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German Pages 357 Year 2013
Schriften zum Völkerrecht Band 203
Extraterritoriale Schutzpflichten Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz und die deutsche Außenwirtschaftsförderung
Von
Andreas Papp
Duncker & Humblot · Berlin
ANDREAS PAPP
Extraterritoriale Schutzpflichten
Schriften zum Völkerrecht Band 203
Extraterritoriale Schutzpflichten Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz und die deutsche Außenwirtschaftsförderung
Von
Andreas Papp
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.
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Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-14013-8 (Print) ISBN 978-3-428-54013-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84013-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Eltern
Vorwort Mein Dank gilt zuvörderst dem Erstgutachter, Prof. Dr. Bernhard Kempen. Ich danke ihm dafür, dass er stets motivierend und mit wichtigen Anregungen meine Dissertation begleitet hat. Für die Zweitbegutachtung danke ich Prof. Dr. Burkhard Schöbener. Prof. Dr. Andreas Funke danke ich für seine ständige Diskussionsbereitschaft und für viele wichtige Hinweise, die für diese Arbeit bedeutsam wurden. Für die Korrekturen danke ich Norgand Schwarzlose und Beate Bachmann. Dem Auswärtigen Amt danke ich für die Bezuschussung der Druckkosten. Meinen Eltern gebührt der Dank für ihre ständige Unterstützung jeglicher Art. Berlin, im Mai 2013
Andreas Papp
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick über das System der deutschen Außenwirtschaftsförderung . . a) Akteure und Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Finanzielle Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Funktion, Bedeutung und Struktur der finanziellen Förderinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Finanzielle Fördermittel im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Investitionsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Exportkreditgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Garantien und Bürgschaften für ungebundene Finanzkredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtlicher Rahmen und Förderverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nationalrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Regelungsansätze auf internationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . (1) International Union of Credit and Investment Insurers (Berne Union) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Arrangement on Officially Supported Export Credits . . . . . (3) Instrumente der Export Credit Group der OECD . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Menschenrechtsrelevante Fälle der Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . a) Beispiel: Staudammprojekte – Züblin AG in der Türkei . . . . . . . . . . b) Beispiel: Export von atomaren Anlagen – Siemens/Areva in Brasilien (Angra III) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beispiel: Extraktive Industrie und Pipeline-Bau . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbeispiele für extraterritoriale Schutzpflichten jenseits der Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Notwendigkeit einer Problemlösung: Bestand eines Schutzvakuums . . . a) Keine Schutzmaßnahmen des Gaststaates wegen Unwilligkeit oder Unfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine völkerrechtlichen Menschenrechtspflichten der Unternehmen
23 23 23 24 26 27 27 28 28 29 30 31 31 31 32 32 33 33 34 34 35 35 37 38 39 41 41 43
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Inhaltsverzeichnis c) Lösungsweg: Extraterritoriale Schutzmaßnahmen des Heimatstaates II. Orientierung und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematisierung und Zuordnung des Untersuchungsgegenstandes . . . . a) Kategorisierung der Menschenrechtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Strukturelle Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Qualitative Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Räumliche Kategorisierung der Menschenrechtspflichten . . . . . . . . . 2. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des extraterritorialen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . a) Extraterritorialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltungs- und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 47 47 47 47 49 50 51 52 52 53 53 54 56 56
B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestand eines allgemeinen Schutzprinzips? . . . . . . . . . . . . . (2) Herleitung der Schutzpflichten aus der Gewährleistungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die „Kolonialklausel“ des Art. 56 Abs. 1 EMRK und ihre Bedeutung für den räumlichen Anwendungsbereich der Konventionspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Jurisdiktionsklausel des Art. 1 EMRK – Extraterritoriale, aber intrajurisdiktionelle Schutzpflichten . . . . . . . . . . (a) Ansätze zur Bestimmung der Jurisdiktion . . . . . . . . . . . (aa) Jurisdiktion als Verweis auf die Jurisdiktionsdogmatik des allgemeinen Völkerrechts . . . . . . . . . . . (a) Der Bankovic-Ansatz des EGMR . . . . . . . . . . (b) Die Kritik des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . (g) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Jurisdiktion als Verweis auf die Regeln der Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Jurisdiktion als faktische Kontrolle . . . . . . . . . . . . (b) Anwendungsfälle für Schutzpflichten nach dem faktischen Kontrollbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57 57 58 58 58 59 60 61
61 63 64 64 64 65 67 69 70 72
Inhaltsverzeichnis
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(aa) Effektive und allgemeine Kontrolle über extraterritoriale Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (bb) Effektive Kontrolle über extraterritoriale Personen 73 (cc) Effektive Kontrolle über extraterritorial belegene Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (dd) Erweiterung der extraterritorialen Kontrolltatbestände? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (a) Vermittelte Kontrolle durch einen „direct and immediate link“ zum Verletzungserfolg? . . . . 75 (b) Partielle Kontrolle bei staatlichen Maßnahmen mit extraterritorialer Wirkung? . . . . . . . . 77 (ee) Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . 77 (c) Abstufung des extraterritorialen Anwendungsbereichs? 78 (aa) Formelle Pflichtenstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (bb) Materielle Pflichtenstufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (d) Der „espace juridique“ als äußere Grenze des räumlichen Anwendungsbereichs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (3) Schutzpflichten außerhalb der Jurisdiktion? – Extrajurisdiktionelle Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (a) Andeutungen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (b) Extrajurisdiktionelle Bereichsausnahmen für besondere Rechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (aa) Die Rechtsprechung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (bb) Qualifizierbarkeit als extrajurisdiktionelle Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (a) Schutzpflichten, nicht Achtungspflichten . . . . 87 (b) Extra-, nicht Intrajurisdiktionalität . . . . . . . . . 91 (cc) Bewertung und Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . 93 (a) Kritik an der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 93 (b) Bedenken gegen die Methodik der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (g) Extrajurisdiktionell zu schützende Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) 99 aa) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Die Jurisdiktionsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
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Inhaltsverzeichnis (a) Konjunktive versus disjunktive Leseweise des Art. 2 Abs. 1 IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Jurisdiktion im Sinne des Art. 2 Abs. 1 IPbpR . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extrajurisdiktioneller Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Individuelle Schutzpflichten („individually“) . . . . . . . . . . . . (a) Verpflichtungsgrad („progressively“, „to the maximum of its available resources“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Pflicht zum Schutz („to take steps“) . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kollektive Schutzpflichten („through international assistance and co-operation“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bedeutung der Abwesenheit einer Jurisdiktionsklausel . . . . (a) Auffassung des CESCR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eine räumliche Schrankendogmatik für den IPwskR? . . . . (a) Jurisdiktionelle Beschränkungen nach CESCR und IGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Extraterritorialität der Kooperationsschutzpflichten . . . . . . (4) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Charta der Vereinten Nationen (VNC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Menschenrechtspflichten der VNC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verpflichtungsgrad der VNC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Präambel und Art. 1 Nr. 3 VNC . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Art. 55 lit. c, 56 VNC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Pflicht zum Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bestand der Menschenrechte in Art. 55 lit. c VNC . . . . . . . (3) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begründung eines extraterritorialen Anwendungsbereichs . . (2) Vertragsimmanente Ausschlussgründe? . . . . . . . . . . . . . . . . .
101 105 106 107 109 109 110 110 110 112 113 115 115 115 116 117 118 119 120 121 122 124 124 124 125 125 125 126 126 127 129 129 131 131 131 132
Inhaltsverzeichnis cc) Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Extraterritoriale Schutzpflichten der übrigen Menschenrechtsverträge (im Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Anti-FoK) . . . (1) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Übereinkommen über die Rechte des Kindes (KRK) . . . . . . . . . (1) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (VöMK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (ÜRMB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Europäische Sozialcharta (ESC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorüberlegungen zum Verhältnis der Menschenrechte zum Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Völkergewohnheitsrechtliche Schutzpflichten im extraterritorialen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beispiele für extraterritoriale Schutzpflichten in der Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beispiel: Aufenthaltsbeendende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . (2) Beispiel: Humanitäre Hilfeleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beispiel: Aburteilung extraterritorialer Menschenrechtsbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Beispiel: Kriegswaffenkontrollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 133 134 134 134 135 137 137 138 138 139 139 141 141 142 142 142 143 144 144 145 146 146 146 147 148 148 150 151 151 152 154 156
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Inhaltsverzeichnis (5) Beispiel: Atomexportkontrollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Extraterritoriale Schutzpflichten im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Common Approaches der OECD als international-kooperativer Minimalkonsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Berücksichtigung der Menschenrechte bei der deutschen Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ansätze zur Berücksichtigung der Menschenrechtslage des Gaststaats im Förderverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Förderungsvergabe für Vorhaben deutscher Unternehmen in Südafrika (ab 1977) . . . . . . . . . . . . . (bb) Die Antragsrücknahme für die Förderung des Maheshwar-Staudammprojekts (2000) . . . . . . . . . . (cc) Abbruch der Förderung für das Ilisu-Staudammprojekt (2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die verfahrensmäßige Berücksichtigung menschenrechtlicher Aspekte und die Integration der Common Approaches der OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Berücksichtigung der Menschenrechte bei der Außenwirtschaftsförderung anderer Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Integration der Common Approaches in das Förderungsverfahren der OECD-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Integration sonstiger Menschenrechtsaspekte in das Förderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen (bb) Vereinzelte Ausdehnung des Prüfverfahrens auf weitere menschenrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . (cc) Der Ansatz der kanadischen EDC . . . . . . . . . . . . . (4) Bewertung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Extraterritorialer Schutz aus völkergewohnheitsrechtlichen Prinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Menschenrechtliches Universalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . (2) Nichtdiskriminierungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Übertragbarkeit des (umweltrechtlichen) Prinzips der guten Nachbarschaft auf menschenrechtliche Sachverhalte mit extraterritorialer Tangente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonstige Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege ferenda – insbesondere Regulierungsbestrebungen wirtschaftlichen Handelns privater Akteure . . . . . . . . . . 1. Entwicklungen auf VN-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159 160 161 163 163 163 164 165
167 168 169 169 172 172 173 173 174 175 175 177
178 179 180 181 182 182
Inhaltsverzeichnis
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2. Entwicklungen im Rahmen der OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Bewertung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 III. Ergebnisse zu B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 C. Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorüberlegungen zur Konzeption der extraterritorialen Schutzpflichten . . . II. Voraussetzungen extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Räumlicher, sachlicher und personeller Anwendungsbereich . . . . . . b) „Extraterritoriale Schutzgüter“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Extraterritoriale Gefahrenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mögliche Gefahrenquellen im extraterritorialen Kontext . . . . . . . . . aa) Personelle und nicht-personelle Gefahrenquellen . . . . . . . . . . . . bb) Gaststaat als Gefahrenurheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hinreichende Gefahrenkonkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmung des Gefahrenniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besonderheiten aufgrund der Extraterritorialität . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Voraussetzung für extraterritoriale Schutzpflichten . . . . . . . . a) Notwendigkeit einer besonderen Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Andeutungen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Kriterium einer unmittelbaren Kausalverknüpfung . . . . . . . bb) Das Kriterium der Ermöglichung einer menschenrechtsbedrohenden Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Kriterium der Kenntnis von extraterritorialem menschenrechtswidrigem Verhalten eigener Staatsangehöriger . . . . . . . . . c) Eigener Ansatz: Eine Garantenstellungslösung für extraterritoriale Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Methodik und Ansätze für Garantenstellungen im Völkerrecht cc) Die Rechtsfigur der Garantenstellung für extraterritoriale Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kraft direkten extraterritorialen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . (a) Begründung und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Praktische Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kraft Beherrschung einer Gefahrenquelle . . . . . . . . . . . . . . . (a) Begründung und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Praktische Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187 187 189 190 190 190 191 191 191 193 194 194 197 197 198 198 199 199 201 201 203 203 204 206 206 206 207 208 208 208 209 212
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Inhaltsverzeichnis (3) Kraft nach außen gerichteten gefahrerhöhenden Vorverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Begründung und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Ansätze in der Rechtsprechung des EGMR . . . . . (cc) Ansätze im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Praktische Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Genehmigte Grenzüberschreitung . . . . . . . . . . . . . . (bb) Geförderte Grenzüberschreitung . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Erzwungene Grenzüberschreitung . . . . . . . . . . . . . (dd) Extraterritoriale Ingerenz ohne Grenzüberschreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Konkretisierung des Handlungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konkret geforderte Schutzhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Staatlicher Ermessensspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Grundsatz der Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang des extraterritorialen Handlungsspielraums zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abgrenzung der völkerrechtlichen Jurisdiktionsbegriffe . . . . . . bb) Die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten und extraterritoriale Jurisdiktionsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reichweite der jurisdiction to prescribe zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz: permissiver, nicht prohibitiver Ansatz . . . . . . . . . . . . bb) Verbot des Handelns ohne Anknüpfungspunkt – denkbare Anknüpfungspunkte für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Territorialitätsprinzip – Abgrenzung der intra- zur extraterritorialen Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Personelle Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Universalitätsprinzip und dessen Erweiterbarkeit . . . . . (4) Sonstige Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212 212 212 214 215 216 216 216 218 219 220 222 223 224 224 224 224 226 227 228 229 229 230 230 231 233 234 236
238 239 239 242 244
Inhaltsverzeichnis (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auflösung von Präskriptionskollisionen bei konkurrierenden Anknüpfungspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorüberlegung zur Notwendigkeit einer Konfliktlösung . . . (2) Gaststaat ist nicht an Schutzpflichten gebunden . . . . . . . . . . (a) Ansätze zur Hierarchisierung der Anknüpfungspunkte (b) Ansätze zur einseitigen Beschränkung der extraterritorialen präskriptiven Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Verhältnismäßigkeits-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Rechtsmissbrauchs-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Zurückhaltungsgebots-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Vorrang der diplomatischen Lösung . . . . . . . . . . . . (ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Erfordernis eines überwiegenden Interesses des extraterritorial agierenden Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ansätze zur Begründung einer Interessenabwägungs-Lösung und die Kritik im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Anhaltspunkte in der Staatenpraxis und der Völkerrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (g) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Abwägungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Die Interessenabwägung bei der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gaststaat ist an Schutzpflichten gebunden . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gaststaat erfüllt Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Handlungsspielraum des Heimatstaates bei Unwillen oder Unvermögen des Gaststaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Gegenmaßnahmen-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Estoppel-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Interessenabwägungs-Lösung mit pauschal überwiegendem Interesse zugunsten der extraterritorialen Jurisdiktion des Heimatstaates . . . . . . . . . . . (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis zu cc) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reichweite der jurisdiction to enforce zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsatz: Prohibitiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erlaubnis des anderen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 246 246 247 248 249 252 252 253 254 255 255 256 256
256 258 259 260 263 266 266 266 267 268 270
271 272 272 273 273 274 274
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Inhaltsverzeichnis (2) Extraterritorialer Schutz bei völkerrechtswidriger Anwesenheit auf fremdem Territorium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonderfall: Intraterritoriale exekutive Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Reichweite sonstigen Handelns zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Gewaltverbot als äußere Handlungsschranke . . . . . . . . . . . . (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausnahmen zum Gewaltverbot, insbesondere die humanitäre Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Militärische Intervention auf Einladung . . . . . . . . . . . . . (b) Militärische Intervention bei Wegfall effektiver Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Militärische Intervention bei massiven extraterritorialen Menschenrechtsverletzungen – Recht auf humanitäre Intervention? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Interventionsverbot und seine Überschreitungsmöglichkeiten für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten . . . . . (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausnahmen zum Interventionsverbot, insbesondere der Gehalt der domain réservé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassende Ergebnisse zu C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Anforderungen des extraterritorialen Menschenrechtsschutzsystems an die Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die extraterritorialen Schutzpflichten als Beurteilungsrahmen für die Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Abgrenzung zur Achtungsdimension der Menschenrechtspflichten a) Die Qualifikation der Förderungshandlung als eigener Eingriff . . . b) Die Zurechnung geförderten unternehmerischen Verhaltens zum Heimatstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zurechnung gemäß Art. 4, 5 und 11 ILC-Entwurf . . . . . . . . . . . bb) Zurechnung gemäß Art. 8 ILC-Entwurf – Förderungshandlung als Kontrolle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansätze für eine aufgeteilte Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Verhalten des Gaststaates . . bb) Mittäterschaftliche Beziehung zwischen Heimatstaat und privatem Akteur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276 277 278 279 280 280 280 280 281
282 285 285 285 287 288 289 289 291 291 292 292 293 293 294 297 298 299 300
Inhaltsverzeichnis
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2. Eröffnung des Anwendungsbereichs und extraterritoriale Gefahrenlage 3. Garantenstellung und Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht-finanzielle Fördermittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Finanziell absichernde Fördermittel und Kredite für konkrete Vorhaben privater Akteure (Außenwirtschaftsförderung im engeren Sinne) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten für die Außenwirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflichten im Vorfeld des geförderten Vorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Human Rights Impact Assessment für die geförderten Vorhaben . . . c) Die Pflicht zur Auferlegung eines menschenrechtskonformen Handlungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einrichtung eines Beschwerdemechanismus für potenziell Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten bei Durchführung des geförderten Vorhabens . . . . . . . . . . . . . . a) Kontroll- und Beobachtungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Förderungsabbruch als spezielle Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine physische Schutzgewährung bei extraterritorialen Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kurative Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Untersuchungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sanktionierung extraterritorialen menschenrechtswidrigen Verhaltens privater Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflicht zur Bereitstellung von Mitteln zur Schadenskompensation . . 4. Internationale Kooperationsschutz-Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301 302 302
303 304 304 306 306 308 310 313 314 314 316 317 318 319 320 322 324 326
E. Zusammenfassende Ergebnisse und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
Einleitung Seit über zwei Jahrzehnten wird von Politikern, Nicht-Regierungsorganisationen und privaten Verbänden mit zunehmender Vehemenz gefordert, dass die deutsche Bundesregierung bei der Vergabe von finanziellen Fördermitteln für private auswärtige Wirtschaftsvorhaben, kurz: bei der Außenwirtschaftsförderung, auch die Menschenrechte berücksichtigt. Die dieser Forderung zugrunde gelegte praktische Problematik tritt besonders dann zutage, wenn ein Staat die Auslandsvorhaben von Unternehmen fördert und diese im Gaststaat Menschenrechte beeinträchtigen oder sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligen. Die Situation verschärft sich, wenn der Gaststaat entweder nicht in der Lage ist, Schutz zu üben, oder selbst (Mit-)Urheber des menschenrechtswidrigen Zustandes ist. Da die Außenwirtschaftsförderung gerade auch vor besonderen wirtschaftlichen und politischen Risiken in schwierigen Märkten schützen soll, sind Haupteinsatzländer meist Entwicklungs- oder Schwellenstaaten, deren Menschenrechtsbilanz häufig negativer ausfällt als die der Industriestaaten. Führt man sich in diesem Zusammenhang die stetig zunehmende Wirtschaftsglobalisierung einschließlich der Mobilitätserleichterungen und der Einrichtung von Freihandelszonen, die Bedeutung und Machtstellung transnational agierender Unternehmen und deren Einfluss auf sämtliche Lebensumstände kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Art vor Augen, so ist für solche Fälle eine menschenrechtliche Lösung umso dringlicher. Die stark exportorienterte deutsche Wirtschaft mit ihrer im März 2010 vorgestellten „Außenwirtschaftsoffensive“, deren Gegenstand vor allem der Abbau von Bürokratie und die Vereinfachung des Vergabeprozesses bei der Außenhandelsförderung ist, spitzt die Brisanz dieser Problematik zu, denn gerade die Berücksichtigung der Menschenrechte benötigt ein klares und detailliertes Verfahren. Im Fokus einer menschenrechtlich-völkerrechtlichen Beurteilung dieses Problemkreises stehen drei mögliche Verpflichtungsadressaten: der Gaststaat, der Heimatstaat und das Unternehmen. Während um die völkerrechtliche Bindung privater Akteure, insbesondere eben der transnational agierenden Unternehmen, bereits eine hitzige Debatte in der Völkerrechtswissenschaft entbrannt ist, steht im Zentrum nach wie vor der Staat als Verfasser des Völkerrechts und Adressat der völkerrechtlichen Verpflichtungen. Ist der Gaststaat unwillig und unfähig, so stellt sich der Fokus auf der Suche nach effektivem Schutz auf den Heimatstaat scharf. Für den Fall der Außenwirtschaftsförderung kommt eine effektive Schutzmöglichkeit in Betracht: die Rücknahme der Förderung durch den Heimatstaat, sobald sich die Menschenrechtswidrigkeit eines unternehmerischen Vorhabens
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abzeichnet. Eine einzelne intraterritorial vorgenommene Handlung könnte mithin bereits den Schutz extraterritorialer Menschenrechte bewirken, denn finanzielle Fördermittel sind meist entscheidungserheblich für den unternehmerischen Entschluss zu einem Exportvorhaben. An diesem Lösungsweg hängen aber einige ungeklärte rechtliche Probleme. Damit die Außenwirtschaftsförderung völkerrechtlich überhaupt menschenrechtskonform ausgestaltet werden kann, ist es erforderlich, dass der fördernde Staat auch eine Pflicht hat, Menschen auf fremdem Territorium vor Übergriffen privater Akteure zu schützen, mit anderen Worten: Aus dem Menschenrechtsvölkerrecht müssten sich extraterritoriale Schutzpflichten ergeben. Die Existenz solcher extraterritorialer Schutzpflichten genügt aber noch nicht, denn der extraterritoriale Handlungsrahmen der Staaten ist nicht unbeschränkt; vor allem dann nicht, wenn entsprechende Schutzmaßnahmen von dem Gaststaat gar unerwünscht sind. Die Folgefrage der Schutzpflicht, wie weit nämlich ein Staat auch Schutz üben darf, ist ebenfalls weitgehend ungeklärt. Zugegeben, das Menschenrechtsvölkerrecht orientiert sich zumindest in der Grundvorstellung an innerstaatlichen Sachverhalten. Als Reaktion auf sich nach und nach auftuende Schutzlücken folgte der Menschenrechtsschutz aber stets den faktischen Gegebenheiten und entwickelte sich dynamisch-evolutiv anhand zahlreicher praktischer Herausforderungen weiter. Die mittlerweile mehr als 60 Jahre bestehende Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) als „living instrument“ ist dabei besonders exemplarisch. Die EMRK reagierte nicht nur auf sich verändernde Werteverständnisse, sondern versuchte stets, auch den praktischen Umständen zu folgen. Auf Achtungspflichten folgte rasch die Anerkennung von Schutz- und Leistungspflichten und auf intraterritoriale folgten – zumindest in Ansätzen – extraterritoriale Anwendungsbereiche, letztere bislang aber nur für Achtungspflichten – so etwa im Zusammenhang mit militärischen Einsätzen. Die Entwicklung extraterritorialer Schutzpflichten steckt dagegen noch in den Kinderschuhen. Die Völkerrechtswissenschaft schenkte ihnen bislang wenig Beachtung, und kommen sie zur Sprache, so überschlagen sich voreilige Pauschalaussagen zu der Universalität der Menschenrechte einerseits und dem Vorwurf des Werte-Imperialismus andererseits. Solchen vagen gegenseitigen Vorwürfen aus dem Weg gehend, soll im Folgenden der Problemkreis der extraterritorialen Schutzpflichten einer völkerrechtlichen Untersuchung unterzogen werden, wobei die Existenz, die Voraussetzungen, Rechtsfolgen, Grenzen und die Erfüllbarkeit dieser Schutzpflichten die zentralen Untersuchungsschwerpunkte bilden. Das besonders anschauliche Anwendungsbeispiel der Außenwirtschaftsförderung wird der Bearbeitung zugrunde gelegt.
A. Einführung Bevor auf den konkreten Untersuchungsgegenstand eingegangen wird, soll eine allgemeine Einführung in die bereits in der Einleitung angesprochene Problematik gegeben werden (unter I.). Sodann soll der damit herausgearbeitete Untersuchungsgegenstand dogmatisch in das völkerrechtliche Menschenrechtsschutzsystem eingeordnet und sachlich sowie räumlich eingegrenzt werden (unter II.). Für jede Bearbeitung ist es ferner erforderlich, eine einheitliche Begriffsbestimmung zugrunde zu legen (unter III.) und den Gang der Untersuchung vorzeichnend im Überblick zu erläutern (unter IV.).
I. Einführung in die Problematik Der vorliegenden Arbeit liegt ein praktischer Problemkreis zugrunde, dessen Erläuterung zur allgemeinen Verständlichkeit unabdingbar ist. Anwendungsbeispiel und zentraler Aufhänger dieser Arbeit bildet die deutsche Außenwirtschaftsförderung, um deren menschenrechtliche Überformung es im Folgenden gehen soll. Ein Überblick über das System der deutschen Außenwirtschaftsförderung, seine Akteure, sein Instrumentarium und sein rechtlicher Rahmen sei daher vorangestellt (unter 1.). Zur Veranschaulichung und als Beleg dafür, dass es ein praktisches Bedürfnis für die Klärung der Frage gibt, ob extraterritoriale Schutzpflichten im Völkerrecht existieren, sollen der Arbeit dann einige Sachverhaltsbeispiele der Außenwirtschaftsförderung (unter 2.) und andere denkbare Anwendungsbeispiele für extraterritoriale Schutzpflichten zugrunde gelegt werden (unter 3.). Schließlich soll mit einem Überblick über etwaige Menschenrechtspflichten der beteiligten Akteure und deren Erfüllung die Schutzlücke dargelegt werden (unter 4.). 1. Überblick über das System der deutschen Außenwirtschaftsförderung Die Außenwirtschaftsförderung ist ein Sammelbegriff von unterschiedlichen Instrumenten, die auf mannigfache Weise der Absicherung bzw. Ermöglichung von unternehmerischen Auslandsvorhaben dienen.1 Sie wird von praktisch allen Industriestaaten in unterschiedlichem Ausmaß betrieben und hat den allgemeinen 1 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 81; Tuchtfeldt, JfS 35 (1984), S. 198 ff.
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Zweck, die volkswirtschaftliche Wohlfahrt2 und hier im Besonderen die Beschäftigungs- und Wachstumspolitik zu steigern.3 Im weiteren Sinne gab es die Außenwirtschaftsförderung bereits im 19. Jahrhundert,4 seit 1949 gibt es die staatliche Exportfinanzierung in der heutigen Form. Seit den 1970er Jahren wurde das stark wachsende Fördersystem der Bundesrepublik Deutschland (BRD) immer verzweigter und ausgeprägter. Zunehmend entstand ein unkoordiniertes Nebeneinander an Förderungsmaßnahmen auf Europa-, Bundes-, Landes- und sogar Kommunalebene.5 Der Umfang der deutschen Außenwirtschaftsförderung ist aufgrund der Förderungsvielfalt auf den unterschiedlichen Ebenen schwerlich summierbar. Einen Anhaltspunkt liefert § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Haushaltsgesetzes von 2013, in dem zunächst eine Gewährleistungsermächtigung von 449 Mrd. Euro für das Bundesministerium der Finanzen vorgesehen ist, wovon 145 Mrd. Euro im Zusammenhang mit förderungswürdigen oder im besonderen staatlichen Interesse der BRD liegenden Ausfuhren verwendet werden durften. Dieser Ermächtigungsrahmen betrifft nur die Bundesebene, stellt aber auch den Schwerpunkt der Außenwirtschaftsförderung dar. a) Akteure und Instrumentarium Es gibt eine Vielzahl staatlicher oder dem Staat zurechenbarer Akteure der Außenwirtschaftsförderung. Zu den wichtigsten auf Bundesebene gehören das Auswärtige Amt mit seinen Wirtschaftsabteilungen bei den diplomatischen und konsularischen Vertretungen, die German Trade & Invest GmbH (GTAI; entstanden aus der Bundesagentur für Außenwirtschaft (BfAi) und Invest in Germany GmbH) und die Außenhandelskammern.6 Daneben beteiligen sich folgende Akteure an der Außenwirtschaftsförderung: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bundesministerium für Bildung und Forschung 2 Daneben gibt es weitere Zwecke, etwa Versorgungssicherheit, Abbau der internationalen Handelshemmnisse, Aufbau wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, Stärkung der Exportposition. Vgl. dazu Ausführungen bei: Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe und Menschenrechtspolitik, S. 37. 3 Schultes, Deutsche Außenwirtschaftsförderung, in: Jäger/Höse/Oppermann, Deutsche Außenpolitik, S. 333; eigene Angaben der Bundesregierung: BT-Drucksache 16/ 1366 v. 3. Mai 2006, S. 2. 4 Schultes, Deutsche Außenwirtschaftsförderung, in: Jäger/Höse/Oppermann, Deutsche Außenpolitik, S. 334. Das Kaiserliche Konsularwesen beschäftigte sich insbesondere mit auswärtigen Handelsverhältnissen und Handelsverträgen. 5 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 2. Ein Überblick über die Außenwirtschaftsförderung der Bundesländer ist bei: Ehrenfeld, Außenwirtschaftsfördernde Infrastruktur der Länder der BRD, zu finden. 6 Rauser, Außenwirtschaftsförderung der BRD, S. 24 ff., bezeichnet sie als die drei Säulen der Außenwirtschaftsförderung.
