Favonius Eulogius: Abhandlung über das ¿Somnium Scipionis¿: Herausgegeben:Heberlein, Friedrich;Mitarbeit:Dorfbauer, Lukas J. 351513560X, 9783515135603

Favonius Eulogius' Traktat über Ciceros 'Somnium Scipionis' ist das etwas ältere Gegenstück zu dem bekann

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German Pages 221 [226] Year 2023

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Inhalt
Vorwort
Favonius Eulogius: Disputatio de Somnio Scipionis
Kommentar
Der Autor
Erläuterungen
Literatur
Favonius Eulogius, der früheste Leser des Calcidius?
Indices
Namen und Sachen im Text
Griechische Wörter
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Favonius Eulogius: Abhandlung über das ¿Somnium Scipionis¿: Herausgegeben:Heberlein, Friedrich;Mitarbeit:Dorfbauer, Lukas J.
 351513560X, 9783515135603

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Favonius Eulogius Abhandlung über das Somnium Scipionis lateinisch / deutsch von Friedrich Heberlein

Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike 3

Bibliothek der l ateinischen Literatur der Spätantike

In Zusammenarbeit mit der Kommission für Übersetzung und ­Sprachpflege der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt Herausgegeben von Alexander Arweiler und Bardo Maria Gauly Band 3 Abteilung: Schriften zur Poetik, Rhetorik und Literaturkritik

Favonius Eulogius Abhandlung über das Somnium Scipionis

Herausgegeben, übersetzt, erläutert und mit Indices versehen von Friedrich Heberlein Mit einem Gastbeitrag von Lukas J. Dorfbauer

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Satz: Rhema – Tim Doherty, Münster Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13560-3 (Print) ISBN 978-3-515-13568-9 (E-Book) https://doi.org/10.25162/9783515135689

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Favonius Eulogius: Disputatio de Somnio Scipionis . . . . . . . . . . . . . .

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Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autor, Werk, Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Favonius Eulogius, der früheste Leser des Calcidius? (Lukas J. Dorfbauer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Namen und Sachen im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Griechische Wörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Vorwort Die vorliegende Ausgabe von Favonius Eulogius’ Traktat über Ciceros Somnium Scipionis ergänzt die in der ›Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike‹ bereits vorliegende von Macrobius’ Kommentar zum Somnium Scipionis, womit die lateinische Kommentierung des schon in der Antike berühmten Textes erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt. Anders als Macrobius fand Favonius’ schmaler Traktat wenig Beachtung (es existiert nur eine einzige Handschrift) und hat bis heute eine schlechte Presse. Die Disputatio gilt als »dürftiges Produkt der Schulgelehrsamkeit« (Sicherl 1959, 637), als »commentaire incomplet et confus« (Ernout 1962) – Urteile, denen nicht einfach zu widersprechen ist. Dennoch ist sie lesenswert, denn sie erlaubt uns einen interessanten kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Blick in das philosophische Souterrain, in jenes philosophische Wissen, über das ein ambitionierter Absolvent eines Rhetorikstudiums zu Beginn des 5. Jh. verfügen mochte. Einfach macht der Autor es dem heutigen Leser freilich nicht, weil er sich oft auf Andeutungen beschränkt und auch sonst nicht immer ein ausgemachter Freund klarer Formulierungen ist; aus diesem Grund wurden dem Text etwas ausführlichere Erläuterungen beigegeben als sonst in der ›Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike‹ üblich. Ich danke den Herausgebern, dass sie Favonius in dieser Reihe eine Heimstatt gewährt haben. Besonderen Dank schulde ich Lukas J. Dorfbauer für die Erlaubnis zum Abdruck seines Beitrags, der Favonius’ Verhältnis zu Calcidius beleuchtet, sowie für die kritische Lektüre des ganzen Manuskripts und seine Verbesserungsvorschläge; gleicher Dank gebührt Christian Tornau für wertvolle Hinweise zu den beiden schwierigen Kapiteln fünf und neunzehn. Danken möchte ich auch der KBR Brüssel für das Digitalisat der Handschrift, den Teilnehmern der Arbeitstagungen Jena 2019 und Eichstätt 2020 für hilfreiche Diskussionsbeiträge, Renate Bernhard-Koppenberger und den Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl Klassische Philologie für die Korrekturen am Manuskript, sowie für dessen Fertigstellung und die aufwendige Ausstattung der elektronischen Ausgabe mit hilfreichen Navigations-Links Herrn Doherty vom Rhema-Verlag.

Favonius Eulogius: Disputatio de Somnio Scipionis

Favonii Evlogii Oratoris Almae Carthaginis Dispvtatio De Somnio Scipionis Scripta Svperio Viro Clarissimo Consvlari Provinciae Byzacenae

1,1 Imitatione Platonis Cicero de re publica scribens locum etiam de Eris Pamphylii reditu in uitam, qui, ut ait, rogo impositus reuixisset multaque de inferis secreta narrasset, non fabulosa, ut ille, assimulatione commentus est, sed sollertis somnii rationabili quadam imaginatione composuit, uidelicet scite significans haec quae de animae immortalitate dicerentur caeloque, 〈nec〉 somniantium philosophorum esse commenta nec fabulas incredibiles, quas Epicurei derident, sed prudentium coniecturas. 1,2 Insinuat Scipionem illum, qui Karthagine subiugata cognomen familiae suae peperit Africanum, huic Scipioni Pauli filio futuras a propinquis insidias et fatalis metae denuntiare curriculum, quod necessitate numerorum in uitae perfectae tempora coartetur, ponitque illum aetatis suae quinquagesimo ac sexto anno, duobus in se coeuntibus numeris 〈plenis〉, absolutam caelo animam, unde acceperat, redditurum, quod et immortalis esset animi mentisque substantia et bene meritis de re publica patriaeque custodibus lactei circuli lucida ac candens habitatio deberetur. 1,3 Has igitur rationes, quibus supra positi uiri uita perficitur, arithmeticis approbationibus explanantes prudentiae tuae, Superi, uir clarissime atque sublimis, non ut nouas ignotasque narramus, sed in recordationem

Abhandlung des Favonius Eulogius, Rhetor der Metropole Karthago, über »Scipios Traum«, gewidmet dem Vir clarissimus und Gouverneur der Provinz Byzacena, Superius

Platons Er-Mythos und Ciceros Somnium Sciponis 1,1 Als Cicero dem Beispiel Platons folgte und sein Werk über den Staat verfasste, hat er auch ein Gegenstück zur Rückkehr des Pamphyliers Er ins Leben geschrieben. Dieser Er, sagt Platon, war bereits für tot auf den Scheiterhaufen gelegt worden, erwachte aber wieder zum Leben und hatte viel von den Geheimnissen der Unterwelt zu berichten. Cicero selbst hat auf eine solch romaneske Fiktion verzichtet und sie durch einen kunstreich komponierten Traum ersetzt, welcher der Vernunft nicht widerstrebt – offensichtlich ein gelehrter Hinweis, dass Aussagen über die Unsterblichkeit der Seele und über den Himmel weder irgendwelchen Tagträumen von Philosophen entspringen, noch auch unglaubwürdige Mythen sind, die den Spott der Epikureer auf sich ziehen, sondern vielmehr Hypothesen von Experten. 1,2 Cicero berichtet uns, dass jener Scipio, der durch die Unterwerfung Karthagos seinen Nachkommen den Beinamen ›Africanus‹ erwarb, dem jüngeren Scipio und Sohn des Aemilius Paullus den Anschlag seiner Angehörigen und das vom Schicksal verhängte Ende seines Lebens ankündigt, welches von den unausweichlichen Gesetzen der Zahlen auf die Zeitspanne eines vollkommenen Lebens beschränkt werde. Die bestimmt er auf sechsundfünfzig Jahre, eine Zahl, die Produkt zweier vollkommener Zahlen ist. Scipio werde dann seine vom Körper befreite Seele dem Himmel, von dem er sie empfangen habe, zurückerstatten, weil die Substanz von Seele und Geist unsterblich sei und weil den verdienten Staatsmännern und Beschützern der Heimat ein Wohnsitz im Strahlenglanz der Milchstraße gebühre. 1,3 Die Ursachen nun, durch welche das Leben unseres Scipio beschlossen wird, haben wir mit mathematischen Beweisen erklärt, und unterbreiten diese Arbeit hiermit deiner Gelehrsamkeit, Superius, dir erlauchtem und edlen Mann. Wir tun das nicht in der Annahme, dir etwas

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Disputatio de Somnio Scipionis

qua possumus commemoratione reducimus. Quae si doctis auribus tuis placere peruidero, ad alia quoque audacius, quae iubere dignaris, operam stilumque conuertam. 2,1 Ac primum illud existimo praelibandum, quod Italicae sapientiae conditor Pythagoras numeris censet constare naturam, mundumque omnem ratis et competentibus interuallis ad musicam caeli consona modulatione decurrere, aliumque alii rei numerum conuenire, ut concordiae publicae nuptialem, ut edendis partibus cybicum, aliosque caelestibus, alios terrenis. 2,2 Quid sit hoc totum, pro captu meo curabo distinguere. 3,1 Numerus igitur res aeterna, intellegibilis, incorrupta, cuncta quae sunt ui sua complectitur; totumque sub numerum uenit, quicquid aut sensibus aut animi cogitatione comprehenditur. Nam et corpora figuram ex numeris trahunt et figurae lineis pari ratione formantur. 3,2 Ipsaeque artes praecepta sua non sine numeri admixtione pronuntiant; et cum rhetorica status causarum quatuor, philosophia totidem asserit esse uirtutes, et cum dicimus trigona lineis tribus, quatuor quadrata describi, utique uides hoc ad numeros oportere conuerti.

Über das »Somnium Scipionis«

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Neues und Unbekanntes mitzuteilen, sondern um dir jene, so gut wir nur können, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Sollte ich Gewissheit erlangen, dass meine Ausführungen vor deinem gelehrten Ohr Gefallen finden, will ich mich gerne erkühnen, Arbeitskraft und Feder auch anderen Aufgaben zu widmen, die Du mir zu stellen geruhst. Erster Teil: Grundzüge der Arithmologie 2,1 Als erstes, meine ich, müssen wir die Auffassung des Pythagoras, des Begründers der Philosophie in Italien, umreißen, dass die Natur auf Zahlen beruhe und dass sich die Bewegungen des gesamten Kosmos in feststehenden proportionalen Intervallen und damit im harmonischen Einklang mit der Musik des Himmels vollziehen. Auch entspreche jeder Realität jeweils eine Zahl; so etwa der politischen Eintracht die Zwei, die Zahl der Hochzeit, so der Geburt die Acht als Zahl des weiblichen Kubus; andere dem Wesen der überirdischen und wieder andere dem der irdischen Welt. 2,2 Was es mit all dem auf sich hat, werde ich nach meinem besten Vermögen jetzt zu klären versuchen.

Zahl und Welt 3,1 Es ist also die Zahl eine ewige Wesenheit, intellegibel und unvergänglich, deren Wirkungskraft alles Existierende umfasst. Alles, was wir mit unseren Sinnen oder unserem Denken erfassen können, ist in seiner Gesamtheit der Zahl untergeordnet. So leiten die Körper ihre Gestalt von den Zahlen ab, und dasselbe gilt für die Bildung der Körper aus Linien. 3,2 Gerade die Wissenschaften kommen in ihren Lehren nicht ohne Bezug auf die Zahlen aus. Wenn die Rhetorik von vier Status in den Prozessen oder die Philosophie von ebenso vielen Kardinaltugenden spricht, und wenn wir sagen, ein Dreieck werde durch drei Linien definiert und ein Quadrat durch vier, so wird notwendigerweise überall der Zusammenhang mit der Zahl sichtbar.

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Disputatio de Somnio Scipionis

4,1 Sed numerus est quantitas congregabilis, a duobus initium sumens et in denariam metam crescendi accessione perueniens. 4,2 Nam monadem non numerum, sed semen et substantiam numerorum esse, manifestum et ex illa supra posita definitione perficitur. Nec enim unum ac singulare quoddam congregabilis quantitas intellegitur nec par aut impar haberi potest, quae sunt genera numerorum. 4,3 Ergo initium monas, numerus dyas et trias ceterique ita reliqui uocabuntur; breuiterque dicemus, quid monas, quid dyas, quid sequentes numeri ualeant in natura. 5,1 Monas singularitas insecabilis, indiuisa, sola, non ex partibus constans, cum sit aliud unum, alium unum solum. 5,2 Vnum enim dicimus mundum, sed non unum solum, quia confit ex partibus; unum populum ex pluribus ciuibus, exercitum ex multis militibus unum; nullumque corpus unum solumque [corpus unum solum] recte dicetur, quod in partes sui diuisione discedat. At si〈c〉 unum animum non minutis et coeuntibus portionibus in sui habitum [esse] compositum sed naturali simplicitate subsistentem non unum, sed solum quoque nominamus; quamuis circa corpora diuisibilem Plato testatur, genere tamen unum eundemque cognoscit. 5,3 Quicquid enim numerosa progressione non perit, singulare natura est. 5,4 Vnus igitur deus, etsi sint eius innumerae diuisaeque uirtutes sexu per fabulas nominibusque discretae. At non sic mundus unus, cuius aut

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4,1 Die Zahl ist eine Zusammensetzung quantitativer Einheiten. Der Beginn der Zahlen liegt in der Zwei, und durch stetiges Hinzuzählen wird mit der Zehn die Grenze des Zahlenraums erreicht. 4,2 Dass nämlich die Monade keine Zahl ist, sondern Keimzelle und Substanz aller Zahlen, ist manifest und durch die vorstehende Definition der Zahl gesichert. Denn was eines und undifferenzierbar ist, ist nicht als Zusammensetzung von Einheiten zu begreifen und auch nicht als gerade oder ungerade (das sind die beiden Arten von Zahlen). 4,3 Die Monade ist somit der Beginn der Zahlen, als Zahlen selbst aber werden wir die Zwei, die Drei und alle folgenden bezeichnen. Wir wollen nun kurz erläutern, welche Bedeutung die Monade, die Dyade und die darauffolgenden Zahlen in der Welt haben.

Die Monade 5,1 Die Monade ist eine unzergliederbare und unteilbare Einheit, solitär und nicht aus Teilen zusammengesetzt. Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen nur äußerer und essentieller Einheit. 5,2 Von äußerer Einheit reden wir bei der Welt, nicht aber von essentieller, weil sie ja aus Teilen besteht. Äußere Einheit hat auch ein Volk, das aus einer Vielzahl von Bürgern, oder ein Heer, das aus vielen Soldaten besteht, und überhaupt darf korrekterweise keinem Körper essentielle Einheit zugesprochen werden, der durch Teilung in Bestandteile zerfallen kann. Im Gegensatz dazu werden wir von der Einheit der Seele, deren Wesen ja nicht durch die Aggregation kleinster Elemente bestimmt ist, sondern in natürlicher Einfachheit subsistiert, sagen, sie habe nicht äußere, sondern essentielle Einheit; zwar bezeugt Platon, sie sei über die Körper aufteilbar, betrachtet sie ihrer Art nach aber als einheitlich und identisch. 5,3 Was immer nämlich trotz numerischer Vervielfachung sein Wesen bewahrt, ist seiner Natur nach eines. 5,4 Eines ist also der Gott, wenn auch seine zahllosen und unterschiedlichen Wirkkräfte in den Mythen vereinzelt werden auf Wesen verschiedenen Namens und Geschlechts. Nicht Eines in diesem Sinne ist hingegen

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Disputatio de Somnio Scipionis

qua duae sunt partes, mens et materia, aut uero quatuor, elementa, momentis potentiaque distantes. 5,5 Illud igitur numerus, hoc quod numerabile est recte dicetur. Ille complectitur uniuersa, ut in eo diuina etiam numerentur, hoc autem accidit numero ac subiacet numerabile. 5,6 Estque numerus, ut Xenocrates censuit, animus ac deus; non enim aliud est quam quod ei subest, 5,7 sed illud ipsum, quod est unum ac singulare tantummodo, quod ante omnia, in omnibus et post omnia. Quantam enim uelis colligas quantitatem, ducetur ab uno, texetur ab uno desinetque in unum; ac pereuntibus aliis, quae id recipere possunt, immutabile perseuerat. 6,1 Dyas uero, ut theologi asserunt, secundus est motus. Primus enim motus in monade stabilis et consistens in dyadem uelut foras egreditur. 6,2 Primumque conubium poetae fabulose dixerunt sororis et coniugis, quod uidelicet unius generis numero coeunte copuletur; et Iunonem uocant, uni scilicet Ioui accessio〈ne〉 alterius inhaerentem. 6,3 Ab hoc numero mundus apparuit mente ac materia, quae Graece dicitur ’lh, constructus; ab hoc iustitia, naturalis uirtus, librata partium aequalitate diluxit. Namque diuisus hic nunc numerus, qui prior diuidi potest, aequali sectione discedit. 6,4 Nec tamen adhuc totus est, quia initium finemque demonstrat, medio nullo censetur.

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die Welt, die aus zwei Teilen besteht, nämlich Seele und Materie, oder sogar aus vier, den Elementen, die sich durch Bewegung und Vermögen unterscheiden. 5,5 Beim ersteren Begriff des Einen sprechen wir korrekterweise von transzendenter Zahl, bei letzterem von Zählbarem. Jene umfasst alles, sodass auch die göttlichen Wesenheiten ihr zugerechnet werden; dieses ist ein Akzidens der mathematischen Zahl und unterliegt ihr als zählbar. 5,6 Jene Zahl aber ist, wie Xenokrates meint, Geist und Gott. Sie ist ja nicht wesensverschieden von dem, was ihr zugrundeliegt. 5,7 Vielmehr ist sie eben jenes, was eines und absolut undifferenziert ist, was vor allem, in allem und nach allem existiert. Entsprechend wird, wenn man eine beliebig große mathematische Zahl bildet, sie aus der Eins abgeleitet und aus der Eins zusammengewebt sein und sich auch wieder in die Eins auflösen. Und während alle anderen Zahlen, welche die Eins beinhalten, untergehen können, bleibt sie selbst unveränderlich bestehen.

Die Dyade 6,1 Die Dyade ist, wie die Theologen erklären, die zweite Bewegung. Denn die erste Bewegung liegt innerhalb der Monade, ortsfest und stabil, und geht gleichsam nach außen auf die Zwei über. 6,2 Die Dyade wurde in den Mythen der Dichter die erste Geschwisterehe genannt, denn sie ist ja eine Verbindung von Zahlen einer einzigen Gattung. Auch nennt man sie Juno, weil sie mit dem einen Jupiter durch Hinzufügung einer zweiten Eins vereinigt wird. 6,3 Aus dieser Zahl trat die Welt in Erscheinung als Verbindung von Seele und Materie, griechisch ’lh, aus ihr erstrahlte die Gerechtigkeit, eine naturgemäße Tugend, die auf der wohlabgewogenen Balance der Seelenteile beruht. Wird nun die Zahl zwei, die ja die erste teilbare Zahl ist, geteilt, tritt sie in gleiche Teile auseinander. 6,4 Sie ist jedoch noch keine vollkommene Zahl, weil sie nur Anfang und Ende aufweist, aber nicht durch ein Mittelglied bestimmt ist.

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6,5 Diciturque femineus, quia iunctus alteri pari parem creat ex sese. Quod in eo qui sequitur non potest inueniri. Bis enim bini fit quartus; bis terni non facit imparem, sicut ille superior, quod ex paribus par, ex imparibus impar esse non poterit. 7,1 Sed trias primus est totus, quod habet et medium. 7,2 Estque, ut dicitur, masculinus, quod adiunctus alteri impari creare non ualeat id quod ipse sit. 7,3 Mundus ab hoc numero nomen accepit; namque ex duobus factus in tertium quod genus eualuit. Non enim aut mens tantum aut sola materia, sed utrumque est tertium quid illorum commixtione compositum. 7,4 Triaque tempora pro sui natura sortitus est, praeteritum, praesens, futurum, triade uidelicet operante; fatalisque necessitas in eo numero est, Clotho, Lachesis, Atropos; tria rerum genera, masculinum, femininum, neutrum; tria uocum discrimina, acutum, graue, inflexum; tria genera litterarum, uocales, semiuocales, mutae. Tribus lineis figura prima componitur, quae trigonon nominatur; tria corporum interualla monstrantur, longitudo, latitudo, altitudo, quibus omne solidum continetur. 8,1 Quatuor, secunda generis alterius plenitudo, duo media pro sui qualitate complectitur primusque quadratus est numerus.

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6,5 Sie wird weiblich genannt, weil sie durch Verbindung mit einer anderen geraden Zahl wiederum eine gerade Zahl aus sich hervorbringt. Eine entsprechende Eigenschaft ist bei der nachfolgenden Drei nicht aufzufinden, denn zwei mal zwei ergibt die gerade Vier, aber zwei mal drei ergibt nicht analog eine ungerade Zahl, da eine gerade Zahl zwar bei Multiplikation mit einer geraden wieder eine gerade Zahl, aber bei Multiplikation mit einer ungeraden keine ungerade Zahl hervorbringt. Die Drei 7,1 Die Drei ist die erste vollkommene Zahl, weil sie auch ein Mittelglied hat. 7,2 Sie ist, wie man sagt, männlich, weil sie bei Addition mit einer anderen ungeraden Zahl keine Zahl der eigenen Gattung hervorbringen kann. 7,3 Die Welt hat ihren Namen von dieser Zahl erhalten, denn aus zwei zugrundeliegenden Prinzipien hat sie sich zu etwas Drittem entwickelt; sie ist ja nicht mehr nur Seele oder nur Materie, sondern die Vereinigung beider formte ein komplexes Drittes. 7,4 Ihrem Wesen gemäß erhielt sie drei Zeiten, nämlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; sie sind offensichtlich der Wirksamkeit der Triade zu verdanken. Die Drei versinnbildlicht auch das unabwendbare Fatum, nämlich in Gestalt von Klotho, Lachesis und Atropos. Drei ist auch die Anzahl der grammatischen Genera, nämlich Maskulinum, Feminum und Neutrum. Ebenso gibt es drei unterschiedliche Akzente, also Akut, Gravis und Zirkumflex, sowie drei Arten von Lauten, nämlich Vokale, Halbvokale und Konsonanten. Aus drei Linien besteht die erste geometrische Figur, das sogenannte Dreieck, und man unterscheidet die drei Dimensionen Länge, Breite und Höhe, durch die jeder vollständige Körper definiert wird. Die Vier 8,1 Die Vier ist die zweite vollkommene Zahl, nunmehr aus der Gattung der geraden Zahlen; sie hat entsprechend ihrer Beschaffenheit zwei Mittelglieder und ist die erste Quadratzahl.

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Disputatio de Somnio Scipionis

8,2 Quadratum arithmetici uocant, qui ductus in se in maiorem cumulum surgit. Bis enim bini quartus 〈primus〉, ter terni nonus secundus quadratus est numerus; deinceps ceteri in sese ducti usque ad decimi metam quadratos efficiunt numeros. 8,3 Nam uiginti 〈ducti〉 per se cum efficiant quadringentos, ad secundi uersus pertinent rationem. Versus arithmetici dicunt ordines numerorum, ut ab uno ad decem, ab decem ad centum, a centum ad mille; et sic alios uersus progressione maioris crementi coaedificant. Idemque ualet dec〈im〉us ad uicesimum quod unus ad duo. Dupli enim substantia separantur, ac si diuersa sit summa, ratio tamen eadem perseuerat. Ac sic in denaria summa crescendi finis et initium secundi uersus est. 8,4 Sed [h]is in quaternario numero subtili disputatione colligitur. Nam duo, tres, quatuor, adiuncta monade in decadem procedunt. 8,5 Ab hoc numero elementa, ab hoc tempora natura disposuit, quae per terna caeli signa solis curriculis dimensa uariantur. Nam uer in tribus signis agitur, Ariete, Tauro, Geminis; aestas in Cancro, Leone, Virgine, autumnus 〈in〉 Libra, Scorpio, Sagittario, hiemps in Capricorno, Aquario Piscibusque finiuntur. Videsque duobus primis ac plenis numeris mundani cursus tempora solis moderatione conuolui. 9,1 Quinque autem caeli planetas sub zodiaco posuerunt, locis motibusque dissimiles. In quinque partes circulum secuere, ut sit primum medium punctum, quatuor absides; quarum altitudo et altitudo altitudinis,

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8,2 Quadrat nennen die Mathematiker jene größere Summe, die aus der Multiplikation einer Zahl mit sich selbst erwächst. So ist zwei mal zwei gleich vier das erste, drei mal drei gleich neun das zweite Quadrat, und auch die übrigen bis zur Zehnergrenze folgenden Zahlen ergeben bei Multiplikation mit sich selbst Quadrate. 8,3 Denn wenn auch die Zwanzig bei Multiplikation mit sich selbst ebenfalls ein Quadrat, nämlich vierhundert, bildet, gehört sie doch zur zweiten Reihe der Zahlen. Zahlenreihen nennen die Arithmetiker die Folge der Zahlen, wie die von eins bis zehn, von zehn bis hundert, von hundert bis tausend, und entsprechend setzen sie weitere Reihen durch progressive Hinzufügung immer größerer Zahlen zusammen. Das Verhältnis von zehn zu zwanzig ist dabei dasselbe wie das von eins zu zwei. Denn beide Paare stehen in der Relation des Doppelten zueinander, und wenn auch die Zahlwerte sich ändern, bleibt doch die Relation dieselbe. Und so ist die Zehn die Grenze der Einer-Reihe und zugleich der Beginn der zweiten, der Zehner-Reihe. 8,4 Diese Grenze aber errechnet sich aus der Vier, wie eine scharfsinnige Überlegung erwiesen hat. Denn die vier Werte zwei plus drei plus vier, dazu die Eins, ergeben zehn. 8,5 Gemäß der Zahl vier hat die Natur die Elemente geordnet, gemäß ihr auch die Jahreszeiten, deren Wechsel dem Lauf der Sonne durch vier Gruppen von je drei Sternzeichen folgt: Der Frühling erstreckt sich über die Sternzeichen Widder, Stier und Zwillinge, der Sommer wird durch Krebs, Löwe und Jungfrau, der Herbst durch Waage, Skorpion und Schütze, der Winter schließlich durch Steinbock, Wassermann und Fische bestimmt. So siehst du, wie diese beiden ersten vollkommenen Zahlen, drei und vier, zur Ursache dafür werden, dass die Sonne Abfolge und Wiederkehr der Jahreszeiten auf der Erde regelt.

Die Fünf 9,1 Fünf Planeten hat man am Himmel unter dem Zodiakus lokalisiert, die sich in Position und Bewegung unterscheiden. Man hat ihre Kreisbahnen in fünf Teile unterteilt, zum einen den Kreismittelpunkt, sodann die vier Absiden; deren aufsteigender Schnittpunkt mit der Ekliptik und

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Disputatio de Somnio Scipionis

humilitas 〈et humilitas〉 humilitatis in lunaris globi ratis erroribus obseruantur, quod ea uidelicet, ut ima a caelo, omne hoc interuallum, quod a terra ad caelum usque protenditur, obire diuersis uidetur amfractibus, ne in umbra〈m〉 terrae, quae dicitur eclipsis, semper incurrat; quam, dum altior aquilone, humilior austro incurrat, uidetur euadere, nisi quod aliquando pro mundanae sortis et corporum, quibus aer praeest, necessitate perpetitur ueluti sui luminis mortem. 9,2 Vides ergo quid numerus iste, quem diximus, agat in caelo. Constat hic ex pleno et non pleno, tribus uidelicet et duobus, nec diuiditur, sicut omnis impar, aequaliter. 9,3 Sensus corporis nostri sub hoc numero manifestum est. 9,4 Hunc Romani in populi diuisione secuti sunt, in quinque classes omnia ciuitatis membra claudentes. 10,1 Senarius uero qui sequitur numerus potentem ac diuinam naturae suae obtinet potestatem, siquidem tËleioc primus, id est perfectus, esse reperitur. Perfectum arithmetici uocant qui se implet partibus suis. 10,2 Partes calculatores dicunt quibus maior aliqua summa componitur, ut hic ex dimidia, tertia, sexta coniunctis senarium numerum complet. Nam tres, duo et unus (quae portio est sexta) senariam expedit quantitatem, quod in aliis ex primo uersu numeris non repperies. 10,3 Nam ceteri pares numeri aut non se complent aut etiam transeunt; hic solus est, qui suis partibus sine ullo discrimine supputatus absoluitur.

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ihre größte Nordabweichung sowie der absteigende Schnittpunkt und die größte Südabweichung lassen sich sich an den regelmäßigen Abirrungen des Mondes beobachten. Der Mond scheint nämlich, als erdnächster Himmelskörper, den ganzen Raum, der sich von der Erde bis zum Himmel erstreckt, mit unterschiedlichen Bögen zu durchziehen, sodass er nicht regelmäßig in den Erdschatten eintaucht, wodurch die sogenannte Mondfinsternis herbeigeführt wird. Der entkommt er, wie man beobachten kann, indem er im Norden eine höhere und im Süden eine tiefere Bahn einschlägt. Ab und an muss er aber wegen der unausweichlichen Gesetze, denen der Kosmos und die dem Element Luft benachbarten Planeten unterliegen, gleichsam den Tod seines eigenen Lichtes erdulden. 9,2 So kannst du sehen, welch großen Einfluss die Fünf, von der wir hier reden, am Himmel hat. Sie besteht aus einer vollkommenen und einer nicht vollkommenen Zahl, nämlich der Drei und der Zwei, und ist wie jede ungerade Zahl nicht in zwei gleiche Teile teilbar. 9,3 Dass auch die Sinne unseres Körpers unter der Herrschaft der Fünf stehen, versteht sich von selbst. 9,4 Die Römer richteten sich nach ihr auch bei der Gliederung des Gesamtvolks, indem sie die gesamte Bürgerschaft in fünf Klassen einteilten.

Die Sechs 10,1 Es folgt nun die Sechs; sie ist eine Zahl von großer Machtfülle und göttlicher Natur, weil sie als die erste gilt, die tËleioc, das heißt perfekt ist. Eine perfekte Zahl nennen die Arithmetiker eine, die gleich der Summe ihrer Teiler ist. 10,2 Teiler wiederum nennen sie diejenigen Zahlen, mittels derer eine größere Summe zusammengesetzt wird. So bei der Sechs: Wenn man sie halbiert, drittelt und sechstelt und die resultierenden Werte zusammenzählt, ergibt das wieder sechs. Denn die Addition von drei, zwei und eins (dem Sechstel von sechs) ergibt die Summe sechs. Eine entsprechende Eigenschaft findet sich bei keiner anderen Zahl der ersten Zahlenreihe. 10,3 Denn bei den übrigen geraden Zahlen bleibt die Teilersumme entweder unter dem Zahlwert oder überschreitet ihn sogar. Einzig die Sechs resultiert aus der Summe ihrer Teiler, ohne dass ein Rest bleibt.

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10,4 Nam quaternarius habet dimidiam duo, tertiam propter monadem insecabilem non habet, quarta accedens tertii numeri continet summam. Colligere ergo non potest quatuor, quod hic tertius, ex imparibus constans, solus emeruit. 10,5 Nam octo, qui ex paribus quartus est, cum habeat dimidiam quatuor, tertia careat, quartam duo accipiat, quintam uero, sextam septimamque non habeat, accedente octaua, quae superest, se complere non poterit, ut in his numeris cernas licet: quatuor, duo, unus septem sunt, non octo, qui supra sunt: se itaque complere non poterunt. 10,6 Decas, quintus par numerus, habet dimidiam quinque, tertiam non habet, quartam non habet, quintam recipit duo; sexta, septima, octaua, nona parte priuatus est; accedente decima, id est uno, facit octo, non decem. 10,7 Duodecim rursus attende, quamuis alterius uersus uideatur habere reliquias, [a]ut extra sortem propositae rationis sit, quia, ut monas in primo uersu, sic in secundo decas obtinet fundamentum. Ergo si duodecim partium uelis supputatione conficere, transibit semet ipsum, nec eadem, quae supra dicta est, ratione quadrabit, siquidem sex dimidiam, quatuor tertiam, quartam tres, sextam duo et ipsa duodecima sedecim faciunt. Ita sibi coaequari non ualent. In has enim solas partes duodecim separamus. 11,1 Sed haec de aliis instructionis gratia diximus, ne de septimo aut octauo numero disputantes obscuritatem aliquam nulla praestructione posita subiremus. 11,2 Nunc dicendum est, quae sit horum plenitudo numerorum, quibus per alterutrum ductis 〈quinquaginta et〉 sex conficiuntur anni. His enim A[f]fricani posterioris uita conclusa est.

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10,4 Nehmen wir zunächst die Vier: ihre Hälfte ist zwei, ein Drittel gibt es wegen der Unteilbarkeit der Eins nicht; addiert man zu dieser Hälfte das Viertel, bekommt man als Summe drei; der Zahlwert wird also von der Teilersumme nicht erfüllt. Alleine der dritten geraden Zahl, der Sechs, wurde diese Würde zuteil, weil sie aus Teilern unterschiedlicher Gattungen besteht. 10,5 Die Acht sodann, die vierte der geraden Zahlen, ergibt durch zwei geteilt vier, ist durch drei nicht teilbar, ergibt durch vier geteilt zwei, ist durch sechs und sieben nicht teilbar, aber schließlich noch durch eins. Die Summe dieser Teiler macht die Acht nicht voll, wie du an folgender Rechnung sehen kannst: vier plus zwei plus eins ergibt nur sieben, einen geringeren Wert als die Ausgangszahl acht, und macht jene somit nicht voll. 10,6 Die Zehn, die fünfte der geraden Zahlen, ergibt durch zwei geteilt fünf, ist durch drei und vier nicht teilbar und ergibt durch fünf geteilt zwei; Teilung durch sechs, sieben, acht und neun ist nicht möglich. Nimmt man den Teiler zehn, also die Eins, noch hinzu, ergibt die Teilersumme acht und nicht zehn. 10,7 Sieh dir hingegen die Zwölf an, wenn sie auch mit einem Überschuss von zwei schon in die nächste Zahlenreihe hineinreicht und damit eigentlich außerhalb unseres Untersuchungsgegenstandes liegt; denn wie die Eins das Fundament der ersten Zahlenreihe ist, ist die Zehn das der zweiten. Addiert man nämlich die Teiler der Zwölf, zeigt sich eine Überschreitung des Zahlenwerts, was sich ebenfalls nicht zu unserer eingangs formulierten Regel fügt. Denn sechs macht die Hälfte von zwölf aus, vier ein Drittel, drei ein Viertel, zwei ein Sechstel; und zu diesen eins addiert, ein Zwölftel, macht sechzehn. Die Teilersumme ist somit nicht gleich dem Zahlwert, und die Zwölf hat nur die und keine weiteren Teiler. 11,1 Soweit haben unsere Ausführungen über die ersten sechs Zahlen als Grundlage für die nun folgende Diskussion der Zahlen sieben und acht gedient, denn ohne Vorklärungen liefen wir Gefahr, uns in Unklarheiten zu verstricken. 11,2 Jetzt aber werden wir darüber reden, worin die Vollkommenheit dieser beiden Zahlen besteht, deren Multiplikation ja die sechsundfünfzig Jahre ergibt, mit denen sich das Leben des jüngeren Scipio vollendete.

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12,1 Septimus igitur numerus plenus est his de causis, quia et in initio duo et tres medio et duo fine complexus est, tum, quod primus ex duobus diuersi generis plenis est, ex tribus imparibus scilicet et quatuor paribus iunctus. Fit ipse plenissimus, cuius totae sunt partes. 12,2 Multumque in rerum natura dominatur. Nam sidera, quae obluctantur caelo, sunt septem, si ad quinque planetas solem lunamque iungamus, totidem circulis euoluentia. 12,3 Septem stellas cardo maximus aquilonius inocciduo fulgore conuertit. 12,4 Septem species luna crescentis ac decrescentis luminis uarietate componit, quarum prima est quae a Graecis Çnatol† dicitur, secunda Çmf–kurtoc, tertia diqÏtomoc, quarta pansËlhnoc, quinta item diqÏtomoc, sexta Çmf–kurtoc; septima sunodik† uocatur, cum interlunio redit ad solem. 12,5 Septem animi motus philosophi Stoici posuerunt: quatuor perturbationes, tres constantias, id est metum, dolorem, cupiditatem, laetitiam, quibus insipientium animi uelut tempestatibus agitantur. Sapientium uero motus non pàjh, sed constantiae sunt; ut pro metu cautio sit, pro cupiditate uoluntas aut studium, pro laetitia gaudium, quod distinctionis gratia separamus. Quartus ex malis praesentibus sapienti nullus est motus, quia nec in malum incidere sapiens potest. 12,6 Sunt ergo animi motus septem, at uero corporum totidem. Primus est circularis, una linea comprehensus; reliqui sex dexter, sinister, sursum, deorsum, ante, post. Sed ille mundi comes totius, hi partiles habentur.

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Die Sieben 12,1 Die Sieben ist eine vollkommene Zahl aus zwei Gründen: Zum einen hat sie am Anfang die Zwei, in der Mitte die Drei und am Ende wieder die Zwei; zum andern besteht sie als erste aus zwei vollkommenen Zahlen der beiden unterschiedlichen Gattungen, weil sie nämlich eine Verbindung der ungeraden Drei und der geraden Vier ist. Vollkommenheit im höchsten Grade aber genießt eine Zahl, deren Teile vollkommen sind. 12,2 Ihre Macht in der Welt ist groß. Denn die Gestirne, die wider die Bewegung des Fixsternhimmels streben, sind, wenn wir zu den fünf Planeten Sonne und Mond hinzunehmen, sieben und sie ziehen auf ebensovielen Kreisbahnen. 12,3 Sieben Sterne umkreisen den Himmelsnordpol in nie versinkendem Glanz. 12,4 In sieben wechselnde Phasen gliedert sich das Zu- und Abnehmen des Monds. Seine erste ist die von den Griechen Çnatol† (Aufgang) genannte, die zweite heißt Çmf–kurtoc (Viertelmond), die dritte diqÏtomoc (Halbmond), die vierte pansËlhnoc (Vollmond), die fünfte wieder diqÏtomoc, die sechste wieder Çmf–kurtoc und die siebte, wenn er als Neumond zur Sonne zurückkehrt, sunodik†. 12,5 Sieben Regungen der Seele haben die Stoiker unterschieden, nämlich vier Affekte und drei beständige Gemütszustände. Zu den Affekten gehören Furcht, Kummer, Begierde und Überschwang; unvernünftiger Leute Seelen werden von ihnen wie vom Sturm umhergescheucht. Die Seelenregungen der Weisen dagegen sind nicht Affekte, sondern beständige Gemütszustände: für Furcht steht Vorsicht, für Begierde Wollen oder Interesse, für Überschwang innere Freude – Unterscheidungen, die wir um der Klarheit willen machen müssen. Dem vierten Affekt, dem aus einem gegenwärtigen Übel herrührenden Kummer, entspricht beim Weisen nichts, denn ihm kann auch kein Übel zustoßen. 12,6 Diesen sieben Seelenregungen stehen ebensoviele Bewegungen der Körper gegenüber. Die erste ist die Kreisbewegung, die auf einer einzigen endlosen Linie erfolgt, die übrigen sechs sind die nach rechts und links, aufwärts und abwärts, vorwärts und rückwärts. Die Kreisbewegung ist dem Kosmos als ganzem eigentümlich, die anderen sind auf Teile von ihm beschränkt.

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12,7 Diximus supra quinque sensus esse corporeos. Hi septem foraminibus emittuntur: duo sunt uisionis, duo auditus, unum gustatus atque duo sunt odoratus. Quintus tactus, qui per totius corporis membra diffusus est. Et quia cerebri purissimam partem animae principatum existimant obtinere, ministros eidem sensus septem ueluti fenestris emitti manifestum est, cum illos Mineruae tanquam in arce positae subiecerunt. 13,1 Quid numerus septenarius Mineruae tribuitur, quae ex Iouis capite sine matris utero procreata memoratur? Videlicet quod, ad senarium sapientem conuenientemque suis partibus numerum monas, quae est caput numerorum, cum accesserit, septenarium creat, qui ab arithmeticis Minerua dictus est, quod neque creatus est ex duobus sui similibus neque procreare ipse alios potest intra limitem primi uersus. 13,2 Nam si respicias a principio, dyas et paritur ex singulis et ex se quaternarium creat. 13,3 Trias non equidem paritur, quia non similibus numeris coeuntibus aggregatur, sed generat sextum. 13,4 〈Quaternarius et paritur ex bis binis et ex se octonarium creat.〉 13,5 Quinarius ipse non paritur, sed decimum ex duobus sui similibus parit, in quo, ut dictum est, crescentium finis est numerorum; quorum ratio ceteris in uersibus sub maiore summa repetitur. 13,6 Senarius paritur quidem, sed ipse non parit: duodecimus namque secundi uersus incipit habere reliquias. 13,7 Octauus uero ex duobus quaternariis exortus in sedecim duplicatus exundat; paritur ergo, non parit.

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12,7 Wir haben oben gesagt, dass der Mensch fünf Sinne hat. Die treten durch sieben Körperöffnungen nach außen: Deren zwei dienen dem Gesichtssinn, zwei dem Gehör, eine dem Geschmacks- und zwei dem Geruchssinn. Der fünfte Sinn hingegen, der Tastsinn, ist über alle Körperglieder verbreitet. Und weil man meint, dass der reinste Teil des Gehirns vom führenden Seelenteil eingenommen wird, ist klar, dass die Sinne als dessen Diener gleichsam durch sieben Fenster nach außen treten, weil sie der Minerva, die sozusagen auf der Akropolis des Körpers residiert, untergeordnet sind. 13,1 Warum aber wird die Sieben der Minerva zugesprochen, der Göttin, welche die Überlieferung aus dem Haupt des Zeus und nicht aus einem Mutterschoß hervorgehen lässt? Offenkundig, weil sie entsteht, indem zur Sechs, der weisen und der Summe ihrer Teiler entsprechenden Zahl, die Monade hinzutritt, die Quelle der Zahlen. Von den Arithmetikern wird die Sieben Minerva genannt, weil sie weder von Zahlen, die einander ähnlich sind, hervorgebracht wird noch selbst andere Zahlen innerhalb der ersten Dekade hervorbringt. 13,2 Denn, um die Zahlen von Anfang an zu betrachten, die Zwei wird von zwei mal eins hervorgebracht und bringt ihrerseits die Vier hervor. 13,3 Nicht hervorgebracht ist hingegen die Drei, weil sie nicht aus der Verbindung ähnlicher Zahlen entsteht; sie bringt aber die Sechs hervor. 13,4 〈Die Vier entsteht aus zwei mal zwei und bringt aus sich die Acht hervor.〉 13,5 Die Fünf selbst ist nicht hervorgebracht, bringt aber aus zwei einander ähnlichen Zahlen die Zehn hervor; die ist, wie gesagt, das Ende der ersten Zahlenreihe, deren Prinzip sich in den anschließenden Reihen in größeren Zusammensetzungen wiederholt. 13,6 Die Sechs ist hervorgebracht, bringt aber selbst nicht hervor, denn bei der Zwölf besteht ja schon ein überschießender Rest, der in die zweite Zahlenreihe hineinreicht. 13,7 Die Acht geht aus zwei mal vier hervor, ihre Duplikation ergibt jedoch sechzehn und überströmt somit die Dekadengrenze; sie ist also hervorgebracht, bringt aber nicht hervor.

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13,8 Enneadem tres triplicati pariunt; duodeuicesimus secundi uersus est numerus, qui a lege creandi diuersus est. 13,9 Decas nata quidem ex bis quinis cognoscitur, sed uiginti, quos colligit duplicatus hic numerus, non possunt dictae rationis habere consortium. 13,10 Septimus igitur solus nec creatur ex binis unius generis numeris nec ipse alium geminatus effundit; unde merito Minerua sine matre, uirgo sine procreatione perhibetur. 14,1 Hippocrates Cous, naturae scrutator egregius, hunc numerum in libris, quos per» ·pdomàdwn appellat, ait creandis inesse corporibus. 14,2 Nam semen fusum et fomite matri〈ci〉s exceptum septimo die in sanguinem commutari, septimo mense perfici ac plerumque nasci legitimam partus dinumerationem 〈e〉mens[ur]um; infantiumque dentes a septimo mense prorumpere, septimo mutari anno; bis septeno incipere pubertatem; ter septeno florem barbae iuuenilis absolui; quatuor autem annorum hebdomadibus euolutis staturae crescentis terminum fieri nec ultra proceritatem posse procedere. Triginta uero et quinque annis exemptis etiam ingenii progressionem fere desistere quidam putauere philosophi, quod uidelicet in quinque redigatur hebdomadas. 14,3 Musici uero septem uocum discrimina duobus tetracordis pro rata portione modulatis efficiunt, una corda communi, quae utriusque concentum harmoniae modificatione componat; quod paulo post uberius exsequemur. 14,4 Dialectici quoque conclusionis hypotheticae modos in septenarium numerum redegerunt, quibus amplius nihil acuta quiuit disciplina cognoscere.

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13,8 Die Neun wird hervorgebracht durch die Multiplikation von drei mal drei; dagegen gehört die Achtzehn zur zweiten Zahlenreihe und ihre Bildungsregeln sind abweichend. 13,9 Die Zehn resultiert aus zwei mal fünf, aber ihre Verdoppelung, die Zwanzig, fällt aber nicht unter die oben genannte Regel der Zahlengeneration. 13,10 Folglich wird alleine die Sieben weder durch zwei Zahlen derselben Gattung hervorgebracht noch emaniert aus ihrer Verdoppelung eine andere Zahl innerhalb der ersten Zahlenreihe. Und deshalb nennt man sie zu Recht Minerva, mutterlos und Jungfrau ohne Nachkommenschaft. 14,1 Hippokrates von Kos, ein exzellenter Erforscher der Natur, sagt in seinem Buch, das er Über die Hebdomaden betitelt hat, dass die Sieben das Prinzip der Entwicklung des menschlichen Körpers sei. 14,2 Denn nachdem der Samen sich in die Wärme des Uterus ergossen und dort eingenistet habe, verwandle er sich am siebten Tag in Blut. Im siebten Monat sei das Kind herangereift und werde dann oft schon geboren, weil die naturgesetzliche Frist für seine Geburt bereits erfüllt sei. Vom siebten Monat an träten die Zähne der Kleinkinder aus dem Kiefer hervor, und im siebten Jahr würden sie durch die zweiten ersetzt. Nach zwei mal sieben Jahren beginne die Pubertät, nach drei mal sieben Jahren sei der jugendliche Bartwuchs voll entwickelt, und nach dem Verstreichen von vier Hebdomaden an Jahren erreiche die körperliche Entwicklung ihr Ziel und ein weiteres Wachstum sei nicht mehr möglich. Nach Vollendung des 35. Lebensjahres, also nach fünf Hebdomaden, kommt nach Annahme mancher Philosophen dann auch die geistige Entwicklung zum Stehen. 14,3 Die Musiker produzieren sieben unterschiedliche Töne, und zwar mittels zweier Tetrachorde, welche nach festgelegten Proportionen gestimmt sind und eine Saite gemeinsam haben, die beider Zusammenklang durch Abstimmung aufeinander gewährleistet. Das wird uns weiter unten noch ausführlicher beschäftigen. 14,4 Die Dialektiker haben die Arten der hypothetischen Schlüsse ebenfalls auf sieben festgelegt; eine größere Zahl konnte auch der Scharfsinn dieser Disziplin nicht ausfindig machen.

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15,1 De octauo autem numero non multa dicentur, sed quae huic loco sufficiant. 15,2 Ita〈que〉 sunt octo primus cybus (k‘bon Graeci, nos quadrantal dicimus), id est forma quae tria corporum interualla contineat. 15,3 Nam cum shmeÿon, lineae semen et signum sine ullis partibus, animo cogitabis, eadem cogitatione defluere uidebis in lineam. 15,4 Quae quia duobus finibus terminatur linea longitudinis, sub dualis numeri natura limitatur. 15,5 Haec in quaternarium dupli ratione progreditur et facit epiphaniam, id est superficiem planipedem, quam Graeci ‚p–pedon nominarunt, quatuor lineis angulisque descriptam. 15,6 Quae si aeque dupli ratione grandescat, octauo numero quadrantal illud absoluet, eritque, ut diximus, in duobus longitudo, in quatuor latitudo, in octo altitudo. Qua nihil amplius in lineis corpora perfecta conquirunt, quae a nobis solida, a Graecis stereà nominantur. 15,7 Nam color, qui ueluti nonus accedit, a plerisque non naturis corporum sed lucis iactibus impressionibusque tribuitur. Vnde illud recte Virgilius: »et rebus abstulit nox atra colorem«. Quod utique 〈dies〉 dederat, sustulit. 16,1 Sed ne de primo cybo dicentes alium transeamus et sit mutilantis subtilitatis assertio: ut a numero pari, qui femineus habetur, tribus illis limitibus duplicatis natus est cybus, ita tribus per sui naturam ter triplicatis

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Die Acht 15,1 Über die Zahl acht wollen wir nicht allzuviel sagen, sondern nur soviel, wie für unser Thema hinreichend ist. 15,2 Die Acht also ist der erste Kubus (die Griechen nennen ihn k‘boc, wir quadrantal), die Form, welche alle drei Dimensionen der Körper besitzt. 15,3 Wenn du dir nämlich einen Punkt vorstellst, welcher die Keimzelle der Linie und ein nicht weiter unterteilbares Zeichen ist, dann kannst Du dir auch vorstellen, wie er sich zur Linie ausdehnt. 15,4 Weil aber die Ausdehnung dieser Linie durch zwei Grenzpunkte definiert wird, wird ihre Gestalt vom Wesen der Zwei bestimmt. 15,5 Diese Zwei wird durch Verdoppelung zur Vier und bildet so eine Fläche, das heißt eine Ebene, die durch vier Linien und Eckpunkte begrenzt ist; von den Griechen wird sie ‚p–pedon genannt. 15,6 Wird diese Zahl ihrerseits wieder verdoppelt, wird mit der Acht der oben genannte Kubus vollendet. Seine Länge beruht, wie oben gesagt, auf der Zwei, seine Breite auf der Vier, seine Höhe auf der Acht. Über diese Dimension hinaus bedarf es zur Bildung vollständiger Körper (sie werden bei uns solida, bei den Griechen stereà genannt), an Linien nichts. 15,7 Denn die Farbe, die vermeintlich als Funktion der Neun hinzutritt, wird von vielen Forschern nicht dem Wesen der Körper zugeschrieben, sondern dem Auftreffen des Lichts auf sie samt seinen Effekten. Daher sagt Vergil richtig »und die schwarze Nacht raubte den Dingen ihre Farbe«, denn was das Tageslicht gegeben hatte, das hat die Nacht genommen.

Die sieben Zahlen der Weltseele und die beiden ersten Kuben 16,1 Aber um nicht nur über den ersten Kubus zu sprechen und dabei den zweiten zu übergehen, sodass die Darstellung durch allzugroße Kürze verstümmelt wird: Wie aus der geraden Zahl zwei, die als weiblich gilt, durch Verdoppelung der drei genannten Werte ein Kubus, die Acht, entsteht, so resultiert aus der Drei durch Verdreifachung mit sich selbst ein

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efficitur alius cybus generis imparis masculinus. Namque tres lineam faciunt longitudinis, nouem lineam latitudinis, uiginti uero et septem profunditatem illam soliditatis absoluent. 16,2 Quod hac descriptione sic intuere: I Longitudo II III Latitudo IIII VIIII Altitudo VIII XXVII

Longitudo Latitudo Altitudo

16,3 〈A〉nimaduerte quot summas descriptionis climax complectatur, nempe septem; et hoc ad potentiam numeri septenarii referimus. 16,4 Nam et Plato cum diuisionem primam ex cratere illo suo, quo animam temperabat, efficeret et dupli ac tripli distantias propinquioribus pro rata parte numeris inferciret, eadem posuit interualla primigenia. In quibus dempto illo principe, qui communis omnibus lateribus inuenitur, remanent summae sex, numeri, ut dictum est, potentis atque perfecti; per quem hos duos cybos sibimet mixtos si multiplices, in ducentos et decem cumulus iste transibit. Nam octo et uiginti septem fiunt triginta quinque; 16,5 hoc sexies ducito: facies, ut supra proposuimus, ducentos et decem, qui dierum numerus septem menses absoluit. Hac ratione partus ille septimanus est plenus. 16,6 Vide iterum cybos his numeris contineri. Octo binarii generis cybus est. Viginti septem septenarium continent in reliquiis. Nam summa maior, quae in uiginti est, binorum laterum instar; reliquiae sunt eius in septem, quem plenum in loci huius expositione iam diu demonstramus. 17,1 Ad hunc numerum cybicum, ut Varroni placet, lunaris cursus congruit reuolutio, quae in uiginti septem diebus omne tanti sideris lumen exhaurit. 17,2 Adde quod octauus hic numerus dierum noctiumque crementa conuertit. Nam cum octauam Arietis partem sol ingreditur, lucis umbrae-

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anderer Kubus aus der Gattung der ungeraden und männlichen Zahlen: Die Drei ergibt hier die Länge, die Neun die Fläche und die Siebenundzwanzig den vollständigen Körper. 16,2 Das magst du aus folgendem Diagramm ersehen: I Länge Breite Höhe

II IIII VIII

III VIIII XXVII

Länge Breite Höhe

16,3 Beachte bitte, wieviele aufsteigende Werte diese Tabelle enthält, nämlich sieben: auch das ist auf die Macht der Zahl sieben zurückzuführen. 16,4 Mit eben diesen sieben Zahlen konstituierte Platon die grundlegenden Intervalle, als er die erste Teilung in seinem berühmten Mischkrug vornahm, worin er die Seelensubstanz mischte und sodann die Reihen der Zweier- und Dreierintervalle mit den proportionalen Werten ausfüllte, die jeweils zwischen den Zweier- und Dreierpotenzen liegen. Nimmt man nun die Eins, die beiden Reihen gemeinsam ist, weg, verbleiben sechs Werte – sechs, eine, wie oben gesagt, perfekte und machtvolle Zahl. Multipliziert man damit die Summe der beiden Kuben, ergibt das insgesamt 210. Denn acht und siebenundzwanzig ergibt fünfunddreißig. 16,5 Das mit sechs multipliziert, ergibt, wie eben gesagt, zweihundertzehn, die Zahl von Tagen, die sieben Monate vollmachen. Nach dieser Rechnung ist die Frist einer Schwangerschaft wie oben erwähnt (14,2) nach sieben Monaten erfüllt. 16,6 Nun sieh dir bitte nochmals die Kuben an, welche in den genannten Zahlen enthalten sind: Der eine ist acht, der Kubus von zwei. Der andere, die Siebenundzwanzig, enthält als Rest die Sieben, und ihr größerer Teil, die Zwanzig, ist ebenfalls eine Instanz der Zweierreihe. Der Rest beträgt sieben, und dass die Sieben eine vollkommene Zahl ist, zeigen unsere Ausführungen zu diesem Thema ja schon seit geraumer Zeit. 17,1 Zu dieser Kubuszahl siebenundzwanzig steht nach Ansicht Varros der Umlauf des Monds in Beziehung, der innerhalb dieser Zahl an Tagen das gesamte Licht eines so großen Gestirns erschöpft. 17,2 Ein weiterer Punkt ist, dass die Acht die Zu- und Abnahme der Tages- und Nachtlängen regelt. Denn wenn die Sonne im achten Grad des

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que mensuram paribus momentis exaequat. Indeque ad Cancri octauam partem lux aucta producitur. Vnde alia rursus aequalitate regreditur ad Librae octauam partem, ut fiant solis contractiora curricula. Nouissime pigras ac breues horas a〈d〉 Capricorni humiliore〈m〉 meta〈m〉 restringens in solstitium aliud, quod brumale dicitur, tendit. Ac sic alterno discrimine dies a noctibus umbraeque a solibus superantur, octauae partis quadrifariam limite disparato, ut aequinoctia duo, solstitia totidem numerentur. 17,3 Caeli uero in hunc numerum orbes seu deus artifex seu prudens natura disposuit. Nam primus ac summus est Çplan†c, qui, quia semper uno ac iugi continuatus agitur motu, nulli uidetur errori esse subiectus. Sub eo planetarum sunt quinque circuli et solis ac lunae curricula. 17,4 »Nam terra«, ut ait Tullius, »nona immota semper sede manet«, et ab illorum motibus segregata obstipo pondere defixa subsedit. 17,5 Additur causis, quod in musica tonus octauae partis detractione consistit per numerum qui epogdous nominatur. 18,1 Iure igitur aetatem hominis hi numeri temperant; quorum in natura totius non est causa potentiae, quam colligi duorum altrinsecus subductione perspicimus? 18,2 Qui numerus Africani clausit aetatem, hic quoque plenissimus intellegitur, quia et ordinem naturalem per analogiae constituit rationem et ex his partibus constat, in quibus est miranda perfectio, id est duodetriginta duplicatis in summam.

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Widders steht, werden die beiden Abschnitte ihres Umlaufs und damit die Länge von Tag und Nacht gleich. Von da bis zum achten Grad des Krebses nimmt die Tageslänge zu. Dann verkürzt die Sonne ihre Bahn wieder, bis sie im achten Grad der Waage steht und erneut die Tagnachtgleiche eintritt. In der kalten Jahreszeit schließlich scheint sie nur noch für kurze Stunden, bis sie ihren Tiefpunkt im Steinbock und damit ihren anderen Wendepunkt, die sogenannte Wintersonnwende, erreicht. Und so gewinnt im Wechsel Nacht über Tag und Licht über Dunkelheit die Oberhand, indem der Wert acht der Jahrpunkte vierfach unterteilt wird, sodass man je zwei Sonnwenden und zwei Tagnachtgleichen zählt. 17,3 Auch die Himmelssphären sind in acht eingeteilt, sei es vom Demiurgen, sei es durch die Vorsehung der Natur. Die oberste und höchste ist die Fixsternsphäre. Sie zeigt ständig ein und dieselbe ununterbrochene und konstante Bewegung und scheint keinerlei Irregularität zu unterliegen. Unter ihr verlaufen die fünf Planetenbahnen sowie die von Sonne und Mond. 17,4 »Die Erde aber«, wie Cicero sagt, »als die neunte Sphäre bleibt immer unbewegt an ihrem Ort«; sie ist von der Welt der Planetenbewegungen geschieden und verharrt, von ihrer dichten Masse nach unten gezogen, bewegungslos. 17,5 Als letzter Gesichtspunkt ist hinzuzufügen, dass in der Musik der Ganzton aus dem Abzug des achten Teils resultiert, vermittels der Relation, die Epogdous heißt.

Sieben, Acht und das Leben Scipios 18,1 Es trifft somit völlig zu, dass die beiden Zahlen sieben und acht das menschliche Leben bestimmen: Liegt nicht in ihrer Natur die Ursache für jene vollkommene Machtfülle, deren Entfaltung sich uns in ihrer Multiplikation offenbart? 18,2 Eben diese Zahl sechsundfünfzig, die Scipios Leben beschloss, ist auch als vollkommen im Höchstgrad zu verstehen, weil zum einen nach dem Gesetz der Analogie ihre Zahlen in natürlicher Progression stehen, zum andern sie aber aus Teilen besteht, deren Perfektheit bewundernswert ist, nämlich aus zweimal achtundzwanzig.

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18,3 Nam quinquaginta pro quinque debemus accipere, sicut pro monade decadem. Quinque autem in ordine sequens senarius comitatur, quem superioribus adhaerere cognoscis. 18,4 Duodetriginta perfectus est numerus in secundo uersu, sicut est in primo senarius, quod impletur partibus suis, nec absque hoc alius. Habet autem partes has: dimidiam quatuordecim; tertiam non habet; quartam uero habet septem; quinta sextaque priuatus est; septimam recipit numeros quatuor; octauam, nonam, decimam, undecimam, duodecimam, tertiam decimam ne disquiras; quartam decimam uides in duobus existere; a qua usque in uicesimam octauam nulla subductae rationis portio reperitur. Omnes ergo partes eius in ordinem digere simulque subducito: in cumulum primitus positum remeabunt. Namque quatuordecim, septem, quatuor, duo, unum et duodetriginta congregatio iugata componet. 18,5 Qui si perfectus est numerus, ut ratio comprobauit, duo perfecti magis fecere perfectum. 18,6 Non potuit igitur Africanus uelut immaturae mortis queri dispendia, quia nihil minus 〈adeptus〉 est uitae, quam ratus numerorum ordo compleuit. 19,1 Adiungamus huic loco illud quoque de nouenario, quod Tullius ait: »nouem tibi orbibus conexa sunt omnia«, ut hoc demonstrato totius primi uersus plena sit disputatio. 19,2 Est igitur quadratus numerus nouenarius, quia ex tribus in se triplicatis exoritur, sicut haec figura composita est:

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18,3 Zum einen nämlich müssen wir fünfzig als fünf interpretieren, ebenso wie wir ja die Zehn als eins verstehen. In der natürlichen Ordnung der Zahlen folgt aber sechs unmittelbar auf fünf, und du siehst sie somit auch in der Zahl sechsundfünfzig der vorangehenden Fünf benachbart. 18,4 Zum andern ist Achtundzwanzig die perfekte Zahl der zweiten Zahlenreihe, so wie es in der ersten die Sechs ist; denn auch sie besteht aus der Summe ihrer Teiler, und eine weitere perfekte Zahl existiert auch in dieser Reihe nicht. Ihre Bestandteile sind folgende: Teilung durch zwei ergibt vierzehn; durch drei ist Teilung nicht möglich, wohl aber durch vier, was sieben ergibt; durch fünf und sechs ist sie nicht teilbar, Teilung durch sieben ergibt vier; Teilung durch acht, neun, zehn, elf, zwölf und dreizehn zu versuchen, ist müßig; Teilung durch vierzehn schließlich sehen wir in der Zwei resultieren, und zwischen vierzehn und achtundzwanzig (Teiler eins) lassen sich keine weiteren Teiler bestimmen. Reihe nun sämtliche Teiler auf und zähle sie zusammen: es wird die Ausgangssumme herauskommen. Denn diese Summierung wird gleichsam die Zahlen vierzehn, sieben, vier, zwei und eins zusammen mit der Achtundzwanzig unter dasselbe Joch spannen. 18,5 Wenn nun achtundzwanzig eine perfekte Zahl ist, wie unsere Berechnung erwiesen hat, dann musste ihre Verdoppelung eine noch perfektere ergeben. 18,6 Scipio hätte also keinen Anlass gehabt, sich über eine Verkürzung seines Lebens durch unzeitigen Tod zu beklagen, weil er genau jene Lebensspanne erreicht hat, die durch das Gesetz der Zahlen erfüllt wurde.

Die Neun 19,1 Fügen wir an dieser Stelle das bekannte Cicero-Zitat über die Neun an: »In neun Kreisen ist dir alles miteinander verbunden«. Mit dessen Erläuterung wird unsere Untersuchung der ersten Zahlenreihe in ihrer Gesamtheit abgeschlossen sein. 19,2 Die Neun ist eine Quadratzahl, weil sie aus der Multiplikation der Drei mit sich selbst hervorgeht, wie die folgende Abbildung veranschaulicht:

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Quoquo uerteris quadraturam, uidebis cuncta eius latera congruentia. 19,3 Totusque habetur ex totis, quia et initium habet in tribus et medium obtinent tres idemque finiunt, partesque ipsius totae sunt: quod in aliis nequaquam numeris inuenitur. Tres enim, ut supra diximus, totus est numerus, sed non ex totis ipse compositus. At uero nouem et ipsi tribus partibus toti sunt, et ipsae partes totae de tribus. 19,4 Ex quo mihi uidetur Maro, doctissimus Romanorum, dixisse illud »nouies Styx interfusa coercet«. Terra enim nona est, ad quam Styx illa protenditur: mystice ac Platonica dictum esse sapientia non ignores. 19,5 Nam poetica libertate inserit fontanae animae a caelo usque in terras esse decursum. 19,6 Nam sub pedibus summi patris 〈et no‹ et fontis, animas〉 qui dissipet (hinc dicitur phga–a), Styx posita per omnes circulos fluit, imponens singulis 〈corporibus〉 uelut in curru aurigam, id est uitae substantiam, ex qua cuncta uiuentia originem sortiuntur et eidem soluta redduntur. Manatque illa per cunctos 〈circulos〉 uolentes commisceri, quod ex natura sunt hiulci; interiectu sui uigoris separat et, quod ipse mire Virgilius loquitur, »coercet«, ut sui generis momenta conseruent. 19,7 Inter caelum et terram nouem interualla ipse consideres licet. Sic, quoniam primi uersus absolutio nouenario numero continetur, neque ipsa decimum circulum natura requirebat.

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Wende das Quadrat nach einer beliebigen Seite: du wirst sehen, dass seine Seiten immer gleich lang sind. 19,3 Die Neun gilt als vollkommene Zahl aus vollkommenen Zahlen, weil ihr Anfang, ihre Mitte und ihr Ende aus je drei Gliedern bestehen, sodass auch alle ihre Teile vollkommen sind: diese Eigenschaft findet sich bei keiner anderen Zahl der ersten Reihe. Wir haben ja weiter oben (7,1) gesagt, dass die Drei eine vollkommene Zahl ist. Aber ihre Bestandteile selbst sind nicht vollkommen, wogegen die Neun vollkommen ist aufgrund ihrer drei Teile, und die drei Teile sind ihrerseits vollkommen aufgrund ihrer drei Elemente. 19,4 Das scheint Vergil, den gelehrtesten aller Römer, angeregt zu haben zu jenem »Die Styx windet sich neunmal um sie und hält sie im Zaum«. Die Erde ist nämlich die neunte Sphäre, welcher die Styx zustrebt; sicherlich weißt du, dass dieser Vers allegorisch gemeint und von der Weisheit der platonischen Philosophie geprägt ist. 19,5 Vergil spricht hier ja mit poetischer Freiheit vom Herabströmen der Quellseele vom Himmel zur Erde. 19,6 Denn die Styx befindet sich zu Füßen des höchsten Vaters, 〈des Intellekts und der Quelle〉, welche 〈die Seelen〉 vereinzelt (daher ihr griechischer Name phga–a, ›Quellseele‹), und strömt durch alle Sphären. Sie setzt in jeden einzelnen Körper gleichsam einen Wagenlenker, das heißt die Substanz des Lebens, aus welcher alles, was lebt, seinen Ursprung nimmt, und zu der es, befreit von der Materie, zurückkehrt. Die Styx fließt durch alle Sphären; die aber neigen zur Vermengung, weil sie ihrer Natur nach diskontinuierlich sind; daher zwängt sie sich zwischen sie und hält sie auseinander mit ihrer Energie. Wie Vergil selbst so wundervoll sagt, sie »hält sie im Zaum«, sodass sie ihre artgerechten Bewegungen bewahren. 19,7 Zwischen Himmel und Erde gibt es, wie du ja selbst feststellen kannst, neun Intervalle. Weil also die erste Zahlenreihe mit der Neun ihren Abschluss findet, bedurfte auch das All keiner zehnten Sphäre.

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20,1 Habes de numeris quod sine libris in agello positus potui reminisci. Sequenti parte sermonis etiam symphoniam mundi, qua eum personare Pythagoras existimat, referemus. Explicit Pars Prima. Incipit Secunda.

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20,1 Soviel zur Lehre von den Zahlen, soweit ich sie mir auf dem Land und ohne Bibliothek in Erinnerung rufen konnte. Im nächsten Teil wollen wir uns der Sphärenharmonie zuwenden, die nach Pythagoras’ Ansicht das All erfüllt. Ende des ersten Teils. Beginn des zweiten Teils.

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21,1 Sequitur locus cum rei obscuritate, tum expositionis a Tullio positae breuitate difficilis, qui sub personis iisdem, quas supra memorauimus, sonitum mundi octo uidelicet orbium impulsione concinere Pythagorei dogmatis assertione perdocuit. 21,2 »Nam terra«, ut ait idem, »nona immota semper sede consistens« nullo canore concutitur, et uelut fundamenti uice circum se actis octo cursibus defixa libratur, atque ut in cithara testudo, sic ipsa mundanae harmoniae uelut machinam praebet. 21,3 Sed quaedam primitus ex musica disciplina tradenda sunt, quo facilior intellectus existat. 22,1 Sicut in arte grammatica articulatae uocis maximae ac principales partes edocentur nomina et uerba, horum autem sunt syllabae partes ac litterae syllabarum, per quas in unum collectae significant aliquid, et in eas rursus diductae soluuntur, ita canorae uocis, quae a Graecis ‚mmel†c dicitur et est numeris modulisque contexta, principales portiones habentur sust†mata. 22,2 Systematum uero partes ex certo contractu pronuntiationis existunt, quae diast†mata Graeci, nos interualla nominamus. 22,3 Diastematum uero partes sunt fjÏggoi, qui soni Latine dicuntur. Hi soni quasi fundamentum sunt cantus. 22,4 Est autem sonorum plurima differentia iuxta cordarum intentionem, quae non ut libet efficitur, sed certa obseruatione numerorum, de qui-

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Zweiter Teil: Die Sphärenharmonie 21,1 Es folgt ein Abschnitt, der schwierig ist, einmal wegen der Abgelegenheit des Stoffs, vornehmlich aber, weil er von Cicero so knapp dargestellt ist. Er nimmt die oben (1,2) genannten Personen als Sprachrohr, um die Lehre des Pythagoras kundzutun, dass aus der Rotation der acht Himmelssphären eine Harmonie des Kosmos hervorgehe. 21,2 »Denn die Erde«, sagt er, »die neunte Sphäre, verharrt unbewegt immer am selben Ort«; sie bleibt unberührt vom Sphärenklang und befindet sich gleichsam als Ankerpunkt der acht um sie rotierenden Sphären in stets unveränderter Balance. Und wie der Schallkasten einer Kithara dient sie gewissermaßen als Resonanzkörper für die Sphärenharmonie. 21,3 Aber bevor wir auf dieses Thema eingehen, müssen wir uns, um das Verständnis zu erleichtern, ein paar Grundbegriffe der Harmonielehre zurechtlegen.

