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German Pages [296] Year 2023
Thomas Söding ist Professor für Neues Testament an der KatholischTheologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Nach seinem Studium der Katholischen Theologie, Germanistik und Geschichte in Münster, wurde er 1985 promoviert (Glaube bei Markus) und habilitierte sich 1991 (Das Liebesgebot bei Paulus). Er hat mehrere Mitgliedschaften in sowohl akademischen als auch katholischen und ökumenischen Gesellschaften und Kommissionen; seit 2021 ist er Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
ISBN: 978-3-525-56516-2
9 783525 565162
Thomas Söding Das Evangelium nach Lukas – Teil 2
Dieser zweite Teilband, zu Lukas 13,22–24,53, hat als Schwerpunkt die Passionsgeschichte. Worauf Lukas besonderes Augenmerk legt, ist die Haltung Jesu: Er ist gewaltlos, aber nicht schwächlich; er setzt sich mit seinem Geschick auseinander und nimmt sein Leiden an; er ist mit seinem Tod versöhnt und kann deshalb vom Kreuz aus als Versöhner wirken. Die Feindesliebe, die Jesus gefordert hat, praktiziert er selbst; er zeigt auch, wie sie Hass, Gewalt und Tod überwindet: in der Kraft der Auferstehung.
DIE BOTSCHAFT DES NEUEN TESTAMENTS
Lukas erzählt von Jesus wie kein zweiter: farbig, lebensnah, spirituell und politisch. Er schreibt die Biographie Jesu als Weg des Retters, der befreit. Der Auferstehungsglaube schärft die Erinnerung. Die Erzählungen sind Miniaturen der großen Geschichte Gottes mit den Menschen. Das Hauptaugenmerk des Kommentars liegt darauf, in den vielen kleinen Szenen, die Begegnungen Jesu mit Menschen darstellen, die Frohe Botschaft herauszuarbeiten – nahe am Text, im Wissen um die Fragen, die das Evangelium auslöst, und mit dem Angebot einer theologischen Deutung, die in verständlicher Sprache zeigt, wie unendlich nahe Gott den Menschen kommt und wie sehr Gott den Menschen nahegehen soll, wenn sie in ihrem Leben und Sterben, in ihrer Angst und ihrem Glück das Reich Gottes erfahren wollen.
DIE BOTSCHAFT DES NEUEN TESTAMENTS Thomas Söding
Das Evangelium nach Lukas – Teil 2 Lk 13,22–24,53
Die Botschaft des Neuen Testaments Herausgegeben von Walter Klaiber
Thomas Söding Das Evangelium nach Lukas
Vandenhoeck & Ruprecht
Thomas Söding
Das Evangelium nach Lukas Teilband 2: Lk 13,22–24,53
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.sonnhueter.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & R Ru uprecht V Veerlage w w w.vandenhoeck-ru -r uprecht-ve -verlage.com ISSN 2567-9643 ISBN 978-3-666-56516-8
Vorwort zu Bd. 2
Jesus, nach dem Lukasevangelium in Bethlehem geboren und in Nazareth aufgewachsen, beginnt sein öffentliches Wirken in Galiläa mit der Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes. Er wendet sich an die Armen und Verlorenen, nicht zuletzt an die Sünder, um ihnen Gottes Nähe zuzusagen, die ihr Leben von Grund auf verändert. Die Seligpreisungen machen Hoffnung (6,20–23). Worte und Taten passen bei Jesus zusammen: Auslegungen der Heiligen Schrift, die das prophetische Charisma der Befreiung bejahen, Streitgespräche mit profilierten Gegnern wie den Pharisäern, denen er die Hermeneutik der Tora vom Liebesgebot aus erläutert, Schulgespräche mit seinen Jüngern, die er in die Geheimnisse des Gottesreiches einführt, aber auch Heilungen von Kranken, denen er ein Leben in Frieden ermöglicht, und Befreiungen von Besessenen, die er von bösen Geistern erlöst. Sogar Tote kann Jesus auferwecken. In der Konsequenz seines Wirkens richtet Jesus seinen Blick auf Jerusalem (9,51): die Stadt seines letzten Wirkens, seiner Passion und seiner österlichen Erscheinungen. In der Apostelgeschichte wird Jerusalem zum Vorort der jungen Gemeinde und zum Ausgangspunkt der Völkermission werden. Die Orientierung an Jesus und die Verwurzelung in Israel gehören zusammen. Jesus selbst begründet diesen Zusammenhang: durch den Weg, den er geht, um mitten in Israel via Jerusalem die Völker für Gott zu gewinnen, letztlich durch die nachösterliche Mission. Im ersten Band des Kommentares sind die Kindheitsgeschichte und die Perikopen, die das galiläische Wirken Jesu grundlegend beschreiben, zusammen mit der ersten Etappe der Reise nach Jerusalem ausgelegt worden, die Jesus unternimmt. Es ist ein Weg, der nicht so schnell wie möglich die Distanz überbrücken, sondern so viele Menschen wie möglich mitnehmen will. Mit der zweiten und dritten Etappe setzt der 2. Teilband des Kommentares (ab 13,22) die Exegese fort. Jesus wird weiterhin in immer neuen Begegnungen gezeigt, in denen er Menschen die Tür ins Reich Gottes öffnet. Er erreicht schließlich über Jericho Jerusalem – immer weiter auf der Suche nach den Verlorenen, die er retten will und wird (19,10).
6
Vorwort zu Bd. 2
In Jerusalem selbst markiert Jesus mit messianischen Zeichen seinen Anspruch: durch seinen Einzug als Davidssohn in die Stadt und durch die Vertreibung der Händler aus dem Tempel. Kontroversen sind die Folge, die Jesus die Gelegenheit geben, kompakt wesentliche Themen, Positionen und Perspektiven seiner Verkündigung zu klären: von der Steuer bis zur Auferstehungshoffnung und von der Messiasfrage bis zur Anerkennung der Witwe, die mit dem Wenigen, das sie hat, alles für den Tempel gibt. Der Schwerpunkt des zweiten Bandes liegt in der Passionsgeschichte. Lukas folgt nicht einfach Markus, auch wenn er dessen Erzählung kennt, sondern scheint eine eigene Überlieferung benutzen zu können, die an verschiedenen Stellen historisch plausibler scheint, z. B. bei der Rolle, die der Hohe Rat gespielt hat. Worauf Lukas besonderes Augenmerk legt, ist die Haltung Jesu: Er ist gewaltlos, aber nicht schwächlich; er setzt sich mit seinem Geschick auseinander und nimmt sein Leiden an; er ist mit seinem Tod versöhnt und kann deshalb vom Kreuz aus als Versöhner wirken. Die Feindesliebe, die Jesus gefordert hat, praktiziert er selbst; er zeigt auch, wie sie Hass, Gewalt und Tod überwindet: in der Kraft der Auferstehung. Das lukanische Osterevangelium ist (neben dem johanneischen) besonders populär, weil es besonders farbig ist: mit den Frauen am Grab, die sich nicht auf den Tod fixieren sollen; mit den Emmausjüngern, die auf den falschen Weg geraten, aber von Jesus gesucht, gefunden und gerettet werden; zuletzt mit den Jüngern, die von Jesus gesegnet und mit der Völkermission beauftragt werden, bevor er in den Himmel aufgenommen wird. Die Apostelgeschichte wird hier anknüpfen und den Erzählbogen über Pfingsten in die nachösterliche Mission spannen. Wie beim ersten Band gilt mein Dank neben dem Herausgeber, Walter Klaiber, und dem Verlag, dem Lehrstuhl-Team in Bochum, besonders Oscar Cuypers, Lara Droll und Wiebke Schwill für zahlreiche Unterstützungsarbeiten, ebenso Aleksandra Brand und Miriam Pawlak für viele Hintergrundgespräche. Bochum/Münster, im Januar 2023
Thomas Söding
Inhaltsverzeichnis Bd. 2
Vorwort zu Bd. 2 ............................................................................ 5 9,51–19,28 Jesus auf dem Weg nach Jerusalem (Fortsetzung).15 13,22–17,10 Die zweite Phase der Reise – von Stadt zu Stadt und Dorf zu Dorf ....................................................... 15 13,22–30 Die Wege ins Reich Gottes ................................................17 13,31–35 Der Prophet Jesus in Galiläa und Jerusalem ....................21 14,1–6 Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat ................27 14,7–11 Selbsterhöhung und Demut ..............................................30 14,12–14 Die Einladung von Armen ................................................33 14,15–24 Das Gleichnis vom Festmahl ............................................36 14,25–35 Der Anspruch der Nachfolge ............................................41 15,1–7 Das Gleichnis vom verlorenen Schaf ................................46 15,8–10 Das Gleichnis von der verlorenen Drachme .....................52 15,11–32 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn .................................54 16,1–13 Das Gleichnis vom schlauen Verwalter ............................62 16,14–18 Der falsche Umgang mit dem Gesetz ................................68 16,19–31 Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus .73 17,1–10 Das Dienen im Glauben ...................................................78 17,11–19,28 Die dritte Phase der Reise – mitten durch Samaria und Galiläa ................................................................. 85 17,11–19 Der dankbare Samariter ..................................................88 17,20–21 Die verborgene Gegenwart des Reiches Gottes .................94 17,22–37 Das ausstehende Kommen des Menschensohnes ..............97 18,1–8 Das Gleichnis von der mutigen Witwe .............................104 18,9–14 Das Beispiel vom Pharisäer und Zöllner ..........................109 18,15–17 Das Vorbild der Kinder ....................................................113 18,18–30 Die vergebliche Berufung des Reichen ..............................116 18,31–34
18,35–43 19,1–10 19,11–28
Das Leiden und die Auferstehung Jesu als Erfüllung der Schrift .........................................................................123 Die Heilung eines Blinden bei Jericho ..............................126 Jesus zu Gast bei Zachäus in Jericho ................................130 Das Gleichnis von den Minen ..........................................134
8
Inhaltsverzeichnis Bd. 2
19,29–24,53 Jesus in Jerusalem ..................................................... 139 19,29–48 Vom Einzug in Jerusalem bis zur Tempelaktion ..... 140 19,29–40 Der Einzug in Jerusalem ..................................................141 19,41–44 Die Trauer über die Zerstörung Jerusalems .....................145 19,45–48 Die Tempelaktion Jesu ......................................................147 20,1–21,4
Streitgespräche über die Vollmacht Jesu ................. 150 Das Recht Jesu zur Tempelaktion .....................................151 Das Gleichnis von den bösen Winzern .............................154 Die Kaisersteuer ...............................................................159 Die Auferstehung der Toten ..............................................162 Die Messiasfrage ..............................................................167 Die Warnung der Jünger vor Heuchelei ...........................169 Das Opfer der Witwe ........................................................171
21,5–38
Die Endzeitrede ......................................................... 173 Die Ankündigung der Tempelzerstörung .........................175 Die Zurückweisung der Frage nach Zeiten und Zeichen .177 Die Not in der Welt ..........................................................179 Die Zerstörung der Stadt ..................................................183 Das Kommen des Menschensohnes ..................................185 Die Notwendigkeit der Wachsamkeit ...............................187 Ein letztes Summarium des Wirkens Jesu ........................190
20,1–8 20,9–20 20,21–26 20,27–40 20,41–44 20,45–47 21,1–4 21,5–6 21,7–9 21,10–19 21,20–24 21,25–28 21,29–36 21,37–38
22–23
Die Passionsgeschichte .............................................. 192 22,1–2 Der Todesbeschluss der Hohepriester und Schriftgelehrten.197 22,3–6 Der Entschluss des Judas ..................................................198 22,7–13 Die Vorbereitung des Paschamahles .................................200 22,14–23 Das Letzte Abendmahl .....................................................203 22,24–38 Mahlgespräche .................................................................211 22,39–46 Das Gebet am Ölberg .......................................................219 22,47–53 Die Gefangennahme Jesu .................................................223 22,54–62 Die Verleugnung durch Petrus .........................................226 22,63–65 Die Folterung Jesu ............................................................229 22,66–71 Die Verhandlung vor dem Hohen Rat ..............................231 23,1–5 Die Anklage vor Pilatus ....................................................234 23,6–12 Die Konfrontation mit Herodes Antipas ..........................238 23,13–25 Die Verurteilung durch Pilatus ........................................240 23,26–32 Der Kreuzweg ...................................................................243 23,33–49 Die Kreuzigung Jesu .........................................................246 23,50–56 Das Begräbnis Jesu ...........................................................254
Inhaltsverzeichnis Bd. 2
24
24,1–12 24,13–35 24,36–49 24,50–53
9
Das Osterevangelium ................................................ 257 Die Auferstehungsbotschaft an die Frauen im leeren Grab .259 Der Glaubensweg der Emmaus-Jünger ............................264 Die Erscheinung vor den Jüngern in Jerusalem ................271 Die Himmelfahrt ..............................................................278
Ausgewählte Literatur ................................................................... 280 Kommentare .................................................................................... 280 Monographien ................................................................................. 281 Register ............................................................................................ 284
Inhaltsverzeichnis Bd. 1
Dieses Inhaltsverzeichnis gibt den Inhalt von Band 1 wieder (ISBN 978-3-525-56505-6). Vorwort zu Bd. 1 ............................................................................ 5 Einleitung ........................................................................................ 15
Auslegung .................................................................................. 19 1,1–4 1,5–2,52
Das Vorwort ............................................................... 21 Die Kindheitsgeschichte .......................................... 23 Die Verheißung der Geburt des Täufers Johannes ............27 Die Verheißung der Geburt Jesu .......................................32 Der Besuch Marias bei Elisabeth ......................................37 Die Geburt des Johannes ..................................................42 Die Geburt Jesu ................................................................50 Die Namensgebung und Darbringung Jesu im Tempel .....58 Der zwölfjährige Jesus im Tempel .....................................66
3,1–4,13
Die Vorbereitung des Wirkens Jesu ....................... 69 Das Wirken des Täufers Johannes ....................................71 Die Taufe Jesu ...................................................................78 Der Stammbaum Jesu ......................................................82 Die Versuchung Jesu .........................................................84
1,5–25 1,26–38 1,39–56 1,57–80 2,1–20 2,21–40 2,41–52
3,1–20 3,21–22 3,23–38 4,1–13
4,14–9,50 Jesus in Galiläa .......................................................... 91 4,14–30 Der Auftakt in Nazareth ........................................... 93 4,14–15 Die Mission in Galiläa .....................................................94 4,16–30 Die Verkündigung in Nazareth ........................................96 4,31–44 4,31–37 4,38–39 4,40–41 4,42–44
Das Wirken in Kapharnaum .................................... 104 Der Exorzismus im Gotteshaus ........................................106 Die Heilung der Schwiegermutter im Haus des Petrus .....109 Heilungen und Exorzismen am Abend ............................111 Aufbruch von Kapharnaum am nächsten Morgen ..........112
Inhaltsverzeichnis Bd. 1
5,1–6,16
5,1–11 5,12–16 5,17–26 5,27–32 5,33–39 6,1–5 6,6–11 6,12–16
11
Die Bildung der Jüngerschaft ................................... 114 Die Berufung Simons zum Menschenfischer ....................117 Die Reinigung eines Aussätzigen ......................................122 Die Heilung eines Gelähmten ...........................................124 Die Berufung des Levi ......................................................129 Die Frage des Fastens .......................................................132 Die Frage der Wegzehrung der Jünger am Sabbat ............135 Die Heilung eines Mannes mit verdorrter Hand am Sabbat ........................................................................137 Die Wahl der Zwölf Apostel ..............................................139
6,17–49 6,17–19 6,20–26 6,27–36 6,37–42 6,43–45 6,46–49
Die Feldrede ............................................................... 143 Das Auditorium der Feldrede ...........................................145 Die Seligpreisungen und die Weheworte ..........................147 Das Gebot der Feindesliebe ..............................................153 Das Verbot des Verdammens ...........................................163 Die Ermunterung zur Herzensgüte ..................................166 Das Haus auf dem Felsen .................................................168
7,1–8,3
Messianische Taten .................................................... 170
7,1–10
7,11–17 7,18–23 7,24–35 7,36–50 8,1–3
Die Heilung des Knechtes des Hauptmanns von Kapharnaum ....................................................................172 Die Auferweckung des jungen Mannes von Naïn .............176 Die Frage des Täufers nach dem Messias und die Antwort Jesu .....................................................................179 Das Zeugnis Jesu über den Täufer Johannes ....................182 Die Vergebung der Sünden der liebenden Frau ................186 Starke Frauen in der Nachfolge Jesu .................................190
8,4–18
Die Gleichnisrede ...................................................... 193 Das Gleichnis vom Sämann .............................................195 Geheimnisse des Gottesreiches .........................................197 Fruchtlosigkeit und Fruchtbarkeit: Die Gleichnisdeutung .200 Verbergen und Offenbaren: Der Zweck der Gleichnisse.......203
8,19–56
Auseinandersetzungen mit Jesus ............................. 204 Die Verwandtschaft Jesu ..................................................205 Die Stillung des Seesturms ...............................................207 Der Exorzismus von Gerasa .............................................209
8,4–8 8,9–10 8,11–15 8,16–18 8,19–21 8,22–25 8,26–39 8,40–56
Die Heilung der blutenden Frau und die Auferweckung der Tochter des Jaïrus .........................................................213
12 9,1–50
9,1–6 9,7–9 9,10–17 9,18–22 9,23–27 9,28–36 9,37–43a 9,43b–45 9,46–48 9,49–50
Inhaltsverzeichnis Bd. 1
Herausforderungen der Nachfolge .......................... 218 Die Aussendung der Zwölf ...............................................221 Das Urteil des Herodes Antipas über Jesus ......................224 Die Speisung der Fünftausend ..........................................225
Das Bekenntnis des Petrus und die Ankündigung des Leidens und der Auferweckung Jesu .................................228 Die Kreuzesnachfolge .......................................................233 Die Verklärung Jesu auf dem Berg ...................................236 Die Heilung des besessenen Jungen ..................................240 Die Leidensankündigung und die Jüngerfurcht ................243 Der verfehlte Rangstreit der Jünger ..................................245 Der fremde Wundertäter ..................................................247
9,51–19,28 Jesus auf dem Weg nach Jerusalem ........................ 249 9,51–13,21 Die erste Phase der Reise – mit dem Blick nach Jerusalem ..................................................................... 255 9,51–56
9,57–62 10,1–20 10,21–24 10,25–37 10,38–42 11,1–4 11,5–13 11,14–36 11,37–54 12,1–3 12,4–12 12,13–21 12,22–34 12,35–48 12,49–53 12,54–59 13,1–9 13,10–17 13,18–21
Die Mahnung der Jünger angesichts der ungastlichen Samariter .........................................................................258 Rufe in die Nachfolge ........................................................262 Die Aussendung der Zweiundsiebzig ................................266 Der Jubelruf Jesu ..............................................................276 Das Doppelgebot und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter .........................................................................280 Maria und Martha ...........................................................287 Das Vaterunser ................................................................290 Zwei Gleichnisse: Mut beim Beten ....................................298 Die Auseinandersetzung mit Jesu Machttaten .................301 Die Weherede Jesu ............................................................311 Die Kritik heuchlerischer Schriftgelehrter ........................320 Aufforderung zum furchtlosen Bekenntnis .......................322 Ablehnung einer Erbschaftsschlichtung ............................326 Warnung vor falscher Sorge .............................................329 Mahnung zum treuen Dienst ...........................................334 Das Feuer Jesu ..................................................................340 Die Nutzung der Zeit für Gerechtigkeit ............................344 Die Mahnung zur Umkehr ...............................................347 Die Heilung einer Frau am Sabbat ...................................351 Die Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig ...........355
Inhaltsverzeichnis Bd. 1
13
Ausgewählte Literatur ................................................................... 358 Kommentare .................................................................................... 358 Monographien ................................................................................. 359 Register ............................................................................................ 361
9,51–19,28 Jesus auf dem Weg nach Jerusalem (Fortsetzung)
13,22–17,10 Die zweite Phase der Reise – von Stadt zu Stadt und Dorf zu Dorf Die zweite Phase des Weges Jesu nach Jerusalem wird durch eine kurze Reisenotiz markiert (13,22), die das Jerusalemmotiv aufnimmt (9,51). Allerdings verlässt Jesus Galiläa noch nicht, sondern bleibt zunächst dort, obgleich er von wohlmeinenden Pharisäern vor Herodes Antipas gewarnt wird, der ihm nach dem Leben trachtet (13,31–35). Stattdessen lässt er sich bei einem Pharisäer zum Essen einladen (14,1) und führt dort Gespräche über das Reich Gottes (14,2–24); er macht unterwegs Menschen klar, wie hoch der Anspruch der Nachfolge ist (14,25–35); er kommentiert mit den bekannten Gleichnissen vom Verlorenen die Kritik von Pharisäern und Schriftgelehrten an seiner Beliebtheit bei Zöllnern und Sündern, die zu ihm kommen (15,1–32); er fordert seine Jünger ein weiteres Mal auf, den Dienst treu zu versehen, der ihnen anvertraut ist (16,1–13; vgl. 12,35–48); er kritisiert auch ein weiteres Mal die Pharisäer, diesmal vor allem unter sozialen Gesichtspunkten, weil sie zu sehr am Geld hingen (16,14–31). Wie der erste Hauptteil des Evangeliums (9,46– 50) endet auch dieser Zwischenabschnitt mit einer Jüngerbelehrung, diesmal allerdings nicht mahnend, sondern ermutigend (17,1–10; vgl. 16,1–13). Lukas bleibt seiner Absicht treu, keine einlinigen thematischen Zusammenhänge, sondern vielschichtige personale Verbindungen darzustellen, so dass der Reichtum des Evangeliums mit der Vielfalt von Biographien korreliert, die das Leben von Menschen ausmachen. 13,22–30 13,31–35 14,1–6 14,7–11 14,12–14
Weggespräche mit dem Volk und Pharisäern über Leben und Tod Die Wege ins Reich Gottes Der Prophet Jesus in Galiläa und Jerusalem (Mt 23,37–39) Mahlgespräche mit Pharisäern über den Dienst an den Armen Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat Selbsterhöhung und Demut Die Einladung von Armen
16 14,15–24 14,25–35 15,1–7 15,8–10 15,11–32 16,1–13 16,14–18 16,19–31 17,1–10
9,51–19,28 Jesus auf dem Weg nach Jerusalem (Fortsetzung)
Das Gleichnis vom Festmahl Mt 22,1–10 Weggespräche mit dem Volk und Pharisäern über die Verlorenen Der Anspruch der Nachfolge (Mt 10,37–39) Das Gleichnis vom verlorenen Schaf Mt 18,12–14 Das Gleichnis von der verlorenen Drachme Das Gleichnis vom verlorenen Sohn Lehrgespräche mit Jüngern und Pharisäern über Verantwortung Das Gleichnis vom schlauen Verwalter (Mt 6,24) Der falsche Umgang mit dem Gesetz (Mt 11,12–13) Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus Das Dienen im Glauben
In der bunten Folge der Szenen zeichnen sich literarische Sequenzen und theologische Schwerpunkte ab. Kennzeichnend ist der Wechsel zwischen soteriologischen und ethischen Passagen. Am Anfang stehen Weggespräche mit dem Volk und Pharisäern über Leben und Tod: zwei Perikopen, in denen zuerst, im Blick auf die Heilshoffnung von Menschen (13,22–30), die Notwendigkeit, die Schwierigkeit und die Möglichkeit der Rettung besprochen und danach, im Blick auf das Leidensgeschick Jesu am Beispiel Jerusalems, die Perspektive der Erlösung aus der tiefsten Krise heraus geöffnet wird (13,31–35). In der Mitte stehen Mahlgespräche mit Pharisäern über den Dienst an den Armen. Mit der Heilung eines Kranken setzt Jesus den Ton (14,1–6), bevor er in der Konsequenz einerseits vor Selbsterhöhung warnt (14,7–11) und andererseits zur Solidarität mit den Armen mahnt (14,12–14), alles zusammengefasst im Gleichnis von der Einladung zum Festmahl (14,15–24). Das Pendant bilden Weggespräche mit dem Volk und Pharisäern über die Verlorenen. Jesus erklärt den Anspruch der Nachfolge (14,25–33), die zur Hoffnung auf das Reich Gottes führt, und fundiert ihn mit den drei Gleichnissen vom Verlorenen (15,1–8.9–10.11–32), die auf die christologische Basis verweisen: die Suche Gottes nach den Menschen, der Jesus sein Leben verschrieben hat (vgl. 19,10). Den Abschluss dieser Passage bilden Lehrgespräche mit Jüngern und Pharisäern über Verantwortung. Entsprechend der sozialen Sensibilität, die den Abschnitt prägt, steht der Umgang mit Geld vor Augen. Die Jünger müssen verlässlich sein, damit Menschen sich auf sie auch in Sachen des Glaubens verlassen können (16,1–13); und sie müssen ihre eigene Erlösungsbedürftigkeit erkennen, damit sie das Evangelium der Befreiung glaubwürdig verkünden können (17,1–10). In diesem Rahmen wird ihnen klar, dass und wie sie das Gesetz erfüllen müssen (16,14–18); es wird ihnen am Beispiel des armen Lazarus auch klar, worin ihre sozialen Pflichten bestehen und wie sie das Evangelium sozialethisch verkünden sollen (16,19–31).
13,22–30 Die Wege ins Reich Gottes
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Während im ersten Abschnitt der Reise (9,51–13,21) die Bildung, die Profilierung und die Wirkung der Jüngerschaft das Kompositionsprinzip war, werden jetzt in kontroversen und interessierten Gesprächen die soteriologischen und ethischen Zusammenhänge deutlich, die sich in der Nachfolge Jesu bilden, auf der Suche nach den Verlorenen. Die Weggeschichten Jesu werden als Hoffnungsgeschichten des Glaubens erzählt – im Interesse derer, die gesucht werden müssen, weil sie verloren sind, aber sich finden lassen, auf dass sie glauben und umkehren. Die Jünger haben viel zu sehen, zu hören und zu lernen – bevor sie zum Schluss gezielt auf ihren Dienst angesprochen werden: ethisch und soteriologisch. Der Blick in die Synopse zeigt, wie intensiv Lukas gesammelt und wie stark er komponiert hat. Die meisten Stoffe sind Sondergut. Es gibt einzelne größere Parallelen bei Matthäus, ohne dass gefolgert werden sollte, Lukas schließe sich an den Duktus der Redenquelle an. Eine ganze Reihe von Motiven zeigen Querverbindungen über die ausgewiesenen Verweise hinaus an, so dass deutlich wird, wie tief der Passus in der Jesuserinnerung verankert ist. Aber die lukanische Handschrift ist unverkennbar. 13,22–30 Die Wege ins Reich Gottes 22Und er zog lehrend von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf; unterwegs nach Jerusalem. 23Es sagte ihm aber jemand: „Herr, ob es wenige sind, die gerettet werden?“ Er aber sagte zu ihnen: „24Bemüht euch, durch die enge Tür hineinzugehen; denn viele, sage ich euch, werden danach suchen, hineinzukommen, und es nicht können. 25Sobald der Hausherr aufgestanden ist und die Tür verschlossen hat, wird er euch, wenn ihr draußen steht und an die Tür klopft und sagt: ‚Herr, öffne uns‘, antworten und euch sagen: ‚Ich weiß nicht, woher ihr seid.‘ 26Dann werdet ihr zu sagen beginnen: ‚Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unseren Straßen hast du gelehrt.‘ 27Und er wird euch antworten: ‚Ich weiß nicht, woher ihr seid. Weg von mir, alle Übeltäter.‘ 28Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr Abraham und Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sehen werdet, ihr aber hinausgeworfen werdet. 29Und sie werden von Osten und Westen kommen und von Norden und Süden und im Reich Gottes zu Tisch sein. 30Und siehe, es gibt Erste, die Letzte, und Letzte, die Erste werden.“ Auch wenn die Tür ins Reich Gottes eng ist (V. 24): Ganze Völker werden den Weg finden (V. 29). Die Ausgangsfrage (V. 23), ob nur wenige gerettet werden, wird verneint: Es werden sehr viele sein (V. 29). Der
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13,22–17,10 Die zweite Phase – von Stadt zu Stadt und Dorf zu Dorf
Grund ist aber nicht, dass Gottes Reich ein niederschwelliges Angebot wäre. Der Grund ist vielmehr, dass Erste Letzte und Letzte Erste sein werden (V. 30). Dies ist die Logik von Tod und Auferstehung, übertragen auf Suchen und Finden, Verpassen und Kommen. Was Jesus zu Beginn der zweiten Phase seines Jerusalemweges verkündet, klärt die Dramatik der Rettung, die Gott wirkt, indem er ausschließt und einlädt, abweist und zulässt. Die Pointe erschließt sich erst dann, wenn nicht zwei verschiedene Typen oder Gruppen einander entgegengestellt werden, sondern wenn die Auseinandersetzungen gesehen werden, die sich in allen Menschen abspielen, wenn sie auf vielen Wegen durch die enge Türe ins Reich Gottes kommen; es gilt, den Kairos nicht zu verpassen (12,56), den Gott ihnen durch Jesus schenkt – immer wieder neu. Die Lehrrede, die Jesus unterwegs direkt an einen Fragesteller, indirekt aber an eine große Menge (und via Evangelium an alle, die es lesen) richtet, ist, wie typisch (z. B. in 13,1–9), durch den Einbau eines Gleichnisses strukturiert, das hier allerdings nicht als solches ausgewiesen ist (13,25–27). Die Deutung setzt die Pointe, beantwortet die Frage und baut die Dialektik von Gericht und Heil auf, die spätestens von den Seligpreisungen und Weheworten Jesu an (6,20–28) die öffentliche Verkündigung Jesu bei Lukas prägt (vgl. nur 11,37–54; 12,4–12). 13,22 Die Situation: Die Wanderung Jesu 13,23 Der Ausgangpunkt: Die Heilsfrage 13,24–30 Die Antwort Jesu 24 Der einleitende Appell: Mühewaltung 25–27 Das Gleichnis von der verschlossenen Tür 28–29 Die eschatologische Deutung des Gleichnisses 28 Inklusion und Exklusion im Reich Gottes 29 Die Völkerwallfahrt ins Reich Gottes 30 Die Dramatik der Rollenwechsel Weil das Gleichnis literarisch nicht markiert ist, kann überlegt werden, wo es endet – und mit ihm die metaphorische Figurenrede. Am besten scheint es, den Schnitt zwischen V. 27 und V. 28 zu setzen. V. 28 nimmt V. 24 auf. Das Gleichnis zeigt, wie viel auf dem Spiel steht. Aber es ist und bleibt ein Gleichnis – eine Dogma-Vision ist es nicht. Jesus ist, wie (seit 9,51) immer wieder von Lukas notiert, unterwegs (22) (22): nach Jerusalem, wo er lehren und leiden, aber auch als Auferstandener erscheinen wird. Die Jerusalem-Perspektive ist nicht nur eine geographische, sondern auch eine theologische: Israel steht im Blick, die messianische Hoffnung auf das Reich Gottes (14,15), das Leiden, aber auch die Auferstehung (vgl. 13,31–35). Jesus durchzieht nach Lukas
13,22–30 Die Wege ins Reich Gottes
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Städte und Dörfer – nicht anders, als er die Zwölf und die Zweiundsiebzig ausgesendet hatte (9,1–6; 10,1–16). Galiläa war ländlich strukturiert; Lukas schreibt, dass Jesus nicht nur in Dörfern, sondern auch in Städten gewirkt hat (4,43; 5,12; 8,1; 10,1 u. ö.); so passt es bestens für die nachösterliche Mission, die in der Apostelgeschichte erzählt wird. Da für den Evangelisten Ortschaften wie Nazareth (1,26 u. ö.), Kapharnaum (4,42) und Naïn (7,11.12) Städte sind, ist die Kennzeichnung „Stadt für Stadt und Dorf für Dorf“ stimmig. Die Frage, die ihm jemand unterwegs stellt, ist zentral und skeptisch (23) (23). In ihr schwingt Sorge mit: dass „nur wenige gerettet“ werden, weil die Schuld zu tief, die Verheißung zu groß und der Anspruch zu hoch ist. Jesus selbst hat allerdings schon mit der Einsetzung des Zwölferkreises (6,12–16) zum Ausdruck gebracht, dass er nicht darauf aus ist, einen heiligen Rest zu sammeln, sondern das ganze Volk Gottes. Die „kleine Herde“ (12,32) soll nicht klein und fein bleiben, sondern groß werden: so groß, wie Gott denkt, auf dass Menschen sich von ihm gewinnen lassen. Deshalb führt die erzählte Antwort Jesu auch nicht zu der Vision der wenigen Erwählten à la Augustinus, denen eine massa damnata gegenübersteht, sondern zum Ernst der Nachfolge, ohne den es die Hoffnung auf Rettung nicht geben würde. Der einleitende Appell (24) macht die Notwendigkeit der Anstrengung, der Suche, des Wollens und Könnens deutlich. Diese Aufforderung richtet sich nicht gegen das Vertrauen auf Gottes Gnade, ohne die es kein Heil gibt; sie konditioniert auch nicht die Rechtfertigung, sondern zeigt deren Konsequenz (18,9–14). Aus den folgenden Versen ergibt sich, dass Jesus vom künftig vollendeten Reich Gottes spricht, das als Festmahl vorgestellt wird. So erklärt sich das Futur der Verben. Weil Gott die Tür zum Reich Gottes öffnet, kommt es darauf an, in der Gegenwart die Voraussetzungen dafür zu schaffen, auch tatsächlich hindurchgehen zu können. Dass die Tür „eng“ ist, zeigt nicht an, dass nur wenige gerettet werden, sondern dass zwar alles darauf ankommt, in den Raum des Reichgottesfestes zu gelangen, dass es aber nicht einfach ist, gerettet zu werden. Die Tür steht offen: Gott hat sie geöffnet, durch Jesus. Zu seinem Glück wird kein Mensch gezwungen, auch von Gott nicht. Aber wer Erlösung sucht, wird finden, dass sie den vollen Einsatz fordert, den ganzen Menschen. Es ist nicht selbstverständlich, sondern hoch anspruchsvoll, gerettet zu werden. „Viele“ heißt in der Sprache der Bibel: alle (vgl. 2,34). Jesus spielt nicht die einen gegen die anderen Menschen aus, sondern stellt alle vor Gottes Gericht, das durch Gottes Verheißung aufgeschlossen wird. Das folgende Gleichnis (25–27) ist ein Bildwort, das übertragen werden muss, keine prophetische Prognose, was am Jüngsten Tag sein wird. Als Gegenstück zum Gleichnis vom mitternachts gebetenen Freund
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(11,5–8), der öffnen wird, stellt das Gleichnis vom strengen Hausherrn eine Situation dar, in der Menschen definitiv zu spät kommen. Es bleibt zwar bei der Verheißung, dass Gott denen die Tür öffnet, die bei ihm anklopfen (11,10 par. Mt 7,8); aber im menschlichen Leben gibt es verschlossene Türen – und kein Bitten hilft, den Hausherrn zu erweichen. Er verleugnet diejenigen, die beteuern, vor seinen Augen – nicht mit ihm – fröhlich gewesen zu sein, der er doch bei ihnen aufgetreten sei. Aber die Distanz haben sie nicht überbrückt: Es gab weder eine Mahlgemeinschaft noch ein Hören und Lernen. Auch wenn sich eine schlichte Gleichsetzung des Erzählten mit Gott und seinem Reich verbietet: Die Übertragung (28) öffnet die Augen für die Möglichkeit, ausgeschlossen zu sein, wenn sich das Volk Gottes mit seinen Erzeltern und Sehern im Reich Gottes versammelt (vgl. 16,19–31). Das „Heulen und Zähneknirschen“ (vgl. Mt 13,50; 25,30 u. ö.) bringt nicht Reue und Trauer zum Ausdruck, sondern ohnmächtige Wut und blinden Zorn. Das Bild prognostiziert nicht, dass alle, die sich nicht bei Lebzeiten bekehren, aus dem Himmel ausgeschlossen werden, sondern dass es keinen Heilsautomatismus gibt: Erlösung gibt es nicht wider Willen; wer Gott bis zum Letzten widersteht, wird nicht zu seinem Glück gezwungen. Ob es diesen Fall gibt, ist nicht das Thema des Gleichnisses. Seine Sinnspitze: Die Chancen, die das Leben bietet, wollen genutzt sein; der Rest muss – wie alles – Gott anheimgestellt werden. Wie groß die Aussichten auf Glück und Heil sind, macht das alttestamentliche Motiv der Völkerwallfahrt zum Zion deutlich (29) (29), das bei Matthäus mit der Heilung des Knechtes des Hauptmanns von Kapharnaum verbunden ist (Mt 8,11–12). Es setzt darauf, dass am Ende aller Tage die Attraktivität des Glaubens an den einzig-einen Gott so groß sein wird, dass nicht nur ganz Israel ihm die Ehre gibt, sondern auch alle Nationen sich auf den Weg der Umkehr machen werden, um die Erfüllung ihres Lebens dort zu finden, wo Gott ist (vgl. Jes 2,1–5; Mi 4,1–5). In der Reich-GottesVerkündigung weitet Jesus den Blick über den geographischen Horizont hinaus zum eschatologischen Ort des Reiches Gottes. Diese Weitung liegt in der Perspektive einer messianischen Deutung der Prophetie Israels; Jesus öffnet ihr durch seine Person Gegenwart und Zukunft. Das Prinzip des Rollentausches (30) entspricht der Dialektik von Tod und Auferstehung, ohne die es keine Vollendung gibt. Auf einer ersten Bedeutungsebene sind die Ersten die Kinder Israels, die Jesus ablehnen und deshalb ausgeschlossen werden, während die Letzten – gleichfalls ohne Artikel – die Menschen aus den Völkern, die „Heiden“, sind, die sich zu Gott bekehren – wann auch immer: Die Mission wird ihnen viele Möglichkeiten geben, für sich persönlich die Völkerwallfahrt schon vor dem Jüngsten Tag zu beginnen. Aber auf einer tieferen Bedeutungsebene entwickelt
13,31–35 Der Prophet Jesus in Galiläa und Jerusalem
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sich eine differenziertere Sicht: Auch in Israel gibt es Letzte, die Erste werden, so die Tochter Abrahams, die Jesus am Sabbat heilt (13,10–17); auch unter den Völkern gibt es Menschen, die sich verweigern. Nicht zuletzt die Jünger Jesu sind gerade dann am weitesten von Jesus und vom Gottesreich entfernt, wenn sie die besten Plätze haben wollen (9,46–48), und sind ihm am nächsten, wenn sie denken, verloren zu sein (8,22–25). Für alle wird im Blick sowohl auf die Gegenwart der kritischen Auseinandersetzungen als auch auf die Zukunft der alle erreichenden Anziehungskraft Gottes deutlich, dass nur durch den Wechsel der Positionen von Oben und Unten, Hinten und Vorne, Früher und Später Wirklichkeit werden kann, was allein Gott den Menschen zu bereiten vermag: das Heil des Gottesreiches. Lukas pauschalisiert nicht; es gibt keine Zwangsaus- oder -einweisungen; deshalb steht nicht der direkte Artikel bei den Ersten und Letzten, sondern die offene Formulierung, die Raum für die freie Entscheidung lässt, ohne die es keinen Glauben geben kann. Was Jesus zu Beginn der zweiten Phase seiner Missionsreise sagt, die ihn nach Jerusalem führt, wird oft als harte Exklusion gedeutet: Viele würden draußen vor der Tür bleiben. Aber diese Deutungsrichtung widerspricht dem Impetus der gesamten Sendung Jesu. Sie widerspricht auch der Dialektik des Evangeliums. „Erste“ werden „Letzte“, auch Juden, ebenso die Jünger – wäre es anders, könnte es keine Rettung geben, weil nur so „Letzte“ auch „Erste“ werden können. Dies ist keine „billige Gnade“ (Dietrich Bonhoeffer), sondern eine Geschichte auf Leben und Tod. Dieser Ernst kommt durch die Warnungen der Rede zum Ausdruck. Sie machen keine Angst, sondern spiegeln, wie wertvoll die Hoffnung auf Erlösung ist, wie viel Energie sie freisetzt, wie hoch das Risiko ist, den Kairos zu verfehlen, und wie unendlich größer der Heilswille Gottes als alle menschlichen Befürchtungen und Erwartungen ist. Die Spannung ist für Jesus typisch, Lukas hat sie literarisch gestaltet und dadurch hervorgehoben: Die Wege ins Reich Gottes wären nichts wert, wenn sie nicht steil wären, so dass viele sie verfehlen; das Reich Gottes wäre aber nicht Gottes Reich, wenn Jesus nicht gerade dort suchte, wo Menschen Gott, aber auch ihre Nächsten und sich selbst verfehlen. Ohne die Umkehrung aller Verhältnisse gibt es keine Erlösung: Lukas schafft Anhaltspunkte für die Erinnerung daran, dass Jesus selbst so verkündet hat; er knüpft an die synoptische Tradition an und schreibt ihr seine Handschrift ein. 13,31–35 Der Prophet Jesus in Galiläa und Jerusalem 31In jener Stunde kamen einige Pharisäer und sagten zu ihm: „Mach dich auf und geh fort von hier; denn Herodes will dich töten.“ 32Da sagte er ihnen: „Geht und sagt diesem Fuchs: ‚Siehe, ich treibe Dämonen aus und
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vollbringe Heilungen, heute und morgen – und am dritten Tag werde ich vollendet. 33Aber heute und morgen und am kommenden Tag muss ich gehen, weil kein Prophet außerhalb von Jerusalem getötet wird.‘ 34Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind. Wie oft habe ich deine Kinder zu sammeln versucht, wie eine Henne, die ihre Brut unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt nicht gewollt. 35Siehe, euer Haus wird euch überlassen. Ich sage euch: Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis ihr sagt: ‚Gesegnet, der kommt im Namen des Herrn‘.“ Während in sehr vielen Perikopen die Pharisäer als notorische Gegner Jesu gezeichnet werden, wollen sie ihn hier warnen. Durch diese Aktion entsteht eine neue Konstellation: Jesus entwickelt eine kritische Prophetie seines Leidens als Prophet, das ihn mit Jerusalem verbindet: Stadt seines Todes, aber auch Stadt der Parusie, in der sich – so das symbolische Weltbild – eschatologisch vollendet, was beim Einzug in die Stadt vor dem Leiden Jesu geschehen ist: Während dem „Gesegnet“ (19,38: Ps 118,26) das „Kreuzige ihn“ (23,21) folgt, wird dem „Kreuzige“ ein Lobpreis folgen, spätestens am Ende aller Tage. Das kurze Redestück, das als Dialog gestaltet ist, entwickelt eine starke Gedankenbewegung: von der Warnung zum Mut, von der Leidens- zur Gerichtsprophetie, von der Strafe zur Heilswende. 13,31 Die Warnung der Pharisäer vor Herodes 13,32–35 Die Antwort Jesu 32–33 Das Wirken Jesu in Galiläa nach seinem eigenen Zeitplan und sein Tod als Prophet in Jerusalem 34–35 Das Geschick Jerusalems 34 Die vergebliche Mühe Jesu um die Kinder Jerusalems 35a Gottes Rückzug aus seinem Haus 35b Jerusalems Wende vom Nichtsehen zur gläubigen Begrüßung des Kommenden Die Antwort Jesu besteht aus zwei Teilen. Zuerst trägt Jesus auf, was die Pharisäer Herodes mitteilen sollen: dass er nicht aus Angst fliehen, sondern nach seinem eigenen Zeitplan, dem Zeitplan Gottes, in Galiläa wirken wird, bevor er sich auf den Weg nach Jerusalem machen wird – nicht um den Tod zu fliehen, sondern im Wissen, als Prophet dort sterben zu müssen (Vv. 32–33). Der zweite Teil der Antwort richtet sich an Jerusalems „Kinder“, deren Zukunft Jesus voraussagt: dass sich das Nein zu Jesus, das zu seinem Tod führen wird, nach Gottes Gericht, das sich in der Geschichte ereignet, bei der Parusie in ein Ja zu ihm verwandeln wird. Das Thema ist auf den Weg Jesu nach Jerusalem abgestimmt, der
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seit 9,51 das Evangelium charakterisiert, auch wenn Jesus noch in Galiläa ist, wo Herodes Antipas herrscht. Die Jerusalem-Perspektive ist mit Jesu Tod und Auferstehung verbunden, mit seiner irdischen Wirksamkeit und seiner eschatologischen Wiederkunft. Den Ton setzt erneut der universale Heilswille Gottes, der keinen Widerstand verdrängt, aber jeden Widerspruch verwandelt. Der erste Teil der Szene ist lukanisches Sondergut; das Jerusalem-Wort hingegen hat eine Parallele bei Matthäus, wo es die Weherede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten beschließt (Mt 23,37–39); es stammt aus der Redenquelle. Lukas hat es im Kontext so platziert, dass die verschiedenen Teile seiner Jesusgeschichte in der Perspektive der eschatologischen Prophetie Jesu zusammengeschlossen werden: im Blick auf sein Wirken, seinen Tod, seine Auferweckung und seine Wiederkunft (17,22–37; 21,25–28). Die Pharisäer (31) sind nicht prinzipiell gegen Herodes Antipas, sondern als jüdische Reformer (s. bei 5,17) realpolitisch orientiert. Aber in dieser Situation stehen sie an der Seite Jesu. Herodes Antipas, der Landesherr Jesu (3,1), hat Johannes den Täufer auf dem Gewissen (3,19–20) und sich deshalb die Sympathien vieler Frommer verscherzt. Er hat schon länger ein ambivalentes Interesse an Jesus (9,7–9) und wird eine unrühmliche Rolle in der Passion Jesu spielen (23,6–11). Die Pharisäer wollen, dass Jesus das Schicksal des Täufers erspart bleibt – ein wichtiges Indiz, dass keineswegs nur Feindschaft zwischen Jesus und der stärksten Strömung im zeitgenössischen Judentum herrschte, auch wenn alle Evangelien, einschließlich Lukas, die Unterschiede betonen. So gut es die Pharisäer mit ihrer Warnung meinen: Sie verkennen die Sendung Jesu: Nicht Flucht, sondern Zuwendung ist seine Maxime, nicht Angst vor dem Tod, sondern Setzen auf die Auferstehung (32) (32). Wie wenig er von Herodes Antipas hält, kommt in der Bezeichnung als „Fuchs“ zum Ausdruck. Dem Tier werden List und Wildheit (Neh 3,35; Hld 2,15; Ez 13,4) zugeschrieben; Herodes vereint beides auf die übelste Weise. Jesus weiß, dass die Pharisäer, die ihn warnen, Zugang zu Herodes Antipas haben. Desto beachtlicher ist ihr Vorstoß. Sie werden von Jesus aber beauftragt, dem Herrscher eine Botschaft mitzuteilen, die zuerst ihr eigenes Jesusbild verändert und dann Herodes eine Ansage macht. Diese Botschaft ist ein prophetisches Selbstportrait Jesu. Exorzismen und Therapien sind hervorstechende Merkmale seines Wirkens; Lukas hat viele Beispiele gebracht und wird weitere bringen. Hier ist aber der Zeitfaktor entscheidend. Jesus nimmt sich die Zeit, die er braucht. Er organisiert nicht seinen unmittelbar bevorstehenden Tod, sondern eine Zeit des Wirkens, die noch andauern wird und erst mit seiner Vollendung endet. Worin diese Vollendung besteht, wird noch nicht gesagt;
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aber es ist bei Lukas klar, dass er seine Passion und Auferstehung meint (9,51; vgl. 9,22.43b–45). Die Zeit seines irdischen Wirkens ist befristet; das ist jedoch kein Einwand gegen ihn, sondern die Bedingung seiner Vollendung: Jesus ist derjenige, der die Zeit optimal nutzt. Seine Zeit ist erfüllt. Der „dritte Tag“ ist der Tag der Wende, der nach Hosea die Not in Heil verwandelt (Hos 6,1–3), bei Jesus aber Krise und Lösung in eins zusammenzieht. Im Hintergrund leuchtet die Auferstehungstheologie auf (9,21; vgl. 1Kor 15,4). Die Erinnerungen an die Bindung Isaaks (Gen 22,4), die in der rabbinischen Theologie mit Hos 6,2 verknüpft wird, bleiben undeutlich; bei Lukas ist das „Zeichen des Jona“ (11,29–30) nicht wie bei Matthäus mit den drei Tagen und Nächten im Bauch des Fisches verbunden (Mt 12,40); deshalb ist der Bezug allenfalls sehr locker. Das Wort hat seine eigene Pointe, die sich aus der Reflexion des Wirkens Jesu ergibt: Das „Heute“ und „Morgen“ sind nicht zweimal vierundzwanzig Stunden, sondern jeweils die befristete, intensive, gefüllte Phase des Wirkens, das Gottes Befreiungsevangelium verwirklicht (4,18–21); der dritte Tag bringt sie zum Abschluss – und schließt sie im Modus der Vollendung für das ewige Leben auf. Die Notwendigkeit, nicht zu fliehen, sondern standzuhalten, um die Zeit zu nutzen, begründet Jesus mit einem Motiv (33) (33), das zum Themenkreis der verfolgten Propheten gehört. Auch das Leiden Jeremias hat sich in Jerusalem abgespielt (Jer 7,36–38). Es gibt zwar keine Zwangsläufigkeit, aber es spiegelt die enorme Bedeutung Jerusalems wider, wenn es heißt, kein Prophet sterbe außerhalb der Stadt: Es gilt dies spezifisch für den Propheten Jesus, dessen Sendung der Rettung Israels dient und der Gewinnung der Völker für den Glauben an Gott. Dass Jesus tatsächlich in Jerusalem gestorben ist, verifiziert im Rückblick seine gesamte Prophetie aus Galiläa. Nach Lukas ist Jerusalem auch der Ort der Auferstehungserscheinungen (Lk 24 – Apg 1). Auf dieses Jerusalem hin gestaltet er seinen gesamten Weg (9,51) – auch dort, wo er trotz der Gefahr in Galiläa wirksam bleibt, und zwar genau jenen heutigen, morgigen und jeden weiteren Tag, den er bereits in seiner Leidens- und Auferstehungsprophetie markiert hatte (V. 32), dort freilich mit dem Verweis auf den hochsymbolischen und hochrealen „dritten Tag“ der Vollendung. Das „Muss“ spiegelt die innere Notwendigkeit der Sendung Jesu, die um der Treue zu seinem Wort willen auch den Weg ans Kreuz umschließt. Es ist ein „Muss“, das Jesus im Gebet bejaht. Durch V. 33 wird V. 32 als Todesprophetie erhellt, durch V. 32 wird die Leidensankündigung des Propheten unter das Vorzeichen der Vollendungshoffnung gestellt. Der Blick richtet sich nicht auf das Ende, sondern erschließt von daher den Gesamtsinn der Sendung Jesu. So sollen die Pharisäer Herodes informieren – und ihm dadurch jene Unabhängigkeit Jesu von ihm demonstrieren, die
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den Herrscher zur perversen Neugier während der Passionsgeschichte führt, die Jesus aber in der Souveränität passiven Widerstandes an den Tag legt (23,6–12). Der zweite Teil der Antwort auf die Warnung der Pharisäer (V. 31) weitet den Blick von Galiläa nach Jerusalem und über das Wirken wie das Leiden Jesu hinaus bis zur Auferstehung und Parusie. Jesus macht sich die geschichtliche Erfahrung der verfolgten Propheten zu eigen (34) (34). Er ist der verfolgte Prophet (11,49–51; vgl. 20,9–20). Jerusalem, der Ort des Prophetenmordes (13,32–33), ist Objekt einer großen Liebe Jesu, die aber verschmäht wird. Er stellt sich im Gewand der Weisheit dar (vgl. 7,35), die nach Israel kommt, aber abgelehnt wird (vgl. 11,49–51). Im Alten Testament und frühen Judentum gibt es zwei Linien: Nach der einen Variante führt die Ablehnung der Weisheit in der Welt zu einer Intensivierung ihrer Gegenwart in Israel: Sie verdichtet sich in der Tora. Auf diese Weise wird Israels Erwählung inmitten der Völker betont, zusammen mit der Pflicht zum Gesetzesgehorsam unter den Juden (Sir 24; Bar 3,27–4,4). Nach der anderen, der apokalyptischen Variante zieht sich die Weisheit wegen der hartnäckigen Sünde auch der Israeliten auch aus Jerusalem zurück (äthiopischer Henoch 42,1–2); es bleibt nur das Gericht, in dessen Jenseits das Reich Gottes beginnt. In der Logienquelle werden beide Linien verknüpft und weitergeführt, weil mit Jesus ein Lehrer der Weisheit die Szene betritt, der ein Prophet ist und mit seinem Leiden für das heilstiftende Wort Gottes eintritt. Jesus hat bei Lukas ein inneres Verhältnis zur Weisheit: Er verwirklicht ihre Rettungsverheißung (11,31: „Hier ist mehr als Salomo“). Er vermittelt sie seinen Jüngern (21,15). Er teilt ihr Geschick, abgelehnt zu werden, aber auch ihre Kraft, Verbindung mit Gott aufzubauen, so dass der Glaube und die Orientierung in der Welt zusammenfinden. Seine Aufnahme in den Himmel (9,51; vgl. 24,51–52.; Apg 1,9–11) ist keine Abwendung von Israel und den Menschen in der Welt, sondern die Voraussetzung einer neuen Hinwendung aus dem Geheimnis Gottes selbst heraus. Jesu gesamte Sendung ist die Suche nach den Verlorenen (19,10). Jesus wendet Jerusalem sein Angesicht zu, nicht seinen Rücken (9,51); er blendet das Nein zu Gott nicht aus, sondern nimmt es auf sich. Diese Heilssendung Jesu kennzeichnet auch sein Werben in und um Jerusalem, wie Lukas es am Ende der öffentlichen Wirksamkeit Jesu ausführt (19,28–21,38). Im Jerusalem-Wort auf dem Weg wird es auch für frühere Versuche vorausgesetzt (ein indirekter Hinweis darauf, dass Jesus nicht nur ein Jahr gewirkt und nicht nur eine einzige Pilgerreise nach Jerusalem gemacht hat). Die Henne, die ihre Küken sammelt, die sich als Nestflüchter auf den Weg gemacht haben und nun wieder zurückfinden sollen, um Schutz und Nahrung zu finden, ist ein Bild der rettenden Weisheit, das auf Gott verweist (Ps 17,8;
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36,8 u. ö.). Jesus zielt auf die Rettung Jerusalems vor seinen inneren und äußeren Feinden – letztlich durch die Vermittlung des Reiches Gottes, auch wenn es durch die Ablehnung Jesu hindurchgeht. Indem Jesus abgelehnt wird, wird auch die Nähe des Gottesreiches in Abrede gestellt. Darauf reagiert, so Jesus bei Lukas, Gott, indem er sich aus dem Heiligtum zurückzieht (35a) (35a). Dies ist dessen Ende, auch wenn die Gebäude noch eine Zeit stehen werden und auch kein direkter Zusammenhang mit der Tempelzerstörung besteht, die Lukas als schreckliches Unglück, nicht jedoch als gerechte Strafe betrachtet (21,5–19). Der Untergang Jerusalems ist nicht der Untergang Israels und der Welt; das Leiden der Juden ist kein Anlass zu Rechthaberei oder Triumphgefühlen, sondern Grund zur Empathie und Solidarität (19,41–44). Aber die Tempelprophetie Jesu deckt auf, dass dort eine Räuberhöhle ist, wo Gott ein Haus des Gebetes errichtet haben will (19,45–48). Jesus prophezeit aber nicht nur die Trennung Gottes vom Tempelgebäude, sondern auch eine heilvolle Zukunft Israels jenseits seines Rückzuges (35b) (35b). Sie ist darin begründet, dass der Messias – und mit ihm Jesus – nach wie vor im Kommen ist. Die positive Wendung ist durch Ps 118,26 vorgezeichnet (19,28). Sie kann nicht schon im „Hosanna“ des Einzugs Jesu aufgehen (19,28), wie sich zum einen aus der Parallele im Matthäusevangelium ergibt (23,37–39) und zum anderen aus dem Motiv des Sehens: Es macht nur dann Sinn, wenn es sich auf die Zeit nach der Passion Jesu bezieht. Das Gerichtswort ist deshalb ein paradoxes Heilswort: Es gibt ein Jenseits des Todes – für Jesus und für diejenigen, die ihn verwerfen werden. Gott wird dieses Leben schaffen, aus dem Tod heraus, mit dem Jesus seine Sendung besiegelt (V. 32). Lukas erzählt bei aller Zustimmung, die Jesus findet, nicht von einem galiläischen Frühling, dem eine dunkle Zeit der Anfeindung, des Missverständnisses und des Kompromisses gefolgt wäre, sondern von einer permanenten galiläischen Krise, die sich durch die großartigen Perspektiven der Verheißung erklärt, den scharfen Widerspruch, die tödliche Bedrohung – und die Durchbrechung aller Widrigkeiten dank Gottes Gnadenmacht. In Jerusalem wird es nicht anders. Jesus, der Gottes Schutz anbietet, wird schutzlos ausgeliefert werden. Aber die Hingabe, in der er diese Diffamierung annimmt, öffnet ohne jede Verbrämung des Bösen, das ihm widerfährt, die Verwerfung für die Versöhnung, die in Gottes Liebe begründet und Gottes Reich nicht nur nahekommen, sondern vollenden wird. Die zweite Etappe der Jerusalemreise hat mit einem Weggespräch auf Leben und Tod über die unmögliche Möglichkeit der Rettung begonnen (13,22–30); die Fortsetzung führt an die Paradoxie, dass Jesu Wirken im Zeichen seines kommenden Leidens steht, Jesu Leiden aber die Vollendung seines Heilsdienstes begründet, weil in der Auferstehung
14,1–6 Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat
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und Parusie das Kommen Jesu vollendet wird. Die Szene fängt nicht nur einen bestimmten Moment des Lebens Jesu ein: die Warnung durch wohlmeinende Pharisäer; sie rekonstruiert vor allem die Spannungen, die zur Geschichte Jesu gehören: Die politische Urteilskraft Jesu ist von prophetischer Schärfe; seine Zuwendung zu Israel und Jerusalem hält selbst durch die Ablehnung seiner Sendung hindurch die Zukunft der Heilsvollendung offen. 14,1–6 Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat 1Und es geschah, als er in das Haus eines der führenden Pharisäer am Sabbat kam, um Brot zu essen, dass ihn alle beobachteten. 2Und siehe, ein Mensch, der wassersüchtig war, stand vor ihm. 3Und Jesus antwortete und sagte zu den Gesetzeslehrern und Pharisäern: „Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen, oder nicht?“ 4Sie aber schwiegen. Da fasste er ihn an, heilte ihn und schickte ihn fort. 5Zu ihnen aber sagte er: „Wer von euch, dessen Sohn oder Ochse in den Brunnen fällt, wird ihn nicht sofort heraufziehen, auch am Sabbattag?“ 6Und sie konnten nichts dagegen einwenden. Nachdem Jesus zwei Weggespräche über Gericht und Heil geführt hat, das letzte mit Pharisäern, die ihn vor Herodes warnen wollten (13,31– 35), kehrt er im Haus eines hochrangigen Pharisäers ein (V. 1), wo er eingeladen ist, um Tischgespräche zu führen. Bei dieser Gelegenheit will er vor allem die caritative Verantwortung derer schärfen, die es sich leisten können. Die Reihe der Gespräche zieht sich über die Mahnung zur Demut (14,7–11) und die Aufforderung, Arme zum Essen einzuladen (14,12–14), bis zum Gleichnis vom Festmahl (14,15–24), das im Zeichen des Reiches Gottes die Ethik orientiert und transzendiert. Die Serie beginnt mit der Heilung eines Kranken am Sabbat: ein Beispiel praktizierter Nächstenliebe Jesu und ein Hinweis auf den Sinn des Sabbats, an dem das Essen stattfindet. Der Aufbau der Perikope variiert das Schema einer Wundergeschichte, damit die Pointe herauskommt: das Sabbatverständnis Jesu, das Israels genuines Sabbatverständnis ist und das der Kirche prägen soll. 14,1 14,2 14,3–4a 14,4b 14,5 14,6
Die kritische Beobachtung Jesu Der Auftritt des Kranken Die Frage Jesu und die Verweigerung einer Antwort Die Heilung Die Erklärung der Praxis Jesu mit dem Gesetz Die ratlose Reaktion der Kritiker
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Der Text ist lukanisches Sondergut, auch wenn die rhetorische Frage, welche Rettungsmaßnahmen am Sabbat selbstverständlich ergriffen werden, eine matthäische Parallele hat (Mt 12,11). Lukas wollte die Tischgespräche mit einer charakteristischen Tat Jesu einführen, die sofort den Ton setzt. Die Situation ist friedlich, aber nicht ohne Spannungen (1) (1). Jesus muss von einem führenden Pharisäer in sein Haus zum Essen eingeladen worden sein und diese Einladung angenommen haben (vgl. 7,36). Wo es war und wie der Gastgeber hieß, schreibt Lukas nicht. Nach der Lutherbibel ist Jesu bei „einem der Obersten der Pharisäer“; aber die pharisäische Bewegung hat keine ausgesprochene Hierarchie. Die Zürcher Bibel trifft das Gemeinte, wenn sie einen besonders angesehenen Pharisäer vor Augen führt – die es in jüdischen Augen der Zeit gab (vgl. Josephus, Vita 21). Nach wie vor hält Jesus sich in Galiläa auf – mit Blick nach Jerusalem (9,51). Dass Jesus „Brot“ isst, lässt nicht auf eine besondere Mahlzeit schließen, sondern ist ein alttestamentlich gefärbter Ausdruck für ein Mahl, das gehalten wird (vgl. Gen 37,25; 2Sam 9,7 u. ö.). Die Einladung setzt Gastfreundschaft voraus, aber auch Interesse an Jesus. Freilich ist die Szene nicht harmlos. Nach der Elberfelder Bibel wollen die Mahlgenossen Jesus „belauern“, nach der Lutherbibel auf ihn „achtgeben“. Tatsächlich herrscht eine angespannte Situation. Das Verb (parateréo) beschreibt eine Aufmerksamkeit, die zwar nicht feindselig zu sein braucht (wie in 6,7), aber kritisch ist. So entwickelt sich ein Gespräch, das Klärungen herbeiführt, aber auch Unterschiede herausarbeitet, ohne Aggressionen aufzubauen. Die Situation wird durch die Gegenwart eines Mannes bestimmt, der an Wassersucht leidet (2) (2). Die Krankheit zeigt sich darin, dass sich Wasser im Körper ansammelt, so dass sich Ödeme bilden; als Ursache werden heute Herz- und Nierenschwäche diagnostiziert, die durch Bluthochdruck verursacht sind. Die Krankheit ist unangenehm, aber nicht unmittelbar lebensbedrohlich. Sie wird heute medikamentös, aber auch durch Physiotherapie behandelt, die auf die Selbsttätigkeit der Patienten setzt. Durch den Auftritt des Kranken wird Jesus ohne Worte vor die Frage gestellt, ob er heilen will und kann. Diese Herausforderung spiegelt Jesus denen, die gespannt auf ihn achten (3) (3). Es sind „Gesetzeslehrer“, also Juristen, die Tora-Exegese treiben (vgl. 10,25), und „Pharisäer“, wie der Gastgeber. Lukas stellt nicht zwei unterschiedliche Gruppen vor Augen, sondern nennt zum einen den Beruf und zum anderen die theologische Richtung derer, die Jesus anspricht. Im Angesicht des Kranken fragt Jesus in schriftgelehrtem Stil, ob eine Heilung am Sabbat „erlaubt“ sei, also das Arbeitsverbot am Sabbat (Ex 20,8–11; Dtn 5,12–15) beachte oder
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missachte. Scharf beobachtet, testet er die Experten aus, wie sie es mit dem Sabbat halten, und erteilt ihnen eine Lektion. Die Frage nach der Erlaubnis ist rechtlich gestellt. Die scharfe Alternative arbeitet die Problematik heraus. Schon in Kapharnaum war diese Frage aufgekommen, beim Mann mit der verdorrten Hand (6,6–11). Die dortigen Schriftgelehrten und Pharisäer warten nur darauf, dass Jesus mit der Heilung einen angeblich schweren Verstoß begeht. Hier herrscht betretenes Schweigen (4) (4), weil sie einerseits den kranken Menschen sehen, der auf Heilung hofft, andererseits den Sabbat, den zu heiligen ihr hohes Ziel ist. Das Schweigen ist ein Ausweichen, wie später das der Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten bei der Vollmachtsfrage nach der Tempelaustreibung (20,1–8). Jesus nutzt die Verlegenheit, um Fakten zu schaffen. Ohne weitere Umstände schreibt Lukas, was geschieht: anfassen – heilen – fortschicken, so als ob die Therapie das Leichteste von der Welt wäre. Das „Anfassen“ dient der Kontaktaufnahme. Das „Heilen“ befreit den Mann nicht nur von äußeren Symptomen, sondern macht ihn von Grund auf gesund, so dass sich ihm Gottes Heil zeigt. Das Fortschicken bedeutet keine Distanzierung; es macht vielmehr wahr, dass die Herrenrunde, in der Jesus sich befindet, für den Menschen nicht das Ziel seines Lebens ist, sondern dank Jesus der Ort einer Erlösung, die ihn wieder in sein Leben, in seine Familie, in seine Arbeit zurückführt. Gleichzeitig aktiviert Jesus den Mann: Er macht ihn beweglich, was auch unter heutigen Gesichtspunkten der entscheidende Therapieansatz ist, neben der inneren Überzeugung, gesund werden zu wollen und mit guter Hilfe auch gesund werden zu können. Die Heilung, die in der erzählten Welt unbestreitbar ist, nutzt Jesus, um den skeptischen Beobachtern von ihren eigenen Voraussetzungen her einen Zugang zur Praxis und Theorie Jesu zu öffnen (5) (5). Er appelliert an Selbstverständlichkeiten, die nicht strittig sein konnten: Jeder würde sofort eingreifen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen oder ein Ochse an einer Wasserstelle eingebrochen wäre. Im Judentum des Zweiten Tempels wie bei den Rabbinen ist es unstrittig, dass akute Nothilfe die Sabbatruhe aufhebt, die voll in Geltung bleibt. Der Tierschutz, den er bemüht, ist unstrittig. Nach dem Schluss a minori ad maius muss desto eindeutiger dem wassersüchtigen Menschen geholfen werden, auch wenn keine akute Lebensgefahr besteht. Aus der Zeit Jesu sind Debatten nicht überliefert, die im Frühjudentum die Erlaubnis zu Sabbattherapien behandeln, aber aus späterer Zeit durchaus so, dass die Plausibilitäten deutlich werden: Ablehnung, wenn keine akute Gefahr behoben werden muss, aber Erlaubnis, wenn es um Linderung höllischer Schmerzen geht, so z. B. ein rabbinischer Kommentar zum Deuteronomium (Deuteronomium Rabba 10 zu Dtn 29,14).
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Das Schweigen der Gefragten hält Ablehnung und Öffnung in der Schwebe (6) (6). Dass sie nichts einzuwenden vermögen, selbst wenn sie es wollten, spiegelt für Lukas die Überlegenheit der Lehre Jesu. Es stellt zwar keine Übereinstimmung her, wie im Gespräch mit dem Schriftgelehrten über das Doppelgebot (10,25–35), ermöglicht aber die Fortsetzung des Gespräches in einer angespannten Atmosphäre. Der Mann, der von seiner Wassersucht geheilt wird, steht im Mittelpunkt, auch wenn er kein einziges Wort sagt. Jesus befreit ihn von seiner Krankheit, indem er ihn zurück ins Leben ruft. Er macht es am Sabbat, weil sich ihm während eines Essens an diesem Tag die Gelegenheit zur Therapie bietet: Das Fest bringt den Kranken mit dem Messias zusammen – und die Heilung zeigt, was Gott will und sein Sohn kann. Die Gesetzeslehrer und Pharisäer müssen stillschweigend einräumen, dass nichts gegen die Aktion Jesu einzuwenden ist. Diese Reaktion ist weit besser als die ihrer Kollegen in Kapharnaum, als Jesus am Sabbat den Menschen mit verdorrter Hand geheilt hat (6,6–11). Aber es ist nicht die Zustimmung, die Glaube genannt werden kann. Die Frage ist offen. Welche Antwort Jesus gibt, macht er in der Fortsetzung des Gespräches klar (14,7–34). Die historische Rückfrage lässt sich ähnlich wie bei anderen Heilungsgeschichten beantworten: Jesus hat therapiert, auch am Sabbat. Die Erzählungen dienen aber nicht der Rekapitulation, sondern der Reflexion dessen, was gewesen ist, um die aktuelle Bedeutung des Ereignisses zu erschließen: die Feier des Sabbats im Zeichen des Heilshandelns Gottes und die Deutung Jesu als Erlöser, den Gott gesandt hat. 14,7–11 Selbsterhöhung und Demut 7Den Eingeladenen erzählte er ein Gleichnis, als er beobachtete, wie sie sich die besten Plätze aussuchten, und sagte zu ihnen: „8Wenn du von jemandem zu einer Hochzeit eingeladen wirst, lass dich nicht auf dem ersten Platz nieder, damit nicht dann, wenn ein Vornehmerer als du von ihm eingeladen wird, 9derjenige, der dich und ihn eingeladen hat, kommt und dir sagt: ‚Mach diesem Platz!‘, und dann müsstest du dich anschicken, mit Schande den letzten Platz einzunehmen. 10Sondern wenn du eingeladen bist, geh und lass dich auf dem letzten Platz nieder, damit der, der dich eingeladen hat, wenn er kommt, zu dir sagt: ‚Freund, rücke höher hinauf.‘ Dann wirst du Ehre einlegen vor allen, die mit dir zu Tisch liegen. 11Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Die Situation, bei einem führenden Pharisäer eingeladen zu sein (14,1), greift Jesus auf, um zwei komplementäre Mahnungen auszusprechen.
14,7–11 Selbsterhöhung und Demut
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Die erste richtet sich an die Gäste, die zweite wird sich an den Gastgeber richten (14,12–14). Beide passen genau zusammen. Sie greifen auf, was Jesus auf dem Weg, der ihn in dieses Haus und zu diesem Sabbatessen geführt hat, klärt: dass Erste Letzte und Letzte Erste werden (13,30). Was dort, zu Beginn der zweiten Wegetappe nach Jerusalem, soteriologisch begründet wurde, wird hier ethisch konkretisiert, und zwar bei einem festlichen Mahl, einer archaischen sozialen Situation, in der Selbstachtung und Anerkennung eines Menschen markant zum Ausdruck kommen. Die überlieferte Mahnung Jesu baut den Gegensatz von Ehre und Schande auf, der für die antiken Gesellschaften eine entscheidende Rolle spielt (Demosthenes, Orationes 19,149). Sie verändert aber die Perspektive: Wer das eigene Renommee selbst organisieren will, wird scheitern; wer hingegen die Freiheit findet, sich zurückzunehmen, wird geehrt werden, wenn Gott das Sagen hat. Das „Gleichnis“ hat einen einfachen Aufbau, der die Situation aufnimmt und das ethische Problem auflöst. 14,7 14,8–11
Die Beobachtung Jesu: Der Drang nach Ehrenplätzen Die Mahnung Jesu 8–9 Die Warnung vor der Suche nach Ehrenplätzen 10 Der Rat zu einem bescheidenen Platz 11 Der Grundsatz
Der Text ist Sondergut. Die Kritik an der Gier, Ehrenplätze einnehmen zu wollen, ist aber häufiger überliefert, vor allem in der Kritik an heuchlerischen Schriftgelehrten und Pharisäern (11,43; 20,46), zu der es eine synoptische Parallele gibt (20,46; vgl. Mk 12,39 par. Mt 23,6). Steht dort die Kritik an profilierten Vertretern des Judentums im Vordergrund, bei denen Anspruch und Wirklichkeit auseinandertreten, sind hier zwar auch die Teilnehmer eines Festessens mit Pharisäern und Gesetzeslehrern (14,3) an einem Sabbat (14,1) im Blick, aber so, dass kein als spezifisch pharisäisch geltendes, sondern ein allgemeines Problem aufgespießt werden soll, das alle Menschen kennen und das in einem religiös bestimmten Kontext besonders übel in Erscheinung tritt (auch bei den Jüngern). Der Grundsatz (V. 11) basiert auf dem Prinzip des Heilshandelns Gottes (18,14; vgl. Mt 23,12) und wendet es ethisch an. Was Jesus während des Festmahles (vgl. 14,1) beobachtet (7) (7), ist in den Augen des Evangelisten typisch: der Drang nach Ehrenplätzen. Sie repräsentieren die soziale Stellung eines Menschen; in der Anerkennung soll sich das Selbstwertgefühl von Menschen widerspiegeln. Aber das Gegenteil ist der Fall, weil die Selbstachtung vom Image abhängig gemacht wird, nicht umgekehrt. Jesus analysiert das Problem
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mithilfe eines „Gleichnisses“, weil er im Verhalten bei Gastmählern ein Problem angezeigt findet, das tief mit dem Menschenbild und der Heilshoffnung verwoben ist. Der Schluss wird diesen Punkt markieren (V. 11). Die Mahnung, nicht auf die Ehrenplätze erpicht zu sein (8–9) (8–9), weil dies zu einer Desavouierung führen könnte, wenn der Gastgeber jemand Anderen dort platzieren will, greift ein in der Antike weit verbreitetes Ethos auf, das vor allem die Eitelkeit von Emporkömmlingen kritisiert (Theophrast, Charaktere 21,1–2); die alttestamentliche Weisheit rät zu einer realistischen Bescheidenheit, die eine öffentliche Demütigung erspart: „Rühme dich nicht vor dem König und stell dich nicht an den Platz der Großen; denn besser, man sagt zu dir: ‚Rück hier herauf‘, als dass man dich nach unten setzt wegen eines Vornehmen“ (Spr 25,6–7; vgl. Sir 13,9–10). Bei der Warnung stellt Jesus noch nicht das geltende Unterscheidungssystem von Ehre und Schande in Frage, sondern arbeitet zunächst in seinem Rahmen mit Klugheitserwägungen, die durchaus im berechtigten Eigeninteresse stehen: Es wäre ein Fehler, eine mögliche Zurücksetzung wegen eines höhergestellten Gastes nicht für möglich zu halten und deshalb den Drang nach einem Ehrenplatz nicht zu zügeln. Nicht anders ist es bei der positiven Wendung (10) (10). Manche mögen eine falsche Bescheidenheit argwöhnen, die heuchlerisch sei. Tatsächlich ist sie ein Problem, das aber nicht im Fokus der Mahnung steht. Jesus bleibt im Bild seines Gleichnisses, das übliches Sozialverhalten schildert; das Kalkül, wahrgenommen und geehrt zu werden, ist bekannt, auch in der Weisheit Israels, die vor allzu viel Bescheidenheit warnt (vgl. Sir 13,9–10). Die theologische Pointe ist die Begründung (11) (11). Sie erklärt das beschriebene Sozialverhalten zum Gleichnis. Sie greift die soteriologische Perspektive des Weggespräches auf, dass Erste Letzte und Letzte Erste werden (13,30). Was Jesus bei Tisch beobachtet (V. 7), macht ein Problem im Ethos sichtbar, das sich nur soteriologisch lösen lässt. Die Passivwendung verweist auf Gott – der metaphorisch im Gastgeber sichtbar wird, ohne mit ihm gleichgesetzt werden zu können. Der Einzige, der die einzig wichtigen Ehrenplätze zuweist, die im Reich Gottes, ist Gott selbst. Im Gespräch mit den Jüngern beim Letzten Abendmahl wird Jesus noch weitergehen und die Rollen des Dieners und der Bedienten neu füllen (22,24–30). Als Kommentar zum Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (18,14) hat das Wort einen soteriologischen Klang mit ethischer Resonanz, so auch hier: Das irdische Essen verweist symbolisch auf das Festmahl der Vollendung (vgl. 14,15–24). Wer dort von Gott geehrt sein will, braucht sich nicht selbst zu erhöhen – und kann es gar nicht, weil es in jedem Fall hypertroph wäre: Es würde sowohl Gottes Herrlichkeit als auch die menschliche Niedrigkeit unterschätzen. Im Gegensatz dazu braucht nie-
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mand zu befürchten, von Gott übersehen zu werden: Menschen brauchen sich ihrer eigenen Niedrigkeit, ihrer Fehler und Schwächen, ihrer Krankheiten und ihres Todes nicht zu schämen, sondern können sich zu ihnen bekennen – weil Gott „zerstreut, deren Herz voll Hochmut ist … und die Demütigen erhöht“ (1,51–52). Die Erhöhung überwindet Sünde, Not und Tod, die Demut unterscheidet die Erniedrigung von Unterwürfigkeit. An einem kleinen Beispiel zeigt Jesus im Hause eines führenden Pharisäers, wie eine verfehlte Gottesbeziehung zu ebenso problematischem wie riskantem Sozialverhalten führt. Der Drang, soziale Bestätigung zu bekommen, der sich beim Essen typischerweise zeigt, deckt ein Problem im Selbstwertgefühl auf, das auf ein problematisches Verhältnis zu Gott verweist. Wer meint, vor ihm groß auftrumpfen zu müssen, wird auch im Verhältnis zu anderen Menschen vor allem auf die eigene Ehre bedacht sein. Die soziale Blamage, die jemand erleidet, der sein Sozialprestige überschätzt und in die Schranken gewiesen wird, ist ein schwacher Ausdruck des Schreckens im Gericht, wenn Gott über einen Menschen urteilt, der meint, sich selbst retten zu müssen und zu können (vgl. 18,14). So deutlich allerdings diese Warnung ist – der Duktus der Rede ist positiv: Wer im Glauben weiß, von Gott in aller Niedrigkeit erhöht zu werden, gewinnt die innere Stärke, den Drang zur sozialen Selbsterhöhung auf Kosten anderer zu überwinden und den letzten Platz nicht zu scheuen, den die Diener einnehmen (vgl. 22,24–30); die Ehre, beachtet zu werden, kann einen freudigen Vorgeschmack auf jene Erhöhung vermitteln, die nur Gott zu bewirken vermag. (Was diese Einsicht für die christliche Gemeinde bedeutet, kommt gut in Jak 2,1–13 zum Ausdruck.) Die Gefahr, diese Gesinnung denen zu predigen, die sich mit schlechten Plätzen zufriedengeben sollen, ist nicht von der Hand zu weisen und wird von Jesus anderenorts klar angesprochen (9,46–48); hier aber sind diejenigen fokussiert, die meinen, allen Grund zu haben, in die erste Reihe zu gehören. Ihre Selbstdarstellung soll aber ihrem Sozialverhalten Nahrung geben. Festessen dienen nicht der Selbstbestätigung, sondern bieten Gelegenheit, Gutes zu tun – nicht indem man die Armen abspeist, sondern indem man sie einlädt und in vollem Umfang teilhaben lässt (14,12–14). Die Szene ist typisch jesuanisch, auch wenn kein Wortprotokoll vorliegt, sondern Lukas mit klarer Handschrift Jesus kennzeichnet. 14,12–14 Die Einladung von Armen 12Er sagte aber dem, der ihn eingeladen hatte: „Wenn Du ein Mittagoder Abendessen gibst, lade nicht deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie nicht dich gegeneinladen und es dir zurückgegeben wird; 13sondern wenn du ein Gastmahl gibst, lade Arme ein, Elende, Lahme und Blinde – 14und selig wirst
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du sein, weil sie nichts haben, es dir zurückzugeben; denn es wird dir bei der Auferstehung der Gerechten zurückgegeben werden.“ Die kurze Intervention greift auf die erzählte Situation zurück, dass Jesus im Hause eines führenden Pharisäers zum Essen eingeladen ist (14,1); sie spiegelt die voranstehende Warnung vor Selbsterhöhung, die sich in der Rangordnung bei Tisch zeigt (14,7–11), und leitet zum folgenden Festmahlgleichnis über, das erzählen wird, wie Arme, Krüppel, Blinde und Lahme von der Straße geholt werden, damit sie an einem Festessen teilnehmen (14,15–24). Der ethische Impuls ist klar: Wer genug Geld hat, um ein Mahl auszurichten, soll sich um die Armen kümmern. Das Argument wird im Verhältnis von Gabe und Gegengabe verhandelt. Häufig ist in den Übersetzungen von Vergeltung die Rede; aber der Sinn dieses Wortes ist heute negativ besetzt. Es geht um eine Erstattung: ein entsprechendes Verhalten. Dieses Geben und Wiedergeben ist eine Frage der Gerechtigkeit. Wer auf irdischen Ausgleich setzt, schneidet sich vom himmlischen ab. Die Antithese, die Jesus nach Lukas aufbaut, dient dazu, die Handlungsoption der gerechten Uneigennützigkeit zu erkennen und zu ziehen. 14,12 Die Warnung vor dem negativen Verhalten 14,13 Die Mahnung zum positiven Verhalten 14,14 Die Seligpreisung als Begründung Was Jesus seinem Gastgeber mitgibt (und Lukas allen, die in einer ähnlichen Situation sind, überliefert), entspricht dem, was er mit dem Gebot der Feindesliebe verbunden hat (6,32–34): Jedes Kalkül, dass sozialer Einsatz sich persönlich lohnen muss, zerstört das Ethos, verengt den Handlungsspielraum und schadet der eigenen Persönlichkeit. Der Ratschlag, den Jesus seinem Gastgeber erteilt (12) (12), setzt voraus, dass die Einladung zum Essen ein starker Faktor im Sozialprestige ist. Es ist (bis heute) so, dass die allermeisten Tischgemeinschaften sozial homogen sind; sie dienen auch der Pflege sozialer Beziehungen. Deshalb liegt es nahe, zu einem Essen vor allem Personen aus dem näheren Umfeld und dem gleichen Status einzuladen. Problematisch ist an dieser Praxis in den Augen Jesu nicht die Pflege freundschaftlicher, familiärer oder nachbarschaftlicher Beziehungen; problematisch ist das Kalkül: einzuladen, um wieder eingeladen zu werden und dadurch das eigene Prestige, den eigenen Vorteil zu verbessern. Genauer noch: Mag es Gründe geben, so zu handeln, erzeugen sie keinen Mehrwert, der das Verhältnis zu Gott berührt; die Kompensation bleibt im Irdischen, wie das Kalkül. Das ist das Problem – im Kern ein anthropologisches, wie es der rei-
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che, aber dumme Kornbauer auch hat (12,16–20). Jesus bezieht sich auf verschiedene Mahlzeiten: das Morgen- oder Mittagsmahl (áriston; vgl. 11,37) und auf das Abendmahl (deîpnon; vgl. 14,16); es sind die Hauptmahlzeiten – die nicht nur der Nahrungsaufnahme dienen, sondern auch der Kontaktpflege. Die positive Alternative bezeichnet eine caritative Aktion (13) (13), die Arme nicht mit Wasser und Brot abspeist, sondern ihnen ein feines Essen, ein Bankett (doché), ausrichtet (vgl. 5,29), wie das folgende Gleichnis erzählen wird. Eingeladen werden sollen Personen, die nie im Leben zurückerstatten könnten, was sie empfangen haben; es sind Personen mit dem geringsten Sozialprestige. Sie gehören denselben Gruppen an wie die im anschließenden Festmahlgleichnis genannten (14,21). Lukas nennt zwei Kategorien von Armut: Die einen, ptochoí, sind jene Armen, die Jesus seligpreist (6,20); die anderen, anapeiroi, werden meist als „Krüppel“ oder „Behinderte“ übersetzt; aber das passende griechische Verb und Substantiv lassen eher an Pflegefälle denken: die „Elenden“. Lahme und Blinde sind Dauerkranke, die sich oft in einer prekären Lage befinden und ans Betteln halten müssen. Jesus selbst hat ihnen machtvoll geholfen, wo er konnte (vgl. 5,17–26; 18,35–43); jeder, der über Mittel verfügt, kann ihre Not lindern. Die Begründung liefert eine Seligpreisung, die ein gutes Pendant zu den Weheworten gegen die Reichen ist (14) (14). Dort wird gattungsgemäß nicht die ewige Verdammnis angekündigt, sondern das Problem der Geldgier aufgezeigt, die in den Untergang führt (vgl. 16,9–13); hier gibt es keine Heilsgarantie, aber den Hinweis darauf, dass in Gottes Gerechtigkeit das, was Menschen aus ihrem Vermögen anderen, die es bitter nötig haben, zugutekommen lassen, nicht vergessen, sondern anerkannt wird. Mit Werkgerechtigkeit hat diese Zuversicht nichts zu tun, mit Barmherzigkeit als Konsequenz des Glaubens aber sehr viel. Jesus macht nach Lukas keine billige Bilanz von Soll und Haben nach den Kategorien irdisch – himmlisch auf, sondern weitet den Blick derjenigen, die andere Menschen einzuladen Geld und Gelegenheit haben, für Gott, damit sie nicht denken, in der Förderung ihrer sozialen Anerkennung das letzte Ziel ihres Lebens sehen zu müssen. Gnade befreit zur Liebe, Liebe schenkt ohne Hintergedanken. Jesus verankert nach Lukas das Ethos der Großherzigkeit in der Gerechtigkeit Gottes, der Menschen zurückgibt, was sie aus Gottesliebe für die Nächstenliebe eingesetzt haben, und zwar „vielfach“ (18,30). Auf diese Weise beschämt Jesus den potenten Gastgeber nicht, sondern versucht, ihn zu gewinnen. Der Pharisäer (14,1) hat bereits einen ersten Schritt getan, indem er Jesus eingeladen hat; jetzt kommt es darauf an, diese Einladung nicht zum Kalkül werden zu lassen, etwa um Jesus
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auszuforschen; vielmehr soll sie – wie andere Einladungen – dem Zweck dienen, aus dem eigenen Besitz Bedürftige nachhaltig zu unterstützen, damit sie nicht zu hungern und zu dürsten brauchen, sondern schon hier und jetzt durch Gastfreundschaft auf den Geschmack am Reich Gottes kommen können. Auch diese Verheißung kann wieder zur Versuchung werden: um himmlischen Lohnes willen auf irdische Vorteile zu verzichten. Das wäre Heuchelei. Der himmlische Lohn entzieht sich dem menschlichen Kalkül, weil er, wie Paulus es ausgeführt hat (Röm 4,4), nicht nach Schuldigkeit ausgezahlt wird (weil er dann viel zu klein wäre), sondern nach Gnade (weil sie am Leben Gottes selbst Anteil gibt). Die lukanische Erzählung einer Mahnrede Jesu entspricht diesem Grundsatz, ohne dass eine direkte Abhängigkeit postuliert werden müsste. Die kurze Szene verdichtet, was in einer Fülle von Überlieferungen als jesuanisch ausgewiesen wird und nicht ohne einen Bezug zur historischen Gestalt erklärt werden kann: die Option für die Armen, die er seligpreist (6,20–23). 14,15–24 Das Gleichnis vom Festmahl 15Als aber einer, der mit am Tisch war, dies hörte, sagte er ihm: „Selig, wer Brot essen wird im Reich Gottes.“ 16Er aber sagte ihm: „Ein Mensch gab ein großes Gastmahl und lud viele ein. 17Und er sandte seinen Knecht zur Stunde des Gastmahles und sagte den Eingeladenen: ‚Kommt, denn schon ist alles bereitet.‘ 18Da begannen auf einmal alle, sich zu entschuldigen. Der erste sagte ihm: ‚Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen, ihn zu besichtigen. Ich bitte dich, halte mich für entschuldigt.‘ 19Und ein anderer sagte: ‚Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und gehe, sie zu erproben. Ich bitte dich, halte mich für entschuldigt.‘ 20Und ein weiterer sagte: ‚Ich habe eine Frau geheiratet, und deshalb kann ich nicht kommen.‘ 21Und als der Knecht zurückkam, berichtete er dies seinem Herrn. Da erzürnte der Hausherr und sagte seinem Knecht: ‚Geh schnell hinaus auf die Plätze und Straßen der Stadt und bringe die Armen und Elenden und Blinden und Lahmen hierher.‘ 22Da sagte der Knecht: ‚Herr, was du befohlen hast, ist geschehen, und es ist noch Platz.‘ 23Da sagte der Herr zum Knecht: ‚Geh hinaus zu den Wegen und Zäunen und dränge sie, hereinzukommen, damit mein Haus voll wird.‘ 24Denn ich sage euch: Keiner von jenen Männern, die eingeladen waren, wird bei meinem Gastmahl essen.“ Das Gleichnis vom Festmahl nimmt direkt den Gesprächsfaden auf, der sich beim Essen im Haus eines Pharisäers entsponnen hat (14,1): Nach der Heilung eines Kranken warnt Jesus einerseits vor der Prestigesucht von Gästen (14,7–11) und mahnt andererseits den Hausherrn, nicht Gleichgestellte, sondern Arme einzuladen, weil nur dies uneigennützig sei und
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von Gott ausgeglichen werde (14,12–14). Das Gleichnis gibt ein Beispiel für dieses Verhalten. Aber es ist mehr: Es bespricht Reaktionen auf die Verkündigung Jesu, die anders als erwartet ablaufen – und zwar ähnlich, wie Jesus bereits die unterschiedlichen Reaktionen auf den Täufer Johannes und seine Predigt charakterisiert hat (7,29–30). Auch das Gleichnis vom Sämann beleuchtet den Hintergrund (8,4–18). Das Gleichnis vom Festmahl reflektiert Misserfolg und Erfolg von einer anderen Seite aus; es ist ein weiterer Spiegel der Praxis Jesu: der als Knecht Gottes zum Festmahl in Gottes Reich einlädt und erlebt, wer absagt, aber auch gestaltet, wer kommt. Das Gleichnis ist eine dramatische Geschichte mit hohen Redeanteilen, die zuerst auf eine Blamage des Gastgebers zuzusteuern scheint, dann an den Kipppunkt einer Katastrophe gelangt und doch zu einem happy end führt, das allerdings die zuerst Eingeladenen nicht miterleben werden. 14,15 Das Glaubenszeugnis des Mahlteilnehmers 14,16–24 Das Gleichnis Jesu 16 Die Vorbereitung des Festes 17–21a Die erste Sendung des Knechtes 17 Die Einladung 18 Die erste Absage: Acker 19 Die zweite Absage: Ochsen 20 Die dritte Absage: Heirat 21a Der Bericht des Knechtes 21b–24 Die zweite und dritte Sendung des Knechtes 21b Der Weg zu denen auf den Straßen und Plätzen: Arme, Elende, Blinde, Lahme 22 Der Zwischenbericht des Knechtes 23 Der Weg vor die Tore der Stadt 24 Das Urteil über die zuerst Eingeladenen Eine Parallele steht bei Matthäus (Mt 22,1–10). Gemeinsam sind das Mahl, zu dem eingeladen wird, die Sendung von Knechten, die Absagen aller zuerst Eingeladenen, der Zorn des Gastgebers, bei Matthäus ein König, der für seinen Sohn ein Hochzeitsmahl ausrichtet und gleich die ganze Stadt derer, die nicht kommen wollen, in Schutt und Asche legt, vor allem aber auch die Nachladungen, die dazu führen, dass das Haus voll ist und das Fest gefeiert wird. Allerdings sind die Ausführungen so unterschiedlich, dass zwar auf eine gemeinsame Basis in der Logienquelle gefolgert, aber kaum ein genauer Wortlaut der Quelle rekonstruiert werden kann.
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Das Gleichnis wurde oft antijüdisch gedeutet: Die zuerst Eingeladenen seien die Juden, die aber am Fest Jesu nicht teilnehmen wollten und deshalb definitiv vom Reich Gottes ausgeschlossen seien; die Heiden hingegen hätten sich bitten lassen und Platz in der Kirche gefunden. Aber die Parallelen in Jesu Auskunft über den Täufer (7,29–30) und im Weinberggleichnis (20,9–20) zeigen, dass Jesus nach Lukas nicht so schematisch gedacht hat, sondern Unterscheidungs- und Klärungsprozesse mitten in Israel anstößt – die so grundlegend sind, dass sie auch in der Heidenmission Bedeutung gewinnen. Den Auftakt (15) bildet eine Seligpreisung, die nicht aus dem Munde Jesu, sondern eines Mahlteilnehmers kommt: ein wichtiges Signal, dass nicht nur Jesus Hoffnung auf Gottes Reich gemacht hat, sondern dass einige Zeitgenossen ähnliche Erwartungen gehegt haben. Selig ist jetzt schon, wer in Zukunft am Fest des Reiches Gottes teilnehmen wird (vgl. 6,20–23). Das Essen ist ein archetypisches Motiv der Heilshoffnung Israels (Jes 25,6–8); es leuchtet in den zeichenhaften Gastmählern Jesu auf (5,29–32; 9,10–17; vgl. 7,36–50). Das Gleichnis vom Festmahl gewinnt seine theologische Bedeutung vor diesem Hintergrund. Jesus greift die Hoffnung seines Mahlgenossen auf (16) (16), bestätigt sie aber nicht einfach, sondern vertieft sie, indem er sie problematisiert und neu justiert. Er erzählt eine Geschichte, die geeignet ist, die Situation zu spiegeln, in der er sich wiederfindet: bei einem Festessen, zu dem vor allem Gleichgestellte und -gesinnte des Pharisäers (14,1) eingeladen sind. Der Termin wird üblicherweise rechtzeitig vorher bekanntgegeben. Dann aber wird, aus Gründen der Höflichkeit, den Eingeladenen noch einmal, wenn der Termin gekommen ist, eine direkte Nachricht zuteil (17) (17), dass die Vorbereitungen abgeschlossen sind und das Mahl stattfinden kann. Die übliche Reaktion wäre freudige Zustimmung. Hier hingegen sagen ausnahmslos alle ab (18–20) (18–20): ganz unwahrscheinlich, aber um der erzählerischen Spannung willen konsequent. Die drei Fallbeispiele sind aus dem Leben gegriffen: Besitz, Arbeit, Ehe. Sie alle führen zu neuen Prioritäten und infolgedessen zum Ausschlagen der Einladung. Die Entschuldigungen spiegeln, dass die zuerst Eingeladenen aus der Welt der Reichen und Schönen stammen. Die Inspektion eines frisch erworbenen Ackers ist am wenigsten überzeugend, weil das Grundstück sicher vor dem Kauf bekannt gewesen ist und jetzt nur Besitzerstolz das Motiv sein kann, sich am Anblick zu weiden. Beim Ochsengespann mag man an eine Testphase denken, die Reklamationen ausschließen soll. Am sympathischsten ist noch der dritte Grund – bei dem allerdings offenbleibt, warum die Terminkollision mit der Hochzeitsfeier nicht vermieden oder die Ehefreuden nicht geteilt worden sind.
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In allen drei Fällen ist das Ergebnis gleich: Niemand, der eingeladen war, kommt. Der ausgesandte Botenknecht muss diese schlechte Nachricht seinem Herrn übermitteln (21) (21). Der reagiert mit Zorn – aber wendet den Zorn konstruktiv. Das Fest wird nicht abgesagt – es wird mit vollem Haus (V. 24) gefeiert, allerdings mit neuen Gästen. Der Zorn ist heilig; er vernichtet nicht, sondern schließt aus, was empörend ist (vgl. V. 24). Die Entschuldigungsgründe der zuerst Eingeladenen zeigen, dass sie einer gehobenen Schicht angehören – wie derjenige, der Geld genug hat, ein Fest auszurichten und einen Knecht als Boten auszusenden. Diejenigen, die nun eingeladen werden, sind am unteren Ende der sozialen Skala. Sie leben und arbeiten auf der Straße. Dort werden sie vom Knecht angesprochen. Mit den Armen, Elenden, Lahmen und Blinden werden dieselben Menschengruppen benannt wie in der vorhergehenden Mahnung an Reiche, Arme zum Essen einzuladen (14,13). Es sind Personen, die nie im Traum daran gedacht hätten, auf der Gästeliste des Hausherrn zu stehen. Aber sie scheinen in großer Zahl gekommen zu sein. Der Knecht allerdings, der sie hereinführt, sieht, dass noch Platz ist (22) (22). So gibt er dem Hausherrn die Gelegenheit (23) (23), einen weiteren Vorstoß zu machen und vor den Toren der Stadt Menschen einzuladen – die noch weiter draußen leben und im Zweifel noch weniger als die Stadtbewohner anerkannt sind. Mit dieser Aktion wird auch die Motivation des Gastgebers deutlich: Sein Haus soll voll sein. Er will nicht sparen, sondern großzügig sein. Er veranstaltet keine Armenspeisung, sondern ein Festessen. Willkommen sind alle, die die Einladung annehmen. (Matthäus lässt hier das Gleichnis vom Rauswurf eines Mannes mit unangemessener Kleidung folgen, weil der die Einladung offenbar nicht zu schätzen weiß – im Gegensatz zu allen anderen, die sich offenbar umziehen konnten und umgezogen haben.) Aus dieser Absicht, das Fest mit möglichst vielen Gästen zu feiern, erklärt sich das Verb (anagkázo), das in der Lutherbibel und der Einheitsübersetzung mit „nötige“, in der Zürcher Bibel mit „dränge“ übersetzt wird. Das Verb hat eine hoch problematische Deutung durch Augustinus erfahren, der das compelle intrare – nach anfänglicher Ablehnung – als Rechtfertigung verstanden hat, zur Not staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Donatisten anzuwenden, um sie, die er als Schismatiker gesehen hat, zur Rückkehr in die katholische Kirche zu bewegen (Epistulae 93,5; 143,10; 185,24; 208,7). Aber diese Deutung geht fehl; sie passt auch nicht im mindesten zum Kontext. Die Notwendigkeit, die im Verb mitschwingt (vgl. Mk 6,45 par. Mt 14,22), hat rein gar nichts mit Gewalt zu tun, sondern erklärt sich aus der Konsequenz des Heilswillens Gottes: Es ist eine innere Notwendigkeit, die den ausgesandten Knecht bestimmen soll, alles zu tun, damit diejenigen, die draußen leben, der Einladung folgen (vgl. Mt 22,9) –
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selbstverständlich freiwillig. Das Drängen ist also eine dringende, werbende, überzeugende Aufforderung. Lukas erzählt nichts vom Erfolg (den er vorausgesetzt hat); ihm geht es um die Intention des Gastgebers: Das Fest findet statt. Es geht nicht darum, den zuerst Eingeladenen keine Chance mehr zu bieten, sich eines Besseren zu besinnen; dann würden die Armen, Elenden, Lahmen und Blinden nur Mittel zum Zweck sein – im Gegensatz zur unmittelbar dem Gleichnis vorangehenden Mahnung und Seligpreisung (14,13–14). Allerdings gibt es das volle Haus ohne die zuerst Eingeladenen (24) (24). Sie haben sich selbst ausgeschlossen. Der Hausherr spekuliert nicht, ob sie sich womöglich noch eines Besseren besonnen hätten und dann abgewiesen würden (so wie man die Geschichte der törichten Jungfrauen in Mt 25,1–13 lesen kann); er stellt fest, dass sie angeblich Besseres zu tun haben und deshalb nicht mitfeiern. Sie haben zwar die besten Voraussetzungen, weil sie lange eingeladen waren und sich den Termin gut hätten freihalten können; aber sie haben diese Chance verspielt. Eine direkte Übertragung auf das Schicksal von Menschen im Endgericht, die Jesus ablehnen, lässt das Gleichnis nicht zu – weil es ein Gleichnis ist und weil auch der Schlusssatz in der metaphorischen Geschichte bleibt. Eine ernste Warnung und Mahnung spricht das Ende aber in jedem Fall aus – wie in vielen anderen Beispielen der jesuanischen Gerichtspredigt bei Lukas auch (10,13–15; 11,31–32; 12,46.49–53; 13,24–30.34–35; 19,27 u. ö.). Das Gleichnis vom Festmahl stellt die einfachen und menschlichen Hinweise Jesu auf gute Tischmanieren, nämlich Demut und Solidarität (14,7–11.12–14), in den großen Kontext des Heilshandeln Gottes. Das Evangelium Jesu von Gottes Reich ist eine einzige Einladung; sie kommt nicht unvorbereitet, sondern ist lange angesagt. Sie wird aber ausgeschlagen – gerade von denjenigen, die von Anfang an eingeladen gewesen sind. Diese Ablehnung hätte zu einem Alptraum führen können: Der Gastgeber würde tief beschämt sein, dass niemand von denen kommen will, denen er das Fest bereitet hat; das Fest würde abgesagt; die Beziehungen wären zerstört, weil die Eingeladenen Anderes vorziehen. Aber das Fest findet statt. Der Zorn wird produktiv. So kommen Menschen in den Genuss des Mahles, die nicht auf der ursprünglichen Gästeliste standen, weil sie nicht zur selben sozialen Schicht wie der Gastgeber gehören. Die Deutungen, die eine Heilsgeschichte auf das Gleichnis projizieren, wonach „die Juden“ die Einladung Jesu abgelehnt hätten, so dass ihnen das Reich Gottes versperrt bliebe, während die Gottesfürchtigen und die Heiden sie angenommen hätten, geht fehl. Ein Gleichnis arbeitet mit denen, die es hören. Wer sich mit denen identifiziert, die eingeladen waren, aber nicht kommen wollten, muss im Hören den eigenen Standpunkt ändern und auf die Seite der Armen und der Menschen von der Straße treten, um am Ende doch noch dabei zu sein. Dies passt zur von Lukas erzählten Situation.
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Die Gäste im Haus des Pharisäers (14,1), auch der Mann mit der Hoffnung auf das Reich Gottes (V. 15), wissen, dass sie eingeladen sind. Sie sollen sehen, dass sie in der Gefahr stehen, die Einladung auszuschlagen und den Gastgeber, Gott, zu brüskieren, wenn sie Jesus nicht hören. Sie müssen ihren Standpunkt wechseln: von den gemachten Leuten zu den Armen und aus der Mitte der Gesellschaft an die Hecken und Zäune. Mit der Öffnung ihrer Tafeln tun sie den ersten Schritt (14,11–13). Das Gleichnis ist jesuanisch, wie nicht zuletzt die Matthäusparallele beweist. Es ist allerdings nicht im ursprünglichen Wortlaut erhalten, sondern in einer Bearbeitung, die jeweils auf den Kontext abgestimmt ist (14,12–14). Aus dem Drama, das Jesus erzählt, folgt ein Blick auf das Drama seiner Sendung und das Drama der Nachfolge, das nur durch einen radikalen Wechsel von Oben und Unten, Drinnen und Draußen, Reich und Arm zum Ziel führen kann – weil Gottes Reich alle Hoffnung und Erwartungen unendlich übertrifft. 14,25–35 Der Anspruch der Nachfolge 25Mit ihm zusammen ging eine große Menge. Da wandte er sich um und sagte zu ihnen: „26Wer zu mir kommt und nicht seinen Vater und seine Mutter und seine Frau und seine Brüder und Schwestern und dazu noch sein eigenes Leben hasst, kann nicht mein Jünger sein. 27Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, kann nicht mein Jünger sein. 28Denn wer von euch will einen Turm bauen und wird sich nicht hinsetzen und die Kosten kalkulieren, ob er genug zur Ausführung hat, 29damit er nicht etwa das Fundament legt, aber nicht vollenden kann, so dass diejenigen, die es sehen, anfangen zu spotten 30und sagen: ‚Dieser Mensch hat zu bauen begonnen und konnte es nicht fertigstellen.‘ 31Oder welcher König zieht los, um mit einem anderen König Krieg zu führen, und setzt sich nicht zuerst hin und berät, ob er imstande ist, mit Zehntausend dem entgegenzutreten, der mit Zwanzigtausend über ihn kommt? 32Wenn aber nicht, schickt er, solange der noch fern ist, eine Gesandtschaft, um Frieden zu bitten. 33So kann keiner, der sich nicht von allem lossagt, was er hat, mein Jünger sein. 34Salz ist gut; wenn aber das Salz fad wird – womit kann man es würzen? 35Es taugt weder für den Acker noch für den Mist; es wird weggeworfen. Wer Ohren hat, zu hören, höre.“ Die schockierenden Worte, die eigene Familie „hassen“ zu müssen, um Jünger Jesu sein zu können, führen oft zu Deutungen, die entweder einen ungeheuren Machtanspruch Jesu erkennen, der fatale Folgen hat, zumal wenn sich die Kirche die Autorität Jesu zu eigen machen wollte, oder ausführen, dass Jesus es nicht so gemeint habe, wie er es gesagt hat. Beides ist verfehlt. Am schlimmsten ist freilich eine schwarze Pädagogik, die den
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Selbsthass und den Hass auf nahestehende Menschen als Gebot Gottes ausgibt. Die Feldrede mit dem Gebot der Feindesliebe, die den Feindeshass überwindet, bleibt aber in Geltung (6,27–28). Den Schlüssel bietet das Verständnis des „Hassens“: In der Parallele bei Matthäus steht der Komparativ: „mehr“ (und weniger) lieben“; dort geht es nicht um eine quantitative, sondern um eine qualitative Aussage: Wo liegt die Priorität? So ist es auch bei Lukas. Das „Hassen“ bedeutet hier nicht Abscheu, sondern Absage – als Voraussetzung der Zusage, Jesu Jünger zu sein und in dieser Jüngerschaft auch die Sozialkontakte neu zu knüpfen und das eigene Leben neu zu gewinnen. Die Hyperbolik ist unverkennbar, wie sie für Jesus charakteristisch ist (9,57–62). Sie spiegelt die Radikalität seines Anspruchs, erklärt aber auch, dass kein Grundwiderspruch zur familiären Fürsorge (4,38–39; 7,11–17; 8,40–56), zur Berührung von Kindern (18,15– 17) und zur Verheißung besteht, in der Nachfolge ein Vielfaches dessen zu gewinnen, was verlassen wurde (18,29–30). Vielmehr entsteht eine Sachparallele zum Schwertwort, das einen faulen Frieden beendet, um durch Streit zu einer Versöhnung zu gelangen (12,49–53). Die zahlreichen Hinweise auf innerfamiliäre Sanktionen, denen Gläubige wegen der Nachfolge ausgesetzt sind (12,52–53; 21,16), sind die Kehrseite der Mahnungen, die Nachfolge ernst zu nehmen oder gleich sein zu lassen. Der neuerliche Paukenschlag (vgl. 13,22–30) markiert den Beginn einer neuen Untereinheit. Jesus ist nicht mehr im Haus des Pharisäers (14,1– 24), sondern wieder auf dem Weg (13,22), der ihn nach Jerusalem führen wird (9,51), wiewohl er sich noch in Galiläa aufhält. Auch die drei Gleichnisse vom Verlorenen, die sich anschließen (15,1–32) gehören in diese Situation. Sie spiegeln den Auftakt, der die Notwendigkeit der Entscheidung für Jesus betont, indem sie die Kehrseite beleuchten: den unbedingten Einsatz für diejenigen, die verloren sind oder waren. Der Aufbau lässt die Bedeutung von Gleichnissen in der Lehre Jesu sehr gut erkennen. Sie bringen Vergleiche, die erläutern, dass Nachfolge nicht nur ein spontaner Entschluss bleiben kann, sondern sehr gut überlegt sein will. 14,25 14,26–27 14,28–32 14,33 14,34–35
Die Situation: Jesus als Lehrer des Volkes Der Anspruch der Jüngerschaft Mt 10,37–39 26 Hass auf die eigene Familie 27 Kreuz tragen (Mk 8,34) Die Begründung des Anspruchs in Gleichnissen 28–30 Das Kalkül des Turmbauers 31–32 Das Kalkül des Königs im Krieg Die Anwendung auf die Jünger: Aufgabe für Hingabe Das Gleichnis vom Salz Mk 9,50
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Zur lukanischen Perikope gibt es verschiedene Parallelen. Die Klärung des Anspruchs (14,26–27) klingt ähnlich bei Matthäus und lässt (wie beim voranstehenden Gleichnis vom Festmahl) auf eine Q-Tradition schließen (Mt 10,37–39). Das Wort von der Kreuzesnachfolge steht auch bei Markus, nach dem Messiasbekenntnis und der Zurückweisung des Petrus, der Jesus den Weg des Leidens verlegen will (Mk 8,34); von dort hat Lukas es bereits vorher aufgenommen (9,23), so dass sich das Wort hier (V. 27) als Unterstreichung erklärt. Die Gleichnisse vom Turmbau und Kriegführen sind Sondergut. Das Bildwort vom Salz wiederum hat zum einen bei Markus eine Parallele, zum Abschluss einer todernsten Warnung der Jünger vor Missbrauch (Mk 9,50), aber zum anderen auch bei Matthäus, in der Bergpredigt zur Berufung der Jünger, die nicht verspielt werden darf (Mt 5,13–16). Der Blick in die Synopse lässt erkennen, wie intensiv Lukas mit verschiedenen Traditionen gearbeitet hat, um eine kompakte Erinnerung an Jesus zu kreieren. Dass viele Menschen mit Jesus zusammen gehen (25) (25), ist typisch (12,1 u. ö.). Es entspricht seiner Suche nach den Menschen, die er für Gott gewinnen will (19,10); es spricht für die Attraktivität seiner Lehre und die Glaubwürdigkeit seiner Person. Allerdings gibt Jesus sich keinerlei Illusionen hin: Er wird auch zur Projektionsfläche für Wünsche und Hoffnungen von Menschen, die das Evangelium in kleine Münze wechseln und auf dem Privatkonto verbuchen wollen. Deshalb spricht er Klartext: Er macht deutlich, worauf sich einlässt, wer in seiner Sympathie nicht unverbindlich, sondern in seiner Zustimmung zu Jesus verbindlich sein will. In zwei Konditionalsätzen wird der Anspruch der Nachfolge herausgearbeitet. Nachfolge, Jüngerschaft, ist mehr als Sympathie mit Jesus: Sie ist Bekenntnis zu ihm (12,4–12) und Dienst für ihn (12,35–42), im Interesse der Menschen, die zu Gott finden sollen. Zuerst geht es um die familiären Beziehungen (26) (26). Alle Generationen und primären Verwandtschaftsverhältnisse werden (aus männlicher Perspektive) genannt (vgl. 8,19; 18,29–30): Vater, Mutter, Ehefrau, Brüder, Schwestern. Keine dieser Personen darf einen daran hindern, in die Schule Jesu zu gehen – obgleich die Familienbande in der Antike besonders fest gewesen sind und besonders viel bestimmt haben, nicht zuletzt in religiösen Fragen. Auch die eigene „Seele“ darf es nicht – sie am wenigsten (9,24–25 par. Mk 8,35–36). Sie alle zu „hassen“ ist eine ähnliche Zumutung wie, „die Toten ihre Toten begraben“ zu lassen (9,60). Der Hass ist hier nicht Ekel oder Abscheu, sondern in der typischen Zuspitzung Jesu die Einstellung, im Konfliktfall die Priorität der Nachfolge zu wählen. Die lukanische Version ist schärfer als der matthäische Komparativ „mehr lieben“ (Mt 10,37). Sie profiliert, dass es gilt, gegen innere und äußere Widerstände Nein zur eigenen Familie und zum eigenen Ego sagen zu müssen,
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um Ja zu Jesus sagen zu können. An dieser Stelle wird der Gegensatz profiliert, damit die Notwendigkeit der Umkehr nicht verschleiert wird – an anderen Stellen kommt die Dialektik zur Sprache: dass das Nein zu einem neuen Ja führen kann und soll, in den Spuren der Jesusnachfolge (18,29–30). Am deutlichsten wird diese Dialektik im Blick auf die eigene Seele: Sie zu hassen, heißt, sie zu verlieren – nicht, weil sie wertlos wäre, sondern weil sie unendlich wertvoll ist, so dass sie am besten aus Gottes Hand empfangen wird (vgl. 9,23–27). Analog ist von der Familie zu denken. Die Fortsetzung (27) erneuert die Forderung der Kreuzesnachfolge (9,23), die es ihrerseits nicht ohne die Auferstehung gibt. Das Kreuz ist metaphorisch gemeint, abgeleitet vom grausamen Bild der Antike, dass Verurteilte ihr Folterinstrument selbst zur Hinrichtungsstätte tragen müssen. Im Anschluss an das Messiasbekenntnis hat Jesus gefordert, „täglich“ das Kreuz auf sich zu nehmen (9,23); hier unterstreicht er, dass es um das „eigene“ Kreuz geht. Es meint nicht die allgemeine Last des Lebens, sondern spezifisch die Bedrückungen, die sich aus der Jesusnachfolge ergeben: Missverständnis, Ausgrenzung, Verspottung, Verfolgung (vgl. 6,22–23). Das Kreuz zu „tragen“, heißt nicht, diese Belastungen zu suchen und gar zu feiern; es heißt vielmehr, sich von ihnen nicht unterkriegen zu lassen und trotz ihres Drucks Jesus die Treue zu halten, weil der Glaube diese Kraft verleiht. Die Wendung ist erneut negativ, um das Positive hervorzuheben: Wer das eigene Kreuz nicht schleppt, bricht aus der Nachfolge aus – wie Petrus es tun wird (22,31–33.54–62), den Jesus aber neu bekehren wird (22,32). Die Verheißung gilt denen, die konsequent Jesus auch dann folgen, wenn sie ihr Kreuz zu tragen haben. Die harte Forderung wird mit zwei Beispielen begründet. Beide öffnen die Augen dafür, wie wichtig es ist, sich genau zu überlegen, worauf man sich einlässt, wenn man ein wichtiges Projekt beginnt, damit es nicht zu einem Fiasko wird. Das erste Beispiel (28–30) führt in das Bauwesen. Der „Turm“ wird ein Wachturm (Mk 12,1 par. Mt 21,33: Jes 5,2) oder Vorratssilo sein. Wer ihn planen kann, hat die Möglichkeit und Pflicht einer genauen Kalkulation der Kosten – und muss sie aufstellen, um erfolgreich zu sein und sich nicht zu blamieren. Das zweite Beispiel führt in die hohe Politik (31–32) (31–32): Ein König sieht sich einem doppelt überlegenen Gegner gegenüber und muss sich genau überlegen, ob es für ihn günstiger ist, in die Schlacht zu ziehen oder vorab Friedensverhandlungen anzubieten. Eine Ethik des Krieges ist der Beispielgeschichte nicht zu entnehmen. Was allein interessiert, ist die innere Logik: Bevor jemand etwas beginnt, braucht es eine kluge Abschätzung der Chancen und Risiken. Im Licht der beiden Beispiele
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erklärt sich, wie Jesus den Anspruch der Nachfolge formuliert (Vv. 26– 27): Es ist klug, sich vorher zu überlegen, ob man Jesu Jünger werden will. Damit glasklar wird, was dann auf dem Spiel steht, hat Jesus extreme, aber signifikante Konsequenzen genannt. Halbherzigkeit ist fehl am Platz. Alle, die Jesus interessant und faszinierend finden, sollen sich prüfen, ob sie genügend Energie aufbringen können, tatsächlich ihm nachzufolgen, im Leben und im Sterben. Es gibt keinerlei Spekulationen, was mit denen sei, die diesen Schritt nicht gehen. Es geht um einen Positivtest. So erklärt sich die Fortsetzung (33) (33). Sie ist als Übertragung aus der Bild- in die Sachhälfte ausgewiesen. „Alles“ ist das Schlüsselwort. Es gibt keine Nachfolge unter Vorbehalt, keinen Glauben mit halbem Herzen. Der Reiche, den Jesus vergeblich zur Nachfolge ruft (18,18–23 par. Mk 10,17–22), veranschaulicht, wie schwer es sein kann. Das Lossagen (apotássomai) ist kein Zerstören, sondern ein Zurücklassen (vgl. 5,11: aphíemi): Das Herz bindet sich nicht an die Habe (vgl. 12,34). Deshalb gibt es die Möglichkeit des Wiedergewinns (18,28–30), die allerdings hier ausgeblendet wird, um den Schnitt und den Neustart zu betonen, ohne den es keine Jüngerschaft Jesu gibt. Mit einem weiteren Bildwort endet die Sequenz (34–35a) (34–35a). Salz ist als Lebensmittel kostbar (Plinius der Ältere, Naturalis historia 31,45.88.102); es macht Speisen schmackhaft. Die Aufgabe der Jünger Jesu ist es, in der Nachfolge die Welt genießbar zu machen: durch das Evangelium, dem das Ethos der Güte entspricht (vgl. Mt 5,13–16). Salz, das „fad“ – wörtlich: dumm – wird, taugt zu nichts, noch nicht einmal für den Acker und den Mist- oder Komposthaufen. (Streusalz braucht es in Palästina nicht.) Reines Kochsalz kann allerdings nicht „fad“ oder schal, sondern höchstens feucht werden und dann wegfließen. Daraus wird teils gefolgert, Jesus habe bewusst ein paradoxes Bild geprägt; aber warum er das hätte tun sollen, bleibt unklar. Das Rätsel löst sich, weil das Salz, das im Palästina der Zeit Jesu im Gebrauch war, kein reines Natriumchlorid war, sondern eine Mischung (meist aus dem Toten Meer) verschiedener Kristalle mit starken Spurenelementen, die korrodieren können, so dass sich die eigentlichen Salzkristalle auflösen und der Rest zwar noch wie Salz aussieht, aber nicht mehr wie Salz schmeckt (und für uns auch kein Salz wäre). Nachzusalzen wäre widersinnig. So erklärt sich das Bild. Jüngerschaft ist gut. Sie tut auch gut. Aber wenn der Glaube im Laufe der Zeit ausdünnt, verliert er seine Kraft; er ist nutzlos – wie der Same, der unter die Dornen gesät wird und zwar aufwächst, aber keine Frucht bringt (vgl. 8,7.14). Wie das Sämann-Gleichnis (8,8) endet die Mahnung mit einem Weckruf (35b): Auf das Hören kommt es an – dem das Tun folgen muss. (35b)
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Der Anspruch der Nachfolge wird unmissverständlich klar. Man kann allerdings auch sagen: Er wird missverständlich klar – weil Jesus bei Lukas so provokant zuspitzt, dass fatale Wirkungen erzeugt werden können, wenn zum einen die Gattung und zum anderen der Kontext der Worte verkannt werden. Ganz oder gar nicht ist die Devise; denn es geht um Gott und um den Menschen. Jesus ist anspruchsvoll; wäre er es nicht, könnte er nicht die Nähe des Gottesreiches verkünden und vermitteln. Die Jüngerbiographien setzen mitten im Leben an, auch mitten in den Familien. Der Glaube öffnet einen neuen Horizont, der nicht durch genealogische und soziale Bande verstellt werden darf. Deshalb muss man alles loslassen und „hassen“, d. h. Nein zu allem sagen können. Nur so entsteht die Freiheit, aus vollem Herzen Ja zu Gott zu sagen und in diesem Ja die Welt neu zu entdecken, einschließlich der eigenen Person. Das Ja zu Gott, dem Schöpfer und Erlöser, befreit, neu zu finden, was verloren, und neu zu lieben, was zu hassen war. Jesus redet nicht gespaltenen Persönlichkeiten oder asozialen Heiligen das Wort, obwohl die Worte schnell so gedeutet werden können, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden; er plädiert für den freien, klaren, gut überlegten Entschluss, in die Nachfolge Jesu einzutreten, ohne sich von noch so Wichtigem hindern zu lassen, und dann das Leben aus der Nachfolge so zu gestalten, dass auch der Umgang in der Ehe, mit den Kindern und Eltern und nicht zuletzt mit dem eigenen Ich von der Kraft des Glaubens geprägt ist (vgl. 16,18; 18,15–30). Hass aus Liebe – die folgenden Gleichnisse vom Verlorenen (15,1–32) machen deutlich, dass keine Alternative zwischen dem Hass und der Liebe besteht, sondern dass es die Liebe ist, die das zu hassen fordert, was ihr im Wege steht, und dass der Hass der Liebe dienen muss, wenn er nicht zerstören, sondern aufbauen will, was Gott den Menschen schenkt. 15,1–7 Das Gleichnis vom verlorenen Schaf 1Alle Zöllner und Sünder näherten sich ihm, um ihn zu hören. 2Da murrten die Pharisäer und Schriftgelehrten und sagten: „Der nimmt Sünder an und isst mit ihnen.“ 3Jesus aber erzählte ihnen dieses Gleichnis und sagte: „4Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eins verliert, lässt nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem Verlorenen nach, bis er es findet? 5Und wenn er es gefunden hat, legt er es sich auf die Schultern, weil er sich freut. 6Und wenn er nach Hause gekommen ist, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt: ‚Freut euch mit mir. Denn ich habe das Schaf gefunden, das verloren war.‘ 7Ich sage euch: So wird im Himmel mehr Freude sein über einen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die der Umkehr nicht bedürfen.
