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German Pages 466 Year 2010
Festschrift für Michael Loschelder
FESTSCHRIFT FÜR
MICHAEL LOSCHELDER ZUM 65. GEBURTSTAG herausgegeben von
Professor Dr. Willi Erdmann Professor Dr. Matthias Leistner Dr. Wilfried Rüffer Dr. Thomas Schulte-Beckhausen 2010
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek veiZei.chnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 info®otto-schmidt.de www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06218-7
©2.010 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen nnd die Einspeicherung nnd Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig nnd wnweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Textforrnatierung: A Quednau, Haan Druck nnd Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Gerrnany
Vorwort Am 22. Oktober 2010 vollendet Michael Loschelder sein 65. Lebensjahr. Freunde, Anwaltskollegen, Hochschullehrer, Richter und Weggefährten aus verschiedenen anderen juristischen Bereichen haben sich zu diesem Anlass zusammengefunden, um ihn mit einer Festschrift zu ehren. Die Festschrift spiegelt die außerordentliche persönliche und fachliche Wertschätzung, die Michael Loschelder als eine der herausragenden Anwaltspersönlichkeiten innerhalb und außerhalb der juristischen Fachkreise genießt. Sein unermüdliches Engagement für das Recht und für seine Mandanten, seine fachliche Brillanz und vor allem seine immer wieder bewiesene Hilfsbereitschaft im Kollegen- und Partnerkreis und weit darüber hinaus in vielen Bereichen des täglichen Lebens beeindrucken jeden, der ihm begegnet, der seinen Rat sucht und das Glück hat, mit ihm zusammen zu arbeiten. Michael Loschelder, geb. am 22.10.1945 in Neuss, studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten zu München und Bonn und wurde im Jahre 1975 an der Universität Bonn promoviert. Während seiner Zeit als wissenschaftlicher Assistent am Juristischen Seminar in Bonn wurde Michael Loschelder von seinem Mentor und späteren Sozietätspartner Dr. Ralf Vieregge für den Anwaltsberuf gewonnen. In seiner beruflichen Tätigkeit bildete sich sehr schnell ein Schwerpunkt im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes heraus, der auch in vielfältigen Aktivitäten außerhalb seiner Tätigkeit als Seniorpartner der nach ihm benannten Anwaltssozietät Ausdruck findet. Seit inzwischen über 18 Jahren ist Michael Loschelder Generalsekretär der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) und hat sich in dieser Zeit bleibende Verdienste erworben, die in einem Geleitwort des Präsidenten des „Grünen Vereins“ gesondert gewürdigt werden. Sein Interesse und Engagement gilt aber nicht nur der Praxis. Er sucht auch ständig den Dialog mit der Wissenschaft, nicht zuletzt als Lehrbeauftragter an der Universität Bonn. Als Autor hat er sich durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen hohe fachliche Anerkennung verschafft. Sein unermüdliches Wirken lässt erahnen, dass er den Kulminationspunkt seines Schaffens noch nicht einmal erreicht hat. Dank seiner Disziplin und seiner rationellen Arbeitsweise wird ihm auch in Zukunft immer noch Raum für seine vielfältigen kulturellen Interessen bleiben. Autoren und Herausgeber wünschen Michael Loschelder – verbunden mit Dank und Anerkennung für seine herausragenden Leistungen – Glück und Gesundheit für den kommenden Lebensabschnitt. Im Oktober 2010
Willi Erdmann / Matthias Leistner / Wilfried Rüffer / Thomas Schulte-Beckhausen
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Grußwort des Präsidenten der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Mit dieser Festschrift ehren Partner, Kollegen und Freunde den Rechtsanwalt Dr. Michael Loschelder an seinem fünfundsechzigsten Geburtstag. Da dürfen die Glückwünsche der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz, der „GRUR“, des „Grünen Vereins“, nicht fehlen. Der Jubilar ist nämlich nicht nur als Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter und Autor zahlreicher Veröffentlichungen bekannt, er ist auch seit vielen Jahren Generalsekretär dieser Vereinigung. Michael Loschelder ist GRUR-Mitglied seit 1978. Am 13. Juni 1991 wählte ihn die Hauptversammlung des Grünen Vereins in dessen Geschäftsführenden Ausschuss, um ihn im darauf folgenden Jahre, am 2. Oktober 1992, zum Nachfolger von Ralf Vieregge zu bestellen, dem er bereits in den Jahren zuvor tatkräftig zur Seite gestanden war. Michael Loschelder ist so nach Ludwig Heydt (1949 bis 1969) und Ralf Vieregge (1969 bis 1992) der dritte Generalsekretär der Vereinigung nach der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit im Jahre 1949 geworden. Als solcher lenkt er die Geschicke des Grünen Vereins erfolgreich seit nunmehr achtzehn Jahren. Nach der Satzung der Vereinigung obliegt die Führung der laufenden Geschäfte dem Geschäftsführenden Ausschuss. In der Praxis sind es jedoch seit der „Ära Osterrieth“ (1896 bis 1921) die Generalsekretäre gewesen – von 1921 bis Kriegsende hatte die Vereinigung Geschäftsführer –, welche als die eigentlichen Motoren und treibenden Kräfte die Entwicklung des Grünen Vereins gefördert haben. Michael Loschelder ist dem Vorbild seiner Vorgänger gefolgt und wurde diesem mehr als gerecht. Ihm hat die Vereinigung vieles zu verdanken. Er sorgt sich um das Programm der Jahrestagungen, der Sitzungen des Vorstandes und des Geschäftsführenden Vorstandes; er führt deren Beschlüsse aus, hält den Kontakt zu Ministerien, Behörden, verwandten Vereinigungen und zu Förderern der Ziele der Vereinigung und gibt selbst wichtige Anstöße zu neuen Initiativen und Entwicklungen. So hat er zusammen mit dem Präsidenten Wolfgang Gloy (1992 bis 2001) die schon unter der Präsidentschaft von Karlheinz Quack (1981 bis 1992) in die Wege geleiteten vielfältigen Maßnahmen zur Förderung der Wissenschaft und der Lehre des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts in Deutschland mitbegründet und weiter geführt. Insbesondere ist es dank seinem unermüdlichen Einsatz gelungen, die Bedeutung des Patentrechts in Forschung und Lehre zu stärken, zumal durch die Errichtung der GRUR-Stiftungsprofessuren in Berlin und Halle und erst kürzlich noch durch die Einrichtung der Forschungsgruppe Patentrecht am Zentrum für angewandte Rechtswissenschaft des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Auch die in den letzten Jahren entwickelte stärkere Orientierung der Tätigkeit der VerVII
Grußwort
einigung auf die europäischen und internationalen Entwicklungen hat Michael Loschelder nachhaltig gefördert. So darf man mit Fug sagen, dass er, der sich selbst gerne bescheiden im Hintergrund hält, einen ganz erheblichen Beitrag zum Blühen des Grünen Vereins geleistet hat. Im Namen der Mitglieder, deren Zahl seit seinem Amtsantritt von 2.008 auf 5.204 angestiegen ist, gratuliere ich Michael Loschelder herzlich. München, im Oktober 2010
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Hans Peter Kunz-Hallstein
Inhalt Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hans-Jürgen Ahrens Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland nach Art. 7 der Enforcementrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Klaus Bepler „Fliegende Gerichtsstände“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Joachim Bornkamm Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Verwechslungen: Ein Kuckucksei im Nest des UWG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
Thomas Dreier Das WITTEM-Projekt eines „European Copyright Code“ . . . . . . . . . . .
47
Willi Erdmann Die Relativität des Werkbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Karl-Heinz Fezer Das Markenformat – Markenarchitektur und Markendesign der Registermarke im Eintragungsverfahren und Verletzungsverfahren . . .
75
Cornelie von Gierke Amtliche Datenbanken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
Wolfgang Gloy Der Schutz des geistigen Eigentums und des Wettbewerbs heute . . . . .
99
Henning Harte-Bavendamm Wettbewerbsrechtlicher Verbraucherschutz in der Welt der „look-alikes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
Rainer Jacobs Das unselige Obiter dictum – Darf ein Eigentümer ein Kunstwerk vernichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
Dieter Kehl Von der Marktbeobachtung bis zur Nichtvollziehung – wann ist es dem Anspruchsteller „nicht so eilig“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
Helmut Köhler Preisinformationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151 IX
Inhalt Seite
Gerhart Kreft Aus der Werkstatt eines Ombudsmanns der privaten Banken . . . . . . . .
161
Jürgen Lauer Praxisprobleme mit der Nebenintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179
Matthias Leistner Der urheberrechtliche Schutz der Sendefolge – ein Plädoyer für methodische Ehrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189
Stefan Maaßen / Thomas Schulte-Beckhausen Vernichtung markenverletzender Produkte bei Besitz oder Eigentum von Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
Peter Meier-Beck Schadenskompensation bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
Klaus Melullis Über eine Gerechtigkeitslücke im deutschen Patentverfahrensrecht . .
233
Peter Mes Herabsetzende Äußerungen in der Beschreibung eines Patents . . . . . . .
251
Ansgar Ohly Die Markenverletzung bei Doppelidentität nach L’Oréal: eine Kritik .
265
Gerhard Pfennig Die Entwicklung der Rechtswahrnehmung in der Informationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279
Wilfried Rüffer Zur Bindungswirkung von im Haftpflichtprozess ergangenen Versäumnisurteilen für das haftpflichtversicherungsrechtliche Deckungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
Sigmar-Jürgen Samwer Das Wortzitat als „Zeuge gegen sich selbst“ im öffentlichen Meinungskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313
Raimund Schütz / Christian Schütte Feinjustierung der Anreizregulierung durch den sektoralen Produktivitätsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
335
Emil Schwippert Alternative Begründung des Unterlassungsanspruches mit unterschiedlichen Streitgegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
345
Klaus Spätgens Anmerkungen zur so genannten Schubladenverfügung und zur Zurückweisung anwaltlicher Abmahnungen ohne Originalvollmacht .
355
X
Inhalt Seite
Anja Steinbeck Mein Haus bei Google Street View . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
367
Joseph Straus Veröffentlichte Euro-PCT-Anmeldung als fiktiver Stand der Technik nach Art. 54 (3) EPÜ und die Vernichtung von Amtsakten im Europäischen Patentamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379
Otto Teplitzky Zur Verwirkung des Verfügungsgrunds in Verfahren der einstweiligen Verfügung nach dem UWG und im Markenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
391
Winfried Tilmann After the Oral Hearing on the Council’s Request of an Opinion 01/09 .
403
Joachim v. Ungern-Sternberg Übertragung urheberrechtlich geschützter Werke durch Internetanbieter und Online-Verbreitungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Henning W. Wahlers / Frank Heerstraßen Stimmverbote des Mehrheitsaktionärs bei Doppelmandaten im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Schriftenverzeichnis Dr. Michael Loschelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Autoren Ahrens, Hans-Jürgen Dr. iur., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsund Wirtschaftsrecht, deutsches und internationales Zivilprozessrecht an der Universität Osnabrück, Richter am OLG Celle, Vizepräsident des Niedersächsischen Landesjustizprüfungsamts Bepler, Klaus Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, Honorarprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Erfurt Bornkamm, Joachim Dr. iur., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Honorarprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. Dreier, Thomas Dr. iur., M.C.J. (New York University), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtsfragen der Informationsgesellschaft, Direktor des Instituts für Informations- und Wirtschaftsrecht, Zentrum für angewandte Rechtswissenschaft, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe; Honorarprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Erdmann, Willi Dr. iur., Honorarprofessor an der Universität Osnabrück, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D., Karlsruhe Fezer, Karl-Heinz Dr. iur., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Recht der Wirtschaftsordnung und Recht der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen an der Juristischen Fakultät der Universität Konstanz; Honorarprofessor für Gewerblichen Rechtsschutz an der Juristenfakultät der Universität Leipzig; Richter am Oberlandesgericht Stuttgart von Gierke, Cornelie Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Gloy, Wolfgang Dr. iur., Rechtsanwalt in Hamburg, ehemals Partner von Lovells Harte-Bavendamm, Henning Dr. iur., Rechtsanwalt in Hamburg, Vorsitzender des Fachausschusses für Wettbewerbs- und Markenrecht der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Heerstraßen, Frank Dr. iur., Rechtsanwalt in Köln, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht XIII
Verzeichnis der Autoren
Jacobs, Rainer Dr. iur., Rechtsanwalt, Prof. Jacobs Rechtsanwälte, Köln; Honorarprofessor an der Universität zu Köln Kehl, Dieter Vorsitzender Richter am Landgericht, Köln Köhler, Helmut Dr. iur., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München Kreft, Gerhart Dr. iur., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D., Karlsruhe Kunz-Hallstein, Hans Peter Dr. iur., Rechtsanwalt, Präsident der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, München Lauer, Jürgen Dr. iur., D. E. S. en droit (Genf), Rechtsanwalt in Köln, Fachanwalt für Bauund Architektenrecht Leistner, Matthias Dr. iur., LL. M. (Cambridge), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Recht des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht, Direktor des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht, Rheinische FriedrichWilhelms-Universität Bonn Maaßen, Stefan Dr. iur., Rechtsanwalt in Köln, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz Meier-Beck, Peter Dr. iur., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Honorarprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Melullis, Klaus-J. Dr. iur., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof i. R., Honorarprofessor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Leiter der Forschungsgruppe Patentrecht im Zentrum für angewandte Rechtswissenschaft (ZAR) am KIT, Bad Herrenalb Mes, Peter Dr. iur., Honorarprofessor an der Universität Münster; Präsident der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Vereinigung für den Schutz des geistigen Eigentums, Rechtsanwalt in Düsseldorf XIV
Verzeichnis der Autoren
Ohly, Ansgar Dr. iur., LL. M. (Cambridge), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht an der Universität Bayreuth, Visiting Professor an der University of Oxford Pfennig, Gerhard Dr. iur., Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der VG Bild Kunst; Vorstandsmitglied der Stiftung Kunstfonds; Honorarprofessor an der JohannesGutenberg-Universität Mainz Rüffer, Wilfried Dr. iur., Rechtsanwalt in Köln Samwer, Sigmar-Jürgen Dr. iur., Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht Köln Schulte-Beckhausen, Thomas Dr. iur., Rechtsanwalt in Köln, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz Schütte, Christian Dr. iur., Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, Bonn Schütz, Raimund Dr. iur., Rechtsanwalt in Köln, Fachanwalt für Verwaltungsrecht Schwippert, Emil Dr. iur., Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht a. D., Köln Spätgens, Klaus Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht a. D., bis zu seiner Pensionierung Vorsitzender des 6. Zivilsenats des OLG Köln Steinbeck, Anja Dr. iur., Universitätsprofessorin, Direktorin des Instituts für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht der Universität zu Köln, Richterin am Oberlandesgericht Köln Straus, Joseph Dr. iur. Dres. h. c., Honorarprofessor, Ludwig-Maximilians-Universität München, o. Professor Universität Ljubljana, Direktor Emeritus, Max-PlanckInstitut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München, Vizepräsident der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Teplitzky, Otto Dr. iur., Richter am Bundesgerichtshof a. D., Honorarprofessor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn XV
Verzeichnis der Autoren
Tilmann, Winfried Dr. iur., Rechtsanwalt, Of Counsel Hogan Lovells, apl. Professor für Wirtschaftsrecht, insbesondere Gewerblichen Rechtsschutz, an der Universität Heidelberg v. Ungern-Sternberg, Joachim Dr. iur., Richter am Bundesgerichtshof a. D., Freiburg i. Br. Wahlers, Hennig W. Dr. iur., Rechtsanwalt in Köln, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Hans-Jürgen Ahrens
Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland nach Art. 7 der Enforcementrichtlinie Inhaltsübersicht I. Die prozessuale Innovation der Beweisermittlung 1. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 2. Verdachtsverifikation vor Einleitung des Hauptsacheverletzungsverfahrens 3. Unmittelbare Erzwingung der Beweiserhebung 4. Beweiserhebung statt Anspruchstenorierung II. Das Problem grenzüberschreitender Beweisermittlung III. Einstweilige Maßnahmen im Gemeinschaftsrecht 1. Abgrenzungsbedarf, Abgrenzungskriterien 2. Bedeutung der internationalen Zuständigkeits- und Anerkennungsregelungen a) Hauptsachezuständigkeiten, nationale Zuständigkeit b) Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit c) Konkurrierende einstweilige Maßnahmen
IV. Stand der EuGH-Rechtsprechung 1. „St. Paul Dairy Industries“ 2. „Tomasoni Fittings“ 3. Bewertungen im Schrifttum V. Lösungen 1. Autonome Qualifikation 2. Das Zuständigkeitsproblem a) Bezug zum Hauptverfahren b) Zuständigkeitsrechtliche Wertungen der EuBVO c) Zuständigkeitsregelungen der EuGVO aa) Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen, Sicherung der Beweisunmittelbarkeit bb) Beweisanordnungen am Gerichtsstand des Deliktsortes cc) Internationale Beweisermittlungszuständigkeit nach nationalem Prozessrecht 3. Anerkennungshindernisse, Beweiserhebungshindernisse VI. Internationale Beweishilfe und materiell-rechtliche Ansprüche
I. Die prozessuale Innovation der Beweisermittlung 1. Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Art. 50 Abs. 1 lit. a des TRIPS-Abkommens hat erstmals für Deutschland die richterliche Befugnis geschaffen, schnell und wirksam Maßnahmen anzuordnen, die eine behauptete Rechtsverletzung durch Beweissicherung verifizierbar machen. Nach Art. 50 Abs. 3 TRIPS-Abkommen soll das Gericht die Anordnung u. a. davon abhängig machen, dass der Antragsteller alle im Zeitpunkt der Antragstellung verfügbaren Beweise vorlegt, die für eine Rechtsverletzung sprechen.
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Hans-Jürgen Ahrens
Durch das TRIPS-Abkommen sind sowohl die EU-Mitgliedstaaten als auch die EU selbst gebunden. Das Gemeinschaftsrecht hat diese völkerrechtliche Regelung zum Schutz Geistigen Eigentums aufgegriffen und in der Enforcementrichtlinie 2004/48/EG vom 29. April 2004 (nachstehend RL)1 zum Gegenstand der Angleichung des nationalen Rechts gemacht. Abschnitt 2 der Richtlinie, der von den Beweisen handelt, befasst sich im einschlägigen Art. 7 RL mit den Maßnahmen zur Beweissicherung und -ermittlung. Sie sollen ausdrücklich schon vor Einleitung eines Verletzungsverfahrens getroffen werden können und dies auf einseitigen Antrag hin, also ex parte. Vorbild sind die – freilich unterschiedlich gehandhabten – Maßnahmen der sasie contrefaçon des französischen Rechts, der sasie déscription des belgischen Rechts2 und der Anton Piller Order (search order) des englischen Rechts. 2. Verdachtsverifikation vor Einleitung des Hauptsacheverletzungsverfahrens Zivilrechtliche Beweisermittlungen aufgrund eines bloßen Anfangsverdachts betreiben zu können, stellte für das deutsche Zivilprozessrecht eine erhebliche Innovation dar. Das deutsche Recht bekennt sich nur schwerfällig zu Mitwirkungspflichten des Beweisgegners3 und drängt die Figur des sog. Ausforschungsbeweises eher zögerlich auf deren berechtigten Kern zurück, nämlich die Abwehr von rechtsmissbräuchlich aufgestellten Prozessbehauptungen4. Mit der verspäteten Umsetzung der Enforcementrichtlinie durch Gesetz vom 7. Februar 20085 ist jedenfalls für den deliktischen Schutz der Rechte des Geistigen Eigentums ein verfahrensrechtlicher Wandel eingetreten. Davon zeugen die §§ 140c PatG, 24c GebrMG, 46a GeschmMG, 101a UrhG und 19a MarkenG. Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung des Art. 7 RL gegen eine rein prozessuale Anordnung nach dem Regelungstypus des selbständigen Beweisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO) entschieden und statt derer materiellrechtliche Besichtigungsansprüche geschaffen, die im Wege der einstweiligen Verfügung durchzusetzen sind. Das folgt dem Weg des § 809 BGB, den der X. Zivilsenat des BGH bereits in der Entscheidung „Druckbalken“6 und der I. Zivilsenat in der Entscheidung „Faxkarte“7 beschritten hatten. Der Besichtigungsanspruch hat allerdings nur Hilfscharakter für die eigentliche Durchführung einer Augenscheinseinnahme und/oder Erhebung eines Sachverständigenbeweises.8 Entstanden ist ein Zwitter aus selbständigem Beweisverfahren und einstweiliger Verfügung, über dessen Rechtsnatur sich der nationale Gesetzgeber keine Rechenschaft abgelegt hat. Derartige Nachlässigkeiten wirken sich
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1 Berichtigte Fassung ABl. EU Nr. L 195 v. 2.6.2004 S. 16. 2 Dazu belg. Cour de Cass., GRUR Int. 2001, 73, 74 für ein ausländisches Hauptsacheverfahren. 3 Näher dazu Wieczorek/Schütze/Ahrens, ZPO, 3. Aufl., vor § 284 Rz. 16 ff. 4 Vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., vor § 284 Rz. 5. 5 BGBl. 2008 I S. 1191. 6 BGHZ 93, 191 = GRUR 1985, 512. 7 BGHZ 150, 377 = GRUR 2002, 1046. 8 Den Anspruch zutreffend als „Annex“ bezeichnend Grabinski in FS Schilling, 2007, S. 191, 197/198.
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Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland
typischerweise im Internationalen Privatrecht und im Internationalen Zivilprozessrecht aus, wenn rechtliche Qualifizierungen gefordert werden. 3. Unmittelbare Erzwingung der Beweiserhebung Das Bereitstellen eines materiell-rechtlichen Anspruchs zur Aufklärung eines Verletzungsverdachts hat im deutschen Recht Vorzüge gegenüber einer ausschließlich prozessualen Regelung im Rahmen der selbständigen Beweiserhebung nach § 485 Abs. 2 ZPO. Beweiserhebungsmaßnahmen, deren Durchführung auf die Mitwirkung des Beweisgegners angewiesen ist, werden im deutschen Recht normalerweise nicht zwangsweise durchgesetzt. Ihre Verweigerung wird statt derer bei der Beweiswürdigung als schuldhafte Beweisvereitelung zu Lasten des Beweisgegners berücksichtigt; eine Ausnahme bildet nur die direkte Erzwingung der Entnahme von Testmaterial für die Abstammungsuntersuchung (§ 372a Abs. 2 S. 2 ZPO, § 178 Abs. 2 S. 2 FamFG). Demgegenüber soll der Vollzug von Beweisermittlungsmaßnahmen nach Art. 7 RL auch gegen den Willen des Beweisgegners erzwungen werden. Wäre § 485 Abs. 2 ZPO lediglich um eine Beweisaufnahme durch Augenscheinseinnahme erweitert worden – der Sachverständigenbeweis ist dort geregelt –, wäre auf dieser Grundlage ohne weitere Eingriffe in das Regelungssystem des Beweisrechts kein unmittelbarer Zwang einsetzbar. Titulierte Duldungspflichten, die mit einem Anspruch auf Besichtigung einer Sache nach § 809 BGB verbunden sind, lassen sich systemrein nach §§ 890, 892 ZPO erzwingen; etwaigen Schuldnerwiderstand kann der Gerichtsvollzieher unter Heranziehung polizeilicher Hilfe (§ 758 Abs. 3 ZPO) brechen. 4. Beweiserhebung statt Anspruchstenorierung Die Beweisermittlung nach Art. 7 RL kann reiner Augenscheinsbeweis sein, der durch einen Augenscheinsmittler9 als Richtergehilfen erhoben wird. Darum könnte es sich handeln, wenn nur Fotos oder Videoaufnahmen des Beweisobjekts10 als Augenscheinssurrogate aufgenommen werden sollen. In der Mehrzahl der Fälle dürfte es sich jedoch um einen Sachverständigenbeweis handeln, bei dem der Sachverständige entweder nur Befundtatsachen11 erhebt, also Tatsachen deren Feststellung besondere Sachkunde verlangt, oder zusätzlich durch Vergleich mit den Merkmalen des Schutzrechts des Antragstellers eine Begutachtung12 durchführt. In jedem Falle dient die Duldung der Besichtigung nur dazu, dem Augenscheinsmittler oder dem Sachverständigen den Zugang zum Beweisgegenstand zu ermöglichen.13
__________ 9 10 11 12 13
Dazu Wieczorek/Schütze/Ahrens3, § 372 Rz. 3 f. und 11. Darauf hinweisend Grabinski in FS Schilling S. 191. Wieczorek/Schütze/Ahrens3, § 372 Rz. 5 f., § 371 Rz. 31. So etwa in OLG Düsseldorf InstGE 11, 298. Wieczorek/Schütze/Ahrens3, vor § 284 Rz. 23.
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Hans-Jürgen Ahrens
II. Das Problem grenzüberschreitender Beweisermittlung Wie angesichts dieser Vorgaben grenzüberschreitend Beweisermittlungen betrieben werden können, die den Anfangsverdacht einer Immaterialgüterrechtsverletzung erhärten sollen, ist eine ungeklärte Rechtsfrage.14 In Betracht kommen dafür sowohl der Vollzug einer Beweisanordnung des Erststaates im Belegenheitsstaat der verdächtigen Produktionsstätte oder des verdächtigen sonstigen Gegenstandes unter Inanspruchnahme der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung (EuBVO, VO [EG] Nr. 1206/2001 v. 28.5.200115) als auch der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Erststaat mit Vollstreckbarerklärung im Belegenheitsstaat, immer vorausgesetzt, der Antragsteller betreibt sein Verfahren nicht von vornherein unmittelbar und ausschließlich im Belegenheitsstaat des Beweisobjekts, gleichgültig wo später ein Verletzungsverfahren anhängig gemacht werden soll.
III. Einstweilige Maßnahmen im Gemeinschaftsrecht 1. Abgrenzungsbedarf, Abgrenzungskriterien So wie im deutschen Prozessrecht das selbständige Beweisverfahren gegenüber der Regelung der einstweiligen Verfügung abzugrenzen ist, müssen auch für das Gemeinschaftsprozessrecht die möglichen einstweiligen Maßnahmen in das bestehende Normengefüge eingeordnet werden. Das noch rudimentäre Gemeinschaftsprozessrecht umfasst neben der EuBVO u. a. die EuGVO (VO [EG] Nr. 44/2001). Sie regelt nicht den Inhalt und die Voraussetzungen einstweiliger Maßnahmen, sondern enthält nur eine Zuständigkeitsordnung und legt die Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung fest. Was eine einstweilige Maßnahme im Sinne der EuGVO ist, insbesondere ob sie auf Beweisermittlung gerichtet sein kann, ist somit der Klärung durch den EuGH überlassen. Die dogmatische Klärung der Zuordnung hat zu berücksichtigen, dass die Ziele der gemeinschaftsrechtlich einheitlichen internationalen Zuständigkeitsfestlegung in der EuGVO nicht durchkreuzt werden dürfen und die Notwendigkeit eines Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahrens mit den dort vorzubringenden Anerkennungshindernissen nicht missachtet wird. Das Hauptproblem liegt darin, ob gerichtliche Beweisanordnungen außerhalb eines anhängigen Hauptverfahrens16 überhaupt einer Vollstreckbarerklärung im Beweiserhebungsstaat (Belegenheitsstaat) auf der Grundlage der EuGVO zugänglich sind.
__________ 14 So auch der Bericht der Kommission an das Europäische Parlament zur Reform der VO (EG) Nr. 44/2001 vom 21.4.2009, KOM (2009) 174 endg. S. 9. 15 ABl. EU 2001 Nr. L 174 S. 1. 16 Rechtsvergleichender Überblick dazu bei Chr. Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht, 2007, S. 104.
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Internationale Beweishilfe bei Beweisermittlungen im Ausland
2. Bedeutung der internationalen Zuständigkeits- und Anerkennungsregelungen a) Hauptsachezuständigkeiten, nationale Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit für den Erlass einer einstweiligen Maßnahme richtet sich nach der Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren.17 Art. 31 EuGVO eröffnet wahlweise18 daneben die Möglichkeit, einstweilige Maßnahmen bei dem nach autonomem mitgliedstaatlichen Zivilprozessrecht zuständigen Gericht zu beantragen. Dafür kommen auch die exorbitanten Zuständigkeiten in Betracht, die im ausgewogenen System der Zuständigkeitsverteilung sonst ausgeschlossen sind (Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Anhang I EuGVO).19 Vorläufige Entscheidungen, die in einer derartigen nationalen Jurisdiktion ergehen, sind regelmäßig nicht in einem anderen Mitgliedsstaat anerkennungs- und vollstreckungsfähig,20 anders als einstweilige Maßnahmen, die in einem Hauptsachegerichtsstand erlassen worden sind.21 Zwischen dem Gegenstand der einstweiligen Maßnahme und dem Mitgliedsstaat des unter Ausnutzung des Art. 31 EuGVO angerufenen Gerichts muss eine reale Verknüpfung bestehen.22 Diese Voraussetzung ist zu bejahen, wenn in dem Gerichtsstaat die Vornahme rechtswidriger Handlungen zu unterdrücken ist;23 dasselbe hat für eine Besichtigung rechtsverletzender Gegenstände zu gelten. Dann wird freilich schon der regelmäßig mit Art. 8 ROM II-VO (Schutzlandanknüpfung) parallel laufende Art. 5 Nr. 3 EuGVO (Deliktsgerichtsstand) anwendbar sein, so dass es auf Art. 31 EuGVO und eine autonom festgelegte mitgliedstaatliche Zuständigkeit nicht ankommt.
__________ 17 EuGHE 1998, I-7122, 7130 Tz. 20 van Uden/Deco Line; 1999 I-2299, 2314 Tz. 40 – Mietz/Intership Yachting; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Art. 31 Rz. 10 und 12; Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2006, Art. 31 Brüssel I-VO Rz. 15 u. 18; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 3. Aufl., Wien 2009, Art. 31 Rz. 3. 18 Schulz, EuZP 2001, 805, 829; MünchKommZPO/Gottwald, 3. Aufl. 2008, Art. 31 EuGVO Rz. 5; Rauscher/Leible2, Art. 31 Brüssel I-VO Rz. 2; Czernich/Tiefenthaler/ Kodek3, Art. 31 Rz. 3. 19 EuGHE 1998, I-7122, 7134 Tz. 42 – van Uden/Deco Line; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl. 2010, A.1 Art. 31 Rz. 9; Kropholler8, Art. 31 Rz. 17; Rauscher/Leible2, Art. 31 Brüssel I-VO Rz. 2 u. 29; Schlosser, Europäisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2009, Art. 31 EuGVVO Rz. 3. Zur Lokalisierung einer international registrierten tschechischen Marke als in Österreich belegenes Vermögen im Sinne des Vermögensgerichtsstandes österr. OGH, ZfRV 2004, 34, 36 – OP. 20 Kropholler8, Art. 31 EuGVO Rz. 24; Ausnahmen anerkennend Rauscher/Leible2, Art. 31 Brüssel I-VO Rz. 38 und Art. 32 Rz. 13. 21 Kropholler8 Art. 31 Rz. 21 und Art. 32 Rz. 21; Rauscher/Leible2 Art. 32 Brüssel I-VO Rz. 11. 22 EuGH Slg. 1998 I-7122, 7135 Tz. 40 – van Uden/Deco Line; kritisch dazu Geimer/ Schütze3 A. 1 Art. 31 Rz. 11 ff. 23 Rauscher/Leible2 Art. 31 Brüssel I-VO Rz. 25; Heß/Vollkommer IPRax 1999, 220, 225 (mit Einschränkungen).
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b) Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit Augenmerk ist im Vollstreckungsstaat bei einer Vollstreckbarerklärung, also bei Anwendung des Art. 32 EuGVO, darauf zu legen, ob es sich bei der Entscheidung, die auf der Grundlage des Art. 31 EuGVO ergangen ist, nach Art und Inhalt wirklich um eine einstweilige Maßnahme handelt. Diese Prüfung soll verhindern, dass die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit ausgehöhlt werden,24 obwohl sonst deren richtige Anwendung im Erststaat überwiegend keiner nachlaufenden Anerkennungskontrolle unterliegt (vgl. Art. 35 Abs. 1 und 3 EuGVO). Ein gravierendes praktisches Hindernis für die Qualifizierung von Maßnahmen der Beweisaufnahme als einstweilige Maßnahme im Sinne der EuGVO ist die Rechtsprechung des EuGH, dass ex-parte-Entscheidungen, also Entscheidungen denen kein kontradiktorisches Verfahren vorausgegangen ist, in einem anderen Mitgliedsstaat nicht anzuerkennen sind.25 Nach Auffassung des IX. Zivilsenats des BGH ist die zum EuGVÜ ergangene Rechtsprechung des EuGH auch unter Geltung der EuGVO zu beachten.26 Da Beweisermittlungen vielfach nur effektiv sind, wenn sie überraschend durchgeführt werden, ist dieser Umstand bei der Einordnung mit zu bedenken. Wird einer grundsätzlich anerkennungsfähigen Eilentscheidung durch Abschlusserklärung die funktionale Wirkung einer Hauptsacheentscheidung zuerkannt, fällt das Anerkennungshindernis des Art. 34 Nr. 3 EuGVO weg.27 Der Abschlusserklärung ist dann gleichzeitig die Bedeutung beizumessen, dass auf die Rechte aus kollidierenden einstweiligen Maßnahmen anderer Jurisdiktio-
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24 EuGH Slg. 1999, I-2299, 2316 Tz. 47 – Mietz/Intership Yachting; Schulz ZEuP 2001, 805, 831 mit krit. Betrachtung der Folgen für die zeitliche Dauer des Vollstreckbarerklärungsverfahrens a. a. O. 834. 25 EuGH Slg. 1980 1553, 1569 Tz. 10, 13 – Denilauler/Couchet Frères (unter restriktiver Auslegung des Entscheidungsbegriffs i. S. d. Art. 25 EuGVÜ) = IPRax 1981, 95, 96 Tz. 17 f. m. Bspr. Hausmann IPRax 1981, 79 ff.; EuGH Slg. 1992, I-5674, 5679 Tz. 21 – Minalmet/Brandeis (zum Versäumnisurteil nach nicht ordnungsgemäßer Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks); inhaltlich aufgegriffen in EuGH, Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02 – Maersk Olie & Gas, Tz. 55 f. (betr. durch Beschluss errichteten Haftungsbeschränkungsfonds). Dazu Geimer/Schütze3 A. 1 Art. 31 Rz. 97 (Übertragung auf EuGVO verneinend), Art. 34 Rz. 107; Kropholler8 Art. 32 Rz. 22 f.; Rauscher/Leible2 Art. 31 Brüssel I-VO Rz. 36, Art. 32 Rz. 12a (Übertragung auf EuGVO verneinend), Art. 34 Rz. 26; Schlosser3 Art. 32 EuGVVO Rz. 6 (Nachholung der mündlichen Verhandlung entgegen § 924 ZPO auch auf Antrag des Antragstellers befürwortend); Pansch, Einstweilige Verfügung S. 47 f. (mit der Empfehlung, parallele einstweilige Verfügungen in den gewünschten Vollstreckungsstaaten zu beantragen, sofern es auf einen Überraschungseffekt ankommen sollte). 26 BGH, GRUR 2007, 813, 814 – Ausländischer Arrestbeschluss (unter Zurückweisung von Kritik des Schrifttums); krit. Anm. Mankowski EWiR Art. 32 EuGVO 1/07 S. 329. Zur daraus faktisch folgenden Anerkennungsunfähigkeit englischer freezing injunctions Chr. Heinze IPRax 2007, 343 ff.; ferner ders. RIW 2003, 922 ff. Diese Regelung soll mit einer Reform der VO (EG) Nr. 44/2001 geändert werden; Vorschlage dazu bei Hess/Pfeiffer/Schlosser Report on the Application of Regulation Brussels I in the Member States Rz. 780 ff. und Dickinson IPRax 2010, 203, 208 ff. 27 Im Ergebnis ebenso Pansch Einstweilige Verfügung S. 78; verneinend Geimer/ Schütze3 A. 1 Art. 31 Rz. 100.
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nen verzichtet wird. Im Einzelfall kann freilich auch eine Streitbeilegung nur für eine einzelne Jurisdiktion gewollt sein, wenn sich ein Hauptsachetitel nur auf Regelungen in diesem Staat beziehen würde. c) Konkurrierende einstweilige Maßnahmen Auch wenn eine einstweilige Maßnahme in einem anderen Staat anerkannt werden kann, ist dadurch ein dortiger paralleler Neuerlass einer weiteren einstweiligen Maßnahme mit entsprechend begrenzter territorialer Reichweite nicht ausgeschlossen.28 Entscheidend ist dafür der Zeitvorteil, den ein paralleles Vorgehen in mehreren Jurisdiktionen bietet. Seine Beachtung ist Leitlinie der Anspruchssicherung. Die Rechtshängigkeitssperre des Art. 27 EuGVO ist auf einstweilige Maßnahmen untereinander nicht anwendbar.29 Konsequenz kann bei divergierenden einstweiligen Maßnahmen die Nichtanerkennung gem. Art. 34 Nr. 3 EuGVO wegen Unvereinbarkeit mit einer inländischen Entscheidung sein.30 Wenn ein Hauptsacheverfahren in einem Mitgliedsstaat bereits anhängig ist, darf gleichwohl in einem anderen Mitgliedsstaat eine einstweilige Maßnahme auf der Grundlage des Zuständigkeitskatalogs der Art. 2 ff. EuGVO erlassen werden;31 somit kommt es auf Art. 31 EuGVO nicht an.32 Art. 31 EuGVO kann aber herangezogen werden.33 Dem steht die Rechtshängigkeitssperre des Art. 27 Abs. 1 EuGVO, die divergierende Entscheidungen in zwei Mitgliedsstaaten und damit die Erzeugung eines Anerkennungshindernisses i. S. d. Art. 34 Nr. 3 EuGVO vermeiden will, nicht entgegen; einstweilige Maßnahmen sind abhängige Entscheidungen, die die Anerkennung eines ausländischen Hauptsacheurteils nicht blockieren können.34
IV. Stand der EuGH-Rechtsprechung 1. „St. Paul Dairy Industries“ Umstritten ist, ob grenzüberschreitend zur Durchsetzung einer Beweisermittlungsanordnung die EuBVO einzusetzen ist. Eine Entscheidung des EuGH zu
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28 A. A. Pansch, Die einstweilige Verfügung zum Schutze des geistigen Eigentums im grenzüberschreitenden Verkehr, 2003, S. 72. 29 Geimer/Schütze3 A. 1 Art. 27 Rz. 47, Art. 31 Rz. 60; Kropholler8 Art. 27 Rz. 14; MünchKommZPO/Gottwald3 Art. 31 EuGVO Rz. 4; Rauscher/Leible2 Art. 27 Brüssel I-VO Rz. 13; Czernich/Tiefenthaler/Kodek3 Art. 27 Rz. 13; a. A. Pansch, Einstweilige Verfügung S. 72. 30 EuGH Slg. 2002 I-4995, 5026 Rz. 47 – Italian Leather/WECO = NJW 2002, 2087; dazu Pansch Einstweilige Verfügung S. 75 ff. 31 Geimer/Schütze3 A. 1 Art. 31 Rz. 3 und 9; Rauscher/Leible2 Art. 31 Brüssel I-VO Rz. 17; einschränkend (nur noch ergänzende Maßnahmen) Kropholler8 Art. 31 EuGVO Rz. 11; Pansch Einstweilige Verfügung S. 69. 32 EuGH Slg. 1999 I-2299, 2314 Tz. 40 – Mietz/Intership Yachting. 33 EuGH Slg. 1998 I-7122, 7133 Tz. 34 – van Uden/Deco Line. 34 LG Hamburg, GRUR Int. 2002, 1025, 1027 – Seifenverpackung; in der Sache ebenso österr. OGH, GRUR Int. 2002, 936, 937 – Universal-Stein.
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diesem Problem ist noch nicht ergangen, doch deutet die – wenig differenzierende – Entscheidung in der Rechtssache St. Paul Dairy Industries35 auf eine Anwendung der EuBVO hin. Sie betraf eine vorgezogene Zeugenvernehmung nach niederländischem Recht zur Abschätzung künftiger Prozessaussichten für einen gegebenenfalls in Belgien zu führenden Prozess; der EuGH hat diese Beweiserhebung aus dem Kreis einstweiliger Maßnahmen im Sinne der Zuständigkeitsregel des Art. 31 EuGVO ausgegrenzt, um die Zahl internationaler Zuständigkeiten nicht zu vermehren und den Anwendungsbereich der EuBVO nicht auszuhöhlen.36 2. „Tomasoni Fittings“ Diese Einordnung wird durch ein abgebrochenes weiteres Vorlageverfahren37 unterstützt, das seinen Ausgang in Italien nahm. Aufgrund der Artt. 128, 130 Codice della Proprietà Industriale, die in Italien den Art. 7 RL umsetzen, traf ein italienisches Gericht die Beweisermittlungsanordnung, eine Beschreibung (descrizione) des Verletzungsgegenstandes durch einen Gerichtsvollzieher, unterstützt durch einen Sachverständigen, vorzunehmen. Sie sollte im Jahre 2005 gestützt auf die EuBVO in England stattfinden. Weil dort der Senior Master die Rechtshilfegewährung ablehnte, legte das italienische Gericht dem EuGH die Rechtsfrage vor, ob die erbetene Maßnahme nach der EuBVO zu beurteilen ist. Über sie wurde wegen anderweitiger Erledigung des Ausgangsrechtsstreits nicht entschieden. Der Schlussantrag der Generalanwältin Kokott v. 18.7.2007 war zuvor noch gestellt worden. Er kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Anordnung des italienischen Gerichts um eine unter die EuBVO fallende Beweisaufnahme handelte. 3. Bewertungen im Schrifttum Die Entscheidung „St. Paul Dairy Industries“ ist kritisch aufgenommen worden.38 Sie hat die Frage unbeantwortet gelassen, ob jegliche Informationsbeschaffungsmaßnahme, die im Vorfeld eines eventuellen Prozesses stattfindet, als Beweiserhebung zu qualifizieren ist, auch wenn sie nach nationalem Systemverständnis Gegenstand eines präparatorischen materiell-rechtlichen Hilfsanspruchs ist. Gegen die Anwendung der EuBVO ist zudem eingewandt worden, sie sei für Beweisbeschaffungen nach Art. 7 RL zu schwerfällig und es könne an einem „zu eröffnenden“ Verfahren im Sinne des Art. 1 Abs. 2 EuBVO fehlen.39 Die dargestellten Einwände überzeugen allerdings nicht.
__________ 35 EuGH, 28.4.2005 – Rs. C-104/03, IPRax 2007, 208 m. Bespr. Hess/Zhou IPRax 2007, 183 ff. 36 EuGH a. a. O. Tz. 20 und 23. 37 EuGH, Rs. C-175/06. 38 Dazu Hess EuZPR § 8 Rz. 86 f. Für auf Art. 7 RL 2004/48/EG unübertragbar hält sie Grabinski FS Schilling S. 191, 195; „allein sachgerecht“ sei Art. 31 EuGVO. 39 Hess/Zhou IPRax 2007, 183, 188 f.; kritisch auch Knöfel EuZW 2008, 267, 268.
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Zustimmung hat das Entscheidungsergebnis z. T. deshalb gefunden, weil die vorgezogene niederländische Zeugenvernehmung ebenso wie das deutsche selbständige Beweisverfahren der §§ 485 ff. ZPO keine anerkennungsfähige Entscheidung hervorbringt.40 Dies deckt sich mit Stimmen, die sich generell gegen eine Qualifizierung beweissichernder oder beweisvorbereitender Anordnungen als Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO aussprechen,41 oder die die Vollstreckbarerklärung nach Art. 33 ff. EuGVO verneinen und statt derer auf die Rechtshilfegewährung nach dem HBÜ oder der EuBVO verweisen.42 Damit ist freilich noch nicht viel gewonnen, weil dann doch wieder zusprechende Entscheidungen über bestimmte Ansprüche auf Informationsbeschaffung als anerkennungsbedürftige Sachentscheidungen qualifiziert werden.43
V. Lösungen 1. Autonome Qualifikation Die rechtstechnische Form einer gerichtlichen Informationsanordnung im nationalen Recht ist grundsätzlich belanglos, weil das Gemeinschaftsrecht autonom auszulegen ist.44 Dafür ist es gleichgültig, ob das in der Sache anwendbare materielle Recht (die lex causae) – wie nach §§ 142, 144 ZPO – mit prozessualen Vorlegungsverpflichtungen operiert oder ob man sich statt dessen – wie das deutsche Recht – der rechtstechnischen Konstruktion bedient, zusätzlich einen materiell-rechtlichen Besichtigungsanspruch (wie nach § 809 BGB mit Vollstreckung nach § 892 ZPO) einzusetzen. Rechtshilfe ist so zu gewähren, dass der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verwirklicht wird.45 Auch wenn die rechtstechnischen Wege funktional vergleichbar sind, zwingt dies nicht zu einer Einheitslösung.46 Die Differenzierung darf allerdings nicht zu einer Aufgliederung einer mehrteiligen Beweisermittlung nach Besichtigungsanspruch, Duldungsverfügung, Augenscheinseinnahme und Sachverständigenbegutachtung führen.47 Es handelt sich immer nur um Augenscheins-
__________ 40 Rauscher/Leible2 Art. 31 Brüssel I-VO Rz. 13; Rauscher/v. Hein2 Art. 1 EG-BewVO Rz. 51; ebenso schon vor der Entscheidung des EuGH Stadler, Festschrift Geimer (2002), S. 1281, 1303; Musielak/Stadler, ZPO, 7. Aufl., Art. 31 EuGVO Rz. 2. 41 Geimer/Schütze3 A. 1 Art. 2 Rz. 92, Art. 31 Rz. 32 f., Art. 32 Rz. 39; MünchkommZPO/Gottwald3 Art. 31 EuGVO Rz. 2; a. A. Chr. Heinze Einstweiliger Rechtsschutz S. 112 ff. 42 Coester-Waltjen FS Schlosser (2006) S. 147, 150 f. 43 So Coester-Waltjen FS Schlosser S. 151 gerade für die Anton Piller Order, die ein Vorbild des Art. 7 RL 2004/48/EG war. 44 So Schlosser, Festschrift W. Lorenz (1991) S. 497, 505, 509. 45 Zur rechtshilfefreundlichen Auslegung der EuBVO Schlussantrag der Generalanwältin in der Rs. C-175/06 – Tomasoni Fittings Tz. 111; s. ferner Niehr, Die zivilprozessuale Dokumentenvorlegung S. 181 f. 46 A. A. Chr. Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz S. 106. 47 Dazu der – als arg. ad absurdum gemeinte? – Hinweis von Chr. Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz S. 107, der jedoch S. 110 seinerseits für die Lösung des Anwendungsproblems danach differenziert, ob der grenzüberschreitende Sicherungszugriff mit oder ohne Sachverständigengutachten erfolgt.
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oder Sachverständigenbeweis (s. oben I 2). Davon zu unterscheiden sind Auskunftsverlangen, die auch Gegenstand eines Hauptsacheverfahrens sein und dort tenoriert werden könnten. Die differenzierende Beurteilung hat der nationalen Regelungsdiversität der Beweisermittlungsmaßnahmen Rechnung zu tragen (dazu unten VI).48 2. Das Zuständigkeitsproblem a) Bezug zum Hauptverfahren Präparatorische Beweisermittlungen gegen den vermeintlichen Verletzer werden typischerweise im Hinblick auf ein geplantes Hauptverfahren eingeleitet, wenn ein Anfangsverdacht besteht; die Verdachtswahrscheinlichkeit ist dem anordnenden Gericht nachzuweisen. Mit der Maßnahme soll der Verdacht erhärtet werden, um mittels der gewonnenen Informationen die Substantiierung des Sachvortrags in einem künftigen Hauptsacheverfahren des Verletzten, gerichtet auf Unterlassung und/oder Schadensersatz, sowie die Beweisführung zu ermöglichen. Dass ein für den Antragsteller negativer Ausgang der Ermittlungen vernünftigerweise zum Abbruch der Verfolgung führen wird, steht dem Bezug der zuvor eingeleiteten Maßnahmen auf ein künftiges Hauptverfahren nicht entgegen. b) Zuständigkeitsrechtliche Wertungen der EuBVO Aus der Sicht der EuBVO ist die Zuständigkeit des beweiserhebenden Gerichts ohne Bedeutung. Rechtshilfe ist auch dann zu gewähren, wenn das Rechtshilfegericht das Prozessgericht nicht für international zuständig halten sollte; es hat die Zuständigkeit überhaupt nicht zu prüfen. Kein Argument gegen die Anwendung der EuBVO ist aus dem Charakter der Beweisanordnung als ex-parte-Beschluss zu gewinnen.49 Solche Beschlüsse sind nicht auf den Staat des Belegenheitsortes beschränkt. c) Zuständigkeitsregelungen der EuGVO aa) Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen, Sicherung der Beweisunmittelbarkeit Aus der Sicht der EuGVO besteht die Hauptaufgabe der Zuständigkeitszuweisung darin, zu verhindern dass einander widersprechende Entscheidungen ergehen, aus denen ein Anerkennungshindernis nach Art. 34 Nr. 3 EuGVO erwächst. Dieses Problem stellt sich bei einstweiligen Maßnahmen jedoch nicht (oben III 2 c). Die Ordnung der Zuständigkeit für den Erlass von Beweisanordnungen, die außerhalb eines Hauptsacheverfahrens und zeitlich vor dessen
__________ 48 In Übereinstimmung mit Hess EuZPR § 8 Rz. 91; Hess/Zhou IPRax 2007, 183, 189; Rauscher/v. Hein2 Art. 1 EG-BewVO Rz. 51. 49 So aber Chr. Heinze Einstweiliger Rechtsschutz S. 108.
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Einleitung ergehen, hat ein anderes Problem zu bewältigen. Es geht um die Durchsetzung des innerprozessualen Prinzips der formellen Beweisunmittelbarkeit50 (§ 355 ZPO). Beweise sollen soweit wie möglich vom Prozessgericht erhoben werden, und zwar auch bei vorgezogenen Beweiserhebungen. Für das Gemeinschaftsrecht ist diese Wertung belanglos, auch wenn das international zuständige Hauptsachegericht (Prozessgericht) nach dem Katalog der Art. 2 ff. EuGVO zu ermitteln ist. bb) Beweisanordnungen am Gerichtsstand des Deliktsortes Die Definition der einstweiligen Maßnahme hat im Rahmen der EuGVO nur kompetenzrechtliche Bedeutung für die Abgrenzung des Art. 31 EuGVO von der Zuständigkeitsordnung der Art. 2 ff. EuGVO für das Hauptsacheverfahren.51 Sie ist obsolet, wenn der Belegenheitsstaat des Beweisobjektes eine internationale Zuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVO besitzt. Das kann für Beweisermittlungen deshalb in Betracht kommen, weil die Verletzung eines Rechts des Geistigen Eigentums im deliktischen Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVO ausgeklagt werden kann. Der Verletzte kann also eine Wahlmöglichkeit unter verschiedenen Hauptsachezuständigkeiten haben. Grenzüberschreitende Beweisermittlung in Anwendung der EuBVO bedeutet deshalb nicht, dass der primäre Zugriff im Staat des Beweismittel-Belegenheitsortes unter Inanspruchnahme eines gerichtlichen Verfahrens dieses Staates ausgeschlossen ist.52 Entgegen der Ansicht der Generalanwältin in der Rechtssache „Tomasoni Fittings“53 wird dies durch die Entscheidung „St. Paul Dairy Industries“ nicht ausgeschlossen; Art. 31 EuGVO muss gar nicht bemüht werden. Der in mehreren EG-Staaten deliktisch Verletzte wird vielleicht seinen unter den Wahlgerichtsständen befindlichen Wohnsitzstaat bevorzugen. Ihm stehen dann sowohl das primäre Vorgehen im Belegenheitsstaat zur Verfügung, als auch der Weg über eine Rechtshilfebeweisaufnahme, ausgehend vom Staat des von ihm gewünschten künftigen Prozessgerichts. Die Möglichkeit der Verfahrenseinleitung im Staat des künftigen Prozessgerichts unter Inanspruchnahme von Rechtshilfe hat Vorteile, wenn – wie im Fall Tedesco/Tomasoni Fittings – Beweisermittlungen in mehreren Staaten stattzufinden haben, die vom Staat des künftigen Wahlprozessgerichts aus gesteuert werden sollen. Für den Verletzten kann es auch eine Erleichterung be-
__________ 50 Dazu Wieczorek/Schütze/Ahrens3 § 355 Rz. 9, 11, 20 ff., 54, § 363 Rz. 44 f. 51 So zutreffend Geimer/Schütze3 A. 1 Art. 31 Rz. 37. 52 Rauscher/v. Hein2 Art. 1 EG-BewVO Rz. 54; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl., § 15 Rz. 73; Stadler, Festschrift Geimer S. 1281, 1303. So auch der Standpunkt der irischen und der britischen Regierung in der Rs. Tomasoni Fittings, allerdings abweichend vom obigen Standpunkt gestützt auf Art. 31 EuGVO, vgl. Schlussantrag der Generalanwältin Tz. 88. Möglicherweise inzident a. A. Hess/ Zhou IPRax 2007, 183, 189 bei der Bewertung eines Vorgehens unter Anwendung des Art. 31 EuGVO als schneller, einfacher und effizienter; dem folgend Chr. Heinze S. 108. Zutreffend eine Exklusivität der EuBVO verneinend Hess EuZPR § 8 Rz. 89. 53 Schlussantrag Tz. 93. Ebenso ohne Begründung Heinze IPRax 2008, 480, 483 (bei Fn. 46).
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deuten, die Rechtshilfe unter Einschaltung der Gerichte seines Wohnsitzstaates in Anspruch nehmen zu dürfen, wenn der primäre Zugriff auf das Verdachtsmaterial in einem anderen EU-Staat auf Schwierigkeiten der Selbstinformation über ein unvertrautes fremdes Beweisrecht und der Beauftragung geeigneter Rechtsberater stößt. Sehr unterschiedlich können zudem die Geheimhaltungsvorschriften ausgestaltet sein, die bis zur Verdachtsklärung gelten. cc) Internationale Beweisermittlungszuständigkeit nach nationalem Prozessrecht Die Anwendung des Art. 31 EuGVO kann allerdings ebenfalls in Betracht kommen. Sie bedeutet eine Eröffnung nationaler Gerichtsstände. Ob auf sie zugegriffen werden kann, ist nur für den Antragsteller bedeutsam. Er ist bei vorgezogenen Beweisaufnahmen daran interessiert, das Beweisergebnis im Hauptprozess verwerten zu können. Das beantwortet aber die lex fori des späteren Hauptsachegerichts und richtet sich dort nach der Strenge, mit der der Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit durchgeführt wird. Das Gemeinschaftsrecht geht diese Problematik nichts an. Allerdings muss, wenn für den Erlass einer Beweisermittlung eine Zuständigkeit außerhalb der Hauptsachezuständigkeiten in Anspruch genommen werden soll, die nationale Rechtsordnung des angerufenen Gerichts dafür eine internationale Zuständigkeit bereitstellen. Dazu schweigt sich das deutsche Recht aus, weil der Gesetzgeber das Problem offenbar nicht gesehen hat. Zu helfen ist mit einer doppelten Analogie zu § 486 Abs. 3 ZPO. Diese Norm muss als Regelung der örtlichen Zuständigkeit nach überkommenem Argumentationsmuster auf die internationale Zuständigkeit erstreckt werden. Das gilt schon für normale selbständige Beweisverfahren.54 Dafür muss eine reale Verknüpfung mit dem Belegenheitsort des Beweisgegenstandes gegeben sein. Analog anzuwenden ist die Norm aber auch deshalb, weil der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung des Art. 7 RL die Zwitterstellung der Beweisermittlung nicht erkannt hat; sie steht zwischen selbständigem Beweisverfahren und einstweiliger Verfügung (oben I 2). Ob dann nicht außerdem die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts durch die ausschließliche Zuständigkeit des Verletzungsrichters am Landgericht (vgl. nur § 143 Abs. 1 PatG) zu ersetzen ist, soll hier dahingestellt bleiben. Der Anwendung des nationalen Zuständigkeitsrechts kann nicht entgegengehalten werden, dass der gemeinschaftsrechtlichen Justizpolitik zuwider eine Zersplitterung gerade bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht (Art. 7 RL) eintrete.55 Das ist eine Folge der Wahl des Instruments der Richtlinie, die nur die Ziele der Gesetzgebung vereinheitlicht, für das Prozessrecht aber gerade keine Vorgabe gemacht hat.
__________ 54 So bereits Ahrens FS Schütze (1999) S. 1, 10; zustimmend Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 486 Rz. 25. 55 So aber Heinze IPRax 2008, 480, 483.
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3. Anerkennungshindernisse, Beweiserhebungshindernisse Der Vollzug von Beweisermittlungsmaßnahmen nach Art. 7 RL muss auch gegen den Willen des Beweisgegners erzwungen werden. Bei ihnen dürfte im Rahmen einer autonomen Auslegung des Gemeinschaftsrechts maßgebend sein, dass es sich um bloße Zwischenentscheidungen handelt, denen je nach Ausgestaltung der nationalen Umsetzungsentscheidung kein tenorierter materiell-rechtlicher Anspruch zugrunde liegen braucht. Die Anwendung der EuBVO statt der EuGVO bedeutet nicht, dass damit Anerkennungshindernisse der EuGVO umgangen werden. Die Hindernisse des Art. 34 EuGVO (ordre public-Verstoß, verteidigungsbehindernde verspätete Klagezustellung, Entscheidungsunvereinbarkeiten) sind für Beweisermittlungen irrelevant. Von praktischer Bedeutung ist hingegen der Schutz durch Beweiserhebungshindernisse, für den bei nationaler Divergenz der Regelungen das Meistbegünstigungsprinzip gilt56, nach der Rechtsordnung des Belegenheitsstaates des Beweismittels (Art. 14 Abs. 1 lit. a EuBVO). Dazu zählen auch Geheimhaltungsbelange, die durch Verfahrensgestaltung beachtet werden können, und etwaige Rechte zur Mitwirkungsverweigerung. Diese Begrenzungen dürfen durch ein Ausweichen auf die insoweit regelungslose EuGVO nicht umgangen werden.
VI. Internationale Beweishilfe und materiell-rechtliche Ansprüche Zu fordern ist eine differenzierende Beurteilung, die der nationalen Regelungsdiversität der Beweisermittlungsmaßnahmen Rechnung trägt.57 Keine von der EuBVO erfasste Maßnahme ist die Durchsetzung eines titulierten materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs, selbst wenn mit Hilfe der Auskünfte ein Hauptprozess vorbereitet werden soll. Eine dazu ergangene Entscheidung verlangt eine ausländische Vollstreckbarerklärung bzw. ein Vollstreckungsurteil nach den dafür vorgesehenen Regelungen. Für die Durchsetzung ist im Rechtsverkehr zwischen den EU-Staaten die EuGVO heranzuziehen.58 Dies gilt auch dann, wenn das Auskunftsbegehren ausnahmsweise unter Vorwegnahme des Hauptsacheergebnisses im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes tituliert worden ist. Dann geht es nicht um eine zeitlich vorgezogene Beweisaufnahme, sondern um die einstweilige Sicherung eines Anspruchs, der – im Hauptsacheverfahren tenoriert – der Anerkennung nach der EuGVO unterliegen würde.
__________ 56 Rauscher/v. Hein2 Art. 14 EG-BewVO Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Ahrens3 § 363 Rz. 24, 63. 57 In Übereinstimmung mit Hess EuZPR § 8 Rz. 91; Hess/Zhou IPRax 2007, 183, 189; Musielak/Stadler7 Art. 31 EuGVO Rz. 2; Rauscher/v. Hein2 Art. 1 EG-BewVO Rz. 51. 58 Ebenso Rauscher/v. Hein2 Art. 1 EG-BewVO Rz. 51, der aber weitergehend und damit im Hinblick auf Art. 7 RL 2004/48/EG unklar von Ansprüchen spricht, „die funktional auf die Sicherstellung von Informationsquellen gerichtet sind“.
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Klaus Bepler
„Fliegende Gerichtsstände“ Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der arbeitskampfrechtliche Anlass der Themenwahl 1. Der Arbeitskampf der Lokführer 2007 vor Gericht 2. Die Rechtslage im arbeitsgerichtlichen Verfahren III. Die Rechtslage im Gewerblichen Rechtsschutz und verwandten Rechtsgebieten IV. Die Diskussion der bestehenden Rechtslage und Reformvorschläge
1. Die Situation im Gewerblichen Rechtsschutz 2. Vorschläge und Überlegungen im Arbeitskampfrecht a) Der Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins b) Vorarbeiten für einen Vorschlag aus den Reihen der Richterschaft V. Vergleichende Bewertung des Diskussionsstandes VI. Schluss
I. Einleitung Wenn man sich an der juristischen Festschrift zu Ehren eines langjährigen Freundes beteiligt, mit dem man sehr viel Mehr und Wichtigeres erlebt hat, als Teile der Referendarzeit, ein juristisches Staatsexamen und Zeiten als wissenschaftlicher Assistent, soll dies irgendwie auch die besondere persönliche Verbundenheit mit zum Ausdruck bringen. Da trifft es sich gut, dass aktuelle Diskussionen einen Themenbereich nahegelegt haben, der in den beiden Rechtsgebieten, denen Michael Loschelder und ich ganz wesentliche Teile unserer Arbeitskraft und unserer Arbeitsfreude gewidmet haben, derzeit relativ intensiv behandelt wird. Hinzu kommt, dass das gewählte Thema des „fliegenden Gerichtsstandes“ mich auch persönlich berührt. Denn dies dürfte das erste verfahrensrechtliche Thema gewesen sein, dessen praktische Bedeutung mir am häuslichen Mittagstisch erläutert wurde: Mein Vater Hans Bepler war praktisch während seines gesamten Richterlebens sehr engagiert im Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht tätig, zuletzt als Vorsitzender des für diese Materien zuständigen 6. Senats des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main. Er erzählte mir irgendwann in meinem fünften oder sechsten Studiensemester beim Mittagessen von einem Rechtsstreit zwischen zwei Parteien, bei denen ich beim besten Willen keinen Bezug zu Frankfurt am Main feststellen konnte. Auf meine Nachfrage erläuterte er mir dann, dass die klagende Partei bei dem hier behandelten Streitgegenstand in der Sache die – relativ – freie Wahl habe, bei welchem Gericht sie ihr Rechtschutzziel verfolge. Es reiche für die Zuständigkeit der hessischen Zivilgerichtsbarkeit für den Rechtsstreit zweier nordrhein-westfäli15
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scher Unternehmen aus, dass die Druckschrift, in der eine angeblich unlautere Werbung enthalten sei, planmäßig auch in Frankfurt vertrieben worden sei und auch weiterhin vertrieben werde. Ich erinnere mich, dass es meinen Vater mit einem gewissen Stolz erfüllte, dass die klagende Partei „seinen“ Senat ausgewählt hatte, und dass er mir dies damals damit erklärte, in Frankfurt würden zur effektiven Durchsetzung von Unterlassungsverpflichtungen Ordnungsgelder angedroht, die anders als an anderen Gerichten deutlich über das hinaus gingen, was in Relation zu Richtergehältern „viel Geld“ sei.
II. Der arbeitskampfrechtliche Anlass der Themenwahl 1. Der Arbeitskampf der Lokführer 2007 vor Gericht Um die besonderen Formen der gerichtlichen Auseinandersetzungen um den Streik der Lokomotivführer im Jahre 2007, in dem unser Thema eine Rolle spielte, besser verständlich zu machen, muss man etwas weiter ausholen: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), mit mehr als 140 Jahren wohl älteste deutsche Gewerkschaft, gehört nicht dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) an, sondern ist Mitglied des Deutschen Beamtenbundes.1 Sie hatte aber über Jahre in einer Tarifgemeinschaft mit der DGB-Gewerkschaft Transnet (früher: Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands [GdED]) und der ebenfalls mit dem Deutschen Beamtenbund2 verbundenen Verkehrsgewerkschaft GDBA Tarifverträge mit der Deutschen Bahn und deren Konzernunternehmen abgeschlossen. Aus dieser Tarifgemeinschaft schied die GDL im Juli 2002 „wegen unvereinbarer tarifpolitischer Ziele“ aus und bemüht sich seither mit deutlich steigendem Erfolg, eigenständige Tarifverträge mit der Deutschen Bahn und deren Töchtern abzuschließen. Um solche Tarifverträge durchzusetzen, kam es erstmals im Frühjahr 2003 zu von der GDL ausgerufenen Streiks, die die Deutsche Bahn im Wege der einstweiligen Verfügung untersagen lassen wollte. Sie berief sich hierfür auf den von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsatz der Tarifeinheit. Nach diesem Grundsatz soll in einem Betrieb für dieselbe Art von Arbeitsverhältnissen immer nur ein Tarifvertrag oder Tarifwerk gelten können; dies auch dann, wenn die einen Arbeitnehmer nur bei der einen Gewerkschaft organisiert sind, mit der ihr Arbeitgeber einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, während die anderen Arbeitnehmer Mitglieder
__________ 1 Diese Verbindung weist auf eine strukturelle Besonderheit der GDL hin, die auch einen Teil der Konflikte erklärt: Lokführer waren bei der Deutschen Bundesbahn in der alten Bundesrepublik bis Ende der achtziger Jahre Beamte. Sie durften und dürfen nicht streiken. Nach der Wende, noch vor der Vereinigung, gründete sich in der DDR eine GDL-Ost, die dort sofort einen hohen Organisationsgrad erreichte und sich im Januar 1991 mit der GDL (West) vereinigte. Die aus Ostdeutschland stammenden angestellten Lokführer und die in der Bundesrepublik nach 1991 neu als Angestellte eingestellten Lokführer haben das Recht, sich an einem von ihrer Gewerkschaft ausgerufenen Arbeitskampf zu beteiligen. 2 Genauer: der dbb-Tarifunion.
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einer anderen Gewerkschaft sind, die ebenfalls mit dem Arbeitgeber oder seinem Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag mit identischem oder sich im Wesentlichen überschneidenden Geltungsbereich abgeschlossen hat. Welcher Tarifvertrag oder welches Tarifwerk sich in einem solchen Fall der Tarifpluralität durchsetzt, soll danach entschieden werden, welches Regelwerk dem Betrieb angemessener, also spezieller, sei. Für die an den verdrängten Tarifvertrag Gebundenen sollte danach kein Tarifvertrag unmittelbar und zwingend gelten.3 Auf diese Rechtsprechung stützte sich die Deutsche Bahn im Jahre 2003 und meinte, ein Streik sei von vornherein unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig, wenn er sich auf den Abschluss eines Tarifvertrages richte, der im Ergebnis aufgrund einer Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit nicht anzuwenden sei. So verhalte es sich aber bei einem von der GDL nur für das Fahrpersonal angestrebten Tarifvertrag. Denn dieser würde von dem bereits existierenden Tarifvertrag, den sie mit Transnet und GDBA für alle ihre Bediensteten abgeschlossen habe, in jedem Fall verdrängt werden. Da die Zentrale der GDL ihren Sitz in Frankfurt am Main hat, wurde ein Antrag, der GDL die beabsichtigten Kampfmaßnahmen zu untersagen, beim dortigen Arbeitsgericht eingebracht. Die u. a. für Fragen des Koalitions- und Arbeitskampfrechts speziell zuständige Siebte Kammer des Hessischen Landesarbeitsgerichts wies den Antrag am 3. Mai 2003 zweit- und letztinstanzlich (§ 72 Abs. 4 ArbGG4) zurück.5 Sie ließ deutliche Vorbehalte gegenüber dem Grundsatz der Tarifeinheit erkennen,6 dessen Richtigkeit aber letztlich dahin stehen. Es gebe keine Möglichkeit, einen noch gar nicht abgeschlossenen Tarifvertrag darauf hin zu untersuchen, ob er von einem anderen, spezielleren Tarifvertrag verdrängt werde; unter diesem Gesichtspunkt könne deshalb ein verhandlungsbegleitender Arbeitskampf um einen noch endgültig zu gestaltenden Tarifvertrag nicht untersagt werden. Dem stehe auch entgegen, dass das gewerkschaftliche Betätigungsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG in diesem zentralen Bereich nicht allein mit dem Hinweis beseitigt werden könne, eine andere
__________ 3 Zu dieser Rechtsprechung etwa BAG 29. März 1957 – 1 AZR 208/55 – BAGE 4, 37, 40; 14. Juni 1989 – 4 AZR 200/89 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 2; 5. September 1990 – 4 AZR 59/90 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 19; 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330. 4 Entspricht § 542 Abs. 2 ZPO. 5 Hessisches Landesarbeitsgericht 2. Mai 2003 – 9 SaGa 638/03 – BB 2003, 1229. 6 Weiter gehend jetzt der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts, der in seinen Anfragebeschlüssen vom 27. Januar 2010 – 4 AZR 537/0 (A) – und – 4 AZR 549/08 (A) – [NZA 2010, 645] im Hinblick auf die Unvereinbarkeit des Grundsatzes der Tarifeinheit mit §§ 3 und 4 Abs. 1 TVG und Art. 9 Abs. 3 GG zunächst angekündigt hat, für Inhaltsnormen von Tarifverträgen zur Gesetzeslage zurückkehren zu wollen, und wegen einer dann eintretenden Divergenz zur bisherigen Rechtsprechung des Zehnten Senats nach § 45 Abs. 3 ArbGG angefragt hat, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhalten will. Nachdem sich der Zehnte Senat der beabsichtigten Rechtsprechung des Vierten Senats durch Beschluss vom 23. Juni 2010 angeschlossen hatte, hat der Vierte Senat seine Rechtsprechungsabsicht durch die Urteile vom 7. Juli 2010 (– 4 AZR 537/0 – und – 4 AZR 549/08 –) umgesetzt.
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Gewerkschaft habe sich bereits koalitionsgemäß betätigt und einen Tarifvertrag abgeschlossen – oder werde dies demnächst tun.7 Vor diesem Hintergrund begann im Jahre 2007 eine neue Tarifauseinandersetzung zwischen GDL und Deutscher Bahn, in der die Gewerkschaft schon bald mit Arbeitsniederlegungen der Lokführer drohte, die sich naturgemäß in ganz Deutschland auswirken würden. Sie sollten den Abschluss eines Tarifvertrages unterstützen, der im gesamten Bundesgebiet gelten würde. Auch diesen Arbeitskampf hielt die Deutsche Bahn für unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig. Neben dem Hinweis auf die Gemeinwohlschädlichkeit eines Streiks insbesondere im Personennah- und -fernverkehr wiederholte sie zur Stützung ihres Unterlassungsantrags dabei erneut die geschilderte, auf den Grundsatz der Tarifeinheit gestützte Argumentation. Da sie sich dafür nach dem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts aus dem Jahre 2003 vor den hessischen Arbeitsgerichten keinen Erfolg versprach, machte die Deutsche Bahn AG zusammen mit Tochterunternehmen und dem sie vertretenden Arbeitgeberverband vor mehreren, über ganz Deutschland verstreuten Arbeitsgerichten Hauptsacheverfahren u. a. gerichtet auf die Unterlassung von Streiks oder Streikaufrufen anhängig und beantragte sodann dort im Wege der einstweiligen Verfügung, der GDL Streikaufrufe und -maßnahmen zu untersagen. Einige der angerufenen Arbeitsgerichte entschieden über den Eilantrag, weil sie sich nach §§ 937, 943 ZPO hierzu verpflichtet sahen,8 verwiesen die Rechtsstreitigkeiten im Hauptsacheverfahren dann aber an das Arbeitsgericht am Sitz der GDL, also nach Frankfurt am Main, woraufhin die Bahn die Anträge dort sofort zurücknahm. Einzelne Arbeitsgerichte hielten sich aber auch im Ergebnis nach den allgemeinen Regeln für örtlich zuständig. Die geschilderten Abläufe können sich jederzeit wiederholen und dies auch in anderen Branchen oder Unternehmen: Droht eine Gewerkschaft etwa der Deutschen Post mit Arbeitskampfmaßnahmen, können diese in jedem Postamt, jeder Briefverteilstelle usw. der Deutschen Post beginnen. Kann ein vorbeugender Unterlassungsantrag deshalb vor jedes Arbeitsgericht gebracht werden, in dessen Bezirk sich ein solcher Betrieb befindet? Kann, wenn die Ärztegewerkschaft Marburger Bund für einen in ihrem Sinne zu Stande kommenden Neuabschluss des mit der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber geschlossenen und von ihr gekündigten Tarifvertrages (TV-Ärzte/VKA) Druck durch kurze Warnstreiks ausüben will, jede Gemeinde, die – noch – ein Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft betreibt, an „ihrem“ Gerichtsstand eine Unterlassungsverfügung beantragen? Selbst bei Haustarifverträgen ist eine solche Situation nicht ausgeschlossen, weil Großunternehmen an zahlreichen Standorten Zweigbetriebe, Produktions- oder Dienstleistungseinheiten betreiben. Auch hier könnte man auf die Idee kommen, für jeden dieser Standorte zu prü-
__________ 7 Ebenso z. B. Sächsisches Landesarbeitsgericht 2. November 2007 – 7 SaGa 19/07 – NZA 2008, 59; Gagel/Bepler, SGB II/SGB III, Vor § 146 SGB III Rz. 24a; aktuell a. A. Roland Wolf, Editorial zu SAE, Heft 3/2010. 8 Z. B. ArbG Nürnberg 16. November 2007 – 13 Ca 5293/07 – NZA-RR 2008, 203; ArbG Chemnitz 1. November 2007 – 11 Ca 3142/07 – n. v.
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fen, ob das dort zuständige Arbeitsgericht vielleicht das „Genehmste“ ist, wenn es um die juristische Abwehr eines angedrohten Streiks geht. 2. Die Rechtslage im arbeitsgerichtlichen Verfahren Die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit sind in den angesprochenen Fallkonstellationen im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht abschließend geklärt.9 Eine Spezialregelung existiert für die arbeitsgerichtliche Behandlung von „Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfes“10 ebenso wenig wie für das materielle Arbeitskampfrecht, das bis heute auf Art. 9 Abs. 3 GG gestütztes Richterrecht ist.11 Nur neueste Bearbeitungen der Kommentarliteratur zum Arbeitsgerichtsgesetz, die bereits unter dem Eindruck der Lokführerstreiks erstellt wurden,12 nehmen hierzu im Einzelnen Stellung. Der Diskussionsstand lässt sich dahin zusammenfassen, dass außer Streit steht, dass gegen Arbeitskampfmaßnahmen gerichtete Klagen und Anträge am allgemeinen Gerichtsstand der kampfführenden Koalition möglich sind (§ 17 ZPO). Mit dieser Anknüpfung kann auch das Gericht zuständig sein, in dessen Bezirk die Leitung der eigenverantwortlich handelnden gewerkschaftlichen Untergliederung ihren Sitz hat, die den konkret umkämpften Tarifvertrag abschließen will.13 Eine Zuständigkeit am Gerichtsstand der für die betroffenen Tarifverträge zuständigen verantwortlichen Stelle auf Gewerkschaftsseite, also der Gewerkschaftszentrale bei Tarifverträgen mit bundesweitem Geltungsbereich oder der Untergliederung bei Regional- oder Haustarifverträgen, kommt auch nach § 29 ZPO in Betracht, wenn ein Streik beabsichtigt ist oder durchgeführt wird, der
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9 Selbst die anerkannte Spezialmonografie von Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 2. Aufl. 2007 stellt auf S. 377 f. nur den Streitstand dar, nimmt aber nicht Stellung. 10 Die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten in diesem Zusammenhag ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG. 11 Dies und die zahllosen unbestimmten Rechtsbegriffe auch im aktuellen geschriebenen Arbeitsrecht lassen das geflügelte Wort von Franz Gamillscheg, wonach der Richter der eigentliche Herr des Arbeitsrechts ist (AcP 164, 385, 388), unverändert richtig erscheinen, unterstreichen zugleich aber auch die Bedeutung unseres Themas. Vielleicht lässt sich damit auch erklären, wie ein im Gewerblichen Rechtsschutz (in der Fassung des UWG bis zum 7. Juli 2004!) juristisch Sozialisierter in die Arbeitsgerichtsbarkeit gefunden hat. Ein Berührungspunkt der Rechtsgebiete zeigt sich auch insoweit, als üblicherweise auch bei den Gerichten für Arbeitssachen zu Beginn von Arbeitskämpfen vorsorglich Schutzschriften eingereicht zu werden pflegen; vgl. hierzu etwa Walker in Schwab/Weth, ZPO, 2. Aufl. 2008, § 62 Rz. 109 m. w. N.; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl. 2009, § 62 Rz. 115. 12 Eindrucksvoll Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl., § 48 Rz. 50–52. 13 Ebenso Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl. § 48 Rz. 51; für die Prozesfähigkeit von gewerkschaftlichen Bezirksorganisationen zu Recht schon Fenn, ZZP 86, 212 gegen BGH 21. März 1972 – VI ZR 157/70 – ZZP a. a. O.
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im Widerspruch zur sich aus einem bestehenden Tarifvertrag ergebenden Friedenspflicht steht.14 Es wird allerdings auch vertreten, über den Gerichtsstand des Erfüllungsortes ergebe sich eine Zuständigkeit aller Gerichte im Geltungsbereich des betreffenden Tarifvertrages, weil die sich aus ihm ergebende Friedenspflicht überall dort zu erfüllen sei.15 An der letztgenannten Herleitung bestehen durchgreifende Zweifel. Es geht bei der Verletzung der tarifvertraglichen Friedenspflicht nicht um die Verletzung einer Norm, die überall in ihrem Geltungsbereich wirkt, sondern um eine persönliche, schuldrechtliche, Verpflichtung, die eine Personengesamtheit und die für sie handelnden Personen durch das Unterlassen von Kampfmaßahmen zu erfüllen hat. Zur Durchsetzung von deren Erfüllung will § 29 ZPO keine Allzuständigkeit begründen;16 hier kommt nur die örtliche Zuständigkeit des Gerichts der angreifenden Koalition in Betracht. Dieser Einwand löst das 2007 zu Tage getretene Problem indes nicht, weil der Gerichtsstand des Erfüllungsortes ohnehin nur bei den – recht selten vorkommenden – Verletzungen der Friedenspflicht in Betracht kommt, während es sich bei den typischerweise gerügten Verletzungen der sonstigen, im Wesentlichen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entwickelten Arbeitskampfregeln um angebliche Verstöße gegen Gesetzes vertretendes Richterrecht handelt. Hier ist im Wesentlichen Deliktsrecht sedes materiae für die geltend gemachten Unterlassungsansprüche. Damit kommt der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) in den Blick. Auf ihn hatte die Antrag stellende Deutsche Bahn 2007 ihre Gerichtsstandswahl verstreut im Bundesgebiet gestützt und schien damit den Buchstaben des Gesetzes auf ihrer Seite zu haben. Denn Ort der unerlaubten Handlung, hier also des rechtswidrigen Streiks als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder als Verletzung eines Schutzgesetzes, ist nach im Wesentlichen allgemeiner Meinung jeder Ort, an dem ein wesentlicher Teilakt der unerlaubten Handlung begangen wurde oder begangen werden soll, also der Ort, an dem das Schaden begründende Ereignis veranlasst wurde oder werden soll (Handlungsort) und alle die Orte, an denen in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wird (Erfolgsort).17 Damit könnte der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen eine aktuell beabsichtigte Kampfmaßnahme grundsätzlich an jedem Gerichtsort angebracht werden, an dem das mit Streik bedrohte Unternehmen oder das Mitgliedsunternehmen eines von Arbeitskampfmaßnahmen bedrohten Verbandes einen Betrieb unterhält.
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14 Richtig Walker in Schwab/Weth, ArbGG, 2. Aufl. § 2 Rz. 234; Germelmann, a. a. O. Rz. 51. 15 Z. B. Löwisch, NZA 1998 Beilage 2, S. 7. 16 Walker, a. a. O. Rz. 234; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 29 Rz. 25 „Tarifvertrag“ und „Unterlassungspflicht“, jeweils m. w. N. 17 Der Unterscheidung zwischen dem Erfolgsort und dem einen Gerichtsstand allein regelmäßig nicht begründenden Ort des Schadenseintritts muss im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter nachgegangen werden; vgl. hierzu insgesamt BGHZ 124, 237, 245; Stein/Jonas/Herbert Roth, ZPO, 22. Aufl. § 32 Rz. 26, 29 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. § 32 Rz. 16; MünchKomm-ZPO/Patzina, 3. Aufl. 2008, § 32 Rz. 20; Prütting/Gehrlein/Wern, ZPO, 2010, § 32 Rz. 13; jeweils m.z.w.N.
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Eine Einschränkung dahin, es bedürfe für eine statthafte Wahl des Gerichtsstandes der unerlaubten Handlung neben der aktuellen gewerkschaftlichen Streikandrohung auch noch einer Konkretisierung der Streikabsichten auf einen oder mehrere bestimmte Betriebe oder Unternehmen im betreffenden Gerichtsbezirk, erscheint dann, wenn man die Gewährung einstweiligen Rechtsschutz gegen Arbeitskampfmaßnahmen an sich für geboten hält,18 zunächst nicht unproblematisch. Sie würde in vielen Fällen auf eine Verweigerung effektiven Rechtsschutzes am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung hinauslaufen, weil es zu den grundrechtlich geschützten Freiheiten einer Gewerkschaft gehört, über Ob, Wie und Wann eines Streiks auch ganz kurzfristig am Maßstab der Effektivität der Druckausübung orientiert zu entscheiden, weshalb üblicherweise die Gewerkschaften zunächst allgemein mit unmittelbar bevorstehenden kampfweisen Arbeitsniederlegungen drohen, ohne bereits mitzuteilen, wo konkret und wie genau es dazu kommen wird. Vorbeugender Rechtsschutz könnte danach auch von § 32 ZPO ausgehend in aller Regel nur am Sitz der einen Angriff androhenden Koalition erreicht werden. Trotz der sich bis hierher zumindest für konkret beabsichtigte Kampfmaßnahmen auf der Fläche, möglicherweise auch schon für jede aktuelle Streikdrohung ergebenden vielfachen „Verwertbarkeit“ des § 32 ZPO haben im Jahre 2007 mehrere Arbeitsgerichte, in deren Bezirk die Deutsche Bahn einen Betrieb unterhält, ihre Zuständigkeit für eine Entscheidung über Arbeitskampfmaßnahmen wegen eines Verstoßes gegen das Willkürverbot verneint. Komme aus dem besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung die örtliche Zuständigkeit einer Vielzahl von Arbeitsgerichten, bei denen der Zweck des § 32 ZPO, die besondere Sach- und Beweisnähe des Gerichts des Begehungsortes, ohnehin nicht greife, für Anträge auf Unterlassung bundesweiter Streikmaßnahmen in Frage, so sei die Wahl eines dieser Arbeitsgerichte ohne sich aus der Sache ergebende nähere Begründung willkürlich.19 Dies gelte jedenfalls dann, wenn aus dem gesamten Prozessverhalten des Antragstellers erkennbar werde, dass er so lange verschiedene Arbeitsgerichte zu demselben Streitgegenstand anrufen wolle, bis er ein Gericht finde, das in seinem Sinne entscheide.20 Dabei beriefen sich die Arbeitsgerichte Stuttgart und Nürnberg auch auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle zum Gerichtsstand bei einem gegen ein Verhalten im Internet gerichteten Antrag,21 wo es allerdings um einen bereits erfolgten angeblichen Wettbewerbsverstoß ging. Das Oberlandesgericht Celle erkannte auf seine örtliche Unzuständigkeit, weil der örtliche Gerichtsstand des Begehungsortes nur dort gegeben sei, wo sich der behauptete
__________ 18 Dazu unten bei Fn. 37. 19 ArbG Stuttgart, 2. August 2007 – 12 Ga 31/07 – n. v. [juris] ArbG Chemnitz, 1. November 2007 – 1 Ca 3142/07 – n. v. [juris]; ArbG Nürnberg, 16. November 2007 – 13 Ca 5293/07 – NZA-RR 2008, 203; a. A. – seine Zuständigkeit bejahend – ArbG Düsseldorf, 31. Juli 2007 – 11 Ga 74/07 – n. v. [juris]. 20 ArbG Nürnberg, 16. November 2007 – 13 Ca 5293/07 – NZA-RR 2008, 203; im Grundansatz ähnlich Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., Vor § 12 Rz. 79. 21 OLG Celle, 17. Oktober 2002 – 4 AR 81/02 – OLGR Celle 2003, 47.
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Wettbewerbsverstoß im konkreten Verhältnis der Prozessparteien tatsächlich ausgewirkt habe, woran es im dortigen Fall fehlte.
III. Die Rechtslage im Gewerblichen Rechtsschutz und verwandten Rechtsgebieten In den Gründen einiger der angesprochenen Beschlüsse tauchen – für das Arbeitsrecht wohl erstmals – die Begriffe des „Forum shopping“ oder des „fliegenden Gerichtsstandes“ auf, die im Gewerblichen Rechtsschutz und angrenzenden Rechtsgebieten schon seit langem eine Rolle spielen. Im Lauterkeitsrecht findet sich die Grundlage für den „fliegenden Gerichtsstand“ in § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG. Er eröffnet Wettbewerbern für Klagen „aufgrund dieses Gesetzes“ den ausschließlichen Gerichtsstand des Begehungsortes – inhaltlich entsprechend § 32 ZPO –, also an dem Ort, an dem der widerrechtliche Eingriff in ein fremdes Recht oder Rechtsgut in Form des Wettbewerbsverstoßes begangen wurde.22 Dieser Gerichtsstand tritt für die Wettbewerber des Verletzers als Wahlgerichtsstand neben den allgemeinen Gerichtsstand in Wettbewerbssachen, wie er in § 14 Abs. 1 UWG ähnlich §§ 12 ff. ZPO festgelegt wird, und der den in § 8 Abs. 3 Nrn. 2 bis 4 UWG genannten klagebefugten Verbänden und sonstigen Einrichtungen nach richtiger Auffassung ausschließlich zur Verfügung steht. Letztere haben den besonderen Gerichtsstand des Begehungsortes aus § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG nur dann, wenn der Verletzer im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand nach § 14 Abs. 1 UWG hat. Für den Gerichtsstand des § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG gilt entsprechend wie bei § 32 ZPO, dass Anknüpfungspunkt für diesen möglichen Klageort der Ort ist, an dem der Täter gehandelt hat, aber auch der, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist. Bei ernsthaft bestehender Erstbegehungsgefahr kommt es für den Gerichtsstand des vorbeugenden Unterlassungsanspruchs auf den Ort an, an dem die Verwirklichung des Wettbewerbsverstoßes ernsthaft droht, also auch den Ort, an dem das geschützte Rechtsgut belegen ist.23 Dabei wird teilweise zusätzlich verlangt, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen müssten, dass im Gerichtsbezirk Verletzungshandlungen aller Wahrscheinlichkeit nach begangen werden; es soll für eine entsprechende Annahme aber ausreichen, dass ein Unternehmen bundesweit tätig ist und kein Anhaltspunkt für eine regionale Beschränkung bei einer angegriffenen Werbemaßnahme vorhanden ist.24 Insbesondere wenn es um unlautere Wettbewerbsmaßnahmen in Druckerzeugnissen oder im Internet geht, ist Begehungsort i. S. v. § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG
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22 Albert in Götting/Nordemann, UWG, 2010, § 14 Rz. 14. 23 BGH 17. März 1994 – I ZR 304/91 – GRUR 1994, 530, 531 – Beta. 24 Spätgens in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 85 Rz. 17 [S. 2274] m. w. N. Mit einer entsprechenden Anwendung dieser Regel könnte der fliegende Gerichtsstand für einen Unterlassungsantrag gegen bundesweit angedrohte Kampfmaßnahmen wohl nicht effektiv eingeschränkt werden.
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neben dem Gerichtsstand des Ortes, an dem das Druckwerk erzeugt oder von dem aus die Verbreitung des Internetauftritts gesteuert wird, auch derjenige des Verbreitungsortes, der „fliegende Gerichtsstand“; der Kläger, der durch eine Werbeaktion konkret betroffen wird, die auf diese Weise im ganzen Bundesgebiet verbreitet wird, kann hiernach im Grundsatz bei einem beliebigen Gericht im ganzen Bundesgebiet klagen.25 Dabei wird versucht, einer „uferlosen Ausdehnung“26 des „fliegenden Gerichtsstandes“ dadurch zu begegnen, dass als Verbreitungsort nur derjenige Ort angesehen wird, an dem das Druckerzeugnis Dritten in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer aus der Sicht des Verlegers oder des Herausgebers bestimmungsgemäß und nicht bloß zufällig zur Kenntnis gebracht wird.27 Darüber hinaus wird verbreitet verlangt, dass beim Verbreiten des Druckerzeugnisses oder der möglichen Kenntnisnahme der Website wettbewerbliche Interessen von Mitbewerbern aufeinanderstoßen und den Wettbewerb im Bezirk des angerufenen Gerichts zum Nachteil des klagenden Mitbewerbers zu beeinflussen geeignet sind.28 Wohl auch deshalb, weil mit den genannten Kriterien der Kreis der nach § 14 Abs. 1 Satz 1 UWG zulässigerweise anrufbaren Gerichte nicht wesentlich verkleinert werden kann, ist in der Rechtsprechung der Zivilgerichte zusätzlich das Institut des Rechtsmissbrauchs nutzbar gemacht worden, um ein „Forum Shopping“ zu verhindern. Beispielhaft wird hier immer wieder der Fall genannt, dass ein Kläger einen von mehreren möglichen Gerichtsstand allein danach auswählt, dass dem Gegner möglichst hohe (Reise-)Kosten entstehen.29 Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zur Verhinderung des „Forum Shopping“ wird von den Zivilgerichten aber auch in Fällen von „Streuanträgen“ angesprochen, in denen gleichzeitig bei mehreren Gerichten derselbe Wettbewerbsverstoß anhängig gemacht wird, und damit in einer vergleichbaren Situation, wie sie aus Anlass des Arbeitskonfliktes bei der Deutschen Bahn im Jahre 2007 zu beobachten war.30
__________ 25 Spätgens a. a. O. § 85 Rz. 18 [S. 2274 f.] m. w. N. 26 Albert in Götting/Nordemann, UWG, 2010, § 14 Rz. 17. 27 Grundlegend hierzu – allerdings zu einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch eine Presseerzeugnis und zu § 32 ZPO – BGH 3. Mai 1977 – VI ZR 24/75 – GRUR 1978, 194 – profil –; vgl. hierzu auch Spätgens in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 85 Rz. 18 [S. 2275] m. w. N. zu weniger einschränkenden aber auch strengeren Auffassungen verschiedener Oberlandesgerichte. 28 Hierzu nur Albert in Götting/Nordemann, UWG, 2010, § 14 Rz. 17 m. w. N. 29 Der Verfasser kann nicht erkennen, ob es sich hier um eine Grenzziehung von praktischer Bedeutung handelt. Spätgens in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 85 Rz. 23 [S. 2276] hält den zusätzlichen Rückgriff auf Grundsätze des Rechtsmissbrauchs bei der Wahl des Gerichtsstandes aus § 14 Abs. 1 Satz 1 UWG jedenfalls für überflüssig. 30 Vgl. oben bei Fn. 20; eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des „fliegenden Gerichtsstandes“ bei behaupteten Wettbewerbsverstößen, deren Untersagung gleichzeitig bei zwei Gerichten beantragt, in einem Fall aber – wohl aufgrund gerichtlichen Hinweises – zurückgenommen worden war, haben angenommen: LG Frankfurt am Main, 7. August 2007 – 3-10 O 34/07 – CR 2007, 786 und LG München, 24. Februar 2009 – 33 O 21814/08 – InstGE 11, 112. Für eine vergleichbaren Verfahrenssituation hatte der Fünfte Senat des OLG Hamburg im Streit um eine Internetwerbung schon etwas früher formuliert: Ein Antragsteller habe „kein weitergehendes schützens-
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Eine dem Wettbewerbsrecht entsprechende Rechtslage ergibt sich über § 32 ZPO beim Schutz des Persönlichkeitsrechts – insbesondere, aber nicht nur von Prominenten – gegenüber Presseerzeugnissen. Auch hier kann im Grundsatz überall dort „fliegend“ geklagt werden, wo das betreffende, meist sehr bunte Presseerzeugnis bestimmungsgemäß vertrieben und so in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingegriffen wird. Auch im Urheber- und Markenrecht wird über den Gerichtsstand des § 32 ZPO eine weitreichende Wahlfreiheit angenommen, was das örtlich zuständige Gericht angeht, wobei hier aber bereits auf der Grundlage des geschriebenen Rechts einer Einschränkung des „fliegenden Gerichtsstandes“ wohl vordringend das Wort geredet wird.31
IV. Die Diskussion der bestehenden Rechtslage und Reformvorschläge 1. Die Situation im Gewerblichen Rechtsschutz Den auszugsweise nachgewiesenen32 kritischen Stellungnahmen gegenüber einer allzu großzügigen Verwertung des „fliegenden Gerichtstandes“ im Gewerblichen Rechtsschutz und angrenzenden Rechtsgebieten entspricht inhaltlich in einigen Teilen ein durch den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages veranlasstes Schreiben der damaligen Ministerin der Justiz Brigitte Zypries vom 4. November 2008 an die beteiligten Verkehrskreise, u. a. an die Deutsche Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht.33 In ihm wird um Stellungnahme zur Frage gebeten, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, um die Chancengleichheit für Antragsteller und Antragsgegner in den Eilverfahren, insbesondere im Bereich des Presse- und Verlagswesens, wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu verbessern. Es wird der Eindruck wiedergegeben, dass solche Verfahren über den „fliegenden Gerichtsstand“ zu als besonders antragstellerfreundlich geltenden Gerichte gebracht würden. Auch das angesprochene Phänomen der „Streu-
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wertes Interesse daran, einem Gericht den … wegen besonderer Dringlichkeit vorgelegten Antrag … sanktionslos wieder entziehen zu können, nur weil zweifelhaft ist, ob das angerufene Gericht seiner Rechtsauffassung uneingeschränkt folgt. … Der Antragsteller hat in einer derartigen Situation … einen rechtlichen Anspruch auf ein Eilverfahren, nicht jedoch auf mehrfache Versuche einer erfolgreichen Durchsetzung (Abweichung von OLG Hamburg GRUR-RR 2002, 226)“: OLG Hamburg, 6. Dezember 2006 – 5 U 67/06 – GRUR 2007, 614, 615. 31 Kritisch etwa Danckwerts, GRUR 2007, 104, der über die Anknüpfung an die bestimmungsgemäße Verbreitung eine Tendenz zu einem ausufernden „fliegenden Gerichtsstand“ wahrnimmt. Ähnlich Mühlberger, WRP 2008, 1419 Immaterialgüterrechtsverletzungen im Internet, der allerdings auch meint, die vorherrschende sehr großzügige Literaturauffassung befinde sich nicht im Einklang mit Teilen der Rechtsprechung des BGH. Zu umfangreich behandelten Problematik des „fliegenden Gerichtsstandes“ bei Rechtsverletzungen im Internet vgl. nur noch OlG München 7. Mai 2009 – 31 AR 23209 – mit Besprechung von Stephan Schmidt in jurisPR-ITR 18/2009 Anm. 2; Prütting/Gehrlein/Wern, ZPO, § 32 Rz. 14 „Gewerblicher Rechtsschutz“; Lauken/Oehler, ZUM 2009, 824. 32 In Fn. 30 und 31. 33 Vollständig abgedruckt in GRUR 2009, 564.
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antragstellung“ wird herangezogen, um u. a. eine Regelung zur Diskussion zu stellen, nach der in Fällen, in denen der Tatort „bzw. Schadensort“ beliebig sei und überall in Deutschland liegen könne, der Antragsteller auf einen konkreten Gerichtsstand (z. B. den Wohnsitz von Antragsteller oder Antragsgegner) verwiesen werde. Die Deutsche Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, der auch zahlreiche einschlägig befasste Richter als Mitglieder angehören, antwortete hierauf mit Schreiben vom 12. Januar 2009.34 Ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf wird nicht gesehen. Missbrauchsfällen werde schon heute, etwa bei Internetdelikten durch restriktivere Handhabungen des „fliegenden Gerichtsstandes“, begegnet; weitere Restriktionen seien zu erwarten. Ein zentraler Gesichtspunkt für die grundsätzliche Aufrechterhaltung der bisherigen Gesetzeslage sei die so weiterhin gegebene Möglichkeit der Zuständigkeitskonzentration für bestimmte Materien des Gewerblichen Rechtsschutzes auf besonders sachkundige, mit entsprechenden Spezialkompetenzen ausgestattete Gerichte, die für die Attraktivität des Gerichtsorts Deutschland bei internationalen Rechtsstreitigkeiten wesentlich sei. 2. Vorschläge und Überlegungen im Arbeitskampfrecht Im Arbeitskampfrecht sind die Bedenken gegen eine sich aus §§ 32, 35 ZPO ergebende, im Wesentlichen freie Wahl des örtlichen Gerichtsstandes deutlich stärker ausgeprägt als im Gewerblichen Rechtsschutz und den verwandten Materien. Dies hat bei vielen Diskussionsteilnehmern mit bereits in anderem Zusammenhang angesprochenen Umständen zu tun, die im Gewerblichen Rechtsschutz punktuell ähnlich sind, im Zusammenhang dort aber weniger stark gewichtet werden: Arbeitskampfrecht ist Richterrecht; gerichtliche Auseinandersetzungen, die die rechtswidrige kampfweise Arbeitsniederlegungen verhindern oder von Rechts wegen beenden sollen, können sinnvoller Weise nur im gerichtlichen Eilverfahren durchgeführt werden; gegen Urteile, durch die über die Anordnung, die Abänderung oder die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig (§ 72 Abs. 4 ArbGG). Das bedeutet, dass Entscheidungen, die für die Arbeitsrechtsordnung und die Wahrung zentraler Grundrechte (Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 GG) eine ganz zentrale Bedeutung haben, in einem Verfahren getroffen werden müssen, das für eine vereinheitlichende Kontrolle durch das Revisionsgericht nicht offen steht. Dies hat nicht nur im Zusammenhang mit dem Lokführerstreik 2007 zu der Forderung an den Gesetzgeber geführt, im Arbeitskampfrecht in welcher Weise auch immer eine Zuständigkeit des Bundesarbeitsgerichts auch für Eilverfahren zu eröffnen.35 Durch eine „freie Wahl“ des Gerichtsortes wird
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34 GRUR 2009, 564, 565. 35 Und dafür den Landesarbeitsgerichten die Eingangszuständigkeit zuzuweisen; vgl. hierzu etwa die Stellungnahme Nr. 3/2008 des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Arbeitsrecht zur Änderung der arbeitsrechtlichen Zuständigkeit in Arbeitskampfsachen (Berichterstatter: Fischer/Lunk/Meier) [www.anwaltverein.de]; wegen weiterer Vorschläge, die in diese Richtung gehen vgl. die Nachweise in der kritischen Stellungnahme von Walker in Schwab/Weth, ZPO, § 62 Rz. 146.
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aber darüber hinaus gerade in diesem sensiblen Rechtsgebiet der nach Meinung vieler für eine Rechtsordnung fatale Eindruck erweckt, man könne „sein“ Recht bekommen, wenn man nur den „richtigen“ Richter anrufe.36 Ein letztes kommt wohl hinzu: Im Arbeitsrecht ist es anders als – soweit ersichtlich – für Unterlassungsverfügungen im Gewerblichen Rechtsschutz zwar nicht in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wohl aber in Teilen der Literatur umstritten, ob ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in dem hier angesprochenen Bereich, wenn es also um die Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen geht, überhaupt statthaft ist oder ob dem nicht – zumindest für den Normalfall – deren verfassungsrechtliche Gewährleistung entgegensteht. Aufgrund der besonderen Bedingungen, unter denen eine Streikmaßnahme nur durchgeführt werden kann, wird durch eine einstweilige Untersagung von Kampfmaßnahmen deren spätere Wiederaufnahme nach einer etwaigen Aufhebung der Unterlassungsverfügung zumindest stark erschwert.37 Es spricht einiges dafür, dass diese Diskussion, die auch in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte nicht ohne Wirkung geblieben ist,38 auch in die Diskussion zum fliegenden Gerichtsstand durchgeschlagen ist. a) Der Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins Der Ausschuss Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein hat im Januar 2008 auch unter dem Eindruck der gerichtlichen Verfahren aus Anlass des Lokführerstreiks die in der Sache bereits angesprochenen Stellungnahme „zur Änderung der arbeitsrechtlichen Zuständigkeit in Arbeitskampfsachen“39 abgegeben. Davon ausgehend, dass die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nach derzeitiger Rechtslage rechtssicher nicht möglich sei, und dass gerade bei der hier behandelten Materie der Eindruck eher zufälliger Entscheidungen zu vermeiden sei, schlägt der Deutsche Anwaltverein neben einer besonderen instanziellen Zuständigkeit von Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht40 einen neuen § 48a ArbGG vor, in dessen Absatz 1 Satz 1 als Grundregel bestimmt werden solle, dass sich die örtliche Zuständigkeit in Angele-
__________ 36 Es ist aus der Sicht eines Arbeitsrichters mehr als tröstlich, dass im Bahnkonflikt des Jahres 2007 die Antragstellerin, die eine Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts in ihrer Angelegenheit um jeden Preis vermeiden wollte, vom Sächsischen Landesarbeitsgericht eine Entscheidung erhalten hat, die Wort für Wort auch so von den Frankfurter Kollegen hätte stammen können. 37 Hierzu nur Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, § 62 Rz. 113 ff.; Walker in Schwab/Weth, ArbGG, § 62 Rz. 142 ff.; jeweils mit zahreichen Nachweisen auch der kritischen Stimmen; hierzu etwa Gamillscheg, Liber Amicorum for Clyde W. Summers, 1993, S. 299, zitiert nach Gamillscheg, Ausgewählte Schriften zu Arbeitsrecht und Rechtsvergleichung, S. 391 ff. 38 Etwa im Zusammenhang mit den dort aufgestellten Anforderungen an Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund und deren Glaubhaftmachung! 39 Stellungnahme Nr. 3/2008 s. o. bei Fn. 35. 40 Oben bei Fn. 35.
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genheiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG, also insbesondere in Arbeitskampfangelegenheiten, ausschließlich nach dem Sitz derjenigen tariffähigen Partei richtet, deren Handlung Gegenstand des Verfahrens ist. In seiner Begründung verbindet der Anwaltverein seinen Vorschlag mit der Erwartung, das Abstellen auf spezielle Gerichte am Sitz der Koalitionen werde zu einer gewissen Spezialisierung zumindest der Spruchkörper führen, die örtlich für die größeren Koalitionen zuständig seien. Eine solche Spezialisierung sei der (Arbeits-)Gerichtsbarkeit nicht fremd und sei zu begrüßen. b) Vorarbeiten für einen Vorschlag aus den Reihen der Richterschaft Der Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins hat beim Gesetzgeber bisher noch keine merkbare Resonanz gefunden. Möglicherweise wird er demnächst in der Sache unterstützt werden durch eine Initiative des Deutschen Richterbundes, der eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema eingesetzt hat. Nach dem aktuellen Zwischenstand ihrer Überlegungen wird auch von dort eine gesetzliche Regelung favorisiert, die einen fliegenden Gerichtsstand in Arbeitskampfsachen ausschließt und Klage und Antrag nur am allgemeinen Gerichtsstand der kampfführenden Koalition zulässt. Auch diese Überlegungen fußen auf Erwägungen und Wertungen, wie sie hier zusammengefasst wiedergegeben worden sind.41
V. Vergleichende Bewertung des Diskussionsstandes Es ist aus meiner Sicht nur vordergründig überraschend, wenn die führenden Repräsentanten des Gewerblichen Rechtsschutzes den „fliegenden Gerichtsstand“ betont und recht unbefangen mit der sich daraus ergebenden Möglichkeit rechtfertigen, einen Streit aus diesem Rechtsgebiet vor von ihnen als solche ausgewählte, besonders kompetente Gerichte bringen zu können, während ein solches Wahlrecht bei den Teilnehmern der arbeitsrechtlichen Diskussion überwiegend auf Misstrauen stößt. Die deutlich negativ besetzte Erwartung, die Antragsteller wählten sich ein Gericht aus, bei dem sie eine ihnen genehme Entscheidung glauben erwarten zu können, ist allgegenwärtig. Die gesteigerte Kompetenz eines vorrangig mit einer Spezialmaterie befassten Spruchkörpers wird zwar als positive Möglichkeit gesehen, dies aber nur als gewissermaßen natürliche Folge aus einer von Manipulationsmöglichkeiten freien gesetzlichen Festlegung des Gerichtsstandes für Arbeitskampfangelegenheiten. Eine Erklärung für diese unterschiedlichen Grundwertungen liegt in der Rolle der potentiellen Verfahrensbeteiligten:
__________ 41 Ich danke Herrn Kollegen Dr. Günter Spinner, zzt. Landesarbeitsgericht BadenWürttemberg, für die Übermittlung des Zwischenstandes der Überlegungen, zu denen die Kollegin Frauke Denecke, Arbeitsgericht Frankfurt am Main, und er gekommen sind.
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Im Gewerblichen Rechtsschutz, insbesondere im Wettbewerbsrecht, ist jeder Antragsteller oder Kläger fast immer auch potentieller Antragsgegner und Beklagter. Deshalb geht es Antragsteller wie Antragsgegner idealtypisch zumindest auch um eine angemessen und sachkundig strukturierte Wettbewerbsordnung mit möglichst klaren Grenzziehungen. Die angerufenen Gerichte werden zwar möglicherweise auch um ihrer wettbewerbsrechtlichen Strenge willen angerufen. Der – konkludente – Vorwurf einer auf Parteien oder Parteirolle im Wirtschaftsleben bezogenen Parteilichkeit ist mit einer entsprechenden Wahl oder deren Unterlassung aber nicht verbunden. Anders verhält es sich im Arbeitsrecht, besonders im Arbeitskampfrecht. Prozessuale Angreifer sind fast ausschließlich Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände, denen es weniger um eine sachlich ansprechende, ordnungspolitisch gut verwertbare Entscheidung als vielmehr darum geht, das recht erhebliche Störpotential eines Arbeitskampfes im Interesse einer möglichst störungsarmen Arbeit in den Unternehmen gering zu halten. Die verfahrensrechtlich angegriffenen Gewerkschaften haben das naturgemäß entgegengesetzte Interesse, ihre Möglichkeiten zur Druckausübung möglichst wenig einschränken zu lassen, damit es zu für ihre Mitglieder günstigen neuen tariflichen Arbeitsbedingungen kommt. Angesichts dieser konstanten sozialpolitischen Frontstellung und aufgrund des Umstandes, dass die Entscheidungen im Arbeitskampfrecht normativ ganz unzureichend vorstrukturiert sind, deutet hier jede Wahl eines bestimmten Arbeitsgerichts aus dem Kreis vieler möglicher Gerichte auf die Unterstellung, von dem betreffenden Gericht könne man eine der Antragstellerseite genehme Entscheidung erwarten. Da Arbeitsrichter mit dem einen Richter in besonderer Weise ehrverletzenden Vorwurf, in die eine oder andere Richtung parteiisch zu sein, angesichts der sehr ergebnisorientierten Fachdiskussion ihrer Entscheidungen ohnehin immer wieder konfrontiert werden, ist ein solches Prozessverhalten für sie regelmäßig nur schwer hinnehmbar. Diese Erklärung erfährt eine gewisse Bestätigung durch den zumindest im ersten Zugriff entstandenen Eindruck, dass der „fliegende Gerichtsstand“ im vergleichend betrachteten Rechtskreis – neben der offensichtlich noch nicht ausreichend strukturierten Behandlung von Internetaktionen – die stärkste Kritik im Zusammenhang mit der Behandlung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Presseorgane erfährt. Auch dieser Bereich, aus dem – sicherlich auch wegen der besonderen Meinungsbildungsfähigkeit der Presse – der Anlass für das Schreiben von Frau Ministerin Zypries42 kam, ist durch eine konstante Rollenverteilung mit den Inhabern der Persönlichkeitsrechte auf der einen und den Inhabern der Presseorgane auf der anderen Seite gekennzeichnet. Eine Gerichtsstandswahl durch den – vermeintlich – in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzten macht auch hier das Vorurteil der Einseitigkeit leicht, der in Presseorganen gegenüber den Hamburger Zivilgerichten ja auch gelegentlich, wenn auch behutsam, erhoben wird.
__________ 42 Oben Fn. 33.
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Nach alledem erscheint es nicht nur gut verständlich, sondern auch wünschenswert, wenn es beim „fliegenden Gerichtsstand“ im Gewerblichen Rechtsschutz bleibt. Wohl grundsätzlich notwendige Einschränkungen sind vor vielen Jahren durch § 14 Abs. 2 Satz 2 UWG erfolgt, der den „missbrauchsanfälligen“ Abmahnvereinen für den Regelfall den „fliegenden Gerichtsstand“ genommen hat. Sonstigen Unzuträglichkeiten kann offenbar auf der Grundlage des geschriebenen Rechts begegnet werden. Eine Sonderregelung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Presseorgane mag man für sinnvoll halten. Sie erschiene indes allzu „kleinteilig“ und nur auf eine Anlasssituation bezogen, die sich jederzeit ändern kann und zudem höchstrichterlich strukturierbar ist. Im Arbeitskampfrecht spricht aus der beschriebenen Sicht eines Richters mehr als im Gewerblichen Rechtsschutz für eine Spezialregelung, durch die an die Stelle des „fliegenden Gerichtsstandes“ grundsätzlich der Gerichtsstand der kampfführenden Organisation oder Organisationsuntergliederung tritt. Eine dahin gehende allgemeine Regelung hätte allerdings in Einzelfällen auch erhebliche Schwächen. Zudem erscheinen die Möglichkeiten des geschriebenen Rechts ausreichend, die angesprochenen Bedenken auf ein Minimum zu reduzieren. Es spricht deshalb mehr für die Beibehaltung des gesetzlichen IstZustandes. Aus ihm sind allerdings Rechtsfolgen zu ziehen, die einen „fliegenden Gerichtsstand“ aus dem Arbeitskampfrecht weitgehend eliminieren: Ein Unterlassungsantrag, der wie im Falle des GDL/Deutsche Bahn-Konfliktes im Jahre 2007 allein auf überall bedeutsame rechtliche Gesichtspunkte gestützt wird, sollte auch nach § 32 ZPO nur am allgemeinen Gerichtsstand der handelnden Koalition anhängig gemacht werden können. Der an die Möglichkeiten zur Tatsachenwahrnehmung und Beweisermittlung anknüpfende Sinn und Zweck des § 32 ZPO trägt in einem solchen Fall eine Anknüpfung der Gerichtsstandsbestimmung an irgendeinen Betrieb eines potentiell streikbetroffenen Unternehmens nicht, an dem lediglich wie auch in jedem anderen Betrieb nachteilige tatsächliche Folgen des Streiks eintreten können. Nur dann, wenn die Kampfmaßnahme nach Ort, Zeit und Intensität bestimmt ist, sollten am Gerichtsstand der kampfbetroffenen Betriebe Unterlassungsanträge angebracht werden können, die dann regelmäßig auch nur Kampfmaßnahmen dort und nicht die Kampfmaßnahme als Ganze werden betreffen können. Der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung behielte im Arbeitskampfrecht so auch bei einer einschränkenden Interpretation des § 32 ZPO noch eine eigenständige Bedeutung. Kampfmaßnahmen sind nicht selten nicht als Ganze problematisch, sondern in ihrer Durchführung vor Ort, im einzelnen bestreikten Betrieb, wo es zu individuellen Rechtsverletzungen kommen kann.43 Hier sollte es in jedem Fall dabei bleiben, dass die Arbeitsgerichte vor Ort mit ihrer besseren Möglichkeit der Tatsachenwahrnehmung und -bewertung die arbeitsgerichtliche Rechtsschutzaufgabe wahrnehmen.
__________ 43 Z. B. länger andauernde Absperrungen für anliefernde oder ausliefernde Fahrzeuge, Verhinderung des Zugangs für Arbeitswillige; Verhinderung von Notstands- oder Erhaltungsarbeiten.
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VI. Schluss Der Verfasser hofft sehr, dass auch noch in vielen Jahren Gelegenheit bestehen wird, mit dem zu Ehrenden und seiner verehrten Frau beim dann besser passenden Abendessen zusammenzusitzen und sich auszutauschen – natürlich nur in der einem privaten Treffen angemessenen Kürze – über den Stand der Diskussion zu den „fliegenden Gerichtsständen“ zu raisonieren.
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Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Verwechslungen: Ein Kuckucksei im Nest des UWG? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Eigenständiger Verwechslungsschutz im UWG III. § 5 Abs. 2 UWG und Kennzeichenrecht 1. Konfliktzone 1: Konkurrenz zwischen kennzeichen- und lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen 2. Konfliktzone 2: Einschränkungen des Zeicheninhabers durch lauterkeitsrechtliche Ansprüche a) Recht der Gleichnamigen b) Lizenz c) Abgrenzungsvereinbarungen d) Aufbrauchsfristen
3. Konfliktzone 3: Ausdehnung des Kennzeichenschutzes mit Hilfe lauterkeitsrechtlicher Ansprüche? a) Bestandskraft der Marke b) Verjährung und Verwirkung c) Beschreibende Benutzung d) Erschöpfung e) Mangelnde Benutzung 4. Wie lässt sich der Vorrang der kennzeichenrechtlichen Regelungen begründen? IV. § 5 Abs. 2 UWG und Geschmacksmusterrecht V. § 5 Abs. 2 UWG und wettbewerbsrechtlicher Nachahmungsschutz VI. Schluss
I. Einleitung Seit jeher stellt die Irreführung über „den Ursprung … einzelner Waren oder gewerblicher Leistungen“, wie es bis 2004 in § 3 UWG hieß, oder über die „betriebliche Herkunft … der Waren oder Dienstleistungen“, wie es seitdem in § 5 UWG1 heißt, einen klassischen Beispielsfall für eine lauterkeitsrechtlich verbotene Irreführung dar. Damit stellt sich auch seit jeher die Frage, wie sich ein solcher genereller Schutz vor Irreführungen zu dem individualrechtlichen Schutz vor Verwechslungen auf der einen und vor Täuschungen über die betriebliche Herkunft auf der anderen Seite verhält, der durch das Kennzeichenund Markenrecht2 einerseits sowie durch den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz3 andererseits vermittelt wird. Auch das Geschmacksmusterrecht kann zum lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutz in Konkurrenz treten: Eine Verletzung des Geschmacksmusters setzt voraus, dass das fremde „Muster … beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt“ als das Geschmacksmuster, aus dem der Schutz begehrt wird.4 In vielen Fällen
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§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UWG 2004; § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG 2008. § 14 Abs. 2 Nr. 2 und §§ 5, 15 Abs. 2 MarkenG. § 4 Nr. 9 lit. a UWG. § 38 Abs. 2 Satz 1 GeschmMG; vgl. Art. 19 Abs. 1 und 2 GGV.
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läuft das auf eine Verwechslung der Waren und damit auf eine Irreführung über die betriebliche Herkunft hinaus. Dieser Beitrag ist nach den Veränderungen, die die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken gebracht hat, (erneut)5 der Frage gewidmet, wie sich der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz, auf den sich alle Mitbewerber und alle in § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG genannten Verbände und Kammern berufen können, zu dem Schutz verhält, der den Inhabern gewerblicher Schutzrechte (Marken, geschäftliche Bezeichnungen, Geschmacksmuster) sowie den nach § 4 Nr. 9 lit. a UWG berechtigten Originalherstellern Ansprüche vermittelt. Stehen die Ansprüche des Markeninhabers, der sich gegen eine Verwechslungen hervorrufende Verwendung seines Zeichens durch einen Dritten wendet, unvermittelt neben den Ansprüchen der Mitbewerber und Verbände, die aufgrund derselben Verwechslung eine Irreführung über die betriebliche Herkunft beklagen? Kann – gestützt auf das Irreführungsverbot – jeder Mitbewerber und jeder Verband6 im Falle einer Geschmacksmusterrechtsverletzung neben dem Inhaber des Geschmacksmusters Ansprüche geltend machen, weil die nachgeahmte Gestaltung auch einen (unzutreffenden) Herkunftshinweis enthält? Kann die Täuschung über die betriebliche Herkunft, die für den Hersteller des Originals Anlass ist, gegen eine Nachahmung vorzugehen, ohne weiteres auch den Anspruch eines beliebigen Mitbewerbers oder Verbandes begründen, der sich gegenüber dem Nachahmer auf die Irreführung über die betriebliche Herkunft beruft? Die Rechtsprechung hat das Konkurrenzverhältnis zwischen Markenrecht und Irreführungsverbot in der Vergangenheit dadurch zu lösen versucht, dass sie der mit einer Markenverletzung verbundenen Irreführung einen untergeordneten Platz zugewiesen hat: Eine Angabe über die betriebliche Herkunft sollte im Rahmen des Irreführungstatbestands nur dann von Bedeutung sein, wenn der Verkehr mit der betrieblichen Herkunft eine besondere Gütevorstellung verband.7 In den meisten Fällen wurde auf diese Weise eine parallele Anwendung des Irreführungstatbestandes in Fällen der Marken- und Kennzeichenverletzung vermieden. Auch beim wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz schied eine parallele Anwendung des Irreführungstatbestands in der Regel aus: Ein Verbotsanspruch wegen irreführender Verwendung eines Herkunftskennzeichens wurde vom Bundesgerichtshof davon abhängig gemacht, dass das – die wett-
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5 Vgl. Bornkamm in FS v. Mühlendahl, 2005, S. 9 ff.; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 5 Rz. 4.209 ff.; ferner Bornkamm, GRUR 2005, 97 ff. 6 § 8 Abs. 3 UWG. 7 BGH v. 22.2.1952 – I ZR 117/51, GRUR 1952, 577 (581) – Zwilling; BGH v. 11.7.1958 – I ZR 85/57, GRUR 1959, 25 (29) – Triumph; BGH v. 7.4.1965 – Ib ZR 1/64, GRUR 1965, 676 (677 f.) – Nevada, mit Anm. Harmsen; BGH v. 7.7.1965 – Ib ZR 9/64, GRUR 1966, 267 (270) – White Horse, mit Anm. Heydt; BGH v. 8.6.1966 – Ib ZR 74/64, GRUR 1967, 89 (91) – Lady Rose, mit Anm. v. Falck; BGH v. 17.9.1969 – I ZR 131/67, GRUR 1970, 528 (531) – Migrol; BGH v. 19.10.1989 – I ZR 22/88, GRUR 1990, 68 (69) – VOGUE-Ski; BGH v. 20.3.1997 – I ZR 246/94, GRUR 1997, 754 (755) – grau/magenta; BGH v. 28.2.2002 – I ZR 195/99, GRUR 2002, 703 (705) – VOSSIUS & PARTNER. Dazu eingehend Kur, GRUR 1989, 240 ff.; ferner Bornkamm in FS v. Mühlendahl, 2005, S. 9 (10 ff.).
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bewerbliche Eigenart begründende – Herkunftszeichen kennzeichenrechtlichen Schutz genießt.8 Bestand kennzeichenrechtlicher Schutz, war die Anwendung des Irreführungstatbestands wiederum von einer besonderen Gütevorstellung abhängig, die der Verkehr mit dem Zeichen assoziierte.9 Das Verhältnis zwischen Geschmacksmusterrecht und Irreführungsverbot ist in der Vergangenheit nur am Rande und dann mit der Tendenz thematisiert worden, dass der geschmacksmusterrechtliche Anspruch den auf das Irreführungsverbot gestützten lauterkeitsrechtlichen Anspruch verdrängt.10 Ohnehin hatte sich in den neunziger Jahren gerade die Vorstellung durchgesetzt, dass dem Inhaber eines Schutzrechts mit dem Ausschließlichkeitsrecht auch die alleinige Entscheidungsbefugnis darüber zugewiesen sei, ob er gegen eine Verletzung seiner Rechte einschreitet oder nicht. Dies kommt etwa darin zum Ausdruck, dass der Bundesgerichtshof es abgelehnt hat, in einer Urheberrechtsverletzung zugleich – unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs – einen Wettbewerbsverstoß zu sehen.11 Die Lehre von den qualifizierten Herkunftsangaben vermochte noch nie zu überzeugen.12 Sie ist heute aber aus anderen Gründen obsolet geworden.13 Denn gegenläufig zu der deutschen Rechtsprechung, die mit der These vom Vorrang des Markenrechts den Versuch einer Neubestimmung des Verhältnisses von kennzeichenrechtlichen zu lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen unternommen hatte,14 hat der europäische Gesetzgeber mit der Richtlinie 2005/29/ EG über unlautere Geschäftspraktiken einen eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Schutz vor Verwechslungen etabliert, der die Verbraucherinteressen und nicht die Interessen des Marken- und Kennzeicheninhabers bzw. des Pro-
__________ 8 BGH GRUR 1997, 754 (755) – grau/magenta (Fn. 7). Die Entscheidung gibt keine klare Erklärung dafür, weshalb der Irreführungsschutz nur dann in Betracht kommen soll, wenn der in der Gestaltung des Produkts liegende Herkunftshinweis nicht nur die wettbewerbliche Eigenart begründen kann, sondern sogar Verkehrsgeltung genießt (§ 4 Nr. 2 MarkenG). 9 BGH GRUR 1997, 754 (755) – grau/magenta (Fn. 7). 10 Vgl. Ohly, GRUR 2007, 731 (738), der freilich erkennt, dass die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken insofern womöglich zu einem Umdenken nötigen wird. Auf der Grundlage des neuen Konzepts bewegt sich bereits Köhler, GRUR 2009, 445 (447). Zum Verhältnis von (nicht eingetragenem) Geschmacksmuster und wettbewerbsrechtlichem Nachahmungsschutz Köhler in Köhler/Bornkamm (Fn. 5) § 4 Rz. 9.8; Nirk/Rörig in FS Mailänder, 2006, S. 161 ff. 11 BGH v. 10.12.1998 – I ZR 100/96, BGHZ 140, 183 (188 f.) = GRUR 1999, 325 – Elektronische Pressearchive; vgl. dazu Köhler in Köhler/Bornkamm (Fn. 5) § 4 Rz. 11.40. 12 Zur Kritik Kur, GRUR 1989, 240 (242 f.); Bornkamm in FS v. Mühlendahl, 2005, S. 9 (14 ff.); Steinbeck, WRP 2006, 632 (637 f.). 13 Etwas vorsichtiger, aber in der Sache nicht weniger eindeutig Köhler, GRUR 2009, 445 (448): „die bisherige Rechtsprechung zum Erfordernis einer ‚qualifizierten Herkunftstäuschung‘ (kann) wohl nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten werden“. 14 Ausführlich zur Vorrangthese Bornkamm, GRUR 2005, 97 ff.; Steinbeck in FS Ullmann, 2006, S. 409 ff.; Ohly in FS Ullmann, 2006, S. 795 ff.; Büscher, GRUR 2009, 230 ff.; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl. 2009, § 2 Rz. 7 ff. Ein nicht unbeachtlicher Teil des Schrifttums stand der Vorrangthese von Anfang an kritisch gegenüber; vgl. nur Fezer, Markenrecht, 4. Aufl. 2010, § 2 MarkenG Rz. 5 ff.; Fezer, WRP 2008, 1 ff.
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duzenten des nachgeahmten Originals im Blick hat. Dieser neu bestimmte Schutz tritt grundsätzlich neben den individualrechtlichen Schutz, den das Kennzeichenrecht, der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz oder das Geschmacksmuster vermitteln. Er kann nicht mit Hilfe einer im nationalen Recht entwickelten Vorrangthese den Zielvorgaben des individualrechtlichen Schutzes untergeordnet werden.15 Im Folgenden soll zunächst kurz auf die Stellung der neuen Bestimmungen im Irreführungstatbestand der Richtlinie und des deutschen UWG eingegangen werden (II.). Sodann wollen wir anhand des Kennzeichenrechts der Frage nachgehen, ob der (neue) lauterkeitsrechtliche Schutz uneingeschränkt neben den individualrechtlichen Schutz treten kann (III.), um abschließend die Frage zu erörtern, wie sich der Verwechslungsschutz zum Geschmacksmusterschutz (IV.) und zum (individualrechtlichen) lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz aus § 4 Nr. 9 lit. a UWG (V.) verhält.
II. Eigenständiger Verwechslungsschutz im UWG Der eigenständige Schutz vor Verwechslungen kommt in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken dadurch zum Ausdruck, dass neben dem herkömmlichen Beispielsfall einer Irreführung über „die wesentlichen Merkmale des Produkts wie … kommerzielle Herkunft“16 auch „jegliche Art der Vermarktung eines Produkts, … die eine Verwechslungsgefahr mit einem anderen Produkt, Warenzeichen, Warennamen oder anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet“,17 als eine irreführende Geschäftspraxis gilt. Gerade weil es sich bei diesem auf Kennzeichenverletzungen und Produktnachahmungen ausgerichteten eigenständigen Irreführungsschutz im Hinblick auf die in ihren Konturen zwar nicht feststehende, in der Tendenz aber eindeutige Vorrangthese der Rechtsprechung um einen Fremdkörper im deutschen Recht handelt, hat der deutsche Gesetzgeber recht daran getan, diese Regelung ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen und sich nicht darauf zu berufen, diese Fälle seien bereits mit dem Beispielsfall der Irreführung über die betriebliche Herkunft abgedeckt.18 Deshalb stellt das UWG nunmehr – neben der Auflistung der Irreführung über die betriebliche Herkunft der Waren oder Dienstleistungen im Beispielskatalog des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG – in § 5 Abs. 2 ausdrücklich klar, dass „eine geschäftliche Handlung … auch irreführend (ist), wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen … eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung oder mit einer Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft“. Ebenso wenig wie die Richtlinie enthält das deutsche Recht einen Hinweis darauf, wie sich die neue Regelung in § 5 Abs. 2 UWG zu dem klassischen Bei-
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Vgl. nur Bornkamm in Köhler/Bornkamm (Fn. 5) § 5 Rz. 4.210. Art. 6 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2005/29/EG. Art. 6 Abs. 2 lit. a Richtlinie 2005/29/EG. Vgl. BT-Drucks. 16/10145, S. 16 f.
Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Verwechslungen
spielsfall einer Irreführung über die betriebliche Herkunft19 verhält. Eine klare Abgrenzung der Tatbestände ist freilich weder möglich noch geboten.20 Beide Bestimmungen konkretisieren lediglich die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 UWG, wonach „unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt“. Im Hinblick auf die Vorgabe des europäischen Rechts ist allein von Bedeutung, dass dem lauterkeitsrechtlichen Anspruch desjenigen, der mit Blick auf die mit einer Kennzeichenverletzung oder einer Produktnachahmung einhergehende Irreführung Unterlassung oder Schadensersatz begehrt, nicht mit der von der deutschen Rechtsprechung entwickelten These vom Vorrang des Markenrechts, des Geschmacksmusterrechts oder des individualrechtlichen Leistungsschutzes begegnet werden kann. Dies bedeutet, dass in zahllosen Fällen neben den Inhabern des verletzten Schutzrechts auch Mitbewerber und Verbände Ansprüche geltend machen können, die nicht auf die Verletzung eines absoluten Rechts oder eines ihnen individualrechtlich zugewiesenen Leistungsergebnisses verweisen können. Allerdings müssen nicht in jedem Fall einer Kennzeichenverletzung die Voraussetzungen der neuen Bestimmung des § 5 Abs. 2 UWG erfüllt sein. Der lauterkeitsrechtliche Verwechslungsschutz greift beispielsweise noch nicht ein, wenn eine Marke zwar eingetragen, aber dem Verkehr noch nicht bekannt ist.21 Auch kommt dem Begriff der Verwechslungsgefahr im Lauterkeitsrecht nicht dieselbe Bedeutung zu wie im Kennzeichenrecht, wo es sich – anders als in § 5 Abs. 2 UWG – um einen Rechtsbegriff handelt.22 Dass nicht jede Geschmacksmusterverletzung, bei der es auf den Eindruck ankommt, den die Gestaltung beim Benutzer hinterlässt,23 eine irreführende Produktverwechslung herbeiführen muss, liegt auf der Hand. Entsprechendes gilt schließlich für den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, dessen Voraussetzungen auch im Falle der Täuschung über die betriebliche Herkunft nach § 4 Nr. 9 lit. a UWG nicht mit denen einer Produktverwechslung nach § 5 Abs. 2 UWG übereinstimmen. Für unsere Zwecke ausreichend ist aber die Feststellung, dass mit der Verletzung einer Marke oder geschäftlichen Bezeichnung, mit der Verletzung eines Geschmacksmusters oder mit einer wettbewerbswidrigen Nachahmung häufig eine Produkt- oder Kennzeichenverwechslung nach § 5 Abs. 2 UWG einhergehen wird. Umgekehrt – und dies sind die Fälle mit besonderer Brisanz – kann der Tatbestand des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes auch scheinbar weiterreichen als der Schutz des Immaterialgüterrechts oder als der Schutz vor Nachahmung. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob dann, wenn der Sonderschutz versagt (weil beispielsweise eine Schutzschranke eingreift), einfach auf den lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutz zurückgegriffen werden kann.
__________ 19 § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG. 20 Dazu auch Köhler, GRUR 2009, 445 (448). 21 Vgl. Hacker in Ströbele/Hacker (Fn. 14) § 2 Rz. 15; Bornkamm in Köhler/Bornkamm (Fn. 5) § 5 Rz. 4.212b. 22 Bornkamm in Köhler/Bornkamm (Fn. 5) § 5 Rz. 4.212b; Steinbeck, WRP 2006, 632 (637). 23 S. oben bei Fn. 4.
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Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken24 und ihr folgend der deutsche Gesetzgeber25 auch noch einen Fall der absichtlichen Herkunftstäuschung in die sogenannte Schwarze Liste aufgenommen hat: Stets unlauter ist es, in der Absicht, die Verbraucher über die betriebliche Herkunft zu täuschen, für ein Produkt zu werben, das einem anderen Produkt ähnlich ist.
III. § 5 Abs. 2 UWG und Kennzeichenrecht Die Bereiche, in denen der lauterkeitsrechtliche und der kennzeichenrechtliche Verwechslungsschutz miteinander in Konflikt geraten, lassen sich in drei Konfliktzonen einteilen: Zum einen sind es die Fälle, in denen die Ansprüche des Zeicheninhabers potentiell mit den Ansprüchen der lauterkeitsrechtlich Berechtigen in Konkurrenz treten (dazu 1.). Zum zweiten sind die Fälle in den Blick zu nehmen, in denen der lauterkeitsrechtliche Anspruch die Möglichkeiten des Zeicheninhabers beschneidet, sein Kennzeichen so einzusetzen, wie er möchte und wie es die Rechtsordnung ihm gestattet (dazu 2.). Schließlich sind – drittens – die Fälle zu betrachten, in denen der Sonderschutz, aus welchen Gründen auch immer, versagt und sich die Frage stellt, ob die bewussten Grenzen, die der Sonderschutz setzt, durch einen vom Inhaber des Kennzeichenrechts geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Anspruch konterkariert werden können (dazu 3.). 1. Konfliktzone 1: Konkurrenz zwischen kennzeichen- und lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen Die Lösung dieser Fälle ist im Hinblick auf die Richtlinie relativ eindeutig. Für die Erwägung, dem Zeicheninhaber sei das Recht zugewiesen, selbst darüber zu entscheiden, ob er gegen eine Verletzung seines Zeichens vorgehen möchte oder nicht,26 ist im Hinblick auf die klare unionsrechtliche Vorgabe kein Raum mehr. Die Konsequenzen der Anspruchskonkurrenz sind ohnehin überschaubar. Denn in der Praxis wird der Zuweisungsgehalt des Kennzeichens durch lauterkeitsrechtliche Ansprüche Dritter – seien es Mitbewerber oder Verbände – so gut wie nie beschränkt. Auch ein Gerechtigkeitsdefizit weist diese Lösung nicht auf. Immerhin werden Verbraucherinteressen durch die Verwendung verwechselbarer Zeichen berührt. Es ist nicht unangemessen, dass der Schutz dieser Interessen nicht zurückstehen muss. Allerdings muss auch hier ein gewisser Vorrang des Kennzeichenrechts oder jedenfalls der kennzeichenrechtlichen Wertungen gelten: Die Bestimmung des § 5 Abs. 2 UWG hat nicht den Fall im Blick, dass sich zwei eingetragene Marken gegenüberstehen, obwohl sie selbstverständlich auch auf diesen Fall an-
__________ 24 Nr. 13 Anh. I zu Art. 5 Abs. 5 Richtlinie 2005/29/EG. 25 Nr. 13 Anh. zu § 3 Abs. 3 UWG. 26 So zum in dieser Hinsicht noch autonomen deutschen Recht Bornkamm in FS v. Mühlendahl, 2005, S. 9 (19 ff.).
