. Nicht anerkannt wurde dagegen das Verbot der individuellen Rechtsverfolgung, das mit der amministrazione straordinaria verbunden ist40. Diese Rechtsprechung scheint mir auf der richtigen Spur zu sein. Für die internationale Kooperationsbereitschaft der Staaten sollte es keinen Unterschied machen, ob in der Insolvenz die Zwangsverwaltung vom Gericht oder einer Behörde eingesetzt wird und ob sie nur private oder auch allgemeine, staatliche Interessen verfolgt. Entscheidend ist nur, ob es Interessen sind, die in der Insolvenz eines Unternehmens sachlich legitim sind. Ein staatliches Interesse an der Erhaltung von Großunternehmen ist heute aber ohne Zweifel auch international an sich respektabel, nicht anders als etwa das staatliche Interesse an der Erhaltung oder der schadlosen Rettung von insolvenzbedrohten Banken und Versicherungen. Es müßte international zu großer Unordnung führen, wenn eine staatliche Verwaltung, die im Domizilland eines insolventen Großunternehmens eingesetzt wurde, nicht auch im Ausland Anerkennung finden würde; der eigene Sonderkonkurs im Ausland über das dort befindliche Vermögen, der insoweit die Domizil-Insolvenzverwaltung verdrängt, bleibt natürlich immer vorbehalten. Anders ist es mit der Sperre der individuellen Rechtsverfolgung - aber nicht wegen der gesamtwirtschaftlichen Orientierung, des öffentlichrechtlichen Charakters der amministrazione straordinaria. Der kritische Punkt ist vielmehr die Tatsache, daß das Verfahren für die Gläubiger weder einen Liquidationserlös vorsieht noch die Möglichkeit einer Ver-
39 Über das italienische Verfahren siehe Grunsky, ZIP 1981, 1303-1307; Colombo, Z G R 1982, 63-86; Jayme (oben Fn. 35) 123 ff; Ximmermann, Das italienische Gesetz Nr. 95 über die außerordentliche Verwaltung der in Krise befindlichen Großunternehmen (Diss. Frankfurt 1986). 40 L G und O L G München, IPRax 1982, 202 f, erörtert von Jayme (oben Fn.35); A G und L G München, IPrax 1983, 128; A G Kulmbach, IPRax 1983, 299; L G Bielefeld, ebda.; L G Bayreuth, IPRax 1984, 161; O L G Hamm, IPRax 1985, 218.
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fahrensbeendigung durch eigene Beschlüsse (Mehrheitsbeschlüsse); es ist also der Sache nach einfach ein langfristiges Moratorium, das die Gläubiger durch entsprechende Beschlüsse weder verhindern noch beenden können und währenddessen sie auch auf die Verwaltung des ihnen haftenden Vermögens keinerlei Einfluß haben. Mit dem Gläubigerrecht muß aber auch in der Insolvenz des Schuldners im Prinzip das Recht auf einen Gelderlös entsprechend dem noch vorhandenen Vermögen oder auf einen geldwerten Ersatz verbunden sein. Ein Verfahren, das den Gläubigern weder einen Liquidationserlös noch einen angemessenen Ersatz dafür überhaupt in Aussicht stellt, kann ihnen als Insolvenzarfahren international nicht entgegengehalten werden. Das ist bei der Ausarbeitung der Konvention des Europarates klar gesehen worden. Die Konvention beschränkt die Anerkennungsfähigkeit auf „Insolvenzverfahren, . . . welche die Liquidation des Schuldnervermögens zur Folge haben können" (Art. 1 Nr. 1). Die amministrazione straordinaria ist nach den Begriffen der Konvention zwar ein Insolvenzverfahren, weil sie durch die Insolvenz des Unternehmens ausgelöst wird (»procédures collectives sur l'insolvabilité«), aber keines, das den weiteren Konventionsanforderungen - die recht bescheiden sind genügt. VI. Ausblick Am Anfang dieses Beitrages wurde hingewiesen auf den Gegensatz von Territorialität und Universalität, an seinem Ende ist zu sehen, daß es für die Lösung der einzelnen Probleme nicht so sehr auf die Prinzipien als solche ankommt, sondern auf Offenheit und Kooperationsbereitschaft - die durch mehr Universalität, aber auch durch aufgeschlossene und hilfsbereite Territorialität praktiziert werden können. Nicht eingegangen wurde auf bilaterale Konventionen, und auch nicht näher auf neuere Gesetze und Gesetzesprojekte. Konventionen gibt es nur wenige, die gesetzlichen Bestimmungen, wo überhaupt vorhanden, sind knapp gefaßt und nicht als systematische Regelung gedacht (mit Ausnahme vielleicht der Schweiz und neuerdings des deutschen Referentenentwurfs)41. Gesetzgebung und das Aushandeln von Konventionen sind schwerfällige und langwierige Prozesse (über den Konkursvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Osterreich, der 1979 geschlossen wurde, war insgesamt einhundert Jahre verhandelt worden42.
41 42
Dazu Arnold, (oben Fn. 14) § 121 Rdn. 23-28. Darüber Arnold, Der deutsch-österreichische Konkursvertrag (1987) 21 f.
Internationales Insolvenzrecht in Europa
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Das internationale Konkursrecht ist deshalb in weitem Maße der Rechtsprechung und der Doktrin überlassen, seine Entwicklung ist, mit anderen Worten, eine Aufgabe der juristischen Profession. Die Profession kann die Aufgabe international aufgeschlossen und - in Europa integrationsfreundlich lösen. Denn es gibt schon jetzt mehr lus commune auf diesem Gebiet als man denkt; es muß nur aufgedeckt und im Gemeinschaftsgeist genutzt werden!
Stimmrechtslose Geschäftsanteile JÜRGEN F O C K
Die Frage, ob es bei der GmbH stimmrechtslose Geschäftsanteile geben kann, scheint endgültig beantwortet zu sein, wie die inzwischen einhellige Meinung im Schrifttum zeigt'. Begründet wird eine solche Möglichkeit mit dem prinzipiell dispositiven Charakter der Bestimmungen des GmbH-Gesetzes. Das Stimmrecht gehöre im Gegensatz ζ. B. zum im einzelnen zwar regelbaren, im Kern aber unverzichtbaren Recht jedes Gesellschafters auf Teilnahme an der Gesellschafterversammlung, zum Recht auf Auskunft und Einsicht in Bücher und Schriften (§51 a Abs. 3 GmbHG), zu den Minderheitsrechten nach § 61 Abs. 2 Satz 2 und § 66 Abs. 2 GmbHG sowie dem Recht zur Erhebung von Anfechtungsklagen nicht zum unverzichtbaren Teil der Mitgliedsrechte und unterliege damit in Ubereinstimmung mit §45 Abs. 2 GmbHG einer von §47 Abs. 2 GmbHG abweichenden Regelung durch die Gründer bzw. durch die Gesellschafter, falls Geschäftsanteilen später durch Satzungsänderung das Stimmrecht entzogen wird bzw. im Wege der Kapitalerhöhung neue Geschäftsanteile ohne Stimmrecht geschaffen werden. Auch die Rechtsprechung, soweit sie sich überhaupt mit der Frage befaßt hat, bejaht die Möglichkeit von stimmrechtslosen Geschäftsanteilen. Im allgemeinen werden zu dieser Frage jeweils eine Entscheidung des Reichsgerichts2 und des Bundesgerichtshofes3 herangezogen. Das Reichsgericht hat allerdings zur Frage einer Zulässigkeit stimmrechtsloser Geschäftsanteile im konkreten Fall, in dem den nicht stimmberechtigten Gesellschaftern auch durch die Satzung das Teilnahmerecht an den Gesellschafterversammlungen entzogen worden war, nicht abschließend
1 Hachenburg/ÄiWjer, GmbHG, 8. Aufl., §14, 29; Hachenburg/i//mer, GmbHG, 7. Aufl., §53, 61; Scholz /Winter, GmbHG, 7. Aufl., §14, 37; Scholz/Schmidt, GmbHG, 7. Aufl., §47, 11; $>άιο\ζ/Priester, GmbHG, 7. Aufl., §53, 46; Baumbach/Zöllner, GmbHG, 15. Aufl., §47, 24; Meyer-Landrut, GmbHG, §14, 15; Rowedder, GmbHG, 2. Aufl., § 14, 6; Fischer/Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 12. Aufl., §47, 4; Roth, GmbHG, 2. Aufl., §47, 3.1. 2 RGZ 167, 65; im übrigen schon OLG Hamburg im Jahre 1901, OLGE 3, 66. 3 Β GHZ 14, 264.
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Stellung genommen 4 , und damit auch nicht zu der Frage, ob die besonderen Umstände des Falles gegen eine solche Zulässigkeit, weil mit dem Wesen der GmbH nicht vereinbar, sprachen; bei einem Stammkapital von 410 530,- RM waren nur 5000,- RM = 1,22 % stimmberechtigt. Es hat die Frage vielmehr offengelassen und seine Entscheidung damit begründet, daß der auf der Grundlage der Stimmrechtsregelung in der Satzung durch die stimmberechtigten Gesellschafter gefaßte Beschluß nicht die gegenüber den nicht stimmberechtigten Gesellschaftern bestehende Treuepflicht beachtet habe und damit anfechtbar ist. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 14.7.1954 die Möglichkeit stimmrechtsloser Geschäftsanteile grundsätzlich bejaht. Er begründet dies mit der historischen Entwicklung des Stimmrechts bei der Aktiengesellschaft, bei der zunächst das Stimmrecht in der Satzung beliebig geregelt werden konnte, und mit dem Beispiel der stimmrechtslosen Aktien und der teileingezahlten Aktien, bei denen Satzungsregelungen zum Stimmrecht möglich sind (§134 Abs. 2 AktG bzw. §114 Abs. 2 AktG a. F.). Daraus lasse sich der Schluß ziehen, daß das Stimmrecht nicht zum unverzichtbaren Bestandteil der Mitgliedschaft bei einer Gesellschaft gehört5. Schranken für einen Stimmrechtsausschluß werden dabei, soweit ersichtlich, bei der GmbH nicht gezogen. Vielmehr ist auch eine Kombination des Ausschlusses des Stimmrechts und des Gewinnbezugsrechts möglich 6 . Lediglich eine Satzungsregelung, die darüber hinaus auch noch einen Ausschluß der Beteiligung am Liquidationserlös vorsieht, soll nicht mehr mit dem Wesen der GmbH vereinbar sein7. Ob dies allerdings unbedingt folgerichtig ist, muß bezweifelt werden, weil - wenn schon auf einen Gewinnanspruch verzichtet worden ist - ein zusätzlicher Verzicht auf die Beteiligung am Liquidationserlös durchaus Sinn machen kann und nicht dem Wesen der GmbH widersprechen muß, wenn beispielsweise die GmbH allein den Zweck hat, den geschäftlichen Aktivitäten ihrer Gesellschafter zu dienen. Die Kombination jeweils für sich abdingbarer Rechte dürfte allein wegen ihrer Verstärkungswirkung noch nicht zur Unzulässigkeit führen, sondern erst dann, wenn dadurch die Beteiligung völlig sinnentleert werden würde 8 . Die somit offenbar eindeutig erfolgte Klärung dieser Rechtsfrage könnte allerdings in Widerspruch zur Struktur der üblichen GmbH stehen und dazu, daß sowohl bei der Personenhandelsgesellschaft durch
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R G Z 167, 73 f. BGHZ 14, 270 f. B G H Z aaO. BGHZ aaO. Scholz /Winter, 7. Aufl., § 1 4 , 33; Baumbach/Haeofe, 15. Aufl., § 1 4 , 14.
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die dort entwickelte Kernbereichslehre als auch bei Aktiengesellschaften durch die gesetzlichen Bestimmungen der §§139 ff AktG rechtliche Grenzen bei der Schaffung stimmrechtsloser Beteiligungen gezogen sind, offensichtlich aber nicht bei der GmbH, die Elemente beider Gesellschaftsformen enthält; oder hat die Kernbereichslehre auch Auswirkungen auf einen Stimmrechtsausschluß bei der GmbH? Eindeutig vorherrschend ist bei uns die personalistisch strukturierte GmbH, an der eine sehr beschränkte Anzahl von Gesellschaftern beteiligt ist. Es sei in diesem Zusammenhang ζ. B. auf die Untersuchung von Kornblum aus dem Jahre 1982 hingewiesen9. Danach haben die GmbHs zu 73,3 % zwei bis fünf Gesellschafter; bei den übrigen Gesellschaften handelt es sich zu 23,7 % um Einmanngesellschaften. Das Wesen einer personalistisch strukturierten Gesellschaft besteht aber gerade in der persönlichen Verbindung untereinander bekannter Gesellschafter, die sich mit der Gesellschaft zu einem gemeinsamen Zweck (§ 1 GmbHG) zusammengeschlossen haben. Diese findet besonders ihren Ausdruck in den zu den Mitgliedsrechten gehörenden Verwaltungsrechten, zu denen neben dem in seinem Kern unverzichtbaren10 Recht zur Teilnahme an der Gesellschafterversammlung eben auch das Recht auf Mitwirkung an den Maßnahmen der Gesellschaft durch Ausübung des Stimmrechts zählt. Daß dies auch der Rechtswirklichkeit entspricht, mögen die wenigen Fälle zeigen, in denen sich die Rechtsprechung mit der Problematik stimmrechtsloser Geschäftsanteile befassen mußte. In der Praxis sind stimmrechtslose Geschäftsanteile ohne große Bedeutung. Andererseits sind aber durchaus Fälle denkbar, in denen die Beteiligung an einer GmbH nur unter Verzicht auf das Stimmrecht zulässig sein soll, ebenso aber auch Fälle, etwa bei der Bildung von joint ventures, in denen aus bestimmten Gründen das Stimmrecht des Hauptinvestors nicht über einen bestimmten Umfang hinausgehen darf. Dies wäre zwar wegen § 5 Abs. 2 GmbHG bei Gründung der Gesellschaft nur durch Einführung eines auch bei der GmbH durch satzungsmäßige Abweichung von § 47 Abs. 2 GmbHG zulässigen Höchststimmrechts 11 möglich, möglich wäre aber auch der spätere Hinzuerwerb eines stimmrechtslosen Geschäftsanteils, der dadurch seine Selbständigkeit nicht verlieren würde (§15 Abs. 2 GmbHG), wie auch der Erwerb eines weiteren Geschäftsanteils, der ohne Stimmrecht ausgestattet ist, im Wege der Kapitalerhöhung (§55 Abs. 3 GmbHG). Die nach wie vor nicht einheitlich beantwortete Frage,
Hachenburg/t//mer, 8. Aufl., Einl. 72. O L G Frankfurt, GmbHR 1984, 99; Scholz/Schmidt, 7. Aufl., §48, 15; Hachenburg/ Schilling, 7. Aufl., §48, 8. 11 Hachenburg/Schilling, 7. Aufl., §47, 10; Scholz/Schmidt, 7.Aufl., §47, 11. 9
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ob der Gesellschafter, der mehrere Geschäftsanteile hält, unterschiedlich stimmen kann12, ist sicherlich für diesen Fall in dem Sinne zu beantworten, daß der Gesellschafter durch den Erwerb des Anteils von einem Dritten kein entsprechend höheres Stimmrecht erlangt. Daß die Frage des stimmrechtslosen Geschäftsanteils bei der GmbH trotz der Rechtsprechung und der im Schrifttum vertretenen Ansichten offensichtlich als dennoch nicht ganz unproblematisch angesehen wird, zeigt die Begründung zum Regierungsentwurf eines neuen GmbHGesetzes vom 21.1.1972, wonach auf eine gesetzliche Regelung in der Frage verzichtet werden sollte, um ihre Beantwortung der Entwicklung in der Rechtsprechung und im Schrifttum zu überlassen13, und dies obwohl allgemein angenommen wurde, daß die Frage seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Jahre 195414 höchstrichterlich als geklärt angesehen werden konnte, was im übrigen vom Bundesgerichtshof selbst im Jahre 1956 bestätigt wurde' 5 . I.
Grundlage aller Überlegungen, ob auch das Stimmrecht der Disposition der Gesellschafter unterliegt, ist die sich aus §45 Abs. 2 GmbHG ergebende Satzungsautonomie, die in dieser Frage durch Bestimmungen des GmbH-Gesetzes nicht ausdrücklich aufgehoben ist. Die Satzungsautonomie findet allerdings dort ihre Grenzen, wo eine vom dispositiven Recht abweichende Satzungsregelung gegen ungeschriebene Prinzipien des GmbH-Rechts 16 , häufig auch unter dem Begriff „Wesen der Gesellschaft" verstanden17, verstoßen würde. Es reicht daher nicht aus, allein auf den dispositiven Charakter des GmbH-Gesetzes abzustellen. Auch das Recht zur Teilnahme an der Gesellschafterversammlung ist im Gesetz nicht zwingend vorgeschrieben, dennoch wird davon ausgegangen, daß es zumindest in seinem Kern ein unverzichtbares Recht, d. h. einen untrennbaren Bestandteil des Gesellschafterrechts darstellt 18 . Es muß also letztlich danach gefragt werden, ob trotz der personalistischen Struktur der GmbH das Stimmrecht des Gesellschafters dennoch nicht einen so wesentlichen Bestandteil der Beteiligung an einer solchen Gesellschaft darstellt, daß sein Ausschluß möglich ist. Dabei erscheint es zweifelhaft, ob eine Beantwortung dieser Frage allein durch eine AusleZum Problemstand s. Scholz/Schmidt, 7. Aufl., §47, 63. » BT-Drucks. VI/3088 S. 134. 14 BGHZ 14, 264. 15 BGHZ 20, 363, 367. 16 Baumbach/Zöllner, 15. Aufl., §45, 5. 17 RGZ 167, 73; BGHZ 14, 273. is S. Fn. 10. 12
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gung des Begriffs „ungeschriebene Prinzipien des GmbH-Rechts" oder des vor allem in der Rechtsprechung verwendeten Begriffs „Wesen der GmbH" 19 möglich ist. Die Bestimmung dieser schwer zu definierenden Begriffe unterliegt nicht nur der - eher subjektiven - Ansicht des einzelnen, sie führt insbesondere dann nicht weiter, wenn man den Begriff „Wesen der GmbH" zugleich mit dem Begriff von der „typischen GmbH" in Verbindung bringt. Es ist die Besonderheit der GmbH, daß es eine solche typische Form nicht gibt, daß ihr Wesen gerade in ihrer Vielgestaltigkeit besteht, die letztlich der Grund für die weitgehende Satzungsautonomie ist. Wenn es z.B. dem Wesen der GmbH widerspricht, das Teilnahmerecht von Gesellschaftern an der Gesellschafterversammlung auszuschließen, weil bei der GmbH der Betroffene dann nicht mehr als Gesellschafter anzusehen ist, dann kann an sich mit derselben Begründung das Stimmrecht als Instrument der Mitwirkung zum unverzichtbaren Teil der Gesellschafterstellung bei der personalistisch strukturierten GmbH gezählt werden 20 . Daß indes Eingriffe in das Stimmrecht bis hin zum Ausschluß vom Gesetz selbst gedeckt sind und somit ein Verstoß gegen ungeschriebene Prinzipien des GmbH-Rechts nicht vorliegen kann, ergibt sich mittelbar aus §46 GmbHG. Während das Aktiengesetz eine strenge Aufgabenverteilung innerhalb der Gesellschaft vorsieht und §119 AktG den gesetzlichen Zuständigkeitskatalog der Hauptversammlung zwingend festlegt, enthält die vergleichbare Regelung des §46 GmbHG für die GmbH grundsätzlich abdingbares Recht; dies ergibt sich schon daraus, daß der Fall der Satzungsänderung in § 46 GmbHG nicht erwähnt wird, die gemäß § 53 Abs. 1 GmbHG stets in die alleinige Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fällt. Aus dieser Sicht hat das Stimmrecht bei der Aktiengesellschaft sogar eine größere Bedeutung als bei der GmbH, auch wenn das Stimmrecht bei der Aktiengesellschaft durch die vom Gesetz zugelassenen stimmrechtslosen Vorzugsaktien und den anonymen Charakter besonders von Publikumsgesellschaften in der Praxis tatsächlich von weit geringerer Bedeutung ist als bei der personalistisch strukturierten GmbH. Wenn es nämlich möglich ist, die in § 46 GmbHG aufgezählten Maßnahmen der Zuständigkeit der Gesellschafter zu entziehen und sie einem anderen Gesellschaftsorgan zu übertragen, folgt daraus zugleich, daß das Gesetz selbst die Bedeutung des Verwaltungsrechts „Stimmrecht" herabsetzt; lassen sich die vom Gesetz in die Zuständigkeit der " S. Fn. 17. A u s dieser Sicht an sich durchaus folgerichtig hat Zöllner in der 14. A u f l . noch die Möglichkeit bejaht, das Teilnahmerecht an der Gesellschafterversammlung im gleichen Umfang auszuschließen wie das Stimmrecht, Baumbach/Zö/Zner, 14. Aufl., § 4 8 , 3. 20
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Gesellschafterversammlung gestellten Maßnahmen durch die Satzung auf ein anderes Gesellschaftsorgan delegieren, so wird dadurch auch das Stimmrecht der Gesellschafter als Instrument ihrer Mitwirkung zur Disposition gestellt. Steht somit zwar fest, daß nach dem Gesetz das Stimmrecht zu den dispositiven Mitgliedsrechten gehört, ist jedoch noch offen, ob auch ein genereller Stimmrechtsausschluß möglich ist. Allein aus der Abdingbarkeit der Zuständigkeitsregelungen des §46 GmbHG folgt sicherlich nicht zwingend auch die Zulässigkeit eines generellen Stimmrechtsausschlusses, also auch für die Fälle, in denen das Gesetz die ausschließliche Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung vorschreibt; auch partiell kann das Stimmrecht nicht bestehen21, wie das Beispiel des gesetzlichen Stimmverbots nach § 47 Abs. 4 GmbHG zeigt. Bei den in die ausschließliche Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fallenden Maßnahmen handelt es sich dabei im wesentlichen um die Satzungsänderung einschließlich der Kapitalerhöhung und -herabsetzung, die Auflösung durch Beschluß, die Umwandlung, die Verschmelzung und, nachdem die Frage vom Bundesgerichtshof geklärt worden ist, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zum Abschluß eines Unternehmensvertrages. Jedoch kann allein diese gesetzliche Zuordnung keinesfalls bedeuten, daß in diesen Fällen das Stimmrecht nicht ausgeschlossen werden kann. Zum einen ergibt sich dies schon daraus, daß die Rechtslage insoweit mit der bei der Aktiengesellschaft übereinstimmt, bei der aber stimmrechtslose Aktien möglich sind, was zugleich bedeutet, daß das Stimmrecht auch in diesen Fällen kein unerläßlicher Bestandteil der Mitgliedschaft ist22, zum anderen folgt dies auch daraus, daß unter Berücksichtigung der Interessenlage der Gesellschafter bei einer gewöhnlichen Satzungsänderung, die ebenfalls ausschließlich der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung obliegt und durch die nicht in die Rechtsstellung des Gesellschafters eingegriffen wird, das Stimmrecht materiell keine größere Bedeutung hat als bei den Verwaltungsmaßnahmen des §46 GmbHG. Wird z.B. die in der Satzung festgelegte Anzahl der Geschäftsführer verändert, ein Aufsichts- oder Beirat gebildet oder das Geschäftsjahr verändert, wird dadurch sicherlich nicht in die besonders zu schützende Rechtssphäre des Gesellschafters eingegriffen. Gleichwohl kann nicht bestritten werden, daß der Gesetzgeber mit der verbindlichen Zuweisung an die Gesellschafterversammlung der Bedeutung der Maßnahmen für die GmbH und ihre Gesellschafter
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Hachenburg/SflW/ing, 7. Aufl., §47, 10. BGHZ 14, 270.
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Rechnung getragen hat. Ebensowenig kann aber auch bestritten werden, daß die in die ausschließliche Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fallenden Maßnahmen von unterschiedlichem Gewicht sind. Eine Kapitalveränderung hat eben für jeden Gesellschafter, besonders aber den einer personalistisch strukturierten GmbH eine andere Auswirkung als eine gewöhnliche Satzungsänderung. Erst recht gilt dies für die Auflösung oder Umwandlung sowie Verschmelzung der GmbH. In diesen Fällen wird die Grundlage seiner Stellung als Gesellschafter, seine zu schützende Rechtsstellung, unmittelbar berührt. Für die Personengesellschaften ist zur Frage des Stimmrechtsausschlusses die Kernbereichslehre entwickelt worden 23 . Nach ihr bezieht sich ein auch bei der Personengesellschaft grundsätzlich zulässiger Stimmrechtsausschluß nicht auf solche Gesellschafterbeschlüsse, die in die Rechtsstellung des Gesellschafters unmittelbar eingreifen, wie eine Änderung seiner Beteiligung als Kommanditist oder seiner Haftsumme, eine Schmälerung am Gewinn oder am Auseinandersetzungsguthaben. Eine sachlich nicht begrenzte Einschränkung der wirtschaftlichen und damit auch der persönlichen Entscheidungsfreiheit des Gesellschafters kann nach dieser Rechtsprechung nicht gebilligt werden. Ob die Grundsätze dieser Lehre für die GmbH Gültigkeit haben können, soll an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Der Bundesgerichtshof hat jedenfalls in seiner Entscheidung ausdrücklich klargestellt, daß er die Frage des Stimmrechtsausschlusses bei der GmbH aufgrund seiner Entscheidung vom 14. 7.1954 24 für abschließend geklärt ansieht, und zwar im bejahenden Sinne25. Außerdem wendet er zur Begründung der Lehre Rechtsgrundsätze entsprechend an, die er dem GmbH-Recht entnimmt, woraus sich aber notwendigerweise ergibt, daß diese Grundsätze bei der GmbH direkt gelten müssen. Ausgangspunkt ist dabei für den Bundesgerichtshof § 53 Abs. 3 GmbHG. Dieser setzt jedoch voraus, daß in den Fällen, in denen eine besondere Zustimmung der betroffenen Gesellschafter erforderlich ist, Mehrheitsbeschlüsse ausreichen; er führt damit zugleich faktisch zum Erfordernis einstimmiger Beschlüsse, wenn seine Voraussetzungen vorliegen. Die Personengesellschaft wird dagegen vom Prinzip der Einstimmigkeit der Gesellschafterbeschlüsse bestimmt (§119 HGB), so daß es durchaus folgerichtig war, auf den dem §53 Abs. 3 GmbHG zugrundeliegenden Rechtsgedanken zurückzugreifen, als es darum ging, dem Gesellschafter einer Personengesellschaft, dem das Stimmrecht entzogen ist, einen vergleichbaren Schutz zu gewähren.
« Β GHZ 20, 363, 367 ff. 24 BGHZ 14, 264. 25 BGHZ 20, 368.
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Immerhin bietet die Kernbereichslehre auch für eine Stimmrechtsklausel bei der GmbH insoweit einen gewichtigen Ansatz, als mit ihr das Element der Zustimmung mit dem des Stimmrechtsausschlusses verknüpft worden ist. Es stellt sich somit zunächst die Frage, wieweit bei der GmbH tatsächlich der Schutz für den nicht stimmberechtigten Gesellschafter gehen würde. Diese Frage ist danach zu beantworten, in welchen Fällen ein bei der Beschlußfassung unterlegener Gesellschafter dem Beschluß zustimmen müßte und damit auch der nicht stimmberechtigte Gesellschafter; aber eben auch nur in diesem Fall, da ein weitergehendes Zustimmungsrecht des nicht stimmberechtigten Gesellschafters gegenüber dem stimmberechtigten, aber unterlegenen Gesellschafter nicht in Betracht kommen kann. § 53 Abs. 3 GmbHG regelt für die GmbH nur den Fall der sogenannten Leistungsvermehrung. Dieser Begriff ist indes weit auszulegen26, es muß lediglich die unmittelbare Begründung oder Vermehrung einer irgendwie gearteten Leistungsverpflichtung vorliegen, die auch in einem Unterlassen bestehen kann. So stellt ζ. B. die nachträgliche Einführung einer Satzungsbestimmung zum Zwecke der Einziehung nach §34 GmbHG eine zustimmungspflichtige Leistungsvermehrung dar, weil die Einziehung zugleich ein Anwachsen der Rechte und Pflichten aus dem untergehenden Geschäftsanteil bei den verbleibenden Gesellschaftern bedeutet27. Eine Zustimmung aller Gesellschafter ist außerdem dann erforderlich, wenn durch den Beschluß der Gesellschaftszweck geändert wird (§33 BGB), ebenso der betroffenen Gesellschafter, wenn in der Satzung festgelegte Sonderrechte entzogen werden (§ 35 BGB). Schließlich sind Eingriffe durch Mehrheitsbeschlüsse ohne Zustimmung des betroffenen Gesellschafters dann nicht zulässig, wenn mit ihnen in den Kernbereich von Mitgliedsrechten eingegriffen wird28. So wäre z . B . der nachträgliche Entzug des Stimmrechts zustimmungspflichtig. O b dies allerdings unbedingt mit dem von den Personengesellschaften hergeleiteten Begriff des Kernbereichs begründet werden muß, erscheint deshalb fraglich, weil solche Eingriffe weitgehend schon von §53 Abs. 3 GmbHG erfaßt sind, der seinerseits die Grundlage für die Lehre vom Kernbereich bildet. Soll einem Gesellschafter das Stimmrecht entzogen werden, liegt darin für ihn zugleich eine Leistungsvermehrung im Sinne von § 53 Abs. 3 GmbHG gegenüber seinen Mitgesellschaftern, weil er sein Kapital von nun an ohne Stimmrecht zur Verfügung stellt.
Hachenburg/Ulmer, 7. Aufl., §53, 68 m . w . N . BayObLG DB 1978, 2164; problematisch, weil § 5 3 Abs. 3 GmbHG nur eine unmittelbare Leistungsvermehrung erfaßt; s. Scholz/V/estermann, 7. Aufl., § 34, 8; HachenbuTg/Hohner, 7. Aufl., §34, 26; Baumbach/Hueck, 15. Aufl., § 3 4 , 5. 28 Scholz/Priester, 7. Aufl., §53, 56; Hachenburg/Ulmer, 7. Aufl., §53, 61. 26
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Es ist nunmehr zu untersuchen, wieweit der Schutzbereich dieses Instrumentariums geht, wobei die Fälle behandelt werden sollen, die wegen ihrer Bedeutung der alleinigen Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung unterliegen und durch die in die Rechtsstellung des Gesellschafters eingegriffen werden könnte. Es geht daher nicht um die gewöhnliche Satzungsänderung, sondern um die Fälle der Kapitalerhöhung und -herabsetzung, der Auflösung der Gesellschaft durch Beschluß, der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, der Verschmelzung sowie der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zum Abschluß eines Unternehmensvertrages. II. a ) Die Kapitalerhöhung erfordert einen mit 3/4-Mehrheit zustande gekommenen Beschluß der Gesellschafterversammlung (§§ 55, 53 Abs. 2 GmbHG). Eine zusätzliche Zustimmung aller Gesellschafter ist nach §53 Abs. 3 GmbHG nicht erforderlich. Zwar ist mit der Durchführung der Kapitalerhöhung eine Leistung der Gesellschafter verbunden, jedoch scheitert eine Anwendung des §53 Abs. 3 GmbHG schon daran, daß kein Gesellschafter verpflichtet ist, sich an der Durchführung der Kapitalerhöhung zu beteiligen 29 ; §53 Abs. 3 GmbHG setzt aber eine Verpflichtung zur Leistungsvermehrung voraus. Auch der Gesichtspunkt, daß die alten Gesellschafter gemäß §24 GmbHG auch für die Einzahlung der neuen Einlage haften, führt nicht zu einer Anwendbarkeit des § 53 Abs. 3 GmbHG 30 , weil § 53 Abs. 3 GmbHG nur die unmittelbare, sich aus dem Beschluß ergebende Leistungsvermehrung betrifft, der Kapitalerhöhungsbeschluß jedoch allenfalls mittelbar eine Ausfallhaftung nach §24 GmbHG der alten Gesellschafter zur Folge hat31. Allgemein ist zwar das Austrittsrecht des Altgesellschafter wegen der Haftung nach § 24 GmbHG nach § 27 GmbHG anerkannt, wenn er der Kapitalerhöhung widerspricht 32 . Dieses Widerspruchsrecht, das nicht etwa nur der Gesellschafter hat, der in der Gesellschafterversammlung gegen den Erhöhungsbeschluß stimmt, sondern das jedem Gesellschafter und damit auch dem nicht stimmberechtigten Gesellschafter zusteht, hat jedoch nicht die gleiche Wirkung wie eine Zustimmung zur Kapitaler29 Allg. Meinung, vgl. z.B. Scholz/Priester, 7.Aufl., §55, 22; Hachenburg/Wmer, 7. Aufl., §55, 15. 30 RGZ 122, 159, 163. 31 Zimmermann weist allerdings zu Recht auf den Fall der Verschmelzung hin, wo gerade wegen der Haftung nach §24 GmbHG gem. §20 Abs. 2 Satz 3 und 4 KapErhG die Zustimmung aller Gesellschafter der übertragenen Gesellschaft bzw. bei einer Verschmelzung durch Neubildung beider Gesellschaften (§32 Abs. 1 KapErhG) erforderlich sein kann, Rowedder/Zimmermann, 2. Aufl., §55, 7. 52 LG Mönchengladbach, ZIP 1986, 307; Scholz/Priester, 7. Aufl., §55, 23.
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höhung durch die Gesellschafter. Der widersprechende Gesellschafter erhält nur die Möglichkeit des Ausscheidens aus der Gesellschaft. Dies kann aber durchaus gegen seine Interessenlage gerichtet sein; unter diesem Gesichtspunkt besteht sogar die Gefahr, daß eine Kapitalerhöhung mißbräuchlich zur Herausdrängung eines Gesellschafters benutzt wird, wenn auf die Kapitalerhöhungen nur Teileinzahlungen erfolgen und damit kalkuliert wird, daß der unerwünschte Gesellschafter das Risiko einer Haftung nach § 29 GmbHG nicht einzugehen bereit oder in der Lage ist33. Einer Kapitalerhöhung muß schließlich auch nicht deshalb von allen Gesellschaftern zugestimmt werden, weil §55 Abs. 2 GmbHG ausdrücklich ein Bezugsrecht der Altgesellschafter nicht vorsieht. O b bei der GmbH ein ungeschriebenes gesetzliches Bezugsrecht als Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts anzunehmen ist34 oder ob sich das Recht des Gesellschafters auf Teilnahme an einer beschlossenen Kapitalerhöhung daraus ergibt, daß bei dem Zulassungsbeschluß nach §55 Abs. 2 GmbHG die Treuepflicht gegenüber allen Gesellschaftern und der Gleichheitsgrundsatz besonders zu beachten sind35, ist für die hier interessierende Frage ohne Bedeutung. Es steht jedenfalls fest, daß auch dem nicht stimmberechtigten Gesellschafter ein Recht zur Teilnahme an der Kapitalerhöhung zukommt, soweit nicht entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Ausschluß des gesetzlichen Bezugsrechts ein solches Recht durch den Erhöhungsbeschluß wirksam ausgeschlossen worden ist36. Ebensowenig ist der Gesichtspunkt eines faktischen Bezugsrechtsausschlusses für die gestellte Frage von Bedeutung, weil es nicht darum geht, ob der Bezugspreis über dem Wert der Geschäftsanteile liegt und damit eine wesentliche Erschwernis bei der Ausübung des Bezugsrechts vorliegt37, sondern darum, ob der Gesellschafter ohne seine Mitwirkung zu einer Kapitalerhöhung gezwungen wird, um seine Beteiligungsquote aufrechtzuerhalten. Bei der Kapitalerhöhung besteht somit eine Möglichkeit der Mitwirkung des nicht stimmberechtigten Gesellschafters nicht. Nur wenn die stimmrechtslosen Geschäftsanteile mit einem Gewinnvorrecht ausgestattet sein sollten und dieses Vorrecht durch eine Kapitalerhöhung beeinträchtigt wird - etwa vergleichbar mit den in § 141 AktG geregelten Fällen - , müßte der betroffene Gesellschafter nach § 35 B G B zustimmen.
Scholz/Priester aaO. Z.B. Scholz/Priester, 7.Aufl., §55, 41 ff; Baumbach/Zöllner, 15. Aufl., §55, 13. 35 Z.B. Hachenburg/Ulmer, 7.Aufl., §55, 31; 'KowtAAer/Zimmermann, 2.Aufl., §55, 31; gegen Bezugsrecht überhaupt Meyer-Landrut, §55, 19. 36 Vgl. Β GHZ 71, 40; BGHZ 83, 319. 37 Kölner Kommentar-Latter, AktG, 2. Aufl., §186, 87. 33 34
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Gleiches würde gelten, wenn der Gesellschafter ein ausdrücklich in der Satzung niedergelegtes Sonderrecht auf Beibehaltung der Kapitalquote hätte. Eine Beeinträchtigung dieses Rechts würde seine Zustimmung voraussetzen38. b) Die Kapitalherabsetzung erfordert lediglich einen mit 3/i-Mehrheit zustande gekommenen Beschluß der Gesellschafterversammlung (§§58, § 53 Abs. 2 GmbHG). Daneben ist eine Zustimmung aller Gesellschafter nicht erforderlich; weder liegen die Voraussetzungen des §53 Abs. 3 G m b H G vor noch läßt sich das Erfordernis der Zustimmung aus anderen Gründen herleiten39. Sollte ausnahmsweise für einen Gesellschafter ein Sonderrecht auf Beibehaltung des Kapitalbetrages bestehen, wäre allerdings eine Zustimmung dieses Gesellschafters gemäß § 35 B G B notwendig40. Im übrigen stellt jedoch eine Kapitalherabsetzung keine Beeinträchtigung von Sonderrechten dar, da sie alle Gesellschafter gleichermaßen betrifft. Die Gleichbehandlung der Gesellschafter und damit auch der Gesellschafter ohne Stimmrecht ist durch den auch beim Kapitalherabsetzungsbeschluß zu beachtenden Gleichheitsgrundsatz gewahrt. c) Soweit die Gesellschaft durch Beschluß aufgelöst wird, genügt hierfür ein Beschluß der Gesellschafterversammlung mit 3/4-Mehrheit. Sieht die Satzung eine abweichende Regelung vor, kann der Auflösungsbeschluß auch mit einfacher Mehrheit gefaßt werden, da § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG auch insoweit dispositives Recht enthält, als erleichternde Bedingungen vorgesehen werden können. Die Notwendigkeit einer zusätzlichen Zustimmung der Gesellschafter ergibt sich weder aus § 53 Abs. 3 GmbHG noch aus anderen Gründen, soweit nicht im Rahmen des § 35 B G B ein Sonderrecht auf Bestand der GmbH bestehen sollte. Daß bei dem Auflösungsbeschluß besonders der Gesichtspunkt der Treuepflicht zu berücksichtigen ist, hat lediglich Bedeutung für eine Uberprüfung des materiell rechtlichen Inhalts des Auflösungsbeschlusses im Rahmen einer Anfechtungsklage, zu deren Erhebung der nicht stimmberechtigte Gesellschafter unverzichtbar berechtigt ist. d) Für die Umwandlung der Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft gemäß §376 Abs. 2 Satz 1 AktG genügt ein mit einer 3/4-Mehrheit zustande gekommener Beschluß der Gesellschafterversammlung. Nur wenn die Übertragung der Geschäftsanteile an die Zustimmung einzelner Gesellschafter gebunden ist, ist deren Zustimmung zur Umwand-
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Hachenburg/Ulmer, 7. Aufl., §55, 16. Hachenburg/Ulmer, 7. Aufl., § 58, 26; Scholz/Priester, 7. Aufl., § 58, 37. Hachenburg/Ulmer, aaO.
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lung notwendig (§ 376 Abs. 2 Satz 2 AktG), nicht aber ζ. B. dann, wenn die Zustimmung der Gesellschaft, vertreten durch den Geschäftsführer, oder der Gesellschafterversammlung vorgesehen ist41. § 376 Abs. 2 Satz 2 AktG regelt im übrigen, ebenso wie §376 Abs. 2 Satz 3 AktG, einen Sonderfall, aus dem selbst kein allgemeiner Grundsatz hinsichtlich einer generellen Zustimmungsnotwendigkeit durch die Gesellschafter zur Umwandlung ihrer G m b H hergeleitet werden kann. Daß der der Umwandlung widersprechende Gesellschafter - auch der nicht stimmberechtigte Gesellschafter hat dieses Widerspruchsrecht 42 - gemäß §383 AktG das Recht hat, die aus der Umwandlung entstandenen Aktien der Gesellschaft anzubieten, stellt keinen adäquaten Ausgleich für das fehlende Mitwirkungsrecht bei der Umwandlung dar. e) Sowohl für die Verschmelzung durch Aufnahme als auch die Verschmelzung durch Neubildung ist gemäß §§20 Abs. 2 Satz 2, 32 Abs. 1 KapErhG zwingend ein mit 3/4-Mehrheit gefaßter Beschluß der Gesellschafterversammlung erforderlich. Hier sieht allerdings das Gesetz wegen § 24 G m b H G eine Zustimmung aller Gesellschafter vor, wenn die Einlagen bei der übernehmenden Gesellschaft nicht voll erbracht sind (§20 Abs. 2 Satz 3 und 4 KapErhG). Im übrigen besteht aber ein allgemeines Zustimmungserfordernis nicht, soweit nicht Sonderrechte durch die Verschmelzung beeinträchtigt werden (§ 35 BGB) oder bei der neuen Gesellschaft neue Nebenpflichten in der Satzung enthalten sind (§53 Abs. 3 GmbHG). f ) Für den Unternehmensvertrag zwischen zwei G m b H s ist nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 24.10.1988 zwar geklärt, daß die Gesellschafterversammlung beider Gesellschaften dem Vertrag zustimmen müssen 43 . Während jedoch nach dieser Entscheidung jetzt feststeht, daß die Gesellschafterversammlung der herrschenden Gesellschaft einen Beschluß mit einer 3/4-Mehrheit zu fassen hat, ist nach wie vor offen, welche qualifizierte Mehrheit der Beschluß der Gesellschafterversammlung der beherrschten Gesellschaft benötigt und ob darüber hinaus eine Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich ist. Die Frage konnte vom Bundesgerichtshof offengelassen werden 44 , weil die herrschende Gesellschaft zu 100 % an der Tochtergesellschaft beteiligt war. Immerhin weist das Gericht ausdrücklich auf eine durch den Unternehmensvertrag bedingte veränderte Ausrichtung des Gesellschaftszwecks unter regel-
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Kölner Kommentar-Zöllner, AktG, 1. Aufl., §376, 26. Baumbach/Zö/fer, 15. Aufl., §47, 24. « B G H Z 105, 324. 44 B G H Z 105, 332. 42
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mäßiger Beibehaltung des Unternehmensgegenstandes hin und gibt damit möglicherweise einen Hinweis auf §33 BGB 4 5 . Uberwiegend wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, daß der Beschluß einstimmig zu fassen bzw. eine Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich ist46. Dabei wird die Notwendigkeit für eine Einstimmigkeit auch hier aus § 33 Abs. 1 B G B und § 53 Abs. 3 GmbHG hergeleitet, die zwar nicht zu den Bestandteilen des Gesellschafterbeschlusses gehören47, aber faktisch zur Einstimmigkeit führen. Andererseits wird insbesondere in letzter Zeit zunehmend auch die Ansicht vertreten, daß eine satzungsändernde Mehrheit genügen müsse und die Interessen der Minderheit durch eine individuelle Beschlußkontrolle zu gewährleisten sei48; dabei wird auch auf den für den Gesellschafter schwerwiegenderen Fall der Verschmelzung hingewiesen, bei dem ausdrücklich gemäß §20 Abs. 1 KapErhG ein 3/4-Mehrheitsbeschluß aussreicht49. Welche Ansicht sich letztlich durchsetzen wird, kann hier dahingestellt bleiben, fest steht jedenfalls, daß die Mitwirkung des nicht stimmberechtigten Gesellschafters bei Abschluß eines Unternehmensvertrages z. Zt. nicht gesichert ist. Es ergibt sich somit, daß in den Fällen, in denen durch Gesellschafterbeschluß in die Rechtsstellung des Gesellschafters gravierend eingegriffen wird, eine Mitwirkungsmöglichkeit des nicht stimmberechtigten Gesellschafters nur selten besteht, weil in den meisten Fällen der mit qualifizierter Mehrheit zustande gekommene Gesellschafterbeschluß ausreicht. Dieses Ergebnis kann nicht verwundern, weil sich das Gesetz bei der GmbH prinzipiell mit qualifizierten Mehrheitsbeschlüssen begnügt. Das fehlende Mitwirkungsrecht wird insoweit auch nicht dadurch kompensiert, daß dem nicht stimmberechtigten Gesellschafter ein unverzichtbares Recht zur Anfechtung der Gesellschafterbeschlüsse zusteht. Es geht hier nicht um die Überprüfung des sachlichen Inhalts eines Gesellschafterbeschlusses, sondern darum, ob auch bei solchen Gesellschafterbeschlüssen der in der Satzung enthaltene Stimmrechtsausschluß gilt bzw. gelten soll, durch die in die Rechtsstellung als Gesellschafter
B G H Z 105, 331. Scholz/Emmerich, 7. Aufl., Konzernrecht nach §40, 233; Scholz/Priester, 7. Aufl., §53, 164; Hachenburg/Ulmer, 7. Aufl., §53, 131a; Baumbach/Zöllner, 15. Aufl., §47, 24 und Konzernrecht 16. 47 B G H Z 20, 368. 48 Fischer/LutterlHommelhoff, 12. Aufl., Anh. §13, 27; Rowedder/Koppensteiner, 2. Aufl., Anh. § 52, 40; Heckschen, Gelöste und ungelöste zivilrechtliche Fragen des GmbH-Konzernrechts, DB 1989, 29; zweifelnd schon Lutter/Timm, Konzernrechtlicher Präventivschutz im GmbH-Recht, N J W 1982, 409, 418. 49 Timm, Gelöste und offene Fragen im Vertragskonzernrecht der GmbH, GmbHR 1987, 8, 11. 45 46
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eingegriffen wird; es geht also um das „ o b " des Beschlusses und nicht um das „wie". Dieses Mitwirkungsrecht des nicht stimmberechtigten Gesellschafters kann beispielsweise selbst dann auch materiell für ihn von Bedeutung sein, wenn er allein angesichts seines Kapitalanteils einen Mehrheitsbeschluß zwar nicht verhindern könnte, er aber durch seine Mitwirkung bei der Beschlußfassung die Opposition so verstärken würde, daß ein Mehrheitsbeschluß, welcher sodann der gerichtlichen Nachprüfung unterläge, erst gar nicht zustande käme.
III. Es gilt daher, zunächst zwischen der dem GmbH-Recht zugrundeliegenden Satzungsautonomie, die prinzipiell auch das Stimmrecht erfaßt, einerseits und den Besonderheiten einer personalistisch bestimmten G m b H andererseits abzuwägen und sodann zu fragen, wie dies in der Stimmrechtsklausel berücksichtigt werden kann. Auszugehen ist dabei von der Überlegung, daß bei einer personalistisch strukturierten G m b H mit einer sehr beschränkten Anzahl von meist untereinander bekannten Gesellschaftern ein genereller Stimmrechtsausschluß nach der Vorstellung der Beteiligten nur den Bereich erfassen könnte, bei dem es um die normalen geschäftlichen Aktivitäten der G m b H und ihre unternehmerische Führung geht. O b dies regelmäßig der Fall ist oder ob in Einzelfällen der volle Stimmrechtsausschluß durchaus gewollt ist, kann dabei dahingestellt bleiben. Denn im zuletzt genannten Fall liegt eine entsprechende Ubereinstimmung zwischen den Beteiligten vor. Ohne eine solche Absprache unter den Gesellschaftern kann jedoch in solchen Fällen nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Stimmrechtsausschluß nach der Vorstellung der Beteiligten beispielsweise auch für den Fall der Auflösung der Gesellschaft durch Beschluß und damit der völligen Beseitigung der Mitgliedschaft gelten soll. Zumindest ist nicht auszuschließen, daß bei einem in der Satzung niedergelegten Stimmrechtsausschluß die volle Tragweite einer solchen Regelung von den Beteiligten nicht erfaßt bzw. nicht gewollt worden ist. Dieser Gesichtspunkt wird aber in einer Satzungsklausel nicht deutlich, durch die das Stimmrecht generell ausgeschlossen wird. Eine darauf ausgerichtete Auslegung der Klausel scheidet jedoch aus. Satzungsbestimmungen, durch die in Mitgliedschaftsrechte eines GmbH-Gesellschafters eingegriffen wird, müssen in ihrem Wortlaut eindeutig und unmißverständlich sein 50 . Sie unterliegen, da sie zu dem körperschaftli50
BayObLG D B 1987, 2349, 2350.
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chen Teil der Satzung gehören, nur in beschränktem Maße einer Auslegung, nämlich nur nach objektiven Gesichtspunkten, soweit sie sich aus der Satzung selbst ergeben. Außerhalb der Satzung liegende, Dritten nicht erkennbare Umstände wie Unterlagen und Protokolle aus der Gründungsphase der Gesellschaft sind für die Auslegung ohne Bedeutung51. Eine Klausel, nach der ein Gesellschafter kein Stimmrecht hat, ist in sich aber eindeutig und unmißverständlich und bedarf keiner Auslegung. Daran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn sich aus Nebenunterlagen ergeben würde, daß die Gesellschafter einen umfassenden Stimmrechtsausschluß nicht gewollt haben52. Ist der Schutz des Gesellschafters durch eine interessengerechte einschränkende Auslegung der Klausel mithin nicht möglich, verbliebe nur der Weg, ihr - etwa im Wege einer unwiderlegbaren Vermutung - von vornherein den Inhalt zu geben, daß sie lediglich die unter § 46 GmbHG fallenden Maßnahmen und die gewöhnlichen Satzungsänderungen erfaßt. Soll die Stimmrechtsklausel auch für Beschlüsse gelten, durch die in die Rechtsstellung des nicht stimmberechtigten Gesellschafters aufgrund dieser Maßnahmen eingegriffen wird, müßte sie danach in ihrem Wortlaut diese Fälle eindeutig einschließen. Eine solche Lösung ist jedoch nicht möglich, weil sie in Widerspruch zu dem System der Zustimmungsrechte im GmbH-Recht steht. Soweit das Gesetz keine Zustimmung für erforderlich hält, begnügt es sich mit dem Mehrheitsbeschluß. Der Bundesgerichtshof hat bei der zur Personengesellschaft entwickelten Kernbereichslehre zur Frage der Wirksamkeit eines Stimmrechtsausschlusses auf das im Recht der Personengesellschaft für den Gesellschafter nicht bestehende Zustimmungsrecht abgestellt, wenn von dem in dieser Hinsicht weitergehenden Prinzip der Einstimmigkeit abgewichen wird. Würde bei einer GmbH eine Satzungsbestimmung, durch die das Stimmrecht generell ausgeschlossen wird, trotz ihres eindeutigen Wortlautes nur deshalb für solche Fälle keine Gültigkeit haben, weil es sich um schwerwiegende Eingriffe in die Rechtsstellung des Gesellschafters handelt, die aber trotzdem ohne seine Zustimmung möglich sind - beispielsweise die Auflösung der Gesellschaft - , so würde damit zugleich der Kreis der zustimmungspflichtigen Gesellschafterbeschlüsse faktisch erweitert werden, wenn man den der Kernbereichslehre zugrundeliegenden Gedanken berücksichtigt. Bei der Personengesellschaft mag der Kreis der zustimmungsfesten Maßnahmen größer sein als bei der GmbH. Dies beruht dann aber allein darauf, daß
51 BGHZ 14, 25, 37; BGH DB 1983, 872; vgl. im übrigen Scholz/Emmerich, 7. Aufl., §2, 33 ff. 52 Für die Möglichkeit einer Auslegung Scholz/Schmidt, 7. Aufl., §47, 11.
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der Begriff des Kernbereichs erweiternd verstanden werden kann und wohl auch wird und damit über die Fälle hinausgeht, die bei der G m b H ein Zustimmungsrecht des Gesellschafters auslösen. Daraus folgt, daß bei einer G m b H ein genereller Stimmrechtsausschluß trotz der personalistischen Struktur der Gesellschaft voll wirksam ist. Dem Gesellschafter verbleiben seine Zustimmungsrechte, durch die er ausreichend geschützt wird. Hinsichtlich des Umfangs eines Stimmrechtsausschlusses kann er sich, und zwar sowohl für Maßnahmen, die sich im Bereich seiner Zustimmungsrechte bewegen, als auch für darüber hinausgehende Vorgänge nur dadurch schützen, daß er in die Satzungsbestimmungen einschränkende Regelungen aufnehmen läßt, was zulässig ist 53 . Mit diesem Ergebnis scheint allerdings die Regelung bei der G m b H von der bei der Personengesellschaft durch die Kernbereichslehre bestimmten Regelung insoweit abzuweichen, als bei der Personengesellschaft der Stimmrechtsausschluß den Kernbereich der Mitgliedsrechte nicht erfaßt, während es bei der G m b H eine solche Schranke für den Stimmrechtsausschluß nicht gibt, und zwar auch nicht für den von den Zustimmungsrechten des Gesellschafters erfaßten Bereich. Im Zusammenhang mit der Kernbereichslehre hat sich der Grundsatz entwickelt, daß ein Eingriff in den Kernbereich zugleich auch einen Eingriff in den Kernbereich von Mitgliedsrechten darstellt, der der Zustimmung des betroffenen Gesellschafters bedarf. Wenn der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaft - wiederum in Abweichung von dem Prinzip der Einstimmigkeit - auch eine Mehrheitsklausel enthält, so wäre bei einem Eingriff in den Kernbereich durch Mehrheitsbeschluß eine Zustimmung des betroffenen Gesellschafters erforderlich; die durch die Kernbereichslehre gezogene Begrenzung eines Stimmrechtsausschlusses stellt allein keinen ausreichenden Schutz dar 54 . Der Kernbereich der Rechte ist somit zugleich auch mehrheitsfest 55 . Dies bedeutet aber, daß bei den Personengesellschaften Schranken hinsichtlich eines Stimmrechtsausschlusses bestehen, obwohl der Gesellschafter bei Eingriffen in die durch die Kernbereichslehre geschützte Sphäre ein Zustimmungsrecht hat, während bei der G m b H das sich aus dem Gesetz ergebende Recht gerade der Grund dafür ist, daß für den Stimmrechtsausschluß keine Schranken gezogen werden müssen.
53 Insoweit wird die Belehrungspflicht des beurkundenden Notars nach § 17 BeurkG von Bedeutung sein. 54 Mecke, Vertragsändernde Mehrheitsbeschlüsse in der O H G und KG, BB 1988, 2258, 2263. 55 B G H WM 1975, 662, 663; B G H WM 1985, 195, 196 für die KG; Münchener Kommentar-Ulmer, BGB, 2. Aufl., §709, 77; Mecke aaO.
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Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß Eingriffe in den Kernbereich von Mitgliedsrechten bei der Personengesellschaft nicht nur der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen, sondern daß die Mehrheitsklausel, mit der ebenfalls vom Prinzip der Einstimmigkeit bei den Personengesellschaften abgewichen wird, nach der Rechtsprechung nach wie vor dem Bestimmtheitsgrundsatz unterliegt 56 . Dieser Grundsatz stellt aber eine antizipierte Unterwerfungsvereinbarung unter die Herrschaft der Mehrheit dar57. Eine derartige antizipierte Zustimmung ist auch zu Eingriffen in den Kernbereich von Mitgliedsrechten möglich, und zwar auch, soweit es um den Stimmrechtsausschluß geht58; sie ist in einer den Bestimmtheitsgrundsatz berücksichtigenden Mehrheitsklausel enthalten. Sieht dagegen ein Gesellschaftsvertrag nur die Stimmrechtsklausel, nicht aber auch die Mehrheitsklausel vor, so sind dem Stimmrechtsausschluß im Umfang des Kernbereichs Schranken gesetzt, weil eine antizipierte Verzichtserklärung auf Eingriffe in den Kernbereich und damit auf das Prinzip der Einstimmigkeit aller Beschlüsse jedenfalls nicht vorliegt. Enthält der Gesellschaftsvertrag in einem solchen Fall jedoch eine genaue Beschreibung des Umfangs der Stimmrechtsbeschränkung, liegt damit zugleich ein vorweggenommener Verzicht und damit ein wirksamer Stimmrechtsausschluß vor59. Die GmbH wird hingegen vom Prinzip der Mehrheitsbeschlüsse bestimmt, denen sich die Minderheit zu unterwerfen hat. Dieses Mehrheitsprinzip ergibt sich aus dem Gesetz und nicht etwa daraus, daß auf ein Einstimmigkeitsprinzip verzichtet werden muß; somit hängt auch die Wirksamkeit des Stimmrechtsausschlusses selbst dort, wo er in die durch die Zustimmungsrechte geschützte Sphäre hineinreicht, nicht von einer in der Satzung zu berücksichtigenden vorweggenommenen Einverständniserklärung ab. Die Kernbereichslehre hat somit, obwohl sie letztlich ihren Ausgangspunkt auch im GmbH-Recht hat, für die GmbH selbst keine Bedeutung. Das dem Gesellschafter trotz des Stimmrechtsausschlusses verbliebene Recht auf Zustimmung kann im übrigen ausgeübt werden, indem in die Satzung eine Regelung aufgenommen wird, wonach die Zustimmung bereits vorher erteilt worden ist. Eine solche antizipierte Zustimmung 56 BGH WM 1987, 1102; Ausnahmen gelten für Publikumsgesellschaften, BGHZ 66, 82; BGHZ 71, 53 sowie für körperschaftlich verfaßte KGs mit großer Zahl von Kommanditisten, BGHZ 85, 350. 57 Immensa, Die Minderheitsrechte des Kommanditisten, ZGR 1974, 385, 422. 58 Martens, Bestimmtheitsgrundsatz und Mehrheitskompetenzen im Recht der Personengesellschaften, DB 1973, 413, 417f; einschränkend Münchener KommentarUlmer, 2. Aufl., § 709, 58, wonach trotz des Einverständnisses die Möglichkeit der Einflußnahme bei der Einzelentscheidung offenbleiben muß. 59
Martens aaO.
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kann allerdings nicht in Form einer allgemein gefaßten Klausel erfolgen, wohl aber durch eine Klausel, in der die in Betracht kommenden Fälle im einzelnen aufgezählt werden 60 ; bei der Formulierung der Satzungsbestimmung kann auf den Bestimmtheitsgrundsatz zurückgegriffen werden61. Entsprechendes gilt für sonstige Zustimmungsrechte - bezüglich der Änderung des Gesellschaftszwecks folgt dies bereits aus §40 BGB - , die ebenfalls in Form antizipierter Einverständnisse ausgeübt werden können, wenn deren Umfang deutlich aus der Satzungsregelung hervorgeht. Damit kann das Zustimmungsrecht faktisch in den Stimmrechtsausschluß einbezogen werden, womit der Gesellschafter satzungsfest sowohl auf sein Stimmrecht wie auch auf sein Zustimmungsrecht und damit auf sein Mitwirkungsrecht insgesamt verzichtet hat.
60 RGZ 87, 261, 265; Scholz/Priester, 7. Aufl., §53, 50; Baumbach/2ö//«er, 15. Aufl., §53, 17; für die Möglichkeit einer allgemein gefaßten Satzungsklausel Hachenburg/ Ulmer, 7. Aufl., §53, 67; Rowedder/Zimmermann, 2. Aufl., §53, 54, falls Recht auf Austritt nach §27 G m b H G besteht. 61 Scholz/Priester aaO; Baumbach/Zö//«er aaO; a. A. Rowedder/Zimmermann aaO unter Hinweis auf die durch B G H Z 85, 350 mögliche Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes, der inzwischen aber wieder durch B G H WM 1987, 1102 gefestigt wurde.
Grenzen der Mitwirkungspflichten der Kreditinstitute bei Ermittlungs- und Fahndungsmaßnahmen der Steuerbehörden PAUL FRANKEN
I. Einleitung Das Interesse des einzelnen an der Wahrung seiner Privatsphäre und das Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung des Steueranspruchs sind schon seit jeher zwei konträre Welten, die schwierige rechtliche Fragen hinsichtlich ihrer Abgrenzung mit sich bringen. Gerade in diesem Rahmen gibt es wohl kaum ein Thema, das in den letzten Jahren die Gemüter - sowohl die juristischen als auch die nichtjuristischen - so zu Diskussionen angeregt hat wie die Frage nach der ordnungsgemäßen Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen. Dabei wird oftmals durch emotionsgeladene Beiträge versucht, die Verfassungswidrigkeit des derzeitigen Besteuerungsverfahrens für Kapitaleinkünfte mit der anscheinend hohen Steuerhinterziehungsquote 1 zu begründen bzw. diese als Anlaß für eine Begründung zu verstehen. Allerdings ist bisher der Versuch gescheitert, die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung der Zinsen durch die Gerichte feststellen zu lassen 2 .
1 Nach Angaben des Bundesrechnungshofs wurden im Jahre 1981 von dem Gesamteinkommen aus Geldvermögen aller privaten Haushalte in Höhe von DM 80,5 Milliarden lediglich ein Anteil von 21 % steuerlich deklariert (BT-Drucks. 10/4367). Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat in seiner Entscheidung vom 5. Juni 1986 III Κ 325/ 83 (EFG 1986, 451) „nur" eine „Fehlerquote erklärungs- und steuerpflichtiger Zinserträge" von ca. 40 % errechnet. Dabei verwendete das Finanzgericht noch den alten Sparerfreibetrag von DM 300,-. Bei der Verwendung des neuen Freibetrages müßte man von den vom Finanzgericht als Differenzbetrag bezeichneten DM 15 Milliarden nochmals DM 6 Milliarden abziehen. Die Steuerhinterziehungsquote wird dann immer geringer. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, daß sich ein großer Teil der Steuerpflichtigen in der größten „Steuerfalle" der Geschichte - dem Zusammenspiel zwischen „kleiner Kapitalertragsteuer" und „Steueramnestie" - verfangen haben und dadurch die Hinterziehungsquote wesentlich gesunken ist. Hinsichtlich der allgemeinen Problematik vgl. Rehm, „Zur Quellenbesteuerung von Kapitalerträgen", StuW 1984, 230. 2 Vgl. BFH-Urteil vom 20. Juni 1989 VIII R 82/86, Bundessteuerblatt II 1989, 836 und als Vorinstanz FG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Juni 1986 aaO (Fn. 1).
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Immer wieder werden im Rahmen dieser Diskussionen die Kreditinstitute angesprochen. Sie, als „Hüter des Kapitals" und als Kenner der Zahlungsflüsse von Kapitalerträgen, seien selbstverständlich prädestiniert dafür, den Steuergläubiger Staat bei der Erfassung der Kapitaleinkünfte zu unterstützen bzw. ihm diese Arbeit unentgeltlich (zumindest für den Staat) abzunehmen. Bei diesen Forderungen wird oftmals übersehen, daß die Kreditwirtschaft schon jetzt, gemessen an den Mitwirkungspflichten sonstiger Dritter im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, außerordentlich belastet ist. Zu nennen sind hier insbesondere: - Die Legitimationsprüfung nach § 154 AO, - die Pflicht zur Erteilung von Steuerbescheinigungen und vielfältige Aufgaben im Körperschaftsteuer- und Kapitalertragsteuer-Erstattungsverfahren, - die Dokumentationspflichten als Grundlage für Kapitalertragsteuerund Kapitalverkehrsteuerprüfung, - die Meldeverpflichtung nach § 33 Erbschaftsteuergesetz, - die Hinweispflicht auf die Steuerbarkeit von Kapitalerträgen, - die Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach §§93, 97, 208 A O bzw. auch nach der StPO. Bisher ist es zu einer gesetzlichen Ausweitung dieses Kataloges, trotz heftiger Angriffe in der Literatur 3 , nicht gekommen. Man ist fast geneigt zu sagen, daß das Gegenteil geschehen ist. Der Gesetzgeber hat den sogenannten „Bankenerlaß" aus dem Jahre 19794 fast wörtlich mit dem Steuerreformgesetz 19905 als §30 a in die Abgabenordnung übernommen. Durch die systematische Stellung des § 30 a A O im Gesetz ist eindeutig klargestellt, daß dem Gesetzgeber der Schutz der Vertrauensverhältnisse, die sowohl dem Steuergeheimnis als auch dem Bankgeheimnis zugrunde liegen, wesentlich ist. Wie das Steuergeheimnis, das das Gegenstück zu den weitgehenden Offenbarungspflichten des Steuerpflichtigen ist6, so ist auch das Bankgeheimnis in seinem Kern darauf zurückzuführen, daß der Kunde seiner Bank umfangreiche persönliche Angaben macht; und wie das Steuergeheimnis, das nach herrschender
3 Vgl. ζ. B. von Hippel, „Besteuerung von Zinseinkünften: Verfassungswidriges Verhalten des Gesetzgebers?", BB 1990, 1951; Spindler, „Verfassungsrechtliche Fragen zur Besteuerung der Kapitaleinkünfte", D B 1987, 2536; Tipke, „Die rechtliche Misere der Zinsbesteuerung", BB 1989, 157. 4 Bundessteuerblatt I 1979, 590 = DB 1979, 1870. 5 Art. 16 Nr. 1, Bundesgesetzblatt I 1988, 1093 (1128). 6 Häbschmann/Hepp/Spitaler, A O , §30 Anm. 6.
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Lehre 7 und Rechtsprechung8 keinen unmittelbaren Verfassungsrang hat, ergibt sich das Bankgeheimnis als Ausfluß aus dem durch das Grundgesetz geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht. II. Verfassungsrechtliche Fundierung des Bankgeheimnisses Obwohl das Bankgeheimnis expressis verbis nicht im Grundgesetz genannt wird, ist es heute unbestritten, daß es verfassungsrechtlich abgesichert ist9. Die Judikatur hat aus den Art. 1 G G (Unantastbarkeit der Menschenwürde) und Art. 2 G G (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) das sogenannte „allgemeine Persönlichkeitsrecht" entwickelt10. Dieses Grundrecht spiegelt die elementare Wertentscheidung des Grundgesetzes für die Eigenverantwortlichekeit und Selbstbestimmung der Bürger wider. Es erfaßt auch die „aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden" 11 . Insoweit kann Canaris12 nicht gefolgt werden, wenn er meint, daß die Vertreter dieser Ansicht die Geheimsphäre ohne weiteres mit der „Intimsphäre" gleichsetzen. Nach der von Canaris und anderen Autoren vertretenen Ansicht 13 läßt sich der verfassungsrechtliche Schutz des Bankgeheimnisses grundsätzlich nicht auf Art. 1 G G stützen, da dieser lediglich personenbezogene, höchstpersönliche Daten und Äußerungen schützen will14. Demgegenüber habe das Bankgeheimnis im wesentlichen und ganz überwiegend einen vermögensbezogenen Charakter. Canaris übersieht die herausragende Bedeutung, die das Grundgesetz der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung des einzelnen zubilligt. Vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, A O , § 30 Anm. 9. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juli 1984, 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83, BVerfGE 67, 100 (142) = BStBl. II 1984, 634. 9 Canaris, „Bankvertragsrecht" in: Staub, H G B Rdn. 36; Lerche, „Bankgeheimnis verfassungsrechtliche Rechtsgrundlage", Z H R 149 (1985), 165; Sichtermann/Feuerbom/ Kirchherr/Terdenge, Bankgeheimnis und Bankauskunft, 3. Aufl., S. 40 ff; Selmer, „Steuerrecht und Bankgeheimnis", S. 6 ff. 10 Rehbein, „Rechtsfragen zum Bankgeheimnis" Z H R 149 (1985), 139 (143). 11 Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u. a„ BVerfGE 65, 1 (41 f) = DB 1984, 36 unter Hinweis auf BVerfGE 54, 148 (155). 12 Canaris aaO (Fn. 9) Rdn. 36. 13 Canaris aaO (Fn. 9) Rdn. 36 f; Ehlers, „Durchsuchung - Beschlagnahme - Bankgeheimnis", BB 1978, 1515; Rehhein, Z H R 149 (1985) 144. 14 Im Gegensatz dazu steht die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 6. April 1989 (Fn.39) geäußerte Ansicht, daß die persönliche Intimsphäre durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist. 7
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Diese Freiheit kann nicht nur wesentlich durch die Weitergabe intimer Geheimnisse beeinflußt werden, sondern vielmehr auch durch die Weitergabe von wirtschaftlichen Informationen. Darüber hinaus übersieht Canaris, daß das Bundesverfassungsgericht sich in seiner Entscheidung vom 17.7.1984 („Flick-Akten") 15 zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Steuergeheimnisses geäußert hat. Dort führt es aus, daß die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse grundrechtlich insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt sei. Diesen Schutz billigt das Bundesverfassungsgericht dem Steuerpflichtigen zu, da die Angaben, die er aufgrund des geltenden Abgabenrechts zu machen hat, „weitreichende Einblicke in die persönlichen Verhältnisse, die persönliche Lebensführung (bis hin beispielsweise zu gesundheitlichen Gebrechen, religiösen Bindungen, Ehe- und Familienverhältnissen oder politischen Verbindungen) und in die beruflichen, betrieblichen, unternehmerischen oder sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse" ermöglichen. Dieser, in dem Urteil beschriebene Einblick in die Persönlichkeitssphäre des einzelnen, der wiederum den erhöhten verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gebietet, ist aber im wesentlichen auch kennzeichnend für das Verhältnis von Kunde und Kreditinstitut. Allein die Erkenntnisse, die das Kreditinstitut durch den heutzutage weit ausgebauten bargeldlosen Zahlungsverkehr erzielt, reichen aus, um wesentliche Einblicke in den persönlichen Bereich des Kunden zu gewinnen. Diese gehen weit über die wirtschaftlichen und beruflichen Verhältnisse hinaus. Mit jeder Uberweisung einer Spende z.B. zeigt der Kunde, welcher politischen oder karitativen Institution er nahesteht. Insoweit dürften die Erkenntnisse, die ein Kreditinstitut über seine Kunden gewinnt, nur unwesentlich geringer sein, als der Staat sie über seinen Steuerschuldner hat. Wenn aber diese umfassende Kenntnis der persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen den besonderen Schutz des Grundgesetzes, insbesondere unter dem Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hervorruft, so muß auch das Bankgeheimnis als Schutz des Kunden vor Weitergabe der dem Kreditinstitut zustehenden umfassenden Erkenntnisse besonders durch das Grundgesetz geschützt sein. III. Rechtsgrundlagen der Mitwirkungspflichten Der Schutz des Bankgeheimnisses, gleichgültig ob man ihn aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 GG oder ausschließlich aus Art. 2 GG ableitet, ist nicht absolut. Durchbrechungen sind in jedem Fall mög15
BVerfGE 67, 100 = BStBl. II 1984, 634.
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lieh16. Allerdings muß sich jede Durchbrechung des Bankgeheimnisses, selbst wenn man ausschließlich die „Schranken-Trias" des Art. 2 Abs. 1 G G zur Anwendung bringen würde, an der „verfassungsmäßigen Ordnung" orientieren. Unter dieser „verfassungsmäßigen Ordnung" versteht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alle formellen und materiellen Rechtsnormen 17 . Dies läßt, zumindest auf den ersten Blick, der Legislative für Eingriffe in das Bankgeheimnis einen breiten Raum. Allerdings muß ein als verfassungsmäßig zu bezeichnendes Gesetz „im Einklang mit den obersten Grundwerten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als der verfassungsrechtlichen Wertordnung stehen sowie den ungeschriebenen elementaren Verfassungsgrundsätzen und den Grundentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen" 18 . Dies bedeutet eine Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips und, hier wesentlich, des Rechtsstaatsprinzips mit dem ihm immanenten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) 19 . Diese verfassungsmäßigen Grundsätze sind über das reine Gesetzgebungsverfahren hinaus nicht nur von der Legislative beim Erlaß von Gesetzen zu beachten, sondern legen ebenso den Maßstab fest für Maßnahmen der Exekutive, die diese - selbstverständlich - nur aufgrund von bestehenden verfassungsmäßigen Eingriffsgrundlagen erlassen darf. 1. Die Rechtsgrundlagen in der
Abgabeordnung
a) Grundsätze Grundlage für die Tätigkeit der Finanzbehörden bildet § 85 A O . Danach besteht ihre Aufgabe in der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steuer nach Maßgabe der Gesetze und in der Verhinderung von Steuerverkürzungen. Insoweit bringt §85 A O den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zum Ausdruck, der als Ausprägung von Art. 3 G G zu verstehen ist. Dieser materielle Grundsatz wird verfahrensrechtlich durch das Legalitätsprinzip ergänzt, d. h. daß die Finanzbehörden verpflichtet sind, Steueransprüche geltend zu 16 Sichtermann/Feuerborn/Kirchherr/Terdenge, aaO S. 46 f (Fn. 9); Lerche ZHR 149, 175 f; zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Heußner, „Das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Grundgesetzes als Schutz des Menschen vor totaler Erfassung", BB 1990, 1281 (1282). 17 BVerfGE 6, 32, 38; Canaris, aaO Rdn. 37 (Fn. 9). Sichtermann/Feuerborn/ Kirchherr/Terdenge, aaO (Fn. 9), S. 46 f m.w. N. 18 Selmer, aaO (Fn. 9), S. 10 m. w. N. 19 Vgl. Canaris aaO (Fn. 9) Rdn. 37; Sichtermann/Feuerborn/Kirchherr/Terdenge, aaO (Fn. 9). S.47; Lerche ZHR 149, 175 f; Selmer aaO (Fn.9), S.5, 10, 86 ff; Rehbein ZHR 149, 139 (144).
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machen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft20. § 85 AO stellt lediglich eine Aufgabennorm dar, ohne nähere Befugnisse zu regeln. Der Sachverhalt bzw. die maßgebenden Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen sind grundsätzlich von Amts wegen zu ermitteln (§88 AO), wobei die Finanzbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden haben, wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführen (§ 86 AO). Nimmt man das Legalitätsprinzip und den Untersuchungsgrundsatz wörtlich, so müßten die Finanzbehörden jeden steuerlich relevanten Sachverhalt, jede Steuererklärung, jede Angabe in jeder Steuererklärung von Amts wegen prüfen. Daß dies ein unmögliches Unterfangen wäre, bedarf keiner näheren Begründung. Die Rechtsprechung21 hat daher das strikte Legalitätsprinzip durch den Zumutbarkeitsgrundsatz eingeschränkt und daraus ein sogenanntes Regel-Ausnahme-Prinzip hergeleitet. Nach dieser Rechtsprechung kann das Finanzamt darauf vertrauen, daß der Steuerpflichtige die Angaben richtig und vollständig gemacht hat. Ermittlungen der Finanzbehörden haben erst dann einzusetzen, wenn sich ein begründeter Anhalt gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in der Erklärung ergibt. § 88 AO gebietet somit, daß die Finanzbehörden ausschließlich Zweifelsfragen, die sich ohne weiteres aufdrängen, nachgehen22. Dies dürfte den ersten Punkt der Einschränkung der Mitwirkungspflichten Dritter darstellen, denn wenn nach der dargestellten Rechtsprechung gegen den Steuerpflichtigen erst bei hinreichendem Anlaß weitere Ermittlungen unter Zuhilfenahme der Beweismittel des §92 AO zulässig sind, so muß dies erst recht für die Inanspruchnahme außerhalb des Steuerverhältnisses stehender Dritter gelten. b) Das
Ermittlungsinstrumentarium
Wenn die Finanzbehörden ein Verwaltungsverfahren eingeleitet haben und damit dem Untersuchungsgrundsatz unterliegen, entscheiden sie über Art und Umfang der Ermittlungen (§ 88 Abs. 1 S. 2 AO) und über die Anwendung und Inanspruchnahme von Beweismitteln (§ 92 S. 1 AO) nach pflichtgemäßem Ermessen (§5 AO). Diese grundsätzlichen gesetzlichen Regelungen werden bei ihrer Anwendung ergänzt - neben
20 Vgl. BVerfGE 25, 228. Es handelt sich insoweit nur um ein „Geltendmachen", da der Steueranspruch auch ohne Kenntnis der Finanzbehörde und ohne daß ein Steuerbescheid ergeht, entsteht (vgl. §38 AO). 21 BVerfG BStBl. II 1973, 720; BFH BStBl. III 1960, 291; BStBl. II 1969, 474. 22 BFH BStBl. II 1986, 241; FG Hamburg EFG 85, 508.
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den zu beachtenden verfassungsrechtlichen Grundwerteentscheidungen - von Ausführungsbestimmungen und den speziellen Modifizierungen, wie sie ζ. Β. in §§ 93 Abs. 1 S. 3, 97 Abs. 2 S. 1 AO für die Reihenfolge der Inanspruchnahme enthalten sind. Als eine der wesentlichsten Ausführungsbestimmungen ist die im Anwendungserlaß zur Abgabenordnung zu § 5 AO (Ermessen) getroffene Regelung zu nennen23. Danach sind bei der Ausübung des Ermessens durch die Finanzbehörden „die Grundsätze der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, der Verhältnismäßigkeit der Mittel, der Erforderlichkeit, der Zumutbarkeit, der Billigkeit und von Treu und Glauben sowie das Willkürverbot und das Ubermaß verbot zu beachten". Im Rahmen der Mitwirkungspflichten der Kreditinstitute steht die Einholung von Auskünften gemäß § 93 AO im Vordergrund; denn nach § 93 Abs. 1 S. 1 AO haben auch andere Personen als die Beteiligten die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhaltes erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Sie sind wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen (§93 Abs. 3 S. 1 AO) und nötigenfalls im Rahmen einer eidlichen Vernehmung (§ 94 AO). Darüber hinaus hat dies, insbesondere soweit das Gedächtnis versagt, durch Einsicht in Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden zu geschehen (§93 Abs. 3 Satz 2 AO). 2. Das Auskunftsverlangen nach §93 Abs. 1 S.l AO im Rahmen der neueren Rechtsprechung Im folgenden sollen die Beschränkungen, denen Auskunftsersuchen gemäß § 93 AO unterliegen - insbesondere die verfassungsrechtlichen - , anhand der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs dargestellt werden. a) „Informationelle
Selbstbestimmung"
Im Urteil über das Volkszählungsgesetz 198324 hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung der Wert und die Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt, stehen. Ihrem Schutz dient das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht, das gerade auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit Bedeutung gewinnen kann. 23 24
Anwendungserlaß zur A O (AEAO) vom 24. September 1987, BStBl. I 1987, 664. BVerfGE 65, 1 = DB 1984, 36.
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Weiterhin führt das Gericht aus, daß ein allein für sich gesehenes belangloses Datum durch seine Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit durchaus einen neuen Stellenwert bekommen kann. Insoweit gebe es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung keine „belanglosen" Daten mehr. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit im Rahmen des Urteils seine frühere Rechtsprechung nicht mehr aufgegriffen, in der es die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der Grundlage von Eingrenzungen in räumlich-statische Sphären gliederte25. Dieses Recht auf „informationelle Selbstbestimmung" ist nicht schrankenlos gewährleistet. Grundsätzlich muß daher der einzelne zwar Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Jede Beschränkung dieses Rechts bedarf aber einer „(verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage", aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben. Bei seinen Regelungen, so das Bundesverfassungsgericht weiter, hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dies bedeutet insbesondere, daß eine Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmten Zwecken unzulässig ist und alle Stellen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten sammeln, sich auf das zum Erreichen des angegebenen Zieles erforderliche Minimum zu beschränken haben. Darüber hinaus stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß es der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gebietet, Informationen nur zweckspezifisch zu sammeln, zu speichern und insbesondere weiterzugeben. Werden Informationen durch Weitergabe oder sonstige Verwertung, insbesondere wenn die Zweckentfremdung durch einen öffentlich-rechtlichen Hoheitsträger erfolgt, ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung entzogen, so liegt ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor26. Für die Auskunftsverlangen des Hoheitsträgers Finanzbehörde ist aus diesem Urteil zu folgern, daß alle Daten, die abgefragt werden, dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterliegen, da es „belanglose Daten" nicht gibt. Ein Eingriff bedarf daher einer verfassungsmäßi-
25 Vgl. dazu Heußner, BB 1990, 1281, 1282. Dadurch dürfte wohl auch die Ansicht von Canaris (Fn. 19) überholt sein, der den Schutz des Bankgeheimnisses ausschließlich aus Art. 2 GG heraus sieht und dies im wesentlichen mit der Sphärentheorie und den „vermögensbezogenen" Daten begründet. Auch der Schutz des Bankgeheimnisses dürfte daher unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit unter Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG fallen.
» BVerfGE 65, 1 (48); Hufen, J Z 1984, 1072 (1075).
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gen Rechtsgrundlage und darf nur im überwiegenden Allgemeininteresse stattfinden. Darüber hinaus muß man davon ausgehen, daß bei einem Auskunftsersuchen immer eine Zweckentfremdung von Daten vorliegt, denn die Verpflichtung zur Auskunft kann nur erfüllt werden, wenn das Kreditinstitut die Daten seinen Aufzeichnungen entnimmt. Diese werden zwar auch aus handels- und steuerrechtlichen Gründen (Steuerrechtsverhältnis Bank-Finanzbehörde) geführt. Im übrigen dienen sie aber ausschließlich Zwecken, die im Verhältnis Kunde-Bank liegen. Wenn nun diese Daten in Erfüllung eines Auskunftsersuchens an die Finanzbehörden weitergegeben werden, so findet eine Zweckentfremdung der Information statt, da die Aufzeichnung dieser Daten auf keinen Fall für das Steuerschuldverhältnis Kunde - Finanzbehörde gedacht war. Auch insoweit findet also nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht statt, der nur innerhalb der von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen zulässig ist. b) „Hinreichender
Anlaß"
In mehreren neuen Entscheidungen befaßt sich der Bundesfinanzhof mit der Frage, von welchem Grad der Konkretisierung eines steuerrelevanten Tatbestands an ein Auskunftsverfahren eingeleitet werden darf. Dabei dürfte ein Verfahren immer bereits dann eingeleitet sein, wenn die Behörde eine Tätigkeit entfaltet, die nach außen wirkt (§ 9 Verwaltungsverfahrensgesetz). Daher muß man unter dem Begriff des Eingriffs und damit der Einleitung des Verfahrens auch Realakte verstehen, die ebenso wie die eigentlichen Verwaltungsakte geeignet sind, in die Rechtssphäre des einzelnen einzugreifen28. Als maßgebliches Kriterium für die Zulässigkeit der Einleitung eines Verfahrens hat der Bundesfinanzhof gefordert, daß ein hinreichender Anlaß zum Tätigwerden vorliegen muß. Dieser hinreichende Anlaß setzt keinen Konkretisierungsgehalt eines Tatverdachtes, wie er bei der Einleitung eines Strafverfahrens erforderlich ist, voraus29. Eines Anfangsverdachts im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO bedarf es somit nicht. Notwendig sind aber konkrete Anhaltspunkte30, konkrete Momente31, konkrete 27
2 7 BFH-Urteile vom 29. Oktober 1986 VII R 82/85, BStBl. II 1988, 359; vom 24. März 1987 VII R 30/86, BStBl. II 1987, 484; vom 11. Oktober 1989 I R 101/87, BStBl. II 1990, 281 und vom 24. Oktober 1989 VII R 1/87, WM 1990, 346. 28 Urteil des BVerfG vom 2 2 . 5 . 1 9 8 0 - 2 C 30/78 N J W 1981, 67 m . w . N . ; Beispiele sind die nationalen und internationalen Amtshilfemaßnahmen. B F H BStBl. II 1988, 359, 361. 30 B F H BStBl. II 1987, 484. 31 B F H WM 1990, 346, 347.
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Umstände32, konkrete Erfahrungen33 oder allgemeine Erfahrungen für das Tätigwerden der Finanzbehörden. Der Bundesfinanzhof hat sich in seinen Urteilen nicht näher dazu geäußert, was er unter „konkretem Anhaltspunkt" versteht und wie das Verhältnis zu der alternativen Voraussetzung „allgemeine Erfahrungen" ist. In seiner Entscheidung vom 29. Oktober 198634 wirft er sogar beides zusammen. Er führt aus, daß „ein konkretes Moment für ein Tätigwerden des Finanzamts . . . im Inhalt der beiden Chiffre-Anzeigen" lag und daß sich zu diesem konkreten Moment die allgemeine Erfahrung gesellte, daß „wegen der steuerlichen Erfassung und Auswertung inländischer Grundstücksgeschäfte ein gewisser Anreiz besteht, unversteuerte Gelder in ausländischen Grundstücken anzulegen und daher ein hinreichender Anlaß zum Tätigwerden der Steuerfahndungsbehörden in Fällen gegeben ist, in denen diese wie hier durch Chiffre-Anzeigen von wertvollem ausländischen Grundbesitz im Eigentum von Inländern erfahren". Versteht man diese Entscheidung richtig, so muß man davon ausgehen, daß konkrete Anhaltspunkte Tatsachen sind, die an die Finanzbehörden von außen herangetragen werden. Diese Tatsachen allein reichen aber für ein Auskunftsverlangen nicht aus. Erst ihre Verbindung mit allgemeinen Erfahrungen der Finanzbehörden erfüllt, zumindest für Einzelfallauskunftsverlangen, den Tatbestand des hinreichenden Anlasses. Für den vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall ist deshalb festzuhalten, daß allein die Tatsache, daß jemand mit einer Chiffre-Anzeige Grundstücke anbietet, nicht ausreicht, um den hinreichenden Anlaß zu begründen. Erst die Erfahrung, daß - grundsätzlich - unversteuerte Gelder in ausländischen Grundstücken angelegt werden, würde den hinreichenden Anlaß ausmachen. Für eine derart weitgehende Annahme besteht kein Anhaltspunkt; zumindest wird er nicht vom Bundesfinanzhof oder der Vorinstanz/dem Finanzamt mitgeteilt. Der Bundesfinanzhof knüpft mit diesen Ausführungen an den Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 13. Februar 196835 an, in welchem das Gericht darlegte, für das Tätigwerden der Steuerfahndung sei nicht etwa ein Tatverdacht Voraussetzung, sondern es genüge, „daß - wie ζ. B. bei Chiffreanzeigen - die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht komme". Die bloße Möglichkeit wird also als hinreichender Anlaß vom Gericht gewertet. Diese Feststellung nähert sich bedenklich den Kriterien der auch vom Bundesfinanzhof als unzulässig erachteten Rasterfahndung, denn die „Möglichkeit" der Verwirklichung eines steuerlichen 32 BFH BStBl. II » BFH BStBl. II 34 BFH BStBl. II 35 BStBl. II 1968,
1990, 280, 282. 1988, 359, 361. 1988, 359, 361. 365 (369).
Kreditinstitute und Fahndungsmaßnahmen der Steuerbehörden
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Tatbestandes besteht in einer nicht übersehbaren Zahl von Sachverhalten. Die Möglichkeit muß sich demnach durch gesicherte Erfahrungssätze der Finanzverwaltung verdichtet haben. Dies ist aber, wie der Bundesfinanzhof selbst im angeführten Urteil ausführt, nur der Fall, wenn Tatsachen vorgewiesen werden können, aus denen sich ergibt, daß in dem betreffenden Lebenssachverhalt aufgrund bestimmter Umstände eine zumindest gesteigerte Möglichkeit der steuerlichen Tatbestandsverwirklichung besteht. Trotz vieler Worte vermag der Bundesfinanzhof in diesem Urteil nicht mehr darzutun, als daß die „Möglichkeit" der Verwirklichung eines steuererheblichen Tatbestandes gegeben war. In seiner folgenden Entscheidung vom 24. März 198736 weicht der Bundesfinanzhof die Verbindungs-Voraussetzung „von außen herangetragene Tatsachen/allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden" wieder auf. In seiner Zurückverweisung an das Finanzgericht Bremen läßt er es offensichtlich im Hinblick auf eine bestimmte, klar zu definierende Personengruppe genügen, daß den Finanzbehörden mit dieser Personengruppe zusammenhängende allgemeine Erfahrungen vorliegen, die belegbar und darzulegen sind. Gestützt auf diese Entscheidung hat das Finanzgericht Bremen in seinem Urteil vom 17. O k t o b e r 198937 in der Abweisung der Klage den „hinreichenden Anlaß" lediglich darauf gestützt, daß aufgrund der unter dem Stichwort „allgemeine Erfahrung" dargelegten Präzedenzfälle und aufgrund der inzwischen vorliegenden allgemeinen Erfahrung mit Steuerverkürzungen in dem Erwerbszweig der Versicherungs- und Finanzierungsvermittlung auf Provisionsbasis eine verhältnismäßig große Anzahl von Vermittlern Steuern in bezug auf ihre Provisionseinkünfte verkürzt. Offensichtlich bedurfte es eines konkreten Anhaltspunkes im Einzelfall nach der Ansicht des Finanzgerichts Bremen nicht. c) Die verfassungsmäßige
Einbindung der
Auskunftsverlangen
O b die Auskunftspflicht Dritter im Besteuerungsverfahren insbesondere unter Berücksichtigung des „Volkszählungsurteils" des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1983 verfassungsmäßigen Grundsätzen entspricht, ist umstritten. Daher war gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 29. Oktober 198638 Verfassungsbeschwerde eingelegt worden. Die erste Kammer des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts wies diese Beschwerde mangels Erfolgsaussicht mit Beschluß vom 6. April
36 37 38
B F H BStBl. II 1987, 484, 485. F G Bremen EFG 1990, 151. S. Fn. 34.
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198939 zurück. In diesem Beschluß wurde die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, insbesondere ihre Abgrenzung gegenüber dem strafrechtlichen Anfangsverdacht einerseits und Maßnahmen „ins Blaue hinein" andererseits voll inhaltlich bestätigt. Die Vorschriften der §§ 93 Abs. 1 S. 1 und 208 Abs. 1 Nr. 3 AO genügen nach Auffassung des Gerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen eine gesetzliche Ermächtigung zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterliegt. Damit dürfte klargestellt sein, daß der Gesetzgeber seine Pflicht, verfassungsmäßige Vorschriften zu erlassen, erfüllt hat. Zu der Frage, wie eine verfassungsmäßige Umsetzung dieser Bestimmungen zu erfolgen hat, betont die Kammer mehrfach, daß es sich um Maßnahmen im Einzelfall handeln muß, die geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen. Unter Hinweis auf das Volkszählungsurteil 40 hebt die Kammer hervor, daß eine Informationssammlung auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unvereinbar sei. Sozusagen in einem Nebensatz stellt das Bundesverfassungsgericht ferner fest, daß unzumutbare Auskünfte, ohne daß dies in § 93 Abs. 1 AO ausdrücklich vorgeschrieben werden mußte, nicht verlangt werden können. Diese für die als Dritte zur Auskunft verpflichteten Kreditinstitute wichtige Bestätigung der Rechtsprechung läßt sich leider in ihrer Auswirkung schwer umschreiben, ist also hinsichtlich der Kriterien einer pauschalen Beantwortung entzogen. Es bedarf in jedem Einzelfall der Abwägung der Interessen der Allgemeinheit an einer möglichst lückenlosen Verhinderung von Steuerverkürzungen einerseits und der Interessen des jeweils Betroffenen andrerseits, von staatlichen Eingriffen verschont zu bleiben. Dabei kommt dem Interesse der Allgemeinheit ein hoher Stellenwert zu, der durch seine Grundrechtbezogenheit (Art. 3 Abs. 1 GG) unterstrichen wird 41 . Leider ist dieser Beschluß des BVerfG erst nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 24. März 198742 ergangen. Diese hätte dann wohl, gerade im Hinblick auf die Zulässigkeit von Sammelauskunftsersuchen, differenzierender aussehen müssen.
39 Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 6. April 1989, 1 BvR 33/87, HFR 1989, 440 = W M 1989, 1623; vgl. auch WuB X. zu §86 AO/1.89 mit Anmerkung Hamacher. 40 S. Fn. 24. 41 So FG Bremen im Urteil vom 17.10.1989, EFG 1990, 153. « S. Fn. 36.
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d) Sammelauskunftsersuchen Im genannten Urteil vom 24. März 1987 hat der Bundesfinanzhof erstmals entschieden, daß Steuerfahndungsbehörden grundsätzlich die Möglichkeit haben, an ein Kreditinstitut ein Sammelauskunftsersuchen zu stellen. Die grundsätzliche Zulässigkeit eines Sammelauskunftsersuchens ergebe sich aus der Wertung des Gesetzgebers, wie sie aus den §§85 ff A O 1977 zu entnehmen seien. Da wie bereits erwähnt in diesem „Kreditvermittler-Fall" ein konkreter Anhaltspunkt fehlte, stützte der Bundesfinanzhof seine Entscheidung allein auf den Aspekt der „allgemeinen Erfahrung". Ein Sammelauskunftsersuchen soll insoweit zulässig sein, als eine nach „allgemeinen Kriterien" umschriebene, möglicherweise zahlenmäßig umfangreiche Gruppe von Steuerpflichtigen betroffen ist und verhältnismäßig viele Gruppenmitglieder Steuern verkürzen. Diese allgemeinen Erfahrungen müssen durch die Finanzbehörden tatsächlich gemacht worden und damit objektiv darlegbar sein. Inwieweit diese Hypothesen tatsächlich darlegbar sein müssen, stellt der Bundesfinanzhof nicht fest, doch kann es sich bei vernünftiger Würdigung nur um statistische Erfahrungssätze handeln. Daß dies das Finanzgericht Bremen auch so sah, geht aus seiner der Rückverweisung nachfolgenden Entscheidung hervor 43 . Offenbar unter dem Eindruck der Entscheidung des Bundesfinanzhofs war die Steuerfahndungsstelle bemüht, ihre statistischen Erkenntnisse im einzelnen und ausführlich darzulegen. Diese Ausführungen lassen einen Rückschluß darauf zu, welche Intensität der Sachverhaltswürdigung und -begründung des Sammelauskunftsersuchens notwendig ist, um es im Licht der Bundesfinanzhof-Rechtsprechung bestehen zu lassen; denn es unterliegt, wie der Bundesfinanzhof auch ausdrücklich betont, keinem Zweifel, daß solche Sammelauskunftsersuchen besonders sorgfältig darauf hin zu überprüfen sind, ob sie mit dem Recht in Einklang stehen. Wie problematisch diese sich an unbestimmten Rechtsbegriffen von Einzelfall zu Einzelfall hangelnde Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist, zeigt sich an seiner Entscheidung vom 24. Oktober 198944. Der Entscheidung lag zugrunde, daß ein Kreditinstitut seinen Kunden - nach eigene Angaben in ca. 41 000 Fällen - eine Bescheinigung über „eingegangene Zahlungen für Finanzierungskosten" ausstellte. Diese Bescheinigungen waren nach der Ansicht des Bundesfinanzhofs zumindest mißverständlich, denn in 15 von 31 Fällen, die durch Auswertung der Kontrollmitteilungen der Betriebsprüfungsstellen festgestellt wurden,
Vgl. dazu die Urteilsbegründung F G Bremen E F G 1990, 151, 152. Urteil des B F H vom 24. Oktober 1989 VII R 1/87, BStBl. II 1990, 198; ferner WuB i V 3./3.90, mit Anm. von Peterhoff. 43 44
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hatten die Steuerpflichtigen die gesamten Kosten sofort in voller Höhe als Werbungskosten abziehen können (was offensichtlich falsch war). Aus dieser geringen Anzahl von ermittelten Fällen (31 Fälle im Verhältnis zu 41 000 potentiellen Fällen) Schloß der Bundesfinanzhof, daß das Finanzamt davon ausgehen durfte, daß in etwa der Hälfte der Fälle die Bescheinigungen Anlaß für eine unrichtige Einkommensteuerveranlagung geworden waren. Das Finanzamt hätte somit hinreichenden Anlaß gehabt, Ermittlungen nach der Identität der Personen anzustellen, denen die Klägerin Bescheinigungen ausgestellt hatte. Der Bundesfinanzhof sah damit bereits einen hinreichenden Anlaß für ein Sammelauskunftsersuchen als gegeben an, obwohl die Bescheinigungen aus banktechnischer Sicht zwar richtig, aus steuerlicher Sicht jedoch mißverständlich waren. Als konkreten Ausgangspunkt für die Aufnahme besonderer Ermittlung konnte das Finanzamt den Inhalt der Bescheinigungen der Klägerin und das Ergebnis der Kontrollmitteilungs-Prüfung durch die Betriebsprüfungsstelle nehmen. Auch in dieser Entscheidung läßt der BFH die genaue Abgrenzung zwischen konkretem Ausgangspunkt und/oder allgemeiner Erfahrung vermissen. Ihm genügte als konkreter Ausgangspunkt die allgemeine Erfahrung des Finanzamts in 31 von 41 000 Fällen, um den hinreichenden Anlaß für ein Sammelauskunftsersuchen feststellen zu können. Er führt dann unter Berufung auf die Senatsentscheidung vom 29. Oktober 1986 aus, es sei allgemeine Meinung, daß die Finanzbehörden eine Auskunft nur verlangen kann, wenn sie zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist. Ob die Inanspruchnahme des Kreditinstituts geeignet und erforderlich war, mag dahinstehen. Wie der Bundesfinanzhof aber selbst ausführt, bedarf das Auskunftsersuchen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit einer besonderen Prüfung. Es bedurfte insoweit einer Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Diese Abwägung führte zu einer Verschiebung der Verhältnismäßigkeit zugunsten der Finanzbehörden. Dabei übersah der Bundesfinanzhof, daß es sich bei der ausgestellten Bescheinigung lediglich um eine Hilfe für den Bankkunden zum steuerlichen Nachweis gegenüber dem Finanzamt handelte. Sie hatte nicht die Tragweite ζ. B. einer Lohnsteuerkarte oder einer Kapitalertragsteuer- bzw. Körperschaftsteuerbescheinigung. Weiterhin übersah der Bundesfinanzhof, daß die Bescheinigung nur mißverständlich, nicht unrichtig war. Insoweit müßte man davon ausgehen, daß der zuständige Veranlagungsbeamte bei einer nicht klaren Bescheinigung bei dem Steuerpflichtigen nachfragt und so versucht, den Sachverhalt zu ermitteln. Daß die Bescheinigungen die Gefahr einer
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fehlerhaften Steuerveranlagung mit sich bringen würden, wäre wohl nur dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige durch Unkenntnis des BFHUrteils vom 26.11.1974 45 den gesamten Betrag als Werbungskosten angesetzt und der Veranlagungsbeamte ohne Beachtung der Grundsätze des BFH-Urteils so veranlagt hätte. Im übrigen erscheint es verhältnismäßig einfacher, wenn die Finanzbehörden hinsichtlich der vorliegenden Bescheinigungen ggf. „Vorsichts-Mitteilungen" an die anderen Finanzbehörden gegeben hätten. Insoweit hat der Bundesfinanzhof mit dieser Entscheidung den §93 Abs. 1 S. 1 AO und dessen verfassungsmäßige Grundlagen sehr weit ausgelegt. Hier ging es nicht um die Tatsache, daß im Rahmen von Vorfeldermittlungen die Gefahr einer Sachverhaltsverheimlichung vorlag, sondern es sollte geprüft werden, ob die Finanzbehörden tatsächlich die Steuern richtig festgesetzt hatten; und dies in Fällen, in denen ihnen bereits die Unterlagen zur Prüfung vorlagen. Dabei hat der Bundesfinanzhof die bereits angesprochenen, zur Begründung eines Auskunftsersuchens notwendigen statistischen Erfahrungssätze sehr niedrig angesetzt. Wenn man überlegt, daß er für die Beurteilung von potentiell 41 000 Fällen (so die Finanzverwaltung) die Erfahrung von 31 Fällen genügen läßt, so könnte dies darauf schließen lassen, daß er die Meßlatte für das von ihm aufgestellte Erfordernis der „allgemeinen Erfahrung" nicht sonderlich hoch anlegt. Ob das Urteil einer Nachprüfung unter Anlegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts standhalten würde, muß deshalb bezweifelt werden. e) Schlussfolgerung
aus der
Rechtsprechung
Nach Ansicht von H a m a c h e r besteht ein hinreichender Anlaß, wenn - entweder konkrete Anhaltspunkte (nach Art eines strafrechtlichen Anfangsverdachts) im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen vorliegen oder - aufgrund belegbarer und darzulegender allgemeiner Erfahrungen der Finanzbehörden eine Maßnahme angezeigt ist; in diesem Fall muß es sich um eine spezifische durch bestimmte Kriterien gekennzeichnete Gruppe handeln und die Erfahrungen müssen objektiv darlegbar sein. Aus den angesprochenen Urteilen läßt sich eine derartige Konkretisierung nicht hinreichend entnehmen. Es gibt lediglich zwei feste Bereiche, zwischen denen der Bundesfinanzhof ein breites Maß an Unsicherheit offenläßt. Fest steht, daß Einzelauskunftsersuchen zulässig sind. Weiterhin ist festzuhalten, daß die unter den Begriff der Rasterfahndung zu « BFH vom 2 6 . 1 1 . 1 9 7 4 III R 105/70, BStBl. II 1975, 330. 46 Hamacher, „Der hinreichende Anlaß für Ermittlungen", DStZ 1988, 217.
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fassenden Auskunftsersuchen unzulässig sind. Von entscheidender Bedeutung ist also die Abgrenzung zwischen hinreichendem Anlaß und Rasterfahndung. Auch beim als zulässig erachteten Sammelauskunftsersuchen muß daher noch eine deutliche Grenze zur Rasterfahndung gezogen werden. Der Unterschied zu dem Konkretisierungsgrad im Sinne eines „hinreichenden Anlasses", auch in Form der „allgemeinen Erfahrung", ist, daß bei der Rasterfahndung eine Reihe von für sich gesehen völlig unverdächtigen Gegebenheiten so miteinander kombiniert wird, bis schließlich eine Gruppe herausgefiltert ist, hinsichtlich der sich eine gezielte Ermittlung erst lohnt. Anders gesprochen liegt also bei der Rasterfahndung kein Anlaß vor, nicht einmal ein Anstoß, sondern eine mehr oder weniger bestimmte Hoffnung („Möglichkeit"), daß sich unter einer Reihe bestimmter Gegebenheiten ein Sachverhalt befindet, der für die Untersuchung bedeutend ist47. Demgegenüber kennzeichnet das Sammelauskunftsersuchen das Bestehen einer konkret belegbaren - und streng zu prüfenden - allgemeinen Erfahrung im Sinne der Terminologie des Bundesfinanzhof, daß eine Gruppe mit einheitlichen Merkmalen existiert, für welche die Finanzbehörde ihre Erfahrungen auf objektive Tatsachen stützen kann. Der Bundesfinanzhof stellt sich nunmehr offensichtlich auch stärker auf den Boden dieser Abgrenzung, wenn er in seiner zu diesem Problem ergangenen Entscheidung vom 11. Oktober 198948 ausführt, daß „die Tatsache, daß Gesetze im allgemeinen und Steuergesetze im besonderen nicht immer beachtet werden, ( . . . ) keine allgemeine Erfahrung darstellt (...). Andernfalls wären die Befugnisse der Finanzbehörden nach §93 A O 1977 letztlich schrankenlos". Unzutreffend sind angesichts der zu § 93 A O entwickelten Kriterien der Rechtsprechung deshalb auch die von Lüders/Meyer-Kessel gezogenen Schlußfolgerungen aus § 30 a Abs. 5 A O . Sie schließen aus der gegenüber der Nr. 5 des Bankenerlasses vom 31.8.1979 4 9 allgemeinen Fassung des Abs. 5, der nicht mehr von £mze/auskunftsersuchen spricht, sondern formuliert, „Für Auskunftsersuchen an Kreditinstitute gilt § 93 A O " , § 30 a Abs. 5 A O eröffne damit den Weg zu Sammelauskunftsersuchen in breitester Form, also auch zur Offenlegung der Zinseinnahmen sämtlicher Sparer durch die Kreditinstitute50. Gerade aber die Bezugnahme von §30 a Abs. 5 A O auf §93 A O stellt die Bestimmung in den Rahmen der von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen. Das Ersuchen
Vgl. Riegel, „Rechtsprobleme der Rasterfahndung", ZRP 80, 300. BStBl. II 1990, 281. 49 BStBl. I 1979, 590. 50 Vgl. Lüders/Meyer-Kessel, „Sammelauskunftsersuchen und §30 a AO Bedrohung für den Sparkonteninhaber!", DB 1989, 2509, ferner DB 1990, 1790. 47 48
Eine
Kreditinstitute und Fahndungsmaßnahmen der Steuerbehörden
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an ein Kreditinstitut, die Zinseinnahmen sämtlicher Sparer offenzulegen, wäre eine unzulässige Rasterfahndung. 3. Besondere Aspekte zur internationalen durch Informationsaustausch51
Amtshilfe
Im Rahmen der Internationalisierung und des Zusammenrückens zwischen den Staaten beschränkt sich das Steuerrecht und demgemäß auch die Steuerpflicht nicht nur auf nationale Sachverhalte. Mit dem Fortschreiten der internationalen Verflechtung nehmen selbstverständlich die über Staatsgrenzen hinausgehenden Steuersachverhalte zu. Es besteht daher für jeden Staat das Bedürfnis, von anderen Staaten Erkenntnisse über steuerrechtliche Sachverhalte zu erlangen. Daher bestehen auch im bundesrepublikanischen Steuerrecht Rechtsgrundlagen, die die Grundlage für die internationale Amtshilfe bilden und auch für die Kreditinstitute zunehmende Bedeutung erlangen. a)
Rechtsgrundlagen
Die grundlegende innerstaatliche Rechtsvorschrift für die internationale Amtshilfe ist die Bestimmung des §117 A O . Danach können die deutschen Finanzbehörden nach Maßgabe des deutschen Rechts Rechtsund Amtshilfe in Anspruch nehmen (aktiver Auskunftsverkehr; §117 Abs. 1 AO). Ein entsprechendes Auskunftsersuchen kann daher nur dann eingeholt werden, wenn eine gleichartige Auskunft auch im innerstaatlichen Bereich zulässig wäre. Die ausländische Behörde ist insoweit als Dritter i. S. d § 93 A O anzusehen 52 . Hier interessiert mehr die Gewährung zwischenstaatlicher Amtshilfe, die in § 117 Abs. 2 A O geregelt ist. Danach können deutsche Finanzbehörden Amtshilfe aufgrund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen, innerstaatlich anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft sowie des EG-Amtshilfe-Gesetzes (EGAHG) leisten. Die Befugnisse der Finanzbehörden richten sich im Rahmen dieser Amtshilfe nach den für Steuern geltenden Vorschriften. Insoweit können für die Ermittlung der Auskünfte alle nach dem deutschen Recht zulässigen Ermittlungsmaßnahmen getroffen werden. Es gilt daher auch §93 A O in der Form, daß Mitwirkungspflichten auch von anderen Personen als dem Steuerpflichtigen verlangt werden können. 51 Vgl. dazu Bohnert, „Internationale Amtshilfe durch Informationsaustausch", in Internationale Wirtschaftsbriefe, Fach 1 „IFA-Mitteilungen" S. 1259. 52 Vgl. Brenner, „Internationale Steuerauskünfte und Rechtschutz", FR 1989, 236ff m. w. N .
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b)
Doppelbesteuerungsabkommen
Die deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) enthalten regelmäßig Bestimmungen über einen Auskunftsaustausch zur Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen53. Diese Vereinbarungen gelten in aller Regel für die unter das D B A fallenden Steuern, also stets für die Einkommen- und Körperschaftsteuer, zum Teil auch für die Gewerbe-, Vermögen- und Grundsteuer sowie für die Erbschaftsteuer aufgrund der besonderen Erbschaftsteuerabkommen. Obwohl §117 Abs. 2 A O das Wort „können" verwendet, begründen die völkerrechtlichen Abkommen unter den in ihnen genannten Voraussetzungen eine Amtshilfepflicht54. Nur im Rahmen der durch die Bestimmungen der A O eingegrenzten Verpflichtung ist die Auskunft jedoch zulässig und wird das Steuergeheimnis nicht verletzt. Regelmäßig schließen die von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen D B A entsprechend Art. 26 Abs. 2 c der OECD-Musterabkommen 1963 und 1977 eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung aus, soweit die Erteilung von Informationen der öffentlichen Ordnung (ordre public) widersprechen würde. Der ordre public umfaßt die fundamentalen Ordnungsvorstellungen und Grundwerte eines Staates55, ζ. B. die Grundrechte, die staatliche Souveränität, die öffentliche Sicherheit und Ordnung u. a. wesentliche Interessen (vgl. insoweit auch § 117 Abs. 3 Nr. 4 AO). c) EG-Amtshilfe-Gesetz
(EGAHG)
Das E G A H G vom 19.12.1985 ist dem nationalen Recht zuzuordnen. Es handelt sich um umgesetztes EG-Recht, für dessen Auslegung die ihm zugrunde liegende EG-Amtshilfe-Richtlinie vom 19.12.1977 5 7 von Bedeutung ist. Die Grenzen des internationalen Auskunftsverkehrs aus deutscher Sicht enthält zumindest in Teilen die Vorschrift des §3 E G A H G . Diesen Beschränkungen kommt besondere Bedeutung zu, da die Finanzverwaltung offensichtlich von ihrer Auffassung abgewichen ist, daß die verschiedenen Rechtsgrundlagen für den internationalen Auskunftsverkehr 56
53 Einzige Ausnahme bildet das DBA/Sowjetunion, das lediglich eine gegenseitige Information über die Änderungen des Steuerrechts vorsieht. 54 Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 1 1 7 Rdn. 13; Klein/Orlopp, Kommentar zur AO, §117 Anm.3. 55 Palarteli, BGB, § 3 0 E G B G G Anm.2 m . w . N . 56 E G A H G vom 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2436, 2441 = BStBl. I 1985, 735. 57 Vgl. Hiibschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 1 1 7 Anm. 215, 216; zur unzureichenden bzw. nicht korrekten Umsetzung vgl. Eilers, „Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs", S. 108 ff.
Kreditinstitute und Fahndungsmaßnahmen der Steuerbehörden
165
unabhängig voneinander anwendbar seien58. Denn nunmehr heißt es in dem Merkblatt zum internationalen Auskunftsaustausch in Steuersachen59 unter Textziffer 3.3., daß „diese Grenzen (der Auskunftserteilung nach E G A H G ) . . . unabhängig davon zu beachten (sind), ob die Auskunftserteilung auf dem EGAHG oder auf einer anderen Rechtsgrundlage beruht". Somit sind die im EGAHG niedergelegten Grenzen der Auskunftserteilung für die Finanzbehörden auch gegenüber Nicht-EGStaaten zu berücksichtigen. Für alle Auskunftsarten gemeinsam enthält das EGAHG zwingende und fakultative Ablehnungsgründe (§3 Abs. 1 und Abs. 2 EGAHG). Auskünfte dürfen nicht erteilt werden, - wenn die dazu erforderliche Amtshandlung deutschem Recht zuwiderliefe (§3 Abs. 1 Nr. 1), - wenn die Auskünfte zu einer dem DBA widersprechenden Besteuerung führen würden (§ 3 Abs. 1 Nr. 2), - wenn die Geheimhaltung im ersuchenden Staat nicht gewährleistet ist oder der ordre public beeinträchtigt würde (§3 Abs. 1 Nr. 3) oder - wenn durch die Offenbarung von Geschäfts- oder Berufsgeheimnissen die Gefahr eines mit dem Zweck der Auskunftserteilung nicht zu vereinbarenden Schadens entstünde (§ 3 Abs. 1 Nr. 4). Auskünfte können abgelehnt werden, - wenn der ersuchende Staat seine eigenen Ermittlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat (§3 Abs. 2 Nr. 1), - keine Gegenseitigkeit besteht (§3 Abs. 2 Nr. 2), - die Auskünfte unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würden (§3 Abs. 2 Nr. 3), oder - der ersuchte Staat seine eigenen Aufgaben gefährden würde (§ 3 Abs. 2 Nr. 4). d) Verfassungsrechtliche Grenzen des zwischenstaatlichen Amtshilferechts Alle Behörden, auch die Finanzbehörden, als Träger unmittelbarer Staatsgewalt sind gemäß Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz an die Grundrechte gebunden60. Eine Beschränkung der Betätigung deutscher Staatsgewalt auf das Inland läßt sich dieser Garantie nicht entnehmen. Sie besteht somit fort, auch wenn die Wirkungen der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland eintreten oder die deutsche Staatsgewalt an ausländi58 55 60
Vgl. Runge, RIW 1979, 73, 77. BStBl. I 1988, 466. Vgl. die Ausführung bei Brenner aaO (Fn. 52), 237.
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Paul Franken
sehen Maßnahmen mitwirkt61. Damit unterliegt auch die zwischenstaatliche Amtshilfe deutscher Finanzbehörden, wie jede hoheitliche Tätigkeit, verfassungsrechtlichen Schranken62. Dies ergibt sich bereits aus den Texten der DBA, die den "ordre public" in den Vordergrund stellen. Daher sind, gleichgültig auf welcher Rechtsgrundlage die Auskunftsverfahren gründen, die verfassungsrechtlichen Grundsätze anzuwenden. Dies gilt insbesondere für die Grundsätze des Ubermaßverbotes und der Zumutbarkeit. Darüber hinaus gilt auch das bereits mehrfach angesprochene Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, welches das Bundesverfassungsgericht in dem „Volkszählungsurteil" dargelegt hat63. Damit ist festzuhalten, daß sich für den internationalen Auskunftsverkehr folgende Beschränkungen ergeben64: - Die Weitergabe von Daten darf nur erfolgen, wenn deren Verwendung auf den gesetzlich bestimmten Zweck wirksam beschränkt ist. - Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch den internationalen Auskunftsverkehr darf nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eingeschränkt werden. Die Inanspruchnahme des internationalen Auskunftsverkehrs muß danach erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein. Sie muß ultima ratio der Informationsbeschaffung sein. - Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung muß das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Gegenseitigkeitsinteresse, d. h. mit dem Interesse der Bundesrepublik Deutschland, ihrerseits aus dem Ausland Informationen zu erhalten, abgewogen werden. Diese Gegenseitigkeit muß formell und materiell gewährleistet sein. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat aber auch eine verfahrensrechtliche Dimension. Nur wenn der Betroffene vor Eintritt in den Auskunftsaustausch angehört wird, und ihm somit rechtsstaatliche Einspruchsmöglichkeiten verbleiben, kann sich das Grundrecht überhaupt entfalten65. Der Ansicht von Werrab ist insoweit zu folgen, daß das Merkblatt des Bundesministers der Finanzen zur zwischenstaatVgl. dazu Eilers, aaO (Fn.57), S.60f m . w . N . Hübschmann/Hepp/Spitaler, A O , § 117 Anm. 131. 63 Vgl. Eilers, aaO (Fn.57), S.21 ff m . w . N . ; Werra, „Die Grenzen der zwischenstaatlichen Amtshilfe in Steuersachen", BB 1988, 1160, 1161; Hiibschmann/Hepp/Spitaler, A O , § 1 1 7 Anm. 131. 64 In Anlehnung an Werra, aaO (Fn. 63), 1161 und Bohnert, „Internationale Amtshilfe durch Informationsaustausch" - Bericht der Bundesrepublik Deutschland in: Schriften zum internationalen Steuerrecht, S. 185, 195 f. 65 Zum möglichen Rechtsschutz und seiner Gewährleistung vgl. Brenner, aaO (Fn. 52), 237 ff; ferner auch Hamacher, „Anmerkungen zum Merkblatt über die zwischenstaatliche Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen", RJW 1989, 378 (379). 66 Werra, aaO (Fn.63), 1165. 61
62
Kreditinstitute und Fahndungsmaßnahmen der Steuerbehörden
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liehen Amtshilfe in Steuersachen diese wesentlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht beachtet. Man muß daher befürchten, daß die Auskunftsersuchen ausländischer Staaten aufgrund eines bestehenden Schemas von den Finanzbehörden bearbeitet werden, ohne verfassungsrechtliche Grundsätze im Einzelfall zu berücksichtigen, insbesondere den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. IV. Schlußbetrachtung Gerade in Zeiten einer hohen Staatsverschuldung und dem gleichzeitig bestehenden Unverständnis in der Bevölkerung für Steuererhöhungen sind Versuche durchaus verständlich, die bestehenden Besteuerungstatbestände in vollem Umfang auszunutzen. Doch dies kann und darf immer nur im Rahmen der von der Verfassung vorgegebenen Grundwerte geschehen. Daher könnte dieser letzte Abschnitt auch überschrieben sein mit „Wehret den Anfängen". Dieser Appell, gerichtet an den Gesetzgeber, die Gerichte und nicht zuletzt an die Verwaltung, soll deutlich machen, daß die ersten Ansätze zur Überschreitung der verfassungsgemäßen Mitwirkungspflichten und Grenzen bereits zu beobachten sind oder zumindest in Diskussion stehen. Daneben gibt es immer wieder Diskussionsbeiträge 67 , die unter dem Gesichtspunkt der Versteuerung von Zinseinkünften dazu auffordern, die Mitwirkungspflichten der Kreditinstitute wesentlich zu erweitern. Dabei wird als wirksamstes Instrument die Verpflichtung der Banken, den Steuerbehörden jährlich mitzuteilen, wieviel Zinsen sie an welche Kunden gezahlt haben, bezeichnet. Dies geschieht aber mehr aus emotionalen Gründen als unter Beachtung der Grundsätze der Verfassung. Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß den Kreditinstituten nicht die Schuld dafür zugewiesen werden kann, daß die Finanzbehörden trotz des unstreitig bestehenden umfangreichen Ermittlungsinstrumentariums nicht in der Lage sind, im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen die ordnungsgemäße Besteuerung durchzusetzen. Insoweit muß sich der Gesetzgeber auch fragen lassen, wieso er Besteuerungstatbestände schafft, deren tatsächliche Durchsetzung von vornherein nicht umfassend gewährleistet ist.
67
S. Fn. 3.
Stiftungen in der Bundesrepublik aus heutiger Sicht REINHARD G O E R D E L E R
I. Einleitung Die deutsche Einigung stellt das Stiftungswesen vor neue Herausforderungen und wird es zu neuer Blüte bringen. Gerade weil der Staat bei seinen Bürgern ein Solidaritätsopfer nicht eingefordert hat, werden sich für viele Bereiche, vor allem auf dem Gebiet von Kultur und Wissenschaft, Aufgaben stellen, die von Stiftungen übernommen werden können. Stiftungen werden Mittler, Förderer und Initiatoren sein können mit ihren Mitteln und mit Spenden, die sie erhalten. Die bisher schon facettenreiche Geschichte des deutschen Stiftungswesens und des Stiftungsrechts1 wird neue Akzente erhalten. Bestehende Stiftungen beginnen ihre Aktivitäten in die neuen Bundesländer zu erstrecken; für Stiftungsneugründungen in den westlichen und östlichen Bundesländern eröffnet sich ein weiter Spielraum. Somit wird sich das Interesse wieder verstärkt dem Stiftungsrecht zuwenden. Dabei spielt - nach Klärung der Gesetzeslage - zunächst die Frage eine Rolle, ob etwa Stiftungen (als Unternehmensträgerstiftungen) im Rahmen der Neuordnung der Ost-Unternehmen in den neuen Bundesländern verwandt werden können und welche rechtlichen Probleme sich in diesem Zusammenhang nach unseren Erfahrungen während der vergangenen Jahrzehnte insoweit stellen. Diese Problematik hat auch steuerrechtliche sowie betriebswirtschaftliche Aspekte. Solche Fragen zu erwägen, sei in dem Beitrag für einen Jubilar erlaubt, der in langen Jahren seiner beruflichen Tätigkeit sowohl aus bank- und gesellschaftsrechtlicher Sicht als auch mit eigenem Interesse Entstehung und Aktivitäten von Stiftungen begleitet hat. II. Hauptteil 1. Stiftungserrichtung nach geltendem Recht a) Durch Stiftungsgeschäft Während in der „westlichen" Bundesrepublik die Stiftung als juristische Person durch das Stiftungsgeschäft (Errichtungsakt) und hoheit1
Vgl. Seif art/Coing,
Handbuch des Stiftungsrechts, 1987, §5.