15,1–7 Das Gleichnis vom verlorenen Schaf
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An das Weggespräch über den Anspruch der Nachfolge (14,25–35) schließt sich eine Serie von drei Gleichnissen an. Sie erhellen allesamt den erzählten Anlass: die Kritik von Pharisäern und Schriftgelehrten am Umgang Jesu mit Zöllnern und Sündern (V. 1). Alle drei Gleichnisse handeln von etwas oder jemandem, das oder der verloren gegangen ist, und greifen damit die Auseinandersetzung um die Zöllner und Sünder auf, deren Schuld von Jesus nicht kleingeredet, aber vergeben wird. Die drei Gleichnisse bilden ein breites soziales Spektrum ab: Während das erste und dritte Gleichnis Männerbilder in einer Männerwelt widerspiegeln, hat das mittlere eine Frau in einer Frauenwelt zum Thema; während die beiden ersten Gleichnisse in der Welt der Armen spielen, spielt das dritte Gleichnis in der Welt der bäuerlichen Mittelschicht. Was in den Gleichnissen verloren geht, ist ein Tier (15,4–7), eine Münze, also Geld (15,8–10), und ein Kind (15,11– 34): Die drei Gleichnisse zeigen beispielhaft, was schmerzliche Verluste sind und wieviel Glück hat, wer wiederfindet, was verloren war. Auf dem Suchen und Finden liegt der Fokus. Alle drei Gleichnisse reden von einem Fest, das gefeiert wird, weil wiedergefunden wurde, was verloren gegangen war; sie nehmen metaphorisch die Gastmähler in den Blick, die Jesus mit Zöllnern und Sündern gefeiert hat (5,29); das letzte Gleichnis problematisiert die Teilnahme am Fest: in der Figur des älteren Sohnes (vgl. 14,15–24). Alle drei Gleichnisse beschreiben in ihrer Abfolge einen Weg, der auf das Fest im Haus zuläuft (15,25). Beim ersten Gleichnis macht sich der Hirte auf den Weg, das verlorene Schaf in der Wüste zu finden; beim zweiten Gleichnis macht sich die Frau daran, das ganze Haus auf den Kopf zu stellen, um die verlorene Drachme zu finden; beim dritten Gleichnis hält der Vater Ausschau nach seinem jüngsten Sohn, um ihn, der in sich gegangen und umgekehrt ist, wieder zuhause aufzunehmen, und bemüht sich um seinen Ältesten, damit er an der Feier teilnimmt. Die unterschiedlichen Perspektiven sind genau aufeinander abgestimmt. Das letzte Gleichnis trägt ein Achtergewicht, weil es nicht nur das umfangreichste ist, sondern auch die Fäden der beiden anderen aufnimmt und verknotet. Die beiden ersten Gleichnisse haben einen Erzählerkommentar Jesu, der die Übertragung auf das Reich Gottes veranschaulicht; im dritten Gleichnis ist der Kommentar in die Erzählung integriert: der Refrain von Tod und Auferstehung in den Versen 24 und 32. Der synoptische Vergleich zeigt, dass Lukas mit Sondergut gearbeitet, beim ersten Gleichnis aber eine Tradition aus der Logienquelle aufgenommen hat (vgl. Mt 18,12–14). Durch diese Kompositionsarbeit bringt Lukas einen charakteristischen Grundzug der gesamten Verkündigung Jesu ebenso eindrucksvoll wie anziehend zum Ausdruck. Die beiden ersten Gleichnisse arbeiten mit Plausibilitäten: Jeder Hirt und jede Hausfrau würde so handeln (wollen). Das dritte Gleichnis rechnet mit
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einem ausgeprägten Familienethos: Wer wollte nicht einen solchen Vater haben? Ob Jesus mit seiner Gleichnisdidaktik Erfolg hat, erzählt Lukas nicht. Aber das offene Ende des dritten Gleichnisses „vom verlorenen Sohn“ steht für die Offenheit des gesamten Wirkens Jesu. Er stellt die Gottesfrage als Glaubensfrage und bietet beste Antworten an. Sie in seinem Sinne zu geben oder nicht, steht den Menschen frei – mit erheblichen Konsequenzen für das Gottes-, das Welt- und das Selbstbild. Vor dem Hintergrund der strengen Nachfolgeworte, die unmittelbar vorangehen (14,25–35), wird zweierlei deutlich: Es ist die Größe der Heilsverheißung, die jene entschiedene Strenge fordert, die viele verstört – und zerstört, wenn sie nicht in die Heilsverkündigung eingeordnet wird; es ist aber auch nur die entschiedene Strenge der Nachfolge, in der die Verheißung eingelöst werden kann, weil sie den vollen Einsatz der Menschen, ihre ungeteilte Liebe, fordert. Der Auftakt der Gleichnisserie verbindet die Szene, die das Problem kenntlich macht, mit dem ersten Gleichnis, das den Ton setzt und die Richtung des Ganzen weist. 15,1–2 Die Situation 1 Die Suche von Zöllnern und Sündern nach Nähe zu Jesus 2 Die Kritik an Jesu Umgang mit Zöllnern und Sündern 15,3–7 Die Antwort Jesu mit dem Gleichnis vom verlorenen Schaf 3 Die Einleitung 4–6 Die Erzählung 4 Die Suche 5 Der Fund 6 Das Fest 7 Die Deutung Das Gleichnis vom verlorenen Schaf hat im Erzählkern eine Parallele in Mt 18,12–14. Sie verläuft so nah, dass eine gemeinsame Q-Tradition anzunehmen ist, aber so weit entfernt, dass deren Wortbestand kaum noch rekonstruiert werden kann. Die Grundstruktur ist identisch: ein Hirt – eine Herde; ein Schaf – neunundneunzig Schafe; zurücklassen – suchen; finden – freuen. Die Ausführung variiert jedoch erheblich. Bei Lukas ist der Hirt mit seiner Schafherde in der Wüste, bei Matthäus auf den Bergen; bei Lukas geht das Schaf (dem Hirten) verloren, bei Matthäus hat es sich verirrt; bei Lukas drückt sich die Freude über das Finden so aus, dass der Hirt – ein Archetyp – das Schaf auf seinen Schultern trägt und für seine Freunde und Nachbarn ein Fest ausrichtet, Matthäus belässt es einfach bei der Benennung der Freude. Die Unterschiede erklären sich als Anpassung der gemeinsamen Überlieferung an die verschiedenen
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Kontexte. In beiden Versionen ist die Erzählung kommentiert. Die Kommentare weichen stark voneinander ab, sind aber jeweils genau auf den Kontext abgestimmt. Vers 7 schlägt den Bogen vom verlorenen Schaf zum verlorenen Sünder und von der irdischen zur himmlischen Freude (vgl. 15,10); Mt 18,14 ist gleichfalls theologisch orientiert, aber so, dass die Rettung der bedrohten Kleinen, die im gesamten Kapitel 18 dominant ist, als Pointe herausgearbeitet wird. Die Kommentare sind nicht künstliche Anhängsel, die den originalen Sinn des Gleichnisses verstellen, sondern paradigmatische und kontextuelle Interpretationen, die ihn erhellen. Ihre Unterschiedlichkeit spiegelt die Pluralität sinnvoller Gleichnisdeutungen. Die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede gehen auf die Evangelisten zurück. Matthäus hat die Tradition ebenso frei platziert und kontex tualisiert wie Lukas – nur auf andere Art. Bei Matthäus geht es um die Möglichkeit und Notwendigkeit, in der Gemeinde Schuld zu vergeben; Lukas hingegen vergegenwärtigt im Gleichnis die Praxis Jesu, „zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (19,10). Die Zöllner und Sünder suchen die Nähe Jesu (1) (1), weil sie von ihm Besserung erhoffen und Aufnahme erfahren, obwohl – oder: weil – er ihnen ins Gewissen redet. Sie „hören“, weil sie anscheinend zu ahnen begonnen haben, dass sie bei ihm ihr Glück finden können. Die Pharisäer und Schriftgelehrten hingegen „murren“ (2) (2), heißt: kritisieren Jesus, aber hinter vorgehaltener Hand. Schon nach der Berufung des Levi (5,30) und beim Mahl mit der Sünderin, die Jesus die Füße salbt (7,39), ist diese Kritik aufgekommen. Sie ist aus Sicht pharisäischen Reinheitsdenkens, das Distanz zu Sünden und Sündern verlangt, damit sich das Böse nicht ausbreitet, durchaus korrekt, steht aber im Widerspruch zur erzählten Christologie Jesu, weil er durch seine Nähe Menschen reinigt und befreit. Im Spiegel der Kritik nehmen die Pharisäer und Schriftgelehrten vieles richtig wahr, wenn sie es auch in den Augen des Evangelisten falsch deuten. Jesus nimmt sich tatsächlich der Zöllner und Sünder an, das heißt: Er gewährt ihnen seine Nähe, öffnet ihnen sein Herz und schenkt ihnen seine Gemeinschaft; er handelt so als der, der Gottes Nähe nahebringt, Gottes Herz schlagen lässt und Gottes Gemeinschaft stiftet. Richtig ist auch die Beobachtung, dass Jesus mit ihnen isst. Das heißt: Er achtet nicht auf die Reinheitsvorschriften; er lädt sich bei ihnen ein (vgl. 19,1–10) oder lädt sie zu sich ein; er hält mit ihnen Tischgemeinschaft, um ihnen das Reich Gottes zu öffnen. Die Antwort Jesu (3) ist weder nur Belehrung noch Rechtfertigung oder Warnung und Drohung, sondern Einladung. Dem dienen die Form und die Abfolge der Gleichnisse. Jesus adressiert das Gleichnis an die Pharisäer und Schriftgelehrten, die ihn kritisieren (V. 2). Aber die Zöllner und Sünder, die seine Nähe suchen, sind dabei. Jesus erzählt die Gleichnisse
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(vgl. bei 8,4–9), um für das Reich Gottes zu sensibilisieren und für seine Ethik zu werben. Das Gleichnis (4–6) spielt in der Welt der Menschen, die Jesus hören. Es ist anschaulich und verständlich, rührend und aufrüttelnd. Vielleicht würde nicht jeder Hirt so handeln wie der des Gleichnisses, aber jeder gute Hirt ginge das Risiko für die Herde ein, um kein Schaf zu verlieren. Die meisten Hirten haben nicht auf eigene Rechnung, sondern im Sold für Andere gearbeitet; für Verluste müssen sie haften. Dieser sozialgeschichtliche Zusammenhang steigert die Plausibilität der Geschichte, wenn die übliche Armut der Hirten mit im Blick steht. Nicht römische Bukolik, sondern palästinische Arbeitswelt wird gezeigt (vgl. 2,8). Das Bildfeld vom Hirten und den Schafen ist jedoch beziehungsreich, weil es im Alten Testament vielfach auf das Verhältnis einerseits Gottes zu Israel und zum Gerechten (Ps 23), andererseits auf das Verhältnis guter wie schlechter Könige zu ihrem Volk bezogen wird (Num 27,17 – Ez 34; 1Kön 22,17). So ist das Bild breit in der Jesustradition bezeugt (Mk 6,34 par. Mt 9,36); bei Johannes wird „Hirt“ zum Hoheitstitel Jesu (Joh 10,11.14). Das Gleichnis vom verlorenen Schaf trägt zur Farbigkeit des Bildfeldes bei und hat implizit christologische Dimensionen, wenn es mit Bezug auf den Erzähler Jesus ausgelegt wird. Die erzählte Situation unterstreicht die ekklesiologische Dimension: Wer zu Israel gehört, wird geklärt. Der Hirtendienst gibt die Antwort. Die Situation, die Lukas schildert, ist für das eine Schaf lebensbedrohlich. Es schwebt in Lebensgefahr, weil der Hirt es aus den Augen verloren hat. Es fehlt seiner Herde. Er muss Rechenschaft über seine Schafe ablegen. Er hat einen guten Grund, sich auf den Weg zu machen. Da er die neunundneunzig Schafe in der Wüste, der Einöde, zurücklässt, sind sie nicht in unmittelbarer Gefahr. Andere Hirten werden in der Nähe gewesen sein, wie es zwar nicht erzählt wird, aber üblich war (2,8) und vorausgesetzt ist, wenn er bei seiner Rückkehr ein Fest feiert. Der Hirte handelt (anders als viele Ausleger denken) rational; seine Tierliebe ist professionell. Seine Suche hat Erfolg – in der Erzählung kein Zufall, sondern das Glück des Tüchtigen. Seine Freude ist überschwänglich. Sie speist sich aus der Erleichterung, das verlorene Tier wiedergefunden zu haben, vielleicht auch aus der Tierliebe des Schäfers (der nach Joh 10 die Schafe mit ihrem Namen ruft und sie mit seinem Leben vor dem Wolf verteidigt). Es mag sein, dass der Wert des Schafes höher ist als die Kosten des Festes. Aber darauf kommt es im Gleichnis nicht an. Wichtig ist das Fest, zu dem eingeladen wird. Die Freude soll geteilt werden, weil geteilte Freude doppelte Freude ist. Der Hirt lädt zur Mitfreude ein. Ob die Einladung angenommen oder ausgeschlagen wird, bleibt offen; in der erzählten Welt
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des Gleichnisses ist es klar, dass das Fest gefeiert wird; in der erzählten Situation aber ist offen, ob der Pointe zugestimmt wird. Das Kommentarwort (7) scheint auf den ersten Blick nicht recht zum Gleichnis zu passen und künstlich auf den Kontext abgestimmt zu sein, weil das Schaf ja weder schuldig geworden noch umgekehrt ist (wie später der verlorene Sohn). Deshalb wird der Kommentar oft als sekundär angesehen, zumal er bei Matthäus anders lautet. Mit einer Fortschreibung ist in der Tat zu rechnen, aber nicht im Additions-, sondern im Transformationsverfahren. Der vorliegende Text funktioniert nach dem Schema a minori ad maius: Wenn schon um wieviel mehr der Hirt wird Gott, einem Schaf nachgeht, der einem Sünder nachgeht, das verloren ist, der verloren geht, und sich freut, sich freuen, wenn er es findet, wenn er umkehrt. Diese Freude hat Jesus selbst. Deshalb will er mit ihr alle anstecken. Nach Johannes dem Täufer heißt Umkehr, Gott in seinem Zorn (3,3.7), nach Jesus, Gott in seiner Liebe Recht zu geben. Diejenigen, die Sünden begehen (V. 1), müssen umkehren, um die Freude des Findens mitfeiern zu können; diejenigen aber, die skeptisch sind, dass es für Zöllner und Sünder (V. 2) einen Weg der Umkehr gibt, den Jesus bahnt, müssen ihrerseits umkehren, weil sie zu eng von Gottes Liebe und zu selbstsicher von ihrer Moralität denken. Das Gleichnis passt genau zur erzählten Situation. Die Zöllner und Sünder, die zu Jesus kommen, ihn zu hören (V. 1), werden im verlorenen Schaf sichtbar; Jesus selbst, der sich ihrer annimmt und sich mit ihnen zu Tisch setzt, wird im Guten Hirten ansichtig. Auf der Ebene des Lukasevangeliums macht das Gleichnis mehrere Angebote: Wer sich auf die Seite Jesu stellt, muss selbst wie er ein Hirte auf der Suche nach den verlorenen Schafen sein. Wer zu den Sündern gehört, muss sich wie ein Schaf sehen, das ein Zuhause sucht, und jemanden braucht, der sich auf den Weg macht, es zu finden. Wer das miterlebt, ist herzlich eingeladen, sich darüber aus ganzem Herzen zu freuen. Wer Jesus nicht glaubt, muss sich fragen, ob er das Fest verpassen will. Das Gleichnis wirbt für die Liebe Gottes; 2Kor 5,19 ist eine paulinische Sachparallele: „Gott war in Christus und hat die Welt mit sich versöhnt.“ Eine Übertragung auf die „Hirten“ der Kirche, deren Gläubige sich als eine Herde dummer Schafe verstehen, würde eine Karikatur des Gleichnisses sein. In diesem Gleichnis kommt zwar – anders als im folgenden vom verlorenen Sohn – die Freiheit der Menschen nicht zum Ausdruck; aber die Pointe ist klar: Gottes Gnade ist
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stärker als Not und Tod; Jesus geht den Verlorenen nach, um sie zu suchen, zu finden und zu retten (19,10). Das ist der beste Grund für große Freude. Im Fest des Glaubens kommt sie zum Ausdruck. Diese Pointe ist für Jesus typisch. Dass er sich selbst in diesem Gleichnis widerspiegelt, ist mehr als wahrscheinlich. 15,8–10 Das Gleichnis von der verlorenen Drachme 8Oder welche Frau, die zehn Drachmen hat und eine verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das ganze Haus und sucht sogfältig, bis sie sie findet? 9Und wenn sie sie gefunden hat, lädt sie ihre Nachbarinnen und Freundinnen ein und sagt: ‚Freut euch mit mir; denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren habe!‘ 10So sage ich euch: Bei den Engeln Gottes wird Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt.“ Auf das Männergleichnis vom Hirten, der sein Schaf sucht und findet, folgt ein Frauengleichnis, das im Haus spielt. Es gehört zum lukanischen Sondergut. Die Grundstruktur ist ähnlich: Verlust – Fund – Freude – Fest. Das Prinzip der Erzählung ist einfach: Doppelt hält besser. Das Gleichnis ist eine lange rhetorische Frage, die auf eine Schlussfolgerung zuläuft. Es rechnet damit, dass alle zustimmen würden: Jede Frau in ähnlicher Lage würde genau so handeln. 15,8 Das Problem: Die verlorene Drachme 15,9 Die Lösung: Die Suche und das Fest 15,10 Die Deutung: Die Freude der Engel Das Gleichnis ist lukanisches Sondergut, vom Evangelisten aus thematischen Gründen an diese Stelle gerückt. Die Lösung geht über das Problem hinaus, weil die Frau ihre Freundinnen und Nachbarinnen zur Mitfreude und Mitfeier einlädt. Dieser Überschuss ist es aber gerade, der das Gleichnis mit dem vorhergehenden vom verlorenen Schaf verbindet und mit dem Kontext vernetzt. Die Sozialgeschichte hilft, das Bild genauer zu verstehen. Eine Drachme (8) (8) ist ungefähr so viel wert wie ein Denar, ein Tageslohn (Mt 20,1–16). Eine Frau, die nur zehn Drachmen besitzt, ist arm. Dass dieses Geld zuhause aufbewahrt wurde, war üblich und spiegelt die soziale Rolle der Frau, die keinen Zugang zum Bankwesen hat. Die eine Drachme, die sie verliert, ist objektiv nicht besonders viel, für sie aber eine kleine Katastrophe. Sie hat keine Möglichkeit, sich auf dem öffentlichen Arbeitsmarkt zu verdingen, sondern muss, z. B. durch Weben und Nähen, ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie kann, wenn sie zuhause arbeitet, keine regelmäßigen Einkünfte
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erzielen und braucht eine Art Notgroschen, von dem sie leben muss, bis wieder Geld ins Haus kommt. Sie scheint allein zu leben. Sie hat zwar ein Haus; aber das scheint äußerst einfach zu sein: Es hat keine Fenster, wie es in den Höhlenwohnungen in Nazareth, aber auch in anderen Unterkünften die Regel war. Sie fegt den nackten Boden, um die Münze klimpern zu hören oder blinken zu sehen. Sie muss heilfroh sein, wenn sie wiedergefunden hat, was sie verloren hatte (aus Gründen, die das Gleichnis nicht erzählt, die also für die Deutung nicht wichtig sind). Die Frau ist nicht skrupulös wie der Pfennigfuchser in Theophrasts Satire (Charaktere 10,6), sondern behält einen kühlen Kopf, um ein Malheur abzuwenden. Das Gleichnis entspricht in etwa einem rabbinischen Midrasch, mit dem Rabbi Phineas ben Jair die Suche nach der Weisheit der Tora propagiert (Midrasch zum Hohelied 1,9): Sie lohnt den vollen Einsatz. Die Freude des Findens ist riesig (9) (9). Die Frau rechnet nicht, sondern teilt ihre Freude mit Nachbarinnen und Freundinnen: ein Frauenfest, das nicht viel zu kosten braucht, aber große Freude macht. Auch dieses weibliche Bild taugt für das Reich Gottes – nicht schlechter und nicht besser als das Fest der Hirten (15,6). Die erzählte Deutung Jesu (10) wendet die Gleichnisgeschichte nach demselben Schema a minori ad maius an wie das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Wenn schon so werden erst recht eine Frau, die Engel die eine von zehn Drachmen verliert, über einen einzigen Sünder, um die Münze zu finden, der umkehrt ihr ganzes Haus auf den Kopf stellt, im Himmel und dann ein großes Fest feiert, sich freuen. Der Kommentar passt genau zur Deutung des Gleichnisses vom verlorenen Schaf, das der Hirt gesucht und wiedergefunden hat (15,7). Oft wird ein Gegensatz zwischen der Passivität der Münze und der Aktivität eines Sünders angenommen, der umkehrt. Aber dass eine Umkehr möglich wird, setzt voraus, dass der Sünder aufgesucht und eingeladen worden ist, am besten persönlich, hilfsweise durch einen Text wie dieses Gleichnis. Nicht jedes Gleichnis kann alles ins Bild setzen; das folgende umschließt die Umkehr des Sünders – die ins Leere liefe, wenn er nicht schon längst gesucht worden wäre. Das Leitmotiv der Freude wird gestärkt. Sie erfüllt das Reich Gottes. Das Gleichnis ist nicht nur von der Münze her zu deuten, in der sich die Hörerinnen und Hörer als Verlorene wiedererkennen sollen, sondern auch von der Frau her, die sich auf die Suche macht. Es gehört zu den Frauengleichnissen, die
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widerspiegeln, dass viele Frauen, die Jesus erreichen wollte, zu seinem Auditorium gehören und eine aktive Rolle spielen, die auch für Männer vorbildlich sein soll (13,20–21; 18,1–8). Das Gleichnis ist eine weibliche Gottes-Metapher. Zwar ist keine Übertragung im Maßstab 1 zu 1 möglich; aber so wie der Hirt des vorangegangenen und der Vater des folgenden Gleichnisses ist hier die Frau transparent für Gott. Das Motiv verbindet sich mit dem Alten Testament (Jes 49,15; 66,13). Eine Verbindung schafft „Frau Weisheit“ (Spr 14,1), zu der Jesus ein inniges Verhältnis hat (vgl. 7,35; 11,11.49; 21,15); auch sie sucht nach ihren Kindern, wiewohl sie abgelehnt wird (vgl. 13,34). Die Frau wird für die Zöllner und Sünder zur Hoffnungsgestalt, weil sie das Glück ihres Lebens nur dann finden können, wenn jemand sich, wie diese Frau nach der Drachme, nach ihnen auf die Suche macht, auch wenn sie selbst eher armselig als glänzend dastehen. Die Frau wird für die Pharisäer und Schriftgelehrten zur Frage, ob sie nicht ihr zustimmen müssten, dass sie richtig gehandelt hat, dann aber sich selbst zu prüfen hätten, wie sie mit Verlorenem umgehen und wie viel sie in die Suche investieren oder wie sehr sie sich mitfreuen können, wenn ein anderer gefunden worden ist. Wie das Männer- geht auch das Frauengleichnis auf Jesus zurück: Es ist typisch für ihn, den herrschenden Patriarchalismus aufzubrechen. Wie im Gleichnis vom Sauerteig (13,20–21) ist es eine einfache Frau, die Jesus ins Licht des Gottesreiches stellt. 15,11–32 Das Gleichnis vom verlorenen Sohn 11Er sagte: „Ein Mann hatte zwei Söhne. 12Der jüngere von ihnen sagte zum Vater: ‚Vater, gibt mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht!‘ Da teilte der Vater den Besitz unter ihnen auf. 13Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und wanderte aus in ein fernes Land und verschleuderte dort sein Vermögen in einem heillosen Leben. 14Als er aber alles verschwendet hatte, kam eine schwere Hungersnot über jenes Land, und er begann zu darben. 15Da ging er hin, um sich an einen der Bürger jenes Landes zu hängen; der schickte ihn auf seine Felder zum Schweinehüten. 16Er gierte danach, sich den Bauch mit den Schoten vollzuschlagen, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon. 17Da ging er in sich und sagte: ‚Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, ich aber komme hier vor Hunger um! 18Ich will mich aufmachen, zu meinem Vater gehen und ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. 19Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen, stell mich wie einen deiner Tagelöhner!‘ 20Dann machte er sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde von Mitleid ergriffen, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21Da sagte der Sohn zu ihm: ‚Vater, ich habe
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gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen.‘ 22Der Vater aber sagte zu seinen Knechten: ‚Schnell, holt das beste Gewand und zieht es ihm an! Und steckt ihm einen Ring an die Hand, und gebt ihm Schuhe an die Füße! 23Und bringt das Mastkalb her und schlachtet es, wir wollen essen und fröhlich sein! 24Denn dieser mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ward wiedergefunden.‘ Und sie begannen zu feiern. 25Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Und als er kam und sich dem Hof näherte, hörte er Musik und Tanz 26und rief einen der Knechte und fragte, was das bedeute. 27Der aber sagte ihm: ‚Dein Bruder ist gekommen, da hat dein Vater das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederbekommen hat.‘ 28Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm zu. 29Doch er erwiderte dem Vater: ‚Sieh, so viele Jahre diene ich dir, und nie habe ich dein Gebot übertreten, und mir hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, dass ich mit meinen Freunden Spaß hätte. 30Kaum aber ist der gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Huren verprasst hat, da hast du ihm das Mastkalb geschlachtet.‘ 31Er aber sagte ihm: ‚Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. 32Aber jetzt muss man sich doch freuen und feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder, er war verloren und ward wiedergefunden.‘“ Das dritte der drei Gleichnisse vom Verlorenen spielt bei relativ reichen, aber ziemlich unglücklichen Leuten. Es setzt auf das Ethos der Familie und seine Transparenz für das Verhältnis zu Gott. Es gehört zu den bekanntesten Gleichnissen, wird aber unterschiedlich betitelt. Die einen bleiben beim traditionellen Titel: „Vom verlorenen Sohn“, weil der von Anfang bis Ende im Mittelpunkt steht. Die anderen gehen vom ersten Satz aus und beziehen den zweiten Hauptteil ein: „Von den verlorenen Söhnen“. Eine Alternative verschiebt den Fokus: „Von der Liebe des Vaters“, weil sie die Versöhnung ermöglicht und vom älteren Bruder kritisch angefragt wird. Alle Bezeichnungen sind möglich. Die Variationsbreite sinnvoller Deutungen spiegelt den Bedeutungsreichtum der Parabel. Aus der Parallele zu den beiden voranstehenden Gleichnissen lässt sich begründen, dass Verlieren und Finden den Nerv des Gleichnisses bilden. Das Gleichnis ist so aufgebaut, dass die Spannung zwischen den beiden Söhnen zu einer Diskussion über die Geschichte in der Erzählung selbst wird. Es hat nach der Einleitung (V. 11) zwei Teile. Die Geschichte des jüngeren Sohnes scheint aus dem Elend zu einem glücklichen Ende zu führen (15,12–24). Aber sie wird in der Geschichte des älteren Sohnes problematisiert (15,25–32). Der zweite Teil ist eine Geschichte in der Geschichte, eine Deutung des Gleichnisses im Gleichnis als Gleich-
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nis. Durch einen Refrain (15,24–15,32) werden beide Teile zusammengebunden und theologisch aufgeschlossen. 15,11 Die Ausgangssituation: Ein Vater und seine beiden Söhne 15,12–24 Die Geschichte des jüngeren Sohnes 12 Die Erbteilung 13–16 Der Abstieg des Sohnes 17–20a Die Umkehr des Sohnes 17 Die Einsicht aus der Erinnerung 18–19 Der Vorsatz der Rückkehr 18 Das Schuldbekenntnis 19 Die Bitte, Tagelöhner zu werden 20a Der Weg zurück 20b–24 Die Wiederbegegnung 20b Das Mitleid des Vaters 21 Das Geständnis des Sohnes 22–24 Die Aufforderung des Vaters, ein Fest zu feiern 22 Gewand, Ring und Schuhe für den Sohn 23 Das Mastkalb für das Fest 24 Die Begründung: Die Freude des Findens 15,25–32 Die Geschichte des älteren Sohnes 25–28a Der Bruder draußen vor dem Haus 25–26a Die Frage nach dem Grund des Festes 26b–27 Die Antwort des Knechtes: Die Feier des Bruders 28a Der Zorn des Älteren 28b–32 Der Vater im Gespräch mit seinem Ältesten 28b Der Weg des Vaters zu ihm 29–30 Der Vorwurf des Älteren: Ungerechtigkeit 29 Die Zurücksetzung der eigenen Person 30 Die Bevorzugung des Jüngeren 31–32 Die Einladung des Vaters 31 Die feste Stellung des Älteren 32 Die Freude über die Rückkehr des Jüngeren Die Geschichte ist so präzise erzählt, dass jedes Motiv wichtig ist und tiefer den Sinn erschließt. Kein Zug der Erzählung steht nur für sich und kann unabhängig von der Gesamterzählung gedeutet werden; jeder trägt zur Farbigkeit und Dramatik der Geschichte bei. Das Gleichnis ist Sondergut. In der Literatur wird diskutiert, ob das ursprüngliche Ende in Vers 24 gelegen habe und der folgende Teil sekundär angefügt worden sei. Vers 11 führt aber zwei Brüder ein. Deshalb ist die Fortsetzung angekündigt. Das Gleichnis ist literarisch einheitlich.
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Der erste Satz (11) ruft ein archaisches Thema auf: ein Vater und zwei Söhne. Der Konflikt zwischen den Brüdern ist vorgezeichnet, nicht gleich so brutal wie bei Kain und Abel (Gen 4,1–16), aber von einer großen Spannung, die durch den gemeinsamen Vater ausgelöst wird und nur von ihm aufgelöst werden kann. Die Bitte des Jüngeren um Erbteilung zu Lebzeiten des Vaters (12) ist durchaus möglich und nicht unüblich. Eine vorzeitige Auszahlung ist vorgesehen (babylonischer Talmud: Bava Batra 136a). Die Tora sieht für den jüngeren von zwei Brüdern ein Drittel vor (Dtn 21,17). Emigration (13) (13) ist weit verbreitet. Bevölkerungsüberschuss und Armut sind wichtige Gründe. Der Jüngere ist, weil offenbar gut betucht, in einer günstigen Ausgangslage. Aber er bringt in kurzer Zeit sein Erbe durch – nicht, weil er sich verspekuliert hätte, sondern weil er das Geld, das er durch die Erbauszahlung gewonnen hat, durchbringt: Die Leitverben sind verschleudern (V. 13), verschwenden (V. 14), verprassen (V. 30). Äußere Umstände verschärfen seine Misere (14) (14): Eine Hungersnot – in der Antike immer wieder ein großes Problem – stürzt den jungen Emigranten ins Elend. Wie tief es ist, wird daraus ersichtlich, dass er sich, Sohn aus jüdischem Haus, bei einem Heiden als Knecht verdingen muss (15) (15). Zur Demütigung gehört, dass er von seinem Herrn zum Schweinehüten geschickt wird, weil Schweine als unreine Tiere gelten und alle verunreinigen, die das Fleisch essen (Num 11,7). Der Kontakt als solcher ist zwar nicht verboten; der Abstieg wird dennoch deutlich. Er steigert sich noch dadurch, dass der Mann danach giert, (nicht das Fleisch, aber) die Nahrung der Schweine, Schoten von Früchten, zu essen (16) (16) – aber hungert, weil sie ihm vorenthalten werden. In einem talmudischen Spruch heißt es: „Wenn die Israeliten Johannisbrot essen müssen, tun sie Buße“ (Levitikus Rabba 35 [132c]). Der Sohn ist noch ärger dran. Der Tiefpunkt wird zum Wendepunkt (17) (17). Der Sohn kommt zur Besinnung. „Er ging in sich“, d. h. er reflektiert sein Handeln und sein Geschick, er beschäftigt sich mit seinen Motiven und mit sich selbst: nicht um sich zu rechtfertigen, sondern um einen Schlussstrich zu ziehen und seinem Leben eine neue Zukunft zu geben. Eine Parallele ist der zweite Sohn im matthäischen Gleichnis, den sein anfängliches Nein reut (metamélomai), so dass er später hingeht, um im Weinberg zu arbeiten (Mt 21,28–32). Seine Einstellung ändert sich in Anbetracht seines Elends, aber auch in der Erinnerung an die geordneten Verhältnisse im Hause seines Vaters, das er nach der Erbteilung verlassen hat (V. 12–13). Die Besinnung führt zur Reue, die Reue zum Vorsatz. Zum einen will der Sohn zurückkehren, um seine Schuld zu bekennen (18) (18). Er verwendet das Schlüsselwort „sündigen“ (hamartáno). Es bezeichnet eine persönliche
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Schuld, die eine soziale und eine religiöse Dimension hat. Beides spricht der Sohn an. Er hat „gegen den Himmel“ gesündigt, also gegen Gott, weil er sein Geld durchgebracht hat, „mit Huren“, meint sein Bruder zu wissen (V. 30). Er hat auch „vor“ seinem Vater gesündigt, weil der – aus der Ferne (V. 20) – sozusagen mit ansehen musste, wie sein Jüngster das Erbe verprasst hat. Das Elend wird nicht als Strafe für Sünde gezeichnet, sondern als Not, die beten und bitten lehrt. Dem Eingeständnis der Sünde entspricht die Bitte (19) (19). Der Jüngere weiß, dass er zwar noch „Sohn“ ist, aber keine Sohnesrechte mehr im Vaterhaus hat, weil er sein Erbe bereits erhalten hat. Deshalb ist er ebenso demütig wie realistisch, wenn er darauf hofft, wie einer der „Tagelöhner“ behandelt zu werden, denen es im Haus des Vaters doch gut geht (V. 17). Den Worten folgen sofort Taten (20) (20). Ziel des Sohnes ist der Vater. Er hat das Hausrecht; vor ihm ist er schuldig geworden; vor ihm muss er deshalb auch sein Sündenbekenntnis ablegen. Im Kern, weiß der Sohn, geht es nicht nur um seine ökonomische Zukunft, sondern um die Versöhnung mit seinem Vater. Der Vater ist freilich längst aktiv. Er braucht nicht immer schon Ausschau nach seinem Kind gehalten zu haben; aber er sieht den verlorenen Sohn schon von Ferne kommen. Er reagiert nicht mit Zorn, sondern mit Mitleid, d. h. mit Empathie: Er versetzt sich in die beschämende Geschichte seines Jüngsten; er nimmt Anteil an seinem Elend und seiner Seelenqual; er liebt ihn. Sein Verhalten lässt ihn aus der Rolle eines Patriarchen fallen: Er läuft ihm entgegen; er umarmt und küsst ihn, bevor das Kind irgendetwas sagen kann. Der Sohn macht genau das, was er sich zu tun vorgenommen hat (21) (21). Er bekennt seine Schuld, und er bittet um eine Rolle als Tagelöhner. Alles andere würde weder dem Erbrecht noch seinem Verhalten entsprechen. Durch das Entgegenkommen und den Kuss des Vaters sieht er seine große Hoffnung bestätigt – die er nicht groß genug denkt. So aber, wie der Vater dem Schuldbekenntnis und der Bitte seines Sohnes zuvorgekommen ist, geht er über beides hinaus (22) (22). Zuerst stattet er ihn neu als Sohn aus. Für diese Stellung stehen das Gewand, der Ring und die Schuhe. De facto hat der Jüngere seine Sohnschaft verspielt; de jure ist er es immer geblieben. Entscheidend ist das Herz des Vaters: Er beendet sein Elend, seine Not und seine Pein. Er stellt ihn nicht auf eine Stufe mit den Tagelöhnern; er macht sichtbar, dass er immer sein Sohn geblieben ist. Das Fest, das gefeiert wird (23) (23), gibt der Freude des Vaters über die Rückkehr seines verlorenen Sohnes den richtigen Rahmen. Das Mastkalb, das geschlachtet wird, zeigt im ländlichen Raum, in dem das Gleichnis spielt, die Größe und Schönheit des Ereignisses.
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Seinen Grund und seine Dimensionen leuchtet die Deutung des Vaters aus (24) (24). Er hatte seinen Sohn verloren – weil der seine eigenen Wege gehen wollte, den Kontakt abbrach und kläglich scheiterte; er hat ihn aber wiedergefunden, weil er in sich gegangen und dorthin zurückgekommen ist, wo er nie seine Sohnschaft verloren hatte und vergessen war. Dieses Geschehen lässt sich nur in den Dimensionen von Tod und Auferstehung deuten: Das Elend des Sohnes war sein sozialer und moralischer, auch sein religiöser Tod; aber das Wiedersehen ist eine Auferstehung von den Toten. Es beginnt ein neues Leben: nicht in der Abhängigkeit der Tagelöhner, die der Sohn sich allenfalls noch als Gnadenakt vorstellen kann, sondern in der Freiheit des Sohnes. Das Mahl ist ein Fest der Auferstehung von den Toten. Die Geschichte des Erstgeborenen (Vv. 25–32), die sich anschließt, ist eine Meta-Geschichte. Sie variiert, repetiert und reflektiert die Geschichte des Jüngeren. Auch der Ältere ist „verloren“: Er bleibt draußen vor der Tür, als er wahrnimmt, dass ein Fest gefeiert wird (25–26) (25–26). Er fragt einen der Knechte, der ihm genau Auskunft gibt (27) (27), einschließlich der (in seinen Augen) guten Nachricht, dass „dein Bruder“ wieder zu Hause ist und deshalb das „Mastkalb“ geschlachtet worden ist. Auch der Grund wird präzise benannt: Der Vater „hat ihn gesund wiederbekommen“ – seinen Sohn, den Bruder des Älteren. Nicht, dass er alles Geld durchgebracht hat, ist wichtig, auch nicht seine Reue: nur, dass es ihm gutgeht. Auch wenn aller Grund zur Freude sein sollte, reagiert der Ältere mit Zorn (28) (28). Es ist ein heiliger Zorn (besser: ein Zorn, der meint, heilig zu sein), weil er auf eine Ungerechtigkeit stößt (besser: zu stoßen meint). Deshalb feiert der Ältere nicht mit, sondern verweigert sich der Festfreude und bleibt draußen. Erneut wird der Vater aktiv: in derselben Haltung, wie er seinen jüngeren Sohn in der Ferne erblickt hat und ihm entgegengelaufen ist, um ihn willkommen zu heißen (V. 20). Er verlässt das Fest und geht hinaus zu seinem älteren Kind, um es zu bewegen, hineinzukommen und mitzufeiern. Durch diese Aktion entsteht ein Gespräch, das die Geschichte des Jüngeren, vor allem das Verhalten des Vaters, problematisiert und die Aussage des Gleichnisses profiliert. Der Ältere begründet seinen „Zorn“, indem er eine – angebliche – Benachteiligung gegenüber dem Jüngeren beklagt. Sie hat zwei Seiten. Zum einen (29) macht der Ältere geltend, immer der gehorsame und treue Sohn zu Hause gewesen zu sein, der alle Aufgaben im Dienst seines Vaters gewissenhaft erledigt habe, ohne dass der ihm auch nur einen „Ziegenbock“ – viel weniger wert als das Mastkalb – geschenkt habe, damit er mit seinem Freunden „fröhlich“ (Lutherbibel) hätte sein oder Spaß hätte haben können; es ist also mangelnde Wertschätzung, die er
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seinem Vater vorwirft – freilich unter der Voraussetzung, dass er selbst ihn wie seinen Herrn ansieht, dem er dient, indem er dessen Willen folgt. Zum anderen (30) beschwert er sich, dass der Vater gegenüber dem Jüngeren einen so großen Aufwand treibt, für den das Mastkalb steht, obwohl der nichts geleistet, sondern schwer gesündigt habe; bezeichnenderweise nennt er ihn nicht seinen „Bruder“, sondern sagt nur „der“. Für ihn ist der Jüngere nicht nur verloren, sondern gestorben. Der Vater nimmt seinen Älteren ernst. Er kommt ihm so entgegen wie seinem Jüngeren. Aber er bestätigt ihn nicht in seinem Widerstand, sondern will ihn für sich, für seinen Bruder und für das Fest gewinnen. Er geht genau auf die beiden Einwände ein. Aber zuerst klärt er den Status und damit die Identität seines Ältesten (31) (31). Er ist erstens sein „Kind“, also nicht sein Knecht, der sich durch Leistung eine Belohnung verdienen müsste. Er ist zweitens „immer“ mit seinem Vater zusammen, bräuchte also eigentlich keine Willkommensfeier, weil er fester Bestandteil der Hausgemeinschaft ist – wenn er sich nicht gerade jetzt ausschließen würde, so dass er verlorenzugehen droht und wiedergefunden werden muss. Drittens hat er vollen Anteil am Besitz. Dem älteren Sohn werden durch die Wiedereinsetzung des jüngeren Sohnes keine Erbrechte beschnitten; denn der jüngere Sohn ist und bleibt zwar Sohn, hat seinen Erbteil aber erhalten; neue Ansprüche (die nicht erhoben werden) hätten keinen Rechtsgrund. Der ältere Sohn hingegen besitzt tatsächlich schon alles, was der Vater besitzt, mit ihm zusammen. Deshalb bräuchte er um einen „Ziegenbock“ (V. 29) nicht zu bitten, dass der Vater ihm das Geschenk mache: Er gehört ihm schon. Das eigentliche Problem des Älteren besteht also, wie ihm der Vater erklärt, darin, dass er sich nicht als „Kind“ und Sohn, sondern wie einen Knecht sieht – der er aber nicht ist. Wenn er seinen wahren Status erkennt, wird ihm klar, dass er keineswegs zurückgesetzt, aber auch nicht vorgezogen wird, sondern ebenso der Erstgeborene ist wie sein Bruder der Zweitgeborene, nach dem geltenden Recht und in der Liebe des Vaters. Wenn er seine Rolle annimmt, wird er auch künftig die Verantwortung haben, seinen Bruder als jüngeren Sohn des gemeinsamen Vaters anzuerkennen, ohne dass ihm persönlich etwas genommen würde. Im Anschluss deutet der Vater seinem Ältesten die Situation (32) (32). Es „muss“ gefeiert werden, weil es nur Freude auslösen kann, wenn jemand von den Toten aufersteht. Der Vater erklärt seinem Sohn genau das, was er im Haus den Knechten erklärt hat, die das Fest vorbereiten sollen (V. 24). Das Wiederfinden des Verlorenen hat die Dimension der Auferstehung von den Toten; denn der Jüngere war im Exil am Ende – und die Wiederkehr hat seine Sohnschaft wieder aufleben lassen. Die einzige Variante ist die Bezeichnung: „Mein Sohn“ heißt es dort (V. 24), „dein
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Bruder“ heißt es hier. Damit ist der entscheidende Punkt getroffen: Wenn der Ältere seine eigene Sohnschaft akzeptiert (V. 31), kann er sich auch der Sohnschaft des Jüngeren freuen, seines Bruders. Die Geschichte endet offen. Ob der Ältere die Einladung annimmt, wird nicht erzählt: Die Hörerschaft ist gefragt. Nach dem Auftakt (Vv. 1–2) sind dies in erster Linie die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Jesus wegen seines Umgangs mit Zöllnern und Sündern kritisieren. Sie würden sich eher mit dem Älteren als dem Jüngeren identifizieren. Die Zöllner und Sünder selbst aber sollen wissen, wofür Jesus sich – mit dem Vater des Gleichnisses – einsetzt und dass ihnen der Weg der Umkehr freisteht, um ihre Mitgliedschaft im Gottesvolk der Gotteskinder aufleben zu lassen. Wer ihnen das verweigert, stellt die eigene Gotteskindschaft in Frage, weil er sie nicht in der Liebe des Vaters begründet sieht; wer es ihnen öffnet, wie Jesus, macht mit Gott Ernst. Das Gleichnis gehört zu den bekanntesten und schönsten der synoptischen Tradition. Es ist lukanisches Sondergut. Der Evangelist hat es literarisch durchformt. Durch diese Gestaltung kommt der Grundton der Verkündigung Jesu heraus – nicht als Wortprotokoll, sondern als Nachgestaltung, die das Charakteristische trifft. Das Gleichnis ist allerdings nicht unumstritten. Im Fokus steht der erste Teil, der im zweiten reflektiert wird. Die strittige Frage lautet, wie es zur Vergebung und Versöhnung kommt. In der Auslegung Luthers wird die Gnade betont; sie mache sich in der ausweglosen Situation des Sünders durch eine schier magische Anziehungskraft geltend, die vom Vaterhaus ausgehe. In der Auslegung des Erasmus von Rotterdam wird hingegen das In-sich-Gehen des Jüngeren betont: Seine Reue sei der entscheidende Schritt. Beide Deutungen sind hoch voraussetzungsreich; sie sind nicht aus der Lektüre des Gleichnisses selbst abgeleitet, sondern aus anthropologischen Prämissen, die das Verhältnis von Gnade und Freiheit unterschiedlich bestimmen. Das Gleichnis illustriert aber nicht ein Dogma, sondern erzählt eine Geschichte. Deshalb kann es eine komplexe Struktur aufbauen, die sich narrativ erschließt. Zur Versöhnung kommt es, weil zum einen der Sohn in sich geht und zum anderen der Vater ihm entgegensieht und entgegenkommt. Wäre das eine oder das andere unterblieben, wäre das Fest nicht gefeiert worden. Zwischen der Umkehr des Sohnes und der Liebe des Vaters besteht ein reziprokes, aber asymmetrisches Verhältnis. Der Sohn erinnert sich an die vergleichsweise anständigen Lebensverhältnisse in seinem Vaterhaus (V. 17). Das ist der erste Schritt der Umkehr. Er will seine Schuld bekennen (V. 18) und wird dies auch tun (V. 21), aber der Vater wartet nicht auf sein Schuldbekenntnis, sondern kommt ihm mit seiner Liebe zuvor (V. 20). Der Sohn will büßen, indem er um die Stellung eines Tagelöhners bittet (V. 19), und erkennt, seine Sohnesstellung verspielt zu haben (V. 21), wird aber von seinem Vater mit allen
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Ehren wieder als Sohn angenommen (Vv. 22–24). Die Liebe des Vaters macht die Umkehr nicht überflüssig, sondern möglich – so wie die Erinnerung an die guten Verhältnisse im Vaterhaus neben der Einsicht in die eigene Misere die Besinnung, das Bereuen, das Bekenntnis und die Bereitschaft zur Buße stimuliert hat. Der zweite Hauptteil der Geschichte reflektiert, dass die Logik der Gnade keinesfalls selbstverständlich ist, sondern Protest auslöst: dort, wo das Gottesverhältnis am Gebotsgehorsam festgemacht wird und nicht die Freiheit der Kinder Gottes, sondern die Knechtschaft ihm gegenüber die Glaubensidentität bestimmt. Der Vater des Gleichnisses plädiert dafür, die Bedenken zu überwinden und die Freude der Auferstehung im Finden der Verlorenen zu teilen, indem auch der eigene Stand, geliebt zu sein, erkannt und bejaht wird. Der Vater des Gleichnisses ist nicht Gott (Vv. 18.21); aber das Gleichnis ist durchsichtig für das Handeln Gottes, wie Jesus es verkündet. Das offene Ende ist deshalb eine Einladung: Alle, die es lesen, gerade auch diejenigen, die sich voll und ganz für die Sache Jesu einsetzen, sollen die innere Freiheit bejahen, die aus der Liebe Gottes folgt. Das Gleichnis liefert Argumente: Wenn schon ein irdischer Vater die Größe und Liebe aufweist – um wie viel mehr dann Gott. Es ist als lukanisches Sondergut ein kostbares Stück der Erinnerung an die Verkündigung des irdischen Jesus, die durch seine Auferstehung von den Toten an Relevanz noch gewinnt. 16,1–13 Das Gleichnis vom schlauen Verwalter 1Er sagte seinen Jüngern: „Ein reicher Mensch hatte einen Verwalter; der wurde vor ihm angeklagt, er verschleudere sein Vermögen. 2Da rief er ihn und sagte ihm: ‚Was muss ich über dich hören? Lege mir Rechenschaft über deine Verwaltung ab. Du kannst nicht mehr Verwalter sein.‘ 3Da sagte der Verwalter bei sich: ‚Was soll ich tun? Mein Herr entzieht mir die Verwaltung. Graben kann ich nicht; zu betteln, schäme ich mich. 4Ich weiß, was ich tue, damit ich, wenn ich von der Verwaltung abgesetzt werde, in ihren Häusern aufgenommen werde.‘ 5Und er rief, einen nach dem anderen, die Schuldner seines Herrn und sagte dem ersten: ‚Was schuldest du meinem Herrn?‘ 6Der sagte: ‚Hundert Fass Öl.‘ Da sagte: er ihm: ‚Nimm deinen Schein, setz dich hin und schreib schnell: fünfzig!‘ 7Danach sagte er einem anderem: ‚Und du, was schuldest du?‘ Der sagte: ‚Hundert Sack Korn.‘ Dem sagte er: ‚Nimm deinen Schein und schreib achtzig.‘“ 8Und es lobte der Herr den ungerechten Verwalter, weil er schlau gehandelt hat: „Die Söhne dieser Welt sind schlauer als die Söhne des Lichtes zu ihrer eigenen Art. 9Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit sie euch, wenn es zu Ende geht, in die ewigen Wohnungen aufnehmen. 10Wer treu im Klei-
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nen ist, ist auch im Großen treu, und wer im Kleinen ungerecht ist, auch im Großen. 11Wenn ihr also mit dem ungerechten Mammon nicht treu wart, wer wird euch das Wahre anvertrauen? 12Und wenn ihr in Fremdem nicht treu wart, wer wird euch das Eure geben? 13Kein Diener kann zwei Herren dienen. Er wird den einen hassen und den anderen lieben. Er wird sich an den einen hängen und den anderen verachten. Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Das Gleichnis ist eine dreifache exegetische Herausforderung. Erstens hat es einen unmoralischen Helden, der von Jesus gelobt wird; das fällt aus dem Rahmen, ist aber nicht ohne Parallelen und zeigt die Notwendigkeit, Gleichnisse als Gleichnisse zu verstehen. Zweitens hat es einen ausführlichen Kommentar (16,8–13) und verlangt deshalb eine Antwort auf die Frage, ob die Gleichnisse wirklich allesamt spontan verständlich und original isoliert gewesen sind oder immer kontextuell eingebunden, diskutabel und aufschlussreich. Drittens enthält der Passus eine spannungsreiche Position Jesu zum Geld, die fragen lässt, welches sozialethische Profil die Jesustradition in ihrer lukanischen Prägung hat. Nach den drei Gleichnissen vom Verlorenen (15,1–32) setzt der Evangelist einen kurzen, harten Schnitt (V. 1). Adressaten sind nicht mehr die Pharisäer und Schriftgelehrten (15,1–2), die zur Umkehr gerufen werden, sondern die Jünger, die umgekehrt sind und nun konsequent ihren Glauben leben sollen. Geld ist diesmal nicht das Thema (wie in 12,13–48), sondern der Aufhänger, um das Engagement der Jünger in der Nachfolge zu fördern, zu dem allerdings auch ihr Umgang mit Geld gehört. Der Fortsetzung nach zu urteilen (16,14–15), hören auch Pharisäer, was Jesus sagt – und lehnen es ab, weil sie, wie Lukas schreibt, geldgierig sind. Mithin wird die Auseinandersetzung, die Jesus mit den drei vorangehenden Gleichnissen führt, auf einer anderen Ebene weitergeführt: Jesus provoziert die Pharisäer, indem er sie hören lässt, was er den Jüngern sagt. Die ungewöhnliche Verteilung zwischen dem Gleichnis und seinem Kommentar erklärt sich aus der Relevanz des Themas und der Komplexität der Geldethik, die Lukas Jesus zuschreibt. 16,1a Die Situation: Adressierung der Jünger 16,1b–7 Das Gleichnis vom schlauen Verwalter 1b–2 Die Ausgangslage: Die Ankündigung der Absetzung 1b Der Vorwurf der Untreue gegen den Verwalter 2 Die Aufforderung zur Rechenschaftslegung 3–4 Der Plan des Verwalters 5–7 Die Ausführung des Planes
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16,8–13 Der Kommentar Jesu zu seinem Gleichnis 8 Die positive Bewertung des Verwalters 9–12 Die Handlungsanweisung an die Jünger 9 Geldinvestitionen mit Blick zum Himmel 10 Der Grundsatz der Treue 11–12 Die Korrelation von Vertrauen und Verantwortung 13 Die Begründung: Entschiedenheit für Gott Das Gleichnis kann man für sich verstehen; dann wäre es ein abschreckendes Beispiel; es ist in sich schlüssig – jedoch nur in der Logik des betrügerischen Verwalters, der seine Haut retten will. Bei Lukas soll es aber im Lichte des Kommentars gedeutet werden; dadurch wird der negative Held, der ein abschreckendes Beispiel für Unfähigkeit und Betrug liefert, als positiver Held für Schläue umgedeutet. Nur so macht das Gleichnis im Evangelium Sinn. Der Kommentar wird zur Aufforderung, weil er Konsequenzen aus dem Gleichnis zieht. Sie betreffen den Umgang mit Geld, haben also reiche Jünger Jesu im Blick, weiten aber den Blick auf alle Vertrauensbeziehungen und Verantwortungskonstellationen: Der Bezug auf Gott führt nicht zur Verantwortungslosigkeit in irdischen Dingen, im Gegenteil: Treue im Vorläufigen korreliert mit dem Anvertrauen großer, himmlischer Dinge, im Kern dem Evangelium. Das Gleichnis ist Sondergut, so wie der erste Teil des Kommentars. Das abschließende Weisheitswort (V. 13) stammt aus Q (par. Mt 6,24). Bei Matthäus gehört es zur Warnung vor dem falschen Sich-Sorgen, die Lukas vorher ausgeführt hatte (12,22–33). Die Komposition geht also auf Lukas zurück. Das Rückgrat und den Rahmen bildet Sondergut. Die Jünger werden angesprochen (1) (1), weil sie den Ruf in die Nachfolge nicht nur gehört haben, sondern – trotz ihrer Fehler und Schwächen – zu befolgen bereit sind (14,25–35) und deshalb Jesus zustimmen, wenn er nach den Verlorenen sucht: Sie wären selbst sonst nicht gefunden worden. Freilich stehen sie vor der Frage, auf welchen Feldern und mit welchem Einsatz sie die Nachfolge leben. Geld und Vertrauen spielen auch in den drei Gleichnissen zuvor eine Rolle (15,1–32). Die Radikalität der Kreuzesnachfolge (14,27) führt zur Forderung vernünftigen Kalkulierens (14,28– 30). Dieses Motiv wird ausgeführt, indem es ausgeweitet wird. Das Gleichnis spielt unter Reichen. Der Besitzer ist so vermögend, dass er einen Ökonomen bestellt, einen Geschäftsführer, dem er freie Hand gibt, selbständig zu arbeiten. Auch dieser Verwalter gehört nicht zu den Armen, sondern den Reichen. Er ist ein Betrüger, dessen Veruntreuung aufgeflogen ist, so dass der Besitzer ihn entlassen wird. Die Entscheidung steht. Die Rechenschaftslegung, die der Besitzer fordert (2) (2), dient nicht dazu, doch irgendwie noch die Unschuld des Verwalters zu überprüfen,
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sondern nur noch dazu, die Höhe des Schadens zu bemessen, für den der Ökonom aufkommen muss. Der Verwalter gibt sich keinerlei Illusionen hin (3) (3). Er weiß, dass er keine Chance hat, sich herauszureden oder durch eine Bilanzfälschung seine Unterschlagungen zu vertuschen. Zum Charakterbild des Betrügers gehört, dass er sich im Gleichnis offen eingesteht, weder gern hart zu arbeiten noch etwa betteln zu wollen, was seine Ehre tief verletzen würde. Deshalb überlegt er sich, in der kurzen Zeit, die ihm bleibt, einen Trick anzuwenden und seinen Herrn weiter zu betrügen, im eigenen Interesse (4) (4). Er will garantiert wissen, dass er bei den Geschäftspartnern seines Herrn unterkommt. Aus den folgenden Beispielen ergeben sich die Dimensionen der Untreue und die Raffinesse des Verwalters (5–7) (5–7). Die Schuldner, die er herbeikommen lässt, sind ihrerseits reich, weil sie sehr hohe Außenstände beim Chef des Unternehmens haben, ohne dass er oder sie in Existenznot zu geraten scheinen. 100 Fass („Bat“) Olivenöl sind 3600 bis 3900 Liter; das entspricht einem Wert von ca. 70.000 Denaren: ein Riesenvermögen, wenn man bedenkt, dass ein Tageslohn für einfache Arbeit ein Denar war (Mt 20,1–10). Ein Sack („Kor“) sind 10 Bat, also 360 bis 390 Liter oder 7–8 Zentner. 100 Bat sind also 36 bis 39 Tonnen. Der Wert kann mit ca. 50.000 Denaren berechnet werden. Wenn statt hundert nur fünfzig Fass Öl und statt hundert nur achtzig Sack Korn zu Buche schlagen, ist dem Besitzer ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstanden. Das Kalkül des Verwalters ist ein doppeltes: Zum einen verringert er seine Schuld, die allerdings immer noch eine astronomische Höhe hat; zum anderen macht er sich die Schuldner seines Besitzers gefügig: ob durch eine gezielte Erpressung oder wegen deren Dankbarkeit, steht dahin. Er betrügt nicht nur seinen Herrn, der ihn entlassen will, sondern macht auch dessen Schuldner zu seinen Komplizen. Der Gleichniserzähler erweckt den Eindruck einer gewissen Freude bei der Skrupellosigkeit, die er schildert. Die Geschichte spielt nicht in seiner Welt und der der Jünger Jesu; sie demaskiert einen finanziellen Egoismus, der in einer Welt ohne Geldethos vorkommt. Der Kommentar (16,8–13) wendet das Gleichnis auf die Jünger an und weitet es aus. Der Verwalter ist „ungerecht“ (8) (8), überwörtlich: Er ist „Verwalter der Ungerechtigkeit“. Daran lässt Jesus keinen Zweifel. Dennoch lobt er ihn ob seiner Schläue. Das griechische Wort, das sein Handeln charakterisiert (phrónimos), lässt sich mit „klug“, „vernünftig“, „überlegt“ oder eben „schlau“ übersetzen. Er handelt rational, auch wenn er in einem ungerechten System amoralisch handelt. Er handelt nach seinesgleichen Art. Er ist kein Kind „des Lichtes“, wie es die Jünger sein sollen (1,78; 8,16–18; 11,33–36); aber zu oft handeln die Gläubigen wenig effektiv und denken wenig systemisch. Deshalb können sie vom untreuen Verwalter
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etwas lernen – nicht den Betrug, aber die Schläue (vgl. Mt 10,16: „Seid listig wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.“) Es folgt die Nutzanwendung. Zuerst geht es um den Umgang mit Geld (9) (9). Es heißt hier „Mammon“ (vgl. 16,11; 16,13 par. Mt 6,24). Das Wort ist dem Aramäischen entlehnt. Es meint den Vorrat und den Besitz. Der Blick richtet sich also nicht auf den Zahlungsverkehr, sondern auf das Zahlungsmittel. Der Genitiv „Ungerechtigkeit“ muss – wie im KoineGriechischen üblich – attributiv aufgelöst werden (vgl. V. 11). „Mammon“ ist Geld, sofern es Ungerechtigkeit produziert und reproduziert: Unterschlagung, wie im Gleichnis, Diebstahl, Raub und Erpressung, Ausbeutung und Betrug, wie bei der Prellung von Witwen (20,47a) sind weitere drastische Beispiele. Geld verhindert diese Praxis nicht, sondern ermöglicht sie. In einem ungerechten Weltwirtschaftssystem, wie Jesus es mit den Augen seiner Zeit gesehen hat (vgl. 22,25), gibt es nicht die klare Unterscheidung von sauberem und dreckigem Geld; vielmehr ist das Geld systemisch kontaminiert. Aber aus dieser kritischen Analyse folgt nicht, dass Geld böse sei oder man mit Geld nur Böses anrichten und nicht auch Gutes tun kann. Auf diese ethische Option richtet Jesus den Blick. Er spielt bewusst mit dem Feuer, wenn er den Jüngern dazu rät, sich mit dem Mammon „Freunde“ zu machen. Dass Geld ein Schmiermittel für Korruption ist, braucht niemand Jesus (und Lukas) zu sagen (Apg 24,26). Aber zugleich durchbricht er diesen Verdacht, indem er die Anwartschaft auf die himmlischen Wohnungen einspielt (vgl. Joh 14,1). Damit ruft er zwar – offenbar ganz gezielt – den anderen Verdacht wach, dass die Jünger nur aus eschatologischem Eigennutz moralisch gut mit Geld umgehen sollen. Aber zum einen greift das Bild die Kalkulation des ungerechten Verwalters auf (V. 4), bleibt also gezielt im Rahmen der Gleichnisdeutung; zum anderen entstehen ein Pendant zur Seligpreisung der Armen (6,20–23) und eine positive Alternative zur gescheiterten Berufung des Reichen, von der später erzählt werden wird (18,18–30). Jesus propagiert ethisches Investment, das in einer ungerechten Welt die Hoffnung auf das Reich Gottes aufkommen lässt: im Vertrauen darauf, dass die Verheißung keine Vertröstung, sondern eine Versicherung ist, die Gott selbst abschließt. In dieser Richtung entwickelt sich die Deutung weiter. Jesus lässt keinerlei Zweifel an seinen moralischen Maßstäben aufkommen. Was zählt, ist Treue (10–12) (10–12). Es gibt Menschen, die noch schlauer als der Verwalter sind: diejenigen, die Gutes tun, auch mit Geld, gerade in einer ungerechten Welt. Untreue hingegen rechnet sich nicht; mag sie auch auf Erden zeitliche Vorteile verschaffen: In himmlischer Perspektive ist Betrug der sichere Weg zum Bankrott. V. 10 nennt die allgemeine Regel, die beiden folgenden Verse („also“) ziehen Schlussfolgerungen für die
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Jünger (und indirekt für diejenigen, die das Buch lesen). Zuerst werden „Klein“ und „Groß“ aufeinander bezogen, dann der „ungerechte Mammon“ (vgl. V. 9) und „das Wahre“, schließlich das Fremde und das Eigene. Nie geht es um Gegensätze, sondern immer um Entsprechungen, also um Gerechtigkeit. Treue im Kleinen begründet Vertrauen für Großes, Untreue zerstört es. Das Kleine mag das Irdische, vielleicht aber auch nur das weniger Wichtige, das „Große“ kann das Bedeutende, aber auch das Ewige sein. Das Wort Jesu ist gezielt so offen, dass es verschiedene Sinne annehmen kann. Das „Wahre“ ist das Gute, das von Gott kommt, am meisten das ewige Heil: Es ist mit Geld nicht zu bezahlen (9,24–25). Aber auch mit Geld soll sorgfältig umgegangen werden; dass es zu einem ungerechten Wirtschaftssystem gehört, rechtfertigt weder Betrug noch Verschwendung. Wer Geld veruntreut, taugt nicht für das „Wahre“, also nicht für das Reich Gottes und auch nicht für die Verbreitung des Wortes Gottes. Das „Fremde“ ist der Besitz anderer, der gut verwaltet sein will; wer hier versagt, wird nichts zum Eigentum überschrieben bekommen; wer sich aber als Treuhänder bewährt, wie die klugen Investoren im Gleichnis von den Minen (19,11–27); wird belohnt werden und nicht von Almosen leben müssen, sondern Eigentum erwerben. Der Schluss begründet die Aufforderung (13) (13). Man muss sich deshalb Freunde mit dem ungerechten Mammon machen (V. 9), weil man sonst ihm zu Diensten ist. Ihm zu „dienen“, hieße, das Geld als Götzen zu verehren. „Mammon“ ist das Geld, das zum Götzen wird – was es wird, wenn es nicht gut eingesetzt wird. Entscheidend ist, Gott allein zu dienen (4,8: Dtn 5,9; 6,13) und ihn allein zu lieben (10,27: Dtn 6,4–5). Unter diesem Vorzeichen ist es gut möglich, ja nötig, Geld als Mittel für einen guten Zweck zu nutzen (vgl. 18,22; 19,8; 20,20–26; 21,1–4). Der denkbar beste Zweck ist der, himmlischen Lohn zu erhalten und den Platz bei Gott Anderen freizuhalten. Das Geld macht gierig; dann ist es „Mammon“, eine dämonische Macht. Aber man kann es auch gut investieren. Die beste Kapitalanlage ist es, auf Erden die Armen zu unterstützen, um einen himmlischen Lohn zu erlangen. Mit dem ungerechten Mammon kann man sich Freunde machen – in dieser, aber besser noch in jener Welt. Weil Geld gierig macht, wählt Jesus einen Schurken zum Helden des Gleichnisses, mit dem er seine Jüngerbelehrung beginnt. Seine Schläue ist vorbildlich, wenngleich sein Verhalten schändlich ist. Wenn die Jünger schlau sind, investieren sie Geld richtig, so dass es ihnen einen echten Mehrgewinn bringt; den größten hält Gott für sie bereit. Die Gottesperspektive führt sie nicht aus der irdischen Verantwortung heraus, sondern in sie hinein: Im Kleinen, auch im Finanziellen, muss es stimmen, wenn Großes, Wahres und Gutes anvertraut wird: das Wort Gottes. Je klarer wird, dass nur Gott gedient werden kann, nicht aber dem
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Mammon, desto klarer wird auch, dass es einen ethisch verantwortungsvollen Umgang mit Geld nicht nur gibt, sondern braucht. Die Caritas ist der Ernstfall. 16,14–18 Der falsche Umgang mit dem Gesetz 14Dies alles hörten die Pharisäer, die geldgierig sind, und lachten ihn aus. 15Da sagte er ihnen: „Ihr seid es, die sich selbst rechtfertigen vor den Menschen; Gott aber kennt eure Herzen; denn was Menschen hochachten, ist vor Gott ein Gräuel. 16Das Gesetz und die Propheten reichen bis Johannes; von da an wird das Reich Gottes verkündet, und jeder drängt sich hinein. 17Doch leichter werden Himmel und Erde vergehen, als dass ein Häkchen vom Gesetz fällt. 18Jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, bricht die Ehe; und wer eine heiratet, die entlassen ist, bricht die Ehe. In der Abwechslung der Adressen, die Lukas liebt, folgt auf die Belehrung der Jünger (16,1–13) wieder eine Auseinandersetzung mit Pharisäern, den profiliertesten Gegnern Jesu, die zuletzt mit den drei Gleichnissen vom Verlorenen angesprochen worden waren (15,1–32). Das anschließende Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus (16,19–31) hat immer noch sie im Blick, während der Abschluss dieses Teiles des Jesusweges erneut die Jünger ins Auge fasst (17,1–10). Die Verbindung zum Vorhergehenden ist ein reiner Kontrast: Die Pharisäer, die Lukas hier auftreten lässt, verlachen Jesus mit seiner Ethik des Geldes, die der Caritas Auftrieb geben und vor dem Mammondienst schützen soll (16,8–13). In der Fortsetzung klärt Jesus, dass nicht nur ein moralisches, sondern ein soteriologisches Problem zu lösen ist, wenn der Widerstand überwunden werden soll. Der Hang zur Selbstrechtfertigung vor anderen Menschen führt zur Selbsterhöhung; er verkennt dadurch nicht nur die Bosheit im eigenen Herzen, sondern auch die Rolle des Gesetzes: die Zeit der Reichgottesverkündigung vorzubereiten, solange die Zeit währt. In dieser Perspektive erklärt sich die Gedankenführung, die auf den ersten Blick sprunghaft scheint. Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass sie um die Geltung und den Missbrauch des Gesetzes kreist. 16,14 16,15–18
Der Spott der Pharisäer Die Antwort Jesu 15 Der Vorwurf der Selbstrechtfertigung 16 Die Zeit des Gesetzes und der Reichgottesverkündigung 17 Die Geltung des Gesetzes 18 Das Beispiel des Ehebruchs durch Wiederheirat
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Die Komposition ist lukanisch. Die Pharisäerkritik (Vv. 14–15) ist Sondergut, aber thematisch eng verwandt mit der Weherede (11,37–50), die in der Redenquelle wurzelt (vgl. Mt 23). Die Worte über die Geltung des Gesetzes (Vv. 16–17) haben Parallelen bei Matthäus (Mt 11,12–13; 5,18), fußen also gleichfalls auf Q, stehen bei ihm aber nicht zusammen, sondern weit auseinander. Das Wort zur Ehescheidung wiederum hat einerseits eine enge Parallele in der Bergpredigt (Mt 5,32), die auf die Logienquelle verweist, andererseits eine etwas weiter entfernt verlaufende bei Markus (Mk 10,11–12 par. Mt 19,9). Das bunte Bild erklärt sich, wenn Lukas im Blick auf das den Pharisäern besonders wichtige Gesetz (aus seiner Sicht) den Hintergrund der pharisäischen Skepsis nicht nur gegen die Christologie, sondern auch gegen die Ethik Jesu beleuchten will. Lukas schreibt nicht, dass alle Pharisäer hinter dem Geld her seien (14) (14), sondern dass diejenigen, die Jesus auslachen, wegen ihrer Liebe zum Geld – wörtlich: wegen ihrer Freundschaft mit Silber – seine Anleitung zum ethischen Investment (16,8–13) verachten. Später hat der Vers antijüdische Ressentiments bedient; ursprünglich hat er nichts mit ihnen zu tun, sondern entspricht genau pharisäischer Selbstkritik, die am besten zur Selbstkritik der Jünger Jesu wird. Die Pharisäer haben gehört, was Jesus seinen Jüngern gesagt hat; umgekehrt hören die seine Pharisäerrede mit (17,1). Die Verschränkung der Auditorien dient der Profilierung Jesu und schafft zugleich Raum für Orientierung und Verständigung, Kritik und Entscheidung. Jesu deckt in seiner Antwort das Problem derjenigen Pharisäer auf, die geldgierig sind (15) (15): Sie wollen sich selbst rechtfertigen. Die Perspektive ist aber nicht der Versuch der Selbstrechtfertigung durch Gesetzesgehorsam vor Gott (vgl. 18,9–14), den Paulus in seiner Rechtfertigungslehre bearbeitet (Phil 3,9); vielmehr richten sich die Blicke auf das Renommee unter Menschen. Frömmigkeit wird zur Show (vgl. Mt 6,1–18). Während die Weherede die falsche Gesetzeshermeneutik der Pharisäer und Schriftgelehrten problematisiert, ohne zu bezweifeln, dass sie leben, was sie lehren (11,37–54), stehen hier jene im Fokus, die Gesetzestreue als Fassade aufrichten, um ihre Geldgier zu verstecken – wie jene Schriftgelehrten, denen Jesus in Jerusalem vorwirft, die Witwen um ihre Häuser zu betrügen (20,45–47). Es handelt sich um Varianten innerjüdischer Kritik, die Lukas, für ein mehrheitlich heidenchristliches Publikum schreibend, im genuin jüdischen Umfeld kontextualisiert; die Übertragung zielt nicht auf Selbstgefälligkeit, sondern Selbstkritik der Jünger: Sie sollen erkennen, wo die eigenen Versuchungen und Fehler liegen. Jesus kritisiert nicht nur das desaströse Sozialverhalten von Pharisäern, sondern auch ihre Skepsis seiner Ethik gegenüber. Durch ihren überragenden Wunsch, vor anderen Mensch als gerecht dazustehen, verkennen sie, dass die
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Hinweise, die Jesus gibt, der Perspektive einer sozial sensiblen Weisheit entsprechen, wie sie nicht zuletzt Jesus Sirach tradiert hat (Sir 31,1–12); ein neutestamentlicher Nachbar ist der Jakobusbrief (Jak 5,1–6). Skepsis gegenüber den ethischen Ansprüchen Jesu wird es auch in den nachösterlichen Gemeinden gegeben haben; hier braucht es ebenfalls nicht nur Appelle, sondern Gründe. Sie liegen in der Herzenserkenntnis Gottes: Er schaut den Menschen in ihr Innerstes (1Kön 8,39: „Du allein erkennst das Herz aller Menschenkinder“); dort erkennt er das, was sie als „Hohes“ aufbauen wollen, als „Gräuel“, d. h. als eine monströse Manifestation von Blasphemie (vgl. Mk 13,14 par. Mt 24,15). Es ist die Habgier. Gott erkennt sie, wenn Menschen sich auf Kosten anderer groß machen wollen, nicht zuletzt mit Verweis auf ihn. Die Kritik Jesu hat Gründe, die sich erklären, wenn der Horizont weit geöffnet wird: für das Gesetz und für die Verkündigung des Reiches Gottes im Heilsplan Gottes (16) (16). Jesus stellt nach Lukas zuerst „das Gesetz und die Propheten“ zusammen; sie stehen für das Glaubenszeugnis Israels, das in der Bibel kodifiziert ist (vgl. 16,29.31: Mose und Propheten; 24,44, dort auch die „Psalmen“). Er nennt sodann Johannes den Täufer, den Vorläufer und Wegbereiter Jesu (1,76), der Israel zur Umkehr gerufen hat (3,1–20). Ob das „bis zu“ exklusiv oder inklusiv verstanden wird, ist strittig. Lukas sieht Johannes auf der Seite Jesu: als Vorläufer und Wegbereiter. Johannes verkündet bei Lukas zwar nicht expressis verbis das Reich Gottes (anders als nach Mt 3,2), weil diese Predigt die Sendung Jesu als Christus ist (4,43 u. ö.); aber er öffnet den eschatologischen Horizont, in dem das Gesetz und die Prophetie einen neuen Kontext, eine neue Position und eine neue Perspektive finden, wie „Jesaja“ es prophezeit hat (3,4–6). Mit seinem Wort markiert Jesus eine eschatologische Wende in der Geschichte. Das Gesetz und die Propheten sind nicht etwa abgetan; sie werden vielmehr als jene Zeugen des Glaubens neuentdeckt, die auf das Reich Gottes vorausgedeutet haben. Das Gesetz wird nicht weitergeschrieben, indem es durch weitere Paragraphen ergänzt würde, sondern erfüllt; die Propheten Israels haben ihr bleibendes Gotteszeugnis abgelegt und werden nun neu verstanden. Die Verheißung Gottes wird von Jesus nicht aufgesogen, sondern in der Verkündigung Jesu so bejaht (4,21 u. ö.), dass ihr Potential freigesetzt wird. Die lutherische Differenzierung zwischen Gesetz und Evangelium steht auf einem anderen Blatt; denn hier geht es nicht um die Dramatik der persönlichen Begegnung mit Gottes Wort, das den Sünder richtet, um den Gläubigen zu rechtfertigen, sondern um Gottes Vorsehung, mit Jesus, vorbereitet durch Johannes den Täufer, das „Gnadenjahr des Herrn“ ausrufen zu lassen (4,18–19: Jes 61,1–2). Das Gottesreich wird durch die Verkündigung Jesu und seiner Jünger zum Anziehungspunkt.
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Das griechische Verb (biázomai) kann als Passiv verstanden werden („hineingedrängt“) oder als Medium („drängt sich hinein“). Im ersten Fall gäbe es ein Pendant zur werbenden und drängenden Einladung, das Fest mitzufeiern (14,23), im zweiten würde auf das Interesse sehr vieler abgehoben (vgl. 14,25 u. ö.), das gesteigert würde („jeder“). Die zweite Deutung ist vorzuziehen (vgl. 14,15), weil es zu Lukas passt, dass er die hohe Attraktivität des Reiches Gottes betont, nicht zuletzt im Blick auf die Wallfahrt der Völker (13,29). Mit der Fortsetzung wird kein Gegensatz, sondern eine Weiterführung angezeigt, die zugleich eine Klarstellung ist (17) (17): Das Gesetz wird nicht überholt; es bleibt gültig. Es braucht die hermeneutische Orientierung am Liebesgebot (10,25–28), um nicht zu einem Machtinstrument zu werden, das andere in Abhängigkeit hält – wie es der Kritik Jesu zufolge allerdings bei Pharisäern und Schriftgelehrten geschieht (11,37–54). Das Gesetz, die Tora, ist ein Ganzes, das mit der Prophetie kommuniziert und mit dem Evangelium korrespondiert; es wird nicht zerstört; es bleibt ganz – und gewinnt durch das Reich Gottes den Horizont, in dem es sich als das Gesetz verstehen lässt, das Gott erlassen hat, um dem Leben zu dienen: in Israel und unter allen Völkern. In der matthäischen Parallele ist von der qualitativen Erfüllung des Gesetzes die Rede (Mt 5,17–20), die sich beispielhaft in den Antithesen zeigt (Mt 5,21–48); Lukas zielt darauf, dass es nicht benutzt werden darf, um selbst groß dazustehen, während anderen der Blick auf Gott verstellt wird. Das Vergehen von Himmel und Erde ist ein Phänomen der Endzeit (21,25–28). Im Umkehrschluss: Solange die Zeit währt, bleibt das „Gesetz“ ebenso wie die Prophetie gültig – als Gegenüber zum Evangelium vom Reich Gottes, mit dem es im Dialog seht. Jesus selbst stellt die Verbindung her. Das Thema des Ehebruchs im Blick auf die Ehescheidung kommt überraschend (18) (18), kann aber auf einem lebensgeschichtlich besonders relevanten Feld die Geltung des Gesetzes und der Prophetie konkretisieren. Der Bezugspunkt ist das sechste Gebot (Ex 20,14; Dtn 5,18). Jesus erklärt, dass ein Mann Ehebruch begeht, wenn er seine Frau aus seiner Ehe entlässt – was nach Dtn 24,1 möglich ist, wenn ein Scheidebrief ausgestellt würde – und er eine andere Ehe eingeht. Der Bezugspunkt ist (nicht jeder sexuelle Akt wie im katholischen Eherecht, sondern) der Eheschluss selbst, der – wie im Judentum – als Bundesschluss vorgestellt ist. Ebenso begeht Ehebruch, wer eine Frau heiratet, die – ungeachtet der Schuldfrage – von ihrem früheren Ehemann entlassen wurde. Voraussetzung für diese Einlassung ist nicht die paternalistische Deutung, die Ehefrau sei Besitz des Mannes; dann ginge es in Wahrheit um das siebte Gebot: „Du sollst nicht stehlen“ (Ex 20,15; Dtn 5,19), aber das zweite Verbot würde nicht passen, weil der Mann ja durch die Entlassung der Ehe-
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frau seinen angeblichen Besitz aufgegeben hätte. Vielmehr ist der Sache nach vorausgesetzt, was Markus und ihm folgend Matthäus ausführen: Gott hat den Ehebund gestiftet; er bleibt bestehen, auch wenn Menschen ihn aufkündigen wollen (Mk 10,2–10 par. Mt 19,3–9); so erklärt sich der Zusammenhang mit der dauernden Geltung des Gesetzes (V. 17) am besten. Der synoptische Vergleich, der auf Paulus erweitert werden muss (1Kor 7,8–16), lässt das scharfe Profil erkennen. Lukas spiegelt nicht die von Markus und Paulus vorausgesetzte Möglichkeit, dass auch eine Frau die Ehescheidung betreiben kann, sondern im Gespräch mit Pharisäern die strenge jüdische Richtung, die nur eine Scheidung durch den Mann vorsieht. Die Diskussion über den Scheidebrief, die nach markinischer und matthäischer Überlieferung geführt und als Konzession des Mose an die Hartherzigkeit der Menschen in Israel gedeutet wird, spielt bei Lukas keine Rolle. Ebenso fehlen bei ihm die matthäischen Unzuchtsklauseln, also die Ausnahme von der Regel bei krassem sexuellen Fehlverhalten (Mt 5,32; 19,9). Lukas überliefert die vergleichsweise strengste Regelung – in sehr wahrscheinlich enger Anlehnung an Q. Ähnlich, wenngleich nicht identisch ist das essenische Plädoyer für Monogamie (CD 4,20–21; 5,1–2). Im Kontext passt die lukanische Version genau zur vorhergehenden Aussage: Zwar gibt es im Alten Testament kein Ehescheidungsverbot, wiewohl nach Mal 2,16 Scheidung verpönt ist; aber die Auslegung Jesu zeigt, wie ernst er das sechste Gebot nimmt. Freilich muss bei der Übertragung der enge Fokus beachtet werden: Das Wort identifiziert einen schweren Verstoß gegen Gottes Gebot, führt aber nicht aus, was mit denen sein soll, die ihn begangen haben und ihn bereuen, aber ihr Handeln auch nicht ungeschehen machen können und durch die neue Ehe neue Verpflichtungen eingegangen sind, die sie nicht negieren dürfen. Deshalb spiegelt das Wort die hohe Wertschätzung der Ehe in der Verkündigung Jesu als Lebensform des Glaubens, auch wenn es in den Familien viele Konflikte wegen des Glaubens gab, der von Verfechtern des Traditionellen nicht akzeptiert wurde. Bis es von der Ehetheologie zu einem Eherecht kommt, muss ein weiter Weg durchmessen werden, der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, private Lebensführung und öffentliche Lebensinstitution, kirchliche Prägung und weltliche Bedeutung in ein inneres Verhältnis zueinander setzt. Lukas hat die Pharisäerkritik Jesu hoch verdichtet und von einer Verwerfung des Gesetzes abgehoben. In einem breiten Spektrum überlieferter Worte arbeitet Jesus das Grundproblem der Frommen scharf heraus: sich vor anderen Menschen ins rechte Licht setzen zu wollen. Wer so handelt, beutet sie aus: Betrügerischer Umgang mit Geld ist dann die Kehrseite einer fatalen inneren Einstellung. Die Nähe des Gottesreiches deckt auf, wie tief die Krise dieser
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pervertierten Religion ist. Sie widerspricht dem Gesetz, das in Geltung bleibt, auch wenn einige seiner Sachwalter es missbrauchen. Jesus steht hier in großer Übereinstimmung mit pharisäischer Selbstkritik. Die eheliche Treue und der Verzicht auf Wiederheirat nach Scheidung belegen die Gültigkeit des sechsten Gebotes und damit beispielhaft des ganzen Gesetzes. Die Zusammenstellung der verschiedenen Aussagen geht auf Lukas zurück, der ein kompaktes Statement Jesu über das Verständnis und die Praxis des Gesetzes abgeben wollte; die Motive sind jesuanisch, wie der Blick in die Synopse zeigt. 16,19–31 Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus 19Ein Mensch war reich; er kleidete sich in Purpur und Seide; er lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20Ein Armer aber, Lazarus mit Namen, lag vor seiner Tür, voller Geschwüre. 21Und er hätte gern seinen Hunger gestillt mit den Abfällen vom Tisch des Reichen; aber selbst die Hunde kamen und leckten an seinen Geschwüren. 22Es geschah aber, dass der Arme starb, und von den Engeln wurde er in Abrahams Schoß getragen. Es starb aber auch der Reiche und wurde begraben. 23Und in der Unterwelt erhob er seine Augen – er litt Qualen – und sah Abraham von fern und Lazarus in seinem Schoß. 24Da rief er und sagte: ‚Vater Abraham, erbarm dich meiner und schick Lazarus, dass er seine Fingerspitze in Wasser tauche und meine Zunge netze; denn ich leide Pein in dieser Flamme.‘ 25Abraham aber sagte: ‚Kind, erinnere dich, was du Gutes in deinem Leben empfangen hast, Lazarus aber Schlechtes. Doch jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest. 26Bei all dem gibt es eine große Kluft zwischen uns und euch, so dass diejenigen, die von hier zu euch hinübergehen wollen, nicht können noch jemand von dort zu uns überwechseln kann.‘ 27Daraufhin bat er ihn: ‚Vater, dann schick ihn in mein Vaterhaus, 28denn ich habe fünf Brüder, damit er ihnen bezeugt, dass sie nicht an diesen Ort der Qual kommen.‘ 29Abraham aber sagt: ‚Sie haben Mose und die Propheten; auf die sollen sie hören.‘ 30Er aber sagte: ‚Nein, Vater Abraham, aber wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren.‘ 31Er aber sagte ihm: ‚Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich, auch wenn einer von den Toten aufersteht, nicht überzeugen lassen.‘“ Die Beispielgeschichte vom reichen Prasser und armen Lazarus gehört zu den populärsten Gleichnissen Jesu. Sie ist aber nicht leicht eingängig, sondern vielschichtig und erklärungsbedürftig. Sie arbeitet mit populären eschatologischen Vorstellungen („in Abrahams Schoß“, „von Engeln getragen“, „Flamme“, „Ort der Qual“, höllischer Durst), die religionsgeschichtlich erschlossen, aber auch theologisch interpretiert werden
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müssen. Sie stellt ans Ende ein dreifaches „Nein“, das den Eindruck von Unbarmherzigkeit erweckt und deshalb im Widerspruch zur Gnadenbotschaft Jesu zu stehen scheint. Wesentlich ist, dass die Beispielgeschichte ein Gleichnis ist und als Gleichnis interpretiert werden muss. Die Beispielgeschichte ist an Pharisäer adressiert (16,14), deren unterstellte Geldgier für ihre Strategie transparent ist, das Gesetz der eigenen Besitzstandwahrung und -mehrung dienstbar zu machen. Sie knüpft an die positive Gesetzestheologie an, dass die eschatologische Zeitenwende, die mit Jesus gekommen ist, das Gesetz und die Propheten nicht auflöst, sondern festhält (16,16–17) – was sich am Ehescheidungsverbot (16,18) beispielhaft zeigt. Jesus setzt nach Lukas seine Rede nahtlos fort. Sie liefert mit dem Gleichnis eine weitere Konkretion jesuanischer Gesetzestreue: das Verhalten der Reichen gegenüber den Armen. Es arbeitet nicht mit positiven Vorbildern und Geboten, sondern mit negativen Gegenbildern und Warnungen. Die Beispielgeschichte sprengt die Grenzen der Gattung, weil sie nicht nur im Diesseits, sondern auch im Jenseits spielt. Sie besteht aus drei Szenen. Die erste Szene spielt auf Erden (16,19–21), die zweite schildert den postmortalen Übergang (16,22–23), die dritte ist am umfangreichsten; auf ihr liegt das Gewicht. Sie schildert ein Gespräch zwischen dem Reichen und Abraham, das den gegenwärtigen Zustand im Licht der Vergangenheit bespricht. Es wird über die Grenze zwischen Himmel und Hölle hinweg geführt; es endet mit einer dreifachen Verweigerung, die begründet wird (16,24–31). Dadurch wird Licht auf den Anfang geworfen, den krassen Gegensatz zwischen Reich und Arm; ihn auszuleuchten, ist das Ziel des Gleichnisses. 16,19–21 Der Kontrast im Diesseits Der Luxus des Reichen und das Elend des Lazarus 16,22–23 Der konträre Kontrast im Jenseits Lazarus in Abrahams Schoß und der Reiche in der Unterwelt 16,24–31 Das Gespräch zwischen Abraham und dem Reichen 24–26 Der erste Gesprächsgang 24 Die erste Bitte des Reichen: Lazarus soll ihm helfen 25–26 Das erste Nein Abrahams 27–29 Der zweite Gesprächsgang 27–28 Die zweite Bitte des Reichen: Lazarus soll seinen Brüdern helfen 29 Das zweite Nein Abrahams 30–31 Der dritte Gesprächsgang 30 Das Insistieren des Reichen 31 Das dritte Nein Abrahams
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Der Rollentausch zwischen Diesseits und Jenseits erzeugt Gesprächsbedarf. Die Heilsfrage wird aufgeworfen und lenkt den Blick auf die Ethik: nicht als Voraussetzung der Rettung, sondern als Konsequenz jener rettenden Macht Gottes, die sich letztendlich in der Auferstehung erweist. Das Gleichnis ist Sondergut. Es hat aber Parallelen in antiken Jenseitslegenden. Sie behandeln den Zusammenhang zwischen irdischem und jenseitigem Leben nach dem Grundsatz von Tun und Ergehen. Sie durchkreuzen die Erwartung, dass Menschen, denen es materiell gut geht, von Gott gesegnet seien, so dass sie sich auch im Himmel seiner Gunst erfreuen dürfen; sie legen das Augenmerk vielmehr auf das moralische Verhalten. In einer ägyptischen Legende von Serme Chamoïs heißt es: „Wer auf Erden gut ist, zu dem ist man auch im Totenreich gut; und wer auf Erden böse ist, zu dem ist man auch dort böse“. Einen ähnlichen Zusammenhang stellt Lukian von Samosata her (Cataplus 2–28). Es ist ein literarischer Grundstoff, den Jesus laut Lukas verarbeitet; er veranschaulicht nach dem Kriterium Gut oder Böse die scharfen Gegensätze zwischen dem irdischen und dem himmlischen Geschick eines Reichen und eines Armen. Aus der erzählten Konstellation ergibt sich, dass im Gleichnis der Luxus des Reichen im Kontrast zur Misere des Lazarus himmelschreiendes Unrecht ist. Das Gleichnis baut den Widerspruch zwischen diesseitigen und jenseitigen Kontrasten auf, damit die eschatologischen und ethischen Konsequenzen dieses heillosen Zustandes ausführlich besprochen werden können. Der Reiche (19) kleidet sich prächtig. Purpur und Seide („Byssos“) sind sündhaft teure Luxusware, gedacht für Kaiser und Könige; sie dienen weniger dem eigenen körperlichen Wohlbefinden als der Selbstdarstellung: Überlegenheit wird ausgedrückt; Bewunderung soll eingeheimst werden. Der Kontrast zum jenseitigen Elend ist desto größer. Doppelt so lang wie der Glanz der Reichen (der keinen Namen trägt) wird die Armut des Lazarus beschrieben (20–21) (20–21). Der Lazarus des Gleichnisses ist vom Lazarus zu unterscheiden, der nach dem Johannesevangelium von den Toten auferweckt wird (Joh 11); der Name ist mit Eleazar verwandt (Ex 18,4): Gott hilft. Lazarus ist obdachlos und leidet Hunger; hinzukommen Geschwüre, die seinen Leib bedecken: Folgen der Armut, der Mangelernährung, der fehlenden Gesundheitsvorsorge. Ihm geht es genau so dreckig wie dem verlorenen Sohn im tiefsten Elend (15,16). Dass Hunde – Straßenköter, die in Israel meist verachtet werden – seine Wunden lecken, zeigt seine Erniedrigung. Armut und Krankheit sind Zwillinge des Elends. Die Jenseitsvorstellung ist folkloristisch (22–23) (22–23). Lazarus ist nach seinem Tode „in Abrahams Schoß“. Das Bild ist im Judentum bekannt, aber selten und erst spät belegt (Peschitta Rabba 43 180b: „Mein Sohn, willst
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du, dass nur alle deine Brüder zukünftig in Abrahams Schoß ruhen?“); es ist jedoch sofort verständlich, weil Abraham der Stammvater Israels ist (Jubiläenbuch 22,26–23,2) und Abrahamskindschaft die Verheißung ewigen Lebens umfasst (4. Makkabäer 13,16–17). Dass Engel den Toten geleiten (von einer Entrückung wie bei Henoch und Elija ist keine Rede), ist gleichfalls populäre Eschatologie: Ausdruck der Hoffnung für Gerechte, selbst wenn es ihnen auf Erden schlechtgeht (Testament des Asser 6,6 u. ö.). Der Reiche wird begraben und gelangt in die Unterwelt, den „Hades“, hebräisch: die Scheol. Sie hat nach lukanischer (10,15) wie jüdischer Vorstellung verschiedene, streng voneinander geschiedene Bezirke (äthiopischer Henoch 18,9–12) – wie nach gemeinantiken Bildern auch (Euripides, Phoenissae 604–605; Lukian von Samosata, Philopseudes 25). Nach dem äthiopischen Henochbuch (22) durchfließt ein Bach die Gefilde der Seligen. Der Reiche hingegen schmort in der Hölle; er leidet schrecklichen Durst. Das Gespräch ist klar und schmerzlich. Der Reiche bittet; aber die Bitten werden nicht erfüllt. Zuerst bittet er für sich selbst (23–24) (23–24). Da er im Feuer Höllenqualen leidet, bittet er, dass Lazarus geschickt werde, ihm durch einen Tropfen Wasser ein wenig Linderung zu verschaffen. So plastisch aber auch die Bitte geschildert wird: Abraham lehnt es ab, sie zu erfüllen (25–26) (25–26). Er nennt im Gleichnis zwei Gründe: die Unangemessenheit und die Unmöglichkeit. Zuerst steht der Hinweis auf einen gerechten Ausgleich: Der Reiche hatte genug Glück im Leben, Lazarus hingegen mehr als genug Unglück; im Jenseits kommt es zum Rollentausch. Lazarus wird „getröstet“, der Reiche muss leiden. Es gibt viele populäre Jenseitserwartungen, die in genau einem solchen Wechsel Gottes Gerechtigkeit am Werk sehen. Zur Unangemessenheit der Bitte kommt die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung. Die Jenseitslandschaften sind so stark gegliedert, dass es keine Verbindung zwischen den beiden Bereichen gibt, sondern eine tiefe „Kluft“ (griechischer Henoch 18,11–12), die beim besten Willen unüberwindlich ist. Auch diese Idee ist sehr populär – bis heute. Der Reiche lässt nicht locker. Er sieht beides ein. Aber er bereut nichts; er bittet auch nicht um Vergebung. Er bittet nun um eine Warnung an seine fünf Brüder, die offenbar ähnlich ungehemmt, unbekümmert und unverantwortlich leben, wie er selbst es getan hat (27–28) (27–28). Lazarus soll wieder den Boten machen und sie aus dem Jenseits warnen, damit sie nicht ihrerseits solche Qualen leiden wie er. Diese Bitte klingt solidarisch. Aber sie bleibt genau in dem Muster, das die krassen Sozialprobleme verursacht hat: Die Familie geht vor; Lazarus gehört nicht dazu, sondern wird benutzt. Auch diese Bitte weist Abraham ab (29) (29). Sein Nein ist in der Welt Jesu nicht unbarmherzig, sondern weitherzig. Denn Abraham
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verweist auf „Mose und die Propheten“ (vgl. 16,16). Die Brüder brauchen keine neuen Informationen: Alles, was ein gerechtes von einem ungerechten, ein barmherziges von einem unbarmherzigen Denken und Verhalten unterscheidet, hat die Tora, erhellt von der Prophetie, längst übermittelt (vgl. 1QS [Gemeinderegel] 1,2–3). Anders formuliert: Lazarus ist längst bei den Brüdern – in Gestalt eines jeden Armen, der Hunger leidet und krank ist, wie Lazarus es war. Ein drittes Mal interveniert der Reiche (30) (30). Er greift auf, dass die Weisungen von Mose und den Propheten, obgleich längst bekannt, nicht befolgt worden sind, und setzt auf ein spektakuläres Wunder: Dass Lazarus (elendiglich) gestorben ist, ist allgemein bekannt. Dass er eine Botschaft überbringt, setzt seine Auferstehung von den Toten voraus. Dies wäre, so der Reiche, ein unübersehbares, unzweideutiges, unabweisbares Zeichen, das Gott setzte, um Sünder zur Besinnung zu bringen. Abraham weist auch dieses Ansinnen zurück (31) (31) – weil es keinen Sinn machte und keine Wirkung erzielte. Die Weisung durch Mose und die Prophetie, die Armen nicht hungern zu lassen, sondern ihnen zu Geld und Respekt, sogar zu Freiheit zu verhelfen (Dtn 15,1–18; 24,17–20), sind eindeutig. Der Auftritt eines Auferstandenen kann der Geltung und Autorität der Weisung nichts hinzufügen; der Showeffekt ist schnell verpufft: Er lenkt nur ab; Wunder beweisen gar nichts. Die Härte der Abweisung, die das Gleichnis Abraham in den Mund legt, irritiert. Aber die Beispielgeschichte ist keine prophetische Zukunftsvision, sondern ein Gleichnis. Jesus warnt mit seiner Parabel die Reichen, es nur ja nicht so weit kommen zu lassen wie der Prasser. Die Anrede geldgieriger Pharisäer (16,14) lässt bei einer Übertragung nicht nur an materiellen Gewinn denken, sondern auch an die Deutungsmacht über das Gesetz und die Prophetie (11,37– 54) – oder das Evangelium: Wenn der eigene Besitz nicht geteilt wird, sondern andere ausschließt, die bittere Armut leiden, ist eine Katastrophe eingetreten, die Gott weder gutheißt noch hinnimmt, sondern sanktioniert. Um diese Konsequenz unmissverständlich vor Augen zu stellen, bedient Jesus sich populärer Jenseitsvorstellungen, die ihrerseits durch und durch metaphorisch sind. Sie informieren nicht darüber, was nach dem persönlichen Tod kommen wird, sondern appellieren an die Reichen (in jedem denkbaren Sinn des Wortes), im Leben vor dem Tod die Konsequenzen zu bedenken und sich an die Tora wie die Prophetie zu halten: wie Jesus sie nahebringt und auslegt. Wie Jesus selbst die Vorstellung eines gerechten Ausgleichs sieht, kann der Seligpreisung der Armen und dem Wehe gegen die Reichen am Beginn der Feldrede abgelesen werden (6,20–26). Dort baut Jesus die Dialektik auf, dass dieselben Jünger sowohl die Seligpreisungen als auch die Weheworte hören, im Zeichen der Verheißung; sie sollen sich der Gefahren des materiellen, spirituellen, moralischen
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Reichtums bewusst werden und erkennen, dass sie alle durch Gottes Nein zur menschlichen Ungerechtigkeit hindurchmüssen, wenn sie das Ja des Gottesreiches hören wollen, um Jesus zu folgen. Die jesuanische Beispielgeschichte vom Reichen und Lazarus ist ein kritisches Pendant: Die Pharisäer, die meinen, Jesus verlachen zu dürfen (16,14), werden Rechenschaft davon ablegen müssen, dass sie andere vor ihrer Tür haben verhungern lassen, weil sie ihnen den Weg zu Gott und zum irdischen Glück versperrt haben. Was sie gefehlt haben, können sie nachträglich nicht wiedergutmachen. Was Gott ihnen durch Mose und die Propheten mit auf den Weg gegeben hat, ist klar und hinreichend; Jesus selbst schärft es ein (16,16). Die Auferstehung ist nicht das Mittel, irdische Not schönzureden und irdisches Versagen ungeschehen zu machen, sondern die Konsequenzen verfehlten Handelns aufzuzeigen. Die Fortsetzung nimmt die Jünger in den Blick (17,1–10): Sie dürfen nicht auf die Pharisäer schauen, so wie Abraham auf den Reichen schauen muss, der sein Leben verwirkt hat, sondern müssen sich selbst wie Pharisäer anschauen, die in der Gefahr der Selbstrechtfertigung vor den Menschen stehen und ihre ganze Heilshoffnung auf Arme wie Lazarus setzen müssen, die sie nach Kräften unterstützen sollen, solange sie die Zeit dazu haben. Dass die Qualen des Reichen Gottes Herz nicht unberührt lassen können, steht auf einem anderen Blatt. Das Gleichnis ist so farbig, dass es sich am leichtesten als Erinnerung an Jesus selbst erklärt: der als Anwalt der Armen den Reichen ins Gewissen redet, indem er ihnen nach ihren eigenen Jenseitsvorstellungen die eschatologischen Konsequenzen vergegenwärtigt. 17,1–10 Das Dienen im Glauben 1Er sagte aber seinen Jüngern: „Es ist unmöglich, dass Ärgernisse nicht kommen; aber wehe denen, durch die sie kommen. 2Besser wäre es für ihn, wenn ein Mühlstein um seinen Hals gelegt und er ins Meer geworfen würde, als dass er einen von diesen Kleinen zum Ärgernis wird. 3Seht euch vor: Wenn dein Bruder sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er umkehrt, vergib ihm. 4Und wenn er sieben Mal am Tag gegen dich sündigt und sieben Mal kommt und dir sagt: ‚Ich kehre um‘, so sollst du ihm vergeben.“ 5Und die Apostel sagten dem Herrn: „Gib uns Glauben!“ 6Der Herr sagte: „Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, sagtet ihr zum Maulbeerbaum: ‚Reiß dich aus und pflanz dich ins Meer‘, und er würde euch gehorchen. 7Wer aber von euch wird einen Knecht, der pflügt oder weidet, wenn er vom Acker nach Hause kommt, sagen: ‚Komm gleich her und setz dich zu Tisch‘? 8Wird er ihm nicht vielmehr sagen: ‚Bereite vor, dass ich etwas essen kann, umgürte dich und bediene mich, bis ich gegessen und getrunken habe, danach iss und trink auch du‘? 9Hat er etwa
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einen Dank für den Knecht, weil er getan hat, was befohlen war? 10So auch ihr: Wenn ihr alles getan habt, was euch geboten war, sagt: ‚Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.‘“ Auf die herbe Kritik der Pharisäer, die Geldgier und Selbstsucht hinter Spott über Jesus und vorgeblicher Gesetzestreue verbergen (16,14–31), folgt wieder eine ebenso kritische wie aufmunternde Ansprache der Jünger. Während es zuvor um ihren gerechten Umgang mit Geld gegangen war (16,1–13), geht es jetzt um ihren angemessenen Umgang mit Gott und dem Glauben. Der Passus hat grundlegende Bedeutung für das Verständnis von Jüngerschaft und Nachfolge bei Lukas. Die Erzählung vom Wirken Jesu in Galiläa endet mit einer ernsten Vermahnung der Jünger, ihre Nähe zu Jesus nicht zum Rangstreit untereinander und zur Ausgrenzung anderer werden zu lassen (9,46–48.49–50). Jetzt, mitten auf dem Weg nach Jerusalem (9,51), wird es noch ernster: Die Jünger stehen in der tödlichen Gefahr, anderen ein „Ärgernis“ zu werden. Es nicht gemeint, dass man sich über sie ärgert, weil einem etwas an ihnen nicht passt; es ist vielmehr gemeint, dass sie andere existentiell gefährden: Sie zerstören den Sinn ihres Lebens, indem sie ihnen Gott verdunkeln. Diese Gefahr ist die dunkle Kehrseite der Berufung, die den Jüngern zuteilwird. In einem kurzen Dialog wird deutlich: Die Berufung setzt den Glauben frei, der den Dienst in der Nachfolge Jesu bestimmt. Das kurze Gespräch wird durch eine Bitte der Apostel strukturiert (V. 5). Sie anerkennt die eigenen Schwächen und Versuchungen, bittet Jesus aber um die Stärkung des Glaubens, der um des Dienstes in der Nachfolge Jesu willen notwendig ist. 17,1–4 Der Umgang mit Schuld in der Jüngerschaft 1–2 Die Warnung davor, anderen zum Ärgernis zu werden 3–4 Die Aufforderung, Umkehrwilligen Sünden zu vergeben 17,5 Die Bitte der Apostel um die Stärkung ihres Glaubens 17,6–10 Die Ermunterung Jesu zum demütigen Dienst 6 Die Verheißung des Senfkornglaubens 7–10 Das Ethos des Dienens 7–9 Das Beispiel des Hausherrn und seines Knechtes 10 Die Einstellung der Jünger zu ihrem Dienst Die Beispielgeschichte samt Anwendung ist Sondergut (17,7–10), ebenso die Bitte der Apostel um die Stärkung des Glaubens (V. 5). Die anderen Verse haben zahlreiche, wenngleich verschiedene synoptische Parallelen. Das einleitende Mühlsteinwort geht auf Markus zurück, wo es die Jünger an den Albtraum erinnert, dass ihr eigenes Verhalten anderen
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zum Ärgernis wird, besonders den „Kleinen“, die auf sie besonders angewiesen sind (Mk 9,42). Die Parallele bei Matthäus steht in der Gemeinderede (Mt 18,6–7); dort wird später zur correctio fraterna ermahnt (Mt 18,22), wie in der lukanischen Fortsetzung (17,3–4). Das Wort vom Senfkornglauben hat eine enge Parallele in Mt 17,20 und eine weiter entfernte in Mk 11,23 par. Mt 21,21 (wo das Senfkornmotiv fehlt, aber wie in Mt 17,20 ein Berg ins Meer versetzt wird). Lukas folgt anscheinend weder Markus noch Q, sondern komponiert mit verschiedenen Traditionen eine eigene Einheit. Ihre Pointe ist, Gefährdung und Berufung, Stärke und Schwäche, Verantwortung und Demut der Jüngerschaft darzustellen. In dieser Dichte passt die kurze Jüngerbelehrung mitten hinein in die Weggeschichten Jesu, die allesamt auch Erklärungsgeschichten der Nachfolge sind; sie ist auch der präzise Kontrapunkt zur Pharisäerkritik: Die Jünger Jesu können sich nicht vorwerfen lassen, die Armut der Armen zu übersehen; sie selbst teilen sie. Aber sie sind deshalb nicht auf der sicheren Seite der Heilsgeschichte, sondern haben aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Jesus noch größere Probleme zu lösen als geldgierige Pharisäer. Die Einstellung der Jünger zum Dienst des Glaubens muss von der Einsicht in die eigenen Versuchungen und Fehler bestimmt sein; deshalb ist Demut die Tugend der Nachfolge. So wichtig die Jünger für Jesus sind, weil er durch sie seine Botschaft verbreitet (9,1–6; 10,1–20 u. ö.), so gefährdet sind sie auch. Deshalb spricht Jesus sie auf ihre größte Versuchung an (1) (1). Er ist zwar realistisch, wenn er ihnen erklärt, dass „Ärgernisse“ nicht zu vermeiden sind, d. h. immer wieder vorkommen (ohne dass es eine tragische Unausweichlichkeit gäbe, dass Jünger sich falsch verhalten). Mit den „Skandalen“ (so das griechische Wort) meint Jesus bei Lukas ein Verhalten, das andere an Gott, am Glauben und an der Gemeinde irrewerden lässt. Dies kann schweres Fehlverhalten sein, wie es hier im Blick steht, nicht zuletzt sexuelle Gewalt, Machtmissbrauch und Korruption; es kann aber auch eine falsche Lehre sein, die Zweifel an der befreienden Kraft des Evangeliums sät. Solche Ärgernisse sind unvermeidlich, weil es Menschen sind, die zum Glauben berufen werden; sie stehen in der Gefahr, den Glauben zu benutzen, um sich selbst zum Herrn über andere zu machen (vgl. 9,47–50). Die Unmöglichkeit einer kompletten Vermeidung ist freilich keine Entschuldigung. Alle müssen die Verantwortung für ihr eigenes Tun übernehmen. Niemand ist gezwungen, anderen Ärgernis zu bereiten. Das „Wehe“ leuchtet die eschatologischen Dimensionen des „Ärgernisses“ aus: eines Anstoßes, bei dem es um Leben und Tod geht. Der „Mühlstein“ um den Hals (2) ist ein groteskes Strafmittel, das keine reale, sondern eine irreale Situation anzeigt. Es ist unmöglich, einem
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Missetäter einen Mühlstein um den Hals zu legen und ihn ins Meer zu werfen: Diese Unmöglichkeit soll deutlich werden, weil das, was getan wurde, nicht zu rechtfertigen ist. Das Fehlverhalten erklärt sich von V. 1 her, gewinnt aber eine Zuspitzung durch die Nennung „dieser Kleinen“, an denen Große sich vergehen. Wer dies ist, bleibt offen; am ehesten ist der Rückbezug auf Lazarus vorstellbar (16,19–31). Der Anstoß besteht dann in der Demütigung der Schwachen, Kranken und Elenden, d. h. genau derjenigen, die zum Fest des Lebens eigeladen werden sollen (14,12–14) und von Gott eingeladen sind (14,15–24). Das Wissen um die Härte des Gerichtes mindert aber nicht die Notwendigkeit, Versöhnung zu stiften und Vergebung zu gewähren (3) (3). Das Vaterunser hat mit der Verschränkung von Vergebungsbitte und Vergebungsbereitschaft die Voraussetzungen geklärt (11,4). Jesus spricht bei Lukas von „sündigen“ (hamartáno). Er differenziert nicht nach der Schwere von Fehlverhalten, sondern fokussiert den Verstoß gegen Gottes Gebot, der sich in der Schädigung des Nächsten erweist; anderen „Ärgernis“ zu geben, ist eingeschlossen, auch wenn es ein Extremwert ist. Einen Anspruch auf Vergebung abzuleiten, wäre pervers; dass Opfer nicht über ihre Kraft hinaus beansprucht werden, ist klar: Jesus spricht diejenigen an, die zwar möglicherweise selbst betroffen sein können, aber eine Gesamtverantwortung für die Jüngerschaft innehaben: Sie sollen bezeugen, dass Gottes Gnade ungleich größer ist als menschliche Schuld. Typisch für Lukas ist, dass auf eine Passage größter Strenge eine tiefster Barmherzigkeit folgt (vgl. 13,1–9). So ist es auch hier: So wichtig die Warnung ist, anderen nicht zum Ärgernis zu werden – wichtiger ist die Mahnung, Gläubigen, die zur Umkehr entschlossen sind, nicht die Chance der Vergebung zu verwehren; es gibt auf sie kein Recht der Täter, aber es gibt die Freiheit der Opfer, nicht ewige Rache schwören zu müssen, sondern einen neuen Anfang wagen zu dürfen: weil Gott selbst ihn setzt – nicht gegen den Willen der Menschen, aber in ihnen, mit ihnen und durch sie. Die Jüngerschaft ist für Lukas kein sündenfreier Raum, sondern eine Gemeinschaft von Sündern, die der Vergebung bedürfen – und die, wenn es gut geht, um sie bitten. Die Fortsetzung (4) zeigt die jesuanische Freude an der Zuspitzung. Sieben Mal am Tag eine Sünde begangen zu haben und umgekehrt zu sein, so dass Vergebung erbeten und erwirkt werden kann, ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern schier unmöglich; nach der matthäischen Parallele sagt Jesus, nicht nur sieben-, sondern siebenundsiebzig Mal sei die Vergebung möglich und nötig, wenn sie ehrlichen Herzens erbeten wird. Aus beiden Überlieferungen ergibt sich: Nicht die Quantität, sondern die Qualität ist entscheidend. Ein Anspruch ist die Vergebung, die Versöhnung be-
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deutet, nie – eine menschliche Möglichkeit ist sie auch nicht, weil Unrecht nicht ungeschehen gemacht werden kann und jede Vergebung jene Versöhnung zwischen Tätern und Opfern verlangt, die im Grunde nur Gott selbst bewirken kann, weil sie ein Vorgriff auf die eschatologische Erfüllung in der Auferstehung der Toten und der Vollendung des Gottesreiches ist. In Gottes Kraft aber wird Vergebung möglich – nicht automatisch, nicht ohne die Umkehr der Täter, die Reue und Bekenntnis umfasst, gute Vorsätze und den vollen Einsatz zur Wiedergutmachung. Da aber Gottes Gnade größer ist als jede Schuld von Menschen (wenn Gott Gott und der Mensch Mensch ist), ist die Folgerung schlüssig: Die Möglichkeit wird zur Aufgabe der Erlösung – die niemanden moralisch unter Druck setzen darf, weil (erstens) die Vergebung als Vorwegnahme der vollendeten Erlösung nie nur eine Pflicht, sondern immer ein Geschenk ist, weil (zweitens) die Vergebung harte Arbeit ist, auf einem langen Weg, der auch durch Nichtwollen oder Nichtkönnen von Menschen gesäumt sein kann und weil (drittens) die „Apostel“ (V. 5) angesprochen sind, also die Nachfolge Jesu im Blick steht, der seinerseits in Gottes Kraft Sünder zur Umkehr bewegt hat (15,11–34; 19,1–10). Genau diese Aufgabe verstehen die Jünger – und wissen, sie aus eigener Kraft nicht erfüllen zu können. Deshalb bitten die Apostel Jesus um den Glauben (5) (5). Die „Apostel“ sind die Zwölf, die Jesus erwählt hat (6,13), damit sie seine Zeugen seien, auch in der Zeit nach Ostern (vgl. Apg 1,15–26); es sind die wichtigsten Traditionsträger; deshalb sind sie besonders gefährdet und besonders gefordert, werden aber auch besonders gefördert. Sie gehören zu den „Jüngern“, die Jesus nach Jerusalem nachfolgen (V. 1), als deren Kern. Zuweilen wird die Bitte (im Licht von V. 6) als verfehlt bezeichnet, weil übersetzt wird, der Glaube solle gestärkt werden (Lutherbibel; Einheitsübersetzung), der Glaube jedoch nicht quantifiziert werden könne. Lukas aber kennt allerdings durchaus eine Stärkung im Glauben; sie wird beispielhaft zur Aufgabe für Pe trus, nach seiner Bekehrung (22,32: sterízo). Aber das griechische Verb an dieser Stelle, prostíthemi, heißt wörtlich „hinzugeben“ (vgl. 12,31); der Glaube (pístis) steht im Akkusativ, ist also Objekt. Die Apostel bitten mithin nicht, ihren bereits vorhandenen Glauben zu mehren; sie bitten vielmehr um den Glauben: Sie wissen, dass er Gnade ist – ein Geschenk Gottes durch den Herrn Jesus. Sie haben erkannt, dass sie nur im Glauben einerseits der mörderischen Versuchung entgehen können, anderen zum Ärgernis zu werden, das sie an Gott irrewerden lässt (Vv. 1–2), und andererseits die Kraft der Vergebung aufbringen, die Schuld nicht verharmlost, aber Umkehr mit Barmherzigkeit beantwortet. Sie wissen, dass sie nicht aus eigener Kraft diesen Glauben aufbringen können.