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wendbar ist. Konsequenterweise sagt sie nichts über die Priorität aus. Stehen sich beispielsweise zwei Wettbewerber mit ähnlichen Marken unterschiedlicher Priorität gegenüber, kann es dem Inhaber der prioritätsälteren Marke, der sein mit der Marke versehenes Produkt erstmals auf den Markt bringt, nicht als Irreführung angelastet werden, wenn die Verbraucher sein Produkt mit dem im Markt bereits etablierten, mit der prioritätsjüngeren Marke versehenen Produkt des Mitbewerbers verwechseln. Schon an diesem Beispiel zeigt sich, dass der lauterkeitsrechtliche Verwechslungstatbestand bei aller Eigenständigkeit niemals ohne Berücksichtigung der zeichenrechtlichen Situation angewandt werden darf. 2. Konfliktzone 2: Einschränkungen des Zeicheninhabers durch lauterkeitsrechtliche Ansprüche Das zuletzt angeführte Beispiel leitet zur zweiten Konfliktzone über. Es geht darum, dass der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz die legitime Ausübung zeichenrechtlicher Befugnisse nicht behindern darf. a) Recht der Gleichnamigen Als Beispiel mag die Unternehmensbezeichnung „Peek & Cloppenburg“ dienen, die in Deutschland von zwei verschiedenen, in derselben Branche tätigen Handelsunternehmen verwendet wird.27 Für das Recht der Gleichnamigen, das in diesem Fall Anwendung findet, ist typisch, dass es den Konflikt der beiden Zeicheninhaber durch eine Regelung der Koexistenz der beiden Zeichen löst und nicht dadurch, dass es dem einen Zeichen den Vorrang über das andere Zeichen einräumt. Diese Lösung bringt es notgedrungen mit sich, dass das Verbraucherinteresse, das auf leichte Unterscheidbarkeit der Unternehmen und ihrer geschäftlichen Bezeichnungen und Marken gerichtet ist, ein Stückweit zurückstehen muss. Die Rechtsordnung nimmt in einem solchen Fall der legitimen Gleichnamigkeit ein gewisses Maß an Verwechslungen und damit auch ein gewisses Maß an Irreführungen der Verbraucher hin. Niemand wird hier einen Vorrang der kennzeichenrechtlichen Regelung bestreiten wollen, der dazu führt, dass in dieser Situation das kennzeichenrechtlich korrekte Verhalten eines der beiden gleichnamigen Unternehmen nicht durch einen lauterkeitsrechtlichen Anspruch unterbunden werden kann. b) Lizenz Erteilt der Markeninhaber eine Lizenz, führt dies häufig dazu, dass Verbraucher das mit der lizenzierten Marke versehene Produkt mit dem Produkt verwechseln, das der Lizenzgeber unter derselben Marke vertreibt. Obwohl in einem solchen Fall alle gesetzlichen Voraussetzungen des lauterkeitsrecht-
__________ 27 Vgl. BGH, 31.3.2010 – I ZR 174/07, GRUR 2010, 738 – Peek & Cloppenburg.
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lichen Verwechslungsschutzes erfüllt sind – der Lizenznehmer ruft im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren eine Verwechslungsgefahr mit der Ware und mit der Marke eines Mitbewerbers hervor –, ist auch hier unbestritten, dass das von der Rechtsordnung anerkannte Recht des Zeicheninhabers, Lizenzen zu erteilen, nicht durch auf § 5 Abs. 2 UWG gestützte lauterkeitsrechtliche Ansprüche beschnitten werden kann. Ein Vorrang der kennzeichenrechtlichen Wertung ist hier auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil Verträge, die auf eine Irreführung der Verbraucher hinauslaufen, wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB nichtig sind.28 Die Rechtsprechung hat diesen Konflikt in der Vergangenheit mit der Lehre von der qualifizierten Herkunftsangabe29 gelöst, die freilich unter Geltung des § 5 Abs. 2 UWG keine Geltung mehr beanspruchen kann. Entscheidend ist hier allein, ob das fragliche Kennzeichenrecht dem Inhaber die Befugnis vermittelt, Lizenzen zu erteilen. Zur Erläuterung mag der vom Bundesgerichtshof im Jahre 2002 entschiedene Fall „VOSSIUS & PARTNER“ dienen.30 Er betrifft einen namensrechtlichen Streit um den Nachnamen des Klägers, der als Seniorpartner einer bekannten Patentanwaltskanzlei tätig war und sich mit seinen Sozien darauf geeinigt hatte, dass die Kanzlei, die früher – über die Jahre wechselnd – die Namen aller Sozien geführt hatte, in Zukunft, und zwar auch nach seinem Ausscheiden, in der Firma nur noch einen Namen, nämlich „VOSSIUS“, mit dem Zusatz „& PARTNER“ führen sollte. Wider Erwarten schied der Kläger bereits wenige Jahre später aus und eröffnete unter „Dr. Volker Vossius, Patentanwaltskanzlei, Rechtsanwaltskanzlei“ eine eigene (Patent-)Anwaltskanzlei. Der Kläger berief sich nun gegenüber seiner alten Sozietät darauf, dass die Führung seines Namens in ihrer Firma irreführend und der Vertrag, mit dem er in die Fortführung des Kanzleinamens eingewilligt hatte, nach § 134 BGB nichtig sei. Tatsächlich war es nach der Eröffnung des neuen Büros zu Verwechslungen zwischen den beiden Anwaltskanzleien gekommen. Der Bundesgerichtshof ist dem mit der Begründung entgegengetreten, dass für die Erteilung einer solchen Lizenz ein berechtigtes Interesse bestehe.31 Mit der Benutzung eines fremden Namens seien allerdings fast notgedrungen Verwechslungen und andere Zuordnungsverwirrungen verbunden. Soweit der Namensträger einem Dritten den Namensgebrauch gestatte oder der Inhaber eines geschäftlichen Kennzeichens eine Lizenz erteile, sei die damit stets verbundene Verunsicherung über die Zuordnung des Namens oder der Kennzeichnung zu einer bestimmten Person oder einem bestimmten Geschäftsbetrieb als Folge hinzunehmen, weil andernfalls die Möglichkeit der legitimen Gestattung des Namensgebrauchs ebenso wie die Lizenzierung von Kennzeichenrechten generell in Frage gestellt würde. Für das Zurücktreten des Irrefüh-
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28 BGH, 28.2.2002 – I ZR 195/99, GRUR 2002, 703 (704 f.) – VOSSIUS & PARTNER, m. w. N. 29 S. oben bei Fn. 7. 30 BGH GRUR 2002, 703 – VOSSIUS & PARTNER (Fn. 28); dazu bereits Bornkamm in FS v. Mühlendahl, 2005, S. 9 (13 ff.). 31 BGH GRUR 2002, 703 (705) – VOSSIUS & PARTNER (Fn. 28).
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rungsschutzes hat sich der Bundesgerichtshof auf die Lehre vom qualifizierten Herkunftshinweis berufen. Im Streitfall verbinde der Verkehr zwar mit dem Namen Vossius besondere Gütevorstellungen, die sich aber nicht nur auf die Person des Klägers, sondern auf sämtliche Sozien beziehe. In dieser besonderen Qualitätserwartung werde der Verkehr nicht enttäuscht, zumal der Briefkopf in der Namensleiste einen Hinweis darauf enthalte, dass der Kläger nach wie vor als Patentanwalt tätig sei32. Die Schwäche dieser Begründung ist offensichtlich: Wäre der Fall wirklich anders zu entscheiden gewesen, wenn die zurückgebliebenen Sozien der Kanzlei „VOSSIUS & PARTNER“ die Qualitätserwartungen nicht in demselben Maße erfüllt hätten wie ihr Namensgeber und ehemaliger Seniorpartner? Die entscheidende Frage muss sein, ob dem Namensträger mit dem Namensrecht die Befugnis zugewiesen ist, in dieser Weise über seinen Namen zu verfügen. Das ist keinesfalls selbstverständlich.33 Bejaht man aber diese Frage, darf die getroffene Entscheidung nicht durch die Anwendung des Irreführungsverbots, und zwar auch nicht durch § 5 Abs. 2 UWG, konterkariert und davon abhängig gemacht werden, ob sich die in der Kanzlei verbleibenden Sozien des Namens würdig erweisen, den sie als Firma verwenden.34 c) Abgrenzungsvereinbarungen Eine ähnliche Situation wie bei der Lizenz begegnet uns bei Abgrenzungsvereinbarungen, die die Inhaber von verwechselbaren Zeichen treffen, um die Schutzbereiche ihrer Zeichen voneinander abzugrenzen. Es liegt in der Natur solcher meist im Vergleichswege getroffenen Vereinbarungen, dass die Vertragsparteien die ihnen aus ihren Kennzeichen möglicherweise zustehenden Rechte nicht vollständig ausspielen, sondern ihre sachlichen und räumlichen Tätigkeitsbereiche im gegenseitigen Nachgeben voneinander abgrenzen. Auch hier kommt es zumindest in Randbereichen zu Verwechslungen, die die Vertragsparteien hinnehmen. Auch eine solche legitime Vereinbarung darf durch den lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutz nicht gefährdet werden. d) Aufbrauchsfristen Im Ergebnis nicht minder eindeutig ist der Fall, dass der Kennzeicheninhaber dem Verletzer eine Aufbrauchsfrist gewährt oder – besser – gewähren muss. Denn zur Aufbrauchsfrist kommt es, weil der kennzeichenrechtliche Anspruch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz materiell-rechtlich eingeschränkt ist.35 Dass dem Verletzer das „Aufbrauchen“ während der ge-
__________ 32 BGH GRUR 2002, 703 (705) – VOSSIUS & PARTNER (Fn. 28). 33 Ein berechtigtes Interesse ist beispielsweise zu verneinen, wenn ein erfolgreicher Einzelanwalt nach seiner Zurruhesetzung einem anderen Büro, mit dem er sonst nie etwas zu tun hatte, gestattet, seinen Namen zu führen. Zur „Lizenzierbarkeit“ des Namens Bayreuther in MünchKomm, BGB, 5. Aufl., § 12 Rz. 132 ff. 34 So bereits Bornkamm in FS v. Mühlendahl, 2005, S. 9 (16). 35 Vgl. nur Bornkamm in Köhler/Bornkamm (Fn. 5) § 8 Rz. 1.58 ff.
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währten Frist auch unter dem Gesichtspunkt einer Irreführung nicht untersagt werden kann, mag sich auch daraus ergeben, dass ein lauterkeitsrechtlicher Anspruch denselben, sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Einschränkungen unterliegt. Aber auch ein Streit darüber, ob die gewährte Aufbrauchsfrist angemessen ist, sollte von vornherein unter dem Gesichtspunkt abgeschnitten sein, dass die vom Inhaber des Kennzeichenrechts hinzunehmende Verwechslungsgefahr auch von jedem Dritten hingenommen werden muss. 3. Konfliktzone 3: Ausdehnung des Kennzeichenschutzes mit Hilfe lauterkeitsrechtlicher Ansprüche? Die größte praktische Bedeutung hat die dritte Konfliktzone, bei der es darum geht, ob der Inhaber des Kennzeichenrechts den sich aus seinem Recht ergebenden Schutz mit Hilfe des Lauterkeitsrechts ausdehnen kann. Denn Kennzeicheninhaber, die mit den Grenzen ihres Rechts konfrontiert werden, stützen ihre Klage nicht selten auch auf § 5 Abs. 2 UWG und berufen sich darauf, dass der lauterkeitsrechtliche Verwechslungsschutz diese Grenzen nicht kenne.36 a) Bestandskraft der Marke Eine erste Einschränkung des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes lässt sich bereits aus dem Wortlaut von § 5 Abs. 2 UWG bzw. Art. 6 Abs. 2 lit. a der Richtlinie ableiten. Soweit sich die Irreführung aus der Verwechslung „mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers“ ergeben soll, ist der bestehende Markenschutz Voraussetzung für den lauterkeitsrechtlichen Anspruch. Dies bedeutet, dass auch im Falle des (mangels Zahlung der Verlängerungsgebühr) ausgelaufenen Markenschutzes kein lauterkeitsrechtlicher Verwechslungsschutz mehr in Betracht kommt. Entsprechendes gilt für Marken, die wegen Verfalls oder Nichtigkeit gelöscht worden sind.37 b) Verjährung und Verwirkung Ebenfalls eindeutig ist es, dass sich der Verletzer gegenüber einem lauterkeitsrechtlichen Anspruch nicht mit Erfolg darauf berufen kann, dass kennzeichenrechtliche Ansprüche gegen ihn verjährt oder verwirkt seien. Denn die Ansprüche aus dem Kennzeichen und die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche aus §§ 8, 5 Abs. 2 UWG sind grundsätzlich unabhängig voneinander und unterlie-
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36 Vgl. etwa BGH, 2.4.2009 – I ZR 78/07, GRUR 2009, 672 Tz. 56 ff. – OSTSEE-POST. Mit der Konkurrenzfrage musste sich der BGH in dieser Entscheidung nicht auseinandersetzen, weil die erstmalige Berufung auf § 5 UWG im Revisionsverfahren bereits aus prozessualen Gründen (neuer Streitgegenstand!) scheiterte. 37 Der Richter, der darüber entscheidet, ob ein Zeichen die Gefahr einer Verwechslung mit der Marke eines Mitbewerbers hervorruft, muss wie der Richter im Markenverletzungsprozess vom Bestand der Marke ausgehen. Der Beklagte kann sich also nicht darauf berufen, dass die Marke gar nicht hätte eingetragen werden dürfen.
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gen selbstverständlich auch unabhängig voneinander der Verjährung und gegebenenfalls der Verwirkung. Konsequenz ist, dass der Kennzeicheninhaber, der sich durch Verjährung38 oder Verwirkung39 an der Geltendmachung seiner Ansprüche gehindert sieht, möglicherweise durch Einschaltung eines Mitbewerbers, der gerade erst von der Verletzung erfahren hat, noch zu seinem Ziel einer Untersagung gelangen kann.40 Dies bedeutet umgekehrt, dass die Verjährung oder Verwirkung der markenrechtlichen Ansprüche dem Verletzer keine Sicherheit bietet, solange die Voraussetzungen des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes nach § 5 Abs. 2 UWG vorliegen. Dies kann vor allem in Fällen der laufenden Benutzung eine Rolle spielen, in denen die Verjährung zwar immer wieder neu zu laufen beginnt,41 in denen aber der Anspruch des Kennzeicheninhabers an der speziellen kennzeichenrechtlichen Verwirkung nach § 21 MarkenG scheitern kann. c) Beschreibende Benutzung Muss sich der Kennzeicheninhaber die Schutzschranke des § 23 MarkenG entgegenhalten lassen, obwohl ein Zeichen in einer die Verwechslungsgefahr begründenden Weise benutzt worden ist, stellt sich die Frage, ob er mit Hilfe des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes – immer vorausgesetzt, die Verwechslungsgefahr im Sinne von § 5 Abs. 2 UWG ist gegeben – doch noch an sein Ziel einer Untersagung gelangen kann.42 Auch in diesem Fall wird deutlich, dass es eines gewissen Vorrangs des Kennzeichenrechts vor dem lauterkeitsrechtlichen Schutz bedarf, wenn nicht zentrale Aussagen über den Schutzumfang in Frage gestellt werden sollen. d) Erschöpfung In Fällen, in denen der Kennzeichenschutz nach § 24 MarkenG erschöpft ist, weil das fragliche Kennzeichen für Waren benutzt wird, die vom Berechtigten unter diesem Kennzeichen in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebracht worden sind, wird der lauterkeitsrechtliche Verwechslungsschutz in aller Regel nicht in Betracht kommen. Denn Erschöpfung tritt nur ein, wenn die mit dem Zeichen versehene Ware vom Berechtigten stammt. Es erfolgt also keine Verwechslung dieses Zeichens mit dem Zeichen eines Mitbewerbers; eine Irreführung über die betriebliche Herkunft ist ausgeschlossen. Dementsprechend scheidet der lauterkeitsrechtliche Verwechslungsschutz auch in Fällen aus, in denen keine Erschöpfung eingetre-
__________ 38 § 20 MarkenG. 39 § 21 MarkenG oder § 242 BGB. 40 Der Einschaltung eines Strohmanns kann allerdings der Missbrauchseinwand entgegenstehen; vgl. BGH, 16.7.2009 – I ZB 53/07, BGHZ 182, 325 Tz. 21 = GRUR 2010, 231 – Legostein. 41 Vgl. nur Bornkamm in Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap. 34 Rz. 9. 42 Vgl. die Konstellation im Fall „OSTSEE-POST“ BGH, GRUR 2009, 672 Tz. 56 ff. (Fn. 36).
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ten ist, es sich aber um Originalware handelt, die außerhalb von EU und EWR vom Berechtigten oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht worden ist. e) Mangelnde Benutzung Aus einer eingetragenen Marke können keine (markenrechtlichen) Rechte hergeleitet werden, wenn die Marke innerhalb der letzten fünf Jahre vor Geltendmachung nicht benutzt worden ist.43 Diese Schutzschranke wird in der Regel kaum mit dem lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutz kollidieren, weil eine nicht benutzte Marke dem Verkehr in der Regel auch nicht bekannt sein wird. Eine gewisse Bekanntheit ist aber Voraussetzung für eine Verwechslungsgefahr nach § 5 Abs. 2 UWG.44 Völlig ausgeschlossen ist es indessen nicht, wenn es sich um eine Marke handelt, die in der Vergangenheit gut eingeführt war, so dass sie dem Verkehr trotz fünfjähriger Nichtbenutzung noch in Erinnerung ist. Auch in diesem Fall gilt, dass die markenrechtliche Schutzschranke den lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutz ausschließt. Die Marke ist in einem solchen Fall löschungsreif. Markenrechtlich kann die löschungsreife Marke oder ein ähnliches Zeichen von jedermann ohne Risiko benutzt werden, ohne dass zuvor ein Antrag wegen Verfalls45 gestellt oder eine Verfallsklage46 erhoben werden müsste. Demjenigen, der ein mit einer solchen Marke verwechselbares Zeichen benutzt, stünde – würde ihn der Markeninhaber in Anspruch nehmen – die Einrede der Nichtbenutzung zur Seite.47 Stünden dem Markeninhaber, einem anderen Mitbewerber oder einem Verband in einem solchen Fall Ansprüche wegen Irreführung nach §§ 8, 5 Abs. 2 UWG zu, würde dies bedeuten, dass der Schuldner Löschungsklage erheben und beantragen müsste, den Zeitpunkt des Verfalls auf den Eintritt der Löschungsreife festzusetzen.48 Nach Rechtskraft des Urteils müsste er dann Vollstreckungsgegenklage erheben, um die Zwangsvollstreckung aus dem gegen ihn erstrittenen Titel für unzulässig zu erklären. Den Schuldner auf einen solchen Umweg zu verweisen, den das Markenrecht dem wegen einer Markenverletzung in Anspruch Genommenen nicht zumutet, wäre höchst unangemessen. 4. Wie lässt sich der Vorrang der kennzeichenrechtlichen Regelungen begründen? Zunächst ist hervorzuheben, dass Kennzeichenrecht und lauterkeitsrechtlicher Verwechslungsschutz am selben Phänomen ansetzen, freilich mit unterschiedlicher Schutzrichtung. Hier wie dort geht es darum, dass der angesprochene Verkehr zwei Zeichen miteinander verwechselt. Diese Verwechslung
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§ 25 Abs. 1 MarkenG. Vgl. oben bei Fn. 21. § 53 Abs. 1 MarkenG. § 55 Abs. 1 MarkenG. § 25 Abs. 2 MarkenG. § 52 Abs. 1 Satz 2 MarkenG.
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kann für den angesprochenen Verbraucher wie für den Inhaber des prioritätsälteren Kennzeichens Nachteile mit sich bringen. Der Schutz der Verbraucher vor Verwechslungen ist im modernen Markenrecht nicht mehr als ein Reflex, der nur deswegen Bedeutung hat, weil die Täuschung, der der Verbraucher unterliegt, für den Markeninhaber nachteilig ist. Das Lauterkeitsrecht vermittelt zwar ebenfalls nur dem Mitbewerber (sowie den Verbänden und Kammern) Ansprüche; mit § 5 Abs. 2 UWG sollen aber gerade die Verbraucher vor den nachteiligen Folgen der Verwechslung zweier Zeichen bewahrt werden. Nimmt es das Kennzeichenrecht aus übergeordneten Gesichtspunkten hin, dass der Verkehr möglicherweise einer Verwechslung unterliegt, muss stets gefragt werden, ob dieses Ergebnis durch das Lauterkeitsrecht konterkariert werden darf. Wie wir gesehen haben, müssen bei der Anwendung von § 5 Abs. 2 UWG die kennzeichenrechtlichen Besonderheiten berücksichtigt werden, wenn nicht festgefügte Einrichtungen des Kennzeichenrechts wie das Recht der Gleichnamigen oder die Lizenzerteilung gefährdet werden sollen. Wie lässt sich dieser – modifizierte – Vorrang des Kennzeichenrechts begründen? Zum einen handelt es sich beim Markenrecht durchweg um europäisches Recht, so dass insofern nicht Unionsrecht mit nationalem Recht, sondern Unionsrecht mit Unionsrecht kollidiert. Auch das europäische Recht kennt die Koexistenz von Marken49 und geht selbstverständlich von der Lizenzierbarkeit der Marke50 aus. Die – auch im Unionsrecht51 verankerten – Schutzschranken stellen nicht lediglich eine beliebige Außengrenze des Kennzeichenschutzes dar. Ihnen ist vielmehr die – unionsrechtlich vorgegebene – gesetzliche Regelung zu entnehmen, dass beispielsweise die beschreibende Benutzung eines fremden Kennzeichens unter bestimmten Voraussetzungen aus übergeordneten Gründen unbeeinträchtigt bleiben soll. Im Falle der beschreibenden Benutzung erscheint dieses Ergebnis auch schon deswegen als zwingend, weil die Schutzschranke voraussetzt, dass die „Benutzung nicht gegen die guten Sitten verstößt“52. Die Schutzschranke greift also nur nach einer – in das Kennzeichenrecht implementierten – lauterkeitsrechtlichen Prüfung ein. Hinsichtlich des Markenrechts ergibt sich der beschriebene Vorrang somit bereits daraus, dass der lauterkeitsrechtliche Verwechslungsschutz in der Weise ausgelegt werden muss, dass er nicht mit anderen unionsrechtlichen Bestimmungen in einen unauflöslichen Widerspruch gerät. Im Übrigen macht die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken aber auch deutlich, dass sie „nicht die gemeinschaftlichen und nationalen Vorschriften in den Be-
__________ 49 Beispielsweise in den Fällen der Verwirkung: Art. 9 Abs. 3 MarkenRL; Art. 54 Abs. 3 GMV. 50 Art. 8 MarkenRL; Art. 22 GMV. 51 Art. 6 MarkenRL; Art. 12 GMV. 52 Die Markenrichtlinie (Art. 6 Abs. 1) und die Gemeinschaftsmarkenverordnung (Art. 12) verwenden hier die aus Art. 10bis Abs. 2 PVÜ stammende Formulierung „… sofern die Benutzung den anständigen Gepflogenheiten in Handel und Gewerbe entspricht“.
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reichen … Schutz des geistigen Eigentums … (berührt)“53. Damit lässt sich die Berücksichtigung der kennzeichenrechtlichen Gegebenheiten nicht nur für das Markenrecht, sondern auch für das – nicht harmonisierte – sonstige Kennzeichenrecht begründen.
IV. § 5 Abs. 2 UWG und Geschmacksmusterrecht § 5 Abs. 2 MarkenG erfasst neben der Zeichenverletzung vor allem auch die Produktverwechslung. Für die Produktgestaltung kommt – neben dem möglichen markenrechtlichen Schutz (dreidimensionale Marke) und dem in Einzelfällen ebenfalls in Betracht kommenden Urheberrechtsschutz – maßgeblich der Geschmacksmusterschutz in Frage. Im Hinblick auf die unterschiedliche Zielrichtung des Geschmacksmusterschutzes auf der einen und des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes auf der anderen Seite ist von vornherein unproblematisch, dass § 5 Abs. 2 MarkenG einen Schutz auch unterhalb der Schutzvoraussetzungen des Geschmacksmusterrechts – Neuheit und Eigenart54 – gewährt. Aber auch der Umstand, dass für eine geschmacksmusterfähige Gestaltung kein Schutz beantragt worden oder der ursprünglich bestehende Schutz inzwischen abgelaufen ist, rechtfertigt keine Einschränkung des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes.55 Das Geschmacksmusterrecht gewährt dem Rechtsinhaber des Musters ein Ausschließlichkeitsrecht an der Schöpfung und schafft damit einen Anreiz für kreative Gestaltungen. Den Zielen dieses Schutzrechts läuft es nicht zuwider, wenn auch nach Ablauf des Geschmacksmusterschutzes eine Irreführung der Verbraucher durch Produktgestaltungen unterbunden wird, die anderen Gestaltungen ähnlich oder mit ihnen identisch sind.
V. § 5 Abs. 2 UWG und wettbewerbsrechtlicher Nachahmungsschutz Eine weitere Regelung, die mit § 5 Abs. 2 UWG kollidieren kann, ist der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz nach § 4 Nr. 9 lit. a UWG. Dabei geht es weniger um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der wettbewerblichen Eigenart. Denn weder eine Täuschung über die betriebliche Herkunft nach § 4 Nr. 9 lit. a UWG noch eine Produktverwechslung nach § 5 Abs. 2 UWG ist denkbar, wenn das nachgeahmte Produkt nicht über herkunftshinweisende Merkmale verfügt, die schon ausreichen, um die wettbewerbliche Eigenart zu begründen.56 Hinzunehmen ist auch die Ausweitung der Aktivlegitimation, die damit verbunden ist, dass der lauterkeitsrechtliche Verwechslungsschutz jedem Mitbewerber und allen in § 8 Abs. 3 UWG genannten Verbänden und
__________ 53 54 55 56
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ErwGrd 9 Satz 2 Richtlinie 2005/29/EG. § 2 Abs. 1 GeschmMG; Art. 4 Abs. 1 GGV. Vgl. Köhler, GRUR 2009, 445 (447). Vgl. nur Köhler in Köhler/Bornkamm (Fn. 5) § 4 Rz. 9.24 ff. m. w. N.
Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Verwechslungen
Kammern zugänglich ist, während der wettbewerbliche Leistungsschutz allein dem Hersteller des nachgeahmten Originals Ansprüche vermittelt.57 Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob ein lauterkeitsrechtlicher Verwechslungsschutz auch in Fällen eingreifen kann, in denen die damit verbundene Herkunftstäuschung unvermeidbar ist. Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz setzt „eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft“ voraus, während § 5 Abs. 2 UWG das Erfordernis der Vermeidbarkeit nicht kennt. Es wäre in der Tat mehr als misslich, wenn der Originalhersteller (oder jeder andere nach § 8 Abs. 3 UWG berechtigte Mitbewerber oder Verband) in Fällen, in denen ihm der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz mangels Vermeidbarkeit der Herkunftstäuschung verschlossen ist, sich mit Erfolg auf den lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutz berufen könnte. Ginge es allein um die Auslegung autonomen deutschen Rechts, begegnete es keinen Schwierigkeiten, das im selben Gesetz bei einem ähnlichen Tatbestand vorausgesetzte Merkmal der Vermeidbarkeit der Herkunftstäuschung in den Tatbestand des § 5 Abs. 2 UWG hineinzulesen, weil anzunehmen wäre, dass der Gesetzgeber einen solchen deutlichen Wertungswiderspruch nicht gewollt hat. Doch nicht nur das nationale, sondern auch das europäische Recht gebietet es, dass nur eine vermeidbare Herkunftstäuschung vom lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutz erfasst wird. Denn bei dem Merkmal der Vermeidbarkeit geht es um das grundlegende Prinzip, dass die technische Lehre und der Stand der Technik frei sind.58 Dieser Grundsatz beherrscht nicht nur das nationale, sondern auch das Unionsrecht – wie die Regelungen der Markenrechtsrichtlinie, der Gemeinschaftsmarkenverordnung, der Geschmacksmusterrechtsrichtlinie und der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung zeigen59 – und muss daher auch im Rahmen der Auslegung des unionsrechtlich vorgegebenen lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes berücksichtigt werden.60
VI. Schluss Nach allem kann kaum davon ausgegangen werden, das europäische Lauterkeitsrecht schütze den Verbraucher – wie Fezer meint61 – ohne Wenn und Aber vor einer irreführenden Verwendung eines fremden Kennzeichens. Indessen
__________ 57 Vgl. nur Köhler in Köhler/Bornkamm (Fn. 5) § 4 Rz. 9.85 f. m. w. N. 58 BGH, 17.6.1999 – I ZR 213/96, GRUR 1999, 1106 (1108) – Rollstuhlnachbar; BGH, 12.7.2001 – I ZR 40/99, GRUR 2002, 86 (90) – Laubhefter; BGH, 24.5.2007 – I ZR 104/04, GRUR 2007, 984 Tz. 35 – Gartenliege, m. w. N. 59 Art. 3 Abs. 1 lit. e Nr. ii MarkenRL; Art. 7 Abs. 1 lit. e Nr. ii GMV; Erwgrd 14 und Art. 7 GeschmMRL; Erwgrd 10 und Art. 8 GGV. 60 Dreyer in Harte/Henning, UWG, 2. Aufl., § 5 J Rz. 11, unter Berufung darauf, dass eine unvermeidbare Herkunftstäuschung niemals den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht i. S. von Art. 5 Abs. 2 lit. a Richtlinie 2005/29/EG widersprechen könne; so bereits Steinbeck, WRP 2006, 632 (639). 61 GRUR 2009, 451 (455).
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spricht auch Fezer davon, dass dem spezifischen Gegenstand62 der Kennzeichnungsrechte im Rahmen des § 5 Abs. 2 UWG eine tatbestandliche Begrenzungsfunktion zukommt. Genau darum geht es. Dort, wo lauterkeitsrechtliche Ansprüche den sonderschutzrechtlichen Regelungen zuwiderlaufen – also vor allem im Recht der Gleichnamigen, bei der Kennzeichenlizenz, bei Abgrenzungsvereinbarungen, bei den Schrankenregelungen und bei der Frage der Vermeidbarkeit der Herkunftstäuschung –, muss der lauterkeitsrechtliche Verwechslungsschutz zurückstehen. Insofern ist nach wie vor von einem Vorrang des Markenrechts auszugehen. Dieser Vorrang des Sonderschutzes kann auch aus der Sicht des Europarechts ohne weiteres gerechtfertigt werden.
__________ 62 Der Begriff stammt aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 36 AEUV; vgl. EuGH v. 22.9.1998 – C-61/07, Slg. 1998, I-5171 Tz. 13 = GRUR Int. 1998, 878 – Egmont Film/Laserdisken, EuGH, 9.11.2006 – C-281/05, Slg. 2007, I-10881 Tz. 19 = GRUR 2007, 146 – Montex Holdings Ltd/Diesel SpA; EuGH, 26.4.2007 – C-348/04, Slg. 2007, I-3391 Tz. 14 f. = GRUR 2007, 586 – Boehringer/Swingward II.
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Das WITTEM-Projekt eines „European Copyright Code“ Inhaltsübersicht I. Urheberrecht in Europa II. Geschichte des Wittem-Projekts III. Zur Methode IV. Zum Inhalt des „European Copyright Code“ 1. Kapitel 1: Geschützte Werke (Artikel 1.1–1.2)
2. Kapitel 2: Urheberschaft und Rechtsinhaberschaft (Artikel 2.1–2.6) 3. Kapitel 3: Urheberpersönlichkeitsrechte (Artikel 3.1–3.6) 4. Kapitel 4: Verwertungsrechte (Artikel 4.1–4.6) 5. Kapitel 5: Schranken (Artikel 5.1– 5.8) V. Ausblick
I. Urheberrecht in Europa Am 26. April 2010, dem 10. Welttag des geistigen Eigentums, ist unter der Adresse www.copyrightcode.eu der Text eines „European Copyright Code“ der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Es handelt sich dabei um einen Entwurf europäischer Urheberrechts-Professoren, der den Kern eines vereinheitlichten europäischen Urheberrechts enthält, auf dessen Grundlage die weitere Diskussion um die Fortentwicklung des Urheberrechts in der EU auf europäischer wie nationaler Ebene aufbauen könnte.1 Wenn auch nicht unmittelbar nach Abschluss der Römischen Verträge, so hatte der EuGH doch schon vergleichsweise frühzeitig das Spannungsfeld zwischen urheberrechtlicher Territorialität und der innergemeinschaftlichen Grundfreiheit des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs in seinen Entscheidungen thematisiert. Nach einer ersten Phase, in welcher er den Grundsatz der Erschöpfung des Verbreitungsrechts konstituiert und in seiner Reichweite auf die Verkehrsfähigkeit körperlicher Werkexemplare beschränkt hatte,2 folgte eine zweite Phase, in welcher der EuGH unterschiedlichen nationalen Regelungen und mithin den konkreten urheberrechtspolitischen Vor-
__________ 1 S. den vorletzten Erwägungsgrund der Präambel („Believing that the design of a European Copyright Code might serve as an important reference tool for future legislatures at the European and national levels“). 2 EuGH Rs. 78/70, Slg. 1971, 487 – Deutsche Grammophon; Rs. 55/80 und 57/80, Slg. 1981, 147 – Musik-Vertrieb Membran ./. GEMA sowie EuGH Rs. 62/79, Slg. 1980, 881 – Coditel I.
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stellungen der einzelnen Mitgliedstaaten den Vorrang vor den abstrakten gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten gab.3 Die dadurch ausgelöste, rund zwanzigjährige Harmonisierungstätigkeit der Kommission, des Rates und des Parlaments haben jedoch bekanntlich nur zu einer teilweisen Harmonisierung der nationalen Regelungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf bestimmte, ausgewählte Rechtsfragen des Urheberrechts geführt. So reichen die Überlegungen für den jetzt vorgestellten „European Copyright Code“ denn auch bis in die Zeit nach Verabschiedung der Informationsgesellschaftsrichtlinie zurück. Hauptkritikpunkt war zum einen, dass mit den Schrankenbestimmungen das wesentliche – und angesichts weit formulierter Ausschließlichkeitsrechte in der Praxis oft streitentscheidende – Kernstück im Ergebnis bis heute nicht harmonisiert worden ist.4 Zum anderen wurde rasch klar, dass im Wege der Harmonisierung der nationalen Urheberrechte eine weitergehende, kohärente Rechtsvereinheitlichung bei 27 Mitgliedstaaten kaum mehr zu erreichen sein würde. Auch die nachfolgenden Versuche der Kommission, unter dem Leitbild eines „better regulation approach“ die Beteiligten an den Mitgliedstaaten vorbei im Wege unverbindlicher Empfehlungen direkt zu einer markt-, wettbewerbs- und binnenmarktadäquaten Selbstregulierung zu bewegen,5 erwiesen sich bislang als allenfalls mäßig erfolgreich.6 Auch die anvisierte unionsweite Regelung der Problematik verwaister Werke, mit der dem Projekt der „Europeana“ als Pendant zum „Google Book Search“-Projekt der Weg geebnet werden soll,7 wird sich dem Vernehmen nach auf eine Art Rahmengesetzgebung beschränken. Offenbar reicht die politische Kraft zu einer weitergehenden Harmonisierung momentan nicht aus, auch wenn Art. 118 (1) AEUV seit Lissabon eine explizite Ermächtigungsgrundlage für ein Gemeinschaftsurheberrecht enthält und ein solches in der Literatur mitunter für unvermeidlich gehalten wird.8
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3 EuGH Rs. 158/86, Slg. 1988, 2605 – Warner Brothers ./. Christiansen und Rs. C-341/ 87, Slg. 1989, 79 – EMI Electrola ./. Patricia. – S. dazu etwa Dreier, The Role of the ECJ for the Development of Copyright in the European Communities, J. Cop. Soc. USA, Vol. 54, Nos. 2–3 (Winter-Spring 2007), S. 183 ff. 4 S. zur Kritik insbesondere Hugenholtz, [2000] EIPR 11, 501. 5 Empfehlung der Kommission vom 18. Mai 2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden, ABl. L 276 v. 21.10.2005, S. 54, und dazu Lüder, Making markets work – the case for EU-wide online licensing, http://www. fordhamipinstitute.com/media/IP2007Papers.zip. 6 Zur Kritik s. nur die Stellungnahmen der GRUR, GRUR 2006, 303 und des MPI, GRUR Int. 2006, 222. – Zu Rechtsproblemen der CELAS s. LG Mannheim ZUM 2009, 253 sowie LG München I ZUM 2009, 788 und dazu Jani, ZUM 2009, 722 sowie a. A. Schäfer, ZUM 2010, 150; s. auch Hoeren/Altemark GRUR 2010, 16; Alich GRUR Int. 2008, 996; Poll ZUM 2008, 500. 7 S. dazu http://ec.europa.eu/information_society/activities/digital_libraries/index_en. htm sowie zur „Europeana“ europeana.eu/portal. 8 So – allerdings ohne Erwähnung von Art. 118 (1) AEUV – etwa Schack, ZGE 2009, 275; s. bereits zuvor Schack, ZEuP 2000, 799; kritisch allerdings v. Lewinski in: Walter/v. Lewinski, European Copyright Law, Oxford 2010, 1.0.19. – Die Möglichkeit eines Gemeinschaftsurheberrechts hat die – alte – Kommission immerhin, wenn auch etwas zögerlich, angesprochen; s. „Creative Content in a European Digital Single Mar-
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Vor allem in Zeiten des Internets bedarf es für urheberrechtlich geschützte Werke jedoch eines funktionierenden grenzüberschreitenden gemeinsamen Binnenmarktes. Um eine Vergrößerung des Angebots und der Nutzung digitaler Informations- und Unterhaltungsdienstleistungen zu gewährleisten, sind transparente und einheitliche Urheberrechtsregeln erforderlich, die darüber hinaus Grundsätze des Civil law wie auch des Common law in sich aufnehmen. Schließlich sollte ein vereinheitlichtes Europäisches Recht nicht allein auf die Rechte der Urheber und Rechteinhaber fixiert sein, sondern auch andere, in der europäischen Rechtskultur verankerte Werte wie das Recht der freien Meinungsäußerung und den Wettbewerbsgedanken berücksichtigen.
II. Geschichte des Wittem-Projekts Der jetzt vorliegende „European Copyright Code“ ist das Ergebnis einer seit dem Jahr 2002 bestehenden engen Zusammenarbeit mehrerer europäischer Professoren, deren gemeinsames Anliegen die problem- und interessenadäquate Weiterentwicklung eines ausgewogenen europäischen Urheberrechts ist. Das Projekt, das seinen Namen „Wittem“ nach dem belgischen Tagungsort trägt, in dem der Gedanke eines „European Copyright Code“ zum ersten Mal formuliert wurde, ging aus einem zunächst von der niederländischen Regierung im Rahmen des ITeR-Programms finanzierten und von den Universitäten Nijmegen, Amsterdam und Leiden durchgeführten Projekt hervor, das die Verbesserung der Kohärenz und die Verstärkung der Transparenz der rechtlichen Regelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums zum Gegenstand hatte. Nach Überzeugung der Verfasser des „European Copyright Code“ ist auch der Prozess der Urheberrechtsharmonisierung in der EU nicht immer hinreichend transparent. Vor allem findet die Stimme der Akademiker im Gesetzgebungsprozess nicht immer angemessenes Gehör.9 Daraus entstand die Idee, dass ein von Partikularinteressen weitgehend freier Diskussionsprozess mit dem Ziel der Erarbeitung eines Textes, der Traditionen des Civil- wie des Common Law vereint, für die Fortsetzung der Rechtsentwicklung auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene sinnvoll und hilfreich sein kann. Der Code ist auf mehreren Sitzungen in regelmäßigen Abständen von einem Drafting Komitee erarbeitet worden, das bei seiner Arbeit von einem Beratergremium (Advisory Board) sowie von weiteren ad hoc eingeladenen Experten
__________ ket – Challenges for the Future, A Reflection Document by DG InfoSoc and DG Market, v. 22.10.2009, S. 18, Fn. 49 (http://ec.europa.eu/avpolicy/docs/other_actions/ col_2009/reflection_paper.pdf). 9 Eine ebenfalls von Amsterdamer IViR im Auftrag der EU-Kommission erstellte Studie zur Harmonisierung des Urheberrechts ist im Wesentlichen folgenlos geblieben; s. van Eechoud/Hugenholtz/van Gompel/Guibault/Helberger, Harmonizing European Copyright Law – The Challenges of Better Lawmaking, Alphen aan den Rijn, 2009.
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unterstützt wurde.10 Dem Drafting Komitee gehörten an: Prof. Lionel Bently (Centre of Intellectual Property and Information Law, University of Cambridge, Emmanuel College, Cambridge); Prof. Thomas Dreier (Institut für Informations- und Wirtschaftsrecht, Zentrum für angewandte Rechtswissenschaft, Karlsruher Institut für Technology, KIT); Prof. Reto Hilty (Max Planck Institut für geistiges Eigentum und Steuerrecht, München); Prof. P. Bernt Hugenholtz (Instituut voor Informatierecht, Universiteit van Amsterdam); Prof. Antoon Quaedvlieg (Radboud Universiteit Nijmegen); Prof. Alain Strowel, (Facultés universitaires Saint-Louis, Bruxelles) sowie Prof. Dirk Visser (Universiteit Leiden). Die Gesamtkoordination oblag Prof. Quaedvlieg. Dabei war die Aufgabe, einen ersten Entwurf zu erstellen, auf die einzelnen Mitglieder des Drafting Komitees verteilt. Die einzelnen Berichterstatter waren: für Werke Prof. Quaedvlieg; für Urheberschaft und erste Rechtsinhaberschaft Prof. Hugenholtz; für das Urheberpersönlichkeitsrecht Prof. Strowel; für die Verwertungsrechte Prof. Visser und für die Schrankenbestimmungen Profs. Dreier und Hilty. Die Abfassung des endgültigen Textes erfolgte in einem interaktiven Prozess. Auf einer ersten Stufe wurde jeder Abschnitt, zu dem der Berichterstatter jeweils einen erläuternden Text verfasst hatte, zunächst im Plenum mit den Mitgliedern des Advisory Boards und einigen weiteren, von Fall zu Fall eingeladenen Experten diskutiert. Die Korrekturen, Anregungen und Ergänzungen dieser Diskussion flossen dann in einen vom jeweiligen Berichterstatter überarbeiteten Text ein. Dieser wurde nach erneuter Diskussion vom Drafting Komitee in die endgültige konsolidierte Version gebracht. Insoweit lag die Abfassung des endgültigen Textes in der alleinigen Verantwortung der Mitglieder des Drafting Komitees. Anschließend wurde der in Englisch verfasste Text von Prof. Bently sprachlich überarbeitet und in einem abschließenden Durchgang die letzten verbliebenen offenen Punkte geschlossen sowie verbliebene redaktionelle Inkonsistenzen und Fehler beseitigt.
III. Zur Methode Ehe der wesentliche Inhalt des „European Copyright Code“ kurz vorgestellt werden soll, seien noch zwei Anmerkungen zum methodischen Vorgehen der Abfassung des Textes vorangestellt.
__________ 10 Diese Arbeitsweise hatte die Wittem-Group von früheren vergleichbaren Unternehmungen auf anderen Rechtsgebieten (etwa der Commission on European Contract Law, CECL) übernommen. – Dem Advisory Board der Wittem-Group gehörten an: Prof. Jon Bing (Institutt for rettsinformatikk, Universitetet i Oslo); Prof. Robert Clark (University College Dublin); Prof. Frank Gotzen (Centrum voor Intellectuele rechten, Katholieke Universiteit Leuven); Prof. Ejan Mackaay (Université de Montréal); Prof. Marco Ricolfi (Università degli Studi di Torino); Prof. Elzbieta Traple (Uniwersytet Jagiellonski w Krakowie); Prof. Michel Vivant (Université Montpellier 1), sowie Prof. Raquel Xalabarder (Universitat Oberta de Catalunya). – Sophie van Loon und Liza Gerritsen (Radboud University of Nijmegen) nahmen die Sekretariatsaufgaben der Wittem-Group wahr.
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Das WITTEM-Projekt eines „European Copyright Code“
Die erste Anmerkung betrifft den Charakter des Textes. Mehr noch als den größeren vergleichbaren Unternehmungen auf dem Gebiet des europäischen Zivilrechts ging es den Mitgliedern des Drafting Komitees der Wittem-Group um die Herausarbeitung nicht lediglich allgemeiner Prinzipien, die den nationalen Urheberrechtsgesetzen aller Mitgliedstaaten zugrunde liegen.11 Vielmehr erreicht der „European Copyright Code“ eine Detailtiefe, die der Formulierung konkreter Gesetzesbestimmungen angenähert ist.12 Die insgesamt 28 Artikel des Code sind in ihrer Struktur durchaus als vollständige Rechtssätze angelegt und könnten gegebenenfalls als solche übernommen werden, mag ihre betont schlanke sprachliche Fassung auch nicht allen Gesetzgebungstraditionen der einzelnen Mitgliedstaaten entsprechen. Zugleich ging es auch nicht um eine bloße Konsolidierung oder ein Restatement des bestehenden „acquis communautaire“.13 Freilich bewegt sich der „European Copyright Code“ nicht in einem luftleeren Raum. Vielmehr ist der Handlungsrahmen auf europäischer Ebene durch die internationalen Konventionen abgesteckt, allen voran der Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ) und des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen) sowie des WIPOUrheberrechtsvertrages (WIPO-Copyright Treaty, WCT). Auch der urheberrechtliche acquis communautaire lässt sich nicht ignorieren, zumal er über weite Strecken vom gemeinsamen Willen der EU-Mitgliedstaaten getragen ist. Es erschiene wenig sinnvoll, insoweit auf bereits erreichte Rechtseinheitlichkeit verzichten zu wollen. Da dem europäischen Gesetzgeber andererseits eine Änderung dieses acquis nicht verwehrt ist, sahen die Mitglieder des Drafting Komitees jedoch durchaus die Möglichkeit, in denjenigen Punkten vom bisherigen acquis abzuweichen, in denen dieser mit den grundlegenden Überzeugungen der Wittem-Group nicht in Einklang steht. Dabei ließ sich das Drafting Komitee vornehmlich von drei Grundüberzeugungen leiten. Zum einen von der Überzeugung, dass der Schutzgrund des Urheberrechts in Europa zwar in dem Ziel zu suchen ist, den individuellen Urheber zu schützen, dass dies zugleich jedoch zu dem Zweck geschieht, das Bedürfnis der Allgemeinheit hinsichtlich Schaffung und Verbreitung von Werken der Literatur, Wissen-
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11 S. insbesondere die Commission on European Contract Law (CECL; sog. LandoGroup), s. Lando/Beale (Hrsg.), Principles of European Contract Law, Parts I and II, 1999 und Lando/Clive/Prum/Zimmermann (Hrsg.), Part 3, 2003. – S. auch das vom Joint Network on European Private Law gegenwärtig bearbeitete Projekt der „Common Principles of European Contract Law“ (CoPECL; http://www.copecl.org). – Zu den „Principles for Conflict of Laws in Intellectual Property (CLIP)“ s. http:// www.ip.mpg.de/go/clip. 12 Der gemeinsam von der Study Group on a European Civil Code (http://www.sgecc. net) unter Leitung von v.Bar und der European Research Group on Existing EC Private Law (Acquis Group; http://www.acquis-group.org) erarbeitete, von v.Bar/Clive/ Schulte-Nölke u. a. herausgegebene „Draft Common Frame of Reference“ (http://ec. europa.eu/justice_home/fsj/civil/docs/dcfr_outline_edition_en.pdf) enthält neben „principles“ nun allerdings auch „model rules“. 13 S. Absatz 6 der Einführung zum Code. – Vgl. zu früheren Überlegungen einer Aktualisierung und Konsolidierung des Gemeinschaftsrechts im Auftrag der seinerzeitigen Kommission den Vortrag von Walter im Rahmen der Konferenz in Santiago de Compostela im Jahr 2002 (http://ec.europa.eu/internal_market/copyright/docs/confe rence/2002-06-santiago-speech-walter_en.pdf); Schack, ZGE 2009, 275, 277 ff.
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schaft und Kunst zu befriedigen. Zum anderen folgt daraus die weitere Überzeugung, dass Schutz- und Zugangsinteressen im Urheberrecht in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Schließlich sollte der Code ein Mindestmaß an Flexibilität aufweisen, um angesichts der fehlenden Vorhersehbarkeit der technologischen Entwicklung und der durch sie eröffneten Verwertungsmöglichkeiten angemessen auf derartige Veränderungen reagieren zu können. Die zweite Anmerkung betrifft die fehlende Vollständigkeit des Textes. Denn es handelt sich beim vorliegenden „European Copyright Code“ gleichwohl nicht um ein in jeder Hinsicht vollständiges Gesetzbuch. Vielmehr beschränkt sich der Code auf Kernmaterien des Urheberrechts, die in jeder Urheberrechtskodifizierung enthalten sein müssen. Abgehandelt sind die Fragen des Schutzgegenstandes (Kapitel 1), der Urheberschaft und ersten Inhaberschaft (Kapitel 2), das Urheberpersönlichkeitsrecht (Kapitel 3), die Verwertungsrechte (Kapitel 4, jeweils einschließlich der Dauer des Schutzes) sowie die Schrankenbestimmungen (Kapitel 5). Dagegen enthält der Code zum einen keine Bestimmungen zu Rechten und Vergütungsansprüchen, die, wie etwa das Verleihund das Folgerecht, nicht in allen Urheberrechtsordnungen der Gemeinschaft enthalten sind. Zum anderen enthält er nur vereinzelte Bestimmungen hinsichtlich des Urhebervertragsrechts, und insbesondere bleiben verwandte Schutzrechte einschließlich des Datenbankschutzes, die Rechtsdurchsetzung sowie der rechtliche Schutz gegen die Umgehung technischer Schutzmechanismen (mit Ausnahme von deren Verhältnis zu den Schrankenbestimmungen) ausgeklammert. Auch fremdenrechtliche Vorschriften, Regelungen des anwendbaren Rechts und Übergangsbestimmungen fehlen. Das Gleiche gilt für das Recht der Verwertungsgesellschaften. Dennoch sind die Mitglieder des Drafting Komitees der Überzeugung, mit dem vorgelegten Code einen weiterführenden Schritt in die richtige Richtung getan zu haben.14
IV. Zum Inhalt des „European Copyright Code“ Die kurze Vorstellung des Inhalts des „European Copyright Code“ bedarf noch einer weiteren Vorbemerkung. Selbstverständlich gibt es mit der ersten und der zweiten Textfassung, mit den erläuternden Begleittexten der jeweiligen Berichterstatter sowie den Aufzeichnungen der – nicht immer geradlinig verlaufenen – Diskussionsrunden mit den Mitgliedern des Beirats sowie den ad hoc eingeladenen Experten vorbereitende Dokumente. Dennoch haben die Verfasser des „European Copyright Code“ bewusst darauf verzichtet, neben dem eigentlichen Text auch die vorbereitenden Texte zugänglich zu machen.
__________ 14 Kritisch hingegen Kuhlen, Richtungweisend oder eine verpasste Chance? – Der Copyright-Code des Wittem-Projekts, www.Kuhlen.name/MATERIALIEN/Publika tionen2010/Kommentar-zum-wittem-projekt00510.pdf. Der Text erscheint auch in einer der nächsten Ausgaben des Journal of Intellectual Property, Information Technology and E-Commerce Law (JIPITEC).
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Damit soll verhindert werden, dass sich das Augenmerk der weiteren Diskussion allzu sehr vergangenheitsgewandt auf die Genese des „European Copyright Code“ richtet. Demgemäß soll auch hier auf Einzelheiten dieser Dokumente nicht verwiesen werden. Der vorliegende Text sollte vielmehr Ausgangspunkt für eine zukunftsgerichtete Diskussion sein. Um gleichwohl etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, haben die Verfasser den Text allerdings dort, wo ihnen dies angezeigt erschien, in – insgesamt 58 – Fußnoten um einige Erläuterungen ergänzt. Dabei handelt es sich zum einen um Hinweise auf bestehende internationale und europäische Normen und zum anderen um klarstellende Hinweise in Bezug auf Inhalt und Bedeutung einzelner im Text verwandter englischsprachiger Termini. Nicht zuletzt kommen in den Fußnoten einige Erwägungen zum Ausdruck, die im Zuge der Abfassung des Textes erörtert worden sind, die jedoch keinen Eingang in den Gesetzestext gefunden haben. An manchen Stellen schließlich ist in den Fußnoten angedeutet, dass nicht immer eine vollständige Übereinstimmung unter den Mitgliedern des Drafting Komitees erzielt werden konnte und wieweit in einem solchen Fall die von allen mitgetragene Auffassung reicht. 1. Kapitel 1: Geschützte Werke (Artikel 1.1–1.2) In Anlehnung an die Systematik der RBÜ wie auch vieler nationaler Urheberrechtsgesetze der Mitgliedstaaten wird zunächst der Werkbegriff umschrieben und anhand einer nichtabschließenden Liste von Beispielen erläutert (Art. 1.1). Nachfolgend werden einige an sich schutzfähige Werke vom Schutz des Urheberrechts ausgenommen (Art. 1.2). Grundsätzlich schutzfähig sind im Sinne eines Oberbegriffs15 alle Arten des Ausdrucks im Bereich von Literatur, Kunst oder Wissenschaft (Art. 1.1 (1)). Eine Fußnote stellt klar, dass es auf Art und Form des Ausdrucks ebenso wenig ankommt, wie auf eine Fixierung. Auch die Bearbeitung eines Werkes kann ein eigenständig schutzfähiges Werk sein.16 An dieser wie an vielen anderen Stellen deutet sich das Bemühen der Verfasser um einen möglichst straffen Wortlaut an: Auch wenn die meisten nationalen Gesetze Bearbeitungen gesondert abhandeln, ergibt sich deren Schutzfähigkeit genau betrachtet doch bereits aus der allgemeinen Definition des schutzfähigen Werkes. Als allgemeine Schutzvoraussetzung übernimmt der Text mit der „eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers“ das Kriterium, das zunächst in der Computerprogramm-Richtlinie von 1991 enthalten und nachfolgend von der Schutzdauerrichtlinie für fotografische Werke wie schließlich auch von der Datenbankrichtlinie übernommen worden war. In der Sache schlägt der Code also vor, was der EuGH in seiner Entscheidung Infopaq anzudeuten scheint (Art. 1.1 (1)).17 In einer Fußnote dazu ist ausgeführt, dass die Voraussetzungen bei schöpferischen Werken nach Ansicht der Verfasser mithin etwas höher
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15 Fußnote 2 zum Code. 16 Fußnote 2 zum Code. 17 EuGH Rs. 5/08 v. 16.7.2009.
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sind als „skill and labour“. Bei künstlerischen Werken dürfte das Augenmerk dabei eher auf dem persönlichen Ausdruck liegen, bei faktenbezogenen und funktionalen Werken hingegen kommt es wohl eher auf die Fähigkeit („skill“) im Sinne der Urteilskraft („judgement“) sowie auf die aufgebrachten Mühen („labour“) an.18 Auf den Begriff der Originalität hat der Code dagegen verzichtet. Die in Art. 1.1 (2) beispielhaft genannten Werkarten decken sich mit den Werkarten, die üblicherweise in nationalen Gesetzen genannt sind unter Einschluss von Computerprogrammen, Sammlungen und Datenbanken. Nach Art. 1.1 (3) sind Fakten, Entdeckungen, Nachrichten und Daten für sich („in themselves“; der Terminus „as such“ aus Art. 52 EPÜ ist bewusst vermieden worden)19 ebenso wenig urheberschutzfähig wie Ideen und Theorien, Verfahren, Handlungsmethoden und mathematische Konzepte.20 Vom Urheberschutz ausgenommen sind schließlich nach Art. 1.2 an sich schutzfähige offizielle Texte aus Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung sowie offizielle Texte, die von den öffentlichen Behörden veröffentlicht worden sind. Eine Fußnote stellt klar, dass von Privaten verfasste öffentliche Texte bis zur Veröffentlichung urheberschutzfähig bleiben. Auch können sich selbst nach Veröffentlichung urheberpersönlichkeitsrechtliche Fragen stellen.21 2. Kapitel 2: Urheberschaft und Rechtsinhaberschaft (Artikel 2.1–2.6) Das zweite Kapitel befasst sich mit der Urheberschaft (Art. 2.1) und der ersten Inhaberschaft der Urheberpersönlichkeits- (Art. 2.2) wie der Verwertungsrechte (Art. 2.3). Es folgt die Festschreibung des Zweckübertragungsgrundsatzes (Art. 2.4) sowie der Inhaberschaft bei Werken, die im Rahmen eines Arbeits(Art. 2.5) oder eines Auftragsverhältnisses (Art. 2.6) geschaffen worden sind. Trotz nicht immer einfacher Diskussionen, die ihren Grund vor allem in den unterschiedlichen Herangehensweisen des Civil und des Common Law hatten, hat man sich hier im Drafting Komitee erstaunlich rasch auf eine Regelung verständigen können. Danach soll es bei dem Grundsatz verbleiben, dem zu Folge Urheber eines Werkes diejenige natürliche Person – oder Gruppe von Personen – ist, die das Werk geschaffen hat (Art. 2.1). Für Filmwerke verweist eine Fußnote auf die in Art. 2 (2) der Schutzdauerrichtlinie genannten Personen.22 Der Urheber eines Werkes ist zugleich erster Inhaber der Urheberpersönlichkeitsrechte, die der Entwurf darüber hinaus für unübertragbar („cannot be
__________ 18 19 20 21 22
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Fußnote 7 zum Code. Fußnote 8 zum Code. Diese Formulierung entstammt Art. 9 (2) TRIPS. Fußnote 14 zum Code. Fußnote 15 zum Code (wobei das „shall include“ wohl so zu lesen ist, dass im Einzelfall auch weitere als die dort genannten Personen Miturheber eines Filmwerkes sein können).
Das WITTEM-Projekt eines „European Copyright Code“
assigned“) erklärt (Art. 2.2). Auch die Verwertungsrechte stehen nach Art. 2.3 (1) dem Urheber erstmalig zu, doch können sie nach Art. 2.3 (2) übertragen und lizensiert werden23 sowie im Wege des Erbgangs übergehen. Eine Rechtsübertragung („assignment“) setzt eine schriftliche Vereinbarung voraus (Art. 2.3 (4)). Etwaige Vergütungsansprüche bleiben von einer Übertragung unberührt (Art. 2.3 (3)). Dem deutschen Recht entlehnt ist die weitere vertragsrechtliche Regelung, den Umfang einer Rechtsübertragung sowie einer exklusiven Lizenz dann nach dem Übertragungszweck zu bestimmen, wenn der Vertrag die Vergütung des Urhebers, die räumliche Reichweite, die Art der Nutzung und die Dauer der Rechtseinräumung nicht hinreichend spezifiziert (Art. 2.4). Für Werke, die in Arbeitsverhältnissen geschaffen sind, gilt unter Übernahme des Wortlauts von Art. 2 (3) der Computerprogramm-Richtlinie vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Vereinbarung eine Vermutung für die Übertragung der Rechte auf den Arbeitgeber (Art. 2.5). Bei Auftragswerken gehen Nutzungsrechte in dem Umfang auf den Auftraggeber über, wie dies für den Urheber erkennbar nach dem Auftragszweck erforderlich ist (Art. 2.6). 3. Kapitel 3: Urheberpersönlichkeitsrechte (Artikel 3.1–3.6) Als Urheberpersönlichkeitsrechte listet Kapitel 3 nach einem einführenden Artikel (Art. 3.1) das Veröffentlichungs- (Art. 3.2), das Namensnennungs(Art. 3.3) und das Recht auf Werkintegrität (Art. 3.4) auf. Die Dauer der einzelnen Befugnisse ist jeweils im Zusammenhang mit diesen gesondert geregelt. Ergänzt wird dieses Kapitel um eine Bestimmung über die Einwilligung (Art. 3.5) und die Interessen Dritter (Art. 3.6). Mit dem Veröffentlichungsrecht steht dem Urheber die alleinige Entscheidung zu, ob und auf welche Weise er sein Werk erstmals veröffentlichen will (Art. 3.2). Dem Namensnennungsrecht unterfällt das Recht, als Urheber benannt zu werden, die Wahl der Art und Weise der Bezeichnung, wobei auf die besonderen Umstände ebenso wie auf Gepflogenheiten Rücksicht zu nehmen ist,24 einschließlich des Rechts anonym zu bleiben, sowie das Recht, die Angabe des Werktitels verlangen zu können (Art. 3.3). Eine besondere Erklärung, dieses Recht in Anspruch nehmen zu wollen, wie sie gegenwärtig etwa das britische Recht kennt, ist nach dem Code für den Bestand dieses Rechts nicht Voraussetzung. Das Integritätsrecht ist wortgleich Art. 6bis (1) RBÜ entlehnt. Hinsichtlich der Schutzdauer sind die Verfasser des Code der Auffassung, dass nicht alle urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse die gleiche Schutzdauer verdienen. So ist das Veröffentlichungsrecht auf die Lebenszeit des Urhebers beschränkt (Art. 3.2 (2)). Gleichwohl können im Einzelfall auch danach allgemeine Persönlichkeitsrechte einer Veröffentlichung entgegenstehen.25 Die
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23 Fußnoten 16 und 17 zum Code umschreiben die Begriffe „assignment“ (gänzliche Übertragung) und „license“ (Erteilung einer Nutzungserlaubnis). 24 Fußnote 24 zum Code. 25 Fußnoten 22 und 25 zum Code.
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Rechte auf Namensnennung und auf Werkintegrität bestehen dagegen auch über den Tod des Urhebers hinaus fort. Allerdings enthält sich der Code hier einer Festlegung des genauen Zeitraums (Art. 3.3 (2) und 3.4 (2)). Ausgeübt werden sollen die Rechte von den nach dem anwendbaren Erbrecht Befugten. Das können je nach Fall die allgemeinen Erben oder vom Urheber besonders eingesetzte Personen sein.26 Nach Art. 3.5 kann der Urheber zustimmen, seine Urheberpersönlichkeitsrechte nicht auszuüben, sofern es sich um eine informierte, eindeutige Zustimmung handelt, deren Reichweite beschränkt ist. Danach sind generelle Verzichtserklärungen unwirksam. Dagegen soll der Urheber seinen Verzicht durchaus auch pauschal in Bezug auf bestimmte Nutzungsarten erklären können.27 Eine Besonderheit stellt Art. 3.6 dar. Danach können – in Anlehnung an die rechtsmissbräuchliche Verweigerung der Zustimmung zur Verwertung („abus de droit“) – auch die Urheberpersönlichkeitsrechte dann nicht durchgesetzt werden, wenn dies auf offensichtlich unverhältnismäßige Weise den legitimen Interessen Dritter – seien es Interessen von Privatpersonen, wie etwa der Verleger, oder aber Zugangsinteressen der Allgemeinheit28 – widersprechen würde (Art. 3.6 (1)). Zugleich sind bei der Ausübung des Namensnennungs- und des Rechts auf Werkintegrität nach dem Tode des Urhebers nur das Interesse des betroffenen Urhebers sowie Interessen Dritter zu berücksichtigen (Art. 3.6 (2)). 4. Kapitel 4: Verwertungsrechte (Artikel 4.1–4.6) Das Kapitel über die Verwertungsrechte enthält neben einer allgemeinen einführenden Vorschrift, in der sich auch die Schutzdauer der Verwertungsrechte geregelt findet (Art. 4.1), das Vervielfältigungs- (Art. 4.2), das Verbreitungs(Art. 4.3), das Vermietrecht (Art. 4.4), das Recht der öffentlichen Wiedergabe (Art. 4.5) und schließlich das Bearbeitungsrecht (Art. 4.6). Diese Auflistung ist abschließend, wobei das Recht der öffentlichen Wiedergabe als ein dem Grund nach offenes Recht gefasst ist.29 Alle Rechte gelten in Bezug auf Werke insgesamt wie auch hinsichtlich ihrer schutzfähigen Teile. Damit ist zugleich der Verletzungsmaßstab festgelegt.30 Die Schutzdauer der Verwertungsrechte geht über den Tod des Urhebers hinaus, wobei sich der Code auch hier einer Festlegung der Dauer einstweilen enthält (Art. 4.1 (2)). Eine Fußnote gibt jedoch die Überzeugung der Verfasser wieder, dass die gegenwärtige Frist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers als zu lang erscheint.31
__________ 26 27 28 29 30 31
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Fußnote 26 zum Code. S. dazu wie zu weiteren Erläuterungen Fußnoten 28–33 zum Code. Fußnote 34 zum Code. Fußnote 37 zum Code. Fußnote 39 zum Code. Fußnote 40 zum Code.
Das WITTEM-Projekt eines „European Copyright Code“
Das Vervielfältigungsrecht ist dergestalt definiert, dass es die bislang in Art. 5 (1) der Richtlinie 2001/29/EG enthaltene zwingende Schrankenbestimmung von vorne herein begrenzend mit enthält. Vom Ausschließlichkeitsrecht erfasst sind also nur solche vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen, denen über eine gesetzlich oder vertraglich erlaubte Nutzung hinaus ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt (Art. 4.2). Das Verbreitungsrecht einschließlich des Erschöpfungsgrundsatzes (Art. 4.3 (1) und (2)) ist nur in seiner Grundstruktur umschrieben und enthält – insofern anders als Art. 4 (1) der Richtlinie 2001/29/EG – weder eine nähere Definition des Begriffs der Verbreitung, noch sonstige Einzelheiten, die von der Rechtsprechung des EuGH herausgearbeitet worden sind. Eine Fußnote stellt jedoch klar, dass die urheberrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts in Übereinstimmung mit derjenigen der gewerblichen Schutzrechte interpretiert werden soll.32 Das Vermietrecht folgt der Vermiet- und Verleihrichtlinie und enthält wie diese eine Ausnahme in Bezug auf die Vermietung von Bauwerken und von Werken der angewandten Kunst (Art. 4.4). Das Recht der öffentlichen Wiedergabe enthält in einem nicht abschließenden Katalog das Recht der öffentlichen Wahrnehmbarmachung („public performance“), der Sendung („broadcasting“; eine Fußnote stellt klar, dass darunter die Weitersendung wie auch die Weiterleitung mit drahtlosen wie drahtgebundenen Mitteln zu verstehen ist)33 wie auch der öffentlichen Zugänglichmachung („making available“; Art. 4.5 (1)). Die Öffentlichkeit ist in Anlehnung an das deutsche Recht umschrieben als eine Mehrheit von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen zueinander verbunden sind (Art. 4.5 (2)). Ein eigenständiges Verwertungsrecht ist schließlich das Bearbeitungsrecht, umschrieben als das Recht, ein geschütztes Werk anzupassen, zu übersetzen, zu arrangieren oder anderweitig zu verändern (Art. 4.6). 5. Kapitel 5: Schranken (Artikel 5.1–5.8) Kapitel 5 des „European Copyright Code“ zu den Schrankenbestimmungen ist das zweifellos umfangreichste Kapitel sowie dasjenige, dessen Inhalt am ehesten vom bisherigen acquis communautaire abweicht. Das rührt zum einen daher, dass die Schrankenbestimmungen schon in den 21 Schrankenbestimmungen von Art. 5 der InfoSoc-Richtlinie in erheblichem Umfang ausdifferenziert sind. Zum anderen kommt den Schrankenbestimmungen – wie eingangs ausgeführt – bei im Grundsatz umfassend gewährten und jeweils weit formulierten Ausschließlichkeitsrechten – letztlich die Kernfunktion der Abwägung der widerstreitenden Schutz-, Zugangs- und Nutzungsinteressen zu.34 Im Weiteren ist im Code zwischen Schranken unterschieden, die vergütungslos ge-
__________
32 Fußnote 44 zum Code. 33 Fußnote 47 zum Code. 34 Zu diesem tripolaren (Urheber, Rechteinhaber, Endnutzer) Ansatz s. etwa Hilty, GRUR 2005, 819 (820); Geiger, Droit d’auteur et droit du public à l’information, 2004, Rz. 19–97, bzw. zu einer quadrupolaren Auffächerung der beteiligten Interessen (Urheber, Rechteinhaber, Wettbewerber und Endnutzer) s. Dreier, Regulating competition by way of copyright limitations and exceptions, in: Torremans (Hrsg.), Copyright Law – A Handbook of Contemporary Research, Cheltenham 2007, S. 232.
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währt werden, und Schranken, die eine bestimmte Nutzungshandlung zwar zustimmungs-, nicht jedoch vergütungsfrei stellen. Es war das Anliegen der Wittem Group, den historisch gewachsenen und auch in der InfoSoc-Richtlinie eher zufällig angeordneten Bestand an Schrankenbestimmungen zu durchforsten, sinnvoll anzuordnen und überall dort zu ergänzen, wo dies unter dem Gesichtspunkt eines ausgewogenen Interessenausgleichs angezeigt erschien. So unterscheidet der „European Copyright Code“ zum einen nach dem Zweck der jeweiligen Bestimmungen Schranken in Bezug auf Nutzungen, denen eine allenfalls geringe wirtschaftliche Bedeutung zukommt (Art. 5.1), von Schranken in Bezug auf Nutzungen zu den Zwecken der Verwirklichung der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5.2), der Förderung sozialer, politischer und kultureller Zwecke (Art. 5.3) sowie der Förderung des Wettbewerbs (Art. 5.4). Während die Art. 5.1–5.3 sowie 5.4 (1) im Wesentlichen dem Schrankenkatalog von Art. 5 InfoSoc-Richtlinie entsprechen und um spezielle Schrankenbestimmungen aus anderen Richtlinien unter Einbeziehung der Rechtsprechung des EuGH ergänzt sind, handelt es sich bei der Schranke zur Förderung des Wettbewerbs in Art. 5.4 (2) dagegen um eine Neuschöpfung. Ziel dieser Schrankenbestimmung ist die Offenhaltung des Wettbewerbs insbesondere im Bereich von Informationsprodukten und -dienstleistungen bei Nachrichtenartikeln, wissenschaftlichen Werken, Design, Computerprogrammen und Datenbanken, sofern ein betroffener Rechteinhaber zu einer Lizenzerteilung zu angemessenen Bedingungen nicht bereit ist, dadurch ein Wettbewerb unterbunden würde und die Interessen des Rechtsinhabers durch eine derartige gesetzliche Lizenz nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. Letztlich handelt es sich um eine Einbeziehung bislang allein kartellrechtlicher Kontrollkriterien in das Urheberrecht. Damit soll verhindert werden, dass eine Wettbewerbskontrolle erst im Nachhinein durchgeführt wird, wenn der Wettbewerb zu Lasten der Wettbewerber und Verbraucher bereits unterbunden worden ist. Eine weitere Besonderheit des „European Copyright Code“ ist die Zulässigkeit auch von Nutzungshandlungen, die den in Art. 5.1–5.4 (1)35 genannten Nutzungshandlungen vergleichbar sind, sofern sie sich unter Berücksichtigung nicht nur der Interessen der Rechteinhaber, sondern auch derjenigen der Allgemeinheit im Rahmen des Drei-Stufen-Tests halten (Art. 5.5). In einer Anmerkung ist klargestellt, dass sich die Vergleichbarkeit nicht allein im Wege einer Kumulierung unterschiedlicher Zwecke ergeben darf.36 Damit wird zum einen für eine – in der InfoSoc-Richtlinie fehlende und oft angemahnte – Flexibilität gesorgt, derer es angesichts der kaum vorhersehbaren technischen und wirtschaftlichen Entwicklung nach Ansicht der Verfasser bedarf. Zum anderen wird auf diese Weise ein Rückgriff auf die zumeist eher vagen Kriterien einer
__________ 35 Ausgeschlossen ist insoweit lediglich eine Analogie zu der in Art. 5.4 (2) ohnehin präzise umschriebenen Schranke zur Ermöglichung von Wettbewerb. 36 Fußnote 55 zum Code – S. zur Erläuterung der Schranken insgesamt auch Fußnote 48 zum Code.
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„fair use“-Bestimmung vermieden, wie sie das US-amerikanische Urheberrecht kennt. Insgesamt finden sich sämtliche der in Art. 5 der InfoSoc-Richtlinie aufgelisteten Schrankenbestimmungen auch im „European Copyright Code“ wieder. Dass sich der „European Copyright Code“ für eine weitgehende Privilegierung von Nutzungshandlungen entschieden hat, lässt sich damit begründen, dass der Europäische Gesetzgeber jede einzelne der in der InfoSoc-Richtlinie genannten Schranken dem Grund nach für gerechtfertigt erachtet. Vor allem aber ging es den Verfassern des „European Copyright Code“ darum, Nutzungen im Grenzbereich von Zustimmungsvorbehalt und gänzlicher Freistellung tendenziell nicht dem Bereich zustimmungspflichtiger, sondern dem Bereich zustimmungsfreier, aber vergütungspflichtiger Nutzungen zuzuordnen. Diese Grundsatzentscheidung hat ihren Grund darin, dass in diesem Grenzbereich regelmäßig erhebliche Zugangsinteressen Dritter und der Allgemeinheit bestehen, und dass aus Sicht der individuellen Urheber weniger Kontroll- als vielmehr Partizipationsinteressen im Vordergrund stehen. Mithin unterscheidet der „European Copyright Code“ zum anderen denn auch sehr sorgfältig zwischen Nutzungshandlungen, die ohne (Art. 5.1, 5.2 (1), 5.3 (1) sowie 5.4 (1)) und Nutzungshandlungen, die nur gegen Zahlung einer angemessenen Vergütung zulässig sind (Art. 5.2 (2), 5.3 (2) sowie 5.4 (2)). Mit anderen Worten: Mit Ausnahme der Nutzungshandlungen von allenfalls geringem wirtschaftlichen Wert, die stets zustimmungs- und vergütungsfrei sind, ist hinsichtlich eines jeden Privilegierungsgrundes nach der Intensität des jeweiligen Eingriffs in Abwägung mit den Partizipationsinteressen der Rechteinhaber und den Zugangsinteressen der Nutzer entschieden, ob eine Vergütung angemessen erscheint oder nicht. Jede Vergütung hat nach Art. 5.6 (1) fair und angemessen („fair and adequate“) zu sein. Ob die Nutzung im konkreten Fall analog oder digital erfolgt, macht nach Auffassung der Verfasser des Code zwar für die Frage der Erlaubnisfreiheit keinen Unterschied. Allerdings wird sich die Art der Nutzung häufig auf die Höhe der Vergütung auswirken, die für die von einer Schrankenbestimmung privilegierte Nutzung ggf. zu entrichten ist. Weiterhin ist bei der Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, dass diese höher ausfallen mag, wenn ein Dritter zu Gunsten des an sich Privilegierten von der betreffenden Schrankenbestimmung Gebrauch macht.37 Nach Art. 5.7 (2) sollen die in den Art. 5.2 (2) und 5.3 (2) geregelten Vergütungsansprüche nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden können. Hingegen soll eine Vergütung nach Art. 5.4 (2), die im Rahmen der Schrankenbestimmung zur Offenhaltung des Wettbewerbs anfällt, vom betroffenen Rechteinhaber individuell geltend gemacht bzw. ausgehandelt werden können.38 Im Weiteren bestimmt Art. 5.6, dass die Schrankenbestimmungen die urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse grundsätzlich unberührt lassen. Das gilt
__________ 37 Fußnoten 49 und 57 zum Code. 38 S. auch Fußnote 54 zum Code.
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für das Veröffentlichungsrecht in vollem Umfang, für das Namensnennungsrecht soweit eine Nennung nicht unverhältnismäßig wäre, und für das Integritätsrecht, soweit eine Änderung nicht aufgrund einer Schrankenbestimmung zulässig ist, sowie soweit eine Änderung nicht normalerweise mit der verwandten Vervielfältigungs- oder Kommunikationstechnologie einhergeht. Nach Art. 5.8 schließlich sind Rechteinhaber, die technische Schutzmechanismen benutzen, verpflichtet, den von den Schranken Begünstigten Mittel zur Verfügung zu stellen, die diesen die Nutzung ermöglichen. Voraussetzung ist, dass es sich um rechtmäßige Nutzer handelt, dass und soweit der Umfang der Schranke dies erfordert und dass der Rechteinhaber die Möglichkeit hat, die Zahl der Kopien zu kontrollieren, die auf diese Weise angefertigt werden können. Diese Regelung findet auf die Regelung zugunsten Behinderter (Art. 5.3 (2) (a)) keine Anwendung.
V. Ausblick Abschließend bleibt noch die Anmerkung, dass die Verfasser den „European Copyright Code“ vor dem Hintergrund des internationalen Rechts und insbesondere des Europäischen acquis zwar in Form eines „Code“ formuliert haben. Gleichwohl enthalten sich die Verfasser damit ausdrücklich einer Aussage darüber, ob und inwieweit ein einheitlicher Europäischer Rechtsrahmen erstrebenswert erscheint.39 So steht zu hoffen, dass der jetzt vorliegende „European Copyright Code“ als das Ergebnis der mehrjährigen Arbeit der Wittem-Group auf nationaler wie auf europäischer und vielleicht ja auch auf internationaler Ebene zur Diskussion und zur Schaffung einer transparenten und in sich stimmigen Urheberrechtsgesetzgebung beizutragen vermag, welche die Interessen der Schöpfer von Werken ebenso wie diejenigen der Allgemeinheit auf angemessene und ausgewogene Weise schützt.
__________ 39 S. Absatz 2 der Einführung zum Code („Introduction“).
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Die Relativität des Werkbegriffs Inhaltsübersicht I. Einführung II. Vorgaben internationaler Abkommen 1. RBÜ und WUA 2. TRIPS-Abkommen III. Einfluss des europäischen Rechts auf den Werkbegriff 1. Richtlinien 2. EuGH-Rechtsprechung IV. Anforderungen an den Werkbegriff des § 2 Abs. 2 UrhG 1. Einheitliche Grundvoraussetzungen
2. Der schöpferische Eigentümlichkeitsgrad 3. Rechtfertigung der unterschiedlichen Gestaltungshöhe bei einzelnen Werkarten a) Relativität von Rechtsbegriffen b) Erhöhte Schutzanforderungen bei Gebrauchszwecken dienenden Werken V. Zusammenfassung
I. Einführung Der Werkbegriff ist das Tor zum Urheberrecht, das dem Schöpfer einer geistigen Leistung für die Ergebnisse seines Schaffens Zugang zu einem inhaltlich und zeitlich außerordentlich weitreichenden Schutz gewährt, ohne dass irgendwelche Förmlichkeiten erfüllt sein müssen. Die Begehrlichkeiten nach einem so umfassenden Schutz sind in der Praxis groß, zumal er ohne die Erfüllung irgendwelcher Förmlichkeiten entsteht. Eine erhebliche Hürde stellen jedoch die in § 2 Abs. 2 UrhG geregelten materiell-rechtlichen Schutzanforderungen dar. Der Gesetzgeber hat in dieser zentralen Bestimmung des UrhG für die Umschreibung des Werkbegriffs nur drei Worte benötigt: persönliche, geistige Schöpfung. Auch wenn diese Kurzdefinition einheitlich für alle Werke gilt, stellt die Rechtsprechung bei den einzelnen Werkarten seit je unterschiedlich hohe Anforderungen. Die Grenze wird nach unten durch die beispielsweise bei Musikwerken anerkannte sog. kleine Münze markiert, nach oben durch das z. B. bei Werken der angewandten Kunst aufgestellte Erfordernis eines deutlichen Überragens des durchschnittlichen Schaffens. Die sich darin ausdrückende Relativität des an sich einheitlichen Werkbegriffs ist bislang kaum problematisiert worden,1 erscheint aber keineswegs selbstverständlich. Es verwundert jedenfalls nicht, dass sich eine starke Meinung im Schrifttum gegen das Erfordernis einer besonderen Gestaltungshöhe bei bestimmten Werkarten wendet und für ein einheitliches Verständnis des Werkbegriffs eintritt. Die Kritik be-
__________ 1 Engisch hat dem Phänomen einen Beitrag gewidmet, beschränkt sich aber auf eine Zustandsbeschreibung, ohne nach Erklärungen zu suchen, vgl. Engisch in FS v. Gamm, 1990, S. 369 ff.
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ruht allerdings weniger auf grundsätzlichen Bedenken gegen die Relativität von Rechtsbegriffen, sondern mehr auf Schutzwürdigkeitserwägungen und einer aus der europarechtlichen Entwicklung entnommenen Tendenz, die urheberrechtlichen Schutzanforderungen niedrig anzusetzen. Im folgenden Beitrag soll vor diesem Hintergrund dem Problem der Relativität des Werkbegriffs nachgegangen und gefragt werden, ob sich die unterschiedlichen Schutzanforderungen heute noch aufrechterhalten lassen.
II. Vorgaben internationaler Abkommen Vorab ist zu fragen, ob das internationale Recht Vorgaben für ein einheitliches Verständnis des Werkbegriffs enthält. 1. RBÜ und WUA Die zuletzt vor 40 Jahren revidierte Berner Übereinkunft (RBÜ-Fassung Paris 1971) gibt für die Frage nach den Anforderungen an den Werkbegriff wenig her. Sie beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass sie in Art. 1 einen urheberrechtlichen Schutz für Werke der Literatur und Kunst vorsieht und in Art. 2 Abs. 1 unter beispielhafter Auflistung der klassischen Werkarten klarstellt, dass alle Erzeugnisse auf dem Gebiet der Literatur, Wissenschaft und Kunst ohne Rücksicht auf die Art und Form des Ausdrucks erfasst werden sollen. Wie der Regelung des Art. 2 Abs. 5 RBÜ zu entnehmen ist, setzt der Urheberrechtsschutz dabei voraus, dass es sich um geistige Schöpfungen handeln muss.2 Weitere Schutzanforderungen sind der RBÜ nicht zu entnehmen. Entsprechende Vorschläge der einzelnen Verbandsstaaten sind nicht aufgegriffen worden.3 Auch das Welturheberrechtsabkommen (WUA) setzt lediglich das Vorliegen eines Werkes voraus, ohne dies näher zu regeln. 2. TRIPS-Abkommen Das TRIPS-Übereinkommen bezieht sich in Art. 2 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 1 hinsichtlich des Urheberrechtsschutzes im Wesentlichen auf die RBÜ. Ergänzend werden in Art. 10 zwei in der RBÜ noch nicht erwähnte Werkarten genannt: Computerprogramme und Zusammenstellungen von Daten (Datenbankwerke). Letztere sollen Schutz genießen, wenn sie aufgrund der Auswahl oder Anordnung ihres Inhalts geistige Schöpfungen bilden (Art. 10 Abs. 2 TRIPS). Aufschlussreich für die Frage nach der Einheit des Werkbegriffs ist die sich auf alle Werkarten beziehende Regelung des Art. 9 Abs. 2 TRIPS, nach der sich der urheberrechtliche Schutz auf Ausdrucksformen und nicht auf Ideen, Verfah-
__________ 2 Ebenso EuGH v. 16.7.2009 – C-5/08, GRUR 2009, 1041 (1044) Rz. 34, wobei der EuGH dies aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen des Art. 2 Abs. 5 und 8 RBÜ folgert. 3 G. Schulze, GRUR 2009, 1019 (1020 m. w. N.).
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ren, Arbeitsweisen oder mathematische Konzepte als solche erstreckt. Die auf das angelsächsische Recht zurückgehende Unterscheidung zwischen schutzfähiger „expression“ und schutzfreier „idea“4 wird man dahin zu verstehen haben, dass sie in gleicher Weise für wissenschaftliche Ideen und Ideen aus dem Bereich der reinen Literatur, der Belletristik, gilt. Die Ansicht Schrickers,5 die Trennung zwischen Form und Inhalt im deutschen Recht stimme mit dieser Unterscheidung nicht völlig überein, dürfte auf einer fragwürdigen Prämisse beruhen. Idee und Inhalt dürfen nicht gleichgesetzt werden. Der Grundsatz der Freiheit der Gedanken und Ideen bedeutet auch im deutschen Recht nicht, dass nur die Form und nicht auch inhaltliche Elemente relevant sind (näher nachfolgend IV 2).
III. Einfluss des europäischen Rechts auf den Werkbegriff 1. Richtlinien Im Urheberrecht setzte der Harmonisierungsprozess in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erst spät ein. Die in diesem Bereich bestehende internationale Absicherung durch Abkommen – wie vor allem der RBÜ, der sämtliche EU-Mitgliedstaaten beigetreten sind – ließ eine Rechtsangleichung nicht in gleicher Weise vordringlich erscheinen wie in anderen Bereichen. So steht denn auch hinter den bisherigen Harmonisierungsmaßnahmen weniger eine einheitliche Konzeption. Sie stellen eher eine Reaktion auf aktuelle Bedürfnisse dar, die auf Arbeitsvorgaben der Kommission beruhen und seit 1991 ihren Niederschlag in bislang sieben Richtlinien gefunden haben. Lediglich für drei Werkarten werden konkrete Schutzanforderungen aufgestellt: Computerprogramme, Datenbankwerke und Lichtbildwerke. Nach Art. 1 Abs. 3 der Computerrechts-RL6 werden Computerprogramme geschützt, wenn sie individuelle Werke in dem Sinne darstellen, dass sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind. Zur Bestimmung ihrer Schutzfähigkeit sind keine anderen Kriterien anzuwenden. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass der Urheberrechtsschutz nicht von einer besonderen Gestaltungshöhe abhängig gemacht werden darf.7 Zur Verdeutlichung heißt es hierzu in der Präambel und im Erwägungsgrund 8 der Richtlinie, qualitative oder ästhetische Vorzüge eines Programms sollten nicht als Kriterium für die Beurteilung der Frage angewendet werden, ob ein Programm ein individuelles Werk ist oder nicht. Es war somit das erklärte Ziel der Richtlinie, den strengen Maßstab, wie er für den Schutz von Computerprogrammen gerade im deutschen Recht galt, zu lockern. Der europäische Gesetzgeber hat
__________ 4 Vgl. Schricker in Schricker, Urheberrecht auf dem Weg zur Informationsgesellschaft, 1997, S. 34 m. w. N. 5 Vgl. Schricker (Fn. 4), S. 34. 6 Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14.5.1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABlEG Nr. L 122, S. 42); jetzt 2009/24/EG vom 23.4.2009 (GRUR Int. 2009, 677) in kodifizierter Fassung. 7 Erdmann/Bornkamm, GRUR 1991, 877 (878).
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dabei einen Mittelweg zwischen den sich in der Europäischen Union gegenüberstehenden beiden Systemen gewählt, der von den meisten kontinentalen Rechten geforderten Individualität im Sinne einer schöpferischen Leistung einerseits und der „originality“ des common law andererseits, die nur voraussetzt, dass es sich insoweit um die eigene Schöpfung des Urhebers handelt, als das Werk nicht kopiert ist.8 Die Richtlinienvorgaben sind mit § 69a Abs. 3 UrhG wörtlich umgesetzt worden, wobei der deutsche Gesetzgeber völlig überflüssigerweise die nicht einmal im Richtlinientext enthaltene Einschränkung hinzugefügt hat, dass zur Bestimmung der Schutzfähigkeit insbesondere auch keine ästhetischen Kriterien anzuwenden seien. Auf Ästhetik ist im deutschen Urheberrecht nie abgestellt worden. Soweit der Begriff früher verwendet wurde, diente er nur der Abgrenzung der „geschmacklichen“ von den technischen Schutzrechten. In Anlehnung an die Formulierungen der Computerrechts-RL ist auch in Art. 3 Abs. 1 der Datenbank-RL9 für Datenbankwerke und in Art. 6 der SchutzdauerRL10 für Lichtbildwerke vorgesehen, dass es sich um eigene geistige Schöpfungen handeln muss und dass zur Bestimmung der Schutzfähigkeit keine anderen Kriterien anzuwenden sind. Damit gilt auch für diese Werkarten, dass nur geringe Anforderungen zu stellen sind und keine besondere Gestaltungshöhe zu fordern ist. Anders als noch bei der Umsetzung der Computerrechts-RL hat der deutsche Gesetzgeber bei diesen beiden Werkarten davon abgesehen, dies ausdrücklich umzusetzen, weil das deutsche Recht bereits den europarechtlichen Vorgaben entspreche.11 Der BGH hat inzwischen bei diesen Werkarten ein bescheidenes Maß an geistiger Leistung genügen lassen.12 Über diese Ansätze hinaus ist es bislang nicht zu einer (Voll-)Harmonisierung des urheberrechtlichen Werkbegriffs gekommen.13 Den genannten Richtlinien ist allerdings eine europarechtliche Tendenz zu eher niedrigen Schutzanforderungen zu entnehmen. Es stellt sich daher die Frage, ob die bisherigen Harmonisierungsmaßnahmen eine Absenkung der hohen Schutzanforderungen, die im deutschen Urheberrecht von der Rechtsprechung traditionell bei bestimmten Werkarten gestellt werden (vgl. nachfolgend IV 3 b), geboten erscheinen
__________ 8 Vgl. Loewenheim, GRUR Int. 1997, 285 (287 f.); Walter in Walter, Europäisches Urheberrecht, 2001, S. 117 (Stand der Harmonisierung, Rz. 6). 9 Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (ABlEG Nr. L 77, S. 20). 10 Richtline 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (ABlEG Nr. L 372, S. 12); jetzt 2006/116/EG vom 12.12.2006 (GRUR Int. 2007, 222) in kodifizierter Fassung. 11 Vgl. Begründung RegEntwurf, BT-Drs. 13/7385, S. 43 unter Hinweis auf BGH v. 21.11.1991 – I ZR 190/89, GRUR 1992, 382 (386) – Leitsätze einerseits und BT-Drs. 13/781, S. 10 andererseits. 12 Für Datenbankwerke: BGH v. 24.5.2007 – I ZR 130/04, GRUR 2007, 685 Rz. 21 – Gedichttitelliste I; für Lichtbildwerke: BGH v. 3.11.1999 – I ZR 55/97, GRUR 2000, 317 f. – Werbefotos. 13 So auch die ganz h. M., vgl. G. Schulze, GRUR 2009, 1019 (1021) m. w. N.; Walter in Walter (Fn. 8), S. 1118 (Stand der Harmonisierung Rz. 8).
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lassen. Die Frage ist zu verneinen. Es handelt sich um Sonderregelungen für konkrete Werkarten, die sich nicht verallgemeinern lassen.14 Dementsprechend wollte der deutsche Gesetzgeber mit der systematischen Stellung der Regelungen für Computerprogramme (§§ 69a–69g UrhG) gerade deutlich machen, dass Ausstrahlungen auf das allgemeine Urheberrecht nicht beabsichtigt sind.15 Zu Recht wird daher angenommen, dass eine Berücksichtigung dieser Sonderregelungen bei der Auslegung der übrigen Bestimmungen des UrhG grundsätzlich nicht in Betracht kommt.16 Der Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Werkbegriffs ist daher in den bislang nicht harmonisierten Bereichen europarechtlich nicht eingeschränkt. Dies kommt überdies auch in Art. 17 Satz 2 der Geschmacksmuster-RL17 zum Ausdruck, wonach es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen – einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe – bei Werken der angewandten Kunst Urheberrechtsschutz gewährt wird. 2. EuGH-Rechtsprechung Neuerdings hat sich der EuGH in der auf eine Vorlage zur Auslegung der Informationsgesellschafts-RL18 ergangenen Entscheidung „Infopaq/DDF“19 erstmals zum Werkbegriff geäußert. Diese Entscheidung hat zu der Diskussion geführt, ob künftig von einem einheitlichen europäischen Werkbegriff auszugehen ist.20 Wäre dies der Fall, so würden es die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Gleichheitssatz gebieten, den Begriff grundsätzlich in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen.21 Anders als in den oben angeführten drei Richtlinien wird der Werkbegriff in der Informationsgesellschafts-RL nicht definiert, er wird allerdings in den zur Auslegung vorgelegten beiden Regelungen vorausgesetzt: Zum einen stellte sich die Frage, ob ein aus elf Wörtern bestehender Auszug eines geschützten Werkes als teilweise Vervielfältigung eines Werkes i. S. von Art. 2 anzusehen ist, zum anderen, ob eine solche Werkvervielfältigung die Voraussetzungen der Flüchtigkeit i. S. von Art. 5 Abs. 1 (= § 44a UrhG) erfüllt. Zumindest die Beantwortung der Frage der Teilvervielfältigung eines Werkes setzt die Erkenntnis voraus, was überhaupt ein Werk ist.
__________ 14 15 16 17 18 19 20 21
Im Ergebnis ebenso v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273. Begr. zum RegEntwurf, BT-Drs. 12/4022, S. 8. Loewenheim in Schricker, UrhG, 3. Aufl. 2006, Vor §§ 69a ff Rz. 4. Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (ABlEG Nr. L 289, S. 28). Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (AblEG Nr. L 167, S. 10). EuGH v. 16.7.2009 – C-5/08, GRUR 2009, 1041 ff. G. Schulze, GRUR 2009, 1019 ff.; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273. Vgl. u. a. EuGH v. 6.2.2003 – C-245/00, GRUR 2008, 325 Rz. 23 – SENA/NOS; EuGH v. 16.7.2009 – C-5/08, GRUR 2009, 1041 Rz. 27 – Infopaq/DDF.
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Nach Ansicht des EuGH muss es sich bei einem geschützten Werk um ein Original in dem Sinne handeln, dass es eine „eigene geistige Schöpfung“ ist. Er folgert dies aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen der RBÜ und verweist überdies auf die Richtlinienvorgaben für Computerprogramme, Datenbankwerke und Lichtbildwerke.22 Die Frage nach den Anforderungen an eine Teilvervielfältigung beantwortet er konsequenterweise dahin, dass Werkteile den gleichen Regeln unterliegen müssen wie das Gesamtwerk (Rz. 38), d. h., dass auch die wiedergegebenen Bestandteile – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist – die eigene geistige Schöpfung durch den Urheber zum Ausdruck bringen müssen (Rz. 39, 48, 50, 51). Der Hinweis darauf, dass dies vom vorlegenden Gericht zu prüfen sei (Rz. 48 und 51), gilt für Werkteile ebenso wie für das Gesamtwerk. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der EuGH den Werkcharakter ungeprüft lassen wollte. Er hat lediglich darauf hingewiesen, dass bei Zeitungsartikeln die eigene geistige Schöpfung ihren Niederschlag regelmäßig in der Art und Weise, in der das Thema dargestellt wird, sowie im sprachlichen Ausdruck findet. Dass die streitgegenständlichen Artikel schutzfähige Werke waren, war zwingende Voraussetzung der Vorlage. Die Frage nach den Schutzvoraussetzungen war vom vorlegenden Gericht nicht gestellt worden und daher vom EuGH auch nicht zu beantworten. Dies hat der EuGH nicht anders gesehen, indem er selbst darauf hinweist (Rz. 44), dass es im Ausgangsverfahren unstreitig sei, dass es sich bei den Zeitungsartikeln als solchen um Werke der Literatur i. S. der Informationsgesellschafts-RL handele. Allerdings hat der EuGH dabei übersehen, dass die Frage der Urheberrechtsschutzfähigkeit des konkreten Werkes – anders als die einzelnen tatsächlichen Voraussetzungen – als solche von den Parteien nicht unstreitig gestellt werden kann. Denn es handelt sich insoweit um eine Frage der Rechtsanwendung, die der Amtsprüfung und nicht der Parteidisposition unterliegt.23 Zutreffend hätte gesagt werden müssen, dass aufgrund der Feststellungen des vorlegenden Gerichts vom Vorliegen eines Werkes auszugehen sei. Soweit der EuGH als materielle Schutzvoraussetzung eine „eigene geistige Schöpfung“ verlangt, besagt dies noch nichts darüber, dass auch die Schutzanforderungen bei allen Werkarten einheitlich sein müssen. Diese Kurzdefinition ist nur der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich verständigt hat, und schließt nicht aus, dass bei bestimmten Werkarten höhere Anforderungen gestellt werden.24 Auch die RBÜ, auf die der EuGH sich stützt, überlässt die Bestimmung der Schutzvoraussetzungen hinsichtlich der einzelnen Werkarten den Verbandsländern.25 Das Erfordernis der „eigenen geistigen Leistung“ stimmt nahezu wörtlich mit § 2 Abs. 2 UrhG überein, der den Werkbegriff für alle Werkarten einheitlich dahin definiert, dass nur „persönliche geistige Schöpfungen“ Werke im Sinne des UrhG sind. Damit ist sachlich nichts ande-
__________ 22 23 24 25
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EuGH GRUR 2009, 1041, 1044 Rz. 33–37. So zutreffend BGH v. 24.1.1991 – I ZR 72/89, GRUR 1991, 533 – Brown Girl II. Im Ergebnis ebenso v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273. Vgl. auch G. Schulze, GRUR 2009, 1019 (1020); v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273.
Die Relativität des Werkbegriffs
res gemeint als das, was auch in der deutschen Urheberrechtslehre seit je als Individualität des Werkes bezeichnet wird.26
IV. Anforderungen an den Werkbegriff des § 2 Abs. 2 UrhG Da der Werkbegriff weder durch die RBÜ noch das WUA vorgegeben ist und es bislang auch keinen einheitlichen europäischen Werkbegriff gibt, sind die Mitgliedstaaten frei, die Schutzanforderungen für andere Werkarten als die einer Harmonisierung zugeführten Computerprogramme, Datenbanken und Fotografien autonom zu regeln. Dies hat zur Folge, dass in den Mitgliedstaaten nach wie vor unterschiedliche Schutzanforderungen bestehen.27 1. Einheitliche Grundvoraussetzungen Der gemeinsame Oberbegriff der persönlichen geistigen Schöpfung in § 2 Abs. 2 UrhG legt die materiellen Schutzvoraussetzungen für alle Werkarten gemeinsam fest. Nach allgemeiner Meinung28 muss der Werkbegriff vier Merkmale aufweisen: eine persönliche Schöpfung, eine wahrnehmbare Formgestaltung, einen geistigen Gehalt und einen schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad. Lediglich beim Eigentümlichkeitsgrad werden je nach Werkart unterschiedliche Anforderungen gestellt (dazu nachfolgend unter IV 3), während bei den ersten drei Kriterien bei allen Werkarten einheitliche Maßstäbe gelten. Mit der persönlichen Schöpfung ist nichts anderes gemeint als mit der eigenen Schöpfung im Sinne der Richtlinien und der EuGH-Rechtsprechung (dazu oben unter III 1 und 2). D. h., das Werk muss vom Urheber stammen und setzt bei allen Werkarten ein persönliches Schaffen aus eigener Vorstellungskraft voraus. Auch das Kriterium der wahrnehmbaren Formgestaltung ist unabhängig von der jeweiligen Werkart zu verstehen. Erforderlich ist eine konkrete Formgestaltung, so dass die abstrakte Idee, der bloße Gedanke und die allgemeine Lehre nicht schutzfähig sind. Die allein schon aufgrund einer TRIPS-konformen Auslegung gebotene Unterscheidung zwischen schutzfreier Idee und schutzfähiger Formgestaltung gilt in gleicher Weise für wissenschaftliche Ideen und Ideen aus dem Bereich der Belletristik (dazu oben unter II 2). Für das deutsche Recht lässt sich dies auch nicht mit dem Hinweis auf die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt im inländischen Recht in Zweifel ziehen.29 Idee und Inhalt dürfen nicht gleichgesetzt werden. Im Übrigen ist die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt – und zusätzlich zwischen äußerer Form und innerer Form – unergiebig und ebenso missverständlich wie die Fragestellung, ob nur die Form oder auch der Inhalt urheberrechtsschutzfähig ist.30 Form und Inhalt lassen
__________ 26 27 28 29 30
Vgl. Erdmann/Bornkamm, GRUR 1991, 877 (878) m. w. N. Näher Handig, UFITA 2009/I, S. 55 (58 ff.). Loewenheim in Schricker (Fn. 16), § 2 Rz. 9 m. w. N. Anders Schricker (Fn. 4), S. 34. Ulmer, Lehrbuch, 3. Aufl. 1980, S. 122, will hinsichtlich der Schutzwürdigkeit nicht zwischen Form und Inhalt, sondern zwischen den individuellen Zügen des Werkes und dem in ihm enthaltenen Gemeingut unterscheiden.
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sich nicht immer scharf voneinander abgrenzen, sondern bilden vor allem im literarischen und künstlerischen Bereich oft eine untrennbare Einheit. Dass der Inhalt nicht generell gemeinfrei ist, zeigt sich am Beispiel der zu Recht als schutzfähig anerkannten Fabel.31 Aber auch bei dieser geht es nicht um einen (unzulässigen) Ideenschutz, sondern darum, dass eine Idee bereits zu einem konkreten Handlungsgeschehen verdichtet worden ist.32 Ebenso ist für den wissenschaftlichen und technischen Bereich anerkannt, dass zwar der Inhalt eines Gedankens und einer Lehre in seinem Sinngehalt, nicht jedoch in seiner konkreten schöpferischen Darstellung frei ist; dies gilt auch für die abstrakte Konzeption einerseits und ihre Ausformung in einem konkreten Werk andererseits.33 Der Grundsatz der Freiheit der Gedanken und Ideen gilt daher einheitlich bei allen Werken. 2. Der schöpferische Eigentümlichkeitsgrad Mit dem Erfordernis, dass ein Werk einen hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad aufweisen muss, ist sachlich nichts anderes gemeint als das, was in der deutschen Urheberrechtslehre seit je als die Individualität des Werkes bezeichnet wird (vgl. oben unten III 2).34 Ungeachtet des einheitlichen Ausgangspunktes und der kritischen Stimmen im Schrifttum35 werden von der Rechtsprechung bei den einzelnen Werkarten seit je unterschiedlich hohe Anforderungen an die Gestaltungshöhe gestellt. Um bei der Eigentümlichkeitsprüfung zu der notwendigen Objektivierung zu gelangen, ist nach der Rechtsprechung methodisch grundsätzlich in zwei Schritten vorzugehen: Zunächst sind durch Vergleich mit dem vorbekannten Formengut die eigenschöpferischen Züge zu ermitteln und sodann ist zu prüfen, ob deren Gestaltungshöhe für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ausreicht. Dieser Gesamtvergleich beantwortet die Frage, ob der konkreten Formgestaltung gegenüber dem vorbekannten Formengut überhaupt individuelle Eigenheiten zukommen.36 Ist dies der Fall, so ist jedenfalls grundsätzlich in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die ermittelten Eigenheiten zur Zubilligung eines Urheberrechtsschutzes ausreichen, d. h. ob sie die nötige Gestaltungs-
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31 Vgl. BGH v. 30.1.1959 – I ZR 82/57, GRUR 1959, 379 (381) – Gasparone I; BGH v. 22.5.1962, GRUR 1962, 531 (533) – Bad auf der Tenne II; BGH v. 19.10.1962 – I ZR 174/60, GRUR 1963, 40 (41 f.) – Straßen – gestern und morgen. 32 So zu Recht Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 2 Rz. 43; Loewenheim in Schricker, (Fn. 16), § 2 Rz. 50. 33 BGH v. 12.3.1987 – I ZR 71/85, GRUR 1987, 704 (705 f.) – Warenzeichenlexika; auch BGH v. 7.12.1979 – I ZR 157/77, GRUR 1980, 227 (231) – Monumenta Germaniae Historica. 34 Ulmer (Fn. 30), S. 119 ff.; vgl. auch Erdmann/Bornkamm, GRUR 1991, 877 (878); Erdmann in FS v. Gamm, 1990, S. 389 (400). 35 Vgl. u. a. Loewenheim im Schricker (Fn. 16), § 2 Rz. 31 ff. m. w. N.; Schulze in Dreier/ Schulze (Fn. 32), § 2 Rz. 32, der aber auch die Eigenarten der jeweiligen Werkart berücksichtigen will. 36 BGH v. 30.5.1958 – I ZR 21/57, GRUR 1958, 562 – Candida-Schrift; BGH v. 9.5.1985 – I ZR 52/82, GRUR 1985, 1041 – Inkasso-Programm; BGH v. 12.3.1987 – I ZR 71/85, GRUR 1987, 704 (705) – Warenzeichenlexika.
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höhe besitzen. Um diese zu ermitteln, werden die schöpferischen Eigenheiten und der sich daraus ergebende Gesamteindruck dem durchschnittlichen Schaffen gegenübergestellt.37 Dies gilt allerdings nur für die Gebrauchszwecken dienenden Gestaltungen. Bei den dem rein künstlerischen Bereich zuzurechnenden Werkarten werden von der Rechtsprechung nur geringe Anforderungen an den Eigentümlichkeitsgrad gestellt. Es gilt die sog. kleine Münze, die einfache, aber gerade noch schutzfähige Schöpfungen umfasst; so insbesondere bei musikalischen und literarischen Werken38 sowie bei den Werken der „reinen“ (zweckfreien) Kunst.39 Die Werke sind ungeachtet ihres künstlerischen Wertes schutzfähig, sofern sie sich vom rein Handwerksmäßigen und Alltäglichen abheben.40 Das durchschnittliche künstlerische Schaffen kann nicht zum Vergleichsmaßstab genommen werden; denn das würde ein künstlerisches Wert- bzw. Unwerturteil voraussetzen, das dem Richter versagt ist.41 Bei den zu einem bestimmten Gebrauchszweck geschaffenen Gestaltungen wie bei Werken der angewandten Kunst (Gebrauchsgegenständen des Haushalts, Bauwerken u.ä.) sowie dem Gebrauchsschrifttum (Bedienungsanweisungen, Vordrucken, Anwaltsschriftsätzen u.ä.) ist die Rechtsprechung bislang von folgender graduellen Abstufung ausgegangen:42 Die Durchschnittsgestaltung, das rein Handwerksmäßige, Alltägliche, Schablonenhafte, die mechanisch-technische Aneinanderreihung und Zusammenfügung des Materials liegt außerhalb jeder Schutzfähigkeit. Eine darüber hinausgehende schöpferische Gestaltung mit einem nicht zu geringen Abstand zum durchschnittlichen Schaffen begründete im Bereich der industriellen Formgebung die Geschmacksmusterschutzfähigkeit. Erst in einem erheblich weiteren Abstand setzt die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein, die ein – in der Gedankenformung und -führung des dargestellten Inhalts und/oder der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung – deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung voraussetzt. Diese graduelle Abstufung ging auf die Abgrenzung von ungeschützten Gestaltungen zum Geschmacksmuster einerseits und vom Geschmacksmuster zu den Werken der angewandten Kunst andererseits zurück. Dieser gedankliche Ausgangspunkt wird heute nicht mehr zugrunde gelegt werden können. Denn mit dem ab 1. Juni 2004 in Kraft getretenen neuen Geschmacksmustergesetz43 hat der Gesetzgeber entsprechend den Richtlinien-Vorgaben bewusst ein völlig eigenständiges gewerbliches Schutzrecht schaffen und den engen Bezug zum Urheberrecht beseitigen wollen. An dem tradierten Verständnis, wonach zwischen Urheber- und Geschmacksmusterrecht kein Wesens-, sondern nur einer
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37 BGH v. 12.3.1987 – I ZR 71/85, GRUR 1987, 704 (706) – Warenzeichenlexika. 38 BGH v. 3.11.1967 – Ib ZR 123/65, GRUR 1968, 321 (324) – Haselnuß; BGH v. 26.9.1980 – I ZR 17/78, GRUR 1981, 267 (268) – Dirlada. 39 BGH v. 22.6.1995 – I ZR 119/93, GRUR 1995, 581 (582) – Silberdistel. 40 BGH v. 22.6.1995 – I ZR 119/93, GRUR 1995, 581 (582) – Silberdistel. 41 BGH v. 26.9.1980 – I ZR 17/78, GRUR 1981, 267 (268) – Dirlada. 42 Vgl. u. a. BGH v. 22.6.1995 – I ZR 199/93, GRUR 1995, 581 (582) – Silberdistel. 43 Geschmacksmusterreformgesetz vom 12.3.2004, BGBl. I S. 390.
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gradueller Unterschied bestand, kann jetzt nicht mehr festgehalten werden. Aber auch wenn das Geschmacksmusterrecht danach nicht mehr als sog. kleines Urheberrecht mit einer nur graduellen Abstufung angesehen werden kann, bedeutet dies nicht, dass die Anforderungen an den Urheberrechtsschutz künftig abzusenken sind (dazu nachfolgend unter IV 3). Von dem Erfordernis eines deutlichen Überragens der Durchschnittsgestaltung bei Gebrauchszwecken dienenden Werken gibt es allerdings Ausnahmen. Dazu gehören zum einen Computerprogrammen, Datenbankwerke und Lichtbildwerke, bei denen aufgrund der europarechtlichen Vorgaben ein bescheidenes Maß an geistiger Leistung genügt (dazu oben unter III 1). Zum anderen werden in ständiger Rechtsprechung44 bei Darstellungen wissenschaftlicher und technischer Art i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG nur geringe Anforderungen gestellt. Denn sie sind vom Gesetzgeber einem Urheberrechtsschutz zugänglich gemacht worden, obwohl sie regelmäßig einem bestimmten praktischen Zweck dienen, der den Spielraum für eine individuelle Gestaltung einengt. Allerdings genießen sie auch nur einen begrenzten Schutzumfang, d. h., sie sind nur gegen eine Verwendung in der gleichen Dimension geschützt, so dass beispielsweise aus einem Architektenplan aufgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG nicht gegen den Nachbau vorgegangen werden kann. 3. Rechtfertigung der unterschiedlichen Gestaltungshöhe bei einzelnen Werkarten Das Verständnis der Rechtsprechung, dass ungeachtet des einheitlichen Werkbegriffs des § 2 Abs. 2 UrhG bei einzelnen Werkarten unterschiedlich hohe Schutzanforderungen zu stellen sind, bedarf der sachlichen Rechtfertigung. a) Relativität von Rechtsbegriffen Vorab ist festzuhalten, dass sich gegen die beschriebene Sicht keine Bedenken aus der aus der allgemeinen Rechtslehre bekannten Erscheinung der Relativität der Rechtsbegriffe herleiten lassen. Der gleiche Begriff kann, wenn er in verschiedenen Gesetzen oder aber auch an verschiedenen Stellen desselben Gesetzes verwendet wird, dem Sinn der jeweiligen Regelung entsprechend eine verschiedene Auslegung erfahren,45 so z. B. der Öffentlichkeitsbegriff in § 15 Abs. 3 und § 6 UrhG. Hier geht es allerdings nicht um eine solche begriffliche Diskontinuität. Der Werkbegriff ist allein in § 2 Abs. 2 UrhG geregelt, und zwar einheitlich für alle Werkarten. Das Gesetz gibt aber nur eine Kurzdefinition, d. h. jedes Werk muss eine persönliche geistige Schöpfung sein. Die verwendeten Begriffe sind so unbestimmt, dass sie der Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum lassen, der es gestattet, entsprechend der Zweckbestimmung eines Werkes geringere oder auch höhere Anforderungen zu stellen und
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44 Vgl. u. a. BGH v. 2.7.1987 – I ZR 232/85, GRUR 1988, 33 – Topographische Landeskarten; BGH v. 10.10.1991 – I ZR 147/89, GRUR 1993, 34 – Bedienungsanweisung; BGH v. 23.6.2005 – I ZR 227/02, GRUR 2005, 854 (856) – Karten-Grundsubstanz. 45 Ulmer (Fn. 5), S. 180.
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damit die problematische Grenze zwischen Gemeinfreiheit und Schutzbedürftigkeit zu ziehen. Die sich darin ausdrückende Relativität des Werkbegriffs ist unbedenklich, sofern sie sachlich gerechtfertigt ist. b) Erhöhte Schutzanforderungen bei Gebrauchszwecken dienenden Werken Bei der Zuordnung des Urheberrechtsschutzes ist einerseits dem Schutzbedürfnis des geistig Schaffenden und andererseits dem Bedürfnis der Allgemeinheit nach Gemeinfreiheit angemessen Rechnung zu tragen. Dazu muss der Blick auf die jeweilige Werkgattung und deren Zweckbestimmung gerichtet und berücksichtigt werden, dass allein schon die extrem lange Schutzfrist von 70 Jahren post mortem auctoris (§ 64 UrhG) dafür spricht, dass nach der gesetzgeberischen Wertentscheidung nur ganz außergewöhnliche geistige Schöpfungen Urheberrechtsschutz genießen sollen. Denn die dem Urheber zugebilligten Ausschließlichkeitsrechte führen zu einer Monopolisierung für den Schöpfer und nachfolgende Generationen. Im Interesse des kulturellen Fortschritts sollte sich eine solche Monopolisierung grundsätzlich auf herausragende Schöpfungen beschränken. Immerhin baut jeder geistig Schaffen auf dem Kulturstand auf, den er vorfindet. Aus seiner Berechtigung, darauf zurückzugreifen, erwächst zugleich die Verpflichtung, auch die Ergebnisse seiner geistigen Leistungen jedenfalls dann der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, wenn sie sich nicht deutlich vom durchschnittlichen Schaffen abheben und kein anderer Sonderrechtsschutz (wie z. B. nach dem Geschmacksmustergesetz) oder ein ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz nach § 4 Nr. 9 UWG eingreift. Es gibt deshalb keinen allgemeingültigen objektiven Maßstab, die Gestaltungshöhe festzulegen. Die Anforderungen können, auch wenn der Werkbegriff nach § 2 Abs. 2 ein einheitlicher ist, je nach Werkart und nach den Besonderheiten des Einzelfalls verschieden sein. Die angeführten Erwägungen rechtfertigen es, hinsichtlich der Schutzanforderungen zwischen rein künstlerischen und Gebrauchszwecken dienenden Gestaltungen zu unterscheiden. So besteht bei Werken der „reinen“ (zweckfreien) Kunst grundsätzlich ein erheblicher Spielraum für individuelle Gestaltungen, für den Lyriker ebenso wie für den Maler oder den Komponisten. Die Gestaltungsmittel und die Ausdrucksformen sind in der Regel so vielfältig, dass anderen Künstler auch dann genügend Freiraum für eigenes Schaffen bleibt, wenn nur die geringen Anforderungen der kleinen Münze gestellt werden, die einfache, aber gerade noch schutzfähige Gestaltungen umfasst. Hinzu kommt der Umstand, dass aus geringen Schutzanforderungen meist auch ein geringes Maß an Eigentümlichkeit mit einem entsprechend engen Schutzumfang für das betreffende Werk folgt.46 Aber auch in diesem Bereich können im Einzelfall höher Maßstäbe gelten, beispielsweise bei solchen Gestaltungen, die durch die Natur vorgegebene Formen enthalten, weil hier ein weiter Bereich von Formen liegt, die jedem zugänglich bleiben müssen.
__________ 46 BGH GRUR 1987, 360 (360) – Werbepläne; BGH GRUR 1988, 33 (35) – Topographische Landeskarten.
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Anders liegt es bei den Werken, die nicht zum rein künstlerischen, literarischen oder musischen Schaffen gehören, sondern Gebrauchszwecken dienen. Ist eine Gestaltung weitgehend durch zwingende praktische Bedürfnisse bestimmt, so wird in der Regel nur ein geringer Gestaltungsspielraum verbleiben.47 Die Zubilligung von Urheberrechtsschutz kann hier nicht nur dazu führen, dass Dritte für eine extrem lange Zeit von der Verwertung praktischer Gegenstände ausgeschlossen werden, sondern dass auch die Weiterentwicklung und damit der Fortschritt auf dem jeweils in Rede stehenden Gebiet gehemmt werden. Die Gefahr einer Monopolisierung zum Nachteil der Allgemeinheit ist hier groß. Es erscheint deshalb gerechtfertigt, dass die Rechtsprechung bei den Gebrauchszwecken dienenden Werken traditionell hohe Anforderungen stellt und grundsätzlich ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung, des rein Handwerksmäßigen und Alltäglichen verlangt (vgl. oben unter IV 2). Fehlt es daran, so sind Gebrauchsgestaltungen als Gemeingut vom Schutz ausgeschlossen werden. Der Begriff ist normativ zu bestimmen.48 Mit einer solchen Sicht lässt sich auch die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG über Werke wissenschaftlicher und technischer Art, bei denen die Rechtsprechung ausnahmsweise geringere Anforderungen stellt (vgl. oben IV 2), vereinbaren. Sie stellt eine nicht verallgemeinerungsfähige Sonderregelung für eine Werkgattung mit einem ohnehin stark eingeschränkten Schutzumfang dar. Der Umstand, dass nach der Reform des Geschmacksmusterrechts nicht mehr von einer Wesensverwandtschaft und einem lediglich graduellen Unterschied zwischen Geschmacksmuster und Urheberrecht ausgegangen werden kann (vgl. dazu oben unter IV 2), ändert daran nichts. Damit ist nur die mittlere Stufe zwischen dem (außerhalb jeder Schutzfähigkeit liegenden) durchschnittlichen Schaffen und dem Urheberrecht entfallen. Maßgebend ist, dass auch nach der Reform des Geschmacksmusterrechts im Bereich der angewandten Kunst keine Schutzlücke besteht. Deshalb ist auch das für derartige Werke aufgestellte Erfordernis einer schöpferischen Gestaltungshöhe im Sinne eines deutlichen Überragens der Durchschnittsgestaltung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.49 Auch durch Art. 17 Satz 2 der Geschmacksmuster-RL50 wird ausdrücklich die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten anerkannt, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen – einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe – sie bei Werken der angewandten Kunst Urheberrechtsschutz gewähren wollen. Eine Absenkung der Schutzanforderungen wird schließlich auch nicht durch die europäische Entwicklung zwingend nahegelegt.51 Zwar kommt in den für Computerprogramme, Datenbankwerke und Lichtbildwerke ergangenen Richtlinien eine Tendenz zu eher niedrigen Schutzanforderungen zum Ausdruck. Es
__________ 47 48 49 50
Vgl. BGH v. 12.3.1987 – I ZR 71/85, GRUR 1987, 704 (706) – Warenzeichenlexikon. Vgl. auch Ulmer (Fn. 30), S. 123. BVerfG v. 26.1.2005 – 1 BvR 157/02, GRUR 2005, 410 – Laufendes Auge. Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (ABlEG Nr. L 289, S. 28). 51 Anders Schricker in FS Kreile, 1994, S. 715; ihm folgend Schulze in Dreier/Schulze (Fn. 32), § 2 Rz. 32; Loewenheim in Schricker (Fn. 16), § 2 Rz. 32 f.
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handelt sich aber auch insoweit um Sonderregelungen, die sich nicht verallgemeinern lassen (dazu oben unter III 1). Eine Vereinheitlichung der Schutzanforderungen wäre zwar im Interesse des freien Warenverkehrs wünschenswert,52 sie sollte aber nicht im Wege vorauseilender Korrektur einer bewährten Rechtsprechung erfolgen. Damit wird der Weg offen gehalten, auf eine mögliche Vollharmonisierung Einfluss zu nehmen.
V. Zusammenfassung 1. Der Werkbegriff des § 2 Abs. 2 UrhG gilt für alle Werke einheitlich. Gleichwohl sind bei einzelnen Werkarten unterschiedlich hohe Schutzanforderungen zu stellen. 2. Bei Werken, die zum rein künstlerischen, literarischen und musischen Schaffen gehören, gelten die geringen Schutzanforderungen der sog. kleinen Münze. Bei den Gebrauchszwecken dienenden Werken ist grundsätzlich ein deutliches Überragen des durchschnittlichen Schaffens erforderlich. 3. Die sich darin ausdrückende Relativität des Werkbegriffs ist sachlich gerechtfertigt. Sie trägt dem Schutzbedürfnis des geistig Schaffenden und dem Bedürfnis der Allgemeinheit nach Gemeinfreiheit angemessen Rechnung. 4. Weder die Reform des Geschmacksmusterrechts noch die europäische Rechtsentwicklung erfordern eine einheitliche Absenkung der Schutzanforderungen.
__________ 52 Ebenso Schulze, GRUR 2009, 1019 (1021).
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Das Markenformat Markenarchitektur und Markendesign der Registermarke im Eintragungsverfahren und Verletzungsverfahren
Inhaltsübersicht I. Das Markenformat als Baustein einer Immaterialgüterrechtstheorie der Marke II. Das Markenformat im Eintragungsverfahren 1. Registermarkenschutz als ein System von Normativbedingungen 2. Identifizierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Zeichens als Auslegungsdirektiven der grafischen Darstellbarkeit a) Publizitätsfunktion des Markenregisters und Informationsinteresse der Öffentlichkeit b) Akteneinsichtsrecht als Popularantragsrecht nach § 62 Abs. 2 und 3 MarkenG
c) Primäre und sekundäre Instrumente einer grafischen Darstellung 3. Das Markenformat einer Registermarke als Regelwerk eines markenfähigen Kommunikationssystems a) Die Beschreibung der Formatbedingungen im Markenregister b) Markenformate nichtkonventioneller Markenformen III. Das Markenformat im Verletzungsrecht 1. Zeichenbildungsprinzipien als Faktoren des Schutzinhalts einer Marke 2. Ansätze zur Berücksichtigung des Zeichenbildungsprinzips in der Rechtsprechung
I. Das Markenformat als Baustein einer Immaterialgüterrechtstheorie der Marke Die Kommunikationstheorie der Marke, der ein multifunktionales Markenverständnis zugrunde liegt, bildet das Referenzmodell der europäischen Markenrechtskonzeption.1 Der Markenschutz wird als Kommunikationsschutz der markenfähigen Zeichen innerhalb einer Marktordnung verstanden, in der Marken als Kommunikationsinstrumente zwischen den Marktteilnehmern dienen. In der Wirtschaftsordnung einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb sind Marken als wesentliche Parameter eines globalen Leistungswettbewerbs Garanten für die Funktionsfähigkeit und Intensität eines transparenten
__________ 1 Siehe zur Funktionenlehre im Markenrecht und zur Wegbeschreibung von der traditionellen Lehre einer Unterscheidung der wirtschaftlichen von den rechtlichen Markenfunktionen zur rechtlichen Multifunktionalität der Marke Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, Einleitung D Rz. 1 ff.
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und ethisch verantworteten Wirtschaftssystems.2 Marken im Sinne kommerzieller Kommunikationszeichen sind als Instrumente einer markenbasierten Marktkommunikation des Markensouveräns mit dem Verbraucher über die Ursprungsidentität seiner Waren und Dienstleistungen als Unternehmensleistungen zu verstehen.3 Spätestens nach dem „L’Oréal“-Urteil des EuGH,4 das als eine Sternstunde der Funktionenlehre im Markenrecht bezeichnet werden kann, gehört nicht nur die Herkunftsfunktion als Hauptfunktion der Marke zu den rechtlich geschützten Funktionen. Der EuGH anerkennt als rechtlich geschützte Funktionen einer Marke die Kommunikationsfunktion, die Qualitätsfunktion, die Werbefunktion, die Innovationsfunktion und die Investitionsfunktion. Als ein kommerzielles Kommunikationszeichen stellt die Marke ein Instrument des Dialogs zwischen den Marktbürgern dar, das gleichermaßen den Absatzinteressen der Unternehmen sowie den Informationsinteressen der Verbraucher dient. Der Markeninhaber, der mit der Kennzeichnung seiner Produkte die Markenverantwortung und Produktkontrolle für die markierten Produkte am Markt als vom Markeninhaber stammend übernimmt, garantiert so die Echtheit des Produkts als seines Markenprodukts. Die Kommunikationsfunktion der Marke kann als eine Konkretisierung der Identifizierungsfunktion der Marke in Bezug auf den Markt, den Wettbewerb und den Verbraucher verstanden werden. In diesem Markenmodell eines dynamischen Dialogsystems der Kommunikation am Markt wird mit der rechtlichen Anerkennung der Kommunikationsfunktion der Marke ein rechtlicher Gleichklang zwischen der Schutzfähigkeit der kommerziellen Kommunikationszeichen als Marken im Eintragungsverfahren einerseits und dem Kommunikationsschutz der Marken im Verletzungsrecht andererseits hergestellt. Die rechtliche Multifunktionalität der Marke bestimmt die beiden wesentlichen materiellrechtlichen Problembereiche des Markenrechts: die Schutzfähigkeit eines Zeichens als Marke im Eintragungsverfahren einerseits und den Schutzinhalt eines Markenrechts als Marke im Markenverletzungsverfahren andererseits.5 In historischer Dimension kann die Dogmengeschichte und die Rechtstheorie der Marke als eine Entwicklung des Warenzeichens im Sinne eines unselbständigen Vermögensbestandteils des Unternehmens zur Marke im Sinne eines selbständigen immateriellen Wirtschaftsgutes des Markeninhabers be-
__________ 2 Siehe zur Verfassungsbindung des Marktwettbewerbs und zur Rechtsverbindlichkeit der sozialen Marktverantwortung Fezer in: Fezer (Hrsg.), Lauterkeitsrecht, Kommentar zum UWG, 2. Aufl. 2010, Einleitung E Rz. 223 ff., 294 ff. 3 Siehe zum Begriff der Marke Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 1 MarkenG Rz. 11 ff.; § 3 MarkenG Rz. 9 ff. 4 EuGH v. 18.6.2009 – Rs. C-487/07, GRUR 2009, 756 – L’Oréal. 5 Zu einer funktionalen Kennzeichenrechtstheorie als Perspektive des „L’Oréal“Urteils des EuGH siehe Fezer, Markenschutzfähigkeit der Kommunikationszeichen (§§ 3 und 8 MarkenG) und Kommunikationsschutz der Marken (§§ 14 und 23 MarkenG), WRP 2010, 165 ff.
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Das Markenformat
schrieben werden. Die Marke als Immaterialgut bedeutet Markeneigentum im Sinne einer rechtlichen Funktionseinheit, vergleichbar sowohl dem funktionalen Eigentumsbegriff allgemein im Zivilrecht als auch der Theorie der Property Rights innerhalb der US-amerikanischen Rechtstheorie. Immaterialgüterrechtsschutz der markenfähigen Kommunikationszeichen erklärt, weshalb das Markenrecht als ein subjektives Ausschließlichkeitsrecht (Art. 5 Abs. 1 S. 1 MRL, § 14 Abs. 1 MarkenG, Art. 9 Abs. 1 S. 1 GMV) dem Markeninhaber sowohl ein positives Benutzungsrecht im Sinne eines Verwertungsrechts als auch ein negatives Verbietungsrecht im Sinne eines Abwehrrechts gewährt.6 Die Marke als Immaterialgut stellt wie alle Immaterialgüterrechte ein subjektivrechtliches Instrument zur Gewährleistung privater Planungsfreiheit auf dem Markt dar. Im Bereich verfassungsgebundener Wirtschaft geht es um die Gewährleistung privater Planungsfreiheit zur Organisation einer dezentralen Steuerung des Marktgeschehens anhand subjektivrechtlicher Handlungsalternativen. Die Einheit des geistigen Eigentumsschutzes macht die Erkenntnis augenscheinlich, dass die Marke nicht anders als die anderen immateriellen Güter für eine marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung konstitutiv ist. Aus diesen Gründen ist neben der Anerkennung der Kommunikationsfunktion der Marke in dem „L’Oréal“-Urteil des EuGH in gleicher Weise bemerkenswert die Anerkennung der Investitionsfunktion der Marke.7 Die wirtschaftliche und rechtliche Gleichwertigkeit des Markeneigentums innerhalb des internationalen Systems der gewerblichen Schutzrechte und des Urheberrechts harmoniert mit einem einheitlichen Grundrechtsschutz des Immaterialgüterrechts. Der Investitionsschutz der Marke erklärt, weshalb die Unsterblichkeit der Marke nicht per se besteht, sondern eine Folge der Stetigkeit der unternehmerischen Investitionen in die Marke ist, die deren Schutzbereich bestimmen. Das Markenmodell eines investiven Immaterialgüterrechtsschutzes kann als ein Kernbestand einer allgemeinen immaterialgüterrechtlichen Kennzeichenrechtstheorie für alle geschäftlichen Zeichen (Marken, Handelsnamen und Unternehmenskennzeichen, Werktitel, geografische Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen, Domainnamen) fortgeschrieben werden. Innerhalb einer solchen Immaterialgüterrechtstheorie der Marke stellt das Markenformat als ein Zeichenkonzept einen Baustein dar, die kommerziellen Kommunikationszeichen als Marken im Eintragungsverfahren sachgerecht zu beschreiben und den Schutzinhalt der Markenrechte im Verletzungsverfahren auf einer gleitenden Skala der Markenfunktionen zu bestimmen.
__________ 6 Siehe dazu Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 14 MarkenG Rz. 12. 7 Siehe zur Anerkennung der Investitionsfunktion der Marke schon Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, Einleitung C Rz. 16 f.
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II. Das Markenformat im Eintragungsverfahren 1. Registermarkenschutz als ein System von Normativbedingungen Bei dem System des Registermarkenrechts handelt es sich um ein System von Normativbedingungen, das den Erwerb von Verfassungseigentum an einem markenfähigen Zeichen bezweckt. Im Gegensatz zu einem Konzessionssystem, bei dem ein freies Ermessen der Registerbehörde bestünde, besteht bei einem Normativsystem ein Rechtsanspruch des Markenanmelders auf Eintragung des als Marke schutzfähigen Zeichens, wenn die normativen Bedingungen im Sinne der rechtlichen Voraussetzungen des Eintragungsverfahrens erfüllt sind: das meint die Erfordernisse der Anmeldung nach § 32 MarkenG im Sinne der normativen Voraussetzungen zum Erwerb eines Markenrechts an einem Zeichen. Die verfassungsrechtliche Dimensionierung des Eintragungsverfahrens verlangt, die grafische Darstellbarkeit eines Zeichens als Marke, die ein materiellrechtliches Erfordernis der Markenfähigkeit eines Zeichens darstellt,8 dahin zu konkretisieren und handhabbar zu machen, dass der Registermarkenschutz der nichtkonventionellen Zeichen angemessen ermöglicht und nicht unzumutbar erschwert wird. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist anhand der „insbesondere“-Formel zu prüfen und festzustellen, ob das Zeichen insbesondere mit Hilfe von Figuren, Linien oder Schriftzeichen grafisch dargestellt werden kann. Der Hinweis auf die grafischen Darstellungsmittel der Figuren, Linien und Schriftzeichen ist nicht abschließend. Jedes grafische Instrument ist zur grafischen Darstellung eines Zeichens geeignet. Dazu zählen etwa auch die Notenschrift für melodische Hörzeichen, das Sonagramm für amelodische Hörzeichen und chemische Formeln für olfaktorische Marken. Ein anerkanntes und markenrechtlich zulässiges, grafisches Darstellungsmittel muss als solches für sich genommen allein noch nicht geeignet sein, ein Zeichen grafisch darzustellen. Ausreichend ist, wenn sich die grafische Darstellung aus einer Kombination mehrerer grafischer Instrumente ergibt. Das ist namentlich für die akustischen, virtuellen, olfaktorischen, haptischen und gustatorischen Zeichen von Bedeutung. Das Wort grafisch in einem engen Sinne der ursprünglichen Wortlautbedeutung von Schreiben und Zeichnen zu verstehen, stellt eine begriffsjuristische Verkürzung des Rechtsschutzes an am Markt existierenden Marken und an nichtkonventionellen Markenformen dar. Ein eng am Wortlaut orientiertes Begriffsverständnis der grafischen Darstellbarkeit wird vor allem der europäischen Markenrechtskonzeption der MRL und der GMV in der Auslegung durch die Rechtsprechung des EuGH nicht gerecht, kommerziellen Kommunikationszeichen im Sinne von nichtkonventionellen Markenformen Registermarkenschutz zu gewähren. Eine normzweckorientierte Auslegung des Begriffs der grafischen Darstellbarkeit verlangt, die Anforderungen an die grafischen Instrumente zur Darstellung des Zeichens an
__________ 8 Siehe dazu Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 375 f.
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Das Markenformat
den abstrakt unterscheidungsgeeigneten Zeichen im Rechtssinne auszurichten, zu denen die nichtkonventionellen Kommunikationszeichen am Markt gehören. Die grafische Darstellung der nichtkonventionellen Zeichenformen bedarf solcher Instrumente der grafischen Darstellung, die dem konkreten Zeichen technisch adäquat sind.9 2. Identifizierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Zeichens als Auslegungsdirektiven der grafischen Darstellbarkeit a) Publizitätsfunktion des Markenregisters und Informationsinteresse der Öffentlichkeit Zweck der grafischen Darstellung eines Zeichens ist es, das markenfähige Zeichen als den Gegenstand des Registermarkenschutzes eindeutig zu beschreiben. Die Publizitätsfunktion des Markenregisters dient der sicheren Information der Öffentlichkeit über den Bestand an Registermarkenrechten. Den Wirtschafsteilnehmern ermöglicht das öffentliche Markenregister, klar und eindeutig in Erfahrung zu bringen, welche Eintragungen oder Anmeldungen ihre gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerber veranlasst haben, um auf diese Weise einschlägige Informationen über die Rechte Dritter erlangen zu können. Die grafische Darstellung des Registermarkenrechts soll die Öffentlichkeit in die Lage versetzen, das als Marke eingetragene Zeichen zu identifizieren und zu reproduzieren. Die Identifizierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Zeichens10 sind die rechtserheblichen Auslegungsdirektiven zur Konkretisierung der grafischen Darstellbarkeit als einer rechtlichen Voraussetzung der Markenfähigkeit. Bei den nichtkonventionellen Markenformen verlangt die technische Identität des nichtkonventionellen Zeichens eine adäquate Anpassung der registerrechtlichen Anforderungen zur Gewährleistung der Identifizierbarkeit und Reproduzierbarkeit des als Marke eingetragenen Zeichens. b) Akteneinsichtsrecht als Popularantragsrecht nach § 62 Abs. 2 und 3 MarkenG Das nach der Markeneintragung bestehende Akteneinsichtsrecht stellt ein wesentliches Instrument zur Effektuierung des Markenformats dar. Das Einsichtsrecht des Publikums in die Akten einer Markeneintragung nach § 62 Abs. 2 MarkenG entspricht zudem dem Kriterium der leichten Zugänglichkeit der grafischen Darstellung des Zeichens im Sinne der „insbesondere“-Formel des EuGH. Nach der Eintragung einer Marke wird die Einsicht in die Akten der eingetragenen Marke jedermann ohne Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses und ohne weitere Beschränkung nach § 62 Abs. 3 MarkenG gewährt (Popularantragsrecht). Das Einsichtsrecht erstreckt sich auf die gesamten Akten einschließlich sämtlicher Anlagen, wie etwa einer Beschreibung der
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9 Siehe zur Feststellung der grafischen Darstellbarkeit eines Zeichens Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 384 ff. 10 Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 389 f.
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Marke, und damit auch auf Hinweise einer Konkretisierung der grafischen Darstellung in Ergänzung der Veröffentlichung der Eintragung durch weitere Daten und Informationen in der Markenakte. Das Akteneinsichtsrecht nach § 62 Abs. 2 MarkenG ist gerade wegen des Interesses an einer umfassenden und genauen Unterrichtung des Publikums als ein Popularantragsrecht ausgestaltet. In seinem „dentale Abformmasse“-Urteil gab der BGH11 zum Farbmarkenschutz den zutreffenden Hinweis, die Publizitätsfunktion des Markenregisters könne dadurch gewahrt werden, dass der Eintragung im Register ein Hinweis beigefügt werde, dass der veröffentlichte Farbton dem angemeldeten Farbton nicht entspreche und durch die Bezeichnung nicht exakt wiedergegeben werden könne. Nach § 25 Nr. 6 MarkenV wird ausdrücklich ein Hinweis auf eine bei den Akten befindliche Beschreibung der Marke als Eintrag in das Register zugelassen. In solchen Fallkonstellationen einer technisch innovativen, grafischen Darstellung eines nichtkonventionellen Zeichens stellt die nach der Eintragung der Marke auf Antrag zu gewährende Einsicht in die Akten der eingetragenen Marke nach § 62 Abs. 2 MarkenG ein adäquates Instrument zu einer eindeutigen und umfassenden Unterrichtung der Öffentlichkeit dar. Folge der restriktiven Gegenauffassung, die sich nur aus internen Amtsinteressen der Registerbehörde erklärt, ist eine untragbare Verkürzung des Registermarkenschutzes für nichtkonventionelle Markenformen. c) Primäre und sekundäre Instrumente einer grafischen Darstellung Ein grafisches Instrument ist zur grafischen Darstellung eines Zeichens dann ein zulässiges Darstellungsmittel, wenn es geeignet ist, das konkrete Zeichen als eingetragene Markenform zu identifizieren und zu reproduzieren. Es ist nicht erforderlich, dass die Identifizierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Zeichens aufgrund eines einzigen grafischen Instruments dem Publikum ermöglicht wird. Es ist vielmehr ausreichend, dass die grafische Darstellung sich aus einer Kombination mehrerer grafischer Hilfsmittel ergibt. Es ist deshalb auch nicht sachgerecht, der Unterscheidung zwischen primären und sekundären Instrumenten einer grafischen Darstellung Rechtserheblichkeit in dem Sinne beizumessen, dass sekundäre Darstellungsmittel grundsätzlich als nicht zulässig beurteilt werden. Die in der Amtspraxis des DPMA und in der Rechtsprechung des BPatG ansatzweise angelegte Unterscheidung zwischen einer unmittelbaren grafischen Darstellung, die grundsätzlich geboten ist, und nur mittelbaren Darstellungsmitteln, die nur ausnahmsweise als eine zulässige grafische Darstellung anerkannt werden, ist sachwidrig und verkürzt den Registermarkenschutz unangemessen. In der Unterscheidung zwischen unmittelbaren Darstellungsmitteln, die allgemein zulässig sind, und nur mittelbaren Darstellungsmitteln, die nur ausnahmsweise zulässig sind, kommen allein interne Amtsinteressen der Registrierungsbehörde zum Ausdruck, die als nicht rechtserheblich zu bewerten sind.