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Reinhard Goerdeler
liehe Genehmigung 2 nach den Vorschriften der §§ 80-88 BGB und den nach 1945 in allen Bundesländern verabschiedeten Stiftungsgesetzen 3 erfolgt, ist die Rechtsentwicklung in den neuen Bundesländern (Gebiet der ehemaligen „DDR") ganz anders verlaufen: bis zur Einführung des Zivilgesetzbuches (ZGB) im Jahre 1975 galten die genannten BGBVorschriften und jeweiliges früheres Landesrecht. Im Zivilgesetzbuch der „DDR" (ZGB) war die Stiftung als juristische Person nicht mehr vorgesehen; im Einführungsgesetz zum ZGB vom 19. Juni 1975 (§9) galt für zu jenem Zeitpunkt noch bestehende Stiftungen das bisherige Recht weiter 4 . Kurz vor der Wiedervereinigung ist für das Gebiet der ehemaligen „DDR" von der Volkskammer noch ein Stiftungsgesetz (vom 13. Sept. 1990) beschlossen worden 5 ; dieses Gesetz gilt nach dem Einigungsvertrag und der ergänzenden Vereinbarung hierzu nach der Wiedervereinigung in den fünf neuen Ländern der Bundesrepublik als - und zwar dort einheitliches - Landesrecht weiter, soweit es nicht Bundesrecht 6 ist; im letzteren Fall hätten auch in den neuen Ländern die Vorschriften des BGB Gültigkeit 7 . Während nach neuesten zuverlässigen Schätzungen etwa 6200 Stiftungen in den westlichen Bundesländern existieren, läßt sich für die neuen Bundesländer z. Z. eine zahlenmäßige Aussage nicht machen, insbesondere auch nicht darüber, wieviele Alt-Stiftungen (vor 1975 errichtet) das DDR-Regime überlebt haben; einige wenige neue Stiftungen sollen auf Grund des DDR-Stiftungsgesetzes errichtet sein. 2
Herbert Kronke, Stiftungstypus und Unternehmensträgerstiftung, 1988, S. 13 ff. 10 Landesstiftungsgesetze abgedruckt in HdbStiftungsR, Anhang III sowie Bremisches Stiftungsgesetz vom 7.3.1989 (BremGbl. 1989, S. 163). 4 GBl. der D D R 1975 I, S.517; §9 hat folgenden Wortlaut: (1) Die rechtliche Stellung der bei Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches bestehenden Stiftungen wird durch das bis zu diesem Zeitpunkt geltende Recht bestimmt. (2) Der Rat des Bezirkes führt die Aufsicht über alle Stiftungen, deren Sitz sich in seinem Bereich befindet. Er kontrolliert die Tätigkeit der Stiftungen und legt die zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Erfüllung des Stiftungszwecks erforderlichen Maßnahmen fest. Er ist berechtigt, Auflagen zu erteilen und, soweit es für die ordnungsgemäße Erfüllung des Stiftungszwecks erforderlich ist, einen Vorstand zu bestellen. (3) Der Rat des Bezirkes entscheidet über Anträge auf Änderung der Satzung oder Aufhebung einer Stiftung. (4) Ist der Zweck der Stiftung nicht zu verwirklichen, oder steht er im Widerspruch zu den gesellschaftlichen Bedürfnissen, kann der Rat des Bezirkes der Stiftung eine andere Zweckbestimmung geben und insoweit ihre Satzung ändern oder die Stiftung auflösen. Das bei Auflösen einer Stiftung vorhandene Vermögen geht auf den in der Satzung vorgesehenen Berechtigten oder, wenn dieser in der Satzung nicht bestimmt ist, auf den Staat über. 5 GBl. der D D R 1990 I, S. 1483. 6 BGBl. 1990 II, S. 1240, zu Kap. III 5. 7 Da das DDR-Stiftungsgesetz, aaO (Fn. 5), mit den §§ 80-88 BGB sinngemäß übereinstimmt, kommt der Frage, ob das Recht des BGB oder des DDR-Gesetzes das Bundesrecht darstellt, keine praktische Bedeutung zu. 3
Stiftungen in der Bundesrepublik aus heutiger Sicht
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Stiftungen können nach Bundesrecht für jeden gesetzmäßigen Zweck errichtet werden, solange das Gemeinwohl nicht gefährdet wird (§ 87 BGB). Nicht unumstrittenes „Leitbild" ist die Allzweckstiftung8. Nur das NRW-Stiftungsgesetz hat diesen Grundsatz insofern durchbrochen, als nach § 4 Abs. 2 b des Gesetzes die staatliche Genehmigung versagt werden kann, wenn der Hauptzweck der Stiftung im Betrieb oder der Verwaltung eines erwerbswirtschaftlichen Unternehmens besteht, das ausschließlich oder überwiegend eigennützigen Interessen des Stifters oder seiner Erben dient9; nach dieser Bestimmung könnte demnach einer Stiftung die Genehmigung versagt werden, wenn diese unmittelbar ein Unternehmen betreibt (wie die Carl Zeiss Stiftung). Ob ein „Grundrecht auf Stiftung" anzuerkennen ist, wird unterschiedlich beurteilt; die Genehmigungsbehörde ist aber an die Grundsätze des Verfassungsrechts und Verwaltungsrechts gebunden10. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund entstehen und bestehen rechtsfähige (selbständige) Stiftungen bürgerlichen Rechts in den Ländern der Bundesrepublik. b) Durch Gesetz Stiftungen können ihre Entstehung aber auch Errichtungsgesetzen auf Bundes- oder Länderebene verdanken. In neuerer Zeit ist davon auch in den Fällen Gebrauch gemacht worden, in denen der Bund oder ein Land Beteiligungen im Wege der Privatisierung veräußert oder in sonstiger Weise „gebundene Mittel" (des Bundes oder des Landes) umstrukturiert hat". Diese Stiftungsgründungen werfen eine Reihe komplizierter Rechtsfragen auf: Zuständigkeit des Bundes oder der Länder nach den Bestimmungen des G G ; die Stiftung als mögliche Form der Bundesoder Landesverwaltung; Zuständigkeit in den Ländern für die Stiftungs8 H.M., vgl. Goerdeler/Ulmer, Die AG 1963, 292 (298); Seifart/Hof HdbStiftungsR § 7 R d n . 123. 9 Hierzu Kronke, aaO (Fn.2), S. 63; sowie kritisch Seifart/Hof HdbStiftungsR §4 Rdn. 43 sowie § 7 Rdn. 242. 10 Vgl. Kronke, aaO (Fn.2), S . 3 8 ^ 1 . " Beispiele hierfür: Die Errichtung der VW-Stiftung durch Vertrag vom 11./ 12.11.1959 (BGBl. 1960 I, S.301) und die Errichtung der „Deutschen Bundesstiftung Umwelt" durch Gesetz des Bundes vom 18. Juli 1990 (BGBl. 1990 I, S. 1448: SalzgitterPrivatisierung), ferner die Errichtung der Bayerischen Landesstiftung durch Gesetz des Freistaats Bayern vom 27. März 1972 (Bayer GuVOBl. 1972, S. 85: Fusion der Bayerischen Staatsbank mit der Bayerischen Vereinsbank); die Errichtung der Bayerischen Forschungsstiftung durch Gesetz des Freistaats Bayern vom 24. Juli 1990 (Bayer GuVOBl. 1990, S. 241: Verwendung von Verkaufserlösen MBB und Bayernwerk); 1988 hat das Land Hessen die „Hessische Kulturstiftung" als rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts durch Kabinettsbeschluß errichtet, also ohne Gesetzgebungsakt.
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Reinhard Goerdeler
errichtung bei fehlender Verfassungsnorm und schließlich Errichtung von Stiftungen nur des öffentlichen oder auch des privaten Rechts durch den Gesetzgeber12. Diese Fragen bedürfen im Einzelfall der Klärung, die ggf. erst durch das Bundesverfassungsgericht erfolgt13. Soweit ersichtlich, läßt sich auf Grund des Tatsachenmaterials weder auf Bundes- noch auf Landesebene eine jeweils eindeutige Konzeption feststellen, wonach im staatlichen Bereich die Stiftung für die Erfüllung bestimmter Aufgaben als die geeignete Rechtsform in Betracht kommt. Nur soviel erscheint sicher, daß die Stiftung bürgerlichen Rechts dann gewählt wird, wenn die Stiftung die ihr gestellten Aufgaben, also den Stiftungszweck, möglichst selbständig und unabhängig verfolgen soll; der Gesetzgeber traut ihr ein „hohes Maß an Selbständigkeit und Flexibilität" zu14. O b diese Erwartung in Wirklichkeit eintreten wird, bleibt jedoch offen; denn die in den Satzungen dieser Stiftungen enthaltenen Bestimmungen über die Besetzung der Organe und das gesetzlich vorbehaltene Prüfungsrecht der Haushalts- und Wirtschaftsführung durch den Bundesrechnungshof können geeignet sein, auch weiterhin staatlichen Einfluß zu vermitteln. 2. Unternehmensträger Stiftungen a) Allgemeines Die Frage der Zulässigkeit und der Geeignetheit der Rechtsform der Stiftung für den Betrieb eines erwerbswirtschaftlichen Unternehmens war in den letzten Jahrzehnten immer wieder Gegenstand der Diskussion. Terminologisch hat sich zwischenzeitlich der Begriff „Unternehmensträgerstiftung" durchgesetzt15, wobei zwischen „unmittelbarer" (die Stiftung betreibt selbst das Unternehmen wie ein Einzelkaufmann nach §33 H G B oder ist Gesellschafter einer Personengesellschaft) und „mittelbarer" (Beteiligung der Stiftung an einer Kapitalgesellschaft oder einer Personengesellschaft) unterschieden wird. Alsbald nach Kriegsende wurde der Gedanke der Verwendung der Stiftung als geeigneter 12 Hierzu Martin Schulte, Staat und Stiftung, Münsterer Beiträge zum Öffentlichen Recht, 1989, S. 60 ff; eine Ubersicht über die bundesmittelbaren und bundesunmittelbaren Stiftungen des öffentlichen Rechts findet sich bei Seifart/v. Campenhausen HdbStiftungsR § 1 5 Rdn.7. 13 BVerfGE 10, 20. 14 BT-Drucks. 11/6931, S. 4 zur Errichtung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt als Stiftung des bürgerlichen Rechts (so auch die VW-Stiftung). 15 Vgl. Kronke, aaO (Fn. 2), S. 187 unter Hinweis auf die Studienkommission des Deutschen Juristentages (Vorschläge zur Reform des Stiftungsrechts, 1968, S. 42) und die Unternehmensrechtskommission der Bundesregierung (Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, hrsg. vom BMJ 1980 Tz. 933-934).
Stiftungen in der Bundesrepublik aus heutiger Sicht
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Rechtsform für die Neustrukturierung von Teilen der Grundstoffindustrie, die auch von den damaligen Besatzungsmächten gefordert wurde, in die Debatte gebracht16. Und heute - fast ein halbes Jahrhundert später - ist, wenn auch vereinzelt, im Zuge der Umstrukturierung in den neuen Bundesländern wiederum der Gedanke aufgetaucht, die Stiftung als Rechtsform für ehemalige Kombinate oder V E B in Erwägung zu ziehen17. Mit der Rechtsform der Stiftung war damals wie heute zunächst die unmittelbare Unternehmensträgerstiftung gemeint. Innerhalb dieses halben Jahrhunderts fand auch im wissenschaftlichen Bereich eine breitangelegte Erörterung des Themas statt, nicht zuletzt als Folge der Behandlung auf dem Deutschen Juristentag 1962 in Hannover18 sowie der Vertiefung in der dort eingesetzten Studienkommission19. In diesem langen Zeitraum von 5 Jahrzehnten ist jedoch im Unternehmensbereich ein Zuwachs von unmittelbaren Unternehmensträgerstiftungen nicht festzustellen. Im Gegenteil: soweit zu überblicken, ist die Carl Zeiss Stiftung - mit ihrem nach Heidenheim verlegten Sitz20 - in der Unternehmenslandschaft das einzige und dazu auch bedeutende Unternehmen geblieben, das nach näherer Maßgabe eines 1889 errichteten Stiftungsstatuts diese besondere rechtliche Gestaltung beibehalten hat21. Diese Feststellung bedarf aber einer Einschränkung; im sozialen Bereich gibt es (z.T. ehrwürdige ältere) Stiftungen, die entsprechende Einrichtungen unmittelbar betreiben (Krankenhäuser, Altenheime) wie ζ. B. das JuliusSpital in Würzburg. Weitergehende Aussagen können mit Zuverlässigkeit für diesen Bereich erst gemacht werden, wenn das in Arbeit befindliche Stiftungsverzeichnis22 fertiggestellt ist. Die zurückhaltende Verwen-
16
Kronke,
Siehe Chance für Stiftung; das von Meding; 17
aaO ( F n . 2 ) , S. 1 m. w . N .
Gutachten „Stiftungen und die Privatisierung volkseigener Betriebe, Eine Deutschland in der bisherigen D D R " , Juli 1990, Veröffentl. der KörberGutachten wurde erstattet von Klaus von Dohnanyi, Kai Amecke und Werner ferner: Rawert, B B 1990, Beilage zu Heft 24, 9 f f m. w . N .
18 Gutachten Ballerstedt und Salzwedel, Verhandlungen des 44. Deutschen Juristentages, 1962, Bd. I 5. Teil, S. 33 ff; Referat Mestmäcker und die entsprechende Diskussion, vgl. Verhandlungen des 44. Dt. Juristentages, 1964, Bd. II Teil G 16, 2 0 und 31 und Anlage 3.
Vorschläge zur Reform des Stiftungsrechts, aaO (Fn. 15), S. 42 ff. Die Entwicklung in Jena (ehem. D D R ) seit der Enteignung aufgrund des SMABefehls N r . 64 v. 1 7 . 4 . 1 9 4 8 bleibt außer Betracht; wegen der im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung auftauchenden Probleme vgl. F A Z vom 19. 7 . 1 9 9 0 ; s. auch Steindorff, FS Stimpel, 1985, S. 907 ff. 19
20
21 Die noch von Goerdeler, Z H R 113 (1950) 145 erwähnte Hans Soldan Stiftung und Dr. Arthur Pfungst Stiftung haben inzwischen ihre Unternehmen in selbständige Kapitalgesellschaften ausgegründet. 22 Es handelt sich um eine Initiative des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen e . V . (bisher „Arbeitsgemeinschaft").
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Reinhard Goerdeler
dung der unmittelbaren Unternehmensträgerstiftung zwingt zum Nachdenken über die Gründe hierfür. b) Frage der
Eignung
Es geht zum einen um reine Rechtsfragen. Diese waren schon Gegenstand der Diskussion in den Gutachten und Verhandlungen auf dem 44. Juristentag 1962. Der Gutachter Ballerstedt plädierte de lege ferenda für eine Einschränkung der Genehmigung von wirtschaftlich tätigen Stiftungen; nach ihm sollten nur Stiftungen „des öffentlichen Wohls" genehmigungsfähig sein; für Unternehmensträgerstiftungen sollte dies dann gelten, wenn ein solcher Zweck nur durch den Betrieb eines Unternehmens unmittelbar verwirklicht werden könne. Der Referent Mestmäcker folgte dem Gutachter insoweit und sprach sich im Grundsatz gegen die Ausgestaltung der Stiftung als Unternehmensform aus. In der auf dem Juristentag eingesetzten Studienkommission hat sich eine einheitliche Meinung über die Zulässigkeit von (unmittelbaren) Unternehmensträgerstiftungen nicht gebildet; sie hat sich aber im Falle der Zulässigkeit für den Erlaß von Sondervorschriften (Rechnungslegung, Gläubigerschutz) ausgesprochen 23 . Auch die Unternehmensrechtskommission 24 (1971-1979) hat sich, wie ihr Bericht ausweist, mit der Unternehmensträgerstiftung auseinandergesetzt; dabei wurde zwischen unmittelbarer und mittelbarer Unternehmensträgerstiftung präziser unterschieden. Uber die Lösung der besonderen Probleme konnte eine übereinstimmende Auffassung nicht erzielt werden. Neuerdings hat vor allem Reuter neue Akzente in der Diskussion gesetzt, indem er sich im Münchener Kommentar entgegen der h. M. für die Unzulässigkeit der Rechtsform Stiftung de lege lata dann ausgesprochen hat25, wenn diese Träger eines Unternehmens ist; er hält diese Stiftungen für nicht genehmigungsfähig, es sei denn, daß sich die wirtschaftliche Tätigkeit in einem untergeordneten Nebenzweck erschöpfen würde oder wenn atypische Einzelfälle vorliegen (z. B. zwecks sozialpolitischer Experimente wie bei der Carl Zeiss Stiftung). Die Begründung für seine Meinung findet Reuter in der Regelung des wirtschaftlichen Vereins durch §22 B G B und die dieser Regelung gegebenen neueren Auslegung 26 . Letztlich geht es um rechtsdogmatische Wertungen, deren abschließende Würdigung von der Frage abhängt, ob die Regelung des
AaO (Fn. 15), S.42ff. Bericht aaO (Fn. 15), Tz. 933-944. 25 Reuter, in MünchKomm. z. BGB, l.Aufl. 1978, Vor § 8 0 Rdn.9 ausführlich in 2. Aufl. 1984, Vor § 8 0 Rdn. 18-22. 25 24
26
S. Karsten
Schmidt,
ZGR 1975, 477 ff; Reuter,
so auch
in: MünchKomm. z. BGB,
2. Aufl. 1984, §§21, 22 Rdn. 7ff; BVerwG NJW 1979, 2261 ff.
Stiftungen in der Bundesrepublik aus heutiger Sicht
175
Stiftungsrechts im BGB auf die Allzweckstiftung ausgerichtet sein sollte. Dies wird von der h. M. zu Recht bejaht. Der Wortlaut des Gesetzes (§ 87 Abs. 1 BGB) läßt nur insofern eine Zurückdrängung der Allzweckstiftung zu, wenn diese Erfüllung des Stiftungszwecks das Gemeinwohl gefährden würde. Darüber hinausgehende Beschränkungen, etwa durch Einführung von Generalklauseln, sind in der Reformdiskussion erörtert, aber abgelehnt worden, um den Freiheitsraum des Stifters nicht zu begrenzen27. In der Reformdiskussion ist aber nicht übersehen worden, daß gegen einen offenbaren Mißbrauch der Rechtsform Stiftung de lege ferenda eine ausdrückliche Regelung gefunden werden sollte. Angesichts der neuerlichen, in der Vertragspraxis anzutreffenden Verwendung der Stiftung als persönlich haftender Gesellschafterin einer Personengesellschaft hat auch Karsten Schmidt28 vor solchen „Mißbildungen" de lege lata gewarnt, um „bleibende Nachteile" vom Stiftungsrecht abzuwenden. Dieser Auffassung, die mehr eine „Appell-Wirkung" darstellt, möchte ich mich anschließen29, die von Reuter geforderte „Genehmigungsunfähigkeit" der Unternehmensträgerstiftung ergibt sich nicht aus der gesetzlichen Regelung. Ob die staatliche Genehmigungsbehörde im Einzelfall die Genehmigung einer Stiftung außerhalb der Gemeinwohlklausel versagen kann, muß bezweifelt werden30. Es stellen sich aber schon aus der Stiftungspraxis ganz andere Fragen, die neben der Frage der rechtlichen Zulässigkeit auf die Frage der Eignung der Stiftung als Rechtsform für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe hinauslaufen31. Die oben getroffene Feststellung, daß im Unternehmensumfeld sich die Stiftung als Rechtsform nur noch in Ausnahmefällen antreffen läßt, scheint die Tendenz aufzuzeigen, daß an der Geeignetheit gezweifelt wird. Es geht hierbei weniger um unternehmensrechtlich bedingte Fragen als um betriebswirtschaftliche Überlegungen. Da die Stiftung keine Vereins-(Verbands-)Mitglieder hat, die Kapitaleinlagen zum Eigenkapitalbedarf beitragen können, ist sie allein auf die Selbstfinanzierung angewiesen; denn die Beschaffung von Eigenkapital auf dem Wege von sogen. ZuStiftungen ist zwar theoretisch im Einzelfall möglich32, bildet aber in aller Regel keine zuverlässige Grundlage für das AaO (Fn. 15), S.21. DB 1987, 261 (263). 29 Vgl. hierzu Goerdeler, in: Deutsches Stiftungswesen 1977-1988, Wissenschaft und Praxis, Selbstverlag der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Stiftungen - Bundesverband 1989, S. 119, 140. 30 Kronke, aaO (Fn. 2), S.40f mit Hinweis auf die landesrechtliche Sonderregelung in Nordrhein-Westfalen. 31 Kronke, aaO (Fn.2), S. 228 ff. 32 Hierzu Reuter, GmbH Rdsch. 1973, 241 (244); von Wertbern, Unternehmensverfassungsrecht und Stiftung, 1986, S. 139 ff, dem aber bezüglich der Urteile einer „eigentümerlosen Stiftung" nicht zugestimmt werden kann. 27 28
176
Reinhard Goerdeler
Fortbestehen eines Unternehmens. Selbstfinanzierung ihrerseits hängt von der ausreichenden Ertragskraft des Unternehmens ab; Fremdkapitalaufnahme wird von den Kreditgebern ebenfalls nach der zu erwartenden Leistungsfähigkeit des Unternehmens beurteilt. Diese Einengung der Finanzierungsmöglichkeiten kann die weitere Entwicklung eines Unternehmens, und damit seine Wettbewerbsfähigkeit, entscheidend einschränken. Jeder verantwortliche Unternehmer, der die Fortführung seines Unternehmens für die weitere Zukunft in Betracht zieht, wird daher schon aus diesem Grunde der Entscheidung, einer Stiftung die Inhaberschaft seines Unternehmens anzuvertrauen, kritisch gegenüberstehen. Hinzu kommt der Gesichtspunkt, daß, anders als bei den Kapitalgesellschaften, unser geltendes Stiftungsrecht keine geeignete Organisationsstruktur für die unmittelbare Unternehmensträgerstiftung anbietet. Die Regelung im BGB und in den Landesgesetzen ist mehr auf eine Stiftung abgestellt, die Aufgaben des gemeinen Wohls oder privatnütziger Zwecke (Familienstiftung) verfolgen soll. Das sehr sorgfältig erarbeitete Statut der Carl Zeiss Stiftung33 und seine späteren, sparsamen Änderungen 34 zeigen sehr deutlich, daß es besonderer rechtlicher Gestaltungskunst bedarf, im Stiftungsstatut (Satzung) für das Unternehmen die entsprechenden Organisationsnormen (insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeiten des Geschäftsführungs- und Vertretungsorgans einerseits, des sinnvollerweise einzusetzenden Kontrollorgans andererseits) niederzulegen. Solches Satzungsrecht kann zwar geändert werden, aber es bedarf hierzu der Mitwirkung der staatlichen Stiftungsbehörden (§ 87 BGB und die Landesgesetze). Der Rechtsform Stiftung fehlt somit das Merkmal der Flexibilität, der im unternehmerischen Geschehen besondere Bedeutung zukommt. Auf die in der Reformdiskussion hervorgehobenen weiteren Mängel nach geltendem Recht (z. B. fehlende Kapitalerhaltungs-, Gläubiger- und Publizitätsvorschriften) sollte der Vollständigkeit halber hingewiesen werden. Die Studienkommission des Deutschen Juristentages 35 und die Unternehmensrechtskommission 36 hatten daher dafür plädiert, mindestens für unmittelbare Unternehmensträgerstiftungen besondere gesetzliche Regelungen für die Organisation, Publizität und Gläubigerschutz einzuführen.
33 Hierzu David, Die Carl Zeiss Stiftung, ihre Vergangenheit und ihre gegenwärtige Lage, 1954, S. 29 ff. 34 Z.B. die Einführung eines Unternehmenrates, hierzu vgl. B G H Z 84, 3 5 2 f f . 35 Vgl. aaO (Fn. 15), S . 4 2 f f . 36 A a O (Fn. 15), Tz. 9 3 3 a - 9 4 4 .
Stiftungen in der Bundesrepublik aus heutiger Sicht
c) Situation in den neuen
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Bundesländern
Auf diesem Hintergrund läßt sich schwerlich eine überzeugende Argumentation dafür finden, in dem Umstrukturierungsprozeß der neuen Bundesländer (ehemalige „ D D R " ) die Rechtsform der Stiftung verantwortlich zu befürworten. So hat dann auch das von K. von Dohnanyi u. a. für die Körber-Stiftung erstattete Gutachten 37 erhebliche Bedenken gegen die Errichtung von „Unternehmensträgerstiftungen" geäußert. Der Gedanke hieran war in der allgemeinen Diskussion nach der Wende aufgetaucht, ähnlich wie der Gedanke, „Volksaktien" an in eine A G umgewandelte V E B auszugeben. In diesen Überlegungen wurde übersehen, daß die Umstrukturierung und Sanierung der einzelnen Betriebe in der ehemaligen „ D D R " zunächst eine volkswirtschaftliche Aufgabe ist, die sich nach den anerkannten Grundsätzen der Betriebswirtschaft zu vollziehen hat. Die Frage der geeigneten Rechtsform für die bisherigen „DDR"-Unternehmen steht am Ende der anzustellenden Überlegungen. Die durch das Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 angeordnete automatische Umwandlung aller V E B in Aktiengesellschaften oder Gesellschaften m. b. H. 38 muß nicht notwendigerweise die für das jeweilige Unternehmen geeignete Rechtsform sein. Dieses wird vielfach - ggf. zur Erreichung einer erfolgsversprechenden Sanierung - zu einer anderen Rechtsform erneut wechseln müssen; solche weiteren Umstrukturierungen (Umwandlung, Auf- und Abspaltung) bedürfen sicherlich noch handels- und steuerrechtlicher Gesetzgebungsakte39. Die Unternehmensträgerstiftung dürfte auf Grund der aufgezeigten Schwächen in aller Regel auch als endgültige Rechtsform nicht in Betracht kommen. Abgesehen von der Nicht-Geeignetheit von Unternehmensträgerstiftungen ist die Frage aufgeworfen, ob nicht etwa Teile von Veräußerungserlösen aus der Umstrukturierung der „DDR"-Wirtschaft in Stiftungen eingebracht werden könnten, die ihrerseits i. S. des gemeinen Wohls entsprechende Aufgaben übernehmen würden40. Hierzu ergeben sich zwei Bemerkungen: Zum einen ist nach der gegebe-
AaO (Fn. 17), S. 11-13. Vgl. § 11 des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17.6.1990, GBl. der D D R 1990 I, S.300; § 3 der Satzung der Treuhandanstalt vom 18.7.1990, GBl. der D D R 1990 I, S. 809. 39 Zum handelsrechtlichen Umwandlungsrecht siehe den Diskussionsentwurf BMJ „Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts" Bundesanzeiger 1988 Nr. 214 a (Beilage); vgl. hierzu ZGR Heft 3/1990 mit den Beiträgen zu „Die Reform von Umwandlung und Fusion", die auch die steuerrechtlichen Reformfragen betreffen. Vgl. auch neuestens RefE eines Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhand-Anstalt verwalteten Unternehmen (SpTrUG). BR-Drucksache 71/91 v. 8.2.1991. 40 Gutachten v. Dohnanyi u. a., aaO (Fn. 17). 37 38
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nen Rechtslage die Treuhandanstalt alleine dazu berufen, im Rahmen ihrer Zuständigkeit, deren Grenzen freilich noch sehr umstritten sind, zu entscheiden, ob vor einem endgültigen Abschluß ihrer (enormen) Aufgaben eine solche Freisetzung von Mitteln zugunsten neuer Stiftungen überhaupt in Betracht kommen kann; es bedarf hierzu aber nach den oben dargestellten Grundsätzen auch einer weiteren gesetzlichen Regelung. Volkswirtschaftlich sinnvoll und besonders im Interesse der Bevölkerung in den neuen Bundesländern könnte ein solches Vorgehen dann sein, wenn es sich um überschaubare Aufgaben handelt, die mit den in die Stiftung eingebrachten Vermögenswerten und den zu erwartenden Erträgen hieraus abgewickelt werden können. Hier wären m. E. Stiftungen, die aber nicht als Unternehmensträgerstiftungen bezeichnet werden könnten, auch dann genehmigungsfähig, wenn sie nur für eine begrenzte Dauer 41 errichtet werden. Dagegen ist aber zu bezweifeln, daß es sinnvoll wäre, auch nur bestimmte Anteile am Gesellschaftskapital umstrukturierter Unternehmen (ehemalige V E B ) schon bei der jetzigen Sachlage in mittelbare Unternehmensträgerstiftungen einzubringen. Diese so ausgestatteten Stiftungen wären in aller Regel nicht in der Lage, weiteres benötigtes Kapital für „ihr" Unternehmen aufzubringen; selbst wenn sie es wären 42 , würde diese Mittelverwendung zu Lasten der gerade angestrebten (im Interesse der Allgemeinheit liegenden) Zweckverfolgung gehen. Als Zwischenergebnis läßt sich zusammenfassend sagen, daß im Zusammenhang mit dem eigentlichen Umstrukturierungsprozeß die Errichtung von Unternehmensträgerstiftungen in den neuen Bundesländern nicht in Erwägung gezogen werden sollte; dies gilt für unmittelbare wie für mittelbare Unternehmensträgerstiftungen. 3. Zukünftige
Verwendung
der Rechtsform
Stiftung
Wenn man von der dargestellten besonderen Situation in den neuen Bundesländern absieht, so hat zwar nicht die unmittelbare, aber die mittelbare „Unternehmensträgerstiftung" im Laufe der letzten Jahre im zunehmenden Maße an Bedeutung gewonnen. Mit anderen Worten: in Stiftungen werden als Vermögen Anteile an Unternehmen, zumeist an Kapitalgesellschaften, eingebracht. Dies läßt sich mehr aus allgemeiner, auf unterschiedliche Weise gesammelter Erfahrung feststellen als auf -
41 Eines der herkömmlichen Merkmale einer Stiftung ist die Vermögenswidmung auf Dauer; dies erscheint aber nicht zwingend: vgl. Seifart/Hof HdbStiftungsR § 3 Rdn. 54 sowie Studienkommission des Deutschen Juristentages, aaO (Fn. 14), S . 2 6 . 42 § 58 N r . 7 Buchst, b) A O erlaubt auch einer gemeinnützigen Stiftung, ihre Mittel für eine Kapitalerhöhung zur Erhaltung ihrer quotenmäßigen Beteiligung einzusetzen; insoweit werden diese also vom Zwang der zeitnahen Verwendung befreit.
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eigentlich wünschenswerter - Publizität. Die entsprechenden Kenntnisse kann man aus freiwilligen Veröffentlichungen der betroffenen Stiftungen gewinnen, die entsprechendes Vermögen ausdrücklich nennen. Soweit Stiftungen an Aktiengesellschaften „maßgeblich" beteiligt sind und Meldepflichten nach § 2 0 AktG unterliegen 43 , sind diese Angaben aus dem Anhang zum Jahresabschluß einer Aktiengesellschaft (§ 160 Abs. 1 Nr. 8 AktG) zu entnehmen. Bei Beteiligung an einer G m b H ergibt sich eine solche Kenntnis aus dem Handelsregister, zu dem jährlich eine Gesellschafterliste einzureichen ist ( § 4 0 G m b H G ) . Oder aber das Unternehmen, an denen eine Stiftung mit einem bedeutsamen Anteil beteiligt ist, gibt freiwillig eine solche Information ζ. B. im Rahmen ihrer Pressekonferenz. Schließlich ergibt sich auch aus der Beratungspraxis ein Bild über Sachverhalte und Problemstellungen. Es handelt sich bei dem Besitz von Anteilen an einer Gesellschaft des Handelsrechts um Stiftungsvermögen, das aus der im Stiftungsgeschäft oder danach vorgenommenen Vermögenswidmung oder auch aus zulässiger Vermögensumschichtung herrührt. Im wesentlichen läßt sich feststellen, daß die Errichtung mittelbarer Unternehmensträgerstiftungen zu allermeist im Rahmen der Gesamtkonzeption für eine Unternehmensnachfolge in Betracht gezogen wird. Häufig kann ein legitimes Interesse des Firmengründers darin begründet sein, Stabilität und Kontinuität in der Unternehmensfortführung auf der Eigentümer-/Gesellschafterseite durch Einschaltung einer Stiftung auf längere Zeit sicherzustellen. Dieser grundsätzliche Ausgangspunkt ist maßgeblich für die Unternehmens- und erbrechtliche Ausgestaltung, die sich zu Lebzeiten oder von Todes wegen durchführen läßt; die endgültige Gestaltung erfolgt freilich auch nach steuerlichen Gesichtspunkten 44 . Hierbei ergeben sich besondere Probleme dann, wenn die mittelbare Unternehmensträgerstiftung steuerbefreit sein soll. U m dies zu erreichen, muß die Stiftung satzungsgemäß und tatsächlich mit ihren Erträgen gemeinnützige Ziele verfolgen. Dabei müssen diese Erträge durch die Stiftung für die Satzungszwecke zeitnah verwendet werden, eine eigene Rücklagenbildung ist nur in dem engen Rahmen des § 58 A O möglich (allerdings auch zur Teilnahme an Kapitalerhöhungen). Im Verhältnis zur Kapitalgesellschaft, an der sie beteiligt ist, ist ferner zu beachten, daß die Steuerfreiheit der Stiftung nur dann gewährt werden kann, wenn diese sich auf die Ausübung der Gesellschafterrechte beschränkt und keinen maßgebenden Einfluß auf die Geschäftsführung
« Hierzu Goerdeler, FS Otto Kunze, 1968, S.209. 44 Hierzu Berndt, Stiftung und Unternehmen, 4. Aufl. 1986, S. 60 ff, sowie IDW, Gestaltungen zur Unternehmensfortführung - Die Stiftung - 1985, S. 31 ff.
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der Kapitalgesellschaft ausübt45; ein aktives Eingreifen in die Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft würde die Beteiligung zu einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§§51 ff A O ) stempeln. Da in der Regel auf die Steuerbefreiung solcher Stiftungen (für alle Steuerarten) Wert gelegt wird, muß bei der gesellschaftsrechtlichen Gestaltung die Sicherstellung gerade dieses Gesichtspunktes besonders beachtet werden, ggf. durch Stimmlosstellung der Anteile an der Kapitalgesellschaft oder eine Trennung der Organe von Stiftung einerseits und Kapitalgesellschaften andererseits46. Unternehmensstrategie läßt sich daher mittels einer gemeinnützigen Stiftung nicht durchsetzen. Erfahrungen zeigen, daß die Finanzverwaltung über die Gestaltung im einzelnen, der nach den Regeln des Steuerrechts die spätere tatsächliche Handhabung entsprechen muß, unterschiedliche Meinungen vertritt. In der Regel wird der diesbezüglichen Auffassung des zuständigen Finanzamtes gefolgt, um den „Freistellungsbescheid" für die Gemeinnützigkeit zu erreichen47. Eine weitere Einschränkung der Entscheidungsfreiheit einer mittelbaren Unternehmensträgerstiftung ergibt sich aus den Grenzen, die für die Vermögensumschichtung bei Stiftungen gezogen sind. Im Rahmen des Stiftungsrechts enthalten zunächst die Länder-Stiftungsgesetze teilweise mehr oder weniger starke Beschränkungen, etwa in Form von Genehmigungsvorbehalten48. Mit diesen soll gesichert werden, daß Stiftungen ihre Anlagepolitik im Einklang mit den Stiftungszwecken betreiben und dabei vor allem die Erzielung langfristig möglichst gleichmäßiger Erträge gewährleisten. Auch landesgesetzliche Vorschriften über die „ungeschmälerte Erhaltung" des Stiftungsvermögens49 können im Einzelfall die Stiftungen vor große Probleme stellen, denn diese Vorschriften behindern ggf. wirtschaftlich sinnvolle Vermögensumschichtungen50. Um letztere zu ermöglichen, sollten in die Stiftungssatzung entsprechende Umschichtungsermächtigungen aufgenommen werden; bei Stiftungen von Todes wegen kann eine solche Ermächtigung oder sogar Anordnung auch zunächst an etwaige Testamentsvollstrecker testamentarisch gegeben werden (§2216 BGB). Darüber hinaus sind bei Stiftungen, die eine Anerkennung als gemeinnützig dauerhaft erhalten wollen, steuerliche Anforderungen zu erfüllen.
Abschn. 8 Abs. 4 KStR in der Folge von B F H BStBl. II 1971, S. 753. Goerdeler/Ulmer, aaO (Fn. 8), 298. 47 Zu finanzgerichtlichen Entscheidungen kommt es meist dann, wenn auf Grund einer späteren Überprüfung über die Einhaltung der Satzungsmäßigkeit oder über die tatsächliche Handhabung Streit entsteht; vgl. hierzu Seifart/Orth HdbStiftR § 37 Rdn. 245. 48 So Art. 31 BayStiftG; §21 StiftG N R W . 49 So z . B . Art.6 BayStiftG; § 6 HessStiftG, § 14 RheinlPfStiftG. 50 Daher zu Recht kritisch Studienkommission, aaO (Fn. 15), S. 26. 45 46
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Grundsätzlich sind zwar auch unter diesem Gesichtspunkt Vermögensumschichtungen, also auch der Austausch von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, auch hinsichtlich des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts unbedenklich; dies gilt sogar für dabei erzielte Buchgewinne, die nicht einer zeitnahen Verwendung zugeführt werden51. Stets ist jedoch zu beachten, daß Vermögensumschichtungen dann nicht mehr steuerlich irrelevant bleiben, wenn sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb darstellen; dies wird dann angenommen, wenn die An- und Verkäufe in erster Linie Gewinnerzielung und nicht einer zweckgerichteten Anlagepolitik dienen52. Die Möglichkeiten einer mittelbaren Unternehmensträgerstiftung sind schon aus diesen Gründen nicht in vollem Umfang mit denen anderer Gesellschafter von Kapitalgesellschaften vergleichbar. Es gibt schließlich noch weitere Gesichtspunkte, die das Verhältnis von steuerbefreiter Stiftung (als mittelbarer Unternehmensträgerstiftung) zum Beteiligungsunternehmen betreffen und sorgfältiger Beobachtung bedürfen53. Trotz dieser Erschwerungen werden Stiftungen, die als mittelbare Unternehmensträgerstiftungen einzuordnen sind und denen wegen der von ihr verfolgten Zwecke die steuerliche Gemeinnützigkeit zuerkannt wird, auch in Zukunft an Bedeutung noch mehr zunehmen. Diese Entwicklung könnte auch durch eine erst kürzlich eingeführte neue Regelung im Erbschaftsteuergesetz gefördert werden. Nach §29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG i. d. F. des Stiftungs- und Kulturförderungsgesetzes vom 13. Dezember 199054 tritt die Erbschaftsteuerfreiheit auch dann ein, wenn die Uberführung des Nachlasses (oder Teilen hiervon) innerhalb von 24 Monaten nach dem Todesfall an eine gemeinnützige Institution fällt. Hieraus ergibt sich, daß die Errichtung von gemeinnützigen Stiftungen nicht unbedingt von Todes wegen (§83 B G B ) erfolgen muß, sondern auch noch von den Erben (und ggf. von Testamentsvollstreckern) vorgenommen werden kann; auf diese, nach dem Erbfall errichtete Stiftung kann dann, sofern sie die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt, Vermögen (Unternehmensanteile) erbschaftsteuerfrei übertragen werden; eine solche Regelung könnte durch Verfügung von Todes wegen vorgegeben sein oder beruht auf eigener Entschließung der Erben. Diese gesetzliche Neuregelung eröffnet auch für den Personenkreis, der in der früheren „ D D R " Ansprüche auf enteignetes Vermögen oder
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OFD Münster/Düsseldorf, Verfügung vom 11.1.1982, StEK AO 1977, §58
Nr. 3. 52 FG München, Urteil vom 4.4.1990, EFG 1990, 583 (nrkr); großzügiger: Niedersächs. FG, Urteil vom 24.11.1988, EFG 1989, 253. 53 Seifart/Orth HdBStiftungsR §37 Rdn.240. 54 BGBl. 1990 I, S.2775.
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Entschädigungsansprüche hat, eine Möglichkeit, diese Ansprüche als Vermögen in Stiftungen einzubringen, die ihrerseits gerade im Rahmen des Neuaufbaus gemeinnützige Zwecke verfolgen sollen. Somit gibt es für Stiftungen in allen Ländern der Bundesrepublik vielfach Perspektiven, nicht nur hinsichtlich der Zweckerfüllung, sondern auch was ihre Vermögensausstattung angeht.
III. Schlußbemerkung Während die unmittelbare Unternehmensträgerstiftung nicht als geeignete Rechtsform für Unternehmen - auch im Rahmen der Neustrukturierung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern - angesehen werden kann, mag die mittelbare Unternehmensträgerstiftung in der Bundesrepublik - auf lange Sicht auch in den neuen Bundesländern sinnvollerweise im Rahmen der Vorsorge für die Unternehmensfortführung eingesetzt werden können; aber es kommt auf die Eignung im Einzelfall an. Zudem sollte die Stiftung als Rechtsform nicht „mißbraucht" werden. Stiftungen können mit den von ihnen zu verausgabenden Mitteln sehr wichtige Aufgaben für den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern übernehmen, weil sie schnell und flexibel dort helfen können, wo andere Mittel nicht oder noch nicht zur Verfügung stehen. Steuerlich als gemeinnützig oder mildtätig anerkannte Stiftungen genießen steuerliche Befreiungen und Vergünstigungen; sie unterliegen damit aber auch gewissen Beschränkungen, die zur Erhaltung der Steuerbefreiung zu beachten sind.
Die einseitige Aufhebung der Geschäftsverbindung aus wichtigem Grund gemäß Nr. 17 Satz 2 A G B der Banken/Nr. 13 Abs. 2 A G B der Sparkassen WALTHER HADDING
Kürzlich hat Theodor Heinsius in einer ausführlichen Besprechung des großen Werkes von Hopt/Miilbert „Kreditrecht" (KTS 1990, 147, 154) festgestellt, daß von den beiden Kündigungstatbeständen in Nr. 17 AGB der Banken der Kündigung aus wichtigem Grund nach Nr. 17 Satz 2 „die größte praktische Bedeutung" zukomme. Hier - so fährt Heinsius fort - „herrscht allerdings so manche Unsicherheit". Dies mag Anlaß sein, dem verehrten Jubilar als Dank für vielfältigen „Brückenschlag" zwischen Praxis und Theorie den folgenden Beitrag zu widmen. I. Ausgangslage
Auf seiten eines Kreditinstituts gehört es sicherlich zu den nicht leichthin getroffenen Entscheidungen, die Geschäftsverbindung zu einem Kunden einseitig zu beenden. Das gilt schon für das Privatkundengeschäft, erst recht aber für das Firmenkundengeschäft. Die geschäftspolitische Entscheidung muß zudem, wenn sie Bestand haben soll, rechtlich fundiert sein. Gerade die Beendigung der Geschäftsverbindung erweist sich bei näherem Zusehen in ihren rechtlichen Voraussetzungen, der einwandfreien Durchführung und ihren rechtlichen Auswirkungen als ein komplexer Vorgang, der manche Fragen aufwirft, die sich im konkreten Fall nicht immer einfach beantworten lassen. Das hängt mit dem Geflecht der einschlägigen Regelungen zusammen, bei dem individuelle vertragliche Abreden, Formularabreden, Sonderbedingungen und Allgemeine Geschäftsbedingungen der Kreditinstitute sowie nicht zuletzt besondere und allgemeine gesetzliche Vorschriften (insgesamt also drei Regelungsebenen) zu berücksichtigen sein können. Hinzu kommt, daß schon im Ausgangspunkt auf der Tatbestandsseite die „Geschäftsverbindung" zwischen Kreditinstitut und Kunde mehr oder weniger unterschiedliche Rechtsverhältnisse umfassen kann. Nur selten erschöpft sich diese Geschäftsverbindung schlicht in einem Giroverhältnis zur Durchführung des Zahlungsverkehrs oder gar nur in einem Sparverhältnis. Meistens treten andere Rechtsverhältnisse, insbesondere Kreditverhältnisse unterschiedlicher Ausgestaltung, hinzu. Dabei ist
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auch zu beachten, inwieweit und mit welcher rechtlichen Wirkung eine Kontokorrentabrede getroffen worden ist. Will nun das Kreditinstitut eine derartige „Geschäftsverbindung" insgesamt einseitig aufheben, so rückt aus dem rechtlichen Instrumentarium die „Kündigung" als naheliegend ins Blickfeld. Kann die „Geschäftsverbindung im ganzen" Gegenstand einer zulässigen Kündigung sein? Welche Tragweite hat eine solche Kündigung? II. Zulässigkeit und Tragweite der Kündigung zur Beendigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" 1, Unbefristete Dauerschuldverhältnisse, also Schuldverhältnisse, die für eine unbestimmte Zeitspanne eingegangen sind, können grundsätzlich von jedem Beteiligten einseitig durch Kündigung beendet werden 1 . Das Kündigungsrecht der Beteiligten als Gestaltungsrecht kann vereinbart sein oder kraft Gesetzes bestehen; es kann von bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen abhängen (z. B. einem „wichtigen Grund", „nicht zur Unzeit") oder in freiem Ermessen ausgeübt werden. Die Ausübung des Kündigungsrechts durch empfangsbedürftige Willenserklärung kann fristlos möglich oder fristgebunden sein. Die Kündigungserklärung kann die Beendigung des Dauerschuldverhältnisses alsbald mit Zugang herbeiführen, das heißt wiederum fristlos, oder erst mit dem Ablauf einer Frist. Es stellt sich mithin die nur selten bedachte Vorfrage, ob die „Geschäftsverbindung" hinsichtlich ihrer Beendigung einem Dauerschuldverhältnis als Rechtsverhältnis gleich zu erachten ist. Nur in wenigen handelsrechtlichen Vorschriften findet sich die „Geschäftsverbindung" als Tatbestandselement (vgl. §§89b, 355 Abs. 1, 362 Abs. 1 HGB). Zu ihrer rechtlichen Qualifizierung hat das Reichsgericht2 vor einhundert Jahren ausgeführt: „Wenngleich . . . eine Geschäftsverbindung zweier Personen an sich zunächst nichts anderes ist als das zufällige Nebeneinanderbestehen von Geschäften, welche diese Personen miteinander abgeschlossen haben und einander gegenüber erfüllen, so bildet sich doch durch die häufige geschäftliche Berührung und die Erkenntnis, daß es für beide Teile nur vorteilhaft sein kann, einander entgegenzukommen, ein Vertrauensverhältnis aus, in welchem die Wahrung von Treue und Glauben in erhöhtem Maße und in weiterem Umfange, als im Verkehre zwischen einander fremd gegenüberstehenden Personen zur notwendigen Übung wird. Nicht nur der Abschluß und die Erfüllung der einzelnen Geschäfte, sondern die ganze Geschäftsverbindung wird von Treue und Glauben beherrscht, und dadurch kommt es, daß Handlungen, welche, abgesehen von dieser Verbindung der Handelnden, als rechtlich indifferente Tatsachen erscheinen, einen rechtlichen Inhalt gewinnen können." 1 Vgl. N.Horn, Vertragsdauer, in: BMJ (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I 1981, S. 551, 571 ff; PalandtIPutzolHeinrichs, BGB, 50. Aufl. 1991, Vorbem. 28 ff vor §620; Einl. vor §241 Rdn. 18 ff. 2 Urteil vom 31.1.1891 - I 254/90 - , RGZ 27, 118, 121.
Einseitige Aufhebung der Geschäftsverbindung aus wichtigem Grund
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Demgemäß wird in der gegenwärtigen Rechtslehre 3 der „Geschäftsverbindung" nahezu einhellig nicht nur die Bedeutung eines tatsächlichen Verhältnisses beigemessen, das als Tatbestandsmerkmal in manchen gesetzlichen Vorschriften rechtserheblich wird. Vielmehr wird die auf eine gewisse Dauer angelegte „Geschäftsverbindung", die die Willensübereinstimmung der Beteiligten erkennen läßt, fortgesetzt in rechtsgeschäftlichen Kontakten zu stehen, für sich als ein gesetzliches Schuldverhältnis (ohne primäre Leistungspflicht) qualifiziert. Bei der „Geschäftsverbindung im ganzen" ist demnach einerseits ein eigenes gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten von den einzelnen rechtsgeschäftlich begründeten Schuldverhältnissen zu unterscheiden, z.B. von den einzelnen Kreditverhältnissen zwischen einem Kreditinstitut und seinem Kunden 4 . Andererseits umfaßt die „Geschäftsverbindung im ganzen" die sämtlichen einzelnen rechtsgeschäftlich entstandenen Schuldverhältnisse; sie sind - diese Feststellung ist wichtig 5 ebenfalls Inhalt der „Geschäftsverbindung im ganzen". Die „Geschäftsverbindung" steht dem unbefristeten Dauerschuldverhältnis in der rechtlichen Qualität also derart nahe, daß die Folgerung nicht von der Hand zu weisen ist, auch für die Beendigung einer „Geschäftsverbindung" eine Kündigung vorauszusetzen und als geeignet und zulässig anzusehen 6 . Selbst wenn man berechtigte Zweifel hegt, ob ein gesetzliches Schuldverhältnis (ohne primäre Leistungspflicht) als solches kündbar ist7, so liegt doch bei der Kündigung einer „Geschäftsverbindung im ganzen" das hauptsächliche Ziel im Sinne der erstrebten Rechtsfolge in der Beendigung sämtlicher gegenwärtig bestehenden rechtsgeschäftlich begründeten Schuldverhältnisse. Es geht mithin um eine Gesamtkündigung dieser Schuldverhältnisse (mit bestimmten Leistungspflichten) sowie damit einhergehend die Beendigung auch der nach Treu und Glauben (§242 BGB) sich aus der „Geschäftsverbindung" ergebenden besonderen Nebenleistungspflichten, die in dem gesetzlichen Schuldver3 Vgl. Müller-Graff, Rechtliche Auswirkungen der laufenden Geschäftsverbindung im amerikanischen und deutschen Recht, 1974, S. 2 4 7 f f ; ders., Die Geschäftsverbindung als Schutzpflichtverhältnis, J Z 1976, 153, 156; Schlegelberger/Z/e/ermeW, H G B , 5. A u f l . Bd. IV 1976, § 3 6 2 Rdn. 13; M ü n c h K o m m . / f m m m c i , BGB, 2. A u f l . Bd. II 1985, vor § 2 7 5 Rdn. 188; Canaris, Bankvertragsrecht, 3. A u f l . Teil 1 1988, Rdn. 9 f f ; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 3. A u f l . 1987, § 1 9 I I , S . 5 2 7 ; § 1 9 I 3 c ) , S. 535; Baumbach/Duden/Zfopi, H G B , 28. A u f l . 1989, Einl.2 vor § 3 4 3 . 4 Ebenso Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 3), Rdn. 1 a. E.; V o n den Einzelverträgen grundsätzlich zu unterscheidende Geschäftsverbindung als solche. 5 Vgl. unten II.3. 6 Ebenso Olbers, Die einseitige Vertragsbeendigung bei gewerblichen Kreditgeschäften durch die Bank, Diss. iur. Bayreuth 1988, S. 80 m. Fn. 8, f ü r die außerordentliche Kündigung der Geschäftsverbindung aus wichtigem Grund. 7 Gesetzliche Pflichten lassen sich schwerlich ohne weiteres durch einseitige Erklär rung beenden.
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hältnis (ohne primäre Leistungspflicht) zusammengefaßt sind. Die „Geschäftsverbindung im ganzen" kann hiernach Gegenstand einer Kündigung sein und durch sie insgesamt beendet werden. 2. Von der zulässigen Kündigung zur Beendigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" gehen auch die Regelungen in Nr. 17 und Nr. 18 AGB der Banken aus. Entsprechende Regelungen enthalten Nr. 13 Abs. 1 bis Abs. 3 sowie Abs. 5 AGB der Sparkassen. Dürfen nämlich die Beteiligten (Kunde oder Bank/Sparkasse) mangels anderweitiger Vereinbarung die „Geschäftsverbindung im ganzen" nach freiem Ermessen „einseitig aufheben" (Nr. 17 Satz 1 AGB der Banken; Nr. 13 Abs. 1 AGB der Sparkassen: „einseitig auflösen"), so läßt sich diese Regelung nur dahin auslegen, daß jeder Beteiligte die „Geschäftsverbindung im ganzen" durch Ausübung eines Gestaltungsrechts beendigen kann. Wenn dies „nach freiem Ermessen" möglich sein soll, wird durch die Regelung in Nr. 17 Satz 1 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 1 AGB der Sparkassen) nach dem Vorbild der §§627 und 723 BGB ein Recht zur ordentlichen fristlosen Kündigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" begründet. Dürfen die Beteiligten (Kunde oder Bank/Sparkasse) ferner, auch wenn eine anderweitige Vereinbarung getroffen ist, die „Geschäftsverbindung im ganzen" aus einem wichtigen Grunde „jederzeit beendigen" (Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 1 AGB der Banken = Nr. 13 Abs. 2 Satz 1 AGB der Sparkassen), so kann diese Regelung nur als die Vereinbarung eines Kündigungsrechts verstanden werden. Es wird durch die Regelung in Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 1 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 2 Satz 1 AGB der Sparkassen) hinsichtlich der „Geschäftsverbindung im ganzen" nach dem Vorbild des § 626 Abs. 1 BGB ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund vereinbart. Aufgrund der allgemeinen Erwägungen zur Kündbarkeit einer „Geschäftsverbindung im ganzen" (vgl. oben II. 1.) kann somit gegen die Zulässigkeit der Regelungen in Nr. 17 Satz 1 und Satz 2 Halbsatz 1 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AGB der Sparkassen), soweit dort ein Kündigungsrecht für die Beteiligten hinsichtlich der zwischen ihnen entstandenen „Geschäftsverbindung im ganzen" vereinbart ist, kein rechtlicher Einwand geltend gemacht werden. Man mag vielleicht fragen, warum in Nr. 17 AGB der Banken (=Nr. 13 AGB der Sparkassen) nicht ausdrücklich von einem Recht zur „Kündigung" die Rede ist. Die Wortwahl („einseitig aufheben", „einseitig auflösen", „beendigen") hängt möglicherweise einerseits mit einer gewissen Unsicherheit zusammen, ob eine „Geschäftsverbindung" zulässigerweise gekündigt werden kann, andererseits soll durch die Formulierung offenbar auch der „Widerruf" eines Darlehensversprechens vor Valutierung i. S. von §610 BGB mit erfaßt werden. Ob und inwieweit §610 BGB durch Nr. 17 Satz 2 AGB der Banken (=Nr. 13
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Abs. 2 A G B der Sparkassen) wirksam modifiziert wird oder hier jedenfalls teilweise das AGBG (§10 Nr. 3; § 1 1 Nr. 4) entgegensteht, ist umstritten 8 . Das muß aber hier auf sich beruhen; es soll nur das Kündigungsrecht erörtert werden. 3. Was die Tragweite einer Kündigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" angeht, so tritt als Rechtsfolge - wie schon betont - nicht etwa nur die Beendigung des gesetzlichen Schuldverhältnisses (ohne primäre Leistungspflicht) ein. Die Aufhebung der „Geschäftsverbindung im ganzen" durch eine Kündigung hat vielmehr „unmittelbaren Einfluß auf das Schicksal bereits gewährter Kredite" 9 . Nach den Regelungen in Nr. 18 Abs. 1 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 3 und Abs. 4 AGB der Sparkassen) hat „soweit wie möglich eine umgehende Gesamtabwicklung der Rechtsbeziehungen" stattzufinden 10 . Insbesondere werden „die auf den betroffenen Konten geschuldeten Beträge sofort fällig" (Nr. 13 Abs. 3 Satz 1 A G B der Sparkassen). Entsprechend der rechtlichen Gegebenheit, daß die „Geschäftsverbindung im ganzen" sämtliche einzelnen rechtsgeschäftlich begründeten Schuldverhältnisse zwischen den Beteiligten umfaßt, wird durch die wirksame Kündigung dieser „Geschäftsverbindung" auch die Beendigung der einzelnen in ihr enthaltenen Schuldverhältnisse (z.B. Kreditverhältnisse) herbeigeführt. Der sogenannte Trennungsgrundsatz gilt hier nach einhelliger Auffassung nicht. Das wird in Nr. 18 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 3 bis Abs. 5 AGB der Sparkassen) zugrunde gelegt. Dort wird nämlich die Abwicklung der einzelnen Geschäftsbeziehungen näher geregelt. Durch die Fälligstellung der Debetsalden entsteht die Verpflichtung des Kreditnehmers, auch bereits gewährte Darlehen zurückzuzahlen 1 1 . 4. Schließlich bleibt darauf hinzuweisen, daß die Regelungen über das Recht zur Kündigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" in Nr. 17 AGB der Banken (= Nr. 13 Abs. 1 und Abs. 2 AGB der Sparkassen) nach nahezu einhelliger Auffassung mit dem AGB-Gesetz vereinbar sind und einer Inhaltskontrolle standhalten. Der Bundesgerichtshof 12 setzt die Wirksamkeit von Nr. 17 Satz 1 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 1 AGB der Sparkassen) angesichts der Einschränkungen, die sich aus dem Wortlaut („anderweitige VereinbaVgl. Staudinger/ Hopt/Mülbert, BGB, 12. Aufl. 1988, § 6 1 0 Rdn.26 m . w . N a c h w . So Canaris, Bankvertragsrecht, 2. A u f l . 1981, Rdn. 1240. 10 So Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 9), Rdn. 2646. 11 Vgl. hierzu näher Olbers, aaO (Fn.6), S. 94-96. 12 Vgl. BGH W M 1985, 1136 = WuB I A Nr. 17 AGB-Banken 2.85 Obermüller; ferner B G H W M 1959, 664, 665; W M 1978, 234, 235 unter II.2. (vgl. Fn. 17); W M 1979, 1176, 1178; W M 1981, 150; W M 1984, 489 und 586; W M 1985, 769 = WuB I A Nr. 17 Satz 1 AGB-Banken 1.85 Pleyer; W M 1985, 1437 = WuB I A Nr. 17 AGB-Banken 2.86 Bruchner. 8 9
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rung") und aus §242 B G B (Verbot der Kündigung zur Unzeit und des Rechtsmißbrauchs) ergeben, offensichtlich voraus. Das Aufhebungsrecht nach Nr. 17 Satz 2 AGB der Banken ( = N r . 13 Abs. 2 AGB der Sparkassen) entspricht dem außerordentlichen Kündigungsrecht, das bei Dauerschuldverhältnissen selbst dann besteht, wenn es nicht besonders vereinbart ist13. Auch in der Literatur14 werden die Regelungen fast ausnahmslos als unbedenklich beurteilt. Was die Maßgeblichkeit der Regelungen in Nr. 17, 18 AGB der Banken ( = N r . 13 AGB der Sparkassen) für die Beteiligten im konkreten Fall angeht, so richtet sie sich grundsätzlich nach §2 AGBG. Dabei ist jedoch, vor allem im gewerblichen Kreditgeschäft, § 24 Satz 1 Nr. 1 AGBG zu berücksichtigen. Danach findet §2 A G B G keine Anwendung auf AGB, die gegenüber einem Kaufmann verwendet werden, wenn der Vertrag zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehört. Für die AGB der Kreditinstitute ist anerkannt, daß sie wegen ihrer branchenüblichen Verwendung im kaufmännischen Verkehr auch ohne besonderen Hinweis Vertragsinhalt werden. III. Beispiel zur einseitigen Aufhebung der „Geschäftsverbindung im ganzen" aus wichtigem Grund Nachdem bisher die einseitige Aufhebung der „Geschäftsverbindung im ganzen" gemäß Nr. 17 und Nr. 18 AGB der Banken ( = N r . 13 AGB der Sparkassen) allgemein qualifiziert worden ist, soll nunmehr die außerordentliche Kündigung der Geschäftsverbindung nach Nr. 17 Satz 2 AGB der Banken ( = N r . 13 Abs. 2 AGB der Sparkassen) mit ihren Voraussetzungen und Schranken im Vordergrund stehen. Um vor Augen zu führen, wie komplex ein Sachverhalt und seine rechtliche Beurteilung im Hinblick auf die Wirksamkeit der einseitigen Aufhebung einer „Geschäftsverbindung im ganzen" sein kann, sei beispielhaft ein konkreter Fall aus der jüngsten Rechtsprechung wiedergegeben. 1. Das O L G München hatte im Urteil vom 2.4.1990 - 17 U 2411/89 - 1 5 über den folgenden Sachverhalt zu befinden: Ein Kreditinstitut hatte einer Diamantenwerkzeugfabrik GmbH im Jahr 1983 Kredit durch drei langfristige verzinsliche Darlehen gewährt, Vgl. B G H WM 1978, 234, 235 unter II.2. (vgl. Fn. 17). Vgl. namentlich Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 9), Rdn. 1239; ausführlich auch Schlenke, Allgemeine Geschäftsbedingungen der Banken und AGB-Gesetz (Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen, Abt. B, Bd. 42), 1984, S. 136 ff; Olzert, ZZP 97 (1984), 1, 20 ff, 24, allerdings mit restriktiver Interpretation von Nr. 17 Satz 1 AGB der Banken; Olbers, aaO (Fn.6), S. 109ff; jeweils m.w. Nachw.; a. A. Stauder, Der bankgeschäftliche Krediteröffnungsvertrag, 1968, S. 151. 15 ZIP 1990, 1552. Die Entscheidung des O L G München ist schon im Ausgangspunkt zweifelhaft, weil der GmbH-Anteil des Klägers als „eine gemäß § 823 Abs. 1 BGB 13 14
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nämlich über 650 000,- DM für etwa 35 Jahre, 300 0 0 0 - DM für etwa 12 Jahre und 6 0 0 0 0 0 - DM bis zum 31.3.1995. Im Oktober 1984 wurden drei weitere kurzfristige Darlehen vereinbart, nämlich über 250 000,DM (davon 125 0 0 0 - DM fällig schon am 28.2.1985, restliche Tilgung am 30.8.1985), über 600 0 0 0 - DM und nochmals 250 000,- DM (beide zu tilgen am 30.8.1986). Schließlich war ein Kontokorrentkredit über zunächst 350 000,- DM gewährt worden, der am 15.5.1985 auf 1350 000,- DM erhöht wurde; die Laufzeit sollte am 30.5.1990 enden. Als Sicherheit diente u.a. eine im Dezember 1984 vereinbarte Sicherungsübereignung von Rohdiamanten im Einkaufswert von angeblich etwa 2 Millionen DM. Als das Kreditinstitut wegen nicht rechtzeitiger Zahlung und nicht bestellter Sicherheiten eine Kündigung in Aussicht stellte, beantragte die GmbH eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung. Durch Vergleich vom 15.5.1985 wurde das Kreditengagement neu geregelt und auch die Sicherungsübereignung der Rohdiamanten am 10.6.1985 bestätigt mit der Abrede, daß der Beleihungswert 50% des Einkaufswerts der Rohdiamanten (also 1 Million DM) betrage. In dem Vergleich wurde ferner bestimmt: „Die Parteien sind darüber einig, daß über die Absicherung des Kreditengagements, welches derzeit 4,5 Millionen DM beträgt, spätestens am 31. 8.1986 neu verhandelt wird, wenn die drei kurzfristigen Darlehen über insgesamt 1,1 Millionen DM ordnungsgemäß zurückgeführt sind. Das Kreditinstitut verpflichtet sich, bei Eintritt der Voraussetzungen für die Freigabe von Sicherheiten hinsichtlich der Reihenfolge den Wünschen der Diamantenwerkzeugfabrik GmbH zu entsprechen, es sei denn, daß im einzelnen wichtige Gründe entgegenstehen." Im Sicherungsübereignungsvertrag vom Dezember 1984 /Juni 1985 war vereinbart, daß die Diamanten „zur Sicherheit für alle bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen des Kreditinstituts gegen die Diamantenwerkzeugfabrik GmbH" dienen. Weiterhin war bestimmt, daß das Kreditinstitut nur dann zur Rückgabe verpflichtet ist, wenn es wegen „aller Ansprüche gegen den Kreditnehmer befriedigt ist". Das Kreditinstitut erklärte sich jedoch bereit, Rechte freizugeben, „soweit sie zur Sicherung von Ansprüchen nach billigem Ermessen nicht benötigt" werden. Bis zum 31.8.1986 hatte die Diamantenwerkzeugfabrik GmbH 675 000,- DM zur Kredittilgung auf die drei kurzfristigen Darlehen gezahlt. Es fehlten also 425 000,- DM. Die Darlehensnehmerin behauptete, ihr stünde der fehlende Betrag zur Verfügung, nämlich in Gestalt eines gedeckten Schecks; sie wolle aber erst zahlen, wenn das geschützte Rechtsposition" angesehen worden ist (vgl. dazu Hadding, in: Festschr. f. Kellermann, 1991, S. 91). Weitere Fälle, insbesondere aus dem US-amerikanischen Bereich, in der rechtsvergleichenden Untersuchung von Thomas Möllers, Die Haftung der Bank bei der Kreditkündigung (Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen, Abt. B, Bd. 68), 1991.
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Kreditinstitut einen erheblichen Teil der Diamanten freigegeben habe. Im Streit hierüber verweigerte die Diamantenwerkzeugfabrik die Vorlage des Jahresabschlusses für 1985 und stellte eine Umschuldung in Aussicht, zu der es aber nicht kam. Das Kreditinstitut kündigte im November 1986 das Gesamtkreditengagement in Höhe von 3233 571,73 DM und stellte die Darlehen sofort fällig. Der Kontokorrentkredit war in diesem Zeitpunkt um etwa 8000,DM überzogen. Es wurden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und Sicherheitenverwertungen in die Wege geleitet. Im November 1987 wurde über das Vermögen der Diamantenwerkzeugfabrik GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Nunmehr wird das Kreditinstitut von verschiedenen Seiten (z. B. einem Gesellschafter und dem Konkursverwalter) wegen der angeblich unwirksamen Kündigung des Gesamtengagements auf Schadenersatz in Anspruch genommen. 2. Fragt man, ob die von dem Kreditinstitut ausgesprochene Kündigung des Gesamtengagements die „Geschäftsverbindung im ganzen" zu der Diamantenwerkzeugfabrik GmbH wirksam beendet hat, so ist - weil für diesen Fall die AGB der Sparkassen als maßgeblich vereinbart waren von Nr. 13 AGB der Sparkassen auszugehen. Eine einseitige Auflösung der Geschäftsverbindung im ganzen nach freiem Ermessen gemäß Nr. 13 Abs. 1 AGB der Sparkassen - das läßt sich rasch klären - scheidet aus. Denn ein Recht zur ordentlichen fristlosen Kündigung soll nur „mangels anderweitiger Vereinbarung" bestehen. Eine solche „anderweitige Vereinbarung" liegt aber schon in der Festlegung einer bestimmten Laufzeit für einen Kredit oder in der einzelvertraglichen Vereinbarung einer bestimmten Kündigungsfrist. Die jederzeitige Kündbarkeit „nach freiem Ermessen" (vgl. Nr. 13 Abs. 1 AGB der Sparkassen = Nr. 17 Satz 1 AGB der Banken) stünde nämlich im Widerspruch zur vorausgegangenen Festlegung einer bestimmten Laufzeit oder einer bestimmten Kündigungsfrist kraft „anderweitiger Vereinbarung". Es gelten insoweit die gleichen Erwägungen, wie sie allgemein zum Kündigungsrecht gemäß § 609 Abs. 1 BGB angestellt werden. Durch ein Recht des Kreditinstituts als Kreditgeber zur ordentlichen fristlosen Kündigung ohne Rücksicht auf derartige individuelle Abreden würde dem Kunden als Kreditnehmer die Möglichkeit genommen, entsprechend den einzelvertraglichen Vereinbarungen seine geschäftlichen Dispositionen mit hinreichender Voraussehbarkeit zu treffen. Die Berücksichtigung anderweitiger einzelvertraglicher Vereinbarungen genügt im übrigen §4 AGB-Gesetz, der den Vorrang von Individualvereinbarungen festlegt16. 16 Eine „anderweitige Vereinbarung", die das Kündigungsrecht nach Nr. 13 Abs. 1 A G B der Sparkassen (= Nr. 17 Satz 1 A G B der Banken) ausschließt, ist auch dann gegeben, wenn der Kredit zur Erreichung eines bestimmten Zwecks eingeräumt worden ist (vgl.
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Im konkreten Fall, über den das OLG München zu befinden hatte, waren für sämtliche lang- und kurzfristigen Darlehen und auch für den Kontokorrentkredit Laufzeiten vereinbart. Selbst wenn der Kontokorrentkredit als Betriebsmittelkredit unbefristet gewesen wäre, könnte er nicht als das herausragende, völlig bestimmende Element der Geschäftsverbindung im ganzen angesehen werden, das die Kündigung nach Nr. 13 Abs. 1 AGB der Sparkassen mangels „anderweitiger Vereinbarung" erlaubt hätte. 3. Entscheidend ist also, ob die von dem Kreditinstitut für das „Gesamtengagement" ausgesprochene Kündigung nach der Regelung in Nr. 13 Abs. 2 AGB der Sparkassen berechtigt und wirksam war. Dies hängt in erster Linie davon ab, ob im Hinblick auf die „Geschäftsverbindung im ganzen" der Tatbestand eines wichtigen Grunds für das Kreditinstitut gegeben war (vgl. unten IV. 1.). Das Kündigungsrecht muß sodann fehlerfrei ausgeübt worden sein (vgl. unten IV.2.). Schließlich kommt es darauf an, ob die Kündigung in ihrer Wirksamkeit etwaigen Schranken unterlag, die sich aus der spezifischen Situation hätten ergeben können (vgl. unten V.). IV. Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" 1. Vorliegen eines wichtigen
Grunds
Anknüpfend an die gesetzliche Umschreibung in §626 Abs. 1 BGB liegt ein „wichtiger Grund" allgemein bei Tatsachen vor, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Beteiligten die Fortsetzung des auf Dauer angelegten Rechtsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf einer etwaigen Kündigungsfrist oder bis zu einer vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Diese generelle Umschreibung eines „wichtigen Grunds" ist auch für Nr. 17 Satz 2 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 2 Satz 1 AGB der Sparkassen) als Ausgangspunkt heranzuziehen17. In diesem Zusammenhang muß erneut betont werden, daß Gegenstand der zu beurteilenden Kündigung die „Geschäftsverbindung im MünchKomm.///. P. Westermann, BGB, 2. Aufl. Bd.III/2 1988, §610 Rdn.9 m.w. Nachw.). Als Beispiele für zweckgebundene Kreditverhältnisse werden Kredite zur Existenzgründung oder zur Sanierung eines Unternehmens genannt; auch eine ObjektFinanzierung kommt in Betracht. 17 Vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 9), Rdn. 1246; Staudinger///opí/Af¿/bert, aaO (Fn. 8), § 6 0 9 Rdn. 106; Krebs, AGB der Sparkassen/Banken, 3. Aufl. 1989, Rdn. 13.16; siehe auch B G H WM 1978, 234, 235 = N J W 1978, 947 = DB 1978, 787 = J R 1978, 415 m. Anm. U. H. Schneider; O L G Zweibrücken WM 1984,1635 / B G H WM 1985,
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ganzen" ist; es geht nicht etwa um eines der einzelnen Kreditverhältnisse. Das ist wichtig, da je nach dem Bezugspunkt die Frage der Unzumutbarkeit unterschiedlich zu beantworten sein kann. Andererseits kann schon die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines einzelnen Kreditverhältnisses auch die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der „Geschäftsverbindung im ganzen" ergeben 18 . Ist ein „wichtiger Grund" objektiv vorhanden und feststellbar, spielt es keine Rolle, ob der Kunde oder das Kreditinstitut ihn auf Verlangen des anderen Teils unverzüglich schriftlich mitgeteilt hat. Die entsprechende Sonderregelung in § 6 2 6 Abs. 2 Satz 3 B G B ist nicht verallgemeinerungsfähig. Es können also Kündigungsgründe „nachgeschoben" werden 19 . Zur weiteren Konkretisierung der allgemeinen Umschreibung eines „wichtigen Grunds" sind für diesen Tatbestand auf seiten des Kreditinstituts in N r . 17 Satz 2 Halbsatz 2 A G B der Banken (= N r . 13 Abs. 2 Satz 2 Buchstaben a) bis d) A G B der Sparkassen) einzelne Beispiele genannt. Die Aufzählung ist aber nicht etwa abschließend, wie sich aus dem einleitenden Hinweis „insbesondere" ergibt. Diese Tatbestände, die jeweils als eine „grundsätzlich zulässige und zutreffende rechtsgeschäftliche Konkretisierung" des „wichtigen Grunds" anerkannt sind 20 , sollen im folgenden näher erläutert werden.
a) Unrichtige Angaben über die Vermögenslage (Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 2 AGB der Banken = Nr. 13 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a) AGB der Sparkassen) Hat der Kunde über seine Vermögenslage (Vermögensverhältnisse oder die seiner Firma) vertragserhebliche unrichtige Angaben gemacht, so begründet dies Zweifel an seiner Zuverlässigkeit, daß er als Kreditnehmer seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllen wird. Deshalb ist es im Sinne von Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 2 A G B der Banken ( = N r . 13 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a) A G B der Sparkassen) als ein „wichtiger Grund" gerade zur Kündigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" zu qualifizieren,
1493 = WuB I A Nr. 17 AGB-Banken 1.86 Obermüller; O L G Koblenz / B G H WM 1986,61 = WuB I A Nr. 17 AGB-Banken 3.86 Obermüller; B G H WM 1986, 605 = WuB I A Nr. 17 AGB-Banken 5.86 Schröter; B G H WM 1988, 195 = WuB IV A § 138 B G B 1.88 Emmerich; Eckhard Wolf, WM 1981, 110, 116. 18 So zutreffend Olbers, aaO (Fn. 6), S. 83/84. » Vgl. B G H WM 1979, 1176, 1178; O L G Zweibrücken WM 1984, 1 6 3 5 / B G H WM 1985, 1493 (vgl. Fn. 17); B G H WM 1986, 605 (vgl. Fn. 17); B G H WM 1988, 195 (vgl. Fn. 17): Auch nach der Kündigung entstandene Kündigungsgründe sind, falls schutzwürdige Interessen des Vertragspartners nicht entgegenstehen, zu beachten, wenn der Kündigende an der Kündigung festhält und zu erkennen gibt, daß er sich auch auf diese Gründe stützen will. 20 Vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 9), Rdn. 1247.
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wenn der Kreditnehmer bei Vertragsabschluß oder auch während der laufenden Kreditkontrolle unrichtige Angaben über seine Vermögensverhältnisse gemacht hat. Vertragserheblich sind falsche Angaben, wenn die richtige Aussage Zweifel an der persönlich-sachlichen Zuverlässigkeit des Kreditnehmers ergeben würde, also an seinem Willen oder seiner Fähigkeit, den Kredit pflichtgemäß zurückzuführen, oder wenn die Tatsachen sich unmittelbar auf die Sicherheit des Kredits nachteilig auswirken21. Selbstverständlich bleiben völlig entscheidungsunerhebliche Angaben oder Bagatellunrichtigkeiten bei der Würdigung außer Betracht. Im übrigen kann jedoch bei einer derartig schwerwiegenden Pflichtverletzung, wie sie in unrichtigen Angaben über die Vermögensverhältnisse zu sehen ist, der Kreditnehmer sich schwerlich seinerseits auf Treu und Glauben berufen22. In folgerichtiger Fortführung dieser rechtlichen Überlegungen hat der Bundesgerichtshof23 einer unrichtigen Angabe über die Vermögensverhältnisse gleichgestellt das pflichtwidrige Unterlassen der vollständigen Aufklärung über die tatsächlichen Vermögensverhältnisse. Dies entspricht auch einer bankaufsichtsrechtlichen Regelung: Nach §18 Satz 1 KWG hat jedes Kreditinstitut sich von Kreditnehmern, denen Kredite von insgesamt mehr als 50000,- DM gewährt worden sind, die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse, offenlegen zu lassen. Nur wenn das Verlangen des Kreditinstituts nach Offenbarung „offensichtlich unbegründet" ist, kann der Kunde von der Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse absehen (vgl. §18 Satz 2 KWG). b) Wesentliche Verschlechterung des Vermögens oder erhebliche Vermögensgefährdung (Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 2 AGB der Banken = Nr. 13 Abs. 2 Satz 2 Buchst, b) AGB der Sparkassen) Wenn in Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 2 AGB der Banken ( = N r . 13 Abs. 2 Satz 2 Buchst, b) AGB der Sparkassen) „eine wesentliche Verschlechterung seines Vermögens oder eine erhebliche Vermögensgefährdung des Kunden" als ein „wichtiger Grund" für das Kreditinstitut zur fristlosen Kündigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" vereinbart ist, so
21 Vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 9), Rdn. 1247; von Westphalen, WM 1984, 2, 11. 22 Vgl. Obermiiller, ZIP 1980, 337, 343 f; ders., Die Bank im Konkurs und Vergleich ihres Kunden, 3. Aufl. 1985, Rdn. 625 mit Hinweis auf §17 VglO und BGH, NJW 1958, 177; Olbers, aaO (Fn.6), S.85. 23 BGH WM 1985, 1437 (vgl. Fn. 12).
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entspricht dies der gesetzgeberischen Grundentscheidung in §§610 und 321 BGB, daß einem Vertragspartner bei drohenden eigenen Verlusten ein Festhalten an dem Vertragsverhältnis unzumutbar ist. Einem Kreditgeber drohen eigene Verluste vor allem dann, wenn der Rückerstattungsanspruch hinsichtlich der Darlehensvaluta (§ 607 Abs. 1 BGB) oder der Erhalt der Gegenleistung in Gestalt von Zinsen für die überlassene Kapitalnutzung (§608 BGB) gefährdet ist. Maßgebend sind objektive wirtschaftliche Gesichtspunkte und die Verkehrsanschauung 24 . Eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse setzt nicht eine Vermögensminderung voraus 25 , sondern kann schon dann vorliegen, wenn zum Beispiel der Kreditnehmer Außenstände nur erschwert flüssig machen kann26 oder wenn eine von anderer Seite in Aussicht gestellte Kreditgewährung unterbleibt 27 . Es genügt auch, wie in Nr. 13 Abs. 2 Satz 2 Buchst, b) AGB der Sparkassen mit „insbesondere" neben der eingetretenen oder angekündigten Zahlungseinstellung oder einem Wechselprotest erwähnt, daß eine Zwangsvollstreckung gegen den Kunden oder seine Firma eingeleitet wird, selbst wenn die Vornahme von Vollstrekkungshandlungen bereits bei Vertragsabschluß bestehende Verbindlichkeiten betrifft 28 . Eine „wesentliche Verschlechterung" der Vermögenslage des Kunden oder eine „erhebliche Vermögensgefährdung" bietet nur dann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung, wenn sie unmittelbar eine Gefährdung der Interessen des Kreditinstituts herbeiführt, also kausal wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die bestellten Sicherheiten nicht mehr ausreichen29. Für die Beurteilung, ob ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Kündigung vorlag, kommt es nicht darauf an, wie ein Sachverständiger zur Zeit des Rechtsstreits rückschauend die damalige Lage des Unternehmens und seine Zukunftsaussichten ohne Kreditkündigung beurteilt. Entscheidend ist vielmehr, wie die erheblichen Tatsachen sich im Zeitpunkt der Kündigung für die Beteiligten, insbesondere den Kreditgeber, bei pflichtgemäßer Prüfung darstellen30. 24 25 26 27 28
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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
BGH W M 1960, 576 und insbesondere BGH NJW 1964, 99, 100. BGH NJW 1964, 99, 100. RG, Warn. Rspr. 1908 Nr. 298. BGH NJW 1964, 99, 100. BGH NJW 1964, 99, 100. Kritisch Gaul, KTS 1989, 3, 24.
Graf von Westphalen, WM 1984, 2, 11; Canaris, aaO (Fn.9), Rdn. 1247. Vgl. z.B.
LG Düsseldorf W M 1982, 1164: Antrag des Kunden auf Eröffnung des Liquidationsvergleichsverfahrens; BGH W M 1988, 1223 = WuB I A Nr. 17 AGB-Banken 1.88 Sonnenhol: Ladung des Schuldners zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO, weil Zwangsvollstreckungsmaßnahmen mindestens teilweise ohne Erfolg geblieben oder ohne Aussicht auf Erfolg sind. 30 BGH W M 1988, 1233 (vgl. Fn.29); WM 1985, 1136 (vgl. Fn. 12); WM 1985, 1437 (vgl. Fn. 12).
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c) Mangelnde Stellung oder Verstärkung von Sicherheiten (Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 2 AGB der Banken = Nr. 13 Abs. 2 Satz 2 Buchst, d) AGB der Sparkassen) Ein wichtiger Grund zur Kündigung der Geschäftsverbindung ist nach N r . 17 Satz 2 Halbsatz 2 a.E. AGB der Banken ( = N r . 13 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe d) AGB der Sparkassen) auch dann gegeben, wenn der Kunde seiner Verpflichtung gemäß Nr. 19 Abs. 1 AGB der Banken ( = N r . 21 Abs. 4 Satz 1 AGB der Sparkassen) nicht nachkommt, aufgrund einer Aufforderung des Kreditinstituts innerhalb einer angemessenen Frist Sicherheiten zu bestellen oder zu verstärken. Der Anspruch des Kreditinstituts auf Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten nach den genannten AGB-Regelungen besteht unabhängig von einzelvertraglichen Vereinbarungen und ohne einen besonderen Anlaß, insbesondere ohne eine Verschlechterung der Vermögenslage des Kunden. Allerdings ist der Anspruch dadurch begrenzt, daß keine Übersicherung eintreten darf 31 . Wenn ein Kreditnehmer das Verlangen des Kreditinstituts, Sicherheiten zu verstärken, als berechtigt anerkennt, jedoch wahrheitsgemäß mitteilt, dazu nicht in der Lage zu sein, so kann die darauf ausgesprochene Kündigung der Geschäftsverbindung aus wichtigem Grund (Nr. 17 Satz 2 AGB der Banken) nicht als unberechtigt angesehen werden 32 . d) Änderungen bei einem persönlich haftenden Gesellschafter (Nr. 13 Abs. 2 Satz 2 Buchst, c) AGB der Sparkassen) Falls Partner der Geschäftsverbindung eine Gesellschaft mit einem persönlich haftenden Gesellschafter ist, ergeben die in N r . 13 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe c) AGB der Sparkassen ausdrücklich genannten Veränderungen einen wichtigen Grund zur Beendigung, weil hier die persönliche Haftung mit dem privaten Vermögen, jedenfalls wenn sie unbeschränkt ist, maßgeblich die Kreditgrundlage bildet. Fragen ließe sich hierzu nur, ob nach dieser Regelung ein wichtiger Grund auch dann vorliegt, wenn etwa die Vermögensverschlechterung oder ein Personenwechsel bei einem Kommanditisten eingetreten ist, der seine Einlage schon geleistet hat. Grundsätzlich ist auch der Kommanditist ein „persönlich haftender Gesellschafter", wenngleich in § 161 Abs. 1 H G B nur der Komplementär so bezeichnet wird. Man wird die Klausel wohl dahingehend auszulegen haben, daß die persönliche Haftung noch aktuell sein muß und betrags31
Vgl. BGH WM 1979, 1176; WM 1981, 150; OLG Celle/BGH WM 1984, 1175,
1178. 32 Vgl. OLG Celle WM 1989, 11 = WuB I A Nr. 19 AGB-Banken 4.89 Rehbein; K G / B G H WM 1989, 669, 675 = WuB I G 5 - 10.89 Bayer.
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mäßig so erheblich ist, daß die Sicherungsinteressen des Kreditinstituts bei einem Wegfall dieser Haftung beeinträchtigt werden. e) Schwerwiegende
Pflichtverletzungen
Wie bereits erwähnt, enthält Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 2 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 2 Satz 2 AGB der Sparkassen) nur Beispiele für das Vorliegen eines wichtigen Grunds, ohne eine abschließende Aufzählung zu bieten. Im Rahmen der allgemeinen Umschreibung des „wichtigen Grunds" (vgl. oben IV. 1.) kommen daher noch andere Tatbestände in Betracht. Anerkannt als „wichtiger Grund" ist deshalb auch eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Partners33. Eine schwerwiegende Pflichtverletzung auf seiten des Kunden kann vor allem darin liegen, daß im Rahmen der Geschäftsverbindung die ordnungsgemäße Rückführung eines Kredits zu den vereinbarten Fälligkeitszeitpunkten ausbleibt. Wenn der Kreditnehmer seiner Rückzahlungspflicht aus einem Darlehensverhältnis (§ 607 Abs. 1 BGB) ganz oder zu einem erheblichen Teil nicht nachkommt, kann diese Pflichtverletzung nach den jeweiligen Umständen das Vertrauen des Kreditinstituts in die Leistungsfähigkeit des Kunden derart untergraben, daß ein „wichtiger Grund" gegeben ist, der die einseitige Aufhebung der „Geschäftsverbindung im ganzen" rechtfertigt. Ebenso ist nach der Rechtsprechung 34 die nicht vereinbarte Uberziehung eingeräumter Kreditlinien als eine schwerwiegende Pflichtverletzung zu bewerten, die einen „wichtigen Grund" im Sinne von Nr. 17 Satz 2 AGB der Banken (=Nr. 13 Abs. 2 Satz 1 AGB der Sparkassen) ergibt. 2. Fehlerfreie Ausübung des Kündigungsrechts Wenn im konkreten Fall festgestellt worden ist, daß für das Kreditinstitut unter Berücksichtigung aller Umstände jedenfalls insgesamt ein „wichtiger Grund" gegeben ist, die Geschäftsverbindung zu dem Kunden zu beenden, kommt es noch darauf an, das Recht zur einseitigen Aufhebung im Sinne einer außerordentlichen fristlosen Kündigung rechtlich fehlerfrei auszuüben. a) Hierzu stellt sich die Frage, ob gegenüber dem Kunden vor einer berechtigten Kündigung wegen unzumutbarer Fortsetzung der 33 Vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 9), Rdn. 1248: „schwere Vertragsverletzungen"; BGH WM 1978, 234, 235 (vgl. Fn.17); Obermüller, ZIP 1980, 337, 343 f;
Olbers, aaO (Fn.6), S.91. 34 BGH WM 1978, 234, 235 (vgl. Fn.17; zustimmend Olbers, OLG Zweibrücken WM 1984, 1635, 1639 (vgl. Fn. 17).
aaO [Fn.6], S.91);
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Geschäftsverbindung eine Abmahnung ausgesprochen worden sein muß. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 35 ist das Kreditinstitut bei Vorliegen eines wichtigen Grunds im allgemeinen nicht verpflichtet, vor der Kündigung den Kunden abzumahnen oder zu warnen. Das kann auch nicht aus Treu und Glauben (§242 BGB) hergeleitet werden. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, wenn noch erwartet werden kann, daß der Kunde nach einer Abmahnung die Verstöße gegen seine Pflichten aufgeben und die entstandenen nachteiligen Folgen seines bisherigen Verhaltens beheben wird, kann eine solche Abmahnung im Sinne einer Warnung geboten sein36. Man kann auch sagen, daß unter diesen Umständen die Fortsetzung der Geschäftsverbindung f ü r das Kreditinstitut noch nicht unzumutbar
ist, so daß es an
einem „wichtigen Grund" fehlt. Ein Kunde muß vor Aufhebung einer Geschäftsverbindung ζ. B. dann abgemahnt werden, wenn infolge einer Ungenauigkeit der bisherigen Abreden oder eines stillschweigenden Entgegenkommens des Kreditinstituts Zweifel darüber möglich sind, ob das Kreditinstitut sein Verhalten überhaupt als vertragswidrig angesehen hat, insbesondere weil er annehmen konnte, das Kreditinstitut werde sein vertragswidriges Verhalten, etwa eine ungenehmigte Kontoüberziehung, weiterhin dulden 37 . b) Das Recht zur außerordentlichen Kündigung muß von dem Kreditinstitut durch eine Erklärung, die dem Kunden zugegangen ist, ausgeübt werden. Entgegen der nicht verallgemeinerungsfähigen Vorschrift in §626 Abs. 2 Satz 3 BGB für Dienstverhältnisse ist es nicht erforderlich, den „wichtigen Grund" zu benennen und zu erläutern 38 . Es genügt, wenn die Kündigung als fristlos bezeichnet wird und ζ. B. durch Bezugnahme auf Nr. 17 Satz 2 AGB der Banken (= Nr. 13 Abs. 2 AGB der Sparkassen) als Kündigung aus „wichtigem Grund" zu verstehen ist. Es empfiehlt sich, durch ausdrücklichen Hinweis die einseitige Aufhebung als „fristlose Kündigung des Gesamtengagements" zu bezeichnen und anschließend die einzelnen Kreditverhältnisse und sonstigen einzelnen Schuldverhältnisse aufzuführen, um klar zum Ausdruck zu bringen, daß Gegenstand der Kündigung die „Geschäftsverbindung im ganzen" ist. 35 Vgl. BGH WM 1978, 234, 236 (vgl. Fn.17); WM 1979, 1176, 1179; WM 1981, 150, 151.
36 Vgl. BGH WM 1978, 234, 236 (vgl. Fn.17); Schlenke, aaO (Fn. 14), S. 141; Olbers, aaO (Fn. 6), S. 91 f. 37 Vgl. BGH aaO (Fn. 36). Ist eine ausnahmsweise gebotene Abmahnung durch das Kreditinstitut unterlassen worden, so ist die dennoch ausgesprochene Kündigung als ein widersprüchliches Verhalten zu beurteilen, das eine Schadenersatzpflicht entsprechend §§627 Abs. 2, 671 Abs. 2 Satz 2 BGB nach sich ziehen kann. 38 Vgl. BGH WM 1979, 1176, 1178; WM 1986, 605, 609 (vgl. Fn.17); OLG Zweibrücken WM 1984, 1635, 1637/BGH WM 1985, 1493 (vgl. Fn. 17).
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V. Schranken einer außerordentlichen Kündigung der „Geschäftsverbindung im ganzen"? Auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung der „Geschäftsverbindung im ganzen" aus wichtigem Grund an sich vorliegen (vgl. oben IV.), so können einer solchen Kündigung aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall doch rechtliche Schranken gesetzt sein. Nach der Rechtsprechung39 hat nämlich das Kreditinstitut selbst bei unzumutbarer Fortsetzung insbesondere eines Kreditverhältnisses - also trotz Vorliegens eines wichtigen Grunds - auf etwaige schutzwürdige Belange des Kreditnehmers Rücksicht zu nehmen. Es geht also um Einschränkungen nach Treu und Glauben (§242 BGB). 1. Kündigung zur Unzeit oder ohne ernstlichen
Anlaß?
a) Das Gebot der Rücksichtnahme auf schutzwürdige Belange des Partners findet seinen Niederschlag unter anderem darin, daß das Recht zur ordentlichen fristlosen Kündigung - also ohne wichtigen Grund dahingehend eingeschränkt ist, daß eine „Kündigung zur Unzeit" zu einer Schadenersatzpflicht des Kündigenden führt (vgl. §§627 Abs. 2, 671 Abs. 2, 675 a. E., 723 Abs. 2 BGB). Eine rechtswidrige „Kündigung zur Unzeit" kann auch bei Kreditverhältnissen in Betracht kommen (in Gesamtanalogie zu den genannten Vorschriften). Diese Kündigungsschranke gilt freilich - bezogen auf die „Geschäftsverbindung im ganzen" - nur für die ordentliche fristlose Aufhebung gemäß Nr. 17 Satz 1 AGB der Banken (= Nr. 13 Abs. 1 AGB der Sparkassen). Der Tatbestand einer „Kündigung zur Unzeit" liegt vor, wenn die Kündigung - ohne wichtigen Grund — zu einem Zeitpunkt ausgesprochen wird, in dem der Partner keine Möglichkeit hat, sich mit seinen Dispositionen auf die Kündigung einzurichten. Dem Kunden eines Kreditinstituts soll durch das Verbot einer „Kündigung zur Unzeit" etwa eine angemessene Frist für die Beschaffung des für die Tilgung erforderlichen Kapitals oder für eine Umschuldung oder erfolgversprechende Sanierung verschafft werden. Ob bei einer außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund für das Verbot einer „Kündigung zur Unzeit" überhaupt Raum ist, ist zweifelhaft. Liegt nämlich ein „wichtiger Grund" vor, dann ist durch die hierfür erforderliche Abwägung der Interessen eine „unzeitige Kündigung" ohnehin schon verneint. Außerdem lassen die genannten Vorschriften, die sich - mit Ausnahme von §723 B G B - nur auf die
39
Vgl. B G H WM 1981, 150 = NJW 1981, 1363 = DB 1981, 523; O L G Düsseldorf
WM 1989, 1838 = WuB I E 1 - 3.90 Hopt; Rümker, KTS 1981, 493, 496.
Einseitige Aufhebung der Geschäftsverbindung aus wichtigem Grund
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ordentliche fristlose Kündigung beziehen, bei einem „wichtigen Grund" auch eine „Kündigung zur Unzeit" ohne die Rechtsfolge einer Schadenersatzpflicht zu40. Jedenfalls macht die Tatsache, daß eine Kündigung „zur Unzeit" ausgesprochen worden ist, sie bei gegebenem „wichtigen Grund" nicht unwirksam. b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs41 soll wohlgemerkt - wiederum die ordentliche Kündigung eines Kreditverhältnisses wegen des Gebots hinlänglicher Rücksichtnahme nicht „ohne ernstlichen Anlaß" ausgesprochen werden. Das ist zwar in einem Einzelfall auch auf eine außerordentliche Kündigung erstreckt worden42, weil der Kunde darauf vertrauen dürfe, daß das Kreditinstitut den Kredit nicht ohne besonderen Anlaß entzieht. Bei näherem Zusehen jedoch kann die Frage nach einem „ernstlichen Anlaß" für die außerordentliche Kündigung nur ein Bestandteil der gebotenen Interessenabwägung sein, die für die Beurteilung erforderlich ist, ob ein „wichtiger Grund" vorliegt, der eine Fortsetzung der Geschäftsverbindung für das Kreditinstitut unzumutbar macht. 2. Ausreichende
Sicherheiten?
Ist die außerordentliche fristlose Kündigung eines Kreditinstituts berechtigt, weil als „wichtiger Grund" eine wesentliche Verschlechterung oder erhebliche Gefährdung der Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers vorliegt (vgl. Nr. 17 Satz 2 Halbsatz 2 AGB der Banken = Nr. 13 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b) AGB der Sparkassen), so wird für diesen Fall die Auffassung vertreten43, daß ausreichende Sicherheiten die Kündigung hindern. Denn bei ausreichenden Sicherheiten fehle es an der unmittelbaren Ursächlichkeit der Vermögensverschlechterung oder Vermögensgefährdung für eine wesentliche Beeinträchtigung der Interessen des Kreditinstituts. In diesem Zusammenhang wird allerdings zutreffend darauf hingewiesen44, daß „ausreichende Sicherheiten" schon dann nicht mehr bestehen, wenn ihr Wertverfall und damit ein Nachteil für das Kreditinstitut zu erwarten oder schon absehbar ist (auch hinsichtlich künftiger Zinsen). Denn das Kreditinstitut sei nicht gehalten, eigene Verluste zu riskieren. Sicherlich mag es zutreffen, daß trotz einer wesentlichen Verschlech40
Vgl. Staudinger/Hopt!Mülbert,
aaO (Fn. 8), §609 Rdn.44; Olbers,
aaO (Fn.6),
S. 113. Vgl. BGH WM 1977, 834, 835; WM 1983, 1038; WM 1986, 605, 606 (vgl. Fn. 17). Vgl. BGH WM 1981, 150 (vgl. Fn.39). 43 Vgl. Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 120; den., Bankvertragsrecht, aaO (Fn.9), Rdn. 1247; siehe auch MünchKomm.///. P. Westermann, aaO (Fn. 16), §610 Rdn.20. 44 Vgl. Obermüller, ZIP 1980, 337, 343; ders., Die Bank im Konkurs ihres Kunden (Fn. 22), Rdn. 624. 41
42
200
Walther Hadding
terung oder einer erheblichen Gefährdung der Vermögensverhältnisse eines Kreditnehmers im konkreten Fall die bestellten Sicherheiten letztlich ausreichen können, um eigene Verluste des Kreditinstituts zu vermeiden. Dann müssen die Sicherheiten das gesamte Kreditrisiko abdekken und ohne Schwierigkeiten verwertbar sein. Zu bedenken bleibt freilich, daß dieses Ergebnis angesichts des meistens viel geringeren sogenannten Zerschlagungswerts der Sicherheiten in aller Regel durchaus ungewiß ist, zumal eine Inanspruchnahme und Verwertung von Sicherheiten nicht unerhebliche betriebswirtschaftliche Kosten mit sich bringt, deren Umfang selten voraussehbar ist. Hinzu kommt, daß die verlangte Bestellung von effektiv „ausreichenden Sicherheiten" das Kreditinstitut nur allzu leicht in die Nähe des Vorwurfs einer Ubersicherung bringen wird, die unter Umständen den rechtlichen Bestand der Sicherheiten nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit gefährdet. Schließlich ist auf folgendes hinzuweisen: Sieht das Kreditinstitut wegen Sicherheiten, die erwartungsgemäß für das Kreditinstitut selbst ausreichen, von einer Kündigung der Geschäftsverbindung ab und beläßt es dem Kunden die Kredite, so kann das Kreditinstitut sich unter Umständen gegenüber Dritten haftbar machen, etwa unter dem Aspekt einer Konkursverschleppung oder Gläubigergefährdung (§826 BGB) 45 . Aus den angestellten Erwägungen erscheint es im Ausgangspunkt jedenfalls fragwürdig, ob „ausreichende Sicherheiten" eine rechtliche Schranke für eine außerordentliche Kündigung ergeben, wenn ein „wichtiger Grund" diese rechtfertigt. Daher ist es auch überaus zweifelhaft, wenn das OLG München 46 in dem wiedergegebenen Fall die Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung des Kreditinstituts nur deshalb in Frage gestellt hat, weil zur Freigabe von Sicherheiten das Ermessen nicht hinreichend ausgeübt worden sein soll.
45 Ebenso Olbers, aaO (Fn.6), S. 114 f. « Vgl. Fn. 15.
Die Parteiautonomie in internationalen Kreditverträgen als Instrument der Vertragsgestaltung HEINRICH HARRIES
I. Der Grundsatz der freien Rechtswahl „ D e r Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht." Diesen jahrhundertealten und weltweit anerkannten Grundsatz des Gewohnheitsrechts hat der deutsche Gesetzgeber im Jahre 1986 in Art. 27 Abs. 1 Satz 1 E G B G B kodifiziert. Schon 1525 von Charles Dumoulin, gleichermaßen Advokat im Parlament von Paris und Professor in Tübingen, in Ansätzen entwickelt 1 , hat die Parteiautonomie sich weltweit als Gewohnheitsrecht durchgesetzt und schließlich auch in das kodifizierte Kollisionsrecht Eingang gefunden, von dem Art. 27 E G B G B und section 5-1401 des General Obligation L a w von N e w York 2 für deutsche Bankjuristen wohl die wichtigsten N o r m e n sind. Diese kollisionsrechtliche Parteiautonomie ist gewissermaßen der ins Internationale, in weltweite Dimensionen gerichtete Ausfluß unserer Vertragsfreiheit, also der Freiheit des Individuums, seine Lebensverhältnisse durch Vertrag eigenverantwortlich zu regeln. Sie ist über die Vertragsfreiheit auch eine Erscheinungsform unserer Privatautonomie, dieses überkommenen und durch alle Fährnisse totalitärer Systeme geretteten grundlegenden Prinzips unserer Rechtsordnung, das gleichfalls, aber höherrangig, in Art. 2 Abs. 1 unseres Grundgesetzes eine kodifizierte Verankerung gefunden hat 3 . So wie die Privatautonomie den Schranken verfassungsmäßiger O r d nung unterliegt, so ist auch die Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht nicht unbegrenzt. D i e Artikel 29 und 30 E G B G B sind die wichtigsten Anwendungsfälle, in denen der Gesetzgeber die Rechtswahl einschränkt, um Schwächere (Verbraucher oder Arbeitnehmer) zu schützen. 1 Gamillscheg, Der Einfluß Dumoulins auf die Entwicklung des Kollisionsrechts (Tübingen 1955), S. 110 ff, relativiert allerdings diese in der französischen Literatur vertretene Auffassung. 2 Dazu: Veit ins, RIW 1985, S . 1 2 f f . 3 BVerfG 8, 328.
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Heinrich Harries
Dennoch bleibt festzuhalten, daß die kollisionsrechtliche Parteiautonomie einen höheren Gehalt an Liberalität realisiert als die Vertragsfreiheit: Bei grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen können wir nicht nur innerhalb einer bestimmten Rechtsordnung in den Schranken des zwingenden Rechts unsere Vertragsbeziehungen frei gestalten, wir können darüber hinaus auch die Rechtsordnung frei wählen, uns also die Rechtsordnung mit dem im Einzelfall höchsten Grad der Vertragsfreiheit aussuchen. Unbestritten ist heute, daß die gewählte Rechtsordnung grundsätzlich keine objektive Beziehung oder Anknüpfung zum konkreten Vertragsverhältnis aufzuweisen braucht. Auch die Wahl eines dritten, eines sogenannten neutralen Rechts, wird also anerkannt 4 . Gleiches gilt für die Spaltung des Vertragsstatuts, also die Befugnis, die Rechtswahl auf einen Teil des Vertrags zu beschränken oder für verschiedene Teile eines Vertrages verschiedene Rechtsordnungen zu wählen (Art. 27 Abs. 1 Satz 3 EGBGB). Schließlich ist die Rechtswahl auch nach Abschluß des Vertrages noch möglich oder wandelbar (Art. 27 Abs. 2 Satz 1 EGBGB). Diese „Liberalität" gilt auch für den weiten Bereich der internationalen Kreditverträge, von dem Darlehen und der Anleihe herkömmlicher Art bis zu den vielfältigen Ausformungen grenzüberschreitender Kreditbeziehungen, die unsere Bankpraxis jüngst entwickelt hat und mit großer Kreativität weiter entwickelt. Nur bei der Finanzierung von Verbraucherverträgen im Sinne des Art. 29 Abs. 1 EGBGB hat der Kreditgeber darauf zu achten, daß seinem Kreditnehmer der Schutz nicht entzogen wird, der ihm durch zwingende Normen des Aufenthaltsstaates gewährt wird. Abgesehen von diesem Teilbereich sieht zumindest der deutsche Gesetzgeber vor allem für den wichtigen Bereich der internationalen Großkredite, die im Zentrum dieses Beitrags stehen sollen, keine Einschränkung der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie vor. Anders mögen es natürlich ausländische Gesetzgeber sehen. Südamerikanische Staaten haben mit ihren diversen gesetzlichen Ausgestaltungen der Calvo-Doktrin den international tätigen Bankjuristen schon vor Ausbruch der internationalen Schuldenkrise vielfältigen Arger bereitet 5 . Immerhin war und ist in den Rechtsordnungen, die das internationale Kreditgeschäft wirklich dominieren, allenfalls hin und wieder zu beach-
4
MünchKomm./Martiny, Art. 27 Rdn. 18 mit weiteren Hinweisen. Dazu Samtleben, Cláusulas de jurisdicción y legislación aplicable en los contratos de endeudamiento externo de los Estados latinoamericanos. In: Verfassung und Recht in Übersee 21 (1988), S. 305 ff. 5
Parteiautonomie in internationalen Kreditverträgen
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ten, ob die getroffene Rechtswahl einen sachgerechten (reasonable) Grund hat, was in der Praxis wohl kaum je zu verneinen sein wird 6 . Sachlich zu trennen sind die oben erwähnten Einschränkungen der Parteiautonomie von dem Anwendungsbereich des durch ausdrückliche Rechtswahl oder auf andere Weise (Art. 28 EGBGB) bestimmten Vertragsstatuts. Hier wird nicht die Rechtswahl als solche eingeschränkt oder ausgeschlossen, sondern der Anwendungsbereich des auf zulässige Weise gewählten Vertragsstatuts kollidiert gewissermaßen zwangsläufig mit den Anwendungsbereichen anderer Statuten oder Kollisionsnormen, z.B. mit der lex rei sitae bei dinglichen Kreditsicherheiten, mit dem Personalstatut bei der Kreditaufnahmefähigkeit (borrowing power) oder in der Insolvenz des Kreditnehmers. Es ist hier nicht der rechte Ort, den feinsinnigen Verästelungen der Qualifikationstheorien nachzugehen, die hier zum Teil recht kontroverse Lösungsansätze entwickelt haben7; der Vertragspraktiker muß diese Schnittstellen zwischen den verschiedenen anwendbaren oder möglicherweise anwendbaren Rechtsordnungen und die daraus resultierenden Risiken erkennen und entsprechende Vorkehrungen treffen. Zu diesen Vorkehrungen gehört nicht zuletzt, daß derartige Schnittstellen durch eine sachgemäße Rechtswahl häufig vermieden werden können, worauf im folgenden noch näher eingegangen wird. Als Fazit bleibt festzuhalten, daß die Kollisionsrechte der für das internationale Kreditgeschäft besonders wichtigen Rechtsordnungen die Parteiautonomie in einem für die Praxis durchaus ausreichenden Maße zulassen. Eine Rechtswahlklausel in einem internationalen Kreditvertrag vorzusehen und oft gegen erhebliche Widerstände auch durchzusetzen, gehört mittlerweile zur juristischen Alltagsroutine der Branche. Eine andere Frage ist, ob diese Rechtswahlklauseln auch immer sachgerecht sind. II. Die Rechtswahl als Instrument der Vertragsgestaltung Die Rechtswahlklausel ist eine von vielen (im common law vielleicht zu vielen!) Bestimmungen eines internationalen Kreditvertrages. Wie diese anderen Bestimmungen hat sie dem Vertragszweck und den Interessen der vertragsschließenden Parteien möglichst optimal zu dienen. Dies muß Richtschnur bei der Vertragsgestaltung sein. In Anlehnung an 6 Philip Wood, Law and Practice of International Finance (London 1980), sect. 1.4 (2); für das deutsche Recht vor allem auch Sandrock, Handbuch der Internationalen Vertragsgestaltung, Bd. 1 (Heidelberg 1980), Abschnitt A , Rdn. 1 1 5 - 1 1 9 . 7 Neuhaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts (Tübingen 1976), S. 113 ff.
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E. Rehbinderder als einer von wenigen das brachliegende Feld der Vertragsgestaltung im deutschen Recht endlich einmal bearbeitet hat, sei zwischen zwei Aspekten der Vertragsgestaltung, der Erfüllungsplanung und der Risikoplanung, unterschieden: Die Erfüllungsplanung dient der Verwirklichung der Sachziele, die von den Parteien gewollt werden. Dazu gehört eine möglichst eindeutige Bestimmung von Leistung und Gegenleistung, beim Kreditvertrag also aller Auszahlungs- und Rückzahlungsbedingungen der Kreditvaluta und der übrigen finanziellen Verpflichtungen (Zahlung von Zinsen, Provisionen, Kosten usw.). Eine gute Erfüllungsplanung ist schon der Anfang einer guten Risikoplanung. Ein präziser, eindeutiger Vertrag ist das erste und beste Mittel zur Vermeidung späterer Konflikte zwischen den Vertragspartnern. Zu Recht betont Rehbinder, daß eine scharfe Unterscheidung beider Bereiche nicht möglich ist. Dieses gilt auch für internationale Kreditverträge. Auszahlungsvoraussetzungen wie die Abgabe von Rechtsgutachten bestimmen die Verpflichtung zur Auszahlung, sie beschränken aber auch das Kreditrisiko 9 . Die Notwendigkeit der Risikoplanung bedarf gerade im Kreditgeschäft keiner Begründung. Es geht darum, Störungen bei der Erfüllung zu vermeiden und, falls sie doch eintreten, Schäden auszuschließen oder zu reduzieren. Kreditsicherheiten aller Art, Kündigungsrechte, Informationsrechte, Auflagen (financial covenants), Gerichtsstandsvereinbarungen, Vereinbarungen zwischen Kreditgebern (z. B. sharing clauses) sind Beispiele dieser Risikoplanung. Die Rechtswahlklausel dient sowohl der Erfüllungs- wie der Risikoplanung. Sie zwingt zur Kontrolle, ob die sonstigen Vertragsbestimmungen mit zwingenden Normen des gewählten Rechts vereinbar sind. Wird das Zinseszinsverbot des §248 BGB im Vertrag respektiert? Sind die Vertragsbestimmungen über Ausschluß oder Einschränkung der vorzeitigen Rückzahlung mit §609 a BGB vereinbar? Nur wenn das gewählte Recht den gewollten rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolg nicht durch zwingende Normen verhindert, hat die Erfüllungsplanung ihren Zweck erfüllt. Daher ist es leichtfertig, einem nach dem Recht von A ausgearbeiteten Vertrag in den Vertragsverhandlungen das Recht von Β „aufzupfropfen", ohne die übrigen Vertragsbestimmungen darauf zu überprüfen, ob nicht das Recht von Β ihre Anpassung an zwingende Normen dieses neu gewählten Rechts erfordert! Die Rechtswahlklausel ist Risikoplanung oder Störungsschutz, denn sie ist die zusätzliche, vertragsergänzende Entscheidungsgrundlage bei E. Rehbinder, Vertragsgestaltung (Frankfurt am Main 1982), S. 12 ff. Dazu Harries: Die Rechtsscheinhaftung für fehlerhafte Rechtsgutachten bei internationalen Verträgen (Festschrift für Konrad Zweigert, Tübingen 1981), S. 451 ff. 8 9
Parteiautonomie in internationalen Kreditverträgen
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Störungen und Streitigkeiten. Daher ist für die Rechtswahl wesentlich, mit wem Streitigkeiten möglich sind und wer sie wo zu entscheiden hat. III. Grundsätze für eine sachgerechte Rechtswahl Nachdem in den vorstehenden Ausführungen der Nachweis erbracht wurde, daß die Rechtswahlklausel in internationalen Verträgen ein Element (unter vielen) der Vertragsgestaltung ist, soll im folgenden versucht werden, Grundsätze zu entwickeln, wie dieses Instrument bei der Erfüllungs- und Risikoplanung möglichst optimal eingesetzt werden kann. 1. Der Rückgriff auf das Recht des
Kreditgebers
„Cuius regio, eius religio - cuius pecunia, eius lex!" Die Vereinbarung des eigenen Rechts ist für die kreditgebende Bank oder den Führer eines Bankenkonsortiums die schnellste und kostengünstigste Lösung. Sie gibt vor allem durch den Rückgriff auf bewährte Vertragsmuster, auf etablierte Praktiken der hauseigenen Rechtsabteilung die Sicherheit, daß man sich auf einem gut explorierten Terrain bewegt, dessen etwaige Hindernisse wohlbekannt sind. Und natürlich vermindert eine gut abgesicherte Rechtsposition die Risikolage der kreditgebenden Bank. In der Praxis ist daher die Vereinbarung der Rechtsordnung des Kreditgebers seit jeder der Regelfall, und diese Praxis soll auch hier im Prinzip nicht kritisiert werden. Nur kann man im internationalen Wettbewerb auch nicht übersehen, daß diesen Vorteilen für den Kreditgeber auf Seiten des Kreditnehmers entsprechende Nachteile gegenüberstehen. Er muß sich oft kostspieligen Rat in einer fremden Rechtsordnung holen und Risiken eingehen, die er oft noch schlechter übersehen kann als sein im internationalen Kreditgeschäft meistens sehr viel versierterer Kreditgeber, der im ausländischen Recht sich durch eine ihm langjährig vertraute und qualifizierte Anwaltsfirma beraten läßt. Mit ersten nordamerikanischen Adressen wird man nur ins Geschäft kommen, wenn man das ihnen vertraute dortige Recht akzeptiert. Ahnliches gilt im Konsortialgeschäft mit internationalen Partnern, die auch nicht ohne weiteres bereit sind, ein kontinentaleuropäisches Recht des Konsortialführers zu akzeptieren. Hier wird auch eine Rolle spielen, daß kontinentaleuropäische Rechtsordnungen in der Tat unseren Kollegen aus den common lawLändern wie gefährliche Minenfelder vorkommen müssen, wenn man ihnen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5.Juli 1990 zur Bürgschaft auf erstes Anfordern 10 erläutert. Auch die mühselige Ent10
WM 1990, S. 1410.
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wicklung der abstrakten Zahlungsgarantie im französischen Recht ist ein weiteres Beispiel11. Vermutlich verhindert die wirklichkeits- und wirtschaftsnähere Ausbildung und Auswahl der Richter in common lawLändern dort derartige Verwerfungen und Fehlentwicklungen. Gewarnt werden muß auch vor jedem Rechtschauvinismus. Das eigene Recht ist weder objektiv noch subjektiv immer das beste Recht. §247 BGB alter Fassung und die gerade erwähnte Entscheidung des BGH vom 5. Juli 1990 illustrieren das hinlänglich. Und ein Heimvorteil ist nur so lange ein Heimvorteil, wie auf eigenem Platz gespielt wird. Erzwingen die Umstände, wie z.B. die Belegenheit des Schuldnervermögens, einen Rechtsstreit vor einem ausländischen Gericht oder die Teilnahme an einem ausländischen Insolvenzverfahren, dann hat man sich mit der Vereinbarung des heimischen Rechts keinen Gefallen getan. Der gute alte Grundsatz „cuius pecunia, eius lex" hat gewiß noch einigen Wert behalten. In einer internationalen Finanzlandschaft, die zunehmend im Wettbewerb, aber auch in Kooperationen zwischen Kreditinstituten verschiedener Länder, kosmopolitischer wird, in der Handelnde und Entscheidende sich zunehmend international orientieren müssen, in der auch Dienstleistungen wie Rechtsberatung und Kommunikation globaler werden, entwickelt sich eine „Finanzökumene", in der „cuius pecunia, eius lex" genau so antiquiert wirkt wie „cuius regio, eius religio" in der Konfessionslandschaft unseres heutigen Deutschland. 2. Die Voraussetzungen für die Vereinbarung eines ausländischen Rechts Nicht jedes ausländische Recht ist für eine Rechtswahl geeignet. Zu Recht wird ein adäquater Entwicklungsstand des ausgewählten Rechts gefordert 12 . Dazu gehören: a) Eine gesicherte Rechtskultur Die Rechtsentwicklung muß gerade bei längerfristigen Verträgen Aussicht dafür bieten, daß sie berechenbar und vertrauenswürdig bleibt. Eine politische und legislative Stabilität, richterliche Unabhängigkeit, aber auch Einsichtsfähigkeit für die Entwicklungen, Bedürfnisse und Interessen komplexer internationaler Wirtschaftsbeziehungen, eine bei 11 Dazu: Riggs, Guarantees on first demand in France (International Financial Law Review, Dec. 1986, S. 11 ff); Célestine, Die Garantie auf erstes Anfordern in der französischen Gerichtspraxis (RIW 1989, S. 81 ff). 12 Bosch, in: Internationales Bankgeschäft (hrsg. v. Kümmel), Berlin 1985, S. 123; Ph. Wood (Fn.6), sect. 1.3 (2).
Parteiautonomie in internationalen Kreditverträgen
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aller Stabilität adäquate und moderne Rechtsfortbildung in Rechtsprechung, Gesetzgebung, Wissenschaft und Kautelarpraxis sind die wichtigsten Merkmale einer gesicherten Rechtskultur. Ausgeschlossen sein muß vor allem das Risiko legislativer Manipulationen zum Vorteil eines Vertragspartners, gerade wenn es sich um einen sovereign borrower handelt. Die lateinamerikanischen Staaten, die ja nicht erst seit 1982 von vehementen Schuldenkrisen heimgesucht werden, haben nicht ohne Hintergedanken schon im 19. Jahrhundert die Calvo-Doktrin in ihre Gesetze, ζ. T. sogar in ihre Verfassungen aufgenommen13. Doch auch bei nicht-öffentlichen Kreditnehmern sind „unseriöse" Gesetzgeber nicht vor legislativen Manipulationen zurückgeschreckt14. b) Die spezielle Eignung für das konkret geplante
Finanzierungsgeschäft
Gerade bei neueren Finanzierungsinstrumenten empfehlen sich Rechtsordnungen, auf deren Boden diese Instrumente entwickelt und möglichst auch in der Rechtsprechung getestet oder durch Gesetzgebung abgesichert wurden. Doch selbst bei eingeführten Vertragstypen wie der abstrakten Zahlungsgarantie oder der Bürgschaft auf erstes Anfordern gibt es vor allem auf dem europäischen Kontinent bedrohliche und angesichts einer durchaus existenten Rechtskultur eigentlich unerklärliche Defizite. Hier mögen New York und London bei Finanzierungsformen einen ähnlichen „Technologievorsprung" haben wie Japan in der Mikroelektronik! c) Die Vertrautheit
mit dem fremden
Recht
Die zunehmende Internationalisierung im Kreditgeschäft führt auch zu einer zunehmenden Vertrautheit mit dem ausländischen Kredit- und Kreditsicherungsrecht, mag es in der Ausbildung und Fortbildung unserer Juristen auch noch einigen Nachholbedarf geben. Diese Vertrautheit erleichtert den Dialog mit den Juristen fremder Rechtskreise, sie sollte jedoch diesen Dialog nicht ersetzen. In der Regel muß daher die Wahl fremden Rechts mit der Wahl fremden Rechtsrats gekoppelt werden. Die Qualität ausländischer Rechtsberatung ist somit ein weiteres Auswahlkriterium bei der Rechtswahl. Expertise auf dem jeweiligen Fachgebiet, Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft müssen einen adäquaten Gegenwert zu den oft nicht unerheblichen Kosten bilden. Die international tätigen Anwaltsfirmen haben in den letzten Jahren Qualität S. oben Fn. 5. Beispiele bei Ph. Wood (Fn. 6), sect. 1.3 (4) und 4.11; ausführlich auch Bosch (Fn. 12), S. 124 ff. 13 14
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und Quantität ihrer Dienstleistungen beachtlich ausgebaut; ihren ausländischen Auftraggebern bleibt aber die Aufgabe, dieses Potential möglichst effizient und kostengünstig zu steuern. 3. Motive für die Vereinbarung ausländischen a) Der Mythos vom „neutralen"
Rechts
Recht
So unsinnig wie ein blinder Rechtschauvinismus (s. Abschnitt I U I . ) ist die unüberprüfte Vereinbarung eines „neutralen" Rechts15. Nur weil die Schweiz und Schweden sich klugerweise aus den Kriegshändeln der letzten Jahrzehnte herausgehalten haben, ist ihre Rechtsordnung nicht a priori und in jedem Einzelfall für jeden Vertragspartner wirklich neutral. Es hat noch niemand einen plausiblen Nachweis geführt, daß man von militärischer und politischer Neutralität auch auf juristische Neutralität schließen kann. Nach welchen Kriterien will man überhaupt die „Neutralität" einer Rechtsordnung feststellen? Dabei soll natürlich nicht bestritten werden, daß die Schweiz, Schweden und Osterreich durchaus neben einer gesicherten Rechtskultur auch qualifizierte Rechtsberatung bieten, also sehr wohl grundsätzlich die Voraussetzungen für eine seriöse Rechtswahl erfüllen, wobei für uns Deutsche noch in der Schweiz und in Osterreich über die gleiche Sprache und die ähnliche Rechtskultur ein leichter Zugang ermöglicht wird. Grob fahrlässig ist es nur, zum Abschluß der Verhandlungen ein angeblich „neutrales" Recht einem Vertrag „aufzupfropfen", dessen sonstige Bestimmungen sorgfältig auf der Grundlage einer anderen, unter Umständen recht verschiedenen Rechtsordnung ausgearbeitet und ausgehandelt wurden, ohne daß anschließend der gesamte Vertrag von einem qualifizierten Juristen der nunmehr bestimmten Rechtsordnung überprüft und u. U. neu ausgearbeitet und verhandelt wird. b) Der favor legis fori - Ort der
Streitentscheidung
Rechtswahl als Risikoplanung bei der Vertragsgestaltung erfordert, sie so zu treffen, daß sie bei Eintritt von Risiken, und das ist bei Krediten natürlich vor allem die Insolvenz des Kreditnehmers, die Rechte des Kreditgebers optimal klarstellt und absichert. Eine eindeutige Präferenz spricht daher dafür, zumindest bei konkursfähigen Kreditnehmern die lex fori des voraussichtlichen Konkurs- oder Insolvenzgerichts zu vereinbaren16. Dieses Recht dürfte im Regelfall auch die lex fori des Vollstreckungsgerichts bei Einzelvollstreckungen sein. Einen Kredit an 15 16
Sandrock (Fn.6), Bd. 1 Abschnitt A, Rdn. 28-33. So auch Ph. Wood (Fn.6), sect. 1.3 (3).
Parteiautonomie in internationalen Kreditverträgen
209
eine amerikanische Gesellschaft ζ. B., die überwiegend in den USA ihre Vermögenswerte und geschäftlichen Aktivitäten unterhält, sollte auch ein deutscher Kreditgeber stets einem amerikanischen (ζ. B. New Yorker) Recht unterstellen. Nur dann ist seine Rechtsstellung gegenüber allen Beteiligten in einem Insolvenzverfahren nach Chapter 7 oder 11 des US Bankruptcy Code hinreichend präzise vorauszuplanen. Der Nachweis ausländischen Rechts und die unter Umständen mangelhafte Auslegung ausländischen Rechts durch Gericht und Verfahrensbeteiligte birgt Kosten und Risiken, die erheblich höher sind als diejenigen, die bei einer Vereinbarung der lex fori ab initio entstehen. Ein Vertrag soll eine Rechtsposition gegenüber denjenigen sichern, die sie angreifen könnten. Das können neben dem Vertragspartner selber, seinen (sonstigen) Insolvenzgläubigern auch Rechtsnachfolger (ζ. B. bei Fusionen), Sicherheitentreuhänder oder Zessionare sein. Dieser Schutz ist um so sicherer, je verständlicher Sprache und Rechtssprache für diese Gegenspieler sind. c) Vermeidung von Nahtstellen Dingliche Sicherheiten sind zwingend nach der lex rei sitae zu bestellen und zu verwerten. Daneben erfordern sie stets zusätzliche vertragliche Sicherungsabreden, z. B. hinsichtlich der Versicherung des Pfandgutes, die sich mit Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag überschneiden, aber auch damit kollidieren können. Eine einheitliche Lösung „aus einem Guß", die Naht- oder Bruchstellen vermeidet, erhält man, wenn man auch den eigentlichen Kreditvertrag der lex rei sitae unterstellt. Werden die dinglichen Sicherheiten durch einen lokalen Sicherheitentreuhänder über einen Sicherheitenpool auch für andere Gläubiger verwaltet, so erscheint die Wahl der lex rei sitae geradezu als zwangsläufig. Ahnliche Naht- oder Bruchstellen ergeben sich bei der Koppelung von Kreditverträgen an sonstige Verträge (Kauf, Miete, Leasing, Bauleistungen), mit denen sie eine wirtschaftliche Einheit bilden. Auch hier ist die Prüfung angezeigt, ob die wirtschaftliche Einheit auch ein einheitliches Vertragsstatut zweckmäßiger erscheinen läßt als die Wahl unterschiedlicher Rechtsordnungen. d) Gleichbehandlung der Gläubiger Umschuldungsvereinbarungen und außergerichtliche Vergleiche erfordern regelmäßig die Gleichbehandlung der Gläubiger. Diese läßt sich nur dann zuverlässig absichern, wenn die neugeordneten Ansprüche aller Gläubiger auch derselben Rechtsordnung unterstellt werden. Bei internationalen Projektfinanzierungen (non-recourse-Finanzierungen) bilden die Kreditgeber eine so enge, gesellschaftsähnliche Ge-
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Heinrich Harries
fahrengemeinschaft, daß die zwangsläufig gemeinsamen Rechte gegenüber dem gemeinsamen Kreditnehmer, aber auch das Rechtsverhältnis zwischen den Kreditgebern (intercreditor relations) einer einheitlichen Rechtsordnung möglichst unterworfen werden sollten17. IV. Zusammenfassung Die Rechtswahl ist keine Angelegenheit nationalen Prestiges, sondern ein wichtiges Instrument einer optimalen Vertragsgestaltung, deren Ziele wiederum eine präzise Erfüllungsplanung und eine möglichst umfassende Risikovorsorge sind. Nicht immer ist das Recht des Kreditgebers die beste Wahl. Das Recht des Insolvenzverfahrens oder der Streitentscheidung, die lex rei sitae des Pfandgutes oder wesentlicher Vermögenswerte des Schuldners, Gleichbehandlung oder Vermeidung von Nahtstellen können für andere Rechtsordnungen sprechen. Voraussetzung ist jedoch, daß die gewählte Rechtsordnung eine gesicherte Rechtskultur, eine spezielle Eignung für das konkret geplante Geschäft und eine qualifizierte Rechtsberatung bietet.