Harmonielehre: Grundbegriffe und Schalltheorie 22,1 In der Grammatik lehrt man, dass die wichtigsten und grundlegenden Einheiten einer wohlgeformten Äußerung die Nomina und die Verben seien, und die teilten sich ihrerseits in Silben und diese wiederum in Buchstaben. Die Komposition dieser Buchstaben und Silben zu einer Einheit bringt eine Bedeutung zum Ausdruck, und wenn jene wieder zu Silben und Buchstaben dekomponiert wird, löst sich diese auf. Ebenso ist es mit dem musikalischen Klang, der von den Griechen ‚mmel†c genannt wird und aus Rhythmus und Melodie zusammengesetzt ist. Als seine Hauptbestandteile gelten die sust†mata, die Systeme. 22,2 Deren Komponenten wiederum gehen aus der wohldefinierten Verbindung einzelner Töne hervor und werden bei den Griechen diastemata, bei uns Intervalle genannt. 22,3 Die Bestandteile der Intervalle schließlich sind die Töne, auf Griechisch fjÏggoi, lateinisch soni; sie sind sozusagen das Fundament der Musik. 22,4 Es existiert nun eine große Vielfalt von Tönen entsprechend der unterschiedlichen Spannung der Saiten; die erfolgt aber nicht aufs Gera-

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bus mox loquemur. Et acuti quidem soni uehementius et citius percusso aere excitantur, grauiores autem quotiens lenius tardiusque pulsatur; et ubi nimius incitatiorque pulsus est, accentio uocitatur, succentio uero, cum lenior tardiorque pulsatio est. 22,5 Ex accentionibus 〈et succentionibus〉 ratione musicae cantio temperata symphonia dicitur, quam ita definiunt: symphonia est consonae uocis continua modulatio. 22,6 Dicunturque aliae simplices symphoniae, aliae uero copulatae. 22,7 Prima igitur symphonia in quatuor primis modulis inuenitur, quae diatessaron a musicis appellatur, 22,8 secunda, quae ex quinque primis modulis constat ac diapente nominatur. 22,9 Quibus mixtis in ordinem atque compositis nascitur ea cantilena, quae diapason habetur, per epogdoum numerum, qu〈i〉a ueteres musici octo tantum cordis utebantur, ad circulorum caelestium similitudinem referentes. 22,10 Tres sunt itaque symphoniae simplices ac primigeniae, diapente, diatessaron, diapason, quae in tetracordo numerorum ratione disposito reperiuntur. 22,11 Nam si unam cordam ut libet intentam semel aut iterum uerberaris, sonabit quidem uel graue uel acutum; consonantiam tamen habere non poterit, quae dicitur symphonia. 22,12 Huic cordae si alteram iungas diuersa ratione distentam, quae tamen diuersitas analogiae congruentiam habeat, sonabunt non irritum aut

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tewohl, sondern unter genauer Beachtung von Zahlenverhältnissen, worüber wir sogleich sprechen werden. Hohe Töne entstehen durch heftigere und schnellere Perkussion der Luft, tiefere durch eine schwächere und langsamere. Immer wenn diese Perkussion intensiver und schneller wird, spricht man von ansteigendem Ton; wird sie schwächer und langsamer, von absteigendem.

Die konsonanten Intervalle 22,5 Eine Melodie, die nach musikalischen Regeln aus auf- und absteigenden Tönen zusammengesetzt ist, heißt Konsonanz. Für sie gilt folgende Definition: Die Konsonanz ist eine kontinuierliche Bewegung des musikalischen Klangs. 22,6 Unter den konsonanten Intervallen gibt es einfache und zusammengesetzte. 22,7 Das erste findet sich in den ersten vier Tönen, und die Musiker nennen es diatessaron, Quarte, 22,8 das zweite ist jenes, das aus den ersten fünf Tönen besteht und diapente, Quinte, heißt. 22,9 Aus der Vereinigung und Aneinanderreihung dieser beiden Intervalle geht der Akkord hervor, der diapason, Oktave, heißt, und zwar aus der Achtzahl der Saiten. Denn die Musiker des Altertums verwendeten Instrumente mit nur acht Saiten, um auf die Analogie zwischen Himmelssphären und Instrument hinzuweisen. 22,10 Es gibt also drei einfache und grundlegende Akkorde, nämlich diapente, diatessaron und diapason, also Quinte, Quarte und Oktave, die wir in einem nach entsprechenden numerischen Relationen gestimmten Tetrachord finden können. 22,11 Wenn man nämlich nur eine einzige auf eine beliebige Frequenz gestimmte Saite anschlägt, klingt sie entweder tief oder hoch, aber eine Konsonanz, eine sogenannte symphonia, kann sich dabei nicht ergeben. 22,12 Wenn man aber eine zweite Saite hinzufügt, die auf eine andere Frequenz gestimmt ist, diese jedoch zur Stimmung der ersten Saite in einem proportionalen Verhältnis steht, werden beide weder dissonant

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simplex, sed quod et aures oblectet et rationi, de qua loquimur, rite conueniat. 22,13 Tendamus igitur primam cordam momentis sex, alteram uero octo: comparatio istarum cordarum symphoniam efficit diatessaron. At si aliam duobus momentis, aliam tribus intendas, diapente symphoniam utriusque percussione resonabit. Si uero aliam sex momentis intorseris, aliam duodecim, dicetur haec symphonia diapason, quam dupli ratio ex utraque superius demonstrata pepererit. 23,1 Sed ne confusius haec a nobis tradantur, dicam quot modis inter se numeri comparentur, dein, quae sit numeris modisque cognatio ad efficiendam consonantem iugiter cantilenam. 23,2 Numerus igitur aut diplasius aut hemiolius aut epitritus aut epogdous appellatur. 23,3 Diplasius, Latine qui dicitur duplex, sub exemplo senarii ac duodecimi numeri demonstret〈ur〉, quae inter se summae, ut uides, longius diducuntur. 23,4 Hemiolius uero propinquior ex duobus ac tribus est numerus, cum minorem summam maior alia, collata media minoris superat portione; namque uides tres duobus uno anteire numero, qui minoris dimidia pars est. 23,5 Tertia comparationis est ratio ex epitrito numero, cum scilicet maior minorem summam non medietate minoris, eiusdem sed tertia parte progreditur, ut quatuor ad tria sunt; quamquam enim uno separentur, tamen hic unus non media portio minoris est, sed tertia uidelicet.

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noch gleich klingen, sondern einen Klang hervorbringen, der den Ohren behagt und den Zahlenverhältnissen, über die wir jetzt reden, regelgerecht entspricht. 22,13 Spannen wir also die erste Saite mit einem Drehmoment von sechs Einheiten und die andere mit einem von acht: dieses Zahlenverhältnis ergibt den Akkord diatessaron, die Quarte. Spannt man aber die eine Saite mit zwei, die andere mit drei Momenten und schlägt sie beide an, lässt das den Akkord diapente, die Quinte, erklingen. Spannt man schließlich die eine mit sechs, die andere mit zwölf Momenten, heißt der Akkord diapason, Oktave; er geht aus dem Verhältnis der Duplikation hervor, welches seinerseits aus den beiden eben genannten Relationen der Quarte und der Quinte resultiert.

Die den Intervallen zugrundeliegenden Zahlenrelationen 23,1 Um aber mit meiner Darstellung keine Verwirrung zu stiften, möchte ich zunächst erklären, auf wieviele Arten die Zahlen zueinander in Relation treten, sodann, durch welche Verwandtschaft zwischen Zahlen und Tönen das harmonische Fließen der Musik möglich wird. 23,2 Die Zahlenrelationen heißen Diplasius, Hemiolius, Epitrit und Epogdous. 23,3 Der Diplasius, lateinisch duplex, sei mit dem Beispiel der Relation sechs zu zwölf erläutert, zweier Zahlwerte, die, wie du siehst, ziemlich weit auseinander liegen. 23,4 Kürzer ist die Distanz zwischen den Zahlen zwei und drei des Hemiolius; bei ihm ist die höhere Zahl nur um die Hälfte größer als die kleinere. Du siehst ja, dass die Drei die Zwei um den Wert eins übersteigt, also nur um den halben Wert der kleineren Zahl. 23,5 Die dritte Relation ist die des Epitrit, bei dem die größere Zahl die kleinere nicht mehr um deren Hälfte, sondern nur noch um ein Drittel übersteigt, wie beim Verhältnis vier zu drei. Sie liegen zwar auch um den Wert eins auseinander, aber der beträgt nicht die Hälfte der kleineren Zahl, sondern natürlich nur ein Drittel.

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23,6 Epogdous autem tunc esse dicitur numerus, cum maior minorem summam octaua parte minoris anteuenit, ut sunt nouem ad octo; qui cum uno similiter, ut superiores, anteeat, tamen, ut uides, octaua pars minoris est unus. 23,7 Qua[m] comparatione[m] nullam artiorem fieri posse arithmetici asserunt uel in numeris uel in sonis. Nec enim possumus decem ad nouenariam summam pari ratione conferre, prohibente epogdoi uersus memorato superius limite. 24,1 Expositis igitur comparationibus numerorum dicamus, quae cum his sit symphoniarum ab harmonica disciplina coniunctio. 24,2 Fac igitur tetracordum ex his quos proponam numeris temperatum. Quorum sit prior senarius, perfectus ac sapiens numerus, secundus octauus, tertius nouenarius; duodecimus qui est, locetur extremus. 24,3 In his quatuor cordis omnes simplices symphoniae uaria cordarum percussione nascuntur. Nam ex interuallo senariae atque octonariae summae symphonia diatessaron efficitur, atque epitrito numero continetur; qui etiam in duabus, quae sunt reliquae, sicuti cernis, apparet. 24,4 Nam duodecim ad nouem eodem comparantur epitrito, recinuntque similiter symphoniam, quae diatessaron appellatur. 24,5 At si altrinsecus prima tertiaque, item secunda et extrema pulsetur, symphonia resonabit, quae dicitur diapente, ex hemiolia orta ratione. 24,6 Prima ergo et extrema percussae diapason efficiunt symphoniam ex diplasio numero consonantem, cuius umbilicum epogdous ille contineat, qui 〈inter〉 octo ac nouem uidetur insertus. Huius igitur figuram aspice tetracordi:

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23,6 Von einem Epogdous schließlich spricht man dann, wenn die größere Zahl die kleinere um ein Achtel deren Wertes übersteigt, wie bei neun zu acht. Wie die eben genannten Zahlen ist auch die Neun um den Wert eins größer als die Acht, aber, wie du siehst, ist eins sogar nur ein Achtel von acht. 23,7 Eine engere Relation als diese gibt es nach Aussage der Mathematiker weder zwischen Zahlen noch zwischen Tönen. Es ist nämlich nicht möglich, auf ähnliche Weise ein Verhältnis zwischen zehn und neun zu bilden, weil das durch die Grenze der ersten Zahlenreihe, die Neun, verhindert wird, über die wir oben schon gesprochen haben.

Die Berechnung des Oktavraums 24,1 Nachdem wir nun die numerischen Relationen dargestellt haben, wollen wir darüber sprechen, welche Beziehung zwischen diesen und den Akkorden aus Sicht der Harmonielehre besteht. 24,2 Stelle dir also bitte ein Tetrachord vor, das auf die nachstehend genannten Zahlenverhältnisse gestimmt ist. Die erste Saite auf sechs, jene perfekte und weisheitsträchtige Zahl, die zweite auf acht, die dritte auf neun und die letzte auf zwölf. 24,3 Diese vier Saiten, unterschiedlich angeschlagen, bringen alle einfachen Akkorde hervor. Aus dem Intervall 6:8 entsteht der Akkord diatessaron, die Quarte, denn er besteht aus dem Epitrit. Und der erscheint, wie du sehen kannst, auch beim Anschlagen der beiden übrigen Saiten. 24,4 Denn die Relation 12:9 ist ebenfalls ein Epitrit, und es erklingt gleichfalls der diatessaron genannte Akkord. 24,5 Wenn man andererseits die erste Saite zusammen mit der dritten oder die zweite mit der vierten anschlägt, ertönt jeweils der Akkord diapente, die Quinte, die aus der Relation des Hemiolius hervorgeht. 24,6 Reißt man schließlich die erste und die vierte Saite an, erklingt der Akkord diapason, die Oktave, deren Klang auf der Relation des Diplasius beruht. Das Zentrum dieser Oktave ist der oben genannte Epogdous, der Ganzton, der das Intervall zwischen den Saiten mit den Werten acht und neun zu besetzen scheint, wie du aus folgendem Diagramm ersehen magst:

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25,1 At quia non quatuor circulis, sed octo, ut traditum est, harmonia mundana compacta est, non diapason, sed disdiapason symphonia concinit ex duobus uelut tetracordis inter se coeuntibus. 25,2 Quorum interualla doctissimus ille Pythagoras ostendit: Qui a terra usque ad illum uerticem, qui dicitur aplanes, duodecim hemitonia patere cognouit, quorum diuisio ad dupli conuenit rationem, si octo ad quaternarium numerum referre uolueris. Namque ait a terra ad lunam tonon esse, a luna ad Mercurii circulum hemitonion, indeque ad Veneris hemitonion, a quo ad Solem tria hemitonia; a Solis autem orbe ad circulum Martium tonon esse, a quo ad Iouem hemitonion, indeque ad Saturni hemitonion, a quo ad signiferum circulum similiter hemitonion. Ita fieri, ut sex tonis caelum distet a terra, duodecim scilicet hemitoniis, fierique his traditas symphonias. Namque a terra ad Solis circulum diapente reboat symphonia, a Solis uero ad zodiacum diatessaron, totum autem diapason, quae ex duobus primis 〈interuallis copulata est symphonia, a terra ad Zodiacum〉. Aeque duo sunt hemisphaeria, superius et inferius, et disdiapason totius mundi sonitus concinit, uiginti quatuor uidelicet hemitoniis, quae rursus ad duplum licet accipias. 25,3 Nam ut octo a quaternario duplo distant, sic uiginti quatuor a duodecim. Habent enim eosdem in se et alios totidem duplicatos, quae dupli natura est.

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Anwendung der Harmonielehre auf die Sphärenharmonie 25,1 Aber weil die Sphärenharmonie, wie die Überlieferung besagt, nicht aus dem Klang von vier, sondern von acht Sphären zusammenfügt ist, umfasst sie nicht eine, sondern zwei Oktaven, und diese Doppeloktave besteht gleichsam aus zwei miteinander verbundenen Tetrachorden. 25,2 Deren Intervalle hat uns der hochgelehrte Pythagoras gezeigt: Er erkannte, dass der Raum zwischen der Erde und jener äußersten Sphäre, die Çplan†c genannt wird, sich über zwölf Halbtöne erstreckt; diese Struktur entspricht der Relation des Doppelten 2:1, etwa wie wenn man acht zu vier ins Verhältnis setzt. Er sagt nämlich, das Intervall zwischen Erde und Mond sei ein Ganzton, das vom Mond zur Sphäre des Merkur ein Halbton, von da bis zur Venus sei es ein weiterer Halbton, und von der Venus zur Sonne drei Halbtöne. Die Entfernung von der Sphäre der Sonne zu der des Mars betrage einen Ganzton; vom Mars bis zum Jupiter einen Halbton, von da zum Saturn wieder einen Halbton und dann nochmals einen Halbton von dort bis zur Fixsternsphäre. Folglich betrage die Entfernung von der Erde zum Himmel sechs Ganztöne beziehungsweise zwölf Halbtöne, und aus diesen resultierten die überlieferten Akkorde. Es erklingt nämlich von der Erde bis zur Sonne das Intervall diapente, die Quinte, und von der Sonne bis zum Zodiakus das Intervall diatessaron, die Quarte; das gesamte diapason aber, die Oktave, der Akkord, welcher aus diesen beiden ersten 〈Intervallen zusammengesetzt ist, erklingt von der Erde bis zum Zodiakus〉. Analog dazu gibt es zwei Hemisphären, die obere und die untere, und so erklingt die gesamte Sphärenharmonie als Doppeloktave, also in vierundzwanzig Halbtönen, was du wiederum als das Doppelte des Basiswerts auffassen magst. 25,3 Denn wie acht von vier um das Doppelte unterschieden ist, so ist es vierundzwanzig von zwölf. Vierundzwanzig verdoppelt nämlich in sich den Ausgangswert zwölf um denselben Betrag; Letzteres entspricht dem Wesen der Verdoppelung.

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25,4 Sic ergo per tonos, qui epogdoa ratione consertim iunctimque miscentur, efficitur consonae iugitatis continua modulatio. 25,5 Quam, ut ait Cicero, »imitati docti atque sapientes, aperuerunt sibi reditum in caelum«, quod et musica disciplina purgatos animos faciat labe corporea et imperiosis pateat uia carminibus in usque illum 〈circulum〉, qui dicitur galaxias, animarum beata luce fulgentem. 25,6 Verba igitur Ciceronis attende: 〈d〉ixerat Africanus: »Quis est qui implet aures meas sonus?« Mirifice »implet«. Quid enim eo plenius aut grandius cogitaueris, qui auditum nostrum nimio sono uocis obtundit, ut 〈sol〉 oculos multo lumine caligantes ipsa sui substantia cernendi nimietate debilitat? Cui responsum est: »Hic est, qui interuallis disiunctus imparibus . . .«. Quae sunt interualla? Quae, ut dixi, Graeci diastemata nominauerunt, non locorum, sed numerorum spatia, quae in metris aures sensu[s] metiuntur. 25,7 Disparibus tamen, sed non pugnantibus, quod hac ratione quoque probabitur. Quatuor posuimus summas: II

IIII

VIII

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Quid tam diuersum? Tamen naturalem inter eas cerne concordiam: Duc primam cum extrema, 〈. . .〉 item unam ex mediis in sese; eandem colligent quantitatem: Bis etenim sedecim ducti triginta duo efficiunt et sex〈ies〉 decies bini idem conligunt. Medietas uero prima in se ducta 〈. . .〉 triginta duo colligit, quod faciunt ambae medietates sibi consertae; namque quater octoni triginta duo et octies quaterni triginta duo efficiunt.

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25,4 Auf diese Weise entsteht aus den Tönen, die durch die Relation des Epogdous miteinander verknüpft und verbunden werden, eine harmonische und ohne Unterbrechung strömende Melodie. 25,5 »Und diese Melodie«, sagt Cicero, »haben gelehrte und weise Männer nachgeahmt und sich so die Rückkehr in den Himmel eröffnet«. Denn die Musik befreit die Seelen von der Verunreinigung durch den Körper, und den Staatsmännern eröffnet sich durch sie der Weg hinauf zu jener Sphäre, die Milchstraße genannt wird, und die funkelt vom Licht der glückseligen Seelen. 25,6 Höre Cicero selbst: Africanus hatte gesagt »Was ist das für ein Ton, der da meine Ohren erfüllt?« Wundervoll gesagt, dieses »erfüllt«! Denn was kann man sich Volltönenderes oder Gewaltigeres vorstellen als einen Klang, der unser Gehör durch seine übergroße Tonfülle stumpf macht, so wie die Sonne unsere Augen durch die Stärke ihres Lichts blendet und sie eben durch ihre substantielle Lichtfülle kraftlos macht, wenn wir sie zu intensiv betrachten? Die Antwort lautete: »Das ist der Klang, der gegliedert ist durch ungleiche Intervalle . . .«. Was für Intervalle meint er? Wie wir schon gesagt haben (22,2), die von den Griechen diastemata genannten, und zwar nicht die durch räumliche Verhältnisse, sondern solche von Zahlen definierten, wie sie unsere Ohren auch bei den Metren unterscheiden können. 25,7 Sie sind ungleich, stehen aber nicht im Missverhältnis, wie sich auch folgendermaßen beweisen lässt. Hier stehen vier Zahlwerte: II

IIII

VIII

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Welche könnten unterschiedlicher sein? Und dennoch kannst du zwischen ihnen eine natürliche Harmonie beobachten: Multipliziere den ersten Wert mit dem letzten [. . .], ebenso eines der Mittelglieder mit sich selbst: ihr Produkt wird identisch sein. Zwei multipliziert mit sechzehn ergibt ja zweiunddreißig und sechzehn multipliziert mit zwei ebenso. Das erste Mittelglied aber multipliziert mit sich selbst [. . .] ergibt zweiunddreißig, was auch die Multiplikation der beiden Mittelglieder miteinander ergibt; denn sowohl vier mal acht ergibt zweiunddreißig als auch acht mal vier.

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25,8 Atque ita naturalis illa unitas congruentiaque seruatur, dum idem sunt extrema, quod media, mediumque in se uersum extremorum efficiat quantitatem. 25,9 Quid quod item notare nos conuenit, ad perspiciendam numerorum inter se caritatem? Vt enim prima medietas cum extrema summa collecta sexaginta quatuor efficit, ita secunda medietas sibi complexa atque in semet ducta eandem, quam modo posui, exhibet quantitatem. 26,1 Haec in arithmetica disciplina proportio, Graece analogia, censetur, quae pari crementorum ordine sic progreditur, ut mediis extrema primaque coniungat faciatque eadem, quae fuerant natura discreta. 26,2 Quam in sonis quoque caelestium circulorum diui〈ni〉tus esse seruatam doctissime Tullius ipse commendat dicens »qui interuallis disiunctus imparibus sed tamen pro rata parte ratione dispositis inpulsu eorum orbium efficitur.« 26,3 Haec est enim Graece analogia quae numquam in duobus ostenditur, sed tribus et deinceps, ut fiat quod eius est proprium: quantum hoc ad illud, tantum [hoc] illud ad hoc. Nam ut duo prima quatuor dupli ratione superant, sic eodem duplo uincuntur ab octo, rursusque sedecim duplo superant octonariam summam. 26,4 Hoc igitur in sono 〈mundi〉 seruari musicorum scientia profitetur, ut sic diuersis temperetur uocibus cantilena, ut ipsa fiat rata diuersitas et concentu proficiat quicquid absonum canere uidebatur. 26,5 Nam cum, sicut ipse nos docuit, ex alia parte acutum personet mundus, ex alia graue, temperantur haec mediis et ita gradatim uniuersa

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25,8 Und so wird jene natürliche Einheit und Harmonie der Zahlen bewahrt, denn das Produkt der äußeren Zahlen entspricht dem der mittleren und ein einzelnes Mittelglied mit sich selbst multipliziert ergibt denselben Wert wie die Multiplikation seiner Nachbarglieder. 25,9 Wir können unsere Beobachtungen sogar wiederholen, um die enge Verbundenheit der Zahlen untereinander zu begreifen: Wenn man nämlich das erste Mittelglied (4) multipliziert mit dem rechten Außenglied (16), ergibt das den Wert vierundsechzig, und denselben Wert ergibt auch die Multiplikation des zweiten Mittelglieds mit sich selbst.

Theorie der Proportionen 26,1 In der Mathematik wird der Begriff der Proportion, griechisch analogia, folgendermaßen definiert: eine Proportion ist eine Reihe symmetrisch zunehmender Werte, welche die Außenglieder zu den Mittelgliedern in Beziehung setzt und gleich macht, was dem Wesen nach unterschiedlich war. 26,2 Dass eine solche Proportion kraft göttlicher Fügung auch in den Tönen der Himmelssphären bewahrt wird, zeigt uns Ciceros eigene gelehrte Erläuterung: »(Das ist der Klang), der aus ungleichen, aber in richtiger Proportion aufeinander abgestimmten Intervallen besteht und aus der Dynamik der Sphären hervorgeht«. 26,3 Eine Proportion, Griechisch analogia, ist nämlich ein Verhältnis, dessen Eigenschaften sich nicht in nur zwei Gliedern erweisen, sondern in dreien und mehr; erst dann wird ihr spezifisches Wesen sichtbar: Wie dieses zu jenem, so verhält sich jenes zu diesem. So wie vier den Anfangswert zwei um das Doppelte übersteigt, so ist acht das Doppelte von vier und sechzehn wiederum das Doppelte von acht. 26,4 Dass diese Proportionen im Klang des Alls bewahrt werden, lehrt uns die Musikwissenschaft: Seine Harmonie ist derart aus unterschiedlichen Tönen zusammengesetzt, dass eine regelhafte Verschiedenheit entsteht, und somit etwas, das Missklang erwarten ließ, sich vielmehr in Harmonie entfaltet. 26,5 Denn, wie Cicero selbst uns gelehrt hat, tönt die äußerste Sphäre des Kosmos hoch und die innerste tief; diese Töne mischen sich mit de-

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miscentur, ut sit in ceteris uis duorum, acuti scilicet atque grauis, ut acuto zodiacus circulus, graui lunaris – illudque dicatur nete, hoc hypate – sono Dorio moueatur. 26,6 Quod in nostris uocibus quoque animaduertere conuenit, in quibus a graui sono in acutum surgit accentus. Et, ut lingua nostra pulsatus aer sensibile quiddam auribus reddit, sic circulis impellentibus a〈e〉t〈h〉ra intermixtum percussione dissimili editur mundi consonum melos, tonis ueluti pedibus metiendum. 26,7 Nam tonus certa mensura est, cum, octaua uel tibiae parte dimensa uel aeris in pondere uel in fidibus torquendo, diuersitas numeri rata et pro competenti seruatur. 26,8 Nam si tibiam cuiuslibet longitudinis sumas et octaua eius portione deducta cauernam imprimas, tonus auditur; si sextam decimam ex reliqua metiaris, hemitonium consequetur. Itaque cauernis harmoniae lege dispositis edentur symphoniae quas docui per numerorum interualla congruere. 26,9 Hoc idem in siccandis cordis pondera moliuntur, ut inter duas pari habitudine facta〈s〉 epogdoi discrimina reseruentur, octauae partis semper accessione dimensa; ex qua, ut dixi, tonus existit. Si uero semitonium tono copulare uolueris, sexta decima ponderis parte minor corda siccabitur, atque ita concinentia consonae modulationis orietur.

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nen der mittleren Sphären, und so entsteht ein dynamischer Mischklang aus allen, der den Klang der beiden äußersten Sphären, der hohen und der tiefen, auch im Klang der übrigen zur Geltung bringt. Die Bewegung des Zodiakus erzeugt also einen hohen, die des Monds einem tiefen Ton auf der dorischen Skala, und jener wird Nete, dieser aber Hypate genannt. 26,6 Das ist auch an der menschlichen Stimme zu beobachten, wenn sie vom tiefen Ton zum hohen ansteigt: Die Luft wird von der Zunge in Bewegung versetzt und so den Ohren etwas Vernehmliches mitgeteilt. Ebenso wird durch die Dynamik der Sphären der Äther zwischen ihnen in unterschiedliche Bewegung versetzt, woraus die Harmonie des Alls ersteht, die nach Tonschritten gleichsam wie mit dem Maßstab abmessbar ist.

Die Bestimmung des Ganztonintervalls auf Blas-, Streich- und Schlaginstrumenten 26,7 Ein Ganzton nämlich beruht auf einem wohldefinierten Maß, wie sich erweist, wenn man bei der Flöte die Luftsäule, bei einem Bronzeinstrument die Masse oder beim Verdrillen von Saiten die Spannung um ein Achtel verändert: Die Differenz der Frequenzen wird dabei berechenbar und analog bewahrt. 26,8 Denn wenn man ein Rohr beliebiger Länge hernimmt, ein Achtel von ihm abmisst und ein Loch hineinbohrt, ertönt es einen Ganzton höher. Misst man ein weiteres Sechzehntel von ihm ab, kommt noch ein Halbton hinzu. Wenn man also diese Bohrungen im Einklang mit den Gesetzen der Harmonie anbringt, entstehen Intervalle, deren Konsonanz nach dem oben von mir geführten Nachweis auf bestimmten Zahlenverhältnissen beruht. 26,9 Demselben Zweck dient das unterschiedliche Spanngewicht beim Verkleben von Saiten durch Trocknung. Man erzielt zwischen je zwei Saiten gleicher Machart einen Ganztonunterschied, indem man die Spannung kontinuierlich um den achten Teil erhöht, auf dem, wie gesagt, der Ganzton beruht. Soll dagegen nur ein Halbtonunterschied erzielt werden, wird die kleinere Saite unter lediglich ein Sechzehntel höherer Spannung getrocknet als die Nachbarsaite und so ein harmonisches Zusammenklingen gewährleistet.

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Disputatio de Somnio Scipionis

27,1 Idem in organis atque aere seruabitur, auribus perite iudicantibus spatia uocum uel incitatius enuntiantium uel tardius grauiusque sonantium. 27,2 Hinc illa »septem discrimina uocis« existunt, de quibus ait idem Tullius: »Septem efficiunt distinctos interuallis sonos.« 27,3 Quod sic intellegere conuenit, ut aut septem interualla octo circulos diuidant aut unius, id est Solis, commune sit melos, ut duo ista tetracorda quodam modo non hiantia neque dissona uideantur in medio fiatque ab imo usque ad summum disdiapason iugiter audienda modulatio cantilenae. 28,1 Scio me, uir doctissime, reprehendi posse in hac temeritatis audacia, qui haec iam diu scolis obolita non meditata sed tumultuaria lucubratione digesserim. 28,2 Sed habeant alii scientiae gloriam; mihi pro defensione 〈est〉 studio tuo paruisse, quod ita flagrat ardore discendi, ut ea quoque inter iudicationum tuarum occupationes audire uolueris, quae peritius ipse docere alios potuisti. Explicit Favonii Evlogii Oratoris Almae Carthaginis Dispvtatio De Somnio Scipionis Scripta Svperio Viro Clarissimo Consvlari Provinciae Byzacenae. Finit.

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Die »sieben Töne« der Sphärenharmonie bei Vergil und Cicero 27,1 Auch bei Orgeln und Schlagwerk wird dieses Prinzip beachtet, wobei ein erfahrenes Ohr beurteilt, ob die Töne zu hoch oder zu tief und zu dumpf klingen. 27,2 Daher kommen jene »sieben unterschiedlichen Töne« Vergils und die entsprechenden Worte Ciceros selbst: »Sie bringen sieben durch Intervalle unterschiedene Töne hervor«. 27,3 Das ist entweder so zu verstehen, dass acht Sphären durch sieben Intervalle unterteilt werden, oder dass eine Sphäre, die der Sonne, gemeinsamer Grenzton der beiden Sphären-Tetrachorde ist. So kann nicht der Eindruck entstehen, an ihrer Nahtstelle ergebe sich ein Hiat oder eine Dissonanz, sondern vom tiefsten bis zum höchsten Ton der Doppeloktave wird kontinuierlich ein harmonischer Klang vernehmbar.

Schluss 28,1 Es ist mir bewusst, du hochgelehrter Mann, dass Wagemut und Vorwitz getadelt werden könnten, womit ich dir einen in den Schulen schon längst aus der Mode gekommenen Gegenstand auseinandergesetzt habe, und das nicht einmal als Ergebnis wohlüberlegter, sondern überhasteter Arbeit. 28,2 Den Ruhm der Wissenschaftlichkeit mögen gerne andere haben. Mir genügt es zu meiner Rechtfertigung, mich deinem Interesse gebeugt zu haben, der du derart vor Bildungseifer glühst, dass du bei aller Beanspruchung durch dein Richteramt sogar von Gegenständen hören wolltest, die du selber aus reicherer Erfahrung hättest andere lehren können. Ende der Abhandlung des Favonius Eulogius, Rhetor der Metropole Karthago, über »Scipios Traum«, gewidmet dem Vir clarissimus und Gouverneur der Provinz Byzacena, Superius. Ende.

Kommentar

Der Autor Sed . . . nobis apud Mediolanum constitutis Carthaginis rhetor Eulogius, qui meus in eadem arte discipulus fuit, sicut mihi ipse, posteaquam in Africam remeauimus, retulit, cum rhetoricos Ciceronis libros discipulis suis traderet, recensens lectionem, quam postridie fuerat traditurus, quendam locum offendit obscurum, quo non intellecto uix potuit dormire sollicitus. qua nocte somnianti ego illi quod non intellegebat exposui, immo non ego, sed imago mea nesciente me et tam longe trans mare aliquid aliud siue agente siue somniante et nihil de illius curis omnino curante, »Aber während meiner Zeit in Mailand hatte der Rhetor von Karthago, Eulogius, einst mein Schüler in eben dieser Disziplin, einen Traum, den er mir selber nach meiner Rückkehr nach Afrika erzählte: Er unterwies seine Studenten gerade in Ciceros rhetorischen Schriften, und bei der Vorbereitung der Lektüre für den nächsten Tag stieß er auf eine unklare Stelle; nachdem er sie nicht verstehen konnte, war er so beunruhigt, dass er kaum schlafen konnte. In derselben Nacht träumte er, dass ich ihm jene Stelle erklärte. Natürlich tat nicht ich es, sondern mein Traumbild und ohne mein Wissen, da ich ja so weit jenseits des Meeres irgendetwas anderes tat oder träumte und mich um seine Sorgen in keiner Weise bekümmerte.« (Augustin, De cura pro mortuis gerenda 11,13). Das ist die einzige Nachricht, die wir über Favonius Eulogius haben, und auch die nur, sofern der von Augustin genannte Eulogius mit unserem Autor tatsächlich identisch ist, wie seit Johann Fabricius allgemein angenommen wird (Bibliotheca Latina Bd. 1,8, 1728, vgl. Caldini Montanari 365f.). Was aus ihr für die Datierung der Disputatio folgt, ist bei Dorfbauer 2011b, 504f. zusammengestellt (auf der Grundlage von O. Perler u. J.-L. Maier, Les voyages de Saint Augustin, Paris, 1969, 430–477): Augustin war von 375 bis 383 als Rhetoriklehrer in Karthago tätig, hielt sich seit 384 in Mailand auf und kehrte August/September 388 wieder nach Karthago zurück. Wenn nun Favonius zu Beginn seines Studiums etwa 16 Jahre alt war – wie Augustin zu Beginn des seinigen –, muss er zwischen 359 und 367 geboren sein und, sofern die Analogie zu Augustin weiterhin trägt, etwa

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Kommentar

20 Jahre später seine Laufbahn als Rhetor begonnen haben. Da Favonius im Titel und in der Subscriptio seines Traktats als Orator bezeichnet wird, ist der Zeitraum zwischen 379 und 387 der Terminus post quem für dessen Abfassung. Ein entsprechender Terminus ante quem lässt sich nicht fixieren, aber ein allzu später Ansatz ist mit dem Charakter einer ›Bewerbungsschrift‹ (vgl. u.) wohl kaum verträglich; so müssen wir uns mit dem herkömmlichen Ansatz ›um 400‹ begnügen. Jedenfalls ist die Disputatio älter als der in den 430er Jahren verfasste ›Kommentar‹ des Macrobius (zu dieser inzwischen weitgehend akzipierten Spätdatierung s. Cameron 2011, 233–239; Kaster xiv–xviii; traditionell wurde das umgekehrte Verhältnis angenommen, weil Macrobius’ Saturnalien, deren dramatisches Datum etwa 382 ist, als eine Art Augenzeugenbericht missverstanden wurde; so zuletzt bei Armisen-Marchetti 2011, 430f.). Nichts bekannt ist über den Widmungsträger, den Provinzgouverneur (s. zu 1,1) Superius. Die Captatio benevolentiae in 1,3 und in 28 macht Sicherls (1959a) Annahme, er sei Schüler des Fav. gewesen, ebenso unwahrscheinlich wie Van Weddingens und Scarpas Annahme, es handle sich um ein Auftragswerk (vgl. Dorfbauer 2011b, 505–507). Eher ist der Traktat als eine Art Bewerbungsschrift um Protektion anzusehen (vgl. u.), möglicherweise, was aber nicht beweisbar ist, bei der Bewerbung um das im Titel genannte Amt des orator almae Karthaginis (vgl. zu 1,1).

Der Traktat Neben Favonius’ Disputatio ist noch eine weitere Schrift zum Somnium Scipionis erhalten, die im Gegensatz zu jener jahrhundertelang große Popularität genoss, nämlich die eben genannten Commentarii des Macrobius. Da es keinerlei Hinweis darauf gibt, dass Macrobius die Disputatio des Favionius gekannt haben könnte, andererseits die Einleitungen beider Schriften gedankliche Übereinstimmungen aufweisen, darunter, dass Cicero die Auferstehung des platonischen Er durch einen Traum ersetzt habe, um epikureischer Kritik vorzubeugen (s. zu 1,1), muss es eine vorausliegende Tradition gegeben haben (Courcelle 1943, 23), wie ja auch kaum glaubhaft ist, dass die berühmte Schrift Ciceros erst rund 450 Jahre nach ihrem Erscheinen den Vergleich mit Platons Staat provozieren konnte (vgl. Flamant 157). Favonius nennt seine Quellen nicht (er spricht lediglich von den

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philosophi und theologi, einmal von den Platonikern – Platonica sapientia), aber im allgemeinen wird ihm direkte Benutzung griechischer abgesprochen (Courcelle 1943, 195; Flamant 158), und zwar im Gegensatz zu Macrobius, für den neben der Lektüre Plotins wenigstens die Benutzung der Kommentare des Porphyrios zu Platons De re publica und Timaios gesichert ist (Mras 235–237; Flamant 154–158; Armisen-Marchetti 2001, liv– lxvi); möglicherweise äußert sich dieser Unterschied darin, dass Fav. in 1,1 ohne Namensnennung vom Spott der Epikureer gegen Platon spricht, wogegen Macrobius (Somn. 1,3) den Namen des Wortführers Kolotes aus Porphyrios kennt (s. zu 1,1). Während Macrobius neben der Seelenlehre, dem Kernstück seines Kommentars (vgl. Tornau 2019, 14–26), das ganze Quadrivium behandelt (wobei die Geometrie durch die Geographie vertreten wird, s. Tornau 2019, 16), kündigt Fav. in 1,3 bzw. 2,1–2 eine Beschränkung auf die Arithmetik (Kap. 2–19) und die Musik mit ihren beiden Gebieten harmonia humana und harmonia mundana (Kap. 21–27) an; Anknüpfungspunkt für erstere ist die Erwähnung der Lebensjahre in der aus arithmologischer Sicht kommentierungsbedürftigen Form ›sieben mal acht‹ in Cicero, Somn. 6,12 (vgl. zu 1,3), Anknüpfungspunkt für letztere ist die Darstellung der Sphärenharmonie in Cic. Somn. 6,17f. Auf die Geometrie wird nur eingegangen, soweit sie als eine der Arithmetik nachgeordnete Disziplin betrachtet werden kann, nämlich in Gestalt der Lehre von den ›figurierten Zahlen‹ (3,1; 15,1–6; vgl. dort), auf die Astronomie nur, soweit sie für das Thema Sphärenharmonie unentbehrlich ist. Der Zusammenhang zwischen Arithmetik und Musik besteht nach der herkömmlichen, bei Nikomachos Introd. 1,3 vorliegenden Einteilung (die Fav. möglicherweise in der Übersetzung des Apuleius kannte; sie ist auch rezipiert bei Boethius, Inst. Arithm. 1,1,4) darin, dass beide von Quantität handeln (absolut: Arithmetik, relational: Musik), Geometrie und Astronomie dagegen von Dimension (in Ruhe: Geometrie, in Bewegung: Astronomie; vgl. auch Jamblich, De communi mathematica scientia 7,30–61; Ps.-Jamblich, Theologumena p. 20,15– 21,2; Proklos, In Eucl. p. 351 Friedlein; s. O’Meara 2005, 133). Und während Macrobius das Quadrivium durch Ausrichtung auf das Kernthema Abstieg und Wiederaufstieg / Unsterblichkeit der Seele funktionalisiert (Tornau 2019, 16), ist letzteres bei Fav. ein Thema unter vielen (s. 19,4–6 und 25,5; zu diesem konzeptionellen Unterschied s. Armisen-Marchetti 2011, 422– 431, die zudem aus 1,3 ad alia [. . .] operam stilumque conuertam herauslesen

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Kommentar

möchte, das Fav. eine zukünftige Behandlung der beiden anderen Fächer des Quadriviums offeriert). Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied ist das Verhältnis beider Autoren zum erläuterten Text. Während Macrobius rund zwei Drittel des Somnium zitiert und aus neuplatonischer Sicht kommentiert, zieht Favonius, und das auch nur beim Thema Sphärenharmonie und Astronomie, insgesamt lediglich sieben Stellen heran, die er meist ungenau oder verkürzt zitiert und die er auch nicht eigentlich erläutert, sondern lediglich zur Stützung eines unabhängig vom Cicero-Text entwickelten Gedankengangs verwendet (vgl. Marcellino 22; Armisen-Marchetti 2011, 425f.; Stellennachweis bei Sicherl 1959a, 353f. und Marcellino 19f.): Rep. 6,17 Nouem tibi orbibus uel potius globis conexa sunt omnia Disp. 19,1 quod Tullius ait: »nouem tibi orbibus conexa sunt omnia« Rep. 6,18 nam terra nona inmobilis manens una sede semper haeret Disp. 17,1 »Nam terra«, ut ait Tullius, »nona immota semper sede manet« Disp. 21,2 »Nam terra«, ut ait idem, »nona immota semper sede consistens« Rep. 6,18 quod docti homines neruis imitati atque cantibus aperuerunt sibi reditum in hunc locum Disp. 25,5 quam (modulationem), ut ait Cicero, »imitati docti atque sapientes, aperuerunt sibi reditum in caelum« Rep. 6,18 hic, inquam, quis est, qui conplet aures meas tantus et tam dulcis sonus? Disp. 25,6 »Quis est qui implet aures meas sonus?« Rep. 6,18 Hic est, inquit, ille, qui interuallis coniunctus inparibus sed tamen pro rata parte ratione distinctis inpulsu et motu ipsorum orbium efficitur Disp. 25,6 »Hic est, qui interuallis disiunctus imparibus [. . .]« Disp. 26,2 »qui interuallis disiunctus imparibus sed tamen pro rata parte ratione dispositis inpulsu eorum orbium efficitur.« Rep. 6,18 et natura fert, ut extrema ex altera parte grauiter, ex altera autem acute sonent Disp. 26,5 Nam cum [. . .] »ex alia parte acutum personet mundus ex alia graue« Rep. 6,18 Illi autem octo cursus, in quibus eadem uis est duorum, septem efficiunt distinctos interuallis sonos Disp. 27,2 »Septem efficiunt distinctos interuallis sonos« Disp. 26,5 ita gradatim uniuersa miscentur, ut sit in ceteris »uis duorum«, acuti scilicet atque grauis

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Die Ursache hierfür liegt wohl, abgesehen von der deutlich geringeren Stoffbeherrschung des Favonius, in der unterschiedlichen Intention der beiden Schriften. Macrobius versieht den Widmungsträger, seinen Sohn, mit dem für sein Studium notwendigen philosophischen Rüstzeug und versucht dabei, die Gleichrangigkeit des Somnium Scipionis mit dem platonischen Timaios zu erweisen (vgl. Labarrière 2011): Es umfasse die uniuersa philosophiae integritas (Somn. 2,17,17), die gesamte Philosophie mit ihren drei Disziplinen Ethik, Physik und Logik (2,17,15), letztere in Form der sog. Epoptik, welche den Aufstieg zur Erkenntnis des Intellegiblen ermöglicht (vgl. Hadot 1979, Armisen-Marchetti 2011, 422f.). Favonius dagegen wirbt mit seinem Traktat, getreu dem spätantiken Motto iter ad capessendos magistratus saepe litteris promouetur, »Der Weg zur Erlangung von Ämtern wird oft durch wissenschaftliche Kenntnisse gebahnt« (Symmachus, Epist. 1,20,1, vgl. Dorfbauer 2011b, 509), um die Protektion eines Gönners und offeriert diesem als Beweis seiner Würdigkeit eine Art Exposé der für die Lektüre von Ciceros Somnium hilfreichen Kenntnisse der Arithmetik und Musik, also ein Gegenstück en miniature zu Theon v. Smyrnas »Darlegung der für die Lektüre Platons nützlichen mathematischen Kenntnisse«. Der Unterschied in den Titeln, commentarii dort und disputatio hier, findet so möglicherweise seine Erklärung (Flamant 158, Armisen-Marchetti 2011, 418). Die Quellen des Favonius sind nicht leicht identifizierbar; offenbar verarbeitet er vorwiegend doxographisches Material (Gersh 1986, 737), und vermutlich kennt er sogar Varro nur aus indirekter Überlieferung (vgl. S. 76). Jedoch lässt sich eine mit großerer Wahrscheinlichkeit verifizieren, nämlich der Timaios-Kommentar des Calcidius, vor allem bei der Lehre von den ›figurierten Zahlen‹ (Kap. 15), bei der Beschreibung der platonischen Weltseele (Kap. 16), bei der Hebdomadenlehre (Kap. 12–14) und in der Musiktheorie (Kap. 22–24). Dies ist nach Skutsch 1902 unlängst von Dorfbauer 2011a erhärtet worden (diese Arbeit bildet den in der vorliegenden Reihe üblichen Gastbeitrag); Favonius Eulogius ist demnach Calcidius’ erster nachweisbarer Leser.

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Kommentar

Der Text Die Disputatio ist in einer einzigen Handschrift überliefert (Brüssel, KBR Nr. 10078-95, 11. Jh., ursprünglich aus der Bibliothek von Gembloux, vgl. Schott 5), die zahlreiche Korrekturen von gleicher Hand aufweist (vgl. Maurach 693); die Handschrift wird im Apparat wie üblich mit B, die Korrekturen nach Sicherl 1959 mit B1 bezeichnet. Es handelt sich um eine naturwissenschaftliche Sammelhandschrift; zum Inhalt und zur Beschreibung vgl. Dorfbauer 2011b, Marcellino 28–30 und Gerzaguet 2019 (eine wichtige Vorstudie zur Budé-Ausgabe der Disputatio). Der von einer beträchtlichen Zahl an Abschreibefehlern (Übersichten über die systematisch vorkommenden bei Holder 48 und Marcellino 32– 34) und etlichen Lücken beeinträchtigte Text erfuhr eine erste grundlegende konjekturalkritische Bearbeitung durch die Editio princeps des Jesuiten Andreas Schott 1612 (nach Sicherl 1959, 670 sind ihm »mehr Verbesserungen als allen übrigen Kritikern« zu verdanken); weitere Verbesserungen erbrachten die Studien von C. von Barth 1624 sowie die von Schott abhängige Edition von Orelli und Baiter 1833 (vgl. Holder IXf). Die erste kritische Ausgabe erschien 1901 von A. Holder (nach der Wiederauffindung der verschollenen Handschrift 1891 in Brüssel, vgl. Preisendanz XXVII), die zahlreiche Korrekturen aus der Feder P. v. Winterfelds enthält (vgl. Holder IX, Preisendanz XVIII), auf denen »allein der Fortschritt der Emendation beruht« (Sicherl 1959, 671); Hinweise ohne Jahresangabe auf v. Winterfeld im Apparat der vorliegenden Ausgabe beziehen sich immer auf seine Beiträge zu Holders Edition. Die Ausgabe von Van Weddingen (1957) machte eine Reihe der Konjekturen Winterfelds zu Recht wieder rückgängig (Sicherl 1959, 673), führte aber auch eine Vielzahl neuer ein, die nicht in jedem Fall zu einem befriedigenden Ergebnis führten, wie die eingehende Überprüfung durch Sicherl 1959 erwies. Letztere Studie ist die Grundlage für alle nachfolgende Arbeit am Text, so auch für die Editionen von Scarpa 1974 und die durch einen detaillierten Apparat ausgezeichnete von Marcellino 2012. Die Budé-Ausgabe von C. Gerzaguet (mit einem Kommentar von B. Bakhouche, M. Baquerre und N. Drelon) erschien leider erst nach Abschluss des Manuskripts; deren Lesarten wurden in letzter Stunde noch in den Apparat eingearbeitet, die Rezeption des materialreichen Kommentars war leider nur noch punktuell möglich.

Der Autor

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Die vorliegende Ausgabe beruht ebenfalls auf der eingangs genannten Handschrift und der Studie von Sicherl 1959 sowie einem kritischen Vergleich der früheren Ausgaben. Um ein Abweichen vom Erscheinungsbild der anderen Texte der vorliegenden Reihe zu vermeiden, findet sich der Apparat in den Erläuterungen, und zwar jeweils zum Anfang eines Kapitels. Was die griechischen Wörter betrifft, so bietet sie B abwechselnd (a) in griechischer Kapitalschrift, ggf. mit Strich über dem Wort (z.B. EMMELHC), (b) in lateinischer Transskription mit Strich über dem Wort, der wie im Falle (a) offenbar als Marker des Griechischen dient, (c) mit Mischformen aus (a) und (b), (d) nur in lateinischer Transkription. In den Fällen (a)–(c) wurde die griechische Standardform in den Text gesetzt, im Falle (d) hingegen nur dann, wenn der Kontext Anhaltspunkte bietet, dass das Wort als griechisch verstanden ist; die jeweils überlieferte Form wird im Apparat dokumentiert. Im Apparat gelten folgende Autorensiglen: Bar. Bai. Ger. Heb. Hol. Mar. Ore.

Barth Baiter Gerzaguet Heberlein Holder Marcellino Orelli

Sca. Sic. Sku. Sch. Wed. Win.

Scarpa Sicherl Skutsch Schott Van Weddingen Winterfeld

B bezeichnet die Handschrift Brüssel, KBR Nr. 10078-95; Edd. das Übereinstimmen der Editionen, ggf. mit Ausnahme einer unmittelbar danach genannten. Abschließend eine Zusammenstellung der wichtigsten Textabweichungen von den vorliegenden Ausgaben: 5,2 12,2 14,2 19,6 19,6 19,6 24,6 25,2 25,2

at si〈c〉 euoluentia 〈e〉mens[ur]um dissipet patris 〈et no‹ et fontis, animas〉 qui dissipet singulis 〈corporibus〉 〈inter〉 diapente [. . .] diatessaron primis 〈interuallis copulata est symphonia, a Terra ad Zodiacum〉

70 25,6 25,7 25,7 26,4 26,6 27,3

Kommentar ut 〈sol〉 extrema 〈. . .〉 in se ducta 〈. . .〉 sono 〈mundi〉 a〈e〉t〈h〉ra audienda

Erläuterungen Incipit Text somnio Sch., Edd.; sumnio B. –

almae Karthaginis: Zu dieser festen Verbindung im 4. und 5. Jh. vgl. Dorfbauer 2011b, 499f. mit inschriftlichen Beispielen wie CIL 8, 23849 (374/5) legatus almae Karthaginis. – consulari prouinciae Byzacenae: Der Adressat ist Provinzgouverneur, und zwar der von Diokletian zusammen mit Tripolitanien von der Provinz Africa abgespaltenen Byzacena oder Byzacium mit der Hauptstadt Hadrumetum (heute Sousse in Tunesien).

Kapitel 1 Text (1) scribens Sch., Edd.; scriberis B. – Eris Pamphylii Ore., Edd.; regis pamphilii B. – reuixisset Ore., Edd.; renixisset B. – haec B, Edd.; nec Bar., Ger. – 〈nec〉 somniantium Wed. (vgl. Sic. 1959, 674). – (2) metae Scho., Edd., moetae B. – numeris 〈plenis〉 Win., Wed., Sca. (vgl. Cic. Rep. 6,12 und u. 18,1–4); numeris B, Mar., Ger. – patriaeque Sch., Edd.; parieque B. – (3) uir clarissime Sch., Edd.; uiri clarissimi B. – audacius Sch., Edd.; audatias B. – dignaris B, dignaberis Bar. –

1,1 imitatione Platonis: Fav. motiviert den Unterschied gegenüber dem platonischen Er-Mythos (Politeia 10, 614b), nämlich den Ersatz der Wiederauferstehungsgeschichte durch eine Traumerzählung, ebenso wie Macrobius mit der Vorbeugung gegen ungerechtfertigte Ridikülisierung, welcher Platon vonseiten der Epikureer ausgesetzt gewesen sei: Somn. 1,1,9 Cicero [. . .] exemplum [. . .] stolidae reprehensionis uitans excitari narraturum quam reuiuiscere maluit, »Cicero wollte sich nicht einem solchen Paradefall von Ignorantenkritik aussetzen und zog es vor, seinen Erzähler aufwachen statt wieder aufleben zu lassen«. – fabulosa assimulatione [. . .] rationabili imaginatione: Der Gegensatz widerspiegelt die Einteilung der narrativen Literatur nach Realitätsgrad parallel zur Dreigliederung des Felds

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der Modalität: historia (reales Geschehen) – argumentum (potentiales Geschehen) – fabula (irreales Geschehen), vgl. Quintilian Institutio oratoria 2,4,2; fabulosa stellt den Er-Mythos auf die Stufe der irrealen fabula, rationabile das Somnium auf die des potentialen argumentum. – Epicurei: Macrobius, Somn. 1,2,1–5 verweist auf die Polemik des Epikurschülers Kolotes v. Lampsakos, der unter den Platonikern und Stoikern einen notorisch schlechten Ruf hatte (vgl. Plutarchs »Gegen Kolotes«). Seine Kritik am Er-Mythos bezeugt auch Proklos’ Politeia-Kommentar (In rem publicam 2, p. 105,23–106,12 Kroll), und er referiert auch die Widerlegung des Kolotes in Porphyrios’ verlorenem Politeia-Kommentar. Proklos zufolge erhob Kolotes drei Vorwürfe gegen Platon, von denen Fav. wie Macrobius nur auf den ersten, die unangemessene Verwendung von Fiktion in einem philosophischen Kontext, eingeht. Die beiden anderen waren: (2) der Er-Mythos stehe im Widerspruch zu Platons Verdammung der Dichtung, (3) Mythen seien unnütz, da von den Ungebildeten nicht verstanden und für die Gebildeten nicht notwendig. Zur Rezeptionsgeschichte des Er-Mythos bis Proklos vgl. Cursgen 2002 (123 zur Abhängigkeit Macrobius’ von Porphyrios’ Timaios-Kommentar, 134–138 zum Er-Mythos bei Plotin und Porphyrios; vgl. auch Mras 235–237); Zum Er-Mythos in der lat. Literatur s. Armisen-Marchetti 2001, 137. Zur antiplatonischen Polemik der Epikureer allgemein s. Cicero, de natura deorum 1,18–21. – bene meritis de re publica: Vgl. Cicero, Rep. 6,13; zur spezifisch römischen, gegen den Primatsanspruch der Philosophie gerichteten Akzentuierung vgl. zu 25,5. 1,2 insinuat: Zu spätlat. insinuare mit AcI ∼ docere (seit Tertullian) s. ThLL Bd. 7,1, 1916, 81. ›Insinuiert‹ wird der bei Cicero Rep. 6,12 mitgeteilte Verdacht eines unnatürlichen Todes Scipios, der gleich nach seinem Ableben in Umlauf kam (Valerius Maxiums 4,1,12), und der 18,6 mit arithmologischen ›Argumenten‹, wo nicht bestritten, so doch für irrelevant erklärt wird. – Scipionem: Die im Somnium Scipionis auftretenden Personen sind (1) der Erzähler P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus minor Numantinus (185–129), cos. 147 und 134, Sieger über Karthago 146, über Numantia 133. Er ist sowohl leiblicher Sohn des (2) L. Aemilius Paullus (228–160), cos. 182, 168, Sieger von Pydna 168, als auch durch Adoption Sohn des P. Cornelius Scipio (gest. 168) und Enkel seines (3) Dialogpartners P. Cornelius Scipio Africanus maior (236–182) cos. 205, 194, Sieger von Zama 202. – coeuntibus numeris 〈plenis〉: v. Winterfelds Ergänzung ist durch Cicero, Rep. 6,12 erfordert: duoque ii numeri, quorum uterque plenus alter altera de causa habetur, »die beiden Zahlen, deren jede aus einem anderen Grund als vollkommen gilt«; zur Unterscheidung von arithmologischem plenus bzw. totus ›vollkommen‹, ›vollständig‹ und mathematischem perfectus ›perfekt‹ vgl. zu 7,1. – animam [. . .] redditurum: Zur ›Seelenwanderung‹ vgl. zu 19,6.

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Kommentar

1,3 uir clarissime: Der Adressat ist also Senator; zur zeittypischen Verbindung clarissimus atque sublimis vgl. das Material bei Dorfbauer 2011b, 507, z.B. die Anrede eines proconsul Africae mit uir clarissime summe sublimissime in einer Disputation zwischen Donatisten und Katholiken von 411. – Zur sonstigen Bescheidenheitstopik s. zu Kap. 28. – ad alia quoque: Versprochen werden bei günstiger Aufnahme weitere Schriften; vgl. Dorfbauers (2011b, Anm. 57) Hinweis auf ein ähnliches ›Versprechen‹ im Widmungsbrief des Calcidius an Osius. Es handelt sich nicht um die Ankündigung des später zu liefernden 2. Teils zur Sphärenharmonie (so Van Weddingen z. St.), denn der ist ausweislich 2,1 (mundum ad musicam caeli decurrere) von vornherein Teil des Gesamtkonzepts (s. auch den Vorverweis auf Teil 2 quod [. . .] uberius sequemur in 14,3). Andernfalls müsste man annehmen, dass die vorliegende Stelle sowie 14,3 und 20,1 Ergebnis nachträglich eingefügt wurden und 20,1 dabei eine ursprüngliche ›Peroratio‹ ersetzt.

Erläuterungen zum ersten Teil: Arithmologie Die in 1,3 angekündigte arithmologische Erklärung der Lebensjahre Scipios als Produkt aus sieben mal acht in 1,2 hätte sich auf die Darstellung dieser beiden Zahlen beschränken können. Tatsächlich gibt Fav. eine, funktional somit nicht motivierte, arithmologische Gesamtdarstellung der Zahlen im Dekadenraum im Stile von Theon v. Smyrna, Nikomachos, Ps.-Jamblichs Theologumena Arithmeticae, Anatolius und anderen, die auf eine zahlentheoretische Einleitung eine Darstellung der Zahlen der ersten Dekade folgen lässt (Kap. 2–4 grundlegende Zahlentheorie, 5–19 die individuellen Zahlen; zu diesem Schema vgl. Zhmud 2021). Die Arithmologie ist eine sich seit dem 2. Jh. v. Chr. entwickelnde Gattung des Neupythagoreismus, welche die Zahlenphilosophie des Pythagoreismus und Platonismus mit dem ursprünglich subliterarischen Bestand an Zahlensymbolik, d.h. Spekulationen über die außermathematischen Bedeutungen von Zahlen, vereinigt (vgl. Delatte 1915, Staehle 1–7, Flamant 306f., Kalvesmaki 2013, 7–25; zur begrifflichen Trennung von Arithmologie im engeren Sinne und Zahlensymbolik vgl. Runia 2001, 26f.; für eine ungeschminkte Charakterisierung dieser Literatur vgl. Barnes 381: »it is undeniable that a great quantity of Pythagorean ›number philosophy‹ is a ›number symbolism‹ of the most jejune and inane kind. [. . .] Those with a taste for intellectual folly will have their appetite sated if they go through the Theologoumena Arithmeticae«). Eine wichtige Rolle scheint

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dabei ein verlorener, aber rekonstruierbarer Traktat zu spielen, der in der Forschung als Anonymus Arithmologicus bekannt ist (vgl. Robbins 1921; Zhmud 2016; Zhmud 2021). Die geistigen Wurzeln der Arithmologie liegen in der Pythagoras-Verehrung der Akademie und deren Tendenz, die Lehre Platons in die pythagoreische Tradition zu stellen (vgl. den doxographischen Überblick bei Aristoteles, Met. A 3–7; vgl. Huffman 2019, Kap. 4.1, dort auch zur abweichenden Auffassung von L. Zhmud (u.a. 2016, 332f.), diese Tradition sei ein aristotelisches Konstrukt). Von den Nachfolgern Platons, Speusipp und Xenokrates, sind Schriften über Pythagoras bezeugt, von Xenokrates’ Konkurrenten Herakleides Pontikos wurde Pythagoras als Begründer der Philosophie überhaupt und Schöpfer des Wortes Philosophie (filosof–a) dargestellt (vgl. Schorn 247f.); spätantiker Kulminationspunkt dieser Verehrung ist die christushafte Verklärung der Erlösergestalt Pythagoras in Jamblichs Vita Pythagorica (vgl. Lurje 2017; zum soteriologischen Unterschied zwischen dem personalen Erlöser des Neuen Testaments und dem Philosophen als Mittler einer Erlösung durch Paideia vgl. du Toit 2002). Mit der Rückwendung der Akademie von der Skepsis zu ihren Wurzeln seit Antiochos v. Askalon (ca. 140–68) ist ein erneutes Interesse an der Zahlenphilosophie und deren vermuteten pythagoreischen Wurzeln verbunden (zur Forschungsgeschichte vgl. zuletzt Zhmud 2021; die moderne Forschung beginnt mit Schmekel 1892, Delatte 1915 und Robbins 1921, vgl. auch ders. 1926a und b; die akademischen Wurzeln der Arithmologie wurden seit Staehle 1931 herausgearbeitet, vgl. Grilli 1979 und Zhmud 2021, wogegen Kalvesmaki 2013 wieder ältere Hinweise auf die Stoa und Poseidonius aufgreift; Übersicht zum Neupythagoreismus der Kaiserzeit (Moderatos v. Gades, Nikomachos v. Gerasa, Numenios v. Apamea) bei Staab 15–18, 75–100; Männlein-Robert 2018 und Huffman 2019). Außer in die o.g. ›zahlentheologischen‹ Traktate fand die Arithmologie auch Eingang in unterschiedliche andere Gattungen wie die Platon- bzw. Cicerokommentierung (so bei Theon v. Smyrna und Calcidius bzw. Macrobius), die Fachschriftstellerei (Censorinus, Martianus Capella und Johannes Lydus’ De mensibus) und die Bibelexegese (so bei Philon und Augustin); Übersichten bei Robbins 1926a, 90, Runia 2001, 27f. und Zhmud 2021, Kap. 5. – Die Hauptcharakteristika der Gattung sind folgende: 1. In der Metaphysik die monistische Umformung des platonischen Dualismus der Urprinzipien Monade und infinite Dyade (vgl. dazu Szlezák

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2021, 508–554) und die ›Mathematisierung‹ der intellegiblen Welt. Vgl. das bei Diogenes Laertios (8,25) überlieferte Schlüsselzitat des Alexander Polyhistor (1. Jh. v. Chr.): Fhs» d+ Â >AlËxandroc [. . .] Çrqòn t¿n Åpàntwn tòn monàda; ‚k d‡ t®c monàdoc ÇÏriston duàda ±c ãn ’lhn t¨ monàdi a t–˙ Ónti Õpost®nai; ‚k de t®c monàdoc ka» Çor–stou duàdoc toÃc Çrijmo‘c; ‚k d‡ t¿n Çrijm¿n tÄ shmeÿa; ‚k d‡ to‘twn tÄc gràmmac, ‚x ¡n tÄ ‚p–peda sq†mata, ‚k d‡ t¿n ‚pidËdwn tÄ stereÄ sq†mata; ‚k d‡ to‘twn tÄ a sjhtÄ s∏mata; »Alexander sagt, der Anfang aller Dinge sei die Monade. Aus ihr existiere die indefinite Dyade und diene gleichsam als Materie für jene, die ihre Ursache ist. Aus der Monade und der indefiniten Dyade gehen die Zahlen hervor und aus den Zahlen die Punkte. Aus diesen kommen die Linien, aus ihnen wiederum die Flächen und aus den Flächen die dreidimensionalen Figuren. Letztere seien der Ursprung der wahrnehmbaren Körper.« Nach Kalvesmaki Kap. 2 zeigen sich hier drei innovative Züge gegenüber der platonischen Kosmologie, nämlich (a) die alleinige Präexistenz der Monade und die Subordination der infiniten Dyade (zu einem konkurrierenden Modell bei Eudoros, das die beiden Urprinzipien einem höheren dritten subordiniert, vgl. Männlein-Robert 637 und Zhmud 2021, 15; zur Ablehnung der monistischen Umformung durch Numenios s. die Literatur zu 5,6), (b) die Vermehrung der Zwischenstufen zwischen jener und der sensiblen Welt, (c) die ›Mathematisierung‹ dieser Zwischenstufen unter dem Primat der Arithmetik, d.h. der Monade, Dyade und der übrigen Zahlen, vor der Geometrie der idealen Körper und derer wiederum vor den materiellen Körpern; Reflexe bei Fav. 3,1 f. (vgl. dort), 5,6 und 6,1. – 2. Im Bereich der Zahlentheorie eine stereotyp wiederkehrende Liste von Themen (Verzeichnis bei Solignac 132, vgl. Limone 75), darunter (a) Die Lehre vom intellegiblen und unzerstörbaren Charakter der Zahlen (vgl. Fav. 3,1) sowie die zugehörige und bereits auf Speusipp zurückgehende Lehre von den figurierten Zahlen (fr. 28, Text s.u. zu 3,1), vgl. zu Fav. 3,1 und 15,3–6; (b) der Status der Monade, die unteilbar, keine Zahl, sondern Quelle der Zahlen ist (vgl. Fav. 4,2 und 5,1); (c) der ebenfalls schon bei Speusipp fr. 28 vorausgesetzte grundlegende Charakter des Dekadenraums und des abgeleiteten Status der anderen Zahlräume (vgl. Fav. 4,1, 8,3 und 19,7) und verbunden damit die Lehre vom konstitutiven Charakter der ›pythagoreischen‹ Tetraktys (1+ 2+ 3+ 4= 10), vgl. Fav. 8,4. (d) Die Lehre von den voll-

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kommenen (vgl. 7,1 zur Drei, 12,1 zur Sieben) und perfekten (vgl. 10,1 zu sechs u. 18,4 zu achtundzwanzig) Zahlen und weiteren Eigenschaften individueller Zahlen, z.B. die ersten Quadrate und Kuben der geraden und ungeraden, vgl. 4,1 und 9,2 bzw. 16,1–4, die Sonderstellung der Sieben, die im Dekadenraum weder Faktor noch Produkt ist, vgl. Fav. 13,1–10. – 3. Eine ähnlich stereotype Liste von extramathematischen Eigenschaften der Zahlen, darunter die Vier als Repräsentantin der vier Elemente und der vier Jahreszeiten, die Tetraktys als Prinzip und die aus ihr resultierende Dekade als Repräsentantin der sensiblen Welt (vgl. u. zu 4,1 und zu 8,4f.) sowie die Fünf als kosmische Zahl (vgl. zu 9,1). Am verzweigtesten ist hier die sog. Hebdomadenlehre von den Wirkkräften der Sieben, der eigene Monographien gewidmet wurden (darunter der in 14,1 genannte Ps.-Hippokratische Traktat Per» Epeidò d‡ tòn >Iwnikòn filosof–an tòn Çp‰ Jàlou [. . .] dielhl‘jamen, fËre ka» per» t®c >Italik®c (filosof–ac) dialab∏men, ©c ¢rxe Pujàgorac, »Nachdem wir die von Thales ausgehende ionische Philosophie durchgegangen sind, wollen wir uns jetzt mit der italischen Philosophie befassen, deren Begründer Pythagoras ist«; es findet sich auch bei Favs. Lehrer Augustin Civ. 8,2 Italicum genus (philosophiae) auctorem habuit Pythagoram, »Begründer des italischen Zweiges der Philosophie war P.«. Zur Konstruktion eines Einflusses des P. auf die Begründer der römischen Republik (Cic. Tusc. 4,1–2) sowie der Legende, er sei Lehrer des Numa gewesen (Cic. De orat. 2,154) vgl. Huffman 2019, Nr. 4.5. Da Platon als Schüler des Pythagoras galt, dienten solche Konstrukte einer Aufwertung der ›italischen‹ Philosophie gegenüber der griechischen. – Der folgende ›Abriss‹ seiner Lehre lässt P. als Begründer der drei Hauptgebiete der Arithmologie erscheinen, deren Abhandlung in 2,2 angekündigt wird (quid sit hoc totum [. . .] curabo distinguere), nämlich (Meta)physik, Musik sowie Kultur und Gesellschaft. – competenibus: ›proportional‹ s.u. zu 25,7–9 u. 26,3. nuptialis: Der numerus nuptialis ist die Zwei, vgl. dazu Kap. 6, oder, konkurrierend damit, die Fünf, vgl. zu 9,2–3. Die

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beiden ersten cybici der geraden und der ungeraden Reihe sind die Acht bzw. die Siebenundzwanzig, vgl. dazu Kap. 15 f.

Kapitel 3 Text (1) cogitatione B1 , cogitationem B. – (2) admixtione Sch., Mar., Ger.; ammixtione Hol., Wed., Sca.; amixtione B. – causarum quatuor 〈agnoscat〉 Sic. 1959, 688. –

3,1 numerus: Kap. 3 und 4 basieren auf der neupythagoreischen Unterscheidung zwischen intellegibler Zahl und sensibler Zahl, die erst in 5,5 explizit eingeführt wird (s. dort). Prinzip der intellegiblen Zahlen ist die Monade (mÏnac, vgl. 4,1 semen et substantiam numerorum), Prinzip der zählbaren sensiblen Dinge ist die Eins (Èn), vgl. Theon v. Smyrna p. 19,13–18 ≠ de dien†noqen ärijmoc ka» Çrijmht‰n, [. . .] ta‘t˘ ka» mÏnac ka» Èn. ärijmoc m‡n gàr ‚sti t‰ ‚n nohtoÿc posÏn, [. . .] Çrijmht‰n d‡ t‰ ‚n a sjhtoÿc posÏn [. . .] πst+ e“h ãn Çrqò t¿n m‡n Çrijm¿n ô mÏnac, t¿n d‡ Çrijmht¿n t‰ Èn, »Wie sich Zahl und Zählbares unterscheiden, so unterscheiden sich auch die Monade und die Eins. Zahl ist die Quantität im Bereich des Intellegiblen [. . .], Zählbares die im Bereich des Sensiblen [. . .] Prinzip der Zahlen ist die Monade, Prinzip des Zählbaren dagegen die Eins«. 3,1 handelt von der intellegiblen Zahl, 3,2 von der kulturellen Relevanz der Zahlen, 4 von der mathematischen Zahl. – totum sub numerum uenit: vgl. 5,5 complectitur uniuersa und zu 5,7 numerus [. . .] in omnibus. – corpora: Die nach Zhmud 2016, 337 auf Speusipp und Xenokrates (fr. 38 Isnardi Parente) zurückgehende Lehre von den ›figurierten Zahlen‹ führt alle (idealen) geometrischen Formen auf zugrundeliegende Zahlen zurück. Sie basiert auf der akademischen Auffassung, dass diejenigen Elemente ontologische Priorität genießen, die ohne andere existieren können (Zhmud 2019a, 32). Die Zahl steht ontologisch am höchsten, denn sie ist im Gegensatz zum Punkt eine Substanz ohne räumliche Verortung; eine Linie hat gegenüber dem Punkt die zusätzliche physikalische Eigenschaft der Länge, und sinngemäß stehen auch Fläche und Kubus wegen ihrer zusätzlichen Eigenschaften ontologisch tiefer als die vorgenannten. Kriterium für die Zuordnung von Zahl zu Figur ist die Anzahl der Linienend- bzw. Schnittpunkte (anguli bei Macrobius). Nach Speusipp galt (fr. 28, = Ps.-Jamblich p. 84, 10–12): 1 = Punkt, 2 = Linie, 3 = Dreieck, 4 = Pyramide; »diese alle sind die Ursprünge und Prinzipien der ihnen entsprechenden physischen Objekte«; Macrobius formuliert das Prinzip der figurierten Zahlen in Somn. 1,5,12 und nennt in 1,5,7–11 (unter implizitem Bezug auf die platonischen Weltseele-Zahlen, vgl. zu 16,2) die Ableitungsreihe 1 = Punkt, 2 = Linie, 3 = Dreieck, 4 = Quadrat, 8 = Kubus; vgl. auch Nikomachos Introd. 1,4,2, Plotin, Enn. 6,6,9 und Boethius Inst. arithm. 1,18 f. (s. Bakhouche 2011, 667).