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In diesem Verständnis der Jüngerbitte ist die Antwort Jesu (6) nicht etwa die Korrektur eines problematischen Vorurteils, sondern die kon struktive Reaktion auf ein Geständnis, das zu einer vertrauensvollen Bitte geworden ist. Jesus formuliert auch nicht etwa einen Vorwurf an die Jünger, dass sie noch nicht einmal einen winzig kleinen Glauben haben; er weist sie vielmehr in den Glauben selbst ein, den sie erbitten. Er verwendet bei Lukas den Konjunktiv nicht als Irrealis, sondern als Potentialis. Jesus erfüllt die Bitte seiner Jünger; sie spiegelt ihnen, dass es um Glauben überhaupt geht. Das Senfkorn ist sprichwörtlich klein; aber es bringt eine beeindruckend große Pflanze hervor (13,18–19). So ist es auch beim Glauben: Wenig bewirkt viel – weil der Glaube selbst Gott groß sein lässt, die Kleinheit der Menschen aber nicht als Hindernis betrachtet, auf menschliche Weise im Sinne Gottes zu wirken. Der Senfkornglaube ist kein anfänglicher oder schwacher Glaube, der sein Wachstum noch vor sich hat, sondern der Glaube überhaupt, der von Gott gewirkt wird und Gott wirken lässt. In den synoptischen Parallelen (Mk 11,23; Mt 17,20; vgl. 1Kor 13,2) entwirft Jesus das gigantische Bild, dass ein Berg ins Meer versetzt wird: ein Archetyp des Handelns Gottes (Hi 9,5; 28,9; Ez 38,20; Hab 3,6), das auf die welterschütternden Vorgänge am Ende aller Zeiten vorausverweist und in dieser ungeheuren Symbolik verdeutlicht, dass Gott durch die Glaubenden handelt und die Menschen, die glauben, in Gottes Kraft Gottes Reich vergegenwärtigen können. Das Bild des Maulbeerbaumes bei Lukas ist schwerer zu deuten. Es handelt sich um ein großes Gewächs (sykáminos), dem Feigenbaum ähnlich (vgl. 19,4: sykomoréa), die Schwarze Maulbeere. Einige Handschriften haben das Demonstrativpronomen: „diesem“. Dann hätte Jesus einen bestimmten Baum im Blick. Aber ursprünglich ist die offene Wendung mit direktem Artikel. Maulbeerbäume sind weit verbreitet; sie haben tiefe Wurzeln; sie werden bis zu 15 m hoch. Sie bieten einen stattlichen Anblick. Sie haben keinen religiösen Symbolwert. Deshalb ist das Exemplar ins Gleichnis gekommen. In der Natur ist es ein Ding der Unmöglichkeit, einen Maulbeerbaum zu entwurzeln, ohne ihn mit größtem Aufwand auszugraben; ihn ins Meer zu pflanzen, ist aber nicht nur unmöglich, sondern auch unsinnig: Das Salzwasser würde ihn zerstören, selbst wenn an eine Pflanzung im flachen Uferbereich gedacht wäre – was aber nicht der Fall ist. Deshalb spricht das Wort nicht von einer besonders spektakulären Möglichkeit, sondern von einer eklatanten Unmöglichkeit – die aber dem Glauben, weil er auf Gott setzt, keine Grenzen setzt. So grotesk die Vorstellung ist, dass jemand mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen wird (V. 2), so irrwitzig ist die Zusage, einen Maulbeerbaum kraft des Glaubens zu entwurzeln und ins Meer zu verpflanzen. Dass ein Baum Menschen „gehorcht“, ist –
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13,22–17,10 Die zweite Phase – von Stadt zu Stadt und Dorf zu Dorf
ganz bewusst – jenseits der Grenzen der Erfahrung und Möglichkeit angesiedelt. Das paradoxe Wort setzt auf die Intelligenz und Spiritualität der „Apostel“ und aller, die mit ihnen in Gemeinschaft stehen: zu erkennen, dass eine Rationalisierung der Verheißung nicht möglich ist, aber der Glaube auch nicht als irrational oder willkürlich ausgewiesen werden soll, sondern als festes Vertrauen auf Gott, der ihn schenkt und mit ihm alles, was Versöhnung wirkt. Die Fortsetzung (7–9) knüpft an die Mahnung zur Versöhnung (Vv. 3–4) an, indem sie einspielt, was der Glaube, klein wie ein Senfkorn (V. 6), zu bewirken vermag. Zuerst steht wiederum ein robustes Gleichnis aus dem Alltag; es schildert keine besonders sympathische Figur, sondern das typische Verhalten von Herren, nicht nur in der Antike: von Sklavenbesitzern, die einen Knecht für sich arbeiten lassen, aber nicht für ihn arbeiten – wie Jesus es aber an seinen Jüngern tut (22,27) und wie er es ihnen im Gleichnis vom aufmerksamen Knecht auch als Alternative vor Augen gestellt hat (12,37). Mit der typischen Einleitung: „Wer von euch …“, (Antwort: Niemand) macht Jesus den Aposteln (V. 5) und allen Jüngern (V. 1) klar, dass sie nicht mit dem Finger auf andere zeigen dürfen, wenn sie problematisches Verhalten beschreiben, sondern selbst wohl nicht anders handeln würden, wenn sie in derselben Lage wären: Dort, wo es Herren und Knechte gibt, geht es üblicherweise so zu, wie das Gleichnis sagt: Knechte erhalten keinen Dank von ihren Herren, wenn sie ausführen, was ihnen aufgetragen wird – auch wenn es mehr ist, als man erhofft, also z. B. nach der Feld- noch die Hausarbeit erledigt werden muss; bevor sie selbst essen und trinken können, müssen sie ihre Herren versorgt haben. Ob dies gerecht oder ungerecht ist, interessiert an dieser Stelle nicht – entscheidend ist die Übertragung (10) (10). Die Apostel sind Gottes Knechte – wie die Propheten; ihnen ist aufgetragen, in der Nachfolge Jesu das Evangelium zu verkünden, einschließlich der Ermahnung und Vergebung sündiger Glaubensgeschwister. Wenn sie diese Aufgabe erfüllen, können sie vor Gott nicht auf besondere Privilegien hoffen. Es würde ihrem Dienst und auch ihrem Auftrag widersprechen: zielt der doch gerade auf die Vermittlung der befreienden Gnade Gottes für alle. Im Zusammenhang zeigt sich, dass nicht Unterwürfigkeit gegenüber irdischen Potentaten, auch wenn sie im kirchlichen Gewande auftreten, gesegnet wird, sondern Gehorsam gegenüber Gott allein, in Form des Glaubens an den Herrn Jesus Christus. Er wirkt durch seine Apostel (und alle Jünger); sie wirken durch ihn: Das soll ihnen aufgehen; es ist ein Geschenk des Glaubens; es führt zum Dienen. Die Apostel sind „unnütze Knechte“, weil ihr Einsatz für Gott nicht den Nutzen Gottes mehrt, sondern eine Bringschuld ist, die sie den Menschen erstatten, zu denen sie gesandt sind.
17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
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Die dichte Passage über Versuchungen und Verheißungen der Jüngerschaft fasst zusammen und schließt auf, was Jesus den Jüngern auf dem Weg nach Jerusalem (9,51) mitgibt. Die Jünger sind für Jesus wichtig, aber nicht aufgrund eines Kosten-Nutzen Kalküls, sondern als Apostel, als Gesandte, die den Menschen einen Dienst leisten: den Heilsdienst, der in der Nachfolge Jesu das Evangelium verbreitet, so dass Gottes Heil vermittelt wird. Die Vollmacht, die sie haben, ist Dienst; der Dienst beansprucht nicht Anerkennung, sondern schafft sie: Die Apostel stellen sich nicht zwischen Gott und die Menschen, wie Jesus es Pharisäern vorwirft (16,1–13; vgl. 11,37–54); ihre Aufgabe ist es vielmehr, die Unmittelbarkeit zu Gott zu vermitteln. Dieser Dienst setzt Glauben voraus – den nur Gott zu schenken vermag (V. 5). Zum Glauben gehört, denen die Vergebung durch Gott zuzusprechen, die ehrlichen Herzens umkehren und auch die Folgen ihres Fehlverhaltens zu tragen bereit sind; ein Kalkül, wie oft dies bereits geschehen sei oder noch geschehen könne, führt auf den Holzweg, Gnade zu portionieren (Vv. 3–4). Zum Glauben gehört von Anfang an das Wissen um die eigene Gefährdung, als Geltungssucht, Glaubenshärte, falsche Großzügigkeit, die nur die Schwachheit der Armen ausnutzt; selbst massives Fehlverhalten kann sich hinter der Maske der Frömmigkeit verbergen. Mitten auf dem Weg nach Jerusalem erteilt Jesus den Jüngern eine Lektion: Sie dürfen auf die Pharisäer nicht herabsehen, sondern müssen ihre eigene Not und Schuld, ihre eigene Versuchbarkeit und Schwäche bekennen, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Dass Lukas die Szene komponiert hat, ist unverkennbar; dass er ureigene Intentionen Jesu mit überlieferten Jesusworten in Erinnerung ruft, allerdings auch. 17,11–19,28 Die dritte Phase der Reise – mitten durch Samaria und Galiläa Mit einer kurzen Notiz, die einen weiten Rahmen um den gesamten Weg Jesu spannt (17,11), lässt Lukas eine dritte Phase der Reise Jesu nach Jerusalem beginnen. Sie verbindet und variiert vieles, was von Anfang an für Jesus typisch ist, setzt aber zwei neue Akzente. Zum einen tritt die futurische Eschatologie stärker als früher hervor (17,22–37; 19,11–27), die, mit der Verkündigung der Heilsgegenwart vermittelt (17,20–21; vgl. 11,1–4), tief in der Sendung Jesu verwurzelt ist und auch das Jerusalemer Lehren Jesu kennzeichnen wird (21,5–36); zum anderen tritt Jerusalem näher ins Blickfeld: mit Jericho (18,35–19,11) und dem Umland vor den Toren der Stadt (19,12–27). Beides gehört zusammen. Denn ein drittes Mal (nach 9,18–22 und 9,43b–45) kündigt Jesus sein Leiden und Sterben, aber auch seine Auferstehung an (18,31–34) – mit explizitem Verweis auf den Weg nach Jerusalem hinauf, mit direktem Verweis auf die Erfüllung
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9,51–19,28 Jesus auf dem Weg nach Jerusalem (Fortsetzung)
der Schriften und mit indirektem Verweis auf das Zeugnis unter den Völkern (24,46–47; Apg 1,8). Als Lehrer schließt Jesus seinen Jüngern die geheimnisvolle Gegenwart und Zukunft des Gottesreiches auf (17,22–37); ihnen macht er Mut zum Beten (18,1–8); im Blick auf sie nimmt er Kinder an (18,15–17) und bespricht Probleme von Ehe und Familie, die durch die Nachfolge entstehen – und gelöst werden (18,18–30); den Zwölf prophezeit er ein weiteres Mal den Leidensweg – ohne dass sie etwas verstehen (18,31–34). Wie im Evangelium nicht überraschend, werden ein weiteres Mal Pharisäer als Gegner eingeführt, zum einen mit der grundlegenden Skepsis gegenüber der Reich-Gottes-Botschaft, die Jesus nach Lukas aber widerlegen kann (17,20–21), zum anderen mit dem selbstgerechten Pharisäer, dem der reuige Zöllner im Tempel gegenübergestellt wird (18,9–14); beides passt zur eschatologischen Konturierung und zur Lokalisierung der Szenen im Umkreis von Jerusalem. Auffällig ist die Serie von positiven Nebenfiguren, die Hauptrollen des Glaubens spielen; alle durchbrechen die Erwartungen – und kommen dadurch Jesus entgegen, der ihnen entgegenkommt und sie mit Gott verbindet: Zuerst ist dies der dankbare Samariter (17,11–19), dann die mutige Witwe, die ihre Misere keineswegs internalisiert, sondern selbst vor einem korrupten Richter überwinden will (18,1–8), und im Gleichnis der reuige Zöllner, der nach seinem Bußgebet „gerechtfertigt“ nach Hause geht (18,9–14), weiter der blinde Bettler, der geheilt wird (18,35–43), und der Oberzöllner Zachäus, der unversehens zum Gastgeber Jesu wird – so beeindruckt, dass er umkehrt und diejenigen zu entschädigen verspricht, die er betrogen hat (19,1–10). In allen Fällen zeigt sich das personale Moment des Evangeliums, das Lukas stark ausgebaut hat: Überall können sich Menschen finden, die zum Glauben kommen; überall kann aber auch Widerwille und Unverständnis aufbrechen – eines gibt es nicht ohne das andere. Die Jünger stecken mitten in diesen Prozessen; sie erfahren sie am eigenen Leib und sollen durch den Blick auf andere sich selbst und ihren Glauben besser kennenlernen; diese Perspektive vermittelt sich all denen, die das Evangelium lesen. In der Geschichte vom unglücklichen Mann, der zwar Jesus nachfolgen will, aber sich nicht von seinem Geld trennen kann (18,18–30), verbinden sich diese Linien, weil die Jünger genau erkennen, dass Jesus auch ihr eigenes Problem verhandelt, wenn er lehrt, dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Gottesreich eintritt (18,25). Wie in den vorhergehenden Partien entwickelt Lukas nicht eine thematische Ordnung; das Nacheinander verweist vielmehr auf ein Mit-, Zuund Nebeneinander unterschiedlicher Begegnungen mit immer neuen Menschen, mit überraschenden Wendungen. Sie ergeben sich konse-
17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
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quent aus der Sendung Jesu; er bringt sie bei Zachäus mit dem Wort vom Menschensohn zum Ausdruck, der die Verlorenen sucht und rettet (19,10). In diesen Begegnungen zeichnet sich der Glaube als Leitmotiv ab. Der dankbare Samariter (17,11–19), die mutige Witwe (18,1–8), der blinde Bettler (18,35–43) machen vor, wie Glauben geht, der Sache nach auch zwei reuige Sünder: der Zöllner im Tempel (18,9–14) und der Oberzöllner Zachäus in Jericho (19,1–10). Im Disput mit Pharisäern (17,20–21) und im Lehrgespräch mit Jüngern (17,22–37) wird besprochen, was und wie geglaubt wird, aus welchem Grund und in welchem Kontext – konzentriert auf Jesus und das Reich Gottes. Das Zentrum ist Jesu Tod und Auferstehung (18,31–34); es wird den Jüngern von Jesus erschlossen, auch wenn sie sich ihm noch verschließen. An zwei Stellen werden die soteriologischen Dimensionen des Glaubens geklärt: Das Beispiel vom Pharisäer und Zöllner (18,9–14) spricht die Rechtfertigung an, die dem reuigen Sünder, nicht aber dem selbstgerechten Frommen zuteilwird; auch wenn nicht explizit vom Glauben die Rede ist, liegt eine Sachparallele zur paulinischen Rechtfertigungslehre vor. Zum Schluss der Sequenz und des gesamten Reiseberichts wird der Einsatz mit den Talenten gefordert, die Gott gegeben hat (19,11–27), ausgeführt am Beispiel des Umgangs mit Geld, der auch in der vorhergehenden Phase ein wichtiges Thema war (16,1–13.19–31) und den Reichen blockiert hatte, Jesu Jünger zu werden (18,18–30). Heilung – Disput – Lehre: Glaube an Jesus im Zeichen des Gottesreiches 17,11–19 Der dankbare Samariter 17,20–21 Die verborgene Gegenwart des Reiches Gottes 17,22–37 Das ausstehende Kommen des Menschensohnes (Mk 13; Mt 24) 18,1–8 Das Gleichnis von der mutigen Witwe Disput – Zuspruch – Lehre: Glaube an Gott im Alltag der Welt 18,9–14 Das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner 18,15–17 Das Vorbild der Kinder Mk 10,13–16 18,18–30 Die vergebliche Berufung des Reichen Mk 10,17–31 18,31–34 Leiden und Auferstehung als Erfüllung der Schrift Mk 10,32–34 Heilung – Disput – Lehre: Glaube an Jesus als Rettung im Leben 18,35–43 Die Heilung eines Blinden bei Jericho Mk 10,46–52 19,1–10 Jesus zu Gast bei Zachäus in Jericho 19,11–28 Das Gleichnis von den Minen Mt 25,24–30 Lukas hat die Phase so komponiert, dass in drei Perspektiven das Verhältnis von Glaube und Reich Gottes geklärt wird. Zuerst wird der Glaube an Jesus im Zeichen des Gottesreiches beleuchtet (17,11–18,8); dann wird der Glaube an Gott im Alltag der Welt konkretisiert, von der
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9,51–19,28 Jesus auf dem Weg nach Jerusalem (Fortsetzung)
Rechtfertigung (18,9–14) aus zur Ethik, die soteriologisch fundiert wird (18,15–34), schließlich wird der Glaube an Jesus als Rettung im Leben deutlich, die bereits gegenwärtig geschieht (18,35–19,11). Die Christologie trägt das Gerüst: zuerst die Parusie (17,22–37; 18,8), dann die Passion und Auferstehung (18,31–34), schließlich das irdische Wirken Jesu (19,10): entgegen der Chronologie, aber entsprechend der Heilsdramatik, die in der Gegenwart landet, immer bezogen auf den „Menschensohn“. Typisch ist, dass in allen drei Sequenzen Jesu Worte mit einer Heilshandlung verbunden werden; zu Beginn (17,11–17) und zum Ende (18,35–43) mit einer Heilung, in der Mitte mit einer Berührung, die so etwas wie ein Segen ist (18,15–17), auch wenn bei Lukas das Wort nicht steht. In allen drei Sequenzen wird ein Disput mit Pharisäern geführt: am Beginn und am Ende direkt, zuerst über das Reich Gottes (17,20–21), dann über den Umgang mit Sündern (19,1–10), in der Mitte indirekt, durch das Gleichnis im Tempel (18,9–14). In allen drei Sequenzen agiert Jesus als Lehrer: gegenüber seinen Jüngern (17,22–18,8; 18,31–34) und dem ganzen Volk (19,11–27). Seine Worte deuten seine Taten; seine Taten bewahrheiten seine Worte. Was er tut, gibt zu denken; was er sagt, hat Wirkung. Der Blick in die Synopse zeigt zweierlei: Zum einen baut Lukas seinen Reisebericht wieder sehr stark auf Sondergut auf, das er recherchiert hat; zum anderen folgt er aber dort, wo es um die Lebenspraxis der Nachfolge geht, wieder stärker der markinischen Vorlage – und zwar genau von der Stelle an, an der der ältere Evangelist seinerseits Jesus auf dem Weg nach Jerusalem zeigt (10,1.32) – über Jericho (Mk 10,46–52). Lukas lässt zum einen das Lehrgespräch über die Ehescheidung aus – weil er eine Kurzversion unter dem Vorzeichen der Gesetzeserfüllung bereits gebracht hat (16,18); zum anderen streicht er den Wunsch der Zebedäussöhne, die besten Plätze im Reich Gottes zu ergattern – weil er sich dieses Thema für die Gespräche beim letzten Abendmahl aufspart (22,24–38). Auch die dritte Phase der Reise ist ein Kompendium des gesamten Evangeliums. Die erste Phase hat die Nachfolge Jesu hervortreten lassen, die zweite Phase die Suche Jesu, der sich alle anschließen sollen, die gefunden worden sind (13,22–17,10). Die dritte Phase baut auf den beiden ersten Phasen auf und lässt den rechtfertigenden Glauben hervortreten, der mitten im Leben Gott entdeckt. 17,11–19 Der dankbare Samariter 11Und es geschah auf dem Weg, nach Jerusalem, dass er mitten durch Samaria und Galiläa zog. 12Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn Aussätzige. Sie blieben in der Ferne stehen 13und riefen: „Jesus, Meister,
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erbarme dich unser!“ 14Und er sah sie und sagte: „Geht, zeigt euch den Priestern!“ Und es geschah, während sie gingen, wurden sie rein. 15Einer aber von ihnen, als er sah, dass er geheilt war, kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme 16und fiel auf sein Angesicht vor seine Füße und dankte ihm. Und das war ein Samariter. 17Jesus antwortete ihm und sagte: „Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die neun? 18Hat sich keiner gefunden, umzukehren, um Gott die Ehre zu geben, als dieser Fremde?“ 19Und er sagte ihm: „Steh auf, geh, dein Glaube hat dich geheilt.“ Lukas erzählt, dass Jesus auf einen Schlag zehn Aussätzige geheilt hat, dass aber nur einer – ein Samariter – dankbar zu Jesus zurückgekehrt ist. Mit diesem Menschen führt der Evangelist den Glauben als Leitmotiv der folgenden Szenen ein. In der Erzählung werden Rollenerwartungen irritiert, so dass sich ein neuer Blick auf die Samariter ergibt, der seinerseits weitreichende Konsequenzen für das Menschenbild Jesu und seiner Jünger hat. Zuvor waren die Samariter als tendenziell feindlich gezeichnet worden (9,52–56), im Gleichnis war es aber ausgerechnet ein Samariter, der durch seine Barmherzigkeit die Frage beantwortet hat, wer als Nächster anzusehen ist, den es zu lieben gilt (10,25–37). Der geheilte Samariter steht ihm zur Seite: Er lebt, was Glaube ist, wie der Samariter im Gleichnis lebt, was Liebe ist. Lukas hat die Heilungsgeschichte so aufgebaut, dass die Reaktion der Geheilten auf Jesus ins Zentrum rückt. 17,11–14 Die Reinigung 11 Die Situation: Jesu Weg durch Samaria und Galiläa 12–13 Die Bitte von zehn Aussätzigen um Heilung 14a Die Aufforderung Jesu, sich den Priestern zu zeigen 14b Die Wahrnehmung der Reinigung auf dem Weg 17,15–19 Die Antwort des Samariters 15–16 Der Weg des Samariters zurück zu Jesus 17–19 Die Reaktion Jesu 17–18 Die Frage nach den neun Anderen 19 Der Zuspruch des heilenden Glaubens Die Heilung erfolgt konventionell, mehr oder weniger nach Maßgabe der Aussätzigenreinigung zu Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa (5,12–16 par. Mk 1,40–45). Auch dort spielt das Motiv eine Rolle, dass Priester ein Gesundheitszertifikat ausstellen müssen, um die nachhaltige Heilung zu attestieren und die Wiederaufnahme in die aktive Kultgemeinde zu legitimieren. Dass ein Samariter auftaucht, spiegelt die Situation der Reise; dass der Glaube des Samariters betont wird, entspricht in etwa
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der Geschichte von der Heilung des Knechtes des Hauptmanns von Kapharnaum (7,1–10). Der zweite Teil, in dem dies deutlich wird, setzt den Akzent. Das Thema der Erzählung ist die Reaktion der Geheilten auf die Heilung: Der eine, ein Samariter, glaubt; die anderen gehen ihres Weges, ohne Jesus ihren Dank an Gott auszusprechen. Die Erzählung ist Sondergut; sie scheint andere Erzählungen zum Thema Aussatz und Reinigung vorauszusetzen. Auf die Frage des Täufers, ob er der Messias sei, hat Jesus auch mit dem Verweis auf Aussätzigenreinigungen geantwortet (7,22) und damit ein Thema gesetzt, das über die alttestamentlichen Hintergrundtexte (Jes 26,19; 29,18; 35,5–6; 61,1) hinausgeht. Die neue Erzählung erklärt sich im Duktus des gesamten Evangeliums als Ausweitung und Variante der früheren Geschichte. Die Steigerung der Zahl auf Zehn deutet bereits an, dass nicht die Heilung als solche fokussiert wird, sondern die unterschiedlichen Reaktionen auf sie im Mittelpunkt stehen. Herausgearbeitet wird der Glaube eines Samariters, bei dem man ihn am wenigsten erwarten würde. Aber so wie Jesus im heidnischen Hauptmann von Kapharnaum einen Glauben gesehen hat, den er in Israel nicht gefunden hat (7,1–10), hat er hier den Glauben eines Samariters geweckt, den die neun anderen Geheilten, Juden, die es besser hätten wissen sollen, vermissen lassen, wenn sie auch Jesu Aufforderung folgen, sich den Priestern zu zeigen, die ihnen attestieren können, wieder gesund zu sein. Die erzählte Szene (11) zielt nicht auf einen bestimmten Punkt in der Landschaft, sondern umschreibt die gesamte Region des Wirkens Jesu, von dem Moment an, da er „sein Angesicht“ nach Jerusalem wandte (9,51). Es macht deshalb keinen Sinn, zu kritisieren, dass der Weg nach Jerusalem aus dem Norden nicht „mitten durch Samaria und Galiläa“ führt. Lukas beschreibt in seinem Reisebericht keine Direktroute, sondern einen Erkundungsweg, der Jesus zu den Verlorenen führt (19,10). Er findet sie in Samaria und Galiläa; die Aussätzigen sind Beispiele. Er findet sie an der Grenze und inmitten beider Landschaften, weil die Verlorenen sowohl an den Peripherien als auch in den Zentren und ihren Umgebungen zu finden sind. Die politischen Grenzen, die zwischen Samaria und Galiläa sowie Judäa verlaufen, interessieren Lukas nicht, die geschichtlichen, kulturellen und religiösen schon – unter dem Aspekt, dass Jesus sie überschreitet und dadurch Hass überwindet. Lukas nennt Samaria zuerst, obwohl Galiläa weiter nördlich liegt; denn er will markieren, wohin und wie weit Jesus auf seiner Suche nach den Verlorenen geht: an die Stellen, wo die meisten denken, dass der Messias dort nichts verloren habe. Dass der Evangelist Samaria und Galiläa nennt, passt zur folgenden Geschichte, in der – wie sich herausstellen wird – ein Samariter neun Juden gegenübersteht und alle vom Juden Jesus geheilt werden.
17,11–19 Der dankbare Samariter
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Auf seiner Wanderung begegnet Jesus, bevor er in ein ungenanntes Dorf kommt, zehn Aussätzigen (12) (12). Die Krankheit (s. bei 5,12–16) ist nicht nur körperlich lästig; sie stigmatisiert: Sozialkontakte sind verboten; Isolation ist angesagt, weil Aussatz als hoch ansteckend gilt (Lev 13–14). So erklärt sich, dass die Zehn aus der „Ferne“ Jesus ansprechen. Ihre Bitte um Reinigung richten sie an „Jesus“, den „Meister“ (13) (13). Das heißt: Sie kennen ihn, und sie verehren ihn, wie es in ihren respektvollen Anreden sonst die Jünger tun, wenn sie ihm ihr Vertrauen schenken (5,5), seine Hilfe erflehen (8,24), ihm beistehen (8,45) oder seine Zustimmung wünschen (9,33.49). Der „Meister“ (epistátes) ist der Macher, der Könner, der Chef. Die Bitte ist klar und einfach: „Erbarme dich unser“ – ähnlich wird der blinde Bettler den „Davidssohn“ bitten (18,38.39) – ist ein Ruf um Hilfe, der an Gott gerichtet wird, im Vertrauen, dass er zu helfen vermag, wo kein Mensch helfen kann (Ps 6,3; 9,14 u. ö.). Die Barmherzigkeit ist der tiefste Antrieb Jesu bei seinen Heilungen und in seinem gesamten Wirken: ein Mitleiden an der Ungerechtigkeit und Not, das Gottes Erbarmen entspricht (1,72 u. ö.), eine Emotion der Anteilnahme, die durch Liebe gedeckt wird, und zugleich eine Kraft der Veränderung, die Gutes bewirkt (vgl. 6,36). Von einer direkten Heilung Jesu ist nicht die Rede (14) (14), weder von einer Geste noch von einem Wort – anders als bei der ersten Aussätzigenreinigung (5,13), aber ähnlich wie beim Knecht des Hauptmanns von Kapharnaum (7,9–10). Lukas hat beim ersten Fall beides beschrieben, um zu zeigen, dass Jesus sich nicht ansteckt und durch sein Wort reinigt; jetzt liegt der Fokus auf der Souveränität Jesu, der keine medizinischen, gar magischen Hilfsmittel braucht, um zu wirken. Er konzentriert sich auf die Priester, denen sich die Aussätzigen zeigen sollen, damit die ihre Heilung (die in diesem erzählten Moment noch nicht geschehen ist) konstatieren und dadurch den Kranken ein Leben in voller Teilhabe ermöglichen sollen (s. bei 5,12–16). Hier steht der Fachbegriff: reinigen (katarízo); das Passiv verweist auf Gott als Handelnden. Was die Zehn erbeten haben und Jesus zwar nicht ausspricht, aber will, tritt ein: Auf dem Weg werden die Aussätzigen „rein“, verlieren also ihre Symptome und sind wieder gesund. An dieser Stelle könnte die Erzählung enden; sie hätte einen weiteren großen Heilungserfolg Jesu dokumentiert. Aber sie beginnt erst, farbig zu werden. Denn von einem der Geheilten wird erzählt, wie er reagiert. Was Lukas durch Verben und Partizipien in eine stimmige Handlungsfolge bringt, entschlüsselt sich als eine Glaubensgeschichte par excellence (15–16) (15–16): sehen – umkehren – Gott preisen – Jesus zu Füßen fallen – danken. Zuerst steht die Wahrnehmung dessen, was Gott sei Dank durch Jesus geworden ist; dann folgt die Umkehr, im wörtlichen Sinn der Rückkehr zu Jesus, aber auch
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im übertragenen Sinn der Abkehr von der Not und der Hinkehr zum Leben Gottes; die Umkehr führt zum Lob Gottes, der die Reinigung bewirkt hat; dieses Gotteslob zeigt sich in der fußfälligen Verehrung Jesu, der als Mensch Gott repräsentiert; das Ergebnis ist Dankbarkeit: nicht nur, gereinigt worden zu sein, sondern auch, durch die Umkehr zu Gott und zu Jesus gefunden zu haben. Die Pointe hebt sich der Evangelist für den Schluss auf: Der Eine, von dem er erzählt, „war ein Samariter“. Die Identifizierung erfolgt völlig überraschend, weil die Zehn zuvor als feste Gruppe erschienen waren; sie ist provokativ, weil im (vorausgesetzten) Publikum gerade von einem Samariter, mit dem Juden traditionell erhebliche religiöse und politische Differenzen haben, am wenigsten erwartet worden sein wird, dass er diese Konsequenz zieht. Einen ähnlichen Effekt erzielt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (10,25–37). Mit einer Distanzierung vom jüdischen Priestertum hat die Geschichte nichts zu tun, mit der grenzüberschreitenden Verbindungskraft des Glaubens aber sehr viel. In der abschließenden Reaktion Jesu auf die Reaktion des Samariters wird dieser Glaube zum Thema. Jesus reagiert auf den Mann, indem er zuerst über ihn (Vv. 17–18), dann mit ihm spricht (V. 19). Bei der ersten Reflexion (17–18) ist vorausgesetzt, dass Jesus nicht allein ist: Seine Jünger sind mit ihm, aber auch eine größere Menge bekommt mit, was geschieht. Jesus konstatiert, dass alle „rein geworden“ sind (was sie auch bleiben); er fragt nach den Neun, die sich weisungsgemäß (V. 14) auf den Weg zu den Priestern gemacht haben. Dass sie es nicht für nötig befunden haben, Jesus zu danken, ist ein Problem, das Jesus klar benennt. Seine Weisung, zu den Priestern zu gehen, nimmt er nicht zurück; sie steht nicht im Widerspruch zur Umkehr und Dankbarkeit. In der kritischen Rückfrage nimmt Jesus zwei Momente auf, die der Samariter verbunden hat: die Umkehr und das Gotteslob. Die Verehrung und Dankbarkeit, die ihm persönlich zuteilwird, kann er zurücktreten lassen, weil er sich auf die entscheidenden Bestimmungen dessen konzentriert, was die Reinigung bei Menschen, die sie erbitten und erfahren, auslösen soll: die Abkehr von ihrer leidvollen Vergangenheit, in Verbindung mit der Hinkehr zu einem Leben aus der Nähe der Gottesherrschaft (17,20–21), und die Verehrung Gottes, der die Reinigung bewirkt hat (V. 14). Der Blick fällt aber nicht auf die neun, die beides vermissen lassen, sondern auf den einen, der es realisiert hat. Noch einmal wird die Pointe, die zuvor der Erzähler markiert hat (V. 16), unterstrichen, jetzt im Munde Jesu: Er würdigt den „Fremden“. Das griechische Wort, allogenés, bezeichnet das Mitglied eines anderen Standes, einer anderen Nation, eines anderen Geschlechtes. Der Begriff markiert nicht die tiefen Gemeinsamkeiten zu Juden, die es mit den Samaritern auch gibt, sondern
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aus jüdischer Sicht den tiefen Unterschied, der sich aus der Geschichte ableitet. Der Begriff ist aber offen: auch für Mitglieder anderer Kulturen, die für den Glauben gewonnen werden sollen. Dieser „Fremde“ wurde „gefunden“, was genau zum Suchprogramm Jesu passt, in dem sich der Heilswille Gottes konkretisiert. Das letzte Wort Jesu gilt dem Samariter (19) (19). Das Wort wirkt formelhaft (vgl. 5,23–24–5,48; 7,50; 18,24) und gewinnt gerade dadurch an Tiefe: Denn es ist ein Samariter, der glaubt, im Unterschied zu den Neun, wahrscheinlich alles Juden: Auch sie sind geheilt und werden dankbar sein; aber sie glauben nicht. Der Samariter seinerseits glaubt nicht an Wunder, sondern an Jesus. Deshalb erfährt er eine Heilung, die mehr ist als die Reinigung; es ist sein Glaube, der die Heilung bewirkt, der Glaube eines Samariters. Jesus ist derjenige, an dem der Glauben sich entzündet und auf den er sich richtet. Er ist auch derjenige, der ihn nicht nur feststellt, sondern zuspricht. So ist es Jesus selbst, der das Wunder wirkt, indem er den Glauben der Geheilten wirken lässt. Er wirkt durch sein Wort, aber gerade so, dass er die Geheilten einbezieht und mitwirken lässt, für die und an denen er handelt, indem er ihren Glauben weckt. Der Samariter, der „Fremde“ (V. 18), wird zum Vorbild des Glaubens. Das ist die heimliche Botschaft. Sie nimmt das Ethos der Wundergeschichte auf und führt es auf eine neue Ebene: So wie Jesus durch die Heilung der Aussätzigen die Ausgestoßenen wieder ins heilige Gottesvolk zurückführen kann, so integriert er auch die Samariter, die durch den einen Geheilten repräsentiert werden. Die Pointe ist aber nicht die Desavouierung der neun, sondern die Wertschätzung des einen. Glaube rettet – was in der Heilung zeichenhaft vorweggenommen wird. Glaube erweist sich als Umkehr, die im Licht Gottes sieht, was der Fall ist, deshalb die Einstellung ändert und Gott die Ehre gibt, konkretisiert in der Verehrung Jesu. Der Samariter nimmt keinen christologischen Hoheitstitel in den Mund: Er bringt aber durch seine Einstellung und sein Handeln zum Ausdruck, was die Namen und Begriffe ausdrücken sollen und können. Dadurch zeigt er vielen, wie der Weg zu Gott durch Jesus gebahnt wird, auch für diejenigen, die nicht jüdisch sind. Jesus selbst heilt ungeachtet der Herkunft eines Menschen; er erfüllt Bitten, die an ihn gerichtet werden, wenn sie mit dem Kommen des Gottesreiches übereinstimmen; er sucht und findet Glauben: nicht bei allen, aber bei allen, die sich von ihm helfen lassen, weil er barmherzig ist. Die historische Dimension öffnet sich in einer Geschichte zweiter Ordnung: die nicht direkt, sondern indirekt durch Ereignisse geprägt ist, wohl aber durch Überlieferungen, die auf ihnen beruhen, durch sie ausgelöst werden und dadurch die Person Jesu kenntlich machen. In diesem Fall werden zentrale Motive erinnert: seine Aussätzigenheilungen, sein Verhältnis zu den Samaritern,
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sein Setzen auf Glauben. Die literarische Gestaltung dient der Identifizierung Jesu, auch wenn der Perikope kein unabhängiger eigener Quellenwert zuzumessen ist. 17,20–21 Die verborgene Gegenwart des Reiches Gottes 20Befragt von den Pharisäern, wann das Reich Gottes komme, antwortete er ihnen und sagte: „Das Reich Gottes kommt nicht mit sichtbaren Zeichen. 21Sie werden auch nicht sagen: ‚Siehe, hier!‘, oder: ‚Siehe, dort!‘ Denn siehe: Das Reich Gottes ist unter euch.“ Die kurze Szene ruft das zentrale Stichwort der Verkündigung Jesu auf, auch bei Lukas: Reich Gottes (4,43; 6,20–23; 8,1; 9,11 u. ö.). Es verbindet den Anspruch Gottes auf das menschliche Leben mit dem Glaubenswissen und seine schöpferische Lebensmacht mit dem Freiraum der Hoffnung, den der Glaube ausfüllt. Die Szene fängt ein, wie kritisch Jesus gesehen wird – weil Gottes Reich so wichtig erscheint (vgl. 14,15). Sie spitzt auch zu, wie Jesus die Gegenwart des Gottesreiches gesehen und verwirklicht hat, um deren Kommen alle bitten, die das Vaterunser beten (11,1–4). Die Jünger sollen mit Jesu Worten verkünden, dass Gottes Reich „nahegekommen“ ist (10,9.11). Hier klärt Jesus selbst auf, wie Zeit und Raum des Gottesreiches zu sehen sind. Er setzt sich erneut mit kritisch fragenden Pharisäern auseinander – die eine Antwort erhalten und sie bei sich selbst suchen müssen. Seine Antwort entspricht einer früheren Erklärung, gleichfalls gegen kritische Einsprüche: dass Gottes Reich in die Gegenwart „zu euch vorgestoßen“ ist, wenn er „mit dem Finger Gottes“ Dämonen austreibt (11,20). Die Szene ist nach dem Schema „gefragt – beantwortet“ aufgebaut, wie es für weisheitliche Anekdoten, für kritische Sentenzen und didaktische Kurzprogramme typisch ist. Die Antike hat sie geliebt; Lukas portraitiert Jesus als Meister dieser Form. 17,20a 17,20b.21
Die kritische Frage der Pharisäer Die Antwort Jesu 20b Die erste Negation: keine Vorzeichen 21a Die zweite Negation: keine Indizien 21b Die Position: Personale Präsenz
Die Antwort besteht darin, den Sinn der Frage in Frage zu stellen, weil das Reich Gottes, nach dessen Kommen gefragt wird, als ob es keine Verkündigung Jesu, keine prophetische Verheißung, keine weisheitliche
17,20–21 Die verborgene Gegenwart des Reiches Gottes
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Offenbarung geben würde, schon im Kommen ist, wie Jesus – Lukas zufolge – in Übereinstimmung mit Mose, den Propheten (vgl. nur 14,29.31) und Salomo (vgl. 11,31) gelehrt hat. Der kurze Wortwechsel ist Sondergut. Er beweist in Verbindung mit der Markustradition (Mk 1,15) und der Redenquelle (10,9.11 par. Mt 10,7; Lk 11,20 par Mt 12,28), wie tief und vielgliedrig das Thema Reich Gottes in der Verkündigung Jesu wurzelt. Nachdem der Samariter im Glauben die Grenze zu Gott, seinem Reich und seinem Volk überschritten hat, wird jetzt der Blick auf die Gegenwart des Gottesreiches mitten in Israel gelenkt. Aus der Frage der Pharisäer spricht Skepsis (20a) (20a). Sie reagieren auf die Ankündigung Jesu und seiner Jünger, die auch ins Gebet gefasst wird (11,1–4): Gottes Reich sei nahegekommen. Es bleibt offen, was die Pharisäer sich als Gottesreich in der lukanischen Frage vorgestellt haben: keineswegs unbedingt einen Gottesstaat, der das Joch der Römerherrschaft hat abschütteln können, wie vielfach gedeutet wird, vielmehr eher die eschatologische Vollendung im Sinn jesajanischer Verheißungen (Jes 25,6–8), die auch in der jüdischen Tradition der Zeit lebendig sind, nicht zuletzt in den Psalmen Salomos, die von einigen Forschern der pharisäischen Bewegung zugeordnet werden (PsSal 16.17). Die Frage: „Wann …?“, ist denkbar offen gestellt. Sie deckt auf, dass die Zeit weitergeht und bislang keine Vollendung eingetreten, sondern nach wie vor mehr als genug Krankheit, Tod und Unfreiheit, Not und Schuld das Leben der Menschen belasten. Die Frage zielt nicht nur auf Vorzeichen, an denen man erkennen könne, wann Gottes Reich käme (so werden die Jünger nach Apg 1,6 fragen), sondern auf das Reich Gottes überhaupt. Sie bezweifeln, dass Jesus mit seiner Botschaft von der Nähe des Gottesreiches Recht hat. Deshalb fragen sie: nicht, um eine Antwort zu erhalten, sondern um die Hilf- und Haltlosigkeit Jesu und seines Evangeliums aufzudecken. Jesus weist sie mit einer ebenso kompakten wie differenzierten Antwort ab, die über eine doppelte Negation zu einer positiven Schlussaussage kommt. Sie trägt das Gewicht. Die beiden Verneinungen beziehen sich auf populäre Erwartungen. Die eine (20b) (20b): Es gäbe Vorzeichen, an denen man genau beobachten könne, wann das Reich Gottes kommt. Nach der Jerusalemer Endzeitrede sind dies „Zeichen“ (semeía), die die Fundamente von Himmel und Erde ins Wanken bringen (21,25–26; vgl. 17,24); alles, was vorher als Anzeichen des Endes ausgewiesen wird, von Kriegen, Hungersnöten und Seuchen bis zur Zerstörung Jerusalem, sehen nur Falschpropheten als Beweis, dass nun das Ende aller Zeiten gekommen ist. Die andere populäre Erwartung (21a) (21a): Es gäbe eindeutige Indizien, so man das Reich Gottes „hier“ oder „dort“ sehen könnte – an
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anderen Stellen aber nicht. Diese Erwartung ist derjenigen ähnlich, die Jesus zumuten will, sich an Zeichen als Messias auszuweisen (11,16.29); auch diese Optik kennzeichnet die Falschpropheten (17,23). In beiden Erwartungshaltungen wird vollkommen verkannt, was es am Reich Gottes zu entdecken gibt: wie es Augen öffnet, Zeit schenkt und den Kairos erkennen lässt (12,56). Die positive Antwort Jesu setzt den Schlussakzent (21b) (21b). Er klärt das Fehlurteil auf, das der Frage (V. 20a) zugrunde liegt, und führt über die Kritik zu einem positiven Urteil, das Klarheit schafft, aber nicht schon jede kon struktive weitere Frage beantwortet, sondern einlädt, auf die Suche nach einer Konkretion der Antwort zu gehen – mit Jesus. Das begründende „Siehe“ konterkariert die optischen Täuschungen der Falschpropheten und derer, die ihnen zu folgen bereit sind (vgl. 17,23). Es lenkt den Blick auf das, was ist. Das Reich Gott ist „unter euch“. Die griechische Wendung (entòs hymôn) wird unterschiedlich verstanden. Früher stand in den Lutherbibeln: „inwendig in euch“; die Deutung geht bis auf die Kirchenväter zurück, sie entspricht der lateinischen Vulgata (intra); sie zielt auf eine mystische Präsenz des Gottesreiches in der Seele gläubiger Menschen. Auch das apokryphe Thomasevangelium hat diese Sicht, weitet sie aber: „Das Reich Gottes ist innerhalb von euch und außerhalb von euch“ (Logion 3). Aber auch wenn es gute sachliche Gründe für eine Deutung auf das Innenleben von Menschen gibt, lässt sich das Griechische besser so deuten, dass nicht in jedem Einzelnen, sondern inmitten der Welt und der Menschen das Reich Gottes ist. So stimmen jetzt auch die Einheitsübersetzung und die Lutherbibel mit der Zürcher Bibel überein: „unter euch“. Die Pointe ist die Gegenwart der Gottesherrschaft; sie ist verborgen, aber real. Das Pronomen „euch“ spiegelt die Frage und bezieht die Pharisäer ein: Das Gottesreich ist mitten in Israel, mitten unter den Pharisäern, mitten in der Skepsis, mitten in der Frage. Wer nicht glaubt, kann es nicht erkennen; aber es ist dennoch gegenwärtig. Wo und wie? Es gibt Auslegungen, die eine versteckte Aufforderung erkennen, sich um das Reich Gottes zu mühen (16,16). Aber das Wort ist kein Imperativ, sondern ein Indikativ. Jesus sagt Gottes Reich als heilschaffende Größe zu. Es wird nicht möglich sein, die Frage ohne den Sprecher zu beantworten. Jesus selbst ist gegenwärtig; er verkündet und verwirklicht das Gottesreich. Er spricht mit den Pharisäern; er stellt sich ihrer Kritik; er versucht, sie für Gott zu gewinnen; er ist als Jude mitten im Gottesvolk Israel auch als Heiland der Heiden im Dienst. Das Konzept von Kirchenvätern, Jesus selbst sei das Gottesreich (Autobasileia), schießt über das Ziel hinaus; aber es gibt die Botschaft nicht ohne den Boten und das Reich nicht ohne den Sohn Gottes. Jesus verweist indirekt auf sein Wirken, auf seine Lehre wie seine Heilungen; er verweist vor allem auf seine Person: den Menschensohn, den Gott gesandt hat.
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In der kritischen Auseinandersetzung mit pharisäischer Skepsis macht Jesus deutlich, wie Gottes Reich zu sehen ist. Seine Gegner unterstellen ihm eine Naherwartung, wie große Teile der Forschung sie Jesus und der Urgemeinde zuschreiben: dass sozusagen die Uhr tickt und die Zeit kurz bemessen sei, bis Gottes Reich vollendet sein wird; würde Jesus nach Lukas diese Auffassung vertreten, wären die Pharisäer im Recht – wie die Spötter, die im Zweiten Petrusbrief fragen, wo die „Verheißung seiner Ankunft geblieben“ sei, da sich doch nichts verändert habe „seit Anfang der Schöpfung“ (2Petr 3,4). Aber die lukanische Eschatologie ist viel differenzierter: Sie versteht die Nähe der Gottesherrschaft qualitativ, nicht quantitativ. Gott ist immer schon den Menschen nahe; er ist mitten unter ihnen (vgl. Ex 17,17). Jesus deckt diese Nähe auf, die reale Gegenwart ist. Es sind nicht äußere Zeichen, an denen man das Kommen wird ablesen können; es sind die Zeichen und es ist die Person Jesu selbst, die erkennen lassen, dass Gottes Reich gekommen ist. Dieser Blickwechsel ist entscheidend: Er ist die Perspektive des Glaubens. Das Lukasevangelium lädt ein, in vielen Momenten zu entdecken, wo Gottes Nähe verkannt und erkannt wird. Durch diese Galerie erzählter Bilder wird nicht nur die Erinnerung an Jesus geschärft, sondern auch die Orientierung in der Welt verbessert, der Gott nahe ist. Wie bei Lukas gewohnt, ist die Szene aufs Äußerste verdichtet; alle näheren Umstände, alle Zwischenschritte und Weiterungen sind ausgeblendet: damit das eingeblendet wird, was der Evangelist mit seiner Überlieferung für typisch jesuanisch gehalten hat. Die Vielzahl der Parallelen aus einem breiten Spektrum an Überlieferungen beweist, dass Lukas nicht einem Irrtum aufgesessen ist, sondern Fehldeutungen Jesu abzuweisen vermag. 17,22–37 Das ausstehende Kommen des Menschensohnes 22Er sagte aber zu seinen Jüngern: „Tage werden kommen, dass ihr begehrt, einen der Tage des Menschensohnes zu sehen – und ihn nicht sehen werdet. 23Und sie werden euch sagen: ‚Siehe, hier‘, und: ‚Siehe, dort‘. Geht nicht weg, jagt ihnen nicht nach. 24Denn wie der Blitz, wenn er aufblitzt, von der einen Seite unter dem Himmel bis zur anderen Seite unter den Himmel leuchtet, so wird der Menschensohn sein. 25Zuerst aber muss er vieles leiden und von diesem Geschlecht verworfen werden. 26Und so wie es in den Tagen Noahs war, so wird es in den Tagen des Menschensohnes sein: 27Sie aßen, tranken, heirateten, wurden verheiratet, bis zu den Tagen, da Noah in die Arche ging und die Flut kam und alles vernichtete. 28Ähnlich geschah es in den Tagen Lots: Sie aßen, tranken, kauften, verkauften, pflanzten, bauten; 29aber an dem Tag, da Lot aus Sodom wegging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und vernichtete alles. 30So wird es auch sein am Tag, da der Menschensohn offenbar wird. 31An jenem Tag:
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Wer auf dem Dach ist und seine Sachen im Haus hat, steige nicht herab, um sie zu holen; und wer auf dem Acker ist, drehe sich nicht nach hinten um; 32erinnert euch an die Frau Lots. 33Wer sein Leben zu erhalten sucht, wird es verlieren; wer es aber verliert, wird es lebendig erhalten. 34Ich sage euch: In dieser Nacht werden zwei auf einem Lager sein; der eine wird weggenommen und der andere zurückgelassen. 35Zwei werden zusammen mahlen; die eine wird weggenommen und die andere zurückgelassen.“ 37Und sie antworteten und sagten ihm: „Wo, Herr?“ Er aber sagte ihnen: „Wo das Aas ist, dort sammeln sich auch die Geier.“ An die Auseinandersetzung mit den Pharisäern über das Kommen und die Gegenwart des Gottesreiches (17,20–21) schließt sich eine Endzeitrede an, die Jesus an die Jünger richtet. Er bleibt beim Thema des Kommens; aber er macht jetzt deutlich, dass die verborgene Gegenwart des Gottesreiches weder eine heile Welt erstehen lässt noch die Vollendung überflüssig macht, auf die sich die Hoffnung der Totenauferweckung und des ewigen Lebens richtet. Die Jünger scheinen für Lukas gehört zu haben, was Jesus den Pharisäern sagt, weil sie mit ihm auf dem Weg sind (17,11); umgekehrt brauchen die Pharisäer jetzt nicht ausgegrenzt zu sein, auch wenn Lukas nicht schreibt, dass sie hören, was Jesus den Jüngern sagt: Die Kommunikation ist offen. Jesus spricht an, was er in einer anderen Perspektive angesichts der Tempelzerstörung ausführen wird, die er vorausgesagt hat (21,5–38). Sein Augenmerk liegt hier aber nicht auf der Deutung von Katastrophen als kennzeichnenden Phänomenen einer Geschichte, die von Unheil und Unglück geprägt ist; es liegt vielmehr auf der Herausforderung der Jünger und aller Gläubigen, unter widrigen Umständen den Glauben zu bewahren (vgl. 12,4–12). Die Lehrrede Jesu ist so gegliedert, dass die eschatologische Herausforderung der Jüngerschaft illusionsfrei, aber hoffnungsvoll zum Ausdruck kommt. Zu Beginn grenzt Jesus die Parusie des Menschensohnes, auf die seine Jünger hoffen, von den Visionen falscher Propheten ab, die vorzeitig das Ende ausrufen und deshalb einen Trost zu spenden verheißen, nach dem sich die Jünger in schwierigen Zeiten sehnen mögen; aber falsche Diagnosen lösen nur Depressionen aus (Vv. 22–25). Die gegenläufige Erfahrung wird durch archetypische Beispiele aus der Geschichte Israels eingespielt: Noah und die Sintflut, Lot und der Untergang Sodoms – beide unter dem Aspekt, dass die Mehrheit der Menschen so getan hat, als gäbe es keine Gefahr, so wie auch zur Zeit Jesu sehr viel Gleichgültigkeit herrscht (Vv. 26–32). Was tatsächlich wichtig ist, klärt Jesus in einer doppelseitigen Prophetie. Zum einen gibt es keine Erlösung ohne Tod und Auferstehung, auch schon mitten im Leben (V. 33); zum anderen gibt es die Vorhersage harter Scheidungen, wenn es am Ende
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ernst wird (Vv. 34–35) – die Kehrseite desselben radikalen Prozesses, der zur Vollendung des Reiches Gottes führt. Zum Schluss haben die Jünger eine Frage; sie wird von Jesus mit einem Bildwort beantwortet, das an ihre Erfahrungen in der Natur appelliert, aber auch den Schrecken der Endzeit einfängt (V. 37). In dieser Konstellation entsteht ein facettenreiches Bild des Endgeschehens, das sich nicht in Spekulationen über das Wann und Wie verliert, sondern vor allem die Gegenwart ins Licht stellt, so dass die Orientierung in Zeit und Raum gelingen kann; es gilt, angesichts von Katastrophen und Versuchungen im Glauben Stärke zu finden. 17,22–25 17,26–32 17,33–35 17,37
Die Vorwarnung der Jünger 22 Die Voraussage ihrer Sehnsucht nach dem Menschensohn 23 Die Voraussage falscher Prophetie 24 Die Ansage der Parusie des Menschensohnes 25 Die Vorbereitung auf das Leiden des Menschensohnes Beispiele aus der Geschichte Israels 26–27 Das Beispiel Noahs und der Sintflut 28–29 Das Beispiel Lots und des Gerichts über Sodom 30–32 Der Vergleich mit der Parusie des Menschensohnes Prophetie des Kommenden 33 Gewinn als Verlust, Verlust als Gewinn des Lebens 34–35 Vorhersage der Scheidung unter den Menschen Besprechung des Kommenden mit den Jüngern 37a Die Frage der Jünger nach dem Ort der Scheidung 37b Die Antwort Jesu mit dem Bildwort der Geier
Die parallele Endzeitrede in Jerusalem (21,5–38) geht auf die markinische Vorlage zurück, die Lukas nicht unerheblich bearbeitet hat (Mk 13). Die Rede, die Lukas auf dem Weg Jesu durch Samaria und Galiläa platziert (17,11), basiert im wesentlichen auf der Logienquelle, die eine eigene Endzeitrede enthalten hat. Dies ergibt sich aus der matthäischen Apokalypse (Mt 24), die zwar gleichfalls Mk 13 als Basis hat, aber darüber hinaus weitere Passagen enthält, zu denen Parallelen in Lk 17 stehen. Dieser Befund erklärt sich am besten durch die Annahme einer Doppelüberlieferung, die Matthäus zusammengearbeitet hat, während Lukas sie auseinandergehalten hat. Zu den Motiven und Wendungen aus der Logienquelle gehören die Warnung vor den Falschpropheten, die „hier“ und „dort“ rufen (V. 23; vgl. Mt 24,26), das Bild von der blitzartigen Erscheinung des Menschensohnes (V. 24; vgl. Mt 24,27), das Beispiel der Sintflut (Vv. 26–27; vgl. Mt 24,37), der Vergleich mit der Zeit vor der Parusie (V. 30; vgl. Mt 24,39), das harte Auseinanderreißen von Menschen in der Endzeit (Vv. 34–35; vgl. Mt 24,40–41) und das Sprichwort
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vom Aas und den Geiern (V. 37; vgl. Mt 24,28). Ebenso gilt dies für das Wort über den Verlust und Gewinn des Lebens (V. 33), das bei Matthäus aber in einem anderen Kontext steht (Mt 10,39) und eine Parallele bei Johannes aufweist (Joh 12,35); sachlich nahe liegt die Reflexion der Kreuzesnachfolge (9,24 par. Mk 8,35; Mt 16,25). Ob auch Lot und Sodom zu dieser Quelle gehören, muss offenbleiben (Vv. 28–29). Zur Parusieankündigung (V.31) gibt es Parallelen bei Markus (Mk 13,15–16), vor allem aber bei Matthäus (Mt 24,17–18), so dass hier der Schluss auf eine Doppelüberlieferung in Markus und der Redenquelle naheliegt. Lukas selbst hat die Adressierung an die Jünger betont (V. 22 – V. 37) und dadurch die Komposition der gesamten Rede bestimmt, einschließlich des Einbaus der anthropologischen Reflexion (V. 33); vor allem hat er durch die Doppelung der Endzeitreden das Gewicht des Themas betont – hellhörig für Debatten seiner Zeit und überzeugt von der Bedeutung der Eschatologie für Jesus. Jesus arbeitet weiter als Lehrer der Jünger (22) (22); er nimmt aus dem vorhergehenden Disput (17,20–21) das zentrale Stichwort seiner Verkündigung auf, Reich Gottes, das er auch seinen Jüngern anvertraut hat (vgl. 10,9.11); er verfolgt jetzt neu die Frage der futurischen Eschatologie, also des Weltendes und der Vollendung. Das Reich Gottes öffnet genuin diesen Horizont; aber er war im Evangelium bislang nicht ausdrücklich von Jesus angesprochen worden. Die Wendung der „Tage“ knüpft an alttestamentliche Prophetie an (Jes 2,2; Jer 9,24; 31,31; Dan 12,13; Am 4,2; 8,11; Hos 3,5; Mi 4,1 u. ö.), die das Ende der Zeit ankündigt, Heil und Unheil (vgl. 23,29). Der Genitiv qualifiziert die „Tage“ als Heilszeit, die durch das Ende der Geschichte und das Gericht vollendet wird. Die Perspektive ist auf Jünger gerichtet, die sich nach dieser Zeit sehnen: weil sie gegenwärtig große Not erleiden. Lukas fängt die Situation verfolgter und diskriminierter Gemeindemitglieder ein. Ihre Hoffnung könnte auch mit den Worten eines frühjüdischen Gebetes ausgedrückt werden: „Selig, wer in jenen Tagen leben wird, um das Heil des Herrn zu sehen, das er dem kommenden Geschlecht verschafft“ (Psalmen Salomos 18,6). Jesus macht den Jüngern keinerlei falsche Hoffnung: Alle, die eine zeitliche Naherwartung vertreten (vgl. Apg 1,6), werden enttäuscht werden: So schnell werden sie den Menschensohn nicht kommen sehen. Der eschatologische Realismus Jesu führt zur Warnung (23) (23). Genau das, was Jesus den Pharisäern hat ausreden wollen (17,20–21), wird eintreten: dass Propheten auftreten, die: „Siehe, hier“, und: „Siehe, dort“, rufen, weil sie meinen, an bestimmten Zeichen das endgültige Kommen des Menschensohnes erkennen zu können, der das Reich Gottes vollenden wird. Aber diese Prophetie ist im Ansatz falsch. Deshalb ist es gefährlich, wenngleich verführerisch, jenen Boten zu folgen. Die Be-
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gründung im vorhergehenden Gespräch lautetet: weil das Reich Gottes bereits gekommen ist. Die Begründung hier lautet (24) (24): Wenn der Menschensohn wirklich kommt, gibt es keine Fragen mehr. Die Parusie ist ein unerhörtes Ereignis, das keinen Deutungsstreit braucht und zulässt, weil sie eschatologische Fakten schafft. Später wird sie eine Offenbarung genannt (V. 30). Die Metapher des Blitzes ist als eschatologisches Zeichen bei Lukas eingeführt (10,18): Der Satan fällt „wie ein Blitz vom Himmel“. Die elementare Naturkraft, die von Menschen nicht beherrscht werden kann, ist der Vergleichspunkt. Hier ist der Blickwinkel ein anderer als beim Wort vom Satanssturz: Die ganze Erde, alles, was „unter dem Himmel“ ist, wird erfasst – so wie sich ein Blitz in der Natur quer über den gesamten Horizont ziehen kann; gedacht ist an einen Wolkenblitz, der im Gegensatz zu einem Erdblitz für Mensch und Tier ungefährlich, aber höchst eindrucksvoll ist und sich bis zu 100 km ausdehnen kann. Jede Rationalisierung geht freilich fehl – die Metaphorik ist so präzis, wie es für die Jesustradition typisch ist: Die Parusie ist ein weltweites Ereignis; sie geht vom Himmel aus; sie erfasst die ganze Welt. Es bleibt nichts mehr, wie es war. Textlich nicht ganz gesichert ist die Fortsetzung: „an seinem Tag“ (die deshalb in der Übersetzung fehlt): In einer zeitlichen Kategorie wird mit diesem Zusatz das Ende der Zeit ausgesagt – eine präzise Paradoxie, die den Menschensohn als die alles entscheidende Figur sowohl der Weltgeschichte als auch des Gottesreiches ausweist. Lukas hat den Menschensohn mit Jesus identifiziert: dem vollmächtig wirkenden, auch dem ohnmächtig leidenden (s. bei 5,24). Diesen Zusammenhang macht die Fortsetzung deutlich (25) (25), eine kurze Leidensvorhersage, die an die erste erinnert (9,22), aber nur die Passion nennt: zum einen um des Kontrastes, zum anderen aber auch um der Verbindung im Leiden mit denjenigen willen, die in ihrer Angst und Not, in ihrem Leid und Schmerz nach dem Menschensohn rufen, dass er endlich komme. Mit biblischen Paradigmen ist Lukas vertraut. Er nennt sie, um eine Analogie zur kommenden Zeit auszumachen: dass vor der Parusie getan werde, als würde immer alles ewig so weitergehen und die Bedürfnisbefriedigung, der Genuss, die sexuelle Reproduktion wären das Ein und Alles menschlichen Lebens. Das erste Beispiel ruft Wasser, das zweite Feuer auf: Die Gegensätze erhellen einander. Das erste Beispiel, Noah und die Sintflut (26–27) (26–27), fasst die Urgeschichte aus der Genesis zusammen (Gen 6–9, speziell 6,5.11). Dort wird von der Verdorbenheit der Menschheit erzählt; hier sind es alltägliche Besorgungen, die an sich nichts Schlechtes haben: Essen, Trinken, Heiraten und Verheiratet-werden. Das einzige Problem: Die Fixierung auf diese Tätigkeiten lässt den Zeitpunkt verpassen, umzukehren und auf Gott zu setzen, nicht ganz unähnlich
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dem Verhalten der zuerst Eingeladenen im Gleichnis vom Festmahl (14,18–20). Das Schicksal derer, die den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, ist der Tod, von dem die Sintflutgeschichte handelt. Ähnlich liegt es bei Lot (28–29) (28–29). Wie Noah ist er ein Gerechter, der in einer Welt der Ungerechten gerettet wird. Sodom (vgl. 10,12) ist die archetypische Stadt des Bösen, das dem Untergang geweiht ist (Gen 19); die Einwohner ergehen sich in den Alltagsgeschäften: Zum Essen, Trinken und Heiraten kommen nun wirtschaftliche Aktivitäten hinzu: Handel und Wandel, Landwirtschaft und Ökonomie. Auch an diesen Aktivitäten ist nichts an sich schlecht. Die sexuellen Übergriffe, von denen die Genesis handelt, werden nicht wiederholt. Im Fokus stehen die „bystander“: die so tun, als ob nichts Schlimmes passierte. Deshalb ist es schlecht, wenn die beschriebenen Aktivitäten den letzten Horizont des Denkens, Fühlens und Handelns bestimmen: Dann wird der Blick für das grassierende Böse und zum Reich Gottes verstellt. Das Ziel der beiden Vergleiche, die durch Doppelung die Pointe unterstreichen, wird mit dem Gegenbild der Parusie markiert. Sie ist mit dem Gericht verbunden, führt aber zur Erlösung (vgl. 13,33–34). Zuerst wird die Parusie als Offenbarung qualifiziert (30) (30): Gott selbst tritt in Erscheinung – in der Person und mit dem Wort Jesu Christi. Es ist der Moment, in dem der himmlische Glanz blitzartig aufleuchtet (V. 24). Dann ist nicht mehr die Stunde, Hab und Gut zu sichern; es kommt auf eine schnelle Entscheidung und ein entschlossenes Handeln an (31–32) (31–32). Zwei ebenso archetypische wie elementare Orte werden genannt: das Haus und das Feld. Im ersten Fall wird wie bei einer Flut davor gewarnt, ins Erdgeschoss oder gar in den Keller hinabzusteigen; im zweiten Fall wird gefordert, auf dem Feld nicht erst nach Hause zurückzukehren – ähnlich wie beim Bild vom Pflügen, mit dem Jesus die Dringlichkeit der Nachfolge hervorhebt (9,62). Als warnendes Beispiel soll die Frau Lots dienen, die zur Salzsäule erstarrte, als sie sich entgegen der himmlischen Weisung umdrehte, während Feuer und Schwefel auf Sodom herabregneten (Gen 19,26). Der entscheidende Gesichtspunkt ist weniger die Schnelligkeit als die Entschiedenheit des Handelns. Die Begründung für die notwendigen Schritte, die symbolisch und paradigmatisch angesprochen werden (Vv. 31–32), wird zuerst anthropologisch-soteriologisch gegeben: Kein Mensch kann sein eigenes Leben retten (33) (33). Wie beim Ruf in die Kreuzesnachfolge (9,24) steht im Griechischen psyché, was die Seele und das Leben bedeutet, nicht alternativ, sondern integrativ. Wie dort lässt sich nicht das irdische gegen das ewige Leben ausspielen; vielmehr wird beides zusammengesehen, als eine differenzierte Einheit, die Gott stiftet. Der Unterschied besteht darin, dass dort auf das Leben in der geschichtlichen Zeit, hier aber auf das Leben am
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Ende der Zeit geschaut wird. Die Logik bleibt gleich, aber die Plausibilität verschiebt sich: Wer bei der Parusie des Menschensohnes darauf setzt, sich selbst retten zu wollen, überantwortet sich dem Tod; wer sein Leben aber verliert, wird es gewinnen. Es wäre unterkomplex, eine eschatologische Scheidung vorausgesagt zu sehen, dass ein Teil der Menschheit für immer verloren wäre, wahrscheinlich die große Mehrheit, wie in den Tagen Noahs und Lots, während eine kleine Elite, die Jünger, gerettet würde – auch wenn manche die Fortsetzung (Vv. 34–35) so deuten wollen. Es wäre harmonisierend, die beiden Sätze einfach hintereinanderzuschalten und so etwas wie eine Allversöhnung zu postulieren, weil alle, die verloren gehen, zum Leben erweckt werden. Richtig ist vielmehr die Dialektik von Heil und Gericht, Tod und Auferstehung eingefangen zu sehen, die für das ganze Lukasevangelium typisch ist: Gott allein ist der Retter; wer sich ihm verschließt, spricht sich selbst das Todesurteil; Gott hat seine Freude aber nicht am Tod, sondern am Leben. Es gibt keine Zwangsbeglückung, aber der Tod führt zum Leben, das Gericht zum Heil. Diese Dramatik ergibt sich auch aus der Fortsetzung (34–35) (34–35). Wieder findet sich eine Doppelstruktur, wieder stehen die Beispiele pars pro toto, wieder werden archetypische Handlungen genannt, die elementare Bedeutung haben. V. 36 ist eine sekundäre Ergänzung, die Mt 24 folgt: „Zwei werden auf dem Feld sein, der eine wird weggenommen, der andere zurückgelassen.“ Ursprünglich ist vom Schlafen und von der Arbeit die Rede, in diesem Fall mit dem Mahlen von Korn, im antiken Palästina typischer Frauenarbeit. „Weggenommen“ und „zurückgelassen“ zu werden, bleibt im Bild eines kriegerischen Überfalls und lässt sich nicht Eins zu Eins auf das Endgericht übertragen, etwa im Sinn einer Entrückung der Frommen von der Erde in den Himmel; entscheidend ist, dass über jeden einzelnen Menschen und über jeden Menschen einzeln entschieden wird. Mehr noch: Da Paare angesprochen werden, liegt es im Horizont einer Übertragung, dass auch zwei Seiten, die in jedem Menschen sind, unterschieden werden. Es gibt keine Zukunft des Todes im Reich Gottes, keine Zukunft der Sünde, keine Zukunft der Beschränkung aufs biologische oder soziale Überleben; es gibt eine Zukunft des Lebens, das den Tod überwindet. Gott selbst nimmt am Ende diese Scheidung vor: durch Jesus, der als Menschensohn wiederkommt. Am Schluss der Passage macht der Evangelist wieder die Kommunikationssituation deutlich (37) (37): das Gespräch Jesu mit den Jüngern (V. 22), das im folgenden Gleichnis fortgeführt wird (18,1–8). Die Frage zielt nicht auf das Wann, sondern das „Wo“. Sie haben also – in diesem Moment – ihre Lektion gelernt, dass ihre Sehnsucht nicht auf pseudomessianische Botschaften gerichtet sein darf, die falsche Versprechungen
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abgeben, die Zeit der Bedrängnis sei schon vorbei, bevor der Menschensohn wirklich kommt (Vv. 22–24). Aber sie sind dennoch unsicher, an welchem Ort der Menschensohn erscheinen wird und auf welchen Foren sich diese Scheidungen ereignen werden, die zum Endgericht gehören. Die Antwort Jesu ist von brutaler Offenheit, zugleich aber von metaphorischer Tiefenschärfe. Die Geier – in der Antike zu den Adlern gerechnet – versammeln sich dort, wo der Tod herrscht: bei Leichen. Das ist die Antwort: Der Tod ist der Ort des Gerichtes; wenn ein Mensch stirbt, begegnet er dem Menschensohn. So wie das Gericht das Individuum stärkt, weil nicht Kollektive, sondern Einzelne beurteilt werden, so hat Jesus nach Lukas auch keinerlei Interesse an der Entwicklung apokalyptischer Krisenszenarios. Auf der anderen Seite vertritt er auch nicht moderne Theorien eines Gerichts und einer Auferstehung im Tode. Mit der Metapher wahrt er das Bilderverbot. So wie der Menschensohn die Verlorenen sucht, sucht er diejenigen, die sterben. Was dann passiert, steht in Gottes Hand. Die Endzeitrede Jesu, die Lukas aus der Redenquelle schöpft, bedient nicht die spekulativen Interessen einer getakteten Naherwartung, die am Ende noch ausrechnen will, wann der Zeitpunkt der Parusie sein wird. Die Rede erklärt vielmehr die Wiederkunft des Menschensohnes zum Ernstfall des Lebens (V. 33): Sie steht nicht in der Hand der Menschen, sondern in Gottes Hand; deshalb ist nicht der natürliche Drang, zu überleben und sich fortzupflanzen, der Weisheit letzter Schluss, sondern die Freiheit, sich Gott anheimzustellen und von ihm das Leben zu empfangen. Die Kehrseite ist die Verantwortung, die alle Menschen für ihr eigenes Leben übernehmen müssen. Gott wird sie zur Verantwortung ziehen: durch den Menschensohn – aber nicht als Buchhalter, der Soll und Haben bilanziert, sondern als Anwalt der Armen, als Hüter des Rechts und als Retter, der die Toten lebendig macht. Die größte Gefahr besteht darin, dahinzuleben wie es die Mehrheit der Menschen in den Tagen Noahs und Lots getan hat, oder auf die Vergangenheit fixiert zu sein wie Lots Frau. Die Hoffnung, die Jesus nach Lukas macht, wird er in der zweiten Endzeitrede so formulieren: „Wenn aber dies zu geschehen beginnt, richtet euch auf und erhebt euer Haupt; denn eure Erlösung naht“ (21,28). 18,1–8 Das Gleichnis von der mutigen Witwe 1Er erzählte ihnen ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen. 2Er sagte: „Es war ein Richter in einer Stadt, der Gott nicht fürchtete und keinen Menschen respektierte. 3Es war eine Witwe in jener Stadt, die zu ihm kam und sagte: ‚Verschaffe mir Recht gegen meinen Wider-
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sacher!‘ 4Und er wollte nicht, lange Zeit; dann aber sprach er zu sich selbst: ‚Wenn ich auch Gott nicht fürchte und keinen Menschen respektiere – 5weil sie mir zusetzt, will ich dieser Witwe Recht verschaffen, damit sie nicht am Ende kommt und mir ins Gesicht schlägt.‘“ 6Der Herr sagte: „Hört, was der ungerechte Richter sagt. 7Gott aber, wird er nicht seinen Erwählten Recht verschaffen, die zu ihm rufen Tag und Nacht, und sich ihrer erbarmen? 8Ich sage euch: Er wird ihnen Recht verschaffen, schnell. Aber der Menschensohn, wenn er kommt: wird er den Glauben auf der Erde finden?“ Die Ermunterung zum Gebet ist tief ins Lukasevangelium eingeschrieben (11,1–13); das Vaterunser gibt ihm einen prägnanten Ausdruck (11,1–4). Die Gleichnisse vom Mitternachts gebetenen Freund und vom Vater, den sein Kind bittet (11,5–13), haben Mut zum Beten und Bitten gemacht: Gott handelt nicht schlecht, wenn er ehrlichen Herzens gebeten wird. Das Gleichnis von der mutigen Witwe knüpft hingegen an die Herausforderung der Jünger an, in den Wirren angeblicher und tatsächlicher Endzeit-Katastrophen die Hoffnung auf das Reich Gottes zu bewahren (17,22–37). Diesen dunklen Hintergrund nimmt das Gleichnis mit der Negativfigur des korrupten Richters auf. Deshalb baut das Argument a minori ad maius einen Kontrast auf: Wenn selbst ein ungerechter Richter sich erweichen lässt – wie viel mehr wird Gott gläubige Bitten erhören (11,13). Das Gleichnis ist die unmittelbare Fortsetzung der eschatologischen Lehre Jesu; weiterhin sind die Jünger angesprochen. Es bereitet das kommende Beispiel vom Pharisäer und Zöllner vor (18,9–14), das gleichfalls die Sprache des Glaubens klärt. Das Gleichnis ist so aufgebaut, dass der erzählte Kommentar Jesu das Gewicht trägt; was der Evangelist einleitend als Erzähler markiert, wird durch die erzählte Schlussfrage Jesu auf eine Metaebene gehoben. 18,1 Einleitung: Das Ziel des Gleichnisses 18,2–5 Das Gleichnis Jesu 2 Der skrupellose Richter 3 Die furchtlose Witwe mit ihrem Begehren 4–5 Das Kalkül des Richters 4 Die Selbstbeschreibung 5 Die Begründung für sein Handeln 18,6–8a Der Kommentar Jesu 6 Die Aufforderung an die Jünger, eine Lehre zu ziehen 7 Die Überzeugung von Gottes Gerechtigkeit und Großmut 8a Die Zusicherung der Gebetserhörung 18,8b Die Frage Jesu nach dem Glauben bei der Parusie
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Die Schlussfrage verbindet das Gleichnis mit der Endzeitrede (17,22–37), die das Kommen des Menschensohnes bespricht (vgl. 21,5–38); sie hebt das Glaubensmotiv hervor, das dem gesamten Teil des Reiseberichtes (17,11–19,28) Farbe gibt (vgl. 17,11–19). Das Gleichnis ist bei Lukas von dieser Frage her zu deuten: Es geht um die Förderung und Ermutigung des Glaubens, der sich Gott gegenüber ausspricht. Der Evangelist führt das Gleichnis so ein, dass Jesus mit einer kurzen Unterbrechung die Jüngerbelehrung fortsetzt (1) (1). Dass er mit einem Gleichnis lehrt, ist als jesuanisches Stilmittel bekannt (zuletzt 15,1–32, 16,1–13 und 16,19–31). Eine Parabel vermittelt dadurch Erkenntnisse, dass sie durch ein Bild einen neuen Blickwinkel öffnet. Jesus redet bei Lukas zu „ihnen“; das heißt, dass die Pharisäer (17,20), die offenbar auch die Jüngerbelehrung über die Endzeit (17,22–37) mit angehört haben, nicht ausgeschlossen sind, wiewohl sie nicht im Fokus stehen (vgl. aber 18,9–14). Das Gleichnis verfolgt, so der Evangelist, einen bestimmten Zweck. Nach der Gleichnisrede öffnen die Parabeln den Jüngern den Blick für die „Geheimnisse des Reiches“ (8,10); hier wird eine Konkretisierung deutlich: im Gebet nicht nachzulassen. Diese Zielsetzung greift auf die Bitte der „Apostel“ um den Glauben zurück (17,5), ohne den sie die Versuchungen der Nachfolge nicht bestehen und die Verheißungen der Nachfolge nicht erfassen können. Die vom Erzähler markierte Pointe entspricht der Einladung zum Gebet, die Jesus bereits früher ausgesprochen hat (11,1–13); sie hat enge Sachparallelen in der neutestamentlichen Briefliteratur: „Betet ohne Unterlass“ (1Thess 5,17). Das Gleichnis arbeitet mit Rollenstereotypen, die farbig ausgestaltet sind. Ein „Richter“ (2) ist eine Respektsperson; Richter wird man in einer „Stadt“ nicht durch eine wissenschaftliche Ausbildung, sondern durch Beziehungen. Erwartet werden Lebenserfahrungen und Gerechtigkeitssinn, Urteilskraft und Unbestechlichkeit; die Wirklichkeit sieht oft anders aus. So verhält es sich auch hier: Der Richter versagt Gott und Menschen Anerkennung: Was das Doppelgebot hochhält (10,27), ist ins Gegenteil verkehrt. Gott nicht zu fürchten, heißt, nicht vor ihm, dem einzig wahren Richter, Verantwortung zu übernehmen und Rechenschaft abzulegen; Menschen nicht zu respektieren, anders übersetzt: sich vor ihnen nicht zu scheuen (Lutherbibel) oder auf sie keine Rücksicht zu nehmen (Einheitsübersetzung), heißt, sie zu missachten und die Rechtsprechung nicht mit dem Ziel des Gemeinwohls, sondern des Eigennutzes zu betreiben. Dem Richter stellt Jesus eine Witwe gegenüber (3) (3), die von ihrem Status her zu den Bedürftigen gehört (vgl. 7,11–17; 20,45–47; 21,1–4). Sie verfügt nicht über Beziehungen, die ihr helfen könnten. Sie wird aber von einem Widersacher bedrängt – in welcher Angelegenheit, bleibt offen.
18,1–8 Das Gleichnis von der mutigen Witwe
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Ihre einzige Chance ist ein Richter, der sich der Gerechtigkeit verschreibt. Deshalb geht sie zum für sie zuständigen Richter und fordert ihr Recht ein. Ihre Formulierung ist bei Lukas so gewählt, dass Israels Glaube an Gott durchscheint, der den Verfolgten Recht verschafft vor ihren Feinden (Ri 11,36–37 u. ö.). Sie bleibt in ihrer Rolle als Frau und Witwe, weil sie weiß, dass sie auf Hilfe angewiesen ist; aber sie füllt diese Rolle so aus, dass sie zu ihrem Recht kommen wird, obgleich sie keine Chance zu haben scheint. Das griechische Wort, ekdíkesis, das ein Leitmotiv des gesamten Abschnitts ist, wird von einigen mit „Vergeltung“ (vgl. 21,22) oder „Genugtuung“ übersetzt; tatsächlich schwingt das Motiv des gerechten Ausgleichs mit. Aber das Grundwort heißt: „Recht“. „Recht verschaffen“ bedeutet, dass angemessene Ansprüche befriedigt, unangemessene aber zurückgewiesen werden, es soll ein begründeter Ausgleich geschaffen und ein unbegründeter Vorteil abgeschafft werden. Die Wiederherstellung des Rechts dient der Gerechtigkeit. Die Witwe kann und muss diese Arbeit vom Richter erwarten. Der Richter reagiert aber genau so, wie es nach seiner Charakterisierung (in V. 2) zu erwarten ist (4–5) (4–5): Er hält sie hin und entscheidet gar nicht. Freilich kommt er schließlich zu einer anderen Entscheidung: nicht aus besserer Einsicht, sondern aus Eigennutz. Er portraitiert in einem inneren Monolog präzise seinen Charakter: weder Gott zu fürchten noch Menschen zu respektieren (V. 2); er denkt aber dann in dieser Logik weiter und befürchtet eine persönliche Schmach, wenn die Witwe, der er nicht zu ihrem Recht verhilft, fordernd bleibt und zudringlich wird, am Ende sogar körperlich mit einem Schlag ins Gesicht. Für ihn wäre das eine Schande; weil er sie vermeiden will, verschafft er der Witwe ihr Recht. Sympathisch wird er nicht; auch der untreue Verwalter (16,1–13) ist nicht gut, aber gerissen. Anders als jener Schurke, dessen Schläue hervorsticht, wird der Richter freilich nicht zum Vorbild. Vielmehr baut Jesus den Kontrast zu Gott auf, um am Gegensatz eines ungerechten Richters und des ebenso gerechten wie barmherzigen Gottes die Sinnhaftigkeit des Betens zu betonen. Im Mittelpunkt steht die Frau. Die Mahnung, den Richter zu hören, ist die Aufforderung, Lehren aus seinem fragwürdigen Verhalten zu ziehen (6) (6), das die Witwe nicht abgeschreckt hat, ihr Recht zu suchen. Der zentrale Hinweis geht auf Gott (7) (7). Jesus formuliert bei Lukas einen Fundamentalsatz biblischer Theologie. Gott ist Einer. Er ist gerecht und barmherzig. Er hört auf alle, die ihn anrufen, um Gerechtigkeit zu erlangen. Er hört auf sie, indem er seine Barmherzigkeit walten lässt, d. h. seine Fähigkeit und seinen Willen, Schwächen auszugleichen, Fehler zu beheben und Sünden zu vergeben. Ob die Rufe in der Nacht oder am Tag laut werden, macht keinen Unterschied. Israel hat diese Glaubenseinsicht
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17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
in der Reflexion auf den Exodus gewonnen (Ps 145,18–20); Jesus nimmt sie auf und überträgt sie auf all diejenigen, die verunsichert sind, weil sie aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden, und benachteiligt, weil sie in prekären Verhältnissen leben. Erhörung ist nicht die automatische Erfüllung elementarer Bedürfnisse, so schwer dies auch zu verstehen ist, sondern die Verwirklichung eschatologischer Gerechtigkeit (17,20–37), deren Vorschein auch mitten in der irdischen Ungerechtigkeit zu finden ist, wie die mutige Witwe es sogar beim ungerechten Richter erfahren hat (8a) (8a). Um wie viel mehr ist dann Grund zur Hoffnung auf Gott. Jesus sichert nach Lukas zu, dass sich Gott, dem alle Zukunft gehört, nicht die Zeit lassen wird, die sich der schlechte Richter genommen hat, sondern „schnell“ (en táchei), „unverzüglich“ (Einheitsübersetzung) reagiert. Die Lutherbibel hat „in Kürze“. Aber Lukas vertritt keine zeitliche Naherwartung, und die Wendung beschreibt auch an anderen Stellen nicht den Zeitpunkt (so aber Apg 25,4), sondern die Geschwindigkeit einer Handlung (Apg 12,7; 22,18). Diese Schnelligkeit entspricht dem Vaterunser (11,1–4); sie schafft reale Gegenwart. Die Direktheit des Wirkens entspricht der Zurückhaltung Gottes, seinem Zorn freien Lauf zu lassen, der Fähigkeit Gottes, Tod in Leben zu verwandeln, und dem Wissen Gottes, dass mit der Zeit auch Wendungen zum Guten möglich werden können (vgl. Sir 35,17–19). Das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum (13,6–9) hat diesem Glauben Ausdruck verliehen. Eine neue Reflexionsebene erreicht der Schlussvers (8b) (8b). Wenn der Menschensohn am Ende aller Tage kommt (vgl. 17,20–24), ist er – wie der irdische – auf der Suche nach den Verlorenen (19,10). Der Ton, in dem Jesus nach Lukas spricht, ist nicht der einer tiefen Sorge, ob der Glaube an Gott auf Erden ausgestorben sein könnte, sondern der einer indirekten Mahnung, dem Glauben Ausdruck zu verleihen und ihn zu verbreiten. Das erste Motiv entspricht der Seligpreisung im Gleichnis vom wachsamen Knecht (12,37–38), das zweite dem Zeugnisauftrag, der sich aus den Aussendungen ableiten lässt (9,1–6; 10,1–20) und auf die nachösterliche Mission zielt (24,47–49; Apg 1,8). Der Glaube muss auf Erden Zukunft haben; denn die Zukunft gehört Gott. Die taffe Witwe hat nur einen kurzen Auftritt und gehört doch zu den zahlreichen starken Frauen im Lukasevangelium, die in einer schwachen Position sind, aber ihr Schicksal in die Hand nehmen. Die Antike kennt und liebt ähnliche Geschichten, in denen Frauen Mächtige zur Räson bringen (Plutarch, Moralia 179c–d; Demetrius 42,4). Zu den produktiven Rollenklischees bei Lukas gehört der egoistische Richter, der aus niederen Motiven doch seine Aufgabe wahrnimmt, Recht zu schaffen. Dieser offene Blick ins Leben mit all seinen Widrigkeiten und Möglichkeiten soll den Blick für den gerechten und barm-
18,9–14 Das Beispiel vom Pharisäer und Zöllner
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herzigen Gott öffnen – und Mut zum Gebet machen, das dem Glauben Ausdruck verleiht. Der Menschensohn, so Jesus bei Lukas, der am Ende aller Tage wiederkommt, setzt darauf, Glauben zu finden – und die Jünger sind diejenigen, die diesen Glauben bezeugen und vermitteln sollen. Das Gleichnis passt sehr gut in die Reihe der Gleichnisse Jesu: die starken Charaktere, die irritierenden Rollenwechsel, die klare Pointe. Allerdings bietet Lukas kein Wortprotokoll, sondern hat, was ihm überliefert war, nachgeschaffen, so dass eine Jüngerkatechese entstanden ist, die Jesu Gebetslehre in jede Zeit überträgt; denn immer sucht der Menschensohn nach dem Glauben, der den Mut hat, zu beten. 18,9–14 Das Beispiel vom Pharisäer und Zöllner 9Zu einigen, die auf sich selbst vertrauten, dass sie gerecht seien, und die anderen verachteten, sagte er dieses Gleichnis: „10Zwei Menschen gingen zum Tempel hinauf, um zu beten, der eine Pharisäer, der andere Zöllner. 11Der Pharisäer stellte sich für sich hin und betete dies: ‚Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die anderen Menschen, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. 12Ich faste zweimal die Woche; ich verzehnte alles, was ich erwerbe.‘ 13Der Zöllner aber stand fern, wollte nicht die Augen zum Himmel erheben, sondern schlug sich an die Brust und sagte: ‚Gott, sei mir Sünder gnädig.‘ 14Ich sage euch: Der ging gerechtfertigt nach Hause, jener nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, aber wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Die Beispielgeschichte ist eines der bekanntesten Gleichnisse der gesamten Jesustradition. Sie gehört insofern zur vielförmigen Pharisäer-Kritik des Neuen Testaments, als in der Erzählung ein Pharisäer die Negativfigur abgibt und die Verbindung mit der Adresse an die Selbstgerechten eine Identifizierung nahelegt. Aber die Szene ist subtiler: Die Pharisäer werden nicht als die Selbstgerechten attackiert, sondern vor Selbstgerechtigkeit gewarnt: mit einer Figur, die ihnen den Spiegel vorhält, damit sie nicht so werden oder bleiben wie dieser Mann. Die Erzählung fügt dem Glaubensthema des Kontextes (17,11–19,28) eine weitere Facette hinzu. Es greift die Gebetsthematik des unmittelbar vorangehenden Gleichnisses von der mutigen Witwe (18,1–8) auf und öffnet sie für eine Fortsetzung des Gedankens, der Ethik und Spiritualität verklammert. Das Gebet, zu dem Jesus einlädt (vgl. 11,1–13), bringt Gottes- und Nächstenliebe im Alltag der Welt zusammen (10,25–27). Es ist sozialethisch geöffnet, hier vor allem durch die Hauptfiguren: eine taffe Witwe, die, obgleich persona miserae, einen korrupten Richter so bearbeitet, dass er tut, was sie will (18,1–8), und durch einen Zöllner, der zum Vor-
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17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
bild wird (18,9–14). Die Sozialethik ihrerseits ist spirituell durchtränkt. Im Anschluss werden Kinder berührt (18,15–17); der Aufruf zum Besitzverzicht wird zur Erinnerung an die Macht Gottes, der allein zu retten vermag (18,18–30) – eine genaue Referenz zur Beispielgeschichte vom Pharisäer und Zöllner. Die Parabel ist – wie es den Notwendigkeiten mündlichen Erzählens entspricht – einfach gebaut. Sie wird vom Erzähler eingeleitet und in der Einleitung adressiert (V. 9). Von Jesus wird sie nicht nur erzählt (Vv. 10– 13), sondern auch kommentiert (V. 14) – wie oft und auch im Beispiel zuvor (18,1–8). 18,9 18,10–13 18,14
Die Einleitung Die Beispielgeschichte 18,10 Die Szene 18,11–12 Das Gebet des Pharisäers 18,13 Das Gebet des Zöllners Der Kommentar Jesu
Die Beispielgeschichten werden oft, aber nicht immer zu den Gleichnissen gezählt. Sie sind keine erzählten Metaphern, die auf die künftig vollendete Gottesherrschaft verweisen, sondern moralische Geschichten, die Vorbilder, aber auch Gegenbilder, zeigen und nach einer Übertragung in die Gegenwart der Hörerschaft rufen. Das Gleichnis schafft einen Abstand von der gegebenen (und erzählten) Situation, um in ihr und auf sie einen neuen Blick zu ermöglichen. Es arbeitet mit Identifikationsangeboten und deren Irritationen, um eine Verhaltensänderung der Zuhörer aufgrund von Einsicht zu ermöglichen. Prinzipiell können Gleichnisse in verschiedenen Ohren ein verschiedenes Urteil auslösen. Lukas lenkt durch die Einleitung den Blick in eine bestimmte Richtung, die nicht auf die damalige Erzählsituation beschränkt ist, sondern in jeder Lesesituation aktuell wird. Das Gleichnis ist lukanisches Sondergut. Die Einleitung (V. 9) ist sicher redaktionell; sie lenkt den Fokus des Evangelisten. Diskutiert wird über den erzählten Kommentar Jesu (V. 14). Der erste Teil klingt nach der paulinischen Rechtfertigungslehre, der zweite ist ein vielfach eingesetztes Weisheitswort, das eine Art Wanderlogion darstellt (14,11; Mt 23,12). Deshalb wird oft mit Redaktion gerechnet. Aber die komplexe Situation verlangt nach einer Auflösung – jener, die V. 14a gibt. Die Fortsetzung (V. 14b) dient der Einbindung in das Gesamt des Evangeliums. Die Beispielgeschichte gehört in ihrer Kürze zu den bekanntesten und tiefsinnigsten Gleichnissen Jesu. Die erzählerische Einbindung (9) ist auf den erzählten Kommentar Jesu (V. 14) genau abgestimmt. Sie ad-
18,9–14 Das Beispiel vom Pharisäer und Zöllner
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ressiert ein doppeltes Problem: Selbstüberschätzung und Verachtung anderer. Beides geht über Hochmut hinaus: Die Selbstüberschätzung ist gerade dann ein Problem, wenn herausragende Leistungen erbracht worden sind, die ein starkes Selbstbewusstsein begründen können; und die Verachtung anderer ist gerade dann ein Problem, wenn tatsächlich ein schändliches Verhalten zu beobachten ist, das Zweifel an der moralischen Integrität des Täters begründet. In der Erzählung reicht ein Satz (10) (10), um eine plastische Szene mit starken Kontrasten zu entwerfen. Der Tempel ist nicht als Opferstätte, sondern als Gebetsort genannt – was er tatsächlich auch war und wie es Jesu Deutung in den Spuren von Jes 56,7 entspricht (19,45–48 par. Mk 11,15–19). Beide Männer stehen beim Gebet, wie es jüdische Sitte ist. Beider Gebete werden in direkter Rede erzählt. Wesentlich ist die Figurenkonstellation. Der Pharisäer nimmt den Platz des Frommen ein. Er steht vorn (vgl. V. 13). Die Geschichte setzt ein positives Vorurteil über die Pharisäer voraus. Der Zöllner nimmt hingegen den Platz des Sünders ein. Er steht weit hinten (V. 13). Die Geschichte setzt ein negatives Vorurteil über die Zöllner voraus (vgl. 3,12; 5,27.29–30; 7,29.34; 15,1), das sich daraus speist, dass sie ungeliebten Landesherren, z. B. den Römern, dienten und im Ruf standen, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Das Gebet des Pharisäers ist ein religiöser Akt hohen, scheinbar begründeten Selbstbewusstseins (11–12) (11–12). Es ist nicht in dem Sinn Heuchelei, dass der Mann in Wahrheit anders handelte, als er redet. Die Beispielgeschichte rechnet damit, dass er die Wahrheit sagt. Er schreibt sich sein moralisches Verhalten noch nicht einmal selbst zugute, sondern dankt Gott dafür, ein Mensch zu sein, der sehr hohen religiösen und ethischen Ansprüchen genügt: Nicht nur sein Gebetsleben, auch sein caritatives Engagement ist vorbildlich. Der Pharisäer bräuchte gemäß der Tora nur am Großen Versöhnungstag zu fasten (Lev 16); er folgt aber der sich damals gerade entwickelnden Übung jüdischer Frommer, an zwei Tagen, nämlich am Montag und am Donnerstag, zu fasten (Didache 8,1). Er bräuchte nur seine Einkünfte zu verzehnten (Lev 27,30; Num 18,21–24; Dtn 14,22–23.28–29), verzehntet aber auch alles, was er einkauft. Insofern ist er untadelig. Aber in diesem Perfekten zeigt sich sein Problem: Er sieht nur seine Gerechtigkeit und die moralischen Defizite des anderen. Das Gebet dient der Vertiefung des Unterschiedes, nicht seiner Überwindung. Er meint, sich abgegrenzt von allen Übeltätern wissen zu dürfen, die er zuvor summarisch aufgezählt hat, mit einem Seitenblick auf den Zöllner, der gleichfalls betet, von ihm aber verachtet wird. Genau diese Sicht auf sich und andere ist sein Problem: nicht nur ein moralisches, sondern ein soteriologisches, weil er sich nicht selbst als einen Menschen betrachtet, der auf Gottes Gnade angewiesen ist.