__________ 11 BGH v. 22.9.2005 – I ZR 188/02, GRUR 2005, 1044 – dentale Abformmasse.
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Eine solche Konstruktion von angeblichen Mängeln der grafischen Darstellung des Zeichens vermag vor allem dann nicht zu überzeugen, wenn sie vornehmlich dazu dient, einen Hinweis in der Eintragung auf die Markenakte und die markengesetzliche Möglichkeit der Akteneinsicht nach § 62 Abs. 2 und 3 MarkenG als eine unzureichende Unterrichtung der Öffentlichkeit über die konkrete Markenform des als Marke schutzfähigen Zeichens zu bewerten. Die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Darstellungsmitteln ist vor allem auch nicht mit den sieben Einzelkriterien,12 die der EuGH in seiner „insbesondere“-Formel zur Konkretisierung der grafischen Darstellbarkeit eines Zeichens aufgestellt hat, vereinbar. So ist es aus diesen Gründen mit einer richtlinienkonformen Auslegung des MarkenG etwa auch nicht vereinbar, die grafische Darstellbarkeit eines flächigen Hologramms mit der Begründung zu verneinen, dessen besondere optische Effekte könnten zwar im Wege der Holografie im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG eindeutig wiedergegeben werden, ließen sich aber nicht registermäßig reproduzieren.13 3. Das Markenformat einer Registermarke als Regelwerk eines markenfähigen Kommunikationssystems a) Die Beschreibung der Formatbedingungen im Markenregister Die Anerkennung der nichtkonventionellen Markenformen und die europäische Markenrechtskonzeption, wie sie in der Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck kommt, ermöglicht es, Markenformate als markenfähige Zeichen zu beschreiben und deren registerrechtliche Eintragungsfähigkeit zu begründen.14 Die grafische Darstellung einer Marke und deren Beschreibung im Eintragungsverfahren stellen das Regelwerk der Markenarchitektur und des Markendesigns dar. Die Beschreibung der Zeichenbestandteile konkretisiert die Zeichengestalt im Sinne eines als Marke schutzfähigen Formats. Diese konkretisierende Beschreibung macht aus der als solcher nicht schutzfähigen Markenkonzeption ein konkretes markenfähiges Markenformat. In der Praxis der Werbegestaltung und des Werbedesigns werden solche beschreibenden Konkretisierungen von Markenformaten längst geleistet. Dieses gestalterische Wissen ist in die registerrechtliche Markenbeschreibung bei der Anmeldung umzusetzen, ohne durch verordnende Vorgaben – wie etwa ein-
__________ 12 Siehe die Analyse und Auflistung der Rechtsprechung des EuGH zu den sieben Einzelkriterien der „insbesondere“-Formel zur Konkretisierung der grafischen Darstellbarkeit, und zwar zur Klarheit, Eindeutigkeit, In-sich-Abgeschlossenheit, leichten Zugänglichkeit, Verständlichkeit und Dauerhaftigkeit bei Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG, Rz. 394 bis 421. 13 So aber BPatG v. 8.3.2005 – 24 W (pat) 102/03, GRUR 2005, 594 – Hologramm; siehe die Kritik bei Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 499 ff.; zur Markenfähigkeit von Hologrammmarken Rz. 575 ff. 14 Siehe zum Immaterialgüterrechtsschutz eines Markenformats erstmals Fezer, Eine Theorie der variablen Marke, GRUR 2005, 102 ff.
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heitliche Angaben zu den Konturen und Relationen der Farben einer Farbkombination – das Markenformat definitorisch zu präjudizieren. Die nichtkonventionellen Markenformen der europäischen Markenkonzeption verlangen, das Instrument der registerrechtlichen Beschreibung der Markenform zu aktivieren. Die Theorie des Markenformats stellt nichts anderes als die Formulierung eines empirischen Markenphänomens dar, das selbst bei der konventionellen Markenform einer Wortmarke – etwa hinsichtlich deren Klein- oder Großschreibung und deren Aussprache – zu beobachten ist. Der kommunikationstheoretische Markenbegriff bedarf erst recht der registerrechtlichen Konkretisierung einer Beschreibung des Markendesigns bei den Markenformen der nichtkonventionellen Marken. Ein als Marke schutzfähiges Zeichen im Sinne eines konkreten Markenformats genügt bei detaillierter Beschreibung des Markendesigns der Bestimmtheit der Eintragung. Die Rechtsprechung des EuGH ist dahin zu verstehen, dass das Pendant der Anerkennung eines weiten Markenbegriffs die konkrete Beschreibung der nichtkonventionellen Markenformen im Registerverfahren ist. Im Sinne einer Theorie der variablen Marke bedeutet Variabilität nicht Unbestimmtheit der Marke; die Beschreibung der Formatbedingungen ermöglicht die Bestimmtheit einer variablen Marke. Die Rechtsprechung des EuGH zur grafischen Darstellbarkeit einer Marke formuliert das Anforderungsprofil zu einer registerrechtlichen Beschreibung einer Marke als Regelwerk eines markenfähigen Kommunikationssystems. Der Begriff des Markenformats im Sinne einer Theorie der variablen Marke versucht die europäische Markenkonzeption kommunikationstheoretisch zu definieren.15 Mit dem Begriff des Markenformats wird der Realität des Marketings und der Werbung am Markt ein rechtlicher Rahmen gewährt. In der registerrechtlichen Beschreibung der Marke im Anmeldeverfahren sind die Daten des konkretisierten Markenformats zu formulieren. Die Markenbeschreibung im Register stellt das Regelwerk des Markendesigns dar. Eine den nichtkonventionellen Markenformen angemessene Implementierung der grafischen Darstellung und registerrechtlichen Beschreibung eines als Marke schutzfähigen Zeichens stellt eine gemeinsame Aufgabe der Markendesigner des Anmelders und der Prüfer des Eintragungsamtes dar. b) Markenformate nichtkonventioneller Markenformen Die grafische Darstellung einer Farbmarke stellt ein zwischenzeitlich anerkanntes Beispiel eines Markenformats im Sinne eines Regelwerks eines markenfähigen Kommunikationssystems dar. Das gilt sowohl für das Markenformat einer konturlosen Einfarbenmarke wie insbesondere für das Markenformat einer konturlosen Mehrfarbenmarke.16 In einer konsequenten Fortbildung
__________ 15 Siehe ausführlich zur Marke als Markenformat Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 422 ff. 16 Siehe dazu ausführlich die Darstellung bei Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 425 ff.
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seiner Rechtsprechung zur konturlosen Einfarbenmarke, zur Hörmarke, zur dreidimensionalen Marke und zur olfaktorischen Marke geht der EuGH von der prinzipiellen Markenfähigkeit der Mehrfarbenmarke aus. Der EuGH bestätigt den weiten Markenbegriff im Sinne eines markenfähigen Kommunikationszeichens. Er anerkennt ausdrücklich die Farbkombination als ein Zeichen im Rechtssinne des Art. 2 MRL. Indem der EuGH die Zusammenstellung zweier Farben als ein Zeichen im Rechtssinne anerkennt, ist davon auszugehen, dass die Variabilität der konkreten Benutzungsformen einer konturlosen Mehrfarbenmarke und damit deren Umsetzung in der Produktgestaltung und dem Werbeauftritt der definitorischen Genauigkeit des Schutzgegenstands der konturlosen Farbmarke nicht entgegensteht. Die konturlose Mehrfarbenmarke stellt ein markenfähiges Markenformat mit variablem Markendesign dar. Vergleichbar der konturlosen Mehrfarbenmarke kann die Hologrammmarke als ein Markenformat beschrieben werden.17 Der Rechtsauffassung des 24. Senats des BPatG18 zur Rechtserheblichkeit der elektronischen Registerführung für die Eintragungsfähigkeit eines Hologrammzeichens ist nachhaltig zu widersprechen. Die Bedingungen des registerrechtlichen Reproduktionsvorgangs stellen keinen zureichenden Rechtsgrund dar, der eine Ablehnung des Anspruchs des Anmelders auf Eintragung des Zeichens als Marke hindert. Ein Hinweis in der Eintragung auf die Markenakte erlaubt der Öffentlichkeit eine sichere Information über den Gegenstand des Markenschutzes. Die ausführliche verbale Beschreibung des Hologramms genügt zudem den Informationsinteressen der Öffentlichkeit. Auch die „Karosseriemarke“, die der BGH in seinem Grundsatzurteil „Porsche Boxster“ anerkennt, kann als ein Markenformat beschrieben werden.19 Die Markenfähigkeit wird aus der Vielzahl der besonderen Gestaltungselemente, die die in Rede stehende Form auszeichne und sie von der nicht markenfähigen Form eines Prototyps eines Sportwagens unterscheide, begründet und mit den Zeichnungen des Karosserieformats des Porsche Boxster als grafische Darstellung belegt. Ob mit der Anerkennung des Markenschutzes an einem Automobil als Gesamtensemble die Gefahr abgewendet werden soll, dass an den einzelnen Karosserieteilen und dem Design von Zubehör Markenschutz anerkannt wird, oder ob die Gefahr einer Ablehnung solchen Markenschutzes begründet wird,20 soll hier dahinstehen. Für das Verhältnis der Markenarchitektur und des Markendesigns einer konturlosen Mehrfarbenmarke zum Registerrecht etwa gilt: Die konkrete Zeichengestalt der zweidimensionalen und dreidimensionalen Benutzungsformen einer konturlosen Mehrfarbenmarke ist bei der grafischen Darstellung der Farb-
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17 Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 499 ff., 575 ff. 18 BPatG v. 8.3.2005 – 24 W (pat) 102/03, GRUR 2005, 594 – Hologramm. 19 BGH v. 15.12.2005 – I ZB 33/04, GRUR 2006, 679 – Porsche Boxster. 20 Siehe dazu BGH v. 24.5.2007 – I ZB 37/04, GRUR 2008, 71 – Fronthaube; dazu Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 689 ff.
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marke registerrechtlich zu berücksichtigen. Es sind die gestalterischen Bedingungen des variablen Markenauftritts der Farbkombination in der Anmeldung zum Register zu beschreiben. Entscheidend kommt es auf die Anforderungen an, die im Eintragungsverfahren an die registerrechtliche Beschreibung des Markenauftritts der Mehrfarbenmarke gestellt werden. Die grafische Darstellbarkeit einer Mehrfarbenmarke stellt das Regelwerk eines markenfähigen Kommunikationssystems und damit das registerrechtliche Markenformat der Farbmarke dar. Die Markenformen der konturlosen Zeichen können allgemein als Markenformate beschrieben werden. Es ist zwischen den konturlosen Zeichen und den konturbestimmten Zeichen zu unterscheiden. Zu den konturlosen Zeichen gehören etwa die Kennfadenmarke, die Farbmarke im eigentlichen Sinne als ein konturloses Farbzeichen und die konturlose Mustermarke.21 Zu den konturbestimmten Zeichen gehören etwa die Bildmarke, die Aufmachungsfarbmarke und die dreidimensionale Marke.
III. Das Markenformat im Verletzungsrecht 1. Zeichenbildungsprinzipien als Faktoren des Schutzinhalts einer Marke Die Theorie des Markenformats ist nicht nur im Registerrecht im Sinne eines Regelwerks eines markenfähigen Kommunikationssystems rechtserheblich, sondern ist auch im Markenverletzungsrecht insoweit von Bedeutung, als Zeichenbildungsprinzipien, auf deren Grundlage Markenfamilien konzipiert werden, als Faktoren zur Bestimmung des Schutzinhalts der Marke von Bedeutung sein können.22 Innerhalb des Verwechslungsschutzes einer Marke kann das einem Markenformat zugrunde liegende Zeichenbildungskonzept sich auf die Kennzeichnungskraft einer Marke auswirken und nach der Wechselwirkungstheorie einen Faktor zur Bestimmung der Verwechslungsgefahr darstellen. Innerhalb des Bekanntheitsschutzes einer Marke kann ein Zeichenbildungsprinzip den Grad der Bekanntheit einer Marke wesentlich beeinflussen. 2. Ansätze zur Berücksichtigung des Zeichenbildungsprinzips in der Rechtsprechung In dem „MAC Dog“-Urteil kam es innerhalb des Bekanntheitsschutzes einer Marke nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG auf den Zeitpunkt der Benutzung der Marken, die durch die Verbindung der Vorsilbe Mc oder MAC mit Gattungsbegriffen eine Serie bildeten, an, sowie auf den Zeitpunkt, zu dem eine hinreichende Bekanntheit im Verkehr entstanden war. Der BGH gab dem Instanzgericht auf, der Frage nachzugehen, ob allein schon aus dem Umstand, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt damit begonnen worden war, Tierfutter MAC
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21 Siehe zur Markenfähigkeit einer Mustermarke Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 559 ff. 22 Siehe dazu Fezer, Markenrecht, Kommentar zum MarkenG, 4. Aufl. 2009, § 3 MarkenG Rz. 439 ff.
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Dog und MAC Cat zu nennen, sich ein Hinweis darauf ergebe, dass das in Rede stehende Zeichenbildungsprinzip zum damaligen Zeitpunkt eine gewisse Bekanntheit erreicht habe.23 In dem „RED BULL“-Beschluss beurteilte das BPatG ein Zeichenbildungsprinzip als rechtserheblich zur Feststellung des gedanklichen Inverbindungbringens innerhalb des Verwechslungsschutzes einer Marke.24 Die Gefahr, dass gegenüberstehende Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht und unter diesem Gesichtspunkt verwechselt werden, könne sich daraus ergeben, dass das zugrunde liegende Zeichenbildungsprinzip in einer für den Verkehr nicht zu übersehenden Weise übereinstimme. Blue Bull und RED BULL seien in gleicher Weise wie die sich gegenüberstehenden Marken BLACK BULL und RED BULL, wie sich aus einer Entscheidung der Widerspruchsabteilung des HABM ergebe, „similiar on a conceptual level“.25 Die sich gegenüberstehenden Marken beruhten auf dem gleichen Zeichenbildungsprinzip und zwar darauf, dass der auf dem vorliegenden Warengebiet nicht unmittelbar beschreibenden Bezeichnung Bull eine Farbangabe vorangestellt werde.
__________ 23 BGH v. 30.4.1998 – I ZR 268/95, GRUR 1999, 161 – MAC Dog. 24 BPatG v. 6.10.2004 – 32 W (pat) 162/03, GRUR 2005, 773 (776) – RED BULL. 25 HABM Decision No. 863/2000 vom 27.4.2000, S. 1 (8) – RED BULL/BLACK BULL („For the same reasons as set out above, the trade marks ‚RED BULL‘ and ‚BLACK BULL‘ are also deemed similar on a conceptual level.“).
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Amtliche Datenbanken? Inhaltsübersicht I. Fragestellung II. Amtliche Werke im Sinne des § 5 UrhG III. Sui-generis-Schutz des Datenbankherstellers
IV. Schutzumfang bzw. Schutzausschluss 1. Richtlinienvorgaben 2. Rechtsprechung 3. Literatur 4. Stellungnahme V. Zusammenfassung
I. Fragestellung Die Zahl der vom Staat selbst geschaffenen bzw. von ihm initiierten und genutzten Datenbanken wächst stetig. Neben den „klassischen“ amtlichen Datenbanken, wie Gesetzessammlungen, Handelsregister, Grundbuch etc.,1 entstehen neue – größtenteils elektronische – amtlich veranlasste Datensammlungen, wie z. B. die zentrale Sammlung von Arbeitnehmerdaten „ELENA“. Ob der – oft nicht mit dem Staat identische – Hersteller einer solchen Datenbank uneingeschränkt den Sonderrechtsschutz der §§ 87a ff. UrhG in Anspruch nehmen kann oder ob die Ausnahmevorschrift des § 5 UrhG seine Rechte beschränkt bzw. im Ergebnis aufhebt, ist strittig. Während einerseits die Auffassung vertreten wird, der in § 5 UrhG statuierte Ausschluss amtlicher Werke vom Urheberrechtsschutz stelle eine generelle Begrenzung der Schutzgewähr dar, auch amtliche Datenbanken seien deshalb vom sui-generis-Schutz auszunehmen,2 verweist die Gegenauffassung auf die abschließende Schrankenregelung in § 87c UrhG, die angesichts der zwingenden Vorgaben der Datenbankrichtlinie keinen Raum für eine weitergehende Regelungsbefugnis der einzelnen Mitgliedstaaten lasse.3 Der Bundesgerichtshof, der diese Frage in den Entscheidungen „Tele-InfoCD“4 und zuletzt auch „Elektronischer Zolltarif“5 offen lassen konnte, hatte bereits im Jahre 2006 dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob Art. 7 Abs. 2 sowie Art. 9 der Richtlinie 96/9 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996
__________ 1 Vgl. den Überblick bei Katzenberger in Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl. 2006, § 5 Rz. 19 ff. 2 Vgl. Schulze in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2006, § 87a Rz. 2 m. w. N. 3 Vgl. Vogel in Schricker (Fn. 1), § 87b Rz. 37; Leistner, Der Rechtsschutz von Datenbanken im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 317 f. 4 Urt. v. 6.5.1999 – I ZR 199/96, GRUR 1999, 923 (926). 5 Urt. v. 30.4.2009 – I ZR 141/05, GRUR 2009, 852 Rz. 30.
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über den rechtlichen Schutz von Datenbanken einer Regelung entgegenstehen, nach der eine im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlichte amtliche Datenbank keinen sui-generis-Schutz im Sinne der Richtlinie genießt, und für den Fall, dass diese Frage zu verneinen sei, ob dies auch gelte, wenn die (amtliche) Datenbank nicht von einer staatlichen Stelle, sondern in deren Auftrag von einem privaten Unternehmen erstellt worden sei.6 Zu einer Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH kam es nicht, da der Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet wurde.7 Die damit derzeit noch offene Frage ist angesichts der wachsenden Bedeutung amtlicher Datenbanken und eines zunehmenden Bedürfnisses zur Nutzung und Verwertung amtlicher Schriften8 von erheblicher praktischer Bedeutung. Sie belegt einmal mehr, dass der bloße Blick auf das nationale Recht nicht ausreicht, sondern dass stets auch ein Blick auf EG-rechtliche Bestimmungen geboten ist.9
II. Amtliche Werke im Sinne des § 5 UrhG Zweck des § 5 UrhG ist, Publizität für alle Äußerungen der Staatsgewalt zu schaffen. Die Gemeinfreiheit amtlicher Werke beruht auf der Prämisse, dass ihr Verfasser, soweit es sich hierbei um den Staat selbst handelt, kein darüber hinausgehendes Interesse an ihrer Verwendung hat oder dass ihm jedenfalls zuzumuten ist, seine Interessen angesichts des staatlichen Publizitätsinteresses zurückzustellen.10 Eine Legaldefinition des „amtlichen Werkes“ existiert trotz der Verwendung dieses Begriffs in der Überschrift zu § 5 UrhG nicht. § 5 Abs. 1 UrhG zählt zwar beispielhaft auf, was zu den amtlichen Werken im Sinne der Vorschrift gehört. Dass diese Aufzählung aber nicht abschließend ist, ergibt sich aus § 5 Abs. 2 UrhG, in dem für „andere amtliche Werke“ eine weitergehende Regelung als in Absatz 1 der Norm getroffen wird.11 Neben den in § 5 Abs. 1 UrhG genannten Gesetzen, Verordnungen, amtlichen Erlassen und Bekanntmachungen etc. zählen daher zu den amtlichen Werken – mit gewissen Ausnahmen (vgl. §§ 62 und 63 UrhG) – auch solche, die zwar nicht aus einem Amt stammen, aber im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden sind.12 Angesichts des den eigentumsgleichen Urheberrechtsschutz einschränkenden Ausnahmecharakters von § 5
__________ 6 Beschl. v. 28.9.2006 – I ZR 261/03, GRUR 2007, 500 ff. – Sächsischer Ausschreibungsdienst. 7 Vgl. Eickmeier, GRUR 2009, 578 f., Anm. zu EuGH, Urt. v. 5.3.2009 – C-545/07, GRUR 2009, 572 ff. – Apis/Lakorda. 8 Vgl. Katzenberger in Schricker (Fn. 1), § 5 Rz. 15 f. 9 Vgl. Loschelder, Schwierigkeiten des Rechtsanwalts bei der Anwendung EG-rechtlicher Bestimmungen, DWiR 1992, 348 ff. 10 Vgl. RegEnt, BT-Drucks. IV/270, S. 39; BGH, Urt. v. 30.6.1983 – I ZR 129/81, GRUR 1984, 117 (119) – VOB/C. 11 Vgl. Marquardt in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 5 Rz. 5. 12 Vgl. BT-Drucks IV/270, 39; BGH, Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 232/85, GRUR 1988, 33 ff. – Topographische Landeskarten.
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UrhG kommt der Definition des „amtlichen Werkes“ im Sinne dieser Bestimmung eine ganz erhebliche Bedeutung zu.13 Die relative Schutzunfähigkeit i. S. d. § 5 Abs. 2 UrhG ist an zwei Erfordernisse geknüpft, nämlich an das Vorliegen sowohl eines amtlichen Werkes als auch einer Veröffentlichung im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme.14 Vorausgesetzt wird eine Verantwortung der Behörde für das Werk, wobei eine Zuordnung in der Regel dann anzunehmen ist, wenn das Werk von einem Bediensteten des Amtes geschaffen ist,15 d. h. direkt auf die Ausübung hoheitlicher Befugnis zurückgeht oder aber auf der Übertragung solcher Befugnisse beruht. Ob die mit Verwaltungskompetenzen und Hoheitsbefugnissen betraute Behörde oder beliehene Institution dabei im konkreten Fall obrigkeitlich, schlicht hoheitlich oder fiskalisch handelt, ist unerheblich.16 Eine Veröffentlichung im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme setzt voraus, dass sie „nach Art und Bedeutung der Information gerade darauf gerichtet ist, dass der Nachdruck oder die sonstige Verwertung des die Information vermittelnden Werkes jedermann freigegeben wird“.17
III. Sui-generis-Schutz des Datenbankherstellers Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie 96/9/EG – die sog. Datenbankrichtlinie – in den §§ 87a ff. UrhG umgesetzt, wobei er die Definition in Art. 1 der Richtlinie in § 87a Abs. 1 UrhG wortgleich übernommen und mit klarstellenden Ergänzungen versehen hat. Danach ist eine Datenbank eine Sammlung von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind und deren Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordert. Dem sui-generis-Schutz des Datenbankherstellers unterfallen sowohl elektronische als auch nicht-elektronische Datenbanken.18 Eine „wesentliche Investition“ im Sinne des § 87a UrhG liegt nach den Erwägungsgründen der Datenbankrichtlinie etwa in der Bereitstellung von finanziellen Mitteln und/oder im Einsatz von Zeit, Arbeit und Energie (40. Erwägungsgrund) sowie in einer eingehenden Überprüfung des Inhalts der Datenbank (55. Erwägungsgrund). Geschützt wird mithin gleichermaßen der Einsatz von menschlichen, finanziel-
__________ 13 Vgl. Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht, 2. Aufl. 2009, § 5 Rz. 41; BGH, Urt. v. 30.6.1983 – I ZR 129/81, GRUR 1984, 117 (118) – VOB/C. 14 St. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 12.6.1981 – I ZR 95/79, GRUR 1982, 37 (40) – WR-Dokumentation; Urt. v. 9.10.1986 – I ZR 145/84, GRUR 1987, 166 (167) – AOK-Merkblatt. 15 BGH, Urt. v. 21.11.1991 – I ZR 190/89, BGHZ 116, 136, (145, 147) – Leitsätze; Urt. v. 20.7.2006 – I ZR 185/03, GRUR 2007, 137 (138) – Bodenrichtwertsammlung; Katzenberger in Schricker (Fn. 1), § 5 Rz. 19 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. 16 Katzenberger, GRUR 1972, 686 (687). 17 BGH, Urt. v. 20.7.2006 – I ZR 185/03, GRUR 2007, 137, Rz. 17 f. – Bodenrichtwertsammlung; Urt. v. 2.7.1987 – I ZR 232/85, GRUR 1988, 33 (35) – Topographische Landeskarten; Urt. v. 30.6.1983 – I ZR 129/81, GRUR 1984, 117 (119) – VOB/C. 18 Vgl. BGH, Urt. v. 6.5.1999 – I ZR 199/96, GRUR 1999, 923 (926) – Tele-Info-CD.
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len oder technischen Ressourcen oder Mitteln.19 Die Investitionen müssen gerade im Hinblick auf die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung der Datenbankelemente vorgenommen worden sein, wobei etwa auch die Kosten für die Beschaffung des Datenbankinhalts einschließlich der Lizenzzahlungen etc. sowie die Kosten für die Datenaufbereitung sowie die Kosten für die Bereitstellung zum Abruf der Daten zählen.20 Sofern die in § 4 Abs. 2 UrhG genannten Voraussetzungen vorliegen, kann eine Datenbank auch ein Datenbankwerk darstellen und damit als Sammelwerk grundsätzlich vollen Urheberrechtsschutz genießen.
IV. Schutzumfang bzw. Schutzausschluss Bei der Einfügung der §§ 87a ff. UrhG in das Urheberrechtsgesetz ist im deutschen Recht eine Klarstellung unterblieben, ob die für amtliche Werke bestehende Schrankenregelung des § 5 UrhG auch für das sui-generis-Recht des Datenbankherstellers gelten soll.21 Einer solchen Klarstellung durch den Gesetzgeber hätte es angesichts der sich aus den unterschiedlichen Regelungen zwangsläufig ergebenden Kollisionsfälle bedurft. Diese „planwidrige Regelungslücke“22 wird durch die Rechtsprechung unter Beachtung der jeweiligen Gesetzeszwecke zu schließen sein. Während es sich bei § 5 UrhG nach allgemeiner Auffassung23 um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Schrankenregelung handelt, die aber im Ergebnis einen fast vollständigen Ausschluss dieser Werke vom Urheberrechtsschutz zur Folge hat,24 schafft die Datenbankrichtlinie mit dem sui-generis-Recht des Datenbankherstellers einen weitgehenden wettbewerblichen und damit letztlich eigentumsgleichen Investitionsschutztatbestand.25 1. Richtlinienvorgaben Die Datenbankrichtlinie, die Datenbankwerke (Art. 3 ff.) und das Schutzrecht sui-generis des Datenbankherstellers (Art. 7 ff.) getrennt behandelt, regelt die Ausnahmen vom sui-generis-Schutz der schlichten Datenbanken in Art. 9, der zwar die den Datenbankwerken entsprechenden Schrankenbestimmungen des Art. 6 Abs. 2 lit. a–c der Richtlinie enthält, nicht aber auch einen Art. 6 Abs. 2 lit. d der Richtlinie entsprechenden Vorbehalt zugunsten des nationalen Gesetzgebers. Auch aus dem Erwägungsgrund Nr. 35 der Richtlinie ergibt sich
__________ 19 EuGH, Urt. v. 9.11.2004 – C-444/02, GRUR Int 2005, 239 Rz. 44 – Fixtures Marketing I. 20 Loewenheim in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 43 Rz. 8 m. w. N.; Vogel in Schricker (Fn. 1), § 87a Rz. 28). 21 Vgl. Eickmeier, GRUR 2009, 278 f. Anm. zu EuGH, Urt. v. 5.3.2009 – Apis/Lakorda. 22 So BGH, Beschl. v. 28.9.2006 – I ZR 261/03, GRUR 2007, 500 Rz. 17. 23 Vgl. Wilhelm Nordemann in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl. 2008, § 5 Rz. 1. 24 Vgl. Katzenberger in Schricker (Fn. 1), § 5 Rz. 12. 25 Vgl. hierzu Leistner (Fn. 3), S. 127 f.
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nichts anderes, da sich dieser ausschließlich auf die allein Datenbankwerke betreffenden Ausnahmen nach Art. 6 RL bezieht. Allerdings lässt die Richtlinie nach ihrem Art. 13 Rechtsvorschriften unberührt, die den Zugang zu öffentlichen Dokumenten betreffen.26 Ob sich hieraus weitergehende Schranken auch des Datenbankherstellerrechtes ergeben, wird kontrovers diskutiert.27 2. Rechtsprechung Der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Auslegung entnehmen. In dem Verfahren „Apis/ Lakorda“ hatte der EuGH28 zwar die Frage zu beantworten, wie die Begriffe der „wesentlichen Investition“ und des „wesentlichen Teils“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 DatenbankRL „im Zusammenhang mit öffentlich zugänglichen Rechtsetzungsakten und Akten individueller Geltung staatlicher Stellen der Exekutive, ihren amtlichen Übersetzungen und der Rechtsprechung auszulegen“ sind. Er hat daran festgehalten, dass der Schutz der Datenbank vom Schutz ihres Inhalts unabhängig ist. Die mögliche Urheberrechtsfreiheit einzelner oder aller Bestandteile einer Datenbank beeinflusst danach nicht die Frage der Schutzfähigkeit einer solchen Datenbank im Sinne von Art. 7 der Richtlinie.29 Da im Fall „Apis/Lakorda“ eine Amtlichkeit der Datenbank als solche offenbar nicht behauptet worden war, lassen sich dem Urteil jedoch keine Hinweise dazu entnehmen, in welche Richtung der EuGH bezüglich der Frage tendiert, ob eine Schrankenvorschrift wie § 5 Abs. 2 UrhG auch auf das sui-generisRecht des Datenbankenherstellers anwendbar ist. Der Bundesgerichtshof hat in seinem bereits zitierten Vorlagebeschluss vom 28. September 2006 eine entsprechende Anwendung des § 5 UrhG auch auf den sui-generis-Schutz des Datenbankherstellers gemäß § 87a ff. UrhG für möglich gehalten:30 Im Hinblick auf die Gemeinfreiheit von amtlichen Datenbankwerken erscheine das Fehlen einer entsprechenden Bestimmung für Datenbanken als eine planwidrige Regelungslücke, die durch entsprechende Anwendung von § 5 UrhG zu schließen sei. Der Ausnahmecharakter des § 5 UrhG stehe einer solchen Analogie nicht entgegen.31 Ein generelles Analogieverbot bestehe entgegen einer im Schrifttum verbreiteten Auffassung nicht.32 Auch wenn sich der sui-generis-Schutz des Datenbankherstellers vom Schutz
__________ 26 Vgl. BGH, Beschl. v. 28.9.2006 – I ZR 261/03, GRUR 2007, 500 Rz. 20 – Sächsischer Ausschreibungsdienst. 27 Vgl. Dittrich, ÖBl. 2003, 51 ff., Anm. zu OGH, Urt. v. 9.4.2002 – 4 Ob 17/02 g; ÖBl. 2003, 46 ff.; vgl. Gaster, Anm. zu OGH, Urt. v. 9.4.2002, CR 2002, 602 (603). 28 Urt. v. 5.3.2009 – C-545/07, GRUR 2009, 572 ff. 29 EuGH, Urt. v. 5.3.2009 – C-545/07, GRUR 2009, 575, Rz. 69, Rz. 71 ff. 30 BGH, Beschl. v. 28.9.2006, GRUR 2007, 500 Rz. 10, 14 ff. 31 Beschl. v. 28.9.2006, GRUR 2007, 500 Rz. 17 unter Hinweis auf BGH, GRUR 1984, 117, 119 – VOB-C. 32 Beschl. v. 28.9.2006, GRUR 2007, 500 Rz. 17; vgl. Dreier in Dreier/Schulze (Fn. 2), § 5 Rz. 3; v. Ungern/Sternberg, GRUR 1977, 766, 770.
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des Datenbankwerkes grundsätzlich unterscheide, sei kein vernünftiger Grund für eine unterschiedliche Behandlung der beiden Schutzgegenstände ersichtlich, wenn es um Datenbanken gehe, deren Erstellung einem amtlichen Zweck diene. Schließlich sei es den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten nicht fremd, amtliche Werke vom Urheberrechtsschutz auszunehmen. So sei in Art. 2 Abs. 4 RBÜ ein entsprechender Vorbehalt enthalten. Aber auch nach dem Urheberrecht vieler Mitgliedsstaaten würden amtliche Werke als gemeinfrei angesehen.33 Ausschreibungsunterlagen – um solche ging es in dem Verfahren „Sächsisches Verlagshaus“ – sollten möglichst ungehindert, zeitnah, vollständig und richtig den an der Vergabe des Auftrags interessierten Unternehmen zur Kenntnis gebracht werden. Deshalb bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass diese Unterlagen gerade auch in vollständiger Zusammenstellung in einer Datenbank von Dritten ungehindert genutzt werden können. Allerdings könne einer solchen Auslegung des autonomen deutschen Rechtes die Datenbankrichtlinie entgegenstehen, nach deren Art. 6 Abs. 2 lit. d die Mitgliedsstaaten allein für Datenbankwerke eine Beschränkung der Rechte vorsehen können, die ihr innerstaatliches Recht traditionell als Ausnahmen vom Urheberrechtsschutz regelt, während für Datenbanken in Art. 9 der Richtlinie eine entsprechende Bestimmung fehle. Da das der Vorlage zugrunde liegende Ausgangsverfahren inzwischen durch Vergleich beendet worden ist, fehlt es bislang an einer abschließenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes, wenngleich er zur analogen Anwendung von § 5 UrhG auf amtliche Datenbanken neigt. Demgegenüber hat der Österreichische Oberste Gerichtshof mit Entscheidung vom 9. April 200234 eben wegen der im Vergleich zu Datenbankenwerken unterschiedlichen Schrankenregelung in der Richtlinie die Notwendigkeit verneint, schlichte Datenbanken gemeinfrei zu stellen. Denn auch bei solchen Datenbanken bestehe ein berechtigtes Interesse der öffentlichen Hand, die Nutzung nur mit ihrer Zustimmung und gegen Entgelt zu gestatten. Die Entscheidung hat Kritik erfahren:35 Schon aus Gründen der Kongruenz der beiden durch die Datenbankrichtlinie geregelten Schutzsysteme (Urheberrecht und sui-generis-Recht) sowie wegen des Freihaltebedürfnisses an öffentlichen Informationen müsse der Staat sich im Einzelfall seiner sui-generis-Rechte begeben und spezifische Bereichsausnahmen für seine eigenen Datenbanken vorsehen,36 was unter Berücksichtigung von Art. 13 RL auch unbeschadet von Art. 9 der Richtlinie in einer Art. 6 lit. d der Richtlinie entsprechenden nationalen Regel zulässig sei.
__________ 33 Beschl. v. 28.9.2006 Rz. 6 unter Hinweis auf die Nachweise bei Gaster, CR 2002, 602; v. Albrecht, Amtliche Werke und Schranken des Urheberrechts zu amtlichen Zwecken in 15 Europäischen Ländern, 1992, S. 210 ff. 34 Beschl. v. 27.11.2001 – 40 b 252/01, GRUR Int. 2002, 940 ff. – Gelbe Seiten. 35 Vgl. Anm. Gaster, CR 2002, 602 ff.; ders., Der Rechtsschutz von Datenbanken 1994, Rz. 608 ff. 36 Gaster, CR 2002, 602, 603.
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3. Literatur Im Schrifttum wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass § 5 UrhG auf den sui-generis-Schutz von Datenbanken entsprechend anzuwenden sei.37 Dies wird mit dem allgemeinen Grundsatz gerechtfertigt, dass amtliche Werke und Arbeitsergebnisse keinem Ausschließlichkeitsrecht unterliegen sollen, das ihre Kommunikation und ihre Kenntnisnahme verhindern könne.38 Auch gestatte die Datenbankrichtlinie die Beibehaltung der nationalen Anordnung der Gemeinfreiheit in solchen Fällen ohne Weiteres.39 Die Gegenmeinung lehnt eine Ausdehnung der Schutzrechtsschranken über die Richtlinienvorgaben hinaus wegen der damit verbundenen disharmonisierenden Wirkung ab.40 4. Stellungnahme Gegen eine Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 2 UrhG auf Datenbanken sprechen vor allem zwingende europarechtliche Gründe. Das nationale Recht hat sich an die Vorgaben der Datenbankrichtlinie zu halten, deren Art. 9 die Ausnahmen vom sui-generis-Schutz abschließend regelt. Wollte man die einzelnen Mitgliedstaaten als berechtigt ansehen, über diese abschließende Schrankenregelung, die auch einer ergänzenden Heranziehung der §§ 44a ff. UrhG entgegensteht,41 hinaus Freistellungstatbestände zu schaffen, würde dies dem Harmonisierungszweck der Richtlinie zuwiderlaufen, eine Rechtsangleichung innerhalb der Gemeinschaft zu erzielen. Anhaltspunkte dafür, dass der EU-Gesetzgeber den Investitionsschutz des Datenbankherstellers nicht dem Informationsinteresse der Allgemeinheit unterordnen wollte, lassen sich auch der Entstehungsgeschichte entnehmen. Denn die noch im vorletzten Entwurf zu einer Datenbankrichtlinie enthaltene Regelung ist fallen gelassen worden, den Betreiber der Datenbank der Erteilung
__________ 37 Vgl. Wilhelm/Nordemann in Fromm/Nordemann (Fn. 23), § 5 Rz. 15; Dreier in Dreier/Schulze (Fn. 2), § 87a Rz. 2; einschränkend aber ders. (Fn. 2), § 87c Rz. 1; Hertin in Fromm/Nordemann (Fn. 23), § 87a Rz. 35; Ahlberg in Möhring/Nicolini, Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2000, § 5 Rz. 22. 38 Decker in Möhring/Nicolini (Fn. 37), Vor §§ 87a ff. Rz. 9. 39 Vgl. Anm. Gaster, CR 2002, 602. 40 Vgl. Vogel in Schricker (Fn. 1), § 87b Rz. 38; Leistner (Fn. 3), S. 317 f.; Raue/Bensinger, Umsetzung des sui-generis-Rechts an Datenbanken in den §§ 87a ff. UrhG, MMR 1998, 507, 512; offen: Meckel in Dreyer/Kotthoff/Meckel (Fn. 13), § 87a Rz. 13 – jedoch mit dem Hinweis, dass § 5 UrhG dort keine Anwendung finde, wo der Datenbankhersteller mit der Datenbank für den Nutzer einen Mehrwert gegenüber der amtlichen Information geschaffen hat; OLG Köln GRUR-RR 206, 78, 82 – etc.; ebenso: Thum in Wandtke/Bulllinger, (Fn. 11), § 87a Rz. 143 ff.; Westkamp, Der Schutz von Datenbanken und Informationssammlungen im britischen und deutschen Recht, 2003, S. 177 f., 428; differenzierend, im Ergebnis aber ebenso: Gaster in Hoeren/ Sieber/Gaster, Handbuch Multimedia-Recht, Stand 2003, Abschn. 7.8 Rz. 189. 41 Vgl. Vogel in Schricker (Fn. 1), § 87c Rz. 5; Dreier in Dreier/Schulze (Fn. 2), § 87c Rz. 1 m. w. N.
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einer Zwangslizenz zu unterwerfen, d. h. den Zugang zu den gespeicherten Informationen auf Antrag jedem interessierten Dritten gegen die Zahlung einer angemessenen Lizenz zu gewähren.42 Auch lässt sich die Absicht des EUGesetzgebers, den sui-generis-Schutz der Datenbanken nicht über Art. 9 der Datenbankrichtlinie hinaus einzuschränken, ganz eindeutig dem Regelungsgehalt der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft43 entnehmen. Diese Richtlinie stellt in ihrem Anwendungsbereich eine umfassende Regelung des rechtlichen Schutzes des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte im Rahmen des Binnenmarkts unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der modernen Informationsgesellschaft dar (vgl. Art. 1), und zwar sowohl der Rechte (Art. 2–4) als auch der Ausnahmen (Art. 5). In Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie ist ausdrücklich klargestellt, dass sie die bereits bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen (u. a.) über den rechtlichen Schutz von Datenbanken unberührt lässt und sie in keiner Weise beeinträchtigt. Deutlicher kann nicht gesagt werden, dass das Informationsinteresse der Allgemeinheit über die in der Datenbankrichtlinie enthaltenen Ausnahmen hinaus nicht weiter ausgedehnt werden soll. Aber auch die Auslegung des nationalen Rechts spricht dafür, dass der deutsche Gesetzgeber § 5 UrhG nicht auf Datenbanken anwenden wollte, was letztlich auch dadurch bestätigt wird, dass er die UrhG-Novelle vom 10. September 2003,44 die vor allem (aber nicht nur) der Umsetzung der EG-Richtlinie über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft diente, zwar zum Anlass genommen hat, auch § 5 UrhG durch die Einfügung eines neues Absatzes 3 zu ändern, die hier offene Frage aber ungeregelt gelassen hat. Hätte er Datenbanken in den Anwendungsbereich des § 5 UrhG einbeziehen wollen, so hätte dazu insbesondere im Rahmen eines Gesetzes Gelegenheit bestanden, das gerade einer Anpassung an die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft dienen sollte. Immerhin handelt es sich bei der hier diskutierten Frage seit der „TeleInfo“-Entscheidung des BGH vom 6. Mai 199945 um ein bekanntes und völlig offenes Problem. Schon angesichts dieser Gesetzgebungshistorie verbietet sich die Gleichstellung von Datenbanken mit Datenbankwerken. Eine analoge Anwendung des § 5 Abs. 2 UrhG wird auch nicht durch die Erwägung nahegelegt, dass es sich bei der in Umsetzung des Art. 9 der Datenbankrichtlinie geschaffenen Vorschrift des § 87c UrhG um eine Schrankenregelung handelt, während § 5 UrhG eine völlige Freistellung vom urheberrechtlichen Schutz vorsieht; ebenso wenig durch den Umstand, dass es sich bei dem sui-generis-Schutz der §§ 87a ff. UrhG lediglich um einen reinen Investi-
__________ 42 Vgl. Ullmann, Die Einbindung der elektronischen Datenbanken in den Immaterialgüterschutz, FS Brandner 1996, S. 507, 523. 43 ABl. Nr. L 167/10. 44 BGBl. I S. 1273. 45 GRUR 1999, 923 ff.
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tionsschutz handelt,46 während die Freistellung gemäß § 5 UrhG urheberrechtlich geschützte Werke betrifft. Der sui-generis-Schutz der §§ 87a ff. UrhG kann durchaus weiter reichen als der vom nationalen Gesetzgeber statuierte Urheberrechtsschutz. Die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Handhabung folgt auch aus der Natur der jeweiligen Schutzrechte bzw. deren gesetzlich bestimmten Schranken. Während § 5 UrhG als verfassungsmäßige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ein Gemeinwohlziel von hohem Rang verfolgt,47 geht es bei dem Investitionsschutz nach § 87a UrhG – ähnlich wie beim Schutz der Tonträgerhersteller, der Sendeunternehmen und Filmhersteller – um den Schutz einer rein unternehmerischen Leistung, der an sich wettbewerbsrechtlicher Natur ist. Eine Einschränkung der wirtschaftlichen Position des Unternehmers lässt sich mit der die Ausnahmeregelung des § 5 UrhG rechtfertigenden Sozialbindung gerade des geistigen Eigentums nicht begründen. Die Regelung beruht auf der Erwägung, dass der Urheber angesichts der Natur amtlicher Werke entweder überhaupt kein Interesse an ihrer Verwertung hat oder dass seine Interessen jedenfalls hinter denen der Allgemeinheit zurücktreten müssten.48 Auch mit dem Hinweis auf die Sozialbindung des Eigentums lässt sich eine Freistellung von einem rein unternehmerischen Investitionsschutz nicht rechtfertigen. Insoweit liegt es anders als bei den in den Anwendungsbereich des § 5 UrhG fallenden Datenbankwerken im Sinne des § 4 UrhG, bei denen es allein um den Schutz der geistigen Schöpfung geht. Denn der Datenbankhersteller hat regelmäßig ein ganz erhebliches wirtschaftliches Interesse an der ausschließlichen Verwertung der Datenbank. Eine Freistellung würde seine Investition zunichte machen oder erheblich beeinträchtigen. Könnten sich Dritte ohne eigenen Aufwand an die vom Datenbankhersteller mit erheblichen Kosten und Mühe erbrachten Leistungen anhängen und sich damit die Kosten für den Aufbau einer eigenen Datenbank ersparen, würde dies den vom Gesetzgeber der Datenbankrichtlinie gewollten Investitionsschutz gefährden.49 Die im Schrifttum für eine analoge Anwendung des § 5 UrhG angeführte Erwägung, dass auch Gesetz- und Verordnungsblätter sowie Urteilssammlungen der Obersten Bundesgerichte Datenbanken im Sinne des § 87a UrhG seien und einer Freistellung bedürften,50 überzeugt dagegen nicht: Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen, die die Anforderungen an den Werkbegriff des § 2
__________ 46 BGH, Beschl. v. 28.9.2006, GRUR 2007, 500 Rz. 17; vgl. hierzu auch: Erwägungsgrund 40 der Datenbankrichtlinie; Ullmann, Die Einbindung der elektronischen Datenbanken in den Immaterialgüterrschutz, FS Brandner 1996, S. 521. 47 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.7.1998 – 1 BvR 1143/90, GRUR 1999, 237 ff. – DIN-Normen. 48 Vgl. RegEntw BT-Drucks. IV/270, S. 39. 49 Vgl. Vogel in Schricker (Fn. 1), § 87b Rz. 38. 50 Wilhelm Nordemann in Fromm/Nordemann (Fn. 23), § 5 Rz. 9; Decker in Möhring/ Nicolini (Fn. 37), Vor §§ 87a ff. Rz. 9 (Fn. 23).
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Abs. 2 UrhG erfüllen, sind nach § 5 Abs. 1 UrhG absolut schutzunfähig51 und dürfen selbstverständlich von jedermann nachgedruckt werden. Der sui-generisSchutz nach § 87a UrhG betrifft dagegen die Sammlung von Daten, die systematisch oder methodisch geordnet sind und deren Beschaffung, Überprüfung und Darstellung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordern. Der Investitionsschutz bezieht sich auf die Erstellung und Pflege der Datenbank als solcher und nicht auf die einzelnen Daten. Stammen diese aus allgemein zugänglichen Quellen, steht ihre Verwertung jedermann frei. Dritte sollen sich aber nicht unter Ersparung eines eigenen wesentlichen Investitionsaufwands, der für die Sammlung, Sichtung und Anordnung von Datenmaterial erforderlich ist, an der unternehmerischen Leistung des Datenbankherstellers bereichern.52 Im Erwägungsgrund 42 der Datenbankrichtlinie heißt es insoweit, dass der sui-generis-Schutz gerade auch die Herstellung eines „parasitären Konkurrenzproduktes“ verhindern soll. Dies steht der Entnahme einzelner Daten aus der Datenbank selbstverständlich nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat die Schutzgrenze vielmehr bei der Entnahme eines „nach Art oder Umfang wesentlichen Teil(s) der Datenbank“ und der „wiederholte(n) und systematische(n) Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche(n) Wiedergabe von nach Art und Umfang unwesentlichen Teilen der Datenbank“ gezogen (§ 87b Abs. 1 UrhG). Soweit im Schrifttum versucht wird, aus dem Allgemeininteresse an den Inhalten der „klassischen“ amtlichen Datenbanken, wie Handelsregister. Grundbuch, Gesetz- und Verordnungsblätter ein darüber hinausgehendes Informationsinteresse herzuleiten,53 wird verkannt, dass die typische Verwertungshandlung der Nutzer derartiger Datenbanken eben darin besteht, unwesentliche Teile der Datenbanken zu nutzen.54 Da dies zulässig ist (vgl. § 87b UrhG), bedarf es gerade keiner Ausnahme vom sui-generis-Schutz, um dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu genügen, welches sich zudem in aller Regel ausschließlich auf die vom sui-generis-Schutz gerade nicht umfassten Inhalte der Datenbank bezieht. Bei einer über den in § 87b UrhG vorgezeichneten Rahmen hinausgehenden Nutzung dagegen verliert das öffentliche Register seine Funktion als Informationsquelle für jedermann und wird über seinen gesetzlichen Auftrag hinaus zum Objekt des wirtschaftlichen Interesses. Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 5 UrhG scheitert in diesen Fällen nicht nur an dem damit verbundenen Widerspruch zur Richtlinie, die die Schranken des Rechts sui-generis abschließend regelt und der damit verbundenen disharmonisierenden Wirkung, sondern begegnet im Hinblick auf Art. 14 GG auch verfassungsrechtlichen Bedenken.55
__________
51 Vgl. Marquardt in Wandtke/Bullinger (Fn. 40), § 5 Rz. 1; so im Ergebnis wohl auch Katzenberger in Schricker (Fn. 1), § 5 Rz. 42. 52 Vogel in Schricker (Fn. 1), § 87b Rz. 38. 53 Wilhelm Nordemann in Fromm/Nordemann (Fn. 23), § 5 Rz. 9; Decker in Möhring/ Nicolini (Fn. 37), Vor §§ 87a Rz. 9, Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel (Fn. 13), § 5 Rz. 8 m. w. N. 54 Vogel in Schricker (Fn. 1), § 87b Rz. 38. 55 Vgl. v. Albrecht (Fn. 33), S. 27 ff.; Arnold, Amtliche Werke im Urheberrecht, 1994, 117 ff.
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V. Zusammenfassung Der in Umsetzung der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11.3.1996 geschaffene sui-generis-Schutz für Datenbanken kann aus zwingenden europarechtlichen Gründen nicht durch nationales Recht, hier die Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 2 UrhG, eingeschränkt werden. Der mit den §§ 87a ff. UrhG bezweckte reine Investitionsschutz reicht damit in wirtschaftlicher Hinsicht weiter als der urheberrechtliche Schutz.
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Der Schutz des geistigen Eigentums und des Wettbewerbs heute Inhaltsübersicht I. Gesetzgebung in unserer Zeit
III. Agenda 2010/2011
II. Google Books und Street View – zwei Lehrstücke
I. Gesetzgebung in unserer Zeit Von Zeit zu Zeit wird in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert, ob wir zu viele Gesetze haben. Von einer Überregulierung ist die Rede und Politiker versprechen eine Deregulierung. Ministerien veröffentlichen Listen mit aufgehobenen Gesetzen und Verordnungen und sind stolz darauf. Gleichwohl ergießt sich fast täglich eine Flut neuer Gesetze über uns. Schlimmer noch sind die vielen Änderungen und Ergänzungen bereits bestehender Gesetze oder Verordnungen, manchmal sogar nur wenige Tage nach dem Inkrafttreten einer neuen Regelung. Haben wir nun eigentlich zu viele oder zu wenige Gesetze? Diese Frage ist wenig sachgerecht und auch wohl nicht weiterführend. Leo Raape, ein in Hamburg bei den Studenten sehr beliebter Professor, der in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts u. a. internationales Privatrecht lehrte, pflegte, wenn er seinem Auditorium eine Frage stellte und unterschiedliche Antworten erhielt, schließlich selbst mit „es kommt darauf an“ zu antworten. Allerdings kann es schon etwas zweifelhaft sein, ob man die Ausbildung zum „Pferdewirt“ unbedingt gesetzlich regeln muss. Das Füttern, Tränken, Striegeln, Satteln und Reiten von Pferden haben wir als zwölfjährige Jungen auch ganz gut ohne gesetzliche Nachhilfe gelernt, ohne dass unsere Lieblingspferde Schaden genommen hätten. Doch unser Gesetzgeber muss ständig prüfen, ob manche Aktivitäten nicht dringend einer gesetzlichen Regelung bedürfen. Das gilt insbesondere auch für den Bereich des geistigen Eigentums mit seinen angrenzenden Rechtsgebieten und für die wettbewerbsrechtlichen Regelungen, um Fehlentwicklungen und Missbrauch rechtzeitig zu verhindern. So greift zum Beispiel die Google Inc., Mountain View, Kalifornien mit Google Street View und dem weltweiten Scannen von Büchern in fremde Interessen und Rechte ein. Beide Vorhaben haben weltweit Unbehagen ausgelöst und werfen rechtliche Fragen auf. Dieses Vorgehen sollte auch eine offene Gesellschaft nicht hinnehmen. Alles fing so harmlos an. Alle, die im Internet surfen, haben sich an Google Earth erfreut – selbstverständlich kostenlos. Mit Street View geht die Google Inc. einen Schritt weiter. Und wenn diesem Projekt nicht Einhalt geboten wird, 99
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werden wir bald einen Spaziergang durch Venedig, Manhattan oder Heidelberg am Bildschirm unseres Computers machen können. Aber auch durch das Teheran des Herrn Mahmud Ahmadinedschad und seiner Ajatollahs und die Orte im Swat-Tal in Pakistan oder in China? Dies ist nur schwer vorstellbar. Dagegen liegt die Öffnung ihrer Städte und Landschaften, ihrer Universitäten und sonstigen Ausbildungsstätten, Krankenhäuser, Forschungsstätten etc. und nicht zuletzt ihrer Sozialsysteme gegenüber Menschen und Unternehmen aus aller Herren Länder im Wesen der Länder des Westens. „Es gehört zu seiner Abstraktion, zu seiner Freiheit, dass er sein Wissen von sich absetzt; es bleibt sein Eigentum, nicht aber sein Besitz. Er teilt seine Reisewege mit, nicht nur geographisch, sondern in allen Reichen des Geistes und der Materie. Er verabscheut das Geheimwissen. Das Sagbare und Druckbare hat keine Grenzen, ist jedem zugänglich. Das ist aristotelischer Geist, eine reiche, fürstliche Ausstrahlung“ sagte Ernst Jünger schon 1953, also lange vor Einführung des Internets und seinen anscheinend unbegrenzten Möglichkeiten.1 Es fragt sich, ob wir uns in allen Fällen diese Einstellung auch leisten können. Dieser Westen kennt zum Schutz des Individuums und seiner wirtschaftlichen Existenz noch ein anderes Prinzip, nämlich den Schutz des geistigen Eigentums. Dieser wird ergänzt durch den Persönlichkeitsschutz und in neuerer Zeit durch den Datenschutz. Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes (§ 11 UrhG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der inhaltlichen Ausprägung des Urheberrechts nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Vergütung sicherstellen.2 Die Aktivitäten vieler Unternehmen im Internet rollen wie eine Lawine über uns hinweg und nicht alles, was im Internet geschieht, ist rechtens. Neue technische Verfahren ermöglichen es, mit vor einigen Jahren noch nicht für möglich gehaltenen Methoden Bilder, Texte und Töne massenhaft zu speichern, vervielfältigen, kopieren, übertragen etc. Für den Gesetzgeber ist es daher notwendig, bei auftretenden Problemen schnell zu handeln oder vorausschauend für die richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu sorgen, bevor größerer Schaden entsteht. Die Eingangs gestellte Frage lässt sich daher vielleicht so beantworten: Wir müssen die Gesetze des Gewerblichen Rechtschutzes und des Urheberrechts sowie des Wettbewerbsrechts ständig daraufhin untersuchen, ob sie den wirtschaftlichen Verhältnissen noch genügen, d. h. ob sie unseren schöpferisch tätigen Menschen, wie z. B. den Urhebern und Erfindern, und unseren Unternehmen, die für unsere Kultur und unsere Lebensgrundlagen unabdingbar sind, in Deutschland und der Europäischen Union den Schutz bieten, den sie in un-
__________ 1 Vgl. Ernst Jünger, Der Gordische Knoten, Frankfurt 1953, S. 126. 2 Vgl. BVerfGE 79, 29, 40.
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ser aller Interessen verdienen, aber auch, ob sie auch die Marktgegenseite und alle Marktbürger vor schädlichen Geschäftsmethoden schützen. Das hat auch die Bundesjustizministerin in ihrer Berliner Rede zur Reform des Urheberrechts so gesehen, als sie ausführte, „Freiheit im Internet darf nicht als Entrechtung der Kreativen missverstanden werden“ und „Für unautorisierte Gratis-Angebote im Internet zahlen wir langfristig alle einen hohen Preis. Millionen Kreative und deren Familien können ihren Lebensunterhalt nur deshalb bestreiten, weil es das Urheberrecht gibt“. Das gilt in einem noch stärkeren Maße auch für das Patentrecht. Deutschland als Exportland lebt zu einem erheblichen Teil von der Arbeit seiner Tüftler und Erfinder, an deren Ideenreichtum Millionen von Arbeitsplätzen und damit der Wohlstand des ganzen Landes hängen. Was wir also brauchen sind die jederzeit bestmöglichen Regelungen auf dem Gebiete des geistigen Eigentums sowie des Wettbewerbs- und des Kartellrechts. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, den deutschen, aber auch den europäischen Gesetzgeber und insbesondere das Bundesministerium der Justiz zu loben. Das BMJ verfolgt das Geschehen auf den Märkten, die von den Regelungen für das geistige Eigentum und das Wettbewerbsrecht betroffen sind, sehr genau und ist über den neuesten Stand der Rechtsprechung auf diesem Gebiet immer genauestens informiert. Eine Reihe von Gesetzen ist in jüngster Zeit auf einen neuen Stand gebracht worden. Beispielsweise sind zu nennen: Am 1. September 2008 ist das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/48 EG in Kraft getreten;3 durch dieses Gesetz sind das Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, Markengesetz, Halbleiterschutzgesetz, Urheberrechtsgesetz, Geschmacksmustergesetz und Sortenschutzgesetz novelliert worden, um die Produktpiraterie besser bekämpfen zu können und den Schutz des geistigen Eigentums zu stärken. Am 1. Oktober 2009 ist das Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts in Kraft getreten.4 Mit dem Änderungsgesetz vom 31.7.2009 wurde das Geschmacksmustergesetz international auf den neuesten Stand gebracht.5 Das Deutsche Patent- und Markenamt ist seit längerem gut organisiert und leistet gute Arbeit. Das gilt auch für das Bundespatentgericht. Die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht hat sich schon vor über 100 Jahren die wissenschaftliche Fortbildung und den Ausbau des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts sowie des Wettbewerbsrechtes zum Ziel gesetzt. Diese Zielsetzung ist heute aktueller denn je. In der Praxis vollzieht sich die Arbeit des Grünen Vereins in der Veröffentlichung von Beiträgen in unseren Zeitschriften, in der Teilnahme an Diskussionen in den Vortragsveranstaltungen der Bezirksgruppen und während der Jahrestagungen, in erster Linie aber in den Fachausschüssen. Deren Beratungen münden vielfach in Stellungnahmen zu aktuellen Gesetzesvorhaben oder zu Anregungen gegenüber den zuständigen Ministerien und sonstigen
__________ 3 Vgl. BGBl. I S. 1191. 4 Vgl. BGBl. I S. 252. 5 Vgl. BGBl. I S. 2521.
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Stellen. In der Regel ist dies das Bundesministerium der Justiz und hier die Abteilung Handelsrecht. Die Zusammenarbeit und das gegenseitige Verstehen zwischen dem jeweiligen Leiter dieser Abteilung, insbesondere dem unvergessenen Ministerialdirektor Albrecht Krieger und den jeweiligen Referatsleitern, und dem Grünen Verein war in den vergangenen 60 Jahren stets außerordentlich erfreulich und erfolgreich. Inzwischen hat sich der Schwerpunkt der Gesetzgebung etwas nach Brüssel und zu den zuständigen Stellen der Kommission verlagert. Auch dorthin bestehen inzwischen gute Verbindungen. Eine wichtige Rolle in all diesen Beziehungen hat stets der Generalsekretär unserer Vereinigung gespielt. Ich habe während meines Berufslebens drei kennengelernt: Dr. Ludwig Heydt, Dr. Ralf Vieregge und Dr. Michael Loschelder. Alle drei stammen aus der gleichen Kölner Anwaltskanzlei. Unserem jetzigen Generalsekretär Michael Loschelder, mit dem ich viele Jahre für unseren Grünen Verein gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe, ist mein Beitrag in alter Verbundenheit und Freundschaft gewidmet.
II. Google Books und Street View – zwei Lehrstücke Die Google Inc. hat sich bekanntlich zum Ziel gesetzt, die auf der Welt vorhandenen Informationen allgemein zugänglich und nutzbar zu machen. An sich eine schöne und lobenswerte Idee, die viele Internet-Nutzer erfreut hat, insbesondere die, die es gewohnt sind alles kostenlos herunterzuladen. In ihrer ganzen Unbefangenheit, die amerikanische Politiker und Unternehmer so auszeichnet, kamen die Leute aus Mountain View auf eine Art kalifornischen Trichter und scannten alle Bücher, derer sie habhaft werden konnten. Mehr als sieben Millionen Bücher soll Google seit 2004 bereits gescannt, digitalisiert und zur Volltextsuche freigegeben haben. Jeden deutschen Justitiar würde allein der Gedanke an ein solches Vorhaben den Angstschweiß auf die Stirn getrieben und schlaflose Nächte bereitet haben. Nicht so unseren amerikanischen Freunden aus dem sonnigen Mountain View im wirklich schönen Silicon Valley. Dabei ist der Lieblingssatz aller amerikanischen Geschäftsleute: „I will sue You“. Und so kam es auch. Die Authors Guild, eine kleinere Vereinigung von Autoren mit rund 8000 Mitgliedern in Nordamerika, verklagte Google Inc. vor einem New Yorker Gericht wegen der Verletzung von Urheberrechten. Bei dieser Klage handelt es sich um eine dem deutschen Recht unbekannte „class action“, einer „opt out“-Sammelklage, die Anwälte auch im Namen von Betroffenen erheben, von denen sie kein Mandat haben. Voraussetzung ist lediglich, dass die Klage für „named plaintiffs“ erhoben wird, die die übrigen Betroffenen gleich mitrepräsentieren. Dass diese Art von Verfahren dem Missbrauch Tür und Tor öffnen kann, liegt auf der Hand, ohne dass man die außerordentliche Geschäftstüchtigkeit amerikanischer Anwälte erwähnen müsste Die Entscheidung in einer „class action“ wirkt nicht nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits, sondern ist für alle Mitglieder einer „class“, d. h. für alle Autoren verbindlich. Die deutsche Verwertungsgesellschaft WORT und der Börsenverein des deutschen Buchhandels sowie die Bundesregierung haben sich in dieses Gerichts102
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verfahren eingeschaltet und in Amicus-curiae-Schriftsätzen an das Gericht die Rechte deutscher Autoren und Verleger wahrgenommen. Nach einer Mitteilung des Bundesministerium der Justiz vom 24.9.2009 (damals war noch Frau Ministerin Zypries im Amt) teilt das US-Justizministerium die deutschen Bedenken und habe dies gegenüber dem Gericht klar gemacht. Erreicht wurde dadurch Folgendes: Ein Vergleich, den die Parteien des Rechtsstreites 2008 ausgehandelt und dem Gericht im Oktober zur Billigung vorgelegt hatten, wurde in einigen Punkten geändert. Mit der Mitte November 2009 vorgelegten Vergleichsfassung werden Bücher deutscher Autoren und Verlage nur dann erfasst, wenn sie bis zum 5. Januar 2009 beim US-Copyright Office registriert worden waren oder in Kanada, dem Vereinigten Königreich oder Australien erschienen sind. Offen bleiben danach insbesondere folgende Fragen: 1. Welche Bücher deutscher Autoren oder Verleger werden noch von dem Vergleich erfasst? 2. Werden Bücher erfasst, die sowohl einen deutschen als auch einen amerikanischen Ort als Erscheinungsort angeben? Diese Unklarheiten führen zu Schwierigkeiten bei der Rechtewahrnehmung. Deshalb verlangt die VG WORT, dass Google eine Liste zur Verfügung stellt, die sämtliche Bücher deutscher Autoren enthält, die unter das Google Book Settlement fallen.6 Der Vergleich sieht vor, dass Google die digitalisierten Werke in verschiedener Weise nutzen darf. Der „display use“ erlaubt Google den Verkauf des OnlineZugangs für Bücher in den USA, bei vergriffenen Werken sogar ohne ausdrückliche Einwilligung der Rechtsinhaber, wobei die Entscheidung darüber, ob ein Werk vergriffen ist, Google trifft. An den Einnahmen von Google sollen die Rechtsinhaber, sofern sie sich bei einer zur Abwicklung des Vergleichs einzurichtenden Stelle registriert haben, zu 63 % beteiligt werden. Für die erfolgte Vervielfältigung der Bücher muss Google eine Vergütung in Höhe von 60 USD pro Buch an die Rechtsinhaber zahlen. Das gilt auch für deutsche Autoren und Verleger, soweit ihre Werke vom Vergleich erfasst werden. In dem Hearing am 18. Februar 2010 vor dem US-District Court Southern District of New York hat der Richter noch nicht entschieden, ob er dem Vergleich zustimmt. Er schloss mit den Worten: „I have a lot to think about.“ Vielleicht führt richterliche Nachdenklichkeit doch noch zu dem Ergebnis, dass das Gericht den Vergleich nicht billigt. Die Bundesregierung hat in ihrem Schriftsatz an das Gericht die Auffassung vertreten, dass der Vergleich gegen internationale Verträge wie die Revidierte Berner Übereinkunft und den WIPO-Urheberrechtsvertrag (WCT) verstoße. Danach setze eine Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke zwingend die vorherige Zustimmung des Rechtsinhabers voraus.7 Nach der Auffassung von
__________ 6 Vgl. zu weiteren Einzelheiten das Interview der GRUR mit Dr. Robert Staats, Vorstand der VG Wort, abgedruckt im GRUR Newsletter 01/2010, sowie weitere Informationen unter www.vgwort.de. 7 Vgl. die Pressemitteilung des BJM vom 24.9.2009.
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Hess ist dabei eine ausdrückliche Zustimmung des Autors zur Verbreitung seines Werkes erforderlich.8 Da Google möglicherweise eine unglaublich große Anzahl von Nutzungsrechten amerikanischer und europäischer bzw. deutscher Autoren erhält, kommt auch Kartellrecht ins Spiel. Durch die große Anzahl urheberrechtlicher Nutzungsrechte gewinnt Google wahrscheinlich eine marktbeherrschende Stellung. Mit seiner Suchmaschine hat Google bereits jetzt eine marktbeherrschende Stellung auf diesem Markt, die nun noch verstärkt wird. Die Bundesregierung und die VG WORT sollten daher bei der EU-Kommission die Einleitung eines Kartellverfahrens gegen Google beantragen mit dem Ziel, dass ein etwa wirksam werdendes Book-Settlement nicht für europäische und deutsche Autoren gilt. Die ehemalige Bundesjustizministerin Zypries hat in ihrer Erklärung zum „Heidelberger Appel der Verleger und Autoren“ diesen unterstützt und außerdem darauf hingewiesen, dass ihr Ministerium „auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene an Mechanismen arbeitet, mit denen Urheber vor den digitalen Missbrauchsmöglichkeiten geschützt werden können.“ Diesen Hinweis sollte der Grüne Verein aufnehmen und die jetzige Bundesjustizministerin bitten, diese Bemühungen auf jeden Fall fortzusetzen. Wir können es nicht hinnehmen, dass in nicht durchschaubaren Prozessverfahren in Amerika die Urheberrechte unserer Autoren und Verleger ausgehebelt werden. Auch mit Google Street View greift Google unerlaubt in fremde Interessen ein. Mit diesem Projekt verletzt Google unweigerlich Urheberrechte an Bauwerken. Nicht an jedem Bauwerk werden Urheberrechte entstanden sein, aber doch an einer großen Zahl. Hier wäre zu überlegen, ob die Inhaber dieser Rechte diese nicht an eine Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung übertragen. Außerdem können Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Die Freie und Hansestadt Hamburg möchte die Grundlage für ein datenschutzrechtliches Vorgehen schaffen und hat deshalb im Bundesrat einen Entwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes eingebracht,9 mit dem die §§ 28, 29 BDSG ergänzt werden sollen. Für diesen Vorschlag spricht, dass er sehr schnell in Kraft gesetzt werden könnte. Damit könnte auch ein wirksames Signal an alle diejenigen gesetzt werden, die glauben, durch massenhafte Beeinträchtigung fremder Interessen und Rechte schnelles Geld machen zu können. Bundesinnenminister de Maiziére hat sich allerdings in einer im Juni 2010 in Berlin gehaltenen Grundsatzrede gegen eine Sonderregelung für diesen Fall ausgesprochen und eine entwicklungsoffene, technikneutrale gesetzlich Regelung vorgeschlagen. Der Gesetzgeber sollte diesen Vorschlag aufgreifen, ohne den Hamburger Vorschlag ad acta zu legen. Auch hier könnte der Grüne Verein nach Beratungen im Fachausschuss für Urheberrecht mit einer Stellungnahme ein Tätigwerden des Gesetzgebers unterstützen.
__________ 8 Vgl. Hess, Direktor des Instituts für Ausländisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Heidelberg, FAZ vom 9. Mai 2009. 9 Vgl. BR-Drucks. 259/109.
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Was zeigen nun die im Zusammenhang mit den beiden Google-Projekten aufgetretenen Probleme? Zunächst einmal, dass wir bei aller Qualität unserer Gesetze nicht auf alle technischen Neuerungen und insbesondere Entwicklungen im Internet vorbereitet sind und der Gesetzgeber diese Entwicklungen auch nicht vorher sehen kann. Weiter, dass neue technischen Möglichkeiten die Gefahr eines massenhaften Eingriffs in fremde Interessen beinhalten können. Ferner, dass es bei weltweiten Aktivitäten eines Akteurs für einen deutschen oder europäischen Betroffenen sehr schwer sein kann, sich gegen Rechtsverletzungen zu wehren. Die verfahrensrechtlichen Besonderheiten der amerikanischen „class-aktion“ machen wieder einmal deutlich, dass diese Verfahrensart zumindest bei Rechtsverletzungen im grünen Bereich denkbar ungeeignet und anfällig für Manipulationen ist, die mit unseren Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahrensrecht nicht vereinbar sind. Schließlich machen beide Vorhaben deutlich, dass wir bei der Diskussion neuer gesetzlicher Regelungen im Bereich des geistigen Eigentums stärker als bisher auch persönlichkeitsrechtliche und datenschutzrechtliche Aspekte einbeziehen sollten.
III. Agenda 2010/2011 Die Welt ist im ständigen Wandel begriffen. Dies ist keine neue Erkenntnis. Aber Unternehmen und deren Produkte, die wir alle in unserer Jugend kannten, sind von der Bildfläche verschwunden und existieren nicht mehr. Dafür gibt es Unternehmen und Produkte bzw. Dienstleistungen, die wir uns noch vor 10 oder 20 Jahren nicht einmal vorstellen konnten. Auch die bei dem Vertrieb eingesetzten Geschäftsmethoden ändern sich laufend. Damit sehen sich der Gesetzgeber, die Rechtsprechung, die Wissenschaft, aber auch die Rechtsund Patentanwälte und schließlich auch die GRUR ständig neuen Herausforderungen gegenüber. Zahlreiche urheberrechtliche Probleme entstehen durch das Internet. Bestimmte Fragen des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sind bereits auf europäischer Ebene durch die Richtlinie 2001/29/EG geregelt und in das deutsche Recht umgesetzt worden. Insoweit bestehen für den deutschen Gesetzgeber keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr. Aber weitere Verletzungstatbestände machen wohl ein erneutes Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich. Im Bundesjustizministerium hat man sich darüber offensichtlich schon Gedanken gemacht. Denn in einer für Politiker schon verhältnismäßig sehr detaillierten „Berliner Rede zum Urheberrecht“ hat die Bundesministerin der Justiz, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, am 14. Juni 2010 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften regelungsbedürftige Fragen angesprochen und zu einer öffentlichen Diskussion aufgefordert. Mit der schnellen Verbreitbarkeit und Verfügbarkeit von Informationen seien neue Gefahren für die persönliche Selbstbestimmung verbunden. Dort, wo im Internet persönliche Daten ohne Zustimmung des Betroffenen verbreitet würden, sei der Datenschutz gefordert. Damit hat die Ministerin ein sehr komplexes Problem angesprochen, das in der Tat einer intensiven Dis105
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kussion bedarf. Ein anderes Risiko gehe, so die Ministerin von der Möglichkeit aus, urheberrechtlich geschützte Inhalte ungehindert und massenhaft weltweit verbreiten und vervielfältigen zu können. Dadurch sei vor allem die Selbstbestimmung der Kreativen über die Nutzung ihrer Werke gefährdet. Vermutlich hatte sie dabei das Vorgehen der Google Inc. im Falle des Google Book Settlement vor Augen. Die Ministerin will sich entsprechend den Festlegungen im Koalitionsvertrag für eine umfassende Harmonisierung der Rahmenbedingungen für Verwertungsgesellschaften einsetzen. Verwertungsgesellschaften spielen in Deutschland seit langem eine wirtschaftlich bedeutsame Rolle. Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), die Verwertungsgesellschaft WORT, die Verwertungsgesellschaft BILD-KUNST und die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten m.b.H. (GVL), um nur die wirtschaftlich bedeutsamsten zu nennen, sind auch außerhalb des Urheberrechts vielen Bürgern bekannt. Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz bildet die rechtliche Grundlage für die Tätigkeiten der Verwertungsgesellschaften. Es gab nach Nordemann10 1991 weltweit etwa 140 Verwertungsgesellschaften. Die meisten befassen sich mit der Verwertung von Musikrechten. Es wäre zu wünschen, dass die bestehenden Verwertungsgesellschaften für das geschriebene Wort möglichst geschlossen die Urheberrechte europäischer Autoren wahrnehmen, um zum Beispiel der Rechtsverfolgung gegenüber dem ungenehmigten Scannen von Büchern das nötige Gewicht zu verleihen. Die Initiative der Bundesministerin der Justiz zur Harmonisierung der Rahmenbedingungen für Verwertungsgesellschaften verdient daher unsere volle Unterstützung, damit die gesetzlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen für Verwertungsgesellschaften geschaffen werden können, um künftig gegen Rechtsverletzungen besser und schneller vorgehen zu können. Bei den Benutzern eines PC hat sich im Laufe der letzten Jahre die Vorstellung verfestigt, dass alles, was im Internet veröffentlicht wird, kostenlos heruntergeladen, ausgedruckt und vervielfältigt werden kann. Zahlreiche Leserbriefe zum Fall des Google Book Settlement zeigen, dass sich bei den Nutzern des Internets vielfach die Auffassung herausgebildet hat, man habe einen, wenn vielleicht noch nicht rechtlichen, so doch kulturpolitischen Anspruch auf freie Nutzung geschützter Texte. Das Vorgehen von Google wird als Zivilisationsgewinn betrachtet. Die Schutzrechte der Autoren werden als Privileg bezeichnet und daran die Frage geknüpft, ob das „Autorenprivileg“ noch zeitgemäß sei. Diese Reaktionen auf einen gravierenden Rechtsbruch zeigen, dass hier ein Dammbruch droht. Falls Rechte von Autoren massenhaft verletzt werden, kann sich der Einzelne nur sehr mühsam und mit hohem Kostenaufwand dagegen wehren. Es wäre daher wirklich sinnvoll, das Recht der Verwertungsgesellschaften zu harmonisieren und gleichzeitig zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung in den einzelnen urheberrechtlichen Gesetzen effektiv genug ausge-
__________ 10 Siehe FS Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Band II, S. 1202.
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staltet ist (Gerichtsstand, Auskunftsansprüche, Eilverfahren etc.) oder internationale Verträge der neuen Sachlage angepasst werden müssen. Letzteres dürfte allerdings sehr schwierig sein, weil damit erfahrungsgemäß unterschiedliche Interessen wachgerufen werden, die nur schwer wieder auf einen Nenner, sprich ein Abkommen oder einen Vertrag, zu bringen sind. Weiter hat sich die Ministerin in ihrer Rede mit Unternehmen befasst, die geschützte Werke der Urheber vermitteln wie Buchverlage, Musikverleger, Filmproduzenten, Sendeunternehmen oder Zeitungsverleger. Diese Unternehmen haben bereits nach geltendem Recht in einem bestimmten Umfang Rechte hinsichtlich der von ihnen vertriebenen Produkte bzw. hinsichtlich der von ihnen erbrachten Leistungen. Eine Lücke hat die Ministerin jedoch bei den Zeitungsverlagen ausgemacht. Es ist kein Geheimnis, dass es die Verlage, hier insbesondere die Zeitungsverlage, im Zeitalter des Fernsehens und des Internets nicht einfach haben, sich im Wettbewerb zu behaupten. Dabei machen sich die Verlage zum Teil selbst Konkurrenz. Ein Beispiel: Die Spiegel-OnlineAusgabe im Verhältnis zur gedruckten Zeitschrift. An einen simplen Wettbewerbschutz für die Zeitung oder Zeitschrift denkt die Ministerin dabei nicht. Sondern sie erkennt, dass die Presseverlage mit ihren Online-Angeboten von anderen gewerblichen Anbietern in einer Weise ausgenutzt werden, die über das bloße Verlinken von Artikeln, das weiterhin zulässig bleiben soll, weit hinausgehe. Sie möchte daher eine Debatte darüber führen, „nicht ob, sondern wie wir neben dem Urheberrecht der Journalisten auch die organisatorische und wirtschaftliche Leistung der Presseverleger besser schützen.“ Das rechtliche Instrument für einen solchen Schutz kennen wir im Urheberrecht schon seit langem. Leistungsschutzrechte für ähnliche Leistungen leisten gute Dienste. Es ist daher zu hoffen, dass diese Frage von allen Beteiligten mit dem Ziel einer vertretbaren Lösung diskutiert wird und der Anstoß zu dieser Debatte nicht nur eine politische Verbeugung vor den Zeitungsverlegern ist. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass eine Lösung nur dann weiterführt, wenn sie zumindest EU-weite Geltung hat. Andernfalls wird die Durchsetzung etwaiger neugeschaffener Rechte von vornherein erschwert. Ich bin mir sicher, dass der Fachausschuss für Urheber- und Verlagsrecht des Grünen Vereins mit den vielfältigen Erfahrungen seiner Mitglieder einen Beitrag zu dieser Debatte leisten kann. Im Dezember 2009 hat der Rat der Europäischen Union (Ministerrat) sich auf eine Reform des europäischen Patentsystems geeinigt und eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent gebilligt. Damit soll es möglich werden, durch eine Anmeldung ein Patent für die gesamte Europäische Union zu erlangen. Wer den Leidensweg im Markenrecht von den anfänglichen Diskussionen im Jahre 1964 über die Schaffung einer EWG-Marke bis zur Harmonisierung des Rechts an Marken und zur Schaffung der Gemeinschaftsmarke miterlebt hat, wird über den Beschluss des Ministerrats erfreut sein. Denn die Bemühungen zur Schaffung eines Gemeinschaftspatents reichen ebenfalls lange zurück. 107
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Bereits 1962 wurde der Vorentwurf eines Abkommens über ein Europäisches Patentrecht veröffentlicht.11 Doch es kann noch viel Zeit vergehen, bis das Europäische Patentamt die erste Anmeldung eines Gemeinschaftspatents entgegen nehmen kann. Viele Fragen sind noch offen. So zum Beispiel die Sprachenfrage: Kann ein Patent in nur einer Sprache angemeldet werden oder muss es in mehreren oder gar allen angemeldet werden? Dies ist nicht nur eine Frage der korrekten Übersetzung der Anmeldung, sondern auch eine Kostenfrage. Das neue Gemeinschaftspatent müsste dann nur noch einmal angemeldet und für die Anmeldung nur einmal Kosten entrichtet werden. Bei Patentverletzungen müsste der Patentinhaber nur noch einmal klagen und nicht in allen Mitgliedstaaten, in denen sein Patenrecht eingetragen ist. Man kann alles in allem davon ausgehen, dass der Erwerb und die Verteidigung von Gemeinschaftspatenten für die Erfinder und Unternehmen zu enormen Kosteneinsparungen führen können. Das Gemeinschaftspatent soll in der Weise entstehen, dass die Europäische Union als Vertragspartei dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) beitritt. Die EU könnte dann bei einer Anmeldung sozusagen als „Vertragsstaat“ benannt werden. Wie die Patentgerichtsbarkeit ausgestaltet werden soll, muss noch ausgehandelt werde. Doch haben die Minister sich dafür ausgesprochen, ein einheitliches europäisches Patentgericht zu schaffen. Dies soll auf den bewährten nationalen Gerichtsstrukturen aufbauen und ortsnah zu den Parteien arbeiten. Diese Formulierung birgt Ungewissheiten. Denn was bedeuten „bewährte nationale Gerichtstrukturen“, wenn sie unterschiedlich sind. Doch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und damit des Patentrechts soll durch ein Berufungsgericht sichergestellt werden. Über allem schwebt dann auch noch der Europäische Gerichtshof, der derzeit auf Antrag des Rates der EU auf ein Gutachten nach Art. 300 Abs. 6 EG prüft, ob das Übereinkommen zur Schaffung eines vereinheitlichten Systems für die Regelung von Patentstreitigkeiten mit den Vorschriften des EG-Vertrages vereinbar ist.12 Das künftige Europäische Patentgericht (European and EU Patents Court) soll sowohl bei Klagen wegen der Verletzung eines Gemeinschaftspatents als auch bei Streitigkeiten über dessen Gültigkeit ausschließlich zuständig sein Der Entwurf der Verordnung muss nun noch vom Europäischen Parlament beraten und anschließend von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Es bleibt zu hoffen, dass bis zur Verwirklichung des Gemeinschaftspatents nicht mehr allzu viel Zeit verstreichen wird. Die Produktpiraterie beschäftigt seit Jahrzehnten Unternehmen, Verbände und den Gesetzgeber. Am Anfang gesetzgeberischer Maßnahmen gegen die Produktpiraterie in Deutschland stand auch ein Gespräch zwischen dem zuständigen Referenten im Bundesministerium der Justiz und Vertretern des Grünen Vereins. In den vergangenen 30 Jahren sind die gesetzlichen Möglichkeiten, Produktpiraterie zu bekämpfen, ständig verbessert worden. Auch die Recht-
__________ 11 Siehe GRUR Int. 1962, 561; Kraßer, Patentrecht, 5. Auflage § 7 S. 88. 12 Vgl. Amtsbl. vom 12.9.2009 C 220/15.
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sprechung, insbesondere die pragmatische englische hat dazu ihren Beitrag geleistet. Weitere entscheidende Fortschritte ließen sich erzielen, wenn es gelänge, noch mehr typische Herstellerländer gefälschter Produkte für den Kampf gegen Produktpiraterie zu gewinnen. Die Bundesregierung beteiligt sich über die Europäische Union an den Verhandlungen zu einem multilateralen Abkommen zur Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie, dem Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA)-Abkommen. Die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, Japan, Mexiko und Neuseeland haben schon 2007 erklärt, ein multilaterales Abkommen zum Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie anzustreben. Im April 2008 haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Mandat erteilt, in ihren Namen zu verhandeln. Durch das Abkommen soll eine stärkere Abstimmung gemeinsamer Standards zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte erreicht werden. Angestrebt werden eine Angleichung der straf- und zivilrechtlichen Vorschriften und deren optimale Durchsetzung, insbesondere bei der Grenzbeschlagnahme. Da sich hier Verbände wie der Bundesverband der Industrie und Markenverband bereits engagiert haben, besteht auch für den Grünen Verein die Gelegenheit, die Erfahrungen der Mitglieder seiner Fachausschüsse in diese Verhandlungen einzubringen. Gesetzgebungsbedarf wird sich in naher Zukunft unweigerlich hinsichtlich des Internets ergeben und zwar in mehrfacher Hinsicht. Einmal wegen der Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, auch wenn hier schon einiges geschehen ist. Auch Persönlichkeitsrechte stehen bei Nutzungshandlungen im Internet auf dem Spiel. Schließlich müssen in Zukunft stärker datenschutzrechtliche Aspekte berücksichtigt werden. Es wird sich die Frage stellen, ob man ein Spezialgesetz für alle Fragen des Internets schafft. Die Einwände gegen ein solches Vorgehen liegen auf der Hand und sind absehbar. Daher erscheint es sinnvoll, zunächst zügig eine „Problem-Sammlung“ vorzunehmen, um dann das weitere Vorgehen zu überlegen. Es ist absehbar, dass es Proteste gegen jedwede gesetzliche Regelung geben wird, weil sich bei vielen selbsternannten „Bürgerrechtlern“ und digitalen Organisationen die Vorstellung festgesetzt hat, im Internet sei alles erlaubt. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit diesen Bereich grundlegend zu regeln. Je früher desto besser.
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Wettbewerbsrechtlicher Verbraucherschutz in der Welt der „look-alikes“ Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Verbraucherschutzrechtliche Verbote der betrieblichen Herkunftstäuschung 1. § 5 Abs. 2 UWG 2. Nr. 13 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG 3. Verhältnis der Verbote zueinander 4. Aktivlegitimation
5. Vermeidbarkeit/Vermeidung betrieblicher Herkunftstäuschungen III. Ausflug in die Rechtswirklichkeit – Beispiele aus der Welt der „lookalikes“ IV. Fazit
I. Einleitung Der berufliche Weg Michael Loschelders ist von stetem Austausch, von den fruchtbaren Wechselwirkungen zwischen Rechtswissenschaft und Praxis gekennzeichnet. Es liegt deshalb nahe, in einem Beitrag zu einer ihm gewidmeten Festschrift zu untersuchen, welche Konsequenzen sich aus bestimmten verbraucherschutzrechtlichen Neuerungen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken1 für die wettbewerbsrechtliche Praxis in Deutschland ergeben können – und umgekehrt anhand empirischer Eindrücke auszuloten, an welchen Verbraucherauffassungen sich die Interpretation der neuen Vorschriften orientieren kann. Hierbei werde ich mich auf § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (der „Schwarzen Liste“) und die ihnen zugrunde liegenden Richtlinienbestimmungen konzentrieren, kurz auch deren Verhältnis zu § 4 Nr. 9 UWG ansprechen.2 Im Anschluss an diese auf rechtlicher Ebene unternommenen Erkundungsversuche sei zu einem kleinen Ausflug in die Rechtswirklichkeit eingeladen – hier: in die Welt der „look-alikes“. Obwohl die in diesem Rahmen auftretenden Fragen bereits eine lebhafte Diskussion ausgelöst haben,3 hat Köhler4 den neuen § 5 Abs. 2 UWG noch vor
__________
1 ABl. EG 2005 Nr. L 149 S. 22, ber. ABl. EG 2009 Nr. L 253 S. 18 (im Folgenden nur „UGP-Richtlinie“ oder „Richtlinie“). 2 Eine erweiterte Betrachtung müsste zusätzlich § 5 Abs. 1 Nr. 1 (Irreführung über die betriebliche Herkunft) und § 6 Abs. 2 Nr. 3 UWG (Unlauterkeit vergleichender Werbung, die zur Gefahr von Verwechselungen führt) einschließen. 3 Etwa von Fezer, MarkenR 2006, 511, WRP 2008, 1 ff., GRUR 2009, 451 ff. und WRP 2009, 1163 ff.; Köhler, GRUR 2007, 548 ff., GRUR 2008, 841 ff. und GRUR 2009, 445 ff.; Lubberger, MarkenR 2009, 18 ff.; Büscher, GRUR 2009, 230 ff.; Kiethe/ Gröschke, WRP 2009, 1343 ff.; Dreyer in Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 5 Abschnitt J. Rz. 2 ff. 4 GRUR Prax 2009, 47 ff.
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kurzem als „terra incognita“ bezeichnet. Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, dass die UGP-Richtlinie auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene den gleichen Rang wie die Markenrichtlinie, die Gemeinschaftsmarkenverordnung und andere Normen zum Schutz des geistigen Eigentums beanspruchen kann.5 Dies enthebt den Rechtsanwender nicht der Aufgabe, Lösungen für einzelne Reibungsflächen zu suchen, bedeutet aber ebenso eindeutig, dass die über die Richtlinie in das UWG geratenen Verbraucherschutzvorschriften nichts mit irgendeiner „Lückenfüllungsfunktion“ oder einem „ergänzenden Leistungsschutz“ zu tun haben,6 sondern autonom auszulegen und durchzusetzen sind. Überwiegend, wenn auch mit einigen Nuancen und nicht vollkommen einhellig, wird diesem Ansatz in neueren Publikationen zugestimmt.7 Der deutsche Gesetzgeber war bei Umsetzung der UGP-Richtlinie bestrebt, die von einem anderen Schutzzweck getragenen und teilweise durchaus sperrig formulierten Vorschriften der Richtlinie möglichst harmonisch in das gewachsene System des deutschen Lauterkeitsrechts einzufügen. Dies war von weiten Teilen der interessierten Kreise auch gefordert worden und ist zumindest äußerlich im Wesentlichen gelungen. Je eingehender man sich allerdings mit den neuen UWG-Vorschriften im Vergleich mit den ihnen zugrunde liegenden Richtlinienbestimmungen befasst, um so weniger kann man sich des Eindrucks erwehren, dass hier ein Trojanisches Pferd Einzug gehalten hat. Sein Inneres ist weit unverträglicher, als es dem äußeren Anschein entspricht. Bornkamm8 hat von einem „Fremdkörper“ gesprochen. Es wäre nicht angebracht, aus purem Harmoniestreben solchen Interpretationen den Vorzug zu geben, die möglichst reibungslos in unser bisheriges Denken hineinpassen. Dies gilt sowohl in Bezug auf das deutsche Lauterkeitsrecht als auch im Verhältnis etwa zum Markenrecht. Ein „Postulat der Widerspruchsfreiheit zwischen Immaterial- und Lauterkeitsrecht“9 ist zwar grundsätzlich wünschenswert, kann aber nicht als Hauptrichtschnur für die Handhabung der neuen, allein auf den Verbraucherschutz bezogenen Irreführungsverbote dienen. Überspitzt gesagt: Es ist der Gefahr zu widerstehen, unbewusst die liebgewonnenen nationalen Ansätze auf die Interpretation der in das deutsche Recht umgesetzten Richtlinienbestimmungen zu übertragen – statt umgekehrt das deutsche Recht richtlinienkonform auszulegen,10 geleitet von dem
__________ 5 Köhler, GRUR 2007, 548 ff.; Fezer, WRP 2008, 1 ff., 6; Dreyer in Harte/Henning, § 5 Abschnitt J Rz. 9 ff.; Peifer in Fezer, UWG, 2. Aufl. 2009, § 5 Rz. 427; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 28. Aufl. 2010, § 5 Rz. 4.210; Ohly in Piper/ Ohly/Sosnitza, § 4 Rz. 9/19; a. A. Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza § 5 Rz. 699 f. 6 Ebenso schon dezidiert Köhler, GRUR 2007, 548 (549), der nur noch von der „so genannten Nachahmungsfreiheit“ spricht und die Aufgabe des zur „Begriffsjurisprudenz“ führenden tradierten Begriffs des „ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes“ empfiehlt; Fezer, WRP 2008, 1 (7). 7 Siehe Fn. 4 sowie Büscher, GRUR 2009, 230 (236). 8 Bornkamm in Köhler/Bornkamm, § 5 Rz. 4.212. 9 Ohly, GRUR 2007, 731, 735; Lubberger in FS Ullmann (2006) S. 738 ff. 10 Vgl. Köhler, GRUR 2008, 841; zur richtlinienkonformen und richtlinienoptimierenden Auslegung Fezer, WRP 2009, 1163 (1174).
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zentralen, in Artikel 1 formulierten Zweck der Richtlinie, zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen.
II. Verbraucherschutzrechtliche Verbote der betrieblichen Herkunftstäuschung 1. § 5 Abs. 2 UWG Nach § 5 Abs. 2 UWG ist eine geschäftliche Handlung auch irreführend, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen einschließlich vergleichender Werbung eine Verwechselungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft.
Weitere Anwendungsvoraussetzung ist, dass diese Handlung im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände geeignet ist, einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte – so die Formulierung in Art. 6 Abs. 2 der UGP-Richtlinie. Der deutsche Gesetzgeber hat dies in anderen Worten in § 3 Abs. 2 UWG untergebracht, also vor die Klammer gezogen. § 5 Abs. 2 UWG setzt eine geschäftliche Handlung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen voraus. Das kann jegliche Art der Vermarktung eines Produkts sein, etwa die Produktgestaltung, die Produktbeschreibung oder die Art der Werbung (einschließlich der vergleichenden Werbung).11 Hierzu gehören auch Angaben mit explizitem oder konkludentem Informationscharakter, so auch die Markierung der Ware oder die Verwendung von Kennzeichen auf Geschäftspapieren oder im Werbematerial.12 Auf eine markenmäßige Benutzung im markenrechtlichen Sinne kommt es nicht an. Ebenso wenig kann die Anwendung des von der UGP-Richtlinie vorgegebenen § 5 Abs. 2 UWG in irgendeiner Weise von den von der deutschen Rechtsprechung13 herausgearbeiteten Voraussetzungen des § 4 Nr. 9 lit. a UWG abhängen.14 Während die UGP-Richtlinie nur den Verbraucherschutz im Auge hat, gilt § 5 Abs. 2 UWG auch für geschäftliche Handlungen gegenüber sonstigen Marktteilnehmern.
__________ 11 Dreyer in Harte/Henning, § 5 Abschnitt J Rz. 19. 12 Peifer in Fezer, § 5 Rz. 429. 13 Zuletzt insbesondere BGH WRP 2007, 1076 – Handtaschen; WRP 2009, 76 – Gebäckpresse; WRP 2009, 1374 – Knoblauchwürste; WRP 2010, 94 – LIKEaBIKE mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 14 Ebenso wohl Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, § 4 Rz. 9/22.
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Wie bei § 6 Abs. 2 Nr. 3 UWG dürfte die Gefahr einer Verwechslung ausreichen,15 dies aber nicht im Sinne einer abstrakten Betrachtung wie im Markenrecht, sondern im konkreten Kontext der Vermarktung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls. Die Verwechselungsgefahr kann eine unmittelbare oder mittelbare sein; erfasst werden also auch Fälle, in denen der Durchschnittsverbraucher lediglich auf rechtliche, organisatorische und/oder besondere wirtschaftliche Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen schließt.16 Die Verwechslungsgefahr kann sich auf ein Produkt, auf ein Kennzeichen oder beides beziehen. Der Begriff des „Kennzeichens“ ist weit auszulegen. Er umfasst alle Unterscheidungszeichen, die nach dem Verbraucherverständnis auf die kommerzielle Herkunft des Produkts hindeuten.17 Dieses Verbraucherverständnis muss sich nicht mit rechtlichen Definitionen des Markenrechts decken, sondern wird nicht zuletzt durch die suggestiven bis subtilen Methoden moderner Werbestrategien geprägt. In Betracht kommen deshalb etwa auch alle Formen der Verpackungsgestaltung, Slogans, Bilder, Erkennungsmelodien sowie Farben und Farbkombinationen, letztere unabhängig davon, ob für solche Farbsignale ein Schutz als Registermarke oder Benutzungsmarke erreicht oder erreichbar ist.18 Für die Frage allerdings, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Farbe oder Farbkombination vom Verkehr als Herkunftshinweis verstanden wird, dürfte die markenrechtliche Rechtsprechung des EuGH und des BGH von Bedeutung bleiben. Hiernach sind die Verbraucher es grundsätzlich nicht gewohnt, allein aus der Farbe von Waren oder Verpackungen ohne sonstige grafische oder verbale Elemente auf die betriebliche Herkunft zu schließen.19 Anders liegt es, wenn die Farbe als solche im Rahmen aller anderen Gestaltungselemente der Aufmachung in einer Weise hervortritt, dass sie als Kennzeichnungsmittel verstanden wird. Dies kann bei einer durch Benutzung erworbenen gesteigerten Kennzeichnungskraft der Fall sein und zur Durchset-
__________ 15 Dreyer in Harte/Henning, § 5 Abschnitt J Rz. 20; so ausdrücklich auch der deutsche Wortlaut der entsprechenden Richtlinienbestimmung in Art. 6 Abs. 2 lit. a – wobei Peifer in Fezer, § 5 Rz. 430) allerdings darauf hinweist, dass der englische und französische Wortlaut nur von „confusion“ sprechen, nicht von „likelihood of confusion“ bzw. „risque de confusion“. 16 Dreyer in Harte/Henning a. a. O. Rz. 20 unter Hinweis auch auf EuGH GRUR 2008, 698, 700 – O2; Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, § 5 Rz. 703; zur entsprechenden Auslegung von § 4 Nr. 9 lit. a UWG u. a. BGH GRUR 1998, 477 (480) – Trachtenjanker; BGH GRUR 2001, 443 (445) – Viennetta; BGH GRUR WRP 2009, 1372 – Ausbeinmesser; Köhler in Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 9.44. 17 Fezer, MarkenR 2006, 511, 514, und GRUR 2009, 451 (456); Dreyer in Harte/Henning a. a. O. Rz. 21 unter Hinweis auch auf EuGH GRUR 2002, 354 (356) – Toshiba. 18 Für eine Abwägung mit markenrechtlichen Schutzvoraussetzungen und mit einem Freihaltebedürfnis an einzelnen Farbkombinationen, wie sie der BGH in Sachen grau/magenta (GRUR 1997, 754) vorgenommen hat, dürfte im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 lit. a der UGP-Richtlinie bzw. § 5 Abs. 2 UWG grundsätzlich kein Raum mehr sein. Siehe aber den Vorbehalt in Fußnote 4. 19 Vgl. EuGH GRUR 2003, 604 – Libertel; BGH GRUR 2004, 1515, 154 – Farbmarkenverletzung I; BGH GRUR 2005, 427 f. – Lila Schokolade; OLG Hamburg WRP 2009, 638 (642) – NIVEA-Blau.
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zung der markenrechtlichen Ansprüche führen, wenn die betreffende Farbe auch in der angegriffenen Verwendungsform ein wesentliches, durch herkömmliche Herkunftshinweise nicht in den Hintergrund gedrängtes Gestaltungsmittel ist.20 Die Eignung zur Herkunftstäuschung ist mit Blick auf die Vorgabe in Art. 6 Abs. 2 der UGP-Richtlinie auch in Bezug auf Farben streng einzelfallbezogen zu prüfen. Gerade im Bereich der „look-alikes“ ist es ohnehin meist nicht eine Einzelfarbe als solche, sondern eine Kombination von Farben und weiteren grafischen Gestaltungsmitteln, die einen charakteristischen Gesamteindruck herbeiführt und in unwesentlich abgewandelter Form auch das nachgeahmte Produkt kennzeichnet.21 Im Einzelnen bleibt in vielfacher Hinsicht noch zu klären, wie sich dieser „Fremdkörper“22 unter Beachtung der richtlinienkonformen Auslegung und des besonderen Schutzzwecks der UGP-Richtlinie in die deutsche Rechtspraxis eingliedern lässt. Gesichert erscheint, dass § 5 Abs. 2 UWG in Bezug auf den Schutz vor der Nachahmung von Produkten und Unterscheidungszeichen, die zu Fehlvorstellungen über die betriebliche Herkunft führt, über den uns vertrauten Anwendungsbereich des § 4 Nr. 9 lit. a UWG und zum Teil auch des Markenrechts hinaus geht.23 2. Nr. 13 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG Nr. 13 der Schwarzen Liste untersagt als „stets unzulässig“ jede Werbung für eine Ware oder Dienstleistung, die der Ware oder Dienstleistung eines Mitbewerbers ähnlich ist, wenn diese in der Absicht geschieht, über die betriebliche Herkunft der beworbenen Ware oder Dienstleistung zu täuschen.
Das hier formulierte strikte Verbot wurde erst im parlamentarischen Verfahren in den Richtlinienvorschlag aufgenommen: Es sollte die irreführende Produktvermarktung gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie ergänzen. Zur Begründung hieß es: „Whilst companies have the right to produce cheaper alternatives to any product, consumers too must have the strongest possible protection against ‚passing off‘.“24
Unzulässig ist hiernach zwar nicht schon die Herstellung des aus Verbrauchersicht ähnlichen Produkts, sondern erst die auf eine Herkunftstäuschung gerichtete Werbung. Angesichts des sehr weiten, in der UGP-Richtlinie definierten Begriffs der Werbung wird aber jegliche Form der Vermarktung erfasst – mit entsprechenden faktischen Rückwirkungen auf die Sinnhaftigkeit der Herstellung. Werbung ist nämlich nach Art. 2 lit. a
__________ 20 21 22 23 24
BGH GRUR 2005, 427 f. – Lila Schokolade; OLG Hamburg a. a. O. S. u. die Beispiele unter III. Bornkamm in Köhler/Bornkamm, § 5 Rz. 4.212. Ebenso u. a. Köhler, GRUR 2009, 445 (450). Vgl. Peifer in Fezer, Anhang UWG Nr. 13 Rz. 4 und 6, auch unter Hinweis auf die drei Voraussetzungen des ‚passing off‘, nämlich (1) Goodwill als wettbewerblicher Besitzstand des Unternehmers, (2) täuschende Verwendung (misrepresentation) und (3) Beeinträchtigung des Besitzstands (m. w. Nachw.). Zum ‚passing off‘ s. auch Ohly, GRUR 2007, 731 (738).
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Henning Harte-Bavendamm „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen … zu fördern.“
Solche Äußerungen können in Begleitinformationen, aber konkludent auch in der Gestaltung oder Präsentation des Produkts selbst enthalten sein.25 Nr. 13 erfasst identische, fast identische und eben auch nur „ähnliche“ Produkte. Ähnlichkeit setzt hier nicht zwingend voraus, dass die Produkte für sich gesehen, also ohne die begleitende Werbung, verwechslungsfähig sind.26 Das Verbot kann sich damit auch auf Erzeugnisse erstrecken, die die Grenze zur Rechtsverletzung im immaterialgüterrechtlichen Sinne oder auch nach den herkömmlichen deutschen Regeln des wettbewerbsrechtlichen Schutzes vor Nachahmungen noch nicht überschreiten.27 Die Werbung muss darauf abzielen, dass der Durchschnittsverbraucher den falschen Eindruck erhält, das betreffende Produkt sei unter der Verantwortung des Herstellers des Originalprodukts in den Verkehr gebracht worden. Dies schließt den Fall ein, dass die ähnlichen Produkte – oder bei konturlosen Erzeugnissen deren Verpackungen – zwar nicht unmittelbar miteinander verwechselt werden, der Durchschnittsverbraucher aber Konzern- oder Lizenz- oder Lieferbeziehungen vermutet.28 Eine mittelbare Herkunftstäuschung dieser Art kann etwa im Falle einer im Auftrag eines großen Einzelhandelsunternehmens produzierten „Eigenmarke“ oder „Zweitmarke“ auftreten.29 Anknüpfungspunkt ist ausschließlich die Ähnlichkeit der Ware oder Dienstleistung, nicht die Verwendung eines verwechselungsfähigen Kennzeichens.30 Allerdings kann der Einsatz eines ähnlichen Zeichens ein starkes zusätzliches Indiz für das absichtsvolle Vorgehen des Werbenden darstellen. Überhaupt wird sich auf die von Nr. 13 vorausgesetzte Absicht in aller Regel nur aus äußeren Gegebenheiten schließen lassen. Eine lebensnahe Bewertung der Gesamtumstände wird häufig keinen ernsthaften Zweifel ergeben, dass zumindest bedingter Vorsatz vorliegt.31 Dies gilt vor allem dann, wenn alles dafür spricht, dass der Werbende das Originalprodukt kannte, sein eigenes Produkt später auf den Markt gebracht und hierfür eine Aufmachung gewählt hat, die auch in frei wählbaren Elementen (wie beispielsweise Farbkombinationen und sonstiges Verpackungsdesign) verblüffende Anklänge an das ältere
__________ 25 Köhler in Köhler/Bornkamm, Anhang zu § 3 III Rz. 13.4. 26 Dreyer in Harte/Henning, Anhang zu § 3 III Rz. 13; Köhler in Köhler/Bornkamm, Anhang zu § 3 III Rz. 13.3. 27 Ebenso Fezer, GRUR 2009, 451 (458). 28 Peifer in Fezer, Anhang UWG Nr. 13 Rz. 13; Köhler in Köhler/Bornkamm, Anhang zu § 3 III Nr. 13 Rz. 13.6. 29 Zum „Zweitmarkenirrtum“ Lubberger, MarkenR 2009, 18 ff., sowie ausführlich unten III. 30 BT-Drucks. 16/10145, S. 32; Köhler in Köhler/Bornkamm, Anhang zu § 3 III Rz. 13.3. 31 Ähnlich Peifer in Fezer, Anhang UWG Nr. 13 Rz. 14; Köhler in Köhler/Bornkamm, Anhang zu § 3 III Rz. 13.7; Harte/Henning/Dreyer Anhang zu § 3 III Rz. 16; Köhler GRUR 2009, 445 (448): „Der Nachweis der Absicht der Irreführung wird in den Fällen der Produktnachahmung vermutlich unschwer zu führen sein.“
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Markenerzeugnis enthält. Gerade bei professionell geführten oder beratenen Unternehmen kann man davon ausgehen, dass die Marketingexperten ihr Handwerk verstehen und die sich aufdrängenden Assoziationen kaum versehentlich herbeigeführt haben werden. 3. Verhältnis der Verbote zueinander In der Entscheidung „LIKEaBIKE“32 hat der BGH die Auffassung vertreten, dass § 4 Nr. 9 UWG außerhalb des Anwendungsbereichs der UGP-Richtlinie liegt und von dieser unberührt bleibt.33 Die Richtlinie bezwecke zwar eine vollständige Angleichung des Rechts der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken und lasse in ihrem Anwendungsbereich deshalb – von ausdrücklich genannten Ausnahmen abgesehen – weder mildere noch strengere nationale Regelungen zu. Sie erfasse jedoch nur unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen von Verbrauchern beeinträchtigten (Art. 1, Art. 3 Abs. 1). Dementsprechend bezweckten die drei Tatbestände der Richtlinie, die jedenfalls auch den Vertrieb von Produktnachahmungen erfassten,34 ebenso wie die sie umsetzenden UWG-Bestimmungen nur den Verbraucherschutz.35 Die Ansprüche aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz nach § 4 Nr. 9 lit. a UWG dienten dagegen vorrangig dem Schutz der individuellen Leistung des Herstellers und daneben dem Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.36 Köhlers37 Vorschlag, § 4 Nr. 9 lit. a UWG, soweit es um Endverbraucherprodukte geht, auch als Unterfall des Schutzes der Verbraucher vor irreführender Produktvermarktung zu verstehen, hat der BGH also nicht aufgegriffen. Schon ein Umkehrschluss aus dieser Argumentation des BGH führt zu dem Ergebnis, dass dann auch § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der Schwarzen Liste unabhängig von § 4 Nr. 9 lit. a UWG anzuwenden sind und dass dies nicht nur für die Anwendbarkeit als solche gilt, sondern es sich gleichermaßen verbietet, herkömmliche, unserem nationalen Recht entstammende Auslegungs- und Bewertungskriterien auf die neuen, auf den Verbraucherschutz ausgerichteten Vorschriften zu übertragen. Dies betrifft auch die zum alten Recht vertretene Auffassung, das Irreführungsverbot habe gegenüber dem Leistungsschutz nach § 4 Nr. 9 lit. a UWG zurückzutreten.38 Allerdings ergibt sich die völlig eigenständige Bedeutung und Reichweite der betreffenden Richtlinienbestimmungen nicht erst aus diesem Umkehrschluss,
__________
32 GRUR 2010, 80, 81, Rz. 17; WRP 2010, 94 (96). 33 Hierzu auch Dreyer in Harte/Henning, § 5 Abschnitt J Rz. 15 f. 34 Art. 6 Abs. 1 lit. b („betriebliche Herkunft“), Art. 6 Abs. 2 lit. a und Nr. 13 des Anhangs I. 35 Ob die Prüfung, ob der Richtlinienanspruch auf Vollharmonisierung durch einzelstaatliche Normen unterlaufen zu werden droht, allein anhand des jeweiligen Gesetzeszwecks vorgenommen werden kann, oder ob nicht auch die Anwendungsergebnisse in die Betrachtung einzubeziehen sind, ist allerdings nicht frei von Zweifeln. 36 BGH GRUR 2007, 984 Tz. 23 = WRP 2007, 1455 – Gartenliege. 37 Köhler, GRUR 2007, 548 (554). 38 So wohl auch Bornkamm in Köhler/Bornkamm, § 5 Rz. 4.209a f.
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sondern in erster Linie bereits aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts und dem von der UGP-Richtlinie verfolgten Anspruch der Vollharmonisierung im Interesse des Verbraucherschutzes. Dies hat zu einem „Dualismus der Lauterkeitsrechtsordnungen“39 geführt. § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der Schwarzen Liste sind also unabhängig von den zu § 4 Nr. 9 UWG entwickelten Auffassungen auszulegen und durchzusetzen.40 Ihr Anwendungsbereich ist erheblich weiter als derjenige des § 4 Nr. 9 lit. a UWG. Auf Voraussetzungen wie die wettbewerbliche Eigenart, eine gewisse Bekanntheit des nachgeahmten Produkts, den Nachahmungstatbestand als solchen oder die Zumutbarkeit bestimmter Maßnahmen zur Vermeidung einer Herkunftstäuschung kommt es im Grundsatz nicht an (was allerdings nicht bedeutet, dass nicht gewisse Überlegungen, die zur Entwicklung dieser geschriebenen oder ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale geführt haben, in der einen oder anderen Weise auch im Rahmen der neuen Vorschriften eine Rolle spielen mögen). Auch wird sich kaum noch sagen lassen, ein Rest von Irreführungsgefahr müsse hingenommen werden, wenn andernfalls ein wettbewerbsrechtlicher Schutz auch für gemeinfreie Elemente gewährt würde.41 Die Nachahmungsfreiheit gehe in solchen Fällen dem Schutz der Allgemeinheit vor Irreführung vor.42 In sehr viel allgemeinerer Weise wird man künftig auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurückzugreifen suchen, um eindeutig als überschießend empfundene Verbote zu vermeiden. Dies ist aber ein ganz anderer, auf besondere Ausnahmefälle beschränkter Ansatz. Ebenfalls nicht auf die neuen Verbraucherschutzvorschriften übertragbar ist die noch zum UWG 2004 überwiegend vertretene, wenn auch höchst umstrittene Lehre vom Vorrang der Sonderschutzrechte, insbesondere des Markenund Geschmacksmusterrechts.43 Der BGH hatte sich über Jahre bemüht, das Terrain zwischen dem wettbewerbsrechtlichen und dem kennzeichenrechtlichen Lager einer Art „Flurbereinigung“ zu unterziehen,44 und die Vorrangthese hierbei nur mit einer gewissen Behutsamkeit formuliert. Auf diese Fragen, soweit sie das Verhältnis der Immaterialgüterrechte zum „Hybridrecht“45 des § 4 Nr. 9 UWG (bzw. § 1 UWG a. F.) betreffen, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Was die Bestimmungen der UGP-Richtlinie betrifft, so muss jedenfalls von deren Gleichrangigkeit mit den Sonderschutzsystemen des geis-
__________ 39 WRP 2009, 1163 f. 40 Fezer, GRUR 2009, 451 (456); Köhler in Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 9.5 und Anhang zu § 3 III Rz. 13.8; Dreyer in Harte/Henning, § 5 Abschnitt J Rz. 15 f.; Büscher, GRUR 2009, 230 (236). 41 Vgl. u. a. BGH GRUR 2005, 166 – Puppenausstattungen. 42 BGH GRUR 2003, 359 – Pflegebetten. 43 Dreyer in Harte/Henning, Anhang zu § 3 III Rz. 4 und § 5 Abschnitt ‚J Rz. 2; Köhler/ Bornkamm, Anhang zu § 3 III Rz. 13.6; Peifer in Fezer, Anhang zu § 3 III Rz. 9; Fezer, WRP 2008, 1 (5 ff.).; Köhler, GRUR 2007, 548 (551); zur Vorrangthese u. a. BGHZ 138, 349, 351(= GRUR 1999, 161) – Mac Dog; BGHZ 149, 191 (195 f.) – shell.de; Ingerl/ Rohnke, MarkenG, 2. Aufl. 2003; § 2 Rz. 3; Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 9.9 und § 5 Rz. 4.209 ff.; Bornkamm, GRUR 2005, 97 ff.; Ohly, GRUR 2007, 731 ff. 44 Bornkamm, GRUR 2005, 97, 98. 45 Ohly, GRUR 2007, 731, 735.
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tigen Eigentums ausgegangen werden.46 Auch im Gemeinschaftsrecht stehen die Regelungen zum Schutze des geistigen Eigentums und zum Schutze der Lauterkeit des Handelsverkehrs grundsätzlich selbstständig und gleichrangig nebeneinander.47 Eventuell verbleibende Fragen nach dem Umgang mit – wirklichen oder vermeintlichen – Wertungswidersprüchen wird letztlich der EuGH beantworten müssen, denn mögliche Konflikte zwischen Verbraucherschutz und geistigem Eigentum – so es sie denn geben sollte – würden unmittelbar der gemeinschaftsrechtlichen Ebene entstammen. Zwischen § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der Schwarzen Liste einerseits und den gemeinschaftsrechtlich verankerten Vorschriften über das geistige Eigentum anderseits besteht grundsätzlich ebenso Anspruchskonkurrenz wie zwischen diesen neuen Verbraucherschutzbestimmungen und § 4 Nr. 9 lit. a UWG. Schutzzwecke, Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen sind unterschiedlich. An dieser Stelle geht es deshalb nur noch um die Relation zwischen § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der Schwarzen Liste. Zwischen beiden Vorschriften ist ebenfalls Anspruchskonkurrenz gegeben, wobei Nr. 13 einen Ausschnitt aus dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 UWG betrifft. Nr. 13 stellt einerseits besondere – in der Praxis typischer Nachahmungsfälle allerdings nicht allzu bedeutende – Anforderungen an die subjektive Tatseite, indem eine absichtliche Täuschung über die betriebliche Herkunft verlangt wird. Andererseits ist Nr. 13 insofern vorrangig zu prüfen, als diese Sonderform der irreführenden Produktvermarktung per se verboten ist, also insbesondere keine Relevanzprüfung nach § 3 Abs. 2 UWG mehr erfordert. 4. Aktivlegitimation Welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede weisen die drei eben behandelten Verbote der betrieblichen Herkunftstäuschung hinsichtlich der Aktivlegitimation auf? Eine für die Intensität der Rechtsdurchsetzung, für die Spürbarkeit dieser Verbote in der wirtschaftlichen Realität wichtige Frage. Was die in § 4 Nr. 9 lit. a UWG angesprochene Herkunftstäuschung betrifft, so ist umstritten, ob – was der Gesetzeswortlaut mit einschließen würde – auch Mitbewerber und Verbände im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 UWG klage-
__________ 46 Köhler/Bornkamm a. a. O.; Dreyer in Harte/Henning a. a. O. Rz. 11; Peifer in Fezer, Anhang UWG Nr. 13 Rz. 9; Henning-Bodewig, GRUR Int 2007, 986, 988; Fezer, WRP 2008, 1, 4 ff.; Köhler, GRUR 2007, 548 (552); Büscher, GRUR 2009, 230 (236); a. A. Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 5 Rz. 699 ff.; nach Auffassung von Bornkamm (Köhler/Bornkamm § 5 Rz. 4.213) ist die Vorrangthese nicht mehr uneingeschränkt aufrecht zu erhalten; bei Anwendung des § 5 Abs. 2 UWG sollen die Schutzschranken des Markenrechts aber beachtet werden, etwa die Löschungsreife wegen Nichtbenutzung, die Erschöpfung oder die Privilegierung der rein beschreibenden Benutzung nach § 23 Nr. 2 MarkenG; für die Berücksichtigung zumindest der Schutzschranke des § 23 Nr. 2 MarkenG auch Büscher, GRUR 2009, 230 (236). 47 Köhler, GRUR 2007, 548 (551) m. w. Nachw.
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befugt sind. Der BGH48 hat die Aktivlegitimation in der Regel auf Originalhersteller und Alleinvertriebshändler beschränkt und dies damit begründet, § 4 Nr. 9 UWG (bzw. die zu § 1 UWG a. F. entwickelte Rechtsprechung) diene in erster Linie dem Schutz der Individualinteressen desjenigen, dessen Leistung wettbewerbswidrig nachgeahmt und vermarktet werde. In dessen Dispositionsbefugnis dürfe nicht eingegriffen werden.49 Die Gegenansicht, die im Bereich des § 4 Nr. 9 lit. a UWG auch die Klagebefugnis der Verbände, Einrichtungen und Kammern gemäß § 8 Abs. 3 UWG bejaht, kann für sich in Anspruch nehmen, dass hier zumindest auch Interessen der Allgemeinheit berührt werden50 und dass jedenfalls der Schutz der Verbraucher vor Täuschung über die betriebliche Herkunft eines Produkts nicht im Belieben des Herstellers stehen sollte.51 Diesen Meinungsverschiedenheiten soll hier nicht weiter nachgegangen werden, zumal sie sich nach dem neuen Recht unter dem Strich kaum noch auswirken: Wie bereits erwähnt, wird der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 9 lit. a UWG sehr weitgehend von den auf der UGP-Richtlinie beruhenden Bestimmungen in § 5 Abs. 2 UWG und in Nr. 13 der Schwarzen Liste überlagert. Gegenüber § 5 Abs. 2 UWG hat § 4 Nr. 9 lit. a UWG im Wesentlichen nur noch die Bedeutung, dass dem betroffenen Originalhersteller die Möglichkeit der dreifachen Schadensberechnung zuerkannt wird. In diesem Punkt treten die immaterialgüterrechtsähnlichen Züge des wettbewerbsrechtlichen Schutzes vor Nachahmungen zu Tage.52 In so gut wie jeder sonstigen Hinsicht werden die Anwendungsfälle des § 4 Nr. 9 lit. a UWG auch von § 5 Abs. 2 UWG erfasst.53 Hier, bei § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der Schwarzen Liste, ist es nun ganz eindeutig, dass alle nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 UWG klagebefugten Unternehmen und Verbände aktivlegitimiert sind. Es gibt keinen Grund, den klaren Wortlaut des § 8 Abs. 3 i. V. m. § 8 Abs. 1 und den §§ 3, 5 Abs. 2 UWG einschränkend zu interpretieren. Angesichts des zentralen Anliegens der UGP-Richtlinie, ein hohes Verbraucher-
__________ 48 BGH GRUR 1998, 620 (621) – Vespa-Roller; BGH GRUR 1991, 232 (225) – Finnischer Schmuck; BGH GRUR 1994, 630 (634) – Cartier-Armreif; BGH GRUR 2004, 941 (943) – Metallbett; BGH GRUR 2005, 519 (520) – Vitamin-Zell-Komplex; BGH GRUR 2009, 416 (418) – Küchentiefstpreis-Garantie. 49 Ebenso Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 4.9 Rz. 9/84 und Köhler in Köhler/Bornkamm § 4 Rz. 9.86, mit dem Hinweis, die Bedeutung dieser Streitfrage sei durch die UWG-Novelle 2008 weitgehend entschärft worden, da für § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der Schwarzen Liste etwas anderes gelte. 50 Bergmann in Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 8 Rz. 260; Mees WRP 1999, 62; Spätgens, Festschrift Erdmann (2002), S. 27; Münker, Festschrift Ullmann (2006), S. 781 (790 f.). 51 Henning-Bodewig, GRUR Int. 2007, 986 (988); vgl. auch Köhler, GRUR 2007, 548 (550, 553) der vorgeschlagen hat, § 4 Nr. 9 lit. a UWG nicht nur als Tatbestand der Mitbewerberbehinderung, sondern auch als Irreführungstatbestand auszulegen. 52 Hierzu Ohly, GRUR 2007, 731 (735): „UWG-Nachahmungsschutz … als ein QuasiImmaterialgüterrecht, genauer: als ein Hybridrecht mit kennzeichen- und geschmacksmusterrechtlichen Elementen“. 53 Köhler, GRUR 2009, 445 (450).
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schutzniveau zu erreichen,54 versteht sich dies für Verbraucherschutzverbände und ähnliche qualifizierte Einrichtungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG von selbst. Nach der vom deutschen Gesetzgeber gewählten Umsetzungsmechanik ergibt sich aber weiter, dass auch Mitbewerber (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG) klagebefugt sein sollen. Dies steht mit der UGP-Richtlinie in Einklang: Nach Art. 11 Abs. 1 stellen die Mitgliedsstaaten im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen. Diese Mittel umfassen Rechtsvorschriften, die es Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, einschließlich Mitbewerbern, gestatten, gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken gerichtlich und/oder in Verwaltungsverfahren vorzugehen. Es ist auch dem traditionellen deutschen Lauterkeitsrecht alles andere als fremd – gehörte vielmehr bereits über Jahrzehnte zum Grundverständnis der sich auf Belange der Allgemeinheit und auf Verbraucherinteressen erweiternden Schutzzwecke55 – dass durch das Einschreiten von Wettbewerbern mittelbar auch Verbraucherinteressen gefördert und durchgesetzt werden können. Dies betrifft gerade auch den Schutz vor irreführenden oder „aggressiven Geschäftspraktiken“, wie sie nun – mit dieser Wortwahl – im Fokus der UGPRichtlinie stehen. Hieraus ergibt sich die zunächst vielleicht überraschende Konsequenz, dass die beiden allein aus Gründen des Verbraucherschutzes eingeführten Vorschriften (§ 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der Schwarzen Liste) auch die Eingriffsmöglichkeiten für Unternehmen deutlich erweitern, und zwar in doppelter Hinsicht: Aktivlegitimiert sind zum einen diejenigen Unternehmen, die fälschlich als Hersteller oder alleinige Vertriebsberechtigte der nachgeahmten Produkte angesehen werden, zum anderen aber auch deren Mitbewerber. Darüber hinaus können auch Wettbewerbsverbände – die seit Langem ein lebendiges Interesse an einer Öffnung der Anspruchsberechtigung an den Tag gelegt haben56- Irreführungsfälle nach § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 (einschließlich der Produktoder Kennzeichennachahmung) aufgreifen. Weiter gilt dies auch für den in § 5 Abs. 2 UWG ausdrücklich angesprochenen, aber auch im Rahmen der Nr. 13 der Schwarzen Liste denkbaren Fall, dass die Irreführung über die Quelle des Produkts gerade durch die Verwendung eines geschützten oder nicht geschützten Kennzeichens des Originalherstellers herbeigeführt oder gefördert wird. Das Interesse des Schutzrechtsinhabers, frei über die Verfolgung oder Nichtverfolgung von Schutzrechtsverletzungen zu entscheiden, tritt hier also gegenüber dem Interesse der Verbraucher und der sonstigen Marktteilnehmer am Schutz vor Irreführung zurück.57 Mit dem ge-
__________ 54 Art. 1 – Zweck der Richtlinie. 55 Vgl. etwa Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 9. Aufl. 1964, Einl. UWG Rz. 34 f., und 21. Aufl. 2001, Einl. UWG Rz. 49 ff., 55. 56 Bornkamm in Köhler/Bornkamm, § 5 Rz. 4.212a. 57 Köhler, GRUR 2007, 548 (553); Fezer, GRUR 2009, 451 (457).
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meinschaftsrechtlichen Verbot, die Verbraucher vor einer Irreführung über die kommerzielle Herkunft zu schützen, wäre es unvereinbar, diesen Schutz zur freien Disposition des Inhabers eines Ausschließlichkeitsrechts zu stellen.58 5. Vermeidbarkeit/Vermeidung betrieblicher Herkunftstäuschungen In der Rechtsprechung zu § 4 Nr. 9 lit. a UWG hat sich eine umfangreiche und differenzierte Rechtsprechung zu der Frage herausgebildet, wann eine durch die Vermarktung nachgeahmter Produkte zu befürchtende Herkunftstäuschung vermeidbar ist.59 Streng genommen ist allerdings so gut wie jede Herkunftstäuschung vermeidbar, im Extremfall durch Umgestaltung des Produkts, meist aber durch wesentlich mildere Maßnahmen, die von der Art der Ware und den Verkehrsanschauungen in der betroffenen Branche abhängen. Auch Gestaltungselemente mit technischem Charakter sind häufig bis zu einem gewissen Grade frei wählbar. Erst recht gilt dies für ästhetische Merkmale und in noch viel weiterem Umfang für die Farbwahl, das Verpackungsdesign und die Anbringung verbaler Hinweise, von bekannten Unternehmenskennzeichen und Marken bis zu einem deutlichen Hinweis darauf, es handele sich bei diesem Erzeugnis nicht um das Originalprodukt.60 Im Grunde geht es bei der Vermeidbarkeit der Herkunftstäuschung in der Rechtsprechung zu § 4 Nr. 9 lit. a UWG daher um die Frage, welche Abweichungen vom Vorbild dem Nachahmer zumutbar sind.61 Dieser Test kulminiert in dem schon kurz angesprochenen Lehrsatz, eine unter dem Gesichtspunkt der Herkunftstäuschung verbleibende Verwechslungsgefahr müsse hingenommen werden, wenn der Nachahmer alle zur Vermeidung von Herkunftstäuschungen geeigneten und zumutbaren Maßnahmen getroffen habe. Das Kriterium der Zumutbarkeit öffnet also die Tür zu einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung eines Freihaltebedürfnisses an angemessenen technischen Lösungen, Anpassungen an Trends oder Stilrichtungen an mehr oder weniger alltäglichen grafischen und farblichen Verpackungs- und Werbegestaltungen.62 Auf die Verästelungen der diesbezüglichen Rechtsprechung kann hier nicht weiter eingegangen werden. Diese Rechtsprechung wird sich nicht „1:1“ auf den Umgang mit § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der Schwarzen Liste übertragen lassen. Der Zweck der UGP-Richtlinie, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen, fordert eine andere Gewichtung des gesetzlichen Anliegens, Her-
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58 Henning-Bodewig, GRUR Int. 2007, 986 (988); Münker, Festschrift Ullmann (2006), S. 781 ff.; für die selbständige Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 UWG unabhängig vom Schutzsystem des Markenrechts auch Büscher, GRUR 2009, 230 (236); a. A. Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, a. a. O., § 5 Rz. 701. 59 Übersicht bei Sambuc in Harte/Henning, § 4 Nr. 9 Rz. 95 ff.; Köhler in Köhler/ Bornkamm, § 4 Rz. 9.45 ff.; Peifer in Fezer, §§ 4–9 Rz. 96 ff. 60 So jedenfalls OLG Frankfurt GRUR 1982, 175; auch in der Entscheidung BGH GRUR 2005, 349 (352) – Klemmbausteine III – klingt dieser Gesichtspunkt an. 61 Sambuc in Harte/Henning, a. a. O. Rz. 95. 62 Vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, § 4 Rz. 9.48 f.; Sambuc in Harte/Henning, § 4 Rz. 96 ff., jeweils m. w. Nachw.
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kunftstäuschungen der Verbraucher zu vermeiden. Wenn – ggf. durch Kombination verschiedener Gegenmaßnahmen – fast jede Herkunftstäuschung im Prinzip vermeidbar ist, werden von dem Anbieter eines für Verbraucher bestimmten Erzeugnisses tendenziell größere Anstrengungen zu erwarten sein, um die erforderliche Transparenz herzustellen. Auch im Rahmen des § 5 Abs. 2 UWG und der Nr. 13 der Schwarzen Liste wird sich zwar nicht jede Abwägung erübrigen; dies gilt schon wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Im Vergleich zu der zu § 4 Nr. 9 lit. a UWG entwickelten Werteskala sind die Karten aber neu zu mischen – das Blatt des Nachahmers wird sich, soweit es um den Vertrieb von Konsumgütern geht, verschlechtern. Eine gewisse Skepsis erscheint auch in Bezug auf die Übernahme verschiedener vom BGH aufgestellter Erfahrungssätze angebracht, nach denen diese oder jene Gegenmaßnahme – insbesondere die Anbringung eines anderen Kennzeichens – für diese oder jene Produktkategorie in der Regel ausreiche, einer Herkunftstäuschung hinreichend entgegenzuwirken. Zum einen ist hier zu berücksichtigen, dass schon der Richtlinientext in Art. 6 Abs. 2 explizit auf den „konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände“ abstellt. Dies stärkt die an sich auch schon bisher geltende, bisweilen aber eher auf dem Papier stehende Regel, nach der es in erster Linie Sache des Tatrichters ist zu beurteilen, ob das Angebot einer nachahmenden Ware oder Dienstleistung eine Täuschung über die betriebliche Herkunft herbeiführt.63 Zum anderen zeigt sich in der Praxis, wie leicht solche allgemeinen Regel-Ausnahme-Lehren Gefahr laufen, an dem Kenntnisstand und der Erwartungshaltung der Verbraucherschaft vorbei zu gehen.
III. Ausflug in die Rechtswirklichkeit – Beispiele aus der Welt der „look-alikes“ Der folgende Exkurs in die tägliche Praxis des Konsumgütervertriebs geschieht aus zwei Gründen: Zum einen geht es darum, die von Legislative und Judikative zur Verfügung gestellten, aus höchst unterschiedlichen Erwägungen geschaffenen Schutzinstrumente anhand praktischer Beispiele zu erproben. Zum anderen ist zu erkunden, inwieweit die Konfrontation mit dem „wirklich wahren Leben“64 dazu Anlass geben könnte, die Gebrauchsanweisungen für die alten und neuen Rechtsbehelfe fortzuentwickeln. Begeben wir uns deshalb in die Welt der „look-alikes“. Ich greife hier bewusst zu diesem etwas schillernden Begriff, der weder rechtlich noch wirtschaftlich trennscharf definiert ist. Eine grobe Beschreibung kann vielleicht dahin gehen,
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63 Vgl. zuletzt BGH GRUR 2010, 80 (83) – LIKEaBIKE; vgl. auch die in Kenntnis der Entscheidung BGH GRUR 2009, 1069 – Knoblauchwürste – ergangene, unten noch näher anzusprechende Entscheidung des OLG Köln i. S. WICK BLAU vom 15.1.2010 (6 U 131/09), GRUR-RR 2010, 257 (Ls.), BeckRS 2010, 01906: Anbringung eines einprägsamen, deutlich abweichenden Kennzeichens von einer recht bekannten Herstellermarke nicht ausreichend zur Beseitigung der Rufausbeutung (Nichtzulassungsbeschwerde anhängig unter Az. I ZR 22/10). 64 So der Titel der Sendereihe mit Olli Dietrich.
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dass mit gestalterischen Mitteln (Farb- und Formgebung, Flächengestaltung) und bisweilen auch durch Verwendung eines Kennzeichens, welches auf die Originalmarke anspielt (ohne im markenrechtlichen Sinne verwechslungsfähig zu sein), eine Nähe zu einem bekannten Originalprodukt hergestellt wird. Die Nachahmungs- oder Anlehnungsabsicht ist schwer zu übersehen. Markenrechtliche oder klassische wettbewerbsrechtliche Ansprüche stoßen aber früher oder später an ihre Grenzen.65 Verbraucher oder Mitbewerber der unmittelbar betroffenen Unternehmen konnten nach dem UWG 2004 und dessen Vorläufern ohnehin nicht einschreiten. Mit der Auswahl der folgenden Beispiele soll nicht präjudiziert werden, ob etwa in jedem einzelnen Fall ein Wettbewerbsverstoß zu bejahen wäre – oder dass zwar § 4 Nr. 9 UWG nicht zum Ziele führen würde, die neuen Verbote der betrieblichen Herkunftstäuschung aber mit Sicherheit eingriffen. Es geht vielmehr darum, diesen rechtlichen Grenzbereich realitätsnah zu beleuchten. Es sei aber die Prognose gewagt, dass aufgrund der UGP-Richtlinie und ihrer Umsetzung der Handlungs- und Eingriffsspielraum für die Originalanbieter sachlich erweitert wird. Hierdurch sowie durch die schon erwähnte Ausdehnung der Aktivlegitimation dürfte das Leben für die Nachahmer – insbesondere im Bereich der Handelsmarken – um Einiges schwieriger werden. Beginnen wir mit einigen älteren Beispielen aus dem Ausland:66
Im zweiten und dritten Beispiel zeigt sich eine starke Übereinstimmung in Bezug auf Art und Form der Verpackung, Farbwahl und Layout des Etiketts und einige weitere Gestaltungselemente. Erkennbar ist ferner die in Großbritannien bekannte Handelsmarke „Sainsbury’s“. Ob unter dem Strich der erste Beispielsfall nach deutschem Recht nur deshalb anders zu beurteilen wäre, weil eine andere Wortmarke („McDowell’s“ statt „Glenfiddich“) und nicht (auch) der Name einer großen Einzelhandelskette erscheint, mag man bezweifeln. Befassen wir uns nun spezieller mit Produkten, wie sie im Sortiment der großen deutschen Einzelhandelsketten wie ALDI, Lidl, Real, REWE, EDEKA oder
__________ 65 Ähnlich Fezer, GRUR 2009, 451 (458). 66 Entnommen aus Mostert, Famous and Well-Known Marks, London 1997, S. 470 ff. Die hier leider unvermeidlichen Schwarz-Weiß-Abbildungen lassen nicht erkennen, dass sich auch die Farbkombinationen stark ähneln.