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3,2 status: Gemeint ist die auf Hermagoras v. Temnos zurückgehende Lehre von den vier rhetorischen Status mit zwei Gattungen zu je vier Status (1. Bereich der Argumentation: Tatfrage, Tatbestand, ethische Beurteilung, Zulässigkeit des Verfahrens; 2. Bereich der Gesetzesauslegung: Textauslegung, Gesetzeskonkurrenz, Mehrdeutigkeit, analoge Normanwendung bei Gesetzeslücken; vgl. Fuhrmann 1987, 99–113). – uirtutes: Die auf Platon, Rep. 4, 426–435 zurückgehenden klassischen vier ›Kardinaltugenden‹ (Begriffsprägung von Ambrosius, Exp. Euangel. sec. Lucam 5,62), deren lat. Bezeichnungen sapientia, fortitudo, temperantia und iustitia durch Cicero de officiis kodifiziert wurden (vgl. U. Klein, HWPh s.v.). – trigona [. . .] describi: Die schon in 3,1 angesprochene Lehre von den ›figuierten Zahlen‹, die in 15,3 wieder aufgegriffen wird.

Kapitel 4 Text (1) a duobus Sch., Edd.; aduobis B. – (2) monadem Sch., Edd.; monadam B. – perficitur B, Hol., Wed., Sca.; perspicitur Sic. 1959, 690, Mar., Ger. – (3) quid dyas Sch., Edd.; quod dyas B. –

4,1 quantitas congregabilis: Zur üblichen, auf Euklids Elemente 7,2 zurückgehenden und u.a. auch bei Theon vorfindbaren Definition der Zahl als einer Konfiguration von Einsen (s‘sthma monàdwn) vgl. zu 5,7. Nikomachos (Introd. 1,7) nennt zwei konkurrierende Definitionen: Zahl als definite Pluralität (pl®joc ÂrismËnon) und als ›Strom‹ von zusammengesetzten Monaden (posÏthtoc q‘ma ‚k monàdwn sunke–menon), eine metaphorische Variante von Theons Definition der Zahl als eine von der Monade ausgehende quantitative Zunahme: Theon p. 18,3 ärijmÏc ·sti s‘sthma monàdwn £ propodism‰c pl†jouc Çp‰ monàdoc ÇrqÏmenoc ka» Çnapodism‰c e…c monàda katal†gwn, »Die Zahl ist eine Zusammensetzung von Einsen oder eine von der Monade ausgehende Progression zum Vielfachen von ihr beziehungsweise eine entsprechende Regression, die in der Monade endet«; vgl. Robbins 1926b, 114f., Petrucci 309f. – Congregabilis, klass. »gesellig« (Cic. Off. 1,157: apium examina congregabilia, danach Ambros. Off. 1,27 genera animantium congregabilia), bekommt hier den Bedeutungsinhalt von congregatio unterlegt, das in 18,4 Ausdruck der Zusammensetzung einer Zahl ist (dort aus ihren Teilern). – a duobus initium sumens: Denn die erste ›vollkommene‹ Zahl ist die Drei (vgl. 7,1); initium sumens entspricht dem Çrqoeid†c bei Ps.-Jamblich: die Zwei ist »eine Art Anfang der Zahlen« (p. 9,4) und hat »eine Mittelstellung zwischen der Eins und der Drei« (p. 10,9–21 ibid.; vgl. Robbins 2016a, 116); vgl. auch Calcidius Kap. 53 numerorum initia et principia sunt singularitas et item duitas, »Ursprung und Prinzip der Zahlen sind die Monade und die Dyade« (nach

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Bakhouche 2011, 667, Anm. 278 über Numenios auf Xenokrates zurückgehend). Dieser Zwischenstatus der Dyade erklärt sich aus der Beziehung zur Lehre von den figurierten Zahlen: Erst die Drei entspricht einem wirklichen Körper, dem Dreieck, vgl. zu 7,1. Explizit erste (gerade) Zahl ist die Dyade dagegen bei Macrobius, Somn. 1,6,18 (primus numerus) und Martianus Capella 7,732 (prima forma paritatis). – denariam metam: Die erste Dekade gilt bei den Pythagoreern als grundlegend, weil die Zahlen oberhalb ihrer als Wiederholungen in Kombination gelten, vgl. Theon p. 99,17–23, Ps.-Jamblich p. 83,6 f., Calcidius Kap. 35 (residua uero numeratio non tam numeratio est quam eorundem numerorum, quibus ante usi sumus in numerando, replicatio, »Das weitere Zählen ist nicht so sehr Zählen als vielmehr Wiederholung der vorher beim Zählen schon verwendeten Zahlen«), Augustin, De musica 1,12,20 (frühester Beleg bei Speusipp fr. 28, vgl. o. S. 74; weitere Stellen aus Aristoteles und Sextus Empiricus bei Burkert 1962, 64). Die Dekade beruht auf der pythagoreischen Tetraktys, der Addition 1 +2 +3+4, den Zahlen, welche Punkt, Linie, Fläche und Körper entsprechen (vgl. o. S. 73), was die Tetraktys zum Prinzip, die Dekade aber, die der Zehnzahl der aristotelischen Kategorien entspricht, zur Repräsentantin der sensiblen Welt macht (vgl. Huffmann 2019, 4.3). Konkurrierend zur Grenze des elementaren Zahlenraums bei zehn verwendet Fav. in 10,7, 19,7 und 23,7 die auf dem milesischen Zahlensystem beruhende Grenze bei neun (vgl. zu 8,3 und 10,7). 4,2 monadem non numerum: Vgl. Macrobius, Somn. 1,6,7 Unum autem quod monas, id est unitas, dicitur, et mas idem et femina est, par idem atque impar, ipse non numerus sed fons et origo numerorum, »Die Eins, die Monade, also Einheit, heißt, ist zugleich männlich und weiblich, gerade und ungerade; sie ist selbst keine Zahl, sondern Quelle und Ursprung der Zahlen«. Ausführlicher und unter explizitem Bezug auf Nikomachos Ps.-Jamblich Kap. 1; vgl. auch Martianus Capella 7, 731. Die hier fehlenden Genus-Eigenschaften werden in 6,5 (Weiblichkeit der Zwei) und 7,2 (Männlichkeit der Drei) nachgetragen. Zur zugrunde liegenden pythagoreischen Tradition vgl. das Kap. L’arithmétique bei Flamant 305f. sowie Runia 2001, 127; bei Platon dagegen ist die Eins eine ungerade Zahl (Hippias maior 302a). Einzelnachweis der neuplatonischen Parallelen bei Regali 254f. – Nec par aut impar ist eine Nachlässigkeit statt et [. . .] et, s. Sicherl 1959, 707. Zu dieser ersten Unterteilung der Zahlen vgl. z.B. die auf Euklid 7,6–7 zurückgehende uulgaris et nota definitio bei Boethius, Inst. arithm. 1,3 Numerus est unitatum collectio [. . .]. Huius igitur prima diuisio est in imparem atque parem, »Die Zahl ist eine Vereinigung von Einsen [. . .]. Ihre erste Unterteilung geschieht in gleiche und ungleiche Zahlen«. – perficitur: Gegen Sicherls perspicitur zu halten, vgl. OLD s.v. »establish, settle a point«, vgl. z.B. Cicero, Leg. 1, 35 cum haec iam perfecta sint, primum quasi muneri-

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bus deorum nos esse instructos, »Nachdem bereits feststeht, dass wir gleichsam mit den Geschenken der Götter versehen sind«. – unum ac singulare entspricht hier auf der Ebene der mathematischen Monade dem unum solum für die metaphysische Monade in 5,1.

Kapitel 5 Text (2) nullum corpus unum solumque [corpus unum solum]: Tilgung nach Sic. 1959, 681 (übern. v. Mar., Ger.), jedoch mit Erhaltung des -que, vgl. Erl. – discedat B, Wed., Sca., Ger.; 〈non〉 discedat Win.; discedit Sic. 1959, 694 (vgl. aber 701 discedat), Mar. – at si〈c〉 Heb.; at si B, Ger.; ut si Win., etsi Sca., ac si〈c〉 Mar. – [esse] Bai., Mar.; nach subsistentem: 〈dicimus〉 (oder 〈perspeximus〉 bzw. 〈cogitamus〉) Sku., 〈reperimus〉 Wed., 〈uidemus〉 Sic. 687 und 701, Ger. – quamvis B, Hol., Wed., Sca., Ger.; 〈quem〉 quamvis Sic. 1959, 688; Mar. – (3) singulare B, Edd.; 〈unum ac singulare〉 Ger. – (4) unus igitur B (vgl. Sic. 1959, 680), Mar.; unus 〈solus〉 igitur Win., Wed., Sca., Ger. – innumerae Sch., Edd.; innemere B. – at Win., Edd.; ac B. – mundus unus B, Hol. (vgl. Sic. 1959, 680), Mar.; mundus unus 〈solus〉 Wed., Sca. – distantes B, Win. (vgl. Sic. 1959, 676), Sca., Mar., Ger.; distantia Sch., Wed. – (5) numerus hoc B, Hol. (vgl. Sic. 1959, 681), Mar., Ger.; numerus [hoc] Wed., Sca. – (7) quod ante B, Hol., Mar., Ger. (vgl. Sic. 1959, 681); quod [ante] Wed., Sca. (vgl. Krafft 103–105). –

5,1 monas: Das vorliegende ›Monadenkapitel‹ hat in der Forschung recht unterschiedliche Interpretationen erfahren. Einerseits wurde es als Text über die metaphysische Monade gelesen (Krämer und Thiel, veranlasst durch Favs. Berufung auf Xenokrates in 5,6), andererseits als einer über die mathematische Monade (Krafft). Ebenso wurden Zweifel hinsichtlich des Vorliegens eines kohärenten Konzepts überhaupt artikuliert (Gersh 1986, 738, 745; dort 739–742 eine Zusammenfassung der Interpretationsprobleme; Skepsis gegenüber der ›metaphysischen‹ und der ›mathematischen‹ Deutung gleichermaßen bei Isnardi Parente zu Xenokrates fr. 134). Tatsächlich war für einen Nichtphilosophen wie Fav. die verzweigte Diskussion zum Verhältnis von intellegibler und mathematischer Eins sicher nicht leicht überschaubar; so referiert alleine Theon v. Smyrna p. 19,7–21,14 sechs unterschiedliche Theorien dazu (Diskussion bei Kalvesmaki 2013, 175–182). In einigen davon ist die Monade ein Begriff des intellegiblen Bereichs und das Èn einer des sensiblen (hierher gehört die Unterscheidung zwischen numerus und numerabile in 5,5), in anderen ist es umgekehrt, und in wieder anderen gibt es keine Unterscheidung zwischen beiden; auch eine Unterscheidung zwischen höherer und niederer Monade ist belegt (die sich in der bekannten Definition der Zahlen als s‘sthma monàdwn widerspiegelt). Zusätzlich wird das Verständnis des Kapitels erschwert durch Favs. Neigung zu terminologischer Laxheit (s. S. 76) und zu

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rhetorischer Variation auf Kosten der Präzision, infolge derer der für arithmologische Texte typische Wechsel zwischen den unterschiedlichen metaphysischen, mathematischen und kultursymbolischen Aspekten der Zahlen teilweise semantisch und/oder grammatisch (vgl. u. zu 5,6–7) unterspezifiziert bleibt; in Kap. 5 betrifft das die zentralen Ausdrücke monas, unum solum / unum, numerus, animus und mens. Hinzu kommt eine gewisse Unterspezifikation der Satz- und Gedankenverknüpfung, v.a. in 5,6–7. Infolgedessen stützen sich die Interpretationen von Kap. 5 nicht selten auf eine beträchtliche Zahl von Texteingriffen (vgl. Sicherl 1959, 679– 683 und die Übersicht im Apparat). Demgegenüber wird im Folgenden versucht, diese möglichst gering zu halten; außerdem wird vorausgesetzt, dass Favs. Interesse nicht vorwiegend metaphysisch, sondern arithmologisch, und damit notwendigerweise pluriperspektivisch ist. Unter diesen Prämissen scheint folgender Gedankengang erkennbar: Gegenstand von Kap. 5 sind die mit den Wörtern monas und numerus, Monade und Zahl, assoziierten unterschiedlichen Begriffe von Einheit: essentiell auf der ontologischen Stufe des Intellegiblen, nur formal auf der des Sensiblen. Der Gegensatz wird auf drei Stufen entfaltet: (1) Begriffsabgrenzung von essentieller (unum solum) und äußerer (unum) Einheit (5,1), erstere exemplifiziert mit animus, (Welt-)seele, und deus (5,2), letztere mit mundus, populus und exercitus. Essentielle Einheit kennt Differenzierbarkeit und Hypostasierungen in verschiedene Wirkbereiche, jedoch ohne Verlust der substantiellen Einheit (5,2–5,4). (2) Terminologische Fixierung des Unterschieds: substantielle Einheit ist recte numerus, Zahl im eigentlichen Sinne (und umgreift die o.g. Hypostasierungen, die diuina), die Konstituenten äußerer Einheit fallen unter den Begriff numerabile, Zählbares (5,5). (3) Ontologische Fixierung des Unterschieds: Der numerus im eigentlichen Sinne / die intellegible Monade ist oberstes intellegibles Prinzip, animus et deus (5,6), und in, vor und nach allen Bereichen der Welt wirksam (5,7); analog dazu ist im Bereich des Sensiblen die mathematische Monade Prinzip jeder Zahl und in, vor und nach jeder existent (5,7). – singularitas insecabilis: Nach der Einführung der Monade als Prinzip der (intellegiblen) Zahlen in 4,1 (substantia bzw. initium numerorum), wird nun der damit verbundene Begriff der Einheit thematisiert. Singularitas ist bei Marius Victorinus Übersetzung für monas, die Einheit der Trinität betreffend (Hymn. de trinitate 3,221), und bei Calcidius 39 für den Ursprung der Weltseele. Dass es auch an der vorliegenden Stelle um die intellegible Monade geht, zeigen die in 5,2 folgenden Beispiele. Wie andere neupythagoreisch beeinflusste Autoren, darunter Theon v. Smyrna, Sextus Empiricus, Nikomachos v. Gerasa und Diogenes Laertius, folgt Fav. einer platonisierenden Unterscheidung zwischen der intellegiblen Monade als oberstem Prinzip (unum solum) und der dem Zahl- und Wahrnehmungsbereich angehörigen Eins (unum; s. Sicherl 1959, 679f.; Burkert 1962, 51 f., 215; Thiel 2006, 323–328).

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Vgl. Theon v. Smyrna p. 19,18–20 monÄc to–nun ‚st»n ô to‹ ·n‰c  dËa ô noht†, ° ‚sti ätomoc; Èn d‡ t‰ ‚n a sjhtoÿc kaj+ ·aut‰ legÏmenon, oŸon eŸc —ppoc »Die Monade (mÏnac) ist die intellegible Idee des Einen, die unteilbar ist, die Eins ist im Bereich des Wahrnehmbaren das individuell Benannte, wie z.B. ›ein Pferd‹ « (vgl. auch zu 3,1). – unum [. . .] unum solum: Zugrunde liegt letztlich die aristotelische Unterscheidung zwischen organischer Einheit, Kontinuität und Diskontinuität (vgl. zu 19,6; dort auf den Kosmos angewandt), die Fav. in einer auf die Opposition ›unifiziert : diskontinuierlich‹ reduzierten Form aus Nikomachos Introd. 1,2,4 (vgl. Hadot e.a. Nr. 2 f.) kennen mochte. Der Ausdruck unum solum selbst ist auf der Basis des plotinischen Èn mÏnon gebildet (vgl. z.B. Enn. IV 2,2,52–55 über die Einheit der intellegiblen Welt: t‰ d+ ÕpËrtaton Èn mÏnon, »das höchste ist vollkommene Einheit«), unter welche allerdings, im Gegensatz zu Fav. (vgl. 5,2), bereits die Seele nicht mehr fällt (Ísti ofin yuqò Èn ka» pollÄ, »die Seele also ist eines und zugleich vieles«; Hinweis v. Chr. Tornau). Das Konzept findet sich dann im lat. Neuplatonismus in Texten, die letztlich von Porphyrios abhängen (vgl. Majercik 2001, 287f.), so bei Marius Victorinus Adv. Arium 1b,49 Illud unum oportet dicere, quod nullam imaginationem alteritatis habet, unum solum, unum simplex, »Eines ist etwas zu nennen, mit dem sich keinerlei Vorstellung von Wesensverschiedenheit verbindet und das vollkommen einheitlich und einfach, unum solum und unum simplex, ist«; bei Martianus Capella 7,731 nec dissimulabo [. . .], quod monas unum est, solum ipsam esse, »Ich kann nicht ignorieren, dass die Monade, weil sie eines ist, auch Einheit ist« (weswegen Sicherl 1959, 680 Favs. unmittelbare Quelle in Varro sieht); in der Variante unum unum (die Macrobius, Sat. 1,23,17 als Lehnübersetzung des Namens des höchsten assyrischen Gottes Adad ansieht) in Adv. Arium 1b,51 Sed unum istud quod esse dicimus unum unum, vita est, quae sit motio infinita, effectrix aliorum, »Aber das (vollkommene) Eine, das wir oben unum unum genannt haben, ist das Leben, das unbegrenzte Bewegung und Hervorbringerin alles anderen ist«. – 5,2 unum mundum [. . .] unum animum [. . .] solum: Unter unum fallen teilbare Entitäten spatio-temporalen Charakters, unter unum solum solche, die trotz Vereinzelung oder Hypostasierung ihre fundamentale Einheit bewahren (vgl. Gersh 1986, 740; zur ontologischen Begründung der gegenüber den Ideen reduzierten Einheit der Seele bei Platon s. Szlezák 312). Zur ersten Gruppe gehört neben populus und exercitus (konstituiert durch eine Menge von ciues bzw. milites) auch mundus (erläutert in 5,4: Teilung in mens und materia / elementa); ähnliche Bspp. (Heer, Chor, Herde) bereits bei Plotin Enn. VI 9,1. Zur zweiten Gruppe gehört neben deus (vgl. 5,4) der animus, letztlich aber auch die Monade selbst, da sie ja gem. 6,1 in die Dyade emaniert (in dyadem egreditur), vgl. Gersh 1986, 739f. Das

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Unterscheidungskriterium zwischen unum solum und unum wird jeweils nach den Beispielen genannt: (1) nullum corpus unum solum, quod in partes [. . .] discedat; (2) quidquid numerosa progressione non perit, singulare natura est. Ein umfassenderes Beispiel für diesen Gedanken der Bewahrung von Einheit bei sukzessiver Differenzierung bietet Macrobius’ Charakterisierung der drei neuplatonischen Hypostasen (Somn. 1,6,7–9, letztlich nach Plotin, vgl. Dörrie-Baltes Bd. 7.1, 223f.; Text s. zu 5,2): Alle fallen unter monas, dabei ist aber nur das Eine völlig einheitlich, der Nus ist differenziert durch die ihm innewohnenden Ideen, und die Seele wegen der sukzessiven Entfaltung ihrer Aktivität durch Bewegung und Eingang in die unterschiedlichen Körper. – nullum corpus unum solumque: Zur Streichung der Dittographie von corpus unum solum s. Sicherl 1959, 681, allerdings ist das -que bei solum zu belassen: unum solumque ist Variation von unum solum in 5,1 wie im nächsten Satz non unum, sed solum quoque. Zur Beibehaltung des von Winterfeld und Van Weddingen gestrichenen unum neben animum vgl. Sicherl a.O.: Es markiert den Gegensatz zwischen den beiden Arten von unum und wird anschließend durch solum quoque präzisiert. – at si〈c〉 unum animum: Si〈c〉 nach Marcellinos ac sic: das überlieferte at si ergibt einen isolierten Kondizionalsatz; das überlieferte at wurde beibehalten, weil es die Opposition zwischen mundus etc. und animus akzentuiert, vgl. at non sic mundus in 5,3. – circa corpora diuisibilem: »Über die Körper aufteilbar« ∼ per» tÄ s∏mata merist† bei Platon, Timaios 35a (vgl. M. Bordt, Art. ›Weltseele‹ in Schäfer (ed.) 320–322) deutet nach Krafft 99 darauf, dass animus hier die Weltseele meint; doch der Unterschied zu mens in 5,4, das ansonsten ›Weltseele‹ ist (vgl. 6,3 und 7,3), scheint zu indizieren, dass animus hier tatsächlich das gesamte Kontinuum der Seele meint, von ihrem Ursprung im Intellekt (vgl. Macrobius, Somn. 1,14,8) über die Inkorporation in den Weltenkörper bis zur Inkorporation in die Menschenkörper; circa corpora diuisibilem betrifft gem. Timaios 41d–e ja auch die Individualseelen. Der Gedanke, dass nur Zusammengesetztes auch zerfallen kann, wogegen Einheit keine Veränderung zulässt, gehört bei Platon (Phaidon 78b–80b) zu den Argumenten für die Unsterblichkeit der Seele (vgl. Szlezák 317–319). Zur Bewahrung der Einheit der Weltseele trotz ihrer Vereinzelung in die Körper vgl. Macrobius, Somn. 1,6,9 Anima [. . .] simplicem sortita naturam, cum se animandae immensitati uniuersitatis infundat, nullum init tamen cum sua unitate diuortium, »Die Seele hat eine einfache Natur, und wenn sie sich in das unermessliche Universum zu dessen Beseelung ergießt, erleidet sie dennoch keine Scheidung von ihrer Einheit«; Somn. 1,12,6 Animae enim, sicut mundi, ita et hominis unius, modo diuisionis reperientur ignarae, si diuinae naturae simplicitas cogitetur, modo capaces, cum illa per mundi, haec per hominis membra diffunditur, »Die Seele nämlich, sei sie Weltseele oder menschliche Einzelseele, erscheint einerseits als unteilbar, wenn man auf die Einfachheit ihrer göttlichen Natur schaut,

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andererseits als teilbar, insofern die Weltseele sich in die Glieder des Weltalls, die Menschenseele in die Glieder des Menschen ergießt«. – subsistentem: Verbalisiert wohl nicht den Begriff der Substanz (so Sicherl 1959, 706), sondern den der Subsistenz, eine auf Marius Victorinus zurückgehende Bildung (Adv. Arium 8; vgl. Chr. Horn, HWPh, s.v.); zur Unterscheidung vgl. Boethius, Opuscula sacra 5,3 Subsistit enim, quod ipsum accidentibus, ut possit esse, non indiget; substat autem id quod aliis accidentibus subiectum quoddam, ut esse valeant, subministrat, »Subsistent ist, was keiner Akzidentien bedarf, um existieren zu können, Substanz dagegen, was Akzidentien eine bestimmte Grundlage verschafft, auf der sie existieren können«. – quamuis [. . .] testatur: Sicherls Ergänzung 〈quem〉 quamvis ist entbehrlich (vgl. Maurach 691), denn die Ellipse auch des anaphorischen Objekts (vgl. z.B. separat in 19,6) gehört neben der freien Stellung des Einzelworts zum nicht-konfigurationalen Erbe des Lateinischen (vgl. Luraghi 2010). Zum Indikativ bei quamuis (seit Seneca d.Ä.) vgl. LHS Bd. 2, 604. 5,3 numerosa progressione: Die Bewahrung der Einheit der Seele bei ihrer Vereinzelung in die Körper (vgl. Plotin, Enn. IV 2 auf der Grundlage von Timaios 35a; Hinweis v. Chr. Tornau) wird verglichen mit der Unveränderbarkeit des Wesenskerns jeder Zahl, der Monade, die in 5,7 konstatiert wird. Vergleichbar ist auch das Konzept des pujm†n, dass also z.B. der ›Wesenskern‹ von 50, 500, 5000 usw. die Fünf ist (vgl. zu 16,6). Zu numerosa progressio ∼ progressio numerorum, vgl. Augustin Mus. 1,12 unum, duo, tria, quatuor sit amicissime copulata progressio numerorum, »eins, zwei drei und vier ist eine auf das freundschaftlichste geknüpfte Progression von Zahlen«. 5,4 unus igitur deus: Die Ergänzung unus 〈solus〉 bei Winterfeld, Van Weddingen und Scarpa (übernommen von Krämer und Thiel, vgl. Thiel 324, Anm. 55) ist unnötig, denn Fav. hat schon in 5,2 mit unum animum [. . .] solum quoque den Unterschied zwischen essentieller und äußerer Einheit herausgearbeitet und variiert das hier (igitur) mit der Opposition unus animus [. . .] non sic mundus unus; daher ist auch hinter mundus nicht solus zu ergänzen, vgl. Sicherl 1959, 680. – innumerae diuisaeque uirtutes: Hier klingt die mittelplatonische Version des Henotheismus an, die auf der traditionellen Vorstellung aufbaut, dass die dem Fixsternhimmel subordinierten Himmelsbereiche von Göttern und Dämonen besiedelt sind, in denen sich die vielgestaltige Macht (multiformis uis bei Apuleius, De mundo 37) des einen Gottes äußert (zur Tradition vgl. u. zu 5,6; aber auch noch Augustin De ciuitate Dei 10,9 über Porphyrios, vgl. Zintzen 1976; zu Apuleius vgl. Moreschini 2018, 134–146; Übersicht bei Ferrari 2018a, 554). Vergleichstexte bei Dörrie-Baltes 7.1, Nr. 196–201, darunter Apuleius, der eine dreistufige Götterhierarchie ansetzt, welche (1) dem hyperkosmischen einen und alleinigen höchsten

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Gott (unus et solus summus deus), Vater und Demiurgen der Welt, die (2) innerkosmischen Sternengötter und die übrigen sogenannten Himmelsgötter und (3) die Dämonen unterordnet (De Platone et eius dogmate 1,11 bzw. De deo Socratis 1,1 ff., 6,5ff., vgl. Dörrie-Baltes 7.1, Nr. 196 mit Komm. S. 462–467, bzw. Nr. 198.2, Komm. S. 504–507 sowie Gersh 1986, 228–236 und Ferrari 2018d, 624–626). Die Himmelsgötter werden dabei hauptsächlich durch die Zwölfgötter repräsentiert (De deo Socratis, 2,121 = Dörrie-Baltes 7.1, Nr. 199.1, Komm. 524–528), deren Fürsorge jeweils unterschiedlichen Bereichen des menschlichen Lebens gilt, aus welcher umgekehrt ihre Existenz erschließbar ist (potentiae [. . .] coniectatae per uarias utilitates in uita agenda animaduersas, »ihre jeweilige Macht ist erschließbar aus dem unterschiedlichen Nutzen, den wir in unserem Leben erfahren«; zu dieser Art von Gottesbeweis vgl. schon Cicero, Tusc. 1,70 deum adgnoscis ex operibus eius, »man erkennt Gott an seinen Werken«; NT, Römer 1,20); zu uirtus ∼ potentia vgl. z.B. NT, Lukas 1,35 uirtus [= d‘namic] altissimi obumbrabit tibi, »die Kraft des Höchsten wird dich überschatten«; Minucius Felix 32,4 in operibus enim eius (= dei) et in mundi omnibus motibus uirtutem eius semper praesentem aspicimus, »in seinen Werken und in allen Bewegungen des Kosmos sehen wir sein immer gegenwärtiges Wirken«. Im Hinblick auf 5,6 ist wichtig, dass nach Baltes 1988 auch für Xenokrates bereits eine entsprechende Systematik rekonstruierbar ist, derzufolge die Sphäre der Dyade / Weltseele / Göttermutter von den Planeten-Göttern besiedelt ist, an die sich nach unten die göttlichen Potenzen (jeÿai dunàmeic ∼ uirtutes in 5,4) Luft = Hades, Wasser = Poseidon und Erde = Demeter anschließen. Der Favonius zeitlich nächststehende henotheistische Text ist Macrobius’ ›Solartheologie‹ in Sat. 1, 17–23. – elementa: Die vier Elemente sind in der platonischen Tradition ein Standardbeispiel für ein funktionales, aber nicht essentielles unum, da die antagonistischen Elemente Erde und Feuer gem. Timaios 31b–32b erst durch ihre Anordnung nach den grundlegenden Qualitäten (warm/kalt) und Aggregatzuständen (trocken/feucht) durch den Demiurgen ihre Kohäsion erhalten, vgl. Macrobius, Somn. 1,6,27: Et ita fit ut singula quaeque elementorum duo sibi hinc inde uicina singulis qualitatibus uelut quibusdam amplectantur ulnis, »Und so kommt es, dass jedes Element jeweils zwei anderen Elementen aufgrund einer bestimmten Eigenschaft beiderseits benachbart ist und diesen gleichsam den Arm darbietet«. – momentis: Zur letztlich auf Timaios 34a zurückgehenden Differenzierung des Bewegungsbegriffs vgl. u. zu 12,6. 5,5 illud [. . .] hoc: illud referiert auf die mit deus illustrierte innere, wenn auch differenzierbare Einheit des unum solum, hoc auf die mit mundus illustrierte äußere Einheit des unum. Aus Letzterem ist nicht mit Thiel 325 zu folgern, dass die Weltseele (im Widerspruch zu 5,2) unter die zählbaren Entitäten fällt; das tut vielmehr

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der mundus als ganzer, während einer seiner beiden Konstituenten, der mens, Einheit im Sinne von 5,2 zueigen ist. – numerus [. . .] numerabile: Über die beiden Referenzfährten illud â unum solum und hoc â unum wird nun das Begriffspaar numerus : numerabile (vgl. zu 3,1) mit unum solum : unum parallelisiert: numerus im ›eigentlichen‹ (recte), intellegiblen Sinne entspricht unum solum, numerabile dagegen dem unum, ›eins‹ im Bereich des Sensiblen. Damit wird numerus Synonym zum zweiten Aspekt des Monaden-Begriffs, dem der inneren Einheit (nicht aber zum ersten, dem Prinzip der intellegiblen Zahlen, vgl. zu 5,1). Von einer »Verwechslung von Zahl und Monade« (Sicherl 707) ist somit nicht zu sprechen, allerdings wird numerus hochgradig polysem, da es nun sowohl für ›Zahl im eigentlichen Sinne‹ (recte dicetur) gleich unum solum als auch die ›figurierten‹ Idealzahlen (3,1 corpora figuram ex numeris trahunt) als auch die mathematischen Zahlen steht. Konsequenterweise überschneiden sich die Attribute von numerus und monas in Kap. 3f. und in Kap. 5: ewig (3,1 aeterna; 5,7 ante et post omnia), allumfassend (3,1 cuncta ui sua complectitur; 5,5 complectitur uniuersa), vollkommene Einheitlichkeit (4,2 unum ac singulare, wiederholt in 5,7), Unteilbarkeit (3,1 res incorrupta; 5,1 indiuisa); vgl. jetzt auch Gerzaguet & Bakhouche lviii. – Weitere Parallelen zum Begriffspaar numerus : numerabile bei Burkert 1962, 46–52. Ihm zufolge ergibt sich aus der Darstellung der pythagoreischen Zahlenlehre bei Sextus Empiricus (Grundzüge der Pyrrhonischen Skepis 3,157 und Aduersus mathematicos 10,284), dass die Opposition ›Zahl : Zählbares‹ eine Verkürzung einer zugrundeliegenden dreistufigen Unterscheidung ist, nämlich zwischen (1) den Prinzipien Monade und Dyade, (2) den Zahlen: intellegibles Ein(e)s ist mÏnac, sensibles t‰ ‚n toÿc Çrjmhtoÿc Èn (der ·pisthmonik‰c ärijmoc bei Nikomachos, vgl. u. zu 5,6), und (3) den zählbaren Objekten (Çrijmhtà). – complectitur uniuersa [. . .] numerentur: Vgl. 3,1 und u. zu 5,7 numerus [. . .] in omnibus. Ähnlich, jedoch nicht über den numerus, sondern die Monade als ontologisches Prinzip (Çrqò Åpàntwn) bei Ps.-Jamblich p. 1, 8 pànta gÄr ‚k t®c pànta dunàmei perieqo‘shc monàdoc diakekÏsmhtai; a’th gÄr e  m†pw ‚nerge–¯ Çll+ ofin spermatik¿c pàntac toÃc ‚n pêsi Çrijmoÿc ka» dò ka» toÃc ‚n duàdi lÏgouc Íqei, »Alles wird geordnet von der Monade, die potentiell alles umfasst; denn, sie enthält, wenn auch nicht aktuell, so doch potentiell alle Prinzipien, die allen Zahlen und besonders der Dyade innewohnen«, ähnlich wird p. 4,4 unter Berufung auf Nikomachos die Monade mit Gott gleichgesetzt und ist als Zeugungsprinzip (spermatik¿c) Quelle aller Entitäten, so wie die Eins es für alle Zahlen ist (vgl. Ferrari 2018b, 647) sowie Theon p. 99,24–100,8 (vgl. Ferrari 2018e, 583). – diuina: Nach Krämer 107f. wären die diuina die Ideen und die vorliegende Stelle belegte Xenokrates’ Urheberschaft für die Vorstellung vom Intellekt (animus) als Quelle der Ideen; Kritik bei Isnardi Parente (Komm. zu fr. 134). Nach Sicherl 1959, 682 liegt dagegen ein Rückverweis

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auf die in 5,4 genannte Vielzahl der Hypostasierungen der prouidentia und multiformis uis Gottes bzw. der Monade vor. Statt seiner lokalen bzw. instrumentalen Auffassung von in eo numerentur (»das Göttliche in ihr (durch sie) gezählt wird«; ähnlich Krafft 102 f. unter Verweis auf LHS Bd. 2, 126, dort aber kein für unsere Stelle einschlägiger Beleg) liegt aber näher die klassische der Subsumption unter eine Kategorie (»zu ihr gerechnet«, vgl. OLD s.v., Nr. 7). – accidit numero [. . .] subiacet numerabile: Zu subiacet vgl. 3,1 totum sub numerum uenit; die Zahl erscheint als Form, die Quantificata als ihr Stoff (vgl. Sicherl 1959, 682 u. 702; Parallelen bei Krafft 106, Anm. 12). Allerdings können Numerabilia wie die milites des exercitus in 5,1 nicht Operanden der intellegiblen Monade, sondern müssen solche des unum / Èn sein – ein unmarkierter Wechsel zwischen den Bedeutungen von numerus auf engstem Raum. Kaum mit subiacet vereinbar ist das vorangehende hoc accidit numero, dass also die Quantificata als Akzidentien der Zahl erscheinen. Üblicherweise gilt das Umgekehrte, so etwa in der Grammatik, wo der numerus eines der Akzidentien von Nomen und Verbum ist (vgl. Flamant 245 zu Macrobius’ de differentiis; Borsche 20–22 zu Donat); Akzidentien des numerus sind hingegen ›gleich‹ und ›ungleich‹ (vgl. Cassiodor Inst. 2,4,2 numero accidunt [. . .] parilitas, imparilitas et caetera). Der Vergleich mit Martianus Capella 7,731, wo die Monade einerseits als Akzidens beliebiger Objekte (monas species est accidens cuilibet extantium), andererseits als ontologisch höher als jene stehend gilt (priusque est quod numerat quam illud numerandum), spricht für eine Verkürzung eines aus gemeinsamer Quelle stammenden Gedankens durch Fav. 5,6 Xenocrates [. . .] animus ac deus: Unter Berufung auf die Autorität des Xenokrates wird nun der ontologische Status des intellegiblen numerus hervorgehoben; vgl. Xenokrates fr. 15 H (Stobaios Ecl. 1,36,9 = Diels p. 304, Aetius 1,7,30, fr. 134 Isnardi Parente; das doxographische Material bei Mansfeld-Runia 430): Xenokràthc [. . .] tòn monàda ka» tòn duàda jeo‘c, tòn m‡n ±c ärrena patr‰c Íqousan tàxin ‚n oŒranƒ basile‘ousan, °ntina prosagore‘ei ka» Z®na ka» peritt‰n ka» no‹n, Ìstic ‚st» aŒtƒ pr¿toc jeÏc; tòn d+ ≤c j†leian, mhtr‰c je¿n d–khn, t®c Õp‰ t‰n oŒran‰n l†xewc ôgoumËnhn, °tic ‚st» aŒtƒ yuqò to‹ pàntoc. je‰n d+ e⁄nai ka» t‰n oŒran‰n ka  toÃc ÇstËrac pur∏deic Êlump–ouc jeo‘c, »Xenokrates [. . .] nennt die Monade und die Dyade Götter. Die Monade ist männlich, hat die Position des Vaters im Himmel inne und ist König; er nennt sie auch Zeus, ungerade und Nus, welcher für ihn der oberste Gott ist. Die Dyade ist weiblich, hat die Stellung der Göttermutter und die Herrschaft unterhalb des Himmels inne, und sie ist für ihn die Weltseele. Ein Gott ist für ihn aber auch der Himmel, und die feurigen Sterne seien die olympischen Götter«. Die o. S. 73 genannte monistische Umformung des platonischen Prinzipiendualismus aus Mo-

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nade und infiniter Dyade liegt bereits hier vor, und die Monade wird identifiziert mit dem obersten Gott, der ein Intellekt ist (und daher mit dem platonischen Demiurgen identisch, vgl. Dillon 2019); die infinite Dyade ist subordiniert und Weltseele. Beide Prinzipien zusammen generieren die uranfänglichen Formen bzw. Zahlen (Ideen), aus denen die nachgeordneten Linien, Flächen, Körper und letztlich die sichtbaren Körper hervorgehen (vgl. Drsodek 2002, 46; Thiel 2006, 322– 328; Dancy 2017, Nr. 1; zur platonischen Uminterpretation des pythagoreischen Begriffspaars pËrac und äpeiron s. Burkert 1962, 214f.). Zu möglichen Beziehungen von 5,6 zu Xenokrates vgl. Thiel 324: Die Monade (∼ numerus), ist Geist und Gott, vollkommen einheitlich und identisch mit ihrer (vgl. u.) Substanz. Sie ›emaniert‹ (6,1 egreditur) in die ihr subordinierte Dyade / Seele, die weniger einheitlich, da »teilbar über die Körper« und auf einen Operanden, den mundus, orientiert ist (5,4, vgl. 6,3). Nun ist allerdings Fav., der eher ein platonisierender Neupythagoreer (vgl. u. zu 5,7) als ein pythagoreisierender Platoniker ist, mit Xenokrates schwerlich aus eigener Lektüre vertraut und bedient sich eher doxographischer arithmologischer Quellen, in denen Xenokrates als Zeuge für die monistische Uminterpretation fungiert (vgl. S. 73 zu Alexander Polyhistor bei Diog. Laertios; die von Calcidius 295f. referierte Ablehnung des Monismus durch Numenios [Dörrie-Baltes Bd. 4, 121.2, Kommentar S. 466–471; vgl. Waszink XLIVff, Staab 99, Bakhouche 852 f. und 667 zu Kap. 53 sowie Ferrari 2018c, 656] kennt er entweder nicht oder ignoriert sie; zur Doxographie vgl. die Übersicht bei Zhmud 2013). – Viel, wenn auch nicht immer vollständig einschlägiges, neupythagoreisches Vergleichsmaterial zur vorliegenden Stelle bei Sicherl 1959, 704f.; die genauesten Parallelen daraus sind dezidiert arithmologische; neben der bereits genannten Stelle Diogenes Laertius 8,35 ist v.a. Ps.-Jamblich p. 3,21 zu nennen (Die Pythagoreer sagen, dass die Monade nicht nur Gott, sondern auch Intellekt und androgyn ist). In ähnlicher arithmologischer Akzentuierung wie Fav. spricht auch Nikomachos von der Zahl, die als Idee im Verstand des Demiurgen existiert und die zahlbestimmten kosmischen Prozesse Bewegung und Zeit auslöst (Introd. 1,6,1 = 134.2 Dörrie-Baltes, Bd. 5, Kommentar S. 357–359: »intellegibel und vollkommen immateriell [. . .] eine ewige Substanz, damit nach ihr als künstlerischem Plan dies alles geschaffen würde: Zeit, Bewegung, Himmel, Sterne, Entwicklungen aller Art«; Übers.v. Matthias Baltes) und grenzt sie wie Fav. in 5,7 von der mathematischen, anschließend in 1,6,2 behandelten Zahl (‚pisthmonik‰c ärijmoc) ab (vgl. Robbins 1926a, 98 f., Ferrari 2018b, 646 f.). – Mit der Monade / dem Nus als höchster göttlicher Instanz, über der es kein Eines gibt, verwendet Fav. ein im lateinischen Platonismus seiner Zeit bereits obsoletes Konzept, als dessen letzter Vertreter von Proklos der Neuplatoniker und Kommilitone Plotins, Origines († 268) kritisiert wird (vgl. Dörrie-Baltes 7.1, Nr. 203 mit Kommentar S. 534–536, 581–586; Übersicht über den

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Gottesbegriff des Mittelplatonismus bei Moreschini 2018, 130–134). Bei Calcidius Kap. 339 (im Anschluss an oder aus gemeinsamer Quelle mit dem Mittelplatoniker Alkinoos, vgl. Bakhouche 2011, 45 f.) und Macrobius (nach Plotin) finden sich dagegen unterschiedliche Ausprägungen der Drei-Prinzipien-Lehre Gott–Form– Materie; bei Macrobius wird dabei die Monade explizit mit der höchsten Hypostase Plotins gleichgesetzt (Somn. 1,6,8 und 1,14,6; zu Alkinoos vgl. Dörrie-Baltes 7.1, Nr. 188.1 und 192.2, mit Kommentar S. 323–328; Übersicht zur Zwei- bzw. Dreiprinzipienlehre bei Ferrari 2018a 553f., Männlein-Robert 635, 637f.). Aber für die Arithmologie war das Zwei-Prinzipien-Konzept weiterhin brauchbar, ebenso wie für das Christentum (dazu vgl. Dörrie-Baltes 7.1, 585f.). – non enim aliud est quam quod ei subest: Als Antezedent von ei gilt bei Sicherl 1959, 683 und Thiel 326 animus ac deus, das somit als Hendiadyoin zu verstehen wäre (vgl. Krafft 99, 106): »sie (die Zahl), ist nichts anderes, als was ihm (Geist und Gott) zugrundeliegt«. Jedoch wird numerus im vorhergehenden Satz als Diskurstopik eingeführt (illud igitur numerus [. . .] ille complectitur uniuersa) und im vorliegenden Satz (nach der Aussage über das numerabile) als grammatisches Subjekt wieder aufgegriffen; er ist somit der nächstliegende Antezedent für ei: »sie (die Zahl) ist nichts anderes, als was ihr zugrundeliegt« (vgl. Krafft 108). Der numerus / die Monade ist also im Gegensatz zu den 5,5 genannten numerabilia und auch im Gegensatz zu den aus ihm / ihr abgeleiteten geometrischen Figuren (vgl. o. zu Kap. 2, Einleitung und 3,1) reine Substanz im Sinne reiner Einheit, Unteilbarkeit und Unveränderlichkeit (vgl. die Parallelen bei Sicherl 1959, 705 f., Thiel 329f. und Petrucci 420 zu Theon p. 99,24–100,8 mit Tab. B auf S. 543). – Zu subesse von der Substanz vgl. Marius Victorinus, Rhet. 1,22 Substantia porro res est quae aliis rebus subest capax accidentium qualitatum, »Substanz ist etwas, das etwas anderem zugrundeliegt und Akzidentien binden kann« (vgl. o. 5,2 zu subsistere und substare). 5,7 sed illud ipsum: In B liegen nach Holders hier übernommener Interpunktion in 5,6 f. drei Prädikationen über numerus vor (non aliud est, quod [. . .] sed illud (est), quod [. . .], quod [. . .]), wobei die zweite und dritte mit der ersten durch sed koordiniert sind. Da die Relation schwerlich adversativ gemeint sein kann, versuchen die späteren Herausgeber diese semantische Härte zu beseitigen, indem sie sed illud [. . .] auf unterschiedliche Weise zum unabhängigen Satz erheben. Van Weddingen (und ihm folgend Scarpa) tilgt dazu das quod nach tantummodo und interpretiert das Resultat als Gegensatz zwischen dem numerus im Allgemeinen und der Monade im Speziellen: rien autre n’existe, que ce qui dépend de lui (sc. le nombre). Cependant, cela même qui est un et singulier, précède tout, est dans tout et suit tout; zu diesem Missverständnis vgl. Sicherl 683. Marcellino belässt den Wortlaut von B, interpretiert aber tantummodo zum Hauptsatzprädikat um (sed illud ipsum,

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quod [. . .], tantummodo, quod [. . .]): Ma questa stessa cosa che è una e singolare [il numero] è esclusivamente ciò che è prima di tutto, in tutto e dopo di tutto. Ergebnis ist eine äquative Existenzkonstruktion mit elliptischem Prädikat (tantummodo (est)), deren Subjekt und Prädikatsnomen jeweils aus einer Relativkonstruktion bestehen. Das semantische Verhältnis zu non aliud quam [. . .] subest ist jetzt weiterführend: die erste Relativkonstruktion (illud quod est unum ac singulare) ist eine anaphorische Paraphrase des vorher etablierten numerus-Begriffs (unum; singulare), die nachfolgende weist dieser numerus-Paraphrase neu die Eigenschaft der Allgegenwärtigkeit zu. Auch vor diesem Ansatz dürfte Holders Analyse den Vorzug verdienen. Denn die nächstliegende Lesart von tantummodo ist nicht die eines elliptischen Hauptsatzprädikats, sondern eines Modifikators von unum ac singulare, mit dem es eine expressive Variante von unum ac singulare in 4,2 sowie von unum solum in 5,2 und von singulare in 5,3 bildet. Die Relation zwischen non aliud, quam [. . .] und sed illud, quod [. . .], quod [. . .] kann dennoch als weiterführend und nicht adversativ verstanden werden: Das unlogisch anmutende sed verdankt sich dem formalen Bezug auf das litotesbildende non aliud, und der erste der beiden Relativsätze verleiht der negativen Aussage non aliud quam über die Substantialität des numerus in 5,6 einen Inhalt, der zweite fügt eine Aussage über das Weltwirken des transzendenten numerus hinzu. – ante [. . .] post omnia: Der Gedanke der Ewigkeit des numerus / Gottes / Intellekts (ante / post omnia), verbindet sich nun mit dem seines Wirkens in der Welt (in omnibus). In ähnlicher neupythagoreischer Akzentuierung findet sich diese Vorstellung bei dem »platonisierenden Neupythagoreer« (M. Baltes) Nikomachos an der o. zu 5,6 zitierten Stelle Introd. 1,6,1, wo die im Verstand des Demiurgen (teqn–thc) existierende Zahl in die Zeitlichkeit hineinwirkt. Letztliche platonische Grundlage ist die Abbildung der ewigen Ideen in der sichtbaren Welt durch Verhältnis, Maß und Zahl aus Timaios 37c–38b (vgl. Dörrie-Baltes Bd. 5, 277–282). In der Präzisierung Plotins (Enn. VI 2 = Dörrie-Baltes Bd. 5, Nr. 129,2): der Nus wirkt vermöge seiner ‚nËrgeia in die Welt hinein, indem er Weltseele nicht nur schafft, sondern sich ihrer auch als Instrument bedient; vgl. Macrobius, Somn. 1,14,6 f. Verwandte Vorstellungen in der christlichen Literatur schließen zwar an Bibelstellen an wie Epheser 5,6 (unus deus et pater omnium, qui est super omnes et per omnia et in omnibus, vgl. Kolosser 1,17, Hebräer 13,8), können aber dennoch durch den »neuplatonisch beeinflussten Gedanken der nichtspatialen Präsenz des Intellegiblen im Sensiblen« (Tornau 2020, Nr. 4) charakterisiert sein. So Augustin Confessiones 11,13,15 f. Cum ergo sis operator omnium temporum. . . Nec tu tempore tempora praecedis . . . praecedis omnia praeterita celsitudine semper praesentis aeternitatis; et superas omnia futura, quia illa futura sunt, et cum uenerint, praeterita erunt, »Du bist der Schöpfer aller Zeit, (und so) gehst du der Zeit nicht zeitlich voran, sondern du bist vor allem Vergangenen durch die Erhaben-

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heit deiner allzeit gegenwärtigen Ewigkeit, und du überwindest alles Zukünftige, weil es noch kommen wird, und wenn es gekommen ist, vergangen sein wird«. Favonius sprachlich am nächsten steht ›Arnobius‹ d.J., Praedestinatus 3,19 (5. Jh.): Deus . . . ante omnia idem qui post omnia, et in omnibus praeteritis, praesentibus et futuris immutabilis perseuerat, »Gott ist vor Allem derselbe wie nach Allem, und in allen vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Dingen verharrt er unveränderlich«. – quantam enim: Wie bei Nikomachos Introd. 1,6,2 (vgl. zu 5,6) wird der intellegiblen Eins die sensible gegenübergestellt. Enim hier mit diskursfortführender (von Priscian GL 3, 102,12 ›kompletiv‹ genannter) Verwendung (∼ autem, vgl. Löfstedt 1911, 34). – ducetur . . . texetur ab uno: Wie die intellegible Zahl ante, in und post omnia ist, so gilt das auf niedriger ontologischer Stufe auch für die Eins, die essentieller Kern jeder Zahl ist, da die Zahl als eine Konfiguration multipler Instanzen der Eins (s‘sthma monàdwn, s. 4,1) gilt, welche bei deren Komposition (vgl. 5,3) und Dekomposition (pereuntibus aliis) konstant bleibt; Belege bei Sicherl 1959, 702, darunter Martianus Capella 7,743: numerus est congregatio monadum uel a monade ueniens multitudo atque in monadem desinens, »die Zahl ist eine Vereinigung von Monaden bzw. eine aus der Monade hervorgehende und wieder in ihr endende Menge von Zahlen« (sc. durch Addition oder Subtraktion von Monaden); das griechische Vorbild dieser Definition steht wortgleich bei Theon p. 18,3 (Text s. zu 4,1); die Webemetapher texetur geht nach Guillaumin 292 auf Nikomachos’ Introductio arithmetica zurück. Fav. gestaltet diese zweigliederige Definition rhetorisch effektvoll zu einem Trikolon um, und zwar durch Integration des ersten in den zweiten Teil (ducetur ab uno ∼ propodism‰c Çp‰ monàdoc, textetur ab uno ∼ s‘sthma monàdwn), desinet in unum ∼ Çnapodism‰c e c monàda), wodurch auch ein Anklang an das neuplatonische Konzept des Ausgangs vom und der Rückwendung (‚pistrof†) zum Einen entsteht (Hinweis v. Chr. Tornau; dazu P. Hadot, Conversio, HWPh 1, 1033).

Kapitel 6 Text (2) fabulose B, Edd.; fabulosi Sku. – accession〈ne〉 Sch., Edd.; accessio B. – (3) Graece Sch., Edd.; grate B. – ’lh Edd., ULH B. – hic nunc B, Hol., Wed., Ger.; hic [nunc] Sic. 1959, 689; Sca.; Mar. – qui Sic. 1959, 690; Sca., Mar.; quia B, Hol., Wed., Ger. – (5) quartus B1 , quadratus B, Sch. –

6,1 dyas [. . .] secundus motus: Zum Gedanken des primus / secundus motus vgl. Numenios (Fr. 15 des Places), wo die stàsic des vollkommen unbewegten und ruhenden Ersten Gottes (unter expliziter Hervorhebung des oxymorischen Charakters der Aussage: polà jaumasiÏteron Çko‘s˘, »du wirst noch viel Er-

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Kommentar

staunlicheres hören«) nicht als »tote Ruhe, sondern eine dem ersten Gott eigentümliche Bewegung« bezeichnet wird (k–nhsic s‘mfutoc; vgl. Dörrie-Baltes Bd. 7, Nr. 197.3, das Zitat ebd. 473f.), wogegen der zweite Gott über Bewegung im herkömmlichen Sinne verfügt. Sprachlich der vorliegenden Stelle am nächsten steht die trinitätstheologische Version dieses Konzepts bei Marius Victorinus, Adv. Arium 3,2, wo mit dem Vater der motus in se conuersus und mit dem Sohn der motus, der foras spectat assoziiert ist; zur Beziehung zu Porphyrios’ Triade ›Sein – Leben – Denken‹ vgl. Hadot 1968, 222–225, Hadot-Brenke 14–16; weitere Parallelen aus Claudius Mamertus und seinem arianischen Gegner Candidus bei Krafft 126 f. Zugrunde liegt nach Baltes 2002, 52 f. (nach Hadot 1971) der Gedanke, dass Leben Bewegung sei und der Vater als Quelle des Lebens über eine im Inneren verborgene Bewegung verfüge, welche im Sohn nach außen trete. Zu einem möglichen chaldäischen Hintergrund des Gedankens (Hadot 1971, 286) vgl. Majercik 1992, 484, Tommasi 186–188 und Gersh 2018, 1651; dass Favs. theologi auf diese referiert, ist möglich, aber theologus bezeichnet jede Art von ›Metaphysiker‹, so bei Macrobius Homer (Somn. 2,10,11), Mythographen (1,2,9), die Neuplatoniker (1,14,5) sowie die Orphiker und Chaldäer (1,17,14, vgl. Mras 260); vgl. auch Simonini 109, Marcellino 107f. – Dagegen wird bei Martianus Capella 7,732 als primus motus die Emanation der Dyade aus der Monade bezeichnet (vgl. Grebe 1999, 392 f.), der Sache nach auch bei Macrobius, Somn. 1,6,18: d‘ac [. . .] ab illa omnipotentia solitaria in corporis intellegibilis lineam prima defluxit, »Die Dyade emaniert als erste aus jener allmächtigen Einheit in die Linie eines intellegiblen Körpers« (dazu Tornau 2019, 18–22). 6,2 primumque conubium: Fav. gibt zwei unterschiedliche Beispiele für ›theologische‹ Namen der Dyade: (1) man nennt sie die erste Geschwisterehe (sc. zwischen Jupiter und Juno), da sie durch Vereinigung (copuletur) der Zahl derselben Gattung (der Eins) entstanden ist; (2) man nennt sie Juno, weil ihre Verbindung (adhaeret) mit der durch Jupiter repräsentierten Monade die Zufügung einer Zahl der anderen Gattung (alterius, sc. generis) bedeutet, nämlich der weiblichen Zwei (vgl. 6,4; zu den genera numerorum gerade / ungerade gleich männlich / weiblich vgl. zu 4,2 und u. 6,3–5). Zu (1) vgl. Cicero, De natura deorum 2,66 Aer autem, ut Stoici disputant [. . .] Iunonis nomine consecratur, quae est soror et coniunx Iouis, quod ei [. . .] similitudo est aetheris, »Die Luft wird nach stoischer Auffassung unter Junos Namen verehrt; sie ist Jupiters Schwester und Gemahlin, weil sie dem Äther ähnlich ist«; Vergil, Aen. 1,46 f. Iouisque et soror et coniunx, »Jupiters Schwester und Gemahlin«; zur selben Vorstellung bei Porphyrios, Marius Victorinus und Augustin vgl. Hadot 1971, 220–223. Zu (2) vgl. Martianus Capella 7,732, wo der Name Iuno für die Dyade erklärt wird mit quod autem inter eam (dyadem) ac mona-

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dem prima coniunctio est [. . .], Iuno perhibetur, uel coniunx uel germana praecedentis, »weil aber zwischen der Dyade und der Monade die erste Verbindung besteht, heißt sie Juno, als Gattin und Schwester des vorgenannten Jupiter« (vgl. Scarpa z. St.). Es fehlt, da nicht in den arithmologischen Kontext passend, die traditionelle, bei Servius Aen. 1,4 und Martianus Capella 2,149 vertretene ›etymologische‹ Erklärung mit der gemeinsamen Namensherkunft aus iuuare, die von Laktanz, Inst. 1,11,40 auf Cicero zurückgeführt wird, aber tatsächlich wohl auf Varro, De lingua Latina 5,67 zurückgeht: Iuno [. . .] dicta, quod una iuuat cum Ioue, »Juno hat ihren Namen daher, dass sie zusammen mit Jupiter Hilfe gewährt«, vgl. De Melo 2019, 292. – Der Schwachpunkt bei beiden Benennungen ist, dass die Monade ja gar keine Zahl und damit auch nicht männlich oder ungerade (sondern beides: 4,2) ist, was aber um des Bildes des conubium willen durch die Männlichkeit Jupiters überspielt wird. Zum möglichen ›chaldäischen‹ Hintergrund vgl. Tomassi 186. – 6,3 mente ac materia: Vgl. 7,3. Wie in 5,4 ist mens hier ›Weltseele‹ (wogegen es bei anderen Autoren häufiger ›Intellekt‹, ist z.B. bei Macrobius, Somn. 1,14,6 mens quae no‹c uocatur), sprachlich vielleicht veranlasst durch den locus classicus Vergil, Aen. 6,727 mens agitat molem, zu der Macrobius die Synonymität von mens und anima vermerkt (Somn. 1,14,14), philosophisch legitimiert möglicherweise entweder durch Calcidius, wo es die diuina mens ist, welche die Materie durchdringt (Kap. 269 penetratam siquidem eam (= siluam) usque quaque divina mens format plene, vgl. Gersh 1986, 458 f.) und in dessen Hypostasenhierarchie Kap. 177 die Weltseele als secunda mens auftritt (summus deus > prouidentia / no‹c > fatum > secunda mens, id est anima mundi tripertita), vgl. Bakhouche 2011, 771– 775; oder durch die Betonung der Kontinuität zwischen Intellekt und Weltseele bei manchen lat. Autoren, so etwa bei Apuleius, de Platone 1,9,199, der caelestis anima und mens ebenfalls als Synonmye behandelt (vgl. Gersh 1986, 308 f.) oder bei Macrobius Somn. 1,14,8 ab anima natura incipit quam sapientes de deo et mente no‹n nominant, »jene Potenz, die von den Experten zum Thema Gott und Intellekt der no‹c genannt wird«. – iustitia: Sie ist durch den nach außen gewandten secundus motus der Dyade repräsentiert, weil sie im Gegensatz zu den anderen Tugenden ebenfalls ›nach außen‹ gewandt ist, vgl. Lactanz, Epit. 50,5 Plato et Aristoteles [. . .] dixerunt [. . .] cum ceterae uirtutes quasi tacitae sint et intus inclusae, solam esse iustitiam, quae [. . .] foras tota promineat et ad benefaciendum prona sit, »Platon und Aristoteles sagen: Während die übrigen Tugenden gleichsam schweigen und im Inneren eingeschlossen sind, ist es allein die Gerechtigkeit, welche sich nach außen wendet und zum Erweisen von Wohltaten geneigt sei« (vgl. Aristoteles, Eth. Nic. 1129b 26 f.: die Gerechtigkeit ist eine auf den Mitmenschen, pr‰c Èteron, bezogene Tugend). – naturalis uirtus: Vgl. die in Ciceros De re publica berichtete

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Kommentar

Unterscheidung des Karneades zwischen iustitia naturalis und iustita ciuilis, die Cicero in De finibus 2,59 als Scheingegensatz qualifiziert wird, da die iustitia ciuilis in der iustitia naturalis aufgehoben sei: perspicuum est enim, nisi aequitas, fides, iustitia proficiscantur a natura . . . uirum bonum non posse reperiri, »Wenn der Sinn für Gleichheit, Zuverlässigkeit und Gerechtigkeit nicht von Natur aus gegeben wäre, ließe sich offenkundig kein Ehrenmann finden«; zum philosoph. Hintergrund vgl. Schmekel 59, Scattola 22–27. – librata partium aequalitate: Dieser Ausdruck evoziert gleichermaßen die Waage als Symbol der iustitia (vgl. z.B. Boeth. In Porphyr. Isagog. 1,3 secunda (practicae philosophiae diuisio) uero est quae . . . cunctorum saluti . . . iustitiae libra . . . medetur, »die zweite Art der praktischen Philosophie ist, für das Gemeinwohl mit der Waage der Gerechtigkeit zu sorgen«) wie die sog. Ideopragieformel, laut welcher im Anschluss an Platon Pol. 433b die Gerechtigkeit seit dem Mittelplatonismus als das ausgewogene Verhältnis der drei Seelenteile definiert wird (Stellenverzeichnis bei Becchi 224; zur platonischen Grundlage s. Szlezák 351–354), welches die optimale Verwirklichung aller Tugenden garantiert, vgl. z.B. Apuleius Plat. 2,7 per has tres animae partes quartam uirtutem, iustitiam, aequaliter diuidente〈m〉 s〈e〉 sparsamque, causam esse dicit ut unaquaeque portio ratione ac modo ad fungendum munus oboediat, »Dass über diese drei Seelenteile sich eine vierte Tugend, die Gerechtigkeit, gleichmäßig aufteilt und ausbreitet, ist nach Platons Worten der Grund dafür, dass jeder einzelne Seelenteil mit Vernunft und Maß seiner jeweiligen Pflicht nachkommt« (vgl. Becchi 2001, 224f.; sparsam nach Becchi 228 f. statt des überlieferten problematischen scientiam). – namque diuisus hic nunc numerus [. . .]: Teilbarkeit in gleiche Teile ist Unterscheidungsmerkmal gerader Zahlen von ungeraden seit Euklids Elementen 7,6 f.; bei den figurierten Zahlen entspricht die Monade einem unteilbaren Punkt, die Dyade einer teilbaren Linie, vgl. Macrobius, Somn. 1,12,5 und o. zu 3,1. – Nunc ist gegen Sicherl zu halten, denn es markiert den Übergang von den ontologischen Eigenschaften der Dyade zu ihren mathematischen. – Zu prior statt primus vgl. Sicherl 1959, 693 mit Verweis auf bei Mart. Cap. 7, 733 (trias) prior initium medium finem sortitur. 6,4–5 nec tamen adhuc totus est: Vgl. zu 4,1 und 7,1. – Vgl. Macrobius, Somn. 1,15,9 (linea) sola longitudine censeatur, latum habere non possit, »die Linie wird ausschließlich durch die Länge definiert und kann keine Breite haben«. – diciturque femineus: Vgl. 6,2 Iunonem uocant. Vgl. Philon, De opificio 13 (ungerade = männlich, gerade = weiblich; vgl. Staehle 22, Runia 2001, 127), Martianus Capella 7,736 (die Fünf aus der männlichen und ungeraden Drei sowie aus der weiblichen und geraden Zwei zusammengesetzt) und Macrobius, Somn. 1,6,1 (vollkommen ist, was aus der Kombination von gerader und ungerader Zahl entsteht): Nam impar numerus mas et par femina uocatur. Item arithmetici imparem patris et parem

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matris appellatione uenerantur, »Denn die ungeraden Zahlen werden männlich und die geraden weiblich genannt; entsprechend haben die Mathematiker den ungeraden Zahlen den Ehrennamen ›Vater‹ und den geraden den Ehrennamen ›Mutter‹ verliehen.« Der Geschlechtergegensatz ist ebenso wie Macrobius’ ›Vater‹ / ›Mutter‹ schon in Xenokrates’ Identifikation der Monade mit Zeus und der Dyade mit Hera angelegt, vgl. zu 5,6. – bis enim bini etc.: Zugrunde liegen letztlich die euklidischen Sätze über die Zahlenzerlegung (Elemente 7,8 f.) und die umgekehrte Operation, die Multiplikation (9, 21 und 28 f.), vgl. ausführlicher als Fav. Nikomachos, Introd. 1,19,8 und Martianus Capella 7,768–771 (dazu Grebe 1999, 458–462 und Marcellino 108 f.). Femineus iunctus alteri pari parem creat entspricht also Elem. 7, Nr. 8: Eine gerade Zahl (numerus femineus) multipliziert mit einer anderen geraden liefert ein geradzahliges Produkt und ist ›gerademal gerade‹ (ex paribus par ∼ ärijmoc Çrtiàkic ärtioc); Favs. Litotes ex imparibus non impar entspricht Nr. 9: Eine gerade Zahl multipliziert mit einer ungeraden Zahl liefert ein ebenfalls geradzahliges Produkt und ist ›ungerademal gerade‹ (∼ perissàkic ärtioc). Außer Betracht, da der Multiplikand kein numerus femineus ist, bleibt Nr. 10: Eine ungerade Zahl multipliziert mit einer ungeraden liefert ein ungerades Produkt und ist ›ungerademal ungerade‹, impar ex imparibus bei Martianus Capella, ∼ perissàkic perissÏc.