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17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
Das Gebet des Zöllners (13) ist ein Akt der Demut. Er betet mit einem kurzen Wort aus dem großen Bußpsalm Israels (Ps 51,3). Dieser Psalm verbindet ein radikales Schuldbekenntnis des Beters mit der Bitte um eine schöpferische Erneuerung. Im Kanon wird er als Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte Davids nach dem Ehebruch mit Bathseba (2Sam 12) überliefert; die Übertragung auf alle Mitglieder Israels ist gewollt. Der Zöllner weiß, dass er Sünder ist, ohne sich herauszureden; er weiß, dass er der Gnade Gottes bedarf, ohne auf ein Laissez-faire zu hoffen; dass er hinten steht, den Blick senkt und sich an die Brust schlägt, bringt die Ehrlichkeit seiner Haltung zum Ausdruck: nicht die Verzweiflung des Täters, sondern die ehrliche Hoffnung des Sünders. Der Kommentar, den bei Lukas Jesus selbst abgibt, ist hoch theologisch (14) (14). Er stellt klar, wer richtig und wer falsch gebetet hat – und dass dies Konsequenzen hat. Er klärt den Unterschied in der Kategorie der Rechtfertigung. Er greift damit eine elementare Unterscheidung und Hoffnung biblischer Theologie auf: dass Gott Unrecht in Recht verwandeln kann und Sünder in Gerechte. Gott allein kann es, weil kein Mensch sich selbst zu rechtfertigen vermag, kann er doch nie sein Unrecht ungeschehen machen und ist doch seine Sünde, wie bei Lukas bereits Johannes der Täufer verkündet hat, nicht lediglich in einer Gebotsübertretung zu ermessen, die schlimm genug ist, sondern Anzeichen eines tiefen Zerwürfnisses mit Gott, das einem Zerfall mit sich selbst gleichkommt und deshalb nur durch Gottes Schöpferkraft geheilt werden kann. Jesus klärt bei Lukas: Beide Menschen bedürfen der Rechtfertigung, auch der Pharisäer, der meint, ihrer nicht zu bedürfen. Der Zöllner gesteht ein, ein Sünder zu sein; deshalb erlangt er die Rechtfertigung: als Vergebung der Sünden und Erneuerung seines gesamten Lebens, wie es der Bußpsalm zum Ausdruck bringt. Der Pharisäer hingegen versagt sich Gottes Gnade; deshalb bleibt er in seiner Sünde, die er sich selbst nicht eingesteht. Der zweite Teil des Kommentars begründet das Urteil über die Rechtfertigung. Das paradoxe Wort von den Ersten und den Letzten (vgl. 14,11) nennt die Struktur des Heilshandelns Gottes, das in den Dimensionen von Tod und Auferstehung geschieht. Das Gleichnis führt diese Struktur vor Augen: Der Zöllner „erniedrigt sich“, weil er seine Niedrigkeit anerkennt; die Rechtfertigung ist seine Erhöhung: seine Anerkennung und Aufwertung; der Pharisäer hingegen hat sich selbst „erhöht“; er glaubte, etwas Besseres als der Zöllner zu sein; seine Erniedrigung zeigt sich darin, dass er „nicht gerechtfertigt“ wurde, d. h. genau so hingestellt wurde, wie er meinte, darüber erhaben zu sein. Die Vor-Sätze stehen immer im Präsens, die Nach-Sätze im Futur: weil es in alle Ewigkeit so sein wird. Freilich: Mit einem einzigen Rollentausch ist es nicht getan; wer erniedrigt wurde, obgleich er meinte, sich erhöhen zu dürfen, kann
18,15–17 Das Vorbild der Kinder
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tatsächlich erhöht werden, wenn er seine Niedrigkeit anerkennt; und wer aus seiner Niedrigkeit erhöht wurde, darf daraus keine Selbsterhöhung ableiten – die wieder in die Erniedrigung führt. Entscheidend ist, aus den falschen Konkurrenzen unter Menschen oder von Menschen mit Gott herauszufinden und Gott allein die Rettung zuzutrauen. Das Gleichnis ist oft antijüdisch gedeutet worden, weil der Pharisäer im Tempel typisch sei: selbstgerecht. Aber die engsten Parallelen zur Kritik, die Jesus übt, stehen in der pharisäischen Tradition. Die einleitende Problemstellung des Evangelisten führt von der Pharisäerkritik weg in einen offenen Raum religiöser Orientierungen: Alle, die sich selbst für gerecht halten, sind angesprochen, nicht zuletzt die Jünger, denen Jesus das Gleichnis erzählt. Der reuige Zöllner lässt für einen Moment erkennen, was auch andere Zöllner wie z. B. Levi, bewegt haben muss, Jesus zu folgen (5,27–28): ein Schuldbewusstsein, das nicht zur Depression, sondern zum Glauben führt, weil er verlässlich, verständlich und verbindlich zugesagt wird: von Jesus. Der Apostel Paulus, mit dem Lukas viel verbindet, hat seine Lehre, dass ein Mensch nicht aus Werken des Gesetzes, sondern aus dem Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt wird (Gal 2,16; Röm 3,28 u. ö.). Die lukanische Aussage, die auf ein Jesuswort zurückgeführt wird, ist nicht als Lehre ausgebaut. Aber sie zielt in eine ähnliche Richtung: Gottes Gnade setzt die menschliche Verantwortung nicht außer Kraft, sondern in Kraft; aber sie setzt gerade dort ein, wo Menschen, indem sie schuldig werden, Gott und sich selbst verlieren. Jesus ist als Menschensohn auf der Suche nach ihnen (19,10), auch mit dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner. In der Apostelgeschichte werden sowohl Paulus als auch Petrus in diesem Sinn Gottes rechtfertigende Gnade auf die Heilssendung Jesu und den Glauben beziehen, nicht aber auf das Gebot des Gesetzes (Apg 13,38–39; 15,8–11). Die Tora ist gut, kann aber nicht retten. Jesus hat für Lukas die Maßstäbe gesetzt. Die Beispielerzählung passt genau in die Sprache und die Verkündigung Jesu; das hat Lukas herausgearbeitet. 18,15–17 Das Vorbild der Kinder 15Sie brachten zu ihm kleine Kinder, dass er sie berühre. Als seine Jünger dies sahen, fuhren sie sie an. 16Jesus aber rief sie zu sich und sagte: „Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht; denn solcher ist das Reich Gottes. 17Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird in es nicht hineingehen.“ Nachdem Jesus in der Beispielerzählung nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, einen Pharisäer, sondern einen Zöllner als Vorbild im Glauben hingestellt hat (18,9–14), so wie zuvor nicht einen starken Richter, son-
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17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
dern eine notleidende, aber taffe Witwe (18,1–8), so stellt er jetzt Kinder als Vorbild im Glauben hin. Mit der Wertschätzung und Aufnahme der Kinder beginnt ein Passus, der Alltagsfragen behandelt; das Anschlussthema wird Besitz und Familie sein (18,18–30). Die kurze Szene bringt eine charakteristische Pointe Jesu zum Ausdruck, die zu seiner Gesamtverkündigung bestens passt. Der Text zielt nicht auf farbige Details näherer Umstände, sondern auf die befreiende Kraft des Wortes Jesu. 18,15 Die Abweisung von Kindern durch die Jünger 18,16–17 Das Plädoyer Jesu für Kinder 16 Die Zurechtweisung der Jünger 16a Die Einladung Jesu an Kinder 16b Die Begründung in Gottes Reich 17 Die negative Verheißung: Das Reich Gottes wie ein Kind annehmen Lukas folgt im wesentlichen seiner markinischen Vorlage (Mk 10,13–16); er schwenkt von diesem Moment an wieder stärker in den markinischen Erzählfluss ein, den er vor Beginn seines Reiseberichtes verlassen hatte (9,46–50 par. Mk 9,33–40). Auch die folgenden Perikopen sind bei Markus vorgegeben. Dort war allerdings von einer Segnung der Kinder durch Jesus die Rede (Mk 10,16); dieses Motiv blendet Lukas aus. Der Fokus liegt auf der überraschenden, aber überzeugenden Vorbildlichkeit der Kinder: für eine neutestamentliche Kinder-Theologie ein wichtiger Impuls und nach der Kindheitsgeschichte mit dem Weihnachtsevangelium, der Darstellung Jesu im Tempel und dem zwölfjährigen Jesus als gelehrigem Schüler dort keine Überraschung. Die Szene, die Lukas eingangs schildert (15) (15), passt gut in die allgemeine Lage, weil der Evangelist schreibt, dass immer wieder Menschen die Nähe Jesu suchen, um Heilung und Segen zu erlangen (6,16–17; vgl. 4,42–43; 5,12.15.17–18; 8,4.40; 9,11.37; 12,1; 17,11–12; auch 15,1). In dieser Hoffnung werden zu ihm Kinder gebracht; dass sie krank seien (vgl. 8,40–56, 9,37–43a), wird nicht gesagt. Lukas wählt ein Wort (bréphos), das Kleinkinder und Säuglinge (vgl. Apg 7,19) meint, auch wenn er Jesus selbst später – mit der makinischen Vorlage – offener „Kinder“ ansprechen lässt (paidía). Dem Evangelisten geht es um die Kleinheit und Hilfsbedürftigkeit. Die Berührung durch Jesus, die – vor allem von den Eltern und Großeltern? – erhofft wird, ist ein Gestus der Wertschätzung und Liebkosung, vielleicht auch des Segens. Die Jünger fahren diejenigen, die Kinder zu Jesus bringen, schroff an (epitimáo) – warum, bleibt im Text offen. Wollen sie, dass Jesus auf sei-
18,15–17 Das Vorbild der Kinder
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nem Weg nach Jerusalem (9,51) nicht aufgehalten wird? Befürchten sie ein magisches Missverständnis seiner messianischen Heilssendung? Sind ihnen Kinder nicht so wichtig? In jedem Fall verkennen sie die Intention Jesu. Jesus ruft die Jünger herbei (16) (16) – wie nicht zum ersten Mal (vgl. 9,1). Was folgt, gehört in den Kontext des Nachfolgerufes und der Jüngerschulung: Jesu Schüler, die seine Mitarbeiter sind, sollen ihre Einstellung zu Kindern und zu denen, die ihr Bestes wollen, ändern, in Verbindung mit einer Veränderung ihres Jesusbildes. Diese Änderung erfolgt in drei Schritten. Zuerst werden die Jünger aufgefordert, sich nicht zwischen Jesus und die Kinder zu stellen, sondern ihnen den Zugang zu öffnen und den Weg zu weisen; diese Aufgabe hat Jesus ihnen auch mit Blick auf den fremden Wundertäter (9,49–50) und im Gegenblick auf die Pharisäer und Schriftgelehrten zugewiesen, die durch ihre Gesetzesauslegung den Weg zu Gott versperren würden (11,37–54); Jesus spricht hier offen so von „Kindern“, dass auch Jugendliche gemeint sein können. Sodann folgt die Begründung: Solchen Menschen wie den Kindern gehört Gottes Reich; die Formulierung lässt sofort eine Übertragung zu, die der folgende Vers qualifizieren wird. Die Aussage zielt auf dieselbe Ebene wie die Seligpreisung der Armen (6,20–23): Gott öffnet sich gerade für diejenigen, die am weitesten von ihm entfernt scheinen und am wenigsten seine Aufmerksamkeit verdient zu haben scheinen; denn sie werden übersehen, missachtet und diskriminiert, ihnen geschieht immer wieder Unrecht – im Widerspruch zum Heilswillen Gottes und zur Gerechtigkeit unter den Menschen. Schließlich folgt eine Verheißung, die negativ formuliert wird, um ihre positive Seite hervorzuheben (17) (17). Der Sinn der Szene wird jetzt klar: Kinder stehen im Mittelpunkt – aber nicht nur Kinder sind angesprochen, sondern alle. Der Weg in das Reich Gottes ist das Ziel der gesamten Verkündigung Jesu, aber auch das Versprechen anderer Gruppierungen im Judentum, die eine endzeitliche Hoffnung haben, wie die Pharisäer. Die gängige Auskunft lautet, dass ins Reich Gottes kommt, wer das Joch des Gesetzes auf sich nimmt, um Gottes Willen zu erfüllen. Gesetzeserfüllung – im Doppelgebot (10,27–28) – ist auch für den Jesus des Lukasevangeliums ein Ausweis des rettenden Glaubens. Aber es ist dieser Glaube, der heilt und rettet (vgl. 17,19; 18,8 u. ö.). Das Verb heißt: annehmen (déchomai), als Gegenstück zum Hineindrängen (16,16); es anzunehmen, heißt, das Reich von Gott zu erwarten, um es als Geschenk zu empfangen, und nicht die eigenen Machtgelüste auf Gott zu projizieren, sondern Gottes Reich für alle zu erhoffen. Dem Verb entspricht die Qualifizierung: „wie ein Kind“. Sie ist strittig. Geht es um kindliche Unschuld? Um Freude? Um Freiheit von Berechnung? Die Projektionen auf Kinder sind stark. Der Vers zieht sie an und löst sie aus. Lukas hat ein Herz für Kinder; er hat auch ein Herz
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17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
für ihre Eltern (7,11–17; 8,40–56; 9,37–46); er zerstört die Familienbande nicht, sondern löst sie, um sie neu zu knüpfen (18,28–30). Jesus idealisiert bei Lukas Kinder nicht (vgl. 7,32). Aber während die Jünger um ihren Rang streiten, stellt Jesus ein Kind in die Mitte, als Person, an der alle sich orientieren: klein zu werden, wenn man groß werden will, so dass groß ist, wer klein ist (9,46–48). Von hier aus führt eine Interpretationsbrücke zur negativen Verheißung: Das Gottesreich nicht wie ein Kind anzunehmen, hieße, die eigene Größe stärker zu betonen als Gottes Größe; sie wie ein Kind einzunehmen, heißt, die eigene Kleinheit nicht zu leugnen, sondern zu leben – und dadurch des Reiches Gottes teilhaftig zu werden (V. 16). Die Weisung Jesu liegt auf derselben Linie wie die Seligpreisung der Armen, Hungernden, Weinenden und Verfolgten (6,20–23). Nach Lukas segnet Jesus zwar nicht die Kinder, die zu ihm kommen (anders als nach Mk 10,13–16), aber er zeigt seinen Jüngern, wie willkommen sie ihm sind. Mehr noch: Während sie Kindern den Zugang zu Jesus verwehren wollen, sollen sie sich gerade umgekehrt an ihnen orientieren. Sie haben dazu allen Grund, weil ihnen Jesus bereits früher entgegenhalten hatte, nicht Kinder, sondern sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen (9,46–48). Diese Spur verfolgt er weiter: Die Jünger haben diese Lektion immer noch vor sich – auch diejenigen, die das Evangelium lesen. Kinder sind kulturgeschichtlich sehr lange nicht als Menschen mit eigener Identität, sondern als kleine Erwachsene gesehen worden. Die Orientierung an Jesus hätte die Augen dafür öffnen müssen, dass sie Gotteskinder sind, auch wenn sie nicht als solche anerkannt sind. Ohne Frage kommt hier ein Charakterzug Jesu selbst zum Vorschein – in schriftstellerischer Gestaltung, wie allein schon der synoptische Vergleich zeigt, aber in kreativer Erinnerung, die herausbildet, was geschehen ist. Mit der Kindertaufe hat die Überlieferung direkt nichts zu tun; sie spiegelt aber die Liebe von Eltern, die für ihre Kinder nur das Beste wollen, auch die Liebe Gottes und die Berührung des Messias. Die hohe Sensibilität für Kindesmissbrauch im kirchlichen Raum (vgl. 17,2) wird auch durch diese Szene bestärkt: Jesus handelt nicht heimlich, sondern in voller Öffentlichkeit, in Anwesenheit und mit Zustimmung der für die Kinder Verantwortlichen – und mit einer Erklärung, die unzweideutig ist. 18,18–30 Die vergebliche Berufung des Reichen 18Und es fragte ihn einer der Führenden: „Guter Lehrer, was soll ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ 19Es sagte ihm aber Jesus: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut außer dem einen Gott. 20Du kennst die Gebote: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen. Ehre den Vater und die
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Mutter.“ 21Der aber sagte: „Dies alles habe ich von Jugend auf beachtet.“ 22Jesus aber hörte es und sagte ihm: „Eins fehlt dir noch: Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen – und du wirst einen Schatz in den Himmeln haben. Und komm, folge mir nach!“ 23Als der das aber hörte, war er betrübt; denn er war sehr reich. 24Jesus sah ihn und sagte: „Wie schwer kommen, die etwas besitzen, ins Reich Gottes. 25Denn eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als ein Reicher ins Reich Gottes eingeht.“ 26Die es hörten, sagten: „Wer kann dann gerettet werden?“ 27Er aber sagte: „Was bei Menschen unmöglich ist – bei Gott ist es möglich.“ 28Da sagte Petrus zu ihm: „Siehe, wir haben, was unser ist, verlassen und sind dir nachgefolgt.“ 29Er aber sagte ihnen: „Amen, ich sage euch: Keiner ist, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, 30und nicht ein Vielfaches gewinnt in dieser Zeit – und im kommenden Weltzeitalter das ewige Leben.“ Nachdem Jesus gezeigt hat, wie groß sein Herz für Kinder ist (18,15– 17), führt er das Thema der Übereinkunft von Glaube und Leben weiter (18,1–34), indem er die Frage von Besitz und Familie aufgreift. Das Thema durchzieht das gesamte Evangelium, angefangen bei den galiläischen Frauen, die Jesus aus ihrem Besitz unterstützen (8,1–3); es prägt auch die Gütergemeinschaft der Urgemeinde (Apg 2,42–46; 4,32–35). Insbesondere, dass Reiche ethisch investieren, indem sie Geld für Sozialprojekte zur Verfügung stellen, ist ein Dauerthema, wahrscheinlich passend zur sozialen Lage der lukanischen Gemeinde (16,1–13 u. ö.). Die Besonderheit dieser Erzählung ist eine zweifache: Zum einen tritt ein Mann auf, der zwar beste Voraussetzungen mitbringt, aber wegen seines Reichtums, an dem er klebt, doch nicht in die Nachfolge Jesu eintritt; dieser Misserfolg Jesu spiegelt zwar, dass Glaube und Nachfolge nur freiwillig sein können, ist aber eine traurige Geschichte, weil die Freude des Glaubens ausbleibt. Zum anderen wird der Fall des Reichen eingehend besprochen, zuerst mit allen, die hören (Vv. 26–27), dann speziell mit Petrus (Vv. 28–30), der für die Jünger spricht. Im ersten Teil wird das Problem angeschärft und mit Verweis auf Gottes Macht gelöst, im zweiten wird die persönliche Konsequenz für diejenigen besprochen, die Jesus nachgefolgt sind. Mit dem Kontext ist die Perikope (wie schon bei Markus) durch die Heilsfrage des Reiches Gottes verbunden (18,16–17): Der Reiche nimmt Gottes Reich nicht wie ein Kind an; obwohl sich Jesus sehr um ihn müht, hat er zu sehr sich selbst und sein Geld im Blick. Die Episode ist durchgehend dialogisch angelegt; in den Gesprächen entwickelt sich ein komplexer Gedankengang; ein Schritt folgt konsequent auf den früheren; das Thema kommt in seiner Relevanz für den Glauben immer deutlicher heraus.
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18,18–25 Das Gespräch Jesu mit dem Reichen: Das Nein zur Nachfolge 18–21 Die Frage nach dem ewigen Leben 18 Die Frage eines Führenden an Jesus 19–20 Die Antwort Jesu 19 Der Verweis auf Gottes Güte 20 Der Verweis auf die Zehn Gebote 21 Die Beteuerung des Gehorsams des Mannes 22–25 Der Ruf in die Nachfolge 22 Die Aufforderung, den Besitz Armen zu spenden 23 Die Betrübnis des Reichen 24–25 Der Kommentar Jesu 24 Die Problematik für Reiche 25 Das Wort vom Kamel und Nadelöhr 18,26–27 Die erste Besprechung des Falles: Gottes und der Menschen Möglichkeiten 26 Die Frage des Publikums nach der Möglichkeit des Heils 27 Die Antwort Jesu: Gottes Macht 18,28–30 Die zweite Besprechung des Falles: Die Dialektik von Verlassen und Gewinnen 28 Die Feststellung des Petrus: Nachfolge als Verlassen 29–30 Die Klärung Jesu: Verlassen als Grund für Gewinnen Lukas folgt weiterhin (wie seit 18,15) im wesentlichen Markus (Mk 10,17– 31). Er hat die gescheiterte Berufung sehr ähnlich, die anschließende Besprechung aber deutlich anders gestaltet. Denn bei Markus reagieren zuerst die Jünger erschrocken (Mk 10,24), bevor Petrus das Wort ergreift (Mk 10,28), während Lukas – im selben Grundmuster – zuerst alle, die Jesus hören, sprechen lässt (V. 26), bevor Petrus redet (V. 28). Überdies hat Lukas die Vorlage gestrafft, aber die prägnanten und provokanten Worte Jesu erhalten. Die Frage, die Jesus gestellt wird (18) (18), zielt ins Schwarze. Sie ist an Bedeutung kaum zu übertreffen; sie spiegelt die Autorität, die Jesus zuerkannt wird: als „Lehrer“, der „gut“ ist. Die Ausgangssituation weicht deutlich von jener vor dem Doppelgebot und dem Samaritergleichnis (10,25) ab. Dort fragt ein Gesetzeskundiger Jesus gleichfalls nach den Voraussetzungen des ewigen Lebens, aber um Jesus auf die Probe zu stellen – nicht ohne anzuerkennen, was Jesus lehrt; hier ist das Interesse echt. Geklärt wird die soziale Schicht des Fragestellers: Er gehört zu den „Führenden“, was im lukanischen Lexikon auf eine – nicht näher beschriebene – religiöse (vgl. 8,41, auch 23,13.35; 24,20; Apg 3,17; 13,27) oder politische (12,11.58; 20,20) Leitungsfunktion hinweist. Vorsichtig
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deutet sich die Nähe Jerusalems an. Vielleicht denkt Lukas sogar an ein Mitglied im Hohen Rat (vgl. 19,47). Das „ewige Leben“ ist der Inbegriff des Heils; es zu „erben“, heißt: der Verheißung Gottes teilhaftig zu werden, Israel das Reich zu geben. Jesus antwortet zweifach. Zuerst reflektiert er die Anrede (19) (19). Jesus ist Lehrer – und weiß es; deshalb weiß er auch, dass nur Gott allein ganz und gar „gut” ist (Ps 114,3 u. ö.). Jesus verleiht Gottes Güte menschliche Worte. Er weist die Anrede nicht ab; er weist auch nicht fort von sich auf Gott; er fragt vielmehr, ob der Mann weiß, was er sagt – wie sich herausstellen wird, ist die Rückfrage berechtigt; denn der Frager wird nicht darauf vertrauen, dass Jesus Gottes Güte lehrt, sondern denken, es sei für ihn besser, bei seinen materiellen Gütern zu bleiben. Dann (20) verweist Jesus den Mann auf die Zweite Tafel des Dekalogs (Ex 20,13–16; Dtn 5,16–20). Der Hinweis ist tief in der biblischen Theologie verankert (Lev 18,15; Dtn 6,29; 30,16). Jesus zitiert die Weisungen nicht in der Reihenfolge der Tora, sondern baut einen Rahmen mit dem sechsten Gebot am Beginn und dem vierten (wie bei Markus) am Schluss; dadurch stellt er den (lockeren) Bezug zum Kontext her, der das Familienleben behandelt. Das Verbot des Ehebruchs greift die Klarstellung zur Geltung des Gesetzes auf (16,16.18); die Ehre für Vater und Mutter entspricht spiegelbildlich der Sorge für Kinder (18,15–17). Die erste Tafel fehlt, weil der Glaube an den einen Gott vorausgesetzt werden kann, zumal nach der Klärung über Gottes Güte (V. 19); das Verbot des Begehrens fehlt, weil der Fokus auf dem Handeln liegt, nicht auf den Motiven. Entscheidend ist der Ansatz. Ähnlich wie nach dem Gespräch mit dem Gesetzeskundigen (10,25–37) tritt die Tora in den Vordergrund, nur hier nicht das Doppelgebot (Dtn 6,4–5 – Lev 19,18), sondern der Dekalog. Die Erfüllung der Gebote ist für Jesus nach dem Lukasevangelium eine notwendige Voraussetzung für die Erlangung des ewigen Lebens. Ob sie hinreichend ist, hängt von der inneren Einstellung ab: Ist der Gebotsgehorsam Ausdruck der Hingabe des Lebens an Gott, also des Glaubens? Genau auf diese Orientierung zielt die Fortsetzung des Gespräches. Der Reiche beteuert, alle Gebote befolgt zu haben (21) (21), die Jesus ihm in Erinnerung ruft, und zwar „von Jugend auf“, also nicht erst in Folge einer späten Bekehrung (vgl. 19,8). Anders ist dies in einer apokryphen Parallele aus dem Nazoräerevangelium: Dort behauptet der Fragesteller nur, gesetzeskonform zu leben, missachtet aber die Nächstenliebe, indem er Arme – wie Lazarus im Gleichnis (16,19–31) – im Elend lässt (Nazoräerevangelium 10 nach Origenes, Matthäuskommentar 15,14 zu Mt 19,16–30). Bei Lukas liegt das Problem tiefer. Der Mann sagt nicht die Unwahrheit. Trotzdem ist er nicht mit Gott im Reinen.
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Dort setzt Jesus an (22) (22). Wenn er dem Mann sagt, „eines“ fehle ihm, dann meint er: alles. Das „noch“ zielt nicht auf ein zusätzliches Gebot zum Dekalog, sondern auf das, was in jedem Gebot erfüllt werden muss. Es ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten, die sich im Doppelgebot ausspricht (10,27). Vom Kontext her geurteilt: Es ist der Glaube, den der Menschensohn auf Erden finden will (18,8). Er soll sich bei diesem Mann darin konkretisieren, dass er seinen Besitz – nicht etwa verschleudert, sondern – veräußert, so dass er mit ihm effektiv den Armen helfen kann, wie Barnabas es vorbildlich in der Jerusalemer Gemeinde getan hat (Apg 4,36–37). Diese Caritas-Aktion ist Voraussetzung dafür, dass der Mann Jesus auf dem Weg nach Jerusalem nachfolgen kann: spirituell und materiell (alle Praktikabilitätserwägungen hintangestellt, wann und wie der Verkauf erfolgen soll). Es ist eine alte Auslegungsfrage, ob der Besitzverzicht für Lukas (und Jesus) eine Pflicht für alle ist oder ob es sich um die Konsequenz des Nachfolgerufes für diesen besonderen Menschen handelt. Die Alternative ist falsch, wenn die Paradigmatik beachtet wird. Dem einen Gott (V. 19) ist das Eine zu geben: das eigene Leben. Wie dies sich vollzieht, kann je nach der Lebenssituation sehr unterschiedlich aussehen. Lukas kennt kein Einheitsmodell der Nachfolge, sondern viele verschiedene Weisen, den Glauben zu leben: passend zur Lebenssituation und zur Berufung. Die Freiheit, sich vom Besitz nicht fesseln zu lassen, ist ein großes Thema des Lukasevangeliums (16,1–13). Für den Reichen, der Jesus fragt, wird es ernst. In der Frage, wie er mit seinem Besitz umgeht, zeigt sich, wie er die Gebote erfüllt – und ob die Erfüllung ihm den Weg zum ewigen Leben bahnt. Der „Schatz im Himmel“ ist das Reich Gottes mit seiner Lebensfülle selbst (12,32–33). Der Mann reagiert „betrübt“ (23) (23). Seine Reaktion ist das Gegenteil der Freude, die den Hirten erfüllt, da er das verlorene Schaf, und die Frau, da sie die verlorene Drachme gefunden hat (15,1–10). Anstatt dass seine Augen für Gottes Geheimnisse geöffnet werden, verschließt sie der Mann, von seinem Reichtum geblendet (vgl. 12,33). Bei Markus steht, dass der Mann weggeht, bei Lukas bleibt er in der Szene, ohne dass jedoch eine weitere Reaktion erzählt wird. Jesus bespricht den betrüblichen Fall, indem er den Mann anschaut (24) (24). Nach einigen Textzeugen ist zu ergänzen: „dass er betrübt war“. Diese Wendung ist, obgleich gut bezeugt, nicht ursprünglich; sie macht aber deutlich, dass Jesus den Reichen nicht abschreibt, sondern weiter im Blick hat. Freilich redet er jetzt nicht mehr zu ihm, sondern über ihn – und alle, die reich sind wie er. Sie haben es schwer, ins Reich Gottes zu kommen – weil sie es sich selbst schwer machen. Mit „schwer“ wird kein graduelles, sondern ein prinzipielles Problem markiert. Es ist nicht unmöglich, dass Reiche ins Reich Gottes kommen – aber nur, wenn sie
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am Reichtum nicht kleben. Anders formuliert: Reichtum braucht kein Hindernis zu sein – wenn man Geld klug investiert, nämlich für Gott und die Armen (16,9). Die Pointe ist nicht, Geld zu verachten oder zu verschleudern, sondern zu verantworten. Diese Ethik des Geldes unterscheidet Jesus von den Kynikern. Das folgende Sprichwort vom Kamel und Nadelöhr spitzt diese Pointe zu (25) (25). Es gibt Versuche, die groteske Metapher zu rationalisieren: Ursprünglich sei nicht von einem „Kamel“ (kámelos), sondern von einem Tau (griechisch: kamilos) die Rede gewesen, oder „Nadelöhr“ habe ein enges Stadttor in Jerusalem geheißen. Beides ist unzutreffend. Das Kamel ist als besonders großes Tier bekannt (vgl. Mt 23,24). Es kommt nicht durch ein Nadelöhr. So kommt auch kein Reicher ins Himmelreich – es sei denn, er wird arm. In diesem Sinn hat Jesus laut Feldrede Seligpreisungen und Weheworte einander gegenübergestellt (6,20–26). Auch seine Weigerung, einen Erbstreit zu schlichten (12,13–21), gehört in diesen Zusammenhang. Wenn das: „Du Narr“ nicht das böse Ende eines reichen Lebens markieren soll, muss eine Umkehr hier und jetzt erfolgen. Im Lukastext wird die Härte dessen, was Jesus sagt, verstanden – nicht nur vom Reichen, sondern von allen, die Zeugen des Geschehens sind (26) (26). Ihre Frage: „Wer …?“ kann nur beantwortet werden mit: „Niemand …“. Die Rettung (sózo) ist die Teilhabe am vollendeten Reich Gottes und seinem Vorgeschmack auf Erden (vgl. 7,50 u. ö.). In dieser Zuspitzung der Heilsfrage wird deutlich, dass nicht etwa nur das Spezialproblem dieses einen Menschen oder lediglich das der Mitglieder einer bestimmten Vermögensgruppe, sondern die Heilshoffnung aller verhandelt wird: Reichtum, der hindert, Jesus nachzufolgen, gibt es in vielerlei Form. Letztlich besteht er in allen Dingen, an die Menschen ihr Herz hängen, ohne es von Gott empfangen und Gott übereignen zu wollen – im Dienst am Nächsten, besonders an den Armen. Alle müssen lassen, um mehr als alles zu empfangen (Vv. 28–30). Jesus bestätigt die Skepsis – und transzendiert sie (27) (27). Tatsächlich ist es Menschen nicht möglich, sich oder andere zu retten, d. h. ihnen das ewige Leben zu schenken und einen Platz im Reich Gottes zu bereiten (22,29–30). Die Anerkennung dieser Unmöglichkeit ist ein Ausdruck des Glaubens. Zum Glauben gehört aber auch die Anerkennung der Möglichkeit Gottes – wie der Engel Gabriel es Maria offenbart hat (1,37). Nur Gott kann die Toten lebendig machen (20,27–40), nur er kann sein Reich nahekommen und vollenden lassen (11,2). Deshalb ist er allein der Retter. Er ist es dem Lukasevangelium zufolge durch Jesus, den er als Retter gesandt hat (2,11). Hier handelt Jesus als Lehrer; seine Lehre ist durch seine Heilungstaten und durch die Hingabe seines Lebens gedeckt (22,19–20). Die lukanische Variante lädt nicht zu Spekulationen über Gottes All-
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macht, sondern zum Vertrauen auf Gottes Güte ein, die Macht hat, die Wirklichkeit zu erschaffen. An dieser Stelle setzt Petrus ein (28) (28). Er ist wieder der Sprecher der Zwölf (12,41; vgl. 5,1–11; 9,20; auch 9,31); er macht klar, dass nicht nur das Auditorium, sondern auch die Zwölf, die mit vielen Jüngern (8,1–3; 10,1–20) Jesus nach Jerusalem (9,51) folgen, vom Wort Jesu betroffen sind. Sie haben all das, was das Ihre ist (wörtlich: „das Eigene“) verlassen (vgl. 5,11), aber nicht zerstört. In erster Linie sind Familie, Beruf und Besitz gemeint (V. 29). Die Jünger haben sich vom „Eigenen“ so gelöst, wie der Reiche sich von seinem Besitz hätte lösen müssen. Petrus erinnert bei Lukas daran nicht aus dem Grund, dass er sich Vorteile erhoffte, wie die Jünger im Rangstreit (9,46–48), sondern weil er fragt, was der Verweis Jesu auf die Unmöglichkeit von Menschen und die Möglichkeit Gottes, zum Retter zu werden, für sie bedeutet, die Jesus nachgefolgt sind. Jesus antwortet mit einer Verheißung (29–30) (29–30), die sowohl die Heilsgegenwart als auch die Heilszukunft (vgl. 12,8) umfasst. Das Schlüsselwort ist „Vielfaches“ (pollaplasíon). Petrus erklärt, das „Eigene“ verlassen zu haben, also Heimat, Familie und Beruf; Jesus zählt genau auf, was „alles“ meint. Aber er erklärt ihm (und allen, für die Petrus spricht), nicht nur einen Ersatz, sondern mehr als genug von Gott zu erlangen. Das „ewige Leben“ ist der „Schatz in den Himmeln“ (V. 22): das, wonach der Reiche gefragt hatte (V. 18; vgl. 10,25) und was die Erlösungshoffnung der Menschen bestimmt. Allerdings vertröstet Jesus nicht auf das Jenseits; in der Zukunft liegt vielmehr die Gegenwart des Gottesreiches begründet. Sie erweist ihr Heil nicht nur in der Vergebung der Sünden und im Verstehen der Frohen Botschaft, das zum Einverständnis wird; das ganze Leben erhält eine neue Qualität. Was verlassen wird, wird „vielfach“ empfangen: aus Gottes Hand. Auch das Haus, der Beruf und die Familie gehören dazu. Nicht zuletzt ist es bei Lukas die Gemeinschaft des Glaubens, die auch die sozialen Beziehungen bereichert: durch die Orientierung am Heilswillen Gottes (8,19–21), die Gottesdienst- und Gütergemeinschaft (Apg 2,42–46; 4,31–37). Das traurige Beispiel des Reichen, der sich nicht von seinem Besitz lösen kann, um Jesus nachzufolgen, wird in der lukanischen Version, die im wesentlichen Markus folgt, zum Exempel für alle Menschen, die ihr Heil nur von Gott erwarten sollen, im Glauben an ihn aber das „Eigene“ aufgeben können (V. 28), um schon im irdischen Leben ein „Vielfaches“ und dann das „ewige Leben“ (V. 30) zu empfangen. Der sozialethische Impuls, der für das lukanische Doppelwerk signifikant ist, bleibt erhalten. Reichtum fesselt, er bindet das Herz (12,34) und
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verhindert das Wachstum des Samens, der für Gottes Wort steht (8,14). Mit dem Geld kann aber viel Gutes getan werden (16,9). Diese Chance zu nutzen, setzt innere Freiheit voraus. Der Reiche lässt sie vermissen; die Jünger sind auf dem Weg, sie zu finden. Petrus bringt – zusammen mit allen, die Jesus nachfolgen – die Voraussetzungen für diese Haltung der Gelassenheit mit; aber seine Einlassung zeigt, dass er von der Gewissheit des Glaubens noch weit entfernt ist. Jesus hingegen sagt all denen, die ihr Leben auf Gott gründen, den größten Schatz zu, den sie gewinnen können. Verlassen führt zum Gewinnen, wie das Kleinsein zum Großsein führt (9,48), die Erniedrigung zur Erhöhung (14,11) – und der Tod zur Auferstehung (vgl. 15,24.32). Die Szene beginnt mit einer Erinnerung an einen Misserfolg Jesu, der schwerlich erfunden ist. Sie markiert einen Anspruch der Nachfolge, der vielfach bezeugt ist, auch in familienkritischer Form (9,59–60); er passt dialektisch zu dem, was Jesus zu Gunsten von Ehe und Familie ausführt (16,18). Lukas hat die Tradition nachgezeichnet. 18,31–34 Das Leiden und die Auferstehung Jesu als Erfüllung der Schrift 31Er nahm aber die Zwölf zu sich und sagte zu ihnen: „Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem – und alles wird vollendet werden, was geschrieben wurde durch die Propheten über den Menschensohn. 32Denn er wird den Heiden übergeben, und er wird verspottet und misshandelt und angespuckt werden; 33und sie werden ihn geißeln und töten, und am dritten Tag wird er auferstehen.“ 34Und sie verstanden nichts davon, und diese Rede blieb ihnen verborgen, und sie erkannten nicht, was gesagt war. Die Nähe zu Jerusalem nimmt Jesus nach dem Lukasevangelium dadurch auf, dass er seine Jünger ein weiteres Mal auf sein Leiden einstellt, das seiner Auferstehung vorangeht (9,22.43b–45; vgl. 17,25 u. ö.). Das Leitwort heißt „vollendet“ (telesthésetai), korrespondierend mit dem Motiv der Erfüllung (sympleroûsthai) zu Beginn des Reiseberichts (9,51), später aufgegriffen im Abendmahlssaal (22,37: telesthésetai). Die Reise Jesu nach Jerusalem neigt sich dem Ende zu; es wird zum Abschluss der irdischen Sendung Jesu in der Passion kommen – der die Auferstehung folgt. Lukas betont mit den Worten Jesu, dass die Prophetie Israels in genau diese Richtung weist und variiert so das Motiv der Schrifterfüllung (24,25–27). Dieser Aspekt ist stärker als zuvor betont; die Jünger hingegen verstellen sich weiter den Zugang. Das Augenmerk liegt auf der Prophetie Jesu. Das Unverständnis der Jünger bildet den dunklen Kontrast.
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31 Die Vollendung des Weges Jesu in Jerusalem 32–33 Die Passion und Auferstehung Jesu 34 Das Unverständnis der Jünger Lukas fußt weiter auf Markus (Mk 10,32–34). Bei Markus ist die dritte Leidens- und Auferstehungsankündigung (nach Mk 8,31 und Mk 9,31) am stärksten betont. Lukas hat das Dreierschema, das bei Markus den gesamten Hauptteil zwischen dem Petrusbekenntnis und der Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho gliedert (Mk 8,27–10,52), aufgelöst, um seinen Reisebericht zu gestalten. An der ersten Stelle hat er den Kontrast zum Messiasbekenntnis aufgebaut (9,22), an der zweiten nur das Leiden angesprochen (9,43b–45; vgl. 9,31; 17,25). Hier steht, wie bei Markus vorgegeben, die umfangreichste Tradition. Lukas hat den Kern von Markus übernommen, aber sowohl die Erfüllung der Prophetie eingefügt als auch das Unverständnis der Jünger an den Schluss gestellt. Die Zwölf (6,13; 8,1; 9,1.12) bilden bei Lukas den Kern der Jüngerschaft (31) (31). Mit ihnen wird Jesus das Letzte Abendmahl feiern (22,14); sie sind als Apostel (17,5) die lebendige Brücke zwischen der vor- und der nachösterlichen Zeit (Apg 1,15–25). Deshalb spricht Jesus sie auf das an, was kommen wird. Der Weg „hinauf“ ins 754 m über NN gelegene Jerusalem, der nun in Angriff genommen werden soll, steht für Jesus seit langem im Blick (9,51; vgl. 13,33–34; 17,11); die Stadt rückt immer näher (vgl. 19,11). Mit ihr rückt das Leiden Jesu näher, das zur Auferstehung führen wird. Bevor er es näher beschreibt (V. 32), ordnet er es zuerst biblisch-theologisch ein. Er bezieht sich auf das, „was geschrieben“ steht. Schrifterfüllung ist ein Leitmotiv bei Lukas (2,13 u. ö.), auch in der erzählten Verkündigung Jesu selbst (7,27; 19,46; 20,17; 21,22; 22,37; 24,44–46). Es handelt sich nicht um einen Formalismus; vielmehr bezeugt die Heilige Schrift elementare Glaubenserfahrungen: Menschen, die Gottes Wort verkünden, stoßen auf Widerspruch, besonders die Prophetinnen und Propheten (Neh 9,26). Dass der „Menschensohn“ in den Blick genommen wird, erklärt sich nicht aus einzelnen alttestamentlichen Versen, sondern aus der Identifikation Jesu mit ihm (s. bei 5,24). Die grammatikalische Formulierung – im Griechischen mit Dativ – ist schwierig; aber die Satzkonstruktion fordert den Bezug der Prophetie auf den Menschensohn; er ist freilich nicht nur Thema, sondern auch Adresse der Prophetie. Jesus selbst ist es, der sich dem Willen Gottes anheimgibt, weil er Gottes Wort verkündet; er „vollendet“ das Zeugnis der Prophetie, weil er seinen Sinn verwirklicht, durch Leiden und Tod hindurch Gottes Heil zu bringen. Die Begründung liefert die (nach 9,22) zweite ausgeführte Leidens- und Auferstehungsankündigung Jesu (32–33) (32–33). Jesus hat oft sein kommen-
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des Geschick angesprochen, direkt oder indirekt (vgl. neben 9,22 u. a. noch 9,31.45.51; 13,31–32; 17,25). Hier wird es plastisch. An der früheren Stelle waren die Hauptverantwortlichen für die Verhaftung genannt worden: Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte, die den „Menschensohn … viel leiden“ lassen (9,22). An dieser Stelle wird der Faden weitergesponnen. Zuerst wird das Licht auf die Auslieferung an Pilatus gelenkt (23,1), als Vertreter der „Heiden“, der Völker, konkret: der Römer; danach werden, wie in einer Kurzfassung der Passionsgeschichte, Handlungen, geschildert, die allesamt Jesus, dem Menschensohn, weh tun sollen: verspotten (23,11.25.36.39), misshandeln (23,16), also foltern, anspucken, geißeln (23,22) und töten (23,33). Die Fülle der Verben fängt die Qual des Leidens ein. Sie zielt auf den kurzen Gegen-Satz: Jesus kann gepeinigt und getötet werden – er steht von den Toten auf. Die aktivische Wendung „auferstehen“ (anhístemi) entspricht spiegelbildlich der passivischen „auferweckt“ (egerthênai) in der ersten ausführlichen Ansage (9,22); sie ist hier um des Kontrastes willen gewählt. Jesus kann getötet, aber nicht besiegt werden; er besiegt den Tod: in seiner Auferstehung als Menschensohn, der Gottes Sohn ist. Der „dritte Tag“ (s. 9,22; vgl. 13,33) bringt die Wende vom Tod zum Leben (vgl. Hos 6,1–3). Die Chronologie der Ostergeschichte passt zu dieser theologisch gefüllten Prophetie Jesu (s. 24,1). Lukas hat weniger als z. B. Markus betont, dass die Jünger nicht verstehen, was Jesus lehrt. Hier aber (34) wird es – wie zuvor (9,45) – dreifach ausgeführt. Nicht zu verstehen, heißt, dass der – theologische – Sinn „verborgen“ bleibt und dass auch die neuerliche Prophetie Jesu (noch) nicht zu einer Erkenntnis des Glaubens führt. Erst nach der Krise der Passion wird sich bei den Jüngern etwas ändern – und nach Ostern geht die Lerngeschichte weiter. Die Prophetie des Leidens und der Auferstehung, die sich auf die Prophetie Israels bezieht, ruft, vor dem Anstieg nach Jerusalem, in Erinnerung, was kommen wird, bevor der Menschensohn am Ende aller Tage kommen wird (17,22–27), um nach Glauben zu suchen (18,8). Die Verheißung des erfüllten irdischen und des ewigen Lebens (18,18–20) steht im Zeichen der Passion und der Auferweckung. Jesu Tod und Auferstehung stehen ihrerseits im Horizont der Verheißungen Israels, die von der Prophetie ausgedrückt werden und in der Bibel aufgeschrieben sind. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden zusammengezogen: vom Menschensohn, den Gott gesandt hat, Tod in Leben zu verwandeln, aus Anteilnahme. Die historische Rückfrage ist ähnlich wie an früheren Stellen zu beantworten: Die Verse sind im Blick auf die Passionsgeschichte gestaltet worden; dass Jesus sich des Risikos bewusst gewesen sein muss und den Weg des Propheten gegangen ist, auch wenn er Leid und Tod bedeutete, ist aber geschichtlich mehr als wahrscheinlich.
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17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
18,35–43 Die Heilung eines Blinden bei Jericho 35Es geschah aber, als er sich Jericho näherte, da saß ein Blinder am Weg, um zu betteln. 36Als er die Mengen vorbeigehen hörte, erkundigte er sich, was dies wäre. 37Sie berichteten ihm: „Jesus, der Nazoräer, kommt vorbei.“ 38Da rief er und sagte: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ 39Und die Vorausgehenden fuhren ihn an, dass er schweige. Er aber rief umso mehr: „Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ 40Jesus aber blieb stehen und gebot, ihn zu ihm zu führen. Als er nahegekommen war, fragte er ihn: „41Was willst du, dass ich dir tue?“ Er aber sagte: „Herr, dass ich wieder sehen kann.“ 42Da sagte Jesus ihm: „Sieh wieder! Dein Glaube hat dich geheilt.“ 43Und augenblicklich konnte er wieder sehen und folgte ihm nach, indem er Gott lobte. Und das ganze Volk sah es und gab Gott die Ehre. Vor den Toren Jerichos wird in einer Miniatur das ganze Evangelium sichtbar. Der „Davidssohn“, als der Jesus bald in Jerusalem einziehen wird (19,29–40), ist auf dem Weg – und am Wegesrand findet er einen Bettler, der Not leidet und ihn voller Glauben um Erbarmen bittet. Dem versagt Jesus sich nicht, sondern fragt ihn und erfüllt seine Bitte – wie die Bestätigung der Verheißung, die er seinen Jüngern mit auf den Weg gegeben hat (11,9–10; 18,7–8). Die Heilung des Blinden bei Jericho ist eine Heilungsgeschichte, wie sie im Buche steht. In geradezu idealer Weise sind alle wesentlichen Elemente der Gattung versammelt. Der Glaube spielt die heilsentscheidende Rolle; das Vertrauen auf den Arzt Jesus kommt zum Ausdruck, die Menge, die zunächst den blinden Bettler abwehren will, wird durch die Heilung zum Gotteslob geführt. Was beim dankbaren Samariter ein vorbildlicher Einzelfall gewesen war (17,11–17), wird hier zu einer breiten Bewegung; die folgende Zachäus-Geschichte wird sich anschließen und das Thema des rettenden Glaubens weiterführen (19,1–10). 18,35 18,36–38 18,39
Die Situation: Der blinde Bettler am Wegesrand Die Bitte des Blinden um Heilung 36 Die Frage an die Passanten 37 Der Hinweis auf Jesus 38 Der Ruf nach dem Erbarmen des Menschensohnes Die Erschwernis und ihre Überwindung 39a Das Schweigebot aus der Menge 39b Die Wiederholung der Bitte
18,35–43 Die Heilung eines Blinden bei Jericho
18,40–42 18,43
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Die Heilung durch Jesus 40 Die Reaktion Jesu: Aufmerksamkeit und Zuwendung 41a Die Frage Jesu an den Blinden 41b Die Antwort des Blinden: Der Wunsch nach Heilung 42 Das Heilungswort Jesu Die Wirkung 43a Die Nachfolge des Geheilten 43b Der Chorschluss: Das Gotteslob des Volkes
Lukas lehnt sich wieder stark an Markus an (Mk 10,46–52), nachdem er allerdings das Gespräch mit den Zebedäussöhnen über die besten Plätze im Reich Gottes (Mk 10,35–45) übersprungen hat; bei Lukas kommt das Thema im Abendmahlssaal auf (22,24–27). Freilich hat der Evangelist – wie immer – seine Vorlage sprachlich überarbeitet, ohne jedoch die Substanz zu verändern. Er lässt den Namen, Bartimäus, weg – entsprechend seiner Praxis, kaum einmal die Namen von Geheilten oder ihren Angehörigen mitzuteilen. Die kurze Szene ist plastisch geschildert (35) (35). Das Wegmotiv klingt wieder auf (vgl. 17,11; 18,31). Jericho, 250 m unter NN gelegen, ist eine archaische Stadt Israels (vgl. Jos 2.6), eng verbunden mit dem Exodus. Bei Lukas erscheint sie bereits im Samaritergleichnis (10,25) und wird auch Schauplatz der folgenden Szene sein (19,1), immer mit Bezug auf Jerusalem. Ein Blinder am Wegesrand ist auf der untersten Stufe der sozialen Skala, auch wenn er womöglich von einem Konsortium strategisch an seinen Platz gesetzt worden ist, an dem viele Menschen vorbeikommen konnten. Lukas gestaltet die markinische Vorlage so aus, dass die Behinderung des Mannes deutlich wird – und dass er sie überwindet (36) (36). Er hört die Menge, die mit Jesus zieht – wohl auf dem Weg nach Jerusalem zum Paschafest. Er kann nicht sehen – aber fragen. So hört er den Namen Jesu (37) (37). Er hört auch, dass er als „Nazoräer“ gekennzeichnet wird (vgl. Apg 2,22; 3,6; 4,10; 6,14; 22,8; 24,5; 26,9). Lukas beschreibt Jesus als „Nazarener“, wenn er seine Herkunft bezeichnen will (4,34 par. Mk 1,24; 24,19). Deshalb hat das Wort hier eine andere Bedeutung. Welche es ist, lässt sich aus der Anklage ableiten, die Tertullus gegen Paulus erhebt (Apg 24,5): „Nazoräer“ ist danach die Bezeichnung für die Bewegung, die sich im Namen Jesu versammelt, eine „Richtung“, wie die pharisäische auch (Apg 15,5). Der Name geht wahrscheinlich auf „Geweihte“ zurück (hebr. Nazir: Num 6,2; Dtn 33,16); die Bezeichnung ist also ein archaischer Messiastitel (vgl. Mt 2,23). Diese Kennzeichnung Jesu motiviert die Bitte des Blinden (38) (38). Ob er bereits etwas von Jesus gehört haben mag, dessen Ruf sich nach Lukas weit verbreitet (4,14–16.37), kann offenbleiben. Der Bettler setzt seine
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Hoffnung auf den „Davidssohn“. Das Hoffnungsmotiv Davids spielt in der Kindheitsgeschichte eine große Rolle (1,32.69; 2,11); der Hoheitstitel wird hier neu eingeführt (vgl. V. 39) und später nach Lukas von Jesus selbst mit Verweis auf Ps 110 so besprochen, dass der Sohn Gottes der messianische Davidssohn ist (20,41–44). Beim Einzug Jesu in Jerusalem (19,38) klingt das Davidsmotiv im Jubel über den auf, der in Gottes Segen Frieden auf Erden mit der Herrlichkeit Gottes verbindet (vgl. 2,14). In diesem Horizont erklärt sich die Bitte des Blinden. Der Sohn Davids ist eine Messiasgestalt, wie aus der Verheißung Nathans (2Sam 7,14–16) abgeleitet werden kann, auch im messianisch orientierten Judentum der Zeit Jesu, das den Glauben an den Mann aus Nazareth nicht teilt. Dass der messianische König Macht hat, ist vorausgesetzt; dass er auch ein Herz hat, wirksam zu helfen, ist die naheliegende Hoffnung. Die Bitte um Barmherzigkeit richtet sich in den Psalmen auf Gott (Ps 6,2–3; 9,14; 40,12); diese Gottesbitte wird angesichts Jesu laut, der als Nazoräer der davidische Messias ist, willens und fähig, zu helfen. Wie in Heilungsgeschichten oft, zeigt ein Erschwernismotiv die Intensität des Vertrauens an, das die Kranken auf den Heiler setzen (vgl. 5,17–26 u. ö.). Hier sind es diejenigen in der Menge, die Jesus vorangehen (39) (39). Vielleicht ist speziell an die Jünger gedacht (vgl. 9,52). Sie wollen, dass Jesus auf seinem Weg, der ihn nach Jerusalem führt (18,31), nicht aufgehalten wird, schon gar nicht von einem Bettler. Aber der gibt nicht klein bei, sondern erneuert seinen Ruf mit denselben Worten, nur ohne wieder Jesus beim Namen zu nennen: Er ist für ihn der Davidssohn. Jesus reagiert, wie es für ihn typisch ist, nicht nur bei Lukas (40) (40). Der Evangelist hat aber Freude, an dieser Stelle das Erzähltempo (auch gegenüber Markus) zu verlangsamen, um die Bedeutung des Geschehens hervorzuheben. Zuerst bleibt Jesus stehen, weil er den Ruf gehört hat – auf den zu hören ihm wichtiger scheint als die schnelle Fortsetzung des Weges, ist es doch gerade der Sinn dieses Weges, auf Menschen wie den Bettler zu achten. Dann gebietet Jesus denen, die ihn abweisen wollten, den Blinden, der nicht stolpern soll, zu ihm zu führen. Schließlich spricht er den Mann an und fragt ihn (41) (41). Diese Frage nach seinem Wunsch ist charakteristisch: Jesus zwingt niemanden zu seinem Glück; er tritt auch nicht so auf, als wisse er bereits immer schon, was für einen anderen Menschen am besten ist. Er erfüllt eine Bitte, die an ihn gerichtet ist. Diese Aufmerksamkeit spricht die Anerkennung des Bettlers als vollwertiges Gegenüber aus. Die Antwort des Mannes ist klar; sie entspricht seinem Schrei nach dem barmherzigen Davidssohn (Vv. 38.39). Freilich redet der Bettler Jesus jetzt als „Herr“ (kýrios) an. Er überträgt damit nicht schon das Gottesprädikat auf Jesus (vgl. 20,41–44 mit Ps 110), sondern spricht Jesus als Respektsperson
18,35–43 Die Heilung eines Blinden bei Jericho
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an: im Blick auf seine medizinischen Fähigkeiten, die auf seine messianische Sendung abgestimmt sind. Der Mann will „wieder sehen“ (anablépo), ist also nicht von Geburt an blind (wie der Blinde nach Joh 9), sondern hat später – wann, wird nicht gesagt – sein Augenlicht verloren. Wenn er wieder sehen kann, braucht er nicht mehr zu betteln und ist an dieser Stelle nicht mehr auf die Hilfe anderer angewiesen, die ihm sagen müssen, was passiert, und helfen müssen, damit er sein Ziel erreicht. Jesus heilt, indem er den Mann aktiviert (42) (42). Zum einen fordert er ihn auf, wieder zu sehen – in derselben Form, wie er ihn auffordern könnte, sich zu erheben und zu gehen: Jesus zaubert ihm nicht das Augenlicht ins Gesicht, sondern befähigt ihn, wieder zu sehen. Zum anderen schreibt er seinem Glauben die Heilung zu; die Formulierung ist für die Jesustradition typisch (8,48; 17,19; vgl. 7,50): Jesus ist es, der den Glauben weckt und wirken lässt; aber er manipuliert nicht, sondern befreit. Es ist der Glaube des Blinden, der sich an Jesus entzündet. Dieser Glaube zeigt sich im Vertrauen auf Jesus, in der Hartnäckigkeit, sein Erbarmen anzurufen, im Bekenntnis zum Davidssohn, das die Form einer Bitte annimmt, und in der Klarheit des Wunsches, den der Blinde an Jesus richtet. In der Beziehung zu Jesus konkretisiert sich der Glaube an Gott. Dieser Glaube wirkt – durch Jesus, in dem Gott wirkt. Die körperliche Heilung ist ein Vorzeichen des endgültigen Heiles; sie zeigt, dass Gottes Reich nahekommt, um Menschen das Licht des Lebens zu schenken. Die Reaktion ist umfassend positiv (43) (43). Der Heilungserfolg tritt umgehend ein; der Blinde, der wieder sehen kann, zieht die Konsequenz seines heilenden Glaubens und folgt Jesus nach, wie seine Jünger, indem er Gott lobt, wie der dankbare Samariter (17,15). Beides zusammen ist für Lukas eine ideale Reaktion: Sie zeigt, dass die körperliche Heilung mit einer umfassenden Erneuerung seines Lebens verbunden ist: Der Mann ist nicht mehr blind, sondern sieht; er braucht nicht mehr zu betteln, sondern ist reich beschenkt; er sitzt nicht mehr am Rand, sondern macht sich auf den Weg; er ist nicht mehr an Jericho gebunden, sondern kann mit nach Jerusalem ziehen. Die Menge, die mit Jesus zieht und das Geschehen beobachtet hat, sieht es im richtigen Licht; die Leute rätseln nicht, wie Jesus die Heilung vollbracht hat, sondern geben „Gott die Ehre“: Er hat den messianischen Davidssohn Jesus gesandt; er hat die Heilung des Blinden gewollt und bewirkt; ihm gebührt die Ehre, die seinem Glanz nichts hinzufügt, sondern ihn ausstrahlen lässt durch das Zeugnis von Menschen. Nach den vielen Problemgeschichten, die den Weg Jesu nach Jerusalem prägen, folgt mit der Blindenheilung eine durch und durch positive Erzählung. Sie gibt dem Glauben, dem Hauptthema dieser Wegetappe Jesu (seit 17,11), ein Gesicht.
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Es ist das Gesicht eines Blinden, so wie zuvor das Gesicht einer Sünderin (7,50) und einer Frau, die als unrein galt (8,48), aber auch eines heidnischen Hauptmannes (7,9) und eines Samariters (17,11) den Glauben charakterisiert haben. Dieser Glaube heilt – und wird retten; denn er richtet sich auf Jesus, dessen messianische Sendung von Gott kommt. Mit dem Glauben, den er geweckt hat, und vielen Menschen, die Gott loben, zieht Jesus nach Jerusalem – als königlicher Davidssohn, der den Frieden Gottes bringt, wird er in die Stadt einziehen (19,29–40). Die Heilungsgeschichte passt zu gut zum Gesamtbild Jesu bei den Synoptikern, als dass sich keine historische Erinnerung und keine starke Bearbeitung der Überlieferung erkennen ließe, schon vor und durch Markus, aber auch auf dem Weg zu Lukas. 19,1–10 Jesus zu Gast bei Zachäus in Jericho 1Und er ging hin und zog durch Jericho. 2Und siehe, ein Mann, mit Namen Zachäus gerufen, war dort, ein Oberzöllner, und er war reich. 3Und er suchte, Jesus zu sehen, wer er sei, und konnte es nicht wegen der Menge, denn er war klein von Gestalt. 4Da lief er ihm voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, damit er ihn sehe, weil er dort durchkommen würde. 5Als er an den Ort kam, sah Jesus auf und sagte zu ihm: „Zachäus, steig eilends herab; denn heute muss ich in deinem Haus bleiben.“ 6Da stieg er eilends herab und nahm ihn mit Freuden auf. 7Und alle, die es sahen, murrten und sagten: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“ 8Zachäus aber stellte sich hin und sagte zum Herrn: „Siehe, die Hälfte meines Besitzes, Meister, gebe ich den Armen; und wenn ich jemanden ausgepresst habe, erstatte ich es vierfach.“ 9Es sprach aber zu ihm Jesus: „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren, weil auch er ein Sohn Abrahams ist. 10Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ In Jericho (vgl. 18,35) ist Jesus schon nah beim Ziel seiner Reise nach Jerusalem (19,11). Vorher hat Lukas, wie bei Markus vorgegeben (Mk 10,46– 52), von der Heilung eines Blinden erzählt (18,35–43); danach stellt er ein Gleichnis aus der Redenquelle (vgl. Mt 25,14–30), das gegen eine enthusiastische Naherwartung mit längeren Gestaltungsspielräumen für die Lebensführung rechnet (19,11–28). Im Anschluss (ab 19,29) wird er von Jesus in Jerusalem berichten. Die beiden von Lukas an den Schluss des Reiseberichtes gestellten Perikopen ziehen das Fazit seines öffentlichen Wirkens auf dem Weg seiner Verkündigung: Eschatologisch betont die Zachäus-Geschichte das Heute der Heilsgegenwart und das folgende Gleichnis die Zeit, die sich bis zur Wiederkunft des Kyrios erstreckt und genutzt sein will. Naherwartung und Heilsgegenwart werden ins Ver-
19,1–10 Jesus zu Gast bei Zachäus in Jericho
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hältnis gesetzt; das ist für Lukas typisch, der seinerseits die Eschatologie Jesu akzentuiert. Soteriologisch betont die Begegnung mit Zachäus das Geschenk der Gnade, die sich in der Suche des Menschensohnes nach den Verlorenen zeigt, und das Gleichnis die Notwendigkeit des engagierten Einsatzes mit den anvertrauten Gaben; die Dialektik von Gnade und Freiheit, Vergebung und Verantwortung arbeitet Lukas unter dem Primat der Liebe Gottes aus und konturiert damit seinerseits ein Charakteristikum jesuanischer Verkündigung. Die Erzählung ist so aufgebaut, dass die Programmatik Jesu klar herauskommt. 19,1 Die Situation: Jesus in Jericho 19,2–4 Zachäus auf der Suche nach Jesus 2 Die Charakterisierung des Zachäus: reicher Oberzöllner 3 Der Vorsatz des Zachäus: Jesus sehen 4 Die Handlung des Zachäus: auf einen Baum klettern 19,5–10 Jesus auf der Suche nach Zachäus 5–6 Die Selbsteinladung Jesu ins Haus des Zachäus 7 Die Kritik der Menge an Jesus 8 Die Antwort des Zachäus: Umkehr und Besserung 9–10 Die Antwort Jesu: Anerkennung und Zusage 9 Das Paradigma des Zachäus: Besuch bei einem verlorenen Abrahamskind 10 Das Prinzip des Menschensohnes: Suche und Rettung der Verlorenen Die Erzählung ist lukanisches Sondergut, ähnlich populär und charakteristisch wie die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter (10,25–37), vom verlorenen Sohn (15,11–32) oder vom Pharisäer und Zöllner im Tempel (18,9–14). Was geschieht, wird von Jesus erklärt – ähnlich wie in früheren Konstellationen (5,27–32; 7,36–50); die Erklärung hier ist im ersten Teil (V. 9) parallel zur Begründung gestaltet, dass Jesus eine verkrümmte Frau an einem Sabbat heilt (13,10–17). Der zweite Teil (V. 10) ist wie eine Unterschrift zur gesamten Sendung Jesu, auf den Punkt formuliert, ähnlich wie die Erklärung, er sei gekommen, Sünder zu berufen (5,32), und durch Feuer und Schwert Gottes Gerechtigkeit zu verwirklichen (12,49–53). Jericho ist nicht übergroß zur Zeit Jesu, aber eine respektable Stadt (1) (1). Jesus durchmisst sie bei seiner Wanderung nach Jerusalem. Er will dort Station machen – was sich aber erst herausstellen wird (Vv. 5–6). Zachäus wird anschaulich geschildert (2) (2), bis hin zu seiner geringen Körpergröße und seiner offenkundigen Energie (Vv. 3–4). Der Name hat eine symbo-
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lische Bedeutung: Gott hat sich erinnert. Der sprechende Name ist kein Hinweis darauf, dass Zachäus eine Kunstfigur ist, sondern ein Hinweis darauf, dass er zu Israel gehört (vgl. V. 9). Zachäus ist Oberzöllner, mithin entweder eine Art Zoll-Generalunternehmer, der Zollstätten unterverpachtet hat, oder ein besonders erfolgreicher Zöllner, der eine besonders ertragreiche Stelle hat (oder beides zusammen). Jericho ist Zollstätte, weil die Stadt Grenzstation zwischen Peräa, das zum Herrschaftsgebiet des Herodes Antipas, des Fürsten von Galiläa, gehört, und der römischen Provinz Judäa ist. Da alle Zöllner als Sünder gelten (vgl. 15,1 u. ö.), muss der Oberzöllner ein Erzsünder sein (V. 7: „ein sündiger Mensch“); dass er „reich“ ist, passt genau zu seinem Beruf. Beides zusammen, sein Beruf und sein Reichtum, macht ihn zu einem der erfolgreichsten und unbeliebtesten Einwohner Jerichos. Deshalb macht sich auch Jesus herzlich unbeliebt, wenn er sich bei Zachäus einlädt. Die Motive des Zachäus, Jesus zu sehen (3–4) (3–4), bleiben offen. Ob es mehr als Neugier war, ist für die Geschichte, wie sie im Neuen Testament erzählt wird, nicht wichtig. Jesus scheint es nicht zu interessieren. Er nimmt das Interesse als positives Signal. Weil Zachäus zu klein ist, um bei den vielen, die in Jericho sozusagen Spalier stehen, einen Blick auf Jesus zu erhaschen, läuft er voraus und steigt auf einen Maulbeerfeigenbaum (sykomoréa). Der Stamm wird bis zu 15 m hoch, eine große Krone kann sich darüber ausbreiten. Eine klare symbolische Bedeutung hat der Baum in der Bibel nicht; er passt zum Lokalkolorit von Jericho. Das Kalkül geht auf: Zachäus sieht Jesus – und wird von ihm gesehen (5). Sein Entschluss: Er will bei ihm, dem notorischen Sünder, ein(5) kehren – eine klare Provokation all derer, die den Messias nur in großer Entfernung zu Sündern sehen, zumal wenn sie reich sind, aber eine genau passende Aktion Jesu, die in diesem Fall auch indirekt den Armen zugutekommt (V. 7). „Heute“ heißt hier: Jesus will bei Zachäus übernachten. Zachäus lässt sich nicht lange bitte (6) (6). Jesus als Gast begrüßen zu dürfen, ist weit mehr, als er sich erhofft hat (V. 3). Er teilt die Freude derer, die gefunden wurden, nachdem sie verloren waren – zusammen mit allen, die Freundschaft mit ihm pflegen (15,1–10). Allerdings erhebt sich Kritik (7) (7). „Alle“ sind empört, heißt: die ganze Einwohnerschaft von Jericho. Das Murren (diagoggízo) ist ein Widerspruch, der religiös motiviert, aber verfehlt ist (vgl. 5,30; 15,1–2). Die Kritik richtet sich auf Jesus: Dass er bei einem „Sünder“ zu Gast ist, scheint mit der Heiligkeit der Sendung, die er beansprucht, nicht in Einklang zu bringen zu sein. Sie hätten Recht – wenn Jesus nicht Jesus wäre und Gottes Heiligkeit sich nicht in der Hingabe des Menschensohnes zeigte. Zachäus erklärt sich (8) (8). Er verweist auf guten Taten: zum einen auf eine ganz erhebliche Unterstützung der Armen, nämlich die Hälfte seines
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Besitzes, ganz anders als der Reiche, der von seinem Geld nicht lassen kann (18,18–23); zum anderen auf die Wiedergutmachung von Schaden, den er durch erpresste Forderungen angerichtet hat. Die Verben stehen im Präsens. Deshalb kommt es zu unterschiedlichen Deutungen. Nach der einen Auslegung verweist Zachäus auf eine beständige Praxis („ich gebe immer …“). Dann wäre der Vorwurf, ein Sünder zu sein (V. 7), inkorrekt; er hätte nur am verpönten Beruf einen Anhaltspunkt, aber seine hohe Moralität würde Zachäus nicht davor bewahrt haben, ein Verlorener (V. 10) zu sein. Nach der anderen Auslegung ist ein Vorsatz gemeint („Ich gebe jetzt gleich …“). Dann wäre der Vorwurf der Sünde (V. 7) berechtigt; Zachäus wäre durch die Zuwendung Jesu zu einem guten Menschen geworden – und Jesus würde seine guten Absichten in den noch ungleich besseren Heilsplan Gottes einordnen (V. 10). Erzähllogisch ist die zweite Deutung vorzuziehen: Zachäus erkennt die Kritik an, gelobt Besserung und nimmt Jesus ein wenig aus der Schusslinie der Kritik. Die Antwort Jesu trägt den Schlussakzent. Das „Heute“ (9) ist hier und jetzt die Stunde, die schlägt, weil Gott da ist (4,18–20). Jesus stellt klar, dass Zachäus, der einen guten jüdischen Namen trägt, nicht nur ethnisch Jude, sondern theologisch Sohn Abrahams ist – und zwar nicht, weil er sich einen Funken Anstand bewahrt hat, sondern weil Gott auf ihn schaut und weil Israel im Blick Gottes auflebt. Die Kritik daran, dass er ein Sünder ist, ist berechtigt; aber durch sein Fehlverhalten wird er noch nicht vollständig bestimmt: Der Sünder gehört zum Volk Gottes – und steht unter einem Segen Gottes für alle Völker (Gen 12,3), den er selbst mit sich trägt. Hier, bei der Unterscheidung zwischen Ethos und Identität, setzt das Schlusswort Jesu an (10) (10). Er formuliert die Quintessenz seiner gesamten Sendung: das Prinzip seiner Verkündigung, das Motiv seines Weges, den Sinn seines Handelns. Zachäus war verloren; er wurde gesucht; er wird gerettet. Jesus ist der Menschensohn; er hat sich auf den Weg gemacht, um alle zu suchen und zu retten, die verloren sind; so ist er – auf dem Weg nach Jerusalem (9,51) – nach Jericho gekommen und hat nicht nur den blinden Bettler geheilt (18,35–43), sondern auch Zachäus als Israeliten anerkannt und zu einem besseren Menschen gemacht. Die Erzählung bewahrt eine charakteristische Erinnerung an Jesus auf, die Lukas zu einer kleinen Miniatur seiner Gnadentheologie gemacht hat: unverkrampft, weil von erzählerischer Leichtigkeit, und tiefsinnig, weil konsequent in der Dramaturgie: Ein reiches Ekel wird zu einem Vorbild; die Armen und Geprellten profitieren. Vor allem aber geht der Himmel über Jericho auf: Der Menschensohn wird zwar kritisiert, weil er nicht bei einem Sünder zu Gast sein dürfe, lässt sich aber nicht beirren, seinen Weg zu gehen, der ihn nach Jerusa-
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lem und dort auf die via dolorosa führen wird. Er sieht in einem Sünder das Gotteskind der Abrahamsverheißung und in einem Verlorenen den Menschen, den es zu retten gilt. Zachäus steht am Ende der Reise Jesu für alle, zu denen der Menschensohn gesandt ist. 19,11–28 Das Gleichnis von den Minen 11Als sie dies hörten, fügte er ein Gleichnis hinzu, das er sagte, weil sie nahe bei Jerusalem waren und sie meinten, Gottes Reich werde sogleich erscheinen. 12Also sagte er: „Ein wohlgeborener Mensch ging in ein fernes Land, um ein Reich in Besitz zu nehmen und zurückzukehren. 13Er rief aber zehn Knechte und gab ihnen zehn Minen und sagte zu ihnen: ‚Handelt damit, bis ich wiederkomme.‘ 14Seine Bürger hassten ihn aber und schickten Gesandte hinter ihm her und sagten: ‚Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrscht.‘ 15Und es geschah bei seiner Rückkehr, nachdem er das Reich in Besitz genommen hatte, dass er die Knechte rufen ließ, denen er das Silbergeld gegeben hatte, um zu wissen, was sie erhandelt hatten. 16Der Erste trat auf und sagte: ‚Herr, deine Mine hat sich um zehn weitere vermehrt.‘ 17Da sagte er ihm: ‚Fein, guter Knecht, weil du im Geringsten treu gewesen bist, sollst du Vollmacht über zehn Städte erhalten.‘ 18Dann kam der Zweite und sagte: ‚Deine Mine hat fünf Minen erbracht.‘ 19Aber zu diesem sprach er: ‚Und du wirst über fünf Städten sein.‘ 20Da kam der Andere und sagte: ‚Siehe, deine Mine, die ich in einem Schweißtuch verwahrt habe; 21denn ich habe dich gefürchtet, weil du ein strenger Mann bist: Du nimmst, was du nicht eingelegt, und erntest, was du nicht gesät hast.‘ 22Er aber sagte: ‚Mit deinen eigenen Worten richte ich dich, schlechter Knecht. Du weißt, dass ich ein strenger Mann bin und nehme, was ich nicht eingelegt, und ernte, was ich nicht gesät habe. 23Weshalb hast du mein Silbergeld nicht zu einer Bank gebracht? Wenn ich dann komme, hätte ich es mir mit Zinsen geholt.‘ 24Und zu den Dabeistehenden sagte er: ‚Nehmt ihm die Mine ab und gebt sie dem, der die zehn Minen hat.‘ 25Da sagten sie ihm: ‚Herr, er hat zehn Minen.‘ ‚26Ich sage euch: Jedem, der hat, wird gegeben; wer aber nichts hat, dem wird auch das, was er hat, weggenommen. 27Meine Feinde aber, die nicht wollten, dass ich ihr König sei, führt sie herbei und macht sie nieder.‘“ 28Und als er das gesagt hatte, ging er voraus und stieg nach Jerusalem hinauf. Die Schlussperikope des Reiseberichts ist ähnlich kritisch wie der Auftakt mit der Abweisung Jesu bei Samaritern (9,51–56). Allerdings hat sich die Perspektive verschoben. Steht zu Beginn die Aufforderung an die Jünger, ihrem heiligen Zorn über eine Abweisung nicht freien Lauf
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zu lassen, so hier die Aufforderung, die Zeit, die ihnen bleibt, weil Gott sie ihnen schenkt, zu nutzen, um aus ihren Gaben, ihren Talenten, das Beste zu machen. Die Szene wird knapp in den Kontext eingeordnet. Der Eröffnungsvers verbindet die eschatologische Thematik, die Jesus entwickelt hat (17,20– 18,8), mit der Reisesituation. Der Schlussvers, den viele als Eingangssatz der Jerusalemsequenz lesen, beendet nicht nur die Perikope, sondern auch den Reisebericht, der mit einer ähnlich summarischen Notiz begonnen hat (9,51). 19,11 Die Situation: Ein Problem in der Nähe von Jerusalem 19,12–27 Das Gleichnis von den Minen 12–13 Der Auftrag eines Herrn an seine Knechte 14 Der Versuch, den Herrschaftsantritt zu verhindern 15–23 Die Rechenschaftslegung der Knechte 15 Der Moment der Rückkehr 16–17 Der erste Fall 16 Der Erfolgsbericht des Knechtes 17 Die Belohnung durch den Herrn 18–19 Der zweite Fall 18 Der Erfolgsbericht des Knechtes 19 Die Belohnung durch den Herrn 20–23 Der dritte Fall 20–21 Der Misserfolgsbericht des Knechtes 22–23 Die Bestrafung durch den Herrn 24–27 Die Besprechung von Belohnung und Bestrafung 24 Der Bonus für den Ersten 25 Der Protest der Umstehenden 26 Das Prinzip von Geben und Nehmen 27 Die Bestrafung der Feinde 19,28 Die Situation: Jesu Weg nach Jerusalem Zur lukanischen Geschichte gibt es eine matthäische Parallele (Mt 25,1430), allerdings ohne die politischen Töne (Vv. 14.19.27), dafür mit einer klareren Dreierstruktur der Knechte und mit „Talenten“ statt „Minen“, also erheblich höheren Geldbeträgen: Sechzig Minen ergeben ein Talent. Die Eintragung der politischen Linie passt zu Lukas und zum Kontext; welche Geld- und Figurenkonstellation die Redenquelle hatte, lässt sich aus dem Vergleich zwischen Lukas und Matthäus nicht mehr klar rekonstruieren. Das Problem einer grassierenden Naherwartung bricht angesichts der Nähe Jesu zu Jerusalem auf (11) (11). In den Endzeitreden richtet sich der
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Blick auf nachösterliche Propheten, die falsche Analysen anstellen, die zu der falschen Schlussfolgerung führen, das Ende der Welt stehe unmittelbar bevor (17,22–37; 21,5–38). Hier ist von einer vorösterlichen Naherwartung die Rede. Sie greift die Vorstellung auf, dass der Messias in Jerusalem erscheinen werde, um Gottes Reich zu vollenden. Diese Erwartung ist laut Lukas bei allen verbreitet, die gehört haben, was er im Haus des Zachäus (19,1–10) und zuvor bei der Heilung des blinden Bettlers (18,35–43) gesagt hat. In erster Linie sind dies die Jünger, besonders die Zwölf (18,31–34), die sich auch nach Ostern ein königliches Messiasreich herbeiwünschen werden (vgl. Apg 1,6); aber auch die Passanten – Sympathisanten wie Opponenten – sind im Blick. Jesus greift nach Lukas eine populäre Erwartung auf. Das Gleichnis, das er erzählt (12) (12), muss in dieser Perspektive gedeutet werden. Es soll die Naherwartung als verfehlt erweisen, die Nähe des Gottesreiches aber aufgehen lassen. Zu diesem Zweck erzählt Jesus einen Fall aus der großen Politik. Ein „wohlgeborener Mensch“, ein „Herr“ (V. 16), also ein Mann von adliger Herkunft, will ein „Reich“ (basileía) in Empfang nehmen, d. h. eine Königswürde und Herrschaftsautorität zugesprochen bekommen: über die Region, aus der er stammt. Diese Konstellation passt genau zum Agieren von Herodes „dem Großen“, der dank der Römer König geworden war. Erneut tritt ein problematischer Charakter als Held einer Parabel auf (vgl. 16,1–13; 17,7–9). Einer allegorischen Auslegung, die mehr oder weniger direkte Bezüge auf Gott oder auf Jesus und seine Jünger aufdecken will, sind deshalb enge Grenzen gesteckt. Die Zeit, da er in die Zentrale reist, um sich das Mandat geben zu lassen, nutzt der „Herr“ zu einem Test (13) (13): Zehn Knechten – hochgestellten Sklaven, die verantwortliche Aufgaben übernehmen – gibt er je eine „Mine“. Eine „Mine“ ist kein Geldstück, aber ein Geldwert: ca. 100 Drachmen, wobei eine Drachme einen Tageslohn bedeutete (Mt 20,1– 16). In der matthäischen Parallele ist von sehr viel höheren Beträgen die Rede: Zehn Talente sind 60.000, fünf Talente 30.000, zwei Talente 12.000 Tageslöhne. Nach Lukas erhält jeder ein Drittel des Jahreseinkommens eines einfachen Arbeiters. Das ist „wenig“ (V. 16) – für jemanden, der in Sphären wie der Thronanwärter schwebt. Aber es ist sehr viel – für die allermeisten, die Jesus glauben: bis heute. Das Zwischenstück (14) macht im Gleichnis plastisch, dass der „Herr“ tatsächlich „streng“ ist und sich nimmt, was ihm nicht gehört (Vv. 20– 23). Die Zeitgeschichte liefert für den Bürgerprotest einen anschaulichen Beleg: Auch der – bald gescheiterte – Herodessohn Archelaos wollte sich nach dem Tode seines Vaters in Rom die Herrschaft und am besten auch die Königswürde sichern; eine dreißigköpfige Delegation aus Israel wollte intervenieren – erfolglos, was die Herrschaftsübernahme
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anbelangte, erfolgreich, was die Verleihung der Königswürde betraf (Josephus, De bello Judaico 2,80–92; Antiquitates Judaicae 17,299–314). Es gibt keine direkte Beziehung des Gleichnisses auf dieses Ereignis, aber eine indirekte: Die Szene kann plausibel werden. Sobald der Herrscher – erfolgreich – zurückgekehrt ist, führt er seinen Plan aus und lässt die Knechte antreten, damit sie Rechenschaft ablegen (15) (15). Hier wird deutlich, dass er ihnen Silbermünzen ausgehändigt hat, mit denen leicht Handel zu treiben war. Ihr Herr will sie beurteilen: wie willig und fähig sie gewesen sind, das eingesetzte Kapital zu vermehren. Lukas überliefert nicht zehn, sondern wählt – wie Matthäus – drei Fälle aus, an denen ein breites Spektrum sichtbar wird. Der Erste, der Rechenschaft ablegt, ist äußerst erfolgreich (16) (16). Er hat das Zehnfache zum Einsatz erwirtschaftet – wie, interessiert in der Geschichte nicht. Allerdings lässt sich in der Antike eine so exorbitante Rendite nur durch Spekulation erzielen. Der Erfolg ist ganz nach dem Geschmack des Herrschers (17) (17). Er nennt den Knecht „fein“ resp. „gut“, weil er effektiv gearbeitet hat. Er nennt ihn „treu“, im „Kleinsten“, heißt: im Umgang mit (aus seiner Sicht) überschaubar viel Geld. Die Nähe zur Deutung des Gleichnisses vom schlauen Verwalter (16,1–13) liegt auf der Hand. Die Belohnung ist exorbitant. Der erfolgreiche Knecht behält nicht nur die Verfügungsgewalt über die insgesamt elf Minen; er bekommt auch die Oberherrschaft (exousía) über zehn Städte, einen Verbund, so groß wie die Dekapolis, die aus dem aufgeteilten Reich des Herodes hervorgegangen ist. Die hochpolitischen Sphären, in denen das Gleichnis spielt, werden erneut deutlich. Dies gilt ebenso für den zweiten Fall (18–19) (18–19). Auch dieser Knecht war sehr erfolgreich, wenn er – in einem überschaubaren Zeitrahmen – das, was ihm als Einsatzkapital gegeben wurde, verfünffacht hat. Das Erzähltempo erhöht sich ein wenig: Fünf Städte werden ihm übertragen, entsprechend der Zahlen seines Erfolges. Die beiden Fälle sind auf den dritten hin angelegt. Zuletzt kommt ein „Anderer“ (20–21) (20–21), der nichts erwirtschaftet hat. Er hat das Geld lediglich in ein Tuch gewickelt, wie man es auf den Schultern trägt, um sich den Schweiß vom Gesicht abwischen zu können. Er hat nichts unterschlagen oder verloren, aber auch nichts mit dem Kapital angestellt. Im Gleichnis kommt er mit seiner Begründung zu Wort: Er hat Angst vor dem Herrscher – und hat offenbar nichts riskiert und investiert, weil er nichts verlieren wollte. Seine Angst begründet er mit der Strenge, d. h. mit der Erfolgsgier, der Rücksichtslosigkeit und der Durchsetzungsfähigkeit des Mannes. Er hat keine Skrupel, auf Kosten anderer zu leben: Deshalb nimmt er sich auch dann Geld vom Konto, wenn er nichts eingezahlt hat, oder Pretiosen aus einem Schatz, wenn er ihm nicht gehört. In diese Kategorie gehört auch die Herrschaft, die er gegen den Willen der Bürger er-
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17,11–19,28 Die dritte Phase – mitten durch Samaria und Galiläa
gattert. Plündern und Requirieren zählt zur üblichen Agenda politischer Potentaten, damals und allzu oft auch heute noch. Der Herrscher agiert konsequent nach den Grundsätzen, die ihm zugeschrieben werden und zu denen er sich auch bekennt (22–23) (22–23). Er goutiert nicht, dass er die Mine zurückerhalten bekommen hat; er kritisiert den Dritten vielmehr, dass er es versäumt hat, auf der Bank Zinsen zu erlangen, die er dann einstreichen könnte. Er ist für ihn ein Versager, ein schlechter Knecht. Tatsächlich ist das Bankwesen so ausgebaut, dass die Erwirtschaftung von Zinsen ein Leichtes gewesen wäre. Die Angst hat den Dritten gelähmt. Die Strafe folgt auf dem Fuß (24) (24). Dem Mann wird die Verfügungsgewalt über das ihm anvertraute Geld entzogen. Es ist eine eher milde Strafe im Vergleich mit der synoptischen Parallele (Mt 25,30); aus der Sanktion spricht eher Verachtung als Verärgerung. Dem Entzug entspricht ein Bonus für den Ersten. Er bekommt die eine Mine für sich, also ein Drittel Jahresgehalt obendrauf. Diese Prämie löst den Protest derer aus, die im Gleichnis Zeugen des öffentlichen Geschehens sind (25) (25); ihnen scheint ungerecht, dass derjenige, der ohnehin schon reich belohnt ist, zusätzlich dieses Extra erhält. Der Einspruch dient freilich der Charakterisierung des Herrschers: Der Protest kommt ihm gerade recht. Er lässt sich nicht im Mindesten beirren, sondern formuliert in der Härte, die ihm eigen ist, ein Prinzip seines Handelns, das in der Welt, die er beherrscht, zu funktionieren scheint (26) (26). Er prämiert die Reichen und diskriminiert die Armen. Wäre es anders, würde er nicht nehmen, was ihm nicht gehört, und ernten, was er nicht gesät hat (Vv. 20–21). Das Wort darf nicht mit den soteriologischen Grundsätzen verwechselt werden, dass, wer groß sein will, klein werden muss (9,46–48) und dass erhöht wird, wer sich erniedrigt (14,11; 18,14); denn dort herrscht eine soteriologische Dialektik in der Dynamik von Tod und Auferstehung, hier hingegen kommt das Kalkül eines Tyrannen zum Ausdruck, der souverän zu sein meint, weil er den Ausnahmezustand definiert, aber nicht ist, weil er Gefangener seines eigenen Machtstrebens ist. Gott nimmt, was jemand nur zu haben meint (8,18); der Verbrecher stiehlt fremdes Eigentum. In derselben Logik bestraft er die „Feinde“, die ihm seine Herrschaft streitig machen wollten (27) (27). Er nimmt an ihnen blutige Rache – im Stile von hellenistischen Tyrannen und römischen Imperatoren, aber auch im Stile der Herodes-Familie. Er selbst macht sich nicht die Hände schmutzig, sondern lässt seine Handlanger die Drecksarbeit erledigen. Die Wegnotiz, die Lukas anschließt (28) (28), beendet den Reisebericht. Jerusalem, das Jesus ins Auge gefasst hat (9,51), ist nahe (V. 11). Jesus legt jetzt die letzte Etappe zurück. Die nächste Szene wird seinen Einzug in die Stadt schildern (19,29–40).
19,11–28 Das Gleichnis von den Minen
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Das Gleichnis gibt Rätsel auf. Oft wird es als Allegorie gedeutet. Dann müsste im Handeln des Herrschers das Handeln Gottes oder Jesu durchsichtig werden und im Handeln der Knechte das Handeln der Jünger; das Gleichnis wird dann als Offenbarung gelesen, welch strenges Regiment Gott führt; entsprechend ratlos zeigen sich Auslegungen dann aber regelmäßig, wie diese Theologie zum Rest des Evangeliums passen soll. Allegorische Aspekte sind den lukanischen Parabeln nicht fremd (8,4–8.11–15; 20,9–20). Aber hier sind sie nicht zu erkennen. Es ist allerdings irritierend, dass nicht, wie nach dem Gleichnis vom schlauen Verwalter (16,1–13), ein Kommentar Jesu überliefert wird, der die Deutungsperspektive öffnet. Es ist, als ob nach der einführenden Perspektivierung Lukas überzeugt wäre, dass die Übertragung von einem unmoralischen Helden auf ein Handeln im Ethos des Glaubens möglich sein müsse und wahrscheinlich sein dürfe. Danach ist der entscheidende Aspekt, eine befristete Zeit optimal zu nutzen. Die Fähigkeiten sind unterschiedlich verteilt; aber nichts zu tun, ist in jedem Fall eine falsche Entscheidung. Es gibt genügend Pfunde, mit denen die Gläubigen wuchern können. Das Gleichnis von den guten und schlechten Knechten (12,35–39) ist eng verwandt, allerdings steht dort die Bereitschaft im Vordergrund, auf die Wiederkunft des Menschensohnes zu warten, ohne an Aufmerksamkeit nachzulassen, während es hier darum geht, mit vergleichsweise geringen Mitteln so viel wie möglich zu gewinnen. Diese Pointe passt zur eschatologischen Lehre Jesu (17,20–21.22–37; vgl. 21,5–38); sie passt auch zur Ethik des Evangeliums. Deshalb steht das Gleichnis am Ende des Reiseberichts. Die Grundlagen und Paradigmen des Glaubenslebens sind bekannt; was jetzt zählt, ist, sie nachhaltig zu verfolgen.
19,29–24,53 Jesus in Jerusalem Jesus macht sich bei Lukas nach Jerusalem auf den Weg – im prophetischen Wissen dessen, was ihn erwartet (9,51–56). Er sucht im Paschafest die Entscheidung, um ungeachtet der Lebensgefahr, in die er sich begibt, Jerusalem zum Vorort der Herrschaft Gottes zu machen. Jesus hat sich nach Lukas früh mit seinem Tod auseinandergesetzt, aber auch zu seiner Auferstehungshoffnung bekannt (9,22–23. 43–45; 18,31–34). In dieser Erwartung nutzt er die Zeit, um das Reich Gottes zu verkünden und die „Verlorenen“ zu retten (19,10). Entsprechend ist auch sein Tod nicht das Ende seines Heilswirkens, sondern seine letzte Verdichtung (22,14–23).
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19,29–24,53 Jesus in Jerusalem
In Jerusalem hat Lukas erstens das letzte öffentliche Wirken Jesu angesiedelt, als öffentliche Inszenierung des messianischen Propheten, die Raum für Gott schaffen soll, allerdings immer wieder auch im harten Streit mit jüdischen Protagonisten; zweitens hat Lukas das öffentliche Leiden Jesu in Jerusalem verortet, das seiner Demütigung und Desavouierung dienen soll, aber von ihm nicht nur ertragen, sondern auch angenommen wird, so dass er, mit seinem Tod versöhnt, im Tod versöhnen kann; drittens ist bei Lukas Jerusalem auch der Ort der Auferstehung, die zwar nicht in voller Öffentlichkeit geschieht, aber qualifizierten Zeugen anvertraut wird, damit sie öffentlich kommuniziert wird. 19,29–48 20,1–21,4 21,5–38 22–23 24
Vom Einzug in Jerusalem bis zur Tempelaktion Streitgespräche über die Vollmacht Jesu Die Endzeitrede Die Passionsgeschichte Das Osterevangelium
Der innere Zusammenhang, der durch die Einheit des Ortes angezeigt wird, besteht in der Identität Jesu und in der Dramatik seines Geschicks. In seinem Leben spricht er von seinem Tod und seiner Auferweckung; in seinem Tod verifiziert er seine Botschaft; als Auferstandener ruft er sein Evangelium in Erinnerung und bereitet die Mission nach Ostern vor. Jerusalem ist nach jüdischer Tradition die Stadt des Messias: nicht seiner Geburt, sondern seiner Herrschaft, seines Dienstes, seiner Wiederkunft. Diese jüdische Tradition hat Lukas christologisch transformiert. 19,29–48 Vom Einzug in Jerusalem bis zur Tempelaktion In einer kleinen Serie von drei Szenen erzählt Lukas vom Auftritt Jesu in Jerusalem vor seinem Leiden. Es ist nicht sein erster Besuch, weil er in Jerusalem bereits „dargestellt“ worden war (2,22–40) und als Zwölfjähriger im Tempel mit den Lehrern Israels diskutiert hatte (2,41–52). Bereits in der Kindheitsgeschichte hat Jesus nach Lukas erklärt, dass er ins Haus Gottes, seines Vaters, gehört (2,49). Aber obgleich das Bildwort von der Henne und den Küken (13,34) auch im Spiegel der Lukastradition erkennen lässt, dass Jesus zeit seines öffentlichen Wirkens mehrfach in Jerusalem gewesen ist (wie Johannes es überliefert), ist der Auftritt Jesu nach der langen Reise (ab 9,51) eine prophetische Inszenierung in drei Akten, die programmatische Bedeutung hat.
19,29–40 Der Einzug in Jerusalem
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Der Aufbau ist geeignet, ein narratives Portrait des Messias Jesus zu zeichnen. 19,29–40 Der Einzug in Jerusalem 19,41–44 Die Trauer über die Zerstörung Jerusalems 19,45–48 Die Tempelaktion Jesu Lukas folgt in den beiden Rahmenperikopen Markus (Mk 11,1–19 par. Mt 21,1–12), strafft aber den markinischen Erzählfaden, weil er die rätselhafte Episode der Feigenbaumverfluchung übergeht (Mk 11,12–14; vgl. 11,22–25) und stattdessen aus dem Sondergut die kurze Szene der Trauer Jesu über die kommende Zerstörung der Stadt Jerusalem einflicht. Durch diese Komposition wird eine dramatische Spannung aufgebaut: Mit dem Einzug bricht jene Besuchszeit an, die für Jerusalem die große Chance der Rettung bedeutet (19,42.44). Mit der Vertreibung der Händler durch Jesus und der Kritik an der Lehre Jesu durch die Hohepriester und Schriftgelehrten zeichnet sich aber das Problem ab, dass der Widerspruch zu Gott (wie Lukas ihn sieht) zuerst zur Ablehnung Jesu, dann zum Untergang Jerusalems führt (vgl. 21,5–36). Der Einzug setzt freilich ein positives Vorzeichen: Es wird ein Jenseits des Endes geben, weil es ein Diesseits des Anfangs gibt: die Hoffnung, die Gott seinem Volk gemacht hat. 19,29–40 Der Einzug in Jerusalem 29Und es geschah, als er sich Bethphage und Bethanien näherte, zum Ölberg hin, da sandte er zwei seiner Jünger 30und sagte: „Geht in das Dorf gegenüber. Ihr werdet, wenn ihr hineingekommen seid, ein Füllen angebunden finden, auf dem noch kein Mensch gesessen hat. Bindet es los und führt es her. 31Und wenn euch jemand fragt: ‚Warum bindet ihr es los?‘, sagt: ‚Weil der Herr es braucht‘.“ 32Die Abgesandten zogen los und fanden es, wie er es ihnen gesagt hatte. 33Als sie das Füllen losbanden, sagten seine Herren zu ihnen: „Was bindet ihr das Füllen los?“ 34Sie aber sagten: „Der Herr braucht es.“ 35Und sie führten es zu Jesus und warfen ihre Kleider über das Füllen und setzten Jesus darauf. 36Während er aber dahinritt, breiteten sie ihre Kleider auf dem Weg. 37Als er sich dem Abhang des Ölberges näherte, begann die ganze Menge der Jünger, voll Freude Gott zu loben, mit lauter Stimme, um all der Machttaten willen, die sie gesehen hatten, 38und sagten: „Gesegnet, der kommt, der König im Namen des Herrn. Frieden im Himmel und Herrlichkeit in der Höhe.“ 39Und einige der Pharisäer aus dem Volk sagten zu ihm: „Leh-
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19,29–48 Vom Einzug in Jerusalem bis zur Tempelaktion
rer, weise deine Jünger zurecht!“ 40Da antwortete und sagte er: „Ich sage euch: Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien.“ Der Einzug in Jerusalem setzt ein messianisches Zeichen: Jerusalem, die Stadt des Königs David, ist auch ein Glutkern der messianischen Hoffnungen Israels. Deshalb bereitet Jesus nach Lukas seinen Auftritt sorgfältig vor. Seiner Form wie seinem Inhalt nach soll er sowohl zur ReichGottes-Botschaft als auch zur Person Jesu passen: Er soll Öffentlichkeit in der wichtigsten Stadt des Judentums herstellen – für Lukas, der (deutlich) nach der Zerstörung Jerusalems schreibt, nicht eine Reise in die Vergangenheit, sondern eine narrative Vergegenwärtigung einer Schlüsselszene, die Zukunft hat. Jerusalem ist die zentrale Stadt Jesu, weil sie die zentrale Stadt Israels ist. Nicht nur die Menschen, auch die Steine dieser Stadt legen Zeugnis von einer Hoffnung wider alle Hoffnung ab. Die Einzugsgeschichte besteht aus zwei Szenen, in denen die Messianität Jesu von zwei komplementären Seiten aus deutlich wird. 19,29–34 19,35–40
Die Vorbereitung des Einzuges 29a Der Weg Jesu 29b–31 Die Aussendung der Jünger 32–34 Die Ausführung des Auftrages Der Einzug 35 Jesus auf dem Füllen 36 Der Ritt Jesu 37–38 Der Jubel der Jünger 39 Die Kritik der Pharisäer 40 Die Antwort Jesu
Im ersten Teil ist das bestimmende Merkmal die genaue Übereinstimmung zwischen dem, was Jesus voraussagt, und dem, was eintritt. Für Lukas ist diese Koinzidenz ein klares Indiz der messianischen Prophetie Jesu: Er will den Einzug; er arrangiert die entscheidenden Details; er sieht voraus, was kommen wird; er kalkuliert Schwierigkeiten ein, hat sie aber schon aus dem Weg geräumt, bevor sie eintreten. Die Jünger bereiten diesmal keine Probleme, sondern sind verlässliche Gehilfen Jesu. So wird es auch später bei der Bereitung des Abendmahles sein (22,7–13). Im zweiten Teil wird einerseits die Unterstützung für Jesus öffentlich, andererseits aber auch die Kritik an ihr – und die Antwort Jesu auf die Kritiker. Der Passionsweg ist mit dieser Konstellation vorgezeichnet: als menschlicher Weg, auf dem Jesus göttliches Heil schafft. Im wesentlichen folgt Lukas der markinischen Vorlage. Aber erstens erzählt er nicht von einem Volksauflauf, sondern einer Aktion der Jünger,
19,29–40 Der Einzug in Jerusalem
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die freilich in erheblicher Anzahl Jesus nach Jerusalem begleiten; zweitens hat er den Jubel auf das Weihnachtsevangelium mit dem zentralen Friedensmotiv abgestimmt (2,14); drittens hat er den Schluss des kurzen Disputes mit eigenen Materialien gestaltet – ganz entfernt vergleichbar, aber nicht verwandt mit Matthäus, der ein kritisches Nachgespräch der Tempelaktion kennt, das aber mit der Verteidigung der Kinder durch Jesus eine andere Pointe setzt (Mt 21,14–16: Ps 8,6). Jesus bereitet, aus Jericho kommend (19,1–10), seinen Auftritt in Jerusalem genauestens vor (29a) (29a). Er schlägt den Weg über Bethphage und Bethanien ein, zwei kleine Ortschaften am Westrand des Ölbergareals. Bethphage ist sonst unbekannt, in Bethanien hat Jesus nach Markus und Matthäus übernachtet; nach Johannes leben dort Maria und Martha mit ihrem Bruder Lazarus (Joh 11); nach Lukas liegt der Schauplatz der Himmelfahrt unweit von Bethanien (24,50). In eines dieser Dörfer – „gegenüber“ liegt, etwas abseits der Römerstraße von Jericho, Bethphage – sendet Jesus (29b–30) zwei seiner Jünger, damit sie ein „Füllen“ (d. h. ein Fohlen) holen, das Jesus als Reittier dienen soll. Nach Matthäus, der auf die Prophetie Sacharjas verweist, handelt es sich um einen Esel (Sach 9,9) – Zeichen der Friedfertigkeit. Lukas ist wichtiger, dass noch niemand das Tier eingeritten hat: in aller Demut ein Zeichen der Ehre für Jesus. Jesus bereitet seine Abgesandten auf das vor (31) (31), was dann auch tatsächlich genau so eintreten wird, wie er es vorausgesagt hat (32–33) (32–33): Es wird Rückfragen geben, wenn die Jünger das Tier losbinden, das sie auf der Dorfstraße angebunden finden werden. Diese Rückfragen lassen sich aber klar beantworten: mit einem Verweis auf Jesus, den „Herrn“ (34) (34). Das kurze Wort ist doppelt aussagekräftig. Zum einen besagt es, dass Jesus nach Lukas eine bekannte Persönlichkeit für die Menschen in Jerusalem und Umgebung gewesen ist; diese Prominenz erklärt sich aus seinem öffentlichen Wirken, das bereits weite Kreise gezogen hat. Zum anderen wird Jesus umstandslos mit dem direkten Artikel als „Herr“ (kýrios) identifiziert. Das Wort hat ein breites Bedeutungsspektrum: Es ist eine Höflichkeitsanrede, die eine besondere Autorität des Angeredeten benennt; es kann sogar Gott selbst bedeuten (20,42: Ps 110). Hier setzt das Wort bei einer konventionellen Respektbezeugung an, hat aber eine nach oben offene Bedeutung, so dass es problemlos mit der Messiaswürde Jesu verbunden werden kann. Die Auskunft zeigt indirekt, dass Jesus durchaus starke Unterstützung in Jerusalem und Judäa findet, auch im Blick auf seinen prophetischen Anspruch. Nachdem die beiden Gesandten das Füllen herbeigeführt haben (35) (35), werden die Jünger aktiv – nicht nur die Zwölf, sondern „eine ganze Menge“ (V. 37). Drei Aktionen werden geschildert. Zuerst wird Jesus auf
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19,29–48 Vom Einzug in Jerusalem bis zur Tempelaktion
das Reittier gesetzt, das zuvor mit Kleidern gepolstert worden war. Dann wird der Weg, den Jesus nimmt, mit Kleidern bedeckt, so dass er sich wie auf einem Teppich bewegt (36) (36). Schließlich fangen die Jünger beim Anblick der Stadt Jerusalem mit einem Jubel an, der an Ps 118,26 erinnert: den erleichterten Dank derer, die von Gott eine Hilfe erfahren, die sie sehnlichst erwartet haben. Lukas lässt das liturgische „Hosanna“ weg, das Markus und Matthäus haben; er fokussiert das Bekenntnis im Dank. Das einleitende Partizip (eulogeménos) könnte auch mit „Gelobt“ übersetzt werden und wäre dann eine Selbstaufforderung, die erfüllt wäre, indem sie ausgesprochen wird. Aber „Gesegnet“ ist der präzisere Sinn. Die Aussage ist nicht, dass Jesus gesegnet werden müsste, sondern dass er gesegnet ist, durch Gott selbst: Jesus bringt Gottes Segen in die Stadt. Er „kommt“, wie er immer im Kommen ist (19,10), weil er das Kommen des Gottesreiches verkündigt (4,23 u. ö.). Nach Sach 14,4 wird der Messias vom Ölberg her erscheinen; Jesus kommt „im Namen des Herrn“ – als Pilger zum Heiligtum (Ps 122), gesandt von Gott. In seiner Autorität, in seinem Auftrag, in seiner Gegenwart wird Jesus handeln – immer so, dass er nicht sich selbst, sondern Gott in den Mittelpunkt stellt. Der Name macht Gott ansprechbar; Jesus gibt dem Namen Gottes, den er im Vaterunser heiligt (11,1–4), sein Wort, seine Stimme, sein Zeugnis. Gott ist König – so auch Jesus, der Christus. Die Heilsbedeutung, die dieser Sendung innewohnt, hat Lukas mit einem Echo des Weihnachtsevangeliums (2,14) anklingen lassen (37–38) (37–38). Dort haben die Engel den Hirten von Bethlehem den Zusammenklang zwischen Gottes Ehre im Himmel und dem Frieden auf Erden verkündet – im Modus der Verheißung. Hier öffnen die Worte den Himmel über Jerusalem: Dort herrscht der ewige Frieden in der Fülle, die Gottes Herrlichkeit aufstrahlen lässt, der Glanz seiner Herrlichkeit (vgl. Jes 6,3). Jerusalem wird – Gott sei’s geklagt – zu einer Stadt des Krieges werden (19,41–44). Aber Gott bleibt Gott; der Himmel spannt sich weiter über Jerusalem aus, wie schlecht auch immer es der Stadt gehen wird. Der Friede bleibt die Verheißung: die Versöhnung mit Gott und untereinander. Dafür tritt Jesus ein, der „Retter“ aus der „Stadt Davids“ (2,11). Er ist „König“ – als messianischer Davidssohn. So glanzvoll aber der Einzug scheint, den die Jünger mit Jesu Einwilligung inszenieren, so direkt kommt der Widerspruch derer, denen die Sicherheit der Stadt und die Heiligkeit des Tempels anvertraut sind (39) (39). Pharisäer befürchten Aufruhr; später wird Jesus als Aufständischer vor Pilatus angeklagt werden (23,2). Die Gegner erkennen nach Lukas auch, dass Jesus ein wesentlich anderes Verständnis der Heiligkeit Gottes hat, als sie selbst es für richtig halten. Sie führen aber nicht die Diskussion, sondern wollen nur, dass Ruhe herrscht. Jesus weist dieses Ansinnen zurück (40) (40) – weil
19,41–44 Die Trauer über die Zerstörung Jerusalems
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das Unrecht, das Platz greift, wenn er verfolgt wird und wenn später die Stadt zerstört werden wird, zum Himmel schreit (vgl. Hab 2,11: „Der Stein in der Mauer schreit“). Das Reden der Jünger ist Jubel; das Schreien der Steine wird Klage sein. Im Sinn der folgenden Szene (19,41–44) zeigt sich: Die Klage ist nicht Anklage, sondern Ausdruck der Trauer, ein stummes Zeugnis des Schreis, dass Gott eine Wende zum Guten herbeiführen möge. Der Einzug in Jerusalem macht Jesus im Lukasevangelium unter neuen Umstän den genau so kenntlich, wie er in Nazareth mit seiner öffentlichen Verkündigung begonnen hat. Er ist der gesalbte und gesandte Messias, der als Gesegneter gekommen ist, um Gottes Gnadenjahr auszurufen (4,18–20): den Frieden, der im Himmel über Jerusalem ausgebreitet ist, auch wenn die Stadt sich ihm verweigert. Das Ethos der Gewaltlosigkeit und Feindesliebe (6,27–36) prägt auch seinen Einzug: Das bescheidende Reittier zeigt es an, der Jubel bringt es zum Ausdruck. So wie Jesus in Galiläa und auf dem Weg das Reich Gottes verkündet hat, so macht er es auch in Jerusalem sichtbar und hörbar. Als Messias ist und bleibt er Prophet, der genau voraussieht, was geschehen wird – im Guten wie im Bösen. Diese Voraussicht macht ihn aber nicht zu einem Alleswisser, der andere belehrt und ungerührt seinen ureigenen Weg verfolgt, sondern zum Messias aus dem Volk, der für das Volk Gottes eintritt. Stellvertretend sind es seine zahlreichen Jünger (Männer wie Frauen), die ihm einen königlichen Empfang bereiten. Es ist kein militärischer Triumphzug, der inszeniert wird; es findet eine Prozession statt, in der Jesus als Messias bis vor die Tore Jerusalems zieht, um ihr den Segen Gottes zu bringen (Ps 122). Dass sich die Hohepriester mitsamt den Schriftgelehrten dem Friedensboten verweigern, wird zum Unglück Jerusalems beitragen, das Jesus beklagt (19,41–44). Der Kern der Überlieferung ist vorösterlich, die Ausgestaltung dient dazu, im Irdischen des messianischen Gottessohn und im Auferstandenen Jesus von Nazareth hervortreten zu lassen. 19,41–44 Die Trauer über die Zerstörung Jerusalems 41Und als er sich der Stadt näherte, weinte er über sie 42und sagte: „Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was zum Frieden führt! Aber jetzt ist es vor deinen Augen verborgen. 43Denn Tage werden über dich kommen, da deine Feinde einen Wall vor dir aufwerfen und dich einkreisen und von überall her bedrängen 44und dich dem Erdboden gleichmachen, samt deinen Kindern und in dir keinen Stein auf dem anderen lassen, weil du die Zeit deines Besuches nicht erkannt hast.“ Die kleine Zwischenszene zeigt, wie Lukas will, dass auf das schreckliche Geschehen der Zerstörung sowohl Jerusalems als auch des Tem-
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pels geschaut werden soll, zu der es im Jahr 70 n. Chr. gekommen ist. Die Verse gehören zu seinem Sondergut. Eine kleine Kapelle am Ölberg (Dominus flevit – Der Herr hat geweint) bewahrt die Erinnerung: Nicht der Triumph soll herrschen, dass Jesus doch Recht gehabt hat, schon gar nicht die Genugtuung ob eines – angeblichen – Strafgerichts Gottes über die „ungläubigen Juden“, wie allzu oft gedeutet worden ist und wird, sondern die Anteilnahme am Leiden der Juden – weit über die damaligen Ereignisse hinaus. Die kurze Szene verbindet eine knappe Einleitung mit einer gestaffelten Prophetie Jesu. 19,41 19,42–44
Das Weinen Jesu Das Wort Jesu 42 Die Klage über die verpasste Gelegenheit 43–44 Die Vorhersage des kommenden Elends
Die Prophetie Jesu passt mit seiner Klage über die „ungläubige Generation“ zusammen, die am Fuß des Verklärungsberges vor allem seine Jünger kennzeichnet (9,41). Sie ist bei Lukas an keiner Stelle Ausdruck einer übernatürlichen Rechthaberei, sondern an jeder Stelle Ausdruck einer kritischen Anteilnahme, die nicht versäumt, den Finger auf die Wunde zu legen, aber nicht verletzen, sondern heilen will, ohne den eigenen Schmerz zu leugnen. Das Weinen gehört zu den starken Emotionen Jesu (41) (41). Sie charakterisiert den Propheten, der als Mensch das Leid anderer nicht an sich abperlen lässt, sondern sich ihm öffnet (2Kön 8,11; Jer 8,23). Die passende Gegenszene ist das Leiden Jesu im Gebet am Ölberg (22,39–46). Mit dem Weinen ist der Ton gesetzt: Empathie und Solidarität, nicht Schadenfreude oder Genugtuung. Dass und wie Jesus Anteil nimmt, zeigt die Klage (vgl. Jer 15,5), die er führt (42) (42). Sie nimmt die Hochstimmung des Einzugs auf, die Jesu Jünger zum Ausdruck gebracht haben (19,38), beleuchtet aber deren Kehrseite. „Dieser Tag“, an dem Jesus in Jerusalem einzieht, hätte der Glückstag für die Stadt, so Lukas, werden können, weil mit dem Messias Jesus der Friede des Gottesreiches eingezogen wäre: Gott selbst kommt mit Jesus in Jerusalem zu Besuch (V. 44). Der „Friede“, den Gottes Herrlichkeit im Himmel ausstrahlt (19,41), hätte die Erde erreicht, deren Zentrum Jerusalem ist. Doch auch wenn das Volk lange auf der Seite Jesu bleibt (vgl. nur 19,48), extrapoliert Jesus das Nein der Hohepriester und Schriftgelehrten, der „Ersten“ Jerusalems (vgl. 19,39.47), die das Schicksal der Stadt bestimmen. Die Verborgenheit dessen, was Jesus offenbart, ist ein großes Thema, das Jesus im Lukasevangelium mit seinen Gleichnissen anstößt (8,1–18). Sie wird zur tödlichen Gefahr für Jerusalem.