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SCHLECKER anzutreffen sind. Dass das Angebot solcher Ketten zu einem erheblichen Teil aus Produkten besteht, die zwar mit den verschiedensten „Handelsmarken“ versehen werden, tatsächlich aber zu einem guten Teil von Firmengruppen stammen, die identische oder mehr oder weniger ähnliche Originalprodukte seit langem unter bekannten Marken in den Verkehr bringen, dürfte mittlerweile einem erheblichen Teil der Verbraucherschaft – jedenfalls dem so genannten „Durchschnittsverbraucher“ – bekannt sein. Eine geradezu erdrückende Zahl solcher Fälle wird in einem schon seit über fünf Jahren verbreiteten und als „Bestseller“ bezeichneten Buch mit dem Titel „Welche Marke steckt dahinter?“ vorgestellt.67 Die neueste Auflage von 2009 trägt den Untertitel: „Neues vom Markendetektiv: 160 topaktuelle No-Name-Produkte und ihre prominenten Hersteller“. Im Vorwort heißt es u. a.: „In Deutschlands Supermärkten findet derzeit das große Umräumen statt: Hunderte von neuen No-Name-Produkten sind in den letzten Monaten in die Regale gekommen; viele weitere werden folgen. Während Discounter wie Aldi, Lidl oder Penny seit jeher auf ein breites Angebot an Eigenmarken setzten, haben die sogenannten Vollsortimenter in letzter Zeit massiv nachgezogen. Egal, bei welcher Handelskette Sie als Verbraucher also einkaufen: Sie stoßen zunehmend auf Lebensmittel, die von einem Hersteller ganz speziell für dieses Unternehmen produziert wurden. Wer diese Hersteller sind – darüber schweigt man sich in der Branche gerne aus. Mit diesem Ratgeber werfen wir einen Blick hinter die HandelsmarkenWelt. Sie werden überrascht sein, wie viele Markenhersteller auch unter fremder Flagge segeln …“
Lubberger hat in seinem Artikel über den „Zweitmarkenirrtum“68 darauf hingewiesen, dass schon im Jahre 2004 77 % der Gesamtbevölkerung der Meinung waren, dass die Aussage „Aldi bietet Produkte von namhaften Markenherstellern – gleiche Inhaltsstoffe und Rezepturen, aber andere Verpackung“ richtig ist. Inzwischen dürfte diese Auffassung noch wesentlich weiter verbreitet sein, berichtet doch u. a. BILD in der Rolle des „Aufklärers“ immer wieder über die „verkappten Markenprodukte“ im Einzelhandel. So wurden in der BILDBundesausgabe vom 16. September 2009 zahllose bekannte Markenprodukte den von der gleichen Unternehmensgruppe gelieferten Substitutionsprodukten gegenübergestellt. Parallel dazu wurde auf der Website www.bild.de unter der Überschrift „Diese Marken stecken hinter den No-Name-Produkten“ nachgelegt: Sie heißen Ja!, Gut & Günstig, Bellarome oder Knusperkrone und liegen im Regal meist ganz unten – die billigen Eigenmarken der Einzelhändler. Namen sind hier aber wirklich Schall und Rauch, denn die Produkte werden von bekannten Markenherstellern produziert! Beinahe alle namhaften Lebensmittelhersteller produzieren in Lizenz für Supermärkte und Discounter. Viele Kunden schwören dabei auf die Markendoubles, schließlich ist vom Frischkäse bis zur Tiefkühlpizza fast alles auch günstiger als im Original zu haben. Der Anteil dieser Handelsmarken liegt in Deutschland derzeit bei mehr als 30 % – Tendenz steigend.“ (Fettdruck hinzugefügt).
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67 Martina Schneider, Südwest-Verlag, München 2005/2009, S. 12–100. 68 MarkenR 2009, 18 (24).
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Auch auf weiteren Kommunikationswegen und mit unterschiedlicher Interessenlage wird diese „Botschaft“ verbreitet. Als eines von vielen Beispielen sei ein kurzer Auszug aus einer Diskussion innerhalb der „Ratgeber-Community“ der Website „www.gutefrage.net“ wiedergeben: „Lidl Waschmittel „Formil“ Pulver Hallo, es ist ja bekannt, dass viele namhafte Hersteller auch für die Discounter produzieren. Mich würde einmal interessieren, ob es sein kann, dass das Pulver „Formil“ ebenfalls vom „Ariel“ Hersteller Procter & Gamble kommt, denn die Aufmachung sowie die ganze Verpackung und der Aufdruck ähneln total dem Ariel, was wir immer kaufen. Ich würde das nur gerne wissen, denn wenn es Ariel sein sollte, dann würde man ja logischerweise zum günstigen Lidl-Produkt greifen … vielleicht weiß ja jemand, wer dahinter steckt ;-) danke Euch.“
Beantwortet von „Schinderhannes“ am 3. März 2009 15:08 Uhr: „Wenn ich mich nicht irre, ist es vom Weißen Riesen und damit von Henkel.“
Beantwortet von „kiki68“ am 3. März 2009 15:08 Uhr: „Schau mal, ob Du hier was findest: http://www.wer-zu-wem.de/handelsmarken.html“
Beantwortet von „Igitta“ am 3. März 2009 15:12 Uhr: „Weil ich unabhängig bin, darf ich Dir sagen, das ist doch alles dasselbe. Aldi verkauft diese Produkte noch viel günstiger.“
Schaut man auf diese Weise „dem Volk aufs Maul“, so zeigt sich auch, dass die Erzeugnisse, von denen die Rede ist, zwar mehr oder weniger unverkennbare Annäherungen an die Verpackungsgestaltung der jeweiligen Markenartikel aufweisen, jedoch in sehr unterschiedlicher Weise gekennzeichnet sind. – Bald wird eine sortimentsweit eingesetzte Eigenmarke wie „GUT & GÜNSTIG“ (EDEKA) eingesetzt und im Einzelfall lediglich mit einer generischen Bezeichnung verbunden. So gut wie nie wird auf der Schauseite allerdings der Name der Einzelhandelskette selbst herausgestellt. – In anderen Fällen erscheinen Fantasiebezeichnungen wie „Kania“ (SalatDressing), „Choceur“ (Riesen-Schoko-Küsse), „Berida“ (Heringssalat) oder „Goldora“ (Russisch Brot). Meist finden diese Kennzeichen nur für ein bestimmtes Produkt oder eine Produktkategorie Verwendung. – Der Name der Einzelhandelskette findet sich des Öfteren auf der Schmalseite oder Rückseite der Verpackung, oft sehr kleingedruckt, selten in größerer Schrift. – Der Name des Lieferanten (der gleichzeitig Hersteller sein kann, aber nicht muss) wird nur im „Kleingedruckten“ erwähnt, ist für den Durchschnittsverbraucher aber meist nicht aussagekräftig. Trotz dieser Vielfalt an Kennzeichnungsusancen entspricht es nach den hier herangezogenen Quellen allem Anschein nach dem Verständnis der BILDLeser, der ALDI-Kunden, der Ratgeber-Community und der Durchschnittsverbraucher (wobei dahingestellt bleiben mag, wie weit sich diese vier Begriffe überschneiden) ebenso wie demjenigen der Fachjournalistin Schneider und der BILD-Redakteure, dass es in allen diesen Fällen um „Eigenmarken“, „Handels126
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marken“ und „No-Name-Produkte“ geht. Wer ein Erzeugnis des täglichen Bedarfs in einer der großen Einzelhandelsketten als „Handelsmarke“, „Eigenmarke“, „Billig-Produkt vom Discounter“ oder „No-Name-Produkt“ erkennt oder zu erkennen meint, differenziert offenbar in der Regel nicht nach der Art der Kennzeichnung. Mit anderen Worten: Der in vielen Fällen verblüffend ähnliche Gesamteindruck legt aus der Sicht der Konsumenten eine zumindest mittelbare Herkunftsverwechslung nahe. Die Durchschnittsverbraucher scheinen die Einstufung als Eigenmarke der Handelskette also nicht so sehr an der deutlichen Anbringung einer bekannten Handelsmarke im engeren Sinne (wie „ALDI“ oder „GUT & GÜNSTIG“) festzumachen, sondern lassen sich primär von dem Grad der Produkt- und Verpackungsähnlichkeit und der Art der Verkaufsstätten leiten. Auch der BGH scheint ausweislich der Entscheidung „Knoblauchwürste“69 den Begriff der „Handelsmarke“ jedenfalls nicht auf die bekannten Unternehmensbezeichnungen zu beschränken, sondern auch Fantasiebezeichnungen einzuschließen, die für solche „me too“-Produkte der Einzelhandelsketten eingesetzt werden. Es reicht also aus, wenn die betreffende Kennzeichnung über einen hinreichenden Zeitraum und mit relevanten Stückzahlen nur von dem Handelsunternehmen vertrieben worden ist.70 Diese neueren Quellen bestätigen folglich die Erkenntnis, dass die Ähnlichkeit der Gestaltung eine gleiche Produktherkunft signalisieren kann und diese Botschaft – insbesondere in einem bestimmten Umfeld – oft stärker ist als die von einem abweichenden Kennzeichen ausgehende „Markenbotschaft“. Aus einer heute weit verbreiteten – und in einer nennenswerten Zahl von Fällen objektiv durchaus zutreffenden – Erwartungshaltung heraus betrachtet ein erheblicher Teil der situationsadäquat aufmerksamen, hinreichend aufgeklärten (oder vermeintlich aufgeklärten) Durchschnittsverbraucher das fremde Wortzeichen dann nicht mehr als Informationsquelle über die Produktherkunft, sondern eher als Ablenkungsmanöver.71 Anders ist nicht zu erklären, dass solche Erzeugnisse von „BILD“ und in Verbraucherkreisen als „No-Name-Produkte“ bezeichnet werden, obwohl viele von ihnen ja durchaus unterscheidungskräftige Kennzeichen tragen. Namen sind hier offenbar – der von „BILD“ verwendeten Formulierung entsprechend – „Schall und Rauch“. Etwas anderes kann vermutlich – und vielleicht nur – gelten, wenn auf dem frappierend ähnlich daherkommenden jüngeren Produkt der Name oder eine bekannte Marke eines namhaften Markenartiklers erscheint – so wie im Fall Viennetta,72 in dem das ältere Produkt neben allen grafischen und sonstigen Gestaltungselementen deutlich mit „Langnese“ und das jüngere Konkurrenzerzeugnis ebenso unübersehbar mit dem seinerseits bekannten Namen „Schöller“ versehen war. Selbst in solchen Konstellationen – Anbringung einer bekannten Herstellermarke – kann deren Bedeutung im Einzelfall aber aufgrund
__________ 69 WRP 2009, 1374. 70 Ebenso Rohnke in seiner Anmerkung zur Entscheidung „Knoblauchwürste“, GRUR 2009, 1072. 71 Vgl. schon Lubberger, a. a. O., S. 24. 72 BGH WRP 2001, 534.
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einer besonders starken Suggestivwirkung der sonstigen Gestaltungselemente so zurückgedrängt werden, dass die Herkunftstäuschung nicht hinreichend ausgeräumt wird. Das OLG Köln hat sich kürzlich mit der wiederholten Nachahmung einer sehr einprägsamen und überdurchschnittlich bekannten Packungsgestaltung für Hustenbonbons befasst.73 Es hat festgestellt, das Publikum kenne das Produkt der Klägerin (WICK BLAU) als „Die Hustenbonbons in der blauen Verpackung mit dem Eisbären“ und verbinde damit in relevantem Umfang Gütevorstellungen. Es hat offen gelassen, ob die auf der Packung der Beklagten auffällig angebrachten Wortmarken „Atemgold“ und „Storck“ in der Erinnerung der Kunden durch die „originelle und kennzeichnende Kombination der EisbärenDarstellung mit der dominierenden Farbe Blau“ verdrängt werden könnten oder auf eine „Zweit- oder Handelsmarke“ geschlossen werde. Stattdessen hat der Senat eine unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung nach § 4 Nr. 9 lit. b UWG bejaht. Die hohe wettbewerbliche Eigenart und die erhebliche Ähnlichkeit müssten in diesem Fall dazu führen, selbst ein insgesamt die Verwechselungsschwelle noch nicht überschreitendes Verhalten als unangemessen und damit unlauter anzusehen. Auch wenn man von diesem Sonderfall einmal absieht, scheint jedenfalls für den hier erkundeten Bereich der „look-alikes“ einiges dafür zu sprechen, das in den Entscheidungsgründen zu Knoblauchwürste anklingende Regel-Ausnahme-Verhältnis eher umgekehrt zu sehen. Eine durch die sehr ähnliche Produktaufmachung suggerierte Herkunft aus der gleichen Unternehmensgruppe wird möglicherweise erst dann – aber auch dann nicht ausnahmslos – zweifelhaft, wenn eine hinreichend bekannte andere Herstellermarke oder Unternehmensbezeichnung eingesetzt wird. Es ist offenbar eher nicht so – und bildet jedenfalls nicht die Regel – dass eine abweichende namens- oder markenmäßige Kennzeichnung erst dann keine ausreichende Gegenwirkung mehr entfaltet, wenn es sich um eine hinreichend bekannte „Handelsmarke“ im engeren Sinne dreht. Allerdings ist die Entscheidung Knoblauchwürste ohnehin nur zu § 4 Nr. 9 lit. a UWG ergangen und nicht auch schon zu § 5 Abs. 2 UWG und/oder Nr. 13 der Schwarzen Liste. Überdies ist hier in erster Linie eine tatrichterliche Bewertung gefragt, wie auch die BGH-Rechtsprechung74 im Grundsatz anerkennt und wie es der Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 der UGP-Richtlinie noch einmal nahelegt. Abschließend zeigt ein Blick auf eine im September 2009 ergangene Entscheidung des Gerichtshofs in Sachen Carbonell / La Espanola,75 dass ähnliche Wertungen auch bei Prüfung der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr zwischen den Aufmachungen konkurrierender Endverbraucherprodukte Platz greifen können. Die folgenden Schauseiten der einander gegenüber stehenden
__________ 73 S. o. Fn. 63. 74 BGH GRUR 1999, 751 (753) – Güllepumpen; BGH GRUR 2000, 521 (524 f.) – Modulgerüst. 75 Rechtssache C-498/07, Urteil vom 3.9.2009, GRUR Int. 2010, 129.
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Olivenöl-Kanister waren jeweils in einer vom tatsächlichen Produkt nur unwesentlich abweichenden Form als Kombinationsmarken registriert:
Nach Auffassung des Gerichtshofs vermittelt die Marke „La Espanola“ einen visuell sehr ähnlichen Gesamteindruck, durch den „unvermeidlich“ eine Gefahr von Verwechselungen hervorgerufen werde. Das Wortelement (das eine sehr geringe Kennzeichnungskraft habe) könne nicht den Schluss entkräften, zu dem eine vergleichende Prüfung der Marken in visueller Hinsicht führe.
IV. Fazit Der europäische Gesetzgeber hat auf Initiative der für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständigen Generaldirektion der Kommission eine allein auf den Verbraucherschutz ausgerichtete Richtlinie erlassen, die gleichrangig und als Solitär neben die von der Generaldirektion Binnenmarkt entwickelten Verordnungen und Richtlinien im Bereich des geistigen Eigentums, die Irreführungs-Richtlinie und die Richtlinie zur vergleichenden Werbung getreten ist. Ob die UGP-Richtlinie unter einzelnen Aspekten zu Reibungen mit den Grundgedanken und Schranken der gewerblichen Schutzrechte, insbesondere des Markenrechts und des Geschmacksmusterrechts führt und welche Konsequenzen sich hieraus ergeben würden, ist einstweilen offen geblieben. Gleichzeitig unterläuft die UGP-Richtlinie das zuvor in Deutschland und mehreren anderen Mitgliedstaaten aus guten Gründen vorherrschende Konzept, ein möglichst einheitliches Lauterkeitsrecht für den „B2B“- und den „B2C“-Geschäftsverkehr aufrecht zu erhalten. Die äußerlich relativ harmonische Einpassung der Richtlinienvorgaben in das UWG ist zum Teil trügerisch und darf jedenfalls nicht die natürliche Versuchung bestärken, die neuen Bestimmungen primär anhand der herkömmlichen deutschen Lehren des Lauterkeitsrechts zu interpretieren. Im Bereich der Vorschriften, die aus Verbraucherschutzgründen bestimmte Täuschungen über die betriebliche Herkunft untersagen – also vornehmlich § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der „Schwarzen Liste“ – ist besonders deren Un129
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abhängigkeit von den zum (so genannten) „ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz“ erarbeiteten Grundsätzen zu beachten. Die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Umsetzungstechnik hat zudem zu dem vielleicht überraschenden Ergebnis geführt, dass die zusätzlich eingeführten Verbote betrieblicher Herkunftstäuschungen auch deutlich erweiterte Eingriffsmöglichkeiten der betroffenen Unternehmen, ihrer Mitbewerber und der Gewerbeverbände nach sich gezogen haben. Im Umgang mit § 5 Abs. 2 UWG und Nr. 13 der „Schwarzen Liste“ – aber auch im Rahmen klassischer Normen zur Unterbindung betrieblicher Herkunftstäuschungen oder der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr – sind die gerichtlichen Einschätzungen des Verbraucherverhaltens laufend den sich wandelnden tatsächlichen Erfahrungen und Erwartungen der Durchschnittsverbraucher anzupassen. Dies gilt nicht nur, aber gerade auch auf dem Feld der „look-alikes“ und der Handelsmarken.
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Das unselige Obiter dictum – Darf ein Eigentümer ein Kunstwerk vernichten? Inhaltsübersicht I. Das Obiter dictum des Reichsgerichts II. Sacheigentum und Urheberrecht 1. Ausgangspunkte 2. Sacheigentum und Urheberpersönlichkeitsrecht
III. Lösungsansätze 1. Werke der bildenden Kunst 2. Aufgedrängte Kunst 3. Werke der Baukunst
I. Das Obiter dictum des Reichsgerichts So genannte Obiter dicta in höchstrichterlichen Entscheidungen sind – worauf Christian Tomuschat erst kürzlich hingewiesen hat1 – für die Rechtsordnung kein Gewinn, sondern eine Last. Auf ein solches Obiter dictum des Reichsgerichts in der bekannten Fresko-Gemälde-Entscheidung von 19122 stützt sich die noch heute herrschende, aber zunehmend umstrittene Meinung, der Eigentümer dürfe ein urheberrechtlich geschütztes Werk zerstören, ohne damit die Rechte des Urhebers zu verletzen. Der dortige Kläger hatte den Treppenflur eines Berliner Bürgerhauses mit einem Fresko mit dem Titel „Felseneiland mit Sirenen“ ausgestaltet. Dabei waren die Sirenen nackt dargestellt. Die Eigentümerin ließ die Sirenen später so übermalen, dass sie bekleidet erschienen. Dagegen wehrte sich der Kläger, gestützt auf sein Urheberrecht und auf sein Persönlichkeitsrecht. Das Reichsgericht gab ihm Recht und führte aus: „Der Eigentümer eines Kunstwerks hat es in der Regel zu dem Zweck erworben, um sich an seinem Besitz zu erfreuen, um den ästhetischen Eindruck, den das Kunstwerk hervorzurufen geeignet ist, auf sich und auf andere, die bei ihm verkehren, wirken zu lassen. Ändert sich der Geschmack des Eigentümers, ist er des Kunstwerks aus irgendwelchen Gründen überdrüssig geworden, so wird er es veräußern, verkaufen, vertauschen, verschenken oder er wird es seinem und anderer Anblick entziehen. Man wird ihm für den Regelfall auch das Recht nicht versagen können, es völlig zu vernichten. Durch all diese Handlungen greift er in die künstlerische Eigenart des fortbestehenden Werkes und damit in das Persönlichkeitsrecht des Künstlers nicht ein. Der Künstler, der das Werk zu Eigentum veräußert und dafür
__________ 1 DIE ZEIT, 12.5.2010, S. 15. 2 RG v. 8.6.1912 – RGZ 79, 397; zur Prozessgeschichte vgl. Richard/Junker, GRUR 1988, 18 (23).
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ein Entgelt empfangen hat, muss von vorneherein mit diesem möglichen Schicksal seines Werkes in der Hand des Besitzers rechnen.“3 Der Satz, auf den es für die Entscheidung des Falles gar nicht ankam, nämlich „Man wird ihm [dem Eigentümer] für den Regelfall auch das Recht nicht versagen können, es [das Kunstwerk] völlig zu vernichten.“, wird nunmehr seit fast 100 Jahren wie eine heilige Kuh im Konflikt zwischen Eigentümer und Künstler gehegt und gepflegt und von den Gerichten, die sich mit einem solchen Fall zu befassen hatten, wie eine Monstranz vorangetragen4. Alle seitdem zu diesem Problemkreis ergangenen Entscheidungen berufen sich auf dieses einzige Obiter dictum, und die Literatur, soweit sie – allerdings nur noch vereinzelt5 – denselben Standpunkt vertritt, beruft sich ihrerseits ebenfalls auf dieses Obiter dictum. Letztlich ist dieses Obiter dictum der einzige Beleg für die herrschende Meinung, der Eigentümer eines urheberrechtlich geschützten Werkes dürfe es vernichten, ohne die Interessen des Urhebers zu verletzen. Da es selbst jedwede Begründung vermissen lässt, hat es nicht an Versuchen gefehlt, diese gewissermaßen nachzuschieben. So soll – wie das Reichsgericht gemeint hatte – nur die Änderung oder Entstellung des Werkes ein von dem Urheber nicht hinzunehmender Eingriff in dessen Persönlichkeitsrecht sein, nicht aber die Zerstörung des Werkes selbst. Demgegenüber liegt auf der Hand, dass die persönlichen Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk am stärksten und intensivsten beeinträchtigt werden, wenn das Werk durch seine Zerstörung unwiederbringlich der Mit- und Nachwelt entzogen ist. Es gehört nachgerade zum Kernbestand des Urheberpersönlichkeitsrechtes und findet seinen gesetzlichen Ausdruck in der 70-jährigen Schutzdauer post mortem (§ 64 UrhG), dass das Werk in seiner von dem Urheber geschaffenen Eigenart für die Mitund Nachwelt erhalten bleibt und der Urheber so in seinem Werk inkarniert ist und darin fortlebt. Haimo Schack hat überzeugend darauf verwiesen, dass Bücherverbrennungen und Zerstörung „entarteter“ Kunst durch die Nationalsozialisten beredte Beispiele dafür sind, wie mit dem Werkexemplar nicht nur
__________ 3 RG v. 8.6.1912 – RGZ 79, 397 (401). 4 LG München I NJW 1982, 655 und 1983, 1205 – Hajek I und II; KG GRUR 1981, 742 (743) – Totenmaske I; OLG Schleswig ZUM 2006, 426 (427) – Kubus Balance (betrifft allerdings nicht die Vernichtung, sondern die dauernde Einlagerung eines für die Öffentlichkeit bestimmten Kunstwerks und dessen Entzug der Öffentlichkeit, wobei das Gericht auf der Grundlage des Obiter dictum des RG argumentiert und die Einlagerung als Eingriff von geringerer Intensität wertet als die Vernichtung; daraus zieht es den Schluss: Wenn schon die Werkvernichtung zulässig ist, dann erst recht die dauernde Einlagerung); KG Schulze Rspr. KGZ 43, 4 – Kugelobjekt; LG Hamburg GRUR 2005, 672 (674) – Astra-Hochhaus; LG Berlin Schulze 64 – Eden-Hotel; a. A. LG Bielefeld v. 9.2.2001 – 4 O 20/10 (unveröffentlicht), zitiert nach Schmelz, GRUR 2007, 565 (566) – Mindener Keilstück, bestätigt durch OLG Hamm ZUM-RD 2001, 443 (444); LG Kassel v. 2.8.2000 – 9 O 2612/99 (unveröffentlicht), zitiert nach Schmelz, GRUR 2007, 565 (566) – Documenta-Treppe. 5 Kroitzsch in Möhring/Nicolini, UrhG, 2. Aufl. 2000, § 14 Rz. 25; von Gamm, Urheberrechtsgesetz, 1968, § 12 Rz. 4, § 14 Rz. 11; ebenso Amtl. Begr. zum UrhG 1965, BTDrucks. IV/270 S. 45; differenzierend Bullinger in Wandtke/Bullinger, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 14 Rz. 22 ff.
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das Werk, sondern auch dessen Urheber in seiner Wirkung auf die Mit- und Nachwelt ausgelöscht werden sollte und auch ausgelöscht werden kann. Die Rechtsprechung behilft sich meist mit dem Hinweis, dass der Fall der Werkvernichtung nicht als Entstellung im Sinne von § 14 UrhG anzusehen ist, weil diese Vorschrift nur das Interesse des Urhebers an der Erhaltung des Werkes in unverfälschter Form schütze. Dass darin ein logischer Widerspruch liegt, liegt auf der Hand. Wieso soll ein Urheber, den das Gesetz in seinem Interesse an der unverfälschten Erhaltung seines Werkes schützt, nicht mindestens ebenso schutzwürdig gegenüber der Zerstörung seines Werkes selbst sein? Schon eher sophistisch mutet das Argument an, bei § 14 UrhG gehe es um den persönlichen Achtungs- und Integritätsanspruch des Urhebers, bezogen auf sein Werk, und dieser könne nicht (mehr) beeinträchtigt sein, wenn das Werk nicht mehr existiere und also auch nicht entstellt werden könne; die Zerstörung eines Werkes könne rein logisch als maius in einem minus, nämlich der Entstellung nicht enthalten sein6. Richtig ist zwar, dass § 14 UrhG nicht auf Fälle der Werkzerstörung ausgedehnt werden kann7. Der Gesetzgeber hat den Fall der Werkvernichtung bewusst in § 14 UrhG nicht miterfasst, weil er den Werkeigentümer nicht mit der Pflicht belasten wollte, das Werk zu erhalten oder erforderlichenfalls zu restaurieren; der Schutz vor Vernichtung sei nicht Aufgabe des Urheberrechts, sondern des Denkmalschutzes8. Allerdings ist das Entstellungsverbot des § 14 UrhG Ausfluss des Urheberpersönlichkeitsrechtes, das im Einzelfall einen über den Tatbestand dieser Norm hinausgreifenden Schutz gewährleisten kann. Es ist an der Zeit, das 100 Jahre alte Obiter dictum aus der Fresko-GemäldeEntscheidung des Reichsgerichts im Lichte der modernen Urheberrechtslehre auf seine Tragfähigkeit und Sinnhaftigkeit zu überprüfen und zu überdenken.
II. Sacheigentum und Urheberrecht 1. Ausgangspunkte Ausgangspunkt der Überlegungen sind einmal die Dychotomie zwischen Sacheigentum entsprechend dem bürgerlich-rechtlichen Verständnis (§ 903 BGB) und dem geistigen Eigentum als Schutzgut des Urheberrechts und zum anderen der in § 11 Satz 1 UrhG verankerte Grundsatz, dass der Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes geschützt ist9; dabei werden die geistigen und persönlichen Beziehun-
__________ 6 Vgl. dazu Haberstumpf in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2008, § 14 UrhG Rz. 7. 7 KG GRUR 1981, 742 (743) – Totenmaske I; LG Hamburg GRUR 2005, 672 (674) – AstraHochhaus; LG München I NJW 1882, 655 – Hajek I; Goldmann, GRUR 2005, 639 (643). 8 BT-Drucks. IV/270, S. 45; Haberstumpf (Fn. 6), § 14 UrhG Rz. 7; Bullinger in Wandtke/ Bullinger (Fn. 5), § 14 Rz. 23. 9 Vgl. eingehend dazu Erdmann in FS Piper, 1996, 655 (672 f.).
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gen – etwa das Benennungsrecht (§ 13 UrhG) und das Entstellungsverbot (§ 14 UrhG) – des Urhebers zu seinem Werk in dem Urheberpersönlichkeitsrecht zusammengefasst. Dieses unterscheidet sich von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Urhebers – wie der BGH in der Emil Nolde-Entscheidung10 überzeugend und grundlegend herausgearbeitet hat – darin, dass es sich auf das jeweilige konkrete Werk eines Urhebers bezieht, während letzteres den Urheber in seinem Werkschaffen, in seiner Reputation und in seiner Anerkennung in der Öffentlichkeit und all den Aspekten schützt11, die nach der in Jahrzehnten ausgefeilten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts das Persönlichkeitsrecht ausmachen und umfassen. Instruktiv ist insoweit der Sachverhalt der Emil Nolde-Entscheidung des BGH: Der Kläger hatte zwei Aquarelle, die in Nolde-Manier angefertigt und mit „Nolde“ signiert waren, aber keine Dubletten von originalen Nolde-Werken waren, zur Überprüfung und Erteilung einer Echtheitsbestätigung an die NoldeStiftung gegeben. Diese erkannte die Aquarelle als Fälschungen und verweigerte die Rückgabe an den Kläger. Das Urheberpersönlichkeitsrecht war nach Ansicht des BGH nicht verletzt, weil es sich immer auf ein konkretes Werk bezieht und die Zeichnungen keine Dubletten existierender Nolde-Blätter waren. Verletzt war jedoch das allgemeine postmortale Persönlichkeitsrecht von Emil Nolde, da das Inverkehrbringen gefälschter „Noldes“ dessen Ruf und Reputation beeinträchtigt. 2. Sacheigentum und Urheberpersönlichkeitsrecht Sacheigentum und geistiges Eigentum stehen nach deutschem Recht selbständig nebeneinander und sind getrennt zu werten und zu beurteilen. Derjenige, der ein urheberrechtlich geschütztes Werk, etwa ein Gemälde kauft, erwirbt damit zivilrechtlich Eigentum mit der Folge des § 903 BGB, d. h. er erwirbt ein absolutes Herrschaftsrecht, das ihn in den Stand setzt, mit dem Gemälde nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen. Urheberrechtliche Befugnisse, d. h. Rechte, die beim Künstler durch die Schaffung des Werkes entstehen, erwirbt der Käufer dagegen nicht – mit Ausnahme des Ausstellungsrechtes (§ 44 Abs. 2 UrhG), da dieses eine gewisse sachliche Nähe zu Besitz und Eigentum aufweist. Alle sonstigen vermögensrechtlichen Befugnisse wie das Vervielfältigungsrecht, das Verbreitungsrecht etc. und insbesondere das Urheberpersönlichkeitsrecht bleiben beim Urheber und gehen auch nicht etwa mit dem Verkauf des Werkes unter. Das führt zu einer vorprogrammierten, sich aus den unterschiedlichen Zweckrichtungen und Inhalten von Sacheigentum und geistigem Eigentum ergebenden Konfliktsituation. Schon hieraus und aus dem Nebeneinander von Sacheigentum und geistigem Eigentum wird deutlich, dass nicht sein kann, dass der Sacheigentümer sein Herrschaftsrecht so ausübt, dass er das Werk zerstören darf und so das ihm
__________ 10 BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, BGHZ 107, 384. 11 BGH v. 8.6.1989 – I ZR 135/87, BGHZ 107, 384 (399).
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nicht zustehende Urheberrecht gleichzeitig mitzerstören kann; denn wenn das Werk nicht mehr existiert, besteht auch das Urheberrecht daran nicht mehr. Das wird auch dadurch bestätigt, dass der Sacheigentümer in seiner Verfügungsbefugnis nach § 903 BGB durch die Gesetze und die Rechte Dritter beschränkt ist. Zu den Rechten Dritter, die die Ausübung des Eigentums einschränken, gehören auch die des Urhebers. Nach § 11 Satz 1 UrhG ist der Urheber u. a. in seinen persönlichen Beziehungen zum Werk geschützt. Dies macht das Urheberpersönlichkeitsrecht aus, und in ihm manifestiert sich das Erhaltungs- und Integritätsinteresse des Urhebers an seinem Werk – zu seinen Lebzeiten und 70 Jahre nach seinem Tod. Wenn man diesen Schutz ernst nimmt, erfasst er natürlich und fast ist man geneigt zu sagen: in erster Linie den Schutz vor der Zerstörung des Werkes. Das Sacheigentum kann nicht so weit in das Urheberrecht übergreifen, dass es letzteres im Ergebnis vernichtet. Das ist aber die Folge, wenn man dem Sacheigentümer entsprechend dem Obiter dictum des Reichsgerichts die Befugnis einräumt, ein urheberrechtlich geschütztes Werk ohne Einwilligung des Urhebers zu vernichten.
III. Lösungsansätze Für die Lösung des Konfliktes bieten sich die Instrumente an, die das Gesetz in §§ 14, 39 UrhG angelegt hat und zur Verfügung stellt: Es hat eine Interessenabwägung zwischen dem Sacheigentümer und dem Urheber bzw. seinem Rechtsnachfolger stattzufinden12. Diese wird je nach Art, Bedeutung, Charakteristik unterschiedlich, dem Einzelfall geschuldet, ausfallen. 1. Werke der bildenden Kunst Bei Werken der bildenden Kunst, etwa Gemälden, Skulpturen, künstlerischen Fotografien, muss dem Urheber ein Rückkaufrecht zugestanden werden, um das Werk in seiner Existenz zu erhalten13. Als Rückkaufpreis kann allerdings nicht der Materialwert zugrunde gelegt werden, weil dieser bei Werken der bildenden Kunst in aller Regel sehr gering ist und in keinem Verhältnis zum
__________ 12 So auch Dietz in Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl. 2006, § 14 Rz. 37 ff., 38; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 14 Rz. 27; Hertin in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 9. Aufl. 1998, § 14 Rz. 18; Erdmann in FS Piper (Fn. 9), 672; zurückhaltend Bullinger in Wandtke/Bullinger (Fn. 5), § 14 Rz. 23 f. 13 Ebenso Erdmann in FS Piper (Fn. 9), 674 f.; Haberstumpf in Büscher/Dittmer/Schiwy (Fn. 6), § 14 Rz. 6; einschränkend Dietz in Schricker (Fn. 12), § 14 Rz. 38a und Schulze in Dreier/Schulze (Fn. 12), § 14 Rz. 27: Rückgabeangebot nur bei hochwertigen Originalen; Schmelz, GRUR 2007, 565 (571). Das Urheberrechtsgesetz der DDR enthielt in § 43 Abs. 4 eine gesetzliche Regelung des Rückkaufrechtes: „Droht dem Original des Werkes durch Verhalten seines Eigentümers eine Gefährdung oder Vernichtung, so steht dem Urheber ein Rückkaufsrecht zu dem Zeitwert zu.“ Es ist zu bedauern, dass diese Regelung nach der Wiedervereinigung nicht in das bundesdeutsche Urheberrechtsgesetz übernommen worden ist.
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Verkehrswert, d. h. zum Marktwert des Kunstwerkes steht14. Auch scheidet bei inzwischen gestiegenem Wert der Zeitwert bei Rückkauf aus15; denn der Eigentümer hat durch seine Absicht, das Werk zu zerstören, dokumentiert, dass für ihn der Zeitwert nicht bedeutsam ist. Zugrunde zu legen ist vielmehr der ursprüngliche Kaufpreis oder bei einem Galerieverkauf der ursprüngliche Künstleranteil (meist 50 % des Galeriepreises). Letzteres entspricht sowohl den Interessen des Urhebers, dass er nämlich dasjenige zahlt, was er beim seinerzeitigen Verkauf erlöst hat, als auch den Interessen des Eigentümers, der bei Zerstörung des Werkes ohnehin keinen Gegenwert erhalten hätte. Freilich sind kaum Fälle vorstellbar, dass der Eigentümer ein Kunstwerk trotz inzwischen eingetretener Preissteigerung vernichtet, statt es auf dem Kunstmarkt zu Geld zu machen. Praxisnäher sind die Fälle, bei denen der Wert des Kunstwerkes zwischen Verkauf und Rückkauf gefallen ist. Hier ist im Interesse des Urhebers der niedrigere (Zeit-)Wert im Zeitpunkt des Rückkaufs anzusetzen. Dies widerspricht nicht den Interessen des Eigentümers und ist ihm zumutbar; denn schließlich hatte er sich zur Zerstörung entschlossen. Bei Kunstwerken, die in einer Auflage entstanden sind (Grafiken), ist das Interesse des Urhebers am Rückkauf anders zu beurteilen. Er behält in aller Regel a.p. (= artist’s proof) bzw. e.a. (= epreuve d’artiste) Exemplare zurück. Die Zerstörung eines oder mehrerer Exemplare aus einer solchen Auflage vernichtet nicht das Kunstwerk an sich, so dass das Bedürfnis des Urhebers an der Werkerhaltung nicht betroffen ist. Der Urheber kann ein Rückkaufrecht allerdings nur realisieren, wenn er von der Absicht des Eigentümers, das Werk zu zerstören, Kenntnis erhält. Demgemäß wird mit Recht in der Literatur eine Informations- und Mitteilungspflicht seitens des Eigentümers angenommen und aus § 242 BGB hergeleitet16. Diese wird aber in der Praxis nicht selten auf Schwierigkeiten stoßen. Denn sie fordert dem Eigentümer vielfach erhebliche Recherchearbeit ab. Hat er das Werk z. B. in einer Galerie oder auf einer Auktion gekauft, wird er die Anschrift des Künstlers nicht kennen. Wen soll er also informieren? Hat er das Kunstwerk geerbt, wird er in aller Regel zwar den Namen des Künstlers kennen, aber nichts über die Umstände des Erwerbs wissen. Eine Mitteilungspflicht des Eigentümers an den Künstler oder an dessen Galeristen ist daher
__________ 14 So aber Erdmann in FS Piper (Fn. 9), 674 f.; Dietz in Schricker (Fn. 12), § 14 Rz. 38a; Hertin in Fromm/Nordemann (Fn. 12), § 14 Rz. 18; Schulze in Dreier/Schulze (Fn. 12), § 14 Rz. 28; Haberstumpf in Büscher/Dittmer/Schiwy (Fn. 6), § 14 Rz. 6. § 43 Abs. 4 URG DDR hatte ausdrücklich und mit Recht auf den Zeitwert abgestellt (vgl. Fn. 13). Art. 15 Abs. 1 des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes will nur den Materialwert gelten lassen: „Müssen Eigentümer und Eigentümerinnen von Originalwerken, zu denen keine weiteren Werkexemplare bestehen, ein berechtigtes Interesse des Urhebers oder der Urheberin an der Werkerhaltung annehmen, so dürfen sie solche Werke nicht zerstören, ohne dem Urheber oder der Urheberin vorher die Rücknahme anzubieten. Sie dürfen dafür nicht mehr als den Materialwert verlangen.“ 15 So aber § 43 Abs. 4 URG DDR (Fn. 13). 16 Erdmann in FS Piper (Fn. 9), 675; Dietz in Schricker (Fn. 12), § 14 Rz. 38a; Hertin in Fromm/Nordemann (Fn. 12), § 14 Rz. 18.
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Das unselige Obiter dictum – Darf ein Eigentümer ein Kunstwerk vernichten?
davon abhängig zu machen, ob diese mit zumutbarem Aufwand und Einbeziehung etwa auch von Internetrecherchen erfüllt werden kann. 2. Aufgedrängte Kunst Bei aufgedrängter Kunst, z. B. Spray-Arbeiten an Gebäudewänden ist ebenfalls eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese kann nicht generell und ausnahmslos zu Gunsten des Eigentümers ausfallen, auch wenn die Herstellung der Spray-Arbeit den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllen mag17. Wenn die Spray-Arbeit einen künstlerischen Wert hat und mit technischen Mitteln – ohne Beschädigung oder Beeinträchtigung (etwa Farbbeeinträchtigung) der Gebäudewand – abgenommen werden kann, ist auch hier ein Rücknahmerecht des Spray-Künstlers anzuerkennen, bevor die Arbeit – als Alternative – zerstört wird. Freilich kommt in solchen Fällen kein Entgelt in Betracht. Vielmehr hat der Spray-Künstler die Kosten der Entfernung bzw. Abnahme zu tragen, weil diese durch die Realisierung seines Erhaltungsinteresses ausgelöst werden. 3. Werke der Baukunst Eine besondere Beurteilung ist bei Werken der Baukunst angezeigt. Beabsichtigt der Eigentümer den Totalabriss des Bauwerks – Teilabriss18 oder Abriss eines Teils eines Ensembles19 sind Fälle der §§ 14, 39 UrhG –, so scheidet ein Rückkauf selbstverständlich aus – logischerweise schon deshalb, weil der Urheber (Architekt) das Bauwerk zwar geplant, aber nicht dessen Errichtung bezahlt hat. Auch hier ist zunächst eine Interessenabwägung zwischen der Absicht des Eigentümers, das Bauwerk abzureißen, und dem Erhaltungsinteresse des Urhebers vorzunehmen. Diese wird in der Regel zu Gunsten des Eigentümers ausfallen, zumal kein Eigentümer ein Bauwerk abreißen und durch ein neues ersetzen wird, wenn keine zwingende Notwendigkeit besteht, der gegenüber das Erhaltungsinteresse des Architekten zurücktreten muss. Um aber die Interessen des Urhebers zu wahren, muss der Eigentümer ihm in solchen Fällen die Möglichkeit einräumen, Kopien der Pläne zu ziehen und das Bauwerk insgesamt und in seinen Teilen photografisch zu dokumentieren, um es zumindest so als Teil seines Werkschaffens zu erhalten20. Die dadurch entstehenden Kosten sind von dem Urheber zu tragen, da der Aufwand der Wahrung seiner Interessen dient.
__________ 17 So aber BGH v. 23.2.1995 – I ZR 68/93, GRUR 1995, 673 (675) – Mauerbilder. Wie dort Erdmann in FS Piper (Fn. 9), 675. Zu den Spray-Arbeiten des schweizerischen Künstlers Harald Naegeli vgl. näher Hoffmann NJW 1985, 237. 18 So LG Stuttgart v. 22.4.2010 – 17 O 42/10, BeckRS 2010, 12527 – Stuttgarter Hauptbahnhof m. Anm. Obergfell, GRURPrax 2010, 235. 19 OLG München ZUM 2001, 339 (344) – Kirchenschiff. 20 So auch Art. 15 Abs. 3 des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes: „Bei Werken der Baukunst hat der Urheber oder die Urheberin nur das Recht, das Werk zu fotografieren und auf eigene Kosten Kopien der Pläne herauszuverlangen.“
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Von der Marktbeobachtung bis zur Nichtvollziehung – wann ist es dem Anspruchsteller „nicht so eilig“? Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG 1. Gesetzliche Regelung 2. Anwendbarkeit auf andere Bereiche? 3. Fristen III. Widerlegung der Vermutung 1. Widerlegung durch den Gegner 2. Selbstwiderlegung
IV. Kenntnis vom Verstoß 1. Positive Kenntnis 2. Zurechnung der Kenntnis Dritter 3. „Sich-Verschließen“, Marktbeobachtungspflicht (?) 4. Organisationsverschulden V. Nachtäglicher Wegfall der Dringlichkeit? VI. Fazit
I. Problemstellung Im Wettbewerbs-, Marken- und Geschmacksmusterrecht (nicht so sehr bei den technischen Schutzrechten) spielt bei der gerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen das Verfahren der einstweiligen Verfügung eine große, wenn nicht die entscheidende Rolle.1 In der Praxis hat sich dieses Instrument auch aus richterlicher Sicht eindeutig bewährt. Werbemaßnahmen sind oft ihrer Natur nach kurzlebig oder bewusst so konzipiert, Ausstattungen, Muster oder Modelle wechseln häufiger, Schäden am Markt lassen sich mit Geld oft nicht ausreichend kompensieren und schon gar nicht mit der erforderlichen Sicherheit ermitteln. Durch das Verfügungsverfahren wird es möglich, solche Streitigkeiten innerhalb vergleichsweise sehr kurzer Zeit einer Entscheidung zuzuführen und so den Markt zu „bereinigen“.2 Deshalb ist naturgemäß das Interesse des Anspruchstellers groß, das „scharfe Schwert“ der einstweiligen Verfügung zur Hand zu nehmen. Die ZPO gibt schon seit jeher diese Möglichkeit, das UWG „vereinfacht“ das Ganze noch dadurch, dass für die – unstreitig erforderliche – sog. Dringlichkeit eine (widerlegliche) Vermutung aufgestellt wird. Demgegenüber darf nicht außer Acht gelassen werden, dass im Verfügungsverfahren die Verteidigungsmöglichkeiten
__________ 1 Genaue Zahlen sind dem Verfasser nicht bekannt. Beim LG Köln sind allerdings konstant seit vielen Jahren knapp 2/3 aller Verfahren solche des vorläufigen Rechtsschutzes. 2 Dies erklärt auch, warum sog. Hauptsacheverfahren, die sich dem Verfügungsverfahren ggfls. anschließen, relativ selten sind: Die Parteien haben kein Interesse mehr daran, über Jahre hinweg zu klären, ob z. B. eine bestimmte Werbemaßnahme zulässig war oder nicht.
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des jeweiligen Anspruchsgegners insbesondere dann zunächst eingeschränkt sind, wenn die einstweilige Verfügung im Beschlusswege, also ohne vorherige mündliche Verhandlung, und womöglich sogar ohne vorherige Abmahnung und/oder rechtliches Gehör durch das Gericht erlassen wird.3 Es gilt also, gerade für die nicht alltäglichen, gleichwohl aber sehr häufigen Fallvarianten Maßstäbe zu finden, die eine Aussage darüber erlauben, ob denn das Vorgehen im Wege der einstweiligen Verfügung „dringlich“ ist oder doch eher umgekehrt der Anspruchsteller durch sein eigenes Verhalten gezeigt hat, dass es ihm mit der nachdrücklichen Durchsetzung seiner vermeintlichen Ansprüche „nicht so eilig“4 ist.
II. Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG 1. Gesetzliche Regelung Einigkeit besteht darüber, dass im Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 UWG abweichend von den §§ 935, 940 ZPO das Vorliegen eines Verfügungsgrundes nicht dargelegt und glaubhaft gemacht werden braucht, sondern dass insoweit eine (widerlegbare) gesetzliche Vermutung besteht.5 Hintergrund ist die gesetzgeberische Wertung, dass Wettbewerbssachen grundsätzlich eilbedürftig sind. Insoweit erscheint es auch jedenfalls für den Bereich des UWG müßig, den Verfügungsgrund nochmals aufzuspalten in ein sog. „Zeitmoment“ und ein „Umstandsmoment“, wobei sich die Vermutung nur auf Ersteres erstrecken soll.6 Konsequenterweise sollte in den zu erörternden kritischen Fällen auch nicht gefragt werden, ob die gesetzliche Vermutung a priori nicht greift, sondern (nur) danach, ob sie widerlegt wurde (durch was und wen auch immer). Die Folge ist dann nicht die fehlende Dringlichkeit. Vielmehr greift die allgemeine gesetzliche Regelung wieder ein, wonach der Antragsteller auch das Vorliegen eines Verfügungsgrundes darzulegen und glaubhaft zu machen hat. Das kann durchaus häufig gelingen.7 Der Verfasser wirbt deshalb unermüdlich dafür, grundsätzlich schon bei leisesten Zweifeln bereits in der Antragsschrift dazu Ausführungen zu machen.
__________ 3 Vgl. zu den Problemen hierbei und zur Kritik insbesondere Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl. 2007, Kap. 54 in Fn. 128; Rz. 24a und Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl. 2010 § 12 Rz. 1.59. 4 So die gängige Formulierung in einer Vielzahl von Kommentaren und sonstigen Werken zum Verfahrensrecht, vgl. etwa Büscher in Fezer, UWG, 2. Aufl. 2010 § 12 Rz. 79 m. w. N. 5 Vgl. statt aller Spätgens in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 100 Rz. 26 m. w. N. 6 Vgl. dazu und zu den (seltenen) Ausnahmefällen Schmukle in Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl. 2009, Kap. 45 Rz. 52 mit Nachweisen auch aus der Rechtsprechung. 7 Der Verfasser teilt insoweit nicht die Sorge von Schmukle (Fn. 6) Kap. 45 Rz. 55, der glaubt, dies könne eigentlich nicht gelingen.
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2. Anwendbarkeit auf andere Bereiche? Die Regelung des § 12 Abs. 2 UWG ist kraft Gesetzes auf Ansprüche aus dem UKlaG ausgedehnt worden (§ 5 UKlaG). Darüber hinaus ist seit jeher die entsprechende oder analoge Anwendbarkeit auf Ansprüche aus dem GeschmMG, dem UrhG, dem GWB oder den Gesetzen über technische Schutzrechte praktisch einhellig verneint worden.8 Zum MarkenG findet sich in einer Reihe von Kommentaren und Handbüchern zwar immer noch der Hinweis, dass angeblich die h. M. eine Anwendbarkeit befürworte, während die jeweiligen Autoren dies ablehnen.9 Tatsächlich dürfte das Gegenteil der Fall sein, ohne dass es darauf ankäme, einzelne Stimmen zu zählen oder zu gewichten. Vor allem Teplitzky10 hat unermüdlich und überzeugend belegt, dass und warum sich eine entsprechende oder analoge Anwendung verbietet. Soweit ersichtlich ist dem seitdem niemand mehr nachhaltig argumentativ entgegen getreten. Oberlandesgerichte, die – teilweise vor vielen Jahren – eine gegenteilige Auffassung vertreten haben, sind entweder umgeschwenkt, lassen die Frage offen oder zitieren ohne eigene Begründung die angeblich h. M. Deshalb ist in allen Bereichen des gewerblichen Rechtsschutzes außerhalb des UWG immer Vortrag und Glaubhaftmachung zum Verfügungsgrund und damit zur Dringlichkeit erforderlich.11 3. Fristen Eine Reihe von Autoren hat sich der Mühe unterzogen, akribisch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu den sog. Dringlichkeitsfristen zusammen zu stellen.12 Das Ergebnis ist für den Praktiker weitestgehend ernüchternd. Es liegt in der Natur einer gerichtlichen Entscheidung, dass sie sich immer (nur) auf den Einzelfall bezieht und es demgemäß lediglich Ausführungen dazu gibt, ob ein bestimmtes Zuwarten (meist ab Kenntnis) schädlich oder eben nicht schädlich war. Immerhin lassen sich Tendenzen dahingehend feststellen, dass teilweise strikte Fristen von einem Monat gelten, teilweise etwa ein Monat als
__________ 8 Vgl. die Übersicht bei Teplitzky (Fn. 3) Kap. 54 Rz. 20b m. w. N. 9 Vgl. nur beispielhaft Retzer in Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 12 Rz. 336 f. mit zahlreichen Nachweisen. 10 A. a. O. (Fn. 8) Rz. 20d bis 20f. 11 Insb. Im Markenrecht mag auch durchaus manchmal Anlass bestehen, zum Umstandsmoment vorzutragen. So ist es z. B. fraglich, ob ein Verfügungsverfahren angebracht ist gegen die Verwendung einer Firma, die seit zehn Jahren im Markt aktiv ist, von der der Antragsteller aber erst vor drei Wochen zufällig Kenntnis erlangt hat. Eine ggfls. vom Gericht zu gewährende Aufbrauchfrist löst das nicht zufriedenstellend. 12 Vgl. nur beispielhaft etwa Berneke, Die einstweilige Verfügung in UWG-Sachen, 2. Aufl. 2003, Rz. 77; Retzer in Harte/Henning (Fn. 9) § 12 Rz. 307 und Anhang zu § 12; Hess in Ullmann jurisPK- UWG, 2. Aufl. 2009, § 12 Rz. 87 ff.
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Richtschnur für die Einzelfallprüfung genommen wird, eher selten generell ein etwas längerer Zeitraum gilt.13 Die hier zu entscheidende Frage, welche Auswirkungen es hat, wenn ein Verstoß objektiv bereits länger zurückliegt und auf wessen Kenntnis und/oder Untätigbleiben es ankommt, wird dagegen nur eher am Rande und einzelfallbezogen thematisiert.
III. Widerlegung der Vermutung 1. Widerlegung durch den Gegner Dass der Anspruchsgegner die Vermutung der Dringlichkeit widerlegen kann und muss, entspricht einhelliger Auffassung. Er hat alle tatsächlichen Umstände vorzutragen und glaubhaft zu machen, aus denen sich ein zu langes Zuwarten des Antragstellers bis zur Beantragung der einstweiligen Verfügung oder im sonstigen Verlauf des Verfahrens ergeben soll. Dieser eher banale Grundsatz hilft aber schon dann nicht mehr weiter, wenn es wie überwiegend um den Erlass einer sog. Beschlussverfügung geht und der Gegner entweder nicht abgemahnt wurde oder auf die Abmahnung lediglich in der Sache reagiert hat. Die Dringlichkeit ist als Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu beachten. Zu untersuchen ist deshalb auch und insbesondere, ob der Vortrag des Antragstellers oder gerichtsbekannte Umstände Anlass zu einer kritischen Prüfung bieten.14 2. Selbstwiderlegung Es ist anerkannt, dass die in § 12 Abs. 2 UWG aufgestellte gesetzliche Vermutung auch durch dem Gericht bekannte oder vom Antragsteller selbst vorgetragene Umstände widerlegt werden kann. Man spricht insoweit etwas unscharf von einer Selbstwiderlegung. Gemeint sind Tatsachen, aus denen sich der Schluss ergibt, dass der Wettbewerbsverstoß bereits länger (als die „übliche“ Dringlichkeitsfrist) zurückliegt oder andauert und der Antragsteller hiervon auch Kenntnis hatte.15 Ersteres ist ein objektiver Umstand, der sich vergleichsweise sicher feststellen lässt und für die weitere Erörterung jeweils zu unterstellen ist, letzteres wird in aller Regel nur indiziell belegbar sein.16 Vordergründig mag deshalb der Rat an den Antragsteller richtig sein, zu all dem möglichst nichts vorzutragen. Dabei würde aber außer Acht gelassen, dass
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13 Für die vorliegende Untersuchung mögen diese Feststellungen genügen, weil es weniger um die Fristen, sondern vielmehr um die objektiven Umstände und die Bewertung des Verhaltens des Antragstellers geht. 14 Wobei letztlich und im Ergebnis dieselben Fragen auftauchen wie im späteren Verfahren, wenn der Antragsgegner entsprechend vorträgt. 15 In welcher noch zu untersuchenden Form auch immer. 16 Sieht man einmal von den unproblematischen Fällen ab, in denen sich schon aus dem vom Antragsteller selbst geschilderten Zeitablauf der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ergibt. Vgl. auch zu typischen Indizien Kochendörfer, WRP 2005, 1459 ff.
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jede Prozesspartei zu vollständigem und wahrheitsgemäßem Vortrag verpflichtet ist. Die gesetzliche Vermutung erspart nur den ausdrücklichen Vortrag und die Glaubhaftmachung und hat damit nichts zu tun. Außerdem würde nicht bedacht, dass die Folgen bei nachträglichen entsprechenden Erkenntnissen auch finanziell „schmerzhaft“ sein können.17
IV. Kenntnis vom Verstoß 1. Positive Kenntnis Absolute Einigkeit besteht zunächst noch darüber, dass die Dringlichkeitsfrist zu laufen beginnt, sobald der Anspruchsteller positive Kenntnis von den tatsächlichen Umständen hat, die den Wettbewerbsverstoß begründen, und er darüber hinaus den „Verletzer“ kennt.18 Schon nicht mehr ganz einheitlich beurteilt wird die hier nicht zu erörternde Frage, ob die positive Kenntnis auch die rechtliche Bewertung mit einschließen muss und/oder die „Beweisbarkeit“ des geltend zu machenden Unterlassungsanspruchs oder ob dies lediglich Einfluss auf die Dauer der Dringlichkeitsfrist hat. Als unproblematisch mag ferner eingestuft werden, dass positive Kenntnis immer dann zu bejahen ist, wenn sie beim Betriebsinhaber oder dem gesetzlichen Vertreter vorliegt. Allerdings wurde bereits frühzeitig erkannt, dass diese relativ einfache Regel in vielen Fällen nicht zu sachgerechten Ergebnissen führt. Insbesondere in arbeitsteilig organisierten größeren Unternehmen sind Zuständigkeiten delegiert, Entscheidungen werden nicht (nur) von den gesetzlichen Vertretern getroffen. Deshalb wäre es unangemessen, gleichwohl allein auf die Kenntnis des Vertretungsberechtigten abzustellen. Ausreichend soll deshalb die Kenntnis des sog. „Wissensvertreters“ sein.19 Als weiterer „Filter“ zur Aussonderung nicht mehr dringlicher Fälle wird erörtert, dass der Kenntnis (des Inhabers oder Wissensvertreters) gleichsteht das bewusste Desinteresse an sich aufdrängenden Verstößen („Sich-Verschließen“),20 wobei allerdings im gleichen Zusammenhang häufig die These vertreten wird, eine allgemeine Marktbeobachtungspflicht könne nicht gefordert werden21 und eine grobe Nachlässigkeit reiche ebenfalls (noch) nicht aus.22 Das sollte insgesamt überdacht werden.
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17 Vgl. nur § 945 ZPO oder die Belastung mit sämtlichen Kosten des Verfahrens nach Widerspruch, mündlicher Verhandlung und Urteil. 18 Retzer in Harte/Henning (Fn. 9) § 12 Rz. 305 m. w. N.; Hess in jurisPK-UWG (Fn. 12) § 12 Rz. 82 m. w. N. 19 Dazu grundlegend erstmals Mes in FS Nirk (1992), S. 661 ff.; Köhler in Köhler/ Bornkamm (Fn. 3) § 12 Rz. 3.15 i. V. m. § 11 Rz. 1.27; Schmukle in Ahrens (Fn. 6) Kap. 45 Rz. 25; Teplitzky (Fn. 3) Kap. 54 Rz. 29a, jeweils m. w. N. 20 Dazu z. B. Retzer in Harte/Henning (Fn. 9) § 12 Rz. 312 m. N. 21 Dazu allg. Spätgens in Gloy/Loschelder/Erdmann (Fn. 5) Kap. 100 Rz. 45 ff.; Teplitzky (Fn. 3) Kap. 54 Rz. 28 f., jeweils m. w. N.; generell ablehnend ausführlich Mes (Fn. 19), S. 667–669 auf der Basis des Standes des Jahres 1992. 22 S. dazu die Nachweise später in Fn. 30 und 31.
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2. Zurechnung der Kenntnis Dritter Ohne weiteres einsichtig ist zunächst, dass nicht erst die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters ausreichend sein kann. Dieser kann und wird sich häufig um Einzelheiten des wettbewerblichen Geschehens auf den teilweise großen Märkten – insbesondere bei Unternehmen mit einer großen Vielfalt von Produkten oder unterschiedlichen Dienstleistungen – gar nicht kümmern. Richtig ist es deshalb, mindestens auch auf die Kenntnis derjenigen abzustellen, die organisatorisch mit dem direkten Marktgeschehen befasst sind, also die Märkte, die Wettbewerbsprodukte und deren Bewerbung kennen, weil das eigene Produkt sich gerade in diesem Marktumfeld durchsetzen/behaupten muss. Dass dazu stets die Leiter der entsprechenden Abteilungen (z. B. Marketing, Vertrieb, Entwicklung, Recht) gehören, scheint nicht im Streit.23 Fraglich mag aber schon sein, ob auch der Außendienstmitarbeiter oder der Testkäufer in diesem Sinn „geborene“ Wissensvertreter sein können.24 Immerhin lässt sich festhalten, dass der Kreis derjenigen, auf deren Kenntnis abgestellt werden kann, nach jedenfalls im Ergebnis übereinstimmender Auffassung deutlich erweiterbar ist. 3. „Sich-Verschließen“, Marktbeobachtungspflicht (?) Richtig und notwendig ist es auch, solche Fallkonstellationen mangels Dringlichkeit vom Verfügungsverfahren auszuschließen, bei denen der Wettbewerbsverstoß bereits länger zurückliegt/andauert und bei denen aufgrund der Umstände anzunehmen ist, dass sich der Anspruchsteller einer rechtzeitigen Kenntnisnahme bewusst verschließt. Daraus wird zu Recht auch auf ein Desinteresse an der zügigen Durchsetzung der Rechte geschlossen.25 Dieses Kriterium erscheint allerdings in der praktischen Handhabung – von relativ einfachen Extremfällen abgesehen – jedenfalls dann als problematisch, wenn man das „Sich-Verschließen“ als bewusstes Nichthandeln trotz sich aufdrängender Kenntnis begreift und zusätzlich die Auffassung vertritt, den Anspruchsteller treffe grundsätzlich keine sog. Marktbeobachtungspflicht dergestalt, dass er verpflichtet sei, den Markt in Bezug auf Wettbewerbsverstöße der Konkurrenz zu beobachten und zu untersuchen.26 Beides wird den heutigen Gegebenheiten und den modernen Erkenntnismöglichkeiten in dieser Pauschalität nicht mehr gerecht. Die Märkte für die meisten Produkte und Dienstleistungen sind heutzutage wesentlich transparenter und gleichzeitig für die Mitbewerber diffiziler geworden. Insbesondere durch das Internet mit einer Vielzahl von Portalen, Preissuchmaschinen und Eigendarstellungen nahezu sämtlicher nennenswerter
__________ 23 Vgl. bei Retzer in Harte/Henning (Fn. 9) § 12 Rz. 313 m. w. N. 24 Vgl. dazu die Nachweise bei Kochendörfer, WRP 2005, 1459; sehr einschränkend auch Mes (Fn. 19), S. 676–677. 25 S. dazu die Nachweise in Fn. 20. 26 S. dazu die Nachweise in Fn. 21.
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Mitbewerber ist es möglich (und notwendig) geworden, sich zur Erhaltung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit durch wenige Mausklicks einen Überblick über die aktuelle Wettbewerbssituation zu verschaffen. In der Konsequenz ist es deshalb für jeden Mitbewerber, der materiell und personell entsprechend ausgestattet ist, eine Selbstverständlichkeit, den Markt auch entsprechend zu beobachten bzw. beobachten zu lassen.27 Wer dies nicht tut, handelt in grob fahrlässiger Weise seinen eigenen Interessen zuwider. Er hat damit die Vermutung der Dringlichkeit selbst widerlegt. Mit Spätgens28 ist deshalb eine entsprechende Marktbeobachtungslast (nicht -pflicht) zur Vermeidung des Dringlichkeitsverlusts zu bejahen.29 Geht man diesen Schritt, muss man allerdings auch konsequenterweise – wie ausgeführt – die grobe Fahrlässigkeit ausreichen lassen.30 Es erscheint nur folgerichtig,31 hier eine Parallele zur Neuregelung der Verjährungsvorschriften zu ziehen, weil es in der Tat merkwürdig erschiene, dem Anspruch durch eine Einwendung (Verjährung bei grober Fahrlässigkeit) seine Durchsetzbarkeit zu nehmen, gleichwohl dem Anspruchsteller aber ein Vorgehen im Wege der einstweiligen Verfügung zu ermöglichen. Die Rechtsentwicklung ist insoweit einheitlich und nicht nur partiell fortgeschritten. Das gefundene Ergebnis beansprucht allerdings nicht etwa Gültigkeit für jede Art von Wettbewerbsverstoß. Postuliert wird nicht eine Pflicht zur Untersuchung des Marktes auf Wettbewerbsverstöße, sondern nur eine Obliegenheit, das Marktgeschehen wie ein ordentlicher Kaufmann (relativ) sorgfältig zu verfolgen. Erfasst von dieser sinnvollen Beobachtung des Marktes sind deshalb etwa32 Produktneuheiten der wesentlichen Mitbewerber samt deren Ausstattung, Bewerbung und Preisgestaltung, Werbeanzeigen in den gängigen Medien, Auftritte auf den üblichen Messen u.ä.m. Erweitern mag man den Katalog bei einem sehr überschaubaren Markt von nur wenigen Mitbewerbern bzw. Produkten oder bei einem besonders intensiven Wettbewerbsverhältnis gerade zu dem in Anspruch zu nehmenden Mitbewerber.33
__________ 27 Diesen Aspekt betont auch Spätgens in Gloy/Loschelder/Erdmann (Fn. 5) Kap. 100 Rz. 45 zu Recht. 28 A. a. O. Fn. 27. 29 Im Einzelfall und vorsichtig bejaht auch Teplitzky (Fn. 3) Kap. 54 eine solche Marktbeobachtungslast. 30 Diese Auffassung scheint sich zunehmend durchzusetzen, vgl. Schmukle in Ahrens (Fn. 6) Kap. 45 Rz. 19 f.; Köhler in Köhler/Bornkamm (Fn. 3) § 12 Rz. 3.15, wobei – darauf weist Teplitzky (Fn. 3) Kap. 54 Rz. 28 f. zutreffend hin – die Grenzen zum „Sich-Verschließen“ teilweise fließend sein mögen; a. A. (aber ohne Begründung) etwa Büscher in Fezer (Fn. 4) § 12 Rz. 80. 31 A. A. OLG Köln GRUR-RR 2003, 187; OLG München MD 2006, 916; Hess in jurisPKUWG (Fn. 12) § 12 Rz. 82. 32 Weitere Beispiele bei Kochendörfer WRP 2005, 1459, 1461–1463. 33 Dass das alles aber auch Grenzen haben muss, zeigt der Fall des OLG Köln v. 20.7.2007 – 6 U 25/07. Dort fand sich die zu beanstandende Aussage in einem Paket mit vielen Geschenken, die auf der Wöchnerinnenstation verteilt wurden, wo allerdings beide Parteien regelmäßig Geschenke verteilen ließen.
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4. Organisationsverschulden Mit der soeben umrissenen Obliegenheit zu einer Marktbeobachtung einher geht die Pflicht des Unternehmers, seinen Betrieb so zu organisieren, dass relevante Informationen nicht nur gesammelt, sondern auch unverzüglich an die „Entscheider“ weitergeleitet werden. Er muss sicherstellen, dass die Mitarbeiter angehalten und geschult sind, in ihrem jeweiligen Bereich entsprechende Feststellungen zu treffen und diese auch weiterzuleiten. Der Außendienstler, der an sich lediglich die Regale bestückt, muss deshalb instruiert sein, neue Produkte der Mitbewerber zu melden, die Marketing- und Vertriebsmitarbeiter müssen sich zumindest regelmäßig über Werbemaßnahmen der Konkurrenz informieren, der beauftragte Testkäufer muss angehalten sein, ermittelte Verstöße unmittelbar nach deren Entdeckung weiterzuleiten. Das Institut der „Wissensvertretung“ erscheint insoweit zumindest weitgehend entbehrlich. Insbesondere kann der Anspruchsteller sich nicht mehr darauf berufen, der „zuständige“ Entscheider34 habe erst in nicht dringlichkeitsschädlicher Zeit Kenntnis erlangt. Vorzutragen wäre vielmehr, dass und warum trotz entsprechender Organisation ausnahmsweise der Informationsfluss ohne grobe Fahrlässigkeit zu dieser Verzögerung geführt hat.
V. Nachtäglicher Wegfall der Dringlichkeit? In allen Kommentaren und Handbüchern finden sich unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung Ausführungen dazu, dass die Dringlichkeit auch durch ein Verhalten des Antragstellers während eines laufenden Verfahrens entfallen kann. Erörtert wird hierbei in erster Linie das Ausschöpfen von Fristen oder gar deren Verlängerung und sodann häufig und richtig danach differenziert, ob der Antragsteller, dessen Verhalten zu beurteilen ist, bereits im Besitz der einstweiligen Verfügung ist oder diese erst noch erstreiten will.35 Ist Letzteres der Fall, muss der Antragsteller alles tun, um zu verdeutlichen, dass er an einer schnellen Unterbindung des Wettbewerbsverstoßes interessiert ist, während ihm Verzögerungen nach Erwirkung der Verfügung eher nicht zur Last gelegt werden.36 Zwei kürzlich ergangene Entscheidungen beleuchten nun in der Praxis häufig auftauchende Probleme, die trotzdem nur selten zum Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen wurden.
__________ 34 Siehe zu einem relativ krassen Fall OLG Köln NJW-RR 1999, 694: Dort war zu unterstellen, dass selbst der Vorstand seit dringlichkeitsschädlicher Zeit Kenntnis von einer plakativen Werbeanzeige hatte. Dem OLG hat das nicht gereicht, weil glaubhaft gemacht worden war, dass der intern zuständige Mitarbeiter erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangte (sehr fraglich). 35 Vgl. Hess in jurisPK-UWG (Fn. 12) § 12 Rz. 90 m. w. N.; Schmukle in Ahrens (Fn. 6) Kap. 45 Rz. 46 m. w. N. und Rz. 49 f. 36 Schmukle in Ahrens (Fn. 6) Kap. 45 Rz. 46 m. w. N.; Teplitzky (Fn. 3) Kap. 54 Rz. 24; Büscher in Fezer (Fn. 4) § 12 Rz. 84.
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Das OLG Köln37 hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Antragsteller wegen einer Markenverletzung eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte. Nach deren Zustellung hatte er dem Antragsgegner angeboten, vorübergehend auf die Vollstreckung zu verzichten und über eine vergleichsweise Einigung zu verhandeln. Die Verhandlungen wurden über viele Monate schleppend und ohne greifbares Ergebnis geführt. Insgesamt waren so bis zur Berufungsverhandlung zehn Monate vergangen. Im Fall des OLG Frankfurt38 hatte der Antragsteller eine Urteilsverfügung erwirkt. Da es um einen angeblichen (und später vom OLG verneinten) Verstoß ging, der eine Änderung der kompletten Ausstattung erforderlich gemacht hätte, unternahm der Antragsteller während der Dauer des Berufungsverfahrens (etwa fünf Monate) nichts gegen den weiteren Vertrieb, weil er Schadensersatzansprüche gem. § 945 ZPO befürchtete. Beide Oberlandesgerichte haben die einstweilige Verfügung wegen fehlender Dringlichkeit aufgehoben. Das ist zweifelsfrei richtig,39 offenbart aber gleichzeitig ein Dilemma, dem sich der Antragsteller in vielen Fällen ausgesetzt sieht: Das Verfügungsverfahren bietet auf der einen Seite schnellen und effektiven Rechtsschutz, indem Unterlassungsansprüche – im „Normalfall“ ohne Gewährung von Aufbrauchfristen – unverzüglich durchzusetzen sind. Es dient aber keineswegs dazu, lediglich auf relativ einfache und schnelle Weise eine gerichtliche Fallbeurteilung zu erlangen.40 Der Gläubiger kann deshalb angesichts der gesetzlichen Grundwertung nicht beides erreichen – eine schnelle Entscheidung und zugleich eine Risikominimierung. Der Gesetzgeber hat aus gutem Grund in § 945 ZPO angeordnet, dass derjenige, der das verkürzte Eilverfahren mit einer Beschränkung der Erkenntnismöglichkeiten und einer Verkürzung der Verteidigungsmöglichkeiten in Anspruch nimmt, im Fall der Aufhebung der einstweiligen Verfügung die Schäden zu ersetzen hat, die „durch die Vollziehung“ entstanden sind. Wer das scheut, offenbart zugleich, dass ihm die unbedingte Durchsetzung seines Anspruchs so eilig nun doch nicht ist.41 Differenzierter dürfte die Konstellation zu beurteilen sein, die der Entscheidung des OLG Köln zugrunde lag. Es hat sich, so wird aus der Praxis berichtet, außerordentlich bewährt, dass die Parteien nach Erlass und Vollziehung einer einstweiligen Verfügung darüber verhandeln, ob die rechtliche Auseinandersetzung schnell und für alle Beteiligten kostengünstig beendet werden kann.
__________
37 Urteil v. 29.1.2010 – 6 U 177/09 in MD 2010, 532. 38 Urteil v. 25.3.2010 – 6 U 219/09 zitiert nach juris. 39 A. A. anscheinend Musiol unter Berufung auf OLG Karlsruhe WRP 1986, 232 in seiner Besprechung der Entscheidung des OLG Köln in GRUR-Prax 2010, 188, der nur auf die Zeit bis zur Erwirkung der einstweiligen Verfügung abstellen will. 40 So ganz deutlich OLG Frankfurt a. a. O. Fn. 38. 41 Aus diesem Grund dürften sich generell auch Vollstreckungsverzichte „bis zur mündlichen Verhandlung über den Widerspruch“ oder „bis zur Entscheidung …“ verbieten, weil das keinen sachlichen Grund im Sinne der Dringlichkeitsrechtsprechung darstellt, wie beide Oberlandesgerichte (inzidenter) betonen. Ebenso Büscher in Fezer (Fn. 4) § 12 Rz. 84; zumindest teilw. a. A. OLG Karlsruhe WRP 1986, 232.
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Das geschieht oft dadurch, dass der Antragsgegner eine Abschlusserklärung zu der einstweiligen Verfügung abgibt und der Antragsteller erklärt, für eine bestimmte Zeit aus dem Unterlassungstitel keine Rechte herzuleiten. Die Vorteile liegen für alle Beteiligten auf der Hand. Der Antragsteller erreicht die von ihm erstrebte Unterlassung (relativ) schnell und sicher, der Antragsgegner kann (z. B.) vorhandenes Werbematerial aufbrauchen und hat Zeit für die Neukonzeption. Auch das OLG Köln hat deshalb nicht etwa Vergleichsverhandlungen und den (vorübergehenden) Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen generell als Indiz für eine Widerlegung der Dringlichkeit gewertet. Es hat lediglich betont, dass solche Verhandlungen zügig und ergebnisorientiert stattfinden müssen. Dem ist zuzustimmen, wobei allerdings zwei Aspekte auseinander gehalten werden sollten: Die Länge der zu vereinbarenden Aufbrauchfrist dürfte unerheblich sein für die Frage, ob der Antragsteller die Durchsetzung seiner Rechte zügig betrieben hat. Diese wird lediglich im Gegenzug zu der endgültigen Unterwerfung gewährt. Problematisch kann nur der Vollstreckungsverzicht bis zu der angestrebten Einigung sein. Dieser ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig zu machen. Es gibt überschaubare Fallkonstellationen, bei denen der Antragsteller erwarten kann und muss, dass der Antragsgegner sich alsbald darüber klar wird, ob er den Unterlassungsanspruch akzeptieren will oder nicht. In solchen Fällen dürfte ein Vollstreckungsverzicht allenfalls für wenige Wochen vertretbar sein.42 Denkbar ist aber durchaus auch eine komplexere Situation mit unter Umständen internationalem Bezug und weitreichenden Entscheidungen, so dass auch nach mehrmonatiger Dauer noch von zügigen Verhandlungen gesprochen werden kann. Der Antragsteller muss allerdings auf seiner Seite alles tun, um auch nur geringste Verzögerungen zu vermeiden, und umgekehrt die Gegenseite entsprechend „drängen“, weil er sich sonst dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt sieht, es mit der schnellen Durchsetzung doch nicht so eilig zu haben. Das OLG Köln43 verweist zu Recht darauf, dass ggfls. auch das Scheitern der Verhandlungen in Kauf zu nehmen ist. In diesem Zusammenhang ist nochmals daran zu erinnern, dass die Dringlichkeit von Amts wegen zu beachten ist. Das Gericht muss deshalb eine einstweilige Verfügung aufheben, wenn sich aus dem Akteninhalt ein entsprechender (zu langer) Vollstreckungsverzicht ergibt. Parteivereinbarungen können daran nichts ändern.44
__________ 42 Man mag hier eine Parallele ziehen zu der Rechtsprechung, die bei der Gesamtwürdigung vor Beantragung einer einstweiligen Verfügung das Führen von Vergleichsgesprächen nach Abmahnung unter bestimmten Voraussetzungen als akzeptabel, d. h. nicht dringlichkeitsschädlich, ansieht; vgl. etwa die Nachw. bei Schmukle in Ahrens (Fn. 6) Kap. 45 Rz. 40. 43 A. a. O. (Fn. 37), UA S. 4. 44 Was von einem Antragsgegnervertreter zu halten ist, der im Ergebnis nur Scheinverhandlungen führt, um Zeit zu gewinnen, und der dann Widerspruch einlegt mit der Begründung, jedenfalls jetzt fehle wegen des Vollstreckungsverzichts die Dringlichkeit, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden.
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Wann ist es dem Anspruchsteller „nicht so eilig“?
VI. Fazit Dem Verfasser geht es ausdrücklich nicht darum, generell für eine Verschärfung der Dringlichkeitsrechtsprechung zu plädieren. Geworben wird vielmehr für eine praxisorientierte, lebensnahe Betrachtungsweise unter angemessener Berücksichtigung der Belange sowohl der Anspruchsteller-, als auch der Anspruchsgegnerseite. Praktisch bedeutet das allerdings in der Tat, dass in einer größeren Zahl der Fälle die Dringlichkeitsvermutung nicht (mehr) greift. Immer dann, wenn der Verstoß objektiv bereits länger als die im jeweiligen Gerichtsbezirk „unschädliche“ Zeit zurückliegt, sind Darlegungen und Glaubhaftmachungsmittel dazu erforderlich, dass und warum man erst später Kenntnis erlangt hat. Bei arbeitsteilig organisierten Unternehmen gehört dazu auch der Vortrag, wie und auf welche Weise sichergestellt ist, dass jedenfalls „übliche“ Verstöße erkannt und weitergeleitet werden. Organisationsmängel sind häufig grob fahrlässig, ein Maßstab, der generell bei der Dringlichkeit unter Aufgabe des „Sich-Verschließens“ angewendet werden sollte. Die Dringlichkeit kann auch entfallen, wenn der Antragsteller nach Erwirken einer einstweiligen Verfügung durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass es ihm tatsächlich mit der nachdrücklichen und schnellen Durchsetzung seiner Rechte doch nicht so eilig ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er auf die Vollstreckung über einen längeren Zeitraum verzichtet, ohne dass zugleich und nachdrücklich über eine endgültige zeitnahe Einigung verhandelt wird. Wie lang dieser Zeitraum sein kann hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
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Preisinformationspflichten Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die Verletzung von Preisinformationspflichten als Irreführung durch Unterlassen 1. Zur Struktur des Tatbestands der Irreführung durch Unterlassen a) Der begrenzte Anwendungsbereich des § 5a I UWG b) Die kleine Generalklausel des § 5a II UWG 2. Die in § 5a III Nr. 3 und IV UWG geregelten Preisinformationspflichten a) § 5a III Nr. 3 UWG b) § 5a IV UWG III. Die Verletzung von Preisinformationspflichten als Rechtsbruch 1. Zur Struktur des Rechtsbruchtatbestands
2. Die Preisangabenverordnung als Hauptanwendungsfall a) Die Preisangabenverordnung als Marktverhaltensregelung b) Geht die Preisangabenverordnung über die Anforderungen der UGPRichtlinie hinaus? c) Zulässigkeit weitergehender Informationspflichten der Preisangabenverordnung? 3. Weitere Anwendungsfälle a) Art. 246 § 1 I Nr. 7, 8 EGBGB b) § 19 I 2 Fahrlehrergesetz 4. Die Bedeutung der Relevanzklausel in § 3 I UWG IV. Zusammenfassung und Ausblick
I. Einführung Der Preis einer Ware oder Dienstleistung ist neben ihrer Qualität eines der wichtigsten Entscheidungskriterien für den Verbraucher, wenn es gilt, zwischen verschiedenen Angeboten eine Auswahl zu treffen.1 Dementsprechend groß ist das Interesse des Verbrauchers, vor seiner Nachfrageentscheidung richtig und vollständig über den zu zahlenden Preis informiert zu werden. Zum Schutze dieses Interesses haben der europäische und der deutsche Gesetzgeber eine Vielzahl von Preisinformationspflichten innerhalb und außerhalb des UWG aufgestellt, die die Unternehmer beachten müssen. Das wirft eine Reihe von Auslegungs- und Abstimmungsproblemen auf, die zunehmend auch die Gerichte beschäftigen.2 Der folgende, Michael Loschelder in langjähriger Verbundenheit gewidmete Beitrag ist ein Versuch, mehr Klarheit über die gegenwärtige, nicht sehr übersichtliche Rechtslage zu gewinnen. Dabei steht das Verhältnis von UWG und Preisangabenverordnung im Vordergrund.
__________
1 Vgl. nur Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 5 Rz. 7.1. 2 Aus jüngster Zeit seien erwähnt: BGH, GRUR 2009, 1180 – 0,00 Grundgebühr; BGH, GRUR 2010, 248 – Kamerakauf im Internet; BGH, GRUR 2010, 251 – Versandkosten bei Froogle; BGH, GRUR 2010, 744 – Sondernewsletter.
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II. Die Verletzung von Preisinformationspflichten als Irreführung durch Unterlassen 1. Zur Struktur des Tatbestands der Irreführung durch Unterlassen a) Der begrenzte Anwendungsbereich des § 5a I UWG Die Täuschung i. S. des § 5 I UWG kann auch durch ein Unterlassen erfolgen, wie sich aus § 5a I UWG, der dem früheren § 5 II UWG 2004 entspricht, ergibt. Nach dieser Vorschrift sind bei der Beurteilung, ob das Verschweigen einer Tatsache irreführend ist, insbesondere deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung nach der Verkehrsauffassung sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen. Allerdings gilt diese Regelung nur im Verhältnis zu sonstigen Marktteilnehmern, da seit dem Inkrafttreten der UWG-Novelle 2008 für das Verhältnis zu Verbrauchern § 5a II–IV UWG die speziellere Regelung ist.3 Daher kommt der Regelung in § 5a I UWG wenig praktische Bedeutung zu. b) Die kleine Generalklausel des § 5a II UWG Nach § 5a II UWG handelt unlauter, wer die Entscheidungsfähigkeit von Verbrauchern i. S. des § 3 II UWG dadurch beeinflusst, dass er eine Information vorenthält, die im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände einschließlich der Beschränkungen des Kommunikationsmittels wesentlich ist.4 Der Gesetzgeber stellt damit indirekt eine Informationspflicht auf. Allerdings ist die Regelung nur schwer mit der Systematik des UWG und der UGP-Richtlinie in Einklang zu bringen. Denn an sich stellt § 5a II UWG einen bloßen Unlauterkeitstatbestand dar, der im Zusammenhang mit § 3 I UWG steht. Unzulässig i. S. von § 3 I UWG wird die Verletzung dieser Informationspflicht daher nur dann, wenn sie geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen. Dies ist aber schon deshalb zu bejahen, weil der Unlauterkeitstatbestand des § 5a II UWG auf den § 3 II UWG verweist und damit die Eignung des Verhaltens zur spürbaren Beeinträchtigung der Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, voraussetzt.5 Allerdings ist nicht zu verkennen, dass damit die in Art. 7 I UGP-Richtlinie enthaltene Relevanzklausel nur unvollkommen und in Vermengung mit der Relevanzklausel des Art. 5 II lit. b UGP-Richtlinie umgesetzt worden ist.
__________ 3 Davon geht offenbar auch die Entscheidung BGH, GRUR 2009, 1180 Tz. 30 – 0,00 Grundgebühr aus. Vgl. weiter Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm (Fn. 1) § 5a Rz. 6a. 4 Als Vorenthalten der Information gilt es auch, wenn der Unternehmer sie verheimlicht oder auf unklare, unverständliche oder zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt. Dies folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 5a II UWG am Maßstab des Art. 7 II UGP-Richtlinie. 5 Genau genommen stellt § 5a II UWG mit dem Verweis auf § 3 II UWG keine exakte Umsetzung des Art. 7 I UGP-Richtlinie dar. Denn diese Vorschrift enthält eine eigene Relevanzklausel, die auf Grund des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung des § 5a II UWG vorrangig zu berücksichtigen ist und sich nicht unwesentlich von der Relevanzklausel des Art. 5 II lit. b UGP-Richtlinie unterscheidet.
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Preisinformationspflichten
2. Die in § 5a III Nr. 3 und IV UWG geregelten Preisinformationspflichten Zum Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Informationen in § 5a II UWG gibt es zwei (sich überschneidende) Konkretisierungen, die Preisangaben betreffen. a) § 5a III Nr. 3 UWG Die erste Konkretisierung erfolgt in § 5a III Nr. 3 UWG, durch den Art. 7 IV lit. c UGP-Richtlinie umgesetzt wird. Sie betrifft den Fall des Angebots von Waren oder Dienstleistungen unter Hinweis auf deren Merkmale und Preis in der Weise, dass ein Verbraucher das Geschäft abschließen kann („Aufforderung zum Kauf“ i. S. des Art. 7 IV UGP-Richtlinie). In diesem Fall gehören nach § 5a III Nr. 3 UWG der Endpreis, ggf. die Art der Preisberechnung sowie ggf. alle zusätzlichen Fracht-, Liefer- und Zustellkosten oder die Tatsache, dass solche Kosten anfallen können, zu den wesentlichen Informationen. Beispiel: Einen Verstoß gegen § 5a II, III Nr. 3 UWG nahm der BGH6 in der Entscheidung „0,00 Grundgebühr“ an, weil die Angaben zur Preisberechnung unvollständig seien. Dem Verbraucher würden nämlich durch die sehr kleine Schrift wichtige Preisbestandteile, nämlich Anschlusspreis, monatlicher Mindestgesprächsumsatz, Mindestvertragslaufzeit, vorenthalten. Dieses Verhalten sei auch geeignet, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich aufgrund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte.
b) § 5a IV UWG Die zweite Konkretisierung erfolgt in § 5a IV UWG, durch den Art. 7 V UGPRichtlinie umgesetzt wird. Danach gelten als wesentlich i. S. des § 5a II NWG „auch Informationen, die dem Verbraucher auf Grund gemeinschaftsrechtlicher Verordnungen oder nach Rechtsvorschriften zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing nicht vorenthalten werden dürfen“. Bezogen auf Preisangaben sind aus dem Anhang II der UGP-Richtlinie u. a. einschlägig: – – – – –
Art. 3 II Pauschalreiserichtlinie 90/314/EWG,7 Art. 3 IV Preisangabenrichtlinie,8 Art. 5 II Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr9 und Art. 4 Fernabsatzrichtlinie 97/7/EG10 Art. 23 I VO (EG) Nr. 1008/2008 über Luftverkehrsdienste.
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BGH, GRUR 2009, 1180 Tz. 30 – 0,00 Grundgebühr. Dem entspricht § 1 I, VI PAngV. Dem entspricht § 2 I, III und IV PAngV. Dazu BGH, GRUR 2010, 248 Tz. 16 – Kamerakauf im Internet. Dem entspricht § 1 I, II, VI PAngV.
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Da die Auflistung in Anhang II nicht abschließend ist, kommen insbesondere auch später erlassene Richtlinien, wie die Verbraucherkreditrichtlinie 2008/ 48/EG,11 in Betracht. Die Vorschrift des § 5a IV UWG ist demnach eine – dem § 4 Nr. 11 UWG vergleichbare – „Scharniernorm“, mittels derer die Verletzung von außerhalb des UWG normierter Preisangabenpflichten nach UWG sanktioniert werden kann.12 Voraussetzung ist aber, dass sie zur Umsetzung von Richtlinien erlassen worden sind und nicht über deren Anforderungen hinausgehen. Das kommt auch in Erwägungsgrund 15 S. 1 der UGP-Richtlinie zum Ausdruck. Danach werden nur die nach dem Gemeinschaftsrecht (jetzt: Unionsrecht) vorgeschriebenen Informationen als wesentlich für die Zwecke des Art. 7 V UGP-Richtlinie betrachtet. Von Bedeutung ist dies insbesondere für die Preisangabenverordnung.13
III. Die Verletzung von Preisinformationspflichten als Rechtsbruch 1. Zur Struktur des Rechtsbruchtatbestands Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Regelung zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Preisinformationspflichten stellen typischerweise Marktverhaltensregelungen i. S. des § 4 Nr. 11 UWG dar. Verstöße gegen solche Regelungen sind nach § 3 I UWG verboten, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. 2. Die Preisangabenverordnung als Hauptanwendungsfall a) Die Preisangabenverordnung als Marktverhaltensregelung Zu den wichtigsten Marktverhaltensregelungen gehört die Preisangabenverordnung (PAngV).14 Dazu gibt es eine reichhaltige Rechtsprechung, weil viele Unternehmen entweder die PAngV nicht gut kennen oder bewusst missachten oder weil zweifelhaft und streitig ist, ob im Einzelfall die Anforderungen der PAngV erfüllt sind. Zweck der PAngV ist es, durch eine sachlich zutreffende und vollständige Verbraucherinformation Preiswahrheit und Preisklarheit zu gewährleisten und durch optimale Preisvergleichsmöglichkeiten die Stellung der Verbraucher
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Dazu §§ 6, 6a und 6b PAngV. Darüber hinaus kommt ggf. noch eine Sanktionierung nach dem UKlaG in Betracht. Dazu unten III 3. Weitere Preisinformationspflichten ergeben sich u. a. aus der BGB-InfoV für Fernabsatzverträge und Reiseverträge. Vgl. ferner Art. 247 §§ 3, 17 EGBGB für Verbraucherdarlehensverträge; § 2 I Nr. 9 BGB-InfoV für Teilzeitwohnrechte; Art. 248 § 13 EGBGB für Zahlungsdienste; § 19 FahrlehrerG; §§ 66a, 66b, 66c TKG für Telekommunikationsdienstleistungen. Darauf kann hier aus Platzgründen nicht näher eingegangen werden.
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gegenüber Handel und Gewerbe zu stärken und den Wettbewerb zu fördern.15 Insbesondere soll verhindert werden, dass ein Wettbewerber mit der besonderen Preisgünstigkeit eines Preisbestandteils blickfangmäßig wirbt, weitere Preisbestandteile dagegen verschweigt oder in der Darstellung untergehen lässt.16 Die PAngV dient also dem Schutz des Verbrauchers und zugleich des Wettbewerbs. Sie will dem Verbraucher Klarheit über die Preise und deren Gestaltung verschaffen und zugleich verhindern, dass er seine Preisvorstellungen anhand untereinander nicht vergleichbarer Preise gewinnen muss.17 Dieser Schutzzweck erfordert nicht, dass der Unternehmer stets seine Preise in der Werbung angeben muss. Wenn er aber „gegenüber Letztverbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt“ (§ 1 I 1 PAngV), muss er den Anforderungen der PAngV gerecht werden. b) Geht die Preisangabenverordnung über die Anforderungen der UGP-Richtlinie hinaus? Eine noch nicht abschließend geklärte Frage ist es, ob und inwieweit die PAngV neben den Regelungen in § 5a III Nr. 4 UWG und § 5a IV UWG überhaupt noch anwendbar ist. Das ist deshalb bedeutsam, weil die UGP-Richtlinie innerhalb ihres Anwendungsbereichs eine abschließende Regelung der unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern bezweckt. Das gilt auch auf Grund der Verweisungsnorm in Art. 7 V UGP-Richtlinie für die in anderen Bestimmungen des Unionsrechts geregelten Preisinformationspflichten gegenüber Verbrauchern „in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing“.18 Soweit die Informationspflichten der PAngV inhaltlich mit denen aus § 5a III Nr. 3 UWG und § 5a IV UWG übereinstimmen, besteht keine Normenkollision. Es liegt dann eine zwar überflüssige, aber unschädliche Doppelregelung vor. So verhielt es sich in der Tat in allen bisher vom BGH19 entschiedenen Fällen. Er ging darin von den jeweils einschlägigen Anforderungen der PAngV aus und stellte dazu fest, dass sie mit den Anforderungen der UGP-Richtlinie (und damit gleichzeitig mit dem § 5a III Nr. 3 und IV UWG) übereinstimmten. Als erstes Beispiel herausgegriffen sei die Entscheidung „Kamerakauf im Internet“.20 Darin führt der BGH aus, dass die Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG i. V. mit § 1 II 1 Nr. 1 PAngV im Einklang mit Art. 7 IV lit. c und V i. V. mit Anh. II der UGP-Richtlinie, der auch auf Art. 5 II der Richtlinie über den elek-
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15 BGH, GRUR 2008, 84 Tz. 25 – Versandkosten. 16 BGH, GRUR 2009, 73 Tz. 25 – Telefonieren für 0 Cent; BGH, GRUR 2009, 1180 – 0,00 Grundgebühr; BGH, GRUR 2010, 744, Tz. 35 – Sondernewsletter. 17 BGH, GRUR 2004, 435, 436 – FrühlingsgeFlüge. 18 Dazu oben II a. E. 19 BGH, GRUR 2009, 1180 Tz. 30 – 0,00 Grundgebühr; BGH, GRUR 2010, 248 Tz. 16, 24 – Kamerakauf im Internet; BGH, GRUR 2010, 251 Tz. 17 – Versandkosten bei Froogle. 20 BGH, GRUR 2010, 248 Tz. 16 – Kamerakauf im Internet.
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tronischen Geschäftsverkehr verweise, stehe. Aus letzterer Bestimmung ergibt sich, dass „zusätzlich zu den sonstigen Informationsanforderungen nach dem Gemeinschaftsrecht“ anzugeben ist, „ob Steuern und Versandkosten in den Preisen enthalten sind“. Aus dem Zusammenspiel der beiden Informationsanforderungen aus Art. 7 IV lit. c UGP-Richtlinie (Angabe des Endpreises) und aus Art. 7 V UGP-Richtlinie i. V. mit Art. 5 II Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr folgt in der Tat eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Angabe des Endpreises und gleichzeitig zur Angabe, dass darin Steuern enthalten sind. Auch weist der BGH in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Angebot von Waren i. S. des § 1 II PAngV einer Aufforderung zum Kauf i. S. des Art. 7 IV UGP-Richtlinie entspricht.21 Als zweites Beispiel sei die Entscheidung „0,00 Grundgebühr“22 erwähnt. Darin heißt es: „Im Hinblick darauf, dass die Richtlinie 2005/29/EG unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern, insbesondere die gegenüber Verbrauchern bestehenden Informationspflichten, abschließend regelt, kann ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Preisangabenverordnung eine Unlauterkeit nach § 4 Nr. 11 UWG nur begründen, wenn die von der Preisangabenverordnung aufgestellten Informationspflichten eine Grundlage im Gemeinschaftsrecht haben.“ Das wird für die im Streitfall in Rede stehenden Verpflichtungen aus § 1 I 1, III und VI 2 PAngV bejaht. Sie sollen ihre Grundlage in Art. 1 und 2 lit. a, Art. 3 I sowie Art. 4 I der Preisangabenrichtlinie 98/6/EG haben. Das ist so nicht ganz zutreffend. Denn die Preisangabenrichtlinie bezieht sich nur auf Preisangaben für „Erzeugnisse“, also Waren, und nicht auch auf Dienstleistungen. In Bezug auf Dienstleistungen können die genannten Informationsanforderungen der PAngV ihre Grundlage zwar in Art. 4 I lit. c und d, II Fernabsatzrichtlinie haben. Für eine Preisangabenpflicht für Dienstleistungen, die nicht im Wege des Fernabsatzes vertrieben werden – und so verhielt es sich gerade im Fall „0,00 Grundgebühr“ –, fehlt es aber an einer Grundlage in der Fernabsatzrichtlinie. Insoweit kommt allenfalls Art. 22 I lit. c, III lit. a, IV Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG in Betracht.23 Da indessen der BGH, wenngleich nur ergänzend, seine Entscheidung auch auf § 5a II, III Nr. 3 UWG stützen konnte, war die Entscheidung in der Sache zutreffend. Wenn man so will, ist die unionsrechtliche Grundlage der PAngV insoweit Art. 7 IV lit. c UGP-Richtlinie. Jedenfalls zeigt der Fall auf, dass die
__________ 21 Vgl. auch Körber/Heinlein, WRP 2009, 780, 785. 22 BGH, GRUR 2009, 1180 Tz. 24–26 – 0,00 Grundgebühr; ebenso BGH, GRUR 2010, 744, Tz. 26 – Sondernewsletter. 23 Diese Richtlinie hätte bis zum 29.11.2009 umgesetzt werden müssen. Eine Umsetzung ist, soweit es die Informationspflichten von Dienstleistungserbringern gegenüber Dienstleistungsempfängern angeht, in der Dienstleistungs-Informationspflichten-Verordnung (DL-InfoV) vom 12.3.2010 erfolgt. Die Preisinformationspflichten sind in § 4 I DL-InfoV geregelt, jedoch gilt dies nach § 4 II DL-InfoV gerade nicht gegenüber Letztverbrauchern. Insoweit bleibt es bei den Vorschriften der PAngV. Ob damit den Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie genügt ist, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls ist die PAngV im Hinblick auf Dienstleistungserbringer richtlinienkonform auszulegen.
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Preisinformationspflichten
Informationsanforderungen aus Art. 7 IV lit. c UGP-Richtlinie weiter reichen als diejenigen aus Art. 7 V i. V. mit Anhang II UGP-Richtlinie. Gleichwohl bleibt die Frage: Gehen einzelne Informationspflichten der PAngV über diejenigen aus § 5a III Nr. 3 UWG und § 5a IV UWG hinaus? Da die UGPRichtlinie in ihrem Anwendungsbereich eine vollständige Rechtsangleichung („Vollharmonisierung“) bezweckt,24 müsste dann geklärt werden, ob eine Anwendung dieser Normen durch die Ausnahmebestimmungen in Art. 3 UGPRichtlinie gedeckt ist. Das Bewusstsein für diese Problematik stellt sich allerdings erst allmählich ein. So ging die Bundesregierung in der Amtlichen Begründung zur UWG-Novelle 200825 noch davon aus, dass angesichts der bereits bestehenden Regelungen in § 1 PAngV die Regelung in § 5a III Nr. 3 UWG lediglich geboten sei, „um die Bedeutung hervorzuheben, die vorenthaltenen Preisangaben für das Lauterkeitsrecht zukommt“. Offenbar war man der Auffassung, dass es keine sachlichen Unterschiede zwischen den Informationspflichten der PAngV und den Informationsanforderungen der UGP-Richtlinie gebe. Das Problem hat der BGH26 erstmals in einem obiter dictum in der Entscheidung „Versandkosten bei Froogle“ angesprochen: „Es kann offen bleiben, ob die in Rede stehenden Bestimmungen der Preisangabenverordnung [scl. § 1 II und VI PAngV] strengere Maßstäbe setzen als die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken.“
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich in der Tat, dass die PAngV – jedenfalls was ihren Wortlaut angeht – doch einige weitergehende Informationspflichten aufweist als die UGP-Richtlinie, einschließlich ihrer Verweisung auf andere Rechtsvorschriften in Art. 7 V i. V. mit Anhang II UGP-Richtlinie.27 Zwei Regelungen allein aus der Grundnorm des § 1 PAngV – von den in der Praxis weniger bedeutsamen §§ 4, 7 und 8 PAngV einmal abgesehen – seien herausgegriffen: (1) Verpflichtung zur Endpreisangabe bei der Werbung „unter Angabe von Preisen“. Die Verpflichtung zur Angabe des Endpreises besteht nach § 1 I 1 PAngV nicht nur beim Angebot von Waren oder Leistungen, sondern auch bei einer Werbung „unter Angabe von Preisen“. Nach Art. 7 III lit. c UGP-Richtlinie (§ 5a III Nr. 3 UWG) besteht dagegen eine entsprechende Verpflichtung nur „im Falle der Aufforderung zum Kauf“ und auch dann nur, wenn die betreffende In-
__________ 24 Vgl. Erwägungsgrund 15 der UGP-Richtlinie. 25 BT-Drucks 16/10145 Teil B zu § 5a Abs. 3 Nr. 4. Vgl. aber auch Seichter, WRP 2005, 1087, 1093. 26 BGH, GRUR 2010, 251 Tz. 16 – Versandkosten bei Froogle. 27 Dass die PAngV grundsätzlich auch für gewerbliche Letztverbraucher gilt (§ 9 PAngV), soll hier unberücksichtigt bleiben, da sich insoweit ein Konflikt mit der auf das Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher beschränkten UGP-Richtlinie nicht stellt.
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formation „sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt“. Nimmt man den BGH beim Wort, dass der Begriff der Aufforderung zum Kauf in Art. 7 IV UGP-Richtlinie mit dem Begriff des Angebots in § 1 I 1 PAngV übereinstimmt, enthält diese Vorschrift somit eine überschießende Regelung.28 Außerdem sind nach Art. 7 III UGP-Richtlinie generell und daher auch bei den Preisangaben die räumlichen und zeitlichen Beschränkungen des Kommunikationsmediums zu berücksichtigen, während der PAngV eine solche Beschränkung nicht ohne Weiteres zu entnehmen ist. Eine Verpflichtung zur Angabe des Endpreises lässt sich auch nicht dem Art. 7 V i. V. mit Anh. II und Art. 5 II Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr entnehmen. Denn letztere Bestimmung besagt nur, dass anzugeben ist, „ob“ Steuern und Versandkosten in den Preisen enthalten sind. (2) Verpflichtung zur Angabe der im Preis enthaltenen Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile Die Verpflichtung aus § 1 II 1 Nr. 1 PAngV zur Angabe der im Preis enthaltenen Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile gilt für alle Angebote zum Abschluss eines Fernabsatzvertrages. Damit sind alle mittels Fernkommunikationstechniken i. S. des § 312b II BGB29und nicht nur die im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossenen Verträge erfasst. Für diesen weitergehenden Anwendungsbereich des § 1 II 1 Nr. 1 PAngV fehlt es daher an einer Grundlage in Art. 7 V i. V. mit Anh. II UGP-Richtlinie und Art. 5 II Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr.30 Auch Art. 7 V i. V. mit Anh. II UGPRichtlinie und Art. 4 I lit. c Fernabsatzrichtlinie helfen hier nicht weiter. c) Zulässigkeit weitergehender Informationspflichten der Preisangabenverordnung? Mit der Feststellung, dass einige der in der PAngV enthaltenen Informationspflichten keine Entsprechung in der UGP-Richtlinie, einschließlich der in Art. 7 V UGP-Richtlinie in Bezug genommenen Bestimmungen in weiteren Vorschriften, haben, ist jedoch nicht gesagt, dass sie mit der UGP-Richtlinie unvereinbar sind. Denn Art. 3 V UGP-Richtlinie enthält einen Fortgeltungsvorbehalt für weitergehende mitgliedstaatliche Regelungen. Nach Art. 3 V 1 UGP-Richtlinie können die Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 200731 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten, die restriktiver oder strenger sind als
__________ 28 Daran ändert auch Art. 3 IV Preisangabenrichtlinie nichts. Denn er bezieht sich nur auf die Werbung, bei der der Verkaufspreis der Erzeugnisse gemäß Art. 1 genannt wird, und dies ist der Endpreis und nicht irgendein Preis. Die Vorschrift erstreckt sich also gerade nicht auf die Werbung „unter Angabe von Preisen“. 29 Vgl. dazu Art. 2 Nr. 4 i. V. mit Anh. I Fernabsatzrichtlinie. 30 Anders, aber ohne auf das Problem einzugehen, BGH, GRUR 2010, 251 Tz. 16 – Versandkosten bei Froogle und BGH, GRUR 2008, 532 Tz. 27 – Umsatzsteuerhinweis. 31 Allerdings sieht Art. 3 V 3 UGP-Richtlinie die Möglichkeit einer Verlängerung vor.
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diese Richtlinie und zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten. Diese Maßnahmen müssen allerdings nach Art. 3 V 2 UGP-Richtlinie unbedingt erforderlich sein, um sicherzustellen, dass die Verbraucher auf geeignete Weise vor unlauteren Geschäftspraktiken geschützt werden, und müssen zur Erreichung dieses Ziels verhältnismäßig sein. Für die überschießenden Preisinformationspflichten aus der PAngV lässt sich – fast möchte man sagen „Gott sei Dank“ – feststellen, dass sie durch die Mindestangleichungsklauseln des Art. 10 Preisangabenrichtlinie, des Art. 14 Fernabsatzrichtlinie und des Art. 22 V Dienstleistungsrichtlinie gedeckt sind.32 Die Anforderungen der PAngV dürften auch den Grundsätzen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entsprechen. Daher dürften die über die UGP-Richtlinie, die Preisangabenrichtlinie und die Fernabsatzrichtlinie hinausgehenden strengeren Regelungen der PAngV bis zum 12. Juni 2013 wohl mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Dementsprechend ist auch die weitere Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG möglich. Dagegen ist die gleichzeitige Anwendung des § 5a II UWG im Hinblick auf Erwägungsgrund 15 UGP-Richtlinie wohl ausgeschlossen. 3. Weitere Anwendungsfälle Als weitere Anwendungsfälle des § 4 Nr. 11 UWG in Bezug auf Preisinformationspflichten seien hier beispielhaft erwähnt: a) Art. 246 § 1 I Nr. 7, 8 EGBGB Die Regelung in Art. 246 § 1 I Nr. 7, 8 EGBGB ist mit Wirkung ab dem 11. Juni 2010 an die Stelle des bisherigen § 1 I Nr. 7, 8 BGB-InfoV getreten. Die darin geregelten Preisinformationspflichten bei Fernabsatzverträgen stellen Marktverhaltensregelungen i. S. des § 4 Nr. 11 UWG dar. In der Praxis tritt diese Rechtsgrundlage jedoch kaum in Erscheinung. Das hat seinen Grund darin, dass sie weitgehend mit § 1 II PAngV und mit § 5a II, III Nr. 3 UWG übereinstimmt. Ein Unterschied ist allerdings festzustellen: Nach Art. 246 § 1 I Nr. 8 EGBGB muss der Unternehmer auch einen „Hinweis auf mögliche weitere Steuern und Kosten, die nicht über den Unternehmer abgeführt oder von ihm in Rechnung gestellt werden“, geben. Für diese Verpflichtung findet sich zwar in Art. 4 I Fernabsatzrichtlinie keine Grundlage. Sie ist aber gedeckt durch die Mindestanpassungsklausel des Art. 14 S. 1 Fernabsatzrichtlinie, steht insoweit allerdings unter dem Fortgeltungsvorbehalt des Art. 3 V UGP-Richtlinie.
__________ 32 Dem steht Erwägungsgrund 15 der UGP-Richtlinie nicht entgegen. Denn er bezieht sich nur auf solche mitgliedstaatlichen Regelungen, die Informationsanforderungen „in Bezug auf das Vertragsrecht oder mit vertragsrechtlichen Auswirkungen aufrechterhalten oder erweitern“.
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b) § 19 I 2 Fahrlehrergesetz Nach § 19 I 2 FahrlehrerG muss der Inhaber der Fahrschulerlaubnis das pauschalierte Entgelt für die allgemeinen Aufwendungen sowie stundenbezogen für eine Fahrstunde und für die Unterweisung am Fahrzeug zu jeweils 45 Minuten angeben. Die darin geregelten Preisinformationspflichten stellen Marktverhaltensregelungen i. S. des § 4 Nr. 11 UWG dar.33 Die Vorschrift stellt eine „spezifische Regelung für „reglementierte Berufe“ dar und bleibt insoweit nach Art. 3 VIII UGP-Richtlinie von ihr unberührt. 4. Die Bedeutung der Relevanzklausel in § 3 I UWG Die Feststellung der Unlauterkeit eines Verstoßes gegen die PAngV reicht für ein Verbot nach § 3 I UWG noch nicht aus. Es muss noch die Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung der Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern hinzutreten. Dieses Tatbestandsmerkmal wird in der Rspr. entweder gar nicht – wie z. B. auch in der 0,00-GrundgebührEntscheidung34 – oder nur dann geprüft, wenn Anlass besteht, die geschäftliche Relevanz zu verneinen.35 Dagegen findet in der Entscheidung „Versandkosten bei Froogle“36 eine sorgfältige Prüfung statt. Um einen Wertungswiderspruch zu Art. 7 I und II UGP-Richtlinie zu vermeiden, ist eine Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung von Verbraucherinteressen nur dann anzunehmen, wenn der Verbraucher die ihm vorenthaltene oder unklar erteilte Information benötigt, um eine „informierte“ geschäftliche Entscheidung zu treffen, und das Verhalten des Werbenden daher geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte.
IV. Zusammenfassung und Ausblick Preisinformationspflichten ergaben sich in der Vergangenheit, von Spezialregelungen für bestimmte Wirtschaftszweige abgesehen, nur aus der Preisangabenverordnung. Nach der Umsetzung des Art. 7 IV und V UGP-Richtlinie in § 5a III Nr. 3 und IV UWG sind Preisinformationspflichten auch Gegenstand des UWG. Die Anforderungen der Preisangabenverordnung gehen allerdings darüber hinaus. Das widerspricht an sich dem Vollharmonisierungskonzept der UGP-Richtlinie. Allerdings sind die weitergehenden Preisinformationspflichten der Preisangabenverordnung durch den Fortgeltungsvorbehalt des Art. 3 V UGP-Richtlinie bis zum 12. Juni 2013 gedeckt. Sofern der europäische Gesetzgeber diese Frist nicht nach Art. 3 V 3 i. V. mit Art. 18 UGP-Richtlinie verlängert, muss der deutsche Gesetzgeber eine entsprechende Korrektur der Preisangabenverordnung vornehmen.
__________ 33 Vgl. OLG München WRP 2008, 392 [LS]; Köhler, in: Köhler/Bornkamm § 4 Rz. 11.142. 34 So z. B. in BGH, GRUR 2009, 1180 – 0,00 Grundgebühr. 35 Vgl. etwa BGH, GRUR 2008, 442 Tz. 15 – Fehlerhafte Preisauszeichnung. 36 BGH, GRUR 2010, 251 Tz. 18–20 – Versandkosten bei Froogle.
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Aus der Werkstatt eines Ombudsmanns der privaten Banken Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Bank-Kunde-Beziehung III. Verbraucher IV. Vergleichsvorschlag V. Vertragsschluss 1. Anforderungen an ein Vertragsangebot 2. Voraussetzungen des § 151 BGB VI. Nachwirkung eines gekündigten Girokontos VII. Schadensersatz 1. Negatives Interesse
2. Haftungsausfüllende Kausalität VIII. Kursberechnung bei Überweisungen ins Ausland IX. Missbrauch einer EC- oder Kreditkarte X. Storno XI. Wertpapierberatung 1. Fondsanteile 2. Zertifikate a) Lehman Brothers Global Champion Zertifikat b) Dresdner Alpha Express Zertifikat II XII. Prozessuales
I. Einleitung Dem Wettbewerbs- und Urheberrecht, dem bevorzugten Arbeitsgebiet des Freundes Michael Loschelder, seit dem Ende meiner zehnjährigen Zugehörigkeit zum 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln im Januar 1988 entfremdet und aus dem aktiven Richterdienst seit sechs Jahren ausgeschieden, soll mein Beitrag zu der dem Jubilar gewidmeten Festschrift dem vom Bundesverband deutscher Banken im Jahre 1992 ins Leben gerufenen Ombudsmann der privaten Banken gewidmet sein, dessen Amt ich ab Oktober 2004 neben inzwischen fünf weiteren Ombudsleuten ausübe. Bei dieser Institution handelt es sich um eine der unterdessen in den verschiedensten Rechtsgebieten geschaffenen Einrichtungen für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten, die einem europaweiten und über Europa hinausgehenden Trend entsprechen.1 Die Bestellung des Ombudsmanns der privaten Banken und das Verfahren, auf dessen Grundlage er seine Schlichtungstätigkeit ausübt, sind in der Verfahrensordnung für die Schlichtung von Kundenbeschwerden im deutschen
__________ 1 Vgl. etwa Empfehlung der EU-Kommission vom 30.3.1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für außergerichtliche Streitbeilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind – sog. Alternative Dispute Resolution (ADR) –, ABl. EG 1998 L 115, S. 31. Zu Australien Reich, WM 1992, 809; Buck/Sonnberg, ZBB 1993, 15. Auch in Russland und China gibt es Bestrebungen zur Einführung eines Bankenombudsmanns.
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Bankgewerbe2 geregelt. Mit dem Schlichtungsverfahren sollen „Meinungsverschiedenheiten zwischen Banken und ihren privaten Kunden schnell, unbürokratisch und – gegenüber gerichtlichen Auseinandersetzungen – wesentlich kostengünstiger bereinigt werden“.3 Dieses Verfahren ist der breiten Öffentlichkeit ungeachtet aller Aufklärungsbemühungen noch immer nicht hinreichend bekannt, obwohl es auf effektive Weise dem Ausgleich zwischen Banken und ihren Kunden dient. Nach Ausführungen zu den prozessualen Grundlagen des Schlichtungsverfahrens4 und zu dem Umgang des Ombudsmanns mit einem besonderen Problemkreis des Verbraucherschutzes im Bankwesen, der Empfehlung der Spitzenverbände der deutschen Kreditwirtschaft zum Girokonto für jedermann (sog. ZKA-Empfehlung),5 sollen im Folgenden ausgewählte Entscheidungen des Ombudsmanns der privaten Banken aus einigen Bereichen des Bankrechts vorgestellt werden, um auf diese Weise zu einer Verbreitung der Kenntnis von der Schlichtungstätigkeit des Ombudsmanns beizutragen. Diese berührt cum grano salis die gesamte Palette des Bankrechts. Die Rechtsfragen reichen darüber hinaus vom Allgemeinen Teil des BGB bis zu Grundfragen des Zivilprozessrechts und können gelegentlich auch zu Rechtsfortbildung führen. Da der Jubilar allen Bereichen der Gesellschaft und des Rechts aufgeschlossen gegenübersteht, ist zu hoffen, dass auch das Tätigkeitsfeld eines Bankenombudsmanns sein Interesse findet.
II. Bank-Kunde-Beziehung Es kommt immer wieder vor, dass das Erfordernis einer Bank-Kunde-Beziehung als eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Schlichtungsverfahrens von dem Beschwerdeführer übersehen wird. Das verdeutlicht der folgende Beispielsfall. Herr A kaufte und verkaufte über ein Kreditinstitut X KO-Zertifikate der Beschwerdegegnerin (fortan: Bank). Er wirft der Bank vor, als Emittentin am 4.12.2007 von 12:36 Uhr bis 15:30 Uhr den Handel ausgesetzt und ihm dadurch einen Schaden in Höhe von 450 Euro bis 700 Euro zugefügt zu haben. Diesen Schaden macht Herr A gegen die Bank geltend. Wie sich aus dem Vorspann vor Nr. 1 der „Verfahrensordnung für die Schlichtung von Kundenbeschwerden im deutschen Bankgewerbe“ und aus dieser Bezeichnung ergibt, setzt das Schlichtungsverfahren eine Bank-Kunde-Beziehung voraus. Kunde im Sinn der Verfahrensordnung ist regelmäßig nur, wer auf vertraglicher Grundlage Dienstleistungen einer Bank gegen Entgelt in Anspruch nimmt; zumindest müssen aber vertragliche
__________ 2 Neufassung November 2009, vgl. Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 10.11.2009, 3862. Die Fassung von 2003 ist u. a. abgedruckt bei Steuer, in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 3 Rz. 28. 3 Hellner, Die Bank 1991, 666. Vgl. Kreft, Paralipomena zum Ombudsmann der privaten Banken, in FS A. Krämer, 2009, S. 287, 288. 4 Vgl. Kreft (Fn. 3), S. 287 ff. 5 Vgl. Kreft, Gedanken zum Girokonto für jedermann, in FS Graf von Westphalen, 2010, S. 415 ff.
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Aus der Werkstatt eines Ombudsmanns der privaten Banken Beziehungen zwischen dem Beschwerdeführer und der in Anspruch genommenen Bank bestehen.6 Eine solche Bank-Kunde-Beziehung bestand hier nur zwischen Herrn A und X, nicht aber zwischen ihm und der Bank. Deshalb ist auf die Vorlage der Kundenbeschwerdestelle gemäß Nr. 4 Abs. 1 Satz 3 der Verfahrensordnung zu entscheiden und die Beschwerde als unzulässig abzuweisen.
III. Verbraucher Die Zulässigkeit des Schlichtungsverfahrens setzt ferner voraus, dass der Beschwerdeführer als Verbraucher anzusehen ist. Auch dies wird nicht immer bedacht, wie der nächste Beispielsfall zeigt. Die Beschwerdeführerin – eine OHG – beteiligte sich durch Vermittlung der Bank im Dezember 2003 mit einer Summe von 150.000 Euro zuzüglich 5 % Agio an der Film & Entertainment VIP Medienfonds 3 GmbH & Co. KG und später auch an der Film & Entertainment VIP Medienfonds 4 GmbH & Co. KG. Sie wirft der Bank vor, sie im Zusammenhang mit den Beitritten unrichtig beraten und ihr dadurch Schaden zugefügt zu haben. Diesen macht sie gegen die Bank geltend. Hilfsweise verlangt sie Rechnungslegung über ihr zugeflossene Rückvergütungen und deren Auskehr. Die Beschwerde ist nicht zulässig. Gemäß Nr. 2 Abs. 1 Buchst. a der Verfahrensordnung kann der Ombudsmann bei Beschwerden angerufen werden, wenn es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Verbraucher handelt. Das Schlichtungsverfahren findet hingegen keine Anwendung, wenn der streitige Geschäftsvorfall der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers zuzurechnen ist. Das trifft hier zu. Als OHG ist die Beschwerdeführerin nicht Verbraucher (§ 13 BGB), sondern Unternehmer (§ 14 BGB) und hat die Beteiligungen für ihren Gewerbebetrieb erworben. Deshalb ist ein Ombudsmannverfahren nicht statthaft. Auf die Vorlage der Kundenbeschwerdestelle ist mithin nach Nr. 4 Abs. 1 Satz 3 der Verfahrensordnung zu entscheiden.
IV. Vergleichsvorschlag Ist das Schlichtungsverfahren zulässig, entscheidet der Ombudsmann im Allgemeinen durch Schlichtungsspruch. Das ist anders, wenn nach seiner Meinung eine Beweisaufnahme erforderlich ist, die sich nicht in einem Urkundenbeweis erschöpft. In einem solchen Fall hat der Ombudsmann grundsätzlich von einer Schlichtung abzusehen, weil er anderen als Urkundenbeweis – also insbesondere Beweis durch Zeugen- und Parteivernehmung oder durch Einholung eines Sachverständigengutachtens – nicht erheben darf. Hier kann er jedoch in geeigneten Fällen einen Vergleichsvorschlag machen, um eine einvernehmliche Streitbeilegung zu erreichen. Derartige Vorschläge werden von den Parteien nicht selten angenommen. Das traf etwa in dem folgenden Fall zu. Die Eheleute A nahmen im Jahre 2001 bei der Bank einen Ratenkredit von 168.500 DM nebst Restschuldversicherungsprämien von (12.708 + 6.102 =) 18.810 DM, einer Vertragsgebühr von 2 % = 3.746,20 DM und einer Vorlaufgebühr von 0,25 % = 468,30 DM
__________
6 Vgl. Zawal-Pfeil, in: Hellner/Steuer (Hrsg.), Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 2/1107 und 2/1109.
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Gerhart Kreft auf. Die „Kreditgebühr“ von 0,50 % p.m. (bei einem effektiven Jahreszins von 11,88 %) belief sich auf 67.431,60 DM, der Gesamtbetrag auf 258.956,10 DM. Dieser war mit einer am 1.9.2001 fälligen Rate von 3.569,10 DM und weiteren 71 Monatsraten von 3.597 DM ab dem 1.10.2001 zurückzuführen. Im Dezember 2004 bei einem noch offenen Teil von 58.837,48 Euro des Gesamtbetrags begehrten die Beschwerdeführer von der Bank einen weiteren Kredit (sog. Parallelkredit) von 10.000 bis 14.000 Euro. Nach ihrer Darstellung teilte ihnen der Leiter der zuständigen Filiale mit, einen solchen Kredit genehmige der Vorstand nicht. Er machte ihnen das Angebot eines neuen Kreditvertrages über 67.955,94 Euro, mit dem der alte Kredit von netto 53.955,94 Euro zurückgezahlt und der Neukredit von 14.000 Euro in Höhe von 2.000 Euro auf ein Girokonto von Frau A, in Höhe von 12.000 Euro auf ein Girokonto von Herrn A überwiesen werden sollte. Dem stimmten die Eheleute zu. Für den neuen Kredit hatten sie Restschuldversicherungsprämien von (10.093 + 4.573 =) 14.666 Euro, eine Vertragsgebühr von 3 % = 2.478,66 Euro sowie eine „Kreditgebühr“ von 11,938 % p. a. (bei einem effektiven Jahreszins von 13,80 %) = 35.192,60 Euro zu zahlen; der Gesamtbetrag belief sich auf 120.293,20 Euro. Er war ab 1.2.2005 mit 71 Monatsraten von 1.671 Euro und einer letzten Rate von 1.652,20 Euro am 1.1.2011 zurückzuzahlen. Die Eheleute A führten diesen Kredit im August 2007 vollständig zurück. Sie werfen der Bank vor, ihnen zu Unrecht einen Zusatzkredit verweigert und sie veranlasst zu haben, einen neuen Kreditvertrag unter Einschluss des bisherigen Kredits zu schließen. Dadurch seien ihnen zusätzliche Kosten in Höhe von ca. 40.000 Euro entstanden. Sie verlangen von der Bank Ersatz dieses Schadens. Die Bank tritt dem entgegen und behauptet, den Beschwerdeführern sei entgegen ihrer Darstellung ein Parallelkredit über 10.000 bis 14.000 Euro angeboten worden. Die Eheleute hätten sich aber für einen Gesamtkredit entschieden, weil sie statt monatlichen Kreditraten von 1.839,12 Euro für den alten und ca. 300 Euro für den neuen Kredit nur Monatsraten von 1.671 Euro hätten aufzubringen brauchen. Im Übrigen hätten sie mit der vorbehaltlosen Rückzahlung des Kredits die Forderung der Bank anerkannt. Es spricht viel für die Richtigkeit der Darstellung der Beschwerdeführer, ihnen sei von Seiten der Bank erklärt worden, ein neuer Parallelkredit habe bei ihrem Vorstand keine Chance. Anders lässt sich kaum erklären, dass sich die Eheleute A auf den ersichtlich viel teureren Gesamtkredit einließen, obwohl ihre finanziellen Verhältnisse unstreitig die Zahlung monatlicher Raten von ca. 2.140 Euro gestattet hätten. In dem Verhalten der Bank läge dann eine schuldhafte Pflichtverletzung, die sie zum Schadensersatz verpflichtete. Die vorbehaltlose Rückzahlung des Kredits im August 2007 stünde dem nicht entgegen. Aus ihr geht nicht hinreichend hervor, dass die Eheleute damit auf Schadensersatzansprüche verzichten wollten. Gleichwohl kann ich wegen des der Darstellung der Beschwerdeführer widersprechenden Vorbringens der Bank, diesen sei ein Parallelkredit angeboten worden, nicht ohne Beweisaufnahme durch Zeugen- und ggf. Parteivernehmung zu Gunsten der Eheleute A entscheiden. Eine derartige Beweisaufnahme ist im Ombudsmannverfahren jedoch nicht zulässig; vielmehr ist in einem solchen Fall von einer Schlichtung abzusehen (Nr. 4 Abs. 4 Satz 2, 3 der Verfahrensordnung). Ich könnte die Eheleute daher nur an die Gerichte verweisen. Um ein mit Mühen und Kosten verbundenes Gerichtsverfahren mit kaum vorhersehbarem Ausgang zu vermeiden, sollten die Parteien sich gütlich einigen. Da der Prozessausgang offen ist, sollten sie den Schaden unter sich hälftig teilen. Die Schadenshöhe ist nicht ohne weiteres auf ca. 40.000 Euro zu bemessen. Die Beschwerdeführer haben es unterlassen, diese Summe ordnungsgemäß aufzugliedern. Insbesondere haben sie nicht dargelegt, auf welchen Betrag sich die bei einem Kredit von 14.000 Euro anfallenden Restschuldversicherungsprämien belaufen hätten, welchen Betrag sie für die vorzeitige Rückzahlung des Gesamtkredits aufwenden mussten und welche Prämien und Zinsen
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Aus der Werkstatt eines Ombudsmanns der privaten Banken sie ersparten. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte schätzt der Ombudsmann die Mehrkosten für den Gesamtkredit auf ca. 20.000 Euro. Davon sollte jede Partei die Hälfte tragen.
V. Vertragsschluss Gelegentlich besteht Streit, ob es zu einem Vertragsschluss zwischen den Parteien des Schlichtungsverfahrens gekommen ist. Dazu zwei Bespiele. 1. Anforderungen an ein Vertragsangebot Die Bank übermittelte dem Beschwerdeführer A im August 2006 ein Schreiben, in dem es heißt, Herr A habe als besonders zuverlässiger Kunde ab sofort Anspruch auf einen persönlichen Kredit bis zu 30.000 Euro für nur 6,9 % Zinsen, wobei er zwischen 2.000 Euro und 30.000 Euro wählen könne und ihm für die Rückzahlung bis zu fünf Jahre zur Verfügung stünden. Gegen Ende des Schreibens ist ausgeführt: Dieses Angebot richtet sich ausschließlich an ausgewählte Kunden und ist zeitlich streng limitiert. Füllen Sie das Antragsformular am besten noch heute aus und senden Sie es zusammen mit einem aktuellen Einkommensnachweis in dem beiliegenden Kuvert an uns zurück. Hierin lag nicht nur eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, sondern ein bindender Antrag im Sinn von § 145 BGB, d. h. ein Vertragsangebot. Dieses hat Herr A mit Schreiben vom 4.9.2006, in dem er sich für einen Kredit in Höhe von 12.000 Euro mit einer Laufzeit von vier Jahren entschied, angenommen. Dass die Bank in ihrem Schreiben das von Herrn A bei einem Kreditwunsch an sie zu übermittelnde Schreiben als „Antragsformular“ und sein Begehren als „Antrag“ bezeichnete, steht der Wertung ihres Schreibens als Angebot nicht entgegen. Allein aus diesem Wortlaut war nicht hinreichend zu erkennen, dass es sich bei dem Schreiben der Bank nicht um ein Angebot handelte, das durch den Antrag des Beschwerdeführers angenommen werden konnte. Der Antrag (das Angebot) der Bank war vom Empfängerhorizont aus betrachtet verständlich. Die Bank überließ die Festlegung der Höhe des Kredits und der Laufzeit (Zahl der Monatsraten) dem Empfänger. Dies genügte, um die notwendige Bestimmtheit zu bejahen. Auch der Wille der Bank zur rechtlichen Bindung kam in dem Schreiben in ausreichender Weise zum Ausdruck. Der einzige erkennbare Vorbehalt war die Übermittlung eines Einkommensnachweises. Dies ist nach Lage der Dinge entweder als aufschiebende oder auflösende Bedingung oder dahin zu verstehen, dass die Bank von dem mit Zugang des Antwortschreibens des Beschwerdeführers geschlossenen Vertrag abgehen konnte, wenn ihr das Einkommen von Herrn A nicht ausreichte.7 Das Einkommen von Herrn A hat die Bank nicht beanstandet. Weitere Prüfungsmöglichkeiten hat sie sich in ihrem Schreiben nicht vorbehalten. Das gilt insbesondere für eine sie zufriedenstellende SCHUFA-Auskunft. Zumal da die Bank den Beschwerdeführer in dem Angebotsschreiben als „besonders zuverlässigen“ und „ausgewählten“ Kunden bezeichnete, durfte dieser nach dem objektiven Erklärungswert des Schreibens davon ausgehen, dass alle Voraussetzungen für eine Kreditgewährung mit Ausnahme des Einkommens von der Bank geprüft waren. Deshalb stellte der Ombudsmann fest, dass zwischen den Parteien mit dem Zugang des Schreibens des Beschwerdeführers vom 4.9.2006 bei der Bank ein Vertrag mit dem Inhalt dieses Schreibens zustande gekommen ist. Der Schlichtungsspruch,
__________
7 Vgl. BGHZ 1, 353, 354; Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 145 Rz. 2.
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Gerhart Kreft der auch für die Bank nicht bindend war, weil der Beschwerdegegenstand 5.000 Euro überschritt (Nr. 4 Abs. 5 Buchst. a und b der Verfahrensordnung), wurde von beiden Parteien angenommen.
2. Voraussetzungen des § 151 BGB Der Beschwerdeführer hatte bei der Bank einen bis zum 1.4.2009 mit einem Jahreszinssatz von 4,95 % festgeschriebenen Kredit aufgenommen. Bereits mit Schreiben vom 10.9.2008 teilte die Bank dem Kunden mit, die Zinsfestschreibung laufe in den nächsten Wochen aus, bot ihm bei einer erneuten Zinsfestschreibung für zehn Jahre (31.3.2019) einen Jahreszinssatz von 5,75 % an und führte aus, an den Antrag halte sie sich bis zum 24.9.2008 gebunden. Der Beschwerdeführer unterzeichnete die Annahme des Antrags am 29.9.2008 und übersandte die Annahmeerklärung der Bank. Danach hörte er von der Bank lange Zeit nichts mehr. Im Januar 2009 teilte er der Bank mit, er fühle sich durch ihr Schreiben vom 10.9.2008 „gewaltig über den Tisch gezogen“. Trotz ständig fallender Zinsen solle er ab 1.4.2009 für zehn Jahre 5,75 % statt 4,95 % Jahreszinsen zahlen. Damit sei er nicht einverstanden. Die Bank reagierte erstmals mit Schreiben vom 1.4.2009 und berief sich unter Hinweis auf § 151 BGB darauf, dass aufgrund der Übermittlung der Annahmeerklärung vom 29.9.2008 ein verbindlicher Vertrag zustande gekommen sei, auch wenn der Beschwerdeführer ihren Antrag erst verspätet angenommen habe. Der Kunde habe nicht erwarten können, dass er von der Bank „bezüglich der Annahme nochmals Nachricht erhält“. Zwischen den Parteien ist ein Vertrag über eine neue Zinsfestschreibung nicht zustande gekommen. Die Annahme des Angebots der Bank auf eine erneute Zinsfestschreibung konnte gemäß § 148 BGB nur innerhalb der bis zum 24.9.2008 gesetzten Frist erfolgen. Die verspätete Annahme galt gemäß § 150 Abs. 1 BGB als neuer Antrag. Dieser konnte von der Bank allenfalls nach § 151 BGB angenommen worden sein. Voraussetzung für eine Annahme des Antrags ohne Erklärung gegenüber dem Antragenden ist zunächst eine nach außen hervortretende eindeutige Bestätigung des Annahmewillens, wobei betriebsinterne Handlungen ausreichen können. Schon dafür fehlte es an jedem Vorbringen der Bank. Darüber hinaus gab es für einen – auch stillschweigend möglichen – Verzicht des Kunden auf einen Zugang der Annahme keinen Anhaltspunkt. Schließlich war auch nicht davon auszugehen, dass nach der Verkehrssitte eine Annahmeerklärung nicht zu erwarten war. Zwar mag die Verkehrssitte bestehen, dass bei Geschäften, die dem Antragsteller lediglich Vorteile bringen, eine Annahmeerklärung nicht zu erwarten ist. Für ein Zinsangebot kann dies jedoch nicht ohne weiteres gelten. Da der Zinssatz von ständig wechselnden Marktgegebenheiten abhängt, ist hier regelmäßig der Zugang einer Annahmeerklärung zu erwarten. Dafür, dass dies hier anders zu beurteilen gewesen sein könnte, hatte die Bank wiederum nichts dargetan. Wenn man ihr Schreiben vom 1.4.2009 als Annahmeerklärung werten wollte, kam dies jedenfalls deshalb zu spät, weil der Kunde mit seinem Schreiben vom Januar 2009 zum Ausdruck gebracht hatte, dass er an seinem Antrag vom 29.9.2008 nicht festhalten wollte. Daher fehlte es ab 1.4.2009 an einer Festzinsvereinbarung.
VI. Nachwirkung eines gekündigten Girokontos Gelegentlich wird nach dem Erlöschen eines Girovertrages auf das Konto von dritter Seite noch ein Betrag überwiesen und von der Bank mit dem negativen Kundensaldo verrechnet. Das ist nach der Ansicht des Ombudsmanns nicht 166
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ohne weiteres zulässig, wie dem folgenden Schlichtungsspruch zu entnehmen ist. Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Überweisungsbetrag der Bank endgültig zur Gutschrift auf dem Konto zur Verfügung gestellt wurde (§ 676a Abs. 4 Satz 1, § 676d Abs. 2 Satz 1 BGB alter Fassung) – hier am 12.11.2008 –, war der Girovertrag zwischen den Parteien bereits durch die mit Schreiben der Bank vom 26.9.2008 ausgesprochene fristlose Kündigung erloschen, und das Konto von Frau A hatte seine Eigenschaft als Zahlungsverkehrskonto verloren. Zwar ist die Bank nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infolge der Nachwirkung des Girovertrages auch nach dessen Erlöschen noch befugt, im Interesse ihres früheren Kunden eingehende Zahlungen weiterhin für ihn entgegenzunehmen, um sie auf dem bisherigen Konto entsprechend § 676f Satz 1 BGB zu verbuchen bzw. nach § 667 BGB herauszugeben.8 Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass die Bank nach einer Beendigung der Vertragsbeziehung ohne Zustimmung der früheren Kontoinhaberin, an der es hier fehlt, noch zur Verrechnung des dem Konto gutgeschriebenen Betrages mit einem auf diesem ausgewiesenen Sollsaldo berechtigt ist. Die aus der Nachwirkung des beendeten Girovertrages abgeleitete Befugnis der Bank zur Entgegennahme noch eingehender Zahlungen dient allein den Interessen des früheren Kunden.9 Diese würden nicht gewahrt, wenn die Bank sich durch Verrechnung eines gutgeschriebenen Betrages mit eigenen Forderungen befriedigen dürfte. Insoweit ist den Ausführungen von Schimansky zu folgen.10 Deshalb ist die Bank gehalten den von ihr angenommenen Überweisungsbetrag an Frau A auszukehren.
VII. Schadensersatz Häufig verlangt der Beschwerdeführer von der Bank Schadensersatz. Dabei fällt die zutreffende Schadensberechnung nicht immer leicht. Mitunter fehlt auch hinreichender Vortrag zur Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden. 1. Negatives Interesse Die Eheleute A erwarben im Jahre 2005 über die Bank in zwei Tranchen 1.300 und 2.670 Anteile des Fonds DB Platinum IV Dynamic Bonds Stabilität (WKN AODND9). Der Wert der Anteile ist in der Vermögensaufstellung der Bank vom 28.4.2006 mit 128.089 Euro und 263.075,10 Euro angegeben. Die Eheleute werfen der Bank vor, sie bei der Empfehlung der Papiere nicht über das Risiko unterrichtet zu haben, dass Ertragsausschüttungen unterblieben, wenn der Kurs eine bestimmte Höhe unterschreite. Dieses Risiko habe sich für das Jahr 2006 verwirklicht. Die Eheleute tragen vor, sie hätten die Anteile nicht erworben, wenn sie zutreffend aufgeklärt worden wären. Sie verlangen von der Bank Schadensersatz in Höhe des Ausschüttungsausfalls, den sie auf 15.880 Euro bemessen. Die Bank stellt eine Fehlberatung und einen Schaden der Eheleute in Abrede. Die Beschwerde ist nicht begründet. Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass den Eheleuten A von Seiten der Bank eine jährliche Ausschüttung zugesichert oder garantiert wurde. In ihrem Schreiben vom 21.5.2007 legen sie lediglich dar, die
__________ 8 Vgl. BGH, Urt. v. 5.12.2006 – XI ZR 21/06, BGHZ 170, 121, 125 Tz. 12 = WM 2007, 348. 9 Vgl. BGH, a. a. O. 10 In: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl., § 47 Rz. 36, 36a.
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Gerhart Kreft Kundenberaterin habe auf Mehrfertigungen der Vermögensaufstellung der Bank vom 28.4.2006 Erträge von (ca.) 5.200 Euro und (ca.) 10.680 Euro (insgesamt ca. 15.880 Euro) vermerkt, was sich im Nachhinein leider als falsch und fahrlässig herausgestellt habe. Dies reicht zur Annahme einer Zusicherung oder Garantie nicht aus. Die Beschwerdeführer können deshalb, sofern die Bank ein Beratungsverschulden trifft, lediglich verlangen, so gestellt zu werden, wie sie stünden, wenn sie von einem Erwerb der Anteile abgesehen hätten (§ 249 Abs. 1 BGB). Für dieses sog. negative Interesse tragen die Eheleute jedoch nicht genügend vor. Sie hätten darlegen müssen, welche Erträge sie für den Kaufpreis der Anteile erzielt hätten, wenn deren Erwerb unterblieben wäre. Daran fehlt es. Die Bank hat ausgeführt, die Eheleute hätten im Jahre 2005 Ausschüttungen in Höhe von 2.862 Euro erhalten. Beim Verkauf der Anteile hätten sie einen Preis erzielt, der um 10.760,29 Euro höher gewesen sei als der von ihnen für den Erwerb der Anteile aufgewendete Kaufpreis von 410.139,11 Euro. Mangels irgendwelchen Vortrags der Eheleute zu dieser Frage und wegen des Fehlens sonstiger konkreter Anhaltspunkte lässt sich nicht feststellen, dass sie bei einer anderen Anlage des Kaufpreises bis zum Verkauf der Anteile höhere Erträge als 13.622,29 Euro erzielt hätten.