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(BMBF), Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), Ausstellungsund Messeausschuss der deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA), Handwerksorganisationen, Bundesverband der Deutschen Industrie, PricewaterhouseCoopers AG (PwC AG), Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Industrie- und Handelskammern (IHK), Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA), Euler Hermes Deutschland AG. Auf Landesebene füllen die dortigen Akteure oftmals die Bundesprogramme, vor allem die Messeförderung, aus.7 Zu Recht wird daher von einem Förderpluralismus8 oder auch „Dschungel der Außenwirtschaftsförderung“ 9 gesprochen. Dass die Tätigkeiten der Exportkreditagenturen allgemein dem Staate zurechenbar sind, das heißt: als staatliches Verhalten anzusehen sind, ist weitgehend unumstritten,10 wenngleich dies stets im Einzelfall festzustellen ist. Handeln private Akteure, wie etwa für die BRD die PwC AG oder Euler Hermes Deutschland AG, als Beliehene, so ist das Verhalten dieser Akteure völkerrechtlich nach Art. 5 ILC-Entwurf11 als staatliche Handlung anzusehen. Liegt keine Beleihung vor, so ist im Einzelfall konkret abzugrenzen, welches Verhalten dem Staate unter Zugrundelegung der Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit zurechenbar ist. Unabhängig davon werden in der BRD – das wird an gegebener Stelle noch anzusprechen sein – die wesentlichen Entscheidungen über die Vergabe der besonders bedeutsamen Fördermittel in einem interministeriellen Ausschuss (IMA) der Bundesregierung, sprich: von einem staatlichen Akteur, getroffen, so dass es dort nicht auf die Frage der Zurechnung ankommt. Das Spektrum der Förderungsinstrumente ist entsprechend der Vielzahl der Akteure breit gefächert und sehr unübersichtlich. Angesichts dieser Unüberschaubarkeit schwankt die geschätzte Zahl der unterschiedlichen Programme zwischen 80 und 140.12 Ein Überblick lässt sich dennoch schaffen, wenn man zwischen der Außenwirtschaftsförderung im Allgemeinen und der besonders bedeutsamen, in der Öffentlichkeit als „Hermes-Bürgschaften“ wahrgenommenen, also der finanziellen Förderung, unterscheidet.
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Rauser, Außenwirtschaftsförderung der BRD, S. 26. Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 94. 9 Glania, Außenwirtschaftsförderung, S. 6. 10 Keenan, Export Credit Agencies, S. 7; McCorquodale/Simons, MLR 70 (2007), S. 598 (607 f.). 11 Die Entwurfsartikel zur Staatenverantwortlichkeit (UN Doc. A/56/10), erstellt von der International Law Commission (ILC-Entwurf). 12 Vgl. Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 95. 8
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aa) Allgemeine Außenwirtschaftsförderung Die Außenwirtschaftsförderung im weiteren Sinne, das heißt: alles, was die Außenwirtschaft fördert, umfasst eine Vielzahl von unterschiedlichen Instrumenten und Handlungsformen. Für die Außenvertretungen des Auswärtigen Amtes wurde 1993 eine Richtlinie über die Förderung der außenwirtschaftlichen Interessen deutscher Unternehmen durch Auslandsvertretungen dahingehend neu formuliert, dass die Förderung der deutschen Wirtschaftsinteressen im Ausland nun ein zentrales Anliegen des Auswärtigen Dienstes ist. Förderungsmaßnahmen der Außenvertretungen haben noch keine finanzierende Funktion. Sie beschränken sich in der Regel auf die Verbesserung der Marktzugangsbedingungen, auf beratende Tätigkeiten und bieten Unterstützung bei der Durchsetzung von wirtschaftlichen Vorhaben.13 Dazu gehören auch Delegationsreisen, die etwa neue Märkte erkennen lassen oder Kontakte vermitteln sollen und an denen deutsche Unternehmen selbst teilnehmen können. Daneben werben die Auslandsvertretungen zunehmend auch direkt für deutsche Produkte.14 Die seit dem 1. Januar 2009 bestehende GTAI GmbH bietet Informationen und Beratung über Auslandsmärkte und unterstützt allgemein internationale Geschäftstätigkeiten. Die Angebotsvielfalt reicht von Projekt-, Ausschreibungs-, Rechts- und Zollinformationen bis hin zu Marktanalysen, personalisierten Recherchetätigkeiten und allgemeinen Publikationen. Studien werden zur Verfügung gestellt, die allgemeine Wirtschafts- und Strukturdaten, Konjunkturberichte, Wettbewerbssituationen und Geschäftssitten darlegen. Des Weiteren erfolgt eine umfassende Auslandsmesseförderung, also die Unterstützung bei der Repräsentanz der deutschen Unternehmen im Ausland. Diese Förderungsmaßnahme wird von dem Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) organisiert, welcher vom BMWi gegründet wurde. Fördermittel werden dabei nicht direkt den einzelnen Unternehmen zugeleitet, es werden vielmehr sog. Firmengemeinschaftsstände zur Verfügung gestellt, die dann etwa unter dem Logo „Made in Germany“ zusammengefasst werden.15 Die Ziele sind dabei primär die Präsentation, Informationsbeschaffung über Märkte, Kontaktanbahnung und Erschließung von Distributionskanälen.16 Darüber hinaus können noch etliche sonstige Maßnahmen zur Bandbreite der Außenwirtschaftsförderung gerechnet werden. So werden etwa Deutsche Indus13 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 105. 14 Siehe: BT-Drucksache 15/1040 v. 23. Mai 2003, S. 3. 15 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 108. 16 Schultes, Deutsche Außenwirtschaftsförderung, in: Jäger/Höse/Oppermann, Deutsche Außenpolitik, S. 338 f.
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trie- und Handelszentren (DIHZ) zur Verfügung gestellt, bei denen Unternehmen zu günstigen Konditionen Büroflächen mieten können.17 Es gibt zahlreiche Informations- und Kontaktveranstaltungen diverser Ministerien, ein besonderes Vermarktungshilfeprogramm für ostdeutsche Unternehmen, den Projektstudienfonds Außenwirtschaft, insbesondere für Machbarkeitsstudien etc. Ferner gibt es die Möglichkeit einer politischen Flankierung oder der Lobbyierung durch das BMWi und das Auswärtige Amt.18 Hierbei werden oft Kontaktstellen oder bestimmte Arbeitsstäbe eingesetzt.19 Sämtliche Fördermittel im weiteren Sinne zu erfassen, übersteigt den Rahmen dieser Bearbeitung. Insgesamt wird deutlich, dass ein vielfältiges Instrumentarium zur Förderung der deutschen Außenwirtschaft eingesetzt wird. bb) Finanzielle Außenwirtschaftsförderung Besondere Bedeutung erlangen diejenigen Förderungsinstrumente, die Auslandsvorhaben finanziell absichern bzw. mitfinanzieren. In der deutschen Öffentlichkeit werden diese Mittel als sog. „Hermes-Bürgschaften“ benannt, deren juristisch etwas unpräzise Bezeichnung im Folgenden nach Darstellung der Funktion und Struktur der absichernden Instrumente aufzuschlüsseln ist. (1) Funktion, Bedeutung und Struktur der finanziellen Förderinstrumente Komponenten dieser Kategorie können als Außenwirtschaftsförderung im engeren Sinne bezeichnet werden, denn sie bilden angesichts der häufigen Inanspruchnahme und ihrer fast immer entscheidungserheblichen Funktion20 für auswärtige Vorhaben den Kern der Außenwirtschaftsförderung. Solche Instrumente sind für die Unternehmen gerade deshalb von Bedeutung, weil das Ausfuhr- und auswärtige Investitionsgeschäft mit besonderen, innerstaatlich meist nicht vorhandenen Risiken behaftet ist.21 Zahlungsverspätungen oder Insolvenzen können freilich auch innerstaatlich auftreten, gedeckt werden daneben aber auch politische Risiken, wie etwa Kriege, Revolutionen, Korruption, Embargos und Boykotte, die innerstaatlich nicht mit gleicher Intensität drohen. Ferner ist es nicht gleichermaßen möglich, die Kreditwürdigkeit ausländischer Schuldner im Vor17 Schultes, Deutsche Außenwirtschaftsförderung, in: Jäger/Höse/Oppermann, Deutsche Außenpolitik, S. 340. 18 Überblick bei: Schultes, Deutsche Außenwirtschaftsförderung, in: Jäger/Höse/Oppermann, Deutsche Außenpolitik, S. 340. 19 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 113. 20 So auch: Agaportal, Jahresbericht 2009, Exportkreditgarantien der BRD, S. 12. 21 Zum Ganzen: Altmann, Außenwirtschaft für Unternehmen, S. 293, 320.
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feld zu prüfen. Der Export ist überdies je nach Zielland mit einem gewissen Enteignungs- oder Konfiszierungsrisiko behaftet, das innerstaatlich zu vernachlässigen ist. Die Gesamtschau dieser Risiken verdeutlicht die besondere Relevanz von zuverlässigen Absicherungsmöglichkeiten für die Außenwirtschaft. Kurz, die Vergabe der absichernden Fördermittel entscheidet häufig über den Entschluss der Unternehmen für ein bestimmtes Projektvorhaben. Die Struktur der absichernden Instrumente ist dabei immer die gleiche. Die Bürgschaften und Garantien sollen konkrete Risiken absichern. Realisiert sich das gedeckte Risiko, tritt also ein Entschädigungsfall ein, so kann das geförderte Unternehmen einen Entschädigungsantrag stellen. Der Staat begleicht die ausstehende Forderung bis zu einem festgelegten Prozentsatz und tritt als Zessionar an die Stelle der Unternehmer, deren Forderung er durchzusetzen versucht und deren Interessen er gegenüber dem Schuldner wahrnimmt.22 (2) Finanzielle Fördermittel im Einzelnen Die folgenden finanziellen Fördermittel beschränken sich im Wesentlichen auf drei Hauptformen: die Investitionsgarantien, die Exportkreditgarantien und die Garantien für ungebundene Finanzkredite. Für die letzten beiden Formen kann vorweg eine auf den Schuldner bezogene qualitative Unterscheidung getroffen werden: Von Bürgschaften wird gesprochen, wenn es sich um einen staatlichen Schuldner handelt; Garantien werden dagegen vergeben, wenn Forderungen gegenüber privaten Schuldnern abgesichert werden sollen. (a) Investitionsgarantien Investitionsgarantien sichern Direktinvestitionen, also Vermögensanlagen, von deutschen Unternehmen im Ausland gegen politische Risiken wie etwa Kriege, Enteignungen, Revolutionen, Aufruhr, Moratorien oder Zahlungsverbote ab.23 Aus diesem Grund werden die Investitionsgarantien auch als „Gewährung von politischem Geleitschutz“ bezeichnet.24 Deckungsgegenstände sind etwa Beteiligungen an Unternehmen oder Kapitalausstattungen von Niederlassungen oder Betriebsstätten im Ausland.25 Haupteinsatzländer der Investitionsgarantien sind
22 Es werden auch Begleitinstrumente aktiviert wie etwa die Einschaltung der Auslandsvertretungen, Verbalnoten der Bundesministerien oder bilaterale Regierungsgespräche, vgl. Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 31. 23 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 110. 24 Vgl. Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 31. 25 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 110.
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Entwicklungs- und Schwellenstaaten. 2009 wurden 76 von 115 Garantien für Vorhaben in solchen Staaten vergeben. Hauptsektoren waren: Öl, Gas, Handel und Infrastruktur. Das Fördervolumen betrug 2008 6,6 Mrd. Euro und 2009 3,0 Mrd. Euro.26 Die Entscheidung über die Vergabe einer Investitionsgarantie trifft ein Interministerieller Ausschuss (IMA), der unter dem Vorsitz des BMWi mehrmals jährlich tagt. Die im Falle einer Deckungszusage erforderliche Geschäftsabwicklung, Beratung und Begleitung des Projekts übernimmt das beliehene Mandatarkonsortium bestehend aus der PwC AG und der Euler Hermes Deutschland AG.27 Als besondere, aber fast immer erfüllte Voraussetzung, bedingen die Investitionsgarantien einen entsprechenden Investitionsschutz.28 Die mittlerweile mit einer Vielzahl von Staaten geschlossenen, bilateralen oder multilateralen Investitionsförderungs- und -schutzverträge29 bestehen daher unter anderem zur rechtlichen und risikomäßigen Stütze dieser Garantien.30 Sie schützen das Eigentum der Unternehmen, regeln Entschädigungen im Falle einer Enteignung und klären die Rechtswegegarantie.31 Der Investitionsschutz mindert mithin auch das Risiko der Bundesregierung bei der Vergabe von Investitionsgarantien. (b) Exportkreditgarantien Exportkreditgarantien oder auch – etwas allgemeiner – Ausfuhrgewährleistungen bzw. die sog. Hermes-Bürgschaften bezwecken die Abdeckung der bereits zu (a) genannten politischen, daneben aber auch wirtschaftlichen Risiken des Exports, so etwa die Gefahr der Zahlungsverzögerung oder der Insolvenz des Schuldners. Deckungsgegenstände sind einerseits der „klassische“ Export von Waren und Dienstleistungen, andererseits aber auch die Projektfinanzierung.32
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Dazu: Agaportal, Jahresbericht 2009, Investitionsgarantien der BRD, S. 2. Insgesamt zum Verfahren: PwC, Interministerieller Ausschuss für die Übernahme von Investitionsgarantien der Bundesrepublik Deutschland. 28 Nur in Ausnahmefällen wird eine Investitionsgarantie ohne entsprechenden Investitionsförderungsvertrag gewährt, nämlich dann, wenn sonstiger hinreichender Rechtsschutz gewährleistet ist. Vgl. Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 33. 29 Derzeit gibt es 130 in Kraft getretene und neun unterzeichnete, aber noch nicht in Kraft getretene bilaterale Investitionsförderungsverträge, vgl. BMWi, Übersicht über die bilateralen IFV der BRD. 30 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 109. 31 Hauser, Außenwirtschaftsförderung für kleinere und mittlere Unternehmen, S. 109 f. 32 So die Unterscheidung bei: Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 27. 27
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Über das „Ob“ der Förderung entscheidet auch hier der IMA, die Abwicklung und Betreuung erfolgt über das Mandatarkonsortium der PwC AG und Euler Hermes Deutschland AG33. Deutsche Unternehmen liefern, gestützt von Exportkreditgarantien, häufigen Einbauten und Maschinen, etwa für Industrieanlagen, Pipeline- oder Staudammprojekte. Zielländer sind vor allem Schwellen- und Entwicklungsstaaten, die 2009 einen Anteil von 71,9% des gesamten Deckungsvolumen ausmachten. Das Volumen steigt jährlich. Im Jahre 2008 übernahm die Bundesregierung Exportkreditgarantien in Höhe von 20,7 Mrd. Euro. Im Jahre 2009 betrug das Volumen 22,4 Mrd. Euro.34 Die Exportkreditgarantien können qualitativ weiter in Einzeldeckungen, revolvierende Einzeldeckungen und Ausfuhrpauschalgewährleistungen unterteilt werden. Letztere betreffen etwa Exportgeschäfte mit einer Vielzahl von ausländischen Schuldnern mit kurzfristigen Forderungen. Seit 2003 werden zudem Ausfuhrpauschalgewährleistungen-light (APG-light) vergeben, die sich an kleinere Unternehmen richten und kurzfristig und ohne größeren Aufwand in Anspruch genommen werden können. Die qualitative Untergliederung ist für die vorliegende Bearbeitung aber nicht von Bedeutung, denn strukturelle Unterschiede bestehen nicht: Gefördert wird stets ein Exportvorhaben von deutschen Unternehmen. (c) Garantien und Bürgschaften für ungebundene Finanzkredite Garantien für ungebundene Finanzkredite (UFK-Garantien) dienen der Absicherung von Darlehen, die für ein bestimmtes Vorhaben gewährt werden und die – anders als die vorgenannten Instrumente – nicht im Zusammenhang mit deutschen Lieferungen oder Leistungen stehen und nicht der Ablösung von Verpflichtungen aus in- und ausländischen Liefer- und Leistungsgeschäften dienen (damit also ungebunden sind).35 Das Vorhaben muss entweder besonders förderungswürdig sein oder im besonderen staatlichen Interesse der BRD liegen. Beispielhaft sind hier etwa Vorhaben, die der deutschen Energie- oder Rohstoffversorgung dienen.36 Es werden sowohl wirtschaftliche als auch politische Risiken abgedeckt. Die Vergabe erfolgt auch hier über den IMA, die Vertragsabwicklung über die PwC AG. 33 Von der Euler Hermes Deutschland AG wird auch die umgangssprachliche Bezeichnung der „Hermes-Bürgschaften“ hergeleitet. 34 Agaportal, Jahresbericht 2009, Exportkreditgarantien der BRD, S. 84. 35 So: BT-Drucksache 16/1366 v. 3. Mai 2006, S. 1 f. 36 Dazu: BT-Drucksache 16/1366 v. 3. Mai 2006, S. 2 ff.
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Aufgrund ihres geringeren Umfangs mit nur 1,6 Prozent am Gesamtfördervolumen der Außenwirtschaftsförderung37 ist dieses finanzielle Förderinstrument von nur marginaler Bedeutung. (3) Zusammenfassung Sämtliche vorgenannten Instrumente haben einen gemeinsamen, von der Bundesregierung folgendermaßen formulierten Zweck: „Die Sicherung des Standortes Deutschland durch die Flankierung des Auslandsengagements deutscher Unternehmen.“ 38 Für die folgende Bearbeitung ist zunächst eine konkrete Differenzierung zwischen den finanziellen Fördermitteln insoweit nicht erforderlich, als sie alle ein auswärtiges Vorhaben von Unternehmen im Ausland entscheidungserheblich fördern. Eventuelle strukturelle Unterschiede, die einen Einfluss etwa auf die Erfüllbarkeit von extraterritorialen Schutzpflichten haben können, werden an gegebener Stelle noch zu beleuchten sein. Zunächst kann aber pauschal von finanziellen Fördermitteln gesprochen werden. b) Rechtlicher Rahmen und Förderverfahren Die Außenwirtschaftsförderung ist in der BRD39 nur geringfügig rechtlich geregelt. Für die Außenwirtschaftsförderung im weiteren Sinne gibt es keine Vorschriften, für die finanziellen Fördermittel lassen sich vereinzelte Normen und Empfehlungen auf nationaler und völkerrechtlicher Ebene finden. aa) Nationalrechtliche Regelungen Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG ermächtigt den Bundestag, das Budgetvolumen für Kredite und Gewährleistungen gesetzlich festzusetzen. Im Haushaltsgesetz wird sodann der Förderungsrahmen festgehalten. Interne Verwaltungsvorschriften in Form von Richtlinien konkretisieren den Rahmen und das Vergabeverfahren.40 Ferner sind für jede Form der Förderung allgemeine Bedingungen vorgesehen, die Gegenstand des Vertrages werden. 37
Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 20. BT-Drucksache 16/1366 v. 3. Mai 2006, S. 1. 39 Anders als etwa in der Schweiz – vgl. Bundesgesetz über die Exportrisikogarantie v. 26. September 1958, SR 946.11; Bundesgesetz über die Investitionsrisikogarantie v. 20. März 1970, SR 977.0 (dort mit einer spezifischen Klausel für Entwicklungsländer in jeweils Art. 1 Abs. 2). 40 Vgl. Richtlinien für die Übernahme von Garantien für Direktinvestitionen im Ausland (Investitionsgarantien), 2004. Der Haushaltsausschuss wird vom Finanzministerium durch Verschlusssachen über „Gewährleistungen von grundsätzlicher Bedeutung“, also solche mit einem Obligo von über einer Milliarde Euro, vor Garantieübernahme informiert. Alle weiteren Entscheidungen verbleiben bei dem IMA. 38
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Das einzige gesetzliche Erfordernis für die Vergabe von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen ist die im Haushaltsgesetz geforderte „Förderungswürdigkeit“ von Projekten. Eine normative Konkretisierung der Förderungswürdigkeit ist bislang nicht erfolgt. Dieser Begriff wird allgemein sehr extensiv ausgelegt,41 so dass ein Exportgeschäft auch ohne besondere Umstände als förderungswürdig gilt. Es wird vielmehr eine Vermutungsregel aufgestellt: Solange dem Geschäft keine wichtigen Interessen der Bundesrepublik entgegenstehen, wird von der Förderungswürdigkeit ohne besonderen Nachweis ausgegangen.42 Praktisch wird eine Vielzahl von beantragten Exportgeschäften gefördert, da der Export allgemein herausragende gesamtwirtschaftliche Bedeutung für die BRD hat. Neben der Förderungswürdigkeit bildet die risikomäßige Vertretbarkeit des Vorhabens eine weitere – aber nicht gesetzlich festgehaltene – Anforderung. Diese soll dann bestehen, wenn unter Berücksichtigung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers sowie im Hinblick auf die mit der Kreditgewährung verbundenen politischen Risiken eine berechtigte Aussicht auf eine schadensfreie Rückzahlung des gewährten Kredites besteht.43 Weitere national-rechtliche Regelungen existieren nicht. bb) Regelungsansätze auf internationaler Ebene Auf internationaler Ebene gibt es einige Harmonisierungsbestrebungen für die Außenwirtschaftsförderung. Die Ansätze bezwecken vorrangig, gleiche Bedingungen für die Vergabe der Fördermittel zu schaffen, und haben mithin eher wettbewerbssicherende Funktion. Die drei bedeutendsten Ansätze sollen hier im Überblick vorgestellt werden. (1) International Union of Credit and Investment Insurers (Berne Union) Die Berne Union ist eine bereits 1934 gegründete internationale Organisation nationaler Exportkreditagenturen. Sie bezweckte ursprünglich die Verbesserung der Kooperation zwischen den Agenturen und die Schaffung gleicher Bedingungen für Exportkredit- und Investitionsgarantien. Durch die Verlagerung dieser Kooperationsbereiche hin zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verlor die Berne Union aber an Bedeutung und dient heute eher als eine Art Erfahrungsaustausch41 So die Feststellung von: Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 21. 42 Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 21. 43 Vgl. die Definition in: Agaportal, Übernahme von Bundesgarantien für UFK, S. 3.
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plattform zwischen den Exportkreditagenturen.44 Die Euler Hermes Deutschland AG und die PwC AG sind Mitglied der Berne Union. Die Berne Union hat einige Prinzipien erarbeitet, die eine Harmonisierung der Exportkreditversicherungen bezwecken. Die Bedeutung dieser Prinzipien ist als gering einzuschätzen, denn einerseits werden sie durch die Ansätze der OECD inhaltlich überlagert und andererseits sind sie unverbindlicher Natur. (2) Arrangement on Officially Supported Export Credits Das Arrangement on Officially Supported Export Credits (AOSCE), welches 1978 von einigen OECD-Staaten ausgehandelt wurde, betrifft hauptsächlich den Wettbewerb zwischen den Exportkreditagenturen. Anlass war die ab den 1960er Jahren aufkommende Ausweitung von Exportsubventionen in den Industrieländern. Inhaltlich behandeln die Regelungen überwiegend einheitliche Vorgaben, wie etwa Vertragsbedingungen, für die Vergabe von Subventionen. Diese Vereinbarung ist angesichts ihrer Natur als „Gentleman’s Agreement“ unverbindlich, hat jedoch Bedeutung für Mitglieder der EU, da der Rat der EU die Vorgaben aus dem Arrangement in das Europarecht inkorporiert hat.45 (3) Instrumente der Export Credit Group der OECD Die OECD, die für die Außenwirtschaftsförderung die bedeutsamste Rolle spielt, versucht durch Absprachen und Diskussionsprozesse gleiche Exportbedingungen für die Exporteure und die Vergabe von Exportkreditgarantien der Mitgliedsstaaten zu schaffen. Hintergrund ist hier besonders das Streben nach einer Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen in den Industriestaaten. Als spezieller Ausschuss beschäftigt sich seit 1963 die Export Credit Group (Working Party on Export Credits and Credit Guarantees (ECG)) mit der Außenwirtschaftsförderung. Dieser Ausschuss bemüht sich um die Schaffung gemeinsamer Leitlinien. Dazu gehören einerseits der sog. OECD-Konsensus, bei dem es um einheitliche Zahlungsbedingungen und Kreditlaufzeiten geht, andererseits um die Recommendation on Common Approaches on Environment and Officially Supported Export Credits, kurz: Common Approaches, denen in der Praxis die größte Bedeutung zukommt. Sie sehen einheitliche Umwelt- und Sozialstandards für die Vergabeprozesse vor. Auch das Action Statement on Bribery and Officially Supported Export Credits sowie die Principles and Guidelines to Promote Sustainable Lending Practices in the Provision of Official Export Credits to LowIncome Countries stammen von diesem Ausschuss, sie betreffen aber keine Menschenrechte und sind hier daher nicht weiter relevant. Die Common Approaches 44 45
Rauser, Außenwirtschaftsförderung der BRD, S. 55. Dazu: Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 23.
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empfehlen die Prüfung bestimmter Umwelt- und Sozialfaktoren von Exportgewährleistungen und verweisen auf die Performance Standards der International Finance Corporation (IFC) und die Safeguard Policies der Weltbank. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Abschätzung von Umweltauswirkungen eines Projektes. Vereinzelte soziale Aspekte betreffen vor allem den Schutz vor Zwangsumsiedlungen und den Schutz indigener Völker. Die Common Approaches werden später noch eingehender zu erläutern sein.46 Die Ansätze der OECD spielen deshalb eine besondere Rolle für die Außenwirtschaftsförderung, weil viele Staaten die Standards in ihr Vergabeverfahren inkorporieren und ein Konsens besteht, dass die OECD das aktuelle Hauptgremium für die Förderungskooperation bildet. cc) Zusammenfassung und Bewertung Der rechtliche Rahmen der deutschen Außenwirtschaftsförderung fällt mager aus. Die Ermächtigung ist verfassungsrechtlich geregelt, das Fördervolumen wird einfach-gesetzlich festgelegt und einziges (rechtliches) Einschränkungskriterium ist die Förderungswürdigkeit eines Projektes. Völkerrechtliche Bestrebungen, im Rahmen der internationalen Kooperation die Förderung durch staatliche Exportkreditagenturen zu harmonisieren, sind vorhanden. Ihnen ist aber stets gemein, dass sie unverbindlicher Natur sind. Die konkrete Einbindung menschenrechtsrelevanter Aspekte in das Förderungsverfahren wird später noch zu erläutern sein. c) Zwischenfazit Der Überblick über die deutsche Außenwirtschaftsförderung zeigt, dass es sich dabei nur um einen schlagwortartigen Sammelbegriff handelt, der sämtliche Handlungen umfasst, die der Förderung auswärtiger Wirtschaftsvorhaben dienen. Die Außenwirtschaftsförderung i. e. S. betrifft vor allem Investitionsgarantien und Ausfuhrgewährleistungen. Diese finanziellen Mittel sind für die vorliegende Bearbeitung besonders bedeutsam, denn sie haben einerseits für Vorhaben privater Unternehmen eine entscheidungserhebliche Funktion und erfüllen damit oftmals – ohne dass dieser Umstand an dieser Stelle rechtlich beurteilt werden soll – einen Ermöglichungstatbestand für das Entstehen einer menschenrechtswidrigen extraterritorialen Situation. Andererseits haben sie ein enormes Fördervolumen in zweistelliger Milliardenhöhe. Da die Haupteinsatzländer der Fördermittel aufgrund der dortigen besonderen Marktrisiken mehrheitlich Entwicklungs- und Schwellenstaaten sind, finden die 46
Abschnitte B. I. 2. b) bb) (1) und (2).
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Auslandsvorhaben vermehrt in einem Umfeld statt, das latent menschenrechtliche Risiken birgt. Die Darstellung von Beispielen für staatlich geförderte Projekte, die menschenrechtsabträgliche Auswirkungen hatten, ist das Thema des nun folgenden Kapitels. 2. Menschenrechtsrelevante Fälle der Außenwirtschaftsförderung Die Suche nach präzise ermittelten Sachverhalten für Fälle der Außenwirtschaftsförderung mit menschenrechtswidrigen Auswirkungen gestaltet sich schwierig. Denn weder hat der Staat in diesem Handlungsfeld ein umfassendes Transparenzbewusstsein, noch werden bekannt gewordene Fälle vor Gericht ausgetragen, um Sachverhalte befriedigend aufzuklären. Angewiesen ist man daher allein auf die Berichterstattung von Journalisten, Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) und auf einige Stellungnahmen der Bundesorgane. In der jüngeren Vergangenheit haben sich dennoch einige Beispiele hervorgetan, bei denen möglicherweise noch nicht alle Details abschließend geklärt sind, aber hinreichende Informationen zur Verdeutlichung der Problemstrukturen der Außenwirtschaftsförderung verfügbar sind. Es sollen drei, nicht abschließend aufgeführte, Fallgruppen der Außenwirtschaftsförderung dargestellt werden, die symptomatisch besondere Menschenrechtsrisiken bergen. Die Beispiele betreffen infrastrukturelle Großprojekte, Projekte des Energiesektors und Unternehmungen der extraktiven Industrie. a) Beispiel: Staudammprojekte – Züblin AG in der Türkei Die ersten Sachverhalte betreffen Staudammprojekte, die oftmals aufgrund ihres gigantischen Ausmaß’ einen besonders umfangreichen Einfluss auf die Menschenrechte vor Ort haben. Sie sind seit jeher nicht nur menschenrechtlich, sondern auch wirtschafts- und umweltpolitisch umstritten. Ein Beispiel liefert das aktuell noch nicht fertiggestellte Ilisu-Staudammprojekt.47 Im Südosten der Türkei soll ein Staudamm errichtet werden, der den Tigris kurz vor den Grenzen zu Syrien und zum Irak aufstauen soll. Dieses bereits sehr früh geplante48 Projekt soll primär der Energiewirtschaft, sekundär anderen ökonomischen Zielen dienen, wie etwa der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Unabhängigkeit von ausländischen Energielieferanten und der Tourismusindustrie.