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Der Grund der Trauer Jesu wird in der folgenden Prophetie deutlich: das schreckliche Leid, das Jerusalem erdulden muss (43–44) (43–44). Von einem Strafgericht ist keine Rede, obgleich die Verse bis in die Gegenwart hinein oft so gedeutet werden und auch der jüdische Historiker Flavius Josephus die Zerstörung Jerusalems – in der prophetischen Tradition der Exilsdeutung – als Strafgericht Gottes über das zelotisch gewordene Volk gedeutet hat. Wohl aber wird in einer Genauigkeit, die über die Schmerzgrenze hinausführt, die Kriegsführung äußerster Brutalität charakterisiert, wie sie in der Antike bei der Eroberung einer Stadt üblich gewesen ist und im Fall Jerusalems zu besonders üblen Grausamkeiten geführt hat (20,20–24). Josephus hat die schrecklichen Ereignisse detailliert beschrieben (De bello Judaico 6). Die Schlusswendung kommt auf die anfängliche Klage zurück. Das griechische Worte episkopé wurde früher, als das Wort noch nicht negativ besetzt war, mit „Heimsuchung“ übersetzt; latinisiert könnte man von einer Supervision sprechen: Gott schaut auf seine Stadt, indem er sie besucht. Er macht sich ein Bild von ihr: Er durchschaut sie, aber er lässt auch sein Licht auf sie fallen (vgl. 1,78). Dies geschieht für Lukas mit der Sendung Jesu, die zu seinem messianischen Einzug führt (19,41–44). Gott besucht seine Stadt, indem er ihr Jesus sendet, seinen Sohn (vgl. 13,33). Was Jesus mit den Augen Gottes sieht und was die Jünger mit den Augen Jesu sehen sollen, treibt ihm die Tränen ins Gesicht, weil die Offenbarung des Friedens verkannt werden wird. Neben dem Einzug, der auf eschatologischen Jubel gestimmt ist, steht die jesuanische Prophetie der Tränen, die das Leiden der Menschen in Jerusalem aufnimmt und ausdrückt (vgl. 23,28). Beides gehört wechselseitig zusammen. Das eine ist wie das andere eine stilisierte Erinnerung, die das Ethos Jesu mit seiner Heilssendung verknüpft. Die Friedensbotschaft Jesu steht diametral den zelotischen Hassparolen entgegen, die nicht nur den Römern, sondern zuerst kriegsskeptischen und friedliebenden Juden mit Gewalt begegnet sind und ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die römische Vergeltungsmaschinerie, die ihrer eigenen Unerbittlichkeit folgte, die Stadt zerstört hat. Die kurze Szene ist in die Mühlen des (pseudo-)christlichen Antijudaismus geraten. In Wahrheit ist sie ein starkes Bindeglied jüdisch-christlicher Geschwisterlichkeit, das vom Gedächtnis des Leidens geprägt ist – in der Hoffnung auf Gott. 19,45–48 Die Tempelaktion Jesu 45Und er ging in den Tempel und begann, die Händler hinauszuwerfen, 46und sagte ihnen: „Geschrieben steht: ‚Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein‘, ihr aber habt es ‚zu einer Räuberhöhle gemacht.‘“ 47Und er
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lehrte täglich im Tempel. Die Hohepriester aber und die Schriftgelehrten suchten, ihn loszuwerden, und die Ersten des Volkes, 48und fanden nicht, was sie tun sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte. Lukas stellt einen direkten Zusammenhang dar: Der Einzug (19,29–40) führt bis an den Abhang des Ölberges. Von dort sieht Jesus auf die Stadt (19,41–44) und sagt ihre schreckliche Zukunft voraus. Der Weg weiter in die Stadt führt ihn direkt zum Tempel, der dem Ölberg gegenüberliegt (19,45–48). Er ist das religiöse, politische und finanzielle Zentrum nicht nur der Stadt Jerusalem, sondern auch des weltweiten Judentums. König Herodes hat einen umfassenden Neubau des Heiligtums in Angriff genommen, der zur Zeit Jesu in den äußeren Bereichen noch nicht völlig abgeschlossen war. Der Tempel ist für Jesus im Lukasevangelium vor allem ein Lehrhaus (19,47a; 20,1–21,4; 21,37; auch 21,5–36; vgl. Apg 3,1– 4,22; 5,12–16.21a.42; 22,1–21) – was er nach jüdischer Auffassung immer auch ist. Den Opferkult hat Lukas im Auge (1,9), aber nicht im Fokus. Ihn interessiert der Ort öffentlicher Evangeliumsverkündigung, den Jesus am Tag seines Einzuges vorbereitet – im Wissen, dass er auf Widerstand stoßen wird, aber in der Bereitschaft, sich von seiner Abweisung nicht zu einer Abweisung Jerusalems verleiten zu lassen. Die Perikope ist bei Lukas stark verdichtet; nicht eine einmalige Aktion, sondern eine nachhaltige Aktivität Jesu steht im Blick: sein tägliches Lehren im Tempelareal. Der Hinauswurf der Händler schafft diesen Freiraum und gewinnt dadurch sein besonderes Profil. 19,45–46 Die Aktion 45 Der Hinauswurf der Händler 46 Die Deutung mit Hilfe von Jes 56,7 und Jer 7,11 19,47a Die tägliche Lehrtätigkeit Jesu im Tempel 19,47b.48 Der vergebliche Versuch der Hohepriester und Schriftgelehrten, Jesus loszuwerden Lukas folgt grundsätzlich Markus (Mk 11,15–17), hat aber die Aktion Jesu, auch im Vergleich zu Matthäus und Johannes, stark zurückgenommen: Er legt Gewicht auf das Lehren, das von der Prophetie Israels stimuliert wird, die Jesus sich zu eigen macht. Die Tempelaktion bereitet die Bühne für die Verkündigung Jesu in Jerusalem. Lukas belässt es bei der einfachen Notiz, dass Jesus die Händler aus dem Tempel geworfen hat (45) (45). Er gibt weder eine Erklärung, noch nennt er Details. Er scheint die Aufgabe dieser Händler vorausgesetzt zu haben. Wahrscheinlich hat er – wie die anderen Evangelien – sowohl an Geldwechsler gedacht, die gegen eine (geringe) Gebühr fremde Währungen
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gegen den für den Tempel vorgesehenen Schekel eintauschen konnten, als auch an Verkäufer, die kultfähige Opfertiere feilgeboten haben. Alle arbeiteten mit Konzessionen der Hohepriester. Man darf nicht von einem System der Ausbeutung religiöser Interessen und Pflichten des Volkes sprechen; das System funktionierte leidlich. Die Kritik Jesu setzt tiefer an; sie ist radikal. Die Händler hatten ihre Plätze im „Vorhof der Heiden“; der innere Bereich blieb von der Aktion Jesu unberührt. Aber wenn die Händler – für einen symbolischen Moment – ausgeschaltet werden, kommen die Opfer zwar nicht gleich zum Erliegen, werden aber unterbrochen. Das ist bei Lukas der Sinn der Aktion: Platz zu schaffen, für das, was jetzt ansteht. Weder die Hohepriester, die den Kult zu verantworten haben, noch die Opfer, die dargebracht werden, haben eine Wirkung für das eschatologische Kommen des Gottesreiches, auf das es in der Sendung Jesu aber ankommt. Deshalb inszeniert Jesus die Unterbrechung. Er füllt den Tempel mit seiner Person und seiner Lehre. Zur Begründung beruft er sich auf die Heilige Schrift Israels (46) (46). Ohne dass er ihre Namen nennte, kombiniert er zwei der großen Propheten, Jesaja und Jeremia, mit zentralen Worten ihrer überlieferten Botschaft. Zuerst zitiert Jesus die helle Prophetie Jesajas, dann die dunkle Jeremias. Beide gehören zusammen wie zwei Seiten einer Medaille. Die Prophetie Jesajas imaginiert die Überwindung des Exils (Jes 56,1–8), die Prophetie Jeremias analysiert die frühere Tempelzerstörung, die mit dem babylonischen Exil verbunden ist (Jer 7,1–15). Jesus tritt für die Gültigkeit der jesajanischen Verheißung ein, obgleich die Wahrheit der jeremianischen Kritik unleugbar ist. Die „Räuberhöhle“ ist ein Versteck für Diebesgut, ein Rückzugsort für Verbrecher, ein Ausgangspunkt für Raubzüge. Jesus setzt bei den Händlern an; aber es geht ihm nicht um ihr Geld (vgl. 21,1– 4), sondern um das System, das die Hohepriester zusammen mit Schriftgelehrten und politisch Führenden (vgl. V. 47) aufbauen, um die Schätze des Gottesvolkes zu bunkern und für sich zu reklamieren, nicht aber zu teilen. Jesus attackiert die Deutungsmacht, die von seinen Gegnern aufgebaut wird: Sie scheinen die Sache Gottes zu betreiben, sind aber tatsächlich, so Jesus bei Lukas, auf ihren eigenen Nutzen aus. Die positive Seite, „Haus des Gebetes“, hat bei Lukas keine Pointe gegen die Opfer; das geht aus der Kindheitsgeschichte hervor (vgl. 1,5–10.23; 2,22–24). Es ist vielmehr eine positive Beschreibung dessen, was im besten Sinn des Wortes Opfer sein sollen: Anbetung Gottes, Lob Gottes, Bitte Gottes, Dank Gottes. Das Gebet ist für Jesus selbst von größter Wichtigkeit (3,21; 5,15; 6,12; 9,18.28–29; 11,1); er hat seine Jünger das Vaterunser gelehrt (11,1–4); nach der Apostelgeschichte wird sich die Urgemeinde im Tempel täglich zum Gebet treffen (Apg 2,46). Der Gegensatz, den Jesus aufdeckt, ist der zwischen dem, was der Tempel nach Gottes Willen sein soll, und
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dem, was die verantwortlichen Menschen aus ihm gemacht haben. Wenn seine Grundbestimmung ist, „Haus des Gebetes“ zu sein, ist überall dort der Tempel, wo gebetet wird – überall dort ist auch Jerusalem. Stephanus wird in seiner Predigt daran erinnern, wie problematisch schon der erste Tempelbau gewesen ist (Apg 7,47–50). Er teilt die Kritik Jesu – Jesus ordnet die Kritik in die Bejahung der Verheißung ein. Die Lehre Jesu (47a) (47a), die schon mit der Erklärung seiner Aktion beginnt, füllt den Platz, den er für Gott geschaffen hat. Die Inhalte werden folgen (20,1–21,4). Der entscheidende Anfang ist gemacht. Freilich bleibt die Kritik nicht aus (47b.48) (47b.48). Sie wird von den versammelten Führungskräften vorgebracht: Kult (Hohepriester), Recht (Schriftgelehrte) und Politik (Erste) sind vertreten. Die Gegner haben nach Lukas zwar keine Argumente, aber genau den Willen zur Macht, den Jesus mit Verweis auf Jeremia beenden will. Die Tempelaktion ist eine prophetische Zeichenhandlung: Jesus besetzt den Tempel, indem er die Opfer symbolisch unterbricht und Raum für seine Lehre schafft: dass er als „Haus des Gebetes“ von Grund auf reformiert werden muss – soweit, dass die irdischen Gebäude durchsichtig für die Gegenwart Gottes unter allen werden, die Jesus nachfolgen. Auch die Tempelaktion ist zu oft antijüdisch gedeutet worden: als ob der Tempel und die Opfer nicht gemäß dem Gesetz Gottes eingerichtet und vollzogen worden wären und die Korruption der Hohepriester nicht auch von jüdischer Seite scharf kritisiert worden wäre. Aber tatsächlich zielt sie nicht auf die Abschaffung, sondern die Aufschließung des Tempels: für das Reich Gottes, für das Gebet, für Jesus und alle, für die er eintritt. 20,1–21,4 Streitgespräche über die Vollmacht Jesu An den dreifach gestaffelten Auftakt des Wirkens Jesu in Jerusalem (19,29–48), der vom Einzug über die Klage angesichts der kommenden Zerstörung Jerusalems bis zur Bereitung des Tempels für die Lehre Jesu reicht, fügt Lukas eine Serie von Streitgesprächen an, die an ausgewählten Beispielen die Lehre Jesu konkretisieren. Ihr Anlass und Thema ist die Vollmacht Jesu. Jesus wird eingangs von führenden Kräften Jerusalems nach dem Recht gefragt, „das alles“ zu tun, verdichtet in der Tempelaktion (20,1–2). Auf diese Frage antwortet Jesus zuerst indirekt, indem er auf die Person und das Wirken des Täufers Johannes verweist (20,3– 8), dann direkt, mit Hilfe eines Gleichnisses, das ein Selbstportrait Jesu zeichnet (20,9–19). Mit der Kaisersteuer (20,20–26) und der Auferstehung (20,27–40) werden sodann auf zwei zentralen Feldern – der Politik und
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der Hoffnung – Positionen markiert, die der messianischen Autorität Jesu Ausdruck verleihen, ohne dass sie exklusiv auf Offenbarungswissen des Gottessohnes zurückgehen: Sie zeigen, dass Jesus eine starke Stimme des Gottesglaubens mitten im Judentum erhebt, offen für die Reich Gottesund die Auferstehungsbotschaft seines Evangeliums. Mit einer eigenen Position zur Messiasfrage (20,41–44), die in allen Gesprächen aufbricht, klärt Jesus mit Verweis auf David und die Psalmen, also wieder inmitten der lebendigen Tradition Israels, dass die Christologie der Gottessohnschaft die Konsequenz der messianischen Hoffnungen ist, die Verifizierung der Auferstehungserwartung, die Orientierung der politischen Ethik, die Weiterführung der Täuferpredigt, die eigentliche Begründung für die Transformation des Tempels zu einem Gebets- und Lehrhaus, das Gottes Reich wahrnimmt und vermittelt. Die Serie endet mit dem Aufbau eines scharfen Kontrastes: Auf der einen Seite stehen – karikiert – heuchlerische Schriftgelehrte, die ihre Macht missbrauchen (20,45–47): eine Warnung an die Adresse der Jünger; auf der anderen Seite steht eine Witwe, die zum Vorbild wird, so arm sie auch ist (21,1–4). 20,1–8 20,9–20 20,21–26 20,27–40 20,41–44 20,45–47 21,1–4
Das Recht Jesu zur Tempelaktion Das Gleichnis von den bösen Winzern Die Steuerfrage Die Auferstehungsfrage Die Messiasfrage Die Warnung der Jünger vor Heuchelei Das Opfer der Witwe
Mk 11,27–33 Mk 12,1–12 Mk 12,13–17 Mk 12,18–27 Mk 12,35–37 Mk 12,38–40 Mk 12,41–44
Lukas arbeitet mit seiner markinischen Vorlage (Mk 11,27–12,40). Er folgt ihr, lässt aber das dort platzierte Gespräch über das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe aus, weil er bereits zuvor auf dem Weg Jesu nach Jerusalem den Disput mit einem Schriftgelehrten eingebaut hat, einschließlich des Samaritergleichnisses (10,25–37). Durch diese Verschiebung verschärft sich der Ton: Durchweg werden Konflikte verhandelt, auf der Basis der Heiligen Schrift, im Horizont der messianischen Hoffnung auf Gottes Reich, die entsteht oder geleugnet wird. 20,1–8 Das Recht Jesu zur Tempelaktion 1Und es geschah an einem der Tage, als er das Volk im Tempel lehrte und verkündete, dass die Hohepriester und die Schriftgelehrten mit den Ältesten aufstanden 2und zu ihm sagten: „Sag uns: In welcher Vollmacht tust du dies? Wer ist es, der dir diese Vollmacht gegeben hat?“ 3Da ant-
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wortete er und sagte zu ihnen: „Ich will euch auch etwas fragen. Sagt mir: 4Die Taufe des Johannes – war sie vom Himmel oder von Menschen?“ 5Sie aber überlegten untereinander und sagten: „Wenn wir sagen: ‚Vom Himmel‘, wird er sagen: ‚Warum habt ihr ihm nicht geglaubt?‘ 6Wenn wir aber sagen: ‚Von Menschen‘, wird das ganze Volk uns steinigen; denn es glaubt, dass Johannes ein Prophet ist.“ 7Und sie antworteten: „Wir wissen nicht, woher.“ 8Da sagte Jesus ihnen: „Dann sage ich euch nicht, in welcher Vollmacht ich dies tue.“ Der Auftakt der Serie von Streitgesprächen schließt direkt an die Tempelaktion Jesu an (19,45–48), auf die sein messianischer Einzug in Jerusalem zielt (19,29–40). Es wird die Frage der Legitimation Jesu aufgeworfen, von den Protagonisten Jerusalems, die bis zum Prozess gegen Jesus die Macht in ihren Händen halten wollen. Die Antwort Jesu weitet den Horizont bis an den Anfang seines Wirkens, das vom Täufer Johannes vorbereitet worden ist (3,1–20). Sie ruft auch die Antwort Jesu auf die Frage des Täufers nach der messianischen Sendung Jesu wach (7,18–23) und die Frage Jesu nach der Motivation der Menschen, zu Johannes in die Wüste zu ziehen (7,24–35). Dadurch wird der Gesamtrahmen der Verkündigung, des Wirkens und des Anspruchs Jesu aufgespannt, der sich in seinem Jerusalemer Wirken verdichtet. Insofern ist die Verweigerung einer Antwort die passende erste Reaktion Jesu: Sie klärt, dass die Tempelaktion nicht voraussetzungslos beurteilt werden kann, sondern sich nur im Gesamtzusammenhang sowohl seiner eigenen Sendung als auch deren Verbindung mit der Verheißungsgeschichte Israels erklärt. Die Szene schildert einen Dialog, der aber nicht offen verläuft, weil die Gegner Jesu die Auseinandersetzung scheuen. 20,1–2 20,3–4 20,5–7 20,8
Die Frage der Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten nach der Vollmacht Jesu Die Gegenfrage Jesu nach der Autorität der Johannestaufe Das Kalkül und die Antwortverweigerung der Kontrahenten Jesu Die Verweigerung einer Antwort durch Jesus
Lukas folgt ziemlich genau Markus (Mk 11,27–33), hat aber die Sprache überarbeitet und den Gedankengang gestrafft, wie üblich. Die Frage nach der Vollmacht Jesu (1–2) deckt die theologische, aber auch die politische Brisanz des Wirkens Jesu auf. Im Modus des skeptischen Widerspruchs wird deutlich, dass Jesu Agieren, das im Tempel kulminiert, prophetisch und programmatisch ist – nicht nur in den Augen seiner Anhänger, sondern auch in den Augen seiner Gegner. Es ruft die Frage nach Gott auf, weil der Tempel und Jerusalem, das Volk Israel und
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die Zukunft der Welt im Horizont der biblischen Überlieferung und in der Perspektive jüdischer Identität nur von Gott her verstanden werden können. Darin ist Jesus sich mit seinen Gegnern einig; allerdings entwirft er ein anderes Leitbild als sie. In der Frage kommen die führenden Gruppen des damaligen Judentums zusammen, die Jerusalem als ihre Macht- und Aktionsbasis sehen. Die „Hohepriester“ sind die Mitglieder der führenden Priesterfamilien (Zacharias gehörte nicht zu ihnen), die den Tempel verwalten und für den geregelten Ablauf der Opfer sorgen, zugleich aber eine politische Ordnungsmacht ausüben, mit Rückendeckung der Römer. Diese Aufsicht vollzieht sich in den Grenzen, die ihnen der jeweilige Statthalter setzte; aus der Gruppe wird der jeweils amtierende Hohepriester gewählt, zur Zeit Jesu Kaiaphas, der zusammen mit seinem Schwiegervater Hannas agierte (3,2). Die „Schriftgelehrten“ sind die Juristen und Lehrer, die in Zweifelsfragen des rituellen und sozialen Lebens über die theologische Interpretation der Tora und die Entwicklung der jüdischen Halacha entscheiden, um das Gesetz zur prägenden Norm Israels zu machen. Die „Ältesten“ (Presbyter) – wohl zu identifizieren mit den „Ersten“ (19,47) – sind die Honoratioren der Stadt, die soziale und wirtschaftliche Elite, die für das jüdische Gemeinwesen Sorge getragen haben. Zusammen bilden sie die drei Fraktionen des Hohen Rates, der juristische, polizeiliche und politische Aufgaben zu erfüllen hat und auch im Fall Jesu aktiv werden wird (22,66–71). Sie fragen nach der „Vollmacht“ (exousia), d. h. nach seinem Recht, das ihm nur von Gott zukommen kann. Deshalb ist die weiterführende Frage nach dem, der Jesus berechtigt hätte, die Gottesfrage. Freilich erwarten die Fragesteller keine positive Antwort; sie wollen vielmehr Jesus als Usurpator eines göttlichen Vorrechts und deshalb als blasphemischen Falschpropheten und Lügenlehrer hinstellen (5,24; ferner 4,36 – vgl. 4,5). Der Anlass der Kritik ist die Tempelaktion, aber der Radius der Kritik ist größer: „Dies“ bezieht sich auf das Lehren Jesu und auf die Aktion im Tempel – und damit auf alles, was Jesu Wirken, seine Worte wie seine Taten auszeichnet. Die Antwort Jesu (3–4) ist eine Gegenfrage; sie zielt darauf, klarzustellen, dass die Frage der Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten nicht ehrlich ist. Jesus lenkt den Blick auf den Täufer Johannes und dessen „Vollmacht“. Diese Wendung ist nicht Taktik. Sie schafft vielmehr die Gelegenheit, die Voraussetzungen der Frage aufzudecken und damit auch der Ablehnung Jesu, die aus ihr spricht. Johannes steht bei Lukas mit der Taufe, die er spendet (3,1–20), für drei zentrale Themen: erstens für die Vergebung der Sünden jenseits des Tempelkultes, geöffnet durch Gottes eschatologischen Heilswillen, zweitens für die ethische Orientierung des ganzen Volkes an Gottes Willens, authentischer als in der Exegese der Schriftgelehrten (vgl. 11,37–54), weil sie in prophetischer Kompetenz direkt auf den Wil-
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len Gottes bezogen ist, und drittens für die messianische Erwartung eines „Stärkeren“, der Gottes Geist vermitteln wird. Alle drei Impulse stehen in direkter Verbindung mit der Heilssendung Jesu; sie fordern in gleicher Weise wie Jesus selbst die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten heraus, die Lukas als Sachwalter des Status quo portraitiert. Weil sie die Präzision der Gegenfrage Jesu genau verstanden haben, geraten die Fragesteller ins Grübeln (5–7) (5–7). Sie reagieren aber nicht sachlich, sondern taktisch. Lukas hatte erzählt, dass „Scharen“ zu Johannes hinausgezogen waren (3,7.10; vgl. 7,24), nicht zuletzt auch Zöllner (3,12) und Soldaten (3,14). Die führenden Kräfte Jerusalems waren nicht dabei. Diese Verweigerung holt sie jetzt ein. Sie akzeptieren, dass auch Johannes mit seiner Taufe eine göttliche „Vollmacht“ beansprucht haben muss. Aber sie wollen die exakt von Jesus gestellte Alternative – „vom Himmel (also: von Gott) oder von Menschen“ (V. 4) – nicht entscheiden. Im ersten Fall würden sie sich selbst mangelnder Konsequenz zeihen müssen; im zweiten Fall, dem sie offensichtlich zuneigen, müssen sie den Zorn des Volkes fürchten, das Johannes für einen „Propheten“ hält – der er auch in den Augen Jesu tatsächlich ist (7,24–28). Sie verweigern die Antwort, aus purem Eigennutz. Das letzte Wort, das bei Lukas wieder Jesus hat (8) (8), stellt schlicht und ergreifend fest, dass es keine Basis für eine sinnvolle Auseinandersetzung mit der Vollmacht und der Qualität seiner Lehre gibt, weil die Kontrahenten gar nicht bereit sind, sich auf die Glaubensfrage einzulassen. Die Vollmachtsfrage führt ins christologische Zentrum der letzten öffentlichen Auseinandersetzungen und weitet den Blick: Zwischen Jesus und den führenden Kräften Jerusalems wird es keine Verständigung geben. Zwischen Johannes dem Täufer und Jesus gibt es aber eine innige Beziehung: Sündenvergebung, Ethik, Hoffnung. Wer sich dem Täufer und seinem Ruf zur Umkehr verweigert, kommt auch nicht zu Jesus. Wer keine inhaltliche Klärung will, sondern wie die Gegner Jesu nur taktiert, ist kein ernsthafter Gesprächspartner. Wer dies aufdeckt, wie Jesus nach Lukas, bricht den Dialog nicht ab, sondern plädiert für seine Relevanz. Lukas folgt seiner markinischen Quelle, von der historischen Referenz (unter den Bedingungen seiner Zeit) überzeugt. Tatsächlich ist gerade die leicht verdrehte Pointe ein Hinweis auf Originalität. 20,9–20 Das Gleichnis von den bösen Winzern 9Er begann aber, dem Volk dieses Gleichnis zu sagen: „Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und verpachtete ihn Winzern und zog für lange Zeit weg. 10Und mit der Zeit sandte er einen Knecht zu den Winzern, damit sie ihm von den Früchten des Weinbergs gäben. Die Winzer aber prügelten ihn
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und schickten ihn mit leeren Händen fort. 11Und er schickte einen anderen Knecht. Aber auch ihn prügelten und verspotteten sie und schickten ihn mit leeren Händen fort. 12Und er schickte noch einen dritten; den aber verwundeten sie und warfen ihn hinaus. 13Da sagte der Herr des Weinbergs: ‚Was soll ich tun? Ich werde meinen geliebten Sohn schicken; wahrscheinlich werden sie ihn achten.‘ 14Als die Winzer aber ihn sahen, überlegten sie beieinander und sagten: ‚Dies ist der Erbe. Lasst uns ihn töten, damit der Weinberg unser Erbe wird.‘ 15Und sie warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und töteten ihn. Was wird nun der Herr des Weinberges tun? 16Er wird kommen und diese Winzer loswerden und den Weinberg anderen geben.“ Als sie es hörten, sagten sie: „Das soll nicht geschehen.“ 17Er aber sah sie an und sagte: „Was also heißt, was geschrieben ist: ‚Der Stein, den die Bauleute verwarfen, dieser ist zum Eckstein geworden‘? 18Jeder, der auf den Stein fällt, wird zerschellen; auf den er aber fällt, den wird er zermalmen.“ 19Und die Schriftgelehrten und die Hohepriester versuchten, ihn in ihre Hand zu bekommen, noch in dieser Stunde, und sie fürchteten das Volk; denn sie wussten, dass er dieses Gleichnis zu ihnen gesagt hatte. 20Und sie ließen ihn beobachten und sandten Leute aus, die sich stellen sollten, als seien sie gerecht, damit sie ihn bei einem Wort packten, so dass sie ihn der Macht und Gewalt des Statthalters übergeben könnten. Das Gleichnis von den bösen Winzern gibt die zweite Antwort auf die Vollmachtsfrage, bleibt aber nicht auf der Frageebene der Kritiker Jesu, sondern bringt die Verheißung und Verantwortung des Gottesvolkes Israel ein, die indirekt bereits durch den vorangehenden Hinweis Jesu auf die Taufe des Johannes (20,1–8) aufgerufen waren. Jesus wendet sich in seiner Gesprächsführung von den Hohepriestern, Schriftgelehrten und Ältesten (20,1) ab, weil es nicht möglich ist, mit ihnen zu reden (20,8), und dem Volk zu, das Johannes für einen „Propheten“ hält (20,6; vgl. 7,26) und Jesus, der im Tempel lehrt, gerne hört (19,48). Jesus argumentiert, wie sehr oft bei Lukas, mit Hilfe eines Gleichnisses, das in diesem Fall die Verantwortung für das Volk Gottes und den Umgang mit den Propheten in Israel bildlich vor Augen führt. Das Gleichnis erzählt einen Kriminalfall, der von Jesus gelöst wird. 20,9–16a Die Gleichniserzählung 9 Die Ausgangssituation: Die Anlage und Verpachtung des Weinberges 10–12 Die Sendung der Knechte 10 Der erste Knecht Abweisung 11 Der zweite Knecht und 12 Der dritte Knecht Misshandlung
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13–16a Die Sendung des Sohnes 13 Die Initiative des Vaters 14–15a Das Kalkül der Winzer: Die Tötung des Sohnes 15b.16a Die Reaktion des Besitzers 20,16b–18 Die Gleichnisbesprechung 16b Das Erschrecken der Hörer 17–18 Die Prophetie des Ecksteins Das Zitat von Ps 118,22 20,19–20 Die negative Reaktion der Hohepriester und Schriftgelehrten Lukas baut auf der Markusversion auf, auch mit der Kombination zwischen dem Gleichnis und der Deutung, die Ps 118 heranzieht. Aber er kürzt den Auftakt, mit dem Markus deutlich die Verbindung zum Weinberglied Jesajas herstellt (Jes 5,1–7), einer prophetischen Allegorie der Geschichte und des Unterganges Israels. Dadurch verschiebt sich der Fokus. Markus erzählt (anders als Jesaja), dass der Weinberg, Israel, fruchtbar bleibt, aber die Pächter ausgetauscht werden müssen. Lukas hingegen erzählt das Gleichnis so, dass die Bosheit der Winzer plastisch wird – und die Reaktion des Besitzers auf sie. Diese Färbung passt zum Kontext: Die Hohepriester und Schriftgelehrten, die sich in den bösen Winzern wiedererkennen sollen (20,19–20), werden vom Volk getrennt. Ein Ansatz, eine Art Kollektivschuld „der Juden“ dargestellt zu finden, ist nicht zu erkennen. Die Kritik Jesu an denen hingegen, die ihn kritisieren und verwerfen, gewinnt an Stärke. Das Gleichnis beginnt mit der Beschreibung einer Ausgangslage (9) (9), die sozialgeschichtlich realistisch ist: Ein Grundbesitzer legt einen Weinberg an und verpachtet ihn. Die Pointe ist aber eine symbolische: Der Weinberg ist ein altes Bild für Israel (Jes 5,1–7). Deshalb ist die Figur des Besitzers durchsichtig für Gott – und die Winzer sind diejenigen, die Verantwortung für das Volk Gottes haben. Mit der Forderung des Besitzers, die Pacht zu entrichten beginnt das Drama (10–12) (10–12). Die Forderung ist nur recht und billig; eine mögliche soziale Ungerechtigkeit hinter den herrschenden Besitzverhältnissen liegt nicht im Fokus des Gleichnisses. Der Besitzer wählt auch den richtigen Zeitpunkt, nach der Ernte, da die Trauben reif und transportfähig sind. Dass er Knechte (Sklaven oder Angestellte) sendet, ist gleichfalls professionell. Unprofessionell, unmoralisch, unklug ist das Verhalten der Winzer. Sie verweigern nicht nur die Pacht, sondern verprügeln auch die Boten und steigern gar noch ihre Aggressivität. Dass der Besitzer drei Versuche startet, touchiert die Grenze der Wahrscheinlichkeit, ist aber den Gesetzmäßigkeiten volkstümlichen Erzählens geschuldet.
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Die dreifache Ablehnung bildet den dunklen Hintergrund für die letzte Chance, die der Besitzer den Pächtern einräumen will (13) (13): Er sendet nicht einen weiteren Knecht, sondern seinen eigenen Sohn. Dass Jesus im Lukasevangelium hier einen Bezug zu sich selbst aufbaut, ist nicht zu übersehen. Das Schlüsselwort heißt: „geliebter“. Es hat den Sinn: einziger. Es weist zurück auf die Taufe (3,22) und die Verklärung (9,35). Jesus erfährt und vermittelt die Liebe Gottes. Die Parabel fängt seine eschatologische Sendung ein: Ihr werden definitiv keine weiteren Knechte folgen. Im Umkehrschluss zeigt sich, dass die Sendung der Knechte an die Sendung der Propheten erinnert. Es gehört zur uralten und überzeugenden Selbstkritik Israels, die eigene Geschichte nicht zu schönen und das gewaltsame Geschick der Propheten in Erinnerung zu halten: „Deine Propheten warnten sie zwar und wollten sie zu dir zurückführen; doch man tötete sie und verübte schwere Frevel“ (Neh 9,26; vgl. Lk 4,24). Jesus gehört in diese Reihe – als Letzter, der der Erste ist. Die Pächter nehmen ihre große Chance allerdings nicht wahr (14–15a) (14–15a). Sie verschreiben sich immer mehr ihrem Eigennutz – der sich aber als kapitale Selbstschädigung erweisen wird. Sie überlegen, sich des Erbes bemächtigen zu können, also den Weinberg, den sie gepachtet haben, in ihren Besitz zu überführen, um ihn dem rechtmäßigen Eigner zu entwenden. Deshalb werfen sie den Sohn aus dem Weinberg heraus und töten ihn. Was bereits auf der sozialgeschichtlichen Ebenen ein Kapitalverbrechen ist, erweist sich auf der symbolischen Ebene des Gleichnisses als komplettes Desaster. Wenn der Weinbergbesitzer für Gott durchsichtig ist und der Weinberg für Israel, läuft die Ermordung des Sohnes darauf hinaus, sich Israels zu bemächtigen. Härter ist die Herrschschafts- und Kultkritik eines Amos und Hosea auch nicht. Jesus reflektiert die Moral von der Geschichte, indem er die Erzählung aus ihrer Logik heraus bespricht (15b.16a) (15b.16a). Der Besitzer selbst wird kommen, die bösen Winzer „loswerden“, d. h. ihnen die Pacht entziehen und die Pflege des Weinbergs anderen anvertrauen. Die synoptischen Parallelen zeigen härtere Sanktionen an (Mk 12,9; Mt 21,41). Gottes Gericht wird vor Augen gestellt, aber nicht blutrünstig ausgemalt, sondern ebenso klar wie dezent angedeutet. Der Effekt ist wichtiger: Der Weinberg bleibt weiter fruchtbar; Israel bleibt Israel. Aber die Verantwortung wechselt. Wer sie übernimmt, bleibt offen. Dass es sich um Verbündete des Sohnes und Parteigänger des Vaters handelt, ist sicher. Eine Ablösung Israels durch die Kirche ist undenkbar; eine Sorge der Jünger Jesu für Israel notwendig. Jesus hat das Gleichnis dem Volk erzählt (V. 9), das ihm zugetan ist. Seine Gegner bekommen alles mit (Vv. 19–20). Aber sie bleiben in der Nachbesprechung außen vor, weil sie das Gespräch verweigern (20,7). Das
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Volk erschrickt (16b) (16b), weil es das Unheil kommen sieht und vermeiden will. Lukas wird die Passionsgeschichte so darstellen, dass sehr lange eine Mehrheit auf der Seite Jesu bleibt und selbst die Gaffer nach dem Tod Jesu sich an die Brust schlagen (23,48), so dass sich auch nach Ostern, wie die Apostelgeschichte farbenreich erzählt, eine große Menge finden wird, die Jesus Glauben schenkt (vgl. Apg 2,41 u. ö.). Freilich ist Jesus nicht dazu da, den Schrecken zu bannen. Er deckt vielmehr die Härte der Krise auf, in die auch Mitglieder des Volkes geraten werden, weil passieren wird, was in der Parabel erzählt wird: die Tötung des Sohnes. Die überlieferte Deutung Jesu hat zwei Teile. Der erste Teil (17) beleuchtet mit Ps 118,22 die christologische Revolution, die Jesus entfesselt. Das Bild wechselt in die Architektur. Die Bauleute tragen die Verantwortung; aber genau der Stein, den sie aussortiert haben, weil er angeblich nicht taugt, ist zum „Eckstein“ geworden, d. h. zum Konstruktionspunkt des ganzen Gebäudes, an dem alle anderen Steine sich orientieren. (Die alternative Übersetzung „Schlussstein“ ist philologisch schlechter begründet und sprengt das Bild, weil es hier nicht um den krönenden Abschluss, sondern um den entscheidenden Anfang geht.) In dieser Dialektik wird die Prophetie Simeons aufgenommen, dass Jesus von Gott als „Zeichen“ gesetzt wird, „dem widersprochen wird“ (2,34). Die Konsequenzen für die Adressaten entfaltet die Deutung (18) (18): Wer an dem Eckstein, der von Gott gesetzt ist, Anstoß nimmt, kommt durch ihn zu Fall und stirbt an ihm. Das ist das traurige Geschick derer, die Jesus verwerfen und mit sich viele in den Untergang ziehen (19,41–44). Es ist in der kritischen Phase unmittelbar vor der Passion diese Härte des Kommenden, die im Vordergrund steht, durchaus im Einklang mit der Trauer über die Katastrophe der Stadt, aber ohne Genugtuung, sondern mit Klarsicht. Wie wenig das Wort eine Aussage über die Verwerfung Israels ist, ergibt sich in der Apostelgeschichte aus einer Predigt des Petrus, der in kritischer Lage gleichfalls das Eckstein-Wort anführt, nun aber mit der jenseits der Passion möglichen Öffnung des Untergangs für einen neuen Aufgang im Namen Gottes, der Heil wirkt, auch durch das Gericht (Apg 4,11–12). Wie sehr aber in der erzählten Situation nach der Tempelaktion der Fokus auf das Unheil gelegt werden muss, das die folgende Geschichte sowohl Jesu als auch Jerusalems bestimmt, zeigt die Fortsetzung (19–20) (19–20). Einerseits entziehen sich die Schriftgelehrten und Hohepriester weiterhin der Auseinandersetzung mit Jesus und mit dem Volk; sie erkennen, dass Jesus sie gemeint hat. (Die Ältesten werden nicht mehr erwähnt, wahrscheinlich weil die theopolitischen Aspekte in den Vordergrund treten.) Aber dies verhärtet sie in ihrem Widerspruch. Denn sie ergreifen andererseits sogar weitergehende Initiativen, um einen Prozess gegen Jesus vor dem römischen Statthalter vorzubereiten, dem sie Jesus auch
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ausliefern werden (23,1–5). Damit ist klar, was passieren wird. Unklar ist lediglich, wann und wie es geschieht. Das Winzergleichnis muss, wie manch andere neutestamentliche Tradition im Umkreis der Passionsgeschichte, aus den Fängen des Antijudaismus befreit werden. In der Exegese hat sich gezeigt, dass nicht die Distanzierung von Lukas und seiner überlieferten Kritik an den Hohepriestern, Schriftgelehrten und Ältesten zu diesem Ziel führt, sondern die bessere Annäherung an ihn. Lukas geht von der Fruchtbarkeit des Weinbergs, Israel, aus und will, mit Jesus, dass Gott als der Herr des Weinberges anerkannt wird und dass die Arbeiter im Weinberg (vgl. 10,2) die Früchte abliefern – und den Sohn ehren. Der Fokus liegt auf der Sendung des „Sohnes“. Das Gleichnis ist ein Musterbeispiel parabolischer Christologie: Jesus wird als Bote Gottes ins Bild gesetzt; seine Sendung und seine Passion werden metaphorisch prophezeit – und das Psalmwort, das angeführt wird, verweist auf die Auferstehung. Das Gleichnis ist im Kern jesuanisch, wie die Passung zur überlieferten Bildsprache Jesu belegt; die Gestaltung erfolgt im hermeneutischen Horizont des Osterglaubens, wie der Verweis auf Ps 118 belegt, der seinerseits ein Schlüsseltext sowohl der Leidensgeschichte als auch des Osterglaubens ist. 20,21–26 Die Kaisersteuer 21Und sie fragten ihn, indem sie sagten: „Lehrer, wir wissen, dass du aufrichtig redest und nicht auf die Person siehst, sondern wahrheitsgemäß den Weg Gottes lehrst. 22Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen, oder nicht?“ 23Er aber bemerkte ihre List und sagte zu ihnen: „24Zeigt mir einen Denar. Wessen Bild und Aufschrift trägt er?“ Sie sagten: „Des Kaisers“. 25Da sagte er zu ihnen: „So gebt nun dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist.“ 26Und sie konnten ihn nicht bei einem Wort vor dem Volk packen, staunten über seine Antwort und schwiegen. Die Steuerperikope gehört zu den einflussreichsten Jesustraditionen, weit über die Kirchen hinaus. Sie berührt das empfindliche Thema Politik und Religion. Ein Steuerboykott gehörte zu den Faktoren, die den Jüdischen Krieg ausgelöst haben, auf den Lukas mit seinem traurigen Ende, der Zerstörung Jerusalems und des Tempels, schon zurückblickt. Vor Pilatus wird Jesus angeklagt werden, das Volk zur Steuerverweigerung aufgewiegelt zu haben (23,2) – ganz im Gegensatz zu dem, was Jesus in Wahrheit gelehrt hat. Das Sprichwort gewordene Schlussplädoyer Jesu verbindet das Tun des Gotteswillens mit der Aufforderung, Steuern zu zahlen. Die Perikope ist allerdings umstritten: Die einen sehen eine List,
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die anderen eine Programmatik Jesu eingefangen, die einen kritisieren einen angeblichen Opportunismus, die anderen eine heimliche Revolution. Eine genaue Prüfung zeigt aber, dass in der Perikope ein entscheidender Beitrag zur politischen Ethik überliefert wird, die im Rahmen der Reich-Gottes-Botschaft eine klare Weisung gibt: Kein Kaiser ist Gott; aber Gott ist nicht unpolitisch, sondern die Verehrung Gottes umfasst auch einen Raum, in dem die politische Herrschaft anerkannt wird. Es gibt eine Fundamentalunterscheidung zwischen Gott und Kaiser, aber keinen Glauben mit dem Rücken zur Welt. Die Perikope ist wie ein klassisches Streitgespräch aufgebaut. 20,21–22 Die Frage an Jesus 20,23–24a Die Gegenfrage Jesu nach einem Denar 20,24b Die Antwort der Gegner 20,25 Die Stellungnahme Jesu 20,26 Die Ratlosigkeit der Gegner Die Komposition arbeitet sowohl die Brisanz des Themas als auch die Problematik der Kommunikation heraus, weil Jesus nicht wirklich angefragt, sondern nur in die Bredouille gebracht werden soll. Lukas nimmt die markinische Vorlage auf und kürzt sie ein wenig, um auf der anderen Seite die Schärfe des Konfliktes hervorzuheben. Lukas zieht die kritische Situationsbeschreibung von V. 20 in den Beginn der Steuerperikope hinein (21) (21). Ziel derer, die undercover Jesus schaden sollen, ist es, mögliche Anklagepunkte gegen Jesus vor dem römischen Statthalter zu sammeln. Deshalb ist die höfliche Anrede, eine formvollendete captatio benevolentiae, reiner Hohn. Lukas ist zwar sicher, dass Jesus tatsächlich ein Lehrer ist, der die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagt, weil er unparteiisch ist und den „Weg“ weist, den Gott die Menschen führen will. Aber er gibt zugleich zu verstehen, dass die Spione, die Jesu Gegner schicken, das Gegenteil von dem meinen, was sie sagen. Nachdem sie ihm (vergeblich) zu schmeicheln versucht haben, kommen die Opponenten zum Punkt (22) (22). Die Kaisersteuer ist ein Herrschaftsinstrument, das dem Imperium Romanum Handlungsfreiheit erlaubt: von der Unterhaltung des Militärs über den Aufbau der Infrastruktur bis zur Prachtentfaltung des Kaiserhofes. Steuern zu zahlen, fordern die Römer von allen ein, die in ihrem Reich leben. Die Erfüllung der Loyalitätspflicht wird von den lokalen Autoritäten organisiert, die für Städte und Provinzen bestimmte Zahlungshöhen erreichen müssen, festgesetzt von der Zentrale. Wer Steuern zahlt, finanziert das Herrschaftssystem mit, das nicht durch den Gehorsam gegenüber Gott,
20,21–26 Die Kaisersteuer
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sondern durch den Willen zur Macht geprägt ist. Deshalb ist es eine strittige Frage, ob ein „Lehrer“, der für sich in Anspruch nimmt, eindeutig die Sache Gottes zu vertreten, tatsächlich die Steuer hinnehmen, vielleicht sogar anraten oder fordern kann, ohne seine Grundsätze zu verraten. Die Falle scheint perfekt gestellt: Die Aufforderung, Steuern zu verweigern, weil Gott es gebiete, würde direkt zu einer Anklage vor Pilatus führen können; die Aufforderung, Steuern zu zahlen, könnte den religiösen Eifer des Lehrers Jesu in Zweifel ziehen und ihn beim Volk diskreditieren. Jesus nimmt die Herausforderung an. Als Prophet durchschaut er nach Lukas die wahren Motive der Fragesteller (23) (23), ihre „List“, in der sich für den Evangelisten Cleverness und Verschlagenheit vereinen. Der „Denar“, den er sich zeigen lässt (24) (24), ist das übliche Zahlungsmittel, das im ganzen Reich anerkannt ist; sein Wert der Tageslohn eines einfachen Arbeiters. Die Münzen sind ihrerseits nicht nur finanzielles Medium der Wirtschaft, sondern auch Ausdruck der politischen Macht. Das Prägerecht bringt diese Dimension zum Ausdruck. Der Kaiser versieht seine Münzen mit seinem Bild und mit seiner Aufschrift. Sie repräsentieren ihn, den Herrscher, der ihren Wert garantiert. Die Aufschrift nennt zur Zeit Jesu typischerweise den Namen des regierenden Imperators Tiberius, der sich „Caesar“ tituliert und auf den „göttlichen Augustus“ zurückführt; auf der Rückseite ist ein Ehrentitel wie „Pontifex maximus“ (großer Brückenbauer) üblich: archaisch religiös und politisch programmatisch. Auf der Vorderseite ist das idealisierte Bildnis des Herrschers zu sehen, nach einem Modell, das auf Alexander den Großen zurückgeführt wird. Auf der Rückseite können Symbole politischer Theologie zu sehen sein, z. B. die römische Siegesgöttin Victoria. Die Botschaft ist klar: Das Imperium setzt seine Macht ein, um den Kreislauf der Wirtschaft zu beleben; die Steuern sind ein wichtiges Antriebsaggregat. Wer nicht als Eremit leben will, nimmt am Alltagsleben teil, das durch Geld und damit auch durch politische Macht bestimmt ist. Die Fragesteller sprechen aus, was nicht zu übersehen ist. Deshalb kann Jesus seine Pointe formulieren (25) (25). „Was des Kaisers“ und „was Gottes“ ist, steht nicht auf einer Stufe, so dass es fein säuberlich voneinander getrennt werden und nebeneinander bestehen könnte. Der Akzent liegt vielmehr auf dem Schluss: auf dem, „was Gottes ist“. So besagt es die Form, die ein Achtergewicht hat; so geht es auch aus dem Kontext hervor, der die Theozentrik hervorhebt, auch in der folgenden Auferstehungsdiskussion (20,27–40). „Was Gottes ist“, ist schlechterdings alles: Er ist der Schöpfer, der Herr und der Erlöser der Menschen; er lässt sein Reich nahekommen; seinen Willen zu erfüllen, ist die Berufung aller Geschöpfe. In diesem Bereich aber gibt es – nach Gottes Willen –
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20,1–21,4 Streitgespräche über die Vollmacht Jesu
durchaus auch etwas, „was des Kaisers ist“. Das ist die Steuer und mit ihr die Organisation politischer Macht im Dienst der Gerechtigkeit, die Gott will – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Klarstellung ist wegweisend: Keinem Kaiser dieser Welt gebührt religiöse Verehrung; jeder Kaiser dieser Welt ist vielmehr gehalten, seinerseits Gott die Ehre zu geben und seinen Willen zu tun. Die Kehrseite dieser Verpflichtung ist die Bereitschaft derer, die Gott lieben und sein Gebot erfüllen, um Himmels Willen auch den „Kaiser“ mit dem zu unterstützen, was er braucht, um seine Aufgaben zu erfüllen. Konfliktfälle werden nicht erörtert. Die Aufgabe guter Politik kommt indirekt durch den Gottesbezug zum Ausdruck; worin sie besteht und wie zu reagieren ist, wenn schlechte Politik gemacht wird, ist im konkreten Fall zu klären. Die Reaktion der Fragesteller ist Ratlosigkeit (26) (26). Ihr Versuch, Jesus eine Falle zu stellen, ist gescheitert – nicht, weil Jesus so geschickt gewesen wäre, ihr auszuweichen, sondern weil er so ehrlich ist, seine Position zu beziehen, die jenseits der Unterstellungen und des taktischen Kalküls liegt. Ihr Staunen ist keine Bewunderung, sondern Verblüffung; ihr Schweigen zeigt nicht, dass sie sich geschlagen geben, sondern dass sie ihm nichts entgegenzusetzen haben. Die Erzählung von der Kaisersteuer zeigt, wie lebensnah die Botschaft Jesu ist. Auch das politische Feld wird mit der Liebe zu Gott und der Verkündigung seiner Herrschaft sondiert und kultiviert. Jesus verfolgt entschieden seine Sendung weiter, Gott zur Sprache zu bringen. Er macht auch klar, dass Gott außerhalb jeder Konkurrenz zu irdischen Potentaten steht, mit wie vielen Ehren auch immer sie sich umgeben und wieviel Macht auch immer sie inszenieren wollen. Aber die Konsequenz ist nicht Weltfremdheit, die sich unpolitisch geben könnte, sondern Anerkennung eines relativen Rechtes des Politischen, das verantwortet werden muss, letztlich vor Gott. Jesus segnet nicht die Monarchie ab; der „Kaiser“ steht für jede Form von politisch notwendiger Ordnungsmacht. Sich ihr mit Verweis auf Gott zu verweigern, ist nicht fromm, sondern dumm. Aber Steuern zu zahlen, heißt nicht, zu allem Ja und Amen zu sagen, was ein „Kaiser“ will. Vielmehr bringt die Steuerzahlung den Gotteswillen zum Ausdruck – dem auch der Kaiser sich nicht entziehen darf. 20,27–40 Die Auferstehung der Toten 27Einige der Sadduzäer traten herzu, die sagen, es gäbe keine Auferstehung, und fragten ihn: „28Lehrer, Mose hat uns geschrieben: ‚Wenn jemand stirbt, der einen Bruder und eine Frau hat, aber kinderlos ist,
20,27–40 Die Auferstehung der Toten
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soll sein Bruder die Frau nehmen und seinem Bruder Nachkommen erwecken.‘ 29Nun waren einmal sieben Brüder. Der erste nahm eine Frau und starb kinderlos, 30auch der zweite, 31und der dritte nahm sie und so weiter. Alle sieben hinterließen keine Kinder und starben. 32Zuletzt starb auch die Frau. 33Die Frau aber, bei der Auferstehung: wessen Frau wird sie? Die sieben haben sie ja zur Frau gehabt.“ 34Da sagte Jesus ihnen: „Die Söhne dieser Welt heiraten und werden verheiratet. 35Die aber gewürdigt werden, jenes Äons und der Auferstehung teilhaftig zu werden, heiraten weder noch werden sie verheiratet. 36Denn sie können nicht sterben, sind sie doch wie die Engel, Söhne Gottes als Söhne der Auferstehung. 37Dass aber die Toten auferweckt werden, hat schon Mose angezeigt, beim Dornbusch, wo er den Herrn ‚Gott Abrahams und Gott Isaaks und Gott Jakobs‘ nennt. 38Gott ist nicht der Toten, sondern der Lebendigen, denn alle werden mit ihm leben.“ 39Einige der Schriftgelehrten antworteten und sagten: „Lehrer, du hast gut gesprochen.“ 40Denn keiner wagte ihn noch etwas zu fragen. Auf eine Frage, die denkbar weit nach außen zielt, ins politische Feld, und sich vor allem in der Gegenwart zu bewähren hat, die Kaisersteuer (20,21–26), folgt bei Lukas – wie in seiner markinischen Vorlage – eine Frage, die denkbar weit nach innen zielt, ins Herz der jüdischen Theologie, und unendlich weit in die Zukunft blickt, bis zum Jüngsten Tag und ins Jenseits. Die Auferstehungshoffnung ist im Judentum selbst strittig – damals wie heute. Lukas wird erzählen, wie Paulus als Anwalt in eigener Sache im Prozess vor dem Hohen Rat, der ihm gemacht werden soll, die Pharisäer und die Sadduzäer gegeneinander aufbringt, weil er behauptet, wegen der Auferstehungshoffnung vor Gericht gezerrt worden zu sein (Apg 23,6). In Jerusalem ist dieser Konflikt angebahnt. Denn die Sadduzäer werden vom Evangelisten sofort als Vertreter einer jüdischen Gruppierung eingeführt, die den Auferstehungsglauben leugnet (V. 27), während die Schriftgelehrten, die später Jesus zustimmen (V. 39), pharisäisch beeinflusst scheinen. Im Kern steht eine doppelte Argumentation Jesu für die Auferstehungshoffnung: mit der Vernunft, die das groteske Gegenbeispiel der Sadduzäer als absurd erweist, und mit der Heiligen Schrift, die indirekt die Hoffnung begründet – auch in der Tora, die von den Sadduzäern anerkannt wird. Der Hinweis ist zwar nur indirekt; aber er ist ebenso von „Mose“ gedeckt wie die rechtliche Regelung, die von den Sadduzäern angeführt wird. Das Streitgespräch folgt dem einfachen Muster eines kritischen Einwandes, der klar zurückgewiesen wird. Das Thema ist vielschichtig. Seine grundlegende Bedeutung wird nicht durch die Frage der Sadduzäer, aber durch die Antwort Jesu aufgedeckt.
164 20,27–33 20,34–38 20,39–40
20,1–21,4 Streitgespräche über die Vollmacht Jesu
Die Frage der Sadduzäer 27 Die Charakterisierung der Sadduzäer 28 Der Verweis auf Mose (Dtn 25,5–6) 29–32 Das Beispiel der Frau und der sieben Brüder 33 Die scheinbar aporetische Frage Die Antwort Jesu 34–36 Die qualitative Differenz zwischen dieser und jener Welt 37 Der Verweis auf Mose (Ex 3,6) 38 Die Schlussfolgerung: Gott der Lebendigen, nicht der Toten Die Reaktionen 39 Das Lob von Schriftgelehrten 40 Schweigen als Respekt vor Jesus
Das Streitgespräch arbeitet den Unterschied zwischen der Verkündigung Jesu und der Überzeugung der Sadduzäer klar heraus: Es gibt keinen Kompromiss, sondern eine Alternative. Lukas hat die Szene im wesentlichen von Markus übernommen. Er hat nur einerseits die Redeanteile etwas eleganter als in seiner Vorlage gestaltet und andererseits den Schluss verändert, insbesondere das Lob der Schriftgelehrten. Markus lässt im Anschluss einen von ihnen auftreten, der positiv angetan ist und Jesus nach dem größten Gebot fragt – und vollkommen mit der Antwort einverstanden ist, die er mit dem Doppelgebot erhält (Mk 12,28–34). Diese Perikope hat Lukas ausgelassen, weil er bereits zuvor das Doppelgebot, zusammen mit dem Samaritergleichnis, platziert hat. Aber durch den Schluss der Auferstehungsperikope macht auch Lukas deutlich, dass es keineswegs eine einheitliche jüdische Abwehrfront gegen Jesus gegeben hat, sondern durchaus viele Gemeinsamkeiten – die freilich weniger als die Konflikte betont werden. Die Sadduzäer, die zu Jesus vortreten (27) (27), gehören zu den führenden jüdischen Religionsgruppierungen der Zeit Jesu (Josephus, De bello Judaico II 163–166; Antiquitates Judaicae XVIII 1,4). Sie sind eng mit den Hohepriestern Jerusalems verbunden, aber nicht mit ihnen identisch. Die Sadduzäer sind theologisch in Jerusalem tonangebend, sehr skeptisch gegenüber der Apokalyptik, mit Vorbehalten gegenüber der Prophetie, fixiert auf die Tora. Mit Realpolitik konnte sich die Gesetzestreue vertragen, zumal wenn in Verhandlungen mit den jeweiligen Regierungen – besonders mit den Römern – die Sicherheit des Tempels und die Autonomie jüdischer Gesetzeskultur gesichert werden konnten. Alle antiken Zeugnisse stimmen darin überein, dass die Sadduzäer den Auferstehungsglauben ablehnen (Apg 23,6). Diesen Punkt bringen sie gegen Jesus vor. Sie erinnern an die Leviratsoder Schwagerehe, (28) die – im Rahmen archaischen Familienrechts –
20,27–40 Die Auferstehung der Toten
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die Nachkommens- und damit auch die Erbschaftsfragen beantworten sollte: dadurch, dass ein Bruder die kinderlose Frau seines verstorbenen Bruders heiratet (Dtn 25,5–6; vgl. Gen 38,8). Diese Institution dient dem sozialen Ausgleich; sie hat mit der eschatologischen Erwartung nichts zu tun, soll aber gegen sie in Stellung gebracht werden. Das bizarre Beispiel der Frau, der nacheinander sieben Brüder sterben, ohne dass ein Kind gezeugt und geboren wird (28–32) (28–32), soll eine Aporie markieren: die Unvernünftigkeit der Auferstehungshoffnung (33) (33). Wie ernst der Einwand, der aus dem Beispiel spricht, wirklich zu nehmen ist, steht dahin. Es wird eher eine populäre Vorstellung karikiert als ein ernsthaftes Argument vorgetragen: Jesus soll provoziert werden. Die Antwort Jesu, die Lukas erzählt, weist die Provokation zurück und entwickelt eine konzise Gegenargumentation. Im ersten Teil (34–36) wird der qualitative Unterschied zwischen der jetzigen und der kommenden Welt festgehalten. Die gegenwärtige Weltzeit („Äon“) ist durch Heirat, durch Geburt und Tod gekennzeichnet – die kommende Welt nicht. Deshalb sind Heirat und Nachkommenschaft wichtige Themen hier und jetzt, aber nicht dann und dort: im Himmel der Vollendung. „Wie die Engel“ zu sein, heißt: an Gottes Ewigkeit teilzuhaben, in seiner Nähe zu sein und Gottes Lob zu singen. Wäre das ewige nur die Verdoppelung oder unendliche Verlängerung des jetzigen Lebens, wäre es kein Grund zu großer Hoffnung. Aber als radikaler Wandel vom Tod zum Leben erfüllt es Gottes vollendetes Reich. Jesus begründet seine These nicht – sie versteht sich von selbst, wenn das ewige Leben Sinn machen soll und findet eine starke Resonanz in der frühjüdischen Endzeiterwartung. Der zweite Teil der Antwort geht in die Tiefe (37) (37). Jesus kann im Disput mit Sadduzäern weder Propheten noch Psalmen anführen, wenn er von den gemeinsamen Voraussetzungen her argumentieren will. Deshalb verweist er auf Mose, also auf die Tora – und zwar auf die (unbestreitbare) Schlüsselstelle der gesamten Bibel Israels: die Offenbarung Gottes am brennenden Dornbusch (Ex 3,6). Jesus verweist allerdings nach allen Synoptikern nicht auf das geheimnisvoll-bedeutsame: „Ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14), sondern auf die vorher erzählte Selbstvorstellung Gottes als Gott der Väter: „Gott Abrahams und Gott Isaaks und Gott Jakobs“ (Ex 3,6). Religionsgeschichtlich ist diese Stelle ein Indiz, wie archaische mit (damals) neueren Gottesvorstellungen verschmelzen: Stammesreligion mit Befreiungstheologie. Kanonhermeneutisch ist das Wort ein starkes Bindeglied zwischen den Patriarchen-Geschichten der Genesis (1. Buch Mose) und dem Exodusbuch (2. Buch Mose). Im Streitgespräch gewinnt Jesus der Offenbarung ein eschatologisches Argument ab: Wenn Gott sich Mose (dem idealen Autor der Tora) als Gott der Väter offenbart, sind sie für ihn, vor ihm und mit ihm nicht tot,
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20,1–21,4 Streitgespräche über die Vollmacht Jesu
sondern in seinem Wort, in seiner Offenbarung, in der Befreiung Israels lebendig. In dieser Perspektive ist Gottes Erscheinung am brennenden Dornbusch, die zur Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus Ägypten führt, ein Hinweis auf die Auferstehungshoffnung. Bei Lukas formuliert Jesus vorsichtiger als bei Markus: Mose weist auf die Totenerweckung hin; er beweist sie nicht. Der Evangelist markiert, dass ein Bedeutungspotential, nicht der Ursprungssinn des Textes erschlossen wird. Die abschließende Sentenz (38) fasst beide Argumente zusammen: Gott wäre ein Totengott, wenn er keine Kraft über die Verstorbenen hätte oder wollte: Er wäre von lauter Tod umgeben. Er ist aber ein Gott der Lebenden, weil er die Toten auferweckt. Der professionelle Respekt, der Jesus von einigen Schriftgelehrten gezollt wird (39) (39), lässt auf deren Sympathien für pharisäische Positionen schließen, die zwar – soweit die Quellen sprechen – nicht mit dem Dornbusch, aber mit anderen Traditionen, vor allem aus der Prophetie, begründet worden sind. Dieser Lichtblick in einer ansonsten düsteren Diskussionslandschaft zeigt Möglichkeiten einer gemeinsamen Hoffnung an, die selbst bei divergierender Christologie nicht verachtet werden dürfen. Freilich geht das Gespräch bei Lukas nicht weiter: Jesus hat, so seine Darstellung, in Jerusalem alle Fragen souverän beantwortet und alle Kritik überzeugend zurückgewiesen. Das Schweigen (40) ist professioneller Respekt – der nach anderen Möglichkeiten sinnt, Jesus mundtot zu machen. Das Spektrum der relevanten Fragen ist noch nicht erschöpft. Aber nun setzt Jesus von sich aus die Themen: Wer ist der Messias (22,41–44)? Was ist Heuchelei (22,45–47)? Wie zeigt sich der Primat der Armen (21,1–4)? Die Auferstehungsfrage hat starke Resonanzen im Lukasevangelium: Sie ist sowohl mit der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu als auch mit seinem eigenen Tod und seiner eigenen Auferstehungshoffnung untrennbar verbunden (9,22; 18,31–33; 22,15–18). Jesus kann, wenn er für die Auferstehung der Toten am Ende aller Tage und für das ewige Leben im „Himmel“ plädiert, seine ureigene Verkündigung in einem Verheißungsraum entfalten, den, mit jüngeren prophetischen und weisheitlichen Traditionen, auch die pharisäischen Stimmen füllen, im Echo der Prophetie Daniels, dass am Jüngsten Tag Gericht gehalten wird und die Toten auferstehen werden, jedenfalls die Gerechten (Dan 12). Jesus verankert diese Hoffnung im Urgrund der Exodusgeschichte Israels – und damit in Gott selbst, dem Befreier. Konsequenter Gottesglaube führt zur Auferstehungshoffnung. Die Auferstehungshoffnung ist mit dem Namen Jesu und seiner Gottesverkündigung verknüpft: Sie ist qualifiziert durch die vollkommene Gemeinschaft mit Gott, die durch die Gemeinschaft mit Jesus vermittelt wird.
20,41–44 Die Messiasfrage
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20,41–44 Die Messiasfrage 41Er sagte aber zu ihnen: „Wie sagen sie, dass der Christus Sohn Davids sei? 42Denn David selbst sagt im Buch der Psalmen: ‚Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setz dich zu meiner Rechten, 43bis ich deine Feinde als Schemel unter deine Füße lege.‘ 44David also nennt ihn: ‚Herr‘. Wie ist er dann sein Sohn?“ Die Reihe der Streitgespräche (20,1–21,4) dreht sich von Anfang an um die Christologie, eingeführt über die Vollmachtsfrage, die durch die Tempelaktion ausgelöst wird (20,1–8), fortgesetzt durch das Winzergleichnis, das den „geliebten Sohn“ mit dem „Eckstein“ verbindet (20,9– 20). Nachdem Jesus die Gegner bei Lukas schachmatt gesetzt hat, greift er jetzt selbst das Thema auf und führt die entscheidende Klärung herbei: Der Davidssohn ist Gottes Sohn – erklärt der Messias. Der Form nach ist die Perikope wie ein kurzes Schulgespräch aufgebaut; allerdings kommen die Schüler nicht direkt, sondern nur indirekt zu Wort. 20,41 20,42–44
Die Position von Schriftgelehrten Die Gegenposition Jesu 42–43 Das Argument: Ps 110,1 44 Die Schlussfolgerung
Lukas folgt ziemlich genau seiner markinischen Vorlage, sowohl im Wortlaut als auch im Kontext. Die entscheidende Interpretationsfrage lautet, ob Jesus sich im Lukasevangelium von der Erwartung eines messianischen Davidssohnes distanziert, oder ob er die Davidssohnschaft christologisch einordnet. Die grundlegende Bedeutung der Davidssohnschaft, die bereits mit dem Weihnachtsevangelium klar wird (2,11; vgl. 1,32), lässt bei Lukas keinen Zweifel zu, dass die zweite Möglichkeit vorzuziehen ist: Der Verweis auf Psalm 110 reißt die jüdischen Wurzeln der Christologie nicht aus, sondern zeigt, wie tief sie reichen und wie viel neues Leben sie hervorbringen. Die Ausgangsfrage, die Jesus stellt (41) (41), greift ein starkes theologisches Motiv auf, das in den eschatologischen Hoffnungstraditionen Israels aufleuchtet und auch der pharisäischen Bewegung wichtig ist (Psalmen Salomos 17 u. ö.). Auch im Lukasevangelium ist es stark: dort, wo Kranke ihre Hoffnung auf Heilung zum Ausdruck bringen (18,18–39) und damit die Weihnachtsbotschaft (2,11) auf ihr Leben beziehen. Bei Lukas redet Jesus das Volk an, das in der gesamten Zeit aufmerksam ist, und spricht
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20,1–21,4 Streitgespräche über die Vollmacht Jesu
über die Messiaserwartung der Schriftgelehrten (20,39), mit denen er die Hoffnung auf die endzeitliche Auferstehung der Toten teilt. An diese Gemeinsamkeit knüpft er an, um nun die Folgefrage zu beantworten, in welchem messianischen Horizont die Auferstehungshoffnung wahr werden kann. Hier wird die Davidssohnschaft, die gemeinsam vorausgesetzt wird, zur Frage. Die Fragepartikel lautet: „Wie“. Zwar wird oft mit „Wieso“, oder: „Warum?“ übersetzt, so als ob Jesus sich distanzieren wollte; die Einheitsübersetzung paraphrasiert sogar: „Wie kann man behaupten, dass …“, als ob es sich um eine unmögliche Feststellung handele. Aber Jesus greift bei Lukas eine Zustimmung von Schriftgelehrten auf und regt einen Differenzierungsprozess an. Das „Wie“ ist ernst zu nehmen: Jesus fragt nach dem genauen Verständnis der messianischen Davidssohnschaft. Er gibt selbst eine Antwort, der die Schriftgelehrten, wenn sie konsequent sind, zustimmen müssten (42–43) (42–43). Er leitet sie aus Ps 110,1 ab, einem der im Neuen Testament am häufigsten zitierten Verse (Mt 22,64; Mk 12,36; Apg 2,34–45; 1Kor 15,25; Hebr 1,3.13 u. ö.). Der Psalm ist als Lied Davids überliefert; so zitiert ihn auch Jesus in den synoptischen Evangelien. Er handelt von der Einsetzung eines endzeitlichen Königs auf dem Zion, der zugleich Priester und Richter ist. Deshalb ist er einschlägig – für das Urchristentum vor allem mit Blick auf die Auferstehung und Erhöhung Jesu; hier wird die Frage geklärt, auf wen zu hoffen ist. Im Psalmwort zitiert David aus einem Dialog zwischen Gott (kýrios, mit direktem Artikel) und seinem, Davids, „Herrn“ (kýrios, mit Possessivpronomen). Gott (der Vater) weist dem Kyrios Davids den Platz zu seiner Rechten an: in Throngemeinschaft mit ihm, die eine Herrschaft in Gottes Allmacht ermöglicht, und er bewahrheitet diese Platzierung dadurch, dass er ihm all seine „Feinde“ zu Füßen legt, auf die er dann seinen Fuß stützen kann. Der Psalm zeichnet ein Bild triumphaler Herrschaft, das in der Antike literarisch oft beschrieben und künstlerisch oft festgehalten wird. Die „Feinde“, von denen Jesus mit dem Psalm spricht, sind nicht seine irdischen Gegner; denn der Horizont ist eschatologisch geweitet. Die wahren „Feinde“ sind Sünde und Tod. Beides passt zur voranstehenden Auferstehungsdebatte. Nach dem zitierten Wort gibt der Herrgott dem Kyrios Davids Anteil an seiner kosmischen Herrschaft, solange die Zeit währt, d. h. bis zur Vollendung des Reiches Gottes, wenn der Tod in der allgemeinen Auferstehung (20,27–40) endgültig besiegt sein wird. David redet als Prophet, der für Lukas in die Zukunft der Auferstehung Jesu schaut und den gesamten Zeitraum bis zur Vollendung des Reiches Gottes erfasst. Das Augenmerk liegt allerdings nicht auf der Teilhabe des Erhöhten an Gottes Allmacht, sondern auf der Beziehung Davids zu ihm. Dies
20,45–47 Die Warnung der Jünger vor Heuchelei
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wird durch die Schlussfolgerung deutlich, die Jesus zieht (44) (44). Dass David den, der von Gott erhöht wird, „Herr“ nennt, zeigt, dass er sich ihm unterordnet: Der Kyrios zur Rechten des Vaters ist der messianische König im Himmel. Deshalb kann er nicht dergestalt „Sohn“ Davids sein, dass er – genealogisch – von ihm abhinge und kraft biologischer Zeugung in einer ununterbrochenen Generationenkette zum Messias würde. Vielmehr ist der Erhöhte, wie unausgesprochen deutlich wird, Gottes Sohn. Die Gottessohnschaft verneint aber nicht die Davidssohnschaft, sondern füllt sie aus: Der Stammbaum Jesu hält bei Lukas diese Dimensionen offen (3,31). So erklärt sich das aus V. 41 aufgenommene Fragewort: „Wie“: Der erhoffte Davidssohn ist der messianische Sohn Gottes; der Sohn Gottes wird Mensch als Sohn Davids (vgl. Röm 1,3–4). Jesus, der messianische Lehrer, der in Gottes Vollmacht spricht, macht bei Lukas, der Markus folgt, auch sich selbst zum Thema. So wie er sich im Winzergleichnis indirekt als Sohn Gottes vorgestellt hat (20,9–20), so auch in seiner Exegese von Ps 110. Typisch sind Form und Inhalt: Es gibt keine lukanische Christologie ohne die Bibel Israels; es gibt auch kein Bekenntnis zum Gottessohn ohne die Bejahung der messianischen Davidssohnschaft (vgl. Apg 2,22– 36). Gemeinsam ist die Theozentrik: Gott selbst ist Ausgangs-, Ziel- und Mittelpunkt. Ihm, dem Vater, antwortet der Sohn – in seinem Leben in seinem Sterben und in seiner Auferstehung, um Gottes Heilswillen zu verwirklichen. Die historische Rückfrage ist strittig. Ein Jesus ohne Psalmen, ohne Messiashoffnung, ohne Auferstehungs- und Erhöhungserwartung und ohne eschatologisches Gottvertrauen ist unhistorisch. Die nachösterliche Überlieferung hat diese Bezüge zusammengebunden und kenntlich gemacht. 20,45–47 Die Warnung der Jünger vor Heuchelei 45Als aber alles Volk zuhörte, sagte er seinen Jüngern: „46Hütet euch vor den Schriftgelehrten, die in Talaren umhergehen wollen und es lieben, auf den Marktplätzen gegrüßt zu werden und die ersten Sitze in den Synagogen und die ersten Plätze bei den Gastmählern einzunehmen. 47Sie essen die Häuser der Witwen auf und beten zum Schein lange. Die werden ein härteres Gericht erfahren.“ Auf die Klärung des Messiasfrage, die der Christologie in den Streitgesprächen ihren höchsten Ausdruck verleiht (20,41–44), folgt ein Doppelstück, das den Jüngern zuerst ein negatives, dann ein positives Beispiel (21,1–4) vor Augen führt. Das Kontrastbild liefern Schrift-
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20,1–21,4 Streitgespräche über die Vollmacht Jesu
gelehrte, die ihr gutes Image missbrauchen, um sich selbst zu erhöhen, und die Frömmigkeit zum Machtmittel machen, das sie in der Ausbeutung der Witwen ausnutzen. Von einer Pauschalkritik ist Lukas weit entfernt, auch wenn sich in späterer Zeit Antijudaisten und Antisemiten mit den überlieferten Worten zu munitionieren versucht haben. Der Blick fällt vielmehr auf die Jünger: Sie stehen in Versuchung (9,46–48); sie müssen und können sie bestehen. Die Einfachheit des Aufbaus spiegelt die Entschiedenheit der Kritik Jesu. 20,45 20,46–47
Die Redesituation Die Warnung Jesu 46 Die heuchlerische Frömmigkeit 47a Die ausbeuterische Praxis 47b Das härtere Gericht
Lukas folgt weitestgehend Markus (12,37b–40), in der Komposition, aber auch im Wortlaut. Nur den Auftakt hat er umgeschrieben; dadurch ändert sich auch die Zielrichtung: von einer allgemeinen Kritik der Schriftgelehrten zu einer Warnung der Jünger, die Jesus vor aller Ohren ausspricht. In der Situationsschilderung (45) greift Lukas frühere Hinweise auf die öffentliche Lehre (19,47; 20,1.9; vgl. 21,37–38) und die große Zustimmung Jesu beim Volk auf (19,48; 20,19). Allerdings richtet er jetzt den Blick auf das Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern, die seit dem Einzug (19,29–40) nicht mehr erwähnt worden waren, aber offenbar die gesamte Zeit im Hintergrund präsent gewesen sind. Die Warnung ist eine Mahnung zur Vorsicht (46) (46). Die Jünger sollen nicht so werden, wie sie es bei – nicht allen, aber doch einigen – Schriftgelehrten beobachten können: dass sie Religion als Show verstehen und unter dem Mantel der Frömmigkeit Habgier verbergen. Jesus redet – nach der Tempelaktion (19,46) erneut – wie ein alttestamentlicher Gerichtsprophet, nicht anders als andere jüdische Kritiker seiner Zeit (vgl. Assumptio Mosis 7,6). Jesus geht es bei Lukas aber nicht darum, die Schlechtigkeit vieler seiner Gegner zu demaskieren, sondern seine Jünger auf die Gefahr hinzuweisen, ihre Stellung, die sie durch die Nachfolge innehaben, zu missbrauchen. Die „Talare“ (stolaí) sind besondere Gewänder, die den professionellen, hoch anerkannten Status der Gelehrten ausdrücken; besonders gerne werden sie am Sabbat getragen. Viele Ehrenbezeugungen – in der Öffentlichkeit, in den religiösen und den privaten Häusern – sind ihnen gewiss, weil sie sich hoher Ehren erfreuen können. Die Versuchung besteht darin, die Schriftgelehrsamkeit um dieses Prestiges willen zu pflegen; dann wird alles verdorben.
21,1–4 Das Opfer der Witwe
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Die Fortsetzung (47a) zeigt, wie drastisch Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen können, wie korrupt Heuchelei ist und wie fatal die unkritische Anerkennung formaler Autorität sein kann, gerade wenn sie religiös codiert ist. Die „Witwen“ gehören zu den am meisten schützenswerten Personen (vgl. Dtn 10,18 u. ö.), weil sie rechtlich schwach und sozial untergeordnet sind, also der besonderen Fürsorge bedürfen (vgl. Apg 6,1–6), aber auch leicht zum Opfer von Mächtigen werden können. Dass sie „Häuser“ haben, weist sie nicht unbedingt als Mitglieder einer Oberschicht aus, sondern lässt zahlreiche Möglichkeiten erkennen, ihnen zu schaden: Ihnen wird der Besitz, das Wohnrecht oder das Erbe streitig gemacht; sie werden mit überhöhten Gebühren für Rechtsbeistand überzogen oder, mit mehr oder weniger sanftem Druck, zu überhöhten Spenden überredet. Diesem desaströsen Sozialverhalten entspricht eine fatale Frömmigkeit: zwar lange zu beten, aber nur zum Schein, damit andere es sehen und ihnen jene soziale Anerkennung erweisen, nach der sie gieren. Die Folgen für die Heuchler werden drastisch sein (47b) (47b), vielleicht nicht schon zu Lebzeiten auf Erden, aber sicher in Gottes Gericht. Ob man gleich von ewiger Verdammung sprechen muss, steht dahin. Aber Gottes Urteil ist gerecht, auch seine Strafe. Alles andere wäre zynisch. Die Warnung vor heuchlerischen Schriftgelehrten ist eine Warnung an die Jünger. Sie sollen an abschreckenden Beispielen, die auch im Judentum hart kritisiert worden sind, ihre eigene Gefährdung erkennen: um sie zu bestehen. Die Nähe zu Jesus verschafft zwar viel Widerspruch, aber auch viel Anerkennung, wie Jesus sie gerade im Volk erfährt. Desto wichtiger ist es, authentisch zu sein: Reden und Tun, Beten und Verhalten, Religion und Ethos gehören untrennbar zusammen. Bei denen, die aus dem „Haus des Gebetes“ eine „Räuberhöhle“ machen (19,45– 48), ist dies ebenso wenig der Fall wie bei denen, die aus taktischen Gründen sich der Glaubensfrage verweigern (20,1–8) und, anstatt eine faire Auseinandersetzung zu führen, einen Gegner ausspionieren lassen (20,19–20). Den Jüngern hat Jesus die Warnung ins Stammbuch geschrieben: Ob Lukas wusste, wie aktuell sie werden würde, bleibt offen. Dass über die markinische Traditionslinie eine originär jesuanische Intention gestaltet wird, lässt sich schwer bestreiten. 21,1–4 Das Opfer der Witwe 1Als er aufschaute, sah er die Reichen, die ihre Gaben in den Schatzkasten legten. 2Er sah auch eine Witwe, die dort zwei Lepta einlegte, 3und sagte: „Wahrhaftig, ich sage euch: Diese Witwe hat mehr als alle eingelegt; 4denn diese alle haben aus ihrem Überfluss eingelegt, sie aber hat aus ihrem Mangel eingelegt: alles, was sie zum Leben hatte.“
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20,1–21,4 Streitgespräche über die Vollmacht Jesu
Während gerade noch Witwen als potentielle Opfer Thema waren, die geschützt werden müssen (20,47), ist jetzt eine Witwe das große Vorbild (vgl. 18,1–8), das Jesus an den Schluss seiner Jerusalemer Streitgespräche stellt. Lukas hat einen starken Sinn für starke Frauen, die Jesus unterstützen: ob es sich um die Sünderin handelt, die ihn salbt (7,35–50) oder um seine Mäzenatinnen, die seine Missionswanderschaft unterstützen (8,1–3), ob um Martha oder um Maria (10,38–42), ob später um Maria Magdalena und andere Frauen, die am Ostermorgen die Auferstehungsbotschaft hören (24,1–12). Die Witwe gehört in diese Reihe, auch wenn sie bettelarm ist. Sie stellt alle in den Schatten, die durch Spenden Gutes tun wollen. Die kurze Perikope ist so aufgebaut, dass eine Beobachtung, die Jesus macht, zu einer Schlussfolgerung führt, die überraschend sein mag, aber (nicht nur) bei Lukas für Jesus typisch ist. 21,1–2 21,3–4
Die Beobachtung Jesu 1 Die Gaben von Reichen 2 Die Gabe der Witwe Die Schlussfolgerung Jesu 3 Das Urteil Jesu 4 Die Begründung des Urteils
Lukas arbeitet mit der markinischen Vorlage (Mk 12,41–44), die er an ihrer Stelle direkt vor der Endzeitrede gelassen hat (21,5–32); da die sich mit der kommenden Tempelzerstörung befasst, ist eine Verbindung gegeben. Schauplatz ist der innere Vorhof der Frauen, den man vom Vorhof der Heiden aus einsehen kann. Dort standen zwölf posaunenförmige Geldbehälter für Abgaben und ein weiterer Opferstock für Spenden (Josephus, De bello Judaico 5,200; Antiquitates Judaicae 9,163). Der Tempel barg eine der reichsten Schatzkammern der Antike (Josephus, De bello Judaico 6,282). Jesus beobachtet die Szene. Zuerst sieht er viele Reiche, die viel geben (1) (1), ohne dass die Höhe der Beträge wichtig wäre. Die „Gaben“ sind Opfer: nicht Steuern, sondern Spenden, die vor allem für den Kult, aber auch für den Unterhalt des Tempels verwendet wurden. Zu denen, die spenden, gehört auch eine arme Witwe (2) (2). Sie legt gleichfalls, Geld in den Opferstock ein, und zwar „zwei Lepta“, die kleinsten Münzen überhaupt (vgl. 12,59). Markus rechnet um: Ein Quadrans ist ein Viertel As (Mk 12,42); nach Matthäus ist ein As der Gegenwert für einen Sperling, nach Lukas bekommt man für zwei Asse fünf Spatzen (12,6 par. Mt 10,29). In der Erzählung kommt es darauf an, dass die Spende sehr klein ist, dass es aber doch zwei Lepta sind, die Witwe also nicht eine Münze für sich be-
21,5–38 Die Endzeitrede
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hält, sondern alles spendet, „was sie zum Leben hat“ (V. 4), ihren ganzen Lebensunterhalt. Sie gibt sich selbst. Sie steht damit an der Seite von Hanna, die als Prophetin im Tempel lebt und im Jesuskind den Erlöser Israels erkennt (2,36–38). Der Tempel ist nach Gottes Willen ein „Haus des Gebetes“ (19,46: Jes 56,7); die Witwe trägt auf ihre Weise dazu bei, dass diese Bestimmung ernstgenommen wird. Jesus erkennt, was die Gabe bedeutet (3–4) (3–4). Er macht klar, dass vor Gott nicht der materielle Wert, sondern der persönliche Einsatz zählt. Guter Umgang mit Geld wird von Jesus nicht schlechtgeredet (vgl. 16,9–13). Aber eine Finanzethik wird nur dann gelingen, wenn die Werteskala Gottes klar vor Augen steht. Jesus unterstützt die Frau. Sein Lob entspricht der Seligpreisung der Armen (6,20). Kritik an einer Frau zu üben, die alles, was sie besitzt, dem Tempel spendet, liegt Jesus nach dem Lukasevangelium fern, auch wenn bis in die jüngste Zeit hinein die Sinnlosigkeit des Opfers behauptet wird, da der Tempel doch zerstört werden wird. Jesus kommt es auf die Ungeteiltheit der Gottesliebe an, die sich in der Spende ausdrückt. Ihr Wert bemisst sich nicht nach dem irdischen Tauschwert; für Gott zählt die Einstellung. Er ist auf menschliche Abgaben nicht angewiesen, schon gar nicht auf finanzielle. Für ihn zählen die Menschen. Wer sich ihm anvertraut, wird nicht enttäuscht. Die Witwe tritt nicht in die Jesusnachfolge ein; sie ist den Jüngern, die mit der Versuchung der Nachfolge kämpfen müssen (20,45–47), weit voraus. 21,5–38 Die Endzeitrede Die Reihe der Streitgespräche, die um den prophetischen Anspruch Jesu als messianischer Gottessohn kreisen, endet mit dem Lob einer armen Witwe, die alles, was sie hat, dem Tempel spendet, um ihrer Gottesliebe Ausdruck zu verleihen (21,1–4). An diese Szene knüpft die Fortsetzung an, die das ernste Thema der kommenden Zerstörung Jerusalems und des Tempels aufgreift. Jesus sieht die Katastrophe voraus und trauert im Vorhinein mit den leidenden Juden (19,41–44). Aber seine Warnungen, weiß er als Prophet, werden nicht fruchten; deshalb wird es so kommen, wie er es befürchtet. Wichtig ist allerdings, wie dieses Geschehen, wenn es eintritt, gedeutet wird und dass Wege aufgezeigt werden, in der Krise nicht zuschanden zu gehen, sondern einen Ausweg zu finden. Dies ist das Leitthema der Endzeitrede (21,5–38). Nach Lukas hat Jesus bereits geklärt, dass nicht Triumphgefühle ob der Richtigkeit seiner Warnungen oder Rachegefühle ob des Schmerzes seiner Passion leitend sein sol-
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19,29–24,53 Jesus in Jerusalem
len, sondern Mitgefühl mit den Opfern angebracht ist (19,41–44; vgl. 23,28–30). Deshalb richtet sich die Aufmerksamkeit nun darauf, dass die Zerstörung in eine ganze Kette von Unglücken gehört, von denen auch die Jesusgläubigen betroffen sein werden, ohne dass sie zugrunde gehen müssten. Im Lukasevangelium ist es bereits die zweite Rede, die Jesus dem Thema der Endzeit widmet. In der ersten Rede (17,22–37), in der sich Lukas an der Redenquelle orientiert, hat er sich den unmittelbaren Endereignissen zugewendet und im Vergleich mit der Sintflut wie der Sodom-und- Gomorrha-Geschichte zur Wachsamkeit gerufen, den entscheidenden Moment nicht zu verpassen. In dieser zweiten Rede, zu der es eine Parallele in Mk 13 gibt, warnt er davor, das Ende der Welt zu schnell nahen zu sehen. Die Aufmerksamkeit liegt auf der Warnung vor Weltuntergangspropheten und auf der Notwendigkeit, aber auch der Möglichkeit, im allgemeinen Chaos ebenso klug und realistisch wie hoffnungsvoll zu sein. Die Rede ist recht komplex gegliedert, weil viele Aspekte – alle hoch relevant für die Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsdiagnose und Zukunftsbewältigung – angesprochen werden. 21,5–6 21,7–9 21,10–19 21,20–24 21,25–28 21,29–36 21,37–38
Die Ankündigung der Tempelzerstörung Die Frage nach dem Zeitpunkt und die Antwort Jesu Der Anfang der Not Die Zerstörung der Stadt Das Kommen des Menschensohnes Die Notwendigkeit der Wachsamkeit Ein letztes Summarium des Lehrens Jesu
Der Auftakt (Vv. 5–6) setzt den Ton. Die anschließende Frage nach dem genauen Zeitpunkt und den Vorzeichen (V. 7) wird von Jesus nicht direkt, aber indirekt beantwortet. Eine direkte Antwort würde eine Kalenderlogik in die eschatologische Hoffnung eintragen, die der Größe der Verheißung widerspricht. Aber Jesus weicht der Frage nicht aus, sondern schärft den Blick. Im ersten Schritt (Vv. 8–9) warnt er vor falschen Propheten. In einem zweiten Schritt (Vv. 10–19) öffnet er die Augen sowohl für Natur- und Kulturkatastrophen, unter denen sehr viele Menschen leiden müssen, als auch speziell für religiös motivierte Verfolgungen, derer die Jünger Jesu gewärtig sein müssen. Der dritte Schritt führt dann gedanklich zu den Trümmern der zerstörten Stadt und zur entsetzlichen Not, die Menschen leiden müssen (Vv. 20–24). Es fehlen Terminangaben und spezifische Vorzeichen, weil es sich um einen dramatischen Prozess handelt, in dem nicht das eine Leid gegen das andere ausgespielt werden kann, sondern ein Unheilskomplex entsteht, der allerdings kein kosmi-
21,5–6 Die Ankündigung der Tempelzerstörung
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sches Inferno auslöst, sondern wider allen Augenschein doch Hoffnung ermöglicht: auf Gott, den Erlöser (V. 28). Diese Heilsperspektive öffnet sich im nächsten Schritt, da der apokalyptische Weltuntergang den Auftritt des Menschensohnes einleitet, der als Retter erscheinen wird (Vv. 25–28). Ein weiterer Gedankenschritt schließt die Rede ab: Wachsamkeit ist angezeigt, in der sich Aufmerksamkeit mit Sensibilität und Nüchternheit mit Entschlossenheit zum Handeln paaren. Den Abschluss bildet ein Summarium, das nicht mehr zur Rede im engeren Sinn gehört, sondern die überlieferten Teile als beispielhaft ausweist und dadurch indirekt auch klärt, wie dicht der gesamte Zeitraum vor der Passion mit der Lehre Jesu gefüllt ist (21,37–38). In der Komposition der Rede folgt Lukas zwar im wesentlichen seiner Vorlage in Mk 13, weicht aber an einer ganzen Reihe von Stellen stark von ihr ab, sowohl im Aufbau als auch im Wortlaut. Ob es reicht, mit redaktioneller Bearbeitung der Vorlage zu rechnen, ist fraglich. Wahrscheinlich hat er – wie vorher schon (17,22–37) – Zugang zu alternativen Traditionen, die er mit der Markusvorlage mischt. 21,5–6 Die Ankündigung der Tempelzerstörung 5Und als einige über den Tempel sagten, dass er mit schönen Steinen und Weihegaben geschmückt sei, sagte er: „6Das, was ihr seht – Tage werden kommen, an denen kein Stein auf dem anderen bleibt; alles wird niedergerissen.“ Der Tempel von Jerusalem gehört zu den prächtigsten Gebäuden der Antike. Philo von Alexandrien rühmt das Jerusalemer Heiligtum als den „berühmtesten und bedeutendsten Tempel, … der nach allen Seiten sonnengleich leuchtet und die Blicke von Ost und West auf sich zieht“ (Legatio ad Gaium 191). Freilich steht diese Pracht, die unter König Herodes in einem gigantischen Renovierungsprojekt gerade erst hergestellt werden sollte, in einem denkbar harten Kontrast zum Elend der Tempelzerstörung, das Josephus genau beschrieben und gleichzeitig bitter beklagt hat. Er fängt das Chaos ein, nachdem Feuer ausgebrochen war: „Weder Ermahnung noch Drohung hielt die Angriffe der hereinbrechenden Legionen auf, sondern die Wut führte bei allen den Oberbefehl“ (De bello Judaico 6,256–257). Die Eröffnungsszene der Endzeitrede greift diesen harten Gegensatz auf. 21,5 21,6
Das Staunen über den Tempel Die Ansage der Zerstörung
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21,5–38 Die Endzeitrede
Bei Markus ist es einer der Jünger, der Jesus beim Verlassen des Geländes auf die Pracht des Gebäudes aufmerksam macht und dann die Prophetie der kommenden Zerstörung hört (Mk 13,1–2). Bei Lukas hingegen handelt es sich um die Fortsetzung der Volksbelehrung, allerdings mit einem tiefen thematischen und literarischen Einschnitt. Der Tempel bleibt das Thema, aber nicht mehr unter dem Aspekt, was Jesus in ihm macht (19,45–48), sondern unter dem Aspekt, was aus ihm wird, nachdem die Hohepriester ihn zu einer „Räuberhöhle“ (19,46: Jer 7,11) haben verkommen lassen. Es wird kein weiteres Streitgespräch geführt, sondern ein Lehrgespräch, wie es nur der Prophet Jesus führen kann. Das Staunen (5) ist mehr als nachvollziehbar. Die Steine sind edel und kostbar; sie durften nur von Priestern verbaut werden. Die Weihegaben bezeugen die Attraktivität des Tempels als Pilgerstätte und als Ort, an dem Gebete gesprochen werden und erhört worden sind. Diejenigen, die ihr Augenmerk auf diesen Glanz richten, schließen vom Äußeren auf das Innere. Diese Schlussfolgerung ist verständlich, aber kurzsichtig. Denn die Pracht kann auch die Verkleidung der „Räuberhöhle“ sein – und ist es nach Jesus. Daraus folgt nicht im Umkehrschluss, dass das „Haus des Gebetes“ nicht schön und edel sein dürfte. Aber es folgt, dass zwischen Außen und Innen klar unterschieden werden muss. Äußerer Glanz kann mit innerem Elend einhergehen, äußere Armut mit innerem Reichtum. Zerstörte Gebäude bedeuten nicht theologische Leere, prächtige Bauwerke nicht religiöse Fülle. Jesus prophezeit (6) den Untergang, einschließlich des Niederreißens der Tempelmauern – zu dem es im Jahr 70 n. Chr. schließlich gekommen ist. Mit seiner Vorhersage will er nicht nur die Bewunderer des Tempels desillusionieren. Er klärt, nach seiner Tempelaktion (19,45–48), indirekt auch, dass die Zerstörung des Gebäudes zwar ein Desaster ist, nicht zuletzt wegen des menschlichen Leids, das mit ihr verbunden ist (19,41–44; 23,28–31), aber nicht das Ende des Gotteshauses bedeutet: Es kann neue Formen und Orte geben, in und an denen Jerusalem auflebt. Wie viele andere Perikopen, die im Umkreis der Passion Jesu und der Tempelzerstörung angesiedelt sind, muss auch die überlieferte Prophetie Jesu durch genaue Exegese aus dem Fahrwasser einer antijüdischen Exegese gezogen worden. Jesus freut sich bei Lukas nicht, dass er einen vielleicht etwas naiven Bewunderer eines Besseren belehren kann, sondern öffnet die Augen für das, was kommen wird: damit Konsequenzen gezogen werden können. In der folgenden Rede werden sie deutlich. Die historische Rückfrage kann sich nicht an Einzelzügen aufhängen, sondern muss sich auf das Gesamt der Rede richten. Sie ist si-
21,7–9 Die Zurückweisung der Frage nach Zeiten und Zeichen
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cher kein Wortprotokoll, sondern zur Gänze literarisch gestaltet, schon vor und durch Markus, dann neu durch Lukas, der nicht nur die markinische Vorlage verwendet zu haben scheint. Die Breite der Überlieferung zeigt an: Die „letzten Dinge“ sind ein großes Thema für die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu, aber nicht im Sinne einer Naherwartung die Zeiten und Fristen berechnen wollte, sondern einer Zeitdiagnose, die im Horizont des Gottesreiches sensibel und resilient werden lässt, empathisch und solidarisch. 21,7–9 Die Zurückweisung der Frage nach Zeiten und Zeichen 7Da fragten ihn einige und sagten: „Lehrer, wann wird das sein? Und was ist das Zeichen, wenn dies geschieht?“ 8Er antwortete: „Schaut, lasst euch nicht täuschen. Denn viele werden in meinem Namen kommen und sagen: ‚Ich bin es‘, und: ‚Die Zeit ist gekommen.‘ Lauft ihnen nicht nach. 9Wenn ihr aber von Kriegen und Aufständen hört: Lasst euch nicht erschrecken; denn dies muss zuerst geschehen, aber das Ende kommt nicht so schnell.“ Die erschütternde Prophetie Jesu, dass der Tempel zerstört werden wird, löst bei vielen eine bange Frage aus. Sie zielt in erster Linie auf den genauen Zeitpunkt. Es wird nicht in Frage gestellt, dass Jesus mit seiner düsteren Prognose Recht hat. Das Interesse richtet sich auch nicht darauf, wie man die Katastrophe – mit Gottes Hilfe – vielleicht doch noch vermeiden kann. Die an Jesus gerichtete Frage zielt darauf, wie man dem unausweichlichen Untergang entgehen kann; wenn man sich auf die Zeit und auf die Vorzeichen einzustellen in der Lage ist, sollte dies einfacher sein. Diese Erwartung rückt Jesus allerdings gerade. Die Lage ist komplex, die Entwicklung dramatisch; es gilt, sich nicht irremachen zu lassen, weil Menschen meinen, die Antwort zu wissen – die aber immer wieder falsch sein wird. Den ersten Schritt der Endzeitrede geht Jesus, indem er Klarheit über diejenigen schafft, die Unklarheit verbreiten werden, weil sie scheinbar eindeutige Botschaften aussenden. Er weist die Naherwartung zurück. 21,7 21,8–9
Die Frage nach dem Zeitpunkt und den Vorzeichen Die Warnung Jesu als erste Antwort 8 Die Warnung vor Pseudo-Messiassen 9 Die Kritik der Naherwartung
Bei Markus belehrt Jesus die erstberufenen vier Jünger (13,3–4). Bei Lukas setzt sich die öffentliche Lehre Jesu fort, der – idealtypisch – das
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21,5–38 Die Endzeitrede
ganze Volk zuhört. Alle nehmen an den Einsichten und Warnungen Jesu teil, niemand wird ausgeschlossen, alle müssen sich ihr eigenes Urteil bilden. Die Frage (7) setzt voraus, dass die Ankündigung der Tempelzerstörung nicht ungehört verhallt ist. Sie löst tiefes Erschrecken aus. Dass Jesus die Wahrheit sagt, wird nicht bestritten; der tiefe Eindruck, den seine bisherige Lehre gemacht hat (19,48 u. ö.), wirkt nach, einschließlich der Partei, die er für die Armen und gegen die Heuchler ergriffen hat (20,45– 21,4). Ihm, dem Propheten, möchte man gerne zutrauen, noch mehr zu verraten – was zwar den Untergang nicht verhindern mag, aber doch eine persönliche Hilfe sein soll: Es wird gefragt, ob man sich gut vorbereiten kann, wieviel Zeit noch bleibt und wann man sich auf das Schlimmste einstellen muss. Es wäre falsch, Egoismus aus der Frage herauszuhören. Sie erklärt sich aus einer Mischung von Angst und Sorge, von blindem Vertrauen und frommer Neugier. Jesus antwortet, indem er aufdeckt, dass die Voraussetzungen der Frage falsch sind. Es gibt keinen Zeitautomaten – und deshalb auch keine Zeichen, die eindeutig wären (vgl. 17,20–21); es sind vielmehr die Alltagskatastrophen, die alle Aufmerksamkeit fordern, aber auch allen Mut. Im ersten Schritt (8) spricht Jesus eine ernste Warnung aus. Es wird Gestalten geben, die sich eine Antwort zutrauen und sie mit Berufung auf Jesus auch verbreiten werden. Sie identifizieren sich mit ihm: nicht Ausdruck einer psychischen Störung, sondern enthusiastischen Überschwanges. Sie kopieren auch die Botschaft Jesu von der Nähe des Reiches Gottes (vgl. 10,9.11), verdrehen sie aber, weil sie den eschatologischen Vorbehalt auflösen und bereits hier und jetzt das Weltende gekommen sehen. Josephus erzählt, dass es im Judentum nicht wenige solcher Propheten gegeben hat (De bello Judaico 5,51–53.288–309); nach der Apostelgeschichte hat der berühmte Gelehrte Gamaliël an einen dieser Unruhegeister erinnert (vgl. Apg 5,36–37). In den synoptischen Evangelien kommt die christologische Variante zur Sprache: Jesus selbst soll aus den Wirren der Zeit das Ende der Welt abgeleitet haben. Jesus warnt aber vor diesen Irrläufern. Er ist der wahre Prophet, der den Kairos des Glaubens erkennt (12,56) und deshalb sowohl seine messianische Identität wahrt, die von den Pseudopropheten verletzt wird, als auch die Zeitgenossen warnt, keiner Endzeitstimmung zu erliegen, sondern ein besseres Zeitgefühl zu gewinnen. Die Fortsetzung (9) weitet den Blick: Nicht nur Fehlprognosen, auch reale Krisen können Angst und Schrecken verbreiten: schon an sich, aber noch mehr, wenn es absolut keinen Ausweg mehr zu geben scheint. Jesus macht nicht billig Mut, wo Grund zur Beunruhigung besteht und schweres Leid entsteht. Er unterscheidet aber zwischen einer irdischen
21,7–9 Die Zurückweisung der Frage nach Zeiten und Zeichen
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Katastrophe und dem Ende der Welt. Dadurch schafft er Raum: für Realismus und Hoffnung, für Empathie und Solidarität. Panik lähmt, Wissen hilft: Die Zeit läuft weiter, nicht ewig, aber ungleich länger, als die Weltuntergangspropheten glauben machen wollen. Jesus dämpft die Naherwartung. Zur Zeit des Lukas ist sie nicht vorbei; sie lebt vielmehr (immer wieder) wellenförmig auf. Er deckt durch seine Kritik falscher Christusfiguren auf, wie übergriffig es ist, im Namen Gottes das Ende der Welt ausrufen zu wollen, so hart Menschen leiden müssen. Jesus selbst begibt sich in die Zeit hinein, auch in das Leid, in die Kriege und Katastrophen dieser Welt. So schafft er die Verbindung mit Gott, die endgültig unterbrochen zu sein scheint. 21,10–19 Die Not in der Welt 10Dann sagte er ihnen: „Es wird Volk gegen Volk aufstehen und Königtum gegen Königtum, 11schwere Erdbeben und Hungersnöte von Ort zu Ort und Seuchen wird es geben, Schreckliches, und vom Himmel werden große Zeichen kommen. 12Aber bevor dies alles geschieht, werden sie Hand an euch legen und euch verfolgen, euch an Synagogen und Gefängnisse ausliefern und vor Könige und Herrscher führen um meines Namens willen. 13Es wird passieren, dass ihr Zeugnis ablegt. 14Nehmt euch zu Herzen, euch nicht vorher zu verteidigen. 15Denn ich werde euch Stimme und Weisheit geben, der all eure Widersacher nicht widerstehen können, die euch widersprechen. 16Ihr werdet aber auch ausgeliefert werden von Eltern und Brüdern und Verwandten und Freunden, und sie werden euch töten. 17Und ihr werdet von allen gehasst werden um meines Namens willen. 18Und kein Haar wird euch verloren gehen. 19In eurer Geduld werdet ihr euer Leben gewinnen. Die Zurückweisung der Naherwartung (21,7–9) bedeutet nicht, dass nicht schwere Zeiten auf die Jünger zukämen. Das Gegenteil ist der Fall. Jesus öffnet den Blick für eine schier überwältigende Fülle von negativen Ereignissen, die schweres Leid verursachen. Es wird sich mit harten Verfolgungen mischen, die speziell auf die Jünger zukommen, weil sie um Jesu willen drangsaliert werden. Doch so schwarz die Zukunftsbilder eingefärbt sind, endet die Prophetie nicht düster, sondern hell. Es gibt ein Jenseits der Apokalypse, die sich in Gewalt und schreiender Not zeigt. Der Aufbau macht die Spannung zwischen schier unermesslichem Leid und unbändiger Hoffnung deutlich.
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21,5–38 Die Endzeitrede
21,10–11 Humanitäre Katastrophen 21,12–17 Verfolgungsszenarien 12–15 Politische Verfolgungen der Gläubigen 12 Auslieferungen 13–15 Zeugnisse 16–17 Familiäre Konflikte und Hassanfeindungen der Gläubigen 21,18–19 Lichtblick Erlösungshoffnung Lukas weicht in vielen Einzelheiten vom markinischen Referenztext ab, vermutlich aufgrund einer Paralleltradition, die sich aber textlich nicht mehr genau bestimmen lässt. Er bleibt insofern bei der markinischen Vorgabe, als sich der Blick nicht nur auf die Zerstörung Jerusalems verengen, sondern für das Leid der ganzen Welt weiten soll, weil die grässlichen Kriegsversehrungen, die Jerusalem erfahren hat, nur in diesem Horizont gesehen werden können. Lukas stärkt die Aufmerksamkeit für die Christenverfolgungen, die zu seiner Zeit größere Ausmaße als vorher angenommen haben, auch in Form innerjüdischer Konflikte um den Christusglauben. Das Dunkle ist aber auf den hellen Kontrast hin angelegt, wie beim Sämanngleichnis die Misserfolge auf die reiche Ernte hin (8,4–8). Auch diesen Akzent setzt speziell Lukas bereits hier, im Vorgriff auf die Parusie, die Jesus später ansprechen wird (21,25–29). Der Redeabschnitt setzt mit Katastrophenbildern ein, die für Einzelne, für Gruppen und Völker tatsächlich das Ende bedeuten können, aber noch nicht der Weltuntergang sind (10–11) (10–11). Deshalb ist beides wichtig: große Sensibilität für Unrecht und Leid, aber auch große Nüchternheit in der Einschätzung der Zukunft. Die Empathie wird durch die eindringliche Aufzählung von humanitären Katastrophen ausgedrückt, die durch militärische Konflikte, durch Naturkatastrophen, durch soziale und medizinische Notlagen ausgelöst werden. Die Schreckensbilder werden auch in jüdischen Apokalypsen entworfen (Dan 9,26; 11,3–45; 4. Esra 13,30–31), weil sie im realen Leben vorkommen und in äußerster Schärfe sowohl die Menschen bedrängen als auch die Gottesfrage stellen. Jesus verzichtet auf eine Deutung, sei es als Strafe, sei es als Mahnung, sei es als Erprobung. Er bleibt bei der Benennung – und deutet durch den Kontext: Zurückweisung des Fatalismus, Einordnung in die Dramatik der Gottesgeschichte, Weitung des Blicks über die Angst hinaus. Die Krise, die auf die Jünger zukommt, wird nicht erst mit den großen Katastrophen beginnen (12) (12). Jesus stellt keinen Zeitplan auf. Aber er lenkt den Blick auf Ereignisse, die im Weltmaßstab minimal zu sein scheinen, für die Betroffenen aber eine Welt zusammenbrechen las-
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sen können. Sowohl politische als auch religiöse Autoritäten werden – wie schon bei Jesus selbst (22,1–23,5) – Maßnahmen ergreifen, um die Gläubigen zu drangsalieren, weil sie in ihnen Unruhestifter erkennen; die Apostelgeschichte wird viele Belege bringen. Die Verfolgung wird zur Verteidigung nötigen – und die Verteidigung kann zur Verkündigung werden (13–14) (13–14). Da der Grund der Verfolgung der Glaube ist, kann die Verteidigung nur im Zeugnis liegen, das Bekenntnis und Ethik vereint. Die Herausforderung wird sehr groß sein. Aber die Zusage Jesu ist, dass niemand Angst zu haben braucht, weil niemand allein ist, mag er auch von Menschen verlassen worden sein. Deshalb braucht das Herz, die Mitte des Menschen, das Organ des Fühlens und des Denkens, der Gottes- und der Nächstenliebe, nicht von Angst erfüllt zu sein, sondern darf von Zuversicht geprägt sein. Die positive Seite trägt den Akzent (15) (15): Jesus selbst, in dessen Namen die Seinen verfolgt werden, wird sie nicht allein lassen, sondern ihnen zur Seite stehen. Er wird ihnen eine „Stimme“ geben, d. h. eingeben, was sie am besten zu sagen haben. Im griechischen Text steht „Mund“ (stóma); man kann auch paraphrasieren: Ich werde euren Mund öffnen und euch Sprache leihen. So ist es Mose zugesagt (Ex 4,12), so werden es die Jünger Jesu erfahren. Entscheidend ist der Inhalt. Für ihn steht „Weisheit“ (sophía), die Fähigkeit, sich in der Welt zu orientieren, weil Gott den Blick öffnet. Jesu selbst wächst als Mensch in Gottes Weisheit (2,40.52); Salomo vertritt diese Weisheit (11,31), alle Aufrechten treten für sie ein (7,35). Es ist die Weisheit Gottes selbst, die Kraft seiner sinnstiftenden Kommunikation, in der Apostel und Propheten gesendet werden; in dieser Weisheit können sie seine Sprache sprechen, seine Stimme erheben und seinen Geist verkörpern: schon in der Geschichte Israels, auch in der Kirche und obwohl sie auf Widerspruch stoßen werden. Stephanus ist der erste Glaubenszeuge, der durch seine Weisheit Gott die Ehre gegeben hat, auch wenn es ihn das irdische Leben gekostet hat (Apg 6,10). Jesus denkt in seiner Endzeitrede aber nicht nur an blutige Martyrien; er hat viele Formen der Diskriminierung, der Verhöhnung und Verletzung vor Augen. Überall sind die Gläubigen nicht auf sich allein gestellt; sie sind nicht dazu verdammt, sich ihrem Schicksal zu ergeben: Sie können die Stimme erheben – inspiriert von Gottes Weisheit. Weil das Evangelium Sinn und Verstand hat, kann es gegen Widerspruch bezeugt werden: Es kann sich als sinnvolle, realitätsnahe und weitreichende Gottesrede erklären und dadurch Widersacher in die Schranken weisen. Die Fähigkeit, irdische Katastrophen in ihren Dimensionen richtig einzuschätzen, ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, mit den Weinenden zu weinen, mit den Hoffenden zu hoffen und alles zu tun, dass huma-
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nitäre Katastrophen nach Möglichkeit vermieden und nach Kräften bestanden werden. Die Drangsale werden aber auch den privaten Bereich erfassen (16) (16). Familien werden gespalten werden (vgl. 9,61–62), weil nicht mehr sie über die Gläubigen, sondern die Gläubigen über sie bestimmen. In traditionellen Gesellschaften, wie Lukas sie voraussetzt, sind familiäre Bande besonders wichtig und besonders eng. Sie schränken individuelle Freiheiten stark ein, gewähren aber Schwachen auch Schutz. Es ist schon schlimm, wenn Familien gespalten werden, weil die Glaubensentscheidungen einzelner Mitglieder nicht respektiert werden; es ist noch schlimmer, wenn Verwandte zu Verrätern werden. Desto wichtiger ist es, Kraft zum Glaubenszeugnis zu gewinnen, das durch Nächstenliebe gefüllt ist, auch wenn die Nächsten zu Feinden werden (6,27–36). Der Hass wird allerdings allgemein sein (17) (17). Es ist die flammende Ablehnung Jesu, die sich aggressiv auslebt und die Schwächsten, die angefochtenen Gläubigen, zu Opfern machen will, deren Niederlage sie vollends zerstören soll. Schon in den Seligpreisungen kam diese böse Ablehnung zur Sprache (6,22). Sie kann jedoch den Glauben nicht besiegen. Der Schluss ist positiv (18–19) (18–19). Jeder Mensch ist Gottes Augapfel; am meisten sind es die Leidenden. Gott schützt sie. Das Bild der Haare auf dem Kopf (vgl. 12,7) ist eine der typisch jesuanischen Zuspitzungen, die der Klärung dienen. Der ganze Mensch steht unter Gottes Hut. Die Zukunft ist entscheidend: Sie steht im Zeichen des Lebens. Es wird gewonnen, wenn es um Jesu willen verloren wird (9,24). Die Verfolgung ist der Ernstfall – nicht nur des Einsatzes, sondern mehr noch der Hoffnung, die aus dem Glauben wächst. Die Krisen dieser Welt, die Menschen zusetzen und speziell die Gläubigen treffen, weil sie aus religiösen Gründen verfolgt werden, sind kein sinnvoller Gegenstand von Spekulationen über das Ende der Welt, sondern existentielle Herausforderungen, die den Ernst der Lage vor Augen führen und die Frage nach Gott aufwerfen. Es gibt auf sie eine Antwort: Jesus selbst, der sich der Not der Menschen nicht entzogen, aber bis in seinen Tod hinein Gott mit dem Leiden verbunden hat. Deshalb ist seine Verheißung glaubwürdig, Gottes Weisheit zu vermitteln, die das rechte Wort zur rechten Zeit sagen wird – im Glaubenswissen, dass Gott nicht vor dem Leiden und vor der Anfechtung bewahrt, aber die Leidenden nicht allein lässt, sondern stärkt. Das ist die Weisheit des Kreuzes, bei Lukas nicht reflexiv zum Ausdruck gebracht wie bei Paulus (1Kor 1,17– 25), aber als Zuspruch Jesu selbst überliefert, der die Deutung der Zeit mit der Stärkung der Person und den Glauben an Gott mit der Widerstandskraft auf Erden vermittelt.
21,20–24 Die Zerstörung der Stadt
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21,20–24 Die Zerstörung der Stadt 20Wenn ihr aber Jerusalem von einem Heer eingeschlossen seht, dann erkennt, dass seine Verwüstung naht. 21Dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen; wer in ihrer Mitte ist, soll die Stadt verlassen, und die auf dem Land sollen nicht in sie hineingehen; 22denn dies sind Tage der Vergeltung, da alles erfüllt wird, was geschrieben steht. 23Weh denen, die schwanger sind und stillen in jenen Tagen; denn große Not wird herrschen auf der Erde und Zorn über dieses Volk. 24Und sie werden geschlagen werden mit der Spitze des Schwertes und unter allen Völkern gefangengenommen werden, und Jerusalem wird von den Völkern mit Füßen getreten werden, bis die Zeiten der Völker erfüllt werden. Der Blick des Redners richtet sich auf das Ereignis, nach dessen Zeitpunkt und Vorzeichen gefragt worden war, ohne dass es eine fixe Antwort geben kann (21,7–9), nachdem Jesus es vorausgesagt hat (21,5–7). Der Kontext weitet den Blick: Kriege und Leid, Verfolgung und Bekenntnis. In diesem großen Horizont wird das Schicksal Jerusalems nicht relativiert; es werden aber die Mechanismen deutlich, in denen es sich vollzieht; es wird die prekäre Lage derer deutlich, die es mit den Augen Jesu erkennen wollen. Es wird auch deutlich, dass Gott in aller Verborgenheit gegenwärtig ist, wo es düster wird und er verschwunden scheint. Die Prophetie der Zerstörung besteht nicht in einer genauen Vorhersage, welcher Schrecken sich verbreiten wird. Niemand soll sich an Horrorbildern weiden. Der Blick richtet sich vielmehr auf die Opfer und auf diejenigen, die fliehen, um nicht ins Inferno zu geraten. 21,20 21,21–23 21,24
Die Einkreisung der Stadt Die Notwendigkeit und Schwierigkeiten der Flucht 21–22 Die Aufforderung, Jerusalem zu fliehen 23 Das schwere Los der Schwangeren und Stillenden Die Zerstörung der Stadt und die Zerstreuung ihrer Bewohner
Lukas folgt insofern der markinischen Komposition, als er auf allgemeine Schreckensszenarien konkrete Szenen folgen lässt, die mit der Zerstörung Jerusalems zu tun haben. Die lukanische Version ist allerdings zwar mit der markinischen verwandt (Mk 13,14–23), geht aber einen eigenen Weg, der zum einen die Flucht beleuchtet und zum anderen das schreckliche Ende mit Blick auf das Schicksal der Betroffenen. Die Zerstörung der Stadt wird von Flavius Josephus mit quälender Genauigkeit beschrieben (De bello Judaico 6), voller Trauer über das grau-
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same Ende eines vermeidbaren Krieges. Die Jesustradition konzentriert sich auf die menschliche Seite des Schreckens. Die Einkreisung (20) der Stadt (19,43) ist das sichere Vorzeichen ihrer „Verwüstung“ (Josephus, De bello Judaico 6,4,392), weil die Machtverhältnisse völlig einseitig zugunsten der – römischen – Belagerer sind und die Zerstörungswut kaum Grenzen finden wird, wie in der Antike nicht unüblich und dann auch tatsächlich geschehen: „Die Römer steckten auch die entlegensten Teile der Stadt in Brand und schleiften die Mauern“ (Josephus, De bello Judaico 6,9,434). Das Interesse gilt den Menschen (21–23) (21–23). Am Anfang steht die Aufforderung, die Gegend zu fliehen, verbunden mit der Warnung, die Stadt zu betreten: weil in ihr der Tod droht. Tatsächlich sind die Mitglieder der Jerusalemer Urgemeinde geflohen (Eusebius, Historia Ecclesiastica III 5) – wie andere Juden auch: nicht nur aus Angst vor den Römern, sondern auch vor den zelotischen Repressalien gegen zögernde Landsleute. Besonders hart trifft es Mütter, insbesondere wenn sie schwanger sind oder stillen. Das „Wehe“ deutet nicht etwa auf ein göttliches Urteil, das die Schwächsten am stärksten träfe, sondern spiegelt im Gegenteil die Not, in die sie durch die unmenschliche Grausamkeit des Krieges geraten. Zwei Leitmotive tragen die Begründung, die der Einordnung dienen: „Vergeltung“ (V. 22) und „Zorn“ (V. 23). Beide sind in der Geschichte oft auf Gott gedeutet worden; dann würde das jüdische Volk von Gottes Rache getroffen worden sein. Aber diese Auslegung geht fehl, wie sich aus der Einstellung Jesu selbst ergibt (19,41–44; 23,28–29). Die Schrift gibt kein göttliches Diktat vor, sondern sagt prophetisch das kommende Grauen voraus. „Vergeltung“ (ekdíkesis) ist die Logik, „Zorn“ (orgé) die Emotion der Eroberer. Der Antijudaismus feiert einen schauerlichen Triumph: nicht im Text des Evangeliums, sondern in der Realität, die er reflektiert. Wie der Evangelist die traurige Geschichte sieht, zeigt auch der Schluss der Passage (24) (24). Das grauenhafte Morden bei der Eroberung der Stadt wird eingefangen, einschließlich der Gefangenahme der Bewohner, die – im Ansatz seitdem – in der Diaspora, der Zerstreuung, zu leben gezwungen sind. Zwar hört jüdisches Leben in Jerusalem und Judäa nach 70 n. Chr. nicht auf; erst die Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes 125 n. Chr. wird das Judentum vollends treffen. Aber der Tempel ist zerstört; das theologische Zentrum verlagert sich an die Peripherie; die kulturelle Autonomie ist dahin. Der Aufstand und die Niederlage haben dem Ansehen des Judentums in der antiken Welt schwer geschadet. Aber sie haben es nicht vernichtet. Die „Völker“ scheinen über Gottes Volk gesiegt zu haben; aber sie werden nicht das letzte Wort haben; ihre „Zeiten“ sind begrenzt. Gott wird sie überdauern. Die Erfüllung ist die Vollendung für alle, denen Gott sein Reich öffnet.