17 Harries, The contract law of project financing, S. 352 und 358 in: The law of international trade finance, edited by Norbert Horn. Deventer/Boston 1989.
Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland THORWALD HELLNER
In seinem langjährigen Wirken hat Heinsius die Lösung vieler bankrechtlicher Fragen maßgeblich beeinflußt. Sein besonderes Interesse galt den Rechtsfragen des Wertpapiergeschäftes und hierbei der Entwicklung des Auslandsgeschäfts in Wertpapieren, der er richtungsweisende Impulse gegeben hat. Dabei hat er stets besonderen Wert auf eine sachgerechte Ausgestaltung der Regelungen gelegt, damit sie sowohl den Belangen der Kunden - ζ. B. hinsichtlich der Wahrung der Eigentumsrechte und Fragen des Geheimhaltungsschutzes - als auch den Bedürfnissen der Praxis Rechnung trugen. Vorbemerkung Jede Bestandsaufnahme über die aktuelle Situation des Wertpapiergeschäftes und alle Diskussionen über die künftigen Entwicklungen des Wertpapierhandels werden beherrscht von den Begriffen „Internationalisierung", „Globalisierung" und „Handel rund um die Uhr". Diese Stichworte belegen eindrucksvoll den harten Konkurrenzkampf, der weltweit zwischen den Geldinstituten einerseits und den internationalen Finanzplätzen andererseits um das anlagewillige Kapital ausgetragen wird. Es gilt, dieses Kapital, das in immer größeren Volumina freien Anlagezwecken zur Verfügung steht, an sich zu binden, ihm interessante, sichere sowie ertragreiche Anlageformen zu bieten und einen optimalen, möglichst kostengünstigen Service zu offerieren. Die Variationsbreite der Kapitalmärkte, ihre Risiken und Gewinnpotentiale sind dabei weltweit auszuloten und in Anlagestrategien einzubinden. Hieraus erwächst ein hohes kostenintensives Anforderungsprofil für das Wertpapiergeschäft der Zukunft. Anlagegelder fallen dabei keineswegs nur bei institutionellen Anlegern, bei den traditionellen Kapitalsammeisteilen oder in Staaten an, die von weltwirtschaftlichen Entwicklungen - wie ζ. B. von der Ölkrise profitieren. In den wirtschaftlich prosperierenden Volkswirtschaften
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steigt gleichzeitig der private Wohlstand. Zu Recht wird seit vielen Jahren darauf hingewiesen, daß sich ζ. B. die deutsche Gesellschaft auf dem bestem Wege befindet, ein „Volk von Erben" zu werden. In diesem Prozeß, in dem das Geldvermögen der Haushalte in der Bundesrepublik Ende 1989 mit 2,8 Billionen DM einen neuen Höchstwert erreicht hatte und bis zum Anfang des nächsten Jahrtausends allein in Deutschland ca. 1,7 Billionen D M von einer Generation auf die nächste übergehen, werden in immer größerem Maße Anlagegelder frei, die sich nicht mehr mit den hergebrachten Anlagemethoden zufriedengeben. Sie werden nicht benötigt, um Sachwerte - wie Wohngrundstücke oder Wohneigentum - zu erwerben, sie werden sich auch nicht mehr auf die traditionellen Sparformen beschränken, sondern neue aufwendigere, aber auch höheren Gewinn versprechende Anlageformen suchen. Es gilt, diese Gelder dem Investivkapital zu erschließen und sie in erster Linie für den Aktienerwerb zu gewinnen. Die wirtschaftlich technischen Herausforderungen der Zukunft etwa im Umweltbereich werden sich zudem nur dann meistern lassen, wenn hierfür hinreichend Investivkapital auch vom privaten Anleger zur Verfügung gestellt wird. Darüber hinaus aber wird die breite internationale Streuung der Anlagegelder zum zentralen Aufgabenfeld der Kreditwirtschaft werden. Schon bislang kommt dem Auslandsgeschäft in Wertpapieren eine herausragende Bedeutung zu; wenn man gleichwohl in den Diskussionen über das Wertpapiergeschäft von einem Zwang zur „Internationalisierung" spricht, so zeigt sich hierin bereits, daß das Auslandsgeschäft in Wertpapieren vermutlich erst am Beginn, und nicht am Ende einer Entwicklung steht. Der Handel wird dabei, wie auch in der Vergangenheit, den Vorreiter spielen. Er bedient sich schnell der neuen Kommunikationstechnologien; er greift auf die Wertpapierinformationssysteme zurück, die die Kommunikationsindustrien in immer größerer Leistungsdichte anbieten. Die international operierenden Wertpapierhandelshäuser schaffen sich so Brücken, um die Differenzen zwischen den Zeitzonen abzugleichen und um ständig im Markt zu sein. O b sich diese Entwicklung auf Dauer verfestigen wird oder ob wieder eine Konzentration auf die Märkte in den jeweiligen Zeitzonen stattfindet, mag dahingestellt bleiben. Wichtig erscheint jedoch folgende Feststellung: Der Handel bedarf, um letztlich erfolgreich zu wirken, einer effizienten, kostengünstigen, sicheren und schnellen Abwicklung. Nur dort, wo das „back office" funktioniert, wird sich auf Dauer auch ein solider ertragbringender Handel etablieren. Von daher kann man den Gedanken nahezu umkehren: Der Handel folgt letztlich der Abwicklung. Der Platz oder das System, das die besten Dienstleistungen bei gleichzeitiger Kostenführerschaft erbringt, kann sicher sein, seinen Anteil am internationalen Wertpapiergeschäft zu halten und auszubauen.
Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland
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Die deutsche Kreditwirtschaft hat die Bedeutung des Erwerbs ausländischer Titel im Rahmen einer sinnvollen Vermögensanlage frühzeitig erkannt und schon in den 60er Jahren die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen, den Erwerb, die Aufbewahrung und die Verwaltung von Wertpapieren im Ausland für Kunden auf einer rechtlich tragfähigen Grundlage durchführen zu können, wobei gleichzeitig ein Höchstmaß an Sicherheit, Effizienz und Kostengünstigkeit angestrebt wurde. Die Maßnahmen führten bereits 1960 zur Einführung der „Sonderbedingungen für Auslandsgeschäfte in Wertpapieren". Der Befund über die Situation im Wertpapiergeschäft allgemein und die Prognose, daß das Auslandsgeschäft in seiner Bedeutung auch weiterhin zunehmen wird, geben Anlaß dazu, eine Bestandsaufnahme über die Entwicklung der Rechtsgrundlagen im Auslandswertpapiergeschäft vorzunehmen und sie daraufhin zu überprüfen, ob sie den künftigen Herausforderungen gewachsen sein werden. Denn die Abwicklung dieser entscheidende Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Handelssystemen und Handelsplätzen - hängt in ihrer Ausgestaltung entscheidend von dem rechtlichen Umfeld ab. Der Handel sieht sich vom Ansatz her nämlich ohne weiteres in der Lage, sich auf Usancen bei grenzüberschreitenden Geschäften zu einigen. Die Anschaffung und die Verwaltung von verbrieften Rechten muß dagegen auf das jeweilige nationale Rechtssystem Rücksicht nehmen und gewährleisten, daß innerhalb dieses Systems der ordnungsgemäße Eigentumserwerb ebenso gewährleistet ist wie die Wahrnehmung der mit den Wertpapieren verbundenen Rechte. Hieraus ergeben sich zahlreiche Probleme, die von Land zu Land je nach Rechtstradition und Rechtsentwicklung sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können. Das bisher von den deutschen Kreditinstituten praktizierte System bei der Anschaffung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland kann - insofern soll der nachfolgenden Untersuchung vorgegriffen werden - als durchaus erfolgreich bewertet werden; denn es gestattet eine flexible Abwicklung unter Beachtung nationaler Rechtsvorschriften. Es stößt aber andererseits dort an gewisse Grenzen, wo nicht nur der Handel internationalisiert wird, sondern auch das Verwahrgeschäft sich in internationalen Dimensionen abspielt. Dieser Beitrag hat daher die Aufgabe, die rechtlichen und praktischen Besonderheiten bei der Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland darzustellen und zu erläutern; er geht vor dem Hintergrund der einschlägigen gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen auf die Besonderheiten des zwischen dem Kunden und seiner Depotbank vereinbarten Treuhandverhältnisses und dessen Gewährleistung im Ausland ein und zeigt die Problemfelder auf, die sich aus den sehr engen Vorgaben des deutschen Rechts in Teilbereichen ergeben.
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I. Rechtsgrundlagen für die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland 1. Gesetzliche a) Aussetzung der
Regelungen
Eigentumsverschaffungspflicbt
Angesichts der großen und ständig zunehmenden Bedeutung, die das auslandsbezogene Wertpapiergeschäft in den letzten Jahren erfahren hat, verwundert es, daß das Depotgesetz vom 4. Februar 1937, das die Anschaffung und Verwahrung von Wertpapieren als Spezialgesetz regelt, den Erwerb und die Aufbewahrung von Wertpapieren im Ausland unverändert nur in einer einzigen Vorschrift, nämlich in §22 DepotG, erwähnt. Diese Bestimmung enthält zudem keine grundlegende systematische Normierung für die Anschaffung und Aufbewahrung von Wertpapieren im Ausland, die eine umfassende Grundlage für eine Regelung dieses wirtschaftlich bedeutsamen, komplexen Lebenssachverhaltes bieten könnte. Vielmehr findet sich in § 22 DepotG lediglich eine Einzelfallregelung im Hinblick auf die Eigentumsverschaffung an ausländischen Wertpapieren durch Ubersendung eines Stückeverzeichnisses. Diese rudimentäre Kodifizierung des Auslandsgeschäfts in Wertpapieren, mit der sich der deutsche Gesetzgeber sinnvoller- und erfreulicherweise begnügt hat, läßt sich darauf zurückführen, daß sich die Anschaffung und Aufbewahrung von Wertpapieren im Ausland in aller Regel nicht nach deutschem Recht vollzieht. Die Maßgeblichkeit ausländischer Rechtsordnungen hindert den deutschen Gesetzgeber, die Rechtsbeziehungen zwischen den im Auslandsgeschäft in Wertpapieren Beteiligten abschließend rechtsverbindlich zu regeln. So ist es dem deutschen Gesetzgeber verwehrt, den Eigentumsübergang an im Ausland ruhenden Wertpapieren zu regeln oder Pflichten für ausländische Aufbewahrer zu normieren 1 . Wenngleich § 22 DepotG keine systematische Regelung des Auslandsgeschäfts in Wertpapieren enthält, so lassen sich dieser Vorschrift doch zwei wichtige Prinzipien entnehmen, die die rechtliche Ausgestaltung bei der Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland maßgeblich prägen: §22 Abs. 1 Satz 1 DepotG macht die Pflicht des Kommissionärs zur Ubersendung des Stückeverzeichnisses und damit zur Verschaffung des Eigentums abhängig von einer entsprechenden Anforderung durch den Kunden, den Kommittenten. Diese Regelung 1 Räbel, Aktuelle Fragen des Depotrechts im Auslandsgeschäft, ZKW 1968, 816; Heinsius/Horn/Than, Kommentar zum Depotgesetz, §22 DepotG, Rdn. 1; Schröder, Depotecht und Auslandsgeschäft, Bank-Arch. 1937/1938, S. 719.
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verdeutlicht, daß die Eigentumsverschaffung durch die Bank, den Kommissionär, die beim Erwerb von Wertpapieren im Inland grundsätzlich unverzüglich zu erfolgen hat (§18 Abs. 1 Satz 1 DepotG), beim Erwerb von Wertpapieren im Ausland nur in den Fällen erforderlich ist, in denen
der Kommittent
dies ausdrücklich wünscht. Damit wird das für den
Erwerb inländischer Papiere geltende Regelprinzip der umgehenden Verschaffung von (Mit-)Eigentum durch die Abbedingung der §§18 bis 21, 24 DepotG2 aufgehoben. Der Eigentumserwerb des Kunden bei den im Ausland angeschafften Wertpapieren wird damit zum Ausnahmetatbestand, der den Grundgedanken erkennen läßt, daß der Kunde beim Erwerb von Wertpapieren im Ausland in aller Regel kein Eigentum im Sinne des deutschen Sachenrechts an den im Ausland verwahrten Stükken erlangen soll3. Dieses Prinzip, das das Wertpapiergeschäft im Ausland bislang prägt, trägt den gegenüber dem Inlandsgeschäft abweichenden Interessen sowohl des Anlegers als auch seiner inländischen Depotbank Rechnung. Der an ausländischen Märkten operierende Anleger wird in erster Linie daran interessiert sein, die erworbenen Wertpapiere im Ausland zu handeln, um an der Ertragskraft von Unternehmen zu partizipieren oder Kurs-, Zins- und Währungsschwankungen gewinnbringend zu nutzen. Der unmittelbare Eigentumserwerb verliert dabei an Interesse und Bedeutung, soweit ausreichende Schutzmechanismen vorhanden sind, die eine Quasi-Eigentümer-Position gewährleisten. Auch die gesellschaftsrechtliche Beziehung zu den ausländischen Unternehmen, an denen ein inländischer Anleger Anteile erwirbt, tritt in den Hintergrund. Erfahrungsgemäß legt der Anleger keinen Wert darauf, die persönlichen Mitwirkungsrechte, wie etwa die Stimmabgabe auf der Hauptversammlung, auszuüben. Außerdem sieht das jeweils geltende ausländische Recht für die Übertragung von Wertpapieren oftmals zeitaufwendige Umschreibungsverfahren (etwa bei den im Ausland häufig vorkommenden Namensaktien) sowie damit verbundene zusätzliche Kosten vor. Schließlich dürfte sich in Erbfällen eine Verfügung über die im Ausland unterhaltenen Wertpapierbestände bei einem unmittelbaren Eigentumserwerb und der daraus folgenden Eintragung im Aktionärsregister beträchtlich komplizieren 4 . Auch der Depotbank kommt die Entbindung von der unverzüglichen Eigentumsverschaffungspflicht durch Übersendung eines Stückever2 3
BGH WM 1988, 402, 404; Kumpel, Bankrecht und Bankpraxis (BuB), Rdn. 8/125. Räbel, Rechtsfragen zur Wertpapierrechnung im Auslandsgeschäft, Z K W 1960, 186,
188. 4
Ziganke, Die Sonderbedingungen für Auslandsgeschäfte in Wertpapieren, WM 1961, 226, 227; Heinsius/Horn/Than, §22 DepotG, Rdn. 4; Assmann/Scbütze-Kümpel, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 1990, § 13, Rdn. 83.
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zeichnisses beim Erwerb von Wertpapieren im Ausland zustatten, da sie dieser Verpflichtung im Hinblick auf die zu beachtende ausländische Rechtsordnung vielfach nur unter ganz erheblichen Erschwerungen nachkommen könnte. Eine Verschaffung von Eigentum im Sinne des deutschen Sachenrechts würde häufig gar nicht in Betracht kommen, da der Wertpapierbegriff in den einzelnen Rechtsordnungen erheblich differiert und die Übertragung einer Urkunde nicht stets auch schon den Erwerb des „verbrieften" Rechts bedeutet. Vielmehr bedarf es je nach Abwicklungsmodell und zugrundeliegender Rechtskonstruktion noch zusätzlicher Maßnahmen. In den USA ζ. B. kann eine Umschreibung bei einem transfer agent oder in den Büchern der Gesellschaft erforderlich sein, um die Aktionärsrechte als solche zu erwerben5. Die Pflicht der Depotbank zur Ubersendung des Stückeverzeichnisses auf Verlangen des Kunden wird durch §22 Abs. 1 Satz 2 DepotG demgemäß nur folgerichtig weiter eingeschränkt. Der Depotkunde kann die Übersendung des Stückeverzeichnisses hiernach in den Fällen nicht verlangen, in denen das ausländische Recht der Übertragung des Eigentums an den Wertpapieren durch Absendung des Stückeverzeichnisses entgegensteht. Diese Regelung betont das zweite für Wertpapiergeschäfte im Ausland bedeutsame Prinzip, die Maßgeblichkeit der ausländischen Rechtsordnung. Ein Anleger, der sich an ausländischen Märkten engagiert, unterwirft sich damit zugleich den jeweiligen gesellschaftsund verwahrrechtlichen Bestimmungen, aber auch Steuer- und aufsichtsrechtlichen Normen. Insofern können den inländischen Depotkunden auch Pflichten aufgrund ausländischer Bestimmungen treffen, die sich gegebenenfalls sogar nachteilig für ihn auswirken. So können Anleger z.B. in britischen, amerikanischen, australischen und norwegischen Werten unter gewissen Voraussetzungen gegenüber den Gesellschaften oder gegenüber staatlichen Aufsichtsbehörden zu Auskünften über ihre Identität und die von ihnen gehaltenen Wertpapiervolumina verpflichtet sein. Derartige Auskunftsersuchen, die aufgrund der treuhänderischen Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Anleger und seiner Depotbank zunächst gegen diese gerichtet sind, treffen die Depotbank nicht unmittelbar. Vielmehr bleibt letztlich der einzelne Kunde zur Auskunft rechtlich verpflichtet. Auch insoweit erweist sich die Rechtsposition der Bank ausschließlich als die eines Intermediärs, der im Einzelfall und nach sorgfältiger Abwägung aller wesentlichen Umstände zur Auskunftserteilung auch ohne Zustimmung seines Kunden berechtigt sein kann. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen sich die
5 Vgl. hierzu auch DepotG, Rdn. 4.
Ziganke, WM
1961, 226, 227;
Heinsius/Horn/Tban,
§22
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Depotbank im Falle der Auskunftsverweigerung maßgeblichen Sanktionen der auskunftsersuchenden Stelle ausgesetzt sieht6. Insofern erfährt das im Wertpapierhandel ansonsten geltende Anonymitätsprinzip beim Wertpapiergeschäft im Ausland eine deutliche Einschränkung, die der Kunde bei seinem Engagement in ausländischen Werten hinnehmen muß. In diesem Zusammenhang erlangt §22 Abs. 1 Satz 2 DepotG entscheidende Bedeutung, weil er - wie erwähnt, für den Anspruch des Depotkunden auf Ubersendung eines Stückeverzeichnisses darauf abstellt, ob nach dem jeweils geltenden ausländischen Recht eine Eigentumsübertragung an den Wertpapieren im Wege der Ubersendung eines Stückeverzeichnisses rechtlich möglich ist7. Sieht man von § 13 des österreichischen Depotgesetzes von 1970 ab, der eine dem §18 des deutschen Depotgesetzes vergleichbare Regelung enthält, so sehen weder die Rechtsordnungen des anglo-amerikanischen Rechts, noch die bekannten europäischen oder außereuropäischen Rechtsordnungen den Erwerb des Eigentums an den von einem Einkaufskommissionär erworbenen Wertpapieren durch Absendung eines Stückeverzeichnisses vor 8 . Damit aber reduziert sich die in §22 Abs. 1 Satz 2 DepotG enthaltene Pflicht der Depotbank zur Ubersendung des Stückeverzeichnisses und damit die Pflicht zur Verschaffung von unmittelbarem Eigentum an den Kunden lediglich auf die wenigen Erwerbsvorgänge, in denen nach der ausländischen Rechtsordnung der Eigentumsübergang an den Wertpapieren durch die Übersendung des Stückeverzeichnisses rechtlich überhaupt möglich ist und der Kunde es verlangt. Für den Regelfall bleibt hingegen festzuhalten, daß die Depotbank beim Erwerb von Wertpapieren im Ausland gegenüber ihren Kunden grundsätzlich nicht zur Eigentumsverschaffung verpflichtet ist. b) Grenzüberschreitende
Wertpapiersammelverwahmng
Die zunehmende Internationalisierung der Wertpapiermärkte führte in den letzten zehn Jahren verstärkt zur Bereitschaft der internationalen Sammelverwahrsysteme zur Kooperation. Damit eröffnete sich eine neue, parallele Form der Aufbewahrung von Kundenwerten im Ausland. 6 Zur Problematik US-amerikanischer Auskunftsbegehren vgl. Bosch, Das Bankgeheimnis im Konflikt zwischen US-Verfahrensrecht und deutschem Recht, IPRax 1984, 127 ff. 7 BGH W M 1988, 402, 404; Heinsius/Horn/Than, §22 DepotG, Rdn. 18; Schindelwick, Der Erwerb des Eigentums an Wertpapieren, W M 1960, Sonderbeilage Nr. 10, S.9; WM 1961, Sonderbeilage Nr. 1, S.22. 8 Schindelwick, W M 1960, Sonderbeilage Nr. 10, S.24; WM 1961, Sonderbeilage Nr. 1, S.22.
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Im Ausland lagernde Wertpapiere können Gegenstand der Sammelverwahrung sein und dem Hinterleger im Inland als Miteigentum am Sammelbestand eines Kassenvereins vermittelt werden. Dies schafft wiederum für die in Betracht kommenden Titel die Möglichkeit, Eigentum im Sinne des deutschen Sachen- und Depotrechts zu verschaffen. Der deutsche Gesetzgeber hat frühzeitig auf diese internationalen Tendenzen reagiert, indem er mit der Depotgesetznovelle vom 17. Juli 1985 dem Deutschen Kassenverein die Möglichkeit eröffnet hat, mit vergleichbaren ausländischen Sammelverwahrinstitutionen Kontoverbindungen zu unterhalten und hierdurch grenzüberschreitende Sammelbestände zu bilden (§ 5 Abs. 4 DepotG) 9 . Mit der Begründung einer solchen Kontoverbindung werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Deutsche Kassenverein ausländische Verwahrer in den bislang lediglich im Inland praktizierten Effektengiroverkehr miteinbeziehen kann. Auf diese Weise läßt sich eine optimale Belieferung grenzüberschreitender Geschäfte im Rahmen des bewährten Effektengiroverkehrs erreichen 10 ; denn die Gesetzesnovelle gestattet die Bildung grenzüberschreitender Sammelbestände, innerhalb derer die Eigentumsübertragung durch schlichte buchmäßige Übertragung und durch Besitzumstellung vollzogen wird. Der Effektengiroverkehr erlangt internationale Dimensionen. Was bislang nur in Geldgeschäften möglich war, wird auch für die Abwicklung von Wertpapierhandelsgeschäften Realität: Die Übertragung von Buchguthaben 11 . Beim Erwerb ausländischer Wertpapiere, die in den internationalen Effektengiroverkehr einbezogen sind und im Inland angeschafft werden, erhält der Kunde keine Gutschrift in Wertpapierrechnung (WR); vielmehr wird ihm durch Erteilung einer Girosammelgutschrift Miteigentum an den zum Sammelbestand des Deutschen Kassenvereins gehörenden Wertpapieren verschafft (§ 24 Abs. 1 DepotG). Die Gutschrift in Wertpapierrechnung bleibt allerdings möglich, wenn der Kunde die Anschaffung dieser Titel im Ausland wünscht. Dabei muß aber berücksichtigt werden, daß der internationale Effektengiroverkehr nach der derzeit maßgeblichen Formulierung von § 5 Abs. 4 DepotG noch sehr engen Restriktionen unterworfen ist. Diese Vorschrift läßt die Bildung von grenzüberschreitenden SammelbestänKumpel, BuB, Rdn.8/61 b. Rümpel, Grenzüberschreitenden Giroverkehr durch Internationalisierung der deutschen Girosammeiverwahrung - Zum Inkrafttreten der Depotgesetznovelle vom 17. Juli 1985 -, WM 1985, 1381. 11 Steuer, Europäische und nationale Rechtsvorgaben für die weitere Entwicklung des Wertpapier- und Börsengeschäftes, vbo-Management-Information: Fachtagung „Entwicklungstendenzen im nationalen und internationalen Börsenwesen als strategische Herausforderung für private Banken", am 11. und 12. September 1990 in München, vbo Frankfurt/Main 1990, S.42. 9
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den nämlich nur für solche Wertpapiere zu, die sowohl im Inland als auch im Sitzstaat des ausländischen Verwahrers zum amtlichen Handel an einer Börse zugelassen oder in den geregelten Freiverkehr oder einen vergleichbaren geregelten Markt einbezogen sind. Insofern handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme, um die Entwicklung der Märkte beobachten und Erfahrungen mit dem grenzüberschreitenden Effektengiroverkehr sammeln zu können. Kundeschutz- oder Sicherheitsaspekte fordern diese Restriktionen aber nicht. Die Zulassungsvoraussetzung zu einem der Märkte in beiden Partnerstaaten engt den Kreis der für die Einbeziehung in den internationalen Effektengiroverkehr in Betracht kommenden Titel vielmehr in ganz erheblicher Weise ein. So kommen etwa Wertpapiere, die nur in Zürich oder nur in Paris in den geregelten Markt einbezogen sind, für die grenzüberschreitende Kontoverbindung des Deutschen Kassenvereins zu SICOVAM oder zur SEGA, den französischen bzw. schweizerischen Sammelverwahrsystemen, nicht in Betracht. Auf derart unterschiedliche Zulassungen kann der Handel über die Grenzen hinweg jedoch keine Rücksicht nehmen. Er orientiert sich vielmehr an der Bonität und an den Erfolgsaussichten eines Emittenten und trifft danach die Kaufentscheidung. Mithin sollte die Möglichkeit, ausländische Titel in den grenzüberschreitenden Effektengiroverkehr einzubeziehen, erweitert werden, um im internationalen Verbund der Kassenvereinssysteme schnelle und leistungsfähige Abwicklungsformen zu erhalten12. Der Deutsche Kassenverein unterhält derzeit Kontoverbindungen im Rahmen des internationalen Effektengiroverkehrs zu den Sammelverwahrsystemen in den Niederlanden (NECIGEV), in Frankreich (SICOVAM), in der Schweiz (SEGA) sowie mit der Osterreichischen Kontrollbank AG. Zudem soll in absehbarer Zeit auch im Verhältnis zur DTC, New York, dem führenden Zentralverwahrer in den Vereinigten Staaten, ein Vertrag zur Aufnahme dieser Kontoverbindung abgeschlossen werden. 2. Richtlinien für die Depotprüfung — Hinweise für die materiellen Prüfungserfordernisse Die vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen aufgrund der §§6, 30 Abs. 2 KWG erlassene „Bekanntmachung über Art, Umfang und Zeitpunkt der Depotprüfung" (Depotprüfungsrichtlinien) vom 16. Dezember 197013, die unmittelbare Pflichten für die mit der Depot12 Steuer, Europäische und nationale Rechtsvorgaben für die weitere Entwicklung des Wertpapier- und Börsengeschäftes, S. 42 f. 13 Abgedruckt bei Heinsius/Horn/Than, DepotG, Anhang VI; BAnz. Nr. 239 vom 23. Dezember 1970.
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fiihrung betrauten Prüfer normiert, enthält keine Regelungen für das Wertpapiergeschäft der Kreditinstitute im Ausland. Eine Bestimmung findet sich jedoch in den vom Bundesaufsichtsamt als Anlage zu den Depotprüfungsrichtlinien erlassenen „Hinweisen über die materiellen Prüfungserfordernisse" (Prüfungshinweise)14, in denen das Bundesaufsichtsamt seine Auffassung im Hinblick auf die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen und der Grundsätze über die Ordnungsmäßigkeit des Effekten- und Depotgeschäfts niedergelegt hat. Auch die Prüfungshinweise normieren als solche zwar keine für die Banken verbindlichen Regelungen15; sie wirken sich jedoch mittelbar verpflichtend auf die Kreditinstitute aus, weil sie im Falle einer Depotprüfung von den zur Depotkontrolle bestellten Prüfern beachtet werden müssen. Im Hinblick auf das Wertpapiergeschäft im Ausland enthält Ziffer 3 Abs. 4 der „Hinweise über die materiellen Prüfungserfordernisse" folgende Bestimmung: „Einem im Ausland ansässigen Dritten dürfen Kundenwertpapiere nur anvertraut werden, wenn sichergestellt ist, daß der Dritte ein Pfandrecht oder Zurückbehaltungsrecht an den Wertpapieren nur wegen solcher Forderungen geltend machen kann, die mit Bezug auf diese Wertpapiere entstanden sind oder für die diese Wertpapiere nach dem einzelnen über sie mit Ermächtigung des Hinterlegers zwischen dem Verwahrer und dem Dritten vorgenommenen Geschäft haften sollen. Wird das Recht des Hinterlegers im Ausland durch Pfändungen oder andere Eingriffe beeinträchtigt, so hat der Verwahrer den Hinterleger hierüber unbeschadet etwaiger weiterer Verpflichtungen unverzüglich zu benachrichtigen."
Auch diese Bestimmung läßt keine abschließende Regelung für Wertpapiergeschäfte im Ausland erkennen. Sie enthält lediglich die Behandlung eines Sonderproblems, nämlich die Geltendmachung von Pfandoder Zurückbehaltüngsrechten an Kundenwertpapieren, die einem im Ausland ansässigen Dritten anvertraut worden sind. 3. Sonderbedingungen
für Wertpapiergeschäfte im Ausland
Angesichts der wachsenden Bedeutung des Wertpapiergeschäfts im Ausland und im Hinblick auf die offene gesetzliche Regelung in §22 DepotG erschien es der deutschen Kreditwirtschaft bereits im Jahre 1960 geboten, die komplexen und höchst unterschiedlichen Lebenssachverhalte bei der Verwahrung und Verwaltung von Kundenwertpapieren im Ausland durch ein vertragliches Regelwerk detailliert auszugestalten und zu strukturieren. Dabei sollten die Interessen beider Seiten, diejenigen 14 Abgedruckt bei Heinsius/Horn/Than, Anhang VI als Anlage zu den Depotprüfungsrichtlinien. 15 Heinsius/Horn/Than, §14 DepotG, Rdn. 37.
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der Depotbank und die ihrer Kunden, ausgewogen berücksichtigt werden. Aus diesem Grund wurden die „Sonderbedingungen für Auslandsgeschäfte in Wertpapieren" (Sonderbedingungen)16 vom privaten Bankgewerbe entwickelt und eingeführt. Die Ausgestaltung des Wertpapiergeschäfts im Ausland in Form vertraglich zu vereinbarender Allgemeiner Geschäftsbedingungen verdiente den Vorzug gegenüber den Bemühungen um eine gesetzliche Regelung im Rahmen des Depotgesetzes, da sich das Vertragswerk als flexibel und bei Bedarf anpassungsfähig an die sich wandelnden Rechtsverhältnisse im Ausland erweisen sollte. Die Sonderbedingungen haben sich als rechtsverbindliches Regelwerk bestens bewährt; seit ihrem Inkrafttreten im Jahre 1960 sind sie lediglich zweimal angepaßt worden: Bei der Änderung im Jahre 1973 galt es, die zunehmende Zahl nationaler Zentralverwahrsysteme in Europa zu berücksichtigen17. Im Jahre 1977 wurden die Sonderbedingungen sodann im Hinblick auf das 1976 erlassene AGB-Gesetz überarbeitet und klarer gefaßt. Die seit dem 1. Apil 1977 geltende Fassung findet seither in der gesamten deutschen Kreditwirtschaft einheitliche Verwendung. Bereits die Präambel der Sonderbedingungen läßt erkennen, daß dieses Regelwerk nicht nur Bestimmungen für die Behandlung von Geschäften in Wertpapieren im Sinne des Depotgesetzes enthält; der Wertpapierbegriff der Sonderbedingungen umfaßt auch „entsprechende Werte, selbst wenn für diese Werte keine Urkunden ausgestellt sind". Damit werden die Sonderbedingungen den Besonderheiten ausländischer Rechtsordnungen gerecht, in denen Effekten bekannt sind, die den Wertpapierbegriff des § 1 Abs. 1 DepotG nicht erfüllen, denen aber im Ausland eine vergleichbare Funktion zukommt. So werden etwa auch solche Aktionärsrechte, die von dem emittierenden Unternehmen nicht mehr in der herkömmlichen Form als Urkunden verbrieft werden, bei denen jedoch der einzelne Aktionär die Aushändigung eines Zertifikates verlangen kann (sog. unissued-papers)18 vom Anwendungsbereich der Sonderbedingungen erfaßt. Nicht zu den „Wertpapieren und entsprechenden Werten" zählen hingegen reine Beweis- und Legitimationsurkunden, wie etwa die sogenannten Programm- oder Planzertifikate für Investmentanleihen in Amerika. Auf diese finden weder das Depotgesetz noch die Sonderbedingungen Anwendung; auch eine Verbuchung in Wertpapierrechnung kommt nicht in Betracht19.
Abgedruckt im Anhang (Anlage 1). Steuer, Neufassung der Sonderbedingungen für Auslandsgeschäfte in Wertpapieren, Bank-Betrieb 1973, 20. 18 HeinsiuslHorn/Than, §22 D e p o t G , Rdn.28. 19 Heinsius! Horn/Than, §22 D e p o t G , R d n . 2 8 ; Heinsius, Ausländische Investmentzertifikate als Kreditsicherheit, Bank-Betrieb 1960, 218, 225. 16
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II. Das Wertpapiergeschäft im Ausland als Treuhandgeschäft 1. Ausgestaltung der Rechtsbeziehung zwischen dem Kunden und seiner Depotbank als fiduziarisches Treuhandverhältnis Während der Kunde bei der Anschaffung von Wertpapieren im Inland regelmäßig Allein- oder Miteigentümer der im Inland verwahrten Wertpapiere bzw. der Sammelbestände wird (§§ 18, 24 DepotG), gestalten die Sonderbedingungen auf der Grundlage des §22 DepotG die Beziehung zwischen dem Kunden und seiner Depotbank als fiduziarisches Treuhandverhältnis aus, das auf einem Geschäftsbesorgungsvertrag (§675 BGB) basiert20. Statt des formalen Allein- oder Miteigentums erwirbt der Kunde bei Wertpapiergeschäften im Ausland lediglich die wirtschaftliche Stellung eines Eigentümers21. Die Depotbank hat sich gemäß Ziffer 1 Abs. 2 Satz 3 der Sonderbedingungen selbst nach bestem Ermessen unter Wahrung der Interessen ihres Kunden das Eigentum oder das Miteigentum an den Wertpapieren oder eine andere am Lagerort übliche, gleichwertige Rechtsstellung zu verschaffen; dabei richtet sich die Gleichwertigkeit dieser Rechtsstellung nach der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung sowie nach den im jeweiligen Ausland geltenden Usancen 22 . So ist etwa die Unterhaltung eines Deckungsbestandes bei dem französischen Sammelverwahrsystem SICOVAM zulässig, obwohl bei diesem Verwahrsystem hinsichtlich der Eigentumsstruktur keine klare Regelung besteht25. Nach Ziffer 2 Abs. 1 der Sonderbedingungen erhält der Kunde für die im Ausland aufbewahrten Wertpapiere von seiner Depotbank eine Gutschrift in Wertpapierrechnung (WR) unter Angabe des ausländischen Staates, in dem sich die Wertpapiere befinden. Die Gutschrift in Wertpapierrechnung bringt nicht zum Ausdruck, daß dem Hinterleger ein dingliches Recht an den im Ausland aufbewahrten Wertpapierbeständen zusteht; vielmehr handelt es sich um die buchhalterische Erfassung und Dokumentation des gegenüber der Depotbank bestehenden Herausgabeanspruchs des Kunden aus dem Geschäftsbesorgungsverhältnis (§§ 667, 675 BGB), also um eine vom Ansatz her obligatorische Rechts-
20 Heinsius/Hom/Than, §22 DepotG, Rdn.44; Kumpel, BuB, Rdn. 8/124; Assmann/Schiitze-Kiimpel, § 13, Rdn. 82; Coing, Die „Aufbewahrung" von Wertpapieren im Ausland als Treuhandgeschäft, W M 1977, 466, 468; Paul, Kundenpapiere im Ausland bei Insolvenz der inländischen Depotbank, W M 1975, 2, 3. 21 Kumpel, BuB, Rdn. 8/124. 22 Kumpel, BuB, Rdn. 8/125; Coing, WM 1977, 466, 468. 23 Heinsius/Hom/Than, §22 DepotG, Rdn.32; Schindelwick, W M 1960, Sonderbeilage Nr. 10, S. 17, 18; vgl. unten III, 4, a bb.
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position 24 . Die Sonderbedingungen gestalten somit das Rechtsverhältnis, das aus dem Anschaffungsauftrag des Kunden entstanden war, um und entwickeln es weiter. Die kommissions- und kaufrechtliche Ausgangslage verpflichtet die Bank nämlich grundsätzlich gegen Aufwendungsersatz und Provisionszahlung zur Eigentumsverschaffung an den Wertpapieren (Herausgabe des Erlangten, kaufrechtliche Erfüllungshandlung). Zugleich verbindet sich mit dem Anschaffungsauftrag die Folgeweisung, die Papiere auch zu verwahren und zu verwalten.Dementsprechend übernimmt die Bank es mit den Sonderbedingungen, für den Kunden das Eigentum zu erwerben, es für ihn zu halten und die notwendigen Verwaltungsmaßnahmen zu treffen. Die Anschaffungsphase wird folglich in ein Geschäftsbesorgungsverhältnis umstrukturiert, das zugleich durch einen uneigennützigen Treuhandinhalt geprägt ist. Mit Eingehung des Treuhandverhältnisses und mit der Entstehung des aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag resultierenden Herausgabeanspruchs geht der Lieferungsanspruch des Kunden aus dem zugrundeliegenden Anschaffungsgeschäft nicht durch Erfüllung unter. Die Kreditwirtschaft hat insofern von einer Vereinbarung abgesehen, die mit der Begründung der wirtschaftlichen Eigentümerposition des Kunden als Leistung an Erfüllungs Statt (§364 Abs. 1 B G B ) zum Untergang des Lieferungsanspruchs geführt hätte; vielmehr erbringt die Depotbank in diesem Kontext lediglich eine Leistung erfüllungshalber (§364 Abs. 2 BGB). Der originäre Lieferungsanspruch besteht weiterhin fort (Ziffer 1 Abs. 2 Satz 4 der Sonderbedingungen); er wird lediglich suspendiert mit der Folge, daß dem Kunden ein Rückgriff auf diesen Anspruch verwehrt ist, solange er sich aus dem auftragsrechtlichen Herausgabeanspruch befriedigen kann25. Der treuhänderische Erwerb des Eigentums durch die inländische Depotbank hat sich in der Vergangenheit bei der Abwicklung von Auslandsgeschäften in Wertpapieren als hilfreich und äußerst praxisgerecht erwiesen, da durch diese Rechtskonstruktion die Aufbewahrung der Wertpapiere im Heimatland des jeweiligen Emittenten durch Einschaltung einer ausländischen Lagerstelle ermöglicht wird. Dieses Verfahren bietet für den Erwerber der Werte erhebliche Vorteile; denn die ausländische Bank, die vor Ort die Verwahrung und Verwaltung vornimmt, zieht die Erträge ein, überwacht Termine - soweit dies erforderlich ist - und übermittelt den inländischen Banken die notwendigen Informationen über etwaige Maßnahmen der Gesellschaft oder sonstige
Kumpel, Die Internationalisierung der deutschen Girosammeiverwahrung, WM 1976, 942, 944. 25 Kumpel, BuB, Rdn. 8/136. 24
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Entwicklungen, die für das Wertpapier von Bedeutung sind. Die Belassung der Wertpapiere im Ausland erlangt zudem unter Kosten- und Arbeitsgesichtspunkten sowie in organisatorischer Hinsicht Bedeutung. Sie trägt ferner zudem zur Schnelligkeit des Wertpapierverkehrs in den ausländischen Werten bei, da sich der Transport effektiver Stücke erübrigt. Die ausländischen Kontrahenten, von denen die Wertpapiere erworben werden, hätten diese nämlich ansonsten mit Wertpost zunächst in das Inland versenden müssen, wobei sodann generell nur eine Verwahrung für den betreffenden Erwerber im kostenungünstigeren Streifbanddepot in Betracht käme. Bei einer Veräußerung der Papiere müßte der umgekehrte Vorgang einsetzen. Bei den vielfach recht kurzen Lieferfristen für die Erfüllung von Wertpapiergeschäften würde es sogar zweifelhaft erscheinen, ob ein Kunde mit der Belieferung aus einem inländischen Depot jeweils die optimale Kursentwicklung für sich ausnutzen könnte; denn er hätte stets einzurechnen, daß die Papiere zunächst in das Ausland verbracht und dort in die Wertpapierabwicklung eingeführt werden müssen. Indem die Depotbank selbst (Mit-) Eigentümerin der verwahrten Bestände im Ausland wird, ist es ihr demgegenüber möglich, durch Einschaltung ihrer ausländischen Lagerstelle kostensparende Einrichtungen des ausländischen Bankwesens wie etwa ein Sammelverwahrsystem - zu nutzen und dem Kunden eine erleichterte Verfügbarkeit der Stücke zu ermöglichen 26 . Im übrigen entspricht die Treuhandlösung dem internationalen Trend, Wertpapiere grundsätzlich im Lande des Emittenten aufzubewahren 27 . Letztlich trägt der Eigentumserwerb in der Person der Depotbank dazu bei, das im Wertpapierhandel geltende Anonymitätsprinzip auch bei der Abwicklung von Wertpapiergeschäften im Ausland zu bewahren. 2. Leistungs- und Vergütungsgefahr bei Auslandsgeschäften in Wertpapieren a)
Leistungsgefahr
Die Lieferungspflicht der Depotbank beschränkt sich gemäß Ziffer 2 Abs. 3 Satz 1 der Sonderbedingungen auf den Wertpapierbestand, der zur Deckung für die erteilten Gutschriften in Wertpapierrechnung im 26
Coing, WM 1977, 466, 466. Studie der Group of Thirty: Clearance and Settlement Systems in the World's Securities Markets 1989, S. 51; Arthur Anderson, Studie über die Möglichkeit zur Einrichtung einer Deutschen Börse für Optionen und Financial Futures, 1987, S. 5; Kumpel, Grenzüberschreitender Giroverkehr durch Internationalisierung der deutschen Girosammeiverwahrung - zum Inkrafttreten der Depotgesetznovelle vom 17. Juli 1985 - , W M 1985, 1381, 1384. 17
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Ausland unterhalten wird. Die Unterhaltung des Deckungsbestandes im Ausland hat zur Folge, daß sich die Lieferverpflichtung der Bank von einer reinen Gattungsschuld (§243 Abs. 1 BGB) in eine Vorratsschuld umwandet, die auf den konkreten Deckungsbestand begrenzt ist (§243 Abs. 2 BGB) 28 . Diese Regelung bewirkt, daß die Leistungsgefahr von der inländischen Depotbank auf ihren Depotkunden übergeht (§§243 Abs. 2, 275 BGB). Folglich wird die Depotbank von ihrer Verpflichtung zur Leistung frei, soweit die Lieferung aus dem Deckungsbestand infolge eines Umstandes unmöglich wird, der nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintritt und den die Depotbank nicht zu vertreten hat. Folglich bilden die Depotkunden hinsichtlich des im Ausland unterhaltenen Deckungsbestandes der Depotbank eine Gefahrengemeinschaft 29 , die anteilig alle wirtschaftlichen und rechtlichen Nachteile und Schäden, die den Deckungsbestand der Bank als Folge von höherer Gewalt, Krieg, A u f r u h r oder ähnlichen Ereignissen oder durch von der Bank nicht verschuldete Zugriffe Dritter im Ausland oder im Zusammenhang mit Verfügungen von hoher H a n d des In- oder Auslandes treffen sollten, zu tragen hat. Dies wird in Ziffer 2 Abs. 3 Satz 2 der Sonderbedingungen ausdrücklich hervorgehoben. Der Ubergang der Leistungsgefahr von der inländischen Depotbank auf den Depotkunden setzt voraus, daß sich die Lieferungsverpflichtung der Depotbank auf den im Ausland unterhaltenen Deckungsbestand konkretisiert hat (§243 Abs. 2 BGB). Hierzu ist es erforderlich, die zum Deckungsbestand zählenden Werte konkret abzugrenzen. Der Begriff des „Deckungsbestandes" wird in Ziffer 2 Abs. 2 der Sonderbedingungen definiert als die „am Lagerort" aufbewahrten Wertpapiere derselben Gattung, die von der Bank als Deckung für die Gutschriften bei einem oder mehreren ausländischen Aufbewahrern unmittelbar, über den Deutschen Auslandskassenverein oder über einen anderen Zwischenverwahrer gehalten werden. Demnach erfolgt die Eingrenzung des Dekkungsbestandes und damit die Beschränkung der Gattungsschuld auf eine begrenzte Vorratsschuld, indem dem Depotkunden der geographisch-politisch abgegrenzte Bereich mitgeteilt wird, an dem die Papiere aufbewahrt werden. Diese Mitteilung erhält der Kunde gleichzeitig mit der Gutschrift in Wertpapierrechnung nach Durchführung des Anschaffungsgeschäftes. Nachdem ursprünglich unter dem Begriff „Lagerort" der O r t verstanden wurde, an dem sich der von der Depotbank eingeschaltete ausländi-
28 Heinsms/Horn/Than, §22 DepotG, Rdn.37; Kumpel, BuB, Rdn. 8/137; Ziganke, W M 1961, 226, 234; Assmann/Schütze-Kumpel, §13, Rdn. 95. 29 Heinsius/Horn/Than, §22 DepotG, Rdn.37; Kumpel, BuB, Rdn.8/137; Assmann/Schütze-Kümpel, §13, Rdn. 95.
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sehe Verwahrer befand (Verbuchungsort)30, definiert Ziffer 2 Abs. 1 der Sonderbedingungen den Lagerort seit der Neufassung im Jahre 1973 als den ausländischen Staat, in dem sich die Wertpapiere befinden. Diese Formulierung trägt dem Umstand Rechnung, daß in steigendem Umfang die ausländischen Korrespondenzbanken dazu übergegangen waren, die Wertpapiere nicht mehr am Ort der konto- oder depotführenden Stelle aufzubewahren, sondern hierzu teils aus organisatorischen Gründen, teils zur Kostensenkung sowie zur besseren Sicherung der Stücke Lagerstellen einrichteten. Bedingt durch diese Praxis wurde es insbesondere im Rahmen der Sammelverwahrung unmöglich, Angaben darüber zu machen, an welchem Ort sich die einzelnen Stücke effektiv befanden. Folglich war eine Ausweitung der Definition des „Lagerorts" im Rahmen von Ziffer 2 Abs. 2 der Sonderbedingungen geboten. Diese den Bedürfnissen der Praxis Rechnung tragende Änderung des Regelwerkes hat sich für den Depotkunden vorteilhaft ausgewirkt, weil durch die Bezugnahme auf das jeweilige Lagerland der Deckungsbestand sämtliche in diesem Land aufbewahrten Wertpapiere erfaßt. Die mit dem Dekkungsbestand verbundene Gefahrengemeinschaft der Hinterleger ist mithin nicht mehr nur auf die Bestände an einem Ort, dem Verbuchungsort, beschränkt, sondern erstreckt sich seither auf alle Wertpapiere, die in dem betreffenden Land für eine Bank aufbewahrt werden. Zudem werden dem Anleger in ausländischen Wertpapieren seither alle Vorteile zuteil, die mit der Sammelverwahrung prinzipiell verbunden sind (ζ. B. Schnelligkeit, Kostenersparung, Sicherheit) und die der deutsche Depotkunde vom Sammelverwahrsystem der Kassenvereine seit vielen Jahrzehnten kennt und nutzt. Die Beschränkung der Lieferverpflichtung der Depotbank auf den im Ausland unterhaltenen Deckungsbestand und die damit verbundene Begründung einer Gefahrengemeinschaft unter den Depotkunden durch Ziffer 2 Abs. 3 der Sonderbedingungen begegnet keinen AGB-rechtlichen Bedenken. Diese Regelung ist insbesondere mit der Generalklausel des § 9 AGB-Gesetz vereinbar, da sie die Depotkunden nicht in einer die Gebote von Treu und Glauben verletzenden Weise unangemessen benachteiligt31. Durch das mittels der Sonderbedingungen zwischen der Depotbank und ihrem Kunden begründete Treuhandverhältnis und durch gesonderte, zwischen der Depotbank und ihrer ausländischen
Kumpel, B u B , Rdn. 8/138. Diese Auffassung wird im Grundsatz auch in einem von Hopt erstellten „Rechtsgutachten betreffend Haftungsausschluß für politische und andere Transferrisiken bei Fremdwährungsschulden deutscher Banken" vom 29. Januar 1988, Rdn. 145 f, speziell für Ziffer 2 der Sonderbedingungen befürwortet. 30
31
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Lagerstelle zu vereinbarender Absprachen 32 , ist es vielmehr gelungen, den Anleger in wirtschaftlicher Hinsicht so zu stellen, als sei er Eigentümer der im Ausland lagernden Wertpapiere, und ihn gleichzeitig vor den Nachteilen einer formalen Eigentümerposition im Ausland zu schützen. Vor diesem Hintergrund erscheint es konsequent und bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch geboten, den Depotkunden mit den Risiken zu belasten, die mit dem Erwerb seiner Position als wirtschaftlicher Eigentümer natürlicherweise verbunden sind. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß die Kreditinstitute bei einer nicht an formalrechtlichen Kriterien orientierten Betrachtungsweise ihren Verpflichtungen aus dem originären Anschaffungsgeschäft grundsätzlich nachgekommen sind. Der Kunde erlangt mit dem Treuhandeigentum die Position, die er vernünftigerweise beim Erwerb von Wertpapieren im Ausland erwartet und die ihn in die Lage versetzt, wie ein Eigentümer über die Papiere zu disponieren, ohne zugleich die Nachteile einer im ausländischen Recht verankerten formalrechtlichen Eigentümerstellung in Kauf nehmen zu müssen. Liegt aber der Schwerpunkt der Betrachtung ohnehin in den Verpflichtungen aus dem Treuhandverhältnis, so ergeben sich hieraus zwangsläufige Konsequenzen für die Haftungs- und Risikoverteilung. Leistung und Lieferung kann der Kunde nur im Rahmen dieses Treuhandverhältnisses rechtlich wie wirtschaftlich erwarten. Hieraus resultiert im Rahmen einer Leistungsbeschreibung eine Beschränkung der Verpflichtungen der Bank auf den „Treuhandbestand". Dies ist aber der Deckungsbestand, der wiederum inhaltsgleich übereinstimmt mit der beschränkten Vorratsschuld. Wenn ein Kunde aber alle Vorteile einer Treuhandkonstruktion und eines auf sie bezogenen Wertpapierbestandes für sich in Anspruch nehmen darf, so hat er auch die hieraus resultierenden anteiligen Verlustgefahren zu tragen. Dies entspricht einem gefestigten Prinzip des Treuhandrechtes, das seine gesetzliche Konkretisierung in der Sondersituation des Miteigentums am Girosammelbestand eines Kassenvereins gefunden hat. Alle Hinterleger, die der Girosammeiverwahrung zustimmen oder im Rahmen der Erfüllung von inländischen Wertpapieranschaffungsgeschäften gemäß §24 Abs. 2 DepotG eine entsprechende das Miteigentum dokumentierende Girosammeldepotgutschrift erhalten, tragen anteilig alle Verluste die den Sammelbestand einer Gattung als solche treffen sollten. Sowohl die vertragswesentlichen Rechte und Pflichten, die sich aus den typischen Wesenselementen der Auslandsaufbewahrung von Wertpapieren ergeben, als auch die Leitbilder des Treuhandrechtes und die ordnungspoliti-
32
Vgl. hierzu ausführlich III.
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Thorwald Hellner
sehen Leitgedanken des Depotgesetzes lassen somit eine anteilige Umlage von Verlustrisiken zu. Bedenken an der AGB-rechtlichen Angemessenheit der Sonderbedingungen bestehen daher nicht.
b)
Vergütungsgefahr
Die in Ziffer 2 Abs. 3 der Sonderbedingungen enthaltene Regelung, mit der die Leistungsgefahr von der inländischen Depotbank auf den Depotkunden übertragen wird, trifft für den Fall eines zufälligen, von der Depotbank nicht zu vertretenen Verlusts der Wertpapiere keine Bestimmung hinsichtlich des vom Kunden bereits bezahlten oder noch zu zahlenden Kaufpreises. Eine Regelung hierfür enthält Ziffer 3 Abs. 2 der Sonderbedingungen; danach wird die Vergütungsgefahr im Falle eines vorangegangenen Anschaffungsgeschäfts dem Kunden auferlegt. Diese Regelung erschien im Hinblick auf die gesetzliche Bestimmung in § 323 Abs. 1 BGB geboten, da nicht völlig auszuschließen ist, daß die Depotbank im Falle unverschuldeter Unmöglichkeit der Lieferung der Wertpapiere an den Kunden den erhaltenen Kaufpreis möglicherweise zurückerstatten müßte; denn bei der Durchführung von Auslandsgeschäften in Wertpapieren verbleibt dem Kunden auch nach der Erteilung der Gutschrift in Wertpapierrechnung formal noch der Anspruch auf Lieferung der Stücke aus dem zugrundeliegenden Anschaffungsgeschäft (§433 Abs. 1 Satz 1 BGB)33. Zwar wird die Bank bei Verlusten an dem ausländischen Deckungsbestand von ihrer auftragsrechtlichen Herausgabepflicht nach §275 BGB frei, wenn sie die Stücke infolge unverschuldeter Unmöglichkeit dem Kunden nicht mehr verschaffen kann (Ziffer 2 Abs. 3 Satz 1 der Sonderbedingungen). Die Regelung wirkt sich jedoch nicht zwingend auch auf den zugrundeliegenden kaufvertraglichen Lieferungsanspruch nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB aus34, so daß die Bank den Kaufpreis gegebenenfalls gemäß §323 Abs. 1 BGB zurückzuerstatten hätte. Die Uberleitung der Vergütungsgefahr nach vorangegangenem Anschaffungsgeschäft auf den Depotkunden gemäß Ziffer 3 Abs. 2 der Sonderbedingungen ist nach den obigen Ausführungen angemessen, wirtschaftlich gerechtfertigt und rechtlich geboten, da der Kunde nach Durchführung des Anschaffungsgeschäfts wirtschaftlich die Stellung eines Eigentümers einnimmt, dem sämtliche Vorteile aus den Wertpapieren und deren Lagerung im Ausland zufließen, während die Depotbank auf ihre Stellung als fiduziarischer Treuhänder beschränkt ist. Die Rege-
33 Kumpel, BuB, Rdn. 8/140. 34 Heinsius/Hom/Than, §22 DepotG, Rdn. 42;
Kumpel,
BuB, Rdn. 8/140.
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lung erfaßt zudem nicht die Fälle, in denen die Bank ihrerseits einem Dritten gegenüber Vorleistungen erbracht hat und gleichwohl die Wertpapiere nicht erhält. Da die Vorleistungen durch die Depotbank auf deren eigenes Risiko hin erfolgte, ist es sachgerecht, die Vergütungsgefahr insoweit bei der Depotbank zu belassen.
III. Drei-Punkte-Erklärung 1.
Regelungszweck
Bereits aus dem Treuhandverhältnis, das zwischen der Depotbank und ihrem Kunden durch die Verwendung der Sonderbedingungen für Auslandsgeschäfte in Wertpapieren begründet wird, läßt sich die Pflicht der Depotbank herleiten, die Position ihres Kunden als wirtschaftlichem Eigentümer der verwahrten Wertpapiere durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. Dabei gilt es, den Kunden insbesondere für den Fall der Insolvenz einer ausländischen Depotbank zu schützen. Die Begründung eines konkurs- und vollstreckungssicheren Treuhandeigentums, das den Depotkunden im Zweifel zur Aussonderung (§§43 K O , 26 VerglO) oder zur Erhebung einer Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) berechtigt, setzt nach Auffassung der Rechtsprechung35 sowie von Teilen des Schrifttums36 zwar voraus, daß der Treugeber das Treugut „unmittelbar" aus seinem Vermögen auf den Treuhänder übertragen hat. Diese „Unmittelbarkeit" läßt sich bei der Abwicklung von Wertpapiergeschäften im Ausland nach Maßgabe der Sonderbedingungen aber nicht ohne weiteres nachvollziehen, weil die inländische Depotbank die Wertpapiere nicht direkt von ihrem Depotkunden, sondern von dritter Seite für Rechnung und im Interesse ihres Kunden erwirbt. Insoweit erlangt der Umstand Bedeutung, daß der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Treuhandkonto 37 von dem Erfordernis des unmittelbaren Erwerbs des Treuguts vom Treugeber in den Fällen abgesehen hat, in denen der Treuhandcharakter des Eigentums „offenkundig" ist. Diese Rechtsprechung, die mangels abweichender Sachkriterien auch für das Treuhanddepot Geltung erlangen muß 38 , erkennt somit Fälle an, in denen die Offenkundigkeit des Treuhandverhältnisses den ansonsten
« B G H NJW 1959, 1223, 1224; B G H WM 1965, 173, 174; B G H N J W 1971, 559, 560. 36 Baumbach / Lauterbach / Albers / iianmami-Hartmann, Zivilprozeßordnung, 48. Aufl., § 771 ZPO, Anm. 6; Wieczorek/Schütze, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., 1981, § 771, Anm. Β IV a 2; Stein/Jonas-Miinzberg, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., 1975, §771 ZPO Anm. II l a , Fn. 59. 37 B G H W M 1973, 894, 895. 38 Kumpel, BuB, Rdn. 8/128; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Bearbeitung 1981, Rdn.2099.
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geltenden Grundsatz der Unmittelbarkeit überlagert. Das ist sachgerecht, weil es in den Fällen, in denen das Treugut eindeutig abgegrenzt und das Treuhandverhältnis offenkundig ist, nicht auf den rein formalen Gesichtspunkt ankommen kann, ob der Treuhänder das Treugut unmittelbar vom Treugeber erhalten hat39. Dem Erfordernis der Offenkundigkeit des Treuhandverhältnisses kommen die Kreditinstitute zum einen dadurch nach, daß sie den ausländischen Aufbewahrer veranlassen, die Depots des Deckungsbestands mit einem Zusatz „Kunden-" oder „Fremddepot" zu kennzeichnen. Darüber hinaus lassen sich die inländischen Depotbanken von ihrer ausländischen Lagerstelle deren Kenntnisnahme bestätigen, daß die Werte, die sie in dem entsprechenden Depot verbucht haben oder verbuchen werden, den Kunden der inländischen Depotstelle zustehen; hiermit korrespondiert sodann die entsprechende Depotgutschrift in Wertpapierrechnung gegenüber den Kunden. Auf diese Weise wird das Treugut eindeutig abgegrenzt und das Treuhandverhältnis offenkundig dokumentiert. Darüber hinaus lassen sich die Banken im Hinblick auf Ziffer 3 Abs. 4 der vom Bundesaufsichtsamt erlassenen „Prüfungshinweise" 40 zusätzliche Erklärungen der ausländischen Lagerstelle abgeben, in denen diese schriftlich zusichern, daß Pfand-, Zurückehaltungs- und ähnliche Rechte an den im Ausland gelagerten Werten nur wegen solcher Forderungen geltend gemacht werden, die sich aus deren Anschaffung, Verwaltung und Verwahrung ergeben. Darüber hinaus verpflichtet sich die ausländische Lagerstelle, die inländische Depotbank unverzüglich zu unterrichten, wenn von dritter Seite Pfändungen oder sonstige Zwangsvollstrekkungsmaßnahmen bezüglich der hinterlegten Werte eingeleitet oder diese von anderen Eingriffen bedroht werden. Um die Konkretisierung des haftenden Deckungsbestandes sicherzustellen, haben die ausländischen Lagerstellen zudem eine Verpflichtungserklärung abzugeben, nach der sie die Wertpapiere innerhalb der Grenzen des jeweiligen Staates selbst verwahren und keinen Dritten ohne ausdrückliche Zustimmung der inländischen Depotbank mit der effektiven Verwahrung der Werte betrauen werden.
2. Einheitliche Fassung der
Drei-Punkte-Erklärung
Nach Schließung des Bankhauses Herstatt im Jahre 1974 hatten sich einzelne amerikanische Banken zunächst geweigert, die von der Bank für 39 Heinsius/Horn/Than, §22 DepotG, Rdn. 44; Obermüller, Bestellung von Kreditsicherheiten an einen Treuhänder, DB 1973, 1833, 1834; Paul, WM 1975, 2,4. 40 Vgl. oben I, 2.
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inländische Depotkunden verwahrten Bestände freizugeben und Pfandsowie Zurückbehaltüngsrechte wegen eigener Forderungen gegen diese Bank geltend gemacht. In weiteren Fällen gelang es ausländischen Gläubigern im Ausland, wegen ihrer Forderungen gegen das Bankhaus Herstatt einen Arrest zu erwirken und die Bestände in Beschlag zu nehmen. Nach eingehenden Verhandlungen mit den ausländischen Banken und Gläubigern konnte die Freigabe der Stücke zugunsten der Kunden erreicht werden. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Regelung in Nr. 19 Abs. 3 AGB der Banken, nach der die im Ausland ruhenden Wertpapiere nicht vom AGB-Pfandrecht erfaßt werden. Dieser Pfandrechtsverzicht verdeutlichte seinerzeit dem mit diesem Vorgang befaßten amerikanischen Gericht den uneigennützigen Charakter des Treuhandeigentums, das in dieser „reinen Form" vom amerikanischen Recht zugunsten des beneficial owner anerkannt wird. Insoweit hat sich das von der deutschen Kreditwirtschaft entwickelte Sicherheitenkonzept bei der Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland durchaus bewährt. Gleichwohl sah sich die Kreditwirtschaft zur Uberprüfung veranlaßt, inwieweit sich die Sicherheitsvorkehrungen der Banken weiterhin verstärken ließen. Dabei zeigte es sich, daß die inländischen Depotbanken von ihren ausländischen Lagerstellen zum Teil unterschiedliche, in ihren Formulierungen voneinander abweichende Kundenschutzerklärungen hereingenommen hatten. Um somit für die Zukunft der Gefahr zu begegnen, daß die ausländischen Verwahrstellen sowie bei eventuellen Streitigkeiten auch Gerichte die Texte unterschiedlich und gegebenenfalls zum Rechtsnachteil für den Depotkunden auslegten, wurde eine einheitliche Fassung einer Kundenschutzerklärung entwickelt, die sodann die ausdrückliche Zustimmung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen gefunden hat und unter der Bezeichnung „Drei-Punkte-Erklärung" seither in der gesamten Kreditwirtschaft einheitlich verwendet wird 41 . Bei der Prüfung von Verwahrbedingungen, die ausländische Lagerstellen gegenüber inländischen Depotbanken verwenden, bleibt ferner zu beachten, daß die für die Kunden im Ausland aufbewahrten Wertpapiere den für den ausländischen Aufbewahrer geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Usancen und gesetzlichen Bestimmungen unterliegen (Ziffer 2 Abs. 2 der Sonderbedingungen). Damit wird den rechtlichen Besonderheiten Rechnung getragen, die am Lagerort gelten. Insofern wird es den inländischen Depotbanken vielfach Schwierigkeiten bereiten, die ausländischen Lagerstellen dazu zu bewegen, ihre Geschäftsbedingungen nach den Vorstellungen der deutschen Kreditinstitute zu modifizieren; denn derartige Standardverträge erfüllen auch im 41
Abgedruckt im Anhang (Anlage 2).
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Ausland die Funktion von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, bei denen die Verwender darauf Wert legen, daß möglichst gegenüber allen Kontrahenten eine einheitliche Fassung verwendet wird. Dessen ungeachtet muß bei der Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland in jedem Fall sichergestellt sein, daß die Drei-Punkte-Erklärung den Verwahrbedingungen oder sonstigen Geschäftsbedingungen vorgeht, die sich auf die im Ausland verwahrten Kundenwerte auswirken. Insofern haben inländische Depotbanken, die von ihren ausländischen Lagerstellen Verwahrbedingungen erhalten, bei denen die Gefahr besteht, daß Abweichungen zur Drei-Punkte-Erklärung vorliegen, eindeutig zum Ausdruck zu bringen, daß die Drei-Punkte-Erklärung vorrangige Geltung hat und in ihrem Regelungsbereich die ausschließlich verbindliche Grundlage für die Geschäftsverbindung darstellt. In aller Regel akzeptieren die ausländischen Lagerstellen derartige Hinweise ohne Vorbehalte, so daß sich die uneingeschränkte Geltung der DreiPunkte-Erklärung sicherstellen läßt. 3. Abweichende Textfassungen der
Drei-Punkte-Erklärung
Die einheitliche Textfassung der Drei-Punkte-Erklärung konnte mit den meisten ausländischen Lagerstellen problemlos vereinbart werden. Lediglich in einigen Ländern bedurfte es einer geringfügigen Anpassung des Wortlauts, da die Vorgaben des jeweiligen nationalen Rechts sich nicht in jeder Hinsicht mit der einheitlichen Textfassung vereinbaren ließen. Die Rechtspositionen der inländischen Depotkunden wurden hierdurch jedoch nicht beeinträchtigt. a) Österreich Durch die Neufassung des österreichischen Depotgesetzes von 197042 wurde der Begriff des „Sammelbestandes" in einem sehr umfassenden Sinne neu definiert. Danach gehören zum Sammelbestand eines Verwahrers alle Stücke, die bei dem Verwahrer selbst, bei Dritten oder bei der österreichischen Wertpapiersammelbank in Sammelverwahrung liegen. Damit zählen sogar die im Ausland befindlichen sammelverwahrfähigen Stücke einer Wertpapiergattung nach österreichischer Rechtsauffassung zum Sammelbestand und bilden damit - gemeinsam mit sämtlichen anderen Papieren - die rechtliche Gefahrengemeinschaft der Hinterleger, die - ebenso wie im deutschen Depotrecht - etwaige Verluste anteilig zu tragen haben. Zudem hatten sich die österreichischen Banken im Rah42
291 ff.
Vgl. hierzu: Keßler,
Wertpapiersammelbanken im Ausland, Die Bank 1981,
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233
men einer Neufassung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Jahre 1970 ausdrücklich das Recht vorbehalten, Wertpapiere ohne Einschränkung auch ausländischen Drittverwahrern anzuvertrauen. Diese Befugnis ließ sich mit Ziffer 3 der einheitlichen Textfassung der DreiPunkte-Erklärung nicht vereinbaren, wonach die Werte ausschließlich innerhalb der Grenzen des jeweiligen ausländischen Staates verwahrt werden müssen. Zudem wäre bei der Einschaltung eines Drittverwahrers im weiteren Ausland die Regelung in Ziffer 2 der einheitlichen Textfassung der Drei-Punkte-Erklärung in Frage gestellt worden, wonach die im Ausland für Kunden hinterlegten Wertpapiere nur insoweit dem Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht eines Drittverwahrers unterliegen, als es sich um Forderungen handelt, die gerade aus der Anschaffung, Verwahrung und Verwaltung dieser Papiere entstanden sind. Im Zusammenwirken mit dem Verband österreichischer Banken und Bankiers wurde aus diesen Gründen der Wortlaut einer Erklärung entwickelt, die es den deutschen Kreditinstituten ermöglicht, der Sammelverwahrung in Osterreich in bestimmtem Rahmen zuzustimmen43. Diese Erklärung betrifft aufgrund ausdrücklicher Erklärung des Verbandes österreichischer Banken und Bankiers sowohl die in der Sammelverwahrung als auch die in der Streifbandverwahrung befindlichen Wertpapiere. Sie ist mit verbindlicher Wirkung für die österreichischen Banken und Bankiers und die österreichische Postsparkasse abgegeben worden. Aber auch der österreichische Genossenschaftsverband und der österreichische Raiffeisenverband sowie der Hauptverband der österreichischen Sparkassen haben sich der Erklärung vollinhaltlich angeschlossen. Zwar wird den österreichischen Kreditinstituten in Punkt 3 der Erklärung die Drittverwahrung erneut gestattet; diese Erlaubnis beschränkt sich jedoch auf österreichische Kreditinstitute, die der Depotprüfung unterliegen und die ihrerseits die Verpflichtung der DreiPunkte-Erklärung übernommen haben. b) Spanien Wegen einiger geringfügiger Besonderheiten des spanischen Rechts wurde in Zusammenarbeit mit dem spanischen Bankenverband der Wortlaut einer Drei-Punkte-Erklärung abgestimmt, der in einigen Nuancen von der einheitlichen Textfassung abweicht44. In Ziffer 2 der für Spanien geltenden Drei-Punkte-Erklärung verpflichten sich die spanischen Banken in Ubereinstimmung mit der einheitlichen Textfassung zunächst, ihre deutsche Korrespondenzbank über etwaige Zugriffe Drit43 44
Abgedruckt im Anhang (Anlage 3). Abgedruckt im Anhang (Anlage 4).
234
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ter auf die von ihnen verwahrten Wertpapiere zu unterrichten. Gleichzeitig wird jedoch der Vorbehalt geltend gemacht, von der Unterrichtung absehen zu können, falls zwingende gesetzliche Bestimmungen in Spanien entgegenstehen. Hierbei handelt es sich um einen allgemeinen Vorbehalt, der nach spanischem Recht erforderlich ist und vermutlich in erster Linie bei Beschlagnahmemaßnahmen im Zusammenhang mit Strafverfahren Bedeutung erlangen könnte. Dieser Vorbehalt hat sich bislang nicht als relevant erwiesen, da in Spanien ansonsten derzeit keine gesetzlichen Regelungen ersichtlich sind, die es einer Depotbank verbieten würden, bei Beeinträchtigung des Wertpapierbestandes ihre ausländischen Depotkunden zu unterrichten. In Ziffer 3 der Drei-Punkte-Erklärung wurde ein Hinweis auf ein spanisches Wertpapierabrechnungs- und -erfüllungssystem des Inhalts aufgenommen, daß sich innerhalb dieses Wertpapier-Clearings vorübergehend Wertpapiere bei einer dritten Bank befinden können. Da es sich hierbei lediglich um einen vorübergehenden Zustand und um die usancemäßige Abwicklung der Wertpapiergeschäfte handelt, begegnet diese Ergänzung der Drei-Punkte-Erklärung grundsätzlich keinen Bedenken. c) Schweiz Auch im Verhältnis zur Schweiz bedurfte die Mustertextfassung der Drei-Punkte-Erklärung einiger geringfügiger, teils klarstellender Ergänzungen45. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang insbesondere die gegenüber dem Mustertext erweiterte Fassung von Ziffer 3 der Drei-Punkte-Erklärung: Diese Bestimmung hält zunächst im Grundsatz an der Verpflichtung fest, daß die schweizerischen Banken die Aufbewahrung der ihnen anvertrauten Werte grundsätzlich in den Staatsgrenzen der Schweiz durchzuführen haben. Diese grundsätzliche Bestimmung kann im Regelfall von sämtlichen schweizerischen Banken eingehalten werden, da man unterstellen darf, daß die schweizerischen Lagerstellen die ihnen von deutschen Banken anvertrauten Werte in eigenen Tresoren innerhalb der Staatsgrenzen aufbewahren und allenfalls das schweizerische Sammelverwahrsystem SEGA einschalten. Dies wird insbesondere für alle Titel gelten, die auf Schweizer Franken lauten bzw. die von schweizerischen Emittenten begeben werden. In diesen Fällen wird man davon ausgehen können, daß die deutschen Kreditinstitute und ihre Kunden die Anschaffung und Aufbewahrung in der Schweiz auch selbst wünschen. Es entspricht insofern den internationalen Gepflogenheiten im Depotgeschäft, die Titel jeweils im Lande der Währung zu konzentrieren. 45
Abgedruckt im Anhang (Anlage 5).
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Ziffer 3 der für die schweizerischen Banken neugefaßten Drei-PunkteErklärung enthält jedoch eine Ausnahmeregelung, die den schweizerischen Lagerstellen die Verbringung der Wertpapiere in ein drittes Ausland oder die Einschaltung sonstiger ausländischer Drittverwahrer in Einzelfällen ermöglicht. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Fälle, in denen Wertpapiere unter Einschaltung schweizerischer Banken angeschafft werden, die auf dritte Währung lauten bzw. deren Emittenten ihren Sitz in einem dritten Staat haben. In diese Kategorie fallen grundsätzlich die Eurobonds, die in die internationalen Effekten-Clearing- und -Verwahrsysteme von Euroclear und C E D E L einbezogen sind. Insofern entspricht es ebenfalls den internationalen Gepflogenheiten, die Papiere in diesen Systemen zu belassen. Mit der Erweiterung von Ziffer 3 der gegenüber schweizerischen Banken zu verwendenden Drei-Punkte-Erklärung sollte keine generelle Befugnis für Ausnahmetatbestände erreicht werden. Vielmehr wurde gegenüber der Schweizerischen Bankiervereinigung betont, daß in jedem Fall ein sachlich rechtfertigender Grund vorhanden sein muß, wenn die schweizerischen Lagerstellen die ihnen anvertrauten oder die unter ihrer Einschaltung angeschafften Wertpapiere im Ausland aufbewahren lassen wollen. Sofern ein solcher rechtfertigender Grund vorliegt, hat die schweizerische Lagerstelle dies ihrer jeweiligen deutschen Korrespondenzbank unverzüglich zur Kenntnis zu bringen, um dieser die weitere Disposition im Hinblick auf die betroffenen Werte zu ermöglichen. 4. Ausländische
Sammelverwahrsysteme
Die Einführung zentraler Sammelverwahr- und Clearing-Systeme in etlichen Ländern Europas, aber auch in den U S A oder Kanada führte dazu, daß ausländische Lagerstellen wiederholt an ihre deutschen Korrespondenzbanken mit der Bitte herantraten, die für diese gehaltenen Kundenbestände durch das jeweilige nationale Sammelverwahrsystem aufbewahren und verwalten lassen zu dürfen. Angesichts der in Ziffer 3 Abs. 1 Satz 2 der Sonderbedingungen enthaltenen Regelung, wonach die Depotbank für die sorgfältige Auswahl und Unterweisung des von ihr beauftragten ausländischen Aufbewahrers zu haften hat, sahen sich die inländischen Depotbanken verpflichtet, das jeweilige ausländische Sammelverwahrsystem daraufhin zu überprüfen, ob es als geeigneter Drittverwahrer für die im Ausland lagernden Kundenbestände in Betracht kommen kann. D a die Kontrolle eines ausländischen Sammelverwahrsystems umfassende Prüfungen erfordert, deren Ergebnis gleichsam im Interesse aller inländischen Depotbanken liegt, die in dem betreffenden Ausland Wertpapiere verwahren lassen, hat sich der Bundesverband deutscher Banken, Köln, bereit erklärt, diese Prüfung zentral für die ihm
236
Thorwald Hellner
angeschlossenen Banken vorzunehmen. Unter Berufung auf die Überprüfung eines ausländischen Sammelverwahrsystems durch die Gremien des Bundesverbandes dürfte eine inländische Depotbank der ihr obliegenden Pflicht zur sorgfältigen Auswahl des Verwahrers im Ausland (Ziffer 3 Abs. 1 Satz 2 der Sonderbedingungen) in hinreichendem Maße nachkommen. Die Untersuchungsergebnisse der Gremien des Bundesverbandes sind im übrigen bislang auch von den übrigen Spitzenverbänden des deutschen Kreditgewerbes übernommen worden. Im Falle der Uberprüfung eines ausländischen Sammelverwahrsystems durch den Bundesverband deutscher Banken gilt es, die dargestellten rechtlichen Vorgaben in der Bundesrepublik Deutschland für die Auslandsverwahrung von Wertpapieren im Hinblick auf die Aufbewahrung bei einem ausländischen Sammelverwahrsystem sicherzustellen. Dies erfordert eine umfassende Uberprüfung der tatsächlichen Ausgestaltung des jeweiligen Sammelverwahrsystems unter der besonderen Berücksichtigung von Risiko- und Sicherheitsaspekten sowie eine Kontrolle der jeweiligen rechtlichen Grundlagen. Ganz entscheidend kommt es unter Risikoaspekten darauf an, welche Aufgaben, Funktionen und geschäftliche Tätigkeiten von der Trägerinstitution der Wertpapiersammelverwahrung ausgeführt werden und ob es insofern eindeutige satzungsmäßige oder gesetzliche Beschränkungen gibt. Das Zusammentreffen von Risiko(Kredit-)geschäften mit dem Verwahrgeschäft ist im Rahmen der Prüfungen Anlaß zur Zurückhaltung und möglicherweise für ein negatives Votum. Sofern nämlich Ansprüche des Zentralverwahrers gegen einen Kontoinhaber (ausländische Depotbank) aus der sonstigen Geschäftsverbindung begründet werden können, steigt das Risiko, daß im Streitfall die Wertpapiere zur Unterlegung dieser Forderungen herangezogen werden können. Des weiteren wird untersucht, welche rechtliche Stellung die Hinterleger an den zentralverwahrten Papieren erhalten und ob eine Überführung der Kundenbestände in das System mit den Pflichten vereinbart werden kann, die die deutschen Kreditinstitute nach den Sonderbedingungen für Auslandsgeschäfte in Wertpapieren sowie nach Ziffer 3 Abs. 4 der Prüfungshinweise 46 gegenüber ihren Kunden einzuhalten haben und die ihren Niederschlag in der Drei-Punkte-Erklärung gefunden haben. Insbesondere werden die rechtlichen Vorgaben des ausländischen Girosammelverwahrsystems daraufhin überprüft, ob sie es der inländischen Depotbank ermöglichen, sich das (Mit-)Eigentum an den Wertpapieren oder eine andere am Lagerort übliche, gleichwertige Rechtsstellung im Sinne von Ziffer 1 Abs. 2 Satz 3 der Sonderbedingun-
« Vgl. oben I 2.
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gen zu verschaffen. Zudem muß bei der Einschaltung eines Sammelverwahrers die Offenkundigkeit des Treuhandverhältnisses zwischen der inländischen Depotbank und ihrem Kunden uneingeschränkt sichergestellt sein. Darüber hinaus muß gewährleistet sein, daß das ausländische Sammelverwahrsystem Pfand-, Zurückbehaltungs- und ähnliche Rechte ausschließlich im Rahmen der Grenzen von Ziffer 2 der Drei-PunkteErklärung geltend macht und im Falle des Zugriffs Dritter ihre Teilnehmer unverzüglich unterrichtet, damit diese in der Lage sind, derartige Informationen an die deutschen Depotbanken weiter zuleiten. Bei allen Prüfungen hat sich bisher gezeigt, daß dieser Punkt die geringsten Probleme aufweist, da es offenkundig in allen Rechtsordnungen als selbstverständliche Pflicht des Verwahrers gilt, den Hinterleger bei Beeinträchtigung seiner Vermögenswerte unverzüglich zu unterrichten. Letztendlich gilt es, dafür Sorge zu tragen, daß bei Einschaltung eines Sammelverwahrsystems die Lagerung der Werte innerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen sichergestellt ist. Die nachfolgend aufgeführten ausländischen Sammelverwahrsysteme sind bislang vom Bundesverband deutscher Banken überprüft und als geeignete Drittverwahrer im Ausland befunden worden: a) Nationale aa)
Sammelverwahrsysteme Niederlande
Mit dem „Gesetz über den Effektengiroverkehr" vom 15. Juli 1977 wurde in den Niederlanden die Giro-Sammelverwahrung ermöglicht und eine Zentralstelle zur Durchführung der Giro-Sammelverwahrung eingerichtet47. Das „Nederlands Centraal Institut voor Giraal Effectenverkeer" ( N E C I G E V ) wurde bereits im Jahre 1977 auf seine Geeignetheit als ausländischer Drittverwahrer hin überprüft. Nach Artikel 1, Abs. 2 Satz 1 der Satzung verfolgt N E C I G E V den Zweck, für die angeschlossenen Institute Wertpapiere zu verwahren, zu verwalten und girai zu übertragen. Demnach hat das zentrale Institut ausschließlich Aufgaben eines Girosammeiverwahrers zu erfüllen. Jede andere geschäftliche Tätigkeit, welche ein kommerzielles Risiko einschließen könnte, ist ausdrücklich vom Geschäftszweck ausgeschlossen und überschreitet nach der Satzung die Befugnisse der Gesellschaft48. Gemäß Artikel 2 Abs. 1 des Gesetzes über den Effektengiroverkehr untersteht N E C I G E V zudem einer strengen Aufsicht durch den niederländischen 47 Kumpel, BuB, Rdn. 8/158 a; Keßler, Die Bank 1981, 325, 328; Steuer, EffektenGiro-Verkehr in den Niederlanden, Die Bank 1978, 135 ff. 48 Drobnig, Internationaler Effektengiroverkehr: Deutschland-Niederlande, Rechtsgutachten, Hamburg 1984, C II 2 c.
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Minister der Finanzen. Dem Hinterleger wird - entsprechend der Regelung im deutschen Depotgesetz - Miteigentum an dem von NECIGEV verwahrten Sammelbestand zuerkannt 49 . Die Regelung in Artikel 1766 Burgerlijk Wetboek, die dem Verwahrer einer Sache ein Zurückbehaltungsrecht gegen den Hinterleger zubilligt, stand einer positiven Bewertung des Sammelverwahrsystems NECIGEV als geeigneter Drittverwahrer nicht entgegen, weil sich dieses Zurückbehaltungsrecht auf die Sicherung derjenigen Ansprüche beschränkt, die dem Verwahrer gegenüber dem Hinterleger aus der Verwahrung zustehen. Damit deckt sich der Umfang dieses Zurückbehaltungsrechts mit dem von § 4 Abs. 1 Satz 2 DepotG zugelassenen Zurückbehaltungsrecht des Drittverwahrers 50 .
bb) Frankreich Bereits während der Kriegszeit war in Frankreich, nicht zuletzt inspiriert durch die deutsche Militärverwaltung, ein System obligatorischer Sammelverwahrung von Wertpapieren bekannt. Aufgrund eines Dekrets vom 4. August 1949 wurde sodann die freiwillige Girosammeiverwahrung in Frankreich eingeführt. Träger des Sammelverwahrsystems ist die Société Interprofessionelle pour la Compensation de valeurs Mobiliers (SICOVAM), die als privatrechtliche Aktiengesellschaft gegründet wurde 51 . Ausschließlicher Geschäftszweck von SICOVAM ist gemäß Artikel 5 Abs. 1 des Dekrets von 1949 die Girosammelverwahrung von Wertpapieren 52 . Gemäß Artikel 6 Abs. 1 des Dekrets von 1949 unterliegen sowohl die Satzung als auch die Geschäftsbedingungen von SICOVAM dem Genehmigungserfordernis durch den französischen Minister der Finanzen. Zudem hat SICOVAM nach ihrer Satzung der französischen Börsenaufsichtsbehörde, der „Commission des Opérations de Bourse" jährlich ihre Bilanz sowie ihre Gewinn- und Verlustrechnung, den Bericht des Verwaltungsrats an die Aktionäre, den oder die Berichte der Kommissare sowie eventuell der Zensoren einzureichen (Artikel 43 Abs. 5). Wenngleich die Eigentümerstellung des hinterlegenden Bankkunden aufgrund gesetzlicher Regelung gesichert ist, ist die genaue Qualifikation der Eigentumsform in Frankreich umstritten. Das Dekret von 1949 schweigt hierzu, und klärende Rechtsprechung ist nicht
49 Drobnig, Internationaler Effektengiroverkehr: Deutschland-Niederlande, C II 3 b; Steuer, Die Bank 1978, 135, 137. 50 Steuer, Die Bank 1978, 135, 137. 51 Keßler, Die Bank 1981, 325. 52 Drobnig, Internationaler Effektengiroverkehr: Deutschland - Frankreich, Hamburg 1980, C II 3 b.
Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland
239
ersichtlich. Gleichwohl geht die gefestigte Meinung im französischen Schrifttum davon aus, daß die französische Sammelverwahrung dem hinterlegenden Kunden sowohl institutionell wie auch im praktischen Rechtsschutz eine dingliche Stellung verschafft, die als Miteigentumsanteil qualifiziert wird und alle praktischen Attribute eines dinglichen Rechtsschutzes umfaßt". Dabei genießt der Miteigentümer Schutz gegen Zugriffe der Gläubiger sowohl der zwischenverwahrenden Bank wie der drittverwahrenden SICOVAM. Eine dem § 4 Abs. 1 DepotG entsprechende Regelung, wonach Pfand- und Zurückbehaltüngsrechte nur wegen solcher Forderungen geltend gemacht werden dürfen, die mit Bezug auf die drittverwahrten Wertpapiere entstanden sind, ist dem französischen Recht fremd. Sie erscheint jedoch überflüssig, da SICOVAM nach seinem Satzungszweck ausschließlich Girosammelverwahrung betreibt, so daß ihr gegen den Zwischenverwahrer keine Ansprüche aus anderen Geschäften als der Verwahrung dieser Wertpapiere zustehen können. cc) Belgien In Belgien erfolgt die Sammelverwahrung von Wertpapieren aufgrund eines königlichen Erlasses vom 10. November 1967 zur Förderung des Wertpapierverkehrs54. Der belgische Kassenverein, die Caisse Interprofessionelle de Depots et de Virements de Titres (CIK), die ihren Geschäftsbetrieb im Jahre 1970 aufgenommen hat, besitzt die Rechtsform einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Brüssel55. Die rechtliche Ausgestaltung des belgischen Effektengiroverkehrs erfolgte in starker Anlehnung an das französische Sammelverwahrsystem SICOVAM 56 , so daß gegen die Anerkennung der CIK als geeigneter Drittverwahrer keine Bedenken bestanden. dd) Schweiz Die „Schweizerische Effekten-Giro A G " (SEGA) mit Sitz in Basel wurde im Jahre 1970 gegründet. Zweck der SEGA ist die „Sammelverwahrung von Effekten und die Schaffung eines Effekten-Giro-Systems" (Artikel 2 Abs. 1 Satz 1 der Statuten). Damit erfüllt die SEGA ausschließlich die Aufgaben einer Wertpapiersammelbank. Die Geschäftstä-
53 54
170.
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Drobnig, Internationaler Effektengiroverkehr: Deutschland - Frankreich, C II 4 c. Baur, Einführung des Effektengiroverkehrs in Belgien, Bank-Betrieb 1968, 169, Baur, Bank-Betrieb 1968, 169, 170. Kumpel, BuB, Rdn. 8/156.
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tigkeit der SEGA unterliegt der Prüfung durch eine schweizerische „Kontrollstelle", die jedoch keine hoheitliche Kontrollfunktion ausübt. Vielmehr handelt es sich um eine privatrechtliche Revisionsgesellschaft; diese nimmt die aktienrechtliche Prüfung der Gesellschaft aufgrund der Artikel 727 bis 731 Obligationenrecht vor 57 . Die Schweiz besitzt kein Depotgesetz, in dem die Girosammeiverwahrung und die Berechtigung der Hinterleger am Sammelbestand geregelt wären. Gleichwohl nimmt die Literatur nahezu einhellig an, daß der Kunde an den von ihm hinterlegten Wertpapieren, soweit sie sammelverwahrt werden, sein Alleineigentum verliert und statt dessen einen Miteigentumsanteil an dem Sammelbestand erhält 58 . Die Regelung des Miteigentums der Hinterleger am Wertpapiersammelbestand beruht auf einer analogen Anwendung des für das Lagergeschäft geltenden Artikel 484 Obligationenrecht 59 . ee) Italien 1978 wurde das italienische Sammelverwahrsystem „Monte Titoli" als Aktiengesellschaft mit Sitz in Mailand gegründet, zu deren Mitgliedern auch die italienische Staats- und Notenbank, die Banca d'Italia zählt. Gemäß Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Juni 1986, Nr.299 6 0 , das Bestimmungen für die zentralisierte Verwaltung von Wertpapieren bei „Monte Titoli S. ρ. Α." enthält, bezweckt das Verwahrsystem ausschließlich die Erbringung von Dienstleistungen bei der Aufbewahrung von und im Handel mit Wertpapieren insbesondere durch Einrichtung eines Sammelverwahrsystems für vertretbare Wertpapiere. Im Verwahrsystem Monte Titoli, das gemäß Artikel 14 des genannten Gesetzes der Aufsicht durch den italienischen Schatzminister sowie durch die italienische Börsenaufsichtsbehörde C O N S O B unterliegt, erwirbt der Hinterleger, den Regelungen des deutschen Depotgesetzes entsprechend, eine gleichwertige Stellung als Miteigentümer 61 . Seit der Uberprüfung von Monte Titoli im Jahre 1986 und seit der Abgabe der Drei-Punkte-Erklärung durch dieses Institut 62 sind die italienischen Lagerstellen autorisiert, die Bestände einschließlich der für die Kunden gehaltenen Werte Monte Titoli zur Aufbewahrung anzuvertrauen. Dies gilt im übrigen auch für die italienischen öffentlichen Anleihen, die zentral bei der Banca d'Italia 57 Drobnig, Internationaler Effektengiroverkehr: Deutschland - Schweiz, Rechtsgutachten, Hamburg 1983, C II 2e. 58 Drobnig, Internationaler Effektengiroverkehr: Deutschland - Schweiz, C II 3 a. 59 Kumpel, BuB, Rdn. 8/157; Bollmann, Das schweizerische Sammeldepot- und Effekten-Giro-System, Bank-Betrieb 1971, l l l f ; Keßler, Die Bank 1981, 291, 294. 60 Vgl. hierzu: Keßler, Monte Titoli S. ρ. Α., Mailand, Die Bank 1986, 634, 634 ff. 61 Kumpel, BuB, Rdn. 8/158 b. 62 Abgedruckt im Anhang (Anlage 6).
Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren im Ausland
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verwahrt werden. Letztlich handelt es sich bei der Tätigkeit der Banca d'Italia, die die Staatstitel zentral verwahrt und verwaltet, um eine Art Schuldbuchverwaltung, da diese öffentlichen Titel weitestgehend entmaterialisiert worden sind. Folglich kommt die Banca d'Italia als alleiniger Endverwahrer in Betracht. f f ) USA Im Unterschied zu den dargestellten europäischen Ländern existiert in den USA kein zentrales Sammelverwahrinstitut, das in einer gesetzlichen Regelung ausdrücklich als solches benannt wäre. Das mit Abstand größte und bedeutendste amerikanische Sammelverwahrsystem „The Depository Trust Co." (DTC) mit Sitz in New York nimmt seit dem Jahre 1973 die Aufgaben einer Wertpapiersammelbank wahr. Der satzungsmäßig zulässige Geschäftszweck von DTC ergibt sich aus Ziffer 13 ihres Organization Certificate. Danach ist der DTC unter bestimmten Voraussetzungen die Aufnahme und Besicherung von Darlehen, der Erwerb von Effekten im eigenen Namen sowie der Erwerb von Grundstücken gestattet. Bei diesen wenigen erlaubten Geschäften handelt es sich jedoch offensichtlich nur um Ergänzungs- und Hilfstätigkeiten zum Hauptzweck, der Sammelverwahrung Auch faktisch besteht die Geschäftstätigkeit von DTC ausschließlich in der Wertpapierverwahrung und -Verwaltung63. Die DTC, die der Aufsicht der Securities and Exchange Commission (SEC) unterliegt 64 , verwahrt die effektiven Stücke vornehmlich in ihren eigenen Tresoren 65 . Zur DTC-Verwahrung sind ausschließlich Namenstitel zugelassen. Nach den in den USA üblichen Usancen bedient sich die DTC für die Verwaltung formell eines Nominee (Cede & Co.), dessen einzige Aufgabe darin besteht, gegenüber dem Emittenten und seinen Agenten die Funktion eines Treuhänders der Endbegünstigten wahrzunehmen. In dieser Funktion ist er zugleich der eingetragene (treuhänderische) Eigentümer der Wertpapiere 66 . Durch diese rechtliche Konstruktion werden tatsächliche Bewegungen von Urkunden weitgehend überflüssig, da sich im Falle der Übertragung von Namensaktien die Umschreibung auf den neuen Eigentümer im Aktienbuch erübrigt. Obwohl also Cede & Co. als Aktionär im Aktienbuch der Emittentin eingetragen ist, ist der deutsche Kunde materiell Eigentümer
63 Drobnig, Internationaler Effektengiroverkehr: Deutschland - USA, Rechtsgutachten, Hamburg 1987, C III 2 c; Keßler, Wertpapiersammelbanken im Ausland, Die Bank 1981, 377 ff. 64 Keßler, Die Bank 1981, 377, 377. 65 Kumpel, BuB, Rdn. 8/159. § 6 1 3 a Rdn.30. 41 H. M.: RGZ 135, 197 (201 f); Vollkommer Anm. zu AP Nr. 19 zu §613 a BGB; Daßler/Schifßauer/Gerhardt ZVG 11 § 152 Anm. VI 2; Jaeckel/Güthe ZVG 7 § 152 Rdn. 4; Steiner/Riedel ZVG 8 § 152 Rdn. 5 (2 h); Mohrbutter/Drischler, Die Zwangsversteigerungsund Zwangsverwaltungspraxis7 Nr. 147 (7), S. 835; Daunenheimer BB 1979, 990; Richardi RdA 1976, 56 (60). 42 BAG AP Nr. 19 zu §613 a BGB; Steiner!Hagemann ZVG' §152 Rdn. 81; Richardi BetrVG 6 §111 Rdn. 91; gegen eine Befugnis des Zwangsverwalters, auch mit Zustimmung des Schuldners den Betrieb fortzuführen: Zeller/Stöber ZVG 13 § 152 Anm. 6.8, 6.9. 43 So auch Vollkommer in Anm. zu AP Nr. 19 zu §613 a BGB, der jedoch (unter II 1 a) den Konkursverwalter unzutreffend als Rechtsnachfolger des Gemeinschuldners ansieht. Der Konkursverwalter ist an die Arbeitsverträge des Gemeinschuldners nicht als Rechtsnachfolger und auch nicht nach §613 a BGB gebunden, sondern weil er die Rechtsbeziehungen so hinnehmen muß, wie sie der Gemeinschuldner vor der Konkurseröffnung geschaffen hat. Der Vergleich mit dem Konkursverwalter (dazu: Jaeger!'Henckel, Konkursordnung 9 § 6 Anm. 53) führt also gerade nicht zur Anwendung des §613 a BGB.
Haftung für Altverbindlichkeiten wegen Betriebsübergangs
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ihrem objektiven Gehalt noch hinsichtlich ihrer subjektiven Anknüpfung durch die Anordnung der Zwangsverwaltung verändern. Zwar übt der Zwangsverwalter das Direktions- und Weisungsrecht aus, jedoch nicht als eigenes, sondern im Rahmen und in den Grenzen seiner Befugnis zur Verwaltung fremder Vermögensgegenstände. Geht man aber davon aus, daß der Zwangsverwalter nicht schon kraft Gesetzes zur Betriebsfortführung berechtigt ist, sondern nur auf Grund einer besonderen Vereinbarung mit dem Vollstreckungsschuldner, so muß diese Vereinbarung in der Weise ausgelegt werden, daß der Zwangsverwalter den Betrieb entweder im Namen des Vollstreckungsschuldners fortführt oder treuhänderisch für dessen Rechnung. In beiden Fällen ist er nicht der Arbeitgeber, sondern nimmt nur, wie ein Konkursverwalter 44 , die Arbeitgeberfunktion für den Vollstreckungsschuldner wahr. Die Arbeitsverhältnisse bestehen zwischen diesem und den Arbeitnehmern. Schon dadurch ist der Bestandsschutz gesichert. Erst recht kann die Anordnung der Zwangsverwaltung nicht zu einer Eigenhaftung des Zwangsverwalters führen. Für die Verwaltungsschulden haftet nur die Haftungsmasse. Eine persönliche Haftung des Zwangsverwalters gibt es nur, wenn er seine Pflichten gegenüber einem Beteiligten verletzt. Eine persönliche Haftung des Zwangsverwalters kann ebensowenig aus §613 a BGB abgeleitet werden wie eine persönliche Haftung des Konkursverwalters, dessen Stellung die des Zwangsverwalters entspricht45. Wird das Grundstück, auf dem der Zwangsverwalter den Betrieb des Schuldners fortführt, zwangsversteigert und führt der Ersteher den Betrieb fort, so unterliegt er den Rechtsfolgen des §613 a BGB. Das erklärt sich aber nicht daraus, daß er den Betrieb vom Zwangsverwalter erwerbe, wie das Bundesarbeitsgericht 46 angenommen hat. Vielmehr erwirbt der Ersteher das Grundstück einschließlich der von der Beschlagnahme erfaßten Gegenstände von dem Vollstreckungsschuldner, und er tritt in die Arbeitsverhältnisse ein, die zur Zeit seines Erwerbs bestehen, mögen sie auch erst durch den Zwangsverwalter zu Lasten des Vollstreckungsschuldners begründet oder verändert worden sein. Trifft der Ersteher mit dem Zwangsverwalter eine Vereinbarung, mit der er die für die Betriebsfortführung notwendigen, von der Beschlagnahme nicht erfaßten Gegenstände erwirbt, so handelt der Zwangsverwalter insoweit für den Vollstreckungsschuldner und bedarf dafür einer von diesem erteilten Ermächtigung oder Vollmacht. Denn selbst wenn man
Jaeger/Henckel, Konkursordnung9 §6 Anm. 53. Dassler/Schiffhauer/Gerhardt ZVG11 §152 Anm.I; Vollkommer Nr. 19 zu §613 a BGB. 46 BAG AP Nr. 36 zu §613 a BGB; ebenso Staudinger/Richardi Rdn.93; Richardi RdA 1976, 56 (60). 44
45
in Anm. zu AP BGB12 §613 a
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annimmt, der Zwangsverwalter sei kraft Gesetzes befugt, solche Gegenstände für die Betriebsfortführung zu benutzen, ist er jedenfalls nicht berechtigt, sie ohne Zustimmung des Vollstreckungsschuldners auf den Ersteher zu übertragen 47 . Der Betriebsübergang findet also zwischen dem Vollsteckungsschuldner und dem Ersteher statt. Für den Fall, daß der Zwangsverwalter den Betrieb nicht selbst fortgeführt hat, wird dies auch vom Bundesarbeitsgericht 48 anerkannt. Warum aber der Zwangsverwalter den Betrieb „anstelle des Grundstückseigentümers" überträgt, wenn er selbst den Betrieb nicht fortführt, sondern verpachtet, ihn aber als Betriebsinhaber veräußern soll, wenn er im Rahmen der Zwangsverwaltung den Betrieb fortgeführt hat, ist nicht einzusehen. In beiden Fällen ist der Ubernehmer an die Arbeitsverhältnisse in gleicher Weise gebunden wie der Vollsteckungsschuldner, den auch etwaige Vereinbarungen des Zwangsverwalters mit den Arbeitnehmern binden, soweit sie nicht nur für die Dauer der Zwangsverwaltung getroffen worden sind49. Daß der Zwangsverwalter selbst nicht Ubernehmer des Betriebes im Sinne des §613 a BGB sein kann, zeigt sich, wenn der Ersteher den Betrieb auf dem erworbenen Grundstück nicht fortführen will. Dann ist ihm gegenüber §613 a BGB nicht anwendbar 50 . Der Zwangsverwalter muß den Betrieb stillegen51. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wäre der Zwangsverwalter dann der letzte Arbeitgeber, der für alle Verbindlichkeiten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen, auch für die vor Beginn der Zwangsverwaltung begründeten, persönlich haften würde, während der Vollstreckungsschuldner nach Maßgabe des §613 a II BGB von der Haftung befreit würde. Dem Zwangsverwalter das Risiko aufzubürden, daß der Vollstreckungsschuldner seine Verbindlichkeiten nicht erfüllen kann, widerspricht dem Sinn und Zweck der Zwangsverwaltung.
6. Gescheiterter
Betriebsübergang
Von den Fällen des gescheiterten Betriebsübergangs sei hier zunächst die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts 52 zum Betriebserwerb des Geschäftsunfähigen behandelt. Sie ist richtig hinsichtlich des Bestandsschutzes der Arbeitsverhältnisse. Der geschäftsunfähige BetriebserwerA.A. wohl BAG AP Nr.36 zu §613a BGB. AP Nr. 43 zu §613 a BGB. 49 Dazu BAG AP Nr. 36 zu §613 a BGB. 50 Richardi BetrVG6 § 111 Rdn. 90. 51 BAG AP Nr. 36 zu § 613 a BGB; Richardi BetrVG § 111 Rdn. 91. 52 AP Nr.44 zu §613a; ebenso die h.M.: Staudinger/Richardi BGB12 §613a Rdn. 101; Seiter, Betriebsübergang, 1980, S. 48; jeweils mit weiteren Nachweisen; a. A. Bomgräher, Arbeitsverhältnis bei Betriebsübergang, 1977, S. 56 ff. 47 48
Haftung für Altverbindlichkeiten wegen Betriebsübergangs
281
ber ist der Arbeitgeber. Er oder sein gesetzlicher Vertreter übt die Leitungsfunktion aus. An ihn müssen sich die Arbeitnehmer halten können hinsichtlich des Arbeitsentgelts für die Zeit, in der sie für ihn gearbeitet haben. Soweit in dieser Zeit neue Arbeitsverhältnisse wirksam begründet worden sind, ist es auch richtig, die Rückabwicklung des Betriebsübergangs unter §613 a BGB zu subsumieren, um die Arbeitnehmer vor deren Folgen zu schützen. Hinsichtlich der Altverbindlichkeiten muß aber nicht dasselbe gelten. Ein Geschäftsunfähiger haftet nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln für fremde Schuld nur als Universalnachfolger, also etwa als Erbe. Die Haftung an eine nichtige rechtsgeschäftliche Betriebsübernahme anzuknüpfen, widerspräche dem vom Gesetz angestrebten Schutz des Geschäftsunfähigen. §613 a BGB verlangt einen Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft. Wäre damit auch ein nichtiges Rechtsgeschäft gemeint, hätte man auf dieses Tatbestandsmerkmal verzichten können. Das Erfordernis eines wirksamen Rechtsgeschäfts läßt sich auch nicht, wie es das Bundesarbeitsgericht 53 versucht, damit weginterpretieren, daß man es nur als Abgrenzung zum gesetzlichen Betriebsübergang versteht und deshalb unter §613 a BGB alle Fälle des - auch nur faktischen - Betriebsinhaberwechsels subsumiert, die nicht im Wege einer Gesamtnachfolge stattfinden. Den geschäftsunfähigen Betriebsübernehmer auf die Abwicklung mit dem Veräußerer des Betriebes zu verweisen, hieße, ihm das Risiko aufzuerlegen, daß dieser insolvent ist oder wird. Für die Arbeitnehmer besteht hinsichtlich der Altverbindlichkeiten auch gar kein Schutzbedürfnis. Ihr Schuldner ist und bleibt der Veräußerer des Betriebes, dem er noch gehört. Ihnen einen neuen Schuldner zu verschaffen oder aufzudrängen, der nicht einmal Eigentümer oder Nutzungsberechtigter des Betriebes geworden ist, besteht kein Grund. Zu ganz unannehmbaren Ergebnissen führt die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, wenn der Betriebsübergang rückgängig gemacht wird und der Veräußerer nicht mehr in der Lage ist, den Betrieb fortzuführen. Dann bliebe der Geschäftsunfähige nach außen allein in der Haftung, weil die Rückübertragung ohne Betriebsfortführungsmöglichkeit auch nach der Rechtsprechung und der h. M. nicht von §613 a BGB erfaßt wird. Angemessen und mit dem Schutz des Geschäftsunfähigen vereinbar kann nur eine Lösung sein, die unabhängig davon, ob der Veräußerer in der Lage ist, den Betrieb weiterzuführen, seine Haftung fortdauern läßt, und die Einschränkung seiner Haftung gemäß §613 a II BGB ausschließt. Bei anderen Rückabwicklungsverhältnissen, etwa wegen Anfechtung des schuldrechtlichen Vertrages, wegen Wandlung oder Rücktritts muß
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AP Nr. 44 zu §613 a BGB.
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berücksichtigt werden, daß der Betrieb durch das wirksame dingliche Rechtsgeschäft auf den Erwerber übergegangen ist mit der Folge der Haftung nach §613 a BGB. Die Rückübertragung des Betriebes wird deshalb von §613 a BGB erfaßt54. Der Übernehmer haftet deshalb mit der Einschränkung des § 613 a II BGB auch für die auf ihn übergegangenen Altverbindlichkeiten fort. Das ist angemessen, weil er die eingetretene Wirkung der gesetzlichen Schuldübernahme den Gläubigern gegenüber nicht unter Berufung auf seine Rechtsbeziehungen zu dem Betriebsveräußerer abschütteln kann. Das gilt nach h. M.55 schon für eine vertragliche Schuldübernahme, selbst bei arglistiger Täuschung des Altschuldners jedenfalls dann, wenn der Gläubiger die Täuschung nicht kannte oder kennen mußte. Bei der gesetzlichen Schuldübernahme des §613 a BGB kann der Ubernehmer nicht besser stehen. Ist der frühere Inhaber im Konkurs, hat der Ubernehmer, der nur zur Rückgabe Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises verpflichtet ist, ein Zurückbehaltungsrecht, das dem Konkurs auch dann standhält, wenn der Konkursverwalter nicht gemäß § 17 K O die Erfüllung des Rückabwicklungsverhältnisses wählt. 7.
Zusammenfassung
Zu der ersten Frage, welche Arten des Betriebsübergangs von §613 a BGB erfaßt werden, kann zusammenfassend festgestellt werden, daß neben der Veräußerung auch die Verpachtung oder anderweitige Übertragung zur Nutzung zur Haftung des Übernehmers für Altverbindlichkeiten führt, und zwar auch dann, wenn der Vertrag angefochten werden kann oder der Ubernehmer Wandlung verlangt oder vom Vertrag zurücktritt. Dagegen haftet der Übernehmer nicht, wenn der Übernahmevertrag wegen Geschäftsunfähigkeit des Übernehmers nichtig ist. Der uneigennützige Treuhänder, der den Betrieb für den bisherigen Arbeitgeber verwaltet, haftet ebensowenig persönlich wie der Zwangsverwalter, der den Betrieb des Vollstreckungsschuldners fortführt. III. Der Zeitpunkt des Betriebsübergangs Die zweite Frage, wann die Haftung des Übernehmers einsetzt, ist vor allem von Bedeutung, wenn die Betriebsübernahme schon vor der Konkurseröffnung von dem im Konkurseröffnungsverfahren eingesetzten Sequester eingeleitet worden ist, die Verträge, mit denen die zum L A G Rheinland-Pfalz D B 1985, 344 = ZIP 1985, 305. MünchKomm. 2 -Afósese/ §417 Rdn. 12ff m. Nachw.; a.A. bei arglistiger Täuschung Β G H Z 31, 327. 54
55
Haftung für Altverbindlichkeiten wegen Betriebsübergangs
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B e t r i e b g e h ö r e n d e n G e g e n s t ä n d e ü b e r t r a g e n w e r d e n , aber erst nach d e r K o n k u r s e r ö f f n u n g geschlossen w o r d e n sind. N a c h a n f ä n g l i c h e m S c h w a n k e n 5 6 hat sich die R e c h t s p r e c h u n g des Bundesarbeitsgerichts dahin gefestigt, d a ß d e r Z e i t p u n k t m a ß g e b e n d sei, in d e m d e r E r w e r b e r in die L e i t u n g s m a c h t des Betriebes eintrete 5 7 . A u f den Z e i t p u n k t des A b s c h l u s s e s d e r V e r t r ä g e k o m m e es nicht an. D a s Rechtsgeschäft, das § 6 1 3 a B G B v o r a u s s e t z t , sei w e d e r d e r K a u f - o d e r P a c h t v e r t r a g n o c h die U b e r e i g n u n g d e r Betriebsmittel. V i e l m e h r h a b e es d e n U b e r g a n g d e r L e i t u n g s m a c h t z u m G e g e n s t a n d . D e s h a l b k o m m e es allein darauf an, o b d e r Ü b e r n e h m e r s c h o n v o r o d e r erst nach d e r K o n k u r s e r ö f f n u n g in d e r Lage w a r , die L e i t u n g s m a c h t ü b e r den B e t r i e b o d e r Betriebsteil auszuüben. Richtig ist daran, d a ß d e r U b e r g a n g d e r L e i t u n g s m a c h t arbeitsrechtlich r e l e v a n t sein k a n n . "Wer die L e i t u n g s m a c h t hat, k a n n sie ausüben u n d deshalb ζ . B. den A r b e i t n e h m e r n W e i s u n g e n erteilen. D a m i t ist aber n o c h n i c h t gesagt, d a ß die M ö g l i c h k e i t , die L e i t u n g s m a c h t a u s z u ü b e n , auch ein h a f t u n g s r e l e v a n t e r U m s t a n d sein m u ß . Z u berücksichtigen ist z u n ä c h s t , daß die L e i t u n g s m a c h t n u r v o n einer n a t ü r l i c h e n P e r s o n ausgeübt w e r d e n k a n n , bei d e r Ü b e r n a h m e eines Betriebes also d u r c h d e r e n O r g a n m i t g l i e d e r . In Fällen, in d e n e n die O r g a n m i t g l i e d e r d e r
56 Nach dem Urteil des 2. Senats des BAG vom 13.11.1986 (BB 1987, 761 = DB 1987, 990 = KTS 1987, 510 = ZIP 1987, 525 = EWiR § 613 a BGB 3/87 - Grunsky) soll es darauf ankommen, wann der Übernehmer eine Position erlangt hat, die ihn zur Weiterführung des Betriebes berechtigte. Das Urteil des 7. Senats vom 15.10.1987 (AP Nr. 69 zu §613 a BGB mit Anm. von Windbichler = DB 1988, 712 = ZIP 1988, 48) hebt ebenfalls auf den Zeitpunkt ab, in dem nach objektiver Betrachtungsweise für den Ubernehmer die Möglichkeit bestand, die bisherigen arbeitsorganisatorischen, eigenständigen Leitungszwecke weiter zu verfolgen, die betriebliche Leitungs- und Organisationsmacht zu übernehmen. Diese Möglichkeit sei von dem Zeitpunkt an gegeben, in dem Nutzen und Lasten des Grundstücks vereinbarungsgemäß auf den Ubernehmer übergehen sollten. Demgegenüber hat der 3. Senat (BAGE 55,228 = DB 1988,400 = KTS 1988,344 = MDR 1988,344 = NZA 1988,198 = ZIP 1988,120 = EWiR § 613 a BGB 2 / 8 8 , 2 4 7 - S e i t e r / H e r g e n r ö d e r = EzA Nr. 67 zu § 613 a BGB mit Anm. von Willemsen) am 28.4.1987 entschieden, daß es für die Frage, ob die Haftung des Ubernehmers ausgeschlossen sei, weil der Betrieb aus der Konkursmasse erworben ist, nicht genüge, den Zeitpunkt der faktischen Betriebsübernahme festzustellen. Maßgebend sei nicht, ob die Leitungsmacht vor oder nach der Konkurseröffnung übergehe, sondern ob wirtschaftlich eine Maßnahme der Masseverwertung im Interesse der Konkursgläubiger vorliege oder ob eine vorkonkursliche Vermögensverschiebung stattgefunden habe. Dabei sei zu berücksichtigen, daß vielfach vorläufige Verwalter schon vor der Konkurseröffnung Eilmaßnahmen treffen müssen, die spätere Verwertungshandlungen des Konkursverwalters lediglich vorbereiten sollen. 57 So neben den in Note 56 genannten Entscheidungen des 2. und 7. Senats auch der 3. Senat in den Urteilen vom 8.11.1988 (BB 1989,2041 = DB 1989, 1526 = KTS 1989, 674 = MDR 1989, 846 = NZA 1989, 679 = VersR 1989, 764 = ZIP 1989, 795) und vom 4. 7.1989 (NZA 1990,188 = ZIP 1989,1422); ebenso BSG Urteil vom 14.3.1989 (ZIP 1989,1415) und LAG Köln (ZIP 1989, 1139 = EWiR § 613 a BGB 1 /90, 35 - Hanau); Gaul ZIP 1989, 757 ff.
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übernehmenden Gesellschaft mit denen der übertragenden identisch sind oder - wie in dem vom Landesarbeitsgericht Köln58 entschiedenen Fall die „Führungsmannschaft im wesentlichen personengleich geblieben" ist, kommt es jedenfalls darauf an, in wessen Namen die Leitungsmacht ausgeübt wird. Die Tatsache, daß die Organmitglieder einer vor der Konkurseröffnung zum Zweck der sanierenden Betriebsübernahme gegründeten Gesellschaft mit denen der übertragenden identisch sind, kann nicht einmal als Indiz für einen Betriebsübergang vor der Konkurseröffnung angesehen werden 59 . Ebensowenig kann es darauf ankommen, ob die übernehmende Gesellschaft schon vor der Konkurseröffnung Vereinbarungen über ihr von Dritten zu gewährende Kredite getroffen hat oder an den Verhandlungen der übertragenden Gesellschaft über einen Sozialplan oder über die Auflösung von Arbeitsverträgen beteiligt war 60 . Alle diese Maßnahmen dienen nur der Vorbereitung der Betriebsübernahme. An einer eigenständigen Ausübung der Leitungsmacht fehlt es noch. Selbst wenn aber der Ubernehmer die Leitungsmacht im eigenen Namen ausübt, steht damit noch nicht fest, daß er für die Altverbindlichkeiten nach § 613 a BGB persönlich haftet. Denn entscheidend für die Haftung ist nicht die Leitungsmacht. Vielmehr kommt es darauf an, in wessen wirtschaftlichem Interesse die Leitungsmacht ausgeübt wird. Denn, wie oben gezeigt wurde, üben auch der uneigennützige Treuhänder und der Zwangsverwalter, die den Betrieb fortführen, die Leitungsmacht aus. Jedoch haften sie nicht persönlich für Altverbindlichkeiten des Treugebers oder Vollstreckungsschuldners. Haftungsrechtlich ausschlaggebend kann deshalb nicht der Ubergang der Leitungsmacht sein, sondern nur der Zeitpunkt, von dem an der Betrieb auf Rechnung des neuen Inhabers geführt wird. Solange eine Auffanggesellschaft den Betrieb auf Rechnung des bisherigen Inhabers leitet, führt sie ihn treuhänderisch, ohne für die Altverbindlichkeiten zu haften. Das Bundesarbeitsgericht 61 hat selbst einmal den Ubergang von Nutzen und Lasten als erheblich angesehen, ihn allerdings als Kriterium für die Möglichkeit der Ausübung der Leitungsmacht verstanden. Das ist nicht richtig. Nutzen und Lasten können dem Ubernehmer schon zukommen, bevor ihm die Leitungsmacht übertragen ist. Umgekehrt kann die Leitungsmacht übertragen sein, während Nutzen und Lasten noch dem bisherigen Inhaber verbleiben. Soll der Nutzen nach den getroffenen Vereinbarungen früher übergehen als die Leitungsmacht, so führt der 58 59 60 61
ZIP 1989, 1139. Anders L A G Köln aaO (Fn. 58). Anders L A G Köln aaO (Fn. 58). AP Nr. 69 zu §613 a BGB.
Haftung für Altverbindlichkeiten wegen Betriebsübergangs
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bisherige Inhaber des Betriebes diesen treuhänderisch für den künftigen Übernehmen Deshalb haftet dieser für die Altverbindlichkeiten nach §613 a BGB. Die Übertragung der Leitungsmacht ist also weder eine hinreichende noch eine nur notwendige Bedingung 62 für die Haftungsfolge des §613 a BGB. Richtig ist an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts also nur, daß der Zeitpunkt, von dem an der Übernehmer für Altverbindlichkeiten haftet, nicht durch den Abschluß des Kauf- oder Pachtvertrages oder der Übereignung festgelegt wird. Maßgebend ist vielmehr der Zeitpunkt, von dem an der Betrieb auf Rechnung des Übernehmers geführt wird, diesem also der Ertrag zukommt, und von dem an er das Risiko eines Verlustes trägt. Liegt dieser Zeitpunkt nach der Konkurseröffnung, haftet der Übernehmer nicht für die Altverbindlichkeiten, weil es sich dann um eine Betriebsübernahme aus der Konkursmasse handelt, die nach heute allgemein anerkannter Ansicht keine Haftung für Altverbindlichkeiten auslöst. Dieses Ergebnis kann auch nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil es Anreiz zu Manipulationen zu Lasten der Arbeitnehmer oder des Pensionssicherungsvereins gäbe. Denn auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts haben es die Beteiligten in der Hand, die Haftung für Altverbindlichkeiten auszuschließen. Wird nämlich die Leitungsmacht erst nach der Eröffnung des Verfahrens vom Konkursverwalter übertragen, verneint das Gericht die Haftung des Erwerbers. Den Einwand der Manipulation oder der Umgehung hat das Bundesarbeitsgericht 63 mit Recht zurückgewiesen. Abschließend soll in diesem Teil geprüft werden, wie sich die unterschiedlichen Auffassungen in der Praxis bewähren. Der kritische Fall tritt ein, wenn der Sequester oder der vom vorläufigen Vergleichsverwalter überwachte Schuldner nicht in der Lage ist, den Betrieb fortzuführen. Denn wenn die Fortführung noch möglich ist, bleibt der Streit unerheblich. Der Sequester oder der Schuldner und der vorläufige Vergleichsverwalter können dann die Übertragung der Leitungsmacht oder den Übergang des Nutzens hinausschieben, bis das Konkurs- oder Vergleichsverfahren eröffnet ist und auf diese Weise dem Streit ausweichen. Kann aber der Betrieb nicht fortgeführt werden, müßte er vorerst stillgelegt werden, wenn schon die Übertragung der Leitungsmacht zur Haftung des Erwerbers führen würde. Würde der Sequester die Leitungsmacht übertragen oder der vorläufige Vergleichsverwalter seine Zustimmung zur Übertragung geben, so handelte er pflichtwidrig, weil
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So Willemsen, Anm. zu BAG EzA Nr. 67 zu §613 a BGB. « Urteil vom 4.7.1989 (NZA 1990, 188 = ZIP 1989, 1422); so auch LAG Köln Urteil vom 29.6.1990 - 2 Sa 35/90 - ZIP 1990, 1283 = EWiR §613a BGB 5/90, 975 (Klaas).
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er die volle Deckung der Gläubiger, denen der Übernehmer haftet, zu Lasten der übrigen Konkursgläubiger bewirken würde. Bleibt also nichts anderes als die Stillegung des Betriebs bis zur Eröffnung des Konkursoder Vergleichsverfahrens, so entfällt nicht nur die Haftung des Ubernehmers, weil sie beim Erwerb vom Konkurs- oder Vergleichsverwalter stets ausgeschlossen ist, sondern es besteht darüber hinaus die Gefahr, daß der Kaufpreis für den Betrieb geringer ausfällt. Denn die oft nicht unerheblichen Kosten für die Wiederaufnahme eines stillgelegten Betriebes wird der Käufer in seine Kalkulation einbeziehen. Die Konkursmasse kann also unwirtschaftlich vermindert werden, was sich zu Lasten der Arbeitnehmer, der Bundesanstalt für Arbeit und des Pensionssicherungsvereins auswirken kann. Hebt man dagegen auf den Ubergang des wirtschaftlichen Nutzens und des Unternehmerrisikos ab, kann der Sequester oder der Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Vergleichsverwalters mit dem Übernehmer bereits feste Vereinbarungen über den künftigen Betriebsübergang treffen und dieser kann die finanziellen Voraussetzungen schaffen, also Kreditverhandlungen führen und gegebenenfalls sich um öffentliche Zuschüsse bemühen. Der künftige Übernehmer kann in dem Betrieb bereits organisatorische und technische Umstellungen vorbereiten und Arbeitnehmer des Betriebes für ihre künftigen Aufgaben anleiten, ohne daß er Gefahr läuft, daß darin schon eine Leitungsfunktion und eine Betriebsübernahme gesehen wird. Der Sequester oder der vorläufige Vergleichsverwalter kann den Betrieb fortführen, indem er einen Betriebsmittelkredit aufnimmt, den er absichern kann durch Teilabtretung der künftigen Forderung auf den Erlös aus der Betriebsveräußerung. Er kann den in Aussicht genommenen Erwerber des Betriebes mit dessen treuhänderischer Leitung zum Vorteil und zu Lasten des Gemeinschuldnervermögens und damit der künftigen Konkursmasse betrauen. Der Übergang des Nutzens und des wirtschaftlichen Risikos auf den Übernehmer kann auf die Zeit nach der Konkurseröffnung hinausgeschoben werden. Arbeitnehmer, die Bundesanstalt für Arbeit und der Pensionssicherungsverein stehen nicht schlechter, sondern eher besser, weil Verluste durch die zeitweilige Betriebsstillegung vermieden werden. IV. Die Anfechtung einer Betriebsveräußerung (§30 K O ) Die Vorverlegung des Betriebsübergangs durch das Bundesarbeitsgericht auf den Zeitpunkt, in dem der Übernehmer die Möglichkeit erwirbt, die Leitungsmacht auszuüben, bringt letztlich auch nicht den gewünschten Erfolg, weil Betriebsveräußerungen nach der Zahlungsein-
Haftung für Altverbindlichkeiten wegen Betriebsübergangs
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Stellung oder dem Antrag auf Eröffnung des Vergleichs- oder Konkursverfahrens, also während der Sequestration oder der vorläufigen Vergleichsverwaltung jedenfalls nach § 30 Nr. 1 Fall 2 KO gegenüber den Gläubigern, denen der Übernehmer nach §613 a BGB haftet, anfechtbar sind, wenn das Konkursverfahren oder das Anschlußkonkursverfahren (§§ 102, 1071 VglO) eröffnet worden ist. Die haftungsrechtliche Rechtsfolge des §613 a BGB entspricht der einer Schuldübernahme oder eines Schuldbeitritts mit erleichterter Enthaftung des Altschuldners gemäß §613 a II BGB. Schon das Reichsgericht64 hat entschieden, daß eine Schuldübernahme dem Gläubiger gegenüber anfechtbar sein kann. Der Gläubiger erhält durch die Schuldübernahme eine Sicherung im Sinne der Deckungsanfechtungstatbestände, weil er für seine Forderung, die sonst nur eine Konkursforderung wäre, einen vollwertigen Anspruch gegen den Schuldübernehmer erhält. Die Benachteiligung der Gläubiger tritt ein, wenn der Altschuldner für die Schuldübernahme dem Ubernehmer eine vollwertige Gegenleistung erbracht hat. Der Gläubiger hat dann durch eine mittelbare Zuwendung die Sicherung zum Nachteil der Konkursgläubiger erhalten65. Das trifft nicht nur für die vertragliche Schuldübernahme zu, sondern auch für einen gesetzlichen Schuldbeitritt, der an eine Leistung des Altschuldners an den Ubernehmer anknüpft. Die Gegenleistung des Gemeinschuldners ist nicht nur erbracht, wenn er oder der Sequester den Betrieb vor der Konkurseröffnung schon rechtsgeschäftlich übertragen hat, vielmehr - folgt man dem Bundesarbeitsgericht - auch schon dann, wenn er dem Übernehmer durch Rechtsgeschäft die Möglichkeit verschafft hat, die Leitungsmacht auszuüben. Denn der Ubernehmer braucht die Leitungsmacht nur zurückzuübertragen, wenn er von der Haftung nach § 613 a BGB freigestellt wird, d. h., wenn aus der Konkursmasse der volle Betrag aufgebracht wird, der zur Deckung der durch §613 a BGB begünstigten Gläubiger benötigt wird. Die Leitungsmacht hat also einen wirtschaftlichen Wert, und deshalb beeinträchtigt schon ihre Übertragung die künftige Konkursmasse und benachteiligt deshalb die Gläubiger. Die Anfechtung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Rechtshandlung im Konkurseröffnungsverfahren von einem Sequester vorgenommen worden ist66. Die Anfechtung gegenüber dem Gläubiger hat zur Folge, daß er eine von dem Übernehmer schon erhaltene Leistung, welche die anfechtbar erworbene Forderung gegen den Übernehmer zum Erlöschen gebracht hat, als Wertersatz in die Masse zu zahlen hat67. Hat der
RGZ 46, 101 ff. Jaeger/Henckel KO9 §30 Anm. 176. 66 BGHZ 86, 190; 97, 87; Jaeger/Henckel 67 Jaeger/Henckel KO9 §30 Anm. 178. 64
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KO9 §29 Anm.27ff.