Kapitel 7 Text (1) et medium Bai., Win., Wed., Sca.; etiam medium Win., Mar., Ger.; et dimidium B. – (2) estque Sch., Edd.; est quia B. – masculinus Sch., Edd.; masculininus B. – (3) eualuit B, Edd.; coaluit Win. – (4) lachesis B1 , Edd.; lathesis B. –

7,1 primus est totus: Fav. unterscheidet den numerus totus / plenus als arithmologischen Begriff (im Text übersetzt mit »vollkommen«) vom mathematischen numerus perfectus, dem ärijmoc tËleioc Euklids (Elemente 7,22; im Text übersetzt mit »perfekt«), der gleich der Summe seiner Teiler ist (s. zu 10,1); er ist damit klarer als Calcidius Kap. 38, der unterschiedslos die Drei und die Sechs als numeri perfecti und die Sechs als plenus et perfectus bezeichnet, vgl. Bakhouche 2011, 656, Anm. 189 und 193; zur Kombination von numeri pleni und perfecti im Lebensalter Scipios s. zu 18,1–2. – Die Drei ist der erste numerus totus (oder plenus, vgl. 8,5, 9,2, und 12,1 sowie plenitudo in 8,1 und 11,2, nach Cic. Rep. 6,12 über die numeri pleni sieben und acht, deren Multiplikation die Lebensjahre des jüngeren Scipio ergibt), weil sie ein ›Mittelglied‹ hat, als s‘sthma monàdwn (vgl. zu 4,1) also aus 1+1+1 besteht, und weil sie gemäß der Lehre von den figurierten Zahlen als erste einer wirklichen Figur, dem Dreieck, entspricht, vgl. 5,4 sowie Theon p. 100, 13f., Ps.-Jamb-

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lich p. 7,17–19, Calcidius a.O., Augustin, Mus. 1,12,20, Macrobius, Somn. 1,5,4, 1,5,14, 1,6,23 (s. Robbins 1926a, Bakhouche 2006, 82–84 zu Augustin Mus. 5,12,25, Zhmud 2021, Anm. 31). Der historische Ausgangspunkt solcher Theorien ist Timaios 31b– 32b, wo die Konfiguration der Elemente durch den Demiurgen mit Hilfe des Proportionsbegriffs beschrieben wird: eine feste Verbindung ist eine mit einem Mittelglied (z.B. 2 : 4: 8), eine noch festere eine mit zweien (Platon nennt kein Bsp., zu nennen wäre etwa die Oktav-Proportion 6 : 8 : 9: 12, s. zu 24,2), vgl. auch zu 8,1. Diese Timaiosstelle erhält in der Antike sowohl eine mathematische (z.B. Calcidius Kap. 8–22) als auch eine physikalische (z.B. Macrobius 1,6,23–34, vgl. u. zu 15,7) Interpretation, vgl. Flamant 335–342; zur schwachen Begründung des Begriffs und den daraus resultierenden Problemen ibid. 316 f. (vgl. schon Schott 1612, 6 f.). 7,2 adiunctus alteri impari: Vgl. Euklid, Elemente 9, prob. 22: Die Summe einer geraden Anzahl ungerader Zahlen ist gerade, nicht aber die Summe einer ungeraden Anzahl (prob. 23); Fav. Formulierung adiunctus alteri ist also verkürzt; vollständige Darstellung dagegen bei Martianus Capella, 7,770, vgl. Grebe 199, 458 f. 7,3 mundus [. . .] ex duobus factus in tertium quod genus eualuit: Die Vereinigung von mens und materia gleich Monade (›eins‹) und Dyade (›zwei‹) ergibt die durch ›drei‹, die ›erste Pluralität‹ (sc. nach Singular und Dual, vgl. Ps.Jamblich p. 18,11–13) repräsentierte Welt. Vor dem Hintergrund von Favs. knapper monistischer Prinzipienlehre in Kap. 5 muss das ›Dritte‹ dadurch entstehen, dass die Seele der durch die Ideen geprägten Materie Bewegung und Ordnung verleiht (vgl. Dillon 2019; zu mens vgl. zu 6,3); dazu passt das in 7,4 folgende Beispiel der Zeit. Unklar bleibt, ob Fav. mit mundus . . . factus andeutet, dass er der (u.a. im Mittelplatonismus von Plutarch und Attikos vertretenen) wörtlichen Deutung des Schöpfungsberichts im Timaios 28bc zuneigt (factus ∼ gËgonen wie in Calcidius’ Übersetzung?) und nicht der übertragenen (‚pino–a s‘njeton, »nur in der Vorstellung zusammengesetzt«; so Porphyrios und die späteren Neuplatoniker; vgl. Baltes 1976, 136–207). Zum Gedanken der Synthese eines tertium quid aus zwei Substanzen vgl. z.B. Tertullian Adv. Praxean 27 una iam erit substantia Iesus ex duabus, ex carne et spiritu, . . . cum alterum altero mutatur et tertium quid efficitur, »Iesus wird eine Substanz aus zweien, Fleisch und Geist, sein, weil jede durch die jeweils andere verwandelt wird und ein Drittes daraus hervorgeht« (ähnliche Belege lt. LLT für Apuleius, Ambrosius, Augustin und Irenaeus). – Der mit dem Wirken der Seele assoziierte Gedanke der Ordnung und Schönheit ist die Basis für Favs. Etymologie (nomen accepit) von mundus; vgl. die Assoziation von mundus mit griech. kÏsmoc bei Plin. Nat. hist. 2,8,2: et Graeci nomine ornamenti appellauere eum (mundum) et nos a perfecta absolutaque elegantia mundum, »denn die Grie-

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chen verliehen der Welt den Namen ›Schmuck‹ (kÏsmoc), und wir nennen sie mundus, wegen ihrer absoluten und vollkommenen Schönheit«; vgl. auch Apuleius De mundo 22 unde kÏsmoc Graece nomen accepit. Es ist nicht mit Van Weddingen eine Verwechslung mit terra (< ter) anzunehmen, die ja nicht aus mens und materia besteht (vgl. Scarpa 52). Mit der Fünf statt mit der Drei ist der Kosmos assoziiert bei Macrobius (Somn. 1,6,18; die Fünf repräsentiert die himmlischen ›Klimazonen‹) und bei Martianus Capella (7, 735; der Kosmos besteht aus vier Elementen und der quinta essentia, dem von Platon, Timaios 58d und den Platonikern sogenannten Aithér). – 7,4 triaque tempora: Hintergrund dieser knappen Andeutung ist die Unterscheidung zwischen der Ewigkeit der intellegiblen und der Zeitlichkeit der sensiblen Welt in Timaios 37d 6 ff.: Gott hat den Kosmos zu einem Abbild der Ewigkeit gemacht, aber unter Wahrung des ontologischen Gradunterschieds, der eben in der Zeit zum Ausdruck kommt: »Die Zeit ist ein der Zahl gemäß voranschreitendes ewiges Abbild der in der Einheit verharrenden Ewigkeit«. Dieser Unterschied wird im Neuplatonismus in das Begriffspaar ›Ewigkeit : unbegrenzte Dauer‹ gefasst, vgl. Proklos, Elementatio theologica prop. 55; Boethius, Cons. 5 pr. 6 deum aeternum, mundum uero dicamus esse perpetuum, »wir werden Gott ewig, die Welt aber dauernd nennen« (vgl. Gruber 2006, 399); Fav. kannte es möglicherweise aus Calcidius Kap. 25 (der mundus intellegibilis als Urbild, exemplum, existiert in der Ewigkeit, per aeuum, der mundus sensibilis in der Zeitlichkeit (per tempora; vgl. Bakhouche 2011, 642 f.); dort auch zur Dreiteilung der Zeit (temporis [. . .] species praeteritum praesens futurum, »die Zeit hat die Segmente Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«, ähnlich Anatolius bei Ps.-Jamblich p. 17,10. Den Zusammenhang zwischen der Segmentierung der Zeitachse und den beschränkten Möglichkeiten menschlicher Zeiterfahrung reflektiert Boethius, Cons. 5, pr. 6 Quicquid uiuit in tempore, id praesens a praeteritis in futura procedit nihilque est in tempore constitutum, quod totum uitae suae spatium pariter possit amplecti, sed crastinum quidem nondum apprehendit, hesternum uero iam perdidit, »Alles was in der Zeit lebt, geht durch die Gegenwart von der Vergangenheit in die Zukunft, und es existiert nichts in der Zeit, das die ganze Spanne seiner Existenz auf einmal überblicken könnte; vom Morgen weiß es noch nichts, das Gestern hat es bereits verloren«. – fatalis necessitas: Die Bezeichnung der Parzen als die tria Fata (so z.B. Apuleius, De mundo 38, vgl. Marcellino z. St.) bzw. fatalis necessitas geht letztlich auf die (zutreffende, vgl. De Melo 2019, 429) Etymologie Varros zurück (De lingua Latina 6,52 ab hoc (sc. fari), tempora quod tum pueris constituant Parcae fando, dictum fatum et res fatales, »Von diesem Wort her bestimmen die Parzen die Lebensspanne der Kinder durch ihren Spruch (fando), und daher haben auch das Geschick (fatum) und die Ver-

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hängnisse des Geschicks (fatales res) ihren Namen«), woher sie auch Fav. bezogen haben dürfte. Zu den Parzen als Beleg für die Relevanz der Drei vgl. Ausonius, Griphus 19 (vgl. Marcellino zu 7,4) sowie Ps.-Jamblich p. 19,5–7, nach Nikomachos’ Theologoumena. Die Reihenfolge der Namen folgt der auf Hesiods Theogonie 218 zurückgehenden Tradition, wogegen sie in der Mythenallegorese entsprechend ihrer kosmischen Funktion in der ›vertikalen‹ Anordnung Atropos–Klotho–Lachesis auftreten, so bei Calcidius Kap. 144, vgl. Bakhouche 2011, 747. – tria uocum discrimina: Fav. verwendet die traditionelle, aus dem Griechischen übernommene und von der klass. Zeit bis in die Spätantike verwendete Terminologie (vgl. z.B. Cicero, Orat. 57 tribus sonis, inflexo, acuto, graui; Martianus Capella 3,269 omnis uox Latina [. . .] habet unum sonum aut acutum aut circumflexum [. . .] graues uero saepe, »Jedes lateinische Wort hat genau einen Akut oder Zirkumflex, aber oft mehrere Graves«), die den »verfehlten Bemühungen, den Gegensatz von griechischem Akut und Zirkumflex im Latein wiederzufinden,« entsprangen (LHS Bd. 1, 244; zum Druckazent des Lateinischen vgl. Meiser 1998, 53, Baldi 2002, 268, Weiss 2009, 110; zu Relativierungen wie kürzlich wieder bei Adamik 2013 vgl. Sihler 241). Dementsprechend wird bei spätantiken Grammatikern acutus definiert als akzentuierte kurze, inflexus oder circumflexus als akzentuierte lange, und grauis als unakzentuierte Silbe, so bei Favs. Landsmann und ungefährem Zeitgenossen Pompeius (5, 126,8 Keil; weiteres Material bei Mancini 32–33, s.u.), Unterscheidungen, denen durch den sog. Quantitätenkollaps mit seiner intrinsischen Verknüpfung von Akzent und Länge (unabhängig von der Silbenstruktur) die Grundlage entzogen wird (vgl. Clackson & Horrocks 272–274; Mancini 2019, mit Forschungsüberblick und Interpretation der wichtigsten metasprachlichen Zeugnisse); der Quantitätenkollaps wird bei Favs. Lehrer Augustin konstatiert (Doctr. Christ. 4,10 Afrae aures de correptione uocalium uel productione non iudicant, »Afrikanische Ohren haben kein Urteilsvermögen hinsichtlich Kürze und Länge von Vokalen«; vgl. auch Mus. 3,3,5) und von Grammatikern des 5. Jh. theoretisch reflektiert (vgl. Poli 421, Mancini 31–39). Bei Fav. manifestiert er sich im Zulassen von rhythmischen Klauseln (vgl. Sicherl 699–702; zum sprachhistorischen Hintergrund Pennacini 397– 401, zu methodischen Problemen der Analyse Waarden & Kelly) und darin, dass er Vergil metrisch falsch zitiert (vgl. zu 15,7). – tria genera litterarum: wie bei Fav. sind sie gleichgeordnet bei Augustin (De ordine 2,12) und Martianus Capella 3,233– 257; bei den Grammatikern findet sich daneben eine Zweigliederung in uocales und consonantes, welche wiederum in semiuocales und mutae unterteilt werden, so bei Diomedes (2 p. 18 K.), Charisius (3,4f.) und Marius Victorinus Ars grammatica 3,6–8 Litterarum aliae sunt uocales, aliae consonantes. consonantium . . . sunt . . . aliae semiuocales, aliae mutae, »die Laute unterteilen sich in Vokale und Konsonanten, und von den Konsonanten sind die eine Art die Halbvokale, die andere die Mit-

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laute«. Die ›Halbvokale‹ entsprechen nicht dem modernen Verständnis, sondern den konsonantischen Dauerlauten (Spiranten, Nasale, Liquida) zuzüglich dem x (Mar. Vict. a.O. 8 Sunt autem numero septem, F L M N R S X; vgl. Martianus Capella 3,240–245). Zu den beiden ersten Autoren s. P.-L. Schmidt §§ 523,2, 524; zu den hier berührten Gebieten der Geschichte der römischen Grammatik vgl. LHS Bd. 2, 4*–9*, Poli 399–421. – tribus lineis [. . .] continetur: Zum Dreieck als erstem vollständigen Körper und seiner Rolle bei den ›figurierten Zahlen‹ S. 72 sowie zu 3,1 und 4,1. Zur den drei Dimensionen vgl. ausführlicher zum Kubus in 15,1–6. Zu interuallum für geometrische Dimension vgl. zu 15,2.

Kapitel 8 Text (2) 〈primus〉 Bai., Wed., Sca.; 〈primus quadratus〉 Win. (vgl. Sic. 1959, 676, 699), Mar., Ger. – metam B, metam 〈intra secundi uersus limitem〉 Sic. 1959, 688, Sca. – (3) 〈ducti〉 per se Sic. 1959, 688; per se 〈ducti〉 Mar., Ger. – efficiant Win. (vgl. Sic. 1959, 675), Sca., Mar., Ger.; efficiunt B, Wed. – dec〈im〉us ad uicesimum Sch., Edd. (uigesimum Ger.); decus ad inges B. – ac si B, at si Wed. – diuersa sit B, Sca., Mar., Ger.; diuersa fit Win., Wed. – ac si〈c〉 Sch., Edd. – finis B, Edd.; 〈primi〉 finis Wed. – (4) is Sch., Edd.; his B. – numero Sch., Edd.; numeri B. – (5) Cancro Sch., Edd.; crancro B. – 〈in〉 Libra Wed., Sca., Mar., Ger. – ac plenis B, Hol., Sca., Ger.; [ac] plenis Wed. (vgl. Sic. 1959, 674), Mar. –

8,1 duo media: Zu den ›Mittelgliedern‹ vgl. o. zu 7,1. Wie dort legt Favonius den Fokus auf die mathematische und nicht die physikalische Interpretation des plenitudo-Begriffs. Explizit begründet Augustin die Vollkommenheit der Vier (totus numerus par) damit, dass sie die erste geometrische Proportion (1 : 2 = 2 : 4) beinhaltet (De musica 1,12,21–23, vgl. Bakhouche 2006, 81 f.). 8,2 quadratum: Die Formulierung ductus in se ist nachlässig, denn vier ist ja Produkt (der cumulus) und nicht Faktor (vgl. Van Weddingen z. St.), aber der nächste Satz zeigt, dass Fav. das Richtige meint. Cumulus meint das Resultat sowohl von Multiplikation als auch von Addition, zu letzterem vgl. 18,4 und ebenso Boethius Instit. arithm. 1,19 (die Zwölf ist eine ›überperfekte Zahl‹ superfluus numerus, da die Summe ihrer Teiler, der cumulus, mehr als zwölf, nämlich 16 ergibt; vgl. zu 10,4– 7). Zu decimi metam s. zu 8,3. 8,3 uersus: Zur Bezeichnung der Zahlenreihe als uersus (gr. st–qoc) vgl. Martianus Capella 7,745; Varro verwendet neben uersus (De lingua Latina 10,43) auch actus (9,86). Zur aus der pythagoreischen Tetraktys abgeleiteten Dekadengrenze vgl. zu 4,1, ebenso 13,5. Dagegen rechnet Fav. in 10,7, 19,7 und 23,7 die Zehn zur zweiten Zahlenreihe (der ›Zehnerreihe‹) und nimmt die Neun als Grenze der elementaren Zahlenreihe (vgl. zu 10,7); die Formulierung crescendi finis et initium

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secundi uersus ist augenscheinlich ein Versuch, diesen Widerspruch zu überspielen. – ratio [. . .] perseuerat: Zur Proportionenlehre vgl. ausführlicher Kap. 26: in einer geometrischen Proportion bleibt die Relation (der Quotient) zwischen zwei Termen bei Änderungen der numerischen Werte stabil; die logoi 2:1 und 20:10 sind also identisch, aber die Differenz, die Õperoq†, ist 1 bzw. 10. Vgl. auch zu 23,2–7 s.v. longius diducuntur. 8,4 in quadernario numero [. . .] colligitur: Fav. nennt die Ableitungsbasis für die Dekade, die Tetraktys der Pythagoreer (1 +2+3+4) nicht – eine Parallele zu Philons Behandlung der Vier (De opific. 47, vgl. Runia 2001, 191 f.), die wie die anderen von Grilli 1979 zusammengestellten Parallelen mit Philon ein Indiz für, durch Varro vermittelte, letztendliche Abhängigkeit von Antiochos sein könnte; s. zu 12,1, 12,6, 12,7, 14,3, 18,3–4. Das Verhältnis von Monade, Tetraktys und Dekade im Neupythagoreismus ist derart, dass die Monade Prinzip der intellegiblen, die Tetraktys aber Prinzip der sensiblen Welt ist, da ja die ersten vier Zahlen Punkt, Linie, Oberfläche und Körper entsprechen. Da schließlich die aus der Tetraktys resultierende Zehn der Zahl der aristotelischen Kategorien entspricht, welche die sensible Welt beschreiben (Huffman 2019, Kap. 4.3), ist die Tetraktys potentielles (dunàmei), die Dekade dagegen aktuelles (‚nteleqe–¯) Prinzip aller Dinge der sensiblen Welt, so etwa bei Philon, De opificio mundi 47 (vgl. Staehle 27, Runia 2001, 191 f.). – Das Wort tetrakt‘c findet sich zuerst im sog. Eid der Pythagoreer, einer in ›Kunstdorisch‹ formulierten, erst neupythagoreischen Formel; bei Ps.-Jamblich p. 22,21 f. wird sie dem Empedokles in den Mund gelegt; Theon v. Smyrna 94,6 bietet den griech. Wortlaut: oŒ mÄ t‰n ÅmetËr¯ yuqî paradÏnta tetrakt‘n, Macrobius, Somn. 1,6,41 dazu die lat. Übersetzung: per qui nostrae animae numerum dedit ipse quaternum, »Bei dem, der unserer Seele die Tetraktys gegeben hat«; zur Interpretation Zhmud 2016, 341 f.; 2019a, 39f. 8,5 solis curriculis dimensa: Die Unterteilung des Zodiakus durch die Äquinoktial- und Sonnwendpunkte in vier gleiche Segmente, die von der Sonne in jeweils gleicher Zeit durchzogen werden, entspricht der astrologischen Tradition. Dagegen wird in den astronomischen Einführungsschriften wie der Isagoge des Poseidoniosschülers (und mutmaßlichen Konstrukteurs des Mechanismus von Antikythera) Geminos (1,18; 31–41) auf die unterschiedlichen Durchlaufzeiten der Sonne durch diese Segmente hingewiesen sowie auf die daraus sich ergebende Konsequenz, dass die Sonne keine mit dem Zodiakus konzentrische, sondern eine exzentrische Bahn ziehe; ebenso mit ausführlicher Diskussion Martianus Capella 8,849 (vgl. Grebe 1999, 557f.). – primis ac plenis: Die Tilgung von ac ist nicht nötig, es handelt sich um Variatio wie unum ac singulare in 5,7 bzw. unum solumque gegenüber unum solum in 5,2. – solis moderatione: Zur Sonne als Führerin und

Kapitel 9

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Lenkerin der Welt vgl. Cicero, De natura deorum 2,29, Plinius Naturalis historia 2,12, Calcidius Kap. 72 und Macrobius, Somn. 1,20,3–7 (die Sonne als mens mundi) und Sat. 1,18,5 (dazu Gersh 555–557), in Rezeption der stoischen, auf Kleanthes (SVF I fr. 502 Arnim) zurückgehenden Auffassung von der Sonne als ôgemonikÏn, ›führendem Prinzip‹, der Welt (vgl. Richter 1993, 54); vgl. Cicero, Lucullus 126 Zenoni et reliquis fere Stoicis aether uidetur summus deus [. . .]; Cleanthes [. . .] Zenonis auditor, solem dominari et rerum potiri putat, »Zenon und fast alle übrigen Stoiker sahen noch den Äther als höchsten Gott an, Kleanthes, sein Schüler, meint dagegen, dass die Sonne Herrin sei und alles beherrsche«; vgl. Theon p. 138, 16–18 (s. Armisen-Marchetti 2001, Anm. 435; zur korrespondierenden Zentralstellung der Sonne im ›chaldäischen‹ Planetensystem s. zu 9,1; zum weiteren philosophiegeschichtlichen Hintergrund der ›Solartheologie‹ s. Burkert 1962, 299f., Gersh 1986, 555–557). – Zur sonstigen Kooperation der Drei und der Vier bei der Bildung der Körper sowie der Strukturierung der Seele (drei Seelenteile) und ihrer (vier) kognitiven Fähigkeiten (nach neupythagoreischer Auffassung no‹c, ‚pst†mh, dÏxa, a“sjhsic, Erkennen, Verstehen, Meinen, Wahrnehmen) s. Theon p. 98 f. (vgl. Petrucci 416 f.) und Macrobius, Somn. 1,6,40–42.

Kapitel 9 Text (1) posuerunt Sch., Edd.; po fuerunt B. – secuere B, Edd.; secuere 〈. . .〉 Ger. – quatuor B, Edd.; 〈et〉 quatuor Ger. – 〈et humilitas〉 Win., Edd. – lunaris globi Sic. 1959, 695; Mar.; lunari globo B, Hol., Wed., Sca., Ger. – ima Win., Edd.; una B. – umbram Sch., Edd.; umbra B. – quae B, Sca., Mar., Ger.; quod Wed. – aquilone Sch., Edd.; aquilolem B. – (2) quid Win., quod B. – (3) numero B, Sca., Mar.; numero 〈contineri〉 Sch., Hol.; numero 〈limitari〉 Sic. 1959, 701 (vgl. 15,4), numero manifestum esse Wed., numero 〈esse〉 manifestum Ger. – claudentes B, Edd.; diuidentes Winterfeld. –

9,1 quinque autem caeli planetas: Fünf Planeten, da Sonne und Mond als Luminare (lumina) von den fünf ›echten‹ Planeten unterschieden werden, vgl. etwa Ptolemaios, Tetrabiblos Buch 1 (s. Hübner 2018, 501 f.), Ps.-Jamblich p. 31,8 f., Calcidius Kap. 69 (sol et luna et ceteri quinque, id est planetes, »Sonne, Mond und die übrigen fünf, d.h. die Planeten«), Macrobius, Somn. 1,3,13 und Martianus Capella 8,854. Im hier zugrundeliegenden ›ägyptischen‹ (platonischen) Modell der Planetenfolge bilden die ›echten‹ Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn) auch eine Gruppe über der Sonne; keine topologische Unterscheidung gibt es dagegen im jüngeren ›chaldäischen‹ System, da hier die Sonne die Mittelstellung (als ôgemonikÏn, vgl. zu 8,5) einnimmt zwischen den axialsymmetrisch um sie gruppierten weiblichen bzw. androgynen Planeten Mond, Venus und Merkur einerseits und den männlichen Planeten Mars, Jupiter und Saturn andererseits (aus-

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führliche Diskussion bei Macrobius, Somn. 1,19,1–13; vgl. Bakhouche 1996, 165– 186). Während Fav. im arithmologischen Teil Kap. 2–19 mit dem ägyptischen Modell arbeitet (vgl. 12,2 und 17,3), verwendet er im Abschnitt zur Sphärenharmonie Kap. 21–17 das chaldäische (vgl. zu 25,1). – circulum [. . .] punctum [. . .] absides: punctus für ›Kreismittelpunkt‹ stammt aus der Tradition der Gromatiker, während sich sonst seit Cicero Tusc. 1,40 centron bzw. centrum durchgesetzt hat (über 70 Belege bei Vitruv), vgl. Guillaumin 53f. und 234f. Apsis im geometrischen Sinne bezeichnet ein Bogensegment, das kleiner als der Halbkreis ist (Heron v. Alexandria, Def. Nr. 30, vgl. Guillaumin 42). Aber mit den Kreisdefinitionen im Sinne Euklids (3,1–11) haben Favs. Ausführungen nichts zu tun, denn er beschreibt die fünf ›Teile‹ des Kreises nicht in geometrischen, sondern in astronomischen Kategorien anhand der Mondbahn, obwohl die gerade keinen idealtypischen Kreis beschreibt. Absides im astronomischen Sinne bezeichnen die beiden Scheitel einer exzentrischen oder epizyklischen (s.u.) Umlaufbahn, so bei Plin. Nat. hist. 2,63, der den Punkt der weitesten Entfernung eines Planeten von der Erde apsis altissima nennt, ebenso Martianus Capella, 8,884 (vgl. Grebe 602–604). Altitudo ist das Apogäum, der erdfernste Punkt einer Planetenbahn (vgl. Martianus Capella 8, 844 eius [= Martis] altitudo, id est, ubi se eius circulus a terra altius tollit, »[. . .] wo sich seine Bahn am höchsten über die Erde erhebt«), humilitas ist das Perigeum, der erdnächste Punkt einer Planetenbahn (vgl. Cic. Tusc. 5,69). Angesichts dieser Terminologie sieht Scarpa z. St. hier einen Anwendungsfall der Epizyklentheorie vorliegen, die (neben oder in Kombination mit der ›Exzentertheorie‹ Hipparchs) der Erklärung der Irregularitäten der Planetenbahnen diente, und der zufolge die Planeten nicht direkt auf einer Kreisbahn um die Erde, sondern auf einem Epizyklus dieser Kreisbahn ziehen (vgl. die Diskusion bei Theon p. 153,17–154,16 und Calcidius Kap. 78–83; vgl. Balss 245–249; Bakhouche 1996, 257–262 sowie 2011, 688–692; zum Spezialfall der ›semiheliozentrischen‹ Theorie (angeblich) des Herakleides Pontikos, bei der Venus und Merkur nicht um die Erde, sondern auf einem Epizyklus der Sonnenbahn ziehen, vgl. Flamant 429 und Keyser 2017), wobei hier sogar ein primärer und ein sekundärer Epizyklus anzusetzen sei; dabei bezeichne altitudo das Apogäum des primären Epizyklus, altitudo altitudinis das Apogäum des sekundären Epizyklus, humilitas das Perigäum des primären Epizyklus und humilitas humilitatis das Perigäum des sekundären Epizyklus. Aber die Parallelen bei Martianus Capella, 8, 867–869 machen es wahrscheinlicher, dass die Begriffe die Abweichung der Mondbahn von der Ekliptikebene bezeichnen (vgl. Grebe 578–580). Der Mond pendelt ihm (und den »Alten«, Theon 135,15) zufolge zwischen den Grenzen des 12 Grad breiten (s. 8,834) Zodiakus und schneidet dabei die zentrale Ekliptik an dem sog. auf- bzw. absteigenden Mondknoten in unterschiedlichen Winkeln, weshalb seine Bahn als »schleifenartig«, helicoides,

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bezeichnet wird (8,868), was diuersis amfractibus bei Fav. 9,1 entspricht. Sein Aufstieg zur größten nördlichen Breite (nach Martian also sechs Grad über der Ekliptik) heißt ’yoc ÕyoumËnh (∼ altitudo altitudinis), die Rückkehr von dort zum Mondknoten ’yoc tapeinoumËnh (∼ altitudo), der Abstieg zur größten südlichen Breite (sechs Grad unter der Ekliptik) tape–nwma tapeinoumËnh (∼ humilitas humilitatis) und die Rückkehr zum Knoten tape–nwma ÕyoumËnh (∼ humilitas): Mart. cap. 8, 869 Luna cum secans solarem lineam in aquilonem scandit, uocatur ’yoc ÕyoumËnh, cum ab aquilone ad solarem lineam redit, dicitur ’yoc tapeinoumËnh, cum a solari in austrum descendit, tape–nwma tapeinoumËnh, cum deinde rediens ad Solem resurgit, tape–nwma ÕyoumËnh, »Wenn der Mond nach Norden aufsteigt und dabei die Ekliptik schneidet, spricht man vom Mond in Hyperaszendenz, wenn er von Norden zur Ekliptik zurückkehrt, von ihm in Hyperdeszendenz; steigt er von der Ekliptik nach Süden ab, von Hypodeszendenz, kehrt er wieder zur Ekliptik zurück, von Hypoaszendenz«. Die absides bezeichnen demnach die vier Segmente der Planetenbahnen zwischen den Ekliptikschnittpunkten und dem Höchst- bzw. Tiefststand eines Planeten. – in umbram terrae: Favs. ›Erklärung‹ der Mondfinsternis bleibt weit hinter dem zeitgenössischen Standard zurück. So sagt Macrobius, Somn. 1,15,10f. necesse est euenire defectum, solis, si ei tunc luna succedat, lunae, si tunc aduersa sit soli, »notwendigerweise tritt eine Finsternis ein, und zwar eine der Sonne, wenn der Mond unter ihr steht, und eine des Mondes, wenn er der Sonne diametral gegenüber steht«, d.h. bei Konjunktion oder Opposition des Monds mit der Sonne. Zusätzlich muss die von Macrobius nicht genannte Bedingung erfüllt sein, dass der Mond sich nahe an einem der beiden Schnittpunkte seiner Bahn mit der Ekliptik, den ›Mondknoten‹, befinden muss, sonst ist wegen der o.g. Neigung seiner Bahn gegen die Ekliptikebene eine vollkommene Opposition von Sonne und Mond und das volle Eintreten des Mondes in den Erdschatten nicht möglich, und er »entkommt seiner Verfinsterung« (quam (eclipsim) uidetur euadere, vgl. Calcidius Kap. 91 euasa terrena umbra nullam patitur obscurationem, »er entkommt dem Erdschatten und erleidet keine Verfinsternung«); die Bedingung findet sich genannt bei Theon v. Smyrna p. 194, 3f. und 197 (vgl. Petrucchi 503–505; ob Calcidius generell unmittelbar von Theon oder von Adrast abhängt, ist ungeklärt und für Favonius unerheblich; für ersteres Bakhouche 2011, 36 f., für letzteres u.a. Hiller, Rhein. Museum 26, 1871, 582–589, Waszink 2 1975 sowie Dorfbauer (briefl.)); vgl. Flamant 390f. – quibus aer praeest: Das ist ein entferntes Echo eines Satzes aus Ptolemaios’ Hypothesen zu den Planeten I. B. 3, dass die Bahnen von Merkur und Mond in einem höheren Maße irregulär sind als die der anderen Planeten, weil sie, wiewohl im Äther befindlich, doch nahe (bzw. an der Grenze) der Zone des turbulenten Elements Luft sind (zu letzterem vgl. Macr. Somn. 1,19,8–10; vgl. Hamm 48; 75;

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Baltzly 2013, 23f. und u. S. 134f.). Er ist Fav. möglicherweise durch Marius Victorinus’ (In. Eph. 2,1–2) Exegese der Winde des Aeolus in Vergil, Aen. 1,58 vermittelt, wo die Luft als das (im Sinne des Anaximenes) erste und am meisten ›materielle‹ und chaotischste Element bezeichnet wird (vgl. Hadot 1971, 218–223). 9,2–3 constat hic ex pleno et non pleno: S. zu 4,1 und 7,1; auffallend angesichts Favs. arithmologischem Interesse ist, dass er nicht wie etwa Ps.-Jamblich p. 31,12– 16 erwähnt, dass die Fünf arithmetisches Mittel (vgl. zu 16,4–5) aller Zahlen in der Dekade ist, die zu 10 addiert werden können (1 +9, 2 +8, 3+7, 4+6). – sensus corporis: Vgl. Ps.-Jamblich p. 34,3–5, Martianus Capella 7,735. Das ist neben quinque classes in 9,4 Favs. einzige Referenz auf die extramathematische Relevanz der Fünf, die bei anderen Autoren u.a. noch betrifft: die fünf Elemente, also die vier klassischen und den Äther, die quinta essentia (Ps.-Jamblich p. 32, 17f., Martianus Capella 7,735), die fünf Klimazonen am Himmel und auf der Erde (Ps.Jamblich p. 32,20–33,7, Martianus Capella 7,735), die Sonne und damit Apollon (vgl. Plutarch, Über das E in Delphi, die ausführlichste arithmologische Darstellung der Fünf, 386a–b: das griech. Zahlzeichen für fünf, das e, ist der zweite Vokal und die Sonne im ›ägyptischen‹ System der zweite Planet; Übersicht bei Kalvesmaki 2013, 10–13), die fünf Klassen von Lebewesen in der Welt, Götter, Dämonen, Heroen, Menschen, Tiere (Plutarch a.O. 390c–f) sowie die fünf inneren Organe (Ps.-Jamblich p. 34,7f.). Die Fünf konkurriert außerdem mit der Drei (vgl. 6,2) und der Sechs als ›Hochzeitszahl‹ (fünf als Resultat der Addition, sechs als das der Multiplikation von gerader Zwei und ungerader Drei; Stellenverzeichnis bei Zhmud 2021, 23). Abseits von diesem arithmologischen Mainstream redet Macrobius Somn. 1,20 im neuplatonischen Sinne von der Fünf als der Repräsentantin der gesamten Welt, nämlich (1–3) der drei neuplatonischen Hypostasen (das Eine, der Intellekt, die Seele), (4) der Planeten und schließlich (5) der Erde. – Angesichts der Vorliebe des Fav. für breuitas kann das überlieferte sub hoc numero (sc. esse) manifestum est gehalten werden. 9,4 in quinque classes: Diese Einteilung der Comitia centuriata kannte Fav. entweder aus De re publica selbst (2,39) oder aus der Kommentarliteratur, vgl. z.B. Servius, Aen. 7,716 et partes populi classes uocamus, quae quinque fuerunt, »die Untergliederung des Populus nennen wir classes, von denen es fünf gab«. – Zu claudentes s. ThLL s.v. C.2 »distribuentes, comprehendentes«.

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Kapitel 10 Text (1) senarius Sch., Edd.; serarius B. – tËleioc Sch., Edd.; telios B. – esse Ore., Edd.; etiam B, Sca.. – arithmetici Sch., Edd.; arithmatici B. – se implet B1 , implet B. – (2) calculatores Sch., Edd.; calculatorem B. – senarium numerum B, Edd.; 〈se〉 senarius numerus Wed. – (4) dimidiam Sch., Edd.; dimiduam B. – monadem Sch., Edd.; monadam B. – accedens Bai., Edd.; accidens B. – colligere B, Edd. (vgl. Sic. 1959, 684); colligi Wed. – ex imparibus constans B; ex [im]paribus 〈suis ex partibus〉 constare Sic. 1959, 691; Mar.; ex [im]paribus 〈suis partibus〉 constans Win., Wed.; 〈ex suis partibus〉 constans Sca.; in paribus, 〈in partibus suis〉 constans Ger. – (5) accedente B1 (vgl. Sic. 1959, 679), accidente B. – qui supra sunt B, Edd.; qui supra 〈dicti〉 sunt Ger. – (6) accedente B, Edd.; accedens Wed. – id est uno Sic. 1959, 679, Sca., Mar., Ger.; id est unum Wed.; id est I B. – (7) duodecim B1 , Edd.; dodecim B. – rursus Sch., Edd.; russus B, Hol. – reliquias B, Edd.; reliquas Win. – [a]ut Win., Edd. – rationis B1 , Edd.; ratiotio B. – siquidem sex dimidiam [. . .] tertiam [. . .] quartam [. . .] sextam [. . .] faciunt B; siquidem sex dimidia [. . .] tertia [. . .] quarta [. . .] sexta [. . .] duodecima faciant Sca. (faciunt Mar.); dimidia [. . .] duodecima 〈unus〉 Bai., Van Weddingen; sextam duo 〈habet; accedet〉 et ipsa duodecima Win.; sextam duo 〈habet〉 et 〈accedente〉 Ger. – 10,1–2 tËleioc primus: Die Sechs ist ›perfekt‹, weil sie gleich der Summe ihrer

Teiler (außer ihrer selbst) ist. Diesem numerus perfectus der arithmetischen Tradition steht die Zehn als perfekte Zahl der arithmologischen bzw. ontologischen Tradition gegenüber (Zhmud 2019a, 32–25; 2021, 8 f., 10; Guillaumin 212–214); der numerus perfectus ist nicht zu verwechseln mit dem numerus plenus bzw. totus, vgl. zu 7,1. Wegen der Perfektheit der Sechs teilte Porphyrios nach eigenem Bekunden die Werke Plotins in sechs Enneaden ein (Vita Plotini 24, vgl. Bousquet 466); die Zahl von sechs biblischen Schöpfungstagen wird bei Philon (De opificio 13–14) ebenfalls mit der Perfektheit der Sechs erklärt, speziell damit, dass die Sechs die erste Zahl ist, die aus der Multiplikation einer weiblichen und einer männlichen Zahl hervorgeht und damit die von Gott der Natur verliehene Fruchtbarkeit widerspiegelt (vgl. Staehle 33; Runia 2001, 126 f., Kalvesmaki 2013, 8–10); die Sechszahl der Schöpfungstage veranlasste auch die arithmologischen Erwägungen in Augustins De genesi ad litteram (4,2–6, 13–14, vgl. Limone 2019). Das Konzept der perfekten Zahl selbst geht auf Euklids Elemente 7,22 u. 9,36 zurück; die wichtigsten Belege sind Theon p. 45, 9–13, Nikomachos, Introd. 1,16 (beide mit Beschreibung des Berechnungswegs, vgl. u.), Ps.-Jamblich p. 44,16 f., Philon, De decalogo 29, Calcidius Kap. 38, Censorinus, De die natali 11,4, Augustin (s.o.), Augustin Ciu. 11,30, Macrobius, Somn. 1,6,12, Martianus Capella 7, 753 und Boethius Inst. Arith. 1,19f.; vgl. Robbins 1921, 104; Flamant 316–317, Armisen-Marchetti 2001, Anm. 106, Petrucci 344. Da Arithmetik Schulfach war, ist der Nachweis individueller Abhängigkeiten schwierig (vgl. Bakhouche 2011, 48 f.; 650, Anm. 168; Petrucci 2012, 424f.); das gilt auch für Limones (S. 75) Versuch, eine besonders enge Beziehung zwi-

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schen Favonius und Augustin zu erweisen. – partes: Favs. Definition übergeht, dass die Teiler Faktoren der Summe sein müssen; vgl. dagegen Augustin Civ. 11,30 partes [. . .] illae intelligendae sunt, quae quotae sint, dici potest, »Unter Teilern versteht man diejenigen Zahlen, von denen man sagen kann, wie oft sie (in einer bestimmten größeren Zahl) enthalten sind« (vgl. Sicherl 1959, 707, Limone 84). – in aliis [. . .] numeris non repperies: Nach Nikomachos, Introd. 1,16 müssen perfekte Zahlen gerade sein und auf 6 oder 8 enden; es gibt in jeder Serie eine einzige perfekte Zahl, nämlich 6, 28, 496 und 8128 (vgl. Karpinsky 52, Bousquet 467–471). Nach Nikomachos a.O. und Theon p. 45,10–46,4 werden sie berechnet, indem (1) ausgehend von der Eins die Zahlen verdoppelt werden (1, 2, 4, 8, 16 usw.), bis (2) deren Addition eine – ungerade – Primzahl ergibt (1 +2 = 3, 1 +2 +4 = 7, 1 +2 + 4+8 +16 = 31, usw.), welche dann (3) mit der letzten – geraden – Zahl der Reihe nach (1) multipliziert wird (3 × 2 = 6, 7 × 4 = 28, 31 × 16 = 496), vgl. Petrucci 344. 10,3–6 ceteri pares: Verglichen werden nur die geraden Zahlen, weil die perfekten Zahlen ja ›ungerademal gerade‹ (s. zu 6,4–5) sind, vgl. o. zu 10,1–2 a.E. Neben den ›perfekten‹ Zahlen stehen die ›imperfekten‹ und die ›überperfekten‹, also die, deren Teilersumme entweder den Wert des Dividenden nicht erreicht oder übersteigt (aut non se complent aut etiam transeunt), vgl. Boethius, Inst. arith. 1,19– 20, durch den diese Lehre ins Mittelalter vermittelt wurde. – Fav. führt die Unterschiede in 10,4–7 an allen geraden Zahlen vor. So hat etwa vier die Teiler 1 + 2 = 3 und ist damit imperfekt (bei Boethius: imperfectus / deminutus / indigens; er nennt als Beispiele acht und vierzehn), die erste ›überperfekte‹ Zahl (bei Boethius plus quam perfectus / superfluus / abundans) taucht erst mit der Zwölf auf (1 + 2 + 3 + 4 + 6 = 16), die daher, obwohl nicht mehr zur ersten Zahlenreihe gehörig, in die Beispielsreihe einbezogen wird (wie bei Augustin, De genesi ad litteram 4,3– 4). Keine Rolle bei Fav. spielen Nikomachos‹ (Introd. 1,16,3; 1,23,4f.) mit den drei Zahlgruppen verknüpfte ethische Erwägungen, die auch Boethius a.O. 1,19 rezipiert: die perfekten sind mit der Tugend und der Goldenen Mitte assoziiert und daher wenige, die imperfekten und abundanten mit dem Laster der intemperantia und daher viele, vgl. Karpinsky 52 f., Bousquet 467–471. – ex imparibus constans: Impar ist hier gleich dispar (vgl. 26,2 interuallis imparibus nach Cic. Rep. 6,18): Die Sechs hat im Gegensatz zu zwei, vier und acht Teiler der unterschiedlichen Gattungen gerade und ungerade (nämlich 2 und 3); denn eine perfekte Zahl ist ja Produkt aus einer – ungeraden – Primzahl und einer geraden Zahl (vgl. zu 10,2), was sie von den anderen geraden Zahlen zwei, vier und acht unterscheidet. Der überlieferte Text scheint somit in Ordnung und starke Texteingriffe wie Sicherls ex [im]paribus, 〈suis ex partibus constare〉 oder Gerzaguets in paribus, 〈in partibus suis〉 (mit Tilgung des ex) sowie alle anderen (vgl. den Apparat) entbehrlich.

Kapitel 12

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10,7 in secundo decas obtinet fundamentum: Fav. rechnet also im Gegensatz zu 8,3, 13,5 und 23,7 jedoch im Einklang mit 19,7, die Zehn zur zweiten Zahlenreihe und lässt die erste mit der Neun enden, wie etwa Martianus Capella 7,745 primus igitur uersus est a monade usque ad enneadem, secundus a decade usque ad nonaginta, »Die erste Zahlenreihe reicht also von eins bis neun, die zweite von zehn bis neunzig«. Diese Grenze geht ebenso wie die Bildung von rekursiven Zahlenreihen zur Darstellung größerer Zahlen auf das seit dem 4. Jh. v. Chr. gebräuchliche milesische Zahlensystem zurück, welches das Alphabet in drei Gruppen zu je neun Zeichen einteilte (mit Ergänzung der fehlenden drei Zeichen durch die drei semitischen Zeichen Stigma = 6, Koppa = 90, Sampi = 900), welche die Einer, Zehner und Hunderter darstellten und so zunächst die Darstellung von Zahlen bis 999 durch maximal drei Buchstaben ermöglichte; spätere Expansionen erlaubten die Darstellung von Werten bis 999.999 (vgl. M. Folkerts, DNP s.v. Zahl III B.1). Das Prinzip ist formuliert bei Varro, De lingua Latina 9,86, woher es Favonius letztlich haben wird: omnibus (numeris) est una regula [. . .]; regula est numerus nouenarius, quod, ab uno ad nouem cum peruenimus, rursus redimus ad unum et VIIII, »alle Zahlreihen unterliegen einer einzigen Regel, und das ist die (Begrenzung durch) neun. Denn, wenn wir (beim Zählen) von der Eins zur Neun gelangt sind, kehren wir wieder zur Reihe von eins bis neun zurück«; vgl. 10,43: in primo uersu sit unum duo quattuor, in secundo decem uiginti quadraginta, in tertio centum ducenti quadringenti, »die erste Reihe beinhaltet die Zahlen eins, zwei, vier usw., die zweite zehn, zwanzig, vierzig, die dritte einhundert, zweihundert, vierhundert«. Zu Varros terminologisch schwieriger, aber inhaltlich klarer Darstellung dieses Systems vgl. De Melo 713–715. –

Kapitel 11 Text (1) instructionis Sch., Edd.; instructionibus B. – diximus Sku., Wed., Mar.; dixerimus B, Hol., Sca., Ger. – (2) ductis 〈quinquaginta et〉 sex Win., Edd. –

Kap. 11 ist eine Art ›Binnenproömium‹, welches das Kernstück des ersten Abschnitts einführt, die Arithmologie der für Scipios Lebensdauer konstitutiven Zahlen sieben und acht.

Kapitel 12 Text (1) in initio B, Hol., Mar., Ger.; initio Van Weddingen, Sca. – diuersi Sch., Edd.; diuisi B. – plenis Wed. (vgl. Sic. 1959, 674), Edd.; plenus B, Sch., Hol. – fit B, Edd.; sit Sch. – (2) obluctantur B, Edd. (vgl. Sic. 1959, 683), obluceant Van Weddingen. – euoluentia Heb.;

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Kommentar

se uoluentia Ore., Mar., Ger. (vgl. Sic. 1959, 675); euolantia B, Wed., Sca. – (4) Çnatol† Sch., Edd.; anatole B. – Çmf–kurtoc Sch., amphicyrtos B. – diqÏtomoc Sch., dycothomos B. – pansËlhnoc Sch., panselenon B. – diqÏtomoc Sch., dicothomos B. – Çmf–kurtoc Sch., amphycirtetos B. – sunodikò Sch., synodice B. – (5) pro metu cautio B1 , Edd.; pro cautio B. – pàjh Sch., pathe¸ B. – malum B, Edd., 〈illud〉 malum Ger.; motum Sch. – (6) partiles B1 , pariles B. – (7) unum gustatus [. . .] duo odoratus Sku., Mar.; unum [. . .] unum Wed., Ger.; unus [. . .] unus B, Sca. – quintus Sku. (vgl. Sic. 1959, 685 u. 701), Mar.; septimus B, Hol., Sca.; septimum Wed., Ger. – diffusus est B, Edd.; diffusus est〈, nullum habent foramen〉 Sku., vgl. Sic. a. O.

12,1 septimus [. . .] numerus: Die Darstellung der Sieben nimmt mit drei von siebzehn arithmologischen Kapiteln den breitesten Raum ein; das ist in der arithmologischen Literatur das Übliche, auch dort, wo es nicht, wie bei Favonius und Macrobius, durch das Thema der Lebensjahre Scipios (s. 1,2, 11,2, 12,1 und 18,2) motiviert ist. So umfasst sie bei Philon, De opific. 40 von 172 Paragraphen (s. Runia 2001, 260f.), bei Ps.-Jamblich 17 Seiten, dagegen für die Drei sechs, für die Vier elf Seiten; bei Macrobius, Somn. ist nahezu das ganze arithmologische Kap. 1,6 unter die Perspektive der Sieben in physikalischer (6,21–41), ontologischer (6,45–47), astronomischer (6,48–62) und anthropologischer (6,62–81) Hinsicht gestellt, und die anderen Zahlen erscheinen nur als Konstituenten der Sieben; zu anderen Autoren vgl. Zhmud 2021, 27. Zu den kulturgeschichtlichen Wurzeln der ›Hebdomadenlehre‹, deren sinnfälligste Basis die Siebenzahl der Planeten und der Mondphasen waren, vgl. Burkert 1962, 448–454. Ihr frühestes Beispiel ist Solons (fr. 19 Diehl) Einteilung des Menschenlebens in zehn Hebdomaden (vgl. u. zu 14,1–3). In der arithmologischen Literatur entwickelte sich ein gemeinsamer Kernbestand von uirtutes der Sieben, wie der Vergleich der wichtigsten lat. Autoren mit Ps.-Jamblich in Abb. 1 auf S. 109 illustriert (weitere griechische Autoren bei Petrucci 549f.). Die arithmetische Basis für die herausragende Rolle der Sieben bilden zwei Eigenschaften, nämlich dass sie innerhalb des Dekadenraums weder Produkt noch Faktor ist (vgl. zu 13,1) und dass sie die Summe aus der ersten ›vollkommenen‹ geraden und der ersten ›vollkommenen‹ ungeraden Zahl und damit nicht nur ein numerus plenus (bzw. totus, s. zu 7,1), sondern ein numerus plenissimus ist (vgl. 1,2, 11,2, 12,1 und 18,2; vgl. die im Litvz. genannten Arbeiten von Zhmud, sowie Hager 1974, Meier-Oeser 1995 und Kalvesmaki 2013). Grilli 1979 folgert aus einigen Parallelen zwischen Favonius’ Hebdomadenkapiteln und Philon (De opificio mundi 90–127, Legum allegoriae 1,8–15), die sich in dieser Form nicht bei anderen Autoren finden, dass Favonius mittelbar über Varro von Antiochos abhängt, bei welchem Varro um 84/82 studierte, Philon dagegen direkt (vgl. zu 8,4 sowie 12,2, 12,4, 12,6, 12,7, 13,1 und 18,4). Neben Varros Hebdo-

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madenlehre, die im Referat des Gellius (3,10) und bei Censorin (7,1–5, 11,6 f., 14,3– 9) greifbar ist, als wichtigster (wenn auch möglicherweise nicht unmittelbarer, s. S. 76) Quelle kommt für Favonius auch Benutzung von Calcidius Kap. 36–38 in Frage (wie bei der Harmonielehre, vgl. zu 22,1). Übersichten bei Flamant, annexe 7, Runia 2001, 260–308 und Petrucci 423–427; als Überblick immer noch hilfreich Roscher 1906 und Boll 1912. Gell. Ps.-Jambl. Calcid. Favon.

Macrob.

Martian

1,6,11 1,15,6 1,6,46 1,6,46

7,738 7,738

1,6,48–56 1,6,48–56 1,6,57

7,738 7,738

3,10 7 = Minerva/Athene weder gezeugt noch zeugend Quelle der Weltseele 7 Planeten 7 Zirkumpolarsterne 7 Mondphasen 4 × 7 Tage des Monats 7 Monate zw. Solstitien / Equinoctien 7 Gezeiten des Ozeans 7 Körperteile 7 Öffnungen im Kopf 7 Bewegungen der Körper 7 innere Organe 7 Tage Konzeptionsfrist Siebenmonatsgeburt 7 Monate / Jahre Zahnentwicklung eben in Hebdomaden geteilt 7 bestimmt Krankheitsverlauf 7 Seelenregungen 7 untersch. Töne 7 hypoth. Schlüsse

2 2 6 6 4

58,23–25 55,12–13 55,9 60,1–6 54,12–13

36 36 34 37 37

13,1 13,1 12,2 12,3 12,4

60,6–18 68,4

37

67,19–20 61,5 f. 63,1–3 65,3

37 37 37

55,5–56,7 9; 14 55,6; 68,11

37 37

7 7 12

12,7 12,5 14,2 14,2 14,2 14,2

1,6,61 1,6,80 1,6,81 1,6,81 1,6,77 1,6,63 1,6,14–16 1,6,69; 70 1,6,69–76 1,6,81

7,738

7,739 7,739 7,739 7,739 7,739 7,739

12,5 14,3 14,4

Abb. 1: Die Sieben bei Ps.-Jamblich sowie Favonius und anderen lateinischen Autoren

12,2–3 sidera [. . .] obluctantur: obluctantur meint das gegenläufige Ziehen der Planeten zur Fixsternsphäre und ist gegenüber Ciceros Rep. 6,17 uersantur retro und Macrobius’ diese Stelle kommentierendem contrario motu mouentur (Somn.

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Kommentar

1,17,7, vgl. 1,18,1) expressiv gesteigert; Grilli vergleicht Vergil, Aen. 3,38 und die Çnt–rropoc stratiÄ t¨ t¿n Çplan¿n, den »gegen den Zug der Fixsternsphäre gerichteten Zug der Planeten« bei Philon, De opificio mundi 113 (dazu Runia 2001, 284f.). Die Unterscheidung zwischen den fünf Planeten im eigentlichen Sinne (errantes) und den beiden Luminaren wie in 9,1 und 17,3. – euoluentia: Das sachlich unmögliche euolantia in B wurde schon von Orelli in se uoluentia korrigiert. Noch näher am überlieferten Wortlaut wäre euoluentia; zu spätlat. euoluere vom Ziehen der Planeten und Sternbilder vgl. Cyprianus Gallus 855 (5. Jh.) tempore quo medios euoluunt sidera cursus, »zu der Zeit, wo die Sterne mitten auf ihrer Bahn ziehen« (d.h. nachts). – septem stellas: Die septentriones Varros (Gellius 3,10,2), d.h. der große Bär, septentrionum compago »das Gespann der sieben Dreschochsen« bei Macrobius, Somn. 1,18,5 (zur Verwendung gegenüber ursa vgl. Le Boeuffle 87– 89); Macrobius, Somn. 1,16,4 zitiert dazu Vergils Vers über die beiden »Bären, die das Bad in den Fluten des Ozeans scheuen« (Georgica 1,246, nach Homer, Ilias 18,489). – inociduo: inociduus ist poetisches Attribut des Polarsterns, vgl. z.B. Lukan 8,175 qui non mergitur undis axis inocciduus, »der Polarstern, der nie in die Fluten eintaucht und nicht untergeht« (vgl. Germanicus 64, Avien. Arat. 978, Claudian Carmina min. 53,11). 12,4 species lunae: Fav. vertauscht gegenüber Geminos, Elementa 9,11, Macrobius, Somn. 1,6,55 und Martianus Capella 7,738 die Mondphasen Çmf–kurtoc (Dreiviertelmond) und diqÏtomoc (Halbmond; s. Sicherl 1959, 708 und Marcellino 116). Das muss nicht ein Fehler des Favonius oder der Überlieferung sein (so Dorfbauer 2011a, 392 [u. S. 213]), denn Favs. Anordnung entspricht der des »Poseidonios und der meisten Stoiker« (Aetius ap. Diels, Doxographi Graeci 357, 14– 18), also pansËlhnoc (der von Fav. verwendete Begriff), diqÏtomoc, Çmf–kurtoc, mhnoeid†c, nach Grilli 213 ein Hinweis auf den »Kryptostoiker« Antiochos als letztendliche Quelle (vgl. Cic. Lucull. 132,1 appellabatur Academicus, erat quidem [. . .] germanissimus Stoicus). – sunodik†: Vgl. s‘nodon poioumËnh bei Theon 103,19–22 (dagegen bicornis bei Calcidius Kap. 37 und mhnoeid†c bei Martianus Capella 7,738). Während die Rückkehr des Mondes zu seinem Ausgangspunkt den ›siderischen‹ Monat beendet, beendet das ›Einholen‹ der (ihrerseits im Zodiakus weiter vorgerückten) Sonne rund zwei Tage und fünf Stunden später den ›synodischen‹ Monat; ausführlich erklärt bei Macrobius, Somn. 1,6,49f. 12,5 septem animi motus: Vgl. den Abriss der stoischen Affektenlehre im Anschluss an Zenon bei Cicero, Tusc. 4,6 (vgl. auch Diog. Laert. 7,110): eine perturbatio (pàjoc) ist eine vernunftwidrige Seelenbewegung; es gibt vier, nämlich Begierde, Furcht, Überschwang und Schmerz, in griechischen bzw. Favonius’ Begriffen: ‚pijum–a / cupiditas (libido bei Cicero), fÏboc / metus, ôdon† / laetitia,

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l‘ph / dolor (aegritudo bei Cic.). Ihnen stehen drei richtige Gemütszustände (eŒpàjeiai) gegenüber: qarà / gaudium (zur Abgrenzung von laetitia s. Tusc. 4,13: quam (laetitiam) ita definiunt: sine ratione animi elationem, »vernunftloser Überschwang«), eŒlàbeia / cautio, bo‘lhsic / uoluntas; zum philosophiegeschichtlichen Hintergrund vgl. Baltzly 2018, Nr. 5. Unsere Stelle beruht anscheinend auf Ciceros Zusammenfassung in Tusc. 4,14 praesentis mali sapientis affectio nulla est, stultorum aegritudo est [. . .] sic quattuor perturbationes sunt, tres constantiae, quoniam aegritudini nulla constantia opponitur, »Von einem gegenwärtigen Übel bleibt der Weise unbeeindruckt, der Törichte verfällt in Kummer [. . .] So gibt es vier Affekte und drei beständige Haltungen, drei, weil ja dem Kummer keine beständige Haltung gegenübersteht.« Ähnlich Augustin Civ. 14,8 constantias [. . .] Stoici . . . esse uoluerunt . . . pro cupiditate uoluntatem, pro laetitia gaudium, pro metu cautionem; pro aegritudine uero . . . negauerunt esse posse aliquid in animo sapientis, »Die Stoiker wollten statt der Affekte beständige Haltungen im Weisen ansetzen, nämlich statt Begierde das Wollen, statt Ausgelassenheit Freude, statt Furcht Vorsicht; für den Kummer aber gebe es beim Weisen keinen Gegenbegriff«. Vgl. Marcellino 116 f.

12,6 motus [. . .] septem [. . .] corporum: Vgl. Philon De opific. 122 (s. Runia 2001, 291), Ps.-Jamblich p. 55,10f. (nach Anatolius), Calcidius 121, Macrobius, Somn. 1,6,81. Una linea geht auf Euklid, Elemente 1, Def. 15 zurück und ist Bestandteil aller Kreisdefinitionen (z.B. Balbus [gromaticus] p. 104, l. 17 Lachmann; Martianus Capella 6,711; das entsprechende Substantiv ist circumductus, vgl. Guillaumin 57f. mit weiteren Stellen). Die Unterscheidung zwischen der unbegrenzten Kreisbewegung und den durch Endpunkte begrenzten (vgl. 15,4) sechs vertikalen bzw. horizontalen Bewegungen geht auf den Timaios (34a–37c) zurück: Kreisbewegung (auf der selbstbewegten, aŒtok–nhtoc, Seele beruhend) eignet der unvergänglichen Welt, lineare (extern verursachte) Bewegung eignet den vergänglichen Körpern. Nach Aristoteles’ De caelo, 268a–313b beruht die vertikale Bewegung im sublunaren Raum auf den Eigenschaften der Elemente; das Wasser bewegt sich auf die Erde im Zentrum zu, wogegen Luft und Feuer von ihr weg nach oben streben (vgl. Hoppe 1998); vgl. die ausführliche Diskussion des aristotelischen Bewegungsbegriffs bei Macrobius, Somn. 2,15–16. – Die Bezeichnung der sechs linearen Bewegungen als partiles fehlt nach Grilli 209 in der übrigen lat. Tradition, entspricht aber Philons (Legum allegoriae 1,4,12) s∏matoc ·ptÄ kin†seic, Êrganika» m‡n Èx, ·bdÏmh d‡ ô k‘kl˙, »Es gibt sieben Bewegungen des Körpers, davon sechs der Körperteile und eine im Kreis« (wobei Êrganika» ∼ partiles, vgl. Aristoteles, De partibus animalium 646b 26), könnte also ein Indiz für Antiochos als gemeinsame Quelle für Varro / Favonius und Philon sein (vgl. zu 12,1).

112

Kommentar

12,7 septem foraminibus: Vgl. Philon, De opific. 119, Ps.-Jamblich p. 68,2 f. (nach Nikomachus), Theon p. 104,14f., Martianus Capella 374. Foramina wie bei Macrobius, Somn. 1,6,71, gegenüber meatus bei Calcidius Kap. 37 und Martianus Capella 7,739 (vgl. Grilli 210, Marcellino z. St.); nach Grilli 210 steht jenes näher bei Philons (Legum allegoriae 1,12) t‰ [. . .] prÏswpon ·ptaq® katatËtrhtai und gehört zu den Indizien für Antiochos als letztendliche Quelle (s. zu 12,1). Skutschs Änderungen duo sunt odoratus und quintus tactus (statt septimus) sind sachlich notwendig; aber quintus tactus gehört nicht zur Aufzählung der foramina, sondern ist kopulaloser Nominalsatz, wie ihn Fav. häufig verwendet: »der fünfte Sinn ist der Tastsinn«; entbehrlich daher Skutsch’ Ergänzung 〈, nullum habent foramen〉, vgl. Sicherl 1959, 685. – tanquam in arce: Favs. Formulierung erinnert an die Doxographie zur Seele in Cicero, Tusc. 1,20 cuius (= animi) principatum [. . .] in capite sicut in arce posuit, »(Platon) siedelte den führenden Teil der Seele im Kopf wie auf einer Burg an« (vgl. Marcellino z. St.). Zu den griechischen, von Platon, Tim. 70a 6 und Rep. 560b 7f. ausgehenden Parallelen s. Dörrie-Baltes Bd. 6.1 349–355 (zu Alkinoos Didask. 23f.). Der Topos vom Kopf als ›intellektueller Akropolis‹ findet sich durchgängig in der lat. Literatur (vgl. Bakhouche 2011, 807), so bei Cicero (De natura deorum 2,56), Apuleius (Plat. 1,13,207), Minucius Felix (17,11), Laktanz (Opif. 16,4), Calcidius (231–233, dazu Dörrie-Baltes Bd. 6.1, 360–367) und Martianus Capella (7,739) bis zu seiner ironischen Umkehr beim Archipoeta (10: dum in arce cerebri Bacchus dominatur). Zur antiken Geschichte der Metapher vgl. Vernoos 2017, 83–87.

Kapitel 13 Text (1) monas, quae Sch., Edd.; monas qui B. – duobus sui B, Edd. (vgl. Sic. 1959, 684); duobus [sui] Wed. – (3) equidem B, Hol., Wed., Sca.; quidem Sic. 1959, 690, Mar., Ger. – similibus B, Edd.; 〈sui〉 similibus Sca. – (4) 〈Quaternarius et [. . .] creat〉 Wed., modifiziert durch Sic. 1959, 687 (bis binis statt binis) und Ger. (uero statt et); Mar.; 〈Quaternarius et sui similibus numeris coeuntibus aggregatur et generat octo〉 Sca. – (5) parit Sch., Edd.; parat B. – (6) senarius Sic. 1959, 697; sex B, Edd. – duodecimus Sic. ibid.; duodecim B, Edd. (zu beiden Stellen vgl. Mar. 118). – reliquias B, Edd. (vgl. Sic. 1959, 673); reliquas Win. – exortus B, exoritur Sch. – exundat B1 , Edd.; excedit B, Sch. – (9) nata Wed., Mar., Ger. (vgl. Sic. 1959, 674); natus B, Hol., Sca. – (10) creatur Win., Wed., Mar.; creatus B, Sch., Ger.; creatus est Bai. –

13,1 septenarius Mineruae tribuitur: Von den beiden arithmologischen Themen, die in 13,1 angesprochen werden, findet sich das erste, die Dekomposition der Zahl sieben, die bei Fav. auf die Kombination 1 + 6 beschränkt ist, vollständig (d.h. 1 + 6, 2 + 5, 3 + 4) bei Philon de opificio 95 (vgl. Runia 2001, 270) und extensiv bei Macrobius, Somn. 1,6,1–44, wo es als Gliederungsprinzip des Hebdoma-

Kapitel 13

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denkapitels dient (vgl. Flamant 314–316, 330–341). Das zweite, die Bezeichnung der Sieben als Minerva / Athene, ist Gemeingut (vgl. Abb. 1 auf S. 109); sie beruht auf ihrer Eigenschaft, weder Produkt noch Faktor zu sein (das beobachtet schon Speusipp fr. 28 Tarán, vgl. Zhmud 2021, 26), die über die »weder gezeugt noch zeugend« – Metapher mit Athene assoziiert wird; klarer als bei Fav. bei Macrobius, Somn. 1,6,11: Nam uirgo creditur quia nullum ex se parit numerum duplicatus qui intra denarium coartetur, quem primum limitem constat esse numerorum; Pallas ideo quia ex solius monadis fetu et multiplicatione processit, sicut Minerua sola ex uno parente nata perhibetur, »(Die Zahl sieben) wird als jungfräulich betrachtet, weil ihre Duplikation keine Zahl innerhalb der ersten Dekade hervorbringt, welche bekanntlich die erste Grenze der Zahlen ist, und als Pallas, weil sie alleine durch Abstammung und Multiplikation aus der Monade hervorgeht, wie ja Minerva auch nur Spross eines Elternteils gewesen sein soll.« Eine Zahl, die nicht hervorgebracht (oder »gezeugt«) ist, ist eine Primzahl; eine Zahl, die weder hervorgebracht ist noch hervorbringt (neque creatus est [. . .] neque procreare ipse alios potest intra limen primi uersus), ist eine Primzahl, deren Multiplikation mit (dem kleinstmöglichen Faktor) zwei keine Zahl der ersten Dekade hervorbringt; in der ersten Dekade (intra limen primi uersus) ist das die Sieben. Athene, da aus Zeus’ Haupt geboren (Hesiod, Theogonie 924) und die jungfräuliche Göttin schlechthin, ist weder gezeugt noch zeugt sie. Neben den in Abb. 1 auf S. 109 aufgeführten Stellen vgl. noch Philon, De opific. 99–100, Plutarch, De Isid. et Osir. 354f. 1, Theon p. 103,1–15, Martianus Capella 6,567, Proklos, In Tim. 2, p. 95 Diehl (vgl. Runia 2001, 273f. zu Philon; Petrucci 423–426 zu Theon; Armisen-Marchetti 2001, Anm. 107 zu Macrobius, Somn. 1,6,11). Zur pythagoreischen Tradition, Zahlen mit Göttern zu identifizieren, vgl. die Liste der Epitheta aus Ps.-Jamblich bei Delatte 163f. 13,2 si respicias a principio: Die Pedanterie, mit der die generativen Eigenschaften der einzelnen Zahlen der ersten Dekade von den inexistenten der Sieben abgesetzt werden, also (1) paritur et parit (zwei und vier), (2) non paritur sed parit (drei und fünf), (3) paritur sed non parit (sechs, acht bis zehn), mit dem Schluß, der die Benennung der Sieben nach Minerva rechtfertigt, entspricht arithmologischer Tradition; Beispiele sind Philon De opific. 99 und Calcidius Kap. 36, der ähnlich wie Fav. (13,10) resümiert itaque [. . .] solus septenarius [. . .] neque ex duplicatione alterius nascitur nec infra decimanum limitem parit quemquam proptereaque Minerua est a ueteribus cognominatus: item ut illa sine matre perpetuoque uirgo, »Die Sieben allein geht weder aus der Verdoppelung einer anderen Zahl hervor noch bringt sie unterhalb der Dekadengrenze eine andere hervor; deswegen wurde sie von den Alten Minerva genannt: wie diese ist sie ohne Mutter und auf immer Jungfrau«.

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Kommentar

13,3–5 equidem: Sicherl 1959, 690f. ändert in quidem (»equidem [. . .] wirkt als Fremdkörper«) mit dem Hinweis auf 13,6 und 13,9. Aber hier in 13,3 ist equidem Kontrastmarker (dyas paritur [. . .] trias non equidem paritur), wogegen in 13,6 (paritur quidem) der Fokus auf dem Verb selbst liegt und in 13,9 (nata quidem) die Hiatvermeidung mit dem vorausgehenden Vokal ein equidem blockiert. – quarternarius [. . .] creat: Die Ergänzung des fehlenden Satzes zur Vier ist von Van Weddingen, korrigiert von Sicherl 1959, 687. – ut dictum est: Vgl. zu 4,2 (denariam metam) und 8,3–4. –

Kapitel 14 Text (1) Hippocrates Wed., Sca., Ger.; Hyppocrates B, Hol., Mar. – per» ·pdomàdwn Edd., PERI EBDOMADON B1 , PERI EBDOMADON B. – (2) et fomite Sch., Edd.; ex fomite B. – matri〈ci〉s Knecht 701; matris B, Edd. – exceptum B1 , Edd.; conceptum B, Ger. – mense B, Edd.; 〈hominem〉 mense Win. – partus B, Edd.; per artus Win. – 〈e〉mens[ur]um Heb.; mansurum B, Wed., Sca., Ger.; mensium Sch.; mensurum Win., Marcellino. – bis septeno Sic. 1959, 691; Sca., Mar., Ger.; bis septimo B, Hol., Van Weddingen. – (3) exsequemur Sch., Wed. (vgl. Sic. 1959, 673), Mar., Ger.; exsequimur B, Hol., Sca. –

14,1 Hippocrates: Die Schrift Per» ·bdomàdwn wurde dem Arzt aus Kos (ca. 460–370) fälschlich zugeschrieben und gehört nach Runia 2001, 280 gegen Roschers Früh- und Mansfelds (1971, 226) Spätdatierung ins späte 2. oder frühe 1. Jh. v. Chr. Die Berufung auf diese Schrift gehört zu den o. zu 12,1 genannten, von Grilli nachgewiesenen Parallelen zwischen Favonius und Philon (vgl. auch Runia 2001, 292). 14,2 semen [. . .] exceptum: Vgl. Cic. Cato 51 (terra) . . . gremio . . . sparsum semen excepit, »Die Erde hat den ausgestreuten Samen in ihrem Schoß aufgenommen«. – Bei Macrobius, Somn. 1,6,64 wird die Siebentagesfrist der Konzeption auf Hippokrates’ Schrift De natura pueri zurückgeführt; die von Fav. genannten Einzelheiten werden aber, ausführlicher und in fünf Phasen zu sieben Tagen gegliedert, dem Peripatetiker Straton v. Lampsakos (Schulhaupt 287–26) und dem Arzt Diokles v. Karystos zugeschrieben (in chronologisch falscher Anordnung wie bei Ps.Jamblich p. 62, 8). – legitimam partus dinumerationem: Vgl. Calcidius 37 septimani partus ante ceteros legitimi sunt, »Siebenmonatsgeburten entsprechen vor allen anderen den Naturgesetzen«, ähnlich Ps.-Jamblich p. 55, 6, Gellius 3,10,7 (nach Varro); die Begründung liefert Fav. in 16,4 nach (s. dort). – septimo mense: Nach Censorin Kap. 14 gibt es unterschiedliche Hebdomadenmodelle. Das traditionelle, Solon (Nr. 27 West) folgende, habe zehn Stufen (so auch Macrobius, Somn. 1,6,64–76), Hippokrates sieben (neben dem solonischen bezeugt bei Philon, De

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opific. 103–105; die Reduktion resultiert aus einer Zusammenfassung der solonischen Phasen 5–7 und 9–10, vgl. Runia 2001, 280), der Peripatetiker Staseas v. Neapolis zwölf und Varro eine Kurzform mit fünf. Letzterer folgt Favonius, ebenso Calcidius Kap. 37 und Martianus Capella 7, 739. In den ersten vier Hebdomaden stimmen die Autoren weitgehend mit dem solonischen Modell überein (auch Theon 104,1–9, der nur vier Phasen kennt): Zahnwachstum nach sieben Monaten, dann (1) Ausfall der Milchzähne nach der ersten Hebdomade, (2) Pubertät nach der zweiten, (3) Bartwuchs nach der dritten, (4) Ende des Körperwachstums nach der vierten. Bei der fünften Hebdomade folgt Censorin weiter Solon (Zeit für die Fortpflanzung), Calcidius und Martianus Capella sprechen vom Abschluss der iuuenilis aetas, Macrobius vom Ende der körperlichen Entwicklungsmöglichkeiten; bei Fav. ist sie dagegen das Ende der intellektuellen Entwicklung (ingenii progressionem desistere), die bei Solon und dem ihm folgenden Censorinus (14,7) zusammen mit dem Abschluss der sprachlichen Entwicklungsmöglichkeiten (no‹c ka» gl¿ssa / prudentia linguaque der siebten Hebdomade zugewiesen wird. Theon und Ps.-Jamblich sagen über die fünfte Hebdomade nichts. Außer Macrobius bieten die Autoren nur ein schlankes Faktengerüst, wogegen jener (teils im Anschluss an Ps.-Jamblich, teils aber auch aus einer mit letzterem gemeinsamen Quelle, vgl. Robbins 1921) die erste Hebdomade durch die Beschreibung der ersten sieben kritischen Tage ausbaut. – 〈e〉mens[ur]um: Von den Vorschlägen zur Korrektur des überlieferten mansurum (mensium Schott, Dorfbauer 2011a, 391 [u. S. 212], mensurum v. Winterfeld), ist keiner befriedigend, vgl. Sicherl 1959 (»Crux durch Textverlust entstanden«); v. Winterfelds mensurum kommt semantisch, aber nicht grammatisch dem geforderten Sinn am nächsten, dass die naturgesetzliche Mindestfrist der Schwangerschaft erfüllt ist; wir haben daher (dinumerationem) emensum (mit Annahme einer Haplographie des aus- und anlautenden ›em‹) in den Text gesetzt; vgl. z.B. Calcidius Kap. 80 sol [. . .] uidebitur [. . .] ambitum [. . .] aequalem [. . .] paucioribus diebus emensus, »Es wird der Eindruck entstehen, dass die Sonne einen gleich langen Kreisbogen in weniger Tagen durchlaufen hat« und (passiv) Mart. Cap. 9,897 Luna iam gemina emensa diei portione [. . .] inquit, »Da die zweite Tageshälfte schon verstrichen war, sagte Luna [. . .]« (weitere Belege ThLL s.v. 482,9ff.). 14,3 septem discrimina uocum: gemeint ist das ›verbundene‹ Tetrachord, das im musiktheoretischen Teil (Kap. 22–28) zur Sprache kommt, vgl. zu 22,2–3. Das Thema gehört zu den Parallelen zwischen Favonius und Philon (de Opific. 126, vgl. zu 12,1). Zur in der Formulierung liegenden Vergilanspielung s. zu 27,2. 14,4 conclusionis hypotheticae modos: Die Siebenzahl hypothetischer Schlüsse (bei denen mindestens eine der Prämissen keine kategorische, sondern eine hy-

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pothetische Aussage ist) ist erst spätantik, Chrysipp kennt nur fünf; systematische Darstellungen bei Martianus Capella 4,407–421 und Boethius, In Ciceronis Topica 358; vgl. K. Ierodiakonou, Art. Logik, DNP. Diese somit ›moderne‹ Siebenzahl bei Fav. ist nach Grilli 1979 und Marcellino z. St. ein Reflex von Marius Victorinus’ (fragmentarisch erhaltener) Schrift De syllogismis hypotheticis, was aber, da Dialektik ja Teil des Triviums ist, schwer beweisbar ist.