21,25–28 Das Kommen des Menschensohnes
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Die Schrecken der Zerstörung werden mit wenigen Worten plastisch vor Augen geführt, in der Haltung des solidarischen Mitleids mit den Menschen, die unter Gewalt und Vertreibung leiden. Die Aufforderung zur Flucht entspricht dem Ethos der Feldrede (6,20–49): Die römische Gewalt ist übermächtig, die zelotische sinnlos. Die Zerstörung Jerusalems und die Vertreibung seiner Bewohner ist im Lukasevangelium nicht die „gerechte“ Strafe für die Ablehnung Jesu, sondern ein besonderes Kapitel in der Leidensgeschichte der Menschen, die erst durch die Wiederkunft des Menschensohnes (21,25–28) beendet sein wird. Jerusalem sieht – mit den Augen Jesu betrachtet – einer schlimmen Zukunft entgegen, die aber Gott nicht zum Mörder macht, sondern als Retter fordert; Lukas schaut auf die Zerstörung zurück – und plädiert mit seiner Erinnerung an Jesus für eine friedliche Zukunft aus dem Gedächtnis des Leidens. 21,25–28 Das Kommen des Menschensohnes 25Und es werden Zeichen in Sonne, Mond und Sternen sein, und auf Erden wird das Staunen der Völker vor dem Donnern von Meer und Wellen voll Ratlosigkeit sein. 26Die Menschen werden ohnmächtig sein vor Furcht und Angst vor dem, was auf dem Erdkreis kommt; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert. 27Und dann werden sie den Menschensohn kommen sehen auf einer Wolke mit aller Kraft und Herrlichkeit. 28Wenn aber dies zu geschehen beginnt, richtet euch auf und erhebt euer Haupt; denn eure Erlösung naht.“ Die Voraussage der Schrecken, die Jerusalem und die Juden erreichen wird, wenn die Römer – die nicht namentlich genannt werden – die Stadt zerstören, endet mit einer Zeitangabe: Die Heiden werden ihre Momente haben (20,24) – aber die Ewigkeit liegt in Gottes Hand. Hier knüpft die Fortsetzung an. Sie geht über die Ausgangsfrage (21,7) hinaus, weil sie nicht nur die Zerstörung des Tempels (21,5–6), sondern die Wiederkunft des Menschensohnes anspricht, die zum Ende der irdischen und zum Anfang der ewigen Welt wird. Darin wird die Falschprophetie derer überwunden, die aus den Katastrophen rund um Jerusalem ableiten, dass nun das Ende aller Zeiten gekommen sei und sie in der Person Christi auftreten können (21,7–9). Die Zukunftsvision hat zwei Teile, aus denen eine Schlussfolgerung gezogen wird: Die Welt wird erschüttert, wenn Jesus wiederkommt; die Paru sie führt nicht zur ultimativen Zerstörung, sondern zur finalen Rettung. 21,25–26 Die Welterschütterung am Ende 21,27 Das Kommen des Menschensohnes 21,28 Die Zuversicht der Erlösung
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21,5–38 Die Endzeitrede
Die beiden ersten Teile geben dem Blick der Völker Raum, die in heillosen Schrecken verfallen, wenn ihre Welt zusammenbricht, und nicht wissen, wer und was mit dem Menschensohn auf sie zukommt. Der Schluss ist entscheidend: In der Optik der Gläubigen wird deutlich, dass mit dem Ende ein Anfang einhergeht: die Erlösung, auf die sie immer gehofft haben, auch wenn alles gegen sie zu sprechen schien. Die markinische Parallele gibt der Parusieerwartung einen ähnlichen Ort (Mk 13,24–27). Aber die Textversionen gehen so weit auseinander, dass eine redaktionelle Bearbeitung durch Lukas schwer erklärlich scheint: Eine Paralleltradition, der Lukas folgt, ist auch hier die bessere Erklärung. Wenn die Zeit endet, bricht auch der Raum zusammen (25–26). Die jüdische Prophetie und Apokalyptik zeichnet die Bilder vor, die auch Jesus nach dem Lukasevangelium prägt (Jes 13,10; Am 8,9; Joël 2,10; 3,4; 4,15–16; äthiopischer Henoch 102). Die Genesis steht im Hintergrund: So wie Gott die Welt erschaffen hat und permanent am Leben erhält, wird er Sonne, Mond und Sterne, Wind und Meer ins Zeichen eines definitiven Endes stellen. Jesus legt sich große Zurückhaltung in der Ausmalung auf; es kommt nicht auf Details an: Jede naturalistische Auslösung wäre ein Fehler, weil kosmische Metaphern geprägt werden. Entscheidend ist die Reaktion der Menschen auf welterschütternde Veränderungen: Sie machen sie ratlos (V. 25); sie verbreiten Angst und Schrecken unter ihnen (V. 26), weil ihnen der Code für die Deutung fehlt, wenn ihnen Gott nicht vor Augen steht. Es wird nur gesehen, was zugrunde geht – nicht, was dadurch Neues entstehen kann, wenn Gott seine Hand im Spiel hat. Die kosmischen Phänomene, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sind nur Begleiterscheinungen für das eigentliche Geschehen: die Parusie, die Wiederkunft des Menschensohnes (27) (27). Der „Menschensohn“ ist die endzeitliche Rettergestalt (Dan 7,13–14), die Gottes Reich vollenden wird; Lukas hat in ihr Jesus gesehen, und zwar den vollmächtig wirkenden (5,24; 6,5; 19,10; vgl. 7,34) wie den armen (9,58) und leidenden, der von den Toten auferstehen wird (9,22; 24,7; vgl. 9,44; 11,30; 22,22.48) und am Ende aller Tage erscheinen wird, um die Stunde der Wahrheit auszurufen (9,26; 12,8.10.40; 17,24; 18,8; 22,62). Er wird „auf einer Wolke mit aller Kraft und Herrlichkeit“ erscheinen, wie im Buch Daniel vorgezeichnet (Dan 7,13–14; vgl. äthiopischer Henoch 62,3–10 und Offb 1,7). Die Wolke ist ein Attribut der Gotteserscheinung (9,34–35); die „Kraft“ und „Herrlichkeit“ zeichnen Gott aus: Jesus wird in göttlichem Glanz erscheinen; alle Welt wird es sehen – aber nicht wissen, was es bedeuten soll; wenn das Evangelium Jesu nicht den Schlüssel liefert. Die Gläubigen (28) werden im kommenden Menschensohn, so die Hoffnung, Jesus erkennen, den Retter. Ob er nur sie oder die ganze Welt
21,25–28 Das Kommen des Menschensohnes
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retten wird, ist hier nicht gesagt. Entscheidend ist die Haltung derer, die glauben: Nicht Angst und Schrecken soll sie befallen, sondern erhobenen Hauptes, in der Freiheit des Glaubens, können und sollen sie den Menschensohn erwarten. Schon wenn der Jüngste Tag anbricht, wissen sie, dass er keinen Abend haben wird. Dass „eure“ Erlösung nahe ist, begründet keinen Heilsexklusivismus, sondern ist positiv zu verstehen. Wie weit die Grenzen der Hoffnung sind, nämlich unendlich weit, ergibt sich aus der Verkündigung Jesu – ebenso, dass sie nicht weitschweifig ist, sondern engmaschig: bei denen ansetzend, die Jesus als Messias des Gottesreiches erkennen. Das Endzeitszenario macht Hoffnung: Es gibt ein Ende aller Enden, in dem die Wirren der Geschichte und des Kosmos aufhören. Die Hoffnung richtet sich nicht auf eine allmähliche Beruhigung und eine stetige Verbesserung der Lage. Das wäre zu klein von der Erlösung gedacht. Die Hoffnung richtet sich auf eine neue Schöpfung, die von Jesus, dem Menschensohn, herbeigeführt wird. Er „kommt“ als Erhöhter, wie er als Irdischer immer gekommen ist, um die Verlorenen zu suchen, zu finden und zu retten (vgl. 19,10). Deshalb besteht Grund zur Hoffnung nicht nur auf die Rettung der eigenen Person, sondern auf die Vollendung der ganzen Welt. 21,29–36 Die Notwendigkeit der Wachsamkeit 29Und er sagt ihnen ein Gleichnis: „Schaut den Feigenbaum und alle anderen Bäume: 30Wenn sie ausschlagen, seht ihr an ihnen, dass der Sommer nahe ist. 31So auch ihr: Wenn ihr dies werden seht, erkennt ihr, dass Gottes Reich nahe ist. 32Amen, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. 33Der Himmel und die Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. 34Nehmt euch aber selbst in acht, dass eure Herzen nicht beschwert werden in Rausch und Saufen und Alltagssorgen und jener Tag jäh über euch komme 35wie eine Schlinge; denn er wird über alle Bewohner der Erde hereinbrechen. 36Wacht aber zu jeder Zeit und betet, damit ihr all diesem entfliehen könnt, was kommen wird, und stehen könnt vor dem Menschensohn.“ Die Endzeitrede endet mit einem Gleichnis (Vv. 29–30) und seiner Deutung (V. 31), aus der Konsequenzen im Licht der katastrophalen Ereignisse (21,10–19), gipfelnd in der Zerstörung Jerusalems (21,20–24), und im Blick auf die Parusie des Menschensohnes (21,25–28) gezogen werden. Der Schluss blickt auf das Ganze zurück: die Gefahr der Verführung durch Falschpropheten (21,7–9) und die Eroberung Jerusalems (21,6.20–24), das
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21,5–38 Die Endzeitrede
Leid der Menschen in Lebensgefahr (21,10–11) und die Verfolgung der Gläubigen (21,12–19), die kosmischen Erschütterungen (21,25–26) und die Wiederkunft Jesu (21,27–28). Das Gleichnis öffnet die Augen (V. 29) – die Wachsamkeit ist das Gebot der Stunde (V. 36). Nach wie vor sind die Interessierten aus dem Volk angesprochen (21,7). Der Aufbau ist so gestaltet, dass die Passung zum Kontext deutlich wird. 21,29–31 21,32–33 21,34–36
Das Gleichnis vom Feigenbaum 29–30 Das Bild 31 Die Deutung auf das Reich Gottes Die Verheißung von Zeit und Ewigkeit Die Mahnung zur Wachsamkeit
Das Gleichnis erschließt den gesamten Passus, weil es mit seiner Deutung auf das Reich Gottes sowohl die Heilszukunft als auch die Heilsgegenwart erschließt. Lukas folgt in etwa Markus (13,28–37), ist aber in vielen Details und im Aufbau so weit von Markus entfernt, dass wieder besser mit einer Parallelüberlieferung als mit einer direkten Redaktion des Markustextes gerechnet werden kann. Das Gleichnis (29–30) ist so kurz und einfach, wie es nur geht. Die Feige wird auch in Israel seit langem landwirtschaftlich genutzt. Der Blick wird hier allerdings nicht auf die Früchte (vgl. 13,6–9), sondern, wie bei anderen Bäumen auch, auf die Blätter gelenkt. Sie schlagen im Frühjahr aus; die klimatischen Verhältnisse in der Levante waren um die Zeitenwende etwas kühler als heute. Der Sommer ist, wenn die Blätter ausschlagen, noch nicht da, aber nahe. Dieses Bild der Natur und Kultur gilt es auf das Reich Gottes zu übertragen (31) (31). Dass es „nahe“ ist, ist die Grundbotschaft Jesu und seiner Jünger (10,9.11). Wie der Frühling vor dem Sommer kommt, so kommt die Gegenwart vor der Vollendung des Reiches Gottes – ohne dass diese Nähe je aufhörte, bevor es zur Parusie kommt. Natur und Kultur können auf das vollendete Reich Gottes verweisen, weil Gott der Schöpfer und Erhalter der Welt ist. Nicht alle ziehen die richtigen Schlüsse (12,54–57); diejenigen, die Jesus fragen (21,7), sollen es können. Die Deutung des Feigenbaumgleichnisses auf die Nähe der Gottesherrschaft wird in zwei parallel gestalteten Aussagen weitergeführt. Sie richten den Blick auf die Zukunft. Der erste Satz (32) wird meist als klassisches Naherwartungswort Jesu gedeutet: Noch zu Lebzeiten der meisten Zeitgenossen werde der Menschensohn wiederkommen. Tatsächlich hat es im Urchristentum diese Erwartung gegeben, auch bei Paulus (vgl. 1Thess 4,17). Aber die Endzeitrede richtet sich gegen die Propheten des nahen Weltunterganges (21,7–9); diese Kritik wird zum Ende der Rede nicht zurückgenommen, sondern weitergeführt. Das „Geschlecht“, das
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bis zum Weltuntergang nicht vergehen wird, ist nicht die gegenwärtig lebende Generation, sondern das Gottesvolk Israel, und zwar nicht nur in guten, sondern – wie in der alttestamentlichen Gerichtsprophetie vorgegeben – gerade auch in schlechten Zeiten (7,31; 9,41; 11,29–32.50–51; 17,25). Also ist die Prophetie Jesu hier: Solange die Zeit währt, wird es Israel geben, auch wenn es sich dem Christusglauben verweigert und obwohl die Tempelzerstörung nach Meinung mancher auf das Ende des Gottesvolkes schließen lassen soll. In dieser Perspektive erschließt sich die Fortsetzung (33) (33). Wie das apokalyptische Panorama der Endzeitrede zeigt (21,25–26), werden die Grundfesten der jetzigen Welt – Himmel und Erde – erschüttert werden und vergehen, wenn der Menschensohn kommt (21,27–28), weil das Ende aller Zeiten da sein wird. Seine „Worte“ aber bleiben bestehen: nämlich das Wort Gottes selbst, das Evangelium. Sie bleiben dadurch bestehen, dass sie sich bestätigt haben. Sie öffnen die Herzen für Gott, weil sie Gott aus dem Herzen gesprochen sind. Auch das vollendete Reich Gottes ist vom Wort Gottes erfüllt, das in den Worten Jesu verkündet worden ist und verkündet werden wird, solange die Zeit währt. So wie die Verschränkung von Zeit und Ewigkeit zweifach verheißen worden war, wird die Heilsgegenwart – inmitten aller Irrungen und Wirrungen – zweifach konkretisiert. Zuerst steht die Aufforderung zur Aufmerksamkeit (34–35) (34–35), die an die Warnung vor der Falschprophetie anknüpft (21,7–9) und ein weiter verbreitetes Motiv aufgreift: überlegte Vorsicht, kritische Distanzierung, entschiedene Ablehnung (12,1; 17,3; Apg 5,35; 20,28). Es kommt auf die innere Haltung an: auf die Einstellung des Herzens. Es wird „beschwert“, d. h. ungut belastet, wenn es nicht mit der Liebe zu Gott und zum Nächsten gefüllt ist, sondern mit „Rausch und Saufen und Alltagssorgen“, also durch Drogen betäubt (12,45) oder durch den Kampf ums Dasein ausgehöhlt wird (vgl. 8,14; 12,22–33). Positiv: Das Herz wird erleichtert, wenn es von der Hoffnung auf Gott erfüllt wird. Dann wird es zum Organ der Erkenntnis – und nicht überrascht vom Tag des Herrn. Er kommt in jedem Fall plötzlich (17,24.26–30), nämlich nach Gottes eigener Zeitvorstellung. Die Frage ist nur, ob ein Mensch vorbereitet ist. Im günstigen Fall achtet er auf die Zeichen der Natur und der Kultur, einschließlich der Unkultur der Kriege und Bürgerkriege, der Katastrophen und Krisen – und lässt sich nicht irritieren (vgl. 21,10–11). Im ungünstigsten Fall rechnet er mit allem, nur nicht mit Gott. Dann wird der Jüngste Tag zum jähen Einbruch der Wirklichkeit in die Illusion des „Weiter so“. Die „Schlinge“ ist eine Falle, die sich plötzlich zuzieht, ohne dass es noch ein Entkommen gibt (Ps 69,23–24). So soll es in Israel nicht sein, schon gar nicht bei den Jüngern Jesu. Eine Sachparallele steht im Ersten Thessalonicherbrief:
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21,5–38 Die Endzeitrede
dass Nüchternheit und Wachsamkeit angezeigt sind, nicht aber religiöse oder moralische Trunkenheit und dass alle Beschwichtigungsparolen – „Friede und Sicherheit“ – in die Irre führen (1Thess 5,1–11). Die positive Seite wird stärker beleuchtet (36) (36). Wachsamkeit ist das Gebot der Stunde – ein Leitmotiv nicht nur bei Lukas (12,35–40), sondern im gesamten Neuen Testament (Mk 13,33; Eph 6,18; Hebr 13,17). Das Wachen gehört mit dem Beten zusammen, weil es gilt, die Welt so zu sehen, wie sie von Gott her erscheint, und im Gebet nicht ausgeblendet, sondern eingeblendet wird: Das Vaterunser zeigt es beispielhaft (11,1– 4). Wer aufmerksam Gott liebt, kann vielem entgehen: zwar nicht der Verfolgung (21,12–19) und nicht der Not von Kriegen und Seuchen (21,12–19), aber der verwirrten Botschaft der Weltuntergangspropheten (21,7–9), der Verzweiflung in der Verfolgung (21,12–19), dem Untergang in der zerstörten Stadt Jerusalem (21,20–24). Die positive Aussicht besteht darin, erhobenen Hauptes (21,28) vor dem Menschensohn, wenn er kommt (20,24–28), zu stehen. Viele Bibeln übersetzen mit: „bestehen“. Aber Lukas geht es an dieser Stelle nicht um eine finale Beurteilung durch den Richter, sondern um eine Begegnung der Gläubigen, die Jesus nachfolgen, mit ihm, der am Ende aller Tage wieder kommt, als Menschensohn: Er drückt nicht nieder, sondern weckt und richtet auf. Die Endzeitrede endet mit einer ebenso nüchternen wie wachsamen Aufforderung zur Nüchternheit und Wachsamkeit. Es gilt, die Nähe des Reiches Gottes, die Jesus verkündet, wahrzunehmen, solange die Zeit währt. Die Nähe ist qualitativ zu bestimmen, nicht quantitativ zu berechnen. Sie ist nicht eindeutig zu identifizieren, so als ob nur einiges auf Gottes Nähe verwiese, anderes aber offenbare, dass Gott weit entfernt von den Menschen wäre. Er ist aber sogar mitten im Leiden, mitten in der Verfolgung, mitten im Untergang gegenwärtig: als lebendiger Gott. Der Blick auf den Feigenbaum öffnet die Augen dafür, wie das, was geschieht, ein Vorzeichen dessen ist, was kommt: Gottes Reich. Menschen können sich diesem Kommen öffnen: wenn sie ihr Herz von der Last befreien, ihr eigenes Leben retten zu wollen (9,24–25), und sich für Gottes verborgene Gegenwart öffnen. Sie werden und dürfen sich mitten in den Turbulenzen der Zeit auf den und das freuen, was auf sie und die ganze Welt zu kommt: den Menschensohn und Gottes Reich. 21,37–38 Ein letztes Summarium des Wirkens Jesu 37Er war aber in den Tagen im Tempel und lehrte, zur Nacht aber ging er hinaus zum sogenannten Ölberg. 38Und schon frühmorgens kam das ganze Volk im Tempel zusammen, um ihn zu hören.
21,37–38 Ein letztes Summarium des Wirkens Jesu
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Den Abschluss nicht nur der Endzeitrede (21,5–36), sondern der gesamten öffentlichen Lehre Jesu in Jerusalem (20,1–21,4) bildet ein weiteres Summarium (vgl. 19,47–48), wie Lukas es mehrfach gestaltet hat, um das, was er erzählt, als Beispiel für all das auszuweisen, was er nicht erzählt, aber auch für Jesus charakteristisch hält. Das Summarium beschreibt zuerst das Verhalten Jesu, dann das Interesse des Volkes. 21,37 21,38
Die Aufenthaltsorte Jesu während der Jerusalemer Tage Die Zusammenkünfte des Volkes im Tempel
Der Sammelbericht, von Lukas frei gestaltet, dient einerseits der Einordnung dessen, was er zuvor von Jesus erzählt hat, aber auch andererseits dem Kontrast zum Auftakt der Passionsgeschichte, die unmittelbar folgt: dem Beschluss von Mitgliedern des Hohen Rates, Jesus zu beseitigen, dessen Beliebtheit beim Volk nicht zu leugnen ist (22,1–2). In den anderen Evangelien heißt es, dass Jesus in Bethanien übernachtet hat (vgl. Mk 11,11–12 u. ö.); Lukas schreibt nur vom „Ölberg“ (37) (37). Dort liegt für ihn Bethanien (19,29). Es ist also gut möglich, dass auch Lukas an das Dorf denkt, das er mit der Himmelfahrt verbinden wird (24,50). Aber wichtiger ist ihm der Bezug zum Berg selbst, über den Jesus auf Jerusalem zugeritten ist (19,29–40) und wo er im Gebet mit Gott ringen wird (22,39–46), bevor er dort verhaftet werden wird (22,47–53). Tag für Tag nutzt er den Tempel, um zu lehren: also die Augen für die Nähe des Gottesreiches zu öffnen, dass nicht irgendwann einmal nahe sein wird, sondern immer schon nahe ist (21,31). Das Volk kann nicht genug von ihm bekommen (38) (38). Es wartet schon auf ihn, schreibt Lukas, wenn er morgens vom Ölberg in die Stadt und den Tempel kommt, um dort zu lehren. Das „ganze“ Volk heißt bei Lukas: sehr viele aus dem ganzen Volk, nicht nur wenige oder Anhänger bestimmter Richtungen. Das „Hören“ ist der erste Schritt zum Glauben, das Glauben aber keine zwangsläufige Folge des Hörens. Deshalb bleibt der Raum für Jesu Verkündigung und auch für die nachösterliche Predigt trotz der Kreuzigung Jesu offen. Er wird unterschiedlich gefüllt werden – das müssen diejenigen ermöglichen (und ertragen), die Jesus nachfolgen. Jesus nutzt von Anfang an den Tempel von Jerusalem, um ihn, das „Haus des Gebetes“ (19,46), auch zu einem Lehrhaus zu machen (19,47–48). Dort wird das Reich Gottes verkündet (21,31), wie in Galiläa (4,43; 8,1; 9,11; 16,16 u. ö.). Mit dieser Lehre erschließt Jesus einen Zugang zur politischen Ethik: Gott ist zu geben, was Gottes ist – alles; aber in diesem Rahmen hat auch der Kaiser
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22–23 Die Passionsgeschichte
ein Recht, Steuern zu verlangen: wenn er nicht selbst (ein kleiner) Gott sein will (20,21–26); die Vollendung des Gottesreiches umschließt die Auferstehung der Toten, die in Gottes Gottsein begründet ist (20,27–40). Das Reich Gottes erlaubt eine klare Orientierung in wirren Zeiten, indem es hilft, Dimensionen des Unheils einzuschätzen, so dass es bekämpft, aber auch bestanden werden kann: und sei es durchs Sterben hindurch (21,5–36). Die Gottesbotschaft ist an den Gottesboten gebunden, der mit ihr in die Stadt Gottes, Jerusalem, einzieht (19,29–40), auch wenn er weiß, dass sie die große Chance, sich mit Gott zu versöhnen nicht ergreifen, sondern verspielen wird, so dass großes Unheil zu beklagen sein wird (19,41–44). Positiv gewendet: Derjenige, der „im Namen des Herrn“ (19,38) Jerusalem den Frieden bringen will, ist der davidische Gottessohn, den der Vater zu seiner Rechten erhöht (20,41–44); er hat die Vollmacht, den Tempel von Grund auf zu reformieren, so dass er als Gotteshaus neu entdeckt werden kann (19,45–48; 20,1–20). Er klagt Gottes Recht in Israel ein und wird auf den erbitterten, ja tödlichen Widerstand der herrschenden Protagonisten im Volk stoßen, die ihn zu Tode bringen wollen (20,9–20). Er bleibt aber seiner Sendung treu, die Hoffnung für Israel und die Völker zu wecken. Er klärt, welche Formen der Frömmigkeit verfehlt sind, um seine Jünger zu warnen (20,45–47); er klärt auch, weshalb eine arme Witwe eher als Vorbild taugt als Reiche, die sehr viel spenden (21,1–4). In der öffentlichen Lehre Jesu, die Lukas mit dem Summarium spiegelt, kommen auch in Jerusalem die zentralen Themen des Gottesglaubens Israels zur Sprache. Dadurch wird abschließend in der Öffentlichkeit geklärt, wofür Jesus einsteht – und für wen er schließlich sein Leben wird hingeben müssen. In der Apostelgeschichte wird dieser Faden fortgesponnen werden: Die Zeugen Jesu machen den Tempel zum Ort des Betens und Lehrens – im Geist Jesu (Apg 2,46; 3,1–26 u. ö.). 22–23 Die Passionsgeschichte Lukas erzählt eingehend und eindrücklich von der Passion Jesu. Er betont das Leiden, ohne Horroreffekte erzeugen zu wollen. Zum einen macht er deutlich, dass Jesus wirklich weh tut, was ihm widerfährt, körperlich und seelisch. Zum anderen schildert er mit hoher Empathie, welche Wirkungen vom Leiden Jesu auf Menschen ausgehen, die ihm nahe sind, sowohl auf Freunde und Bekannte als auch auf Zuschauende oder Widersacher. Beides passt zusammen, weil die Christologie des wahren Menschseins, die Lukas in seinem Evangelium zum Ausdruck bringt, mit der Menschlichkeit des Glaubens zusammengeht. Jesus ist unschuldig, wird aber verurteilt. Er leidet Qualen, nimmt aber seinen Tod an und gestaltet sein Sterben bewusst. Er redet nicht oft von der Heilsbedeutung seines Todes,
22–23 Die Passionsgeschichte
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aber intensiv, im Abendmahlssaal: nicht nur mit Worten, sondern auch mit Gesten, den Gaben von Brot und Wein (22,19–20). Er bleibt dem Ethos der Feindesliebe (6,27–36) treu, von der Verhaftung über die Verurteilung bis zur Folterung und Hinrichtung. Dadurch kommt die innere Haltung Jesu als Herz seiner Sendung genau zum Ausdruck. Gleichzeitig wird klar, dass die Heilsbedeutung seines Sterbens, in der die Heilsbedeutung seiner gesamten Sendung kulminiert, keine Theorie ist, die nach einer Umsetzung ruft, sondern die Deutung des Geschehens selbst, im Sinne Jesu. In der Vorbereitung auf die Passion baut Lukas zwei große Kontraste auf. Zum einen wird im Zusammenspiel zwischen dem Hohen Rat und Judas die Tötung Jesu vorbereitet (22,1–6); Jesus selbst hingegen feiert das Letzte Abendmahl, um das Heil zu vermitteln, das aus dem Unheil wird (22,7–23). Zum anderen nimmt Jesus in den Gaben von Brot und Wein (22,19–20), später im Gebet am Ölberg (22,39–46) sein Leidensgeschick an, während er die Jünger ermahnen muss, nicht die eigene Größe, sondern den Dienst am Nächsten zu suchen (22,24–38). Am Ölberg, wo Jesus gebetet hat (22,39–46), setzt die Serie der Ereignisse ein, die von der Verhaftung zur Verurteilung Jesu führen. Es folgen der Kreuzweg, die Kreuzigung, der Tod und das Begräbnis (23,26–56). Jesus hat seine Freiheit verloren – äußerlich. Aber da er im Gebet seinen Frieden mit seinem Geschick gemacht hat, tun die Verhaftung, die Verleugnung, die Verhöhnung und Verurteilung seiner inneren Freiheit keinen Abbruch. Er nimmt an, was ihm widerfährt, ohne es schönzureden. Er bekennt sich vor dem Hohen Rat und vor Pilatus zu seiner Sendung, ohne die Legitimität derer anzuerkennen, die über ihn zu Gericht sitzen. Er trägt die Konsequenzen, ohne zu lamentieren, aber auch ohne schönzureden, was ihm widerfährt. Er verbiegt sich nicht, sondern bleibt seiner Sendung treu. Zwar wird über ihn entschieden; aber hintergründig entscheidet er, was passiert: Größtes Unheil wird größtes Heil bewirken, weil Jesus sich für die Menschen hingibt. Die Folge der erzählten Ereignisse spiegelt das Drama der Passion: Es wird deutlich, wie Menschen am gekreuzigten Messias scheitern, ohne dass er an ihnen scheitert und ohne dass seine Heilssendung eingeschränkt würde. Bei der Gefangennahme wird deutlich, dass Judas Jesus verrät, ohne dass deutlich würde, warum es geschieht (22,47–53); in der Verleugnung Christi wird deutlich, wie Petrus an Jesus scheitert (22,54–62), ohne dass sie einen anderen Sinn hätte, als Jesus zu verraten, um die eigene Haut zu retten. Lukas käme nicht auf die Idee, die Schuld des Judas höher als die des Petrus zu gewichten. Er macht durch seine Erzählung klar, dass es bei Judas und bei Petrus im Kern nicht um ein moralisches Problem geht – z. B. um Geldgier oder Geltungssucht oder um Feigheit; im Kern steht vielmehr die Glaubensfrage, ob Jesus der sein kann und darf, der er nach Gottes Willen ist, auch
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22–23 Die Passionsgeschichte
in der letzten Phase seines Lebens. Deshalb wird am Beispiel des Petrus, wie vorausgesagt (22,31–34), schon im Moment des Verrates der Weg zur Versöhnung geöffnet: durch den Blick Jesu, der die Erinnerung an sein Wort bei Petrus auslöst (22,61–62). Die Judasgeschichte hingegen endet offen; sie bricht im Evangelium mit der Übergabe bei der Verhaftung ab und wird in der Apostelgeschichte durch den Hinweis auf den grässlichen Unfall, bei dem Judas sein Leben verliert, auch nicht wieder aufgenommen (Apg 1,16–19). Die christliche Tradition hat zwar versucht, die Lücke zu füllen, indem sie Judas in die Hölle verbannt hat; aber auf Lukas kann sie sich nicht berufen. Vielmehr würde im Zweifel auch bei Judas gelten müssen, was Lukas am Beispiel des Petrus ausgeführt hat: dass Jesu Blick weiter reicht als der seiner Jünger. Nach der Lukaspassion wird Jesus nicht zweimal, sondern nur einmal verurteilt: durch Pontius Pilatus (23,1–5.13–25). Dies entspricht dem rechtlichen Rahmen zur Zeit Jesu im römischen Judäa. Der Hohe Rat kann anklagen und hat dies mit einem starken Stich ins Politische getan (23,1–5); er kann aber nicht selbst Kapitalprozesse führen. Diesem Umstand entspricht es, dass er nach Lukas zwar zusammentritt, aber nicht, um Jesus zu verurteilen, sondern um ihn als falschen Messias zu überführen (22,66–72). Zwischen der Feststellung des Grunddissenses in der Christologie, der zwischen Jesus und dem Hohen Rat aufgebrochen ist, und der Anklage vor Pilatus liegen Welten: weil es, so Lukas, dem Hohen Rat nicht um einen fairen Prozess geht, sondern um die Hinrichtung Jesu, damit es nicht zu einem Aufstand kommt. Den Abschluss der Passionsgeschichte bilden, wie in den anderen Evangelien, die Kreuzigung und das Begräbnis Jesu: Jesus stirbt, nicht nur zum Schein, sondern real. Er wird tot und begraben sein; nur so kann auch seine Auferstehung Bedeutung haben (24,1–49). Lukas folgt seiner eigenen Passionstradition; dadurch wird vor allem der Kreuzweg betont. Bei Markus ist er auf einen einzigen Satz konzentriert (Mk 15,20b). Lukas hat die grausame Szene der erneuten Folterung Jesu durch die römischen Wachsoldaten (Mk 15,16–20a) übergangen, gestaltet aber den Weg Jesu nach Golgotha aus. Simon von Cyrene ist auch bei Markus Kreuzträger (Mk 15,21); er wird dort als Vater von „Alexander und Rufus“ charakterisiert, zwei offenbar der christlichen Gemeinde bekannten Personen. Lukas übergeht diese Notiz, wie Matthäus (Mt 23,32) – wohl weil in den Lesegemeinden beider späteren Evangelisten die beiden Personen nicht mehr bekannt gewesen sind. Lukas lenkt demgegenüber den Blick auf die Trauer von Jerusalemer Frauen um Jesus und dessen Antwort, die sein Mitleid zum Ausdruck bringt, angesichts der kommenden Zerstörung der Stadt (vgl. 19,41–44). Diese Farbgebung ist für Lukas typisch. Der Evangelist betont nicht so sehr die Notwendigkeit des Mitleids mit Jesus,
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indem er etwa die Grausamkeit beschreibt, die ihm angetan wird. Lukas betont vielmehr das Mitleid Jesu selbst, in dem sich die Barmherzigkeit Gottes erweist (6,36). Zeit seines öffentlichen Wirkens hat Jesus nicht anders gewirkt: zugewandt, Anteil nehmend, illusionslos, aber hoffnungsvoll. Lukas wird erzählen, wie sich dieses Ethos auch noch während der Kreuzigung zeigt (23,34.43) und Heil schafft. Die Reaktionen sind unterschiedlich; aber sie werden so aufeinander abgestimmt, dass die Schuld, die zum Tod Jesu geführt hat, aufgebrochen wird, so dass ein Weg der Erlösung gerade dort beginnen kann, wo er zu Ende scheint. Die Lukaspassion hat starke Parallelen mit der Leidensgeschichte nach Markus, die auch von Matthäus aufgegriffen worden ist. Aber es gibt auch ungewöhnlich starke Unterschiede, sowohl in den rechtlichen Rahmenbedingungen als auch in den überlieferten Szenen. Am leichtesten erklärt sich diese Konstellation dadurch, dass Lukas neben dem Markusevangelium noch eine eigene Passionstradition zur Verfügung stand, die er offenbar mit der markinischen Überlieferung verglichen und im Zweifel vorgezogen hat. 22,1–46 22,47–23,25 23,26–56
Die Vorbereitung der Passion 1–2 Der Hohe Rat beschließt die Tötung Jesu 3–6 Judas liefert Jesus aus 7–13 Jesus bereitet das Paschamahl vor 14–23 Jesus feiert das Letzte Abendmahl 24–38 Jesus ermahnt seine Jünger 39–46 Jesus betet am Ölberg Die Verhaftung und Verurteilung Jesu 47–53 Jesus wird verhaftet 54–62 Jesus wird von Petrus verleugnet 63–65 Jesus wird von den Wärtern gefoltert 66–71 Jesus wird vom Hohen Rat verhört 1–5 Jesus wird vor Pilatus angeklagt 6–12 Jesus wird Herodes Antipas vorgeführt 13–25 Jesus wird von Pilatus verurteilt Die Kreuzigung und das Begräbnis Jesu 26–32 Jesus wird auf den Kreuzweg geführt 33–49 Jesus wird gekreuzigt und stirbt 50–56 Jesus wird begraben
Mk 14,1–2 Mk 14,10–11 Mk 14,12–16 Mk 14,17–25 Mk 14,26–31 Mk 14,32–42 Mk 14,43–52 Mk 14,66–72 Mk 14,65 Mk 14,53–64 Mk 15,1–5 Mk 15,6–15 Mk 15,20a Mk 15,20b–41 Mk 15,42–47
Bei Lukas entsteht eine Passionsgeschichte von großer literarischer Einheitlichkeit und hoher historischer Plausibilität. Jesus ist der leidende Gerechte. In einer ungerechten Welt hält er Gott die Treue. Dadurch wird er zu Tode gebracht, macht seinen Tod aber zum Ereignis der Er-
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lösung. Im Letzen Abendmahl eignet er das Leben, das aus seinem Sterben folgt, stellvertretend den Zwölf zu und damit dem ganzen Volk Gottes, das im Zeichen des Reiches Gottes zusammengerufen wird; am Kreuz wirkt er die Erlösung, die er bereits zeit seines Lebens von Gott her zugesagt hat. Lukas hat zwei Szenen aus der Markusvorlage gestrichen: die Salbung zu Bethanien (Mk 14,3–9), weil er eine Salbungsgeschichte schon mitten in Galiläa zu überliefern wusste (7,36–50), und die Folterung durch die römischen Soldaten (Mk 15,16–19), weil er zuvor bereits von der brutalen Verspottung durch das Verhaftungskommando erzählt hatte (22,63–65). Lukas hat zwei Szenen hinzugefügt: die Vorführung vor Herodes Antipas, dem galiläischen Landesherrn Jesu (23,16–19), und den Kreuzweg, der eine wechselseitige Solidarität im Leiden zeigt (22,26–32). Während die erste Szene widerspiegelt, wie wenig die Autoritäten am Recht und wie sehr sie nur an der Macht interessiert gewesen sind, mildert die zweite zwar nicht die Härte des Geschehens ab, bereitet aber Wege der Versöhnung über den Tod hinaus vor. Lukas hat auch in den mit Markus gemeinsamen Partien eigene Varianten. Vor allem: Jesus wird bei Lukas vom Hohen Rat nicht verurteilt (Mk 14,53–64), sondern verhört (22,66–71). Lukas hat zuvor das Paschamotiv (22,7–18) weit stärker betont als Markus (Mk 14,12–16). Er folgt im Abendmahlsbericht einer Tradition, die enger mit der paulinischen (1Kor 11,23–25) als der markinischen (Mk 14,22–25) verwandt ist. Während Markus von der Flucht der Jünger erzählt (Mk 14,50), stehen bei Lukas nicht nur die galiläischen Frauen unter dem Kreuz (Mk 15,40–41), sondern auch die Bekannten Jesu (23,49). Unter historischen Gesichtspunkten ist an Schlüsselstellen die Lukaspassion plausibler als die markinische Passionsgeschichte. Vor allem gilt dies im Blick auf die Verurteilung Jesu. Der zuständige Richter war Pontius Pilatus. Der Hohe Rat hatte zur Zeit Jesu keine Hoheit über Kapitalprozesse. Eine Verurteilung durch das Synhedrion wäre ein schwerer Rechtsverstoß gewesen, auch nach den geltenden jüdischen Regeln. Ein Verhör, das Anklagepunkte für einen Prozess vor dem zuständigen römischen Richter sammeln sollte, ist weit leichter vorzustellen. Bei Lukas ist der Pilatusprozess im höchsten Maße politisiert: durch die Anklage (23,1–5) und die Durchführung (23,6–12.13–25). Auch diese Gewichtung ist plausibel, weil sie das Ergebnis, die Kreuzigung, erklärt. Wie es scheint, war der Historiker Lukas bei der Schilderung des Prozesses tätig. Anders sieht es beim Paschamotiv aus: Lukas ist offensichtlich überzeugt, dass Jesus am Festtag selbst hingerichtet worden ist und dass das Letzte Abendmahl ein Paschamahl gewesen ist (22,7–22). Bei Johannes steht es anders: dass Jesus am „Rüsttag“, also dem Tag vor dem Paschafest hingerichtet worden
22,1–2 Der Todesbeschluss der Hohepriester und Schriftgelehrten
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sei (Joh 19,14); historisch ist diese Zeitenfolge wahrscheinlicher. Lukas hat die Symbolik der Paschazeit genutzt, um die Theologie der Geschichte zu stärken. Er hat sich auch an anderen Stellen – wie im gesamten Evangelium – die Freiheit eines antiken Biographen genommen, Szenen mit seiner Überlieferung zu gestalten, die im Rückblick als charakteristisch erscheinen, wie das lange Mahlgespräch mit seinen Jüngern im Abendmahlssaal (22,24–38) und das kurze Weggespräch mit den Frauen aus Jerusalem auf der via dolorosa (23,27–31) zeigen. 22,1–2 Der Todesbeschluss der Hohepriester und Schriftgelehrten 1Es näherte sich das Fest der ungesäuerten Brote, das Pascha heißt. 2Und die Hohepriester und die Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn loswerden konnten; denn sie fürchteten das Volk. Lukas hat bereits oft erzählt, dass die führenden Kräfte aus dem Hohen Rat Jesus umbringen wollen (19,47; 20,19). Jetzt spitzt sich die Lage zu, weil das Paschafest vor der Tür steht, das viele Pilger anlockt, und die Beliebtheit Jesu beim Volk nicht abnimmt (19,48; 20,19; 21,38). Der Zeitdruck; den die Hohepriester und Schriftgelehrten sich selbst machen, fordert schnelles Handeln. Die mangelnde Überlegung entspricht der knappen Darstellung. 22,1 Die Zeitangabe 22,2 Der Zeitdruck der Gegner Jesu Der Auftakt der Lukaspassion entspricht im wesentlichen der Markus passion (Mk 14,1–2). Auch Matthäus setzt ganz ähnlich ein (Mt 26,1–2). Das Paschafest bestimmt das Handeln. Das „Fest der ungesäuerten Brote“ (1) (1), der Mazzen, ist mit dem Paschafest (Ex 12,15–20) verbunden. Es wird eine Woche gefeiert, mit dem Paschatag als Auftakt (Lev 23,6–7). Viele Pilger kommen in die Stadt; der Statthalter ist vor Ort, um Unruhen im Keim zu ersticken. Wie nahe das Fest kommt, wird nicht gesagt; wahrscheinlich ist der direkte Vortag gemeint, also der Donnerstag, an dem Jesus das Letzte Abendmahl feiert (22,14). Durch die Nähe entsteht der Zeitdruck, den sich die Mitglieder des Hohen Rates machen (2) (2). Es werden mit den Hohepriestern und den Schriftgelehrten die treibenden Kräfte des Hohen Rates genannt (20,19). Die Beliebtheit Jesu beim Volk ist ungebrochen. Dies nötigt zu heimlichem Handeln. Judas kommt mit seinem Angebot gerade recht (22,3–6).
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Nach Lukas ist die Entscheidung längst gefallen, dass Jesus nach dem Willen der führenden Ratsmitglieder sterben soll. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie. Jesus soll so schnell und so heimlich wie möglich ausgeschaltet werden. Das Paschafest liefert den Anlass. Aber das Datum ist eine Verheißung: Denn Pascha ist das Fest der Befreiung, auch für Jesus (22,14–18). Sein Sinn wird erhalten bleiben, seine Dimensionen werden durch den Heilsdienst Jesu neu geöffnet werden. Das Volk ist auf Seiten Jesu; es wird auch nachösterlich nicht ohne Interesse dem Evangelium lauschen. Die Szene ist literarisch komponiert, aber historisch aufschlussreich: Die Spitzen des Hohen Rates haben die Passion Jesu betrieben, nicht das Volk. Ihr Kalkül ist politisch, mit theologischen Motiven: Jesus soll weg, weil er Unruhe stiftet. 22,3–6 Der Entschluss des Judas 3Der Satan aber fuhr in Judas, der Iskarioth genannt wird, einen aus der Zahl der Zwölf. 4Und er ging weg und besprach mit den Hohepriestern und Hauptleuten, wie er ihn ihnen übergeben könnte. 5Da freuten sie sich und vereinbarten, ihm Geld zu geben. 6Und er sagte zu und suchte nach einer günstigen Gelegenheit, ihn ohne das Volk zu übergeben. Dem Wunsch der Hohepriester und Schriftgelehrten, Jesus loszuwerden (22,1–2), entspricht die Initiative des Judas, ihn auszuliefern. Dieser dunkle Moment macht allen Evangelisten zu schaffen. Alle halten fest, dass mit Judas einer aus dem innersten Kreis der Nachfolger eine entscheidende Rolle dabei gespielt hat, dass Jesus verhaftet und schließlich verurteilt wurde. Die Akzente werden allerdings unterschiedlich gesetzt. Markus belässt es dabei, aufzuzeigen, dass Judas Jesus übergeben wollte, worauf ihm dreißig Silberlinge angeboten worden seien (Mk 14,10–11); Matthäus schreibt, dass Judas Geld verlangt habe (Mt 26,14–16); Johannes erzählt, dass der Teufel Judas ins Herz gegeben habe, Jesus zu verraten (Joh 13,2.27). Lukas überliefert, dass Geld geflossen sei, das Judas zwar nicht verlangt, aber genommen habe; er spricht im ersten Satz vom Satan, der von Judas Besitz ergriffen habe, so dass er fremdgesteuert gewesen sei. Die Apostelgeschichte erzählt von seinem grausamen Ende nach einem Unglücksfall, das sehr bald erfolgt sei, nachdem Judas vom Lohn ein Grundstück gekauft habe (Apg 1,16–19). Dieses Unglück bahnt sich an. Was Judas auslöst, kostet nicht nur Jesus das Leben, sondern auch ihn selbst. Die Szene ist sehr einfach gestaltet; nur das Wesentliche zählt: was nach Lukas passiert ist. Die Motive des Judas bleiben im Dunkeln. Nur dass er den Hohepriestern und Strategen in die Hände spielt, wird betont.
22,3–6 Der Entschluss des Judas
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22,3 Der Satan in Judas 22,4–5 Judas bei den Hohepriestern und Hauptleuten 22,6 Judas auf der Suche nach einer Gelegenheit Lukas folgt der markinischen Vorlage (Mk 14,10–11). Aber er zeichnet den Satan ins Bild und gibt der Geschichte dadurch eine ganz eigene Wendung. In der Situation, die durch die Nähe des Passahfestes, die Beliebtheit Jesu beim Volk und die erklärte Absicht der Hohepriester vorgegeben ist, Jesus zu Tode zu bringen (22,1–2), ergreift „Satan“ die Initiative (3) (3). Das hebräische Wort heißt: Widersacher. Für Lukas ist Satan der Teufel. Der Evangelist hat nach der Versuchung Jesu in der Wüste notiert, dass der Teufel von Jesus „bis zu einem Zeitpunkt“ Abstand gehalten hat (4,13). Nach der Auslegung des Sämanngleichnisses ist er aber darauf aus, denen, die auf den Weg des Glaubens gekommen waren, das Wort Gottes aus dem Herzen zu reißen (8,12); so geschieht es hier bei Judas. Der „Satan“ ergreift von ihm Besitz. Jesus sah ihn „wie einen Blitz vom Himmel fahren“, so dass er auf Erden Schaden anrichtet (10,18). Er hat am Sabbat eine Frau geheilt, die von Satan gefangengenommen war (13,10–17). Jetzt schlägt der Teufel, der große Feind Gottes und der Menschen, im Kreis der Zwölf selbst zu. Von einer Verteufelung des Judas zu sprechen, ist bei Lukas unangemessen. Eine Moralisierung der Auslieferung Jesu führt auf eine falsche Fährte (auch wenn Matthäus dieser Spur folgt). Der Verweis auf Satan macht vielmehr das Unerklärliche, das Sinnlose der Tat deutlich. Judas ist durchaus verantwortlich; aber das Geschehen überfordert ihn. Er wird zum Opfer seines eigenen Handelns. Er will den Lauf der Dinge bestimmen, wird aber von ihm fortgerissen. Dass Judas einer der „Zwölf“ ist, wird auch bei Lukas von Anfang an betont (6,16) – ein Hinweis darauf, wie gefährdet die privilegierte Nähe zu Jesus ist, auch wenn das „Amt“ (Apg 1,17) grundlegend bleibt: die Verwurzelung der Kirche in Israel darzustellen und die Kontinuität zwischen der vor- und der nachösterlichen Verkündigung zu gewährleisten (Apg 1,15–26). Judas ergreift die Initiative (4) (4). Vom Satan besessen (V. 3), geht er zu den Hohepriestern, der mächtigsten Partei im Hohen Rat, und zu den „Hauptleuten“ (griechisch: den Strategen), die das Wachkommando am Tempel unter sich hatten. Weil die Geschichte zuerst im innerjüdischen Rahmen verläuft, wird Lukas nicht an römische Kommandanten (23,47: Hundertschaftsführer), sondern an die Führung der jüdischen Wachmannschaft (22,52; 22,63; vgl. Apg 4,1; 5,24) gedacht haben. Dass Lukas schreibt, Judas sei weggegangen, markiert seinen Parteiwechsel; dass er schreibt, Judas habe sich mit den jüdischen Autoritäten besprochen, zielt auf das Einvernehmen, das hergestellt wird. Wie Judas Zugang zu diesen
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Kreisen gefunden hat, bleibt offen. Aber Lukas hat erzählt, dass die Gegner Jesus Spitzel geschickt haben, um Jesus auszuhorchen (20,20); Judas ist ein besonders wichtiger Informant, ein Überläufer. Geld spielt zuerst keine Rolle. Judas kommt den Autoritäten gerade recht (5) (5), weil er die Chance verbessert, Jesus festzunehmen, ohne dass das Volk viel mitbekommen kann (20,2). Die Hohepriester und Hauptleute kommen zuerst unter sich überein, Judas eine Prämie auszusetzen, damit er bei der Stange bleibt. Danach willigt Judas ein (6) (6), das Geld zu nehmen. Auch hier teilt Lukas keine Motive mit, sondern belässt es bei den Fakten (die sie für ihn waren). Er lenkt den Blick darauf, dass Judas nach einer Chance sucht, Jesus heimlich festnehmen zu lassen. Nach dem Letzen Abendmahl wird sie sich bieten (22,47–53). Judas ist für Lukas eine zerrissene Gestalt: Täter und Opfer zugleich, ein Getriebener, der sein Unwesen getrieben hat, ein willkommener Überläufer, der sich selbst verraten hat, ein Handlanger der Mächtigen, der ausgenutzt worden ist. Lukas bringt Satan ins Spiel, weil er keine rationale Motivation für das Handeln des Judas erkennt, kein unmoralisches Kalkül, keine verwegene Hoffnung, die in Verzweiflung endet, sondern nur ein böses Spiel mit Verrat und Kalkül, Schuld und Tragik. Lukas macht Judas nicht zum Monster der Heilsgeschichte; aber er sieht ihn mit schwerer Sünde belastet. Die spätere gnostische Variante, Judas habe Jesus am besten verstanden und ihm einen Gefallen getan, indem er ihn ausgeliefert habe, weil Jesus dadurch die fleischliche Hülle seines irdischen Daseins losgeworden sei (so das apokryphe Judasevangelium), ist das Gegenteil. Historisch wird zuweilen kritisiert, dass Judas keine Chance auf einen Verrat gehabt habe, da Jesus eine öffentliche Figur gewesen sei, die man jederzeit hätte verhaften können, auch ohne viel Aufhebens zu machen. Aber Potentaten arbeiten allzu gerne mit Spitzeln, Überläufern und Verrätern zusammen. 22,7–13 Die Vorbereitung des Paschamahles 7Das Fest der ungesäuerten Brote kam, an dem man das Paschalamm schächtet. 8Und er sandte Petrus und Johannes und sagte: „Geht und bereitet uns das Paschalamm, damit wir essen können.“ 9Die sagten ihm: „Wo, willst Du, sollen wir es bereiten?“ 10Er sagte ihnen: „Siehe, wenn ihr in die Stadt kommt, begegnet euch ein Mensch, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm in das Haus, in das er hineingeht, 11und sagt dem Besitzer des Hauses: ‚Der Lehrer sagt dir: Wo ist der Raum, in dem ich das Paschalamm mit meinen Jüngern essen kann?‘ 12Jener wird euch ein großes, mit Polstern ausgelegtes Obergemach zeigen. Dort bereitet es.“ 13Sie gingen los und fanden es, wie er es ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Paschalamm.
22,7–13 Die Vorbereitung des Paschamahles
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Ähnlich sorgfältig, wie Jesus seinen Einzug nach Jerusalem vorbereitet hat (19,29–35), bereitet er die Paschafeier vor, die er mit seinen Jüngern in Jerusalem halten wird (22,14–24). Ähnlich wie dort, kann er mit starker Unterstützung vor Ort rechnen. Bei Lukas passt die Szene sehr gut ins Bild, weil er immer wieder die starke Sympathie betont, die Jesus auch in Jerusalem beim Volk genießt (zuletzt 19,48; 21,37–38; vgl. 23,2.6). Das Paschamotiv hat Lukas noch stärker als Matthäus, Markus und Johannes betont (22,14–19), weil das Fest die jüdischen Wurzeln Jesu und seiner Jüngerschaft zeigt, die Heilsverheißungen Israels wachhält und die Befreiung aus dem Sklavenhaus Ägypten mit der endgültigen Erlösung vermittelt, für die Jesus sein Leben gibt. Die Geschichte ist ähnlich aufgebaut wie der Auftakt der Einzugsge schichte. 22,7 22,8–12 22,13
Die Zeitangabe Die Aussendung von Petrus und Johannes zur Vorbereitung 8 Die Aufforderung Jesu 9 Die Rückfrage der beiden Boten nach dem Ort der Feier 10–12 Die Anweisung Jesu Die genaue Ausführung des Auftrages
Markus hat die Geschichte ähnlich erzählt: mit dem Wasserträger und dem Haus mit dem Obergemach (Mk 14,12–16). Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass Lukas schreibt, Jesus habe Petrus und Johannes gesendet, während Markus nur von zwei Jüngern weiß, ohne Namen zu nennen. Petrus und Johannes arbeiten auch nach der Apostelgeschichte sehr eng zusammen (Apg 3,1–10; 4,13; 8,14–25). Lukas hat sie bereits an dieser Stelle als apostolisches Duo zusammengestellt. Das „Fest der ungesäuerten Brote“ (20,2), das mit dem Paschafest beginnt (Ex 12,15–20; Lev 23,6–7), bricht an (7) (7). Deshalb stellt sich die Frage, wo Jesus in Jerusalem, wie es vorgesehen ist, das Paschamahl feiert. Im Griechischen steht nur das verkürzte Wort pascha, das auch mit „Paschamahl“ wiedergegeben werden kann, hier aber auf das Paschalamm verweist, das gemäß der zur Zeit Jesu herrschenden Praxis im Tempel geschächtet worden sein soll, bevor es in den Familien zubereitet und verzehrt wird. Vom Opfer schweigen die Evangelien; das Fleisch spielt in der Abendmahlsüberlieferung keine Rolle; das Paschalamm ist nach 1Kor 5,7 Jesus Christus selbst. Die Leerstelle in der Erzählung passt zu dieser Christologie, die Jesu Identifikation mit Israel einfängt, die Heilsbedeutung seines Sterbens mit der Befreiung des Gottesvolkes verbindet und das Abendmahl als Verdichtung des christlichen Gottesdienstes begründet, der im Namen Jesu gefeiert wird.
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Die Aussendung von zwei Jüngern (8) entspricht der Praxis während des öffentlichen Wirkens (10,1). Die Zweizahl erhöht die Autorität. Jesus übernachtet am Ölberg (20,37); das Fest will er, wie in der jüdischen Überlieferung vorgesehen, am liebsten in der Stadt selbst feiern, wo er aber keine feste Stätte hat, sondern nur immer wieder im Tempel lehrt. Er wählt mit Petrus und Johannes Jünger aus dem Zwölferkreis aus (6,14), die – zusammen mit Jakobus – auch mit ihm im Haus des Jaïrus (8,51) und auf dem Berg der Verklärung gewesen sind (9,28), also an den sensiblen Punkten, da das Leben den Tod besiegt und der Himmel die Erde berührt. Beide fragen zurück, wo das Mahl stattfinden soll (9) (9), das gemäß der Exodustradition einige Vorbereitung benötigt, weil sich im Laufe der Zeit eine genaue Speisekarte herausgebildet hat. Jesus beantwortet die Frage (10–11) (10–11), indem er zwei Etappen des Findens voraussagt. Zuerst werden die Jünger in Jerusalem einen Mann finden, der einen Wasserkrug trägt. Das ist ungewöhnlich, weil das Wasserholen als Frauenarbeit galt. Das Ungewöhnliche könnte sich daraus erklären, dass der Mann zu den zölibatär lebenden Essenern gehörte. Er ist offenbar nicht der Besitzer des Hauses, in das er geht, sondern ein Diener. Die Verbindung erklärt die Szene am leichtesten, auch wenn es keine Sicherheit geben kann. Der zweite Schritt erfolgt dann im Haus: Der Besitzer scheint sofort zu wissen, wer „der Lehrer“ ist: Jesus, dessen Jünger seinem Diener gefolgt sind. Dass es bei allen Unterschieden sowohl in der Kritik des Tempels (19,45–48) als auch im Einsatz für die Heiligung Gottes (11,1–4) Verbindungen zwischen der jesuanischen und der essenischen Bewegung gegeben hat, kann die Plausibilität der Szene weiter erhöhen. Der Raum (katályma), nach dem Jesus die Jünger fragen lässt, ist ein Gastraum. Luther übersetzt – die Weihnachtsgeschichte im Sinn (2,7) – mit „Herberge“. Das „Obergemach“ (vgl. Apg 1,13) wird heute auf dem Zion gezeigt; die Traditionsspuren verlieren sich allerdings in der Spätantike. Der lukanische Ort ist überlegt gewählt: Passanten ist der Zutritt in ein höheres Stockwerk verwehrt; in den Abendmahlssaal kommt man nur auf dem Weg der Nachfolge. Der Raum ist groß genug für Jesus und die „Apostel“ (23,14). Die Polster, mit denen er ausgestattet war, erklären sich aus der antike Sitte, bei Tisch halb zu liegen und es sich bequem zu machen. Vorbereitet wird ein Festmahl. Dass die Jünger auch ein Lamm im Tempel schächten lassen mussten, wird nicht erwähnt. Der Schluss ist kurz und bündig (13) (13). Lukas ist wichtig, dass alles genau so kommt, wie Jesus es vorhergesagt hat; die Jünger sind gehorsam: Sie machen alles so, wie Jesus es vorgesehen hat. Die Sorgfalt der Vorbereitung entspricht der Bedeutung, die nach dem Lukasevangelium dem Paschafest für Jesus innewohnt. Es ist nicht nur der Zeitpunkt
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seines Todes. Es ist auch das Fest der Befreiung Israels, das er mitfeiert. Durch seine Passion und seine Auferstehung gibt er dem Ritus eine neue Form und gewinnt ihm einen neuen Sinn ab. Es handelt sich bei Lukas nicht um den Versuch, Juden um den Sinn ihres Festes zu bringen. Dass vom Schächten und Verzehr des Paschalammes keine Rede ist, zeigt die offene Stelle an, in der nach Lukas Platz für die eigene Gottesgeschichte der Juden bleibt, die nicht an Jesus glauben, während sich für die christliche Tradition, die sich im Christusglauben bildet, neue Riten herausbilden, die das Paschafest ins Licht des Todes und der Auferstehung Jesu rücken: Brot und Wein (22,19–20). Jerusalem ist im Lukasevangelium zwar eine Stadt, auf die Schlimmes zukommt (19,41–44; 21,20–24), aber auch eine Stadt, in der Jesus Gastfreundschaft findet. Deshalb ist die Feier des Letzten Abendmahls immer mit Jerusalem verbunden; überall, wo das Brot Jesu gebrochen und der Wein Jesu getrunken wird, ist Jerusalem. Der Vergleich mit der Vorbereitung des Einzugs (19,29–40) lässt das Interesse der Überlieferung erkennen, die prophetische Vorausschau Jesu zu unterstreichen. Die Ecksteine der Überlieferung – Gastfreundschaft in Jerusalem, Abendmahl vor dem Tode Jesu – passen; das Paschamotiv, das Lukas stark betont, steht in Spannung zur johanneischen Tradition, die historisch plausibler ist. 22,14–23 Das Letzte Abendmahl 14Und als die Stunde gekommen war, ließ er sich nieder und die Apostel mit ihm. 15Und er sagte ihnen: „Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, das Paschamahl mit euch zu essen vor meinem Leiden. 16Ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis es erfüllt sein wird im Reich Gottes.“ 17Und er nahm den Becher, dankte und sprach: „Nehmt ihn und teilt ihn unter euch. 18Denn ich sage euch: Ich werde von jetzt an nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt.“ 19Und er nahm Brot, dankte, brach es und gab es ihnen und sagte: „Dies ist mein Leib, der für euch gegeben ist. Dies tut zu meinem Gedächtnis.“ 20Desgleichen nahm er nach dem Mahl den Becher und sagte: „Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird. 21Aber siehe, die Hand dessen, der mich übergibt ist mit mir auf dem Tisch, 22weil der Menschensohn gemäß dem geht, was bestimmt ist. Aber wehe jenem Menschen, durch den er übergeben wird.“ 23Da begannen sie untereinander zu streiten, wer von ihnen es sei, der dies tun werde. Das Letzte Abendmahl verbindet das Wirken und das Leiden Jesu unter dem Aspekt seiner Heilswirksamkeit. Jesus agiert in der Souveränität, aber auch in der Demut, die ihn zeit seines Lebens ausgezeichnet hat; er nimmt in der Feier, der er vorsteht, seine Passion vorweg und bezieht sie
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auf das Reich Gottes, die Vollendung des verheißenen Heiles. Das zentrale Wort ist „geben“, verbunden mit „danken“. Der Dank (griechisch: die Eucharistie) gilt Gott, die Gabe gilt denen, mit denen und für die Jesus das Letzte Abendmahl feiert. In der Mitte der lukanischen Komposition stehen die Gaben von Brot und Wein (22,19–20). Erst danach deckt Jesus den Verrat durch einen der Tischgenossen auf (22,21–23). Judas hat also bei Lukas am Letzten Abendmahl teilgenommen. Den Auftakt der Erzählung bildet ein Stück lukanischen Sondergutes, das um den Paschawein kreist und die hoffnungsfrohe Erwartung Jesu ausdrückt, passend zur Festfreude Israels (22,14–18). In der Komposition kommt die Einbindung Jesu in die Paschafeier Israels zum Ausdruck, die auch im voranstehenden Stück über die Bereitung des Abendmahlssaales im Vordergrund stand (22,7–13), zugleich wird in der Tischgemeinschaft selbst deutlich, weshalb es der Lebenshingabe Jesu bedarf, die in der Feier vorweggenommen wird, und wie Jesus sein Leben verlieren wird: durch die Auslieferung eines, mit dem zusammen er Mahl hält. Die Dreierkonstellation prägt den Aufbau. 22,14–18 22,19–20 22,21–23
Die Freude Jesu über das Paschafest im Zeichen des Reiches Gottes 14 Die Stunde des Paschamahles 15–16 Die Prophetie Jesu 17–18 Der Paschabecher Die Gabe von Brot und Wein im Zeichen der Hingabe Jesu 19 Das Brot – der Leib Jesu 20 Der Becher – der neue Bund im Blut Jesu Die Ansage des Verrates durch einen der Tischgenossen 21–22 Die Vorhersage des Verrates 23 Der Streit der Jünger über die Person des Verräters
Die Gabe von Brot und Wein, verbunden mit den Worten Jesu, die seinen Leib und sein Blut zur Sprache bringen, gehört in allen Überlieferungen zum Letzten Abendmahl (vgl. Mk 14,22–25 par. Mt 26,26– 29; 1Kor 11,23–26). Es gibt aber Unterschiede. Nach Markus und Matthäus bezieht Jesus sich auf das „Blut des Bundes“ (Ex 24,8), das Mose am Sinai über den Altar und das Volk gesprengt hat. Nach Lukas und Paulus hingegen bezieht er sich auf den „Neuen Bund“ (Jer 31,31–34), den Jeremia verheißen hat, weil Gott seinem Volk eine Zukunft jenseits der babylonischen Gefangenschaft schafft, indem er sein Wort, die Tora, den Menschen ins Herz schreibt. In allen Varianten ist „für“ die entscheidende Präposition. Lukas hat sie mit der Doppelung „für euch gegeben“ – „für euch vergossen“ am stärksten von allen Überlieferungen betont. Der lukanische Auftakt, der das Paschamotiv stärkt, integriert die
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Prophetie Jesu, nicht mehr vom Gewächs des Weinstocks zu trinken, bis das Reich Gottes kommen wird (Vv. 17–18). Bei Markus und Matthäus steht sie direkt nach dem Becherwort. Lukas, der sie vorzieht, stärkt die Verbindung des Abendmahles mit dem Reich Gottes und zugleich mit der Paschafeier Israels. Nach Markus und Matthäus bezeichnet Jesus zuerst den, der ihn übergeben wird, Judas, bevor er das Mahl feiert; bei Lukas ist es umgekehrt. Bei ihm wird auch nicht Judas identifiziert, wie in den anderen Evangelien. Vielmehr bricht ein Streit unter den Jüngern aus – für Jesus Anlass einer längeren Mahnrede, in der er seine Jünger auf das Dienen als Grundvollzug der Nachfolge einstellt (23,24–38). Die lukanischen Charakteristika passen sehr gut zusammen: das endzeitliche Paschafest und der Neue Bund, die Hingabe Jesu und die Ansage des Verrates, der Streit der Jünger und die Heilswirkung des Abendmahles. Aus reiner Redaktionsarbeit an der Markusvorlage erklärt sich die Lukasversion schwerlich. Mehr spricht für die Annahme, dass Lukas einer eigenen Überlieferung folgt, Teil einer vorlukanischen Passionsgeschichte. Die Parallelen zum Ersten Korintherbrief erklären sich am besten dadurch, dass auch Paulus eine Überlieferung aufgreift, die in die vorlukanische Tradition eingeflossen ist. Die lukanische Besonderheit, dass mehrere Becher kreisen, erklärt sich historisch aus der jüdischen Pascha-Liturgie und literarisch aus der Einarbeitung von Sondergut. Am Paschafest selbst hält Jesus das Paschamahl (14) (14). Der Ritus ist durch Ex 12 vorgezeichnet und wird in der lebendigen jüdischen Tradition mit verschiedenen Speisen ausgestaltet, die symbolische Bedeutung haben. In der lukanischen Darstellung treten sie zurück. In den Vordergrund treten Brot und Wein, Leib und Blut Christi. Jesus feiert mit den „Aposteln“, also mit den Zwölf, den Stammvätern des Gottesvolkes, das Jesus im Zeichen des Reiches Gottes sammelt (6,13; 9,1–6). Es ist also eine Feier in und für Israel, aufgeschlossen für alle, denen die Apostel das Evangelium verkünden sollen (24,47–49; Apg 1,8). Die Feier Jesu mit den Zwölf Aposteln am Vorabend seines Leidens markiert den qualitativen Unterschied zu den Gastmählern, die Jesus zeit seines Lebens mit Sündern (5,27–32; 15,1–2) und mit tausenden von Menschen gefeiert hat (9,10–17). In der Paschafeier Jesu kommt nicht nur sein ganzes Leben, sondern auch sein ganzes Sterben im Licht der Auferstehung zur Geltung. Im Gespräch mit seinen Jüngern, zu Beginn des Mahles (15) (15), bringt Jesus seine Sehnsucht zum Ausdruck, die der messianischen Erwartung im Volk (3,15) entspricht. Hier muss páscha mit Paschamahl übersetzt werden, weil es nicht speziell um das Lamm, sondern um die Feier selbst geht. Jesus wünscht sich die Gemeinschaft mit seinen Jüngern inmitten der Gottes-
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freude Israels, das Volk der Befreiung zu sein. Er sehnt sich nicht nach dem Leiden. Er sehnt sich nach einem Fest der Freiheit, das Israels Exodus vergegenwärtigt und die endgültige Erlösung vorwegnimmt. Die Sehnsucht ist Vorfreude auf die Auferstehung (16) (16). Jesus greift die endzeitliche Hoffnung auf, die nicht alle, aber einige im Judentum seiner Zeit hatten, verbindet sie mit dem Paschafest und macht sie nicht an irdischen Größen, auch nicht an einem ruhmreich erneuerten Reich Davids, fest, sondern im Jenseits, das ins Diesseits reicht, und in der Zukunft, die schon die Gegenwart bestimmt. Jesus verbindet diese allgemeine mit seiner persönlichen Zukunftserwartung: Er wird auferstehen; seine Auferstehung (9,22) – oder Auferweckung (18,31–34) – wird aber nicht nur seine persönliche Rettung oder die Bestätigung seiner Sendung sein, sondern Teil der Wiederherstellung ganz Israels (vgl. Apg 3,21). Das Gastmahl der Vollendung (Jes 25,6–8) wird das Fest der vollendeten Freiheit sein. Jesus wird es ausrichten; im Letzten Abendmahl vermittelt er einen Vorgeschmack. Um seiner Freude Ausdruck zu verleihen, nimmt Jesus einen ersten Becher (17) (17), ihn seinen Jüngern zu reichen. Der Becher gehört zum Ritus der häuslichen Paschafeier. Der Wein steht für die Festesfreude, die sich aus dem Geschenk der Freiheit erklärt – auch wenn die Vollendung nur erst Verheißung ist. Jesus will diese Freude teilen; deshalb lässt er den Becher unter seinen Tischgenossen kreisen. Er selbst aber verzichtet (18) (18). So wie er kein weiteres Paschafest auf Erden mehr feiern wird (V. 16), wird er auch bei diesem letzten keinen Wein mehr trinken: Er will nichts für sich, sondern ist ganz Gabe. Sein Verzicht verweist auf seinen Tod voraus. Der Tod hat aber nicht das letzte Wort. Im vollendeten Reich Gottes wird das Freudenfest mit Jesus gefeiert, der dann aus demselben Grund den Wein Gottes trinken wird, aus dem er jetzt verzichtet. Auf den paschatheologischen Einstieg folgt der Kern: zwei Gesten und zwei Worte, eine Gabe in zwei Teilen, ein Zuspruch in doppelter Ausführung. Alles bildet eine Einheit, zusammengehalten durch das Mahl mit den Zwölf, das Pascha Israels, die Perspektive des Reiches Gottes und die Person Jesu. Zuerst steht das Brot (19) (19). Das Brot ist das Grundnahrungsmittel, um das täglich zu bitten Jesus seine Jünger im Vaterunser gelehrt hat (11,1–4). Hier ist es ungesäuertes Brot (23,1.7), verweist also auf die Mazzen, mit denen sich Israel für den Auszug gestärkt hat. Fünf Aktionen Jesu schildert Lukas, die eine einzige Bewegung darstellen: nehmen – danken – brechen – geben – sagen. Jesus nimmt das Brot, das seine Jünger für das Mahl bereitet haben, im Haus des gastfreundlichen Jerusalemers, der Jesus und den Aposteln das Obergemach zur Verfügung stellt (22,7–13). Er dankt Gott, dem Schöpfer, der das Korn hat wachsen lassen und Israel aus Ägypten befreit hat, zum Zeichen
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seiner Hoffnung, die kein Tod besiegen kann. Diesen Dank an Gott gibt Jesus seinen Jüngern weiter; er lässt sie an seiner eigenen Eucharistie teilhaben, seiner Danksagung. Das Brechen des Brotes kann auf sein Leiden hinweisen, verweist aber zuerst auf die Tischgemeinschaft, die dadurch entsteht, dass alle an dem einen Brot teilhaben (vgl. 1Kor 10,16–17). Es gibt nur ein einziges eucharistisches Brot (vgl. Didache 9,3) – für alle Zeiten: das Brot Jesu selbst (vgl. 1Kor 11,26). Das Geben des gebrochenen Brotes zielt auf das gemeinsame Essen der Apostel. Sie alle essen von dem einen, geteilten Brot. Dem Geben entspricht das Sprechen Jesu, das selbst Gabe ist und das Brot qualifiziert. Das Demonstrativpronomen „dies“ bezieht sich auf dieses Brot, obwohl im Griechischen das Pronomen Neutrum, Brot aber Maskulinum ist; denn in der Koine, in der Alltagssprache zur Zeit der Evangelisten, kann sich das Demonstrativpronomen auf das Prädikatsnomen beziehen, Leib, griechisch: sôma, grammatikalisch ein Neutrum. Jesus bezieht sich auf das Brot, das er genommen, für das er Gott gedankt und das er gebrochen und gegeben hat, damit es gegessen werde. Dieses Brot identifiziert Jesus mit seinem Leib (sôma). Der Leib steht in der biblischen Anthropologie nicht nur für einen Teil des Menschen, z. B. seinen Körper, sondern für den ganzen Menschen – unter dem Aspekt, dass er ein Wesen von Fleisch und Blut ist, das geboren worden ist und sterben wird, mit seinen Sinnen kommuniziert und ebenso Schmerzen erleidet wie Freuden erfährt. „Dies ist mein Leib“, heißt also paraphrasiert: „Dies bin ich selbst in meinem Leben.“ Früher gab es einen kontroverstheologisch aufgeladenen Streit, ob das „ist“ symbolisch oder real zu verstehen sei. Die Forschungen zur biblischen Sprache haben in Verbindung mit einer philosophisch-theologischen Zeichentheorie diese Differenzen aufzulösen vermocht: Jesus setzt ein Zeichen – und dieses Zeichen realisiert, was es bezeichnet. Es ist ein performativer Akt: Es wird erschaffen, was besagt wird – weil Jesus es gesagt hat, der Messias Gottes, der sein ganzes Leben in den Dienst Gottes und der Menschen stellt. Dieses Geben, das im Dienen Jesu wurzelt, kommt durch die lukanische Fortsetzung als Heilsgeschehen zur Sprache. Entscheidend ist die Präposition: „Für“. Sie ist das Schlüsselwort der gesamten neutestamentlichen Heilsverkündigung. Das Wort hat drei Grundbedeutungen. Erstens zugunsten: Jesus vermittelt allen, die sein Brot essen, das Reich Gottes, beginnend mit der Vergebung der Sünden und hinführend zur Auferstehung der Toten und zum ewigen Leben. Zweitens anstelle: Jesus gibt sich stellvertretend für diejenigen, die in ihrer Not und Schuld, ihrer Hoffnung und ihrem Glauben sich selbst geben, was sie durch Teilhabe an Jesus, der sich zu ihren Gunsten hingibt, können, indem sie sein Brot essen. Drittens wegen: Jesus nimmt die Schuld durch
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seine Stellvertretung derer auf sich, für die er sich hingibt, indem er an ihrer Stelle und zu ihren Gunsten lebt und stirbt. Sie werden von ihm nicht verdrängt, sondern gespeist und gestärkt; deshalb essen sie sein Brot. Die Tischgemeinschaft soll vom Heilsdienst Jesu profitieren. Deshalb heißt es: „für euch“, wie später auch beim Becher (V. 20). Bei Markus und Matthäus heißt es, allerdings nur beim Wein: „für viele“. Gemäß der hebräischen Sprachtradition, die durch das neutestamentliche Griechisch durchscheint, bedeutet dies: für alle (vgl. Jes 53,12). Bei Lukas schaut Jesus auf die Apostel (V. 14). Sie repräsentieren das gesamte Volk Gottes. Deshalb ist die Anrede nicht exklusiv, sondern positiv zu verstehen: Indem Jesus seinen Aposteln das Brot und den Wein reicht, lädt er alle ein, die Mitglieder des Volkes Gottes sind, wann immer sie es auch werden; sie stehen mitten in der Welt als Vorposten der Erlösung, die Gott für alle Menschen und die gesamte Welt im Sinn hat. Die Aufforderung: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ war früher auch Gegenstand kontroverstheologischer Debatten, weil die einen mehr an die Erinnerungskraft der Gemeinde, die anderen an die sakramentale Realpräsenz gedacht haben. Heute sind diese Differenzen überwunden, weil es ein gemeinsames Verständnis des biblischen Gedächtniskonzepts gibt: Erinnerung ist Vergegenwärtigung – durch Gott, der sich in Erinnerung bringt. Die Vergegenwärtigung des Letzten Abendmahls ist keine Wiederholung: Es ist das eine und einzige Letzte Abendmahl Jesu, das überall dort gefeiert wird, wo nach dem Wort und Zeugnis Jesu sein Brot und sein Becher mit Wein geteilt werden – in der Gemeinschaft der Kirche, deren Einheit durch den einen Gott und den einen Jesus vorgegeben wird, auch wenn sie durch Konfessionsbildungen gespalten ist und es keine volle Glaubensgemeinschaft gibt. Der Becher kreist nach dem Mahl (20) (20). Der erste Becher war, gemäß der jüdischen Sitte, ein „Prost“ („Es möge nützen“) auf das Pascha, eine Einstimmung in das Fest, Ausdruck der Vorfreude und der Hoffnung, die es ausdrückt (V. 17). Der zweite Becher beschließt das Mahl und öffnet es für die Zukunft. Er steht im Zeichen des Endes, das Anfang ist, weil er den Tod Jesu symbolisiert, der Leben schafft. Symbolisierung heißt: zeichenhafte Darstellung, die realisiert, was bezeichnet wird. Lukas wiederholt nicht das Nehmen, das Danken und Geben, das er beim Brot ausgeführt hat. Er schreibt vom Becher, meint aber nicht das Gefäß, sondern seinen Inhalt: den eucharistischen Wein. Wie er das Brot mit seinem Leib identifiziert hat, so den Becher mit dem Neuen Bund, eingedenk der Festfreude, die im vollendeten Reich Gottes herrschen wird (Jes 25,6–8). Der „Neue Bund“ ist ein Motiv, das durch Jeremia geprägt wird (31,31–34): das Trostbuch, das Hoffnung auf ein Ende des
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Exils macht, auf eine radikale Erneuerung des Gottesverhältnisses Israels durch Gott selbst, der die Mitglieder seines Bundesvolkes zu neuen Menschen macht, indem er ihnen seine Tora in ihr Herz schreibt. Lukas, der wie Paulus diesen Bezug herstellt (1Kor 11,25), geht einen Schritt weiter und bringt, wie beim Brot (V. 19), das „Für“ zur Sprache (vgl. Mk 14,24 par. Mt 26,28), das dieselbe dreifache Bedeutung hat: Jesus gibt sich selbst zugunsten der Jünger und aller Menschen, für die sie stehen, indem er ihretwegen handelt, die sie seiner Liebe bedürfen, und an ihrer Stelle, die sie des Lebens teilhaftig werden, das er durch sein Leben und seinen Tod in seiner Auferweckung schafft. Durch diese Hingabe und diese Verheißung wird der Neue Bund gestiftet. Er löst den Alten Bund nicht ab, sondern erfüllt ihn mit dem Leben des Reiches Gottes; er schreibt vor allem die Juden nicht ab, die nicht an Jesus glauben, sondern öffnet Gottes Bund für die Heiden, die zum Glauben gelangen werden. Dadurch wird er von Grund auf erneuert: Der neue ist der radikal erneuerte Bund. Lukas, der Verfasser nicht nur des Evangeliums, sondern auch der Apostelgeschichte, führt die universale Dimension nicht an Ort und Stelle aus, wohl aber durch das „euch“, das sich auf die Zwölf und durch sie auf das ganze Gottesvolk bezieht, als auch durch die Komposition seines Gesamtwerkes. Der Neue Bund wird „im“ Blut Jesu gestiftet. Das „Blut“ steht für das ganze Leben, und zwar auch im Sterben, wenn es „vergossen“ wird (Lev 17,11). Vom Blutkreislauf hatte die Antike keine Vorstellung, von der Symbolik des Blutes aber eine sehr genaue. Das „ist“ des griechischen Textes markiert eine dynamische Identifikation: Jesus stiftet den Bund durch sein Sterben; er gibt an diesem Bund denen Anteil, die aus dem Becher trinken. Er selbst trinkt nicht, denn er ist der Stifter, der sein Blut vergießen wird – für diejenigen, die Gott in das Volk seines Bundes aufnehmen will. Im alttestamentlichen Opferritus stellt das Blut, das vergossen wird, die tödliche Macht der Sünde im Prozess der Vergebung dar; personal übertragen, erschließt sich die Bildsprache beim Letzten Abendmahl: Jesus wird das unschuldige Opfer sündiger Gewalt, nimmt aber – wie der leidende Gottesknecht (Jes 53,12) – sein Leiden nicht als Grund, Gott um Rache, sondern Gott um Erlösung zu bitten: in der Sicherheit, erhört zu werden. In seinem gesamten Werk ist Lukas zurückhaltend, zu oft auf die Heilsbedeutung des Todes Jesu zu sprechen zu kommen. Aber diese Zurückhaltung erklärt sich nicht daraus, dass Lukas gegenüber der Vorstellung distanziert wäre, sondern daraus, dass sie für ihn so kostbar ist. In der Apostelgeschichte wird Paulus erst am Ende seines freien Missionswirkens die Heilsbedeutung des Todes Jesu ansprechen, wenn er die in Milet versammelten Presbyter aus Ephesus als bischöfliche Hirten der Kirche anspricht, die Gott
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„sich erworben hat durch das Blut seines Eigenen“, des Sohnes Gottes (Apg 20,28). So spart der Evangelist auch das „Für“ des Todes Jesu für den Höhepunkt des Letzten Abendmahles auf. Im direkten Anschluss, nur durch ein „aber“ abgetrennt, folgt auf die helle Verheißung die düstere Vorhersage (21–22) (21–22), dass einer der Tischgenossen Jesus ausliefern wird. Der „Menschensohn“ folgt Gottes Willen – im Sterben wie im Leben. Das, was „bestimmt“ (horízo) ist, entspricht Gottes Vorsehung, die er manifestiert (Vulgata: definitus), aber nicht einer Prädestination, die Jesus und Judas zu Marionetten machte. Im Hintergrund stehen abgründige Erfahrungen verratener Freundschaft, die in der Bibel vor Gott getragen werden (Ps 41,10: „Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot aß, hat seinen Fuß gegen mich erhoben“). Das Leiden des Messias ist vorausgesagt, aber deshalb nicht zwangsläufig; es bleibt die Schuld und Verantwortung derer, die es betreiben. Deshalb das „Wehe“ (vgl. 6,24–26 u. ö.). Es ist nicht mit einer ewigen Verdammung gleichzusetzen, aber mit einer Verurteilung, die Gottes Richtspruch am Jüngsten Tag vorwegnimmt und nur noch auf die Dialektik zu verweisen vermag, dass es kein Heil ohne Gericht, das Gericht aber um des Heiles willen gibt. Das Neue Testament ist offener als die Wirkungsgeschichte, die im Verräter den Verfluchten gesehen hat, die Ausgeburt der Hölle. Diese Offenheit nimmt nichts von der Schwere der Schuld, setzt aber alles auf Gottes Gerechtigkeit. Wer es ist, wird in der erzählten Situation nicht beantwortet (23) (23). Wer das Evangelium liest, weiß, dass es sich um Judas handelt (22,3–6), der ein Mahlgenosse Jesu ist und bis zum Ende bleibt. Aber die Apostel, die Tischgenossen, wissen es nicht und offenbaren ungewollt ihre eigene Anfälligkeit, indem sie streiten, wer es sei, der Jesus ausliefert. In dieser Unsicherheit blitzt eine Wahrheit auf: Jeder könnte es gewesen sein; jeder traut es dem anderen zu. Der Streit zeigt, dass der Neue Bund auch für die Jüngerschaft eine Verheißung ist, hinter der die Realität zurückbleibt; er ist aber real, auch indem er kritisiert, was im Binnenleben der Jüngerschaft schlecht ist, und anstößt, was mit Gottes Hilfe gut werden soll. Das Letzte Abendmahl ist eine Schlüsselszene des Lukasevangeliums, weil sie, theologisch reflektiert und literarisch stilisiert, eine Schlüsselszene des Lebens Jesu wiedergibt und in dieser Gestaltung den neben der Taufe zentralen Ritus des Urchristentums aufleuchten lässt: die Feier des Abendmahles resp. der Eucharistie. Die Nähe zu antiken Symposien, insbesondere philosophisch angehauchten Gastmählern, ist nicht zu verkennen, zumal Lukas ein Gespräch folgen lässt (22,24–38). Entscheidend ist aber der Bezug auf die Paschafeier Israels: die häusliche Festgesellschaft, die der Erinnerung an den
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Exodus dient, der Freude über die lebendige Gegenwart und der Hoffnung auf das Kommen des Messias, dessen Vorläufer Elija nach altem Brauch ein Platz freigehalten wird. Diese jüdische Tradition prägt auch die Abendmahlsfeier Jesu, von der Lukas erzählt. Jesus bejaht die Hoffnung Israels auf endgültige Erlösung und ihren Vorgeschmack mitten im Leben. Er prägt aber diesem Festmahl seinen eigenen Stempel auf. Denn indem er Brot und Wein gibt, knüpft er zwar an die Festkonventionen an, gibt ihnen aber einen von Grund auf neuen Sinn. Selbst Gast mit seinen Aposteln im Hause eines ihm wohlgesonnenen Jerusalemers (22,7–13), handelt er als Gastgeber, wenn er zu Beginn und zu Ende des Mahles den Becher erhebt und während des Mahles das Brot bricht; auch das Beten gehört zu dieser Rolle. Aber in Brot und Wein gibt Jesus nicht etwas, sondern sich selbst. Seine Deute- sind Gabeworte. Jesus ist in seinem Leben und Sterben der „Mensch für andere“ (Dietrich Bonhoeffer): nämlich für alle, die Gott retten will. Das Letzte Abendmahl ist nicht wie eines der früheren Gastmähler, die ihren eigenen Sinn haben und behalten. Es verdichtet das ganze Leben Jesu im Zeichen seines Todes und macht das Sterben durchsichtig für die Auferstehung. Denn indem Jesus sich selbst gibt, gibt er denen, für die er da ist, Anteil an Gottes Leben, Gottes Segen, Gottes Heil. In der Sprache der Dogmatik kann man von einem Sakrament sprechen: sichtbares Zeichen mit unsichtbarer Heilswirkung. In der Sprache des Evangeliums ist das Letzte Abendmahl eine prophetische Zeichenhandlung, die in zwei Gaben, zwei Gesten und zwei Worten das Ganze der Sendung Jesu ausdrückt. 22,24–38 Mahlgespräche 24Es entstand aber unter ihnen ein Streit, wer von ihnen als der Größte gälte. 25Er aber sagte ihnen: „Die Könige der Völker beherrschen sie, und ihre Machthaber lassen sich Wohltäter nennen. 26Bei euch aber sei es nicht so, sondern der Größte unter euch, sei wie der Jüngere und, wer führt, wie der Diener. 27Denn wer ist größer: wer zu Tisch liegt, oder wer bedient? Nicht, der zu Tisch liegt? Ich aber bin in eurer Mitte wie der Diener. 28Ihr aber seid es, die mit mir ausgehalten haben in meinen Versuchungen. 29Und so übergebe ich euch das Reich, wie es mir der Vater übergeben hat, 30damit ihr esst und trinkt an meinem Tisch in meinem Reich und sitzt auf zwölf Thronen, um Israel zu richten. 31Simon, Simon, siehe, der Satan hat sich ausbedungen euch zu sieben wie den Weizen. 32Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlösche. Und wenn du dich bekehrt haben wirst, stärke deine Brüder.“ 33Er aber sagte: „Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“ 34Er aber sagte: „Ich sage dir, Petrus, der Hahn wird heute nicht
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krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast.“ 35Und er sagte ihnen: „Als ich euch ausgesandt habe ohne Börse und Beutel und Sandalen, mangelte euch etwas?“ Sie sagten: „Nichts.“ 36Da sagte er ihnen: „Aber jetzt: Wer eine Börse hat, trage sie, gleichfalls den Beutel. Und wer nichts hat, verkaufe seinen Mantel und kaufe ein Schwert. 37Denn ich sage euch: Dies, was geschrieben steht, muss an mir vollendet werden: ‚Er wurde unter die Gesetzlosen gerechnet‘; denn was über mich geschrieben steht, hat ein Ziel.“ 38Sie aber sagten: „Herr, hier sind zwei Schwerter.“ Er aber sagte: „Es ist genug.“ Auf das gemeinsame Essen folgen Mahlgespräche. So ist es in der Antike und heute noch Brauch. Auch die Paschafeier setzt nicht nur die ritualisierten Geschichten des Mahles selbst voraus, sondern ein heiter ernstes Beisammensein im Anschluss. Diese Konvention greift Lukas auf und schreibt sie um. An die Verheißung seiner Abendmahlsworte und die belastende Vorhersage der Auslieferung anknüpfend, greift Jesus den abwegigen Streit seiner Jünger über die eigene Größe auf und verbindet die Feier des Abendmahls mit der Orientierung für die Zukunft: Er klärt zuerst das richtige Miteinander im Jüngerkreis, das vom wechselseitigen Dienen nach dem Vorbild Jesu begründet ist (22,24–27); er bekräftigt sodann seine Gemeinschaft mit den Jüngern nicht nur im irdischen Leben, sondern auch in der Vollendung (22,28–30); er öffnet Petrus die Augen für das kommende Drama seines Glaubens, das durch die Verleugnung Christi und das Gebet Jesu für ihn geprägt ist (22,31–34). Das Gespräch endet mit einer Vorbereitung seiner Jünger auf die kommende Herausforderung nicht nur seiner Passion, sondern auch der nachösterlichen Mission in schwierigen Zeiten (22,35–37) – was sie aber nicht richtig verstehen (22,38). Im Zentrum des Gespräches stehen die Jünger: ihre Probleme, vor allem aber ihre Berufung, die sich bereits auf Erden in einem neuen Miteinander des Dienens und der wechselseitigen Anerkennung erweisen muss, um jenseitig durch die Teilhabe an der Herrschaft Jesu vollendet zu werden. Wie notwendig die Mahnung und mehr noch die Verheißung ist, zeigt sich an Petrus, der bester Vorsätze ist, aber am meisten der Vergebung Jesu bedürfen wird, nachdem er ihn verleugnet hat. Wie ihm geht es allen: Nur in der Gemeinschaft mit Jesus können sie leben und wirken, hoffen und glauben. Nur in der Gemeinschaft mit ihm können sie auch ihrer Sendung folgen. Der Aufbau der Perikope zeigt die verschiedenen Aspekte und ihre Verbindung. Die Jünger sind vielfach gefährdet, wegen ihrer Nähe zu Jesus; Jesus aber steht ihnen bei und unterfängt ihr Versagen, in seiner Nähe zu ihnen.
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22,24–27 22,28–30 22,31–34 22,35–38
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Die Klärung der Machtverhältnisse im Jüngerkreis 24 Der Rangstreit der Jünger 25–27 Die Rangordnung Jesu Die Verheißung der Jünger 28 Die Gemeinsamkeit mit Jesus in seinen Versuchungen 29–30 Die Zusage eschatologischer Gemeinschaft Die Vorhersage der Verleugnung und Bekehrung des Petrus 31–32 Das Gebet Jesu für den angefochtenen Petrus 33 Die Beteuerung der Glaubenstreue durch Petrus 34 Die Vorhersage der dreimaligen Verleugnung Jesu Die Vorbereitung der Jünger auf die neue Herausforderung 35 Die Erinnerung an die vorösterliche Mission 36 Die Ansage einer neuen Mission 37 Die Begründung in der Passion Jesu 38a Das Unverständnis der Jünger 38b Die Abkündigung Jesu
Das Mahl- ist auch ein Abschiedsgespräch, nicht wie die johanneischen Abschiedsreden (Joh 14–16), aber doch so, dass testamentarische Motive aufscheinen: die Erinnerung an das, was war, die Deutung des Endes, das ein neuer Anfang sein wird, und die Vorbereitung auf die Zukunft: Jesus gibt seinen Jüngern alles mit auf den Weg, was sie brauchen – nicht nur ihr Wissen, das sie in seiner Schule gelernt haben, sondern sich selbst: in seiner Hingabe und seinem Gebet, seiner Prophetie und seiner Wegweisung. Lukas hat augenscheinlich auch redaktionell gearbeitet, um diese Gesprächssituation zu schaffen. Denn Markus hat vom Rangstreit der Jünger auf dem Weg Jesu nach Jerusalem erzählt (Mk 10,41–44 par. Mt 20,24–28) und von der Ankündigung der Verleugnung auf dem Weg vom Abendmahlssaal nach Gethsemane (Mk 14,26–31 par. Mt 26,30–35), während der dritte Teil Sondergut ist, also eine Tradition, die Lukas selbständig recherchiert hat. Der Evangelist markiert einen kleinen Einschnitt (24) (24), aber der Streit, der unter den Jüngern über die eigene Größe ausbricht, ist nur die Fortsetzung ihres Haderns, wer von ihnen Jesus in die Hand seiner Feinde übergeben wird (V. 23). Denn dort geht es darum, einen Verräter auszugrenzen, und hier darum, sich vor anderen hervorzutun. Lukas hat von einer ganz ähnlichen Szene schon bei seiner Erzählung vom Wirken Jesu in Galiläa erzählt (9,46–48) – zum Ende dieser Phase. Nun zeigt sich, dass die Jünger nach wie vor mit dem Problem zu kämpfen haben, aus ihrer Nähe zu Jesus Machtansprüche abzuleiten und sie gegen andere Jünger zur Geltung zu bringen. Die Platzierung im Abendmahlssaal zeigt an, dass es sich um ein bleibendes Problem handelt, auch in der nachösterlichen Jüngergemeinde.
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Die Antwort, die Jesus gibt (25) (25), entspricht genau derjenigen, die er bereits in Galiläa gegeben hat. Aber – entsprechend der markinischen Vorlage (Mk 10,41–44) – setzt Jesus einen theologischen Akzent, indem er politisch wird. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, charakterisiert er die Machtpolitik: Könige verstehen sich als Herren ihrer Völker; wenn sie sich, was oft geschah, Wohltäter nennen lassen, reklamieren sie zwar anerkannte Ideale politischer Herrschaft für sich, wollen sich aber nur in den Mittelpunkt stellen. Bei den Jüngern soll es anders sein – ist es aber nicht immer, weshalb es der Mahnung bedarf (26) (26). Ähnlich wie in 9,48 stellt Jesus nicht einfach die in der Gesellschaft herrschenden Hierarchien auf den Kopf, sondern stößt einen permanenten Rollentausch an, der das Dienen als Prinzip der Jüngerschaft verwirklicht: In der antiken Gesellschaft gelten die Alten mehr als die Jungen; deshalb variiert Jesus seinen Aufruf, wie die Kinder zu werden (18,15–17). Wer groß sein will (was jeder wollen soll), werde klein – und dadurch groß und dadurch wieder klein und so weiter und so fort; wer führen will (was die pastorale Aufgabe der Apostel sein wird, die sie an Nachfolger zu übergeben haben), diene den anderen, erweist sich dadurch als Führungskraft und steht vor der Versuchung, Privilegien zu reklamieren, die nur durch konsequentes Dienen bestanden werden kann. Selbst das Dienen kann zur Ideologie werden und Machtansprüche verschleiern; aber die Konsequenz kann nicht sein, Macht nicht als Dienst, sondern Macht konsequent als Dienst zu verstehen und auszuüben. Um diese Umformung irdischer Hierarchien zu begründen, verweist Jesus auf sich selbst (27) (27). Er greift die Situation der Tischgemeinschaft auf, die er durch die Paschafeier und die Hingabe seines Lebens in Form der Gabe von Brot und Wein geprägt hat: als Gastgeber, der Gast, als Herr, der Knecht, als Geber, der Gabe ist. „Dienen“ bringt es bei Lukas auf den Begriff: nicht unfreies Befolgen fremder Befehle, sondern überzeugter Einsatz für andere. Jesus ist Vorbild – und mehr als das, nämlich derjenige, der die Verheißung wahrmacht, auf der das Ethos des Dienens ruht: dass nicht die Gutherzigkeit von Menschen ausgebeutet wird, sondern die Barmherzigkeit Gottes Geltung erlangt. Dass der Herr, der erwartet wird, wenn er kommt, zum Diener wird, der den Seinen aufwartet, ist die Verheißung Jesu (11,37). Er ist als Retter Vorbild, weil er in seinem Heilswirken der Liebe Gottes folgt, und als Vorbild Retter, weil er das Heil nicht vom Verhalten abhängig macht, sondern das Ethos aus der Gnade folgen lässt. In der zweiten Gesprächsphase konkretisiert Jesus für die Jünger, die Zwölf Apostel (V. 14), die Verheißung, die dem Reich Gottes entspricht. So wie er sich danach gesehnt hat, das Paschafest mit ihnen zu feiern
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(22,15), öffnet er ihren Blick in die Zukunft. Ihr Rangstreit ist auch deshalb verfehlt, weil für sie alle längst gesorgt ist. Jesus schätzt die irdische Gemeinschaft mit ihnen: Die Versuchungen, die Jesus nicht erspart geblieben sind (28) (28), gehen über die teuflischen Attacken in der Wüste hinaus (4,1–13); sie begleiten sein ganzes Leben (12,50), wie sich hernach am Ölberg zeigen wird (22,39–46). Die Jünger, ihrerseits schwach und angefochten, sind aber doch bei ihm geblieben – bis in den Abendmahlssaal hinein. Ohne diese Treue hätte Jesus nicht mit ihnen Pascha feiern können. Jetzt führt er aus (29–30) (29–30), was in diesem gemeinsamen Mahl angelegt ist: der Vorgeschmack des endzeitlichen Mahles im vollendeten Reich Gottes (Jes 25,6–8; vgl. Lk 13,29; 14,15–24). Jesu Prophetie geht aber noch weiter. Er sagt „mein“ Reich, weil es das Reich Gottes ist, in dem er der Diener seiner Jünger bleiben wird (12,37). Deshalb werden sie auch an der richterlichen Vollmacht Jesu teilhaben. Als Zwölf repräsentieren sie Israel; so werden sie auf zwölf Richterthronen Israel richten. Das Bild stammt aus der jüdischen Apokalyptik (äthiopischer Henoch 108,12; 1Q pHabakuk 5,5; 1Kor 6,2–3). Es ist konsequent, wenn die Bundesgemeinschaft, die Jesus mit dem Letzen Abendmahl stiftet (V. 20), nicht die Passivität, sondern die Aktivität der Jünger herausfordert, die sich durch Jesus Christus ergibt. Wenn die Apostel richten, dann im Sinne Jesu, also um die Sammlung des Gottesvolkes (13,33–34) zu vollenden (21,27–28). Beides ist und bleibt die Sache Jesu; er wirkt aber auch durch die Menschen, die er gesandt hat. Im dritten Gesprächsgang wendet Jesus sich persönlich Petrus zu, ohne allerdings die anderen Jünger aus dem Blick zu verlieren (31) (31). „Satan“ ist der mythische Widersacher Gottes und deshalb der Todfeind aller Menschen. Er hat sich des Judas bemächtigt (22,3); er will auch alle anderen Jünger beherrschen. Deshalb hat er sich – ohne dass dessen Name fiele – an Gott gewandt und von ihm die Erlaubnis erhalten, die Jünger zu sieben, d. h. auf die Probe zu stellen. Die Hiob-Geschichte lebt auf; die Vaterunserbitte: „Führe uns nicht in Versuchung“ (11,4), erweist ihre Relevanz (vgl. 22,40.46). Die Jünger wissen im Beten, der Versuchung zu erliegen und so nicht nur Gott zu verlieren, sondern auch ihr eigenes Leben – wenn sie sich nicht von Gott führen lassen. So wie Jesus die Jünger im Glauben, erhört zu werden, das Bitten lehrt (11,1–13), sagt er hier Petrus seine Fürbitte zu. Simon wird in die Versuchung geraten, Jesus zu verleugnen – und ihr erliegen (22,54–62). Aber Jesus wird bei seinem Jünger bleiben, im Gebet (32) (32), also mit Gott. Entscheidend ist der Glaube (vgl. 17,5). Simon wird eine große Schwäche zeigen, so die jesuanische Diagnose, aber seinen Glauben nicht verlieren. Deshalb bietet sich ihm die Chance der Bekehrung, die er ergreifen wird: weil er sich an Jesus erinnert, der ihn nicht fallen lässt (22,61–62). Nach seiner Bekehrung
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wird Simon den wahren Petrusdienst leisten: seine Glaubensgeschwister zu stärken. Er kann von seiner eigenen Schwäche erzählen, die ihn doch nicht hat scheitern lassen, sondern dank Jesu zur Stärke geworden ist, die andere zu stärken vermag: nämlich ihnen das Evangelium, die Person Jesu und das Heilsdrama der Konversion vor Augen führen kann. Simon Petrus hingegen ist nach dem Abendmahl der sicheren Auffassung, diese Hilfe nicht nötig zu haben (33) (33). Er beteuert seine Bereitschaft zum Martyrium – wie Jesus es für kommende Zeiten vorhergesagt hatte (21,11–19). Der Text macht nur Sinn, wenn Simon vollkommen von sich und seiner Stärke überzeugt ist, guten Mutes und besten Willens. Deshalb zeigt sich, dass sein Bekenntnis nur eine weitere Variante jenes Problems der Jünger ist, das Jesus von Anfang an nach dem Mahl bespricht: dass sie meinen, groß und stark zu sein, ausgezeichnet und belastbar, ohne erkannt zu haben, dass sie Jünger und Apostel nur mit Jesus sind, durch ihn und für ihn. Jesus will ihn nicht demütigen, wenn er die Verleugnung voraussagt (34) (34). Er weist nur auf die Realität hin: auf das, was kommen wird, ohne dass Simon es wahrhaben will. Hier spricht Jesus von „Petrus“ (6,14) – und hat nicht nur einen anderen Namen im Sinn, sondern ihn selbst als den Ersten der Zwölf. So wie der immer an letzter Stelle genannte Judas Jesus übergeben wird (22,3–6), wird Petrus, der erste der Zwölf, ihn verleugnen: so fragil ist die Größe der Zwölf, so stark aber auch die Gnade Gottes, aus dieser Schwäche das Beste zu machen – menschliche Zeugnisse des Evangeliums Gottes. Redaktionell kurz abgesetzt ist der dritte Gesprächsgang. In ihm bereitet Jesus die Jünger auf das vor, was auf sie zukommen wird. Zuerst erinnert er an die vorösterliche Mission (35) und vor allem an die harten Regeln, die vielen Verzichte, die sie auf sich nehmen mussten, um sich ganz von denen abhängig zu machen, deren Gastfreundschaft ihnen Zugang zu ihren Häusern und Herzen verschafft hat (9,1–6; vgl. 10,1–16). Jesus erinnert sie daran, dass es ihnen an nichts gefehlt hat: weil sie offene Ohren und Herzen gefunden haben (9,10; vgl. 10,17). Die Erinnerung dient dazu, Vertrauen zu schaffen: zu Gott und zu Jesus. In der Passion wird es extrem herausgefordert, in der Mission muss es bewiesen werden. Freilich ändern sich die Zeiten und verlangen neue Formen (36) (36). Alles das, was die Jünger in den kurzen Phasen der vorösterlichen Mission zuhause lassen sollten, sollen sie jetzt mitnehmen: weil es gilt, viel größere Distanzen zu überbrücken und viel weitere Zeiträume zu füllen, wenn es an die Verkündigung unter den Völkern geht (24,47–48; Apg 1,8). Sie braucht geordnete Finanzen und eine gute Logistik; die Apostelgeschichte wird zahlreiche Beispiele liefern, wie durch großzügiges Teilen und vorausschauende Planung die Gemeinschaft der
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Glaubenden nach innen und außen wächst. Vor allem braucht die Mission unter neuen Vorzeichen den vollen Einsatz aller. Dafür steht die Fortsetzung des Verses, in der typisch jesuanischen Zuspitzung mit dem Wort vom Schwert. Die Meinung, Jesus werde in der letzten Stunde nun doch zum Zeloten, der einen militärischen Aufstand plant, ist abwegig. Sie verkennt nicht nur das Ethos der Feindesliebe (6,27–36), das Jesus bis zum letzten Atemzug bewährt (23,34), sondern auch die Gattung des Wortes. Jesus prägt ein Bild, das die Notwendigkeit zeigt, sich auch dann mit allem, was man hat, einzubringen, wenn man so gut wie nichts an Geld und Gütern hat. Die arme Witwe bleibt ein Vorbild (22,1–4). Der Mantel ist durch das alttestamentliche Armenrecht geschützt (Ex 22,25–26; Dtn 24,13); nach dem Gebot der Feindesliebe soll, wem der Mantel genommen wird, auch noch das Hemd geben (6,29), um den Kreislauf der Vergeltung zu durchbrechen. Im Mahlgespräch entwickelt Jesus das passende Gegenbild: Wie sogar der Mantel eingesetzt werden soll, um Gewalt zu überwinden, so auch, um in den Kampf für die Verkündigung des Evangeliums zu ziehen. Jesus selbst hat von sich gesagt, dass er „das Schwert“ zu bringen gekommen sei (12,51), also die kritische Auseinandersetzung, jenseits aller Beschwichtigungen. In dieser Nachfolge steht auch die Aufgabe der Jünger. Bei der Verhaftung wird von den Jüngern zur Verteidigung Jesu ein Schwert gezogen werden, aber nicht im Sinne Jesu, der vielmehr den Verletzten, einen Diener des Hohepriesters, heilt (22,49–51). Auch diese Szene spiegelt die Metaphorik des Wortes und unterstreicht nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit eines Zeugnisses für Gott, das genau deshalb überzeugend und stark ist, weil es gewaltfrei ist. Die Begründung für diese Weisung führt erneut tief in die Passionstheologie (37) (37). Jesus verwurzelt seine Sendung und auch sein persönliches Geschick im Zeugnis der Heiligen Schrift Israels – weil sie auf menschliche Weise das Wort Gottes bezeugt. Das „Muss“ ist keine Zwangsläufigkeit, die Jesu Freiheit beschnitte, sondern eine Konsequenz, die sie erzeugt: In einer ungerechten Welt bleibt er bei Gottes Gerechtigkeit, auch indem er die Versuchungen besteht, denen er ausgesetzt ist (22,28). Er bezieht sich bei Lukas auf den leidenden Gottesknecht (Jes 53,12), der sein Leben als Opfer einsetzt, um die Täter zu versöhnen, und darin von Gott gerechtfertigt wird. Auch das „Für“ des Letzten Abendmahles (22,19–20) ist vom Bezug auf diese Figur und dieses dialektische Heilsgeschehen geprägt. Hier liegt der Fokus allerdings nicht auf der Heilsvermittlung, sondern auf der Verkennung und Verleumdung Jesu, die er sich gefallen lässt, weil sich durch seine Gewaltlosigkeit, die passiver Widerstand ist, im Kreuz sein Versöhnungswerk verdichtet (vgl. 23,39– 42): Gekreuzigt wurden Schwerverbrecher; Jesus ist angeblich ein Blas-
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22–23 Die Passionsgeschichte
phemiker, der das Gesetz missachtet; so erklärt sich, dass er „unter die Gesetzlosen“ gerechnet wurde. In seiner Passion bewahrheitet sich die jesajanische Prophetie. Häufig wird in den Übersetzungen vom „Ende“ gesprochen. Das griechische Wort, télos, kann tatsächlich diese Bedeutung haben; hier aber ist die ebenso korrekte Wiedergabe „Ziel“ angemessener, weil es um die letzte Konsequenz sowohl der Prophetie als auch des Dienens Jesu geht. Die Jünger missverstehen das Bild des Schwertes (38) und wollen gleich zwei Waffen vorzeigen; damit nehmen sie die Fehlleistung bei der Gefangennahme vorweg, dass sie den Diener des Hohepriesters verletzen (22,49–51), ohne doch Jesus heraushauen zu können, der vielmehr den Weg der Gewaltlosigkeit geht, weil er nur so den Hass und die Gewalt zu überwinden vermag. Die beiden Schwerter gehören zur normalen Ausstattung; es handelt sich nicht um schweres Gerät, sondern um leichte Waffen, die in erster Linie als Werkzeuge dienen: zum Schneiden und Hauen. Sie sind auch nicht deshalb vorhanden, weil die Jünger zwei Mäntel weggegeben hätten, sondern weil sie zu ihrem Inventar gehören. Die Reaktion Jesu: „Es ist genug“, wird häufig als unwillige Reaktion auf das Missverständnis der Jünger gedeutet. Aber besser ist es, den Bezug zur jesajanischen Prophetie zuvor zu sehen: Die Erfüllung besteht darin, ins Ziel zu bringen, was verheißen ist (V. 37). Jesus hat alles getan, was zu tun ist. Deshalb ist es jetzt „genug“. Die Mahlgespräche, die Lukas komponiert hat, zeigen, wie groß die Probleme sind, die gelöst werden müssen, wenn die Heilswirksamkeit des Todes Jesu das Leben der Jünger und derer bestimmen soll, denen sie das Evangelium verkünden sollen. Auf der einen Seite stehen selbstproduzierte Schwierigkeiten: Petrus wird Jesus verleugnen (22,31–34; vgl. 22,54–62); alle Jünger suchen eher ihre eigene Größe als die der anderen (22,34; vgl. 9,46) und sind eifrig, das Richtige zu tun, um Jesus zu verteidigen, verfehlen aber den Sinn ihrer Sendung (22,38; vgl. 22,49–51). Auf der anderen Seite stehen die Lösungen, die Jesus bietet, in der Konsequenz seiner gesamten Sendung und als Ausfluss des Letzten Abendmahles (22,14–23). Er betet für Petrus um seinen Glauben (22,32) – und wird erhört werden. Er ist inmitten seiner Jünger als ihr Diener (22,27) – und vermittelt ihnen das Leben des Reiches Gottes (22,28–30) durch seinen Tod (22,19–20). Er begibt sich an die Stelle derer, die das Gesetz verurteilt, weil sie schwere Schuld auf sich geladen haben, und verbindet das Kreuz mit Gott, um die Barmherzigkeit wirken zu lassen (22,37). Das Gespräch gehört untrennbar mit dem Letzten Abendmahl zusammen. So wie Jesus die Feier begonnen hat, indem er seine Freude über das kommende Paschafest und das kommende Reich Gottes ausgedrückt hat (22,14–18), so beschließt er es mit seiner Sorge für die Jünger, die aus eigener Kraft nicht verwirklichen
22,39–46 Das Gebet am Ölberg
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können, was er ihnen zugesagt hat, aber von ihm gewarnt, gehalten und aufgefangen werden, so dass sie die neuen Aufgaben der weltweiten Mission angehen können. Lukas hat das Mahlgespräch schriftstellerisch komponiert: mit Materialien, die alt sind und ein Echo der Verkündigung Jesu einfangen. Die neue Zusammenstellung soll ihre geschichtliche Bedeutung sichern – das ist die Absicht des Evangelisten. 22,39–46 Das Gebet am Ölberg 39Und er ging hinaus und ging nach seiner Gewohnheit zum Ölberg, und seine Jünger folgten ihm. 40Als sie aber zum Ort kamen, sagte er ihnen: „Betet, nicht in Versuchung zu geraten.“ 41Und er entfernte sich etwa einen Steinwurf von ihnen und fiel auf die Knie, um zu beten. 42Er sagte: „Vater, wenn du willst, lass diesen Becher an mir vorübergehen. Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ [43Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel, um ihn zu stärken. 44Und er geriet in Angst und betete noch fester, und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die zur Erde fielen.] 45Und er stand auf vom Gebet, kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Betrübnis 46und sagte ihnen: „Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet.“ Das Gebet Jesu nach dem Letzten Abendmahl (22,14–38) und vor seiner Verhaftung (22,47–53) gehört zu den dichtesten Szenen, die Jesu dramatische Auseinandersetzung mit der Passion zeigen. Er ist ganz Mensch und ganz Gottes Sohn, frommer Jude, leidender Gerechter, verfolgter Prophet. Während Lukas zuvor in der Regel erzählt hatte, dass Jesus zwar äußeren Widerständen ausgesetzt gewesen ist, aber mit innerer Souveränität auf sie reagiert hat (4,18–30 u. ö.), wird hier erzählt, dass Jesus angefasst ist, weil er vor Gott tritt (vgl. 12,50). Er betet. Für das Lukasevangelium sind kurze Gebetsnotizen typisch (3,21; 5,6; 6,12; 9,18.28–29; 11,1); am Ölberg wird erstmals der Inhalt eines Gebetes mitgeteilt – das so nur in diesem Moment gesprochen werden konnte, das in diesem Moment aber auch notwendig ist, weil Jesus mit Gott, seinem Vater, in Verbindung treten will, der ihn den Weg geführt hat, vor dessen Ende er jetzt steht. Das Gebet am Ölberg (V. 42) korrespondiert mit dem Wort aus dem Himmel über dem Jordan (3,22). Dort wird er in der 2. Person, als „geliebter Sohn“ angeredet; hier wendet Jesus sich, gleichfalls in der 2. Person, an seinen „Vater“, um ihn um Verschonung, mehr aber noch um die Erfüllung seines Heilswillens zu bitten. Das Ölberg-Gebet ist bei Lukas verdichtet. Das Gebet Jesu ist intensiviert; die Gebetsmahnung an die Jünger ist elementarisiert.