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Gläubiger von dem Übernehmer noch keine Leistung erhalten, hat der Anfechtungsanspruch nicht nur den Inhalt, daß der Gläubiger sich der Einziehung der Forderung bei dem Ubernehmer zu enthalten habe oder diesen Anspruch aufgeben müsse68. Vielmehr muß der Gläubiger die durch die anfechtbare Schuldübernahme erworbene Forderung der Masse zuführen 69 .
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So RGZ 46, 101 ff. Jaeger/Henckel KO9 §30 Anm. 179.
Insiderwissen und Interessenkonflikte im europäischen und deutschen Bankrecht KLAUS J. H O P T
A. Insiderinformationen und Wertpapiergeschäfte von Kreditinstituten: Die EG-Insiderrechts-Richtlinie und deutsches Recht I. Eigene Geschäfte 1. Insiderinformationen
und Wertpapier analyse
In der internationalen Insiderrechtsdiskussion ist unstreitig, daß jedes Insiderhandelsverbot sorgfältig die Informationen aussparen muß, die sich eine Bank oder andere professionell am Börsengeschehen Beteiligte wie Investmentanalysten und Finanzjournalisten aufgrund eigener Wertpapieranalyse und Börsenbeurteilung schaffen. Denn diese Tätigkeit ist für die Banken und Finanzmittler ebenso wichtig wie für die Anleger und für den Kapitalmarkt. Die EG-Insiderrechts-Richtlinie vom 13. November 19891 trägt dem in ihrer Präambel Rechnung. Aufgrund von öffentlichen Angaben erstellte Bewertungen sollen danach nicht als Insiderinformationen angesehen werden können. Konsequent sind dann auch alle aufgrund dieser Art von Bewertung getätigten Geschäfte für die Bank selbst oder ihre Klienten keine Insidergeschäfte im Sinne der Richtlinie. So klar das in der Theorie ist, so schwierig kann diese Unterscheidung in der Praxis sein. Das gilt besonders für die aus den USA bekannten Managementinterviews und Vorortbesuche der Investmentanalysten in Betrieben und Unternehmen, wie sie sich zunehmend auch in Europa einbürgern. Erhält der Analyst, sei er bankangestellt oder selbständig, dabei eine Information, die als Insiderinformation anzusehen ist, darf er diese weder zur Grundlage einer Wertpapiertransaktion noch einer Empfehlung machen, weil die Bewertung dann nicht allein aufgrund von öffentlichen Angaben erstellt ist. Andererseits sind eine Bank oder ein Investmentanalyst aufgrund ihrer Erfahrung und eigener Recherchen 1 Richtlinie 89/592 vom 13. N o v . 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. E G 18.11.1989, L 334/30.
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besser als andere in der Lage, aus einem bestimmten Verhalten der Gesellschaft am Markt oder aus Pressemitteilungen des Managements die richtigen Schlüsse zu ziehen. In diesem letzteren Fall sind sie unter der EG-Insiderrechts-Richtlinie nicht daran gehindert, aus ihrem Wissens- und Erfahrungsvorsprung Kapital zu schlagen. Denn nicht auf die Gleichheit der Information kommt es an, sondern auf die Chancengleichheit beim Zugang zu der Information 2 . Auch wenn die Bank oder der Investmentanalyst eine Insiderinformation erhalten, bedeutet das nicht, daß sie von dem Wertpapiergeschäft bzw. der Investmentempfehlung ganz Abstand nehmen müßten. Denn wenn die öffentlichen Angaben und die Portfolioanalyse für sich allein das Geschäft bzw. die Empfehlung tragen, dann sind diese legal3. Praktisch läuft das auf eine Tatfrage hinaus, nämlich ob die Aufsichtsbehörde oder letztlich der Richter in einem späteren Verwaltungs-, Zivil- oder Strafverfahren davon zu überzeugen sind, daß das Wertpapiergeschäft bzw. die Empfehlung nicht „unter Ausnutzung" der Insiderinformation getätigt worden ist. 2. Insiderinformationen,
Marktmacher
und Kurspflege
Die Information, daß ein Marktmacher in den Markt geht oder daß der Emittent oder die Emissionsbank die emittierten Papiere durch Kurspflege stützen, ist zweifellos eine Insiderinformation im Sinne von Art. 1 (1) der EG-Insiderrechts-Richtlinie. Der Marktmacher selbst hat kraft seiner Berufstätigkeit notwendigerweise Informationen über die Zahl und den Inhalt von Börsenorders. Wenn das ausreichen würde, um diese Informationen auch für den Marktmacher und entsprechend für den Kurspfleger selbst zu Insiderinformationen zu machen, dann wäre das das Ende des Marktmachens und der Kurspflege. So weit kann Insiderhandelsverbot also keinesfalls reichen, auch wenn man wie unter der Richtlinie für Insiderinformationen rein marktbezogene Informationen genügen läßt 4 . Die Präambel der Richtlinie stellt auch dies klar. 2 Davies, The Take-over Bidder Exemption and the Policy of Disclosure, in: Hopt/ Wymeersch, eds., European Insider Dealing - Law and Practice - , London 1991, p. 243 at 252 mit amerikanischen Quellen. 3 Ebenso für Großbritannien Suter, The Regulation of Insider Dealing in Britain, London 1989, p.284; Wymeersch, The Insider Trading Prohibition in the E C Member States: A Comparative Overview, in: Hopt/Wymeersch, loc. cit. (Fn. 2), p. 65 at 89-90. Für die Schweiz Meier-Schatz, Die Rechtsposition der Ersteller von Finanzanalysen, in: Colloque Les prises de participations: l'exemple des offres publiques d'achat/Kolloquium Erwerb von Beteiligungen am Beispiel der öffentlichen Ubernahmeangebote, Lausanne 1990, p. 519 at p. 536. 4 Art. 2 (1) dritte Alternative der EG-Insiderrechts-Richtlinie; Hopt, Europäisches und deutsches Insiderrecht, Z G R 1991, 17 (31).
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Wenn ein Marktmacher oder eine Stelle, die befugt ist, als „contrepartie" zu handeln, über eine Insiderinformation verfügen und sich darauf beschränken, ihre normale Tätigkeit des An- und Verkaufs von Wertpapieren auszuüben, kann allein darin keine Ausnutzung dieser Information gesehen werden. In der Praxis sind auch hier Schwierigkeiten zu erwarten 5 , die allerdings unvermeidlich sind. Denn die Abgrenzung zwischen verbotenen Insidergeschäften und den nicht nur legitimen, sondern geradezu erwünschten Tätigkeiten des Marktmachers und der Kurspflege wäre auch dann nötig, wenn Marktmacher und Kurspflege nicht besonders ausgenommen worden wären. Klarstellungen dazu sind auch gar nicht von einem Insiderrecht zu erwarten, vielmehr ist grundsätzlicher zu entscheiden, ob das jeweilige Börsenhandelssystem auf Marktmacher zurückgreift und inwieweit Kurspflege eher als eine für Anleger und Kapitalmarkt grundsätzlich nützliche Sache angesehen wird oder vielmehr als unerlaubte Kursmanipulation. Dazu gibt es in den USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich ganz erhebliche Rechtsunterschiede 6 . Auf jeden Fall geht es hier um Entscheidungen, die im jeweiligen nationalen oder auch europäischen Bank- und Börsenrecht zu treffen sind, die Insiderrechte ziehen nur nach7.
3. Die Freistellung für
Zentralbankgeschäfte
Die EG-Insiderrechts-Richtlinie findet auf alle Insider einschließlich der Banken und anderen Finanzmittler Anwendung. Das kann auch gar nicht anders sein, weil eines der Ziele des dort statuierten Insiderhandelsverbots das Vertrauen der Anleger in die Sauberkeit der Wertpapiermärkte ist und weil die Banken und anderen Finanzmittler eben diejeni5
Wymeersch, loc. cit. (Fn. 3), p. 83. Für die USA z. B. Hawes, Manipulation: An ancient abuse and present concern, Report to the International Organization of Securities Commissions (IOSCO), November 1988, Melbourne; Loss, Fundamentals of Securities Regulation, Boston, Toronto 1983, p. 982. - Für Großbritannien bezüglich der Tätigkeit als jobber und als market maker section 3 (1) (c) and (d) of the Companies Securities (Insider Dealing) Act 1965 und betreff Kurspflege section 6 of the Companies Securities (Insider Dealing) Act 1965 mit section 48 of the Financial Services Act 1986; Hannigan, Insider Dealing, London 1988, p. 86 and 88. - Für Deutschland ζ. Β. Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, München 1975, p. 495; Meyer/Bremer, Börsengesetz, 4. Aufl., Berlin 1957, §88, Anm. 2. - Für Frankreich Art. 217-2 loi du 24 juillet 1966 (régularisation des cours) und die Vermutung der Legitimität von bestimmten Kurspflegeoperationen bei der Emission, dazu Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 41 et s. - Für die Schweiz Böckli, Insiderstrafrecht und Verantwortung des Verwaltungsrates, Zürich 1989, S. 105 ff - Für weitere Länder Wymeersch, loc. cit. (Fn. 3), p. 82-83. 7 Ein gutes Beispiel ist section 6 of the British Companies Securities (Insider Dealing) Act 1965. 6
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gen sind, die professionell an diesen Märkten tätig sind8. Die bislang behandelten Fälle der Wertpapieranalyse, des Marktmachens und der Kurspflege fallen auch ohne besondere Freistellungsnorm nicht unter die Richtlinie. Demgegenüber enthält Art. 2 (4) eine Freistellung für Geschäfte, die aus geld- oder währungspolitischen Gründen oder im Rahmen der öffentlichen Schuldenverwaltung durch den Staat, seine Zentralbank oder andere staatlich beauftragte Stellen getätigt werden. Diese Vorschrift war in den beiden Richtlinienvorschlägen vom 25. Mai 19879 und 4. Oktober 198810 noch nicht enthalten, sondern wurde erst durch das Ratskomitee der ständigen Vertreter eingefügt. Der Grund ist klar: Diese Operationen sind wichtige Parameter jeder staatlichen Haushalts- und Zentralbankpolitik und sollen nicht den Anleger- und Kapitalmarktschutzzielen untergeordnet werden. Andererseits ließ man im Ratskomitee den ursprünglichen Plan einer weitergehenden Freistellung sowohl bezüglich der erfaßten Personen als auch der betroffenen Operationen zu Recht fallen, weil man negative Auswirkungen einer so weitgehenden Freistellung des Staates auf die Anlegerschaft und die Kapitalmärkte befürchtete. Diese Freistellung deckt eindeutig nicht private Insidergeschäfte jeglicher Art im Zusammenhang mit den genannten staatlichen Operationen. Denn diese Geschäfte wären nicht selbst solche „aus geld- oder währungspolitischen Gründen oder im Rahmen der öffentlichen Schuldenverwaltung". Zentralbankmitglieder können deshalb durchaus Insider im Sinn der Richtlinie sein und Insiderinformationen über noch nicht bekannte Entscheidungen der Zentralbank haben11; sie unterliegen dann dem Insiderhandelsverbot. Schwieriger ist es, wenn der Staat selbst nicht nur aus geld- oder währungspolitischen Gründen oder im Rahmen der öffentlichen Schuldenverwaltung handelt, sondern auch mit fiskalischen Motiven. Der Zweck der marktorientierten Regelung der Richtlinie gebietet es, daß der Staat oder andere öffentliche Stellen, wenn sie am Markt auftreten, keine Sonderstellung erhalten, sondern sich dem Wettbewerb unter gleichen Bedingungen wie private Unternehmen stellen müssen12. Demnach ist Art. 2 (4) eng dahin auszulegen, daß solche 8 Der Umstand, daß ein Berufshändler bei Erwerb oder Veräußerung der Wertpapiere eingeschaltet ist, löst zwingend die Anwendbarkeit des Insiderhandelsverbots nach Abs. 1 aus, so Art. 2 (3) Unterabs. 1 der EG-Insiderrechts-Richtlinie. Dagegen können Wertpapiertransaktionen ohne Einschaltung eines solchen Berufshändlers außerhalb eines W e r t papiermarktes i. S. v. Art. 1 Ziff. 2 letzter Satzteil von jedem Mitgliedstaat nach A n . 2 (3) Unterabs. 2 von dem Verbot ausgenommen werden. 9 K O M (87) 1 1 1 fin., ABl. E G 1 1 . 6 . 1 9 8 7 , C 153/8. 10 K O M (88) 549 endg. - S Y N 85, ABl. EG 2 7 . 1 0 . 1 9 8 8 , C 277/13. 11 Hopt, Z G R 1991, 17 (38 f). 12 Beispiele finden sich im deutschen Konzern-, Kartell- und Wettbewerbsrecht.
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staatlichen Operationen nur dann freigestellt sind, wenn sie sich strikt auf die dort genannten Zwecke beschränken. Eine andere Frage ist es, ob dann, wenn sich die Operation im Rahmen des Art. 2 (4) gehalten hat und dabei Gewinne angefallen sind, für die Verwendung dieser Gewinne bestimmte Beschränkungen angezeigt sind. Das ist indessen keine Insiderrechtsfrage mehr, sondern wäre allgemeiner zu regeln. Ordnungspolitisch sollten solche staatlichen oder Zentralbankgewinne nicht einfach frei im Haushalt verwendet werden dürfen, doch wäre eine solche Vorschrift politisch wohl nur schwer durchzusetzen.
4. Fragliche Geschäfte (Unterlassung von Käufen und Verkäufen, Vorlaufen, Bankdienstleistungen bei Übernahmeangeboten) a ) Unter der EG-Insiderrechts-Richtlinie werden Banken aber auch nicht strenger als andere Insider behandelt. Ebenso wie bei diesen erstreckt sich deshalb das Insiderhandelsverbot auf eine Unterlassung, bestimmte Wertpapiergeschäfte zu tätigen, also auch dann nicht, wenn hierfür klar eine Insiderinformation ausschlaggebend war, ζ. B. weil die Bank negative Informationen über eine Gesellschaft von einem Bankenvertreter in deren Aufsichtsrat erfahren haben sollte. Das gilt dann konsequent nicht nur für unterlassene Eigengeschäfte, sondern auch für unterlassene Kundengeschäfte. Fraglich bleibt, wieviel an Glaubwürdigkeit ein Insiderrecht dadurch einbüßt, daß solche Unterlassungen rechtlich nicht erfaßt sind. Wahrscheinlich einiges, wenngleich nicht sonderlich viel, schon weil das Ausnutzen der Insiderinformation durch Unterlassen einer geplanten Transaktion nach außen kaum sichtbar wird. Das Problem ist eher, daß wirtschaftlich auch das Unterlassen ganz eindeutig ein Ausnutzen der Insiderinformation ist und dies leicht zur Versuchung führen mag, gegebenenfalls auch einmal positiv Insidergeschäfte zu tätigen, etwa wenn die Bank in einer prekären Situation ist. Deshalb sollte auch die Ausnutzung von Insiderinformationen durch Unterlassungen jedenfalls für Kreditinstitute als unzulässig angesehen werden, zwar nicht nach Insiderrecht, aber doch nach Bankaufsichtsrecht, nämlich als unvereinbar mit guten Bankpraktiken. Die Bankaufsichtsbehörde müßte dann in solchen Fällen einschreiten, zwar gewiß nicht derart, daß die Bank das verlustreiche Geschäft gegen ihr besseres Insiderwissen doch noch tätigen müßte, sondern vielmehr mit dem Ziel, den internen Informationsfluß in der Bank so zu organisieren, daß es auch bankintern nicht zur Weitergabe und Ausnutzung solcher Insiderinformationen kommt, auch nicht im Wege der Unterlassung. In Frankreich hat das Gesetz vom 22.Januar 1988 diesen Weg verfolgt und verlangt, daß Banken und Finanzmittler interne Regeln über Eigengeschäfte von Angestellten
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sowie gegen den freien Fluß von vertraulichen Informationen innerhalb der Bank selbst, außer soweit unumgänglich, aufstellen müssen 13 . Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie das allgemeine Insiderrecht durch bereichsspezifische Insiderrechte wie z.B. im Gesellschafts-, Bank- und Insolvenzrecht ergänzt werden kann und sollte 14 . b) Die Praxis des sogenannten Vorlaufens findet sich in verschiedener Weise. Ein amerikanischer land mark case, SEC ν. Capital Gains Research Bureau 15 , behandelte die Praktiken des Herausgebers eines Börsendienstes, kurz vor Empfehlung eines Wertpapiers zur langfristigen Anlage solche Papiere selbst günstig zu kaufen und sie sofort nachher, wenn der Kurs infolge der Nachfrage gestiegen war, mit Gewinn wieder zu verkaufen. Das wurde als Betrug unter dem Investment Advisers Act von 1940 angesehen, jedenfalls wenn nicht zuvor den Anlegern offenbart. In anderen Ländern wie Deutschland, Frankreich und der Schweiz sind solche Praktiken klar berufsrechtswidrig 16 . Eine andere Fallgruppe ist das Ausnützen der Insiderinformation durch eine Bank, einen Börsenmakler oder einen Eigenhändler, die Kenntnisse über das Vorliegen eines Kundenauftrags haben. Wenn die Bank aus diesem Anlaß vor dem Kunden kauft oder verkauft und dadurch den Preis zuungunsten des Kunden beeinflußt, verletzt sie ohne weiteres ihre Interessenwahrungspflicht gegenüber dem Kunden. Die Beurteilung ist schwieriger, wenn die Bank ohne negative Auswirkungen auf den Kunden handelt, etwa wenn sie zum gleichen Zeitpunkt und zum gleichen Kurs wie der Kunde kauft oder wenn sie die Insiderinformation auf einem anderen Markt,
13
Commission de deontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 36. Siehe Hopt, Z G R 1991, 17 (66-72). 15 375 U.S. 180 (1963). - Vgl. dazu Carpenter (and Winans) v. US, 108 S. Ct. 316 (1987); in diesem Fall wurde der Reporter einer Finanzzeitung, des Wall Street Journal, der Informationen, die in einer regelmäßig erscheinenden Finanzkolumne analysiert werden sollten, ausgenutzt hatte, wegen Verletzung der Kapitalmarktgesetze verurteilt. Der Supreme Court gab aber, da die Meinungen der Richter geteilt waren, keine nähere Erläuterung dazu. Die Entscheidung des appellate court war mit der misappropriation theory begründet. Die Frage, ob auch das Wall Street Journal selbst bei Ausnutzung dieser Informationen durch derartige Wertpapiergeschäfte gegen das Insiderhandelsverbot verstoßen hätte, wurde offengelassen. U.S. v. Carpenter, 791 F . 2 d 1024 (2nd Cir. 1986) at 1033 note 10. Zur Behandlung von Finanzjournalisten in anderen ausländischen Insidergesetzen Wymeersch, loc. cit. (Fn. 3), p. 89-91. 16 Für Deutschland Hopt, Berufshaftung und Berufsrecht der Börsendienste, Anlageberater, Vermögensverwalter, Festschrift für Fischer, Berlin, N e w York 1979, S.237 (248 ff); auch Schwarze, The European Insider Dealing Directive and its Impact on the Member States, Particularly Germany, in: Hopt/Wymeersch, loc. cit. (Fn. 2), p. 151 at 155. - Für Großbritannien Cranston, Insider Dealing - Informational Imbalances and Financial Businesses, in: Hopt/Wymeersch, loc. cit. (Fn. 2), p. 203 at 215. — Für Frankreich Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 27. 14
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beispielsweise dem Options- oder Futuresmarkt ausnutzt. Dieses Intermarktvorlaufen ist offenbar eine verbreitete Praxis und war Gegenstand einer gemeinsamen Untersuchung der New Yorker und Chicagoer Wertpapierbörsen 17 . Auch diese Form des Vorlaufens verstößt gegen die Berufspflichten der Banken, Börsenmakler und Eigenhändler. Fraglich ist aber, ob Vorlaufen auch als ein verbotenes Insidergeschäft angesehen und geahndet werden kann. Wie an anderer Stelle gezeigt, fallen unter Insiderinformation im Sinn der EG-Insiderrechts-Richtlinie nicht nur unternehmensbezogene Informationen, sondern auch rein marktbezogene 18 . Der Umstand, daß der Bankkunde eine wichtige Kaufoder Verkaufsorder gegeben hat, kann, wenn öffentlich bekannt, je nach Umständen durchaus geeignet sein, den Kurs dieses Wertpapiers beträchtlich zu beeinflussen. Dann liegt aber eine Insiderinformation im Sinne von Art. 1 (1) der Richtlinie vor. Vorlaufen in der zweiten oben genannten Form kann also ein verbotenes Insidergeschäft der Bank sein. Beim Vorlaufen in der erstgenannten Form stellt der Umstand, daß die Bank oder der Anlageberater im Begriff sind, eine entsprechende Anlageempfehlung zu geben, die ihrerseits geeignet ist, den Kurs beträchtlich zu beeinflussen, sicher eine Insiderinformation für einen Dritten (z.B. Bankangestellten oder auch Bankkunden) dar, der sich dieser Information vor ihrem öffentlichen Bekanntwerden an der Börse bedient. Zweifelhaft ist dagegen, ob die Bank bzw. der Anlageberater selbst ein Insidergeschäft tätigen, wenn sie im Hinblick auf diese kommende Empfehlung handeln. Denn die Insiderinformation stammt dann von dem Insider selbst. Nach der Präambel der EG-InsiderrechtsRichtlinie stellt aber, da dem Erwerb oder der Veräußerung von Wertpapieren stets eine entsprechende Entscheidung der Person vorausgehen muß, die eines der beiden Geschäfte tätigt, die Tatsache dieses Erwerbs oder dieser Veräußerung nicht schon als solche eine Verwendung einer Insider-Information dar. Sonst wäre jedes vorausgeplante Wertpapiergeschäft ein verbotenes Insidergeschäft. Indessen trifft dies nicht ohne weiteres auch für die Anlageberatung zu. Denn das Erteilen von Anlagerat ist nicht als solches ein Insidergeschäft unter Art. 2 der Richtlinie, weil der Anlageberater selbst Wertpapiere weder kauft noch verkauft. Der Anlageberater verletzt auch nicht das Verbot des Tipping nach Art. 3, wenn er später den Anlagerat wie geplant druckt. Deshalb ist es ohne weiteres möglich, das Bevorstehen einer Anlageempfehlung als Insiderinformation auch für den Anlageberater selbst zu behandeln, ohne daß das die in der Präambel befürchteten Konsequenzen hätte.
17 18
„Börsen untersuchen Manipulations verdacht", FAZ Nr.263, 1 1 . 1 1 . 1 9 8 9 , p. 19. Oben Fn. 4.
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Demnach erscheint es zumindest als vertretbar, auch das Vorlaufen des Anlageberaters wie im Fall SEC ν. Capital Gains Research Bureau als Insidergeschäft im Sinne der Richtlinie zu betrachten. c) Insiderhandeln der Bank im Zusammenhang mit Ubernahmeangeboten ist an anderer Stelle ausführlich behandelt19. Hier muß die Feststellung genügen, daß die Bank, die entweder für den Bieter oder die Zielgesellschaft tätig wird, sehr sorgfältig prüfen muß, ob sie bei Verwendung der dabei erlangten Informationen nicht gegen das Insiderhandelsverbot verstößt. Zunächst ist wiederum klar, daß das bevorstehende Ubernahmeangebot eine Insiderinformation für alle Personen außer den Bieter und seine Gruppe darstellt. Der Bieter selbst darf dagegen, ohne gegen das Insiderhandelsverbot zu verstoßen, in der Zeit vor dem Ubernahmeangebot seinen Besitz an Papieren der Zielgesellschaft weiter aufstocken, weil, wie soeben erwähnt, nach der Richtlinie die Ausführung der Entscheidung, Wertpapiergeschäfte zu tätigen, nicht schon als solche die Verwendung einer Insiderinformation darstellt. Indessen ist die Präambel der Richtlinie speziell zu Vorauskäufen des späteren Bieters nicht wirklich eindeutig20. Jedenfalls wollte die EG-Insiderrechts-Richtlinie diese wichtige Frage aus dem Recht der Ubernahmeangebote sicher nicht selbständig im Vorgriff auf die spätere Ubernahmerichtlinie regeln. Das gilt es bei dem hier gestellten Auslegungsproblem zu berücksichtigen. In einigen nationalen Rechtsordnungen ist die Frage gesehen und jedenfalls bis auf weiteres durch eine dementsprechende Freistellung für die späteren Bieter geregelt worden. So verstößt beispielsweise in Frankreich, in England und in den USA der Bieter mit solchen Vorauskäufen nicht gegen die Übernahmevorschriften21. Dann kann dies konsequent aber auch nicht als verbotenes Insiderhandeln angesehen werden22, es sei denn 19
Davies, loc. cit. (Fn. 2), p. 243 et seq.; Wymeersch, loc. cit. (Fn. 3), p. 80-82. Davies, ebenda, p.247. 21 Für die USA Rule 1 0 b - 1 3 e contrario. - Für Großbritannien Rule 4 . 1 . (a) of the British Take-over C o d e und note 1 on Rule 4; Hannigan, loc. cit. (Fn. 6), p. 87; Davies, loc. cit. (Fn.2), p . 2 4 7 ; Cranston, loc. cit. (Fn. 16), p.207-208. - Für Frankreich Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 29, 49. - Für die Schweiz Böckli, a a O (Fn. 6), S . 9 5 f f . 22 Für Großbritannien sec. 1 (5), 3 (2) of the Companies Securities (Insider Dealing) Act 1985; Hannigan, loc. cit. (Fn. 6), p. 87. - Für die Schweiz Forstmoser, Das neue schweizerische Insider-Recht, Zürich (Bank Vontobel) 1988, p . 2 3 ; ders., S A G 1988, 122 (132); Böckli, a a O (Fn.6), S. 95 ff, aber anders für M B O s , ebenda S. 108 ff. - Zur unklaren Reichweite der affirmative disclosure in den U S A z. B. über Fusionsverhandlungen Steinberg/Goldman, Issuer Affirmative Disclosure Obligations - A n Analytical Framework For Selected Topical Issues, in: Steinberg, ed., Contemporary Issues in Securities Regulation, L o n d o n 1988, p. 223. 20
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es kämen zusätzliche Umstände dazu wie wechselseitige Aufsichtsratsmandate, Uberkreuzbeteiligungen u. a. In Deutschland nehmen die Insiderhandels-Richtlinien Geschäfte aufgrund eigener unternehmerischer Planung ausdrücklich aus23. Hingegen verbieten die deutschen Leitsätze für öffentliche freiwillige Kauf- und Umtauschangebote von 1979 solche Vorauskäufe des Bieters und anderer eingeweihter oder mit der Sache befaßter Personen von dem Zeitpunkt an, in dem von dem geschäftsführenden Organ des Bieters die Abgabe eines Kauf- oder Umtauschangebots beschlossen worden ist, bis zu seiner Bekanntgabe24. Da diese Leitsätze jedoch rein freiwillig und sanktionslos sind, ist die Praxis im wesentlichen dieselbe wie in den anderen Ländern. Spezieller für Banken und andere Finanzmittler müssen zwei Fallgruppen unterschieden werden. In der ersten handelt die Bank für den Bieter oder ist sogar Teil seiner Gruppe. Dann gilt die oben genannte Freistellung für den Bieter auch für die Bank 25 . Die EG-InsiderrechtsRichtlinie sollte ebenso ausgelegt werden, jedenfalls bis das künftige europäische Recht für Übernahmeangebote 26 dazu eine Entscheidung trifft. Bei der zweiten Fallgruppe informiert der Bieter einige Banken und andere befreundete institutionelle und private Anleger über das bevorstehende Ubernahmeangebot, um später Verbündete zu haben, falls diese seiner Aufforderung, Aktien der Zielgesellschaft aufzukaufen, Folge geleistet haben. Diese verbreitete Praxis des sogenannten warehousing ist in Großbritannien ebenso wie in den USA umstritten27. Noch problematischer ist es, wenn dann die Bank von sich aus weitere Arbitrageure informiert. Denn deren Käufe lassen sich kaum mehr
23 § 1 Nr. 2 lit. b der deutschen Insiderhandels-Richtlinien von Juni 1988, abgedruckt und kommentiert in: Baumbach/Duden///opt, Handelsgesetzbuch (HGB), 28. Aufl., München 1989, (16) Insiderhandels-Richtlinien. 24 Β 4 Insiderhandels-Richtlinien von 1979, in: Baumbach/Duden///op£, aaO (Fn. 23), (18) Ubernahmeangebote; Assmann/Bozenhardt, Ubernahmeangebote als Regelungsproblem zwischen gesellschaftsrechtlichen Nonnen und zivilrechtlich begründeten Verhaltensgeboten, in: Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer, Ubernahmeangebote, ZGR-Sonderheft 9, Berlin 1990, S. 1 (69). 25 Davies, loc. cit. (Fn. 2), p. 254; Wymeersch, loc. cit. (Fn. 3), p. 81. Vgl. auch Cranston, loc. cit. (Fn. 16), p. 202-203, 212-213 zum inspectors' report on Consolidated Gold Fields pic of 1989. Auch Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 30. 26 Dazu der Vorschlag einer 13. EG-Richtlinie über Übernahmeangebote vom 19.1.1989, ABl. E G 14.3.1989, C 64/8 und jetzt geänderter Vorschlag vom 14.9.1990, ABl. E G 26.9.1990, C 240/7; Mertens, AG 1990, 252; Hopt, Übernahmeangebote im europäischen Recht, Festschrift für Rittner, München 1991, 187. 27 Hannigan, loc. cit. (Fn. 6), p. 87 et s.; Davies, loc. cit. (Fn.2), p. 254; auch von Falkenhausen, Das "Takeover-Game" - Unternehmenskäufe in den USA - , Festschrift für Stiefel, München 1987, S. 163 (178).
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unterscheiden von Privatkäufen von Bankangestellten und sonstiger Dritter, die klare Insidergeschäfte sind und keinesfalls mehr erlaubt sein können. Warehousing ist jedenfalls in der zweiten weiteren Form auch bei großzügiger Auslegung durch die Präambel der EG-InsiderrechtsRichtlinie nicht mehr gedeckt. Sollte der Europäische Rat tatsächlich so weit in der Förderung von Ubernahmeangeboten zu Lasten des Anlegerschutzes gehen wollen, müßte das im künftigen europäischen Recht der Ubernahmeangebote klar gesagt werden. Das Insiderrecht würde dann nachziehen. Besondere Probleme werfen die in der internationalen Praxis schon verschiedentlich vorgekommenen Fälle auf, in denen Insiderinformationen nicht von der Bank und anderen Finanzmittlern gesucht, sondern ihnen zu dem Zweck zugänglich gemacht oder sogar aufgedrängt werden, um sie zu Insidern zu machen und sie so aus einer bevorstehenden Übernahmeschlacht von vornherein auszuschalten28. Das Insiderhandelsverbot macht nun allerdings keinen Unterschied danach, ob jemand die Insiderinformation gezielt erwirbt oder zufällig auf sie stößt oder ob sie ihm geradezu aufgedrängt wird. Es ist auch nicht ohne weiteres möglich, hier mit Rechtsmißbrauchsgrundsätzen zu arbeiten, weil bei Insidergeschäften auch andere Interessen als nur die Interessen desjenigen betroffen sind, der die Insiderinformation möglicherweise aufgedrängt hat. Trotzdem muß eine Lösung gesucht werden, die verhindert, daß sich ein solches Aufdrängen für den späteren Bieter auszahlt. Diese Lösung kann unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob das nationale Insiderrecht straf-, verwaltungs- oder zivilrechtlicher Art ist. Auch zivilrechtlich werden dazu mehrere Fallgruppen gebildet und unterschiedlich behandelt werden müssen.
II. Kundengeschäfte 1. Bloße Ausführung von
Kundenaufträgen
Die bloße Ausführung von Kundenaufträgen ist nach den deutschen Insiderhandels-Richtlinien ausdrücklich ausgenommen29. Die Bank oder der Börsenmakler, die selbst Insiderinformationen haben, dürfen also eine einschlägige Kundenorder trotzdem ausführen. Unter der E G Insiderrechts-Richtlinie ist genauso zu entscheiden. Nach der Präambel handeln Börsenbroker, die über eine Insiderinformation verfügen, wenn 28 Vgl. in anderem Zusammenhang Cranston, loc. cit. (Fn. 16), p. 206; ferner unten Β II am Ende. 29 § 1 Ziff. 2 a der Insiderhandels-Richtlinien, aaO (Fn. 23): Geschäfte aufgrund von Weisungen. Die Verantwortlichkeit des Weisungsgebers bleibt unberührt.
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sie nur einen Kundenauftrag ausführen, nicht in Ausnutzung dieser Insiderinformation. Das ist richtig, denn es kann keinen Unterschied machen, ob die Kundentransaktion durch eine Bank ausgeführt wird, die Insiderinformationen hat, oder eine, die keine hat. Der Fall liegt geringfügig anders, wenn die Bank weiß, daß die Kundenorder ihrerseits auf einer Insiderinformation des Kunden beruht. Dann, so könnte man meinen, muß die Bank die Ausführung der Order ablehnen, um nicht selbst Beihilfe zu einem verbotenen Insidergeschäft zu leisten30. Die besseren Gründe sprechen jedoch dagegen. Allgemein würde das nämlich darauf hinauslaufen, daß die Bank für die Insidergeschäfte ihrer Kunden mitverantwortlich gemacht wird. Das hätte praktisch zur Folge, daß die Banken dann jeweils sicherstellen müßten, ob der Kunde aufgrund von Insiderinformationen handelt oder nicht. Das wäre sehr aufwendig und vor allem gänzlich ineffizient. Die Antwort mag dann anders ausfallen, wenn die Bank dem Kunden speziell zu dem Zweck Kredit gewährt, um die von ihm als Insidergeschäft geplante und von der Bank als solches erkannte Transaktion überhaupt erst zu ermöglichen31. Die Erlaubnis, Kundenaufträge auszuführen, ist allerdings nicht schlechthin ein Freibrief für die Bank oder den Börsenmakler. Erhalten diese im Hinblick darauf, daß es sich um ein Insidergeschäft des Kunden handelt, mehr als den normalen Gewinn oder die übliche Provision oder sollen sie sogar an dem erwarteten Gewinn aus dem Insidergeschäft beteiligt werden, verletzen sie durch ihre Bank- bzw. Börsendienstleistung auch selbst das Insiderhandelsverbot. 2. Insidergeschäfte für bevorzugte
Kunden
Art. 2 (1) stellt klar, daß Insiderhandeln im Sinne der Richtlinie nicht nur bei Eigengeschäften vorliegt, sondern auch bei Fremdgeschäften, seien sie direkt oder indirekt. Art. 3 verbietet das Tipping in zwei Formen, der Weitergabe der Insiderinformation an einen Dritten und der Empfehlung an den Dritten aufgrund dieser Insiderinformation. Eine Ausnahme für Banken, die als Treuhänder, Portfoliomanager 32 , Vermögensverwalter oder Anlageberater Kundeninteressen wahrnehmen, ist nicht vorgesehen. Im Grundsatz entscheidet somit das europäische Recht ebenso wie das amerikanische in Cady Roberts und späteren
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In diesem Sinne ζ. B. Böckli, aaO (Fn. 6), S. 40. Darin hat Böckli, ebenda, S. 39 et s., recht. Dazu Wymeersch, loc. cit. (Fn. 3), p. 83.
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Fällen33, das britische34 und das französische35: Die Bank darf die Insiderinformation nicht ihren Kunden und schon gar nicht lediglich bestimmten bevorzugten Kunden weitergeben oder sie für diese durch Anlagetips oder bei der Vermögensverwaltung ausnutzen. In Deutschland war dies bisher streitig. Die besseren Gründe sprachen für die Möglichkeit und sogar die Pflicht der Bank, im Interesse der Kunden bei der Anlageberatung und der Vermögensverwaltung auch Insiderinformationen zu verwerten36. Das beruht darauf, daß es in Deutschland bislang kein allgemeines rechtsverbindliches Insiderhandelsverbot gibt. Dann ist es aber nicht miteinander vereinbar, daß die Bank selbst legal (wenn auch vielleicht unter Verletzung freiwillig übernommener Vertragspflichten unter den Insiderhandels-Richtlinien) Insidergeschäfte tätigen kann, während sie diese Informationen ihren Kunden, deren vertraglicher Interessenwahrer sie ist, vorenthalten könnte. Die EG-Insiderrechts-Richtlinie bringt hier einen Neuanfang. Nach ihrer Transformation wird deshalb in Deutschland grundsätzlich (Ausnahmen unten 3 und 4) dasselbe gelten müssen wie schon bisher in den oben genannten anderen Ländern. 3. Interessenwahrungs- und Warnpflichten gegenüber Wertpapierkunden Die Problematik erweist sich am besten an folgendem Fallbeispiel: Bank Β arbeitet für die Gesellschaft D. Dabei erfährt B, daß in der Gesellschaft gravierende Unregelmäßigkeiten vorkommen, daß die Aktienkurse von der Gesellschaft manipuliert werden und daß D am Rande des Konkurses steht. Darf Β dennoch eine Kaufempfehlung geben, die ohne diese Insiderinformation gerechtfertigt wäre? Darf oder muß die Bank ihre Kunden warnen oder die Insiderinformation solchen 33 In the Matter of Cady, Roberts & Co., 40 S.E.C. 907 at 916 (1961); jüngst Cotton v. Merrill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, Inc., 699 F. Supp. 251 (N. D. Okla 1988), auch in C C H Fed. Sec. L. Rep. §93, 985: an investment firm has no duty to ensure that information in its investment banking division about a merger between the issuer and another company is passed on to the firm's brokerage division for dissemination to brokerage clients involved in sales transactions. 34 Panel on Take-overs and Mergers, Report 1970, Appendix I, p. 10-14: The Use of Confidential Price-Sensitive Information. 35 Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 30, und schon Commission des Opérations de Bourse, Recommendation du 19 mars 1974 sur les intermédiaires financiers et les opérations de bourse, Février 1975. Auch C.O.B., Rapport annuel 1973, p. 176 et s. 36 Zu dieser Streitfrage Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, aaO (Fn. 6), S. 448^478, und ders., Festschrift für Fischer, aaO (Fn. 16), S. 248 ff; dagegen aus Bankensicht Heinsius, Z H R 145 (1981) 177 (193 et s.); Riimker, Haftung bei dem Erwerb und der Finanzierung von Vermögensanlagen, in: Köndgen, Hrsg., Neue Entwicklungen im Bankhaftungsrecht, Köln 1987, S. 71 (81 ff).
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Kunden weitergeben, die speziell um Rat dazu fragen, ob sie Aktien von D kaufen sollen? Was wird Β in ihrer Eigenschaft als Vermögensverwalterin tun? Kann Β oder muß sie sogar eine Aufsichtsbehörde (ζ. B. die Bankaufsichtsbehörde, wenn D ebenfalls eine Bank ist, oder die Börsenaufsicht) oder andere Marktteilnehmer oder die Presse informieren? Kann Β all dem dadurch entgehen, daß sie bankintern chinesische Mauern (chínese walls) zwischen ihren verschiedenen Geschäftsabteilungen einrichtet? a) Grundsätzlich darf die Bank, wie schon erwähnt, Insiderinformationen auch nicht für Kunden verwenden, weder selbst bei Vermögensverwaltung noch durch Tippen und Anlagerat. In verschiedenen Ländern mit gesetzlichen Insiderhandelsverboten wie in den USA, Großbritannien und Frankreich gilt dieser Grundsatz ganz allgemein, allerdings ohne daß er an den eigentlich kritischen Fällen aus dem Bankbereich überprüft wird. W o diese gesehen werden, sind Zweifel und Differenzierungen die Folge37. Demgegenüber sieht man diese Fälle in Deutschland, wo Gesellschafts- und Bankrecht sowohl in der Theorie als auch in der Praxis enger zusammenliegen, klarer und ist der Meinung, daß jedenfalls in bestimmten Fällen unmittelbar drohender Schäden die Bank, die darüber Insiderinformationen hat, rechtlich verpflichtet ist, die AnlegerKunden, die um Rat fragen, zu warnen oder als ihr bank- oder quasivertraglicher Interessenwahrer ihre Belange zu vertreten38. Die Einzelheiten sind zwar streitig. Aber dieser Streit geht der Sache nach eher um die
37 Vgl. Suter, loc. cit. (Fn. 3), p. 116: "The position of individuals acting in a fiduciary capacity though with conflicting duties is uncertain", detailliertere Regeln seien nötig; Rider, Guide to the Financial Services Act 1986, London 1987, §614: möglicher Bruch einer fiduciary duty, und §723 (p. I l l et s.): "While no court would accept that there is a duty to use inside information where such would constitute a criminal offence under the Insider Dealing Act, there are many situations where no violation of the criminal law would be involved." und allgemeiner ders., The Fiduciary and the Frying Pan, The Conveyancer and Property Lawyer, March-April 1978, 114; Wood, Law and Practice of International Finance, loose-leaf ed., New York 1980/89, § 8.05 (5) (c) at p. 8-90 für loan and securities contracts: "If a manager has access to inside information, a special duty of disclosure to participants or investors may result from this privileged position", unter Hinweis auf Coleman v. Myers (1977) 2 N. Z. L. Rev. 298 (a director's duty to shareholders in sale of shares transaction). Ferner auch Slade v. Shearson, Hammill & Co., Inc., 577 F.2d 398 (2nd Cir. 1974), und unten Fn.92. 38 Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, aaO (Fn. 6), S. 448 ff; Kübler, ZHR 145 (1981) 204 (209 ff); Koller in: Staub, Großkommentar zum HGB, 4. Aufl., Berlin 1986, § 384 Anm. 13; Kohls, Die vorvertragliche Informationshaftung nach dem Recht der B. R. Deutschland, der USA und Englands - am Beispiel der Lead Bank eines Konsortialkonsortiums, Göttingen 1990, S. 23 ff, 85 ff. Für Warnpflicht ohne Offenbarung der Insiderinformation Hefermehl in: Schlegelberger, HGB, 5. Aufl., Bd. VI, München 1977, Anh. §406 Anm. 34.
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dogmatische Begründung und die Reichweite dieser Pflichten als um ihre Existenz überhaupt. Auch die Meinung, die das Recht und erst recht die Pflicht der Bank, Insiderinformationen für ihre Kunden zu verwenden, schon im Ansatz ablehnt, macht dann eine Ausnahme, wenn es um besonders gravierende Fälle geht, und begründet diese damit, daß die Bank dann zugunsten ihrer Kunden zur Nothilfe berechtigt und konsequent auch verpflichtet ist39. Nach einer Mittelmeinung darf die Bank jedenfalls keinen Anlagerat geben, der ohne Insiderinformation zutreffend, im Lichte derselben aber unzutreffend ist40. b) Die EG-Insiderrechts-Richtlinie schweigt zu diesem Problem. Immerhin soll nach Art. 3 a) das Verbot, Insiderinformationen an Dritte weiterzugeben, nur gelten, „soweit dies nicht in einem normalen Rahmen in Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufes oder in Erfüllung ihrer Aufgaben geschieht". Dazu kann gewiß nicht vertreten werden, daß die Weitergabe von Insiderinformationen durch eine Bank an ihre Kunden allgemein in Ausübung der Banktätigkeit oder in Erfüllung der Aufgaben der Bank geschieht. Sonst wäre das Insiderhandelsverbot für Kundengeschäfte der Banken praktisch bedeutungslos. Vielmehr geht es darum, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bank eine Rechtspflicht zur Offenbarung bzw. Warnung hat oder ob die Bank wenigstens das Recht hat, im Rahmen ihrer Kundengeschäfte so zu handeln. Art. 3 a schließt diese Interpretation nicht aus und Art. 3 b kann so verstanden werden, daß danach (bloße) Empfehlungen an Dritte ohne Weitergabe wie nach Art. 3 a jedenfalls dann nicht verboten sind, wenn sogar die Weitergabe nach Art. 3 a gerechtfertigt wäre. Ob die Kunden der Bank dann ihrerseits unter Art. 4 der Richtlinie berechtigt wären, von dieser Insiderinformation bzw. der Empfehlung durch Verkäufe Gebrauch zu machen, ist eine andere Frage und spricht nicht gegen die hier aufgezeigte Auslegungsmöglichkeit. Denn selbst wenn man die Bankkunden als Tipempfänger im Sinne von Art. 4 ansieht und ihrerseits dem Insiderhandelsverbot unterstellt, hat die Anerkennung einer Rechtspflicht der Bank, in besonderen Fällen offenzulegen oder zu warnen, ihren guten Sinn. Diese Kunden können sich nämlich dann auch auf anderen Wegen als durch Verkäufe vor Verlusten schützen, z. B. als Aktionäre, indem sie Maßnahmen innerhalb der Aktiengesellschaft ergreifen oder Schutz vor Gericht suchen oder in sonstiger Weise gegen das ungetreue Management vorgehen. Insgesamt schließt also die EG-Insiderrechts-Richtlinie nicht aus, daß nationale Gesetzgeber und Gerichte hier ihren eigenen Weg suchen. 39 40
Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl., München 1981, Anm. 1894. Assmann, WM 1983, 138 (140ff); Koller, aaO (Fn.38), Anm. 13.
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c) Auch bei Geltung eines grundsätzlichen Insiderhandelsverbots kraft Gesetzes kann also nach deutschem Recht weiterhin für bestimmte Fälle ein Recht und eine Pflicht der Bank angenommen werden, ihre Kunden zu schützen. Die Grundlage dafür ist die bank- oder die quasivertragliche Interessenwahrungspflicht, die mit einer moderneren Auffassung auch berufsrechtlich begründet werden kann41. Die Reichweite dieser Pflichten ist allerdings unterschiedlich, je nachdem ob sie nur im Rahmen einer Nothilfe anerkannt werden oder ob man wie auch sonst bei gegenläufigen Pflichten versucht, den Pflichtenkonflikt im Wege der Interessenabwägung sachgerecht zu lösen. Letzteres erscheint vorzugswürdig. Die Bank, zumal die Universalbank, steht typischerweise in mehr als einer sie zur Interessenwahrung verpflichtenden Rechtsbeziehung, nämlich zu ein oder mehreren Unternehmen ebenso wie zu ihren Anleger-Kunden. Bei der Abwägung dieser Interessen ist zu berücksichtigen, daß der Privatanleger auf die Informationen und Dienste der Bank als seiner Interessenwahrerin angewiesen ist und daß die Unternehmen, die Aktien oder Obligationen emittieren, dies wissen und die entsprechenden Erwartungen der Anleger in die Banken kennen. Jedenfalls bei Betrügereien, Unterschleif, grober MißWirtschaft, eigenen Insidergeschäften des Managements oder unmittelbar bevorstehendem Kollaps der Gesellschaft kann die Bank nicht einfach unter Berufung auf das Insiderhandels- und Tipverbot eine Vogel-StraußPolitik betreiben42. Das würde sie nicht nur geschäftlich unglaubwürdig machen, sondern wäre auch rechtlich nicht akzeptabel. 4. Pflichten
der Kreditinstitute
am Markt
a) Die Problematik des Anlegerschutzes durch Banken und andere Finanzmittler geht über die einzelvertraglichen Bank-Kundenbeziehungen hinaus. Rechts- und wirtschaftspolitisch geht es darum, welche Funktion die Rechts- und Wirtschaftsordnung den Banken und anderen Finanzmittlern an den Wertpapiermärkten zuweist. In Deutschland und neuerdings vor allem in der Schweiz sieht man heute neben, wenn nicht sogar vorrangig vor dem Individualschutz der Anleger als Ziel des Kapitalmarktrechts den Funktionenschutz für Kapitalmarkt und Wirtschaft43. Das ist kein Widerspruch zu früher, sondern eher eine Akzentverschiebung, denn das gute und einwandfreie Funktionieren der Kapi41 Hopt, Kapitalanlegerschutz, aaO (Fn.6), S. 391 f f ; den., A c P 183 (1983) 608. Zu den dogmatischen Schwierigkeiten im britischen Recht Cranston, loc. cit. (Fn. 16), p. 209. 42 So die in Fn. 38 Genannten, ebenso, wenn auch enger als diese, Fn. 39. 43 Colloque Le droit du marché financier suisse/Kolloquium Schweizerisches Kapitalmarktrecht, Genève 1987.
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talmärkte liegt im Interesse der Anleger, während das Vertrauen der Anleger in Funktionieren und Sauberkeit der Kapitalmärkte hinwiederum notwendig ist für die gedeihliche Entwicklung dieser Märkte. Dieses Vertrauen wird durch Manipulationen der Kurse, Scheingeschäfte, Insiderhandeln u. a., seien sie real oder nur vermutet, beeinträchtigt. Die Banken und die anderen Finanzmittler (z.B. Börsenmakler, Anlageberater, Vermögensverwalter, Portfoliomanager, u. U. auch institutionelle Anleger wie Versicherungsgesellschaften usw.) haben ökonomisch die Funktion, als Mittler zwischen den Unternehmen, die längerfristiges (Eigen- oder Fremd-)Kapital suchen, und den oft nur zu kurzfristiger Anlage bereiten privaten Anlegern zu agieren. Dieser ökonomischen Funktion entspricht in der Regel auch rechtlich ein Vertrag mit fremdnütziger Interessenwahrung. Wo ausnahmsweise reine Austauschverträge vorliegen, kann dennoch über einen Bankvertrag oder ein gesetzliches Schuldverhältnis die tatsächliche Mittlerfunktion juridifiziert und auch dogmatisch dingfest gemacht werden. Unabhängig davon, wie diese dogmatische Umsetzung aussieht, folgt aus der Mittlerfunktion der Banken und Finanzmittler jedenfalls, daß sie als Interessenwahrer ihren Gewinn grundsätzlich offen in Gestalt von Gebühren usw. für geleistete Dienste berechnen müssen, statt sich Vorteile z. B. über die Ausnutzung von Insiderinformationen, über corporate opportunities oder über andere für den Auftraggeber nicht oder nicht ohne weiteres erkenn- und kontrollierbare Wege zuzuschanzen. Das wird in der neueren vor allem US-amerikanischen agency theory näher diskutiert. Des weiteren gehört es ökonomisch zu den Aufgaben eines solchen Mittlers am Markt, zum Informationsfluß zwischen der Gesellschaft und dem Anlagepublikum beizutragen. Wenn die Insiderinformation sich, wie oben ausgeführt, auf Betrügereien, Unterschleif, grobe Mißwirtschaft, eigene Insidergeschäfte des Management oder den unmittelbar bevorstehenden Kollaps der Gesellschaft bezieht, dann fragt sich rechtsund wirtschaftspolitisch, ob nicht den Banken und anderen Finanzmittlern in solchen Fällen bestimmte Sorgfaltspflichten am Markt erwachsen müssen. Man kann hier parallel zur modernen anglo-amerikanischen "corporate responsibility"-Lehre von einer beginnenden "financial intermediaries' responsibility"-Diskussion sprechen. Zu einer solchen Doktrin würden gehören die Rechte und Pflichten der Bank aus der Entsendung von Bankvertretern in den Aufsichtsrat von Gesellschaften44; die Behandlung des Vollmachtstimmrechts der Banken 45 ; die rechtlich zwingende Einschaltung von Banken in das Börsennotierungs-
44 45
Lutter, Z H R 145 (1981) 224 und R d W 1987, 314. §§128, 135 A k t G .
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verfahren46 und damit zusammenhängend die Mitverantwortlichkeit der Banken für den Börsenprospekt und in begrenztem Umfang für das Verhalten des Emittenten; die durch den Richtlinienvorschlag über Ubernahmeangebote zwingend vorgesehene Einschaltung einer Bank auf seiten des Bieters47; die moderne lender's liability in den USA und anderen Staaten48 und möglicherweise auch die deutsche Besonderheit der Behandlung eigenkapitalersetzender Darlehen und ihrer Konsequenzen für Bankkredite und Sanierungen49. Das sich hier international herausbildende Marktrecht der financial intermediaries steht wirtschaftsrechtlich neben dem traditionellen Aktien- und Gesellschaftsrecht (insbesondere corporate governance-Problem) und dem üblichen BankKunden-Vertragsrecht. b) Im Rahmen der hier angestellten rechts- und wirtschaftspolitischen Überlegungen kann es nicht darum gehen, schon konkrete Pflichten der Banken am Markt und ihre Reichweite abzustecken. In der internationalen Diskussion tauchen aber allgemeiner drei Pflichtengruppen auf, die nicht nur unterschiedlich weit gehen, sondern ganz unterschiedliche wirtschafts- und bankrechtliche Implikationen haben, nämlich einfache Überwachungs- und Beanstandungspflichten, Warn- und Offenbarungspflichten und schließlich Anzeigepflichten. aa) Das mindeste, was von einer Bank zu verlangen ist, wenn man Pflichten der Kreditinstitute am Markt annimmt, ist eine gewisse Uberwachung (monitoring). Wenn die Bank also im oben vor 3 a gebrachten Ausgangsfall von den anlegergefährdenden gesellschaftsinternen Mißständen erfährt, könnte von ihr beispielsweise verlangt werden, daß sie bei dieser Transaktion nicht (mehr) mitwirkt oder je nachdem auch daß sie allgemeiner die Zusammenarbeit mit diesem Management oder mit dieser Gesellschaft einstellt50. Der Bankvertreter im Aufsichtsrat einer solchen Gesellschaft müßte also zunächst auf Abhilfe bestehen und, wenn er diese unter Ausnutzung seiner Befugnisse als Aufsichtsratsmit§36 Abs. 2 BörsG. Art. 9 des 1. und des 2. Richtlinienentwurfs, aaO (Fn.26). 48 Wymeersch, Bank Liability for Improper Credit Decisions, Deventer, Forum internationale No. 11, April 1988 m.v.N. 45 BGHZ 90, 381. 50 Zu dieser "gatekeepers' responsibility" vor allem Kraakman, Gatekeepers: The Anatomy of a Third-Party Enforcement Strategy, 2 (Yale) Journal of Law, Economics, and Organization 53 (1986). Vgl. auch ders., Corporate Liability Strategies and the Costs of Legal Controls, 93 Yale Law Journal 857 (1984), und ders., The Economic Functions of Corporate Liability, in: Hopt/Teubner, eds., Corporate Governance and Directors' Liabilities, Berlin, New York 1985, p. 178 at 200 et s. Zuletzt im Zusammenhang von Emissionen Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen - Recht und Praxis in der EG, in Deutschland und in der Schweiz - , München 1991, §3. 46 47
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glied nicht erreichen kann, äußerstenfalls sein Amt niederlegen. Die Bank, die bei der Emission von Wertpapieren, bei der Vorbereitung des Gangs an die Börse, bei der Prospekterstellung oder im Zusammenhang mit einem Übernahmeangebot Bankdienstleistungen erbringt, müßte gegenüber bestimmten Verhaltensweisen des Managements bzw. der Gesellschaft Einwendungen erheben und, falls diesen nicht Rechnung getragen wird, notfalls ihre Mitarbeit aufkündigen, soweit in dem betreffenden Stadium rechtlich möglich. In vielen Fällen wäre schon dies für die betroffene Gesellschaft und ihr unkorrekt handelndes Management ein Schuß vor den Bug, den diese sich am Markt nicht leisten wollen oder nicht leisten können. bb) In schwereren Fällen mag dies allein nicht ausreichen, um mißbräuchlichen Verhaltensweisen Einhalt zu gebieten und Schaden von den Anlegern abzuwenden. Dann stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Bank das Recht oder sogar die Pflicht hat, ihre Kunden entweder nur allgemeiner zu warnen oder sie sogar konkret über die Mißstände in der Gesellschaft aufzuklären, also die Insiderinformation offenzulegen. Wie oben entwickelt, ist dies auch unter der EG-Insiderhandels-Richtlinie durchaus möglich. cc) Der Nachteil derartiger Warn- und Offenbarungsrechte und -pflichten ist, daß der dadurch bewirkte Schutz nur denjenigen Anlegern zugute kommt, die zufälligerweise Kunden der Bank sind, welche die Insiderinformation hat. Äußerstenfalls kommt deshalb ein Recht oder sogar eine Pflicht der Bank bzw. des Finanzmittlers am Markt in Betracht, eine Aufsichtsbehörde oder eine andere öffentliche Stelle über die Zustände zu informieren51. Dieses sogenannte whistle-blowing ist allerdings problematisch, weil die Bank damit nicht nur ihre Geschäftsverbindung mit der Gesellschaft nachhaltig zerstört, sondern möglicherweise allgemeiner das Vertrauen der Kunden in die Diskretion der Bank. In bestimmten Fällen, etwa bei der Geldwäsche, nehmen eine Reihe von Ländern das jedoch in Kauf52. So muß beispielsweise nach Schweizer Recht der Finanzmittler allgemeiner die Identität des wirklichen Kontoinhabers erfragen und muß Maßnahmen ergreifen, wenn sich auf dem Konto gravierende, nicht zu erklärende Bewegungen ergeben. Insgesamt 51 So-called whistle-blowing. Ζ. Β. für Rechtsanwälte Lowenfels, Expanding Public Responsibilities of Securities Lawyers: An Analysis of the New Trend in Standards of Care and Priorities of Duties, 74 Col. L.Rev. 412 (1974); Lome, The Corporate and Securities Adviser, the Public Interest, and Professional Ethics, 76 Mich. L.Rev. 423 (1978). 52 Ζ. B. Arzt, Das schweizerische Geldwäschereiverbot im Lichte amerikanischer Erfahrungen, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 106 (1989) 160; ders., Geldwäscherei - Eine neue Masche zwischen Hehlerei, Strafvereitelung und Begünstigung, Neue Zeitschrift für Strafrecht 1990, 1.
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sollte man im Rahmen der europäischen Rechtsangleichung zumindest ein Recht der Bank erwägen, solche mißbräuchlichen Praktiken am Kapitalmarkt der Börsenaufsicht bzw. dem Wertpapieraufsichtsamt oder je nachdem auch der Bankaufsichtsbehörde oder der Zentralbank zur Kenntnis zu bringen, dies jedenfalls in Fällen grober Mißbräuche und Gefahren für Anleger und Kapitalmarkt. Solche Rechte und gegebenenfalls auch Pflichten scheitern jedenfalls nicht von vornherein an dem jeweiligen Insiderrecht 53 . Das ist ein wichtiger Aspekt des berühmten Dirks-Falles, in dem der amerikanische Supreme Court dem Umstand Bedeutung zugemessen hat, daß der Tipgeber mit seinem Tip an die Presse in der Gesellschaft vorkommende Betrügereien aufdecken wollte. Die Mehrheitsmeinung verfolgte dann allerdings eine andere Lösung, indem sie auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer besonderen Treupflicht abstellte, und ging der Frage nicht weiter nach, ob sich ein Insider dadurch absichern kann, daß er sich mit seiner Insiderinformation an die Börsenaufsicht wendet (safe harbour rule). Insoweit hat die dissenting opinion mit ihrer Kritik an der Mehrheitsmeinung sicher recht54. Die beste Lösung wäre allerdings die, daß der Gesetzgeber das Recht oder auch eine dann allerdings eingeschränkte und sorgfältig abgesteckte Pflicht zum whistle-blowing selbst festlegt, damit der Insider dann auf diese Weise bei gravierenden Vorkommnissen wie z. B. bei der Geldwäsche eine Insiderinformation an die Aufsichtsbehörde weitergeben kann, ohne mit dem Insiderrecht und mit seinem Berufsgeheimnis, etwa dem Bank- oder Aufsichtsratsgeheimnis, in Konflikt zu kommen 55 . B. Insidergeschäfte außerhalb von Wertpapiermärkten und andere Interessenkonflikte von Universalbanken I. Das Fehlen eines allgemeinen gesetzlichen Insiderhandelsverbots am Beispiel des Kreditgeschäfts Es ist erstaunlich, daß das Insiderrecht und die Insiderrechtsdiskussion herkömmlich auf die Wertpapiermärkte beschränkt sind. Nach Art. 2 (1) der EG-Insiderrechts-Richtlinie sind Insidergeschäfte nur 53 Proposal f o r a Directive Co-ordinating Regulations on Insider Trading, J a n u a r y 1 9 8 9 (The L a w Society), Fenn/McGuire/Prentice, Information Imbalances and the Securities Markets, in: Hopt/Wymeersch, loc. cit. (Fn. 2), p. 3 at note 33. 54 Dirks v. S E C , 463 U . S. 6 4 6 (1982), Blackmun, J., dissenting, 6 6 7 at 674 et s., particularly note 11. 55 Vgl. f ü r die U S A die sog. Secrist-rule, Secrist w a r der Tipgeber im Dirks-Fall: "The prohibitions . . . shall not be construed as making u n l a w f u l any communication made in a reasonable e f f o r t to make the information public." Das w a r Teil (als section 1 6 A (d) (3) of the Sec. Exch. A c t ) des vorgeschlagenen Insider Trading A c t of 1987, vgl. M e m o r a n dum of the S E C in S u p p o r t of the Insider Trading A c t of 1 9 8 7 , A u g u s t 6, 1987.
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solche, bei denen Wertpapiere erworben oder veräußert werden. Tatsächlich reicht das Insiderproblem aber viel weiter. Die Praxis, Insiderinformationen auszunutzen, ist beispielsweise in Gemeinden und anderen Gebietskörperschaften, in denen der Gemeinderat oder andere lokale oder regionale Entscheidungsgremien über Baulandausweis, Entwicklungsplanung und Auftragsvergabe zu befinden haben, weit verbreitet und wird heute noch oft, wie früher auch im Wertpapierbereich, als mit dem öffentlichen Amt verbundene Pfründe angesehen. Hier liegt vieles im argen und Insiderregeln tun bitter not. Das gilt allgemeiner im Zusammenhang mit wirtschaftlichen und anderen Entscheidungen öffentlicher Stellen und öffentlicher Unternehmen. Aber auch für den engeren Bereich der Universalbanken besagen weder die EG-Insiderrechts-Richtlinie noch die bisherigen nationalen Insiderrechte etwas über die Verwendung von Insiderinformationen in anderen Geschäftsbereichen und auf anderen Märkten als Wertpapiermärkten. Diese Diskrepanz zeigt sich an folgendem Fallbeispiel: Bank Β weiß aus Wertpapiergeschäften für die Gesellschaft E, daß die Gesellschaft F nicht öffentlich bekannte Strukturprobleme hat. Β stellt sofort weitere Kreditgewährungen an F ein und kündigt bereits gewährte Kredite gegenüber F. Können sich E oder F dagegen wehren? Die französische Commission de déontologie boursière hat dies näher untersucht und folgenden Grundsatz aufgestellt: Die Weitergabe und die Verwendung von Insiderinformationen für andere Zwecke oder andere Geschäftstätigkeiten als die, für die das Finanzinstitut die Information (1) innehat oder (2) empfangen hat, ist unerlaubt 56 . Mit dem ersten Teil dieses Grundsatzes zielt die Kommission auf Personen, die Finanztransaktionen initiieren und deshalb selbst an der Quelle der Insiderinformation stehen. Dies ist beispielsweise beim Vorlaufen der Fall57. Der zweite Teil des Grundsatzes richtet sich vor allem an Universalbanken und andere multifunktionale Finanzinstitute 58 und bedeutet, daß diese z.B. Insiderinformationen, die ihr Merger & Acquisitions Department über eine von einem Kunden geplante Finanztransaktion hat, weder für eigene andere Geschäftsbereiche noch für ihre sonstigen Kunden verwenden dürfen. Das französische Börsenaufsichtsamt (Commission des Opérations de Bourse) könnte - wohl noch gedeckt durch seinen allgemeinen Auftrag, die Wertpapiermärkte zu überwachen - ein diesbezügliches Verbot
Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p . 2 9 . Oben A I 4 b . 58 Die Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 30 spricht von «établissements à capacité multiple, ayant simultanément une activité de gestion, de négociation, de conseil, d'ingénierie financière et de distribution de crédit». 56
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aussprechen. Das gilt auch für andere Länder. In Deutschland gibt es allerdings bisher kein Äquivalent zu den Kapitalmarktaufsichtsbehörden, wie sie in den meisten anderen westlichen Industriestaaten bestehen, z.B. in den USA die SEC, in Frankreich die C O B , in Großbritannien der SIB, in Belgien die Commission bancaire (ab 1991 Commission bancaire et financière genannt)59, in Italien die C O N S O B usw. Ob Deutschland das im Wettbewerb in Europa 1992 ohne klare Nachteile für den Finanzplatz Deutschland/Frankfurt durchhalten kann, erscheint ausgesprochen fraglich und wird mittlerweile zu Recht offenbar auch in Börsenkreisen so gesehen60. Aber auch schon jetzt hat das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Berlin ein Ermessen bei der Bestimmung, was good banking ist, genauer bei der Beurteilung, ob der Banker bzw. Geschäftsleiter zuverlässig und fachlich geeignet ist. Insiderrechtsverletzungen können danach zur Verweigerung der Erlaubnis bzw. zum Verlangen der Abberufung eines solchen Geschäftsleiters führen61. Unabhängig von solchen bank- und börsenaufsichtsrechtlichen Entscheidungen und Verboten wird man den oben genannten Grundsatz schon heute als Teil der Berufs- und Interessenwahrungspflichten der Banken und anderer Finanzmittler ansehen können. Entsprechende Rechtspflichten lassen sich aus herkömmlichem Bankvertrags- und Handelsrecht herleiten62. Auch die Überlegung, daß das Bankaufsichtsrecht bezweckt, die besonderen Gefahren für Kreditinstitute, Finanzmärkte und Wirtschaft, die aus run-Situationen im Bankgewerbe drohen, zu vermeiden, und daß sich deshalb ein Kreditinstitut von Kreditnehmern, denen Kredite über DM 100 000 gewährt werden, die wirtschaftlichen Verhältnisse insbesondere durch Vorlage der Jahresabschlüsse offenlegen lassen muß63, steht nicht entgegen. Denn dies rechtfertigt keine unterschiedliche Behandlung von Insiderinformationen im Wertpapierbereich und im Kreditgeschäftsbereich. Die Bank kann in jedem dieser Geschäftsberei59 Aufgrund der Loi relative aux opérations financières et aux marchés financiers, das zum 1.1.1991 in Kraft getreten ist, und mit 249 Artikeln nach dem britischen Financial Services Act 1986 das modernste europäische Kapitalmarktgesetz ist. Dazu der instruktive Uberblick in Commission bancaire, Rapport annuel 1989-1990, p. 21 et s. 60 von Rosen, Eine SEC für Deutschlands Börsen?, Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 9, 8.2.1991, S. 9, und für Bankenaufsicht ders., Bankenaufsicht soll Insider überwachen, SZ Nr. 44, 21.2.1991, S. 29. Zur parallelen Diskussion in der Schweiz, die weiter gediehen ist als die deutsche, WuR Sonderheft 4/1990 „Finanzmarktaufsicht". 61 Z. B. Art. 33 Abs. 1 Nr. 2, 35 Abs. 2 Nr. 3, 36 KWG; Köhler, Insider Information in Mergers and Acquisitions Including Leveraged Buy-outs - A German Viewpoint, in: Hopt/Wymeersch, loc. cit. (Fn. 2), p. 263 at 268. 62 Zur schwierigen Frage der Haftungsfreizeichnung Hopt, Kapitalanlegerschutz, aaO (Fn. 6), S. 393 ff, und Festschrift für Fischer, aaO (Fn. 16), S. 242 ff. « §18 KWG.
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che an die Substanz gehende Verluste erleiden. Schon gar nicht überzeugend wäre eine Unterscheidung danach, ob die Bank die Insiderinformation im Kreditgeschäft zur Vermeidung von Verlusten oder zur Erzielung von Gewinnen einsetzt 64 . Bankinsolvenzen müssen und können durch andere Vorkehrungen bekämpft werden.
II. Pflichten gegenüber den Kunden, die Insiderinformation nicht für die Bank oder dritte Kunden zu verwenden, am Beispiel der Übernahmeangebote Ahnliche Probleme wie für das Kreditgeschäft entstehen im Zusammenhang mit Ubernahmeangeboten. Gemeint ist damit nicht das schon oben behandelte Verbot, Informationen über ein bevorstehendes Ubernahmeangebot oder ähnliche Insiderinformationen während eines Übernahmeversuchs für Wertpapiergeschäfte auszunutzen 65 . Das Problem ist komplexer und wird an folgendem Fallbeispiel deutlich. Bank B, die bereits im Rahmen eines früheren Übernahmeversuchs Bankdienstleistungen erbracht hat, hat dabei vertrauliche Einblicke in die Gesellschaft G erhalten, die noch immer Insiderinformationen sind. Β möchte wissen, ob sie diese Informationen verwenden kann, als sie wenig später das Angebot erhält, - als Finanzberaterin (im technischen englischen Sinn), allgemeiner als Beraterin, als Mitbieterin oder sonst am Übernahmeangebot Beteiligte oder als Kreditgeberin - an einem neuen Übernahmeangebot betreffend G mitzumachen. Kommt es darauf an, ob Β beim vorausgegangenen Übernahmeangebot auf der Seite von G oder auf der Gegenseite bei H beteiligt war? Kann oder muß Β die Insiderinformationen für andere Kunden entweder in Übernahmeangebotssituationen oder in anderen bankvertraglichen Beziehungen benutzen? Spielt es eine Rolle, ob Β ihre Beteiligung bzw. ihre Dienste im zweiten Übernahmeversuch dem Unternehmen Η bereits vertraglich zugesagt hat und erst später herausfindet, daß G die Zielgesellschaft ist? Macht es einen Unterschied, ob die Insiderinformationen beim ersten Übernahmeangebot der Bank von G gegeben worden sind, G dann aber statt mit Bank Β doch mit einer anderen Bank zusammengearbeitet hat? Spielt es letzterenfalls eine Rolle, ob G die Insiderinformationen an Β im Hinblick darauf gegeben hat, daß Β nicht auf der Gegenseite tätig werden kann, wenn G das Übernahmeangebot unter Beiziehung einer anderen Bank abgibt? Kann Β darauf verweisen, daß bei ihr chinesische Mauern bestehen? Kann Β einfach eine andere Equipe zusammenstellen, die keinen Zugang zu den Insiderinformationen hat, die Β von G erhalten hat? 64 Α. A. Franke, Inside Information in Bank Lending and the European Insider Directive, in: Hopt/Wymeersch, loc. cit. (Fn. 2), p. 273. 65 Oben A I 4c.
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Der oben zum Kreditgeschäft entwickelte Grundsatz erweist sich auch hier als tauglich 66 . Wenn eine Bank (oder ein anderer Finanzmittler) ein Angebot erhält, sich an einem Ubernahmeangebot zu beteiligen oder Dienstleistungen dabei zu erbringen, dann hat sie die Pflicht, zunächst abzuklären, ob sie sich durch Annahme in einen Interessenkonflikt begibt. Erst wenn dies verneint werden kann, sollte sie sich Insiderinformationen geben lassen. Dieses Vorgehen entschärft das Problem, löst es allerdings nicht völlig. Denn daß ein Interessenkonflikt besteht, mag sich trotz vorheriger Prüfung doch erst später herausstellen. Hat die Bank bereits Insiderinformationen, darf sie diese nur für die Zwecke und Geschäftstätigkeiten verwenden, für die sie sie erhalten hat, nicht für andere. Das ist allerdings bisher international noch nicht allgemein akzeptiert. So gibt es in den USA Fallrecht, das dahin interpretiert werden kann, daß gegen die Verwendung solcher Informationen außerhalb von Wertpapiergeschäften nichts einzuwenden ist. Hat beispielsweise die Bank Insiderinformationen von einem Kunden im Zusammenhang mit einem Kredit an ihn erhalten, so soll das die Bank nicht daran hindern, ein gegen diesen Kunden gerichtetes Ubernahmeangebot durch Kreditgewährung nunmehr an den Bieter zu finanzieren 67 oder die Information bei der Beratung des Bieters zu verwenden 68 . Indessen erscheint die strengere Ansicht, wie von der oben erwähnten Commission de deontologie boursière vertreten, überzeugender und wird sich vermutlich international durchsetzen 69 . Auch sonst, und gerade auch in den USA, wird das praktische Ergebnis vielfach dasselbe sein. Denn die Banken werden heute zunehmend gebeten, confidentiality agreements dahingehend zu unterschreiben, daß die Bank die bei dieser Transaktion erhaltenen Insiderinformationen nicht im Rahmen eines anderen Ubernahmeangebots verwenden darf. Interessanterweise hat die Commission de déontologie boursière die Finanzinstitute dazu aufgefordert, von solchen confidentiality letters möglichst weiten Gebrauch zu machen. Tatsächlich schützen solche Vereinbarungen die Interessen beider Parteien. Andererseits sollten die Beteiligten klar sehen, daß Rechtspflichten der Bank unabhängig von
66
Oben Β I und Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990,
p. 30. Washington Steel Corp. v. TW Corp. 602 F. 2d 594 (3d Cir. 1979). Cf. Moss v. Morgan Stanley Inc., 719 F.2d 5 (2nd Cir. 1983), cert. den. 465 U.S. 1025 (1984): investment banking firm retained to evaluate tender offer did not become "insider" of target company by virtue of fact that it had been retained by tender offeror and represented offeror's interest in negotiations with target. Vgl. auch Harnischfeger Corp. v. Paccar Inc. 474 F.Supp. 1151 (E.D. Wise. 1979). 69 Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 30. Für Deutschland ähnlich Kohler, loc. cit. (Fn. 61), p. 266. 67 68
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solchen Vereinbarungen, also ohne sie und darüber hinaus, bestehen können 70 . W e n n man den hier vertretenen Grundsatz als rechtlich verbindlich ansieht, ist die Bank Β im obigen Fallbeispiel nicht berechtigt, die Insiderinformation, die sie bei dem früheren Ubernahmeangebot erlangt hat, im Zusammenhang mit einem späteren Ubernahmeangebot zu verwenden, außer wenn die Gesellschaft, von der oder f ü r die die Bank die Information erhalten hat, zustimmt. Folglich können auch dritte Kunden der Bank nicht erwarten, aus solchen Insiderinformationen Nutzen zu ziehen, und die Bank selbst macht sich ihnen gegenüber nicht schadensersatzpflichtig, wenn sie bei ihrer Tätigkeit f ü r sie diese Insiderinformationen außer Betracht läßt - von den oben erwähnten W a r n - und Nothilfefällen abgesehen. Die Insiderinformationen nicht auszunutzen, kann schwierig sein und ist auch nicht immer ausreichend. W e n n die Bank beispielsweise später gefragt wird, bei einem gegen ihren früheren Kunden gerichteten Ubernahmeangebot mitzuwirken oder Bankdienstleistungen dabei zu erbringen, kann der daraus entstehende Interessenkonflikt oft nur so gelöst werden, daß die Bank sich der neuen Tätigkeit enthält. Denn die Offenlegung, die üblicherweise die Alternative zur Unterlassung des Geschäfts darstellt (disclose or abstain), kann im Einzelfall durch das Bankgeheimnis ausgeschlossen sein 71 . Dies ist f ü r Finanzberater 72 im britischen C i t y Code im Anschluß an einen Fall niedergelegt, den das Panel on Takeovers and Mergers 1 9 8 7 zu entscheiden hatte 73 . § 2 (a) des
Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 38. Vgl. Kohler, loc. cit. (Fn.61), p. 266. 72 Nach britischem Takeoverrecht muß der board der Zielgesellschaft kompetenten unabhängigen Finanzrat einholen, das gilt auch für den board der Bietergesellschaft im Falle eines umgekehrten Ubernahmeangebots oder bei einem Interessenkonflikt der Direktoren; City Code on Take-overs and Mergers, Rule 3.1 and 3.2. Rule 3.3 behandelt als Berater, der zur Erteilung unabhängigen Rats nicht geeignet ist, "a person who is in the same group as the financial adviser to an offeror or who has a significant interest in or financial connection with either an offeror or the offeree company of such a kind as to create a conflict of interest (see also Appendix 3)." Eine Anmerkung zu rule 3.3 betrifft investment trusts: "A person who manages or is part of the same group as the investment manager of an investment trust company will not normally be regarded as an appropriate person to give independent advice in relation to that company." 73 Ubernahmeangebot durch J. Henry Schroder Wagg & Co. Ltd. namens Tozer, Kemsley & Millbourn (Holdings) pic, die ausstehenden Aktien der Molins pic zu erwerben. Auf Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Panel Executive nahm das Panel einen (strengeren) Standpunkt ein: Wenn ein Finanzinstitut relevante vertrauliche Informationen hat und Zu Diensten für eine andere Partei aufgefordert wird, geht danach das richtige Verhalten dahin, abzulehnen statt zu versuchen, die Insiderinformation hausintern zu isolieren. Bloße Isolierung der Dokumente und der Einsatz eines anderen Teams, das nunmehr gegen die Partei arbeiten soll, welche die Information geliefert hat, reicht nicht aus. 70 71
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Appendix 3 über wesentliche vertrauliche Informationen lautet: "A financial adviser may have the opportunity to act for an offeror or the offeree company in circumstances where the adviser is in possession of material confidential information relating to the other party, for example, because it was a previous client or because of involvement in an earlier transaction. In certain circumstances, this may necessitate the financial adviser declining to act, for example, because the information is such that a conflict of interest is likely to arise. Such a conflict may be incapable of resolution simply by isolating information within the relevant organisation or by assigning different personnel to the transaction." Dies ist der richtige und durchaus auch praktische Weg, den es einzuschlagen gilt, nicht nur speziell für die britischen financial advisers, sondern allgemeiner für Banken und Berater bei Übernahmeangeboten. Zwei besondere Situationen machen allerdings Schwierigkeiten. Zum einen kann es so sein, daß der Interessenkonflikt erst zu einem Zeitpunkt sichtbar wird, in dem der Finanzberater seine Aufgabe bereits übernommen hat, z.B. wenn der Berater einer Gesellschaft, die mit einem Übernahmeangebot rechnet, erst bei dessen Abgabe ersieht, daß der Bieter einer seiner früheren Klienten bzw. der seiner Bank ist. Wenn der Finanzberater dann zu diesem Zeitpunkt sein Amt niederlegen muß, kann das nicht nur für ihn eine unangenehme geschäftliche Einbuße sein, sondern auch durchaus nachteilig für die Zielgesellschaft, für die er entsprechende Verteidigungsstrategien entworfen hat. Manches spricht dafür, daß das Panel on Take-overs and Mergers oder eine andere Rechtsordnung in einem solchen Fall es zuläßt, daß die Bank eine Equipe zusammenstellt, die mit den Dienstleistungen für den Bieter nichts zu tun hat und von der bankintern die Insiderinformationen darüber ferngehalten werden 74 . Die zweite Situation ist bereits oben angesprochen worden: Wie wird man rechtlich mit Versuchen fertig, eine Bank dadurch auszuschalten, daß man ihr Insiderinformationen über ein bevorstehendes Übernahmeangebot zugänglich macht, wie das in der internationalen Praxis durchaus schon vorgekommen ist75. Indessen mag dieses Problem hier leichter zu lösen sein als im Wertpapierbereich. Denn während es dort ein klares Insiderhandelsverbot gibt, das sogar strafbewehrt sein kann, müssen die Rechtspflichten der Banken außerhalb von Wertpapiermärkten erst zivil- oder handelsrechtlich und in bestimmten Fällen bankaufsichts-
74
Gelegentlich wird dies als der "Chinese cupboard"-Approach bezeichnet. Oben A I 4 c zum Insiderhandeln im engeren Sinn; Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p.30. 75
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rechtlich entwickelt werden. Dabei mag eine flexiblere Antwort dahin möglich sein, der Bank zu erlauben, die aufgedrängte Insiderinformation unberücksichtigt zu lassen, ohne das Angebot der Gegenseite, bei dem neuen Ubernahmeangebot mitzuwirken bzw. Bankdienstleistungen zu erbringen, schlechthin ablehnen zu müssen.
III. Interessenkonflikte: Bestandsaufnahme im Hinblick auf eine europäische Rechtsangleichung Wie die oben behandelten Fallgruppen und Rechtsfragen klar zeigen, sind Insiderinformationen nur Teil des allgemeineren Problems der Interessenkonflikte. Gewiß ist das Insiderrecht in anderen Ländern schon lange und inzwischen auch in Deutschland ein Gebiet mit eigenen Rechtsnormen und besonderen Fragestellungen. Aber die rechtliche und wirtschaftliche Diskussion erstreckt sich heute mehr und mehr darüber hinaus auf die verwandten Fragen der Interessenkonflikte, wie sie im Universalbankensystem typisch sind. Um beide Diskussionen zu verknüpfen, erscheint es nützlich, eine kurze Bestandaufnahme der Interessenkonflikte von Banken und anderen Finanzmittlern aus europäischer Sicht zu geben76. Gewiß können all diese Interessenkonflikte hier nicht näher behandelt werden77. Wenn aber im folgenden die wichtigsten Interessenkonflikte in drei Gruppen geordnet und mit möglichen Konfliktslösungsmechanismen kurz kommentiert werden, mag das zugleich eine nützliche Vorarbeit im Hinblick auf eine künftige europäische Rechtsangleichung sein78.
76 Ein Inventar aus anglo-amerikanischer Perspektive findet sich bei Poser, Chinese Wall or Emperor's New Clothes? Regulating Conflicts of Interest of Securities Firms in the U. S. and the U. K„ 9 Mich. Y. B. Int'l Legal Stud. 91 (1988) at 96-97. 77 Für britisches Recht Prime, Conflicts of Interest: Legal Rules and Equitable Principles, und Wood, Financial Conglomerates and Conflicts of Interest, in: Goode, Conflicts of Interest in the Changing Financial World, London 1986, p. 11 and 59; Suter, loc. cit. (Fn. 3), p. 292 et s. - Zum deutschen Recht ausführlich Hopt, Kapitalanlegerschutz, aaO (Fn. 6), S. 108-132, 413-510; siehe auch Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 39), Anm. 1888, und Hefermehl in: Schlegelberger, aaO (Fn.38), Anh. §406 Anm. 35. Zu den Interessenkonflikten von Vorstand und Aufsichtsrat Hopt, Self-Dealing and Use of Corporate Opportunity and Information: Regulating Directors' Conflicts of Interest, in: Hopt/Teubner, eds., Corporate Governance and Directors' Liabilities, loc. cit. p. 285; Bericht der Studienkommission „Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft", Bonn 1979. 78 Der folgende Uberblick wurde in englischer Fassung auf dem Multinational Banking Seminar in New York, June 25-27, 1987 vorgetragen und dort von Heinsius kommentiert.
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1. Trennung oder Kumulierung
verschiedener
Funktionen
a) Handeisbankgeschäfte/Investmentbanking im allgemeinen b) Handelsbankgeschäfte/Emissionsgeschäft und Effektenhandel in allen oder nur in bestimmten Arten von Wertpapieren79 c) Investmentbanking/Effektenhandel d) Handelsbankgeschäfte/Bankenvertreter im Aufsichtsrat von Industrie- und Handelsunternehmen e) Handelsbankgeschäfte/Beteiligungen an Nichtbanken f) Handelsbankgeschäfte/Depot- bzw. Vollmachtsstimmrecht und proxy voting Die damit angesprochene, seit langem geführte Diskussion, welche Bankenstruktur für ein bestimmtes Land die beste ist, ist hier nicht fortzuführen80. Die übliche theoretisierende Unterscheidung zwischen dem deutsch-schweizerisch-österreichischen Universalbankensystem und dem Trennsystem mit dem dafür prototypischen US-amerikanischen unter dem Glass-Steagall Act ist jedenfalls viel zu simpel. In der internationalen Bankensystempraxis finden sich viele Varianten und Ubergänge. Wie die Aufstellung zuvor zeigt, war ein wirklich konsequentes Trennsystem etwa mit einer Trennung auch von Investmentbanking und Effektenhandel nicht einmal in den Hochzeiten des amerikanischen Glass-Steagall Act, der inzwischen selbst unter starken theoretischen und praktischen Beschüß geraten ist, verwirklicht81. Die drei letztgenannten Interessenkonflikte (d-f) werden herkömmlich besonders in Deutschland, zwischenzeitig aber auch auf europäischer Ebene diskutiert82. Die Entwicklung geht heute weltweit eindeutig in Richtung des Universalbankensystems, was wichtige Konsequenzen für die Hinnahme abstrakter Interessenkonflikte unter gleichzeitiger Herausbildung bestimmter Regeln für die Behandlung spezifischer Interessenkonflikte hat. So hat das europäische Bankaufsichtsrecht beispielsweise den Inter79 In den USA ist das Trennsystem für bestimmte Arten von Wertpapieren aufgelokkert, ζ. B. municipal revenue bonds, commercial papers und mortgage-backed securities. 80 In ökonomischer Sicht hat das Universalbankensystem die weit besseren Argumente für sich, z.B. Büschgen, Das Universalbankensystem, Frankfurt 1971. Neuestens zweifeln A. Steinherr/Ch. Huveneers, Universal Banks: The Prototype of Successful Banks in the Integrated European Market, Centre for European Studies, Brussels 1990, aber vermögen nicht zu überzeugen. Denn es geht nicht darum, daß eine Spezialbank nicht effizienter sein könnte als eine Universalbank, sondern daß unter dem Universalbanksystem jede Bank für sich frei entscheiden kann, ob sie ein „finanzieller Supermarkt" sein oder sich spezialisieren möchte. 81 Dazu der Uberblick in Twentieth Century Fund, Abuse on Wall Street, Conflicts of Interest in the Securities Markets, Westport, London 1980. 82 Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, Bundesjustizministerium, Hrsg., Köln 1980.
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essenkonflikt, der aus der Beteiligung von Banken an Nichtbanken resultiert, inzwischen durch eine Beschränkung auf zehn Prozent entschärft83. 2. Interessenkonflikte zwischen Kunden und. Bank: direkte Geschäfte und ähnliche Konflikte a) Direkte
Geschäfte
- Kommission/Eigengeschäft (Preisinteresse); - churning (Gebühreninteresse); - Absatz von Aktien und Obligationen der Bank selbst, von banknahen Investmentanteilen und ähnlichen Papieren (Absatzinteresse); - Absatz von Papieren, bei deren Emission die Bank mitwirkt (Emissionsinteresse); - Absatz von Papieren, in denen die Bank selbst Marktmacher ist; - Angebot verschiedener Dienstleistungen (Präferenz für bestimmte Dienstleistungsangebote, z.B. im Verhältnis von Kreditgeschäft und Emissionsgeschäft; securitization und Reduzierung von Eigenrisiken). b) Ahnliche
Konflikte
- Erwerb von Wertpapieren für Kunden bei gleichzeitigen eigenen Verkäufen und umgekehrt; - parallele Kunden- und Eigengeschäfte (gleichzeitig oder vor oder nach dem Auftrag des Kunden); - institutionelle Anlage; - Beteiligung an Nichtbanken und möglicher Einfluß auf Anlageberatung und Vermögensverwaltung; - Kundengeschäfte in Wertpapieren einer Gesellschaft, deren Hauptkreditgeber die Bank ist. Diese Interessenkonflikte sind in den USA Gegenstand verschiedenster Normen der securities regulation und der Fallrechtspaxis, während sie beispielsweise in Deutschland vor allem im Bankvertragsrecht angepackt werden84. Das Konzept der Treupflicht (fiduciary duty) gilt heute auch in Europa als wegweisend85. Insgesamt ist die Herausbildung von 83 Art. 10 der Zweiten Bankaufsichtsrechtsrichtlinie vom 12.12.1989, ABl. E G 30.12.1989, L 386/1. 84 Hopt, a a O (Fn. 77). 85 Für Frankreich ausdrücklich Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p.31.
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Konfliktlösungsregeln hier jedenfalls grundsätzlich noch relativ einfach, weil die Interessenkonflikte Zweipersonenverhältnisse betreffen, in denen die Bank typischerweise Interessenwahrer ist. 3. Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Kunden auf derselben und auf unterschiedlichen Marktseiten a) Auf derselben
Marktseite
Käuferseite: - Verteilungsprobleme (ζ. B. überzeichnete Emissionen, beschränkte Anlagemöglichkeiten, Auflage verschiedener Investmendfonds). Verkäuferseite: - Uneigennütziger Verkauf und Anlagerat (z.B. verschiedene zu piazierende Emissionen, verschiedene unterzubringende Fonds, verschiedene zu piazierende securitized credits). Allgemein: - Bevorzugung (Information, Zuteilung, Konditionen) von Großkunden vor kleinen, von institutionellen Anlegern vor Durchschnittsanlegern, von Banknahen vor anderen. b) Auf unterschiedlichen
Marktseiten
-
Emissionsgeschäft/Effektenhandel; Pakethandel/Plazierung beim Anlagepublikum; Anlage durch ein trust department; Kurspflege und Manipulation; Bankenvertreter im Aufsichtsrat; Depot- bzw. Vollmachtsstimmrecht oder proxy voting; Dienstleistungen der Bank bei Ubernahmeangeboten und direktes oder indirektes Tätigwerden für Bieter- und Zielgesellschaft; - Entwicklung und Plazierung neuer Finanzprodukte. Hier liegen die schwierigsten Probleme, weil es sich hier typischerweise nicht mehr um ein Zweipersonenverhältnis handelt, das schon mit dem Grundsatz des Vorrangs des Kundeninteresses gelöst werden kann, sondern gegenläufige Kundeninteressen und sogar Drittinteressen gegeben sind und komplizierte Verteilungsregeln notwendig werden. Diese Verteilungsregeln sind für jeden der genannten Interessenkonflikte besonders zu entwickeln, wie sich beispielsweise oben an der Problematik der Interessenkonflikte bei Bankdienstleistungen im Zusammenhang mit Ubernahmeangeboten gezeigt hat86.
86
Oben A I 4 c , Β II.
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4. Mechanismen zur Lösung von Interessenkonflikten, insbesondere chínese walls und compliance officers im Hinblick auf eine europäische Rechtsangleichung a)
Wettbewerb
- Preis-, Konditionen- und Servicewettbewerb allgemein; - Wettbewerb zwischen Universalbank- und spezialisierten Bankinstituten; - bankinterner (konzern- bzw. hausinterner) Wettbewerb. Dazu ist wenig zu sagen. Wettbewerb ist wie überall so auch hier der wirksamste Mechanismus gegen Machtmißbrauch am Markt. Aus europäischer Sicht geht es dabei vor allem um die vollständige Öffnung der einzelnen nationalen Märkte für den Wettbewerb von draußen. Die E G hat dies klar erkannt und auf dem Weg zu Europa 1992 unter anderem den Banken- und den Versicherungssektor zum Ziel ihrer Liberalisierungs- und Deregulierungsbemühungen gemacht. Wettbewerb allein löst aber das Problem nicht. Insidergeschäfte und Interessenkonflikte sind zu wenig transparent und kommen deshalb auch auf hochkompetitiven Märkten vor87. b) Publizität
Cdisclose or abstain")
- Hinweise auf abstrakt vorliegende Interessenkonflikte (zweifelhaft, ob wirklich nützlich); - Offenlegung konkreter Interessenkonflikte: Preis, Auftreten in welcher Funktion, spezielle Interessenkonflikte. Publizität als Regelungsprinzip88 ist bekanntlich der wichtigste amerikanische Beitrag zum internationalen Kapitalmarktrecht und allgemeiner zum Wirtschaftsrecht. Bei der europäischen Börsen- und Kapitalmarktrechtsangleichung spielt die Pubizität zu Recht eine zentrale Rolle. Offenlegung hilft oft, das Problem zu lösen oder doch zu entschärfen, besonders beim Insiderproblem, weniger allerdings bei Interessenkonflikten allgemeiner. Das gilt vor allem für die oben aufgeführten komplexeren Mehrpersoneninteressenkonflikte. Denn Offenlegung kann das Bankgeheimnis zumindest eines der Beteiligten verletzen89 oder auch unabhängig davon rechtlich oder tatsächlich nicht möglich sein. 87 Dazu Hopt, Kapitalanlegerschutz, aaO (Fn. 6), S. 168-189 zur Rolle des Bankenwettbewerbs für den Anlegerschutz; ders., Directors' Conflicts of Interest, loc. cit. (Fn. 77), p. 315-318. 88 Meier-Schatz, Wirtschaftsrecht und Unternehmenspublizität, Zurich 1989; Suter, loc. cit. (Fn. 3), ch. 5. Zur Offenlegung von Interessenkonflikten nach britischem Recht Suter, ebenda, p. 303 et s. Zu neueren praktischen Problem dazu in den USA vgl. Steinberg/Goldman, loc. cit. (Fn. 22). 89 Ζ. Β. Köhler, loc. cit. (Fn. 61), p. 266.
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c) Der Grundsatz des Vorrangs des Kundeninteresses - Entwicklung durch Gesetzes- und Fallrecht; - Konkretisierung durch Verhaltenskodices (hausintern, branchenweit, Börsen- und andere Selbstverwaltung). Die internationale Entwicklung scheint hauptsächlich in diese Richtung zu gehen. Der Grundsatz des Vorrangs des Kundeninteresses ist eine Ausprägung der Fremdinteressenwahrungspflicht und ist deshalb im nationalen und europäischen Bank- und Börsenrecht vielfältig verwirklicht 90 . d) Trennung von Funktionen, chínese walls und compliance officers - Auf Branchenebene (Glass-Steagall)? - Eigene juristische Personen (subsidarization)? - Bankintern (chínese walls, räumliche Trennung, Organisation und Überwachung des Informationsflusses, generelle Delegierung der operationeilen Verantwortlichkeit, keine ad hoc-Weisungen an getrennte Departments, restricted list von Wertpapieren, über die die Bank Insiderinformationen hat oder zu denen Interessenkonflikte bestehen, und Politik, keine Empfehlungen auszusprechen). Aus den oben genannten Gründen sind die beiden ersten Wege zu allgemein, zu kostspielig und letzten Endes zu wenig zielwirksam. Ökonomische Überlegungen und die deutschen Erfahrungen gehen eindeutig zugunsten des Universalbankensystems aus91. Andererseits sind chinesische Mauern (chínese walls) und ähnliche bankinterne, organisatorische Trennmethoden durchaus nützlich. Die internationale Erfahrung mit ihnen begann in den USA 92 vor mehr als 25 Jahren und findet in Europa zunehmend Nachahmung, vor allem in England 93 , aber auch in Deutschland 94 und in der Schweiz 95 . Die jüngsten 90 Hopt, Kapitalanlegerschutz, aaO (Fn. 6), S. 440 ff; Canaris, Bankvertragsrecht, aaO (Fn. 39), Anm. 1936 ff; heute wohl als h. L. zu bezeichnen. 91 S. o. Fn. 80. 92 Vgl. Slade v. Shearson, Hammiii & Co., Inc., 577 F . 2 d 398 (2nd Cir. 1974), reprinted and commented in: Loss, Fundamentals of Securities Regulation, loc. cit. (Fn. 6), p. 844, 851; Harnischfeger Corp. v. Paccar, Inc., 474 F.Supp. 1151 at 1153 (E.D. Wis. 1979); Lipton/Mazur, The Chinese Wall Solution to the Conflict Problems of Securities Firms, 50 N . Y . U . L . R e v . 459 (1975); Poser, loc. cit. (Fn. 76) at 1 0 3 - 1 1 3 . 93 Vgl. sec. 48 (2) (h) of the Financial Services Act 1986; City Code on Take-overs and Mergers, paragraph 2 (b) of Appendix 3 concerning segegration of businesses; Rider, Guide to the Financial Services Act 1986, loc. cit. (Fn. 37), § 6 1 4 , §723; Suter, loc. cit. (Fn. 3), p. 299 et s.; McVea, Conflicts of Interest and the Chinese Wall, (1987) 137 N. L.J. 827; Poser, loc. cit. (Fn. 76) at 1 1 3 - 1 2 7 ; Cranston, loc. cit. (Fn.l6), p . 2 1 1 - 2 1 3 , 2 1 6 - 2 1 7 . 94 Aus Bankensicht nunmehr ganz klar Kohler, loc. cit. (Fn. 61), p. 266; vgl. auch Dingeldey, DB 1982, 685. 95 Zobl, Interessenkonflikte von Banken bei der Finanzierung von Ubernahmeofferten, in: Colloque Les prises de participations: l'exemple des offres publiques d'achat, loc.
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Klaus J. Hop:
Vorschläge dazu kommen aus Frankreich96 und gehen auf eine Trennung vornehmlich zwischen fünf Geschäftsbereichen eines Universalbankinstituts: «La gestion pour compte de tiers; la gestion pour compte de la maison; la négociation des titres ou produits sur les marchés; le conseil; l'ingénierie financière.» Diese Geschäftsbereiche sollten nicht miteinander kommunizieren ohne klar definierte Verfahrensregeln oder, falls dies nicht machbar ist, jedenfalls nur über eine gemeinsame Leitungsstelle im Unternehmen, die den Informationsfluß zwischen diesen Geschäftsbereichen zu kontrollieren hätte. So wichtig chinesische Mauern praktisch sind, so wenig klar ist ihre rechtliche Anerkennung und Bedeutung. Auch steht außer Zweifel, daß chinesische Mauern kein Allheilmittel sind. Der Großvater des modernsten Kapitalmarktgesetzes der Welt, des britischen Financial Services Act, Professor Gower, hat dazu bemerkt: "I have never met a Chinese Wall that did not have a grapevine trailing over it." Auch aus der angloamerikanischen Praxis selbst werden deutliche Zweifel an der Effektivität von chínese walls laut97. Die bloße Existenz einer chinesischen Mauer in einem Universalbankinstitut gibt folglich keinen allgemeinen rechtlichen Freibrief ab, sondern kann nur Beweisvorteile bringen, deren Tragweite von Fall zu Fall beurteilt werden muß. Diese Beurteilung wird vor allem davon abhängen, wie effektiv diese chinesische Mauern in der Bank überwacht werden. Das führt zu der weiteren Frage, ob ein sogenannter compliance officer in Universalbanken eingeführt werden und wenn ja, welche Funktionen er haben sollte. Wiederum gibt es dazu umfangreiche Erfahrungen in den USA und neuerdings auch in Großbritannien98, während hierzulande das Phänomen noch selten ist99 und die Diskussion kaum begonnen hat. Rein rechtlich gesehen haben chinesische Mauern zumindest die Wirkung, daß das Wissen der Angestellten in einem Geschäftsbereich nicht ohne weiteres der Bank als solcher und ihren Angestellten in anderen
cit. (Fn. 3), p. 438 (452); Böckli, loc. cit. (Fn. 6), S. 120; auch Bericht der Studiengruppe über das Börsenwesen, Bern (Eidgenössisches Finanzdepartement) 21.12.1989, 2.3.1 b (möglicherweise separate Organisation der Wertpapiergeschäfte der Bank). Allgemeiner Zobl, Der Vermögensverwaltungsvertrag der Banken unter besonderer Berücksichtigung von Interessenkonflikten, Festschrift für Schluep, Zürich 1988, 319. 96 Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 37, 39. 97 Nachweise bei Poser, loc. cit. (Fn. 76), p. 127 et seq. 98 City Code on Take-overs and Mergers, paragraph 2 (b) of Appendix 3 concerning segregation of businesses; Cranston, loc. cit. (Fn. 16), p. 213. 99 Aber für Frankreich Commission de déontologie boursière, Rapport, Janvier 1990, p. 33: «responsable de la déontologie».
Insiderwissen und Interessenkonflikte
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Geschäftsbereichen zugerechnet werden kann100. Auch können chinesische Mauern in gewissen Rahmen eine Rechtfertigung für Nichtoffenlegung darstellen101. Auf diese Weise können die rechtlichen Schwierigkeiten mit den Interessenwahrungspflichten von Banken zugunsten von Anlegern und anderen Kunden reduziert, wenngleich nicht völlig gelöst werden102. Außerdem wird man bei Existenz wirklich wirksam überwachter chinesischer Mauern das bloße Bestehen eines entsprechenden Interessenkonflikts nicht eo ipso zur Disqualifizierung der Bank für bestimmte Geschäfte wegen mangelnder Unabhängigkeit ausreichen lassen. Schließlich kann die Einrichtung und Überwachung von chinesischen Mauern und ähnlichen Trennmaßnahmen als Berufspflicht multifunktionaler Finanzinstitute angesehen werden, was nicht nur in Ländern mit einem stark entwickelten Regulierungssystem wie in Großbritannien 103 , sondern auch unter der "fit-and-proper"-Klausel des Bankaufsichtsrechts in anderen Ländern wesentlich ist. Dieses letztere erscheint so wichtig, daß das Problem im Rahmen der Harmonisierung des europäischen Bankaufsichtsrechts besonders aufgegriffen werden sollte. e) Internationale
Durchsetzung
All diese Mechanismen zur Lösung von Interessenkonflikten stehen und fallen mit ihrer Durchsetzung. Dabei ist offenbar, daß eine wirksame Durchsetzung nicht rein national bleiben kann, sondern Probleme der Verteilung und der Uberschneidung von Jurisdiktionen und von internationaler Kooperation und Amtshilfe sein muß. Im Rahmen der Harmonisierung des europäischen Gesellschafts-, Bank- und Börsenrechts104 ist das Problem der rechtlichen Sanktionen schwierig, weil diese herkömmlich eine Sache der Mitgliedstaaten sind, wie zuletzt wieder das Schicksal der EG-Insiderrechts-Richtlinie gezeigt hat105. Andererseits sind die Probleme des internationalen Privatrechts und der internationalen Zusammenarbeit bei der Rechtsanwendung in Brüssel erkannt und zentrale Punkte vieler europäischer Richtlinien vor allem im Rahmen der Bank- und Börsenrechtsangleichung.
100 Eine solche Zurechnung kann ein besonderes rechtliches Risiko für Investmentbanken und Börsenhäuser sein, dazu Böckli, loc. cit. (Fn. 6), S. 93 ff. 101 Rider, loc. cit. (Fn.37), §614. 102 Supra A II 3, 4. 103 Cranston, loc. cit. (Fn. 16), p. 211-215. 104 Dazu Buxbaum/Hopt, Legal Harmonization and the Business Enterprise, Berlin, New York 1988, sowie jetzt Buxbaum/Hertig/Hirsch/ Hopt, eds., European Business Law, Legal and Economic Analyses on Integration and Harmonization, Berlin, New York 1991. 105 Art. 13 der Richtlinie und Hopt, C . M . L . R e v . 17 (1990) 51 at 74 et seq.
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Klaus J. Hopt
Ob die Durchsetzung bankintern, durch Selbstregulierungsinstanzen oder durch staatliche Stellen - vieles spricht für die Beauftragung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen in Berlin - erfolgt, sollte jedenfalls nicht wie bis vor kurzem in Deutschland zur Grundsatzfrage („keine deutsche S E C " ) hochstilisiert werden. Sie ist ganz nüchtern zu sehen und zu lösen als Frage der größeren Effizienz und des Wettbewerbs um den attraktivsten Finanzplatz in Europa 1992 106 .
Schon Hopt, ZHR 141 (1977) 389 (436-440). Inzwischen auch deutlich von Rosen, Sprecher des Vorstands der Frankfurter Wertpapierbörse, oben bei Fn. 60.
Kreditfähigkeit und Kapitalausstattung umgewandelter Unternehmen im neuen Bundesgebiet"' NORBERT HORN
I. Problemüberblick Die deutsche Bankwirtschaft steht vor der großen Herausforderung, die Unternehmensfinanzierung auch im neuen Bundesgebiet zu übernehmen. Soweit es dabei um die Betreuung der Tochtergesellschaften oder Filialen westlicher Unternehmen geht, befinden sich die Banken bei der Bonitätsprüfung auf vertrautem Terrain. Gleiches gilt im ganzen auch bei der Finanzierung kleinerer privater Neugründungen, wo es bei relativ begrenztem Finanzierungsvolumen hauptsächlich um die persönliche Vertrauenswürdigkeit und Leistungsfähigkeit der Gründer geht, ζ. B. von Handwerkern oder Einzelhändlern. Besonderheiten ergeben sich in beiden Fällen einmal daraus, daß niemand den Verlauf des wirtschaftlichen Aufschwungs in der D D R genau voraussagen kann; hier sollte es aber allenfalls unterschiedliche Grade von Optimismus geben. Zum anderen ergeben sich Besonderheiten daraus, daß die Geeignetheit von Kreditsicherheiten oft nicht leicht zu ermitteln ist, weil ungeklärte Eigentumsverhältnisse vorliegen (unten III). Der weitaus größte Teil der Wirtschaft im neuen Bundesgebiet besteht aber derzeit noch aus Kapitalgesellschaften, die durch gesetzliche Umwandlung ehemals sozialistischer Wirtschaftseinheiten (VEBs und Kombinate) gem. §11 Abs. 1 TreuhandG entstanden sind1. Hier ist die Bonitätsprüfung vor große und ganz ungewöhnliche Probleme gestellt. Diese Probleme bestanden und bestehen in einer vollständigen Unklarheit der bestehenden Vermögensverhältnisse der Wirtschaftseinheiten aufgrund einer westlichen Maßstäben nicht genügenden RechnungsleBearbeitungsstand ist Ende Januar 1991. G zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (TreuhandG) vom 17.6.1990, GBl. I Nr. 33, S. 300 (Text auch bei Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht in den neuen Bundesländern ab 3.10.1990, RWS-Dokumentation 2, Nr. II.3.1); Fortgeltung gem. Art. 25 Einigungsvertrag vom 31.8.1990, BGBl. II, S. 889, mit 5 DVOen (Horn, aaO Nr. II.3.2-6). 1
324
Norbert Horn
gung, in unklaren Eigentumsverhältnissen hinsichtlich des Unternehmens und der Betriebsgrundstücke, in der mangelhaften Kapitalausstattung und in der verbreiteten Gefahr, daß die Unternehmen in der Marktwirtschaft wirtschaftlich nicht oder nur bei grundlegender Umstrukturierung überlebensfähig sind. Das erstgenannte Problem wird im wesentlichen durch die Aufstellung der DM-Eröffnungsbilanzen nach dem DM-EröffnungsbilanzG (DMBilG) gelöst2, wobei freilich schwierige Bewertungsfragen auftreten3. Auch wenn wegen der Schwierigkeit und des Gesamtvolumens der Aufgabe die Fristen für die Aufstellung (§ 4 Abs. 1 DMBilG) und für die Prüfung und Feststellung (§§33, 35 DMBilG) 4 nicht durchweg eingehalten werden können, so steht doch in der ersten Jahreshälfte 1991 bei einer wachsenden Zahl von Unternehmen ein Bilanzbild der Vermögenslage zur Verfügung. Das Problem unklarer Eigentumsverhältnisse besteht im wesentlichen darin, daß sowohl Betriebsgrundstücke als auch Unternehmen als Ganzes Gegenstand von Restitutionsansprüchen enteigneter früherer Eigentümer sein können 5 . Die Restitution von Betriebsgrundstücken kann dem betreffenden Unternehmen wichtige Kreditsicherheiten entziehen. Die Restitution des Unternehmens bzw. von Beteiligungsrechten kann Investoren davon abhalten, das Unternehmen von der Treuhandanstalt zu erwerben und damit seine Sanierung sicherzustellen. Der Gesetzgeber hat versucht, dieses Problem im wesentlichen durch zwei Instrumente zu verringern, erstens durch kurze Anmeldefristen für Restitutionsansprüche6, die freilich wegen faktischer Schwierigkeiten der Zuleitung und Sichtung der Antragsflut nicht einzuhalten waren, und zweitens durch einen Vorrang besonders förderungswürdiger Investitionsvorhaben vor einem Restitutionsanspruch nach dem
2 G über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (DMBilG) vom 3 . 1 0 . 1 9 9 0 gem. Einigungsvertrag Anlage II Kap. III D Abschn.I, BGBl. II, S. 1169; Geltung ab 1.7.1990, der § § 4 7 - 4 9 ab 2 4 . 9 . 1 9 9 0 (Verkündung) gem. § 6 0 DMBilG; Text bei Horn, RWS-Dokumentation 2, Nr. II.4.1. 3 Uberblick bei Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 1991, Kap. 4 114. 4 Aufstellung bis 31.10.1990 ( § 4 Abs. 1 S. 1 DMBilG), bei kleineren Unternehmen (bis 3,9Mio. DM Bilanzsumme oder höchstens 50 Arbeitnehmer) bis 3 1 . 1 2 . 1 9 9 0 ( § 4 Abs. 1 S. 2 DMBilG). Feststellung binnen 8 Monaten, bei kleineren Unternehmen binnen 11 Monaten nach dem Bilanzstichtag (§35 Abs. 1 S. 3 DMBilG). 5 Allg. zur Restitution Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht aaO, Kap. 3 IV; Zur Reprivatisierung von Unternehmen aaO, Kap. 4 III 7. 6 Bis 13.10.1990, bei Enteignungen 1939-45 und Enteignungen durch die politische Strafjustiz der DDR bis 3 1 . 3 . 1 9 9 1 ; § 3 der (konsolidierten) AnmeldeVO vom 11.10.1990, BGBl. I S.2162; Text auch bei Horn, RWS-Dokumentation 2, Nr. II. 2.4.
Kreditfähigkeit und Kapitalausstattung
325
InvestitionsG7. Dessen Anwendungsbereich ist freilich bisher beschränkt auf Fälle ungeklärter Eigentumsverhältnisse an Grundstükken, greift also ζ. B. nicht ein, wenn der Restitutionsanspruch des Alteigentümers bereits anerkannt ist. Ferner gilt das Gesetz nicht bei Restitution von Unternehmen oder Unternehmensanteilen; zu diesem Punkt hat aber der Gesetzgeber im Januar 1991 Reformpläne entwickelt. Im übrigen ist das Gesetz mit seinen weitgefaßten Tatbeständen (Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen oder Deckung eines erheblichen Wohnbedarfs gem. § 1 Abs. 2 InvestG) in der Praxis noch nicht getestet. Es findet schließlich auch keine Anwendung bei der Bestellung von Grundpfandrechten8; auch hier ist Abhilfe geplant. Im folgenden sollen nicht die in der vorstehenden knappen Problemskizze berührten Rechtsfragen vertieft werden. Vielmehr sollen zwei Problemkreise herausgegriffen werden, die ganz oder überwiegend mit den besonderen Verhältnissen der umgewandelten ehemals sozialistischen Unternehmen zusammenhängen: die Kapitalausstattung dieser Unternehmen (i. F. II) und das Problem ihrer Kreditfähigkeit (i. F. III). Auch hier kann es nur um einen relativ knappen Problemaufriß gehen.
II. Die Kapitalausstattung der umgewandelten Unternehmen 1. Der
Neubeginn
Die DM-Eröffnungsbilanz, die aufgrund des DMBilG zum 1.7.1990 zu erstellen ist, beruht auf einer Neubewertung und stellt einen völligen Neubeginn in der Vermögensdarstellung der Unternehmen dar. Dies gilt auch für die aufgrund § 11 TreuhandG umgewandelten ehemaligen sozialistischen Wirtschaftseinheiten. Die Neubewertung führt in vielen Fällen zu stark erniedrigten Buchwerten des Betriebsvermögens9. Zwar sind auch die Altschulden der Unternehmen, die auf der umfassenden Kreditfinanzierung nach dem alten sozialistischen Wirtschaftssystem beruhen, durch die Währungsumstellung zum 1.7.1990 halbiert worden10. Aber in vielen Fällen führte die Neubewertung der Aktiva zu einem gleichwohl völlig unbefriedigenden Bilanzbild, obwohl den 7 G über besondere Investitionen in der DDR (InvestG) vom 3.10.1990, in Kraft getreten mit dem Einigungsvertrag gem. dessen Anlage II Kap. III Β Abschn. I Nr. 1, BGBl. I, S. 1157; Text auch bei Horn, RWS-Dokumentation 2, Nr.II.2.2. 8 Zum Gesetz allg. Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht aaO, Kap. 3 IV 4. 9 Zur Neubewertung vgl. § 7 DMBilG; dazu Horn aaO, Kap. 4 II 4. 10 Gem. Art. 10 Abs. 5 Staatsvertrag (Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR) vom 18.5.1990, BGBl. II, S. 537. Text auch bei Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht der DDR, RWS-Dokumentation 1, 1990, Nr. 1.1.
326
Norbert Horn
Unternehmen durch § 11 Abs. 2 TreuhandG auch die von ihnen genutzten ehemals volkseigenen Grundstücke zu Eigentum übertragen wurden. Die mit der DM-Eröffnungsbilanz zutagetretende Uberschuldung der Unternehmen liegt zu einem großen Teil in den Defiziten des sozialistischen Planwirtschaftssystems, das eine umfassende Abschöpfung der Betriebsgewinne sowie geringere Ersatzinvestitionen bei gestreckter Nutzungsdauer vorsah, eine allgemein extrem knappe Finanzausstattung der Unternehmen praktizierte und das Prinzip der Zwangskreditierung befolgte, d. h. im wesentlichen die Finanzierung von Neu- und Ersatzinvestitionen durch Kredite seitens des staatlichen Bankapparats, der zugleich die Kontrolle der Planerfüllung mitübernahm. Die Überschuldung des Unternehmens muß daher nicht unbedingt bedeuten, daß dieses keine Zukunftschancen mehr hat. Für die wirtschaftlichen Aussichten kommt es jeweils nicht nur auf den Ist-Zustand an, sondern auch auf Chancen durch neue Entwicklungen und Konzepte und die Geeignetheit des vorhandenen Unternehmens, diese zu realisieren. Der Gesetzgeber hat daher aus der Überlegung heraus, daß die gegenwärtige Überschuldung eines umgewandelten Unternehmens dessen positive wirtschaftliche Aussichten für die Zukunft noch nicht ausschließt, besondere Maßnahmen der Kapitalausstattung vorgesehen, die sich aus einem Zusammenspiel des TreuhandG und des DMBilG sowie der AltschuldenVO 11 ergeben. Es handelt sich um die folgenden vier Maßnahmen: - Beseitigung einer Uberschuldung durch Gewährung einer Ausgleichsforderung gem. § 2 4 Abs. 1 D M B i l G ; dazu i . F . 2 ; - Neufestsetzung des Eigenkapitals mindestens in gesetzlicher Höhe und Sicherung durch eine Einlagenforderung gem. § 2 6 Abs. 2 D M B i l G ; dazu unten 3; - Aktivierung besonderer Vermögensgegenstände in Höhe einer vorläufigen Gewinnrücklage gem. § 3 1 D M B i l G ; dazu unten 4; - Ein Altschuldenerlaß im Einzelfall nach der AltschuldenVO; unten 5.
2. Die Gewährung einer Ausgleich sforder ung (§24 Abs. 1 DMBilG) Bei der Aufstellung der DM-Eröffnungsbilanz aufgrund Neubewertung kann sich „ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag" ergeben. Ist die Kapitalgesellschaft gleichwohl sanierungsfähig und handelt es sich nicht um ein Geldinstitut, einen Außenhandelsbetrieb oder eine Versicherung, so sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, die 11 V O über Maßnahmen zur Entschuldung bisher volkseigener Unternehmen von Altkrediten v. 5 . 9 . 1 9 9 0 , GBl. I Nr. 59 S. 1435; Text bei Horn, R W S - Dokumentation 2, Nr. II.4.2; Fortgeltung gem. A r t . 3 Nr. 18 Vereinbarung zur Durchführung des Einigungsvertrags v. 1 8 . 9 . 1 9 9 0 , BGBl. II, S. 1239; Text bei Horn aaO, Nr. 1.1.6.
Kreditfähigkeit und Kapitalausstattung
327
Überschuldung durch Gewährung einer Ausgleichsforderung in Höhe des Fehlbetrags zu beseitigen (§24 Abs. 1 DMBilG). Die Ausgleichsforderung richtet sich gegen die Treuhandanstalt, die gem. Art. 25 Einigungsvertrag und TreuhandG mit der Privatisierung der ehemals sozialistischen Unternehmen beauftragt ist, oder den sonstigen Vermögensträger, dem die Anteile an der betreffenden Kapitalgesellschaft unentgeltlich übertragen worden sind (§24 Abs. 3 DMBilG). Dabei kann es sich z.B. um eine öffentliche Gebietskörperschaft handeln, der das Unternehmen nach dem KommunalvermögensG 12 übertragen worden ist, oder um eine AG, die aus einem dem Unternehmen übergeordneten Kombinat hervorgegangen ist und die Anteile der ehemaligen Kombinatsbetriebe (gem. § 12 Abs. 2 TreuhandG) erworben hat. Die Ausgleichsforderung ist marktgerecht zu verzinsen (§24 Abs. 2 S.3 i.V.m. §13 Abs.3 S.2 DMBilG). Mutterunternehmen, die Schuldner einer Ausgleichsforderung sind, so typischerweise die einer G m b H aufgrund des früheren Kombinatsverbundes übergeordnete AG, können in Höhe ihrer Verbindlichkeit aus der Ausgleichsforderung (der GmbH) in ihrer Eröffnungsbilanz ein Beteiligungsentwertungskonto aktivieren (§24 Abs. 5). Die überschuldete Kapitalgesellschaft hat die Treuhandanstalt oder den anderen Schuldner der Ausgleichsforderung zu unterrichten, sobald sich bei der Aufstellung der Eröffnungsbilanz eine Uberschuldung und damit die Möglichkeit der Gewährung einer Ausgleichsverbindlichkeit abzeichnet (§24 Abs. 4 S. 1 DMBilG). Die Treuhandanstalt oder der sonstige Schuldner hat auf die Anmeldung hin zu prüfen, ob er die Ausgleichsforderung ablehnen soll. Er hat sie abzulehnen, wenn das Unternehmen nicht sanierungsfähig ist (§24 Abs. 1 S.2 DMBilG). Die Ausgleichsforderung ist also zunächst durch die Ablehnung der Forderung auflösend bedingt (§ 158 Abs. 2 BGB). U m eine Entscheidungsgrundlage zu gewinnen, muß die Treuhandanstalt oder der sonstige Schuldner daher eine Prüfung der Sanierungsfähigkeit vornehmen. Dabei können Aufklärung und Nachweise verlangt werden (§ 24 Abs. 4 S. 2 i. V. m. § 23 DMBilG). Das Gesetz begrenzt die Ablehnungsentscheidung zeitlich durch den Ablauf der Feststellungsfrist für die Eröffnungsbilanz bis 28.2.1991, bei Kleinunternehmen bis 31.5.1991, (§35 Abs. 1 S.3 i.V.m. §24 Abs. 1 S. 1 DMBilG). Wird die Frist zur Aufstellung der DM-Eröffnungsbilanz überschritten, so daß sich die Zeitspanne bis zum Ablauf der Feststellungsfrist verkürzt, so
12 G über das Vermögen der Gemeinden, Städte und Landkreise vom 6.7.1990 GBl. I Nr. 42 S.660 (Text bei Horn RWS-Dokumentation 1, N r . 3.15); geändert und ergänzt durch G ν. 13.9.1990, GBl. I N r . 61, S. 1537; geändert fortgeltend gem. Einigungsvertrag Anlage II Kap. IV Abschn. III Nr. 2.