2. Haftungsausfüllende Kausalität Unter dem Datum des 23.4.2008 beauftragte Herr A die X-Bank, die Beschwerdegegnerin (fortan kurz: Bank) anzuweisen, alle Wertpapier- und Geldpositionen des Beschwerdeführers – u. a. auf sog. Währungsanlagekonten gutgeschriebene 11.940,47 Türkische Lira (TRY) und 1.908.853,61 Ungarische Forint (HUF) – auf die Konten des Beschwerdeführers bei der X-Bank zu übertragen. Da dieses Kreditinstitut seinen Kunden keine Fremdwährungskonten offerierte und nach den „Bedingungen (der Bank) für das Währungsanlagekonto“ Überträge von einem Währungsanlagekonto auf ein anderes Währungsanlagekonto in anderer Währung ausgeschlossen sind, rechnete die Bank die Fremdwährungsguthaben in Euro um und überwies die umgerechneten Beträge unter Abzug eines Entgeltes von jeweils 1 % (entsprechend ihrem Preis- und Leistungsverzeichnis) – d. h. von 60,37 Euro für das TRY-Konto und 74,86 Euro für das HUF-Konto – auf ein Konto von Herrn A bei der X-Bank. Dagegen wendet sich Herr A mit seiner Beschwerde, weil er einen entsprechenden Auftrag nicht erteilt habe. Er meint, die Bank hätte ihn vor einer Konvertierung der Währungen darüber unterrichten müssen, dass eine solche Konvertierung zwingend notwendig sei, und hätte ihm Gelegenheit geben müssen, sich zwischen einer Beibehaltung der Fremdwährungsanlagen bei der Bank und einer Übertragung an die X-Bank nach einer Konvertierung zu entscheiden. Herr A beantragt „neben dem eventuellen Schaden durch Währungsverluste die Erstattung der entsprechenden Konvertierungsentgelte.“ Die Beschwerde ist nicht begründet. Dabei kann unterstellt werden, dass die Bank ihre Herrn A gegenüber bestehenden vertraglichen Pflichten verletzte, als sie die Konvertierung der beiden Fremdwährungsguthaben ohne vorherige Rücksprache mit dem Kunden vornahm. Schadensersatz könnte dieser indes nur verlangen, wenn er bei einer Unterrichtung über die Notwendigkeit einer Konvertierung von dieser abgesehen und seine Fremdwährungsguthaben in TRY und HUF bei der Bank belassen hätte. Hätte er sich hingegen dafür entschieden, die Fremdwährungsguthaben in Euro zu konvertieren und die umgerechneten Beträge an die X-Bank zu transferieren, stünde er nicht anders als jetzt. Da Herr A nicht darlegt, wie er sich bei einer Aufklärung durch die Bank entschieden hätte, lässt sich nicht feststellen, dass ihm durch das eigenmächtige Verhalten der Bank ein Schaden entstanden ist.
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VIII. Kursberechnung bei Überweisungen ins Ausland Die bei Auslandsüberweisungen angesetzten Umrechnungskurse der Banken sind nicht immer durchsichtig und nachvollziehbar, wie das folgende Beispiel deutlich macht. Der Beschwerdeführer A erteilte der Bank am 9.2.2007 den Auftrag, 4.000 Euro auf ein für ihn in Thailand geführtes Konto zu überweisen. Die Bank leitete den Zahlungsauftrag mit dem Kurs von 1 Euro = 43,1032 Thailändische Bath (THB) weiter. Am 14.2.2007 wurde dem Konto des Beschwerdeführers in Thailand ein Betrag von 172.412,80 THB gutgeschrieben. Herr A meint, es hätte ein Umrechnungskurs von 1 Euro = 46,50 THB zugrunde gelegt werden müssen. Dann hätte er ca. 14.000 THB mehr erhalten. Das entspreche einem Betrag von über 300 Euro. Sinngemäß verlangt Herr A von der Bank Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen. Die Bank hält den verwendeten Umrechnungskurs für richtig. Sie beruft sich insoweit auf ihr Preis- und Leistungsverzeichnis, in dem es heißt: „Bei Kundengeschäften in anderen Währungen rechnet die Bank zu einem eigenen Hauskurs, der auf Basis der in Reuters veröffentlichten Kurse und der Kurse der Korrespondenzpartner der Bank ermittelt wird, zu dem um 13:00 Uhr eines jeden Handelstages (Abrechnungstermin) ermittelten Geld- bzw. Briefkurse ab.“ Die Bank trägt vor, am 9.2.2007 habe der in Reuters veröffentlichte Kurs für THB 44,2269, der Kurs der Korrespondenzbank 45,585 betragen. Im vorliegenden Fall habe die Bank aber einen schlechteren Kurs bezahlen müssen. Daher hätten hier – abweichend vom Regelfall – diese Kurse nicht als Bezugsgrößen verwendet werden können. Der von der Bank ermittelte Kurs bewege sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Die Umrechnungsklausel der Bank ist wegen des Fehlens eines offiziellen Umrechnungskurses grundsätzlich wirksam. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass die Klausel gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstößt. Allerdings ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Bank den eigenen Hauskurs auf der Basis der Kurse von Reuters und der jeweiligen Korrespondenzbank „nach billigem Ermessen“ getroffen hat (§ 315 Abs. 1, 3 BGB). Dies ist hier schon deshalb nicht anzunehmen, weil die Bank sich – wie sie selbst ausführt – nicht an die in der Umrechnungsklausel erwähnten Bezugsgrößen gehalten hat. Sie hat auch nicht mitgeteilt, zu welchem konkreten Ankaufskurs (Offshore-Kurs) sie die THB angeschafft hat. Bei dieser Sachlage erscheint es billig, der Umrechnung den Mittelkurs zwischen Reuters und der Korrespondenzbank zugrunde zu legen, d. h. einen Kurs von 1 Euro = 44,90595 THB. Dann hätten dem Beschwerdeführer 179.623,80 THB gutgeschrieben werden müssen. Die Differenz von 7211 THB oder 160,58 Euro nebst Verzugszinsen ab 1.3.2007 (vgl. § 280 Abs. 2, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 288 Abs. 1 BGB) hat die Bank Herrn A zu erstatten. Dieser hat keinen Anspruch darauf, dass die Bank den von ihm für richtig gehaltenen Umrechnungskurs von 46,5 THB zugrunde legt. Einen „gültigen“ Devisenkurs gibt es nicht, wie schon die unterschiedlichen Kurse von Reuters und der Korrespondenzbank deutlich machen. Vielmehr durfte die Bank nach Maßgabe ihres zum Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages gewordenen Preis- und Leistungsverzeichnisses umrechnen. Danach ergibt sich – wie dargelegt – ein niedrigerer Kurs. Zu welchen Kursen andere Kreditinstitute abgerechnet haben, ist demgegenüber nicht erheblich.
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IX. Missbrauch einer EC- oder Kreditkarte Immer wieder verlangen Bankkunden mit dem Vorbringen, ihr Konto sei nach einem Diebstahl der von der Bank ausgestellten EC- oder Kreditkarte und deren missbräuchlicher Verwendung an einem Geldautomaten zu Unrecht in Höhe der missbräuchlich abgehobenen Beträge belastet worden, von der Bank Erstattung dieser Beträge. Damit haben sie kaum jemals Erfolg. Der folgende Fall ist dafür typisch. Während eines Urlaubs der Eheleute A (Beschwerdeführer) in Italien wurde am 14.4.2009 aus ihrem Fahrzeug die Handtasche von Frau A gestohlen, in der sich auch deren von der Bank ausgestellte VISA-Card (Zusatzkarte) befand. Vor ihrer Sperrung wurden am Tage des Diebstahls mit der Karte unter Verwendung der zutreffenden PIN vier Abhebungen an Geldautomaten in Höhe von jeweils 250 Euro vorgenommen. Mit diesen Beträgen wurde das Konto der Beschwerdeführer von der Bank belastet. Mit der Behauptung, die PIN habe sich nicht in der gestohlenen Handtasche befunden, sondern es sei eine ordnungsgemäße getrennte Verwahrung von Karte und PIN erfolgt, verlangen die Beschwerdeführer von der Bank Erstattung der abgehobenen 1.000 Euro. Die Bank tritt dem Begehren unter Berufung auf die einschlägige Rechtsprechung entgegen und trägt vor, die Geheimzahl sei mit dem Triple-DES-Algorithmus verschlüsselt, der einen besonders hohen Sicherheitsstandard darstelle und keine Sicherheitsmängel aufweise. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung spricht dann, wenn zeitnah nach dem Diebstahl einer EC-Karte unter deren Verwendung und Eingabe der richtigen persönlichen Geheimzahl an Geldautomaten Bargeld abgehoben wird, grundsätzlich der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Karteninhaber die PIN auf der EC-Karte notiert oder gemeinsam mit dieser verwahrt hat, wenn andere Ursachen für den Missbrauch nach der Lebenserfahrung außer Betracht bleiben.11 Das Gleiche gilt für eine Kreditkarte.12 Diesen Anscheinsbeweis haben die Beschwerdeführer nicht erschüttert. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie grob fahrlässig gegen ihre Pflichten aus dem Karten-Vertrag verstoßen haben, so dass die Bank zu einer Erstattung der abgehobenen Beträge nicht verpflichtet ist. Darauf, ob ein grob fahrlässiges Verhalten der Beschwerdeführer auch darin liegt, dass sie die Karte in ihrem Auto ließen, kommt es nicht entscheidend an. Soweit die Eheleute die erwähnte höchstrichterliche Rechtsprechung unter Berufung auf die heutige Entwicklungsgeschwindigkeit für nicht mehr aktuell halten, ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob die Geheimzahl mit den im April 2009 möglichen technischen Mitteln entschlüsselt werden konnte, nicht ohne eine im Ombudsmannverfahren gemäß Nr. 4 Abs. 4 Satz 2 der Verfahrensordnung nicht zulässige Beweisaufnahme durch Einholung des Gutachtens eines auf diesem Gebiet spezialisierten Sachverständigen entschieden werden kann.
__________ 11 Vgl. BGH, Urt. v. 5.10.2004 – XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308 = WM 2004, 2309; Urt. v. 14.11.2006 – XI ZR 294/05, WM 2007, 67, 71 Rz. 31; OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.1.2008 – 23 U 38/05, WM 2008, 534 f.; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 6.5.2008 – 17 U 170/07, WM 2008, 1549 f. 12 Vgl. OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 17.6.2009 – 23 U 22/06, WM 2009, 1602, 1604.
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X. Storno Ein Fall aus dem in Nr. 8 AGB-Banken geregelten Stornorecht bewog den Ombudsmann zu einer über den Wortlaut hinausgehenden Auslegung einer dieser Klausel entsprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingung. Bei Endfälligkeit (am 6.10.2008) der im Depot des Beschwerdeführers A bei der Bank geführten, in isländischen Kronen (ISK) begebenen und mit 7 % p. a. verzinslichen Anleihe der Europäischen Investmentbank (EIB) – WKN AOGFY6 – wurden der Nominalbetrag von 400.000 ISK und der Zinskupon von der Emittentin in ISK auf das entsprechende Valutakonto des Verwahrers, der Clearstream International S. A. in Luxemburg, ausgezahlt. Da Herr A bei der Bank nicht über ein Fremdwährungskonto für ISK verfügte, konnte die Zahlung nur nach Umrechnung in Euro seinem Girokonto gutgeschrieben werden. Nach Eintritt der Endfälligkeit veranlasste der von der Bank mit der Wertpapierabwicklung betraute Dienstleister – im Vorgriff auf die von Clearstream vorzunehmende Konvertierung – am 6.10.2008 bei Zugrundelegung des für diesen Tag ausgewiesenen Kurses von 1 Euro = 199,90 ISK, die Herrn A danach zustehenden Beträge von 2.001 Euro nominal und 95,74 Euro Zinsen dem Girokonto gutzuschreiben. Da Clearstream eine Konvertierung unmöglich wurde, weil es bereits am Tage vor der Gutschrift – nämlich am 7.10.2008 – wegen der Folgen der Finanzmarktkrise zu einer vorläufigen Aussetzung des Handels in ISK kam, stornierte die Bank am 30.10.2008 die Gutschriften. Das führte zu einer Belastung von Herrn A mit Überziehungszinsen, weil er bereits kurz nach den Gutschriften über die Eingänge verfügt hatte, so dass auch sein Dispositionskredit von 1.000 Euro überschritten wurde. Herr A erwartet von der Bank, dass sie die Stornierung mit Wert 8.10.2008 wieder zurücknimmt. Die Bank tritt dem Begehren entgegen. Sie legt dar, bei dem angewendeten Verfahren handele es sich um einen besonderen Service für ihre Kunden. Nähme sie die Gutschrift(en) erst vor, nachdem der Fremdwährungsbetrag von Clearstream tatsächlich in Euro konvertiert worden sei, erhielte der Kunde den Eurobetrag erst Tage später. Im vorliegenden Fall habe dieser besondere Service dazu geführt, dass nach der vorweggenommenen Kurskalkulation die Konvertierung unmöglich geworden sei. Es sei ihr nicht zuzumuten, das von dem Beschwerdeführer bei Erwerb der Anleihe eingegangene Währungsrisiko zu übernehmen. Der Bank stand gemäß der Nr. 8 Abs. 1 AGB-Banken nachgebildeten Klausel ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die nach der Lebenserfahrung zum Gegenstand der girovertraglichen Verbindung zwischen den Parteien geworden sind, ein Anspruch auf Rückgängigmachung der in Rede stehenden Gutschriften durch entsprechende Belastungsbuchungen zu. Bei einem Girokonto handelt es sich regelmäßig um ein Kontokorrentkonto.13 Die Gutschriften waren fehlerhaft, weil die maßgebliche Konvertierung von ISK in Euro durch Clearstream entgegen der Annahme der Bank und ihres Erfüllungsgehilfen, des Dienstleisters, nicht mehr möglich war. Der Bank stand deshalb gegen den Beschwerdeführer ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 BGB auf Rückgewähr der Gutschriften zu.14 Die Bank war jedoch nicht berechtigt, Herrn A für die gesamte Zeit bis zur Stornierung Überziehungszinsen in Rechnung zu stellen. Zwar erfolgen die Stornobuchungen nach der Nr. 8 Abs. 3 Satz 2 AGB-Banken nachgebildeten Klausel der AGB der Bank hinsichtlich der Zinsberechnung rückwirkend zu dem Tag der Durchführung der Gutschriften,
__________
13 Vgl. Schimansky, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl., 2007, § 47 Rz. 37. 14 Vgl. in diesem Zusammenhang Bunte, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, a. a. O., § 13 Rz. 8, 10.
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Gerhart Kreft hier mithin zum 8.10.2008. Diese Klausel verstößt nach wohl überwiegender Meinung auch dann nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB, wenn das Konto des Kunden infolge der Stornierung rückwirkend ins Debet gerät.15 Indessen hat die Bank jedenfalls in den Fällen, in denen die Stornobuchung zum Debet führt, die Stornierung unverzüglich durchzuführen. Dies ist aus der Nähe des Stornorechts zu dem Anfechtungsrecht nach § 119 BGB zu folgern. Auch wenn das Stornorecht als ein dem Kreditinstitut vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht anzusehen ist, unter den angegebenen Voraussetzungen den Rückgewähranspruch im Wege der Selbsthilfe auf einfache Weise durchzusetzen,16 und dazu dient, eine Anfechtung überflüssig zu machen und dem Kreditinstitut die Nachteile aus den §§ 122, 818 Abs. 3 BGB zu ersparen, ist nach dem Sinn und Zweck des Stornorechts jedenfalls in den genannten Fällen die Regelung des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend anzuwenden, wonach die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen muss, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Nr. 8 Abs. 3 Satz 1 AGB-Banken legt dies nur für die Pflicht der Bank zur Unterrichtung über eine vorgenommene Storno- oder Berichtigungsbuchung fest.17 Dies muss jedoch zum Schutz des Kunden vor vermeidbarer Belastung mit Überziehungszinsen auch bereits für die Stornierung selbst gelten. Zwar steht hier nicht fest, wann die Bank davon erfuhr, dass Clearstream eine Konvertierung nicht möglich war. Darlegungs- und beweispflichtig dafür ist der Kunde. Es gilt das Gleiche wie für die Erlangung der Kenntnis eines nach § 119 BGB Anfechtenden von dem Anfechtungsgrund, für die der Anfechtungsgegner die Darlegungs- und Beweislast trägt.18 Da die Kenntnis jedoch zum Wissensbereich der Bank gehört, in den der Beschwerdeführer regelmäßig keinen Einblick hat, trifft die Bank eine sekundäre Darlegungslast. Dieser ist sie nicht gerecht geworden. Obwohl Herr A die lange Frist zwischen Gutschrift und Stornobuchung wiederholt gerügt hatte (Schreiben vom 25.11.2008 und vom 2.3.2009), unterließ die Bank jeden Vortrag zu der Ursache für die erhebliche Dauer und äußerte sich insbesondere nicht dazu, wann sie oder ihr Dienstleister davon erfuhr, dass Clearstream nicht konvertieren konnte. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie zeitnah zu den Gutschriften am 8.10.2008, spätestens am 9.10.2008, von der Unmöglichkeit einer Konvertierung Kenntnis erlangte. Da sie entgegen der sie insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast nicht vorträgt, dass es ihr nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, die Stornobuchungen noch am 9.10.2008 vorzunehmen und Herrn A darüber mit Schreiben vom selben Tage zu informieren, ist anzunehmen, dass sie so hätte verfahren können und müssen. Dann hätte Herr A nach der Lebenserfahrung das Schreiben am 11.10.2008 (Samstag) erhalten und am 13.10.2008 im Hinblick auf die weggefallenen Gutschriften für ausreichende Deckung seines Kontos sorgen können und müssen. Deshalb ist die Bank gemäß § 280 Abs. 1, § 249 BGB gehalten, Herrn A in Bezug auf die ihm angelasteten Überziehungszinsen so zu stellen, wie er stünde, wenn sein Konto vom 13.10.2008 bis zwei Tage nach dem Erhalt des Kontoauszugs vom 30.10.2008 (schwerlich vor dem 3.11.2008) nicht wegen der Stornobuchungen ins Debet geraten oder dieses deshalb vertieft worden wäre. Da die Bank Herrn A bereits 10 Euro gutgebracht hat, ist dieser Betrag auf die dem Beschwerdeführer zustehende Forderung anzurechnen.
__________ 15 16 17 18
Vgl. OLG Düsseldorf WM 1985, 690; Bunte, a. a. O., § 13 Rz. 25, 26 m. w. N. Vgl. BGHZ 72, 9, 11; 87, 246, 252; Bunte, a. a. O., § 13 Rz. 7. Vgl. insoweit Bunte, a. a. O., § 13 Rz. 22 bis 24. Vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 68. Aufl., 2009, § 121 Rz. 6.
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XI. Wertpapierberatung Seit der Finanzmarktkrise, insbesondere der Insolvenz des US-amerikanischen Bankhauses Lehman Brothers am 15.9.2008, ist die Qualität der Wertpapierberatung durch Banken in die Schlagzeilen geraten. Freilich ist eine allgemeine Aussage insoweit nur schwer möglich. Jeder Fall liegt anders, und manche Bankkunden haben ihre Verluste nicht, jedenfalls nicht nur durch eine unzulängliche Beratung von Banken erlitten, sondern durch Leichtsinn und ungezügeltes Gewinnstreben. Gleichwohl sind die Umstände des Wertpapiervertriebs vor allem in den Jahren 2007 und 2008 bei einer Gesamtbetrachtung kein Ruhmesblatt der Banken. Ich will aus der Vielzahl der wegen Falschberatung eingeleiteten Schlichtungsverfahren nur zwei Fälle herausgreifen. Der Schlichtungsspruch in dem ersten Fall war für die Bank bindend. Im zweiten Fall haben beide Parteien den Schlichtungsspruch angenommen. 1. Fondsanteile Es ist dem am 3.2.1930 geborenen Beschwerdeführer A abzunehmen, dass er am 30.11.2007, als er (nach einem Schlaganfall) im Rollstuhl eine Filiale der Bank aufsuchte, um auf seinen Sparbüchern Zinsen für drei Jahre nachtragen zu lassen, nicht erkannte, welche Bedeutung es hatte, als er den ihm von einem Bankmitarbeiter vorgelegten und ausgefüllten „Fragebogen gemäß § 31 Abs. 4 und 5 Wertpapierhandelsgesetz“ trotz völliger Unerfahrenheit in sämtlichen dort aufgeführten Anlageformen mit den angekreuzten Kästchen „Vermögensaufbau bzw. -ausbau / mittelfristig (mehr als ein Jahr bis zu fünf Jahren)“ in der Rubrik „Mein Anlageziel/Anlagehorizont“ und „wachstumsorientiert ‚Höheren Ertragserwartungen stehen angemessene Risiken gegenüber‘“ in der Rubrik „Meine Anlagestrategie“ unterschrieb. Ferner ist dem „Fragebogen …“ nicht zu entnehmen, dass Herr A vor der durch die Bank veranlassten Investition von 10.000 Euro, einem „Großteil seines Vermögens“ (so die Bank in ihrer Stellungnahme), in Anteile an dem Fonds „PB Vermögensmanagement Plus“ über dessen Besonderheiten, namentlich die Kursrisiken, in für ihn verständlicher Weise aufgeklärt wurde. Dies ergibt sich auch nicht aus dem sonstigen Vorbringen der Bank. In der Veranlassung von Herrn A zum Erwerb der Fondsanteile liegt demzufolge eine erhebliche Verletzung des zwischen den Parteien schlüssig zustande gekommenen Beratungsvertrages, welche die Bank gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 ff., 278 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hat Herrn A so zu stellen, wie er stünde, wenn er die Fondsanteile nicht erworben hätte. Dann hätte er die 10.000 Euro auf seinen Sparbüchern gelassen oder in ähnlich sicherer Weise angelegt. Die Bank hat ihm deshalb die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem ihm nach dem Widerruf des Vertrages gutgeschriebenen Betrag von 9.536,13 Euro, d. h. 463,87 Euro nebst zumindest den Zinsen zu erstatten, die auf den Kaufpreis entfallen wären, wenn dieser nicht (am 30.11.2007) von den Sparbüchern abgehoben worden wäre.
2. Zertifikate Frau A erwarb von der Bank am 6.2.2007 100 Stück des Lehman Brothers Champion Zertifikats (WKN AOMJHE) für insgesamt 100.000 Euro und am 24.4.2007 200 Stück des Dresdner Alpha Express Zertifikats II (WKN DR5B4B) für insgesamt 20.000 Euro. Frau A trägt vor, sie habe ihr verfügbares Guthaben immer nur als Festgeld angelegt, weil sie wegen geplanter Immobilien-Investitionen das Geld schnell und sicher hätte
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Gerhart Kreft verfügbar haben wollen. Dies habe sie im Sommer 2004 auch der Bankberaterin B ausführlich in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt. Am 5.2.2007 sei sie während eines beruflich bedingten Aufenthalts in China von Frau B auf ihrem Handy angerufen worden. In dem Gespräch von 46 Sekunden Dauer habe Frau B ihr von einem neuen Zertifikat berichtet, das mit keinem Risiko verbunden und ebenso sicher wie ihr bisheriges Festgeld sei, so dass es genau zu ihr passe. Ein weiteres Gespräch mit Frau B habe sie vor dem Erwerb des Zertifikats nicht geführt. Obwohl sie der Bankberaterin erklärt habe, sich den Erwerb nach ihrer Rückkehr aus China (am 13.2.2007) und der Durchsicht von Unterlagen zu überlegen, habe sie einige Tage nach dem 13.2.2007 per Post einen Kontoauszug über den Kauf des Lehman Brothers Zertifikats erhalten. Produktunterlagen seien ihr nicht übermittelt worden. Sie habe bei der Bank angerufen und von Frau B Aufklärung verlangt. Diese habe erklärt, der Kauf sei bereits durchgeführt worden, und habe beteuert, die Zertifikate seien ja 100 %-ig so sicher wie Festgeld. Dem Erwerb des Dresdner Alpha Express Zertifikats II am 24.4.2007 habe ebenfalls kein Auftrag zugrunde gelegen. Sie habe Frau B gesagt, dass sie vor einer Zusage die schriftlichen Unterlagen haben wolle und erst dann ihr Einverständnis schriftlich erklären würde. Sie habe weder die Unterlagen erhalten noch ihr Einverständnis erklärt. Die völlig aus der Luft gegriffenen Versprechungen von Frau B seien erst in sich zusammengefallen, als ihr im Juli 2008 von dem neuen Bankberater erstmals Produktunterlagen ausgehändigt worden seien und sie erfahren habe, dass beide Zertifikate keine „sichere Festgeld-Anlage“, sondern hochspekulativ und sehr riskant seien. Sie sehe sich durch Frau B getäuscht und hätte sich bei zutreffender Aufklärung auf derart riskante Anlagen niemals eingelassen. Frau A verlangt von der Bank in erster Linie Schadensersatz in Form der Rückabwicklung des Erwerbs der Wertpapiere. Die Bank tritt dem Begehren entgegen. In ihrer Stellungnahme vom 12.1.2009 legt sie dar, bei dem am 5.2.2007 geführten Telefongespräch habe es sich nicht um das eigentliche Beratungsgespräch gehandelt. In dem eigentlichen Beratungsgespräch sei Frau A umfassend über die Chancen und Risiken aufgeklärt worden. Das schließe eine Aussage, es handele sich um eine dem Festgeld gleiche Anlage, aus. Frau A sei regelrecht begeistert von dieser Anlageform und bereit gewesen, im Rahmen der erhöhten Rendite das Risiko einzugehen. Entgegen der Darstellung der Kundin seien ihr – wie im jeweiligen Telefonat vereinbart – jeweils direkt im Anschluss an das Geschäft die Produktunterlagen nach Hause gesandt worden. Mit Ihrer Stellungnahme vom 15.5.2009 hat die Bank eine „erneuerte, vollständige Stellungnahme“ von Frau B eingereicht, die „hierin die von“ der Bank in ihrer ersten Stellungnahme „dargestellten Sachverhalte noch einmal in aller Deutlichkeit bestätigt.“ In dieser Stellungnahme vom 13.5.2009 führt Frau B auf das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 25.1.2009, in der diese sich zu der Stellungnahme der Bank vom 12.1.2009 äußert, im Wesentlichen aus: Sie habe erst im Sommer 2007 das erste Mal erfahren, dass Frau A und ihr Mann sich eine Immobilie kaufen wollten, und habe daher zum Zeitpunkt der Anlage im Februar 2007 von dem geplanten Immobilienerwerb nichts gewusst. Am 6.2.2007 habe sie mit Frau A ein ausführliches Telefonat geführt, in dem sie ihr umfassend das Lehman Brothers Zertifikat erklärt habe; es seien ihr detailliert die Struktur, die Kursrisiken, die Barriere, die Laufzeit mit den Beobachtungszeiträumen sowie die Börseneinführung und die damit einhergehende Handelbarkeit erklärt worden. Daraufhin habe ihr Frau A einen telefonischen Auftrag für den Kauf des Zertifikats erteilt und gebeten, ihr die Produktinformationen nach Hause in Deutschland zu schicken; ihr Mann werde diese entgegennehmen und bei eventuellen Fragen sich bei ihr – Frau B – melden. Im Sommer 2008 habe sie öfter mit Frau A telefoniert und ihr auch mehrmals noch mal die Risiken erklärt. Dabei habe sie ihr aber auch gesagt, dass sie noch genügend Spielraum habe und sich im Moment keine
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Aus der Werkstatt eines Ombudsmanns der privaten Banken Gedanken machen müsse. Die Aussage einer Kapitalgarantie sei von ihr nicht getroffen worden. Die Beschwerde ist begründet. a) Lehman Brothers Global Champion Zertifikat Da Frau A ein zweites Telefongespräch mit Frau B vor dem Erwerb des Zertifikats bestreitet und der Bank vorwirft, in dem Beratungsgespräch vom 5.2.2007 nicht über die Risiken des Wertpapiers aufgeklärt, sondern im Gegenteil dahin informiert worden zu sein, das Zertifikat sei mit keinem Risiko verbunden und ebenso sicher wie ihr bisheriges Festgeld, ist es Sache der Bank, den Inhalt eines Beratungsgesprächs im Einzelnen aufzuzeigen.19 Dem Vorbringen der Bank ist nicht hinreichend zu entnehmen, dass sie ihrer Pflicht zu einer anleger- und anlagegerechten Beratung20 entsprochen hat. Maßgeblich sind einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarkts, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben. Die Aufklärung des Kunden über diese Umstände muss richtig und vollständig sein.21 Die Bank hat in ihrer Stellungnahme vom 12.1.2009 behauptet, bei dem über das Handy der Beschwerdeführerin geführten Gespräch am 5.2.2007 habe es sich nicht um das eigentliche Beratungsgespräch gehandelt. Wann dieses eigentliche Beratungsgespräch stattfand, wird in dieser Stellungnahme nicht gesagt. Es wird auch nur ganz allgemein ausgeführt, Frau A sei in diesem Gespräch umfassend über die Chancen und Risiken des Zertifikats aufgeklärt worden. Daraus wird gefolgert, eine Aussage der Beraterin, es handele sich um eine dem Festgeld gleiche Anlage, sei ausgeschlossen. Es wird hinzugefügt, Frau A sei regelrecht begeistert von dieser Anlageform und bereit gewesen, im Rahmen der erhöhten Rendite das Risiko einzugehen. Mit diesen Ausführungen ist die Bank ihrer Aufgabe, den Inhalt des Beratungsgesprächs im Einzelnen zu schildern, nicht gerecht geworden. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 15.5.2009 nimmt die Bank im Wesentlichen allein auf eine Stellungnahme der Beraterin B Bezug. Hier wird das eigentliche Beratungsgespräch auf den 6.2.2007 – den Tag des Erwerbs des Zertifikats für Frau A – datiert. An diesem Tag will Frau B erneut und ausführlich mit Frau A telefoniert haben. Obwohl Frau A ein solches Gespräch bestreitet, legt die Bank keinen Beleg für ein zweites Telefonat vor und legt auch nicht dar, zu welcher Zeit es geführt wurde und dass es ungeachtet der Zeitverschiebung möglich war, das Zertifikat noch am selben Tage zu erwerben. Geht man gleichwohl davon aus, dass ein solches Gespräch geführt wurde, ist auch die Schilderung von dessen Inhalt zur Annahme einer hinreichenden Aufklärung über die Risiken des Zertifikats nicht geeignet. Insbesondere fehlt die konkrete Darlegung, dass Frau A nicht nur über Kursrisiken, sondern insbesondere auch darüber aufgeklärt wurde, dass bei einer ungünstigen Wertentwicklung auch nur eines der zugrundeliegenden Indizes (DJ EuroStoxx 50, S&P 500, Nikkei 225) das Risiko eines teilweisen oder vollständigen Verlustes des eingesetzten Kapitals am Ende der Laufzeit bestand (vgl. Seite 6 der von der Bank erstellten Produktinformation). Darauf, dass es an einer solchen Aufklärung fehlte, deutet auch der Inhalt des von Frau A wiedergegebenen Telefongesprächs mit Frau B am 7.8.2008 hin, zu dem sich die Bank nicht geäußert hat. Deshalb ist davon auszugehen, dass eine anlagegerechte Beratung nicht erfolgte. Da die Bank nicht bestreitet, dass Frau
__________ 19 Sog. sekundäre Darlegungslast, vgl. BGH, Urt. v. 14.7.2009 – XI ZR 152/08, WM 2009, 1647, 1650 Tz. 38. 20 Vgl. BGH, Urt. v. 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126, 128 f. = WM 1993, 1455. 21 BGH, Urt. v. 21.3.2006 – XI ZR 63/05, WM 2006, 851, 852 Tz. 12; Urt. v. 14.7.2009, a. a. O., WM 2009, 1651 Tz. 49.
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Gerhart Kreft A ihre freien Gelder bislang lediglich als Festgeld angelegt hatte, durfte sie Frau A das Zertifikat zudem nicht empfehlen, ohne zuvor ein Risikoprofil im Sinn von § 31 Abs. 5 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) erstellt zu haben. Da die Bank nicht vorträgt, ein solches Profil angefertigt zu haben, ist anzunehmen, dass dieses nicht geschah. Dann fehlt es auch an einer anlegergerechten Beratung. b) Dresdner Alpha Express Zertifikat II Dass Frau A über die Risiken dieses Wertpapiers in dem dessen Erwerb vorangegangenen Telefongespräch aufgeklärt wurde, legt die Bank auch nicht im Ansatz dar. Die Beschwerdeführerin hat eine solche Aufklärung bestritten. Dass die Risiken erheblich höher sind als diejenigen einer Festgeldanlage, steht außer Frage und ergibt sich auch aus dem „Performance Statement“ der Bank vom 7.7.2008. Auch insoweit ist mithin davon auszugehen, dass es an einer anleger- und anlagegerechten Beratung durch die Bank fehlt und sie das Papier der Beschwerdeführerin nicht empfehlen durfte. In der unzureichenden Beratung der Bank über beide Zertifikate liegt eine Pflichtverletzung, welche die Bank gemäß §§ 280 Abs. 1, 249 ff., 278 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hat Frau A so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie zutreffend aufgeklärt worden wäre. Dann hätte Frau A nach Lage der Dinge die Zertifikate nicht erworben.
XII. Prozessuales Ein nicht alltäglicher Fall, der vom Beschwerdeführer infolge eines prozessualen Fehlers der Bank gewonnen wurde, mag diesen Bericht über einen Ausschnitt der Tätigkeit eines Ombudsmanns beenden. Der Beschwerdeführer A schloss mit der Bank durch Vermittlung eines Autohauses im Januar/Februar 2004 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung des Erwerbs eines PKW. Er trägt vor, in dem Verkaufsgespräch mit dem Verkäufer B des Autohauses sei aufgrund der angestellten Berechnungen klar gewesen, dass die vorgegebene Kilometerpauschale nicht eingehalten werden könne und deshalb bei Rückgabe des Fahrzeugs über das Doppelte des Fahrzeugwertes nachbezahlt werden müsste. Deshalb sei ihm sehr daran gelegen gewesen, eine vollständige Finanzierung zu günstigen Raten zu erhalten. Herr B habe darin kein Problem gesehen und habe vorgeschlagen, die Finanzierung in eine Erstfinanzierung und eine Anschlussfinanzierung zu teilen. Da diese Lösung gegenüber den Angeboten anderer Fahrzeughäuser zwar teurer, die Raten aber günstiger gewesen seien, habe er sich für das vorgeschlagene Modell entschieden. Auf seine Frage, ob die Anschlussfinanzierung gesichert sei, habe Herr B erklärt, er sei nicht der erste, der so günstig finanzierte, und die Bank finanziere selbstverständlich weiter. Die Bank lehnt eine – an sich mögliche – Anschlussfinanzierung wegen mangelnder Bonität des Beschwerdeführers ab. Inwiefern die Mitarbeiter des Autohauses Herrn A eine Anschlussfinanzierung zugesichert hätten, entziehe sich ihrer Kenntnis und werde mit Nichtwissen bestritten. Ihre Vertragsakte enthalte weder entsprechende Aussagen des Autohauses zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch lägen ihr schriftliche oder mündliche Anfragen des Autohauses zu einer Anschlussfinanzierung zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Schlussrate vor. Das Begehren von Herrn A auf Abschluss einer Anschlussfinanzierung mit der Bank ist begründet. Trifft seine Behauptung einer Zusage der Anschlussfinanzierung durch Herrn B zu, ist die Bank gehalten, mit Herrn A eine Anschlussfinanzierung zu vereinbaren. Auf eine dafür geeignete Bonität des Beschwerdeführers kommt es dabei nicht an. Denn nach Lage der Dinge ist davon auszugehen, dass eine Bonität von dem Autohausmitarbeiter nicht zur Voraussetzung der zugesagten Anschlussfinanzierung gemacht wurde.
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Aus der Werkstatt eines Ombudsmanns der privaten Banken Das Autohaus war in die Darlehensgewährung durch die Bank im Wege eines „institutionalisierten Zusammenwirkens“ eingeschaltet. Die Bank hat sich deshalb die von den an dem Verkauf und dem Zustandekommen des Darlehensvertrages beteiligten Mitarbeitern des Autohauses gemachten Zusagen zurechnen zu lassen. Im Streitfall ist die Behauptung des Beschwerdeführers, der Mitarbeiter B des Autohauses habe ihm eine Anschlussfinanzierung zugesagt, als unstreitig anzusehen. Denn die Bank hatte nicht das Recht, die Richtigkeit der Behauptung mit Nichtwissen zu bestreiten. Nach dem Wortlaut des § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind. In Rechtsprechung und Literatur ist jedoch anerkannt, dass eine Partei, die – wie hier die Bank – Kenntnis aus eigener Wahrnehmung nicht hat, sich diese unter Umständen beschaffen muss.22 Hier war es der Bank anzusinnen, bei dem Autohaus, das sie in ihren Geschäfts- und Verantwortungsbereich einbezogen hatte, Erkundigungen darüber einzuziehen, ob die Behauptung des Beschwerdeführers über die Zusage einer Anschlussfinanzierung durch den Autohausmitarbeiter B zutraf. Da die Bank dies unterlassen hat, durfte sie die Behauptung des Beschwerdeführers nicht mit Nichtwissen bestreiten, so dass die Behauptung als zutreffend anzusehen ist. Dann hat die Bank Herrn A die begehrte Anschlussfinanzierung zu gewähren.
__________ 22 Vgl. BGH, Urt. v. 15.11.1989 – VIII ZR 46/89, BGHZ 109, 205, 209 f.; Musielak/ Stadler, ZPO, 5. Aufl., 2007, § 138 Rz. 17; Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., 2009, § 138 Rz. 16.
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Praxisprobleme mit der Nebenintervention I. Der Streithelfer kann im Rahmen des § 67 ZPO am Verfahren teilnehmen, insbesondere Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen. Dabei darf er sich nicht in Widerspruch zu seiner Partei setzen. Dieser Widerspruch kann zum einen ausdrücklich von der Partei erklärt werden, etwa wenn sie ausführt, mit einem bestimmten Vorbringen nicht einverstanden zu sein. Er kann sich auch aus dem Prozessverhalten der unterstützten Partei ergeben. Hier ist aber zu Recht Zurückhaltung geboten. Eine Partei wird im Zweifel besser beurteilen können als das außen stehende Gericht, ob sich der Streithelfer zu ihrem Vorbringen in Widerspruch setzt. Daher ist der nicht ausdrücklich erklärte Widerspruch im Zweifel dahin auszulegen, dass auch kein Widerspruch zum Prozessvortrag besteht.1 Dies gilt insbesondere im selbständigen Beweisverfahren. Hier steht ein Prozessvortrag noch gar nicht fest. Für die Antragsschrift ist lediglich erforderlich, die aufzuklärenden Tatsachen zu benennen und ein rechtliches Interesse an der Vermeidung eines Rechtsstreits darzulegen (§ 485 Abs. 2 ZPO). Deshalb ist es in der Regel schwierig, aus dem „Vortrag“ der Partei einen Widerspruch zum Streithelfer herauszulesen. Allenfalls dann, wenn der Antragsgegner den Antrag nach § 494a ZPO gestellt hat, sein Streithelfer jedoch noch die ergänzende Anhörung des Sachverständigen beantragt, kann man von einem konkludenten Widerspruch ausgehen. Auch hier ist es jedoch sinnvoller und bei geringstem Zweifel geboten, zunächst rechtliches Gehör zu dem Problem zu gewähren, statt den Antrag wegen Widerspruchs zur unterstützten Partei sogleich zurückzuweisen.
II. Ein Vorbringen oder ein Beweisantrag des Streithelfers ist also so lange als Prozessvortrag zugunsten der unterstützten Partei anzusehen, bis ein Widerspruch klar herausgearbeitet ist. Nach § 379 Satz 1 ZPO kann das Gericht die Ladung eines Zeugen (und über § 402 ZPO auch die Beauftragung eines Sachverständigen) davon abhängig machen, dass der Beweisführer einen Auslagenvorschuss zahlt. Wer Beweisführer ist, sagt die ZPO nicht. Nach überwiegender Auffassung sind dies die jeweiligen Parteien. Trete ein Streithelfer Beweis an, so sei die unterstützte Partei Beweisführer.2 Lediglich eine Mindermeinung
__________
1 BGH v. 29.10.1990 – II ZR 146/89, NJW-RR 1991, 358 (361); BGH v. 28.3.1985 – VII ZR 317/84, NJW 1985, 2480. 2 Berger in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 379 Rz. 2; Damrau in Münchner Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 379 Rz. 3; Huber in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 379 Rz. 4; Greger in Zöller, 28. Aufl. 2010, § 379 Rz. 4; OLG Köln v. 21.10.2008 – 22 W 66/08, BauR 2009, 540; LG Heidelberg v. 7.1.2008 – 7 OH 13/06, BauR 2008, 725 Nr. 6.
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ist der Auffassung, der Streithelfer selbst könne Beweisführer sein, weil andernfalls einer Partei eine Zahlung auferlegt würde, die sie weder veranlasst noch zu vertreten habe. Dafür fehle aber die gesetzliche Grundlage.3 Interessanter Weise steht – ohne dies allerdings mit einem Wort zu problematisieren – ein großer Teil der Instanzgerichte jedenfalls im selbständigen Beweisverfahren auf Seiten der Mindermeinung. Es ist vielfach schon die Regel, dass dem Streithelfer im selbständigen Beweisverfahren für seine Anträge (möglicherweise ohne rechtliche Hintergedanken) Vorschüsse auferlegt werden.4 1. Der Streithelfer unterstützt nach der Idee der §§ 67 ff. ZPO die Hauptpartei. Wenn er Beweisanträge stellt, sollen sie dem Interesse der Hauptpartei dienen. Da es sich um das Verfahren der Hauptpartei handelt, spricht auch einiges dafür, dass diese den Aufwand für ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel selbst trägt. Der Einwand der Mindermeinung überzeugt nicht. Es besteht nämlich keine Verpflichtung, einen Kostenvorschuss zu zahlen. Es handelt sich nur um eine Obliegenheit, aus deren Nichtbefolgung unter Umständen negative Konsequenzen gezogen werden. Es steht der Hauptpartei grundsätzlich frei, den Auslagenvorschuss für einen vom Streithelfer benannten Zeugen einzuzahlen oder es zu lassen. Insbesondere wenn er selbst schon einen ihm geeignet erscheinenden Beweisantrag zum selben Thema gestellt hat, wird er sich mit der Frage beschäftigen, ob er auch noch für den Beweisantrag des Streithelfers einen Auslagenvorschuss einzahlen soll. Andererseits lässt sich gerade § 67 ZPO entnehmen, dass der Streithelfer, so lange er sich nicht in Widerspruch zu seiner Partei setzt, im eigenen Namen Angriffs- und Beweismittel geltend machen kann. Nach allgemeiner Auffassung sind Beweisanträge Angriffs- und Verteidigungsmittel.5 Tritt der Streithelfer aber im eigenen Namen Beweis an, dann ist es jedenfalls vom Wortlaut nahe liegend, ihn als „Beweisführer“ anzusehen.6 Die Annahme der h. M., obwohl der Streithelfer im eigenen Namen Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen dürfe, sei doch die unterstützte Partei „Beweisführer“, ist sogar fernliegend. Interessanterweise muss die h. M. eine Ausnahme zulassen, die sie nicht überzeugend begründen kann. Wenn der Streithelfer im eigenen Namen Rechtsmittel einlegt und – ohne dass die Hauptpartei am Verfahren teilnimmt – im Berufungsverfahren Beweis antritt, so wird er zum „Beweisführer“, den auch die Vorschusspflicht trifft. 2. Gegen die Wortlaut-Auslegung, den Streithelfer als Beweisführer anzusehen, spricht auch nicht die Interessenlage. Es besteht nämlich zu keinem Zeitpunkt
__________ 3 Bachmann, Der Zeugen- und Sachverständigenvorschuss, DRiZ 1984, 401 (402); Berding,/Deckenbrock, Der Streithelfer als Kosten- und Vorschussschuldner bei Beweisanträgen, NZBau 2006, 337; ebenso ohne Begründung für das selbständige Beweisverfahren Werner/Pastor, Der Bauprozess, 12. Aufl. 2008, Rz. 93. 4 LG Köln v. 12.3.2009 – 25 OH 1/08; LG Köln v. 19.3.2010 – 32 OH 20/08; LG Bochum v. 22.12.2008 – 8 OH 1/08; LG Hanau v. 16.6.2009 – 7 OH 56/06. 5 BGH v. 22.2.2006 – IV ZR 56/05, NJW 2006, 1741 (1742); BGH v. 26.3.1982 – V ZR 149/81, NJW 1982, 1535 (1536); Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2006, § 146 Rz. 6; Greger in Zöller, ZPO, § 282 Rz. 2; Foerste in Musielak, ZPO, § 282 Rz. 2. 6 So auch Berding/Deckenbrock (Fn. 3), S. 340.
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Praxisprobleme mit der Nebenintervention
die Gefahr, dass der Hauptpartei ungewollt Beweismittel aufgedrängt werden. Ist sie der Auffassung, der Beweisantritt des Streithelfers sei nicht sachdienlich, so kann sie ihm widersprechen. Ohnehin hat die Hauptpartei auch dann, wenn man der Auffassung der herrschenden Lehre folgt, die Möglichkeit, der Kostenlast zu entgehen und sie de facto dem Streithelfer aufzudrängen. Wenn die unterstützte Partei der Auffassung ist, ein bestimmter Beweisantritt sei zu aufwändig, so kann sie von der Einzahlung des Auslagenvorschusses Abstand nehmen. Dabei braucht sie noch nicht einmal dem Beweisantritt förmlich zu widersprechen, um ihn nach § 67 ZPO wirkungslos zu machen. Dies hätte nämlich die unangenehme Folge, sich ggf. im Nachverfahren eine schlechte Prozessführung und damit den Verlust der Bindungswirkung (§ 68 Halbs. 2 ZPO) entgegen halten lassen zu müssen. Es gibt vielmehr eine wesentlich interessantere Möglichkeit, das Risiko und damit auch die Kostenlast auf den Streithelfer abzuwälzen. Die Partei lehnt es einfach ab, den Auslagenvorschuss für die Beweisantritte des Streithelfers einzuzahlen. Darin liegt kein Widerspruch zum Beweisantritt als solchen. Die Partei, die es ablehnt, einen Auslagenvorschuss einzuzahlen, zieht damit nicht ihren Beweisantrag zurück. Unabhängig davon wäre sie auch nicht gehindert zu erklären, eine Zahlung werde nicht erfolgen, ohne dass darin ein Widerspruch zum Beweisantritt liege.7 Den Einwand, der Prozess sei schlecht geführt worden, weil der Auslagenvorschuss nicht gezahlt worden ist, braucht die Hauptpartei nicht zu fürchten. Nach § 68 ZPO letzte Alternative ist die Verteidigung des Streithelfers, die Hauptpartei habe ein Beweismittel nicht geltend gemacht, nur dann ein Argument im Nachprozess, wenn es dem Streithelfer unbekannt war und (kumulativ) die Hauptpartei dieses Beweismittel grob schuldhaft nicht geltend gemacht hatte. Selbst wenn die bewusste Nichteinzahlung des Auslagenvorschusses der unterstützten Partei als grobes Verschulden angerechnet würde, so hätte der Streithelfer das Beweismittel jedenfalls gekannt. Man wird hieraus ableiten müssen, dass er dann auch den Auslagenvorschuss einzahlen muss, um nicht der Interventionswirkung eines unzulänglich geführten Verfahrens zu unterfallen. Es spricht also von der Interessenlage einiges dafür, mit der Mindermeinung und der Praxis der Instanzgerichte den Streithelfer als Beweisführer und damit Kostenschuldner anzusehen. Insbesondere wird damit dem Unbehagen, dass ein Streithelfer ohne, wenn auch nicht expressis verbis gegen den Willen der Hauptpartei kostspielige Beweisaufnahmen veranlassen kann, Rechnung getragen. 3. Nur scheinbar spricht die systematische Auslegung gegen diese Auffassung. Nach § 101 Abs. 1 ZPO sind die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten dem Gegner der Hauptpartei aufzuerlegen, soweit er die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
__________ 7 Berding/Deckenbrock empfehlen diese Vorgehensweise, um dem Streithelfer den Vorwand zu nehmen, er habe mit der Nichteinzahlung des Auslagenvorschusses nicht gerechnet (Fn. 3, S. 341).
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a) Nach wohl allgemeiner Auffassung werden unter den Kosten der Nebenintervention nur die außergerichtlichen Kosten des Streithelfers verstanden.8 Zur Begründung wird auf den Wortlaut verwiesen, der die Kosten der Nebenintervention von den Kosten des Rechtsstreits abgrenzt.9 Konsequenterweise sind die Kosten von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die der Streithelfer in das Verfahren eingeführt hat, Kosten des Rechtsstreits, die nur von den Parteien, nicht von dem Streithelfer zu tragen sind.10 Verwiesen wird auch auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, die sich auf das von Nebenintervenienten eingeleitete Rechtsmittelverfahren, an dem sich die Hauptpartei beteiligt hat, beziehen.11 Zwingend ist diese Auffassung nicht. Sie wird auch nicht stringent durchgehalten. Legt nämlich der Nebenintervenient ein Rechtsmittel ein, ohne dass sich die unterstützte Partei am Verfahren beteiligt, so soll der Nebenintervenient bei Erfolglosigkeit des Rechtsmittels die Kosten des Rechtsmittels tragen.12 Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so werden die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zwischen Streithelfer und gegnerischer Partei quotiert.13 Dies wird nicht etwa aus § 97 Abs. 1 ZPO abgeleitet. Das Rechtsmittel des Streithelfers wird nämlich als Rechtsmittel der Partei angesehen.14 Vielmehr wird zur Begründung auf eine reine Wertungsentscheidung verwiesen. Der Streithelfer soll es nicht in der Hand haben, die von ihm unterstützte Hauptpartei wider deren Willen mit Kosten zu belasten und seine eigene Rechtsmittelbefugnis unter dem Kostenrisiko seiner Partei auszuüben.15 So treffend die Wertung im Ergebnis ist, so brüchig ist die Begründung. Wenn nämlich das Rechtsmittel „wider den Willen“ der Hauptpartei geführt wird, ist es unzulässig. Die unterstützte Partei bräuchte lediglich ihren Widerwillen zu äußern. Dass die Wertung der h. M. nicht durchgängig trägt, zeigt ein anderer Fall. Die unterstützende Partei hat nach h. M. selbst dann einen Kostenerstattungsanspruch, wenn nicht sie, sondern der Streithelfer die Kosten aufgewandt hat. Zeichnet sich beispielsweise ab, dass die vom Streithelfer eingelegte Berufung, an der sich die Hauptpartei bisher nicht beteiligt hat, Erfolg hat und beteiligt
__________ 8 Wölst in Musielak, ZPO, § 101 Rz. 2; Giebel in Münchner Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 101 Rz. 3; Steiner in Wieczorek, ZPO, 3. Aufl. 1994, § 101 Rz. 3. 9 Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2006, § 101 Rz. 2. 10 Bork in Stein/Jonas, ZPO, § 101 Rz. 2; Steiner in Wieczorek, ZPO, § 101 Rz. 3; Giebel in Münchner Kommentar zur ZPO, § 101 Rz. 5; Wölst in Musielak, ZPO, § 101 Rz. 2. 11 BGH v. 14.12.1967 – II ZR 30/67, BGHZ 49, 189 (195 f.); OLG München v. 15.11.1978 – 11 W 2261/78, MDR 1979, 497; OLG Hamburg v. 12.12.1986 – 6 U 89/85, VersR 1987, 376 (379). 12 BGH v. 5.5.1956 – IV ZR 18/56, LM Nr. 1 zu § 582 ZPO; BGH v. 14.12.1967 – II ZR 30/67, NJW 1968, 743 (746); OLG Celle v. 19.7.1995 – 2 U 129/94, OLGR 1996, 84; a. A. noch Förster/Kann, Die ZPO für das Deutsche Reich, 3. Aufl. 1913, § 101 Nr. 6 mit umfangreichen Nachweisen auch auf die damalige Rechtsprechung. 13 KG v. 11.10.2004 – 22 U 380/03 – zitiert nach juris. 14 BGH v. 8.2.1968 – II ZR 217/66, NJW 1968, 743 (746). 15 BGH a. a. O.
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Praxisprobleme mit der Nebenintervention
sich dann die Hauptpartei an der letzten mündlichen Verhandlung, so hat nach h. M. alleine sie den Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich der Prozesskosten, obwohl die möglicherweise beträchtlichen Gerichtskosten vom Streithelfer verauslagt wurden. Nach der h. M. ist nämlich § 101 ZPO wieder in ihrem Sinne anzuwenden, wenn der Streithelfer zwar das Rechtsmittelverfahren führt, die Hauptpartei sich hieran nur irgendwie beteiligt.16 Der Streithelfer hätte in diesem Fall allenfalls einen nicht insolvenzfesten materiellrechtlichen Bereicherungsanspruch gegen die Hauptpartei. Zeigt sich also schon, dass die Wertung, die hinter der Argumentation der h. M. steckt, zu wenig überzeugenden Ergebnissen führen kann, so ist die h. M. noch nicht einmal in sich konsistent. Die Hauptpartei soll nämlich noch das Rechtsmittel einlegen können und sich dann mit der Erklärung, sie überlasse alles Weitere dem Streithelfer, auch kostenmäßig aus dem Verfahren verabschieden können.17 Dabei wird nebenbei der Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung aufgegeben. b) Auch hier lässt der Wortlaut des § 101 ZPO eine andere Auslegung zu18, die im Übrigen auch der Interessenlage entspricht. Zunächst sind bei unbefangener Betrachtungsweise Kosten, die durch die Nebenintervention verursacht worden sind, auch Kosten des Rechtsstreits. Die beiden Begriffe haben nicht zwingend einen exklusiven, die jeweils anderen Kosten ausschließenden Anwendungsbereich, sondern eher einen sich teilweise überschneidenden Inhalt. Kosten im Sinne des GKG sind für alle der ZPO unterliegenden Verfahren Gebühren und Auslagen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 GKG). § 101 ZPO spricht nun von Kosten, die durch eine Nebenintervention „verursacht“ worden sind. Es handelt sich also nach wie vor um Gebühren und Auslagen. Sie müssen nur durch die Nebenintervention verursacht worden sein. Die Auslagenvorschüsse, die auf einen Beweisantritt des Streithelfers entfallen, sind ebenso durch die Nebenintervention verursacht, wie die Gebühren des Rechtsmittels, das der Streithelfer alleine einlegt. c) Unterstützt wird die Auslegung durch die Entstehungsgeschichte. § 94 des Entwurfs der CPO19 lautete: „Die Bestimmungen der §§ 87–93 finden auch auf die durch eine Nebenintervention verursachten Kosten Anwendung.“
In der Begründung zu § 94 des Entwurfs zur CPO heißt es: „Die Prozesskosten können dadurch vermehrt werden, dass ein Dritter sich als Nebenintervenient beteiligt. Für diesen Fall schreibt § 94 CPO vor, dass auf die durch die
__________ 16 BGH v. 27.5.1963 – III ZR 131/61, NJW 1963, 1778; BGH v. 14.12.1967 – II ZR 30/67, NJW 1968, 743 (746); Wölst in Musielak, ZPO, § 101 Rz. 2. 17 BGH v. 20.12.1957 – VI ZR 171/58, MDR 1958, 419 (420); Herget in Zöller, § 101 Rz. 4; Bork in Stein/Jonas, ZPO, § 101 Rz. 2. 18 So auch ausdrücklich RG v. 21.4.1886 – V. 53/86, RGZ 15, 417 (418): „Begrifflich würde nichts entgegenstehen, zu den Kosten des Rechtsstreits auch die Kosten der Nebenintervention zu rechnen …“. 19 § 94 des Entwurfs wurde zu § 96 CPO und ist Vorgänger des heutigen § 101 ZPO.
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Jürgen Lauer Nebenintervention veranlassten Kosten die Bestimmungen der §§ 85–91 Anwendung finden …“20
Die CPO ging als ganz selbstverständlich davon aus, dass die durch die Nebenintervention verursachten Kosten Prozesskosten sind.21 Diese können nämlich durch den Beitritt eines Nebenintervenienten vermehrt werden. Einer eigenständigen Regelung, wie sie in der CPO getroffen wurde, bedurfte es allein deshalb, weil der Streithelfer unter bestimmten Umständen an den Kosten des Verfahrens beteiligt sein bzw. einen Erstattungsanspruch haben sollte. Die §§ 87–93 CPO regelten (ebenso wie die §§ 91 ff. ZPO heute regeln) aber nur Kostenerstattungsansprüche im Verhältnis der Parteien zueinander. Der Streithelfer ist eben nicht Partei. Somit können die §§ 91 ff. ZPO ohne eine Norm, die ihre Anwendbarkeit auf den Streithelfer überleitet, nicht angewendet werden. Dies kommt noch heute schlagend darin zum Ausdruck, dass aus einem allein auf die §§ 91–98 ZPO gestützten Tenor, der nicht durch Ausführungen in den Entscheidungsgründen dahingehend ausgelegt werden kann, dass auch die Kosten der Nebenintervention erfasst sein sollen, keine Zwangsvollstreckung zugunsten des Nebenintervenienten betrieben werden kann.22 Konsequenterweise gingen die Motive zur CPO auch davon aus, dass sich aus § 94 des Entwurfs (= § 96 CPO) ergibt, dass der Nebenintervenient seinerseits dem obsiegenden Gegner die durch die Nebenintervention verursachten Kosten im Unterliegensfall erstatten muss.23 Die heutige Fassung des § 101 ZPO ergab sich im Zuge der Reform von 1898. Allerdings sollte mit dem heutigen Wortlaut inhaltlich nichts geändert werden. Es sollten Unklarheiten beseitigt werden, weil die Kosten der Nebenintervention „vielfach ohne Weiteres der unterlegenden Partei ohne Rücksicht darauf, ob die Hauptpartei oder ihr Gegner unterlegen sei, auferlegt würden.“24 Der Streithelfer, der sich am Verfahren beteiligt, prozessiert auf eigene Kosten. Dies bezieht sich nicht nur auf die außergerichtlichen Kosten, sondern auch auf von ihm in das Verfahren hineingetragene Angriffs- und Verteidigungsmittel oder eingelegte Rechtsbehelfe. Allerdings führt dies nicht zu kumulativen Kostenvorschussanforderungen. Das Gericht kann auch dann, wenn sowohl der Streithelfer als auch die Partei Rechtsmittel eingelegt oder ein bestimmtes Beweismittel angeboten haben, nur bei der Partei den Kostenvorschuss erheben. Das Interesse der Partei, nicht mit bestimmten Kosten belastet zu werden, wird erst dann manifest, wenn der Antrag allein vom Streithelfer ausgeht.
__________ 20 Zitiert nach Hahn, G., Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 2. Band, 1. Abteilung, Berlin 1880. 21 So auch RG v. 3.12.1888 – VI 233/88, RGZ 22, 421 (424). 22 RG v. 21.4.1886 – V 53/86, RGZ 15, 417 (418) – allerdings mit der hier nicht geteilten Begründung, dass die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention voneinander zu unterscheiden seien; OLG München v. 16.1.1990 – 11 W 3427/89, Rpfl. 1990, 269; Steiner in Wieczorek, ZPO, § 101 Rz. 5. 23 Hahn (Fn. 20), allerdings werden dies nicht die Anwaltskosten, sondern wahrscheinlich die Kosten für Zustellungen an den Streithelfer gewesen sein. 24 Die Materialien zur Civilprozessordnung, Berlin 1898, S. 509.
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Praxisprobleme mit der Nebenintervention
4. Damit ergibt eine auf Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik gestützte Auslegung, die sich auch mit der Interessenlage deckt, dass der Streithelfer, der sich mit eigenen Anträgen am Verfahren beteiligt, hierfür kostenvorschusspflichtig ist. Im Falle des Obsiegens werden ihm seine Kosten, zu denen auch die von ihm verauslagten Gerichtskosten gehören, über § 101 ZPO vom Gegner der unterstützten Partei erstattet. Eine obergerichtliche oder gar höchstrichterliche Klärung dieser Frage ist kürzlich gescheitert. Ein Rechtsmittel gegen die Anordnung des Auslagenvorschusses nach § 379 ZPO ist nicht gegeben.25 Der Versuch, eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit zu begründen26, ist nicht überzeugend. Nach den vorstehenden Ausführungen ist eine „greifbare Gesetzeswidrigkeit“ nicht zu begründen. Im Übrigen hat nunmehr auch der BGH eine solche Beschwerde selbst für das selbständige Beweisverfahren als unzulässig angesehen. Die Prüfung der Kostenentscheidung auf Verfahrensfehler hat er in das nachfolgende Hauptverfahren verwiesen.27 Allerdings ist höchst fraglich, ob eine Partei das Risiko eingeht, an dieser Stelle mit einem Verfahrensfehler zu „spekulieren“, um im Hauptsacheverfahren beschieden zu werden, ein Verfahrensfehler sei nicht gegeben. Allerdings ist über § 101 ZPO der Weg aufgezeigt, wie eine Klärung dieser Frage durch die Obergerichte herbeigeführt werden kann. In einem Fall, in dem der Streithelfer mit Auslagen für einen Beweisantritt belastet wird, meldet er diese Kosten nach einer Kostenentscheidung gem. § 101 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren an. Gegen die Entscheidung des Rechtspflegers kann bei Erreichen des Beschwerdewerts sofortige Beschwerde und – sofern zugelassen – Rechtsbeschwerde eingelegt werden.
III. Im selbständigen Beweisverfahren stellt sich ein Problem, das dem Prozess, für den die Streitverkündung in erster Linie gedacht ist, völlig fremd ist. Es ist anerkannt, dass der Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren seinerseits (Gegen-)Fragen an den Sachverständigen stellen kann und zwar nicht nur im Rahmen der Erläuterung des Gutachtens (§ 492 Abs. 1 i. V.m. § 411 Abs. 3 ZPO), sondern schon als „Gegenantrag“ in Erwiderung auf die Antragsschrift.28 Genauso kann der Streithelfer des Antragsgegners oder des Antragstellers unterstützende Beweisanträge stellen.29 Insbesondere dann, wenn der Streithelfer weitere Streitverkündungen ausbringt, kann sich die kuriose Situation ergeben,
__________
25 BGH v. 3.3.2009 – VIII ZB 56/08, NJW-RR 2009, 1533 (1534); Huber in Musielak, ZPO, § 379 Rz. 4. 26 OLG Köln v. 21.10.2008 – 22 W 66/08, BauR 2009, 540. 27 BGH, NJW-RR 2009, 1433 (1434). 28 OLG Köln v. 6.12.2004 – 15 W 59/04, BauR 2005, 752; OLG Hamm v. 29.10.2002 – 21 W 25/02, BauR 2003, 1763 (1764); Huber in Musielak, ZPO, § 490 Rz. 2; Herget in Zöller, ZPO, § 485 Rz. 3. 29 OLG Düsseldorf v. 23.1.1996 – 23 W 1/96, OLGR 1996, 244 (245 f.); v. 25.3.2004 – I-5 W 61/03, BauR 2004, 1657 (1659); Werner/Pastor, (Fn. 3), Rz. 94.
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dass die Streithelfer eine Fülle von Fragen stellen, die streng genommen nicht mehr zum Verfahren gehören: Der Antragsteller (Bauherr) möchte im Verhältnis zum Antragsgegner (Bauträger) geklärt wissen, ob Mängel vorliegen. Der Antragsgegner verkündet dem Generalunternehmer den Streit, der auf Seiten des Antragsgegners beitritt. Der Streithelfer bringt eine weitere Streitverkündung gegen einen Nachunternehmer aus. Auch dieser tritt dem Verfahren auf Seiten des Antragsgegners bei. Dieser Nachunternehmer stellt die Frage, ob ein Bauplanungs- oder ein Ausführungsmangel vorliegt. Für die Beantwortung der Frage, ob der Antragsgegner den Mangel zu vertreten hat, ist die Frage unerheblich. Der Bauträger haftet sowohl für die fehlerhafte Planung als auch für die fehlerhafte Ausführung. Damit zielt die weitergehende Frage des Streithelfers auf die Haftungsverteilung zwischen dem Generalunternehmer und ihm selbst. Eine erste Überlegung, dem streitverkündeten (und seinerseits wiederum streitverkündenden) Generalunternehmer ein Widerspruchsrecht analog § 67 ZPO einzuräumen, ist nicht tragfähig. Der Streithelfer hat keine Dispositionsbefugnis über das Verfahren. Auch wenn er selbst eine Streitverkündung ausbringt, handelt er nur im Rahmen eines fremden Verfahrens; er kann den weiteren Streitverkündeten auch nicht auffordern, ihm, dem weiteren Streitverkünder, beizutreten. Der Beitritt des weiteren Streitverkündeten kann nur auf Seiten einer der Parteien stattfinden. Im Rahmen der Dispositionsbefugnis ist daher die Lösung des Problems zu suchen. Der Streithelfer kann keine Disposition über das Verfahren treffen, ihm insbesondere keinen anderen Verfahrensgegenstand geben.30 Deshalb kann er keine Anträge für sich selbst stellen, wenn es um die Entscheidung eigener Rechtsbeziehungen geht.31 Diese Grundsätze sind zwar für das normale Klageverfahren entwickelt worden; sie gelten jedoch gleichermaßen im selbständigen Beweisverfahren. Hier ist die Abgrenzung nur deshalb schwieriger, weil der Verfahrensgegenstand, der nicht zur Disposition der Streithelfer steht, durch Beweisanträge bestimmt wird. Die Beweisanträge sind jedoch auch Angriffs- und Verteidigungsmittel, die der Streithelfer wieder eigenständig im Rahmen des § 67 ZPO geltend machen darf. Es ist durch Auslegung zu ermitteln, ob sich der konkrete Beweisantrag noch innerhalb des von den Parteien geführten Verfahrens bewegt. Daraus folgt zunächst, dass Anträge, die nicht das Verhältnis der Parteien zueinander ausleuchten, jedenfalls dann nach § 67 ZPO unzulässig sind, wenn sie vom Streithelfer ausgehen.32 Man wird darüber hinaus auch folgern müssen, dass Anträge des Antragsgegners, die allein zum Gegenstand haben, sein
__________ 30 Weth in Musielak, ZPO, § 67 Rz. 8; Vollkommer in Zöller, ZPO, § 67 Rz. 9a, Bork in Stein/Jonas, ZPO, § 67 Rz. 9. 31 RG v. 22.1.1908 – V. 144/07, RGZ 68, 10 (14). 32 OLG Hamm v. 4.11.2008 – I-19W 28/09, NJW 2009, 1009; OLG Karlsruhe v. 9.7.2008 – 7 W 31/08, OLGR 2008, 694 f.; OLG Düsseldorf v. 25.3.2004 – 5 W 61/03, BauR 2004, 1657 (1659); OLG Nürnberg v. 30.9.2002 – 13 W 2914/02, OLGR 2003, 92 f.; KG v. 15.2.1999 – 25 W 6893/98, NJW-RR 2000, 513 (514).
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Verhältnis zu weiteren Dritten (Streitverkündete) zu klären, ebenfalls nicht zulässig sind. Im vorliegenden Beispielsfall haftet der Antragsgegner dem Antragsteller, wenn ein Mangel vorliegt. Worauf dieser Mangel beruht, also beispielsweise auf einem Planungs- oder Ausführungsfehler, ist für den Antragsteller ohne Interesse. Eine weitere Schlussfolgerung scheint sich aufzudrängen. Wenn sich der Streithelfer nur im Rahmen des von den Parteien eingeführten Streitgegenstandes bewegen darf, darf er auch für die unterstützte Partei keine Ausweitung des Streitgegenstandes vornehmen.33
IV. § 101 ZPO bindet die Entscheidung über die Kosten der Nebenintervention an die Kostenentscheidung über die Hauptsache. Dies kann zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, wenn der Streithelfer dem Verfahren nur teilweise beigetreten ist. Ein Generalunternehmer einer Kühlhalle wird wegen Mängeln des Gebäudes in Anspruch genommen, die teilweise die Funktionsfähigkeit der Lüftung betreffen, teilweise die Ausbildung der Dachkonstruktion. Er verkündet dem Dachdecker und dem Lüftungsbauer, die als seine Subunternehmer tätig waren, den Streit. Beide treten – beschränkt auf die an ihren Gewerken gerügten Mängel – dem Verfahren auf Seiten des Generalunternehmers bei. Die Klage wird wegen der angeblichen Mängel am Dach abgewiesen und hinsichtlich der Lüftung zugesprochen. Im Hauptverfahren wird demzufolge eine Quote gebildet. Man kann nun die Auffassung vertreten, § 66 ZPO differenziere nicht nach Streitgegenständen oder Teilen von Streitgegenständen. Deshalb erfolge der Streitbeitritt zum gesamten Rechtsstreit. Das gegebenenfalls gegenüber dem Streitwert des Hauptverfahrens geringere Interesse des Streithelfers könne im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden.34 Nach nun überwiegender Ansicht kann hingegen ein Streitbeitritt auch teilweise erfolgen.35 Dieser Auffassung ist auch zu folgen. Nach § 66 ZPO muss der Nebenintervenient ein rechtliches Interesse am Streitbeitritt geltend machen. Ohne dieses Interesse ist sein Beitritt auf Antrag zurückzuweisen (§ 71 ZPO). Das Interesse muss auch in der Streitbeitrittserklärung offengelegt werden (§ 70 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Daraus ergibt sich, dass ein Streitbeitritt nur insoweit erfolgen kann, als das
__________ 33 In diesem Sinne möglicherweise auch OLG Thüringen v. 31.1.1996 – 7 W 598/95, OLGR 1996, 69 (70); zurückhaltend Werner/Pastor (Fn. 3), Rz. 52, wenn sich der Streithelfer an den Rahmen des ursprünglichen Beweisthemas hält. 34 So OLG Düsseldorf v. 28.4.1966 – 6 U 182/65, MDR 1966, 852 f.; Bork in Stein/Jonas, ZPO, § 66 Rz. 11, der eine Ausnahme bei unterschiedlichen Streitgegenständen macht; ob im vorliegenden Verfahren aber unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen, ist jedenfalls nicht ohne weiteres zu bejahen. 35 BGH v. 10.10.1959 – V ZR 204/57, NJW 1960, 42 (43); Vollkommer in Zöller, ZPO, § 66 Rz. 14; Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 66 Rz. 8.
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rechtliche Interesse am Obsiegen einer Partei besteht. Konsequenterweise kann der Streitwert der Nebenintervention niedriger sein als der Streitwert im Hauptsacheverfahren. Im Beispielsfall liegt er für den Dachdecker bei den bezogen auf das Dach geltend gemachten Kosten. Daran schließt sich sogleich die Frage an, wie in diesen Fällen mit den durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu verfahren ist. Soll der Dachdecker – obwohl mit seinem Anteil voll obsiegend – seine Kosten vom niedrigeren Streitwert nur quotal entsprechend dem Hauptsacheverfahren erstattet bekommen, der Lüftungsbauer hingegen, obwohl mit seinem Anteil in vollem Umfang unterlegen, gleichwohl noch einen Teil der Kosten ersetzt bekommen? In der Tat wird wohl überwiegend die Auffassung vertreten, der Gegner des Streithelfers habe nur insoweit die Kosten der Nebenintervention zu tragen, soweit ihm die übrigen Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden. Dies bedeutet, dass er im gegebenen Fall vom niedrigeren Streitwert der Nebenintervention lediglich eine Quote zu tragen hat.36 Zur Begründung wird auf den Grundsatz der Kostenparallelität verwiesen. Eine abweichende Auffassung will hingegen berücksichtigen, inwieweit der Streithelfer bezogen auf seinen Verfahrensanteil obsiegt hat bzw. unterlegen ist. Vorliegend hätte der Dachdecker nach dieser Auffassung einen Anspruch auf vollständige Kostenerstattung bezogen auf den niedrigeren Streitwert, der Lüftungsbauer müsste hingegen seine Kosten komplett tragen.37 Es wird darauf verwiesen, dass § 101 ZPO keine abschließende Regelung darstellt. So seien Ausnahmen anerkannt, wenn der Streithelfer die unterstützte Partei wechsle oder allein ein Rechtsmittel einlege. Zweck des § 101 ZPO ist – wie oben herausgearbeitet – für den Streithelfer einen Kostenerstattungsanspruch im Verhältnis zum Gegner der unterstützten Partei zu schaffen. Im übrigen richtet sich die Kostenerstattung im Rahmen der §§ 91–98 ZPO nach der Kostenentscheidung des Hauptverfahrens. Dann spricht mehr dafür, den Streithelfer nur im Umfang seines Streitgegenstandes an den Verfahrenskosten zu beteiligen. Dem steht auch der Grundsatz der Kostenparallelität38 nicht entgegen. Parallelität kann nur im Hinblick auf den gemeinsamen Streitgegenstand hergestellt werden. Soweit der Streithelfer nicht am Verfahren beteiligt war, kann er auch nicht an den Kosten beteiligt werden.
__________ 36 OLG Saarbrücken v. 3.7.1996 – 4 U 732/95, MDR 1996, 967; OLG Celle v. 28.10.2004 – 6 W 110/04, OLGR 2005, 83 (84); Bork in Stein/Jonas, ZPO, § 101 Rz. 5; Giebel in Münchner Kommentar zur ZPO, § 101 Rz. 6; Wölst in Musielak, ZPO, § 101 Rz. 3. 37 OLG Hamm v. 16.10.2007 – 21 U 43/07, OLGR 2008, 195 f.; Herget in Zöller, 28. Aufl. 2010, § 101 Rz. 2; Thomas/Putzo, § 101 Rz. 2; Gierl in Saenger, 3. Aufl. 2009, § 101 Rz. 6; Schneider in Prütting/Gehrlein, ZPO, 2010, § 101 Rz. 19. 38 BGH v. 3.4.2003 – V ZB 44/02, NJW 2003, 1948 (1949); BGH v. 10.3.2005 – VII ZB 32/04, NJW-RR 2005, 1159; BGH v. 27.9.2007 – VII ZB 85/06, NJW-RR 2008, 261 (262).
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Der urheberrechtliche Schutz der Sendefolge – ein Plädoyer für methodische Ehrlichkeit Inhaltsübersicht I. Einführung II. Rechtliche Ausgangslage und Argumente in der bisherigen Literatur 1. Sendefolge als „Datenbank“? 2. Urheberrechtlicher Schutz als Sammelwerk – Die Argumente in Rechtsprechung und Literatur
III. Der Kern des Problems – Kontrolle der Sekundärmärkte für Fernsehprogrammführer und andere programmbezogene Dienstleistungen IV. Datenbankschutz für die Sendefolge? V. Zusammenfassung
I. Einführung Der Verfasser hat seit einigen Jahren das große intellektuelle Vergnügen, sein Seminar zum Deutschen und Europäischen Immaterialgüterrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn gemeinsam mit dem Jubilar anbieten zu dürfen. So hat er als Lehrer viel von der hohen Kunst des Jubilars abschauen können, seine unvergleichlich breite praktische Erfahrung und seinen wissenschaftlichen Blick für das Wesentliche mit Studierenden, Mitarbeitern und Praktikern im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts in ganz außergewöhnlich bescheidener, unaufdringlicher und doch eindringlicher Weise zu teilen. Zum Dank ist der nachfolgende Beitrag unserem langjährigen Generalsekretär der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht zugedacht. Für immer mehr Fernsehzuschauer sind Electronic Program Guides (EPGs) zur willkommenen Dienstleistung geworden. Im Grundsatz einer (um die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten multimedialer Gestaltung in unterschiedlichem Umfang ergänzten) Fernsehzeitschrift vergleichbar, bieten sie dem Zuschauer einen Überblick über die Sendefolge und kurze Beschreibungen der Sendungen samt zusätzlichem Begleitmaterial (wie Fotos oder auch kurzen Sendeausschnitten). Dabei existieren die EPGs in unterschiedlicher Erscheinungsform und sind ihrerseits zum Teil eine wesentliche Komponente weiterer Produkte und Dienstleistungen, die den Fernsehzuschauern für die Anfertigung privater Kopien des Programms angeboten werden. Neben internetbasierten EPGs sind an dieser Stelle insbesondere EPGs zur Programmierung von Festplatten-Videorecordern sowie Set-Top-Boxen zur Bedienung der unterschiedlichen Erscheinungsformen von Online-Videorecordern zu nennen. Diese letztgenannten EPGs, die die Grundlage der Programmierung der entsprechenden Geräte bilden, sind typischerweise einfacher strukturiert und beschränken sich 189
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auf die Darstellung der Programmabfolge nebst Basisinformationen zur Sendung (also: Titel, Dauer, Sendezeit, wesentliche Mitwirkende, Produktionsjahr) und allenfalls einer Kurzbeschreibung der Sendung. Schließlich existieren noch die EPGs der Kabelnetzbetreiber als Teil ihres Gesamtdienstleistungspakets.1 Die Verwertungsgesellschaft VG Media lizenziert im Rahmen des Tarifs „EPG“ das Programmbegleitmaterial (also von den Sendern zur Verfügung gestellte Bilder, Texte, Video- oder Audiosequenzen).2 Die Geltendmachung urheberrechtlicher Ansprüche setzt in diesem Zusammenhang zuvörderst voraus, dass das entsprechende Material urheberrechtlich geschützt ist.3 Dies lässt sich – sofern die allgemeinen Schutzvoraussetzungen vorliegen – für Texte, die die notwendige Gestaltungshöhe erreichen, sowie für urheber- oder leistungsschutzrechtlich erfasste Foto-, Film- und Audio-Ausschnitte nicht bezweifeln. In diesem Zusammenhang ist in Rechtsprechung und Literatur allenfalls das Eingreifen bestimmter Schrankenbestimmungen, etwa § 504 oder auch § 12 Abs. 2 UrhG (im Rahmen eines e contrario-Arguments)5, teils hitzig umstritten.6 Diese Problematik des urheberrechtlichen Schutzes des Programmbegleitmaterials bzw. der umstrittenen Verpflichtung der Sender, derlei Material unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, soll hier aber nicht im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Vielmehr geht es bei den nachfolgenden Überlegungen um den Schutz des Programmablaufs, also der Sendeabfolge selbst. Die VG Media nimmt Rechte an den insoweit mindestens notwendigen Programmbasisdaten (Sendetitel, Sender, Sendezeit) bisher nicht wahr. Doch ist in der Literatur (und teils in der Rechtsprechung)7 eine Diskussion entstanden, ob und inwieweit für die Sendefolge als solche urheberrechtlicher Schutz in Betracht kommt. Die Fragestellung ist von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, ließen sich doch gegebenenfalls Angebote, die hinsichtlich der Programmierung etwa von Aufzeichnungen etc. auf die Daten zur Sendeabfolge angewiesen sind, über einen diesbezüglichen urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch unterbinden. Das Beispiel illustriert bereits die besondere Sprengkraft, die der Diskussion innewohnt:
__________ 1 Vgl. zu alldem statt vieler nur Castendyk, ZUM 2008, 916 (916 f.). 2 Vgl. Tarif VG Media, Elektronische Programmführer (EPG), Elektronischer Bundesanzeiger vom 31. Dezember 2009, abrufbar unter http://www.vgmedia.de/main/pdf/ 100101_tarif_epg_ebanz.pdf (zuletzt besucht am 11.5.2010). 3 S. Castendyk, ZUM 2008, 916 (917 f.). 4 Vgl. OLG Köln, GRUR-RR 2005, 105 – Elektronischer Fernsehprogrammführer; LG Köln v. 23.12.2009 – 28 O (Kart) 479/08. 5 Vgl. Zimmer, K & R 2008, 590 (593). Vgl. in anderem Zusammenhang mit gewissen methodischen Zweifeln an der Tragfähigkeit des e contrario-Schlusses zu § 12 Abs. 2 UrhG Leistner/Stang, CR 2008, 499 (502 f.). 6 Vgl. etwa gegen die Anwendung des § 50 UrhG LG Leipzig, ZUM 2009, 980; bestätigt von OLG Dresden v. 15.12.2009 – 14 U 818/09. Vgl. aus der jüngeren Literatur zum Ganzen Wagner, in: Jacobs/Papier/Schuster (Hrsg.), FS für Peter Raue, 2006, S. 723 (735 f.); Pleister/von Einem, ZUM 2007, 904; Veigel, AfP 2008, 551; Hoeren, ZUM 2008, 271; Castendyk, ZUM 2008, 916. 7 Vgl. die Nachweise o. Fn. 5 und 6.
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Der urheberrechtliche Schutz der Sendefolge – ein Plädoyer für methodische Ehrlichkeit
Letztlich könnten die Rechteinhaber auf dem Umweg über den Schutz der Sendeabfolge bestimmte – auf das Programm bezogene – abgeleitete Dienstleistungen urheberrechtlich kontrollieren. Auf dieses eigentliche Kernproblem soll (unten III) noch näher eingegangen werden, um einen eigenen Lösungsansatz zu entwickeln. Zuvor sind die Argumente in der bisherigen Literatur zum Schutz der Sendefolge als Sammel- oder Datenbankwerk nachzuzeichnen (unten II).
II. Rechtliche Ausgangslage und Argumente in der bisherigen Literatur 1. Sendefolge als „Datenbank“? Für die Zusammenstellung der Sendefolge eines einzelnen Fernsehprogramms kommt urheberrechtlicher Schutz als Datenbankwerk i. S. d. § 4 Abs. 2 UrhG oder Leistungsschutz als Datenbank i. S. d. § 87a UrhG in Betracht. Bei den Daten zum Sendeablauf handelt es sich zweifelsohne um unabhängige Elemente, auf die einzeln mit elektronischen oder anderen Mitteln zugegriffen werden kann (§ 4 Abs. 2, § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG). Für die Einordnung als Sammelwerk oder als Datenbankwerk, die im Hinblick auf die europäisch harmonisierte Schutzvoraussetzung der „eigenen geistigen Schöpfung“ speziell im Bereich der Datenbankwerke8 durchaus von Relevanz sein kann, ist entscheidend, ob diese Elemente „systematisch oder methodisch“ angeordnet sind. Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Kriterium, das aus der Datenbankrichtlinie9 stammt und in deren Lichte europarechtskonform auszulegen ist, in erster Linie im Sinne einer de minimis-Abgrenzung von völlig ungeordneten Rohdaten aufzufassen;10 eine Anordnung der einzelnen Sendungen, die bestimmten Zweckmäßigkeitserwägungen im Hinblick auf den audience flow oder weiteren Vorgaben und Faktoren folgt, ist demnach als systematisch oder methodisch einzuordnen.
__________ 8 Die urheberrechtliche Schutzvoraussetzung ist im europäischen Recht (mit minimalen Formulierungsunterschieden im Detail) jedenfalls für Computerprogramme, fotografische Werke und Datenbanken auf dem Niveau der „eigenen geistigen Schöpfung“ harmonisiert. Zuletzt ist darüber hinaus durch die Infopaq-Entscheidung des EuGH – Rs. C-5/08 (abrufbar im Internet unter www.curia.eu.int), Rz. 27 ff., insbesondere 37 ff., die Frage aufgeworfen, ob das europäische Recht im Lichte der völkerrechtlichen Vorgaben letztlich aufgrund der Verallgemeinerbarkeit dieser punktuellen Einzelregelungen sogar schon für sämtliche Werkarten eine Harmonisierung der Schutzvoraussetzung auf der Grundlage des Begriffs der „eigenen geistigen Schöpfung“ vorsieht. Vgl. dazu Schulze, GRUR 2009, 1019; am Rande auch Czychowski/ Nordemann, NJW 2010, 735 (736); ausführlich im Vorfeld der EuGH-Entscheidung Handig, UFITA 2009/I, S. 55. Vgl. auch noch unten III. 9 Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABl. L 77 vom 27.3.1996, S. 20 (im Folgenden: Datenbankrichtlinie). 10 S. Leistner, Der Rechtsschutz von Datenbanken im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 53 ff. m. w. N.
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Matthias Leistner
Damit handelt es sich bei der Zusammenstellung der Daten über die Programmabfolge in der Tat um eine Datenbank i. S. d. §§ 4 Abs. 2, 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG, für deren Schutzfähigkeit folglich entscheidend ist, ob die Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche im Sinne einer eigenen geistigen Schöpfung darstellt (Urheberrecht) bzw. ob eine wesentliche Investition zur Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung der Elemente erforderlich war (Leistungsschutzrecht). Insbesondere hinsichtlich des urheberrechtlichen Schutzes ist diese Frage in Literatur und Rechtsprechung umstritten (s. unten 2). Hinsichtlich des Datenbankherstellerschutzes wurde die Frage bisher, soweit ersichtlich, kaum diskutiert (s. aber mit eindeutigem Ergebnis, das zugleich den Weg für die zutreffende Lösung auch der urheberrechtlichen Problematik bestätigt, unten IV). 2. Urheberrechtlicher Schutz als Sammelwerk – Die Argumente in Rechtsprechung und Literatur Entscheidend ist für den urheberrechtlichen Schutz, ob in der Auswahl oder Anordnung der Elemente – mithin in der Festlegung der Sendefolge als solcher – eine hinreichend individuell kreative Leistung erblickt werden kann, die der Voraussetzung einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne einer eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers genügt. Dabei hat die Rechtsprechung des BGH in diesem Bereich traditionell keine verschärften Anforderungen im Sinne des Vorliegens einer besonderen Schöpfungshöhe gestellt.11 Die Frage, ob die schlichte Sendefolge (die „Sendedaten“) des Fernsehprogramms dieser Voraussetzung genügt, ist in der Literatur dennoch umstritten.12 Der BGH und das Kammergericht hatten die Frage der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit, die in ihren Entscheidungen zum „Fernsehfee“-Werbeblocker am Rande eine Rolle spielte, offengelassen, da beide Gerichte in der zugrunde liegenden Sachverhaltsgestaltung jedenfalls einen Eingriff des Anbieters in urheberrechtliche Verwertungsrechte verneinten.13 In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung wurde eine Schutzfähigkeit der schlichten Sendedaten zuletzt vom LG Köln mangels Vorliegens einer persönlichen geistigen Schöpfung verneint, ohne dies aber wirklich belastbar zu begründen.14 In der Literatur wird von der einen urheberrechtlichen Schutz prinzipiell ablehnenden Auffassung angeführt, die Anordnung der einzelnen Sendungen sei
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11 S. ausführlich Leistner, Der Rechtsschutz von Datenbanken im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 267 ff. 12 Bejahend zuletzt Pleister/v. Einem, ZUM 2007, 904; dagegen Hoeren, ZUM 2008, 271; für einzelfallabhängige Maßstäbe Castendyk, ZUM 2008, 916 (919). 13 Vgl. KG, MMR 2002, 483 (486); BGH, WRP 2004, 1272 (1276) – Werbeblocker. 14 S. LG Köln v. 23.12.2009 – 28 O (Kart) 479/08, III 1; für (hier zum Betrieb der Channel nicht notwendig erforderliches) zusätzliches Begleitmaterial wie Texte, Bilder, nähere Sendebeschreibungen den Schutz bejahend zuletzt OLG Dresden v. 15.12. 2009 – 14 U 818/09; vgl. im letztgenannten Zusammenhang aber auch schon OLG Köln, GRUR-RR 2005, 105 – Elektronischer Fernsehprogrammführer, wo das Gericht von einer Privilegierung der Verwendung von Begleitmaterial jedenfalls für denselben Sendetag auf Grundlage von § 50 UrhG ausgeht.
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in höchstem Maße durch die empirischen Erkenntnisse über die Zuschauererwartung und das Zuschauerverhalten bestimmt. Die Anordnung der einzelnen Sendungen sei mithin – neben bestimmten fixierten Publikumserwartungen wie der „prime time“ ab 20.15 Uhr etc. – insbesondere durch scharfen wirtschaftlichen Wettbewerb in hohem Maße kommerziell determiniert.15 So bleibe hier praktisch kein Spielraum für individuelle Kreativität, die nicht durch die empirischen Erkenntnisse über das Zuschauerverhalten in höchstem Maße kommerziell vorgeprägt wäre. In vergleichbarer Weise bestehe auch für eine genuin individuelle Auswahl der Sendungen kein echter Spielraum, da der scharfe wirtschaftliche Wettbewerb um die spezifisch werberelevante Gruppe der 25–49-jährigen Zuschauer hinsichtlich der Senderprofile zu weitestgehender Gleichförmigkeit und Beliebigkeit und damit zu einer nur ganz schwach konturierten individuellen Senderprofilierung führe. So reagierten praktisch sämtliche Sender kurzfristig und hochflexibel auf die jeweils modischen Trends des Zuschauerinteresses, weshalb die Auswahl der Beiträge letztlich hochgradig austauschbar sei. Könne aber eine Sendung im Gesamtprogramm derart leichthändig durch eine andere ersetzt werden, ohne dass das Gesamtprofil des Programms hierdurch entscheidend verändert würde, fehle es der Sendefolge als Träger dieses „schwammigen“ Senderprofils an dem für § 4 Abs. 2 UrhG erforderlichen individuellen Gehalt.16 Demgegenüber will eine andere Auffassung den urheberrechtlichen Schutz der Sendefolge prinzipiell bejahen.17 Hinsichtlich der Auswahl der einzelnen Sendung sei insbesondere der Vergleich zur Auswahlleistung von Zeitungs- und Zeitschriftenanbietern zu berücksichtigen.18 Die notwendige sichtende, sammelnde, bewertende und kompilierende Leistung der Programmgestalter sei grundsätzlich schutzfähig, wobei auf die für den Sammelwerkschutz bis heute prägende ältere BGH-Leitentscheidung zum Schutz einer 22-bändigen Dokumentation bezüglich des Schicksals der Kriegsgefangenen im 2. Weltkrieg19 verwiesen wird.20 Doch ist zu bedenken, dass mindestens der Vergleich zu dem in der einschlägigen BGH-Entscheidung gegenständlichen Sammelwerk, einer zwar zum Teil aus öffentlichen Quellen zusammengestellten, aber doch hochkomplexen und umfänglichen Dokumentation, wohl allenfalls sehr eingeschränkt trägt. Festzuhalten ist auch, dass gerade im Bereich von Zeitschriften und Zeitungen letzthin von den deutschen Gerichten eher strenge Anforderungen an einen denkbaren Sammelwerkschutz gestellt wurden.21
__________ 15 S. Hoeren, ZUM 2008, 271; vgl. auch Castendyk, ZUM 2008, 916 (919), der aus der überragenden kommerziellen Bedeutung der Programmierung gerade umgekehrt auf die potentielle Schutzfähigkeit schließen will. 16 S. Hoeren, ZUM 2008, 271 (272) im Hinblick auf den von ihm geprüften § 4 Abs. 1 UrhG. Vgl. dazu auch nochmals unten III. 17 S. Pleister/v. Einem, ZUM 2007, 904. 18 S. Pleister/v. Einem, ZUM 2007, 904. 19 S. BGH, GRUR 1982, 37 – WK-Dokumentation. 20 S. Pleister/v. Einem, ZUM 2007, 904 (906). 21 S. OLG München, MMR 2007, 525 – Kopienversanddienst Subito.
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Schließlich wendet sich eine vermittelnde Auffassung gegen pauschale Aussagen bei der Ermittlung der Werkqualität des Gesamtprogrammablaufs.22 Insbesondere sei es verfehlt, aus den kommerziellen und rechtlichen (z. B. jugendschutzrechtlichen) Rahmenbedingungen der Programmierung abzuleiten, dass der Programmablauf durch Logik oder Zweckmäßigkeit nach der Natur der Sache bereits weitgehend vorgegeben sei. Vielmehr bestünden in diesem Zusammenhang erhebliche Spielräume. Es sei geradezu die Kernkompetenz der Sender, in der Programmplanung für einen effektiven audience flow, eine „weiche“ Mitnahme der werberelevanten Zuschauergruppen von einer Sendung zur nächsten zu sorgen.23 Die Kreativität könne potentiell sowohl in der Auswahl der jeweiligen Sendung als auch in deren Anordnung auf einen „passenden“ Sendeplatz liegen. Dabei sei zu differenzieren: Je mehr das Programm durch langlaufende Formate auf festen Sendeplätzen strukturiert sei, desto weniger Spielraum bleibe für individuelle Kreativität; je mehr demgegenüber die tägliche Auswahl und Anordnung unabhängiger Formate im Mittelpunkt stehe, desto eher könne eine persönliche geistige Schöpfung zu bejahen sein.24 Auf den ersten Blick scheint einiges für die vermittelnde Auffassung zu sprechen. Schließlich stellen sich die einzelnen Formate doch je für sich genommen als Elemente mit gewissen individuellen Eigenschaften dar, hinsichtlich derer gerade bezüglich der Anpassung an die entsprechenden Vorgaben der Marktforschung im Hinblick auf eine optimal „passende“ Programmierung individuelle Spielräume für die Tätigkeit des Programmierers bleiben können. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang aber, dass sich die „eigene geistige Schöpfung“ auch in dem letztlich vorliegenden Datenbankwerk verkörpern muss.25 Es genügt also gerade nicht, dass im Rahmen der Zusammenstellung des typischen Fernsehprogramms nicht ganz unerhebliche Spielräume bestanden, die unter kommerziellem und psychologischem Geschick in möglichst zuschauerbindender Weise von entsprechenden Spezialisten individuell ausgestaltet wurden. Vielmehr ist darüber hinaus zu fordern, dass das hieraus resultierende Ergebnis – die konkrete Sendefolge – diese individuelle Anstrengung auch verkörpert, also als persönliche geistige Schöpfung widerspiegelt. Ebendies ist mit Blick auf das übliche Fernsehprogramm allerdings weitaus problematischer als die bloße Forderung nach einer individuellen Leistung bei dessen Zusammenstellung. Denn typischerweise wirken die Programme – abgesehen von ihrem meist recht allgemeinen Profil, das insoweit eine bloße Idee oder Grundkonzeption verkörpert – bei der individuellen Ausgestaltung dieses Profils durch Auswahl oder Anordnung der Sendungen doch in der Tat vergleichsweise austauschbar. Demnach verkörpert sich, angesichts des geringen Individualisierungsgrads auch des zur Verfügung stehenden durchschnitt-
__________ 22 23 24 25
S. Castendyk, ZUM 2008, 916 (919). S. Castendyk, ZUM 2008, 916 (919); vgl. auch Pleister/v. Einem, ZUM 2007, 904 (906). S. Castendyk, ZUM 2008, 916 (919). Vgl. genau zutreffend (im anderen Zusammenhang der Gedichttitelliste-Entscheidung des BGH) Ehmann, GRUR 2008, 474 (475). In ähnliche Richtung auch Hoeren, ZUM 2008, 271 (272 f.).
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lichen Programmmaterials, typischerweise die individuelle Leistung bei der Auswahl oder Anordnung der Einzelsendungen nur in vergleichsweise geringem Maße im letztlich daraus resultierenden Programm.26 Ausnahmen mögen insoweit immerhin Themenabende oder ähnliche thematisch um einen Schwerpunkt strukturierte Programmgestaltungen bilden, die dann typischerweise aber eher durch ihren jeweiligen themengebenden Mittelpunkt – etwa die besonders populäre Hauptsendung, den neuesten Spielfilm etc. – vorgeprägt sind, um den sich dann wiederum tendenziell eher austauschbare Zutaten gruppieren. Immerhin lässt sich nach alldem – trotz verbleibender Zweifel – jedenfalls nicht ausschließen, dass bei konsequenter Zugrundelegung niedriger Maßstäbe hinsichtlich der individuellen Prägung des Sammelwerks im Sinne einer eigenen geistigen Schöpfung ein Schutz des Fernsehprogrammablaufs je nach den Umständen des Einzelfalls durchaus in Betracht kommen kann. Geht man daher für den Schutz des Datenbankwerks von niedrigen Schutzanforderungen unter ausdrücklicher Einbeziehung auch der „kleinen Münze“ aus,27 so könnte jedenfalls die Gesamtprogrammierung für einen längeren Zeitraum unter bestimmten Umständen im Einzelfall den Voraussetzungen urheberrechtlichen Schutzes als Datenbankwerk genügen. Vor diesem Hintergrund scheinen die jüngeren gerichtlichen Urteile, die demgegenüber mit jeweils nur apodiktischer Begründung einen Schutz ablehnen, zuerst nicht recht verständlich. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass diese Urteile mit der Verweigerung urheberrechtlichen Schutzes für den Regelfall im Ergebnis absolut zutreffen, während hinsichtlich der Begründung dieses Ergebnisses sämtliche vorstehend geschilderten Ansätze am eigentlichen Kern der an dieser Stelle bestehenden Problematik mindestens teilweise vorbeizielen.
III. Der Kern des Problems – Kontrolle der Sekundärmärkte für Fernsehprogrammführer und andere programmbezogene Dienstleistungen Das eigentliche Problem eines urheberrechtlichen Schutzes schlichter Fernsehprogrammbasisdaten wird durch die Magill-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs28 zum Verhältnis von urheberrechtlichem Exklusivschutz und diesbezüglicher kartellrechtlicher Kontrolle überdeutlich illustriert.29 Der Entscheidung lag das englische und irische copyright für einfache Zusammenstel-
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26 Vgl. insoweit im Ansatz zutreffend Hoeren, ZUM 2008, 271 (272 f.). 27 S. zur Entwicklung der diesbezüglichen Maßstäbe im deutschen Recht ausführlich Leistner, Der Rechtsschutz von Datenbanken im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 262 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen; s. bündiger auch die diesbezüglichen Nachweise aus der Kommentarliteratur bei Pleister/v. Einem, ZUM 2007, 904 (905). Vgl. aber noch unten III für eine Argumentation in Richtung eines strengeren Verständnisses des Kriteriums der „eigenen geistigen Schöpfung“. 28 EuGH v. 6.4.1995 – Verb. Rs. C-241/91 O u. C-242/91 P, Slg. 1995, 743=GRUR Int. 1995, 490 – Magill. 29 Auf diesen Zusammenhang weist im Ansatz zutreffend auch Hoeren, ZUM 2008, 271 (273), hin.
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lungen – und damit auch für die Basisdaten des Fernsehprogramms – zugrunde. Die Gewährung urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsschutzes für diese Basisdaten eröffnete den hierdurch begünstigten Fernsehsendern die Möglichkeit, auf dem nachgelagerten Markt für Fernsehprogrammführer durch Verweigerung der Lizenzerteilung jeglichen Wettbewerb auszuschließen und auf diese Weise die Entstehung eines neuen Produkts (eines umfassenden Fernsehprogrammführers), nach dem erheblicher Verbraucherbedarf bestand, zu verhindern. Diese aus kartellrechtlicher Sicht missbräuchliche Lizenzverweigerung führte zur Annahme des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch den EuGH auf Grundlage des damaligen Art. 86 EWGV30. Dabei verdeutlicht die Magill-Entscheidung, dass der Schutz des bloßen Sendeablaufs letztlich – da es sich hierbei um vom Hersteller generierte, sog. sole source data handelt, die anderweitig schlicht nicht beschafft oder erstellt werden können – strukturell und typischerweise zu übermäßigen Einschränkungen der Wettbewerbsfreiheit in Sekundärmärkten führt, die auf die Verfügbarkeit dieser Basisinformationen angewiesen sind.31 Die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes gestattet es also den Rechteinhabern ganz typischerweise, eine durch Reservierung abgeleiteter Märkte angestrebte Quasi-Rente zu erzielen, die über die durch die gesetzgeberische Interessenbalance gewährte Anreizwirkung des Urheberrechts hinausgeht. Eben dieser – für diese und andere sole source data frühzeitig erkannte und dokumentierte32 – Zusammenhang führte wohl letztlich auch dazu, dass der Europäische Gerichtshof in seiner späteren BHB v. Hill-Entscheidung derartigen sole source data auch den schlichten Investitionsschutz des Datenbankherstellerrechts grundsätzlich versagte.33 Eine Ausdehnung des urheberrechtlichen Schutzes auf einen solchen Gegenstand führt also schon aus strukturellen Gründen und damit unabhängig von der konkreten Marktsituation typisierbar dazu, dass das dem Schutzrechtsinhaber für diesen Gegenstand zugewiesene Ausschließlichkeitsrecht in missbräuchlich wettbewerbsbeschränkender Weise eingesetzt werden kann. Entsprechend fiel auch die Beurteilung der Magill-Entscheidung in weiten Teilen der damaligen Literatur aus: Die Gewährung der kartellrechtlichen Zwangslizenz wurde weithin dahingehend eingeordnet, dass hier letztlich mit den Mitteln des Kartellrechts eine wettbewerbsdysfunktionale Fehlentwicklung („Anomalie“) des englischen und irischen copyright geheilt worden sei.34
__________ 30 Heute Art. 102 AEUV. 31 Vgl. allgemein zum Einsatz des Urheberrechts zur Kontrolle von Sekundärmärkten Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, 2007. 32 Vgl. nur U.S. Copyright Office, Report on Legal Protection for Databases, Washington 1997, zu problematischen Kategorien sogenannter sole source data, die vom Hersteller der Datenbank selbst generiert wurden. 33 Vgl. noch näher unten IV. 34 Vgl. u. a. Calvet/Desurmont, RIDA 167 (1996), 3 (29 ff.); Stamatoudi, The Journal of World Intellectual Property 1998, 153 (161); Pilny, GRUR Int. 1995, 954 (959 f.); ebenso bezüglich der Entscheidung des EuG Doutrelepont, GRUR Int. 1994, 302 (307); zuletzt konkret für die urheberrechtliche Beurteilung von Sendedaten nach deutschem Recht diese Argumente zu Recht wieder aufgreifend und daher Schutz verneinend Hoeren, ZUM 2008, 271 (273).
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Selbst die Kommission hatte – durchaus in diesem Sinne – in ihrer zugrundeliegenden Entscheidung noch wesentlich mit der nach ihrer Auffassung in Bezug auf den Gemeinsamen Markt fehlenden Schutzwürdigkeit der Programmlisten argumentiert.35 Das eigentliche Problem eines Schutzes der schlichten Fernsehprogrammbasisdaten als Sammelwerk liegt also darin, dass damit unter Umständen auch nach der gesetzgeberischen Wertung urheberrechtlich eindeutig zulässige Handlungen bezüglich des zusammengestellten Fernsehprogramms selbst – also der einzelnen Sendungen – unter Berufung auf den Schutz des Gesamtprogramms als Sammelwerk unterbunden werden könnten.36 Aus heutiger Sicht betrifft dies neben den herkömmlichen Fernsehprogrammführern insbesondere auch die EPGs unterschiedlicher Couleur, wie sie etwa auch zur nutzerseitigen Programmierung von Festplatten-Videorecordern und ähnlichen Dienstleistungen Verwendung finden, deren Einsatz sich aus Sicht der Nutzer bezüglich der Fernsehsendungen selbst als zulässige Privatkopie darstellt. Im Ergebnis droht ein Überschutz (auch der im Fernsehprogramm enthaltenen Einzelelemente) aufgrund eines zu weit gezeichneten urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechts für deren Zusammenstellung. Die Ausdehnung des urheberrechtlichen Schutzgegenstandes auf vergleichsweise einfache Zusammenstellungen führt an dieser Stelle dazu, dass der urheberrechtliche Schutz strukturell und typischerweise zur Bedrohung für die Wettbewerbsfreiheit wird. Dabei drohen die differenzierten Überlegungen des Gesetzgebers zur Ausgestaltung der Voraussetzungen und Schranken des urheberrechtlichen Schutzes im Sinne einer Optimierung der zu erzielenden Anreizwirkung insbesondere hinsichtlich der zusammengestellten Elemente unterlaufen zu werden. Es ist diese Grundüberlegung, die letztlich dazu führen muss, dass die Schutzvoraussetzung der persönlichen geistigen Schöpfung im Bereich der Sammel- und Datenbankwerke tendenziell streng auszulegen ist.37 Denn wo die Gewährung immaterialgüterrechtlichen Schutzes bezüglich bestimmter Gegenstände in struktureller und (unabhängig von den konkreten Marktbedingungen) typisierbarer Weise abgeleitete kommerzielle Innovationen auf Sekundärmärkten übermäßig zu behindern droht, genügt die nacheilende Korrektur mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts typischerweise nicht, um die dysfunktionalen Wirkungen der Schutzgewährung auf ein wettbewerbsfunktionales Maß zurückzuschneiden.38
__________ 35 Vgl. EuG v. 10.7.1991 – Rs. 69/89, Slg. II 1991, 485 – RTE/Kommission, Rz. 43–46; EuG v. 10.7.1991 – Slg. II 1991, 575 – ITP/Kommission, Ziff. 26–29. 36 Vgl. zu einer ähnlichen Problematik (der Zusammenstellung von vornherein gemeinfreier Werke in Sammel- oder Datenbankwerken) Stang, Das urheberrechtliche Werk nach Ablauf der Schutzfrist – Negative Schutzrechtsüberschneidung, Remonopolisierung und der Grundsatz der Gemeinfreiheit, Dissertation, Bonn 2010, Kap. 3, A.V.4.b.(2)(a)(i) und A.V.5., der auf der Grundlage des von ihm entwickelten und verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatzes der Gemeinfreiheit aus diesem Grunde für eher strenge Anforderungen an die Schutzvoraussetzung im Bereich der Sammelwerke plädiert. 37 Ähnlich Stang (Fn. 36) für das von ihm untersuchte Problem der Zusammenstellung gemeinfreier Werke in Sammelwerken und Datenbanken. 38 Leistner, Kommunikation und Recht 2007, 457 (458 f.).
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Vielmehr sollte in diesen Fällen idealerweise eine „immaterialgüterrechtsinterne“ Lösung durch Begrenzung des Schutzgegenstands gefunden werden, um zu verhindern, dass der immaterialgüterrechtliche Schutz zur strukturellen Gefahr für die Wettbewerbsfreiheit wird.39 Vor diesem Hintergrund stellt sich nunmehr die Frage, ob die vorstehend geschilderten Überlegungen zur Schutzfähigkeit schlichter FernsehprogrammBasisinformationen aufrecht erhalten werden können. In diesem Zusammenhang wurde bereits40 festgestellt, dass sich angesichts des geringen Individualisierungsgrads der letztlich resultierenden Programme eine urheberrechtliche Schutzfähigkeit aufgrund der Auswahl oder Anordnung des (zumeist hochgradig austauschbaren) Materials nur bei Zugrundelegung niedriger Schutzvoraussetzungen und fortgesetzter Einbeziehung auch der „kleinen Münze“ in den urheberrechtlichen Sammelwerkschutz bejahen ließe. Wenn aber die hier zugrundegelegte und befürwortete wettbewerbsfunktionale Interpretation der Schutzvoraussetzung gerade im Gegenteil eindeutig für eine strenge Auslegung der Schutzvoraussetzung der persönlichen geistigen Schöpfung im Bereich der Sammel- und Datenbankwerke spricht, so ergibt sich daraus schließlich konsequenterweise, dass der Fernsehprogrammablauf als solcher in der Regel für den urheberrechtlichen Schutz als Sammel- oder Datenbankwerk richtigerweise nicht in Betracht kommen wird. Bei den Überlegungen, die zu diesem Ergebnis führten, wurde im Übrigen durchaus berücksichtigt, dass die urheberrechtliche Schutzvoraussetzung jedenfalls für den spezifischen Bereich der Datenbankwerke im europäischen Recht auf dem Kompromissniveau des Begriffs der „eigenen geistigen Schöpfung“ harmonisiert ist41. Der EuGH hat sich – im anders gelagerten Zusammenhang der Auslegung des Vervielfältigungsrechts der Informationsgesellschafts-Richtlinie – letzthin erstmals42 zu dieser Voraussetzung geäußert und insoweit für eine Sequenz von 11 Wörtern einen Schutz als Werk der Literatur jedenfalls nicht als von vornherein ausgeschlossen erachtet.43 Letztlich hat er aber die Anwendung des Kriteriums der „eigenen geistigen Schöpfung“ doch dem nationalen Gericht überlassen.44 So ist die kontroverse Aussage des EuGH bezüglich des
__________ 39 S. Leistner (Fn. 38); ähnlich aus grundlagenorientierter Perspektive für sogenannte Schlüsselgegenstände, spezifisch für de facto-Standards und bestimmte ästhetisch technische Schlüsselgegenstände, Früh/Lichtenegger, ZGE 2010, Heft 2 (im Erscheinen). Noch abweichend (und dabei insbesondere im Hinblick auf den Vergleich von Urheber- und Datenbankschutzrecht letztlich aus heutiger Sicht nicht konsistent) Leistner, Der Rechtsschutz von Datenbanken im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 224 ff. 40 S. oben II. 41 S. Art. 3 Abs. 1 Datenbankrichtlinie. 42 Vgl. zur Lage zuvor ausführlich Handig, UFITA 2009/I, S. 55 ff. 43 S. EuGH – Rs. C-5/08 (abrufbar im Internet unter www.curia.eu.int) – Infopaq, Rz. 37 ff. Vgl. dazu Schulze, GRUR 2009, 1019; am Rande auch Czychowski/Nordemann, NJW 2010, 735 (736). 44 S. Schulze, GRUR 2009, 1019 (1022); zu verkürzt Czychowski/Nordemann, NJW 2010, 735 (736): der EuGH habe den entsprechenden Auszügen aus Zeitungsartikeln „Werkqualität zugebilligt“.
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streitgegenständlichen Falls der wiederholten Verwendung derart kurzer Wortsequenzen wohl nur dahingehend zu verstehen, dass ein Schutz auch für derart kurze Wortsequenzen nicht von vornherein schon undenkbar ist, wenn sich in diesen der originelle Kern eines Beitrags in ganz besonderer Weise konzentriert und damit verkörpert. Man wird aus dem Urteil – im Lichte der Zielsetzung der Informationsgesellschafts-Richtlinie45 – auch durchaus ableiten müssen, dass der EuGH keine überspannt strengen Voraussetzungen an das Kriterium der eigenen geistigen Schöpfung anlegen will. Letztlich bleibt die Anwendung des Kompromißbegriffs der „eigenen geistigen Schöpfung“ aber dennoch eindeutig den mitgliedstaatlichen Gerichten überlassen. Dies bedeutet folgerichtig auch für den Bereich der Datenbankrichtlinie, dass eine Konkretisierung des Kriteriums der „eigenen geistigen Schöpfung“ im Hinblick auf die konkret streitgegenständlichen Sachverhalte durch die mitgliedstaatlichen Gerichte erfolgen kann. Kommt also ein mitgliedstaatliches Gericht46 zu dem – insbesondere vor dem Hintergrund der hier angestellten wettbewerbsfunktionalen Überlegungen zutreffenden – Ergebnis, für einen konkret streitgegenständlichen Sendeablauf die urheberrechtliche Schutzvoraussetzung einer eigenen geistigen Schöpfung zu verneinen, so lässt sich ein solches Urteil auch im Lichte der europäischen Richtlinienvorgabe nach heutiger Rechtslage auf Grundlage des Infopaq-Urteils durchaus – und derzeit ohne diesbezügliche Vorlagepflicht – aufrecht erhalten.
IV. Datenbankschutz für die Sendefolge? Für einen schließlich noch denkbaren Datenbankschutz der Sendefolge kommt es entscheidend darauf an, ob zur Beschaffung, Überprüfung und Darstellung der Sendedaten eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition der Sendeunternehmen (als Datenbankhersteller i. S. d. § 87a Abs. 2 UrhG) erforderlich war (§ 87 Abs. 1 UrhG). Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Leitentscheidung BHB v William Hill und den drei weiteren Parallelentscheidungen47 ist dies für die Investitionen eines Fernsehsenders in die Programmierung jedoch gerade eindeutig abzulehnen. Denn nach diesen Urteilen müssen für die Beurteilung der Wesentlichkeit jedenfalls sämtliche Investitionen außer Betracht bleiben, die im Zusammenhang mit der Generierung von Daten (typischerweise im Rahmen einer anders gearteten Tätigkeit, wie hier des Angebots und der Gestaltung eines Fernsehprogramms) stehen oder auch nur der Überprüfung derart generierter Daten dienen. Der EuGH legt das Tatbestandsmerkmal hinsichtlich der
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45 Vgl. den ausdrücklichen Hinweis bei EuGH – Rs. C-5/08 (abrufbar im Internet unter www.curia.eu.int) – Infopaq, Rz. 47. 46 Wie etwa die Kartellrechtskammer des LG Köln in ihrem bereits oben (Fn. 4) angesprochenen Urteil. 47 EuGH – Rs. C-203/02, GRURInt. 2005, 247 – The British Horseracing Board v. William Hill Organization; vgl. inhaltsgleich auch EuGH – Rs. C-444/02 – Fixtures Marketing v. Organismos Prognostikon; C-460/02 – Fixtures Marketing v. Oy Veikkaus; C-338/02 – Fixtures Marketing Ltd. v. Svenska Spel AB.
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berücksichtigungsfähigen Investitionen also eng aus. Diese müssen im engeren Sinne in die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung „vorvorhandener“ Daten geflossen sein. Damit scheiden sämtliche Investitionen der Fernsehsender, die im Zusammenhang mit der generierenden Zusammenstellung des Programms im weitesten Sinne48 stehen, für die Berücksichtigung im Rahmen des Wesentlichkeitskriteriums aus. Andere als generierende Investitionen sind im Zusammenhang mit der Erstellung der Abfolge der einzelnen Programmteile aber nicht ersichtlich. Damit liegt dieser zeitlichen Abfolge gerade keine wesentliche Investition i. S. d. § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG seitens der Fernsehsender zugrunde und ein Schutz nach §§ 87a ff. UrhG kommt dementsprechend im Ergebnis von vornherein nicht in Betracht. Die aufwendige Programmierung – und damit erst Generierung der Basis-Sendeinformationen – scheidet demnach für einen Datenbankherstellerschutz aus. Tatsächlich bestätigt die diesbezügliche EuGH-Rechtsprechung die hier vertretene Auffassung hinsichtlich des in der Literatur zuletzt wieder diskutierten urheberrechtlichen Schutzes eindrucksvoll. Denn aus wettbewerbsorientierter Sicht lag gerade auch der Sinn und Zweck dieser eng wortlautorientierten Auslegung des Datenbankherstellerrechts darin, sog. sole source data, die nicht unabhängig beschafft werden können, weil sie im Zusammenhang einer anderen Hauptaktivität vom Datenbankersteller selbst erzeugt werden,49 vom Schutz des Datenbankherstellerrechts auszuschließen. Im Mittelpunkt stand also die Zielsetzung, wettbewerbsadverse Effekte des Datenbankherstellerrechts in Situationen, in denen sich dieses für den Ausschluss des Wettbewerbs auf Sekundärmärkten missbrauchen ließe, schon von vornherein durch eine Begrenzung des immaterialgüterrechtlichen Schutzgegenstands zu beseitigen.50 Diese grundlegende Wertung des Europäischen Gerichtshofs sollte dann aber
__________ 48 Nach der Logik des BHB v. Hill-Urteils, das auch nur im Zusammenhang mit der Generierung von Daten stehende Aufwendungen (wie etwa die Überprüfung der Daten im Rahmen ihrer Erzeugung), im Interesse der sinnvollen Begrenzung des Datenbankschutzrechts vom Schutz ausschließt (vgl. deutlich Rz. 34 des Urteils), sollten richtigerweise auch sonstige mit der Präsentation generierter Daten im Zusammenhang stehende Investitionen in sole source data Situationen vom Schutzrecht ausgeschlossen sein. Dies betrifft etwa Investitionen in die aufwendige oder spezifizierte Präsentation generierter sole source data, wenn diese gerade dazu dient, die Lizenzierung auf Sekundärmärkten zu ermöglichen. Versteht man die Vorgabe der BHB v. Hill-Rechtsprechung nicht in dieser (zutreffenden) Richtung, fällt man andernfalls unmittelbar wiederum auf die – freilich für diesen Bereich nur eine second best solution verkörpernde und daher unbefriedigende und insoweit unnötige – Forderung nach Zwangslizenzen für derartige Situationen zurück (s. in diese Richtung Derclaye, The legal protection of Databases, 2008, S. 283). 49 Wie eben beispielsweise auch Fernsehprogrammdaten, vgl. zum Problem schon EuGH – Verb. Rs. C-241/91 O u. C-242/91 P, Slg. 1995, 743=GRUR Int. 1995, 490 – Magill. 50 S. nur Leistner, JZ 2005, 408; ders., Kommunikation und Recht 2007, 457 (460), dort mit weiteren Nachweisen; zuletzt ausführlich auch ders., The protection of databases, in: Derclaye (Hrsg.), Research Handbook on the Future of EU Copyright, 2009, S. 427 (437 ff.), mit umfassenden Nachweisen auch zur neueren EuGH-Rechtsprechung zum Datenbankrecht.
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nicht auf dem Umweg über das – gerade typischerweise an strengere Anforderungen gebundene – Urheberrecht im Ergebnis unterlaufen werden.
V. Zusammenfassung Nach den vorstehenden Überlegungen kommt ein Schutz des schlichten Programmablaufs, mithin der Basisinformationen bezüglich der Sendefolge selbst, in der Regel weder unter dem Blickwinkel des urheberrechtlichen Datenbankwerkschutzes i. S. d. § 4 Abs. 2 UrhG noch unter dem Blickwinkel des Datenbankherstellerschutzes i. S. d. § 87a UrhG in Betracht. Dieses Ergebnis beruht wesentlich auf wettbewerbsfunktionalen Überlegungen, wie sie insbesondere auch den Leitentscheidungen des EuGH in BHB v. Hill und den parallel entschiedenen Marketing Fixtures-Fällen im Kern zugrunde lagen. Diese Überlegungen wurden hier auch auf den urheberrechtlichen Schutz des Datenbankwerks übertragen, um die diesbezüglich vorgeschlagenen, eher strengen Anforderungen hinsichtlich des Kriteriums der „eigenen geistigen Schöpfung“ zu begründen. Eine letzte einschränkende Kontrollüberlegung mag das gefundene Ergebnis für die schlichten Sendedaten zusätzlich bestätigen. Während nämlich hinsichtlich dieser Programmbasisinformationen bezüglich des Sendeablaufs das sole source data-Problem unmittelbar zur Möglichkeit der Reservierung des Angebots auf zahlreichen abgeleiteten Märkten führt, da die Daten zum Programmablauf für Angebote auf bestimmten abgeleiteten, programmbezogenen Märkten schlicht unerlässlich sind, besteht eine vergleichbare Problematik bezüglich des darüber hinausgehenden Programmbegleitmaterials nicht. Denn diese zusätzlich zur Illustration der einzelnen Sendungen angebotenen Texte, Audio- und Videosequenzen sind eben nicht unerlässlich notwendig, um etwa einen EPG zu erstellen, anzubieten und in unterschiedlichen Zusammenhängen einzusetzen. Vielmehr können von Drittanbietern ohne weiteres, soweit dies überhaupt notwendig ist, alternative Materialien (also beispielsweise eigene Kurzbeschreibungen der Sendungen o. Ä.) erstellt werden. Wenn daher letzthin von einzelnen deutschen Gerichten hinsichtlich des Programmbegleitmaterials die Schutzfähigkeit im Einzelfall bejaht wurde, ist dies auch aus der hier in den Mittelpunkt gerückten wettbewerbsfunktionalen Perspektive unproblematisch. Dass dieses Material, sofern im Einzelfall die urheberrechtlichen Schutzvoraussetzungen vorliegen und urheberrechtliche Schrankenbestimmungen nicht eingreifen, für Nutzungen in EPGs und anderen Fernsehprogrammführern zu lizenzieren ist, begegnet deshalb nach der hier vertretenen Auffassung keinen durchgreifenden Bedenken.
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Vernichtung markenverletzender Produkte bei Besitz oder Eigentum von Privatpersonen Inhaltsübersicht I. Einführung II. Entwicklung und Voraussetzungen des Vernichtungsanspruchs 1. Historie 2. Anspruchszweck 3. Voraussetzungen 4. Gegenstand des Vernichtungsanspruchs 5. Eigentum und Besitz der Verletzungsprodukte a) Grundsätzlich weite Passivlegitimation b) Passivlegitimation des „Privaten“? c) Vorgaben aus der RL 2004/48/EG und aus Art. 46 TRIPs 6. Einschränkung unter Verhältnismäßigkeitserwägungen a) Kriterien
b) Inanspruchnahme von Verbrauchern 7. Antrag, Vollstreckung und Kosten III. Vernichtungsanspruch in Bezug auf „private“ Plagiate 1. Transport von Plagiaten durch private Reisende 2. Bestellung von Plagiaten durch Private a) Handeln im geschäftlichen Verkehr b) Kennzeichenverletzende Einfuhr c) Eigentum oder Besitz des privaten Bestellers IV. Praktische Relevanz
I. Einführung Obschon der Gesetzgeber den Schutz vor Markenpiraterie wiederholt verbessert hat, gleichen die Bemühungen der Inhaber bekannter und berühmter Marken zur Eindämmung des Stroms von Plagiaten einem Kampf gegen Windmühlen. Die Meldungen über stets größere Mengen beschlagnahmter Produktfälschungen – im Jahr 2009 verzeichnete der Zoll 9622 Aufgriffe im Rahmen von Grenzbeschlagnahmeverfahren, in knapp 87 % der Fälle waren Marken betroffen1 – lassen erahnen, dass auch die Dunkelziffer unentdeckt bleibender Verletzungen entsprechend steigt. Neben den spektakulären und medienwirksam zu präsentierenden Fällen, bei denen ganze Container gefälschter Uhren, Schuhe und T-Shirts aufgefunden werden, steigt aber auch die Zahl der Aufgriffe drastisch, bei denen der Zoll einige wenige oder gar einzelne Produkte auffindet, die durch Privatpersonen entweder im Reisegepäck mitgeführt oder über das Internet bestellt und aus dem Ausland per Päckchen geliefert werden.
__________ 1 Jahresbericht 2009 der Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz, S. 3 und 11, abrufbar unter www.zoll.de.
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Im Gegensatz zu den größeren Lieferungen von Plagiaten stellen die beiden letztgenannten Fallgruppen ein erhebliches praktisches Problem für die Bekämpfung der Produktpiraterie dar. Denn in diesen Fällen ist die Entfernung identifizierter Plagiate aus dem Warenkreislauf durch Vernichtung nicht ohne weiteres möglich, weil der „private“ Reisende bei Einfuhr seiner Souvenirs z. B. vom Paptong Night Market in Bangkok ebenso wenig im geschäftlichen Verkehr handelt wie der „private“ Besteller, der seine Luxusuhr für wenige Dollar über das englischsprachige Internetportal eines Händlers mit Sitz in Dubai ordert. Die rechtliche Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass sich die zu vernichtenden Plagiate gemäß § 18 MarkenG „im Eigentum oder Besitz des Verletzers“ befinden müssen. Nach herkömmlicher Lesart könnte dies der Passivlegitimation eines „Privaten“ für einen Vernichtungsanspruch entgegenstehen, wenn dieser nicht als Verletzer in Anspruch genommen werden kann. Dieser Beitrag, den die Verfasser dem Jubilar widmen, hinterfragt die gängige Interpretation des § 18 MarkenG insbesondere vor dem Hintergrund der Verpflichtungen, welche die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie und aufgrund des TRIPs-Abkommens zu erfüllen hat. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der bösgläubig handelnde Private unter bestimmten Umständen für einen Vernichtungsanspruch passivlegitimiert ist.
II. Entwicklung und Voraussetzungen des Vernichtungsanspruchs 1. Historie Einen eigenständigen kennzeichenrechtlichen Vernichtungsanspruch hat der Gesetzgeber erstmals durch das Produktpirateriegesetz vom 7.3.19902 in § 25a WZG geschaffen, der die unzureichende Regelung in § 30 WZG ersetzte. Die letztgenannte Vorschrift enthielt einen Anspruch auf Beseitigung der widerrechtlichen Kennzeichnung und gestattete die Vernichtung von Waren nur ausnahmsweise, wenn die Entfernung der widerrechtlichen Kennzeichnung nicht möglich war. Eine Vernichtung von Geräten, die zur Herstellung kennzeichenverletzender Produkte dienten, war überhaupt nicht vorgesehen. Mit § 25a WZG bestand ein verschuldensunabhängiger Anspruch des Kennzeicheninhabers, der die Vernichtung verletzender Produkte als regelmäßige Folge einer Kennzeichenverletzung vorsah. Diese Vorschrift hat der Gesetzgeber bei Inkrafttreten des MarkenG zum 1.1.1995 im Wesentlichen in § 18 MarkenG übernommen.3 Durch das zum 1.9.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums,4 das der Umsetzung der sog.
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2 Gesetz zur Bekämpfung der Produktpiraterie vom 7. März 1990, BGBl. I S. 422. 3 Im Einzelnen Fezer, Markenrecht, 4. Aufl. 2009, § 18 Rz. 4; ausführlich zur Geschichte des Vernichtungsanspruchs im deutschen Recht Thun, Der immaterialgüterrechtliche Vernichtungsanspruch, 1998, S. 9 ff. 4 Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums vom 7. Juli 2008, BGBl. I S. 1191.
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Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG5 dient, wurde der Anspruch inhaltlich geändert und in Bezug auf die Vernichtung der Produkte, die zur Herstellung kennzeichenverletzender Erzeugnisse verwendet werden, auch verschärft. In Umsetzung von Art. 10 Abs. 2 der Enforcement-Richtlinie hat der Gesetzgeber den Vernichtungsanspruch ferner um Ansprüche auf Entfernung aus den Vertriebswegen und Rückruf ergänzt.6 Seit Inkrafttreten des TRIPs-Abkommens ist die Bundesrepublik Deutschland im Übrigen auch völkerrechtlich verpflichtet, im Fall von Schutzrechtsverletzungen die Vernichtung rechtsverletzender Waren aufgrund gerichtlicher Anordnung zu ermöglichen (Art. 46 Satz 1 TRIPs-Abkommen). Die Möglichkeit einer gerichtlichen Anordnung zur Vernichtung von Plagiaten gehört demnach zum verbindlichen internationalen Mindeststandard zum Schutz von Immaterialgüterrechten.7 2. Anspruchszweck Schon die – von Amts wegen anzuordnende – Beseitigung widerrechtlicher Kennzeichnungen nach § 30 Abs. 1 WZG bildete eine Sicherungsmaßnahme, die einem Missbrauch dieser Produkte vorbeugen sollte.8 In der Begründung des Produktpirateriegesetzes legte der Gesetzgeber ausführlich dar, dass das gesamte Sanktionensystem des Geistigen Eigentums nicht auf Fälle massenhaft und professionell ausgeübter Piraterie ausgerichtet sei.9 Aus diesem Grund müsse durch die Einführung eines regelmäßig zu gewährenden Vernichtungsanspruchs die Entfernung der als schutzrechtsverletzend erkannten Waren aus dem Warenkreislauf sichergestellt werden; darüber hinaus soll die Vernichtung als regelmäßige Folge einer Kennzeichenverletzung einen Abschreckungseffekt haben.10 Ausdrücklich verwies der Gesetzgeber auch darauf, dass die Vernichtung einen über die bloße Folgenbeseitigung hinausgehenden Sanktionscharakter und einen im Rahmen der Pirateriebekämpfung erwünschten generalpräventiven Effekt habe.11 In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind diese Zielsetzungen – Entfernung von Verletzungsprodukten aus dem Warenkreislauf, Abschreckung und Sanktion – ausdrücklich anerkannt worden.12 Aus dem Wortlaut von Art. 46 TRIPs folgt ebenfalls, dass die Vernichtung der Abschreckung von Rechtsverletzungen dient.
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5 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. EU L 157 vom 30. April 2004, S. 45. 6 Ausführlich Jestaedt, GRUR 2009, 102. 7 Vgl. Busche in Busche/Stoll, TRIPs, 2007, Einl. 2 Rz. 7. 8 Hefermehl in Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 10. Aufl. 1969, § 30 Rz. 3 a. E. 9 BT-Drucksache 11/4792, S. 16 f. 10 BT-Drucksache 11/4792, S. 27 li. Sp. 11 BT-Drucksache 11/4792, S. 28 li. Sp. 12 BGH v. 10.4.1997 – I ZR 242/94, GRUR 1997, 899 (900) – Vernichtungsanspruch; BGH v. 23.2.2006 – I ZR 27/03, GRUR 2006, 504 (508) – Parfümtestkäufe, wobei der BGH in der letztgenannten Entscheidung eine Einschränkung in Fällen unverschuldeter Verletzung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit erwägt.
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3. Voraussetzungen Ein Vernichtungsanspruch setzt voraus, dass eine Kennzeichenverletzung vorliegt, also einer der objektiven Verletzungstatbestände der §§ 14 Abs. 2–4, 15 Abs. 2 und 3, 17 Abs. 2 Satz 1 MarkenG erfüllt ist.13 Der Anspruch nach § 18 MarkenG ist ebenso wie die entsprechende Regelung im früheren § 25a WZG verschuldensunabhängig.14 Ein Verschuldenserfordernis wäre mit der Natur des Vernichtungsanspruchs als Störungsbeseitigungsanspruch nicht zu vereinbaren;15 allenfalls können das Vorliegen und der Grad des Verschuldens im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 18 Abs. 3 MarkenG berücksichtigt werden.16 Aus dieser Einordnung folgt zugleich, dass auch der Wegfall des Unterlassungsanspruchs etwa durch Unterwerfung oder Erwirken eines gerichtlichen Titels den Vernichtungsanspruch unberührt lässt: Mit der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs soll eine künftige Störung verhindert werden, wogegen der Vernichtungsanspruch eine bereits eingetretene Störung und ihre Wirkungen beseitigen soll. Unterlassungs- und Vernichtungsanspruch dienen also grundsätzlich verschiedenen Zwecken und stehen in keinem Akzessorietätsverhältnis.17 4. Gegenstand des Vernichtungsanspruchs Der Vernichtungsanspruch nach § 18 Abs. 1 Satz 1 MarkenG betrifft widerrechtlich gekennzeichnete Ware, also das gekennzeichnete Produkt – das vermeintliche Lacoste-Shirt, die gefälschte Cartier-Uhr – selbst. Hier besteht eine Abweichung vom Wortlaut des § 18 Abs. 1 a. F., der die Vernichtung von „Gegenständen“ ermöglichte. Dieser Begriff umfasste nach herrschender Meinung über die gekennzeichneten Produkte hinaus auch Geschäftspapiere und Werbemittel im Sinne des § 14 Abs. 3 Nr. 5 MarkenG sowie Aufmachungen, Verpackungen und Kennzeichnungsmittel im Sinne des § 14 Abs. 4 MarkenG.18 Ein Festhalten an dem früheren weiten Begriffsverständnis ist im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes wie auch der anderen Sprachfassungen der Richtlinie (engl. „goods“, frz. „marchandises“, ital. „merci“) nicht unbedenklich.19 Im Fall nicht kennzeichenverletzender (neutraler) Ware, die in einer
__________ 13 Statt aller: Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 31. 14 So zu § 25a WZG: BGH v. 14.12.1995 – I ZR 210/93, GRUR 1996, 271 (275) – Gefärbte Jeans; Fezer (Fn. 3), § 18 Rz. 31. 15 So bereits zu § 30 WZG von Gamm, WZG, 1965, § 24 Rz. 33; zustimmend Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 23; umfassend zur Rechtsnatur des Vernichtungsanspruchs Thun (Fn. 3), S. 109 ff. 16 BGH v. 23.2.2006 – I ZR 27/03, GRUR 2006, 504 (508) – Parfümtestkäufe. 17 Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 25; Lange, Marken- und Kennzeichenrecht, 2006, Rz. 3288; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl. 2009, § 18 Rz. 16; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 2. Aufl. 2003, § 18 Rz. 6; im Ergebnis auch OLG München v. 19.3.1997 – 29 AR 34/96, WRP 1997, 975 (978 f.) – Grenzbeschlagnahme; a. A. OLG Hamburg v. 11.2.1999 – 3 U 184/98, NJWE-WettBR 2000, 19 (21) – Berodual. 18 Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 20; zur Vernichtung von Verpackungen vgl. BGH v. 7.10. 2004 – I ZR 91/02, GRUR 2005, 427 (429) – Lila Schokolade. 19 Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 20, eine extensive Auslegung fordert Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 34.
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rechtsverletzenden Verpackung vertrieben wird, unterfällt allerdings weiterhin die Ware einschließlich ihrer Verpackung der Vernichtung.20 Ebenfalls vernichtet werden können die Gegenstände, die vorwiegend zur widerrechtlichen Kennzeichnung gedient haben. Darin liegt zwar eine Verschärfung zur früheren Rechtslage, die nur „ausschließlich oder nahezu ausschließlich“ zu diesem Zweck genutzte Vorrichtungen erfasste. Zugleich ist die neue Regelung jedoch enger, weil in § 18 Abs. 2 a. F. MarkenG schon die bloße Bestimmung der Vorrichtungen genügte, während nun eine tatsächliche Verwendung erfolgt sein muss.21 5. Eigentum und Besitz der Verletzungsprodukte Die zu vernichtenden Produkte müssen sich schließlich im Eigentum oder Besitz des Verletzers befinden, wobei dieses Merkmal zugleich den Kreis der Personen bestimmt, die für den Vernichtungsanspruch passivlegitimiert sind.22 Ähnliches fand sich bereits in der Regelung des § 30 Abs. 1 WZG, die für die Beseitigung von Verletzungen auf Gegenstände abstellte, die sich „im Besitz des Verurteilten“ befanden. Da § 30 WZG zugleich auf die Verletzungstatbestände der §§ 24–27 WZG rückbezogen war, konnte die Verurteilung somit nur bei Besitz des Verletzers erfolgen.23 Mit dem Produktpirateriegesetz hat der Gesetzgeber den Vernichtungsanspruch in § 25a WZG nicht nur als regelmäßige Folge der Zeichenverletzung festgeschrieben, sondern auch den Anwendungsbereich auf Gegenstände in „Eigentum oder Besitz“ des Verletzers ausgeweitet. Dies sollte die Anwendbarkeit der Vorschrift erleichtern und helfen, auch die Fälle zu erfassen, in denen ein Verletzer infolge der Beschlagnahme seiner Plagiate durch den Zoll den unmittelbaren Besitz verloren hatte.24 Bei Verabschiedung des MarkenG und der Umsetzung der EnforcementRichtlinie hat der Gesetzgeber diese Merkmale beibehalten. a) Grundsätzlich weite Passivlegitimation Es war und ist vor dem Hintergrund von Entwicklungsgeschichte und Zweck der Regelung anerkannt, dass der Vernichtungsanspruch eine erheblich erweiterte Passivlegitimation begründet. Der Anspruch erfasst jede Form von Eigentum und Besitz, auch Sicherungs-, Vorbehalts- und Treuhandeigentum und
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20 Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 37. 21 Hacker (Fn. 17), § 18 Rz. 23; Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, § 19 MarkenG Rz. 15; weiter gehend jedoch Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 41. 22 Vgl. Fezer (Fn. 3), § 18 Rz. 53. 23 Umstritten war zunächst die Frage, ob nur der unmittelbare Besitz des Verletzers eine Durchsetzung ermöglichte (so von Gamm (Fn. 15) § 30 Rz. 3) oder Besitzdienerschaft genügte (so Hefermehl (Fn. 8), § 30 Rz. 2); der mittelbare Besitz sollte jedenfalls nach Hefermehl nicht genügen. 24 BT-Drucksache 11/4792, S. 39 li. Sp. Die Entwurfsbegründung verweist darauf, dass der Verletzer auch bei der zeitlich eng beschränkten Grenzbeschlagnahme, die bei Einlegung eines Widerspruchs innerhalb kurzer Frist aufgehoben werde, mittelbaren Besitz an den beschlagnahmten Gegenständen behalte.