47 Die nachfolgenden Informationen sind der: BT-Drucksache 16/9308 v. 28. Mai 2008, entnommen worden. 48 Bereits in den 1950er Jahren kam das Projekt erstmals zur Sprache.
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Die Kehrseite der Errichtung des Staudammes besteht neben gravierenden – hier nicht bedeutsamen – Umweltbelangen,49 vor allem aus den menschenrechtlichen Implikationen des Projektes. Das Projekt erfordert die Überflutung von etwa 200 Siedlungen. Die Anzahl der betroffenen Menschen beläuft sich laut NGO-Berichterstattung auf 78.00050, während die Projektplanung mit nur 48.000–55.000 Betroffenen rechnet. Mindestens 11.000 Betroffene werden ihr gesamtes Land verlieren. Die Umsiedlung dieser Personen ist nur unzureichend geplant und erfolgt – soweit ersichtlich – größtenteils mit einer Entschädigung weit unter internationalen Standards. Wird Realersatz angeboten, so handelt es sich dabei um wesentlich schlechteres Land. Ein Budget für die Umsiedlung wurde nicht bereitgestellt. Unklar bleibt auch, wohin die Betroffenen gebracht werden und wie sich diese Personen eine neue Lebensgrundlage schaffen sollen. Ihrer alten werden sie meist unmittelbar entzogen und es droht anschließend die Verarmung in suburbanen Gegenden. Daneben gibt es psychosoziale Auswirkungen, die bereits bei der Projektplanung, vor allem durch eine erhöhte Selbstmordrate, zum Ausdruck kamen. Ferner waren prozedurale Rechte betroffen, denn türkische Notstandsgesetze, die Enteignungen bereits vor oder während eines abschließenden gerichtlichen Verfahrens zulassen, wurden aktiviert, ohne dass ein Notstand vorlag.51 An diesem Projekt war unter anderem das deutsche Bauunternehmen, Ed. Züblin AG, maßgeblich beteiligt,52 das einen Antrag auf Förderung seiner Exportleistungen bei der deutschen Bundesregierung in Form einer Exportkreditgarantie stellte. Der interministerielle Ausschuss gewährte im März 2007 die Förderung und sicherte damit wirtschaftliche und politische Ausfallrisiken in Höhe von 93 Mio. Euro ab. Andere Länder, wie etwa Österreich und die Schweiz, förderten ihre Unternehmen für die Beteiligung an dem Projekt entsprechend. Zwar wurden die Fördermittel zwischenzeitlich gerade aufgrund der menschenrechtlichen Auswirkungen zurückgenommen.53 Das Sachverhaltsbeispiel verdeutlicht aber die grundsätzliche menschenrechtliche Problemstruktur der Außenwirtschaftsförderung gerade bei Staudammprojekten. 49 Vgl. dazu: Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (2 ff.). Zu neueren Untersuchungen des Zusammenhanges von Menschenrechten und Umweltschutz siehe: Beyerlin, ZaöRV 65 (2005), S. 525 ff. 50 Insgesamt variieren die (geschätzten) Zahlen der betroffenen Menschen stark. Dazu: Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (3 f.). Mindestens 55.000 nimmt: Amnesty International, Amnesty Report 2010, Deutschland, an. 51 Art. 27 des türkischen Enteignungsgesetzes lässt eine Enteignung zu, bevor der Entschädigungsprozess abgeschlossen ist. Dieser Artikel ist nach türkischem Recht nur zur Landesverteidigung und in Notfällen anwendbar, was beides für den vorliegenden Fall nicht erfüllt war, vgl. ECA Watch, Ilisu hat System, S. 28. 52 Werkbesteller und Bauherr war die Türkei. 53 Die Bedeutung dieses erstmaligen Förderungsabbruchs wird später noch zu erläutern sein, siehe dazu: Abschnitt B. I. 2. b) bb) (2) (a) (cc).
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Es lassen sich zahlreiche weitere Beispiele der staatlich geförderten Beteiligung deutscher Unternehmen an Staudammprojekten finden. In der Vergangenheit sind etwa die Tehri-, Salwakote- und Maheshwar-Staudammprojekte in Indien54 oder etwa der Bau des Drei-Schluchten-Dammes in China55 aufgrund ihrer abträglichen Auswirkungen ins Augenmerk der Menschenrechtsorganisationen gerückt. Bei all diesen Projekten traten mit unterschiedlichem Grad die gleichen menschenrechtlichen Risikostrukturen wie bei dem Ilisu-Staudammprojekt auf. Die Existenz und die Einschlägigkeit extraterritorialer Schutzpflichten im Hinblick auf die bedrohten Menschenrechte könnten es erfordern, dass bei der Vergabe der Fördermittel für solche Projekte die Menschenrechte zu berücksichtigen sind und eine Förderung nur im Falle einer Gewährleistung der Menschenrechtskonformität der Vorhaben erfolgen kann. b) Beispiel: Export von atomaren Anlagen – Siemens/Areva in Brasilien (Angra III) Ein weiteres sehr umstrittenes Beispiel liefert die Förderung des Atomexports. Die Exportförderung von atomaren Anlagen wurde zwar 2001 von der Bundesregierung zunächst eingestellt, nach neuem Regierungszusammentritt dann aber seit Ende 2009 wieder aufgenommen.56 Entsprechend wurde kürzlich ein neuer Antrag von dem deutsch-französischen Unternehmen Siemens/Areva auf Übernahme einer Exportkreditgarantie in Höhe von 2,5 Mrd. Euro gestellt57 und gewährt.58 Diese Garantie soll die Lieferung und Errichtung eines Atomreaktors59 im brasilianischen Angra dos Reis absichern. Die Bundesregierung gab bereits eine Grundsatzzusage zur Förderung des Projekts in Form einer Zusicherung i. S. d. § 38 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), so dass nur eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage die Garantievergabe ausschließen kann. 54 Siehe für Einzelheiten: BT-Drucksache 14/650 v. 22. September 1999; BT-Drucksache 14/9831 v. 29. Juli 2002. Dazu auch: Schuhmacher, NRO als gesellschaftliche Stakeholder, S. 113 ff. 55 Vgl. BT-Drucksache 13/5348 v. 25. Juli 1996; NGO-Berichterstattung, Drillisch, Fact Sheet. Dazu: Schuhmacher, NRO als gesellschaftlicher Stakeholder, S. 103 ff. 56 Ein Fall vor dieser Aussetzungsperiode zeichnete sich 1999 bei der Errichtung eines Atomkraftwerkes in der Türkei ab, siehe dazu: BT-Drucksache 14/2434 v. 27. Dezember 1999. 57 Vgl. zum gesamten Sachverhalt: BT-Drucksache 17/540 v. 27. Januar 2010 und BT-Drucksache 17/2817 v. 27. August 2010. 58 Sallet, Atomkraftwerk Made in Germany. 59 Es bestehen dort bereits zwei andere Reaktoren. Siehe insgesamt zu mehreren kritischen Atomreaktoren in der Gegend die NGO-Berichterstattung: Benze, Götterbote mit strahlender Fracht.
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Bereits 1975 wurde das Vorhaben im Rahmen einer Projektreihe von insgesamt drei Atomkraftwerken geplant. 1984 wurden die Bauarbeiten aufgenommen und wenig später aufgrund ökologischer und finanzieller Probleme vorübergehend gestoppt. 2007 wurde angekündigt, die Errichtung des Atomkraftwerkes weiterzuführen und 2015 zu vollenden. Auch in diesem Fall bestehen neben umweltpolitischen Problemen insbesondere menschenrechtliche Bedenken, hier aber bezogen auf die Sicherheit der atomaren Anlage. Brasilien selbst verfügt über keine hinreichend unabhängige Atomaufsicht. Zudem hat Brasilien das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das eine unangekündigte Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde begründet, nicht ratifiziert.60 Der geplante Standort ist deswegen besonders prekär, weil er in einer erdbebengefährdeten Region Brasiliens liegt. Ferner wurde Technologie verwendet, die nicht dem neuesten Stand der Wissenschaft und Technik entspricht, da der Verkauf bereits 1995 stattgefunden hat und die Bestandteile zu dem Zeitpunkt eingelagert wurden. Ob die neuerdings erforderlichen Sicherheitsstandards zur Flugzeugabsturzsicherheit und zur Erdbebensicherheit gewährleistet sind, ist unklar und wird vielfach angezweifelt.61 Insgesamt ist die Sicherheit des Atomreaktors nicht hinreichend ergründet. Die menschenrechtliche Problematik verschärft sich dadurch, dass die ersten Anrainer nur 12 km von dem Standort entfernt wohnen. Rio de Janeiro liegt überdies nur etwa 100 km entfernt. Die fragwürdige Technologie und die Bedingungen vor Ort könnten abstrakte Gefahren für die Gesundheit, das Leben und die Lebensgrundlage einer Vielzahl von Menschen bergen. Auch hier zeichnet sich die grundsätzliche Problemstellung deutlich ab: Gehen von Auslandsvorhaben Gefahren aus, auch wenn diese zunächst nur abstrakter Natur sind, so stellt sich die Frage, ob die staatliche Förderung eines solchen Vorhabens eine entsprechende Schutzverantwortung nach sich ziehen kann. Existieren extraterritoriale Schutzpflichten und sind sie für den dargelegten Sachverhalt einschlägig, schützen sie insbesondere auch die gefährdeten Menschenrechte, so könnte es erforderlich sein, einerseits den Export und andererseits die Förderung menschenrechtlich zu überformen. c) Beispiel: Extraktive Industrie und Pipeline-Bau Ähnlich wie die Fälle der geförderten Staudammprojekte haben Vorhaben der extraktiven Industrie oftmals gravierende Auswirkungen auf die menschenrechtliche Situation vor Ort. Die Rohstoffabbauförderung ist häufig mit menschenrechtsrelevanten Risiken behaftet, denn sie ist geeignet, einerseits die ökonomische und soziale Grundlage und andererseits Gesundheit, Nahrung und Leben 60 61
Dazu: BT-Drucksache 17/2817 v. 27. August 2010 S. 5. Siehe auch: Kreutzfeldt, „Gefälligkeitsgutachten“ fürs AKW.
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der Anwohner zu gefährden. Nicht selten sind dabei besonders die Rechte indigener Völker vor allem im Hinblick auf deren Lebensraum betroffen. Die extraktive Industrie ist aufgrund ihres geringen Umfangs für den Fall der BRD zwar nicht weiter bedeutsam, aber auch der oftmals nachfolgende Pipeline-Bau, an dem auch deutsche Unternehmen beteiligt sind, birgt häufig menschenrechtliche Gefahren. Der umstrittene Bau der Baku-Tbilisi-Ceyha Oil Pipeline, an dem unter anderem deutsche Unternehmen mit staatlicher Förderung beteiligt waren, kann als Beispiel dienen.62 Laut NGO-Berichterstattung63 war auch dieser mit entschädigungslosen Enteignungen, der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit, kultureller und politischer Unterdrückung und religiöser Diskriminierung verbunden. Eine abschließende Klärung ist noch nicht erfolgt. Ähnliches lässt sich für die Bulyanhulu-Mine in Tansania feststellen.64 Der Abbau von Erz wurde nach entschädigungslosen Enteignungen in großem Maße unter menschenrechtsbedenklichen Sicherheitsvorkehrungen von ausländischen Unternehmen durchgeführt. Deutsche Banken waren dabei im Rahmen eines Konsortiums beteiligt. Ungeklärt blieb dabei insbesondere ein Massaker, das gegen Goldschürfer durchgeführt worden sein soll, die versuchten, ihre durch Enteignung verlorene Abbautätigkeit fortzuführen. Sind diese Sachverhaltsbeispiele im Einzelnen nicht abschließend ermittelbar und kann durchaus auch der Beteiligungsgrad deutscher Unternehmen an den Menschenrechtsbeeinträchtigungen nicht immer eindeutig festgestellt werden, so verdeutlichen die Fälle dennoch charakteristische menschenrechtliche Implikationen im Zusammenhang mit Großprojekten der extraktiven Industrie. Etwaige extraterritoriale Schutzpflichten könnten auch hier den Vergabeprozess der Fördermittel beeinflussen. 3. Anwendungsbeispiele für extraterritoriale Schutzpflichten jenseits der Außenwirtschaftsförderung Neben den hier vorrangig exemplarisierten Fällen der Außenwirtschaftsförderung könnten extraterritoriale Schutzpflichten auch auf andere Sachverhalte angewendet werden.
62 Siehe dazu: BT-Drucksache 15/2107 v. 28. November 2003, Rn. 45 ff. Zum Ganzen: Schuhmacher, NRO als gesellschaftlicher Stakeholder, S. 126 ff. 63 Vgl. den gemeinsamen Bericht von u. a.: Urgewald, PLATFORM und Centre for Civic Initiatives, Baku-Tbilisi-Ceyha Oil Pipeline, Human Rights, Social and Environmental Impacts, Turkey Section, abrufbar unter: http://www.bakuceyhan.org.uk/publi cations/FFM05turkey.pdf (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 64 Zum Ganzen: Lissu, Tanzania, Human Rights Advocacy and the Bulyanhulu Gold Mine.
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Im Kontext transnational agierender Unternehmen wird oftmals die Frage gestellt, wie nicht-gefördertes menschenrechtswidriges extraterritoriales Verhalten zu behandeln ist. Mit der Beantwortung der Frage nach extraterritorialen Schutzpflichten könnte es erforderlich sein, das Verhalten von Unternehmen allgemein und unabhängig von einer Förderungsmaßnahme zu kontrollieren und abzuurteilen. Dies könnte etwa den Export, beispielsweise von zur Tötung bestimmten Waffen65, die Beteiligung an fremdstaatlichen menschenrechtswidrigen Aktivitäten66 oder aber auch die Verletzung etwa von Arbeitnehmerrechten in Niederlassungen67 betreffen. Ferner wird häufig auch das Beispiel der Verurteilung sog. MinderjährigenSex-Touristen im Ausland diskutiert,68 so etwa, wenn deutsche Staatsangehörige in Thailand Minderjährige sexuell missbrauchen. Existierten extraterritoriale Schutzpflichten und bezögen sich diese auch auf die einschlägigen Menschenrechte, so könnte es menschenrechtlich – unabhängig davon, ob ein solches bereits existiert – gefordert sein, etwa ein extraterritorial anwendbares, strafbewehrtes Verbot des Missbrauchs von Minderjährigen einzuführen und durchzusetzen.69 Daneben könnten Pflichten im Zusammenhang mit humanitären Hilfeleistungen, extraterritorialen Gebietsbesetzungen und Ingewahrsamnahmen, genehmigten, geförderten oder erzwungenen Grenzüberschreitungen privater Akteure, grenzüberschreitenden Emissionen, Einreiseverhinderungen bei drohender extraterritorialer Gefahr oder Embargoerlassen entstehen. Insgesamt könnten extraterritoriale Schutzpflichten immer dann Sachverhalte menschenrechtlich überformen, wenn eine menschenrechtswidrige Situation auf fremdem Territorium entsteht und dies in irgendeiner Form auf den in Frage stehenden Staat zurückzuführen ist. Die vorstehende Aufzählung der denkbaren Sachverhaltskonstellationen ist dabei nicht als abschließend zu verstehen, sie soll nur die praktische Bedeutsamkeit etwaiger extraterritorialer Schutzpflichten veranschaulichen.
65 So diskutiert von: Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 30 ff. 66 Ein solches Beispiel liefert der später noch zu diskutierende Fall Lahmeyer, Abschnitt B. I. 2. b) aa) (3). 67 In diesem Zusammenhang steht auch der häufig auftauchende Fall, dass Unternehmen die Arbeitnehmer daran hindern, in Gewerkschaften einzutreten, vgl. dazu: Joseph, NILR 46 (1999), S. 171 (176). 68 Künnemann, Staatenpflichten, S. 8. 69 Auch wenn innerstaatliche Vorkehrungen in dieser Hinsicht schon bestehen, kann dennoch mit Recht gefragt werden, ob solche Verbote auch menschenrechtlich gefordert sind.
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4. Notwendigkeit einer Problemlösung: Bestand eines Schutzvakuums Die obigen Beispiele verdeutlichen, dass gerade der Fall der Außenwirtschaftsförderung eine besondere Problemstruktur aufweist, denn der Heimatstaat ist durch seine Förderung in die Aktivitäten des privaten Akteurs – vorsichtig ausgedrückt – „verwickelt“. Führt dies zu einer menschenrechtswidrigen Situation, so fördert er, oftmals mit großem Einfluss auf die unternehmerische Entscheidung, einen Zustand, der denjenigen Werten widerspricht, denen er sich verschrieben hatte, als er die Menschenrechtsverträge ratifizierte – wenngleich die Werteverschreibung zunächst nur mit einem innerstaatlichen Blick behaftet war. Ist dieser Widerspruch möglicherweise ein Ansatzpunkt für menschenrechtliche Pflichten des Heimatstaates, kommen zunächst aber noch andere Verpflichtungsadressaten in Betracht, von denen man angesichts der physischen Nähe zuallererst eine Unterbindung des menschenrechtswidrigen Zustandes erwarten könnte. Praktische und rechtliche Probleme im Hinblick auf diese Adressaten müssen zur Einführung in die Problemstellung dieser Arbeit vorab erläutert werden. a) Keine Schutzmaßnahmen des Gaststaates wegen Unwilligkeit oder Unfähigkeit Der Gaststaat ist, sofern er an einschlägige Menschenrechtsverpflichtungen gebunden ist, zunächst eigens zur Abwendung menschenrechtswidriger Situationen auf seinem Territorium verpflichtet. So viel muss an dieser Stelle vorweggenommen werden: Fast alle Menschenrechtspflichten weisen eine Schutzdimension auf, die damit auch den Gaststaat verpflichtet, sich schützend vor Individuen zu stellen oder eine Gefahrenquelle zu überwachen. Er muss grundsätzlich auch dann eingreifen, wenn ausländische Unternehmen auf seinem Territorium Menschenrechte zu beeinträchtigen drohen. Problematisch gestaltet sich der Sachverhalt dann, wenn ein Abkommen zwischen Heimat- und Gaststaat besteht, das dem heimatstaatlichen Unternehmen bestimmte Sonderrechte einräumt und dabei den Gaststaat von der Erfüllung seiner Schutzpflichten abhält.70 Bei einem entsprechend gelagerten Fall eines Investitionsschutzabkommens zwischen Paraguay und der BRD entschied der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) aber zutreffend, dass die Menschenrechtsverträge solche Investitionsschutzabkommen angesichts ihrer besonderen Bedeutung und Multilateralität überlagerten.71 Zwar ist fragwürdig, ob Menschenrechtsverträge, sofern es nicht 70 Entsprechend stellt sich diese Frage bei Stabilisierungsklauseln in Investor-StaatVerträgen. 71 IAGMR, Urteil v. 29. März 2006, Sawhoyamaxa Indigenous Community vs. Paraguay, Rn. 140.
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um Normen mit Ius-Cogens-Wirkung geht, kraft ihrer Bedeutung oder Natur wirklich „höherrangiges Völkerrecht“ darstellen, dennoch bedürfte es bei multilateralen Verträgen für eine Abbedingung der Pflichten der Zustimmung sämtlicher Vertragsparteien. Dieses Erfordernis wird jedenfalls durch bilaterale Abkommen nicht erfüllt. Mit anderen Worten: Selbst wenn eine wirtschaftliche Sonderverbindung bestehen sollte, setzt dies nicht die gaststaatlichen Völkerrechtspflichten außer Kraft. Die Praxis verdeutlicht aber ein viel gewichtigeres Problem, das durch die vorgenannten Sachverhaltsbeispiele deutlich wird: Die Gaststaaten sind oftmals unwillig oder nicht in der Lage, präventive oder repressive Maßnahmen gegen ausländische Unternehmen zu ergreifen. Die absichernden Mittel der Außenwirtschaftsförderung kommen immer dann zum Tragen, wenn besondere Risiken bestehen. Solche sind vornehmlich auf Wirtschaftsmärkten in Entwicklungs- und Schwellenländern wahrnehmbar, die häufig aufgrund ineffektiver Staatsstrukturen oder mangelnder administrativer oder personeller Ressourcen nicht in der Lage sind, hinreichenden Schutz zu üben. Nicht selten ist – und dies zeigt etwa das Ilisu-Staudammprojekt – der Gaststaat selbst (Mit-)Urheber der menschenrechtswidrigen Situationen. Hinzu kommt eine erhöhte Korruptionsanfälligkeit vieler Zielländer, so dass häufig auch ein kollusives Zusammenwirken von Unternehmen und Gaststaat zuungunsten der Menschenrechte entsteht.72 Das häufig gebrauchte Schlagwort des „Ressourcenfluchs“, das diejenigen Phänomene umschreibt, bei denen grundsätzlich ressourcenstarke Staaten von Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Regierungsführung ausgebeutet werden, der Bevölkerung davon aber kein Nutzen zukommt, diese vielmehr weiterhin unter Hunger und Armut leidet, ist dabei nur eine von vielen Ursachen in diesem Zusammenhang. Die Gaststaaten begünstigen ferner oftmals menschenrechtswidriges Verhalten der Unternehmen durch die Einräumung von Sonderfreiheiten, etwa durch die zeitlich und räumlich beschränkte Aussetzung von Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards in so genannten „Export Processing Zones“.73 Viele Staaten verfolgen eine sehr liberale Aufnahmepolitik für ausländische Unternehmen und locken gerade mit entsprechenden Sonderwirtschaftszonen. Gaststaaten profitieren dadurch, dass Kapital, Arbeitsplätze, Know-how und insgesamt Industrialisierungsimpulse in das Land gebracht werden.74 Für die Unternehmen ist der Standort in solchen Ländern regelmäßig ein kostenbegünstigender Faktor.75
72 Zu Hermesbürgschaften und Korruption siehe: BT-Drucksache 16/6323 v. 11. September 2007. 73 Vgl. Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 28 f. Die umfassende Studie von: Lang, Trade Agreements, S. 17 ff., verdeutlicht, dass in solchen Sonderwirtschaftszonen Menschenrechtsverletzung sehr häufig festgestellt werden. 74 Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (898); Weschka, ZaöRV 66 (2006), S. 625 (628). 75 Vgl. auch die Ausführungen bei: Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (898 ff.).
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Diese Problematik ist daher weniger eine rechtliche als vielmehr eine tatsächliche. Menschenrechtsschützende Gesetze der Gaststaaten gibt es zuweilen, Defizite ergeben sich aber dann vorwiegend bei deren Durchsetzung.76 Der Gaststaat ist damit zwar regelmäßig selbst an die menschenrechtlichen Pflichten gebunden, aber zur Erfüllung seiner Pflichten häufig nicht willens oder nicht in der Lage – oftmals begünstigt er sogar menschenrechtswidrige Situationen. Dies ist der erste Entstehungsfaktor für ein Vakuum im Menschenrechtsschutzsystem. b) Keine völkerrechtlichen Menschenrechtspflichten der Unternehmen Im Zuge der Entwicklung des Menschenrechtsvölkerrechts weitete sich, nicht zuletzt wegen der vorstehenden Sachverhalte, der Diskurs um eine direkte völkerrechtliche Bindung von nicht-staatlichen Wirtschaftseinheiten an Menschenrechte aus.77 Vereinzelt wird zwar behauptet, dass eine Bindung zumindest an bestimmte Menschenrechte begründet werden könnte.78 Dies lässt sich de lege lata aber nicht überzeugend herleiten. Zwar werden Unternehmen partiell auch bestimmte völkerrechtliche Rechte zuerkannt und der Kreis der Völkerrechtssubjekte ist nicht abschließend, eine volle Völkerrechtssubjektivität mit einer umfassenden Einbettung in die völkerrechtliche Werteordnung entsteht daraus aber nicht.79 Dagegen können private Akteure, wohl auch juristische Personen80, freilich gegen völkerrechtliche Straftatbestände verstoßen, deren Schutzgüter auch Menschenrecht sind.81 Das Völkerstrafrecht betrifft aber nur die Pönalisierung einiger als besonders schwerwiegend anzusehender Verhaltensweisen.
76 Siehe dazu die Analyse bei: Krebber, JZ 63 (2008), S. 53 (59). Vgl. auch: Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 27 f. 77 Vgl. die Arbeiten von: Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen; Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors; Cernic, Human Rights Law and Business, S. 25 ff.; Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit; Muchlinski, Multinational Enterprises and the Law; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 19 ff. Siehe auch sämtliche Beiträge in: Die Friedens-Warte, 79 (2004), und die Zeitschriftenbeiträge von: Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 ff.; Joseph, NILR 46 (1999), S. 171 ff. 78 Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, S. 883. 79 Dazu: Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, S. 78 ff. 80 Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit, S. 179 ff. 81 Dazu: Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit, S. 141 ff. Das Recht auf Freiheit von Folter wird so etwa unter bestimmten Voraussetzungen von dem Straftatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit geschützt, Art. 7 Abs. 1 lit. f IStGHStatut, dazu: Köster, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit, S. 167 ff.
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Problematisch ist vor allem eine Bindung an diejenigen Menschenrechte, die nicht zu dem so genannten fundamentalen Kernbestand gehören. Gerade etwa die wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Rechte sind bei unternehmerischen Vorhaben häufiger betroffen, da Unternehmen in hohem Maße die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Zustände beeinflussen können. Solche Rechte ergeben sich aus Völkerrechtsverträgen wie dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR). Eine Bindung an solche Verträge setzt aber neben der Völkerrechtssubjektivität und eines Zustimmungsaktes voraus, dass den Verträgen auch nicht-staatliche Akteure beitreten könnten, was derzeit nicht vorgesehen ist. Privaten Akteuren erwachsen weder aus dem Völkergewohnheitsrecht und noch weniger aus Völkervertragsrecht menschenrechtliche Achtungspflichten.82 Auch die internationalen und europäischen Menschenrechtsgremien gehen gerade nicht von einer direkten Bindung an die Verträge aus.83 Bestimmte menschenrechtskonforme Verhaltenspflichten, gegen die verstoßen werden könnte, ergeben sich erst aus den von einem Vertragsstaat im Hinblick auf die Erfüllung seiner eigenen Menschenrechtspflichten erlassenen Gesetzen. Zwar gibt es eine Vielzahl freiwilliger Verhaltenskodizes, die von Unternehmen anerkannt werden, aber wie die Kategorisierung bereits vorwegnimmt, können daraus keine verbindlichen Pflichten erwachsen. Der United Nations Global Compact, die Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy und vor allem die OECD Guidelines for Multinational Enterprises sind dabei nur einige Beispiele. Ein Unternehmen erklärt zwar in Form eines Zustimmungsaktes sein grundsätzliches Interesse an der Einhaltung der dort genannten – unter anderem menschenrechtlichen – Prinzipien. Von ihrer Natur her sind diese Instrumente aber unverbindlich84, das heißt, Verstöße ziehen keine Sanktionen nach sich. Ferner äußern sich die Kodizes stets nur sehr allgemein und die Verhaltensregeln werden als Soll-Vorschriften und in Form von vagen Empfehlungen formuliert.85 Die UN Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises With Regard to Human Rights stellten einen ersten Versuch dar, den Unternehmen völkerrechtliche Pflichten aufzuerlegen. Dieser Vertragsentwurf wurde aber nicht von der UN-Menschenrechtskommission formell angenommen 82
So auch im Ergebnis: Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (907). Dazu etwa die Äußerungen: Human Rights Committee (HRC), General Comment No. 31, Rn. 8; Committee on Economic, Social and Cultural Rights (CESCR), General Comment No. 18, Rn. 52. 84 Siehe dazu auch den negativen Ausgang der Untersuchung einer Verbindlichkeit der OECD-Leitsätze: Koeltz, Menschenrechtsverantwortung multinationaler Unternehmen, S. 140 ff. 85 So ausdrücklich selbst der Titel des stärksten Instruments, der OECD-Leitsätze: „gemeinsame Empfehlungen der Regierungen“ (Hervorhebung durch Bearbeiter). 83
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und blieb damit nur ein Desideratum. Auch die Vielzahl der Appelle an die Übernahme von Corporate-Social-Responsibility-Standards (CSR-Standards)86 kann im Hinblick auf die praktische Durchsetzung eine rechtliche Bindung der Unternehmen nicht ersetzen.87 Die gesamte völkerrechtliche Bandbreite hält de lege lata keine Instrumente für Unternehmen bereit, die sie zur umfassenden Achtung der Menschenrechte verpflichten könnten. Dieser Umstand begründet den zweiten Faktor für das Entstehen eines Menschenrechtsvakuums. c) Lösungsweg: Extraterritoriale Schutzmaßnahmen des Heimatstaates Kann von dem Gaststaat faktisch kein Schutz erwartet werden und sind die Unternehmen im Grundsatz nicht verpflichtet, Menschenrechte zu achten, so steht und fällt die Schließung der Schutzlücke88 mit dem letzten möglichen Verpflichtungsadressaten: dem Heimatstaat. Der Heimatstaat ist wirtschaftspolitisch in erhöhtem Maße an einer starken Exportwirtschaft interessiert und scheint – das zeigt die Praxis – bei in Frage stehenden Förderungen im Zweifelsfall den wirtschaftlichen Interessen gegenüber dem Menschenrechtsschutz den Vorrang zu gewähren.89 Dass gerade die BRD kein großes Interesse daran hat, Export und Auslandsinvestitionen zu beschränken und damit auch die Außenwirtschaftsförderung zu regulieren, verdeutlicht die außerordentliche Exportorientierung der deutschen Wirtschaft und die etwa im Vergleich zu anderen Industriestaaten geringere Ausrichtung auf die Binnenwirtschaft.90 Den Wirtschaftsinteressen Vorrang zu gewähren, ist dabei aber gewiss keine Eigenheit der BRD. Der UN-Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte, Ruggie, stellt ein solches Defizit in einer kürzlich erschienenen Stellungnahme für die meisten staatlichen Exportkreditagenturen heraus.91 Diese zurückhaltende Tendenz der Exportstaaten im Hinblick auf die menschen86 Hier ist auch am ehesten der Ansatz des UN-Sonderberichterstatters für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie, zu verorten. Er begründet soziale Anforderungen an multinationale Unternehmen mittels einer an private Akteure adressierten „Responsibility to Respect“, vgl. UN Doc. E/CN.4/2006/97, Rn. 61. 87 Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 140 ff., begründet eine rechtlich-politische quasi-Pflicht, die den Unternehmen CSR-Standards auferlegen soll. Die genaue Zuordnung bleibt aber unklar. 88 Von einer solchen Schutz- oder auch Ahndungslücke spricht auch: Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 16. 89 Krennerich, Menschenrechte und internationale Politik, S. 61. So auch ganz deutlich die deutsche Bundesregierung mit Hinweis auf Wettbewerbsnachteile der Ausfuhrunternehmen: BT-Drucksache 10/833 v. 21. Dezember 1983, S. 5. 90 Dazu: Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 38 f. 91 Ruggie, UN Doc. A/HRC/14/27, Rn. 29.