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Norbert Horn
muß die Ablehnungsfrist entsprechend verlängert werden. Andernfalls könnte durch Überschreitung der Aufstellungsfrist die Ablehnungsentscheidung erschwert oder vereitelt werden. Ein eigener Rechtsanspruch der überschuldeten Kapitalgesellschaft auf Gewährung der Ausgleichsforderung besteht nicht. Dies folgt schon aus dem klaren Wortlaut des §24 Abs. 1 DMBilG und der Privatisierungsaufgabe der Treuhandanstalt. Auch aus allgemeinen Überlegungen des Privatrechts (Gesellschaftsrechts) und Öffentlichen Rechts läßt sich ein anderes Ergebnis nicht herleiten13. Wird die Ausgleichsforderung gem. §24 Abs. 1 DMBilG abgelehnt, so ist der Konkursgrund der Überschuldung gegeben (§ 1 Abs. 1 GesamtvollstreckungsO 14 ; vgl. auch §207 Abs. 1 KO). Antragsberechtigt ist neben den Gläubigern der Schuldner, also die Mitglieder des Leitungsorgans der überschuldeten Kapitalgesellschaft (§ 2 Abs. 1 S. 1 GesamtvollstreckungsO). Diese sind zugleich gesellschaftsrechtlich zur Antragstellung verpflichtet (§ 92 Abs. 2 S. 2 AktG; § 64 Abs. 1 S. 2 GmbH). Die Treuhandanstalt oder der sonstige Anteilseigner kann von ihnen die Einleitung des Gesamtvollstreckungsverfahrens verlangen (§26 Abs. 3 S. 4 DMBilG). Zu einer Sanierung des Unternehmens ist die Treuhandanstalt nicht verpflichtet. 3. Neufestsetzung
und Aufbringung (§26 DMBilG)
des
Eigenkapitals
Als Ergebnis der Neubewertung als Grundlage der DM-Eröffnungsbilanz wird das Eigenkapital grundsätzlich unabhängig von früheren Festsetzungen und Ausweisungen neu ermittelt und ergibt sich als Differenzbetrag zwischen den Aktiva und den Passiva (§26 Abs. 1 DMBilG). War das Unternehmen überschuldet und wurde diese Überschuldung nur durch eine Ausgleichsforderung gem. §24 Abs. 1 DMBilG ausgeglichen, so ergibt sich ein Eigenkapital von Null. Aber auch in Fällen, in denen keine Überschuldung vorliegt, kann der Differenzbetrag zwischen Aktiva und Passiva so schmal ausfallen, daß nicht einmal ein Eigenkapital in gesetzlicher Mindesthöhe vorhanden ist. Das Gesetz schreibt vor, daß das Grundkapital der umgewandelten AGs in der Satzung und das Stammkapital der GmbHs im Gesellschaftsvertrag neu festzusetzen ist, und zwar mindestens in der gesetzlichen Mindest-
15 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht, aaO, Kap. 4 III 6 c; Krebs, ZIP 1990, 1513, 1516 ff. 14 GesVO v. 3 . 1 0 . 1 9 9 0 = geänderte Fortgeltung der GesamtvollstreckungsVO ( G e s W O ) v. 6 . 6 . 1 9 9 0 GBl. I Nr. 32, S.285, nach Maßgabe des Einigungsvertrags Ani. II Kap. III A Abschn. II Nr. 1; Text bei Horn, RWS-Dokumentation 2, Nr. II.5.1.
Kreditfähigkeit und Kapitalausstattung
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höhe (§26 Abs. 2 S. 1 DMBilG), also bei der AG auf wenigstens 100000 DM (§7 AktG), bei der GmbH auf 50000 DM (§5 Abs. 1 GmbHG) 15 . In den Fällen, in denen die tatsächlich vorhandenen Aktiva nach Abzug der übrigen Passiva den auf diese Weise festgesetzten Eigenkapitalbetrag nicht überdecken, gestattet es das Gesetz, den Fehlbetrag als ausstehende Einlage auf der Aktivseite vor dem Anlagevermögen gesondert auszuweisen. Für die Einzahlung des Kapitals gelten im übrigen die für die Rechtsform des Unternehmens maßgeblichen Vorschriften (§26 Abs. 3 S. 2 DMBilG). Der Bilanzausgleich wird also durch eine Einlageforderung gegen den Anteilseigner, die Treuhandanstalt oder das sonstige Mutterunternehmen, hergestellt. Die entsprechende Verpflichtung übernimmt die Treuhandanstalt oder der sonstige Anteilseigner (Mutterunternehmen, Gemeinde usw.) dadurch, daß er die Feststellung der Satzung (§ 23 AKtG) unter Neufestsetzung des Grundkapitals bzw. den Abschluß des Gesellschaftsvertrags ebenfalls mit Neufestsetzung des Stammkapitals (§§ 3, 5 GmbHG) vornimmt und die entsprechenden Aktien bzw. Stammeinlagen übernimmt. Die Treuhandanstalt oder der sonstige Anteilseigner muß eine Entscheidung treffen, ob er diese Verpflichtung eingehen will. Will er es nicht, so muß er die Neufestsetzung des Eigenkapitels unterlassen und von der Möglichkeit des §26 Abs. 3 S. 4 DMBilG Gebrauch machen, innerhalb der Feststellungsfrist für die Eröffnungsbilanz die Auflösung des Unternehmens zu beschließen oder die Einleitung des Gesamtvollstreckungsverfahrens zu verlangen. Es liegt auf der Hand, daß auch eine positive Entscheidung zur Mindestkapitalausstattung dem Unternehmen je nach Größe und Bedeutung noch nicht zu einer ausreichenden Kapitalausstattung verhilft. Etwas anderes gilt nur in den eher seltenen Fällen, daß die vorhandenen Aktiva bei weitem die Passiva übersteigen und daher ohne weiteres ein ausreichendes Eigenkapital als Differenzbetrag gem. § 26 Abs. 1 DMBilG ausgewiesen und als Eigenkapital gem. §26 Abs. 2 DMBilG neu festgesetzt werden kann. Eine reichliche Ausstattung mit Aktiva ergibt sich aber regelmäßig nur in zwei Fällen, nämlich aufgrund des gesetzlichen Ubergangs besonders wertvoller Betriebsgrundstücke gem. § 11 Abs. 2 S. 2 TreuhandG oder beim ebenfalls unentgeltlichen gesetzlichen Erwerb von Beteiligungsrechten an anderen Unternehmen (ehemaligen Kombinatsbetrieben) gem. § 12 Abs. 2 TreuhandG. In beiden 15 Letzteres gilt unbeschadet der Tatsache, daß bei Neugründung einer GmbH in der Ubergangszeit vor dem 3 . 1 0 . 1 9 9 0 nur ein Mindestkapital von 20 0 0 0 D M festzulegen war; für die Anpassung sind Ubergangsfristen im Einigungsvertrag Anlage I Kap. 3 D Abschn. III Nr. 7 (= Horn, RWS-Dok. 2 Nr. 1.4 S. 2) vorgesehen.
330
Norbert H o r n
Fällen will der Gesetzgeber aber erreichen, daß im Ergebnis das Eigenkapital nicht höher ist, als es zur vollständigen Abdeckung des Sachanlagevermögens, vermindert um den Grundbesitz, erforderlich ist. Für den überschießenden Betrag entsteht daher eine Ausgleichsverbindlichkeit gegenüber dem Anteilseigner, also regelmäßig der Treuhandanstalt oder der Muttergesellschaft, der zu passivieren ist (§ 25 Abs. 1 u. 2 DMBilG). Das gesetzliche Mindestkapital darf auf diese Weise aber nicht unterschritten werden (Abs. 1 S. 2). Das Unternehmen hat die Treuhandanstalt oder die Muttergesellschaft zu unterrichten, sobald sich bei der Aufstellung der Eröffnungsbilanz eine Ausgleichsverbindlichkeit abzeichnet (§25 Abs. 3 S. 1 DMBilG). Die Ausgleichsverbindlichkeit ist das Gegenstück der Ausgleichsforderung und soll im Ergebnis bewirken, daß bei der Treuhandanstalt ein Ausgleich stattfindet, indem sie einerseits (ggf. vermittelt durch die zwischengeschalteten Gesellschaften, die aus den Kombinaten hervorgegangen sind) zwar Schuldner der Ausgleichsforderungen der überschuldeten Unternehmen ist, andererseits aber Gläubiger der zu reichlich mit Eigenkapital ausgestatteten Unternehmen 1 6 . 4. Die vorläufige Gewinnriicklage
gem. §31
DMBilG
Mit der Aufbringung des gesetzlichen Mindestkapitals ist, zumal bei großen Unternehmen, noch nicht viel für die ausreichende Eigenkapitalausstattung der Unternehmen gewonnen. Das Gesetz eröffnet die Möglichkeit einer Bilanzverbesserung durch Bildung einer vorläufigen Gewinnrücklage gem. §31 DMBilG. Danach dürfen Unternehmen, mit Ausnahme von Geldinstituten und Außenhandelsbetrieben, abweichend von den allgemeinen Grundsätzen bestimmte Posten aktivieren, nämlich (1) nicht entgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens einschließlich des Geschäfts- oder Firmenwerts mit dem Teilwert (Anteil am Gesamtkaufpreis unter der Hypothese einer Veräußerung des Unternehmens); (2) Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebs nach § 269 S. 1 H G B , die nach dem 1.3.1990 getätigt wurden und geeignet sind, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens herzustellen; (3) Zuschüsse, Beihilfen und andere Vermögensvorteile, die ohne RückZahlungsverpflichtungen von Dritten für Investitionen gewährt werden, sofern der Auftrag für die Investition bis zum Ablauf der Aufstellungsfrist für die Eröffnungsbilanz verbindlich erteilt wurde (§31 Abs. 1 N r . 1-3). Die Aktivierung der beiden erstgenannten Posten darf nur insoweit erfolgen, als nach 16
Amtliche Erläuterungen, BR-Drucks. 605/90, S.65, 68 f, 86 = Horn Dok.2, Nr.II.4.1 S.26, 29f, 47.
RWS-
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vernünftiger kaufmännischer Beurteilung das Unternehmen voraussichtlich die sich hieraus ergebenden Aufwendungen ohne Beeinträchtigung des ausgewiesenen Eigenkapitals aufbringen kann (Abs. 5). Diese Posten sind planmäßig abzuschreiben (Abs. 2 u. 3). Der letztgenannte Posten ist erfolgsneutral umzubuchen, sobald seine normale Bilanzierungsfähigkeit (ζ. B. durch Auszahlung der Beihilfe) eingetreten ist (Abs. 4). Die Gewinnrücklage mit den entsprechenden Aktivierungen soll ein Bild von der erwarteten Ertragskraft des Unternehmens abgeben und zugleich seine Kreditwürdigkeit verbessern. Denn die Anteilseigner müssen die Erträge zum Ausgleich der genannten Abschreibungen erwirtschaften (vgl. Abs. 2-5); sie müssen ferner ein Gewinnausschüttungsverbot gem. Abs. 6 hinnehmen. Durch die Gewinnrücklage bringen sie daher zum Ausdruck, daß sie die Jahresüberschüsse künftig vorrangig zur Bildung von Eigenkapital verwenden wollen. 5. Altschuldenerlaß
nach der
EntschuldungsVO
Die EntschuldungsVO vom 5.9.1990 1 7 sieht eine gänzliche oder teilweise Befreiung der umgewandelten sozialistischen Unternehmen von Altschulden vor, die bis 30.6.1990 entstanden sind. Die Entscheidung darüber wird im Einzelfall auf Antrag von der Treuhandanstalt oder dem zwischengeschalteten Mutterunternehmen getroffen (§§2 Abs. 3, 3 Abs. 1). Die Befreiung soll bewilligt werden, wenn dadurch die Sanierung oder Umstrukturierung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gefördert wird (§2 Abs. 2). Sie kann also nicht erfolgen, wenn das Unternehmen auch bei Befreiung von den Altschulden nicht wettbewerbsfähig ist. Dies führt dazu, die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens nicht anhand der Altschulden, sondern nach anderen Kriterien zu beurteilen, etwa ob es über erfahrene Arbeitskräfte verfügt, einen Kundenstamm, aussichtsreiche Produkte, Kooperationsmöglichkeiten mit Investoren, eine verbesserungsfähige Kostenstruktur oder andere vielversprechende Konzepte. Die EntschuldungsVO beruht auf der Überlegung, daß die Schuldenentlastung der Unternehmen durch die Währungsumstellung sowie die Bilanzierungs- und Entschuldungshilfen nach dem D M B i l G nicht ausreichen, um die Last der Altschulden in einem Umfang abzuschütteln, der für die Sanierungsfähigkeit der Unternehmen notwendig ist. In der Tat ergibt sich die Last der Altschulden schon aus dem fehlerhaften sozialistischen Planwirtschaftssystem, das auch erfolgreichen Unternehmen keinen Spielraum ließ, die eigenen Erträge zur Stärkung des Unternehmens zu reinvestieren, sondern alle Unternehmen unterschiedslos 17
Vgl. Fn. 11.
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Norbert Horn
zur Kreditfinanzierung zwang. Die Last der Altkredite, die als Investitionshemmnis betrachtet werden muß, wurde von der DDR-Regierung per September 1990 mit rund 106 Mrd. D M angegeben 18 . Uber die Entschuldung soll aber erst dann entschieden werden, wenn die DM-Eröffnungsbilanz vorliegt. Mit dem schriftlichen Antrag auf Entschuldung ist die DM-Eröffnungsbilanz, das Sanierungskonzept und eine Saldenbestätigung der Altschulden vorzulegen (§3 Abs. 2). Die Entschuldung wird zu Lasten des von der Treuhandanstalt verwalteten Vermögens vorgenommen. Die Treuhandanstalt oder das sonstige Mutterunternehmen übernimmt Kapital- und Zinsendienst der Altschulden (§4 Abs. 1). Die Übernahme der kritischen Kredite ist zwischen der Treuhandanstalt und der Deutschen Kreditbank A G , der Genossenschaftsbank Berlin sowie der Berliner Stadtbank zu vereinbaren. Bis zur Feststellung der DM-Eröffnungsbilanzen sind die Zins- und Tilgungsleistungen auf Altkredite gem. Art. 25 Abs. 7 Einigungsvertrag ausgesetzt. Die Zinszahlung hat rückwirkend zum 1.7.1990 vorläufig die Treuhandanstalt übernommen. III. Die Kreditfähigkeit der umgewandelten Unternehmen 1. Die Klärung des
Insolvenzrisikos
Wenngleich die umgewandelten sozialistischen Unternehmen bereits bei ihrer vorläufigen Eintragung im Handelsregister auch der Treuhandanstalt vorläufige Angaben über ihr Vermögen und die Konzeption ihrer Geschäftstätigkeit gem. § 15 Abs. 3 TreuhandG vorlegen mußten, so ist doch erst mit Aufstellung und Prüfung der Eröffnungsbilanz ein einigermaßen zuverlässiges Bild der Vermögenslage der Unternehmen zu gewinnen, das übrigens unter dem Vorbehalt der Bewertungsprobleme der Eröffnungsbilanz steht. Erst wenn die Treuhandanstalt oder das Mutterunternehmen über den Ausgleich einer etwa bestehenden Uberschuldung gem. § 24 Abs. 1 DMBilG und über die Kapitalausstattung gem. § 26 Abs. 2 D M B i l G entschieden hat, ist einigermaßen klargestellt, daß das Unternehmen jedenfalls nicht in Zusammenhang mit der Umwandlung insolvent geworden ist. Bevor die Entscheidungen nach §24 Abs. 1 und §26 DMBilG nicht getroffen sind, ist diese Frage offen und die Bonität des Unternehmens meist nicht hinreichend sicher zu beurteilen. In der Ubergangszeit bietet auch reicher Grundbesitz keine sicheren Anhaltspunkte für eine positive Bonitätsprüfung. Wie bemerkt, wird das Unternehmen bei reichlichem Grundbesitz mit einer Ausgleichsverbind18
Vgl. auch Claussen, ZIP 1990, 1173, 1174.
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lichkeit gem. §25 DMBilG belastet. Im Fall der Insolvenz hat das Unternehmen den gesamten Grundbesitz an die Treuhandanstalt gem. §25 Abs. 5 DMBilG zurückzuübertragen. Die Treuhandanstalt soll durch den Rückübertragungsanspruch in die Lage versetzt werden, diese Vermögensstücke nicht sanierungsfähiger Unternehmen anderweitig zum Zweck der Sanierung der übrigen Wirtschaft einzusetzen. Der gesetzliche Ubertragungsanspruch ist vom Gesetzgeber als konkursfester Anspruch gewollt, wie sich schon daraus ergibt, daß eine seiner alternativen Voraussetzungen die Eröffnung des Gesamtvollstrekkungsverfahrens (Konkursverfahrens) ist19. Dies mag Gläubigerschutzprobleme aufwerfen. Hinsichtlich der Altschulden ist das Problem allerdings gering, weil die Gläubiger regelmäßig andere sozialistische Unternehmen waren, die im alten Wirtschaftssystem mit einer Sicherung ihrer Ansprüche durch Grundbesitz des Schuldners ohnehin nicht rechnen konnten. Neue Gläubiger müssen sich dagegen auf die Rechtslage nach §25 Abs. 5 DMBilG einstellen. 2.
Kreditfinanzierung
a) Bürgschaften der öffentlichen Hand Wegen der Unsicherheiten der Bonität der umgewandelten Unternehmen hat das private Kreditgewerbe in der Zeit ab dem Eintritt in die Währungs- und Wirtschaftsunion am 1.7.1990 nur in Ausnahmefällen bankmäßige Kredite geben können und überwiegend solche Kredite gegeben, die durch Bürgschaften der Treuhandanstalt oder sonst der öffentlichen Hand ganz oder überwiegend abgesichert sind. Die Treuhandanstalt ist als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (Art. 25 Abs. 1 S. 2 Einigungsvertrag) selbst Schuldner der umfangreichen Kreditbürgschaften. Die Bundesregierung hat in einem Brief des Bundesfinanzministers gegenüber der Treuhandanstalt erklärt, daß sie sich hinsichtlich der Schulden der Anstalt ihrer Anstaltslast bewußt sei und diese auch in Zukunft finanziell so ausgestattet halten werde, daß sie ihren Verpflichtungen nachkommen könne. Darin liegt eine sog. harte Patronatserklärung des Bundes 20 . Die Schaffung zusätzlicher Kreditsicherungsmöglichkeiten wird ferner durch Kreditgarantiegemeinschaften eröffnet, die in den neuen Bundesländern seit Ende O k t o b e r 1990 gegründet werden 21 .
19
Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht aaO, Kap. 4 III 4 g. Horn aaO Kap. 4 III 2 e. 21 Allg. zu den Kreditgarantiegemeinschaften Giebitz, Kreditgarantiegemeinschaften, 1987; Flessa, Bürgschaften des Staates und der Garantiegemeinschaften, 1989, S.31 ff. 20
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Norbert Horn
b)
Kreditsicherheiten
Bei dem dringend erforderlichen allmählichen Ubergang zu normalen Bankfinanzierungen stellt sich das Problem, daß in der Ubergangszeit die Unternehmen oft auch Schwierigkeiten haben, bankmäßig verwendbare dingliche Sicherheiten zur Verfügung zu stellen. Relativ unproblematisch ist die Sicherung von Lieferantenkrediten durch Mobiliarsicherheiten, also insbesondere Sicherungsübereignung von Warenlagern. Bei der Sicherung von Krediten durch Grundpfandrechte an Betriebsgrundstücken tun sich jedoch eine Reihe von Problemen auf, von denen einige bereits erwähnt sind. Zunächst ist zu fragen, ob die Grundpfandrechte auch im Fall der Insolvenz des Unternehmens dadurch bedroht sind, daß ein Rückübertragungsanspruch der Treuhandanstalt gem. §25 Abs. 5 DMBilG entsteht. Dies ist wohl zu verneinen. Ausgangspunkt dafür ist die Überlegung, daß das betreffende Unternehmen zunächst gem. § 11 Abs. 2 TreuhandG Eigentümer der Grundstücke geworden ist und dinglich darüber verfügen kann. Im übrigen sprechen allgemeine Gründe des Schutzes des Rechtsverkehrs und des Vertrauens der Grundpfandgläubiger dafür, daß §25 Abs. 5 DMBilG seine Rechte unberührt läßt, auch wenn dieser Anspruch im Insolvenzverfahren die erörterten besonderen Wirkungen hat. Ein weiteres Problem besteht darin, daß die Grundstücke Restitutionsansprüchen enteigneter Alteigentümer ausgesetzt sein können. Sind diese Ansprüche angemeldet, so sprechen in der Tat gewichtige Gründe dafür, daß sie durch eine Grundpfandbestellung nach Anmeldung nicht mehr beeinträchtigt werden können 22 . Ein isolierter Restitutionsanspruch hinsichtlich eines einzelnen Betriebsgrundstücks ist freilich in der Praxis eher die Ausnahme im Vergleich zu dem häufigeren Fall, daß das Grundstück bereits früher zum Betriebsvermögen gehörte und der Restitutionsanspruch sich auf Rückübertragung des ganzen Unternehmens oder bestimmter Unternehmensanteile richtet. Im letzteren Fall läßt der Restitutionsanspruch im Grundsatz den Bestand der Grundpfandrechte unberührt. 3. Die Notwendigkeit weiterer Kapitalzufuhr Die im DMBilG vorgesehenen Kapitalausstattungs- und Bilanzierungsregeln reichen, wie bereits bemerkt, regelmäßig bei weitem nicht aus, um insbesondere bei größeren Unternehmen eine auch nur annähernd ausreichende Kapitalausstattung zu erreichen. Erst ein teilweiser oder gänzlicher Altschuldenerlaß kann den Weg zu einer befriedigenden
22
Einzelheiten bei Horn aaO, Kap. 3 IV 3 f cc.
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Bilanzstruktur eröffnen und damit dem Unternehmen zu der Bonität verhelfen, die für seine Kreditfähigkeit erforderlich ist. Aber auch dann ist es meist nicht vertretbar, die Liquiditätsversorgung des Unternehmens ganz auf Kredite zu stützen. Vielmehr ist durchweg sowohl für Finanzierung von Neu- und Sanierungsinvestitionen als auch zur Liquiditätsversorgung die Zufuhr neuen Eigenkapitals im Wege der Kapitalerhöhung erforderlich. Der Treuhandanstalt fehlen dazu Auftrag und Mittel. Die Aufgabe ist vielmehr regelmäßig von privaten Anteilseignern wahrzunehmen, die im Wege der Privatisierung die Anteile am Unternehmen erwerben oder die als enteignete ehemalige Inhaber die Anteile im Wege der Restitution nach § 6 VermögensG 23 erhalten. Wenngleich man danach spätestens nach einem (teilweisen) Altschuldenerlaß die Kreditfähigkeit der umgewandelten sozialistischen Unternehmen bejahen muß, wird eine wirklich befriedigende Kapitalausstattung erst mit der Privatisierung oder Reprivatisierung erreicht. Das Problem der Privatisierung liegt bekanntlich darin, daß die Treuhandanstalt und ihre Zweigstellen nicht mit der wünschenswerten Schnelligkeit die Unternehmen veräußern können, was niemanden verwundern sollte. Ferner hat sich herausgestellt, daß die Reprivatisierung, d. h. die Anmeldung von Restitutionsansprüchen ehemaliger Eigentümer, gegenüber der Privatisierung immer mehr in den Vordergrund tritt. Auch dies sollte nicht überraschen, da letztlich die volkseigene Wirtschaft zum großen Teil aus Enteignungen hervorgegangen ist und nur zu einem kleineren Teil aus den Neugründungen und Neuinvestitionen des sozialistischen Staates besteht. Bei den Reprivatisierungen besteht nicht nur das Problem, daß hier weitere Verzögerungen zur Prüfung und zum Nachweis der Restitutionsansprüche unvermeidlich sind1, sondern daß auch viele Alteigentümer nicht unbedingt geeignete Kapitalgeber des erforderlichen zusätzlichen Kapitals sind. Hier ist es eine Aufgabe der Banken, welche die begleitende Beratung übernehmen, rechtzeitig auf die Zusammenarbeit mit neuen Kapitalgebern hinzuwirken.
23 G zur Regelung offener Vermögensfragen v. 3 . 1 0 . 1 9 9 0 gem. Einigungsvertrag Ani. II Kap. III Β Abschn.I Nr. 5, BGB1.I S. 1159 (Text auch bei Horn, RWS-Dok.2, Nr. II.2.3). 1 G zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (TreuhandG) vom 17.6.1990, GBl. I Nr. 33, S. 300 (Text auch bei Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht in den neuen Bundesländern ab 3.10.1990, RWS-Dokumentation 2, Nr. II.3.1); Fortgeltung gem. Art. 25 Einigungsvertrag vom 31. 8.1990, BGBl. II, S. 889, mit 5 DVOen (Horn, aaO Nr. II.3.2-6).
Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften - Eine hilfreiche Kategorie bei der Begrenzung von Stimmverboten im Recht der GmbH? UWE HÜFFER
I. Einführung
1. Das Stimmverbot
des §47 Abs. 4 S. 2, l.Fall
GmbHG
Nach § 4 7 Abs.4 S.2, l . F a l l GmbHG darf ein Gesellschafter sein Stimmrecht nicht ausüben und bei der Abstimmung auch nicht als Vertreter tätig werden, wenn der Beschluß ein Rechtsgeschäft betrifft, das ihm gegenüber vorgenommen werden soll. Die gesetzliche Formulierung, darüber besteht Einigkeit, ist zu weit geraten, weil sie auch diejenigen Rechtsgeschäfte einschließt, durch die der Gesellschafter seine mitgliedschaftlichen Befugnisse in der GmbH wahrnimmt, der Gesellschaft also nicht als Dritter gegenübertritt. So ist gegen den Wortlaut der Vorschrift anerkannt, daß die Bestellung von Geschäftsführern (§46 Nr. 5 GmbHG) nicht unter das Stimmverbot fällt; der Gesellschafter darf also mitstimmen, wenn es um seine Wahl zum Geschäftsführer geht 1 . Erforderlich ist, das Stimmverbot des § 4 7 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG in sachgerechter Weise zu begrenzen. Insbesondere die Judikatur hat sich dieser Aufgabe weithin mit Erfolg gestellt 2 . Von einer vollständigen Klärung kann aber weder im Grundsätzlichen noch in den Einzelergebnissen die Rede sein. Das hat sich in neuerer Zeit beispielsweise für den Abschluß von Verschmelzungs- und Unternehmensverträgen der GmbH gezeigt. Insbesondere das Meinungsbild zu §355 AktG einerseits, §§20, 21 KapErhG andererseits ist nicht frei von Widersprüchen 1 BGHZ 18, 205, 210; BGHZ 51, 209, 216; zuletzt OLG Köln GmbH-Rdsch. 1989, 76, 77 f; weit. Nachw. in Fn.46. 2 Überblick bei Hüffer in: Hachenburg GmbHG, 8.Aufl. 1991, §47 Rdn. 149, 152 f, 161 ff.
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Uwe Hiiffer
und wirkt insgesamt eher diffus3. Unverhoffte Aktualität hat die Problematik der Stimmverbote schließlich durch das Urteil des B G H vom 9.7.1990 - II ZR 9/90 - erhalten4; die Entscheidung konnte im wesentlichen noch berücksichtigt werden. 2. Gegenstand
und Ziel der
Untersuchung
Das Thema der Abhandlung liegt in der Frage, nach welchen Kriterien die Begrenzung des in § 47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG ausgesprochenen Stimmverbots vorzunehmen ist. Soweit es um die Dogmatik der Stimmverbote geht, verfolgt die Studie das Ziel, die als entscheidungserheblich angesehene Gegenüberstellung von sozial- und individualrechtlichen Geschäften durch eine vom Zweck des Verbotstatbestands ausgehende Interessenbewertung zu ersetzen (II). Hilfreich kann ein solches Unternehmen nur sein, wenn sich der prinzipielle Ansatz in den Einzelfällen bewährt. Der Beitrag muß sich deshalb auch der Frage zuwenden, wie die typischen Fallgruppen zu behandeln sind (III-V). Theodor Heinsius ist vielfach auch mit gesellschaftsrechtlichen Analysen hervorgetreten5. Die Festschrift zu seinen Ehren bietet deshalb den geeigneten Rahmen für das umschriebene Vorhaben. Der Autor hofft auf das freundliche Interesse des Sachkenners. II. Dogmatische Grundlagen 1. Unterscheidung
von sozial- und individualrechtlichen
Geschäften
Nach tradierter Rechtsauffassung ist für die Begrenzung des Stimmverbots maßgeblich, ob es sich um ein sozial- oder um ein individualrechtliches Geschäft handelt; statt von einem sozialrechtlichen Geschäft wird auch von einem gesellschaftlichen oder korporationsrechtlichen Akt gesprochen. Für sozialrechtliche Geschäfte soll §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG keine Geltung beanspruchen. Diese Unterscheidung hat schon das R G entwickelt6. Der B G H hat sie in seiner Rechtsprechung fortgeführt7, und auch das Schrifttum hat die Differenzierung zwischen 3 Während das Stimmverbot zu §355 AktG weithin anerkannt ist, findet sich zu §§20, 21 KapErhG verbreitet das Gegenteil, meist ohne Auseinandersetzung mit der aktienrechtlichen Parallelfrage; vgl. noch V 2 a. 4 B G H WM 1990, 1618 f. 5 Verwiesen sei auf die Beiträge in den Festschriften für Rob. Fischer (1979), S. 215 ff; für Stimpel (1985), S. 571 ff; für Fleck (1988), S.89ff. 6 RGZ 60, 172, 173; RGZ 74, 276, 278; RGZ 81, 37, 38; R G DR 1944, 247, 248. 7 B G H Z 18, 205, 210; B G H Z 48, 163, 167; B G H Z 51, 209, 215; B G H Z 52, 316, 318; B G H N J W 1973, 1039, 1041; B G H WM 1977, 192, 193; zuletzt ausdrücklich B G H WM 1990, 1618 f.
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sozial- und individualrechtlichen Geschäften ganz weitgehend aufgegriffen8. Danach soll entscheidend sein, ob der Gesellschafter, um dessen Stimmrecht es geht, der GmbH wie ein Dritter gegenüber tritt oder nicht; nur im ersten Fall handle es sich um „Geschäfte des Individualverkehrs" mit der Folge des Stimmverbots 9 . 2. Begrenzung des Stimmverbots nach dem Normzweck In der jüngeren Lehre wird gegen die begriffliche Unterscheidung von sozial- und individualrechtlichen Geschäften eingewandt, sie führe in Abgrenzungschwierigkeiten, weil sie für die erforderliche Zuordnung keine brauchbaren Kriterien beibringen könne 10 . Die Lösung dürfe nicht an den Begriffen hängen, sondern sei aus dem Zweck der Regelung über die Stimmverbote abzuleiten 11 . Maßgebend ist danach, ob der Gesellschafter mit seiner Stimmabgabe mitgliedschaftliche oder private (Sonder-)interessen verfolgt 12 . Während die Stimmabgabe im ersten Fall nicht ohne weiteres durch gesellschaftsfremde Interessen beeinflußt werde, könne im zweiten Fall nicht erwartet werden, daß der Gesellschafter seine Sonderinteressen bei der Bildung des Gesellschaftswillens zurücktreten lasse. 3. Die Orientierung am Normzweck als überlegene Lösung a) Die Kritik an den Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen sozial- und individualrechtlichen Geschäften ist berechtigt, greift aber noch zu kurz. Es geht nicht nur um Abgrenzungsschwierigkeiten; sondern: Die genannte Unterscheidung ist überhaupt nicht geeignet, Ausnahmen von dem zu weit geratenen Stimmverbot des § 47 Abs. 4 S. 2,1. Fall GmbHG zu rechtfertigen. Die begriffliche Gegenüberstellung erweckt zwar den Eindruck, Entscheidung durch Subsumtion zu ermöglichen, kann dieses 8 Düringer/Hachenburg/Z.e¿mann Das Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1930 ff, § 2 5 2 a. F. A n m . 4 4 ; Staub /Pinner Komm, zum HGB, 12./13. Aufl., Bd. II 1926, § 252 a. F. Anm. 26 f; vgl. aus der jüngeren Literatur Fischer/Lutter/Hommelboff GmbH-Gesetz, 12. Aufl. 1987, § 47 Rdn. 20; Immenga/Werner GmbH-Rdsch. 1976, 53 f und 57 f (aber mit Kritik im einzelnen); Siegmund BB 1981, 1674, 1676 f; der Sache nach auch Vogel Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986, S. 79; nur Referat bei Meyer-Landrut/Miller/Niehus, Komm. GmbHG, 1987, § 4 7 Rdn. 45. 9 Deutlich etwa R G Z 81, 37, 38. 10 Vgl. z.B. Immenga/Werner GmbH-Rdsch. 1976, 53, 5 7 f . 11 Im Grundsatz übereinstimmend Baumbach/Hueck/Zö//ner GmbH-Gesetz, 1 5 . A u f l . 1988, § 4 7 Rdn.48; Hüffer in: Hachenburg G m b H G (Fn.2), § 4 7 Rdn. 150; Rowedder/Koppensteiner GmbHG, 2. Aufl. 1990, § 4 7 Rdn. 58; wohl auch Scholz/ K.Schmidt Komm, zum GmbHG, 7. Aufl., Bd.II 1988, § 4 7 Rdn. 110. 12 So grundlegend Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 231 f.
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Versprechen aber nicht einlösen; denn erstens geht es nicht um Subsumtion, sondern um teleologische Reduktion des Verbotstatbestands 13 , und zweitens fehlt den angeblichen Subsumtionsbegriffen die normative Basis. Das Begriffspaar hat deshalb nur deskriptive Bedeutung; es erlaubt, anderweitig schon gefundene Entscheidungen sprachlich einzuordnen. Entgegen der jüngsten Entscheidung des BGH 14 wird daher mit der „Sozialaktstheorie" auch kein Beitrag zur Rechtssicherheit geleistet. Auch das RG hat die Dinge ursprünglich nicht anders beurteilt. Insbesondere die erste einschlägige Entscheidung ermittelt den Verbotszweck aus den Gesetzesmaterialien, findet ihn in einer typischen Gefährdung der Gesellschaftsinteressen und läßt folgerichtig den Aktionär zur Abstimmung bei seiner Wahl in den Aufsichtsrat zu, weil sein Interesse, das Mandat zu erlangen, der Art nach nicht die Belange der Gesellschaft gefährdet15. An die damit gefundene Entscheidung schließen sich die Wendungen an, die sich in der Folgezeit verselbständigt und zu dem hier kritisierten Begriffspaar verdichtet haben. b) Ahnlich wie bei der Begrenzung des Stimmverbots ist der Begriff des Sozialakts verwandt worden, um die Unanwendbarkeit des §181 BGB auf (nicht vertragsändernde) Gesellschafterbeschlüsse zu begründen 16 . Das hat sich als nicht weiterführend erwiesen 17 , und auch der BGH ist von der Vorstellung abgerückt, aus dem Begriff des Sozialakts ließen sich konkrete Ergebnisse ableiten18. Um so unverständlicher wäre es, wenn man die sensible, für die Willensbildung der Gesellschaften häufig entscheidende Problematik von Stimmverboten weiterhin durch eine Variante der Sozialaktstheorie lösen wollte. c) Es gibt demnach keine überzeugende Alternative zu der in der Rechtsprechung zunächst angelegten, dann verlorengegangenen und schließlich im jüngeren Schrifttum wieder geforderten Begrenzung des Stimmverbots nach dem Zweck des § 47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG. Sie ist auch schon deshalb geboten, weil eine teleologische Reduktion ohne
13 Zutreffend zum Vereinsrecht Soergel/Hadding BGB, 12. Aufl., Bd.I 1987, §34 Rdn.4. 14 BGH WM 1990, 1618, 1619. 15 RGZ 60, 172, 173. 16 BGHZ 33, 189, 191; BGHZ 48, 163, 167; BGHZ 51, 209, 217; BGHZ 52, 316, 318. 17 Vgl. namentlich Hadding Festschr. für Rob. Fischer, 1979, S. 165, 188 ff; Schilling Festschr. für Ballerstedt, 1975, S.257ff m.w.N. in Fn.10 und 27; einlenkend auch Roh. Fischer Festschr. für Hauß, 1978, S.61, 75 ff. 18 BGHZ 65, 93, 97f; BGH WM 1979, 71, 72; BGH GmbH-Rdsch. 1988, 337, 338 (Ii. Sp.).
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Rechtfertigung aus dem Regelungszweck ein Widerspruch in sich wäre19. Und schließlich geht es auch nicht allein darum, „die von der Praxis verwendeten Vokabeln als verfehlt über Bord" zu werfen20. Das Vokabular ist in der Tat nachrangig, und ohne begriffliche Verkürzungen läßt sich nicht auskommen. Entscheidend ist jedoch, die auf den Verbotszweck bezogenen Interessenbewertungen offenzulegen. Zudem müssen die Einzellösungen in praktikabler Weise systematisiert werden. 4. Bildung von Fallgruppen
nach dem Zweck des
Stimmverbots
a) Weil sich die Grenzen des Stimm Verbots nach seinem Zweck zu richten haben, muß dieser Zweck bestimmt werden. Er wird allgemein und zu Recht21 darin gefunden, den im Gesellschafterbeschluß durch Rechtsgeschäft gebildeten Verbandswillen von verfälschenden Einflüssen freizuhalten, die sich aus Sonderinteressen der Gesellschafter ergeben könnten, wenn sie zur Abstimmung zugelassen wären; dabei ist das Stimmverbot wegen seiner präventiven Wirkung - insoweit ähnlich wie bei dem Verbot von Insichgeschäften nach §181 BGB - nur dann gerechtfertigt, wenn die Verfälschung typischerweise zu erwarten steht22. Damit ist zugleich die Grenze gezogen zwischen dem Stimmverbot (= typisches oder offenkundiges Verfälschungsrisiko) und der Anfechtbarkeit von Beschlüssen wegen Mißachtung mitgliedschaftlicher Treubindungen (= Bevorzugung von Sonderinteressen zum Schaden der Gesellschaft im Einzelfall). b) Entscheidend ist die Frage, wie weit dieser Zweck trägt, wenn man das Interesse der Gesellschaft an unverfälschter Willensbildung zu dem Interesse in Beziehung setzt, daß der Gesellschafter an der Ausübung seines Stimmrechts hat. Eine solche Abwägung ist rechtlich geboten, weil der Stimmrechtsausschluß einen Eingriff in die Mitgliedschaft darstellt. Sie führt zu dem Zwischenergebnis, das bereits die grundle19 Zur Methode vgl. Canaris Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 82 ff; Bydlinski Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S.480f. 20 Scholz/K.Schmidt (Fn. 11) §47 Rdn. 110 a.E. 21 Im Sinne des Textes schon Amtl.Begr. zur Aktienrechtsnovelle 1884, RTAktenstück Nr.21 vom 7.3.1884, S. 80 (= Schubert/Hommelhoff Hundert Jahre modernes Aktienrecht [ZGR-Sonderheft 4], 1985, S.465); Motive, Bd.I, Amtl. Ausgabe 1888, S. 107 (zum heutigen §34 BGB). 22 BGH NJW 1989, 2694, 2696; OLG Frankfurt GmbH-Rdsch. 1990, 79, 91; Baumbach/Hueck/Zö/feer (Fn.ll) §47 Rdn. 44; Scholz / K. Schmidt (Fn. 11) §47 Rdn. 100; M. Winter Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 102 ff. - Zu § 181 BGB namentlich Wilhelm Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 66 ff, der aber die Tragweite des Gedankens überschätzt.
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Uwe Hüffer
gende Untersuchung von Zöllner vorgezeichnet hat23: Es kommt darauf an, ob der Gesellschafter mit der Stimmabgabe unmittelbar private, d. h. gesellschaftsfremde, Interessen verfolgt (z.B. Abschluß eines Kaufvertrags mit der GmbH) oder ob die Ausübung des Stimmrechts mitgliedschaftlichen Belangen dient (z.B. Teilnahme an Organwahlen). In den Fällen der ersten Art ist das Stimmverbot trotz des Eingriffs in die Mitgliedschaft sachgemäß, weil es sich um einen punktuellen Interessenkonflikt handelt, den der Gesellschafter selbst hervorruft, indem er sich der GmbH als Geschäftspartner zur Verfügung stellt. In den Fällen der zweiten Gruppe gibt es kein vergleichbar eindeutiges Urteil. Es kann, muß aber nicht unverhältnismäßig sein, den Gesellschafter von der Wahrnehmung seiner mitgliedschaftlichen Belange durch Stimmverbot von vornherein auszuschließen. Insoweit ist es erforderlich, die gegenläufigen Interessen einer Einzelabwägung zu unterziehen. Aus diesen Überlegungen folgt: Rechtsgeschäfte, welche die GmbH mit einem ihrer Gesellschafter abschließen will, aber ihrer Art nach auch mit einem Dritten abschließen könnte, vornehmlich Verträge über Lieferungen und Leistungen, unterliegen dem Stimmverbot des §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG. Seinem Zweck nach greift das Verbot auch dann ein, wenn die GmbH zwar mit einem Dritten kontrahiert, aber der Gesellschafter der durch das Geschäft Begünstigte ist (Übernahme einer Bürgschaft; Schuldbeitritt)24, ferner, wenn sich der Gesellschafter als Vermittler des Geschäfts betätigt hat25. Das ist die Gruppe der sog. individualrechtlichen Geschäfte. Weil der Begriff ohne sein sozialrechtliches Gegenstück keinen überzeugenden Sinn ergibt, sollte man statt dessen von Drittgeschäften sprechen. Eine weitere Vertiefung dieser im ganzen problemlosen Fallgruppe ist nicht erforderlich. Soweit mitgliedschaftliche Belange des von §47 Abs. 4 S.2, 1. Fall GmbHG betroffenen Gesellschafters in Frage stehen, muß die erforderliche Einzelabwägung nach Fallgruppen geordnet vorgenommen werden. Im folgenden wird deshalb danach unterschieden, ob sich die zur Abstimmung anstehende Maßnahme auf die Mitgliedschaft des Gesellschafters, auf die Organe der GmbH oder auf ihre Struktur (Verschmelzungsverträge; Unternehmensverträge) bezieht.
23 Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 231 f. 24 BGHZ 68, 107, 108 f. 25 Immenga GmbH-Rdsch. 1977, 221, 222.
Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften
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III. Mitgliedschaftsbezogene Maßnahmen 1. Kaduzierung; Amortisation;
Ausschließung
a ) Bei der Kaduzierung (§21 GmbHG) verliert der säumige Gesellschafter den Geschäftsanteil und die darauf geleisteten Teilzahlungen. Wenn die Gesellschafterversammlung darüber Beschluß faßt (Anweisung oder Ermächtigung des Geschäftsführers), ist der Gesellschafter, um dessen Geschäftsanteil es geht, nach wohl allgemeiner Ansicht von der Ausübung des Stimmrechts ausgeschlossen 26 . Dem ist beizupflichten, obwohl der Verlust des Geschäftsanteils die härteste denkbare Sanktion darstellt und unmittelbar in die Mitgliedschaft eingreift. Wer die sog. sozialrechtlichen Geschäfte generell aus §47 Abs.4 S.2 l.Fall GmbHG ausklammert, muß das Ergebnis wenig glücklich auf das Verbot des Richtens in eigener Sache stützen 27 . Nach der hier entwickelten Konzeption fragt sich, ob mit Rücksicht auf die mitgliedschaftlichen Interessen des Gesellschafters eine Verbotsreduktion angezeigt ist. Das muß verneint werden, weil die Kaduzierung den Verzug des Gesellschafters in der Erfüllung seiner Einlagepflicht sanktioniert und der Gesellschafter als Schuldner der GmbH dieselbe Interessenlage aufweist wie ein Dritter. Eben deshalb ist auch die jüngste Entscheidung des BGH zur Einforderung von Stammeinlagen (kein Stimmverbot gegen den Schuldner) problematisch und eher abzulehnen 28 . b) Die Amortisation (§34 GmbHG) erfordert stets einen Beschluß der Gesellschafterversammlung (§46 Nr. 4 GmbHG). Bei freiwilliger, also nach der Satzung an die Zustimmung des Gesellschafters gebundener Einziehung, darf dieser nach fast allgemeiner Ansicht mitstimmen 29 . Für die Zwangseinziehung bejaht eine Ansicht das Stimmverbot 30 . Andere verneinen es31, wieder andere heben auf den Satzungsinhalt ab32. Im gedanklichen Ansatz ist es richtig, auf die Satzung abzustellen; weil sie nach § 34 GmbHG über das Ob und Wie der Amortisation entscheidet, muß sie auch über das Stimmrecht befinden können. In diesem 26 Baumbach/Hueck/Zö//«er (Fn. 11) §47 Rdn.58; Scholz/K.Schmidt (Fn. 11) §47 Rdn. 137; Immenga/Werner GmbH-Rdsch. 1976, 5359. 27 So Scholz /K. Schmidt aaO (Fn.26); vgl. dort die Überschrift vor Rdn. 132. 28 BGH WM 1990, 1618 f. 29 Scholz/K.Schmidt (Fn. 11) §47 Rdn. 138; Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 241; a. M. Niemeier Rechtstatsachen und Rechtsfragen bei der Einbeziehung von GmbH-Anteilen, 1982, S. 254. 30 So früher h. M., vgl. Düringer/Hachenburg/Lehmann (Fn. 8) §252 HGB a. F. Anm.45; Staub/Pinner (Fn.8) §252 HGB a.F. Anm.26a. 31 Hachenburg LZ 1907, 460, 470. 32 BGH GmbH-Rdsch. 1988, 81; Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 241.
344
Uwe Hüffer
Sinne ist das Zustimmungserfordernis (freiwillige Amortisation) auszulegen. Wenn die Satzung keine Aussage enthält, stellt sich die Frage nach der Reduktion des §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG. Sie ist auch hier zu verneinen, weil nicht erwartet werden kann, daß der Gesellschafter sein Privatinteresse an fortdauernder Mitgliedschaft hinter das Gesellschaftsinteresse zurückstellt. c) Die Ausschließung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund kann aufgrund entsprechenden Beschlusses der Gesellschafterversammlung durch Klage und Urteil oder, wenn die Satzung das ausdrücklich vorsieht, durch Beschluß der Gesellschafterversammlung und dessen Bekanntgabe erfolgen. Im Ergebnis ist für diese Fälle unstreitig, daß der Gesellschafter, um dessen Ausschließung es geht, an der Abstimmung nicht teilnehmen darf33. Für die Ausschließung im Klageweg folgt das Resultat ohne weiteres aus §47 Abs. 4 S. 2, 2. Fall GmbHG. Im übrigen geht es wie bei der Kaduzierung (§21 GmbHG) um die zutreffende Begründung für die Anwendung des § 47 Abs. 4 S. 2 , 1 . Fall GmbHG. Verbreitet wird gerade hier das „Verbot des Richtens in eigener Sache" angeführt34. Das ist entbehrlich. Der Wortlaut des Gesetzes und sein Zweck, am Gesellschaftsinteresse ausgerichtete Entscheidungen zu gewährleisten, tragen das Ergebnis auch allein. 2. Übertragung des Geschäftsanteils In der bisherigen Praxis haben drei Fälle eine Rolle gespielt: Ein Gesellschafter bietet seinen Geschäftsanteil der GmbH zum Erwerb an; die Satzung verpflichtet die Erben eines Gesellschafters, ihren Geschäftsanteil auf eine von der GmbH benannte Person zu übertragen; die Gesellschafterversammlung faßt darüber Beschluß, ob die Abtretung vinkulierter Geschäftsanteile (§15 Abs. 5 GmbHG) genehmigt werden soll. Im ersten Fall wird das Stimmrecht allseits verneint35, im zweiten von der h. M. bejaht36, ebenso im dritten Fall37; insbesondere die Recht33 BGHZ 9, 157, 158; BGHZ 16, 317, 322; aus dem Schrifttum z.B. Fichtner BB 1966, 146, 149; V.Stetten GmbH-Rdsch. 1982, 105, 107. 34 BGHZ 9, 157, 178. 35 RG SeuffArch.84 Nr.29; Baubach/Hueck/Zö//ner ( F n . l l ) §47 Rdn.58; Scholz/ K.Schmidt (Fn. 11) §47 Rdn. 116. 36 BGH WM 1974, 372, 374f; Rowedder/Koppensteiner ( F n . l l ) §47 Rdn.59a.E.; Scholz/K.Schmidt ( F n . l l ) §47 Rdn.116; a.M. Baumbach/Hueck/Zö//ner ( F n . l l ) §47 Rdn. 58. 37 BGHZ 48, 163, 167; KG OLGZ 1965, 320, 323 f; Rowedder/Koppensteiner (Fn. 11) § 47 Rdn. 59; Scholz / K. Schmidt (Fn. 11) § 47 Rdn. 117; Siegmund BB 1981, 1674, 1678.
Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften
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sprechung argumentiert im zweiten und dritten Fall mit der sozialrechtlichen N a t u r der Vorgänge. Der Lösung des ersten Falls ist schon deshalb beizupflichten, weil der Veräußerer der G m b H wie ein Dritter gegenübertritt. Das läßt sich im zweiten Fall nicht feststellen. Gleichwohl ist das Resultat auch insoweit richtig, weil ein dem Gesellschaftsinteresse zuwiderlaufendes Sonderinteresse der Erben, bestimmte Nachfolger zu wollen oder nicht zu wollen, nicht in der für das Stimmverbot erforderlichen typischen Weise gegeben ist. Im dritten Fall ist das Gesellschaftsinteresse gegen das Interesse des Gesellschafters an der Desinvestition der von ihm eingesetzten Mittel abzuwägen. Dessen Stellenwert läßt ein gesetzliches Stimmverbot als unverhältnismäßig erscheinen. Allerdings kann die Satzung, wenn sie das Genehmigungserfordernis einführt, auch ein Stimmverbot begründen. Enthält sie jedoch nichts, dann gibt es auch kein Verbot 38 . 3. Satzungsänderung,
besonders
Kapitalerhöhung
Ein Stimmverbot bei Änderungen der Satzung (§ 53 G m b H G ) , besonders bei der Erhöhung des Stammkapitals (§ 55 Abs. 1 G m b H G ) , gibt es nicht 39 . Allerdings hat das R G für einen Kapitalerhöhungsbeschluß angenommen, daß derjenige Gesellschafter nicht mitbestimmen darf, der durch die Ausführung des Beschlusses in seiner Person oder in einer anderen von ihm beherrschten Gesellschaft besondere Vorteile erwirbt 40 . Daran ist richtig, daß eine Interessenkollision vorliegt. Das ist jedoch ein atypischer Einzelfall, für dessen Bewältigung die mitgliedschaftliche Treupflicht ausreicht. Die Gesellschafterversammlung hat nicht nur über die Kapitalerhöhung, sondern auch darüber zu entscheiden, wer zur Übernahme von Stammeinlagen zugelassen wird. Für den Fall unterschiedlicher quotaler Zulassung hat das R G ein Stimmrecht des durch die Beschlußvorlage begünstigten Gesellschafters verneint 41 . Ebenso entscheidet ein Teil der jüngeren Lehre 42 . Uberwiegend ist man dagegen der Ansicht, daß wegen des sozialrechtlichen Charakters der Zulassung kein Stimmverbot besteht 43 . Das Argument überzeugt nicht, das Ergebnis bleibt gleichwohl 38 U m k e h r u n g der Lösung von Baumbach/Hueck/Zö//rcer (Fn. 11) § 4 7 Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 245 f. 39 S c h o l z / K . Schmidt (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 112 f; Ulmer in: Hachenburg 7. Aufl., Bd. II 1979, §53 Rdn. 53 und §55 Rdn. 9. 40 R G Z 122, 159, 161 f. 41 R G Z 109, 77, 80; R G Z 122, 159, 161 f. 42 Baumbach/Hueck/Zö//ner (Fn. 11) § 4 7 R d n . 5 8 ; Zöllner Die Schranken schaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 248 f. 43 Scholz / K. Schmidt (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 113; Ulmer in: Hachenburg (Fn. 39) §55 Rdn. 33.
Rdn.58; GmbHG,
mitgliedGmbHG
346
Uwe Hiiffer
richtig: Weil mit der überquotalen Beteiligung die überquotale Einlagepflicht einhergeht, besteht keine Situation, in der eine am Gesamtinteresse ausgerichtete Willensbildung in der GmbH durch Privatinteressen des Gesellschafters mit der für § 47 Abs. 4 S. 2 , 1 . Fall GmbHG erforderlichen Eindeutigkeit gefährdet würde. Folglich muß es genügen, die Stimmabgabe des Gesellschafters am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes und wegen des gebotenen Verwässerungsschutzes an dem der mitgliedschaftlichen Treupflicht zu messen. 4. Auflösung Für den Auflösungsbeschluß (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) gibt es kein Stimmverbot44, und zwar auch dann nicht, wenn der Mehrheitsgesellschafter infolge der Auflösung das Gesellschaftsunternehmen ganz oder zu wesentlichen Teilen übernimmt. Insoweit ist zwar das Risiko, daß die Willensbildung in der GmbH verfälscht wird, nicht von der Hand zu weisen. Mit der mitgliedschaftlichen Befugnis zur Desinvestition könnte aber ein Stimmverbot (gerade auch zu Lasten des Mehrheitsgesellschafters) nicht vereinbart werden. Die Ausübung des Stimmrechts ist deshalb zulässig, unterliegt aber den aus der mitgliedschaftlichen Treupflicht folgenden Schranken45. IV. Organbezogene Maßnahmen 1. Bestellung von Organmitgliedern Die Bestellung von Geschäftsführern (§ 46 Nr. 5 GmbHG) fällt nach einhelliger Meinung nicht unter das Stimmverbot des §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG. Der Gesellschafter darf also mitbestimmen, wenn es um seine Wahl zum Geschäftsführer geht46. Darin liegt der Kern der angeblichen Befreiung sozialrechtlicher Geschäfte vom Stimmverbot. Der Rechtsgedanke ist allerdings auch und gerade hier entbehrlich. Das Ergebnis folgt nämlich aus teleologischer Reduktion des Tatbestands und rechtfertigt sich in der Sache aus dem mitgliedschaftlichen Interesse an der Organbestellung. Entsprechendes gilt für die Wahl zum Liquidator (§§ 66, 69 GmbHG) oder in den (fakultativen oder obligatorischen) 44 Statt vieler vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 57; Scholz/ K. Schmidt (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 114. 45 Dazu B G H Z 76, 352, 357; Β G H Z 103, 184, 193 ff. 46 RGZ 60, 172; RGZ 68, 172, 179; RGZ 74, 276, 278; RGZ 81, 37; RGZ 172, 76, 79; B G H Z 18, 205, 210; B G H Z 51, 209, 216; KG RJA 10, 262, 264 unter Aufgabe von KG RJA 3, 189; O L G Köln GmbH-Rdsch. 1989, 76, 77 f; Baumbach/Hueck/Zö//»er (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 51; Scholz / K . Schmidt (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 118; Baums Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 133 ff.
Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften
347
Aufsichtsrat 47 oder in einen Beirat oder Verwaltungsrat 48 . Auf die Berufung von Gesellschaftern in die Position von leitenden Angestellten kann diese Lösung jedoch nicht ohne weiteres übertragen werden (vgl. noch IV 4). 2. Anstellungsvertrag von
Organmitgliedern
Von der korporationsrechtlichen Stellung des Geschäftsführers sind seine schuldrechtlichen Beziehungen zur GmbH zu unterscheiden, die regelmäßig durch Anstellungsvertrag begründet werden (Trennungstheorie). Auch insoweit stellt sich die Frage, ob der Gesellschafter mitstimmen darf, wenn die ihn betreffenden Konditionen durch Beschluß festgelegt werden. Die h. M. bejaht das49, eine Mindermeinung verneint es50. Nach richtiger Ansicht darf der Gesellschafter mitstimmen. Das Ergebnis läßt sich allerdings nicht mit der Erwägung begründen, die Anstellungsbedingungen hätten ihren Schwerpunkt im mitgliedschaftlichen Bereich. Vielmehr hat der geschäftsführende Gesellschafter an den finanziellen Konditionen seiner Tätigkeit ein handgreifliches Sonderinteresse, so daß das Stimmverbot des §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG nach allgemeinen Grundsätzen eingreifen müßte. Für das Stimmrecht auch bei der Anstellung spricht aber, daß es zu kaum sinnvollen Mehrheits-/Minderheitskonflikten führen müßte, wenn das Stimmrecht bei der Bestellung und der Anstellung unterschiedlich ausgestaltet wäre. Eine rechtliche Regelung, die es dem Mehrheitsgesellschafter erlaubte, sich bei der Bestellung zum Geschäftsführer durchzusetzen, und es anschließend der Minderheit anheimgäbe, Vergütung, Tantieme und Versorgungsbezüge des Geschäftsführers festzusetzen, wäre in sich unschlüssig 51 . Für die Dogmatik handelt es sich um eine Teilkorrektur des Trennungsprinzips. Gesellschaftsschädlicher Selbstbedienung kann und muß durch die am Maßstab der mitgliedschaftlichen Treupflicht und des Gleichbehandlungsgrundsatzes orientierte inhaltliche Kontrolle des Beschlusses begegnet werden 52 . RGZ 60, 172, 173; RGZ 81, 37. Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 232. 45 RGZ 74, 276, 278; BGHZ 18, 205, 210; BGH WM 1976, 1226 (Stimmrecht vorausgesetzt); Baumbach/Hueck/Zö//ner(Fn. 11) § 47Rdn. 54; Scholz / K. Schmidt (Fn. 11) §46 Rdn. 75 (unter Bedenken); Baums Der Geschäftsleitervertrag (Fn. 46), S. 143 ff; Siegmund BB 1981, 1674, 1677; Wank ZGR 1979, 222, 243; Zöllner aaO (Fn.48) S. 233 ff. 50 Roth GmbHG, 2. Aufl. 1987, § 47 Anm. 5.2.3; Flume Allg. Teil des Bürgerl. Rechts, Bd. I 2 1983, § 7 V6; lmmengalWerner GmbH-Rdsch. 1976, 53, 58; Wilhelm Rechtsform und Haftung (Fn.22), S. 89 f. 51 Ähnlich Baumbach/Hueck/Zö//«er (Fn. 11) §47 Rdn. 54; Baums Der Geschäftsleitervertrag (Fn. 46), S. 146. 52 BGH WM 1976, 1226; Baums aaO (Fn.51), S.148; Wank ZGR 1979, 222, 243 f; Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 312 ff. 47 48
348 3. Abberufung
Uwe Hüffer
und Kündigung, besonders aus wichtigem Grund
So wie der betroffene Gesellschafter bei seiner Bestellung und seiner Anstellung mitstimmen darf, hat er das Stimmrecht grundsätzlich auch, wenn es um seine Abberufung oder um die Kündigung seines Anstellungsvertrags geht53. Wäre es anders, könnte die Minderheit den zuvor mehrheitlich gefaßten Beschluß konterkarieren. Die entgegengesetzte Regel - kein Stimmrecht - gilt, wenn über Abberufung oder Kündigung aus wichtigem Grund entschieden werden soll54. Begründung und nähere Ausgestaltung des Rechtssatzes sind allerdings zweifelhaft geblieben. So wird die Begründung teils im Verbot des Richtens in eigener Sache55, teils in einem Prinzip gefunden, daß niemand durch seine Stimme Maßnahmen verhindern darf, die sich aus wichtigem Grund gegen ihn richten56. Es ist jedoch nicht erkennbar, warum das Stimmverbot auf ein allgemeines Prinzip statt auf §47 Abs. 4 S.2, l.Fall GmbHG gestützt werden sollte. Die Norm trifft nämlich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrem Zweck zu, weil es zwar ein privates Interesse, aber kein mitgliedschaftliches Recht gibt, Organfunktionen trotz Unfähigkeit oder grober Pflichtverletzung fortzuführen. Was die nähere Ausgestaltung anbetrifft, so fragt sich, ob das Stimmverbot schon bei bloßer Behauptung wichtigen Grundes eingreift57 oder nur dann besteht, wenn ein solcher Grund wirklich vorhanden ist58. Das zweite ist richtig. Mit bloßen Behauptungen kann niemandem das Stimmrecht abgeschnitten werden. Notfalls muß durch Feststellungsklage geklärt werden, ob die Abberufung erfolgt ist oder nicht 59 . Das ist unter dem Aspekt der Rechtssicherheit zwar mißlich, kann aber nach der Gesetzeslage nicht vermieden werden.
" RGZ 81, 37, 39; RGZ 138, 98, 103; O L G Frankfurt O L G R 22, 18; O L G Köln BB 1977, 464; Baumbach/Hueck/ZöZ/ner (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 52; Scholz / K. Schmidt (Fn. 11) § 4 6 Rdn. 76. 54 RGZ 124, 371, 380; RGZ 138, 98, 104; B G H Z 34, 367, 371; B G H N J W 1969, 1483; B G H Z 86, 177, 181 f; L G Frankfurt NJW 1951, 719; Baumbach/Hueck/Zö/feer (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 53; Scholz / K. Schmidt (Fn. 11) § 4 6 Rdn. 76. 55 So z . B . Scholz/K.Schmidt (Fn. 11) § 4 6 Rdn. 76. 56 Baumbach/Hueck/Zö//ner (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 53; Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S.236f. 57 Scholz / K. Schmidt aaO (Fn. 55); Scholz GmbH-Rdsch. 1955, 36, 38. 58 Baumbach/Hueck/Zö//ner aaO (Fn. 56); Zöllner aaO (Fn. 56) S.237; für den Fall des Gesellschafter-Geschäftsführers bei gleich hoher Beteiligung auch B G H Z 86, 177, 181 f. 59 Baumbach/Hueck/Zö//ner (Fn. 11) §38 Rdn. 30.
Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften
4. Berufung zum leitenden
349
Angestellten
Die Frage nach dem Stimmverbot stellt sich auch, wenn Gesellschafter nicht zu Organmitgliedern bestellt, sondern in andere leitende Positionen berufen werden sollen und die Gesellschafterversammlung insoweit Ermächtigungs- oder Weisungsbeschlüsse faßt. Nach welchen Kriterien Ausnahmen von dem Stimmverbot des tatbestandlich verwirklichten § 47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG zugelassen werden können, wird unterschiedlich beurteilt. Nach der einen Ansicht soll das Stimmverbot nicht gelten, wenn die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung durch Gesetz (§ 46 Nr. 7 GmbHG) oder Satzung begründet ist60. Die Gegenmeinung will den Gesellschafter demgegenüber nur dann zur Abstimmung zulassen, wenn seine Anstellung aufgrund ihres korporationsrechtlichen Hintergrundes der Organbestellung vergleichbar ist61. Dieser zweiten Ansicht ist zu folgen. Für sie spricht entscheidend, daß die Ausnahme vom Stimmverbot nur durch teleologische Reduktion des §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG begründet werden kann. Das setzt ein mitgliedschaftliches Interesse an der jeweiligen Position voraus; erforderlich und genügend ist etwa, daß die Satzung für bestimmte Gesellschafter ad personam oder als Repräsentanten einer Gesellschaftergruppe leitende Funktionen vorsieht. Eine bloße Zuständigkeitsregelung hat dagegen mit dem Zweck der Norm nichts zu tun und ergibt daher kein brauchbares Kriterium. V. Strukturbezogene Maßnahmen 1.
Grundlagen
Abschließend zu erörtern ist das Stimmverbot bei strukturbezogenen Maßnahmen. Als solche werden im folgenden Verschmelzung, Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträge (§291 AktG) sowie andere Unternehmensverträge (§292 AktG) zusammengefaßt. Die (formwechselnde oder übertragende) Umwandlung gehört nicht unmittelbar in diesen Zusammenhang, weil es eines Umwandlungsvertrags anders als bei der Verschmelzung (§340, 341 AktG) - „nicht bedarf" (§3, 2. Halbs. UmwG), so daß es von vornherein an einem Rechtsgeschäft i.S. des §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG fehlt. Auf §9 Abs. 1 S. 1, 2. Halbs. UmwG ist noch zurückzukommen (V 2 b). Maßnahmen der genannten Art gehen stehts von dem Mehrheitsgesellschafter aus. Ein gegen ihn gerichtetes Stimmverbot wird oft als R G Z 172, 76, 80; S c h o l z / K . Schmidt (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 118. Baumbach/Hueck/Zö/Zner (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 55; Renkl Der schluß, 1982, S. 55. 60 61
Gesellschafterbe-
350
Uwe Hüffer
besonders belastend, der reflexartig eintretende (von §47 Abs. 4 GmbHG aber nicht eigentlich bezweckte, vgl. II 4 a) Minderheitenschutz verbreitet als eher übertrieben eingestuft, zumal bekannte und nicht hinnehmbare Mißbräuche sensibilisierend gewirkt haben. Vorab sollten deshalb vier Punkte festgehalten werden. (1.) Für die Ausübung des Stimmrechts durch den Alleingesellschafter der Einmann-GmbH gilt §47 Abs. 4 GmbHG unstreitig überhaupt nicht 62 . Das gelegentlich gehörte Argument, ein Stimmverbot gegen den Partner etwa eines Verschmelzungsvertrags würde insoweit die Verschmelzung unmöglich machen und könne deshalb hier, aber auch bei Existenz außenstehender Gesellschafter nicht richtig sein, geht deshalb ins Leere. (2.) Die Annahme, bei einem Stimmverbot gegen den Mehrheitsgesellschafter könne sich jegliche (noch so splitterhafte) Opposition (zunächst, vgl. [3.]) durchsetzen, erscheint überzogen. Für den Beschluß genügt die „Mehrheit in der Minderheit", weil es auf die gültig abgegebenen Stimmen ankommt. Nicht zu verkennen ist allerdings, daß in der GmbH personalistischen Typs die Entscheidung in der Sache durch die Entscheidung in der Stimmrechtsfrage vielfach präjudiziert wird. (3.) Wenn die Mehrheit von einem Stimmverbot betroffen ist, erwächst der Minderheit ein erhebliches Einflußpotential bezüglich der Belange der Gesellschaft wie auch bezüglich der mitgliedschaftlichen Belange der Mehrheit. Bei der Ausübung ihres Stimmrechts unterliegt sie deshalb den mitgliedschaftlichen Treubindungen (Einwirkungskontrolle) 63 . Unter diesem Aspekt kann sich die Pflicht ergeben, für den Antrag zu stimmen. Verstöße machen den mit den Stimmen der Mehrheit gefaßten Beschluß anfechtbar (analog §243 Abs. 1 AktG). (4.) Angenommen, es gibt kein Stimmverbot: Es nützt nicht viel, den Beschluß zunächst durch die Mehrheit zustande zu bringen, wenn - wie absehbar - durch die Minderheit Anfechtungsklage erhoben und damit die Durchführung des Beschlusses, besonders die Verschmelzung, nach bekannten Vorbildern faktisch blockiert wird64. So gesehen, spitzt sich die Frage nach dem Stimmverbot dahin zu, wer für die Anfechtungsklage die Prozeßführungslast trägt. Das hat zwar beachtliches praktisches Interesse. Die häufige Aussage, bei einem Stimmrechtsausschluß „läge 62 B G H Z 105, 324, 333; BayObLG WM 1984, 1570, 1572; Baumbach/Hueck/ Zöllner ( F n . l l ) § 4 7 R d n . 6 2 ; Scholz / K. Schmidt (Fn. 11) § 4 7 R d n . l 0 5 . 63 Dazu Hüffer Festschr. für Steindorff, 1990, S.59, 73ff; M.Winter Mitgliedschaftliche Treubindungen (Fn. 22), S. 16 ff und passim. M Zur Problematik zuletzt B G H WM 1990, 1372 („Hypothekenbank-Schwestern") = EWiR § 3 4 5 AktG 2/90, 851 (Lutter); Lüke ZGR 1990, 657, 667 ff.
Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften
351
das Schicksal der Strukturmaßnahme in der Hand der Minderheit" 65 , erweist sich jedoch als Ubertreibung. 2.
Verschmelzung
a) Die GmbH kann mit einer A G oder KGaA (§§355, 356 AktG) oder mit einer anderen GmbH verschmolzen werden (§§ 19 ff KapErhG). In jedem Fall bedarf es eines Vertrags zwischen den beteiligten Gesellschaften (§§340 Abs. 1, 355 Abs. 2 S. 1 AktG), der nur wirksam wird, wenn ihm die Gesellschafterversammlung der GmbH bzw. die Hauptversammlung mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln zustimmen (§§ 340 c, 355 Abs. 1 S. 1 AktG; §§ 20, 21 KapErhG). Damit stellt sich die Frage, ob die neue (aufnehmende) Gesellschaft, die an der anderen (übertragenden) beteiligt ist, bei der Beschlußfassung in deren Gesellschafterversammlung mitwirken darf oder daran nach §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall G m b H G gehindert ist. Der Meinungsstand zu §355 AktG einerseits, §§20, 21 KapErhG andererseits ist auffallend gespalten. Ausgehend von der Bamag-Entscheidung66, war es zu §252 Abs. 3 H G B a. F. 67 und ist es zu §355 AktG 68 herrschende Auffassung, daß die aufnehmende Gesellschaft dem Stimmverbot unterliegt. Ein anderes Bild ergibt sich zu §§20, 21 KapErhG. Rechtsprechung fehlt. Die herrschende Lehre nimmt an, daß kein Stimmverbot besteht, §47 Abs. 4 S.2, 1. Fall G m b H G also nicht eingreift69. Eine beachtliche Gegenmeinung bejaht jedoch auch insoweit den Stimmrechtsausschluß70. Einigkeit sollte zunächst über zwei Aussagen bestehen: (1.) Kein Stimmverbot gibt es, wenn eine A G mit einer anderen A G verschmolzen wird. Nachdem die auf Rechtsgeschäfte abhebende Variante des §252
Priester ZGR 1990, 420, 437. RGZ 85, 170, 172. 67 Düringer/HachenburgILehmann (Fn. 8) §252 H G B a. F. Anm. 45; Staub/Pinner (Fn. 8) § 303 HGB aF Anm. 5; weit. Nachw. bei Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 252 Fn. 125. 68 Baumbach/Hueck/Zö//«er (Fn. 11) §47 Rdn. 58; ν. Godin / Wilhelmi Aktiengesetz, 4. Aufl., Bd. II 1971, § 355 Anm. 4; Kraft in: Kölner Komm. AktG, Bd. III 1972, § 355 Rdn. 8; Zöllner aaO (Fn. 67) S. 252 f; a. M. Schilling in: Großkomm. AktG, 3. Aufl., Bd. IV 1975, §355 Anm. 9. 65 Schilling in: Hachenburg GmbHG, 7.Aufl., 8.Lfg. 1984, §77 Anh. II §20 KapErhG Rdn. 10; Scholz/Priester (Fn. 10) Anh. Umw. §20 KapErhG Rdn. 6; Scholz/ K.Schmidt (Fn. 11) §47 Rdn. 114; Fischer/Lutter/Hommelhoff (Fn.7) Anh. Verschmelzung §20 KapErhG Rdn. 7; Rowedder/Zimmermann (Fn. 10) §77 Anh. Rdn. 408; Priester ZGR 1990, 420, 436 f; Timm AG 1982, 93, 102 ff. 70 Baumbach/Hueck/Zö//»er (Fn. 11) §47 Rdn.58; Immenga BB 1970, 629, 631; Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 253. 65
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Uwe Hüffer
Abs. 3 H G B a.F. nicht nach §114 Abs. 5 AktG 1937 übernommen worden ist und auch in § 136 Abs. 1 AktG keine Entsprechung findet, kann ein Stimmverbot mangels gesetzlicher Grundlage nicht anerkannt werden71. Das gilt insbesondere auch für die Fusion 72 . (2.) Die Problematik kann für §355 AktG einerseits, §§20, 21 KapErhG andererseits nicht unterschiedlich gelöst werden. Es spielt in der Gesellschafterversammlung der GmbH nämlich keine Rolle, ob ihr Fusionspartner A G oder GmbH ist. Die verbleibende Streitfrage ist sowohl in den Fällen des §355 AktG wie auch in denen der §§20, 21 KapErhG zugunsten des Stimmverbots zu entscheiden; es gibt also kein Fusionsprivileg. Die Gegenansicht kann sich auf nicht viel mehr berufen (vgl. noch V 2 b) als auf den (sicher zu bejahenden) korporations- oder sozialrechtlichen Charakter des Verschmelzungsvertrags. Darin liegt, wie dargelegt (II 3), kein zureichendes Argument, und zwar beim Verschmelzungsvertrag um so weniger, als es nicht nach dem Vorbild der Organbestellung um einen innergesellschaftlichen Vorgang, sondern um die Aufgabe der rechtlichen und wirtschaftlichen Existenz der GmbH zugunsten der aufnehmenden Gesellschaft geht. Die Rechtsnatur des Vertrags ergibt also nur ein Begriffsargument73. Demgegenüber hat entscheidende Bedeutung, daß die aufnehmende Gesellschaft an der Übernahme des GmbH-Unternehmens ein Sonderinteresse hat, das mit den Belangen der GmbH in den für das Stimmverbot charakteristischen Konflikt gerät. Demnach greift §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG nicht nur seinem Wortlaut, sondern auch seinem Zweck nach ein. b) Eine andere Beurteilung könnte nur gerechtfertigt sein, wenn §47 Abs. 4 S. 2 , 1 . Fall GmbHG als allgemeine Vorschrift durch eine spezielle gesetzliche Regelung überlagert und verdrängt würde. In diesem Sinne wird teils angenommen, der Gesetzgeber der GmbH-Novelle 74 und des Verschmelzungsrichtliniengesetzes75 habe „beredt" geschwiegen, also durch das Unterlassen ausdrücklicher Regelung zum Ausdruck gebracht, daß er ein Stimmverbot nicht wolle76. Teils wird mit derselben Insoweit zutreffend Priester ZGR 1990, 420, 436. Gerade auch dieser Fall war bei der Reform von 1937 gemeint; vgl. Schlegelberger/Quassowski Aktiengesetz, 3. Aufl. 1939, § 114 Rdn. 120. 73 So hat es offenbar auch das RG gesehen; denn RGZ 85, 170, 172 („Bamag") geht auf die schon voll entwickelte „Sozialakts"-Rechtsprechung (Nachw. in Fn. 6) mit keinem Wort ein. 74 Gesetz vom 4. 7.1980, BGBl. I S. 836. 75 Gesetz vom 25.10.1980, BGBl. I S. 1425. 76 Rowedder/Zimmermann (Fn. 11) §77 Anh. Rdn. 408, die zutreffend den Widerspruch zwischen den jeweils herrschenden Lösungen zu §355 AktG und zu §§20, 21 KapErhG sehen. 71
72
Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften
353
Zielrichtung auf § 9 Abs. 1 S. 1, 2. Halbs. UmwG verwiesen und geltend gemacht, daß die dort vorgesehene, die Umwandlungsfrage entscheidende Stimmbeteiligung des Mehrheitsgesellschafters wertungsmäßig auf die Verschmelzung zu übertragen sei77. Das eine wie das andere vermag nicht zu überzeugen. Die erste Ansicht enthält eine unverkennbare methodische Schwäche. Angesichts der in § 47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG getroffenen Regelung bedurfte es keiner Wiederholung des Stimmverbots. Richtig ist das Gegenteil: Wenn es bei der Verschmelzung nicht bestehen sollte, wäre eine entsprechende Norm erforderlich gewesen. Die zweite Auffassung verallgemeinert den Rechtsgedanken einer Norm, nach der die Mehrheit die Minderheit aus der bislang gemeinsamen Gesellschaft verabschieden darf. Die Vorschrift wird daher zu Recht als „einzigartig" eingestuft78 und unterliegt nachhaltiger Kritik 79 . O b sie unter dem Aspekt des Art. 14 G G (Bestandsschutz, nicht nur Wertgarantie des Eigentums) überhaupt haltbar ist, soll hier nicht vertieft werden. Jedenfalls sollte der Grundgedanke nicht durch Rechtsprechung und Lehre verallgemeinert werden. Wenn er das heutige Verschmelzungsrecht prägen sollte, hätte der Gesetzgeber das sagen müssen. 3. Beherrschungs- und/oder
Gewinnabführungsvertrag
a) Solche Unternehmensverträge (§291 AktG) werfen in der Frage des Stimmverbots ganz ähnliche Probleme auf wie der Verschmelzungsvertrag. Der B G H hat die Frage offengelassen80, und zwar zu Recht, weil über den Fall einer Einmann-GmbH zu entscheiden war ( V I [1.]). Die überwiegende Ansicht im Schrifttum will §47 Abs. 4 S.2, 1. Fall G m b H G nicht anwenden, weil Beherrschungs- sowie Gewinnabführungsvertrag organisationsrechtlichen (sozialrechtlichen, innergesellschaftlichen) Charakter haben81. Die Gegenansicht tritt dagegen für die
Fischer/Lutter/Hommelhoff (Fn. 8) Anh. Verschmelzung § 20 KapErhG Rdn. 7. Schilling in: Hachenburg GmbHG, 7. Aufl., 6.Lfg. 1981, § 7 7 Anh. § 9 UmwG Rdn. 3. 79 Vgl. die Zusammenstellung bei Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht (Fn. 23), S. 254 Fn. 132. - §§42, 50, 66 des Diskussionsentwurfs des Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts (BMJ — III A 1-3501/1) enthalten keine entsprechende Regelung mehr. 80 B G H Z 105, 324, 332 f. 81 Rowedder/Koppensteiner (Fn. 11) § 5 2 Anh. Rdn. 40; Scholz / K. Schmidt (Fn. 11) § 4 7 Rdn. 115; Ulmer in: Hachenburg GmbHG (Fn.39) § 5 3 Rdn. 128; ausführlich Kort Der Abschluß von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen im GmbH-Recht, 1986, S. 105 ff. 77 78
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Uwe Híiffer
Geltung des Stimmverbots ein82, wobei teilweise betont wird, der Vertrag habe auch den Charakter eines Außengeschäfts, teilweise in den Vordergrund gestellt wird, der Gesetzgeber habe, anders als im Aktienrecht, keine Befugnis des Mehrheitsgesellschafters anerkannt, sich das Unternehmen der GmbH zu unterwerfen. b) Die Frage nach dem Stimmverbot büßt ihre praktische Bedeutung weitgehend ein, wenn sich die (zutreffende und hier nicht zu vertiefende) Ansicht durchsetzt 83 , daß der Beschluß über den Unternehmensvertrag auf der Seite der beherrschten Gesellschaft nicht nur der qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen, sondern zusätzlich nach dem Rechtsgedanken des § 33 Abs. 1 S. 2 BGB der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter bedarf, wenn nicht die Satzung etwas anderes bestimmt84. Denn bei einem Beschluß, der unter Zustimmung sämtlicher Gesellschafter gefaßt wird, ist ein Schutz der GmbH vor den Risiken einer Interessenkollision bei einem Teil ihrer Mitglieder nicht mehr gerechtfertigt; zugleich ist der Schutz der Minderheit verwirklicht 85 . Das erlaubt eine teleologische Reduktion des §47 Abs.4 S.2, l.Fall GmbHG. Auch ist es jedenfalls gut vertretbar, Folgebeschlüsse wie die Weisung an den Geschäftsführer, den Vertrag zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden 86 , unter diesem Gesichtspunkt nicht der Geltung des Stimmverbots zu unterstellen 87 . c) Soweit im Einzelfall nicht die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich ist, weil die Satzung eine entsprechende Klausel enthält, verbleibt es nach richtiger, wenngleich nicht herrschender Meinung beim Stimmverbot des §47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall GmbHG. Beherrschungs- und/ oder Gewinnabführungsverträge haben zwar organisations- oder sozialrechtlichen Charakter, stellen jedoch zugleich konzernbegründende Außengeschäfte der GmbH mit dem künftigen Mutterunternehmen dar. Auch eine Reduktion des Verbotstatbestands ist nicht veranlaßt, weil das 82 Baumbach/Hueck/Zöllner (Fn. 11) §47 Rdn.58 und Anh. KonzernR Rdn. 17; Flume Allg. Teil I 2 (Fn.50), §7 V7; Immenga/Werner GmbH-Rdsch. 1976, 53, 58f; Martens Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970, S. 163 ff; Wilhelm Rechtsform und Haftung (Fn.22), S. 88 Fn.229 und S. 119 ff. 83 BGHZ 105, 324 betrifft 100%-Tochter und enthält deshalb zu dieser Frage nichts. 84 Eingehend Ulmer in: Hachenburg GmbHG (Fn.39) §53 Rdn. 131 a m.w.N. 85 Baumbach/Hueck/2ö//«er (Fn. 11) §47 Rdn.58; Emmerich/Sonnenschein Konzernrecht, 3. Aufl. 1989, §25 II 2c; Ulmer BB 1989, 10, 15. 86 Dazu BGHZ 105, 324, 327 ff; BayObLG WM 1988, 1229; OLG Hamburg WM 1987, 1163, 1169; abweichende instanzgerichtliche Rechtsprechung (zuletzt: OLG Celle WM 1988, 47 f) ist überholt. 87 Auf die noch nicht voll gelöste Problematik von Folgebeschlüssen weist Ulmer BB 1989, 10, 15 zu Recht hin.
Der korporationsrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften
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herrschende Unternehmen an der Konzernierung ein Sonderinteresse hat, so daß die für das Stimmverbot charakteristische Interessenkollision gegeben ist. Ahnlich wie bei der Verschmelzung ( V 2 b ) kann danach allenfalls gefragt werden, ob das Stimmverbot des § 47 Abs. 4 S. 2 , 1 . Fall GmbHG hinter konzernrechtliche Sonderregeln zurücktreten könnte. Für das geltende Recht erledigt sich eine Vertiefung, weil es kein kodifiziertes GmbH-Konzernrecht gibt88 und die richterliche Rechtsfortbildung auf diesem Gebiet trotz aller Fortschritte noch kein hinreichendes Regelsystem für den Gläubiger- und Minderheitenschutz 89 entwickeln konnte. 4. Andere
Unternehmensverträge
Weitgehend ungeklärt ist, ob das Stimmverbot des §47 Abs. 4 S. 2, l.Fall GmbHG auch bei der Beschlußfassung über andere Unternehmensverträge (§292 AktG) eingreift, vornehmlich bei Betriebspacht-, Betriebsüberlassungs- und Betriebsführungsverträgen. Das bezieht sich zunächst auf die Vorfrage, ob der Beschluß wie in den Fällen des §291 AktG ( V 3 b ) der Zustimmung aller Gesellschafter bedarf90. Im Grundsatz wird man das bejahen müssen, weil die Unternehmensverträge i. S. des §292 AktG regelmäßig ähnlichen Einfluß auf die Struktur der Gesellschaft haben wie ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag. Die Frage nach dem Stimmverbot bleibt für Restfälle und für geringere satzungsmäßige Beschlußanforderungen relevant. Die Antworten sind auch hier unterschiedlich. Teils wird angenommen, das Stimm verbot greife nicht ein91, teils ist nicht eindeutig erkennbar, ob das nur im Bereich des §291 AktG oder für alle Unternehmensverträge gelten soll92, teils wird im Hinblick auf Wortlaut und Zweck des §47 Abs.4 S.2, l.Fall GmbHG das Gegenteil vertreten, also das Stimmverbot bejaht93. Dieser Ansicht ist beizutreten. Die wohl überwiegende Gegenmeinung bietet nicht einmal eine vertiefte Auseinandersetzung mit der für ihren Gedankengang zentralen Frage, ob die Unternehmensver88
Flume Allg. Teil 1/2 (Fn.50), §7 V 7. Vgl. zu diesem Zusammenhang Kropff RegBegr. AktG 1965, S.380f. 90 Bejahend Baumbach/Hueck/Zö//«er (Fn. 11) Anh. KonzernR Rdn. 16 a. E.; mit Einschränkungen auch Ulmer in: Hachenburg GmbHG (Fn. 39) § 53 Rdn. 133; Emmerich/ Sonnenschein Konzernrecht (Fn. 85), § 25 IV. " Scholz/K. Schmidt (Fn. 11) §47 Rdn. 115. 92 Fischer/Lutter/Hommelhoff (Fn. 8) Anh. §13 Rdn. 26 und 33; Rowedder/ Koppensteiner (Fn. 11) Anh. §52 Rdn. 40 und 44 ff. 93 Baumbach/Hueck/Zö//ner (Fn. 11) §47 Rdn.58; vgl. auch BGH NJW 1973, 1039, 1040 (Geschäftsübernahme). 89
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träge i. S. des §292 A k t G organisationsrechtlichen Charakter haben. Will man das, wie wohl richtig, bejahen, so bleibt das Argument, daß es sich jedenfalls auch um ein Außengeschäft mit dem Vertragspartner handelt, der sich in seiner Doppelrolle etwa als Pächter des Betriebs der G m b H und als Gesellschafter der Verpächterin genau in der Interessenkollision befindet, an die § 47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall G m b H G anknüpft.
VI. Fazit Nach allem bleibt festzuhalten: Der korporations- oder sozialrechtliche Charakter von Rechtsgeschäften oder eine ähnliche Kennzeichnung (Innengeschäft) ist bei der sachgerechten Begrenzung von Stimmverboten trotz langer richterlicher Tradition keine wirklich hilfreiche Kategorie; die Titelfrage muß deshalb verneint werden. Richtig, aber auch eher selbstverständlich ist allerdings, daß Dritt- oder Außengeschäfte dem Stimmverbot des § 47 Abs. 4 S. 2, 1. Fall G m b H G unterliegen. Seine Begrenzung kann nur durch teleologische Reduktion geleistet werden. Dabei zeigt die Analyse der sog. sozialrechtlichen Geschäfte, daß der Bereich von Stimmverboten größer ist als vielfach angenommen. Zweifelsfrei auszuklammern ist die Bestellung von Organmitgliedern, aus der die „Sozialaktstheorie" ihre Fallanschauung im wesentlichen bezieht. Im übrigen sind Verallgemeinerungen generell und für Verschmelzungsund Unternehmensverträge im besonderen nicht angezeigt. Der organisationsrechtliche Charakter solcher Verträge besagt, daß sie nicht wie bloße Schuldverträge, sondern wie Satzungsänderungen zu behandeln sind. Die Einsicht, daß sie auch Drittgeschäfte darstellen, sollte nicht verlorengehen, indem sich Begriffsbildungen verselbständigen. In manchem Einzelfall ließe sich wohl darüber diskutieren, ob Folgerungen aus der mitgliedschaftlichen Treubindung nach dem insoweit erreichten Entwicklungsstand die dem starren Stimmverbot in der Sache überlegene Lösung darstellen. Die gesetzliche Verankerung des Verbots läßt Grenzverschiebungen jedoch kaum zu.
Sicherung des Eigenkapitals bei der gesetzestypischen Kommanditgesellschaft INGO KOLLER
I. Problem 1.
Vorbemerkung
In den siebziger und achtziger Jahren ist die Sicherung des Eigenkapitals von Gesellschaften in den Vordergrund der Diskussion getreten. Man braucht nur an die Stichworte eigenkapitalersetzende Darlehen, Haftung bei Unterkapitalisierung, objektive Bestimmung des Eigenkapitalcharakters von Gesellschaftermitteln1 und mit Einschränkungen an das Stichwort der Konzernhaftung zu erinnern. Die Diskussion erstreckte sich zunächst schwerpunktmäßig auf die GmbH und die GmbH & Co K G ; sie hat inzwischen aber auch die gesetzestypische K G erreicht. 2. Vorschläge zur Verbesserung der Eigenkapitalbildung a) Extensive Auslegung des Begriffs der
und -Sicherung
Einlagenrückgewähr
Bekanntlich verwendet der Gesetzgeber den Begriff der Einlage in den §§ 161 ff H G B mehrdeutig2. Der Begriff kann auf die im Handelsregister eingetragene Einlage, die Haftsumme, bezogen sein. Unter Einlage kann man aber auch den im Gesellschaftsvertrag unter den Gesellschaftern versprochenen Beitrag, die sog. Pflichteinlage, verstehen. Weil die für das Innenverhältnis unter den Gesellschaftern bedeutsame Pflichteinlage und die im Außenverhältnis zu den Gesellschaftsgläubigern unmittelbar maßgebliche Haftsumme auseinanderzuhalten sind, können Pflichtein1 Vgl. B G H , N J W 1980, 1522, 1523; 1981, 2251, 2252; 1982, 2253, 2254; GmbHRdSch. 1984, 37; dazu Joost, Z G R 1987, 370, 396 ff; H.P. Westermann, FS Fleck, ZGR-Sonderheft Nr. 7, S.423, 425; Schön, Z G R 1990, 228 ff; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht (1986), §18 III 3. 1 Dies war dem HGB-Gesetzgeber bekannt (Denkschrift zum Entwurf eines H G B ; Hahn/Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 6 [Neudruck 1983], S. 285).
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Ingo Koller
läge und Haftsumme in unterschiedlicher Höhe festgesetzt werden 3 . Vor allem bei Publikumskommanditgesellschaften wurde häufig eine die Haftsumme übersteigende Pflichteinlage vereinbart. Je nachdem, ob man den Begriff der Einlage in §172 IVI HGB im Sinn der Pflichteinlage oder im Sinn der Hafteinlage versteht, kommt man in Fällen der Einlagenrückgewähr zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, wenn der Betrag der Pflichteinlage die Haftsumme übersteigt. Die h. M. interpretiert den Begriff der Einlage in § 172 IV1 HGB im Sinne der Haftsumme. Rückzahlungen, die nur die die Haftsumme überschießende Pflichteinlage schmälern, führen deshalb nach h. M. nicht zum Wiederaufleben der Haftung 4 . Die die Haftsumme übersteigende Pflichteinlage bildet also, soweit sie nicht bereits durch Verluste vebraucht worden ist, eine Art Polster, das vor dem Wiederaufleben der unmittelbaren Kommanditistenhaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern schützt. Karsten Schmidt5 hält dieser Interpretation entgegen, daß sie die Kapitalgarantien schwäche, die die Gläubiger schützen. Bei der KG gebe es anders als bei der GmbH kein summenmäßig gesichertes Garantiekapital. Deshalb müßten Gläubiger schon ab der Rückzahlung der ersten Mark Pflichteinlage ohne Rücksicht auf die Höhe der Haftsumme gemäß §§172 IVI, 1711 HGB haften. Der Kapitalerhaltungsgrundsatz bei der KG gewährleiste nämlich den Bestand derjenigen Haftungsmasse, die sich aufgrund der Gesellschaftereinlagen tatsächlich gebildet habe.
b) Wiederaufleben
der Haftung über den Betrag der Haftsumme
hinaus
Immerhin ist auch Karsten Schmidt der Ansicht, daß die Haftung gemäß den §§172 IV1, 1711 HGB nur bis zum Betrag der Haftsumme wieder auflebt, selbst wenn eine die Haftsumme übersteigende Pflichteinlage oder sogar ein diese Pflichteinlage übersteigender Vermögenswert zurückgewährt worden ist6. Dies entspricht der ganz herrschenden Meinung 7 . Oberste Grenze der erneuten Haftung ist die Haftsumme, selbst wenn ein Mehrfaches der Haftsumme zurückgeflossen ist. Der
3 Dies hielt schon der historische Gesetzgeber für zulässig. Vgl. Denkschrift (Fn. 2), S. 285. 4 U. Huber, Z G R 1988, 1, 13; RGRK z. HGB-Weipert (1950), § 1 7 2 A n m . 3 0 ; Schlegelbergerl G eßler, H G B (4. Aufl.), § 1 7 2 Anm. 16; Staub/Schilling, Großkommentar H G B (4. Aufl.), § 172 Rdn. 10; Heymann/Horn, H G B (1989), § 172 Rdn. 15. 5 K.Schmidt, Einlage und Haftung des Kommanditisten (1977), S. 7 9 f f ; Schlegelberger/ K.Schmidt, H G B (5. Aufl.), § § 1 7 1 , 172 Rdn.64. 6 K. Schmidt, Einlage (Fn. 5), S. 80. 7 B G H Z 60, 324, 332; U. Huber, ZGR 1988, 1, 14; Rümker, ZGR 1988, 494, 509; Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 45; RGRK z. HGB-Weipert (2. Aufl. 1950), § 1 7 2
Sicherung des Eigenkapitals bei der gesetzestypischen KG
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BGH 8 begründet die Sachgerechtigkeit dieser Obergrenze damit, daß das Gläubigergefährdungspotential bei der gesetzestypischen Kommanditgesellschaft im Vergleich zu Gesellschaften mit umfassend beschränkter Haftung bedeutend geringer sei. Die volle Haftung des Komplementärs wirke nämlich als Bremse, weil der Komplementär im eigenen Interesse den Kapitalwünschen des Kommanditisten entgegentreten werde, um sein Haftungsrisiko nicht übermäßig ansteigen zu lassen. Außerdem werde der Komplementär wegen seiner eigenen unbeschränkten Haftung die Geschäfte der Gesellschaft in erhöhtem Maße vorsichtig führen9, so daß sich Kapitalsicherungsmechanismen nach dem Vorbild der GmbH erübrigten. Von diesem Standpunkt aus ist denn auch mit der neueren Kommentarliteratur anzunehmen, daß der Kommanditist, der seine Einlage in Höhe der Haftsumme noch nicht geleistet hat, selbst dann nur bis zum Betrag der Haftsumme haftet, wenn er sich sämtliche Gewinne der KG hat auszahlen lassen, Verluste aber nicht ausgeglichen hat, so daß sein Kapitalkonto bei der Ausschüttung der Gewinne negativ war 10 . Gegen diese Interpretation des §172 IVI HGB hat sich Joostu gewandt. Er vertritt die Meinung, daß der Gläubigerschutz bei der KG dem der GmbH anzugleichen sei. Bei der GmbH würden etwaige RückZahlungsansprüche der GmbH gemäß §§30, 31 GmbHG weder durch den Betrag der Stammeinlage noch durch den Betrag des Stammkapitals beschränkt, wenn an Gesellschafter aus dem GmbH-Vermögen Leistungen geflossen seien, die zu einer Unterbilanz der GmbH geführt bzw. sie vertieft haben. In ähnlicher Weise soll nach der Ansicht Joosts auch der Kommanditist haften, der von der KG Zahlungen erhalten hat, durch die sein Kapitalkonto - weiter - unter den Betrag der Haftsumme gemindert worden ist. Joost begründet seine These im wesentlichen mit zwei Argumenten: Unter Einlage im Sinn des §172 IVI HGB sei in Parallele zum Begriff des Stammkapitals die bilanzielle Kapitalziffer zu verstehen, die angebe, welcher Teil des Vermögens zugunsten der Gläubiger gebunden sei. Die Funktionen von Stammkapital bei der GmbH und von Einlage bei der KG seien mithin identisch. Zum anderen sei die Verweisung des §172 IVI HGB auf §1711 HGB mit der Folge des Wiederauflebens der unmittelbaren Haftung des Kommanditisten nicht
Anm. 33; Schlegelberger/Geßler (Fn. 4) § 172 Anm. 13; Schlegelberger/K. Schmidt (Fn. 5), §§171, 172 Rdn.65; Staub/Schilling, HGB (Fn.4) §172 Rdn. 10; Heymann/Horn, HGB (Fn. 4), § 172 Rdn. 15; Westermann u. a., Handbuch der Personengesellschaften I 927. 8 BGHZ 60, 324, 332; BGH, ZIP 1990, 578, 583. 9 BGH, ZIP 1990, 578, 583. 10 Schlegelberger/K.Schmidt (Fn.5), §§171, 172 Rdn.79. 11 Joost, ZGR 1987, 370, 382 ff.
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Ausdruck einer personengesellschaftsrechtlichen Besonderheit, sondern nur Ausdruck eines technischen Kunstgriffs. Aus der Sicht der Gläubiger sei es nämlich nicht so wichtig, ob sie dadurch geschützt würden, daß der Gesellschafter wie bei der GmbH gläubigergefährdende Auszahlungen an die Gesellschaft zurückzugewähren habe oder dadurch, daß sie, die Gläubiger, unmittelbar auf das Privatvermögen der Gesellschafter, der Kommanditisten, zugreifen könnten. Entscheidend sei allein der Umfang des Zugriffs. Habe ein Kommanditist das Vermögen der K G über den Betrag der Haftsumme hinaus geplündert, so sei jedenfalls die Begrenzung der Haftung auf die Haftsumme nicht mehr angemessen. Joost12 schlägt deshalb vor, daß der Kommanditist analog den §§172 I V I , 1711 H G B auf den vollen Wert der empfangenen Leistung ohne Rücksicht auf die Höhe der Haftsumme zu haften habe. Eine Ausnahme solle nur in den Fällen gelten, in denen trotz der Leistung genügend Aktivvermögen in der K G verblieben sei, um damit die echten Passiva der K G zuzüglich der Haftsummen der Kommanditisten abzudecken. c) Eigenkapitalersetzende
Darlehen
aa) Karsten Schmidt hat in mehreren Stellungnahmen die Ansicht vertreten, daß die für die GmbH und die GmbH & Co K G entwickelten Regeln über die Behandlung eigenkapitalersetzender Darlehen im wesentlichen auch auf die K G mit einer natürlichen Person als Komplementär anzuwenden seien; denn bei den Gesellschafterdarlehen, die einer Gesellschaft statt des notwendigen Eigenkapitals gewährt werden, handle es sich um ein rechtsformübergreifendes Haftungs- und Finanzierungsproblem, das nicht notwendig mit einer umfassend beschränkten Haftung zusammenhänge13. Entscheidend sei vielmehr, daß eine Gesellschaft, die auf dem freien Kreditmarkt bei Offenlegung aller Umstände kein Fremdkapital erhalten würde, objektiv Eigenkapital benötige, und daß die Gesellschafter, die ihr in dieser Situation Kapital zuführten, dieses Kapital auch im Konkurs als Eigenkapital und nicht als Fremdkapital behandeln lassen müßten. §32 a GmbHG und §172 a H G B seien deshalb als Ausprägung eines allgemeinen Finanzierungsgrundsatzes anzusehen. Habe sich aber ein Kommanditist schon vor dem Konkurs der K G das Darlehen zurückzahlen lassen, so könne man nicht einfach eine Analogie zu den §§30 ff GmbHG, 172 a H G B ziehen, da es im Recht der gesetzestypischen K G anders als im Recht der GmbH und GmbH & Co Joost, ZGR 1987, 370, 391. » K. Schmidt, AG 1984, 12, 14; GmbHRdSch. 1986, 337, 340; ZGR 1986, 152, 159 ff; JZ 1985, 302, 304; vgl. auch Kollhosser, WM 1985, 932. 12
Sicherung des Eigenkapitals bei der gesetzestypischen KG
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K G nicht einmal in Hinblick auf echte Einlagen ein Auszahlungsverbot14 gebe. Deshalb lasse sich auch in Hinblick auf eigenkapitalersetzende Darlehen kein Auszahlungsverbot begründen15. Eine Analogie zu § 1 7 2 I V H G B scheide aus, weil die Haftung nur bis zur Haftsumme wieder aufleben könne, während die eigenkapitalersetzenden Darlehen häufig weit über dem Betrag der Haftsumme lägen. Außerdem sei eine Haftung analog §172 IV H G B zu streng16. Sie führe nämlich zu einer erneuten Haftung ohne zeitliche Beschränkung. Karsten Schmidt plädiert daher in Hinblick auf zurückgezahlte eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen dafür, eine Analogie zu §237 H G B zu ziehen17. bb) Joost18 geht dagegen, gestützt auf seine These, daß das KG-Vermögen gegen Vermögensabflüsse in Richtung auf die Kommanditisten über die Haftsummen hinaus analog §172 IV H G B geschützt sei19, einen Schritt weiter. Auch er betont, daß die Gründe, die für eine Gleichstellung von eigenkapitalersetzenden Darlehen und echtem Eigenkapital sprächen, nicht spezifisch GmbH-rechtlicher Natur seien. Das gelte sowohl für den topos des widersprüchlichen Verhaltens20 als auch für das Kriterium der mangelnden Kreditwürdigkeit der Gesellschaft in den Augen Dritter 21 . Es sei deshalb geboten, die sich bei der GmbH, der G m b H & C o K G und der gesetzestypischen K G gleichartig stellenden Probleme gleich zu behandeln. Der Umstand, daß der Kommanditist keine Mindesteinlage zu erbringen habe, stehe ebensowenig einer Übernahme der GmbH-Regeln des eigenkapitalersetzenden Darlehens entgegen wie die Tatsache, daß ein Komplementär persönlich voll hafte; denn der Komplementär könne vermögenslos sein, und jeder Kommanditist habe immerhin mit einem gewissen Betrag zu haften ( § 1 7 1 f HGB). Analog diesen Haftungsregeln müsse der Kommanditist sein Privatvermögen dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger öffnen, wenn er sich eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen habe zurückzahlen lassen, obwohl dadurch eine Unterbilanz herbeigeführt oder verstärkt worden sei. Gegen den Vorwurf, eine analoge Anwendung des § 172IV H G B auf die Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen setze sich in Wider-
14 Schlegelherger IK.Schmidt, HGB (Fn.5), §§171, 172 Rdn.62; Staub/Schilling, HGB (Fn.4), §172 Rdn.9. 15 K.Schmidt, GmbHRdSch. 1986, 337, 340. 16 K.Schmidt, GmbHRdSch. 1986, 337, 342; ebenso Riimker, ZGR 1988, 494, 511. 17 K.Schmidt, GmbHRdSch. 1986, 337, 342. 18 Joost, ZGR 1987, 370, 393 ff. 19 Siehe oben bei Fn. 11. 20 Vgl. Β GHZ 31, 258, 272 f; 75, 334, 336 f. 21 Vgl. Β GHZ 76, 326, 330; K.Schmidt, Gesellschaftsrecht (1986), S.395.
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Ingo Koller
spruch zu § 172 a H G B , der die §§ 32 a, 33 b GmbHG nur auf KGs ohne eine natürliche Person als Komplementär für anwendbar erklärt habe, führt Joost das Argument ins Feld, daß die Systemeinheit nicht wichtiger sein dürfe als das Ziel des Gläubigerschutzes und das Ziel einer allgemein gerechten Lösung des Problems der eigenkapitalersetzenden Darlehen 22 . Allerdings überträgt Joost die GmbH-rechtlichen Regeln der eigenkapitalersetzenden Darlehen nicht voll auf die gesetzestypische KG. Er begründet dies damit, daß bei der GmbH ein Auszahlungsverbot bestehe, während es bei der gesetzestypischen Kommanditgesellschaft den Gesellschaftern offenstehe, im Innenverhältnis die Einlage und damit erst recht eigenkapitalersetzende Darlehen an den Kommanditisten zurückzuzahlen bzw. rückzahlbar zu stellen23. Beim Darlehen könne daher ein Rückzahlungsverbot nur auf das Treuegebot gestützt werden24. Diesen Vorschlägen, die Kapitalsicherung bei der K G zu verbessern, hat U.Huber2i entgegengehalten, daß Darlehen nur zu Lasten solcher Gesellschafter dem Eigenkapital gleichgestellt werden dürften, die Einfluß auf die Unternehmensleitung besäßen. Dies sei bei dem typischen Kommanditisten nicht der Fall. d) Stille Beteiligung Scbön kritisiert die Rechtsprechung des B G H , derzufolge die Einlagen stiller Gesellschafter als Eigenkapital zu qualifizieren sind, falls die stillen Gesellschafter in der K G kommanditistenähnliche Positionen einnehmen würden, als „richterlichen Oktroi", weil diese Qualifikation dem klaren rechtsgeschäftlichen Willen der Gesellschafter zuwiderlaufe. Schön27 stimmt aber dem B G H weitgehend im Ergebnis zu. Er schlägt vor, sich zu einer besseren Begründung auf die Wurzeln der stillen Gesellschaft zu besinnen. Aus historischer Sicht liege der Unterschied zwischen der K G und der stillen Gesellschaft darin, daß der Kommanditist anders als der stille Gesellschafter die öffentliche Zusage gemacht habe, mit seiner Einlage für das Unternehmen einstehen zu wollen. Der Grundsatz, daß die Offenlegung der Einlage zur Haftung mit der Einlage als Eigenkapital führe, sei durch die Ausdifferenzierung von K G und stiller Gesellschaft im H G B nicht obsolet geworden. Lege ein stiller Gesellschafter eines Einzelkaufmanns seine Beteiligung offen, so dürfe 2b
22 Joost, ZGR 1987, 370, 401; ebenso i.E. K.Schmidt, AG 1984, 12, 14; a.A. OLG Düsseldorf, WM 1983, 874; Rümker, ZGR 1988, 494, 512. 23 Rümker, ZGR 1988, 494, 509. 24 Joost, ZGR 1987, 370, 396. 25 U. Huber, ZGR 1988, 1, 40. 26 Schön, ZGR 1990, 220, 241. 27 Schön, ZGR 1990, 220, 234 ff.
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363
zwar heute darin keine Haftungszusage gesehen werden, weil das Vermögen des Einzelkaufmanns keinem Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsmechanismus unterworfen sei. Die Gläubiger könnten daher die Offenlegung der Beteiligung nicht als rechtlich bindende Stärkung des Betriebskapitals auffassen. Anders sei jedoch die Situation bei KGs, deren Finanzierung im wesentlichen über Kapitaleinlagen von Anlegern erfolge. In diesen Fällen könne die Offenlegung der Einlage, z . B . in Anlageprospekten, als Haftungszusage verstanden werden; denn in diesen Fällen sei die Finanzierung von wirtschaftlich zentraler Bedeutung. Maßgeblich sei der Empfängerhorizont des Rechtsverkehrs. Wenn in einem Zeitpunkt, in dem die K G nicht - mehr - kreditwürdig 28 sei, die Zeichnung einer stillen Einlage offenbart werde, so sehe der Rechtsverkehr darin eine Erweiterung des Kapitalstocks und nicht bloß die Zufuhr von Fremdkapital. Es genüge, daß die stille Beteiligung einer einzigen Person gegenüber aufgedeckt worden sei; denn die Qualifikation als Eigenkapital müsse allen Gläubigern gegenüber einheitlich erfolgen. Unerheblich sei es, ob gleichzeitig der gesellschaftsvertragliche Ausschluß der Verlustbeteiligung offengelegt werde; denn dies sei beim Kommanditisten auch nur im Innenverhältnis von Bedeutung. Selbst in Fällen, in denen Kommanditisten zusätzlich zu ihrer Kommanditeinlage stille Beteiligungen zeichnen, ohne dies publik zu machen, muß Schön29 zufolge in der Vereinbarung einer stillen Einlage die Zusage einer Erweiterung des Eigenkapitaleinsatzes gesehen werden, wenn das Kapitalkonto des Kommanditisten bei Zeichnung der stillen Einlage negativ gewesen sei. Dann habe nämlich die objektive Notwendigkeit einer Kapitalzufuhr bestanden. Die stille Einlage könne daher nur unter der Sanktion des § 172 IV H G B zurückgewährt werden. Die Situation ähnle hier den Fällen, in denen der Kommanditist, dessen Kapitalkonto negativ geworden ist, eine zusätzliche Pflichteinlage gezahlt habe und sich diese nach der Verrechnung mit den angelaufenen Verlusten zurückgewähren lasse. In diesen Fällen lebe nach allgemeiner Meinung die Haftung gemäß § 1 7 2 IV H G B wieder auf. Nicht anders könne die Situation bei der Gewährung einer stillen Einlage statt der Erhöhung der Pflichteinlage sein. II. Stellungnahme 1. Begriff der Einlage in § 172 IV
HGB
O b der historische Gesetzgeber bei Verwendung des Begriffs der Einlage eher an die Haftsumme oder an die Pflichteinlage gedacht hat,
28
Wiedemann,
FS Bärmann (1975), S. 1037, 1038; U. Huber,
Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 45. " Schön, ZGR 1990, 220, 244 ff.
ZGR 1988, 1, 16;
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läßt sich den Materialien zum HGB 30 nicht eindeutig entnehmen. Man ist daher auf das Instrument der systematischen und teleologischen Auslegung angewiesen. Aufschlußreich ist vor allem ein Vergleich der §§172 III HGB, 174 HGB mit §172 IV HGB. Auch in §172 III HGB ist lediglich von Einlage die Rede. Weil die Vorschrift nur die Wirksamkeit gegenüber den Gläubigern regeln will, wird zu Recht allgemein angenommen, daß unter Einlage die im Handelsregister eingetragene Haftsumme zu verstehen ist31. Gleiches gilt für § 174 HGB, der mit dem § 172 III HGB nahe verwandt ist. Auch in § 174 HGB spricht der Gesetzgeber nur schlechthin von Einlage. Der Umstand, daß gemäß § 174 HGB die Herabsetzung der Einlage von der Eintragung im Handelsregister abhängig sein soll, im Handelsregister aber nur die Haftsumme, nicht aber die Pflichteinlage einzutragen ist, zeigt, daß das HGB in § 174 HGB mit Einlage ebenfalls ausschließlich die Haftsumme meint 32 . Aus §174 HGB ergibt sich mithin, daß die Haftsumme mit Wirkung gegenüber den Gläubigern zwar nicht erlassen, aber unter bestimmten Voraussetzungen herabgesetzt werden darf. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß eine die Haftsumme übersteigende Pflichteinlage beliebig ermäßigt 33 und im Verhältnis unter den Gesellschaftern sogar in vollem Umfang erlassen werden darf 34 ; denn die §§ 172 III, 174 HGB schützen die Gläubiger nur vor dem gänzlichen Erlaß bzw. eingeschränkt vor der Herabsetzung der Haftsumme. Falls nun aber die Pflichteinlage sogar ganz erlassen werden darf, ohne daß die Gläubiger hieraus Rechte ableiten können, so ist es nur konsequent, daß die Gläubiger auch dann keine Rechte gegenüber den Kommanditisten geltend machen dürfen, wenn die Gesellschafter beschließen, die Pflichteinlage bis zur Höhe der Haftsumme herabzusetzen. Erlaubt man die haftungsunschädliche Herabsetzung der Pflichteinlage, so muß es auch gestattet sein, die Beträge, die der Kommanditist der KG nicht mehr als Pflichteinlage zur Verfügung stellen muß, haftungsunschädlich zurückzuzahlen 35 .
30 In der Denkschrift zum Entwurf eines HGB (Hahn/Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 6 [Neudruck 1983], S. 285) hebt der Gesetzgeber nur hervor, daß es besonderer Vorschriften über die Höhe, die Erhöhung und Herabsetzung der Einlage bedürfe, weil die Einlage im Innenverhältnis nicht unbedingt mit dem Betrag übereinstimmen müsse, der für das Verhältnis zu den Gläubigern maßgeblich sei. 31 Denkschrift (Fn. 30), S. 285; Staub/Schilling, HGB (Fn. 4), § 172 Rdn. 1. 32 Staub/Schilling, HGB (Fn.4), § 174 Rdn. 1. 33 So auch K. Schmidt, ZGR 1986, 152, 161; Staub/Schilling, HGB (Fn.4), §174 Rdn. 1. 34 Staub/Schilling, HGB (Fn.4), §172 Rdn. 7. 35 Ähnlich U. Huber, ZGR 1988, 1, 13, Fn.36.
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Eine Verstärkung des Gläubigerschutzes durch eine extensive Interpretation des Begriffs der Einlage in § 172 IV H G B ist auch ineffizient, wenn man daran nur die Rechtsfolge knüpft, daß die Rückgewähr zum Wiederaufleben der Haftung bis zur Grenze der Haftsumme führt. Die Gläubiger erhalten nämlich gegenüber Kommanditisten, denen eine die Haftsumme übersteigende Pflichteinlage zurückgezahlt wird, nur so lange erhöhten Schutz, solange die Kommanditisten nicht gelernt haben, sich auf diese Rechtsansicht einzustellen. Haben sie aber begriffen, daß ihre erneute Haftung maximal den Betrag der Haftsumme erreichen wird, so werden sie ihre ganze Einlage abziehen und eine erneute Haftung mit der Haftsumme 36 in Kauf nehmen. Der die Haftsumme überschießende Betrag der Pflichteinlage ist nämlich an sie haftungsfrei zurückgelangt. Von der Haftung mit der Haftsumme können sie sich durch Zahlung an einen Gesellschaftsgläubiger 37 oder durch erneute Einzahlung auf die herabgesetzte 38 Pflichteinlage 39 befreien. Auch dies zeigt, daß man unter Einlage im Sinn des §172 I V I H G B nur die Haftsumme verstehen kann. Die die Haftsumme übersteigende Pflichteinlage bildet mithin für haftungsunschädliche Rückzahlungen eine Art Polster, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß dieses Polster nicht bereits durch Verluste verbraucht worden ist. Es kann somit festgehalten werden, daß die Eigenkapitalsituation der K G nicht mit Hilfe einer extensiven Auslegung des Begriffs der Einlage verbessert werden kann 40 . 2. Haftung über die Grenze der Haftsumme hinaus Gemäß dem Wortlaut des § 172 IV H G B in Verbindung mit § 1711 H G B lebt die Haftung maximal in Höhe der Haftsumme wieder auf. Das gilt auch in Fällen, in denen ein Mehrfaches der Haftsumme zurückgewährt wird und dem Kommanditisten dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, seine Haftung wirtschaftlich gesehen trotz Rückzahlung seiner Einlage abzuschütteln. Bekommt er nämlich das Doppelte seiner Haftsumme zurück, so kann er die eine Hälfte des zurückgezahlten Betrages ohne Zugriffsmöglichkeit der Gesellschaftsgläubiger für sich verwerten, während er die andere Hälfte dazu nutzen kann, an Gesell36 Es wird hier mit der h. M. (Fn. 7) davon ausgegangen, daß die Haftung unabhängig von der Höhe der Rückzahlung nur bis zum Betrag der Haftsumme wiederauflebt. 37 B G H Z 51, 393. 38 In der Rückzahlung liegt in der Regel eine zumindest vorübergehende Herabsetzung der Pflichteinlage. 39 Es bleibt offen, ob der Einlage- oder der Verrechnungstheorie zu folgen ist (vgl. Schlegelberger/K. Schmidt, H G B [Fn. 5], §§171, 172 Rdn.46). 40 So i. E. die ganz herrschende Meinung (vgl. Fn. 4).
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schaftsgläubiger haftungsbefreiend zu leisten41. Dieses Ergebnis vermag sicher nicht recht einzuleuchten. Die Beschränkung der wiederauflebenden Haftung auf die Haftsumme steht auch kaum mit der § 172 IV 2 H G B zugrundeliegenden ratio legis im Einklang. Gemäß §172 IV 2 H G B lebt die Haftung des Kommanditisten nämlich wieder auf, soweit ein Kommanditist Gewinnanteile entnimmt, während sein Kapitalanteil durch Verlust unter den Betrag der Haftsumme herabgemindert ist, oder soweit er durch die Entnahme unter die Haftsumme gedrückt wird. §172 IV 2 H G B soll sicherstellen, daß der Kommanditist nicht im Wege von Gewinnausschüttungen seine Einlage zurückerhält, obwohl die Einlage zur Verlustabdeckung benötigt wird. §172 I V 2 H G B soll mit anderen Worten sicherstellen, daß der Kommanditist, sei es im Rahmen einer unmittelbaren persönlichen Haftung, sei es nach Leistung an die K G , im Rahmen des Gesellschaftsvermögens zumindest einen Einsatz in Höhe der Haftsumme riskiert42; denn die Beteiligung an der K G ist auf längere Zeit angelegt, und erst nach Ablauf dieser Zeit weiß man, ob die Verluste die Gewinne übersteigen werden und ob der Einsatz in Form der Haftsumme zur Abdeckung der überschießenden Verluste benötigt wird. Vertritt man die Ansicht, daß die Haftung nur bis zur Grenze der Haftsumme Wiederaufleben kann43, so läuft der Sicherungsmechanismus des § 172 IV 2 H G B zum Teil ins Leere; denn es wird nicht verhindert, daß der Kommanditist durch die Rückgewähr des mehrfachen Betrages seiner Hafteinlage letztlich seinen Einsatz trotz Verluste der K G zurückbekommen kann. Es liegt daher nahe, auf der Grundlage der dem § 172 IV 2 H G B immanenten Wertung die Rechtsfolge einer Rückgewähr der Einlage dahin abzuändern, daß der Kommanditist immer mit dem Betrag den Gesellschaftsgläubigern erneut zu haften hat, um den sein Kapitalkonto (weiter) unter den Betrag der Haftsumme sinkt. Diese Lösung gerät jedoch in Konflikt zu der Entscheidung des Gesetzgebers, die K G als Unternehmergesellschaft auszuformen, bei der zumindest eine Unternehmerpersönlichkeit die volle Haftung mit seinem Privatvermögen übernommen hat und bei der in Hinblick auf das
41 Die Haftung erlischt auch dann wieder, wenn die Einlage in Höhe der Haftsumme erneut erbracht wird (a. A. U. Huber, Z G R 1988, 1, 15; Heymann/Horn, HGB [Fn. 4], § 172 Rdn. 15); denn nur so ist es möglich, die Fälle gleich zu behandeln, in denen der Kommanditist an einen Gesellschaftsgläubiger bzw. an die K G leistet. Die erneute Leistung an die K G hat zur Folge, daß die Haftung erlischt, erneute Auszahlungen, insbesondere des Gewinns, jedoch haftungsschädlich sind, da das Kapitalkonto trotz Leistung negativ geblieben ist. 42 Vgl. v.Hahn, Commentar zum A D H G B (1863), Bd. 1, Art. 165, § 7 ; ähnlich Schlegelberger/Geßler (Fn.4), §172 Anm.20. 43 Siehe oben bei Fn. 7.
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Vermögen des Komplementärs keine Kapitalsicherungsvorkehrungen existieren44. Auch der Lösungsvorschlag Joosts^ ignoriert die Tatsache, daß bei der KG anders als bei der GmbH die Gläubiger nicht nur mit Hilfe von Gesellschaftereinlagen, sondern auch mit Hilfe des Privatvermögens des Komplementärs geschützt werden46. Je nach dem Umfang des Privatvermögens des Komplementärs treten deshalb die Haftsummen der Kommanditisten mehr oder minder in den Schatten. Man darf daher den typisierenden Gläubigerschutz bei der KG nicht an einem Modell ausrichten, in dem als Komplementär eine Person fungiert, die nichts zu sagen und auch nichts zu verlieren hat47. Derart atypische Konstellationen verlangen atypische Lösungen. Geht man davon aus, daß der typische Komplementär bei der gesetzestypischen KG über Privatvermögen verfügt und etwas zu verlieren hat, so fällt ein weiterer gravierender Unterschied zur GmbH ins Auge. Bei der GmbH ist das Gläubiger-Gefährdungspotential erheblich höher, weil alle Gesellschafter nur beschränkt haften. Bei der KG wird dagegen der Komplementär, der mit seinem Privatvermögen den Gesellschaftsgläubigern in vollem Umfang haftet, als Bremser fungieren. Er wird, wie der BGH48 formuliert, den Kapitalwünschen des Kommanditisten im eigenen Interesse verstärkt entgegentreten und auch die Geschäfte der KG in erhöhtem Maße vorsichtig führen49. Dies rechtfertigt es, die Gläubigerschutzvorkehrungen bei der gesetzestypischen KG schwächer als bei der GmbH auszugestalten. Es ist allerdings zuzugeben, daß diese Bremse aus der Sicht der Gläubiger nicht absolut sicher funktioniert. Der Komplementär kann sich zum Beispiel in Zeiten guter Konjunktur mit Ausschüttungen einverstanden erklärt haben, die der KG in Zeiten einer Rezession zur Bewältigung einer Krise fehlen. Die Bremsfunktion der Komplementärhaftung kann deshalb nicht voll erklären, warum ein Kommanditist aus der KG ein Mehrfaches der Haftsumme abziehen kann, ohne das Risiko eines Wiederauflebens der Haftung in Höhe des empfangenen Betrages zu laufen. Der entscheidende Grund dafür, daß sich der Gesetzgeber konsequenterweise nur für ein Wiederaufleben der Haftung bis zur Grenze BGHZ 93, 246, 250. Siehe oben bei Fn. 11. 46 Vgl. U. Huber, ZGR 1988, S. 1, 14 Fn.37, S. 16, der betont, daß es bei der KG kein Stammkapital gebe. Ebenso Riimker, ZGR 1988, 494, 510; Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 45. 47 So aber Joost, ZGR 1987, 370, 394. 48 BGHZ 60, 324, 327 ff; BGH, ZIP 1990, 578, 583. 49 Wiedemann, FS Bärmann (1975), S.1037, 1038; U. Huber, ZGR 1988, 1, 16; Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 45. 44
45
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der Haftsumme entschieden hat, liegt darin, daß jede Auszahlung, die nicht durch freie Gewinne oder die eingezahlte, unverbrauchte Einlage gedeckt ist, aus der Sicht der Gläubiger auch eine Auszahlung zu Lasten des Privatvermögens des Komplementärs ist und daß es keinen Kapitalsicherungsmechanismus zu Lasten des Komplementärs gibt. Das den Gläubigern haftende Vermögen setzt sich bei der KG aus dem Privatvermögen des Komplementärs, dem Gesellschaftsvermögen der KG sowie dem Privatvermögen der Kommanditisten in Höhe der nicht geleisteten bzw. zurückgewährten Haftsumme zusammen. Dieses Vermögen mindert sich, wenn der Komplementär aus seinem Privatvermögen Leistungen an den Kommanditisten erbringt. Obwohl die Gläubigerbefriedigungschancen dadurch sinken, ist diese Transaktion wirksam; sie vergrößert auch nicht die gesellschaftsrechtliche Haftung des Kommanditisten, der die Leistung empfangen hat. Denn, wie der BGH 50 formuliert hat: Das Vermögen des voll haftenden Gesellschafters ist dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger nur in seinem jeweiligen Bestand ausgesetzt; es unterliegt keinem gesetzlichen Kapitalerhaltungsgrundsatz. Es kann daher ohne nachteilige Haftungsfolgen zugunsten eines Kommanditisten eingesetzt werden, sofern damit nicht im Einzelfall eine gezielte Gläubigerbeeinträchtigung verbunden ist oder ein Anfechtungstatbestand im Sinn der KO bzw. des AnfG erfüllt ist. Geht man davon aus, daß der Komplementär i.S.d. § 172 IV HGB haftungsunschädlich Teile seines Vermögens auf den Kommanditisten verlagern darf, so ist wirtschaftlich gesehen die Situation der Gläubiger sogar besser, wenn der über die Haftsumme hinausgehende Betrag dem Kommanditisten statt aus dem Privatvermögen des Komplementärs aus dem Vermögen der KG zufließt, weil dann den Gläubigern immerhin das Wiederaufleben der Haftung in Höhe der Haftsumme zugute kommt. Es wäre wertungswidersprüchlich, einen Kommanditisten bei der Auszahlung aus dem Privatvermögen des Komplementärs gänzlich ungeschoren zu lassen, bei der Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen dagegen mangels ausreichend aktivem Kapitalkonto über die Haftsumme hinaus in voller Höhe haften zu lassen. Man wird einwenden, daß Zahlungen aus dem Privatvermögen des Komplementärs die seltene Ausnahme bleiben werden. Bei diesem Einwand wird jedoch verkannt, daß die gesetzestypische KG heute vor allem im Bereich der Familiengesellschaften verbreitet ist. Dort ist es keineswegs ein Einzelfall, daß Vermögenswerte aus dem Privatvermö-
50 BGHZ 93, 246, 250; ebenso Baumbacb/Duden/Hopt, HGB (28. Aufl.), §172 Anm.2B; Staub/Schilling, HGB (Fn.4), §172 Rdn. 13; Schlegelberger / K. Schmidt, HGB (Fn. 5), §§171, 172 Rdn. 71 jeweils m. Nachw. zum Streitstand.