Kapitel 15 Text (1) dicentur Win. (vgl. Sic. 1959, 693) Sca., Mar., Ger.; dnr B; dicuntur Wed.; dicam Sch. – (2) sufficiant. ita〈que〉 sunt Mar.; sufficiant ita sunt B; sufficiant: ita sunt Wed.; sufficiant. ita sunt: Sca., Ger. – k‘bon Edd., K˙ybon B. – Graeci Sch., Edd.; grece B. – (3) shmeÿon lineae Sch., Edd.; semion line B. – signum B1 , sineium B. – (4) terminatur Sic. 1959, 694; Sca., Mar., Ger.; terminetur B, Hol., Wed. – (5) dupli ratione Sic. 1959, 691, Mar., Ger.; duplicatione B, Hol., Wed., Sca. – epiphaniam B1 , ephiphaniam B. – ‚p–pedon Sch., Edd.; ep˙ypedum B1 , ep˙ypedem B. – (6) qua B1 , Edd.; quia B. – stereà Hol., sterea B. – (7) nonus B, Bai., Hol., Sca., Mar.; nouus Sch., Ger.; quartus Wed. (vgl. Sic. 1959, 673). – accedit B1 , accidit B. – abstulit nox B, Edd.; nox abstulit Sch. (s. Verg. Aen. 6,272). – 〈dies〉 Ore., Edd. – sustulit B, Edd., abstulit Sch. –

15,2 primus cybus: Gemeint ist der erste Kubus der geradzahligen Reihe; derjenige der ungeraden Reihe, die Neun, folgt in Kap. 16. – quadrantal: als geometrischer Begriff ist es sonst nur noch bei Gellius 1,20,3f. nach Varro belegt: qualia sunt quadrata undique, quae k‘bouc illi, nos ›quadrantalia‹ dicimus, (Körper), die allseitig aus Quadraten bestehen, und welche jene k‘boi, wir quadrantalia nennen; zur Herkunft aus einem Hohlmaß s. Guillaumin 94 mit Belegen wie Cat. Agr. 112 (dolium) nolito inplere, quadrantalibus quinque minus sit quam plenum, »Mach das Fass nicht voll, sondern der Höchstfüllstand soll um fünf Quadrandalia unterschritten werden«. – interualla: ›Dimension‹, vgl. Cicero De orat. 1,187 in geometria lineamenta, formae, interualla, magnitudines, »in der Geometrie die Linien, Figuren, Dimensionen und Größenverhältnisse«; Calcidius Kap. 38 cum interuallum unum lineam faciat, duo superficiem, tria corpus indiuisum [. . .], quo nihil est perfectius, »eine Dimension erzeugt die Linie, zwei die Fläche, drei den unteilbaren Körper, der in seiner Vollendung unübertroffen ist«; vgl. auch Boeth. Inst. arithm. 2,46. 15,3–4 shmeÿon [. . .] defluere uidebis [. . .]: Zu den ›figurierten‹ Zahlen vgl. schon 3,1; die dort nicht genannten Einzelheiten werden hier nachgeholt; zum Hintergrund vgl. S. 72 ff. Die vollständigste Darstellung der ›figurierten Zahlen‹ (Zahlen, die als eine Menge von Punkten dargestellt sind, welche die Eckpunkte von Körpern bezeichnen) ist die ›Einführung‹ des Nikomachos v. Gerasa (2,7– 17), dessen Rezeption bei Calcidius, Macrobius, Martianus Capella und Boethius

Kapitel 15

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nachweisbar ist (vgl. Chr. Riedweg, DNP s.v. Zahl III); nach Dorfbauer 2011a, 386 f. [u. S. 206] schließt Fav. hier direkt an Calcidius Kap. 33 an. Defluere verweist auf das Konzept der ˚‘sic, der ›Emanation‹ der Dimensionen Linie, Fläche und Kubus aus dem elementaren, unteilbaren Punkt, das bei Theon p. 83, 21–24 dargestellt ist (vgl. Petrucci 392 f.), vgl. auch Macrobius, Somn. 1,6,18 duàc [. . .] ab illa omnipotentia solitaria in corporis intellegibilis lineam prima defluxit, »Die Dyade emaniert als erste aus jener allmächtigen Einheit und bildet die Linie eines intellegiblen Körpers«; ähnlich Martianus Capella 7,732 (vgl. Guillaumin 98). 15,5–6 dupli ratione [. . .] aeque dupli ratione: Gemeint ist die dreifache Potenzierung der ersten geraden Zahl, der Zwei, welche die drei Dimensionen der Körper und gleichzeitig die konstitutiven geraden Zahlen der Weltseele repräsentiert; das wird in 16,1f. klar, wo ihr die Potenzierung der Drei, der ersten ungeraden Zahl, gegenübergestellt wird. Deshalb ist die für 15,6 gesicherte Lesart dupli ratione mit Sicherl 1959, 691 auch in 15,5 dem überlieferten duplicatione vorzuziehen. – epiphania [. . .] ‚p–pedon [. . .] stereà: Vgl. Macrobius, Somn. 1,5,9 planities [. . .], quam Graeci ‚pifàneian uocant; Martianus Capella 7,708 f. superficies, quae ‚pifàneia dicitur [. . .] est quae longitudinem et latitudinem tantum habeat, »eine Fläche, genannt ‚pifàneia, ist eine Form, die nur Länge und Breite hat«. Favs. Äquivalent ‚p–pedon bei Nikomachos Introd. 2,7,3. Zu stereà vgl. Macrobius, Somn. 1,5,9 corpus solidum quod stereÏn uocant, »ein vollständiger Körper, den man stereÏn nennt«; zur Unterscheidung mathematisch/physikalisch vgl. zu 15,7. Weitere Parallelen bei Guillaumin 125 f., 253 und 281. 15,7 color: Nach Scarpa bezeichnet Fav. hier die Farbe als ein mit der Form gleichrangiges konstitutives Element von Körpern; dann aber widerspräche Fav. seiner soeben (15,6, vgl. auch 7,4 a.E.) dargelegten Auffassung, dass mit der (strukturbestimmenden) Acht der Körper vollständig repräsentiert sei (qua nihil amplius [. . .] corpora perfecta conquirunt, vgl. Marcellino z. St.). Vielmehr schließt er sich der von ihm angenommenen Mehrheitsmeinung (a plerisque) an, dass Farbe nicht zur natura corporum gehört. Das Thema kann er hier allerdings nur aufbringen, weil er offenbar nicht hinlänglich physische Körper von idealen oder ›mathematischen‹ trennt, von welchen er in 15,3–6 ja spricht und bei denen es gar nicht einschlägig ist. Exakt unterscheidet dagegen Macrobius, Somn. 1,6,35: Omnia corpora aut mathematica sunt alumna geometriae aut talia quae uisum tactumue patiantur. Horum priora tribus incrementorum gradibus constant. Aut enim linea crescit ex puncto, aut ex linea superficies, aut ex planitie soliditas. Altera uero corpora quattuor elementorum collato tenore in robur substantiae corpulentae [. . .] coalescunt, »Alle Körper sind entweder mathematische, das heißt Schöpfungen der Geometrie, oder solche, die sicht- und berührbar sind. Die ersteren gehen aus einer drei-

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Kommentar

stufigen Entwicklung hervor: die Linie erwächst aus dem Punkt, die Fläche aus der Linie und der Körper aus der Fläche. Die letzteren wachsen aufgrund der Kohäsionskraft der vier Elemente [. . .] zu fester körperlicher Substanz heran.« Zur Geschichte des Begriffs stereÏc (s. 15,6) und seiner doppelten Definition im mathematischen und physikalischen Sinne seit Heron v. Alexandria (Definitiones 11) s. Scholten 297–299. – Zur antiken Diskussion um das Verhältnis von Form und Farbe vgl. Lersch 1975, Nr. II: Bei Platon bleibt es unerörtert, bei Aristoteles gilt der Primat der Form vor der Farbe (Poetik 1448b 17–19). Unter den Römern erkennt Cicero beides als gleichrangig an (Tusc. 4,31); Fav. aber folgt offenbar seinem Lehrer Augustin, der den Vorrang der auf Zahlenverhältnissen beruhenden Struktur betont (De ordine 2,42), vgl. De magistro 3,5 Num colorem corpus dicimus ac non potius quandam corporis qualitatem? :: Ita est, »Sollten wir nun die Farbe als Körper bezeichnen oder nicht doch eher als eine Eigenschaft des Körpers?« :: »So ist es«. – Virgilius: Das Zitat ist, wie so oft, ungenau (Aen. 6,272 et rebus nox abstulit atra colorem) und, sofern die Umstellung nicht auf das Konto der Überlieferung geht, metrisch falsch und damit möglicherweise ein weiterer Beleg dafür, dass auch für Favonius der von Augustin (Mus. 2,2,2, vgl. Mancini 46 f.) konstatierte Primat des rhythmischen Versiktus über die traditionelle Prosodie gilt; vgl. o. zu 7,4. –

Kapitel 16 Text (1) cybo Hol., Edd.; cubo Sch.; cybi B. – mutilantis subtilitatis B, Edd.; mutila artis subtilitate Ger. – tribus B, Edd.; ter duobus Ger. – triplicatis Sch., Edd.; triplicatus B. – cybus Sch., Edd.; cibus B. – (2) hac descriptione B1 , Edd., de hac descriptione B, Hol. – VIIII B1 , VIII B. – (3) 〈A〉nimaduerte Hol., Edd.; nı aduerte B, tum aduerte Sch. – quot Ore., quod B. – summas B, Edd.; summa Sch. – climax Win., Edd.; climata B, Sch. – complectatur Sic. 1959, 694 (zum Konj. 23,1 quot modis comparentur), Sca., Mar., Ger.; complectitur B, Hol., Wed. – septem Sch., Edd.; sepsem B. – potentiam Sch., Edd.; potestiam B. – (4) primigenia Sch., Edd.; prima genia B. – summae sex Hol., Edd.; summe sex B. – numeri B, Edd.; 〈et hoc ad potentiam referimus huius〉 numeri Wed. – perfecti Sch., Edd.; perferti B. – (6) reliquiis Wed., Sca., Mar., Ger. (vgl. reliquias 10,7 u. 13,6, reliquiae 13,6); reliquis B, Hol. – reliquiae Edd., reliquae B. – huius B1 , eius B. – expositione Sch., Edd.; expositone B. – demonstramus B1 (vgl. Sic. 1959, 693 f.), Mar., Ger.; demonstrauimus B, Hol., Wed., Sca. –

16,1 mutilantis subtilitatis assertio: Fav. entschuldigt wie in 21,1 das Abgehen von seinem Stilideal der breuitas mit der Vermeidung von obscuritas und motiviert damit die Behandlung des über den Dekadenraum hinausreichenden zweiten Kubus siebenundzwanzig. Marcellino übersetzt e non si dica che la trattazione

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è incompleta, also assertio subtilitatis als Genitivus obiectivus; allerdings ist assertio mit dem Nebensinn des Vorwurfs nicht belegt. Der ThLL ordnet den Beleg unter dem Genitivus subiectivus ein; doch ist der zugrundeliegende Satz nicht mutilans subtilitas asserit sondern subtilitas assertionem mutilat; es liegt ein Genitivus qualitatis vor (zu dessen Ausbreitung auf Kosten des Abl. qual. im Spätlatein s. LHS Bd. 2,69). – tribus limitibus duplicatis: Eine der Ungenauigkeiten, die sich Fav. erlaubt; dupliziert werden ja nur die ersten beiden Werte. – soliditatis: Vgl. Calcidius 33 quae igitur cum uitali uigore penetratura erat tam superficiem quam soliditatem, similes soliditati, similes etiam superficiei uires habere debuit, »(Die Seele), die also mit ihrer Lebenskraft sowohl die Oberfläche als auch den vollständigen Körper durchdringen sollte, musste ähnliche Eigenschaften haben wie diese beiden«. 16,2 hac descriptione: Fav.s Abbildung (Ms. B, fol. 28r; zu descriptio ›Tabelle‹ s. Guillaumin 101 f.) ist eine Variante des auf den Platoniker Krantor (†275 v.) zurückgehenden Lambda-Diagramms (Labdoma, vgl. Plutarch De animae procreatione 29,1027D), das die numerische Struktur der platonischen Weltseele gem. Timaios 35bc veranschaulicht; es wird verwendet u.a. bei Theon v. Smyrna p. 94,10– 99,22 (mit Herleitung aus der pythagoreischen Tetraktys, vgl. o. S. 73), Ps.-Jamblich p. 2,5, Macrobius, Somn. 1,6,46, Proklos, In Tim. 2, p. 170,26 f. und 187,17 Diehl; mit ihm konkurriert ein lineares Schema mit alternierender Abfolge der geraden und ungeraden Zahlen, vgl. Flamant 325 mit Anm. 77. Favs. Variation besteht in der Umformung in eine zweispaltige Tabelle, welche die von den Zahlen ›figurierten‹ Dimensionen der Körper hinzufügt. Nach Dorfbauer 2011a, 387f. [u. S. 207] fasst Fav. damit die Beschreibung des Labdoma bei Calcidius Kap. 32 mit dessen Erläuterung zur dimensionalen Bedeutung der Labdoma-Zahlen in Kap. 33 zusammen (apex [. . .] singularitas sine ullis partibus [. . .] cuius duplum linea [. . .] lineae duplum superficies [. . .] cuius duplum cubus [. . .] ; eodem modo iuxta rationem tripli [. . .], »An der Spitze steht die unteilbare Eins [. . .], deren Verdoppelung ergibt die Linie [. . .] die Verdoppelung der Linie die Fläche [. . .], deren Verdoppelung wiederum den Kubus [. . .]; analog funktioniert die Potenzierung der Drei«). Aber Fav. hat diese Ableitung der geometrischen Struktur aus der arithmetischen wohl schon fertig vorgefunden, denn sie ist wenigstens implizit schon bei Macrobius vorhanden (Somn. 1,5,9–12, vgl. o. S. 77) und wird in Jamblichs (De anima, Stob. 1,363,26 ff.) Interpretation von Aristoteles’ De anima 404b 18–24 explizit auf Platon selbst zurückgeführt (»In den Ausführungen Über die Philosophie wurde bestimmt, dass das Lebewesen an sich [= die Seele, vgl. Dörrie-Baltes Bd. 6.2, 220] aus der Idee des Einen und der ersten Länge, Breite und Tiefe bestehe«). 16,4–5 Plato: Die folgende Paraphrase von Timaios 35a ist nach Dorfbauer 2011a, 387f. [u. S. 207] ebenfalls durch Calcidius Kap. 33f. angeregt; eine origi-

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nalnähere Version bei Macrobius, Somn. 2,2,15 (vgl. auch 1,6,2 und 1,6,46). – diuisionem primam: Vgl. ¢rqeto diaireÿn ¡de in Timaios 35b. Gemeint ist die vom Demiurgen hergestellte und nach (den im zu 16,2 genannten Labdoma visualisierten) Zahlenverhältnissen geteilte Seelensubstanz: »Der Demiurg stellt zwischen dem Bereich des Körperlichen und der geistigen Welt aus Zwischenformen wie Identität, Sein und Verschiedenheit einen ›Seelenstoff‹ für die Weltseele her. [. . .] Dieser Stoff wird zu einem langen Band geformt und in Intervalle unterteilt« (Erler 2007, 386; vgl. auch Dörrie-Baltes Bd. 4, 267–269 und Szlezák 2021, 301–312 über »Die Konstruktion der Weltseele«). Aus den Restbeständen der Seelensubstanz erfolgt im selben krat®r die Mischung der Menschenseele (Timaios 41d). – propinquioribus [. . .] numeris inferciret: Nach Timaios 36a werden die primären Intervalle der Weltseele, vom Demiurgen jeweils durch das harmonische und das arithmetische Mittel »ausgefüllt« (suneplhro‹to ∼ inferciret), vgl. Abb. 2 aus Baltzly 2009; dort 4–11 zur antiken Interpretationsgeschichte; vgl. auch Szlezák 2021, 448 f. Für den Beginn der geraden Zahlen, 1 : 2 ergibt sich also die Untergliederung 1 : 43 : 32 : 2, welche in der Harmonielehre als Binnengliederung der Oktave (1 : 2) und Bestimmung der grundlegenden (primigenia, wie 22,10) musikalischen Intervalle Epitrit (4: 3) und Hemiolius (3: 2) dient (s.u. zu 24,2). – O

H

A

O

H

A

O

H

A

O

Double

1

4/3

3/2

2

8/3

3

4

16/3

6

8

Triple

1

3/2

2

3

9/2

6

9

27/2

18

27

Abb. 2: Die mit dem arithmetischen und harmonischen Mittel ausgefüllten Zahlenreihen der Weltseele (aus Baltzly 2009, 5). O = originale Zahl, H = harmonisches, A = arithmetisches Mittel.

dempto illo principe [. . .] plenus: Fav. liefert hier die Begründung für die Behauptung von 14,2 nach, die Siebenmonatsschwangerschaft sei die naturgesetzlich privilegierte. Zwei Varianten finden sich in der Literatur, die gemeinsam haben, dass ihre Basis die Zahl sechs ist, die ja aus der Multiplikation der ersten weiblichen (2) und männlichen (3) Zahl hervorgeht, und somit die idealtypisch ›generative Zahl‹, ein numerus fecundus (Macrobius Somn. 1,6,16) bzw. ärijmoc gennhtik∏tatoc (Philon De opific. 13) und Entscheidungsinstanz über die Fötusreife ist; letzteres meint numeri potentis, vgl. arbiter maturitatis bei Macrobius a.O. Die einfachere darauf aufbauende Variante ist die bei Macrobius, Somn. 1,6,15f., die auch Fav. hier bringt: Multiplikation der ›generativen‹ Sechs mit der Summe 35 der ersten kubenbildenden Zahlen (8 der geraden plus 27 der ungeraden) ergibt 210 Tage gleich sieben Monate. Die komplexere Variante findet sich bei Censorin Kap. 9

Kapitel 17

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und 11: die Ausbildung des Fötus erfolge zunächst in Abschnitten zu 6,8,9 und 12 Tagen, welche die Intervallstruktur des Oktavraums abbilden (6:8:9:12, vgl. o. und zu Kap. 24,2). Die Summe dieser Tage (35) multipliziert mit sechs ergibt 210; Einzelheiten und Parallelen bei Zhmud 2021, 21–23; zu Censorin s. Bakhouche 2001. 16,6 septenarium continent in reliquiis: Fav. ›demonstriert‹ nun, dass beide Lebenszahlen Scipios in den Zahlen der Weltseele enthalten sind, die Acht offen, die Sieben versteckt. Um letztere sichtbar zu machen, wird die Zahl septem et uiginti zerlegt und die Zwanzig auf ihre Basiszahl zwei zurückgeführt, ihren pujm†n, d.h. die Grundform einer Zahlenreihe oder einer Relation; so ist der pujm†n von 50 (500, 5000 etc.) die Fünf (vgl. 18,3 quiquanginta pro quinque debemus accipere), der pujm†n der Relation des Hemiolius ist 2 : 3 (abgeleitet 4: 6, 6 : 9, 8 : 12 etc.), vgl. D’Ooge, 216 mit Anm. 1 zu Nikomachos’ Einführung Kap. 19; Scarpa z. St.; Huffman 2005, 439f.; Petrucci 387f. zu Theon p. 80,15. Binorum laterum instar muss daher bedeuten, dass die Zwanzig in die Serie mit der Grundzahl zwei gehört; vgl. 16,4, wo die Eins als princeps omnibus lateribus, »Grundlage aller (= beider) Reihen«, sc. der gerad- und der ungeradzahligen (vgl. Theon v. Smyrna 95,9 koinò m‡n ÇmfotËrwn ô mÏnac) bezeichnet wird. Die verbleibende Sieben ›erweist‹ sich damit als Kern der Kubuszahl siebenundzwanzig und damit als das ungerade Gegenstück der geraden Acht.

Kapitel 17 Text (2) a〈d〉 [. . .] humiliore〈m〉 meta〈m〉 Wed. (vgl. Sicherl 1959, 674 f.), Scarpa, Marcellino, Ger.; a Capricorni humiliore meta B, Hol. – quadrifariam Scho., Edd.; quadrifarium B. – (3) Çplan†c Hol., Edd; aplanes B. – continuatus Scho., Edd., continuatas B. –

17,1 ut Varroni placet: Gellius 1,20,6 führt diese Ansicht vielmehr auf Pythagoras zurück: Huius numeri cubum Pythagoras uim habere lunaris circuli dixit, quod et luna orbem suum lustret septem et uiginti diebus et numerus ternio [. . .] tantundem efficiat in cubo, »Pythagoras sagt, dass der Kubus der Drei das Wesen des Mondzyklus beinhalte; denn der Mond durchmesse seine Bahn binnen siebenundzwanzig Tagen und der Kubus von drei ergebe diese Zahl« (falsch Marcellino z. St. »Il numero cybicus è il 28«); ähnlich Calcidius Kap. 114 luna [. . .] iuxta cubicum numerum uiginti et septem diebus circulum suum lustrat, »Der Mond durchmisst gemäß der Kubikzahl siebenundzwanzig in dieser Zahl von Tagen seine Kreisbahn«. Das ist eine arithmologisch motivierte Abrundung des tatsächlich 27 Tage, 7 Stunden und 43 Minuten betragenden siderischen Monats (vgl. Martianus Capella 8,865 diebus XXVII et bisse, »27 Tage plus acht« sc. Stunden), welche den Mondzyklus in Beziehung zu den (ungeraden) Zahlen der Weltseele setzen möchte (vgl. Bakhou-

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Kommentar

che 2011, 715 Anm. 709). Varro selbst verwendet nach Gellius 3,10,6 nicht dieses arithmologische Konstrukt, sondern ein anderes, nämlich die Sieben als Basiszahl des Mondumlaufs, welche zur Aufrundung auf 28 Tage führt: (Varro) scribit lunae curriculum confici [. . .] quater septenis diebus, »(Varro) schreibt, dass der Mond seine Bahn innerhalb von vier mal sieben Tagen vollende«; das ist im Kontext der Arithmologie der Sieben üblich (z.B. Ps.-Jamblich p. 59,18–60,6, Macrobius, Somn. 1,6,49, 1,6,53, Mart. Capella 7,738). 17,2 octauam Arietis partem etc.: pars entspricht griech. moÿra ›Grad‹; jedes Tierkreiszeichen ist in 30 Grade (ein Zwölftel des Gesamtumfangs des Zodiakus) unterteilt, s. die Einführung in die Astronomie des Geminos 1,6; vgl. Hübner 2010, Bd. 2, 16 zu Manilius 5,29 sowie Bd. 1, 30f. Der Ansatz der Jahrpunkte, d.h. der Äquinoktial- bzw. Solstitialpunkte auf den achten Grad von Widder, Krebs, Waage und Steinbock entspricht der in der Kaiserzeit vorherrschenden Definition, vgl. Vitruv 9,3,1, Plin. Nat. hist. 18,221 (in octauis partibus signorum), Columella 9,14,10– 12, Martianus Capella 8,828. Spuren einer Diskussion um deren richtige Bestimmung (welche die u.a. bei Macrobius, Somn. 1,17,6 nachweisbare Kenntnis des auf der Präzession der Erdachse beruhenden Drifts der Sternbilder gegenüber den Jahrpunkten voraussetzt, die von Hipparch im 2. Jh. v. Chr. berechnet und von Ptolemaios (Almagest 7,3) bestätigt wurde; Einzelheiten s. Flamant 406–413) finden sich bei Columella und Manilius (z.B. Jahrpunkte im 1. Grad bei Hipparch); vgl. Neugebauer Bd. 2, 594–598 u. Hübner 1982, 74–79. – pigras horas: Vgl. Rhet. Her. 4,43 dicimus frigus pigrum, quia pigros efficit, »Wir nennen die kalte Jahreszeit die träge, weil sie uns träge macht«. 17,3 seu deus artifex seu prudens natura: Deus artifex nach Cicero, Timaeus 6. Zu deus vs. natura vgl. Calcidius Kap. 23 Omnia enim, quae sunt, uel dei opera sunt uel naturae uel naturam imitantis hominis artificis, »Alles Existierende ist nämlich entweder das Werk des Demiurgen oder der Natur oder eines die Natur nachahmenden Fachmannes« (die aristotelisierende m–mhsic des homo artifex fehlt bei Fav., da im Zusammenhang mit dem Thema Kosmogonie unbrauchbar). Nach Courcelle 1958b, 360 entspricht die Unterscheidung zwischen den Schöpfern deus und natura dem Unterschied zwischen dem platonischen Demiurgen und der stoischen Pronoia, nach Gersh 1986, 473 der neuplatonischen Auffassung, dass die f‘sic das ontologische Niveau direkt unter den drei neuplatonischen Hypostasen darstellt, vgl. die aufsteigende Hierarchie bei Porphyrios, Sententiae 12,5,6– 8: Pflanze, beseeltes Wesen, vernunftbegabtes Wesen, Natur, Weltseele, Nus, das Eine (‚pËkeina, wtl. »das Jenseitige«). – Çplan†c [. . .] uno ac iugi agitur motu: Die Formulierung erinnert an Calcidius Kap. 69 fixae quidem stellae . . . et item [. . .] sphaera, quae aplanes uocatur, circumferuntur una simplicique [. . .] agitatione [. . .] cir-

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cumactae, »die Fixsterne [. . .] und die Sphäre, die Aplanes genannt wird, drehen sich in einer einzigen und einfachen Bewegung« (ähnlich Kap. 75). Zur Unterteilung in Planeten im eigentlichen Sinn und die Luminare Sonne und Mond vgl. zu 9,1 und 12,2–3. 17,4 nam terra: Das Zitat von Cicero, Rep. 6,18 (»Die Erde als die neunte verharrt immer unbeweglich an einer Stelle und nimmt die Mitte des Weltalls ein«, vgl. S. 66) ist, ebenso wie seine Wiederholung in 21,2, ungenau. Die inhaltlich parallele Stelle Rep. 6,17 wird klarer kommentiert von Macrobius, Somn. 1,22,1–9: Iam uero quod de omni siluestri tumultu uastum, impenetrabile, densetum, ex defaecatis abrasum resedit elementis, haesit in imo; quod demersum est stringente perpetuo gelu, quod eliminatum in ultimam mundi partem longinquitas solis coaceruauit, quod ergo ita concretum est, terrae nomen accepit, »Es blieb schließlich der Rest der ganzen chaotischen Materie; massig, verdichtet und undurchdringlich, setzte er sich als Abfall der gereinigten Elemente am untersten Punkt ab; er sank hinab, zusammengedrückt vom ewigen Frost; er wurde ausgestoßen in den untersten Teil des Weltalls und ballte sich dort zusammen wegen seiner weiten Entfernung von der Sonne: was sich so verdichtete, das erhielt den Namen ›Erde‹.« Die Erde nimmt den untersten und in der kosmischen Kugel zentralen Platz ein, weil sie aus dem schwersten Element besteht; vgl. Calcidius Kap. 76; zu diesem Thema bei den griech. Autoren (darunter Aristoteles De Caelo 269b, 296b–297a [vgl. zu 12,6], Geminos 16,2, Theon p. 122) vgl. die Übersicht bei Petrucchi 553f. 17,5 octauae partis detractione: Ein Irrtum, denn dann beruhte der Ganzton auf der Relation 8 : 7 statt 9: 8; ebenso in 26,7, richtig dagegen 26,9, vgl. Wille 633 und Sicherl 1959, 708. Zum Epogdous vgl. u. zu 23,2–7.

Kapitel 18 Text (1) natura totius non est causa potentiae Sic. 1959, 685 f., Mar.; naturae [. . .] potentia B, Hol., Ger.; natura [. . .] potentia Wed., Sca. – (2) duplicatis B, Edd., duplicans Sch. – (4) numeros Sic. 1959, 696, Mar., Ger.; numeris B, Hol., Wed., Sca. – subducito Sch., Edd.; subductio B. – congregatio B1 , coniugatio B. – (6) minus 〈adeptus〉 Sic. 1959, 677 (»auch consecutus oder assecutus möglich«), vgl. aber 701 (adeptus aus rhythmischen Gründen zu bevorzugen); minus 〈assecutus〉 Mar.; minus Ger. – ratus B, Edd.; ratus 〈est〉 Wed. –

18,1–2 totius [. . .] potentiae: Die tota potentia der Zahl 56, des Produkts aus sieben und acht, beruht auf drei Ursachen: (1) sie ist ein numerus plenissimus (18,2), weil, wie durch 12,1 fit ipse plenissimus, cuius totae sunt partes vorausgesetzt ist, ihre Faktoren sieben und acht Zusammensetzungen aus drei und vier sind, den beiden ersten numeri pleni der geraden und der ungeraden Zahlen; (2) außerdem

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(quoque) folgt ihre Komposition einem ›natürlichen Analogieprinzip‹, erläutert in 18,3; (3) sie ist die Verdoppelung des numerus perfectus der zweiten Zahlreihe, der 28, ist also ein numerus magis perfectus (18,5), erläutert in 18,4. Damit vereinigt sie die Eigenschaften der numerischen plenitudo und perfectio (vgl. zu 7,1 und 10,1– 2) im höchsten Grade. – Africani clausit aetatem: Nach Cicero, Rep. 6,12 cum [. . .] duo [. . .] ii numeri, quorum uterque plenus alter altera de causa habetur, circuitu naturali summam tibi fatalem confecerint, »wenn diese beiden Zahlen, deren jede aus einem anderen Grund als vollkommen gilt, in natürlichem Kreislauf dir die schicksalsbestimmte Lebensspanne vollenden«. – ordinem naturalem: Die ›natürliche‹ Zahlenprogression n+1, vgl. Nikomachos, Introd. 1,19,6 pujmËnec [. . .] ‚gg‘c e sin Çll†lwn ‚n tƒ fusikƒ q‘mati, »Die Grundzahlen stehen nebeneinander in natürlichem Zahlenfluss«; vgl. die »natürliche Anordnung der Zahlen« (naturalis dispositio numerorum) bei Boethius Arithm. 1,7; s. Chr. Thiel u. M. Kranz, HWPh s.v. Zahl. 18,3–4 quinquaginta pro quinque debemus accipere: Die Analogie beruht wie in 16,6 (vgl. dort) auf der Rückführung der Zahl einer höheren Reihe auf ihre Grundzahl (pujm†n) in der ersten Dekade, also 50 ∼ 5. Damit stehen fünfzig und sechs in dem in 18,2 genannten naturalis ordo der aufsteigenden Folge v–vi, in welchem l und vi eben nicht stünden. – perfectus numerus in secundo uersu: Zur perfectio s. zu 10,1–2; achtundzwanzig ist die perfekte Zahl der zweiten Zahlreihe; nec absque hoc alius hebt hervor, dass in jeder Reihe nur eine existiert. Dass sie die Summe ihrer Teiler ist, wird in extenso vorgeführt (subducito ist hier ›addieren‹, anders als in 18,1, wo es ›multiplizieren‹ meint). – congregatio [. . .] iugata componet: Zu congregatio vgl. zu 4,1 und 5,7. – Die Konstruktion ist congregatio componet (et) quattuordecim [. . .] unum et duodetriginta iugata mit prädikativem iugata (Sicherl 1959, 679; seine Bedenken wegen des Neutrums wiegen kaum schwer, da Fav. ja sicher das kongruenzkontrollierende duodetriginta als Neutrum betrachtet; zur Genusfrage vgl. Sihler 419f., Weiss 372). Nach Runia 2001, 270 ist die Metapher des Zusammenspannens von Zahlen unter ein Joch auch bei Philon, De opific. 95 nachweisbar, der die Dekomposition der Sieben in die Paare 1 + 6, 2 + 5 etc. als dia–resic zugàdhn trÏpon ›jochartige Zergliederung‹ bezeichnet; sie gehört also möglicherweise zu den von Grilli zusammengestellten Parallelen zwischen Fav. und jenem (vgl. zu 12,1; in der entsprechenden Passage bei Macrobius, Somn. 1,6,6 steht dagegen einfach compago). Anders als dort werden hier, im Sinne des Beweisziels der Gleichwertigkeit der Zahl mit ihrer Teilersumme, gleiche Summen ›zusammengespannt‹. 18,5 duo perfecti: Flamant 317 sieht hier eine Konfusion von perfectus mit plenus, welches alleine als Attribut der Sieben und der Acht zukomme. Aber Fav.

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spricht hier von der Achtundzwanzig, die, zweifach genommen (duo perfecti, vgl. duplicatis in summam in 12,2), einen noch höheren Grad an Perfektion haben muss. – mortis dispendia: Kausative Variante des Gen. subi.; die Gen.-Belege im ThLL haben dagegen durchweg Gen. obi. (z.B. gaudii und praefecturae bei Symmachus Epist. 4,31 bzw. Orat. 4,11).

Kapitel 19 Text (1) conexa B, Edd.; connexa Sch., Mar. – sunt Sic. 1959, 694; Sca., Mar., Ger.; sint B, Hol., Wed. – totius Bai., Edd.; tutius B. – (6) dissipet (dißıpet) Sch., Heb.; dissepet (dissep&) B; dissepit Ger.; dissaepit Win., Mar. (vgl. Shanzer 189); dissipat Sca. (vgl. Gersh 1986, 744); Dis est Wed. – patris 〈et no‹ et fontis, animas〉 qui dissipet Heb. – phga–a Hol., pegea B. – hinc dicitur phga–a: hinter decursum (19,5) versetzt von Bar., Wed., Mar., getilgt von Sca., an d. überlieferten Position belassen v. Ger. – singulis 〈corporibus〉 Heb.; singulis B, Edd. – illa Sch., Edd.; illas B. – cunctos: Edd.; cunctas B1 (korr. aus cunctos (?), wg. illas), Sch. – 〈circulos〉 Wed., Mar., Ger. (vgl. Sic. 1959, 701); hiulci Win., Wed., Sca.; hiulca B, Mar., Ger. (vgl. Sic. 1959, 676), sit hiulca Sch. – conseruent B, Edd.; conseruet Sch. –

19,1–3 Tullius ait: Verkürztes Zitat von Rep. 6,17, vgl. S. 66. – primi uersus: Zum Konzept der Zahlreihe s. 8,3. – haec figura: Zum Konzept der figurierten Zahlen s. 3,1 und zu 15,3–6. – totus [. . .] ex totis: Zum Konzept der ›vollkommenen Zahl‹ vgl. zu 7,1. 19,4–6 Der Abstieg der Seelen: (Das folgende auf der Basis von Heberlein i.E.) Favs. knappe Ausführungen zum Abstieg der Seelen in 19,4–7 stehen wie die zeitlich nächstliegende Parallele, Macrobius, Somn. 1,11,11–12,18, in der Auslegungstradition des Seelensturzmythos in Platons Phaidros 248c–249b (vgl. Tornau 2019, 17–22; stichwortartige Übersicht zur neuplatonischen Seelenlehre bei Helmig 2014, 150–152; aktuelle Forschungsübersicht zur Rezeption bei Fav. bei Gerzaguet & Bakhouche lxii–lxxiv). Anders als Macrobius’ prinzipiell ›naturwissenschaftliche‹ Darstellung der Seelenreise, die nur subsidiär allegorisch gestützt ist durch Porphyrios’ Allegorie der ›Nymphengrotte‹, ist die des Fav. eine rein allegorische, die mit mystice dictum in 19,4 als solche gekennzeichnet wird. Die von Fav. verwendete Styx-Allegorie existierte in zwei Varianten; in der einen ist die Styx die Seelenbahn, welche die Seelen in den Hades, d.h. zur Inkarnation, führt (Plutarch, De genio Socratis 591a–c), in der anderen ist sie der Strom des Spermas, mit dem die Embryonen beseelt werden, so bei Porphyrios, Ad Gaurum 2,2, unter Verweis auf »Numenius und die Exegeten des Pythagoras« (dazu vgl. Dörrie-Baltes Bd. 6.1, Text 163.1 mit Kommentar S. 232–332). Basis der in beiden Fällen vorliegenden paradoxalen Verknüpfung von ›Tod(esfluss)‹ und ›Le-

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ben‹ ist die pythagoreisch-platonische Vorstellung, dass die Inkarnation der Seele ihren ›Tod‹ bedeute, sodass der Körper allegorisch als ›Unterwelt‹ gelten kann (vgl. Macrobius, Somn. 1,10,9–11), in welche der Unterweltsfluss Styx die Seelen zum Tod hinabführt, ein Tod, der andererseits die Entstehung von ›Leben‹ ist (vgl. Castelletti 32–34; Tommasi 175 f.). Unmittelbarer Referenztext ist Cicero, Rep. 6,14 uestra uero quae dicitur vita mors est, »was man bei Euch Leben nennt, ist in Wahrheit Tod«; dazu weitere wie Scaurus 4 (unter Bezug auf Platons Phaidon) Socrates [. . .] disputat hanc esse mortem quam nos uitam putaremus, cum corpore animus tamquam carcere saeptus teneretur, uitam autem esse eam cum idem animus uinclis corporis liberatus in eum se locum unde esset ortus rettulisset, »Sokrates legt dar, dass unser vermeintliches Leben tatsächlich der Tod sei, da die Seele im Körper gleichsam im Kerker gehalten werde; das Leben beginne aber, wenn die Seele, aus den Fesseln des Körpers befreit, zum Ort ihres Ursprungs zurückgekehrt sei«. Der bekannteste griechische Ausdruck des Paradoxons ist die Paronymie Platons, Gorgias 493a 2 s¿ma ômÿn s®ma, »der Körper ist uns Grab«, es lässt sich bis Heraklit VS 22 B 22 (zitiert von Porphyrios, De antro nympharum 10, vgl. Simonini 122 f.) zurückverfolgen; bei Aristophanes wird es als euripideische, also ›sophistische‹ Phrase verspottet (Frösche 1477 = fr. 639 Nauck »wer weiß, ob das Leben nicht Sterben ist«); weitere Stellennachweise bei ArmisenMarchetti 2001, Anm. 221–223. – Mit der Styx-Allegorie verknüpft sind die im Neuplatonismus mehrfach belegte Theorie vom ›Seelenwagen‹ (ochema, vgl. 19,6 imponens in curru aurigam, Shanzer 198: »a clear reference to the [. . .] Óqhma«, ähnlich Tommasi 180f., 183), wie sie lateinisch in unterschiedlichen Varianten bei Servius und Macrobius (vgl. zu 19,4 u. 19,6) vorliegt, sowie der Begriff der ›Quellseele‹ (19,5 fontana anima / phga–a), ein Ausdruck, der bei Simplikios explizit auf die »Chaldäer« zurückgeführt wird (im gleichen Sinne bei Proklos Parmenid. 731,8 auf die »Barbaren«): Simplikios, Aristot. Phys. 9,613,2 PrÏkloc . . . Çp‰ t¿n log–wn t¿n Qalda–oic ‚kdojËntwn tÄ per» t®c phga–ac yuq®c e rhmËna paratijËmenoc, »Proklos zitiert Aussagen über die Quellseele aus den Chaldäischen Orakeln«. Diese Kookurrenz ist der Anknüpfungspunkt für die beiden wichtigsten der bei Gerzaguet & Bakhouche genannten Arbeiten, nämlich Shanzer 1986 und Tommasi 2011, um 19,4–6 als Testimonium einer numenianisch-chaldäischen (s.u. zu 19,4) Variante der Seelenreise zu verstehen. Für Tommasi setzt 19,4–6 die chaldäische Hierarchie des Intellegiblen voraus: Der summus pater sei die oberste Hypostase, die fontana anima entspreche der in den Orakeln ›Hekate‹ genannten Seele (zur Hekate als Grenze zwischen intellegibler und sensibler Welt vgl. Hadot 1971, 227; Ferrari 2018 f., 1242 f.), die Styx sei die in singulärer Weise als Strom verketteter Einzelseelen konzipierte Weltseele (ihr Verhältnis zur Hekate ist unklar;

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das Vorstehende spricht für ein Subordinationsverhältnis, aber 183 heißt es »sembra essere presupposta un’ulteriore identificazione, quella tra lo Stige-anima ed Ecate«). Shanzer erkennt zwar die Präsenz chaldäischer Vorstellungen an, sieht aber aufgrund der u. zu 19,4 zitierten Servius-Stelle Aen. 6,439 die Styx als Allegorie des Stroms der Materie an, welcher die Planetensphären durchziehe und dem die deszendierende Einzelseele ausgesetzt sei (vgl. dazu Macrobius, Somn. 1,12,8 unter Berufung auf Phaidon 79c); diese wird ihrerseits überraschenderweise mit der fontana anima identifiziert, denn der auriga sei die Allegorie der pàjh, welche die Planetensphären auf die Einzelseelen übertrügen. – Beide Interpretationen hängen von bestimmten sprachlichen Annahmen ab: (1) Für Shanzer (197f.) ergibt sich aus der Annahme einer durchgehenden Referenzfährte für circulus in 19,6 (omnes circulos = singulis, sc. circulis = cunctos, sc. circulos), dass singulis die Sphären bezeichnet; nachdem nun, was auf dem Strom der Materie abwärts steigt, notwendigerweise die Einzelseelen sein müssen, bleibt als Bezeichnung der absteigenden Einzelseelen nur fontana anima übrig. (2) Tommasis Identifikation der Styx als der Weltseele hängt von der auf Barth zurückgehenden und von Van Weddingen und Marcellino übernommenen Umstellung von hinc dicitur phga–a von 19,6 nach 19,5 (hinter decursum) ab, womit der nachfolgende Kausalsatz nam sub pedibus [. . .] patris Styx posita zur Erläuterung von phga–a wird und diese zusammen mit der Styx ein ›chaldäisches‹ Seelenkontinuum bilden kann (Scarpa tilgt hinc dicitur phga–a, Styx; zur Kritik s. Gersh 1986, 744, Anm. 50; Shanzer 197; Tomassi 180). Da Tommasi andererseits den auriga dem Óqhma der Einzelseele zuordnet, ergibt sich die Notwendigkeit der Harmonisierung des Óqhma mit dem Konzept der Styx als Weltseele, was in der Interpretation der Styx als ›concatenazione‹ der Einzelseelen, d.h. der Weltseele als »Seelenstrom« resultiert. Beides wird unsicher, wenn hinc dicitur phga–a an seinem überlieferten Platz bleibt oder wenigstens mit Holder als Parenthese behandelt wird, denn dann wird nam sub pedibus etc. eine Explikation nicht zu phga–a, sondern zu animae decursus, und Styx [. . .] fluit wird zur Erläuterung der Seelenbahn, vgl. zu 19,6. Wie Favonius mit diesem ganzen Gedankengut vertraut wurde, ist unklar; Überblick über die unübersichtliche Traditionslage bei Shanzer 187–197; einer zuletzt von Bakhouche 2006 vertretenen, attraktiven, aber unerweisbaren Spekulation zufolge könnte es durch die von Marius Victorinus übersetzten Platonicorum libri vermittelt sein, die Augustin bei seiner Rückkehr nach Afrika aus dem neuplatonisch geprägten Milieu Mailands im Jahre 388 zusammen mit dem Werk des Calcidius mitgebracht und seinem ehemaligen Schüler Favonius zugänglich gemacht habe (Augustin, Conf. 7,9 u. 8,2; vgl. Hadot 1971, 201–223; nach Beatrice 1989 handelt es sich dabei um Porphyrios’ ›Gegen die Christen‹). Zu rechnen ist jedenfalls damit, dass er ›chaldäisches‹ Gedankengut nur mittelbar und in plato-

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nistischer Interpretation kennt (vgl. Majercik 2001 und zu fontana anima in 19,5), denn er glaubt ja, ein Stück Platonica sapientia (19,4) zu referieren. 19,4 nouies Styx interfusa: Wie das Vergilzitat (Aen. 6,439) zeigt, ist Fav. (auch) der Kommentartradition zur Aeneis verpflichtet (nach Hadot 1971, 226; 228–231, im Anschluss an E. Norden und dessen Schüler F. Bitsch, kommt möglicherweise Marius Victorinus als Quelle in Frage; vgl. auch Tommasi 177f., Stok 2019, 10–14). Vgl. Servius, In Aen. 6,439 ›nouies Styx interfusa‹: quia qui altius de mundi ratione quaesiuerunt, dicunt intra nouem hos mundi circulos inclusas esse uirtutes, in quibus et iracundiae sunt et cupiditates, de quibus tristitia nascitur, id est Styx. Unde dicit nouem esse circulos Stygis, quae inferos cingit, id est terram, ut diximus supra, »Denn diejenigen, welche die Ordnung der Welt gründlich erforscht haben, sagen, dass in diesen neun Sphären des Kosmos die uirtutes eingeschlossen seien, darunter Zorn und Begierde, aus denen Depression resultiert, wofür die Styx steht. Daher sagt er, es gebe neun Windungen der Styx, welche die Unterwelt einschlössen, und damit meint er die Erde, wie wir oben [zu 6,127] gesagt haben«; zur Seelenreise vgl. Servius In Aen. 6,714 (dazu Jeunet-Mancy CXXII f.): Cum descendunt animae, trahunt secum torporem Saturni, Martis iracundiam, libidinem Veneris, Mercurii lucri cupiditatem, Iouis regni desiderium: quae res faciunt perturbationem animabus, ne possint uti uigore suo et uiribus propriis, »Beim Abstieg nehmen die Seelen mit sich den Stumpfsinn des Saturn, den Jähzorn des Mars, die Triebhaftigkeit der Venus, die Profitgier des Merkur und die Herrschsucht des Jupiter; diese Affekte stürzen die Seelen in Verwirrung, sodass sie ihre spezifischen Geisteskräfte nicht nutzen können«. Vgl. auch Calcidius Kap. 95, wo die Planetensphären als Träger der Affekte der Fixsternsphäre als Trägerin der Vernunft gegenübergestellt sind (s. Gersh 1986 482 f., Bakhouche 2011, 700f.). Letztliche philosophische Grundlage dieser Art Kommentierung sind die Lehren des Mittelplatonikers Numenios (vgl. DörrieBaltes Bd. 7.1, Nr. 197.1–5; Castelletti 33) und des eine »notorische Anhänglichkeit« an ihn beweisenden Porphyrios (Dörrie-Baltes Bd. 6.2, 201) sowie die von letzterem und späteren Neuplatonikern geschätzten und kommentierten ›Chaldäischen Orakel‹, eine Sammlung göttlicher Offenbarungen und theurgischer Anweisungen, deren philosophische Substanz sich dem Mittelplatonismus verdankt (vgl. Hadot 1971, 226; Ferrari 2018 f., 1205 f.; zum – ungeklärten – Verhältnis zu Numenios vgl. Shanzer 187–201, Ferrari 2018 f., 1208). Der ältere Arnobius (Aduersus nationes 2,16, vgl. Flamant 1977, 546–565) bezeugt für Numenios und Kronios die Theorie des Seelenabstiegs mittels des Seelenwagens (Ochema / Óqhma), und von Proklos wird explizit Numenios die allegorische Gleichsetzung der Unterweltsflüsse mit den Planetensphären zugeschrieben (vgl. Shanzer 189f.): Proklos, In remp. 2, p. 128,26 ff. Kroll = Numenios, fr. 35 des Places Noum†nioc [. . .]

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oŒran‰n m‡n tòn Çplan® lËgwn ka» ‚n ta‘t˘ d‘o qàsmata, t‰n a gÏkerw ka» t‰n kark–non, to‹ton m‡n kajÏdou qàsma t®c e c gËnesin, ÇnÏdou d‡ ‚keÿnon, potamoÃc d‡ Œp‰ g®c tÄc planwmËnac [. . .] ka» ällhn pollòn ‚peisàgwn teratolog–an [. . .] ka» surràptwn tÄ PlatwnikÄ ˚†mata toÿc genejlialogikoÿc ka» ta‹ta toÿc telestikoÿc, »Numenios nennt die Fixsternsphäre den Himmel und nimmt in ihr zwei Öffnungen an, je eine beim Steinbock und beim Krebs; letztere sei das Tor des Abstiegs zur Menschwerdung, jene das zum Wiederaufstieg; die Unterweltsflüsse seien die Planetensphären [. . .] Und er wendet auch sonst reichlich seine Fabulierkünste an und flickt die eschatologischen Mythen Platons mit solchen der Astrologen, Nativitätssteller und Mystiker zusammen.«

19,5 fontanae animae: Der Begriff ist auf der Grundlage von Phaidros 245c gebildet, wo die selbstbewegte Seele phgò ka» Çrqò kin†sewc, »Quelle und Ursprung der Bewegung«, für alles Bewegte genannt wird; er findet sich schon früh in unterschiedlichen Strömungen der platonischen oder platonisierenden Literatur und ist jedenfalls zu Favs. Zeit nicht mehr spezifisch chaldäisch (Übersicht bei Hadot 1968, 331–333 und 395 f.; nach Majercik 1998, 286–282 liegt der Ursprung des Begriffs in Porphyrios Exegese der Chaldäischen Orakel, vgl. aber das nachstehende Apuleius-Testimonium; das auf S. 126 angeführte Simplikios-Zeugnis ist jedenfalls nicht exklusiv als Beleg chaldäischen Ursprungs verwertbar). Beispiele (weiteres Material bei Majercik a.O.): (1) Bereits im Mittelplatonismus ist fons animarum Epitheton der Weltseele, nämlich bei Apuleius, De Plat. dogm. 1,9 Sed illam, fontem animarum omnium, caelestem animam, optimam et sapientissimam uirtute esse genetricem, subseruire etiam fabricatori deo et praesto esse ad omnia inuenta eius pronuntiat, »(Platon) sagt, dass der Ursprung aller Seelen, die himmlische Seele, die beste und weiseste Erzeugerin der Kraft nach sei; sie diene auch dem Demiurgen und stehe ihm bei all seinen Plänen zur Verfügung« (vgl. Hadot 1968, 396; Dörrie-Baltes Bd. 6, 32 und 190). Bei dem Neuplatoniker und Porphyrios- sowie Jamblichschüler Theodoros v. Asine (test. 6 Deuse) bezeichnet die phgò t¿n yuq¿n die unterste Ebene der demiurgischen Trias ›Sein–Denken–Leben‹ (vgl. Deuse 5 f.): ô d‡ dhmiourgikò triÄc metÄ ta‘tac ‚st–, pr¿ton m‡n Íqousa t‰ Ón, de‘teron d‡ t‰n no‹n, tr–ton d‡ tòn phgòn t¿n yuq¿n, »Es folgt (unterhalb der Ebenen des Intellegiblen und des Intellektiven) die demiurgische Trias, die erstens das Sein, zweitens den Nus, drittens die phgò t¿n yuq¿n in sich birgt«; schließlich ist zu nennen Macrobius, Somn. 1,6,20 mundi anima, quae animarum omnium fons est, »die Weltseele, die Quelle aller Seelen ist«. Nach Dörrie-Baltes a.O. ist die Weltseele als Quelle der Einzelseelen eine Übernahme der stoische Lehre, dass jede Einzelseele ein Teil (ÇpÏspasma) der Weltseele sei; sie wird durch Bezug auf platonische Quellen

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legitimiert, neben Timaios 41d (Entstehung der Einzelseelen aus den Resten der Substanz der Weltseele) auch Philebos 30 a (die Einzelseele ist aus der Weltseele genommen). (2) In ›chaldäischer‹ Einkleidung erscheint die fontana anima als fontana uirgo bei Martianus Capella zusammen mit dem âpax und dem d»c ‚pËkeina, dem (summus) pater und dem demiurgischen Intellekt, welcher die Welt nach den vom âpax gedachten Ideen formt (Majercik 1989, 6 f.): Martianus Capella 2,205 quandam etiam fontanam uirginem deprecatur, secundum Platonis quoque mysteria âpax ka» d»c ‚pËkeina potestates, »(Die Philologia) ruft auch eine gewisse fontana uirgo an und gemäß den Geheimlehren Platons auch den pater und den Intellekt« (ohne chaldäische Einkleidung als Quellseele und Ursprung der Einzelseelen in 9,922: cum illa monas intellectualisque lucis prima formatio animas fontibus emanantes in terrarum habitacula rigaret, »als jene Monade und erste Bildung des intellegiblen Lichts die aus ihren Quellen emanierenden Seelen zu ihren irdischen Sitzen leitete«). In anderen chaldäischen Fragmenten erscheint sie stattdessen als Hekate (fr. 6, 51–53, 56). In beiden Fällen kann sie wie in (1) auf der Grenze zwischen intellegibler und sensibler Welt stehen, also in Anlehnung an die platonistische Struktur des Intellegiblen (vgl. Majercik 2001, 287: Diese Variante der chaldäischen Trias ist ein neuplatonisches Konstrukt aus chaldäischem Material); in einer konkurrierenden Variante der Trias nimmt sie, alternativ unter dem Namen d‘namic, eine Mittelstellung zwischen dem âpax und Intellekt ein (fr. 4 ô m‡n gÄr d‘namic sÃn ‚ke–n˙, no‹c d+ Çp+ ·ke–nou, »Die dynamis ist mit, der Intellekt aber von ihm (dem Vater)«; vgl. Majercik 1989, 6 f.; Ferrari 2018 f., 1210). (3) In christlicher Färbung erscheint sie schließlich bei Marius Victorinus, Adversus Arium, 4,5, wo sie (im Widerspruch zu den S. 127 referierten Auffassungen) klar von den Einzelseelen unterschieden ist (non [. . .] illud uiuere in deo est . . . quod est uiuere animae, aut uniuscuiusque, aut illius uniuersalis atque fontanae, »Das Leben in Gott ist nicht gleich dem Leben der Seele, sei es der Individualoder der Universal- und Quellseele«) und, als fons animae, in Adversus Arium, 4,11, wo sie wie bei Theodoros den untersten Bereich des Intellegiblen besetzt, als ein Glied der Seinskette (vgl. Adv. Arium 1,25), die von Gott bis hinab zu den Körpern reicht. Zur ihr steigt die vom Sohn ausgehende Lebenskraft (potentia uitalis) durch die Himmelshierarchie hinab und wird von ihr schließlich den Einzelseelen mitgeteilt; wegen der Verquickung mit der Materie wird diese Lebenskraft aber abgeschwächt (zu den Beziehungen dieser Passage zu Favonius vgl. Hadot 1971, 225 f. u. Tommasi 180–183): Marius Victorinus, Adv. Arium 4,11 ergo hylica quae sunt ut esse uideantur, facit uis potentiaque uitalis quae defluens a lÏg˙ illo qui uita est, quem dicimus filium, . . . primo in incorporea atque äula . . . labitur . . .. Mox in ani-

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mam fontemque animae gradatim ueniens. . .. hinc in hylen mersa et mundanis elementis et postremo carnalibus uinculis inplicata, corruptioni atque ipsi morti sese miscens, uiuendi idolum materiae faecibus praestat. Vivunt ergo cuncta . . . propter copulationem hylicam saucia luce uitali, »Dass somit alles Materielle einen Anschein von Sein erhält, bewirkt jenes Prinzip des Lebens, das vom Logos, der das Leben selbst ist und den wir Sohn nennen, herabfließt [. . .] zunächst zu den unkörperlichen und materielosen Wesenheiten, . . . sodann stufenweise zur Seele, also zur fons animae [. . .] Von da sinkt es zur Materie ab, und wird zunächst in kosmische, dann körperliche Bande geschlagen, vermischt sich mit Verderbnis und sogar mit dem Tod, und kann so den Dingen am Bodensatz der Materie nur ein Abbild des Lebens bieten. Alles also [. . .] lebt wegen seiner Verbindung mit der Materie nur mit getrübter Lebenskraft«. Diese Beispiele sprechen dagegen, dass Fav. hier bewusst mit einem ›chaldäischen‹ Konzept arbeitet, und sie sprechen auch gegen die Identifikation der fontana anima mit der Individualseele (vgl. zu 19,4); vielmehr liegt der Fokus auf dem spezifischen Aspekt der Weltseele, Quelle der Individualseelen zu sein (vgl. Hadot 1968, 395). Am nächsten steht Fav. wohl die bei Macrobius als pythagoreischplatonisch gekennzeichnete Vorstellung, die Individualseelen entsprängen einer einfachen und unteilbaren Quelle: Macr., Somn. 1,11,1 qui primum Pythagoram et qui postea Platonem secuti sunt [. . .] prodiderunt animam mori [. . .] cum a simplici et indiuiduo fonte naturae in membra corporea dissipatur, »Zunächst haben die Pythagoreer, später auch die Platoniker die Ansicht vertreten, die Seele sterbe, wenn sie die einfache und unteilbare Quelle der Natur verlässt und sich über die einzelnen Glieder der Körper zerstreut«. – Im übrigen ist Fav. an den Ursachen des Seelenabstiegs nicht interessiert, im Gegensatz etwa zu Macrobius, der eine ethische nennt (Somn. 1,11,11: die Seele erliegt ihrer appetentia corporis, »Sehnsucht nach Inkarnation«); eine Liste weiterer, darunter auch nicht-ethischer Ursachen wie göttlicher Wille bei Alkinoos, Didasc. 25; vgl. Dillon 1996, 392–396; DörrieBaltes Bd. 6, 407–434. – usque in terras [. . .] decursum: Die Vorstellung, dass die prinzipielle Einheit der Seele auch bei ihrer »Zerstreuung über die Körper« bewahrt wird, findet sich explizit auch bei Macrobius, sowohl bei der Beseelung des Kosmos (Macr., Somn. 1,6,9 (anima) simplicem sortita naturam, cum se animandae immensitati uniuersitatis infundat, nullum init tamen cum sua unitate diuortium, »Die Seele hat eine einfache Natur, und wenn sie sich in das unermessliche Universum zu dessen Beseelung ergießt, erleidet sie dennoch keine Scheidung von ihrer Einheit«) als auch der menschlichen Körper (Macr., Somn. 1,14,8–10 in inferiora ac terrena degenerans [. . .] homini rationem [. . .] infundit, »Als die Seele in die niedrigeren und irdischen Regionen herabsank, flößte sie dem Menschen die

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Vernunft ein«); diese Kontinuität zwischen Welt- und Individualseele ist wie bei Marius Victorinus (Adv. Arium 4,11, s.o.) ein Segment innerhalb des Kontinuums der Seinsstufen zwischen dem summus deus / dem Einen und der ultima rerum faex, die Somn. 1,14,15 im Bild der homerischen catena aurea visualisiert wird (zu letzterer vgl. Halfwassen, HWPh s.v. Serie). 19,6 Styx: Sie hat zwei Funktionen, nämlich (1) bei der Beseelung der Körper (imponens singulis [. . .] aurigam) und (2) bei der Aufrechterhaltung der Ordnung des Kosmos (interiectu sui uigoris separat): (1) imponens singulis [. . .] aurigam id est uitae substantiam: Hier werden zwei platonische Bilder des ›Seelenwagens‹ kontaminiert, zum einen das des Wagenlenkers in Phaidros 246a bzw. 253c und dessen Assoziation mit dem Intellekt (247c 7f.; vgl. Hadot 1971, 226 und Dörrie-Baltes Bd. 6.1, 375 und 480; zur Interpretation des Bilds s. Szlezák 202, 329–331), zum andern die ›Seelenreise‹ aus dem Mythos der Schaffung des unsterblichen Teils der Menschenseele durch den Demiurgen, welcher Ausgangspunkt für die neuplatonische Óqhma-Theorie ist, nämlich Timaios 41e yuqÄc [. . .] ‚mbibàsac ±c ‚c Óqhma, »(Der Schöpfer des Alls) setzte die Seelen gleichsam auf einen Wagen« (Hinweis v. Chr. Tornau); uelut in curru ist ein deutlicher Anklang daran, vgl. quasi in currum bei Cicero, Timaeus 43. Nach der rezipierten Lesart imponens singulis (sc. circulis) aurigam ginge es hier um die Beseelung des Kosmos, welche somit für die Styx den Rang des kosmosschöpfenden Demiurgen implizierte. Doch scheint Fav. tatsächlich an die Beseelung des Menschen zu denken (an beides nach Gersh 1986, 744: »They [the individual souls] will be those of the spheres hemselves and of earthly beings between incarnations«) und der Styx somit eher eine Funktion im Sinne der S. 125 genannten Plutarch- und Porphyrios-Texte zuzuweisen. Dafür sprechen zum einen der Wagen-Vergleich selbst, der im Timaios ja im Kontext der Schöpfung der Menschenseelen steht (auch bei seiner zweiten Verwendung in Timaios 69c Óqhmà te pên t‰ s¿ma Ídosan, »sie gaben (der Seele) den ganzen Leib als Gefährt«), sodann die Zielangaben usque in terras decursum und ad quam (terram) Styx protenditur, sowie schließlich soluta redduntur, welches das iterative Konzept der Seelenwanderung widerspiegelt (vgl. schon in 1,2 illum [. . .] absolutam caelo animam, unde acceperat, redditurum; zur Seelenwanderung bei Platon vgl. Burkert 1995 sowie Szlezák 339–345 mit Hinweis auf die konstant bleibende Zahl der Seelen; zur spätantiken Rezeption s. Vollenweider 2002) und nicht das durative Konzept der Beseelung des Kosmos (zu letzterem vgl. z.B. Macrobius, Somn. 1,17,11 cum uero illa [. . .] semper in uniuersa se fundat, semper et corpus se in ipsam per ipsam retorquet, »Aber weil die Seele sich immerzu ins All ergießt, wendet sich auch der Himmelskörper immerzu ihretwegen nach ihr«); vgl. auch u. zu (2). Aus diesem Grund

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dürfte das Bezugswort für singulis nicht circulis sein, sondern es ist wohl Ausfall von corporibus als Primum comparandum zu uelut in curru anzunehmen. Dadurch erhält auch Van Weddingens allseits akzeptierte Ergänzung per cunctos 〈circulos〉 eine zusätzliche Rechtfertigung, denn mit manatque wird vom Thema der Seelenwanderung auf das der kosmischen Ordnungsfunktion der Styx gewechselt. – uitae substantiam: Hier zeigt sich ein wichtiger Unterschied zu den o.g. ÓqhmaKonzeptionen (zu diesen vgl. Hadot 1968, 181 f., Dörrie-Baltes Bd. 6.1, Texte 165.1– 4 mit Kommentar S. 365–401; Halfwassen; Bohle 2020). Denn die Explikation des auriga durch id est uitae substantiam scheint mit seiner pessimistischen Deutung als Allegorie der Seelen-pàjh (s. S. 128) durch Shanzer unverträglich; unverträglich ist sie aber auch mit dem bei Macrobius, Somn. 1,12,13 auffindbaren optimistischen Gegenstück, dass die absteigende Seele in den einzelnen Planetensphären in Gestalt des Óqhma die lebensnotwendigen ›Seelenfähigkeiten‹, von der Vernunft in der Saturn- bis zu den vegetativen Fähigkeiten in der Mondsphäre, erwerbe (motus, eine Kombination der Seelenfunktionen aus Platon und Aristoteles, vgl. Dörrie-Baltes Bd. 6.2, 198 f.). Überhaupt spricht Fav. ja nicht von einer sukzessiven ›Einkleidung‹ der Seele mit uirtutes, sondern wie Marius Victorinus (s. zu 19,5) vom einmaligen Akt der Inkorporation der uitae substantia. Letztere, im christlichen Neuplatonismus beheimatet (25 Belege von Marius Victorinus bis Augustin), ist ein umfassenderer Begriff als die uirtutes. Es handet sich um ein gradierbares Konzept, das je nach Seinsstufe unterschiedliche Grade des Lebensprinzips bezeichnet. So ist bei Marius Victorinus Adv. Arium 4,9 der höchste Grad die uniuersalis substantia uitae Gottes (in Gestalt der neuplatonischen Trias Sein, Leben, Denken, vgl. zu 6,1); unter prozeduralem Aspekt entspricht ihr die vom ›Leben‹ / Christus ausgehend potentia uitalis in Adv. Arium 4,11, die allem Irdischen eine reduzierte Form von Lebensubstanz, ein uiuendi idolum, verleiht (vgl. S. 130); ebenso unterscheidet Ambrosius zwischen der göttlichen und der irdischen Lebenssubstanz Christi (De incarnationis dominicae sacramento 5,37: Ergo et moriebatur (Christus) secundum susceptionem nostrae naturae et non moriebatur secundum aeternae substantiam uitae, »Christus starb also, weil er unser menschliches Wesen angenommen hatte und starb gleichzeitig nicht, da ihm die Substanz des ewigen Lebens eignete«). Nach Nˇemec 2017 wird dieser unterschiedlich gradierte Substanzbegriff im Neuplatonismus im Sinne der Partizipation des Niedrigeren am Höheren gedeutet, vgl. die Unterscheidung zwischen uere esse und solum esse in Mar. Vict. Adv. Arium 1,48 Est [. . .] uere esse, est et solum esse. [. . .] non omnimodis altera sunt. Participatione igitur cuiusdam communionis, omnia quae sunt altera sunt, »Man kann ›wahrhaft sein‹ und ›bloß sein‹. Aber zwischen beidem besteht kein unüberbrückbarer Unterschied. Denn alles Seiende steht untereinander in Beziehung durch Teilhabe an einer gewissen Gemeinschaft«. Als ›Abbildverhältnis‹ ist

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diese Partizipation charakterisiert bei Marius Victorinus, Adv. Arium 1b, 64: anima explicavit imaginationem in sensibili mundo, ipsa anima semper quae sursum sit, mundanas animas gignens. Et istud ergo iuxta imaginem et similitudinem, »die (himmlische) Seele hat einen Abglanz (von sich) in der sinnlichen Welt verbreitet, denn diese Seele, die immer in der Höhe bleibt, bringt die irdischen Seelen hervor, und auch das nach dem Verhältnis von Abbild und Ähnlichkeit« (vgl. Hadot-Brenke, Anm. 326; zum Hintergrund Baltes 2002, 92; Gersh 2018, 1651–1653). – Favs. imponens uitae substantiam ist offenbar ein Anwendungsfall dieses Konzepts (vgl. Hadot 1971, 225 f.); es dürfte also die Vorstellung vorliegen, die fontana anima übertrage mittels der Styx den aus ihr deszendierenden Einzelseelen eine Reduktionsform ihrer eigenen Substanz. Auch Favonius’ Ochema-›Theorie‹ scheint somit nicht spezifisch chaldäisch (er vermeidet bezeichnenderweise spezifisch chaldäische Begriffe und verwendet solche, die (auch) dem neuplatonischen Mainstream angehören wie summus pater statt d»c ‚pËkeina und fontana anima statt Hekate), sondern sie ist ein Amalgam aus Konzepten unterschiedlicher Provenienz, die als Elemente einer universalen Platonica sapientia aufgefasst werden. Das numenianische Konzept des Ochema (vgl. S. 128) ist von seiner pessimistischen, bei Servius bewahrten Perspektive (vgl. S. 128), befreit zugunsten eines grundsätzlichen Optimismus wie bei Macrobius. Aber während bei dem die dem Seelenabstieg zugrundeliegende Idee der Teilhabe am Göttlichen in das homerisch-(neu-)platonische Bild der catena aurea gefasst wird (Somn. 1,14,15, vgl. Proklos, Tim. 1, p. 206,4–7), hat sie bei Fav. einen, wohl Marius Victorinus geschuldeten, christlich-neuplatonischen Oberton. (2) ex natura [. . .] hiulci; interiectu sui uigoris separat: Zur Lesart: Sicherl 1959, 676 behält das hiulca bei und übersetzt ohne weitere Erläuterung »weil sie aus einem Stoff [. . .] sind, der nach Vereinigung lechzt«; das ist offenbar aus dem figurativen Gebrauch bei Plautus herausgelesen (vgl. ThLL i.q. avidus, Plaut. Trin. 287 publicum priuatum habent, hiulca gens) und wird begründet damit, das ex natura nicht gleich natura sei; aber eben dieser spätlateinische instrumental-kausale Gebrauch von ex + Abl. dürfte hier vorliegen (vgl. z.B. Calcidius, Kap. 288 quam (siluam) ait ex natura nullam habere substantiam, »die Materie hat nach seiner [Aristoteles’] Auffassung von Natur aus keine Substanz«). Auf Winterfelds hiulci und der wörtlichen Bedeutung ›klaffen‹ bauen Hadot (1971, 225 f.) und Gersh (1986, 743) auf. Hadot zieht eine unmittelbar vor dem S. 131 zitierten Text Marius Victorinus, Adv. Arium 4,11 stehende Stelle heran, wo den materiellen Dingen eine irreguläre, ständig im Fluss befindliche Bewegung zugeschrieben wird, nämlich Adv. Arium 4,10 fluendi enim ac refluendi natura incondite, subsistendi non recipit uis lubrica inconstans nec formam recipit, »Denn da ungeordnetes Hin- und Herflie-

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ßen ihm eignet, lässt dieses schwankende Wesen ohne Bestand kein Standhalten zu noch empfängt es eine Gestalt«. Der Gedanke geht auf Timaios 43a zurück (vgl. Hadot & Brenke Anm. 501), und auch bei Numenios wird die Materie wegen ihrer grundsätzlichen Defizienz als in Opposition zur ordnenden göttlichen Kraft stehend begriffen (vgl. Dörrie-Baltes 7.1, 476 f.). Nach Hadot und Gersh, die von der Lesart singulis (sc. circulis) ausgehen, ist es die Funktion der Styx, den von Natur aus regellosen Planetensphären (Gersh: »which tend to intermingle because of their discontinuous nature«) ihre artgerechte (sui generis) Struktur zu verleihen, und zwar durch Übertragung der uitae substantia, also Beseelung (vgl. Gersh 743 »Apparently the suggestion is that the planetary spheres have ill-defined orbits until they are infused with the appropriate portion of soul«). Der damit implizierte Gedanke der Übertragung funktionaler Autonomie scheint aber mit dem durch interiectu separat ausgedrückten Gedanken externer Disziplinierung nicht verträglich. Das Problem wird mit der oben vorgeschlagenen Lesart singulis 〈corporibus〉 vermieden, denn Fav. äußert sich dann erst zum Thema der Beseelung der menschlichen Körper und erst mit manatque zu dem der kosmischen Ordnung, und da operiert er mit einem anderen Konzept, mit einem, dem die mehrfach belegte Vorstellung zugrundeliegt, dass der Kosmos wegen seiner prekären Ordnung einer permanenten externen Domestizierung bedarf. Für den Gedanken des prekären Status des Kosmos vgl. den Hinweis bei Finamor & Kutash 126–128 auf die Anwendung der aristotelischen Unterscheidung (Phys. VI 1, 231a 21–232a 22) von vollkommen unifizierten (suneq®), kontinuierlichen (ÅptomËna) und diskontinuierlichen (‚fex®) Entitäten auf die Trias von Intellekt, Seele und Kosmos in Proklos’ ›Physikalischen Elementen‹, für den der externen Ordnungsinstanz, dass bei Proklos die Seele den von ihr umgebenen Kosmos »mit Wächertruppen« bändigt; ähnlich bei Boethius, wo der conditor altus verhindert, dass die Planeten von ihrer göttlichen Kreisbahn auf eine gerade einschwenken: Proklos, In Tim. 2, p. 106,15–23 (ô yuqò) taÿc m‡n gÄr frourhtikaÿc dunàmesi sunËqei t‰ kËntron [. . .] pên t‰ taraq¿dec ‚n tƒ kÏsm˙ [. . .] deÿtai frourêc je–ac tàttein aŒt‰ dunamËnhc ka» katËqein ‚n toÿc o ke–oic Ìroic, »(Die Seele) hält mit ihren Wächtertruppen das Zentrum zusammen. [. . .] Denn alles Chaotische im Kosmos bedarf einer göttlichen Bewachung, die in der Lage ist, es zu ordnen und in seinen artgemäßen Grenzen zu halten« (∼ coercet; sui generis momenta conseruant in 19,6). – Boethius, Cons. 4 m 6,37 nam nisi (conditor altus) rectos reuocans itus / flexos iterum cogat in orbes, / quae nunc stabilis continet ordo / dissaepta suo fonte fatiscant, »Wenn nicht der Schöpfer oben alles, was auf gerade Bahnen strebt, wieder auf seine Kreisbahn zurückzwänge, verlöre, was jetzt eine feste Ordnung zusammenhält, den Kontakt mit seiner Quelle und strebte auseinander« (itu [. . .] cogat in orbes ∼ ut sui generis monimenta conseruent; fatiscant ∼ hiulci in 19,6; vgl. Cour-

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celle 1958b). Der weitere Hintergrund des Gedankens ist, dass die Irregularität der Planentenbahnen das Axiom verletzt, dass alle einfache Bewegung kreisförmig um ein Zentrum erfolgt (im supralunaren Raum; im sublunaren Raum linear zum oder vom Zentrum, s. zu 12,6). Das führt zur Ausbildung von Modellen vertikal abnehmender kosmischer Regularität wie dem o. S. 128 erwähnten zweigliederigen bei Calcidius greifbaren, ›vernünftige Fixsternsphäre : affektbelastete Planetensphäre‹, oder einem bei Proklos greifbaren dreigliederigen mit der Skala: Stetigkeit der Bewegung in der Fixsternsphären – ›regulär irreguläre‹ Bewegungen der Planetensphäre (da dem Willen der Planetengötter entsprechend, In remp. 2,232,1– 4) – Irregularität der Mondbahn (da durch die Nähe zum sublunaren Raum extern kondizioniert, s. S. 103); vgl. Baltzly 2013, 17–24 zu Proklos, Tim. 3, 61–94,2. – Dem unitarischen Konzept des Marius Victorinus einer für Kosmos und Mensch gemeinsamen, aber unterschiedlich gradierten uitae substantia steht bei Fav. somit eine eklektische Kombination zweier unterschiedlicher gegenüber. Dennoch gehören beide Funktionen der Styx zusammen. Sie entsprechen den beiden operativen Funktionen des niedersten Demiurgen bei Numenios, nämlich für die Ordnung des Kosmos und für die Inkarnation der Seelen zu sorgen (vgl. Dörrie-Baltes 7.1, 474ff., Opsomer 2005, Karamanolis 2016, § 3). Aber dessen kreative Funktion, nämlich die vom übergeordneten Demiurgen des Werdens hervorgebrachte Idee des Kosmos zu materialisieren, hat auf Seiten der Styx keine Entsprechung, da sie über bereits bestehende Formen operiert. Sie ist also nicht Allegorie der Weltseele, sondern allegorisiert deren Wirken in der sensiblen Welt. 19,6 sub pedibus summi patris [. . .] Styx posita: Hier gibt es zwei Schwierigkeiten: (1) die eben genannte Funktion der Styx schließt ihre Lozierung sub pedibus summi patris aus, und zwar auch, wenn man sie mit Tommasi 183 auf die höhere Stufe der chaldäischen Hekate / d‘namic stellt, denn die steht nicht unter, sondern neben dem pater (sÃn ‚ke–n˙, vgl. S. 130). (2) dem summus pater (Benennung letztlich nach Timaios-Stellen wie 28c, 37c und 41a), also dem Demiurgen des Seins / dem Guten oder Ersten des Numenios (vgl. Opsomer 2005), dem pater / dem Einen des Macrobius (Somn. 1,14,6) bzw. dem ›Vater‹ der chaldäischen Orakel, kommt keine Tätigkeit wie dissaepit oder dissipat (vgl. u.) zu, denn er ist untätig (Çrg‰c Írgwn, Numen. fr. 12 des Places = 197.3 Dörrie-Baltes) bzw. ›hat sich entzogen‹ (Orac. Chald. fr. 3); in dem von Tommasi 184 als Beleg chaldäischen Einflusses und zur Stützung der Lesart dissaepit herangezogenen Orac. Chald. fr. 22 e c tr–a gÄr no‹c e⁄pe patr‰c tËmnesjai âpanta, »Der Nus des Vaters ordnete an, alles zu dreien zu schneiden«, geht es nach Majercik 1989, 150 nicht um den höchsten Gott, sondern um den zweiten Intellekt, dessen Aufgabe die Formung der triadischen Struktur der intellegiblen Welt ist (zur Frage

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der (Un)tätigkeit des pater vgl. Ferrari 2018 f., 1208 f.). Daher scheint auch die neue Übersetzung der Stelle bei Gerzaguet & Bakhouche mit c’est situé au-dessous de Père suprême qui fait séparation (d’ou son nom de phga–a) que le Styx coule à travers tous les cercles (mit Substantivierung von phga–a bzw. Ellipse von yuq†) problematisch. Zudem ist die Gleichsetzung von dissaepio mit tËmnw nicht ohne Probleme, denn lt. ThLL hat dissaepio kein effiziertes, sondern ein affiziertes Objekt, d.h. es bezeichnet nicht die Hervorbringung von Objekten durch Teilung, sondern die Trennung existierender voneinander (so bei Boethius, Cons. 4 m 6,37 die des Kosmos von seinem Schöpfer). Dagegen passt die Aussage dissaepit / dissipat auf die fontana anima (s. S. 129). Daher liegt es nahe, nach summi patris eine Lücke anzusetzen, in welcher neben dem zweiten Glied der intellegiblen Trias die fontana anima als Distributorin (dissaepit bzw. dissipat) der Einzelseelen genannt wurde. Die Trias war dann nach dem neuplatonischen Modell strukturiert, denn die überlieferte Stellung von hinc dicitur phga–a, welches die Aussage [. . .] dissaepit bzw. [. . .] dissipat kommentiert, impliziert, dass die Quellseele direkt davor und damit an dritter und unterster Stelle der Trias stand und nicht in chaldäischer Manier nach dem pater. Ferner legt das maskuline qui nahe, dass die Quellseele hier etwa als fons (animas) qui dissaepit / dissipat paraphrasiert war (für eine ähnliche Paraphrase vgl. Mart. Capella 9,922 [S. 130]), wobei das nachfolgende phga–a dann (wie bei Gerzaguet & Bakhouche, vgl. o.) substantivisch bzw. mit Ellipse von yuq† verwendet wurde. Für die Bezeichnung der mittleren Instanz gibt es keine Anhaltspunkte; es lässt sich nur spekulieren, dass sie, nachdem die oberste wie bei Macrobius (Somn. 1,14,6–8) pater heißt und nicht wie an der eben genannten Martianus Capella-Stelle âpax ‚pËkeina, auch eher mit no‹c, also einem nicht explizit ›chaldäischen‹ Begriff bezeichnet war (zur terminologischen Variationsbreite in diesem Punkt vgl. Hadot 1968, 260–267). Ein Vorschlag zur Füllung der Lücke wäre also 〈et no‹ atque fontis, animas〉 qui [. . .] (mit Zweitstellung des Relativpronomens wie etwa in 24,2 duodecimus qui est). Posita bezeichnete somit die Stellung der Styx auf der hierarchischen Ebene unter der intellegiblen Trias, also in der sensiblen Welt, wo sie die Obsorge für die aus der fontana anima vereinzelten Seelen ausübt. – dissipet: Von den Interpretationen des überlieferten dissep& als Form von dissipare (dissipet Schott, dissipat Scarpa, letzteres übernommen von Gersh 1986, 744) bzw. dissaepire (v. Winterfeld; vgl. dissaepta bei Boethius, Text u. S. 157), die beide mit einer Vokalverwechslung i/e rechnen (in Ms. B tatsächlich häufig, s. Sicherl 1959, 689f.; Marellino 33; vgl. z.B. 22,13 pepereret statt pepererit), verdient wohl dissipare den Vorzug. Für es spricht die zeitlich nächste Parallele Macrobius, Somn. 1,11,1 (Text S. 131), wo es sich im selben thematischen Zusammenhang für die Vereinzelung der Seele aus der »ungeteilten Quelle« (∼ phga–a / fontana) in die Körper findet. Sprachlich hätte es auch den Vorteil, dass es die nach dem Vor-

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bild von Phaidros 245c (vgl. o. zu 19,5) mit phga–a und decursus etablierte Flussmetaphorik konstant hielte. Die Angemessenheit dieser Metaphorik für die Seelenschöpfung hebt Proklos, In Tim. 3, p. 256,30–257,1 zu kateqeÿto in Timaios 41d hervor: zw®c gÄr t‰ Õgr‰n s‘mbolon, »das Fließen ist das Symbol des Lebens«; vgl. Majercik 1998, 290. Da schließlich Fav. den unmotivierten Konjunktiv im Relativsatz auch anderswo verwendet (vgl. z.B. cuius umbilicum contineat in 24,6), bietet sich an, möglichst nahe am überlieferten Wortlaut zu bleiben und Schotts dissipet zu übernehmen. – Die konkurrierende Metapher der Aussaat, die ebenfalls aus aus dem Timaios stammt (42d Íspeiren toÃc m‡n e c g®n, [. . .] toÃc d+ e c tílla Ìsa Órgana qrÏnou, »er streute die Samen der einen über die Erde, die der anderen über all die übrigen Instrumente der Zeitrechnung aus«) findet sich bei Boethius Cons. 3 m 9,18 wieder: animas [. . .] leuibus sublimes curribus aptans / In caelum terramque seris, »Du setzt die Seelen in der Höhe auf leichte Wagen und säest sie aus über Himmel und Erde«). 19,7 nouem interualla: Dieser Irrtum (Favonius rechnet ja ausweislich Kap. 21 mit neun Sphären, also acht Intervallen) beruht möglicherweise auf mechanischer Übernahme von Servius’ Kommentar zu Aen. 6,127, wo die 19,4–6 besprochene Stelle Aen. 6,439 ebenfalls herangezogen, aber ein kosmisches Modell von zehn Sphären zugrundegelegt wird, deren zehnte wahrscheinlich die von Ptolemaios in das kosmologische System eingeführte Kristallsphäre ist: (terra) est omnium circulorum infima, planetarum scilicet septem, Saturni, Iouis, Martis, Solis, Veneris, Mercurii, Lunae, et duorum magnorum. hinc est quod habemus et ›nouies Styx interfusa coercet‹, »Die Erde ist die unterste von allen Sphären, also von den sieben Planeten (Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur, Mond) und den zwei großen Sphären. Daher lesen wir ja nouies Styx interfusa coercet«; vgl. Marcellino 127, JeunetMancy XCVIII f.