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rechtliche Zügelung eigener Unternehmen im Ausland ist der dritte Entstehungsfaktor für eine Lücke im Menschenrechtsschutzsystem. Auf der anderen Seite hat sich die BRD fast beispiellos einer enormen Fülle von Menschenrechtsverträgen unterworfen und sich damit der Anerkennung dieser Werte verschrieben. Dieser den besonderen wirtschaftlichen Interessen gegenüberstehende Faktor verstärkt das entstandene Spannungsfeld um ein weiteres, denn es steht zu Recht die Frage im Raum, warum ein menschenrechtswidriges Handeln plötzlich legitimiert sein sollte, sobald es außerhalb der eigenen Grenzen vorgenommen wird,92 obwohl doch gerade die Gleichheit der Menschen ein immer wieder artikulierter Wert ist. Diese Frage stellt sich freilich nicht nur dann, wenn ein Staat extraterritorial handelt, sondern auch, wenn er in Auslandssachverhalte auf fördernde Weise verwickelt ist, in die er auch intraterritorial nicht verwickelt sein dürfte. Heimatstaatliche Menschenrechtspflichten drängen sich zwar nicht prima vista für die Fälle der Außenwirtschaftsförderung auf, denn das Rechtsgefühl deutet zunächst auf eine primäre Verantwortung des Gaststaates, schließlich werden auf seinem Territorium die Menschenrechte gefährdet. Ein tiefergehender Blick lässt dennoch einige Fragen entstehen: Wer sonst, wenn nicht der Heimatstaat, sollte angesichts der dargelegten praktischen Hindernisse einen effektiven Mechanismus schaffen können, der zur Prävention oder Aburteilung der menschenrechtswidrig agierenden Unternehmen führt – handelt es sich doch gerade um staatszugehörige Unternehmen, auf die der Heimatstaat wohl am ehesten Zugriff hat? Wer sonst könnte die Förderung mit der Bedingung einer menschenrechtskonformen Ausgestaltung des Auslandsvorhabens verknüpfen, gegebenenfalls die Förderung zurücknehmen und damit die gesteigerte Gefahrenlage zumindest verringern? In der vorliegenden Bearbeitung soll diesen Fragen nachgegangen werden und untersucht werden, ob die dargelegte Problematik einer völkerrechtlichen Lösung über den Heimatstaat zugeführt werden kann. Der Heimatstaat ist, so zumindest die BRD, selbst Adressat von Schutzpflichten völkergewohnheits- und vertragsrechtlicher Natur. Diese Schutzpflichten wurden in der Vergangenheit fast ausschließlich auf intraterritoriale Sachverhalte angewandt. Und gewiss, die Menschenrechtspflichten sind zumindest in ihrer Grundidee von einem innerstaatlichen Leitbild geprägt, denn Existenzgrund zumindest der frühen Menschenrechtsverträge war der Schutz vor Übergriffen auf Individuen durch den eigenen Staat. Die menschenrechtliche Überformung der Außenwirtschaftsförderung setzt aber gerade voraus, dass der Heimatstaat eine völkerrechtliche Pflicht hat, auch auf fremdem Territorium lebende Menschen zu schützen; mit anderen Worten: Es müssten extraterritoriale Schutzpflichten existieren. 92
So gefragt von: Brilmayer, Justifying International Acts, S. 28.
II. Orientierung und Gegenstand der Untersuchung
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Die wenigen völkerrechtswissenschaftlichen Beiträge, die diese Frage – häufig nur am Rande – behandeln, schließen meist mit pauschalen Argumenten eine Existenz solcher Schutzpflichten de lege lata aus.93 Ob es sich dennoch begründen lässt, dass der Heimatstaat eine Pflicht hat, Menschen auf fremdem Territorium vor – jedenfalls staatsangehörigen – privaten Akteuren zu schützen, ist bislang nicht geklärt. Die Fragen, ob solche extraterritorialen Schutzpflichten bestehen, welchen Umfang, sprich: welche Voraussetzungen und Rechtsfolgen sie haben, ob die Schutzpflichten auch geeignet sind, die Außenwirtschaftsförderung menschenrechtlich zu überformen und was der Heimatstaat konkret unternehmen müsste, um Pflichten im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung zu erfüllen, sollen mit dieser Bearbeitung behandelt werden.
II. Orientierung und Gegenstand der Untersuchung Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung der Existenz und des Umfangs extraterritorialer Schutzpflichten. Diese sollen zur Orientierung im Folgenden in das Menschenrechtssystem eingeordnet werden. Damit eine Uferlosigkeit der Bearbeitung vermieden wird, soll der Untersuchungsgegenstand sodann sachlich sowie räumlich ausgelotet werden. 1. Systematisierung und Zuordnung des Untersuchungsgegenstandes a) Kategorisierung der Menschenrechtspflichten Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze, die Menschenrechtspflichten zu kategorisieren: Einerseits die Teilung in Achtungs-, Schutz- und Leistungspflichten und andererseits die Unterscheidung zwischen positiven und negativen Pflichten. Beide Ansätze schließen sich nicht aus, dennoch soll der Bearbeitung einer der Ansätze zugrunde gelegt werden, denn es ergibt einen Unterschied, ob etwa extraterritoriale Schutzpflichten oder extraterritoriale positive Pflichten untersucht werden sollen. aa) Strukturelle Kategorisierung Der häufigste Kategorisierungsansatz geht davon aus, dass jedes Schutzgut, also die menschenrechtlich geschützte Freiheit bzw. das Menschenrecht, von Achtungs-, Schutz- und Leistungsdimensionen kumulativ umgeben ist.94 Kann 93 De Schutter, CHRGJ Working Paper 1 (2004), S. 9; so auch: Wildhaber, Multinationale Unternehmen und Völkerrecht, S. 28. 94 Eine derart klare Systematisierung in der Völkerrechtswissenschaft findet sich erstmalig bei: Eide, HRLJ 10 (1989), S. 35 (37 ff.). Siehe auch: Jaeckel, Schutzpflich-
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A. Einführung
dies im Einzelnen für bestimmte Rechte und bestimmte Verträge in Frage gestellt werden, so dient dieses Dreigestirn dennoch als systematische Gedankenstütze und Orientierungshilfe in dem nicht immer klar strukturierten Menschenrechtsvölkerrecht. Die Achtungsdimension ist dogmatisch immer dann einschlägig, wenn der Eingriff in die menschenrechtlich geschützte Freiheit durch den Staat selbst erfolgt. Genauer: Mindert der Staat selbst eine Handlungsalternative, die in den Schutzbereich eines Menschenrechts fällt, so ist diese im Rahmen der Achtungsdimension zu beurteilen. Wird eine ungerechtfertigte Bedrohung des Menschenrechts positiv festgestellt, so trifft den Staat eine Achtungspflicht, das heißt: in der Regel eine Pflicht die beschränkende Handlung zu unterlassen. Schutzpflichten treten dagegen immer dann in Erscheinung, wenn nicht der Staat, sondern ein privater Akteur oder – und das ist etwas umstrittener – nichtmenschliche Faktoren die geschützten Handlungsalternativen zu beschränken drohen oder aktuell beschränken. Hindert beispielsweise ein privater Akteur ein anderes Individuum etwa an der Ausübung der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit oder an dem Recht auf Leben, so kann der Staat aufgrund seiner Schutzpflicht gehalten sein, meist durch aktives Tun, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Er kann sich dabei entweder schützend vor das betroffene Recht, oder besser gesagt: vor die bedrohte Handlungsalternative, stellen oder die Gefahrenquelle mindern oder vernichten. Die Abgrenzung zur Leistungsdimension fällt dabei nicht immer leicht und ist stark einzelfallabhängig. Denn: Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Schutz- und Leistungspflicht besteht darin, dass bei ersterer vor einem die Menschenrechte verschlechternden Zustand geschützt werden soll und bei letzterer der status quo verbessert werden soll, damit ein bestimmtes Menschenrecht überhaupt erst ausgeübt werden kann.95 Das Recht auf Bildung etwa (aus Art. 13 IPwskR) umfasst folglich nicht nur die Pflicht, es zu unterlassen, ein Individuum von der Bildung abzuhalten, bzw. einen privaten Akteur, der dieses Recht bedroht, in seine Schranken zu verweisen. Aufgrund der Leistungsdimension kann es vielmehr erforderlich sein, dass zur Ausübung dieses Menschenrechts in erster Linie auch Bildungseinrichtungen geschaffen werden müssen. Die Abgrenzungsschwierigkeit liegt darin festzustellen, ob sich ein Zustand gerade verschlechtert hat oder ob ein generell dem Menschenrecht nicht genügender Zustand vorliegt.
ten im deutschen und europäischen Recht; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private. 95 So wird es für die grundrechtliche Schutzdimension vertreten, vgl. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 124; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 102 ff. Dagegen: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 155.
II. Orientierung und Gegenstand der Untersuchung
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Eine dogmatische Zuordnung kann sich daher im Einzelfall als äußerst schwierig erweisen. Praktisch ergibt dies freilich keinen Unterschied, denn die Pflicht zum Handeln bleibt bestehen. bb) Qualitative Kategorisierung Der andere Kategorisierungsansatz unterscheidet dagegen zwischen positiven und negativen Pflichten und stellt damit auf die Qualität der staatlichen Handlungsform ab.96 Wird ein staatliches Unterlassen gefordert, so stellt dies eine negative Pflicht dar, hingegen die Forderung eines aktiven Tuns eine positive. Diese Einordnung ist für die vorliegende Bearbeitung wenig nutzbringend. Sicherlich fordert eine Schutzpflicht regelmäßig ein positives staatliches Handeln. Dass aber auch negatives Unterlassen im Rahmen der Schutzpflichten gefordert sein kann, wird etwa am Fall der Sicherungsverwahrung deutlich. So könnte es im Rahmen der Schutzpflichten gefordert sein, eine Freilassung zu unterlassen, wenn von dem Inhaftierten noch eine Gefahr gegenüber anderen Individuen ausgeht. Strukturell betrifft dieser Fall die Schutzpflichten, denn der drohende Eingriff, vor dem zu schützen ist, geht von einem privaten Akteur aus. Wollte man hier nach positiven und negativen Pflichten abgrenzen, birgt dies die heikle Folge-Problematik der Feststellung, ob die weitere Verwahrung ein positives Handeln oder Unterlassen ist. Dies erfordert klare Abgrenzungskriterien, deren Festlegung aber gerade beim staatlichen Verhalten mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist. Zu Recht könnte man fragen, ob mit der Prüfung, ob eine weitergehende Verwahrung notwendig ist, ein positives Handeln vorliegt oder ob auf das Unterlassen der Freilassung abzustellen ist. Diese Abgrenzung liefert aber auch keinen Erkenntnisgewinn dafür, was das Menschenrechtsvölkerrecht fordert. Die Feststellung einer bestimmten Schutzrichtung hingegen, ob nämlich auch vor Drittübergriffen geschützt werden muss, ist generell und eben auch im Zusammenhang mit der Außenwirtschaftsförderung erforderlich, um überhaupt die Existenz von Pflichten ermitteln zu können. Die Kategorisierung von positiven und negativen Pflichten hat damit hier keinen praktischen oder dogmatischen Nutzen und soll in dieser Arbeit nicht weiter verfolgt werden. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich folglich auf die Untersuchung der Schutzdimension der Menschenrechtspflichten. Und um dies auf eine kurze Formel zu begrenzen: Untersuchungsgegenstand sind Pflichten, die entstehen, wenn die menschenrechtlich geschützte Handlungsalternative durch Gefahrenquellen bedroht wird, die nicht vom Verpflichtungsadressaten ausgehen.
96 So etwa: Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK; Streuer, Die positiven Pflichten des Staates.
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b) Räumliche Kategorisierung der Menschenrechtspflichten In räumlicher Hinsicht kann und soll ebenfalls eine Dreiteilung vorgenommen werden. So bietet es sich angesichts der strukturellen und rechtlichen Unterschiede an, von intraterritorialen, extraterritorialen und internationalen Pflichten zu sprechen.97 Der Ausgangspunkt liegt bei den intraterritorialen Menschenrechtspflichten, die gewissermaßen die Grundidee des Menschenvölkerrechts sind. Die extraterritorialen Staatenpflichten geraten dagegen zunehmend angesichts moderner – grenzüberschreitender – Herausforderungen in den Fokus gegenwärtiger Diskussionen.98 Internationale Pflichten, so die zutreffende Begriffsbestimmung von Künnemann99, beziehen sich dagegen auf international-kooperative Tätigkeiten, sprich: solche, die vorwiegend im Rahmen internationaler Organisationen zu erfüllen sind. Diese Dreiteilung in räumlicher Hinsicht muss mit der Dreiteilung in struktureller Hinsicht verbunden werden. Nach dieser Systematisierung kann es also – soweit das dogmatische System – intra-, extraterritoriale und internationale Achtungs-, Schutz- und Leistungspflichten geben, deren tatsächlicher Bestand in den Völkerrechtsverträgen freilich einzeln untersucht werden muss und auch innerhalb einer Konvention variieren kann.100 Für die vorliegende Arbeit richtet sich der Fokus alleine auf extraterritoriale Schutzpflichten, also jeweils die zweite Stufe im Rahmen der beiden dreigliedrigen Modelle. Zur Genüge, wenn auch nicht sämtliche Unklarheiten bereinigend, wurden in der wissenschaftlichen Extraterritorialitäts-Debatte Achtungspflichten behandelt101, also solche, die dann in Erscheinung treten, wenn der Staat selbst in menschenrechtlich geschützte Freiheiten auf fremdem Territorium eingreift. Die Begrifflichkeiten unterscheiden sich von Bearbeitung zu Bearbeitung (so etwa: „home state obligations“ 102, „external obligations“ 103, „transborder, transboundary or transnational obligations“ 104, „universal obligations“ 105, „global ob97 So überzeugend: Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 201 ff. 98 Vereinzelt gibt es sogar neuere Ansätze für extraterritoriale Leistungspflichten, vgl. Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/Torstensen/Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 97. 99 Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 213 ff. 100 So: IGH, Application of the Convention on Genocide, Urteil v. 26. Februar 2007, Rn. 154. 101 So beispielsweise: Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte. 102 Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (196). 103 Can/Seck, The Legal Obligations with Respect to Human Rights and ECA, S. 13. 104 Skogly, Beyond National Borders, S. 5. 105 Skogly, Beyond National Borders, S. 1.
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ligations“ 106, „extraterritorial obligations“ 107), gemeint ist aber immer das Gleiche: Es geht um extraterritoriale Menschenrechtspflichten,108 hier um extraterritoriale Schutzpflichten. 2. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes Da auch diese Untersuchung einem Zeit-, Mittel- und Aufwandsrahmen unterworfen ist, beschränkt sie sich sachlich zunächst auf den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz und geht damit nicht auf etwaige verfassungsrechtlich bestehende Schutzpflichten ein. Ebenso wenig soll das Recht der EU Untersuchungsgegenstand werden, so dass auch keine Untersuchung der EU-Grundrechtecharta erfolgt. Nur insoweit, als die EMRK in dieser Rechtsordnung rezipiert wurde, haben die auf die EMRK bezogenen Ergebnisse auch Bedeutung für das Europarecht.109 Der Schwerpunkt der Rechtsquellen-Untersuchung liegt aufgrund der Fülle beim Völkervertragsrecht und soll sich dort hauptsächlich auf vier Verträge richten, wenngleich eine daran anschließende Untersuchung weiterer Menschenrechtsverträge unerlässlich ist. Die EMRK als ausdifferenziertestes Menschenrechtsregime mit der größten Fülle an Entscheidungsmaterial soll dabei der Untersuchung vorangestellt werden, denn nicht selten weisen die anderen Menschenrechtsgremien auch Bezüge zu den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf. Parallelentwicklungen sind aufgrund der Vorreiterstellung der EMRK – wie bereits der erste Blick auf die Untersuchungsmaterie zeigt – erkennbar. Die beiden zentralen Pakte der Vereinten Nationen (VN), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), sollen sodann angesichts ihrer besonders weitgehenden Ratifizierungsfülle und damit verbundenen außerordentlichen Bedeutung untersucht werden.110 Die Charta der Vereinten Nationen (VNC) selbst, die zwar an sich kein Menschenrechtsvertrag im traditionellen Sinne ist, dennoch aber an einigen Stellen die Menschenrechte erwähnt und insgesamt für den Menschenrechtsschutz von besonderer Bedeutung ist, soll den Abschluss der Schwerpunktuntersuchung bilden. Im Anschluss soll die Vielzahl der speziellen Menschenrechtsverträge, die über die Zeit im Rahmen der VN ent106
Kent, Global Obligations, in: Kent, Global Obligations, S. 1. Künneman/Ratjen, Extraterritorial Obligations, S. 8. 108 So der überwiegend verwendete Begriff. Dazu die Ausführungen bei: Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 17. 109 Dies über Art. 6 AEUV. 110 Die Zusatzprotokolle sämtlicher Verträge sind dabei nicht getrennt zu untersuchen, denn sie teilen i. d. R. die räumliche Reichweite des Hauptvertrages und dessen Pflichtendimension, soweit sich aus ihnen selbst nichts anderes ergibt. 107
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wickelt wurden, im Überblick auf extraterritoriale Schutzpflichten untersucht werden.111 Nicht untersucht werden soll dagegen das humanitäre Völkerrecht. Auch wenn dieses regelmäßig den Schutz von Individuen bezweckt, ist es speziell beeinflusst durch die Sondersituation der vorausgesetzten bewaffneten Konflikte. Ausgeschlossen werden ebenfalls solche Verträge, die nur eine gemeinsame Schnittmenge mit den Menschenrechten haben. So bezwecken etwa Abkommen, die zur Beseitigung von Landminen verpflichten, sicherlich den Schutz des Lebensrechts.112 Solche Verträge sind aber nicht als Menschenrechtsverträge ausgerichtet, denn sie sind Antworten auf spezielle Gefahren, die in einem besonderen Kontext entstanden sind. Auch können diese Verträge aufgrund ihrer Vielzahl nicht in die Untersuchung einbezogen werden. Um nicht in eine ausufernde Untersuchung jeglicher regionaler Menschenrechtsregime zu gelangen, ist die Bearbeitung dahingehend eingeschränkt, dass nur diejenigen Pflichten untersucht werden, an die auch die BRD gebunden ist bzw. (für das Völkergewohnheitsrecht) potenziell gebunden sein kann.113 Da die Frage der völkervertragsrechtlichen Verantwortlichkeit abstrakt behandelt wird, sind die Existenz extraterritorialer Schutzpflichten und die Frage des Umfangs aber für alle Vertragsparteien gleichermaßen bedeutsam.
III. Begriffsbestimmung 1. Der Begriff der Schutzpflichten Aus der vorstehend dargelegten strukturellen Kategorisierung folgt das Erfordernis einer terminologischen Differenzierung, die der folgenden Abhandlung vorangestellt werden muss. Ungenau wäre es, wenn man – gerade im tripolaren Verhältnis zweier privater Akteure und eines Staates – von einer „Menschenrechtsverletzung“ spräche. Dieser Begriff impliziert nämlich, dass Pflichtverletzung und Menschenrechtsbeeinträchtigung zusammenfallen. Für die Achtungspflichten mag diese Terminologie angesichts der bipolaren Ausgestaltung unschädlich sein, denn dort sind Störer 111 Das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe wurde nicht in die Untersuchung einbezogen, denn dieser Vertrag hat nur institutionalisierende Funktion für den Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und enthält selbst keine materiellen Pflichten. 112 So etwa: Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on Their Destruction von 1997. 113 So hat die BRD etwa die International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families weder ratifiziert noch unterzeichnet, so dass trotz der grundsätzlichen Qualifizierung als Menschenrechtsvertrag eine Untersuchung unterbleibt.
III. Begriffsbestimmung
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und Verpflichtungsadressat personengleich, für die Schutzpflichten verkennt er aber die strukturelle Komplexität. Dort beschränkt oder mindert nicht der Staat, sondern eine dritte Partei die menschenrechtlich geschützte Freiheit. Der Staat verletzt dagegen nur eine Pflicht, wenn er es unterlässt, Schutzmaßnahmen gegen die Bedrohung zu ergreifen. Es bietet sich also an, hier zunächst – zumindest für den Staat – nur von einer reinen Pflichtverletzung zu sprechen. Da aber die dritte Partei – wie dargestellt114 – im Grundsatz keine eigenen Menschenrechtspflichten hat, kann diese sie auch nicht verletzen, und es sollte nicht von Menschenrechtsverletzung, sondern von der Bedrohung, Beeinträchtigung oder vom Eingriff in menschenrechtlich geschützte Freiheiten gesprochen werden.115 Die Schutzpflichten sind Strukturelemente einer Vielfalt von Pflichten, die eine bestimmte Freiheit umfassend zu schützen versuchen. Ihre Rechtsgüter sind die Menschenrechte, die als die Summe bestimmter Verhaltensalternativen, sprich: als die Freiheit zu verstehen sind. Ob sich die Schutzpflichten auf sämtliche in einem Vertrag genannten Menschenrechte beziehen, ist mit Hilfe der Auslegungsmethoden zu ermitteln und hängt von der konkreten Vertragsgestaltung ab. 2. Der Begriff des extraterritorialen Anwendungsbereichs Die Extraterritorialität ist als Schlagwort nur ein scheinbar eindeutiger Begriff, der vor Beginn der Bearbeitung ebenfalls präzisiert werden muss.116 a) Extraterritorialität Extraterritorialität bedeutet: „außerhalb des Territoriums eines Staates“, also entweder auf dem Territorium eines anderen Staates oder auf einem staatsfreien Territorium, wie etwa der hohen See.117 Negativ umfasst der Begriff „extraterritorial“ all jenes Territorium, das nicht dem in Frage stehenden Staat „gehört“, ausgeschlossen sind also sein Landgebiet einschließlich des darunter befindlichen Erdreichs, das Wassergebiet, also die Binnengewässer und Küstengebiete, der Festlandsockel, die Luftsäule über den Landgebieten und der Raum darunter.118 Wird im Völkerrecht von „territory“ gesprochen, so ist die Summe dieser 114
Abschnitt A. I. 4. b). So auch: Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 346. 116 Zu der allgemeinen Umstrittenheit des Begriffs siehe: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 29 ff. 117 Zum Ganzen: Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 45 f.; auch: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 73. 118 Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 45 ff. Daneben gelten besondere Regeln für Schiffe, Flugzeuge und Raumfahrzeuge, die hier aber nicht im Einzelnen zu erörtern sind. Der EGMR geht dort von einer Geltung der Menschenrechtsver115
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Räume gemeint.119 Territorium im hier zu behandelnden Kontext ist daher in einem solchen weiten Sinne zu verstehen. Die extraterritorialen Schutzpflichten umfassen also all jene Sachverhalte, die sich nicht in dem soeben umschriebenen Raum befinden, sprich: wenn eine menschenrechtlich geschützte Freiheit nicht dort, sondern extraterritorial bedroht oder beeinträchtigt wird. Voraussetzung ist also, dass das zu schützende Menschenrecht extraterritorial belegen ist. b) Geltungs- und Anwendungsbereich Große Schwierigkeiten bereitet daneben die Begriffsbestimmung des Anwendungsbereichs. Die Diskussion um die Extraterritorialität von menschenrechtlichen Verpflichtungen wird oft zu undifferenziert geführt.120 Dies führt zu Unklarheiten über die Begriffe des Anwendungs- und Geltungsbereichs einerseits, sowie über die Begriffe der extraterritorialen Hoheitsakte und der Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung andererseits. Eine genaue Abgrenzung ist aber alleine schon deswegen erforderlich, weil die komplexen Eigenheiten der völkerrechtlichen Verpflichtungen (Schutz-, Achtungs- oder Leistungsdimension) durchaus unterschiedlichen völkerrechtlichen Anforderungen unterliegen. So ergibt es etwa einen Unterschied, ob ein Staat extraterritorial handelt und dies zu unterlassen hat oder ob eine rein intraterritorial zu erfüllende Pflicht dem Schutz extraterritorialer Menschenrechtsbeeinträchtigungen dient, denn solchem Handeln können andere völkerrechtliche Grundsätze entgegenstehen.121 Die Geltung einer Norm bedeutet zunächst nur ihre wirksame rechtliche Existenz in einer Rechtsordnung, die soweit reicht, wie die exekutive bzw. richterliche Durchsetzung erfolgen kann.122 Der Geltungsbereich einer Rechtsordnung endet dabei meist an der territorialen Grenze des Rechtsnormgebers.123 Der Geltungsanspruch der Norm ist auf diese Reichweite beschränkt.124 Eine Normgebung, träge aus: EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 73, unter Verweis auf Gewohnheitsrecht und vertragliche Pflichten. 119 Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 45. 120 So wird alternativ und auch kumulativ von „extraterritorialer Anwendung“, „extraterritorialer Wirkung“, „extraterritorialer Verpflichtung“, „extraterritorialer Jurisdiktion“, „extraterritorialer Ausübung der Jurisdiktion“ und „extraterritorialen Menschenrechten“ gesprochen. Vgl. Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 23, m.w. N. 121 Abschnitt C. III. 122 So auch: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 21. 123 Anders kann es etwa bei abhängigen Gebieten liegen. 124 Matscher, Bemerkungen zur extraterritorialen oder indirekten Wirkung der EMRK, in: Donatsch/Forster/Schwarzenegger, Strafrecht, S. 25; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 23; Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (728); Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 15.
III. Begriffsbestimmung
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die den Anspruch erhebt, auch extraterritorial zu „gelten“ 125, endet entweder an der Souveränität der anderen Staaten oder ist Teil der – hier nicht zu behandelnden – Spezialregelungen bei der Aufsplitterung von Territorium und Gesetzgebungshoheit (etwa bei Sonderverwaltungsgebieten). Der Anwendungsbereich ist dagegen von der Geltung strikt zu trennen. Dieser umfasst die Reichweite der Summe derjenigen Sachverhalte, auf die eine Rechtsnorm (durch staatliche Instanzen) sachlich angewendet werden soll.126 Diese ergibt sich regelmäßig aus dem Inhalt der Norm, den es zu ermitteln gilt. Das bedeutet: Umfasst eine Rechtsnorm extraterritoriale Sachverhalte, an die Rechtsfolgen geknüpft werden, dann gilt die Norm zwar immer noch nur intraterritorial, der Anwendungsbereich ist aber extraterritorial. Untersucht wird dagegen hier nicht das nationale Recht, sondern das Völkerrecht, das eine Besonderheit birgt. Rechtsnormen, die in völkerrechtlichen Verträgen verankert sind, betreffen zunächst nur das Handeln der Vertragsparteien. Die Bedeutung der Geltung von Völkerrechtsnormen (im Gegensatz zu nationalen Rechtsnormen) ändert sich insoweit nur, als dieses Konzept nicht in erster Linie territoriums- sondern subjektbezogen ist. Dass die originären Völkerrechtssubjekte insofern ein Territorium haben und im Fall einer Transformation die übernommene Rechtsnorm nur eine entsprechende Geltungsreichweite hat, ist eine Selbstverständlichkeit; die Ursache liegt aber nicht in der Geltung der Normen, sondern in der Natur des Völkerrechts. Aus dem Inhalt einer Völkerrechtsnorm lässt sich dann aber ableiten, auf welche Sachverhalte die Norm räumlich-sachlich angewendet werden soll. Wird diese Völkerrechtsnorm ins nationale Recht transformiert, so teilt die nationale Norm den räumlichen Anwendungsbereich der völkerrechtlichen Norm, sprich: Aus ihr ergibt sich stets der räumliche Anwendungsbereich. Dass dieser pauschaliert nicht immer intraterritorial sein muss, belegt exemplarisch der grundsätzlich unbeschränkte räumliche Anwendungsbereich der Genfer Konventionen für den Fall der international bewaffneten Konflikte.127 Die Anwendungs-Reichweite ergibt sich hierbei stets aus dem Inhalt der Normen und muss jeweils getrennt ermittelt werden. Der zu untersuchende extraterritoriale Anwendungsbereich muss sich also aus den völkerrechtlichen Normen ergeben.
125 So etwa das Beispiel des Iran and Libya Sanctions Act 1996, ILM 35 (1996), S. 1273. Danach wurden Sanktionen verhängt, die sich auch gegen nicht-amerikanische Unternehmen wendeten, welche mit den Staaten Iran und Libyen Wirtschaftsbeziehungen pflegten. 126 Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 9; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 3. 127 Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 19.