Sicherung des Eigenkapitals bei der gesetzestypischen K G
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gen oder dem Gesellschaftsvermögen an Kinder des Komplementärs fließen, die in der Rolle als Kommanditisten der K G angehören. Diese stellen sich darauf ein, daß sie die ihnen zugewendeten Beträge behalten dürfen und nicht viele Jahre nach der Zuwendung unter Berufung auf § 172 IV H G B im Konkurs der K G in Anspruch genommen werden können. In diesem Zusammenhang fällt die §32 K O zugrundeliegende Wertung ins Gewicht, die zeigt, daß selbst bei unentgeltlichen Zuwendungen die Inanspruchnahme des Empfängers nur in eng limitierten Zeiträumen möglich sein soll. Auch das Argument, daß im Vergleich zu Zuwendungen aus dem Privatvermögen des Komplementärs ein erhöhter Schutz der Gläubiger vor Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen deshalb angebracht sei, weil der Komplementär eher geneigt sein werde, das KG-Vermögen als sein Privatvermögen zu plündern, vermag nicht ganz zu überzeugen. Jeder Komplementär, der nicht eine bloße Galionsfigur51 darstellt, weiß, daß er für Lücken im Gesellschaftsvermögen mit seinem Privatvermögen aufkommen muß. Er weiß, daß die Gefahr einer Haftung mit seinem Privatvermögen um so geringer ist, je größer das KG-Vermögen ist. Er weiß deshalb auch, daß jede Ausschüttung von Gesellschaftsvermögen sein Risiko, mit seinem Privatvermögen geradestehen zu müssen, verstärkt. Der Komplementär hat daher keinen Anlaß, Ausschüttungen aus dem Gesellschaftsvermögen leichtherziger als Leistungen aus seinem Privatvermögen zuzustimmen. Berücksichtigt man außerdem, daß die Ausschüttung aus dem Gesellschaftsvermögen mit einer Änderung der Beteiligungsverhältnisse verbunden sein kann, so ist aus der Sicht des Komplementärs eine Ausschüttung aus dem Privatvermögen und eine Ausschüttung aus dem Gesellschaftsvermögen häufig gleichwertig. O b es zum einen oder zum anderen kommt, ist vielfach deshalb nur eine Frage der Liquidität der jeweiligen Vermögensmassen. Schließlich ist zu beachten, daß den Gläubigern einer K G nicht garantiert ist, daß nur sie allein in das der Haftung unterworfene Vermögen vollstrecken können. Dies ist zwar in Hinblick auf das Gesellschaftsvermögen der Fall, nicht aber in Hinblick auf das Privatvermögen des Komplementärs und auch nicht in Hinblick auf das Vermögen von Kommanditisten, das den Gläubigern gemäß § 171 H G B unmittelbar haftet. Es wäre deshalb verfehlt, eine erhöhte Haftung der Kommanditisten mit dem Argument zu rechtfertigen, es müsse der Anreiz vermindert werden, das Vermögen der K G auszuschütten. Das Gesetz statuiert eben im Unterschied zur GmbH kein Auszahlungsverbot52,
51 52
Vgl. dazu unten bei Fn. 54. Vgl. Schlegelberger/K.Schmidt,
H G B (Fn. 5), §§171, 172 Rdn.62.
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sondern motiviert den Kommanditisten nur sanft durch seine unmittelbare Haftung, der K G seine Einlage zu erbringen53. Erst recht statuiert das Gesetz kein Auszahlungsverbot in Richtung auf den Komplementär. Von einem den Gläubigern gesichert zugewiesenen Gesellschaftsvermögen kann daher nicht die Rede sein. Auch dies hat zur Konsequenz, daß sich die Gläubiger bei Zuwendungen über die Haftsumme hinaus letztlich in Hinblick auf die spezifische Kommanditistenhaftung so behandeln lassen müssen, als ob der Komplementär aus seinem Privatvermögen geleistet hätte. Eine Parallele zu den §§30 ff GmbHG scheidet aus. Insgesamt zeigt sich mithin, daß der Kommanditist bei einer gesetzestypischen K G grundsätzlich nicht in Parallele zu den §§ 30 ff GmbHG über die Haftsumme hinaus für empfangene Leistungen einzustehen hat. Zugleich ergeben sich aber auch aus den Gründen, die dazu führen, daß der Kommanditist maximal bis zur Grenze der Haftsumme haftet, die Kriterien, anhand derer dieser Grundsatz einzuschränken ist. Danach haftet der Kommanditist unabhängig davon, ob eine Gläubigergefährdung i. S. d. § 826 B G B nachgewiesen werden kann oder ob die Voraussetzungen einer Konkursanfechtung i.S.d. § § 3 0 f f K O gegeben sind, wenn der Komplementär nach der Gesellschaftsverfassung nichts zu sagen hat und aus der Sicht des Kommanditisten erkennbar nichts mehr - zu verlieren hat54. Dann wirkt nämlich weder die Bremsfunktion der Komplementär-Rolle, noch läßt sich sagen, daß die die Haftsumme übersteigenden Ausschüttungen wirtschaftlich betrachtet letztlich aus dem ungebundenen Privatvermögen des Komplementärs aufgebracht werden. Gleiches muß gelten, falls der Komplementär aus irgendwelchen Gründen, ζ. B. aus Gründen verwandtschaftlicher Nähe, ersichtlich seine Bremsfunktion nicht erfüllen kann und aus der Sicht des Kommanditisten erkennbar ist, daß die Lücke im Gesellschaftsvermögen durch die Ausschüttung zugunsten des Kommanditisten in absehbarer Zeit nicht durch das Privatvermögen des Komplementärs gedeckt ist. In diesen Fällen lebt die Haftung nicht nur bis zur Grenze der Haftsumme, sondern in voller Höhe des Betrages wieder auf, um den das Kapitalkonto (weiter) unter die Haftsumme55 gedrückt wird. Ist die Situation so, daß das Privatvermögen des Komplementärs einen Teil der Ausschüttung deckt, so ist der Betrag, um den die Haftung über die Haftsumme hinaus wieder auflebt, um diesen Teil zu kürzen.
Wiedemann, FS Bärmann (Fn.49), S. 1038. Vgl. Wiedemann, FS Bärmann (1975), S. 1037, 1049f; Blaurock, FS Stimpel (1985), 553, 569; U. Huber, ZGR 1988, 1, 17. 55 Haftsumme des Kommanditisten, der die Leistung empfangen hat. U. Huber, ZGR 1988, 1, 14 Fn. 37 hat überzeugend dargetan, daß nicht auf die Gesamtheit der Haftsummen abgestellt werden kann. 53 54
Sicherung des Eigenkapitals bei der gesetzestypischen K G
371
Auf diese Weise läßt sich auch die Brücke zur Rechtsprechung zu der G m b H & C o K G schlagen. Der B G H 5 6 hat vor kurzem entschieden, daß auch der Nur-Kommanditist für Ausschüttungen in einer G m b H & C o K G analog den §§30, 31 G m b H G einzustehen hat, wenn die Ausschüttung zur Folge hat, daß dadurch mittelbar das Vermögen der Komplementär-GmbH unter den Nennwert des Stammkapitals herabsinkt. Der B G H begründet die Ausdehnung der Haftung des Kommanditisten über die Haftsumme hinaus damit, bei einer G m b H als Komplementär sorge die unmittelbare Haftung nicht in gleichem Maß wie bei der unmittelbaren Haftung natürlicher Personen dafür, daß das Unternehmen wirtschaftlich geführt wird und untragbare Vermögensaushöhlungen unterbleiben. Diese Argumente stellen nur die eine Seite der Medaille dar. Das Bild wird vollständig, wenn man bedenkt, daß man bei der G m b H eben nur über das Vermögen, das nicht zur Deckung der echten Passiva und des Stammkapitals benötigt wird, so frei verfügen kann wie über das Privatvermögen einer natürlichen Person. Soweit kein freies Vermögen vorhanden ist, ist die Situation dieselbe wie in Fälllen, in denen eine Privatperson auf absehbare Zeit faktisch vermögenslos ist. 3. Eigenkapitalersetzende
Darlehen
Definiert man als faktisch eigenkapitalersetzende Darlehen all diejenigen Darlehen, die von Gesellschaftern zu einem Zeitpunkt vergeben werden, in dem kein außenstehender Kreditgeber bei Kenntnis aller Umstände mehr ein Darlehen zu marktüblichen Bedingungen gewährt hätte und die Gesellschaft deshalb hätte liquidiert werden müssen 57 , so stellen eigenkapitalersetzende Darlehen sicherlich keine Besonderheit der G m b H sowie der G m b H & C o K G dar, sondern sind Erscheinungen, die bei allen Gesellschaften, ja Unternehmen, anzutreffen sind 58 . Es erhebt sich deshalb die Frage, was es rechtfertigt, die Sonderregeln, die im Rahmen der G m b H und G m b H & C o K G entstanden sind und vom Gesetzgeber zum Teil festgeschrieben worden sind (§§32 a G m b H G , 172 a H G B ) , nicht auf Kommanditgesellschaften mit einer voll haftenden natürlichen Person als Gesellschafter unmittelbar oder modifiziert zu übertragen. Der angebliche Selbstwiderspruch 59 , der in der Vergabe eigenkapitalersetzender Darlehen liegt, genügt sicherlich nicht, denn niemand kann darauf vertrauen, daß ein Kommanditist in einer Krise statt Darlehen Eigenkapital nachschießt oder Darlehen, die er nicht abzieht, mit vollem 56
57 58 59
B G H , ZIP 1990, 578, 583. K.Schmidt, Gesellschaftsrecht (1986), S.395. Vgl. oben bei Fn. 13. Vgl. Fn.20.
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Verlustrisiko stehenläßt60. Für eine Gleichbehandlung der eigenkapitalersetzenden Darlehen bei allen Gesellschaftsformen spricht vielmehr die Finanzierungsverantwortung der Gesellschafter61, die grundsätzlich auch einen gesetzestypisch beteiligten Kommanditisten trifft. Das Schlagwort „Finanzierungsverantwortung" ist im Licht der Funktionen zu konkretisieren, die die Figur der eigenkapitalersetzenden Darlehen zu erfüllen hat: Ziel der weitgehenden Gleichstellung von eigenkapitalersetzenden Darlehen und echtem Eigenkapital ist es, die Gesellschafter zu veranlassen, in Zeiten, in denen Dritte bei Kenntnis aller Umstände keinen Kredit mehr zu marktüblichen Bedingungen gewähren würden, und die Gesellschaft deshalb liquidiert werden müßte, nur dann Kapital nachzuschießen oder es stehenzulassen, wenn sie bereit sind, das Kapital wie Eigenkapital voll zu riskieren. Die Bereitschaft zum vollen Einsatz fungiert demnach als Prüfstein, an dem sich zeigt, ob wenigstens die Gesellschafter an einen hinreichend erfolgversprechenden Weg aus der Krise glauben. Tun sie dies und bringen sie weiter Eigenkapital ein, so kann man annehmen, daß Alt- und Neugläubiger, die den wahren Stand des Unternehmens nicht so gut kennen, nicht derart gefährdet sind, daß sie durch eine alsbaldige Liquidation des Unternehmens vor einem weiteren Schwund des Gesellschaftsvermögens geschützt werden müßten. Die Figur der Finanzierungsverantwortung knüpft mithin an typische Informationsvorsprünge der Gessellschafter als Insider an62 und an die Möglichkeit der Gesellschafter, das Fortleben der Gesellschaft, den Geldfluß und Unternehmenserfolg zu beeinflussen63. Die Vorstellung von einer Finanzierungsverantwortung orientiert sich mithin an der Korrelation von Herrschaft und Haftung. Außerdem spielt das besondere Vertrauensverhältnis eine Rolle, das Gesellschafter typischerweise miteinander verbindet, weil es dazu beiträgt, daß bei einem sich abzeichnenden Zusammenbruch die Ansprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschaft mit Vorrang vor sonstigen Gläubigern befriedigt werden. Aus dieser Perspektive läßt sich nicht abstreiten, daß auch der gesetzestypisch beteiligte Kommanditist in der Lage ist, den Unternehmenserfolg zu beeinflussen (§164 HGB)64. Ein gesetzestypischer Kommanditist steht außerdem üblicherweise den anderen Gesellschaftern so 60
Zutreffend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht (1986), S. 394. Β G H Z 90, 381, 388; B G H , ZIP 1990, 578, 584; Rümker, ZGR 1988, 494; K.Schmidt Gesellschaftsrecht (1986), S.395. 61 Die Informationsvorsprünge sind nicht allein ausschlaggebend; B G H Z 76, 326, 330. 63 Es bleibt offen, ob die Finanzierungsverantwortung erst ab 10 % Gesellschaftsanteil zu entstehen beginnt. Vgl. Rümker, Z G R 1988, 494, 504. 64 Vgl. Rümker, ZGR 1988, 494, 513 mit anderem dogmatischen Ansatz, der die Schwäche aufweist, daß er dem Geschick der Kautelarjuristen ausgeliefert ist. 61
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nahe, daß er damit rechnen kann, daß seine Forderungen vorrangig aus dem Gesellschaftsvermögen bedient werden. Problematisch ist nur die Antwort auf die Frage, ob ein gesetzestypisch beteiligter Kommanditist auch als typischer Insider qualifiziert werden kann 65 . Stünden einem Kommanditisten nur Informationsmöglichkeiten wie jedem außenstehenden Gläubiger zur Verfügung, so wäre es wertungswidersprüchlich, den Kommanditisten schärfer als etwa ein Kreditinstitut haften zu lassen66. Die Kontrollrechte, die dem Kommanditisten gemäß § 166 H G B zugewiesen sind, sprechen zwar auf den ersten Blick dafür, ihn als Insider einzuordnen. Es muß jedoch auch berücksichtigt werden, daß die Kreditwürdigkeit der KG nicht nur von den Vermögensverhältnissen der KG selbst, sondern auch von den Vermögensverhältnissen des Komplementärs abhängt. Der Kommanditist hat indessen nur in die Vermögensverhältnisse der KG Einblick, nicht aber auch in die des Komplementärs. In Hinblick auf das Privatvermögen des Komplementärs steht der Kommanditist grundsätzlich einem normalen Gläubiger gleich67. Fungiert eine juristische Person als Komplementär, so ist die Situation dort anders, wo die Anteile der juristischen Person bei der KG liegen; denn dann kann der Kommanditist in die Bilanzen der juristischen Person Einblick nehmen. Aber auch in anderen Fällen der Beteiligung einer juristischen Person an der KG vermag der Kommanditist die Entwicklung des Vermögens des Komplementärs aus einer etwaigen gleichzeitigen Beteiligung beim Komplementär oder in gewissem Umfang aus publizierten Bilanzen 68 zu beobachten. Die generalisierende Unterwerfung der Kommanditisten einer KG, die keine natürliche Person als Komplementär aufweist, unter die Regeln des eigenkapitalersetzenden GmbH-Gesellschafterdarlehens 69 steht daher im allgemeinen mit dem Grundsatz im Einklang, daß eine Behandlung der eigenkapitalersetzenden Darlehen als nachrangiges Eigenkapital die ausreichende Information des darlehensgewährenden Gesellschafters über die mangelnde Kreditwürdigkeit der KG voraussetzt 70 . Bei KGs, bei denen eine natürliche Person den Komplementär stellt, läßt sich dagegen nicht typisierend sagen, daß Kommanditisten über den Stand des Komplementärvermögens ausreichend informiert sind. Eine Anwendung der Sonderregeln
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Zweifelnd"//. P. Westermann, FS Fleck (Fn. 1), S.436. Nach BGHZ 76, 326, 330 stellt die Insiderposition freilich keinen ausreichenden Grund für die Sonderbehandlung von Gesellschafterdarlehen dar. 67 Zum Beispiel in Hinblick auf Ausgleichsansprüche bei Liquidation. 68 §§325 ff HGB. " Über den § 172 a HGB hinaus; vgl. BGH, ZIP 1990, 578, 583. 70 Der BGH, ZIP 1990, 578, 583 geht allerdings auf das Informationsproblem nicht ein und postuliert pauschal eine Finanzierungsverantwortung des Kommanditisten. 66
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über eigenkapitalersetzende Darlehen ist deshalb nur gerechtfertigt, wenn im Einzelfall nachgewiesen werden kann, daß der Kommanditist wußte oder wissen mußte, daß der Komplementär nicht - mehr - über ausreichendes Aktivreinvermögen verfügt, um die Kreditwürdigkeit der K G zu sichern. Kann dieser Beweis geführt werden, so müssen die vom Kommanditisten in der Krise gegebenen oder stehengelassenen Darlehen wie Eigenkapital behandelt werden. §32 a GmbHG enthält insoweit einen auch für die gesetzestypische K G maßgeblichen Grundsatz. Ist das Darlehen schon vor Konkurseröffnung an den Kommanditisten zurückgezahlt worden, so stellt sich die Frage, ob auch § 32 a K O oder ob, wie Karsten Schmidt71 vorschlägt, §237 H G B analog anzuwenden ist. Die Analogie zu §237 H G B weist die Schwäche auf, daß der Rückgewähranspruch von einer besonderen Vereinbarung72 der Gesellschafter über die vorzeitige Rückgewähr des eigenkapitalersetzenden Darlehens abhängen würde. Diese Voraussetzung ist bei all den Darlehen nicht erfüllt, die gekündigt werden konnten und fristgerecht gekündigt worden sind. Es ist daher primär eine Analogie zu §32 a K O zu prüfen. Dieser Analogie läßt sich nicht das Argument entgegenhalten, der Kommanditist müsse ja auch bei der Rückgewähr von Vermögenswerten, auf die er keinen Anspruch besitzt oder die aus seiner Pflichteinlage stammen, maximal nur mit einem Wiederaufleben der persönlichen Haftung bis zur Grenze der Haftsumme rechnen73. Dieses Argument ist nämlich nur tragfähig, wenn diejenigen Gründe, die für ein beschränktes Wiederaufleben der Haftung bei der Rückgewähr der Einlage sprechen, auch im Fall der Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen eine Rolle spielen. Derartige Gründe lassen sich bei näherer Untersuchung nicht immer feststellen: Soll zu einem Zeitpunkt, in dem die Gesellschafter zu dem Ergebnis gelangt sind, daß sich ein Niedergang der Gesellschaft aus eigenen Kräften der K G und des Komplementärs nicht mehr aufhalten läßt, ein eigenkapitalersetzendes Darlehen zurückgezahlt werden, so wird der Komplementär trotz seiner unbeschränkt persönlichen Haftung kaum mehr zugunsten des Gesellschaftsvermögens als Bremser fungieren; denn er muß sich sagen, daß er nichts mehr zu verlieren hat. Aus seiner Sicht ist es nämlich gleichgültig, ob er sich den Ansprüchen des Kommanditisten als Fremdkapitalgeber oder bei einer Umqualifikation des Darlehens in nachrangiges Eigenkapital Ansprüchen im Rahmen 71 72 73
K.Schmidt, GmbHRdSch. 1986, 337, 342. Schlegelherger/K.Schmidt, H G B (Fn. 5), §342 (§237 n.F.) Rdn.6. Siehe oben bei Fn. 41.
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der Liquidation bzw. des Konkurses (§§ 161 II, 105 II HGB, 735 BGB) ausgesetzt sieht. Der Kommanditist, an den das, wie er wissen muß, eigenkapitalersetzende Darlehen in der Krise zurückgewährt wird, wird auch nicht immer darauf vertrauen dürfen, daß ihm wirtschaftlich gesehen letztlich ungebundenes Privatvermögen des Komplementärs zufließt. An einer derartigen Vertrauensgrundlage fehlt es, wenn der Kommanditist wissen muß, daß Privatvermögen des Komplementärs, aus dem das Darlehen zurückgezahlt werden könnte, nicht zur Verfügung steht. Unter dieser Voraussetzung steht einer Analogie zu § 32 a K O nichts im Wege. Anders ist die Situation, wenn der Kommanditist annehmen konnte, daß der ihm zurückgezahlte Betrag aus dem Privatvermögen des Komplementärs hätte geleistet werden können. Dann müssen sich die Gläubiger mit der Tatsache abfinden, daß bei der KG kein gesichertes Kapital, vor allem kein gesichertes Privatvermögen des Komplementärs existiert und daß der Komplementär nach dem Recht der KG haftungsunschädlich die Einlage des Kommanditisten aus seinem Privatvermögen zurückzahlen kann 74 . Dieser Umstand steht, wie Karsten Schmidt75 zutreffend herausgearbeitet hat, auch einer Analogie zu den §§30, 31 G m b H G entgegen. Der Schutz der Gläubiger gegen den Abfluß des ungebundenen Komplementär-Privatvermögens kann dann ausschließlich auf die §§ 826 BGB, 30-32 KO, auf das AnfG und eventuell auf eine c. i. c.76 gestützt werden. 4. Stille
Beteiligung
Joost77 und Schön78 haben zu Recht betont, daß die Qualifikation von stillen Einlagen als normales Eigenkapital, wie sie der BGH 7 9 bei gesplitteten Einlagen vornimmt, einen untragbaren Verstoß gegen die Privatautonomie darstellt. Damit soll nicht abgestritten werden, daß unter den Voraussetzungen, unter denen Darlehen als eigenkapitalersetzende Darlehen zu betrachten sind80, stille Einlagen als nachrangiges, aber eben nur als nachrangiges Eigenkapital anzusehen sind. Sie sind nach den hier für die eigenkapitalersetzenden Darlehen entwickelten Regeln zu behandeln81. 74 75 76 77 78 79 80 81
Siehe oben bei Fn. 50. K.Schmidt, AG 1984, 12, 14; GmbHRdSch. 1986, 337, 340. Vgl. Canaris in: Freiheit und Zwang, FS Giger (1989), S.91, 119 ff. Siehe oben Fn .1. Siehe oben bei Fn. 26. Vgl. Fn. 1. Siehe oben bei Fn. 70. Vgl. Joost, ZGR 1987, 370, 399.
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Die von SchönS2 propagierten, darüber hinausgehenden Vorschläge sind dagegen unhaltbar. Schön83 arbeitet mit einer empirisch in keiner Weise abgesicherten Verkehrsauffassung, derzufolge die bekannt gewordene stille Einlage selbst dann als Haftungszusage anzusehen ist, wenn der stille Gesellschafter zugleich offenlegt, daß er am Verlust nicht beteiligt sein will. Auch unter normativen Aspekten ist die These von einer Haftungszusage nur haltbar, wenn man ausschließlich vom gewünschten Ergebnis her denkt. Das Gesetz jedenfalls sieht nicht in jeder offenbarten Beteiligung an einem Unternehmen eine Haftungszusage. Dies gilt nicht nur für die stille Beteiligung am Unternehmen des Einzelkaufmanns 84 , sondern auch für die stille Beteiligung an einer Gesellschaft; denn §1721 HGB stellt aus Gründen der Rechtssicherheit85 klar, daß grundsätzlich nur die im Handelsregister eingetragene Beteiligung eine Art Haftungszusage darstellt. Auf die höhere Pflichteinlage dürfen sich die Gesellschaftsgläubiger nämlich selbst dann nicht berufen, wenn sie ihnen bekannt geworden ist. Dies ergibt sich im Umkehrschluß aus § 172 II HGB, demzufolge den Gläubigern sogar eine im Handelsregister nicht eingetragene Erhöhung der Haftsumme nur dann zugute kommt, wenn sie ihnen gezielt 86 mitgeteilt oder in handelsüblicher Weise bekanntgemacht worden ist. Diese im Interesse der Rechtssicherheit liegende Typisierung würde man aufgeben, wenn man von Fall zu Fall prüfen müßte, ob ein verständiger Gläubiger die Information über eine stille Beteiligung an einer KG als Haftungszusage verstehen darf. Erst recht kann die Offenlegung der Beteiligung nicht zugunsten aller Gläubiger wirken, wenn man gleichzeitig im Rahmen des § 172 II HGB die Ansicht vertritt, daß eine Mitteilung der nicht eingetragenen Erhöhung der Haftsumme nur denjenigen Gläubigern Ansprüche eröffnet, denen die Mitteilung gezielt zugegangen ist87. Auch die Parallele zur Zahlung von Einlagen bei negativem Kapitalkonto 88 vermag nicht zu überzeugen. Wenn der Kommanditist Leistungen, die er zusätzlich ohne Erhöhung der Haftsumme als Einlage erbracht hat, nicht haftungsunschädlich zurückholen darf, nachdem sie mit Verlusten oder Entnahmen auf seinem negativen Kapitalkonto verrechnet worden sind,
Siehe oben bei Fn. 26. Schön, ZGR 1990, 220, 239. 84 So auch Schön, ZGR 1990, 220, 237. 85 Denkschrift (Fn. 2), S.285: Es bedarf, weil die Einlage im Innen- anders als im Außenverhältnis festgesetzt werden könne, einer „für Jedermann kenntlichen Festsetzung, aus der die Höhe der Einlage..." zu entnehmen sei. 86 Staub/Schilling, HGB (Fn.4), §172 Rdn.5 m. Nachw. 87 Allgem. Meinung; Schlegelherger/K.Schmidt, HGB, §§171, 172 Rdn.37 m. Nachw. 88 Siehe oben bei Fn. 29. 82
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so beruht dies zum einen auf seiner Entscheidung, sie als Kommanditeinlage zur Verrechnung zu stellen. Zum anderen kann der Rechtssicherheit wegen89 die Verrechnung nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil sonst rückwirkend festgestellt werden müßte, ob die Auszahlung von Gewinnen haftungsschädlich war und ob Gläubiger einen unmittelbaren Anspruch gegen den Kommanditisten (§§172 IV 2, 1711 HGB) erworben hatten. Ein rückwirkendes Wiederaufleben der unmittelbaren Haftung ist aber wenig sinnvoll. Deshalb ist eine Kommanditeinlage, die mit Verlusten oder Entnahmen verrechnet worden ist, endgültig verbraucht. Von einem derartigen Verbrauch läßt sich bei einer stillen Einlage indessen nur insoweit sprechen, als der Stille eine Verlustbeteiligung zugesagt hatte. Wurde eine vollkommen stille Beteiligung ohne Verlustbeteiligung vereinbart und praktiziert, so besteht kein Anlaß, die Gläubiger nur deshalb besser zu stellen, weil die Einlage von einem Kommanditisten stammt. Es steht dem Kommanditisten grundsätzlich frei zu entscheiden, welches Risiko er übernimmt. Für den nötigen Schutz der Gläubiger sorgen die analog anwendbaren Regeln über die Behandlung eigenkapitalersetzender Darlehen und §237 HGB.
III. Ergebnisse 1. Eine die Haftungssumme übersteigende Einlage kann, soweit sie nicht durch Verluste verbraucht ist, haftungsunschädlich zurückgezahlt werden. 2. Die Haftung aus §§172IV, 1711 H G B lebt auch bei Leistungen, die die Haftsumme übersteigen, nur bis zum Betrag der Haftsumme wieder auf. Das gilt nicht, wenn der Kommanditist erkennen konnte, daß das Privatvermögen des Komplementärs nicht den Abfluß des Gesellschaftsvermögens ausgleicht und der Komplementär dem Abfluß keinen hinreichend starken Widerstand entgegensetzten kann. 3. Eigenkapitalersetzende Darlehen sind im Konkurs der KG als nachrangiges Eigenkapital zu behandeln, wenn der Kommanditist zumindest wissen mußte, daß der Komplementär nicht mehr über ausreichendes Privatvermögen verfügte. §32 a K O ist analog anzuwenden. 4. Stille Einlagen begründen keine Haftungszusage gegenüber den Gläubigern. Sie sind unter den für eigenkapitalersetzende Darlehen geltenden Voraussetzungen wie derartige Darlehen zu behandeln.
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Vgl. BGH; a.A. Priester, BB 1976, 1004, 1007.
Die Europäische Aktiengesellschaft eine wohlgemeinte Utopie? WALTER KOLVENBACH
Eine Beschäftigung mit dem Werdegang der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) muß die Euphorie der ersten Jahre der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EG) in Erinnerung rufen, die zu der akademischen Konzeption führte, daß das Bedürfnis nach einer „Europäischen Gesellschaft" mit fortschreitender Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes und mit zunehmendem Wettbewerb auf den Weltmärkten von Jahr zu Jahr größer werde. Deshalb müsse den Unternehmen des Gemeinsamen Marktes eine Organisationsform angeboten werden, die es ihnen erlaube, ihren Standort innerhalb der Gemeinschaft unabhängig von gesellschaftsrechtlichen Erwägungen nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu wählen. Diese Gesellschaftsform müsse den Marktteilnehmern zum anderen gestatten, ihre Struktur den neuen Verhältnissen anzupassen und Produktion und Vertrieb zu rationalisieren und zu verbessern. Ein geeignetes Instrument dafür sei eine für die Gemeinschaft einheitliche Gesellschaftsform 1 . Eine dem Gemeinsamen Markt angepaßte europäische Gesellschaftsform solle die Gründung und Entwicklung von Unternehmen fördern, die fest in mehreren Mitgliedsstaaten verwurzelt sind. Sie solle neben den Unternehmen, die nach nationalem Gesellschaftsrecht gegründet worden sind, als Optionsmöglichkeit zur Verfügung stehen und ausschließlich einem einheitlichen und in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar anwendbaren Rechtssystem unterworfen sein. Damit werde für diese neue europäische Gesellschaftsform die rechtliche Bindung an ein bestimmtes Land beseitigt 2 . Wenige Vorhaben der Kommission haben die Phantasie der Rechtswissenschaft zu so zahlreichen Stellungnahmen und Anregungen veranlaßt wie das Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft. Die in den sechziger und siebziger Jahren in den damaligen Mitgliedsstaaten der EG 1 Sanders, Vorentwurf eines Statuts für Europäische Aktiengesellschaften, Kollektion Studien Reihe Wettbewerb Nr. 6, 1967, S.5. 2 Hauschild, Das Statut für Europäische Aktiengesellschaften, Revue du Marché Commun, Januar-Februar 1968, S. 321 ff.
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erschienenen zahlreichen Veröffentlichungen zu Einzelfragen dieses im modernen Gesellschaftsrecht einmaligen Vorhabens haben zum Teil Einfluß auf die Beratungen der von der Kommission erarbeiteten Entwürfe im Ministerrat gehabt3. Ende der siebziger Jahre kamen diese Beratungen jedoch zum Stillstand. Die Differenzen zwischen kontinentalem und angelsächsischem Gesellschaftsrecht förderten die Versuchung, das Statut für die SE zu einer Mischung der nationalen Gesetzgebungen zu machen. Wie auch bei anderen Richtlinienvorhaben im Gesellschaftsrecht erwies sich die Arbeitnehmerbeteiligung an der Entscheidungsfindung im Unternehmen als schwer konsensfähig, weil einerseits Gesellschaftsrecht und Unternehmensrecht, andererseits aber auch die Beziehungen der Sozialpartner in einigen Mitgliedsstaaten von sehr verschiedenen Voraussetzungen ausgehen. Die Kommission hat sich jedoch durch die zögerlichen Beratungen im Ministerrat nicht entmutigen lassen, sondern weiterhin die Auffassung vertreten, daß eine SE mit eigenständigem Statut und gemeinschaftsweiter Gültigkeit als Option neben der nach nationalem Recht bestehenden Aktiengesellschaft geeignet und notwendig sei, die Integration des Gemeinsamen Marktes zu fördern. Folgerichtig kündigte das Weißbuch, in dem die zur Vollendung des Binnenmarktes erforderlichen Maßnahmen aufgeführt sind, auch die Vorlage eines geänderten Vorschlages für das Statut einer SE an4. Um die Beratungen erneut zu beleben, legte die Kommission in dem Memorandum vom 15.Juli 19885 bestimmte Grundfragen vor. Als Begründung für die Notwendigkeit der Schaffung einer SE wird, wie auch bei früheren Entwürfen, die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen „durch besondere Rechtsinstrumente" genannt, die vor allem in den Fällen hilfreich wären, in denen ein einzelstaatliches Recht nicht die Möglichkeit bietet, ein gemeinschaftsweites Unternehmen effizient zu führen oder die potentiellen Skaleneffekte zu nutzen. Auf der Basis dieses Memorandums, das an das Parlament, den Rat und die Sozialpartner gerichtet war, präsentierte die Kommission am
3 Die in den damaligen Mitgliedsstaaten der EG erschienenen Arbeiten sind umfassend in Bärmann, Europäische Integration im Gesellschaftsrecht, FIW Schriftenreihe Heft 54, 1970, S. 144 ff und Stein, Harmonization of European Company Laws, National Reform and Transnational Coordination, 1971, S. 424 ff aufgeführt. 4 Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Europäischen Rat - Vollendung des Binnenmarktes - , K O M (85) 310 endg. v. 14.6.1985 = BRDrucks. 289/85. 5 KOM (88) endg. v. 17.7.1988 = Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 2/88 = BR-Drucks. 392/88 v. 17.8.1988; Zusammenfassungen in Kolvenbach, Statut für die Europäische Aktiengesellschaft, DB 1988, S. 1837ff und Wiesner, Europäische Aktiengesellschaft im Meinungsstreit, A G 1989, S.R2.
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25. August 1989 trotz der teilweise kritischen Anmerkungen der Sozialpartner einen Entwurf, der erstaunlicherweise in einen „Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft" und einen „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des SE-Status hinsichtlich der Stellung der Arbeitnehmer" aufgeteilt ist6. Obwohl der neue Entwurf einige der früher geltend gemachten Einwendungen einzelner Mitgliedsstaaten berücksichtigt, wirft er andere Fragen auf, die grundsätzlicher Natur sind, und die nicht nur die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Entscheidungsfindung der SE betreffen. Mit diesem neuen Entwurf (E 89) befaßten sich insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, wobei aus deutscher Sicht naturgemäß die Mitbestimmung eine bedeutsame Rolle spielt7. In anderen Mitgliedsstaaten sind kaum vergleichbare wissenschaftliche Überlegungen zu dem E 89 angestellt worden.
I. Gibt es eine wirtschaftliche Notwendigkeit für die SE? Angesichts der nunmehr über zwanzigjährigen Diskussionen und Beratungen um ein Statut für die SE muß man sich die Frage stellen, ob nicht die ökonomische Bedeutung dieser supranationalen Rechtsform für die europäische Integration überschätzt wird, und ob nicht die wirtschaftliche Entwicklung in der E G die seinerzeit sicherlich vorhan-
6 K O M (89) 268 endg. - SYN 218 u. SYN 219 = Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 5/89. 7 Hauschka, Der Stand der gemeinschaftsrechtlichen Rechtsangleichung im Recht der privaten Wirtschaft drei Jahre vor Vollendung des Binnenmarktes 1992, NJW 1989, S. 3048 ff; Kolvenbach, Statut für die Europäische Aktiengesellschaft (1989), DB 1989, S. 1957ff; Spitzer, L'avant projet de SAE et la société de droit européen - une chance pour les entreprises de la C . E . C . , Gazette du Palais 1989, S. 7; Kallmeyer, Die Europäische Aktiengesellschaft - praktischer Nutzen und Mängel des Statuts, AG 1990, S. 103; Raiser, Führungsstruktur und Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft nach dem Verordnungsvorschlag der Kommission vom 25.8.1989, FS Steindorf 1990, S. 201; Behrens, Das Gesellschaftsrecht im europäischen Binnenmarkt, EuZW 1990, S. 13; Hauschka, Die Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft im Gesellschaftsrecht zwischen Rechtsangleichung und Funktionen allgemeiner Gesetzgebung, ZRP 1990, S. 179; Hauschka, Kontinuität und Wandel im Statut für die Europäische Aktiengesellschaft (SE) 1989, EuZW 1990, S. 181; Jürgens, Die Europäische Aktiengesellschaft nimmt Strukturen an, Betriebsberater 1990, S. 1145; Aheltshauser, Der neue Statutsvorschlag für eine Europäische Aktiengesellschaft, AG 1990, S.209; Lutter, Genügen die vorgeschlagenen Regelungen für eine „Europäische Aktiengesellschaft"?, A G 1990, S. 413 sowie die übrigen dort abgedruckten Berichte über das Symposium des „Zentrum für europäisches Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn" am 18.6.1990; Dreher, Sockellösung statt Optionsmodell für die Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft?, EuZW 1990, S. 476 ff.
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dene Notwendigkeit obsolet gemacht hat. Die Verfasser der bisherigen Entwürfe haben ebenso wie die Kommission bereits in dem Vorwort zu dem Vorentwurf von Professor Sanders die Meinung zum Ausdruck gebracht, das Bedürfnis nach einer derartigen europäischen Gesellschaftsform werde im Zuge der Vollendung des Gemeinsamen Marktes von Jahr zu Jahr größer. Der in Frankreich entstandene Gedanke der Errichtung einer SE ging von der Überlegung aus, daß die großen amerikanischen und japanischen Unternehmen mit ihrer erheblichen Kapitalkraft alles tun würden, um den neu geschaffenen Gemeinsamen Markt für sich zu erobern. Die wesentlich kleineren europäischen Unternehmen hingegen hätten Schwierigkeiten, dieser Finanzkraft und der Forschungsintensität der ausländischen Unternehmen Entsprechendes im Markt entgegenzustellen. Allerdings waren auch damals bereits wirtschaftliche Konzentrationsvorgänge in einzelnen Mitgliedsstaaten festzustellen, aber diese Konzentrationsvorgänge schienen den Befürwortern des Gedankens, eine neue Gesellschaftsform zu errichten, nicht ausreichend, um die Unternehmen in die Lage zu versetzen, im Gemeinsamen Markt Gegenspieler der multinationalen Unternehmen zu werden. Außerdem schufen die Konzentrationsvorgänge, die teilweise von den nationalen Regierungen ermutigt wurden, bestenfalls auf nationaler Ebene, nicht aber auf Gemeinschaftsebene, Unternehmen, die in der Lage waren, den gesamten Gemeinsamen Markt zu durchdringen 8 . Man muß sich daran erinnern, daß in den sechziger Jahren die Tätigkeit insbesondere der amerikanischen multinationalen Unternehmen zu vielfältigen Spannungen und scharfen Reaktionen - auch in Industrienationen - geführt hat, weil eine wachsende ökonomische Abhängigkeit zwischen nationalen Wirtschaftsräumen entstanden war oder befürchtet wurde. Die grenzüberschreitende Tätigkeit internationaler Großunternehmen wurde heftig kritisiert und die Forderung aufgestellt, diese multinationalen Unternehmen und ihre Aktivitäten international zu kontrollieren. Es war die Zeit, in der Servan-Schreiber das Schlagwort von der „defi américain" populär machte. In den Vereinten Nationen wurden Ende der sechziger Jahre Verhaltenskondizes angeregt und ihre Ausarbeitung in Angriff genommen. Auch die Kommission hat in einer Mitteilung an den Ministerrat vom 8. November 1973 darauf aufmerksam gemacht, daß man Zweifel haben müsse, ob die herkömmlichen Maßnahmen der öffentlichen Hand und der Gewerkschaften ausreichen, um diesen Unternehmen einen entsprechenden Grad an
Stein, aaO, S. 428.
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Geschlossenheit oder internationaler Integration entgegensetzen zu können 9 . Während man einerseits juristische Instrumente forderte, um transnational tätige Unternehmen besser kontrollieren zu können, wurde andererseits das Projekt der SE mit dem Argument begründet, es sei notwendig, im Gemeinsamen Markt größere Unternehmen zu haben und effektivere Kooperationen zu ermöglichen, um damit einen Widerpart gegen die großen amerikanischen und japanischen Unternehmen zu schaffen. Das Memorandum erwähnt, wie auch schon der Entwurf 197510 (E 75), vertragliche Partnerschaften auf europäischer Ebene, wie Hoesch-Hoogovens, Agfa-Gevaert, Pirelli-Dunlop und Fokker-VFW, die gescheitert sind, und meint, das Auseinanderfallen dieser Kooperationen sei zwar „zum Teil auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen", hätte aber auch durch einen „verbindlicheren" Vertrag auf der Grundlage eines „geeigneteren" gesetzlichen Rahmens verhindert werden können. Es ist erstaunlich, daß diese wenigen, schon länger zurückliegenden spektakulären Fälle einer gescheiterten Zusammenarbeit seit Jahren in der Diskussion um die SE als Begründung für die Notwendigkeit, eine europaweit einsetzbare neue transnationale Gesellschaftsform zu schaffen, herangezogen werden. Es gibt sicherlich sehr viel mehr Beispiele einer erfolgreichen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit innerhalb des Gemeinsamen Marktes. Zahlreiche Kooperationen mittlerer und großer Unternehmen sind durch entsprechende Vertragskonstruktionen geschaffen worden. Solche Kooperationen werden üblicherweise in Vertragsform vereinbart. Es gilt zunächst, die Ziele der Kooperation und Einzelheiten der Ausgestaltung festzulegen. Erst danach werden derartige Grundsatzvereinbarungen in gesellschaftsrechtliche Strukturen gegossen, soweit dies möglich ist. Einheitliche Entscheidungsstrukturen mit klar definierter Verantwortung und durchdachte Vertragsregelungen gestalten eine transnationale Zusammenarbeit erfolgreich. Dies zeigen auch die ausschließlich nach ManagementErfordernissen erfolgenden Ausgliederungen operationeller Unternehmenseinheiten, die z.B. durch Uberkreuz-Beteiligungen zu einer Art Zwillingsstruktur führen können. Das bekannteste Beispiel ist die Vereinbarung von 1929 zwischen der englischen Lever Brothers Ltd. und 9 Mitteilung der Kommission an den Rat v. 8.11.1973, Die multinationalen Unternehmen und die Gemeinschaft, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 15/1973, S. 7. Zu dem Stand der Arbeiten an den Verhaltenskodizes der Vereinten Nationen siehe Kolvenbach, Verhaltenskodizes für Multinationale Unternehmen: Problem oder Hoffnung?, FS Sölter, 1982, S. 381 ff; den., Neue Rechtsprobleme für Multinationale Unternehmen, FS Benisch, 1989, S. 453 ff. 10 Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 4/1975.
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der niederländischen Ν. V. Margarine Uni, die seither als einheitlich geführtes Unternehmen (UNILEVER) mit einer kohärenten Gruppenstrategie, aber zwei Muttergesellschaften, nämlich einer englischen und einer niederländischen, operieren". In vielen Fällen hat sich erwiesen, daß die vertraglichen Bedingungen einer Zusammenarbeit wichtiger sind als die gesellschaftsrechtliche Struktur. Bedauerlicherweise sind die bisher vorgelegten Vorschläge für die Gründung der SE wenig flexibel und deshalb muß man vermuten, daß auch weiterhin Vertragsregelungen den Vorzug vor einer wie auch immer gestalteten SE haben werden. Und auf einen weiteren Punkt ist hinzuweisen: Die nationale und die EG-weite Konzentration haben seit den ersten Entwürfen für das Statut einer SE erhebliche Fortschritte gemacht. Zahlreiche Zusammenschlüsse auf nationaler Ebene haben zu wirtschaftlich bedeutenden Großunternehmen geführt. Aus nahezu allen Mitgliedsstaaten der EG werden immer wieder Pläne für das Zusammengehen großer Unternehmen, Banken oder Versicherungsgesellschaften gemeldet, die erklärtermaßen das Ziel haben, den EG-Markt gemeinsam effektiver bearbeiten zu können. Man kann also kaum davon ausgehen, daß auch heute noch den in der EG ansässigen Unternehmen die finanziellen Mittel oder die Strukturen fehlen, um ihren Konkurrenten aus den USA und aus Japan in geeigneter Weise entgegentreten zu können. Im Gegenteil: Die Expansionsstrategie europäischer Unternehmen hat zu großen Investitionen, insbesondere in den USA, aber auch in anderen Teilen der Welt geführt; eine Entwicklung, die bereits besonders in den USA stark kritisiert wird. Die Tätigkeitsberichte der Kommission der Europäischen Gemeinschaften und des Bundeskartellamtes zeigen ein deutliches Ansteigen der Unternehmenszusammenschlüsse, deren Ziel im allgemeinen ist, die Marktstellung der beteiligten Unternehmen zu festigen, neue Märkte zu erschließen oder ihre Produktpalette zu erweitern. Der Anstieg der Unternehmenszusammenschlüsse in der Gemeinschaft von 575 im Jahre 1984 auf 1159 im Jahre 198812 zeigt, daß die Unternehmen auch ohne das Rechtsinstrument der SE Möglichkeiten gefunden haben, um sich hinsichtlich ihrer Marktposition und ihrer Finanzstärke auf die Vollendung des Binnenmarktes vorzubereiten. Die Bestrebungen der Kommission, die Artikel 85 und 86 der Römischen Verträge zu einem europaweit geltenden Kartellrecht auszubauen, sollen Unternehmensgröße und Marktmacht in Grenzen halten. Die SE soll hingegen den Aufbau von Marktmacht durch Kooperation fördern.
» Wilson, The History of Unilever, Vol. II, London 1954, S. 370 ff. 12 Kartte, Doping for Giganten, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.4.1989, S. 15.
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Dies ist ein Widerspruch in sich. Es ist sicher nicht übertrieben, wenn auf die große Zahl von Kooperationen innerhalb der E G , aber auch mit Firmen in Drittländern verwiesen wird. Dies wird mit der Öffnung neuer Märkte im Osten Europas zweifellos noch zunehmen. U n d ein weiterer Widerspruch liegt in der Feststellung, daß mit der S E eine Rechtsform gefunden werden soll, die es den Unternehmen im Gemeinsamen Markt ermöglicht, „beträchtliche Vermögenswerte zu konzentrieren, um mit amerikanischen und japanischen Unternehmen in Konkurrenz" treten zu können. Ein Blick auf die von verschiedenen amerikanischen Publikationen veröffentlichten Ranglisten der Weltunternehmen nach Größe und Bedeutung läßt erkennen, daß europäische Unternehmen dieses Ziel in vielen Fällen bereits erreicht haben und daß die Konkurrenz, insbesondere im amerikanischen Heimatmarkt für amerikanische Unternehmen, deutlich spürbar geworden ist. Eine weitere Entwicklung darf nicht außer acht gelassen werden: Ausgehend von den U S A haben transnational tätige Großunternehmen in den ausgehenden siebziger und beginnenden achtziger Jahren ihre Unternehmensstruktur in Divisionen und Unternehmensbereiche gegliedert, die grenzüberschreitend tätig sind und im allgemeinen produktorientiert arbeiten, um die Weltmärkte besser bearbeiten zu können. Die juristischen Strukturen werden in die jeweiligen Organisationseinheiten einbezogen, sie spielen für die Unternehmensführung nur noch eine untergeordnete Rolle. Insbesondere Unternehmen mit mehreren großen Produktgruppen haben die Einflußnahme der Unternehmensbereiche auf alle in der Welt bestehenden Tochtergesellschaften ausgedehnt, so daß die Anweisungen der Führungseinheiten in der Zentrale im allgemeinen direkt an die nachgeordneten operativen Einheiten der Unternehmensbereiche und nur noch in seltenen Fällen an die juristische Person „Tochtergesellschaft" gehen. Diese organisatorische Matrixstruktur hat mit dazu beigetragen, daß transnational tätige Unternehmen schon seit geraumer Zeit weder europäisch noch amerikanisch noch japanisch, sondern ganz einfach weltweit denken und operieren. Man sollte das Projekt der S E nicht nur im juristischen und sozialen Rahmen - wie es die Kommission tut - , sondern auch unter wirtschaftlichen Aspekten sehen. Obwohl die Kommission in den Vorworten zu ihren Entwürfen mehrfach auf die Notwendigkeit dieser supranationalen Rechtsform zur besseren Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes hingewiesen hat, läßt auch der E 89 nicht erkennen, daß er unter dem Primat des wirtschaftlichen Willens geschaffen worden ist. Man hat diesen Entwurf ebenso wie die früheren Entwürfe mit gesellschaftsrechtlichen und sozialrechtlichen Regelungen belastet, die im Grunde genommen in der Fünften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie und in den Vorschriften über die Information der Arbeitnehmer geregelt werden
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müßten. Die Fünfte Richtlinie über die Struktur der Aktiengesellschaft soll den Schutz von Gesellschaftern und Dritten gleichwertig gestalten und für konkurrierende Aktiengesellschaften gleichwertige rechtliche Bedingungen schaffen. Die SE macht diese Koordinierung der nationalen Gesellschaftsrechte nicht überflüssig und es wäre wünschenswert, wenn die Mitgliedsstaaten sich endlich bereit finden könnten, die Fünfte Richtlinie voranzutreiben, um damit auch für die SE eine gewisse Entlastung zu schaffen. Anders ist es mit dem Vorschlag für eine Zehnte Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Aktiengesellschaften. Hier bietet die SE diejenigen Möglichkeiten, die von der Zehnten Richtlinie geschaffen werden sollten, so daß bei Verabschiedung des Statuts die Zehnte Richtlinie überflüssig werden würde.
II. Schafft das Statut ein einheitliches Recht für die SE? Die Idealvorstellung eines in sich geschlossenen Rechtssystems als Grundlage der Tätigkeit einer von nationalen Rechten unabhängigen, grenzüberschreitend arbeitenden Unternehmensform in Europa veranlaßten schon 1952 den Europarat und die Internationale Handelskammer, Projekte für europäische Gesellschaften vorzulegen 13 . Auf dem französischen Notarkongreß 1959 wurde der Gedanke erneut aufgegriffen, weil man glaubte, auf diesem Wege, nämlich über die Erfahrungen mit einer europäischen Gesellschaft und der damit verbundenen Rechtsprechung eines internationalen Schiedsgerichts, einer Angleichung des europäischen Gesellschaftsrechtes näherzukommen. Ansätze für Gemeinschaftsunternehmen dieser Art bot der EuratomVertrag, der solche Gemeinschaftsunternehmen für die Atomindustrie vorsieht 14 . Der Kommissionsentwurf von 1970 erwähnt psychologische Schwierigkeiten als Hindernis für grenzüberschreitende Aktivitäten, die durch die Einführung eines einheitlichen Rechtssystems für die gesamte Gemeinschaft überwunden werden könnten. Deshalb solle eine Möglichkeit geschaffen werden, neben Gesellschaften des „einzelstaatlichen Rechts solche zu gründen, die ausschließlich einem einheitlichen und in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar anwendbaren Recht unterworfen seien". Vorteile der Einheitlichkeit seien, daß sämtliche Vorschriften über Gründung, Struktur, Arbeitsweise und Liquidität der SE von der Anwendung der einzelstaatlichen Rechte ausgenommen werden und deshalb müsse ein Statut für die SE ein „vollständiges System von
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Bärmann, aaO, S. 18 ff. Einzelheiten siehe Stein, a a O , S. 471 ff.
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Normativbestimmungen" enthalten. Die Aufsicht über diese Gesellschaften solle einem zentralen Register und einem einheitlichen europäischen Gerichtshof obliegen. Auch der E 75 spricht davon, daß die beschränkte Reichweite der nationalen Rechtsordnungen ein Instrument für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit notwendig mache. Der E 89 führt diese Argumentation mit der Behauptung fort, „der rechtliche Rahmen, in dem sich die europäischen Unternehmen noch immer bewegen müssen, und der gänzlich von innerstaatlichem Recht bestimmt wird, entspreche nicht mehr dem wirtschaftlichen Rahmen, in dem sie sich entfalten sollen". Zusammenschlüsse zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedsstaaten würden dadurch erheblich behindert. Die juristische Einheitlichkeit der europäischen Unternehmen müsse ihrer wirtschaftlichen weitestgehend entsprechen. Der Entwurf für die Verordnung über das Statut der SE füge sich nahtlos in die innerstaatlichen Rechtsordnungen ein und trage so zu deren Angleichung bei. Man muß nicht die Unternehmensmitbestimmung heranziehen, um festzustellen, daß diese Aussagen wohl in erster Linie dazu dienen sollen, Mitgliedsstaaten, die bisher die Verabschiedung einer derartigen Regelung verhindert haben, geneigter zu machen. Diejenigen Artikel des Entwurfes, die man als „gesellschaftsrechtliche" Bestimmungen bezeichnen kann, verweisen in nahezu jeder für eine Gesellschaftsform wichtigen Regelung auf nationales Recht, zumindest bei Fragen, die nicht bereits in einer der schon verabschiedeten gesellschaftsrechtlichen Richtlinien geregelt worden sind. Im Gegensatz dazu stellte der E 75 ein in sich geschlossenes Rechtssystem dar, das den Grundgedanken einer von nationalen Rechten unabhängigen Organisationsform für grenzüberschreitend tätige Unternehmen in der EG entsprach. Bedauerlicherweise war dieser Entwurf politisch nicht durchsetzbar. Deshalb ist der ursprüngliche Gedanke eines einheitlichen Rechtssystems immer stärker verwässert worden und es ist zu befürchten, daß bis zur eventuellen Annahme eines Statuts für die SE noch weitere Abschwächungen durch Verweisung auf nationales Recht eintreten werden. Naturgemäß leidet darunter auch die Präzision, denn der große Wurf eines völlig neu geschaffenen gesellschaftsrechtlichen Systems würde auch eine klare und neue Terminologie erforderlich machen, die eine einheitliche Auslegung gestattet. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hat in seiner Stellungnahme 15 darauf hingewiesen, daß die „hochgestellten Erwartungen" an das 15 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Memorandum der Kommission „Binnenmarkt und industrielle Zusammenarbeit - Statut f ü r die Europäische Aktiengesellschaft - vom 2 4 . 1 1 . 1 9 8 8 (CES 1233/88).
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SE-Statut nur dann erfüllt werden können, „wenn es praxistauglich ausgestattet ist. Notwendig ist vor allem, mit dem SE-Statut ein möglichst einheitliches und von nationalem Recht unabhängiges Gesellschaftsrecht zu schaffen". Der Ausschuß hat akzeptiert, daß bei verschiedenen Regelungskomplexen auf Lösungsvorschläge zurückgegriffen werden muß, für die die Mitgliedsstaaten bereits in den gesellschaftsrechtlichen Harmonisierungsrichtlinien Lösungen gefunden haben. Im Hinblick darauf, daß viele dieser Richtlinien bereits in nationales Recht überführt worden sind, würden abweichende Lösungen im SE-Statut zu unerwünschten Ungleichbehandlungen zwischen nationalen Gesellschaftsformen und der SE führen. Neben der Verweisung auf nationales Recht hat sich der E 89 in anderen Einzelheiten verständlicherweise an die Regelungen über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) angelehnt, weil auch hier bereits Kompromißlösungen von den Mitgliedsstaaten akzeptiert worden sind. Die Kommission rechtfertigt die Verweisung auf nationales Recht damit, daß mit fortschreitender Harmonisierung des Gesellschaftsrechts ohnehin nationale Elemente einheitlichen Rechtsgedanken weichen müßten, so daß eine Verweisung zu rechtfertigen sei. Diese Überlegungen lassen jedoch außer acht, daß auch die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien in den meisten Fällen eine Reihe von Optionen enthalten, so daß schon ihre Umsetzung in nationales Recht zu einer erheblichen Vielfalt der legislativen Ausformung geführt hat. Auch die Union des Confédérations de l'industrie et des Employeurs d'Europe (UNICE) hat in ihrer Stellungnahme zum Memorandum für die SE ein Maximum an Unabhängigkeit von nationalen Rechten gefordert. Sonst werde man nicht ein Statut, sondern zwölf Statute für die SE und weitere voneinander abweichende Optionsmöglichkeiten schaffen 16 . Besondere Schwierigkeiten wird die Auslegung des Statutes machen. Artikel 7 des E 89 schreibt die Rangfolge der für die Auslegung des Statuts maßgeblichen Rechtsordnungen vor. Danach sind nicht ausdrücklich geregelte Fragen „nach den allgemeinen Grundsätzen, auf denen das Statut beruht, und wenn diese allgemeinen Grundsätze keine Lösung aufzeigen, nach dem Recht des Sitzstaates auszulegen. In denjenigen Fällen, in denen die Verordnung keine Regeln vorsieht, gelten das Gemeinschaftsrecht und das Recht des Sitzstaates".
16 U N I C E Position vom 7.11.1988. Diese Stellungnahme berücksichtigt die gemeinsame Stellungnahme der Spitzenverbände der Deutschen Wirtschaft vom 30.9.1988.
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Man muß darauf hinweisen, daß das Gesellschaftsrecht der Gemeinschaft auf vielen Gebieten bisher nicht harmonisiert ist, ζ. B. Insolvenzrecht, Sozialrecht, Arbeitsrecht, Steuerrecht, Wettbewerbsrecht, gewerblichen Rechtsschutz und Konzernrecht. Wenn die Kommission nicht die Absicht hat, Vorschläge für alle Gebiete des Gesellschaftsrechts, die noch nicht koordiniert sind, vorzulegen und dafür zu sorgen, daß diese Vorschläge auch bis zum Inkrafttreten des Statuts verabschiedet werden, wird die SE Regeln unterworfen sein, die materiell je nach dem Land ihres Sitzes sehr voneinander abweichen können. Damit könnten ζ. B. die Rechte der Gläubiger geschmälert werden. Wenn hingegen das Statut als Gemeinschaftsrecht anzusehen wäre, so wäre für die Auslegung und die Ausfüllung von Lücken der Europäische Gerichtshof zuständig und damit bestünde die Möglichkeit, auf Dauer neues einheitliches Gemeinschaftsrecht zu schaffen. Bei dem Nebeneinander von nationalen Gesellschaftsrechtssystemen und SE-Statut ist der Gesetzgeber in einem Dilemma. Je mehr einheitliche Regelung, um so umfangreicher wird das Statut, um so größer werden möglicherweise die Unterschiede zu dem für konkurrierende Gesellschaften geltenden nationalen Recht. Je mehr Verweisungen, um so weniger verdient die SE das Prädikat europäisch, um so unübersichtlicher wird sie für den Rechtsverkehr. Und man muß mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß bei dem jetzigen Stand der Überlegungen die SE trotz ihrer Ziele und ihres Namens nur teilweise eine europäische Gesellschaftsordnung ist. Sie wird, wie bereits ausgeführt, nicht ausschließlich nach Gemeinschaftsrecht, sondern in wesentlichen Punkten nach dem nationalen Recht des Sitzstaates gegründet und geführt. Auch wenn die Wirtschaft das Prinzip einer europäischen Ordnung der unternehmerischen Tätigkeit stets begrüßt hat, so ist die SE keineswegs unverzichtbar. Man kann sich bei den Äußerungen der Wirtschaft zu den verschiedenen Entwürfen des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich dabei um Lippenbekenntnisse handelt. Die transnationalen Unternehmen haben sich inzwischen auch auf andere Weise so organisiert, daß ihre Geschäftstätigkeiten unabhängig von juristischen Strukturen hinreichend effektiv geführt werden können17.
III. Gleichwertigkeit der Mitbestimmungsoptionen? Die Kommission ist offensichtlich entschlossen, die SE als eine Art „Eisbrecher" für die bisher nicht gelösten Fragen der Unternehmensmit-
17 Hauschka, Entwicklungslinien und Integrationsfragen der gesellschaftsrechtlichen Akttypen des Europäischen Gemeinschaftsrechts, AG 1990, S. 85 ff (94).
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bestimmung zu benutzen. Eine Verabschiedung des Statuts würde auch die Beratungen über die Fünfte Richtlinie, die wegen der Arbeitnehmermitbestimmung nicht vorankommen, wieder in Gang setzen können. Um die von ihrer Wirksamkeit her unterschiedlichen in dem Entwurf erwähnten Mitbestimmungsoptionen zu erklären, weist die Kommission in den Erwägungsgründen darauf hin, daß die Stellung der Arbeitnehmer in der SE wegen der in den Mitgliedsstaaten bestehenden Vielfalt an gesetzlichen und gewohnheitsrechtlichen Regelungen nicht vereinheitlicht werden kann. Sie müßten aber koordiniert werden, um sicherzustellen, daß jeder Mitgliedsstaat gleichwertige Regelungen habe und diese Koordination werde mit den Mitbestimmungsmodellen, aus denen die Mitgliedsstaaten wählen können, erreicht. Man sollte in diesem Zusammenhang zunächst bedenken, daß die deutsche Bezeichnung „Mitbestimmung" für andere Staaten irreführend sein kann. Es wäre besser, von einer „Beteiligung der Arbeitnehmer am Entscheidungsprozeß" zu sprechen. Außerdem ist die Mitwirkung der Arbeitnehmer in einigen Mitgliedsstaaten nicht auf die Mitwirkung im Leitungsorgan beschränkt, sondern die Mitwirkung am Arbeitsplatz durch Betriebsräte und ähnliche Vertretungen der Arbeitnehmer ist von großer Bedeutung. Ganz offensichtlich weist die „Mitbestimmungsintensität" der in dem E 89 angebotenen Optionen erhebliche Unterschiede auf. Schon die den Mitgliedsstaaten eingeräumte Möglichkeit, das anzuwendende Mitbestimmungssystem für die in ihrem Staatsgebiet ansässigen SE auf ein bestimmtes Modell zu beschränken, wird dazu führen, daß die bereits praktizierten Systeme, die erhebliche Unterschiede aufweisen, in dem Sitzstaat auch weiterhin das allein zulässige Modell bleiben werden. Neben dem sogenannten deutschen und niederländischen Modell sind offensichtlich das französische Modell (das man auch als BetriebsratsModell bezeichnen kann) und die tarifvertragliche Regelung (schwedisches Modell) als Optionsmöglichkeiten offensichtlich nur vorgeschlagen worden, um einzelnen Mitgliedsstaaten die Zustimmung zu der Gesamtregelung zu erleichtern. In dem ersten Modell haben die Arbeitnehmer oder ihre gewählten Vertreter wirkliche Mitwirkungsmöglichkeiten und einen Platz in der Managementstruktur. In den Modellen zwei und drei hingegen werden sie im allgemeinen nur informiert. Man hat den Eindruck, daß das deutsche Modell der Mitbestimmung auf der einen extremen Seite, das niederländische in der Mitte und die englischen Einwände auf der anderen Seite zufriedengestellt werden sollten, um damit eine Einigung über irgendeine Form eines SE-Statuts mit Arbeitnehmerbeteiligung zu ermöglichen. Aber selbst die in dem Entwurf aufgeführten Modelle sind nicht klar definiert, man kann z . B . nicht von einem einheitlichen deutschen
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Modell sprechen, denn es gibt mehrere Varianten. Bestimmte Schwellen entscheiden je nach Zahl der Arbeitnehmer des Unternehmens über die Anwendbarkeit eines bestimmten Modells. Deshalb ist es unerläßlich, entsprechende Kategorien in die Richtlinie einzufügen. Bei den zustimmungspflichtigen Geschäften, die Artikel 72 in sehr unvollkommener Weise in dem Entwurf aufführt, ist eine Anhörung der Arbeitnehmer geplant, die aber keine Gleichwertigkeit mit dem deutschen und niederländischen Modell beanspruchen kann. Im Gegenteil: es besteht sogar die Gefahr, daß die Arbeitnehmer gegenüber den Aktionären einen Informationsvorsprung erlangen. Man muß befürchten, daß andere Mitgliedsstaaten sich nur sehr schwer an die in der Bundesrepublik Deutschland übliche Vermischung von Gesellschaftsrecht und Mitbestimmungsrecht gewöhnen werden. Noch schwieriger ist die Definition des dritten Modells, das von der Konfrontation zwischen einem Board oder Verwaltungsrat, der alle Ansprüche auf Mitwirkung abwehrt, und einer Arbeitnehmervertretung, die ständig die Rechte der Arbeitnehmer durchsetzen will, ausgeht. Ergebnisse von Tarifverhandlungen finden häufig auf einer von dem Arbeitnehmer weit entfernten Ebene statt und resultieren in sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Sie dürfen nicht Ausgangspunkt für Gemeinschaftsregelungen sein und ihre Interpretation kann angesichts der Behandlung des Tarifrechts in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich sein18. Die Kommission sollte versuchen, eine Regelung zu finden, bei der beide Seiten, ohne ihre eigenen Rollen und Verantwortungen aufzugeben, miteinander regelmäßig Kontakt haben, um durch derartige Kontakte die Interessen der SE als Ganzes zu fördern. Die Wahl der Arbeitnehmervertreter ist einheitlich für alle Modelle geregelt. Alle Arbeitnehmer müssen an diesen Wahlen, die in Ubereinstimmung mit den Gesetzen und Praktiken der Mitgliedsstaaten abzuhalten sind, teilnehmen können19. Man kann wohl davon ausgehen, daß die Wahlen geheim sein müssen und daß die Stimmen unparteiisch auszuzählen sind, gleichgültig, was die Gesetze der Mitgliedsstaaten darüber sagen. Der Entwurf für die Fünfte Richtlinie sah in Artikel 41 Einzelheiten für die Abhaltung derartiger Wahlen vor, nämlich proportionale Vertretung, geheime Abstimmung, Qualifikation der Kandidaten usw. Es wird schwierig sein, ähnliche Bestimmungen in das SE-Statut aufzunehmen. Deshalb dürfte es sinnvoll sein, solche Einzelheiten unab-
18 Adinolfi, The Implementation of Social Policy Directives through Collective Agreements?, CMLR 1988, S.91ff. 19 Die in Europa bestehenden gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen für Arbeitnehmer-Vertretungen sind in Kolvenbach-Hanau, Handbook on European Employee Co-Management, Kluwer 1987, mit Ergänzungen, abgedruckt.
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hängig von den Gesetzen der Mitgliedsstaaten auszubauen und zu ergänzen und ggf. bei der Fünften Richtlinie die Mitbestimmung auszuklammern, um so die Verabschiedung dieser grundlegenden Regelungen zu ermöglichen. Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Mitbestimmungsmodelle immer unterschiedlich sein werden und daß es fast keinen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt. Deshalb muß auf das Prinzip der Subsidiarität zurückgegriffen werden, ohne allerdings wohlerworbene Rechte zu tangieren. Keine leichte Aufgabe! Und ein weiterer Punkt ist zu beachten: Die Formulierungen müssen klar und eindeutig sein. Der E 89 sagt, daß die Arbeitnehmer an der Überwachung und Entwicklung der Strategien der SE teilhaben sollen. Man muß sich fragen, ob diese Formulierung als Erweiterung der Rolle der Arbeitnehmervertreter über ihre traditionelle Funktion hinaus interpretiert werden muß, nämlich die Aufgabe informiert und konsultiert zu werden. Derartige Rechte haben zur Zeit die Arbeitnehmer in den nationalen Rechten einiger Mitgliedsstaaten wie z.B. Frankreich. Soll damit klargestellt werden, daß es keine Einmischung der Arbeitnehmervertreter in die tägliche Geschäftsführung des Unternehmens gibt, die der Direktion vorbehalten ist? Wenn dies so ist, muß dies deutlicher gesagt werden. Gerade angesichts der Schwierigkeiten bei der Mitbestimmung muß die Kommission größten Wert darauf legen, diese Bestimmungen klar und deutlich zu formulieren, um zu vermeiden, daß der Entwurf und eine spätere praktische Auslegung an diesen Regelungen scheitert20.
IV. Der Betriebsrat der SE Der E 75 enthielt ausführliche Bestimmungen für die Wahl und die Aufgaben eines europäischen Betriebsrats (EBR). Die Verfasser dieses Entwurfs gingen von der richtigen Überlegung aus, daß eine Arbeitnehmerbeteiligung in Leitungsgremien der SE ohne den Unterbau eines EBR wie ein Hausdach ohne Fundament ist. Der EBR ist die unerläßliche Voraussetzung für die Aufstellung der Kandidaten, die Durchführung der Wahlen und den Informationsfluß zwischen Belegschaft und den Aufsichts- oder Verwaltungsratsvertretern. Artikel 10 des E 89 sieht zwar auch Vertretungen der Arbeitnehmer in den einzelnen Betrieben 20
Schon in der Vergangenheit hat die Kommission mit ihren Versuchen, Regelungen für bestimmte Gebiete der Arbeitnehmerbeteiligung zu schaffen, wenig Erfolg gehabt. Siehe dazu die ausführliche Darstellung von Pipkorn, Employee Participation and Public Regulation in Corporate Groups in the EC, Sugarman/Teubner (Ed.), Regulating Corporate Groups in Europe, 1990, S. 457 ff.
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der SE vor, deren Status und Pflichten richten sich aber nach den Gesetzen und Praktiken der Mitgliedsstaaten. Man kann wohl behaupten, daß es in Anbetracht der vielfältigen Ausgestaltung der Arbeitnehmervertretung in den Betrieben der Mitgliedsstaaten keine Äquivalenz ihrer Rechte und Pflichten gibt. Dadurch werden verwirrende Situationen entstehen, wenn sich Repräsentanten der einzelnen Betriebe in der Zentrale treffen21. Zusammenkünfte des EBR, die je nach Herkunft der Mitglieder unterschiedlichen Rechtssystemen unterworfen sind, dürften kaum praktikabel sein. Erschwerend kommt hinzu, daß in einigen Mitgliedsstaaten Tarifverträge juristisch bindend sind und in anderen nicht. Das Europäische Parlament (EP) hat schon bei den früheren Entwürfen die Einrichtung eines EBR gefordert, der mit den nationalen Gewerkschaften tariffähig sein müßte. Das Nebeneinander eines eventuellen EBR mit nationalen Betriebsräten bedürfte allerdings einer Regelung. Daß gerade transnational tätige Unternehmen und ihre Arbeitnehmervertretungen ein Kommunikationsproblem haben, zeigen die in jüngster Zeit zwischen Industrieverbänden oder Großunternehmen einerseits und Gewerkschaften andererseits ausgetauschten Absichtserklärungen oder Vereinbarungen über eine Intensivierung und Internationalisierung des Informationsflusses. Es wäre wünschenswert, wenn dieses Problem bei der endgültigen Fassung des Statut der SE berücksichtigt würde. V. Schlußbemerkungen Das Statut für die SE soll den Unternehmen eine Option neben der nationalen Gesetzgebung bieten, um zwischen Unternehmen oder Unternehmensgruppen aus verschiedenen Mitgliedsstaaten Kooperationen zu erleichtern. Die Kommission ist sich bewußt, daß, um attraktiv zu sein, das Statut bestimmte Vorzüge aufweisen muß, die eine Alternative zu der derzeitigen Situation darstellen. Um Kooperationen zu ermöglichen, gründen Unternehmen mit Sitz in verschiedenen Mitgliedsstaaten zur Zeit im allgemeinen eine gemeinsame Holdinggesellschaft. Dieser Vorgang kann ohne Zweifel verbessert werden, wenn eine SE zwischen Firmen, die ihren Sitz in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten 21 Birk, Europäische Aktiengesellschaft und nationales Betriebsverfassungsrecht, Z f A , S . 4 7 f f . Zu den bereits jetzte auftretenden betriebsverfassungsrechtlichen Problemen siehe Gaul, Betriebsverfassungsrechtliche Aspekte einer Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland, B B 1990, S. 697 ff. Auf die Schwierigkeiten, die sich bei der Schaffung eines einheitlichen europäischen Arbeitsrechts ergeben, hat Däubler in Arbeitsrecht und Auslandsbeziehungen, Arbeit und Recht 1990, S. 1 ff und in seiner Untersuchung Grenzüberschreitende Fusion und Arbeitsrecht, D B 1988, S. 1850 ff hingewiesen.
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haben, geschaffen werden kann. Es gibt aber auch Grenzen für die von der Kommission angestrebten Vorteile: die Nichtdiskriminierung anderer Unternehmen, die eine transnationale Aktivität ausüben. Etwaige Steuervorteile der SE müssen auch allen anderen juristischen Personen eingeräumt werden. Man kann sich deshalb fragen, ob im Endergebnis das Statut einer S E kein anderes Privileg gewährt als dasjenige, in seiner Struktur zumindest zum Teil gemeinschaftsrechtlich zu sein. Gründergesellschaften können nur Unternehmen sein, „die nach dem Recht eines Mitgliedsstaates errichtet sind und die ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft" haben. Damit sind Unternehmen aus Drittstaaten ausgeschlossen. Ein Unternehmen eines Drittstaates, ζ. B. eine amerikanische oder japanische Gesellschaft, kann sich nicht mit einem Unternehmen eines Mitgliedsstaates, z . B . einer britischen Gesellschaft, zusammentun, um eine S E zu gründen. Damit soll verhindert werden, daß Unternehmen aus Drittstaaten sich der Rechtsform SE als Instrument zur Durchdringung des europäischen Marktes bedienen. Unternehmen aus Drittstaaten werden also diskriminiert und man kann damit rechnen, daß eine gewisse Reziprozität in der Behandlung von Unternehmen der E G nicht lange auf sich warten läßt. Bei umgekehrten Situationen haben die Mitgliedsstaaten bisher immer heftige Vorwürfe an Drittstaaten wie Japan und die U S A gerichtet, außerdem wird es sicherlich in Kürze Umgehungsmöglichkeiten für diese Bestimmung geben. Bedauerlich ist, daß zur Gründung einer S E immer zwei Unternehmen aus zwei verschiedenen Mitgliedsstaaten notwendig sind. Es wäre wünschenswert, wenn auch nationale Gesellschaften sich in eine SE umwandeln könnten. Damit wäre insbesondere den schon bestehenden Aktiengesellschaften, die zur Durchführung transnationaler Kooperationen gegründet wurden, die Umwandlung in eine SE ermöglicht. Außerdem würde dem europäischen Gedanken in der Wirtschaft ein zusätzliches gesellschaftsrechtliches Instrument zur Verfügung gestellt. Man muß immer wieder daran erinnern, daß die Unternehmen hauptsächlicher Motor der wirtschaftlichen und finanziellen Integration der E G sind. Wenn die Kommission meint, daß das wirtschaftliche Europa immer noch einen großen Vorsprung vor dem politischen, sozialen und kulturellen Europa habe, so muß man fragen, warum man daraus für das Statut der S E nicht die Konsequenzen zieht. Die sozialen Vorschriften werden ein Hindernis für die SE sein (und sie sind es hinsichtlich der Verabschiedung schon in der Vergangenheit gewesen) und sie werden außerdem, wenn das Statut wirklich einmal verabschiedet sein sollte, seine praktische Anwendung wenig wahrscheinlich machen. Mitgliedsstaaten, die ausgeprägte und historisch gewachsene Systeme der Arbeitnehmerbeteiligung haben, wollen in ihren nationalen Unternehmen diese
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Systeme auch weiterhin praktizieren. O b eine SE, die die freie Wahl zwischen ihren Standorten in den verschiedenen Mitgliedsstaaten hat, ein besonders mitbestimmungsfreundliches Mitgliedsland auswählt, erscheint fraglich. Bei den langjährigen Beratungen des Statuts für eine SE haben EP, WSA und die Kommission Flexibilität und das Bestreben erkennen lassen, durch Kompromißvorschläge dieses von seiner Konzeption her große gesellschaftsrechtliche Projekt zum Erfolg zu führen. Es bleibt zu hoffen, daß auch der Rat sich diese Flexibilität zu eigen macht, um eine für die Wirtschaft und Arbeitnehmer akzeptable Unternehmensform zu schaffen, die für das europäische Gesellschaftsrecht ein großer Fortschritt sein würde.
Haftungstrennung und Gläubigerschutz im Recht der Kapitalgesellschaften - Zur Kritik der „Autokran"-Doktrin des Bundesgerichtshofes -
FRIEDRICH
KÜBLER
I. Rechtsänderung durch Richterspruch: Sachverhalte, Normen und offene Fragen Die voraussetzungsvolle Einrichtung der Kapitalgesellschaft hat sich längst zu einem unverzichtbaren Funktionselement hochkomplexer Gesellschaftsordnungen entwickelt: sie ist die bei weitem wichtigste Organisationsform privaten Wirtschaftens. Dieser Erfolg hat viele Gründe; besonders wichtig ist die durchgängig anzutreffende, wenn auch in den maßgeblichen Gesetzen unterschiedlich ausformulierte Regel, daß für die aus der unternehmerischen Tätigkeit entstehenden Verbindlichkeiten allein das Gesellschaftsvermögen haften soll; derartige Bestimmungen ermöglichen es den Gesellschaftern, ihren Kapitaleinsatz planmäßig zu limitieren und ihr übriges - privates oder unternehmerisches - Vermögen dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger zu entziehen. Dieser Grundsatz der Haftungstrennung oder -separation, das Trennungsprinzip, ist offensichtlich nicht am Reißbrett planender Rechtsund Wirtschaftspolitik entworfen worden, sondern als pragmatische Antwort auf praktische Bedürfnisse entstanden1; die - in vielen Details kontroverse — sachliche Legitimation ist erst sehr viel später nachgeliefert worden2. Zugleich hat sich gezeigt, daß der Grundsatz der Haftungstrennung nicht unbegrenzt gelten kann: er wird durch zahlreiche teils kodifizierte und teils ungeschriebene - Regeln beschränkt. Die operationale, d. h. für die Praxis brauchbare, Aufbereitung dieser Erfahrung hat der Rechtswissenschaft bis heute fortbestehende Schwierigkeiten bereitet; sie werden durch den vorherrschenden Gebrauch bildhafter
1 Dazu etwa Henning, Grundlinien der wirtschaftswissenschaftlichen Meinungen zum Problem der Haftungsbeschränkung, in Coing/Wilhelm (Hrsg.), Zur Verselbständigung des Vermögens gegenüber der Person im Privatrecht, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19.Jahrhundert B d . V I (1982) 52ff; Ogorek, Privatautonomie unter Justizkontrolle, Z H R 150 (1986) 87, 107 f. 2 Dazu näher unten zu II.
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Umschreibungen 3 und durch das frühzeitige Interesse an rechtsvergleichender Vergewisserung illustriert 4 . 1. In der deutschen Diskussion dominiert die Fallgestaltung, daß ein bestimmtes unternehmerisches Engagement nicht im Ganzen, sondern nur teilweise inkorporiert wird; dafür hat sich die Bezeichnung „Konzern" eingebürgert. Wichtigstes Bauelement konzernförmiger Unternehmensorganisation ist die GmbH; „Die Haftung des herrschenden Unternehmens im GmbH-Konzern" 5 und „Gläubigerschutz im qualifizierten' faktischen Konzern" 6 lauten die prägnanten Formeln für das vorherrschende Thema. Seine Aktualität wird durch drei vor allem in ihrer Abfolge bemerkenswerte Entscheidungen des Bundesgerichtshofes bestimmt. Sie sind häufig resümiert worden; der Zweck der Untersuchung legt es jedoch nahe, die Sachverhalte und die das jeweilige Ergebnis tragenden Argumente noch einmal knapp zusammenzufassen: a ) „Fertighaus" 7 : Der klagende Handwerksmeister hatte Glas an die W.Bau GmbH geliefert. Diese war von der beklagten V. GmbH mit einem Stammkapital von 20 000 DM zum Zwecke der Herstellung von Typenhäusern gegründet worden, für deren Vertrieb die Beklagte zuständig blieb. Das Betriebsgrundstück der W. gehörte der Beklagten; das Anlagevermögen war der W. von der Beklagten unter Eigentumsvorbehalt zur Verfügung gestellt worden. Als W. in finanzielle Schwierigkeiten geriet, nahm die Beklagte diese verkauften Gegenstände wieder an sich. Der Klage auf Zahlung des für die Glaslieferung vereinbarten Kaufpreises von weniger als 3000 DM war vom OLG Celle wegen der Abhängigkeit der W. als einer „wirtschaftlich nicht verselbständigten Betriebsabteilung der Beklagten" 8 entsprochen worden. Der 8. Zivilsenat des BGH hob auf und wies ab: Das in §13 Abs. 2 GmbHG angeordnete Trennungsprinzip gelte grundsätzlich auch für die Einmann-GmbH; einer der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung akzeptierten Durchgriffstatbestände liege nicht vor; Unterkapitalisierung allein reiche nicht aus9. Eine konzernspezifische Haftung wird verneint: „Allein deshalb, 3 Wie „Durchgriff", "piercing the veil" usw.; zahlreiche Beispiele bei Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988) 18 f. 4 Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen (1955); Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften (1959); E.Cohn/K.Simitis, Lifting the Veil in the Company Laws of the European Continent, Int. & Comp. L.Quart. 12 (1963) 189; Rehbinder, Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht (1969); J.M. Dobson, El abuso de la personalidad jurídica (1985). 5 Lutter, ZIP 1985, 1425. 6 Ulmer, NJW 1986, 1579. 7 BGHZ 68, 312. 8 AaO S. 314. 9 S. 314 ff.
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weil jemand eine juristische Person beherrscht, kann nicht auf seine Haftung durchgegriffen werden; denn die Beherrschung an sich gefährdet noch nicht die Interessen der Gläubiger... Das gilt, wie allgemein anerkannt ist, auch für die Einmann-GmbH, und zwar selbst dann, wenn der Alleingesellschafter zugleich Geschäftsführer der GmbH i s t . . . Ob der entscheidende Einfluß auf eine GmbH von einem Privatgesellschafter oder einem anderen Unternehmen stammt, i s t . . . unerheblich" 10 . Vor allem wegen dieser Sätze ist das Urteil kritisiert worden". Dabei sollte nicht unberücksichtigt bleiben, daß es den Kläger im Ergebnis nur wegen seines fehlsamen Vorgehens schutzlos läßt: er hatte es versäumt, die der W. aus der Rücknahme des Anlagevermögens gegen die Beklagte zustehenden Forderungen zu pfänden 12 . Damit kontrastiert freilich der Umstand, daß die Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgelehnt, eine derartige Forderung vom Konkursrichter somit offensichtlich nicht anerkannt worden war 13 . b) „Autokran" 14 : Klägerin war die N . M . GmbH, die - zusammen mit einem Schwesterunternehmen - im Laufe von zwei Jahren insgesamt 39 Autokräne an sieben Gesellschaften mbH verleast hatte. Ihr Haupt- und faktisch Alleingesellschafter war H. 15 , der zunächst auch als Geschäftsführer wirkte und den später eingestellten Fremdgeschäftsführern „nur die Befugnis eines untergeordneten Angestellten mit minimaler Entscheidungsmacht" beließ16. Für die Finanzierung und für die Buchführung der Unternehmensgruppe hatte H., der Beklagte des Verfahrens, eine weitere Gesellschaft, die VOZ GmbH, gegründet, die mit den sieben Leasingnehmergesellschaften Factoringverträge abgeschlossen und deren gesamtes Inkasso übernommen hatte17. Dadurch wurde diesen die Möglichkeit genommen, sich aus ihren Erträgen Liquidität zu verschaffen18; zudem wurden die Kräne zwischen den einzelnen Gesellschaften hin- und herdirigiert, ohne daß dies zwischen ihnen verrechnet
10 S. 320; anders nur, „wenn es sich bei der Firma W. um eine ganz willkürliche und von vornherein nicht praktikable Ausgliederung handelte, die darauf hinausliefe, daß eine rechtliche Selbständigkeit ausschließlich der Form nach bestünde" (S. 322). " Vgl. nur die Distanzierung des 2. Zivilsenats in BGH NJW 1977, 1683, 1686 und aus der Literatur Ulmer, Der Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern beim Fehlen von Minderheitsgesellschaftern, ZHR 148 (1984) 391, 405 m . w . N . '2 BGHZ 68, 319. 13 S.313. 14 BGHZ 95, 330. 15 Es gab noch zwei weitere Gesellschafter, die aber lediglich als Treuhänder für H. fungierten (S. 336). 16 S. 336. 17 S. 337. 18 S. 341.
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worden wäre 19 . Aus ihrem Vermögen waren für das Privathaus des Beklagten mehrere 100 000 DM bezahlt worden 20 . Nachdem es zwischen den Beteiligten zu Unstimmigkeiten gekommen war, stellten die Leasingnehmergesellschaften ihre Zahlungen an die Klägerin ein; Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erbrachten nur einen Bruchteil der noch offenen Forderungen von mehr als 700 000 DM 21 . Deshalb nahm die Klägerin den Beklagten in Anspruch. Der 2. Zivilsenat des BGH hat das klagabweisende Urteil des OLG Düsseldorf aufgehoben und zurückverwiesen. Dafür ist ausschlaggebend, daß ein Konzernverhältnis angenommen wird: da der Beklagte H. an allen sieben Leasingnehmergesellschaften und „im übrigen auch ähnlich an anderen Gesellschaften beteiligt war" 22 , wird er dem Begriff des herrschenden Unternehmens gemäß § 17 Abs. 1 AktG unterworfen. Weil er diese Gesellschaften zudem „mit einer kaum zu übertreffenden Dichte seines Einflusses einheitlich geleitet", sie „wie bloße Betriebsabteilungen eines einheitlichen Unternehmens organisiert und behandelt" 23 und die Geschäftsführung „dauernd und umfassend ausgeübt" hat, wird ein „qualifizierter faktischer Konzern" angenommen24, der die analoge Anwendung der Gläubigerschutzbestimmungen des Konzernvertragsrechts im AktG zur Folge haben kann25. Die Pflicht zum Verlustausgleich entsprechend § 302 Abs. 1 und 3 AktG wird freilich verneint, da es sich um einen „Einmann-GmbH-Konzern" handle26; statt dessen wird aus den §§303, 322 Abs. 2 und 3 AktG ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens abgeleitet27. Das Vorliegen des „qualifizierten" Konzerns begründet freilich nur die Vermutung, daß die Belange der abhängigen Gesellschaften dem Konzerninteresse geopfert worden sind; das herrschende Unternehmen kann sich der Ersatzpflicht dadurch entziehen, „daß es dartut, der pflichtgemäß handelnde Geschäftsführer einer selbständigen GmbH würde die Geschäfte unter den gegebenen Umständen nicht anders geführt haben" 28 . c) „Tiefbau" 29 : Der Tiefbauunternehmer Sch. war in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Deshalb wurde die Sch. Bauunternehmung
" S. 338. S. 339. 21 S. 331. 22 S. 337. 23 S. 341. 24 S. 344 unter Berufung auf die Überlegungen des Arbeitskreises Gesellschaftsrecht, Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform Bd. II (1972) 59 und 67. 25 S.341. 26 S. 345 f. 27 S. 346 f. 28 S. 344; Hervorhebungen im Original. 2 ' BGHZ 107, 7. 20
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GmbH gegründet, die im Laufe der Zeit den ganzen Tätigkeitsbereich und Teile der Betriebsausstattung des Sch. übernahm. Gesellschafter und Geschäftsführer waren Sch. mit einer Einlage von 20 000 DM sowie A. und B. mit Einlagen von je 240 000 DM. A. und (wohl auch) B. fungierten dabei als Treuhänder der Hausbank des Sch., die diesem seit langem Kredite gewährt hatte30. Im Rahmen der Geschäftsführung blieb Sch. für den Baubetrieb zuständig, während alle finanziellen Entscheidungen von A. für die beklagte Bank getroffen wurden; Schecks und Uberweisungen bedurften der Unterschrift des A. 31 . Die GmbH ging in Konkurs; der Konkursverwalter hat die Bank auf Zahlung von rund 3 Millionen DM verklagt. Diese Klage ist vom OLG Hamm abgewiesen worden; wiederum der 2. Zivilsenat des BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und zurückverwiesen. In der Revisionsentscheidung wird die beklagte Bank analog §302 AktG zum Ausgleich der Verluste der GmbH (Gemeinschuldnerin) verpflichtet: wegen der treuhänderischen Stellung von A. und B. war die GmbH von der Beklagten i. S. von §16 Abs. 4 AktG abhängig; damit ist gemäß § 18 Abs. 1 AktG zu vermuten, daß Bank und GmbH einen Konzern gebildet haben32. Soweit die Bank die finanzielle Leitung der GmbH vollständig an sich gezogen hatte, wird von einem Verhältnis dauernder und umfassender Beeinflussung ausgegangen. Die damit begründete Verlustausgleichspflicht „dient zumindest auch dazu, die Außerkraftsetzung der Kapitalsicherungsvorschriften abzugleichen". Deshalb soll sie - entgegen der im „Autokran"-Urteil vertretenen Auffassung - nicht davon abhängen, „ob das herrschende Unternehmen die Geschäfte der abhängigen Gesellschaft pflichtgemäß wie der Geschäftsführer einer selbständigen Gesellschaft geführt hat; Kapitalerhaltungsgrundsätze und ordnungsgemäße Geschäftsführung haben, soweit es um die Gesellschafterhaftung geht, grundsätzlich nichts miteinander zu tun" 33 . Trotzdem wird die Haftung des herrschenden Unternehmens eingeschränkt: es kann sich durch den Nachweis entlasten, daß „die eingetretenen Verluste auf Umständen beruhen, die mit der Ausübung von Leitungsmacht nichts zu tun haben"; als Beispiel werden „branchenspezifische Einbrüche" angeführt 34 .
30 S. 9 ff. Bei der Bank handelte es sich offenbar um die (damals in erhebliche Probleme verwickelte) Hammer Spardaka e. G.; vgl. Decher, Neues zum qualifizierten faktischen GmbH-Konzern, DB 1989, 965. 31 S. 19. 32 S. 15. Das wird auch für den Fall angenommen, daß nur A . Treuhänder der Bank war; seine 48 % sollen zusammen mit der durch hohe Verschuldung bedingten wirtschaftlichen Abhängigkeit der G m b H von der Bank für deren beherrschenden Einfluß ausreichen. « S. 18. 34 S. 18 und 20.
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2. Die radikale Wendung, die mit der „Autokran"-Entscheidung vollzogen und durch das „Tiefbau"-Urteil grundsätzlich bestätigt worden ist, hat eine kaum mehr überschaubare Flut literarischer Stellungnahmen ausgelöst. Dabei ist das methodische Vorgehen des Gerichts, die analoge Anwendung der Gläubigerschutzbestimmungen des Aktienkonzernvertragsrechts, mit einleuchtenden Argumenten beanstandet worden 35 . Hingegen besteht kein Anlaß zu dem Vorwurf, die Grenzen legitimer richterlicher Rechtsgestaltung seien tangiert oder gar überschritten worden 36 : die Bestimmung der Grenze des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips wird traditionell und aus guten Gründen als Aufgabe judizieller Regelung verstanden 37 . Fragwürdiger erscheint, daß der 2. Senat - zumindest nach der in der amtlichen Sammlung abgedruckten Fassung des „Autokran"-Urteils - darauf verzichtet hat, sich mit Begründung und Ergebnis der „Fertighaus"-Entscheidung auseinanderzusetzen 38 : wo Fallrecht dominiert, gebietet es die Rechtssicherheit, Ubereinstimmung mit bzw. Abweichung von den Präjudizien möglichst präzise mitzuteilen. Dabei ist die methodische Absicht, die den 2. Senat beflügelt hat 39 , uneingeschränkt zu begrüßen: es soll das diffuse „Durchgriffs"-Konzept durch die schärferen Konturen ersetzt werden, die ein an der Normzwecklehre orientiertes Vorgehen hervorzubringen vermag 40 . Der Senat hat deshalb auch sehr zu Recht davon abgesehen, einzelne Privatentnahmen mit der Sanktion einer pauschalen Durchgriffshaftung zu belegen 41 . Wesentlich schwieriger als die methodische erscheint mir die sachliche, d . h . die rechtspolitische Einschätzung der
35 K.Schmidt, Zum Haftungsdurchgriff wegen Sphärenvermischung und zur Haftungsverfassung im GmbH-Konzern, BB 1985, 2075, 2079; Rehbinder, Minderheiten- und Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern, AG 1986, 85, 86; Heinsius, Haftungsfragen im faktischen GmbH-Konzern, AG 1986, 99, 104 f; Assmann, Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern durch richterliche Rechtsfortbildung, J Z 1986, 881 und 928, 883 f; Wiedemann, Spätlese zu „Autokran", ZGR 1986, 656, 659; Mertens, Besprechung von Flume, Die juristische Person, Z H R 150 (1986), 708, 710. 36 In diese Richtung zielt die Kritik von Ehlke, Konzerninduzierter Haftungsdurchgriff auf den GmbH-Gesellschafter? DB 1986, 523. 37 Auch aus dem Umstand, daß die im Regierungsentwurf von 1973 (BT-Drucks. VI/3088 und VII/253) vorgesehene Regelung eines GmbH-Konzernrechts nicht weiterverfolgt worden ist, kann keine Barriere höchstrichterlicher Rechtsfortbildung abgeleitet werden. 38 Und dabei etwa anzugeben, warum auf die Anrufung des Großen Senats in Zivilsachen verzichtet werden konnte. 39 Sie werden erläutert durch Stimpel, „Durchgriffshaftung" bei der GmbH. Tatbestände, Verlustausgleich, Ausfallhaftung, FS für Goerdeler (1987) 603 f. 40 Vgl. Kühler, Gesellschaftsrecht (3. Aufl., 1990) 318 ff; Teubner, Die „Politik des Gesetzes" im Recht der Konzernhaftung, FS für Steindorff (1990) 261, 272 ff; beide m. w. N. 41 Β G H Z 95, 330, 332.
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neuen Judikatur. Die entscheidende Frage ist von Heinsius klar und präzise formuliert worden: „Der kritische Betrachter des „Autokran" Falles wird fragen dürfen, ob hier wirklich für die Klägerin die Losung zu gelten hatte, „dem Manne muß geholfen werden", oder ob der Bundesgerichtshof nur auf die Gelegenheit gewartet hat, einen „Meilenstein auf dem Weg zu einem konsolidierten GmbH-Konzernrecht" zu setzen. Immerhin, die Klägerin war kein „kleiner Mann", sie und ihr Schwesterinstitut verleasten 39 Kräne von erheblichem Wert, und diese Kräne wurden ohne weiteres verleast an sieben GmbHs, deren Anteile sich im wesentlichen in einer Hand befanden und deren Geschäftsführer jedesmal der Beklagte . . . war. Angesichts dieser Situation hätten gewisse Vorsichtsmaßnahmen nahegelegen. Die Klägerin hätte verlangen können, daß der Gesellschafter ihrer zukünftigen Leasingnehmer in deren Leasingverträge selbst mit eintritt, oder sie hätte eine Bürgschaft, eine Garantie oder zumindest eine harte Patronatserklärung des Gesellschafters zur Bedingung des Abschlusses machen können. Auch höhere Leasingraten zur Abdeckung des Ausfallrisikos hätten sich als Alternative angeboten. All das ist offenbar nicht geschehen. Warum, das weiß man nicht. Die Aufgabe des Wirtschaftsrechts sollte es jedenfalls nicht sein, Teilnehmer am Rechtsverkehr und insbesondere Kaufleute davor zu schützen, daß sie auf erkennbare Gefahren nicht reagieren: „Gleichgültigkeit gegenüber Risiken und Schlafmützigkeit sollten nicht belohnt werden" 42 . Auf diese Frage hat die ausufernde dogmatische Diskussion bislang keine hinreichende Antwort gegeben. Der Versuch weiterer Klärung verlangt zunächst einige Überlegungen zur Funktion des Trennungsprinzips im Gesellschaftsrecht. II. Sinn und Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Haftungstrennung 1. Das Trennungsprinzip wurde lange Zeit mit Mißtrauen betrachtet: es erlaube die einseitige Überwälzung des unternehmerischen Risikos und widerspreche damit dem „Grundsatz des Gleichlaufs von wirtschaftlicher Entscheidungsbefugnis und zivil- bzw. wirtschaftsrechtlicher Verantwortung" 43 . Das sei nicht nur im Einzelfall ungerecht, sondern auch generell schädlich: der Ausschluß persönlicher Haftung schafft „negative Externalitäten"; die Gefahrverlagerung auf die Gläubiger des Unternehmens verzerrt die Allokation, weil die abgewälzten Kosten (Störungsfolgen oder Schäden) nicht in die Preise der angebotenen Produkte oder AaO (Fn.35) S.105Í. Lehmann, Das Privileg der beschränkten Haftung und der Durchgriff im Gesellschafts- und Konzernrecht, ZGR 1986, 345, 357 unter Berufung auf Böhm und Eucken. 42
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Leistungen eingehen und diese somit „zu billig", d.h. für eine dem wirklichen Aufwand nicht entsprechende Gegenleistung angeboten und vertrieben werden44. Diese „Umverteilungsthese" verlangt grundsätzlich nach „Haftungsverbund" 45 : wo immer sich das Unternehmensrisiko bei den Gläubigern realisiert, besteht Anlaß, die rechtliche Korrektur des Verlustausgleichs oder der Durchgriffshaftung in Betracht zu ziehen. Diese Vorstellung sieht sich neuerdings zunehmend durch die „Effizienzhypothese" verdrängt46. Sie geht davon aus, daß die Gläubiger, die mit einer Kapitalgesellschaft kontrahieren, die Bedeutung des Trennungsprinzips kennen und deshalb wissen, daß sie ein höheres Risiko übernehmen. Damit erweist sich die Haftungstrennung als ein Instrument planmäßiger Risikoverteilung47. Dem wird entgegengehalten, daß es dann keiner rechtlichen Regelung von Haftungstrennung und Haftungsverbund bedürfe, da die Beteiligten in jedem Einzelfall die für sie optimale Risikomischung vereinbaren könnten48. Derartige vertragliche Abmachungen wären freilich außerordentlich kompliziert und zeitraubend; es besteht deshalb weitgehend Ubereinstimmung, daß Vorschriften wie § 13 Abs. 2 G m b H G notwendig sind, weil sie den Parteien die einvernehmliche Haftungsregelung wesentlich erleichtern und ihnen damit vermeidbare Transaktionskosten ersparen49. Solche vertraglichen Risikozuweisungen können aus mehreren Gründen nicht nur für die unmittelbar Beteiligten zweckmäßig, sondern auch im Allgemeininteresse „effizient" sein50: a) Zunächst ist es möglich, daß die Gläubiger das Unternehmensrisiko genauer kennen als die Gesellschafter. Das leuchtet unmittelbar ein im Verhältnis des Kleinaktionärs einer Publikumsaktiengesellschaft zu einem branchenweit tätigen Zulieferer oder Abnehmer des Unternehmens. Es kann aber eingeschränkt auch für den als Geschäftsführer tätigen Gesellschafter einer GmbH gelten; so wird etwa seine Hausbank
44 Dazu näher Easterbrook/Fischel, Limited Liability and the Corporation, 52 Chic. L. Rev. (1985) 89, 103 ff; Lehmann aaO S.350f. 45 Debus, Haftungsregelungen im Konzernrecht (1990) 4 ff, insbes. S. 6.
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Debus aaO.
Posner, The Rights of Creditors of Affiliated Corporations, 43 Chic. L. Rev. (1976) 499, 501 ff; Easterbrook/Fischel, aaO S. 101; Roth, Zur "economic analysis" der beschränkten Haftung, Z G R 1986, 371, 374. 48 Meiners/Mofsky/Tollison, Piercing the Veil of Limited Liability, 4 Del. J. Corp. L. (1979) 351, 359 ff. 49 Direkt zu Meiners/Mofsky/Tollison: Blumberg, The Law of Corporate Groups Tort, Contract and Other Common Law Problems in the Substantive Law of Parent and Subsidiary Corporations (1987) 85; ähnlich Easterbrook/Fischel S. 99 und Roth S. 377. 50 Zu diesem Begriff Kübler, Effizienz als Rechtsprinzip, FS für Steindorff (1990), 686, 694 ff m . w . N . 47
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über die Chancen und Risiken der Zinsentwicklung an den Geld- und Kapitalmärkten wesentlich besser Bescheid wissen. In diesen Fällen ist die Haftungstrennung sinnvoll, weil und soweit sie das Risiko dorthin verlagert, wo es mit dem geringsten Aufwand erfaßt, abgewogen und überwacht werden kann; dadurch werden Informationskosten gespart51. b) Für den kreditgewährenden Gläubiger gibt es ein zusätzliches Informationsproblem: soweit die Gesellschafter persönlich haften, hat er sich auch um ihre Solvenz und nicht nur um die der Gesellschaft zu kümmern52. Der erforderliche Aufwand wächst mit der Zahl der potentiellen Schuldner; er dürfte dort zu hoch sein, wo generell darauf verzichtet wird, der Kapitalgesellschaft eingeräumte Kredite durch persönliche Sicherheiten - Schuldbeitritt, Bürgschaft, Garantie, harte Patronatserklärung - der Gesellschafter abzusichern. c) Am wichtigsten ist freilich die Bereitschaft und die Fähigkeit, Risiken zu tragen. Ein Kaufmann, der mit einem konkreten Projekt nicht nur den Bestand seines Unternehmens, sondern auch die Existenzgrundlage seiner Familie aufs Spiel setzt, wird vernünftigerweise auch dann zögern, wenn die Gewinnchancen außerordentlich hoch sind53. Seine Bereitschaft, sich auf ein aussichtsreiches - und damit für die Allgemeinheit nützliches - Vorhaben einzulassen, wird wesentlich größer sein, wenn es ihm ermöglicht wird, sein Risiko effektiv auf einen bestimmten Betrag zu begrenzen. Für die Vertragsgläubiger ist die dadurch bewirkte Abwälzung ein sehr viel geringeres Problem, da ihr Risiko in jedem Fall auf den Betrag des gewährten Kredits beschränkt ist. Größere Kreditgeber sind zudem in der Lage, ihre Position durch Risikodiversifikation zu schützen. Sie erhalten von den auf Risikobegrenzung bedachten Unternehmern und/oder Investoren eine Risikoprämie, die die Übernahme der zusätzlichen Gefahr auch dann zu einem lohnenden Geschäft macht, wenn einige der finanzierten Projekte scheitern und die dort eingesetzten Mittel nicht zurückerlangt werden können. 2. Diese Überlegungen legen den Schluß nahe, daß das angedeutete Risikokalkül für unterschiedliche Kategorien von Gesellschaftern unterschiedliche Bedeutung hat: a) Es besteht Einvernehmen, daß die Haftungstrennung für die Publikumsaktiengesellschaft unverzichtbar ist54: der typische Kleinaktionär Posner S. 502; Easterbrook/Fischel S. 104 f Halpern/Trebilcock/Turnbull, An Economic Analysis of Limited Liability in Corporation Law, 30 Toronto L.J. (1980) 117, 133 ff. 53 Vgl. Posner aaO S. 502 Fn. 9: die Risikoaversion wird durch den sinkenden Grenznutzen zusätzlichen Einkommens bestimmt. 54 Halpern/Trebilcock/Turnbull S. 147; Easterbrook!Fischel S. 90; Roth S. 372. 51 52
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ist nur dann zur Investition seiner Ersparnisse bereit, wenn er gewiß sein kann, daß sein Risiko auf den eingesetzten Betrag beschränkt bleibt. Er hat keinen Einfluß auf die Geschäftsführung; zudem möchte er sein Risiko dadurch weiter verringern, daß er sein Portefeuille diversifiziert, d. h. sein Geld in mehreren Gesellschaften anlegt: dann würde die bloße Gefahr der Durchbrechung des Trennungsprinzips sein Risiko, d. h. die Gefahr des Zugriffs von Gesellschaftsgläubigern auf sein Privatvermögen, vergrößern und nicht mindern55. Insoweit zählt die ausnahmslose Geltung des Trennungsprinzips zu den Funktionsbedingungen des Aktienmarktes; es sind denn auch keine Fälle ersichtlich, in denen es den Gläubigern gestattet worden wäre, auf die Kleinaktionäre „durchzugreifen". Dieser Befund kann zur Erklärung und Rechtfertigung einer Regelung herangezogen werden, die die Aktiengesellschaft im Vergleich zur GmbH schärferen Kapital- und Gläubigerschutzbestimmungen unterwirft. In Wirklichkeit dürfte das Gläubigerrisiko bei der (reinen) Publikumsaktiengesellschaft indessen eher geringer sein: da das Management nicht diversifizieren kann, wird mit gutem Grund angenommen, daß es weniger risikogeneigt ist als die Aktionäre56. b) Für die der typischen GmbH oder der Familienaktiengesellschaft entsprechende Form der Kapitalgesellschaft mit wenigen Gesellschaftern liegen die Dinge vor allem insoweit anders, als hier ein (beschränkter) Einfluß auf die Geschäftsführung nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Trotzdem ist es möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, daß einzelne Gläubiger zumindest partiell besser informiert und insoweit zu genauerer Risikoeinschätzung in der Lage sind. Die Gesellschafter werden auch hier in vielen Fällen ein so erhebliches Interesse an der Limitierung ihres Risikos haben, daß ihr unternehmerisches bzw. ihr Investitionsengagement von der Möglichkeit effektiver Haftungstrennung abhängt57. c) Auch die Einmanngesellschaft, deren Alleingesellschafter eine natürliche Person ist, bedeutet nur einen graduellen Unterschied. Vor allem dort, wo der Gesellschafter zugleich als einziger Geschäftsführer fungiert, ist er sehr weitgehend in der Lage, das unternehmerische Risiko zuverlässig zu erfassen und wirksam zu kontrollieren. Trotzdem wird er in vielen Fällen an der Risikoverteilung durch Haftungstrennung in solchem Maße interessiert sein, daß er bereit ist, den Gläubigern die für Easterbrook/Fischel S. 96; Blumberg S. 96. Easterbrook/Fischel S. 111. 57 Beide Faktoren werden ungenügend berücksichtigt von Halpem/Trebilcock/ Turnbull, die (aaO S. 148) generell annehmen, daß persönliche Haftung für kleine Unternehmen mit wenigen Gesellschaftern effizienter sei. 55 56
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die Separierung seines Privat- (und sonstigen unternehmerischen) Vermögens verlangte Prämie zu entrichten58. d) Der interessanteste und schwierigste Fall ist gewiß der einer Kapitalgesellschaft, deren Alleingesellschafter eine andere Kapitalgesellschaft ist. Hier ist das Bedürfnis für die Aufrechterhaltung der Haftungstrennung offensichtlich geringer; es wird deshalb zuweilen generell verneint59. Das erscheint wenig einleuchtend: auch insoweit können Gläubiger über bessere Möglichkeiten der Risikoeinschätzung und -diversifikation verfügen60. In diesen Fällen dient die Ausgliederung eines riskanten Unternehmensteils wiederum nicht nur den Interessen der unmittelbar Beteiligten, sondern auch dem Gesamtwohl: sie kann den Ausschlag für eine sinnvolle unternehmerische Initiative geben, die sonst unterbleiben würde. Die sorgfältige Untersuchung von Debusbi kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß die zwingende Anordnung des Haftungsverbunds, d. h. der generellen Pflicht der Konzernobergesellschaft zum Ausgleich der Verluste ihrer Tochter, ineffizient wäre und darum vermieden werden sollte62. Selbst im Fall der vollständigen Konzernierung erweist sich die Haftungsseparation als ein prinzipiell nützliches Instrument der Risikoverteilung. 3. Diese Überlegungen beruhen freilich durchweg auf der Voraussetzung, daß die Gläubiger in der Lage sind, ihr Risiko hinreichend genau zu ermitteln und für die Übernahme des durch die Haftungstrennung bedingten Zusatzrisikos eine angemessene Vergütung, die Risikoprämie, durchzusetzen. Das trifft nur auf Vertrags-, d. h. „freiwillige" Gläubiger zu; „unfreiwillige" Gläubiger erhalten keinen derartigen Ausgleich: sie sind das Opfer einseitiger Risikoüberwälzung, die „negative Externalitäten" und damit unerwünschte Allokationswirkungen zur Folge hat63. Deshalb ist es sinnvoll, danach zu fragen, unter welchen Umständen Gläubiger als „unfreiwillig" zu qualifizieren sind: a) Es ist unstreitig, daß das für die Opfer unerlaubter Handlungen gilt: ihnen wird die Gläubigerposition aufgezwungen; sie sind damit nicht in
58 Für Roth ist das Verlangen nach Haftungstrennung in diesem Fall vor allem „mit der zunehmenden Fremdbestimmtheit des unternehmerischen Handelns durch rechtliche Reglementierung zu begründen" (S. 373). 59 So geht Wiedemann, Privatrechtsgruppe aaO (Fn. 3) S. 83 von dem „naturrechtlichen Satz" aus: „Wer als herrschendes Unternehmen die Selbständigkeit einer abhängigen Gesellschaft aufhebt, muß mit den Vorteilen zugleich die Schuldenlast übernehmen". 60 Blumberg S. 96. 61 Die hier nur in äußerster Verkürzung resümiert werden konnte. 62 AaO (Fn. 46) S. 181 ff. 63 Vgl. oben zu Fn. 45.
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der Lage, einen angemessenen Risikoausgleich zu verlangen 64 . Sie werden zwar vielfach durch (Zwangs-)Haftpflichtversicherung geschützt und können immer auf die natürliche Person zurückgreifen, die die unmittelbare Verantwortung für die unerlaubte Handlung trifft. Dabei kann es sich jedoch um einen vermögenslosen Angestellten einer Kapitalgesellschaft handeln, die ein profitables, aber für Außenstehende gefährliches Vorhaben betreibt: dann wird ein Teil des Unternehmensrisikos auf Dritte abgewälzt, die sich dagegen nicht zur Wehr setzen können. In diesen Fällen sprechen überwiegende Gründe für die Aufhebung der Haftungstrennung, d. h. für den Haftungsverbund, wenn dem oder den hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Gesellschafter(n) diese Risikoverteilung zuzurechnen ist. b) Auch den Arbeitnehmern wird vielfach ein Sonderstatus zugesprochen 65 . Sie sind formal Vertragsgläubiger. Sie haben aber in der Regel keine Möglichkeit, ihr Risiko zu diversifizieren 66 ; bei der Festsetzung ihres Entgelts, des Arbeitslohns, wird die aus der Haftungstrennung resultierende Zusatzgefahr nicht berücksichtigt; insbesondere im Anwendungsbereich von Tarifverträgen wäre jeder Versuch der vertraglichen Internalisierung dieses Risikos mit außerordentlichen Schwierigkeiten und das heißt auch: mit zusätzlichen Kosten - belastet. D a die Arbeitnehmer in der hier untersuchten Rechtsprechung bislang keine größere Rolle gespielt haben, wird von ihrer weiteren Untersuchung abgesehen. c) Auch für sonstige kleinere Gläubiger ist zweifelhaft, inwieweit ihre Lage dem Attribut der „Freiwilligkeit" entspricht 67 . Zwar werden Lieferanten meist durch (verlängerten) Eigentumsvorbehalt geschützt sein; der „Fertighaus"-Fall 6 8 zeigt jedoch, daß das nicht immer zutrifft. Paradigmatisch sind die (kleineren) Dienstleistungsgläubiger. Es besteht ein generelles Interesse daran, daß der Klempner, der in die Firma gerufen wird, um einen Wasserrohrbruch abzudichten, sich nicht erst Verträge und Bilanzen vorlegen läßt, um anhand dieser Unterlagen abzuwägen, ob er den Auftrag nur dann ausführen soll, wenn ihm besondere Sicherheiten oder ein Risikoaufschlag auf die normalerweise berechneten Entgelte zugestanden worden sind 69 . Deshalb spricht einiges dafür, 64 Posner S.505; Meiners/Mofsky/Tollison S. 364 ff; Easterbrook/Fischel S. 107ff; Blumberg S.74f; Roth S.375f. 65 Easterbrook/Fischel und Roth aaO; zweifelnd Posner S. 506. 66 Zutreffend Easterbrook/Fischel S. 107: "Human capital . . . is notoriously difficult to diversify". 67 Vgl. Roth S. 376. 68 Vgl. oben zu Fn. 7 ff. 69 Das läßt sich als ein typischer Fall sozialschädlicher Transaktionskosten qualifizieren.
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diesen Klempner wie einen Deliktsgläubiger zu behandeln. In der Rechtsprechung spielen derartige Fälle eine marginale Rolle. D a s ist verständlich: es geht u m die kurzfristige Kreditierung vergleichsweise kleiner Beträge. d) D a m i t bleiben als „freiwillige" Gläubiger vor allem große Zulieferer, Kreditinstitute, die Anbieter sonstiger Finanzdienstleistungen, Leasingunternehmen und die Verpächter von Betriebsgrundstücken. Sie sind generell in der Lage, das durch die Haftungstrennung implizierte Zusatzrisiko zu kalkulieren und in die Vertragsverhandlungen einzubringen 7 0 . D a s entspricht auch ihrem eigenen Interesse: ein zu ihrem Schutz rechtlich erzwungener H a f t u n g s v e r b u n d würde ihnen entweder lukrative Geschäftsmöglichkeiten nehmen oder sie mit den Schwierigkeiten des "contracting around liability" 7 1 belasten. Zugleich bietet die vertragliche Regelung die beste G e w ä h r für effiziente Kontrolle der einschlägigen Gefahren: die u . U . übersteigerte Risikobereitschaft der Unternehmer und/oder Investoren, die sich der Haftungstrennung bedienen, wird durch die Risikoevaluation der großen Gläubiger in sinnvoller Weise korrigiert. D a z u verfügen diese über mehrere Möglichkeiten der Einwirkung: jeder (potentielle) Gläubiger kann auf einer Risikoprämie oder auf zusätzlichen Sicherheiten - Schuldbeitritt, B ü r g schaft, Garantie oder harter Patronatserklärung - bestehen oder aber der Kapitalgesellschaft jeden Kredit verweigern. 4. D i e Funktionsanalyse des Trennungsprinzips, die im R a h m e n dieses Beitrags nur gerafft und vereinfachend vorgetragen werden konnte 7 2 , drängt einige - vorläufige - Folgerungen auf: a ) Zunächst verdichten sich die Zweifel an den Ergebnissen der eingangs vorgestellten Judikatur. Im „Fertighaus"-Fall 7 3 wurde die Klage eines H a n d w e r k e r s wegen einer vergleichsweise niedrigen F o r d e r u n g gegen eine Kapitalgesellschaft abgewiesen, die einen Teil ihrer Produktion ausgegliedert und die Tochter offensichtlich nur sehr unzulänglich mit Kapital ausgestattet hatte: hier ist zu fragen, o b es sinnvoll ist, den
70 Zweifelnd Roth aaO S. 376 für die Banken: sie seien nicht hinreichend risikofreudig, risikoflexibel und kalkulationssicher. Das ist in dieser Verallgemeinerung nicht überzeugend. Gewiß: auch Banken machen Fehler. Aber: einzelne Ausfälle sind im Kalkül, das auf Risikodiversifikation abstellt, immer schon vorgesehen; darüber hinausgehende Schieflagen sind ein Managementproblem. Vor allem aber besteht kein Anlaß zu der Annahme, daß die legislatorische oder die richterliche Risikoregelung in diesem Bereich der privatautonomen überlegen sein könnte. 71 Blumberg S. 73; vgl. oben zu F n . 4 9 f . 72 Für Details vgl. vor allem die sorgfältige und scharfsinnige Untersuchung von Debus, die aber ihrerseits nur einen Ausschnitt des Problemspektrums behandelt, weil sie sich auf die Rolle der „freiwilligen" Gläubiger beschränkt. 73 Vgl. oben zu Fn. 7 ff.
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Gläubiger dafür verantwortlich zu machen, daß er sich nicht hinreichend mit der finanziellen Lage seines Schuldners befaßt hat. Umgekehrt wurde im Fall „Autokran" 74 einem Großgläubiger eine umfangreiche Forderung gegen eine natürliche Person zugesprochen, der es ersichtlich darum gegangen war, das Risiko ihres unternehmerischen Engagements durch Inkorporation zu verringern. Der Sachverhalt gab gewiß Anlaß zu richterlicher Korrektur: angesichts der ständigen Vermögensverschiebungen zwischen den sieben Leasingnehmergesellschaften und der V O Z GmbH war dem Beklagten die Berufung auf die Haftungstrennung zwischen diesen Gesellschaften zu versagen. Aber es ist nicht ersichtlich und wird vom Gericht nicht erörtert, warum kein Weg daran vorbei führte, dem Gläubiger den Zugriff auch auf das Privatvermögen des Gesellschafters zu eröffnen 75 . Geht man von der naheliegenden Annahme aus, daß das durch die Haftungstrennung erhöhte Gläubigerrisiko in den Vertrag eingegangen, d.h. bei der Bestimmung von Leistung und Gegenleistung - möglicherweise stillschweigend — berücksichtigt worden war76, dann bedeutet die höchstrichterliche Entscheidung einen nachträglichen Eingriff in das von den Parteien ausbalancierte Vertragsgefüge, der der Klägerin ohne hinreichenden Grund Sicherheiten einräumt, die ihr nach dem Vertrag nicht zustehen; das wird zutreffend als ein "windfall profit" bezeichnet77. b) Anders als „Fertighaus" und „Autokran" legt der - insoweit freilich noch nicht endgültig ermittelte - Sachverhalt des „Tiefbau"-Falles78 den Eindruck nahe, daß der beklagte Gesellschafter, die Genossenschaftsbank, die abhängige Gesellschaft aus Eigennutz zu nachteiligen Transaktionen veranlaßt hatte. Zu fragen ist aber, warum dieser GmbH als Gemeinschuldnerin unabhängig vom Nachweis derartiger Schädigungen ein pauschaler Anspruch auf Verlustausgleich zustehen soll. Das erscheint problematisch, weil nicht mitgeteilt wird, wer die auf diese Weise begünstigten Gläubiger sind: das Gericht geht fraglos davon aus, daß sie alle in gleicher Weise des Schutzes bedürfen. Diese Prämisse ist aus den dargelegten Gründen zweifelhaft; andere Rechts-
Siehe oben zu Fn. 14 ff. Das wirft die Frage nach den dogmatischen Möglichkeiten des "lateral piercing" (Posner S. 510), d. h. nach der nur teilweisen Aufhebung des Trennungsprinzips auf; darauf ist zurückzukommen. 74
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76 Der Sachverhalt läßt keinen Grund erkennen, warum das nicht der Fall gewesen sein konnte. 77 78
Roth S. 374. Vgl. oben zu F n . 3 0 f f .
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Ordnungen differenzieren zwischen „unfreiwilligen" Deliktsgläubigern 7 9 .
„freiwilligen"
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und
c) Schließlich wirft auch die R e s o n a n z , die die erörterte Rechtsprechung in der Literatur gefunden hat, rechtspolitisch gravierende Fragen auf. Einerseits wird zwar vor einer exzessiven Einschränkung des Trennungsprinzips gewarnt 8 0 . A u f der anderen Seite stehen maßgebliche und einflußreiche Standardwerke, die in jedem Falle der Abhängigkeit das Vorliegen eines „qualifizierten faktischen K o n z e r n s " vermuten; diese V e r m u t u n g soll zwar widerleglich sein; aber es „sind k a u m Fallgestaltungen vorstellbar, in denen ein solcher Gegenbeweis möglich erscheint" 8 1 . A u s diesem B e f u n d wird an anderer Stelle folgerichtig geschlossen, daß eine „Haftungskanalisierung über die G r ü n d u n g von Einmanngesellschaften, etwa für besonders riskante Geschäfte, . . . damit fortan k a u m mehr m ö g l i c h " ist 82 und daß „damit im Ergebnis der Haftungsdurchgriff auf den E i n m a n n . . . die absolute Regel sein wird" 8 3 . 5. D a m i t dürfte die rechtspolitische Brisanz der neuen Judikatur und der sie begleitenden D o k t r i n evident sein: es geht letztlich darum, o b und inwieweit sich die Praxis der Unternehmensorganisation auf das Instrument der Haftungstrennung noch verlassen kann. D i e nachhaltige Erschütterung des Vertrauens in die Verbindlichkeit des Trennungsprinzips dürfte zur F o l g e haben, daß auf sinnvolle Projekte und Investitionen verzichtet wird, weil die Gestaltungsmöglichkeit der vertraglichen Risikoverteilung zu unsicher und zu kompliziert geworden ist. Deshalb ist es unausweichlich, noch einmal auf die dogmatischen
79 Das gilt vor allem für das amerikanische Recht; vgl. nur Herrn/Alexander, Law of Corporations (3. Aufl., 1983) S. 348 f m . w . Ν . Die materialreiche Dissertation von Drüke, Die Haftung der Muttergesellschaft für Schulden der Tochtergesellschaft (1990), nimmt freilich an, daß das zwar für die Fälle der Unterkapitalisierung und der Vermögens- und Sphärenvermischung, aber nicht für den der nachteiligen Beherrschung durch ein anderes Unternehmen gelte (S. 150). Das ist zumindest nicht eindeutig. Drüke selbst erwähnt Ausnahmen (S. 147). Wichtiger erscheint, daß das amerikanische Recht keinen eigenständigen Tatbestand der Konzernhaftung kennt (Drüke S. 146 ff; Herrn/Alexander S. 352 ff). So liegen den Fällen der Unterkapitalisierung teilweise Konzernsachverhalte zugrunde (vgl. etwa Brunswick Corp. v. Waxman, 459 F . S u p p . 1222 [ E . D . N . Y . 1978]). Umgekehrt wird für die dem Tatbestand der Beherrschung entsprechenden "instrumentality cases" angenommen, daß die Haftung vielfach auf Täuschungselementen beruht (Posner S.521). Für die Differenzierung zwischen Vertrags- und Deliktsgläubigern Teubner aaO (Fn.40) S.276. 80 Vgl. etwa Hachenburg/Mertens, G m b H G (8. Aufl., 1986) Anh. §13 Rdn. 13; Lutter, Der qualifizierte faktische Konzern, A G 1990, 179, 182. 81 Scholz/Emmerich, G m b H G (7. Aufl., 1986) Anh. Konzernrecht Rdn. 207. 82 Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht (3. Aufl., 1989) S.383. 83 Emmerieb, Nachlese zum „Autokran"-Urteil, G m b H R 1987, 213, 220.