Kapitel 20 Text (1) in agello positus B, Edd.; in agello Sch. –

20,1 in agello: Zur Doppelfunktion dieses Satzes vgl. Caldini 2002, 312: Er ist eine indirekte Hervorhebung der Gelehrsamkeit des Verfassers und beugt gleichzeitig allfälliger Kritik an Ungenauigkeiten und Unvollständigkeit vor.

Kapitel 21

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Erläuterungen zum zweiten Teil: Die Sphärenharmonie Favonius bietet im Folgenden eine musiktheoretische Grundlegung für das Verständnis der Sphärenharmonie im Somnium, deren mittelbares Vorbild in den griechischen Traktaten zum Verständnis der Sphärenharmonie in Timaios 35b–36b liegt, wie die in Theon v. Smyrna, Plutarchs De animae procreatione, Porphyrios’ Kommentar zu Ptolemaios oder Proklos’ Timaios-Kommentar, vgl. Baltzly 2009, 137f. Inhaltlich bewegt sie sich im Mainstream der spätantiken Musiktheorie, die im Lateinischen in erster Linie mit den Namen Augustin und Boethius, in zweiter Linie auch mit denen des Censorinus (verf. 238), Calcidius (4. Jh.), Macrobius (5. Jh.) und Martianus Capella (5. Jh.) verbunden ist. Übersicht bei Wille 594– 715, zu den kaiserzeitlichen griechischen Autoren bei Barker 2007, 437–449 und Mathiesen 355–607; zu deren Rezeption bei den lateinischen Autoren (u.a. bei Calcidius und damit indirekt bei Favonius, vgl. zu 22,1) vgl. Mathiesen 609–641. Die Texte der griechischen Quellen bei v. Jan, umfangreiche kommentierte Auswahl in englischer Übersetzung bei Barker 1984– 1989; neuere Gesamtdarstellung des griechischen Hintergrunds sind Mathiesen 1999 und Levin 2009; zu den musiktheoretischen Grundlagen s. Schulze 2010. Grundlegende Elemente sind (zu den üblichen isagogischen Schemata vgl. Neubecker 99–118, Richter 1965 mit vergleichenden Inhaltsangaben, Gibson 2005, 144–165, Petrucci 346–348): (1) Die erstmals bei Censorinus 10,3 belegte, aber auf Varro zurückgehende Definition der Musik: musica est scientia bene modulandi, »Musik ist die Wissenschaft von der rechten Modulation« (vgl. Aug. De musica 1,2,2; Martianus Capella 9,930; Cassiodor, Inst. 2,5,1; Isidor, Etym. 3,15, s. Mathiesen 615), wobei Modulation / modulari Sammelbegriff für das Maß der rhythmischen und der tonalen Bewegung ist (vgl. Richter 1965, 90f., Wille 603–609); Vorbild ist nach Schäfke 66 die bei Aristides Quintilianus 1,4 greifbare und auf Platons Lehrer Damon zurückführbare Definition mousik† ‚sti tËqnh to‹ prËpontoc ‚n fwnaÿc ka» k–nesi, »Musik ist die Kunst des Angemessenen in Klang und Bewegung«. (2) Analogien zwischen Musik und Sprache (vgl. Richter 1965, 93). (3) Physikalische Grundlagen (Schalltheorie): Zusammenhang zwischen Bewegung und Tonhöhe. (4) Die Einteilung der Musik in Harmonie-, Kompositions- und Vortragslehre (am ausführlichsten bei Martianus Capella 9,938, vgl. Wille 646). (5) Harmonielehre mit den sieben Gebieten Ton, Intervalle, Systeme, Tongeschlechter (diatonisch, en-

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harmonisch, chromatisch), Tonarten, Modulation und Melodie, verbunden mit dem Hinweis auf die Entdeckung der zugrundeliegenden Zahlengesetze durch Pythagoras, mehrfach in Form der Legende »Pythagoras in der Schmiede« (frühester Beleg bei Nikomachos, Enchir. 6, vgl. Levin 1993, 86–94, 2009, 6–9; Creese 82–84). Im Hinblick auf die Sphärenharmonie spielen die wichtigste Rolle die Gliederung des Oktavraums durch einfache und zusammengesetzte Intervalle und die Bestimmung der konsonanten Intervalle nach den alternativen Verfahren der Bestimmung der Distanz (diàsthma) nach Aristoxenos bzw. der Zahlenrelation zwischen zwei Tönen (lÏgoc) nach Pythagoras. Die ursprünglich strikte Konkurrenz der beiden Verfahren wird, da schon Ptolemaios die Pythagoreer als zu spekulativ und die Aristoxeneer als zu untheoretisch kritisierte (vgl. Hübner 2018, 508), in der Kaiserzeit aufgeweicht, so bei Nikomachos (vgl. Mathiesen 390, Gibson 2005, 153f.; Barker 2007, 437–449, Pöhlmann 2010, 49) und Theon (vgl. Mathiesen 416f. und Petrucci 369), bei den Lateinern bei Censorin 10, 6–12 und Macrobius, Somn. 2,1,14–25. (6) Nutzen der Musik im menschlichen Leben, und ihre ethischen und psychologischen Wirkungen auf Menschen- und Tierwelt (z.B. Macrobius, Somn. 2,3,7–11). Favonius behandelt von diesen Themen: Sprache und Musik (22,1); Töne, Intervalle und Systeme (22,2–3); Schalltheorie (22,3); Akkorde: einfache und zusammengesetzte (22,6); die Intervalle nach Aristoxenos (22,7–10) und Pythagoras (22,13–23,7), jeweils ohne Namensnennung. Zudem bietet er einen Exkurs zur Proportionenlehre als Grundlage der Harmonielehre (25,7–26,4). Er hat keine reguläre Definition der Musik, aber seine (ungenaue, vgl. Wille 630) Definition in 22,5 symphonia est consonae uocis continua modulatio, »ein Akkord ist eine kontinuierliche Modulation des konsonanten Klanges« bietet immerhin eine Reminiszenz. Die Tonarten werden nur ganz kurz gestreift mit dem Hinweis auf die dorische Tonart der Sphärenharmonie (26,5); nicht behandelt werden die ethischen und psychologischen Wirkungen der Musik. Kapitel 21 Text (1) iisdem Sch., Mar., Ger.; hisdem B, Hol., Wed. (vgl. Sic. 1959, 673; vgl. aber 701: iisdem rhythmisch zu bevorzugen); isdem Sca. – (2) ipsa Win., ipsam B. –

21,1 rei obscuritate: Von den drei Quellen der obscuritas, die bei Calcidius Kap. 322 aufgezählt werden, (nascitur obscuritas uel dicentis uoluntate uel audien-

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tis uitio uel ex naturae rei, »Dunkelheit resultiert entweder aus der Absicht des Sprechers oder einem Unvermögen des Hörers oder aus der Natur des Stoffes«) werden hier die erste und die dritte angeführt. Dieselbe topische Begründung für die Vorschaltung einer elementaren Harmonielehre bei Censorinus 10,1 (mit dem selbstbewussten Anspruch, Gegenstände zu vermitteln, die sogar den Musiktheoretikern unbekannt seien, weil sie eher ins Gebiet der Mathematik fielen, vgl. Richter 1965, 69f.) und bei Macrobius Somn. 2,2,23 Hinc animaduertitur quia haec verba Ciceronis numquam profecto ad intellectum paterent nisi hemioliorum, epitritorum et epogdoorum ratione praemissa, »Es zeigt sich nun, dass diese Worte Ciceros niemals dem Verständnis zugänglich wären, wenn wir nicht zuvor das System der Hemiolien, Epitriten und Epogdoen geklärt hätten«. – Zur obscuritas der Harmonielehre des Aristoxenos s. Vitruv 5,4, zur obscuritas des Pythagoras generell s. Cicero, Rep. 1,16, zu der des Timaios s. Cicero, De finibus 2,15, Calcidius Kap. 1 (s. Bakhouche 2011, 627f.) und Macrobius, Somn. 2,3,15. Zum Topos vgl. Chr. Walde, Hist. Wb. der Rhetorik s.v. (Bd. 6, 358–368): obscuritas als Oppositionsbegriff zu perspicuiutas; die Ursachen liegen entweder negativ im mangelnden Können des Autors oder im Alter (uetustas) des Textes, positiv in der Intention des Autors oder der Schwierigkeit des Gegenstands (bei Cicero a.O. ersteres über Heraklit, letzteres über den Timaios); obscuritas als Resultat allzu strikter Befolgung des Stilideals der breuitas, für Fav. vgl. z.B. 16,1. Zur Verwendung des obscuritas-Begriffs als Rechtfertigungsbegriff in der Kommentarliteratur vgl. Kanthak 2013, 179–183. – sub personis iisdem: s. 1,2. – Pythagorei dogmatis: die Formulierung erinnert an Calcidius 73 Pythagoreorum dogma est ratione harmonica constare mundum; Einzelheiten unten zu Kap. 25. – 21,2 nam terra [. . .] consistens: Cicero, Rep. 1,18; ungenaue Zitierung wie meistens (vgl. S. 66). – fundamenti uice: fundamentum ist der unbewegliche Punkt, um den nach antiker Vorstellung eine Sphäre und damit auch der Kosmos rotieren muss, vgl. Seneca, Naturales quaestiones 6,1,5 si hoc, quod fundamentum quidam orbis esse dixerunt (sc. terra), discedit ac titubat [. . .], »Wenn sich das, was manche Autoren als Ankerpunkt des Kosmos bezeichnet haben, aus seiner Position entfernt und ins Trudeln gerät [. . .]«. Macrobius widmet dem Thema ein eigenes Kapitel (Somn. 1,22,3), mit ähnlicher Begründung für die Unbewegtheit der Erde: In sphaera autem solum centron diximus non moueri, quia necesse est ut circa aliquid immobile sphaera moueatur, »Wie wir schon gesagt haben, ist in einer Kugel alleine das Zentrum unbewegt, weil eine Kugel sich notwendigerweise um irgendeinen unbeweglichen Punkt drehen muss«. – cithara: Die Repräsentation des tönenden Kosmos durch die Kithara geht auf den bei Eratosthenes überlieferten Mythos von der Erfindung der Leier durch Hermes zurück, deren Struktur die Abfolge der

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Planeten und der Sphärenharmonie widerspiegelte, vgl. Calcidius 73 Eratosthenes [. . .] memorans fabulose Mercurium commenta recens a se lyra, . . . transeuntem per ea quae motu planetum ad organicum modum personabant, a se inuentae lyrae similem miratum, »Eratosthenes erzählt den Mythos, wie Hermes die Lyra erfand und wie er kurz danach bei seinem Aufstieg durch die Planetensphären, die wegen ihrer Bewegung wie ein Musikinstrument klangen, überrascht bemerkte, dass ihre Harmonie der seiner Leier entsprach« (vgl. Bakhouche 2011, 684). Fav. denkt, wie testudo zeigt, an die Rundboden-Kithara, deren gerundeter Schallkörper somit die Erde repräsentiert (vgl. DNP s.v. Musikinstrumente V. A. 1.). Zur Identifikation der Sphärenharmonie mit den Lyrasaiten vgl. u. zu 26,5. –

Kapitel 22 Text (1) horum Sku., Wed., Mar., Ger. (vgl. Calcidius 44, s. Sic. 1959, 696); harum B, Hol., Sca. – ‚mmelòc Hol., Edd.; EMMELHC B. – sust†mata Hol., Edd.; CICTEMATA B. – (2) contractu Bai. (vgl. ThLL s. v. und Sic. 1959, 673), Edd.; contracto B, Hol.; tractu Ger. – (3) fjÏggoi Sch., Wed., Sca., Ger.; ptongi B, ptongi Hol., phtongi Mar. – (4) loquemur Sch., Edd. (vgl. Sic. 1959, 689 u. 701), loquimur B, Hol. – pulsatur Sku., Edd.; pulsantur B, Hol. – (5) 〈et succentionibus〉 Sku., Edd. außer Hol. – (8) ac B, Edd.; [ac] Sku., Wed., Ger. (cf. Calcid. Kap. 44, vgl. dagegen Sic. 1959, 676 f.). – (9) qu〈i〉a Hol., Edd.; qua B. – (10) primigeniae Bai., Edd.; primigene B, primigenae Sch. – diapente diatessaron B, Edd.; diatessaron diapente Ger. – (11) uerberaris Sch., Hol. (vgl. Sic. 1959, 686), Sca.; Mar., Ger.; uerberans B, uerberas Wed. – (12) habeat Sic. 1959, 676; Mar., Ger.; habere B, 〈reperitur〉 habere Win.; haberet Sch., Wed.; 〈debet〉 habere Sca. – sonabunt Win., Wed., Mar.; sonabuntur B, Sca. – (13) comparatio B1 , Edd.; compatio B. – diapente simphoniam B; diapente symphonia Scho., Wed., Sca., Mar., Ger.; diapente symphonia 〈in〉 Win. – pepererit Sch., Edd.; pepereret B. –

22,1–3 sicut etc.: Kap. 22 behandelt drei Themen, nämlich (1) die Analogie zwischen Musik und Sprache: Wörter – Silben – Buchstaben ∼ Systeme – Intervalle – Töne (22,1–3), (2) die Schalltheorie (22,3), (3) die grundlegenden Intervalle nach Aristoxenos (22,6–11) und Pythagoras (22,12f.). Bei allen dreien folgt Fav., teils wörtlich, Calcidius (Kap. 44, vgl. Dorfbauer 2011a, 379–386 [u. S. 197], Bakhouche 2011, 48–52). – in arte grammatica: Die Behandlung von ›Buchstaben‹, Silben und Redeteilen gehört zu den Kernthemen der Schulgrammatik vom Typ der Ars des Donat (dort Kap. 2, 3 und 7–15; vgl. Schmidt 1989, 102–104). – articulatae uocis: Zu diesem Begriff der Grammatik vgl. Marius Victorinus, Ars grammatica 2,2 Vocis formae sunt duae, articulata et confusa. Articulata est quae audita intellegitur [. . .] hanc Graeci [. . .] appellant Ínarjron fwn†n. Confusa autem est quae nihil aliud quam simplicem uocis sonum emittit, ut est equi hinnitus, »Es gibt zwei Arten von

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Äußerung, die geformte und die ungeformte. Bei der geformten hört man etwas, das man geistig verstehen kann; die Griechen nennen sie Ínarjroc fwn†. Die ungeformte besteht lediglich in der Äußerung simpler Laute, etwa im Wiehern eines Pferdes« (ebenso Donat, Ars 1 und in den Kommentaren dazu, z.B. Pompeius V 97 Keil; mehrfach bei Augustin). – litterae: Sie sind gleichermaßen die Zeichen des Alphabets wie die von ihnen repräsentierten Laute, vgl. z.B. Varro, De lingua Latina 9,44 über die Ununterscheidbarkeit der extrema littera, d.h. des Auslauts von crux (Kreuz) und Phryx (Phryger) trotz unterschiedlichen Stammauslauts -k bzw. -g. Erst die spätantike Grammatik macht gelegentlich einen Unterschied zwischen littera »Buchstabe« und elementum »Laut« so Priscian 2,6,24; vgl. de Melo 2019, 212 f. – ita canorae uocis [. . .] s‘sthmata [. . .] diast†mata [. . .] fjÏggoi: Zum Vergleich von Musik und Sprache vgl. Favs. Vorlage Calcidius, Kap. 44 (vgl. Theon p. 49,6–50,3; s. Skutsch 1902, Wille 630f., Richter 1965, Grebe 1997, Dorfbauer 2011a): Etenim quemadmodum articulatae uocis principales sunt et maximae partes nomina et uerba, horum autem syllabae, syllabarum litterae, quae sunt primae uoces indiuiduae atque elementariae – ex his enim totius orationis constituitur continentia et ad postremas easdem litteras dissolutio peruenit orationis – ita etiam canorae uocis, quae a Graecis emmeles dicitur et est modis numerisque composita, principales quidem partes sunt hae, quae a musicis appellantur systemata. Haec autem ipsa constant ex certo 〈con〉tractu pronuntiationis quae dicuntur diastemata, diastematum porro ipsorum partes sunt phtongi, qui a nobis uocantur soni; hi autem soni prima sunt fundamenta cantus, »Wie die wichtigsten und bedeutensten Teile einer wohlgeformten Rede die Nomina und Verben sind und deren Teile die Silben und derer wiederum die Buchstaben, welche die primären unteilbaren und elementaren Laute sind (denn aus ihnen ist die gesamte Architektur einer Äußerung aufgebaut und in eben sie erfolgt auch deren Auflösung), so sind die Hauptbestandteile des musikalischen Klangs, der von den Griechen emmeles genannt wird und aus Melodie und Rhythmus besteht, die von den Musikern so genannten Systeme. Die bestehen ihrerseits aus bestimmten Verbindungen von Tönen, die von den Griechen diastemata genannt werden, und deren Teile wiederum sind die phtongi, bei uns Töne genannt. Diese Töne nun sind die anfängliche Grundlage der Musik.« Oberste Comparanda sind also Rede (uox articulata / oratio, lÏgoc bei Theon) vs. emmeles / Melodie, darunter folgen Wörter (Nomen und Verbum) vs. System, Silbe vs. Intervall und schließlich »Buchstabe« (d.h. Phonem) vs. Ton. Diese Analogie erzwingt im übrigen die Auslassung einer Stufe auf musikalischer Seite, nämlich die Oktave (Årmon–a) als »Zusammenfügung« zweier Tetrachorde, wogegen das kleinste ›System‹ (s‘sthma tËleion ‚làtton) aus drei Tetrachorden besteht (Neubecker 101 f., Schulze 78 f.). – Ähnliche Analogien zwischen Musik und Sprache liegen schon bei Archytas, Demokrit und im platonischen Philebos

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(17c–e) vor (vgl. Grebe 1997, 294–296, Bakhouche 2006, 84, Petrucci 353), unter den lat. Autoren ist noch Censorinus 10,5 zu nennen (Richter 1965, 91–94). Kritisch dazu Macrobius, Somn. 2,4,11 Nam [. . .] quid in sonis pro littera, quid pro syllaba, quid pro integro nomine accipiatur, adserere ostentantis est, non docentis, »sich zu verbreiten [. . .] über die Frage, was bei den Tönen dem Buchstaben, der Silbe oder dem ganzen Wort entspricht, ist Aufschneiderei und hat mit Unterweisung nichts zu tun«. Vgl. zu 26,5 s.v. nete [. . .] hypate. – ‚mmel†c: Im Hintergrund der folgenden Gliederung steht letztlich Aristoxenos’ Unterscheidung (1,15, p. 20–21 Da Rios) zwischen der (a) Stimme (fwn†) als artikuliertem Laut, (b) Tonhöhe (tàsic) als vertikaler Position der Stimme, (c) Tonstufe, ›Note‹ (fjÏggoc) als Position eines Tones innerhalb der (d) melodischen Struktur (mËloc), sowie die daraus abgeleitete Definition des Intervalls als Differenz zwischen zwei unterschiedlichen ›Noten‹ und des Systems als Kombination von Intervallen; vgl. Mathiesen 305–307. – modulis: Tonstufe, ›Note‹, wie in 22,7, 22,8 und modus in 23,1 (vgl. das Calcidius-Zitat zu 22,6); nicht gleichbedeutend mit modulatio, »Tonbewegung, ›Melodie‹« (so Scarpa 58). – fundamentum cantus: Zum Ton als musikalischem Grundelement vgl. Aristides Quintilianus 1,6 fjÏggoc m‡n ofin ‚sti fwn®c ‚mmelo‹c mËroc ‚làqiston, »Der Ton ist das kleinste Element des melodischen Klangs« sowie seine Charakterisierung als ›Monade der Musik‹ bei Nikomachos, Enchir. 261,4–5 (s. Petrucci 353), ähnlich Martianus Capella 9,938 f. (vgl. Gibson 2005, 148–152 mit weiteren ähnlichen Belegen). 22,4 sonorum plurima differentia: Auch diese rudimentäre Schalltheorie hat ihre nächstliegende Parallele in Calcidius Kap. 44 (nach Bakhouche 2011, 667 nach Theon p. 49,5–50,3, vgl. aber S. 103): Est autem in sonis differentia iuxta chordarum intentionem, siquidem acuti soni uehementius et citius percusso aere excitantur, grauiores autem quotiens leniores et tardiores pulsus erunt, et accentus quidem existunt ex nimio incitatoque pulsu, succentus uero leni et tardiore, ex accentibus porro et succentibus uariata ratione musicae cantilena symphonia dicitur, »Unterschiede in den Tonhöhen ergeben sich aus der Saitenspannung; denn hohe Töne werden durch eine stärkere und schnellere Vibration der Luft hervorgerufen, tiefere entstehen, wenn diese Perkussionen schwächer und langsamer erfolgen. Ansteigen des Tones resultiert aus einem intensiven und schnellen Impuls, Absteigen aus einem ruhigeren und langsameren, und der Akkord, der nach musikalischen Gesetzen aus dem Wechsel von an- und absteigenden Tönen entsteht, wird symphonia genannt«. – percusso aere: Dass der Ton durch Perkussion der Luft entsteht und seine Höhe abhängig von der Geschwindigkeit der Bewegung und der Masse des bewegten Objekts ist, ist ein Axiom der antiken Schalltheorie, das seit dem Pythagoreer Archytas belegt ist (VS 47 B1, vgl. Barker 1989, 39–42, Levin 2009, 16 f. u. 124f., Creese

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2010, 118–121); die Zuschreibung an Pythagoras findet sich zuerst bei Alexander v. Aphrodisias (vgl. Pépin 1986, 602); vgl. außerdem Platon, Tim. 67a–c, Aristoteles, De anima 420a 21 f. u. 27–29, Nikomachos, Enchir. Kap. 4, Theon v. Smyrna p. 50, 4–21 und schließlich Porphyrios, Comm. in Ptolemaei harmonica p. 30,1–21,21 Düring. Letzterem folgt Macrobius (Somn. 2,1,4–7 und 2,4,3f.; vgl. Dorfbauer 2011a, Anm. 13 [u. S. 200]), der die Schalltheorie direkt auf die Sphärenharmonie anwendet: Ex ipso enim circumductu orbium sonum nasci necesse est, quia percussus aer, ipso interuentu ictus, uim de se fragoris emittit. . . si ictum obseruatio numerorum certa moderetur, compositum sibique consentiens modulamen educitur, »aus der Rotation der Sphären muss notwendigerweise ein Ton hervorgehen, weil die Luft, wenn etwas gegen sie stößt ein lautes Geräusch hervorbringt; [. . .] ist die Perkussion durch präzise Zahlenrelationen geregelt, entsteht ein harmonischer und in sich stimmiger Akkord«. Die Schalltheorie liegt nach Burkert 1962, 357f. in »einigermaßen richtiger Beschreibung« seit dem 4. Jh. vor, so in der dem Peripatetiker Straton von Lampsakos (ca. 340–286) zugeschriebenen Schrift De audibilibus (per» Çkoust¿n) und in der euklidischen Sectio canonis (praef. 1–33; vgl. zu 22,5). Schall gilt demnach als schnelle Folge von Impulsen in der Luft (plhga» ÇËroc), welche bei höherer Frequenz höhere Töne und umgekehrt erzeugen. Durch Subtraktion bzw. Addition von Bewegungsimpulsen steigen Töne ab bzw. auf, sie stehen also in einem Zahlenverhältnis zueinander. Konsonanzen entstehen aus der Überlagerung der Impulse, wenn sie in einem einfachen Zahlenverhältnis zueinander stehen. Zu Letzterem vgl. Boethius De musica 1,31 (nach Nikomachos): Si igitur percussiones grauium sonorum commensurabiles sint percussionibus acutorum sonorum, ut in his proportionibus, quas supra rettulimus, non est dubium, quin ipsa commensuratio sibimet misceatur unamque uocum efficiat consonantiam, »Wenn also die Schwingungen der tiefen Töne kommensurabel sind mit denen der höheren, wie es bei den oben referierten Zahlenverhältnissen der Fall ist, dann besteht kein Zweifel, dass die Frequenzen sich vermischen und eine einzige Konsonanz der Töne hervorbringen«. Favonius streift diese Schalltheorie nochmals in 22,12. Übersicht zum Thema bei F. Krafft, DNP, s.v. Akustik; in der modernen Schalltheorie kehren die antiken Klassifikationsparameter wieder (vertikale/horizontale Tonstruktur, Dauer, Homogenität/Heterogenität, Eigenschaften der Schallquelle, positive/negative Wirkungen), vgl. Lehmann 2015. – accentio [. . .] succentio: Wandel der Tonhöhe gilt seit Aristoxenos als das charakteristische Merkmal musikalischer Stimmbewegung; sie ist »diastematisch« und damit ‚mmel†c, »im Melos befindlich« im Gegensatz zur »kontinuierlichen« Sprechstimme, die ‚kmel†c, »außerhalb des Melos«, ist (Aristoxenos Elementa harmonica 1,8–10, p. 12–15 Da Rios; vgl. Busch 42–44, Mathiesen 304f., Barker 2007, 159–164, Levin 2009, 109–112). Accentio ist nur an dieser Favoniusstelle belegt statt accentus in 26,6 und in der Vorlage,

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Calcidius Kap. 44 (s.o.). Accentus (< ad+canere) ist Lehnübersetzung von griech. pros˙d–a »ansteigender Ton« (vgl. ThLL 1,281,6–18), succentus scheint von Calcidius als Antonym zu accentus gebildet zu sein, und zwar auf der Basis von succino, das bei Varro (De Lingua Latina 6,75) in der Bedeutung »die Unterstimme, Begleitstimme singen« belegt ist (6,75 auch in der etymologisierenden Form succano). 22,5 quam ita definiunt: In § 7–10 ist das melodisch-tonale System der aristoxenischen Tradition zugrunde gelegt, in § 12 f. und Kap. 23 das mathematische der pythagoreischen. Nach Aristoxenos wird das Intervall als Distanz zwischen zwei Grenztönen unterschiedlicher Höhe bestimmt (Elementa harmonica 1,15 p. 20,20– 21,5 Da Rios); hierauf geht der Begriff diàsthma, »Intervall« zurück (Szabó 226 f.; Referenzpunkt ist ursprünglich die Entfernung der angeschlagenen Saiten, vgl. Schulze 77). Als konsonante Intervalle gelten die Rahmentöne des Tetrachords und die analogen Töne in zwei adjazenten diazeuktischen (s.u. zu 22,9) Tetrachorden, also Quarte, Quinte und Oktave. Der Ganzton (tÏnoc) resultiert aus der Subtraktion der Quarte von der Quinte und lässt Unterteilung in zwei gleiche Halbtöne oder andere Teiltöne zu. Die Quarte umfasst 2 12 , die Quinte 3 12 Töne und ihre Addition ergibt die Oktave zu sechs Ganztönen (vgl. Burkert 1962, 348–364, Hagel 2009, 151–158; zu einer ›aristoxenosähnlichen‹ Auffassung von diàsthma neben der relationalen schon bei Philolaos vgl. Barker 2007, 270f.). Dagegen definiert das ›pythagoreische‹ System Intervalle als Zahlenverhältnisse. Die einfachen sind Quarte (4: 3) und Quinte (3: 2); Zusammensetzung größerer erfolgt seit Philolaos (lt. Nikomachos Introd. 2,26; tatsächlich wohl seit Archytas [VS 47 B 2], vgl. Barker 2007, 283) durch Multiplikation, so der Oktave als (3: 2) × (4: 3) = 12 : 6 = 2 : 1, was weniger als sechs Ganztonschritte sind. Der Ganzton wird durch Subtraktion der Relation der Quarte von jener der Quinte errechnet, also 3: 2 – 4: 3 = 9: 8. Konsonant sind die Intervalle in der Tetraktys (vgl. zu 8,4); sie sind entweder einfache Vielfache des kleineren Wertes (1 : 2, 1 : 4) oder oder »überteilig«, »epimorisch« (2 : 3, 3: 4), nach dem Muster n : n + 1/n (z.B. 3 + 1/3 = 3: 4), vgl. Theon 76,9–78,22; Barker 2007, 289 und u. zu 23,12. Letztere sind nicht exakt durch zwei teilbar, und somit ist auch der Ganzton (9: 8) nur in ungleiche ›Halbtöne‹ teilbar, nämlich das größere »Leimma«, errechnet aus Quarte (4: 3) minus zwei Ganztöne (9: 8) = 256 : 243, und die kleinere »Apotomé«, errechnet aus Ganzton minus Leimma = 2187: 2048 (detaillierte Darstellung der Berechnung des Leimma bei Theon p. 67,8–68,12, lateinisch bei Boethius De musica 3,1 aduersus Aristoxenum demonstratio superparticularem proportionem diuidi in aequa non posse atque ideo nec tonum, »Beweisführung gegen Aristoxenos, dass epimorische Proportionen nicht in gleiche Teile teilbar sind und folglich auch der Ganzton nicht«); vgl.

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Neubecker 115 f.; Hagel a.O.; Baltzly 2009, 14. Zur entscheidenden Rolle des Archytas für die ›pythagoreische‹ Musiktheorie vgl. Burkert 1962, 353–364, 419–423. Angewandt auf die Stimmung eines Instruments käme man nach Aristoxenos zu einer temperierten, nach Pythagoras zu einer natürlichen (vgl. Levin 2009, 73; Illustration der Abweichungen in Cent bei Pöhlmann 46). Die Aristoxenos-Schule berief sich auf Empirie und lehnte die Verhältnisberechnung von Intervallen als unwissenschaftlich ab (Elementa harmonica 1,32, p. 41,19–42,3 Da Rios), die Pythagoreer beriefen sich auf mathematische Genauigkeit (dieser Gegensatz klingt schon in einer ironischen Passage bei Platon Rep. 531b an). In den Augen des Aristoxenos machen sich die Pythagoreer, statt wie er selbst empirische Forschung zu betreiben (Elementa harmonica 1,32, p. 42,5–7 Da Rios), des sachfremden Hantierens mit Zahlenverhältnissen schuldig (Çllotriologo‹ntec, Elementa harmonica 1,32 p. 41,19–42,5 Da Rios). Die pythagoreische Gegenposition ist in konzentrierter Form greifbar in der um 300, also gegen Aristoxenos’ Lebensende oder kurz nach seinem Tod erschienenen und Euklid zugeschriebenen Sectio Canonis, einer »Streitschrift« (Busch 68), in der schon die Einleitungssätze mancher Propositionen eine unverkennbar polemische Spitze aufweisen; zu dieser wechselseitigen Polemik vgl. die Zusammenfassung bei Baltzly 2009, 11–14; außerdem Burkert 1962, 348–364, Richter 1965, 96 f., Barker 1989, 3–8, Mathiesen 1999, 344–353; Busch 2004, 36–63, 113–132; Barker 2007, 364–410, Levin 2009, 56, 66–69 und 125– 153. Der Streit dauerte in der Antike trotz Harmonisierungsbestrebungen (vgl. S. 140) fort und führte zu synkritischen Darstellungen unter Schlagworten wie »Musiker versus Geometer«, von denen die der Ptolemaïs von Kyrene im Auszug des Porphyrios und die des Didymos Über den Unterschied der Aristoxeneer und Pythagoreer vollständig erhalten sind (vgl. Richter 1965, 86; Barker 2007, 437–440). Noch Damaskios (In Phileb. 225) unterscheidet zwischen der ›praktischen‹ Musik des Aristoxenos und der ›wissenschaftlichen‹ des Pythagoras (vgl. O’Meara 2005, 133), und noch im 18. Jh. schreibt Johann Mattheson seine Polemiken gegen »mathematische Musik« unter dem Pseudonym »Aristoxenus der Jüngere«. – symphonia: Zur Definition von symphonia als Konsonanz, als »Akkord« s. 22,11. Die Quelle von Favs. Definition ist unbekannt; Dorfbauer 2011a, 385 [u. S. 205] vermutet, dass sie letztlich auf Varro zurückgeht, wie die verwandte, aber um den psychologischen Parameter der angenehmen Wirkung erweiterte des Censorinus (10,6) est autem symphonia duarum uocum disparium inter se iunctarum dulcis concentus, »Eine Symphonia ist der angenehme Zusammenklang zweier unterschiedlicher Töne, die in Verbindung miteinander treten« (vgl. Richter 1965,94). 22,6 simplices [. . .] copulatae: Die Unterteilung in einfache und zusammengesetzte Intervalle stammt wieder direkt aus Calcidius Kap. 44 (nach Adrast bzw.

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[vgl. S. 103] Theon p. 51,4–52,5): Prima igitur symphonia in quattuor primis modulis inuenitur, quae diatessaron dicitur, secunda uero, quae ex quinque primis modulis constat, diapente cognominata est. Quibus compositis in ordinem nascitur ea cantilena, quae epogdous et diapason uocatur, propterea epogdous, quia ueteres musici octo solis chordis utebantur, quarum princeps erat hypate edens grauissimum sonum, ultima uero nete acutum edens sonum; qui duo diuersi soni habent inter se miro quodam genere concentum et consonantiam, »Der erste Akkord findet sich in den ersten vier Tönen und wird diatessaron genannt, der zweite, der aus den fünf ersten Tönen besteht, trägt den Namen diapente. Aus deren Aneinanderfügung entsteht der Akkord, der epogdous, das heißt diapason, genannt wird; epogdous deswegen, weil die alten Musiker lediglich acht Saiten verwendeten; die erste war die Hypate, die den tiefsten Ton trägt, die letzte die Nete, die einen hohen Ton erzeugt, und diese beiden Töne stehen auf wunderbare Weise miteinander in harmonischem Einklang« (epogdous et diapason mit epexegetischem et wie z.B. o. S. 130 bei Marius Victorinus, Adv. Arium 4,11, vgl. ThLL s.v. 874,35; zum Missverständnis vgl. zu 22,9). – Eine ähnlich elementare Intervallehre findet sich auch bei anderen lateinischen Autoren, so bei Censorinus 10, 1–6 und bei Macrobius, Somn. 2,1,14–25; Fav. ist aber noch elementarer, weil er bei den zusammengesetzten Intervallen nicht über den Oktavraum hinausgeht. 22,7–8 prima igitur symphonia: Zur Definition der einfachen konsonanten Intervalle vgl. zu 22,5; die griechischen Bezeichnungen diatessaron (Quarte), diapente (Quinte) und diapason (Oktave) besagen »über vier (bzw. fünf) Töne sich erstreckend« bzw. »über alle Töne« (sc. der Oktave). Sie reflektieren die oben genannte Technik der Intervallbestimmung durch »Streckenmessung« nach Aristoxenos; die pythagoreische Bestimmung durch Zahlenrelation folgt in Kap. 23, vgl. dort. – modulis: Wie in 22,1 »Ton(stufe)«, der Quelle Calcidius Kap. 44 folgend (Text s. zu 22,6). – ac diapente: Gegen die zuerst von Skutsch, dann von Van Weddingen vorgenommene Tilgung von ac ist Sicherls (1959, 676 f.) Hinweis auf die Häufigkeit von Nominalsätzen bei Favonius zu beachten; zu verstehen ist also secunda est und der Relativsatz hat zwei mit ac koordinierte Glieder. 22,9 epogdoum: Nach Scarpa hat Fav. das Konzept des Epogdous missverstanden, was angesichts der korrekten Definition in 23,6 wenig glaubhaft scheint. Vielmehr scheint Fav., der nach dem Nachweis Dorfbauers (2011a, 378–385 [u. S. 197]) auch an der vorliegenden Stelle von Calcidius Kap. 44 (zitiert o. 22,6) abhängt, mit der Formulierung per epogdoum numerum ein Problem mit Calcidius’ unorthodoxer Verwendung von epogdous umgehen zu wollen, das auf dessen Missverständnis seiner Vorlage beruht, Adrast bzw. Theon p. 51, 4–12: metÄ ta‹ta o… perilambànontec ÇmfotËrac tÄc sumfon–ac, ginÏmenoi d+ Çp+

Kapitel 22

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Çll†lwn Ógdooi, tòn diÄ pas¿n, o’tw proagoreujeÿsan ‚peidò . . . Çp‰ t®c ÊktaqÏrdou l‘rac  pr¿toc ka» bar‘tatoc fjÏggoc, kalo‘menoc Õpàth, tƒ teleuta–˙ ka» Êxutàt˙, toutËsti t¨ n†t˘, tòn aŒtòn eÕrËjh sunËqwn sumfon–an kat+ Çnt–fonon, »danach klingen auch diejenigen Töne zusammen, welche das Gefüge aus Quarte plus Quinte begrenzen und in einer Distanz von acht Tönen voneinander stehen; sie bilden den Akkord Diapason, der seinen Namen daher hat, dass man herausgefunden hat, dass auf der achtsaitigen Lyra der erste und tiefste Ton, genannt Hypate, mit dem letzten und höchsten, genannt Nete, in Oktavkonsonanz zusammenklingt«. Theon/Adrast erklären also den Namen Diapason: »Über alle Saiten« meine soviel wie »über alle acht Saiten«. Calcidius Kap. 44 hat das missverstanden und übersetzt so, als ob jene statt der Distanzangabe Ógdooc den Relationsbegriff ‚pÏgdooc verwendet hätten, und zwar als Synonym zu diÄ pas¿n (vgl. Richter 1965, 96 und LmL s.v. epogdous); der nachfolgende Kausalsatz liefert daher keine sinnvolle Begründung. Fav. ›berichtigt‹ Calcidius, indem er diapason weglässt und sich damit behilft, epogdous als Distanzangabe, also als Synonym eines ogdous zu interpretieren, was durch den ›aristoxenischen‹ Kontext der Intervalldefinition durch Streckenmessung ja nahegelegt wird: »Es entsteht der Diapason genannte Akkord über die Achtzahl der Saiten hinweg« (per modifiziert das Hauptsatzverb nascitur, nicht das Relativsatzverb habetur); so findet der nachfolgende Kausalsatz wieder einen sinnvollen Anschluss und erklärt wie Theon/Adrast das Wort diapason damit, dass »sämtliche Saiten« traditionell die acht Saiten des Doppeltetrachords waren. – Zur Analogie von Himmelssphären und Saitenzahl s. zu Kap. 25. – octo tantum cordis: Die von Boethius nach Nikomachos vermittelte Tradition weiß demgegenüber von einer Entwicklung der Saitenzahl der Leier von vier bei Orpheus über sieben bei Terpander und acht bei Lycaon v. Samos; mit Timotheos von Milet (ca. 450–360 v. Chr.) sei schließlich die Zahl von elf erreicht worden (Neubecker 69–75; Mathiesen 243– 247; Hagel 80–87). Mit sieben Saiten wird der Umfang von zwei Tetrachorden mit einem gemeinsamen Grenzton erreicht (nach Boethius e–a/a–d, vgl. Hagel 80f.; diese Tetrachorde stehen in ›Kontakt‹, sunaf†/synaphé); acht Saiten bilden zwei Tetrachorde, zwischen denen ein Ganzton liegt (e–a/h–e; sie stehen in ›Trennung‹, diàzeuxic/diazeuxis), vgl. Boethius De musica 1,20 eptachordum quidem dicitur synemmenon, quod est coniunctum, octachordum uero diezeugmenon, quod est disiunctum, »Das siebensaitige Instrument wird sunhmmËnwn genannt, was ›mit verbundenen‹ (Tetrachorden) meint, das achtsaitige diezeugmËnwn, was ›mit getrennten‹ (Tetrachorden) meint«.

22,10 simplices ac primigeniae: Diese Bezeichnung ist Gemeingut, vgl. z.B. Censorinus 10,6 symphoniae simplices ac primae sunt tres, quibus reliqua constant,

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»es gibt drei einfache und primäre Intervalle, auf denen alle übrigen beruhen«; vgl. die Gegenüberstellung von Stellen aus Varro (Gellius; Censorinus), Macrobius, Theon v. Smyrna und Philon bei Schmekel 415f. Primigeniae ist ein philosophischer und grammatischer Begriff, der die Basis für Ableitungen meint; vgl. z.B. Cledonius GL 5,50,17 ista primigenia dicuntur et ex ipsis fiunt alia pronomina, ut quisquis, »diese (einfachen Pronomina wie quis) nennt man die grundlegenden, und aus ihnen werden andere abgeleitet wie quisquis«. Das Diapason (Oktave) gehört nicht hierher und wird in 22,9 ja auch zu den zusammengesetzten Akkorden gerechnet, im Einklang mit der von Philolaos (VS 44, B 6, 10–18) begründeten Tradition (»Der Umfang der Oktave besteht aus Quarte und Quinte«) und dem von ihm verwendeten alten Namen der Oktave, Årmon–a, »Zusammenfügung« (vgl. Szabó 226, Creese 106–113). Wie Favonius auch Censorin (10,6), richtig dagegen Calcidius 46, wo das diapason aus den primigeniae cantilenae, den elementaren Intervallen diatessaron und diapente zusammengesetzt ist. – in tetracordo: Ein reguläres Tetrachord umfasst eine Quarte, nicht eine Oktave (der alte, wohl auf Philolaos zurückgehende Name sullabà reflektiert diese strukturelle Einheit, vgl. Hagel 373; zu den unterschiedlichen Binnenstrukturen vgl. Creese 183–185). Wenn Fav. hier dennoch die Oktave auf einem einzigen Tetrachord darstellt, bezieht er sich vermutlich auf eines der beiden von Nikomachos erwähnten entsprechenden Instrumente, nämlich entweder auf das viersaitige, auf e–a–h–e gestimmte Urinstrument des Orpheus (Boeth. De musica 1,20, vgl. zu 22,9) oder auf das Ench. Kap. 6 erwähnte qordÏtonon (›Saitenspanner‹), ein viersaitiges Instrument im Oktavumfang mit regulierbarer Saitenspannung, das Pythagoras angeblich in der zweiten Phase seines Experiments zur Intervallbestimmung anstatt der ursprünglich hängenden und durch Gewichte gespannten Saiten verwendete (vgl. Levin 1994, 91 f.). Allerdings ist für die Darstellung der drei symphoniae simplices ac primigeniae ein Tetrachord gar nicht erforderlich, da sie sich ja auf drei Saiten in der Relation 6 : 8 : 12 darstellen ließen, und in 22,13 denkt Fav., wie schon die nicht numerisch aufeinander abgestimmten Relationen 6 : 8 für die Quarte, aber 2 : 3 statt 8 : 12 für die Quinte zeigen, tatsächlich an drei unabhängige Saitenpaare, wie auch Censorinus 10,8 in seiner Version des Pythagorasexperiments. Fav. kontaminiert somit offenbar zwei unterschiedliche Quellen zu diesem. 22,12 quod aures oblectet: das ist ein Nachtrag zur Definition von symphonia in 22,5; als Bestandteil der Definition von symphonia ist es zum ersten Mal bei Censorinus, 10,6 belegt, vgl. zu 22,5. Eine Diskussion melodischer und unmelodischer Intervalle findet sich schon bei Aristoxenos, 2,45; zu ersteren gehören die von Favonius oben und in § 13 genannten und zusätzlich Halb-, Drittel- und Vierteltöne (letztere mit der Einschränkung, dass nicht mehr als zwei davon auf-

Kapitel 23

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einander folgen sollen, vgl. Barker 1998, 160), kleinere Intervalle sind »unmelodisch«. 22,13 momentis sex [. . .] octo [. . .] duodecim: Fav. behandelt nun die Konsonanzen als »pythagoreische« Zahlenrelationen. Er nennt allerdings die Intervalle zur Erschwernis für den Leser teils mit den Grundwerten (2 : 3), teils mit den Zahlen der aufgespreizten Tetraktys (6 : 8 = 3: 4 für die Quarte und 6 : 12 = 1 : 2 für die Oktave); vgl. zu 24,2, wo er die Werte in proportionaler Progression auf der Basis des Grundwertes sechs nennt. Die dupli ratio der Oktave resultiert aus der, vage mit ex utraque umschriebenen, Multiplikation der Relationen der Quarte und der Quinte (4: 3 × 3: 2 = 12 : 6, vgl. zu 22,5). – Momentum, »Grad« (an Kraft etc.) ist ein von Calcidius (z.B. Kap. 45) übernommener Neologismus, vgl. Bakhouche 2011, 31. – diapente symphoniam: Das überlieferte symphoniam [. . .] resonabit muss nicht mit den modernen Edd. in symphonia [. . .] resonabit geändert werden: resonabit hat ein ›inneres Objekt‹ (wie u. 24,4 recinunt [. . .] symphoniam [. . .] diatessaron) und wird durch einen kausalen Ablativ modifiziert; vgl. z.B. Apuleius, De mundo 29 concinentium vulgus virorum et feminarum mixtis gravibus et acutis clamoribus unam harmoniam resonant, »Die Menge der Männer- und Frauenstimmen lässt durch die Verschmelzung der tiefen und der hohen Töne eine einzige Harmonie erklingen« (ganzer Text unten zu 26,5); vgl. ThLL (i.E.) s.v. II A, 2.

Kapitel 23 Text (1) confusius Sch., Edd.; confussus B. – tradantur Sch., Edd.; tradatur B. – numeris modisque B, Edd. (vgl. Sic. 1960, 684 unter Verweis auf Calcidius 44 numeris modulisque ∼ Fav. 22,1); numeris sonisque Wed. – (2) aut hemiolius Edd., aut emiolius B, Hol.; aut ômilÏlioc Sch. – (3) demonstret〈ur〉 Win., Sca., Mar., Ger.; demonstret B, Scho., demonstratur Wed. – (4) numerus Sic. 1960, 695 f., Sca., Mar., Ger.; numeris B, Hol., Wed. – anteire Wed., Sca.; ante ire B, Hol., Mar. – (5) eiusdem sed tertia B, Wed., Sca.; sed tertia eiusdem Win., Mar.; sed eiusdem tertia Ger. – separentur Sic. 1960, 691 (vgl. 8,3), Mar.; superentur B, Hol., Wed., Sca., Ger. – (6) anteuenit B, Wed., Sca., Ger.; ante uenit Hol., Mar. – anteeat Wed., Sca., Ger.; ante eat B, Hol., Mar. – (7) qua[m] comparatione[m] Sch., Edd. – pari ratione B1 , Edd.; pari eatione B. –

23,1 sed ne confusius: Favonius gibt hier die Gliederung der nächsten beiden Kapitel, die möglicherweise von Calcidius inspiriert ist (40–45 De modulatione siue harmonia, 46–50 De numeris); die Stoffdarstellung selbst ist aber radikal vereinfacht. – inter se numeri comparentur: Nach der in Kap. 22 gegebenen Beschreibung der Intervalle als Distanzen in der Tradition des Aristoxenos beschreibt Fav. sie nun als Zahlenrelationen im Sinne der Pythagoreer, also als 1 : 2 für die Oktave, 4: 3 für die Quarte, 3: 2 für die Quinte, und 9: 8 für den Ganzton (s. zu 22,5). Das

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traditionelle Aition für den pythagoreischen Ansatz, die Legende »Pythagoras in der Schmiede« (der zufolge P. die Konsonanz unterschiedlich schwerer Schmiedehämmer anhand von Därmen, die er mit entsprechenden Gewichten spannte, replizierte und so die Zahlenverhältnisse zwischen den konsonanten Intervallen entdeckte; belegt bei Plinius d. Ä., Nikomachos, Censorinus, Jamblich, Macrobius, Boethius und Isidor, vgl. Levin 1975, 74) bringt Favonius nicht, vielleicht weil seine Autorität Calcidius es auch nicht hat bzw. es auf das Experiment mit den unterschiedlichen Spanngewichten reduziert (Kap. 45, ebenso Theon p. 57,4); Letzteres scheint in 26,9 vorausgesetzt zu sein. – ad efficiendam [. . .] iugiter cantilenam: iugis und seine Ableitungen iugiter und iugitas finden nach Moussy 1995 nach spärlicher Bezeugung im Alt- und klass. Latein erst in der christlichen Literatur weite Verbreitung, und zwar unter dem Einfluss der Vetus Latina und vor allem der Bibelübersetzung des Hieronymus (s. die Statistik auf S. 248 f.). Den von Moussy erwogenen Einfluss auf die pagane Literatur muss man hier dennoch nicht annehmen (und auch nicht in 23,1, 25,4 und 27,3), da iugis und seine Ableitungen zum Ausdruck kontinuierlicher Vorgänge im Platonismus gut verankert sind, vgl. etwa Apuleius, De mundo 9 〈imber〉 pluuia iugis est, »Regen ist ein kontinuierlicher Strom von Tropfen«; Calcidius Transl. 25c accidit, ut illuuione diei noctisque iugi [. . .] Atlantis insula tota [. . .] submergeretur, »es geschah, dass die Insel Atlantis durch eine einen ganzen Tag und eine Nacht andauernde Überflutung unterging«; Macrobius, Sat. 7,14,4 censet Epicurus ab omnibus corporibus iugi fluore quaepiam simulacra manare, »Epikur meint, dass von allen Körpern sich in kontinuierlichem Strom gewisse Abbilder absonderten« (zu verwandtem iugabilis bei Makrobius s. Guillaumin 164–166). 23,2 numerus [. . .] appellatur: Die Namen reflektieren das vielfache oder überteilige Verhältnis eines Intervalls (lÏgoc pollaplàsioc bzw. lÏgoc ‚pimÏrioc). Diplasius bzw. lat. duplaris sowie triplaris und quadruplaris (Macrobius, Somn. 2,1,14) bezeichnen die vielfachen Relationen 1 : 2, 1 : 3, 1 : 4 usw. Die Namen der überteiligen (»epimorischen«) Relationen des Formats n : n+1 (vgl. zu 22,5) werden nach zwei Mustern gebildet: (a) Grundzahl n plus vorangestelltes ‚p– (vgl. Burkert 1962, 362), also ‚p–tritoc / Epitrit, ‚pÏgdooc / Epogdous = ›n plus den kleinsten ganzzahligen Bruchteil von n‹; daher Epitrit = ›drei : drei + 1/3‹ = 3: 4, Epogdous = ›acht : acht + 1/8‹ = 8 : 9; (b) der Name des Hemiolius bedeutet ›Relation des Anderthalbfachen‹ (< ômi- + Ìloc) und reflektiert, dass die Grundzahl exakt halbiert werden kann; die kleinste Zahl, die das erlaubt, ist die Zwei, sodass der Hemiolius die Relation 2 : 3 bezeichnet. Einheitlich nach dem Muster (a) gebildet sind die entsprechenden lateinischen Begriffe, weil die Etymologie des Vorderglieds (sesque-, »anderthalbmal«) vernachlässigt wird, sodass sesqui-altera

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ebenso wie sesqui-octavus beide die Form n + 1/n haben, also 2 : 2 + 1/2 bzw. 8 : 8 + 1/8. 23,2–7 diplasius [. . .] hemiolius [. . .] epitrito [. . .] epogdous: Favonius’ Intervalldefinitionen entsprechen dem in der Literatur Üblichen (vgl. z.B. Theon v. Smyrna p. 61,19–63,22, vgl. Petrucci 369f.; zu comparatio ›Relation‹ in 23,5, 23,7 und 24,1 vgl. Martianus Capella 7,765; zugrunde liegt s‘gkrisic aus Nikomachos, Introd. 1,16,2 u.ö., vgl. Guillaumin 67f.); als Illustration dienen im Folgenden die Definitionen des Macrobius, weil er sie schulmäßig mit den ›aristoxenischen‹ Begriffen parallelisiert: Diplasius (23,3): Macrobius, Somn. 2,1,17 Duplaris numerus est, cum de duobus numeris minor bis in maiore numeratur, ut sunt quattuor ad duo. Et ex hoc duplari nascitur symphonia cui nomen est diÄ pas¿n, »Ein Duplar ergibt sich, wenn die kleinere Zahl zweimal in der größeren vorkommt, wie bei der Relation 4: 2. Aus ihr resultiert der Akkord mit dem Namen diÄ pas¿n«. Vgl. Vitruv 3,1,7; Censorinus 10,9; Martianus Capella 9,934. – Hemiolius (23,4): Macrobius, Somn. 2,1,16 Hemiolius est, cum de duobus numeris maior habet totum minorem et insuper eius medietatem, ut sunt tria ad duo. Nam in tribus sunt duo et media pars eorum, id est unum. Et ex hoc numero [. . .] nascitur symphonia quae appellatur diÄ pËnte, »Ein Hemiolius liegt vor, wenn von zwei Zahlen die größere die kleinere zur Gänze und zusätzlich die Hälfte von ihr beinhaltet, wie beim Verhältnis 3: 2. Denn drei beinhaltet zwei und die Hälfte davon, also eins. Aus diesem Zahlenverhältnis resultiert der Akkord, der diÄ pËnte heißt«. Vgl. Gellius 18,14,3, Censorinus 10,8, Martianus Capella 2,107. – Epitritus: Macrobius, Somn. 2,1,15 Et est epitritus, cum de duobus numeris maior habet totum minorem et insuper eius tertiam partem, ut sunt quattuor ad tria. [. . .] deque eo nascitur symphonia quae appellatur diÄ tesàrrwn, »Ein Epitrit liegt vor, wenn von zwei Zahlen die größere die kleinere zur Gänze beinhaltet und zusätzlich ein Drittel von ihr, wie beim Verhältnis 4: 3. [. . .] Aus ihm geht der Akkord hervor, den man diÄ tessàrwn, Quarte, nennt«. Vgl. Gellius 18,14,5, Censorinus 10,8, Calcidius 41, Martianus Capella 9,933. – Epogdous: Macrobius, Somn. 2,1,20 Epogdous est numerus, qui intra se habet minorem et insuper eius octauam partem, ut nouem ad octo, quia in nouem et octo sunt et insuper octaua pars eorum, id est unum. Hic numerus sonum parit quem tÏnon musici uocauerunt, »Der Epogdous ist eine Zahl, die eine kleinere und zusätzlich deren achten Teil beinhaltet, wie beim Verhältnis 9: 8; denn neun beinhaltet acht und ein Achtel davon, also eins. Dieses Verhältnis bringt das Intervall hervor, das die Musiker tÏnoc nennen«. Vgl. Calcidius 41 (s.o. zu 22,6), Martianus Capella 2,108. Zur historischen Berechnung des Epogdous durch Subtraktion der Saitenlänge der Quarte von derjenigen der Quinte auf dem zwölfteiligen Kanon durch Verschiebung des beweglichen Stegs (Õpagwge‘c) zwischen den Positionen 9 und

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8 vgl. Szabó 252 f.; zur Vorgeschichte des Kanons vgl. Creese 97–104. – longius diducuntur: Fav. kombiniert mit den Intervalldefinitionen die Demonstration, dass trotz konstanter arithmetischer Differenz eins zwischen den Verhältniszahlen der Akkorde der Quotient der Relation, die ratio, abnimmt (dimidia/tertia/ octaua pars); der Möglichkeit, das allgemeine Gesetz zu formulieren, dass Verringerung von Intervallen mit zunehmenden Zahlwerten korrelieren kann und umgekehrt (2 : 1 > 3: 2 > 4: 3 > 9: 8), begibt er sich dadurch, dass er für die Oktave statt der Grundform 2 : 1 mechanisch das Vielfache 12 : 6 aus 22,13 übernimmt. Die Demonstration ist komplementär zu der in 8,3, dass der Quotient bei Änderung der numerischen Werte konstant bleiben kann (sc. wenn die Proportion geometrisch ist); vgl. dort und zu 25,1. Die in diesem Zusammenhang von Nikomachos Introd. 2,23,6 als allgemein bekannt bezeichnete Gesetzlichkeit, dass in einer arithmetischen Proportion größere Relationen (Quotienten) mit geringeren Zahlwerten korrelieren (9: 6 > 12 : 9), umgekehrt dagegen in einer harmonischen (8 : 6 < 12 : 8), wogegen in einer geometrischen die Relation stabil bleibt (2 : 4 = 4: 8; vgl. D’Ooge 269, Anm. 4; Levin 2009, 138), kommt bei Fav. nirgends klar zum Ausdruck. – nullam artiorem: Favonius übergeht die mit dem Epogdous üblicherweise verknüpfte Frage nach der Teilbarkeit des Ganztons, vgl. o. zu 22,5. Den Epogdous 9: 8 betrachtet er als das kleinste (ganzzahlige) Intervall, weil neun die Grenze des elementaren Zahlraums ist, vgl. 10,7 und 19,7; in 4,1 und 13,5 sieht er dagegen die Zehn als diese Grenze an. – epogdoi uersus: die »Neunerreihe«; Favonius verwendet hier epogdous also als Zahlwort und nicht als Relationsbegriff (vgl. Scarpa und Marcellino z. St.).

Kapitel 24 Text (1) dicamus B, Edd.; dicemus Sic. 1959, 693. – (2) octauus: es folgt eine Rasur in etwa derselben Wortlänge. – duodecimus qui est B, Edd.; duodecimus qui est 〈quartus〉 Ger. – (6) 〈inter〉 Heb., Ger.; 〈per〉 Win., Edd. – tetracordi B1 , Edd.; tetracorda B. –

24,1 harmonica disciplina: Die harmonica disciplina (harmonia) ist eine der drei ›technischen‹ (theoretischen) Disziplinen der Musik neben Rhythmik und Metrik (vgl. Aristides Quintilianus p. 8 Meibom), eine Gliederung, die bei Martianus Capella 9,936 auf Lasos von Hermione (6. Jh.), den ersten Verfasser einer Musiklehre, zurückgeführt wird. Wie das Folgende zeigt, verwendet Fav. den Begriff wie Martianus Capella als Lehre von den Akkorden im Oktavraum (7,733 tres symphonias continet harmonia, id est diapason, hemiolion, diatessaron, »Die harmonia beinhaltet drei Akkorde, diapason, hemiolios und diatessaron«) mit einem Gesamtumfang von sechs Ganztönen (7,736 totius harmoniae toni sunt sex, »der Um-

Kapitel 24

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fang der gesamten harmonia beträgt sechs Ganztöne«); zur Vorgeschichte von Årmon–a ›Oktave‹ (und sullabà ›Tetrachord‹) s. zu 22,10. 24,2 fac [. . .] tetracordum: Favonius schickt sich jetzt an, die Binnengliederung des Oktavraums anhand des bereits in 22,10 (s. dort) eingeführten Chordotonon sichtbar zu machen, das statt des für ein Tetrachord üblichen Quartumfangs eine ganze, im Verhältnis 6:8:9:12 gestimmte Oktave umfasst (die übliche Darstellung der Oktave auf zwei Tetrachorden erwähnt er in 14,3 selbst). Als Fernwirkung davon ist er in Kap. 25 gezwungen, einen Umfang der Sphärenharmonie von zwei Oktaven gleich zwei ›Tetrachorden‹ anzusetzen, obwohl er mit dem einoktavigen Modell der varronischen Tradition arbeitet. – prior senarius [. . .] extremus: Die Reihe 6 : 8 : 9: 12 ist die ganzzahlige Darstellung der Binnenstruktur der Oktave, die ja durch Philolaos bzw. Archytas auf ›Hemiolius mal Epitrit‹, also (3: 2) × (4: 3) = 12 : 6 berechnet worden war (vgl. zu 22,5); die Bruchzahlen für Epitrit und Hemiolius wurden beseitigt, indem man ihre Werte auf den mit der Oktavrelation ge6 : 8 : 9 : 12 ). Die Binnenstruktur der meinsamen Nenner 6 brachte ( 11 : 43 : 32 : 12 6 â 6 Oktave ist so auch ganzzahlig als geometrische Proportion (6 : 8 = 9: 12) darstellbar (implizit so Fav. in 24,3 f.; explizit Proklos, In Tim. 3, p. 173,11–174,10; vgl. Baltzly 2009, 35). Die Zahlenreihe 6 : 8 : 9: 12 wird bei den kaiserzeitlichen Autoren »der primäre Code für Harmonie« (Hagel 112). Im Platonismus gilt diese Oktavstruktur als präfiguriert in der Binnenstruktur der Weltseele nach Platon, Timaios 36a– b (vgl. 16,4 interualla primigenia und Anm. zu 16,4–5). Dort heißt es, dass die Zwischenräume zwischen ihren konstitutiven Zahlen vom Demiurgen ausgefüllt werden durch »zwei Mittel, deren eines um den selben Teil der äußeren das eine äußere übertraf, um welchen es von dem anderen übertroffen wurde« – das harmonische Mittel –, »das andere dagegen um die gleiche Zahl das eine übertraf und dem anderen nachstand« – das arithmetische Mittel (Übersetzung von E. Diels). Angewandt auf die Oktavstruktur beträgt das harmonische Mittel also 6 + 13 = 12– 1 3 = 8, das arithmetische 6 +3 = 12–3 = 9. Die modernen, aber letztlich schon auf die antiken Handbücher zurückgehenden Berechnungswege (Theon v. Smyrna p. 113,10–119,17, vgl. Petrucci 434–442; Nikomachos, Introd. 2,27, vgl. D’Ooge 278– 281; eine konzise Zusammenfassung bei Proklos, In Tim. 3, p. 171,18–174,10, vgl. Baltzly 2009, 34f.) sind m = 2ab/(a+b), also z.B. 2 × (6 × 12)/(6 +12) = 8 für das harmonische sowie m = (a+b)/2, also (12 +6)/2 = 9 für das arithmetische Mittel (vgl. Bakhouche 2011, 659; zu den Mitteln vgl. Burkert 1962, 417–419; Richter 1965, 89 und 95, Levin 1994, 114–120, Barker 2007, 302 f.; Levin 2009, 14f., Hagel 112–116). Parallel zu dieser aufgespreizten Skala werden auch in der antiken Kommentartradition zum Timaios, vermutlich seit Krantor († 275), die Zahlen der Weltseele mit einer entsprechend aufgespreizten Variante des Labdoma (s. zu 16,2) dargestellt;

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Kommentar

vgl. Baltzly 2009, 7–11; Bakhouche 2011, 252 und 660 zu der Abb. bei Calcidius Kap. 41. – Favonius’ Diagramm in 24,6 setzt die Mittel voraus, die zugehörigen Erläuterungen in 24,3–5 erklären sie aber im Gegensatz zu seiner Quelle Calcidius Kap. 41 nicht. Stattdessen beschränkt Fav. sich darauf, den symmetrischen Bau der Oktave aus zwei Quarten (die also in geometrischer Proportion stehen, vgl. u. zu 25,7–9 und 26,1–3) um den zentralen Epogdous, in 24,6 als umbilicus, »Nabel« der Oktave bezeichnet, herauszustellen. – senarius perfectus ac sapiens: Perfekt, da gleich der Summe der Teiler, s. zu 10,1–3. 24,3–5 simplices symphoniae: simplices wie 22,6 und primigeniae in 22,10. – Die Beschreibungen der Intervalle in 24,3–5 wiederholen das in Kap. 22 und 23 Gesagte, sind jedoch orientiert auf die Strukturierung des Oktavraums, wie in dem in 24,6 überlieferten Diagramm dargestellt: Die Bögen oberhalb der Intervallzahlen teilen ihn in zweimal Epitrit (6 : 8 und 9: 12) mit einem die Intervalle trennenden Epogdous (8 : 9), die Bögen unterhalb in zweimal Quinte (6 : 9 und 8 : 12) mit einem von den beiden Intervallgrenzen umfassten Epogdous, was diesen zum umbilicus, zum »Nabel« der Oktave macht. 24,6 〈inter〉: Für v. Winterfelds Ergänzung 〈per〉 bietet der ThLL keine Parallele, und die Diskussion bei Macrobius, Somn. 2,8,1–7 zu per »zwischen« bei Vergil (Georgica 2,237–239 uia secta per ambas (zonas), »ein Weg ist zwischen beiden Zonen gebahnt«) setzt voraus, dass diese Bedeutung von per im 5. Jh. nicht ohne weiteres verständlich war. Zu insero inter vgl. dagegen Calcidius Kap. 15 Atque his mediis duabus, quae inter duas extimas formas inseruntur, genitura est de isdem extimis, »Die beiden mittleren Körper, die zwischen die äußeren eingefügt worden sind, verdanken ihren Ursprung eben den äußeren«. – figuram aspice: Ms. B, fol. 30r (die Umzeichnung aus Holder S. 18).