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3. Zusammenfassung Der Bearbeitung werden also folgende Begrifflichkeiten zugrunde gelegt: Schutzpflichten sind die Pflichten eines Staates, ein Menschenrecht vor Übergriffen durch solche Gefahrenquellen zu schützen, die nicht dem Verpflichtungsadressaten, also ihm selbst, zuzuordnen sind – das heißt: von ihm ausgehen oder ihm zuzurechnen sind. Verletzt der Staat seine Schutzpflicht, so soll nicht von einer Menschenrechtsverletzung, sondern von einer Pflichtverletzung gesprochen werden, wohingegen die Beeinträchtigung oder Bedrohung das Verhalten der dritten Partei darstellt. Die Schutzpflicht hat dann einen extraterritorialen Anwendungsbereich, wenn sie räumlich-sachlich Menschenrechte betrifft, die auf fremdem Territorium belegen sind. Der Geltungsbereich einer Norm betrifft dagegen die Reichweite des Geltungsanspruchs der Rechtsordnung und ist für die Untersuchung des extraterritorialen Anwendungsbereiches nicht von Bedeutung.
IV. Gang der Untersuchung Der Untersuchungsverlauf richtet sich nach der zugrunde gelegten Frage nach einer Pflicht für die Heimatstaaten, die Außenwirtschaftsförderung menschenrechtskonform auszugestalten. Ohne zunächst konkret auf den Fall der Außenwirtschaftsförderung eingehen zu wollen, soll allgemein untersucht werden, ob die völkerrechtlichen Menschenrechtsquellen de lege lata extraterritoriale Schutzpflichten aufweisen oder de lege ferenda aufweisen werden (unter B.). Ist dies der Fall, so soll allgemein unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Extraterritorialität erläutert werden, was sie konkret fordern und wie sie erfüllt werden können, sprich: welchen Umfang sie haben (unter C.). Ist damit die Existenz und allgemeine Konzeption geklärt, so soll konkret auf den Fall der deutschen Außenwirtschaftsförderung eingegangen werden. Es muss untersucht werden, ob extraterritoriale Schutzpflichten auch geeignet sind, die Außenwirtschaftsförderung menschenrechtlich zu überformen und welche konkreten Pflichten sich daraus ergeben (unter D.). Die Bearbeitung mündet in eine abschließende Bewertung der gefundenen Ergebnisse (unter E.).
B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten Die Frage, ob das gegenwärtige Völkerrecht den Schutz der Menschenrechte auf fremdem Territorium fordert, soll in diesem Abschnitt umfassend untersucht werden. In den wenigen Bearbeitungen, in denen diese Frage, zumeist nur am Rande, angesprochen wird, werden Schutzpflichten größtenteils ohne nähere Untersuchungen oder allenfalls kurzerhand mit dem Verweis auf den Grundsatz der souveränen Staatengleichheit abgelehnt.1 Das gängige Argument ist: Die Souveränität der anderen Staaten stehe extraterritorialen Schutzmaßnahmen entgegen, denn dabei handele es sich um eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates. Dass diese pauschalierte Ablehnung zu kurz greift, verdeutlicht einerseits die Überlegung, dass extraterritoriale Achtungspflichten zwar mit umstrittenem Umfang, aber grundsätzlich anerkannt werden und zu Recht die Frage besteht, warum dieser Anwendungsbereich nicht gleichermaßen von den Schutzpflichten geteilt wird. Andererseits verkennt diese absolute Haltung die völkerrechtlichen Rechtsfolgen der Souveränität, denn – das wird im Folgeabschnitt ausführlich zu erläutern sein2 – nicht jedes extraterritoriale Handeln ist automatisch völkerrechtswidrig. Im Folgenden soll die Existenz extraterritorialer Schutzpflichten de lege lata (unter I.) und de lege feranda (unter II.) untersucht werden.
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata Völkerrechtliche Rechte und Pflichten und damit auch extraterritoriale Schutzpflichten bestehen nur dann, wenn sich ihre Existenz aus den Völkerrechtsquellen ergibt. Eine Aufzählung der allgemein anerkannten Haupt-Völkerrechtsquellen kann nach ganz überwiegender Auffassung dem Art. 38 Abs. 1 des Statuts 1 De Schutter, CHRGJ Working Paper 1 (2004), S. 9; auch: De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 18; Wildhaber, Multinationale Unternehmen und Völkerrecht, S. 28; Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (891); wohl auch: Joseph, NILR 46 (1999), S. 171 (180 f.); Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 173 f.; sehr kritisch: Wagner, Das Spannungsverhältnis, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 157, 173. Nur in Bezug auf das Recht auf Nahrung: Donati/Vidar, International Legal Dimensions, in: Kent, Global Obligations, S. 70. 2 Dazu: Abschnitt C. II.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
des Internationalen Gerichtshofs (IGH-Statut) entnommen werden.3 Danach sind hier zu untersuchen: das Völkervertragsrecht (unter 1.), das Völkergewohnheitsrecht (unter 2.) und die allgemeinen Rechtsgrundsätze (unter 3.). Etwaige daneben bestehende Ansätze im einschlägigen „weichen Völkerrecht“ (sog. soft law) sollen indessen nur im Rahmen des Völkergewohnheitsrechts auf ihre dortige mögliche Verbindlichkeit untersucht werden. Ihnen ist aber aufgrund ihrer Unverbindlichkeit kein Sonderpunkt zu widmen.4 1. Völkervertragsrecht Der Grundsatz pacta sunt servanda, der durch Art. 26 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK) kodifiziert wurde, bindet die BRD an all jene völkerrechtlichen Verträge, die sie ratifiziert hat und die in Kraft getreten sind5. Wie dargelegt6, wird der Untersuchung der vertraglichen Völkerrechtsquellen folgender Verlauf zugrunde gelegt: Die EMRK wird zuerst untersucht (unter a)), sodann werden die auf universeller Ebene bestehenden Verträge, der IPbpR (unter b)) und der IPwskR (unter c)) geprüft. Es wird auf Pflichten in der Charta der VN einzugehen sein (unter d)). Zuletzt sollen vor dem Hintergrund der gefundenen Ergebnisse die sonstigen Menschenrechtsverträge im Überblick untersucht werden (unter e)). a) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) aa) Schutzpflichten Die EMRK als einer der frühesten Menschenrechtsverträge7 wurde vor dem unmittelbaren Hintergrund der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs verhandelt und legte damit einen primär abwehrrechtlichen Gedanken, die Verhütung von Menschenrechtsverletzungen durch den Staat, zugrunde.8 Dies kommt bereits durch den Titel von Art. 1 EMRK zum Ausdruck, denn dort wird den folgenden Menschenrechten zunächst nur allein eine „Obligation to respect Human Rights“, also eine staatliche Achtungspflicht vorangestellt. Dass die menschenrechtlichen 3
Herdegen, Völkerrecht § 14, Rn. 2. Zu einem differenzierten Ansatz der Wirkungen des Soft Law siehe: Thürer, Soft Law, MPEPIL-Online, Rn. 25 ff. 5 Nur solche werden im Folgenden untersucht. 6 Zu der Erklärung siehe: Abschnitt A. II. 2. 7 BGBl. 1954 II, S. 14. Die Konvention trat am 3. September 1953 in Kraft. 8 Vgl. Absatz 2 und 5 der Präambel. Siehe auch Ausführungen von: Bleckmann, Die Entwicklung staatlicher Schutzpflichten, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch, S. 309 (309). 4
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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Freiheiten aber auch vor Übergriffen von privaten Akteuren geschützt werden müssen, wurde früh vom EGMR anerkannt und zunehmend vertieft.9 Mittlerweile werden diese Schutzpflichten selten in Frage gestellt. Wie sie sich dogmatisch begründen lassen, soll angesichts der weitgehenden Anerkennung in gebotener Kürze dargelegt werden. (1) Bestand eines allgemeinen Schutzprinzips? Es gibt im Wesentlichen drei zentrale Ansätze, die ein allgemeingültiges Schutzprinzip für sämtliche Menschenrechte herzuleiten versuchen. So setzt Bleckmann etwa bei der expliziten Schutzpflicht für das Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 1 EMRK („shall be protected“) an.10 Die prominente Position zu Beginn des ersten Abschnitts der Konvention und die besondere Bedeutung des Lebensrechts als notwendige Voraussetzung für sämtliche andere Menschenrechte begründe ein Ausdehnungserfordernis auf die nachfolgenden Rechte. Dagegen spricht aber, dass allgemeine Ausführungen einschließlich des die Menschenrechte umgebenden Pflichtenprogramms grundsätzlich vor dem ersten Abschnitt, nämlich in Art. 1 EMRK, niedergelegt wurden und dem Lebensrecht zwar ein besonderes Gewicht zukommt, es aber nur den Anfang einer Aufzählung von speziellen Rechten bildet.11 Andere versuchen ein allgemeines Schutzprinzip mit Blick auf die Achtungspflichten zu begründen, wonach die Abwesenheit eines Verbots für das Individuum, Menschenrechte zu beeinträchtigen, bereits den Eingriff in die Menschenrechte durch den Staat selbst darstelle.12 Diesem Ansatz muss entgegengehalten werden, dass der Untätigkeit eine Handlungspflicht vorauszugehen hat, die sich aber wiederum nur mit Schutzpflichten begründen ließe und um deren Feststellung es hier gerade geht. Der Ansatz ist aufgrund seiner Zirkularität abzulehnen. Schließlich wird vertreten, dass das in vielen Konventionen enthaltene Recht auf Sicherheit (z. B. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 9 IPbpR) ein solches allgemeines Schutzprinzip enthalte.13 9 So etwa: EGMR, Urteil v. 13. August 1981, Young, James and Webster vs. UK, Rn. 49; EGMR, X and Y vs. Netherlands, Rn. 23–30; EGMR, Plattform Ärzte für das Leben, Rn. 32. 10 Bleckmann, Die Entwicklung staatlicher Schutzpflichten, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch, S. 309 f. 11 Dagegen auch: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 85. 12 So: Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 213, 224 ff. 13 Ress, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty Protect, S. 167 ff.
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Dagegen ist auch hier die systematische Stellung innerhalb der Aufzählung spezieller Rechte anzuführen. Es lässt sich daher schwer begründen, warum aus einem einzelnen Recht Maßstäbe für sämtliche anderen Rechte hergeleitet werden können. Ein allgemeines Schutzprinzip lässt sich daher insgesamt nicht glaubhaft begründen. (2) Herleitung der Schutzpflichten aus der Gewährleistungsklausel Die vorstehenden Ansätze überzeugen nicht und es wird deutlich, dass der Umfang des Pflichtenprogramms damit nur den in fast jeder Konvention vorangestellten allgemeinen Gewährleistungsartikeln entnommen werden kann, die sodann für die nachfolgenden Menschenrechte gelten, es sei denn, es ergibt sich aus ihnen etwas anderes.14 Für die EMRK gilt danach Folgendes: Art. 1 EMRK spricht von einer Pflicht der Vertragsparteien, die Konventionsrechte „zuzusichern“ bzw. in der englischen (authentischen15) Fassung: „to secure to“. Der Vertragswortlaut geht damit trotz der anderslautenden Überschrift über das hinaus, was als bloße Achtung von Rechten, also das Unterlassen von Eingriffen, zu verstehen ist, denn die „Zusicherung“ enthält eine aktive Handlungskomponente. „Zuzusichern“ ist also dahingehend zu verstehen, dass die Wahrung der Konventionsrechte umfassend sicherzustellen ist, infolgedessen auch positiv schützendes Handeln gefordert wird. Von einem Schutz vor Beeinträchtigungen durch private Akteure ist zwar nicht explizit die Rede, die Zusicherung fordert aber die umfassende Gewährleistung der Menschenrechte. Dies umfasst sodann freilich auch den Schutz vor Beeinträchtigungen von jeglicher Seite, somit auch vor privaten Übergriffen.16 Die Anerkennung der Schutzdimension hat daneben Eingang in die Entscheidungen der Straßburger Rechtsprechungsorgane gefunden.17 Nach und nach hat sich eine Spruchpraxis entwickelt, die Schutzpflichten nicht mehr einzeln begründet, sondern als Gegebenheit voraussetzt. Ferner wird auch in der Völker14 So die überwiegende Auffassung: etwa Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 87. 15 Siehe: nach-Art.-59-EMRK. 16 Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 222; kritisch: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 87 ff. 17 EGMR, Urteil v. 13. August 1981, Young, James and Webster vs. UK, Rn. 49; EGMR, X and Y vs. Netherlands, Rn. 23–30; EGMR, Plattform Ärzte für das Leben, Rn. 32; EGMR, Urteil v. 9. Dezember 1994, López Ostra vs. Spanien; EGMR, Urteil v. 19. Februar 1998, Guerra and others vs. Italy; vgl. auch Rechtsprechungsanalyse bei: Bleckmann, Die Entwicklung staatlicher Schutzpflichten, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/ Petersmann, Recht zwischen Umbruch, S. 309 (315–319), und bei: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 102 ff., mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
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rechtswissenschaft die Existenz der Schutzpflichten vor allem für den Fall der EMRK nicht angezweifelt.18 Schutzpflichten, die angesichts der allgemeinen Stellung des Gewährleistungsartikels für sämtliche Konventionsrechte gelten, ergeben sich daher für die EMRK aus dem Wortlaut des Art. 1. bb) Extraterritorialer Anwendungsbereich Die Existenz der Schutzpflichten begründet für sich aber noch keine Pflicht des Staates, Menschenrechte auch extraterritorial schützen zu müssen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Anwendungsbereich der Schutzpflichten sich auch auf extraterritoriale Menschenrechtsbedrohungen und -beeinträchtigungen erstreckt. Dies muss sich, wie dargelegt19, aus dem Text der Konvention selbst ergeben. Zentraler Ausgangspunkt dafür ist auch hier Art. 1 EMRK, der den Anwendungsbereich der Konvention in räumlicher Hinsicht determiniert.20 Nach Art. 1 EMRK der deutschen Fassung sind die Konventionsrechte denjenigen Menschen zuzusichern, die der „Hoheitsgewalt“ der Vertragspartei unterstehen. Was darunter zu verstehen ist, wird nach der Behandlung des Sonderfalls der abhängigen Gebiete (unter (1)) zunächst zu erläutern sein (unter (2)). Sodann soll untersucht werden, ob es einen weiteren Anwendungsbereich jenseits dieser in Art. 1 EMRK aufgeführten Klausel gibt (unter (3)). (1) Die „Kolonialklausel“ des Art. 56 Abs. 1 EMRK und ihre Bedeutung für den räumlichen Anwendungsbereich der Konventionspflichten Eine vorweg zu behandelnde Sondersituation ist die der abhängigen Gebiete, also solcher Territorien, für deren internationale Beziehungen andere Staaten verantwortlich sind.21 Dies umfasst etwa Kolonien sowie staatsähnliche Gebilde, die nicht selbst Staat sind, aber zu einer Vertragspartei in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, und diesen gleichgestellte Gebiete. Für solche Territorien enthält die EMRK in Art. 5622 eine sog. Kolonialklausel, die es Vertragsstaaten erlaubt, eine Erklärung zur Geltung der Konvention in diesen Gebieten abgeben zu können. Ist die Bedeutung der Klausel zwar in der
18 Frowein/Peukert, EMRK, Art. 1 Rn. 11 ff.; Giegerich, EuGRZ 31 (2004), S. 758 (768); Ress, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty Protect, S. 165 ff.; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 88. 19 Siehe: Abschnitt A. III. 2. b). 20 Vgl. Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 223. 21 So beispielsweise die Niederlande für die (niederländischen) Antillen und Aruba. 22 Für die Zusatzprotokolle ergibt sich die Klausel aus: Art. 4 1. ZP, Art. 5 4. ZP, Art. 5 6. ZP, Art. 6 7. ZP, Art. 2 12. ZP, Art. 4 13. ZP.
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Praxis mittlerweile eingeschränkt,23 so ist eine kurze Erläuterung des Zusammenspiels mit Art. 1 EMRK dennoch bedeutsam, denn auch hier können sich einerseits extraterritoriale Schutzpflichten und andererseits möglicherweise Rückschlüsse für den gesamten räumlichen Anwendungsbereich ergeben. Erklärt ein Staat die Anwendbarkeit der Konvention für abhängige Gebiete, dann gilt die Konvention auch dort und bindet zugleich die dort vorhandene Staatsgewalt. Selbstverständlich hat diese sodann das gesamte Pflichtenprogramm von Art. 1 EMRK einschließlich der Schutzpflichten zu erfüllen. Begründet wird durch die Erweiterungserklärung mithin eine De-Jure-Verantwortlichkeit der Vertragspartei für das abhängige Gebiet. Überschneidungen zu dem allgemeinen räumlichen Anwendungsbereich aus Art. 1 EMRK sind hier allerdings denkbar. Übt ein Staat „Hoheitsgewalt“ auf einem abhängigen Gebiet aus, hat dafür aber keine Erweiterungserklärung abgegeben, so kann er dennoch aus Art. 1 EMRK für die Erfüllung von Schutzpflichten verantwortlich sein, freilich nach den dort entwickelten und sogleich zu erläuternden Maßstäben. Aus der Existenz der Kolonialklausel wird ferner vereinzelt – und das ist für den gesamten räumlichen Anwendungsbereich bedeutsam – mit einem Umkehrschluss begründet, dass der sonstige Konventionsbereich sich auf das jeweilige Territorium beschränken müsse, denn die Klausel sei abschließend zu verstehen.24 Diese Auffassung überzeugt allerdings nicht. Die Klausel wurde im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker im Zuge des Dekolonialisierungsprozesses eingefügt, um diesen sensiblen Entscheidungsprozessen die freie Wahl über die Ausdehnung der völkerrechtlichen Verpflichtungen zu lassen.25 Ihre Zweckrichtung war mithin die Optionalisierung der Vertragsbindungsreichweite, nicht hingegen die räumliche Beschränkung der Konventionspflichten aus Art. 1 EMRK. Eine abschließende Erweiterung erfolgt nur für den Geltungs- nicht aber für den Anwendungsbereich der Konvention. Damit können erste Schutzpflichten extraterritorial dann zu erfüllen sein, wenn eine Erweiterungserklärung nach Art. 56 Abs. 1 EMRK abgegeben wurde. Soweit, wie diese Gebiete reichen, gelten die Konventions- einschließlich der Schutzpflichten.
23 So: Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 20 f. 24 Lush, ICLQ 42 (1993), S. 897 (904 f.). 25 Dazu: Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 77.
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(2) Die Jurisdiktionsklausel des Art. 1 EMRK – Extraterritoriale, aber intrajurisdiktionelle Schutzpflichten Die deutsche Übersetzung des Art. 1 EMRK enthält eine Klausel folgenden Inhalts: „Die Hohen Vertragsparteien sichern allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I bestimmten Rechte und Freiheiten zu“. Damit stellt die deutsche Fassung für die Bestimmung der räumlichen Anwendungsbereiche der Konventionspflichten darauf ab, wie weit die „Hoheitsgewalt“ der Vertragsparteien reicht. Der deutsche Vertragstext ist indes nicht authentisch und kann somit für die Begriffsbestimmung nicht maßgebender Auslegungsgegenstand sein.26 Die authentischen englischen („within their jurisdiction“) und französischen („relevant de leur jurisdiction“) Vertragstexte sprechen von etwas, was ins Deutsche am ehesten mit „Jurisdiktion“ übersetzt werden sollte,27 denn einerseits ist der Begriff der „Hoheitsgewalt“ eine bereits interpretierende Übersetzung28 und andererseits sollte eine möglichst einheitliche völkerrechtliche Terminologie entwickelt werden. Zudem ist in der deutschen Völkerrechtswissenschaft im Zusammenhang mit Menschenrechtsverträgen eine Abkehr von dem Begriff der Hoheitsgewalt erkennbar und zunehmend wird auch hier von „Jurisdiktion“ gesprochen.29 Der aber nur scheinbar klare Begriff der Jurisdiktion, im Völkerrecht als Befugnis- und Zuständigkeitsnorm wohl bekannt, ist zentraler Ansatzpunkt für den räumlichen Anwendungsbereich der Konventions- und damit auch der Schutzpflichten. Eine explizite Anknüpfung an das Territorium enthält die Klausel nicht. Die Unklarheiten um diesen Begriff schließen eine einfache Wortlaut-Auslegung aus und erfordern eine umfassende Begriffsbestimmung. Diese Begriffsbestimmung ist für sämtliche nachfolgenden Verträge bedeutsam, die ihrerseits eine entsprechende Jurisdiktionsklausel enthalten, denn meist werden die Maßstäbe wechselbezüglich entwickelt und es bestehen nur wenige – an gegebener Stelle zu erläuternde – Unterschiede. Aufgrund dieser allgemeinen Bedeutsamkeit für das völkervertragsrechtliche Menschenrechtsschutzsystem sollen im Folgenden die zu der Jurisdiktion entwickelten Ansätze ausführlich dargestellt, analysiert und bewertet werden.
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Siehe: nach-Art.-59-EMRK. So im Übrigen auch die österreichische Übersetzung: BGBl. 1958/210. Vgl. die Ausführungen von: Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 149 f. 28 Vgl. auch: Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (3). 29 Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 25 ff.; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 113. 27
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(a) Ansätze zur Bestimmung der Jurisdiktion Es gibt drei zentrale Ansätze, die den Begriff der Jurisdiktion im Sinne der EMRK aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und deren Erläuterung und Bewertung für diese Bearbeitung unabdingbar ist, denn schließlich bestimmt die Jurisdiktion die Reichweite des räumlichen Anwendungsbereichs. (aa) Jurisdiktion als Verweis auf die Jurisdiktionsdogmatik des allgemeinen Völkerrechts Der Begriff der Jurisdiktion im Sinne des Art. 1 EMRK könnte als Bezugnahme auf die allgemein-völkerrechtliche Kompetenzzuweisungsordnung verstanden werden. Jurisdiktion in diesem Sinne ist ein völkerrechtlicher Rechtssatz, der es einem Staat erlaubt, seine Regelungs-, Durchsetzungs- oder Aburteilungshoheit auszuüben – sowohl territorial als auch extraterritorial. Der Anwendungsbereich der Konventionspflichten könnte nach diesem Ansatz der Jurisdiktionsbefugnis eines Staates folgen und ihn im Rahmen dieser Jurisdiktion zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen verpflichten. (a) Der Bankovic-Ansatz des EGMR In der Rechtsprechung des EGMR wird seit 2001 vertreten, dass der Begriff der Jurisdiktion dem allgemeinen Völkerrecht entstamme und entsprechend normativ-kompetenziell zu verstehen sei.30 Der Grundstein für ein solches Verständnis der Jurisdiktion wurde in der Entscheidung Bankovic des EGMR gelegt.31 Dort ging es um die Frage, ob die Konvention angewendet werden könne, wenn eine Vertragspartei extraterritorial den Luftraum eines anderen Staates beherrscht und durch ein Bombardement eines Gebietes in Konventionsrechte (etwa das Recht auf Leben aus Art. 2 EMRK) eingreift. Dieser Sachverhalt bietet zwar keinen realistischen Raum für die Erfüllung von Schutzpflichten, dennoch liefert die Entscheidung begriffsprägende Ansätze für den gesamten räumlichen Anwendungsbereich und damit grundsätzlich für alle Konventions- einschließlich der Schutzpflichten. Der Gerichtshof stellte fest, dass der Anwendungsbereich eröffnet sei, wenn das Völkergewohnheits- oder Vertragsrecht die extraterritoriale Jurisdiktionsausübung zulasse.32 Für eine Jurisdiktionsbegründung auch im Sinne des Art. 1 EMRK bedürfe es infolgedessen eines „jurisdictional links“ im Sinne des allgemeinen Völkerrechts33, denn Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK fordere die Berücksichti30 31 32 33
Sehr deutlich in: EGMR, Urteil v. 8. April 2004, Assanidze vs. Georgia, Rn. 137 f. EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien. EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 73. EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 82.
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gung jedes zwischen den Vertragsparteien einschlägigen Völkerrechtssatzes. Daher müssten auch Konventionsbegriffe soweit wie möglich im Sinne des allgemeinen Völkerrechts ausgelegt werden.34 Das allgemeine Völkerrecht sei insgesamt primär territorial ausgerichtet. Ausnahmen fänden eine strenge Begrenzung in der Souveränität der anderen Staaten und erforderten das Vorliegen der traditionell anerkannten Anknüpfungspunkte, etwa des Personalitäts-, Wirkungs- oder Schutzprinzips.35 So sei parallel dazu die Anwendbarkeit der Konvention primär territorial und nur in wenigen Ausnahmefällen extraterritorial ausgerichtet. Selbst im Falle des Vorliegens eines Anknüpfungspunktes könne aber nicht ohne Zustimmung, Aufforderung oder Einwilligung des anderen Staates extraterritorial gehandelt werden. Einzige Ausnahme bilde die extraterritoriale Besetzung eines Gebietes.36 Auch dort werde kraft Besetzung Jurisdiktion ausgeübt. Die Vorarbeiten zu der Konvention zeigten ferner, dass die Vertragsparteien niemals einen extraterritorialen Anwendungsbereich zu kreieren beabsichtigten, sie bestätigten klar, dass sich die Konvention nur auf das eigene Staatsterritorium beschränken sollte.37 Dieses so hergeleitete normative Verständnis der Jurisdiktion – insoweit also, als es sich auf allgemein-völkerrechtliche Prinzipien stützt – soll nach Auffassung des EGMR den Pflichten zugrunde gelegt werden. Dieser Jurisdiktionsbegriff wurde in den Folgeentscheidungen häufig zitiert und bestätigt.38 Deutlich wird die Fortführung dieses Verständnisses vor allem in dem Urteil Assanidze vs. Georgia, in dem der EGMR die Begriffe „Jurisdiktion“ und „Kompetenz“ wechselbezüglich verwendet.39 (b) Die Kritik des Schrifttums Der Ansatz des EGMR fand im Schrifttum nur sehr wenig Zuspruch.40 Die weit überwiegende Auffassung lehnt die Entscheidung mit einer Vielzahl von Argumenten vollumfänglich ab.41 34 35 36 37
EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 57. EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 59. EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 60. EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 63,
80. 38 EGMR, Zulässigkeitsentscheidung v. 12. Dezember 2002, Kalogeropoulou and Others vs. Greece and Germany; EGMR, Urteil v. 12. Juni 2003, Markovic a. o. vs. Italy; EGMR, Urteil v. 14. Mai 2002, Gentilhomme, Schaff-Benhadji and Zerouki vs. France. 39 EGMR, Urteil v. 8. April 2004, Assanidze vs. Georgien, Rn. 137. 40 Ress, IYIL 12 (2002), S. 51 ff.; Ress, ZEuS 6 (2003), S. 73 ff.; andeutend: Tomuschat, Human Rights, S. 128; ähnlich: Uerpmann-Wittzack, Höchstpersönliche Rechte,
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Das Schrifttum erwidert unter Berufung auf die Auslegungsmethoden, dass es bei Menschenrechtsverträgen auf Kontext und Zweck der Begrifflichkeiten ankomme und der Jurisdiktionsbegriff im Sinne der Konvention teleologisch ein untechnisches, faktisches Element – losgelöst vom allgemeinen Völkerrecht – erlangt habe. Der Jurisdiktionsbegriff des allgemeinen Völkerrechts beziehe sich dagegen auf eine Kompetenz im de jure Sinne.42 Dieses faktisch geprägte Jurisdiktionsverständnis mit der darin enthaltenen Ablehnung des normativen Verständnisses wird unterschiedlich begründet. Es sei einerseits auf die tatsächliche Ausübung der Staatsgewalt unabhängig von ihrer kompetenziellen Zu- oder Unzulässigkeit abzustellen.43 Denn es widerspreche Sinn und Zweck der Konvention, wenn sich ein Staat schlicht durch kompetenzwidriges Verhalten seiner Menschenrechtspflichten entziehen könne.44 Der Grundsatz der Effektivität des Menschenrechtsschutzes, auf den sich auch der EGMR regelmäßig berufe, erfordere eine weitestmögliche Anwendbarkeit des Jurisdiktionsbegriffs.45 Methodisch sei andererseits nicht stets die gewöhnliche Wortlautbedeutung ausschlaggebend, nach Art. 31 Abs. 4 WVK komme einem Begriff nur dann eine besondere Bedeutung zu, wenn dies von den Vertragsparteien gewollt sei. Für den Fall der EMRK sei nur schwerlich erkennbar, dass auf den allgemein-völkerrechtlichen Jurisdiktionsbegriff verwiesen werde.46 Ein normatives Verständnis führe ferner zu absurden Ergebnissen, wenn etwa ein NATO-Einsatz gerade auf eine menschenrechtliche Rechtfertigungsgrundlage in: Ehlers, Europäische Grundrechte, § 3, Rn. 51; Shah/Williams, EHRLR 2002, S. 775 (780 f.). In eine ähnliche Richtung deutet der Ansatz von: Heintzen, Auswärtige Beziehungen privater Verbände, S. 127 ff., 150 f., dort aber zum Grundrechtskollisionsrecht des deutschen Grundgesetzes. 41 Exemplarisch: Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 85: „The Court got it all wrong“. Auch: Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 ff.; von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 64. 42 Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (67, 157–174 f.); vgl. auch die Auslegung „any exercise of power“ von: Cassese, International Law, S. 385 f. 43 Breuer, EuGRZ 30 (2003), S. 450; Scheinin, Extraterritorial Effect, in: Coomans/ Kamminga, Extraterritorial Application, S. 79 f.; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 81 f.; von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 67. 44 Breuer, EuGRZ 30 (2003), S. 450; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 141 f.; Erberich, Auslandseinsätze der Bundeswehr und EMRK, S. 29; Scheinin, Extraterritorial Effect, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 79 f.; Gondek, NILR 52 (2005), S. 349 (364); Schäfer MRM 7 (2002), S. 149 (155); Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (6), u. v. m. 45 Darauf bezieht sich Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 142, m.w. N. in: Fn. 712. 46 Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 139 f.