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besteht auch gegenüber dem mittelbaren Besitzer (§ 866 BGB) und dem Besitzdiener (§ 855 BGB).25 Besitzer im Sinne des § 18 MarkenG ist damit auch ein Verletzer, dessen Produkte im Rahmen eines Grenzbeschlagnahmeverfahrens zurückgehalten werden oder deren Überlassung ausgesetzt wird, dessen Produkte auf Grund strafprozessualer Maßnahmen sichergestellt oder beschlagnahmt (§ 94 StPO) oder vom Gerichtsvollzieher sequestriert werden.26 Passivlegitimiert für den Anspruch auf Vernichtung bzw. Herausgabe zum Zweck der Vernichtung sind damit alle Personen, die am Warenumsatz beteiligt sind, ohne dass es auf deren Bösgläubigkeit oder Verschulden ankommt.27 Auch der Spediteur oder Frachtführer rechtsverletzender Ware, dem grundsätzlich keine Pflicht zur Prüfung der transportierten Waren obliegt, schuldet die Zustimmung zur Vernichtung, nachdem er über die Schutzrechtsverletzung informiert wurde oder sich in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen kann.28 Auf die nicht abschließend geklärte Frage, ob Eigentum und Besitz zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz oder (erst bzw. noch) im Zeitpunkt der Vollstreckung vorliegen müssen, sei nur am Rande verwiesen.29 In der Praxis hat diese Problematik keine Bedeutung, da einer Vernichtung regelmäßig eine Sequestration vorangeht, um eine nachträgliche Änderung der Besitzlage zu verhindern.30 b) Passivlegitimation des „Privaten“? Gegenüber dem privaten Endverbraucher, der nicht im geschäftlichen Verkehr handelt, bestand zumindest nach früherer Rechtslage, vor Inkrafttreten der Enforcement-Richtlinie, kein Vernichtungsanspruch. Zur Begründung verwies das Schrifttum darauf, dass der Private auch im Fall einer Markenverletzung nicht als Störer in Anspruch genommen werden konnte, die verschuldensunabhängige Haftung nach § 18 MarkenG letztlich jedoch eine Art Störerhaftung darstelle. Aus diesem Grund sei auch beim Vernichtungsanspruch eine Inanspruchnahme des Verbrauchers ausgeschlossen.31 Wie das OLG München entschieden hat, ist der private Endverbraucher als Eigentümer eines widerrecht-
__________ 25 Fezer (Fn. 3), § 18 Rz. 48, 49; Hacker (Fn. 17), § 18 Rz. 27; Büscher (Fn. 21), § 19 MarkenG Rz. 4; vgl. auch schon Begründung zum PrPG, BT-Drucksache 11/4792, S. 39 li. Sp. 26 Zu Recht Fezer (Fn. 3), § 18 Rz. 48; Lange (Fn. 17), Rz. 3289; Büscher (Fn. 21), § 19 MarkenG Rz. 4; ebenso zum Patentrecht Rogge/Grabinski in Benkard, PatG, 10. Aufl. 2006, § 140 PatG Rz. 3. 27 OLG Köln v. 18.8.2005 – 6 U 48/05, GRUR-RR 2005, 342 (343) – Lagerkosten nach Grenzbeschlagnahme; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 2. Aufl. 2003, § 18 Rz. 15. 28 So jetzt ausdrücklich BGH v. 17.9.2009 – Xa ZR 2/08, GRUR 2009, 1142 (1143 f.) – MP3-Player-Import. 29 Für ersteres die wohl h. M. Fezer (Fn. 3), § 18 Rz. 51; Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 31; Thun (Fn. 3) S. 193; für letzteres vor allem das ältere Schrifttum, s. die Nachweise bei Fezer a. a. O. 30 Zutreffend Hacker (Fn. 17), § 18 Rz. 31. 31 So zu § 18 a. F. Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 8. Aufl. 2006, § 18 Rz. 19; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 2. Aufl. 2003, § 18 Rz. 15; Fezer, Markenrecht, 3. Aufl. 2001, § 18 Rz. 26.
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lich gekennzeichneten Gegenstands jedoch dann für den Vernichtungsanspruch passivlegitimiert, wenn ein Dritter diesen Gegenstand im geschäftlichen Verkehr zu Werbezwecken nutzt.32 Diese eingeschränkte Sichtweise kann nach Inkrafttreten der EnforcementRichtlinie nicht aufrechterhalten werden, da die Richtlinie den Vernichtungsanspruch gegenüber dem privaten Verbraucher nicht grundsätzlich ausschließt.33 Dies folgt implizit aus dem Wortlaut des Art. 10 der Richtlinie, der eine solche Einschränkung nicht vorsieht, aber zugleich die Untergrenze für das von den Mitgliedsstaaten zu gewährleistende Schutzniveau bestimmt. Außerdem stellt Erwägungsgrund 24 Satz 3 der Enforcement-Richtlinie ausdrücklich klar, dass bei der Durchführung von Abhilfemaßnahmen wie der Vernichtung die Interessen gutgläubiger Verbraucher berücksichtigt werden müssen. Dieser Hinweis ist nur dann sinnvoll, wenn der Anwendungsbereich des Vernichtungsanspruchs gegenüber Verbrauchern grundsätzlich eröffnet ist. Außerdem verdeutlicht der europäische Richtliniengeber mit diesem Zusatz, dass die Interessen der nicht gutgläubig handelnden Verbraucher nicht schützenswert sind. Schließlich belegt auch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie, dass sämtliche Abhilfemaßnahmen auch gegenüber Verbrauchern Anwendung finden sollen. Ein Änderungsvorschlag des EU-Parlaments, der den Vernichtungsanspruch gegenüber Privaten ausgeschlossen hätte,34 wurde nicht übernommen. Daraus ergibt sich, dass der Anspruch grundsätzlich auch gegenüber privaten Verbrauchern besteht.35 Insgesamt ist die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des nicht gutgläubigen Verbrauchers auch zur Sicherstellung des von der Richtlinie erstrebten hohen Schutzniveaus (Erwägungsgrund 10) geboten. Denn die Erfahrung zeigt, dass die Gefahr einer weiteren Verbreitung der kennzeichenverletzenden Waren und einer fortdauernden Störung keinesfalls ausgeschlossen ist, sobald die Plagiate in den Besitz des Endverbrauchers gelangt sind.36 Die kennzeichenverletzenden Produkte verbleiben im Warenkreislauf verfügbar und können ohne weiteres z. B. über Internetauktionshäuser erneut einem breiten Publikum angeboten werden. c) Vorgaben aus der RL 2004/48/EG und aus Art. 46 TRIPs Für die Einbeziehung zumindest der bösgläubig handelnden Verbraucher in den Kreis der für den Vernichtungsanspruch passivlegitimierten Personen spricht auch der Umstand, dass das – einschränkende – Tabestandsmerkmal „Eigentum oder Besitz des Verletzers“ weder in der Enforcement-Richtlinie
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32 OLG München v. 22.2.2001 – 29 U 4303/00, InstGE 1, 201 – Fremde Lünette (der Fall betraf das Angebot eines Uhrenhändlers, der eine von einem Privaten umgestaltete, mit einer anderen Lünette versehene Markenuhr in Kommission genommen und in seinem Schaufenster angeboten hatte); kritisch Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 29. 33 Insoweit zutreffend Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (259); Hacker in Ströbele/ Hacker, MarkenG, 8. Aufl. 2006, § 18 Rz. 24. 34 Sitzungsdokument A5-0468/2003 vom 5.12.2003, Änderungsantrag 36. 35 So auch ausdrücklich Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenR, 8. Auflage 2006, § 18 Rz. 24; ähnlich in der Folgeauflage (Fn. 17), § 18 Rz. 29. 36 So aber Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (260).
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noch im TRIPs-Abkommen vorgesehen ist. Gemäß Art. 10 Enforcement-Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten „in Bezug auf Waren, die nach ihren Feststellungen ein Recht des Geistigen Eigentums verletzen …“ (in der englischen Fassung „with regard to goods … found to be infringing an intellectual property right“), die im einzelnen beschriebenen Abhilfemaßnahmen, darunter die Vernichtung, vorsehen. Das Erfordernis, dass sich diese Waren im Eigentum oder Besitz gerade des Verletzers befinden müssen, findet sich in der Richtlinie nicht. Die Begründung des Gesetzentwurfs verweist zwar darauf, dass „ein wesentlicher inhaltlicher Unterschied“ zwischen den Formulierungen der Richtlinie und des Gesetzes nicht bestehe, weil der Anspruchsgegner zwangsläufig Besitz oder Eigentum an den verletzenden Gegenständen haben müsse, da eine Vernichtung andernfalls rechtlich nicht möglich sei.37 In den Fällen, in denen die Richtlinie die Inanspruchnahme Dritter ermöglichen wolle, sei dies – wie bei Art. 8 RL – ausdrücklich vermerkt.38 Diese Begründung überzeugt indes nicht, da der Vernichtungsanspruch und die anderen Ansprüche des Art. 10 Abs. 1 RL im Gegensatz zu den Ansprüchen des Art. 8 RL von vornherein nicht personengebunden sind, sondern nach der Vorstellung des Richtliniengebers an das rechtsverletzende Objekt anknüpfen. Der Anspruch richtet sich nach der Richtlinie nicht nur gegen den Verletzer, sondern ist „in Bezug auf“ rechtswidrig hergestellte Waren gegenüber jedermann zu gewähren, und zwar unabhängig davon, ob der Eigentümer oder Besitzer (auch) der Verletzer ist. Die fehlerhafte Umsetzung in § 18 MarkenG kann auch nicht mit dem Hinweis auf den Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers gerechtfertigt werden.39 Ein Spielraum bestand lediglich insoweit, als die Mitgliedsstaaten den Vernichtungsanspruch gegenüber dem gutgläubigen Verbraucher grundsätzlich ausschließen können. Die von der Richtlinie nicht vorgesehene Einschränkung des Vernichtungsanspruchs auch gegenüber dem bösgläubigen Verbraucher ist im Wege der – obligatorischen – richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs „Verletzer“ durch deutsche Gerichte zu korrigieren.40 Weiter bestätigt wird dieses Verständnis, wenn man die Vorgaben des TRIPsAbkommens berücksichtigt, das (hohe) Mindeststandards für die Schaffung eines international zumindest vergleichbaren Schutzniveaus für Rechte des
__________ 37 BT-Drs. 16/5048, S. 31 li. Sp. 38 BT-Drs. 16/5048, S. 31 li. Sp. Die Entwurfsbegründung erörtert an dieser Stelle die Frage, ob die Ansprüche aus Art. 10 der Richtlinie gegenüber jedem Beteiligten in der Vertriebskette zu gewähren sind und verneint dies. Auch diese Erwägung ist freilich unzutreffend, da auch ein Zwischenhändler, der Besitz und Eigentum an der Waren bereits wieder verloren hat, einen Rückruf vornehmen kann (ein Erfolg ist nicht geschuldet, Jestaedt, GRUR 2009, 102 (104)). 39 So aber Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (260); Nägele/Nitsche, WRP 2007, 1047 (1055); Seichter, WRP 2007, 391, (399, Fn. 71); wie hier (jeweils in Bezug auf § 98 UrhG) Dreier, GRUR Int. 2004, 706 (712); Jan Bernd Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht 10. Aufl. 2008, § 98 Rz. 10. 40 Ebenso zu § 98 UrhG Jan Bernd Nordemann (Fn. 39) § 98 Rz. 10; Dreier, GRUR Int. 2004, 706 (712).
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geistigen Eigentums schafft.41 Gemäß Art. 46 Satz 1 des TRIPs-Abkommens sind die Mitgliedsstaaten zur Einführung einer Vernichtungsmöglichkeit verpflichtet, wobei die Vorgabe des Abkommens ebenso wie Art. 10 der Enforcement-Richtlinie eine objektbezogene Regelung bildet, die nicht auf die Eigentümer- oder Besitzerstellung des Verletzers abstellt.42 Vielmehr haben die Vertragsstaaten eine Möglichkeit zur Vernichtung der Waren für den Fall vorzusehen, dass eine Rechtsverletzung festgestellt wurde.43 Die Sondervorschrift in Art. 46 Satz 4 stellt ferner in Bezug auf Kennzeichenverletzungen klar, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Vernichtung eine Rückkehr von Markenplagiaten in den Warenkreislauf zu vermeiden ist. Vorgeschlagen wird insoweit, dass eine Entfernung der Kennzeichen in Fällen genügen soll, in denen eine Rechtsverletzung im privaten Umfeld erfolgt.44 Diese Regelung des TRIPs-Abkommens ist für die Anwendung und Auslegung des deutschen Markenrechts in doppelter Hinsicht von Bedeutung. Die Vertragsstaaten sind zwar gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 3 des Abkommens in der Art und Weise der Umsetzung frei. Es besteht aber die völkerrechtliche Verpflichtung, die mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Verträge in einer Weise umzusetzen, die den internationalen Vorgaben effektive Anwendung verleiht.45 Infolge dieser Verpflichtung ist, wie der Bundesgerichtshof mehrfach in Bezug auf Art. 43 TRIPs entschieden hat, eine nationale Rechtsvorschrift stets so auszulegen, dass die Anforderungen des Abkommens erfüllt werden.46 Dies gilt umso mehr, als der Bundesgesetzgeber bei Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes zum WTO-Abkommen darauf verwiesen hatte, dass das deutsche Recht mit allen Vorschriften des Teils III des TRIPsAbkommens (Art. 41–61) „voll im Einklang“ stehe.47 Darüber hinaus sind die
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41 Busche in Busche/Stoll, TRIPs, 2007, Einl. 2 Rz. 7. In der Entwurfsbegründung des Zustimmungsgesetzes verwies der Bundestag darauf, das TRIPs-Abkommen enthalte „im Vergleich zum bisherigen Stand der Entwicklungen im internationalen Bereich auf sehr hohem Niveau angesiedelte Mindestverpflichtungen zum Schutz des geistigen Eigentums.“ 42 Art. 2.3 Abs. 1 des ACTA-Entwurfes, Stand April 2010, verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, einen Vernichtungsanspruch „with regard to goods that have been found to be pirated or counterfeited“ bereitzustellen, enthält also wiederum einen rein objektbezogenen Anspruch. 43 Art. 46 Satz 1 lautet: „In order to create an effective deterrent to infringement, the judicial authorities shall have the authority to order that goods that they have found to be infringing be, without compensation of any sort, disposed of outside the channels of commerce in such a manner as to avoid any harm caused to the right holder, or, unless this would be contrary to existing constitutional requirements, destroyed.“ 44 Vander in Busche/Stoll, TRIPs, 2007, Artikel 46 Rz. 11. 45 Die Frage, ob die Normen des TRIPs unmittelbar anwendbar sind, ist umstritten, vgl. Tilmann/Schreibauer, GRUR 2002, 1015 (1017); Kaiser in Busche/Stoll, TRIPs, 2007, Einl. 3 Rz. 33 ff. 46 BGH v. 2.5.2002 – I ZR 45/01, GRUR 2002, 1046 (1048) – Faxkarte; BGH v. 1.8.2006 – X ZR 114/03, GRUR 2006, 962 (966) – Restschadstoffentfernung; so auch schon Thun (Fn. 3), S. 53. 47 Gesetz zum Übereinkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation, BT-Drucksache 12/7655, S. 347 li. Sp. Auch Thun (Fn. 3), S. 52, verweist darauf, dass die im deutschen Recht normierten Vernichtungsansprüche diesen Vorgaben „im wesentlichen“ genügen.
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Mitgliedsstaaten der EU, insbesondere deren Gerichte, auch europarechtlich kraft der durch die Union vermittelten Mitgliedschaft verpflichtet, die Vorgaben des TRIPs-Abkommens möglichst wirksam umzusetzen.48 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch die Enforcement-Richtlinie ihrerseits im Lichte der Vorgaben des TRIPs-Abkommens auszulegen ist, da bei der Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts stets die Auslegung Vorrang hat, die dem TRIPs-Abkommen am ehesten gerecht wird.49 Ein eingeschränktes Verständnis des § 18 Abs. 1 MarkenG, welches die Geltendmachung des Vernichtungsanspruchs gegenüber dem bösgläubigen Endverbraucher ausschließt oder an das einschränkende Merkmal „Eigentum oder Besitz des Verletzers“ knüpft, genügt demnach weder den bindenden Vorgaben der EnforcementRichtlinie noch des TRIPS-Abkommens. Der objektgebundene Vernichtungsanspruch muss somit allein an die Frage anknüpfen, ob ein konkreter Gegenstand Bezugsobjekt einer im Geltungsbereich des Markengesetzes begangenen Kennzeichenverletzung gewesen ist. Ist diese Voraussetzung erfüllt, ist also insbesondere der Gegenstand von einem Händler im geschäftlichen Verkehr angeboten und verkauft worden, so ist dieser Gegenstand mit dem Makel der Rechtsverletzung behaftet und aus diesem Grund dauerhaft bestimmten Ansprüchen des Rechteinhabers ausgesetzt.50 Ob sich das objektiv rechtsverletzende Objekt zu einem späteren Zeitpunkt in den Händen des Verletzers, eines Störers oder einer Privatperson befindet, ist für das Bestehen des Vernichtungsanspruchs unerheblich.51 Eine Abkehr von dem Grundsatz, dass markenrechtliche Ansprüche ein Handeln im geschäftlichen Verkehr im Sinne des § 14 Abs. 1 MarkenG voraussetzen, ergibt sich durch diese Auslegung nicht. Erfolgen sämtliche als Anknüpfungspunkt in Betracht kommenden Handlungen außerhalb des geschäftlichen Verkehrs, bringt also ein privater Verbraucher ein Kennzeichen auf einem Gegenstand an oder verändert und verkauft Originalware, so bestehen die Ansprüche aus § 18 MarkenG nicht.52 Das veränderte Markenprodukt ist in diesem Fall nicht mit dem Makel der Rechtsverletzung behaftet und kann auch außerhalb des geschäftlichen Verkehrs weitergegeben und genutzt werden. 6. Einschränkung unter Verhältnismäßigkeitserwägungen Nach dem neu eingefügten § 18 Abs. 3 MarkenG ist der Vernichtungsanspruch ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Ausdrücklich verweist Abs. 3 Satz 2 darauf, dass für die Beurteilung auch die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen sind. Eine Änderung zur früheren Rechtslage bewirkt die Neuregelung nur insoweit, als jetzt auch Fälle
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48 EuGH v. 14.12.2000 – C-300/98 und C-392/98, GRUR 2001, 235 (237 f.) – TRIPS-Abkommen. 49 Kaiser in Busche/Stoll, TRIPs, 2007, Einl. 3 Rz. 48. 50 Zur Lehre vom „Makel der Rechtswidrigkeit“ vgl. Thun (Fn. 3), S. 138 ff. 51 Auch im Fall von „Raubkopien“ steht dem Rechteinhaber gegenüber jedem Eigentümer und Besitzer ein Vernichtungsanspruch zu, § 69f Abs. 1 Satz 1 UrhG. 52 Vgl. BGH v. 12.2.1998 – I ZR 241/95, NJW 1998, 2045 – Rolex-Uhr mit Diamanten.
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erfasst sind, bei denen eine Vernichtung zwar unverhältnismäßig ist, aber eine andere (mildere) Möglichkeit zur Beseitigung des verletzenden Zustandes nicht besteht.53 Als berechtigte Interessen Dritter, die nach Absatz 3 Satz 2 zu berücksichtigen sind, ist zunächst das Eigentum zu berücksichtigen, wenn der Besitzer in Anspruch genommen und bei ihm Verletzerware beschlagnahmt wird. Auch bestehende Nutzungsrechte Dritter aus einem Leih-, Miet- oder Pachtverhältnis kommen in Betracht. a) Kriterien Zu berücksichtigen ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung neben der Schwere der Rechtsverletzung, also dem Grad der Übereinstimmung der verwendeten Kennzeichen, vor allem der Grad des Verschuldens, wobei ebenso wie bei § 14 Abs. 6 MarkenG strenge Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Beteiligten zu stellen sind. Dies gilt nicht nur für den Hersteller; auch ein Vertriebsunternehmen darf keine Markenprodukte beziehen, ohne sich über deren Herkunft zu vergewissern. In Zweifelsfällen, die sich zum Beispiel aus einem niedrigen Preis oder unüblichen Vertriebswegen ergeben können, muss der Händler sich von seiner Bezugsquelle die Herkunft der Produkte nachweisen lassen. Unterlässt er eine solche Prüfung, ist die Vernichtung der Piraterieware im Regelfall auch gegenüber dem Vertriebsunternehmen verhältnismäßig.54 Einschränkungen sind allenfalls vorstellbar, wenn es sich bei den Verletzungsprodukten um unveränderte parallelimportierte Originalwaren handelt.55 Auch die wirtschaftlichen Folgen einer Vernichtung sind bei der Abwägung zu berücksichtigen, in erster Linie also der Wert der zu vernichtenden Waren. Dies gilt jedoch nicht in Fällen von Produktpiraterie. Hier ist vielmehr die Vernichtung im Verhältnis zum Hersteller der Produkte in der Regel verhältnismäßig.56 Die Höhe des wirtschaftlichen Nachteils, den der Verletzer durch die Vernichtung erleidet, ist irrelevant. Eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen würde in diesen Fällen zu dem unerwünschten Ergebnis führen, dass der Vernichtungsanspruch dann ausgeschlossen wäre, wenn eine besonders große Zahl von Plagiaten zu vernichten wäre. Die Vernichtung ist zumeist auch verhältnismäßig, wenn es sich bei den verletzenden Gegenständen um Produkte minderer Qualität handelt; sie ist geboten bei defekten oder funktionsuntüchtigen Erzeugnissen wie z. B. Ersatzteilen oder Werkzeugen.57
__________ 53 Hacker (Fn. 17), § 18 Rz. 36. 54 BGH v. 10.4.1997 – I ZR 242/94, GRUR 1997, 899 (901) – Vernichtungsanspruch; einschränkend Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 37; für eine Vernichtung bei Leichtfertigkeit im Handel mit Plagiaten Fezer (Rn. 3) § 18 Rz. 105. 55 In diese Richtung wohl BGH v. 23.2.2006 – I ZR 27/03, GRUR 2006, 504 (508) – Parfümtestkäufe; kritisch zu dieser Einschränkung Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 42. 56 So BGH v. 10.4.1997 – I ZR 242/94, GRUR 1997, 899 (901) – Vernichtungsanspruch, zustimmend Fezer (Fn. 3), § 18 Rz. 104. 57 Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 39; Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 103.
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b) Inanspruchnahme von Verbrauchern Von besonderer Bedeutung ist der Einwand des Eigentums, wenn der Anspruch auf Vernichtung (bzw. auf Herausgabe an den Gerichtsvollzieher zum Zweck der Vernichtung) gegenüber einem privaten Endverbraucher durchgesetzt werden soll. Generell wird man bei privaten Verbrauchern deutlich herabgesetzte Sorgfaltsmaßstäbe anwenden müssen. Soweit der Verbraucher bei Erwerb der verletzenden Gegenstände gutgläubig war, ist ein entschädigungsloser Herausgabeanspruch gemäß Erwägungsgrund 24 Satz 3 der Enforcement-Richtlinie in der Regel unverhältnismäßig.58 Aus dem ausdrücklichen Hinweis in der Richtlinie ergibt sich freilich auch zugleich, dass der Vernichtungsanspruch gegenüber dem nicht gutgläubigen Verbraucher grundsätzlich keinen besonderen Einschränkungen unterliegt. An das Fehlen der Gutgläubigkeit dürfen keine unrealistischen Anforderungen gestellt werden. Echte Schwierigkeiten kann allenfalls die Einordnung von Fällen bereiten, bei denen eine Privatperson geltend macht, dass sie z. B. über eine Internetauktionsplattform einen gebrauchten Gegenstand zu erwerben glaubte. Wenn in diesem Fall weder der Preis noch die Beschreibung des Produktes einen Hinweis auf die Fälschung erkennen lassen und ein Markt für Gebrauchtwaren dieser Art vorhanden ist, der Verbraucher also selbst Opfer eines Betruges wird, wird man über die Verhältnismäßigkeit der entschädigungslosen Einziehung des Plagiats diskutieren müssen. Ebenfalls fraglich scheint eine Inanspruchnahme von Verbrauchern, die nicht erschöpfte oder parallel importierte Originalware beziehen.59 Unter keinem Gesichtspunkt schützenswert ist jedoch der Verbraucher, der vor einer offensichtlichen Kennzeichenverletzung die Augen verschließt und unter fragwürdigen Umständen für einen Bruchteil des Preises der Originalware ein „Schnäppchen“ machen will. Es ist allgemein bekannt, dass hochpreisige Markenhandtaschen aus dem Hause Hermès nicht durch Straßenhändler feilgeboten werden und Armbanduhren der schweizerischen Luxusmarken nicht in Internetshops für US-$ 99 und im Rahmen einer Werbeaktion unter dem Motto „Buy 2 and get 15 % off“ erhältlich sind. Die unschuldig-naive Erklärung des Verbrauchers, er sei von der Ordnungsgemäßheit des Angebots ausgegangen, kann nicht genügen. Im Zweifelsfall muss in einem solchen Sachverhalt, gerade bei bekannten Marken, das Interesse des Zeicheninhabers überwiegen, jeglichen Warenverkehr mit Plagiaten zu unterbinden. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG steht der entschädigungslosen Enteignung in diesen Fällen nicht entgegen, was sich unmittelbar aus den gesetzlichen Wertungen ergibt: Im Rahmen eines Strafverfahrens gegen einen Importeur markenverletzender Ware kann ein Plagiat auch dann eingezogen werden, wenn der bösgläubige private Kunde bereits Eigentum erworben (und den Kaufpreis bezahlt) hat. Voraussetzung für diese Dritteinziehung gemäß § 143 Abs. 5 Satz 2 MarkenG i. V. m. § 74a Nr. 1 StGB ist, dass der (private) Erwerber
__________ 58 Ebenso Hacker (Fn. 17), § 18 Rz. 40. 59 Vgl. auch BGH v. 23.2.2006 – I ZR 27/03, GRUR 2006, 504 (508) – Parfümtestkäufe.
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wenigstens leichtfertig dazu beigetragen hat, dass das einzuziehende Produkt Gegenstand der Tat – hier der markenverletzenden Einfuhr – war. Dieses Merkmal ist zumindest dann erfüllt, wenn der Erwerber die Ware beim Importeur bestellt, das Plagiat also aufgrund eines Tatbeitrags des Erwerbers Gegenstand der Tat wurde.60 In diesem Fall ist die Einziehung des Plagiats möglich, wobei ein Entschädigungsanspruch des Erwerbers nach § 74f Abs. 2 Nr. 2 StGB ausgeschlossen ist.61 7. Antrag, Vollstreckung und Kosten Der Anspruch des § 18 Abs. 1 MarkenG ist auf die Vernichtung, also die physische Zerstörung, der widerrechtlich gekennzeichneten Ware gerichtet. Der Streit um die Frage, ob der Markeninhaber (auch) die Herausgabe der Plagiate verlangen kann oder – zumindest unter bestimmten Umständen – auch eine Vernichtung durch den Verletzer möglich ist, bedarf noch einer Entscheidung.62 Es besteht jedoch weitgehende Einigkeit und entspricht auch gängiger Praxis, dass ein Antrag auf Herausgabe der Ware an einen Gerichtsvollzieher (in der Regel im Wege der Sequestration ohne vorherige Abmahnung63) zum Zwecke der Vernichtung zulässig ist, da die Herausgabe nur einen Zwischenschritt der Vollstreckungshandlung bildet, für den keine eigene materiellrechtliche Anspruchsgrundlage erforderlich ist.64 Dies gilt auch gegenüber dem privaten Verbraucher. Allerdings sind die Kosten eines Aufforderungsschreibens an den privaten Erwerber des Verletzungsproduktes, da dieser nicht als Verletzer in Anspruch genommen wird, nicht zu ersetzen. Auch ist der Private nicht zur Abgabe einer Unterlassungserklärung verpflichtet; er schuldet allein Herausgabe und Duldung der Vernichtung. Die Kosten der Vernichtung trägt der Verletzer nach § 788 ZPO, wobei sich die Kostenerstattung auf die im Sinne des § 91 ZPO erforderlichen Kosten beschränkt. Zu ersetzen sind auch die Kosten der Einlagerung, da diese der Vorbereitung und Sicherung des Vernichtungsanspruchs dienen.65 Bei der Durchsetzung des Anspruchs gegen einen Nichtstörer wie den Verbraucher ist dieser nicht zur Kostenerstattung verpflichtet.
__________ 60 Vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 74a Rz. 5. 61 Es bleibt allein zu hoffen, dass die Strafgerichtsbarkeit realistische Maßstäbe für die Beurteilung des Merkmals „Leichtfertigkeit“ findet. Wer z. B. Uhren vermeintlich aus dem Hause Rolex, Cartier oder Patek Philippe zum Preis von 50–100 US-$ über das Internet ordert, sollte dieses Merkmal jedenfalls erfüllen. 62 BGH v. 10.4.1997 – I ZR 242/94, GRUR 1997, 899 (901) – Vernichtungsanspruch, stellt lediglich klar, dass der Herausgabeanspruch dann besteht, wenn dem Markeninhaber die Durchführung der Vernichtung durch den Verletzer nicht zumutbar ist, weil eine Rückführung in den Warenkreislauf droht. 63 Zum Erfordernis einer Abmahnung s. die Nachweise bei Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 67. 64 Fezer (Fn. 3) § 18 Rz. 59; Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 35; Lange (Fn. 17) Rz. 3293; ähnlich BGH v. 28.11.2002 – I ZR 168/00, GRUR 2003, 228 (230) – P-Vermerk (zu § 98 UrhG). 65 OLG Köln v. 18.8.2005 – 6 U 48/05, GRUR-RR 2005, 342 – Lagerkosten nach Grenzbeschlagnahme.
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III. Vernichtungsanspruch in Bezug auf „private“ Plagiate Überträgt man die vorstehend gewonnenen Erkenntnisse auf die eingangs geschilderte Problematik, dass Plagiate durch Privatpersonen als Souvenir mitgebracht oder über das Internet bestellt werden, so ergibt sich folgendes Bild: 1. Transport von Plagiaten durch private Reisende Erwirbt der Reisende auf dem bereits genannten Markt in der thailändischen Hauptstadt oder bei einer der unzähligen anderen Quellen ein gefälschtes Markenprodukt und transportiert dieses in seinem Reisegepäck nach Deutschland, so handelt er nicht im geschäftlichen Verkehr. Der bloße Besitz, die Nutzung eines (einzelnen) Markenproduktes wie etwa das Tragen einer Armbanduhr ist allein Ausdruck der persönlichen Lebensführung.66 Sofern der Reisende also nicht mehrere Plagiate mit sich führt oder gleich seine Fußballmannschaft versorgen will67, liegt die Einfuhr außerhalb des geschäftlichen Verkehrs, so dass mangels kennzeichenrechtlich relevanter Handlung in der Bundesrepublik Deutschland der Anwendungsbereich des Markengesetzes nicht eröffnet ist. Auch von Maßnahmen der Grenzbeschlagnahme sind Waren im persönlichen Gepäck eines Reisenden gemäß Art. 3 Abs. 2 ProduktpiraterieVO (PPVO)68 ausgenommen, sofern die Warenmenge nicht die für die Gewährung einer Zollbefreiung festgelegten Grenzen überschreitet und auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Waren Gegenstand eines gewerblichen Handels sind. Die Grenze zwischen gewerblichem und Privatverkehr liegt grundsätzlich bei einem Warenwert von 430 Euro (für Reisende im Flug- oder Seeverkehr) bzw. 300 Euro (für sonstige Reisende), wobei jeweils der zumeist niedrige Einkaufspreis im Ausland zugrundezulegen ist. Die Einfuhr einzelner kennzeichenverletzender Plagiate durch private Reisende begründet somit keinen Vernichtungsanspruch.69
__________ 66 BGH v. 12.2.1998 – I ZR 241/95, NJW 1998, 2045 – Rolex-Uhr mit Diamanten; aus dem Schrifttum statt aller Fezer (Fn. 3) § 14 Rz. 36. 67 Vgl. LG Mannheim v. 26.4.1999 – 7 O 13/99, Mitt. 1999, 399 (Einfuhr von 14 T-Shirts aufgrund der Gesamtumstände als Handeln im geschäftlichen Verkehr beurteilt); streng LG Berlin v. 10.6.2003 – 15 O 185/03, GRUR-RR 2004, 16 – Fernglas (Verkauf eines einzelnen Plagiats aufgrund der sonstigen Ebay-Aktivitäten des Täters als Handeln im geschäftlichen Verkehr); großzügig jedoch BayObLG v. 29.1.2002 – 4 St RR 122/2001, WRP 2002, 562 (564) – Trainingsanzüge (Import 70 gefälschter Trainingsanzüge außerhalb des geschäftlichen Verkehrs, weil die Anzüge an Fußballmannschaften verschenkt werden sollten (Strafsache)), weitere Nachweise bei Fezer (Fn. 3) § 14 Rz. 37. 68 Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen, ABl. EU L 196 v. 2.8.2003, S. 7. 69 Dass auch diese Form der freien Zirkulation von Fälschungen wirtschaftlich einen erheblichen Schaden anrichtet und die gegenwärtige plagiatsfreundliche Rechtslage wenig befriedigend ist, steht auf einem anderen Blatt.
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2. Bestellung von Plagiaten durch Private a) Handeln im geschäftlichen Verkehr Bestellt ein Privater nach „erfolgreicher“ Internetrecherche über einen (ausländischen) Internetshop die Replika oder die günstigen und gefälschten Turnschuhe seiner Wahl, so handelt er selbst nicht im geschäftlichen Verkehr. Hinsichtlich des Betreibers des Internetshops ist problematisch, ob das bloße Anbieten kennzeichenverletzender Produkte den erforderlichen Inlandsbezug aufweist, um als Handeln im (inländischen) geschäftlichen Verkehr angesehen zu werden. Sofern sich eine fremdsprachige Internetseite in allgemeiner Form an Interessenten aus aller Welt wendet und eine Lieferung nach Deutschland lediglich nicht ausgeschlossen ist, ist dies regelmäßig nicht der Fall.70 Etwas anderes gilt bei Annahme und Ausführung der Bestellung durch den Betreiber des Internetshops. Dass dessen Handeln im Sinne von § 14 Abs. 2 MarkenG „im geschäftlichen Verkehr“ erfolgt, unterliegt keinem Zweifel. b) Kennzeichenverletzende Einfuhr Der Versand des Päckchens an eine inländische Adresse, der durch den Betreiber des Internetshops veranlasst wird, stellt einen konkreten Inlandsbezug her. Dieser Vorgang bildet eine Einfuhr im Sinne des § 14 Abs. 3 Nr. 4 MarkenG und damit eine Kennzeichenverletzung im Geltungsbereich des Markengesetzes. Der Begriff der Einfuhr ist weder im Markengesetz noch in der MarkenrechtsRichtlinie71 gesetzlich definiert; das markenrechtliche Schrifttum verweist darauf, dass der Begriff nicht im beförderungstechnischen Sinne zu verstehen, sondern allein auf die Frage abzustellen sei, ob im Inland eine Verfügungsgewalt über die gekennzeichnete Ware begründet wird.72 Der Europäische Gerichtshof hat in verschiedenen Entscheidungen eine Auslegung des Begriffs vorgenommen, die an den zollrechtlichen Status der Waren anknüpft, um eine Abgrenzung der Einfuhr von der Durchfuhr zu ermöglichen.73 Diese Rechtsprechung könnte zwar Schwierigkeiten bei der Behandlung von Fällen bereiten, in denen ein Paket mit Plagiaten an einen Empfänger im Ausland weitergeleitet werden soll. Der EuGH geht jedoch davon aus, dass der spezifische Gegenstand des Markenrechts jedenfalls dann verletzt ist und sich der Mar-
__________ 70 Vgl. BGH v. 22.7 2004 – I ZR 135/01, GRUR 2005, 262 (263) – soco.de; Hacker (Fn. 17) § 14 Rz. 54 m. w. N.; zur Lage im Patentrecht Scharen in Benkard, PatG, 10. Aufl. 2006, § 9 PatG Rz. 41. 71 Erste Richtlinie des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (89/104/EWG), ABl. EG L 40 vom 11.2.1989, S. 1 ff. 72 Hacker (Fn. 17), § 14 Rz. 120; ähnlich Büscher (Fn. 21) § 14 MarkenG Rz. 473; ebenso für den Einfuhrbegriff in § 9 S. 2 Nr. 1 PatG Scharen in Benkard, PatG, 10. Aufl. 2006, § 9 PatG Rz. 47. 73 Vgl. insbesondere EuGH v. 18.10.2005 – C-405/00, GRUR Int. 2006, 40 (42) – Class International; zum Ganzen Rinnert/Witte, GRUR 2009, 29 ff.; Fezer (Fn. 3) Rz. 866 ff.
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keninhaber dem körperlichen Verbringen der widerrechtlich gekennzeichneten Ware widersetzen kann, wenn das körperliche Verbringen der Ware zwingend dazu führt, dass die widerrechtlich gekennzeichnete Ware in den innergemeinschaftlichen Warenkreislauf gelangt.74 Diese Voraussetzung ist stets dann erfüllt, wenn ein Empfänger im Inland benannt ist, so dass im Ausgangsbeispiel auch nach der Rechtsprechung des EuGH eine Einfuhr im markenrechtlichen Sinn vorliegt. Der bloße Umstand, dass markenverletzende Produkte an der Grenze beschlagnahmt werden, steht dem Vorliegen einer Einfuhr im Sinne des § 14 Abs. 3 Nr. 4 MarkenG ebenfalls nicht entgegen.75 Die Einfuhr setzt gerade kein Inverkehrbringen der widerrechtlich gekennzeichneten Produkte voraus,76 sondern bildet – wie sich schon aus der Systematik der § 14 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 4 MarkenG ergibt – einen eigenständigen Verletzungstatbestand, der das verletzende Verhalten zur Gewährleistung eines möglichst effektiven Schutzen nach vorne, an die Grenze verlagert. Nicht zuletzt bestätigt auch der Wortlaut des § 146 Abs. 1 Satz 1 MarkenG, der an die Einfuhr anknüpft, diese Auslegung.77 c) Eigentum oder Besitz des privaten Bestellers Der Nachweis des Eigentums an einem Plagiat ist – wenn der Eigentümer keine Herausgabeansprüche nach § 985 BGB geltend macht – regelmäßig schwer zu führen; auffallend oft sind die fraglichen Objekte nur geliehen oder werden gerade für einen Bekannten verwahrt. In den Fällen, in denen das Paket von Zollbehörden vor Auslieferung beschlagnahmt wird, ist die Klärung dieser Frage zudem aufwendig. Denn es wäre zunächst zu prüfen, ob der Besteller des Plagiats, der regelmäßig Vorkasse leisten muss, nach dem Recht des Absenderlandes bereits Eigentum erworben hat.78 Leichter zu beurteilen ist die Frage nach dem Besitz des Bestellers. Bei den in der Praxis relevanten Fällen werden die aus dem Ausland stammenden Pakete aufgrund eines Grenzbeschlagnahmeantrags überprüft und durch die Zollstellen der großen Frachtflughäfen zurückgehalten. Ist für die betreffende Ware ein Zollantrag gestellt, so wird die Aussetzung der Überlassung, AdÜ, verfügt. Anschließend unterrichtet der Zoll gemäß Art. 9 Abs. 2 der PPVO sowohl den Inhaber der Markenrechte, der den Grenzbeschlagnahmeantrag gestellt hat, als
__________ 74 EuGH v. 9.11.2006 – C-281/05, GRUR 2007, 146 (147) – Diesel; Rinnert/Witte, GRUR 2009, 29 (33). 75 Zutreffend Büscher (Fn. 21) § 14 MarkenG Rz. 473; Hacker (Fn. 17) § 18 Rz. 120; Fezer (Fn. 3) Rz. 860; Ingerl/Rohnke (Fn. 17) § 14 Rz. 197; a. A. OLG Bremen v. 8.10. 1998 – 2 U 60/98, NJWE-WettbR 2000, 46 (47) – Europaletten. 76 OLG Hamburg v. 5.12.2001 – 5 U 114/01, GRUR-RR 2002, 129 (130) – Kfz-Ersatzteile. 77 Ingerl/Rohnke (Fn. 17) § 14 Rz. 197; Fezer (Fn. 3) § 146 Rz. 6. 78 Zur sukzessiven Anwendung der Rechtsordnungen beim internationalen Versendungskauf Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearb. 1996, Rz. 289.
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auch den Anmelder und Besitzer der Waren.79 Die Plagiate gelangen in den unmittelbaren Besitz der Zollbehörden, die diesen Besitz vorübergehend und in Anerkennung ihrer Herausgabepflicht gegenüber dem Anmelder bzw. Empfänger der Waren ausüben. Somit entsteht ein (ggf. auch mehrstufiges) öffentlich-rechtliches Besitzmittlungsverhältnis, in dem die Zollbehörden dem Empfänger den Besitz an den Plagiaten mitteln.80 Ein Besitzbegründungswille des mittelbaren Besitzers ist bei öffentlich-rechtlichen Besitzmittlungsverhältnissen nicht erforderlich;81 er läge im Übrigen spätestens dann vor, wenn der angegebene Empfänger gegenüber den Zollbehörden die Freigabe des Paketes verlangt. Der angegebene Empfänger ist in dieser Fallkonstellation somit mittelbarer Besitzer.
IV. Praktische Relevanz Die vorstehenden Beispiele deuten bereits an, dass eine richtlinien- und TRIPskonforme Auslegung des § 18 MarkenG nicht nur dogmatisch geboten ist, sondern auch eine erhebliche praktische Bedeutung für die Bekämpfung der Produktpiraterie hat. Wenn der Rechteinhaber darauf beschränkt wäre, Vernichtungsansprüche nur gegenüber dem Verletzer geltend machen zu können, gäbe es keine effektive Möglichkeit, gegen die zahlreichen Importe einzelner Plagiate vorzugehen, die an Frachtflughäfen aufgegriffen werden. Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen einer der Beteiligten, nachdem er über die AdÜ durch die zuständige Zollstelle unterrichtet worden ist, der Vernichtung der beschlagnahmten Ware widerspricht. Der Rechteinhaber kann die Freigabe der gefälschten beschlagnahmten Ware durch den Zoll nur verhindern, wenn er innerhalb der Frist des Art. 13 Abs. 1 PPVO ein zivilgerichtliches Verfahren einleitet, in dem geprüft wird, ob eine Verletzung seiner Kennzeichenrechte gegeben ist. Er kann insoweit zwar grundsätzlich bei den deutschen Gerichten ein Klageverfahren gegen den Verletzer mit Sitz im Ausland einleiten, das auf Unterlassung der Markenverletzung etc. gerichtet ist. Die Kosten für ein solches Verfahren stehen mit Blick auf den jeweils nur festgestellten, einzelnen Verstoß regelmäßig
__________ 79 Anmelder (Art. 4 Nr. 18 ZK) und Empfänger der Waren sind in diesen Sachverhalten zumeist identisch, da entweder der Empfänger selbst sich um die Zollanmeldung bemüht oder das Frachtunternehmen die Zollanmeldungen im Namen des Empfängers durchführt. Auch in letzterem Fall ist der Empfänger, nicht das Frachtunternehmen, von den Rechtswirkungen der Zollanmeldung betroffen, vgl. Witte, Zollkodex, 3. Aufl. 2002, Art. 4 Stichwort „Anmelder“. 80 BGH v. 17.9.2009 – Xa ZR 2/08, GRUR 2009, 1142 (1146 f.) – MP3-Player-Import, unter Hinweis auf Bassenge in Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 868 Rz. 6; vgl. auch Joost in MüKo-BGB, 5. Aufl. 2009, § 868 Rz. 41; Bund in Staudinger, §§ 854–882, Neubearbeitung 2007, § 868 Rz. 29, nach denen eine behördliche Beschlagnahme nur dann kein Besitzmittlungsverhältnis begründet, wenn die Behörde eine Rückgabe der beschlagnahmten Sache nicht beabsichtigt. 81 Vgl. Bund in Staudinger, §§ 854–882, Neubearbeitung 2007, § 868 Rz. 26; Bassenge in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 868 Rn. 8 a. E.; weiter gehend Joost in MüKo-BGB, 5. Aufl. 2009, § 868 Rz. 21.
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außer Verhältnis, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass es typischerweise schon erhebliche Schwierigkeiten bereitet, Klageschriften Verletzern zuzustellen, die in Freihandelszonen von Hafenstädten des Mittleren Ostens ansässig sind, und es nahezu ausgeschlossen ist, die angefallenen Kosten gegenüber dem Verletzer zu vollstrecken. Gegenüber dem privaten Besteller, der seinen Sitz zwar in Deutschland hat, kommt eine Verletzungsklage nicht in Betracht, da er nicht im geschäftlichen Verkehr gehandelt hat. Einen Ausweg bietet die gerichtliche Inanspruchnahme des bösgläubigen privaten Bestellers, der zunächst außergerichtlich und ohne Kostenfolge zur Zustimmung zu der Vernichtung des Plagiats aufgefordert wird, und zwar auf Vernichtung der gefälschten Ware, die bei zutreffender Auslegung aus § 18 MarkenG resultiert. Bei einer solche Klage handelt es sich um ein Verfahren im Sinne des Art. 13 Abs. 1 PPVO, so dass der Rechteinhaber mit der Einleitung der Vernichtungsklage die Freigabe durch die Zollbehörde verhindern und letztendlich die Vernichtung der gefälschten Ware herbeiführen kann.
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Schadenskompensation bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte im Lichte der Durchsetzungsrichtlinie Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die gesetzliche Grundlage III. Konsequenzen für die Methodik des Schadensausgleichs
1. Herausgabe des Verletzergewinns 2. Schadensausgleich nach der Lizenzanalogie IV. Ergebnis
I. Einleitung Art. 13 der Richtlinie 48/2004 der Europäischen Gemeinschaft zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums und die zu seiner Umsetzung erlassene Vorschrift des § 139 Abs. 2 PatG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums vom 7. Juli 2008 (Durchsetzungsgesetz) sowie die entsprechenden Vorschriften der übrigen Gesetze zum Schutz der geistigen Eigentums1 haben den Ausgleich des durch eine Schutzrechtsverletzung verursachten Schadens auf eine neue, gemeinschaftsrechtlich (jetzt: unionsrechtlich) begründete und demgemäß nach den Grundsätzen der richtlinienkonformen Auslegung zu interpretierende Grundlage gestellt. In der Praxis scheint dies noch kaum wahrgenommen zu werden, was daran liegen mag, dass Durchsetzungsrichtlinie und -gesetz die dem deutschen Rechtsanwender seit mehr als hundert Jahren vertraute Trias der „Schadensberechnungsmethoden“ lediglich (ausdrücklich) gesetzlich verankert zu haben scheinen. Dies täuscht jedoch darüber hinweg, dass die unionsrechtliche Grundlage es nicht mehr erlaubt, § 139 Abs. 2 PatG – der hier stellvertretend für die entsprechenden Vorschriften der übrigen Gesetze zum Schutz des Geistigen Eigentums stehen soll – (allein) aus dem Kontext des deutschen Rechts und deutscher Rechtstradition zu verstehen.2 Zehn Jahre nach der „Gemeinkostenanteil“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs3 zur Herausgabe des Verletzergewinns, die die deutsche Schadensersatzpraxis mit einer wesentlich auf das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag gestützten Begründung weit über das ursprünglich zur Begründung allein herangezogene
__________ 1 § 97 Abs. 2 UrhG; § 42 Abs. 2 GeschmG; § 24 Abs. 2 GbmG; § 37 Abs. 2 SortSchG; § 14 Abs. 6 MarkenG. 2 v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460 (462 ff.). 3 BGH v. 2.11.2000 – I ZR 246/98, BGHZ 145, 366.
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Geschmacksmusterrecht hinaus nachhaltig verändert hat,4 scheint es daher Zeit für eine Neubesinnung. Michael Loschelder, dem der nachfolgende Versuch hierzu zu seinem 65. Geburtstag gewidmet ist, hat bereits vor einigen Jahren zu Recht insoweit einheitliche „Spielregeln“ für die gewerblichen Schutzrechte angemahnt.5 Es ist zu hoffen, dass die gemeinsame unionsrechtliche Grundlage hierzu beiträgt.
II. Die gesetzliche Grundlage Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Durchsetzungsrichtlinie ist alles andere als klar und eindeutig. Er bestimmt, dass die Gerichte bei der Festsetzung des Schadensersatzes (englisch: „when the judicial authorities set the damages“; französisch: „lorsqu’elles fixent les dommages-intérêts“) (a) alle in Frage kommenden Aspekte berücksichtigen („take into account“; „prennent en considération“), wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber. Stattdessen können sie (b) in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte. Der deutsche Gesetzgeber hat kaum mehr getan, als den Richtlinientext wörtlich zu übernehmen. Nach § 139 Abs. 2 Satz 2 „kann“ bei der „Bemessung des Schadensersatzes“ auch der Verletzergewinn „berücksichtigt werden“; nach Satz 3 derselben Vorschrift kann der Schadensersatzanspruch auf der Grundlage einer Lizenzanalogie „berechnet“ werden. Auffallend ist allenfalls, dass der deutsche Gesetzgeber den Begriff „Berechnen“ ausgerechnet im Zusammenhang mit der Lizenzanalogie verwendet, die nach der Richtlinie als alternative Form der Schadenskompensation durch Zuerkennung eines Pauschalbetrags („lump sum“; „montant forfaitaire“) erscheint und daher einer Berechnung im Sinne einer exakten Bezifferung des Ausgleichsbetrags durch Anwendung einer mathematischen Formel allenfalls insofern zugänglich ist, als die zum Schadensausgleich zu leistende Schadensersatzlizenzgebühr aus den Faktoren lizenzpflichtiger Umsatz und Lizenzsatz errechnet werden kann. Die Präzision dieser Rechenoperation kann freilich nicht darüber hinweg täuschen,
__________ 4 S. dazu nur Grabinski, GRUR 2009, 260 (262) m. w. Nachw. Zur Anwendung auf das Urheberrecht BGH v. 7.2.2002 – I ZR 304/99, BGHZ 150, 32 (44) – Unikatrahmen, auf das Kennzeichenrecht BGH v. 6.10.2005 – I ZR 322/02, GRUR 2006, 419 (420) – Noblesse, auf den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz BGH v. 21.9.2006 – I ZR 6/04, GRUR 2007, 431 (433) – Steckverbindergehäuse; zurückhaltend zur Anwendung auf das Patentrecht BGH v. 27.2.2007 – X ZR 113/04, GRUR 2007, 773 (777) – Rohrschweißverfahren. 5 Rechtsfortbildung der Schadensberechnungsmethode „Herausgabe des Verletzergewinns“, NJW 2007, 1503 (1504).
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dass sich zumindest der Faktor Lizenzsatz einer exakten Ermittlung entzieht und demzufolge auch das Ergebnis der Operation nichts anderes als eine richterliche Schätzung des zur Schadenskompensation angemessenen Ausgleichsbetrags darstellt. Der anders als der Richtlinientext das richterliche „Ermessen“6 nicht erwähnende Gesetzestext verdeckt mithin, ändert aber nichts daran, dass sich auch nach nationalem Recht der geschuldete Betrag nicht allein aus dem Gesetz, sondern erst aus dessen Anwendung unter Ausnutzung der dem Gericht eingeräumten Bewertungsspielräume ergibt. Dies ist deswegen mehr als eine Marginalie, weil es die Einheitlichkeit des Schadensersatzanspruchs wegen Schutzrechtsverletzung unterstreicht. Der Verletzte hat nicht – wahlweise – Anspruch auf Ausgleich seines konkreten Schadens, auf Herausgabe des Verletzergewinns oder auf Zahlung einer angemessenen (Schadensersatz-)Lizenzgebühr, sondern er hat Anspruch auf Schadensersatz, zu dessen Bemessung das Gesetz verschiedene Ansätze zur Verfügung stellt. Der Bundesgerichtshof hat im Urteil „Zerkleinerungsvorrichtung“7 darauf hingewiesen, dass es sich bei den drei Bemessungsarten lediglich um „Variationen bei der Ermittlung des gleichen einheitlichen Schadens“ handele und nicht um verschiedene Ansprüche mit unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, so dass kein Wahlschuldverhältnis vorliege.8 Genauer noch wäre mit Melullis9 zu formulieren, dass es sich um unterschiedliche Methoden zur Ermittlung eines zur Kompensation des Schadens des Schutzrechtsinhabers angemessenen und erforderlichen Betrags handelt. Der Schaden, der hierdurch kompensiert werden soll, ist bereits in der Beeinträchtigung des absoluten Rechts und der mit diesem verbundenen, allein dem Inhaber zugewiesenen Nutzungsmöglichkeiten zu sehen.10 Bei den verschiedenen Methoden geht es somit im Ergebnis immer um das Gleiche, nämlich die Ermittelung des wirtschaftlichen Werts des Schutzrechts, des ihm innewohnenden Gewinnpotentials, das durch den erwarteten, aber entgangenen Gewinn des Schutzrechtsinhabers, durch den tatsächlichen Gewinn des Verletzers oder aber die Gewinn-
__________ 6 Hier nicht im verwaltungsrechtlichen Sinne zu verstehen, sondern im wörtlichen Sinne der richterlichen Befugnis, zu „ermessen“, durch welchen Betrag der vom Verletzten erlittene Schaden angemessen kompensiert werden kann. 7 BGH v. 25.9.2007 – X ZR 60/06, BGHZ 173, 374 = NJW 2008, 373 m. zust. Anm. Loschelder. 8 Unter Hinweis auf BGHZ 44, 372 (378) = GRUR 1966, 375 – Meßmer-Tee II; BGHZ 119, 19 (23) = GRUR 1993, 55 – Tchibo/Rolex II; Gloy/Loschelder/Melullis, Hdb. WettbewerbsR, 3. Aufl. 2005, § 23 Rz. 51; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl. 2007, Kap. 34 Rz. 25. 9 GRUR Int. 2008, 679 (682). 10 BGH v. 25.9.2007 – X ZR 60/06, BGHZ 173, 374 (383); BGH v. 14.5.2009 – I ZR 98/06, BGHZ 181, 98, 123 – Tripp-Trapp-Stuhl; Melullis, GRUR Int. 2008, 679 (682); v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460 (462); BGH v. 20.5.2008 – X ZR 180/05, BGHZ 176, 311 (320) – Tintenpatrone kann – entgegen v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 386 (393 Fn. 114) – trotz einer vielleicht etwas missverständlichen Formulierung nichts Gegenteiliges entnommen werden. Auch dort heißt es, dass für die zur Feststellung der Schadensersatzpflicht erforderliche gewisse Wahrscheinlichkeit eines Schadens in der Regel eine Verletzungshandlung genüge.
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erwartung erfasst wird, die vernünftige Vertragsparteien mit dem Abschluss eines Lizenzvertrages über die Nutzung des Schutzrechts verbunden hätten. Dies ist auch der Standpunkt der Richtlinie. In der deutschen Sprachfassung des Erwägungsgrunds 26 kommt dies nur unzulänglich zum Ausdruck, wenn es dort heißt, um den Schaden auszugleichen … sollten bei der Festsetzung der Höhe des an den Rechtsinhaber zu zahlenden Schadensersatzes alle einschlägigen Aspekte berücksichtigt werden, wie z. B. Gewinneinbußen des Rechtsinhabers oder zu Unrecht erzielte Gewinne des Verletzers sowie gegebenenfalls der immaterielle Schaden, der dem Rechtsinhaber entstanden ist; ersatzweise, etwa wenn die Höhe des tatsächlich verursachten Schadens schwierig zu beziffern wäre, könne die Höhe des Schadens aus Kriterien wie z. B. der Vergütung oder den Gebühren, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des Rechts eingeholt hätte, abgeleitet werden. Der Begriff des Schadens wird hier gleichermaßen für dasjenige verwendet, was etwa in der englischen Sprachfassung prejudice einerseits und damages andererseits heißt.11 Weitere Sprachfassungen kennen die gleiche Differenzierung (französisch: préjudice und dommages-intérêts; italienisch: danno und risarcimento; spanisch: perjuicio und indemnización; auch etwa niederländisch: schade und schadevergoeding). Wenn der genaue Umfang des Schadens schwer zu bestimmen ist, kann somit nicht der Schaden selbst, sondern der Schadensersatz (die Kompensation, die Ausgleichsleistung) mit Hilfe von Kriterien wie der Lizenzanalogie bestimmt werden. Für den Verletzergewinn kann nichts anderes gelten. Auch er hat mit dem Schaden, den der verletzte Schutzrechtsinhaber erlitten hat, unmittelbar nichts zu tun.12 Zwar kann der Gewinn, den der Verletzer erzielt hat, den Gewinn widerspiegeln, der dem Verletzten entgangen ist. Ein solcher Zusammenhang muss jedoch nicht bestehen. Dies gilt nicht nur deshalb, weil es nach ständiger deutscher Rechtsprechung gar nicht darauf ankommt, ob der Verletzte den Gewinn hätte erzielen können, den der Verletzer erzielt hat, ja ob er überhaupt einen Geschäftsbetrieb unterhält, mit dem er einen solchen Gewinn wenigstens theoretisch hätte erwirtschaften können.13 Bei einer autonomen Auslegung des Unionsrechts kann diese deutsche Rechtsprechungstradition nicht unbedingt Geltung beanspruchen. Es muss aber deshalb gelten, weil der Sinn des Rückgriffs auf den Verletzergewinn – entgegen dem Eindruck, den die Forderung nach Berücksichtigung aller Umstände nicht nur in der deutschen
__________ 11 „With a view to compensating for the prejudice suffered …, the amount of damages awarded to the rightholder should take account of all appropriate aspects, such as loss of earnings incurred by the rightholder, or unfair profits made by the infringer and, where appropriate, any moral prejudice caused to the rightholder. As an alternative, for example where it would be difficult to determine the amount of the actual prejudice suffered, the amount of the damages might be derived from elements such as the royalties or fees which would have been due if the infringer had requested authorisation to use the intellectual property right in question.“ 12 Vgl. Melullis, GRUR Int. 2008, 679 (680, 683). 13 S. nur BGH v. 19.1.1973 – I ZR 39/71, BGHZ 60, 168 (173) – Modeneuheit; BGH v. 30.11.1976 – X ZR 81/92, BGHZ 68, 90 (94) – Kunststoffhohlprofil I.
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Sprachfassung der Richtlinie erweckt – nicht darin liegen kann, sowohl den entgangenen Gewinn des Verletzten als auch den Verletzergewinn zu ermitteln und aus beiden (sowie gegebenenfalls weiteren Faktoren) einen angemessenen Kompensationsbetrag (etwa in Gestalt eines Mittelwerts?) abzuleiten.14 Vielmehr soll der Rückgriff auf den Verletzergewinn dem Verletzten die Durchsetzung seiner Rechte erleichtern und ihm eine Kompensation für den eingetretenen Schaden verschaffen, ohne dass er genötigt ist, gegenüber dem Verletzer im Einzelnen offenzulegen, wie es um seine Kostenstruktur und demgemäß um seine Gewinnmöglichkeiten bestellt ist. Wie die Lizenzanalogie dient die Erfassung des Verletzergewinns somit nicht der Ermittlung des Schadens, den der Schutzrechtsinhaber erlitten hat, sondern der Ermittlung desjenigen Betrages, der zum Ausgleich des erlittenen Schadens erforderlich und angemessen ist. An diesem Zweck hat sich die Auslegung und Anwendung der Kompensationsmethoden auszurichten.
III. Konsequenzen für die Methodik des Schadensausgleichs Dies hat Konsequenzen sowohl für die Herausgabe des Verletzergewinns als auch für die Schadenskompensation nach der Lizenzanalogie und die Bemessung des Schadensausgleichs insgesamt. 1. Herausgabe des Verletzergewinns Überholt durch die Neufassung des Gesetzes in Umsetzung der Richtlinie ist zunächst der – schon zuvor schwerlich überzeugende15 – Gedanke, der Verletzer müsse sich so behandeln lassen, als habe er das Schutzrecht als Geschäftsführer ohne Auftrag benutzt, und wegen der besonderen Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit des Immaterialgüterrechts werde der Verletzte auch schon bei fahrlässigem Handeln des Verletzers so gestellt wie der Geschäftsherr bei der sog. angemaßten Geschäftsführung nach § 687 Abs. 2 BGB.16 Die Herausgabe des Verletzergewinns nach § 139 Abs. 2 PatG n. F. dient der Schadenskompensation und hat mit dem – vielen anderen nationalen Rechten unbekannten17 – Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag weder unmittelbar noch mittelbar etwas zu tun. Die Versagung des Abzugs von Gemeinkosten von dem erzielten und herauszugebenden Gewinn kann folglich auch nicht (mehr) damit begründet werden,
__________ 14 Obwohl der Text sowohl der Durchsetzungsrichtlinie als auch ihrer Umsetzung in deutsches Recht in die gegenteilige Richtung weisen könnte, wird weiterhin jedenfalls grundsätzlich das Verbot einer Vermischung der Methoden zu gelten haben; vgl. BGH v. 29.7.2009 – I ZR 87/07, GRUR 2010, 237 (238) – Zoladex; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 386 (394); v. Wolff in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 97 Rz. 61. 15 S. nur Melullis, GRUR Int. 2008, 679 (680). 16 BGHZ 145, 366 (371 f.) – Gemeinkostenanteil; ebenso BGH v. 21.9.2006 – I ZR 6/04, GRUR 2007, 431 (433) – Steckverbindergehäuse. 17 Grabinski, GRUR 2009, 260 (261) m. w. Nachw.
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einem solchen Abzug stehe der Gedanke entgegen, dass sich der Verletzer im Verhältnis zum Verletzten so behandeln lassen müsse, als habe er Herstellung und Vertrieb der schutzrechtsverletzenden Gegenstände als dessen Geschäftsführer in angemaßter Geschäftsführung betrieben, in welchem Fall er nach § 687 Abs. 2 Satz 2, § 684 Satz 1 BGB Aufwendungsersatz nur nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verlangen könnte.18 Dies bedeutet freilich nicht, dass damit das Urteil „Gemeinkostenanteil“ und die hierdurch verursachte Rechtsprechungslinie insgesamt obsolet wären. Der I. Zivilsenat hat den Rückgriff auf das Recht der angemaßten Geschäftsführung in erster Linie damit begründet, dass der Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns kein Anspruch auf Ersatz des konkret entstandenen Schadens sei, sondern in anderer Weise auf einen billigen Ausgleich des Vermögensnachteils ziele, den der verletzte Rechtsinhaber erlitten habe.19 Es liege in der Natur der Immaterialgüterrechte, dass im Einzelfall kaum feststellbar und beweisbar sei, welcher Gewinn dem Rechtsinhaber dadurch entgangen sei, dass der Verletzer in das ihm zugewiesene Ausschließlichkeitsrecht eingegriffen und damit seine eigenen Möglichkeiten zur Auswertung des Rechts geschmälert habe. Es wäre jedoch unbillig, dem Verletzer einen Gewinn, der auf der unbefugten Nutzung des Ausschließlichkeitsrechts beruhe, zu belassen.20 Dementsprechend hat er das grundsätzliche Abzugsverbot für Gemeinkosten auf die Erwägung gestützt, der aus der Rechtsverletzung stammende Gewinn würde im allgemeinen nicht vollständig abgeschöpft, wenn dem Verletzer uneingeschränkt gestattet würde, von seinen Erlösen einen Gemeinkostenanteil abzusetzen, und ihm damit ein Deckungsbeitrag zu seinen Fixkosten verbliebe. Dies stünde im Widerspruch zu Sinn und Zweck des Schadensausgleichs in der Form der Herausgabe des Verletzergewinns und insbesondere zu dem Gedanken, dass der Verletzte durch die Herausgabe des Verletzergewinns so zu stellen sei, als hätte er ohne die Rechtsverletzung den gleichen Gewinn wie der Rechtsverletzer erzielt.21 Diese Erwägungen treffen weiterhin zu und rechtfertigen es, bei der Ermittlung des Verletzergewinns nicht – wie vor „Gemeinkostenanteil“ üblich – undifferenziert anteilige Gemeinkosten von dem durch die Schutzrechtsverletzung erzielten Erlös in Abzug zu bringen. Allerdings gilt für die Ermittlung des Verletzergewinns im Rahmen des § 139 Abs. 2 PatG n. F. verstärkt ebenso der Grundsatz, dass Gemeinkosten ebenso wenig undifferenziert außer Ansatz bleiben können, nur weil es sich im betriebswirtschaftlichen Sinne um Gemeinkosten und damit um Kosten handelt, die dem schutzrechtverletzenden Produkt nicht unmittelbar zugerechnet wer-
__________ 18 So BGHZ 145, 366 (373 f.) – Gemeinkostenanteil. 19 Unter Hinweis auf BGH v. 2.2.1995 – I ZR 16/93, GRUR 1995, 349 (352) – Objektive Schadensberechnung. 20 BGHZ 145, 366 (371) – Gemeinkostenanteil – unter Hinweis auf BGH v. 17.6.1992 – I ZR 107/90, BGHZ 119, 20 (30) – Tchibo/Rolex II. 21 BGHZ 145, 366 (373) – Gemeinkostenanteil.
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den können.22 Dass Kosten einem Produkt nicht direkt zugerechnet werden können, bedeutet nicht, dass zwischen der Produktion des Produkts und diesen Kosten kein Zusammenhang bestünde. Selbstverständlich besteht ein Zusammenhang etwa zwischen der Größe der Vertriebsabteilung eines Unternehmens und der Summe aller zu vertreibenden Produkte, und jeder Unternehmer wird eine absolute Höhe der Vertriebskosten anstreben, die gerade ausreicht, die Kapazität bereitzustellen, die er benötigt, um die Summe aller durch die Ausbringungsmenge erforderten Vertriebsleistungen zu erbringen. Ebenso relativ ist die Differenzierung in variable und fixe Kosten; bei langfristiger Betrachtung sind alle Kosten variabel, da durch geeignete unternehmerische Dispositionen die Kapazitäten an die Beschäftigung angepasst werden können und müssen.23 Für die rechtliche Betrachtung kann es auch nicht entscheidend darauf ankommen, ob die Entstehung von Kosten kausal auf die Entscheidung für die Herstellung eines patentverletzenden Erzeugnisses zurückgeführt werden kann. Das ist bei Gemeinkosten, deren Entstehung bereits zuvor veranlasst worden ist, vielfach nicht der Fall. Bei einer solchen „naturwissenschaftlichen“ Kausalitätsbetrachtung kann die rechtliche Bewertung jedoch – wie auch sonst – nicht stehen bleiben. Sie muss vielmehr danach fragen, ob die Kosten den Verletzungshandlungen zugerechnet werden können, weil sie ohne diese nicht oder nicht in der gegebenen Höhe entstanden wären24 oder zwar entstanden, aber anderweitig „gedeckt“ worden wären.25 Nur so kann erreicht werden, dass der Gewinn und nur derjenige erfasst wird, den der Verletzer durch die Benutzung des fremden immateriellen Schutzguts erzielt hat, und damit zur Kompensation des vom Schutzrechtsinhaber erlittenen Schadens ein Betrag ermittelt wird, der den Wert und das Gewinnpotential des Schutzrechts in der Form widerspiegelt, in der sie vom Verletzer unberechtigterweise benutzt worden sind. 2. Schadensausgleich nach der Lizenzanalogie Da die verschiedenen Methoden zur Bemessung des zu leistenden Schadensersatzes der Kompensation ein- und desselben, vom Schutzrechtsinhaber durch die rechtverletzenden Handlungen erlittenen Schadens dienen, sollten sie wirtschaftlich gleichwertig sein und im theoretischen Ausgangspunkt jedenfalls dann zu übereinstimmenden Ergebnissen führen, wenn auch der Verletzte das Schutzrecht verwertet.26 Natürlich kann es sich dabei immer nur um eine Übereinstimmung im Wesentlichen handeln; da alle drei Methoden zumindest in gewissem Umfang auf Schätzungen angewiesen sind, ist eine
__________ 22 S. zur betriebswirtschaftlichen Begrifflichkeit und ihrer Untauglichkeit für die rechtliche Unterscheidung zwischen abzugsfähigen und nicht abzugsfähigen Kosten näher Meier-Beck, GRUR 2005, 617 (620 f.). 23 Haft/Reimann, Mitt. 2003, 437 (445); Meier-Beck, GRUR 2005, 617 (621). 24 Ebenso Pross in FS Tilmann, 2003, S. 884 f. 25 Näher Meier-Beck, GRUR 2005, 617 (621 ff.). 26 Vgl. Melullis, GRUR Int. 2008, 679 (684).
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exakte Übereinstimmung praktisch ausgeschlossen. Zudem ist es gerade der Sinn der Methodentrias, im Einzelfall diejenige wählen zu können, mit der auf dem einfachsten Weg ein angemessenes und einen vollen Schadensausgleich gewährleistendes Ergebnis ermittelt werden kann. Damit wäre es unvereinbar, wollte man die Angemessenheit dieses Ergebnis daran messen, inwieweit die beiden anderen Methoden zu demselben Ziel führen, und das Ergebnis gegebenenfalls nach Maßgabe eines solchen Vergleichs korrigieren. Auf der anderen Seite muss es nachdenklich stimmen, wenn im Gefolge der Entscheidung „Gemeinkostenanteil“ die praktisch nicht gerade besonders einfach zu handhabende Ermittlung des zu leistenden Schadensersatzes nach dem Verletzergewinn in den vergangenen zehn Jahren in der ganz überwiegenden Zahl der gerichtlichen Streitfälle zur Klagegrundlage gewählt worden ist. Dies deutet darauf hin, dass entweder eine Reihe von Klägern von illusionären Vorstellungen über den auf diese Weise zu erzielenden außerplanmäßigen Ertrag getrieben war oder aber auf diese Weise tatsächlich Schadensbeträge erlangt werden können, die sich signifikant jedenfalls von demjenigen unterscheiden, was als auf der Grundlage der Lizenzanalogie erlangbar angesehen wird. Ersteres wäre verständlich, lief doch „Gemeinkostenanteil“ darauf hinaus, dass der herauszugebende Gewinn um den Faktor 10 höher sein könne als bei Abzug anteiliger Gemeinkosten angenommen. Aber auch die zweite Erklärung ist zumindest nicht von der Hand zu weisen, lässt allerdings offen, ob die Diskrepanz sich dadurch erklärt, dass als vermeintlicher Verletzergewinn überhöhte Kompensationszahlungen ausgeurteilt werden, oder dadurch, dass mit der Lizenzanalogie in der bislang praktizierten Form kein voller Ausgleich für den vom Schutzrechtsinhaber erlittenen Schaden gewährt wird. Ich kann es nicht empirisch belegen, vermute aber, dass alle drei Erklärungen teilweise zutreffen, und vielleicht kann auch die Korrektur der hierdurch entstandenen Schieflage des Schadensersatzrechts nur gelingen, wenn gleichermaßen sowohl beim Verletzergewinn als auch bei der Lizenzanalogie dem Gedanken wieder stärker Rechnung getragen wird, dass Verletzergewinn wie Lizenzanalogie nur Mittel zum Zweck sind, d. h. dazu dienen, einen Maßstab dafür zu finden, wie der zum Ausgleich des vom Verletzten erlittenen Schadens erforderliche, aber auch ausreichende Betrag in praktikabler und effizienter, die Geheimhaltungsinteressen des Verletzten – im Rahmen des Möglichen aber auch diejenigen des Verletzers – so weit wie möglich schonender Weise abgeschätzt werden kann. Was Praktikabilität und Effizienz anbelangt, so hatte bis zu „Gemeinkostenanteil“ die Methode der Lizenzanalogie unschlagbare Vorteile für sich, die sie zur Methode der Wahl in der weit überwiegenden Zahl der Schadensersatzhöheprozesse machten. Man wird nicht sagen können, dass sich die Herausgabe des Verletzergewinns als ebenso praktikable und effiziente Methode erwiesen hat. Allerdings ist auch immer wieder beklagt worden, dass die Lizenzanalogie keine angemessene Schadenskompensation erreiche, weil der Verletzer letztlich nicht (wesentlich) schlechter stehe als ein vertraglicher Lizenz228
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nehmer,27 und es mag sich daher die starke Stellung der Lizenzanalogie bis zu „Gemeinkostenanteil“ auch aus der schieren Not, d. h. dadurch erklären, dass die zur Geltendmachung eines entgangenen Gewinns notwendige „Selbstentblößung“ bei Schutzrechtsinhabern ausgesprochen unbeliebt und die Methode zudem wegen der regelmäßig einzuholenden Wirtschaftsprüfergutachten aufwendig war und die Alternative Verletzergewinn ebenso wenig überzeugte, weil sich der Verletzer durch geschickte und nur begrenzt überprüfbare Gemeinkostenzurechnung arm zu rechnen pflegte.28 Wenn es aber richtig ist, dass die drei Methoden der Kompensation ein und desselben Schadens dienen und daher grundsätzlich zu übereinstimmenden Ergebnissen führen sollen, lohnen die greifbaren praktischen Vorteile der Lizenzanalogie die Überlegung, ob sie nicht zu Unrecht in der jüngeren Vergangenheit in der Hintergrund getreten ist. Die Rechtsprechung hat sich bereits vor „Gemeinkostenanteil“ bemüht, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Schadensersatzlizenzgebühr keine „gewöhnliche“ vertragliche Lizenzgebühr ist, sondern auf einem fiktiven, der Schadenskompensation dienenden Lizenzverhältnis beruht. Zwar hat sie einen „Strafzuschlag“ stets für unzulässig erachtet. Jedoch durfte berücksichtigt werden, was den fiktiven Lizenzvertrag von einem üblichen unterscheidet: Zum einen konnte damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der vertragliche Lizenznehmer die gezahlten Lizenzgebühren für die Vergangenheit nicht zurückerhält, wenn etwa das lizenzierte Patent für nichtig erklärt wird, sondern nur künftig keine Lizenzgebühren mehr zu zahlen braucht. Da der Patentverletzer in diesem Fall auch für die Vergangenheit zu keinerlei Zahlung verpflichtet ist, fällt die Lizenzgebühr in seinem fiktiven „Lizenzvertrag“ höher aus: Er wird mit einem Lizenznehmer verglichen, nach dessen Lizenzvertrag alle Lizenzgebühren zurückzuzahlen sind, wenn das Lizenzpatent irgendwann für nichtig erklärt werden sollte. Die Rechtsprechung nimmt an, dass für eine solche „Risikoversicherung“ eine Prämie in Gestalt einer höheren Lizenzgebühr vereinbart würde.29 Zum anderen enthalten viele Lizenzverträge ein Buchprüfungsrecht des Lizenzgebers. Bei der Schutzrechtsverletzung hat der Schutzrechtsinhaber ein solches Buchprüfungsrecht nicht, sondern kann nur Auskunft über den Umfang der Verletzungshandlungen verlangen. Die Rechtsprechung nimmt an, dass auch hierfür eine Prämie in Gestalt einer höheren Lizenzgebühr zu zahlen ist.30 Schließlich wird dem Schutzrechts-
__________ 27 S. nur Tetzner, GRUR 2009, 6 (7); Bodewig/Wandtke, GRUR 2008, 220 (225), jeweils m. w. Nachw. 28 Vgl. von der Osten, GRUR 1998, 284 (285 f.); Pross in FS Tilmann, 2003, S. 881; Meier-Beck, GRUR 2005, 617 (623); Rojahn, GRUR 2005, 623 (625); Grabinski, GRUR 2009, 260 (262). 29 LG Düsseldorf v. 1.6.1999 – 4 O 11/96, GRUR 2000, 690 (692) – Reaktanzschleife. 30 LG Düsseldorf v. 20.5.1999 – 4 O 295/95, GRUR 2000, 309 (311) – Teigportioniervorrichtung.
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inhaber ein von den Verzugsvoraussetzungen unabhängiger Zinsanspruch zugebilligt.31 Bei der Berücksichtigung dieser Umstände hat es sich jedoch eher um „Feinkorrekturen“ der als Schadensersatz zu zahlenden Analoglizenzgebühr gehandelt. Nicht gerührt worden ist bislang an den Grundgedanken eines jeden Lizenzvertrags, dass das Nutzungsrecht an dem Schutzrecht zu beiderseitigem Nutzen eingeräumt wird. Der Lizenznehmer verspricht sich einen Gewinn aus der Benutzung des Schutzrechts in seiner Produktion, der Lizenzgeber möchte an dieser Gewinnerwartung in Gestalt der an ihn zu zahlenden Lizenzgebühr partizipieren. Dieser Grundgedanke eines – in welchem Verhältnis auch immer – zu teilenden Gewinns trifft nicht zu, wenn die Lizenzanalogie herangezogen wird, um den Schaden zu kompensieren, den der Patent- oder sonstige Schutzrechtsinhaber durch die unberechtigte Nutzung seines geistigen Eigentums erlitten hat.32 Denn der Gewinn, den der Verletzer durch diese Nutzung erzielt, gebührt – wie das Urteil „Gemeinkostenanteil“ verdienstvollerweise herausgearbeitet hat – in vollem Umfang dem Schutzrechtsinhaber. Es ist daher verfehlt, wenn die fiktive Lizenzgebühr, die dem Schadensausgleich zu dienen bestimmt ist, im Grundsatz so bemessen wird, wie sie in einem Vertrag vereinbart wird, in dem der Schutzrechtsinhaber dem Lizenznehmer das Recht zur Nutzung des Gegenstands seines Schutzrechts einräumt. Es erscheint nicht fernliegend, dass sich damit eine Verdoppelung der Lizenzgebühr gegenüber der üblicherweise vertraglich vereinbarten rechtfertigen lässt.33 Bedenken, dass hierin ein unzulässiger Strafzuschlag läge,34 sind unbegründet und müssten, wenn sie zuträfen, gleichermaßen eine Ermittlung des Verletzergewinns nach Maßstäben treffen, die mindestens zu Schadensersatzleistungen in Höhe einer doppelten Lizenzgebühr führen und diese womöglich weit übersteigen. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass die Ergebnisse der unterschiedlichen Schadensausgleichsmethoden deswegen auseinanderfallen dürften oder gar sollten, weil der Abschöpfung des Verletzergewinns eine nur ihr eigene Abschreckungswirkung zukommen müsse. Dies liegt vielmehr umso ferner, als Art. 13 Abs. 2 der Durchsetzungsrichtlinie die Gewinnherausgabe auch bei schuldlosem Handeln des Verletzers vorsieht.
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31 BGH v. 24.11.1981, X ZR 7/80, BGHZ 82, 299 (309 f.) – Kunststoffhohlprofil II; BGH v. 29.7.2009 – I ZR 169/07, GRUR 2010, 239 (243) – BTK; zu weiteren Gesichtspunkten s. Tetzner, GRUR 2009, 6 (10 ff.). 32 Vgl. Melullis, GRUR Int. 2008, 679 (684). 33 S. auch die Stellungnahme des Bundesrates (BR-Drucks. 64/07 [Beschluss] v. 9.3.2007 mit dem Vorschlag, „es dem Rechteinhaber zu gestatten, unter bestimmten Voraussetzungen eine doppelte Lizenzgebühr als vermuteten Verletzergewinn zu verlangen“. 34 So aber offenbar v. Ungern-Sternberg, GRUR 2009, 460 (464), der jedoch andererseits betont, dass auch bei einer Bemessung des Schadensersatzes nach der Lizenzanalogie das Gebot eines wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Schadensersatzes (Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie) gelte, der beim Verletzergewinn einen „überkompensatorischen“ Ausgleich erlauben soll (a. a. O. S. 463). Auch Köhler (in Köhler/ Bornkamm, UWG, 28. Aufl. 2010, § 9 Rz. 1.44) meint, ein allgemeiner Verletzerzuschlag sei weiterhin abzulehnen, da der Verletzte auf die Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie nicht beschränkt sei, sondern alternativ den Verletzergewinn herausverlangen könne und „dies bereits in hohem Maße präventiv wirk(e)“.
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IV. Ergebnis Die Durchsetzungsrichtlinie und die zu ihrer Umsetzung neu gefassten Schadensersatzbestimmungen des Patentgesetzes und der übrigen Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums haben den Gedanken gestärkt, dass die herkömmlich als Schadensberechnungsmethoden, besser aber als Schadensausgleichsmethoden bezeichneten verschiedenen Ansätze (Ersatz des entgangenen Gewinns, Herausgabe des Verletzergewinns, Lizenzanalogie) ein und demselben Ziel dienen, nämlich der Kompensation des Schadens, den der Schutzrechtsinhaber dadurch erleidet, dass der Verletzer in sein ausschließliches Recht zur Nutzung des immateriellen Schutzgegenstands eingreift. Sachgerecht angewandt müssen daher die unterschiedlichen Methoden auch zu (im Wesentlichen) übereinstimmenden Ergebnissen führen. Das zwingt dazu, Übertreibungen entgegenzuwirken, die sich im Gefolge des Urteils „Gemeinkostenanteil“ bei der Ermittlung des als Verletzergewinn herauszugebenden Betrages ergeben können, wenn der Kompensationsgedanke aus dem Auge verloren wird. Auf der anderen Seite ist es geboten, auch bei der Lizenzanalogie den Grundsatz zu beachten, dass der auf die Benutzung des Schutzrechts beruhende Gewinn in vollem Umfang allein dem Schutzrechtsinhaber gebührt. Das der Lizenzanalogie zugrund liegende fiktive Lizenzverhältnis dient daher nicht dem beiderseitigen Nutzen von „Lizenzgeber“ und „Lizenznehmer“; vielmehr ist auch die Lizenzgebühr zur „Herausgabe des Verletzergewinns“ und damit zur vollen Schadenskompensation bestimmt und geeignet.
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Über eine Gerechtigkeitslücke im deutschen Patentverfahrensrecht Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die Problemlage
IV. Lösungsansätze V. Fazit
III. Bewertung
I. Einführung Mit seiner Trennung von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren bietet das deutsche System für die Effektivität des Patentsystems unbestreitbare Vorteile. Durch die Entlastung des Verletzungsverfahrens von der Prüfung der Rechtsgrundlage auf ihre Berechtigung verschafft es dem Rechtsinhaber eine Möglichkeit, seine Position vergleichsweise schnell durchzusetzen. Hand in Hand damit geht indessen eine durch die Besonderheiten des deutschen Vollstreckungsrechtes in Verbindung mit der Ausklammerung dieser Prüfung entstandene Benachteiligung des als Verletzer in Anspruch Genommenen, die auch im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht nicht unproblematisch erscheint. Dabei soll hier nicht das beide Parteien gleichermaßen treffende Problem einer unterschiedlichen Interpretation des gleichen Patents in Nichtigkeits- und Verletzungsverfahren behandelt werden, auch wenn das mit dem seit 2002 geltenden Revisionsrecht deutlich an Schärfe gewonnen hat.1 Angesprochen werden sollen hier die Auswirkungen, die sich wegen der auf die unberechtigte Benutzung beschränkten Prüfung im Verletzungsverfahren
__________ 1 Auch wenn es der Sache nach in beiden Verfahren nur eine richtige Interpretation des Schutzrechts geben kann, kann die fehlende Bindung der jeweils beteiligten Gerichte an die Entscheidung in dem jeweils anderen Verfahren zu einem unterschiedlichen Verständnis der unter Schutz gestellten technischen Lehre führen. Anders als nach dem früheren Recht, bei dem eine falsche Entscheidung zur Annahme der Revision führte, kann der Bundesgerichtshof hier auch vor dem Hintergrund dessen, dass er in beiden Verfahren als letzte Instanz berufen ist, nicht mehr uneingeschränkt korrigierend tätig werden. Nach dem geltenden Revisionsrecht, das die Revision an eine Zulassung knüpft, führt nicht schon der einfache Rechtsfehler, wie er in einer unzutreffenden Auslegung eines Schutzrechtes liegen kann, zur Eröffnung der Revisionsinstanz; Rechtsanwendungsfehler erfordern die Zulassung der Revision nur dann, wenn sie über den Einzelfall hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren. Das ist bei der Auslegung von Schutzrechten nur dann der Fall, wenn das Verletzungsgericht die Maßstäbe und Grundlagen der Auslegung verkannt hat. Eine nur inhaltlich nicht überzeugende Interpretation wird diese Anforderung in der Regel nicht erfüllen.
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für die Folgen der Vollstreckung eines dort erlangten Titels bei einer nachfolgenden Vernichtung des Patents im Nichtigkeitsverfahren ergeben.
II. Die Problemlage 1. Der Beklagte eines Verletzungsprozesses hat im Grundsatz zwei Möglichkeiten, sich gegen die Inanspruchnahme wegen der Verletzung eines Schutzrechtes zu wehren. Er kann zum einen die Benutzung der unter Schutz gestellten Lehre bestreiten; zum anderen kann er sich gegen den Bestand des Schutzrechtes wehren. Nur die erste Frage wird im Verletzungsprozess erschöpfend geklärt; die zweite Verteidigungsmöglichkeit wird eher kursorisch behandelt, abgesehen davon, dass die allein gebotene Prüfung einer Aussetzung schon ihrem Gegenstand nach diese Frage nicht abschließend behandelt. Kritisch wird das deshalb, weil nach den bisherigen Erfahrungen im Regelfall das Nichtigkeitsverfahren deutlich später als der Verletzungsprozess in zweiter Instanz abgeschlossen wird. 2. Diese zeitliche Abfolge ist unabhängig von den Umständen des Einzelfalls weitgehend unbedenklich, solange eine unberechtigte Vollstreckung zu einem Schadensersatzanspruch des Vollstreckungsschuldners führt. Dass dieser mit einer solchen Ersatzleistung u. U. keinen vollständigen Ausgleich der erlittenen Nachteile erhält, ist das Problem jeder Ersatzleistung, die nur in seltenen Fällen zu einer vollen Befriedigung des Verletzten führen wird. Deshalb verbleibende Nachteile hinzunehmen, ist ihm auch vor dem Hintergrund des Verfassungsrechtes zuzumuten; seine Rechtfertigung findet das darin, dass der Gesetzgeber in Abwägung der Interessen der Beteiligten eine Lösung hat finden müssen, die den Belangen beider Parteien eines Rechtsstreits angemessen Rechnung trägt. Bei der dabei notwendig abstrakt generellen Regelung sind Unstimmigkeiten im Einzelfall nicht zu vermeiden; mit ihrer Hinnahme überschreitet der Gesetzgeber das ihm eingeräumte ohnehin weite Ermessen in aller Regel nicht. Ansprüche auf Ersatz des aus der Vollstreckung resultierenden Schadens bestehen jedoch nur bei der Durchsetzung erstinstanzlicher Entscheidungen und damit in einem Teil der Fälle, in denen es wegen der vielfach erforderlichen Sicherheitsleistung des Gläubigers vor der Vollstreckung ohnehin in der Regel nicht zur Vollstreckung kommen wird. Entsprechende Rechte sind bei den aus der Sicht des Gläubigers wegen des Fehlens einer solchen Sicherheit in ungleich stärkerem Maße wirtschaftlich interessanten Berufungsurteilen im Verletzungsverfahren hingegen nicht gegeben. Die mit Inkrafttreten der Zivilprozessordnung geltende Regelung, dass eine Durchsetzung lediglich vorläufig vollstreckbarer Titel den Vollstreckungsgläubiger auch ohne Verschulden uneingeschränkt zum Ersatz des durch die Vollstreckung bzw. Maßnahmen zu ihrer Abwehr entstandenen Schadens verpflichtet, hat der Gesetzgeber bereits früh mit einer Privilegierung von Berufungsurteilen von Oberlandesgerichten modifiziert. Der Grundsatz, dass der Gläubiger aus einer solchen Entscheidung zwar eine Vollstreckung bis zur Verwertung betreiben kann, dafür jedoch das Risiko einer späteren Änderung der 234
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Grundlage der Vollstreckung trägt, wurde mit der ZPO-Novelle von 1910 modifiziert. An die Stelle der bis dahin auch für Berufungsurteile geltenden Gefährdungshaftung trat eine Art Bereicherungshaftung, nach der sich die Erstattungspflicht des Gläubigers nicht mehr nach dem dadurch ausgelösten Schaden auf Seiten des Schuldners, sondern nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung bestimmt, wenn die Entscheidung später aufgehoben oder abgeändert wird (§ 717 Abs. 3 Satz 2). Diese Regelung hat der Gesetzgeber in diesem Jahrhundert auf alle Berufungsurteile, also auch die zweitinstanzlichen Urteile der Landgerichte, erstreckt. Die Einschränkung einer Ersatzhaftung ist 1910 u. a. mit der Überlegung begründet worden, dass ohne sie ein Anreiz zu unnötigen Rechtsmitteln zu verzeichnen sei, weil der Beklagte erwarten könne, dass der in erster Instanz erfolgreiche Kläger wegen des Haftungsrisikos von einer Durchsetzung des Titels absehen werde, solange dieser nicht rechtskräftig sei, und deshalb schon durch die Hoffnung auf weiteren Leistungsaufschub auch dann in die Revision gehen werde, wenn diese keine Aussicht auf Erfolg biete. Von dieser Vorstellung dürfte auch der moderne Gesetzgeber ausgegangen sein, der lediglich die sachlich nicht überzeugende Differenzierung zwischen Berufungsurteilen beseitigen wollte, wozu um so mehr Anlass bestand, als mit dem reformierten Prozessrecht auch die Revisibilität zweitinstanzlicher Entscheidungen des Landgerichts eingeführt wurde. Auch hier greift daher die Vorstellung des Gesetzgebers des Jahres 1910, mit der erleichterten Vollstreckung den Hoffnungen des Schuldners die Grundlage zu nehmen und auf diese Weise das schon damals stark belastete Reichsgericht in seiner Eigenschaft als Revisionsgericht zu entlasten. 3. Ohne weiteres zu rechtfertigen ist diese Überlegung jedoch nur dort, wo zumindest cum grano salis von der Richtigkeit der zweitinstanzlichen Entscheidung ausgegangen werden kann.2 Eine Richtigkeitswahrscheinlichkeit in diesem Sinne bietet jedoch nur der „normale“ Zivilprozess, bei dem in zwei Instanzen der gesamte Sach- und Streitstoff von den Parteien aufbereitet sowie vorgetragen und durch einen oder mehrere Berufsrichter3 geprüft und der Entscheidung zugrunde gelegt werden kann.4 Für den Patentverletzungsprozess trifft sie jedoch systembedingt nicht zu.
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2 Vgl. zu dieser Rechtfertigung BGHZ 69, 373; BAG, Urt. v. 19.3.2003 – 10 AZR 597/01; Reimann, GRUR 2009, 326; Piekenbrock, JR 2005, 446; Wieczorek/Paulus/Heß, Zivilprozessordnung – Stand 1.7.1999, § 717 Rz. 26. 3 Die rechtspolitisch interessante Frage, ob sich diese These auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Präferenz des Zivilprozesses halten lässt, in der ersten Instanz eine Entscheidung durch den Einzelrichter vorzusehen, soll an dieser Stelle nicht problematisiert werden. Die bisherigen Erfahrungen lassen nichts dafür erkennen, dass mit diesem Paradigmenwechsel Auswirkungen auf die Verlässlichkeit erstinstanzlicher Entscheidungen verbunden sind. 4 Dass im Einzelfall unzureichender Vortrag einer Partei die Entscheidung beeinflussen kann, berührt diesen Grundsatz nicht. Soweit eine Partei die ihr eröffneten Rechte nicht oder nicht in dem gebotenen Umfang wahrnimmt, muss die Rechtsordnung sie vor den Folgen eines solchen Versäumnisses nicht schützen. Bleiben Sachvortrag oder eine Verteidigung infolge eines Fehlers des Gerichts unberücksichtigt, kann damit – zumindest bei hinreichend sorgfältigem Verhalten der Partei in der Instanz – mit einer Einstellung der Vollstreckung durch das Rechtsmittelgericht reagiert werden.
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a) Zwar werden hier der Gegenstand der unter Schutz gestellten Lehre und die angegriffene Ausführungsform mit der gleichen Sorgfalt bestimmt und mit dieser auch das Vorliegen einer Verletzung geprüft. Wegen der Zweigleisigkeit von Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren wird die Frage nach der Gültigkeit des Patents als der Norm, die allein die Verurteilung tragen kann, weitgehend ausgeklammert; sie kann allenfalls über eine im Ermessen des Verletzungsgerichts stehende Aussetzung bis zur Entscheidung über die Wirksamkeit dieser Entscheidungsgrundlage (§ 148 ZPO) Eingang in das Verletzungsverfahren finden. Sofern das Nichtigkeitsverfahren zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossen ist, findet im patentrechtlichen Verletzungsprozess mithin auch nach der zweitinstanzlichen Entscheidung die Vollstreckung aus einem Titel statt, dessen rechtliche Grundlage zu diesem Zeitpunkt zumindest unklar ist und in der Folge in einer Weise entfallen kann, die diesem Titel die Berechtigung entzieht. b) Damit kann infolge der Aufteilung in zwei Verfahren der Kläger des patentrechtlichen Verletzungsprozesses nach dem geltenden Vollstreckungsrecht bis zur Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren ein obsiegendes Berufungsurteil selbst dann vergleichsweise risiko- und sanktionslos vollstrecken, wenn an der Bestandsfähigkeit seines Rechtes Zweifel bestehen, ja selbst dann, wenn ihm diese Zweifel bekannt sind und er sie möglicherweise sogar teilt. Seine Haftung richtet sich bei zweitinstanzlichen Entscheidungen auch dann nach § 717 Abs. 3 ZPO, wenn sich diese Zweifel später bewahrheiten, das Schutzrecht vernichtet und aus diesem Grunde die Verurteilung des Beklagten aufgehoben wird. Ein Rückgriff auf das allgemeine Deliktsrecht als Grundlage für einen Schadensausgleich ist durch § 717 Abs. 3 ZPO weitgehend verwehrt; die der Vorschrift zugrunde liegende gesetzliche Wertung würde unterlaufen, wenn auf diesem Wege eine, wenn auch verschuldensabhängige Haftung in den Vollstreckungsvorgang eingeführt würde. Die Wertung des Gesetzes, die auf eine Privilegierung zweitinstanzlicher Urteile zielt, schließt es – unbeschadet der grundsätzlichen Bedenken gegenüber diesem Institut – jedenfalls aus, eine Haftung für Schäden aus der Vollstreckung solcher Erkenntnisse auf dem Wege über einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu begründen. Andere Ansprüche nach § 823 BGB werden in der Regel schon an dem Fehlen eines durch den Kläger verletzten Rechtsguts im Sinne dieser Vorschrift scheitern. Die dem Grunde nach denkbaren Ansprüche nach § 826 BGB wird der Vollstreckungsschuldner im Allgemeinen nicht in dem notwendigen Umfang ausfüllen können; in der Regel wird der Feststellung einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung schon entgegenstehen, dass sich der Kläger im Verletzungsprozess auf ein durch das Patentamt und damit eine hoheitlich arbeitende Behörde geprüftes Recht stützen kann. Demgegenüber kann die Durchsetzung des Titels aus dem Verletzungsprozess weitreichende, Wohl und Wehe von Unternehmen bis hin zu deren Bestand berührende Folgen haben. Mit der Erteilung der Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Benutzung der beanspruchten Lehre oder gar einer Rechnungslegung erhält der Kläger Informationen über den Geschäftsbetrieb des Beklagten, die sich in vielfältiger Weise zu dessen 236
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Nachteil und zur Förderung der eigenen wirtschaftlichen Betätigung einsetzen lassen. Bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte schließt die verlangte Auskunft regelmäßig die Benennung der Vertragspartner bei den Verletzungshandlungen und die Angaben über Gestehungs- und Vertriebskosten und damit Informationen ein, deren Kenntnis die eigene Position im Verhältnis zu dem Auskunftspflichtigen deutlich verbessern kann. Wer die Kostenlage seines Konkurrenten und dessen Abnehmer kennt, kann seine Stellung im Wettbewerb zu ihm in aller Regel deutlich verbessern. Die Verpflichtung zur Vernichtung der vermeintlich patentverletzenden Waren kann große Teile des Warenbestandes eines Unternehmens betreffen und dieses in den Ruin treiben. Beachtung und Durchsetzung des Unterlassungsgebotes nehmen dem Verurteilten die Möglichkeit weiterer Geschäfte mit dem patentierten Gegenstand. Dieser Ausfall berührt in aller Regel die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. In Abhängigkeit von seinem Anteil an der gesamten Palette des Angebots können die Folgen bis zur Insolvenz des Betroffenen gehen, zumal Produktion und Vertrieb von Waren oder Leistungen in aller Regel Vorlaufkosten verursacht haben, die aus dem Vertrieb refinanziert werden sollten. Das Wegbrechen eines Produkts aus seinem Sortiment ist für ein Unternehmen oft selbst dann nicht oder nur schwer zu verkraften, wenn es über ein breiter gestreutes Sortiment verfügt. c) Anders als im sonstigen Zivilprozess sind diese Nachteile nicht lediglich eine Verwirklichung des allgemeinen Risikos, dass das Revisionsgericht die maßgebliche Rechtsfrage anders beurteilt als die Vorinstanzen, sondern Folge der bewussten Entscheidung, die Frage, ob für die Verurteilung eine rechtliche Grundlage besteht, nicht in diesem, sondern in einem davon unabhängigen Verfahren bei einem anderen Gericht klären zu lassen.5 Die Aufteilung des Streitstoffes zwischen den Parteien einer vermeintlichen oder tatsächlichen Patentverletzung in zwei voneinander unabhängige Verfahren führt dazu, dass der Beklagte sich im Verletzungsprozess allein damit verteidigen kann, eine Benutzung der im Patent beschriebenen Lehre zu leugnen; die häufig allein Erfolg versprechende Berufung auf deren mangelnde Schutzfähigkeit ist ihm hier verwehrt. Mit dieser Verweisung auf zwei unterschiedliche Verfahren wird in einer Weise in die prozessuale Stellung des Beklagten eingegriffen, die Zweifel daran erlaubt, ob dieser Eingriff mit dem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Verfassungsrang ausgestatteten, aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitssatz ausgestatteten Gebot der Waffengleich-
__________ 5 Eine Verschärfung des Problems durch das mit der Novelle vom 27.7.2001 (BGBl. I S. 1887) neu gefasste Revisionsrecht hat der Bundesgerichtshof durch seine Rechtsprechung zwar vermieden. Obwohl vor der Vernichtung des Schutzrechtes im Nichtigkeitsverfahren und damit vor dessen rechtskräftigem Abschluss an sich kein Mangel der Rechtsgrundlage und damit auch kein Revisionsgrund vorliegt, verhindert er einen Eintritt der Rechtskraft und damit eine weitere Verschlechterung der Lage der Beklagten des Verletzungsprozesses, indem er bei hinreichender Aussicht einer Vernichtung des Schutzrechtes in dem dafür vorgesehenen Verfahren die Entscheidung über die Zulassung der Revision aussetzt (vgl. BGHZ 81, 397 – Verbauvorrichtung mit zust. Anm. Busche, JR 2005, 147). Diese Praxis führt indessen nur dazu, die Verfahren bis zum Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens offen zu halten; an dem Problem einer risikolosen Vollstreckung auch in der Sache unberechtigter Titel ändert sie nichts.
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heit6 zu vereinbaren ist. Weiter kann die Vollstreckung aus dem Titel des Verletzungsverfahren zu Eingriffen in den Gewerbebetrieb oder die beruflichgewerbliche Tätigkeit des Beklagten führen, die zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf die noch unklare Lage zum Rechtsgrund der Verurteilung als staatlicher Akt auch mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Berufsfreiheit und des Eigentums nicht mehr ohne weiteres in Einklang zu bringen sind. d) Die geschilderten Gefahren könnten allerdings auch im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Garantien für den Beklagten vernachlässigt werden, wenn es nur um zeitliche Abstände ginge, bei denen irreparable Folgen für den Beklagten nicht zu besorgen sind. Indessen führt diese Überlegung nicht weiter. Zum einen können insbesondere die wirtschaftlichen, den Bestand des betroffenen Unternehmens berührenden Folgen auch innerhalb kurzer Zeit entstehen. Die mit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofes7 bestätigte Rechtsprechung zu den Folgen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung8 beruht gerade auch auf der Überlegung, dass die Inanspruchnahme aus einem Schutzrecht in der Regel kurzfristig Entscheidungen mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen auslöst, die zu tragen von dem zu Unrecht in Anspruch Genommenen nicht erwartet werden kann. Zum anderen spricht die bisherige Erfahrung9 dafür, dass die hinsichtlich der Verfahrensdauer entstandene Schere zwischen Verletzungsprozess und Nichtigkeitsverfahren sich nicht dauerhaft schließen lassen, sondern trotz aller Bemühungen auch in Zukunft erhalten bleiben wird. Regelmäßig wird eine zweitinstanzliche Entscheidung im Verletzungsprozess vorliegen, bevor über den Bestand des Schutzrechtes abschließend entschieden ist. Der nationale Gesetzgeber hat zwar mit dem Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts10 versucht, mit einer Straffung des Berufungsverfahrens in Patentnichtigkeitssachen die Gesamtdauer des Nichtigkeitsverfahrens zu verkürzen und so den in der Vergangenheit immer gewachsenen zeitlichen Abstand zwischen den abschließenden Entscheidungen beider Verfahren zu verringern. Auch auf der Grundlage dieser Maßnahmen steht jedoch nicht zu erwarten, dass sich diese Schere völlig oder auch nur annähernd schließen lässt. Ihre Ursachen
__________ 6 Vgl. etwa BVerfG NJW 2001, 2531; 2004, 3407 f. Entwickelt für das Gebot, bei Vieraugengesprächen nicht nur den Teilnehmer zu hören, der nicht Partei ist, sondern auch der beteiligten Partei Gelegenheit zur Äußerung zu geben, hat dieses Gebot über seine Ausgangsfälle hinaus allgemeine Bedeutung. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass ein von einem rechtsstaatlichen Ansprüchen genügenden Verfahren nur dann gesprochen werden kann, wenn beiden Seiten die gleichen Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten zugesprochen werden, eben Waffengleichheit herrscht. 7 BGHZ 164, 1 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung. 8 Vgl. etwa RGZ 58, 24; BGHZ 2, 287 – Mülltonnen; BGHZ 38, 200 – Kindernähmaschinen; BGHZ 62, 29 – Maschenfester Strumpf; BGH GRUR 1976, 715 – Spritzgießmaschine; GRUR 1979, 332 = WRP 1979, 361 – Brombeerleuchte; GRUR 1995, 424 = WRP 1995, 489 – Abnehmerverwarnung; GRUR 1996, 812 = WRP 1996, 207 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung; GRUR 1997, 741 = WRP 1997, 957 – Chinaherde; GRUR 2001, 54 = WRP 2000, 1296 – SUBWAY/Subwear; GRUR 2006, 219 – Detektionseinrichtung II; GRUR 2007, 313 Funkuhr II. 9 Vgl. hierzu auch die Zahlen bei Keukenschrijver, Mitt 2010, 162, 167. 10 Vom 31.7.2009 – BGBl. I S. 2521.
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sind systembedingt; sie beruhen auf den unterschiedlichen Inhalten und darauf fußenden unterschiedlichen Anforderungen beider Verfahren.11 Das Verletzungsgericht hat ein erteiltes Patent, dessen Erfindungshöhe von den dazu berufenen Stellen bejaht worden ist, grundsätzlich zu beachten.12 Über den Bestand des Schutzrechts befindet allein das Gericht des Einspruchsbzw. Nichtigkeitsverfahrens. Der mit der deutschen Zweigleisigkeit verbundene Vorteil beruht gerade darauf, dass das Verletzungsverfahren nicht mit den Prüfungen belastet wird, die das Nichtigkeitsverfahren prägen und deshalb zeitnäher als bei Einschluss dieser Prüfung abgeschlossen werden kann. Ohne die Leistung von Gericht und Parteien in einem Verletzungsprozess schmälern zu wollen, geht es hier „nur“ um die Ermittlung der unter Schutz gestellten Lehre und ihren Vergleich mit der angegriffenen Ausführungsform; Grundlage der Entscheidung ist das von den Parteien Vorgetragene, das vom Gericht ggf. mit sachverständiger Hilfe zu bewerten ist. Die Bestandsfähigkeit des Schutzrechts ist allenfalls Gegenstand der Ermessensentscheidung um eine mögliche Aussetzung des Verletzungsprozesses, der die Verletzungsgerichte aus guten Gründen mit Vorbehalten begegnen13 und die im Übrigen allenfalls mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten kann. Zwar kann sich das Verletzungsgericht einer ernsthaften Prüfung der Erfolgsaussichten eines gegen das Patent gerichteten Rechtsmittels nicht entziehen;14 wie bei jeder Prognose geht es jedoch nur um die Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten, nicht um abschließende Bewertungen. Folgerichtig lehnt das OLG Düsseldorf eine eigene Zeugenvernehmung etwa zur Frage einer Vorwegnahme der Erfindung ab, da weder der Inhalt der Zeugenaussagen noch weiter vorherzusagen sei, ob das zur Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren berufene Gericht diesen folgen werde, so dass sich auch durch eine eigene Anhörung der Zeugen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Patents nicht feststellen lasse.15 Hinzu kommt, dass eine zu großzügige Aussetzung zur Folge hätte, das ohnehin zeitlich begrenzte Ausschließlichkeitsrecht des Patentinhabers praktisch zu suspendieren und Rechtsbehelfe gegen erteilte Patente geradezu herauszufordern. Demgegenüber ist schon die Vorbereitung des Nichtigkeitsverfahrens durch dessen Kläger in der Regel zeitaufwändig, weil er einen Stand der Technik suchen und finden muss, der dem Patent als neuheitsschädlich oder die Erfindungshöhe ausschließend entgegen gehalten werden kann, was neben einer Recherche in aller Regel die Bewertung und Darstellung einer ganzen Reihe
__________ 11 Der Versuch des BGH, durch die Einrichtung eines Hilfssenates die aufgelaufenen Rückstände zu verringern, ist durch die im gleichen Zeitraum angestiegenen Eingangszahlen teilweise zunichte gemacht worden. 12 OLG Düsseldorf GRUR 2009, 53. 13 Vgl. etwa OLG Düsseldorf, GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe; Mitt 1997, 253 – Steinknacker; InstGE 7, 139 – Thermocycler; Urt.v. 11.9.2008 – I-2 U 10/0; diese Praxis hat der BGH ausdrücklich gebilligt, vgl. BGH GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug; vgl. zur Praxis der Aussetzung in Patentsachen auch Fock/Bartenbach, Mitt 2010, 155 ff. 14 Rogge, GRUR Int. 1996, 386, 388. 15 OLG Düsseldorf Urt.v. 11.9.2008 – I-2 U 10/07.
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von technischen Abhandlungen einschließt. Sein Gegner, der Schutzrechtsinhaber, muss diese Bewertung ebenfalls vornehmen, um darauf seine Verteidigung aufbauen zu können. Mit Blick auf die vergleichsweise risikolose Vollstreckung zweitinstanzlicher Erkenntnisse hat er nach deren Vorliegen auch keinen Anlass, seine Verteidigung des Schutzrechtes zu forcieren; sein primäres Ziel muss die Erlangung einer solchen Entscheidung sein. Das Gericht schließlich muss die Lehre des angegriffenen Schutzrechtes mit diesem Stand der Technik, in der Regel eine Mehrzahl von Schriften im Einzelvergleich – bei der Neuheitsprüfung –, und ggf. auch einer Gesamtschau bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit vergleichen und auf dieser Grundlage ihre Schutzfähigkeit bewerten. Allein dieser höhere Aufwand lässt einen dauerhaft gegenüber dem Verletzungsverfahren zeitnahen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens eher unwahrscheinlich erscheinen. Hinzu kommt, dass der Kläger des Nichtigkeitsverfahrens zu dessen Einleitung in der Regel erst durch eine Inanspruchnahme aus dem Schutzrecht veranlasst wird; die Erhebung von vorsorglichen Nichtigkeitsklagen ist unbeschadet deren grundsätzlicher Zulässigkeit in der deutschen Rechtswirklichkeit aus der Sicht der vorhandenen rechtlichen Ressourcen glücklicherweise eher die Ausnahme. Die Entlastung des Bundesgerichtshofes durch das Patentrechtsmodernisierungsgesetz wird hieran schon deshalb wenig ändern, weil sie einen großen Teil der bisher in zweiter Instanz vorgenommenen Prüfungen in die erste verlagert. Der Ausschluss neuen Vorbringens in der zweiten Instanz zwingt den Nichtigkeitskläger, sein gesamtes Material in der ersten vorzutragen; da ihm die Anleitung durch die Entscheidung des Bundespatentgerichtes fehlt, wird er eher geneigt sein, umfangreicher vorzutragen, als auf Material zu verzichten. Der gut gemeinten Anregung „show me your best piece of prior art“16 wird der anwaltliche Vertreter schon aus Gründen seiner Haftung dabei eher nicht folgen können. Ebenso ist der Patentinhaber veranlasst, denkbare Alternativen der Patentansprüche zur Verteidigung gegenüber den Angriffen hier gehäuft auch dann vorzulegen, wenn es auf sie im Ergebnis nicht ankommt, sofern er, wie im neuen Recht vorgegeben, neue Ansprüche nach Abschluss der ersten Instanz nicht oder nur in begrenztem Umfang zum Gegenstand seiner Verteidigung machen kann. Das gilt in seinem Fall um so mehr, als er – anders als der Kläger der Nichtigkeitsklage – nachteiligen Folgen prozessualer Versäumnisse nicht durch eine Rücknahme und Neueinreichung begegnen kann.
III. Bewertung 1. Die nach alledem deutlich mehr als unerhebliche Störung der prozessualen Waffengleichheit ist mit der Zielsetzung einer Förderung des Wirtschaftsstandortes Deutschland ebenso wenig zu rechtfertigen wie mit der bereits der Novelle von 1910 zugrunde liegenden Absicht einer Entlastung des Revisionsgerichtes. Es ist ein legitimes Interesse der nationalen Anwalt- und Patent-
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16 Pagenberg/Stauder, GRUR Int 2008, 689; vgl. auch Keukenschrijver, Mitt 2010, 162, 166.
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anwaltschaft, Patentprozesse auch ausländischer Schutzrechtsinhaber an inländische Gerichtsstände zu ziehen. Dafür bilden eine erleichterte und schnelle Durchsetzung der Rechte aus dem Patent eine gute Grundlage. Dem Gesetzgeber ist es jedoch verwehrt, dieses Ziel dadurch zu fördern, dass er die Rechtsdurchsetzung unter Beeinträchtigung der Waffengleichheit für den Prozessgegner erschwert oder – weil dieser wegen der Gestaltung des Verfahrens Gefahr läuft, insolvent zu werden – praktisch unmöglich macht und ihn damit zwingt, sich dem Kläger auch dort zu unterwerfen, wo die rechtliche Grundlage nicht bestandskräftig ist. 2. Die Überlegungen zur Entlastung des Revisionsgerichtes tragen die ersatzrechtliche Behandlung der vorläufig vollstreckbaren Entscheidungen im „normalen“ Zivilprozess; auf den Verletzungsprozess in Patentsachen sind sie nicht zu übertragen. Dem Vollstreckungsschuldner mag im Interesse einer Entlastung des Revisionsgerichtes die Hinnahme der Folgen einer unberechtigten Vollstreckung zuzumuten sein, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der gesamte Streitstoff vor seiner Verurteilung in einer Weise geprüft wurde, dass cum grano salis die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung aus dem Erkenntnisverfahren zugrunde gelegt werden kann. Ein staatliches Organ auf seine Kosten zu entlasten, weil staatliche Organisationsmaßnahmen eine solche Prüfung ausschließen und ihm auf diese Weise wirtschaftliche Einbußen bis zum Verlust der wirtschaftlichen Existenz zuzumuten, ist demgegenüber kaum weder mit dem Gebot der staatlichen Neutralität und der Gewährung der Waffengleichheit im Prozess, noch mit dem verfassungsrechtlich garantierten Schutz von Eigentum und wirtschaftlicher Betätigung in Einklang zu bringen; hier werden beide nicht nur peripher, sondern in ihrem Kernbereich berührt. 3. Ein solcher Eingriff in die Rechte des Verletzungsbeklagten verliert seine Bedenklichkeit nicht deshalb, weil dieser mit dem festgestellten Verhalten in ein dem Kläger verliehenes subjektives Recht eingegriffen hat. Zwar war dem Kläger eine entsprechende Position verliehen worden. Das war indessen nur eine anfechtbare formale Rechtsposition, wie etwa daraus deutlich wird, dass mit der Vernichtung rückwirkend auch alle Ersatzansprüche entfallen. Die Rechtsordnung sieht diese Position zudem als so schädlich an, dass sie zu ihrer Vernichtung eine von einem subjektiven Interesse unabhängige Popularklage bereitstellt und Ansprüche gegen Dritte aus seiner Benutzung ausschließt. Soweit in Rechtsprechung und Lehre ein Anspruch auf Rückzahlung erhaltener Lizenzen für den Fall einer Vernichtung des lizenzierten Rechtes verneint wird,17 beruht dies auf der besonderen vertragsrechtlichen Gestaltung des Lizenzvertrages. Der Lizenzgeber hat diesen zwar in rechtlicher Hinsicht nicht vollständig erfüllt, so dass Ersatzansprüche bestehen mögen, soweit die unzureichende Erfüllung zu Schäden bei dem Lizenznehmer geführt haben. Dieser
__________ 17 RGZ 86, 45, 53 ff. – Sprungfedermatratze; BGHZ 115, 69, 73 f. – Keltisches Horoskop: BGH GRUR 1957, 595 – Verwandlungstisch; GRUR 1969, 677, 678; GRUR 1977, 107, 109 – Werbespiegel; GRUR 1983, 560 – Brückenlegepanzer; WRP 2002, 1001 – Abstreiferleiste.
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hat jedoch solange, wie der Wettbewerb das Schutzrecht beachtet hat, tatsächlich die mit dem Lizenzvertrag versprochene Sonderstellung und damit jedenfalls faktisch eine Vertragserfüllung erhalten.18 Von daher mag eine Schlechterfüllung vorliegen; eine vollständige Nichterfüllung ist jedoch auch bei dem Fehlen eines bestandsfähigen Schutzrechtes nicht zu erkennen, so dass es gerechtfertigt erscheinen mag, den Lizenznehmer wegen des Fehlens einer solchen Erfüllung nicht rückwirkend von seiner Leistungspflicht vollständig zu entlasten. Eine Position, deren Benutzung dem Inhaber Schadensersatz- oder auch Bereicherungsansprüche vermitteln könnte, ist aus dieser Überlegung nicht abzuleiten; ebenso wenig vermag sie einen sonstigen Eingriffe in Rechte oder Vermögen desjenigen zu rechtfertigen, dem gegenüber aus dieser formalen Position zu Unrecht solche Ansprüche, und die ebenfalls nicht bestehenden auf Unterlassung und Auskunft, hergeleitet worden sind. 4. Auf die Überlegung, dass der Kläger nur von einem ihm durch die Rechtsordnung bereitgestellten Mittel Gebrauch mache, lässt sich bei der hier behandelten Fallkonstellation der Ausschluss von Ersatzansprüchen ebenfalls nicht stützen. Zwar löst eine Klage, anders als u. U. die außergerichtliche Verwarnung Ersatzansprüche bis zur Grenze des § 826 BGB grundsätzlich nicht aus.19 Um dieses Problem geht es hier jedoch nicht. Die Frage ist nicht, ob und wann dem obsiegenden Nichtigkeitskläger aus der Durchsetzung seines Anspruchs ein zur Ersatzpflicht führender Vorwurf gemacht werden kann, sondern ob sich die Störung der prozessualen Waffengleichheit durch den Gesetzgeber rechtfertigen lässt. 5. Für die Rechtfertigung dieser verfahrens- und vollstreckungsrechtlichen Ungleichbehandlung der Prozessparteien des Verletzungsprozesses kann schließlich auch nicht auf die mit der Rechtslage bei der Verurteilung aufgrund eines auf Verfassungsbeschwerde aufgehobenen Gesetz verwiesen werden. Zwar knüpft die Verurteilung im Verletzungsprozess an die staatliche Verleihung des Patentes und damit einen Akt an, der zugunsten des Klägers ein im Grundsatz schutzwürdiges Vertrauen schaffen kann. Auch sind beide Sachverhalte darin vergleichbar, als hier notwendig ein besonderes Verfahren geführt werden muss, um die Rechtsgrundlage der Verurteilung zu beseitigen. Eine Gleichsetzung verbietet sich vordergründig jedoch gleichwohl schon angesichts des qualitativen Unterschieds zwischen der Tätigkeit des Gesetzgebers und der einer Verwaltungsbehörde. Da dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich ein weitgehendes Regelungsermessen zuzubilligen ist, erscheint es geboten, von der Geltung der zugrunde liegenden Norm auszugehen und deren Überprüfung einem speziellen Gericht, eben dem Bundesverfassungsgericht, zuzuweisen.20 Eine dem
__________ 18 BGH WRP 2002, 1001 – Abstreiferleiste. 19 St. Rspr. vgl. BGH NJW 1995, 397; s. a. BGHZ 74, 9, 16; BGHZ 118, 201, 206; BGHZ 154, 269, 271 f.; BGH NJW 2004, 446, 447; bestätigt durch BGH (Großer Senat) GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung. 20 Dem entspricht es, dass es grundsätzlich auch keinen Fehler eines anwaltlichen Beraters darstellt, wenn er ohne konkreten Anlass die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm nicht in seine Beratung einschließt (BGH MDR 2009, 323). Für die Bestandskraft des einer Inanspruchnahme zugrunde liegenden Patents gilt das nicht.
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vergleichbare Gültigkeitsvermutung weist die behördliche Entscheidung nicht auf, noch weniger dann, wenn sie – wie die Erteilung eines Patents – als eine allein von den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen abhängige gebundene Entscheidung nicht einmal ein Ermessen eröffnet. Wird ein Patent für nichtig erklärt, war seine Erteilung von Anfang an rechtswidrig; für nichtig erklärt werden kann es – abgesehen von Fällen mangelnder Ausführbarkeit – nur, weil die Patentierungsvoraussetzungen nicht gegeben waren. Dem Prüfer steht bei seiner Entscheidung ein Ermessen nicht zu. Erfüllt die Anmeldung die Voraussetzungen, hat er das Patent zu erteilen; fehlt es daran, muss die Anmeldung zurückgewiesen werden. Ob das der Fall ist, ist von ihm von Amts wegen und vollständig zu ermitteln. Von der rechtlichen Theorie her gibt es daher nur eine richtige oder falsche Entscheidung über die Erteilung; zu welcher Kategorie sie gehört, könnte zumindest theoretisch bereits zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, in dem sie fällt. Anders als die Geltung eines Gesetzes, dessen verfassungsgerichtliche Überprüfung der Feststellung einer Erheblichkeit dieser Prüfung und damit der Anwendung der Norm zu lasten einer Partei nachfolgen muss, gibt es für die Überprüfung behördlicher Entscheidungen weder einen entsprechenden Wertungsvorrang noch ist ein solcher Vorrang naturrechtlich. Dem entspricht es, dass im „normalen“ Zivilprozess bei Unklarheiten über die Gültigkeit einer behördlichen Maßnahme das Verfahren ggfs. bis zu deren Beseitigung in dem dafür vorgesehenen Verfahren ausgesetzt wird. Darüber hinaus geht es hier nicht um die Frage eines schutzwürdigen Vertrauens, was schon daraus folgt, dass die vollstreckungsrechtliche Privilegierung nicht an dessen Feststellung anknüpft, sondern bis zur Grenze des § 826 BGB sanktionslos eröffnet ist. Auf ein Vertrauen auf den Bestand hoheitlicher Maßnahmen in Abhängigkeit von der jeweiligen Verlässlichkeit oder Aufhebbarkeit der Maßnahme und seine Schutzwürdigkeit stellt die Haftung bei der Vollstreckung von Entscheidungen in Verletzungssachen gerade nicht ab, indem es die Haftung des Vollstreckungsgläubiger allenfalls an eine noch vorhandene Bereicherung aus der Vollstreckung, nicht aber an die Erkennbarkeit einer möglichen Vernichtung der Rechtsgrundlage bindet. Daran fehlt es auch dann, wenn man die Verweisung in das Bereicherungsrecht als Rechtsfolgenverweisung versteht, die auch § 819 BGB einbezieht, der selbst bei großzügiger Interpretation nur den Fall erfasst, dass der Vollstreckungsgläubiger das Fehlen der Rechtsgrundlage kennt, nicht aber schon bei einer Erwartung der Vernichtbarkeit greifen würde. Die Regelung knüpft damit allein an die Vorstellung des Gesetzgebers von der erhöhten Richtigkeitsvermutung an, die angesichts der von ihm bereitgestellten Organisationsstruktur für den Patentverletzungsprozess gerade nicht zutrifft, sondern wegen des Ausklammerns einer wesentlichen Entscheidungsgrundlage nicht nur diese Vermutung nicht in dem vorausgesetzten Umfang für sich in Anspruch nehmen kann, sondern infolge dessen zugleich auch die Waffengleichheit zwischen den Parteien nachhaltig beeinträchtigen kann.
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IV. Lösungsansätze 1. Die mit diesen Überlegungen greifbar gewordene Gerechtigkeitslücke ist de lege lata nicht zu schließen. Reimann21 hat bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass sie zwar durch eine großzügigere Aussetzungspraxis im Verletzungsverfahren geschlossen werden könnte, dadurch jedoch eine neue und größere Gerechtigkeitslücke zu Lasten des Klägers aufgerissen würde. Im Gegensatz zu dem „normalen“ Zivilprozess, bei dem eine Verzögerung in der Regel allenfalls finanziell aufzufangende Nachteile mit sich bringt, ist für den Patentverletzungsprozess eine schnelle Erledigung nicht nur im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland geboten. Mit ihr würde dem Angriff auf das Patent faktisch eine den Patentschutz hemmende Wirkung zugemessen, die mit Sinn und Zweck des Schutzrechts nicht zu vereinbaren ist. Im Ergebnis liefe sie auf eine bloße Verlagerung des Ungleichgewichts auf den Rechtsinhaber hinaus. Schadensersatz in Form der Geldleistung kann das Ausschließlichkeitsrecht nicht ersetzen, zumal der Inhaber eines unbefugt genutzten Schutzrechts, anders als sonst ein Geschädigter, durch die ihm von der Rechtsordnung zugebilligten Ersatzleistungen keinen vollständigen Ausgleich für den Eingriff in seine Rechte erhält. Mit der Trias der Ersatzformen (angemessene Lizenzgebühr, Ersatz des entgangenen Gewinns und Herausgabe des Verletzergewinns) versucht die Rechtsprechung zwar, sich dem Idealzustand zu nähern. Die gleiche wirtschaftliche Lage wie bei einer unangetasteten Stellung als alleiniger Anbieter eines Produkts oder Verfahrens ist durch diese Leistungen jedoch nur selten zu erreichen. Der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) kann nur solche Einbußen ausgleichen, die messbar und feststellbar sind; er bleibt regelmäßig hinter den wirtschaftlichen Nachteilen zurück, die sich bei einer unbefugten Benutzung aus dem Verlust der Stellung als alleiniger Anbieter des Produkts hätten ergeben können und müssen. Durchzusetzen ist dieser Anspruch zudem nur über eine Offenlegung der eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse, die dem Verletzer auch unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung entwickelten Darlegungs- und Beweiserleichterungen Kenntnisse vermitteln kann, deren Preisgabe auch mit der Maßgabe einer Offenbarung nur gegenüber einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer den Interessen des Verletzten zuwiderlaufen kann. Schon der Umfang des Schadensersatzes kann eine Information sein, die der Geschädigte ungern in die Öffentlichkeit gelangen lassen möchte.22 Dieser Eingriff in die eigene Position mag einer der Gründe dafür sein, dass die Berechnung von Ersatzansprüchen auf dieser Grundlage nur selten Gegenstand gerichtlicher Verfahren ist. Die Herausgabe des Verletzergewinns muss schon ihrem Ansatz nach nicht zu einem vollen Ausgleich führen; sie knüpft an das an, was der Verletzer erlangt hat, nicht an das, was der Verletzte eingebüßt
__________
21 GRUR 2009, 326 ff. 22 Für ein Pharmaunternehmen, das mit einem patentgeschützten Medikament die Gelder verdient, die es in eine bislang erfolglose Forschung an anderer Stelle steckt, kann schon die Notwendigkeit, sich mit dieser Tatsache gegen eine Verbreitung seiner Forderung in der Öffentlichkeit verteidigen zu müssen, ein wirtschaftlicher Nachteil sein, für den ein Ausgleich kaum zu erlangen oder auch nur zu berechnen ist.
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hat. Die Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr verschafft dem Verletzten schließlich nur eine Art Mindestschadensersatz in Form dessen, was er bei rechtstreuem Verhalten des Verletzers in jedem Fall hätte erhalten können. Ihre Berechnung in Anlehnung an die üblichen Lizenzvergütungen macht deutlich, dass die Stellung des Verletzten sich von der des Gebers einer vertraglichen Lizenz nicht nachhaltig unterscheidet. Damit aber bleibt sie regelmäßig denknotwendig hinter dem Gewinn zurück, der mit dem Schutzrecht zu erzielen ist. Die Lizenz wird genommen, weil der Erwerber trotz seiner Zahlungen auf einen eigenen Gewinn hofft und ihn regelmäßig auch erzielen wird. Vor diesem Hintergrund begegnen die mit Verletzungssachen befassten Fachgerichte der Frage einer Aussetzung daher – anders als sonst im Zivilprozess – mit Zurückhaltung. Sie ist nur dort zu rechtfertigen, wo die Vernichtung bzw. der Widerruf des Klagepatents nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist,23 etwa weil das Klagepatent im Stand der Technik vorweggenommen oder die Erfindungshöhe so fragwürdig ist, dass sich für ihr Zuerkennung kein vernünftiges Argument finden lässt.24 Dass damit die Verhältnisse gegenüber dem sonstigen Zivilprozess umgekehrt werden, bei dem eher schon die zumindest nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit einer Aufhebung einer für den Ausgang des Verfahrens erheblichen Verwaltungsentscheidung zum Anlass für eine Aussetzung genommen wird, erscheint im Hinblick auf die geschilderte Interessenlage nicht nur als vertretbare, sondern als vorzugswürdige Ausübung des richterlichen Ermessens nach § 148 ZPO. Es kommt hinzu, dass eine Veränderung dieser Praxis auch rechtspolitisch ein falsches Signal wäre. Eine Aussetzung des Verletzungsprozesses schon dann, wenn eine Vernichtung des Schutzrechtes nur möglich erscheint oder diese Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen ist, müsste eine solche Unterbrechung zur Regel werden lassen. Erfahrungsgemäß ist der Ausgang eines Nichtigkeitsverfahrens nur schwer vorherzusagen und wird maßgeblich auch durch Vorbereitung seitens der Parteien, die mündliche Verhandlung und teilweise die richterliche Aufklärung beeinflusst. Die mit der Straffung des Verfahrens durch das Patentrechtsmodernisierungsgesetz verbundene Beschränkung des Vortrags und der Gestaltungsmöglichkeiten auf Seiten der Parteien mag hier eine Prognose nach Austausch der ersten Schriftsätze verlässlicher machen; welches Ergebnis der mit der Verfahrensänderung eingeführte verbindliche Hinweis des Bundespatentgerichts auf seine Beurteilung der Sach- und Rechtslage auslöst, ist zu diesem Zeitpunkt jedoch kaum vorherzusagen. Schon das wird den Verletzer veranlassen, vorsorglich auch Nichtigkeitsklage zu erheben, um zumindest Zeit zu gewinnen. Bei einer Änderung der bisherigen Praxis zur Aussetzung wäre damit nicht nur eine Zunahme von Nichtigkeitsklagen zu befürchten, sondern – damit Hand in Hand gehend – eine gesteigerte Belastung der Nichtigkeitsgerichte, die insbesondere auf der Ebene des Bundesgerichtshofes eine weitere
__________ 23 OLG Düsseldorf InstGE 7, 139; Urt. v. 20.10.2005 – I 2 U 80/04. 24 OLG Düsseldorf Urt. v. 20.9.07 – I 2 U 42/06; vgl. auch OLG Düsseldorf Mitt. 1997, 255.
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Verzögerung des Abschlusses dieser Verfahren zur Folge hätte und damit den Anreiz zur Einleitung solcher Verfahren zusätzlich erhöhen würde. 2. Eine großzügigere Einstellung der Zwangsvollstreckung begegnet jedenfalls im Hinblick auf die Verpflichtung zur Unterlassung den gleichen Bedenken, wie sie bei den Überlegungen zur Aussetzung zum Ausdruck gekommen sind. Wird die Vollstreckung deshalb eingestellt, weil eine Nichtigkeitsklage erhoben wurde, deren Erfolg möglich erscheint oder jedenfalls nicht von der Hand zu weisen ist, könnte eine solche Verurteilung den Interessen des Klägers nicht genügen. Im Ergebnis wäre auch in einem solchen Fall bei einem obsiegenden Urteil praktisch auf die Ersatzleistungen angewiesen, die seinen Schaden nicht in jedem Fall ausgleichen können. Das Gleiche gilt für eine Einstellung der Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung, durch die diese Interessen des Verletzten weder berührt noch befriedigt werden. Die Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung des Klägers abhängig zu machen, ist sinnlos, weil diese Sicherheitsleistung nur dem Ausgleich eines Schadens dienen könnte, auf dessen Ausgleich materiell nach dem geltenden Vollstreckungsrecht kein Anspruch besteht. Demgegenüber kann eine Einstellung der Zwangsvollstreckung bei der Verurteilung zur Auskunft bzw. Rechnungslegung zu einer Entschärfung der Gerechtigkeitslücke beitragen; hier werden sich vielfach auch leichter die besonderen Nachteile feststellen lassen, die eine solche Einstellungsentscheidung tragen können. Die Verurteilung zur Auskunft bzw. Rechnungslegung dient zwar in der Regel auch der Durchsetzung der Unterlassungsverpflichtung, bei der sie die Überwachung ihrer Einhaltung ermöglicht, jedenfalls aber erleichtert. Demgegenüber mag diese Kontrolle bei Fehlen dieser Auskünfte erschwert sein, unmöglich ist sie jedoch in der Regel nicht. Ihr weiteres Ziel, Vorbereitung und Berechnung der Ersatzansprüche, ist zu diesem Zeitpunkt im Allgemeinen nicht aktuell. Ist die Ersatzpflicht dem Grunde nach festgestellt, bleibt dem Kläger für die Durchsetzung dieses Anspruchs Zeit; dem Beklagten wird die Erfüllung dieses Anspruchs ebenfalls kein vorrangiges Ziel sein. Rechnungslegung bzw. Auskunftserteilung belasten ihn jedoch regelmäßig erheblich. Mit ihrer Erteilung erhält der Kläger Informationen über den Geschäftsbetrieb des vermeintlichen Verletzers, die er über die Berechnung seines Ersatzanspruches und die Kontrolle des Unterlassungsverhaltens hinaus in vielfältiger Weise zum Nachteil des Beklagten verwenden kann. Die Angabe der Abnehmer und der Lieferanten ermöglicht es ihm, seinerseits an diese mit konkurrierenden Angeboten heranzutreten; die Angabe der Gestehungskosten und der Werbung liefern weitere Informationen über mögliche Verbesserungen und Veränderungen im eigenen Geschäftsbetrieb. Diese Kenntnisse bleiben ihm auch dann, wenn die Verurteilung später aufgehoben wird. Auch wenn er – weil das als die ihm verbliebene Bereicherung angesehen werden sollte – verpflichtet werden sollte, diese Kenntnisse nicht zu verwenden, ändert das an seinem Kenntnisstand nichts. Was ein Mensch weiß, ist aus seinem Kopf durch eine solche Verpflichtung nicht zu entfernen; für Kaufleute gilt insoweit nichts Besonderes. Ob eine spätere geschäftliche Entscheidung, die Anbahnung einer Geschäftsbeziehung zu einem Kunden, dessen Interesse an patentgemäßen 246
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Gegenständen durch seine Benennung in der Liste der Abnehmer veranlasst wurde oder auf anderen Gründen beruht, wird sich im Streitfall ebenso wenig sicher klären lassen, wie die Frage, ob eine Anfrage dieses Kunden nach Liefermöglichkeiten auf Seiten des Verletzungsklägers auf dem Ausfall des Beklagten infolge der Verurteilung zur Unterlassung oder auf einer neu gewonnenen Überzeugung von den Vorteilen eines Bezugs beim Kläger beruht. Insoweit wäre daher selbst eine Verpflichtung zum Schadensersatz im Falle der späteren Aufhebung der Verurteilung zur Unterlassung bzw. Rechnungslegung in der Regel nicht geeignet, dem zu Unrecht Verurteilten einen angemessenen Ausgleich zu verschaffen und dem Kläger, der zu Unrecht Ansprüche erhoben hat, die ihm nicht gebührenden Vorteile zu entziehen; noch mehr gilt das dort, wo der Verwendung dieser Kenntnis allenfalls eine deutlich schwächere Haftung nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung entgegengehalten werden kann. Für diesen Anspruch wird daher bevorzugt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung in Betracht zu ziehen sein. 3. Das Gleiche gilt etwa für den Anspruch auf Vernichtung der patentverletzenden Ware, bei dem den Belangen des Gläubigers zudem durch eine Sequestrierung Rechnung getragen werden könnte. Geholfen werden kann dem Beklagten hier aber nur, wenn er bereits in der Berufungsinstanz die Vollstreckungsschutzanträge gestellt hat, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Voraussetzung für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Revisionsgericht sind.25 Auch wenn solche Anträge in der Berufungsinstanz weitgehend sinnlos sind, weil ihnen das Berufungsgericht mangels Annahme einer Fehlerhaftigkeit seiner Entscheidung nicht entsprechen wird, besteht insoweit kein Anlass, den Beklagten von dieser Notwendigkeit zu entbinden. Sie stellt auch im Hinblick auf die damit verbundenen Kosten eine Wahrnehmung seiner eigenen Interessen dar, die ihm um so mehr zuzumuten ist, als er die ihrer Höhe nach feststehenden Kosten bei einem endgültigen Obsiegen in seine Erstattungsforderung einstellen kann. 4. Eine wirkliche Gerechtigkeitslücke verbleibt damit nur im Hinblick auf die Durchsetzung der Unterlassungsverpflichtung. Die Feststellung, dass die Erwägungen des Gesetzgebers zur Privilegierung der Vollstreckung aus zweitinstanzlichen Verurteilungen auf den Verletzungsprozess in Patentsachen nicht zu übertragen sind, lässt den Gedanken verlockend erscheinen, zur Beseitigung der Lücke in dieser Frage zur ursprünglichen gesetzlichen Lösung zurückzukehren. De lege lata ist die Begründung einer solchen Haftung indessen nicht möglich; sie stünde im klaren Widerspruch zum Wortlaut des § 717 Abs. 3 ZPO, der eine einschränkende, dieses Verfahren ausnehmende Interpretation nicht zulässt. Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob eine solche Lösung
__________ 25 BGH LM Nr. 1 zu § 712 ZPO GRUR 1978, 726 – Unterlassungsvollstreckung; WM 1990, 998; GRUR 1991, 159 – Zwangsvollstreckungseinstellung; GRUR 1996, 512 = MDR 1996, 845 = WRP 1996, 743 = ZIP 1996, 885 – Fehlender Vollstreckungsschutzantrag II; MDR 1996, 844, 845; ZIP 1996, 1799 – Remailing; GRUR 1999, 190 = NJW 1998, 3570 = WRP 1998, 1185 – Fehlender Vollstreckungsschutzantrag III; NJW-RR 1998, 1603; NJW 2001, 375; NJW-RR 2002, 1650; NJW-RR 2005, 147.