Kapitel 25 Text (1) concinit Win. (vgl. Sic. 1959, 701), Edd.; concinuit B; concinunt Sch. – (2) Pythagoras Edd., phytagoras B (vgl. 21,1). – Çplan†c Scho., Hol., Mar., Ger.; aplanes B, Wed., Sca. – diapente [. . .] diatessaron Heb.; diatesseron [. . .] diapente B, Edd. – totum autem diapason, quae B, Edd.; totum diapason. [quae] Sca. – primis 〈interuallis copulata est symphonia, a Terra ad Zodiacum〉. Aeque [. . .] Heb.; primis 〈. . .〉 aeque Wed., Mar. (jeweils ohne Versuch, die Lücke zu füllen); primis 〈symphoniis . . .〉 Ger. – hemisphaeria Scho., Edd., hemisperia B, Hol. – aeque B, Edd.; aequa Bai. – (3) distant B1 , distat B. – a duodecim Sku., Edd.; a duodenario Sic. 1959, 701; ab octo B, Sch., Hol. – duplicatos B, Edd.; [duplicatos] Sku., Sca. – (4) iunctim B, Edd.; uinctim Sch. – (5) 〈circulum〉 Win., Wed., Mar., Ger. – (6) 〈d〉ixerat Sch., Edd.; ixerat B (Ger. lxxxviii: fehlende Rubrizierung). – obtundit B, Edd.; obtundat Wed. (vgl. et debilitet). – ut 〈sol〉 oculos Heb.; et oculos B, Edd. –

Kapitel 25

157

debilitat Sic. 1959, 695, Sca., Mar., Ger.; debilitet B, Hol., Wed. – diastemata B1 , Edd.; diast†mata Scho.; diastematea B. – sensu Sch., Edd.; sensus B. – (7) extrema Edd., extrema 〈. . .〉 Heb. – item unam . . . in sese Edd., item extremam cum prima Sca. – ducti B, Edd. (vgl. Sic. 1959, 673); dixit Hol. – triginta duo Edd.; xxxii gefolgt von duo in Rasur B. – sex〈ies〉 decies Sic. 1959, 679, Mar., Ger.; sex decies B, Hol., Wed.; sedecies Sca. – conligunt B, Hol.; colligunt Wed., Sca., Mar., Ger. – medietas uero prima Edd., medietas uero prima 〈itemque secunda〉 Sca.; in se ducta 〈atque cum prima summa collecta〉 Sku.; in se ducta 〈. . .〉 Mar., Heb. – colligit B, Edd., 〈non〉 colligit Sca. – consertae Win., Edd.; confertae B, Scho. – (8) dum sunt B, Hol., Ger.; dum sint Wed. (vgl. efficiat); cum sint Sca., Mar. – quod B1 , Scho., Hol., Wed., Sca., Mar.; que¸ B, quae Ger. – extremorum Sch., Edd., ettremorum B. – (9) quid quod B, Edd.; [quid] quod Ger. – sexaginta quatuor Bai., Edd.; XIIII B. – ducta (oder subducta) Sic. 1959, 690; Mar.; adducta B, Hol., Wed., Sca., Ger. –

25,1 harmonia mundana: Ausgangspunkt der Lehre von der Sphärenharmonie (vgl. die Übersicht bei Richter 1999) sind folgende Stellen bei Platon: (1) Politeia 616b–17b: der Kosmos besteht aus acht konzentrischen Sphären, auf denen jeweils eine Sirene sitzt, und die von ihnen emittierten Töne fügen sich zu einer Harmonie zusammen (vgl. Macrobius, Somn. 2,3,1); (2) Timaios 35b–36c: der Demiurg »verleiht der Weltseele eine musikalische Stimmung«, indem er die ›Lücken‹ zwischen ihren konstitutiven Zahlen mit dem harmonischen und arithmetischen Mittel unterteilt und die so definierten Intervalle mit Ganz- und Halbtönen ausfüllt (vgl. zu 16,4–5 und 24,2); (3) Tim. 38c–39a: der Demiurg setzt den Kosmos in Bewegung (s. die konzise Darstellung der platonischen Kosmologie bei Szlezák 2021, 421–461). Die Entdeckung der Sphärenharmonie selbst wird von der Tradition dem Pythagoras zugeschrieben; sie ist greifbar seit Aristoteles (vgl. zu 25,6). Die überlieferten Modelle der Sphärenharmonie beschreiben deren Intervallstruktur teils nach dem distanzmessenden ›aristoxenischen‹, teils nach dem relationalen ›pythagoreischen‹ Ansatz (s. zu 22,5): (1) Das früheste Beispiel der ersten Gruppe ist Eratosthenes (ca. 276–194), der lt. Theon v. Smyrna (p. 142,15–20, vgl. zu 21,2) die Planeten nach der ›ägyptischen‹ Folge Platons (Tim. 3a c–d) anordnet und die von ihnen und der Fixsternsphäre erzeugte Sphärenharmonie im Umfang einer Oktave mit dem Klang einer achtsaitigen Lyra vergleicht (vgl. zu 21,2 sowie Richter 1999, 298; Petrucci 465 f.). Dieses Modell wird im 1. Jh. durch mehrere Neuerungen modifiziert, die unabhängig voneinander bei Alexander v. Ephesos (Alexander Polyhistor; referiert bei Theon p. 138,9–142,6 [dort Alexander v. Aitolien zugeschrieben]) und Calcidius Kap. 72 vorliegen (vgl. Petrucci 462–465 bzw. Bakhouche 2011, 683f.) bzw. für Varro erschließbar sind; sie sind nach Burkert 1961 auf eine gemeinsame neupythagoreische Quelle zurückzuführen (vgl. Abb. 3 auf S. 158). Es ist charakterisiert durch (a) ›chaldäische‹ Planetenfolge mit Zentralstellung der Sonne, welche durch de-

158

Kommentar

ren ôgemonikÏn-Funktion begründet ist (Einzelheiten vgl. zu 8,5); (b) die Einbeziehung der Erde in das System, obwohl diese, da unbewegt, keine Rolle für die Harmonie spielt; ihre Entfernung zum Mond, ein Ganzton, liefert aber das für die Distanzbestimmungen zwischen den Planeten »notwendige kosmische Grundmaß« (Burkert 1961, 38–40); (c) eine von der Erde aufsteigende Tonleiter im Oktavumfang mit dem Mond als tiefstem und den Fixsternen als höchstem Ton; letztere sind im Sinne von Ptolemaios’ Unterscheidung von dissonanten, konsonanten und unisonen Klängen (Harmonielehre 1,7) konsonant, aber nicht unison, in der Formulierung von Aristides Quintilianus (p. 12 Meibom) ÇnisÏtonoi aber von gleicher d‘namic (vgl. Schäfke (ed.) 76); (d) die Zuordnung von Saitennamen zu den Planetensphären; (e) die Umrechnung der Intervallangaben in absolute Entfernungsangaben mit dem Grundmaß Erde–Mond = 126.000 Stadien, d.h. der

Sphäre

Saite (Ton) bei Alexander v. Ephesos

Fixsterne Nete synemmenon

Ton Intervall e

Saturn

Paranete chromatike

dis

Jupiter

Trite diezeugmenon

d

Mars

Paramese

cis

Sonne

Mese

h

Venus

Lichanos chromatike

gis

Merkur

Parhypate

g

Mond

Hypate

fis

Erde

Hyperhypate

e

Ursprgl. Modell (Burkert 1961)

1 2

1 12

1 2

1 2

1 2

1 2

1

1

1 21

1 12

1 2

1 2

1 2

1 2

e des c h (Diazeuxis) a ges f e

1



Abb. 3: Die Sphärenharmonie nach Alexander von Ephesos und der varronischen Tradition. Saitenangaben nach Richter 1993. Die absolute Distanz berechnet sich nach dem Grundmaß Erde–Mond = 1 Ganzton = 126.000 Stadien (halber Erdumfang nach Eratosthenes) auf 12 Halbtöne = 756.000 Stadien. In den beiden rechten Spalten die von Burkert 1961 rekonstruierte Originalversion aus zwei Tetrachorden in Diazeuxis zu je 1 Quarte ( 12 + 12 + 1 21 ).

Kapitel 25

159

Hälfte des von Eratosthenes berechneten Erdumfangs (Richter 1993, 1335 f.; Richter 1999, 300). – Theon v. Smynra p. 141,11–22 kritisiert die Einbeziehung der Erde ebenso wie die Halbtonabstände zwischen den oberen Planeten, die keiner tradierten Tonleiter entsprächen. Nach Burkert 1961 ist die Originalversion der Skala durch Weglassung der Erde und Versetzung des frei werdenden Ganztons in das Intervall zwischen Saturn und Zodiakus rekonstruierbar (vgl. Abb. 3 auf S. 158); Ergebnis ist eine reguläre chromatische dorische Skala aus zwei Tetrachorden in Diazeuxis mit jeweils Intervallfolge 12 + 12 + 1 21 wie bei Theon v. Smyrna p. 56 beschrieben. Die Hauptmasse der lateinischen Belege hängt von diesem varronischen Modell ab: Hyginus Astronomus (4,14,4), Plinius d. Ä. (2,83f.), Hyginus Gromaticus (p. 148 Thulin), Censorinus (13,1–5) und Martianus Capella (2,169f.; 194–198); vgl. Richter 1999, 300f. (2) Auf Zahlenrelationen, nämlich zwischen den konstitutiven Zahlen der Weltseele (vgl. zu 16,2–4), beruhen dagegen die Modelle von Calcidius (Kap. 96, vgl. Bakhouche 2011, 701) und Macrobius, (Somn. 2,3,14f.), die dem neuplatonischen Postulat Genüge tun wollen, dass die Struktur des Kosmos die der Weltseele widerspiegeln müsse (vgl. Macrobius Somn. 2,3,14 Porphyrius [. . .] ait. . . eos (Platonicos) credere ad imaginem contextionis animae haec esse in corpore mundi interualla, »Porphyrios sagt, dass die Platoniker glauben, dass die Intervalle im Körper der Welt ein Abbild der Struktur der Weltseele seien«; vgl. Gersh 1986, 570f.). Das impliziert den Ausschluss der Fixsternsphäre aus der Harmonie, weil das ›Weltseelenmodell‹ ja nur sieben Zahlen verfügbar macht; davon bezeichnet die Eins wieder das Grundmaß, das Intervall Erde–Mond. Dass die resultierende Intervallfolge (1 : 2 : 3 : 4 : 9 : 8 : 27) wegen des ›Zahlendrehers‹ 9: 8 nicht direkt auf die Planetenfolge abbildbar ist (Mars bekäme mit 9 einen höheren Distanzwert als der erdfernere Jupiter mit 8) und außerdem ein unorthodoxes Intervall 4: 9 enthielte, behebt Calcidius damit, dass er die Zahlenreihe normalisiert (Mars = 8, Jupiter = 9) und so auf einen Gesamtumfang der Harmonie von vier Oktaven, eine Quinte und ein Ganzton kommt (vgl. Flamant 372, Richter 1999, 295 f.). Modellgetreu verfährt dagegen Macrobius (nach Porphyrios, vgl. Gersh 1986, 570f.), aber seine komplizierte Reparatur des ›Zahlendrehers‹ führt zu einem absurd hohen Umfang der Harmonie von 15 Oktaven und 3 Ganztönen (Einzelheiten bei Flamant 368–378, Richter 1999, 295 f., Armisen-Marchetti 2003, Anm. 70, Bakhouche 2011, 701, Heberlein 2019, 435 f.). (3) Eine Sonderstellung nimmt das Modell des Nikomachos ein (Enchir. Kap. 4; referiert auch bei Boethius, De musica 1,27): Die Abstände der Planeten entsprechen denen auf einer chromatischen dorischen Skala, die Skala ist auf sieben Noten beschränkt (e–d ) und schließt die Fixsternsphäre sowie die Erde aus. Nach dem Gesetz vom Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Tonhöhe

160

Kommentar

(vgl. zu 22,4) wird die Skalenrichtung umgekehrt und dem Planeten mit dem langsamsten Erdumlauf, dem Saturn (Kronos), der tiefste, und dem mit dem kürzesten, dem Mond, der höchste Ton zugewiesen (Einzelheiten bei Levin 1994, 45–60; Richter 1999, 297f.). Favonius selbst bietet eine Kombination aus einem ›pythagoreisch‹ (25,1) und einem ›aristoxenisch‹ (25,2) inspirierten Ansatz, die er notdürftig zu harmonisieren sucht (25,2 Ende bis 25,3); dabei verwendet er nun die ›chaldäische‹ Planetenfolge, während er im arithmologischen Teil die ›ägyptische‹ verwendet hat (vgl. zu 9,1 und 17,3). disdiapason [. . .] ex duobus uelut tetracordis: Der im Gegensatz zur varronischen Tradition stehende Umfang einer Doppeloktave wird erzwungen durch die zur Abbildung von acht Sphären notwendige Verdoppelung des ›didaktischen‹, eine ganze Oktave umfassenden Tetrachords aus 22,10 und 24,2. Legitimiert sieht Fav. das vermutlich durch die pythagoreische Tradition (ut traditum est), übersieht aber dabei, dass nur aus der ›dekadischen‹ Tetraktys (1 : 2 : 3: 4), nicht aber aus der in der Harmonielehre gebräuchlichen ›kanonischen‹ (6 : 8 : 9: 12; zur Terminologie vgl. Schulze 2010, 76; zum Unterschied s. auch Vetter 2013, 223f.) ein Doppeloktavumfang ableitbar ist. Fav. bemerkt richtig, dass die beiden Tetrachorde

Sphäre

Intervall

Ton

Aplanes Saturn

e

24

Ì

Quarte Jupiter



18

h

Oktave

Ton Mars

16

Sonne

12

a Quarte e Quarte

Venus

9 8

Oktave a Í

Quarte Mond

6

á Synaphé

h Ton

Merkur

Í [. . .] Ì

e

Erde Abb. 4: Die Sphärenharmonie nach Favonius, Kap. 25,1 (zur dorischen Tonart s. 26,5).

Kapitel 25

161

in Synaphé stehen müssen (tetrachordis inter se coeuntibus) und nicht in Diazeuxis, denn Einfügung eines Ganztons (sc. zwischen Sonne und Mars) würde zur Überschreitung des Doppeloktavumfangs um diesen Ganzton führen. Die unerwünschte und von Fav. ignorierte Konsequenz daraus ist allerdings (s. Abb. 4 auf S. 160), dass die Gleichsetzung der octo circuli mit den Tetrachordsaiten nicht mehr funktioniert, weil das ›verbundene‹ Doppeltetrachord ja nur sieben Saiten mit sechs Intervallen hat, also im Widerspruch zu § 2 die Fixsternsphäre und die Erde ausschließt (und nicht nur Erstere, wie Sicherl 1959, 709 meint). 25,2 Pythagoras: Im Widerspruch zu 25,1 wird nun die Binnenstruktur der Sphärenharmonie nach dem Oktav-Modell der varronischen Tradition bestimmt, vorgeblich nach Pythagoras (zur Zuschreibung an diesen vgl. Plinius 2,83 und Censorinus 13,3), tatsächlich nach der aristoxenischen Tradition, wie die Einteilung der Oktave in sechs Ganz- bzw. zwölf Halbtöne (ut sex tonis caelum distet a terra, duodecim scilicet hemitoniis) sowie die Intervallbezeichnungen diatessaron, diapente, diapason zeigen; auch die Verwendung von Halbtönen zur Distanzbestimmung statt größerer Einheiten ist ein ›aristoxenisches‹ Verfahren, bei dem die ›pythagoreische‹ Unterscheidung zwischen Leimma und Apotomé unberücksichtigt bleibt (vgl. Barker 1989, 72 f.; Hagel 152). – ad dupli conuenit rationem: Die zwölf Halbtöne addieren sich zur Relation 2 : 1 zwischen den Grenztönen der Oktave. Die Verdeutlichung dieser dupli ratio durch die Relation 8 : 4 ist ein Stückchen arithmologischer Epideixis, welche die (schon in 8,3 thematisierte) dupli ratio als geometrische Proportion 2 : 1 = 8 : 4 veranschaulicht; es stammt aus der Proportionenlehre der Handbücher, vgl. die Definitionen bei Theon v. Smynra, p. 73,17– 74,14 und die zugehörige Ableitung der Relationen des Doppelten, Dreifachen etc. auf p. 106,13–107, Ende (s. Petrucci 383f., 428–432). Dafür spricht, dass das zweite Glied der Proportion als 8 : 4 statt in der Grundform 4: 2 ausgedrückt wird (ebenso 26,3), vgl. die Formel bei Theon p. 74,12 ›wie 2 : 1 so 8 : 4‹, welche die dupli ratio anhand der ersten vier Werte 1-2-4-8 darstellt. Das Verfahren wird in 25,3 und 26,3 wieder aufgegriffen. – Der von Fav. nicht erwähnte musiktheoretische Bezug der geometrischen Proportion ist, dass sie seit Thrasyllos († 36) verwendet wird, um zu zeigen, dass die ratio / der lÏgoc eines Intervalls bei Änderungen der numerischen Werte stabil bleiben und nur eine Differenz (Õperoq†) bei der Subtraktion der Zahlen entstehen kann: die ratio zwischen 6 : 3 und 2 : 1 ist identisch, aber die Õperoq† ist 3 bzw. 1 (hervorgehoben in Porphyrios’ Kommentar zur Harmonielehre des Ptolemaios: Comm. in C. Ptolemaei harmonica 91,13– 92,9, vgl. Szabó 252, Gersh 1992, 141–156; Fav. selbst thematisiert den Unterschied in 8,3). – a terra ad lunam etc. Zur hier vorliegenden ›chaldäischen‹ Planetenfolge und deren Konkurrenzmodellen s. S. 157. – reboat: Nach der im Spätlatein

162

Kommentar

häufiger zitierten Vergilstelle Georgica 3,223 reboant siluaeque et longus Olympus, vgl. z.B. Aug. Dial. 6,9 bo®sai Graeci clamare et Vergilius reboant siluae und Servius z. St. reboant: resultant, remugiunt. – diapente [. . .] diatessaron: Umgekehrt in B und den Ausgaben; aber nach Favonius’ vorhergehender Rechnung sind es sieben Halbtöne von der Erde zur Sonne, also eine Quinte, und fünf gleich einer Quarte von der Sonne zur Fixsternsphäre, wie bei Censorinus 13,4–5 (ein ähnlicher Fall von Wortvertauschung in 28,1). Die Umkehrung beruht wohl auf ›Korrektur‹ während der Textüberlieferung, denn die Abfolge Quartintervall zwischen Erde und Sonne und Quinte zwischen Sonne und Fixsternsphäre findet sich in Boethius, De musica 1,27 hypodorischer (s. zu 26,5) Planetentonleiter (s. Richter 1999, 298). – quae ex duobus primis [. . .]: Zum Ansatz einer Lücke hinter primis vgl. Van Weddingen und Marcellino, jeweils ohne Versuch einer Ausfüllung; Gerzaguet & Bakhouche beschränken sich auf die Andeutung 〈symphoniis . . .〉; Scarpa interpungiert ›totum autem diapason.‹ und tilgt quae; seine Übersetzung lautet »il diapason dunque nella sua interezza. Alla stessa maniera, e cioè a partire dai due primi accordi si hanno i due emisferi [. . .]«, was, sofern die nachstehenden Überlegungen zutreffen, nicht richtig sein kann, da die duo hemisphaeria eben nicht (unmittelbar) aus den beiden ersten Akkorden zusammengesetzt sind. Was könnte der Inhalt der Lücke gewesen sein? Bestimmender Gedanke von 25,2 Namque a terra [. . .] licet accipias ist der sukzessive Aufbau der Sphärenharmonie aus den in 22,2–3 definierten Teilen (den principales portiones und ihren partes in 22,1) des Aristoxenos-Systems diastemata < systema < höhere systemata, also einfache Intervalle < Oktave < Doppeloktave. Dabei werden diesen harmonischen Einheiten entsprechende kosmische Entfernungen zugeordnet: (1) dem ersten diastema entspricht die Distanz von der Erde zur Zentralsphäre Sonne, dem zweiten die Distanz Sonne – Zodiakus. (2) Beide addiert konstituieren das systema totum diapason – das steckt offenbar in quae ex duobus primis, und ihm entspricht die Distanz Erde–Zodiakus. (3) Analog dazu (aeque) konstituiert die Addition von zweimal diapason gleich duo hemisphaeria das höhere systema der Doppeloktave, welche dem Gesamtdurchmesser der beiden Hemisphären (s.u.) entspricht. In der Lücke wird also die Oktave als symphonia copulata im Sinne von 22,6–10 bezeichnet und ihr ein Tonumfang von der Erde bis zum Zodiakus zugewiesen worden sein. Folglich ist (1) quae ex duobus primis im Sinne von 22,6–10 als »aus den beiden ersten simplices symphoniae« zu verstehen; (2) ein Bezugswort zu quae zu ergänzen: Da dessen Genus nicht zu diapason passt, muss es adjektivisch zu einem internen Nukleus des Relativsatzes sein; dafür bietet sich symphonia an; (3) ein Bezugswort zu duobus zu ergänzen, wofür sich entweder intervallis oder diastematibus (vgl. 22,2) anbietet; (4) ein Prädikat wie copulata (vgl. 22,6) oder compacta (vgl. 25,1) zu ergänzen. Ein Vorschlag zur Füllung der Lücke wäre demnach quae

Kapitel 25

163

ex duobus primis 〈interuallis copulata est symphonia, a Terra ad Zodiacum〉. – aeque: Fav. steht jetzt vor der Notwendigkeit, die Diskrepanz zwischen seinem eigenen Doppeloktavumfang der Sphärenharmonie (25,1) und dem Oktavumfang nach ›Pythagoras‹ (25,2–3) auszugleichen, indem er eine Analogie (aeque, vgl. ThLL s.v. ›∼ pariter‹, ›similiter‹, vgl. 15,6) konstruiert: Die ›pythagoreische‹ Skala sei zu verdoppeln, weil es zwei Hemisphären gebe. Die Analogie besteht zwischen der Zweigliedrigkeit des systema Oktave aus den diastemata Quinte und Quarte und der Zweigliedrigkeit des höheren systema Doppeloktave aus zweimal dem systema diapason. Dass zwischen dessen 24 Halb- und 12 Ganztönen ebenfalls ein Verhältnis des Doppelten besteht, wird wieder mit einer Variante der geometrischen Proportion von § 2 Anfang unterstrichen (expliziter Rückverweis rursus): 24: 12 = 8 : 4. – duo sunt hemisphaeria: Vorausgesetzt sind hier offenbar (1) das auf Krates v. Mallos und Poseidonios (fr. 49 Kidd; Kommentar Bd. 2. 216–275) zurückgehende Zonenmodell mit je einer kalten und einer gemäßigten Zone auf der oberen und unteren Erdhälfte, die axialsymmetrisch um die zentrale heiße Zone angeordnet sind, (2) die Vorstellung (z.B. Kleomedes p. 8 Todd, ausführlich Macrobius, Somn. 2,7,1–11), dass diesen Erdzonen gleiche Himmelszonen entsprechen; die für Favonius nächstliegende Version findet sich bei Calcidius Kap. 65–68 (vgl. Bakhouche 2011, 676 ff. mit weiteren Stellen). Weniger klar ist, inwiefern aus der Existenz einer nördlichen und einer südlichen Himmelshemisphäre eine Verdoppelung der Planetentonleiter resultieren sollte. Offenkundig sitzt Fav. hier in einer selbstgestellten Falle: Da sein ›didaktisches‹, die Sphärenharmonie veranschaulichendes Doppel-Tetrachord von 25,1 einen Doppeloktav-Umfang hat (disdiapason ex duobus tetracordis coeuntibus), aber die Addition der Planetenentfernungen nach ›Pythagoras‹ in 25,2 nur eine Oktave ergibt, greift er zwecks Ausgleichs der Diskrepanz zu der Notlösung, den Oktavumfang je eines seiner Tetrachorde nach 25,1 mit dem je einer Himmelshemisphäre gleichzusetzen. Dabei muss er sich darüber hinwegsetzen, dass bei den Saiten seiner beiden Tetrachorde nach 25,1 sich zwar deren interne ratio wiederholt (6 : 12 = 12 : 24), dies aber im Oktavabstand, die Töne also konsonant aber nicht unison sind (vgl. Einleitung zu Kap. 25), wogegen bei den rotierenden Planetensphären ratio und Tonhöhe oberhalb und unterhalb des Himmelsäquators identisch sein müssen. 25,3 duplicatos: duplicatos wird getilgt von Scarpa; Marcellino behält es bei und übersetzt: »il ventiquattro contiene l’otto più un altro otto radoppiato (sedeci)«. Gegen beides spricht, dass parallel zur Relation 12 : 6 in 25,2 auch hier Favonius’ arithmologisches Interesse darauf liegt, dass eine Gesamtmenge A (24) aus dem Doppelten einer Teilmenge B (12) besteht und das in Form einer geometrischen Proportion (8 : 4 = 24: 12) veranschaulicht werden soll (ut octo a quaternario [. . .]

164

Kommentar

sic uiginti quatuor a duodecim), was für A = 24 und B = 8 nicht zutrifft. Zudem setzt Marcellinos Interpretation voraus, dass eosdem Anaphorikum zu octo im (entfernter stehenden) Komparativsatz ist, während doch mit duodecim ein Antezedent im unmittelbar vorangehenden Hauptsatz verfügbar ist; eine ferndeiktische Beziehung von eosdem würde wohl einen höheren Markierungsaufwand, etwa die Wiederholung des Bezugsnominals (∼ habent eosdem octo) voraussetzen (vgl. ThLL 7,1, 204,3ff.). Vielmehr dürfte duplicatos mit habent ein periphrastisches Prädikat bilden (∼ duplicant in se duodecim et alios totidem), wie etwa musica purgatos animos faciat (∼ purgat) in 25,5, wobei die Sperrung und die Wortstellung (habent [. . .] duplicatos) der Fokusbildung, dem Herausstellen der dupli ratio dienen. Anders als purgatos faciat ist das vorliegende Beispiel nicht-agentiv und nicht-dynamisch; ein frühes dieses Typs (aus Pinkster 2015, 481) ist Vitruv 6,1,10 meridianae nationes [. . .] habent exsuctas ab sole animorum uirtutes, »Die Völker im Süden haben ihre Geisteskräfte von der Sonne ausgesaugt«. 25,4 epogdoa ratione: Zum Epogdous als harmonischem Grundmaß (hervorgehoben durch consonae iugitatis continua modulatio, eine Nominalisierung und Erweiterung des verbalen Musters ad efficiendam consonantem iugiter cantilenam aus 23,1; zu iugiter vgl. dort) vgl. Boethius, Instit. arithm. 2,54 VIII uero et VIIII . . . epogdoum iungunt, qui in musico modulamine tonus uocatur, quae omnium musicorum sonorum mensura communis est, »Die Relation acht zu neun bildet den Epogdous, der in der Musik Ganzton genannt wird und das allen musikalischen Tönen gemeinsame Maß ist«. 25,5 reditum in caelum: Die Cicero-Stelle (Rep. 6,18) ist wie üblich (vgl. S. 66) ungenau zitiert: quod docti homines neruis imitati atque cantibus aperuerunt sibi reditum in hunc locum. Während es bei Cicero um die musikalische Nachahmung der Sphärenmusik durch docti uiri wie Orpheus und Amphion und die damit ermöglichte Teilhabe an deren Harmonie geht (vgl. Wille 441, Büchner 482), deutet Fav. die Stelle im Sinne neuplatonischer Vorstellungen von der purifizierenden Wirkung der Musik aus und verbindet damit eine andere neuplatonische Vorstellung, nämlich den Wiederaufstieg der Seele durch Absolvierung eines mehrstufigen Tugendsystems. Bei Cicero sind die Nachahmung der Sphärenharmonie und der Aufstieg zum Sitz der Seligen zwei unterschiedliche Themen, und letzterer erfolgt nicht durch musikalische Exerzitien, sondern durch die Tugenden der iustitia und pietas (Rep. 6,16; 6,25), bzw., nach dem Referat des Macrobius (Somn. 1,18), durch die vier Kardinaltugenden. In Favs. Formulierung erscheint dagegen ausschließlich die Musik als Mittel des Seelenaufstiegs. Aber auch aus neuplatonischer Perspektive handelt es sich um eine Kontamination zweier unterschiedlicher Vorstellungen, nämlich: (1) Die auf den platonischen Timaios (47d) zurück-

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gehende Vorstellung von der purifizierenden Wirkung der Musik, vgl. Calcidius 267 musica exornat animam rationabiliter ad antiquam naturam reuocans et efficiens talem demum, qualem initio deus opifex eam fecerat, »Die Musik sorgt für eine rationale Ordnung der Seele und ruft sie zu ihrer ursprünglichen Natur zurück und macht sie schließlich wieder zu dem, als das sie am Anfang der Demiurg geschaffen hatte« (vgl. O’Meara 2005, 139f.; zur Musiktherapie im Neuplatonismus im engeren Sinne vgl. Sheppard 2005), die dahingehend ausgebaut wurde, dass die Harmonie der menschlichen Seele durch bestmögliche Analogie zur Weltseele gewährleistet wird und somit die beste Art von Musik in der Mimesis der harmonia mundana (vgl. 21,2) besteht. Das ist auf zwei Arten möglich (das folgende nach O’Meara 2007 und Tornese 2015). Zum einen durch Anagnorisis: Nach Jamblich (De mysteriis 3,9), »hat die Seele vor ihrer Inkarnation die himmlische Musik gehört. So wird sie auch nach ihrer Inkarnation, wenn sie [die richtige Art von] Musik hört, an die göttliche Harmonie erinnert«; ähnlich Macrobius, Somn. 2,3,7 (anima) in corpus defert memoriam musicae cuius in caelo fuit conscia, »die Seele bringt bei ihrer Inkarnation eine Erinnerung an die Musik mit, die sie im Himmel gekannt hat«. Zum andern durch Lehrtradition: Nach Jamblichs Pythagorasvita (64–67) sorgte Pythagoras, der ja als einziger die Sphärenharmonie hören konnte, durch deren Abbildung (Çpom–mhsic) in musikpädagogischen Programmen dafür, dass seine Schüler Zugang zu ihr erhielten. Die Regulierung der Affekte und die Wiederherstellung der Seelenharmonie gelang ihm »[. . .] indem er die entsprechenden Melodien verwendete, gleich als ob sie Rezepturen von Pharmakeutika seien«. (2) Die Vorstellung des Wiederaufstiegs der Seelen zu ihrem Ursprung durch Absolvierung eines mehrstufigen Tugendsystems. Die bekannteste lateinische Version ist Macrobius, Somn. 1,8,5–12, der Porphyrios und Plotin folgt; die Tugendhierarchie ist politische < purgatorische < purifizierte < paradigmatische Tugenden, wobei auf jeder Stufe die vier Kardinaltugenden eine unterschiedliche Funktion erhalten (das griechische Material bei Saffrey u. Segonds lxix– xcviii; ein Anwendungsfall des Modells ist Marinos’ Proklos-Vita, vgl. O’Meara 2019). Im Gegensatz zu seinen griechischen Vorbildern, welche in platonischer Tradition die vorphilosophischen »Bürgertugenden« gegenüber den philosophischen abwerten (vgl. Szlezák 349–354), erhebt Macrobius den Anspruch, dass die politischen Tugenden nicht lediglich propädeutische Funktion haben und demnach auch Staatsmänner zu Glückseligkeit gelangen können (Si ergo hoc est officium et effectus uirtutum, beare, constat autem et politicas esse uirtutes, igitur et politicis efficiuntur beati, »Wenn es also Aufgabe und Wirkung der Tugenden ist, glücklich zu machen, und ebenso feststeht, dass es auch politische Tugenden gibt, dann machen auch politische Tugenden glücklich«; vgl. Zintzen 1969, Tornau 2019, 17f.). Favs. Formulierung, es seien die »führenden Staatsmänner« (imperiosi, vgl.

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bene meritis de re publica in 1,2), denen der Aufstieg zuteilwerde, setzt diese römische Akzentuierung voraus und greift somit auf eine mit Macrobius gemeinsame Tradition zurück. – purgatos animos faciat: Der Konjunktiv ist nicht innerlich abhängig (vgl. Scarpa z. St. »perché, a suo parere, la dottrina musicale rende gli animi mondi [. . .]«), sondern desemantisiert, wie es im Spätlatein bei quod häufig der Fall ist (vgl. Herman 1963, 33–37), und der quod-Satz bietet Favs. Kommentar zum Cicero-Zitat, nicht aber ein Referat ciceronianischer Gedanken. – animarum beata luce fulgentem: Eine zum rhetorischen Lumen (Enallage animarum beata luce) komprimierte Kombination zweier Vorstellungen, nämlich der aus Timaios 41e, dass jede Seele bei ihrer Erschaffung einem Stern zugewiesen werde, mit der traditionell auf die Pythagoreer zurückgeführten, dass die Milchstraße Sitz der ihrer Inkarnation harrenden oder aus dieser wieder zurückgekehrten (und somit mit den Sternen der Milchstraße zu identifizierenden) Seelen sei (Porphyrios, De antro Nympharum 28; Proklos, In remp. 2, p. 129 Kroll, vgl. dazu Nilsson 1954, 108 f.; Simonini 215 f.). 25,6 quis est qui implet: Die Frage leitet bei Cicero (Rep. 6,18, vgl. S. 66) die Beschreibung der Sphärenharmonie ein, und ein Vergleich der Tonfülle der Sphärenharmonie mit der Lichtfülle der Sonne schließt sie ab: Hic uero tantus est totius mundi incitatissima conuersione sonitus, ut eum aures hominum capere non possint, sicut intueri solem aduersum nequitis . . ., »Die rasend schnelle Umdrehung des gesamten Alls verursacht ein solches Tosen, dass es die menschlichen Ohren nicht fassen können, ebensowenig wie ihr geradewegs in die Sonne schauen könnt«. Im überliefertem Fav.-Text ist das Komparativgefüge in zwei koordinierte Sätze aufgelöst (qui auditum [. . .] obtundit et oculos [. . .] debilitat); man wird aber weder Fav. noch einem von ihm ggf. benutzten Cicerokommentar (Marcellino 133f.) eine derart unsinnige Verzerrung dieser berühmten Stelle zutrauen, die der Sphärenharmonie neben der Ton- auch Lichtintensität im Höchstmaß zuschriebe. Es ist deshalb wohl eine Textstörung anzunehmen derart, dass das überlieferte et aus ut verlesen und sol ausgefallen ist. Damit bleibt die Struktur des originalen Vergleichs, nämlich zweier Eigenschaften nach dem Parameter Intensität, bewahrt, und Favs. Umformung beschränkt sich auf die in der rhetorischen Frage liegende Steigerung. – nimio sono uocis obtundit: Die früheste Referenz auf die Theorie der Sphärenharmonie, auf die hier angespielt wird (Bewegungsschall als Ursache, Unhörbarkeit wegen des Gewöhnungseffekts und der Insuffienz des Hörvermögens, vgl. Nikomachus, Enchir. Kap. 3; Macrobius, Somn. 2,2,21–14), findet sich bei Aristoteles, Metaphysik 986a 2 f. und De Caelo 290b 12–291a 28 (= VS 58 B 35), der die Sphärenharmonie mit dem Einwand verwirft, dass das laute Geräusch der Sphärenharmonie zerstörerische Wirkung haben müsste und dass die

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Planeten keine geräuschproduzierende Reibung erzeugten, sondern ohne ihr Zutun von ihren Sphären bewegt würden (vgl. Jori 2009, 450–452). Diese Kritik hat der Entfaltung der Theorie nicht geschadet, vor allem nicht der Frage, warum Pythagoras sie als einziger hören konnte, vgl. O’Meara 2007: Die Neuplatoniker erklären die Schalltheorie (vgl. o. zu 22,4) für nicht einschlägig, da die Planeten immateriell und göttlich seien, und schreiben Pythagoras ein exzeptionelles Ochema (vgl. o. zu 19,4) zu, das er sich bei der Inkarnation bewahren konnte und das, da stofflich mit den Planeten verwandt, ihm ermöglichte, die Harmonie zu hören (Simplikios, In Aristotelis quattuor libros de caelo commentaria, 7,469, 7–16). – cernendi nimietate: Das semantische Subjekt des Gerunds ist durch den Patiens sol (»wenn sie betrachtet wird«) besetzt; als frühen Beleg dieses Typs vgl. Varro, Rust. 1,20,2 iuuenci. . . diebus paucis erunt ad domandum proni, »Jungstiere . . . sind in wenigen Tagen bereit, sich zähmen zu lassen« (vgl. Pinkster 2015, 286–288). – interuallis disiunctus imparibus: Wie Macrobius, Somn. 2,1,2 (sowie 2,2,21 und 23,3,12 und 16) hat Favonius hier und in 26,2 die Lesart disiunctus, welche der indirekten Überlieferung angehört, wogegen die direkte coniunctus hat. Vgl. dazu die Diskussion bei Sicherl 1959a, 353–358, der coniunctus für richtig hält (da die Sphärenharmonie ein aus mehreren Tönen und Intervallen zusammenfügtes ›System‹ im Sinne von 22,1–3 ist), ebenso Caldini Montanari 500–508; zweifelnd Büchner 479; Forschungsübersicht bei Armisen-Marchetti 2003, Anm. 3, Powell xxix, Neri 639, Anm. 2). 25,7–9 disparibus [. . .] sed non pugnantibus: Ciceros interuallis imparibus bietet den Anknüpfungspunkt für einen Exkurs in die Proportionenlehre, die schon im Hintergrund von 24,3–6 stand und in Kap. 26 weiter ausgeführt wird. Da ja die Harmonie der Sphären bewiesen werden soll, überrascht es, dass Fav. nicht die Oktavzahlen 6, 8, 9 und 12 aus 24,6 heranzieht, die eine diskrete geometrische Proportion bilden (6 : 8 = 9: 12; das Verhältnis der Binnenglieder 8 : 9 entspricht nicht dem Verhältnis 3: 4 der Außenglieder), sondern stattdessen eine stete geometrische Proportion des Typs 2 : 4: 8 : 16, bei der das Verhältnis zwischen allen Gliedern konstant bleibt (vgl. 26,1 pari crementorum ordine), aber die Binnenglieder gerade nicht wie dort das harmonische bzw. arithmetische Mittel der Außenwerte bilden. Geschuldet ist das offenbar seiner Vorlage (s. nachstehend). So verselbständigt sich der Exkurs, bis in 26,4 wieder zur Sphärenharmonie zurückgekehrt wird. – duc primam cum extrema [. . .] extremorum efficiat quantitatem: Die Darstellung ist in 25,7 tiefgreifend gestört, nach Sicherl 708, Anm. 2, weil Fav. die Verhältnisse in drei- und viergliedrigen Proportionen konfundiere. Versuche, das Chaos in 25,7 zu beheben, haben zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt (Skutschs medietas uero prima in se ducta 〈et cum prima summa collecta〉 – also 4 × 4 × 2 –

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in 25,7 entspricht keiner üblichen Operation in einer geometrischen Proportion; Scarpas medietas uero prima 〈itemque secunda〉 in se ducta triginta duo 〈non〉 colligit, »il primo termine mediano e così pure il secondo moltiplicato per se stesso non dà trentadue«, ist eine reine Verlegenheitslösung), und auch Sicherls Erklärung scheint kaum glaubhaft, weil Fav. sich des Unterschieds klar bewusst zu sein scheint. Denn 25,7 (a) medietas in se ducta und (b) ambae medietates sibi consertae belegen Favs. Kenntnis der grundlegenden Operationen, mit denen das Vorliegen einer dreigliedrigen bzw. viergliederigen Proportion (vgl. zu 26,1–3) bewiesen wird: (a) A : B = B: C â A × C = B2 (z. B. 2 : 4: 8 â 2 × 8 = 42 ); (b) A : B = C: D â A × D = B × C (z.B. 6 : 8 : 9: 12 â 6 × 12 = 8 × 9). Diese beiden Fragmente bieten vielmehr einen Hinweis darauf, was Fav. im Sinne hatte, nämlich die Eigenschaften beider Proportionsvarianten an der einen Reihe 2 : 4: 8 : 16 vorzuführen. Das Vorbild dafür findet sich bei Nikomachos, Introd. 2,24,2 (vgl. auch u. 25,9 zu caritas). 25,7–9 enthält drei entsprechende Bestandteile: (1) einen gestörten, aber rekonstruierbaren Satz über die viergliederige Proportion 2 : 4: 8 : 16 mit fragmentierten Einsprengseln zur dreigliedrigen Proportion 2 : 4: 8 (25,7), (2) einen ungestörten Satz über die dreigliedrige Proportion 4: 8 : 16 (25,9) und (3) eine allgemeine, für beide Varianten gültige Ableitung in 25,8. Was die (1) viergliedrige Proportion betrifft, ergibt sich zunächst aus 25,7 Bis etenim [. . .] idem colligunt, dass Fav. die Multiplikation der Außenglieder doppelt ausführt, ausgehend zunächst vom linken, dann vom rechten Term. Für die Aussage über die viergliedrige Proportion in 25,7 bietet sich daher unter Ausklammerung der Fragmente zur dreigliedrigen Proportion [diese im Folgenden eingeklammert] folgende Rekonstruktion an: Duc primam cum extrema [item unam ex mediis in se] 〈uel extremam cum prima, item ambas medietates in se〉: eandem colligent quantitatem. Bis etenim sedecim ducti triginta duo efficiunt et sex〈ies〉 decies bini idem colligunt, [medietas uero prima . . . triginta duo colligit] quod faciunt ambae medietates sibi consertae. Namque quater octoni triginta duo et octies quaterni triginta duo efficiunt. Das befolgte Schema ist deduktiv ›Regel plus Anwendung‹. (2) Die Darstellung der dreigliedrigen Proportion in 25,9 (Vt enim prima medietas [. . .] quantitatem) ist völlig ungestört; konstatiert wird 4 × 16 = 82 , es wird somit die dreigliedrige Proportion 4: 8 : 16 am zweiten bis vierten Glied der in 25,7 vorgestellten geometrischen Reihe 2 : 4: 8 : 16 illustriert, also unter Absehen von deren linkem Grenzwert; die Multiplikation wird anders als bei der viergliedrigen Proportion nur von einem Term ausgehend vorgenommen. Entsprechend ist anzunehmen, dass dieser Typ in 25,7 auch an den Gliedern 1–3, also 2 : 4: 8 illustriert wurde (2 × 8 = 42 ). 25,7 enthält auch zwei einschlägige Fragmente, nämlich item unam ex mediis in sese und medietas uero prima in se ducta, die offenkundig wieder dem Schema ›Regel gefolgt von Anwendung‹ entsprechen. Unam ex mediis müsste also korrekt primam ex me-

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diis lauten. Die ›Regel‹ musste also sinngemäß gelautet haben 〈duc primam cum tertia,〉 item primam ex mediis in sese, 〈eandem colligent quantitatem〉, und die ›Anwendung‹ 〈nam bis octo colligent sedecim〉, medietas uero prima in se ducta 〈eandem efficiet quantitatem〉. (3) 25,8 bringt offenbar eine allgemeine Ableitung aus der Demonstration der beiden Varianten, die zwar, wie bei Fav. nicht unüblich, sehr knapp formuliert, aber vor dem eben geschilderten Hintergrund dennoch verständlich sind: cum idem sint extrema quod media betrifft die viergliedrige, mediumque in se uersum extremorum efficiat quantitatem die dreigliedrige Proportion. – dum: Marcellinos cum statt des überlieferten dum ist unnötig, denn das Übergreifen von dum in den Bereich von cum im Spätlatein ist eine bekannte und schon in der Spätantike reflektierte Tatsache (Servius Aen. 1,697 sane sciendum malo errore ›cum‹ et ›dum‹ a Romanis esse confusa, »man sollte freilich den gravierenden Irrtum der Römer kennen, ›cum‹ mit ›dum‹ zu verwechseln«); in kausaler Bedeutung ist die Beibehaltung des Indikativ gut belegt, vgl. LHS Bd. 2, 614, außerdem Herman 1963, 120, Heberlein 2011, 288–291, Pinkster 2021, 254f. – caritatem: Wohl nach Nikomachos’ (Introd. 2,19,1) Begriffen filallhl–a und sullhptikÏn (»Kooperation«) für unterschiedliche Zahlenrelationen, vgl. Robbins 1926b, 121. Die in der rhetorischen Frage liegende Steigerung (wie in 25,6) weist darauf, dass die Wahl der kombinierten steten Proportionen statt der diskreten, von den ›Oktavzahlen‹ gebildeten, auch einem rhetorischen Zweck dient: Indem Fav. die viergliedrige Proportion 2 : 4: 8 : 16 als Kombination zweier sich mit ihren Mittelwerten überkreuzenden dreigliedrigen Proportionen darstellt, kann er gewissermaßen eine kumulierte ›Evidenz‹ für die in den Einleitungen zu den Par. 7, 8 und 9 so gepriesene concordia/congruentia/caritas zwischen den Zahlen bereitstellen.

Kapitel 26 Text (1) proportio Sch., Edd.; proposicio B. – eadem B, Edd.; eadem 〈concordia〉 Sic. 1959, 688. – (2) diui〈ni〉tus Sch., Edd.; diuitus B. – doctissime Tullius B1 , doctissimus tillius B. – disiunctus Sch., Edd.; diiunctus B. – efficitur B1 , efficiuntur B. – (3) quod Win., Edd.; quot quot B. – [hoc] illud Sch., Wed., Sca., Mar.; hoc illud B, Hol., Ger. – octonariam Sch., Edd.; octimariam B. – (4) sono 〈mundi〉 Heb.; sono Bar., Win., Edd.; sonoro B. – seruari B, Edd.; reseruari Sca. (vgl. 26,9). – musicorum B, Edd.; musico et Sch. – concentu proficiat B, Hol., Wed., Sca.; concentum perficiat Sch., Sic. 1959, 692, Mar., Ger. – (5) ut acuto B, Edd.; at acuto Sic. 1959, 692. – (6) a〈e〉t〈h〉ra Heb.; atra B; aera Hol. (nach Daniel W. Triller), Edd. – intermixtum Sic. 1959, 692, Mar.; permixtum B, Edd. – (7) octaua uel B, Hol., Ger.; uel octaua Wed., Sca., Mar. – tibiae Ore., Edd.; tibia B, Hol.; 〈in〉 tibia Ger. – (8) sumas Bai., Wed., Sca., Mar., Ger.; sumens B, Scho., Hol. – consequetur Win. 1902 (vgl. Sic. 1959, 690 u. 702); conseqitur B, Edd. – (9) siccandis B, Edd.; spissandis Ore. – facta〈s〉

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Sic. 1959, 696, Marc.; facta B, Edd. – epogdoi Edd., epigdoi B. – semitonium B, Hol., Ger.; hemitonium Sch., Edd. (vgl. 26,8). – siccabitur B, Edd.; spissabitur Ore. –

26,1–2 proportio: Cicero übersetzt Platons Çnalog–a mit comparatio pro portione (Timaeus 13 ∼ Platon, Timaios 31c), proportio ist das erstemal bei Varro, Lingua Latina, 8,75 belegt, neben normalem pro portione (vgl. De Melo 1078); den konkurrierenden Ausdruck competens verwendet Calcidius (s.u.); vgl. Guillaumin s.v. analogia. – diuinitus: Möglicherweise eine Anspielung auf die musikalische »Stimmung« der Weltseele durch den Demiurgen des Timaios (35b), vgl. unten zu 26,5. – Tullius [. . .] dicens: Das Cicero-Zitat (Rep. 6,18) ist wieder ungenau (vgl. S. 66), richtig wäre motu ipsorum orbium. – 26,3 Haec est [. . .] analogia: Das Beispiel ut duo [. . .] octonariam summam zeigt in Verbindung mit der Definition aus 26,1 quae parum crementorum ordine [. . .] progreditur, sowie quae tribus et deinceps hier, dass Fav., obwohl er in 25,7 sowohl die stete als auch diskrete Proportion exemplifiziert, in seiner hier nachgereichten Definition nur die stete berücksichtigt. Das wird wie in 25,7–8 auf die Benutzung (der Übersetzung, s. S. 64) von Nikomachos Introd. 2,24,2 zurückzuführen sein, der sich bei der Demonstration von Proportionen mit drei und mehr Gliedern ebenfalls auf die stete konzentriert. Dagegen unterscheidet Calcidius Kap. 16 (vgl. Theon 82,5–21) genau zwischen steter und diskreter Proportion: geminum est competens, unum continuum, alterum distans. [. . .] continuum quidem competens in tribus, ut parum, finibus inuenitur [. . .] quorum quidem finium is qui est medius in se replicatus aequalis est ei qui de multiplicatione nascitur extimorum [. . .] Distans autem competens in quattuor minimum limitibus reperitur [. . .] in quibus . . . is (finis) qui confit ab extimis aequalis est ei qui nascitur ex supputatione mediorum, »Es gibt zwei Arten von Proportion, die stete und die diskrete. [. . .] Die stete findet sich bei Vorliegen von mindestens drei Werten, [. . .] und der Mittelwert unter diesen ist, mit sich selbst multipliziert, gleich dem Produkt, das aus der Multiplikation der Außenwerte hervorgeht. [. . .] Die diskrete Proportion findet sich bei minimal vier Werten [. . .], und hier ist das Produkt der äußeren Werte gleich dem der inneren«. Das Merkmal ›diskret‹ (distans) wird mit dem Beispiel ut octo iuxta quattuor, ita sex iuxta tria, »wie acht zu vier, so sechs zu drei« verdeutlicht (also mit anderem Verhältnis der Binnen- als der Außenglieder; vgl. Bakhouche 2011, 635 f. und zu 25,7). – tribus et deinceps: Das ist wie tr–wn Ìrwn ö pleiÏnwn (»drei Werte oder mehr«) bei Nikomachos 2,24,1 und tribus, ut parum bei Calcidius ein Reflex der euklidischen Definition 5,8 »eine aus drei Gliedern bestehende Proportion ist die kürzeste« (anders Aristoteles, Eth. Nic. 1131a 31: die kürzeste hat vier Glieder, allerdings können die Binnenglieder identisch sein, vgl. Theon 81,17f., s. Szabó 203).

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26,4 sono 〈mundi〉: Die auf Barth zurückgehende und von Holder / Winterfeld und Van Weddingen rezipierte Kürzung von sonoro zu sono alleine genügt nicht, denn ohne Attribuierung ist sonus der Einzelton (22,3 diastematum partes [. . .] soni dicuntur), während es hier ja um den Klang der Sphären geht (s. nam in 26,5), was ein Attribut wie caelestium circulorum (vgl. 26,2) oder mundi (vgl. sonitus mundi in 21,1 und 25,2) erforderlich macht. Der Singular sonus entspricht dem in 25,6 zitierten ciceronianischen Vorbild. – seruari [. . .] concentu: Fav. deklariert seinen Exkurs in die Proportionentheorie nun explizit als Verständnisgrundlage für die Struktur der Sphärenharmonie. Der Gedanke der musikalischen Einheit aus Vielfalt entspricht dem, den Augustin in einem verwandten Kontext in De musica 1, 12 entwickelt ([. . .] tunc ex pluribus unum aliquid maxime fieri, cum extremis media, et mediis extrema consentiunt, »[. . .] dass dann am ehesten aus mehreren Dingen irgendein Eines entsteht, wenn mit den äußeren die mittleren (Zahlen) und mit den mittleren die äußeren übereinstimmen«); vgl. Hübner 2011. Fav. erspart es sich freilich, die praktische Anwendbarkeit auf das in 25,1–2 zur Sphärenharmonie Gesagte zu belegen. 26,5 sicut ipse nos docuit: Vgl. Rep. 6,18 et acuta cum grauibus temperans uarios aequabiliter concentus efficit; [. . .] in quibus eadem uis est duorum, »mischt Hohes mit Tiefem und erzeugt so in ausgeglichener Weise unterschiedliche Zusammenklänge; (von den Sphären) haben zwei denselben Ton« (vgl. dazu Bücher a.l. und v. Albrecht 2010). Zur Verschmelzung hoher und tiefer Stimmen in einem Chor zu einer harmonia als Comparandum für die kosmische Harmonie vgl. Apuleius De mundo 29: ut in choris . . . concinentium vulgus virorum et feminarum mixtis gravibus et acutis clamoribus unam harmoniam resonant, sic divina mens mundanas varietates ad instar unius concentionis relevat, »Wie bei den Chören aus der Menge der Männer- und Frauenstimmen durch die Verschmelzung der tiefen und der hohen Töne eine einzige Harmonie erklingt, so hebt der göttliche Geist die Diskrepanzen in der Welt in einer einzigen Harmonie auf.« – Cicero macht keine Aussage über den Umfang der Sphärenharmonie, weshalb auch strittig ist, ob in quibus eadem uis est duorum die Oktavkonsonanz zwischen Mond und Zodiakus meint (so etwa Büchner 481) – in diesem Falle haben die beiden Töne gleiche d‘namic, sind aber ÇnisÏtonoi – oder die Isodromie von Venus und Merkur (so Pépin 604 und v. Albrecht 210f.) – in diesem Falle sind sie unison (vgl. S. 157). Fav. entscheidet sich offenbar für erstere Interpretation, denn die Intervallstruktur der von ihm angenommenen dorischen Leiter (sono Dorio) ist mit dem Isodromiemodell unverträglich (vgl. zu 25,1), passt aber zu seinem in 25,1–4 dargestellten ›pythagoreischen‹ Oktavmodell. Die Vorstellung von der Prominenz des Klanges der beiden äußersten Sphären (in ceteris uis duorum) beruht zunächst einfach auf der Verdop-

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pelung der d‘namic des Tons, könnte aber auch durch Grundtonfunktion der Oktavtöne beim Stimmen angeregt sein, die bei Calcidius Kap. 40 in einem breit ausgeführten Gleichnis auf die ›Stimmung‹ des Kosmos durch den Demiurgen (vgl. zu diuinitus in 26,2) übertragen ist; dieser fixiert zunächst die beiden Oktavtöne als Leittöne und passt dann die mittleren Saiten in diesen klanglichen Rahmen ein: Ut harmonici modulantes organa inter duos extimarum fidium limites, grauissimae hypates et acutissimae netes, alias internectunt medias . . . chordas. . . sic deus animam mundi modulans inducitur, »Wie die Musiker bei der Stimmung von Instrumenten zwischen den beiden äußersten Saiten, also der Hypate als tiefster und der Nete als höchster, die anderen in der Mitte einpassen,. . . so wird Gott dargestellt, wie er die Weltseele stimmt« (vgl. Bakhouche 2011, 659). – nete [. . .] hypate: Nach Van Weddingen 7f. und anderen (vgl. Marcellino 22) wäre die Kritik des Macrobius in Somn. 2,4,11 (Text s.o. zu 22,2) an der Ausbreitung technischer Details wie den Saitennamen hier oder der Analogie Sprache: Musik in Kap. 22 gegen Favonius gerichtet und scheint somit dessen Kenntnis durch Macrobius vorauszusetzen. Doch könnte sich diese Kritik ebenso gut gegen Calcidius (44f.) richten, den Macrobius in seinen Saturnalien nachweislich benutzt hat (vgl. Lausberg 1991), zumal sonstige Hinweise auf eine Favonius-Kenntnis fehlen. – sono Dorio: Explizite Angaben zur ›Tonart‹ der Sphärenharmonie finden sich selten. Boethius interpretiert Ciceros Angaben als hypodorische Skala (De musica 1,27, also von a bis a reichend und mit Diazeuxis zwischen d und e , d.h. zwischen Sonne und Mars, s. Richter 1993, 1334f.); weitere von der Forschung herangezogene Angaben sind nicht einschlägig, so die bei Plinius (Nat. 2,84) und Martianus Capella (2,196 f.), dass die Bewegung des Saturn in dorischer Tonart, aber die des Jupiter in phrygischer und so sinngemäß weiter erfolge, denn hier ist ›Tonart‹ offensichtlich gleichbedeutend mit Tonhöhe; ebenfalls nicht einschlägig ist der Orphische Hymnus an Apollon (34,29f.), wo die dorische Tonleiter, welche die Sonne (= Apollon) durchläuft, vom Zodiakus gebildet wird (Steinbock = Hypate, Krebs = Nete), vgl. Godwin 1993, 407. Die von Burkert rekonstruierte Planetentonleiter der varronischen Tradition (s.o. zum 25,2) setzt aber dorische Tonart voraus. Sie wird offenbar durch ihre traditionellen Eigenschaften zur idealen Tonart der Sphärenharmonie, nämlich hohes Alter (Erfindung durch Terpander) und ›würdevolles‹, ›ausgeglichenes‹ und ›gefestigtes‹ Ethos (z.B. Platon, Laches 188d, vgl. Neubecker 1977, 105 f., 132, 139; West 1992, 179f. mit weiteren Stellen; Moro Tornese 2015, 126 f.). Sie ist daher auch die erste Tonart, die auf der Lyra erlernt wird (West 1992, 180); den Gegenpol bildet das ›weichliche‹ Phrygisch (Aristoteles, Pol. 1342b 12). 26,6 in nostris uocibus: Zu der von pulsatus aer und accentus vorausgesetzten Schalltheorie s.o. zu 22,4. Zur stimmlichen Modulation vgl. z.B. Cicero, Orator 59

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orator . . . omnis sonorum tum intendens tum remittens persequetur gradus, »Der Redner wird durch Hebung und Senkung der Stimme alle Tonlagen durchlaufen«. – a〈e〉t〈h〉ra intermixtum: Wie 9,1 zeigt, kennt Fav. den Unterschied zwischen (unterem) aër und (oberem) aether, in dem die Planeten sich befinden; deshalb dürfte das überlieferte atra als aethera bzw. dessen synkopierte Form aethra bzw. aetra (s. ThLL s.v. 1149, 28 ff.) und nicht mit den Edd. als aera zu interpretieren sein und zwar im Sinne einer Makro-/Mikrokosmos-Analogie zu pulsatus aer. – pedibus metiendum: Zur Zuordnung von Intervall- und Entferungsangaben s.o. zu 25,1. 26,7 tonus: Zur Definition des Ganztons als Differenz zwischen Quarte und Quinte (9: 8) vgl. zu 23,6 und 24,6. Das Lehnwort tonus (zu griech. te–nw »spannen«) findet sich als Bezeichnung der Tonhöhe seit Nigidius Figulus (fr. 9 = Gellius 13,26: nam (in casu) interrogandi secunda syllaba superiore tonost quam prima . . .; at in casu uocandi summo tonost prima, »beim Genitiv trägt die zweite Silbe einen höheren Ton als die erste [. . .], beim Vokativ hingegen trägt die erste den höchsten Ton«; zur Diskussion vgl. Probert 2019, 269–274; zu Nigidius s. S. 76), als Intervallbezeichnung seit Vitruv 5,4,3: dia〈tono〉 toni duo sunt continuati, tertium hemitonium finit tetrachordi magnitudinem, »ein diatonisches Tetrachord hat zwei aufeinanderfolgende Ganztöne, als dritter begrenzt ein Halbton seinen Umfang«. – tibiae [. . .] aeris [. . .] fidibus: Die Flöte wird in 26,8, die Saiten in 26,9 behandelt; Bronzeinstrumente werden in 27,1 noch einmal genannt, aber nicht besprochen. Zu Letzteren existiert eine Nachricht über ein frühes einschlägiges Experiment des Pythagoreers Hippasos von Metapont (Anfang 5. Jh. v. Chr.). Der »richtete vier eherne Diskoi so her, dass ihre Durchmesser gleich waren, aber die Dicke des ersten Diskos die des zweiten um einen Epitrit (4: 3), die des dritten um einen Hemiolios (3: 2) und die des vierten um einen Diplasios (2 : 1) übertraf« (Aristoxenos fr. 90 = VS 18, 12). Dazu Burkert 1962, 355 f.: »physikalisch richtig, bei frei schwingenden Kreisplatten sind die Schwingungszahlen der Plattendicke direkt proportional«; vgl. auch Levin 1994, 92 f. mit Anm. 17; Creese 93–97. – dimensa: Sinn ist »reduziert«, wie octaua parte deducta in 26,8 zeigt. Fav. meint also, das Intervall eines Ganztones werde durch die Veränderung der Luftsäule einer Flöte, der Masse einer Klangschale oder der Trocknungsspannung (vgl. u.) einer Saite um jeweils ein Achtel definiert; zum Irrtum hinsichtlich der Flöte vgl. Wille 633 und Sicherl 1959, 708: Verminderung der Luftsäule um ein Achtel resultiert in einer Relation 8 : 7, nicht 9: 8. Ähnlich falsch schon 17,5 (»der Ganzton resultiert aus dem Abzug des achten Teils«). – in fidibus torquendo: Es geht wohl nicht um die Stimmung von Saiten (Scarpa: »modo di tendere le corde«; Marcellino: »tensione delle corde«), und das trotz intorseris in 22,13, neben tendamus und intendas ibid. und distentam in 22,12, sondern, wie der Kontext der Zurichtung

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Kommentar

von Instrumenten nahelegt, um die Saitenherstellung durch Torsion eines Bündels von Därmen (vgl. zu 26,9). Dieses Verdrillen einzelner Stränge wird bei Sen. Ep. 90,20 mit alia torqueantur fila, »die einen (Woll)fäden werden durch Torsion gewonnen«, abgegrenzt vom Ziehen: ex molli solutoque ducantur, »andere werden aus der weichen und lockeren Wolle gezogen«; vgl. auch Vitr. 1,1,8 e neruo torti funes, »aus (einzelnen) Stricken gedrehte Seile«. Syntaktisch ist in fidibus torquendo (›bei den Saiten, beim Verdrillen‹) eine (wohl unfreiwillige) archaisierende appositionelle Konstruktion des Typs copia lucis tuendi (Plaut. Capt. 1008, zu diesem Typ vgl. z.B. Strunk 1998), die dem Bedürfnis nach Variation der Patiensangaben zu octava parte dimensa entspringt: tibiae – aeris in pondere – in fidibus torquendo. 26,8 tibiam: »Rohr«, da die Flöte im Herstellungsprozess gedacht ist. Für die fertige sind wenigstens fünf Bohrungen erforderlich; spätere haben bis zu vierundzwanzig variabel mit Schiebern verschließbare, die vom Spieler je nach gewünschter Skala ausgewählt wurden (West 1992, 86 f.). – cauernam: als Bohrung eines Blasinstruments nach ThLL 3, 464, 25 f., sonst nur noch bei Tertullian (De anima 14). – quas docui: In 22,6–23,7. – 26,9 in siccandis cordis pondera: Die Lesart in siccandis ist durch das nachfolgende siccabitur gesichert; erläutert wird jetzt in fidibus torquendo aus 26,7. Angesichts der nur schmalen antiken Evidenz zur Saitenherstellung bedient sich die Forschung hilfsweise der Quellen des 17. und 18. Jh., als die Herstellung von Darmsaiten sich nicht substantiell von den antiken Verfahren unterschied. So stützt sich das Kapitel Lyre Physics in Hagel 2009 u.a. auf Marin Mersenne, den frühesten neuzeitlichen Kritiker der Pythagoraslegende (dazu Burkert 1962, 354f., Levin 1994, 92) sowie auf moderne Untersuchungen zu Saiteninstrumenten des 16. und 17. Jh; auch historische technische Handbücher wie J. G. Krünitz’ Oekonomische Encyclopädie (1779) bieten Hilfe. Nach Letzterem wird eine unterschiedliche Zahl von Därmen je nach Stimmlage verwendet (für Violinsaiten zwischen zwei und sieben), die nass verdrillt auf einen Rahmen gespannt, unter konstanter Zug- und Torsionsspannung getrocknet und dadurch zu einer Saite verklebt werden. Dass auch antike Lyrasaiten unterschiedliche Stärken aufwiesen, zeigen Funde wie die Reste von drei Saiten der altägyptischen sog. ›Harmosis-Laute‹, die den Umfang einer Oktave besaß (vgl. Eichmann 2019, 19). Dementsprechend umfassen auch heutige Saitensätze für Rekonstruktionen antiker siebensaitiger Lauten drei Stärken, drei dicke, zwei mittlere und zwei dünne (vgl. z.B. https://luthieros.com), innerhalb derer eine maximale Spannungsdifferenz von drei Halbtönen erforderlich ist (wie für die von Favonius als Referenz verwendete dorische Skala, s. Abb. 3 auf S. 158). Das allerdings scheint Fav. nicht im Sinne zu haben; vielmehr deuten pari habitudine factas und semper accessione dimensa darauf hin, dass er sich die

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kontinuierliche Abstufung eines qualitativ homogenen Saitenbezugs einzig durch die unterschiedliche Spannung auf dem Trockenrahmen vorstellt. Das wiederum scheint wenig realistisch, denn eine unterschiedliche Zugspannung bis mindestens zum Oktavumfang, die dann ja erforderlich wäre, würde bei gleicher Saitenlänge eine vierfach höhere Spannkraft an der höchsten gegenüber der tiefsten Saite voraussetzen, was (nicht nur) bei noch nassen Saiten zum Reißen führen müsste. Vielmehr überträgt Fav. offenbar das bekannte (und von M. Mersenne als falsch erwiesene) Saitenexperiment aus der Pythagoraslegende (vgl. zu 22,10), das der Ermittlung der grundlegenden Akkorde dienen sollte, auf seine Vorstellung von der Saitenherstellung. Das zeigt sich darin, dass diese mit jenem das grundlegende Charakteristikum der gleichen Machart (pari habitudine factas) der verwendeten Saiten gemeinsam hat, vgl. Calcidius 45 suspendit [. . .] momenta ponderum certa chordis aequabilibus tam in prolixitate quam in crassitudine, »Er hängte geeichte Gewichte an Saiten, die an Länge und Stärke gleich waren«; noch expliziter Jamblich, De vita Pythagorica 116, wo für die Saiten die vier Eigenschaften gleiches Material (qÏrdac Âmoˆlouc), gleiche Anzahl von Därmen ( sok∏louc), gleiche Stärke ( sopaqeÿc) und gleicher Torsiongrad ( sostrÏfouc) genannt werden.