220 22,39 22,40 22,41–42 [22,43–44 22,45–46
22–23 Die Passionsgeschichte
Die Situation: Das Gebet am Ölberg Die Aufforderung zum Gebet an die Jünger Das Gebet Jesu Die Agonie Jesu] Die Gebetsaufforderung an die schlafenden Jünger
Die Aufforderungen an die Jünger, zu beten, rahmen die Erzählung, in deren Mitte das Gebet Jesu steht. Die Notizen über die Agonie, d. h. über einen Engel, der Jesus erscheint, um ihn in seiner Angst zu stärken, sind in den meisten der ältesten und besten Handschriften nicht überliefert. Im Codex Sinaiticus (aus dem frühen 4. Jh.) z. B. stand die Passage, wurde dann gestrichen und später wieder eingefügt. Die größere Wahrscheinlichkeit besteht darin, dass der Text nicht zum Grundbestand des Lukasevangeliums gehört, sondern früh nachgetragen und dann weiter überliefert worden ist, insbesondere ursprünglich in den Handschriften, die im byzantinischen Reich am meisten verbreitet gewesen sind und über lange Zeit die einzigen Zugänge zum griechischen Text des Neuen Testaments geöffnet haben. Die Ergänzung ist im Sinn des Lukas, weil sie Emotion und Körperlichkeit, Immanenz und Transzendenz vermittelt; sie zeigt, dass die Bibel ein lebendiger Text gewesen ist, der wachsen konnte und Veränderungen erfahren hat. Im Vergleich mit dem Markusevangelium (Mk 14,32–42) hat Lukas stark gestrafft: kein Ortsname Gethsemane, keine Auswahl von drei Jüngern, kein Aufruf, gemeinsam zu wachen und zu beten, kein dreifacher Gang, auf dem Jesus die Jünger schlafend findet, kein Hinweis auf die Todesbetrübnis der Seele (mit Ps 42,6.12), auch kein „Abba“ in der Muttersprache Jesu. Dafür ein einziger Gebetssatz, der aber den Kern enthält, und eine doppelte Aufforderung, zu beten, um nicht in Versuchung zu geraten – genau auf das Vaterunser abgestimmt (11,4). Wahrscheinlich greift Lukas seine eigene Passionstradition auf, die eine gegenüber der Markusvorlage andere Version bot. Lukas hat insgesamt das Versagen der Jünger weniger als Markus betont; deshalb wird er dieser alternativen Überlieferung den Vorzug gegeben haben. Jesus begibt sich nach der Abendmahlsfeier (22,14–38) wieder aus der Stadt an den Ölberg (39) (39), wie es seine Praxis während der gesamten Woche seit seinem Einzug gewesen ist (21,37). Der Berg liegt dem Tempel gegenüber. Jesus ist über ihn nach Jerusalem eingezogen (19,29–37); jetzt schafft der Ort ihm die Ruhe und Distanz zur Auseinandersetzung mit dem, was ihn in Jerusalem erwartet, betrieben von der Tempelaristokratie (22,1–2). Am Platz, den er sich zum Gebet wählt (40) (40), richtet er seine Aufmerksamkeit zuerst auf die Jünger, die ihm folgen. Sie sollen beten, damit sie nicht in Versuchung geraten (vgl. V. 46). Die Formulie-
22,39–46 Das Gebet am Ölberg
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rung ist komplementär zur Vaterunser-Bitte (11,4). Dort sollen die Jünger Gott bitten, sie nicht in Versuchung zu führen; hier sollen sie Gott bitten, dass sie nicht in Versuchung geraten – beide Male, weil sie die Versuchung nicht bestehen würden. Die eine Formulierung lässt sich nicht gegen die andere ausspielen, auch wenn die Perspektiven unterschiedlich sind. Zum einen: Die „Versuchung“ ist hier wie dort eine Verlockung, Gott untreu zu werden, im vermeintlichen Eigeninteresse. In der Situation der Passion, in der die Jünger von Satan gesiebt werden (22,31), geht es vor allem darum, ob sie durch Flucht oder Verleugnung ihr eigenes Leben retten wollen, indem sie Jesus im Stich lassen und ihren eigenen Glauben verraten, oder Stand halten, auch wenn sie dann ihr Kreuz zu tragen haben (9,23). Zum anderen: Dass Gott nicht in Versuchung führe, ist nicht dasselbe, wie dass man selbst nicht in Versuchung gerate. Denn das eine Mal ist Gott, das andere Mal ein Mensch Subjekt. Aber da Gott der Schöpfer, Bewahrer und Erlöser der Menschen ist, besteht auch kein Widerspruch. Menschen, die sich in Versuchung begeben, lösen sich von Gott – was nicht möglich wäre, wenn er sie an ihn fesselte. Gott führt nicht in Versuchung, wenn er darum gebeten wird: der beste Weg, nicht selbst in Versuchung zu geraten. Um selbst zu beten, entfernt Jesus sich ein wenig von den Jüngern (41) (41), die schlafen werden (V. 45). Das Knien ist der traditionelle Gebetsgestus, der Gottes Größe anerkennt, die eigene Schwäche zum Ausdruck bringt und in dieser Verbindung Kraft schöpft. Das Gebet, von dem Lukas erzählt (42) ist sehr einfach aufgebaut. Der Anrede – „Vater“ – folgt die Bitte, verschont zu werden; sie ist konditioniert: „wenn du willst“. Der Beter Jesus beansprucht nicht, das Geheimnis des Heilswillens Gottes zu enträtseln. Aber er verleugnet auch nicht seinen Wunsch, nicht sterben zu müssen, sondern leben zu dürfen. In diesem Sinn hatte Jesus, Jerusalem im Blick (9,51), von der Bedrückung gesprochen, die ihn erfasst, wenn er an die noch ausstehende „Taufe“ denkt, die für den Tod steht (12,50). Jetzt, im Gebet, löst sich dieser Druck. Jesus ordnet seinen eigenen Willen dem Willen Gottes unter, der ihn gesandt hat. Der „Becher“ ließe sich von einigen alttestamentlichen und frühjüdischen Stellen her als Becher des Zornes Gottes deuten, den Jesus stellvertretend leert (vgl. Jer 25,15–38.46–51; PsSal 8,14), um die Sünder am Leben zu lassen, erklärt sich aber vor dem Hintergrund des Letzten Abendmahles (22,20) eher als Becher des Leidens (vgl. Martyrium Jesajas 5,13 sowie, frühchristlich, Martyrium Polykarps 14,2), das Gottes Heilswillen entspricht (vgl. Apg 20,27), weil er durch den Tod hindurch das Leben schafft. Jesus will, dass Gottes Wille erfüllt werde. Dies ist die Sinnspitze seines Gebetes. Er begibt sich also ganz in Gottes Hand: Er nimmt von seinem Wunsch nichts zurück; das Gebet endet offen: Aber Jesus ist bereit, auch
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das aus Gottes Hand anzunehmen, was er nicht will. Darin erweist er sich als leidender Gerechter, der Gott zutraut, noch aus dem größten Unheil Heil zu machen. Die Hinzufügung (43–44) betont, durchaus im lukanischen Sinn, zum einen die Sendung eines Engels, offenbar als Gottes Antwort auf das Gebet Jesu – so wie Engel als Gottesboten im Lukasevangelium eine wichtige Rolle spielen (1,11.13.26.28; 24,23): Gott lässt Jesus nicht allein, auch wenn er sterben muss. Der Engel stärkt ihn: für die Passion. Zum anderen werden die Emotionalität und die Körperlichkeit des Leidens betont. Die „Agonie“ ist beklemmende Angst vor dem Tod, die erschüttert. Der Schweiß, der (nicht als, sondern) wie Blutstropfen auf die Erde fällt, zeigt die körperliche Anstrengung des Betens, in dem sich die Härte der Prüfung ausspricht. Die Jünger, zu denen Jesus sich nach dem Ende seines Gebetes aufmacht (45), schlafen. Für Markus ist es ein Versagen, in dem sich die Flucht (45) aller Jünger bei der Verhaftung ankündigt, ihre innere Distanz zum leidenden Messias (Mk 14,50). Lukas erzählt nicht von einer solchen Flucht. Hier führt er ein Motiv an, das den Schlaf auf die verständliche Erschöpfung der Jünger zurückführt: ihre Traurigkeit, weil sie wissen, dass Jesus ausgeliefert werden (22,21–23) und den Tod erleiden wird, ohne dass sie seiner Passion einen Sinn abgewinnen können. Jesus wiederholt seine Mahnung (vgl. V. 40), sie sollten beten, um nicht in Versuchung zu geraten (46) (46). Im Licht des Kontextes zeigt sich, dass sie im Kern darin bestände, den Tod nur als sinnlos zu betrachten, nicht aber in einem verborgenen Sinn mit Gottes Heilswillen in Verbindung zu bringen – wie Jesus es beim Letzten Abendmahl getan hat. Das Ölberggebet zeigt die Freiheit Jesu mitten in der Passion, seine Menschlichkeit mitten im göttlichen Heilsplan und seine Frömmigkeit mitten in der Krise seines Lebens. Das Gebet ist echt – im literarischen Sinn des Lukas. Wie der Nachtrag verdeutlicht, zerreißt es ihn schier. Gegenüber allen Vorstellungen, Jesus habe das Leiden gesucht oder es wie ein hartes Schicksal nur ertragen müssen, zeigt das Gebet: Jesus hat sein Geschick vor Gott zur Sprache gebracht und es vor Gott, durch Gott, mit Gott so besprochen, dass er es annehmen konnte, ohne es gewünscht zu haben. Jesus vertraut sich Gott, dem Vater, an – wie der ihm seine Heilssendung anvertraut hat (3,21–22). Von diesem Gebet an ist Jesus bereit, sein Leiden aus Gottes Hand anzunehmen. Er ist mit seinem Tod versöhnt. Den Jüngern hingegen steht die Krise noch bevor. In Trauer befangen, wird für sie das Leiden Jesu zur Versuchung – die sie im Gebet bestehen können. Im Hintergrund der Erzählung steht ein geschichtliches Geschehen: Vor seiner Verhaftung hat Jesus gebetet; die literarische Gestaltung soll die theologische Bedeutung des Ereignisses erhellen.
22,47–53 Die Gefangennahme Jesu
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22,47–53 Die Gefangennahme Jesu 47Während er noch redete, siehe, da kam eine Schar, und der Judas genannt wird, einer der Zwölf, ging ihnen voran und näherte sich Jesus, um ihn zu küssen. 48Jesus aber sprach zu ihm: „Judas, mit einem Kuss übergibst du den Menschensohn?“ 49Als die um ihn sahen, was kommen werde, sagten sie: „Herr, wenn wir mit dem Schwert zuschlagen?“ 50Und einer von ihnen schlug den Knecht des Hohepriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab. 51Jesus erwiderte: „Lasst ab, nicht weiter!“ Und er berührte das Ohr und heilte es. 52Jesus sprach aber zu den Hohepriestern und den Hauptleuten des Heiligtums und den Ältesten: „Wie gegen einen Räuber seid ihr ausgezogen mit Schwertern und Lanzen. 53Täglich war ich bei euch im Heiligtum, ohne dass ihr die Hand nach mir ausgestreckt hättet. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“ Bei Lukas geht das Gebet Jesu (22,39–46) direkt in die Verhaftung über. Der Ort ist identisch. Judas hat ihn mitgeteilt und muss sich somit nach dem Abendmahl von den Jüngern um Jesus entfernt haben. Lukas hat den Weggang (vgl. 22,3–6) nicht erzählt, aber vorausgesetzt. Ölberggebet und Verhaftung sind zwei Seiten einer Medaille: Jesus betet sich durch seine Versuchung hindurch zur Annahme des Leidens; Judas erliegt der Versuchung, Jesus zu übergeben. Die Ausführung unterstreicht besonders die Gewaltlosigkeit Jesu. 22,47–48 Die Begegnung mit Judas 22,49–51 Der Schwertstreich eines Jüngers 22,52–53 Das Selbstzeugnis Jesu
Mk 14,43–46 Mk 14,47 Mk 14,48–49
Die lukanische Version ist im Ansatz wie die markinische aufgebaut. Gleichwohl ist es bei Lukas eine andere Geschichte. (1.) Die Gewichte liegen nicht bei der Aktion des Judas (Mk 14,43–46), sondern bei der Reaktion Jesu, der Judas mit seinem Verhalten konfrontiert und ihm dadurch noch einmal Gelegenheit gibt, innezuhalten und umzukehren – ohne dass der diese Chance ergreift. (2.) Die Gewaltaktion geht – wie bei Matthäus – von einem der Jünger Jesu aus und wird von Jesus kritisiert, der zugleich den Schaden wiedergutmacht, indem er den Verletzten heilt – angewandte Feindesliebe. (3.) Jesus kritisiert nicht, wie bei Markus, die Ausführenden, sondern die Befehlshaber, die Hohepriester, Tempelhauptleute und Presbyter, indem er die Unzeit der Verhaftung anspricht (V. 53b): Er zeigt in aller Klarheit, ohne jede Aggression, die Rechtlosigkeit der Verhaftung auf. Lukas erzählt weder von der Flucht
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22–23 Die Passionsgeschichte
der Jünger (wie Mk 14,50 par. Mt 26,56) noch von der Flucht des jungen Mannes, der seine Kleider verliert (Mk 14,51–52). Wie die Jünger reagieren, bleibt offen. Nach Lukas wird Jesus unter dem Kreuz nicht nur von einigen Frauen aus Galiläa begleitet (Mk 15,40–41), sondern von einer ganzen Reihe von Bekannten, wozu für den Evangelisten auch Jünger gezählt haben werden (23,49). Bei Lukas kommt es sofort zur Konfrontation des Judas mit Jesus (47) (47). Judas führt eine „Schar“ (óchlos; sonst für die Volksmenge). Zwar sind auch Hohepriester, Tempelhauptleute (22,4.52) und Älteste (vgl. 20,1; 22,66) vor Ort (V. 52). Aber Lukas erzeugt ein anderes Bild als Markus, der Waffen erwähnt (14,53), und Matthäus, der eine große Schar Bewaffneter sieht (Mt 26,47), von Johannes ganz zu schweigen, der eine (römische) Kohorte (speira) und bewaffnete „Diener der Hohepriester und der Pharisäer“ auftreten sieht (Joh 18,3). Das Militärische und Polizeiliche tritt auf Seiten derer zurück, die Judas anführt, nachdem er den Hohepriestern und Tempelwachenkommandanten versprochen hatte, einen günstigen Ort zu finden (22,6). Ob der Kuss überhaupt ausgeführt wurde, bleibt offen. Denn sofort ergreift Jesus die Initiative (48) (48). Judas wirkt wie ertappt. Jesus spiegelt ihm das Unmögliche seines Verhaltens. Jesus offenbart sich ein weiteres Mal als „Menschensohn“ (zuletzt 22,22). Als Menschensohn ist er Mensch, der leiden wird, aber auch Gottes Gesandter, der sogar durch sein Leiden das Reich Gottes verwirklicht – wie er es im Letzten Abendmahl vorhergesagt und vorweggenommen hat (22,14–23). Jesus spricht ausdrücklich von der Übergabe als Auslieferung durch einen Kuss, akzentuiert also den Bruch der Freundschaft, die durch den Kuss eigentlich hätte angezeigt werden sollen. Weil Jesus Judas zuvorkommt, würde die Chance bestehen, dass Judas von seinem Verrat ablässt. Dass er es nicht macht, zeigt für Lukas seine schuldhafte Entschiedenheit (Apg 1,18). Die Jünger überlegen, eine gewaltsame Befreiungsaktion zu starten (49– 51) und Jesus rauszuhauen – der aber ablehnt und den Schaden wiedergutmacht, den ein Jünger angerichtet hat (22,49–51). Lukas gestaltet eine genaue Entsprechung: V. 49: Die Frage der Begleiter V. 50: Der Schlag eines Begleiters
V. 51a: Die ablehnende Antwort Jesu V. 51b: Die Heilung Jesu
Für die Jünger gilt das Gesetz der Notwehr, das Gewalt mit Gegengewalt besiegen soll. Jesus aber sieht nicht nur die Aussichtslosigkeit der Jüngeraktion; er wehrt sich mit der Feindesliebe, die Gewalt durch Gewaltlosigkeit besiegt (6,27–36 par. Mt 6,38–48). Die Jünger knüpfen an das Missverständnis des Schwertwortes an (22,36.38), Jesus setzt sein: „Genug“
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in die Tat um. Das Verbot, Jesus mit dem Schwert freizukämpfen, bezieht sich auf das Schwertwort (22,36), das von den Jüngern militaristisch, nicht metaphorisch verstanden worden ist und deshalb bereits von Jesus klargestellt worden war (22,38). Lukas will an der Gewaltlosigkeit Jesu nicht zweifeln lassen und sieht die Gewaltbereitschaft seiner Jünger kritisch, wenngleich sie aus einem guten Grund erfolgt, der aber durch einen besseren widerlegt wird. Die Heilung eines derer, die ihn verhaften, eröffnet die Serie an guten Worten und Taten des unschuldig verfolgten Jesus. Dass es sich um einen „Knecht des Hohepriesters“ gehandelt hat, zeigt den Schluss an (V. 52) und klärt, dass die „Schar“, die Judas anführt (V. 47), nicht ein zufällig zusammengewürfelter Haufen, sondern ein Kommando der Tempelwache gewesen ist. (Die Römer spielen bei Lukas hier noch keine Rolle.) Nachdem Jesus durch die Heilung des Verletzten sein Ethos der kraftvollen Barmherzigkeit erneut unter Beweis gestellt hat, macht Lukas im Fortgang (52–53) deutlich, dass Jesus nicht im Mindesten unterwürfig ist. Ähnlich wie nach Markus (Mk 14,48–49) kontrastiert Jesus nach Lukas vielmehr die heimliche Verhaftung mit der öffentlichen Verkündigung im Tempel, von der Lukas viele Beispiele gegeben hat (19,28–21,38). Adressaten dieser Kritik sind nicht die Häscher, sondern die Hintermänner: die Auftraggeber, einerseits die politisch aktiven Fraktionsvertreter des Hohen Rates, die Hohepriester und Ältesten, andererseits die Kommandanten des Trupps. Es fehlt der Hinweis auf die Erfüllung der Schriften wie in Mk 14,49, obwohl für Lukas die Schriftgemäßheit des Leidens Jesu feststeht (vgl. nur 24,26.46). Aber bei Lukas wendet Jesus sich nicht seinen Jüngern zu, denen er die Verhaftung erklären würde, sondern seinen Gegnern, die mit theologischen Argumenten nicht zu erreichen sind. Stattdessen findet sich ein Hinweis auf die Stunde, die zum heilsgeschichtlichen Periodensystem im Lukasevangelium gehört. Ließ der Teufel nach der Versuchung für eine Zeit von Jesus ab (4,1–13), so ergreift der Satan zu Beginn der Passion Besitz von Judas (22,3), und so kommt das Böse in Gestalt des Hinrichtungskommandos, das Judas anführt (V. 47), an Jesus heran. Die „Macht der Finsternis“ (skótos) ist die Macht des Bösen, das sich den Anschein des Guten gibt, das Unheil des Teufels, der alles durcheinanderbringt und deshalb die Kontrahenten Jesu in die Irre führt: Sie meinen, richtig zu handeln, wenn sie Jesus mit allen Mitteln loswerden wollen, auch wenn sie dem Unheil Tor und Tür öffnen, wie Jesus es vorausgesagt hat, mit dem leidenden Jerusalem leidend (19,41–44). Jesus durchschaut diese Finsternis und kann deshalb nicht nur sagen, was ist, sondern auch in dieser Stunde seiner Sendung treu bleiben, die durch die Passion hindurch und über sie hinaus führt.
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22–23 Die Passionsgeschichte
Die Haltung, die Jesus bei seiner gewaltsamen Festnahme wahrt, entspricht seinem Gebet: Er ist frei, sich in die Hand Gottes zu begeben, wenn Menschen ihn in ihre Hand bekommen wollen. Er deckt das Unrecht auf, das ihm geschieht. Er übt keine Gewalt, sondern begibt sich auf den Leidensweg – weil er weiß, dass Gott ihn durch den Tod hindurchführen wird. Deshalb ist er in der Ohnmacht souverän, in der Gefahr vorausschauend, im Leiden zugewandt. Die Erzählung ist, wie schon der synoptische Vergleich zeigt, nach theologischen Gesichtspunkten stark gestaltet, beruht aber auf historischen Ereignissen, die Lukas sowohl durch die Markuspassion als auch durch seine eigene Leidenstradition bezeugt worden sind: Jesus ist in einer nächtlichen Aktion auf Betreiben des Hohen Rates verhaftet worden, damit er aus dem Weg geräumt werden könne, ohne dass es zu einem Volksaufstand derer komme, die auf der Seite Jesu standen. Judas hat den Platz für eine heimliche Verhaftung verraten. Lukas ist sicher, dass er „Unrecht“ begangen hat (Apg 1,18). Warum er ihn „übergeben“ hat, lässt sich aber dem Evangelium nicht entnehmen. Das Geld war kein Motiv, sondern eine Zugabe (22,3–6). Man kann auf der historischen Ebene überlegen, ob enttäuschte Messiashoffnungen im Spiel waren, die sich gegen Jesus gerichtet haben, weil er den Erwartungen einer machtvollen Herrschaft nicht entsprechen wollte; vielleicht wollte aber Judas auch Jesus vor den Hohen Rat bringen, damit seine Unschuld herauskäme. Wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte Jesus tatsächlich nicht an Pilatus ausgeliefert werden dürfen. Dass Judas wollte, wie es gekommen ist, lässt sich dem Lukasevangelium nicht entnehmen. Nach Matthäus hat er sein Verhalten – zu spät – bitterlich bereut. Bei Lukas bleibt seine Reaktion eine offene Frage. Dass der „Satan“ Judas zum willigen Werkzeug gemacht hat (22,3), erlaubt nicht, den Jünger zu verteufeln; dass Judas bei einem schrecklichen Unfall sein Leben verloren hat (Apg 1,18), ist kein Hinweis darauf, dass Judas in der Hölle schmort. Lukas wird mit Judas nicht fertig – wie das gesamte Neue Testament mit ihm nicht fertig wird. 22,54–62 Die Verleugnung durch Petrus 54Sie ergriffen ihn und führten ihn ab und brachten ihn zum Haus des Hohepriesters. Petrus aber folgte von weitem. 55Als sie aber ein Feuer mitten im Hof anzündeten und sich zusammensetzten, setzte sich Petrus mitten unter sie. 56Da sah ihn eine Magd am Feuer sitzen und musterte ihn und sagte: „Der war auch mit ihm.“ 57Der aber begann zu sagen: „Ich kenne ihn nicht, Frau.“ 58Und kurz danach sah ihn ein anderer und sagte: „Du bist einer von ihnen.“ Petrus aber sagte: „Mensch, ich nicht.“ 59Und als ungefähr eine Stunde vergangen war, beteuerte ein anderer und sagte: „Wahrlich, auch der war mit ihm; denn er ist auch ein Galiläer.“ 60Da sagte
22,54–62 Die Verleugnung durch Petrus
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Petrus: „Mensch, ich weiß nicht, was du sagst.“ Und auf der Stelle, während er noch redete, krähte der Hahn. 61Da wandte sich der Herr um und sah Petrus an – und Petrus erinnerte sich des Wortes des Herrn: wie er ihm gesagt hatte: „Ehe der Hahn heute kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ 62Und er ging hinaus und weinte bitterlich. Während bei Markus die Verleugnungsgeschichte die Verhandlung vor dem Hohen Rat rahmt (Mk 14,54.66–72), ist bei Lukas die Verleugnung en bloc vorgezogen. Dadurch ist Petrus bereits fort (V. 62), bevor Jesus die Nacht über verspottet wird (22,63–65) und am nächsten Morgen der Hohe Rat zusammentritt (22,66). Allerdings kommt es bei Lukas zum Blickkontakt mit Jesus (V. 61a), der bei Petrus die peinvolle Erinnerung an die Vorhersage seiner Verleugnung auslöst (V. 61b). Die Episode spielt, anders als bei Markus, an einem einzigen Ort, nämlich im Hof des hohepriesterlichen Hauses (V. 54), den Petrus erst am Ende wieder verlässt (V. 62). Es bleibt bei der Dreizahl der Verleugnungen; aber es sind unterschiedliche Personen, die Petrus mit seiner Jüngerschaft konfrontieren. Den stärksten Neuakzent enthält der Schluss: P etrus reagiert nicht nur auf das Krähen des Hahnes (V. 61a), sondern mehr noch auf den Blick Jesu (V. 61a). 22,54–55 Die Szene: Petrus mit anderen am Feuer im Hof 22,56–57 Die Konfrontation mit der Magd 22,58 Die Konfrontation mit einem Anderen 22,59.60a Die Konfrontation eine Stunde später mit einem Weiteren 22,60b Das Krähen des Hahnes 22,61a Der Blick Jesu 22,61b Die Erinnerung Petri 22,62 Das Verlassen des Hofes Durch die Dreierstaffelung und die zeitliche Streckung (V. 59) wird die Intensität der Szene gestärkt. Sie läuft auf die Beziehung Jesu zu Petrus zu: Der Blick des „Herrn“ weckt die Erinnerung, die zu Scham und Reue führt, aber auch zur Flucht. Im Wechsel zwischen Identifizierung und Leugnung entsteht die Spannung der Geschichte. Die Anschuldigungen werden immer konkreter: „mit ihm“ – „einer von ihnen“ – „mit ihm … Galiläer.“ Die Verleugnung bezieht sich zuerst auf Jesus („Ich kenne ihn nicht“), dann auf Petrus selbst („Ich nicht“), dann auf das, was ihm – vollkommen zu Recht – vorgehalten wird („ich weiß nicht, was du sagst“). Petrus verleugnet nicht nur Jesus, sondern auch sich selbst.
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Was Lukas eingangs schildert (54–55) (54–55), scheint pittoresk, ist aber brandgefährlich. Das „Haus des Hohepriesters“ liegt in der westlichen Oberstadt; es hat einen Innenhof. Petrus will offenbar nicht fliehen, sondern Jesus weiter nachfolgen – wie er es versprochen hat (22,33: „Ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“) Aber er muss sich unter die Mitglieder des Verhaftungskommandos mischen – wohl in der Hoffnung, im Schutz der Dunkelheit unerkannt zu bleiben. In dieser Gesellschaft ist er aber nicht nur hoch gefährdet, selbst verhaftet zu werden, sondern sich auch mit denen gemein zu machen, die Jesus abgeführt haben. Judas – von dem keine Rede mehr ist – kommt er sehr nahe. Tatsächlich wird sich zeigen, dass Petrus der Versuchung erliegt: Er hat sich überfordert. Durch das Feuer ist der Hof erleuchtet; die Magd hat scharfe Augen (56– 57). Sie war bei der Verhaftung nicht dabei, muss aber Jesus – so Lukas – 57) früher mit Petrus zusammen gesehen haben; beide haben ja die Öffentlichkeit gesucht (22,53). Um sich selbst zu retten, leugnet Petrus, Jesus zu kennen – gibt also vor, dass sie ihn mit einem anderen verwechselt. Die Situation spitzt sich für Petrus zu, weil kurz darauf ein Mann spricht, der ihn als Teil der Jüngerschar identifiziert (58) (58); womöglich hat er ihn gerade am Ölberg oder auch schon früher in Jerusalem gesehen. Diese Zuordnung ist brisant; denn aus ihr wird klar, dass Jesus kein Einzelgänger war, sondern eine Gruppe um sich geschart hat, von der weiter Gefahr ausgehen könnte. Simon ist „Petrus“, der Fels oder Stein (6,14), nicht allein, sondern nur als Teil dieser Jüngergemeinde. Deshalb ist das: „Ich nicht“ ein Verrat an Jesus und an den Freunden, die sich in der Nachfolge Jesu gefunden haben. Lukas erzählt die Leidensgeschichte Jesu so, dass der Hohe Rat erst am frühen Morgen zusammentritt (22,66). Die Zeit des Wartens zieht sich. Für Petrus spitzt sich die Lage zu (59–60) (59–60), weil er eine Stunde später erneut angesprochen wird, diesmal wieder auf seine Zugehörigkeit zu Jesus, aber mit dem zusätzlichen Hinweis, dass auch er Galiläer sei – ein zusätzliches Indiz, dass die Identifizierung richtig ist. In der matthäischen Parallele wird auf den Dialekt verwiesen (Mt 26,73). Petrus wehrt ab und mimt den Ahnungslosen. Der Hahn, der kräht, weil er den frühen Morgen ankündigt, bestätigt die Voraussage Jesu (22,34). Lukas erzählt von der Scham und Reue Petri eindrucksvoller als die anderen Evangelisten. Denn er notiert, dass „der Herr“, Jesus, sich umwendet und seinen Jünger, Petrus, angeschaut habe (61) (61). Jesus ist im Gebäude unter Gewahrsam; er wird dort verspottet und gefoltert (22,63–65). Er wendet sich um, weil er dem Ausweichen seines Jüngers begegnen will. Für Petrus wird es höchste Zeit, umzukehren – was ihm aber nur aus der Bewegung Jesu heraus gelingen wird. Jesus hat die Möglichkeit des Blickkontaktes mit Petrus, der im Hof am Feuer sitzt. Der Blick Jesu
22,63–65 Die Folterung Jesu
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identifiziert Petrus, der Jesus und sich selbst verneint hatte. Er hat nicht zu Jesus geschaut, den er zuvor von hinten hätte sehen können, sondern nur auf sich selbst. Jetzt, durch die Bewegung Jesu, ändert sich sein eigener Blick: Von Jesus angeschaut, erkennt er sich. Jesus weckt seine Erinnerung: Petrus weiß wieder, wer Jesus ist und wer er ist und dass er Jesus wie sich selbst verleugnet hat. Der Blick Jesu geht aber auch hinter die Szene zurück und über sie hinaus. In der Erinnerung vergegenwärtigt sich die Prophetie Jesu (22,34), die die Verleugnung in die teuflische Versuchung der Jünger einzeichnet, aber Petrus durch das Gebet Jesu auch eine Zukunft jenseits seiner Verleugnung öffnet: die „Brüder“ zu stärken, auch durch die Erinnerung an die Passion (22,31–33). Die Tränen, die Petrus vergießt (62) (62), bringen seine Scham und Reue zum Ausdruck. Sie bereiten die Bekehrung vor, die Jesus angekündigt hat (22,32). Petrus kann seine Verleugnung nicht ungeschehen machen; er flieht den Ort seines persönlichen Versagens, weil er weiß, dass ihm Hilfe nur von woanders her kommen kann: von Gott durch Jesus. Das menschliche Versagen des Petrus wird von Lukas nicht abgemildert, sondern durch seine Erzählführung eher noch gestärkt. Aber die Zuwendung Jesu ist stärker als das Versagen seines Jüngers. Deshalb gibt es ein Glaubenszeugnis des Petrus. Dass und wie er „die Brüder“ stärkt (22,32), aus dem Osterglauben heraus, wird in der Apostelgeschichte veranschaulicht werden. Zunächst liegt der Scheinwerfer allerdings auf dem Verrat, aber auch auf dem Anfang der Umkehr. Weil Jesus für Petrus betet, erlischt sein Glaube nicht ganz (22,32); die Verleugnung ist zwar ein Tiefpunkt der Nachfolge; aber er ist kein toter Punkt, von dem aus es keine positive Entwicklung mehr geben könnte. Der Blick Jesu bringt Petrus zur Besinnung. Er kann zwar nichts ungeschehen machen; aber er kann künftig seine Schwäche in sein Glaubenszeugnis aufnehmen (22,32) und dadurch nicht nur die verlässliche Hilfe durch Gott in Form der Zuwendung Jesu bezeugen, sondern auch die Möglichkeit der Umkehr, des Neuanfangs, der besseren Einsicht in Gottes Gnade. 22,63–65 Die Folterung Jesu 63Und die Männer, die ihn gefangen hielten, verspotteten und schlugen ihn 64und verhüllten ihn und sagten: „Prophezeie: Wer ist es, der dich schlug?“ 65Und viele andere Lästerungen sagten sie zu ihm. Traditionell wird die Szene als „Verspottung Jesu“ überschrieben. Das ist eine Verharmlosung. Tatsächlich wird Folter beschrieben. Die Verhöhnung gehört dazu; die Schläge und die Verhüllung des Kopfes sind
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probate Mittel von Folterern. Ziel ist hier, nicht die (angebliche) Wahrheit aus einem Menschen herauszupressen, sondern die (angebliche) Unwahrheit seines Anspruchs, seiner Botschaft und seiner Sendung aufzudecken. Die Folter passiert vor der Gerichtsanhörung (22,66–71); sie ist eine Vorverurteilung. Sie knüpft direkt an die gewaltsame Gefangennahme an (22,47–53) und hebt sich von der Verleugnung Jesu durch Petrus ab (22,54–62): Der Jünger sagt sich in dem Moment von seinem Lehrer los, da Jesus gequält und bloßgestellt wird. Der Blick Jesu, der Petrus trifft (22,61), ist der Blick des gedemütigten und verwundeten Messias. Unter seinen Augen kommt Petrus zur Besinnung (22,62). Die Szene ist hoch verdichtet. Sie befriedigt keine Interessen an Gewaltdarstellungen. Sie ist nicht spekulativ, sondern empathisch. 22,63 Spott und Schläge 22,64 Verhüllen und Provozieren 22,65 Lästern Während Markus erzählt, die Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten hätten Jesus geohrfeigt und verspottet, bevor die Diener ihn geschlagen hätten (Mk 14,65), zieht Lukas vor die Verhandlung eine Folterszene, bei der die Wärter ihr böses Spiel mit Jesus treiben. Dadurch erscheint Jesus nicht nur als Gefangener, sondern als Gedemütigter und Gefolterter vor dem Hohen Rat. Die Szene wechselt vom Hof (22,54–62) ins Gebäude, ins Haus des Hohepriesters (22,54). Diejenigen Soldaten, die sich nicht am Feuer draußen wärmen, sondern zum Wachdienst abgestellt sind, damit Jesus am Morgen vor den Hohen Rat geführt werden kann (22,66), treiben ihr böses Spiel mit Jesus. Die Verben sind farbig, so düster auch ist, was sie beschreiben (63) (63): Der Spott (enepaízo) ist eine verbale Attacke, die Beleidigung und Hassrede vereint. Das Schlagen (déro) ist ein Schinden, ein bewusstes Quälen, das lange dauert. Die Verhüllung des Gesichts (64) ist eine grausame Foltertechnik. Sie erhöht die Wehrlosigkeit des Opfers. Die Grausamkeit wird durch die Aufforderung, den Schläger – nicht zu erraten, sondern – zu prophezeien, weiter gesteigert. Hier stimmen alle Synoptiker überein. Durch die starke Betonung des Prophetischen bei Lukas gewinnt der Spott an Gewicht. Der Hohn unter dem Kreuz wird vorweggenommen (23,35–37). Die Lästerung, „Blasphemie“ (65) (65), ist die Verhöhnung des Menschen, die eo ipso eine Beleidigung Gottes ist – in diesem Fall mit doppeltem Grund, weil Jesus seinen Kopf für Gott hinhält, in dessen Namen er verhaftet wurde und verurteilt werden wird.
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Die Folterszene zeigt einen wehrlosen Messiaspropheten, mit dem ein grausames Spiel getrieben wird. Im Vordergrund steht die Brutalität der Wachmannschaft, im Hintergrund das Leiden Christi. Seine Prophetie bewahrheitet sich (22,37). Die ihn diskreditieren wollen, bezeugen wider Willen, dass Jesus der Gottesknecht ist. 22,66–71 Die Verhandlung vor dem Hohen Rat 66Und als es Tag wurde, kam das Presbyterium des Volkes zusammen, die Hohepriester und Schriftgelehrten, und sie führten ihn zu ihrem Synhedrion. 67Sie sagten: „Wenn du der Christus bist, sage es uns.“ Er aber sagte ihnen: „Wenn ich es euch sage, glaubt ihr nicht. 68Und wenn ich euch frage, antwortet ihr nicht. 69Von jetzt an wird der Menschensohn zur Rechten der Kraft Gottes sitzen.“ 70Da sagten ihm alle: „Du bist also der Sohn Gottes?“ Er aber sagte zu ihnen: „Ihr sagt, dass ich es bin.“ 71Sie aber sagten: „Was brauchen wir noch Zeugen? Denn wir haben es selbst aus seinem Mund gehört.“ Während Markus und Matthäus von einer regelrechten Verurteilung nach einem irregulären Prozess sprechen (Mk 14,53–65 par. Mt 26,57– 68), hat Lukas die historisch plausiblere Form, dass es nicht zu einer juristischen Versammlung des Hohen Rates gekommen ist, sondern zu einem ad-hoc-Treffen des Synhedrions am frühen Morgen (V. 56). Hier werden keine Zeugen gehört (wie nach Markus und Matthäus); vielmehr wird Jesus sofort mit der Messiasfrage konfrontiert, die auch historisch zwischen Jesus und dem Hohen Rat stand. Da Jesus sie aus Sicht der Ankläger in einer so eminenten Weise bejaht, dass er seine Gottessohnschaft bekennt, kommt man einmütig zum Entschluss, Jesus an Pilatus auszuliefern, weil man eine unverzeihliche Übergriffigkeit Jesu erkennt – wie sie schon seiner Tempelaktion abzulesen sei (19,45–20,20). Die Schnelligkeit der Entwicklung, die den Zeitdruck der Akteure widerspiegelt, zeigt sich im Aufbau des Textes. 22,66 22,67a 22,67b–69 22,70a 22,70b 22,71
Die Versammlung des Synhedrions Die erste Messiasfrage Die erste Antwort Jesu Die insistierende zweite Messiasfrage Die zweite Antwort Jesu Die Entscheidung der Versammlung
Die unmittelbare Fortsetzung ist die Auslieferung an Pilatus (23,1–5). Durch diese Komposition wird die Christologie noch stärker als bei Mar-
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22–23 Die Passionsgeschichte
kus und Matthäus zum Schibboleth, und zwar in genau der Verbindung, die Messianität und Gottessohnschaft (3,21–22) so vereint, dass die Frage auftaucht, ob nicht die Einzigkeit Gottes tangiert wird. Der Unterschied zur Markuspassion ist an dieser Stelle so groß, dass er nicht durch Redaktionsarbeit des Evangelisten gut erklärt werden kann. Lukas folgt auch hier seiner eigenen Passionstradition. Er dürfte sie nicht zuletzt deshalb vorgezogen haben, weil sie historisch plausibler ist. Die Versammlung am frühen Morgen (66) entspricht dem geltenden Prozessrecht, das eine nächtliche Sitzung verbietet, um die Klarheit des Urteils nicht zu gefährden. Mit den Presbytern (Ältesten), Hohepriestern und Schriftgelehrten werden – nach dem Auftakt (20,1) – wieder die drei Fraktionen des Hohen Rates genannt. Das „Presbyterium“ ist der Ältestenrat, die Gerusie, die so etwas wie den Senat in antiken Städten bildete. Der juristische Fachbegriff Synhedrion (synédrion, hebraisierend: Sanhedrin) – wörtlich: Zusammenkunft – taucht hier im Evangelium zum ersten und einzigen Mal auf (vgl. aber Apg 4,15; 5,21 u. ö.). Die herausfordernde Frage der Synhedristen (67a) hat insofern ein relatives Recht, als Jesus nach der synoptischen Tradition und so auch nach Lukas (anders als nach Johannes) nur indirekt sich selbst, direkt aber das Reich Gottes verkündet. Freilich ist der Anspruch, den Jesus erhebt, unzweideutig klar, wie er Vertretern des Hohen Rates bei der Vollmachtsfrage (20,1–8 par. Mk 11,27–33) nach der Tempelaktion (19,45–48 par. Mk 11,15–19) deutlich gemacht hat. Er selbst hat auch die Gottessohnschaft des davidischen Messias mit Verweis auf Ps 110 gelehrt (20,41– 44). Die Kritik der Gegner spiegelt also die Christologie Jesu, verzerrt sie aber. Beides kommt im Haus des Hohepriesters zur Sprache, freilich nicht in einem offenen Dialog, auch nicht in einem kritischen Disput (20,1–20), sondern in einem Verhör, dem Jesus als gefolterter Gefangener (22,63–65) unterzogen wird. Die erste Antwort Jesu ist differenziert. 22,67b–68 Reflexion der Situation 22,69 Selbstbekenntnis Die erste Reaktion Jesu (67b.68) soll die Unsinnigkeit der Frage und deshalb auch einer direkten Antwort offenbaren – mit Anspielung auf die Vollmachtsfrage (20,1–8 par. Mk 11,27–33), der sich dieselben Personen, die jetzt fragen, aus taktischen Gründen entzogen haben. Jesus hatte sie mit einer Gegenfrage (nach der Einschätzung des Täufers Johannes) beantwortet, auf die er aber seinerseits keine Antwort erhalten hatte. Mit anderen Worten: Die Entscheidung gegen Jesus steht längst fest (vgl. 22,1–2 par. Mk 14,1–2); die Frage ist sinnlos; sie ist pure Heuchelei.
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Das Selbstbekenntnis Jesu (69) bringt – wie die markinische Parallele (Mk 14,62) – den Menschensohn aus Dan 7,13–14 ins Spiel, verschiebt aber die Perspektive: Gibt es bei Markus und Matthäus den Ausblick auf das Parusieszenario am Jüngsten Tag, verschiebt sich der Fokus bei Lukas auf die Gegenwart: „von jetzt an“. Jesus bringt dieselbe präsentische Eschatologie wie in der Antrittspredigt zum Ausdruck (4,21: „Heute hat sich diese Schrift in euren Ohren erfüllt“) und am Kreuz (23,43: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“). In dieser Perspektive konzentriert Jesus sich nach Lukas auf Ps 110,1 und die Erhöhung zur Rechten Gottes (vgl. 20,41– 44). Am Ende des Evangeliums und zu Beginn der Apostelgeschichte wird dieses Geschehen mit der Himmelfahrt (24,50–53; Apg 1,9–14) in Szene gesetzt, die seit 9,51 im Blick steht. Das Insistieren der Synhedristen (70a) hört den messianischen Anspruch und seine Dimensionen heraus („also“). Mit dem Hoheitstitel „Sohn Gottes“ bringen sie die theologische Bedeutung des Messias in denkbar höchster Weise zum Ausdruck. Die Rückfrage greift auf, was in der erzählten Verkündigung Jesu angelegt ist (20,9–20.41–44), was aber auch von Anfang an (3,21–22) mit dem christlichen Bekenntnis verbunden ist, das in die Evangelienerzählung eingewoben ist. Im Judentum ist die Verbindung nicht fest, aber möglich: durch eine messianische Deutung von Ps 2,7 („Mein Sohn bist du, …“), durch die Identifizierung des göttlichen Kindes, das nach Jes 9 verheißen ist, mit dem Messias („Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“) und durch eine personale Deutung der Nathan-Verheißung 2Sam 7,14 („Er wird mir Sohn sein“), die auch durch einen in Qumran gefundenen Text bezeugt ist (4Q florilegium 10–12), der eine Verbindung mit der Vision des Propheten Amos von der Wiederherstellung der zerfallenen Hütte Davids herstellt (Am 9,11; vgl. Apg 15,16–18). Jesus antwortet dialektisch (70b) (70b). Bei Markus bestätigt er die Erwartung oder Befürchtung des Hohepriesters und transzendiert sie sogleich, indem er die messianische Gottessohnschaft mit der Aussicht auf die Wiederkunft des Menschensohnes verknüpft: „Ich bin es – und ihr werdet den Menschensohn sehen …“ (Mk 14,62; ähnlich Mt 26,64). Bei Lukas spiegelt Jesus die Frage zurück und macht dadurch den Hohen Rat für alles verantwortlich, was passiert. Häufig wird das Wort allerdings so gedeutet, dass Jesus ausgewichen sei oder unentschieden bliebe. Aber das entspricht weder dem lukanischen Kontext noch der erzählten Reaktion (V. 71). Jesus bejaht die Frage, ob er Gottes Sohn sei, obgleich die Bestätigung in der Markusparallele deutlicher ausfällt. Sie ist aber auch bei Lukas gegeben, wie die Taufe (3,22) und die Verklärung Jesu (9,35) beweisen, die ins Ölberggebet hinüberspielen (22,42). Jesus geht auf die Frage ein und lässt ihr christologisches Niveau entdecken; denn in der
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Frage liegt eine versteckte Erkenntnis, wenn sie auch geleugnet wird. Allerdings bestätigt Jesus nicht einfach, was er gefragt wird; denn er ist nicht in der Weise der messianische Gottessohn, wie er gefragt wird. Deshalb bejaht er die Frage nicht, sondern reflektiert sie kritisch. Er hat nach Lukas ein genaues Gespür für die Situation und deckt deren Zweideutigkeit auf, ohne sich und Gott etwas zu vergeben. Was Jesus mit seiner Antwort (V. 70b) voraussieht, bestätigt sich (71) (71). Die Ankläger haben genug gehört. Sie werden es in ihrem Sinn deuten und Jesus vor Pilatus beschuldigen. Sie brauchen nicht Zeugen zu vernehmen, weil sie selbst Zeugen geworden sind, dass Jesus sich als messianischer Gottessohn offenbart hat. Die kurze Erzählung arbeitet heraus, dass es im Kern der Messiasanspruch Jesu ist, der den Grundkonflikt mit dem Hohen Rat ausmacht. Dieser Anspruch wird im Widerspruch klar markiert: Der Messias ist der Sohn Gottes. Jesus bekennt sich dazu, ohne sich der Deutungshoheit zu unterwerfen, die seine Ankläger beanspruchen. Die empören sich, ohne sich auf die Verkündigung und die Person Jesu einzulassen. Auch im Verhör ist es so, dass es kein echtes Interesse von Seiten der Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten gibt, sich mit Jesus auseinanderzusetzen, sondern nur das Interesse, die Christologie politisch zu funktionalisieren (vgl. 23,1.5). Jesus durchschaut diese Taktik, die bereits hinter der Verhaftung Jesu stand (vgl. 22,1–2). Er nutzt die Verteidigung, die ihm aufgezwungen wird, zur Verkündigung, die er allerdings nicht mit derselben Freiheit des Wortes wie in der Öffentlichkeit vorträgt, sondern in der Rolle des Opfers, das sich nicht in die Ungerechtigkeit seines Leidens verstrickt, sondern für Gottes Gerechtigkeit eintritt, auch wenn es ihn das Leben kostet. 23,1–5 Die Anklage vor Pilatus 1Die ganze Versammlung stand auf und führte ihn zu Pilatus 2und begann, ihn anzuklagen: „Wir haben herausgefunden, dass dieser unser Volk verwirrt und es davon abhält, dem Kaiser Steuern zu zahlen, und von sich selbst sagt, Messias, König, zu sein.“ 3Pilatus aber fragte ihn: „Bist du der König der Juden?“ Er aber antwortete und sagte: „Du sagst es.“ 4Pilatus aber sagte zu den Hohepriestern und dem Volk: „Ich finde keine Schuld in diesem Menschen.“ 5Sie aber bestanden darauf und sagten: „Er wiegelt das Volk auf, indem er lehrt, angefangen in Galiläa bis hierher.“ Weil Lukas nicht von einer Verurteilung Jesu durch den Hohen Rat erzählt hat (wie nach Mk 14,53–65 par. Mt 26,57–68), sondern von einer frühmorgendlichen Versammlung, die sich des messianischen An-
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spruchs Jesu vergewissert hat (22,54.66–71), verschieben sich die juristischen Gewichte zum Pilatusprozess. Das entspricht der Realität der Zeit. Denn die Kapitalgerichtsbarkeit lag seit der Übernahme der römischen Direktherrschaft über Judäa 6 n. Chr. beim Statthalter (vgl. Joh 18,35), der sie persönlich als Repräsentant des Caesars wahrzunehmen hatte und nicht delegieren konnte (vgl. Josephus, De bello Judaico 2,117; Antiquitates Judaicae 18,1,2). Die Szene gibt die Anklage wieder, der Pilatus aber nicht ohne weiteres folgen will. Dadurch entsteht ein bewegtes Hin und Her, das in lukanischen Augen zeigt, wie korrupt der Prozess ist. 23,1–2 23,3a 23,3b 23,4 23,5
Die erste Anklage vor Pilatus Die Frage des Pilatus an Jesus Die Antwort Jesu an Pilatus Die Erklärung der Unschuld Jesu durch Pilatus Die zweite Anklage vor Pilatus
Im Vergleich zur Markuspassion (Mk 15,1–3; vgl. Mt 27,1–2.11) ist die Lukaspassion erheblich stärker politisch aufgeladen. Bei Markus kann man die Brisanz der Anklage nur aus der Frage des Pilatus erschließen, ob Jesus der „König der Juden“ sei (Mk 15,32 par. Lk 23,3). Bei Lukas wird diese Frage plausibilisiert und konkretisiert (23,2). Sie wird nicht nur von den Anklägern in den Raum gestellt, sondern erstens von den Anklägern wiederholt (23,5), zweitens von Pilatus, der durchgängig skeptisch bleibt, rekapituliert (23,14). Die politische Dimensionierung ist auf die Kreuzigung hin orientiert. Der Titulus „König der Juden“ (23,38) hält fest, dass Jesus als Aufrührer hingerichtet worden ist. In der Anklage durch den Hohen Rat wird dieses Ende vorbereitet. Jesus wird Pilatus vorgeführt (1) (1), der als Statthalter zwar in Caesarea residiert, sich aber an den Festtagen, um bei möglichen Unruhen zur Stelle zu sein, regelmäßig in Jerusalem aufhält. Die Verhandlung fand nach dem Johannesevangelium nicht in der Burg Antonia statt, von wo die Via dolorosa ihren Ausgangspunkt nimmt, sondern im „Prätorium“ (Joh 18,2), dem Sitz des Statthalters, im Nordwesten Jerusalems an der Stadtmauer gelegen. Die Anklage wird vom Hohen Rat als ganzem geführt, nachdem der sich vom messianischen Anspruch Jesu überzeugt hat (22,66–71). Der Grundvorwurf (2) besteht darin, dass Jesus das Volk habe in Unruhe versetzen wollen. Damit wird er als Aufständischer hingestellt, der einen militärischen Befreiungsschlag gegen die Römer habe lostreten wollen. Das griechische Verb, das Lukas verwendet (diestrépho), ist allerdings vergleichsweise offen: abwenden, abspenstig machen. Für Lukas spiegelt
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es wider, wie vage die Anklage in Wahrheit ist. Sie zielt allerdings insofern ins Schwarze, als für die Römer die Pax Romana überragende Bedeutung hatte und der ganze Sinn des Herrschaftssystems in der Ruhe vor Ort bestand. Deshalb wurden Aufstände nach Möglichkeit im Keim erstickt. Da Rom 6 n. Chr. die Direktherrschaft über Judäa übernommen hat, ist der Statthalter direkt betroffen. Die Ankläger, die Fraktionen des Hohen Rates unter der Ägide des Hohepriesters, sprechen von „unserem“ Volk, weil sie nach dem römischen Herrschaftswillen eine gewisse Aufsichtsfunktion für die Juden in Judäa hatten. Sie wählen nach Lukas den Begriff éthnos, weil der politischer ist als alternative Begriffe (wie laós, Gottes Volk). Der Grundvorwurf wird dadurch konkretisiert, dass Jesus zum Steuerboykott aufgerufen habe (wie es später die Zeloten getan haben, auf die Lukas bereits zurückblickt, einschließlich der katastrophalen Folgen, die in der Tempelzerstörung sichtbar werden). Die Anklage trifft einen empfindlichen Punkt, weil einerseits das Steuerzahlen ein wichtiger Loyalitätsbeweis war und zweitens nur durch Steuern die Geldzufuhr nach Rom gewährleistet war, die ein wesentlicher Sinn des Imperiums gewesen ist. Lukas hat zwar erzählt, dass Jesus unter dem Vorzeichen, dass Gottes Recht gewahrt werde, zum Steuerzahlen aufgerufen hat, weil „dem Kaiser“ zu geben sei, „was des Kaisers ist“ (20,25); aber aus dem Zusammenhang gerissen, könnte das Wort in sein Gegenteil verkehrt werden. Der Grundvorwurf wird schließlich personalisiert, weil aus dem Verhör der Messiastitel aufgegriffen wird, der jetzt mit dem Attribut des Königs bewusst politisiert wird, und zwar so, dass der Anschluss an die königlichen Messiastraditionen Israels pro forma hergestellt wird, de facto aber gegenüber Pilatus der Eindruck erweckt werden soll, Jesus wolle einen jüdischen Gottesstaat errichten, den er selbst regieren wolle. Pilatus erfüllt seine Rolle als römischer Richter, indem er den Angeklagten befragt (3) (3). Ein jüdischer Prozess beruht auf der Einvernahme von Zeugen, deren Glaubwürdigkeit es zu prüfen gilt; ein römischer Prozess beruht in der Antike auf dem Verhör durch den Richter, der sich ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit der Anklage machen muss. Er greift mit sicherem Instinkt den entscheidenden Punkt heraus, in dem die Anklage kulminiert: ob Jesus „der König der Juden“ sei. Der Römer verwendet nicht den theologischen Begriff „Israel“, sondern den politischen der „Juden“. Gemeint sind nicht nur die Bewohner Judäas, sondern alle Juden, die in Israel und in der Diaspora leben. „Juden“ ist ein religiöser Begriff mit politischen Dimensionen, die heikel sind. Pilatus konfrontiert Jesus also mit dem Vorwurf, aus religiösen Gründen einen Aufstand anzuzetteln, um die Herrschaft der Römer zu beenden und die
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Herrschaft Gottes zu begründen. So werden es die Zeloten getan haben, auf die Lukas schon zurückblickt. Jesus antwortet mit einem vieldeutigen: „Du sagst es“. Aus der Fortsetzung (V. 4) ist zu ersehen, dass Pilatus bei Lukas diese Antwort nicht als Geständnis gewertet, sondern so gehört hat, dass Jesus die Anklage zurückspiegelt: Pilatus hat sie, zugespitzt, dem Vorwurf der Synhedristen entnommen, ohne dass Jesus sich auf sie einlässt. Vor dem Hohen Rat hatte Jesus mit einer Bestätigung fortgesetzt (22,70); hier fehlt sie. Dort ging es um die Gottessohnschaft, die Jesus bejaht. Hier geht es um den „König der Juden“, was Jesus im unterstellten Sinn eines religiös aufgeladenen Staatsführers nie sein wollte. Zu betonen ist also bei Lukas: „Du sagst es“; seine eigene Auffassung behält Jesus vor Pilatus für sich. Was er ist, hat er vor dem Hohen Rat klar ausgedrückt und seine Messianität eschatologisch bestimmt (22,68), auf einer anderen Ebene als derjenigen, auf der Pilatus Ruhe und Frieden definiert. Pilatus erklärt den Anklägern (4) (4), dass er keinen Grund sehe, also weder einen Beweis noch ein belastbares Indiz, ihrer Anschuldigung Glauben zu schenken. Für Pilatus, so Lukas, ist Jesus unschuldig. Diese Einschätzung wird sich bis zum Ende des Prozesses nicht ändern. Dennoch wird der römische Richter Jesus verurteilen. Um Pilatus doch noch zu überzeugen, legen die Ankläger nach (5) (5). Erstens verwenden sie jetzt ein Verb, das zwar metaphorisch bleibt, aber das Aufwiegeln hervorhebt (anaseío), zweitens reden sie jetzt im theologischen Sinn vom Volk Gottes (tòn laón), um den religiösen Ernst der Herausforderung zu benennen, die hinter dem – unterstellten – politischen Ansinnen steht; drittens beschreiben sie den Raum des Wirkens Jesu, liefern also Sachinformationen nach: Galiläa ist suspekt, weil Pilatus schlechte Erfahrungen mit aufgewühlten Galiläern gemacht hat (13,1–2). Freilich bieten sie dem römischen Richter dadurch eine Handhabe, sich für unzuständig zu erklären und Jesus an Herodes Antipas abzuschieben (23,6–12). Die Anklage ist, wie Lukas sie darstellt, an den Haaren herbeigezogen. Das Gran Wahrheit ist der Messiasanspruch Jesu, der sich auf die Königsherrschaft Gottes bezieht. Zu dieser Reich-Gottes-Verkündigung gehört auch Herrschaftskritik, die sich jedoch auf die Ausbeutung des Volkes, auf Korruption und Machtmissbrauch bezieht (22,25–26). Aber dass Jesus gegen die Römer zum Aufstand blase, ist nachweislich falsch. Er hat in aller Öffentlichkeit gegenüber Denunzianten, die mit dem Hohen Rat zusammenarbeiten wollen, zum Steuerzahlen aufgerufen (22,25 par. Mk 12,17: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“). Er hat bei seiner Verhaftung zur Gewaltlosigkeit aufgerufen (22,51a) und das Opfer einer kurzen Gewaltaktion seiner Jünger geheilt (22,51b).
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Er hat das Reich Gottes verkündet, was zwar alles andere als unpolitisch ist, aber kein Fanal zum Aufstand gegen Rom, wie aus jeder einzelnen Überlieferung klar hervorgeht. Allerdings unterwirft sich Jesus nicht ohne weiteres dem römischen Prozess. Durch seine reflektierte Antwort auf die Frage des Pilatus deckt er auf, dass der römische Richter kein Interesse an Theologie hat; er hat auch kein Interesse an der Wahrheit. Jesus weiß dies nach Lukas im Voraus und stellt sein gesamtes Verhalten auf diese zynische Skepsis ein. Die Anklage ist falsch, aber gezielt. Sie ist nicht ohne historische Plausibilität, wenngleich kein O-Ton eingefangen worden ist, sondern Lukas den Text (mit seiner Vorlage, die von der markinischen abweicht) so gestaltet hat, dass die Plausibilität der Verurteilung durch Pilatus erhöht wird. Auf der Ebene der Leserschaft spiegelt sich im Vorwurf gegen Jesus das, was sie kennen: eine Anklage wegen Unruhestiftung. In der Apostelgeschichte gibt es ein Echo (Apg 16,20; 17,7; 24,5–6 – gegen Paulus). Deshalb spricht vieles dafür, dass aktuelle Erfahrungen in den frühen Gemeinden die Erinnerung an den Prozess Jesu eingefärbt haben. 23,6–12 Die Konfrontation mit Herodes Antipas 6Als Pilatus „Galiläa“ hörte, fragte er, ob der Mensch aus Galiläa sei. 7Und als er erfuhr, dass er aus der Herrschaft des Herodes war, ließ er ihn Herodes überstellen, der während jener Tage selbst in Jerusalem war. 8Als Herodes Jesus sah, freute er sich sehr; denn er hatte ihn schon lange Zeit sehen wollen, weil er von ihm gehört hatte, und hoffte, ein Zeichen zu sehen, das er setzen würde. 9So fragte er ihn mit starken Worten, aber der antwortete nicht. 10Da stellten sich die Hohepriester und die Schriftgelehrten hin, um ihn heftig anzuklagen. 11Herodes aber verhöhnte ihn mit seinen Soldaten und verspottete ihn, indem er ihm ein glänzendes Gewand umwarf, und schickte ihn wieder zu Pilatus. 12An jenem Tag wurden Herodes und Pilatus miteinander Freunde; vorher waren sie verfeindet gewesen. Pilatus, von Jesu Unschuld überzeugt (23,4), versucht, den Fall loszuwerden, indem er die Zuständigkeit seines Gerichts in Zweifel zieht. Da Jesus von Nazareth ein galiläisches Landeskind ist, soll der Fürst von Galiläa, Herodes Antipas (3,1), die Sache übernehmen. Er ist der Mörder des Täufers Johannes (vgl. 3,20). Er hat schon lange großes Interesse an Jesus (9,7–9), will ihn aber beherrschen und trachtet ihm nach dem Leben, was Jesus weiß und souverän ignoriert, nicht ohne Herodes einen „Fuchs“ zu nennen, der als Herrscher nicht weise ist, sondern nur schlau sein will (13,31–35). Diese Konstellation aus Galiläa wiederholt sich in Jerusalem: Neugier, Machtgebaren und Aggressivität stoßen auf die Souveränität Jesu, der sich jedoch seinem Landesherrn nicht beugt.
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Die kurze Szene ist bewegt. Sie zeichnet ein Charakterbild des Herodes, sie zeichnet auch ein Christusportrait ohne Worte. 23,6–7 23,8–9 23,10 23,11 23,12
Die Überstellung an Herodes (Antipas) Der vergebliche Versuch des Herodes, mit Jesus zu sprechen Die Anklagen der Hohepriester und Schriftgelehrten Die Verspottung Jesu durch Herodes Die neue Freundschaft zwischen Herodes und Pilatus
Die Szene ist lukanisches Sondergut, wahrscheinlich Teil der vorlukanischen Passionsgeschichte. Pilatus will den Konflikt mit den Anklägern aus dem Hohen Rat ver meiden (6) (6), weil er Jesus für unschuldig hält (23,4), sie ihn aber als politischen Schwerverbrecher anklagen (23,2.5). Deshalb greift er das Stichwort „Galiläa“ auf, das die Ankläger haben fallen lassen, um ihrer Anklage Nachdruck zu verleihen. Er klärt, dass Jesus tatsächlich aus Galiläa stammt (7) (7). Galiläa wird nicht direkt von Rom regiert, sondern von dem Tetrarchen Herodes Antipas (3,1). Dass der während des Paschafestes in Jerusalem weilt, ist nicht ungewöhnlich. Herodes ist auf Jesus neugierig (8) (8), wie Lukas bereits früher erwähnt hat (9,7–9). Er hat aber keinen richtigen Zugang zu Jesus gewonnen; so ist es auch hier: Herodes will ein „Zeichen“ sehen, ein „Wunder“, ein Gottesspektakel, das Jesus, aber auch ihn selbst auszeichnen soll. Ein solches Begehren hat Jesus bereits vorher als Aberglaube abgewiesen; dabei hatte er „diese Generation“ im Sinn (11,29). Herodes macht sich die vergiftete Erwartung zu eigen; er ist nicht an Jesus interessiert, sondern nur an sich selbst. Er dringt auf Jesus ein (9) (9), aber der würdigt ihn keines Wortes. Jesus schweigt, weil er sich dem Ansinnen verweigert, um Raum für echten Glauben zu schaffen. Die Hohepriester und Schriftgelehrten (10) (10), Hauptfraktionen des Hohen Rates (22,1.66), wollen die Chance dieser Verweigerung nutzen und tragen dieselben Anklagen wie vor Pilatus vor (23,1–5). Sie erkennen nicht die Gerichtshoheit des galiläischen Fürsten an, wollen aber in jedem Fall Jesus loswerden, sei es auch mit Hilfe des Herodes. Der geht allerdings nicht direkt, sondern nur indirekt auf ihre Vorwürfe ein (11) (11): Er ist kein Richter, sondern ein Despot. Er „verhöhnt“ Jesus (exouthenéo), indem er ihm seine Verachtung zeigt, zusammen mit seinen Soldaten, und macht sich also in der Erniedrigung Jesu mit ihnen gemein. Es wiederholt sich, was Jesus von jüdischen Soldaten nach seiner Verhaftung erlitten hat (22,66–71). Herodes „verspottet“ (empaízo) Jesus, indem er ihm einen falschen Königsmantel umwirft. Offenbar haben also die Hohepriester und Schriftgelehrten Jesus auch vor Herodes Antipas der Usurpation
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der messianischen Königswürde bezichtigt. Die Verspottung unter dem Kreuz (23,36–37) wird vorbereitet. Als Herodes sieht, dass er nichts ausrichten kann, verliert er das Inte resse an Jesus. Deshalb schickt er ihn wieder zu Pilatus zurück. Die abschließende Notiz (12) (12), dass Herodes und Pilatus, die zuvor verfeindet waren, nun „Freunde“ geworden seien, ist kein Aufscheinen des himm lischen Friedens auf Erden, sondern die Etablierung eines Männerbundes, der auf dem Rücken eines unschuldigen Opfers geschlossen wird und deshalb nicht echte Freundschaft verwirklicht, sondern nur eine politische Interessensgemeinschaft. Beide merken, dass sie sich die Bälle zuspielen können, in beiderseitigem Interesse, auf Kosten Jesu und anderer Opfer. Die Episode bei Herodes Antipas ist ein Zwischenstück, das zeigt, wie sehr der Prozess gegen Jesus ein reines Machtspiel ist. Jesus bleibt sich treu, indem er Herodes nicht als eine Person anerkennt, mit der er ernsthaft kommuniziert. Er verweigert sich ihm, der als Herrscher und Richter auftreten will. Die Hohepriester und Schriftgelehrten verfolgen zwar ihren Tötungsplan auch vor dem Provinzfürsten, kommen aber nicht zu ihrem Ziel. Herodes Antipas meint zwar, ein Großer zu sein, der über Jesus bestimmen kann, wie er will, scheitert aber an ihm, weil er sich nur auf die despotische Macht zu beziehen vermag, die er sich angeeignet hat. Die Verhöhnung und Verspottung Jesu fällt auf ihn zurück. Lukas zeichnet ein dunkles Bild; seine Farben passen zum Portrait bei Flavius Josephus, ohne dass Abhängigkeit bestände. 23,13–25 Die Verurteilung durch Pilatus 13Pilatus aber rief die Hohepriester und die Obersten und das Volk zusammen 14und sagte ihnen: „Ihr habt mir diesen Menschen als einen vorgeführt, der das Volk abspenstig machen soll. Siehe, als ich ihn vor euren Augen verhört habe, habe ich an diesem Menschen keine Schuld gefunden, derer ihr ihn anklagt. 15Auch Herodes nicht; denn er hat ihn zu mir geschickt, und siehe: Er hat keine todeswürdige Tat begangen. 16Deshalb will ich ihn züchtigen und freilassen.“ 18Da schrien alle zusammen auf und riefen: „Weg mit dem, lass uns Barabbas frei.“ 19Barabbas aber saß wegen Aufruhrs in der Stadt und wegen Mordes im Gefängnis. 20Pilatus aber rief ihnen wieder zu, dass er Jesus entlassen wolle. 21Sie aber schrien ihm entgegen: „Kreuzige, kreuzige ihn.“ 22Der aber sagte ihnen zum dritten Mal: „Was hat er denn Böses getan? Ich finde an ihm keine Schuld, ihn zu töten. Ich werde ihn züchtigen und freilassen.“ 23Sie aber bedrängten ihn mit lauten Stimmen und forderten, dass er gekreuzigt werde. Und ihre Stimmen wurden immer lauter. 24Da entschied Pilatus, ihrer Forderung
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Genüge zu leisten. 25Er entließ den, der wegen Aufruhrs und Mordes ins Gefängnis geworfen worden war, den sie forderten, und übergab Jesus ihrem Willen. Der römische Prozess nimmt nach Lukas einen ganz eigenen Verlauf, weil Pilatus, von Anfang an von Jesu Unschuld überzeugt (23,4), viel tut, um Jesus freizubekommen oder wenigstens sich nicht selbst mit dem geforderten Todesurteil zu belasten, aber keinen Erfolg hat, weil die Mitglieder des Synhedriums, die das „Volk“ auf ihre Seite ziehen, auf der Kreuzigung Jesu bestehen. Dies ist der Duktus der vorlukanischen Tradition. Zu diesen Aktivitäten gibt es nur bei der Barabbas-Episode eine direkte Parallele bei Markus und Matthäus, allerdings anders gehalten (Mk 15,7–11 par. Mt 27,15–21). Nicht original lukanisch ist Vers 17, der die Paschaamnestie erklärt. („Zum Fest aber musste er ihnen einen Gefangenen freilassen.“) Der Aufbau zeichnet das Drama der Passion nach: 23,13–16 23,18–21 23,22 23,23–25
(Zweite) Unschuldserklärung des Pilatus Die Forderung, Barabbas freizulassen (Dritte) Unschuldserklärung des Pilatus Nachgeben des Pilatus
Lukas unterstreicht durch seine Darstellung zweierlei: die Unschuld Jesu, die sich in der falschen Anklage spiegelt, und die Fähigkeit des römischen Rechts, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden, allerdings konterkariert durch die Schwäche des Pilatus, der laviert, wo er hätte entscheiden müssen. Er will den Prozess bestimmen, aber er entgleitet ihm immer mehr. Pilatus wirkt wie ein Getriebener. Nachdem sein Versuch, Jesus durch Herodes Antipas aburteilen zu lassen, gescheitert ist (23,6–12), muss Pilatus wieder agieren. Er versammelt die „Hohepriester und Obersten“, d. h. die Mitglieder des Synhedrions, mit dem „Volk“ (13–14) (13–14), inszeniert nun also eine öffentliche Verhandlung, wie es Brauch war. Zuvor hatte Lukas immer wieder erzählt, dass sich das Volk auf die Seite Jesu gestellt hatte (19,48; 20,19.26.45; 21,37–38; 22,2.6). Jetzt schwenkt es um; einen Grund nennt Lukas nicht. Er verwendet aber das theologisch bedeutungsschwere Wort laós, das für Israel steht. Von einer Kollektivschuldthese ist die Darstellung freilich klar zu unterscheiden; die Charakterisierung der Ankläger ruft vielmehr die prophetische Kritik Jesu an dieser „Generation“ (7,31; 9,41; 11,29–32.50–51) wach, die auf die Dialektik von Gericht und Heil zugeschnitten ist – was sich in der Passion Jesu verdichtet. Genau gelesen, charakterisiert Lukas das Volk so, wie es sich durch die Mitglieder des
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Hohen Rates repräsentieren und funktionalisieren lässt, die die Anklage vorgebracht haben (23,1–5). Um seine Position zu stärken, vereinnahmt Pilatus seinen neuen „Freund“ (23,12) Herodes (15) (15), der Jesus zwar verhöhnt, aber nicht verurteilt hat. Weil er der Anklage nicht folgen, aber den Anklägern einen Kompromiss anbieten will, erklärt Pilatus in römischer Herrschermanier (16) (16), dass er Jesus „züchtigen“ – auspeitschen, also foltern – lässt, um ihn einzuschüchtern und den Anklägern Genüge zu tun, ihn dann aber freilassen will, wie dies dreißig Jahre später, unter Albinus, im Fall des Jesus ben Ananias geschehen ist (Josephus, De bello Judaico 6,300–309). Soweit scheint alles nach Plan zu laufen: Pilatus wirkt als Herr des Verfahrens. Er hört sich die Anklage an; er klärt die Zuständigkeit; und er gibt seine Entscheidung bekannt. Allerdings wendet sich das Blatt. „Alle zusammen“ (18) wollen die Entscheidung nicht hinnehmen, d. h. die Synhedristen mit Rückhalt im Volk und das Volk, das sich vom Hohen Rat leiten lässt. Sie rekurrieren auf eine gewohnheitsrechtliche Paschaamnestie, die der nachgetragene V. 17 benennt (vgl. Mk 15,6; Mt 27,15; Joh 18,39). Sie wird von anderen als neutestamentlichen Quellen nicht erwähnt, ist aber deshalb nicht schon als legendär erwiesen. Nach Markus, Matthäus und Johannes bietet Pilatus an, Jesus auf diesem Wege freizubekommen (Mk 15,9; Mt 27,17; Joh 18,39), wobei jedoch sein Kalkül nicht aufgeht, sondern Barabbas vom Volk verlangt wird; nach Lukas kommt die Menge diesem Angebot zuvor und will Pilatus die Möglichkeit nehmen, Jesus zu amnestieren. Nach Lukas hat Barabbas genau die Art von Verbrechen begangen (19) (19), deren Jesus angeklagt ist (23,2.5); wie bei Markus (Mk 15,7) ist Aufruhr (stásis) der Kernvorwurf; der „Mord“ (phónos) wird also ein politischer Anschlag gewesen sein; dass er in der Stadt Jerusalem stattgefunden hat, zeigt bei Lukas, wie brandgefährlich Barabbas war – und wie verlogen die Anklage Jesu. Die Situation spitzt sich zu, weil Pilatus auf seinem Willen beharrt (20) (20), Jesus freizulassen, die Menge aber das „Weg mit ihm“ durch die Forderung der Kreuzigung verschärft (21) (21). Wie es zu dieser Zuspitzung kommt, wird nicht erklärt. Pilatus wiederholt sich (22) (22), indem er zum dritten Mal die Unschuld Jesu beteuert. Aber er hat seine Souveränität eingebüßt. Es wird nur immer mehr die Hinrichtung Jesu gefordert (23). Pilatus entscheidet, indem er die Lage beurteilt (epikríno) – aber nicht als gerechter Richter, sondern als lavierender Politiker, der dem Drängen nachgibt (24) (24). Lukas rekapituliert genau, welches Unrecht geschehen ist, weil der Mörder freigelassen, der Unschuldige aber verurteilt wird (25) (25). In der Lukaspassion wird die jüdische Seite schwer belastet. Zwar gibt es keine regelrechte Verurteilung durch den Hohen Rat. Aber das mindert nicht die Entschlossenheit der Synhedristen, Fakten zu schaffen, und sei es durch
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Rechtsbeugung: Die Anschuldigung ist falsch (21,2–5); fragwürdig sind auch die Methoden, Druck von der Straße zu erzeugen, um Pilatus zum Einlenken zu bewegen. Am Anfang sind die Verantwortlichen aus dem Synhedrion genannt; aber ab Vers 13 ist auch das Volk präsent. Bei Lukas wird nicht weiter differenziert. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen dem, was der Hohe Rat, und dem, was das Volk will. Erst der Kreuzigungsbericht wird wieder differenzieren. Die Belastung der jüdischen Seite ist aber keine Entlastung des Pilatus. Im Gegenteil: Je deutlicher herausgestellt wird, dass er von Jesu Unschuld überzeugt gewesen ist, desto klarer hätte auch der Freispruch ausfallen müssen, und zwar wegen erwiesener Unschuld, nicht nur aus Mangel an Beweisen. Dass er dennoch Jesus hinrichten lässt, zeigt, dass er politische Justiz übt und nach Gutdünken ein Urteil fällt, also das Recht bricht. Jesus wird in all seiner Unschuld gezeigt. Sein: „Du sagst es“, ist von Pilatus in der lukanischen Erzählung nicht als Schuldeingeständnis, sondern als Unschuldsbeteuerung aufgefasst worden, die glaubwürdig sei. Jesus ist nach Lukas ein Gerechter, der das Opfer ungerechter Justiz geworden ist. 23,26–32 Der Kreuzweg 26Und als sie ihn abführten, ergriffen sie Simon von Cyrene, der vom Feld kam, und legten ihm das Kreuz auf, es hinter Jesus her zu tragen. 27Es folgte ihm eine große Volksmenge, auch Frauen, die weinten und klagten. 28Jesus aber wandte sich zu ihnen und sagte: „Töchter Jerusalems, weint nicht um mich, weint vielmehr um euch und eure Kinder. 29Denn siehe, Tage werden kommen, da werden sie sagen: ‚Selig die Unfruchtbaren und deren Leib nie geboren hat und deren Brüste nie gestillt haben.‘ 30Dann werden sie zu den Bergen sagen: ‚Fallt auf uns‘, und zu den Hügeln: ‚Begrabt uns.‘ 31Wenn dies am grünen Holz geschieht, was wird mit dem dürren geschehen?“ 32Sie führten aber auch zwei Übeltäter ab, um sie mit ihm hinzurichten. Im Vergleich zu Markus ist die Szene stark ausgebaut. Gemeinsam sind nur die Notiz von der Wegführung selbst (Mk 15,20b par. Mt 27,31b), einschließlich der beiden „Übeltäter“, die bei Lukas eine besondere Rolle spielen werden (23,33.39–43), und die (gekürzte) Episode mit Simon von Cyrene (Mk 15,21 par. Mt 27,32). Spezifisch lukanisch ist die Begegnung Jesu mit den Frauen von Jerusalem, die bis in die Kreuzwegandachten hinein (8. Station: „Jesus begegnet den weinenden Frauen“) die Volksfrömmigkeit stark beeindruckt hat, ganz im Sinn des Lukas, der an vielen Stellen seines Evangeliums die Begegnungen Jesu mit Frauen besonders stark hervorhebt (vgl. 8,1–3).
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Lukas hat die Szene so gestaltet, dass zweierlei deutlich wird: Jesus geht den Weg nicht allein; und er konzentriert sich nicht auf sich selbst, sondern bleibt der „Retter“, als der er von den Engeln in Bethlehem angekündigt worden war (2,11). 23,26 23,27 23,28–31 23,32
Das Kreuztragen durch Simon von Cyrene Das Klagen der Frauen um Jesus Die Antwort Jesu 28 Die Umkehrung der Klage 29–30 Die Begründung mit der paradoxen Seligpreisung 31 Das Bildwort vom grünen und dürren Holz Die Abführung der beiden Schwerverbrecher
Die kurze Szene verdichtet in wenigen Worten das Evangelium Jesu; in den Erzählungen vom öffentlichen Wirken Jesu finden sich zahlreiche ähnlich gestaltete Szenen, die auf ein klärendes Wort Jesu hinauslaufen; ihre theologische Bedeutung ist groß, so auch hier. Simon kommt aus Cyrene (26) (26), von der nordafrikanischen Küste, aus dem Gebiet des heutigen Libyen. Die Soldaten zwingen ihn, das Kreuz Jesu zu tragen, das üblicherweise der Verurteilte – Zeichen seiner Schande – selbst zur Hinrichtungsstätte schleppen musste. Bei Lukas wird Simon zum Vorbild der Jünger, die „täglich“ ihr „Kreuz auf sich“ nehmen, um Jesus nachzufolgen (9,23). Warum Simon Jesus das Kreuz abnehmen muss, wird nicht erzählt. Naheliegend ist die Erklärung, dass Jesus vom Foltern (22,63–65) geschwächt war. Diese Erklärung hat die fromme Überlieferung in den Kreuzwegstationen ausgebaut. So wie Simon von Cyrene Jesus hilft, so stechen in der großen Menge von Schaulustigen, die Jesus folgen (23,48), Frauen heraus (27) (27), die um Jesus klagen. Diese Klage auf dem Kreuzweg ist nicht rituell, sondern personal: Es war nicht ungefährlich, weil öffentliche Sympathiebekundungen für Delinquenten untersagt waren (Tacitus, annales V. 19; Sueton, Tiberius 61). Die Frauen sind durch Mitleid neugewonnene Jüngerinnen; sie verwirklichen auf andere Weise als Simon die Kreuzesnachfolge (23,40). Im Mitleid der Frauen zeigt sich, dass Jerusalem bei Lukas keineswegs geschlossen gegen Jesus steht, wie es beim Pilatus-Prozess scheinen mochte (23,24–25). Das Klagen und Weinen der Frauen ist ein spiritueller Protest gegen das Unrechtsurteil. Die Klage entspricht spiegelbildlich dem Hosanna des Einzugs (19,28–40). Wie dort die Jünger voll Jubel Jesus mit Gott verbunden haben, so hier die Frauen voll Trauer. Jesus antwortet auf die Klage dreifach, indem er sich den Frauen zuwendet und ihr Schicksal beschreibt. Er kann ihnen die Tränen nicht ersparen; aber er nutzt ihr Mitleid, um sie auf die Gefahr aufmerksam zu machen, in der
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sie selbst schweben. In seiner ersten Reaktion (28) kehrt Jesus die Klage um – nicht, weil er das Mitleid zurückwiese, sondern weil er sein eigenes Leiden angenommen hat, während sie noch nicht einmal wissen, was auf sie zukommt. Er selbst hat um Jerusalem geweint (19,41–44); so weist er auf das kommende Klagen hin, das nicht nur aus mitempfundenem, sondern aus selbsterlittenem Leid erwächst. Er hat es angekündigt (21,20–24); er hat auch den Weg gewiesen, es zu vermeiden (19,41–44). Aber er weiß prophetisch, dass es anders kommen wird – wie Lukas es in der Rückschau sehen kann. Der Blick richtet sich aber nicht darauf, dass Jesus Recht gehabt hat, sondern darauf, dass großes Leid auch diejenigen trifft, die sich dem Unheil zu entziehen trachten (vgl. 21,14–23). In seiner zweiten Reaktion (29) unterstreicht Jesus die Größe der kommenden Not, indem er eine paradoxale Seligpreisung zitiert, zu der es kommen wird. Während in Israel gerade diejenigen seliggepriesen werden, die Kinder haben, und kinderlose Frauen im Verdacht stehen, Gott nicht zu gefallen, was Lukas am Beispiel Elisabeths ad absurdum führt (1,25), sollen hier gerade die Frauen ohne Kinder privilegiert sein – weil ihnen die Trauer um das verlorene Kind erspart bleibt. Die Seligpreisung ist verzweifelt. Sie ist kein Wort Jesu selbst, sondern ein prophezeites Zitat, das die ganze Not sichtbar macht. Die verzweifelten Frauen stehen nicht allein, weil alle meinen werden, es sei besser zu sterben, als die Not zu erleben (30) (30). Die Bilder sind apokalyptisch (vgl. 21,25). Kollektiver Suizid scheint der einzige Ausweg zu sein, so groß ist die Not. In seiner dritten Reaktion (31) prägt Jesus das rätselhafte Sprichwort vom grünen und vom dürren Holz. Der Kontext weist darauf hin, dass es sich um eine versteckte, von Mitleid geprägte Prophetie der Zerstörung Jerusalems handelt. Teils wird gedeutet: Wenn schon der Gerechte leiden muss – um wie viel mehr dann das ungerechte Jerusalem; aber Jesus trauert um Jerusalem (19,41). Tiefer dringt die biblische Symbolik des Holzes, die den Kirchenvätern (aus jüdischer Überlieferung) vor Augen stand. Die Weisheit Salomos denkt an die Arche Noah, wenn es heißt „Segen ruht auf dem Holz, durch das Gerechtigkeit geschieht“ (Weish 14,7; vgl. 4Makk 18,16), obgleich es selbst „wertlos“ war (Weish 10,4); die Weisheit selbst ist ein „Holz des Lebens“ (Spr 3,18; vgl. Ps 1,3; Jes 65,22; Jer 17,8). Das dürre Holz hingegen ist nach den Klageliedern Ausdruck der tiefen Depression, in die – aus eigener Schuld – das besiegte und gedemütigte Israel gefallen ist (Klgl 4,8; vgl. Jes 56,3). Dass der grüne Baum verdorrt und der vertrocknete ergrünt, ist nach Ez 17,24 (vgl. 21,3) Zeichen des grundstürzenden Heilshandelns Gottes durch das Gericht. Keine dieser Stellen ist das Passepartout für das jesuanische Wort. Aber in ihrem Kontext erklärt sich der Vers als dialektische Gerichts- und Heilsprophetie: Auch die Vitalen werden getroffen, wie viel
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stärker werden es die Vulnerablen sein. Israel ist grünes Holz – in Gottes Augen sein Volk; wie schlimm wird es denen gehen, die vertrocknet sind, weil sie den Moment verpasst haben, den Jesus ihnen verschafft. So schlimm es aber kommen wird – das Mitleid Jesu bleibt den Leidenden gewiss (19,41–44). Die knappe Notiz, das Jesus zusammen mit zwei Schwerverbrechern abgeführt wird (32) (32), bereitet bei Lukas eine Passionsszene vor, die charakteristisch ist (23,39–43): Nicht nur Jesus ist gekreuzigt worden; sein Kreuz steht in einer Reihe mit Millionen von Kreuzen, an denen Menschen gemartert worden sind. Viele haben schwere Verbrechen begangen, nicht wenige waren unschuldig. In keinem Fall wird die Todesstrafe, gar die Kreuzigung, von der Passionsgeschichte legitimiert, im Gegenteil. Der Schächer zur Rechten wird seine Schuld bekennen und die des Linken aufdecken (23,41). Jesus gilt wie der Leidende Gottesknecht als Übeltäter unter Übeltätern (Jes 53) – und wird doch aus diesem Übel das Beste machen, die Vermittlung ewigen Heiles. Ihre Tränen sprechen für die Jerusalemer Frauen und ihr Mitleid mit Jesus auf dem Kreuzweg. Aber um Jesus brauchen die Jerusalemer Frauen nicht zu weinen, weil er zwar sterben, aber auferstehen wird. Um sich selbst und ihre Kinder aber müssen sie weinen, weil es zu Mord und Totschlag in der Heiligen Stadt kommen wird. Die Katastrophe, die Jesus voraussieht (21,20–24), geschieht jenseits von Eden immer wieder; in der Heiligen Stadt deprimiert sie besonders. Trost wird es so wenig geben wie für Rachels Kinder in Rama (Jer 31,5: Mt 2,18). Aber es gibt Jesus, der den Kreuzweg geht und den Frauen sagen kann, dass dieser Weg nicht der Weg ins Nichts ist – und dass es deshalb auch für diejenigen, die um ihn weinen und um sie weinen werden, ein Jenseits des Elends gibt. 23,33–49 Die Kreuzigung Jesu 33Und als sie an den Ort kamen, der Schädelstätte heißt, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter, einen zur Rechten, einen zur Linken. 34Jesus aber sagte: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Sie warfen das Los, um seine Kleider zu verteilen. 35Und es stand das Volk, um zu schauen. Und es verhöhnten ihn die Anführer und sagten: „Andere hat er gerettet; sich selbst soll er retten, wenn er der Christus Gottes ist, der Erwählte.“ 36Es verspotteten ihn auch die Soldaten, brachten Essig zu ihm 37und sagten: „Wenn du der König der Juden bist, rette dich selbst.“ 38Es war aber eine Inschrift über ihm: „Der König der Juden ist er.“ 39Einer der Gehenkten schmähte ihn und lästerte, indem er sagte: „Bist du nicht der Messias? Rette dich und uns.“ 40Es antwortete aber
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der andere, gebot ihm zu schweigen und sagte: „Fürchtest du Gott nicht einmal, da du im selben Gericht bist? 41Uns geschieht recht; denn wir erhalten, was wir für unsere Taten verdient haben; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“ 42Und er sagte: „Jesus, gedenke mein, wenn du in dein Reich eingehst“. 43Da sagte er ihm: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ 44Und es war um die sechste Stunde, da entstand Finsternis auf der ganzen Erde bis zur neunten Stunde; 45die Sonne wurde verhüllt; der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. 46Und mit lauter Stimme rief Jesus: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist.“ Indem er dies sagte, hauchte er aus. 47Als aber der Hauptmann sah, was geschehen war, lobte er Gott und sagte: „Wahrlich, dieser Mensch war ein Gerechter.“ 48Und das ganze Volk, das dem Schauspiel beiwohnte, als sie sahen, was geschehen war, klopften sie sich an die Brust und kehrten um. 49Aber auch alle seine Bekannten standen von ferne, mit den Frauen, die ihm von Galiläa nachgefolgt waren, um dies zu sehen. Lukas hat in einer großen Komposition das Sterben und den Tod Jesu als Höhepunkt der Passionsgeschichte dargestellt. Er baut große Spannungsbögen auf. Der Fürbitte Jesu für seine Henker (V. 34a) entspricht die Zeugenschaft seiner Bekannten mit den Frauen aus Galiläa, die an seinem Geschick Anteil nehmen (V. 49). Dazwischen baut Lukas die Erzählung so auf, dass er Szene für Szene zuerst immer näher an das Kreuz heranführt, um dann in umgekehrter Richtung die Dramatik wieder aufzulösen. Das Volk gafft (V. 35a), wird sich aber an die Brust schlagen (V. 48). Die Soldaten verspotten ihn (Vv. 36–37), ihr Anführer aber wird in ihm einen Gerechten erkennen (V. 47). Der „Schächer“ zur Linken schmäht, der „Schächer“ zu Rechten bittet ihn (Vv. 39–43). Außen vor bleiben die Oberen des Volkes, die keinen Weg aus ihrer Ablehnung finden (V. 35b); hier wird aber Joseph von Arimathäa zeigen, dass es anders geht (23,50–56). Lukas hat die Szene so gegliedert, dass diese Spannungsbögen aufgebaut werden. 23,33–34 23,35–37 23,38
Die Kreuzigung Jesu und der beiden Anderen 33 Die Arbeit der Soldaten 34a Die Fürbitte Jesu für seine Henker 34b Die Verteilung seiner Kleider Spott und Hohn unter dem Kreuz 35a Das Schauen des Volkes 35b Der Hohn seiner Anführer 36–37 Der Spott der Soldaten Die Kreuzesinschrift
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23,39–43 Die beiden Mitgekreuzigten 39 Die Lästerung des Linken 40–43 Das Vertrauen des Rechten 40 Die Kritik am Linken 41 Das Bekenntnis der Unschuld Jesu 42 Die Bitte um das Gedenken Jesu 43 Die Zusage der Rettung 23,44–46 Das Sterben Jesu 44 Die Sonnenfinsternis 45 Die Zeichen an der Sonne und im Tempel 46 Das Todesgebet Jesu (Ps 31,6) 23,47–49 Die Reaktionen auf den Tod Jesu 47 Das Zeugnis des Hauptmanns 48 Die Betroffenheit der Schaulustigen 49 Das Sehen der Bekannten einschließlich der Frauen Lukas berichtet nicht nur über das Ende des Lebens Jesu. Er beschreibt Wirkungen, die von der Kreuzigung Jesu auf diejenigen ausgehen, die sie sehen. Er zeigt typische Reaktionen des Widerspruchs gegen das Kreuz, der Ablehnung des Gekreuzigten, des scheinbar überlegenen Spotts; er zeigt aber auch Wege, durch den Anblick des Gekreuzigten von dieser Fixierung loszukommen: Wer richtig hinschaut, kommt zur Besinnung, weil dann Jesus vor Augen tritt, wie er leidet und stirbt. Jesus ist die zentrale Figur, nicht obwohl, sondern weil er gekreuzigt wird. Er sagt seine drei letzten Worte vor seinem Tod. „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun“ (23,34). „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“ (23,43). „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist“ (23,46). Jesus ist am Kreuz bei Lukas nicht das willenlose Objekt göttlicher Souveränität, sondern der Gerechte, der gehorsam und gläubig Gott die Ehre gibt und sich ihm anvertraut. In keinem Augenblick seines Lebens ist Jesus so nahe beim Vater wie im Moment seines Sterbens. Die Frömmigkeit Jesu ist die Seele seiner Proexistenz. Deshalb besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Gottes- und der Nächstenliebe, ja der Feindesliebe Jesu. Jesus legt für seine Henker Fürbitte ein und verheißt dem reuigen Sünder die Rettung. Der Kreuzigungsbericht des Lukas hat Parallelen mit dem markinischen (Mk 15,20b–41), aber auch durchgehend so große Unterschiede, dass wiederum der Rückgriff auf eine – von Lukas sprachlich bearbeitete – Sondertradition plausibel ist. Zu keinem der Worte Jesu, die das christo-
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logische Rückgrat bilden, gibt es eine Parallele; das Todesgebet weicht signifikant ab (Mk 15,34: Ps 22,2). „Schädel“ (33) ist der überlieferte Ortsname von Golgotha (Lukas nennt den hebräischen Namen im Unterschied zu Mk 15,22; Mt 27,33 und Joh 19,17 nicht.) Es handelt sich um die Richtstätte, die heute mitten in der Altstadt von Jerusalem bei der Grabes- oder Auferstehungskirche gesucht wird. An diesem Ort wird Jesus vom römischen Kommando gekreuzigt, d. h. ans Querholz geschlagen oder gebunden, das an einem Längsholz befestigt wird. Es gibt kaum ein qualvolleres Sterben als die Kreuzigung; nach oft langem Kampf tritt der Tod durch Kreislaufversagen ein. Jesus ist nicht allein gekreuzigt worden; zwar ist Barabbas freigelassen worden (23,25); aber zwei weitere Delinquenten sind offenbar auch zur Kreuzesstrafe verurteilt worden. Sie war für Schwerverbrecher vorgesehen, auch für Aufständische, Terroristen, Mörder. Sie war die schändlichste Todesart überhaupt (Hebr 12,2), nur für Arme und Sklaven, nie für Römer vorgesehen (Cicero, Pro Rabirio 15,6). Paulus zitiert die Tora, dass ein Gekreuzigter ein Verfluchter ist (Gal 3,13: Dtn 21,23). Lukas hat von der Kreuzigung so anschaulich erzählt, dass ohne eine Reflexion theologischer Begriffe deutlich wird, wie das Kreuz – ein Schandmal auch im Evangelium – zur Quelle von Segen und Heil wird. Jesus durchbricht das Schreckensszenario (34a) (34a): Er betet für die, die ihn hinrichten – gemäß dem Gebot der Feindesliebe (6,28): Ihnen soll vergeben werden, was sie an Schuld auf sich geladen haben. Die Fürbitte ist nicht nur auf das römische Hinrichtungskommando bezogen, sondern auf alle, die seinen Tod herbeigeführt haben, von Judas und dem Hohen Rat angefangen über Pilatus bis zu den Soldaten, die auf Befehl handeln, allerdings auch ihr übles Spiel mit Jesus getrieben haben (22,63–65). Der Vers wird zwar in erstklassigen Handschriften wie dem Sinaiticus und Alexandrinus bezeugt, nicht aber in anderen gleichfalls klassischen Handschrifen wie dem Vaticanus und dem Papyrus Bodmer. Deshalb gilt er in der Forschung teils als Nachtrag. Er passt jedoch sehr gut zur Praxis und Verkündigung Jesu. Die Kürzung erklärt sich eher als die Hinzufügung, weil ohne V. 34a der Text besser fließt; es mag sein, dass die Wendung gekürzt wurde, weil sie den Schreibern zu weit ging. Stephanus hat Jesus nachgeahmt (Apg 7,59–60). Die Bitte um Vergebung ist in der Unwissenheit der Henker begründet: Sie haben Jesus nicht als Christus erkannt und deshalb gehandelt, wie sie es getan haben (vgl. Apg 3,17). Was in einem profanen Gerichtsverfahren allenfalls mildernde Umstände begründet, trägt in den Augen Gottes die Vergebung, die allerdings nicht gegen den Willen der Täter und der Opfer erfolgt.
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Die Verteilung der Kleider (34b) dient der Demütigung des Verurteilten, der nackt ans Kreuz geschlagen wird. Das biblische Bild des leidenden Gerechten kennt diese Erniedrigung (Ps 22,19). Die Kleider stehen den Henkern zu; sie werden per Los zugeteilt. Das Volk, das in großen Scharen Jesus auf dem Kreuzweg gefolgt war (23,27a), will gaffen (35) (35), anders als die Frauen, die Jesus beklagen (23,27b). Es folgt seinen Oberen (árchontes), die es führen, den Synhedristen. Sie wollen Jesu Messianität karikieren, indem sie ein Leitmotiv seiner Sendung aufgreifen und umkehren: das „Retten“ (2,11; 8,12), auch in der Form körperlicher Heilung (5,15; 6,18; 7,50; 8,2.36.43 u. ö.). In völliger Verkehrung seiner Sendung wird die Selbstrettung gefordert – die ausbleibt. Die Soldaten verstärken den Spott (36–37) (36–37). Sie reichen ihm Essig – scheinbar um seinen Durst zu stillen, in Wahrheit um seine Qual zu verlängern (Ps 69,22). Auch sie persiflieren die Christologie des Retters, nun aber mit dem distanzierenden Genitiv „König der Juden“, der die Prozessmaterie aufnimmt (23,3) und die Kreuzesinschrift karikiert (V. 38). Das „Retten“ ist nicht nur im Horizont jüdisch-biblischer Theologie, sondern auch pagan- römischer Politik positiv besetzt – freilich mit entgegengesetzten Bildern zur Schädelstätte. Die Gewalt- und Hilflosigkeit Jesu soll die Absurdität seines Anspruchs offenbaren – und beweist ihn sub contrario: durch den Gegensatz des Leidens, das in Gottes Kraft Heil wirken kann. Die Inschrift (38) kann erklären, warum die Soldaten meinen, den „König der Juden“ verhöhnen zu können. Ihre Historizität ist strittig, aber sehr wahrscheinlich, wofür nicht nur alle Evangelien (Mk 15,28; Mt 27,37; Joh 19,19–22), sondern auch weitere Indizien aus antiken Quellen sprechen (Sueton, Caligula 32,2; Domitian 10; vgl. Eusebius, Historia Ecclesiastica V 1,44; Firminus, Mathesis V. 31,58). Der „Titel“ soll der öffentlichen Bloßstellung dienen, ist aber für Lukas ein Bekenntnis wider Willen. Die Dramatik der Ablehnung steigert sich mit der Nähe zum Kreuz. Archetypisch wird zwischen dem „Schächer“ zur Linken (39) (39), dem Bösen, und dem zur Rechten, dem Guten, unterschieden. Nur Lukas hat die Szene, dass beide mit Jesus sprechen. Auf der Linken gibt es vom Schwerverbrecher, der mit Jesus ans Kreuz gehängt worden ist (V. 33), die Wiederholung des Spotts, dass der „Messias“ – die jüdische Ansprache – doch retten müsse und damit bei sich selbst zu beginnen habe, wenn er sich nicht blamieren wolle. Doch gibt es dreifachen Widerspruch vom Rechten. Zuerst kritisiert er die Blasphemie des Linken, der Gott selbst in dieser äußersten Stunde, da er durch das irdische Scharfgericht seinem Tod ins Auge sieht, nicht die Ehre erweist, sondern seiner spottet (40) (40). Sodann trifft der rechte Schächer die genaue Unterscheidung (41) (41) – unter den Be-
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dingungen des drakonischen Strafrechts im Imperium Romanum: Sie beide sind „zu Recht“ verurteilt worden, haben also schwerste Straftaten begangen (was nicht die Todesstrafe rechtfertigt, sondern die herrschende Praxis widerspiegelt). Schließlich wendet er sich direkt an Jesus (42) (42), dessen Unschuld ihm klar ist. Er bittet ihn, den angeblich Hilflosen, um Rettung, die der sich selbst versagt – weil er gerecht und unschuldig ist. Diese Bitte kleidet er in das ebenso archaische wie tiefe Motiv des Gedenkens. Er ist sicher, dass Jesus in „sein Reich“ eingeht – wie Jesus selbst es verkündet hat (22,29; vgl. 21,31; 22,18 u. ö.). Es ist „dein“, Jesu, Reich, weil Gott sein Reich an ihn bindet (4,43), in ihm aufschließt (17,20–21) und durch ihn vollendet (22,16). Das „Gedenken“ ist lebendige Erinnerung pur: Sie macht den lebendig, an den gedacht wird. Im Fall Jesu, des von den Toten auferstandenen Gottessohnes, entstehen nicht nur farbige Bilder der Vergangenheit, sondern lebendige Menschen vor Gottes Angesicht (vgl. 20,27–40). Jesus zögert nicht, die Erfüllung dieser Bitte zuzusagen (43) (43). Das „Heute“ ist das des eschatologischen Kairos, wie in der Antrittspredigt (4,21): die von Gottes Ewigkeit erfüllte Zeit, die nicht an das irdische Stundenmaß gebunden ist, sondern in jedem Moment Ereignis werden lassen kann, was bleibt, weil es Gott gemäß ist. Das „Paradies“ ist ein Bild des Reiches Gottes (vgl. Offb 2,7); es steht für den Himmel (vgl. 2Kor 12,34). Jesus versöhnt am Kreuz, an dem er das Geschick der Verbrecher teilt – eine erzählerische Entsprechung zur paulinischen Kreuzestheologie (vgl. 2Kor 5,21). Wie in der Markuspassion beschreibt Lukas in der „sechsten Stunde“ (44– (44– 45), also mittags, zuerst eine Sonnenfinsternis (vgl. Mk 15,33 par. 45) Mt 27,45), dann das Zerreißen des Tempelvorhanges, das bei Markus nach dem Tod Jesu steht (Mk 15,38 par. Mt 27,51). Beide Zeichen sind symbolisch zu verstehen. Die Sonnenfinsternis nimmt die Apokalypse vorweg (21,25; vgl. Am 8,9; Joël 3,3–4), weil im Tod definitiv das Leben Jesu endet, aber genau dieses Ende der Anfang des ewigen Lebens ist. Das Zerreißen des Vorhangs, der das Allerheiligste im Tempel vor unerlaubten Blicken schützt, unterstreicht diese Bedeutung, weil der äußere Vorhang mit Symbolen der kosmischen Ordnung geschmückt war (Josephus, De bello Judaico 5,212–214) und der innere seinen Teil zur Darstellung des Alls leistete, indem er den Bereich des Schöpfers von dem der Schöpfung abtrennte (Josephus, Antiquitates Judaicae 3,123). Einige deuten auf den Ausbruch des Chaos, andere auf das Ende des Jerusalemer Kultes. Im Bild der Erzählung wird aber eine Verbindung zwischen dem Kreuz und dem Allerheiligsten geschaffen: Der größte Gegensatz führt zur intensivsten Spannungseinheit: Der Gekreuzigte ist der Heilige Gottes (1,35); Heiligung wird vom Kreuz aus bewirkt: in einer Welt, die schon vom Einbruch des Gottesreiches gekennzeichnet ist.
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22–23 Die Passionsgeschichte
Jesus öffnet diesen weltgeschichtlich bedeutsamen, eschatologisch schlech terdings entscheidenden Moment durch sein Beten (46) (46). Er gibt seinen „Geist“, sein Leben, das für Gott geöffnet ist, Gott, dem „Vater“, zurück, der es ihm als Mensch geschenkt hat (1,31–32.35). Nach Luther (der der Vulgata folgt) „befiehlt“ Jesus seinen Geist Gott, nach der Einheitsübersetzung „legt“ er ihn in seine Hände. Beide Übersetzungen sind nicht falsch, aber sehr frei. Die Handlung ist eine Überstellung, die Pointe ist das Anvertrauen. Jesus stirbt nach Lukas mit Ps 31,6, dem Vertrauensruf eines leidenden Gerechten, der von Gott gerettet wird, auch wenn er im Namen Gottes Verfolgung erfährt. In diesem Gebet findet die Not des Ölberg gebetes ebenso ihren Platz (Ps 31,11) wie der Spott der Frevler (Ps 31,12– 14); das Vorzeichen ist aber unerschütterliches Gottvertrauen, wie es auch Jesus auszeichnet. Die Fortsetzung der Bitte, ihre Begründung, passt genau zum Kontext und besonders zum Handeln des Gekreuzigten, der seinen Henkern vergibt (V. 34) und dem Schächer zu seiner Rechten das Paradies verheißt (V. 43): „Du hast mich erlöst, Herr, du wahrer Gott“ (Ps 31,6). Jesus gibt sich Gott so hin, dass sich der Tod für die Auferstehung öffnet. Jesus vollendet seine Proexistenz, indem er die Hingabe, die er im Letzten Abendmahl den Jüngern erwiesen hat (22,14–23), bis zu seinem letzten Atemzug in seiner Beziehung zum Vater verankert, der ihn gesandt hat (3,21–22). Mit diesem Gebet haucht Jesus sein Leben aus (exépneusen) – ein Euphemismus fürs Sterben. Jesus hat keinen Scheintod erlitten, wie es, bis in die Gegenwart hinein, apokryphe Traditionen wollen, sondern ist wirklich tot gewesen – bevor Gott ihn auferweckt hat. Das Begräbnis wird es zeigen (23,50–56). Nach dem Markusevangelium hat Jesus mit dem Klageruf des leidenden Gerechten sein Leben beendet: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34: Ps 22,2; vgl. Mt 27,46), der dann auch noch spöttisch verzerrt wird. Bei Lukas ist Jesus einen Schritt auf seinem spirituellen Leidensweg weiter: Er hat seinen ungerechten Tod angenommen, um ihn, wie der leidende Gottesknecht (Jes 53,12), zu einem Mittel des Heiles werden zu lassen. Diese Bedeutung kann ihm nur Gott, der Vater, verleihen. Deshalb gibt Jesus sich selbst vollkommen in Gottes Hand, der seine Bitte erhört und seine Verheißung erfüllt. An diesem Wendepunkt des Todes Jesu nimmt auch das Drama der Beteiligten eine entscheidende Wende. Zuerst kommt der Anführer des Hinrichtungskommandos zu Wort (47) (47). Er, ein Römer, der Hundertschaftsführer, wie das griechische Wort heißt, beobachtet genau, was geschieht; das ist seine professionelle Aufgabe. Aufgrund dieser Beobachtung schlussfolgert er, dass hier ein Unschuldiger hingerichtet worden ist und dass dieses Opfer auf eine Weise gestorben ist, die zeigt, dass der Gekreuzigte nicht nur die Fassung bewahrt, sondern sein Gottvertrauen bewährt und dadurch das Kreuz von einem Marterpfahl des
23,33–49 Die Kreuzigung Jesu
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Schreckens zu einem Zeichen der Hoffnung mitten im Unrecht gemacht hat. Bei Markus spricht er von „Gottes Sohn“ (Mk 15,39 par. Mt 27;54). Bei Lukas legt er ein Zeugnis ab, das christologisch weniger aussagekräftig scheint, aber genau in die erzählte Situation passt und exakt das zum Ausdruck bringt, was ein aufrechter Militär, der seinen Dienst leistet, erkannt haben kann. Jesus ist ein „Gerechter“ – sowohl im Spiegel der Bibel Israels als auch im Licht römischer Tugenden, die Tapferkeit im Unglück und Rechtschaffenheit im Unrecht zu adeln wissen. Das Volk, das Jesus nachgefolgt war (23,27), hatte gegafft (V. 35); auch jetzt (48) schreibt Lukas von einem „Schauspiel“ (theoría). Tatsächlich ist eine Kreuzigung eine öffentliche Inszenierung, die der Zurschaustellung effektiver Justiz, der Demütigung verurteilter Schwerverbrecher und der Abschreckung möglicher Nachahmer dient. Allerdings deutet der Evangelist an, dass die Schaulustigen zur Besinnung kommen. Das Schlagen an die Brust drückt die Trauer, aber auch die Verstrickung in ein Geschehen aus, das nicht mehr rückgängig zu machen ist (vgl. Jes 32,12; Jer 31,19). Dass Lukas zum Schluss schreibt, dass sie umkehren (hypostrépho), ist ganz wörtlich gemeint: Sie gehen zurück in die Stadt; aber es deutet auch den Anfang der inneren Umkehr an, zu der sie gelangen können. Petrus wird Pfingsten an diese Wende anzuknüpfen beginnen, um zum Glauben und zur Taufe zu führen (Apg 2,38). Den Schluss (49) bildet bei Lukas eine knappe Notiz der glaubwürdigen Zeugen (vgl. 1,2; Apg 1,21–22). Gegenüber Markus hat sich das Bild sehr stark verändert (Mk 15,40–41 par. Mt 27,55–56). Denn dort ist nur davon die Rede, dass Frauen aus Galiläa am Kreuz ausgeharrt haben, während die männlichen Jünger geflohen sind (Mk 14,50). Lukas hingegen erwähnt nicht nur die Frauen, „die ihm von Galiläa nachgefolgt waren“ – was seiner durchgängig hohen Aufmerksamkeit für Frauen in der Nachfolge Jesu entspricht (8,1–3); er sieht auch die „Bekannten“ als Zeugen, die gesehen haben, was sich ereignet hat. Der Begriff ist offen; er umfasst nicht nur die „Zwölf“, aus deren Reihen Judas ausgeschieden ist (Apg 1,16), sondern auch weitere Jünger wie Barsabas und Matthias (Apg 1,23), überdies Verwandte (Apg 1,14) und weitere Anhänger wie z. B. Joseph von Arimathäa, der Jesus ein ehrenvolles Begräbnis ausrichten wird (23,50–56). Die „Zwölf“ werden nicht eigens genannt – wohl eine Erinnerung daran, dass sie als Ganze nicht Jesus die Treue gehalten haben, wie Markus und Matthäus drastisch verdeutlichen. Lukas nutzt seine Kunst des Erzählens, um nicht nur, dass, sondern auch, wie Jesus am Kreuz gestorben ist, hervortreten zu lassen. Jesus, mit seinem Tod versöhnt, kann vom Kreuz aus versöhnen. Er stirbt im Vertrauen auf Gott. Er wird mit der höhnischen Forderung konfrontiert, sich selbst zu ret-
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22–23 Die Passionsgeschichte
ten, damit er der Retter für andere sein könne; aber Lukas erzählt genau anders: dass Jesus der Retter ist, weil er sich nicht selbst rettet, sondern Gott bis in den Tod anvertraut. Die Art seines Sterbens entspricht seiner Gottes- und Nächstenliebe; sie verändert die Welt, angefangen in Jerusalem, ausstrahlend in alle Welt. Die Kreuzigungsgeschichte verdichtet die Heilsmittlerschaft Jesu. Das Kreuz wird als Schandmal gesehen; aber Jesus macht es zu einem Zeichen des Heiles. Er ist als Märtyrer vorbildlich – und als leidender Gerechter der Retter. Er schafft Heil nicht am Tod vorbei, sondern durch den Tod hindurch. Lukas hat das historische Faktum der Kreuzigung als Kairos der Heilsgeschichte dargestellt. Die Details sind literarisch arrangiert. Die Kreuzigung durch römische Soldaten, die Verspottung durch Volk und Führung, die Inschrift und die Zeugenschaft der Frauen sind voll historischer Bezüge; das Zeugnis des Hauptmanns ist sehr alte Überlieferung, die Sonnenfinsternis und das Zerreißen des Tempelvorhanges sind sehr alte Symbole. Bei der Vergebungsbitte und beim Todesgebet Jesu zeigt sich ebenso wie beim Schächer zur Linken und zur Rechten die Handschrift des Evangelisten, mit seiner Sondertradition dem Ethos des leidenden Jesus ein Denkmal zu setzen, weil seine Heilsbedeutung von seiner Gottes- und Feindesliebe getragen ist. 23,50–56 Das Begräbnis Jesu 50Und siehe, ein Mann namens Joseph, ein Ratsherr, ein guter und gerechter Mann, 51der dem Rat und ihrem Handeln nicht zugestimmt hatte, aus Arimathäa, einer Stadt in Judäa, der das Reich Gottes erwartete, 52der ging zu Pilatus und bat ihn um den Leichnam Jesu. 53Und er holte ihn herunter und wickelte ihn in Leinen und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch nie jemand gelegen hatte. 54Und Rüsttag war, und der Sabbat leuchtete auf. 55Die Frauen waren ihm gefolgt, die mit ihm aus Galiläa gekommen waren; sie sahen das Grab und wie sein Leichnam bestattet wurde. 56Da kehrten sie um, Salben und Öle zu bereiten. Den Sabbat über hielten sie Ruhe gemäß dem Gebot. Auf die Kreuzigung folgt das Begräbnis. Üblicherweise wurden Gekreuzigte anonym verscharrt. Aber es gab Ausnahmen, wie die Archäologie belegt. Eine solche Ausnahme liegt hier vor. Im Hohen Rat gibt es eine Opposition, von der vorher nicht die Rede war (22,66–71; 23,1–5); Joseph von Arimathäa gehört zu ihr. Als Synhedrist hat er Zugang zu Pilatus. So kann er Jesus einen letzten Dienst erweisen. Die Begräbnisszene stellt erst Joseph von Arimathäa, dann aber die Frauen aus Galiläa ins Licht, die Jesu Kreuzigung beobachtet haben (23,49).
23,50–56 Das Begräbnis Jesu
23,50–53 23,54 23,55–56
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Die Initiative des Joseph von Arimathäa 50–51 Die Charakterisierung der Person 52 Die Bitte an Pilatus 53a Die Abnahme des Leichnams vom Kreuz 53b Die Grablegung Die Zeitangabe: Am Rüsttag vor Anbruch des Sabbats Die Initiative der Frauen aus Galiläa 55 Die Beobachtung der Grablegung 56a Die Vorbereitung der Salbung 56b Die Einhaltung der Sabbatruhe
Die Erzählung entspricht grundsätzlich der Markustradition (Mk 15,42–47 par. Mt 27,57–61), hebt aber die Rolle der Frauen viel stärker hervor. Joseph von Arimathäa (50–51) (50–51), einer kleinen Stadt im Norden Judäas, gehört als Mitglied des Hohen Rates zur Führungsschicht Jerusalems, steht aber in Opposition sowohl zu den Sadduzäern als auch zur Mehrheit, die Jesus an Pilatus ausgeliefert hat (23,1–5). Lukas kennzeichnet ihn mit allgemeinen Attributen als vorbildlich: gut und gerecht, d. h. sowohl ethisch herausragend als auch gesetzestreu. Für Lukas ist er kein Jünger Jesu (wie nach Mt 27,57 und Joh 19,38); aber er stimmt mit ihm in der Erwartung des Reiches Gottes überein. Deshalb – so Lukas – hat er gegen die Auslieferung Jesu gestimmt. Jetzt, nachdem er die Kreuzigung nicht hat verhindern können, wird er beim Statthalter aktiv, um ihn um die Herausgabe des Leichnams zu bitten (52) (52). Nach Dtn 21,23 soll kein Gehenkter über Nacht am Holz hängen bleiben, damit das Land nicht verunreinigt wird (vgl. Gal 3,13). Joseph von Arimathäa wird dieses Gebot im Sinn gehabt haben; der Sabbat ist nahe (V. 54), an dem nicht mehr gearbeitet werden darf (V. 56b). Als Synhedrist kann Joseph bei Pilatus vorstellig werden. Der Statthalter muss den Leichnam freigeben. Pilatus hätte darauf bestehen können, den Leichnam am Kreuz zu belassen, damit er seine abschreckende Wirkung weiter entfaltet. Aber er wollte womöglich dem Prominenten einen Gefallen tun und überdies vermeiden, dass die Kreuzigung angesichts der Beliebtheit Jesu Proteste auslöst. Deshalb gibt er die Leiche frei. Joseph von Arimathäa bereitet Jesus ein ehrenvolles Begräbnis (53) (53). Er schlägt den Leichnam, wie es Brauch war, in ein Leinentuch ein (sindón), das den ganzen Körper bedeckt (vgl. 24,12). Er stellt auch ein frisches Felsengrab zur Verfügung, wie sie zu den Nekropolen rund um Jerusalem gehören und archäologisch auch am Ort der heutigen Grabes- und Auferstehungskirche nachgewiesen sind. Alle näheren Angaben fehlen. Nach Lukas vergewissert Pilatus sich nicht erst, dass Jesus bereits wirklich gestorben ist, sondern vertraut dem Ratsherrn.