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de lege ferenda sinnvoll und wünschenswert wäre. Vordergründig ließe sich ihr schon entgegenhalten, dass mit ihr das zweite Anliegen des Gesetzgebers, eine Entlastung des Revisionsgerichtes, verfehlt würde. Wie bei der ursprünglichen Regelung könnte eine mögliche Haftung des Vollstreckungsgläubigers für diesen aus der Sicht des Schuldners Anlass geben, bis zur Rechtskraft der Entscheidung in dem zuletzt abgeschlossenen Verfahren von einer Vollstreckung Abstand zu nehmen und damit diesen dazu bringen, im Interesse eines Zeitgewinns sowohl Nichtigkeitsklage zu erheben als auch Revision einzulegen; die Bereitschaft des BGH, eine Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde bis zum Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens zumindest in der ersten Instanz zurückzustellen, käme dem entgegen. Auch unabhängig hiervon hätte eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor 1910 eine Gerechtigkeitslücke zu lasten des Verletzungsklägers zur Folge, die die Vorteile des zweigleisigen deutschen Verfahrens in Frage stellen würde. Auch wenn man nicht den Vollstreckungsschuldner in den Blick nimmt, sondern nur auf den Gläubiger abstellt, liegt auf der Hand, dass für diesen die Durchsetzung seines Unterlassungsanspruchs mit einem erheblichen Risiko belastet würde, zumal wenn er – wie oft – zu diesem Zeitpunkt den Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens nicht abschätzen kann. Ihn für die Folgen der Entscheidung des Gesetzgebers für ein zweigleisiges Verfahren und die mit dieser verbundenen weiteren organisatorischen Entscheidung für unterschiedliche Rechtswege mit einer verschuldensunabhängigen Haftung einstehen zu lassen, erscheint ebenso wenig sachgerecht, wie den Schuldner diese Folgen bis zur Grenze des § 826 BGB in jedem Fall allein tragen zu lassen. 5. Ein interessegerechter Ausgleich der bestehenden Lücke könnte darin bestehen, den Gläubiger dann auf Ersatz der durch die Vollstreckung verursachten Schäden haften zu lasten, wenn er bei Einleitung und Durchführung der Vollstreckung bzw. Aufrechterhaltung ihrer Wirkungen erkennen konnte und musste, dass sein Schutzrecht keinen Bestand haben werde. Bei diesem Ansatz wäre – ähnlich wie bei der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung – zunächst zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er über ein von einer staatlichen bzw. – mit dem Europäischen Patentamt – jedenfalls hoheitlich arbeitenden und gerade zu diesem Zweck berufenen und entsprechend ausgestatteten Stelle geprüftes Patent verfügt, auf dessen Schutzfähigkeit er grundsätzlich vertrauen darf. Haften würde er demgegenüber nur, wenn er erkennt oder nach seinen Fähigkeiten erkennen musste, dass diese Prüfung fehlerhaft, etwa unvollständig, war und er das Recht bei einer fehlerfreien Prüfung nicht hätte erhalten dürfen. Tritt dies während der laufenden Vollstreckung ein, begänne die Haftung mit diesem Eintritt, sofern er nicht von sich aus die Folgen der Unterlassungspflicht beseitigt. Die Verwendung des Konjunktivs bei dieser Lösung macht bereits deutlich, dass auch sie mit dem geltenden Recht zumindest nicht in Einklang zu bringen ist. Über den ihr entgegenstehenden Wortlaut des § 717 ZPO ließe sich notfalls noch mit der Erwägung hinwegkommen, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Vorschrift im Jahre 1910 nicht hinreichend bedacht hat, dass die ihr zugrunde liegenden Überlegungen auf den patentrechtlichen Verletzungs248
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prozess nicht zutreffen. Schwerer zu widerlegen wäre indessen bereits die weitere Überlegung, dass der Gesetzgeber sowohl bei der großen Novellierung des Prozessrechts, mit dem das Privileg des § 717 Abs. 3 ZPO auf alle Berufungsentscheidungen erstreckt worden ist, als auch bei der Fassung des Patentrechtsmodernisierungsgesetzes, das sich intensiv mit der Umgestaltung der Verfahren in Patentsachen befasst hat, hier keine korrigierende Regelung getroffen hat. Ihm zu unterstellen, dass er das Problem nicht gesehen hat, ist wenig überzeugend. Hinzu kommt, dass mit einem solchen Verständnis der Vorschrift eine ihrem Inhalt nach bisher nicht vorhandene Neuregelung geschaffen würde, die in das Gesetz einzufügen allein Aufgabe des Gesetzgebers, nicht aber der auf Auslegung beschränkten Rechtswendung sein kann.
V. Fazit Die hier vorgeschlagene, bei einer Durchsetzung des Verbots durch den Verletzungskläger in Kenntnis oder vorwerfbarer Unkenntnis einsetzende Haftung würde das Ungleichgewicht in der verfahrensrechtlichen Stellung der Parteien zwar nicht beseitigen, aber doch auf ein rational nachvollziehbares und vertretbares Maß reduzieren. Eine unzumutbare Beschränkung für den Verletzten, zu dessen Gunsten bei der Bestimmung seines Verschuldens auch der Umstand streiten würde, dass er sich auf ein von der zuständigen Behörde nach Prüfung erteiltes Recht stützen konnte, enthält sie nicht. Der hoheitliche, an eine Prüfung anbindende Verleihungsakt wird im Regelfall ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand seines Rechtes zur Folge haben, aufgrund dessen er allenfalls dann von der Durchsetzung seiner Rechte absehen sollte, wenn trotz dieser vorausgegangenen Prüfung Zweifel an der Bestandsfähigkeit angebracht sind. Demgegenüber wird eine auf diese Fälle beschränkte Ersatzhaftung für den Beklagten keinen wesentlichen Anreiz bilden, unnötige Nichtigkeitsverfahren in der Hoffnung einzuleiten, der Kläger werde ihretwegen von einer Durchsetzung seines Titels absehen; die Haftung ist an hohe und von ihm nachzuweisende Voraussetzungen gebunden. Nicht schon der Erfolg im Nichtigkeitsverfahren, sondern dessen Vorhersehbarkeit für den Nichtigkeitskläger bei der Vollstreckung schafft den Haftungstatbestand. Den Verletzungskläger auch in einem solchen Fall – von den Fällen des § 826 BGB abgesehen – allein auf eine noch vorhandene Bereicherung haften zu lassen, schafft demgegenüber eine Privilegierung, die mit der Vorstellung des Gesetzgebers bei der Änderung des § 717 ZPO nicht zu rechtfertigen ist. Das zweigleisige deutsche Verfahren würde an Überzeugungskraft gewinnen, wenn der Gesetzgeber diese Gerechtigkeitslücke schlösse.
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Herabsetzende Äußerungen in der Beschreibung eines Patents Inhaltsübersicht I. Problemstellung, Ausgangspunkt
II. Lösung
Die Verdienste von Dr. Michael Loschelder und seine erfolgreiche Tätigkeit als langjähriger Generalsekretär für die Deutsche Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht werden von den Herausgebern dieser Festschrift zu Beginn dieses Sammelwerkes eingehend gewürdigt. Dr. Loschelder ist auch seit Jahren Vorstandsmitglied der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Vereinigung für den Schutz des geistigen Eigentums und dieser Vereinigung treu verbunden. Er ist ein erfolgreicher Rechtsanwalt und überdies ein bedeutender Wissenschaftler auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes. Ihn mit diesem kleinen Beitrag zu würdigen, ist mir Freude und Ehre zugleich.
I. Problemstellung, Ausgangspunkt 1. In wörtlicher Übereinstimmung mit Art. 69 Abs. 1 EPÜ bestimmt § 14 Satz 1 PatG den Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung durch den Inhalt der Patentansprüche. § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG wiederholt den Tatbestand des § 14 Satz 1 PatG, indem formuliert wird, dass in den Patentansprüchen „angegeben ist, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll“. § 14 Satz 2 PatG fügt hinzu, dass jedoch zur Auslegung der Patentansprüche die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Damit sind die drei Kernpfeiler genannt, auf denen die Wertung einer Patentanmeldung oder eines erteilten Patentes beruht. Die Auslegung der Patentansprüche dient dabei nicht nur der Behebung von Unklarheiten, sondern auch dem Schutz und Klarstellung und zur Erläuterung der darin verwendeten technischen Begriffe und insbesondere der Klärung der Bedeutung und der Tragweite der dort beschriebenen Erfindung.1 Beschreibung und Zeichnungen bestimmen mithin durchaus auch den Gegenstand der in den Ansprüchen beanspruchten Erfindung. Es gehört zum Allgemeingut, dass selbstverständlich die Beschreibung und Zeichnungen nicht in die Patentansprüche hineintragen können,
__________ 1 BGH in st. Rspr., z. B. GRUR 2004, 413, 413 re.Sp. – Geflügelkörperhalterung; BGHZ 150, 149, 153 = GRUR 2002, 515 – Schneidmesser.
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was dort nicht schon seinen Niederschlag gefunden hat.2 Dennoch ist deutlich, dass die Beschreibung der Erfindung sowie Zeichnungen, auf die sich die Patentansprüche oder die Beschreibung beziehen, von erheblicher Bedeutung sind. Dem Vorstehenden trägt die Bestimmung des § 34 PatG Rechnung. Sie nennt die materiellen und formellen Voraussetzungen für die Einleitung eines Patenterteilungsverfahrens. Dabei bestimmt § 34 Abs. 3 PatG die notwendigen Inhalte einer Anmeldung. Es handelt sich dabei teilweise eher um Formalien, wie z. B. die Notwendigkeit der Mitteilung des Namens des Anmelders (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 PatG) und einen Antrag auf Erteilung des Patents, in dem die Erfindung kurz und genau bezeichnet ist (§ 34 Abs. 3 Nr. 2 PatG). Neben der Notwendigkeit von Patentansprüchen (§ 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG) betont § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG, dass eine Beschreibung der Erfindung (schon in der Anmeldung) zu erfolgen hat. Über den materiellen Inhalt der Beschreibung besagt § 34 PatG selbst nichts unmittelbar. Aus § 34 Abs. 4 PatG ergibt sich allerdings, dass in der Beschreibung (formuliert wird a. a. O.: in der Anmeldung) die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. § 34 Abs. 7 PatG ergänzt den an den Anmelder gerichteten Anforderungskatalog, dass auf Verlangen des Patentamts der Anmelder den Stand der Technik nach seinem besten Wissen vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben und in der Beschreibung (Abs. 3) aufzunehmen hat. 2. Einzelheiten für die Ausgestaltung der Beschreibung finden sich in § 10 der Verordnung zum Verfahren in Patentsachen vor dem Deutschen Patent- und Markenamt (Patentverordnung – PatV) vom 1. September 2003. Danach gilt, dass am Anfang der Beschreibung als Titel die im Antrag angegebene Bezeichnung der Erfindung anzugeben ist (§ 10 Abs. 1 PatV). § 10 Abs. 2 PatV enthält die weiteren Anforderungen für den Inhalt einer sachgerechten Beschreibung. Gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 1 PatV muss das technische Gebiet, zu dem die Erfindung gehört, angegeben werden. § 10 Abs. 2 Nr. 2 PatV besagt, dass der dem Anmelder bekannte Stand der Technik, der für das Verständnis der Erfindung und deren Schutzfähigkeit in Betracht kommen kann, unter Angabe der dem Anmelder bekannten Fundstellen anzugeben ist. Dies geschieht regelmäßig in der Weise, dass der bekannte Stand der Technik als technischer Hintergrund dargestellt und sodann die mit ihm verbundenen Nachteile des Standes der Technik herausgearbeitet werden. Anschließend soll sich eine Darstellung des der Erfindung zugrunde liegenden Problems (§ 10 Abs. 2 Nr. 3 PatV) ergeben. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass der Anmelder angibt, die Aufgabe (das technische Problem) der der Anmeldung zugrunde liegenden Erfindung bestehe darin, die sich aus dem Stand der Technik ergebenden Nachteile zu beseitigen. Es ist mithin regelmäßig so, dass die Beschreibung einer Patent-
__________ 2 BGH, GRUR 1999, 909, 911 re.Sp. – Spannschraube; Mes, PatG, 2. Aufl. 2005, Rz. 20 zu § 14.
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schrift eine Aufgabe (das technische Problem) enthält (enthalten soll).3 Die beanspruchte Erfindung enthält sodann die Lösung der Aufgabe. Sie ist in den Patentansprüchen merkmalsmäßig niederzulegen. § 10 Abs. 2 Nr. 5 bis 7 PatV enthalten zusätzliche Anforderungen der Beschreibung. Diese betreffen zunächst eine Angabe bezüglich die gewerbliche Anwendbarkeit der Erfindung, sofern sich diese nicht sonst wie schon aus der Beschreibung oder der Art der Erfindung offensichtlich ergibt. § 10 Abs. 2 Nr. 6 PatV erwartet vom Anmelder, dass er gegebenenfalls vorteilhafte Wirkungen der Erfindung unter Bezugnahme auf den bisherigen Stand der Technik angibt. § 10 Abs. 2 Nr. 7 PatV enthält in Erfüllung der Bestimmung des § 34 Abs. 4 PatG, wonach die Erfindung in der Anmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann, die Notwendigkeit, wenigstens einen Weg zum Ausführen der beanspruchten Erfindung im Einzelnen anzugeben. Dabei braucht es sich nicht um den „besten“ Weg zu handeln,4 wobei gegebenenfalls ein Weg zum Ausführen der Erfindung durch wenigstens ein Beispiel und anhand der Zeichnungen unter Verwendung der entsprechenden Bezugszeichen anzugeben ist. 3. Kommt der Anmelder seinen ihm durch § 34 PatG und § 10 PatV aufgegebenen Obliegenheiten nach, den vorbekannten Stand der Technik zu beschreiben und insbesondere die von ihm – dem Anmelder – gesehenen Nachteile zu benennen, so ist eine Konfliktlage gegenüber Dritten, insbesondere Wettbewerbern, auf demjenigen technischen Gebiet, auf dem die Anmeldung Platz greift, nahezu unausweichlich. Denn wenn der Anmelder den Stand der Technik, von dem er ausgeht und den er nach seiner Sicht durch die angemeldete Erfindung verbessern will, bewertet, kann er nicht umhin, als eben die von ihm gesehenen Nachteile zu benennen und zu beschreiben. Er tut dies aus seiner subjektiven Sicht, die nicht unbedingt objektiv zutreffend sein muss. Die Frage, inwieweit derartige (gegebenenfalls unzutreffende) Nachteilsangaben in der Beschreibung einer Patentanmeldung und – nach Prüfung der Anmeldung und Erteilung des Patents – in der Patentschrift enthalten sein dürfen, hat die Verwaltungspraxis, das Schrifttum und die Rechtsprechung verschiedentlich beschäftigt. Leonhard/Schubert haben sich mit dem Thema der abwertenden (technischen) Äußerungen in Patentschriften befasst.5 Ihnen kommt das Verdienst zu, auf ältere Entscheidungen des Reichspatentamts hingewiesen und ebenfalls Stimmen der Literatur vor dem Ende des 2. Weltkrieges angeführt zu haben, die sich mit nachteiligen technischen Äußerungen in Patentbeschreibungen befasst haben.
__________ 3 Die durch den Anmelder formulierte Aufgabe ist nicht entscheidend. Sie kann unzutreffend sein oder auch fehlen. Maßgeblich ist dasjenige, was der durch die Patentschrift angesprochene Fachmann der Beschreibung als Aufgabe entnimmt. Vgl. BGH in st. Rspr., z. B. GRUR 2005, 141, 142 li. Sp. – Anbieten interaktiver Hilfe; Mes, PatG, 2. Aufl. 2005, Rz. 11 zu § 1 m. w. N. 4 Benkard/Schäfers, PatG, 6. Aufl. 2006, Rz. 81 zu § 34. 5 Mitt. 2003, 372; dazu auch Mes, PatG, 2. Aufl. 2005, Rz. 10 zu § 32; Rz. 43 zu § 34.
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In jüngerer Zeit ist das Thema durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Fischdosendeckel“ erneut aufgegriffen worden.6 Dabei handelt es sich um eine vordringlich wettbewerbsrechtliche Streitigkeit. Beide Parteien stellen Fischdosenverpackungen, insbesondere Fischdosendeckel, her. Die Beklagte hatte sich in einer Patentanmeldung vom 24. September 19937 über einen druckschriftlichen Stand der Technik und einen dort beschriebenen bekannten Aufreißdeckel8 eines Wettbewerbers, nämlich der Klägerin, nachteilig geäußert. Diese war der Auffassung, dass die Behauptungen der Beklagten über angeführte Nachteile der Ausführungsform eines Fischdosendeckels der Klägerin in dem den Klagegrund bildenden erteilten Patent unzutreffend seien. Die Klägerin machte geltend, die Beklagte setze ihr Produkt in unzulässiger Weise herab. Infolgedessen stünden ihr – der Klägerin – Ansprüche aus §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 8 UWG insbesondere auf Unterlassung und Beseitigung von Behauptungen zu, die in der veröffentlichten Patentschrift enthalten sind. Den vom Bundesgerichtshof9 im Tatbestand wiedergegebenen Anträgen sind diejenigen Äußerungen zu entnehmen, die von der Klägerin als nachteilig und herabsetzend empfunden wurden: „Diese Versteifungsrippen werden jedoch durch die U-förmige Sicke unterbrochen, so dass dadurch auch entsprechend die durch sie erzielbare Versteifungswirkung weitgehend verloren geht.“ „Ein weiterer Nachteil dieser Deckel besteht darin, dass bei der Herstellung der vielen Sicken und die damit verbundenen Verformungen Spannungen im Blech des Deckels auftreten können, die zu unerwünschten Verwerfungen im Blech führen können.“ „Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, einen Aufreißdeckel … zu schaffen, der die bekannten Nachteile nicht aufweist, bei dem also das Maß eventueller Verwerfungen durch bei der Herstellung bewirkte Spannungen im Blech verringert … ist.“ „Bei dem vertieften Feld ist das Maß der erzeugten und das vertiefte Feld umgebenden Böschungen auf ein Mindestmaß beschränkt, so dass auch die Gefahr von eventuellen Spannungen und Verwerfungen des Blechs verringert ist.“
Das Berufungsgericht (OLG Dresden) hatte dem auf Unterlassung gerichteten Klagebegehren stattgegeben. Der Bundesgerichtshof hat die auf Unterlassung gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen. Er hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass einer Klage auf Unterlassung oder Beseitigung von Äußerungen, die der Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.10 Die Entscheidung ist im Ergebnis zu begrüßen. Auch wesentliche Teile der Begründung verdienen Zustimmung. Die Entscheidung gibt jedoch Anlass, sich mit dem Thema der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit herabsetzender Äußerungen in der Beschreibung eines Patentes ein wenig umfassender auseinanderzusetzen. Ein Anlass ist schon deshalb begründet, weil der Bundesgerichts-
__________ 6 7 8 9 10
BGH, GRUR 2010, 253 – Fischdosendeckel – mit Anmerkung Götting. DE-OS 43 32 545. EP 0 236 736 B1. A. a. O. GRUR 2010, 253 re.Sp. BGH, GRUR 2010, 253, 254 li. Sp., Rz. 14 – Fischdosendeckel.
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hof das von ihm gefundene durchaus zutreffende Ergebnis mit einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis begründet. Dazu haben schon vor ca. 30 Jahren Baumgärtel/Mes11 bemerkt, dass die Rechtsprechung dazu neige, prozessuale Mängel, deren Subsumtion unter eine Norm der ZPO schwierig ist, als einen Mangel des Rechtsschutzbedürfnisses zu bezeichnen. Sie haben des Weiteren ausgeführt, dass dieses Institut – ähnlich wie das Treu- und Glaubensprinzip des § 242 BGB – oft als „Unterschlupf“ für scheinbar ungelöste Probleme dient.12 Baumgärtel/Mes haben in diesem Zusammenhang bemerkt, dass die Lösungen von Rechtsfällen (im Examen), die auf dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis aufbauen, fast immer falsch sind.13 Es geht jedoch nicht allein um den Tatbestand einer angemessenen zivilprozessualen Einordnung, sondern insbesondere auch darum, das Thema in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Dieser bezieht sich auf Äußerungen/Behauptungen, die von Parteien oder ihren Anwälten, ferner von Zeugen oder Sachverständigen im Rahmen eines streitigen Prozessverfahrens14 oder in einem Verwaltungsverfahren zur Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen oder Interessen gemacht werden. Für sie stellt sich grundsätzlich die Frage, ob sie von einem Dritten im Wege eines gesonderten Prozesses (z. B. auch eines Verfügungsantrags) unterbunden werden können.15 Soll z. B. ein Verband, der von einer Partei in einem Prozess, an dem der Verband nicht beteiligt war, als „halbseiden“ bezeichnet wurde, gegen diese Partei oder ihren Anwalt in einem anderen (gesonderten) Verfahren einen Unterlassungs- oder gar Widerrufsanspruch geltend machen dürfen?16 Oder soll eine wegen Patentverletzung in Anspruch genommene Partei ihrerseits in einem (z. B. wettbewerbsrechtlichen) Verfahren den Kläger des Patentverletzungsprozesses auf Unterlassung der Behauptung der Patentverletzung in Anspruch nehmen können?17 Insgesamt handelt es sich mithin um die Frage, ob es „privilegierte Äußerungen“ gibt, die quasi sakrosankt und mit gerichtlichen Mitteln nicht angreifbar sind.18 Des Weiteren ist von Interesse, wie dieses Ergebnis – insbesondere aus zivilprozessualer Sicht – zu begründen ist.
__________ 11 Einführung in das Zivilprozessrecht mit Examinatorium, 6. Aufl. 1982, S. 36; ebenso in jüngerer Zeit: Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, Rz. 135, 139 ff. vor § 253. 12 So schon zuvor Bötticher, Festgabe für Rosenberg, 1949, S. 74. 13 Dazu seinerzeit eingehend, Baumgärtel, Der Zivilprozessrechtsfall. Methodische Anleitung und Fälle mit Lösungen für den jungen Juristen; 6. Aufl. 1979, 35, 43, 47, 96, 99, 110, 126, 129. 14 Gleich welcher Art, z. B. Zivilprozess, Strafprozess, Verwaltungsprozess, Sozialgerichtsprozess, Arbeitsgerichtsprozess. 15 Vgl. dazu Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, Rz. 1.110 ff. zu § 8 UWG. 16 Vgl. BGH, GRUR 1973, 550 – Halbseiden. 17 So das Beispiel von Bornkamm in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, Rz. 1.111 zu § 8 UWG; verneinend BGH, GRUR 2005, 882, 884 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; in Abweichung teilweise zu BGHZ 38, 200, 206 f. – Kindernähmaschinen. 18 Vgl. dazu Bornkamm in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, Rz. 1.113 bis 1.116 zu § 8 UWG.
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Peter Mes
II. Lösung 1. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Fischdosendeckel“19 hat (zumindest) zwei Vorläufer. Es handelt sich dabei um Urteile, die in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergangen sind. Es sind dies die Entscheidungen VG München, Mitt. 2003, 404 – Nachteile des Standes der Technik, und VGH München, GRUR-RR 2003, 297 – Aufreißdeckel.20 Den jeweiligen Tatbeständen (Sachverhaltsschilderungen) in den vorstehend bezeichneten Entscheidungen ist zu entnehmen, dass die gleiche Klägerin wie diejenige im Verfahren des Bundesgerichtshofs „Fischdosendeckel“ zunächst den Versuch unternommen hatte, beim LG München I eine einstweilige Verfügung gegen die Bundesrepublik Deutschland (das Deutsche Patent- und Markenamt – DPMA) zu erwirken, um die Veröffentlichung der Patentschrift zu unterbinden, soweit sie die – zuvor angeführten und inhaltlich gleichlautenden – negativen Äußerungen über ihr Produkt (den sog. Hansa-Ringpull-Deckel) enthält. Das LG München I hatte sich wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit von Amts wegen für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das VG München verwiesen. Dieses hat sodann durch Beschluss vom 30. Oktober 200221 eine einstweilige Anordnung des Inhalts erlassen, dass es der Bundesrepublik Deutschland (dem DPMA) verboten wurde, die Patentschrift zu veröffentlichen, wenn deren Beschreibung unter Bezugnahme auf das europäische Patent Nr. 0 236 736 B1 und den dort beschriebenen Deckel diejenigen Angaben enthält, wie sie zuvor als Klagegrund der Entscheidung des BGH „Fischdosendeckel“ dargestellt worden sind. Diese einstweilige Anordnung hat sodann in der Berufungsinstanz der VGH München mit dem genannten Urteil vom 27. Mai 200322 aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Das beim OLG Dresden in der Berufungsinstanz anhängige und sodann vom BGH in der „Fischdosendeckel“-Entscheidung beurteilte Streitverhältnis ist mithin ein Aufguss desjenigen Verfahrens einschließlich zugehöriger Fragen, die zuvor im Verwaltungsrechtsweg durch das VG München und das OVG München schon entschieden waren. Allerdings hat sich die Parteistellung auf Seiten der Beklagten verändert. Naturgemäß kann eine Klage unter Zugrundelegung eines geltend gemachten Wettbewerbsverstoßes oder einer vermeintlichen unerlaubten Handlung nach §§ 823 ff. BGB auf Unterlassung oder Beseitigung von als herabsetzend empfundenen Äußerungen in der Beschreibung eines Patents nicht gegen die Bundesrepublik Deutschland (als den Träger des DPMA) gerichtet sein, sondern eben nur gegen den Wettbewerber bzw. unerlaubt Handelnden, mithin den Patentanmelder bzw. den Inhaber des erteilten Patents. Die als herabsetzend angegriffenen Aussagen sind jedoch identisch.
__________ 19 20 21 22
Siehe oben Fn. 10. Auch veröffentlicht in Mitt. 2003, 400 – Nachteile des Standes der Technik II. Mitt. 2003, 404 – Nachteile des Standes der Technik. GRUR-RR 2003, 297 – Aufreißdeckel = Mitt. 2003, 400 – Nachteile des Standes der Technik II.
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Herabsetzende Äußerungen in der Beschreibung eines Patents
Der BGH geht auf diese Duplizität nicht ein. Ein Gleiches erfolgt auch nicht durch Götting, der eine Anmerkung zu diesem Urteil verfasst hat.23 2. Die Überlegungen, auf denen die Entscheidungen des VGH in München und des BGH beruhen, sind weitgehend identisch. Der VGH München prüft und verneint im konkreten Fall das Bestehen eines subjektiv öffentlichen Rechts gegen die Bundesrepublik Deutschland (DPMA) auf Unterlassung der Veröffentlichung einer Patentschrift mit diskriminierendem Inhalt. Es stellt darauf ab, dass vergleichende Bezugnahmen auf früher erteilte Patente und darauf beruhende Produkte einer Patentanmeldung nicht fremd sind. § 10 Abs. 2 Nr. 6 PatV24 verweist auf den mit dieser verfahrensrechtlichen Regelung korrespondierenden Erfindungsbegriff des § 1 Abs. 1 PatG und erfasst diesen zutreffend als eine Lehre zum technischen Handeln nach Maßgabe von Aufgabe und Lösung eines technischen Problems. Im Zusammenhang mit dem Verständnis der Aufgabe und der durch die Erfindung vorgeschlagenen Lösung, sowie insbesondere im Zusammenhang mit der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als „sich für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergebend“ können vergleichende, Vor- und Nachteile einander gegenüberstellende Aussagen in der Beschreibung der Erfindung durchaus im Patenterteilungsverfahren relevant werden. Sie sind vom Patentamt insbesondere nicht als etwa von vornherein sachfremd oder offensichtlich nicht notwendig zurückzuweisen.25 Es sei ferner ausschließlich der Patentinhaber, dem eine Wahrheitspflicht obliegt (vgl. § 124 PatG) und der dementsprechend in eigener Verantwortung die Patentbeschreibung zu gestalten habe. Daran sei grundsätzlich das Deutsche Patent- und Markenamt gebunden und dürfe Änderungen der Beschreibung gegen den Willen des Anmelders nicht vornehmen.26 Infolgedessen scheide grundsätzlich eine staatliche (Mit-)Verantwortung für den Inhalt der aus den Anmeldeunterlagen zu erstellenden Patentschrift hinsichtlich darin enthaltener Aussagen betreffend fremde Erfindungen und Produkte aus. Die Behauptungen des Patentanmelders in der Beschreibung sind nicht Prüfungsobjekt des Erteilungsverfahrens und nehmen deshalb auch nicht an der Regelungswirkung des Patenterteilungsbeschlusses gemäß § 49 Abs. 1 PatG teil.27 Nur dann, wenn offensichtlich Unwahrheiten über Erfindungen oder Produkte Dritter gegeben sind, könnten vom Anmelder Streichungen oder Berichtigungen verlangt werden. Über die zugehörigen Mittel verfüge die Prüfungsstelle im Rahmen der Mängelbeseitigung (§§ 42 Abs. 1 und 45 Abs. 1 PatG) und habe dementsprechend von Amts wegen den Anmelder aufzufordern, derartig unsachlich abgefasste Anmeldeunterlagen polemischen Inhalts zu korrigieren. Ein reiner Vergleich mit dem Stand der Technik allein könne jedoch nicht als herabsetzend gelten. Dazu verweist der VGH
__________
23 GRUR 2010, 256. 24 VGH München stellt a. a. O. auf die Vorläuferbestimmung, nämlich § 5 Abs. 2 Nr. 6 PatAV vom 29. Mai 1981 ab; vgl. VGH München Mitt. 2003, 400, 402 li. Sp. – Nachteile des Standes der Technik II. 25 VGH München Mitt. 2003, 400, 402 li. Sp. – Nachteile des Standes der Technik II. 26 VGH München, a. a. O., S. 402 li. Sp. unten und re.Sp. oben. 27 VGH München, Mitt. 2003, 400, 402 re.Sp. – Nachteile des Standes der Technik II.
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München28 auf die Regel 34 Abs. 1 lit. b, Satz 1 AO EPÜ. Diese Regel besagt, dass europäische Patentanmeldungen keine herabsetzenden Äußerungen über Erzeugnisse oder Verfahren Dritter oder den Wert oder die Gültigkeit von Anmeldungen oder Patenten Dritter enthalten dürfen. Nach Satz 2 dieser Regel ist jedoch ein reiner Vergleich mit dem Stand der Technik allein nicht als herabsetzend zu beurteilen. Solange es sich nicht um eine offensichtliche Unrichtigkeit handele, bestehe für einen durch Äußerungen der Patentanmeldung nachteilig Betroffenen kein Anordnungsanspruch auf Unterlassung der veröffentlichten Patentschrift mit dem angegriffenen Inhalt.29 Der Bundesgerichtshof stellt ebenfalls auf die Regelungen des Patenterteilungsverfahrens ab und betont, dass die Frage, welche Angaben in die Fassung der Beschreibung einer Patentanmeldung aufzunehmen sind, aufgrund derer das Patent erteilt worden ist und die als Bestandteil der Patentschrift veröffentlicht werden (§ 32 Abs. 3 Satz 1 PatG), sich ausschließlich nach den für die Patenterteilung geltenden Rechtsvorschriften des Patentgesetzes richtet.30 Er betont, dass die ungehinderte Durchführung staatlich geregelter Verfahren im Interesse der daran Beteiligten aber auch im öffentlichen Interesse nicht mehr als unbedingt notwendig behindert werden darf. Die Verfahrensbeteiligten müssten, soweit dem nicht zwingende rechtliche Grenzen entgegenstehen, das vortragen können, was sie zur Rechtsverfolgung oder zur Rechtsverteidigung für erforderlich halten. Dies beziehe insbesondere auch Tatsachenbehauptungen und Bewertungen mit Bezug auf am Verfahren nicht beteiligte Dritte mit ein.31 Der Patentanmelder mache ferner mit der Anmeldung einer Erfindung zum Patent einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Patenterteilung geltend.32 Die Prüfung und Entscheidung über die Patentanmeldung obliege im Erteilungsverfahren der Prüfungsstelle des DPMA, wobei Änderungen der Patentanmeldung ausschließlich vom Willen des Patentanmelders abhängig seien.33 Dritte seien grundsätzlich am Erteilungsverfahren nicht beteiligt, und zwar auch dann nicht, wenn sie einen Prüfungsantrag gestellt haben (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 1 PatG). Infolgedessen stehen ihnen nach der gesetzlichen Regelung des Erteilungsverfahrens keine Verfahrensrechte zu. Dritte können daher insbesondere während des Erteilungsverfahrens auch nicht geltend machen, sie seien durch Angaben in der Patentanmeldung in ihren Rechten beeinträchtigt.34 Erst im anschließenden Einspruchs- oder gegebenenfalls Nichtigkeitsverfahren können Dritte sich gegen die Patenterteilung zur Wehr setzen und einen der in §§ 21, 22 PatG genannten Widerrufs-/Nichtigkeitsgründe geltend machen. Dazu gehöre auch, dass infolge einer unzutreffenden Schilderung des
__________ 28 29 30 31 32
A. a. O S. 403 li. Sp. A. a. O. S. 403 re.Sp. unten. BGH, GRUR 2010, 253, 254 li. Sp. oben – Fischdosendeckel. BGH a. a. O. S. 254 li. Sp. unten. BGH a. a. O. S. 254 im Übergang zu S. 255; zu diesem öffentlich rechtlichen „Rechtsschutzanspruch“ auf Patenterteilung vgl. § 6 S. 1 und Mes, Der Anspruch auf das Patent – Ein Rechtsschutzanspruch?, GRUR 2001, 584. 33 BGH a. a. O. S. 255 re.Sp. oben, Rz. 23. 34 BGH a. a. O. Rz. 23, S. 255 re.Sp. oben.
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Herabsetzende Äußerungen in der Beschreibung eines Patents
Standes der Technik insbesondere die Fragen der Neuheit und vordringlich der erfinderischen Tätigkeit einer besonderen Überprüfung bedürfen.35 Grundsätzlich sehe das Patentgesetz jedoch nicht vor, dass im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren Änderungen oder „Klarstellungen“ der Patentschrift zur Beseitigung von Dritte benachteiligenden Äußerungen vorgenommen werden.36 3. Ungeachtet einer deutlichen Übereinstimmung in den Urteilsbegründungen sind die Urteilsfolgen deutlich unterschiedlich. Der VGH München verneint das Bestehen eines subjektiv öffentlichen Rechts im Zusammenhang mit der Veröffentlichung einer Patentschrift, sofern darin enthaltene nachteilige Äußerungen nicht offensichtlich falsch sind.37 Der VGH München weist die erhobene Klage mithin als unbegründet ab. Der BGH geht davon aus, dass die Beurteilung der Bestandteile der Patentschrift und ihrer Veröffentlichung sich ausschließlich nach den für die Patenterteilung geltenden Rechtsvorschriften des Patentgesetzes richtet. Infolgedessen seien Rechtsstreitigkeiten darüber in den dafür nach dem Patentgesetz vorgesehenen Verfahren auszutragen. Der BGH verneint explizit eine davon gesonderte Rechtsverfolgung vor den ordentlichen Gerichten, da diese mit den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens der im Patentgesetz in einer eigenen Ordnung geregelten Verfahren der Erteilung von Patenten unvereinbar sei. Der BGH formuliert in diesem Zusammenhang:38 „Eine Klage, mit der – wie hier – außerhalb der durch das Patentgesetz zur Verfügung gestellten Verfahrensordnung auf die Patenterteilung oder das weitere rechtliche Schicksal eines erteilten Patents Einfluss genommen werden soll, ist daher bereits unzulässig.“
Trotz dieses an sich eindeutigen Befundes, dass eine solche Klage mit der gesetzlichen Regelung des Patentgesetzes und der dort getroffenen eigenen Ordnung im Zusammenhang mit der Erteilung von Patenten unvereinbar sei, verneint der BGH das Rechtsschutzbedürfnis für eine solche Klage. Er tritt mithin in eine sachliche Prüfung des Streitverhältnisses nicht ein, sondern weist sie als unzulässig ab. Einer Klage, die schon „als solche mit der geltenden Rechtsordnung unvereinbar“ ist, kann jedoch nicht das Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Das Rechtsschutzbedürfnis lässt sich als ein berechtigtes Interesse eines Klägers daran definieren, gerichtliche Hilfe zur Erreichung eines begehrten Rechtsschutzzieles in Anspruch zu nehmen.39 Ein Rechtsschutzbedürfnis (oder auch Rechtsschutzinteresse, rechtliches oder berechtigtes Interesse) kann mithin von vornherein nur dort als bestehend oder nicht bestehend diskutiert werden, wo ein irgendwie denkbares Recht als schutz- bzw. nicht schutzwürdig zu bewerten ist. Die
__________ 35 BGH a. a. O. Rz. 21, S. 255 li. Sp. 36 BGH a. a. O. Rz. 22, S. 255 li. Sp. unter Bezugnahme auf insbesondere BGHZ 103, 262, 265 = GRUR 1988, 757 – Düngerstreuer; BGHZ 105, 381, 384 = GRUR 1989, 103 – Verschlussvorrichtungen für Gießkannen. 37 VGH München Mitt. 2003, 400, 403 re.Sp. 38 A. a. O. S. 254 li. Sp., Rz. 13. 39 Vgl. z. B. die – inhaltlich vollständig übereinstimmende – Definition von Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, Rz. 26 vor § 253.
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Zivilprozessordnung (in Ausfüllung auch der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG) gewährt umfassenden Rechtsschutz, so dass grundsätzlich das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses die Ausnahme bildet.40 Wird jedoch – wie vom BGH zu Recht formuliert – grundsätzlich ein verfolgbarer Anspruch im Zivilprozess wegen der besonderen Gestaltung des Erteilungsverfahrens und der anschließenden Rechtsbehelfe im Patentgesetz ausgeschlossen, kann dies nicht eine Frage des Rechtsschutzbedürfnisses sein. 4. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt die Auffassung vertreten, dass gegen Behauptungen, die der Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen Verfahren dienen, Abwehransprüche nicht mit Erfolg geltend gemacht werden können.41 Infolge des Ausschlusses eines derartigen Abwehranspruchs (auch unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten) sei eine Klage als unzulässig abzuweisen, ohne dass mithin in die Sachprüfung des Begehrens einzutreten wäre.42 Diese Rechtsprechung findet ihre Rechtfertigung darin, dass ein an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligter nicht durch Unterlassungs- oder Widerrufsansprüche in seiner Äußerungsfreiheit eingeengt wird.43 Der BGH hat diese Grundsätze auch auf Äußerungen in Verwaltungsverfahren angewandt, sofern auch hier ein Beteiligter seine Interessen durchzusetzen bemüht ist.44 Das BVerfG hat diese Rechtsprechung – im Ergebnis – gebilligt.45 Es hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht dadurch verletzt gesehen, dass während eines noch laufenden Zivilprozesses, in welchem die Wahrheit oder Unwahrheit bestimmter Tatsachenbehauptungen gerade Gegenstand des Streits ist oder von den Parteien zumindest dazu gemacht werden kann, eine Unterlassung dieser Tatsachenbehauptungen sowie auf ihnen aufbauender ehrkränkender Werturteile grundsätzlich nicht zum Gegenstand eines gesonderten Prozesses gemacht werden kann. 5. In einem deutlichen Unterschied zu der Lösung der Entscheidung „Fischdosendeckel“ über das Institut des vermeintlich fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses hat die frühere Rechtsprechung sowohl des I. als auch des VI. Zivilsenats des BGH die Lösung in einem ersten Ansatz abweichend begründet. Die Entscheidungen beruhen ausnahmslos jeweils auf der Erkenntnis, dass negatorische Ansprüche (auf Unterlassung und/oder Widerruf) grundsätzlich dann ausgeschlossen sind, wenn die Äußerungen in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren erfolgt sind.46 Übereinstimmend gehen I. und VI. Zivilsenat
__________ 40 Vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, Rz. 133 vor § 253. 41 Vgl. BGH, GRUR 1998, 587, 589 li. Sp. unten und re.Sp. oben m. zahlreichen Nachweisen – Bilanzanalyse Pro 7; insbesondere auch BGH, GRUR 1973, 550, 551 – Halbseiden. 42 BGH, GRUR 1998, 587, 589 re.Sp. oben – Bilanzanalyse Pro 7; 1987, 568, 569 – Gegenangriff. 43 BGH, GRUR 1998, 587, 589 re.Sp. oben – Bilanzanalyse Pro 7. 44 BGH, GRUR 1998, 587, 589 re.Sp. – Bilanzanalyse Pro 7. 45 BVerfG, NJW-RR 2007, 840 – Ehrverletzende Äußerungen in einem Rechtsstreit. 46 Vgl. dazu schon BGH, GRUR 1971, 175, 176 re.Sp. – Steuerhinterziehung; GRUR 1973, 550, 551 li. Sp. – Halbseiden (jeweils Entscheidungen des VI. Senats); GRUR 1998, 587, 589 li. Sp. unten und re.Sp. oben – Bilanzanalyse Pro 7 (I. Zivilsenat).
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Herabsetzende Äußerungen in der Beschreibung eines Patents
davon aus, dass gegen Behauptungen, die der Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen Verfahren dienen, Abwehransprüche grundsätzlich nicht mit Erfolg erhoben werden können. Die Begründung liegt darin, dass auf den Ablauf eines gerichtlichen Verfahrens nicht dadurch Einfluss genommen oder seinem Ergebnis nicht dadurch vorgegriffen werden darf, dass einer der Verfahrensbeteiligten durch die Geltendmachung von Unterlassungs- oder Widerrufsansprüchen in seiner Äußerungsfreiheit eingeengt wird.47 Der BGH formuliert,48 „dass – wegen der Vorrangigkeit des Erstverfahrens, in dem die beanstandete Äußerung gemacht worden ist – ein entsprechender Abwehranspruch ausgeschlossen ist, ohne dass in die Sachprüfung einzutreten ist“.49 Der Grundsatz des Ausschlusses von derartigen Angriffen/Gegenangriffen auf Behauptungen/Wertungen, die in einem Verfahren zu Verfahrenszwecken vorgenommen worden sind, gilt sowohl für Verfahrensbeteiligte als auch im Hinblick auf unbeteiligte Dritte, die durch eine derartige Äußerung negativ betroffen sind.50 Diese Grundsätze gelten auch für Äußerungen in behördlichen Verfahren.51 Sind Abwehransprüche grundsätzlich ausgeschlossen, ist kein Raum für die Anwendung des Rechtsschutzbedürfnisses.52 Denn die Notwendigkeit der Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses stellt sich nur in Ausnahmefällen, nämlich nur dann, wenn im Zusammenhang mit der Durchsetzung eines an sich gegebenen/denkbaren Anspruchs Zweifel an einer funktions- und interessengerechten Ausübung der prozessualen Befugnisse durch den Antragsteller/Kläger gegeben sind. Ist ein Anspruch jedoch von vornherein ausgeschlossen, da der mit ihm einhergehende Rechtszwang von der Rechtsordnung nicht gebilligt wird,53 fehlt es nicht am Rechtsschutzbedürfnis, sondern diesen Ansprüchen fehlt die Klagbarkeit. Das Institut der (gegebenenfalls fehlenden) Klagbarkeit beruht auf der Erkenntnis, dass ein an sich materiell-rechtlich vollständig bestehender Anspruch in einem Ausnahmefall nicht eingeklagt werden kann.54 Das Fehlen der Klagbarkeit führt zur Abweisung der Klage als unzulässig.55 Als Beispiel für unklagbare Forderungen gelten solche, die auf einer vertraglichen Abrede, einem so genannten pactum de non petendo beruhen.56 Eine derartige Abrede findet sich häufig in US-amerikanischen Verträgen im Sinne einer Klausel „Immunity
__________ 47 BGH, GRUR 1998, 587, 589 re.Sp. oben – Bilanzanalyse Pro 7. 48 A. a. O. 49 BGH, GRUR 1987, 568, 569 – Gegenangriff; GRUR 1998, 587, 589 re.Sp. oben – Bilanzanalyse Pro 7. 50 Zuletzt BGH in NJW 2008, 996 – Äußerungsrechtliche Ansprüche eines Dritten gegenüber Prozessbeteiligten. 51 Z. B. BGH, GRUR 1998, 587, 589 re.Sp. – Bilanzanalyse Pro 7. 52 A. A. BGH in st. Rspr., z. B. BGH, GRUR 1987, 568, 569 li. Sp.; BGH, GRUR 2010, 253 – Fischdosendeckel. 53 Vgl. z. B. BGH, GRUR 1987, 568, 569 li. Sp. – Gegenangriff. 54 Zum Begriff der Klagbarkeit z. B. Baumgärtel, ZZP 75 (1962), 398; Stech, Unklagbare Ansprüche im heutigen Recht, ZZP 77 (1964), 161; Reichel, Unklagbare Ansprüche JherJB 59 (1911), 409; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, Rz. 126 ff. vor § 253. 55 Z. B. BGH, NJW 1999, 647, 648. 56 Vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, Rz. 129 m. w. N. vor § 253.
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from suit“. Des Weiteren gibt es durchaus auch gesetzliche Fälle unklagbarer Forderungen, z. B. die Fälle, wonach ein außergerichtliches Vorverfahren vorgesehen ist, bevor eine Klage erhoben werden soll. Als ein Beispiel wird auf § 15a EGZPO verwiesen. Danach kann durch Landesgesetz bestimmt werden, dass die Erhebung einer Klage erst zulässig ist, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Ein Beispiel sind vermögensrechtliche Streitigkeiten vor dem Amtsgericht über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert die Summe von Euro 750,00 nicht übersteigt. Des Weiteren sind hier nachbarrechtliche Streitigkeiten zu nennen, Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse und Rundfunk begangen worden sind, und schließlich Streitigkeiten über Ansprüche nach Abschnitt 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. In all diesen Fällen ist vorgesehen, dass der Kläger eine von der Gütestelle ausgestellte Bescheinigung über einen erfolgreichen Einigungsversuch mit der Klage einreichen muss, soll diese zulässig sein.57 Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Ausschluss negatorischer Ansprüche gegen herabsetzende Äußerungen im gerichtlichen oder Verwaltungsverfahren macht derartige an sich bestehende Ansprüche zu unklagbaren Ansprüchen. Denn die Rechtsordnung anerkennt grundsätzlich Abwehransprüche gegen herabsetzende Äußerungen. Sie versagt diesen Abwehransprüchen jedoch die gerichtliche Durchsetzbarkeit, wenn es sich um Äußerungen in gerichtlichen oder Verwaltungsverfahren handelt. Das ist die Situation der fehlenden Klagbarkeit. 6. Man mag den Unterschied als gering erachten, ob eine an sich sachgerechte Lösung (wie vom BGH in ständiger Rechtsprechung gewährt) über das Institut des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses oder dasjenige der fehlenden Klagbarkeit gefunden wird. Einer solchen Sicht der Dinge sollte jedoch entgegengetreten werden. Denn wenn auch anzuerkennen ist, dass dann, wenn eine Klage unzweifelhaft prozesszweckfremde Ziele verfolgt und dementsprechend als unzulässig abgewiesen werden sollte, wie dies in den hier behandelten Ehrenschutzklagen der Fall ist, kann die sachgerechte Begründung nicht darin liegen, dass diesen Klagen das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, weil sie das Funktionieren der Rechtspflege gefährden.58 Dies scheint deutlich zu hoch gegriffen. Es geht durchaus eine Münze kleiner. Sie besteht darin, dass im Rahmen eines zu findenden Interessenausgleichs das Interesse des durch eine, insbesondere unrichtige Behauptung nachteilig Betroffenen hinter den Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen des Behauptenden in einem gerichtlichen oder in einem Verwaltungsverfahren zurückstehen muss. Es handelt sich letztlich um eine Interessenabwägung und nicht, wie verschiedentlich vertreten wurde, um eine Frage der Beurteilung der Rechtmäßigkeit.59
__________
57 Vgl. § 15a Abs. 1 Satz 2 EGZPO. 58 Vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., 2008, Rz. 154 zu Fn. 635 vor § 253. 59 Vgl. Klaka, GRUR 1973, 515; von Falck in Anm. GRUR 1971, 177, 178 zu BGH, GRUR 1971 175 – Steuerhinterziehung.
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Herabsetzende Äußerungen in der Beschreibung eines Patents
Es kann erkennbar nicht davon ausgegangen werden, dass alle zur Durchsetzung oder zur Verteidigung von Rechten in einem Prozess oder in einem gerichtlichen Verfahren aufgestellten Behauptungen rechtmäßig sind. Das wäre ein unerträgliches Ergebnis im Zusammenhang mit unrichtigen Behauptungen, an deren Wiederholung niemand ein ernsthaftes Interesse haben kann. Die Lösung für den Ausschluss ehrverletzender Ansprüche im Zusammenhang mit Gerichts- und Verwaltungsverfahren wird nicht über § 193 StGB gesucht, sondern als Ergebnis der zuvor beschriebenen Abwägung. Das Institut der (fehlenden) Klagbarkeit löst diese Problemfälle einwandfrei, indem derartige Klagen regelmäßig unzulässig sind.60 Das Institut der Klagbarkeit löst insbesondere auch diejenigen Fälle, wo die Äußerungen des Dritten in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren (offensichtlich) über das Ziel einer sachgerechten Verfahrensführung hinausschießen. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn sie den Tatbestand einer unzulässigen Schmähkritik erfüllen, wo es nicht um die sachliche Auseinandersetzung selbst, sondern nur um die Herabsetzung des Gegners geht.61 In derartigen Fällen lebt die im ersten Anschein zunächst nicht gegebene Klagbarkeit wieder auf.
__________ 60 So z. B. BGH, NJW 1999, 647, 648 für die Notwendigkeit eines vorangehenden Schlichtungsverfahrens vor der Steuerberaterkammer; 1993, 1070 für Art. VIII Abschn. 2b IBF-Abkommen. 61 BGH, NJW 2008, 996, 998, Rz. 22 – Äußerungsrechtliche Ansprüche eines Dritten gegenüber Prozessbeteiligten.
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Die Markenverletzung bei Doppelidentität nach L’Oréal: eine Kritik Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der Funktionswandel des Identitätsschutzes 1. Zuordnungsschutz und reiner Leistungsschutz 2. Die unklare Ratio des Tatbestands der Doppelidentität 3. Die Rechtsprechung des EuGH vor L’Oréal 4. L’Oréal
5. Die unmittelbare Folge: Begründungsschwierigkeiten in Google France III. Kritische Analyse 1. Begründungsdefizite der Funktionenlehre 2. Unangemessene praktische Folgen der Ausweitung 3. Rechtsunsicherheit IV. Fazit und Ausblick
I. Einleitung Der Verletzungstatbestand der Doppelidentität (§ 14 II Nr. 1 MarkenG = Art. 5 I 2 lit. a MRRL = Art. 9 I 2 lit. a GMV) hat in jüngster Zeit einen Bedeutungswandel erfahren. Erschien die Vorschrift früher in erster Linie als Grenzfall des Verwechslungsschutzes und als Mittel, um eindeutige Pirateriefälle effektiv bekämpfen zu können,1 so ist sie durch das Urteil des EuGH im Fall L’Oréal/ Bellure2 zu einer schillernden und in ihren Konturen unklaren Bestimmung geworden, die auf einer „gleitenden Skala“ der Verletzungsbestände auf halbem Weg zwischen dem Schutz vor Verwechslungsgefahr (§ 14 II Nr. 2 MarkenG = Art. 5 I 2 lit. b MRRL = Art. 9 I 2 lit. b GMV) und dem Schutz der bekannten Marke vor Ausnutzung und Schädigung von Ruf und Unterscheidungskraft (§ 14 II Nr. 3 MarkenG = Art. 5 II MRRL = Art. 9 I 2 lit. c GMV) einzuordnen ist.3 Diese Entwicklung gibt Anlass zur Sorge und wirft für die Zukunft die Frage auf, ob de lege ferenda auf die L’Oréal-Rechtsprechung mit einer Rückführung des Identitätsschutzes oder mit der Einführung neuer Schutzschranken reagiert werden sollte. Der Jubilar hat die Entwicklung vom deutschen zum europäischen Markenrecht als Generalsekretär des „Grünen Vereins“, als Verfasser zahlreicher rechtswissenschaftlicher Beiträge und als Rechtsanwalt intensiv mitverfolgt. Ihm
__________ 1 Eine Ausnahme bilden allerdings die seit jeher unter diese Vorschrift subsumierten Fälle des Weiterverkaufs von Originalware und des Hinweises auf eine Zubehör- oder Ersatzteileigenschaft des Produkts, näher hierzu unten, II 2. 2 EuGH v. 18.6.2009 – C-487/07, GRUR 2009, 756 – L’Oréal/Bellure. 3 So GA Poiares Maduro, Rs. C-236-238/08, Rz. 97 ff. – Google France.
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Ansgar Ohly
sind die folgenden Überlegungen in Hochachtung und Dankbarkeit für die Zusammenarbeit im Rahmen der Deutschen Vereinigung gewidmet.
II. Der Funktionswandel des Identitätsschutzes 1. Zuordnungsschutz und reiner Leistungsschutz In ihrer klassischen Funktion dient die Marke dem Zuordnungsschutz. Indem sie Abnehmern die Unterscheidung verschiedener Produkte voneinander ermöglicht, sichert die Marke zugleich einen „Kommunikationskanal“, über den der Anbieter potentiellen Kunden Informationen über die Qualität des Produktes vermitteln und ein Produktimage aufbauen kann.4 Kommt es zu einer Verwechslungsgefahr, so wird, um im Bild zu bleiben, die Frequenz gestört. Dadurch werden zum einen die Interessen des Markeninhabers beeinträchtigt: Seine Investitionen in den Aufbau einer Qualitätsvorstellung und eines Markenimages werden ausgenutzt, möglicherweise leiden der gute Ruf und die Unterscheidungskraft der Marke. Zum anderen werden aber auch Interessen der Abnehmer und Allgemeininteressen betroffen. Verbraucher werden über die Herkunft des Produkts irregeführt, und die Markttransparenz, an deren Sicherung ein Allgemeininteresse besteht, wird beeinträchtigt. Es gibt also gute ökonomische Gründe für einen starken Markenschutz gegen Verwechslungsgefahr, und es ist wenig überraschend, dass dieser Schutz im deutschen Kennzeichenrecht wie auch in ausländischen Markenrechtsordnungen lange im Vordergrund stand. Der erweiterte Schutz bekannter Marken gegen eine unlautere Ausnutzung oder Beeinträchtigung von Wertschätzung oder Unterscheidungskraft unabhängig vom Vorliegen einer Verwechslungsgefahr ist demgegenüber historisch jüngeren Datums. Vor der Umsetzung der Markenrechtsrichtlinie durch das Markengesetz von 1995 wurde er im deutschen Recht auf delikts- und lauterkeitsrechtlicher Grundlage gewährt,5 was positiv zu erheblicher Flexibilität, negativ zu einer gewissen Rechtsunsicherheit führte. Auch international besteht über einen solchen erweiterten Markenschutz erheblich weniger Konsens. So werden im US-Recht Marken zwar gegen dilution, also gegen Verwässerung (dilution by blurring) und Rufschädigung (dilution by tarnishment) geschützt, es besteht aber kein Markenschutz gegen Rufausbeutung ohne Ver-
__________ 4 Vgl. aus Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts Landes/Posner, The Economic Structure of Intellectual Property Law, 2003, S. 166 ff.; Griffiths in Bently/Davis/ Ginsburg (Hrsg.), Trade Marks and Brands, 2008, 241, 245 ff.; van den Bergh/ Lehmann, GRUR Int. 1992, 588 ff.; aus rechtlicher Sicht (allerdings vehement gegen eine Beschränkung auf die Herkunftsfunktion) Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., 2009, Einl D, insb. Rz. 27 ff. 5 BGH v. 29.11.1984 – I ZR 158/82, GRUR 1984, 550 – Dimple; BGH v. 10.2.1994 – I ZR 79/92, GRUR 1994, 808 – Markenverunglimpfung I; Ernst-Moll, GRUR 1993, 8 ff.; Klippel, GRUR 1986, 697 ff.
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wechslungsgefahr (misappropriation without misrepresentation).6 Tatsächlich ist ein solcher Schutz ökonomisch erheblich schwieriger zu rechtfertigen als der klassische Zuordnungsschutz, weil es in dieser Situation an dem oben beschriebenen Gleichlauf der Interessen des Markeninhabers, der Verbraucher und der Allgemeinheit fehlt. Es geht nicht mehr darum, die Orientierung am Markt gegen Fehlzurechnung zu sichern, sondern es geht lediglich um einen Schutz der Investitionsleistung im Interesse des Markeninhabers. Ein solcher Schutz ist nicht zwangsläufig durch Allgemeininteressen gerechtfertigt, sondern kann im Gegenteil mit dem Interesse freier Meinungsäußerung kollidieren, etwa in den Fällen der Markenparodie oder der Produktkritik. 2. Die unklare Ratio des Tatbestands der Doppelidentität Im europäischen Markenrecht gewährt Art. 5 I 2 lit. b MRRL (= § 14 II Nr. 2 MarkenG; Art. 9 I 2 lit. b GMV) den „klassischen“ Zuordnungsschutz gegen Verwechslungsgefahr. Art. 5 II (= § 14 II Nr. 3 MarkenG, Art. 9 I 2 lit. c GMV) hingegen schützt bekannte Marken auch ohne Verwechslungsgefahr gegen Schädigung und Ausnutzung der Unterscheidungskraft und der Wertschätzung. Lediglich die Ratio des Identitätsschutzes ist unklar.7 Bei engem Verständnis handelt es sich bei Verwendung einer identischen Marke für identische Waren um einen Sonderfall, genauer: um den schwerwiegendsten Fall der Verwechslungsgefahr. So verstanden entspricht Art. 5 I 2 lit. a MRRL weitgehend Art. 16 I 2 des TRIPS-Übereinkommens, dem zufolge die Verwechslungsgefahr bei Doppelidentität vermutet wird. Generalanwalt Jacobs formuliert diesen Gedanken folgendermaßen: „Wenn strikt identische Zeichen oder Marken im Geschäftsverkehr für identische Waren oder Dienstleistungen benutzt werden, dann lassen sich – wenn überhaupt – nur schwer Umstände vorstellen, unter denen sich eine Verwechslungsgefahr ausschließen ließe. In derartigen Fällen wäre es überflüssig und unangemessen, noch den Nachweis dieser Verwechslungsgefahr zu verlangen.“8
Die europäische Vorschrift geht nach diesem Verständnis über das TRIPS-Übereinkommen nur insofern hinaus, als die Vermutung der Verwechslungsgefahr unwiderleglich ist,9 was insbesondere in offensichtlichen Pirateriefällen, in denen der Verkehr den Unterschied zum Original erkennt, sachgerecht sein mag. Der Wortlaut des Art. 5 I 2 lit. a MRRL lässt diese Beschränkung aber nicht erkennen. Er lässt es zu, auch Fälle unter den Verletzungstatbestand der Doppel-
__________ 6 Sec. 43 Trademark Act 1946 („Lanham Act“) in der Fassung des Trademark Dilution Revision Act 2006; vgl. auch die Kritik von Tushnet, 86 Texas L.Rev. 507 ff. (2008). Allerdings läuft in vielen Fällen die Berücksichtigung einer Verwechslungsgefahr nach Vertragsschluss („post-sale confusion“) auf einen Schutz vor Rufausbeutung hinaus, hierzu Sosnitza, ZGE 1 (2009) 457 ff. 7 Füller, MarkenR 2007, 365 (372) spricht von einer „dogmatischen Identitätskrise“. 8 GA Jacobs, Rs. C-291/00, Rz. 37 – LTJ Diffusion. 9 Fezer, Markenrecht, 4. Aufl. 2009, § 14 Rz. 188; a. A. Füller (Fn. 7), wohl auch Hacker in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl. 2009, § 14 Rz. 188.
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identität zu subsumieren, in denen typischerweise keine Verwechslungsgefahr besteht. Insbesondere kann er die referierende Benutzung, also die Benutzung der Marke zur zutreffenden Kennzeichnung der Produkte des Markeninhabers, erfassen. Tatsächlich nehmen die Schrankenregelungen der Art. 6 und 7 MRRL (= §§ 23, 24 MarkenG = Art. 12, 13 GMV) zwei derartige Fälle vom Markenschutz aus: Bei der Werbung für die Eignung eines Produkts als Zubehör- oder Ersatzteil (Art. 6 I lit. c MRRL) und bei der Erschöpfung (Art. 7 MRRL) wird die Marke zur zutreffenden Kennzeichnung von Originalprodukten verwendet. So verstanden geht der Identitätsschutz deutlich über den Verwechslungsschutz hinaus. Er verschafft dem Markeninhaber, wenn auch begrenzt auf die kommerzielle Kommunikation für identische Waren und Dienstleistungen, das ausschließliche und nicht durch das Erfordernis zusätzlicher Wertungen eingeschränkte Recht, über seine Produkte unter Verwendung der Marke zu sprechen. 3. Die Rechtsprechung des EuGH vor L’Oréal Bis zum L’Oréal-Urteil des EuGH war die Reichweite des Identitätsschutzes ungeklärt und umstritten. Im deutschen Schrifttum wurde dieser Meinungsstreit weitgehend unter dem Stichwort der „markenmäßigen Benutzung“ behandelt.10 Zwar handelt es sich hier um ein Erfordernis, das sämtliche Verletzungstatbestände betrifft, doch sorgten beim Verwechslungsschutz und beim Schutz der bekannten Marke schon die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen dafür, dass der Markenschutz auf seine jeweils geschützte Funktion beschränkt blieb. Der EuGH vermied zwar den Begriff der „markenmäßigen Benutzung“,11 hielt aber seit dem Arsenal-Urteil eine Benutzung nur dann für eine Markenverletzung gemäß Art. 5 I MRRL, wenn sie geeignet war, „die Funktionen der Marke und insbesondere ihre Hauptfunktion, d. h. die Gewährleistung der Herkunft der Ware gegenüber den Verbrauchern“ zumindest potentiell zu beeinträchtigen.12 Für die Auslegung des Art. 5 II MRRL spielte diese Formel hingegen nie eine Rolle.13 Auch wenn der EuGH damit die Hintertür für eine Anerkennung weiterer Markenfunktionen offen ließ, schien es doch lange, als sei der Schutz des Art. 5 I MRRL weitgehend auf den Schutz der Herkunftsfunktion beschränkt14 und als diene der „insbesondere“-Zusatz der Arsenal-Rechtsprechung nur dazu, Sonderfälle wie die Zubehör- und Ersatzteilwerbung in den
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10 Vgl. den Überblick bei Eichhammer, Die markenmäßige Benutzung, 2008, S. 129 ff.; Sack, WRP 2010, 198 ff. 11 Zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH vor L’Oréal vgl. Kur, GRUR Int. 2008, 1 ff.; Knaak, GRUR Int. 2008, 91 ff.; Eichhammer (Fn. 10), S. 91 ff. 12 EuGH v. 12.11.2002 – C-206/01, GRUR 2003, 55, Rz. 51 – Arsenal/Reed. 13 Hier verlangt der EuGH lediglich, dass die angesprochenen Verkehrskreise zwischen dem Zeichen und der bekannten Marke eine „gedankliche Verbindung“ herstellen: EuGH v. 23.10.2003 – C-408/01, GRUR 2004, 58, Rz. 29 – Adidas/Fitnessworld, EuGH v. 10.4.2008 – C-102/07, GRUR 2008, 503, Rz. 41 – Adidas/Marca; EuGH v. 27.11.2008 – C-252/07, GRUR 2009, 56, Rz. 40 ff. – Intel. 14 So vor L’Oréal etwa Hacker in Ströbele/Hacker, § 14 Rz. 77.
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Schutzbereich des Art. 5 I MRRL einzubeziehen. So ging der Gerichtshof im Fall Opel/Autec nicht darauf ein, ob die Verwendung des auch für Spielzeug geschützten Opel-Blitzes auf Modellautos neben der Herkunftsfunktion auch eine andere Markenfunktion beeinträchtigen könnte, etwa ob die Werbekraft des Opel-Logos durch diese Verwendung leide oder ob die Qualitätsfunktion durch die Benutzung auf minderwertigen Modellen beeinträchtigt werden könne.15 Derartige Fragen schienen dem erweiterten Schutz der bekannten Marke gemäß Art. 5 II MRRL vorbehalten zu sein. Die Rechtsprechung ermöglichte eine systematisch stimmige Auslegung, nach der Art. 5 I MRRL dem klassischen Zuordnungsschutz diente, während Art. 5 II MRRL den guten Ruf und die Unterscheidungskraft als solche schützte.16 4. L’Oréal Seit dem L’Oréal-Urteil17 lässt sich diese Interpretation aber nicht mehr mit der Rechtsprechung des EuGH vereinbaren. Der Fall, eine Vorlage des englischen Court of Appeal, betraf die Werbung für nachgeahmte Parfums. Die Namen dieser Düfte wurden den entsprechenden Markenparfums in Vergleichslisten gegenübergestellt. Es handelte sich fraglos um vergleichende Werbung, doch war bis zu diesem Zeitpunkt ungeklärt, ob die Nutzung der Marke zur richtigen Bezeichnung der Produkte des Markeninhabers in einem Werbevergleich als Markenverletzung angesehen werden konnte. Im Urteil O218 hatte der EuGH diese Frage nur zur Hälfte beantwortet, indem er entschied, dass die Verwendung einer Marke in einem lauteren Werbevergleich keine Markenverletzung darstelle, dass im Übrigen aber der Werbende durchaus die fremde Marke nicht nur für die Produkte des Markeninhabers, sondern auch für seine eigenen Produkte verwende.19 Im konkreten Fall ging der Gerichtshof aber nur auf den seltenen Sonderfall eines Werbevergleichs ein, der zu Verwechslungen zwischen den Produkten konkurrierender Hersteller Anlass gibt. In diesem Fall greift bereits Art. 5 I 2 lit. b MRRL ein, auf den Tatbestand der Doppelidentität kam es nicht an. In L’Oréal konnte der EuGH eine Äußerung zur Auslegung des Art. 5 I 2 lit. a MRRL aber nicht mehr vermeiden. Auch wenn es lediglich um die Verwendung von Marken in Werbevergleichen ging, stellte der EuGH nunmehr einen Grundsatz auf, der weit über diesen Sonderfall hinausgeht und über dessen genaue Bedeutung seitdem Juristen in allen Mitgliedstaaten kontrovers diskutieren. Zunächst wiederholt der Gerichtshof die Arsenal-Formel, der zufolge
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15 EuGH v. 25.1.2007 – C-48/05, GRUR 2007, 318, Rz. 25 – Opel/Autec, allerdings mit der Begründung, Opel habe sich offenbar auf die Beeinträchtigung anderer Funktionen nicht berufen. In seinem Urteil vom 14.1.2010 – I ZR 88/08 verneint der BGH im Opel-Fall eine Beeinträchtigung der übrigen Markenfunktionen. 16 Ohly, GRUR 2009, 709 (711 f.); ähnl. Eichhammer (Fn. 10), S. 158 ff.; Hacker in Ströbele/Hacker, § 14 Rz. 77, 81; a. A. Fezer, § 14 Rz. 79; Sack, WRP 2010, 198 (203, 207). 17 S. oben, Fn. 2. 18 EuGH v. 12.6.2008 – C-533/06, GRUR 2008, 698, Rz. 45 – O2/Hutchison 3G. 19 A. a. O., Rz. 36.
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eine Markenverletzung unter Art. 5 I MRRL nur bei Beeinträchtigung einer geschützten Markenfunktion vorliegen kann, fährt dann aber fort: „Zu diesen Funktionen gehört nicht nur die Hauptfunktion der Marke, die Gewährleistung der Herkunft der Ware oder Dienstleistung gegenüber den Verbrauchern, sondern es gehören dazu auch ihre anderen Funktionen wie u. a. die Gewährleistung der Qualität dieser Ware oder Dienstleistung oder die Kommunikations-, Investitions- oder Werbefunktionen.“20
Der Verletzungstatbestand der Doppelidentität kann damit auch beeinträchtigt sein, wenn keine Gefahr von Fehlzuordnungen besteht. Da der EuGH zudem seine in O2 geäußerte Ansicht bekräftigt, dass die Benutzung einer Marke zur korrekten Bezeichnung der Produkte des Markeninhabers zugleich eine Benutzung für die Waren und Dienstleistungen des Werbenden ist, fallen nunmehr sämtliche Fälle der referierenden Benutzung unter Art. 5 I 2 lit. a MRRL, soweit Doppelidentität vorliegt und die Gefahr besteht, dass eine der zahlreichen Markenfunktionen beeinträchtigt wird. Von einem Erfordernis der „markenmäßigen Benutzung“ kann danach wohl keine Rede mehr sein,21 Neben die gesetzlich geregelten Voraussetzungen der Benutzung „im geschäftlichen Verkehr“ und der Benutzung „für Waren oder Dienstleistungen“ tritt als selbständiges, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die zumindest potentielle Beeinträchtigung geschützter Markenfunktionen. Dabei ist zwischen den einzelnen Verletzungstatbeständen zu differenzieren: Art. 5 I 2 lit. a MRRL kann bei einer Beeinträchtigung sämtlicher Markenfunktionen eingreifen, während lit. b nach wie vor nur die Herkunftsfunktion schützt. Für den erweiterten Schutz der bekannten Marke schließlich spielt die Funktionenlehre als Filter keine Rolle, die Funktionsbeeinträchtigung ist hier bereits Teil des gesetzlich geregelten Verletzungstatbestands. Ob man nun von einem dreigeteilten Benutzungsbegriff spricht22 oder die Problematik der Funktionsbeeinträchtigung von der Frage der Benutzung abgrenzt, ist eine weitgehend terminologische Frage, doch spricht vieles dafür, zur Vermeidung von Missverständnissen den Begriff der „markenmäßigen Benutzung“ aufzugeben und lediglich eine Benutzung zum Zweck der Unterscheidung von Waren oder Dienstleistungen zu verlangen.23 Unklar blieb in L’Oréal aber neben dem genauen Schutzbereich der einzelnen Funktionen auch, wann von einer „Beeinträchtigung“ auszugehen war. Während die deutsche Sprachfassung eher nahe legte, dass die beanstandete Benutzung die Markenfunktion negativ beeinträchtigen, also schädigen musste, ließen andere Sprachversionen auch das Verständnis zu, dass die beanstandete Benutzung eine Funktion lediglich zu „berühren“ („affect“ „porter atteinte“) brauchte. Es ist erstaunlich, dass sich der Gerichtshof in L’Oréal hierzu nicht
__________ 20 EuGH v. 18.6.2009 – C-487/07, GRUR 2009, 756, Rz. 58 – L’Oréal/Bellure. 21 Ebenso Keil, MarkenR 2010, 195 (200); Sack, WRP 2010, 198 (206 ff.). 22 So Hacker, MarkenR 2009, 333 (336); dagegen nachdrücklich Fezer, WRP 2010, 165 (180). 23 Hierzu demnächst näher in GRUR 2010 Ohly; noch weiter (Verzicht auch auf Unterscheidungserfordernis) Sack, WRP 2010, 198 (209).
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äußerte, denn im Vorlagebeschluss des Court of Appeal war eine Schädigung der Parfummarken verneint worden. Mittlerweile hat der Gerichtshof in Google France klargestellt, dass eine wirkliche Beeinträchtigung erforderlich ist.24 Lord Justice Jacob hat übrigens mittlerweile seine Vorlage möglicherweise bedauert. Im soeben ergangenen Schlussurteil im L’Oréal-Fall25 kritisiert er das Urteil des EuGH in starken Worten, sieht sich aber zur Verurteilung der Parfumimitatoren verpflichtet. Eine Klageabweisung mit der Begründung, die bloße Rufausnutzung sei keine Funktionsbeeinträchtigung, erwägt er nicht. 5. Die unmittelbare Folge: Begründungsschwierigkeiten in Google France Mit dem L’Oréal-Urteil hat sich der EuGH in ein Dilemma manövriert, wie wenig später in den ersten Urteilen zum Keyword Advertising deutlich wurde.26 Kauft der Werbende ein Keyword, das einer Marke entspricht, und wird so bei einer Suche nach der Marke die Werbung ausgelöst, so ist die Herkunftsfunktion der Marke oft nicht betroffen.27 Eine Beeinträchtigung der Werbe-, Kommunikations- und Investitionsfunktion kommt aber durchaus in Betracht. Erstens genießt der Link auf die Website des Markeninhabers nicht mehr ungeteilte Aufmerksamkeit, wenn zugleich Anzeigen der Konkurrenz erscheinen, zweitens kann sich der Markeninhaber gezwungen sehen, seinerseits die eigene Marke als Keyword zu erwerben, drittens macht sich der Werbende die Bekanntheit der Marke zunutze, ohne dafür zu bezahlen. Andererseits gibt es Wertungsgesichtspunkte, die für eine Zulässigkeit des Keyword Advertising sprechen: Der Verbraucher wird in seiner Entscheidungsfreiheit nicht beeinträchtigt, sondern erhält zusätzliche Informationen, und das Keyword Advertising dient der Finanzierung von Suchmaschinen, die für den Nutzer kostenlos sind. Daher betont Generalanwalt Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen im Fall Google France zu Recht die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen Markenschutz einerseits und Wettbewerbs- und Meinungsäußerungsfreiheit andererseits.28
__________ 24 EuGH v. 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08, GRUR 2010, 445, Rz. 76 – Google France. Im deutschen Text ist erneut von einer „Beeinträchtigung“ die Rede, deutlicher heißt es aber in der englischen Fassung „to cause detriment“. 25 Court of Appeal v. 21.5.2010, [2010] EWCA Civ 535, Rz. 6 ff. – L’Oréal v. Bellure. 26 EuGH v. 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08, GRUR 2010, 445 – Google France; EuGH v. 25.3.2010 – C-278/08, GRUR 2010, 451 – BergSpechte. Von der Fachöffentlichkeit zunächst weitgehend unbemerkt hat der EuGH fast gleichzeitig über die Vorlage des BGH v. 22.1.2009 – I ZR 125/07, GRUR 2009, 498 – Bananabay durch Beschluss gem. Art. 104 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entschieden: EuGH v. 26.3.2010 – C-91/09, GRUR 2010, 641 – Eis.de/BBY. Näher zu diesen Urteilen Ohly, GRUR 2010 (erscheint demnächst). 27 Zwar ist auf den Einzelfall abzustellen, s. EuGH v. 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08, GRUR 2010, 445, Rz. 88 – Google France, wird aber die Werbung deutlich als solche gekennzeichnet und von den genuinen Suchergebnissen abgesetzt, so liegt eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion eher fern, s. BGH v. 22.1.2009 – I ZR 30/07, GRUR 2009, 500, Rz. 16 – Beta Layout. 28 GA Poiares Maduro, Rs. C-236-238/08, Rz. 103 – Google France.
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Das Problem des Art. 5 I 2 lit. a MRRL besteht aber in seiner abwägungsresistenten Formulierung. Wird einmal eine Beeinträchtigung einer Markenfunktion bejaht, so besteht außerhalb der auf das Keyword Advertising nicht zugeschnittenen Schranken29 des Markenrechts keine Möglichkeit, gegenläufige Interessen zu berücksichtigen. Daher wurde nach L’Oréal verbreitet angenommen, die Entscheidung über die Zulässigkeit der Nutzung einer Marke als Keyword sei nunmehr präjudiziert.30 Das Urteil des EuGH hat viele Beobachter überrascht: Der Gerichtshof setzt sich ausführlich mit der Herkunftsfunktion auseinander, lehnt anschließend aber recht apodiktisch eine Beeinträchtigung der Werbefunktion mit dem Argument ab, der Link auf die Website des Markeninhabers erscheine immerhin unter den natürlichen Suchergebnissen an prominenter Stelle. Auf weitere Funktionen, etwa die Kommunikationsoder Investitionsfunktion geht der EuGH nicht ein. Das Ergebnis überzeugt, nicht aber die Begründung. Eine faktische Beeinträchtigung geschützter Markenfunktionen durch das Keyword Advertising lässt sich, wie oben gezeigt, durchaus bejahen; die Argumentation des Gerichtshofs ist in diesem Punkt zu oberflächlich. Entscheidend ist aber, dass diese vergleichsweise geringe Beeinträchtigung durch die Vorteile des Keyword Advertising für die Allgemeinheit aufgewogen wird. Da Art. 5 I 2 lit. a MRRL aber – anders als Art. 5 II MRRL – den Weg zur nötigen Interessenabwägung versperrt, sieht sich der EuGH zu einer Normativierung des Begriffs der Beeinträchtigung gezwungen: Was im Allgemeininteresse hinzunehmen ist, wird nicht als rechtlich relevante Beeinträchtigung anerkannt. Diese Argumentation verstellt den Blick auf die eigentlich maßgeblichen Wertungsgesichtspunkte.
III. Kritische Analyse Die Funktionenlehre, die der EuGH zu Art. 5 I 2 lit. a MRRL entwickelt, leidet unter Begründungsdefiziten (1) und führt zu praktisch unbefriedigenden Ergebnissen (2), insbesondere zu erheblicher Rechtsunsicherheit (3). 1. Begründungsdefizite der Funktionenlehre Die Begründung, die der Gerichtshof für die Erweiterung des Art. 5 I 2 lit. a MRRL auf den Schutz sämtlicher Markenfunktionen gibt, überzeugt nicht.
__________ 29 Wirbt ein Unternehmen, das Waren des Markeninhabers berechtigterweise weiterverkauft, so kann der Erschöpfungstatbestand eingreifen; in Ausnhmefällen können auch die Schranken des § 23 MarkenG eingreifen, s. EuGH v. 8.7.2010 – C-558/08 (noch unveröff.), Rz. 55 ff., 73 ff. Im Übrigen könnte allenfalls eine Einordnung des Keyword Advertising als berechtigte vergleichende Werbung erwogen werden, so Ohly, GRUR 2009, 709 (714), a. A. Köhler in Köhler/Bornkamm, 28. Aufl. 2010, § 6 Rz. 86; ausdrücklich offengelassen von EuGH v. 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08, GRUR 2010, 445, Rz. 71 – Google France. 30 So etwa Hacker, MarkenR 2009, 333 (336); vgl. auch Ohly, GRUR 2009, 709 (712).
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Erstens unterscheidet der EuGH nicht mit hinreichender Deutlichkeit zwischen ökonomischen und rechtlich geschützten Markenfunktionen. Sämtliche der vom EuGH identifizierten Funktionen bestehen faktisch und sind von volks- und betriebswirtschaftlicher Bedeutung. Die entscheidende normative Frage lautet aber, unter welchen Voraussetzungen diese Funktionen rechtlich geschützt sind oder sein sollten. Dabei muss zwischen den einzelnen Verletzungstatbeständen differenziert werden. Auch der klassische Verwechslungsschutz betrifft nicht nur die Herkunftsfunktion der Marke, sondern trägt durchaus dem Umstand Rechnung, dass die Marke ein Kommunikationsinstrument darstellt, Werbebotschaften des Markeninhabers transportiert, Qualitätsvorstellungen gegen Enttäuschung durch minderwertige Produkte Dritter sichert und Investitionen des Markeninhabers schützt. Man mag insoweit mit dem EuGH von einer „Kommunikations-, Werbe-, Qualitäts- und Investitionsfunktion“ der Marke sprechen. Entscheidend ist aber, dass diese Funktionen nicht selbständig und unabhängig geschützt, sondern dem Zuordnungsschutz untergeordnet werden. Der erweiterte Schutz der bekannten Marke hingegen geht eindeutig über die Herkunftsfunktion hinaus und schützt die Werbekraft der Marke und damit die Investitionen des Markeninhabers als solche. Daher ist die Argumentation des EuGH zu undifferenziert. So richtig es ist, dass das Markenrecht die genannten Funktionen schützt, so wenig folgt daraus für die Frage, ob unter Art. 5 I 2 lit. a MRRL sämtliche Funktionen selbständig oder nur abhängig von einer Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion geschützt werden sollten. Die Funktionen, die der EuGH identifiziert, liegen auf unterschiedlichen Ebenen.31 Die Kommunikationsfunktion kann man mit guten Gründen als die übergeordnete Funktion des gesamten Markenrechts ansehen,32 denn Marken ermöglichen die Kommunikation zwischen Anbieter und Abnehmer. Das bedeutet aber keineswegs, dass diese Funktion per se und absolut geschützt würde. Im Gegenteil ist es gerade Aufgabe der einzelnen Verletzungstatbestände, die Angriffsformen auf die Kommunikationsfunktion näher zu bestimmen. Sie darf nicht auf ein Kommunikationsmonopol hinauslaufen; es muss möglich sein, über Produkte unter Nennung der Marke zu sprechen. Die Werbeund Investitionsfunktionen werden indirekt durch den Verwechslungsschutz gesichert. Im Übrigen sind sie nicht absolut geschützt, wie Art. 5 II MRRL deutlich zeigt. Vor allem verfassungsrechtlich geschützte Interessen wie die Meinungs- oder Kunstfreiheit können gegenüber dem Interesse des Markeninhabers am Schutz seines Markenimages und seiner Investitionen überwie-
__________ 31 So nunmehr deutlich die Kommission in ihrer Stellungnahme vom 30.11.2009 zu Fall C-323/09 – Interflora/Marks and Spencer, JURM(2009) 133/HK/hb, Rz. 46: „Thirdly, the functions of communication, advertising and investment are not functionally on the same level as that of guaranteeing to consumers the origin of the goods or services. Hence they are either not autonomous in respect of that of guaranteeing the origin of the goods or services or, insofar as they are autonomous, they are sufficiently protected by Article 5(2) (…).“ 32 Vgl. Fezer, Einl. D, Rz. 29 f.
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gen.33 Hier besteht eine deutliche Parallele zum Persönlichkeitsschutz: Ansehen und Privatsphäre einer Person sind hohe, verfassungsrechtlich geschützte Güter, doch ihr Schutz ist nicht absolut, sondern unterliegt einer Abwägung. Bei der Qualitätsfunktion erscheint bereits zweifelhaft, ob sie überhaupt im Markenrecht selbständig und über den Fall der Verwechslungsgefahr hinaus geschützt sein kann – steht doch die Garantie gleich bleibender Produktqualität immer unter dem Vorbehalt, dass sie der Markeninhaber bereitstellt. Hier wird die Schwäche des L’Oréal-Ansatzes offenbar: Ein absoluter, abwägungsresistenter Schutz ist nur dann vertretbar, wenn Art. 5 I 2 lit. a auf Beeinträchtigungen der Herkunftsfunktion beschränkt bleibt. Besteht aber die Möglichkeit, dass Fälle der Produktkritik, der Markenparodie oder eben des Keyword Advertising in den Schutzbereich der Norm fallen, so muss zumindest die Möglichkeit einer Interessenabwägung bestehen, selbst wenn sie letztlich zugunsten des Markeninhabers ausfällt. 2. Unangemessene praktische Folgen der Ausweitung Da nunmehr ein Eingriff in das Markenrecht schon dann vorliegt, wenn ein identisches Zeichen für identische Waren und Dienstleistungen benutzt und dadurch irgendeine Markenfunktion beeinträchtigt wird, fallen verschiedene Fallgruppen zumindest prima facie unter Art. 5 I 2 lit. a MRRL, in denen ein absoluter Schutz zu unangemessenen Ergebnissen führt. Erstens erfasst der Tatbestand der Doppelidentität die referierende Benutzung, also die Benutzung der Marke zur zutreffenden Kennzeichnung der Produkte des Markeninhabers. Beispiele sind die vergleichende Werbung, die Produktkritik und die Markenparodie. Zwar mag es in den letztgenannten Fallgruppen oft an der Voraussetzung der Doppelidentität fehlen. Zwingend ist das jedoch keineswegs, wie zwei Beispiele verdeutlichen mögen. Angenommen, eine Umweltschutzorganisation kritisiert ein Textilunternehmen, das Waren in der dritten Welt durch Kinderarbeit herstellen lässt, mit einer Kampagne, in deren Verlauf T-Shirts mit der Marke des Unternehmens und einem kritischen Slogan verkauft werden.34 Nimmt man hier nicht großzügig zugunsten der Umweltschützer ein Handeln außerhalb des geschäftlichen Verkehrs an und wurde die Marke nicht parodistisch abgeändert, so liegt Doppelidentität vor. Dasselbe gilt, wenn ein Scherzartikelhersteller auf einer Postkarte die Marke „Milka“ erwähnt, sofern diese Marke zufällig auch für Druckerzeugnisse ge-
__________ 33 Vgl. etwa BGH v. 3.2.2005 – I ZR 159/02, GRUR 2005, 583 (585) – Lila Postkarte; BGH v. 1.10.2009 – I ZR 134/07, GRUR 2010 161, Rz. 18, 23 – Gib mal Zeitung. 34 Beispiel angelehnt an BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110 und Cour de Cassation v. 8.4.2008 – 6-10961, IIC 2009, 241 – Esso/Greenpeace. In beiden Fällen verneinten die Gerichte ein Handeln im geschäftlichen Verkehr, obwohl im französischen Fall Greenpeace T-Shirts verkauft hatte. Machen die Verkaufsaktivitäten aber einen größeren Teil der Kampagne aus, so kann das Markenrecht durchaus zur Anwendung kommen.
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schützt ist.35 Zweitens kann die Verwendung von Marken auf Modellen auf Spielzeug, das Originalartikel maßstabsgetreu nachbildet, nunmehr unabhängig davon unter den Tatbestand der Doppelidentität fallen, ob Verbraucher von einer geschäftlichen Beziehung zwischen dem Spielzeughersteller und dem Hersteller des Originalprodukts ausgehen. Die Konstellation des Opel-Falls,36 in dem die Marke auch für Spielzeug geschützt war, ist ein Beispiel. Drittens erfüllt der Kauf von Marken als Keywords durch Konkurrenten des Markeninhabers regelmäßig, wenn auch nicht immer, den Tatbestand der Doppelidentität. In sämtlichen Fällen stehen dem Interesse des Rechtsinhabers am Schutz gegen die Verwendung seiner Marke bedeutende, teilweise verfassungsrechtlich geschützte Allgemeininteressen gegenüber: im Fall der vergleichenden Werbung das Informationsinteresse der Allgemeinheit,37 im Fall der Produktkritik zusätzlich die Meinungsfreiheit des Produktkritikers,38 im Fall der Parodie die Kunstfreiheit,39 im Fall des Modells das berechtigte Interesse von Spielzeugherstellern an einer naturgetreuen Abbildung der Realität,40 im Fall des Keyword Advertising erneut das Informationsinteresse der Verbraucher und das Allgemeininteresse an der Funktionalität von Suchmaschinen. Das Kriterium der Beeinträchtigung geschützter Markenfunktionen garantiert in diesen Fällen keine angemessene Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen. So wird die Produktkritik sicherlich die Werbefunktion der Marke beeinträchtigen, auch in den übrigen Fällen sind Funktionsbeeinträchtigungen denkbar, auch wenn sie möglicherweise wegen höherrangiger entgegenstehender Interessen hinzunehmen sind. Auch die gegenwärtigen Schranken des Markenrechts können sich als unzureichend erweisen. Die Schranke der beschreibenden Benutzung wurde vom EuGH im Opel-Fall restriktiv ausgelegt41 und in den Fällen der vergleichenden Werbung gar nicht als Rechtfertigungsgrund erwogen. Ob eine Rechtfertigung durch Art. 4 der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung in Betracht kommt, hängt von der Auslegung des Begriffs „vergleichende Werbung“ und von den zahlreichen unklar und teilweise zu unflexibel formulierten Kriterien der Werberichtlinie ab. Kurz: Die genannten Fälle lassen sich im Rahmen des Bekanntheitsschutzes (Art. 5 II MRRL) zufrieden stellend lösen, nicht jedoch unter Art. 5 I 2 lit. a MRRL.
__________ 35 Beispiel angelehnt an BGH v. 3.2.2005 – I ZR 159/02, GRUR 2005, 583 (585) – Lila Postkarte (dort allerdings nur zu § 14 II Nr. 3 MarkenG). 36 EuGH v. 25.1.2007 – C-48/05, GRUR 2007, 318 – Opel/Autec. 37 Vgl. Egrde. 6, 8 der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung. 38 Zum Spannungsverhältnis zwischen Markenrecht und Meinungsäußerungsfreiheit Sakulin, Trademark Protection and Freedom of Expression, Dissertation Amsterdam 2010 (erscheint demnächst). 39 S. Fn. 35. 40 Vgl. BGH v. 9.6.1994 – I ZR 272/91, GRUR 1994, 732 (734) – McLaren. 41 EuGH v. 25.1.2007 – C-48/05, GRUR 2007, 318, Rz. 44 – Opel/Autec.
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3. Rechtsunsicherheit Der Wortlaut des Art. 5 I 2 lit. a ist sehr trennscharf formuliert. Insofern ermöglicht die Bestimmung eine einfache, sichere Subsumtion in Pirateriefällen. Durch die Bindung an die Funktionenlehre gehen diese klaren Konturen verloren.42 Weder gesetzlich noch durch die bisherige Rechtsprechung werden – mit Ausnahme der Herkunftsfunktion – Inhalt und Grenzen der Funktionen hinreichend geklärt.43 Ihre ökonomische Bedeutung lässt sich leichter umschreiben als ihr rechtlicher Gehalt. Vor allem ist aber kaum vorhersehbar, unter welchen Voraussetzungen der EuGH eine Beeinträchtigung der jeweiligen Funktionen annehmen wird. Die Argumentation in Google France stimmt für die Klarheit der künftigen Rechtsanwendung nicht gerade zuversichtlich: Der Gerichtshof lehnt die Beeinträchtigung der Werbefunktion mit apodiktischer Begründung ab und geht auf die übrigen Funktionen, insbesondere auf die Investitionsfunktion, gar nicht ein. Sicherlich ist es aber für die Investitionsbilanz des Markeninhabers nachteilig, wenn er selbst Geld ausgeben muss, um Keywords zu erwerben, die seiner Marke entsprechen. Genügt das aber, um – angesichts der im Übrigen unproblematisch vorliegenden Verletzungsvoraussetzungen – eine Markenverletzung anzunehmen? Ist die reine Ausnutzung fremder Investitionen eine „Beeinträchtigung“ und stellt das „Segeln im Kielwasser des Konkurrenten“, das teilweise den mittels Keywords Werbenden vorgeworfen wird,44 dann eine Markenverletzung dar?45 All diese Fragen sind kaum zuverlässig zu beantworten, und der Gerichtshof schweigt.
IV. Fazit und Ausblick Die gegenwärtige breite Auslegung des Tatbestands der Doppelidentität durch den Gerichtshof in L’Oréal kann demnach nicht überzeugen.46 Sie war keine „Sternstunde der Funktionenlehre“,47 sondern ein Fehler. Ein „absoluter“ Schutz mag in Pirateriefällen zu rechtfertigen sein, nicht jedoch in den Fällen der referierenden Benutzung, der Markenabbildung auf Modellen und des Keyword Advertising. Die Frage nach der Beeinträchtigung der geschützten Markenfunktionen ist als Ansatzpunkt für die erforderliche Interessenabwägung
__________ 42 Ebenso Keil, MarkenR 2010, 195 (199 f.). 43 Völker/Elskamp, WRP 2010, 64 ff. zeigen zahlreiche praktische Anwendungsfälle der jeweiligen Funktionen auf, verweisen aber zugleich (S. 66) auf die Unmöglichkeit, die Markenfunktionen abstrakt ohne Einzelfallbezug zu definieren. 44 Steinberg, MarkenR 2009, 185. 45 Völker/Elskamp (Fn. 43) sehen zwar die Ausnutzung der Werbewirkung einer Marke als mögliche Beeinträchtigung an (S. 68), halten sie im Fall des Keyword Advertising aber noch nicht für unlauter (S. 72). 46 Ebenso Hacker, GRUR 2009, 333 (337); Keil, MarkenR 2010, 195 (200); aus der englischen Literatur Gangjee/Burrell, (2010) 73 MLR 282 (295); zustimmend hingegen Fezer, WRP 2010, 165 (178); Sack, WRP 2010, 198 (208); Völker/Elskamp, WRP 2010, 64 (72). 47 So aber Fezer (vorige Fn.).
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ungeeignet, weil sie ausblendet, dass die Beeinträchtigung durch gegenläufige Gesichtspunkte aufgewogen werden kann. Wenn der Gerichtshof in Zukunft von einem normativen Begriff der Beeinträchtigung ausgeht, unter dem faktische Beeinträchtigungen aufgrund einer wertenden Betrachtung als unerheblich gelten können, so handelt es sich um einen methodenunehrlichen Ansatz, der zudem zu erheblicher Rechtsunsicherheit führt. Art. 5 I 2 lit. a MRRL wird vom konkreten Verletzungstatbestand zur schwer handhabbaren Generalklausel. Zwei Lösungen erscheinen denkbar. Erstens ist es nicht ausgeschlossen, dass der EuGH selbst den weiten Grundsatz aus L’Oréal in weiteren Fällen wieder einschränkt. In L’Oréal war der Gerichtshof in erster Linie bemüht, Duftvergleichslisten zu verbieten, und beabsichtigte möglicherweise nicht, mit der Anerkennung weiterer Schutzfunktionen unter Art. 5 I 2 lit. a MRRL Neuland zu begehen. Im Urteil Google France sind deutliche Tendenzen zu einer solchen Einschränkung erkennbar, auch wenn der Gerichtshof sich auf die Funktionenlehre aus L’Oréal bezieht und sie damit zugleich bekräftigt. Möglicherweise gibt die englische Vorlage im derzeit anhängigen Fall Interflora48 Gelegenheit zu einer solchen Kurskorrektur. Die Kommission fordert den Gerichtshof in ihrer Stellungnahme zu diesem Fall in erstaunlich offenen und klaren Worten hierzu auf.49 Wenn aber, zweitens, die weite Auslegung des Art. 5 I 2 lit. a MRRL Bestand hat, so besteht dringender Bedarf nach der Einführung einer neuen Schranke. In den Fallgruppen des Vertriebs von Originalware und der Bezugnahme zur Kennzeichnung der Zubehör- oder Ersatzteileigenschaft, in denen der Identitätsschutz schon bisher über den Schutz der Herkunftsfunktion hinausging, bestehen mit Art. 6 I lit. c und 7 MRRL korrespondierende Ausnahmen, die angemessene Ergebnisse ermöglichen. In den Fällen O2 und L’Oréal wurde Art. 4 WerbeRL als weitere markenrechtsexterne Schranke anerkannt. Diese Ausnahmen erfassen aber nur Teilaspekte einer größeren Problematik: Es muss zulässig sein, unter Verwendung der Marke über die Produkte des Markeninhabers in lauterer Weise zu sprechen. Daher muss de lege ferenda darüber nachgedacht werden, eine allgemeine Schranke für referierende Benutzungen, die in Einklang mit den guten Sitten stehen, einzuführen. Sec. 10 (6) des britischen Trade Marks Act 1994 bietet ein Beispiel.50 Wahrscheinlicher ist allerdings, dass keines der beiden Szenarien eintritt. Vermutlich wird der Gerichtshof bei seiner L’Oréal-Rechtsprechung bleiben
__________ 48 C-323/09 – Interflora/Marks and Spencer. 49 S. Fn. 31. 50 Die Vorschrift lautet: „Nothing in the preceding provisions of this section shall be construed as preventing the use of a registered trade mark by any person for the purpose of identifying goods or services as those of the proprietor or a licensee. But any such use otherwise than in accordance with honest practices in industrial or commercial matters shall be treated as infringing the registered trade mark if the use without due cause takes unfair advantage of, or is detrimental to, the distinctive character or repute of the trade mark.“
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und je nach Einzelfall verschiedene Möglichkeiten – insbesondere die Feststellung einer „Beeinträchtigung der Markenfunktionen“ und eine je nach Fall enge oder weite Auslegung der Richtlinie über vergleichende Werbung – dazu nutzen, um bei der Anwendung des Art. 5 I 2 lit. a MRRL angemessene Ergebnisse zu erzielen. Das ist für die Rechtsklarheit unerfreulich, es wird aber immerhin dem „Grünen Verein“ auch in Zukunft Stoff für zahlreiche Vorträge und kontroverse Diskussionen bieten.
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Die Entwicklung der Rechtswahrnehmung in der Informationsgesellschaft Inhaltsübersicht I. Handlungsbedarf 1. Das „Google Settlement“ 2. Digitale Bibliotheken 3. „Verwaiste Werke“ 4. Schwierigkeiten bei der Lizenzierung von Inhalten für die OnlineZugänglichmachung 5. Nutzung der Schrankenregelungen 6. Piraterie und die Diskussion um die Flatrate 7. Kollektive Rechtswahrnehmung unter Druck
8. Zwischenergebnis II. Konsequenzen 1. Entwicklung des Urhebervertragsrechts und der Rechtsverwaltung 2. Rechtsverwaltung und Open Access-Modelle 3. Harmonisierung der kollektiven Rechtswahrnehmung 4. Zusammenfassung
Die rasante Entwicklung der Informationsgesellschaft führt auch in den Segmenten der Kulturwirtschaft, die als potentieller Wachstumsmotor mehr und mehr in den Fokus der nationalen und internationalen Politik gerät, zu neuen Problemen und Fragestellungen, die im Folgenden unter dem Gesichtspunkt der kollektiven Rechtswahrnehmung erörtert werden sollen; handelt es sich doch um einen Bereich, in dem unser Jubilar, der verehrte Kollege Dr. Michael Loschelder, selbst umfangreiche Aktivitäten in Deutschland und am Sitz der EU, in Brüssel, entfaltet hat.
I. Handlungsbedarf 1. Das „Google Settlement“ Die Urheberrechtswelt geriet im Jahr 2009 in Wallung, als in vollem Umfang bekannt wurde, was sich unter dem Begriff „Google-Settlement“ verbirgt: Bereits seit 2004 hatte der Internetriese Google in den USA in großem Umfang Bücher aus Bibliotheksbeständen eingescannt, ohne vorher Genehmigungen der Rechtsinhaber einzuholen. Beabsichtigt war der Aufbau einer gigantischen elektronischen Datenbank mit den Beständen der Weltliteratur unter dem Begriff „Google-Books“, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte, mit dem erklärten Ziel, dabei gleichzeitig Werbeeinnahmen zu generieren. Das Projekt weckte nicht nur Begeisterung bei denen, die darin einen großen Zivilisationsfortschritt für den weltweiten Zugang zu Bildung und Wissen erkannten. Es basierte nämlich auf einem in seiner ungeregelten Form bisher einmaligen und zumindest für europäische Gemüter geradezu frivolen Zugriff auf 279
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fremde Urheberechte. Deshalb wehrten sich zuerst die Autoren und Verleger in den USA gegen dieses Vorhaben und erhoben Sammelklagen, die schließlich zu Verhandlungen und zu einem Vergleich zwischen den Interessenorganisationen und der Firma Google führten. Im Zuge dieser Vergleichsverhandlungen erklärte sich Google zu bestimmten Zugeständnissen an die Rechtsinhaber bereit. Diese nahmen die Absicht der Firma hin, im Wege des „Display Use“ den Online-Zugang in den USA für vergriffene Bücher ohne ausdrückliche Einwilligung der Rechtsinhaber und gegen Entgelt zu ermöglichen; sie akzeptierten auch, dass faktisch die Entscheidung darüber, ob das Buch tatsächlich vergriffen war, letztlich von Google getroffen wurde. Im Gegenzug wurde vereinbart, dass Rechtsinhaber sich bei einer verwertungsgesellschaftsähnlichen und mit finanzieller Unterstützung von Google zu gründenden Clearingstelle melden könnten, um Vergütungen für die Nutzung ihrer Bücher geltend zu machen. Die Rechtsinhaber sollten insgesamt mit 63 % an den durch Werbung generierten Einnahmen aus der Nutzung des Google-Angebots beteiligt werden und für die einmalige Vervielfältigung ihrer Bücher eine Vergütung in Höhe von 60 US-$ pro Buch erhalten. Diese Regelungen sollten auch für ausländische Rechtsinhaber gelten, obwohl diese an den Sammelklagen und an den Vergleichsverhandlungen nicht beteiligt waren. Nach amerikanischem Recht bedarf ein derartiges Settlement, also die Erledigung einer Sammelklage im Vergleichswege, bekanntlich der gerichtlichen Zustimmung. Diese sollte, so war der Plan der Parteien, als Ergebnis eines für den 7. Oktober 2009 angesetzten „Fairness Hearings“ vor dem zuständigen Richter in New York erteilt werden. Dazu kam es jedoch nicht, da inzwischen zahlreiche amerikanische und internationale Organisationen bzw. Rechtsinhaber, auf das Vorhaben aufmerksam geworden, Protest eingelegt hatten, zum Teil öffentlich durch vor allem in Europa geäußerte Kritik und teilweise in der Form von „amicus-curiae“-Stellungnahmen, die dem Gericht übermittelt wurden. Die Haupteinwände richteten sich gegen den Zugriff ohne vorherige Rechteklärung bei der Digitalisierung solcher Werke, deren Schutzfrist noch nicht abgelaufen war, insbesondere von Urhebern mit anderer als der USStaatsbürgerschaft. Hierbei wurde die von Google angebotene „opt-out“Lösung, also der nachträgliche Rechterückruf des auf die Nutzung seines Werkes aufmerksam gewordenen Rechtsinhabers, als nicht ausreichend angesehen. Die eingegangenen Einwendungen veranlassten den Richter, auf eine wesentliche Einschränkung des Settlements zu drängen. In einer sog. „Supplemental Notice“, die sich an Urheber, Verleger und andere Rechtsinhaber richtete, wurden nicht nur die Anmeldefristen für Rechtsinhaber um mindestens ein Jahr bis in das Jahr 2011 bzw. 2012 verlängert; es wurde auch die Definition des Begriffs „Buch“ eingeschränkt, und zwar vor allem in Bezug auf solche Bücher, die nicht in den Vereinigten Staaten publiziert wurden. Festgehalten wurde, dass nur US-Bücher unter das Settlement fallen, die vor dem 5. Januar 2009 in den Vereinigten Staaten veröffentlicht und beim Copyright Office registriert werden. Das Gleiche sollte für ausländische Bücher gelten, wenn 280
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ihre Erstveröffentlichung in Kanada, dem Vereinigten Königreich oder in Australien erfolgt war. Die Sache war damit jedoch nicht erledigt, ein weiteres Hearing wurde angekündigt. Durch die erwähnten Einschränkungen wurden deutsche und europäische Bücher, die in englischer Übersetzung in den USA erschienen waren, nicht wirksam aus dem Settlement ausgenommen.1 Deshalb dauerte der Druck an, mittlerweile unterstützt durch nationale Regierungen in Europa und der EU. Im zweiten Hearing am 18. Februar 2010 wurde speziell von deutscher Seite, insbesondere von der Bundesregierung und der VG Wort vorgetragen, dass auch der geänderte Vergleichsvorschlag für deutsche Autoren und Verlage schon deshalb keine Verbesserung bringe, weil diese nicht eindeutig feststellen können, ob ihre Bücher vom Vergleich erfasst sind, denn die Unterlagen des Copyright-Office sind nicht digitalisiert und oft nur in handschriftlicher Form vorhanden. Auch das US-Justizministerium bezog Stellung und wies darauf hin, dass derart einschränkende Regelungen wie im Settlement vorgesehen nicht durch Parteivereinbarung getroffen werden dürften, sondern dem Gesetzgeber vorbehalten sein müssten. Auch das zweite Hearing führte nicht zu einer endgültigen Entscheidung. Es wird damit gerechnet, dass das Settlement insgesamt zwar aufrecht erhalten bleibt, die Einbeziehung von Büchern aus dem nicht englischsprachigen Ausland jedoch weiter eingeschränkt wird. Die europäischen Interventionen haben auf diese Weise zwar dazu geführt, dass wichtige Prinzipien des europäischen Urheberrechts verteidigt werden konnten. De facto aber wird vor allem in Europa nun der Umstand beklagt, dass auch unter einem modifizierten Settlement der digitale Zugriff auf englischsprachige Bücher sowie auf europäische Bücher, die beim US-Copyright Office registriert wurden, für Nutzer in den USA in erheblichem Umfang ermöglicht wird, während vergleichbare Nutzungen in anderen Weltregionen, besonders in Europa, nach wie vor aus Rechtsgründen nicht möglich sind. Europäische Forscher, die umfangreichen digitalen Zugriff auf europäische Literatur haben wollen, müssten also in Zukunft in die USA reisen, um an das Ziel ihrer Wünsche zu gelangen. Die verantwortlichen Beamten der Kommission befürchten nun einen spürbaren Rückstand in Europa. Eine Konsequenz des Google-Zugriffs ist deshalb, dass die europäischen Überlegungen zum Aufbau einer elektronischen digitalen Bibliothek, die die Kommission und Parlament spätestens seit dem Jahr 2005 beschäftigen und zu einer Empfehlung der Kommission über die Digitalisierung und die OnlineZugänglichmachung kulturellen Materials und ihre digitale Konservierung vom 24. August 2006 geführt haben, neuen Auftrieb bekommen.
__________ 1 Tom Brägelmann „Das Amended Google Book Settlement: Welche deutschen Bücher fallen immer noch darunter“, KUR 2009, 187 ff.; Adolphsen, Mutz, „Das Google Book Settlement“, GRUR Int 2009, 789 ff.
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2. Digitale Bibliotheken Die Bundesregierung beschloss am 2. Dezember 2009, auch als Antwort auf die Google-Aktivitäten, die Einrichtung einer nationalen Online-Bibliothek als nationalen Bestandteil der Europeana. Ab 2011 sollen in der sog. Deutschen Digitalen Bibliothek mehr als 30.000 Kultur- und Wissenseinrichtungen verbunden und Bürgern ein zentraler Zugriff auf Bücher, Bilder, Archivalien, Skulpturen, Noten, Musik und Filme ermöglicht werden. Die Bibliothek wird über moderne Such- und Präsentationstechniken verfügen. Eine Verknüpfung mit dem europäischen Digitalisierungsprojekt „Europeana“ ist geplant, um so den deutschen Anteil am Gemeinschaftsvorhaben zu erbringen. Die Finanzierung des Aufbaus der Deutschen Digitalen Bibliothek soll im Rahmen des Konjunkturpakets II durch den Bund erfolgen, Kosten für den laufenden Betrieb sollen je zur Hälfte von Bund und Ländern getragen werden, so eine Pressemitteilung der Bundesregierung vom 2. Dezember 2009. In Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Fraktion „Die Linke“ antwortet die Bundesregierung2 detailliert. Nur um einen kleinen Einblick zu geben, sollen einige Zahlen genannt werden, die sich aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage ergeben: So ist geplant, Mittel für ein Digitalisierungsprojekt beim Bildarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einzusetzen, das Reproduktionen von 50.000 Gemälden und ca. 250.000 Fotos umfasst. Die Bayerische Staatsbibliothek verfügt bereits über Digitalisate von 177.000 Büchern und ca. 120.000 weiteren Informationsobjekten; die Bayerische Staatsbibliothek arbeitet übrigens bei der Digitalisierung ihrer Bestände mit der Firma Google im Rahmen einer besonderen Vereinbarung zusammen. In Bezug auf die Kosten sei hier nur erwähnt, dass nach Auskünften von Bibliothekaren die Digitalisierung eines einzelnen Buches mindestens 10 Euro kosten soll, wobei Personalkosten und technische Kosten zusammenfassend kalkuliert wurden; bei dieser Ziffer handelt es sich jedoch um eine unbelegte Schätzung. Absehbar ist jedenfalls, dass die Finanzierung des Projekts keineswegs gesichert ist und dass der von der Bundesregierung in Aussicht gestellte Zeithorizont erreichbar sein wird; schon das Auslaufen des Konjunkturprogramms dürfte große Probleme verursachen. Eine weitere Schwierigkeit resultiert aus der Urheberechtslage: der Umgang mit den sog. „verwaisten Werken“. 3. „Verwaiste Werke“ Ein besonderes Problem der Digitalisierung von Bibliotheken stellen sog. „verwaiste Werke“ – Texte, Bilder und Filmwerke – dar, deren Urheber nicht bekannt bzw. deren Kontaktdaten nicht mehr bekannt sind. Im Bereich der Musik tritt das Problem nur in geringem Umfang auf, da die musikalischen Verwertungsgesellschaften in der Regel umfangreiche Datenbanken mit den erforderlichen Informationen zur Identifizierung von Urhebern und Rechts-
__________ 2 Drucksache 17/436 vom 14.1.2010.
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inhabern unterhalten. Innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist verbietet das Gesetz den Zugriff auf verwaiste Werke. Es enthält bisher keine Ausnahmeregelungen über die rechtliche Zuständigkeit für solche „Waisen“; auch das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz bietet im Zusammenhang mit den Vermutungsregeln des § 13c keine Grundlage für die Übernahme der Verwaltung durch Verwertungsgesellschaften. Zwar wäre besonders bei verlegten literarischen Werken und bei audiovisuellen Werken in einem Teil der Fälle die Ermittlung von Kontaktdaten der Autoren noch möglich, der dafür erforderliche Aufwand übersteigt jedoch bei weitem die zu erwartenden Erträge und erhöht die Digitalisierungskosten um ein Mehrfaches. Andererseits verbietet sich ein nachlässiger Umgang mit derartigen Werken, zumal wenn man berücksichtigt, dass ein großer Teil der Werke, insbesondere Fotografien nur deshalb verwaist sind, weil Verleger und sonstige Verwerter nicht sorgfältig genug mit dem Urhebernennungsrecht umgegangen sind und es schlicht unterlassen haben, bei der Veröffentlichung von Abbildungen die Urheberinnen und Urheber der Reproduktionsvorlagen zu nennen; eine Nachlässigkeit, die sich heute rächt. Die Diskussion um die Lösung des Problems der verwaisten Werke läuft auf hohen Touren; nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch von der EU wurden mehrere Anhörungen, zuletzt am 26. Oktober 2009 zu dieser Thematik veranstaltet. Inzwischen sind in einigen Ländern Gesetzgebungsverfahren zur Lösung dieses Problems zum Abschluss gekommenen. Sie wurden in einer weiteren Konferenz der spanischen Präsidentschaft am 12. und 13. April 2010 vorgestellt. Diese Konferenz ergab unterschiedliche nationale Ansätze zur Lösung des Problems, die sich wegen ihrer unterschiedlichen Ansätze stark unterscheiden. So ist beispielsweise in Ungarn eine Regelung in Kraft getreten, die Vorbildern aus Kanada und den USA folgt und das dortige Patentamt für zuständig erklärt, auf Antrag von Nutzern festzustellen, ob ein Werk verwaist ist oder nicht und dem Nutzer zu bestimmten Konditionen die Nutzungsrechte einzuräumen,3 der Mangel dieses Verfahrens liegt darin, dass weitgehend der Nutzer bestimmt, was eine angemessene Suche ist und darüber hinaus, dass der Rechtserwerb nur im Inland wirkt. Die nordischen Staaten haben andere Lösungen gefunden, die auf dem bewährten System der „extended collective licenses“ beruhen. So wurde z. B. in dem Projekt „Book Shelf“ in Norwegen eine Vereinbarung zwischen der größten Gruppe der Rechtsinhaber und der zuständigen Institution über die Digitalisierung nationaler Bibliotheken und die dafür zu zahlende Vergütung geschlossen, die als allgemeinverbindlich für alle Rechtsinhaber gilt, auch wenn sie nicht Mitglied der vertragschließenden Vereinigung sind. Sie bildet die Grundlage für die Erschließung norwegischer Bibliotheksbestände, allerdings ebenfalls nur im nationalen Rahmen.
__________ 3 Hungarian Copyright Act (No. LXXVI of 1999), Art. 57A, 57B, 57C.
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Weitere Lösungsmodelle sind die Einführung von Schrankenregelungen zugunsten der Massendigitalisierung und schließlich die Übertragung der Lizenzierung der verwaisten Werke auf Verwertungsgesellschaften. Das letztere Modell wird insbesondere in Deutschland verfolgt, wo sich unter dem Dach der „Deutschen Literaturkonferenz“ eine Arbeitsgruppe, bestehend aus der Deutschen Nationalbibliothek, dem Börsenverein des deutschen Buchhandels, dem Deutschen Bibliotheksverband und den Verwertungsgesellschaften BildKunst und Wort gebildet hat, die ein vereinfachtes Modell vorschlägt. Dieses unterscheidet zunächst zwischen vergriffenen Büchern und solchen Büchern, die noch im Handel sind. Die Lizenzierung von Büchern, die vor Inkrafttreten des Urheberrechtsgesetzes, also vor dem 1.1.1966, erschienen und mittlerweile vergriffen sind, einschließlich aller darin enthaltenen Werke soll durch die zuständigen Verwertungsgesellschaften erfolgen, denen die Urheber – Wortund Bildautoren – sowie ggf. Verleger in den Wahrnehmungsverträgen die entsprechenden Nutzungsrechte eingeräumt haben. Allein durch eine Vereinbarung kann das Problem allerdings nicht gelöst werden, denn die Verwertungsgesellschaften sind nach geltender Rechtslage nicht berechtigt, auch solche Urheber zu vertreten, mit denen sie keine Wahrnehmungsverträge abgeschlossen haben; Ausnahmen regelt § 13c UrhWahrnG. Deshalb kann das Modell nur funktionieren, wenn eine Ergänzung des Wahrnehmungsgesetzes im Zusammenhang mit dem § 13c UrhWahrnG vorgenommen wird. Hierdurch müsste eine Vermutungsregelung dahingehend eingeführt werden, dass die jeweils zuständige Verwertungsgesellschaft, die die Rechte für die elektronische Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung von vergriffenen Werken wahrnimmt, berechtigt ist, diese Rechtseinräumung für alle Berechtigten mit befreiender Wirkung für die Nutzer durchzuführen. Die Lizenzierung aller anderen neueren Bücher, die geschützte Werke enthalten, soll Sache der Rechtsinhaber bleiben, die sich ggf. einer Verwertungsgesellschaft bedienen können. Auch in diesem Falle bleibt jedoch das Problem der verwaisten Werke. Hier liegt eine weitere Ergänzung des Urheberwahrnehmungsgesetzes nahe, die eine Lizenzierung derartiger verwaister Werke durch die zuständige Verwertungsgesellschaft ermöglicht, allerdings unter der Voraussetzung, dass eine entsprechende sorgfältige Suche nach dem Rechtsinhaber unter Nutzung aller in Bibliotheken, Verlagen und Verwertungsgesellschaften zur Verfügung stehenden Datenbanken kein Ergebnis gebracht hat. Solche Suchroutinen sind bereits von den beteiligten Institutionen entwickelt worden; alle Beteiligten warten darauf, dass der Deutsche Bundestag die Regelungslücke im Urheberrecht schließt. Dieses Modell kann das Problem freilich nur in Bezug auf Mitglieder der deutschen Verwertungsgesellschaften und damit vorrangig für deutsche Bücher lösen. Wegen der erwähnten unterschiedlichen nationalstaatlichen Regelungen ist der Zug für eine einheitliche europäische Regelung abgefahren. Die EU – zuständig ist die Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen des Kommissars Barnier – zieht sich deshalb zurück auf ihre neue Strategie der Formulierung von „soft law“ und schlägt zusammenfassend (zuletzt anlässlich der Konferenz in Madrid) ein vereinfachtes Verfahren vor, das jedoch bisher keine 284
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Rechtskraft hat. Sie stützt sich dabei auf die Ergebnisse einer „High Level Working Group on Digital Libraries“ der Generaldirektion Informationsgesellschaft, die im Jahr 2009 arbeitete. Danach sollen die Mitgliedsstaaten die jeweils auf nationaler Ebene geschaffenen Rechtsgrundlagen für den Umgang mit verwaisten Werken gegenseitig anerkennen, sofern das Erfordernis der Durchführung einer sorgfältigen Suche enthalten ist. Mit anderen Worten: Ein Werk, das in Ungarn im geordneten Verfahren als „verwaist“ erklärt und in der Regel gegen Vergütung lizenziert wurde, gilt auch in den anderen Mitgliedsstaaten als verwaist; die in Ungarn erfolgte Lizenzierung für die OnlineZugänglichmachung durch Bibliotheken erstreckt sich auf Nutzungen in der gesamten EU. Schließlich soll sichergestellt werden, dass der später auftauchende Rechtsinhaber an einem verwaisten Werk aufgrund innerstaatlichen Rechts in die Lage versetzt wird, die Kontrolle über sein Werk zu übernehmen und bisher aufgelaufene Vergütungen in Anspruch zu nehmen; diese Regelung impliziert, dass auch nach Auffassung der EU die Nutzung von verwaisten Werken nur gegen Vergütung erfolgen darf, ebenso wie die Nutzung von Werken, deren Rechtsinhaber identifiziert sind.4 Die Vorschläge der EU-Generaldirektion Binnenmarkt befinden sich noch im Formulierungsstadium; ihre Anwendung ist davon abhängig, dass die nationalen Regierungen eigenständig tätig werden und die erwähnten Prinzipien übernehmen; sie sind aber immerhin ein tauglicher Ansatz, den schwerfälligen Gesetzgebungsapparat in den Mitgliedsstaaten und der EU zu beschleunigen und ein wesentliches Hindernis für den Aufbau der Europeana zu beseitigen. Gleichzeitig führen sie aus der „Legalitätsfalle“ heraus, in der sich die EU im Verhältnis zu unternehmerischen Zugriffen befindet, wie sie etwa Unternehmen wie die Firma Google im amerikanischen Rechtssystem permanent vorführen, die damit gleichzeitig die Unzulänglichkeiten des traditionellen Rechtslizenzierungssystems aufdecken. In der Diskussion wird derzeit der Fokus noch zu sehr auf Bibliotheken und traditionelle Medien wie Bücher und Bilder auf festen Trägern reduziert; der EBU, der Europäischen Organisation der öffentlich-rechtlich konstituierten Rundfunkanstalten und den audiovisuellen Rechteinhabern, ist es nur mühsam gelungen, auch die Problematik von Datenbanken in die Diskussion einzubringen, die audiovisuelle Werke speichern. So verfügen in allen europäischen Staaten die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehunternehmen über umfangreiche Archive, in denen Rundfunk- und Fernsehprogramme in analogen oder digitalen Formaten gespeichert sind. In Deutschland sollen sie im Rahmen der entstehenden Mediatheken zugänglich gemacht werden. Abgesehen von allen anderen Schwierigkeiten der Lizenzierung stellt sich auch bei den in diesen Datenbanken gespeicherten Werken das Problem der „verwaisten Werke“ in erheblichem Umfang, schon deshalb, weil zwar bei audiovisuellen Werken in der Regel Urheber noch identifizierbar sind, aber nicht mehr deren Kontaktdaten. Wer also Lösungen für verwaiste Werke anstrebt, sollte
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4 Tilman Lüder, „The orphan works challenge“, Fordham Intellectual Property Law Institute, 18th Annual Conference, 8.4.2010.
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den ganzheitlichen Blick bewahren und derartige Materialien nicht – buchstäblich – aus dem Auge verlieren. 4. Schwierigkeiten bei der Lizenzierung von Inhalten für die OnlineZugänglichmachung Die erwähnte Problematik der Massendigitalisierung von Bibliotheksprojekten beleuchtet nur einen Ausschnitt der Probleme, die sich aus der Entwicklung der Digitaltechnik und des Verbreitungsmediums Internet ergeben. Weit größere praktische Probleme stellen sich für die Kulturwirtschaft, wenn es darum geht, insbesondere musikalische und Filmwerke über Online-Service-Provider unterschiedlicher Art zugänglich zu machen. Die zuständigen Generaldirektionen der EU und hier vor allem die Kommissarinnen und Vizepräsidentinnen der Kommission Reding und Kroes in ihren unterschiedlichen Funktionen als Zuständige für „Justiz und Grundrechte“ und „Digitale Agenda“, die in Konkurrenz zueinander und zum Kommissar Barnier – Binnenmarkt und Dienstleistungen einschließlich Fragen des Urheberrechts – agieren, werden nicht müde, auf die Bedeutung der Entwicklung der Kulturwirtschaft in der EU im Rahmen der Förderung wirtschaftlichen Wachstums und der Beschäftigung insgesamt hinzuweisen („Lissabon-Strategie“). Ihre Feststellung ist, dass die Staaten der EU bei der Erschließung der Potentiale der Internet-Service-Provider (ISP) gegenüber den USA weit zurückhängen und große Bereiche möglicher Wertschöpfung brach liegen lassen. Mit anderen Worten: Die Kommission bemängelt, dass die Verbreitung von audiovisuellen und musikalischen Werken über Internetdienste von Telekommunikations- und sonstigen Unternehmen nicht im erforderlichen Umfang zur Entfaltung gelangen, weil die Rechtseinräumung zu große Hindernisse bereitet. Die Institutionen der EU haben zu dieser Thematik allein im Jahr 2010 verschiedene Äußerungen verabschiedet: Soweit ersichtlich begann der Reigen mit einer Deklaration der für die Telekommunikation zuständigen Minister der EU, die anlässlich einer Konferenz in Granada am 19. April 2010 veröffentlicht wurde. Ihr folgte eine Resolution des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 2010,5 in der ebenfalls ein gesamteuropäischer digitaler Marktplatz für Inhalte und E-Commerce unter Ausschaltung gesetzlicher Hindernisse gefordert und auch die Beseitigung von Schwierigkeiten bei der Lizenzierung von urheberrechtlichen Nutzungsrechten angestrebt werden. Schließlich wurde am 1. Juni 2010 der sog. „Gallo-Report“, eine Stellungnahme des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments zu Fragen der Förderung des Rechts des geistigen Eigentums im Binnenmarkt verabschiedet.6 Der neueste Stand der Überlegungen der Kommission findet sich in einer „Kommunikation für eine digitale Agenda für Europa“, die im Mai 2010 ver-
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5 European Parliament Resolution of 5 May 2010 on „Europeana – the next steps“ (2009/2158(INI)). 6 European Parliament, Legal Affairs Committee, Report on the enforcement of intellectual property rights in the internal market (2009/2178(INI)).
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öffentlicht wurde7 und die erwähnten Dokumente aufgreift. Hier wird das Ziel bekräftigt, einen einheitlichen digitalen Markt mit den erforderlichen Voraussetzungen – bessere Interoperabilität, schnellerem Internetzugang, mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung und mehr – zu schaffen. Sie geht davon aus, dass der grenzenlose Onlinemarkt der Telekommunikations-Servicemärkte innerhalb der EU immer noch durch vielfältige – im Entwurf wurde noch von „künstlichen“ gesprochen – Barrieren unterteilt wird. Sie verweist darauf, dass die erfolgreichsten Plattformen zur Verbreitung von kulturellen Gütern in der EU in den USA entwickelt wurden (i-tunes, YouTube, Facebook etc.). Die Kommission fordert deshalb Wege zu finden und den Zugang zu content zu öffnen, damit die Transaktionen im Bereich des E-Commerce verdoppelt und insbesondere grenzüberschreitende Transaktionen zu ermöglicht werden. Speziell in Bezug auf die Rechtseinräumung soll dies durch die Erhöhung des Vertrauens von Rechtsinhabern und Nutzern in grenzüberschreitende Lizenzierung und Verbesserung der Verwaltung sowie der Transparenz der Instrumente der kollektiven Rechtswahrnehmung – also der Verwertungsgesellschaften – erreicht werden. Insbesondere einheitliche und technologieneutrale Lösungen für audiovisuelle Werke sollen Kreativität stimulieren und den Contentproduzenten und Sendeunternehmen helfen. Als konkrete Maßnahmen werden die Regulierung der kollektiven Rechtswahrnehmung und die Lösung der Probleme der verwaisten Werke angekündigt. Die vor der Neukonstituierung der Kommission von der Generaldirektion Binnenmarkt angekündigte Einführung eines Anspruchs der audiovisuellen Urheber auf eine angemessene Vergütung für die Online-Verbreitung ihrer Werke ist allerdings unter den Tisch gefallen: Man will, wie die zuständige Direktorin im Februar den Urhebern erklärte, die Online-Unternehmen damit nicht unnötig belasten. Generell geht es als darum, das Geschäft grundsätzlich zu erweitern und zu diesem Zweck vor allen Dingen die Verwaltung von Urheberrechten und den Rechtserwerb deutlich zu vereinfachen. Im Einzelnen führt das Dokument aus, dass die Rechtseinräumung und das Rechtsmanagement in Europa sehr komplex sei und an mangelnder Transparenz leide, woraus überhöhte Transaktionskosten resultieren sollen und die grenzüberschreitende Lizenzierung von musikalischen und audiovisuellen Inhalten erschwert werde. Sie schlägt deshalb vor, einheitliche und europaweite Lizenzverfahren zu erleichtern, Datenbanken mit Informationen über Rechtsinhaberschaften einzurichten und zu untersuchen, inwieweit ein europaweites Urheberrecht erreicht werden kann. Überlegungen innerhalb seiner Generaldirektion, den neuen Artikel 118 des Lissabon-Vertrags als Rechtsgrundlage, quasi als Ermächtigungsnorm für eine einheitlich europäische Rechtssetzung im Bereich des Urheberrechts nutzbar zu machen, hat der Kommissar Barnier allerdings kurz nach Amtsantritt eine klare Absage erteilt. Zu groß schien ihm das Risiko des Konflikts mit den Mitgliedsstaaten.
__________ 7 Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions, A Digital Agenda for Europe, COM(2010) 245.
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Verbessert werden sollen weiterhin die Voraussetzungen für EU-weites Onlinefernsehen. Konkrete Handlungsvorschläge für die Erschließung des besonders sensiblen audiovisuellen Contents, der zu großen Teilen in den Händen US-amerikanischer Unternehmen liegt, fehlen bisher allerdings aus guten Gründen. Allerdings wird hierzu ein weiteres Grünbuch des Kommissars Barnier noch für das Jahr 2010 angekündigt. Man darf gespannt sein. Die hochfliegenden Pläne, die im Prinzip nur unterstützt werden können, zielen allerdings darauf, Hindernisse zu beseitigen, die die Kommission selbst aufgestellt hat: So ist mittlerweile jedem klar, dass die Empfehlung zum erleichterten Online-Zugang für musikalische Werke aus dem Jahr 2005,8 deren Ziel es war, Rechtsinhabern die Möglichkeit zu schaffen, sich ohne Bindung an nationale Verwertungsgesellschaften eine Organisation ihrer Wahl zu suchen, die dann europaweit ihre Rechte vertreten sollte, zu nichts anderem geführt hat als zu einer Stärkung der amerikanischen Musikmajors, die in der Folge in Zusammenarbeit mit bestehenden Verwertungsgesellschaften ihre Rechte aus der kollektiven Wahrnehmung herausgelöst haben und eigenständig nutzen.9 Das Ergebnis der Online-Empfehlung ist, kurz gesagt, nicht die Befreiung der einzelnen Rechtsinhaber aus den administrativen Klauen der musikalischen Verwertungsgesellschaften, sondern eine Zersplitterung des Lizenzmarktes in der Weise, dass Online-Service-Provider, die Musik nutzen wollen, mittlerweile bei mehreren verschiedenen Adressen ihre Rechte erwerben müssen und dort auf ganz unterschiedliche Konditionen stoßen. Ein absurder Auswuchs dieser neuen Lizenzpraxis ist der Umstand, dass einzelne deutsche Rundfunkanstalten dazu übergegangen sind, audiovisuelle Werke in musikalischer Hinsicht zu verändern, um verwertungsgesellschaftsfreie Musik zu verwenden bzw. die Musik ganz löschen, weil es sich herausgestellt hat, dass der Erwerb der entsprechenden Rechte für die Verwendung von Werken, die für den normalen Sendevorgang ordnungsgemäß lizenziert waren, in Mediatheken nicht zu erreichen ist. Die Kommission bemüht sich also jetzt endlich um die Beseitigung der negativen Konsequenzen der Empfehlung ihrer Vorgängerin. In einem weiteren Punkt versucht die Kommission Aktivitäten der VorgängerKommission, und zwar veranlasst von der heutigen Vizepräsidentin Kroes in ihrer früheren Eigenschaft als Wettbewerbskommissarin, zu korrigieren. Sie hatte in der vergangenen Legislaturperiode der EU die musikalischen Verwertungsgesellschaften unter den Generalverdacht der Monopolbildung gestellt und das System der Gegenseitigkeitsverträge im Bereich der Satelliten- und Onlineverbreitung ausgehebelt. Die Folge war, dass die Verwertungsgesellschaften gezwungen waren, in diesem Bereich das System einheitlicher und standardisierter Verträge aufzugeben und auf bilateraler Ebene individuelle Verträge abzuschließen, was die großen Verwertungsgesellschaften stärkt und die Gesellschaften kleinerer Staaten immens schwächt. Der auch von der
__________ 8 Commission Recommendation 2005/737/EC of 18. October 2005 on collective crossborder management of copyright and related rights for legitimate online music services (Music Online Recommendation). 9 Poll, CELAS, PEDL & Co, ZUM 2008, 500 ff.
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Kommission vertretene und in ihrer Kommunikation hervorgehobene Gesichtspunkt der kulturellen Vielfalt wird auf diese Weise im Kern verletzt, denn, dies beklagen die Vertreter der musikalischen Verwertungsgesellschaften aus kleinen und mittleren EU-Staaten, ihre Lizenzmacht nimmt rapide zu Gunsten der großen westeuropäischen Gesellschaften ab. Im Ergebnis hat die bisherige Politik der Generaldirektionen Binnenmarkt und Wettbewerb faktisch zur Folge gehabt, dass Internet-Service-Provider, die Musik lediglich als Dekoration oder Beiwerk zu ihren Angeboten verwenden, nur noch auf solche Werke zurückgreifen, die ohne große Schwierigkeiten und zu geringen Kosten lizenziert werden können; die Vielfalt der europäischen musikalischen Kreativität bleibt auf diese Weise auf der Strecke; erzeugt werden Klangvorhänge und Lückenfüller der immer gleichen Art, mit der Tendenz zur rechtefreien Musik, die offensichtlich von den Konsumenten ohne Widerspruch akzeptiert wird. 5. Nutzung der Schrankenregelungen Beklagt wird, vor allem aus Kreisen der wissenschaftlichen Autoren, aber auch von Personen, die als Wissensvermittler im Schul- und Lehrbetrieb beschäftigt sind, dass der Zugang zu Werken bei den durch den „Zweiten Korb“ neu eingeführten bzw. verlängerten Schrankenregelungen der §§ 52a, 52b und 53a UrhG zur Intranet-Nutzung in Schulen und Wissenschaftseinrichtungen, zur Nutzung von Werken an Leseplätzen sowie zum Kopienversand in der Praxis vor allem durch die Verleger, die als Inhaber übertragener Rechte auf möglichst kleinteiliger, individualisierter Lizenzierung und Abrechnung bestehen, unnötig erschwert werden. Auf Unverständnis stößt, dass z. B. an einem universitären Leseplatz lediglich so viele Nutzer tätig werden dürfen, wie Leser des analog vorhandenen für die Digitalisierung genutzten Werkexemplars Zugang hätten. Das Verhalten der Verleger wird jedoch verständlich, wenn man in Betracht zieht, in welcher Weise die Schrankenregelungen in der Praxis überdehnt bzw. missachtet werden. So musste die Rechtsprechung in einer Reihe von Entscheidungen zu § 52b UrhG klarstellen, dass der Zugang zu Bibliotheksbeständen über elektronische Leseplätze nicht dafür missbraucht werden darf, dass Studenten die angebotenen Werke auf elektronische Kleinspeicher – Memosticks – laden und weitergeben konnten, was eine Bibliothek ausdrücklich erlaubt hatte.10 Auch die mit der Intranetnutzung in Verbindung stehenden Vergütungsverhandlungen konnten erst nach mehrjährigen Verhandlungen zwischen der Länderseite und der VG Bild-Kunst für den Non-book-Bereich im Jahr 2010 abgeschlossen werden; für den Buchbereich wird nach einem Schiedsstellenverfahren mittlerweile ein Prozess vor dem OLG München geführt, weil die KMK als Vertreterin der Universitäten weder die von der Schiedsstelle vorgeschlagene Tarifhöhe noch die Meldeverpflichtungen akzeptieren wollte.11
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10 OLG Frankfurt/Main, ZUM 2010, 265. 11 Einigungsvorschlag der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt vom 9.12.2008 (AZ: Sch-Urh 22/08), unveröffentlicht.