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gestützt werde, die handelnden Staaten dann aber nicht zugleich an die Menschenrechte gebunden seien.47 Insgesamt hält die ganz überwiegende Auffassung des Schrifttums eine Anlehnung an den kompetenziellen Jurisdiktionsbegriff des allgemeinen Völkerrechts im Rahmen des Art. 1 EMRK für verfehlt. (g) Stellungnahme Art. 32 WVK ordnet an, dass bei mehrdeutigen Begriffen ergänzende Auslegungsmittel, wie etwa die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses, zur Begriffsbestimmung herangezogen werden können. Jurisdiktion im Sinne des Art. 1 EMRK ist – wie gezeigt – keineswegs ein eindeutig bestimmbarer Begriff, so dass entscheidungslenkend nach Hinweisen in den travaux préparatoires gesucht werden kann, worauf sich vor allem auch der EGMR beruft. Stichhaltig ist die Argumentation des EGMR allerdings nicht. Das Expert Intergovernmental Committee, das mit dem Entwurf der Konvention betraut war, befasste sich bei der Begründung des räumlichen Anwendungsbereichs mit nur einer Problematik: Es ging von seinem ursprünglichen Entwurf, nach dem Art. 1 EMRK sich auf „all persons residing within their territories“ bezog, zu der Formulierung „to everyone within their jurisdiction“ über. Zweck: Es sollten alle Personen, die – wenn auch nur vorübergehend – im Territorium einer Vertragspartei verweilten, vom Menschenrechtsschutz mit umfasst werden.48 Für diese Erweiterung stellte das Wort „residing“ ein zu rigides Kriterium dar. Der EGMR leitet in seiner Bankovic-Entscheidung aus dieser Wortlaut-Veränderung den vermeintlich klaren territorial orientierten Charakter der EMRK ab.49 Ob die Verhandlungsparteien aber beabsichtigten, der Konvention durch die Änderung einen extraterritorialen Anwendungsbereich zu verleihen, lässt sich mit dieser Änderung weder klar belegen noch eindeutig ausschließen.50 Die Änderung von „Territory“ zu „Jurisdiction“ spricht vielmehr eher für ein Erweiterungsbedürfnis, das heißt: für einen weiten räumlichen Anwendungsbereich. Deutlich wird dies vor allem durch die in den travaux préparatoires verlautbarte Zweckrichtung der Änderung: „to widen as far as possible the categories of persons who are to benefit by the guarantee contained in the Convention.“ 51 Die 47
Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 142. Collected Edition of the „travaux préparatoires“ of the European Convention on Human Rights, Vol. II, S. 276, Vol. III, S. 200. 49 EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 63. 50 So sieht es auch: Thurin, Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung, S. 11, im Hinblick auf eine „extraterritoriale Schutzwirkung“. 51 Collected Edition of the „travaux préparatoires“ of the European Convention on Human Rights, Vol. III, S. 200. 48
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vorbereitenden Arbeiten sprechen folglich für ein weites Jurisdiktionsverständnis und damit gegen eine strikt territorial-orientierte Jurisdiktionsdogmatik. Vor dem Hintergrund der Problematik, dass sich in der Logik des normativkompetenziellen Ansatzes ein Staat von Menschenrechtsverpflichtungen ganz einfach freizeichnen könnte, indem er (völkerrechts-)kompetenzwidrig, also außerhalb seiner Jurisdiktion handelt, kann der Jurisdiktionsbegriff im Sinne der Konvention nach Sinn und Zweck jedenfalls nicht als Verweis auf die völkerrechtliche Kompetenzordnung verstanden werden. Ein solcher Ansatz kann nämlich nicht erklären, warum ein staatliches extraterritoriales Handeln innerhalb der Jurisdiktionsbefugnis menschenrechtsgebunden sein soll, ein jurisdiktionswidriges Handeln aber nicht – bleiben die menschenrechtlichen Auswirkungen und der staatliche Kontrollgrad faktisch doch gleich. Der Ansatz bindet die Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs unzulässig an die völkerrechtliche Kompetenzordnung und liefert damit sinnwidrige Ergebnisse. Bereits aus diesem Grund ist der Ansatz des EGMR abzulehnen. Ferner ist der pauschale Verweis darauf, dass das allgemein-völkerrechtliche Jurisdiktionskonzept die extraterritoriale Ausübung der Hoheitsgewalt nur in wenigen Ausnahmefällen zulässt, nicht hinreichend präzise. Die völkerrechtliche Jurisdiktionsdogmatik bringt einige Komplexität mit sich, denn sie unterscheidet zwischen den Elementen jurisdiction to prescribe, to enforce und to adjudicate, die für sich genommen allesamt unterschiedliche Anforderungen aufstellen.52 Die vom EGMR angeführten Beispiele betreffen aber ausschließlich die jurisdiction to enforce. Dass es daneben aber auch die anderen Formen der Jurisdiktion geben kann, kommt seitens des EGMR gar nicht erst zur Sprache. Möchte man aber dem EGMR folgen, so würde sich ganz im Gegenteil ein anderer extraterritorialer Anwendungsbereich der Konvention eröffnen, als der EGMR selbst annimmt. Extraterritoriale Gesetze, die von der jurisdiction to prescribe umfasst wären, würden danach den Anwendungsbereich der Konvention begründen können. Genügt aber ein Gesetz zur Eröffnung des Anwendungsbereiches, so wäre angesichts der Fülle der extraterritorial anwendbaren Rechtsnormen die Jurisdiktion im Sinne des Art. 1 EMRK viel weitergehender als bislang angenommen. Dass der EGMR in Folgeentscheidungen die Völkerrechtsmäßigkeit des staatlichen Handelns nicht als maßgebend ansieht,53 sich aber dennoch auf sein Bankovic-Urteil beruft, bekräftigt einmal mehr die Unrichtigkeit und Inkonsequenz dieses Ansatzes. Die allgemein-völkerrechtliche Jurisdiktionsdogmatik füllt den menschenrechtlichen Jurisdiktionsbegriff nicht aus. Sie gewinnt erst dann wieder Bedeu-
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Darauf weist auch: Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (4), hin. Deutlich: EGMR, Urteil v. 16.11.2004, Issa et al. vs. Türkei, Rn. 71.
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tung, wenn es – wie noch zu erläutern sein wird54 – auf Rechtsfolgenseite um die Bestimmung der zulässigen Handlungsreichweite zum Schutze der Menschenrechte geht. Für die Begründung der Jurisdiktion im Sinne des Art. 1 EMRK müssen aber andere Kriterien gefunden werden. (bb) Jurisdiktion als Verweis auf die Regeln der Staatenverantwortlichkeit Ein nur im Schrifttum vertretener Ansatz55 versteht den Begriff der „Jurisdiktion“ als einen Verweis auf die Zurechenbarkeitsregeln des Regimes der Staatenverantwortlichkeit.56 Danach stehe nicht in Frage, ob sich die zu achtende oder zu schützende Person innerhalb der Jurisdiktion befinde, sondern ob das extraterritoriale (menschenrechtswidrige) Handeln unter der Kontrolle der Vertragspartei stattfinde, dessen Bejahung die Konventionsverantwortlichkeit auslöse. Diese Ansicht beruft sich zum einen auf die vom EGMR vermeintlich auswechselbar verwendeten Begriffe der Herrschaftsgewalt und der (Staaten-)Verantwortlichkeit.57 Zudem wird angemerkt, dass die haftungsrechtliche Zurechenbarkeit die einzige Grenze sei, die Art. 1 EMRK setze.58 Diesem Ansatz wird zu Recht entgegengesetzt, dass er Fragen der (sekundären) Staatenverantwortlichkeit mit der der (primären) Pflichtenbegründung vermengt59 und überdies Art. 1 EMRK schlichtweg missversteht.60 Art. 1 EMRK fordert, dass sich die zu schützende Person innerhalb der Jurisdiktion des Staates befindet, nicht hingegen diejenige Person, die die Menschenrechte beeinträchtigt. Dieses Erfordernis ist von der Frage zu trennen, ob die Tatbestände, die die Jurisdiktion begründen, vom Staat ausgeführt werden. Dort kann freilich die Zurechnung der Staatenverantwortlichkeit bedeutsam werden, nämlich etwa dann, wenn ein Beliehener dasjenige erfüllt, was einen Jurisdiktionstatbestand begründet. Die Frage der Zurechnung wird dann aber nur im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmals relevant, nicht dagegen bei der Frage, wer verantwortlich ist.61 Liegt Juris54
Siehe: Abschnitt C. III. Laut Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 62, handelt es sich um die herrschende Meinung. 56 Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 62 ff., 295; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 116 ff.; Rüth/Trilsch, AJIL 97 (2003), S. 168 ff.; Breuer, EuGRZ 30 (2003), S. 449; andeutend: Schäfer, MRM 3 (2002), S. 149 (160). 57 So etwa: Rüth/Trilsch, AJIL 97 (2003), S. 168 (172). 58 Rumpf, EuGRZ 19 (1992), S. 457 (462 f.). 59 Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 146 ff.; JankowskaGilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 126. 60 Siehe dazu die sehr ausführlichen Ausführungen von: Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 127 ff. 61 Vgl. auch: Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 125; Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 146. 55
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diktion vor und erfüllt ein Staat seine Pflicht auf Primärebene nicht, so wird dann – und nur dann – die Frage der Staatenverantwortlichkeit auf Sekundärebene bedeutsam. Die Antwort auf diese Frage gibt Aufschluss darüber, welche völkerrechtlichen Konsequenzen folgen können. Ein Verweis auf die Staatenverantwortlichkeit kann Art. 1 EMRK damit nicht entnommen werden. (cc) Jurisdiktion als faktische Kontrolle Art. 1 EMRK verweist nach den vorstehenden Ergebnissen weder auf den normativ-kompetenziellen Jurisdiktionsbegriff des allgemeinen Völkerrechts noch auf die Dogmatik der Staatenverantwortlichkeit. Dies hat noch keinen Erkenntnisgewinn darüber gebracht, was nun unter Jurisdiktion zu verstehen ist. Der überwiegende Teil des Schrifttums62 hält an einem Ansatz fest, den der EGMR in ständiger Rechtsprechung bis zu seiner Bankovic-Entscheidung vertrat und zwischenzeitlich wiederaufzugreifen scheint, ohne sich aber durch salvatorische Verweise von seinem Bankovic-Diktum lösen zu wollen.63 Der nach dieser Auffassung faktisch geprägte Begriff der Jurisdiktion vermag sich flexibel an bestimmte extraterritoriale Situationen anzupassen, ohne dass eine normative Kompetenz zur Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion erforderlich wäre. Jurisdiktion in diesem Sinne soll immer dann vorliegen, wenn bestimmte effektive Kontrolltatbestände erfüllt sind. Die effektive Kontrolle bestimmter Sachverhalte sei ausschlaggebend für das Vorliegen der Jurisdiktion und damit auch für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Konvention. Jurisdiktion ergibt sich danach ipso facto aus der effektiven Kontrolle und liegt eine solche extraterritorial vor, so erstreckt sich darauf auch der Anwendungsbereich der Konventionspflichten. Argumente für die Begründung eines faktisch geprägten Jurisdiktionsbegriffs der EMRK wurden selten hervorgebracht, denn der Begriff hangelte sich mit zunehmender Festigung an einigen Einzelfallentscheidungen entlang und gewann erst in der zusammenfassenden Rückschau eine in Ansätzen erkennbare Schärfe.
62 Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, S. 134; Milanovic, HRLR 8.3 (2008), S. 411 (419); Gammeltoft-Hansen, Growing Barriers, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 65 f.; Wilde, EHRLR 2 (2005), S. 115 ff.; Wilde, ILR 40 (2007), S. 503 ff.; Milanovic, HRLR 8.3 (2008), S. 411 (434 ff.); Scheinin, Extraterritorial Effect, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S.73 ff.; sämtliche Beiträge mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 63 Der EGMR verhält sich widersprüchlich. In Folge-Urteilen beruft er sich stets auf seine Rechtsprechung in Bankovic und rekurriert auf einen allgemein-völkerrechtlichen Jurisdiktionsbegriff, dennoch scheint er mittlerweile all jene Fälle, die sonst mit dem faktischen Jurisdiktionsbegriff begründet wurden, als Anwendungsfälle der Konvention anzusehen. Er scheint damit, ohne es ausdrücklich zugestehen zu wollen, die in Bankovic festgehaltenen Grundsätze nicht mehr zu vertreten.
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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Das Schrifttum verweist bei seiner Begründung für den faktisch geprägten Jurisdiktionsansatz meist auf die Prä-Bankovic-Rechtsprechung.64 Diese stellte das Erfordernis eines praktisch wirksamen Menschenrechtsschutz als Sinn und Zweck der Konvention auf und rekurriert auf die stets vom EGMR vertretene Auffassung, dass die EMRK ein „living instrument“ sei, das auch bei extraterritorialen Sachverhalten den faktischen Umständen angepasst werden müsse.65 So sei die Konvention immer dann anwendbar, wenn effektive extraterritoriale Kontrolle von Gebieten, Personen und Sachen vorliege.66 An anderer Stelle war mit Blick auf den dargelegten Wertungswiderspruch ein „bedauernswertes Vakuum in dem Menschenrechtsschutzsystem“ ausschlaggebend für die faktische Prägung des Jurisdiktionsbegriffs.67 Es sei mit der Konvention unvereinbar, wenn den Vertragsparteien bestimmte Verhaltensweisen extraterritorial erlaubt sein könnten, die ihnen intraterritorial aufgrund der Konvention verboten seien.68 Damit scheint der EGMR überwiegend aus teleologischen Gesichtspunkten den faktischen Jurisdiktionsbegriff zu vertreten. Dieser Ansatz überzeugt. Mitunter könnte es ursprünglich möglich gewesen sein, die Einfügung der Jurisdiktionsklausel mit Blick auf die völkerrechtliche Kompetenzordnung vorgenommen zu haben. Der Blick in die travaux préparatoires hat bereits gezeigt, dass es dafür aber keine klaren Anhaltspunkte gibt. Die Verwendung des vorbelasteten Wortes „Jurisdiktion“ in Art. 1 EMRK ist zwar ein Indiz, die Wortlautauslegung steht aber im Auslegungsrahmen nicht alleine da. Gerade im Menschenrechtsschutzsystem tritt die effektive Auslegung dort in den Vordergrund, wo ein Lücke zu entstehend droht. Die effektive Auslegung fordert, dass die möglichst menschenrechtsfreundliche Variante mehrerer zur Verfügung stehender Auslegungswege zu wählen ist.69 Dies ist freilich keine Auslegung sui generis, sondern ein Verweis darauf, dass der teleologischen Auslegung im Zweifel Vorrang zu gewähren ist und dem verschriebenen Ziel, also dem Menschenrechtsschutz, weitestmöglich Rechnung zu tragen ist. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der dargelegten sinnwidrigen Ergebnisse, die man im Falle der Annahme eines normativen Jurisdiktionskonzepts erhielte, muss der faktische Jurisdiktionsbegriff Art. 1 EMRK zugrunde gelegt werden, denn die Menschenrechtsbindung soll nicht der völkerrechtlichen Befugnis, sondern dem faktischen Staatshandeln folgen. Die menschenrechtskonforme Ausgestaltung des
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Milanovic, HRLR 8.3 (2008), S. 411 (422 ff.). EGMR, Zulässigkeitsentscheidung v. 23. März 1995, Loizidou vs. Turkey, Rn. 71 f. 66 Siehe dazu: B. I. 1. a) bb) (2) (b). 67 EGMR, Urteil v. 10. Mai 2001, Cyprus vs. Turkey, Rn. 78. 68 EGMR, Urteil v. 16. November 2004, Issa et al. vs. Turkey, Rn. 71. 69 Dazu: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 12, m.w. N. 65
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Staatshandelns, gleich wo es vorgenommen wird, trägt dem Menschenrechtsschutz insoweit am effektivsten Rechnung. Die Jurisdiktion ergibt sich also ipso facto aus – nachfolgend zu erläuternden – extraterritorialen Kontrolltatbeständen. Die Jurisdiktion folgt damit dem tatsächlichen Staatshandeln nach. (b) Anwendungsfälle für Schutzpflichten nach dem faktischen Kontrollbegriff Es wurde dargelegt, dass Jurisdiktion als faktische Kontrolle zu verstehen ist. Die Qualität und Dichte der Kontrolle ist damit aber noch nicht hinreichend ergründet. Für Achtungspflichten, also die Pflichten des Staates, Menschenrechte nicht unzulässig zu beeinträchtigen, wurden einige extraterritoriale Tatbestände anerkannt. Dass diese auch maßgebend für Schutzpflichten sein müssen, ergibt sich daraus, dass das gesamte Konventions-Pflichtenprogramm aus den Worten „to secure to“ aus Art. 1 EMRK abgeleitet wird. Der räumliche Anwendungsbereich, der für Achtungspflichten gilt, gilt damit – jedenfalls für den Fall der EMRK – auch für Schutzpflichten. (aa) Effektive und allgemeine Kontrolle über extraterritoriale Gebiete In ständiger Rechtsprechung geht der EGMR davon aus, dass die effektive Kontrolle über ein Gebiet die Anwendbarkeit der Konventionspflichten begründet. Selbst in der umstrittenen Bankovic-Entscheidung wurde die effektive (extraterritoriale) Gebietskontrolle als Ausnahmefall zu dem dort vertretenen Normativitätsansatz verstanden.70 Entwickelt wurde diese Fallgruppe in den sog. Zypern-Fällen71, in denen die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) und später der EGMR festhielten und immer wieder bestätigten, dass die Gebietsbesetzung der Türkei auf Nord-Zypern ihre Konventionsverantwortlichkeit auf diesem Gebiet kraft der dort ausgeübten effektiven Kontrolle begründet. Nach der etwas strengeren Forderung der Effektivität der Kontrolle, genügte sodann die allgemeine Kontrolle, was bedeutete, dass keine detaillierten Kontrollnachweise im konkreten Fall erforderlich waren.72 70 EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 60, 71 ff. 71 EKMR, Zulässigkeitsentscheidung v. 26. Mai 1975, Cyprus vs. Turkey, Nr. 6780/ 74 und 6950/75, S. 82 ff.; bestätigt in Folgeverfahren: EKMR, Entscheidung v. 10. Juli 1978, Cyprus vs. Turkey, Nr. 8007/77, DR 13, 148 ff.; EKMR Entscheidung v. 28. Juni 1996, Cyprus vs. Turkey, Nr. 25781/94; EGMR Urteil v. 10. Mai 2001, Zypern gegen Türkei Nr. 25781/94, RJD 2001-IV, 25, Rn. 77. 72 EGMR, Urteil v. 18. Dezember 1996 (merits), Loizidou vs. Turkey, Rn. 56. Sodann auch in: EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldova and Russia, Rn. 314 f.
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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Auch das Schrifttum sieht den Fall der Gebietskontrolle ganz überwiegend als jurisdiktionsbegründend an.73 Gestritten wird vereinzelt zwar darüber, ob sich die Kriterien „effektiv“ und „allgemein“ nicht gegenseitig ausschließen,74 dem kann aber entgegengesetzt werden, dass der EGMR beide Kriterien – auch wenn die Formel es anders erscheinen lässt – nicht als kumulativ, sondern als alternativ ansieht. Die effektive Kontrolle ist das engere Element, welches eine Detail-Kontrolle fordert; ist diese nicht gegeben, ist es hinreichend, wenn eine allgemeine Kontrolle nachgewiesen werden kann. Kontrolle wird überdies im Schrifttum präzisierend als das angesehen, was normalerweise der Staat ausüben würde, auf dessen Territorium die Menschenrechtsverletzung stattfindet.75 Diese variable Komplementarität kann nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall beurteilt werden, denn zu vielschichtig ist das mögliche staatliche Handeln. Damit liegt Jurisdiktion im Fall effektiver oder allgemeiner Kontrolle über ein Gebiet vor, innerhalb dessen freilich – und das wird insgesamt nicht in Frage gestellt – Schutzpflichten zu erfüllen sind.76 Auf etwaige Hindernisse zur Erfüllung dieser Schutzpflichten aus dem allgemeinen Völkerrecht wird später einzugehen sein.77 (bb) Effektive Kontrolle über extraterritoriale Personen Eine weitere Fallgruppe, die den Anwendungsbereich der Konvention begründen soll, ist die der effektiven Kontrolle über einzelne Personen, ohne dass ein Gebiet umfassend kontrolliert wird. Eine solche kann punktuell etwa bei der physischen Inhaftnahme oder Ingewahrsamnahme von Personen auf fremdem Gebiet vorliegen.78 Der EGMR79 und das Schrifttum verstehen die Kontrolle über eine Person als jurisdiktionsbegründend80, sind sich jedoch bei der Beschaffenheit der Kontrolle 73
Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (8); von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 67; Krieger, ZaöRV 62 (2002), S. 669 (674 ff.); Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 89. 74 Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (36). 75 So zutreffend: Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (38). 76 Ganz im Gegenteil, der EGMR, Entscheidung v. 10. Mai 2001, Cyprus vs. Turkey, Rn. 81, spricht selbst von „positiven Pflichten“ im extraterritorial kontrollierten Gebiet. 77 Abschnitt C. III. 78 Darunter müssen auch einzelne extraterritoriale Kampfhandlungen fallen, auch wenn keine effektive Gebietskontrolle vorliegt, vgl. Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 33. 79 EGMR, Urteil v. 12. März 2003, Öcalan vs. Turkey, Rn. 93; bestätigt von: EGMR, Urteil der Großen Kammer v. 12. Mai 2005, Rn. 91; auch: EGMR, Urteil v. 16. November 2004, Issa et al. vs. Turkey, Rn. 71. 80 Auch die EKMR sah dies bereits so: „authorized agents of a State including diplomatic or consular agents and armed forces, [. . .] bring any persons or property ,within
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
uneins. Während der EGMR auf die tatsächliche, physische Gewalt über Personen abstellt, verlangt das Schrifttum vereinzelt, dass die Gewaltausübung zur Durchsetzung staatlicher Rechtssetzung dienen müsse, mithin Ausführungsakt eines Befehls darstellen müsse.81 Diese Ansicht verkennt, dass es bei der Beurteilung der Jurisdiktion im Sinne des Art. 1 EMRK keineswegs darauf ankommt, ob staatliches Handeln legitim oder illegitim ist, sondern darauf, dass die bloße Gewaltinhaberschaft die Pflichten begründet. Wird eine Person extraterritorial (zwar mit Befehl, aber rechtswidrig) beispielsweise durch Geheimdienstpersonal eines Staates entführt und wird diese Person im Rahmen der Maßnahme besonderen Gefahren ausgesetzt, gegen die sie sich selbst nicht zur Wehr setzen kann, so gebietet die Kehrseite der beschränkten Abwehrfähigkeit die Pflicht, Schutz zu üben. Auch wenn also die punktuelle Kontrolle über eine Person nicht der Durchsetzung staatlicher Rechtsnormen dient, erfordert die tatsächliche Kontrollsituation dennoch die Anwendung der Konventionsrechte. Eine andere, damit zusammenhängende, aber hier nicht bedeutsame Frage ist freilich, ob der die Kontrolle ausübende Akteur staatlich respektive dem Staate zurechenbar ist, das heißt, ob auch die entsprechende Vertragspartei verantwortlich ist. Dies wird vorausgesetzt, muss aber im Einzelfall bewiesen werden.82 Die bloße effektive Kontrolle einer Vertragspartei über eine einzelne Person, losgelöst von der rechtlichen Beschaffenheit, eröffnet damit den Anwendungsbereich der EMRK. (cc) Effektive Kontrolle über extraterritorial belegene Sachen Die letzte Fallgruppe ist die der effektiven Kontrolle über Sachen, die in dem Urteil Loizidou begründet wurde.83 Dieses Urteil ist insofern überaus bemerkenswert, da es entgegen der Dogmatik von Art. 1 EMRK nicht darauf abstellt, wo sich die Person, um deren Rechte es geht, befindet, sondern wo die Ausübung der Eigentumsfreiheit vereitelt wurde. the jurisdiction‘ of that State, to the extent that they exercise authority over such persons or property [. . .]“, siehe: EKMR, Zulässigkeitsentscheidung v. 26. Mai 1975, Zypern gegen Türkei, Nr. 6780/74 und 6950/75, S. 82 ff. 81 Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 187 ff. 82 Es ist im Rahmen dieser Abhandlung auch nicht zu klären, ob der Tatbestand der effektiven Kontrolle von der Vertragspartei ausgeübt wird oder ob deren Handlungen einer internationalen Organisation zuzurechnen sind, mit der möglichen Folge, dass die Anwendbarkeit der EMRK ausgeschlossen werden könnte. Dazu die Entscheidung: EGMR, Entscheidung v. 2. Mai 2007, Behrami vs. France and Saramati vs. France. 83 EGMR, Urteil v. 18. Dezember 1996, Loizidou vs. Türkei, Rn. 48 ff. Die Eigentumsfreiheit ist nicht per se ein Schutzgut der EMRK, das aber von der Türkei ratifizierte 1. Zusatzprotokoll sieht in Art. 1 einen entsprechenden Schutz vor. Art 1 EMRK gilt insofern auch für die Zusatzprotokolle, vgl. Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 145.
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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Die Beschwerdeführerin in Loizidou befand sich räumlich zur Zeit der gerügten Rechtsverletzung außerhalb der Turkish Republic of Northern Cyprus (TRNC) und machte geltend, die Türkei verletze ihre Eigentumsfreiheit, da ihr Grundeigentum dort belegen war, wo die Türkei effektive Kontrolle ausübt und sie aufgrund dieser Kontrolle daran gehindert sei, zu ihrem Eigentum zu gelangen. Damit befand sich die Person zur Zeit der Beeinträchtigung der Eigentumsfreiheit nicht innerhalb der Jurisdiktion der Türkei und konnte dennoch die Anwendbarkeit der Konventionsrechte geltend machen. Auf den ersten Blick handelt es sich also um einen Sachverhalt, der jenseits des Anwendungsbereichs der Jurisdiktionsklausel des Art. 1 EMRK liegt, denn die Beschwerdeführerin befand sich außerhalb dieser Kontrolle. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich jedoch um einen Spezialfall für das Eigentumsrecht. Die Eigentumsfreiheit ist eine Freiheit, die zu ihrer Ausübung eine Sache benötigt. Die Verletzung der Freiheit hat damit zwei (räumliche) Ansatzpunkte, einmal die Person des Eigentümers und einmal die Sache selbst. Durch den kontinuierlichen Ausschluss der Nutzbarkeit durch die entziehende Kontrolle der Sache musste hier aufgrund der Eigenart des Rechts auf Eigentum und der Eigenart des Eingriffs ein Sonderfall geschaffen werden84, der auch nicht auf weitere Menschenrechte übertragen werden kann. Die effektive Kontrolle über eine Sache begründet danach Jurisdiktion und damit die Anwendung der Konventionsrechte, allerdings beschränkt auf den speziellen Schutz der Eigentumsfreiheit. Für Schutzpflichten kann nichts anderes gelten. Ist die eigene Ausübung der Eigentumsfreiheit nicht möglich, so obliegt es demjenigen, der die Kontrolle über eine Sache hat, diese vor Drittübergriffen zu schützen. (dd) Erweiterung der extraterritorialen Kontrolltatbestände? Neben diesen drei anerkannten Tatbeständen der effektiven Kontrolle, die die Begründung der Jurisdiktion im Sinne des Art. 1 EMRK und damit auch die Anwendbarkeit der Konventionspflichten nach sich ziehen, gibt es Ansätze, die den Anwendungsbereich zu erweitern versuchen. (a) Vermittelte Kontrolle durch einen „direct and immediate link“ zum Verletzungserfolg? Einige Autoren im Schrifttum85 erkennen eine Jurisdiktionsbegründung neben den anerkannten Kontrolltatbeständen mittels eines „direct and immediate link“ 84 Der EGMR, Urteil v. 18. Dezember 1996, Loizidou vs. Türkei, Rn. 57, sieht die Eigentumsfreiheit beeinträchtigt. 85 Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 103 f.; von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärt-
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
an. Die alleinige negative Auswirkung auf eine Person durch staatliches Handeln könne zwar keine Jurisdiktion über eine Person begründen,86 liege indes eine direkte und unmittelbare Verknüpfung zwischen Staatshandeln und Konventionsrechtsverletzung vor, so sei gerade die Person durch diese Verbindung in die staatliche Jurisdiktion geraten.87 Dieser „Link“ sei nicht formal-rechtlich zu verstehen, sondern stelle eher einen faktischen unmittelbaren Kausalzusammenhang dar.88 Die Kontrolle des Luftraumes im Falle Bankovic beispielsweise vermittle in diesem Fall die Jurisdiktion und binde die Streitkräfte an die Menschenrechte.89 Der Ansatz wird deswegen abgelehnt, weil er dem Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem staatlichen Verhalten und dem Menschenrechtseingriff gleichkomme. Dies sei zwar notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für die Kontrollbegründung.90 Dies geschieht zu Recht, denn eine solche über eine faktische Verknüpfung vermittelte Kontrolle überdehnt das Erfordernis der Jurisdiktion. Bereits die effektive Kontrolle über den Luftraum, wie es im Falle Bankovic beurteilt werden musste, bereitet Schwierigkeiten, die Jurisdiktion als begründet anzusehen, denn erforderlich ist die tatsächliche Einflussnahmemöglichkeit auf extraterritoriale Sachverhalte. Mag dies, auch wenn es für Schutzpflichten nicht realisierbar ist, für den vorgenannten Sachverhalt mit „Biegen und Brechen“ gerade noch begründbar sein, so liegt jedenfalls keine die Jurisdiktion eröffnende Einflussnahmemöglichkeit bei einer reinen Kausalverknüpfung vor. Den anerkannten Fallgruppen ist stets die physische staatliche Anwesenheit auf fremdem Territorium gemein, was dem hier dargelegten Ansatz fehlt. Dieser Erweiterungstatbestand ist abzulehnen.
ner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 67; Lawson, The Concept of Jurisdiction, in: Kreijen, State, S. 294. Ähnlich auch: Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, S. 142. Etwas unklar ist, ob Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (108 f.), einen entsprechenden Ansatz begründen, wenn sie von einer „cause and effect type of responsibility“ sprechen. Sie beziehen sich damit auf von den Beschwerdeführern in Bankovic vorgebrachte Argumente, die aber am ehesten diesem Ansatz zuzuordnen sind. 86 Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 103 f.; Lawson, The Concept of Jurisdiction, in: Kreijen, State, S. 294. 87 von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 67. 88 Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 104. So analysiert es auch Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 159. 89 So: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 67. 90 Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 159.