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Grundfragen zurückzukommen, die die erörterte Judikatur aufwirft. Dabei stehen die folgenden Fragen im Vordergrund: - Unter welchen Voraussetzungen sollte vom Trennungsprinzip abgesehen werden? (dazu III.) - Wer sollte die Ansprüche gegen den oder die Gesellschafter geltend machen? (dazu IV.) - Inwieweit bewährt sich die Anknüpfung an Konzerntatbestände? (dazu V.) III. Struktur- oder Verhaltenshaftung? Die Frage, warum und unter welchen Voraussetzungen zu Lasten eines herrschenden Unternehmens von der Anwendung des Trennungsprinzips abgesehen, d.h. auf diese „durchgegriffen" werden soll, kann derzeit nicht als geklärt gelten. 1. Zwar gibt es im neueren Schrifttum einen breiten Konsens, daß die §§302, 303 AktG entsprechend auf den „qualifizierten faktischen Konzern" anzuwenden sind84. Er erscheint freilich weitgehend formal; in der Substanz sind erhebliche Meinungsunterschiede zu registrieren. Die sich gegenüberstehenden Positionen85 werden mit den Begriffen der „Struktur-" oder „Zustandshaftung" bzw. der „Verhaltens-" oder „Konzernleitungshaftung" bezeichnet: a) Für die Vertreter der Strukturhaftung hat der Tatbestand des „qualifizierten" GmbH-Konzerns die Verlustausgleichspflicht zur Folge: das herrschende Unternehmen hat der abhängigen Gesellschaft die in der abgelaufenen Rechnungsperiode entstandenen Verluste ohne Rücksicht auf die sonstigen Umstände des Einzelfalls zu ersetzen86. Diese Auffassung ist von Ulmer dogmatisch stringent aus dem Grundsatz der Kapitalerhaltung abgeleitet worden87: die §§302, 303 AktG haben die Funktion, den in § 291 Abs. 3 AktG vorgesehenen Dispens von den Kapitaler84 Anders vor allem Koppensteiner, Uber die Verlustausgleichspflicht im qualifizierten AG-Konzern, ZHR-Beiheft 62 (1989) 87, 90 ff; Rowedder/Koppensteiner, GmbHG (1985) Anh. §52 Rdn.61. 85 Oder „Haftungsmodelle"; vgl. Rehbinder aaO S.95. 86 So vor allem Ulmer, Verlustübernahmepflicht des herrschenden Unternehmens als konzernspezifischer Kapitalerhaltungsschutz, A G 1986, 123, 128 f; ders. NJW 1986, 1579, 1585 (jeweils mit der Einschränkung, das herrschende Unternehmen könne sich der Haftung durch den Nachweis ausschließlich externer Verursachung der Verluste entziehen); Assmann aaO (Fn. 36) S. 934ff; Zöllner in: Baumbach/Hueck, GmbHG (15. Aufl., 1988) SchlußAnh. KonzernR Rdn.30a; K.Schmidt, Verlustausgleichspflicht und Konzernleitungshaftung im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern, ZIP 1989, 545, 550 f; ders., Gesellschaftsrecht (1986) S.914f; Teuhner aaO (Fn.40) S.269. 87 AG 1986, 123, 125 f.
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haltungsvorschriften zu kompensieren; die Analogiebasis wird darin gesehen, daß die qualifizierte Konzernierung gesellschaftsrechtlich nicht mehr kontrollierbare Eingriffe in die Vermögenssubstanz der abhängigen G m b H ermöglicht. Dieser Ansatz hat den Vorzug der Folgerichtigkeit. Bedenklich erscheinen vor allem die Ergebnisse. Es kann schon bezweifelt werden, ob die Verlustausgleichspflicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des §302 A k t G in allen Fällen die angemessenste Lösung bietet. Aber diese Bestimmung denkt primär an die Minderheit; sie schützt die Gläubiger vor allem gegen die Folgen der Nichtanwendbarkeit der Kapitalerhaltungsvorschriften; und sie knüpft die Ausgleichspflicht an den eindeutigen und damit unschwer festzustellenden Tatbetand des Beherrschungsvertrages. Die entsprechende Anwendung der aktienrechtlichen Bestimmungen auf den GmbH-Konzern hängt diese weitgehende Rechtsfolge an das Merkmal der „qualifizierten" Konzernierung, das bislang überwiegend als unbestimmt und konkretisierungsbedürftig angesehen wird 88 . Vor allem aber ist zu befürchten, daß die pauschale Sanktion der Verlustausgleichspflicht überschießenden Gläubigerschutz bewirkt: es ist nicht einzusehen, warum auch diejenigen Vertragspartner der abhängigen Gesellschaft entschädigt werden, die das Risiko der Haftungstrennung in voller Kenntnis aller Umstände übernommen haben. b) Die Position der Verhaltenshaftung stellt primär nicht auf die Intensität der konzerninternen Beziehungen, sondern auf die normwidrige Schädigung der abhängigen Gesellschaft ab 89 . Diese ist zunächst im Wege des Einzelausgleichs zu korrigieren; das gilt auch für den Fall, daß die abhängige Gesellschaft in einen qualifizierten faktischen Konzern eingebunden worden ist. Erst wenn die Konzerngeschäftsführung insgesamt nicht mehr ordnungsgemäß, sondern „fehlsam" ist 90 , kommt es zur globalen Kompensation durch den Ausgleich der Verluste, die die abhängige Gesellschaft erlitten hat. Maßstab einer „ordnungsgemäßen Konzerngeschäftsführung" ist die „Anerkennung der rechtlichen Selbständigkeit der Konzernglieder und Sicherung des Trennungsprinzips derart, daß die wirtschaftlichen Risiken zwischen Obergesellschaft und Tochtergesellschaft angemessen verteilt bleiben und nicht ständig zu deren Lasten verändert werden" 9 1 . Diese Auffassung, die das wichtige D a z u näher unten V. Lutter, Haftung in der Unternehmensgruppe, Z G R 1982, 244, 264 ff; den. Z I P 1985, 1425, 1433 f; Rehbinder a a O S. 95 f; Schwark, Die Haftung des herrschenden Unternehmens im qualifizierten faktischen G m b H - K o n z e r n , J u S 1987, 443, 449 f; Fischer/ Lutter/Hommelhoff, G m b H G (12. Aufl., 1987) Anh. §13 R d n . l 7 f . 90 Lutter ZIP 1985, 1425, 1430. 91 Lutter Z G R a a O S.267. 88
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Element der Risikoverteilung berücksichtigt, hat den Vorteil größerer Flexibilität. Ihr stehen dogmatische Schwierigkeiten gegenüber92: es liegt nahe, die Pflicht zur ordnungsgemäßen Konzerngeschäftsführung aus dem gegenseitigen Verhältnis der Gesellschafter, der Treupflicht, herzuleiten; dann ergeben sich Probleme für die Einmann-GmbH, wenn vermieden werden soll, daß die Gläubiger in den Schutzbereich dieser fiduziarischen Bindung der Gesellschafter einbezogen werden93. In der Sache bleibt offen, nach welchen Kriterien die Angemessenheit der Risikoverteilung zwischen herrschendem Unternehmen und Tochtergesellschaft zu bestimmen sein soll; für eine an der Funktion des Trennungsprinzips orientierte Betrachtungsweise ist davon auszugehen, daß sie für unterschiedliche Gläubiger unterschiedlich zu beurteilen sein kann. c) Die höchstrichterliche Rechtsprechung läßt sich als Kompromiß zwischen diesen Auffassungen verstehen94. Im Ansatz bekennt sich der 2. Senat zur Strukturhaftung: der Befund eines qualifizierten faktischen GmbH-Konzerns löst die Verlustausgleichspflicht entsprechend §302 AktG aus95. Der nächste Schritt orientiert sich an der Verhaltenshaftung: dem herrschenden Unternehmen wird die Möglichkeit eröffnet, sich der Verlustausgleichspflicht zu entziehen. Nach der „Autokran"-Entscheidung geschieht das in der Weise, „daß es dartut, der pflichtgemäß handelnde Geschäftsführer einer abhängigen GmbH würde die Geschäfte unter den gegebenen Umständen nicht anders geführt haben" 96 . Diese Formel hat wenig Anklang gefunden97: es ist schwer vorstellbar, in welcher Weise die Obergesellschaft dieser Darlegungsund Beweislast für eine auch nur locker in den Konzernverbund integrierte Tochter genügen kann. Deshalb ist dieser Ansatz im „Tiefbau" Urteil mit der einleuchtenden Begründung aufgegeben worden, „Kapitalerhaltungsgrundsätze und ordnungsgemäße Geschäftsführung haben, soweit es um die Gesellschafterhaftung geht, grundsätzlich nichts miteinander zu tun" 98 . Das bedeutet aber keine Konversion zur reinen Dazu näher Rebbinder S. 96; Ulmer A G 1986, 127. Das wäre auch die Konsequenz einer Haftung, die aus der Treuepflicht des Alleingesellschafters gegenüber seiner GmbH hergeleitet wird; vgl. Zöllner aaO Rdn. 35. 94 Vgl. Stimpel, Die Rechtsprechung des B G H zur Innenhaftung des herrschenden Unternehmens im GmbH-Konzern, AG 1986, 117, 123. 95 Die Einschränkung des „Autokran"-Urteils, daß dies nur für die mehrgliedrige GmbH und nicht für eine Einmanngesellschaft gelte, wurde in der „Tiefbau"-Entscheidung aufgegeben. 96 Β G H Z 95, 330, 344. 97 Rehbinder AG 1986, 98 f; Ulmer AG 1986, 128; Wiedemann ZGR 1986, 665 f; Zöllner aaO Rdn. 30 a. 98 Β G H Z 107, 7, 18. 92
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Zustandshaftung: dem herrschenden Unternehmen bleibt die Entlastung möglich; dazu hat es darzulegen, daß „die eingetretenen Verluste auf Umständen beruhen, die mit der Ausübung der Leitungsmacht nichts zu tun haben"99. Auch diese Formel dürfte die Praxis mit kaum überwindbaren Schwierigkeiten konfrontieren. Unternehmenskrisen beruhen nahezu immer auf der Diskrepanz von verhaltenssteuernden Erwartungen und realem Geschäftsverlauf; die Faktoren ausgeübter Leitungsmacht und konjunktureller Wetterlage lassen sich nicht hinreichend sauber auseinanderhalten. Angesichts der Normalität makroökonomischer Schwankungen 100 dürfte zudem nicht leicht zu ermitteln sein, wann die „branchenspezifischen Einbrüche" vorliegen, die der Senat beispielhaft erwähnt 101 . Trotzdem ist positiv zu vermerken, daß der Senat versucht, sich der Automatik einer reinen Strukturhaftung zu entziehen. 2. Trotz der Vielfalt der vorstehend nur knapp umrissenen dogmatischen Ansätze und Formeln beruhen höchstrichterliche Rechtsprechung und herrschende Lehre auf einer für die Praxis wichtigen Gemeinsamkeit: für die Frage nach den Grenzen des Trennungsprinzips sind allein unterschiedliche Erscheinungsformen der Gesellschafter (bzw. ihrer Beziehungen zur Gesellschaft) maßgeblich 102 ; für die Gläubiger wird auf eine vergleichbare Differenzierung verzichtet. Das hat sich als rechtspolitisch nicht sinnvoll erwiesen; es sollte (zumindest) zwischen „freiwilligen" und „unfreiwilligen" Gläubigern unterschieden werden. a ) Für die „freiwilligen" Gläubiger gilt das Trennungsprinzip nach Maßgabe der zwischen ihnen und der Gesellschaft vertraglich vereinbarten Risikoverteilung. Dabei ist nicht allein auf den Wortlaut des Vertrages, sondern auch auf die faktischen Bedingungen seines Zustandekommens abzustellen. Mangels besonderer Absprachen ist davon auszugehen, daß alle relevanten Umstände (Kapitalausstattung der Gesellschaft, Konzernabhängigkeit, spezifische Unternehmensrisiken), die dem Gläubiger im Augenblick des Vertragsabschlusses bekannt waren oder bekannt sein mußten, als Vertragsgrundlage zum Gegenstand der einvernehmlichen Risikoverteilung geworden sind. Hier besteht kein Grund, den Gläubiger vor einer Struktur oder gegen einen Zustand zu schützen, die er als Teil der vertraglichen Regelung akzeptiert hat. Die Rechtsordnung hat ihn im wesentlichen vor zwei möglichen Beeinträchtigungen zu " AaO. Es erscheint kein Zufall, daß die erörterten Fälle durchweg das Baugewerbe betreffen. 101 A a O S. 20. Zur Kritik vgl. auch Hachenburg/Mertens aaO Rdn. 13; Schmidt 1989, 550. 102 Dazu näher unten V. 100
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bewahren: davor, daß er über das von ihm übernommene Risiko getäuscht sowie davor, daß dieses Risiko durch einseitige Maßnahmen der Gegenseite nachträglich zu seinen Lasten verschärft wird 103 . Hier kann im wesentlichen auf bewährte Regeln des Privat- und insbesondere des Gesellschaftsrechts zurückgegriffen werden. Der Gläubiger braucht sich die Haftungstrennung nicht entgegenhalten zu lassen, wenn er auf Veranlassung oder mit Wissen der maßgeblichen Gesellschafter planmäßig betrogen oder auch nur über ihm verborgene Umstände nicht hinreichend aufgeklärt worden ist104. Zu der nachträglichen Risikoverschärfung zählen von der Judikatur entwickelte Tatbestände wie die der Vermögens- und Sphärenvermischung durch fehlende oder mangelhafte Buchführung 105 . Dazu können aber auch gehören postkontraktuelle Änderungen sowohl der Konzernstruktur, durch die etwa die abhängige Gesellschaft ständigen Einwirkungen des herrschenden Unternehmens unterworfen wird, wie der zur Vertragsgrundlage gewordenen unternehmerischen Aktivität der Kapitalgesellschaft106. Schließlich sind auch die Gläubiger dagegen zu schützen, daß sich der dominierende Gesellschafter auf Kosten der Kapitalgesellschaft bereichert107. Vor allem in diesen Fällen erscheint das Regulativ einer widerleglichen Vermutung sinnvoll: soweit die Gesellschaft dem beherrschenden Einfluß eines Gesellschafters unterworfen ist, sollte diesem der Nachweis obliegen, daß der Gesellschaft aus den zwischen ihm und ihr vollzogenen Transaktionen kein Nachteil erwachsen ist108. b) Wesentlich anders sind die „unfreiwilligen" (Delikts-)Gläubiger zu behandeln. Für sie ist generell zu fragen, ob die Haftungstrennung zwischen Gesellschafter(n) und Kapitalgesellschaft als ihnen gegenüber faire und angemessene Risikoverteilung aufrechterhalten werden sollte. Das kann zur Korrektur von Einzeleingriffen wie verdeckter Gewinnausschüttungen führen. Meist werden freilich andere Umstände den 103 I n s o w e i t geht es u m „ordnungsgemäße" o d e r „fehlsame" K o n z e r n g e s c h ä f t s f ü h rung (vgl. z u Fn. 9 0 f ) ; der M a ß s t a b f ü r die „angemessene" Risikoverteilung ist aber f ü r jeden G l ä u b i g e r d e m mit i h m abgeschlossenen V e r t r a g zu entnehmen. 104 Vgl. das Beispiel in B G H Z 87, 2 7 ; im Fall „ A u t o k r a n " w a r dem G l ä u b i g e r die F a c t o r i n g - V e r e i n b a r u n g z w i s c h e n den abhängigen Gesellschaften mitzuteilen.
Vgl. Stimpel a a O (Fn. 3 9 ) S. 6 0 6 f. io« D e r G l ä u b i g e r m u ß es nicht h i n n e h m e n , daß das v o n ihm (mit-)finanzierte P r o j e k t d u r c h ein anderes ersetzt w i r d , das z w a r g r ö ß e r e G e w i n n e ( f ü r die Gesellschafter) verspricht, aber zugleich h ö h e r e m R i s i k o völligen Scheiterns (zu Lasten der Gläubiger) ausgesetzt ist. 1 0 7 D a z u zählt auch die W e i s u n g z u m V e r z i c h t auf eine der Gesellschaft zustehende G e w i n n c h a n c e (vgl. Ulmer A G 1 9 8 6 , 127); die Fortschritte der Geschäftschancenlehre erleichtern die Erfassung derartiger Sachverhalte. 108 Strikt gegen jede B e w e i s l a s t u m k e h r Driike a a O (Fn. 79) S. 1 9 0 . 105
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Ausschlag geben. Im Vordergrund steht vor allem die Frage, ob für die von dem inkorporierten Unternehmen ausgehenden Gefährdungen Dritter hinreichende Sicherungen geschaffen und erhalten worden sind; das kann nicht nur durch die Bereitstellung und Erhaltung von Kapital, sondern auch durch den Abschluß von Haftpflichtversicherungen bewirkt werden. Auch hier könnte eine Umkehr der Beweislast in Betracht gezogen werden: dann hätte der für die Inkorporation und die weitere Entwicklung der Kapitalgesellschaft maßgebliche Gesellschafter im Fall seiner Inanspruchnahme darzulegen und nachzuweisen, daß für die spezifischen Gefahren, die mit dem inkorporierten oder ausgegliederten Betrieb verknüpft sind, hinreichende Risikovorsorge getroffen worden ist. Aber auch ohne eine derartige Vermutung wird sich die Haftungstrennung gegenüber den „unfreiwilligen" Gläubigern als wesentlich weniger resistent erweisen. c) Auf den ersten Blick läge es nahe, die „freiwilligen" Gläubiger der Verhaltens- und die „unfreiwilligen" der Strukturhaftung zuzuordnen. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich um graduelle Unterschiede. Ausschlaggebend ist die Risikoverteilung, die wohl in allen Fällen zugleich durch organisatorische Festlegungen (Struktur) wie durch einzelne Transaktionen (Verhalten) beeinflußt wird109. 3. Der hier vorgetragene Ansatz läßt sich freilich weder aus den Kapitalerhaltungsregeln noch aus der fiduziarischen Bindung der Gesellschafter ableiten. Das hat aber nicht zur Folge, daß die Vorteile der Normzwecklehre aufgegeben und die Sachprobleme der Bildersprache von „Durchgriffs-" und ähnlichen Lehren überantwortet werden müßten110. Auch für die dogmatische Anknüpfung ist zwischen Vertrags- und Deliktshaftung zu unterscheiden: a) Für die Vertragsgläubiger ist Anspruchsgrundlage und damit maßgebliche Norm die vertragliche Regelung111. Vertragspartner des Gläubigers ist freilich die Kapitalgesellschaft als eigenständiges Rechtssubjekt. Aber ihre Repräsentanten handeln zugleich für den oder die Gesellschafter (oder sind - wie im Falle des geschäftsführenden Alleingesellschafters - mit ihnen identisch); das wird vor allem dort evident, wo es ausdrücklich oder implizit - darum geht, ob und inwieweit das Trennungsprinzip für die Vertragsbeziehung bestimmend sein soll. Wenn 109 Mit gutem Grund spricht Zöllner aaO Rdn. 30 a von „wenig glücklich gewählten ... Kategorien". 110 Vgl. oben zu Fn.39. 111 Zu den Möglichkeiten der vertraglichen Anknüpfung vgl. generell Rehbinder, Konzernaußenrecht aaO (Fn. 4) S. 292 ff; die hier erörterten Fälle des „gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes" bleiben freilich planmäßig ausgeklammert (so das Vorwort).
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sich die Kontrahenten für die Haftungstrennung entscheiden112, kann diese Festlegung nur Bestand haben, wenn der oder die dadurch Begünstigten die durch das Trennungsprinzip implizierten Regeln einhalten, die vor allem die Irreführung über die involvierten Risiken und die nachträgliche einseitige Änderung der vereinbarten Risikoverteilung betreffen. Man kann und sollte diese Regeln als (vor-)vertragliche Sonder- oder Nebenpflichten verstehen. Dieser Ansatz ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung keineswegs fremd. Wiederum der 8. Zivilsenat hat den Mehrheitsgesellschafter und alleinigen Geschäftsführer einer GmbH aus culpa in contrahendo zum Ersatz des Schadens verurteilt, der einem Gläubiger durch irreführende Auskünfte über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens entstanden war113. b) Für die Delikts- und Gefährdungshaftung läßt sich der jeweilige Haftungstatbestand als die maßgebliche Norm heranziehen. Auch das ist nicht neu: Eine Haftung gemäß §§ 823 Abs. 2, 826 BGB wird angenommen, „wenn eine GmbH unter grober Mißachtung der den Gesellschaftern obliegenden Organisations- und Kapitalisierungspflichten zum Zwecke einer sozialwidrigen Risikoabwälzung auf Dritte eingesetzt wird" 114 . Diesem Ansatz ist zu folgen. Denn die mit den einschlägigen Bestimmungen verfolgten Schutz- und Regelungszwecke würden vereitelt, wenn das Trennungsprinzip dazu eingesetzt werden dürfte, den Ertrag unternehmerischen Engagements dadurch zu maximieren, daß die Risiken auf außenstehende (unbeteiligte) Dritte abgewälzt werden. IV. Außen- und Innenhaftung? 1. Herkömmlicher „Durchgriff" begründet „Außenhaftung": der - aus der Sicht der Gesellschaft - außenstehende Gläubiger nimmt einen oder mehrere Gesellschafter in Anspruch. Die sich aus §302 AktG für den Aktienvertragskonzern ergebende und in entsprechender Anwendung Das heißt: gegen Schuldbeitritt, Garantie usw. des oder der Gesellschafter. BGHZ 87, 27, 31 ff. Da der Beklagte „alleiniger Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter mehrerer Betonwerke" war, wäre der 2. Senat wohl von einem qualifizierten faktischen GmbH-Konzern ausgegangen. Vergleichbare Sachverhalte lagen BGH NJW 1988, 2234 und BAG AP Nr. 1 zu § 13 GmbHG (mit Anm. Mertens) zugrunde. Es wird nicht verkannt, daß diese Rechtsprechung ihrerseits Fragen aufwirft, die hier nicht zu erörtern sind; vgl. etwa Ulmer, Die GmbH und der Gläubigerschutz, GmbHR 1984, 256, 264; Grunewald, Die unbeschränkte Haftung beschränkt haftender Gesellschafter für die Verletzung von Aufklärungspflichten im vorvertraglichen Bereich, ZGR 1986, 580; Kölner Komm. - Mertens, AktG (2. Aufl. 1989) §93 Rdn. 180 u. 183; Hachenberg/Mertens aaO Rdn. 55. 114 Hachenburg/Mertens aaO Rdn. 15; vgl. auch BGH NJW 1979, 2104 und DB 1988, 1848. 112
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auf den qualifizierten faktischen GmbH-Konzern erstreckte Verlustausgleichspflicht wird als „Innenhaftung" bezeichnet: hier wird der Anspruch von der abhängigen Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen - als Allein- oder dominierenden Gesellschafter - geltend gemacht. Die praktische Bedeutung dieses Unterschiedes zeigt sich vor allem im Konkurs der GmbH: den Verlustausgleich kann der Konkursverwalter einfordern. Der 2. Senat ließ sich offensichtlich nicht zuletzt durch diesen Aspekt zur analogen Anwendung des § 302 AktG stimulieren115. Es liegt auf der Hand, daß eine nach Gläubigern differenzierende Lösung mit dieser Innenhaftung allenfalls partiell vereinbar ist. Deshalb ist zu fragen, ob die Vorzüge der Innenhaftung die der Gläubigerdifferenzierung überwiegen und deshalb von dieser abgesehen werden sollte116. 2. Die Literatur geht überwiegend davon aus, daß die Innen- der Außenhaftung überlegen ist. Dafür wird auf mehrere Gründe abgestellt: den Informationsvorsprung des Konkursverwalters117, den unerwünschten Wettlauf der Gläubiger118, den - ebenfalls unerwünschten - Vorteil der Durchgriffs- gegenüber den anderen Gläubigern der insolventen Kapitalgesellschaft119 sowie die „unglückliche Divergenz..., die auf Grund der herrschenden Lehre zwischen der Durchgriffshaftung als Haftung gegenüber den Gläubigern und den Rechten aus der kapitalersetzenden Funktion von Gesellschafterdarlehen als Rechten der Gesellschafter besteht"120. Dabei wird die hier interessierende Auswirkung auf unterschiedliche Gläubiger meist nicht in die Abwägung einbezogen. Eine rühmliche Ausnahme bildet die Untersuchung von Rehbinder: er konzediert zwar die „unterschiedliche Schutzwürdigkeit einzelner Gesellschaftsgläubiger"; eine „Individualisierung der Haftung . . . ist indessen nicht der Weg, der uns im kodifizierten und judiziell entwickelten Konzernrecht vorgezeichnet ist. Es entspricht dem ,Konzernrechtsdenken' des Gesetzes, das insoweit von der Rechtsprechung nur weitergedacht worden ist, den Gläubigerschutz als Schutz der Gläubigergesamtheit anzulegen und gerade nicht auf die individuelle Schutzwürdigkeit abzustellen"121. Diese Argumentation ist deshalb 115 Dazu Stimpel in: FS für Goerdeler aaO (Fn.40) S. 603: die Rechtsprechung habe dem Konkursverwalter bislang keine Ansprüche an die Hand gegeben. 116 Diese Frage hat Rehbinder A G 1986, 97 am klarsten gesehen und erörtert. 117 Stimpel aaO. 118 Ulmer A G 1986, 128; dazu aufschlußreich K.Schmidt, Insolvenzrisiko und gesellschaftsrechtliche Haftung, JZ 1985, 301, 306 f, der auf konkursrechtliche Aspekte hinweist. 119 Rehbinder aaO; Schwark aaO (Fn. 89) S.450. 120 Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981) 362. 121 AaO (Hervorhebung im Original); ähnlich Wilhelm aaO S.361: die Innenhaftung ist „systemgerecht".
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einigermaßen überraschend, weil Rehbinder zu Recht von der Prämisse ausgeht, daß „das aktienrechtliche Konzernrechtsmodell seine rechtspolitische Uberzeugungskraft weitgehend verloren hat" und eine strikte Bindung an dieses Modell außerhalb des Aktienrechts nicht anzuerkennen sei122. 3. Für eine an der Funktion des Trennungsprinzips orientierte Betrachtungsweise bedeutet Innenhaftung durch pauschalen Verlustausgleich, daß die „freiwilligen" mit den „unfreiwilligen" Gläubigern auch dort gleichgestellt werden, wo sie das Risiko der Haftungstrennung bewußt übernommen haben, weil sie dafür kompensiert worden sind. Diese Gleichstellung tangiert nicht nur den als herrschendes Unternehmen qualifizierten Gesellschafter. Für den wohl nicht seltenen Fall, daß auch seine finanzielle Situation angespannt ist, sind zugleich seine Gläubiger betroffen, weil die ihnen zur Verfügung stehende Haftungsmasse verkürzt wird123. Dann werden aber auch die „unfreiwilligen" Gläubiger benachteiligt. Das läßt sich an dem Beispiel verdeutlichen, daß ein ausgegliederter Unternehmensteil überwiegend mit hochverzinslichen Krediten finanziert worden ist und Dritte in rechtlich erheblicher Weise geschädigt hat. Wenn sowohl die Tochter- wie die Obergesellschaft insolvent sind, geht der Verlustausgleich zu Lasten der (kleinen) Deliktsgläubiger: sie müssen die Konkursmasse des herrschenden Unternehmens mit den Darlehensgebern teilen, die für das mit der Unterkapitalisierung verknüpfte Risiko durch den Zinszuschlag schon eine Gegenleistung erhalten haben. Es ist nicht einzusehen, daß sich dieses Ergebnis mit der (möglicherweise) einfacheren Abwicklung der Innenhaftung rechtfertigen läßt. Zugleich erledigt sich der Einwand der Bevorzugung der Durchgriffsgläubiger gegenüber allen übrigen Gläubigern: diese Differenzierung ist dort berechtigt, wo nur einzelne Gläubiger das Opfer einer sozialwidrigen Risikoabwälzung geworden sind. Im übrigen schließt diese Unterscheidung die Innenhaftung nicht generell aus: wo dem dominierenden Gesellschafter die Berufung auf das Trennungsprinzip gegenüber allen Gläubigern versagt ist, sollte es dem Konkursverwalter möglich sein, die entsprechende Forderung für die Masse geltend zu machen und damit die gleichmäßige Befriedigung der Beteiligten zu
122 AaO S. 88; auf diese Diskrepanz hat schon Assmann JZ 1986, 887 hingewiesen. Für den faktischen GmbH-Konzern würde die „strikte Bindung" an das aktienrechtliche Modell zudem die entsprechende Anwendung der §§311 ff AktG verlangen - eine Konsequenz, die aus durchschlagenden Gründen generell abgelehnt wird. Zur weiteren Erörterung vgl. unten V. 123 Heinsius aaO (Fn. 36) S. 106.
H a f t u n g s t r e n n u n g und G l ä u b i g e r s c h u t z im Recht der Kapitalgesellschaften
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erreichen; zur Begründung könnte §172 Abs. 2 H G B herangezogen werden124. 4. Für eine Differenzierung der Haftung spricht noch eine weitere Erwägung. Im „Autokran"-Fall wurde den klagenden Gläubigern der Zugriff auf das Privatvermögen des Gesellschafters H. gestattet, obwohl es zu den durch den Haftungsdurchgriff zu korrigierenden Vermögensverschiebungen nur zwischen den abhängigen Gesellschaften gekommen war. Deshalb wird zur wirksamen Abschottung des Privatvermögens die Zusammenfassung des parallel aufgespaltenen Unternehmens in einer Gesellschaft125 oder die Zwischenschaltung einer Holding-GmbH empfohlen126; beide Konstruktionen haben zur Folge, daß der dominierende Gesellschafter nur noch an einer GmbH beteiligt ist und deshalb die Eigenschaft eines Unternehmens im Sinne des Konzernrechts verliert; im Falle der Zwischenholding wird diese zum herrschenden Unternehmen, das den Haftungsdurchgriff abfängt. Bei im übrigen gleichem Sachverhalt ist die mit diesen Konstruktionen bewirkte Abweichung der Ergebnisse wenig plausibel127. Sie würde vermieden, wenn die Korrektur im „Autokran"-Fall auf den „lateralen Durchgriff" 128 einer Haftung mit dem konsolidierten Vermögen aller abhängigen Gesellschaften beschränkt würde. Der 2. Senat ist auf diese Variante offenbar nur deshalb nicht eingegangen, weil er keine Möglichkeit sah, sie dogmatisch zu begründen129. Ziegler hat inzwischen dargelegt, daß sich für eine derartige Haftungsbeschränkung plausible Anknüpfungspunkte finden lassen130; in der Sache ist sie gewiß sinnvoll. Dann ist es jedoch nicht mehr auszuschließen, daß ein Vertragsgläubiger nur auf das Vermögen der Schwestergesellschaften und ein Deliktsgläubiger zugleich auf das Privatvermögen des hinter dem parallel aufgegliederten Unternehmen stehenden Gesellschafters zugreifen darf; auch derartige Differenzierungen lassen sich nur im Wege der Außenhaftung berücksichtigen.
124
Ablehnend Rehbinder
S. 97: D i e s e B e s t i m m u n g sei nicht
verallgemeinerungs-
fähig. Lutter Z I P 1985, 1435. Ulmer N J W 1986, 1576; Priester, U n b e s c h r ä n k t e K o n z e r n h a f t u n g des G m b H Gesellschafters, Z I P 1986, 137, 144. 127 Kritisch vor allem Schwark a a O S. 451. 128 Vgl. oben zu F n . 75 sowie Teubner a a O (Fn. 40) S. 276 ff. 129 Vgl. Stimpel F S f ü r Goerdeler S . 6 0 7 . no Verlustausgleich u n d H a f t u n g s d u r c h g r i f f beim qualifizierten faktischen G m b H K o n z e r n , W M 1989, 1041 u n d 1077, 1079 ff. A u c h unter d e m Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes wäre die W e n d u n g von „ F e r t i g h a u s " zu „ A u t o k r a n " weniger gravierend ausgefallen, wenn das Privatvermögen des Bekl. H . v o m H a f t u n g s d u r c h g r i f f verschont geblieben wäre. 125 126
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V. Konzern- oder gesellschaftsrechtliche Haftung? Die Besonderheit der erörterten Entscheidungen des 2. Zivilsenats ist vor allem in dem Bestreben zu sehen, alte Probleme des Gesellschaftsrechts mit konzernrechtlichen Regeln zu lösen: „Autokran" ist deutlich als eine „Grundlagenentscheidung zum GmbH-Konzernrecht" 131 konzipiert. Es ist nicht ersichtlich, daß diese Neuerung als Reaktion auf eine Konfliktsituation zu verstehen ist, in der sich ein spezifisches Regelungsbedürfnis manifestiert hat132; vielmehr dürfte nach wie vor davon auszugehen sein, daß ein „erhebliches Bedürfnis für konzernspezifischen Gläubigerschutz" nicht existiert, weil die selbständige GmbH besonders konkursanfällig ist133. Dann besteht Anlaß, abschließend danach zu fragen, was die konzernrechtliche Einkleidung zur erwünschten Präzisierung der Grenzen des Trennungsprinzips beizutragen vermag. 1. Die Anwendung des konzernspezifischen Gläubigerschutzes verlangt zunächst, daß der in Anspruch genommene Gläubiger als (herrschendes) Unternehmen im Sinne der §§15 ff AktG zu qualifizieren ist. Der Bundesgerichtshof bejaht die Unternehmenseigenschaft, wenn „der Gesellschafter noch anderweite Unternehmensinteressen verfolgt und innerhalb der Gesellschaft die Einwirkungsmöglichkeiten besitzt, um deren Geschäftstätigkeit an seinen anderen unternehmerischen Interessen auszurichten"134; dafür reicht die Gliederung des Unternehmens in parallel agierende Kapitalgesellschaften aus135. Das ist schon deshalb wenig einleuchtend, weil dann der für die Gläubiger im Regelfall kaum relevante Einbau einer Zwischenholding zu einem ganz anderen Ergebnis führen kann136. In diesem Punkt ist das „Autokran"-Urteil denn auch besonders kritisiert worden137. Der Senat läßt sich von der Erwägung leiten, daß das für die selbständige Gesellschaft maßgebliche Regulativ des Gleichlaufs der Interessen entfällt, wenn ein einflußreicher Gesellschafter noch andere unternehmerische Interessen verfolgt138. Das ist stichhaltig, soweit es um andere Gesellschafter geht: sie sind der ständi-
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Priester aaO (Fn. 126) S. 137.
Zu „Autokran" pointiert Wiedemann Z G R 1986, 658: „Hier hat nicht der Fall eine Lösung, sondern die Rechtsfortbildung einen Fall gesucht." 133 Zöllner aaO Rdn.25. 134 B G H Z 95, 330, 335. 135 Die „Autokran"-Entscheidung ist insoweit freilich nicht völlig eindeutig: H. ist Unternehmen, weil er „zugleich an den sieben Leasingnehmergesellschaften, im übrigen aber auch ähnlich an anderen Gesellschaften beteiligt war" (S. 337). 136 Vgl. oben zu Fn. 126. 137 Vor allem durch K. Schmidt: vgl. Gesellschaftsrecht (1986) 913 sowie ZIP 1986, 147 ff und 1989, 549. 138 AaO S. 334. 132
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gen Gefahr einer Verkürzung ihres Gewinnanteils durch verdeckte Gewinnausschüttungen an das herrschende Unternehmen ausgesetzt. Für die Gläubiger ist das ein Randproblem, das für sie nur im Falle der systematischen Ausplünderung oder Dekapitalisierung der abhängigen Gesellschaft relevant wird 139 . Im Mittelpunkt ihres Interesses steht die Risikoverteilung; sie müssen verhindern bzw. dagegen geschützt werden, daß ein potentiell profitables Unternehmen auf ihre Kosten betrieben wird: wenn und solange es gut geht, streichen die Gesellschafter die Gewinne ein; im Falle des Scheiterns tragen die Gläubiger den Löwenanteil der Verluste. Es ist nicht ersichtlich, daß dieses Risiko durch ein anderes unternehmerisches Engagement des dominierenden Gesellschafters signifikant verschärft wird. Man könnte sogar das Gegenteil annehmen: für den mehrere Kapitalgesellschaften beherrschenden Unternehmer wird der Anreiz zu gläubigerschädigenden Maßnahmen oder Gestaltungen in einer dieser Gesellschaften deshalb gering sein, weil er dadurch den Kredit aller übrigen gefährdet. Das heißt: der konzernrechtliche Ansatz führt zu einer Abgrenzung des Tatbestandes, die von der Sache her wenig sinnvoll ist. 2. Die spezifische Konzernhaftung verlangt zudem, daß der Verbund als „qualifiziert" einzuordnen ist. Es besteht weithin Einigkeit, daß es bislang nicht gelungen ist, den Begriff des qualifizierten faktischen Konzerns hinreichend präzise zu bestimmen: die Ergebnisse der darauf zielenden Bemühungen „sind relativ vage und demgemäß mit den Risiken erheblicher Unbestimmtheit belastet" 140 ; die Unsicherheit ist so groß, daß zu „äußerster Zurückhaltung in der Annahme eines qualifizierten faktischen Konzerns" zu raten ist141; die vorgeschlagenen Definitionen lassen sich „verbal nur sehr eingeschränkt unter Kontrolle bekommen: Die Grauzone ist hier so breit wie der Hof des Vollmonds in einer November-Nebelnacht" 142 . Die Rechtsprechung neigt offenbar zu einer expansiven Anwendung des Konzepts: wenn in einer G m b H , deren Geschäfte von zweien der drei Gesellschafter geführt werden, der eine für den technischen Betrieb und der andere „für alle finanziellen Entscheidungen" zuständig ist, soll letzteres für den Eintritt der ver-
139 Insoweit ist das Factoring im Fall „Autokran" ein wichtiges Element des Sachverhalts. 140 Zöllner aaO Rdn.30. 141 So das Ergebnis der eindringlichen Analyse von Hoffmann-Becking, Der qualifizierte faktische AG-Konzern - Tatbestand und Abwehransprüche - , ZHR-Beiheft 62 (1989) 68 ff, 83. 142 So Lutter, Der qualifizierte faktische Konzern, AG 1990, 179, 184, auch für seine eigene in diesem Beitrag vorgeschlagene Bestimmung („Ubergang der Geschäftsführung der Tochter auf die Mutter").
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schärften Haftung offenbar ausreichen143; damit läßt sich Risikobegrenzung durch Inkorporation für einen geschäftsführenden Gesellschafter, der noch an einem anderen Unternehmen beteiligt ist, im Regelfall nicht mehr erreichen144. Auch insoweit erscheint das konzernspezifische Tatbestandsmerkmal der „Qualifikation" generell fragwürdig: es setzt bei der Intensität der Einflußnahme und Leitung an, wo es für die Gläubiger vor allem auf die Risikoverteilung ankommt 145 . Das gilt in erster Linie für die Deliktsgläubiger: die ihnen gegenüber sozialwidrige Risikoabwälzung 146 verlangt auch dann nach Korrektur, wenn der ausgegliederte Unternehmensteil am langen Zügel geführt wird. Die „freiwilligen" Gläubiger sind auf Rechtsschutz gegen nachträgliche Risikoänderungen zu ihren Lasten angewiesen; auch dafür ist die Dichte der konzerninternen Beziehungen nicht das entscheidende Datum. 3. Angesichts der Begeisterung, mit der Rechtsprechung und Literatur die Expansion eines rechtsformübergreifenden Konzernrechts betreiben, erscheint es angebracht, an die Entstehungsgeschichte der aktienrechtlichen Bestimmungen zu erinnern, die als Fundament der kühnen dogmatischen Konstruktionen benutzt werden: ihr Vater war das Bedürfnis, die gesellschaftsrechtlichen Bedingungen des Steuerprivilegs der Organschaft zu legalisieren. Schon aus diesem Grunde ist es fragwürdig, die einschlägige Regelung unbesehen in den Rang eines für alle Rechtsformen maßgebenden Modells zu erheben. Die Erfahrung zeigt, daß die Rechtsprechung zum „GmbH-Konzern" dort am erfolgreichsten ist, wo sie sich von den allgemeinen Grundsätzen des Gesellschaftsrechts leiten läßt147. Das sollte bei der Bestimmung der Grenzen der Haftungstrennung beherzigt werden: wir brauchen nicht einen zum Selbstzweck erhobenen konzernspezifischen Gläubigerschutz, sondern eine Regelung, die den Funktionsbedürfnissen der gesellschaftsrechtlich organisierten Unternehmenspraxis gerecht wird.
143 So ist BGHZ 107, 7, 19 f zu verstehen; es ist nicht ersichtlich, daß das Moment der Treuhand das Ergebnis beeinflußt. 144 Dazu Koppensteiner, Uber die Verlustausgleichspflicht im qualifizierten AGKonzern, ZHR-Beiheft 62 (1989) 87, 101. Das hat erhebliche praktische Bedeutung: mehr als 75 % aller GmbH werden „selbstorganschaftlich", d. h. durch Gesellschafter geleitet; vgl. Komblum, Weitere Rechtstatsachen zum Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, GmbHR 1983, 61, 64. 145 Zutreffend Koppensteiner aaO S. 100. 146 Hachenburg/Mertens aaO Rdn. 15. 147 BGHZ 65, 15 („ITT") gilt uneingeschränkt als ein Musterbeispiel geglückter richterlicher Rechtsfortbildung.
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I. Im Frühjahr 1989 trat in einer großen deutschen Publikums-AG das juristische Krisen-Management zusammen. Etwas bislang Undenkbares war geschehen; in das seit Jahrzehnten reibungs-, anstands- und geräuschlos laufende Räderwerk der Hauptversammlungsvorbereitung war ein Stein geraten: Die richtige Frist zwischen der Einberufung der Hauptversammlung und deren Termin war nicht eingehalten worden, es fehlten ein paar Tage. Die Zusammenrechnung der gesetzlichen Frist und einer satzungsgemäßen Verlängerung - § 123 II 2 AktG - war wegen vieler zwischenliegender Feiertage schwierig gewesen; vielleicht auch hatte jemand den Blick zu lange auf den Vorjahres-Ablauf geheftet und einen seinerzeitigen Termin übernommen ohne Rücksicht auf den aktuellen Kalender. Jedenfalls war es geschehen. Zur Entscheidung stand zunächst einmal, die Hauptversammlung abzublasen und mit einem neuen Termin neu dazu einzuladen - abgesehen von technischen Fragen, z.B. ob der Veranstaltungssaal auch zum neuen Termin verfügbar wäre, ergab sich das Problem einer dann sehr viel späteren Auszahlung der angekündigten Dividende. Die wirtschaftliche Rücksichtnahme auf die Aktionäre im Hinblick auf den Zeitpunkt der Dividendenzahlung und auf die Gesellschaft im Hinblick auf die nicht unerheblichen Kosten durch die Absage der ursprünglich angesetzten und die Abhaltung einer neuen Hauptversammlung gebot, die Hauptversammlung wie vorgesehen durchzuführen - darin waren sich alle Gremien der Gesellschaft und der vorsorglich zugezogene externe Rechtsberater alsbald einig. II. Welche Risiken ging man damit ein? 1. Die Vorschriften über die Einberufungsfrist - § 123 AktG - waren verletzt. Damit würden die Beschlüsse der Hauptversammlung - sämtlich - anfechtbar sein, da keiner der Tagesordnungspunkte fristgemäß bekanntgemacht worden war, §§124 I V I , 2431 AktG.
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Solche Anfechtungen wären formell auf jeden Fall begründet. Hinsichtlich der Kosten würde man versuchen, einen „gespaltenen" Streitwert festgesetzt zu bekommen, § 247 II AktG, das Kostenrisiko bliebe aber relativ hoch, weil die Zahl der Anfechtungsklagen nicht unmittelbar beeinflußbar sein würde. Die bereits von oppositionellen Aktionären gestellten bzw. angekündigten Anträge auf Satzungsänderungen und gegen die Verwaltungsvorschläge würden die Anfechtungsfreude möglicherweise sehr steigern. Nicht zu unterschätzen war wohl der Image-Verlust für die Gesellschaft sowohl in der Hauptversammlung - daß man von sich aus auf die Fristversäumnis zu sprechen kommen müsse und dies nicht erst kritischen Aktionären überlassen dürfe, war von Anfang an klar gewesen - wie auch in den Medien bei der Berichterstattung darüber. Anzunehmen war schließlich, daß Aktionäre, die vor der Hauptversammlung den Fristverstoß entdeckten, die Gesellschaft unter erpresserischen Druck setzen würden mit dem Ziel, sich die Offenlegung in den Medien und das Anfechtungsrecht „abkaufen" zu lassen1. Das Schlimmste, was hätte passieren können, nämlich ein Verbot der Hauptversammlung auf Antrag eines Aktionärs noch vor der Hauptversammlung, erwies sich beruhigenderweise als rechtlich nicht begründbar und mußte daher nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden. Auch ein Verbot der Beschlußfassung in der Hauptversammlung durfte als rechtlich nicht durchschlagend begründbar erachtet werden, auch soweit in der Hauptversammlung der Abstimmung von Aktionärsseite widersprochen und der Vorsitzende dem Widerspruch nicht stattgeben würde 2 .
III. Wenn man sich andererseits schon der Anfechtbarkeit der Hauptversammlungsbeschlüsse aussetzte, lag die Erwägung nahe, ob und wie es 1 Solche Überlegungen lagen nahe, hatte sich doch schon vor einem Jahr Schiaus in „Die Aktiengesellschaft" 1988, 113 mit dem „Auskauf opponierender Aktionäre" befaßt, war vor ein paar Monaten das Urteil des O L G Köln vom 18.5.1988 in „Die Aktiengesellschaft" 1988, 349 veröffentlicht worden, das in Ausnahmefällen ein Abkaufen von Aktionärsrechten als verhältnismäßig und gerechtfertigt befand, und hatten Hommelhoff/Timm in „Die Aktiengesellschaft" 1989, 168 soeben „Aufwandspauschalen für Anfechtungskläger?" zur Diskussion gestellt. 2 Zöllner in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz 1985 Anm. Rdn. 42 zu §124 gegen Baumbach/Hueck Aktiengesetz Anm. Rdn. 8 zu § 124, w o aber im letzten Halbsatz die Abstimmung für durchaus möglich gehalten wird, wenn der Formverstoß ohne möglichen Einfluß auf das Zustandekommen des Beschlusses gewesen sei.
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eine „Heilung" dieser Anfechtbarkeit geben könnte. Rechtlich gesichert erschien, daß die anfechtbaren Beschlüsse in einer weiteren Hauptversammlung bestätigt werden konnten, solange ihre Nichtigkeit noch nicht festgestellt worden war (vom Fall des § 244 S. 2 AktG abgesehen)3 oder daß sie in einer weiteren Hauptversammlung wiederholt werden mußten, falls und soweit eine solche Nichtigerklärung der alten Beschlüsse erfolgt war. Das Kostenrisiko erfolgter Anfechtungen würde aber bestehenbleiben, auch wenn die Klagen als in der Hauptsache durch die Bestätigung erledigt erklärt würden. Für die Befürchtung, eine solche bestätigende Hauptversammlung müsse noch im gleichen Kalenderjahr stattfinden, also als außerordentliche Hauptversammlung, die Bestätigung könne also nicht in der nächstjährigen ordentlichen Hauptversammlung miterledigt werden, ergab sich dagegen keine Rechtsgrundlage. Nicht weiter verfolgt wurde auch der Gedanke, zur Abwehr oder zur Zurückdrängung größerer Anfechtungsfreude bei den Aktionären in der heranstehenden Hauptversammlung darauf hinzuweisen, man werde allzuvielen Anfechtungsklagen dadurch begegnen, daß man alsbald eine bestätigende außerordentliche Hauptversammlung anberaumen werde, die dann allen Anfechtungsklagen den rechtlichen Boden entziehen werde. Man nahm sich aber intern vor, eine realistische Kosten-Gegenüberstellung zu versuchen, wenn es zu vielen Anfechtungsklagen kommen würde. IV. Ehe nun die zwei eigentlichen rechtlichen Problemfelder behandelt werden, die den Kern dieser Abhandlung darstellen, darf erwähnt werden, daß sich die Durchführung der Hauptversammlung trotz der förmlichen Anfechtbarkeit ihrer sämtlichen Beschlüsse unter Hinnahme aller damit verbundenen Risiken als in jeder Hinsicht richtig erwiesen hat: Keine Anfechtungsklage wurde erhoben, und nur ein einziger Aktionär hat den - trotz juristischer Beratung eher dilettantischen - Versuch unternommen, von der Gesellschaft Geld für den Nicht-Angriff zu bekommen; geschicktes Taktieren der Gesellschaft ließ ihn ins Leere laufen. 3 Wobei es gleichgültig erschien, ob mit dem unangreifbaren Bestätigungsbeschluß lediglich das Rechtsschutzbedürfnis für Anfechtungsklagen gegen den ursprünglichen mangelhaften Beschluß entfiel, wie dies der B G H mit Urteil v o m 2 7 . 9 . 1 9 5 6 in B G H Ζ 2 1 , 354 = N J W 1956, 1753 entschieden hatte, oder ob dem Bestätigungsbeschluß materiellrechtliche Heilungswirkung zukam, wie dies die wohl überwiegende Meinung in der Rechtslehre war, vgl. H i i f f e r im Kommentar zum Aktiengesetz von Geßler/Hefermehl/ Eckardt/Kropff A n m . Rdn. 14 zu § 2 4 4 .
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V. Anfechtungsklage und Rechtsschutzbedürfnis 1. Die Nichteinhaltung der Einberufungsfrist für die Hauptversammlung und der in ihr liegende Verstoß gegen § 123 AktG führte zunächst einmal zur förmlichen Anfechtbarkeit aller in dieser Hauptversammlung zu fassenden Beschlüsse. Was aber war materieller Gegenstand einer solchen Anfechtungsklage? Die seither übliche Präsenz in der Hauptversammlung einmal unterstellt - würden die Beschlüsse nicht in einer ordnungsmäßig einberufenen Hauptversammlung ganz ebenso gefaßt werden, und konnte das von einer „bestätigenden Hauptversammlung" nicht gleichermaßen erwartet werden? Wären die in der belasteten Hauptversammlung gefaßten Beschlüsse wirklich innerlich fehlerhaft, anders als nach Rechtsbedürfnissen „eigentlich richtig"? Soweit die Beschlußfassung über die Verwendung des Reingewinns in Frage stand - die Ausschüttung der Dividende ist für jeden Aktionär unverändert einer der wichtigsten Tagesordnungs- und Beschlußpunkte - wenn nicht der wichtigste überhaupt - , weil er von ihm aktuell und unmittelbar „betroffen" ist - war gerade die dennoch erfolgende Abhaltung der Hauptversammlung von eindeutigem und ausschließlichem Vorteil für jeden Aktionär; eine zeitliche Verschiebung der Hauptversammlung um mindestens einige Monate mußte auf jeden Fall seine finanziellen Dispositionen stören, selbst wenn er für den Verschiebungszeitraum eine Verzinsung des Dividendenbetrages bekommen würde (von der rechtlichen Fragwürdigkeit einer solchen Verzinsung einmal abgesehen). Eine zeitlich spätere Beschlußfassung über die Dividendenausschüttung wäre mithin auf jeden Fall nachteilig für jeden Aktionär gewesen. Was die übrigen Beschlüsse anging und die Behandlung der Zusatz- und Oppositionsanträge, so würden allenfalls Erwägungen dahin angestellt werden können, ob in einer ordnungsmäßig einberufenen Hauptversammlung andere Aktionäre mit anderen Mehrheiten erschienen wären und durch ihre Ausführungen eine genügende Anzahl von Aktionären umgestimmt haben würden4. Mit einer solchen Möglichkeit brauchte realistischerweise nicht gerechnet zu werden: Die Präsenz und ihre Vertreter in den Hauptversammlungen der Gesellschaft waren nach Personen und Institutionen seit vielen Jahren in etwa gleich geblieben, Fluktuation hatte es überhaupt nur bei den jeweils erschienenen Kleinaktionären mit zusammen unter 3 % des Kapitals gegeben.
4 Dieser Gesichtspunkt wird insbesondere von Baumbach/Hueck aaO in Anm. Rdn. 8 zu §243 herausgestellt; ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Zöllner aaO in Anm. Rdn. 85 zu §243; vgl. auch Godin/Wilhelmi Kommentar zum Aktiengesetz in Anm. 2 zu §243 und die eingehende Darstellung des Meinungsstandes durch Hiiffer aaO in Anm. Rdn. 21-37 zu §243.
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Dem förmlichen Mangel der um einige Tage zu kurzen Einberufungsfrist konnte also unter Zugrundelegung der Verhältnisse innerhalb der letzten Jahrzehnte kein irgendwie gearteter weiterer rechtlicher oder wirtschaftlicher Nachteil für die Aktionäre und/oder die Gesellschaft innewohnen oder folgen. Die zu fassenden Beschlüsse hielten sich im Rahmen des Üblichen und betrafen keine neuen oder schicksalsträchtigen Probleme der Gesellschaft, die Zusatz- und Gegenanträge waren ihrerseits rechtzeitig bekanntgemacht worden, so daß irgendeine Art Überraschung oder eine verkürzte Überlegungszeit dazu nicht vorlagen. 2. Ob bei förmlicher Anfechtungsberechtigung auch ein den materiellen Gehalt des Anfechtungsbegehrens berührendes Rechtsschutzinteresse 5 vorliegen mußte, war in den letzten Jahrzehnten wiederholt andiskutiert, nie aber ausdiskutiert worden. Der BGH hatte Mitte der 60er Jahre im Anschluß an die RG-Rechtsprechung festgestellt, daß sich das Rechtsschutzinteresse für gesellschaftsrechtliche Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen als Instrument der Gesellschafter zur Kontrolle der Gesetz und Rechtmäßigkeit des Organhandelns einer Kapitalgesellschaft bereits daraus ergebe, daß ihre Erhebung der Herbeiführung eines Gesetz und Satzung entsprechenden Rechtsstandes dient: „Ein Gesellschafter, der einen Gesellschafterbeschluß anficht, braucht darum kein besonderes Rechtsschutzinteresse darzutun" 6 . Das war und blieb auch lange Zeit die weitaus überwiegende Auffassung in der rechtswissenschaftlichen Literatur, nicht zuletzt im Hinblick auf die grundsätzliche und dezidierte diesbezügliche Meinung von Bokelmann7. Solange mit Anfechtungen
5 Wieczorek, ZPO, 1957, definiert das Rechtsschutzinteresse eher vage als „Interesse an alsbaldiger Feststellung" ebenso wie als „Möglichkeit, den Staat um gerichtliche Befriedung anzugehen" (Bd.III Anm. Rdb. C zu §256), und das Rechtsschutzbedürfnis als Friedenssicherung (Bd. 1 1 Allgemeines Anm. Rdb. A II d 2 ) oder auch als Anspruch, für den Rechtsschutz begehrt wird, mit der Frage, ob ein Bedürfnis nach diesem Rechtsschutz für ihn bestehe (Bd. II 1 Anm. Rdb. Β III a 1 zu § 253). 6 B G H vom 1 7 . 9 . 1 9 6 4 in W M 1964, 1188 (1191); vom 2 5 . 2 . 1 9 6 5 in W M 1965, 422 (423, in II.2) = BGH Z 4 3 , 261 (265/6); vom 1 7 . 1 . 1 9 6 6 in W M 1966, 446 (447). 7 Er hatte zur Frage „Rechtsmißbrauch des Anfechtungsrechts durch den Aktionär?" in BB 1972, 733 mit den Versuchen, einen Mißbrauch des Anfechtungsrechts wenigstens dann anzunehmen, wenn der anfechtende Aktionär der Gesellschaft „seinen Willen selbstsüchtig in erpresserischer Weise aufzwingen wolle", er also die Anfechtungsbefugnis „zu gesellschaftsfremden Zwecken" in Anspruch nehme, hart abgerechnet: Solche Ideen gingen samt und sonders fehl, die Lehre vom Rechtsmißbrauch könne unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt im Hinblick auf das Anfechtungsrecht erheblich werden. Da die Anfechtungsklage die Aufhebung eines rechtswidrigen Zustandes bezwecke, die Rückgängigmachung einer Rechtsverletzung, sei sie von den Motiven des anfechtenden Aktionärs völlig unabhängig. Die gegenteilige Meinung gehe allenfalls auf eine A r t moralischen Unwillens zurück, führe aber zur Selbstaufgabe der Rechtsordnung, wolle sie einer Rechtswidrigkeit nur deshalb Bestand verleihen, weil ihr die Motive dessen, der das Recht
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nicht M i ß b r a u c h im g r o ß e n Stil getrieben w u r d e , erschien das P r o b l e m als nicht allzu bedeutungsvoll. E r k e n n b a r w a r in l e t z t e r Z e i t freilich g e w o r d e n , d a ß A k t i o n ä r e m i t g e s c h ä r f t e m R e c h t s b e w u ß t s e i n einerseits u n d e r w a c h t e m G e s c h ä f t s s i n n andererseits i m m e r häufiger ihre U n t e r nehmen mit Anfechtungsklagen
b e d r o h t e n , die d u r c h a u s n i c h t
dem
hehren Ideal d e r D u r c h s e t z u n g v o n G e s e t z u n d S a t z u n g gegen e c h t e V e r s t ö ß e hiergegen dienen sollten. D i e Z i e l r i c h t u n g w a r v i e l m e h r , die Gesellschaften u n d ihre O r g a n e u n t e r D r u c k zu setzen u n d sich d a n n die N i c h t e r h e b u n g o d e r die W e i t e r f ü h r u n g v o n A n f e c h t u n g s k l a g e n b u c h stäblich abkaufen z u lassen. A u c h h a t t e sich herausgestellt, d a ß viele U n t e r n e h m e n d u r c h a u s bereit w a r e n , eine s o l c h e H a n d e l s c h a f t e i n z u g e h e n ; dafür m o c h t e es eine R e i h e r e c h t unterschiedlicher B e w e g g r ü n d e geben 8 . So erwies sich die lange Z e i t d u r c h g e h a l t e n e A u f f a s s u n g , bei
wiederherzustellen in der Lage ist, nicht passen. Und da Bokelmann zu guter Letzt noch aus Goethes „Faust" für seine Meinung zitierte, mußte Widerspruch hoch problematisch erscheinen. Auch Lutter („Die entgeltliche Ablösung von Anfechtungsrechten - Gedanken zur aktiven Gleichbehandlung im Aktienrecht" in ZGR 1978, 347) hält selbst innerlich problematische Anfechtungsklagen immer noch für das richtige Mittel, die Legalität im Verhalten der sich selbst verwaltenden großen Korporation zu gewährleisten und damit auch ein durchaus allgemeines öffentliches Interesse sicherzustellen; die Anfechtung sei die Kontrolle von Verbandshandeln und Verbandsmacht durch ein justizförmiges Verfahren, weil es keine öffentliche Aufsicht über diese Korporation des Privatrechts gebe, auch wenn sie als ärgerliche Erschwernis der unternehmerischen Tätigkeit empfunden werden könne. Die Kommentare zum Aktiengesetz teilten im Prinzip diese Meinung, so Schilling im Großkommentar 1973 in Anm. 13 zu §243, Hüffer aaO (1984!) in Anm. Rdn. 13 f zu §246. Der Aktionär sei eben der geborene Anwalt der beleidigten Interessen aller und jedes einzelnen Aktionärs, meinte Zöllner aaO noch 1985 in Anm. Rdn. 77 zu §245 mit Flechtheim. Immerhin führte der „moralische Unwille", den Bokelamann aaO sehr zu Recht ausgemacht hatte, zu nicht unerheblichen Einschränkungen der Ablehnung eines nötigen Rechtsschutzbedürfnisses, am ausführlichsten durch Zöllner aaO Anm. Rdn. 78 ff. Bei all diesen Überlegungen scheint im Grunde übersehen worden zu sein, daß der BGH in seinem Urteil vom 27.9.1956 - vgl. Fn. 3! - schon entschieden hatte, daß zur aktienrechtlichen Nichtigkeits- und Anfechtungsklage „wie zu jeder Klage ein Rechtsschutzbedürfnis gehört". Nicht folgen kann ich aber Lutter in FS DB 1988, 208 dahin, daß „in der oft zitierten Entscheidung (des BGH) vom 23.11.1966" (richtig: 23.11.1961, in BGH Z36, 121 (135, 138) = DB 1961, 1608 = WM 1962, 142; d.Verf.) „ausdrücklich und nachdrücklich der Einwand des Rechtsmißbrauchs gegen Anfechtungsklagen anerkannt" worden sei - die Entscheidung befaßt sich an den von Lutter angezogenen Stellen mit der Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchs (lediglich) bei der Ausübung des Fragerechts des Aktionärs - wenn überhaupt, kann hier allenfalls eine weiterführende Schlußfolgerung hinsichtlich der Anfechtungsklage in Frage kommen. 8 Im Mai 1988 hatte Schiaus aaO auf die Spitze des Eisbergs hingewiesen, die nun sichtbar geworden sei - man habe es nicht mehr mit Gelegenheits-Opponenten, sondern mit gewerblichen Opponenten zu tun, welche eine Finanzinnovation entwickelt hätten. Insbesondere in Verschmelzungsfällen und bei Unternehmensverträgen würden bei gerin-
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einer der Sache nach förmlich begründeten aktienrechtlichen Anfechtungsklage könne es den Einwand des Rechtsmißbrauchs in keinem Fall geben9, angesichts einer grob eigennützigen Interessenverfolgung eines Aktionärs mit dem ausschließlichen Ziel, die verklagte Gesellschaft zu einer Leistung an ihn zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und den er auch billigerweise nicht erheben kann, als brüchig und nicht mehr uneingeschränkt haltbar10. Wenn einerseits kein Eigeninteresse für die Erhebung einer Anfechtungsklage nötig war und ist, so wurde schließlich doch in Ausnahmefällen gegen die eigensüchtige Interessenverfolgung der Einwand des Rechtsmißbrauchs zugelassen. Diese Öffnung zur Annahme der Möglichkeit einer mißbräuchlichen Anfechtungsklage im Aktienrecht bei förmlicher Begründetheit übernahm dann der BGH in seinem aufsehenerregenden Urteil vom 22.5.1989 im Kochs-Adler-Fall 11 . 3. Dieser Umschwung in der Rechtsprechung wurde von der Rechtswissenschaft sogleich zustimmend weiter verarbeitet; die Speerspitze rüstete sich „zur Abwehr räuberischer Aktionäre" 12 . Der lang aufgestaute rechtliche Unmut über Aktionäre, die sich ihren „Lästigkeitswert" abfinden lassen wollen, ohne aber echte „Wahrer des Rechts" im gem Risiko Anfechtungstatbestände herbeigeführt, weil hier zeitliche Verzögerungen wegen erhobener Anfechtungsklagen zu hohen wirtschaftlichen Nachteilen führen könnten, denen gegenüber auch hohe „Abstandsgebühren" die wesentlich billigere Alternative seien. Im Rahmen seiner Betrachtung berührt Schiaus die Frage der möglichen Rechtsmißbräuchlichkeit der Anfechtungsklage, hält sie aber im Effekt nicht für durchschlagend. Auch Martens, der die „Vergleichs- und Abfindungsbefugnis des Vorstands gegenüber opponierenden Aktionären" in „Die Aktiengesellschaft" 1988, 118 (unmittelbar nach der vorgenannten Abhandlung von Schiaus) untersucht, läßt die Frage der Abwehr von Anfechtungsklagen mit dem Einwand des Rechtsmißbrauchs noch unbehandelt. 9 So noch das OLG Hamm im Kochs-Adler-Fall, vgl. Fn. 11. 10 Hirte greift den „Mißbrauch aktienrechtlicher Anfechtungsklagen" in BB 1988, 1469 als solchen auf und hält ihn gegen die bisher überwiegend vertretene Meinung für rechtlich relevant; in der Diskussion mit Götz „Zum Mißbrauch aktienrechtlicher Anfechtungsklagen" in DB 1989, 261 (wieder Hirte im Anschluß daran S. 267 „Mißbrauch von Aktionärsklagen - allgemeine Abwägung oder konkrete Definition?") wird endlich diese Rechtsfrage ausführlich behandelt und die Mißbrauchsmöglichkeit bejaht. Semler stellt im Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts von Hoffmann!Becking Band 4 Aktiengesellschaft 1988 einigermaßen überraschend fest, daß auch die Anfechtungsbefugnis dem Verbot mißbräuchlicher Ausnutzung unterliege, was von der Rechtsprechung und der überwiegenden Lehre anerkannt sei, die Gegenmeinung habe sich nicht durchgesetzt (Anm. Rdn.63 zu §41). 11 In N J W 1989, 2689 = W M 1989, 1128 = AG 1989, 399; dieses Urteil hat der BGH selbst auch noch später als „Grundsatzurteil" bezeichnet, vgl. Beschluß vom 2.7.1990 in W M 1990 (33) 1372 (1377). 12 Lutter in FS DB 1988, 193 in Abkehr von seiner früheren Meinung (auch in WuB II A §62 AktG 1.88: „Erfreuliches Umdenken in der Praxis"); er will aber den Einwand rechtsmißbräuchlicher Anfechtung nur dann durchgreifen lassen, wenn der anfechtende
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Interesse ihrer Gesellschaft zu sein 13 , konnte sich endlich Bahn brechen. Der B G H verfestigte schließlich seine neue Rechtsprechung in dem Urteil v o m 1 8 . 1 2 . 1 9 8 9 1 4 . 4. Die Rechtsentwicklung hat also denjenigen recht gegeben, die schon bei der Prüfung des Risikos von Anfechtungsklagen im Frühjahr 1989 in unserer Gesellschaft das Problem des Rechtsschutzbedürfnisses bei aktienrechtlichen Anfechtungsklagen als real existierend angesehen und ihm gerade im vorliegenden Fall erhebliche Bedeutung beigemessen hatten. Sie hatten die summa iniuria im summum ius gesehen und nicht hinnehmen wollen. Streng rechtsdogmatisch ist nun das Rechtsschutzbedürfnis sicherlich nicht dasselbe wie der Einwand mißbräuchlicher Rechtsausübung; wird aber der Einwand unzulässiger Rechtsausübung, der mißbräuchlichen Rechtsausübung, als möglich anerkannt, so stellt sich - gewissermaßen „spiegelverkehrt" - die Frage der inneren materiellen schutzwürdigen Berechtigung der Rechtsausübung und sie kommt damit letzten Endes doch zum Rechtsschutzbedürfnis 1 5 .
VI. Auskauf anfechtungswilliger Aktionäre 1. Die Frage der mißbräuchlichen Ausnützung einer formal durchaus gegebenen Rechtsausübungsmöglichkeit hat eine wirtschaftlich nicht Aktionär sein Anfechtungsrecht kommerzialisieren will, wenn er also eine Abfindung zur Debatte stellt, gegen die er sein Anfechtungsrecht aufgeben will. Ob der Einwand tatsächlich hiervon abhängig gemacht werden kann (und muß), erscheint mir systematisch fraglich. 13 RWS-Forum4 über „Mißbräuchliches Aktionärsverhalten", Bericht von Robleder in „Die Aktiengesellschaft" 1989, 433; ausführlich Timm und Windbichler „Mißbräuchliche Anfechtungsklage einschließlich Abfindungsregelungen" in „Mißbräuchliches Aktionärsverhalten" RWS-Forum 4, herausgegeben von Timm, 1990; Mertens' Frage „Der Aktionär als Wahrer des Rechts?" in „Die Aktiengesellschaft" 1990, 49. 14 In WM 1990, 140. 15 Diese „Spiegel-Fechterei" findet sich überall, wo man das Rechtsschutzbedürfnis erörtert; vgl. z.B. Rosenberg!Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl. 1974, §93 IV: „Dort, wo ein institutioneller Mißbrauch prozessualer Befugnisse vorliegt, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis"; oder Schumann in Stein/Jonas ZPO, 20. Aufl. 1987, Bd.II/1, III vor §253 Anm. Rdn. 117: „Bei Verfolgung von Zielen, die aus der Sicht der Prozeßzwecke nicht schutzwürdig genannt werden können, wird man am ehesten von einem Mangel des Rechtsschutzbedürfnisses sprechen können . . . z. B. bei rechtsmißbräuchlichem prozessualen Vorgehen." Das Rechtsschutzbedürfnis ist jedenfalls als generelle Prozeßvoraussetzung und mit der Maßgabe, daß es von Amts wegen zu prüfen sei, anerkannt, Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 45. Aufl. 1987 Grundz. 253 Anm. 5 A. Nach Zöller-Stephan, ZPO, 16. Aufl. 1990, Vor §253 Rdn. 18 fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wo der Kläger kein schutzwürdiges Interesse an einem Urteil hat und ist dieses Rechtsschutzbedürfnis für die Klage zu trennen vom Rechtsschutzbedürfnis für das materielle Klagebegehren (welches nur die Begründetheit der Klage betrifft, nicht bereits ihre Zulässigkeit).
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uninteressante Facette, an der sich die Diskussionen über Rechtsschutzbedürfnis und Rechtsmißbrauch letzten Endes entzündet hatte: Kann und darf der Vorstand einer Aktiengesellschaft die Forderung eines formal anfechtungsberechtigten Aktionärs oder eines Aktionärs, der bereits eine formal begründete Anfechtungsklage erhoben hat, nach Zahlung eines Geldbetrages erfüllen, woraufhin der Aktionär von der Erhebung seiner Anfechtungsklage absieht oder seine Klage zurücknimmt? Darf er sich also erpressen lassen? Kann er oder muß er die geleistete Abfindung wieder zurückfordern? Daß eine solche Abfindungszahlung der Gesellschaft immer noch wesentlich billiger kommen kann als die selbst prozessual erfolgreiche Abwehr der Anfechtungsklage, ist in zahlreichen Fällen anerkannt worden16. Darf aber der Vorstand wirklich zahlen, stellt eine solche Zahlung der Gesellschaft nicht eine Verletzung dar des Verbots der Einlagenrückgewähr - § 57 AktG - , des Gebots der Gleichbehandlung der Aktionäre - §53 a AktG - , des Verbots der Gewährung von Sondervorteilen an einzelne Aktionäre - §243 II AktG - ? Ist eine solche Abfindungszahlung nicht nichtig, führt sie zu einer Schadensersatzpflicht des Vorstands nach §93 III Nr. 1 AktG? 2. Diese Fragen waren schon längere Zeit hindurch diskutiert worden17; hierbei kam es zu recht ähnlichen Überlegungen wie hinsichtlich der Frage eines Rechtsschutzbedürfnisses bzw. des Einwands rechtsmißbräuchlicher Rechtsausübung hinsichtlich der Anfechtungsklagen. Daß solche Abfindungszahlungen in den Regelungsbereich der genannten Vorschriften fielen, konnte ernsthaft nicht bestritten werden, und so wurde ihre Zulässigkeit anfänglich auch eher sehr zurückhaltend bejaht18. Man konnte zur Lösung des Problems nur kommen, indem man einen „übergeordneten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" erwog, einen „angemessenen Rahmen" bzw. die „unverhältnismäßige Höhe" von Leistungen an Aktionäre in diesem Zusammenhang prüfte19. Schließlich kam man auf diesem Wege - die ursprünglich angenommene
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Vgl. ζ. B. Schiaus und Hommelhoff/Timm jeweils in Fn. 1 aaO; Martens „Die Vergleichs- und Abfindungsbefugnis des Vorstands gegenüber opponierenden Aktionären" in „Die Aktiengesellschaft" 1988, 118. 17 Vgl. die P r ü f u n g dieser Fragen durch Schiaus und Martens in ,Fn. 1 bzw. Fn. 15 aaO; Lutter schon in Z G R 1978, 353 und dann in FS D B in Fn. 12 aaO; Hirte in Fn. 10 aaO; Timm und Windbichler in Fn. 13 aaO. 18 Lutter k o m m t in seiner Abhandlung in Z G R 1978, 364 noch zu dem Ergebnis, „daß die Gesellschaft in keinem Falle Sonderzahlungen leisten darf und auch im Prozeßvergleich die Kosten des Anfechtungsklägers nicht zu übernehmen berechtigt ist". " Z . B . L G Köln in A G 1988, 349 (350).
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Unzulässigkeit solcher Zahlungen bald hinter sich lassend - sogar zu einer Art Regelbetrag, nämlich pauschalen Abgeltungsbeträgen für mutmaßlichen Aufwand ohne Nachweis-Notwendigkeit, und schließlich stand nur noch die Höhe des Betrages, der wohl im Einzelfall angemessen sein sollte, zur Debatte und damit das Wie solcher Abfindungen, nicht mehr das Ob20. Damit wurden auch die Fragen einer Schadensersatzpflicht bzw. einer Rückforderungspflicht des Vorstands gegenstandslos. Da inzwischen aber die rechtliche Fragwürdigkeit der formal begründeten, materiellrechtlich aber mißbräuchlichen Anfechtungsklagen bloßgelegt worden war und die anfechtungswütigen Aktionäre mithin damit rechnen müssen, auch noch die Kosten ihrer Klagen selbst zu zahlen, hat sich die Lage auf dem „Abfindungsmarkt für Anfechtungsklagen" entspannt. Darf eine Gesellschaft davon ausgehen, daß eine Anfechtungsklage vom Gericht als offenbar rechtsmißbräuchlich angesehen werde, und steht sie nicht unter ganz besonderem Zeit- oder Imagedruck, so wird sie einer Erpressung in Richtung eines Auskaufs des anfechtungswütigen Aktionärs nicht willfahren müssen - ein Restrisiko hinsichtlich der Anfechtungsklage wird sie demgegenüber in Kauf nehmen. VII. Vorbildliche Rechtsentwicklung Betrachtet man die Rechtsentwicklung hinsichtlich der beiden behandelten Problemfelder als wenigstens vorläufig und im wesentlichen abgeschlossen, so hat das Aufbrechen der ursprünglich streng durchgehaltenen Dogmatik zu praktisch sehr brauchbaren Ergebnissen geführt. Eine solche Entwicklung muß in der Rechtsgeschichte unserer Bundesrepublik als ziemlich einmalig gelten in einer Rechtslandschaft mit dem Trend zu allenthalben eher unpraktikabler Verkomplizierung als zu praktisch akzeptierbaren echten Lösungen 21 . Sinnvolle und wirtschaftlich zutreffend gewichtete Interessenabwägung - wenn man will, praktische Vernunft - hat obsiegt gegen starre Denkschemata, und sie hat diesen Sieg innerhalb des bestehenden gesetzten Rechts geschafft ohne den anderweit so beliebten Ruf nach dem Gesetzgeber. Dies ist um so bemerkenswerter, als anderweite Entwicklungen eine nicht unerhebliche Gefahr signalisieren: An einigen Stellen unseres Rechtssystems sind Ein- und Aufbrüche erfolgt, die ebenfalls Interessenabwägungen zur Grundlage hatten, sich aber in den Methoden stark von der vorstehend geschilderten EntwickHommelhoff/Timm in Fn. 1 aaO. Vgl. z. B. Bruchners Analyse und Kritik des Verzugszinsen-Urteils des BGH vom 28.4.1988 (in WM 1988, 929 = NJW 1988, 1967 = BGH Ζ 104, 337) in ZHR 1989, 101. 20 21
Rechtsschutzbedürfnis bei aktienrechtlichen Anfechtungsklagen
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lung unterscheiden. Während auf den geschilderten beiden Problemfeldern des Aktienrechts mit den anerkannten und herkömmlichen Kriterien der mißbräuchlichen Rechtsausübung und der Verhältnismäßigkeit der Mittel gearbeitet wurde, geht die Entwicklung und Anwendung völlig neuer Betrachtungsweisen einen gefährlichen Weg. Wenn man ζ. B. mit einem neuen „Transparenzgebot" eine jahrzehntelang unverändert gebliebene und ihrerseits rechtlich fundierte Vertragsgestaltung aushebelt22 oder die „moderne Schuldturmproblematik" mit schon im Ausdruck emotionalem Touch („Schuld t ü r m " ) zur Sozialisierung von Verlusten (miß-)braucht 23 , so wendet man sich von den anerkannten Regeln der Kunst der Rechtsanwendung, von den klassischen Rechtsinstrumenten ab und begibt sich auf den schwankenden Boden gesellschaftspolitischer Interessendurchsetzung (und eben nicht des rechtlich gebotenen Interessenausgleichs). Hier schrumpft der Abstand zu den „sozialökonomischen Kriterien", mit denen man den Rechtsstand in der früheren D D R immer nach den staats- (und damit parteipolitischen Zielsetzungen austariert hatte, unheimlich rasch. Hier müßte man sich durchaus einen Reflex der rechtspolitischen Aufräumungs- und Erneuerungsarbeiten, die es in der früheren D D R zu leisten gibt, auf unsere eigene Rechtsentwicklung wünschen. Ein wie nun immer mehr oder weniger gesundes Volks- oder Richter-Empfinden wollen wir auch in moderner Form nicht (wieder) haben24.
2 2 Was z. B. im Tilgungsverrechnungs-/Zinsberechnungs-Urteil des B G H vom 2 4 . 1 1 . 1 9 8 8 (in W M 1988, 1780 = N J W 1989, 222 = B G H Ζ 106, 42) geschah und in der BGH-Entscheidung vom 1 0 . 7 . 1 9 9 0 (in W M 1990, 1367 = N J W 1990, 2383) bekräftigt wurde; vgl. hierzu Bruchner in W M 1988, 1873. 2 3 Im Gesetzentwurf der Bundesregierung über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze ist im Allgemeinen Teil der Begründung in IV.3. vom „komplexen Problem" „moderner Schuldturm" die Rede, nämlich vom „fortlaufend anwachsenden Schuldenberg von Verbrauchern nach einer einmal eingetretenen hohen Uberschuldungslage"; und in der Einzelbegründung zu § 10 des Verbraucherkreditgesetzes wird gesagt, daß im Bereich der Verzugszinsen-Regelung „den Kreditgebern damit ein Beitrag zur Lösung der Schuldturmproblematik auferlegt wird". „Die Verluste aus längerfristig notleidenden Krediten können in Wertberichtigungen steuerlich entlastend eingestellt werden, wodurch das Ausmaß der Zinseinbußen der Kreditgeber deutlich relativiert wird". 24 Wer noch geistige Linien zurück in unrühmlichste deutsche Vergangenheit zu ziehen vermag, der kann sich angesichts der „modernen Schuldturmproblematik" besonders in ihrer parteipolitischen Zuspitzung und der Gedanken an eine „Restschuldbefreiung" darin nicht der Erinnerung erwehren, daß ein Programmpunkt der N S D A P die „Brechung der Zinsknechtschaft" war.
Die Umstrukturierung der Frankfurter Wertpapierbörse - Ein Modell GERHARD
LAULE
I. Vorbemerkung Theodor Heinsius hat durch seine wissenschaftlichen Beiträge und sein praktisches Wirken die Rechtsgebiete, mit denen er als Chefsyndikus einer deutschen Großbank befaßt ist, mitgestaltet und mitgeprägt. Eine seiner vielfältigen Neigungen galt stets dem Wertpapiergeschäft insoweit sei nur an den von ihm gemeinsam mit Arno Horn und Jürgen Than erarbeiteten Standardkommentar zum Depotgesetz 1 erinnert. Daneben hat Theodor Heinsius Arbeiten zum Aktienrecht vorgelegt 2 . Dieser Beitrag über die Umstrukturierung der Frankfurter Wertpapierbörse als Markt für den Handel mit Wertpapieren soll ein Segment aus dem wissenschaftlichen Tätigkeitsfeld von Theodor Heinsius bearbeiten, das für die finanziellen Dienstleistungen erhebliches Gewicht erlangen soll. Die Tagespresse hat im abgelaufenen Jahr 1990 darüber berichtet 3 . Ziel der Umstrukturierung war es, die Frankfurter Wertpapierbörse im folgenden auch: FWB - aus ihrer engen Bindung an die Industrieund Handelskammer Frankfurt am Main - IHK - zu lösen und ihr einen neuen, privatrechtlichen Träger zu geben. 1
Heinsius/Horn/Than, Depotgesetz, 1975. Siehe z . B . : Zur Bestellung v o n Ersatzmitgliedern f ü r den Aufsichtsrat durch die Hauptversammlung, Z G R 1982, 2 3 2 bis 2 4 3 ; Organzuständigkeit bei Bildung, Erweiterung und Umorganisation des K o n z e r n s , Z G R 1 9 8 4 , 343 bis 4 1 1 ; Satzungsvorschriften über die Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrats nach dem Mitbestimmungsgesetz, A G 1 9 7 7 , 2 8 1 ; Rechtsfolgen einer Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 2 0 A k t G , Festschrift Fischer, Berlin 1979, S. 2 1 5 f f ; Kapitalerhöhung bei der Aktiengesellschaft gegen Geldeinlagen und Gutschrift der Einlagen auf einem K o n t o der Gesellschaft bei der Emissionsbank, Festschrift Fleck, Berlin 1988, S . 9 8 . 2
3 Börse F r a n k f u r t v o n Handelskammer lösen, Börsen-Zeitung v o m 3 1 . 1 0 . 1 9 8 9 ; Beherzter Alleingang, W i r t s c h a f t s w o c h e v o m 2 . 2 . 1 9 9 0 , Die Frankfurter Börse ist nun eine A G , Frankfurter Allgemeine Zeitung v o m 1 0 . 7 . 1 9 9 0 ; Eine private B ö r s e n - A G hat viele Vorteile, Börsen-Zeitung v o m 2 7 . 6 . 1 9 9 0 ; Börse F r a n k f u r t - A G beschlossen, BörsenZeitung v o m 7 . 7 . 1 9 9 0 .
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II. Rechtsnatur der Frankfurter Wertpapierbörse Die FWB gehört nach herrschender Ansicht zu den nicht rechtsfähigen Anstalten des öffentlichen Rechts4. Als solche ist die FWB unter Zugrundelegung des klassischen Anstaltsbegriffes von der öffentlich-rechtlichen Körperschaft und der Stiftung abzugrenzen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist der juristische Anstaltsbegriff, wie ihn Otto Mayer geprägt hat; hiernach ist die Anstalt ein „Bestand von Mitteln, sächlichen und persönlichen, welche in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu dienen bestimmt sind."5
Diese traditionelle Begriffsbestimmung hat sowohl einen organisationsrechtlichen Anknüpfungspunkt, der allein auf die Organisationsform abhebt, als auch einen Aspekt für den Nutzungsberechtigten, der die Wirkungsweise des staatlichen Handelns gegenüber dem Bürger umschreibt6. Neuere Begriffsdefinitionen zeichnen sich vor allem durch eine unterschiedliche Gewichtung von Nutzungs- sowie Organisationsrecht aus. Berg hebt hervor, daß einer der wesentlichen Gründe für die Schaffung öffentlicher Anstalten die Begründung „besonderer Gewaltverhältnisse" ist. Sie schlagen sich vor allem in Nutzungsordnungen nieder. Gleichzeitig weist Berg darauf hin, daß „eine Umkehrung der Funktion des besonderen Gewaltverhältnisses vom ,Mittel' zum ,Zweck' der Anstalt weder der historischen Entwicklung gerecht würde, noch sich mit den rechtsstaatlichen Anforderungen des Grundgesetzes in Einklang bringen ließe"7.
Selbst wenn man das „besondere Gewaltverhältnis" in den Hintergrund rückt, besteht Einvernehmen darüber, daß Anstalten die Erfüllung öffentlicher Aufgaben - wie sie etwa der FWB obliegen - verselbständigen8. Schwark weist zutreffend darauf hin, daß eine Börse kein öffentlichrechtliches Gebilde eigener Art ist, dessen Organe als „beliehene Stellen"
4 Samm, Börsenrecht 1978, S.48; Schwark, Börsengesetz, Kommentar, 1976, §1 Rdn. 10 ff. 5 Otto Mayer, Theorie des französischen Verwaltungsrechts, 1886, S.225; ders., Deutsches Verwaltungsrecht, l.Aufl., Bd.II, 1896, S.318. 6 Berg, Die öffentlich-rechtliche Anstalt, NJW 1985, S. 2294ff (2297): Rüfner, Zur Lehre von der öffentlichen Anstalt, DÖV 1985, S. 605 ff (606); Krebs, Die öffentlichrechtliche Anstalt, NVwZ 1985, S.609. 7 Berg, aaO, S.2298. 8 Vgl. Berg, aaO, S.2299.
Die Umstrukturierung der Frankfurter Wertpapierbörse - ein Modell -
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gelten könnten9. Der Börsenvorstand ist vielmehr - wie auch alle übrigen Börsenorgane - Teil mittelbar staatlicher Verwaltung10. Folgt man dieser Argumentation, so erübrigt sich entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main für die FWB eine besondere Beleihung. Die maßgebliche Passage aus den Entscheidungsgründen lautet: „ . . . auch der Frankfurter Wertpapierbörse fehlt die Fähigkeit im Sinne von § 61 Nr. 1 und 2 VwGO, am Verfahren beteiligt zu sein. Sie ist trotz des öffentlich-rechtlichen Charakters der BörsO und trotz ihrer Rechtskontinuität nicht juristische Person. Mag auch die einer Mitgliedschaft ähnliche Stellung der zugelassenen Freien Makler es nahelegen, die Börse als Körperschaft des Öffentlichen Rechts zu qualifizieren, so fehlt es doch an einem weiteren für dieses Rechtsgebilde erforderlichen Merkmal, nämlich an einem hoheitlichen Verleihungsakt... Aus dem Fehlen dieses Merkmals folgt, daß die Frankfurter Wertpapierbörse auch nicht als Anstalt rechtlich zu qualifizieren ist." 11
Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist nicht nur, soweit dies die Frage des Beleihungsakts betrifft, sondern auch in einem weiteren Punkt korrekturbedürftig. Selbst wenn das Börsenrecht auf einen relativ geschlossenen Kreis der Börsennutzer hinweist, bleibt eine Börse öffentlich-rechtliche Anstalt. Krebs betont, daß auch Anstaltsnutzern über den Börsenvorstand oder die anderen Börsenorgane Einfluß auf die Organisation - und dann zugleich auf den Ablauf der Tätigkeiten - eingeräumt werden kann, ohne daß die Anstalt ihre rechtliche Qualität verändert12. Von ausschlaggebender Bedeutung für eine Börse als Markt für den Handel sind die Ausstattungen, die ihr zur Durchführung ihrer Aufgaben gewährt werden13. Da die FWB nach §2 Abs. 1 BörsO einen Träger für ihre sachlichen und personellen Mittel hat - gegenwärtig die Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main, im folgenden auch: IHK - , prägt die externe Trägerschaft die Börse zur Anstalt14. Nimmt man hinzu, daß das, was eine Börse wie die FWB ausmacht, nicht die Börsenbesucher, sondern - wie Schwark es formuliert -
9 Bei der Beleihung werden Privatpersonen öffentlich-rechtliche Zuständigkeiten übertragen, die diese anschließend in eigener Verantwortung wahrnehmen. Zweck der Beleihung ist die Dezentralisierung und Entlastung der öffentlichen Hand bei gleichzeitiger Nutzung privater Initiative, Finanzmittel und Sachverstand; siehe Wolffl Bachofl Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl., 1987, § 104 I S. 412. Zu diesem Personenkreis zählen ζ. B. Notare (§§ 1, 20 bis 25 BNotO), soweit sie nicht Beamte sind. 10 Vgl. Schwark, aaO, § 1 Rdn. 10. 11 VG Frankfurt/Main, AG 1963 S.306. 12 Krebs, NVwZ 1985, S.609, 614. 13 Schwark, aaO, §1 Rdn. 11; Samm, Börsenrecht, 1978, S. 44. 14 Vgl. Schwark, aaO, §1 Rdn. 11.
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„der technische Apparat und die fest organisierten sachlichen Vollzüge, insbesondere die Kursfeststellung"
sind15, so wird noch deutlicher, daß der Bezug einer Börse zu ihren Benutzern für ihre rechtliche Qualifizierung nichts hergibt. Die Körperschaft wird im Gegensatz zur Anstalt von einer Vielzahl ihrer Mitglieder getragen. Diesem Personenkreis wird die Tätigkeit der Organe solcher Körperschaften „rechtselementar" 16 zugerechnet. Die Mitglieder tragen die Körperschaft aktiv, und Inhalt der Körperschaft ist es, die Belange des durch sie strukturierten Personenkreises zu fördern 17 ; ein Beispiel sind die Industrie- und Handelskammern. Ebenso wie die Gemeinde als Körperschaft Träger (Gewährträger) einer Sparkasse als Anstalt des öffentlichen Rechts sein kann, ist eine IHK befähigt, als Träger einer Börse zu wirken, die gleich der Sparkasse Anstalt öffentlichen Rechts ist. Von einer Stiftung unterscheidet sich die Börse dadurch, daß ihr Zweck, ihre Verfassung, ihre Vermögensverwaltung und Mittelverwendung durch den Träger nicht mit dauernder Wirkung in einem einmaligen Stiftungsakt festgelegt wurden, sondern vielmehr der andauernden Einflußnahme und Dispositionsbefugnis der Organe unterliegen 18 . Es bleibt daher festzuhalten, daß die Börse eine nicht rechtsfähige, öffentlich-rechtliche Anstalt ist, welche die IHK Frankfurt am Main bis zu ihrer Umstrukturierung getragen hat. III. Die Trennung von IHK und Börse Die Trägerschaft der Börse hat die IHK Frankfurt/Main - die als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Aufgabe erfüllt, das Gesamtinteresse der Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen 19 - zu Beginn des 19. Jahrhunderts übernommen; seit jenen Jahren ist die FWB ein rechtlich unselbständiger, gewerblicher Betrieb dieser Körperschaft20. Schwark, aaO, § 1 Rdn. 11. Wolff/Bachof/Stober, aaO, 1987, §98 S.304; bei der Anstalt ist es der Staat, der bestimmt, wenn auch nur mittelbar und über die Selbstverwaltung der Börsennutzer. 17 BVerwGE 10, S.354. 18 Zur Abgrenzung vgl. Wolff/Bachof/Stober, aaO, § 102 II S.402. 19 Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 1 8 . 1 2 . 1 9 5 6 , zuletzt geändert durch Einführungsgesetz zur Abgabenordnung vom 1 4 . 1 2 . 1 9 7 6 , GVB1. I 56, 920ff und 76, 3341 ff und dort § 1 ; ferner Hessisches Ausführungsgesetz zum Bundesgesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrieund Handelskammern, GVBl. 57, 1 4 7 f f . 20 Geschichte der Handelskammer zu Frankfurt a. M., Beiträge zur Frankfurter Handelsgeschichte, hrsg. von der Handelskammer zu Frankfurt a. M. 1908, S. 133 ff. 15
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Begriff, Aufgaben und Erscheinungsformen der Börse sind gesetzlich nicht festgelegt; die Strukturen sind vielmehr historisch gewachsen. Danach wird „Börse" von mehreren Eigenschaften geprägt. Sie ist - die organisierte Zusammenführung von Angebot und Nachfrage - über vertretbare, nicht zur Stelle gebrachte Wertpapiere, Devisen oder Waren mit dem Ziel, - Abschlüsse zwischen den zum Handel zugelassenen Personen zu vermitteln und - solche Verträge einheitlichen Bedingungen zu unterwerfen und - die dabei erzielten Kurse oder Preise bekanntzugeben; Ferner richtet die Börse - die regelmäßige Zusammenkunft der Börsenteilnehmer nutzer") - am gleichen Ort
(„Be-
aus21. Die technische Entwicklung hat die „Ortsgebundenheit" der Börse im Sinne einer physischen Präsenz teilweise überholt; geblieben ist die „Systemgebundenheit". Die Medien elektronischer Kommunikation „dislozieren" die Börse, was der Gesetzgeber durch die Neufassung von § 7 Abs. 1 S.2 BörsG 1989 berücksichtigt hat, und es erschließen sich über die Präsenzbörse hinaus - beispielhaft - Wege - zum platzübergreifenden oder sogar grenzüberschreitenden Handel mit börsengeeigneten Wirtschaftsgütern, - zur Marktverkoppelung eines Computerhandelssystems mit der FWB, - zur Computerbörse und - insgesamt zum Ausbau der FWB als qualifiziertem Dienstleistungsunternehmen mit der umfassenden Produktpalette einer international ausgerichteten und anerkannten Börse. Solche Ziele legen es nahe, die Börse auf einen privatrechtlich organisierten Träger zu überführen. Denn mit der Umstrukturierung der Börsen zu Dienstleistungszentren des Kapitalmarktes sind finanzielle und personelle Anstrengungen erforderlich, die nicht mehr in den staatlich vorgegebenen - Barrieren einer öffentlich-rechtlichen Industrie- und Handelskammer als Eigentümerin des Handelsplatzes „Börse" und seiner Ausstattung zu bewerkstelligen sind. 21 Preußisches O V G E 34, S . 3 1 5 f („Feenpalasturteil"); Schwark, aaO, 1976, § 1 Rdn.2, 6; Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 1989, Börsengesetz, Einleitung Anm. 1.
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1. Freiräume für die
Umstrukturierung
Das Börsenrecht einschl. der Satzungen für die einzelnen Börsen regelt als Teil des öffentlichen Rechts22 u. a. die Errichtung von Börsen, die Einsetzung ihrer Organe, die Zulassung von Teilnehmern zur Börse, von Wertpapieren, Devisen oder Waren zum Börsenhandel, die Selbstverwaltung der Börse durch ihre Benutzer und die Aufsicht. Der Staat nimmt die Börsenhoheit in Anspruch, die er bis auf sein Aufsichtsrecht delegiert hat. Er überträgt den Organen der Börse staatliche Verwaltung in öffentlichen Angelegenheiten zur Selbstverwaltung 23 . Soweit Börsenrecht gilt, läßt sich eine Börse nicht umstrukturieren, weil dieses Regelwerk zwingend ist. Allerdings läßt sich über den Träger der Börse disponieren, weil das Börsenrecht ihn nicht vorschreibt. Dies bringt der Gesetzgeber deutlich in §4 Abs. 1 S. 2 BörsG zum Ausdruck, der lautet:
„,Sofern eine öffentlich-rechtliche
Körperschaft Träger der Börse ist, .. ," 24
Die Staatsaufsicht ist darauf beschränkt, die Durchführung der Börse auf ihren Einklang mit dem Börsenrecht zu überwachen, die Eignung des Trägers für diese Aufgabe zu prüfen und mithin die Ausgliederung der FWB aus der Trägerschaft der IHK darauf zu durchleuchten, ob sie sich auch in der Art ihrer Durchführung mit dem Börsenrecht verträgt. Ein Trägerwechsel wird durch die anstaltsrechtliche Prägung der Börse begünstigt. Öffentlich-rechtliche Anstalten sind strukturell besonders geeignet, staatliche Führung mit Elementen außerstaatlicher Beteiligung zu verbinden 25 . Breuer führt hierzu aus, das gesetzgeberische Motiv und der objektive Sachgrund der anstaltlichen Verselbständigung könne darin liegen, daß - ein abgeschirmtes Sondervermögen gebildet werden solle; - die Verwaltung zur Wahrnehmung einer Lenkungsaufgabe in die Lage versetzt werden solle, im Rechtsverkehr möglichst frei und flexibel zu agieren; - ein spezialisierter und qualifizierter Verwaltungsapparat seine Fachaufgaben innerhalb eines normativen Rahmens in begrenzter technokratischer Eigenregie erledigen solle; 22 Samm, aaO, S. 26; Kumpel, Börsenrechtliche Fragen bei Schaffung des geregelten Marktes, Festschrift Pleyer, 1986, S.59, 61, 63 m . w . N . 23 Kumpel, aaO, S. 59, 62. 24 Börsengesetz vom 22. Juni 1896 i.d. F. der Bekanntmachung vom 27. Mai 1908 (RGBl. 215), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Börsengesetzes vom 11. Juli 1989 (BGBl. I, 1412). 25 Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, § 7 2 I.
Die Umstrukturierung der Frankfurter Wertpapierbörse - ein Modell -
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- vielfach ein partizipatorisches Moment in den Vordergrund rücke; die Organstruktur der Anstalt eröffne die Möglichkeit einer Mitverwaltung26. Ich möchte aus dieser Argumentationskette Breuers das zweite, dritte und vierte Kriterium hervorheben: Die Möglichkeit, „im Rechtsverkehr möglichst frei und flexibel zu agieren", ist für die FWB als Schaltzentrale des Wertpapierhandels von herausragender Bedeutung. Auch bedarf es eines qualifizierten, börsenorientierten Verwaltungsapparates, welcher der FWB über den Börsenvorstand und die hierin konzentrierte Sachkompetenz zur Verfügung steht. Uber den Börsenvorstand wird gleichzeitig dem Partizipationsprinzip Genüge getan; nach §5 Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse 27 rekrutiert der Börsenvorstand seine Mitglieder aus dem Kreis derjenigen, die zur Teilnahme am Börsenhandel zugelassen sind („Benutzer"), also den Kursmaklern, Freien Maklern sowie den übrigen zugelassenen Personen, die an der Börse unselbständig Geschäfte abschließen (Angestellte) und evtl. den Ausstellern von zum Börsenhandel zugelassenen Wertpapieren sowie den Kapitalsammelstellen und den Anlegern. Die drei vorstehend betonten Aspekte lassen sich in der FWB unabhängig von dem Träger, dem sie zugeordnet ist, realisieren. Der erste Punkt in Breuers Aufstellung hat aber für eine Börse als nicht-rechtsfähige Anstalt keine Bedeutung, weil sie mangels Rechtsfähigkeit gerade kein eigenes Sondervermögen bilden kann. Mithin ist festzuhalten, daß diejenigen Gründe, die für die Errichtung der Anstalt und damit für deren organisatorische Verselbständigung sprechen, sie gleichzeitig von der Zuordnung zu einem bestimmten, öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Träger unabhängig machen.
2. Bindung der FWB an die IHK Eine Bindung der FWB an die IHK ist juristisch nicht zwingend. Das „Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern" ermächtigt die IHK in § 1 Abs. 2 - dem auch die Börsen unterliegen 28 - u. a. zum Unterhalt usw. von Anlagen und Einrichtun-
26 Breuer, Die öffentlich-rechtliche Anstalt, Berichte und Diskussionen auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Freiburg i. Ue/CH vom 2.-5. Oktober 1985, WDStRL 44, S. 227 ff. 27 Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse vom 13. Oktober 1975, zuletzt geändert mit Wirkung vom 1. Januar 1990 (verkündet im amtlichen Kursblatt der Frankfurter Wertpapierbörse vom 22. Dezember 1989, Nr. 284 S.20). 28 Samm, aaO, S.52 und dort Fn. 139.
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gen, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen. Das Gesetz spricht von „können", stellt der IHK also sowohl die Begründung als auch die Aufgabe solcher Einrichtungen wie der FWB frei. Als Börsenträger fungierten in der Bundesrepublik Deutschland entweder die Industrie- und Handelskammern für die sog. „Kammerbörsen" oder privatrechtliche Vereine für die sog. „Vereinsbörsen" 29 . Die eine oder andere Trägerschaft ist teilweise historisch begründet, im Beispiel Berlin aber auf das Bestreben zurückzuführen, durch eine Trennung der beiden Einrichtungen IHK und Börse sowie durch die Gründung eines eingetragenen Vereins als Träger die Selbständigkeit der Börse und deren Effizienz zu stärken30. 3. Verhältnis der Börse zu ihrem Träger nach der
Umstrukturierung
Der Börsenträger stellt die benötigten personellen und sachlichen Mittel. Er hat kraft Gesetzes auf die börsenpolitischen Grundsatzentscheidungen und die Vorgaben für den Geschäftsablauf der Börsen keinen unmittelbaren Einfluß 31 . Das Börsengesetz ist also losgelöst vom Träger der Börse anzuwenden und bildet vor allem die Grundlage für die Börsenaufsicht, die den Ländern obliegt und insbesondere durch den Staatskommissar ausgeübt wird. Die Sicherheiten-Überwachung wird verstärkt seit dem „Gesetz zur Änderung des Börsengesetzes" v. 11.7.1989 durch die Geschäftsführung der Börse wahrgenommen 32 . Da die Börse „derivativ" Staatsgewalt als Selbstverwaltungsaufgabe übertragen erhalten hat, handelt der Börsenvorstand in mittelbarer Staatsverwaltung als Träger der dieser obliegenden öffentlichen Gewalt 33 . Dabei ist die Verwaltungstätigkeit des Börsenvorstandes hoheitlicher Natur; er ist eine Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinn34 und erläßt im Einzelfall Verwaltungsakte im Rahmen des Börsenrechts, welche der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegen. 29 Privatrechtliche Vereine sind Träger der Wertpapierbörsen in Bremen, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, München, Stuttgart und - ab Jahreswechsel 1989/1990 Berlin, soweit der Wertpapierhandel betroffen ist. 30 Börsenzeitung v. 1 . 1 1 . 1 9 8 9 . 31 S. §4 Abs. 1 BörsG: „Der Börsenvorstand erläßt die Börsenordnung. Sofern eine öffentlich-rechtliche Körperschaft Träger der Börse ist, ist die Börsenordnung im Einvernehmen mit ihr zu erlassen." 32 BGBl. 89, 1412 und dort § 8 a Abs.5. 33 Samm, aaO, S. 48. 34 V G Frankfurt/M., A G 63, 306; Schwark, aaO, §3 Anm.2.
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Daran ändert sich durch eine künftige Trägerschaft der Börse außerhalb der IHK nichts. Verwaltungsrechtlich läßt sich die Börse gegenüber jedem Träger und mithin auch nach der Umstrukturierung der FWB als eine nicht rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts einordnen. Es werden - abgesehen von redaktionellen Änderungen - unverändert die bisherigen Regelwerke fortgelten, die der Börsenvorstand bzw. die sonstigen Organe der Börse für die FWB erlassen haben. Eine Änderung des Trägers der Börse berührt weder die Funktionen der jetzigen Börsenorgane - etwa des Börsenvorstands - noch deren Amtsdauer. Der bloße Trägerwechsel läßt die nicht rechtsfähige Anstalt FWB und das sie bestimmende Netz öffentlich-rechtlicher Vorschriften unverändert, so daß für sie nicht die Beschränkungen gelten, die regelmäßig mit der Privatisierung von Unternehmen in öffentlicher Hand ζ. B. aufgrund des Haushaltsrechts einhergehen. Das Recht der öffentlichen Anstalt stiftet einen leistungsfähigen, gesicherten Rahmen, um die Trägerschaft mit den erforderlichen Anpassungen an die wirtschaftlichen Gegebenheiten umzustrukturieren. IV. Erwartungen an die Umstrukturierung der FWB Die weitere Entwicklung der FWB stieß sich verstärkt an den Beschränkungen, die sich aus der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft der IHK ergaben, wenngleich diese zum Wiederaufbau der Börse nach dem 2. Weltkrieg beigetragen hat. 1. Erwartungen an die weitere Entwicklung Das Wachstum des Geschäftsvolumens der Börse ging mit Fortschritten in vielen anderen Bereichen einher. Die FWB hat ihre technischen, räumlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen planmäßig weiterentwickelt. Parallel dazu wurde das Dienstleistungsangebot an die "Financial Community" verbessert, beispielsweise - das Kurs-Informations-Service-System KISS weiter ausgebaut, - das Börsen-Order-Service-System BOSS vorbereitet und in ersten Teilen (BOSS-Option) in Betrieb genommen sowie - IBIS (Inter-Banken-Informations-System) vorbereitet35. 35 Siehe dazu die Macher vom Main, Wirtschaftswoche vom 13.7.1990; Börse Frankfurt von Handelskammer lösen, Börsen-Zeitung vom 31.10.1989; Beherzter Alleingang, Wirtschaftswoche vom 2 . 2 . 1 9 9 0 ; Wertpapierhandel im neuen Gewand, Süddeutsche Zeitung vom 14.3.1990; Umbau ist nur der Beginn der Umstrukturierung, Handelsblatt vom 3 0 . 4 . 1 9 9 0 ; Kursmakler tragen Börsen-AG, Börsen-Zeitung vom 2 9 . 6 . 1 9 9 0 ; Frankfurter Wertpapierbörse AG ist gegründet, Börsen-Zeitung vom 10.7.1990; Radikaler Umbau steht zur Debatte, Handelsblatt vom 19.6.1990; pc KISS schafft Zugang zu allen
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Die F W B hat dazu ein hohes Investitionsvolumen in Gang gesetzt. Die Dienstleistungen für Handel und Anleger wurden mit erheblichen finanziellen Anstrengungen verbessert; in Gegenwart und Zukunft geht es darum, die Ansätze der vergangenen Jahre noch intensiver mit einem erweiterten Sach- sowie Kostenaufwand auszubauen und fortzuführen; sie muß insbesondere die neuen technischen Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation und Datenverarbeitung nutzen, um damit die Wettbewerbsfähigkeit am internationalen Kapitalmarkt zu erhalten und gegenüber den bedeutenden Auslandsbörsen auszubauen. Der intensive weltweite Konkurrenzkampf um das Erbringen von Finanzdienstleistungen für die internationalen Finanzströme verlangt eine Orientierung an den konkurrierenden europäischen Plätzen sowie in Übersee 36 . Der EDV-gestützte Aufbau und Ausbau der F W B durch - Datenübertragungs-Anschlüsse für weltweite Informationsanbieter, - Datenendgeräte und Terminals zur besseren Vernetzung und - weitere Installationen hat die Ortsgebundenheit jedenfalls in Teilbreichen überholt; sie wird heute durch die Systemgebundenheit ergänzt 37 . Aus der technischen Entwicklung hat der Gesetzgeber den Schluß gezogen, daß die Präsenz der Teilnehmer der Börse nicht länger zwingend notwendig ist 38 . Mit der beabsichtigten Integration von I B I S steuert die F W B auf ein neues Handelssystem auf Computerbasis zu. Die technische Zukunft wird also die Präsenzbörse und den Computerhandel ermöglichen; die duale Lösung läßt es zu, innovativ auf sich verändernde Märkte zu reagieren. Die Leistungsfähigkeit der F W B als Instrument des liberalen Finanzmarktes lädt genauso wie andere Börsen mit ebenbürtiger Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit Familiengesellschaften und andere po-
Finanzmärkten, Handelsblatt vom 23. 8 . 1 9 9 0 ; Wertpapierbörse als Dienstleistungsunternehmen, Börsen-Zeitung vom 30. 8.1990; Personal Computer erobern Börsensaal, H a n delsblatt vom 2 4 . 1 0 . 1 9 9 0 . 36 F ü r Wettbewerb mit Paris und London beser gerüstet, Handelsblatt vom 9 . 7 . 1 9 9 0 ; Frankfurter Wertpapierbörse A G ist gegründet, Börsen-Zeitung vom 10. 7 . 1 9 9 0 . Baumbach/Duden/Hopt, aaO, Börsengesetz, Einleitung Anm. 1. Siehe § 7 Börsengesetz in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Börsengesetzes v. 1 1 . 7 . 1 9 8 9 , BGBl. I 89, 1412: „Zum Besuch der Börse und zur Teilnahme am Börsenhandel ist eine Zulassung durch Börsenvorstand erforderlich. Zum Börsenhandel gehören auch Geschäfte über zugelassene Gegenstände, die durch Übermittlung von Willenserklärungen durch elektronische Datenübertragung börsenmäßig zustande kommen." Dagegen die bisherige Fassung: „Zum Besuch der Börse ist eine Zulassung erforderlich, die der Börsenvorstand erteilt." 37
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tentielle Börsenkandidaten dazu ein, an die Börse zu gehen. Der Weg einer Aktiengesellschaft an die Börse hilft Unternehmen mit personenbezogenem Gesellschafterkreis, den Strukturwandel in der Wirtschaft durch Einspielen von Eigenmitteln über die Börse finanziell zu bewältigen, die Eigenkapitalquote zu verbessern und in Gesellschaftsrechten gebundene Mittel durch Veräußerung der Aktie über die Börse für alternative Investitionen freizusetzen; der Gang zur Börse vermittelt im Wettbewerb Vorteile für das Finanzmanagement durch den Rückgriff auf den Kapitalmarkt über die Plazierung von Aktien 39 . Der Finanzplatz Frankfurt/Main muß weiter ausgebaut werden. Sein Fundament ist mehrschichtig. Eine zentrale Rolle spielt inzwischen die D-Mark als Währung des vereinten Deutschland. Sie entwickelt sich möglicherweise zum Rückgrat des Europäischen Währungssystems und ist außerdem ein wichtiger Bezugspunkt der Weltwährungsordnung. Das souveräne DM-Management der Deutschen Bundesbank ist zusammen mit der klassischen Kapitalverkehrsfreiheit - einer der großen Freiheiten der Europäischen Gemeinschaften - ein unschätzbares Aktivum für die internationale Wettbewerbsposition dieses Finanzplatzes. Die hohe deutsche Sparquote, die verstärkt für Börsengeschäfte nutzbar zu machen ist, und ein fortschrittliches Bankensystem gewährleisten eine große Liquidität zugunsten der Börse und weitere Impulse für deren Entwicklung. Die technische Effizienz der Börse prägt deren Zukunftserwartungen maßgeblich 40 . Für den Träger der FWB bedeuten diese Perspektiven Investitionen in personelle und sachliche Mittel, vor allem in Fachleute und deren Ausbildung sowie in die elektronische Datenverarbeitung; gleichzeitig ergeben sich hieraus günstige Einflüsse auf die Beschäftigungslage. Für die Finanzierung solcher Projekte reichen die öffentlich-rechtlichen Beiträge nicht mehr aus; sie decken die Aufwendungen der Börse für bestimmte, staatlich festgelegte Aufgaben. Soweit die Börse darüber hinaus privatwirtschaftliche Dienstleistungen im Wettbewerb zu anderen, vornehmlich internationalen Börsen erbringt, muß sie solche Geschäfte gegen privatwirtschaftliche Entgelte abwickeln. Ihr Anteil an
39 Vgl. Fritsch, Das Buch der Börseneinführung, 2. Aufl., S. 37 ff, 44, 47, 50, 51, zugleich mit Hinweisen über die Bedeutung des deutschen Aktienmarktes im internationalen Vergleich sowie über die Funktion der Aktiengesellschaften in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Börse sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht, S. 21 bis 30. Ferner Schürmann/Körfgen, Familienuntemehmen auf dem Weg zur Börse, 1987, S. 34, 43, 46, 49/50, 51/52, 118 ff. 40 Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wertpapierbörsen, Jahresbericht 1988, S. 16 f.
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der Mittelherkunft für die FWB muß steigen41, und das Anstaltsrecht ist breit genug angelegt, um dem Träger der Börse über öffentlich-rechtliche Beiträge hinaus auch privatwirtschaftliche Entgelte zukommen zu lassen. Die FWB muß also ihre Ertragsstruktur anders ausrichten und neue Einkunftsquellen erschließen. Vergleiche zu den anderen ausländischen Börsen belegen, daß Serviceleistungen für Informationen, Handel und Abwicklungen zusätzliche Erlöse bringen können. Aus derartigen Finanzdienstleistungen erzielen New York etwa 62 %, London etwa 63 % und Paris sogar 75 % ihrer Einkünfte 42 . Es zeigt sich also, daß die FWB auf Herausforderungen anderer europäischer Börsen sowie von Börsen in Ubersee antworten muß. Das Anstaltsrecht ermöglicht nicht nur den Rahmen für die Umstrukturierung, sondern ebnet der Börse auch den Weg, neue Dienstleistungsangebote zu entwickeln und erforderlichenfalls neue Handelssysteme aufzunehmen. Wenn die FWB diese Möglichkeiten wahrnehmen will, muß sie langfristige Dispositionen treffen und entsprechend planen können. Dazu muß sie auf privatwirtschaftliche Verfahrensweisen zurückgreifen und sich von kameralistischen Zwängen befreien. 2. Folgerungen Aus diesen Tatbeständen leitet sich die Forderung an den Träger der Börse nach größerer Beweglichkeit für das Management der FWB und insbesondere für die Ausübung seiner Planungs-, Investitions-, Finanzsowie Personalhoheit ab.
V. Rechtliche Bindungen der IHK als Träger der Börse Wie bereits unter III.2. dargelegt, darf die IHK die Trägerschaft der Börse abgeben. 41
Siehe z.B.: Frankfurter Wertpapierbörse A G ist gegründet, Börsen-Zeitung vom 10. 7.1990 mit dem Hinweis auf die Erschließung neuer Einnahmequellen und veränderter Ertragsstrukturen im Licht der Einkünfte aus Serviceleistungen für Informationen, Handel und Abwicklungen an den Plätzen New York, London und Paris; Mit Börsenumwandlung wird der Service teurer, Frankfurter Neue Presse vom 10. 7.1990 mit einem Vergleich der Eigenmittel der FWB einerseits sowie der Börsen New York, London und Paris andererseits ; saftige Gebührenerhöhung begleitet Umwandlung der Frankfurter Börse, Handelsblatt vom 10.7.1990, Hinweise auf die Einnahmestrukturen der FWB einerseits gegenüber New York, London und Paris andererseits. Daraus folgt, daß die FWB sich neue Einkunftsquellen durch Verkauf von Dienstleistungen für Informationen, Handel und Abwicklung erschließen muß, wozu das Anstaltsrecht keine Grenzen zieht. 42 Frankfurter Wertpapierbörse ist gegründet, Börsen-Zeitung vom 10.7.1990.
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Aus der bisherigen Zuständigkeit der IHK ergibt sich keine dauerhafte Notwendigkeit zur Unterhaltung der Börse. Die I H K ist nach § 1 Abs. 1 „Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern" darauf beschränkt, das Gesamtinteresse der Gewerbetreibenden „ihres Bezirks" wahrzunehmen. Börsenrecht und Zuständigkeit der IHK waren nur so lange deckungsgleich, wie die Börse „ortsgebunden" war und das Recht dem Börsenteilnehmer die physische Präsenzpflicht auferlegte, weil eine andere Form für die Veranstaltung der Börse mangels geeigneter technischer Ausstattungen nicht denkbar war. Seit der EDV-gestiitzte Auf- und Ausbau der Börse die Ortsgebundenheit der Veranstaltung jedenfalls in Teilbereichen überholt hat, spricht der Lauf des technischen Fortschritts dafür, das rechtliche Band der FWB zur IHK nicht länger aufrechtzuerhalten. Die I H K ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts43 zwingend an starre staatliche Bestimmungen gebunden, die sich mit der erforderlichen Beweglichkeit des Trägers der Börse, langfristiger Planung der Börsenperspektiven und der erforderlichen Vorschau auf Investitionen in personelle und sachliche Mittel nicht vertragen. Die IHK deckt die Kosten ihrer Tätigkeit nach Maßgabe ihres Haushaltsplans durch Beiträge der Kammermitglieder; ein solcher Haushaltsplan ist jährlich nach den Grundsätzen eines sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarens unter pfleglicher Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen aufzustellen und auszuführen 44 . Auch wenn die FWB aufgrund der „Gebührenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse" 45 über ein Gebührenaufkommen verfügt, läßt das Prinzip von Zufluß einerseits sowie Ausgaben andererseits, bezogen auf ein Wirtschaftsjahr, den Aufbau von Rücklagen für die Finanzierung künftiger Investitionen oder Risikovorsorge wie in einem renditeorientierten Dienstleistungsunternehmen in privatrechtlichem Gewand nicht zu. Öffentliches Haushaltsrecht und die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Börse sind also nicht länger deckungsgleich. Das öffentliche Haushaltsrecht versagt der FWB auch den Rechtsanspruch gegen die IHK auf angemessene Ausstattung ihrer Veranstaltungen zu jedem Zeitpunkt oder auf finanzielle Begleitung künftiger Inve-
43 §3 Abs. 1 Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern. 44 §3 Abs. 2 Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern. Im Gesamthaushaltsplan der I H K ist ein Kapitel „Frankfurter Wertpapierbörse" enthalten. 45 Gebührenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse, in der geänderten Fassung in Kraft getreten am 1. Januar 1989, verkündet im amtlichen Kursblatt 238 vom 17. Dezember 1988.
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stitionen jedweder Art bzw. auf Unterstüzung einer langfristigen Perspektive. Die Anforderungen des Wettbewerbs an die FWB sind also aus haushaltsrechtlichen Gründen nur noch eingeschränkt zu erfüllen. Solange die Autonomie über den Haushaltsplan und mithin über die Ausstattung der Börse jedenfalls auch der Vollversammlung der IHK obliegt, hängen Gegenwart und Zukunft der Börse von Beschlüssen ab, die sie nicht selbständig treffen kann; sie ist insoweit fremdbestimmt. Ein derartiges Beschlußrisiko zu Lasten des weiteren Ausbaus der FWB harmonisiert nicht mit den Notwendigkeiten des Börsengeschehens, die ein unternehmerischer, privater Träger frei von öffentlich-rechtlichen Haushaltszwängen einfacher bedienen kann, ohne daß sich aus dem Anstaltsrecht Hindernisse ergeben würden. VI. Grundsätze für die Bestimmung des künftigen Trägers der FWB Als Träger der FWB kommt insbesondere eine juristische Person des Privatrechts in Betracht, wobei an eine Aktiengesellschaft zu denken ist. Jede öffentlich-rechtliche Organisation (Anstalt, Körperschaft, Stiftung usw.) scheidet als Träger schon deshalb aus, weil die im Verwaltungsrecht zwingend bestehenden engen Schranken für die Personalhoheit, die Finanzwirtschaft, das Beschaffen der sachlichen und personellen Mittel sowie Betriebsführung sich heute im Verhältnis zur Börse nicht mehr bewähren.
1. Gesellschafterkreis
des Trägers
Die Börse hat während der vergangenen Jahre Wert auf intensive und gute Verbindungen zu ihren Mitgliedern gelegt. Dadurch hat sie die Bereitschaft dieses Kreises geschaffen, die FWB zu fördern, wofür die FWB naturgemäß Gegenleistungen in Form ihrer Dienste erbracht hat. Sie hat ihr Produktangebot so überzeugend ausgebaut, daß ihre Mitglieder sich nicht versagt haben, als hohe Investitionen durch Zuschüsse zu finanzieren waren, obgleich die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter Eigentum der IHK wurden. An diesen Personenkreis läßt sich für die Ermittlung der Gesellschafter, die an einem neuen Träger zu beteiligen sind, sachgerecht anknüpfen. Dadurch ist die repräsentative Vertretung aller Teilnehmer des Börsenhandels einschließlich der Makler in den Organen des Trägers gewährleistet; es bildet sich keine „geschlossene Gesellschaft" heraus. Die Beiträge der einzelnen Börsenteilnehmer zum laufenden Geschäft sowie zum Aus- und Aufbau der Börse in den vergangenen Jahren sind zu gewichten, um den Schlüssel für die Beteiligung dieser Personen an der neuen Trägergesellschaft zu bestimmen.
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Unter diesem Teilhaber-Konzept sind die Anteile am künftigen Träger der FWB vergleichsweise breit gestreut. Kein Gesellschafter wird am Kapital der Gesellschaft mit mehr als 15 % beteiligt46. Dabei ist daran zu denken, daß einzelne Eigner - ζ. B. Makler und Auslandsbanken - ihren Besitz bei ihrem Verband oder einer Beteiligungsgesellschaft poolen. Teilhaber des Trägers sollen stets Börsenmitglieder sein. Dies kann nach dem Recht der Aktiengesellschaft gewährleistet werden, denn die Anteilsrechte lassen sich nach § 68 AktG so binden, daß ihre Abtretung an Außenstehende verhindert wird. 2. Kapitalausstattung
des
Trägers
Für die Kapitalausstattung des künftigen Trägers ist der öffentliche Auftrag an die Börse zu berücksichtigen. Als Veranstaltung des Marktes für Wertpapiere, Devisen und Waren muß sie stets existent und als gesetzliche, öffentlich-rechtliche Einrichtung jederzeit leistungs- und insbesondere zahlungsfähig sein. Sie darf nicht in Liquiditätsschwierigkeiten geraten oder sich überschulden. Dies gilt auch für ihren Träger, weil er die Möglichkeiten zur Ausrichtung der Börse sicherzustellen hat. Ferner benötigt der Träger für seine weitere Entwicklung eine angemessene Kapitalausstattung, die u. a. Anlaufverlusten, den handelsrechtlich erforderlichen Aufwendungen für Pensionsrückstellung und dem zu erwartenden Investitionsbedarf im EDV-Bereich Rechnung trägt. Der künftige Träger der Börse muß auch durch seine finanziellen Mittel im Vergleich zu den großen ausländischen Börsen bestehen können47. 46 Zu den Beteiligungsquoten siehe: Eine private Börsen-AG hat viele Vorteile, Börsen-Zeitung vom 2 7 . 6 . 1 9 9 0 , w o folgende Quoten publiziert werden: - Großbanken 29,88% - Privatbanken 10,49% - andere private Geschäftsbanken 16,93 % - Landesbanken, Girozentralen und Sparkassen 11,98% - Genossenschaftsbanken 5,68 % - Hypothekenbanken 4,13 % - Auslandsbanken pauschal 10,00% - Kursmakler 5,00 % - Freie Makler 6,00% Ferner: Die Frankfurter Börse ist nun eine A G , Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1 0 . 7 . 1 9 9 0 ; Kursmakler sind für die Börsen-AG, Die Welt vom 2 9 . 6 . 1 9 9 0 ; Frankfurt: Börsenschluß für Deutschland, V W D Finanz- und Wirtschaftsspiegel vom 4 . 7 . 1 9 9 0 . 4 7 Zur Kapitalausstattung der F W B - A G : 21 Mio. D M Grundkapital, 63 Mio. D M offene Rücklagen, insgesamt also 84 Mio. D M Eigenkapital. Im internationalen Vergleich ist der W e r t noch relativ niedrig; die Eigenmittel belaufen sich für die Börse in New Y o r k auf 230 Mio. $, f ü r die Börse in London auf 190 Mio. £ und f ü r die Börse in Paris auf über 1 Mrd. FFr. Siehe: Eine private B ö r s e n - A G hat viele Vorteile, Börsen-Zeitung v o m 2 7 . 6 . 1 9 9 0 ; Kursmakler sind für die Börsen-AG, Die W e l t v o m 2 9 . 6 . 1 9 9 0 ; Börse Frank-
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3. Management
des Trägers
Die erforderliche Beweglichkeit des Managements läßt sich im Rahmen einer privatrechtlichen Trägergesellschaft erreichen; das Anstaltsrecht wird von seiner Struktur her dieser Anforderung an die Unternehmensleitung der FWB nicht gerecht. Im Ergebnis muß die eindeutige juristische Zuordnung von Zuständigkeiten und Verantwortungen für - die Wahrnehmung der laufenden Geschäfte sowie die Vertretung des Trägers, - die Aufsicht über die Führung der laufenden Geschäfte und die Beratung der mit ihnen betrauten Persönlichkeiten sowie für - die grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen durch die in einer Versammlung vereinten Inhaber des Trägers sichergestellt sein.