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22–23 Die Passionsgeschichte
Die feierliche Zeitangabe (54) verbindet die beiden Hälften der Erzählung. Der „Rüsttag“ ist der Tag der Vorbereitung auf den Sabbat, der nach jüdischer Zeitrechnung abends beginnt. Dass der Sabbat „aufleuchtet“, verweist darauf, dass der Abendstern schon aufgegangen ist. Die Frauen, die Jesus auf dem Kreuzweg nachgefolgt waren (vgl. 23,26– 27) und den Tod am Kreuz beobachtet haben (23,49), nutzen die Zeit (55–56). Sie geben dem Verstorbenen das letzte Geleit – und wissen da(55–56) durch, wo das Grab liegt, das sie am Ostermorgen aufsuchen werden (24,1). Sie wenden sich – wie die Masse der Schaulustigen (23,48), aber aus anderen Motiven – von der Hinrichtungs- und Begräbnisstätte ab, um in der Stadt vorzubereiten, was sie sich vorgenommen haben: den Leichnam zu salben, wie es Brauch war. Sie bereiten alles sorgfältig vor, Salben und Öle, ohne besonderen Luxus, aber auch ohne jede Nachlässigkeit, vielmehr in der sorgenden Zuwendung, die ihre Liebe zu Jesus über seinen Tod hinaus zum Ausdruck bringt. Die Sabbatruhe (Ex 20,8–11; Dtn 5,12–15) wird von den Frauen beachtet, wie es auch Jesus und seine Jünger getan haben, obgleich sie des Gegenteils bezichtigt worden sind (6,1–5.6–11; 13,10–17; 14,1–6). Freilich weist der Sabbat schon indirekt auf den dritten Tag, das Osterfest der Auferstehung. Die Erzählung vom Begräbnis Jesu ist ein stiller Abschluss der lauten Passionsgeschichte. Immer wieder war geschrien, gelacht und gespottet worden. Jetzt wird nicht mehr groß gesprochen. Jedes Wort ist gesagt. Das irdische Leben Jesu ist definitiv beendet. Das Grab ist voll – mindestens so skandalös wie das leere Grab, weil Jesus, der Messias, nicht als strahlender Sieger, sondern als schändlich Gekreuzigter gestorben ist. Es bleibt, den Tod Jesu nicht nur hin-, sondern anzunehmen. Der erste Schritt ist das Begräbnis. Keiner der bislang bekannten Jünger kann ihn gehen – Joseph von Arimathäa geht ihn, der Jesu Auslieferung und Tod nicht verhindern konnte, aber seine Beziehungen zu Pilatus ausnutzt, um Jesus ordentlich zu begraben, ohne Prunk, aber mit Respekt. So handeln auch die Frauen, während von den anderen „Bekannten“ unter dem Kreuz (23,49) nicht mehr die Rede ist. Sie bleiben der Nachfolge Jesu treu, über seinen Tod hinaus. Deshalb werden sie am Ostermorgen als erste das Grab leer finden und die Osterbotschaft hören. Nicht nur die Zwölf, die zum öffentlichen Zeugnis bestellt sind (Apg 1,15–26), sondern auch die galiläischen Frauen bilden eine Brücke zwischen der vorösterlichen und der nachösterlichen Zeit, in der sie Jesus bezeugen, den Irdischen, der gestorben ist, wie den Auferstandenen, der zur Rechten des Vaters erhöht ist. Der Ort, der heute gezeigt wird, geht auf sehr alte Überlieferungen zurück, die allerdings nicht an die neutestamentliche Zeit heranreichen, weil Jerusalem 70 n. Chr. zerstört worden ist. Der Ort lag damals außerhalb der Stadtmauern, ist also historisch möglich. Üblicherweise wurden Gekreuzigte verscharrt, aber im Ausnahmefall
24 Das Osterevangelium
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auch würdevoll bestattet, so wie hier. Der Name Josephs spricht für eine zuverlässige Erinnerung in der synoptischen Tradition. 24 Das Osterevangelium So wie das Kindheits- beruht auch das lukanische Osterevangelium wesentlich auf Sondergut. Mit Markus ist nur die Erzählung von der Auffindung des leeren Grabes gemeinsam (Mk 16,1–8), die Lukas allerdings deutlich anders erzählt und eng mit den Erscheinungserzählungen verbindet (24,1–12). Ohne synoptische Parallele ist die Emmauserzählung (24,13–35), die zu den schönsten und populärsten Ostergeschichten gehört. Sie setzt zwei Jünger ins Bild, die nirgends sonst erwähnt werden, aber beispielhaft zeigen, auf wie vielen Wegen der Osterglauben entstanden ist, gegen alle Einwände, die Menschen gegen ihn erheben – auch diejenigen, die glauben wollen. Nachdem er die zwei Emmaus-Jünger wieder auf den Weg zurück nach Jerusalem gebracht hat, erscheint Jesus den verbliebenen Elf aus dem Zwölferkreis und weiteren Jüngern (24,36–49), die noch über die Emmaus-Episode im Gespräch sind (24,33–35). Die Ersterscheinung vor Simon Petrus (vgl. 1Kor 15,5) wird nicht erzählt, sondern nur besprochen (23,34). Der Blick richtet sich auf das, was Jesus der Gemeinschaft seiner Nachfolger zu zeigen und zu sagen hat, die sich auch durch den Tod Jesu nicht hat zerstreuen lassen, obschon sie sich keinen Rat weiß und die Apostel die Frohe Botschaft der Frauen als Geschwätz abgetan haben (24,11) – so wie sie auch nach dem Vierten Evangelium zuerst nicht glauben konnten, dass Jesus auferstanden ist (vgl. Joh 20,13–14.24–29). Jesus weist sich zuerst als er selbst aus (24,36–43), deutet dann mit Hilfe der Heiligen Schrift seine Passion (24,44–45) und entwickelt daraus den Sendungsauftrag, dem sie mit „Kraft aus der Höhe“ werden folgen können (24,46–49). Den Schluss bildet die Himmelfahrt (24,50–53). Die Jünger werden von Jesus gesegnet (24,51) und warten in Jerusalem voller Freude auf die Erfüllung der Geistverheißung (24,52–53). Die lukanische Komposition, die in Verbindung mit der Apostelgeschichte den christlichen Festkalender geprägt hat, arbeitet die Einheit des Ostergeschehens heraus, die sich in großer innerer Spannung abzeichnet. Wie es weitergeht, erzählt das zweite Buch des Lukas (Apg 1,1–2). 24,1–12 24,13–35 24,36–49 24,50–53
Die Botschaft an die Frauen im leeren Grab Der Weg Jesu mit den Emmaus-Jüngern Die Erscheinung Jesu in Jerusalem Die Himmelfahrt Jesu
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19,29–24,53 Jesus in Jerusalem
Nach Lk 24 findet alles an einem einzigen Tag statt. In der Apostelgeschichte spielt sich das Geschehen bis zur Himmelfahrt in vierzig Tagen ab. Beide Zeitangaben sind symbolisch. Am Ende des Evangeliums verdichtet Lukas die gesamte Jesusgeschichte, zu Beginn seines zweiten Buches eröffnet er die österliche Missionsgeschichte. Die Verschränkung ist ebenso wie die Verschiebung gewollt. Das lukanische Osterevangelium schreibt die Theologie des Weges fort, die das gesamte Evangelium kennzeichnet. Jesus ist bewusst nach Jerusalem gegangen, in der Erwartung seiner Passion, seiner Auferstehung und Himmelfahrt, seiner Erhöhung zu Gott (9,51). Die Frauen sind zum Grab gegangen, das direkt vor den Toren der Stadt liegt (23,26.33.50–56), werden aber von den Engeln, die ihnen die Auferstehung verkünden, zurück in die Stadt gewiesen, wo sich ihnen ein Raum des Lebens öffnen wird, auf den sie nicht mehr zu hoffen gewagt hatten (24,1–12). Die beiden Emmaus-Jünger haben sich in ihrer ratlosen Trauer auf einen Holzweg begeben, der weg von Jerusalem führt; Jesus aber geht – unerkannt – mit ihnen; er folgt den Verirrten und Verloren, wie er es vorösterlich gemacht hat (15,1–7); auf dem falschen Weg führt er sie auf den richtigen, indem er sie ihre Geschichte erzählen lässt und zum Verständnis der Schrift führt, bevor er ihnen das Brot bricht (24,13–35); da sie zur Erkenntnis kommen, wissen sie sofort, wohin sie zu gehen haben: zurück nach Jerusalem. Dort, wo Jesus als „Prophet umkommen“ muss (13,33), weil Jerusalem der Vorort Israels ist und der Schauplatz der eschatologischen Heilswende, steht er auch von den Toten auf und erscheint der Schar seiner Jünger (24,36–49). In Jerusalem sollen sie warten, bis der Heilige Geist auf sie herabkommt und sie befähigt, „allen Völkern“ Jesus als den von den Toten auferweckten Messias zu bezeugen (24,46–49). Die Himmelfahrt ist in Bethanien lokalisiert (24,50), am Ölberg gelegen (19,29), Jerusalem gegenüber. Die Jünger, die Jesus gesegnet hat, halten sich an seine Anweisung und kehren in die Stadt zurück (24,52–53). Sie ist ihnen nicht nur Warteraum für eine bessere Zukunft, sondern Stätte des Tempels, den sie für das Lob Gottes nutzen (24,53), wie Jesus es bei seiner Vertreibung der Händler gesagt hatte: Das Heiligtum ist ein „Haus des Gebetes“ (19,46: Jes 56,7). Die Konzentration der Ostergeschichte auf Jerusalem ist typisch für Lukas. Bei Markus ist eine Erscheinung Jesu in Galiläa angekündigt (Mk 16,7). Matthäus hat von einer solchen erzählt (Mt 28,16–20), nicht aber ohne zuvor eine Erscheinung des Auferstandenen vor den Frauen in Jerusalem erwähnt zu haben, die vom Grab zu den Jüngern unterwegs sind, um ihnen die Osterbotschaft zu überbringen (Mt 28,9–10). Bei Johannes spielt sich das gesamte Ostergeschehen zunächst gleichfalls
24,1–12 Die Auferstehungsbotschaft an die Frauen
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nur in Jerusalem ab, jedoch nicht nur an einem einzigen Tag, sondern mindestens auch noch eine Woche später (Joh 20); erst eine dritte Erscheinung, wahrscheinlich ein literarischer Nachtrag, wird in Galiläa lokalisiert, am See von Tiberias (Joh 21). Die Konzentration auf Jerusalem bei Lukas ist eine theologische Aussage: Leben, Tod und Auferweckung gehören zusammen, vorösterliche und nachösterliche Mission, Israel und die Kirche – nicht ohne Spannungen, aber unter Gottes Segen, mit dem Jesus in den Himmel auffährt (24,51). Die historischen Fragen lassen sich nur kritisch und differenziert beantworten, weil die Auferstehung die Grenzen von Raum und Zeit, damit aber auch den Geltungsbereich historischer Urteile sprengt. Ein historisches Faktum ist, dass der Glaube an die Auferstehung entstanden ist und dass er in der gesamten Überlieferung auf Offenbarung zurückgeführt wird: sei es durch die Worte von Engeln, sei es durch den Auferweckten selbst, der den Seinen erscheint. Dass es in verschiedenen Quellen einerseits Jerusalem-, andererseits Galiläa-Traditionen gibt, braucht kein unversöhnlicher Widerspruch zu sein, weil auch Paulus eine Vielzahl von österlichen Erscheinungen Jesu Christi aufzählt, ohne sie freilich zu lokalisieren (1Kor 15,5–7), bevor er von seiner eigenen Ausnahme- Erscheinung spricht (1Kor 15,8–11). Die Grabestradition steht besonders in der Kritik, hält aber die Erinnerungen von Frauen hoch (24,1–12). Die Visionen, die Jesu österliche Erscheinungen auch sind (vgl. 1Kor 9,1), werden in der Neuzeit teils – wenn nicht als Fiktionen, so doch – als Illusionen beurteilt, die reinem Wunschdenken oder verdrängten Schuldgefühlen entsprächen. Doch erklären diese Theorien nicht die Vielfalt der Glaubenszeugnisse und ihre tiefe Übereinstimmung in einer Hoffnung, die durch die Verkündigung Jesu selbst genährt wird. Eine Offenbarung lässt sich psychologisch nicht beweisen, aber auch nicht widerlegen. Sie schließt psychische, kulturelle und soziale Dimensionen nicht aus, sondern ein, weil es Menschen von Fleisch und Blut, mit Leib, Geist und Seele sind, die zum Glauben kommen. 24,1–12 Die Auferstehungsbotschaft an die Frauen im leeren Grab 1Am ersten Wochentag, ganz früh, kamen sie zum Grab und brachten die duftenden Öle mit, die sie bereitet hatten. 2Sie fanden aber den Stein vom Grab weggewälzt. 3Sie gingen hinein, fanden aber den Leib des Herrn Jesus nicht. 4Und es geschah, als sie darüber ratlos waren, siehe, dass zwei Männer zu ihnen traten in glänzenden Kleidern. 5Als sie aber in Furcht gerieten und ihr Angesicht zu Boden warfen, sagten sie zu ihnen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? 6Er ist nicht hier,
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24 Das Osterevangelium
sondern auferweckt worden. Erinnert euch, wie er es euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war 7und vom Menschensohn sagte: Er muss in die Hände der sündigen Menschen übergeben und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.“ 8Da erinnerten sie sich seiner Worte, 9und sie kehrten vom Grab um und verkündeten dies allen Elf und allen Übrigen. 10Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus, und die übrigen mit ihnen. Sie sagten dies den Aposteln, 11und ihnen erschienen diese Worte wie Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. 12Petrus aber stand auf, lief zum Grab und, sich hineinbeugend, sah er nur die Leinentücher, und ging weg und staunte bei sich über das, was geschehen war. Die Frauen aus Galiläa, die Jesus nachgefolgt sind (vgl. 8,1–3), haben ihn auf dem Kreuzweg nicht verlassen und zusammen mit Jesu „Bekannten“ beobachtet, wie Jesus gestorben ist (23,49). Diejenigen Frauen, von denen Lukas jetzt erzählt (V. 10), haben Jesus auch das letzte Geleit gegeben, als Joseph von Arimathäa den Leichnam vom Kreuz abgenommen und würdig bestattet hat (23,50–56). Sie haben am Abend des Todestages Jesu genau vorbereitet, was sie nach der Sabbatruhe vorhaben: den Leichnam Jesu zu salben (23,55–56); jetzt setzen sie ihr Vorhaben um. So werden sie die ersten Empfängerinnen und Zeuginnen der Osterbotschaft. Ihr Dienst, den sie Jesus leisten wollen, ist ebenso menschlich wie konventionell; was sie erfahren, ist ebenso göttlich wie sensationell. Die Szene stellt die Osterbotschaft in den Mittelpunkt; die Frauen, die sie empfangen und weitergeben, prägen den Rahmen; sie erfüllen ihre Aufgabe, stoßen aber bei denen, die es besser wissen sollten, auf Unglauben. 24,1–3 Der Weg der Frauen zum leeren Grab 1 Die Absicht der Frauen 2 Die Wahrnehmung des weggewälzten Steines 3 Die Entdeckung, dass das Grab leer ist 24,4–7 Die Botschaft der Engel 4 Die Erscheinung der beiden Gestalten 5 Die Frage nach dem Ort des Suchens 6a Die Verkündigung der Auferweckung 6b.7 Die Erinnerung an die vorösterliche Verkündigung 24,8–11 Die Osterbotschaft der Frauen 8 Die Erinnerung an Jesu Worte 9 Die Verkündigung an die Jünger 10 Die Namen der Frauen 11 Der Unglaube der Jünger 24,12 Der Grabbesuch und das unverständige Staunen des Petrus
24,1–12 Die Auferstehungsbotschaft an die Frauen
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Die Markusvorlage beginnt ähnlich, endet aber mit dem erschütterten Schweigen der Frauen (Mk 16,1–8). Lukas erzählt weiter, darin Matthäus vergleichbar, dass die Frauen von sich aus, ohne direkt dazu aufgefordert worden zu sein, den (männlichen) Jüngern und der gesamten Anhängerschaft Jesu ausrichten, was ihnen verkündet worden war – wodurch sie aber nicht freudigen Glauben, sondern skeptischen Zweifel auslösen, auch bei Petrus, der sich ein eigenes Bild machen will, sich aber keinen Reim auf das leere Grab machen kann. Auch die erste Frage der Engel, warum die Frauen „den Lebenden bei den Toten?“ suchen (V. 5), ist ohne Anhalt am markinischen Text, den Matthäus bearbeitet (Mt 28,1–8), und wahrscheinlich Sondergut, das zusammen mit dem vorlukanischen Passionsbericht tradiert worden ist. Die Frauen haben die Sabbatruhe eingehalten (23,56) und nutzen die Morgenfrühe des ersten Wochentages (1) (1), um das Grab aufzusuchen, dessen Lage ihnen genau bekannt ist, weil sie Joseph von Arima thäa gefolgt sind (23,53–55). Sie nehmen die „Aromata“ (wie es griechisch heißt) mit, die sie vorbereitet haben, um den Leichnam einzubalsamieren, wie es guter Brauch in Israel ist, um die Toten zu ehren und ein stilles Zeichen der Hoffnung auf die leibliche Auferstehung der Toten abzulegen. Vom Stein (2) (2), der den Grabeingang verschließen soll, war vorher keine Rede. Lukas hat vorausgesetzt, dass er zum Inventar eines Felsengrabes gehörte, das nach archäologischen Zeugnissen oft begehbar war und teils mehrere Grabkammern umfassen konnte. Dass der Stein besonders groß und schwer gewesen sei, steht bei Lukas nicht (anders als in Mt 27,60); auch die Sorge der Frauen, wer ihnen den Stein wegwälzen könne, ist für Lukas kein Motiv (anders als in Mk 16,3). Dass der Stein weggewälzt ist, erlaubt den Frauen vielmehr, das Grab zu betreten (3) (3); sie wollen den Leichnam salben, finden ihn aber nicht. Lukas schreibt vom „Leib (sôma) des Herrn Jesus“, nicht unbedingt, um das Letzte Abendmahl anzusprechen, aber um die große Ehrfurcht zu kennzeichnen, die aus der Einstellung und Handlung der Frauen spricht. Die Frauen reagieren ratlos (4) (4); sie finden keine Erklärung dafür, dass sie das Grab leer finden: Es gibt ja auch keine natürliche Ursache. Im Johannesevangelium wird der Verdacht laut, der Leichnam sei beiseitegeschafft worden (Joh 20,13.15). Lukas kennt das Motiv nicht; er leitet sogleich zu einer Engelerscheinung über: Die Zweizahl erklärt sich aus dem Zeugenrecht, die strahlenden Kleider sind ein Widerschein des Himmelsglanzes (vgl. 9,29). Der Text redet nicht direkt von Engeln (vgl. aber 24,23), sondern von „Männern“. Aber die Frauen erkennen Gottesboten und reagieren angemessen (5) (5): Sie fallen zu Boden; denn sie erkennen das Göttliche an den Boten, dem sie als Menschen nicht ge-
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wachsen sind. Die beiden Boten beginnen mit einer Frage an die Frauen, die oft als Tadel gedeutet wird, so als ob es falsch gewesen wäre, dass sie zum Grab gegangen sind. Tatsächlich werden die Frauen aber dort abgeholt, wo sie stehen: bei ihrer Trauer, in der sie Kontakt zu Jesus suchen; sie kennen ihn nur als Toten, der nun begraben ist (23,33–56). Tatsächlich aber lebt er, weil er auferstanden ist. Er ist sogar der „Lebende“, weil der Tod ihm nichts mehr anhaben kann: Er lebt in Gottes Ewigkeit. Er ist nicht mehr im Grab zu finden, sondern überall dort, wo das Leben spielt, zuerst in der Stadt Jerusalem. Mit dieser Lektion werden die Frauen auf ihren Weg geschickt, der eine Suche nach Jesus bleibt, aber das Leben entdeckt (vgl. 9,61). Dass und wie Jesus der „Lebende“ ist, zeigt sich paradox im Grab (6) (6): Es ist leer. Die Auferweckung erklärt die Leerstelle. „Auferweckung“ betont die Aktivität Gottes, des Vaters (9,22), der seinen toten Sohn nicht im Grab lässt, sondern herausholt, so wie man einen Schlafenden, der im Bett liegt, aufwecken kann; Auferstehung (18,33) betont demgegenüber den Sieg Jesu über den Tod, so wie man sich nach dem Schlafen vom Bett erhebt. Das Geheimnis des Glaubens ist Erinnerung: an das, was Jesus gesagt hat. Die Frauen sollen sich – und dann anderen – das Geschehen vergegenwärtigen; sie sollen sich das in Erinnerung rufen, was Jesus – auch ihnen – bereits in Galiläa verkündet hat. Die Erinnerung ist Vergegenwärtigung: nicht nur das Wissen über Vergangenes, sondern die Erschließung seiner Bedeutung für die Gegenwart. Die Engel erinnern (7) besonders an die zweite Leidensankündigung (9,44); sie kommt ohne die Nennung jüdischer Autoritäten aus, die für die Verhaftung Jesu verantwortlich gemacht werden, sondern sieht den „Menschensohn“ in die Hände von „Menschen“ übergeben. Hier werden sie als „sündig“ ausgewiesen; das Attribut verweist nicht auf problematische Einzeltaten, sondern benennt eine Grundbestimmung aller Menschen, die der Erlösung bedürftig, aber auch würdig sind. Mitten in der Osterbotschaft wird die Verkündigung Jesu zitiert; denn das Evangelium Jesu von Nazareth ist nicht vorbei, sondern erweist seine bleibende Bedeutung – wie Jesus selbst es vorhergesagt hat (21,33). Die Frauen reagieren umgehend und zielgerichtet. Zuerst steht die Erinnerung an das, was sie selbst aus dem Munde Jesu gehört haben, aber jetzt erst begreifen (8) (8); danach erkennen sie, dass es nicht mehr das Grab ist, an dem sie ihrer Liebe zu Jesus den besten Ausdruck verleihen können, sondern dass sie ihrerseits ins Leben zurückgerufen sind, in die Stadt Jerusalem. Ohne dass sie einen Auftrag erhalten haben (im Unterschied zu Mk 16,7 par. Mt 28,7), wissen sie von sich aus, was sie zu tun haben (9) (9): den (restlichen) „Elf und allen Übrigen“ die Osterbotschaft zu bringen. Auch wenn der Zwölferkreis noch nicht ergänzt ist
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(Apg 1,15–26), bleibt ihnen die Aufgabe, Zeugnis abzulegen. Der Evangelist Johannes hat die Rolle der „Apostolin der Apostel“ (Hieronymus) auf Maria Magdalena konzentriert (Joh 20,11–17); Lukas hat das synoptische Bild einer Frauengruppe an der entscheidenden Schnittstelle der Kommunikation nachgezeichnet. Die „Elf“, zu denen sie gesandt sind, sind nicht allein, sondern Teil einer größeren Gemeinschaft, so wie die Zwölf vorösterlich (10,1–16) und auch nachösterlich (Apg 1,13–15). Die Frauen, die Jesus nachgefolgt sind, wissen, dass sie die Botschaft nicht für sich behalten dürfen, sondern verbreiten müssen, und zwar zuerst bei denen, die sie in ihrer Trauer trösten wollen und in ihrer Hoffnung wieder aufwecken müssen. Erst ab dieser späten Stelle trägt Lukas ihre Namen nach (10) (10). Es handelt sich um Maria Magdalena (8,2–3), die in allen Evangelien als erste Osterzeugin benannt wird. „Johanna“ ist gleichfalls aus Galiläa bekannt, „die Frau des Chuza, Verwalter des Herodes“ (8,3) – besonders bemerkenswert, nachdem Jesus dem Provinzfürsten eine Abfuhr erteilt (13,31–32) und der sich an ihm gerächt hat (23,6–12): Johanna lässt sich nicht von der Nachfolge Jesu abbringen (23,6–12). Überdies wird eine zweite Maria genannt, die Mutter des „Jakobus“ (vgl. Mk 16,2). Entweder handelt es sich um den „Sohn des Alphäus“, der zu den Zwölf gehört (6,15), oder um den „Bruder“ Jesu, der später in der Jerusalemer Urgemeinde eine starke Rolle spielen wird (Apg 12,17; 15,13; 21,18). Viele weitere zählen zum Kreis, die nicht genannt werden, aber auf ihre Weise zeigen, wie stark Jesus auf Frauen gewirkt hat und wie stark sich Frauen für ihn engagiert haben, bis über seinen Tod hinaus und deshalb auch mitten in der Auferstehung. So deutlich aber die Frauen ihre Osterbotschaft artikulieren und adressieren (11) (11) – diejenigen, die sie besonders aufmerksam und gerne hätten hören müssen, die „Apostel“, glauben ihnen nicht. „Apostel“ sind, der Grundbedeutung nach, Gesandte. Lukas denkt hier schwerlich nur an die Elf, obwohl die „Zwölf“ für ihn die idealtypischen Apostel sind. Aber es sind alle gemeint, die zur Verkündigung gesendet werden sollen (24,47–49), die Emmaus-Jünger gehören dazu (24,13). Das Evangelium wird immer Auferstehungsbotschaft sein, auch in der Erinnerung an die Verkündigung Jesu; aber „Apostel“ müssen erst selbst zum Glauben kommen, bevor sie ihn verbreiten können. Der Weg ist schwierig, weil es eine Fülle menschlicher Vorurteile und Erwartungen gibt, die hohe Hürden aufbauen, Gott so wahrzunehmen, wie er handelt; die Auferstehung Jesu ist das alles entscheidende Kriterium. Im Fehlurteil der „Apostel“ schwingen frauenfeindliche Töne mit; „Geschwätz“ ist leeres Gerede – obgleich es nichts Sinnvolleres als das gibt, was die Galiläerinnen gesagt haben. Petrus ist von der allgemeinen Skepsis nicht ausgenommen, wird aber immerhin initiativ (12) (12), um sich ein eigenes Bild zu machen. Nach der
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Erinnerung der Emmaus-Jünger war er nicht der einzige (24,22–24). Dass Lukas ihn hervorhebt, spiegelt seine besondere Stellung im Jüngerkreis und kann indirekt die Überlieferung der Ersterscheinung vorbereiten, die der Evangelist kurz erwähnt (24,34). Er läuft zum Grab (vgl. Joh 20,3–4 – dort mit dem Lieblingsjünger). Tatsächlich bestätigt sich ihm, dass es leer ist. Er sieht nur die Leinentücher (othónia) liegen, in die Joseph von Arimathäa den Leichnam Jesu eingeschlagen hatte (23,53). Er versteht jedoch nicht, was geschieht. Sein Staunen ist noch nicht auf dem Weg zum Glauben, sondern bleibt vorerst bei den eigenen Vorurteilen. Die Ostergeschichte beginnt im Stillen: im Grab, mit den Frauen, die Jesu Leichnam salben wollen, und mit zwei menschlichen Engeln, die nicht einen Triumphgesang anstimmen, sondern an das erinnern, was Jesus gesagt hat. Die Frauen machen alles richtig: Sie gehen zum Grab – und lösen sich von ihm. Sie hören die Osterbotschaft – und schenken ihr Glauben. Sie gehen von sich aus zu den „Aposteln“ – und richten aus, was ihnen offenbart worden ist, auch wenn sie zunächst keinen Glauben finden. Das Problem liegt bei den Aposteln, die nicht glauben können, worauf sie doch hoffen. Petrus ist nicht ausgenommen, auch wenn sich ihm der Auferstandene selbst noch zeigen wird (24,34). Jesus lässt die Apostel freilich nicht in ihrem Unglauben, sondern führt sie zum Glauben. Die Frauen beginnen mit der Frohen Botschaft und werden Recht behalten. Die Historizität der Szene wird in der modernen Exegese vielfach bezweifelt. Im Neuen Testament, auch bei Lukas, ist das leere Grab freilich kein Beweis der Auferstehung; sondern ein Zeichen, das auf sie hinweist, weil das Rätsel, wie es leer geworden sein kann, durch die Auferweckung gelöst wird. Wenn das Jerusalemer Grab bekannt gewesen ist, muss es leer gewesen sein, sonst wäre die Auferstehungsbotschaft von vornherein zum Scheitern verurteilt, da sie ja – wie Lukas besonders stark betont hat – nicht eine rein geistige, sondern eine leibliche Auferstehung bezeugt. Dass das Grab unbekannt geblieben sei, ist höchst unwahrscheinlich und kann nur behauptet werden, wenn tiefe Einschnitte in die Texte vorgenommen werden, besonders in die Frauentraditionen. Zu diesen Operationen besteht kein Anlass: Der Glaube rechnet mit Gottes Handeln in der Geschichte – die Auferstehung Jesu ist der Ernstfall. 24,13–35 Der Glaubensweg der Emmaus-Jünger 13Am selben Tag gingen zwei von ihnen zu einem Dorf namens Emmaus, etwa sechzig Stadien von Jerusalem entfernt, 14und besprachen sich über all das, was passiert war. 15Und es geschah, als sie so sprachen und stritten, näherte sich Jesus und ging mit ihnen. 16Aber sie waren wie mit Blindheit geschlagen und erkannten ihn nicht. 17Er aber sprach zu ihnen: „Was
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sind das für Worte, die ihr beim Reden miteinander wechselt?“ Da blieben sie traurig stehen. 18Einer, Kleopas mit Namen, antwortete: „Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen geschehen ist?“ 19Er fragte: „Was denn?“ Sie sagten: „Das mit Jesus von Nazareth; er war ein Prophet, mächtig in Werk und Wort vor Gott und dem ganzen Volk. 20Ihn haben unsere Hohepriester und Anführer zum Tode verurteilt und kreuzigen lassen. 21Wir aber hatten gehofft, dass er es sei, der Israel erlöse. Doch überdies ist es heute schon der dritte Tag, dass dies alles passiert ist. 22Zwar haben uns einige unserer Frauen außer Fassung gebracht, die früh zum Grab gegangen waren 23und, nachdem sie den Leichnam nicht gesehen hatten, kamen und uns sagten, eine Erscheinung von Engeln gesehen zu haben, die gesagt hätten, er lebe; 24und einige von uns gingen zum Grab und fanden es so, wie die Frauen gesagt hatten, ihn selbst aber sahen sie nicht.“ 25Da sagte er zu ihnen: „O ihr Unverständigen; ihr seid zu träge im Herzen, allem zu glauben, was die Propheten gesagt haben. 26Musste nicht der Messias dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ 27Und er begann bei Mose und allen Propheten, um ihnen auszulegen, was in den Schriften über ihn geschrieben steht. 28Als sie sich dem Dorf näherten, zu dem sie gingen, machte er Miene, weiterzugehen. 29Da drängten sie ihn: „Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.“ Da ging er hinein, um bei ihnen zu bleiben. 30Und es geschah, als er sich mit ihnen zu Tisch setzte, nahm er das Brot, segnete es, brach es und gab es ihnen. 31Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Er aber entzog sich ihren Blicken. 32Da sagten sie zueinander: „Brannte nicht unser Herz, als er mit uns auf dem Weg redete und uns die Schriften erschloss?“ 33Noch in derselben Stunde standen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück und fanden die Elf und die mit ihnen versammelt. 34Die sagten: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden und Simon erschienen“. 35Da erzählten sie, was auf dem Weg geschehen war und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach. Die Emmauserzählung ist eine Weggeschichte, die genau zur lukanischen Theologie passt und darin in keinem Moment ausgedacht scheint, so gut sie erzählt ist. Sie beschreibt einen falschen Weg, der zum richtigen wird, weil Jesus ihn mitgeht, um die Umkehr zu ermöglichen. Auf dem Weg kommen die menschlich nur zu verständlichen Bedenken zur Sprache, an die Auferstehung zu glauben. Es wird aber auch deutlich, wie sie überwunden werden können: nicht durch Weg-, sondern durch Zuhören, nicht durch Verschließen, sondern durch Öffnen der Heiligen Schrift, nicht durch Distanz, sondern durch Nähe, aber auch nicht durch Klammern, sondern durch Freigeben. Die Erzählung ist Katechese pur – weil sie Menschen in den Mittelpunkt stellt, die Jesus zum Glauben
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führt. Die Grundstruktur eines christlichen Gottesdienstes zeichnet sich ab, mit der Deutung der Heiligen Schrift und dem Brechen des Brotes. Die Erinnerung an das Letzte Abendmahl (22,14–23) wird aufgefrischt, aber auch die Suche Jesu nach den Verlorenen (19,10). Jesus handelt als Seelsorger; er spricht als Exeget; er ist der auferstandene Messias, der sich von denen, die ihn brauchen, bitten lässt und seine leibliche Gegenwart beim Brotbrechen für die geistliche Realpräsenz in der Abendmahls- und Eucharistiefeier öffnet. Die Erzählung ist so aufgebaut, dass Jesus die Emmaus-Jünger in sieben Schritten zum Osterglauben führt 24,13–16 24,17–24 24,25–27 24,28–29 24,30–31 24,32 24,33–35
Erster Schritt: Zweiter Schritt: Dritter Schritt: Vierter Schritt: Fünfter Schritt: Sechster Schritt: Siebter Schritt:
Die Wegbegleitung der beiden Jünger Die Frage nach dem Grund ihrer Trauer Die Deutung der Passion durch die Schrift Das Bleiben am Abend Die Erkenntnis der Jünger beim Brotbrechen Die Erinnerung der Emmaus-Jünger Das Zeugnis der Emmaus-Jünger
Die Erzählung ist Sondergut, aber – wie alles im Lukasevangelium (1,1–4) – nicht erfunden, sondern gefunden: im Überlieferungsschatz früher Gemeinden. Lukas hat es nicht sklavisch archiviert, sondern literarisch durchformt: so dass der originale Sinn am besten zum Ausdruck kommt. Der Evangelist erzählt die Geschichte zweier Jünger, die nicht zu den Elf gehören, aber zu denen, die von den Frauen die Osterbotschaft mitgeteilt bekommen haben, ohne zum Glauben gekommen zu sein (24,9.11). Sie haben sich am Ostertag auf den Weg gemacht – aber nicht wie Petrus, der zum Grab läuft, um eine Gewissheit zu erlangen, die ihn jedoch noch nicht glauben lässt (24,12). Die beiden Jünger fliehen vom Ort des Geschehens (13) (13), weil sie mit der Passion nicht fertig werden. „Sechzig Stadien“ sind ungefähr 11 km. Wo genau Emmaus („heiße Quelle“) lag, ist nicht mehr sicher zu bestimmen. Josephus kennt ein Ammaus (Moza), das aber nur 30 Stadien von Jerusalem entfernt liegt (De bello Judaico 7,217), und eine weitere Ortschaft dieses Namens (vgl. 1Makk 3,40.57; 4,43; 9,50), früher Nikopolis, heute Latrun, die jedoch, auf dem halben Weg nach Joppe (Jaffa/Tel-Aviv), 30 km entfernt ist (De bello Judaico 2,17.53; Antiquitates Judaicae 17,282.291); an diesen Ort hat die Alte Kirche gedacht, zumal Kleopas dort verortet wurde (Eusebius, Onomastikon 90–91); im Codex Sinaiticus stehen deshalb „160 Stadien“. Die Kreuzfahrer dachten an Abu Gosch, wo es aber keine ältere Lokaltradition gibt, 15 km von Jerusalem entfernt. Weitere Orte wurden und werden diskutiert; es muss bei der Unsicherheit bleiben.
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Warum die beiden Jünger nach Emmaus wollen, bleibt offen; dass Kleopas von dort stammt (wo immer es lag), ist eine naheliegende Erklärung. Auf dem Weg (14) besprechen sie, was passiert ist, sind sich aber nicht einig. In ihrer ratlosen Skepsis wird Jesus zum Wegbegleiter (15) (15), Ausdruck seiner Suche nach den Verlorenen (15,1–10). Die Jünger erkennen Jesus nicht (16) (16) – nicht, weil er sich verstellt hätte, sondern weil der Auferstandene kein anderer als dieser Jesus von Nazareth ist, die beiden Jünger aber genau das nicht wahrnehmen. Ihre Ratlosigkeit macht sie blind. Jesus knüpft – unerkannt – ein Gespräch mit ihnen an (17) (17): nicht, um sie auszuhorchen, sondern um ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen, die Geschichte einer großen Hoffnung und einer noch größeren Enttäuschung. Sie gehen nicht weiter, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen, nehmen aber die Chance wahr, die Jesus ihnen bietet – verkennend, wem sie erzählen, was „in diesen Tagen geschehen“ ist (18) (18). „Kleopas“, einer der beiden, ergreift das Wort; der andere Jünger bleibt anonym. Nach Joh 19,25 steht die Mutter eines „Klopas“, Maria, mit anderen Frauen unter dem Kreuz. Wahrscheinlich handelt es sich um dieselbe Person, weil „Klopas“ die semitische, Kleopas (von Kleopatros) die griechische Form ist. Lukas gestaltet die Sequenz so, dass die gesamte Jesusgeschichte mitsamt der Passion und einschließlich des frühen Ostertages Revue passiert, aus der Perspektive der beiden Jünger. Sie verfügen über alle notwendigen Informationen, bekommen sie aber nicht zusammen, weil ihnen der Schlüssel zum Verstehen fehlt. Zuerst rekapitulieren sie die Geschichte des öffentlichen Wirkens Jesu (19) und geben mit diesem Bericht zu erkennen, dass sie alles Wesentliche von Jesus wissen, gerade auch in den von Lukas besonders betonten Zügen: Jesus kommt aus Nazareth; er ist „Prophet“ (4,24; 7,16; 13,33); er hat Vollmacht, in Gottes Autorität und Kraft zu wirken (4,32; 5,24; 20,2), mit Worten wie mit Taten; er wendet sich an das gesamte Volk Gottes. Entsprechend zum ganzen Evangelium wird auch die Passionsgeschichte rekapituliert (20) (20): Beide Jünger sehen sich als Juden; deshalb sagen sie, dass „unsere Hohepriester und Anführer“ den Tod Jesu betrieben haben. Dieses fürchterliche Ende steht im krassen Gegensatz zu ihren Hoffnungen, die sie mit vielen innerhalb des Jüngerkreises geteilt haben: die Erlösung Israels (21) (21). Diese Hoffnung ist vollauf berechtigt; sie wird im Weihnachtsevangelium angekündigt (2,11). Das Problem ist nur, dass die Emmaus-Jünger (nach Apg 1,6 nicht allein) Vorstellungen dieser „Erlösung“ haben, die mit dem Kreuz nicht vereinbar scheinen, weil sie womöglich die Größe, den Glanz, vielleicht auch die Macht und Unabhängigkeit erhofft haben, nicht aber jene Überwindung der Sünde und des Todes, die aus der stellvertretenden Übernahme „für“ die Menschen resultiert. Weil sie den Tod Jesu nicht be-
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greifen, entzieht sich ihnen auch die Auferstehung. Den „dritten Tag“ sehen sie als Frist, in der endgültig klargeworden ist, dass Jesus nicht mehr am Leben, sondern wirklich tot ist. Auch die bisherigen Osterereignisse (24,1–12) kennen die Jünger (22–24) (22–24): Sie wissen vom Gang der Frauen zum Grab, vom Fehlen des Leichnams, von einer Engelerscheinung, die mit der Auferstehungsbotschaft verbunden ist, auch vom Besuch einiger Jünger am Grab, die es alle leer gefunden haben. Aber diese Beobachtungen und Zeugnisse begründen bei ihnen keinen Glauben, so wie bei den anderen „Aposteln“ auch nicht (24,11); denn niemand habe bislang „ihn selbst“ gesehen, so dass Zweifel bleiben. Das Unverständnis, gepaart mit Blindheit, ist ein Leitmotiv der Osterevangelien. An keiner Stelle wird es plastischer als an dieser. Jesus, der unbekannte Weggenosse, spart nicht mit Kritik (25) (25): Er beklagt die Trägheit des Herzens (vgl. 5,22; 9,47), in dem nicht nur Gefühle, sondern auch Gedanken wachsen. Die Emmaus-Jünger sind zu langsam, zu selbstbezüglich, zu unsensibel. Deshalb kommen sie mit den Ereignissen nicht mit. Gott ist ihnen voraus. Die Herzensträgheit behindert den Glauben, der eine Herzenssache ist (10,27), weil er Gott antwortet, indem er den Verstand schärft und die Liebe beflügelt. Jesus begründet diesen Glauben nicht in spontanen Einfällen, sondern verwurzelt ihn im prophetischen Zeugnis der Bibel Israels. Er erinnert an seine vorösterliche Verkündigung (26) (26), die auch das „Muss“ seines Leidens und Sterbens wie seiner Auferstehung umfasst (9,22). Wie dort spricht Jesus – jetzt als Auferstandener – nicht von einem fatalen Gesetz, dem er folgen müsste, sondern von der inneren Konsequenz des Heilswillens Gottes, den er aus freien Stücken bejaht, so sehr er sich wünscht, dass ihm das Leiden erspart bleibt (22,39–46): Gott schafft das ewige Leben nicht am Tod vorbei, sondern durch ihn hindurch, indem Jesus den Tod annimmt, um ihm seinen Schrecken zu nehmen; Gott schafft die Erlösung nicht durch die Verleugnung der Sünde, sondern durch die stellvertretende Übernahme der Schuld durch Jesus, damit das Leid der Opfer im Prozess der Vergebung nicht unsichtbar, sondern sichtbar gemacht wird. Weil der Tod aus der Heilssendung nicht ausgespart ist, sondern von Jesus angenommen und mit ihr verbunden wird, kann die Auferstehung die Heilsvermittlung vollenden, indem sie die Ganzhingabe des Menschen Jesus, die er im Letzten Abendmahl ausgedrückt hat (22,19–20), in das Gottsein Gottes hineinnimmt. Von diesem Konstruktionspunkt der gesamten Theologie aus folgt eine Schrifterklärung (27) (27), die eine christologische Auslegung, eine interpretatio Christiana, entwickelt, ohne andere Schriftsinne zu leugnen und ohne die Verwurzelung Jesu im Glauben Israels zu schwächen, ein-
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schließlich der Auferstehung. Dieser orientierten Öffnung dient die genaue Formulierung, die auf den Anfang Wert legt, also den Ansatz beschreibt. Dieser Anfang wird von der Schrift bezeugt, der Bibel Israels (vgl. 24,44). „Mose“ steht für die Tora. Die jüdische Schrifttheologie ist im Blick, dass die Prophetie die maßgebliche Deutung der Tora ist. Von Lukas wird sie messianisch verstanden. Der Bezug auf die Bibel Israels besagt nicht, dass Jesus nur sekundär ein Muster ausfüllte, das unabhängig von ihm bereits gebildet worden wäre, sondern dass er ein Original ist, das sich aus seiner Beziehung zum Wort Gottes und zum Glauben Israels bezieht. Ähnlich wird Philippus im Ausgang von Jes 53 Jesus dem äthiopischen Kämmerer nahebringen, ohne den Sinn der Prophetie zu vereinnahmen (Apg 8,29–35). Den Emmaus-Jüngern weitet Jesus durch seine messianische Exegese das Herz, indem er sie mit dem Geist ihres eigenen Glaubens vertraut macht, den sie nicht erkannt hatten, als sie ihre Erlösungshoffnung maßlos enttäuscht sahen. Während die Boten die galiläischen Frauen im leeren Grab an die Verkündigung Jesu erinnern (24,6–7), spielt sie hier keine Rolle; denn Jesus selbst spricht. Er verwurzelt sein Evangelium in der Bibel Israels, aus der sich auch die lukanische Erzählung nährt. Jesus ist bereit, den Jüngern weiter zu helfen, drängt sich aber nicht auf (28). Er gibt ihnen, als sie das Dorf erreicht haben, die Gelegenheit, ihn (28) zu bitten, doch bei ihnen zu bleiben, da es „Abend wird“ und die Nacht hereinbrechen wird (29) (29). Sie machen es, weil sie gastfreundlich sind, und laden Jesus ein, ohne Hintergedanken. Er erfährt durch die Einladung, die eine Bitte ist, das, worauf seine Jünger setzen sollen (9,4; 10,5) und was er zu seinen irdischen Lebzeiten bei Martha und Maria erfahren hat (10,38– 42): echtes Interesse, Herzen, die sich öffnen, und eine Gemeinschaft mit Gott, die durch die Tischgemeinschaft vermittelt wird. Jesus versagt sich der Bitte nicht. Er gestaltet das Abendbrot als häuslichen Gottesdienst (30) (30). Lukas konzentriert sich auf das Brot (Apg 2,46); denn es ist kein Festessen, bei dem Wein getrunken wird; es ist auch kein eucharistisches Abendmahl, sondern ein einfaches Mahl, das die Nächsten- und Gottesliebe zum Ausdruck bringt. Aber Jesus betet – ähnlich wie beim Paschamahl und bei der Speisung des Volkes (9,16). Er „nimmt“ das Brot, das ihm die Gastfreundschaft schenkt. Er segnet es (eulogéo), indem er die Frucht des Ackers, der bäuerlichen Arbeit und des häuslichen Backens (vgl. 8,4–8; 13,20–21) mit Gottes Gnade verbindet, die in der Kraft der Auferstehung die Gemeinschaft bildet. Er bricht das Brot, wie bei der Volksspeisung und beim Letzten Abendmahl, weil es durch Teilen den Segen verbreitet. Er gibt ihnen das gesegnete Brot, damit sie es genießen können: als Lebensmittel, das den irdischen Hunger stillt und den auf das Himmelsbrot weckt.
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Es ist dieser Gestus, an dem die beiden Jünger Jesus erkennen (31) (31) – nicht obwohl, sondern weil es sich um ein traditionelles Verhalten handelt, passend zu einem frommen Juden. Das Beten und das Geben sind die beiden schlechterdings elementaren Aktionsformen Jesu. Im Moment des Erkennens entzieht er sich ihren Blicken. Jesus bleibt nicht in der Vergangenheit, sondern wahrt jene Distanz, die seiner Auferweckung gemäß ist, damit er auf neue Weise den Jüngern nahe und gegenwärtig sein kann. Den Emmaus-Jüngern widerfährt eine negative Offenbarung, die sie befreit. Gott entzieht Jesus ihren Blicken, damit sie nicht in Emmaus bleiben, sondern nach Jerusalem gehen, um ihre Erfahrung zu teilen, und nicht an der einmaligen Offenbarung kleben bleiben, sondern ihr Leben in der Nachfolge Jesu neu beginnen. Im Rückblick erkennen die Jünger, was sich längst in ihnen angebahnt hat (32) (32): War ihr „Herz“ vorher träge (V. 25), so brennt es jetzt vom Feuer des Glaubens und der Liebe zu Jesus. Ihnen geht auf, was sie in ihrer Skepsis im Grunde schon gehofft hatten. Sie hätten Jesus am Brotbrechen nicht erkannt, wenn er nicht den Weg mit ihnen gegangen wäre und ihnen nicht die Schrift erschlossen hätte. Aber dadurch, dass er ihnen sein Ohr geliehen und ihnen den tiefen Sinn der Bibel erschlossen hat, hat er sie vorbereitet, so dass sie Jesus erkannt, d. h. anerkannt, bekannt, geliebt haben, wie er als Auferstandener ihnen das Brot geteilt hat. Sie ziehen sofort die Konsequenz: äußerlich wie innerlich (33) (33). Sie gehen zurück nach Jerusalem, wo die anderen sind, die ihre Hoffnung zerstört sehen, obwohl die Frauen sie neu hätten entzünden können (24,9.11). Sie verstärken damit den Glauben, der von Jerusalem aus in alle Welt ausstrahlen soll. Es zieht sie zu den „Elf“ und der ganzen Jüngergemeinschaft, wie vorher die Frauen. Dort kommen sie zuerst aber gar nicht zu Wort, denn sie werden mit dem klassisch gewordenen Bekenntnis begrüßt, das inzwischen fest im Glauben verankert ist: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden“ – nicht nur scheinbar. Auch die Protepiphanie, die Ersterscheinung vor Simon Petrus wird erwähnt (34) (34), die zwar nicht erzählt wird, aber starke Resonanzen sowohl im urchristlichen Bekenntnis (1Kor 15,5) als auch in den Evangelien findet (Mk 16,7 par.). Der zuerst Berufene (5,1–11) ist auch derjenigen, dem der Auferstandene zuerst erschienen ist. Was die Emmaus-Jünger vermisst haben (V. 24), ist Ereignis geworden: dass Jesus selbst sich hat sehen lassen, von Gott her, in seinem Glanz und mit seiner Macht. Die Auferweckung, von der gesprochen wird, betont das Handeln Gottes; das Erscheinen (óphthe) die Aktivität Jesu: Von Gott, dem Vater, aus den Toten erweckt, hat Jesus, der Auferstandene, sich sehen gelassen, so dass Petrus zum Zeugen geworden ist.
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Die Emmaus-Jünger sehen im Hinweis auf Petrus keine Konkurrenz, sondern eine Bestätigung. Sie sind frei, ihre Erfahrung beizutragen, um sie mit den anderen Jüngern zu teilen (35) (35): die Geschichte ihres Glaubensweges bis zum glücklichen Moment der Erkenntnis. Die Erzählung endet mit der Erinnerung an das Brotbrechen, das zum Erkennungszeichen der frühesten Gemeinden wird (Apg 2,46), weil es zum einen auf die Eucharistie hinweist und zum anderen symbolisiert, wie im Glauben das ganze Leben geteilt wird, mit der Diakonie und Caritas als Nerv, der praktizierten Nächstenliebe. Die Emmaus-Perikope zeigt beispielhaft, wie der Osterglaube entsteht: nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten, nur aus der Skepsis einer großen Enttäuschung heraus, die Jesu Tod auslöst, also nicht ohne härteste Proben, die bestanden werden müssen. Die Emmaus-Geschichte zeigt aber auch beispielhaft, dass und wie Glaube entstehen kann: durch Jesus selbst, der in Gestalt eines unbekannten Mitmenschen erscheint und den Irrweg mitgeht, um auf ihm Gott entdecken zu lassen, so dass es zur Umkehr kommt. Auf diesem Weg drängt Jesus den Glauben weder auf noch spricht er ihn nur zu. Er weckt ihn: Er knüpft an die (enttäuschten) Hoffnungen und die (nicht ausgeschöpften) Wissensspeicher der Jünger an, um von ihnen her den Tod zu deuten und die Tür zum Auferstehungsglauben zu öffnen. Jesus setzt sich nicht als deus ex machina, sondern menschlich in Szene. Er ist der unbekannte Weggenosse, der den Weg kennt; er ist der freundliche Gast, der sich als segensreicher Gastgeber erweist. Durch seine Anteilnahme, seine geistliche Schriftlesung und sein Brotbrechen vermittelt er den todtraurigen Jüngern die Lebensfreude der Auferstehung. Petrus, der als Erstzeuge eigens erwähnt wird, ist eine Säule des Osterglaubens; die Emmaus- Jünger, die sonst nirgends eine Rolle spielen, zeigen, auf wie vielen menschlichen Wegen es zum Glauben kommen kann, der sich mit dem Bekenntnis der ganzen Jüngergemeinschaft vereint. Die Erzählung gehört zum Glaubensschatz der Urgemeinde, den Lukas gehoben hat. Die ebenso schlichte wie tiefe Gestaltung bringt eine Erinnerung zum Vorschein, die das Gedächtnis des Osterglaubens bereichert: Es gibt einen vielfältigen Ursprung des Osterglaubens; Frauen- und Männergeschichten verbinden sich miteinander; nicht nur die „Großen“ – Petrus und Paulus zum Beispiel – haben etwas zu sagen, sondern auch vermeintlich Kleine, wie die sonst unbekannten Emmaus-Jünger. 24,36–49 Die Erscheinung vor den Jüngern in Jerusalem 36Während sie darüber sprachen, trat er selbst in ihre Mitte und sagte ihnen: „Der Friede sei mit euch!“ 37Sie aber erschraken und wurden von Furcht erfüllt und glaubten, einen Geist zu sehen. 38Da sagte er ihnen:
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„Was seid ihr verwirrt? Und weshalb steigen solche Gedanken in euer Herz? 39Seht meine Hände und meine Füße: Ich selbst bin es. Fasst mich an und seht: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe.“ 40Und darauf zeigte er ihnen seine Hände und Füße. 41Weil sie aber noch nicht glaubten vor Freude und staunten, sagte er ihnen: „Habt ihr etwas zu essen da?“ 42Sie gaben ihm ein Stück gebratenen Fisch. 43Und er nahm es vor ihnen und aß es. 44Er sagte aber zu ihnen: „Dies sind meine Worte, die ich zu euch gesprochen habe, als ich noch mit euch war: Es muss alles erfüllt werden, was geschrieben steht im Gesetz des Mose und den Propheten und Psalmen über mich.“ 45Dann öffnete er ihren Verstand für das Verständnis der Schriften 46und sagte ihnen: „So steht es geschrieben: Der Messias leidet und steht von den Toten auf am dritten Tag. 47Und in seinem Namen wird Umkehr zur Vergebung der Sünden gepredigt: für alle Völker, angefangen in Jerusalem. 48Ihr seid dafür Zeugen. 49Und siehe: Ich sende zu euch die Verheißung meines Vaters. Ihr aber bleibt in der Stadt, bis ihr die Kraft aus der Höhe empfangen haben werdet.“ Die Szene, in der die Emmaus-Jünger hören, dass Jesus „Simon erschienen“ ist, und die Jüngerschar ihre Glaubensgeschichte hören kann (24,33– 35), wird nicht aufgelöst, sondern weiter verdichtet: durch die Erscheinung Jesu Christi selbst im Kreis all seiner Anhänger. Während die EmmausGeschichte daran orientiert war, Glaubensprobleme aufzulösen, um zur Erkenntnis des Auferstandenen zu führen, zeigt die folgende Erscheinung zweierlei: dass es der immer neuen Überzeugungsarbeit bedarf, in der Erscheinung nicht eine Projektion, sondern eine Offenbarung zu sehen, und dass die Erkenntnis Jesu, des Auferstandenen, die Mission begründet: das öffentliche Zeugnis, das den Glauben verbreiten soll. Hier knüpft die Erscheinungserzählung an die Geschichte vom leeren Grab an (24,1–12), weil die Frauen zwar noch keinen ausdrücklichen Verkündigungsauftrag erhalten, in den sie freilich jetzt einbezogen werden, aber von sich aus erkannt haben, dass sie die „Apostel“ in Kenntnis setzen sollen, damit sie die Auferstehung bezeugen können. Die lukanische Erscheinungserzählung besteht aus zwei größeren Abschnitten: der Selbstvorstellung Jesu und der Beauftragung der Jünger. 24,36 Die Erscheinung des Auferstandenen 24,37–43 Die Selbstvorstellung Jesu 37 Das Erschrecken der Jünger 38–40 Die erste Reaktion Jesu 38 Die Frage nach der Verwirrung der Jünger 39 Das Angebot, zu sehen und anzufassen 40 Das Zeigen der Hände und Füße
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41a Das ungläubige Staunen der Jünger 41b–43 Die zweite Reaktion Jesu 41b Die Frage nach etwas zu essen 42 Die Gabe gebratenen Fisches 43 Das Essen des Fisches 27,44–49 Die Sendung der Jünger 44 Das Wort des irdischen Jesus: Erfüllung der Schrift 45–47 Die Erschließung der Schrift für die Jünger 45 Die Öffnung ihres Verstandes 46 Passion und Auferstehung des Messias 47 Verkündigung unter den Völkern 48 Zeugenschaft der Jünger 49 Verheißung des Geistes Die Erscheinungserzählung ist tief in das Lukasevangelium eingebettet, besonders im Blick auf die Begründung der Auferstehungshoffnung wie der Mission im Zeugnis der Schrift, der Bibel Israels. Jesus hat seine öffentliche Verkündigung mit einer Lesung aus dem Jesajabuch begonnen (4,18–21 – Jes 61,1–2); Petrus wird am Pfingsttag auf Joël und David rekurrieren, um die Auferstehung und die Verleihung des Geistes zu erklären (Apg 2,14–36); der Auferstandene hat schon den Emmaus-Jüngern erklärt, dass der Messias leiden musste, um aufzuerstehen (24,26). So ist auch hier das Zeugnis der Schrift der Schlüssel zum Verstehen der Sendung – wobei allerdings der Sinn der Schrift erst aufgeschlossen werden muss: durch den Auferstandenen selbst, der als Exeget das Wort Gottes verkündet. Zum Lukasevangelium passt auch die Körperlichkeit der Auferstehung (vgl. 3,21–22). Jesus zeigt sich seinen Jüngern; er ist bereit, sich berühren zu lassen: Er ist kein „Geist“, sondern ein Mensch, auch als Auferstandener, zur Rechten des Vaters erhöht, von wo aus er in Erscheinung tritt. Am stärksten ist die Auferstehungsszene mit Joh 20 verwandt: Maria Magdalena ist dort die Apostelin der Apostel (Joh 20,18); die Jünger werden von Jesus gesendet, der mit dem Friedensgruß in ihre Mitte tritt und ihnen seine Hände wie seine Seite zeigt (Joh 20,19–23.27). Aber es besteht keine literarische Abhängigkeit: Von älteren Überlieferungen geleitet, gestalten Johannes und Lukas auf je ihre eigene Art aus, was fest zur Auferweckung Jesu gehört: Erscheinung und Sendung, Verkündigung und Glaube. Jesus erscheint seinen Jüngern (36) (36): Er ist aktiv und lässt sich sehen. Er ergreift die Initiative am Ostertag, so wie er sie auch ergriffen hat, um vorösterlich die Nachfolge beginnen zu lassen (5,1–11). Er tritt „in ihre Mitte“, weil seine Jünger sich um ihn scharen und ihn als ihr Zentrum,
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ihren Anker, ihren Herrn und Freund wissen dürfen. Er kommt mit dem Friedensgruß, wie es Konvention ist, aber durch die Auferstehung mit unendlicher Bedeutung gefüllt wird: jenseits des Todes, jenseits des Leidens, jenseits der Not und der Schuld. Jesus hatte einer kriegerischen Erde den himmlischen Frieden verheißen (19,38), er selbst ist der personifizierte Gottesfriede (2,14; vgl. 1,79; 2,29), schon zeit seines irdischen Wirkens hat er diesen Frieden gestiftet (7,50; 8,48; vgl. 10,5–6), der das Gegenteil von Friedhofsruhe ist (12,51), sondern Gottes Liebe gegen den Hass unter den Menschen stark macht. Dass die Jünger erschrecken (37) (37), ist gattungsgemäß, weil im auferstandenen Jesus Gott in die Mitte der Jünger tritt. Aber es zeigt sich in diesem Erschrecken das entscheidende Glaubensproblem: Trotz des Berichtes der Frauen (24,9.11), trotz der Erscheinung vor Petrus (24,34) und trotz des Zeugnisses der Emmaus-Jünger (24,35) können die in Jerusalem Versammelten – die „Elf“ mit all den übrigen, die Jesus über seinen Tod hinaus die Treue gehalten haben (24,9.33–35) – nicht glauben, was sie sehen: dass tatsächlich Jesus von den Toten auferstanden ist. Eher denken sie, einen „Geist“ (pneuma) zu sehen, d. h. einer Sinnestäuschung zu erliegen. Im Alten Testament sind Totenbeschwörungen tabu (Lev 19,31; 20,6.27; vgl. 1Sam 28,3–25; Jes 8,19), weil Gott der Herr des Lebens ist. Im Lukasevangelium wollen die Jünger Gott gerecht werden – und verfehlen dadurch, was er mit der Auferweckung Jesu tatsächlich getan hat. Jesus antwortet (38–39) auf ihr Entsetzen, indem er sie anspricht und ihnen seine Hilfe anbietet, ihn zu erkennen. Das Herz, das Organ der Gottesliebe (10,27), wird von Gedanken erfüllt, wie die EmmausJünger sie kennen, deren Herz schwer ist (24,25): Die Jünger erliegen einem Fehlurteil, weil sie vernünftig sein wollen und eher an einen „Geist“ als an Jesus denken. Um sie zu überzeugen, weist Jesus als Auferstandener darauf hin, dass er einen Leib hat, an dem er zu erkennen ist. Im Johannesevangelium ist von den Wundmalen die Rede, die Jesus nach Ostern noch trägt (Joh 20,24–29). Sie spielen bei Lukas keine Rolle. Wohl aber sind es die Hände, mit denen Jesus vielen Menschen geholfen und beim Letzten Abendmahl Brot und Becher gereicht hat (20,14–23); und es sind die Füße, mit denen er sich, angefangen in Galiläa, auf den Weg gemacht hat, das Evangelium zu verkünden (40) (40). Der Auferstandene ist kein anderer als Jesus von Nazareth; seine Hilfe, seine Suche nach den Verlorenen – nichts ist vorbei, alles wird in Gottes Kraft neu. Jesus ist leiblich auferstanden; er ist leibhaftig erschienen. Das ist eine grundsätzliche Feststellung, aber keine Festlegung im Blick auf die physische Beschaffenheit des Auferstehungsleibes (vgl. 1Kor 15,42–44).
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Freilich reicht diese klare Botschaft noch nicht (41) (41): Die Jünger sind blockiert. Lukas sagt: nicht aus Trauer und Angst, sondern vor Freude: Sie trauen ihr nicht; sie fürchten immer noch, enttäuscht zu werden. Deshalb geht Jesus einen Schritt weiter, um ihnen zu zeigen, dass er selbst es ist. Er fragt nach Essbarem; es wird ihm ein Stück Bratfisch gereicht (42) (42); er isst es vor ihren Augen (43) (43). Nicht die Mahlgemeinschaft steht also im Blick, kein zweites Emmaus-Mahl, sondern die Leiblichkeit der Auferstehung. Jesus isst nicht, weil er Hunger hat, sondern weil er ein Zeichen setzt, er selbst zu sein. Der Fisch, der später zum Erkennungssymbol der Christusgläubigen geworden ist, knüpft an Galiläa an, den reichen Fischfang, an dem die Nachfolge begann (5,1–11). Dort sind die mit Fischen zum Bersten gefüllten Netze zum Vorzeichen der Völkermission geworden; hier ist der Fisch, den Jesus verzehrt, ein Zeichen, dass nichts vergessen ist, was vorösterlich gewesen ist, sondern mit ihm, der seine Jünger senden wird, alles auflebt, was wichtig bleibt. Dass es sich auch schon für das Altertum um eine symbolische Speise handelt, ergibt sich aus der Fortsetzung in der byzantinischen Texttradition: „und von einer Bienenhonigwabe“, ein Hinweis auf die Süße des Gotteswortes (vgl. Joseph und Aseneth 16), in dieser Bildsprache auch früh mit der Feier der Eucharistie verbunden. Die Selbstidentifizierung Jesu ist kein Selbstzweck, sondern dient der Vorbereitung der Sendung. Deshalb setzt er katechetisch fort, um missionarisch zu werden. Zuerst stellt er einen doppelten Bezug der Osterbotschaft her (44) (44): seine eigenen „Worte“, die nicht vergehen werden (21,33), und die Bibel Israels. Beides ist zuinnerst verbunden, weil Jesus das Evangelium verkündet, das bereits Jesaja prophezeit hat (Jes 61,1–2: Lk 4,18.21). In seiner eigenen Verkündigung, so sein österlicher Rückblick, bezieht er sich zentral auf das Zeugnis der Heiligen Schrift, weil er sich zentral auf Gott bezieht, der sein Wort Menschen im Gottesvolk Israel anvertraut hat. Die Verbindung ist die Erfüllung. Sie ist nicht, wie oft gedeutet, das Aufsaugen und Entwerten, die Vereinnahmung und Verzweckung der Bibel Israels, sondern im Gegenteil ihre christologisch begründete Bejahung und Entdeckung: weil Jesus sich als Jude, als Prophet, als Messias in der Gottesgeschichte verwurzelt, die von der Schrift bezeugt wird, und bejaht, d. h. verwirklicht, worauf sie aus ist: die Vollendung des Heilswillens Gottes und die Vermittlung seines Vorgeschmacks hier und jetzt. Die Dreiteilung der Schrift in „Gesetz des Mose“, die Tora, „Propheten“ (einschließlich der Geschichtsbücher, der „Vorderen Propheten“) und „Psalmen“ (pars pro toto für die „Schriften“), entspricht der jüdischen Kanon-Komposition, die von der späteren des christlichen Alten Testaments mit den Propheten als Schluss abweicht. Bei der Erfüllung denkt Jesus nach Lukas nicht an einzelne
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Stellen, sondern an die gesamte Schrift und ihr zusammenhängendes Glaubenszeugnis, das sowohl das Leiden als tiefe Gottesbegegnung als auch die Auferstehung als unendliche Bejahung des Lebens erhoffen lässt. Freilich bleibt die Schrift toter Buchstabe, wenn sie nicht im Geist Gottes gelesen wird. Diese Aufgabe erfüllt der österliche Jesus (45) (45). Was er öffnet, wird unterschiedlich gedeutet. Es ist nicht das „Verständnis“ dessen, was in der Schrift zu verstehen ist, wie die Lutherbibel übersetzt; es ist „ihr Sinn“ (so die Zürcher Bibel und die Einheitsübersetzung), aber besser noch: „ihr Verstand“ (nous), den sie einschalten sollen, um die Bibel vernünftig zu lesen und dadurch theologisch tief genug zu verstehen (synhíemi). Die Bibellektüre, die zur Auferstehungshoffnung findet, ist nicht irrational, sondern reflektiert – angeleitet von Jesus selbst. Den wunden Punkt beschreibt Jesus im Anschluss (46) (46) – ganz ähnlich wie bei den Emmaus-Jüngern (24,25–27): Von einem leidenden Messias ist dann die Rede, wenn – wie auch im Judentum möglich – der leidende Gottesknecht (Jes 53) und der verfolgte Befreier (Sach 12,10) messianisch gedeutet werden; denn in einer ungerechten Welt erleidet der Gerechte Unrecht; in einer Welt der Sünde, die sich Gottes bemächtigen will, erleidet der Erlöser Gewalt. Aber der Tod wird nicht das letzte Wort haben. Der dritte Tag ist der Tag der Wende vom Tod zum Leben (Hos 6,2) – und in dieser Symbolik wird er auf die Theologie der drei Tage abgebildet, die vom Karfreitag den Bogen bis zum Ostersonntag spannt. Die Exegese Jesu geht aber noch weiter: Auch die Völkermission, die zur Umkehr ruft und die Sündenvergebung verspricht, entspricht dem Zeugnis der Schrift (47) (47). Tatsächlich ist es eine Karikatur, einem alttestamentlichen Partikularismus einen neutestamentlichen Universalismus gegenüberzustellen, wie allein schon die Abraham-Tradition zeigt (3,8.34; Apg 3,25). Im lukanischen Doppelwerk wird immer wieder die Völkermission als schriftgemäß reflektiert, besonders mit Bezug auf die Psalmen, entscheidend auf dem Apostelkonzil durch den Herrenbruder Jakobus, der Amos anführt, die Wiederherstellung der zerstören Hütte Davids, zu der dann die Völker ziehen können (Apg 15,16–17 – Am 9,11– 12). Umkehr ist nötig, weil Tod, Not und Sünde herrschen; Umkehr ist möglich, weil Gott einen neuen Anfang schenkt. Die Vergebung der Sünden, die bereits der Täufer Johannes verkündet hat (3,3.16), ist der empfindlichste Punkte einer Befreiung, die Zukunft schenkt, in der Zeit und in ihrem Jenseits. Die Jünger sind „Zeugen“ (48) (48), weil sie gesehen haben, was sich ereignet hat, und weil sie mit der Hilfe Jesu zu „Dienern des Wortes“ geworden
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sind (vgl. 1,2). Dieses Zeugnis muss glaubwürdig sein, d. h. von Herzen kommen und sich auch gegen – womöglich extreme – Widerstände bewähren (21,10–19); es wird aber dank der Hilfe Gottes auch dort überzeugen können, wo keine realistische Aussicht zu bestehen scheint, ohne dass es eine Erfolgsgarantie geben kann (vgl. 8,4–8). Das Zeugnis wird zur missionarischen Verkündigung (49) (49), nicht nur in der Verteidigung. Es wird das Wirken des Heiligen Geistes sein, das diese Weite und Überzeugungskraft schafft; Pfingsten wird es Ereignis werden (Apg 2). Jesus selbst wird den Geist senden, und zwar vom Vater. Er trägt die Verheißung, weil sie in seiner Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, seiner Schöpfer- und Erlösungskraft begründet ist. Der eine Gott soll der Gott von allen werden – in dieser Perspektive machen sich die Elf, die wieder zu Zwölf werden, und alle anderen auf den Weg der Verkündigung, die dazu berufen und befähigt sind (vgl. Apg 1,12–26). Es wird eine Wartezeit in Jerusalem beginnen, der Hauptstadt Israels, dem Ziel des Weges Jesu (9,51) – nach der Apostelgeschichte 50 Tage bis Pfingsten, wenn von Jerusalem aus die öffentliche Evangeliumsverkündigung beginnen wird, die auf Erden keine Grenze finden soll (Apg 1,8). Das lukanische Osterevangelium verschweigt nicht, wie Jesus immer wieder neu ansetzen muss, aber auch kann, um Zweifel und Skepsis zu überwinden, an seine Auferstehung zu glauben. Es gelingt ihm durch den vollen Einsatz seiner Person, durch die Erschließung des Schrift gewordenen Glaubenszeugnisses Israels und durch die Verheißung des Geistes als Gottes Kraft, die durch Menschen auf menschliche Weise Menschen erreichen kann, um ihnen Ostern nahezubringen – für ihr eigenes Leben. Als Auferstandener handelt Jesus in derselben Intention und in ähnlichen Zeichen wie als Irdischer: Sein Evangelium hat Hand und Fuß; er bleibt auf der Suche nach den Verlorenen (19,10), zuerst jetzt denen, die sein Tod so tief erschüttert hat, dass sie seine Auferstehung nicht glauben können. Lukas sorgt dafür, dass zusammen mit der Auferstehung auch die Geschichte erzählt wird, wie der Glauben an sie entstanden ist. Die hoch stilisierte Erzählung macht deutlich, wie schwer es den Jüngern gefallen ist, an die Auferstehung zu glauben und den Auferstandenen zu erkennen. Dadurch, dass der Prozess verdichtet wird, öffnet sich das Osterevangelium allen, die ihrerseits nicht ohne Fragen und Zweifel der Botschaft begegnen. Dadurch, dass mehr noch betont wird, wie Jesus sich den Jüngern zugewandt hat, öffnen sich Horizonte der Hoffnung, die Menschen über ihre eigenen Erwartungen und Befürchtungen hinausführen. Empathie, Deutung und Ermutigung, die Erschließung der Heiligen Schrift und das Brechen des gesegneten Brotes in der Tischgemeinschaft sind bevorzugte Orte: durch Jesus markiert – und bis heute immer neu zu bereiten, zu suchen und zu finden.
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24,50–53 Die Himmelfahrt 50Er führte sie aber bis nach Bethanien und erhob seine Hände und segnete sie, 51und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und wurde in den Himmel hinaufgetragen, 52und sie fielen nieder und kehrten mit großer Freude nach Jerusalem zurück 53und waren allezeit im Tempel und lobten Gott. Die Erzählung von „Christi Himmelfahrt“ nimmt einen Mythos in das Evangelium auf und verwandelt ihn zum Logos, um die Erhöhung Jesu zur Rechten des Vaters ins Bild zu setzen. Die Auferstehung selbst wird nirgends erzählt (anders als später im apokryphen Petrus-Evangelium 9–11). Weil sie kein Geschehen wie andere ist, enden die kanonischen Evangelien im vollen Grab und starten neu mit dem leeren, bevor es zu Erscheinungen kommt. Die Erhöhung Jesu, die in der Konsequenz seiner Auferstehung liegt, weil sie das Wirken des Auferstandenen in der Kraft und Einheit Gottes begründet, ist ein Thema des urchristlichen Bekenntnisses (vgl. Phil 2,9–11), aber auch der erzählten Lehre Jesu (20,41–44 par. Mt 12,35–37). Im Lukasevangelium und, ihm folgend, im nachgetragenen Markus-Schluss (Mk 16,19), sowie in der Apostelgeschichte wird die Erhöhung freilich zum Gegenstand des Erzählens (Apg 1,9–11). Das Phänomen wird nicht ausgemalt, sondern knapp eingeordnet und dezent charakterisiert. So sprengt es das Evangelium nicht, erweist sich aber als Grenze dessen, was erzählt werden kann. Die Szene hat drei kurze Akte. Alle zeigen, wie intensiv die Beziehung Jesu zu seinen Jüngern bleibt. 24,50 Der Weg nach Bethanien und der Segen Jesu 24,51 Die Hinaufnahme Jesu in den Himmel 24,52–53 Die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem Eine Variante steht am Beginn der Apostelgeschichte (Apg 1,9–11). In beiden Fällen geht die Verheißung des Geistes durch den Auferstandenen voran, der die Jünger nach Ostern zur Evangeliumsverkündigung befähigt (24,49; Apg 1,8). Die Frage der Engel an die galiläischen Männer in Apg 1,11 („Was steht ihr und schaut zum Himmel?“) entspricht der an die galiläischen Frauen am leeren Grabe (24,5: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“). Nach Lk 24 ist die Zeit der Trauer vorbei; die Osterfreude soll beginnen; nach Apg 1 ist die Zeit der Erscheinungen Jesu vorbei; die Mission der Kirche soll beginnen (Apg 2): Bis zur Wiederkunft Christi bestimmt sie die Geschichte.
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Die Himmelfahrtgeschichte folgt dem Gattungsschema einer Entrückungserzählung. Das wichtigste alttestamentliche Beispiel gibt die Entrückung des Elija nach 2Kön 2,11–12 (vgl. Sir 48,9). Eine Entrückung wird auch bei Henoch (Gen 5,24) erwähnt. Bei Elija ist sie mit der Erwartung einer Wiederkunft verknüpft (Mal 3,22–23). Das wichtigste hellenistisch-römische Beispiel gibt die Erzählung des Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) von Romulus (Historia I 16). Ovid hat die mythischen Züge verstärkt (Metamorphoses 1, 808–827). Ähnliche Mythen werden von Alexander dem Großen (Pseudo-Kallisthenes, Historia Alexandri 33,27) und von Augustus (Sueton, Augustus 100,4) erzählt. Der entscheidende Unterschied zu allen Parallelen besteht darin, dass bei Lukas die Entrückung nicht anstatt des Todes, sondern nach dem Tod und nach der Grablegung erfolgt – in der Wirkung der Auferstehung von den Toten. Durch die Himmelfahrt wird weder das Leben noch das Sterben Jesu relativiert; vielmehr wird geklärt, dass es dieser Jesus ist, der, von den Toten auferstanden, zu Gott gehört und von ihm aus wirkt. Wie er es ähnlich auch in der Woche vor dem Paschafest gemacht hat (19,47–48), führt Jesus am Ostertag die Jünger vor die Tore der Stadt (50) (50). Bethanien liegt für Lukas am Ölberg (19,29). Der Ort der Himmelfahrt wird seit dem Mittelalter von einer Kapelle auf dem Ölberg angezeigt (vgl. Apg 1,12), auf dem Weg von Jerusalem nach Bethanien; der Ort ist selbst ein Symbol, keine historische Landmarke. Die Parusie des Menschensohnes wird im Judentum am Ölberg erwartet; auf sie ist die Himmelfahrt in Apg 1,11 bezogen. Das letzte, was Jesus als Auferstandener macht, ist, seine Jünger zu segnen. Dazu erhebt er die Hände, wie ein Priester, besonders Simeon nach der Wiedererrichtung des Tempels (vgl. Sir 50,19– 23): Jesus betet zu Gott, seinem Vater, und ruft dessen Segen auf die Menschen herab, die an die Auferstehung glauben, damit sie diese Botschaft weitertragen können (24,47–49). Dieser Segen ist Gottes Heil, so wie es auf Erden bereits erfahren werden kann. Zeit ihres Lebens werden alle Jünger Jesu unter diesem Segen stehen – um ihn zu verbreiten. So wie Jesus Zeit seines Lebens Segen verbreitet hat, selbst noch im Sterben, ist er auch mit seiner Auferstehung derjenige, der Gottes Gnade und Frieden verbreitet, Vorzeichen der Vollendung im Reich Gottes. Indem er die Seinen segnet, fährt Jesus zum Himmel auf (51) (51). Zwei Verben kennzeichnen die Handlung. Zuerst scheidet Jesus von seinen Jünger: Er geht – in der Welt der Erzählung – auf räumliche Distanz zu ihnen, damit er ihnen mit seinem Segen bleibend nahe sein kann. Danach wird er „hinaufgetragen“; das Passiv verweist auf Gottes Handeln an ihm, wie in der Auferweckung. Das Verb (anaphéro) beschreibt eine Bewegung hinauf, wie beim Aufstieg auf einen Berg (Mk 9,2; Mt 17,1). In der Apostelgeschichte steht zuerst (Apg 1,10) ein einfaches
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Ausgewählte Literatur
„gehen“ (poreúomai), dann (Apg 1,11) das verwandte Verb „hinaufnehmen“ (analambáno). Nüchterner könnte der spektakuläre Vorgang nicht beschrieben werden. Es bleibt die Leerstelle der Vorstellung, die der Mythos füllt, das Bilderverbot aber freihält. Lukas selbst macht klar, dass die Himmelfahrt, die nach Apg 1,10 vor den Augen der Jünger stattgefunden hat, sich der Anschauung entzieht. Die Reaktion der Jünger ist Anbetung (52–53) (52–53). Sie entspricht dem Segen (V. 51); sie bringt zum Ausdruck, dass die Jünger im Erhöhten Gott erkennen: als menschlichen Gottessohn, der zur Rechten des Vaters thront. Sie bleiben aber nicht vor Ort (vgl. Apg 1,11), sondern folgen der Weisung Jesu (24,50) und kehren nach Jerusalem zurück, wo sie im Tempel ein „Haus des Gebetes“ finden (19,46: Jes 56,7), das sie mit ihrem Glauben füllen. Das Gotteslob bringt ihren Dank für Jesus und ihre Vorfreude auf die Gabe des Geistes zum Ausdruck. Die Himmelfahrt Jesu Christi veranschaulicht die „Erhöhung“ Jesu zur Rechten Gottes (Ps 110), Bild für die Teilhabe des Auferstandenen an der Allmacht Gottes (Eph 4,6: Ps 68,19). Die Auferweckung geschieht im Zuge der Erhöhung, die Erhöhung vollendet die Auferstehung. Beides gehört zusammen, fällt aber nicht in eins. Lukas setzt in der Differenzierung besondere Akzente, in Apg 1 stärker noch als in Lk 24. Die Himmelfahrt führt die Zugehörigkeit des Auferstandenen zur Sphäre Gottes vor Augen: Von wo er erscheint, dorthin kehrt er zurück, um von dort aus neu in Beziehung zu den Menschen zu treten (vgl. Eph 4,7–10). Die Leiblichkeit der Auferstehung wird nochmals betont. Die D istanz zu den Jüngern, die vom Geist erfüllt werden wird, öffnet den Blick für die Aufgaben der Mission „bis ans Ende der Welt“ (Apg 1,8).
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Monographien
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Register
Register Das Register umfasst Band 1 und 2; Stellen aus Band 2 sind außer der Bandzahl auch durch Kursivdruck kenntlich gemacht. Aas II 104 Abel I 318 Abendmahl II 203–211, 269 Abraham I 41, 48, 62, 76, 296, 354, II 75–76, 133, 165 Agonie II 220, 222 Alt/Neu I 134 Älteste II 153–154, 224, 232 Amnestie II 242 Angesicht (prosopon) I 259 Anstoß I 181 Anthropologie s. Mensch Antijudaismus I 245, 319–320, II 69, 113, 147, 159, 170, 176, 184 Äon II 165 Apostel I 22, 140–141, 222, II 82, 84, 205–206, 208, 263 Archelaos I 73, II 136 Ärgernis II 79–80 Arme/Armut I 54, 55, 88, 100–101, 149, 223, 328, II 33–36, 40, 67, 74–77, 120–121, 132–133 Arzt I 131 As I 324 Auferstehung/Auferweckung I 231– 232, II 123–125, 162–166, 206, 259, 262, 270 Aufstand, Aufruhr II 236 Auge I 310 Augustus I 35, 52, 53–54 Aussatz I 122–123, II 89–90, 91 Aussendung s. Sendung der Jünger Barabbas II 243–244 Barmherzigkeit I 76, 160–161, 286, II 91, 128, 225 Barnabas II 120
Becher II 206, 208, 221 Beelzebul I 304 Befreiung (s. a. Erlösung) I 48, 62, 65, 107, 146, 192, 235, 252, 279, 305, 307, 319, 321, II 5, 16, 165–166, 198, 201, 203, 206 Bekenntnis I 323–325 Benedictus I 44–50 Berg I 238 Bergpredigt I 145 (s. auch Feldrede) Berufung I 118, 130–131, 269 Beschneidung I 45, 46, 60–61 Besessenheit s. Exorzismus Besitz s. Reichtum Beten I 295–301, II 107, 11–112, 219–223, 249 (s. auch Jesus – Gebet) Bethanien II 143, 191, 258, 279 Bethlehem I 50, 52–53, 55 Bethphage II 143 Bethsaïda I 226, 273 Betteln/Bettler II 65, 126–130 Bibel s. Schrift Blind(e) 101, 164–165, 198–199, 203, II 35, 40, 126–130 Blut I 318, II 204, 209 Brot I 294, II 28, 206–207, 269, 271 ungesäuertes II 197, 201 Bund I 47–48, II 204, 208–209 Cantica I 24, 25 Caesarea II 235 Caritas II 67 (s. auch Nächstenliebe) Chorazin I 273 Christologie (s. auch Messias) in der Botschaft an Maria I 34 im Spiegel des Magnificat I 41
Register
im Weihnachtsevangelium I 55 im Lobgesang des Simeon I 63– 64 in der Geschichte vom Zwölfjährigen im Tempel I 68 in der Tauferzählung I 81 in der Genealogie I 84 in der Versuchungsgeschichte I 86, 90 in der Antrittspredigt in Nazareth I 101 in der Feldrede I 162 in den Machttaten I 107, II 93 in Streitgesprächen I 139, 310–311, 317–318, II 151, 154, 167–169 im Dialog mit dem Täufer Johannes I 179–182 in Gleichnissen I 194, II 49–50, 158–159 in Jüngerbelehrungen I 231, 235 in der Verklärung I 239–240 auf dem Weg nach Jerusalem II 88 in Jerusalem II 140 n der Endzeitrede II 178 in der Passionsgeschichte II 192, 194, 201, 231–234, 250, 253 im Osterevangelium II 269, 275, 276, 280 Christus s. Messias Chuza I 192 Cyrene II 244 Dämonen(austreibung) s. Exorzismus Darbringung I 60 Davidssohn I 34, 55, II 128, 143–144, 167–169 Dekalog II 119 Demut 39, 40, 41, 239, II 33, 79–80, 112 Denar I 189, 324, II 52, 161
285 Dienen/Dienst I 110, 192, II 214–215 Dorf I 191–192 II 19 Drachme II 52–54 dritter Tag II 24, 125, 268, 276 Eckstein II 158 Ehe II 71–72 Ehre/Schande I 31, 56, II 31 Engel I 31, 34, 55, 56, II 165, 222, 261–262 Elija (Elias) I 31, 99, 103, 230, 238–239, 265, 279 Elisabeth I 26, 28, 29, 31, 37–42, 43–46 Elischa (Elisa) I 99, 103, 265 Emmaus II 266 Endzeit(rede) II 97–104, 173–190 (s. auch Eschatologie) Entrückung II 279 Epiphanie I 207, 237 epiousios I 294–295 Erbarmen s. Barmherzigkeit Erbe I 327, II 57 Erfüllung I 102, II 123, 275–276 Erhöhung Jesu II 168, 278 Erinnerung I 317, II 61, 208, 210–211, 228, 251, 262, 263, 269, 271 (s. auch Gedenken) Erniedrigung/Erhöhung 23, 314, II 33, 112–113 Erscheinung (österlich) II 259, 273–274 Erste/Letzte II 20–21, 112–113 Erlösung (s. auch Befreiung) I 35, 47, 49, 56, 65, 127, 225, 325, 339, 349, 353, 355, II 16, 21, 82, 104, 122, 186–187, 201, 208, 211, 266–267 Eschatologie I 26, 45, 47–48, 56, 76, 78, 101–102, 141, 147, 180, 235–236, 254, 274, 340, II 70, 130–131 (s. auch Endzeit, Heil, Gericht, Reich Gottes)
286 Esel I 354, II 143 Essen/Fasten I 115, 133 Essener II 202 Ethik I 154–163, 281 II 15–16, 31, 33–36, 66–67, 122–123, 153 Eucharistie (Dank) I 47, 226, 294, II 206–207 Evangelium Botschaft I 101, 321–322, II 181 (s. auch Wort Gottes) Buch I 17–19, 21–22 Exodus I 72, 74, 75, 88, 239, II 166 Exorzismus I 107–108, 112, 209– 213, 247–248, 303–307 Falschpropheten I 152, II 100–101, 178 Familie I 264, 342–343, II 122, 182 Jesu I 68, 102, 205 Fasten I 88, 133–135, II 111 (s. auch Essen/Fasten) Feige(nbaum) I 350, II 188 Feindesliebe I 153–162, 284, II 6, 34, 42, 145, 193, 217, 223–224, 248–249 Feld 54, II 102 Feldrede I 143–170 Festmahl s. Mahl Feuer I 77, 79, 261, 341 Finsternis II 225 Fisch I 120, II 275 Flucht II 184 Frau(en) I 29, 31, 38, 40, 42, 57, 110, 177, 188–192, 215–218, 251, 287– 290, 307–308, 351–355, II 52–54, 104–108, 171–173, 194–195, 243, 244–246, 253, 256, 257, 259–265 Fremde II 92–93 Freude I 30, 39–40, 50, 69, 149, 151, 202, 244, 274–275, 278–280, II 51, 53, 62, 120–121, 275 Freund I 299, 323
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Friede I 49, 56–57, 218, 273, 342, 343–344, II 144, 146, 274 Fuchs II 23 Füllen II 143 Für II 207–208 Fürbitte I 158 Gabriel I 31, 34 Galiläa I 91, 93, 95, 249, 260–261, 349 II 15, 19, 90, 228, 237, 239 Gastfreundschaft I 110, 223, 272, 288, 315, II 28, 35–36, 203 Gastmahl s. Mahl Gebet s. Beten Haus des Gebetes II 149–150, 258 Gebot s. Gesetz Gedenken I 47–48, II 208, 251 Gegner Jesu I 251, 319–320, II 157–158, 160 Geheimnisse I 198–200 Gehenna s. Hölle Geier II 104 Geist, Heiliger I 35, 36, 40, 62, 79–80, 87, 95, 277–278, 300, 325, II 154, 181, 192, 277, 280 Geist Jesu II 248, 252 Gelähmt(er) s. lahm Geld I 192, 329 II 16, 63–64, 66, 120–121, 200 (s. auch Denar, Lepton) Genealogie I 83 Generation I 242 Genezareth s. See Genezareth Gerasa I 211 Gerecht(igkeit)/ Ungerecht(igkeit) 27, 29, 48, 62, 161, 165, 170 325, 338, 346–347, II 35, 65, 107, 108, 162, 210, 217, 234, 255 Gerechter, Leidender II 252–253, 276
Register
Gericht (s. auch Heil; Richten) I 76, 77, 152, 261, 273, 318, 341, II 40, 81, 100, 108, 157, 171, 215 Geschlecht I 41, 185, 309, II 188– 189 Gesetz I 60, 257, 282, 284, 312, 317–319, II 25, 68, 70–72, 74, 119, 275 Gesetzeslehrer I 282, 312, 317–318, II 28 Gethsemane I 296–297 Gewalt/Gewaltüberwindung I 157– 159, 262, 271, II 224–225 Glauben I 126, 190, 216, 218, II 79, 82, 90, 92–93, 108, 129, 277 Gleichnis I 134, 164, 185, 188, 193–204, 284, 310, 327–328, 334–335, 348, 350, 355–358 II 18, 19–20, 31, 36–37, 40, 42, 47, 50, 55, 63, 74, 106, 109, 110, 136, 155, 187–188 Gloria I 56 Gnade I 33–34, 40, 56, 63, 65, 69, 161, II 21, 51–52, 82 Gnadenjahr I 101 Goldene Regel I 159 Golgotha s. Schädelstätte Gott (s. auch Reich Gottes, Sohn Gottes, Wille Gottes, Wort Gottes) „Einer“ I 273, II 107, 119 Lebendiger II 165–166 Name I 291, 293 weiblich II 54 „Vater“ I 291–293, II 219, 221, 252 als Vater Jesu I 36, 83, 86–90, 231, 239, 278–279, II 168, 222 Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs II 165 Güte, Heil, Gnade I 63, 65, 69, 99, 127, 132, 160, 212–213,
287 218, 228, 243, 300–301, 329, 331–332, II 21, 39–40, 46–62, 108, 112, 119, 121–122 (s. auch Barmherzigkeit, Vergebung) als Retter I 40–41, 44–45, 236 als Befreier I 108–109 (s. auch Befreiung) Ratschluss I 185 (s. auch Weisheit) Finger Gottes I 305 Richter I 164–166, 328 (s. auch Gericht) Zorn I 76 II 26, 40 (s. auch Gericht, Wehe) Anspruch I 338, II 161–162 (s. auch Ethik) in der Verkündigung des Täufers Johannes I 30–31 in der Verkündigung Jesu I 18, 96, 100–101, 114, 250–251, II 15, 85–87, 139 (s. Evangelium, Wort Gottes) im Gleichnis I 328 Liebe zu Gott I 283, 289 Lob Gottes I 47–48, 56–57, II 129, 144, 242–253, 280 Opfer für Gott I 61–62, 136, II 150, 172 als Gastgeber II 32 Theodizeefrage II 182 Gottesherrschaft s. Reich Gottes Gottesknecht II 209 Gottesliebe I 278, 283, 290, II 67, 173 Gottessohn s. Sohn Gottes Gottesvolk I 142 (s. auch Israel) Grab Jesu II 254–257, 259–264 Groß s. Klein/Groß Habgier I 327, II 70 Handauflegung I 353 Hanna I 26, 64–65, II 173 Hannas I 73
Register
288 Hades II 76 Hahn II 228 Hass I 158, II 42 Hauptmann I 174, II 252 Hauptleute am Tempel II 199, 224 Haus I 25, 109, 169–170, 288–289, 337–338, II 102, 232 Haus des Hohepriesters II 228 Heidenmission s. Völkermission Heil (durch Gericht) I 64, II 15–16, 26, 75, 103, 131, 203–204, 207–208, 211 durch den Tod Jesu II 209–210 Heiland s. Retter Heiliger Gottes I 108 Heiligkeit/Heiligung I 62, 293 Heiligtum s. Tempel Heilung I 110, 112, 126, 128, 138, 176, 190, 216, 242, 352, II 29, 93, 126, 225 Henne II 25 Henoch II 279 Herde I 332–333 Herodes „der Große“ I 28, 54, 73 Herodes Antipas I 48, 73, 77, 224–225, II 23–25, 196, 238–240, 242 Herr s. Gott und Kyrios Herz I 333, II 70, 181, 189, 268, 270 Heuchelei I 316, II 169–171 Heute I 55, 101–102, II 24, 132, 133, 251 Himmelfahrt II 278–280 Hiob I 296, II 215 Hirt(en) I 55, 57, II 50 Hochzeit I 336 Hohepriester I 73, 229, II 125, 150, 153, 164, 197, 224, 228, 239 Hoher Rat II 153, 194, 195, 231– 234, 242–243, 250 Hölle I 324, II 76 Holz II 245–246
Hören I 198, II 45 Humanität I 69, 88 Isaak I 62, 296, II 165 Israel (s. auch Judentum) I 41, 47– 48, 56, 62, 63, 65, 71, 75–76,134, 141, 174, 185, 227, 242, 284, 309, 354, II 20–21, 25, 96, 156, 158, 185, 188–189, 206, 211, 241 Jakob II 165 Jakobus, Sohn des Zebedäus I 142, 217, 238, 261 Jakobusbrief II 70 Jenseits II 77 Jeremia II 149, 208–209 Jericho I 285, II 127, 131 Jerusalem I 17–18, 25, 60, 67–68, 239, 258, 259–261, 285 II 18–19, 22–24, 25–26, 124, 136, 140, 142, 145, 192, 245, 258–259, 270, 280 Zerstörung II 145–147, 173, 175–176, 183–185, 246 Jesaja I 75, 80, 100, 180, 181, 198, II 149 Jesus (s. auch Heiliger Gottes, Herr, Messias, Menschensohn, Sohn Gottes) als Sohn Marias I 32–37 Name I 34, 61 Stammbaum I 82–84 Familie I 68, 102, II 41–46 Geburt I 50–58 Beschneidung I 60–61 Darbringung I 61–62 Bestimmung durch Gott I 63–64 Kindheit I 65–69 Taufe I 78–81 Versuchung I 85–90, II 215 Verkündigung I 95–96, 99–103, 113, 115, 181, 191–192, 195, II 96, 267, 275
Register
Machttaten I 107, 111–112, 126, 128, 181, 240–241, 273, 304, 352, II 23, 29, 91, 128 Nachfolgeruf I 263–265, II 117–118 Lehre I 108, 241, 282, 352, II 119, 151, 161, 191–192 Sündenvergebung I 129, 185–186, 189–190 Speisung I 227–228 Verklärung I 236–240 Vollmacht I 108, 124, 127–127, 135, 147, 185, 222, 251, 267, 275, 295, 305, II 152–153 Dienen II 214 Verehrung II 91–92 Gebet I 79–80, 124, 140, 228, 229–230, 271, 292, II 219–223, 249, 252, 269, 279 als Zeuge für Johannes den Täufer I 32, 182–186 als Prophet I 102–103, 230, II 21–26, 123–124, 142, 147, 150, 178, 204–205 Passion 230–233, 244, II 123– 125, 192–196, 210, 267, 276 Weinen II 146 Letztes Abendmahl II 203–219 Ölberggebet II 219–223, 279 Verhaftung II 223–226 Verleugnung durch Petrus II 226–229 Folterung II 229–231, 242 Verhör II 231–234 Prozess vor Pilatus II 235–238, 241–243 Vorführung vor Herodes Antipas II 238–240 Kreuzweg II 243–246 Kreuzigung II 194, 217–218, 242, 246–254 Tod II 252–253
289 Begräbnis II 254–257 Auferstehung I 230–233, II 123–125, 166, 206, 259–277 Himmelfahrt II 278–279 Wiederkunft 235, II 26–27, 101–102, 104, 186–187 Jesus Sirach II 70 Johanna I 192, II 263 Johannes der Täufer I 24, 28, 30–32, 39, 44–45, 48–50, 72–78, 133, 179–186, 225, 230, 292, II 70, 153–154 Johannes, Sohn des Zebedäus I 217, 238, 248, 261, II 202 Jona I 309, 310 Jordan I 74 Joseph, Mann Marias I 50, 63, 68 Joseph von Arimathäa II 254–257 Jubel s. Freude Judäa I 114 Judas Iskarioth I 141, 142, 244, II 193–194, 198–200, 224, 226 Juden, Judentum (s. auch Israel) I 174–176, 297, II 26, 38, 40, 185 als Heimat des Täufers I 32 als Heimat Jesu I 23, 59, 67, 99, 139, 240 Jünger I 121–122, 131, 140–141, 146, 148, 199, 226–227, 230, 238–239, 242, 244, 245–246, 247–248, 249– 250, 257, 260, 269, 331, 332–333, 337–339, II 63, 79, 85, 86, 98, 114–115, 125, 143–144, 169–171, 202, 212, 215–216, 222, 228, 280 (s. auch Nachfolge; Zwölf) Emmaus-Jünger II 266–271 Jungfrau I 35–36, 64–65 Jüngster Tag s. Endzeit, Gericht Kaiaphas I 73 Kairos I 90, 101, 257, 277, 345–346 Kaiser II 161, 162
290 Kaisersteuer s. Steuer Kamel II 120 Kapharnaum I 105, 107, 113, 173–175, 214, 274 Kind(er) I 185–186, 245–246, II 29, 113–116, 245 Kindertaufe II 116 Kirche I 209, 228, 248, 339 Klage I 242, II 146, 244 Klein/Groß I 184, 245–246, 278, 356, II 67, 81, 138, 214 Kleopas II 266–267 Knecht I 174, II 84, 136 König(e) II 213 König der Juden II 236–237, 250 Königin des Südens/von Saba I 309–310 Kreuz(igung) II 194, 217–218, 242, 244, 246–254 Kreuzesnachfolge I 233–236, II 44, 102 Krippe I 54, 55 Kyrios I 48, 55, 169, 269, 336, 354, II 128–129, 143, 168–169 Lahm I 179, 124–129, II 40 Lazarus II 75 Leben (psyche) I 234–245, II 102– 103, 119, 122, 165 Lehre(r/n) I 96, 108, 119, 282 Leib I 310, 323–324, 331, II 207, 274 Leiden s. Passion Lepton, Lepta I 347, II 172 Letztes Abendmahl s. Abendmahl Levi I 130, 132 Leviratsehe II 164–165 Levit I 285 Licht I 310 Liebe I 189, 278–279, II 46, 120 (s. auch Gottesliebe, Nächstenliebe) Lilien I 332
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Lohn I 145, 148, 150, 160–161, 165, 295, 327, II 36, 67 Lot II 101–102 Lukas, Evangelist I 15–17, 21 Lysanias I 73 Magnificat I 40, 42 Mahl I 131, 188 II 19, 27, 31–32, 34–36, 36–40, 47, 48, 58 (s. auch Abendmahl) Mahlgespräche II 212 Mammon II 66, 67 Maria (Mutter Jesu) I 23, 25, 26, 32–42, 50–59, 60, 62–64, 67–69, 205–106, 308 Maria Magdalena I 192, II 263 Maria, Mutter des Jakobus II 263 Maria, Schwester Marthas I 288– 290 Martha I 288–290 Maulbeerbaum II 83 Maulbeerfeigenbaum II 132 Mazzen II 197, 201 Meister II 91 Mensch I 40–41, 65–66, 121, 165, 167, 202, 235, 306–307, 327, 331–332, II 182, 262 Menschenfischer I 121–122 Menschensohn I 127–128, 136–137, 232, 235, 244, 264, 309, 324, 337, II 100–101, 108, 133, 190, 210, 224, 233, 262 Messias I 55, 76–77, 180, 231, II 127, 136, 140, 144–145, 154, 167–169, 232, 236, 237, 268, 276 Mine II 135, 136 Mission Jesu I 94–95, 208, 343 der Jünger/der Zwölf I 120–121, 142, 222, 265, 270, 321, II 216, 272, 276, 277 Mitleid I 177, 189, 285, II 58, 91, 195
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Morgen II 24 Mose I 230, 238–239, II 77, 165– 166, 269, 275 Mühlstein II 80–81 Murren II 132 „Muss“ II 24, 217, 268 Nachfolge I 110, 118, 130–131, 192, 219, 246, 260, 262–266, II 42, 45, 80, 117–118, 129 (s. auch Kreuzesnachfolge) Nacht I 336 Nächstenliebe I 156–157, 281–286 Nadelöhr II 121 Naherwartung I 235–236, II 97, 104, 135–136, 177–179, 188–189 Nain I 177 Name Gottes I 293, II 144 Nazareth I 53, 94, 95, 103–104 Nazoräer II 127 Neuer Bund s. Bund Noah II 101–102 Nunc dimittis I 63–64 Obergemacht II 202 Ochse I 354, II 29 Offenbarung I 278, II 259 Ölberg II 143, 146, 190–191, 225 Opfer I 61–62, II 149, 172–173 Ostern II 257–280 Paradies II 251 Parusie 235, II 26, 101–102, 104, 186–187, 279 Pascha II 195–197, 200–203, 205–206 Passion I 231–232, 244, II 101, 195–196, 276 Petrus s. Simon Petrus Pharisäer I 127, 131, 136, 138, 184– 185, 188, 251, 314–316, 321, II 23, 27–28, 49, 61, 63, 68, 95, 11–112
291 Philippus, Zeuge Jesu II 269 Philippus, Tetrarch I 73 Phineas ben Jair II 53 Pontius Pilatus I 73, 349, II 125, 194, 195, 235–238, 240, 254 Presbyter s. Älteste Priester I 30, 285, II 91 Prophet(ie) I 46, 49, 62, 64, 96, 98–99, 180, 232, 239, 308, II 24, 70, 124, 269, 275 Prozess II 237, 241–243 Psalm(en) I 42,47, II 112, 128, 151, 168, 269, 275–276 Quirinius I 52, 53–54 Raben I 331 Rangstreit I 245–246 Räuberhöhle II 149 Rauchopfer I 29 Recht s. Gerechtigkeit Rechtfertigung 16, 60, 186, 284, II 68, 69, 87, 112–113 Reich Gottes I 113, 181, 191–192, 197–200, 204, 222, 227, 236, 250, 272, 291, 294, 305–306, 318, 332, 351, 357, II 17–20, 38, 67, 70–71, 94–97, 100, 115, 168, 177, 178, 188–190, 206, 215, 238, 251, 255 Reichtum, Reiche(r) I 151, 202, 327–328, II 64, 75–78, 117–123, 132–133 Reinheit/Unreinheit I 123–124, 315, 316 Reinigung I 61, 123–124, II 90, 93 Reisebericht I 252 repraesentatio Christi I 246, 274 Retter, Rettung I 40–41, 47, 51, 55, 177, 181, 295, 325, 348, II 17–19, 120, 214, 250, 254 Richten I 164 Richter II 105
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292 Sabbat I 99, 111, 115, 135–139, 351–355, II 27–30, 256, 261 Sadduzäer II 164 Salbung Jesu I 100, 188, II 256 Salomo I 305, 309–310 Salz II 45 Sämann I 198 Samariter, Samaria I 250–251, 258–262, 285–286, II 88–96 Samen I 198 Satan s. Teufel Sauerteig I 321, 357–358 Schächer II 250–251 Schädelstätte II 249 Schaf II 48–49 Schande s. Ehre/Schande Scheol s. Hades Schlangenbrut I 75–76 Schrift (Bibel) 57, 85–86, 97, 99–101, 136, 181–182, II 124, 149, 168–169, 217, 268–269, 270, 273, 275–276 Schriftgelehrte I 127, 131, 138, 319, 321, II 49, 61, 125, 150, 153, 166, 168, 169–170, 197, 232, 239 Schuld I 164, II 82 (s. auch Sünde) Schulden II 65 Schweigegebot I 108, 124, 218, 231, 232 Schweigen I 239, II 29–30, 166 Schweine 201, 212, II 57 Schwert I 59, 342, II 217–218, 224–225 See Genezareth I 200 Seele (psyche) I 234–235, 331, II 43–44 Segen I 158, II 269, 279 Seligpreisung(en) I 147–153, 181, 276, 307–308, 336–337, II 35, 77–78, 245 Sendung I 246 der Zwölf I 221–223 der Jünger I 267–276, II 212
Senfkorn I 356–357, II 83 Sidon I 146, 273 Simeon I 27, 62–64, II 158 Simon Petrus I 117–122, 142, 217, 230–231, 238, 337, II 122, 193– 194, 202, 215–216, 226–229, 257, 263–264, 270 Simon von Cyrene I 234, II 194, 244 Simon der Pharisäer I 188–189 Simon der Zelot I 142 Skandal s. Ärgernis Sklave I 174 Sodom I 273, II 102 Sohn Gottes I 34, 70, 78–81, 84, 87–90, 112, 238, 279, II 157, 167–169, 219, 232, 233–234 Soldat I 76 Sonnenfinsternis II 251 Sorge I 202, 289, 329–333 Soteriologie s. Heil Spatz I 324 Speisung des Volkes I 225–228 Stadt I 191–192 II 19, 137 Staunen I 57, 63, 102, 128, 175, 304 Stellvertretung II 207 Stephanus I 159, II 181, 249 Streitgespräche II 151, 160, 163, 167 Steuer II 159–162, 336 Sturmstillung I 207–209 Suche I 332–333, II 46–62, 133 Sünde(nvergebung) I 74, 75, 120–121, 125, 127, 131, 186–190, 295–296, 326, 348–349, 350–351, II 57–58, 112, 153, 276 Sünde und Krankheit I 126–127 Sünder 118, 130, 151, 161, 184–185, 187–190, II 49, 61 Susanna I 192 Synagoge I 99–100, 109, 352 Talar II 170 Talent II 135, 136
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Täter/Opfer II 81 Taube I 80 Taufe I 48, 74–75, 77, 341–342 Ort der Johannestaufe I 74–75 Taufe Jesu I 78–81 Tempel I 25, 59–60, 316, II 26, 111, 148–150, 172–173, 175–176, 280 Tempelvorhang II 251 Teufel I 87–90, 201, 304, 311–312, 354, II 199, 215, 225 Theodizeefrage I 29–30 Tiberius I 73 Tierschutz I 355, II 29, 50 Timotheus I 17 22 Tobit I 305 Tochter I 217–218, 354 Tod und Auferstehung 231–232, II 59, 60, 77, 103, 123–125, 206, 252 Tora s. Gesetz Totenbegräbnis I 264–265 Totenerweckung I 177, 217 Treue II 66 Tür II 19–20 Tyros I 146, 273 Umkehr I 74, 131, 185, 347–351, II 57, 91–92, 276 Unglaube I 241 Universalität I 63, 71, 99, 174–176, II 20, 209, 276 Unreinheit s. Reinheit/Unreinheit Unterwelt s. Hades Unverständnis I 244, 247, II 125 Vater/Söhne II 57–59 Vaterunser I 290–298 Verbrecher II 246, 250–251 Verfolgung I 150–151, 158, 271, 317, II 179–181 Vergebung I 46, 125, 164–165, 185–186, 189–190, II 81–82 (s. auch Sünde)
293 Vergeltung I 158, II 34, 107, 183–184, 217 Verheißung I 41, 47–49, 69, 150, 153, 160–161, 233, 239, 265–266, 294, 320, 338, II 115, 122, 276–277 Verklärung I 236–240 Verleugnung I 325, II 216 Verloren/gefunden II 46–62, 133 Verstockung I 198–199 Versuchung I 84–90, 296–297, II 80, 215, 221, 222 Völkermission I 18, 63, 81, 270, II 38, 278 Völkerwallfahrt I 357, II 20 Volk s. Israel als Auditorium Jesu I 344, 347, 353, II 43, 157–158, 177–178, 192, 253 Vollmacht I 108, 124, 127–127, 135, 147, 185, 222, 251, 267, 275, 295, 305, II 152–153 Wachsamkeit I 336–337, II 190 Wassersucht II 28 Weg (s. auch Reisebericht) Theologie des Weges I 23–24, 104, 249–255 II 18–19, 258, 265 Wehe(worte) I 147–148, 151–153, 312, 319, II 80, 184, 210 Weihnachtsevangelium I 50–58 Wein I 134, II 206, 208 Weinberg II 157 Weisheit I 65, 186, 278, 317–318, II 25, 32, 54, 181, 245 Wiederkunft s. Parusie Wille Gottes I 206–207, II 221 Windel I 54, 55 Winter II 156 Winzer II 156–167 Witwe 64, 98, 103, 177–178, II 106–107, 171–173 Wohlgefallen I 56
294 Wolke I 239 Wort Gottes I 103, 106, 116, 119, 120, 175, 201, 203–204, 207, 308 (s. auch Evangelium) Wüste I 75, 87–88 Zachäus II 130–134 Zacharias, Vater des Täufers I 25– 27, 28–29, 45 Zacharias, Sohn des Jojada I 318 Zehn Gebote s. Dekalog
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Zehnter/n I 316, II 111 Zeichen I 55, 64, 304–305, 308–309, II 95–96, 100, 239 Zeit I 345–346, II 23 Zeugen I 270, II 276–277 Zinsgroschen s. Steuer Zöllner I 76, 130, 184–185, II 49, 61, 112–113, 132 Zorn I 76, II 59, 184 Zwölf I 140–142, 192, 221–223, 242, II 124, 199, 215
Übersicht der Reihe Die Botschaft des Neuen Testaments Klaiber, Walter: Das Matthäusevangelium, Band 1 und 2, NeukirchenVluyn 2015 Klaiber, Walter: Das Markusevangelium, 3. Aufl. Göttingen 2020 Söding, Thomas: Das Lukasevangelium, Band 1 und 2, Göttingen 2023 Klaiber, Walter: Das Johannesevangelium, Band 1, Neukirchen-Vluyn 2017; Band 2, 2018 Gebauer, Roland: Apostelgeschichte, Band 1, Neukirchen-Vluyn 2014; Band 2, 2015 Klaiber, Walter: Der Römerbrief, 2. Aufl. Neukirchen-Vluyn 2012 Klaiber, Walter: Der erste Korintherbrief, 2. Aufl. Göttingen 2021 Klaiber, Walter: Der zweite Korintherbrief, Neukirchen-Vluyn 2012 Klaiber, Walter: Der Galaterbrief, Neukirchen-Vluyn 2013 Gese, Michael: Der Epheserbrief, 3. Aufl. Göttingen 2020 Schluep, Christoph: Der Philipper- und Philemonbrief, NeukirchenVluyn 2014 Gese, Michael: Der Kolosserbrief, Göttingen 2020 Roose, Hanna: Die Thessalonicherbriefe, Neukirchen-Vluyn 2016 Veit-Engelmann, Michaela: Die Briefe an Timotheus und Titus, Göttingen 2022 Rose, Christian: Der Hebräerbrief, 3. Aufl. Göttingen 2020 Hampel, Volker: Der Jakobusbrief, erscheint voraussichtlich 2024 Rusam, Dietrich: Die Johannesbriefe, Neukirchen-Vluyn 2017 Ostmeyer, Karl-Heinrich: Die Petrusbriefe und der Judasbrief, Göttingen 2021 Klaiber, Walter: Die Offenbarung des Johannes, Göttingen 2019 Klaiber, Walter: Die Botschaft des Neuen Testaments, Göttingen 2021