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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(b) Partielle Kontrolle bei staatlichen Maßnahmen mit extraterritorialer Wirkung? Bei staatlichen Maßnahmen mit extraterritorialen Wirkungen, wie beispielsweise bei Kürzungen von Entwicklungsleistungen, einem Handelsboykott oder einem Embargo, soll ebenfalls, so eine vereinzelte Auffassung, ein jurisdiktionseröffnender Kontrolltatbestand vorliegen.91 Werde als direkte Folge eines Handelns mit extraterritorialer Wirkung die materielle Garantie eines Menschenrechts beeinträchtigt, so vermittle nach dieser Auffassung eine solche Situation, wohl aufgrund der Einflussnahmemöglichkeit, zumindest partiell eine gewisse Kontrolle.92 Diese Auffassung überdehnt aber das Kontrollverständnis der Jurisdiktion. Der faktisch geprägte Jurisdiktionsbegriff, der inhaltlich durch die effektive Kontrolle ausgefüllt wird, knüpft nach wie vor an die Ausübung von – freilich in unterschiedlicher Form ausgeübter – Gewalt durch staatliche oder dem Staate zurechenbare Akteure an. Insoweit muss der Kern des Jurisdiktionsverständnisses erhalten bleiben. Die Faktizität der Jurisdiktion will nur wertungswidersprüchliche Ergebnisse aufgrund formal-rechtlicher Kompetenzerfordernisse vermeiden, nicht aber sich von dem Erfordernis der Gewaltausübung verabschieden. Eine Erweiterung der Kontrolltatbestände durch die Vermittlung entfernter extraterritorialer negativer Auswirkungen überdehnt mithin den Jurisdiktionsbegriff. Die faktische Jurisdiktion fordert vielmehr auch hier die physische Anwesenheit staatlicher Organe auf fremdem Territorium, was hier nicht erfüllt sein kann. Diesem Ansatz ist aufgrund der vorstehenden Bedenken nicht zu folgen. (ee) Zusammenfassung und Bewertung Der faktisch geprägte Jurisdiktionsbegriff erschöpft sich in den anerkannten Tatbeständen der effektiven Kontrolle über Gebiete, Personen oder Sachen. Die nähere Beschaffenheit, die Qualität und Dichte der Kontrolle ist stets eine Frage des Einzelfalls, verallgemeinerungsfähig sind die Tatbestände aber insoweit, als die Kontrolle nach wie vor an Jurisdiktion, also – ganz grundsätzlich – an die Ausübung von Gewalt durch staatliche oder dem Staate zurechenbare Akteure anknüpft; freilich mit dem bedeutsamen Unterschied, dass es nicht formal-rechtlich auf eine Befugnis ankommt, die Jurisdiktion also nicht völkerrechtmäßig ausgeübt sein muss. Maßgebend ist vielmehr die faktische, überlegene Einflussnahmemöglichkeit einerseits93 und die physische extraterritoriale Anwesenheit 91
Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 118 ff. Die Begründung ist bei: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 119, nicht so deutlich. Zu vermuten ist aber, dass die Einflussnahmemöglichkeit der entscheidende Faktor sein soll. 93 Milanovic, HRLR 8.3 (2008), S. 411 (424), spricht von „actual power to affect the lives of the inhabitants“. 92
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
der staatlichen bzw. dem Staate zurechenbaren Akteure andererseits. Eine vermittelnde Kontrolle kraft einer Kausalverknüpfung oder aber auch die Kontrolle kraft Handelns mit extraterritorialer Wirkung überdehnt dagegen den Jurisdiktionsbegriff des Art. 1 EMRK. (c) Abstufung des extraterritorialen Anwendungsbereichs? Zwei Ansätze vertreten eine Teilung der Pflichten für den räumlichen Anwendungsbereich: eine formelle Pflichtenstufung und eine materielle Pflichtenstufung im Hinblick auf bestimmte Rechte. (aa) Formelle Pflichtenstufung Einige Stimmen im Schrifttum unterscheiden zwischen positiven und negativen Pflichten.94 Negative Pflichten unterlägen danach einem universellen Gedanken, der zu einer weltweiten Achtungsdimension des Menschenrechtssystems führen solle. Universelle Rechte verlangten universelle Achtung und alle Staaten, die Menschenrechtsverträge ratifiziert hätten, bekannten sich zu dieser Konzeption. Positive Pflichten, also – dieser Auffassung zufolge – Schutz- und Leistungspflichten, seien hingegen in ihrer Erfüllungsstruktur auf gewisse Handlungsmöglichkeiten beschränkt, denn staatliches (positives) Handeln unterliege den Grenzen des allgemeinen Völkerrechts.95 Ferner sei es einem Staat nicht zuzumuten, Schutzpflichten global erfüllen zu müssen.96 Die Jurisdiktionsklausel des Art. 1 EMRK finde folglich nur auf positive Pflichten Anwendung, Unterlassungspflichten seien stets – unabhängig vom Vorliegen der Jurisdiktion – zu erfüllen, wenn ein Staat „has the power to (intentionally, knowingly, or negligently) affect one or several of his/her human rights.“ 97 Diesem Ansatz muss entgegengehalten werden, dass die Frage, welche konkreten Handlungspflichten im Einzelfall entstehen, auf Rechtsfolgenseite erst unter 94 Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 227 ff.; Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (72 ff.). So auch: Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 173 ff. und De Schutter, CHRGJ Working Paper 1 (2004), S. 19 ff.; ähnlich: Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 105 f.; Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 31. So deutet es auch: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 70 ff. 95 von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 72 ff.; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 184 f. 96 Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (74 f.). 97 Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (74); ähnlich: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 67.
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Berücksichtigung der Grundsätze der Unmöglichkeit und Verhältnismäßigkeit beantwortet werden kann.98 Dass Staaten keinen absoluten Schutz gewährleisten können, ist eine Naturgegebenheit, dies ist aber auch intraterritorial nicht anders, denn zu mannigfach sind die möglichen Hindernisse. Die Frage des Umfangs der konkreten Schutzpflichten muss daher klar von der Frage der grundsätzlichen Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs getrennt werden, denn dieser fordert nur den weitestmöglichen Schutz. Der Ansatz überzeugt auch nicht, weil er die differenzierende Pflichtenstufung anscheinend aus der Luft greift, Anhaltspunkte für eine solche Unterscheidung lassen sich dem Text der EMRK nicht entnehmen. Positive und negative Pflichten oder Achtungs- und Schutzpflichten werden allesamt aus der Wendung „to secure to“ abgeleitet. Auf diese Anforderung bezieht sich auch die räumlich determinierende „jurisdiction“. Raum für eine Differenzierung liefert die Konvention folglich nicht. Ohne vertragstextliche Ansatzpunkte kann diese Auffassung nicht überzeugen. (bb) Materielle Pflichtenstufung Andere differenzieren zwischen den Rechten in materieller bzw. qualitativer Hinsicht und begründen mit dieser Differenzierung unterschiedliche Anwendungsbereiche. Vertreter dieser Auffassung99 teilen die Menschenrechte in extraterritorial anwendbare und unanwendbare Rechte ein. So sei beispielsweise das Recht auf ein faires Verfahren extraterritorial nicht beeinträchtigungsfähig, da nur der Gaststaat selbst dieses verletzen könne, andere Rechte, wie etwa das Recht auf Leben, könnten dagegen überall beeinträchtigt werden. Ein solcher materiell-gestufter Anwendungsbereich hält einer näheren Überprüfung nicht stand. Der räumliche Anwendungsbereich der Konventionspflichten ist nämlich von den auf Rechtsfolgenseite zu erfüllenden Handlungsschran98 Vgl. Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 287 f.; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 174; Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 204 f. Wegen der Einzelfallabhängigkeit lehnt auch Bernhardt, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 209 f., die Abstufung aus diesem Grunde ab. 99 Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 185; Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 228; Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/ Kamminga, Extraterritorial Application, S. 120; McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 46; Lawson, The Concept of Jurisdiction, in: Kreijen, State, S. 295; von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 71. In ähnlicher Richtung differenziert: De Schutter, CHRGJ Working Paper 1 (2004), S. 21.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
ken zu trennen. Er trifft dabei keine Aussage darüber, was konkret getan werden muss oder welche Rechte zu schützen sind, er umspannt vielmehr nur einen bestimmten räumlichen Bereich, innerhalb dessen die Pflichten grundsätzlich zu erfüllen sind. Es überzeugt nicht, dass einige Rechte „auslandstauglich“ und andere „-untauglich“ sein sollen, denn bedenkt man etwa, dass gerade extraterritorial auch Schutz davor gewährt werden könnte, einem unfairen Verfahren überhaupt erst ausgesetzt zu werden, so kann dies eine Schutzpflicht im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) darstellen, auch wenn die Unfairness von einem anderen Staat ausgeht. Solchen Rechten pauschal nur einen rein intraterritorialen Anwendungsbereich beizumessen, trägt der Vielzahl der Sachverhaltskonstellationen nicht Rechnung. Auch eine materielle Pflichtenstufung ist daher nicht überzeugend.100 (d) Der „espace juridique“ als äußere Grenze des räumlichen Anwendungsbereichs? Es ist umstritten, ob die bislang dargelegten extraterritorialen Tatbestände, die den Anwendungsbereich der Konvention eröffnen, auch dann eine Konventionsverantwortlichkeit auslösen können, wenn sie in einem Staat erfüllt werden, der nicht zugleich Vertragspartei der EMRK ist. Diese äußere räumliche Grenze stellt der EGMR in Bankovic auf. Die Konvention sei außerhalb des europäischen „espace juridique“ nicht anwendbar, denn die Natur des Vertrages sei regional geprägt, die EMRK stelle ein Verfassungsinstrument für die Konventionsstaaten dar, das nicht Personen außerhalb dieses Bereichs begünstigen wolle. Dies ergebe sich insbesondere aus den regionalen Anhaltspunkten in der Konvention.101 Ganz vereinzelt wurde im Schrifttum diese räumliche Beschränkung zustimmend mit der Begründung aufgenommen, einen „Menschenrechtsimperialismus“ vermeiden zu wollen.102 Die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum lehnt die Begrenzung dagegen ab,103 da der EMRK keine Anhaltspunkte für die Regio100 Vgl. zu der Frage der Existenz von „auslandstauglichen Menschenrechten“ auch: Abschnitt C. II. 1. b). 101 EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 80. 102 Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (1, 42 ff.), die dann später aber doch keinen pauschalen Ausschluss annehmen möchte (S. 44). In der nationalen Rechtsprechung wurde der European-Legal-Space aufgegriffen durch: House of Lords, Urteil v. 13. Juni 2007, AlSkeini vs. Secretary of State for Defence. 103 Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 113 ff.; Wilde, EHRLR 2 (2005), S. 115 (121 ff.); McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (70 f.); Bothe, ZaöRV 65 (2005), S. 615 (618 f.); O’Boyle, The ECHR and Extraterritorial Jurisdiction, in: Coo-
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nalität entnommen werden können.104 Gegen die vermeintliche Konstitutionalisierung wird vor allem die objektive Natur und die Universalität der Menschenrechte angeführt.105 Auch widerspreche die regionale Beschränkung der „LivingInstrument“-Lehre des EGMR.106 Letztlich kann eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der EMRK dem Vertragstext selbst nicht entnommen werden. Der den allgemeine Verpflichtungsgrad festlegende Artikel bezieht sich nicht auf eine Regionalität, sondern nur auf die Jurisdiktion, gleich, wo sie ausgeübt wird. Überdies findet sich insgesamt kein einziger Hinweis auf eine solche Regionalität in der Konvention. Umgekehrt wird in der Präambel auf die Universalität hingewiesen und Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) genommen. Selbst wenn man sie als eine Art europäische Verfassung begriffe, so ist damit auch keinesfalls ein extraterritorialer Anwendungsbereich ausgeschlossen, wenn man sich etwa die Diskussion der extraterritorialen Anwendung europäischer Verfassungen anschaut.107 Ausgeschlossen ist damit freilich nicht, dass es aufgrund des allgemeinen Völkerrechts geboten sein kann, etwa menschenrechtsschützende Gesetze, die in Erfüllung der Schutzpflichten der EMRK erlassen wurden, im Einzelfall nicht extraterritorial anzuwenden, etwa weil der Gaststaat berechtige Interessen im Rahmen seiner Souveränität entgegenhalten kann,108 die grundsätzliche Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs der Konvention ist damit aber nicht pauschal begrenzbar. Eine Beschränkung der Konventionspflichten auf den europäischen Konventionsraum lässt sich damit nicht begründen. (e) Zusammenfassung Eine Zwischenbilanz macht deutlich, dass der räumliche Anwendungsbereich der Konventions- einschließlich der Schutzpflichten sich bereits soweit erstreckt, wie die Jurisdiktion der Vertragspartei im Sinne des Art. 1 EMRK reicht. Der Begriff der Jurisdiktion ist dabei weder der allgemein-völkerrechtlichen Jurisdikmans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 137; von Arnauld, Das (Menschen-) Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 64; a. A.: Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 119 f. 104 Vgl. Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 143; McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (70 ff.). 105 Schäfer, MRM 7 (2002), S. 149 (158). Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 146. Allgemein: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 64. 106 Wilde, EHRLR 2 (2005), S. 115 (117). 107 Vgl. etwa: Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 57 ff. 108 Abschnitt C. III. 2. b) cc) (2).
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tionsdogmatik entlehnt, noch handelt es sich um einen Verweis auf die Konzeption der Staatenverantwortlichkeit. Es ist vielmehr ein faktisch geprägter Begriff, der zwar auf Handlungen staatlicher oder dem Staate zurechenbarer Akteure abstellt, dies aber gänzlich unabhängig von jeder formal-(völker-)rechtlichen Prägung. Jurisdiktion bedeutet: effektive Kontrolle von Gebieten, Personen oder Sachen. Liegen vorgenannte Tatbestände extraterritorial vor, so eröffnet sich für diesen Raum der Anwendungsbereich der Konvention. Ferner kann eine Differenzierung zwischen den Pflichten in formeller Hinsicht nicht begründet werden, so dass innerhalb der begründeten Jurisdiktion grundsätzlich sämtliche Konventionspflichten zu erfüllen sind. Daneben gibt es auch keine Pflichtenstufung in materieller Hinsicht, so dass extraterritorial grundsätzlich – freilich mit dem Vorbehalt etwaiger Handlungsschranken auf Rechtsfolgenseite – alle Rechte zu schützen sind. Überdies lässt sich auch keine Beschränkung der Jurisdiktionsdogmatik auf nur den europäischen Konventionsraum begründen, so dass bei Vorliegen der Jurisdiktion Schutzpflichten auch außerhalb des espace juridique erfüllt werden müssen. (3) Schutzpflichten außerhalb der Jurisdiktion? – Extrajurisdiktionelle Schutzpflichten Ist der extraterritoriale Anwendungsbereich für diejenigen Gebiete eröffnet, für die eine Erweiterungserklärung nach Art. 56 EMRK abgegeben wurde, und für den Bereich, in dem ein Staat Jurisdiktion ausübt, so stellt sich die Frage, ob es daneben noch weiteren Raum für die Anwendung der Konventionspflichten geben kann; mit anderen Worten: ob Schutzpflichten gegenüber Personen jenseits der Jurisdiktion zu erfüllen sein könnten. Auf den ersten Blick mag dies abwegig erscheinen, denn einerseits ist die staatliche Einflussnahmemöglichkeit extraterritorial stark gemindert, wenn der Staat nicht selbst die Kontrolle über bestimmte Situationen hat, und andererseits scheint, und so wird es auch oft vertreten109, Art. 1 EMRK eine abschließende Bestimmung für den räumlichen Anwendungsbereich zu enthalten. Dass aber Art. 1 EMRK nicht das letzte Wort hat, widerlegt die Konvention selbst. Das Recht auf Einreise aus Art. 3 Abs. 2 EMRK 4. Zusatzprotokoll (ZP) ist eines, das naturgemäß Personen zusteht, die sich außerhalb der Jurisdiktion des in Frage stehenden Staates befinden,110 denn erst die Einreise bewirkt die 109
So etwa: Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 296. Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 79; Buergenthal, To Respect and to Ensure, in: Henkin, The International Bill of Rights, S. 74; McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/ Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (54). Gleiches gilt für: Art. 12 Abs. 4 IPbpR; Art. 10 Abs. 2 Satz 2 KRK. 110
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Unterstellung unter die Jurisdiktion. Dies ist zwar ein Spezialfall, es deutet aber an, dass die zu schützende Person sich nicht in jedem Fall innerhalb der Jurisdiktion befinden muss. Ansätze, die im Rahmen der EMRK das Jurisdiktionserfordernis generell für alle Rechte übergehen wollen, überzeugen dagegen von vornherein nicht. So stellen einige sehr weitgehende Auffassungen generell die Anwendung von Pflichtenkonstruktionen und Anwendungsgrenzen im Rahmen der Menschenrechte mit Verweis auf die Menschenwürde gänzlich in Frage,111 andere wollen aus den universellen Anmerkungen der EMRK auch auf universelle Pflichten schließen.112 All diese Ansätze sind Desiderate, nicht aber Rechtswirklichkeit, denn solche Generalisierungen unterlaufen die Existenz von Art. 1 EMRK und höhlen ihn gänzlich aus. Diese Gefahr schließt es aber nicht aus, dass Ausnahmen zu dem dort festgelegten Grundsatz bestehen können. Anhaltspunkte in der Rechtsprechung dafür gibt es. (a) Andeutungen in der Rechtsprechung Einige obiter dicta des EGMR liefern Ansätze dafür, dass die Konvention in Ausnahmefällen auch extraterritoriale Ausstrahlungswirkung jenseits der Jurisdiktion haben kann. So hielt der EGMR in den Urteilen Loizidou und Drozd and Janousek ohne nähere Präzisierung fest: „[. . .] the responsibility of Contracting Parties can be involved because of acts of their authorities, whether performed within or outside national boundaries, which produce effects outside their own territory.“ 113 Ohne dass es für das Ergebnis maßgebend war, deutete der EGMR hier an, dass intraterritoriales staatliches Handeln mit extraterritorialer Wirkung grundsätzlich eine Konventionsverantwortlichkeit auslösen könne, ohne aber hierfür konkrete Anwendungsfälle zu nennen. Bemerkenswerterweise soll dies auch dann gelten, wenn sich der Staat nicht auf dem fremden Territorium befindet (deutlich wird dies durch die Wendung „within“), sprich: dort auch keine effektive Kontrolle ausübt und mithin keine Jurisdiktion vorliegt.
111 So: Künneman/Ratjen, Extraterritorial Obligations, S. 34 ff. und 42 ff.; in Bezug auf den IPbpR: Meron, AJIL 89 (1995), S. 78 (82). 112 Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (107), die auch in den travaux préparatoires Anhaltspunkte hervorheben, die auf eine universelle Idee der Menschenrechte hinweisen. In die Richtung gehen auch: von Arnauld, Das (Menschen-) Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 68, und Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (6). 113 EGMR, Urteil v. 23.3.1995, Loizidou vs. Türkei Rn. 52 (Hervorhebungen durch Bearbeiter); ähnlich in: EGMR, Urteil v. 26. Juni 1992, Drozd and Janousek vs. France and Spain, Rn. 91; auch: EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldova and Russia, Rn. 314.
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Eine entsprechende Aussage ist dem Ilascu-Urteil zu entnehmen: „A states responsibility may also be engaged on account of facts which have sufficiently proximate repercussions on rights guaranteed by the convention, even if those repercussions occur outside its jurisdiction.“ 114 Die Auswirkungen auf extraterritoriale und – und das ist bemerkenswert – extrajurisdiktionelle Sachverhalte können folglich nach dieser Rechtsprechung konventionsrelevant werden. Damit bestätigt der EGMR die vorgenannten Urteile und will anscheinend nicht ausschließen, dass entsprechende Fälle von der Konvention umfasst werden können, wenngleich diese für die bisherigen Entscheidungen nicht von Bedeutung waren. Für die besondere Fallgestaltung der Konventionsverantwortlichkeit von Moldawien in dem Gebiet Transnistrien äußert sich der EGMR: „even in the absence of effective control [sprich: ohne Jurisdiktion] over the Transniestrian region, Moldova still has a positive obligation under Article 1 of the Convention to take the diplomatic, economic, judicial or other measures that it is in its power to take and are in accordance with international law to secure to the applicants the rights guaranteed by the Convention.“ 115 Damit deutet er extrajurisdiktionelle positive Pflichten an. Die unklare Frage über die Staatszugehörigkeit, Selbstbestimmtheit oder geteilte Verantwortlichkeit von Moldawien und Russland über Transnistrien ist in diesem Fall freilich ein erschwerender Faktor zur Bestimmung des Aussagegehaltes zum räumlichen Anwendungsbereich. Dennoch geht der EGMR auch hier von einer – gewiss absolut ausnahmsweisen – extrajurisdiktionellen Verantwortlichkeit Moldawiens aus. Diesen Andeutungen können hingegen aufgrund ihrer Unschärfe noch keine klaren Rechtssätze entnommen werden. Festgehalten werden kann aber, dass der EGMR sehr wohl Ausnahmen von dem sonst strikt intrajurisdiktionellen Anwendungsbereich anerkennt. Welche dies sein können, lässt er dabei offen. (b) Extrajurisdiktionelle Bereichsausnahmen für besondere Rechte? Die spezielle Rechtsprechung des EGMR zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen116 könnte konkrete Hinweise auf eine anerkannte, wenngleich nicht so benannte Form extrajurisdiktioneller Schutzpflichten liefern.
114 EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldova and Russia, Rn. 317 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 115 EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldova and Russia, Rn. 331 (Hervorhebung durch Bearbeiter). Dies bestätigt er später wieder in: EGMR, Entscheidung v. 3. März 2005, Manoilescu and Dobrescu vs. Romania and Russia, Rn. 101. 116 Darunter fallen exemplarisch: Ausweisungen, Auslieferungen, Zurückweisungen, Abschiebungen, vgl. Thurin, Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung, S. 14.
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Dass diese Fallgruppe auch vom EGMR für den Anwendungsraum als besonders speziell angesehen wird, wird mit seinen Worten vernehmlich, der Konvention komme in solchen Fällen „some, limited extraterritorial application“ zu.117 Die Fälle der Aufenthaltsbeendigung können Aufschluss über einen extrajurisdiktionellen Anwendungsbereich der Konvention geben Dies verdeutlicht die Überlegung, dass es bei der Aufenthaltsbeendigung letztlich um den Schutz vor Freiheitsbeeinträchtigungen auf fremdem Territorium geht, wenngleich sich die Person zunächst auf dem eigenen Territorium befindet. Im Folgenden soll dargelegt werden, dass dieses Konstrukt der Rechtsprechung (dargestellt unter (aa)) den extrajurisdiktionellen Schutzpflichten (unter (bb)) zugeordnet werden muss, dass es trotz des vermeintlichen Widerspruchs zu Art. 1 EMRK ein rechtlich zulässiges Konstrukt sein kann und es auch auf bestimmte Rechte übertragbar ist (dazu unter (cc)). (aa) Die Rechtsprechung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Jenseits des allgemeinen gewohnheitsrechtlichen Rechts auf Non-Refoulement 118 und der korrelierenden vertraglichen Rechte, insbesondere in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, werden aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch im Rahmen der Menschenrechtsverträge beurteilt.119 Für diese Bearbeitung sind zunächst diejenigen Fälle nicht zu beurteilen, bei denen die Aufenthaltsbeendigung selbst einen Eingriff in menschenrechtlich geschützte Freiheiten, etwa durch eine menschenrechtswidrige Form der Abschiebung, darstellt.120 Diese Konstellation betrifft reine – hier nicht zu behandelnde – Achtungspflichten. Strukturell bedeutsam sind dagegen die Fälle, in der ein Menschenrechtseingriff als Folge der Aufenthaltsbeendigung von dritter Seite aus droht. Mit anderen Worten: wenn der Aufenthalt einer Person beendet werden soll und im Empfangsstaat seine Menschenrechte gefährdet sind. Diese Frage hatten die EKMR und der EGMR mehrfach zu beurteilen. Bereits die EKMR konstatierte allgemein eine Pflicht, die Aufenthaltsbeendigung dann zu unterlassen, wenn „serious reasons to believe“ bestanden, dass auf fremdem 117
EGMR, Urteil v. 21. November 2001, Al-Adsani vs. UK, Rn. 39. Nicht-Zurückweisung in ein Land, in dem eine Person u. a. menschenrechtswidrige Behandlungen drohen. Zu den dortigen „extraterritorialen Schutzpflichten“ siehe: Gammeltoft-Hansen, Growing Barriers, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 59 ff. 119 Siehe zu Asyl als Menschenrecht: Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 18 ff. 120 So etwa bei menschenrechtswidrigen Rückführungspraktiken oder Selbstmordgefahr – aber auch bei der Ausweisung eines Ehepartners, während der andere Ehegatte im Aufenthaltsstaat verbleibt, vgl. Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 88. 118
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Territorium ein Eingriff in Art. 3 EMRK droht.121 Der EGMR bestätigte dies in seiner prominenten Soering-Entscheidung.122 Dort hatte er sich mit der Frage zu befassen, ob das Vereinigte Königreich eine Pflicht hatte, die Auslieferung einer Person an die USA zu unterlassen, wenn dort mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit die Verurteilung zu einer Todesstrafe droht und damit die Verletzung des Art. 3 EMRK durch das als Folge der Verurteilung regelmäßig entstehende sog. Todeszellensyndrom123 einhergehen könne. Der EGMR urteilte, dass eine Auslieferung in einem solchen Fall die Konventionspflichten im Hinblick auf Art. 3 EMRK verletze. Sie sei dann zu unterlassen, wenn beachtliche Gründe bestünden, dass der Auszuliefernde einem „real risk“ 124 von Menschenrechtsverletzungen im Sinne des Art. 3 EMRK in dem Empfangsstaat ausgesetzt sei.125 Er überwindet zunächst das von ihm erkannte grundsätzliche Jurisdiktionserfordernis mit einem Rekurs auf Ziel und Zweck der Konvention. Daraus ergebe sich das Erfordernis, dem Konventionsschutz möglichst praktisch und effektiv Rechnung zu tragen. Es widerspreche ferner dem Geist („contrary to the spirit“) der Konvention, jemanden bei drohender unmenschlicher Behandlung auszuliefern.126 Überdies müsse ein Ausgleich zwischen den Individualinteressen und dem Allgemeininteresse erfolgen.127 Dabei hebt er die besondere Stellung und den absoluten Charakter des Art. 3 EMRK aufgrund der Aufführung in Art. 15 EMRK (der Kriegs- und Notstandsfestigkeit bestimmter Menschenrechte) hervor und betont deren Nicht-Derogierbarkeit.128 Mit einer Gesamtschau dieser Argumente begründet er eine Pflicht des Aufenthaltsstaates, die Aufenthaltsbeendigung zu unterlassen.129 In Folgeentscheidungen bestätigte er diese Rechtsprechung130 und dehnte zum einen den Kreis der extraterritorialen Gefahrenquellen auf nichtstaatliche Ak-
121 EKMR, Zulässigkeitsentscheidung v. 12. März 1984, Kirkwood vs. UK, Nr. 10479/83. Vgl. statt vieler: Thurin, Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung, S. 16 f., mit zahlreichen Nachweisen. 122 EGMR, Urteil v. 7. Juli 1989, Soering vs. UK. 123 Ein extremer psychischer Zustand, der zwischen Verurteilung und Durchführung der Todesstrafe auftritt und als Folter bezeichnet wird. 124 Zur Gefahrenprognose siehe: Thurin, Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung, S. 146. 125 EGMR, Urteil v. 7. Juli 1989, Soering vs. UK, Rn. 91. 126 EGMR, Urteil v. 7. Juli 1989, Soering vs. UK, Rn. 88. 127 Eine Abwägung zwischen dem Misshandlungsrisiko des Schutzsuchenden und dem Allgemeininteresse des Heimatstaates wurde später als unzulässig angesehen (sog. Chahal-Doktrin). Dieses Abwägungsverbot wurde dann allerdings wiederum durch das Saadi-Urteil mit Hinweis auf den zunehmenden internationalen Terrorismus aufgegeben. Siehe: EGMR, Urteil v. 28. Februar 2008, Saadi vs. Italy, Rn. 117–123. 128 EGMR, Urteil v. 7. Juli 1989, Soering vs. UK, Rn. 86–88. 129 EGMR, Urteil v. 7. Juli 1989, Soering vs. UK, Rn. 89.