4. Verzahnung der öffentlich-rechtlichen mit dem zivilrechtlichen Träger
Börse
Die Aufgabenbereiche der Aufsichts- und Exekutivorgane der öffentlich-rechtlichen Anstalt Börse einerseits und des neuen Trägers sind miteinander abzustimmen. Insoweit sind Kollisionen zu vermeiden. Börsenrecht und das für den neuen Träger anwendbare Privatrecht bilden zwei getrennte Regelkreise. Die Wahrnehmung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben bleibt nach wie vor den Börsenorganen - Börsenvorstand und Börsengeschäftsführung sowie der staatlichen Aufsicht vorbehalten, während den Gremien des neuen Trägers die Beschlußfassung über die sachliche und personelle Ausstattung der FWB, deren Finanzierung und das sonstige Management der äußeren Rahmenbedingungen obliegt. Die Organe des Trägers sind gehalten, die Vorgaben des Börsenrechts zu beachten, um auf diese Weise Konflikten zu entgehen. Eine Harmonisierung von Entscheidungen läßt sich - insbesondere bei den Exekutivorganen - über Personalunionen zwischen Börse und Management des Trägers herstellen. Für die handelnden Personen bedeutet dies vor allem, daß sie hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen müssen, wann sie in
furt-AG beschlossen, Börsenzeitung vom 7. 7.1990; Für Wettbewerb mit Paris und London besser gerüstet, Handelsblatt vom 9.7.1990; Frankfurter Wertpapierbörse A G ist gegründet, Börsen-Zeitung vom 10.7.1990; Mit Börsenumwandlung wird der Service teurer, Frankfurter Neue Presse vom 10.7.1990; Träger-AG soll bereits 1994 schwarze Zahlen schreiben, Handelsblatt vom 10. 7.1990.
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ihrer öffentlich-rechtlichen Funktion als Börsengeschäftsführung und wann als Organe des privatrechtlichen Trägers tätig werden. Zusätzlich läßt sich die Verzahnung von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Bereich insbesondere über eine Harmonisierung der jeweils geltenden Geschäftsordnungen bewerkstelligen. 5. Rechtsform der Trägergesellschaft Der erwartete große Gesellschafterkreis legt die Errichtung einer Aktiengesellschaft „ F W B - A G " als künftigen Träger nahe. - Das Aktiengesetz bietet das insoweit klarste gesetzliche Rüstzeug, um ein solches Unternehmen zu führen; die Statuten einer anderen Organisation müßten einen solchen juristischen Rahmen erst schaffen. - Die Aktiengesellschaft bietet den Vorteil, daß die Zahl von mehr als 200 Gesellschaftern ohne weiteres aufgenommen werden kann. - Gesellschaftsrechte lassen sich zum Nennbetrag von nur D M 50,ausgeben, um auch geringste Beteiligungsquoten zu bedienen. - Namensaktien können durch entsprechende, satzungsmäßige Vinkulierung gewährleisten, daß zu jeder Zeit nur Börsenmitglieder an der F W B - A G beteiligt sind. Im übrigen ist die Übertragung von FWB-Aktien zwischen den Börsenmitgliedern leicht zu bewerkstelligen. - Das aktienrechtliche Verbot von Weisungen der Gesellschafter an Vorstand und Aufsichtsrat einer A G und die damit einhergehende Unabhängigkeit ist vorteilhaft. Die strenge, insgesamt bewährte und bei bedeutenden Börsenmitgliedern selbst erfolgreich gehandhabte Organisationsform der Aktiengesellschaft spricht für ihre Wahl. Gegen die Gesellschaft mit beschränkter Haftung lassen sich zunächst die Schwierigkeiten einwenden, Geschäftsanteile auf den späteren Gesellschafterkreis zu verteilen. Jede Stammeinlage und mithin jeder Geschäftsanteil - bezogen auf die denkbar kleinsten Beteiligungen von unter 0,05 % am Stammkapital - müssen mindestens D M 500,- betragen und im übrigen durch 100 teilbar sein (§ 5 G m b H G ) . Der Gesellschafterwechsel hängt ferner von einer notariellen Übertragung ab, was bei der hier angenommenen hohen Gesellschafterzahl belastet und spätere Veränderungen im Gesellschafterkreis unnötig erschwert. Darüber hinaus müssen §§ 51 a, 51b G m b H G berücksichtigt werden; sie gewähren jedem Gesellschafter unbeschadet seiner Verantwortung für das Unternehmen - gemessen am Kapitalanteil - ein unabdingbares, gerichtlich durchsetzbares Auskunftsrecht über die Angelegenheiten der Gesell-
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schaft sowie ein Einsichtsrecht in deren Bücher und Schriften. Von diesen Vorschriften kann im Gesellschaftsvertrag nicht abgewichen werden. Derart weitgehende Befugnisse der Gesellschafter mögen bei einem familienbezogenen Gesellschafterkreis vertretbar sein, können aber vernünftigerweise nicht vorgeschlagen werden, wenn eine vergleichsweise hohe, anonyme Mitgliederzahl in Rede steht. Gegenüber diesen Nachteilen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung fallen etwaige Vorteile wie die Anpassungsfähigkeit der Organisationsform nicht ins Gewicht. Der Verein scheidet bereits wegen der grundsätzlichen Stimmengleichheit aller Vereinsmitglieder - ohne Rücksicht auf die aus der Kapitalquote hergeleitete Verantwortung - aus. Die Genossenschaft kommt aus denselben Gründen nicht in Betracht, die auch gegen den Verein sprechen. Nach §43 Abs. 3 GenG hat jeder Genösse eine Stimme. Auch diese Einflußnahme würde nicht die geschäftlichen oder vermögensmäßigen Beiträge der einzelnen Teilhaber des künftigen Trägers in der Weise - wie dies durch andere gesellschaftsrechtliche Formen möglich ist - berücksichtigen. VII. Errichtung der FWB-AG Für die Errichtung der FWB-AG empfahl es sich aus praktischen Erwägungen, - in der ersten Stufe eine Gesellschaft („Vorschaltgesellschaft") mit einem Kapital, das nur unwesentlich über dem Mindestbetrag von DM 100000,- lag, durch Bargründung zu errichten, damit - die Trägergesellschaft zur zeitnahen Verwirklichung des Vorhabens mit der aktienrechtlich geforderten Minimalausstattung kurzfristig verfügbar war und - in der zweiten Stufe die übrigen Börsenmitglieder im Rahmen einer Barkapitalerhöhung als Aktionäre an die Gesellschaft gebunden werden konnten. 1. Die Struktur der
Trägergesellschaft
Die Trägergesellschaft erhielt ein Eigenkapital von insgesamt 84 Mio. DM, das in 21 Mio. DM Grundkapital und 63 Mio. DM Kapitalrücklagen gegliedert ist. Die Gesellschaft hat vinkulierte Namensaktien ausgegeben. Bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats sind die Grenzen zu berücksichtigen, die sich aus dem Aktiengesetz ergeben und von der Grundkapitalziffer abhängen. Ferner stehen für die Besetzung des Auf-
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sichtsrats durch die Aktionäre mit Rücksicht auf die sog. „DrittelParität" gem. §52 BetrVG 1952 zwei Drittel der Aufsichtsratsmandate zur Verfügung. Die Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder beträgt lt. § 95 AktG bei einem Grundkapital von bis zu DM 3 Mio. bis zu DM 20 Mio. über DM 20 Mio.
9 Mitglieder 15 Mitglieder 21 Mitglieder.
2. Überleitung des Betriebs gewerblicher Art „Frankfurter Wertpapierbörse" Der Vertrag zur Uberleitung des Betriebs gewerblicher Art „Frankfurter Wertpapierbörse" von der IHK auf die FWB-AG folgt den Grundregeln des Unternehmenserwerbs. Die dem heutigen Betrieb gewerblicher Art „Frankfurter Wertpapierbörse" gewidmete Besitz- und Schuldposten sowie die laufenden Verträge waren auf die FWB-AG zu übertragen. Für die Dienstverhältnisse gilt § 613 a BGB, der festlegt, daß die FWBAG in die von der IHK für ihren Betrieb gewerblicher Art „Frankfurter Wertpapierbörse" abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse eintritt. Dadurch gehen auch Betriebsvereinbarungen bzw. Tarifverträge in den Pflichtenkreis der FWB-AG ein, weil sie eine Neugründung ist, und sich die Belegschaftsmitglieder des übergehenden Betriebes daher weder in ein laufendes Unternehmen noch in bereits anwendbare Regelungen des kollektiven Arbeitsrechts einbinden lassen48. Der Besitzstand der bei der Börse Beschäftigten wird mit dem Ubergang des Betriebs auf die FWB-AG gewahrt, und ihnen werden Einkommensstrukturen und Sozialleistungen angeboten, die eine Schlechterstellung gegenüber ihrem Arbeitsverhältnis mit der IHK als Träger der Börse ausschließen. 3. Überleitung der Genehmigungen nach Börsenrecht Die Genehmigung des Betriebs gewerblicher Art „Frankfurter Wertpapierbörse" der IHK mußte auf die FWB-AG übergeleitet werden, damit diese den Börsenbetrieb fortsetzen konnte; dazu legt § 1 Abs. 1 S. 1 BörsG fest: „Die Errichtung einer Börse bedarf der Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörde (Börsenaufsichtsbehörde)."
48 Vgl. Putzo in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 1989, § 6 1 3 a Anm. 2, w o unter b) besonders der Ubergang eines Betriebes von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auf eine privatrechtliche Trägerschaft hervorgehoben wird.
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Die Aufsicht knüpft am Ort des Marktgeschehens an und die aufsichtsrechtlichen Kompetenzen enden an der Landesgrenze; sie ist Länderangelegenheit. Hessen nimmt die Aufsicht in originärer Kompetenz nach dem Börsengesetz wahr 49 . VIII. Realisierung des Konzepts Zum Jahreswechsel 1990/1991 wurden die Kapitalmaßnahmen im Handelsregister der FWB-AG eingetragen. Damit steht der Frankfurter Wertpapierbörse ab Jahreswechsel 1990/1991 ein privatrechtlicher Träger im Gewand der Aktiengesellschaft zur Verfügung, der sich künftig den Anforderungen des Wettbewerbs unter den internationalen Finanzplätzen stellt.
49 Dreyling, Zur staatlichen Aufsicht über Börsen mit überregionalem Wirkungsbereich, WM 1990, S. 1529.
Mißbräuchliche aktienrechtliche Anfechtungsklagen und Strafrecht - Vorüberlegungen und Materialien K L A U S LÜDERSSEN
Die Konflikte, die mit der Zunahme von Anfechtungsklagen einzelner Aktionäre gegen Hauptversammlungsbeschlüsse 1 entstanden sind 2 , haben das Gesetz des Handelns, so scheint es, ein wenig verschoben. Nachdem der B G H in seiner Entscheidung v o m 1 8 . 1 2 . 1989 besonders klar gesagt hat, unter welchen Voraussetzungen die Anfechtungsklage eine unzulässige Rechtsausübung darstellt 3 und daher abzuweisen ist, werden die Unternehmensleitungen sich gedrängt sehen, die Mißbrauchstatbestände jeweils möglichst früh festzustellen 4 . Bei der A u s schau nach geeigneten Instrumenten kommt durchaus auch das Strafrecht in den Blick. In der Tat sind die einschlägigen Vokabeln bereits im Umlauf. V o n „erpresserischen Klagen" 5 , räuberischen Aktionären 6 ist die Rede. Das ist nicht nur eine unverbindliche Metaphorik, denn es gibt auch schon Strafanzeigen 7 . Daß ein daraufhin in Gang gesetztes Ermitt-
1 Von „ca. 70 mißbräuchlichen Anfechtungsverfahren in den letzten drei Jahren . . . und dies bei ganzen 450 börsengehandelten AGs in der Bundesrepublik" geht aus: Carsten Peter Claussen, Mißbräuchliches Aktionärsverhalten - wie verhält man sich dazu? in: AG 1990, S.157f (158). 2 Über die bisherigen gerichtlichen Entscheidungen berichtet Heribert Heckschen, Das Verschmelzungsrecht auf dem Prüfstand, ZIP 1989, S. 1168 ff (1169). Insbesondere das Kochs-Adler-Verfahren ist dort gut dokumentiert. Vgl. ferner Tilo Keil/Thomas Wagner, Verschmelzungsrecht und Art. 177 EWG-Vertrag, ZIP 1989, S.214ff (215); vgl. ferner die Mitteilungen und Analysen bei: Robert Diekgräf, Sonderzahlungen um opponierende Kleinaktionäre im Rahmen von Anfechtungs- und Spruchstellenverfahren, Heidelberg 1990, S. 45, 52 ff. 3 ZIP 1990, 168, bestätigt durch die Entscheidung des BGH vom 29.10.1990, AG 1991, S. 102 (104). 4 Es sei denn, man baut auf die präventive Kraft des Verbotes einer Zahlung an den Anfechtungskläger (dazu Wilhelm Schiaus, Auskauf opponierender Aktionäre, in AG 1988; vgl. hierzu auch die Übersicht bei Diekgräf aaO, S. 141 f, S. 113ff [115]). 5 Vgl. nur die Nachweise bei Diekgräf aaO, S. 141. ' Vgl. Marcus Lutter, Zur Abwehr räuberischer Aktionäre, in: FS 40 Jahre Der Betrieb 1988, S. 193 ff. 7 S. die Mitteilungen bei Diekgräf aaO, S. 12.
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Klaus Lüderssen
lungsverfahren (soviel man sehen kann, noch nicht abgeschlossen)8 von einem der Anzeigeerstatter inzwischen als gegenstandslos bezeichnet wird, weil ein Vergleich zustande gekommen sei', macht es nicht zur quantité négliable 10 . Wie nahe man hier im Grunde immer dem Strafrecht gewesen ist", geht nicht zuletzt aus dem Versuch des Gesetzgebers der Aktienreform 1965 hervor, einschlägige Strafvorschriften zu schaffen. §389 RegE lautete - unter der Uberschrift „Abkauf von Anfechtungs- und Antragsrechten" - : „Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer 1. besondere Vorteile dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, ( . . . ) daß er eine Anfechtungsklage nicht erhebe oder einen Antrag nach §249 II, §250 II, §293 III, §294 V, §309 VI, §363 II nicht stelle oder eines dieser Verfahren nicht fortführe 12 , 2. besondere Vorteile dafür anbietet, verspricht oder gewährt, ( . . . ) daß jemand eine Anfechtungsklage nicht erhebe oder einen der in Nummer 1 bezeichneten Anträge nicht stelle oder eines dieser Verfahren nicht fortführe". Man war also gar nicht einseitig. Auch die Unternehmensleitungen hätten sozusagen mit einem Bein fast schon im Gefängnis gestanden. Die Streichung der Vorschrift in den Ausschußberatungen hat der Sache die strafrechtliche Brisanz keineswegs genommen. Es bestehe kein Bedürfnis für einen aktienrechtlichen Sondertatbestand, heißt es in der Begründung; die Tatbestände der Nötigung und Erpressung stünden ja bereit13 Wirtschaftswoche vom 11. 8.1990. Vgl. Ziff. 5 des „Kochs-Adler"-Vergleichs, vgl. dazu Wolfram Timm, der „KochsAdler"-Vergleich, in: ZIP 1990, S.411 (412). 10 Daß „seit der ,Kochs-Adler'-Entscheidung des BGH Anfechtungsklagerücknahme gegen Barzahlung keine zukunftsträchtige Geschäftspartie mehr sei" (vgl. dazu die Mitteilung bei Carsten Peter Claussen, Mißbräuchliches Aktionärsverhalten - wie verhält man sich dazu? in: A G 1990, S. 156f [157]), ist indessen nicht mehr als eine Hoffnung; vielmehr sind, so Tilo Keil, Mißbräuchliches Aktionärsverhalten, Bericht über das R WS-Forum 4 in: ZIP 1989, S. 1500 ff (1504), künftig „subtilere Formen mißbräuchlichen Verhaltens zu erwarten". 11 Vgl. schon den Gesetzgeber von 1884: „Das Recht eines Jeden zur Anfechtung ist ein zweischneidiges Mittel, welches Schikanen und Erpressungen Tür und Tor öffnet" (wiedergegeben bei Diekgräf aaO, S. 1). 12 BT-Drucks. IV/171, Regierungsentwurf eines Aktiengesetzes, S. 89 mit Begründung S. 262; zu entsprechenden Forderungen der Literatur vgl. Peter Deuss, Das Auskunftsrecht des Aktionärs 1962, S.290, der es für „äußerst wünschenswert" hält, daß „§389 Reg.-Ent. zum Gesetzesrecht erhoben" werde. 13 BT-Drucks. 4/3296, schriftlicher Bericht des 12. Rechtsausschusses, Bericht des Abgeordneten Dr. Wilhelmi, zu Drucksache 4/3296, abgedruckt in: Bruno Kropff (Hrsg.), Aktiengesetz, Düsseldorf 1965, S.508. 8 9
Mißbräuchliche aktienrechtliche Anfechtungsklagen und Strafrecht
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- keine Rede also von einer allgemeinen Ablehnung einer Strafwürdigkeit in Fällen dieser Art. Daher mag es für einen Strafrechtler angezeigt sein, einmal genauer hinzusehen. Welche strafrechtlichen Fragen gegebenenfalls beantwortet werden müßten, soll für eine Reihe von Sachverhalten geprüft werden, wobei noch nicht scharf getrennt wird zwischen Realität und bloßer Annahme. Im einzelnen handelt es sich um die folgenden Konstellationen: A.
Eine Absicht, gegen kompensierende Leistungen (k. L.) die Klage zurückzunehmen, hat der Anfechtungskläger (noch) nicht erklärt. I. Die Absicht des Anfechtungsklägers, mit der Klage die Aktiengesellschaften zu k. L. zu veranlassen, ist der Unternehmensleitung bekannt. 1. Deren Angebot soll darüber - indem der Anfechtungskläger nun zu erkennen gibt, daß er im Falle einer k. L. die Klage zurücknehmen werde - Beweis erbringen. An die Realisierung des Angebotes wird nicht ernsthaft gedacht. 2. Die k. L. (vorbereitet durch ernstgemeinte Versprechen) soll den Anfechtungskläger veranlassen, die Klage zurückzunehmen. Hier gibt es jeweils zwei Alternativen: die Unternehmensleitung will die Leistungen - eventuell zurückverlangen oder verzichtet von vornherein darauf. II. Eine Absicht des Anfechtungsklägers, für die Zurücknahme der Klage eine k. L. zu verlangen, ist nicht bekannt, wird aber von der Unternehmensleitung - im Sinne „eines Anfangsverdachts" - vermutet. 1. Das Angebot, eine k. L. zu veranlassen, soll auch in diesem Fall in erster Linie eine entsprechende Aufklärung bringen, damit Strafanzeige erstattet werden kann. Die Absicht, eine Leistung zu bewirken, besteht nicht. a) Der Anfechtungskläger geht auf das Angebot ein. aa) Das ist die Bestätigung des Verdachts. bb) Es liegt eine „Umstimmung" vor. b) Der Anfechtungskläger geht nicht auf das Angebot ein. 2. Die Unternehmensleitung will leisten, um die Rücknahme der Klage zu erreichen; jeweils muß dann wieder unterschieden werden, ob - sofern realisierbar — Rückforderungsabsicht besteht oder nicht. a) Der Verdacht wird bestätigt. b) Der Verdacht wird nicht bestätigt. aa) Die Klage ist - abgesehen vom „Mißbrauchs-Einwand" - begründet, bb) Die Klage ist nicht begründet. III. Die Unternehmensleitung weiß, daß der Anfechtungskläger (zunächst) nichts anderes im Sinn hat als die korrekte Durchführung des Verfahrens. Gleichwohl soll mit einer k. L. bzw. einem entsprechenden Angebot reagiert werden. 1. Die Unternehmensleitung geht gleichwohl davon aus, daß der Anfechtungskläger umgestimmt, daß heißt, doch noch zu einem - aktiv nötigenden Angebot veranlaßt werden kann. a) Die Absicht der Unternehmensleitung geht dahin, dann doch Strafanzeige zu erstatten. b) Die Absicht der Unternehmensleitung geht nur dahin, die Rücknahme der Klage zu erreichen. 2. Die Unternehmensleitung geht nicht davon aus, daß der Anfechtungskläger sich zu einem aktiv nötigenden Verhalten animieren läßt. Es soll nur der „Lästigkeitswert" abgekauft werden.
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B.
Klaus Lüderssen IV. Die Unternehmensleitung weiß nichts über die wahre Absicht des Anfechtungsklägers, vermutet allerdings, daß er tatsächlich die korrekte Durchführung des Verfahrens beabsichtigt. Gleichwohl soll - für alle Fälle - das Leistungsangebot gemacht bzw. realisiert werden. Das Angebot des Anfechtungsklägers, nach Leistung die Klage zurückzunehmen, liegt bereits auf dem Tisch. I. Die Unternehmensleitung erklärt die Bereitschaft, auf das Angebot einzugehen, will aber in Wahrheit nicht leisten. II. Die Unternehmensleitung erklärt die Bereitschaft, auf das Angebot einzugehen, will auch leisten, will aber, sofern das möglich ist, die Leistung zurückfordern. III. Die Unternehmensleitung erklärt die Bereitschaft, darauf einzugehen, will auch leisten und die Leistung nicht zurückfordern.
Wahrscheinlich bedarf nicht jede Variante einer vollkommenen eigenständigen Würdigung. Trotzdem ist die Menge des zu Erörternden ziemlich groß. Daher können, soll der Uberblick nicht verlorengehen, die Probleme in dem gegebenen Rahmen nur skizziert werden. Dabei bleiben die sich vielleicht ergebenden Fragen nach Irrtum und Schuld außer Betracht. A.
Eine Absicht, gegen k. L . die Klage zurückzunehmen, hat der Anfechtungskläger (noch) nicht erklärt. D i e Frage ist, ob dann überhaupt ein Handlungsspielraum besteht. „Ein offenkundiger Mißbrauch tritt . . . erst ein, wenn der Aktionär signalisiert, daß er etwas anderes will, nämlich nur seinen eigenen materiellen Vorteil", schreibt Marcus Lutter14. Danach scheint jede vor jener Signalisierung einsetzende Aktivität der Unternehmensleitung gegenstandslos zu sein. Bemüht sich die Unternehmensleitung gleichwohl, etwas zu erfahren, indem sie dem Kläger ihrerseits eine Leistung anbietet, so muß sie damit rechnen, daß ihr das als die Absicht ausgelegt wird, den „Lästigkeitswert" der Klage abzufinden. A u c h auf dieses handikap hat Marcus Lutter deutlich hingewiesen 1 5 . O b sich die denkbaren A u s k ü n f t e in diesen Alternativen erschöpfen, kann nur eine ins einzelne gehende Analyse der verschiedenen Fallgestaltungen ergeben. I. D i e Absicht des Anfechtungsklägers, mit der Klage die Aktiengesellschaft zu k. L . zu veranlassen, ist der Unternehmensleitung bekannt. 1. Deren A n g e b o t soll darüber - indem der Anfechtungskläger zu erkennen gibt, daß er im Falle einer k. L . die Klage zurücknehmen werde
14 15
In: Wertpapier 1988, S.292f (Interview) (S.293). AaO.
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- Beweis erbringen. An die Realisierung des Angebotes wird nicht ernsthaft gedacht16.
a) Folgende Straftatbestände
kommen in Betracht
aa) §266 StGB Diese Vorschrift richtet sich in vorliegendem Kontext ausschließlich an die Unternehmensleitungen. Zunächst ist nach der gemeinsamen Voraussetzung der beiden Tatbestände des §266 - der Vermögensbetreuungspflicht - zu fragen17. Sie könnte verletzt sein, wenn das Aktienrecht Leistungen dieser Art verbietet. Geht es um die Uberweisung eines Geldbetrages und faßt man diese als Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen18 an einen Aktionär 19 auf, so muß festgestellt werden: Das Aktiengesetz erlaubt Zahlungen an Aktionäre nur, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Entweder muß es sich um einen Bilanzgewinn handeln (§ 58 Abs. 5 AktG) oder um die Zahlung eines Erwerbspreises beim zulässigen Erwerb eigener Aktien (§ 57 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die hier interessierenden Angebote fallen nur insoweit unter diese Vorschriften 20 , als dem Anfechtungsklä16 Da die Tendenz der Rechtsprechung dahin geht, mißbräuchlich erhobene Klagen abzuweisen, ist diese restriktive Strategie nicht unrealistisch; das „Schütt'-aus-Hol'zurück-Verfahren" (Einzelheiten bei Diekgräf mO, S. 142 f, 200 ff) könnte also entbehrlich werden. 17 Was den „Täterkreis" angeht, so kommen auch Mitglieder des Aufsichtsrates in Betracht, wenn sie „gegenüber vermögensschädigenden Akten des Vorstandes nicht einschreiten" (Klaus Tiedemann, Untreue bei Interessenkonflikten, in: Festschrift für Herbert Tröndle, Berlin/New York 1989, S. 319 ff [322]); vgl. neuestens auch Ursula Nelles, Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, Berlin 1991, S. 554 ff zur „Organtreue" des Aufsichtsrats und S. 546 ff zu derjenigen der Mitgliederversammlung, wo allerdings nur deren Beschlüsse als mögliche Untreuehandlungen, nicht aber das Einschreiten einzelner Mitglieder gegen diese Beschlüsse behandelt werden. 18 Wenn sich der in der Tochtergesellschaft opponierende Aktionär mit seinem Begehren an die Muttergesellschaft wendet und diese zahlt, so sind Kapitalschutzvorschriften nicht berührt, Klaus-Peter Martens, Die Vergleichs- und Abfindungsbefugnis des Vorstands gegenüber den opponierenden Aktionären, AG 1988, S. 118 ff (119), s. auch Diekgräf aaO, S. 105; dort (S. 101 ff), auch über weitere Fälle der Nichtanwendbarkeit der §§57 I 1, 58 V AktG bei Einschaltung Dritter einerseits, unzulässigen Umgehungen andererseits, s. ferner Anm. 16. " Zur Frage der Verhandlung mit Mittelspersonen vgl. Martens aaO, S. 120 Fn. 13. 20 Jenseits davon sind alle anderen Sprachregelungen, etwa „Beraterhonorar, Aufwandpauschalen" (dazu Peter Hommelhoff/ Wolfram Timm, Aufwandpauschalen für Anfechtungskläger, AG 1989, S. 168 ff [169]). Wilhelm Schiaus, Auskauf opponierender Aktionäre, AG 1988, S. 113 ff (S. 116), charakterisiert die Vorgänge als „Scheinverträge ohne Gegenleistung an die Gesellschaft". Das gelte auch für andere Schadloshaltungen des Klägers, etwa von der Art, wie sie Marcus Lutter, Die entgeltliche Ablösung von Anfechtungsrechten - Gedanken zur aktiven Gleichberechtigung im Aktienrecht, ZGR
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ger tatsächlich A k t i e n
abgekauft w e r d e n
sollen 2 1 -
wobei
aber
die
Zulässigkeit ( g e m ä ß § 7 1 A k t G zu prüfen) 2 2 n u r a u s n a h m s w e i s e a n z u n e h m e n ist 2 3 . V o n einer ausdrücklichen G e s t a t t u n g d u r c h das A k t i e n r e c h t k a n n also eigentlich nicht ausgegangen w e r d e n . F r e i l i c h ist d e r G e d a n k e n i c h t g a n z v o n d e r H a n d z u weisen, d a ß es einer s o l c h e n G e s t a t t u n g - P r i n z i p d e r Vertragsfreiheit 2 4 - vielleicht gar nicht bedarf 2 5 . E i n e (insofern) materielle B e t r a c h t u n g s w e i s e scheint a b e r einhellig dahin z u gehen, d a ß jene V o r schriften, weil „ d o c h die Geldleistung gerade w e g e n d e r A k t i o n ä r s e i g e n schaft
und
wegen
der
formal
ausgeübten
Aktionärsrechte
gezahlt"
w e r d e 2 6 , einschlägig sind 2 7 . Bleibt es bei d e m V e r b o t , s o liegt eine m i ß b r ä u c h l i c h e V e r p f l i c h t u n g d e r Gesellschaft i. S. d. M i ß b r a u c h s t a t b e s t a n d s des § 2 6 6 S t G B n u r d a n n
1978, S. 348 ff (363) skizziert habe (Kostenerstattungen, wozu auch gehören „Zeitverluste des Klägers", „Beratungen durch dritte Seite", „Reiseaufwendungen zu Besprechungen mit dem Prozeßanwalt" und ähnliches). 21 In der Regel zu einem erhöhten Preis (vgl. Heribert Hirte, Mißbrauch aktienrechtlicher Anfechtungsklagen, BB 1988, S. 1469 ff [1473]). 22 Darüber s. im einzelnen weiter unten. 23 Das heißt, in der Regel liegt eine unzulässige Einlagenrückgewähr vor, vgl. Christiane Windbichler, Referat auf dem in Köln veranstalteten RWS-Forum zum Thema „Mißbräuchliches Aktionärsverhalten" (nach dem Bericht von Michael Rohleder, in AG 1989, S. 433 ff [435]) - die Referate des Forums sind jetzt veröffentlicht in: Wolfram Timm (Hrsg.), Mißbräuchliches Aktionärsverhalten, Köln 1990. Soweit der Preis überhöht ist, liegt allerdings eine verdeckte Gewinnausschüttung vor (Martens, aaO S. 122; dazu generell Gessler in Festschrift für Robert Fischer, 1979, S. 131, 138 f; weitere Literaturhinweise bei Martens aaO, Anm.21. Keine verdeckte Gewinnausschüttung allerdings nehmen Hommelhoff/Timm, aaO, in diesem Fall an). 24 Grenzen mit Blick auf die Vergleichsregelung des §779 BGB sieht Hirte aaO: abgesehen davon, daß Anfechtungsklagen grundsätzlich nicht vergleichsfähig seien, sei hier das Erfordernis des gegenseitigen Nachgebens nicht erfüllt. 25 Vgl. dazu die Hinweise in Anm. 23. 26 Martens aaO, S. 120. 27 Zu den Problemen, die entstehen, wenn Gesellschaftereinlagen durch Zuwendungen an Dritte rückgewährt werden, vgl. Claus-Wilhelm Canaris, Festschrift für Robert Fischer, Berlin, New York 1979, S. 31 ff. Auf S. 35 ff werden verschiedene Modelle erörtert: „Zuwendungen an dem Aktionär ,nahestehende Dritte'" (wobei u. a. unterschieden wird nach „Zuwendungen an Strohmänner", „Zuwendungen an Verwandte"), „Zuwendungen an bösgläubige Dritte" (hier wieder mit folgenden Unterabteilungen: „die Bestellung einer Grundschuld für eine Schuld des Aktionärs", „die Übernahme einer Bürgschaft oder Garantie für eine Schuld des Aktionärs", Wechselzeichnungen zugunsten des Aktionärs, „die Bestellung eines Pfandrechts für die Schuld eines Aktionärs", „die Erfüllung von Schulden des Aktionärs und die Vornahme von Lieferungen auf seine Anweisung", „Eingehung einer Verpflichtung anstelle des Aktionärs", „die Aufnahme eines Kredits für den Aktionär", „Zahlungen an Erwerber von Dividendenscheinen"). Ein Hinweis darauf, ob eine Zahlung causa societatis vorliegt, ist, daß ein derartiger Vertrag in dieser Art und Weise mit einem Dritten nicht geschlossen worden wäre (Marcus Lutter, Zur Abwehr räuberischer Aktionäre in Festschrift „40 Jahre D B " 1988, S. 193 ff [193]).
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vor, wenn der aktienrechtliche Verstoß die Wirksamkeit der Verpflichtung gegenüber den Anfechtungsklägern nicht berührt, denn nur im Außenverhältnis wirksame Verpflichtungen erfüllen den Mißbrauchstatbestand28. Die Verpflichtung könnte zunächst unwirksam sein, weil die Angebote nur zum Schein gemacht werden. Indessen liegt die Voraussetzung, unter der nach §116 Satz 2 B G B ein geheimer Vorbehalt ein Geschäft nichtig macht, nicht vor, denn die angesprochenen Anfechtungskläger kennen ihn nicht. Soweit das Verbot der §§ 57, 58 V AktG eingreift, ergibt sich jedoch daraus die Unwirksamkeit der Verpflichtung. Das Verbot richtet sich zwar in erster Linie an die Organe der A G und verbietet vor allem dem Vorstand im Innenverhältnis, verbotene Ausschüttungen vorzunehmen29. Nach ganz herrschender Meinung30 sind aber auch alle Vereinbarungen zwischen Aktionären und der AG nichtig, deren Erfüllung gegen §§57, 58 V AktG verstoßen würde. Damit scheidet der Mißbrauchstatbestand aus. In Frage kommt nur mehr der Treubruchstatbestand. Für diesen kann jedes tatsächliche Verhalten ausreichen, das sich innerhalb des Pflichtenkreises vollzieht31, insbesondere auch, wenn der Handelnde bei der Ausübung seiner Tätigkeit ihm vorgegebene gesetzliche Bestimmungen verletzt32. Hinsichtlich der §§57, 58 V AktG wäre nur noch zu prüfen, ob es über die im Aktiengesetz erwähnten Ausnahmen vom Verbot der aus dem Gesellschaftsvermögen stammenden Leistungen an Aktionäre hinaus weitere Ausnahmen geben kann - etwa aus dem Gesichtspunkt der Abwendung größeren Schadens von der Gesellschaft. Hierfür hat Martens viel Material zusammengetragen33. Dieses Material zeigt freilich, daß hier bereits die „Rechtfertigungsebene" angesteuert wird. Das indiziert, daß die Zahlungen offenbar doch nicht ohne weiteres - eben im Rahmen der Vertragsfreiheit - zulässig sind. Die §§57, 58 AktG scheinen insofern eine negative Exklusivität (d.h.: andere Normen, welche die Zahlungen gestatten könnten, sind ausgeschlossen) zu haben. O b das durchweg so ist, kann solange auf sich beruhen, als keine Zweifel daran bestehen, daß dies jedenfalls für den hier angenommenen Sachverhalt gilt. Ehe man nun in die schwierige Frage eintritt, ob die Zahlungen im Einzelfall vielleicht doch zulässig sein könnten, und insofern das Vorlie28 Karl Lackner, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 18. Auflage, München 1989, §266 Anm. 36. 29 Vgl. Marcus Lutter, Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., § 57 Rdn. 59. 30 Lutter aaO, Rdn. 61 m.w.N.; a. A. nur Joost, ZHR 149 (1985), 419, 436. 31 Lackner aaO, §266 Anm. 4 c. 32 Schönke/Schröder/Z.enc&«er, Strafgesetzbuch, Kommentar, 23. Auflage, München 1988, §266 Rdn. 35 a. 33 AaO, S. 120 f; s. ferner Hirte, aaO S. 1470 Fn. 15 mit Nachweisen.
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gen einer Vermögensbetreuungspflicht gemäß § 266 StGB zu verneinen wäre, ist zunächst die einfachere Frage zu stellen, was es, selbst wenn die Vermögensbetreuungspflicht verletzt wäre - im Vorgriff auf das Merkmal des Vermögensnachteils - bedeutet, daß hinter dem Angebot ja kein ernster Erfüllungswille steht. Eine wirkliche Gefährdung, etwa wegen eventuell sich einstellender Handlungszwänge, ist nicht zu erwarten. Zu denken wäre allenfalls an das Risiko einer Klage der Aktionäre gegen die AG auf Erfüllung der Vereinbarung, also auf Zahlung des für die Rücknahme der Anfechtungsklage vereinbarten Betrages. Grundsätzlich ist zwar auch eine Vermögensgefährdung, die wirtschaftlich schon zu einer Minderbewertung führt, ein Nachteil im Sinne von §266 34 . Darunter kann auch das sogenannte „Prozeßrisiko" fallen, jedoch nur, wenn der Prozeß irgendwelche Aussicht auf Erfolg hat35. Für eine Erfüllungsklage der Aktionäre (nach Rücknahme ihrer Anfechtungsklage) bestünde dagegen keinerlei Aussicht auf Erfolg, weil die ganz h. M. eine gegen §§57, 58 V AktG verstoßende Vereinbarung - wie oben dargelegt - für nichtig hält und die Klage folglich auf jeden Fall unbegründet wäre. Das Risiko einer auf jeden Fall unbegründeten Klage ist aber gleich Null, ein wirtschaftlicher Vermögensnachteil ergibt sich daraus nicht. Es zeigt sich also, daß der Vorgang, selbst wenn man eine Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht annehmen würde, die Schwelle vermögensstrafrechtlicher Relevanz noch nicht erreicht; die Prüfung der Anwendbarkeit des § 266 StGB ist also bereits an dieser Stelle abzubrechen, denn ein wichtiges Tatbestandsmerkmal liegt nicht vor, so daß es auf Rechtfertigungslagen (noch) nicht ankommt. bb)
$$2S3,
240,
263
StGB
Die - erwartete - Erklärung der Anfechtungskläger, im Falle einer Leistung die Anfechtungsklage zurückzunehmen, könnte die Tatbestände der Nötigung und Erpressung erfüllen. Die Aufforderung, eine solche Erklärung abzugeben, könnte sich - gegebenenfalls - als Teilnahme an dieser Straftat darstellen oder aber auch als selbständige (täterschaftliche) Nötigung und Erpressung, vielleicht auch als Betrug. (1 ) Zunächst ist zu prüfen, ob der Anfechtungskläger eine Drohung mit einem empfindlichen Übel ausgesprochen hat. Die Nichtzurücknahme der Klage ist für die Unternehmensleitung ein Übel, und zwar ein empfindliches, da wichtige Veränderungen 36 ange34 35 36
Schönke/Schröder/Lenckner aaO, §266 Rdn. 45. BGHSt. 21, S. 112, 114. Überblick bei Diekgräf aaO, S. 18 ff.
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halten werden, etwa durch die Nichteintragung des Verschmelzungsbeschlusses37, und damit weitreichende negative ökonomische Folgen verbunden sind. Indem der Anfechtungskläger die NichtZurücknahme der Klage für den Fall, daß keine k. L. erbracht wird, - konkludent - ankündigt, droht er damit. Ist das Drohung mit Unterlassen? Die Frage kann meistens offenbleiben, wenn eine Anknüpfung an positives Tun gefunden wird. Hier: Drohen mit Aufrechterhalten der Klage (die Klage selbst ist noch nicht die Drohung - es sei denn, sie impliziert von vornherein die Androhung ihrer Aufrechterhaltung für den Fall, daß keine Leistung erfolgt)38. Eine besondere Qualifikation braucht die Ankündigung nicht aufzuweisen. (Das Tatbestandsmerkmal der Drohung hat keinen eigenständigen Inhalt, sein Inhalt erschöpft sich in der Aufzählung der Drohungsmittel). Wenn die Drohung des Anfechtungsklägers die Unternehmensleitung dazu veranlaßt, etwas zu tun, um den Anfechtungskläger zu einer Handlung, nämlich zur Zurücknahme der Klage zu bewegen, wird sie genötigt. Nach einer neuerdings vordringenden Auffassung ist auch bei einer Drohung mit positivem Tun der Tatbestand der Nötigung nicht erfüllt, wenn es erlaubt wäre, das angedrohte Übel zu realisieren39. Bei Drohung mit einem Unterlassen hat man freilich schon immer gefragt, ob eine Rechtspflicht zur Vornahme der Handlung besteht, deren Unterlassen angedroht wird (nicht etwa zu verwechseln mit der Rechtspflicht des
37 Die rechtzeitige Eintragung des Verschmelzungsbeschlusses ist deshalb so wichtig, weil die Acht-Monats-Frist für die Schlußbilanz gewahrt werden muß (vgl. dazu Michael Hoffmann-Becking, Das neue Verschmelzungsrecht in der Praxis, in: Festschrift für H.-J. Fleck (ZGR Sonderheft 7), S. 105 ff (118). Unter dem Aspekt der Schadensminderung wird auch erwogen, „ob die Eintragung nicht dem pflichtgemäßen Ermessen' des Registerrichters entzogen und über sie in einem summarischen und vorläufig streitentscheidenden Verfahren entschieden werden sollte. Dieses Verfahren müßte in einen engen Zeitrahmen eingebunden werden" (Schlatts aaO, S. 117). Auch Winfried Werner (in seiner Anmerkung zur Entscheidung des BGH vom 22.5.1989 in WuB II A §340 a AktG 3.89 S. 1306) erwartete eine Beseitigung des derzeitigen Ubelstandes „wohl nur, wenn die Verzögerungseffekte, zu denen rechtsmißbräuchliche Anfechtungsklagen führen, abgebaut und Vorschriften, wie vor allem der § 345 Abs. 2 AktG durch anderweitige zweckentsprechende Regelungen ersetzt werden". In seiner Entscheidung vom 2. 7.1990 (BB 1990, S. 1788 ff) hat der BGH immerhin eingeräumt, daß „bei mißbräuchlichen Anfechtungsklagen die sich aus § 345 Abs. 2 Satz 1 für die beteiligten Unternehmen ergebenden Folgen unter allen Umständen hingenommen werden müssen . . . Es steht mithin nichts entgegen, das Gesetz einschränkend dahin auszulegen, daß Klagen, die zweifelsfrei ohne Erfolgsaussicht sind, die Eintragung nicht hindern . . ( 1 7 9 1 ) . (S. ferner Anm.34). 38 Eindeutig in diesem Sinne: Schiaus aaO, S. 117. Ferner Friedrich-Christian Schroeder, Nötigung und Erpressung durch Forderung von Gegenleistungen? JZ 1983, S. 286. 39 S. vor allem Eckhard Horn, Die Drohung mit einem Übel: Nötigung? NStZ 1983, S. 497 ff.
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Garanten, denn das Drohen mit Unterlassen ist ein positives Tun); die Antwort ist allerdings auch hier nicht einhellig40. Die Argumente, die darüber hinaus gegen die Tatbestandsmäßigkeit der Androhung eines rechtmäßigen Übels durch positives Tun mobilisiert worden sind, hat Gerhard Timpe41 besonders sorgfältig zusammengetragen und vertieft. Gleichwohl bleiben Bedenken. Die wiederkehrende Behauptung, was man tun dürfe, weil es rechtmäßig sei, müsse man auch androhen dürfen, geht an der Tatsache vorbei, daß die Mittel, mit denen man jemanden, der etwas zu tun oder zu unterlassen verpflichtet ist, zwingen kann, in unseren Verfahrensordnungen abschließend geregelt sind4la. Weitere Mittel können vielleicht ausnahmsweise gerechtfertigt sein; damit ist aber bereits die Sphäre der Rechtfertigungsgründe bzw. der Regelungsbereich des §240 Abs. 2 StGB erreicht. Die Vertreter der Auffassung, daß man bei Nötigung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel einen Teil der Probleme, die bisher im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB gelöst worden sind, schon in den Tatbestand verlegen könne, übersehen, daß die Rechtmäßigkeit eines Erfolges noch nicht zugleich die Rechtmäßigkeit seiner Herbeiführung bedeutet. Der Satz: „Was jemand tun darf, das darf er auch androhen", gewinnt seine Überzeugungskraft nur durch den Vergleich der Ergebnisse. Die Rechtmäßigkeit des eingetretenen Erfolges impliziert sicher, daß man ihn auch anstreben darf. Fragwürdig wird die Gleichung indessen, wenn sie sich nun auch auf die Mittel der Realisierung des - im Ergebnis - rechtmäßigen Erfolges erstreckt. Friedrich-Christian Schroeder42 stützt die von Horn und Timpe begründete Lehre - zur Empfindlichkeit des Übels gehöre seine Rechtswidrigkeit — mit dem Argument der negativen Exklusivität des Wuchertatbestandes (§302 a StGB) einerseits, der Bestechungstatbestände (§§331, 332 StGB) 43 andererseits. Das heißt, Fälle, welche die
Vgl. Schönke/Schröder/Eser, 23. Aufl., München 1988, §240 Rdn.20 m . w . N . Die Nötigung, Berlin 1989, S. 148 ff. 4 , 1 In diesem Sinne besonders klar auch Gunther Arzt, Zwischen Nötigung und Wucher, in Festschrift für Karl Lackner, Berlin, New York 1987, S.641 ff (645/646). 42 AaO, S. 86. 43 Nach ihrem Muster ist übrigens die im RegE 1965 vorgesehene Strafvorschrift (§ 389) strukturiert; das ist in der Tat ein Indiz dafür, in welcher Richtung die Spezialisierung des Strafrechtsschutzes zu suchen ist. Aber es gibt keine logische Regel, wonach ein Unrecht in dieser Weise fixierbar ist - generellere Normen außer Funktion treten müssen. Materielle Gesichtspunkte sind es, die diese logische Operation vorschreiben. Die Eigenständigkeit der allgemeinen Strafvorschriften bleibt also unberührt. Daß das auch für § 240 StGB gilt, könnte vielleicht mit Blick auf die akzessorische Natur des Strafrechts - es verbietet nichts, was nicht schon oder auch Unrecht ist nach anderen Vorschriften bezweifelt werden, denn das Recht der unerlaubten Handlungen des Zivilrechts - zweifellos die sedes materiae - enthält insofern keine Basisvorschrift. Aber dann müßte man den 40 41
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speziellen Voraussetzungen dieser Tatbestände nicht erfüllen, sollen nach Schroeder nicht über eine extensive Auslegung des Nötigungstatbestandes strafbar werden. Aber eigentlich ist auch das nichts anderes als eine petitio principii. Doch auch wer der neueren Lehre folgen möchte, muß bei mißbräuchlichen Klagen das empfindliche Übel bejahen, wenn mißbräuchlich soviel heißt wie unerlaubt. Daran kann nun - auch bei im übrigen vielleicht begründeten Klagen - kein Zweifel sein. Nur noch HansNorbert Götz wirbt für die These, daß die Mißbrauchsabsicht für sich genommen der Klage die Rechtmäßigkeit nicht nehmen könne44. An sich ist das eine contradictio in adiecto. Denn bei einer nicht begründeten Klage, das heißt - materiell-rechtlich gesprochen - fehlendem Recht ist das, was mißbraucht werden könnte, ja gar nicht da45. Läßt man diese, das Eigenständig-Prozessuale ein wenig vernachlässigende Logik beiseite und sucht nach Anhaltspunkten für konkrete Differenzierungen, so kann man ruhig einräumen, daß die bloße „Innentendenz" 46 nicht genügt. Entscheidend ist vielmehr, ob eine Absicht vorliegt, welche (konkludent) die Mißbrauchstendenz der Anfechtungsklage objektiv determiniert. Dann ist es eben nicht bei der bloßen Innentendenz geblieben. Götz verkennt das und dringt daher nicht zum eigentlichen Problem vor. Das gleiche gilt für Gunther Bockelmann1,1, der ebenfalls nur vom verwerflichen Motiv spricht. Die „objektive Finalität" indessen ist es, die den Ausschlag gibt48. Hier eröffnet sich natürlich ein großer Auslegungsspielraum. Nach Timm setzt sich ein Anfechtungskläger, der „Vergleichsbereitschaft" signalisiert, noch nicht allein hierdurch dem
§ 240 StGB insgesamt als Beweis dafür nehmen, daß das Strafrecht eben doch nicht „ultima ratio" sei, sondern unabhängige, selbständige, die übrige Rechtsordnung ergänzende Bewertungen vornehme. Indessen wäre das ein voreiliger Schluß aus der rechtstechnischen Regelung des § 823 Abs. 2 B G B (Strafgesetze als Schutzgesetz); im einzelnen vergleiche dazu Klaus Lüderssen, Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs, Frankfurt am Main 1989, S. 41 f. 44 Zum Mißbrauch aktienrechtlicher Anfechtungsklagen D B 1989, S. 261 ff (262). 45 Eindeutig in diesem Sinne auch der B G H , der den „Einwand unzulässiger Rechtsausübung nicht durch den Umstand" für ausgeschlossen hält, daß der Verschmelzungsbericht nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche (Entscheidung vom 25.9.1989 unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 22.5.1989; vgl. dazu die Anm. Hirte im EWiR §246 AG, S. 1844). Gute Zusammenfassung der herrschenden Meinung, („daß die Frage einer hypothetischen Begründetheit der Klage keinen Einfluß auf die Feststellung eines Rechtsmißbrauchs hat") bei Diekgräf aaO, S. 40 ff; dort auch (S. 38 ff und 63 ff) ausführliche Auseinandersetzung mit den Gegenargumenten. 46 Götz aaO. 47 Rechtsmißbrauch des Anfechtungsrechts durch den Aktionär? BB 1972, S. 733 ff (737). 48 Zu weitgehend wohl Heckschen aaO, (S. 1172): Die Klage sei als Popularklage ausgestaltet, jeder Aktionär sei zum berechtigten Popularkläger gemacht, damit jeder
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Vorwurf des Rechtsmißbrauchs aus49. Allerdings soll, so Keil50, die Rechtmäßigkeit eines Aufwandsausgleiches davon abhängen, daß die Gesellschaft den geltend gemachten Mangel bereinige oder zu bereinigen verspreche und die zu zahlende Pauschale im Regelfall DM 15 000,- bis D M 2 0 000,- nicht übersteige. Dies gilt offenbar für den Fall einer berechtigten Anfechtungsklage, ist aber nicht zu verwechseln mit dem Argument von Götz, der sich auf den Standpunkt stellt, daß die Frage nach dem Rechtsmißbrauch zwar nur bei begründeten Klagen auftauchen kann (unbegründete Klagen seien „einfach unbegründet"; richte sich die Klage „gegen einen gesetzmäßigen Hauptversammlungsbeschluß" so sei sie unbegründet, weil der Beschluß rechtmäßig sei, ohne Interesse sei dann, „daß die Klage vielleicht auch mißbräuchlich erhoben sein könnte"), daraus aber den Schluß zieht, daß dann niemals „dahingestellt bleiben darf, ob Rechtswidrigkeit vorliegt, etwa mit der Begründung, daß in jedem Falle Mißbrauch zu bejahen sei" 51 . Vereinzelt scheint der Standpunkt aufzutauchen, daß nicht nur mißbräuchliches Aktionärsverhalten, sondern schon treuwidriges Verhalten rechtswidrig sei52. Der Unterschied zwischen treuwidrigem und mißbräuchlichem Verhalten ist nach Claussen darin zu sehen, daß treuwidriges Verhalten nach §242 B G B zu beurteilen ist, während für die Frage des Mißbrauchs § 138 B G B gelte53. Ein relativ verläßlicher Anknüpfungspunkt für Kriterien unzulässiger Rechtsausübung im Falle von Anfechtungsklagen ist jetzt in § 13 Abs. 5 U W G und seiner Interpretation in Rechtsprechung und Literatur gegeben. Danach ist eine übermäßige Prozeßführung für sich allein noch keine mißbräuchliche Ausnutzung der Klagebefugnis. Andererseits rechtfertigt die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen im Interesse der Allgemeinheit nicht die Verfolgung eigensüchtiger, dem Zweck der Klagebefugnis widersprechender Ziele54. Hommelhoff/Timm5i ziehen die Parallele zu den „Unterlassungsklagen wettbewerbsrechtlicher Abmahnvereine" und darüber hinaus auch zu den Widersprüchen gegen Errichtungsgenehmigungen von Kraftwerken56. Der gemeinsame Aktionär die Möglichkeit habe, „nicht nur eigene Interessen zu verfolgen, sondern auch Interessenwalter aller und Kontrollorgan für ordnungsgemäße rechtmäßige Beschlüsse zu sein". Lasse sich feststellen, daß der einzelne dieses Recht nicht in diesem Sinne ausübe, liege ein Mißbrauch vor. 49 AaO (s. oben Anm. 9). 50 AaO, S. 1501. 51 Götz aaO. 52 Schiaus aaO, S. 117. 53 Berichtet bei Keil aaO, S. 1504. 54 Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 15. Auflage, München 1988, §13 UWG Rdn. 46 mit weiteren Nachweisen. 55 AaO. 56 Unter Bezugnahme auf BGHZ 79, S. 131.
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Gesichtspunkt ist, daß „solche verhältnismäßig billig und unkompliziert erwerbbare ,Popularklagebefugnis' . . . erfahrungsgemäß ein ganz erhebliches ,Erpressungspotential'" vermittle. Daß der Anfechtungskläger mit der Konkretisierung seiner Absicht auf das Angebot der Geschäftsführung reagiert, ändert nichts an der ursprünglichen Schaffung der Zwangslage durch ihn57. Ihre Konkretisierung ist nun aber durch die Unternehmensleitung veranlaßt. Könnte das für den Anfechtungskläger zu einem Strafausschließungsgrund führen? Zu denken ist an eine Einwilligung des „Opfers". Urheber der Konkretisierung ist der, an dessen Adresse sich das Nötigungsangebot richten sollte. Das „Opfer" will am Ende nicht leisten, sich nicht nötigen lassen, will aber so tun, als werde es das Versprechen halten. Der „Täter" weiß das nicht. Also bleibt es jedenfalls beim Versuch. Dann aber erhält die bereits in der Veranlassung eines Angebots liegende Vollendung ihr besonderes Gewicht. Für die möglicherweise hinzutretende Erpressung müssen noch Vermögensnachteil und Bereicherung festgestellt werden. Die k. L., welche die beklagte Gesellschaft erbringen soll, würde zweifellos zunächst ihr Vermögen mindern. Andererseits käme die Eintragungsblockade in Wegfall. Das ergibt sich aus einer rein wirtschaftlichen Vermögenssaldierung. Will man für den Vermögensvergleich relevante Vermögenslagen aber nur anerkennen, wenn sie einen gewissen rechtlichen Schutz genießen, so müßte vielleicht danach unterschieden werden, ob die Klage - abgesehen davon, daß sie mißbräuchlich erhoben worden ist - begründet oder unbegründet ist. Ist sie - an sich begründet, so ist der Vorteil der Gesellschaft, nunmehr gleichwohl die Eintragungsblockade alsbald beseitigt zu sehen, offensichtlich. Aber auch bei einer unbegründeten Klage würde wenigstens der Zeitgewinn zählen. Die Frage ist, ob das mißbräuchliche Vorgehen des Anfechtungsklägers daran etwas ändert. Daß der Mißbrauch eine nach allen Auffassungen relevante Drohung mit einem empfindlichen Übel ist, steht fest. Auch das damit abgenötigte Verhalten (Nötigungserfolg) bedarf sicher keiner zusätzlichen Bewertung, wohl aber möglicherweise der weitergehende Erfolg, der Vermögensnachteil. Oder trübt der Mißbrauch sozusagen auch den Vorteil, den die Gesellschaft durch die an sich rechtlich gebotene oder jedenfalls schnellere Eintragung erhält? Der herrschende gemischt juristisch-ökonomische Vermögensbegriff läßt eine derartige Prävalenz des Juristischen wohl nicht zu. Vielmehr wird man die delegitimierende Funktion des Mißbrauchs auf die Klagebefugnis als solche zu beschränken haben. Das heißt, soweit die Gesellschaft verpflichtet ist,
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Scblauss aaO (s. oben Anm.20) S. 117.
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auch sachlich unbegründete Klagen um der Institution der Klagebefugnis willen zu respektieren, muß sie, wenn ihr die Klage dann erspart bleibt, kompensierende Vorteile gegen sich gelten lassen. Diese Verpflichtung besteht aber nicht, wenn die Institution der Anfechtungsklage mißbraucht wird. In diesem Fall wird der Zeitgewinn, den man durch Abwehr einer unbegründeten Klage immerhin erlangt, ja paralysiert, indem der Zeitverlust - der den Zeitgewinn erst als Bedürfnis aufscheinen läßt - uno actu durch das rechtswidrige Verhalten erzeugt wird. Das heißt: ohne die mißbräuchliche Klageerhebung hätte es gar keinen Zeitverlust gegeben. Brächte man den Zeitgewinn, der angesichts des durch eine mißbräuchlich erhobene unbegründete Klage entstandenen Zeitverlustes im Falle der Zurücknahme der Klage zu verbuchen ist, bei der Schadensfeststellung in Ansatz, so entspräche das einer Logik, die jedem Genötigten oder Erpreßten, der nachgibt, einen kompensationsfähigen Vorteil verschafft. Mit anderen Worten, es kommt auf den externen Faktor an: wenn - unabhängig vom kriminellen Akt - noch etwas übrig bleibt für das Opfer, muß es sich das anrechnen lassen; dieser Vorteil kann nicht durch den Nachteil, den man zunächst als Erfolg der erpresserischen Handlung beim Verletzten feststellt, blockiert werden. Bei mißbräuchlich erhobenen, im übrigen jedoch begründeten Klagen ist es demnach legitim, die sich nach der materiell rechtlichen Lage einander gegenüberstehenden Vermögenspositionen aufzurechnen. Der Strafrichter wird also gegebenenfalls auch hier aktienrechtliche Vorfragen entscheiden müssen. Dazu ist er gemäß § 2621 StPO berechtigt und verpflichtet; eine Aussetzung gemäß § 262 II StPO würde zu nichts führen, da die mißbräuchlich erhobene Klage unter allen Umständen abgewiesen werden würde. Daß im Ergebnis das Strafrecht somit - indem es trotz Mißbrauchs die Begründetheit der Klage (für die Schadensberechnung) ernst nimmt - den Anfechtungskläger sogar besser stellen könnte (er bekäme ja eine Antwort auf seine Sachargumente) darf nicht befremden; denn er trägt für den Fall, daß sich die Unbegründetheit seiner mißbräuchlich erhobenen Klage herausstellt, das Risiko der Bestrafung. Für den Fall, daß die Gesellschaft im Ergebnis einen Vermögensnachteil erleidet, ist auch die unmittelbar darauf basierende Bereicherungsabsicht des Anfechtungsklägers gegeben. Rechtswidrig ist die Nötigung, wenn sie gemäß §240 Abs. 2 StGB verwerflich ist 58 . Entscheidungen über das Unrecht einer Nötigung und Erpressung werden, wie andere strafrechtliche Bewertungen auch, durch Bewertungen aus anderen Rechtsgebieten vorgeprägt. Dabei darf es
58 Für die an sich vorweg zu stellende Frage nach Rechtfertigungsgründen ist hier kein Raum.
Mißbräuchliche aktienrechtliche Anfechtungsklagen und Strafrecht
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keine eigenständige strafrechtliche Bewertung geben. Verhaltensweisen, die etwa das Zivilrecht eindeutig erlaubt, könnten strafrechtlich nicht zum Unrecht erklärt werden. Sieht das Zivilrecht in den hier interessierenden Fällen von Anfechtungsklagen keinen Mißbrauch, so kann das Strafrecht dem nicht einfach widersprechen. Anders könnte es liegen, wenn das Zivilrecht sich gar nicht äußert, sondern vielleicht sogar seinerseits auf das Strafrecht verweist, wie in §823 Abs. 2 BGB. Unter diesem Aspekt mag es folgerichtig gewesen sein, daß das RG und zunächst auch der BGH bisher einen Rechtsmißbrauch nur dann angenommen haben, wenn der Kläger erpresserisch (im Sinne des Straftatbestandes) gehandelt habe59. Da der BGH nun auch dann Mißbrauch für möglich hält, wenn keine strafrechtliche Erpressung vorliegt60, macht er von der primären Zuständigkeit des Zivilrechts (das Strafrecht ist eben nur ultima ratio) Gebrauch. Aber die strafrechtliche Entscheidung ist insofern noch nicht vorgeprägt; sie kann sich anschließen, sie kann aber auch zusätzliche Voraussetzungen für das Vorliegen von Nötigung und Erpressung aufstellen. Diese Abkoppelung des Strafrechts vom Zivilrecht (hier repräsentiert durch die Rechtsprechung des BGH) in dem Sinne, daß das Strafrecht zwar keine eigenen Verbote aufstellen darf, wohl aber nicht gezwungen ist, vom Zivilrecht aufgestellte Verbote zu übernehmen, scheint Hans-Joachim Mertens61 zu verkennen, wenn er von dem Aktionär, dem der BGH unzulässige Rechtsausübung bescheinigt, als einem „entlarvten Erpresser" spricht (aber natürlich kann das Wort „Erpresser" hier auch alltagssprachlich und nicht schon strafrechtstechnisch gemeint sein). Daß die §§240, 253 StGB als den Mißbrauch einer Anfechtungsklage verbietende Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB in Betracht kommen könnten, wird erwogen vom LG Köln62. Nach Ansicht des OLG Köln63 ist der vom Anfechtungskläger „herausgeschlagene Abfindungsbetrag . . . sittenwidrig", wenn der Betrag „außerhalb jeder noch hinnehmbaren Angemessenheit" steht. Ähnlich ist die Begründung bei Carl-Heinz Heuer6*. Allerdings läßt er schon genügen, daß „eine Bereicherung jenseits des Schadens erzielt werden soll, dessen Beseitigung der Kläger mit der Anfechtungsklage erstrebt". Eine besondere UnVerhältnismäßigkeit scheint also nicht vorSiehe dazu Heckschen aaO, S. 1172 mit Nachweisen. Entscheidung vom 22.5.1989. 61 Der Aktionär als Wahrer des Rechts? in: AG 1990, S.49f (55). 62 AG 1988, Seite 350 (Grundlage ist eine Klage auf Rückzahlung gemäß §62 AktG; der möglicherweise einer Erpressung beschuldigte Anfechtungskläger erscheint hier deshalb als Beklagter). 63 AG 1988, S. 349 ff (351). M Wer kontrolliert die „Kontrollierer"? in: WM 1989, S. 1401 ff (1407), S. 1401 ff (1417). 59
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ausgesetzt zu sein. In Wahrheit aber läuft sein Argument darauf hinaus, die Konnexität hier überhaupt abzulehnen (im Gegensatz zu denjenigen, die - mit Blick auf die Disponibilität des Anfechtungsrechts - einen gewissen Spielraum für Ausgleichszahlungen für möglich halten). Die entscheidende Passage lautet: „Der Einsatz des mitgliedschaftlichen Anfechtungsrechts zur Erzielung von gesellschafts-fremden Sondervorteilen schafft hier eine verwerfliche Mittel-/Zweck-Relation 65 ." Das von den Anfechtungsklägern häufig vorgebrachte Argument, wenn man eine Anfechtungsklage wegen Rechtsmißbrauchs für unbegründet erkläre, verletze man die Eigentumsgarantie, handele willkürlich und verletze auch die Freiheit der Berufsausübung, wird vom B G H in seiner Entscheidung vom 25.9.1989 6 6 mit Recht zurückgewiesen. Andererseits ist es ebenso wenig plausibel, wenn Hirte die Annahme eines Mißbrauchs einfach aus der aktienrechtlichen Unzulässigkeit einer erstrebten Leistung abzuleiten vorschlägt67. Etwas weiter helfen vielleicht die Parallelen bei den Widerspruchsverfahren68 oder den Verwaltungsstreitverfahren, welche die Kläger in erster Linie mit dem Willen durchführen, „hilfsweise" eine Entschädigung zu erlangen. Denn der BGH 6 9 meint, das sei an sich rechtlich nicht zu mißbilligen. Ob man das auf die aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren übertragen darf, ist freilich zweifelhaft. Denn die Sensibilität für Mißbrauch ist mit Rücksicht auf die große institutionelle Bedeutung der Anfechtungsklage sicher höher. Gleichwohl senkt das nicht automatisch die Schwelle des §240 Abs. 2 StGB, das heißt, mißbräuchliches Verhalten bei der Anfechtungsklage ist nicht ohne weiteres „verwerflich". Zivilrechtlich-aktienrechtlich feststehen muß vorab nur, daß überhaupt ein Mißbrauch vorliegt. Das ist nach der hier vertretenen Auffassung zwar nicht Voraussetzung für die Tatbestandsmäßigkeit gemäß §240 Abs. 1 StGB, wohl aber für den „Einstieg" in §240 Abs. 2 StGB. Das sur-plus an Mißbrauch, das strafrechtlich
AaO. °° Näheres bei Woltmann,
WPg. 1987, 443, 444 f.
Die Einrede der Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen in der G m b H THOMAS RAISER
I. Das Problem Die Behandlung fehlerhafter Gesellschafterbeschlüsse ist bei der GmbH bekanntlich nicht gesetzlich geregelt. Der Gesetzgeber von 1892 glaubte darauf mit Rücksicht auf die vorhandenen Vorschriften verzichten zu können. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Rücksichtlich der Befugnis eines jeden Mitgliedes, Gesellschafterbeschlüsse wegen Verletzung des Gesetzes oder des Gesellschaftsvertrags durch Klage anzufechten, bedarf es keiner besonderen Bestimmung, da diese Befugnis sich aus allgemeinen Grundsätzen ergibt1." Immerhin fügten die Autoren diesem Hinweis die Bemerkung hinzu: „Einschränkende Bestimmungen über die formellen Voraussetzungen des Anfechtungsrechts, wie sie in Art. 190 a des Aktiengesetzes und im §49 des Genossenschaftsgesetzes getroffen sind, können hier als entbehrlich betrachtet werden2." Aus diesen Formulierungen ergibt sich mit Gewißheit nur zweierlei: die prinzipielle Zulässigkeit der Anfechtungsklage und die Offenheit gegenüber den aktien- und genossenschaftsrechtlichen Vorbildern. Darüber hinaus war die Rechtslage aber bei weitem nicht geklärt oder auch nur vorstrukturiert. Namentlich ließen sich aus dem Hinweis auf allgemeine Grundsätze die Voraussetzungen, unter denen eine Anfechtungsklage zulässig sein sollte, kaum mit einiger Sicherheit ableiten. Die Enthaltsamkeit des Gesetzgebers mußte vielmehr als Freibrief und Aufforderung an Rechtsprechung und Wissenschaft verstanden werden, Regeln hierzu auszuarbeiten, welche dem Charakter der GmbH und den Bedürfnissen ihrer Gesellschafter spezifisch Rechnung tragen3.
1 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 8. Legislaturperiode, I.Session 1890/92, 5.Anlageband, S.3751. 2 AaO. 3 Vgl. Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden (1963) S. 382; Noack Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen (1989) S. 117; K. Schmidt Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, A G 1977, S.205, 243, 247.
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Gleichwohl orientierte sich die Judikatur alsbald und im Lauf der Zeit im wachsenden Maße an dem aktienrechtlichen Vorbild 4 . Die Anlehnung an das Aktienrecht setzte sich auch nach dem Inkrafttreten des Aktiengesetzes von 1937 fort. Nach dem zweiten Weltkrieg griff der Bundesgerichtshof die Entwicklungslinie ebenfalls auf. Schon in seiner ersten in der amtlichen Sammlung abgedruckten Entscheidung spricht der zweite Zivilsenat davon, daß die für das Aktienrecht geltenden Regeln auf die GmbH „angesichts der sehr weitgehenden Ähnlichkeit der Sach- und Rechtslage grundsätzlich sinngemäß angewandt" werden können, „soweit nicht die Besonderheiten der GmbH eine Abweichung notwendig machen" 5 . Damit war die Basis gelegt, auf der die künftige Judikatur konsequent aufbaute. In das GmbH-Recht übernommen wurde auf diese Weise die Unterscheidung zwischen nichtigen und anfechtbaren Gesellschafterbeschlüssen gemäß §§241, 243 AktG, die einzelnen in den genannten Vorschriften aufgezählten Nichtigkeits- und Anfechtungstatbestände, die Wirkung des Nichtigkeits- und des Anfechtungsurteils inter omnes gemäß §§248, 249 AktG sowie die prozessuale Behandlung der Klagen. Dagegen hält der BGH Abweichungen vom Aktienrecht bei der Klagebefugnis und der Klagefrist für notwendig. Als klageberechtigt erscheint anders als nach §245 AktG in der GmbH jeder Gesellschafter ohne Rücksicht darauf, ob er an der Gesellschafterversammlung teilgenommen und dem Beschluß alsbald widersprochen hat. Allerdings entfällt das Anfechtungsrecht, wenn der Gesellschafter dem Beschluß in Kenntnis des Mangels zugestimmt oder nachträglich auf eine Rüge verzichtet hat6. Dagegen erkennt die wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum Geschäftsführern und Aufsichtsratsmitgliedern das Anfechtungsrecht überhaupt nicht zu 7 , während ihnen andere Autoren unter im einzelnen unterschiedlichen Voraussetzungen die Anfechtungsbefugnis einräumen wollen 8 . Was die Klagefrist angeht, hat sich in einer langen Kette von höchstrichterlichen Urteilen eine Regelung eingespielt, wonach die in
4 RGZ 85, 311, 313; 89, 367, 379; 131, 141, 144 f; 166, 129, 131; 172, 76 ff; weitere Nachweise bei Noack aaO S. 117 ff. 5 Β GHZ 11, 231, 235 = NJW 1954, 385 m.Anm. Scholz = LM Nr. 1 zu §51 GmbHG m. Anm. R. Fischer. 6 HA, vgl. Scholz /Schmidt GmbHG 7 §45 Rdn. 139; Baumbach/Hueck/Zö//«er GmbHG 15 Anh. nach § 47 Rdn. 73; Fischer/Lutter/Hommelhoff GmbHG 12 Anh. nach § 47 Rdn. 42; Rowedder/Koppensteiner GmbHG 2 § 4 7 Rdn. 109. 7 BGHZ 76, 154, 159 = NJW 1980, 1527; Hachenburg/Schilling/Zutt GmbHG 7 Anh. nach § 4 7 Rdn. 127; F i s c h e r / L u t t e r / H o m m e l h o f f aaO Rdn. 50; Däubler GmbHRdsch. 1968, 4, 8; Immenga GmbH-Rdsch. 1973, 5, 8. 8 Vgl. Rowedder /Koppensteiner aaO § 4 7 Rdn. 118; Scholz/Schmidt aaO §45, Rdn. 134; Baumbach/Hueck/Zö//«er aaO Anh. nach §47 Rdn. 75; Reuter Die Mitbestim-
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§ 246 Abs. 1 AktG genannte Klagefrist von einem Monat im GmbHRecht als Mindestfrist anzusehen ist9. Im übrigen gilt eine angemessene Frist, deren Dauer sich nach den Umständen des Einzelfalls bemißt. Der Kläger muß die Anfechtungsklage mit aller zumutbaren Beschleunigung erheben10. Dabei erfüllt die aktienrechtliche Monatsfrist die Funktion eines Leitbilds, was vor allem besagt, daß die Gerichte auch im GmbHRecht im ganzen von kurzen Fristen ausgehen, die über drei Monate nur in seltenen Fällen hinausgehen können11. Neben diesen, nach dem gegenwärtigen Stand der Judikatur im wesentlichen feststehenden Positionen gibt es aber auch einige offene Flanken: 1. Die Anfechtungsklage setzt einen Tatbestand voraus, gegen den sie sich richten kann, d. h. es muß der äußere Sachverhalt eines Beschlusses vorliegen, und dessen Inhalt muß sich feststellen lassen. Behauptet der Kläger, daß überhaupt kein Beschluß gefaßt wurde oder daß sein Inhalt unklar ist, so geht die Anfechtungsklage ins Leere. Der B G H gewährt in solchen Fällen statt dessen eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO, sofern der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis darlegt12. Die Unterscheidung trägt dem Umstand Rechnung, daß anders als nach § 130 AktG Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH weder von einem Versammlungsleiter festgestellt noch notariell protokolliert werden müssen. Lediglich Satzungsänderungen und gleichgestellte Strukturbeschlüsse bedürfen gemäß §§ 53 Abs. 2 GmbHG u. a. der notariellen Beurkundung. Fehlt eine Feststellung und Protokollierung, so bleibt in der Tat im Streitfall nichts anderes übrig, als zu klären, ob überhaupt ein Beschluß vorliegt, bevor gefragt werden kann, ob er an einem Mangel leidet, der zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit führt. Die Unterscheidung nötigt dazu, abzugrenzen, wann ein Beschluß festgestellt ist. Die Feststellung kann problemlos bejaht werden, wenn
mung als Bestandteil des Normativsystems für die juristischen Personen des Handelsrechts (1987) S.25; M.Lehmann Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH (1970) S. 104 f; Hachenburg/Raiser GmbHG 8 Anh. nach § 4 7 Rdn. 163 f. » B G H Z 104, 66, 71 f = N J W 1988, 1844; dazu Rohleder GmbH-Rdsch. 1989, 236; Zöllner/Noack ZGR 1989, 525. i» So zuletzt B G H Z 101, 113, 117 = NJW 1987, 2514 = JZ 1987, 1081 m. Anm. K.Schmidt, dazu auch Zöllner/Noack aaO; B G H GmbH-Rdsch. 1990, 344 = EWiR § 4 7 GmbHG 2/90, 701 m. Anm. Fleck. 11 Einzelheiten zuletzt bei Hachenburg/Kaiser aaO Anh. nach § 4 7 Rdn. 177 ff. 12 B G H Z 76,154, 157 = NJW 1980, 1527; vgl. auch B G H Z 51, 209, 211 = NJW 1969, 841. Dieses Urteil ist allerdings durch die neuere Rechtsprechung insoweit überholt, als es die Feststellungsklage anstelle der Anfechtungsklage auch für den Fall gewährt, daß der Abstimmungsleiter den Beschluß festgestellt hat. B G H Z 104, 66, 69 = N J W 1988, 1844 i.V. m. dem Hinweis auf B G H Z 51, 209, 211.
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ein gewählter Verhandlungs- oder Abstimmungsleiter tätig geworden ist, der den Beschluß nach seinem Wortlaut oder wesentlichen Inhalt verkündet hat und dabei zu erkennen gab, daß er ihn als wirksam betrachtet. Sobald die Legitimation der als Abstimmungsleiter fungierenden Person jedoch zweifelhaft ist oder ein Abstimmungsleiter fehlt, werden bislang ungelöste Probleme sichtbar. Maßt sich etwa ein Gesellschafter, der zwar die Mehrheit repräsentiert, nicht aber ordnungsgemäß in das Amt berufen wurde, die Position des Abstimmungsleiters an, so liegt der Verdacht nahe, er werde das Amt einseitig zugunsten der Mehrheit dazu benutzen, Beschlüsse festzustellen, welche dieser genehm sind, obwohl sie mit dem verkündeten Inhalt gar nicht wirksam gefaßt wurden. In zweigliedrigen Gesellschaften mit gleicher Beteiligung kann jeder Gesellschafter mit der Behauptung, der andere sei nach §47 Abs. 4 G m b H G oder aufgrund der Treuepflicht von der Abstimmung ausgeschlossen, einseitige Beschlüsse fassen und diese kraft einer angemaßten Versammlungsleitung feststellen. Vollends kann die Lage zweifelhaft und verworren sein, wenn eine Feststellung überhaupt nicht stattfand. Helfen kann hier nur eine teleologische Abgrenzung, welche der spezifischen Lage bei der GmbH gerecht wird und die vor allem den Zweck erfüllt, diejenigen Beschlüsse herauszugreifen, bei denen Zustandekommen und Inhalt so weit klar sind, daß es gerechtfertigt ist, ihre vorläufige Verbindlichkeit zu bejahen. Diese Voraussetzung wird man nicht nur dann als gegeben ansehen können, wenn ein legitimierter Versammlungsleiter den Beschluß verkündet hat. Sie ist vielmehr auch dann erfüllt, wenn die Wirksamkeit des Beschlusses am Ende der Gesellschafterversammlung nicht streitig war, Bedenken dagegen vielmehr erst später geäußert wurden, denn auch dann sind Beschlußtatbestand und -inhalt hinreichend manifestiert. Nur eine solche Grenzlinie genügt ferner den praktischen Bedürfnissen, denn alle Beteiligten gehen in derartigen Fällen zunächst von der Verbindlichkeit des Beschlusses aus, und es ist daher angebracht, sie daran bis zur endgültigen Entscheidung über eine später erklärte Anfechtung festzuhalten. Rechtlich läßt sich das Ergebnis mit dem Verbot des venire contra factum proprium begründen: ein Gesellschafter, der nicht sogleich Widerspruch gegen einen Beschluß erhebt, muß sich gefallen lassen, daß dieser als vorläufig verbindlich behandelt wird13. Im Fall des nicht legitimierten Abstimmungsleiters neige ich gleichfalls dazu, die Feststellungswirkung zu bejahen und einen Gesellschafter, der damit nicht einverstanden ist, auf die Nichtigkeits- oder Anfech13 Rohleder GmbH-Rdsch. 1989, 236, 239; Zöllner/Noack Z G R 1989, 525, 528 f; O L G München BB 1990, 367 f; a.A. wohl Scholz /Schmidt aaO §48 Rdn.58, der auf die förmliche Feststellung und Verkündung des Abstimmungsergebnisses abstellt.
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tungsklage zu verweisen14. Doch kann man darüber verschiedener Meinung sein15. 2. Der zweite Problemkomplex betrifft die Frage, ob Anfechtungsgründe ausschließlich durch die binnen kurzer Frist anhängig zu machende Anfechtungsklage oder gegebenenfalls auch auf andere Weise, namentlich im Wege der Einrede geltend gemacht werden können. Der BGH hat sich in diesem Punkt lange nicht festgelegt, im Urteil vom 2 1 . März 1 9 8 8 1 6 nunmehr aber entschieden Position bezogen. Der Leitsatz des Urteils lautet: „Ist in der Gesellschafterversammlung einer GmbH das Zustandekommen eines bestimmten Beschlusses vom Versammlungsleiter festgestellt worden, so ist der Beschluß mit dem festgestellten Inhalt vorläufig verbindlich; formelle oder materielle Mängel, die seine Anfechtbarkeit begründen, können nur durch Erhebung der Anfechtungsklage geltend gemacht werden." Aus der apodiktischen Formulierung dieser Sätze folgt der Ausschluß aller anderen Rechtsbehelfe. Solange eine Anfechtungsklage nicht erhoben wurde, müssen alle Gerichte, bei denen die Anfechtbarkeit als Einrede geltend gemacht wird oder als Vorfrage auftaucht, ohne eigene Prüfung von der Wirksamkeit des Beschlusses ausgehen. Ist eine Anfechtungsklage anhängig, kommt lediglich die Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO in Betracht. Ist die Anfechtungsfrist abgelaufen, kann der Mangel in keinem Fall mehr berücksichtigt werden. Man könnte vermuten, daß mit diesem Urteil eine jahrzehntelange Entwicklung ihren klärenden Abschluß gefunden hat. Jedenfalls muß sich die Praxis vorderhand darauf einstellen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß die gewonnene Position keineswegs als gesichert betrachtet werden darf, ja, daß sie der BGH selbst nicht durchhält. Die Zweifel an der Richtigkeit der aufgestellten Regel sind das Thema der folgenden Überlegungen. II. Fallkonstellationen Im wissenschaftlichen Schrifttum wurden Einwände gegen die Lehre, wonach Anfechtungsgründe nur im Weg der Anfechtungsklage geltend gemacht werden können, zunächst nur vereinzelt erhoben. Vor allem 14 Vgl. Scholz /Schmidt aaO §48 Rdn.30; Hachenburg///«/fer GmbHG 8 §48 Rdn.29; Hachenburg//?*««;»· GmbHG 8 Anh. nach §47 Rdn.95. 15 Kritisch zu diesem Fall namentlich Zöllner/Noack ZGR 1989, 525, 528 und zuvor schon Hofmann GmbH-Rdsch. 1970, 119, 121; Fleck Anm. zu BGH LM Nr. 13 zu §47 GmbHG. 16 BGHZ 104, 66 = NJW 1988, 1844.
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Wiedemann erklärte die schematische Übernahme der aktienrechtlichen Vorschriften in diesem Punkt für unangemessen, weil sie dem personalistischen Charakter der GmbH und dem Schutzbedürfnis der Minderheitsgesellschafter nicht hinreichend gerecht werde 17 . Daneben hat K. Schmidt18 anhand von Belegen aus der Judikatur Fälle herausgestellt, in denen ausnahmsweise auch eine Einrede der Anfechtbarkeit zugelassen wurde. Schmidt führt dazu aus, dogmatisch handele es sich dabei nicht um eine „Anfechtung durch Einrede" - die es nicht gebe - , sondern darum, daß den Beteiligten gestattet wird, sich auf die Rechtswidrigkeit des Beschlusses ohne Rücksicht darauf zu berufen, ob er angefochten wurde 19 . Diese Deutung kann indessen nicht befriedigen, denn in Wahrheit ist sie nicht mehr als ein argumentativer Kunstgriff. Die Lehre von der Notwendigkeit der Anfechtungsklage besagt, daß die Rechtswidrigkeit von Gesellschafterbeschlüssen, die im Sinn des §243 Abs. 1 AktG das Gesetz oder die Satzung verletzen, nur beschränkt geltend gemacht werden kann. Es muß eine selbständige Klage erhoben werden; dazu sind nur wenige Personen, in der Regel nur die Gesellschafter, befugt; die Klage ist binnen kurzer Frist zu erheben. Macht man damit Ernst, so schließt dies notwendigerweise jede andere Berufung auf die Rechtswidrigkeit aus, es sei denn, daß ein Nichtigkeitsgrund vorliegt. Der Gesetzgeber hat bei einer solchen Deutung die Rechtmäßigkeitskontrolle der Beschlüsse weit zurückgenommen und ausschließlich der Initiative betroffener Gesellschafter anheimgestellt, ob sie in Gang gebracht wird. Rechtswidrigkeit und Anfechtbarkeit lassen sich daher angesichts der Identität der zugrundeliegenden Tatbestände - Verstoß gegen das Gesetz oder gegen die Satzung - begrifflich nicht in der Weise auseinanderziehen, wie K. Schmidt es vorschlägt. Diese Zuspitzung des Problems macht allerdings bereits die Fragwürdigkeit der vom BGH bezogenen Position deutlich. Verstößt ein Beschluß gegen gesetzliche Vorschriften, so ist die Rechtsordnung als solche herausgefordert. Es versteht sich keineswegs von selbst, daß die Durchsetzung des Rechts dann allein von der Initiative betroffener Gesellschafter abhängig gemacht wird, namentlich dann nicht, wenn sich der Zweck des verletzten Gesetzes nicht im Schutz bestimmter Gesellschafter oder der Gesellschafterminderheit erschöpft. Wenn der Gesetzgeber gleichwohl die Anfechtungsbefugnis zugunsten der Rechtssicherheit beschränkt, so verzichtet er damit insoweit auf die vollständige Durchsetzung des objektiven Rechts. Die Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen legislatorischen Entscheidung, die für das Aktien17
Wiedemann Gesellschaftsrecht Bd. 1 §3 I 2 b und §8 IV2b S.153, 466f. Scholz/Schmidt aaO §45 Rdn. 124 f. " AaO Rdn. 124. 18
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recht in § 2 4 5 AktG unmißverständlich verankert ist, braucht nicht prinzipiell in Zweifel gezogen zu werden. Es ist jedoch problematisch, sie zu verabsolutieren. Denn es muß mit Fällen gerechnet werden, in denen die Gesetzesverletzung so schwer wiegt, daß es unerträglich wäre, nur deshalb auf eine Korrektur zu verzichten, weil sie nicht rechtzeitig oder nicht in der richtigen Form gerügt wurde. Die Relativierung der formalen Regeln des positiven Rechts zugunsten materieller Gerechtigkeit und Billigkeit bleibt in solchen Fällen in der Privatrechtsordnung überall vorbehalten. Die Fälle sind auch nicht von vornherein und generell auf die Nichtigkeitstatbestände des §241 AktG beschränkt. Zwei Beispiele aus der jüngsten Judikatur verdeutlichen die Problemlage: 1. Im Urteil vom 12. Januar 198920 hatte das OLG Koblenz über die Leistungsklage des Gesellschafters einer GmbH gegen die Gesellschaft zu entscheiden, in der dieser die Zustimmung zur Übertragung eines vinkulierten Geschäftsanteils verlangte. Nach der Satzung der Gesellschaft war die Wirksamkeit der Abtretung von der Zustimmung der Gesellschafterversammlung abhängig. Diese hatte die Zustimmung mehrfach durch Mehrheitsbeschluß verweigert, ohne daß der Kläger die ablehnenden Beschlüsse angefochten hatte. Das OLG führte aus, die Versäumung der Anfechtungsfrist hindere den Kläger nicht, nunmehr Leistungsklage auf Zustimmung zu erheben. Das ergebe sich aus der Natur des Anspruchs. Das Anfechtungsrecht sei Teil der Mitverwaltungs- und Herrschaftsrechte des Gesellschafters. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch nicht um die Mitwirkung an der Verwaltung. Der Kläger wolle vielmehr seine Mitgliedschaft beenden. In dieser Position werde er Gläubiger einer Entscheidung, deren er zur Beendigung seiner Mitgliedschaft bedarf21. Die Geltendmachung dieses Anspruchs sei nicht an die Anfechtungsfrist und -klage gebunden. Rowedder wendet gegen die Zulassung der Leistungklage ein, sie stehe nicht in Ubereinstimmung mit der Systematik des Gesellschaftsrechts, denn danach habe der Kläger den Gesellschafterbeschluß nur mit der Anfechtungs- und Beschlußfeststellungsklage angreifen können22. Zur Zeit der Klageerhebung sei der Kläger noch Gesellschafter gewesen und habe daher nicht wie ein außenstehender Gläubiger behandelt werden dürfen. Ich halte das Urteil gleichwohl für richtig. Wenn die Gesellschaft materiellrechtlich, etwa nach § 26 Abs. 2 GWB oder aufgrund der Treuepflicht, zur Zustimmung 20 DB 1989, 672 = ZIP 1989, 301 = GmbH-Rdsch. 1990, 39 = EWiR §15 GmbHG 2 / 8 9 S. 1003 m. Anm. Rowedder. 21 Die Frage, ob der Anspruch materiellrechtlich begründet war, muß hier offenbleiben. Das O L G verneinte sie im Ergebnis. 22 AaO, S. 1004.
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verpflichtet war, wäre es unerträglich, die Erfüllungsklage nur deshalb hinfällig werden zu lassen, weil der Gesellschafter gegen den ablehnenden Beschluß auch mittels Anfechtungsklage hätte vorgehen können, diese jedoch nicht rechtzeitig erhoben hat. Es gibt in der Tat keine Rechtsgrundlage dafür, die Geltendmachung des Anspruchs an die Voraussetzungen der Anfechtungsklage zu binden. 2. Im Fall BGHZ 101, 11323 war im Gesellschaftsvertrag einer zweigliedrigen GmbH mit je hälftiger Beteiligung der Gesellschafter vorgesehen, daß der Geschäftsanteil eines Gesellschafters mit einfacher Stimmenmehrheit unter Ausschluß des Stimmrechts des Betroffenen und gegen Abfindung eingezogen werden könne, wenn die Zwangsvollstrekkung in den Geschäftsanteil vorgenommen wird. Zum Streit war es deshalb gekommen, weil der eine Gesellschafter ein vollstreckbares Schuldanerkenntnis des anderen dazu benutzte, selbst die Zwangsvollstreckung in dessen Geschäftsanteil einzuleiten und sodann, gestützt auf die Satzungsklausel, gegen dessen Widerspruch die Einziehung beschloß. Nach den Feststellungen des BGH war das Schuldanerkenntnis nur zum Schein abgegeben und wurde nachträglich dazu benutzt, den Mitgesellschafter sittenwidrig aus der Gesellschaft hinauszudrängen. Dieser hatte jedoch versäumt, gegen den Einziehungsbeschluß rechtzeitig Anfechtungsklage zu erheben. Gleichwohl entschied der zweite Zivilsenat, er könne sich gegenüber einer Klage der Gesellschaft auf Feststellung, daß seine Mitgliedschaft erloschen sei, darauf berufen, die Ausnutzung des Einziehungsbeschlusses stelle einen Rechtsmißbrauch dar. Zur Begründung führte er an, nachdem eine Einrede und Schadensersatzklage gemäß § 826 BGB auch gegenüber der Ausnutzung erschlichener rechtskräftiger Urteile anerkannt sei, müsse dies nicht weniger gelten, wenn ein unanfechtbar gewordener Gesellschafterbeschluß sittenwidrig herbeigeführt worden sei oder ausgenutzt werde. Die Unanfechtbarkeit eines Gesellschafterbeschlusses sei kein höheres, schutzwerteres Rechtsgut als die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung 24 . Im Ergebnis ist auch diesem Urteil zuzustimmen. Allerdings bleibt der Rückgriff auf die Sittenwidrigkeit und auf die Parallele rechtskräftiger Urteile eine leere Formel, denn es fehlt eine Begründung dafür, warum sich der Gesellschafter trotz Versäumung der Anfechtungsfrist nunmehr gleichwohl noch wehren kann. Der Sache nach geht es auch hier um eine Relativierung des Klageerfordernisses in einem Fall, in dem die Beschränkung zu Folgen führte, die als unerträglich empfunden wurden.
Weitere Fundstellen s. Fn. 10. BGH aaO S. 121 f; zur Kritik an der Entscheidung vgl. K.Schmidt Zöllner/Noack Z G R 1989, 525, 534. 23
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JZ 1987, 1083;
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III. Rechtliche Würdigung Die vorgenannten Urteile stellen zunächst Einzelentscheidungen dar, die als solche noch kein Gesamtbild ergeben. Im Schrifttum sind die durch sie aufgeworfenen Fragen noch wenig geklärt, weshalb eine abschließende Stellungnahme vorerst ausgeschlossen erscheint. Doch liegen immerhin wesentliche Vorarbeiten von K.Schmidt vor25. Die Beispiele deuten darauf hin, daß die durch den Klagezwang bewirkte Einschränkung der Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit von Gesellschafterbeschlüssen geltend zu machen, immer dann problematisch wird, wenn nicht nur Geschäftsführungsfragen in Rede stehen, sondern in die Mitgliedschaft eines Gesellschafters selbst und die daraus fließenden Rechte und Pflichten eingegriffen wird. Dabei zeichnen sich zwei Fallgruppen ab: 1. Macht ein Gesellschafter einen Rechtsanspruch gegen die Gesellschaft geltend, so kann dessen Erfüllung nicht deshalb ausgeschlossen sein, weil er den Beschluß nicht angefochten hat, durch den die Gesellschaft die Befriedigung verweigert. Denn selbstverständlich kann der die Erfüllung verweigernde Beschluß den Anspruch nicht untergehen lassen. Er könnte also nur deshalb entfallen, weil der Gesellschafter selbst ihn durch sein Verhalten durchkreuzt hat. Der Gedanke deutet auf das Rechtsinstitut der Verwirkung hin. Es wäre aber völlig unangemessen und würde gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen, nach Ablauf der kurzen für die Anfechtungsklage geltenden Frist bereits auch eine Verwirkung zu bejahen. Daraus folgt, daß der Einwand der Gesellschaft, der Gesellschafter habe den ablehnenden Beschluß nicht rechtzeitig angefochten, in solchen Fällen unberücksichtigt bleiben muß. Der Satz kann in mehreren Konstellationen relevant werden. Ein Beispiel ist der oben erwähnte, vom O L G Koblenz entschiedene Fall, in dem der Gesellschafter behauptet, einen Anspruch auf òenehmigung der Abtretung nach § 15 Abs. 5 GmbHG zu haben. Weiter kommen Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis, namentlich etwa auf Erfüllung eines Sonderrechts in Betracht. Die Regel gilt ferner, wenn der Gesellschafter z. B. Ausgleich dafür verlangt, daß anderen Gesellschaftern unter Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot einseitig "Zuwendungen aus dem Gesellschaftsvermögen gemacht wurden26. 25 Scholz ¡Schmidt aaO §45 Rdn. 124 und ausführlicher 6. Auflage §45 Rdn.50; K.Schmidt J Z 1987, 1083f; vgl. auch Noack Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen S. 146 f. 26 Vgl. Hachenburg/Kaiser G m b H G 8 §14 Rdn. 72; Winter Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht (1986) S. 235 ff.
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2. Die zweite Gruppe bilden Fälle, in denen die Gesellschaft aufgrund des Mehrheitsbeschlusses in die mitgliedschaftliche Rechtsstellung des betroffenen Gesellschafters eingreift. Hauptbeispiel ist die Ausschließung aus wichtigem Grund. Nach der von der Rechtsprechung extra legem entwickelten Regelung setzt der Ausschluß analog § 140 H G B einen Beschluß der übrigen Gesellschafter voraus, muß aber dann im Weg der Ausschlußklage, welche die Geschäftsführer namens der Gesellschaft anhängig zu machen haben, durchgesetzt werden. In der Satzung können die Gesellschafter auf das Klageerfordernis verzichten 27 . Die Frage lautet, ob der Gesellschafter Mängel des Ausschließungsbeschlusses nur im Weg der fristgebundenen Anfechtungsklage oder auch im Ausschließungsverfahren als Einrede geltend machen kann. Der B G H hat die Frage im o. g. Urteil nicht beantwortet, sondern sich, wie dargestellt, in einem Fall, in dem die Präklusion der Anfechtung zu besonders unerträglichen Konsequenzen geführt hätte, mit der Arglisteinrede beholfen. Das Problem muß aber generell gelöst werden. Soweit der Beklagte einwendet, der Ausschluß sei rechtswidrig, weil ein wichtiger Grund dafür nicht vorgelegen habe, muß er damit schon deshalb gehört werden, weil es dem Sinn des Klageerfordernisses beim Ausschluß entspricht, daß das Gericht den wichtigen Grund nachprüft 28 . Wendet der Beklagte daneben oder statt dessen ein, der Beschluß sei nicht rechtmäßig zustande gekommen, z. B. weil einige Gesellschafter nicht geladen waren oder die Stimmen falsch ausgezählt wurden, so wird man die herrschende Lehre damit retten können, daß man vom Beklagten, statt es mit der Einrede bewenden zu lassen, verlangt, Widerklage zu erheben 29 . Immerhin fragt sich, ob darin nicht ein überflüssiger Formalismus liegt. Unerträglich wäre es angesichts der Schwere des Eingriffs in die Mitgliedschaft meines Erachtens aber, den Einwand, daß der Ausschließungsbeschluß fehlerhaft zustande kommen ist, abzuschneiden, weil die Anfechtungsfrist versäumt wurde. Auch in diesem Fall würde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Die Fristgebundenheit der Anfechtungsklage reicht als Rechtsgrundlage dafür nicht aus, daß der Gesellschafter unter solchen Umständen die Mitgliedschaft in der Gesellschaft verlieren kann. Folgt man diesem Ansatz, so muß, wenn der Gesellschaftsvertrag auf die Ausschlußklage verzichtet, dem Betroffenen auch gestattet sein, nach Ablauf der Anfechtungsfrist Klage gegen die Gesellschaft auf Feststellung zu erheben, daß er nicht wirksam ausgeschlossen sei, und in diesem Verfahren vorzubringen, daß der Ausschließungsbeschluß mangelhaft war.
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Β GHZ 9, 157, 160. Hachenburg /Ulmer GmbHG 7 Anh. §34 Rdn. 19. Ulmer aaO.
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Ahnliche Probleme stellen sich, wenn die Gesellschaft gegen einen Gesellschafter Ansprüche erhebt, denen ein Mehrheitsbeschluß zugrunde liegt. Dabei geht es um Fälle, in denen die Gesellschaft ausstehende Einlagen oder Nachschüsse einfordert oder Schadensersatzanspriiche wegen Pflichtverletzung eines Gesellschafters geltend macht 30 . Auch hier kann der Gesellschafter selbstverständlich nicht mit Einwendungen präkludiert werden, welche den Anspruch selbst betreffen, also z . B . mit der Behauptung, er habe die Einlage geleistet oder seine Pflichten nicht verletzt. Doch sollte ihm auch gestattet werden, andere Mängel des der Klage zugrundeliegenden Gesellschafterbeschlusses einzuwenden, und zwar selbst dann, wenn die Anfechtungsfrist abgelaufen ist. Denn die Intitiative zum Rechtsstreit geht in diesen Fällen von der Gesellschaft, genauer von der Gesellschaftermehrheit aus. Es ist angemessen, wenn der betroffene Gesellschafter zunächst abwartet, ob es zur Klage kommt oder ob die Mitgesellschafter im Hinblick auf seine Einwände davon Abstand nehmen. Ihn von Rechts wegen zu zwingen, den Fall seinerseits mit einer Anfechtungsklage zuerst vor das Gericht zu bringen, weil die Gesellschaft mit ihrer Klage bis nach dem Ablauf der Anfechtungsfrist zuwartet, würde wiederum dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zuwiderlaufen. IV. Verzicht auf die Notwendigkeit der Anfechtungsklage Die vorstehenden Überlegungen beruhen auf der Voraussetzung, daß im Einklang mit der herrschenden Lehre und mit der Judikatur des B G H jedenfalls regelmäßig eine Anfechtungsklage notwendig ist. In jüngster Zeit haben sich ganz anders geartete Gründe ergeben, welche diese Regel prinzipiell in Frage stellen. Namentlich Arbeiten von Zöllner und Noack31 geben Anlaß, die analoge Anwendung des §246 Abs. 1 AktG im GmbH-Recht überhaupt fallen zu lassen. Zöllner und Noack arbeiten heraus, daß der Ausschluß aller Rechtsbehelfe eines Gesellschafters, sich gegen fehlerhafte, aber nicht nichtige Gesellschafterbeschlüsse zu wehren, mit Ausnahme der fristgebundenen Anfechtungsklage eine schwerwiegende Beschränkung des Mitgliedsrechts bedeutet, und sie fragen, wodurch diese gerechtfertigt ist. Bei der Aktiengesellschaft folgt sie aus dem Schutzbedürfnis der gegenwärtigen, vor allem aber auch der künfti-
Vgl. Scholz/Schmidt aaO §45 Rdn. 124. Zöllner/Noack Geltendmachung von Beschlußmängeln im GmbH-Recht, Z G R 1989, 525; Noack Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen; ihnen folgend Hachenburg/Ätfjser G m b H G 8 Anh. nach §47, Rdn. 9 ff; dagegen verteidigt Henze Zur Schiedsfähigkeit von Gesellschafterbeschlüssen im GmbH-Recht, Z G R 1988, 542, 546 ff die Rechtsprechung des B G H . 30
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gen Aktionäre sowie der Gesellschaftsgläubiger. Die große Zahl der von den Beschlüssen der Hauptversammlung betroffenen Personen und ihr offener Kreis lassen es notwendig erscheinen, daß Rechtsklarheit und Rechtssicherheit jederzeit gewährleistet sind. Da die Hauptversammlung nur über begrenzte Kompetenzen verfügt und wenige Beschlüsse faßt, die oft aber weitreichende Außenwirkung haben, ist eine Beschränkung der Mitgliedsrechte zugleich leichter hinnehmbar als bei der GmbH. Hinzu kommt die stärkere rechtliche Kontrolle der Beschlüsse infolge der Beurkundungspflicht gemäß § 130 AktG und der damit verbundenen Mitwirkung eines Notars. Bei der GmbH ist die Interessenlage demgegenüber anders. Ein öffentliches Interesse an Rechtsklarheit und Rechtsbeständigkeit besteht hier angesichts des typischerweise kleinen und geschlossenen Gesellschafterkreises und des personalistischen Zuschnitts des Unternehmens regelmäßig nicht. Es fehlt auch deshalb, weil die Mehrzahl der Gesellschafterbeschlüsse nicht Grundlagenentscheidungen, sondern Angelegenheiten der Geschäftsführung betreffen und keine den Hauptversammlungsbeschlüssen vergleichbare unmittelbare Außenwirkung entfalten. Die Gründe, welche bei der Aktiengesellschaft die Beschränkung der Anfechtungsbefugnis rechfertigen, liegen daher bei der GmbH gewöhnlich nicht vor. Kommt es hier zur Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses, liegt in der Regel ein M ehrheits-Minderheitskonflikt zugrunde. In solchen Fällen fällt der Rechtsordnung die Aufgabe zu, für den notwendigen Schutz der Minderheitsgesellschafter zu sorgen. Dieser Schutz würde aber generell in einer nicht hinreichend begründeten Weise verkürzt, wenn von dem Gesellschafter stets verlangt wird, die kostspielige Anfechtungsklage anzustrengen und dazu noch binnen einer Frist, die regelmäßig wenig über einen Monat hinausreicht. Statt dessen wird den Verhältnissen bei der GmbH eine Lösung besser gerecht, die den Gesellschaftern ermöglicht, einen fehlerhaften Beschluß einverständlich zu bereinigen. Können sich die Gesellschafter nicht einigen, so braucht die Rechtsordnung trotzdem die Anfechtungsklage nicht zu erzwingen. Sie kann es vielmehr hinnehmen, daß die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses zunächst so lange in der Schwebe bleibt, bis einer der Beteiligten die gerichtliche Klärung für notwendig hält. Auch in diesem Fall besteht kein Anlaß, die Klagelast stets dem Minderheitsgesellschafter aufzubürden, der mit dem Mehrheitsbeschluß nicht zufrieden ist. Wollen statt dessen die Mehrheitsgesellschafter oder die Geschäftsführer die Initiative zur Klärung ergreifen, können sie auf Feststellung der Wirksamkeit des Beschlusses klagen. In einem solchen Fall muß dem Minderheitsgesellschafter dann folgerichtig aber die Einrede verbleiben, daß der Beschluß gegen das Gesetz oder gegen die
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Satzung verstößt und daher an einem Mangel leidet, der ihn aufgrund der Anfechtung nichtig macht. Statt der Anfechtungsklage genügt für eine solche Einrede, daß der zur Anfechtung befugte Gesellschafter diese rechtzeitig gegenüber der Gesellschaft erklärt hat. Ebenso kann verfahren werden, wenn die Frage, ob ein zur Anfechtung berechtigender Beschlußmangel vorliegt, als Vorfrage in einem auf einen anderen Gegenstand gerichteten Verfahren auftaucht, zum Beispiel, wie in den oben dargestellten Fällen, in einem Prozeß, der von der Gesellschaft eingeleitet wurde und den Ausschluß eines Gesellschafters oder die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen einen Gesellschafter bezweckt. Nach dieser Lehre kann demnach die Einrede der Anfechtbarkeit generell und ohne Rücksicht darauf erhoben werden, ob andernfalls der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wäre, sofern der Gesellschafter die Anfechtung nur außergerichtlich rechtzeitig erklärt hat. Auch rechtspolitisch erweist sich die Preisgabe des Klageerfordernisses als erwünscht, denn sie führt zu einer Verminderung der Anfechtungsprozesse, die angesichts der großen, noch immer ständig wachsenden Zahl der Gesellschaften mbH sowie der Vielzahl der Gegenstände, über die in der GmbH die Gesellschafterversammlung zu beschließen hat, andernfalls leicht zu einer unnötigen Belastung der Gerichte werden können. Verzichtet man auf die Notwendigkeit, Anfechtungsklage zu erheben, so entfällt das Problem der angemessenen Klagefrist. Das Recht, die Anfechtbarkeit auch anders als durch Klage geltend zu machen, schließt die Klage zwar nicht aus. Sie kann durchaus wünschenswert und zweckmäßig sein, namentlich wenn der Gesellschafter Anlaß hat, seinerseits auf eine Klärung der Rechtslage zu drängen, ohne daß ein Verfahren ansteht, in dem der Beschlußmangel einredeweise geltend gemacht oder als Vorfrage geklärt werden könnte. Auch kann die Wirkung inter omnes analog §248 AktG nur in diesem Fall eintreten. Anstelle einer Klagefrist genügt es in diesem Fall aber, die Klage dann auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Verwirkung eingetreten sind32. Nicht verzichtet werden kann allerdings darauf, daß die Anfechtung gegenüber der Gesellschaft erklärt wird (vgl. § 143 BGB). Die Treuepflicht verlangt, daß dies unverzüglich geschieht. Denn es ist jedem anfechtungsberechtigten Gesellschafter zuzumuten, die Mitgesellschafter nicht länger als unbedingt nötig im Unklaren darüber zu lassen, daß ein Beschluß in Frage gestellt wird. Ist der Gesellschafter in der Versammlung anwesend, so wird man in der Regel erwarten können, daß er 32
Scholz/Schmidt aaO §45 Rdn. 143; Baumbach/Hueck/Zö//«er aaO Anhang §47 Rdn.79; Zöllner/Noack Z G R 1989, 525, 529ff; Fleck EWiR §47 G m b H G 2/90, 701, 702; Noack Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen S. 75 f.
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seine Bedenken noch in der Versammlung selbst äußert und die Anfechtung erklärt oder doch zu erkennen gibt, daß er sie erwägt. Bei komplizierter Sach- oder Rechtslage ist ihm jedoch eine gewisse Prüfungsfrist zuzubilligen, bevor er sich äußert, die allerdings nicht bis zur endgültigen Klärung aller einschlägigen Fragen dauern kann. Wird der Beschluß oder der ihm anhaftende Mangel dem Gesellschafter erst später bekannt, muß er sich unverzüglich nach Kenntnis dagegen wehren33. V. Ergebnis Die Doktrin des Urteils BGHZ 104, 66, wonach die Anfechtung bei der GmbH wie bei der AG nur durch Anfechtungsklage analog §246 AktG geltend gemacht werden kann, läßt sich nicht aufrechterhalten. Auch der B G H selbst hält sie nicht durch, wenn er in BGHZ 101, 113 die Durchführung eines unanfechtbar gewordenen Gesellschafterbeschlusses am Mißbrauchseinwand gemäß §826 BGB scheitern läßt. Es handelt sich jedoch nicht um eine Regel, die lediglich in Einzelfällen korrigiert werden müßte, wenn die Gesellschaft die erlangte Rechtsposition sittenwidrig zu ihren Gunsten ausnutzt. Vielmehr geht es um typische Fälle des Gesellschafter- und Minderheitsschutzes, die einer generellen Lösung bedürfen. Wann immer der Gesellschafterbeschluß die Erfüllung von Ansprüchen eines Gesellschafters gegen die Gesellschaft ablehnt, wäre es eine unverhältnismäßige Verkürzung des diesem zustehenden Rechtsschutzes, wenn die Erfüllungsklage abgewiesen werden könnte, weil der Kläger nicht zuvor rechtzeitig Anfechtungsklage erhoben hat. Umgekehrt würde es dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit gleichfalls widersprechen, wenn die Gesellschaft aufgrund eines Beschlusses der Gesellschaftermehrheit Rechte gegen den Minderheitsgesellschafter geltend machen könnte, die dessen Mitgliedschaft im Kern betreffen, namentlich ihn aus der Gesellschaft ausschließt, und dem Gesellschafter bei der Gegenwehr die Enrede, der Gesellschafterbeschluß sei rechtswidrig und daher anfechtbar gewesen, aus der Hand genommen würde, weil er nicht selbst rechtzeitig Anfechtungsklage erhoben hat. Wenigstens in solchen Fällen muß daher die Einrede der Anfechtbarkeit auch dann zugelassen werden, wenn man in anderen, weniger einschneidenden Fällen der Lehre des B G H folgt. Nach besserer Einsicht sollte man aber in Übereinstimmung mit wichtigen Stimmen im neuesten Schrifttum die Lehre, wonach Anfechtungsgründe auch bei der GmbH nur im Wege der fristgebundenen Anfechtungsklage geltend gemacht werden können, wieder ganz aufgeben. 33
Hachenburg/Raiser G m b H G 8 Anh. nach §47 Rdn. 180, 185.
Sicherung und Sicherungszweck DIETER REHBEIN
Die Kreditsicherungsformulare der privaten Banken enthalten ebenso wie die allgemeine Pfandklausel in Nr. 19 Abs. 2 AGB eine sogenannte weite Sicherungszweckerklärung. Danach dienen Bürgschaft, Pfandrecht, Sicherungsabtretung und -Übereignung oder Grundschuld zur Sicherung aller bestehenden und zukünftigen - auch bedingten oder befristeten - Ansprüche, die der Bank und allen anderen Geschäftsstellen des Gesamtinstituts aus der Geschäftsverbindung (insbesondere aus laufender Rechnung und aus der Gewährung von Krediten jeder Art), aus Bürgschaften und aus abgetretenen oder kraft Gesetzes übergegangenen Forderungen sowie aus Wechseln (auch soweit diese von Dritten hereingegeben worden sind) gegen den Kreditnehmer zustehen. Diese Vereinbarung bleibt bei einem Inhaberwechsel oder bei einer Änderung der Rechtsform auf seiten des Kreditnehmers auch für die Ansprüche aus der künftigen Geschäftsverbindung unverändert bestehen. In dieser oder ähnlicher Form wird die Klausel durchgängig auch in den anderen Bereichen des Kreditgewerbes verwendet. Inhalt und Umfang dieser Sicherungszweckerklärung sind in den vergangenen Jahren, insbesondere nach Inkrafttreten des AGB-Gesetzes, immer wieder Gegenstand kritischer Befassung durch Rechtsprechung und Schrifttum1 gewesen. Das gilt insbesondere für zwei so verschiedenartige, teils diametral entgegengesetzte Sicherungsinstru1 Vgl. hierzu allg. Lohmann, Rechtsprobleme der Globalzweckerklärung insbes. in Formularverträgen, 1988; Puplick, Rechtsprobleme der Sicherungsvereinbarungen bei Grundschulden, 1988; Schreiner, Die Kreditbürgschaft in der Formularpraxis der Banken und Sparkassen, 1989; Clemente, Die Sicherungsgrundschuld in der Bankpraxis, 1985; ders., Sicherungsabreden im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZIP 1985, 193; ders., Die Sicherungsabrede der Sicherungsgrundschuld - eine Bestandsaufnahme, ZIP 1990, 969; Eickmann, Aktuelle Rechtsfragen zur Sicherungsgrundschuld, ZIP 1989, 137; Rainer, Die Auswirkungen des AGB-Gesetzes auf die formularmäßige Sicherungszweckerklärung für Grundschulden . . . W M 1988, 1657; Rehbein, Neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zur Bürgschaft, Festschrift für Winfried Werner, 1984, 697; Reinicke-Tiedtke, Die Bürgschaft für alle bestehenden und künftigen Forderungen des Gläubigers aus seiner bankmäßigen Geschäftsverbindung mit dem Hauptschuldner, JZ 1986, 426; Reithmann, Die Zweckerklärung bei der Grundschuld, Sicherungsgeber, Sicherungsmittel, Deckungs-
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mente wie die gesetzlich eingehend geregelte forderungsabhängige Personalsicherheit Bürgschaft, die stets Drittsicherheit ist und dem Gläubiger den - gegebenenfalls unbeschränkten - Vollstreckungszugriff auf das gesamte gegenwärtige und zukünftige Vermögen des Bürgen eröffnet, und die gesetzlich weitgehend ungeregelte forderungsunabhängige Sachsicherheit Grundschuld, die sowohl vom Kreditnehmer selbst als auch von einem Dritten bestellt werden kann und dem Gläubiger bis zur von vornherein bestimmten Höhe des Grundschuldbetrages die Zwangsvollstreckung in einen bereits vorhandenen Vermögensgegenstand, das Grundstück des Eigentümers, ermöglicht. Dies läßt es reizvoll erscheinen, anläßlich des 65. Geburtstages von Herrn Professor Dr. Theodor Heinsius, der in seiner Eigenschaft als Chefsyndikus der Dresdner Bank sowie als langjähriges Mitglied und Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundesverbandes deutscher Banken neben zahlreichen anderen AGB-Klauseln auch die weite Sicherungszweckerklärung mitgestaltet und mitgetragen hat, eine kritische Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Diskussionsstandes vorzunehmen und dabei den Versuch zu wagen, das insoweit für alle Sicherheiten Gemeinsame herauszuarbeiten. Von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann dies füglich nicht erwartet werden, weil Bürgschaft und Grundschuld verschiedenen Senaten zugewiesen sind. Die Sicherungsabtretung und -Übereignung werfen hinsichtlich der weiten Sicherungszweckerklärung kaum Probleme auf, weil sie überwiegend im Firmenkundengeschäft vereinbart werden und der Kreditnehmer in aller Regel auch zugleich der Sicherungsgeber ist. I. Funktion der Sicherungszweckerklärung Während bei den „geborenen", akzessorischen Sicherheiten Bürgschaft, Pfandrecht und Hypothek (vgl. §401 BGB) deren Sicherungszweck bereits gesetzlich vorgegeben ist, so daß sich Bestand, Zuständigkeit und Deckungsumfang dieser Sicherungsrechte ausschließlich nach der gesicherten Forderung bestimmen, muß diese Zweckbindung bei den „gekorenen", nicht akzessorischen Sicherheiten Sicherungsübereignung und -abtretung (Sicherungsübertragung) sowie Grundschuldbestellung erst durch besondere rechtsgeschäftliche Vereinbarung, die sogenannte Sicherungszweckerklärung (auch Zweckbestimmungserklärung, Zweckbereich, W M 1985, 441; Schiffer, Die formularmäßige erweiterte Zweckabrede bei Fremdkrediten, N J W 1988, 2779; Tiedtke,
Die Rechtsprechung des B G H zur Anwendung des
A G B - G e s e t z e s im Bürgschaftsrecht seit 1980, ZIP 1986, 150; Graf von Westphalen, schaftsformulare im Licht des A G B - G e s e t z e s , W M 1984, 1589; A G B G , 2. Aufl., § 9 , R d n . 9 6 f f .
Bürg-
Wolf-Horn-Lindacher,
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erklärung o. ä.), hergestellt und festgelegt werden; denn die Übereignung einer Sache, die Abtretung einer Forderung oder eines sonstigen Rechtes sowie - seltener - die Bestellung einer Grundschuld können auch zur Erfüllung eines Kaufvertrages, eines Schenkungsversprechens oder aus sonstigen Gründen erfolgen. Die Sicherungszweckerklärung bestimmt somit zunächst bei den nicht akzessorischen Sicherheiten konstitutiv und bei den akzessorischen Sicherheiten deklaratorisch, daß die Ubereignung, Abtretung oder Grundschuldbestellung ebenso wie die Verbürgung, Verpfändung oder Hypothekenbestellung (lediglich) „zur Sicherung" erfolgt und damit deren Sicherungszweck. Bei den nicht akzessorischen Sicherheiten bildet sie zugleich den Rechtsgrund, die causa, für die Rechtsübertragung und begründet zwischen Besteller und Sicherungsnehmer ein Treuhandverhältnis2. Danach kann der Sicherungsnehmer über das ihm übertragene Eigentum, die abgetretenen Forderungen oder die ihm bestellte Grundschuld nicht nach Belieben frei verfügen, sondern ist er lediglich bei Eintritt des Sicherungsfalles, d.h. bei Nichtrückzahlung des Kredits, berechtigt, sie zu verwerten (Verwertungsrecht); andernfalls, also bei ordnungsgemäßer Rückzahlung des Kredits, kann der Besteller Rückübertragung verlangen (Rückgewähranspruch). Demgegenüber sind die akzessorischen Sicherheiten von vornherein kraft Gesetzes auf ein Verwertungsrecht beschränkt und erlöschen bei Tilgung der gesicherten Forderung (Bürgschaft, Pfandrecht), wenn sie nicht kraft Gesetzes zur Rangwahrung auf den Eigentümer oder gegebenenfalls auf einen Dritten übergehen (Hypothek). Der Verpflichtungsgrund für die Sicherheitenbestellung liegt demgegenüber regelmäßig nicht in der Sicherungszweckerklärung selbst, sondern in der Kreditvereinbarung zwischen Bank und Schuldner und bei Drittsicherheiten zusätzlich in den zwischen Kreditnehmer und Drittem bestehenden Rechtsbeziehungen, aufgrund deren der Dritte dem Kreditnehmer gegenüber verpflichtet ist, der Bank eine Sicherheit zu stellen; dies kann ein unentgeltlicher Auftrag oder auch eine entgeltliche Verpflichtung sein. Darüber hinaus bezeichnet die Sicherungszweckerklärung neben dem Sicherungsrecht (Bürgschaft, Pfandrecht, Sicherungsübertragung und Grundschuld) regelmäßig auch das Sicherungsgut (Wertpapierdepot, Warenlager, Forderungsbestand, Grundstück). Schließlich bestimmt sie bei allen Sicherheiten gemeinsam den gesicherten Gegenstand, das Sicherungsobjekt, wie eine einzelne Forderung oder sämtliche Ansprüche aus einer Geschäftsverbindung, und damit zugleich den Sicherungsumfang. 1 Biilow, Recht der Kreditsicherheiten, 2. Aufl., Rdn. 20, 851; MünchKomm.-£¿c£mann, B G B , 2. Aufl., § 1191 Rdn. 13 ff.
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II. Sicherungsobjekt und Sicherungsumfang 1. Sicherungsobjekt ist bei Kreditsicherheiten regelmäßig eine Forderung (Anspruch) bzw. eine Verbindlichkeit (Schuld). Diese müssen bei Bestellung akzessorischer wie nichtakzessorischer Sicherheiten gleichermaßen von den Beteiligten durch Bezeichnung von Gläubiger und Schuldner sowie ihres Inhalts näher bestimmt werden 3 . Ansprüche der Bank sind regelmäßig auf Zahlung einer bestimmten Summe Geldes gerichtet und damit Geldforderungen. Demgemäß bezeichnet die Sicherungszweckerklärung als Sicherungsobjekt „Ansprüche, die der Bank und allen anderen Geschäftsstellen des Gesamtinstituts gegen den Kreditnehmer zustehen". Durch diese Filialklausel4 soll klargestellt werden, daß die etwa einer Großbankfiliale gestellte Sicherheit auch die Ansprüche einer anderen Zweigstelle derselben Bank sichert, da Forderung wie Sicherheit demselben Institut als einheitlicher Rechtsperson zustehen. 2. Der Sicherungsumfang und damit der Kreis der gesicherten Forderungen und Verbindlichkeiten ist zunächst aus dem Wortlaut der Sicherungszweckerklärung selbst zu bestimmen, ohne daß es hier bereits darauf ankäme, ob die Sicherheit eine Bürgschaft oder eine Grundschuld und ob Sicherheitenbesteller der Schuldner selbst oder ein Dritter ist. Danach dient die Sicherheit zur Sicherung „aller bestehenden und zukünftigen - auch bedingten oder befristeten - Ansprüche" der Bank gegen den Kreditnehmer. Der Gesetzeswortlaut steht der Sicherung aller Ansprüche der Bank jedenfalls nicht entgegen: Wenn in §765 BGB für die Bürgschaft von „einer" Verbindlichkeit oder in § 1113 BGB für die Hypothek und damit über die Verweisung des § 1192 Abs. 1 BGB auch für die Grundschuld sowie in § 1204 BGB für das Pfandrecht von „einer" Forderung die Rede ist, so handelt es sich hierbei nicht um das Zahlwort, sondern um den unbestimmten Artikel, der eine Absicherung mehrerer und damit auch aller Forderungen durchaus zuläßt. Desgleichen folgt die Zulässigkeit der Einbeziehung künftiger und bedingter ebenso wie befristeter Ansprüche unmittelbar aus den genannten Gesetzesbestimmungen. Lediglich für die Hypothek ergeben sich insoweit im Hinblick auf die Eintragung einer bestimmten Forderung in einer bestimmten Höhe gewisse Beschränkungen („verdeckte Höchstbetragshypothek") 5 . Soweit
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MünchKomm.-Eickmann, §1191 Rdn.26. Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl., Rdn. 2670; Kiimpel, Die AGB und ihre Bedeutung für die Kreditsicherheiten, WM 1978, 970, 971; Scholz-Lwowski, Das Recht der Kreditsicherung, 6. Aufl., Rdn. 192. 5 MünchKomm .-Eickmann, §1113 Rdn. 34. 4
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in diesem Zusammenhang gegen die Sicherung aller künftigen Ansprüche durch eine betragsmäßig unbeschränkte Bürgschaft unter dem Gesichtspunkt mangelnder Bestimmtheit des Umfanges der Bürgenhaftung und/oder wegen Verstoßes gegen die Form Vorschrift des § 7 66 B G B Bedenken erhoben werden6, richten diese sich weniger gegen den Umfang der gesicherten Forderungen als gegen die Zulässigkeit der uniimitierten Bürgschaft selbst7; denn auch durch Vereinbarung einer hiernach zulässigen Höchstbetragsbürgschaft würde sich an der Bestimmbarkeit der gesicherten Forderungen nichts ändern. Der Sicherungsumfang ist jedoch bereits nach dem Wortlaut der Sicherungszweckerklärung nicht unbeschränkt. Gesichert sind vielmehr nur „Ansprüche aus der Geschäftsverbindung, aus Bürgschaften und aus übergegangenen Forderungen sowie aus Wechseln". a) Ansprüche aus der
Geschäftsverbindung
Geschäftsverbindung ist die vertraglich begründete, auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung zwischen der Bank und ihrem Kunden (vgl. §§355, 362 HGB). Ansprüche aus der Geschäftsverbindung sind nach der beispielhaften Aufführung insbesondere Ansprüche aus laufender Rechnung (Kontokorrent) und aus der Gewährung von Krediten jeder Art vom Akzeptkredit bis zum Überziehungskredit. Ansprüche, die außerhalb der Geschäftsverbindung und unabhängig von dieser entstanden sind, wie zum Beispiel deliktische Schadenersatzansprüche8, werden vom Sicherungszweck nicht erfaßt; in dieser Ausgrenzungsfunktion liegt die wesentliche Bedeutung der Beschränkung des Sicherungszwecks auf Ansprüche aus der Geschäftsverbindung. Demgegenüber beruhen vertragliche Schadenersatzansprüche9, wie ζ. B. auf Zahlung einer Nichtabnahmeentschädigung, auf der Geschäftsverbindung und werden daher mitgesichert. Auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung10 sind gesichert, wenn sie ihren Ursprung in der Geschäftsverbindung haben, wie ζ. B. Ansprüche auf Rückzahlung der Kreditvaluta bei nichtigem Darlehensvertrag. Soweit eine Sicherungszweckerklärung darüber hinausgehend „Ansprüche aus jedem Rechtsgrund" erfaßt, ist die Klausel nach Treu und Glauben dahin auszulegen, daß nur im Rahmen der Geschäftsverbindung entstandene Forderungen gesichert werden sol-
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