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Was für den Wissenschaftsbetrieb und die dort tätigen Autoren ein Ärgernis darstellt – nämlich die restriktive Formulierung der §§ 52a und 52b UrhG und ihre Auslegung durch die Rechtsprechung –, hat aus Sicht der Wissenschaftsverlage existentielle Bedeutung: Sie wollen auf keinen Fall die Kontrolle über die Verwertung ihrer Werke im digitalen Umfeld verlieren. Erlaubte die gesetzliche Ausnahme, was für den Universitätsbetrieb verlockend erscheinen mag, dass ein einziges Buch als Grundlage für eine technisch durchaus mögliche digitale Zugänglichmachung über alle Arbeitsplätze einer Universität oder eines Universitätsnetzwerks verwendet werden dürfte, so könnte der Verlag in Kürze seinen Betrieb einstellen, solange nicht vernünftige Vereinbarungen über Campus-Lizenzen möglich sind. 6. Piraterie und die Diskussion um die Flatrate Eine wesentliche Ursache für die komplexe Diskussion um die Zukunft der Rechtswahrnehmung ist der gesamte Komplex der Piraterie; angesichts der Fülle der bekannten Ursachen möchte ich mich in diesem Zusammenhang auf die Feststellung beschränken, dass bisher wirksame Mittel zur Bekämpfung der sog. Piraterie in den Bereichen Musik, Film und zunehmend auch Literatur bisher nicht gefunden wurden; mit der beginnenden Entfaltung der OnlineWirtschaft mit geschützten Inhalten wurden „digital rights management“Systeme zur Werkverschlüsselung als Wunderwaffe gegen Piraterie propagiert. Sie haben jedoch bei den Konsumenten kaum Akzeptanz gefunden und den Praxistest nicht bestanden. In Deutschland war eine Antwort darauf der Versuch von Teilen der Musik- und audiovisuellen Industrie, im Rahmen des zweiten Korbes die private Vervielfältigung möglichst weitgehend einzuschränken und mit diesem untauglichen Mittel das Problem der Piraterie zu erledigen. Diese Vorstellung konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Die neueste Variante: In einigen Staaten geht man seit 2009 auf Druck der Kulturwirtschaft das Problem auf dem entgegengesetzten Weg an, nämlich mit Internetzugangssperren für hartnäckige Rechtsverletzer. Allerdings wird in der gesellschaftlichen Debatte in Frankreich und Großbritannien die seit kurzem auf gesetzlicher Basis geschaffene Möglichkeit, „Piraten“, also Nutzern von Vorlagen, die im Wortlaut des § 53 Abs. 1 UrhG „offensichtlich rechtswidrig hergestellt“ worden sind, nach mehrfacher Mahnung durch Sperrung des Internetzugangs das Handwerk zu legen, lediglich als Mittel zu einer sanften Einschränkung der Piraterie und nicht als wirksame Gegenmaßnahme erkannt. In Deutschland haben sich alte sowie neue Bundesregierung zu Recht eindeutig gegen derartige Maßnahmen ausgesprochen, vor allem unter Hinweis auf die damit verbundene Einschränkung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Resümiert werden muss also, dass das Problem der Piraterie nach wie vor ungelöst ist; dieser Zustand hat den Druck auf eine Entwicklung sowohl des materiellen Urheberrechts als auch der Möglichkeiten seiner Verwaltung ebenfalls stark erhöht.
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Als Variante im Kampf um Vergütungen, in diesem Fall gleichzeitig für legale wie illegale Downloads, erscheint der Versuch, den derzeit die Zeitungs- und Zeitschriften- sowie Schulbuchverleger unternehmen: Durch Einführung eines Leistungsschutzrechts für ausgewählte Verlegergruppen bzw. für so unterschiedliche Publikationen wie Zeitungen und Zeitschriften einerseits und Schul- und Bildungsmedien andererseits und eine darauf beruhende zusätzliche Vergütungspflicht für Besitzer von PCs soll nicht nur die Piraterie vergütungspflichtig werden, sondern vor allem eine Vergütung für die aus Marketinggründen unentgeltliche und unverschlüsselte Online-Zugänglichmachung von Zeitungen und Zeitschriften ihrer Produkte erzielt werden.12 Als Motiv für die Änderung des Urheberrechtsgesetzes wird nichts anderes als schlichtes Marktversagen herangezogen: „Die Erlössituation der Presseverlage ist schwieriger geworden“ heißt es in der Begründung einer von den Gewerkschaften ver.di und DJV gemeinsam verfassten Position zur Unterstützung des Entwurfs der Verleger. Das Projekt wird den Gesetzgeber im „Dritten Korb“ beschäftigen; die Macht der Medienkonzerne hat es schon vermocht, diese Thema ganz an den Anfang einer Reihe von Anhörungen zu den geplanten Reformen des Dritten Korbes zu setzen. Ein Schelm ist, wer dabei denkt, dies sei geschehen, weil man das Thema gleich am Anfang abhaken will. Politiker und Medienspezialisten, die dem Urheberrecht ferner stehen, schlagen zur Lösung aller Probleme gern eine weitere Variante als Allzweckwaffe vor, nämlich die Einführung einer „Kulturflatrate“. Dieser Idee wohnt immerhin die Vorstellung inne, die Urheber und Rechtsinhaber müssten durch die zahlreichen im Internet möglichen Nutzungen, gleich ob legal oder illegal, zumindest einen gewissen materiellen Ausgleich erhalten. In Wirklichkeit geht es darum, Downloads und gesetzlich verbotene Vervielfältigungen zum „privaten und sonstigen eigenen Gebrauch“, zu deren Herstellung eine „offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird“ (§ 53 Abs. 1 UrhG), nachträglich durch eine Pauschalvergütung zu legalisieren. Mit der Vergütung sollen aber auch zulässige Downloads entgolten werden. Durch Verwendung des Begriffs Flatrate wird suggeriert, die Abrechnung von Internetnutzungen und jede weitere Verwendung digitaler Träger, ob legal oder illegal bespielt, könne auf einfache Weise pauschal abgerechnet werden. Die im Rahmen der Flatrate geleisteten Zahlungen sollen sämtliche Nutzungen von urheberrechtlich geschützten Werken, die auf digitalen Trägern oder im Internet verbreitet werden, pauschal vergüten. Es nimmt nicht wunder, dass die Einführung einer solchen Flatrate, die z. B. in einem von der Partei „Bündnis 90 – Die Grünen“ veröffentlichten Gutachten näher erläutert und als im Einklang mit Art. 14 GG stehend präsentiert wird,13
__________ 12 Vgl. www.irights.de, „Zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage“, 28.5.2010. 13 Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) u. a., „Die Zulässigkeit einer Kulturflatrate nach nationalem und europäischem Recht“, Saarbrücken / Kassel, 13.3.2009.
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von den Rechtsinhabern nicht mit Begeisterung aufgenommen wird. Auch im politischen Raum wird sie kontrovers diskutiert: So hat sich der für Kulturwirtschaft zuständige Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Otto, eindeutig gegen eine solche Abgabe ausgesprochen,14 dennoch muss man den Ansatz der Diskussion ernst nehmen: Die Verfasser des Gedankens wollen im Sinne der Rechtsinhaber handeln und ihnen immerhin zu einer Vergütung für die Nutzung ihrer Werke im Internet verhelfen; wirksam entgegentreten kann man diesem Gedanken nicht allein mit verfassungsrechtlichen Erwägungen, sondern mit überzeugenden Lizenzmodellen. 7. Kollektive Rechtswahrnehmung unter Druck Infolge der Beschwerden international tätiger Sendeunternehmen über die Lizenzpraxis der musikalischen Verwertungsgesellschaften – in Wahrheit darüber, dass diese nicht bereit waren, ihre Preise nur deshalb zu senken, weil der Nutzungsumfang zunahm – und der daraufhin im Jahre 2005 ergangenen Empfehlung zur Verwaltung musikalischer Rechte15 ist es üblich geworden, generelle Kritik an Verwertungsgesellschaften, insbesondere für Musik, zu üben. Unbestritten ist dabei, dass einige europäische Verwertungsgesellschaften durch ihr Verhalten Anlass für diese Kritik geboten haben. In Deutschland richtet sich diese Kritik insbesondere gegen die Abrechnungspraxis der GEMA, allerdings weniger aus einem objektiven Grund als deshalb, weil insbesondere größere Musikveranstalter nicht bereit waren, lange fällige Gebührenerhöhungen der GEMA nachzuvollziehen, und es geschickt verstanden, die bürokratischen Probleme kleinerer Veranstalter mit der Abrechnung ihrer Konzerte zu nutzen, um allgemein Stimmung gegen eine Verwertungsgesellschaft zu schüren, die als Monster-Bürokratie, herzlos und kulturfeindlich hingestellt wurde. Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, die in der 16. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages arbeitete, griff die Kritik auf. In ihren Beratungen nahm die Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften einen breiten Raum ein; allerdings hielt sie es nicht für erforderlich, einen Vertreter der Verwertungsgesellschaften in ihre Arbeit einzubeziehen; einige Gesellschaften wurden lediglich einem Tribunal unterzogen und mit Vorwürfen konfrontiert, die in der Kürze der Anhörung nicht widerlegt werden konnten. Dennoch kommt der Schlussbericht der Enquete-Kommission zu der wichtigen Empfehlung an den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung: „das System der kollektiven Rechtewahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften als wichtiges Element auch zur Sicherung der kulturellen Vielfalt aufrecht zu erhalten und zu verteidigen“.16 Er befasst sich detailliert mit Einzelfragen der musikalischen Wahrnehmung, insbesondere mit der Anwendung der er-
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14 „Politik und Kultur“, Zeitung des Deutschen Kulturrates, Nr. 05/09, S. 7. 15 Siehe Fn. 8. 16 Kultur in Deutschland, Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, 2007, 423 ff.
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wähnten EU-Richtlinie und empfiehlt der Bundesregierung (bis heute vergeblich), sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Empfehlung der EU-Kommission über die Online-Musikrechte nicht weiter verfolgt wird. Weitere Empfehlungen beziehen sich auf die Verwaltungspraxis der GEMA und die Verbesserung der Transparenz. Wenig verständlich ist die Forderung nach Offenlegung von Gegenseitigkeitsverträgen, wenn man nicht weiß, dass sich hierdurch insbesondere Musiknutzer einen besseren Einblick in die Tarifpraxis der musikalischen Gesellschaften und damit einen leichteren Weg in eine Praxis des „downsizing“ der Vergütungen erhofften. Die Kritik der deutschen Enquete-Kommission an den Verwertungsgesellschaften wurde auf europäischer Ebene von interessierten Kreisen aus verschiedenen Staaten verstärkt und führte dazu, dass die EU in ihren Strategiepapieren dem Gedanken näher tritt, eine Regulierung der Verwertungsgesellschaften auf europäischer Ebene zu prüfen. Derartige Überlegungen waren in früheren Jahren stets an den unterschiedlichen Interessen der nationalen Regierungen gescheitert, insbesondere der französischen. Die deutschen Verwertungsgesellschaften haben sich dagegen im Interesse einer Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und der Kommunikation mit den Nutzern schon früh für eine derartige europäische Harmonisierung der Grundlagen ihrer Tätigkeit – Zulassungsvoraussetzungen, Kontrolle der inneren Organisation und der Tarife sowie Transparenz – ausgesprochen, so zuletzt die GEMA mit einer Reihe weiterer internationaler Verwertungsgesellschaften auf der Musikmesse MIDEM im Februar 2009. 8. Zwischenergebnis Betrachtet man die vorstehend dargestellten aktuellen Fragen der Rechtsnutzung und -wahrnehmung aus einer größeren Distanz, so entsteht der Eindruck eines Bündels von Problemen bei der Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken im Zusammenhang mit den durch die moderne Technologie eröffneten Möglichkeiten. Die Massendigitalisierung der Bibliotheken ebenso wie die auch von der Politik gewünschte Entfaltung der Online-Wirtschaft mit urheberrechtlich geschützten Inhalten, die Schwierigkeiten der Anpassung der Medienindustrie an die neue Zeit haben, so lassen es zumindest die Strategiepapiere der EU, der Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags und erst Recht die Klagen der betroffenen Rechtsinhaber erscheinen, eine Ursache: das Versagen von individuellen, in der analogen Vergangenheit von den Kulturindustrien genutzten Lizenzierungsverfahren, die unkooperative und im schlimmsten Falle ineffektive Arbeit der Verwertungsgesellschaften und die dadurch verursachten Lücken bei der für die Online-Nutzung erforderlichen unzureichenden Rechtseinräumung bzw. beim Inkasso. Der Fehler wird nicht bei Defiziten in der Entwicklung neuer Vermarktungsstrategien gesucht, sondern beim Versagen traditioneller Instrumente. Das Vorschieben unlösbarer technischer Probleme bzw. die Behauptung einer angeblichen Modernisierungsfeindlichkeit der Rechteverwalter verdecken jedoch nur die wahren Probleme. Es ist daher erforderlich, die Dinge vom Kopf auf die Füße zu stellen und die 293
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Hindernisse zu erörtern, die einer zeitgemäßen Entwicklung der Lizenzpraxis objektiv entgegen stehen. Die wahren Probleme liegen zum einen darin, dass sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Ländern Europas plausible und funktionierende urhebervertragsrechtliche Regelungen fehlen und deshalb kein wirklicher Interessenausgleich zwischen Urhebern und den wirtschaftlich stärkeren Primärverwertern ihrer Werke erfolgt. Eine gemeinsame Position für Verhandlungen mit potentiellen Nutzern besteht also nicht. Zum anderen liegt eine weitere Ursache darin, dass private und öffentlich-rechtlich konstituierte Rechtenutzer sich flächendeckend weigern, den von ihnen zu privaten oder im Interesse der Allgemeinheit liegenden Zwecken verlangten Zugang zu geschützten Werken angemessen zu vergüten. Der Grundsatz, dass das Urheberrecht zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung (der Urheber) für die Nutzung des Werkes dient (§ 11 Satz 2 UrhG), ist nach wie vor kaum durchsetzbar, obwohl diese Regel im Jahre 2002 im Rahmen der Reform des Urhebervertragsrechts gestärkt wurde, als sie ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen wurde. Immerhin bestimmte sie schon vorher die Auslegung des UrhG durch die Rechtsprechung.17 Erst wenn es gelingt, hier entscheidende Fortschritte zu machen, werden viele Fragen eine Antwort finden.
II. Konsequenzen 1. Entwicklung des Urhebervertragsrechts und der Rechtsverwaltung Bei der Umsetzung der frühen Arbeitsprogrammen der EU-Kommission, die zu den bekannten „Urheberrechtsrichtlinien“ zur Harmonisierung des Kabel- und Satellitenrundfunks, der Schutzfristen und zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft führten, blieben zwei wesentliche Punkte unerledigt: das Urhebervertragsrecht und die Urheberpersönlichkeitsrechte. Die Folge des Ausbleibens der Harmonisierung des Urhebervertragsrechts ist, dass bis heute den Rechtenutzern, also Online-Service-Providern und Sendeunternehmen im weitesten Sinne keine in sich geschlossene Formation von Rechteinhabern entgegensteht, mit der Lizenzvereinbarungen geschlossen werden können und die ihre Verteilungsfragen intern auf klaren Grundlagen regelt. Die Situation in Deutschland ist beispielhaft für die Gemengelage. Im Rahmen der Vorarbeiten zur Reform des Urhebervertragsrechts in den Jahren 1998– 2002 war eines der wesentlichen Motive der von der sog. Professorenkommission erarbeiteten Reformvorschläge die verbesserte Strukturierung des Ausgleichs der Interessen zwischen Urhebern einerseits und den aufgrund der Entwicklung der Medientechnologie und des Kulturmarktes immer stärker werdenden Rechtenutzern insbesondere im Bereich der Musik, der Sendeunternehmen und der Filmproduktion andererseits. Die durch die Rechtseinräu-
__________ 17 BGHZ 17, 266, 282, Grundig-Reporter.
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mungsvermutungen im Bereich der audiovisuellen Produktionen – §§ 88, 89 UrhG – geschaffene Schieflage zu Gunsten der Produzenten hatte dazu geführt, dass bestehende Tarifverträge zwischen Filmurhebern und -produzenten, sofern sie überhaupt in Kraft getreten waren, mit dem Ziel der Verbesserung der Position der Urheber gekündigt wurden, ohne dass es gelungen wäre, zu besseren Bedingungen neu abzuschließen. Dadurch waren rechtsfreie Räume entstanden; daneben war der öffentlich-rechtliche Rundfunkbereich noch weitgehend tarifvertraglich geregelt, während sich das private Fernsehen weitgehend tariffrei entwickelt hatte und dort eine Praxis der einseitig festgelegten Vergütungsregeln, zumindest für die große Zahl der Urheber, die den Status eine Stars nicht erreicht hatten, entstanden war. Auch in der Presselandschaft wurde es zunehmend schwierig, angemessene Konditionen für die Vergütung der kreativ tätigen Journalisten und vor allem Fotografen aufrecht zu erhalten. Lediglich in einem Bereich war es gelungen, beispielhaft Urhebervertragsrecht zu schaffen, um eine dauerhafte Befriedigung eines Interessenkonflikts zu erreichen: Bereits im Jahre 1998 wurde im Zuge der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Kabel- und Satellitenrundfunks von 1993 durch Einführung des § 20b Abs. 2 UrhG die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Erlöse der Urheber aus der Vergütung für die zulässige Kabelweiterleitung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen in einem geordneten Verfahren verwertungsgesellschaftspflichtig abgerechnet wurden. Diese Regelung beendete einen lang andauernden Streit auf Tarifebene zwischen Sendeunternehmen und Gewerkschaften über die Bemessung der angemessenen Vergütung für die Kabelweiterleitung. Mit Inkrafttreten des neu gefassten § 20b UrhG konnten die Verwertungsgesellschaften GVL, Wort und Bild-Kunst als „Arbeitsgemeinschaft (Arge) Kabel“ in Zusammenarbeit mit den zuständigen Gewerkschaften und den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten befriedigende Vergütungsregeln für die Filmurheber in den Bereichen bewegtes Bild und Wort sowie für die ausübenden Künstler durchsetzen. Die durch die Reform des Urhebervertragsrechts geschaffene Vorschrift des § 32 UrhG, die dem Urheber erstmals einen durchsetzbaren Anspruch auf angemessene Vergütung garantieren sollte, hätte in Verbindung mit § 36 UrhG in der im Entwurf ursprünglich vorgesehenen Form eine Voraussetzung schaffen können, weitere Sachverhalte der Primärverwertung – Sendung, Wiederholungen und schließlich auch Online-Verbreitung – dort durch sog. „Allgemeine Vergütungsregeln“ zu regulieren, wo aufgrund der Arbeitsmarktentwicklung Tarifverträge keine Zukunft mehr haben. Bekanntlich wurde der § 36 UrhG in letzter Minute durch Intervention der Verleger aus dem Printbereich und anderer Kulturunternehmer so entschärft, dass ihm in seiner heutigen Fassung die Durchsetzungskraft fehlt. Nun ist es jeder Verhandlungspartei im Schlichtungsverfahren möglich, in letzter Minute aus dem Verfahren „auszusteigen“ und die Teilnahme an einem Abschluss bzw. den Abschluss einer Vereinbarung zu verweigern.
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Konsequenterweise ist die vom Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigte Wirkung der Urhebervertragsrechtsreform bei der Befriedung der Vergütungskonflikte insbesondere im audiovisuellen und Printbereich ausgeblieben; allgemeine Vergütungsregeln sind bisher nur für den Bereich der Belletristik erreicht worden – wo sie bestehende Vereinbarungen nahezu wortgleich ersetzten und im Bereich des Pressejournalismus, in dem im Jahre 2009 eine Vergütungsregel vereinbart wurde, deren Durchsetzung allerdings bis heute fraglich ist. Für die umkämpften Bereiche der literarischen Übersetzer scheiterten Verhandlungen auf der Grundlage des § 36 UrhG; hier hat immerhin der Bundesgerichtshof in konsequenter Anwendung der neuen Vorschrift des § 32 UrhG neues Vergütungsrecht geschaffen18. Die seit Inkrafttreten des Urhebervertragsrechts von verschiedenen Gruppierungen der audiovisuellen Urheber unternommenen Versuche, mit öffentlichrechtlichen Sendeunternehmen in Bereichen, die nicht tarifvertraglich geregelt sind, Vergütungsregeln durchzusetzen bzw. entsprechende Versuche, Vereinbarungen mit privaten Produzenten im Bereich der Auftragsproduktionen bzw. der freien Produktionen zu erreichen, blieben ebenfalls mangels der Durchsetzungsmöglichkeiten im § 36 UrhG bisher ohne Ergebnis. Resultat der in diesem Punkt gescheiterten Urhebervertragsreform ist, dass für Urheber im Bereich der audiovisuellen Produktionen keine einheitliche Vertragslage für die Lizenzierung der Online-Nutzung von audiovisuellen Werken besteht; damit fehlt eine entscheidende Voraussetzung für jede Entwicklung der Rechtswahrnehmung. Wer nun allerdings die Verwertungsgesellschaften dafür in Haft nimmt, dass Mängel bei der Möglichkeit des Rechtserwerbs für die gewünschte Erweiterung des Angebots von audiovisueller Produktion im Online-Bereich verantwortlich sind, verwechselt Ross und Reiter: Verantwortlich ist vor allem die bisher ungeklärte urhebervertragliche Situation sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Resultat dieser Überlegung ist deshalb, dass es darauf ankommen muss, das Pferd in der richtigen Weise aufzuzäumen: Wer den Online-Markt für audiovisuelle Produkte neu strukturieren will, muss zunächst die Basis befrieden – d. h. Regelungen schaffen, die zu eindeutigen Rechteeinräumungen von Urhebern an Produzenten bzw. Sendern führen, die eine angemessene Vergütung im Sinne von § 32 UrhG sichern; dies kann nur erreicht werden durch eindeutige Vereinbarungen zwischen Produzenten und Urhebern über die Erlösverteilung. Darüber hinaus ist es erforderlich, die Rechtsverwaltung insoweit zu vereinheitlichen, dass klargestellt wird, in welchen Bereichen Rechtenutzer individuell lizenzieren dürfen und wo im Falle kleinteiliger Nutzung anstelle der individuellen Lizenzierung eine zentrale bzw. kollektive Rechtswahrnehmung unter Inanspruchnahme von Verwertungsgesellschaften sinnvoll sein kann und muss. Denkansätze in dieser Richtung sind bei der Kommission bis heute nur rudimentär feststellbar, da, so scheint es, die Bürokratie in Brüssel – wie das Kaninchen auf die Schlange – lediglich auf das, bildlich gesprochen, leere
__________ 18 BGH, GRUR 2009, 1148 – Talking to Addison.
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Übermittlungskabel schaut und sich keine Gedanken darüber macht, wie die Organisation der Rechtseinräumung strukturell an die neuen technischen Entwicklungen anzupassen ist. Für die europäische Situation ist deshalb festzustellen: Im wichtigen Bereich der audiovisuellen Produktionen in Europa besteht nach wie vor eine gespaltene Rechtssituation – während in Spanien und Italien urhebervertragsrechtliche Vorschriften die Sendung bzw. wiederholte Sendung von audiovisuellen Werken zugunsten der Filmurheber vergütungspflichtig durch Verwertungsgesellschaften machen und in Frankreich entsprechende Regeln aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zwischen Sendern und den einschlägigen Verwertungsgesellschaften gelten, bestehen in Deutschland und in einer großen Zahl der anderen Länder entweder Rechtseinräumungsvermutungen nach deutschem Vorbild bzw. „work made for hire“-Lösungen – in Großbritannien – fort. Es bietet sich daher das Bild einer uneinheitlichen Rechteregulierung in Europa, das dem Ziel der Kommission, eine einheitliche Lizenzpraxis mit europaweiter Wirkung für die Nutzung audiovisueller Werke in neuen Formen – durch Online-Dienste bzw. Mediatheken – nahezu unmöglich macht. Prüft man etwa die im Jahre 2009 in einem Arbeitsprogramm der ersten BarrosoKommission vorgeschlagene Einführung eines „Anspruchs auf angemessene Vergütung für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in OnlineDiensten“ auf ihre praktische Anwendbarkeit, so stellte sich schnell heraus, dass allein die unterschiedliche urhebervertragsrechtliche Situation in den verschiedenen Mitgliedsstaaten die Durchsetzung eines solchen Anspruchs nahezu unmöglich macht. Eine konsequente Lösung kann nur darin liegen, durch Harmonisierung des Urhebervertragsrechts auf europäischer Ebene die Voraussetzungen für den jüngst von der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof19 geforderten „gerechten Ausgleich“ auch zwischen Urhebern und leistungsschutzberechtigten Verwertern zu sorgen. In Kalifornien besteht er zwischen Filmproduzenten und Filmschaffenden auf arbeitsrechtlicher Grundlage im Rahmen der „Guild Agreements“. Will man eine solche in der europäischen Urheberrechtstradition wurzelnde Lösung nicht, muss man Farbe bekennen und „Cessio legis“Lösungen schaffen, aufgrund derer auch klare Verhältnisse entstehen, wenn auch eindeutig zu Lasten der Schwächeren, der Urheber: Die Produzenten bekommen alle Rechte zugewiesen, den Kreativen verbleibt nichts als das Honorar für die Erstproduktion. Angesichts der klaren Alternativen hilft das Korrigieren an Symptomen nicht weiter. Der Versuch der Verleger von Zeitungen und Zeitschriften sowie Lehrmaterialien, einen Leistungsschutz durchzusetzen, ist lediglich gesetzgeberisches Flickwerk und dient nur der Verbesserung der Situation einer Interessengruppe. Die auch zwischen den Verlegergruppen und den Autoren bestehenden Verteilungskämpfe werden jetzt überspielt, um die Reform durchzusetzen, bestehen strukturell aber unverändert fort. Dies führt solange nicht zu
__________ 19 Verfahren SGAE gg. Hersteller, ZPÜ-Schiedsverfahren, Bird und Bird.
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einer befriedigenden Lösung, wie im Buchbereich ohne Leistungsschutzrecht der Verleger die Gemeinsamkeit zwischen Urhebern und Verlegern – umfassende Einräumung der urheberrechtlichen Verwertungsrechte und Vergütungsansprüche an die Verleger zur Einbringung in die der VG Wort und Teilung der Erlöse im Rahmen des Verteilungsplans – fortbesteht; hierdurch entstehen zwischen den Verlegergruppen unweigerlich Abgrenzungs- und weitere Aufteilungsprobleme. Rechtssystematisch konsequent wäre deshalb endlich die Einführung eines Leistungsschutzrechts für alle Verleger, um sie mit den Produzenten von Filmen und Tonträgern gleich zu stellen; zu regeln bliebe dann allerdings auch weiterhin die Frage eines gerechten Ausgleiches zwischen Urhebern und Leistungsschutzberechtigten. Auf ein Lösungsbeispiel wurde bereits unter Ziff. I 3 im Zusammenhang mit der Problematik der verwaisten Werke hingewiesen; dort ist zumindest von den beteiligten Kreisen, den Verlegern und Urhebern sowie den Nutzern, ein gemeinsamer Vorschlag entwickelt worden, der nicht nur im Bereich der Binnenverteilung den Interessenausgleich zwischen Verlegern und Urhebern über die Verteilungspläne der Verwertungsgesellschaften reguliert, sondern gleichzeitig den Interessenausgleich zwischen Bibliotheken einerseits und Rechtsinhabern andererseits in beispielhafter Weise strukturiert. Eine weitergehende Möglichkeit der pauschalen Lizenzierung wurde in den nordischen Staaten entwickelt: Dort werden für bestimmte Bereiche der primären Nutzung, also der Erstverwertung von Werken durch Privatpersonen, staatliche Institutionen oder die Kulturwirtschaft sogenannte „extended licenses“ angewandt, d. h. zwischen einzelnen wesentlichen Nutzern und Gewerkschaften der Kulturschaffenden ausgehandelte tarifähnliche Verträge, die teilweise für allgemein verbindlich erklärt werden und sämtliche Rechtsanbieter erfassen, deren Werke auf einem bestimmten Markt genutzt werden. Zumindest wird hier die Gewähr geschaffen, dass ein einmal verhandeltes Vergütungsniveau eingehalten wird. Für den weiten Bereich der Rechtsnutzung durch Sendeunternehmen hat die EBU im Jahr 2010 viel beachtete Vorschläge unterbreitet, die die durch die Online-Musikempfehlung geschaffenen Schwierigkeiten beseitigen sollen; auch diese Vorschläge berücksichtigen die positiven Erfahrungen der nordischen Staaten mit ihrem Modell und setzen auf Interessenausgleich durch Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe zwischen den Sendern als Produzenten bzw. Rechtsnutzern und den von Verwertungsgesellschaften vertretenen Urhebern, die jedoch nicht in unterschiedlichen Gruppen, sondern als Gesamtheit Vertragspartner werden sollen.20
__________ 20 European Broadcasting Union, „EBU Comments on the European Commission’s public consultation on its Reflection Document on „Creative Content in a European Digital Single Market“, 5.1.2010 http://www.ebu.ch/registration/policy2010/images/ EBU%20Copyrights%20WHITE%20Paper_EN_FINAL.pdf.
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2. Rechtsverwaltung und Open Access-Modelle Die Lösung des Interessenkonflikts zwischen Autoren, Verlagen und Nutzern liegt nicht nur in einer Verbesserung des Urhebervertragsrechts. Sie muss auch eine Neuorganisation der Rechtsverwaltung in Bereichen in Betracht ziehen, in denen die Verfolgung öffentlicher Interessen wie Bildung und Lehre mit den wirtschaftlichen Interessen der Verlage konkurrieren. Hier gibt es in der Praxis erste Schritte wie die Kombination von privatwirtschaftlicher und verwertungsgesellschaftlicher Lizenzierung im Bereich des Kopienversands, aber sie betreffen bisher nur einen Teilbereich; es ist noch keine klare Linie zu Gunsten einer schnellen One-Stop-Shop-Lizenzierung in den erwähnten streitigen Bereichen erkennbar, die im Ergebnis nur durch eine Verwertungsgesellschaft erfolgen könnte. Eine Reaktion der wissenschaftlichen Autoren auf eine von ihnen als einengend empfundene Strategie der Verlage zur Aufrechterhaltung der Individuallizenzierung gerade im digitalen Bereich ist deshalb die wachsende Unterstützung für sog. „open access“-Modelle, durch die Texte und Bilder, aber auch Softwaresysteme den Nutzern unentgeltlich zugänglich gemacht, ja sogar, im Bereich der Software, im „open source“-Verfahren von den Nutzern kooperativ weiter entwickelt werden. Die Open-Access-Bewegung bemüht sich, Alternativen der Rechtsverwaltung unter Ausschaltung mächtiger Werkvermittler wie z. B. wissenschaftlicher Verlage oder Filmproduzenten zu schaffen und den direkten Kontakt zwischen Urhebern insbesondere im wissenschaftlichen Bereich und Rechtsnutzern zu ermöglichen. In diesem Bereich sind inzwischen bemerkenswerte Lizenzmodelle sowohl für die wirtschaftliche Nutzung von Software entstanden – so etwa die Verwaltungssoftware „Linux“, die in einem weltweiten Netzwerk von den Nutzern gemeinsam entwickelt wird, aber auch das „Creative Commons“-System, das Rechtsinhabern, die ihre Werke kostenfrei zugänglich machen wollen, dennoch die Möglichkeit bieten soll, diesen Zugriff der Allgemeinheit auf bestimmte Nutzungsformen zu beschränken. Inwieweit allerdings derartige Lizenzverträge – die im Falle von Creative Commons mitunter komplizierter ausgearbeitet sind als die auf den traditionellen urheberrechtlichen Paragraphensystem aufbauenden Lizenzverträge – in der Praxis gegenüber solchen Nutzern durchsetzbar sind, die sich an die Vereinbarungen nicht halten, ist eine andere Frage. Ebenfalls ernst genommen werden müssen in diesem Zusammenhang auch Vorschläge, die darauf zielen, die technischen Möglichkeiten, die die digitale Produktionstechnik und die Verbreitungsmöglichkeiten des Internet bieten, als Grundlage für eine strukturelle Veränderung des Urheberrechts im Hinblick auf eine Stärkung der Position der Rechtenutzer einzusetzen und damit einen Paradigmenwechsel größten Umfangs einzuleiten: Das Urheberrecht wird nicht mehr als das „Arbeitsrecht der kreativen Menschen“ (Adolf Dietz) verstanden, sondern zum Partizipationsrecht des interessierten Nutzers entwickelt. So hat bekanntlich der Justizsenator der Freien und Hansestadt Hamburg in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Justizministerkonferenz des 299
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Bundesrats im Januar 2010 Überlegungen zu einer Reform des Urheberrechts entwickelt und seinen Bundesratskollegen zugänglich gemacht, durch die der Nutzer eine dem Werkschöpfer vergleichbare Rechtsstellung erreichen soll, mit der Konsequenz, dass die traditionelle Herrschaft der Urheber über ihr Werk grundlegend eingeschränkt wird.21 Die von den Vertretern der Open-Access-Bewegung kritisierte Unbeweglichkeit mancher Rechtsinhaber hat ihre Ursache auch in dem mit Haushaltszwängen begründeten Widerstand gegen die Forderungen der Rechtsinhaber, der teilweise von den für die Aufbringung der angemessenen Vergütung zuständigen Ministerien der Länder bzw. der Bildungseinrichtungen selbst geübt wird. Dies macht deutlich, dass nur eine grundlegende gesellschaftliche Debatte über diesen Bereich des Zugangs zu urheberrechtlichen Werken und deren Erschließung weiterhelfen kann; es ist zu hoffen, dass die vom Deutschen Bundestag soeben eingerichtete Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ sich diesem Thema ernsthaft widmen wird. Nur wenn es gelingt, auch den materiellen Teil der Umsetzung der Schrankenregelungen zur Erleichterung des Zugangs zu wissenschaftlichen Werken in Schulen, Universitäten und sonstigen Bildungseinrichtungen so auszugestalten, dass den Rechtsinhabern die Angst vor dem Verlust ihrer wirtschaftlichen Basis genommen wird, kann eine im Interesse der Gesellschaft liegende neue Form der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke erreicht werden, die sowohl den Nutzern dient als auch den Urhebern und Rechtsinhabern eine sichere Existenzgrundlage im Sinne des § 11 Satz 2 UrhG schafft. Eine Koexistenz von individueller Lizenzierung durch Verlage in den Bereichen, in denen es um die Nutzung gesamter Publikationen geht bzw. um weitreichende Lizenzen wie z. B. Campus-Lizenzen, ist nach wie vor sinnvoll; umgekehrt sollte jedoch möglich sein, dass die Massennutzungen im Lehrbetriebe im Rahmen kollektiver Rechtswahrnehmung abgewickelt werden. In diesem Zusammenhang ist die Entfaltung der Open-Access-Modelle, die ihre Basis im Wesentlichen im Wissenschaftsbereich haben, zu begrüßen und der Verbreitung von Wissen und Inhalten durchaus förderlich. Zugang zu Wissen im Rahmen von Schrankenregelungen gegen Vergütung und andererseits Zugänglichmachung durch Open-Access-Modelle stellen keinen Widerspruch dar, sondern ergänzen sich sinnvoll: Wer seinen Lebensunterhalt nicht aus der Publikation seiner Werke bezieht, sollte nicht gezwungen sein, sie zu vermarkten. 3. Harmonisierung der kollektiven Rechtswahrnehmung Schon in Ziff. I 3 wurde die insbesondere von der EU-Kommission gewünschte EU-weite Lizenzierung geschützter Werke erwähnt. Die Forderungen der EU nach Harmonisierung bestimmter Bereiche des Systems der kollektiven Rechtswahrnehmung sind sinnvoll; nur wenn klare Regelungen darüber bestehen,
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unter welchen Umständen Verwertungsgesellschaften zugelassen werden, in welcher Form sie strukturiert sind und welche Transparenzgebote sie zu beachten haben, kann Vertrauen in die Arbeit der Instrumente der kollektiven bzw. zentralisierten Rechtswahrnehmung entstehen. Eine solche Harmonisierung muss jedoch gleichzeitig sicherstellen, dass verwertungsgesellschaftsähnliche Agenturen oder Privatunternehmen, die nur die lukrativen Teilbereiche der Rechtsverwaltung übernehmen, unter den gleichen Konditionen zu arbeiten haben. Anderenfalls wird den von den Urhebern getragenen und auch im Interesse der schwachen und wenig ertragreichen Werkschöpfer tätigen Organisationen die wirtschaftliche Existenzbasis entzogen; ein System des „Cherry Picking“ höhlt die traditionelle und geordnete kollektive Rechtswahrnehmung aus und zerstört ihre Grundlagen. Das Ziel einer Entwicklung der Instrumente der kollektiven Rechtswahrnehmung wird ohne diese Harmonisierung nicht erreicht werden können. Gefordert ist in diesem Bereich vor allem die EU-Kommission, die, wie erwähnt, ihre Fehler der Vergangenheit zurücknehmen und zukunftsweisende Modelle vorlegen muss, die Rechtssicherheit und Vertrauen schaffen. 4. Zusammenfassung Wer sowohl die Aufrechterhaltung der individuellen Lizenzierung im Zusammenhang mit neuartigen, durch Digitalisierung und Internetverbreitung ermöglichten Massennutzungen als auch das andere Extrem, die Flatrate, ablehnt, muss Alternativen nennen. Erforderlich ist auch der Blick auf die Konzepte, die die Kulturwirtschaft selbst entwickelt hat, um den durch die technische Entwicklung erleichterten Zugang, auch den illegalen, mit vernünftigen Vergütungsmodellen zu ermöglichen oder ggf. zu verhindern. Wenn es vorrangig darum geht, die Internetnutzung im Kreislauf einer Kulturwirtschaft handhabbar zu machen und das System von Leistung und Gegenleistung aufrechtzuerhalten, ist zunächst festzustellen, dass breite Teile der Kulturwirtschaft über einen längeren Zeitraum hinweg der Entfaltung des Internets und seiner Nutzungsmöglichkeiten tatenlos zugeschaut haben bzw. sehr traditionelle Mittel der Kontrolle der Werkvermittlung bevorzugt haben, um dann festzustellen, dass ihre Vorstellungen dieser Entwicklung nicht gerecht werden. Inzwischen haben sie – sehr spät – verstanden. Musik-Downloads z. B., die mittlerweile von der Firma Apple (iTunes) und anderen Anbietern, im Handymarkt von Nokia („comes with music“), erfolgreich angeboten werden, kommen um Jahre zu spät, weil die Nutzer sich inzwischen an Tauschbörsen mit freiem Zugang zu Werken gewöhnt haben und nur mühsam zu überzeugen sind, zum legalen Erwerb von Kulturgütern zurückzukehren. Aus diesem Grunde herrscht höchste Nervosität im Verlagsbereich, in dem der Boom der E-Books – und damit die Gefahr der Piraterie bzw. des kostenlosen Downloads – soeben einsetzt. Die fieberhafte Suche nach Geschäftsmodellen hat begonnen. Am Ende wird im Hinblick auf die Nutzung der klassischen Kulturprodukte auch in Zukunft kein Weg an der individuellen Abrechnung der Nutzung, 301
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allerdings in der Form der Mikropayments, die aus dem Internethandel in allen Bereichen gut bekannt und eingeführt sind, vorbeiführen. Es müssen daneben jedoch in erweitertem Umfang auch Möglichkeiten eröffnet werden, in Form begrenzter Pauschalzahlungen bestimmte Nutzungen auf breiter Front zu sanktionieren und abzurechnen. Je einfacher dies wird, desto weniger attraktiv werden illegale Downloads sein. Beispiele für diese Art der Zahlungsweise auf begrenzten Märkten bestehen seit langem: So hat der deutsche Gesetzgeber bereits im Jahr 1966 die urheberrechtlich so genannte „private Vervielfältigung“, also die Aufzeichnung von Werken, die aufgrund von Verwertungsverträgen zwischen GEMA und Sendern für die Erstsendung bereits lizenziert worden sind, mit einer pauschalen Gebühr belegt. Der Mitschnitt wurde rechtlich als „Zweitverwertung“ allgemein erlaubt, aber vergütungspflichtig gemacht. Der Bundestag hat im Gesetz von 1966 erstmals eine allgemeine Vergütungsregel – eine erste Flatrate – für diese Form der privaten Aneignung geschaffen. Das System wurde seither in vielfältiger Form ausgebaut und deckt heute weite Bereiche dieser Zweitverwertung ab, z. B. die Fotokopie sowie die Aufzeichnung mit Recordern. Dennoch muss das System, bevor es als Muster für weitere Verwertungsbereiche empfohlen werden kann, sowohl im Hinblick auf die interne Aufteilung als auch in Bezug auf die Durchsetzbarkeit der Ansprüche von Mängeln befreit werden. Ursache für den ersten Mangel ist das lückenhafte Urhebervertragsrecht. Erst wenn die Binnenverhältnisse auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt worden und Verteilungskämpfe ausgeschlossen sind, werden Urheber, Produzenten und Verleger der Anwendung solcher Modelle, also der Ausweitung der urheberrechtliche Schranken näher treten und Vertrauen gewinnen; gelingt dies nicht, werden sie auch weiterhin auf Biegen und Brechen auf individuelle Lizenzierung und betriebsinterne Abrechnung mit den Urhebern drängen: Eine die Rechtsnutzer befriedigende Situation kann so nicht entstehen. Das zweite Problem betrifft die Lizenzierungsfähigkeit der Rechtsinhaber, insbesondere der Unternehmen, die über Leistungsschutzrechte verfügen, mit Ausnahme des musikalischen Bereichs. Solange allein in Deutschland allein fünf Verwertungsgesellschaften für unterschiedliche Gruppen von Filmproduzenten – vom erotischen Film über die Fernsehauftragsproduktion, den deutschen und ausländischen sowie Dokumentarfilm – ohne klare Abgrenzung, sondern in Repertoirekonkurrenz auftreten, kann man sich zwar ein Arrangement in Bezug auf die Verteilung von pauschal erzielten Erlösen aus der Vergütung für private Vervielfältigung oder Kabelweitersendung vorstellen; wie ein solches Konglomerat allerdings jemals im Stande sein soll, als „One-Stop-Shop“ für die Online-Lizenzierung aufzutreten, ist schwer vorstellbar, zumal die Abgrenzung zu den Ansprüchen der Urheber in vielen Bereichen noch völlig offen ist. Änderungen des Urheberwahrnehmungsrechts, z. B. die Einführung von Spartenmonopolen sind unumgänglich und sollten im Rahmen der EU-Reform in Betracht gezogen werden; nur so kann auch bei den Filmproduzenten Vertrauen in zukünftige zentralisierte Rechtswahrnehmung entstehen.
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Zukunftslösungen der beschriebenen Art müssen nicht notwendigerweise auf der Ausweitung von Schrankenregelungen beruhen, zumal diese nach dem Wortlaut der Internetrichtlinie dort abschließend geregelt werden sollten, weitere Ausweitungen also ausgeschlossen sein sollen. Sie können, bei verbesserten Voraussetzungen auch als das Ergebnis von Kollektivverhandlungen nach skandinavischem Muster oder in freier Vereinbarung zwischen Nutzer und Rechtsinhabergruppen zustande kommen und zu den gewünschten „One-StopShops“ führen. Schließlich darf neben der Förderung der Lizenzierungsfähigkeit der Rechteinhaber in Richtung des beschriebenen Ausbaus der zentralisierten, wenn nicht zunehmend kollektiven Wahrnehmung die wichtige Einnahmequelle der privaten Vervielfältigung für die Rechtsnutzung im Rahmen von Schrankenregelungen nicht aus den Augen gelassen werden. Sie schafft neben allen anderen Erwerbschancen, die die Online-Wirtschaft bieten mag, immer noch eine solide Vergütungsbasis für Urheber und Rechtsinhaber und sorgt allein in Deutschland im Idealfall für ein Vergütungsvolumen von ca. 200 Mio. Euro jährlich. Im Rahmen der Urheberrechtsreform zum 1.1.2008 wurde das Vergütungssystem bekanntlich reformiert. Die Mitschnittabgabe erfasst nun auch Geräte wie PCs, MP3-Player oder Speichermedien wie Memosticks, bleibt jedoch beschränkt auf die juristisch so genannte „private Vervielfältigung“, d. h. die Weiternutzung von Werken, die bereits aufgrund von Nutzungsverträgen zwischen den Produzenten der Werke und den Nutzern auf der ersten Verwertungsstufe vergütet wurden und ist beschränkt auf legale Quellen. Allerdings, dies darf nicht verschwiegen werden, wurde die Reform mit heißer Nadel gestrickt. Die Versuche, sie in praktikable Vereinbarungen zwischen Verwertungsgesellschaften und Herstellern bzw. Importeuren von elektronischen Geräten und Speichern umzusetzen, sind für die Rechtsinhaber überaus unbefriedigend. Anstelle der erwarteten schnellen Lösungen kam es in vielen Fällen zu einer Reihe von langwierigen und aufwendigen Verfahren vor der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt, deren Ende nicht abzusehen ist; hier hat die Politik es eindeutig vermieden, sich zu klaren Regelungen zu bekennen und die Probleme auf die Rechtsinhaber und die Schiedsstelle bzw. die Gerichte abgeschoben; Rechtsfrieden ist bisher nicht entstanden. Im Ergebnis wird man also den populistischen und verschwommenen Vorschlag der Kulturflatrate zur Kompensierung legaler wie illegaler Downloads nur entgegentreten können, wenn man vier Elemente der Lizenzierungspraxis ausbaut und stärkt: 1. Die individuelle Lizenzierung und Abrechnung in der Form des elektronischen Mikropayments für die Nutzung von Werken, die im Internet verbreitet werden; 2. die auf urhebergesetzlicher Regelung beruhende, die individuellen Rechte einschränkende Vergütungsregel für standardisierte Nutzungen von Werken vor allem im Bereich der Erziehung, Bildung und Wissenschaft sowie
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3. schließlich die erleichterte Lizenzierung des Erwerbs größerer Werkblöcke zur Verwertung im Rahmen von erweiterten Lizenzverträgen, die für ganze Branchen und Werkkategorien verbindlich vereinbart werden, und eine angemessene Vergütung der Urheber und eine vereinfachte Bezahlungsform ermöglichen; 4. die Vergütung für die im Rahmen von Schrankenregelungen zulässige private Vervielfältigung. Allein die Kritik an den Urhebern und Rechtsinhabern wird nicht dazu führen, dass die für die Entfaltung der digitalen Kulturwirtschaft benötigten Inhalte zur Verfügung gestellt werden; gesetzliche Maßnamen werden die Piraterie nicht eindämmen, sie werden den ungeregelten Zugriff auf Rechte allenfalls populärer machen. Im Interesse der Entwicklung der Kulturwirtschaft liegt, die hier resümierten unterschiedlichen Ansätze fortzuentwickeln und ihre Mängel zu beseitigen. Dies kann nicht an einem Tage geschehen; niemand sollte sich jedoch der Illusion hingeben, dass es jemals gelingen könnte, eine Patentlösung in einem international vernetzten Distributionsnetz für Kulturgüter wie dem Internet zu etablieren und alle Staaten auf einen gemeinsamen Nenner der Einführung und Abwicklung einer Pauschalvergütung für alle Nutzungen zu verpflichten.
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Zur Bindungswirkung von im Haftpflichtprozess ergangenen Versäumnisurteilen für das haftpflichtversicherungsrechtliche Deckungsverhältnis Inhaltsübersicht I. Trennungsprinzip und Bindungswirkung II. Umfassende Dispositionsbefugnis des Haftpflichtversicherers als Rechtfertigung für die Bindungswirkung; Analyse der Rechtsprechung des BGH
III. Bedeutung der Bindungswirkung von Versäumnisurteilen insbesondere im Bereich der Pflichtversicherung
I. Trennungsprinzip und Bindungswirkung 1. Als elementare Grundregel im Recht der Haftpflichtversicherung hat sich das sog. Trennungsprinzip herausgebildet. Das Trennungsprinzip bedeutet, dass die Haftpflichtfrage, also die Frage, ob und in welchem Umfang eine Haftung des in Anspruch genommenen Versicherungsnehmers gegenüber einem geschädigten Dritten besteht, und die Deckungsfrage, also die Frage, inwieweit der Haftpflichtversicherer eintrittspflichtig ist, unabhängig voneinander zu prüfen sind. Die Haftpflichtfrage ist im Haftpflichtprozess zwischen dem geschädigten Dritten und dem Versicherungsnehmer zu entscheiden. Die Frage, ob der Versicherer eintrittspflichtig ist und den Versicherungsnehmer wegen des von ihm verursachten Schadens zu entschädigen hat, ist im Deckungsprozess zu klären.1 Dass die Haftpflichtfrage und die Deckungsfrage im Streitfall in getrennten Prozessen zu verhandeln und zu entscheiden sind, folgt bereits daraus, dass das Haftpflichtverhältnis einerseits und das Deckungsverhältnis andererseits zwischen verschiedenen Personen und damit auch verschiedenen Prozessparteien besteht. Der Versicherer ist – abgesehen von den Fällen des Direktanspruchs – in den Haftpflichtprozess, der zwischen dem geschädigten Dritten und dem in Anspruch genommenen Versicherungsnehmer geführt wird, nicht als Prozesspartei einbezogen. Der geschädigte Dritte wiederum ist – von Fällen der Abtretung oder Pfändung des versicherungsrechtlichen Deckungsanspruchs abge-
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1 Ständige Rechtsprechung. des BGH, vgl. BGH v. 30.9.1992 – IV ZR 314/91, VersR 1992, 1504 = r + s 1992, 406; BGH v. 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103; BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 255/04, VersR 2006, 106; Prölss/Martin/Lücke, 28. Aufl., § 100 Rz. 46; Römer/Langheid, 2. Aufl., § 149 Rz. 12; Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl., § 24 Rz. 4; Späte, Haftpflichtversicherung, AHB-Kommentar, § 3 Rz. 43.
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sehen – am Deckungsprozess nicht beteiligt. Das Trennungsprinzip beruht insoweit nicht auf einer positiv-rechtlichen Bestimmung, sondern auf der Struktur des Haftpflichtversicherungsvertrags.2 2. Durchbrochen wird das Trennungsprinzip durch die sog. Bindungswirkung des im Haftpflichtprozess ergangenen rechtskräftigen Urteils. Die Bindungswirkung besteht darin, dass die im Haftpflichturteil getroffenen Feststellungen zur Haftung des Versicherungsnehmers für die Deckungsfrage bindend sind und somit weder vom Versicherungsnehmer noch vom Versicherer in Frage gestellt werden können.3 3. Teilweise ungeklärt ist in Rechtsprechung und Literatur der Umfang der Bindungswirkung. Dies betrifft insbesondere die Bindungswirkung eines im Haftpflichtprozess ergangenen Versäumnisurteils. Im Schrifttum wird überwiegend – ohne nähere Differenzierung – die Auffassung vertreten, auch einem Versäumnisurteil komme Bindungswirkung für die Deckungsfrage und einen etwaigen Deckungsprozess zu. Es komme nicht darauf an, ob der Haftpflichtversicherer überhaupt am Haftpflichtprozess teilgenommen hat.4 Von einigen Autoren wird dies dahin eingeschränkt, dass das im Haftpflichtprozess ergangene Versäumnisurteil jedenfalls dann Bindungswirkung entfalte, wenn der Versicherer vom Haftpflichtprozess Kenntnis hatte, er aber von seiner Möglichkeit, durch Gewährung von Rechtschutz auf den Haftpflichtprozess Einfluss zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht hat.5 Auch in der Rechtsprechung findet sich vielfach die apodiktische Feststellung, dass ein im Haftpflichtprozess gegen den Versicherungsnehmer ergangenes Versäumnisurteil eine Bindungswirkung für den nachfolgenden Deckungsprozess entfaltet.6 Die neuere obergerichtliche Rechtsprechung beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des BGH, insbesondere auf die Entscheidung vom 19.3.2003.7 Hieraus lässt
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2 BGH v. 18.3.1992 – IV ZR 51/91, BGHZ 117, 345 = VersR 1992, 568, 569; Späte, Haftpflichtversicherung, AHB-Kommentar, § 3 Rz. 43. 3 BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 255/04, VersR 2006, 106; BGH v. 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103; Prölss/Martin/Lücke, 28. Aufl., § 100 Rz. 59 f.; Römer/Langheid, 2. Aufl., § 149 Rz. 12; Späte, Haftpflichtversicherung, AHB-Kommentar, § 3 Rz. 44 ff. 4 Späte, Haftpflichtversicherung, AHB-Kommentar, § 3 Rz. 44; Prölss/Martin/Lücke, 28. Aufl., § 100 Rz. 59; Schimikowski in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG-Handkommentar, vor §§ 100–124 Rz. 11; Terbille/Kummer, Münchener Anwaltshandbuch VersR, 2. Aufl., § 12 Rz. 319; Bücken in: van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl., § 9 Rz. 125; Betz in: Veith/Gräfe, Der Versicherungsprozess, § 9 Rz. 54. 5 Berliner Kommentar/Baumann, § 149 Rz. 191; Retter in: Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum VVG, § 100 Rz. 64; Schneider in: Beckmann/MatuscheBeckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl., § 24 Rz. 5. 6 So z. B. jüngst OLG Karlsruhe v. 24.9.2009 – 12 U 47/09, VersR 2010, 940; OLG Hamm v. 18.5.1988 – 20 U 353/87, VersR 1988, 1172 = r + s 1989, 72, 73; OLG Koblenz v. 7.10.1994 – 10 U 189/94, VersR 1995, 1298; OLG Celle v. 30.4.2009 – 8 U 11/09, VersR 2009, 1257, 1259 mit Hinweis darauf, dass es dem Versicherer unbenommen bleibt, sich im Deckungsprozess auf eine Kollusion zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Dritten zu berufen; differenzierend OLG Nürnberg v. 30.6.1988 – 8 U 2824/87, VersR 1989, 34, 35, das eine Bindungswirkung des Versäumnisurteils dann annimmt, wenn der Versicherer die Möglichkeit hatte, den Haftpflichtprozess selbst zu führen. 7 BGH v. 19.3.2003 – IV ZR 233/01, VersR 2003, 635, 636.
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sich jedoch – wie nachfolgend zu zeigen sein wird – die einschränkungslose Feststellung, dass auch ein im Haftpflichtprozess ergangenes Versäumnisurteil Bindungswirkung für den nachfolgenden Deckungsprozess entfaltet, nicht ableiten.
II. Umfassende Dispositionsbefugnis des Haftpflichtversicherers als Rechtfertigung für die Bindungswirkung; Analyse der Rechtsprechung des BGH 1. Die Bindungswirkung des im Haftpflichtprozess ergangenen Urteils folgt – da der Versicherer am Haftpflichtprozess als Prozesspartei nicht beteiligt war – nicht aus der Rechtskraft des Haftpflichturteils, sondern ist im Wege der Auslegung dem im Haftpflichtversicherungsvertrag gegebenen Leistungsversprechen des Haftpflichtversicherers zu entnehmen.8 Der entscheidende Grund dafür, dass der Versicherer, obwohl er am Haftpflichtprozess als Partei nicht beteiligt war, an dessen Feststellungen gebunden ist, liegt – wie der BGH in seiner grundlegenden Entscheidung vom 30.9.19929 ausgeführt hat – darin, dass dem Versicherer die umfassende Dispositionsbefugnis über das Haftpflichtverhältnis zukommt. Der Versicherer kann den gegen seinen Versicherungsnehmer erhobenen Ersatzanspruch anerkennen und befriedigen, er kann weitere Ermittlungen anstellen, mit dem Dritten verhandeln oder schließlich – wenn er den erhobenen Anspruch für unbegründet erachtet – seinem Versicherungsnehmer Rechtsschutz zur Abwehr des Haftpflichtanspruchs gewähren. Entscheidet sich der Haftpflichtversicherer dazu, den Haftpflichtanspruch abzuwehren und kommt es anschließend zu einem Haftpflichtprozess, so steht dem Versicherer das Prozessführungsrecht zu. Ziff. 5.2 Abs. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB 2008) bestimmt insoweit: „Kommt es in einem Versicherungsfall zu einem Rechtsstreit über Schadensersatzansprüche gegen den Versicherungsnehmer, ist der Versicherer zur Prozessführung bevollmächtigt. Er führt den Rechtsstreit im Namen des Versicherungsnehmers auf seine Kosten.“
Identische oder inhaltlich vergleichbare Bestimmungen finden sich in sämtlichen Versicherungsbedingungen zu den verschiedenen Zweigen der Haftpflichtversicherung, z. B. zur Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, zur D&O-Versicherung sowie zur Betriebs-, Produkt- und Umwelthaftpflichtversicherung. Die umfassende Dispositionsbefugnis des Versicherers und insbesondere das in den Versicherungsbedingungen verankerte Recht, den Haftpflichtprozess für den Versicherten zu führen, ist die Rechtfertigung dafür, dass der Versicherer an die Feststellungen im Haftpflichtprozess gebunden ist, und schützt den Ver-
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8 BGH v. 20.6.2001 – IV ZR 101/00, VersR 2001, 1103; BGH v. 30.9.1992 – IV ZR 314/91, r + s 1992, 406; Prölss/Martin/Lücke, 28. Aufl., § 100 Rz. 59; vertiefend Berliner Kommentar/Baumann, § 149 Rz. 185 f. 9 BGH v. 30.9.1992 – IV ZR 314/91, VersR 1992, 1504, 1505 = r + s 1992, 406.
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sicherer zugleich auch angemessen in seinem Verhältnis zum Versicherungsnehmer.10 Hat der Versicherer den Haftpflichtprozess, wie es dem Regelfall entspricht, für den Versicherten geführt, so ist auch bei einem Versäumnisurteil in der Tat kein Grund ersichtlich, die im Haftpflichtprozess getroffenen Feststellungen für das Deckungsverhältnis erneut zu überprüfen und in Frage zu stellen. 2. Hat der Haftpflichtversicherer den Haftpflichtprozess nicht geführt, so ist eine Bindungswirkung des Haftpflichturteils – auch wenn es in der Form eines Versäumnisurteils ergangen ist – gleichwohl gerechtfertigt, wenn der Haftpflichtversicherer von seinem Regulierungs- und Prozessführungsrecht aufgrund eigener Entscheidung keinen Gebrauch gemacht, also auf die Führung des Haftpflichtprozesses verzichtet hat. Dies sind in erster Linie die Fälle, in denen der Versicherer vor Durchführung des Haftpflichtprozesses eine Deckungsablehnung ausgesprochen hat. Zu dieser Konstellation hat der BGH in seiner Entscheidung vom 30.9.199211 ausgeführt: „Hier hat die Beklagte mit der Deckungsablehnung sich der Erfüllung der Rechtsschutzverpflichtung entzogen. Damit hat sie konkludent dem Kläger zur Regulierung „freie Hand“ gelassen. Sie muss deshalb sich so behandeln lassen, als habe sie eine Genehmigung im Sinne von § 3 II Nr. 1 Abs. 1 AHB erteilt. Ihre oben dargestellte umfassende Dispositionsbefugnis über das Haftpflichtverhältnis hat die Beklagte durch ihre Entscheidung selbst aufgegeben. Die Gefahr, bei dieser freien Entscheidung die Deckungspflicht unrichtig zu beurteilen, kann sie nicht auf den Kläger als Versicherungsnehmer abwälzen. Sie kann nicht gleichzeitig einerseits sich ihrer vertraglichen Hauptpflicht entledigen, den Kläger von der Führung und den Folgen des Haftpflichtprozesses zu befreien, und andererseits dennoch in Anspruch nehmen, an das Ergebnis des notgedrungen vom Kläger allein geführten Haftpflichtprozesses nicht gebunden zu sein.“
Maßgeblicher Grund für die vom BGH trotz Nichtbeteiligung des Versicherers angenommene Bindungswirkung des Haftpflichturteils ist mithin der Umstand, dass der Versicherer darauf verzichtet hat, den Haftpflichtprozess für den Versicherten zu führen, seine umfassende Dispositionsbefugnis über das Haftpflichtverhältnis also selbst aufgegeben hat. 3. Dass die Regulierungs- und Prozessführungsbefugnis des Haftpflichtversicherers die innere Rechtfertigung für die Annahme einer Bindungswirkung darstellt, hat der BGH auch in seinem Urteil vom 19.3.200312 hervorgehoben. In dem vom BGH entschiedenen Fall war gegen den Versicherungsnehmer ein Versäumnisurteil ergangen. Der Haftpflichtversicherer hatte von seiner Befugnis, den Haftpflichtprozess für den Versicherungsnehmer zu führen, keinen Gebrauch gemacht und auch nicht machen können, weil ihm die Erhebung der Klage weder von dem Versicherungsnehmer noch von dem geschädigten Dritten angezeigt worden war. Die Besonderheit des vom BGH entschiedenen Falles lag jedoch darin, dass der Versicherer noch vor Rechtskraft des Versäumnisurteils von dessen Erlass erfahren und deshalb die Möglichkeit hatte, hier-
__________ 10 So BGH v. 30.9.1992 – IV ZR 314/91, r +s 1992, 406 = VersR 1992, 1504, 1505. 11 BGH v. 30.9.1992 – IV ZR 314/91, r +s 1992, 406 = VersR 1992, 1504, 1505. 12 BGH v. 19.3.2003 – IV ZR 233/01, VersR 2003, 635, 636.
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gegen Einspruch einzulegen und den Prozess fortzuführen. In der Entscheidung des BGH13 heißt es hierzu wie folgt: „Die Beklagte hat in den Vorinstanzen die Ansicht vertreten, sie sei an das Versäumnisurteil nicht gebunden, weil die Klägerin ihre Verpflichtung nach § 158 d Abs. 2 VVG, die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs dem Versicherer unverzüglich schriftlich anzuzeigen, mit der Rechtsfolge des § 158 e Abs. 1 S. 1 VVG verletzt habe. Richtig daran ist, dass die Klägerin der Beklagten die Erhebung der Klage gegen den Notar nicht unverzüglich angezeigt hat. Dennoch ist die Beklagte an das Versäumnisurteil gebunden, weil ihr durch den Anwalt der Klägerin mit Schreiben vom 12.11.1997 und schon Ende Oktober 1997 durch die Notarkammer mitgeteilt worden war, dass gegen den Notar am 29.9.1997 ein Versäumnisurteil ergangen sei. Tatsächlich ist das nach §§ 331 Abs. 3, 310 Abs. 3 ZPO erlassene Versäumnisurteil erst durch die Zustellung an den Notar am 28.5.1998 existent geworden. Mit Ablauf des 18.6.1998 wurde es rechtskräftig. Die Beklagte hatte damit rechtzeitig von der Erhebung der Haftpflichtklage Kenntnis und hätte aufgrund ihrer Vollmacht nach § 5 Nr. 3 c AVB-Vermögen den Prozess für ihren VN weiterführen können. Deshalb muss die Beklagte das gegen ihren VN ergangene rechtskräftige Versäumnisurteil für sich als verbindlich anerkennen.“
Maßgeblich dafür, dass das Versäumnisurteil Bindungswirkung entfaltet, war mithin nach den Ausführungen des BGH die Tatsache, dass der Versicherer noch vor Rechtskraft des Versäumnisurteils Kenntnis von dessen Erlass hatte und somit in der Lage war, den Haftpflichtprozess aufgrund seiner Prozessführungsbefugnis weiterzuführen. Nur aus diesem Grunde („deshalb“) hat der BGH dem Versäumnisurteil eine Bindungswirkung beigemessen. Keineswegs hat der BGH – wie es vielfach unter Berufung auf diese Entscheidung angenommen wird – ausgeführt, ein Versäumnisurteil entfalte ungeachtet der Tatsache, ob der Versicherer überhaupt die Möglichkeit hatte, den Haftpflichtprozess für seinen Versicherungsnehmer zu führen, stets Bindungswirkung. Wäre dies die Auffassung des BGH, so hätte es der Ausführungen zur Möglichkeit des Versicherers, den Prozess weiterzuführen, nicht bedurft. 4. Dass es für die Bindungswirkung eines Versäumnisurteils entscheidend auf die Möglichkeit des Versicherers ankommt, die Prozessführung zu übernehmen, hat der BGH im Übrigen bereits in seinem Urteil vom 11.10.195614 ausgeführt. Dort heißt es wie folgt: „In der Tat bietet auch § 158 e Abs. 2 VVG der Beklagten keine Handhabe, die durch das Versäumnisurteil rechtskräftig erledigte Haftpflichtfrage noch einmal aufzurollen. Diese Vorschrift soll nämlich nur verhindern, dass der Geschädigte und der Versicherungsnehmer sich hinter dem Rücken des Versicherers auf seine Kosten über die Ersatzleistung einigen. Wenn der Versicherer aber von dem schwebenden Haftpflichtprozess weiß und trotzdem die Prozessführung nicht in seinem eigenen Interesse übernimmt, sondern dem Versicherungsnehmer freie Hand lässt, so nimmt er auch die Gefahr eines gegen den Versicherungsnehmer ergehenden Versäumnisurteils in Kauf und kann hinterher nicht geltend machen, die Parteien hätten diese vorzeitige Erledigung des Rechtsstreits ohne seine Einwilligung herbeigeführt.“
__________ 13 VersR 2003, 635, 636 rechte Spalte. 14 BGH v. 11.10.1956 – II ZR 137/55, NJW 1956, 1796, 1797/1798.
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Auch soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Bindungswirkung von Versäumnisurteilen angenommen worden ist, betrifft dies nahezu ausschließlich Fälle, in denen der Versicherer Gelegenheit hatte, von seinem Prozessführungsrecht Gebrauch zu machen und damit auf den Haftpflichtprozess Einfluss zu nehmen.15 Auch in der Literatur wird hervorgehoben, dass die Bindungswirkung des Urteils im Haftpflichtprozess sich aus der umfassenden Dispositionsbefugnis des Versicherers über das Haftpflichtverhältnis und insbesondere aus dessen Prozessführungsbefugnis ergibt.16 Eine Bindungswirkung insbesondere bei einem Versäumnisurteil besteht mithin nur dann, wenn der Versicherer die Möglichkeit hatte, sich in den Haftpflichtprozess einzuschalten, hiervon aber aus in seiner Sphäre liegenden Gründen, meistens wegen vorheriger Versagung des Versicherungsschutzes, keinen Gebrauch gemacht hat.17 Hatte der Versicherer demgegenüber, weil er weder von seinem Versicherungsnehmer noch von dem geschädigten Dritten über den Haftpflichtprozess informiert worden ist, keine Möglichkeit, auf den Haftpflichtprozess Einfluss zu nehmen und seiner Abwehrzuständigkeit nachzukommen, so fehlt es an einer inneren Rechtfertigung für die Bindungswirkung eines im Haftpflichtprozess ergangenen Versäumnisurteils. Hieraus folgt: Wurde die Einflussnahme des Versicherers auf den Haftpflichtprozess vereitelt, so kommt eine Bindungswirkung des „hinter dem Rücken“ des Versicherers erstrittenen Versäumnisurteils nicht in Betracht.18 Dies entspricht, wie vorstehend dargelegt wurde, auch der Auffassung des BGH.19
III. Bedeutung der Bindungswirkung von Versäumnisurteilen insbesondere im Bereich der Pflichtversicherung 1. Die Frage, ob ein im Haftpflichtprozess ergangenes Versäumnisurteil, welches der Versicherungsnehmer gegen sich hat ergehen lassen, ohne dass der Versicherer vom Haftpflichtprozess Kenntnis hatte, Bindungswirkung entfaltet, spielt im Bereich der gewöhnlichen Haftpflichtversicherung häufig keine Rolle, da die unterlassene Information über den Haftpflichtprozess regelmäßig zu einer Leistungsfreiheit des Versicherers führt. Der Versicherungsnehmer ist nach den Versicherungsbedingungen (vgl. Ziff. 25 AHB 2008) verpflichtet, dem Versicherer jeden Versicherungsfall unverzüglich anzuzeigen. Zur Anzeige-
__________ 15 Vgl. hierzu die Fälle OLG Hamm, v. 18.5.1988 – 20 U 353/87, r + s 1989, 72, 73; OLG Hamm v. 25.8.1989 – 20 U 98/89, NJW-RR 1990, 163; OLG Koblenz v. 7.10.1994 – 10 U 189/94, VersR 1995, 1298; OLG Nürnberg v. 30.6.1988 – 8 U 2824/87, VersR 1989, 34, 35. 16 So zutreffend Hagen, DNotZ 2000, 809 ff. und NVersZ 2001, 341 ff.; Römer/Langheid, § 149 Rz. 12; Schimikowski in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG-Handkommentar, vor §§ 100–124 Rz. 9. 17 So auch Berliner Kommentar zum VVG/Baumann, § 149 Rn. 91; Späth, VersR 1989, 354, 355. 18 So zutreffend Hagen, DNotZ 2000, 809, 818, 819, 821; Hagen, NVersZ 2001, 341, 342. 19 Vgl. BGH, VersR 2003, 635, 636.
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Zur Bindungswirkung von im Haftpflichtprozess ergangenen Versäumnisurteilen
pflicht bei Einleitung eines Haftpflichtprozesses und zur Verpflichtung, dem Versicherer die Prozessführung zu überlassen, heißt es in Ziff. 25.3 und 25.5 AHB 2008 wie folgt: „25.3 Wird gegen den Versicherungsnehmer ein Haftpflichtanspruch erhoben, ein staatsanwaltliches, behördliches oder gerichtliches Verfahren eingeleitet, ein Mahnbescheid erlassen oder ihm gerichtlich der Streit verkündet, so hat er dies ebenfalls unverzüglich anzuzeigen. 25.5 Wird gegen den Versicherungsnehmer ein Haftpflichtanspruch gerichtlich geltend gemacht, hat er die Führung des Verfahrens dem Versicherer zu überlassen. Der Versicherer beauftragt im Namen des Versicherungsnehmers einen Rechtsanwalt. Der Versicherungsnehmer muss dem Rechtsanwalt Vollmacht sowie alle erforderlichen Auskünfte erteilen und die angeforderten Unterlagen zur Verfügung stellen.“
Unterlässt der Versicherungsnehmer eine Information darüber, dass gegen ihn ein Haftpflichtanspruch gerichtlich geltend gemacht worden ist, und lässt er es im Haftpflichtprozess zu einem Versäumnisurteil kommen, so stellt dies regelmäßig eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung dar, die gemäß Ziff. 26.2 AHB 2008 und § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG zum Verlust des Versicherungsschutzes des Versicherungsnehmers führt. Die Bindungswirkung des Versäumnisurteils interessiert dann nicht weiter, da der Versicherer durch die Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung hinreichend geschützt ist. 2. Entscheidend anders ist dies, wenn es sich bei der von dem Versicherungsnehmer abgeschlossenen Haftpflichtversicherung um eine Pflichtversicherung handelt. Pflichtversicherungen im Bereich der Haftpflichtversicherung bestehen u. a. für Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Insoweit bestimmt § 117 Abs. 1 VVG, dass die Leistungsverpflichtung des Versicherers in Ansehung des Dritten auch in den Fällen bestehen bleibt, in denen der Versicherer seinem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise leistungsfrei ist. Der Geschädigte soll also keinen Nachteil aufgrund der Tatsache erleiden, dass der Versicherungsnehmer wegen einer ihm anzulastenden Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Versicherer keinen oder nur einen teilweisen Leistungsanspruch hat.20 Zwar bestimmt § 119 VVG, dass der Dritte ein Schadensereignis, aus dem er einen Anspruch gegen den Versicherungsnehmer herleiten will, dem Versicherer innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Kenntniserlangung anzuzeigen hat (Abs. 1) und darüber hinaus auch zur Anzeige einer gerichtlichen Geltendmachung (Einleitung des Haftpflichtprozesses) verpflichtet ist (Abs. 2). Eine Verletzung dieser dem Dritten auferlegten Anzeigepflicht setzt jedoch voraus, dass der Dritte vom Bestehen einer Haftpflichtversicherung und von der Person des Versicherers überhaupt Kenntnis hat. Dies wird vielfach nicht der Fall sein. Hinzu kommt, dass § 120 VVG die Verletzung der in § 119 Abs. 2 VVG normierten Pflicht zur Anzeige der gerichtlichen Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers nur bei einem schuldhafte Verhalten des Dritten sanktio-
__________ 20 Schimikowski in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG-Handkommentar, § 117 Rz. 1; Römer/Langheid, 2. Aufl., § 158 c Rz. 1.
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niert.21 Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Dritte vom Versicherer zuvor ausdrücklich und in Textform über die Folgen der Verletzung der Anzeigeobliegenheit belehrt worden ist (§ 120 VVG). Eine solche Belehrung, die sich auf die Verpflichtung zur Anzeige des Haftpflichtprozesses gemäß § 119 Abs. 2 VVG bezieht, kann der Versicherer jedoch nur dann erteilen, wenn der Dritte ihm zuvor entsprechend § 119 Abs. 1 VVG das Schadenereignis, aus dem er Schadensersatzansprüche gegen den Versicherungsnehmer herleiten will, angezeigt hat. Ist schon diese Anzeige unterblieben, so scheidet eine Belehrung aus. Der Versicherer bleibt somit gegenüber dem Dritten gemäß § 117 VVG zur Leistung verpflichtet, wobei sich die Leistungspflicht gemäß § 117 Abs. 3 VVG auf die vorgeschriebene Mindestversicherungssumme beschränkt. Wollte man in diesen Fällen einem im Haftpflichtprozess ergangenen Versäumnisurteil Bindungswirkung beimessen, obwohl eine Einflussnahme des Versicherers auf den Haftpflichtprozess vereitelt worden ist, würde dies zu einem kollusiven Zusammenwirken zwischen dem Versicherungsnehmer und dem (angeblich) geschädigten Dritten geradezu einladen.22 Es könnte aufgrund eines fingierten Sachverhalts ein Haftpflichtprozess geführt werden, der gegenüber dem Versicherer verschwiegen wird und in dem der Versicherungsnehmer ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen lässt. Es könnten überhöhte oder aber verjährte Forderungen eingeklagt werden, ohne dass der prozessführungsbefugte Versicherer die Möglichkeit hätte, Einwendungen zu Grund und Höhe des Anspruchs oder die Einrede der Verjährung zu erheben. Dass ein auf diese Weise erstrittenes Versäumnisurteil keine Bindungswirkung entfalten kann, liegt auf der Hand. Aber auch ohne den – kaum einmal möglichen – Nachweis der Manipulation kommt eine Bindungswirkung von Versäumnisurteilen nicht in Betracht, wenn der Versicherer keine Möglichkeit hatte, auf den Haftpflichtprozess Einfluss zu nehmen, da es dann in der inneren Rechtfertigung für die Bindungswirkung fehlt. Der Dritte wird dadurch, dass das von ihm erstrittene Versäumnisurteil keine Bindungswirkung hat, nicht benachteiligt. Die Haftungsfrage kann unproblematisch im Deckungsprozess geklärt werden. Ist das Versäumnisurteil zu Recht ergangen, so bleibt es bei der Haftung des Versicherers im Rahmen von § 117 VVG. Bestand der durch Versäumnisurteil zugesprochene Anspruch nicht oder nicht in der ausgeurteilten Höhe, so kann eine Haftung des Pflichtversicherers, dessen Einflussnahme auf den Haftpflichtprozess vereitelt worden ist, nicht über die Bindungswirkung des Versäumnisurteils herbeigeführt werden.
__________ 21 Vgl. zum früheren § 158e VVG a. F. Prölss/Martin/Knappmann, § 158e Rz. 7. 22 Vgl. hierzu Römer/Langheid, 2. Aufl., § 149 Rz. 14 f.
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Das Wortzitat als „Zeuge gegen sich selbst“ im öffentlichen Meinungskampf Inhaltsübersicht I. Wortzitat als Tatsachenbehauptung oder Werturteil 1. Wortzitat als Tatsachenbehauptung 2. Wortzitat als Werturteil II. Zitiertreue 1. Wörtliches Zitat
2. Sinngemäßes Wortzitat 3. Wortzitat mehrdeutiger Originaläußerungen III. Rechtsschutz gegen unrichtige Wortzitate
Wird in Angelegenheiten allgemeinen Interesses Kritik mittels Wortzitaten geübt, stellt sich ex ante für den Zitierenden, ex post für den Zitierten die Frage, welche Anforderungen das Recht an Authentizität und Genauigkeit von Wortzitaten im öffentlichen Meinungskampf stellt. Im Mittelpunkt stehen hierbei das Recht der persönlichen Ehre und das Recht am eigenen Wort. Beide sind konturierte Ausprägungen des von der Rechtsprechung aus Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG entwickelten allgemeinen Persönlichkeitsrechts.1 Von daher gehören sie zu dessen Schutzbereich mit zivilrechtlicher Drittwirkung oder Ausstrahlung ins Privatrecht.2 Die den Fachgerichten obliegende Auslegung und Anwendung der einschlägigen Anspruchsgrundlagen i. d. R.3 aus dem Recht der unerlaubten Handlungen – § 823 Abs. 1 BGB („sonstiges Recht“) i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1
__________ 1 Vgl. statt vieler BVerfG v. 14.2.1973 – 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269 (282 f.) – Soraya; BVerfG v. 25.2.1993 – 1 BvR 172/93, NJW 1993, 1463 – Kriminaldirektor; BVerfG v. 7.5.1997 – 1 BvR 1974/93 u. 1987/93, NJW 1997, 2669 (2670) – Scientologen; BVerfG v. 26.2.2008 – 1 BvR 1602/07 u. a., NJW 2008, 1793 (1794) – Caroline von Monaco II: „Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit“; BGH v. 25.5.1954 – I ZR 211/53, BGHZ 13, 334 (338 f.) – (Schacht-Anwalt-)Leserbrief; BGH v. 8.12.1964 – VI ZR 201/63, NJW 1965, 685 (686) – Soraya; BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94, NJW 1995, 861 (862) – Caroline von Monaco I. 2 Vgl. statt vieler BVerfG v. 10.11.1998 – I BvR 1531/96, NJW 1999, 1322 (1323) – Helnwein; BVerfG v. 30.9.2003 – 1 BvR 865/00, NJW 2004, 590 (591) – Diestel; BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 189/06, NJW-RR 2008, 913 (915) – namenloser Gutachter; OLG Köln v. 18.5.1999 – 15 U 4/99, NJW-RR 2000, 470 – Sonderzug; Bröcker in Büscher/ Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2008, T. 2 Kap. 2 Rz. 73 ff.; Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 823 Rz. 110 f. 3 Mangels Vertragsbeziehungen zwischen den Konfliktparteien scheiden Ansprüche aus den §§ 280 ff. BGB praktisch aus, selbst wenn § 241 Abs. 2 und § 311 BGB mit berücksichtigt werden. Ebenso G. Müller, Der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts im Zivilrecht, VersR 2008, 1141 (1150).
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GG,4 § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. (§ 1004 BGB analog u.) § 185, § 186, § 187, § 188, § 192 StGB,5 § 824 BGB,6 § 826 BGB –7 und aus dem Presserecht z. B. § 11 Abs. 1 LPGNW unterliegen nach Ausschöpfung zivilprozessualer Rechtsmittel auf Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90– 95 BVerfGG) hin grundsätzlich verfassungsgerichtlicher Nachprüfung dahin gehend, ob sie Bedeutung und Tragweite der Meinungs(äußerungs)freiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) für die Persönlichkeitsentfaltung und den demokratischen Prozess, für den die Meinungsfreiheit konstitutiv ist, gerecht werden.8
I. Wortzitat als Tatsachenbehauptung oder Werturteil Die Schutzbereiche des Rechts der persönlichen Ehre und des Rechts am eigenen Wort sind unterschiedlich, je nachdem, ob ihre Verletzung durch unzutreffende Tatsachenbehauptungen oder durch Äußerungen in Form von Werturteilen in Betracht kommt. Dies machen schon die Tatbestandsmerkmale „Wer … eine Tatsache behauptet oder verbreitet“ in § 824 Abs. 1 BGB, § 186 und § 187 StGB sowie „eine in dem Druckwerk aufgestellte Tatsachenbehauptung“ in § 11 Abs. 1 Satz 1 LPGNW für Tatsachenbehauptungen deutlich. Einen Sonderfall stellt die Formalbeleidigung (§ 192 StGB) dar, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich aus den Begleitumständen bei Behauptung wahrer Tatsachen eine beleidigende Wertung ergibt, die ausnahmsweise von Art. 5
__________ 4 Vgl. statt vieler BVerfG v. 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09, NJW 2009, 3357 – Straftat eines Bundesliga-Fußballspielers; BGH v. 22.9.2009 – VI ZR 19/08, NJW 2009, 3580 – unsaubere Geschäfte; OLG Frankfurt/M. v. 10.3.2004 – 14 W 16/04, NJW-RR 2005, 54 – Tätervolk; G. Müller, Möglichkeiten und Grenzen des Persönlichkeitsrechts, VersR 2000, 797 (798, 806); dies. (Fn. 3), VersR 2008, 1141. 5 Vgl. statt vieler BVerfG (Fn. 4) NJW 2009, 3357 – Straftat eines Bundesliga-Fußballspielers; BGH v. 9.7.1985 – VI ZR 214/83, NJW 1985, 2644 – Nachtigall II; OLG Frankfurt/M. (Fn. 4), NJW-RR 2005, 54 – Tätervolk; Bröcker in Büscher/Dittmer/Schiwy (Fn. 2), T. 2 Kap. 2 Rz. 87; Damm/Rehbock/Smid, Widerruf, Unterlassung und Schadenersatz in den Medien, 3. Aufl. 2008, Rz. 396–426; Wanckel in Götting/Schertz/ Seitz, Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 20 Rz. 7; Stoll, Freiheit der Meinungsäußerung und Schutz der Persönlichkeit in der neueren Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Haftung, Jura 1979, 576 (576); G. Müller (Fn. 4), VersR 2000, 800; dies. (Fn. 3), VersR 2008, 1150. 6 BGH v. 13.10.1964 – VI ZR 130/63, NJW 1965, 36 (37) – Marktbericht; BGH v. 7.2.1984 – VI ZR 193/82, BGHZ 90, 113 (116 ff.) – Bundesbahnplanungsvorhaben; OLG Hamburg v. 7.2.1974 – 3 U 146/73, Schulze, Rechtsprechung zum Urheberrecht (RzU), OLGZ Nr. 147, S. 6, 11 f., 16 – Julius Steiner m. Anm. Neumann-Duesberg; Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Rz. 5.249, 5.252 f.; Wanckel in Götting/Schertz/Seitz (Fn. 5), § 20 Rz. 7; Damm/ Rehbock/Smid (Fn. 5), Rz. 458–475; G. Müller (Fn. 3), VersR 2008, 1150. 7 RG v. 15.11.1909 – Rep. VI 382/08, RGZ 72, 175 (176) – geisteskrank; RG v. 13.1.1927 – IV 429/26, RGZ 115, 416 (417) – Vorstrafe; BGH v. 23.10.1979 – VI ZR 230/77, NJW 1980, 881 (882) – Vermögensverwaltung; Burkhardt in Wenzel (Fn. 6), Rz. 5.279–5.284; G. Müller (Fn. 3), VersR 2008, 1150. 8 Statt vieler BVerfG v. 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 (208) – Lüth; BVerfG v. 26.6.1990 – 1 BvR 1165/89, BVerfGE 82, 272 (281 f.) – Zwangsdemokrat; BVerfG v. 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88, BVerfGE 85, 1 (13) – Kritische Bayer-Aktionäre; BVerfG v. 19.12.1991 – 1 BvR 327/91, NJW 1992, 2013 – Nazi.
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Das Wortzitat als „Zeuge gegen sich selbst“ im öffentlichen Meinungskampf
Abs. 1 GG nicht mehr gedeckt ist.9 Bei Werturteilen ist eine Güter- und Interessenabwägung zwischen Art. 5 Abs. 1 GG einerseits und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG andererseits unter Einbeziehung des Art. 5 Abs. 2 GG nach den gesamten Umständen jedes Einzelfalles vorzunehmen;10 letztlich tritt im öffentlichen Meinungskampf nur bei Schmähkritik11 oder Erwähnung in ehrverletzendem Zusammenhang12 das Recht auf freie Meinungsäußerung zurück. Wortbeiträge sind nahezu immer deutungsfähig und -bedürftig. Daher werden sie selten nur dem Buchstabensinne nach, sondern meistens „interpretiert“ der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt, wobei in der Deutung bereits Vorentscheidungen für die rechtliche Beurteilung fallen können.13 1. Wortzitat als Tatsachenbehauptung Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn die Äußerung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises (hier insbesondere §§ 144, 273 Abs. 2 Nr. 2, 288, 294 Abs. 1, 358a Satz 2, 371, 371a, 373, 402, 415–419, 445– 448 ZPO) zugänglich ist.14 Hierbei ist die Äußerung im Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gemacht wurde, könnte doch eine isolierte Betrachtung zur Verkennung ihres Charakters führen.15 Da es für die Einordnung als Tatsachenbehauptung auf die prinzipielle Nachprüfbarkeit ankommt, ob eine Äußerung zutrifft,16 ist unerheblich, ob im Einzelfalle eine Beweisauf-
__________ 9 BVerfG v. 25.3.1992 – 1 BvR 514/90, BVerfGE 86, 1 (13) – geb. Mörder („Krüppel“); BVerfG v. 13.4.1994 – 1 BvR 23/94, AfP 1994, 126 (127) – Judenverfolgung; OLG Köln v. 30.4.1970 – 1 U 100/69, ArchPR 1970, 95 f. – Eselszitat; Prinz/Peters, Medienrecht, 1999, Rz. 95; Damm/Rehbock/Smid (Fn. 5), Rz. 429–438. 10 Vgl. statt vieler BVerfG (Fn. 8), BVerfGE 7, 198 (212) – Lüth; BVerfG v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 (219 ff.) – Lebach I; BVerfG (Fn. 8), BVerfGE 85, 1 (16) – Kritische Bayer-Aktionäre; BVerfG (Fn. 2), NJW 1999, 1322 (1324) – Helnwein; BVerfG v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04, NJW 2009, 3016 (3017) – durchgeknallt; BGH v. 2.12.2008 – VI ZR 219/06, NJW 2009, 915 f. – Submissionsmissbrauch; BGH v. 3.2.2009 – VI ZR 36/07, NJW 2009, 1872 f. – Korruptionsvorwurf im Internet; BGH v. 22.9.2009 – VI ZR 19/08, NJW 2009, 3580 (3581) – unsaubere Geschäfte. 11 BVerfG v. 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61, 1 (12) – NPD von Europa; BVerfG (Fn. 2), NJW 2004, 590 (591) – Diestel. 12 OLG Köln v. 11.5.1976 – 15 U 99/75 (unveröffentlicht), Umdruck, S. 21–24 – Böll/ Walden u. SFB; Prinz/Peters (Fn. 9), Rz. 96 f. m. w. N. auf unveröffentlichte Entscheidungen. 13 Grimm, Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, in Karlsruher Forum 1996: Schutz der Persönlichkeit, 1997, S. 3 (25 f.). 14 Statt vieler BGH v. 17.11.1992 – VI ZR 344/92, NJW 1993, 930 (931) – Illegaler Fellhandel; BGH v. 30.1.1996 – VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13 (20 f.) – Der Lohnkiller; BGH v. 26.11.1996 – VI ZR 323/95, NJW 1997, 1148 (1149) – Chefarzt. 15 Statt vieler BGH v. 12.5.1987 – VI ZR 195/86, NJW 1987, 2225 – Chemiegift; BGH v. 28.6.1994 – VI ZR 252/93, NJW 1994, 2614 (2615) – Pleite gehen; BGH (Fn. 14), BGHZ 132, 13 (20) – Der Lohnkiller; BGH (Fn. 14), NJW 1997, 1148 (1149) – Chefarzt. 16 Stoll (Fn. 5), Jura 1979, 576 (580).
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nahme erforderlich ist, ein taugliches Beweismittel zur Verfügung steht und zu welchem Ergebnis eine etwaige Beweiserhebung führt.17 Ein Wortzitat kann eine Tatsachenbehauptung sein, indem mit ihm behauptet wird, dass der kritisch Zitierte die zitierte Äußerung gemacht habe, sie also nicht vom Zitierenden oder Dritten erfunden sei.18 Anführungszeichen innerhalb eines Textes können Anzeichen für das Vorliegen eines Zitats sein, insbesondere eines wörtlichen,19 selbst wenn es sich um ein Typoskript für eine Rede handelt, in der Anführungszeichen als solche nicht gesprochen werden,20 müssen aber nicht stets diese Bedeutung haben.21 Auch gesprochene oder geschriebene, bei engem Verständnis des Wortzitats pleonastische Hinweise „ich zitiere wörtlich“ oder „so der Zitierte wörtlich“ weisen auf eine Tatsachenbehauptung hin.22 Der Hinweis in einer Fußnote auf eine Veröffentlichung des Zitierten kann für ein Zitat sprechen,23 muss es aber nicht.24 Die Wahl der indirekten Rede, der Zitierte habe sich so geäußert, nimmt dem Zitat nicht den Charakter einer Tatsachenbehauptung.25 Handelt es sich um das Zu-Eigen-Machen eines Fremdzitats, in dem der Erstzitierende als Quelle dafür genannt wird, dass sich ein Dritter in bestimmter Weise geäußert habe, so liegt gar eine zweifache Tatsachenbehauptung vor, zum ersten nämlich, dass der Dritte sich überhaupt nach Anlass, Ort und Zeit-
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17 OLG Köln v. 17.2.1987 – 15 W 144/86, NJW 1988, 2892 – Geschichtsfälschung; Seitz/ Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch, Presse, Film, Funk und Fernsehen, 3. Aufl. 1998, Rz. 309; Prinz/Peters (Fn. 9), Rz. 3. 18 BVerfG (Fn. 1), BVerfGE 34, 269 (282, 292) – Soraya; BVerfG v. 31.3.1993 – 1 BvR 295/93, AfP 1993, 563 (564) – Verdatung; BGH (Fn. 1), NJW 1965, 685 (686) – Soraya; BGH (Fn. 1), NJW 1995, 861 (862) – Caroline von Monaco I; OLG Bremen v. 17.12. 1985 – 1 U 128/85, AfP 1987, 514 f. – Werbebroschüre; OLG Karlsruhe v. 16.6.1988 – 14 U 288/86, VersR 1989, 65 – vorgespiegelte wörtliche Zitate; OLG München v. 10.12.1999 – 21 U 4083/99, NJW-RR 2001, 42 (43) – gekauftes erfundenes Interview; Rixecker in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2006, Anh. § 12, Allg. PersönlR Rz. 81; Soehring, Presserecht, 4. Aufl. 2010, § 14 Rz. 7; Canaris, Diskussionsbeitrag beim Karlsruher Forum 1996 (Fn. 13), S. 58 (58). 19 BGH v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80, NJW 1982, 635 – Böll/Walden u. SFB II; OLG Celle v. 1.11.2001 – 13 U 169/01, AfP 2002, 506 (507) – Völkermord an Armeniern. 20 BGH (Fn. 19), NJW 1982, 635 – Böll/Walden u. SFB II; Burkhardt in Wenzel (Fn. 6), Rz. 4.32; kritisch Stoll, Der Persönlichkeitsschutz in der neueren Entwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, Jura 1981, 135 (136 f.). 21 BVerfG (Fn. 18), AfP 1993, 563 (564) – Verdatung; Prinz/Peters (Fn. 9), Rz. 282; Burkhardt in Wenzel (Fn. 6), Rz. 5.93; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl. 2005, Kap. 41 Rz. 16; Löffler/Steffen, Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 6 LPG Rz. 200; Bröcker in Büscher/Dittmer/Schiwy (Fn. 2), T. 2 Kap. 2 Rz. 102; Peters, Die publizistische Sorgfalt, NJW 1997, 1334 (1337 f.). 22 Prinz/Peters (Fn. 9), Rz. 282; Stoll (Fn. 20), Jura 1981, 135 (136). 23 BVerfGE (Fn. 18), AfP 1993, 563 (564) – Verdatung. 24 OLG Frankfurt/M. v. 13.1.2000 – 16 U 179/99, AfP 2000, 384 – Bauernfängerei (abgeändert); Burkhardt in Wenzel (Fn. 6), Rz. 5.93. 25 BGH (Fn. 19), NJW 1982, 635 – Böll/Walden u. SFB II; OLG Köln v. 28.7.2009 – 15 U 37/09, AfP 2009, 603 (604) – E. Herman; Rixecker in Münchener Kommentar zum BGB (Fn. 18), Anh. § 12, Allg. PersönlR Rz. 81; Oekonomidis, Die Zitierfreiheit im Recht Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, 1970, S. 98; Burkhardt in Wenzel (Fn. 6), Rz. 5.91; Gauß in Götting/Schertz/Seitz (Fn. 5), § 18 Rz. 12.
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Das Wortzitat als „Zeuge gegen sich selbst“ im öffentlichen Meinungskampf
punkt zu einem bestimmten Thema geäußert habe,26 und zum zweiten, dass der Dritte eine Äußerung mit dem wiedergegebenen Inhalt getan habe.27 Solche Fremdzitat-Streitfälle sind dadurch gekennzeichnet, dass sich nicht der Erstzitierende wehrt, sondern der betroffene Dritte gegen das Zweitzitat.28 Selbst wenn der Inhalt seiner zitierten Äußerung ein Werturteil war, kann in dessen Zitierung eine Tatsachenbehauptung liegen.29 Als zugleich Zeitgeschichte widerspiegelnde Beispiele von Wortzitaten, die die Rechtsprechung als Tatsachenbehauptungen eingestuft hat, seien folgende angeführt: Das OLG Köln30 sah die Äußerungen des damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt auf einer Landtagswahlkampfveranstaltung in Kiel Anfang 1975 „Wir sind stolz auf dieses Land, das Strauß einen Saustall nennt“ und auf der 1. Norddeutschen Betriebsräte-Konferenz in Uetersen vom 15.3.1975 „Wir Sozialdemokraten sind stolz auf dieses Land, dass der krachlederne Büttenredner Strauß in Passau einen Saustall genannt hat“ als Tatsachenbehauptungen an. Denn die Passage aus der Rede von Franz Josef Strauß, auf die sich
__________ 26 BGH v. 20.5.1969 – VI ZR 256/67, GRUR 1969, 555 (557) Anm. Micheli – Cellulitis; BGH (Fn. 1), NJW 1995, 861 (862) – Caroline von Monaco I; OLG Frankfurt/M. v. 21.6.1985 – 10 U 131/85, AfP 1985, 288 (290) – ZDF-Interview; OLG München v. 1.10.1993 – 21 U 4042/93, AfP 1993, 767 (768) – Schmiergeldaffaire; OLG Köln v. 23.10.2001 – 15 U 43/01, AfP 2001, 524 – Friedel Neuber; G. Müller, Ehrenschutz und Meinungsfreiheit, AfP 1997, 499 (499). 27 BGH (Fn. 14), BGHZ 132, 13 (20) – Der Lohnkiller; OLG München v. 29.7.1977 – 21 U 2082/77, AfP 1978, 27 f. – Atomkraftwerk; KG v. 29.2.2000 – 9 U 5861/98, AfP 2001, 65 (66) – Diestel; OLG Celle (Fn. 19), AfP 2002, 506 (507) – Völkermord an Armeniern; LG Bonn v. 22.9.1993 – 1 O 187/93, NJW-RR 1994, 802 (803) – Leserbrief; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz v. 20.3.1990, NJW 1991, 2652 – Staatsanwaltschaft; Prinz/Peters (Fn. 9), Rz. 17, 116; Seitz/Schmidt (Fn. 17), Rz. 230, 366, 367; Frömming, Zur Haftung der Medien für persönlichkeitsverletzende Zitate, in Medien im Wandel, FS Engelschall, 1996, S. 47, 49; Peters (Fn. 21), NJW 1997, 1334 (1335); zum Verbreiten von Fremdzitaten vgl. Mensching, Grenzen der Verbreiterhaftung, AfP 2009, 441 (442) unter Hinweis auf BVerfG v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470 – Rz. 64 ff. 28 Vgl. z. B. OLG München v. 3.5.1996 – 21 W 1384/96, NJW 1997, 804 – Krebsarzt; OLG Düsseldorf v. 8.12.1999 – 15 U 14/99, AfP 2000, 470 – Matratzentrockenreinigungsverfahren. Der Gegenstand der Panorama-Entscheidung des BGH v. 6.4.1976 – VI ZR 246/74 (BGHZ 66, 182 (188)) im Rechtsstreit Baron von Finck ./. NDR u. a. betraf eine etwas andere Sachverhaltskonstellation: Der dortige Kläger wehrte sich gegen Behauptungen, die vom NDR für die Sendung vom 18.1.1971 interviewte Dritte über die – angeblich unzureichende – Landabgabe des Klägers zur Beschaffung von Siedlungsland gemacht und sich mit der eigenen Kritik der Autoren des Beitrags gedeckt hatten. 29 BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 797/78; BVerfGE 54, 208 (218) – Böll I; BGH (Fn. 14), BGHZ 132, 13 (21) – Der Lohnkiller; OLG Köln (Fn. 12), Umdruck, S. 6, 8, 12 – Böll/Walden u. SFB; LG Berlin v. 24.6.1993 – 27 O 225/93, AfP 1994, 324 (325) – Vorwurf betrügerischen Verhaltens; Löffler/Steffen (Fn. 21), § 6 LPG Rz. 87b; Soehring (Fn. 18), Rz. 16.51; Frömming (Fn. 27), FS Engelschall, S. 47, 49; Brömmekamp, „Aus gut unterrichteten Kreisen war zu hören …“, AfP 2002, 141 (141). 30 OLG Köln v. 16.7.1975 – 17 U 38/75 (unveröffentlicht), Umdruck, S. 13 f., 20 f.; ebenso LG Bonn v. 18.4.1975 – 4 O 68/75 (unveröffentlicht) als Vorinstanz.
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Brandt zu stützen suchte, konnte im einstweiligen Verfügungsverfahren an Hand des 53-seitigen Redetextes genau (S. 7) ermittelt werden. So ordnete z. B. der BGH31 in seinem 1. Revisionsurteil im Schadenersatzprozess zwischen dem Schriftsteller Heinrich Böll und dem Fernsehkommentator Matthias Walden32 und dem ARD-Sender Freies Berlin (SFB) als drei Tatsachenbehauptungen ein, dass Walden in seinem Fernsehkommentar im Rahmen der Tagesschau des Deutschen Fernsehens vom 21.11.1974 anlässlich des Staatsakts für den am 10.11.1974 ermordeten Präsidenten des KG Günter von Drenckmann geäußert hatte:33 „Heinrich Böll bezeichnete den Rechtsstaat, gegen den die Gewalt sich richtet, als >Misthaufen< und sagte, er sähe nur >Reste verfaulender Macht, die mit rattenhafter Wut verteidigt< würden. Er beschuldigte diesen Staat, die Terroristen >in gnadenloser Jagd< zu verfolgen.“ Denn aus der Sicht beider Gerichte werden solche Eigenzitate nicht als subjektive Meinung des zitierenden Kritikers zur Diskussion gestellt, sondern als Tatsache, an der sich – bei Richtigkeit des Zitats – der zitierte Kritisierte festhalten lassen muss. Im Vergleich zu erkennbaren Werturteilen kommt Zitaten die besondere Überzeugungs- und Beweiskraft des Faktums zu.34 Die drei behaupteten Äußerungen konnten mit Mitteln des Beweises auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden, weil Walden im Rechtstreit angab, auf welche Äußerungen von Böll er sich bei jeder von ihnen stützen zu können meinte. Das OLG Hamburg35 sah die Behauptung des Schriftstellers Günter Wallraff in dessen Taschenbuch „Der Aufmacher – der Mann, der bei „Bild“ Hans Esser war“, ihm habe der damalige Leiter der Bild-Redaktion Hannover gesagt „Wichtig ist, dass Sie sich Geschichten ausdenken“, als Tatsachenbehauptung an. Denn es schloss aus dem Buch selbst und eidesstattlichen Versicherungen, dass die Adressaten dieser Äußerung in der Redaktion diese anders als die Leser des Buches dahin verstanden hatten, einfallsreich, aber wahrheitsgemäß zu schreiben, nicht Lügengeschichten zu erfinden.36
__________ 31 BGH v. 30.5.1978 – VI ZR 117/76, NJW 1978, 1797 (1798) – Böll/Walden u. SFB I = Schulze, RzU, BGHZ Nr. 253 Anm. Hubmann; ebenso BVerfG (Fn. 29), BVerfGE 54, 208 (217) – Böll I. 32 Pseudonym für Otto Freiherr von Saß, das dieser ausweislich eines Gesprächs von Daniel Schwane mit Waldens Weggefährten Götz Bergande vom 24.7.2003 gewählt hatte, um Waldens in der DDR verbliebene Verwandte möglichst nicht zu gefährden – so Schwane, Konservativer Vordenker oder vergessenes Fossil des Kalten Krieges? Der Publizist und Journalist Matthias Walden als Streiter für Freiheit und Demokratie, DeutschlandArchiv 2008, 75 (77). 33 Das handschriftlich überarbeitete Original (Deutsches Rundfunkarchiv, PotsdamBabelsberg, Sign. SFB 4741/29) weicht z. T. von den Wiedergaben in BGH NJW 1978, 1797 u. BVerfGE 54, 208 (209) ab. 34 BVerfG (Fn. 29), BVerfGE 54, 208 (217) – Böll I; OLG Brandenburg v. 23.4.2007 – 1 U 10/06, NJW-RR 2007, 1641 – Hassprediger; Grimm (Fn. 13), S. 3, 14. 35 OLG Hamburg v. 6.7.1978 – 3 U 50/78, AfP 1979, 243 f. – Der Aufmacher. 36 In einem zugehörigen Hauptsacheverfahren hob der BGH das Berufungsurteil teilweise auf und verwies die Sache zwecks Beweiserhebung über die Wahrheit der Behauptungen des Schriftstellers zurück (BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 163/79, NJW 1981, 1367 (1368 f.) – Der Aufmacher II). Soweit der BGH in einem parallelen Rechtsstreit Axel Springer AG ./. Wallraff und Verlag von dessen Taschenbuch die Klage auf Un-
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Die Wiedergabe einer – im Prozess nicht bewiesenen – Äußerung des damaligen Vorsitzenden des SPD-Landesverbandes Baden-Württemberg Erhard Eppler bei einer Diskussionsveranstaltung in Heilbronn „hier schließlich wird man … die Belastbarkeit der Wirtschaft prüfen“ in einer Musterrede, die der CDULandesverband Baden-Württemberg seinen Kreisrednern im Landtagswahlkampf 1976 überlassen hatte, sah das OLG Stuttgart als Tatsachenbehauptung an.37 Das OLG München38 nahm eine Tatsachenbehauptung an, als die Zeitschrift „Metall“ auf ihrer Titelseite vom 18.7.1979 aus der Rede des Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß auf einer Tagung der CSU-Landesgruppe in Sonthofen vom 18.11.1974 angeführt hatte „Und wenn wir hinkommen und räumen so auf, dass bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen keiner es mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzumachen“, ohne aus dieser Rede die den richtigen Zusammenhang zeigenden zwei Sätze „Wir müssen sagen, die SPD und FDP überlassen diesen Staat kriminellen und politischen Gangstern. Und zwischen kriminellen und politischen Gangstern ist nicht der geringste Unterschied, sie sind alle miteinander Verbrecher“ voranzustellen. Auch hier war eine Richtigkeitsprüfung mittels des Redemanuskripts möglich. Die Mitteilung in der Bild-Zeitung vom 15.7.1982 „Mit des Kanzlers Tugenden könne man auch ein KZ betreiben, meint Oskar Lafontaine, SPD-LandesChef im Saarland“ unter der Überschrift „Das hat Schmidt nicht verdient“ wertete das OLG Saarbrücken als Tatsachenbehauptung.39 Hierbei hatte sich der Bild-Kommentar auf ein Interview bezogen, das Lafontaine der Illustrierten stern gegeben hatte und in deren Ausgabe Nr. 29 vom 15.7.1982 veröffentlicht worden war. Mit Hilfe dieses Interviews konnte grundsätzlich überprüft werden, ob die Mitteilung im Bild-Kommentar den Äußerungen von Lafontaine entsprach. Als Tatsachenbehauptung hat es das LG Bonn40 angesehen, dass ein Kommunalpolitiker in einem Leserbrief im K.-Anzeiger vom 7.5.1993 bezichtigt worden war, in einer Partei-Mitgliederversammlung vom 5.3.1993 – neben zwei Aussagen zum Dritten Reich – Asylanten als „ungebetene Gäste“ bezeichnet
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terlassung der Wiedergabe einer Redaktionskonferenz der Bild-Zeitung abgewiesen hatte (BGH v. 20.1.1981 – VI ZR 162/79, BGHZ 80, 25 – Der Aufmacher I), hob das BVerfG dieses Urteil auf, BVerfG v. 25.1.1984 – 1 BvR 272/81, BVerfGE 66, 116 (131– 141) – Der Aufmacher. Die gleichzeitige Abweisung der Unterlassungsklage gegen die Abbildung einer Manuskriptseite von Wallraff, die der Chefreporter von Bild bearbeitet hatte, beanstandete das BVerfG (a. a. O., 143–147) nicht. OLG Stuttgart v. 25.8.1976 – 4 U 69/76, AfP 1976, 183 Anm. Lindacher (Verfügungsverfahren); OLG Stuttgart v. 9.2.1977 – 4 U 117/76, JZ 1977, 684 (Hauptsacheverfahren); insoweit ebenso BVerfG v. 3.6.1980 – 1 BvR 185/77, BVerfGE 54, 148 (157 f.) – Eppler; kritisch hierzu Rasehorn, Zum Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht bei politischen Auseinandersetzungen, JZ 1977, 672; Wenzel, Die Verfassungsrechtsprechung in Sachen Böll, Eppler und „Kunstkritik“, AfP 1980, 195 (198). OLG München v. 8.12.1980 – 21 U 2050/80, AfP 1981, 297 (298) – Sonthofener Rede. OLG Saarbrücken v. 15.1.1985 – 2 U 58/83, AfP 1985, 134 (135) m. krit. Anm. Romatka. Fn. 27; vgl. dazu Seitz/Schmidt (Fn. 17), Rz. 367.
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zu haben. Entsprechend hat das OLG Schleswig41 entschieden, als ein Lehrer zu Unrecht ausländerfeindlicher Äußerungen beschuldigt worden war. Das OLG München42 sah es als Tatsachenbehauptungen an, dass ein SPD-Flugblatt im Bundestagswahlkampf 1998 dem CSU-Kandidaten Erich Riedl vorgeworfen hatte, er habe Polizeibeamte als „grüne Männchen“ und einen Landtagsabgeordneten als „Katholischen Drecksack“ bezeichnet. Das OLG Brandenburg43 stufte einen Internet-Bericht über eine Frontal 21-Fernsehsendung, der türkische Imam J. habe in einer Predigt in Berlin-Kreuzberg die „Deutschen als stinkende Ungläubige bezeichnet, die in der Hölle landen“ als Tatsachenbehauptungen ein, und zwar als wahre, weil sich aus einem übersetzten Mitschnitt der Predigt ersehen ließ, dass er u. a. gesagt hatte: „Im Jenseits kommen sie wegen ihrer Ungläubigkeit in nichts anderes als ins Feuer … Wenn sich die meisten dieser Deutschen nicht unter den Achseln rasieren und … sich der Schweiß an den Haarwurzeln sammelt, dann verursacht das Schweißgeruch“. Lediglich die aus den Zitaten abgeleitete Bezeichnung des Imams als „Hassprediger“ bzw. als „jemand, der Hasspredigten halte“ sah es als Werturteil an. Das BVerfG44 sah in Textpassagen des Bundes-Datenschutzbeauftragten als Autors eines 1984 erschienenen Buches (S. 239–242), die sich mit intensiver Rasterfahndung befassten, Tatsachenbehauptungen, soweit es darin hieß „Was Kriminalisten wie den BKA-Präsidenten Herold begeisterte.“ Letzterer sollte der geschilderten, vom Autor als Alptraum dargestellten Rasterfahndungsmethode nicht nur zugestimmt, sondern sie darüber hinaus als besonders positiv bewertet haben. Diese Behauptungen konnten auf Grund eigener früherer Aufsätze und Interviews von Horst Herold überprüft werden. Die Äußerung in dem Artikel „Rechte Professoren“ in Nr. 2 der Illustrierten stern vom 4.1.1996 über einen Beitrag des Klägers H. in einer Festschrift für den Historiker D., in dem Letzterer gegen den Vorwurf in Schutz genommen worden war, in seiner „Geschichte der Deutschen“ den Holocaust geleugnet zu haben, „H. versteckt seine Nazi-Parolen, die den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen können, gern in lateinischen Fußnoten, »weil es ja in unserem Staat gesetzlich verboten ist, eine gewisse, offiziell als historisch feststehend geltende Tatsache in Frage zu stellen, in Zweifel zu ziehen, gar zu verneinen«. Im altsprachlichen Kleingedruckten redet er Klartext: »Ich leugne, dass die aus Berechnung angeordnete und in »Vernichtungslagern« mit tödlichem Gas methodisch durchgeführte Vernichtung des jüdischen Volkes wahr
__________ 41 OLG Schleswig v. 9.10.1998 – 1 U 86/95 (unveröffentlicht, vgl. aber Hinweis von G. Müller [Fn. 4], VersR 2000, 797 [801]). 42 OLG München v. 18.1.2002 – 21 U 3164/01, NJW-RR 2002, 1045 (1046) – Katholischer Drecksack. 43 Fn. 34; vgl. zu z. T. ähnlichen Sachverhaltskonstellationen: BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 226/08, ZUM 2010, 339 (341) – Heute wird offen gelogen; OLG Naumburg v. 25.5.2005 – 6 U 125/04, AfP 2006, 70 – „Irrer“. 44 BVerfG v. 4.10.1988 – 1 BvR 556/85, NJW 1989, 1789 – Rasterfahndung; ebenso im Ausgangsverfahren das OLG Hamburg v. 11.4.1985 – 3 U 249/84, NJW 1987, 1416 f.
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ist«“ sah der BGH45 als Tatsachenbehauptung an. Die Beklagte hatte das im Lateinischen mehrdeutige Zitat „veram fabulam esse nego“ falsch übersetzt. Eine Tatsachenbehauptung i. S. des 1. Aspekts eines Fremdzitats nahm das KG46 an, als die Bild-Zeitung vom 9.1.1998 eine – angebliche – Äußerung des Liedermachers und früheren DDR-Dissidenten Wolf Biermann bei einem Kamingespräch im Anschluss an eine CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth über den letzten Innenminister der DDR Michael Diestel wiedergab: „Der Mann ist solche Bundesscheiße [oder Hundescheiße oder Scheiße], da möchte man überhaupt nicht reintreten.“ Der Inhalt des angeblichen Ausspruchs von Biermann stellte ein Werturteil dar. Das OLG Köln47 ging von einer Tatsachenbehauptung aus, als ein Münchener Nachrichtenmagazin berichtet hatte „Bereits jetzt gehen Justizkreise jedoch davon aus, dass die Staatsanwaltschaft gegen die WestLB-Manager Anklage wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung erhebt.“ Während das Gericht I. Instanz die Beweislast für die behauptete Äußerung aus Justizkreisen analog § 193 StGB beim Magazin liegen sah, bemängelte das Berufungsgericht ungeachtet dessen bereits die unzureichende Erfüllung einer erweiterten Darlegungslast des Magazins und lehnte daher trotz Schutzes der Informationsquelle (§§ 525, 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) einen Antrag auf Parteivernehmung (§§ 525, 448 ZPO) ab. Dem Verleger der türkischen Zeitung H. untersagte das OLG Celle,48 mehrere Äußerungen über eine Privatdozentin türkischer Abstammung an der deutschen Universität U. zu wiederholen, die im Zeitraum vom 25.3. bis zum 25.4.2001 als von ihr herrührend veröffentlich worden waren: Es sah Tatsachenbehauptungen darin, dass über die Antragstellerin behauptet, teilweise zumindest verbreitet worden war, sie habe behauptet, das, was die Nazis den Juden angetan hätten, sei auch den Armeniern in Anatolien angetan worden, und – mit Bezug auf den türkischen Staat – „Unter dem Namen einer Reinigung haben sie einen Völkermord vollbracht“, und die Antragstellerin habe Schadenersatzzahlungen der Türkei an die Armenier auf die Tagesordnung gebracht. Alle drei Äußerungen konnten auf Grund des Manuskripts des Vortrages überprüft werden, den die Antragstellerin zur Eröffnung eines Symposiums ihrer Universität zum Thema „Von der schweren Last der Geschichte – Der Versuch eines armenisch-türkischen Dialogs“ im März 2001 gehalten hatte. Der BGH49 ließ ein Fremdzitat der Zeitschrift Effecten-Spiegel Nr. 20 vom 8.5.2003 in Form der Artikelüberschrift „R: Bislang hat in Deutschland kein Anleger Schadenersatz bekommen“ aus einem Artikel der Illustrierten stern,
__________ 45 BGH v. 27.11.1998 – VI ZR 72/97, BGHZ 97, 125 (149); vgl. dazu Soehring (Fn. 18), § 14 Rz. 7, § 16 Rz. 52. 46 Fn. 27; ebenso BVerfG (Fn. 2), NJW 2004, 590 (591) – Diestel; vgl. dazu Soehring (Fn. 18), § 16 Rz. 32. 47 Fn. 26; ebenso LG Köln als Vorinstanz v. 31.1.2001 – 28 O 405/00 (unveröffentlicht); vgl. dazu Brömmekamp (Fn. 29), AfP 2002, 141 (142). 48 Fn. 19. 49 BGH v. 15.11.2005 – VI ZR 274/04, NJW 2006, 609 (610) – Anlegerklagen.
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in den ein dpa-Interview des klagenden Rechtsanwalts eingeflossen war, nach Beweisaufnahme als Tatsachenbehauptung zu. Es folgte nicht der Behauptung des Klägers, der hauptsächlich Anleger vertrat, die durch – angebliche – Fehlinformationen Aktien erworben hatten, er habe zwar den zitierten Satz geäußert, dies aber in anderem sachlichen Zusammenhang getan.50 In der Agenturmeldung vom 10.10.2007 über die frühere Fernsehmoderatorin und Nachrichtensprecherin des NDR Eva Herman über deren Äußerungen während der Fernsehsendung B. im ZDF vom 4.10.2007 „Wenn man nicht über die Familienwerte der Nazis reden dürfe, könne man auch nicht über die Autobahnen sprechen, die damals gebaut wurden, sagte I.“ sah das LG Köln eine Tatsachenbehauptung.51 Es war im Prozess unstreitig geworden, dass die Klägerin sich nicht in der konkreten Form geäußert hatte, wie es in der Agenturmeldung verbreitet worden war. Es war auch nicht die Klägerin gewesen, die einen Zusammenhang zwischen der NS-Familienpolitik und den im Dritten Reich errichteten Autobahnen hergestellt hatte.52 2. Wortzitat als Werturteil Ein Werturteil liegt vor, wenn eine Äußerung durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist.53 Es kann nicht mit Beweismitteln auf Richtigkeit überprüft werden, lässt sich doch schon sprichwörtlich über Geschmack nicht streiten. Im Einzelfall kann die Abgrenzung zu Tatsachenbehauptungen schwierig sein, insbesondere weil nicht selten beide Äußerungsformen miteinander verbunden oder gar vermengt sind und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. Im Interesse einer möglichst effektiven Gewährleistung der Meinungsäußerungsfreiheit versteht die Rechtsprechung daher den Begriff des Werturteils weit und bejaht ein solches auch, wenn eine gemischte Äußerung von Elementen der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, der tatsächliche Gehalt also in den Hintergrund tritt.54 Ein Zitat kann demgemäß allein oder insgesamt ein Werturteil sein, insbesondere wenn der Zitierende die Äußerung eines anderen nicht wörtlich anführt, sondern nur sinngemäß und hierbei klar zum Ausdruck bringt, dass es sich um sein Verständnis der zitierten Äußerung handelt (sog.
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Ebenso BVerfG v. 23.10.2007 – 1 BvR 150/06, NJW 2008, 747 (748 f.) – Anlegerklagen. LG Köln v. 5.3.2008 – 28 O 10/08, AfP 2008, 230 (231). Vgl. hierzu auch OLG Köln (Fn. 25), AfP 2009, 603 – E. Herman. Vgl. statt vieler BVerfG (Fn. 8), BVerfGE 7, 198 (210) – Lüth; BVerfG (Fn. 11), BVerfGE 61, 1 (9) – NPD in Europa; BVerfG (Fn. 8), BVerfGE 85, 1 (14) – Kritische Bayer-Aktionäre; BVerfG v. 27.2.2003 – 1 BvR 1811/97, NJW 2003, 1855 – Asylbewerberin; BGH v. 13.2.1999 – VI ZR 140/98, NJW 1999, 2736 – Verdachtsdiagnose; BGH v. 20.2.2003 – III ZR 224/01, BGHZ 154, 54 (60) – Sektenbeauftragter. 54 Statt vieler BVerfG (Fn. 36), BVerfGE 66, 116 (149) – Der Aufmacher; BVerfG (Fn. 8), BVerfGE 85, 1 (15) – Kritische Bayer-Aktionäre; BGH (Fn. 14), BGHZ 132, 13 (21) – Der Lohnkiller; BGH (Fn. 15), NJW 1994, 2614 – Pleite gehen; BGH v. 16.11.2004 – 298/03, NJW 2005, 279 (281) – Bauernfängerei I (abgeändert); BGH v. 11.3.2008 – VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110 (2112) – Gen-Milch; Löffler/Steffen (Fn. 21), § 6 LPG Rz. 84–88b.
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Interpretationsvorbehalt). Wird im Zitat das Verständnis eines Dritten aufgeführt, kann darin bereits wieder eine Tatsachenbehauptung liegen, namentlich, wenn der Dritte im Eigen- oder Fremdzitat genau benannt wird. Wenn ein kritisches Werturteil in Fragen öffentlichen Interesses mit Zitaten i. S. von Belegen (§ 51 UrhG) für die Berechtigung der Kritik zu stützen versucht wird, können Werturteil einerseits und Zitat(e) als Tatsachenbehauptung(en) andererseits durchaus trennbar und jeweils für sich nach ihren spezifischen Kriterien rechtlich bewertbar sein. Nicht in jeder Kombination sind Werturteil und Zitat voneinander untrennbar. So hat das BVerfG in seinem Böll I-Beschluss55 die drei auf S. 318 wiedergegebenen Zitate von Walden als Tatsachenbehauptungen eingeordnet und bewertet, nicht hingegen als von dem Eingangsvorwurf überlagert angesehen, Böll gehöre zu denjenigen, die den „Boden der Gewalt … durch den Ungeist der Sympathie mit den Gewalttätern gedüngt“ hätten.56 Im Falle Verdatung befasste sich das BVerfG57 mit einem Artikel, den der Beklagte des Ausgangsverfahrens in der Fachzeitschrift „Kriminalistik“ unter dem Titel „Kriminalistik durch Informationsvorsorge“ veröffentlicht und in dem er u. a. ausgeführt hatte: „Dabei haben die Polizeibehörden und allen voraus das Bundeskriminalamt (BKA) mit Recht jenen Vorstellungen seines einstigen Präsidenten H. die Gefolgschaft verweigert, die auf die totale „Verdatung“ des Bürgers zielten.“ In einer Anmerkung zu diesem Satz wurde auf einen Zeitschriftenbeitrag des früheren BKA-Präsidenten Herold hingewiesen. Mit dem Berufungsgericht der voran gegangenen Eil- und Hauptverfahren sah das BVerfG in der vorstehenden Textpassage kein Zitat, weil darin nur ein einzelnes Wort in Anführungszeichen gesetzt worden war und sich der Literaturhinweis in der Anmerkung auf den ganzen Satz bezog, mit dem der Autor nur seine Interpretation zum Ausdruck gebracht habe. Insgesamt verneinte das BVerfG damit das Vorliegen eines Zitats. Das OLG Frankfurt/M.58 hat einen Gegendarstellungsantrag gegen den Bericht über die Äußerung des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium der Justiz „Die [Zeitschrift] Junge Freiheit werde von der Jugendorganisation der NPD gelenkt“ wegen Vorliegens eines Werturteils zurückgewiesen. Der BGH59 sah in der Wiedergabe eines Fremdzitats im Rahmen einer komplexen Äußerung insgesamt ein Werturteil, weil es mit der hiermit übereinstimmenden eigenen Auffassung des Zweitzitierenden eng verknüpft war. Der beklagte Rechtsanwalt hatte sich in einer Abhandlung „Das Interesse an der Lüge – Auch im Zivilrecht?“ kritisch mit einer Vertragsstrafeversprechensregelung der Foris AG auseinander gesetzt, die auf dem Gebiet der Prozess-
__________ 55 BVerfG (Fn. 29), BVerfGE 54, 208 (217–222). 56 Wiedergabe nach BVerfG (Fn. 29), BVerfGE 54, 208 (209); so auch schon OLG Köln (Fn. 12), Umdruck, S. 6–18 einerseits und S. 18–21 andererseits. 57 BVerfG (Fn. 18), AfP 1993, 563 (564), vgl. dazu Löffler/Steffen (Fn. 21), § 6 LPG Rz. 200. 58 OLG Frankfurt/M. v. 26.2.2009 – 16 U 170/08, NJW-RR 2009, 835 – Lenkung. 59 BGH (Fn. 54), NJW 2005, 279 (281) – Bauernfängerei I.
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kostenfinanzierung u. a. von Schadenersatzklagen von Banken geschädigter Kapitalanleger tätig war. Hierbei hatte er u. a. ausgeführt: „Die öffentliche Resonanz ist gemischt. Der Brancheninformationsdienst kapital-markt intern (43/1998, S. 2) bezeichnet dies als „Bauernfängerei“ und hat gerade im Fall Foris Recht damit …“. Die Vorinstanzen60 hatten zur Unterlassung dieses Zitats verurteilt, weil der Brancheninformationsdienst mit diesem Schlagwort nicht das Prozesskostenfinanzierungssystem, sondern eine Aktien-Zeichnungsfrist belegt gehabt habe. Der BGH stellte hingegen darauf ab, dass das Zitat nicht als einzelner Satz mit tatsächlichem Gehalt aus der komplexen Gesamtäußerung herausgelöst und isoliert betrachtet werden dürfe, würde doch sonst der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG ungerechtfertigt eingeschränkt. Das BVerfG61 hat die Abweisung der Klage auf Unterlassung der Behauptung, kapital-markt intern habe die angebotene Prozessfinanzierung als Bauernfängerei bezeichnet, wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG aufgehoben. Hierauf hat der BGH62 entschieden, dass das Zitat in einen anderen inhaltlichen Zusammenhang gehörte und daher unrichtig war.
II. Zitiertreue Sind Wortzitate Tatsachenbehauptungen, stellt sich im Streitfall die Frage, ob sie richtig sind. Dies ist nicht ein Aspekt der „Zitierfreiheit“,63 sondern der Zitier(ungs)treue.64 1. Wörtliches Zitat Selbst ein wörtliches Zitat, wie Wörterbücher und Enzyklopädien seit mehr als einem Jahrhundert die historisch zweite Bedeutung von „Zitat“ und „zitieren“ erläutern,65 kann im öffentlichen Meinungskampf Konflikte auslösen. So kann selbst die wörtliche Wiedergabe unrichtig sein, wenn der Zitierende nicht Anlass, Sachzusammenhang und Zeitpunkt der zitierten Äußerung berücksichtigt und für den Hörer/Leser deutlich macht.66 Wird das wörtliche
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OLG Frankfurt/M. (Fn. 24). BVerfG v. 8.5.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, 358 – Bauernfängerei. BGH v. 20.11.2007 – VI ZR 144/07, VersR 2008, 1081 – Bauernfängerei II. So Gerhardt, Heinrich Böll über Justiz und „Rechtskultur“, NJW 2009, 743 (743). Zum Bereich der Zitierfreiheit gehört eher der Gegenstand des B. des BVerfG v. 18.2.2010 – 1 BvR 2477/08, NJW 2010, 1587 – Zitat aus Anwaltsschreiben; vgl. auch Oekonomidis (Fn. 25), S. 79 ff. 64 Löffler/Steffen (Fn. 21), § 6 LPG Rz. 200; Peters (Fn. 21), NJW 1997, 1334 (1337). 65 Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1956, Bd. 15, Sp. 1664–1668 (1666); Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 6 Bänden, 1981, Bd. 6, S. 2945; Der Duden in 12 Bänden, Bd. 1: Die deutsche Rechtschreibung, 21. Aufl. 1996, S. 848; Der Neue Brockhaus, Lexikon und Wörterbuch in 5 Bänden und 1 Atlas, 4. Aufl. 1968, Bd. 5, S. 610; Brockhaus Enzyklopädie, 17. Aufl. 1974, Bd. 20, S. 715, 716; Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden, 1979, Bd. 25, S. 746. 66 Böll, Schwarzer Mittwoch beim ZDF (1972) in Böll, Werke, Kölner Ausgabe, 2003, Bd. 18, S. 51–53 (52) nebst Kommentierung S. 467–470; ders., Aussage im Prozess gegen Matthias Walden, in Böll (Fn. 66), 2008, Bd. 19, S. 76–84 (79 f.) nebst Kommentierung S. 424–436 (diese Erklärung wurde vor dem LG Köln am 26.2.1975, nicht vor
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Zitat in einen anderen Sachzusammenhang gesetzt, kann die zitierte Äußerung einen anderen Aussageinhalt oder eine andere Richtung erhalten, als sie sie im Original hatte; auch mit wörtlichen Zitaten darf nicht geklittert werden.67 Eine Verfälschung kann beim wörtlichen Zitat auch darin bestehen, dass einzelne Sätze aus dem Zusammenhang gerissen, isoliert68 oder abweichend vom Original umgestellt werden.69 Zu einer Verfälschung, insbesondere Entstellung (vgl. für den urheberrechtlich relevanten Bereich das persönlichkeitsrechtsbezogene Änderungsverbot des § 62 Abs. 1 i. V. m. § 51 UrhG), kann es kommen, wenn für das Zitat einzelne Sätze oder Satzteile oder Wörter weggelassen oder unterdrückt70 oder hinzugesetzt werden,71 erst recht, wenn weder das eine noch das andere für den Hörer/Leser gekennzeichnet wird. Als Beispiele solcher Art von Verfälschungen wörtlicher Zitate seien folgende genannt: Im Saustallzitat-Fall nahm das OLG Köln72 ein Falschzitat von Brandt durch teilweise Weglassung der Originaläußerung an. Denn Strauß hatte in der Nibe-
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dem OLG am 6.4.1976 abgegeben, wie sie Linder, Das Schwirren des heranfliegenden Pfeils. Heinrich Böll/Eine Biographie, 2009, S. 495, 499 entgegen seinem eigenen Prozessbericht Das Handwerk des Schreibens/Heinrich Böll begründet vor Gericht seine Klage gegen SFB-Kommentator Walden/Urteil später, Frankfurter Rundschau v. 27.2.1975, irrtümlich zuordnet); Böll, Ich habe die Nase voll, Dankrede anlässlich der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille durch die Internationale Liga für Menschenrechte vom 8.12.1974, in Böll (Fn. 66), Bd. 19, S. 47–53 (49, 51) nebst Kommentierung, S. 402–407. BVerfG (Fn. 61); BGH (Fn. 62); OLG München (Fn. 38); OLG Saarbrücken (Fn. 39); OLG Bremen v. 20.8.1992 – 2 U 24/92, NJW-RR 1993, 726 (728) – Friedrich Ebert; Oekonomidis (Fn. 25), S. 103, 104; Soehring (Fn. 18), § 14 Rz. 7; Löffler/Ricker (Fn. 21), Kap. 41 Rz. 28; Wegner in Götting/Schertz/Seitz (Fn. 5), § 32 Rz. 14; Frömming (Fn. 27), FS Engelschall, S. 47, 50. BGH v. 22.12.1959 – VI ZR 175/58, BGHZ 31, 308 (318) – Alte Herren; OLG München (Fn. 38); LG Hamburg v. 2.10.1970 – 74 O 89/70, ArchPR 1970, 96 f. – Gefängnisgeistlicher; LG Berlin v. 10.1.1995 – 16 O 788/94, NJW 1995, 881 (882 f.) – Botho Strauß (abgeändert durch KG v. 21.4.1995 – 5 U 1007/95, NJW 1995, 3392); Bröcker in Büscher/Dittmer/Schiwy (Fn. 2), T. 2 Rz. 102; Damm/Rehbock/Smid (Fn. 5), Rz. 671; Peters (Fn. 21), NJW 1997, 1334, (1337). OLG München (Fn. 38). BGH (Fn. 1), BGHZ 13, 334 (338 f.) – Leserbrief; ders., Urt. v. 8.7.1980 – VI ZR 159/78, Schulze, RzU, BGHZ Nr. 270, S. 12, 20 f., 24 – Das Medizin-Syndikat I m. Anm. Hubmann; ders., Urt. v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, Schulze, RzU, BGHZ Nr. 271, S. 15 f., 26 – Das Medizin-Syndikat II m. Anm. Hubmann; OLG Köln (Fn. 30), Umdruck, S. 15–19 – Saustallzitat; OLG München (Fn. 38); Löffler/Ricker (Fn. 21), Kap. 41 Rz. 16, 27, 28; Wanckel in Götting/Schertz/Seitz (Fn. 5), § 20 Rz. 13. BGH (Fn. 1), BGHZ 13, 334 (338 f.) – Leserbrief; ders. (Fn. 70), Schulze, RzU, BGHZ Nr. 270, S. 12, 20 f. 24 – Das Medizin-Syndikat I m. Anm. Hubmann; ders. (Fn. 70), Schulze, RzU, BGHZ Nr. 271, S. 15 f., 26 f. – Das Medizin-Syndikat II m. Anm. Hubmann; Rixecker in Münchener Kommentar (Fn. 18), Anh. § 12, Allg. PersönlR Rz. 81; Oekonomidis (Fn. 25), S. 97. Eine andere Sachverhaltskonstellation liegt allerdings vor, wenn in einem Zeitungsbericht Wortzitate Beteiligter zum Verdruss eines konkurrierenden Illustrierten-Verlages ausgeschmückt werden, der darin eine Irreführung wittert: BGH v. 27.10.1967 – Ib ZR 140/65, GRUR 1968, 209 Anm. Bußmann – Lengede; Damm/Rehbock/Smid (Fn. 5), Rz. 532. OLG Köln (Fn. 30), Umdruck, S. 18, 19.
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lungenhalle in Passau am 12.2.1975 gesagt: „Damit nenne ich aber auch schon den dritten Grund … zu unserem Wahlerfolg …, nämlich die Fehler und Versäumnisse der Bonner Regierungsparteien und der von ihnen gestellten Regierungen. Wir hätten … diese Wahlerfolge in allen Bundesländern … nie erreichen können, wir haben sie nicht erreicht allein durch unsere eigene politische Leistung. Die eigene politische Leistung wurde im Bewusstsein weiter Schichten der Wähler eindrucksvoll ergänzt durch das eklatante Versagen derer, die ausgezogen waren, Deutschland zu reformieren, und einen Saustall ohnegleichen angerichtet haben.“ Durch Weglassen der Verursacher des – angeblichen – Saustalls im Zitat von Brandt sei die Originaläußerung auf die Aussage verkürzt worden, Strauß habe eine Kennzeichnung der Bundesrepublik Deutschland, nicht der Folgen der Politik der sozial-liberalen Koalition in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen. Auf diese Weise sei der Aussageinhalt von Strauß verändert worden, zumal Brandt im nahen Zusammenhang mit seinem Zitat von „diesem Land“ gesprochen habe, auf das die Sozialdemokraten doch stolz seien, also vom Vaterland. Der Deutsche Presserat sprach gegen zwei Veröffentlichungen der Illustrierten Quick Nr. 21 vom 20.5. und Nr. 24 vom 5.6.1975 unter den Überschriften „Der Bundesrichter und die Terroristin – eine Geschichte in Briefen“ und „Der Schwiegersohn und die Rote Hilfe“ öffentliche Rügen aus.73 Denn darin war – neben schon unzulässig veröffentlichten privaten Briefen der damaligen Anarchistin Carmen Roll – durch Zitate, deren Sinngehalt z. T. durch nicht kenntlich gemachtes Weglassen verfälscht worden war, der damalige Bundesverfassungsrichter Dr. Helmut Simon in die Nähe von terroristischen Meinungen und Aktionen gerückt worden. Der Presse(rechts)senat des OLG Köln74 sah die o. a. Äußerungen im Fernsehkommentar von Walden als wörtliche Zitate an. Sie hielten einer Überprüfung nicht stand. Denn Böll hatte nie den Rechtsstaat als „Misthaufen“ bezeichnet gehabt.75 Böll hatte das Wort „Mist“ in seinem Artikel „Notstandsnotizen“ auf das Feuilleton deutscher Zeitungen bezogen, die damals anders als an seinen sonstigen Reden nicht am Abdruck seiner Rede interessiert gewesen waren, die er bei der Kundgebung gegen die Notstandsgesetze im Bonner Hofgarten am 11.5.1968 gehalten hatte.76 Ebenso wenig hatte Böll in Bezug auf den Rechtsstaat gesagt, er sähe nur „Reste verfaulender Macht, die mit rattenhafter Wut verteidigt“ würden. Denn in seiner Dritten Wuppertaler Rede zur Eröffnung des neuen Bühnenhauses vom 24.6.1966,77 die seinerzeit z. T. kritisch
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73 Deutscher Presserat, Tätigkeitsbericht 1975/76, S. 30–32. 74 OLG Köln (Fn. 12), Umdruck, S. 6–18 und ihm folgend der BGH im 2. Revisionsurteil (Fn. 19), NJW 1982, 635. 75 Dies hatten schon das klageabweisende Urteil des LG Köln vom 26.3.1975 – 78 O 596/74 (unveröffentlicht, Deutsches Rundfunkarchiv, Sign. SFB 6432/1), Umdruck, S. 28 und der BGH im 1. Revisionsurteil (Fn. 31), NJW 1978, 1797 (1800 f.) zugestanden. 76 Böll (Fn. 66), 2005, Bd. 15, S. 353–357 (356) nebst Kommentierung S. 592–596; vgl. auch Hofgarten-Rede unter dem Titel „Radikale für Demokratie“, in Böll (Fn. 66), Bd. 15, S. 335–338 nebst Kommentierung S. 567–578. 77 Böll (Fn. 66), Bd. 15, S. 210–215 (211, 212).
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rezeptiert wurde,78 hatte er unter dem Titel „Freiheit der Kunst“ einen Verfall der Staatsmacht unter der damaligen Bundesregierung von Ludwig Erhard kritisiert. Böll hatte auch nicht den Staat beschuldigt, die RAF-Terroristen „in gnadenloser Jagd“ zu verfolgen. Denn in seinem – seinerzeit ebenfalls heftig diskutierten79 – Artikel in Der Spiegel Nr. 3 vom 10.1.1970, S. 54–5780 unter der eigenmächtig von der Magazinredaktion gewählten Überschrift „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit? Schriftsteller Heinrich Böll über die BaaderMeinhof-Gruppe und >Bildwiedergebens eines wortlauts