Kapitel 27 Text (2) uocis B, Edd.; uocum Sch. – (3) ad summum B1 , Edd.; ad imum B. – audienda Heb.; audiendi B, Hol., Wed., Sca., Ger.; audiendae Sic. 1959, 696, Mar. –

27,2–3 hinc illa septem discrimina uocis: Vgl. Vergil Aen. 6,645 f. nec non Threicius longa cum ueste sacerdos / obloquitur numeris septem discrimina uocum, »Auch der thrakische Priester (Orpheus) im langen Gewand begleitet seinen Gesang auf der siebensaitigen Leier«; wtl. »lässt zu den Rhythmen die sieben unterschiedlichen Töne erklingen« (zu uox ›Ton‹ vgl. Ciris 107 citharae uoces [. . .] imitatus [. . .] lapis, »der Fels ahmt die Töne der Kithara nach«); zur Interpretation der schwierigen Stelle und ihrer Rezeption s. Horsfall 2013 und Binder 2019. – septem efficiunt etc: Cicero Rep. 6,18 Illi autem octo cursus, in quibus eadem uis est duorum, septem efficiunt distinctos interuallis sonos, »von diesen acht Sphären aber haben zwei denselben Klang, sodass sie insgesamt sieben durch unterschiedliche Intervalle geschiedene Töne hervorbringen«; vgl. zu 26,5. – quod sic intellegere conuenit: Favonius scheint die septem soni Vergils mit denen Ciceros zu identifizieren. Doch spricht Vergil von sieben Saiten der Leier (vgl. Horsfall z. St.), die als Metaphern für die sieben Töne der Sphären (cursus, circuli) nutzbar sind, Cicero hingegen spricht von acht Sphären (cursus), die aber aus einem der zu 26,5 genann-

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Kommentar

ten Gründe nur sieben Töne hervorbringen. Favs. alternative Erklärungen der Cicerostelle greifen auf seine beiden Modelle der Sphärenharmonie zurück. Mit der ersten (septem interualla octo circulos diuidant) nimmt er die in 26,5 vorgenommene Einpassung von Ciceros Sphärenharmonie in das ›pythagoreische‹ Oktavmodell wieder auf (acht tönende ›Saiten‹ gleich sieben Intervalle, mit Diazeuxis zwischen Sonne und Mars), mit der zweiten schiebt er Cicero sein eigenes Modell aus 25,1 unter, das auf einem Doppeltetrachord in Synaphé (bei der Sonne) einen Doppeloktavumfang (s. ad summum disdiapason) hat. Die zum zweiten Modell nachgereichte Ad-hoc-Erklärung, es vermeide einen Hiat zwischen den beiden Tetrachorden, ist sinnlos, denn die Diazeuxis würde bei diesem Modell ohnehin zur Überschreitung des Doppeloktavumfangs führen (vgl. zu 25,1). – audienda: Sicherl (696) liest audiendae; das überlieferte audiendi sei »Assimilation [. . .] an einen stark hervortretenden Binnenvolkal« (sc. an -i- in iugiter audiend-). Audiendi ist syntaktisch jedenfalls schwer vorstellbar. Alternativ bietet sich an, fiat [. . .] audienda zu lesen, »wird vernehmlich«, also mit zum Modaladjektiv der Möglichkeit grammatikalisierten deontischen Gerundiv (die Grammatikalisierung zeigt sich an der Nichthinzufügbarkeit eines definiten Dativus auctoris; vgl. z.B. CIL 4, 2198 (= Nr. 1283 Wachter) Beronice habenda futuere, »Beronice ist zu haben zum Schnackseln« (vgl. Heberlein 2021, 539f.). – iugiter: Vgl. zu 23,1. –

Kapitel 28 Text (1) me uir B1 , Edd.; uir me B. – scolis Sch., Edd.; scholis Ger.; solis B. – obolita B, Edd. (vgl. ThLL s. v. oboleo Nr. 2); oblita Ger.; abolita Sch. – non meditata sed tumultuaria Bar., Mar.; non tumultuaria sed meditata B, Hol., Ger.; non meditata lucubratione sed tumultuaria Wed.; non tumultuaria sed 〈non〉 meditata Sca. – (2) pro defensione 〈est〉 Win., Wed., Mar., Ger.; pro defensione 〈sit〉 Sch., Sca. – flagrat B, Hol., Mar. (vgl. Sic. 1959, 676); flagras Sch., Wed., Sca., Ger. – finit B, Edd.; finit〈imae〉 Sic. 1959, 667. –

28,1–2 Das Abschlusskapitel bietet eine Ansammlung von Bescheidenheitstopoi, die eigentlich ihren Platz im Proömium hätten, deren Endstellung aber durch den Charakter der Bewerbungsschrift (vgl. S. 64) als Captatio benevolentiae wohlmotiviert ist: (1) temeritatis audacia – Unbesonnenheit des Autors, der dem Gegenstand nicht gewachsen ist bzw., wie hier, ihn nicht sorgfältig genug ausgewählt hat und daher Gefahr läuft, beim Empfänger Widerwillen (fastidium) auszulösen; (2) peritius ipse docere alios potuisti – der Adressat hat Belehrung nicht nötig, da er gelehrter ist als der Autor selbst (und dementsprechend in 1,3 mit der Devotionsformel prudentia tua angeredet wird); (3) studio tuo paruisse – der Autor schreibt auf Veranlassung oder im Interesse des Adressaten, obwohl er (4) tumultuaria lucubratione, also ohne hinreichende Vorbereitung gearbeitet hat. – Zur

Explicit

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Bescheidenheitstopik vgl. Curtius 93–95; E, Hagenbichler, Hist. Wb. der Rhetorik s.v., Bd. 1, 1992, 1491–1495; vgl. K. Schöpsdau, ibid. s.v. Exordium, Bd. 3, 1996, 136– 140; zur Verwendung bei Fav. vgl. Dorfbauer 2011b, 505–510. Sie geht auf die rhetorische Ethoslehre der Klassik zurück, die den Redner zur captatio beneuolentiae und zum Verbergen seiner tatsächlichen Kunst (celare artem) zwingt; sie wird in der Spätantike zu einem unabdingbaren Bestandteil von Werkeinleitungen (vgl. Curtius 1973, 93–95; Hagenbichler a.O. 1493). Wenige Beispiele mögen genügen, um Favs. Schlusskapitel in den Rahmen dieser traditionellen Topik zu stellen: Zu (1) Cicero, Orator 1 suscipere tantam rem [. . .] uix arbitrabar esse eius qui uereretur reprehensionem doctorum, »ich war nicht der Meinung, dass sich jemand an eine so schwierige Aufgabe machen sollte, der sich vor dem Tadel der Experten zu fürchten muss«; zu (2) Censorinus 1,6 idque a me docendi studio [. . .] fieri non praedico, ne in me, ut uetus adagium est, iure dicatur ›sus Mineruam‹, uero cum tuo collatu scirem me plura didicisse, »ich will mich nicht berühmen, dass der Wunsch, dich zu belehren, mich dieses Buch habe verfassen lassen; denn ich möchte nicht, dass von mir gesagt wird, wie es in einem alten Sprichwort heißt: ›das Schwein belehrt die Minerva‹. Weiß ich doch, dass ich aus dem Austausch mit dir mehr gelernt habe«; Calcidius, Praef. 5 ipse hoc [. . .] facilius facere posses, »Du könntest das leichter selbst tun«; zu (3) Calcidius, Praef. 6 Possemne, quamuis res esset ardua, tanto honore habito [. . .] excusare munus, »Hätte ich mich, trotz der Schwierigkeit der Aufgabe, angesichts dieser Ehrerweisung der Verpflichtung entziehen können?«; Zu (4) Quintilian 4,1,8 in his [. . .] commendatio tacita, si nos infirmos, inparatos, inpares agentium contra ingeniis dixerimus, »es liegt eine Art stillschweigender Empfehlung darin, wenn wir sagen können, schwach, unvorbereitet und den geistigen Gaben der gegnerischen Anwälte nicht gewachsen zu sein«. –

Explicit Sicherls Konjektur (Byzacenae) finit 〈imae〉 ist unnötig; der ThLL bietet unter finio IIB eine Anzahl intransitiver Belege mit dem Vermerk »id quod explicit«, z.B. finit tractatus mysteriorum S. Hilari im Codex Arretinus 405, p. 28; vgl. auch Dorfbauer 2011b, Anm. 32. –

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Favonius Eulogius, der früheste Leser des Calcidius?* Die Forschung geht im Allgemeinen davon aus, dass die Übersetzung des platonischen »Timaios« sowie der dazugehörige Kommentar des Calcidius in keinem erhaltenen Text eines antiken Autors erwähnt oder zitiert werden: Rezeption des Calcidius, so liest man in den Handbüchern, lasse sich vor karolingischer Zeit nicht sicher nachweisen 1. Dagegen hat M. Lausberg vor nicht ganz 20 Jahren darauf hingewiesen, dass Macrobius eine Passage aus der »Timaios«-Übersetzung (50e), abgesehen von einigen leichten Änderungen, wörtlich in die Praefatio seiner um 430 verfassten »Saturnalia« (8) übernommen hat 2. Umrahmt wird diese Partie von zwei aus Seneca, ep. 84 und Gellius, praef. entnommenen Abschnitten (2–11); Macrobius nennt, wie es für ihn typisch ist, den Namen keines der drei von ihm direkt verwerteten Autoren. In den genannten Textpassagen wird das Vermitteln von buntem Wissen durch Literatur sowie das Gestalten eines neuen Produkts aus altem Material thematisiert: Macrobius benutzt die Partien aus Gellius, Seneca und Calci* Revidierte Version der Erstpublikation (Hermes 139, 2011, 376–394). Für kritische Lektüre und Diskussion danke ich Alfred Dunshirn recht herzlich. 1 J. H. Waszink, Nachträge zum Reallexikon für Antike und Christentum (RAC). Calcidius, JbAC 15 (1972), 236–244: ». . . ist es, trotz wiederholter Versuche, nicht gelungen, einen Einfluß des Werkes des C. auf irgendeinen Schriftsteller des ausgehenden Altertums . . . in überzeugender Weise darzutun. . . . Die erste deutliche Spur einer Benutzung des Kommentars des C. findet sich, soweit bekannt, im Kommentar des Johannes Scotus Eriugena zu Martianus Capella, also um 860« (243). G. Madec, Calcidius, in: HLL 5, München 1989, 356–358: »Obwohl sich wörtliche und thematische Parallelen zwischen Calcidius und Marius Victorinus, Ambrosius, Favonius Eulogius und Macrobius anführen lassen, bleibt unsicher, ob es sich um direkte Übernahmen . . . handelt« (358). Zum Nachleben des Calcidius vgl. jetzt P. Dronke, The Spell of Calcidius. Platonic Concepts and Images in the Medieval West, Florenz 2008, der sich allerdings ausschließlich auf den im engeren Sinn philosophischen Aspekt konzentriert und den technischen (also die Behandlung von Mathematik, Musik, Astronomie usw. durch Calcidius), der das Mittelalter besonders interessiert hat, beiseite lässt. 2 M. Lausberg, Seneca und Platon (Calcidius) in der Vorrede zu den Saturnalien des Macrobius, RhM 134 (1991), 167–191. Diese für die »Saturnalia« und überhaupt für Macrobius wertvolle Arbeit ist zu Unrecht nur wenig rezipiert worden.

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Favonius Eulogius

dius einerseits zu einer theoretischen Aussage über den eigenen Status als Verfasser eines weitgehend kompilatorisch angelegten Stücks didaktischer Literatur, andererseits zu einer praktischen Demonstration der gewählten Montage-Technik 3. Lausberg diskutiert die Übernahme und schließt mit Recht die umgekehrte Möglichkeit einer Benutzung des Macrobius durch Calcidius aus; weiters hält sie es für nicht sehr wahrscheinlich, dass Calcidius ausgerechnet an jener Stelle seines »Timaios« eine ältere – völlig hypothetische – lateinische Übersetzung der platonischen Schrift ausgeschrieben hätte, und dass Macrobius seinerseits auf genau diese unbekannte Quelle zurückgegriffen hätte: Die Benutzung des Calcidius durch Macrobius ist in der betreffenden Partie demnach kaum von der Hand zu weisen 4. Es sieht aber ganz danach aus, als lasse sich bereits einige Jahre vor Macrobius die Rezeption des Calcidius nachweisen, und zwar bei einem ebenfalls neuplatonisch beeinflussten Autor: Der vorliegende Aufsatz möchte zeigen, dass Favonius Eulogius Übersetzung und Kommentar des »Timaios« in seiner »Disputatio de Somnio Scipionis« benutzt hat 5. 3 Vgl. L. J. Dorfbauer, Der Kompilator als Lehrer und Künstler. Bemerkungen zur Selbstpräsentation des Macrobius in den Saturnalia sowie zur Einheit des Werkes, in: J. Nechutová/I. Radová (Hrsg.), Laetae Segetes. Griechische und Lateinische Studien an der Masaryk Universität und Universität Wien, Brno 2006, 11–32. 4 Lausberg (Anm. 2), 178. Die ältere Forschung – genannt ebenda 177, Anm. 30 – hatte allein Macrobius’ »Kommentar zum Traum des Scipio«, dessen Hauptquelle Porphyrs »Timaios«-Kommentar ist, mit Calcidius verglichen und keine Übernahmen feststellen können. Man muss nun freilich nicht mit Lausberg den Schluss ziehen, der »Kommentar zum Traum des Scipio« sei vor den »Saturnalia« entstanden, zu einer Zeit, als Macrobius den Calcidius noch nicht gekannt hätte: Es ist vielmehr anzunehmen, dass Macrobius, der für seine Kenntnis der griechischen Sprache und Literatur von Zeitgenossen bewundert wurde (vgl. den an ihn gerichteten Widmungsbrief der Fabelsammlung des Avien), und der sich selbst als einen Platoniker im Gefolge Plotins und Porphyrs betrachtete, bei der Zusammenstellung seines Kommentars bewusst auf griechische Quellen setzte und lateinische ›Sekundärliteratur‹ zu den im engeren Sinn platonischen Themen so weit als möglich ausklammerte. 5 Zu diesem Werk vgl. L. J. Dorfbauer, Zwei wenig beachtete Aspekte eines wenig beachteten Texts: Überlieferung und historischer Kontext der Disputatio de Somnio Scipionis des Favonius Eulogius, Latomus 70 (2011), 493–512. Ich benutze die Edition von R.-E. Van Weddingen, Brüssel 1957. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Parallelen zwischen Ambrosius und Calcidius, auf die P. Courcelle, Am-

Lukas J. Dorfbauer

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1902 hat F. Skutsch darauf aufmerksam gemacht, dass sich beinahe ein ganzes Kapitel des Calcidius-Kommentars (44) mit einigen wenigen Abweichungen bei Favonius Eulogius wiederfindet (22); ohne allzu ausführlich auf die Frage einzugehen, stellte er klar, dass Calcidius sicher nicht von Eulogius abhängt, und nahm an, beide Autoren hätten dieselbe Quelle benutzt 6. Ein Jahr darauf merkte C. Fries im Zuge seiner Untersuchung varronischer Spuren bei Eulogius an, dass es sich bei der betreffenden Partie um die Übersetzung eines Abschnitts handelt, welchen man in der Schrift TÄ katÄ t‰ majhmatik‰n qr†sima e c tòn Plàtwnoc Çnàgnwsin des Theon von Smyrna vorfindet, welcher den Peripatetiker Adrastos von Aphrodisias (1. Hälfte des 2. Jh. n. Chr.) als seinen Gewährsmann angibt 7. J. H. Waszink hat im Similienapparat seiner epochalen Edition des Calcidius ad loc. die Parallelen verzeichnet, in der Einleitung aber eine Benutzung des Kommentars durch Eulogius ausgeschlossen 8. In späteren Arbeiten ist Waszink öfters, allerdings stets nur en passant, auf die Frage zurückgekommen; er hat seine Meinung mehrmals geändert 9. Ausführlich und in

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broise et Calcidius, in: Recherches sur Saint Ambroise, Paris 1973, 17–24 aufmerksam macht, nicht ausreichen, um eine Benutzung nachzuweisen. Dasselbe gilt für die Berührungen mit der »Consolatio Philosophiae« des Boethius, auf die verschiedentlich hingewiesen wurde; vgl. dazu Dronke (Anm. 1), 45–48. F. Skutsch, Zu Favonius Eulogius und Chalcidius, Philologus 61 (1902), 193–200 (196–198). C. Fries, De M. Varrone a Favonio Eulogio expresso, RhM 58 (1903), 115–125 (124 f.). Das von Fries gesammelte Material ist nach wie vor nützlich, doch muss sein eigentliches Ziel, nämlich direkte Benutzung Varros in zahlreichen Passagen bei Eulogius nachzuweisen, wohl als verfehlt betrachtet werden; vgl. F. E. Robbins, The Tradition of Greek Arithmology, CPh 16 (1921), 97–123 (117–119) und J. H. Waszink, Timaeus a Calcidio translatus commentarioque instructus, London 1962, XV, Anm. 2. Das Material des Eulogius geht wohl in geringerem Maße auf Varro zurück, als man gemeinhin annimmt, und nicht unbedingt direkt. Waszink (Anm. 7), XV: ». . . Macrobii . . . et Favonii Eulogii – qui res non dissimiles materiae in Calcidii commento tractatae, eius tamen commenti perspicue ignari, exposuerunt«. J. H Waszink, Studien zum Timaioskommentar des Calcidius I. Die erste Hälfte des Kommentars (mit Ausnahme der Kapitel über die Weltseele), Leiden 1964, 77, Anm. 1: »Jedenfalls hat Favonius Eulogius . . . den Kommentar des Calcidius benutzt.« Dann 1972 (Anm. 1), 238: »Bei der erneuten Betrachtung des Materials muß

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einem weiteren Zusammenhang ist die Sache, soweit ich sehe, nie behandelt worden. ∗

Die Untersuchung soll mit einer Gegenüberstellung der genannten Parallelpassagen Adrast (bei Theon) – Calcidius – Eulogius beginnen. Thema der Partie ist das Verhältnis von kleineren zu größeren Bausteinen der Musik sowie der Aufbau von musikalischen Zusammenklängen, veranschaulicht in Analogie zur Sprache 10. Der leichteren Vergleichbarkeit halber ist der griechische Urtext in der Mitte positioniert; der lateinische Text erscheint hier (und in den folgenden Tabellen) in Normaldruck, wörtliche Übereinstimmungen von Calcidius und Eulogius kursiv; Passagen des der Verf. . . . zu seiner . . . Annahme von einer gemeinsamen Vorlage zurückkehren.« Schließlich in den Addenda ad Praefationem der 2. Auflage seiner Edition 1975, CLXXXVI: »Quibus iterum perpensis . . . a priore opinione desistere cogor et . . . agnoscere fieri potuisse, ut Favonius . . . Calcidii librum adhiberet.« Überlieferung und Textkonstitution des Calcidius wurden in jüngerer Zeit in zwei wichtigen Aufsätzen weiter untersucht: B. Bakhouche, Tradition graphique et tradition textuelle dans le Commentaire au Timée de Calcidius, RBPh 86 (2008), 97–113; M. Huglo, Recherches sur la tradition des diagrammes de Calcidius, Scriptorium 62 (2008), 185–230. 10 Dazu äußern sich vor allem platonisch geprägte Autoren öfters; vgl. S. Grebe, Die Beziehungen zwischen Grammatik und Musik bei Martianus Capella und ihre Tradition in der Antike, AAHung 37 (1996/97), 293–316. Ergänzend dazu B. W. Switalski, Des Chalcidius Kommentar zu Plato’s Timaeus, Münster 1902, 71, Anm. 4 (Plutarch); L. Richter, Griechische Traditionen im Musikschrifttum der Römer. Censorinus, De die natali, Kapitel 10, Archiv für Musikwissenschaft 22 (1965), 69–98 (93 f.; Platon selbst; Censorin). Vgl. außerdem Macrobius, comm. 2,4,11: . . . quid in sonis pro littera, quid pro syllaba, quid pro integro nomine accipiatur adserere ostentantis est, non docentis. K. Mras, Macrobius’ Kommentar zu Ciceros Somnium. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des 5. Jh. n. Chr., Sitzungsberichte der preussischen Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Klasse 1933, 232–286 nimmt wohl mit Recht an, dass diese Aussage letztlich auf Adrast zurückführt, der in Macrobius’ Hauptquelle, dem »Timaios«-Kommentar des Porphyr, intensiv benutzt war; unzutreffend ist aber aller Wahrscheinlichkeit nach seine weitere Behauptung, Calcidius habe Adrast ebenso wie Macrobius nicht direkt, sondern in Vermittlung über Porphyr verwertet (267 f.): Dazu vgl. u. Anm. 18. Die Annahme Van Weddingens (Anm. 5), 7, die Polemik des Macrobius gegen unverhältnismäßig ausführliche Vergleiche von Musik und Sprache (ostentantis est, non docentis) sei gegen Favonius Eulogius gerichtet, ist nicht zwingend.

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griechischen Texts, die bei Calcidius und Eulogius gleichermaßen fehlen oder deutlich verkürzt bzw. abgeändert sind, erscheinen unterstrichen; Abstände sollen lediglich das Vergleichen paralleler Passagen von Calcidius und Eulogius erleichtern. Calcidius 44 Etenim quemadmodum articulatae vocis principales sunt et maximae partes nomina et verba, horum autem syllabae, syllabarum litterae, quae sunt primae voces individuae atque elementariae (ex his enim totius orationis constituitur continentia et ad postremas easdem litteras dissolutio pervenit orationis), ita etiam canorae vocis, quae a Graecis emmeles dicitur et est modis numerisque composita, principales quidem partes sunt hae, quae a musicis appelantur systemata. Haec autem ipsa con-

Theon (p. 49,7–50,2; 50,9–12; 51,4–12 Hiller) Κajàper t®c ‚ggrammàtou fwn®c ka» pant‰c to‹ lÏgou Âlosqer® m‡n ka» pr¿ta mËrh tà te ˚†mata ka» ÊnÏmata, to‘twn d‡ a… sullaba–, a›tai d+ ‚k grammàtwn, tÄ d‡ gràmmata fwna» pr¿ta– e si ka» stoiqei∏deic ka» Çdia–retoi ka» ‚làqistai (ka» gÄr sun–statai  lÏgoc ‚k pr∏twn grammàtwn ka» e c Ísqata ta‹ta Çnal‘etai), o’twc ka» t®c ‚mmelo‹c ka» ôrmosmËnhc fwn®c ka» pant‰c to‹ mËlouc Âlosqer® m‡n mËrh tÄ legÏmena sust†mata, tetràqorda ka» pentàqor-

Favonius Eulogius 22 Sicut in arte grammatica articulatae vocis maximae ac principales partes edocentur nomina et verba, horum autem sunt syllabae partes ac litterae syllabarum, per quas in unum collectae significant aliquid et in eas rursus diductae solvuntur, ita canorae vocis, quae a Graecis ‚mmel†c 11 dicitur et est numeris modulisque contexta, principales portiones habentur sust†mata. Systematum vero partes ex certo contractu pronuntiationis existunt, quae diast†mata Graeci, nos intervalla nominamus.

11 Während im Codex unicus des Favonius Eulogius (Brüssel Bibl. roy. 10078-95, s. XI) für manche griechische Begriffe griechische Buchstaben verwendet sind, bieten die Calcidius-Handschriften nach Ausweis des Apparats von Waszink (Anm. 7) mit Ausnahme von Vat. lat. 3815, s. XII durchgehend lateinische Buchstaben. Es ist zu vermuten, dass auch bei Calcidius ursprünglich griechische Lettern gestanden haben, die allerdings im Zuge der extrem weiten Verbreitung seines Texts in der mittelalterlichen Überlieferung nach und nach ersetzt worden sind, ähnlich wie bei der Herausbildung einer ›Vulgata‹ eines intensiv benutzten Texts schrittweise auffällige und ›schwierige‹ Lesarten geglättet werden. Bei Eulogius, dessen Werk so gut wie unbekannt war und fast nie kopiert worden ist, konnten sich die ursprünglichen griechischen Buchstaben dagegen zumindest teilweise halten. Zur Überlieferung der »Disputatio« vgl. Dorfbauer (Anm. 5).

198 stant ex 〈partibus, quae existunt ex〉 certo 〈con〉tractu 12 pronuntiationis, quae dicuntur diastemata. Diastematum porro ipsorum partes sunt pthongi, qui a nobis vocantur soni. Hi autem soni prima sunt fundamenta cantus. Est autem in sonis differentia iuxta chordarum intentionem,

Favonius Eulogius da ka» Êktàqorda. Ta‹ta dË ‚stin ‚k diasthmàtwn, tÄ d‡ diast†mata ‚k fjÏggwn, o—tinec pàlin fwna– e si pr¿tai ka» Çdia–retoi ka» stoiqei∏deic, ‚x ¡n pr∏twn sun–statai t‰ pên mËloc ka» e c É Ísqata Çnal‘etai. DiafËrousi d‡ Çll†lwn o… fjÏggoi taÿc tàsesin, ‚pe» o… m‡n aŒt¿n Êx‘teroi, o… d‡ bar‘teroi (. . .) pl†xewc d‡ ka» kin†sewc genomËnhc per» t‰n ÇËra, taqe–ac m‡n ÊxÃc Çpoteleÿtai  fjÏggoc, brade–ac d‡ bar‘c, ka» sfodrêc m‡n me–zwn ™qoc, örËmou d‡ mikrÏc. (. . .)

Diastematum vero partes sunt fjÏggoi, qui soni Latine dicuntur. Hi soni quasi fundamentum sunt cantus. Est autem sonorum plurima differentia iuxta cordarum intentionem, quae non ut libet efficitur, sed certa observatione numerorum, de quibus mox loquemur. Et siquidem acuti soni veheacuti quidem soni vehementius et citius percusso mentius et citius percusso aere excitantur, graviores aere excitantur, graviores autem quotiens leniores et autem quotiens lenius tartardiores pulsus erunt, et diusque pulsatur; et ubi accentus quidem existunt nimius incitatiorque pulex nimio incitatoque pulsus est, accentio vocitatur, su, succentus vero leni et succentio vero, cum lenior tardiore; tardiorque pulsatio est. ex accentibus porro et sucEx accentionibus 〈et succentionibus〉 ratione musicentibus variata ratione mucae cantio temperata symsicae cantilena symphonia t¿n d‡ katÄ t‰ ·x®c ôr- phonia dicitur, quam ita dicitur. mosmËnwn fjÏggwn pr¿- definiunt: Symphonia est toi m‡n o… tËtartoi tàxei consonae vocis continua sumfwno‹si pr‰c Çll†- modulatio. Dicunturque louc, sumfwno‹si d‡ sum- aliae simplices symphofwn–an tòn di+aŒt‰ to‹- niae, aliae vero copula-

12 So der Vorschlag, den lückenhaften Text zu ergänzen, von M. Sicherl, Beiträge zur Kritik und Erklärung des Favonius Eulogius, Mainz, 1959, 9, Anm. 4; zustimmend Waszink in der 2. Auflage seiner Calcidius-Edition (Anm. 9), CXC und CLXXXVI.

Lukas J. Dorfbauer Prima igitur symphonia in quattuor primis modulis invenitur, quae diatessaron dicitur, secunda vero, quae ex quinque primis modulis constat, diapente cognominata est. Quibus compositis in ordinem nascitur ea cantilena, quae epogdous et diapason vocatur; propterea epogdous, quia veteres musici octo solis chordis utebantur . . .

to diÄ tessàrwn legomËnhn, Ípeita o… pËmptoi tòn diÄ pËnte, ka» metÄ ta‹ta o… perilambànontec ÇmfotËrac tÄc sumfwn–ac, ginÏmenoi d+ Çp+ Çll†lwn Ógdooi, tòn diÄ pas¿n, o’tw prosagoreujeÿsan ‚peidò t‰ pr¿ton Çp‰ t®c ÊktaqÏrdou l‘rac . . .

199 tae. Prima igitur symphonia in quatuor primis modulis invenitur, quae diatessaron a musicis appellatur; secunda, quae ex quinque primis modulis constat, [ac] diapente nominatur. Quibus mixtis in ordinem atque compositis nascitur ea cantilena, quae diapason habetur per epogdoum numerum, quia veteres musici octo tantum cordis utebantur . . .

Bei Calcidius und Eulogius sind gleichermaßen die folgenden, in der Tabelle unterstrichenen Passagen aus dem griechischen Text unübersetzt geblieben: ka» pant‰c to‹ lÏgou; ka» ‚làqistai; tetràqorda ka» pentàqorda ka» Êktàqorda; außerdem die mit (. . .) gekennzeichneten Abschnitte p. 50,2–9 und p. 50,12–51,4 bei Theon, die ebenfalls Zitat aus Adrast sind. Die beiden lateinischen Autoren bieten dagegen folgende Zusätze zum griechischen Ausgangstext: 〈partibus, quae existunt ex〉 certo 〈con〉tractu pronuntiationis, quae dicuntur diastemata (Calc.) ∼ partes ex certo contractu pronuntiationis existunt, quae diast†mata Graeci, nos intervalla nominamus (Eul.); qui a nobis vocantur soni (Calc.) ∼ qui soni Latine dicuntur (Eul.); ex accentibus porro et succentibus variata ratione musicae cantilena symphonia dicitur (Calc.) ∼ ex accentionibus 〈et succentionibus〉 ratione musicae cantio temperata symphonia dicitur (Eul.). Von diesen drei Zusätzen gegenüber Theon könnten der erste und der dritte – nicht aber der zweite, aufgrund des Hinweises auf die lateinische Sprache – theoretisch im verlorenen »Timaios«-Kommentar des Adrast gestanden haben. Allerdings ist dies unwahrscheinlich, da Theon längere zusammenhängende Passagen aus Adrast anscheinend völlig unverändert übernommen hat 13. 13 Dass Calcidius nicht Theon, sondern Adrast benutzte, hat E. Hiller, De Adrasti Peripatetici in Platonis Timaeum commentario, RhM 26 (1871), 582–589 nachgewiesen und Switalski (Anm. 10), 58–91 weiter bekräftigt; vgl. auch Waszink (Anm. 7),

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Eines ist jedenfalls klar: Sollten Calcidius und Favonius Eulogius unabhängig voneinander auf dieselbe Quelle zurückgegriffen haben, dann müssten die genannten Kürzungen und Ergänzungen jedenfalls bereits in dieser vorhanden gewesen sein. Nun versteht es sich von selbst, dass so viele auffällige Gemeinsamkeiten, wie man sie in den lateinischen Partien des Calcidius und des Eulogius findet, nicht zustande kommen, wenn zwei Autoren unabhängig voneinander denselben griechischen Ausgangstext übersetzen: Man bedenke etwa – um das deutlichste, in der Tabelle unterstrichene Beispiel zu nennen – die Wiedergabe hi autem soni prima sunt fundamenta cantus (Calc.) bzw. hi soni quasi fundamentum sunt cantus (Eul.) für das ausführlichere o—tinec pàlin fwna– e si pr¿tai ka» Çdia–retoi ka» stoiqei∏deic, ‚x ¡n pr∏twn sun–statai t‰ pên mËloc ka» e c É Ísqata Çnal‘etai 14. Außerdem gibt es einen sachlichen Irrtum bzw. einen Übersetzungsfehler, der als Bindefehler zwischen Calcidius und Eulogius gewertet werden muss: Quibus compositis in ordinem nascitur ea cantilena, quae epogdous et diapason vocatur bei Calcidius bzw. quibus mixtis in ordinem atque compositis nascitur ea cantilena, quae diapason habetur per epogdoum numerum bei Eulogius soll metÄ ta‹ta o… perilambànontec ÇmfotËrac tÄc sumfwn–ac, ginÏmenoi d+ Çp+ Çll†lwn Ógdooi, tòn diÄ pas¿n wiedergeben 15. Dies beseitigt auch XXXV–XXXVIII sowie P. Moraux, Der Aristotelismus bei den Griechen 2: Der Aristotelismus im I. und II. Jh. n. Chr., Berlin 1984, 297. Zu Adrast informiert ausführlich Moraux, 294–332. Zu der Partie acuti soni vehementius . . . leni et tardiore vgl. außerdem Macrobius, comm. 2,4,3 f., insbesondere . . . numquam sonum fieri nisi aere percusso; ut autem sonus ipse aut acutior aut gravior proferatur, ictus efficit, qui, dum ingens et celer incidit, acutum sonum praestat, si tardior lentiorve, graviorem. Dies geht zweifellos ebenfalls auf Adrast zurück, den Macrobius in Vermittlung durch Porphyr benutzte; vgl. o. Anm. 10. 14 Es ist zu beachten, dass der griechische Text zwar bei beiden Autoren inhaltlich gleich gekürzt ist, dass aber Calcidius’ hi autem soni prima sunt fundamenta in Auswahl und Reihenfolge der einzelnen Wörter näher an o—tinec pàlin fwna– e si pr¿tai steht als Eulogius’ hi soni quasi fundamentum sunt. 15 Bereits Switalski (Anm. 10), 72 und Waszink (Anm. 7) ad loc. zeigten sich befremdet über die Übersetzung des Calcidius. Die Sache erklärt Richter (Anm. 10), 96: »[Adrast] beschreibt . . . die Konsonanzbildung bei leitereigener Tonfolge, nicht ohne die Benennung der primären Konsonanzen von der achtseitigen Lyra abzuleiten. Bei ihrer Paraphrase identifizieren die römischenzu Kommentatoren die Anordnung der Konsonanzen nach Tonstufen mit einem Aufbau aus Tonteilen (moduli).«

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den letzten vielleicht noch bestehenden Zweifel: Sollten die beiden lateinischen Autoren tatsächlich unabhängig voneinander dieselbe Quelle benutzt haben, so müsste es sich bei dieser jedenfalls um eine lateinische Übersetzung der griechischen Partie des Adrast handeln. Weiters ist es klar, dass Eulogius nicht die Quelle von Calcidius sein kann. Abgesehen von den Gründen, die bereits Skutsch geltend gemacht hat (insbesondere der unklare Anschluss an das Folgende bei Eulogius) 16, zeigt die obige Gegenüberstellung klar, dass die Version des Calcidius – teilweise hart an der Grenze der Verständlichkeit – durchwegs näher am griechischen Text steht als Eulogius: So entspricht horum autem syllabae genau to‘twn d‡ a… sullaba–, während Eulogius glatter horum autem sunt syllabae schreibt; Calcidius’ principales sunt et maximae partes ist eine leichte und für die Übersetzung ins Lateinische auf der Hand liegende Ergänzung zu Âlosqer® m‡n ka» pr¿ta mËrh (dagegen Eulogius: maximae ac principales partes edocentur); Calcidius’ ex his enim totius orationis constituitur continentia et ad postremas easdem litteras dissolutio pervenit orationis gibt ka» gÄr sun–statai  lÏgoc ‚k pr∏twn grammàtwn ka» e c Ísqata ta‹ta Çnal‘etai sprachlich etwas umständlich, aber inhaltlich recht genau wieder, wohingegen die Aussage per quas in unum collectae significant aliquid et in eas rursus diductae solvuntur bei Eulogius zwar leichter verständlich, aber deutlich weiter entfernt vom Original ist. Die Übersetzung quae sunt primae voces individuae atque elementariae (fwna» pr¿ta– e si ka» stoiqei∏deic ka» Çdia–retoi) fehlt bei Eulogius: Ein Ausfall in der handschriftlichen Überlieferung ist gut möglich. Zum Inhalt von Kapitel 44 bei Calcidius bzw. bei seiner Vorlage Adrast vgl. außerdem den Exkurs III bei R. Pfeiffer, Geschichte der Klassischen Philologie von den Anfängen bis zum Hellenismus, Hamburg 1970, 339 f. sowie die dort genannte Literatur. 16 Skutsch (Anm. 6), 198. Bekräftigend Fries (Anm. 7), 124 f. Da die genaue Datierung des Calcidius nach wie vor unsicher ist, soll sie hier nicht in die Argumentation miteinbezogen werden. Nur soviel: Nachdem man Calcidius im Anschluss an die Arbeiten von J. H. Waszink in den letzten Jahrzehnten meist an das Ende des 4. Jh. gesetzt hat, tritt Dronke (Anm. 1), 3–7 wieder nachdrücklich für die erste Hälfte des 4. Jh. (»perhaps even to its first quarter« 6) ein. Dies mag zutreffen, doch erscheint mir keines der Argumente, welche für die Früh- oder für die Spätdatierung vorgebracht wurden, entscheidend. Die »Disputatio« des Favonius Eulogius entstand frühestens 380/7, wahrscheinlich aber erst zwischen 400 und 420; vgl. Dorfbauer (Anm. 5), 504 f.

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Vor allem aber gibt es ein grundsätzliches Bedenken gegen die Annahme einer Benutzung des Favonius Eulogius durch Calcidius: Warum sollte der »Timaios«-Kommentator, der für die Zusammenstellung seines umfangreichen Werks mehrere griechische Quellen studiert und Adrast auch sonst massiv ausgewertet hat, ausgerechnet diesen einen Abschnitt des griechischen Autors in der Übersetzung des Eulogius benutzt haben? Überhaupt ist die Vertrautheit des Calcidius mit griechischer Literatur unbestreitbar, wohingegen man nicht sagen kann, wie weit Eulogius der griechischen Sprache überhaupt mächtig gewesen ist 17. Der Einwand, für Calcidius habe kein Grund bestanden, die Schrift des Eulogius ausgerechnet in diesem Abschnitt auszuwerten, trifft nun aber auch jeden anderen lateinischen Text, den die beiden Autoren unabhängig voneinander hätten benutzen können – es sei denn, man denkt an eine Übersetzung des gesamten »Timaios«-Kommentars des Adrast oder wenigstens von sehr umfangreichen Teilen davon (vgl. Anm. 17 und 18). Eine derartige Übersetzung – man müsste sie sich sehr wörtlich vorstellen, was Calcidius genau übernommen, Eulogius aber geglättet hätte – wäre für Calcidius zwar bequem gewesen; der Kommentator hätte aber dennoch andere griechische Quellen zusätzlich berücksichtigen müssen (vgl. Anm. 17). Man sieht, welche gedanklichen Konstruktionen notwendig sind, um die These einer gemeinsamen Quelle von Calcidius und Eulogius aufrecht zu erhalten. Nun ist nichts darüber bekannt, dass der Kommentar des Adrast zum »Timaios« jemals in seiner Gesamtheit oder auch nur in größeren Teilen ins Lateinische übersetzt worden wäre; dasselbe gilt für jene griechischen Werke, in denen Adrast ausgiebig benutzt bzw. zitiert worden ist, nämlich die genannte Schrift des Theon und der weitgehend verlorene 17 Wie aus den Untersuchungen Hillers (Anm. 13), Switalskis (Anm. 10) und Waszinks (Anm. 7) und (Anm. 8) hervorgeht, stammen im Calcidius-Kommentar die Kapitel 8–19, 20–22 (?), 32–50, 58–104, 108–118 – von insgesamt 355 – zur Gänze oder zum größten Teil aus Adrast; vgl. auch die Zusammenstellung bei Moraux (Anm. 13), 298, Anm. 17. Wichtige Quellen sind außerdem Porphyr, Numenios (?), Albinos (?) und Origenes. Dagegen hat man sich oft gewundert, dass Calcidius lateinische Autoren fast gar nicht benutzt; vgl. etwa Switalski, 54 f. oder Madec (Anm. 1), 357 f. Griechischkenntnisse des Favonius Eulogius werden im Allgemeinen eher bezweifelt – vgl. M. Sicherl, Favonius Eulogius, in: RAC 8 (1969) 636–640 (639) –, doch ist die Frage nicht systematisch untersucht.

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»Timaios«-Kommentar des Porphyr 18. Überhaupt ist es fraglich, ob in der lateinischen Literatur ein besonderes Interesse an einem Text bestanden hat, dessen Spezialisierung auf technische Fragen der Mathematik, der Musik und der Astronomie immer wieder hervorgehoben worden ist 19. Geht man aber davon aus, Eulogius habe die oben ausgeschriebene Passage von Calcidius übernommen, dann wird vieles klarer: Der Rhetor hat den Text unverändert übernommen, soweit er problemlos zu verstehen war; wo dies nicht der Fall ist, hat er ihn geringfügig geglättet (horum autem syllabae – horum autem sunt syllabae) oder größere Teile umformuliert bzw. ganz nach eigenem Gutdünken ersetzt (orationis constituitur continentia et ad postremas easdem litteras dissolutio pervenit orationis – per quas in unum collectae significant aliquid et in eas rursus diductae solvuntur) 20. Die Ungereimtheit der Aussage quibus compositis in ordinem nascitur ea cantilena, quae epogdous et diapason vocatur hat Eulogius zwar wahrgenommen, aus Unkenntnis des ursprünglichen Texts freilich nicht beheben können, sondern lediglich durch die Abänderung quibus mixtis in ordinem atque compositis nascitur ea cantilena, quae diapason habetur per epogdoum numerum notdürftig zu überspielen gesucht; epogdous statt Ógdooc und der damit einhergehende Gedankengang erweisen sich in der konkreten Ausführung

18 Es wurde bisweilen vermutet, Calcidius habe seine Kenntnis Adrasts nicht direkt aus dessen Schrift zum »Timaios«, sondern – wie Macrobius – aus dem entsprechenden Kommentar des Porphyr geschöpft; vgl. o. Anm. 10 sowie den Forschungsüberblick bei Moraux (Anm. 13), 297–299. Gegen diese These bringt allerdings Waszink (Anm. 8), 22–30 derart gewichtige Argumente vor, dass man, solange nicht das Gegenteil bewiesen wird, davon ausgehen muss, dass Calcidius die zu Beginn des 2. Jh. n. Chr. entstandene Schrift des Adrast direkt benutzt hat. Diese war wahrscheinlich kein formeller Kommentar zum »Timaios«, sondern behandelte einzelne naturwissenschaftliche Problemkreise der Schrift. Robbins (Anm. 7), 120–122 rechnet aus kaum hinreichenden Gründen immerhin mit der Möglichkeit einer lateinischen Adrast-Übersetzung, welche Calcidius und Martianus Capella benutzt haben könnten (vgl. dazu auch u. Anm. 43). 19 Zeugnisse zum »Spezialistentum« des Adrast bei Moraux (Anm. 13), 300, insbesondere Anm. 21: Proklos nennt ihn filoteqn¿n, und Theon leitet den oben zitierten Abschnitt mit den Worten  d‡ peripathtik‰c óAdrastoc gnwrim∏teron per» te Årmon–ac ka» sumfwn–ac diex∏n . . . ein. 20 Im Grundsätzlichen erkannt hat dies bereits Fries (Anm. 7), 124: »Saepius . . . Favonius Chalcidianis sententiis affert verba sua«.

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bei Calcidius und Eulogius somit nicht nur als Binde-, sondern auch als Stufenfehler. Sieht man von den bloß stilistischen Glättungen der oft recht ungelenk und dunkel wirkenden Sprache des Calcidius ab, so bietet Eulogius nur folgende vier Informationen, die inhaltlich über den Timaios-Kommentator hinausgehen: (1.) Die Angabe in arte grammatica in der Einleitung des Vergleichs Sprache – Musik; sie bringt nichts Wesentliches, passt aber gut zu einem berufsmäßigen Rhetor 21. (2.) Die Übersetzung diast†mata Graeci, nos intervalla nominamus; sie liegt auf der Hand 22 und wirkt an dieser Stelle etwas schulmeisterlich. (3.) Den Verweis auf eine spätere Partie des eigenen Werks (differentia iuxta cordarum intentionem) quae non ut libet efficitur, sed certa observatione numerorum, de quibus mox loquemur (23f.), was natürlich kein Vorbild bei Adrast/Calcidius hat. (4.) Die Definition symphonia est consonae vocis continua modulatio (dicunturque aliae simplices symphoniae, aliae vero copulatae). Dies kann Eulogius leicht selbständig nach einer anderen Quelle eingefügt haben: Die auffällige Berührung mit Martianus Capella 2,108 . . . symphonia [diapason] in melicis, quae tonon facit, qui est consonae unitatis continua modulatio (leider ist der Text offensichtlich korrupt und unsicher) mag an Varro denken lassen 23, der in der Vergan21 Zu Eulogius als Rhetor vgl. Dorfbauer (Anm. 5), 501–512. 22 Vgl. den Eintrag Diastema im ThLL 5,954 f. Calcidius übersetzt oder erklärt griechische Begriffe nicht immer. Mindestens in einem Fall hängt er derart an seiner griechischen Quelle, dass eine Information, welche für das Lateinische unzutreffend ist, unerklärt stehen bleibt: Er beweist nämlich die virtus der Zahl 7 mit der Anzahl der Vokale in der Sprache (vocalium quoque litterarum numerus idem . . . 37). Dies geht zweifellos auf den Griechen Adrast zurück; Macrobius, der dieselbe Information – vermittelt über Porphyr – im selben Kontext hat, erklärt für den lateinischen Leser: Septem vocales litterae a natura dicuntur inventae, licet Latinitas easdem modo longas modo breves pronuntiando quinque pro septem tenere maluerit (comm. 1,6,70); vgl. dazu Mras (Anm. 10), 250. 23 Wohl irgendwie vermittelt: Censorin, der näher an Varro stehen dürfte, hat die Definition est autem symphonia duarum vocum disparium inter se iunctarum dulcis concentus (10,6), wozu noch zu vergleichen wäre Augustinus, s. Caillau/Saint-Yves 2,11,9 (MiAg 1, p. 261,5 f.) Quid est symphonia? Concordia vocum. Andererseits folgt bei Censorin direkt auf die zitierte Passage die Aussage Symphoniae simplices ac primae sunt tres, quibus reliquae constant, worauf diese drei symphoniae inhaltlich kongruent, aber sprachlich recht anders als bei Eulogius erklärt werden (auch Mart. Cap. 9,933 f. beschränkt sich auf dieselben drei Konsonanzen). Es ist somit leicht möglich, dass

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genheit immer wieder als Hauptquelle des Favonius Eulogius angesehen wurde (vgl. dazu die Anm. 7, 23, 37, 44 und 51). Keiner dieser vier Zusätze lässt den Verdacht aufkommen, Eulogius hätte ihn nicht eigenständig ergänzen können. So unwahrscheinlich es ist, dass Calcidius ausgerechnet für diese eine Partie seines umfangreichen Kommentars Eulogius benutzt hätte, so nahe liegt es a priori, dass umgekehrt Eulogius für seine schmale Abhandlung einen Text wie den »Timaios«-Kommentar des Calcidius ausgewertet hat: Der »Timaios«-Kommentator sah sich, wie er angibt, mit der gewaltigen Aufgabe konfrontiert, alle Fachwissenschaften meistern zu müssen 24. Eulogius verfolgte dagegen mit seiner »Disputatio« das vergleichsweise weniger anspruchsvolle Vorhaben, anknüpfend an Ciceros »Somnium Scipionis« die in dem Werk thematisierte Wirkkraft der Zahlen 7 und 8 sowie die Sphärenharmonie zu erklären, allerdings nur im Grundsätzlichen und nicht in Details 25. Sicherlich hat der Rhetor Favonius Eulogius für seine kurze Schrift – anders als Calcidius – keine umfassenden Vorarbeiten angestellt, sondern sich auf den Grundstock seines eigenen Wissens und auf einige wenige Quellen, die ihm kompakt die nötigen Informationen liefern konnten, verlassen 26. Der Kommentar des Calcidius wäre für ihn dabei besonders nützlich gewesen, denn dieser bietet nach einer allgemeinen Einleitung (1–6) ein Inhaltsverzeichnis (7) mit thematisch einschlägigen der Zusatz bei Eulogius dicunturque aliae simplices symphoniae, aliae vero copulatae letzlich auf dieselbe Quelle (Varro?) zurückgeht wie Martianus Capella und Censorin; in dieser sind die simplices symphoniae und die copulatae symphoniae wohl genauer vorgestellt worden. Zur Sache vgl. Richter (Anm. 10), 94–96. Zu Capella vgl. S. Grebe, Martianus Capella ›De nuptiis Philologiae et Mercurii‹. Darstellung der Sieben Freien Künste und ihrer Beziehungen zueinander, Stuttgart 1999; insbesondere zur Musik L. Cristante, Martiani Capellae De nuptiis Philologiae et Mercurii Liber IX, Padua 1987 (71 f. und 290 f. zum Verhältnis Varro – Censorin – Capella). 24 Cunctis certarum disciplinarum artificialibus remediis occurrendum erat, arithmeticis astronomicis geometricis musicis, quo singulae res domesticis et consanguineis rationibus explicarentur . . . (2). Dazu vgl. Waszink (Anm. 8), 27–30. 25 Zum eigentlichen Ziel des Eulogius, nämlich sich bei dem Adressaten des Werks, dem Provinzgouverneur Superius, durch die eigene Bildung zu empfehlen, vgl. Dorfbauer (Anm. 5), 501–512. 26 Er selbst behauptet gar, nur das zusammengestellt zu haben quod sine libris in agello positus potui reminisci (20), doch ist dies sicherlich nicht für bare Münze zu nehmen; vgl. Dorfbauer (Anm. 5), 507.

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Favonius Eulogius

Überschriften wie De genitura mundi, De silva oder De intellegibili deo. Tatsächlich findet sich all das für Eulogius interessante Material in drei direkt aufeinander folgenden Abschnitten bei Calcidius, welche die Titel De ortu animae (II), De modulatione sive harmonia (III) und De numeris (IV) tragen 27. Im Übrigen wird man kaum umhin kommen, dem Rhetor Favonius Eulogius Kenntnis von irgendeinem »Timaios«-Kommentar zuzugestehen, denn er bringt in seiner »Disputatio« nicht nur das so genannte LabdomaDiagramm, welches ein fester Bestandteil der antiken Exegese des »Timaios« gewesen ist, sondern direkt im Anschluss an dieses Diagramm auch eine Zusammenfassung von Tim. 35bc, was für die Kohärenz seiner Ausführungen nicht unbedingt notwendig erscheint (16). Die ganze Partie (zu ihr gleich mehr) erweckt den Anschein, als gehe sie einheitlich auf einen »Timaios«-Kommentar zurück – und tatsächlich erklärt Calcidius die betreffende Passage 35bc der platonischen Schrift durch das genannte Diagramm (32). Wenn nun aber Eulogius irgendeinen »Timaios«-Kommentar gekannt hat, und wenn er an der anfangs zitierten Partie in so auffälliger Weise mit Calcidius übereinstimmt, dann erscheint es die einfachste Erklärung, dass er eben Calcidius gekannt und verwertet hat 28. ∗ 27 Es handelt sich um die modernen Kapitel 26–56. Quelle war vielleicht für alle Adrast (vgl. o. Anm. 17). 28 Man wird vielleicht die Frage stellen, warum Eulogius – wenn er Calcidius gekannt hat – die zitierte Partie fast wörtlich übernommen, die im Folgenden zusammengestellten Passagen, falls überhaupt benutzt, deutlich freier behandelt hat. Die Antwort gibt Eulogius selbst, wenn er direkt vor dem langen Zitat festhält Sequitur locus cum rei obscuritate tum expositionis a Tullio positae brevitate difficilis . . . quaedam primitus ex musica disciplina tradenda sunt, quo facilior intellectus existat (21). Ganz offensichtlich fühlte sich der Rhetor bei der Behandlung dieses Themas etwas unsicher und hielt sich deshalb enger an seine Vorlage als anderswo. Genauso erging es einige Jahre später im selben Zusammenhang Macrobius, der ebenfalls Hilfe bei den »Timaios«-Kommentatoren (d. h. letztlich bei dem Spezialisten Adrast, in diesem Fall vermittelt durch Porphyr) suchte: [Plato in Timaeo suo] . . . cuius sensus, si huic operi fuerit appositus, plurimum nos ad verborum Ciceronis, quae circa disciplinam musicae videntur obscura, intellectum iuvabit (comm. 2,2,1). Willkür wäre es, aus dieser Koinzidenz auf einen älteren, verlorenen Kommentar zum »Somnium Scipionis« schließen zu wollen, wie ihn die ältere Forschung, die in Eulogius und Macrobius unselbständige Kopisten gesehen hat, teilweise annahm; vgl. dazu Mras (Anm. 10),

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Im Folgenden sollen die übrigen Passagen bei Favonius Eulogius zusammengestellt und kurz diskutiert werden, die aller Wahrscheinlichkeit nach durch Benutzung des Calcidius beeinflusst wurden, oder die zumindest dadurch beeinflusst worden sein können 29. Zuerst zu dem eben genannten Labdoma-Diagramm 30. Es handelt sich dabei um eine Figur in der Form eines L; an der Spitze steht die Eins, am linken Schenkel dargestellt die Reihe der geraden Zahlen 2 – 4 – 8, am rechten jene der ungeraden 3 – 9 – 27. Laut Plutarch, »De animae procreatione in Timaeo« 29 (p. 1027d) hat der akademische Philosoph Krantor als erster dieses Diagramm gewählt, um die mathematischen Ausführungen von Tim. 35bc zu erläutern; es wurde, in unterschiedlichen Ausformungen, fester Bestandteil in den späteren »Timaios«-Kommentaren. Die graphische Darstellung, die Eulogius gibt (16), stimmt mit der bei Calcidius (32) überein 31. Allerdings weist Eulogius, über Calcidius hinausgehend, den drei Stufen 2/3 – 4/9 – 8/27 in seiner graphischen Darstellung ausdrücklich die Dimensionen longitudo – latitudo – altitudo zu, was zu seinen Ausführungen über den Würfel passt; seine entsprechenden geometrischen Erläuterungen im Text wirken wie eine Zusammenfassung von dem, was Calcidius zur selben Stelle in den Kapiteln 32 und 33 in aller Ausführlichkeit vorbringt 32.

29 30 31

32

252 und M. Armisen-Marchetti, Macrobe. Commentaire au Songe de Scipion 1, Paris 2 2003, LX–LXI. Es sei nicht verschwiegen, dass sich viele der einschlägigen Partien bereits bei Fries (Anm. 7) und/oder im Index Locorum bei Waszink (Anm. 7), 428 angemerkt finden. Zur ersten Information vgl. Mras (Anm. 10), 244 f. und Armisen-Marchetti (Anm. 28), 146 f., Anm. 93. Zu anderen Formen vgl. neben der in Anm. 30 genannten Literatur Hiller (Anm. 13), 585 f., Waszink (Anm. 8), 4–8 sowie J. M. Dillon, The Middle Platonists, London 1977, 403. Waszink weist darauf hin, dass »im Exemplar des Calcidius diese Figur unmittelbar nach der Übersetzung der eben genannten Stelle aus dem Timaios [35bc] stand« (7). Bei Eulogius folgt die Paraphrase von Tim. 35bc direkt auf das Diagramm. . . . tres lineam faciunt longitudinis, novem lineam latitudinis, viginti vero et septem profunditatem illam soliditatis absolvent (Eul. 16) ∼ quod vero ex tribus constat, id est longitudine latitudine profunditate, solidum corpus cognominant (Calc. 32), kombiniert mit der ausführlichen Berechnung bei Calc. 33. Es fällt auf, dass Eulogius die drei Dimensionen in seiner Erklärung mit denselben Termini bezeichnet wie Calcidius, während

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Außerdem folgt bei Eulogius eine – für seine Zwecke nicht unbedingt notwendige – kurze Zusammenfassung von Tim. 35bc mit ausdrücklicher Berufung auf Plato. Da der Rhetor kürzt und paraphrasiert, kann man nicht so leicht mit Calcidius vergleichen; deutliche Anklänge an dessen Übersetzung und an dessen Kommentar sind aber vorhanden: Plato, cum divisionem primam ex cratere illo suo, quo animam temperabat, efficeret et dupli ac tripli distantias propinquioribus pro rata parte numeris inferciret, eadem posuit intervalla primigenia . . . dempto illo principe, qui communis omnibus lateribus invenitur ∼ . . . divisionem instaurans hactenus . . . sexta fuit assumptio partibus septem, quam prima propensior . . .; und im Kommentar 34: Quaeritur hoc loco . . . cur in tantum produxerit divisionem, ut septem constitueret limites, terna autem in utrisque lateribus intervalla . . . 33 Im Übrigen hat Eulogius, wenn er Plato, die Erschaffung der Seele und den Krater miteinander verknüpft, sicherlich auch Tim. 41d im Kopf, denn nur an dieser Stelle ist von dem berühmten Krater die Rede (in 35bc fällt allein das Stichwort »Seele«). Die entsprechende Partie lautet in der Übersetzung des Calcidius: . . . reliquias prioris concretionis, ex qua mundi animam commiscuerat, in eiusdem crateris sinum refundens eodem propemodum genere atque eadem ratione miscebat 34. Weiters hat man bisher anscheinend nicht bemerkt, dass sich die wörtlichen Übereinstimmungen der Kapitel 44 bei Calcidius und 22 bei Favonius Eulogius zumindest in sachlichen Parallelen fortsetzen: Zwar ersetzt Eulogius die historischen Angaben des »Timaios«-Kommentators über die Saiten der Lyra, welche dessen Kapitel 44 abschließen (nach Adrast er im Diagramm, wo er selbständig ergänzt, altitudo statt des gesuchteren profunditas schreibt. 33 Man mag einwenden, die wörtlichen Parallelen (divisio, propinquior/propensior, latus, intervallum) erklärten sich aus der behandelten Materie; allerdings gibt Macrobius, comm. 2,2,15 eine eigenständige Übersetzung von Tim. 35bc, und diese weicht im Vokabular deutlich von Calcidius bzw. Eulogius ab. 34 Auch in Kapitel 5 bezieht sich Eulogius auf den »Timaios«, wenn er festhält 〈quem〉 [scil. animum] quamvis circa corpora divisibilem Plato testatur, genere tamen unum eundemque cognoscit (zum Text vgl. Sicherl, Anm. 11, 24). Dies speist sich, wie Van Weddingen (Anm. 5) ad loc. anmerkt, aus Tim. 35a, somit wieder aus der in Kapitel 16 paraphrasierten Partie; in der Übersetzung des Calcidius: tertium animae genus . . . ex individua semperque in suo statu perseverante substantia itemque alia, quae inseperabilis corporum comes per eadem corpora scindere se putatur. Anspielungen auf den platonischen Krater bei Arnobius und Ambrosius führt Courcelle (Anm. 5), 22 an.

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bei Theon p. 51,15–20 H.), durch einen kurzen und einigermaßen schroff wirkenden Hinweis auf das Verhältnis der acht Saiten zu den Himmelsbahnen; danach kommt er allerdings auf die drei symphoniae simplices ac primigeniae Diapente, Diatessaron und Diapason zu sprechen (vgl. Anm. 23), die auch Calcidius im folgenden Kapitel 45 – unter Berufung auf Pythagoras – erklärt: Tendamus igitur primam cordam momentis sex, alteram vero octo: comparatio istarum cordarum symphoniam efficit diatessaron. At si aliam duobus momentis, aliam tribus intendas, diapente symphonia utriusque percussione resonabit. Si vero aliam sex momentis intorseris, aliam duodecim, dicetur haec symphonia diapason, quam dupli ratio ex utraque superius demonstrata pepererit. ∼ Itaque diatessaron cantilenam dixit eandem habere rationem quam habet epitritus in numeris, rursum diapente symphoniam habere rationem similem eius quantitatis, quae est sescuplaris in numeris, diapason vero vim obtinere duplicis quantitatis. Die weiteren technischen Ausführungen des Eulogius über die Intervalle stimmen wenigstens teilweise eng mit dem überein, was man in anderen, nicht allzu weit entfernten Passagen des Calcidius-Kommentars liest 35. Calcidius 41 (und 35)

Favonius Eulogius 23

. . . epitritum autem dicunt intervallum, quotiens numero ad numerum comparato maior minorem totum in se continet et eius tertiam portionem (epitriti quidem ut quattuor adversum tres 35) . . . duum medietatum intervallum epogdoum est; novenarius enim numeris totum octonarium in se continet et eius octavam portionem, id est unum

. . . ratio ex epitrito numero, cum scilicet maior minorem summam non medietate minoris, sed eiusdem tertia parte progreditur, ut quatuor ad tria sunt 36 . . . epogdous autem tunc esse dicitur numerus, cum maior minorem summam octava parte minoris antevenit, ut sunt novem ad octo

Zahlreiche enge Parallelen zwischen Calcidius und Favonius Eulogius bestehen außerdem in Teilen ihrer numerologischen Ausführungen, insbesondere zur Siebenzahl 37. Freilich sind derartige Partien in der antiken 35 Ansatzweise gesehen von Fries (Anm. 7), 125, der auch auf Parallelen bei anderen Autoren hinweist. 36 Den korrekten Text stellt Sicherl (Anm. 11), 11 her. 37 Man liest immer wieder, die wichtigste Quelle für die »Disputatio« des Eulogius sei Varro gewesen; vgl. etwa Sicherl (Anm. 11), 12, Anm. 3 oder (Anm. 17), 638 f. Gut

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Favonius Eulogius

Literatur zu häufig, als dass man sofort auf direkte Abhängigkeit schließen darf. Überhaupt gehörte dieser Stoff offenbar zu dem Basiswissen, das man bei einem Gebildeten der Spätantike mehr oder weniger voraussetzen muss 38. Vorausgesetzt, dass Eulogius grundsätzlich mit Calcidius vertraut war, kann man bei folgenden Partien direkte Abhängigkeit in Erwägung ziehen: Calcidius 36 39

Favonius Eulogius 13

. . . septenarius numerus neque ex duplicatione alterius nascitur nec infra decimanum limitem parit quemquam proptereaque Minerva est a veteribus cognominatus, item ut illa sine matre perpetuoque virgo

[septenarius] . . . qui ab arithmeticis Minerva dictus est, quod neque creatus est ex duobus sui 40 similibus neque procreare ipse alios potest intra 41 limitem primi versus. (. . .) merito Minerva, sine matre virgo . . . perhibetur

Etenim duo duplicati pariunt quattuor numerum; tria nullo duplicato nascuntur, ipsa autem duplicata pariunt senarium numerum; quattuor numerus

. . . dyas et paritur ex singulis et ex se quaternarium creat; tria non equidem paritur, . . . sed generat sex; 〈quaternarius et paritur ex bis binis et ex se oc-

38

39

40 41

vergleichen lassen sich fast nur des Eulogius Ausführungen über die Siebenzahl, denn Gellius 3,10 bringt ein ausführliches Referat über Varros diesbezügliche Angaben in dessen »Hebdomades vel de imaginibus«, gespickt mit Zitaten: Es sollte zu denken geben, dass sich hier – insbesondere im Vergleich zu Calcidius – sehr wenige Übereinstimmungen zeigen. Deutlicher sind die Berührungen von einigen geometrischen Angaben Varros, referiert bei Gellius 1,20, mit Eulogius 15. Die Problematik wird zu Recht betont von Robbins (Anm. 7), 97: »Whole passages of one author are repeated in one or more others, and the topics of arithmology are so frequently paralleled that to determine the exact provenance of any one may be wellnigh impossible.« Einiges Material zur antiken Arithmologie bei Grebe (Anm. 23), 388–411, die das genannte Problem ebenfalls anspricht (389 f.). Vgl. auch die Parallelen bei Waszink (Anm. 7) im Similienapparat ad loc. sowie bei Armisen-Marchetti (Anm. 28), 148, Anm. 107. Aus Fries (Anm. 7), 121 f. kann man ersehen, dass unter den lateinischen Autoren die Übereinstimmungen zwischen Eulogius und Calcidius die bei weitem deutlichsten sind. Außerdem stehen sich die beiden näher als Calcidius an Theon p. 103,5–16 H. Richtig Sicherl (Anm. 11), 20 gegen die unnötige Tilgung Van Weddingens (Anm. 5). Zu infra / intra vgl. Sicherl (Anm. 11), 29. Bei Theon p. 103,2 H. heißt es mÏnoc gÄr t¿n ‚nt‰c t®c dekàdoc o÷te gennî Èteron o÷te gennêtai Õf+ ·tËrou.

Lukas J. Dorfbauer et paritur et parit (paritur quidem a bis duobus, parit autem duplicatus octonarium numerum); rursum quinque numerus a nullo nascitur bis supputato, ipse autem bis supputatus parit decem; item sex numerus nascitur quidem ex duplicato triente, parit autem infra decimanum limitem neminem; octavus nascitur ex bis supputatis quattuor, ipse neminem parit; nonus nascitur ex ter tribus, ipse autem neminem parit; decimus nascitur ex duplicato numero quinque, ipse porro neminem parit

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tonarium creat〉; 42 quinarius ipse non paritur, sed decimum ex duobus sui similibus parit, in quo . . . crescentium finis est numerorum . . . sex paritur quidem, sed ipse non parit . . .; octavus vero ex duobus quaternariis exortus in sedecim duplicatus exundat (paritur ergo, non parit); enneadem tres triplicati pariunt; . . . decas nata quidem ex bis quinis cognoscitur, sed viginti, quos colligit duplicatus hic numerus, non possunt dictae rationis habere consortium

Darauf folgt bei Calcidius wie bei Eulogius folgende Partie über die Bedeutung der Siebenzahl für die menschliche Entwicklung: Calcidius 37 43

Favonius Eulogius 14

Principio septimani partus ante ceteros legitimi sunt in generis humani fetibus, deinde quod post partum septimo men-

. . . semen . . . septimo die in sanguinem commutari 44, septimo mense perfici ac plerumque nasci legitimam partus dinumerationem †mansurum 45; infan-

42 Zur Ergänzung des lückenhaften Texts vgl. Sicherl (Anm. 11), 23, der sich ausdrücklich gegen Abhängigkeit des Eulogius von Calcidius ausspricht und eine gemeinsame Quelle annimmt. 43 Vgl. auch die übrigen Parallelen bei Waszink (Anm. 7) ad loc. sowie Grebe (Anm. 23), 403. Die Berührungen des Calcidius mit Martianus Capella 7,739 in der lateinischen Terminologie sind derart schlagend, dass man eine gemeinsame lateinische Quelle oder direkte Abhängigkeit annehmen muss (in principio septimani partus hominem absolutum perfectumque dimittunt . . . parvulis mense septimo dentes emergunt ac septimo anno mutantur; item secunda hebdomas pubertatem movet gignendique possibilitatem, tertia florem genarum; quarta incrementa staturae finiuntur; quinta iuvenalis aetatis plena perfectio est . . .). Robbins (Anm. 7), 120 denkt an eine lateinische Übersetzung des Adrast (vgl. o. Anm. 18), doch löst sich das Problem einfacher, wenn man Benutzung des Calcidius durch Capella annimmt. Das Gegenargument von Robbins »he [Capella] must have taken his account of the parts of the body, for example, from the same source as the rest of the passage, and this is wholly omitted by Chalcidius« setzt voraus, Capella habe nichts getan als längere Passagen unverändert zu übernehmen, so als hätte er nicht mehrere Quellen selbständig zusammenarbeiten können. Diese Einschätzung wird dem Verfasser eines hochkomplexen Werks wie

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Favonius Eulogius

se dentes aguntur, septimo deinceps anno mutantur. Idem quoque secunda hebdomade pubertatem affert utrique sexui gignendique et pariendi maturitatem. Tertia vero hebdomade ostentat se flos et lanugo circa genas. Quarta vero hebdomade definiuntur incrementa staturae, quinta plenam iuvenilis aetatis affert perfectionem

tiumque dentes a septimo mense prorumpere, septimo mutari anno; bis septimo incipere pubertatem; ter septeno florem barbae iuvenilis absolvi; quatuor autem annorum hebdomadibus evolutis staturae crescentis terminum fieri nec ultra proceritatem posse procedere; triginta vero et quinque annis exemptis etiam ingenii progressionem fere desistere quidam putavere philosophi, quod videlicet in quinque redigatur hebdomadas

Calcidius sagt über seine Quelle Hippocrates cum saepe alias in plerisque libris suis tum etiam in his evidenter, quos de hebdomadibus instituit; Eulogius gibt einleitend an: Hippocrates Cous, naturae scrutator egregius, hunc

»De nuptiis Philologiae et Mercurii« nicht gerecht. Auch Favonius Eulogius, dessen literarische Fähigkeiten wohl niedriger als die des Martianus Capella eingeschätzt werden müssen, kopiert, wie gezeigt wurde, nicht bloß, sondern führt teilweise selbständig Kürzungen, Veränderungen und Ergänzungen (aus eigenem Wissen oder aus anderen literarischen Quellen) durch. Freilich müsste man Calcidius und Capella systematisch miteinander vergleichen, bevor ein sicheres Urteil möglich ist. 45 Zu der Eröffnung bei Eulogius vgl. Censorin 11,3 (. . . sex . . . primis diebus umor est lacteus, deinde proximis octo sanguineus . . .) und Augustinus, de div. qu. 56 (. . . primis sex diebus quasi lactis habeat similitudinem, sequentibus novem diebus convertatur in sanguinem . . .), die zweifellos auf denselben Ursprung zurückgehen: Man könnte an Varro denken, doch ist dessen Meinung zu der Sache bei Gellius 3,10,7 überliefert und zeigt keine schlagende Ähnlichkeit (semen . . . primis septem diebus conglobatur coagulaturque fitque ad capiendam figuram idoneum). Offenbar ergänzt Eulogius auch hier Calcidius nach anderer Quelle. Weitere antike Stimmen zur Bedeutung der Siebenzahl für die Formung des menschlichen Lebens diskutieren Mras (Anm. 10), 246–249 und Armisen-Marchetti (Anm. 28) zu Macrobius, comm. 1,6,62–76. Allgemein A. Delatte, Les harmonies dans l’embryologie Hippocratique, in: Mélanges P. Thomas, Bruges 1930, 160–171. 45 Zu dem Text, der in der überlieferten Form unverständlich ist, vgl. Sicherl (Anm. 11), 11. Könnte es vielleicht heißen septimo mense perfici ac plerumque nasci legitima[m] partus dinumeratione[m] *mensium (›im siebten Monat werden die Kinder im Mutterleib vollendet und kommen oft auch auf die Welt, nach der für die Geburt richtigen Anzahl von Monaten‹)?

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numerum in libris, quos per» ·bdomàdwn appellat, ait creandis inesse corporibus 46. Es gibt noch andere, allerdings weniger markante, Berührungen in den numerologischen Partien des Calcidius und des Favonius Eulogius: Dinumerantur quoque sensuum omnium, qui sunt in capite, septem meatus: Oculorum aurium narium atque oris (Calc. 37)

. . . quinque sensus . . . septem foraminibus emittuntur: Duo sunt visionis, duo auditus, unum gustatus atque unum est odoratus; septimum tactus . . . (Fav. Eul. 12) 47

Lunae quoque crescentis et senescentis multiformis illa transfiguratio in eodem numero notatur, siquidem de obscura crescente lumine fit bicornis, dehinc sectilis, dehinc dimidiato maior, dehinc plena retrorsumque maior dimidiato sectilis bicornis (Calc. 37)

Septem species luna crescentis ac decrescentis luminis varietate componit, quarum prima est, quae a Graecis Çnatol† dicitur, secunda diqÏtomoc, tertia Çmf–kurtoc, quarta pansËlhnoc; quinta item Çmf–kurtoc, sexta diqÏtomoc, septima sunodik† vocatur . . . (Fav. Eul. 12) 48

46 Kein Wort von Hippokrates und dem genannten Werk im Parallelbericht bei Theon p. 104,1–19 H. Zu der Schrift vgl. J. Mansfeld, The Pseudo-Hippocratic Tract PERI