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teure131 sowie eine „situation générale de violence“,132 wie etwa Bürgerkriege,133 aus, zum anderen auf das Recht auf Leben in Verbindung mit dem Recht auf ein faires Verfahren134 sowie bei einem „flagrant denial of justice“ im Hinblick auf Art. 6 EMRK.135 (bb) Qualifizierbarkeit als extrajurisdiktionelle Schutzpflichten Im Schrifttum herrscht gänzliche Uneinigkeit über die Einordnung der Rechtsprechungsentwicklung.136 Das Ergebnis wird zwar übereinstimmend anerkannt,137 die Begründungen und die dogmatische Zuordnung sind aber höchst umstritten. (a) Schutzpflichten, nicht Achtungspflichten Zunächst ist fraglich, ob die Rechtsprechung den Achtungs- oder den Schutzpflichten zuzuordnen ist. Der EGMR selbst äußert sich dazu nicht. Das große völkerrechtswissenschaftliche Diskussionsaufkommen zeigt aber, dass die Zuordnung alles andere als eindeutig ist. Es haben sich im Wesentlichen vier Ansichten herausgebildet. Vereinzelt wird vertreten, dass der aufenthaltsbeendende Staat aufgrund einer Beihilfe für die Menschenrechtsbeeinträchtigung des Empfangsstaates (mit-)verantwortlich sei und sich aus dieser Konstruktion bereits eine Pflicht zum Unterlassen der Aufenthaltsbeendigung, also des eigenen Tatbeitrags, ergebe.138 Der Ansatz beruft sich dabei auf Art. 16 ILC-Entwurf, in dem das Konstrukt der Beihilfe zu einem Völkerrechtsdelikt genannt wird. 130 EGMR, Urteil v. 20. März 1991, Cruz Varas et al. vs. Sweden, Rn. 70 und EGMR, Urteil v. 30. Oktober 1991, Vilvarajah et al. vs. UK, Rn. 103; EGMR, Urteil v. 2. Mai 1997, D vs. UK, Rn. 52 f. 131 EGMR, Urteil v. 15. November 1996, Chahal vs. UK, Rn. 105. Vgl. dazu auch Darstellung in: Thurin, Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung, S. 36; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 162, m.w. N. 132 Zuletzt in: EGMR, Urteil v. 20. September 2007, Sultani vs. France, Rn. 67 (nur französische Fassung verfügbar). 133 EGMR, Urteil v. 17. Dezember 1996, Ahmed vs. Austria, Rn. 44 ff. 134 EGMR, Urteil v. 8. November 2005, Bader et al. vs. Sweden, Rn. 45 und 48. 135 EGMR, Urteil v. 16. Oktober 2001, Einhorn vs. Frankreich, Rn. 32. 136 Sehr kritisch: Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 127 ff. 137 Duffy, ICLQ 32 (1983), S. 316 (336); Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 177; Kälin, Das Prinzip des Non-Refoulement, S. 158 ff.; Hailbronner, DÖV 52 (1999), S. 617 (620 ff.); Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 159, m.w. N. 138 Wyngaert, ICLQ 39 (1990), S. 757 (760 f.); ähnlich auch: Schweizerisches Bundesgericht, EuGRZ 1983, S. 437; Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 174 f.
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Ihm wird jedoch zu Recht entgegengesetzt, dass die Rechtsfigur der Beihilfe keine gesicherte völkerrechtliche Grundlage finde.139 Art. 16 ILC-Entwurf kodifiziert kein Völkergewohnheitsrecht, sondern ist dem progressiven Teil der ILCEntwurfs-Artikel zuzuordnen.140 Überdies würde – selbst im Falle des Bestandes einer Rechtsfigur der Beihilfe – eine Verantwortlichkeit nicht entstehen, wenn etwa der Empfangsstaat nicht die gleichen Menschenrechtspflichten hat oder wenn die Gefahr von einem privaten Akteur ausgeht.141 Dann aber mangelt es an einer völkerrechtswidrigen „Handlung“ des Empfangsstaates, die wiederum Voraussetzung für eine Verantwortlichkeit des beihelfenden Staates wäre. Erkennbar diskutiert der EGMR diese Problematik aber nicht, sondern beurteilt vielmehr losgelöst von jeglichen Menschenrechtspflichten die bloße extraterritoriale Gefahrenkonkretisierung. Dieser Ansatz ist mithin abzulehnen. In eine ähnliche Richtung weist der Ansatz, der die staatliche Pflicht, eine Aufenthaltsbeendigung zu unterlassen, über die völkerrechtliche Zurechnungslehre erklären möchte. Danach sei die menschenrechtswidrige Handlung oder das menschenrechtswidrige Unterlassen des Empfangsstaates dem Aufenthaltsstaat zurechenbar, dem aufgrund dessen eine eigene Unterlassungspflicht obliege.142 Das letztlich in die Freiheit eingreifende Verhalten sei als Handlung des aufenthaltsbeendenden Staates zu verstehen. Zwar könnte auch extraterritoriales Handeln ohne Weiteres zugerechnet werden,143 dennoch stellt die Zurechnungslehre strenge Kriterien auf, die regelmäßig bei einer Aufenthaltsbeendigung nicht erfüllt sind. Denn der aufenthaltsbeendende Staat müsste dabei wissentlich fremdstaatliches oder privates extraterritoriales Verhalten kontrollieren, was nicht einmal für den Fall der Auslieferung, als stärkste Form der Kooperation im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, angenommen werden kann. Auch dieser Ansatz überzeugt damit nicht. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum ordnet die Rechtsprechung der Achtungsdimension der Menschenrechtspflichten zu.144 Nach dieser Auffassung 139
Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 123 f. Vgl. auch: Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 71. 141 So etwa in der Soering-Entscheidung, denn die USA sind nicht an die EMRK gebunden. Eine andere ungeklärte Frage ist, ob sich eine Pflicht auch aus anderen Rechtsquellen ergeben kann, die dann zulässiger Maßstab zur Beurteilung der „Haupttat“ sein können. Vgl. auch: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 255. 142 Clapham, Human Rights in the Private Sphere, S. 189. 143 Anders aber: Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 124 ff. 144 Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 8 ff.; ähnlich: Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 97; Kälin, Tragweite und Begründung des Abschiebungshindernisses, S. 52 ff.; Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 173 f.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 42. 140
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stellt die Rückführung in ein unsicheres Land selbst den direkten Eingriff in Art. 3 EMRK dar.145 Die Begründungen gehen auseinander. Teilweise wird versucht, der Rechtsprechung146 selbst solche Andeutungen zu entnehmen.147 Vereinzelt wird gemutmaßt, dass der EGMR die Primärkonzeption der Menschenrechtspflichten, nämlich die Abwehrlösung meine.148 Andere sehen in der Vornahme einer besonders risikoreichen Handlung und mit der damit verbundenen Gefahrenerhöhung bereits einen Eingriff in die Menschenrechte.149 In Abgrenzung zu den Schutzpflichten stehe vor allem der Mangel an Einflussmöglichkeit auf die fremdstaatliche Situation einer entsprechenden Zuordnung im Wege, denn Schutz zu üben setze die Beeinflussbarkeit des Störers voraus.150 Nur vereinzelt wird dagegen die Pflicht, eine Aufenthaltsbeendigung zu unterlassen, der Schutzdimension zugeordnet.151 Es wird vorsichtig eine „extraterritoriale Schutzwirkung“ des Art. 3 EMRK angedeutet.152 Andere sprechen explizit von Schutzpflichten.153 Die Begründungen für eine solche Zuordnung variieren auch hier. Vorwiegend wird die Zuordnung überzeugend damit begründet, dass die Gefahr nicht vom Heimatstaat selbst ausgehe und es gerade Natur der Schutzpflicht sei, vor einer solchen – nicht beeinflussbaren – Gefahr zu schützen.154 Erklärt wird damit auch die Gleichstellung von (empfangs-)staatlicher und privater Beeinträchtigung, denn für die Zuordnung zu den Schutzpflichten sei es lediglich erforderlich, dass die Gefahrenquelle nicht von dem Verpflichtungsadressaten ausgehe.155 Zudem sei es fragwürdig anzunehmen, dass eine Menschenrechtsverletzung bereits dann vollendet sei, wenn gar kein Verletzungserfolg eintrete.156 Andere wollen eine positive Pflicht zum Handeln sehen und 145
Vgl. Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 256. Verwiesen wird auf: EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 68 und EGMR, Urteil v. 30. Oktober 1991, Vilvarajah et al. vs. UK, Rn. 107. 147 Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (7). 148 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 159. 149 Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (7); auf die Ermöglichung stellen: Frowein/Peuert, EMRK, Art. 3 Rn. 20, ab. 150 Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 256. 151 So: Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 48 f. 152 Thurin, Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung, S. 11; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 126 f. 153 Noll, Negotiating Asylum, S. 469 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 159 ff.; Hailbronner, DÖV 52 (1999), S. 617 ff.; Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (102 ff.); Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 265 ff.; Dürr, Die Europäische Union und der Umgang mit „Massenfluchten“, S. 124. 154 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 159. 155 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 162. 156 Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (102). 146
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ordnen sie deshalb den Schutzpflichten zu.157 Und wieder andere sehen hier ein paralleles Vorliegen von Verhaltens- und Zielverpflichtungen und lassen es offen, ob der scheinbare Widerspruch aufgelöst werden müsse; die Schutzrichtung sei strukturell aber den Schutzpflichten zuzuordnen.158 Ohne zunächst auf die Auswirkungen für den räumlichen Anwendungsbereich einzugehen, überzeugt die letztgenannte Auffassung, wenn auch die Begründung den Kern nicht trifft. Die Zuordnung zu Schutzpflichten stößt offenbar deswegen vielfach auf Bedenken, weil dies die Anerkennung von extraterritorialen oder gar extrajurisdiktionellen Schutzpflichten zur Folge hätte. Diese Bedenken können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rechtsprechung nur mit der Schablone der Schutzpflichten überzeugend erklärt werden kann. Denn Schutz i. S. d. Schutzpflichten bedeutet: Schutz vor all jenen Gefahrenquellen, die nicht von dem Verpflichteten selbst ausgehen. Dass das Verhalten des Empfangsstaates nicht zugerechnet werden kann, wurde dargelegt. Es handelt sich um eine eigenständige völlig fremde Gefahrenquelle, denn es soll vor einer menschenrechtswidrigen Behandlung im anderen Staat geschützt werden. Ferner stellt auch die denkbare Möglichkeit, dass kein Verletzungserfolg trotz risikoreicher Lage im Empfangsstaat stattfindet, kein Hindernis für die Annahme von Schutzpflichten dar.159 Freilich wäre es einfacher und befriedigender, dann direkt eine Achtungspflichtverletzung anzunehmen, dennoch lässt sich das Konzept der Schutzpflichten hier anwenden, denn Schutzpflicht meint zunächst strukturell nur die Schutzrichtung. Zur Erfüllung dieser Schutzpflicht ergeben sich eine Reihe von Sorgfaltspflichten, die im Ergebnis darauf hinwirken sollen, einen umfassenden Schutz zu gewährleisten. Wenn nun bei einer Sorgfaltspflichtverletzung kein wirklicher Eingriff trotz entsprechender Ex-Ante-Beurteilung erfolgt, ändert dies nichts daran, dass eine Pflicht verletzt wurde. Die Unterlassungspflicht einer Aufenthaltsbeendigung stellt genau eine solche Sorgfaltspflicht dar. Das verdeutlicht im Übrigen auch die Rechtsprechung im Soering-Fall, denn zu einer Verurteilung zur Todesstrafe ist es dort nicht gekommen, mithin konnte auch kein Todeszellensyndrom entstehen. Dass das Vereinigte Königreich dennoch eine Pflicht im Sinne der Konvention verletzt hat, wurde weiterhin nicht in Frage gestellt. Dass ex post gesehen keine Gefahr bestand, ändert an der dogmatischen Zuordnung nichts. Dies zeigt, dass der Verletzungserfolg unabhängig von der Pflichtverletzung zu behandeln ist, denn umgekehrt können auch die men157
Ress, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty Protect, S. 189. Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (796). 159 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 123, sieht dies gerade als Problematik der Zuordnung als Schutzpflicht an. Da er aber auch eine Zuordnung zu den Achtungspflichten nicht erkennen kann, sieht er die Rechtsprechung insgesamt als verfehlt an. 158
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schenrechtlich geschützten Freiheiten völlig unvorhergesehen beeinträchtigt werden, ohne dass der Staat seine Sorgfaltspflichten verletzt, nämlich dann, wenn eine hinreichende Ex-Ante-Beurteilung schlichtweg kein „real risk“ ergeben hat. Die vorstehende Analyse spricht auch gerade gegen eine Zuordnung zur Achtungsdimension, denn wenn die Aufenthaltsbeendigung selbst als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren wäre, also einen eigenen Eingriff in Art. 3 EMRK darstellte und letztlich eine solche Behandlung gar nicht erfolgt, so erscheint die Begründung einer Unterlassungspflicht hier schwerlich begründbar. Die Unterscheidung zwischen dem Eingriff in die menschenrechtlich geschützte Freiheit und der staatlichen Pflichtverletzung wird zu unpräzise gehandhabt, die Rechtsprechung kann aber nur vor diesem Hintergrund deutlich zugeordnet werden. Der herrschenden Auffassung ist daher nicht zu folgen. Es handelt sich bei der Pflicht eine Aufenthaltsbeendigung bei entsprechenden Risiken zu unterlassen, um eine Sorgfaltspflicht im Rahmen der Schutzpflichten. (b) Extra-, nicht Intrajurisdiktionalität Die Pflicht, eine Aufenthaltsbeendigung zu unterlassen, wenn einer Person eine Menschenrechtsbeeinträchtigung auf fremdem Territorium droht, ist also eine Schutzpflicht. Diese Beurteilung stößt aber auf ein Folgeproblem für den räumlichen Anwendungsbereich der Schutzpflichten: Die Sachverhaltskonstellationen zeigen, dass sich die Person, deren Aufenthalt beendet werden soll, zwar vor und während der Abschiebung oder Auslieferung noch innerhalb der Jurisdiktion des Staates, zur Zeit des Eingriffs in die Menschenrechte aber dann außerhalb der Jurisdiktion befindet.160 Das Menschenrecht, das geschützt werden soll, wird also extraterritorial und außerhalb der Jurisdiktion, sprich: extrajurisdiktionell ausgeübt. Um welche Schicht des räumlichen Anwendungsbereichs es sich dabei handelt, führt zu der Folgefrage, zu welchem Zeitpunkt die zu schützende Person sich innerhalb der Jurisdiktion des Staates befinden muss: zum Zeitpunkt der Bedrohung bzw. Beeinträchtigung oder zum Zeitpunkt der Vornahme der von den Schutzpflichten geforderten Handlung bzw. des Unterlassens? Die Beantwortung dieser Frage gibt Aufschluss über die räumliche Kategorie der Schutzpflicht. Art. 1 EMRK fordert: Die Vertragsparteien „shall secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms“ der Konvention. Ob die Jurisdiktion nun dann vorliegen muss, wenn die Erfüllungs- bzw. Schutzhandlung vorgenommen werden soll oder wenn die menschenrechtlich geschützte Freiheit ausgeübt 160 Allenfalls ist es denkbar, dass die Person in ein vom aufenthaltsbeendigenden Staat effektiv kontrolliertes Gebiet verbracht wird. Dann ist die Beurteilung im Hinblick auf Art. 1 EMRK jedoch unproblematisch, da dann ein Fall von intrajurisdiktionellen Schutzpflichten vorliegt.
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wird, ergibt sich daraus nicht eindeutig. Dennoch wird vereinzelt die Aufenthaltsbeendigung als rein intraterritoriale Schutzpflicht angesehen.161 Entsprechend analysiert auch der EGMR sein eigenes Soering-Diktum in Bankovic als rein intraterritorial.162 Diese Analyse steht aber im Widerspruch zu der späteren Aussage des EGMR, dass Art. 3 EMRK im Hinblick auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen „some, limited extraterritorial application“ zukomme.163 An anderer Stelle ist er unmissverständlich: „the State’s obligation applies only in relation to ill-treatment allegedly committed within its jurisdiction“.164 Unzweideutig hält er damit fest, Jurisdiktion müsse zur Zeit des Eingriffs und damit auch dort vorliegen, wo die Freiheit ausgeübt wird, was er in Ilascu bestätigt.165 Im Grundsatz fordert Art. 1 EMRK daher, dass Jurisdiktion zum Zeitpunkt der Ausübung des Menschenrechts vorliegen muss. Aus diesem Grund kann die Rechtsprechung zu Aufenthaltsbeendigungen nicht den intrajurisdiktionellen Schutzpflichten zugeordnet werden. Diese Auslegung überzeugt, denn insgesamt gibt es fernab der Aufenthaltsbeendigung keine Fälle, bei denen die menschenrechtlich geschützte Freiheit extrajurisdiktionell ausgeübt wird. Das Verständnis, dass grundsätzlich nur die Rechte dort zu schützen sind, wo Jurisdiktion besteht, muss Art. 1 EMRK zugrunde gelegt werden. Soll nun aber vor einer extrajurisdiktionellen Freiheitsbeeinträchtigung geschützt werden, so handelt es sich auch konsequenterweise um extrajurisdiktionelle Schutzpflichten.166 Dies muss zunächst ohne eine rechtliche Beurteilung der Wortlautüberschreitung von Art. 1 EMRK so festgestellt werden. Ferner kann der intrajurisdiktionelle Ansatz nicht erklären, warum das Verbot der Aufenthaltsbeendigung – ergibt sich doch keine Besonderheit für sämtliche anderen Rechte – nur für die strikten Ausnahmefälle von etwa Art. 3 und Art. 2 EMRK gelten soll. Käme es für die Jurisdiktion auf den Zeitpunkt der Vornahme der Schutzhandlung an, so müsste jedes denkbar betroffene Menschenrecht vor drohenden Beeinträchtigungen auf fremdem Territorium gleichermaßen geschützt werden,167 dreht es sich doch um bloße Pflichten im Rahmen des Art. 1 EMRK. Umgekehrt würde ein Staat danach auch seine Pflicht verletzen, wenn er 161
Nowak, Obligations of States, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 19,
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EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 68. EGMR, Urteil v. 21. November 2001, Al-Adsani vs. UK, Rn. 39. 164 EGMR, Urteil v. 21. November 2001, Al-Adsani vs. UK, Rn. 38. Auch die Beschwerdeführer in EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 44, interpretieren die Soering-Rechtsprechung als einen Fall für extraterritoriale Staatenpflichten. 165 EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldova and Russia, Rn. 311. 166 So sieht es auch: Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 127. 167 So versteht es auch: Gornig, EuGRZ 13 (1986), S. 521 (524); Gornig, Das Refoulement-Verbot im Völkerrecht, S. 34. 163
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eine Aufenthaltsbeendigung durchführt und als Folge davon ein beliebiges Konventionsrecht auf fremdem Territorium vorhersehbar gefährdet wird. Der Ausnahmecharakter dieser Rechtsfigur verliert nach diesem Ansatz seinen Rechtfertigungsboden. Insgesamt erschiene die spezielle Begründung der Rechtsprechung und die Vielzahl der Betonungen der Besonderheiten in unterschiedlichen Urteilen reichlich überflüssig, handelte es sich hierbei um bloße intrajurisdiktionelle Pflichten. Es kann also festgehalten werden, dass für die räumliche Beurteilung einer Konventionspflicht also der Ort, an dem der Eingriff in die menschenrechtlich geschützte Freiheit droht, maßgebend ist. Der Eingriff erfolgt bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aber auf dem fremdem Territorium durch den Empfangsstaat oder dortige private Akteure, mithin außerhalb der Jurisdiktion des aufenthaltsbeendenden Staates. Damit stellen die Pflichten im Rahmen der Aufenthaltsbeendigung extrajurisdiktionelle Schutzpflichten dar. (cc) Bewertung und Schlussfolgerung (a) Kritik an der Rechtsprechung Die Interpretation der Rechtsprechung als extrajurisdiktionelle Schutzpflichten verrät noch nichts über deren Zulässigkeit. Kritik an der Rechtsprechung wurde vielfach geübt. Vereinzelt wird davor gewarnt, mit der Rechtsprechung dem Empfangsstaat unzulässig Menschenrechte aufzubürden, wogegen zutreffend eingewandt wird, dass eine Pflicht für den Empfangsstaat nicht begründet wird.168 Es werden lediglich Rechtsfolgen an eine Situation im Empfangsstaat geknüpft, die nur Pflichten für den Aufenthaltsstaat begründen.169 Ein Eingriff in den Grundsatz der souveränen Staatengleichheit erfolgt durch ein bloßes Unterlassen bzw. durch die Beurteilung einer Gefahrenkonkretisierung grundsätzlich nicht.170 Andere führen an, die Rechtsprechung widerspreche dem „Regelungsgefüge“ der Pflichtentrias und laufe damit dem Willen des Normgebers zuwider.171 Dem 168
Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 179. Auch eine extraterritoriale Verhaltenslenkung von privaten Akteuren durch eine sog. Persuasionswirkung (siehe dazu: Abschnitt C. III. 2. a)), die für die Beurteilung der Völkerrechtsmäßigkeit relevant sein kann, entsteht nicht durch die Pflicht, eine Aufenthaltsbeendigung zu unterlassen. Allenfalls könnte ein Staat seine völkerrechtlichen Pflichten gegenüber dem Empfangsstaat etwa aus einem Auslieferungsabkommen verletzen. Dies begründet aber das Folgeproblem, dass möglicherweise der Abschluss eines solchen Auslieferungsabkommens bereits menschenrechtswidrig war. Die Auflösung dieser Pflichtenkollision richtet sich dann nach den allgemeinen völkervertragsrechtlichen Regeln. 170 Vgl. auch: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 160. 171 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 127. 169
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kann entgegengesetzt werden, dass die Pflichtentrias nur ein Strukturierungsversuch der Menschenrechtspflichten ist172 und überdies die Pflichten – wie vorstehend dargelegt – sehr wohl als Schutzpflichten in den Pflichtendreiklang eingeordnet werden können. Zentral wird angeführt, dass die Aufenthaltsbeendigung an sich völlig neutral sei und damit nicht rechtswidrig sein könne, ein Staat aber für einen rechtmäßigen Akt nicht haftbar gemacht werden könne.173 Dagegen spricht aber, dass es sich nicht um einen bloß neutralen, sondern um einen für Menschenrechtsbeeinträchtigungen gefahrerhöhenden Akt handelt, dessen Rechtmäßigkeit gerade zu beurteilen ist. Letztlich fordern Sinn und Zweck des Vertrages und der Grundsatz der effektiven Erfüllung der Pflichten, ein menschenrechtswidriges Verhalten der Vertragsstaaten im Rahmen des Anwendungsbereichs nicht zu tolerieren. Ein besonderer Grenzfall dieses Anwendungsbereichs ist freilich die Aufenthaltsbeendigung. Kann der Vertragsstaat aber durch ein reines Unterlassen einen Menschenrechtsschutz direkt üben, so trifft ihn eine Pflicht zur Unterlassung. Ferner handelt es sich nur um ganz bestimmte, eng umgrenzte Rechte und die begründete Ausnahme hat keinen Aushöhlungseffekt zur Folge. (b) Bedenken gegen die Methodik der Rechtsprechung Methodische Bedenken können im Hinblick auf Art. 1 EMRK insoweit erhoben werden, als die Anerkennung solcher spezieller Pflichten scheinbar im Widerspruch zu ihm steht. Art. 1 EMRK fordert – wie dargelegt174 – dass sich die Person zur Zeit der Beeinträchtigung ihrer Menschenrechte innerhalb der Jurisdiktion des Verpflichtungsadressaten befindet. Dies ist bei der Aufenthaltsbeendigung nicht der Fall, denn der Eingriff in das Menschenrecht erfolgt außerhalb der Jurisdiktion. Für den Bestand extrajurisdiktioneller Schutzpflichten ist es daher erforderlich, die dargelegte Begründung im Hinblick auf die methodische Zulässigkeit zu untersuchen, denn andernfalls wäre ihr nicht zu folgen. Erklären lässt sich die Rechtsprechung auf zweierlei Weise: Es könnte sich um eine besondere Auslegung der Konvention oder um eine Rechtsfortbildung handeln. Auch diese Einordnung ist umstritten. Ein Teil des Schrifttums ordnet die Rechtsprechung methodisch der Auslegung zu. Die Befürworter der Rechtsprechung sehen eine Rechtfertigung darin, dass diese sich im Rahmen der dynamisch-evolutiven Auslegung bewegt, die jedenfalls für den Fall der Auslegung von Menschenrechtsverträgen anerkannt 172
Abschnitt A. II. 1. a). Vgl. Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 120. Ähnlich: Buß, DÖV 51 (1998), S. 323 (324 ff., 328 f.). 174 Abschnitt B. I. 1. a) bb) (2). 173
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sei.175 Die EMRK sei wie vom EGMR stets bekräftigt und auch vielfach anerkannt ein „living instrument“, das den gegenwärtigen Verhältnissen immer wieder erneut angepasst werden müsse.176 Die Zulässigkeit dieser Auslegung sei überdies nicht frei erfunden, sondern ergebe sich auch aus der Gesamtschau von Art. 31 Abs. 1, 3 lit. b und Art. 32 WVK, die unter anderem auf die nachfolgende Staatenpraxis abstelle.177 Gerade die Weitläufigkeit der Anwendungsbereiche von Menschenrechtsverträgen fordere eine „rechtsfortbildungsähnliche“ Auslegungskonstruktion.178 Diejenigen Stimmen, die die Rechtsprechung ebenfalls der Auslegung zuordnen, aber sich gegen die Zulässigkeit wenden, verteidigen vor allem die strikte Wortlautgrenze des Völkervertragsrechts, genauer: des Art. 1 EMRK. Der EGMR sei zu einer solchen Auslegung mangels expliziter Legitimation nicht befugt.179 Im Vertrag lasse sich für eine solche Auslegung keine besondere Grundlage finden und die evolutive Auslegung sei als solche ohne weitere Anhaltspunkte nicht gestattet.180 Kurzum: Der EGMR schaffe an den Vertragsstaaten vorbei ein Recht, das jeglicher Legitimation entbehre.181 Die zweite Möglichkeit ist die Einordnung der Rechtsprechung als Rechtsfortbildung, deren Existenz aber im Völkerrecht höchst umstritten ist,182 jedenfalls aber einer besonderen vertraglichen Ermächtigung bedürfte.183 Vereinzelt wird angedacht, ob die Rechtsprechung des EGMR zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht als Rechtsfortbildung anzusehen sei, die dann aber im Ergebnis deswegen nicht zulässig sei, weil keine Regelungslücke vorliege.184 Gegen die Anerkennung einer Rechtsfortbildungsmöglichkeit im Völkerrecht spricht aber, dass das Völkerrecht als reines Konsensrecht grundsätzlich nicht die Möglichkeit enthält, dass Staaten eine ungewollte Regelungslücke schaffen, die anhand übergeordneter Prinzipien geschlossen werden könnte, wenn diese Prinzipien nicht
175 Kälin, Tragweite und Begründung des Abschiebungshindernisses, S. 57; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 782. 176 Kälin, Tragweite und Begründung des Abschiebungshindernisses, S. 59. 177 Kälin, Tragweite und Begründung des Abschiebungshindernisses von Art. 3 EMRK bei nichtstaatlicher Gefährdung, S. 59. 178 Bernhardt, Rechtsfortbildung, in: Reinhart, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 540. 179 Gornig, EuGRZ 13 (1986), S. 521 (524); Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 118 f. 180 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 127 ff. 181 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 128; Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 178 f. 182 Vgl. Casals, Die Auslegungsmethoden bei Menschenrechtsverträgen, S. 119 ff.; Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, S. 219 ff. 183 Etwa ähnlich dem Art. 38 Abs. 2 IGH-Statut. 184 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 128.
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gleichermaßen einem Konsens unterliegen.185 Analogien und ähnliche Rechtsfiguren sind dem Völkerrecht daher grundsätzlich fremd. Wenn die Rechtsprechung eine solche Rechtsfortbildung darstellt, so wäre sie ultra vires und damit unzulässig. Die vorgenannte Rechtsfortbildungs-Lösung ist aber abzulehnen. Überzeugend ist die Auslegungs-Lösung. Unabhängig von der Frage, ob der Wortlaut im Völkerrecht eine ebenso scharfe Grenze wie bei der Auslegung nationalen Rechts liefert186, ergibt sich nicht nur die Besonderheit der dynamisch-evolutiven Auslegungsmethode und der effektiven Auslegung187 für Menschenrechtsverträge, nach deren Berücksichtigung die Rechtsprechung allemal gerechtfertigt wäre, sondern auch die maßgebliche Komponente, dass Staaten einen Vertrag durch ihre Praxis rückwirkend und autoritativ entwickeln können, wie es in Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK niedergelegt ist. Ohne dass damit gleich Gewohnheitsrecht gebildet werden muss, kann die nachfolgende Übung ein bestimmtes Auslegungsergebnis bekräftigen. Die Rechtsprechung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ist dabei besonders beispielhaft, denn gerade hier haben die Staaten durch die nationale Rechtsprechung und die Exekutive die vom EGMR entwickelten Grundsätze übernommen. Ferner ist Art. 1 EMRK – wie bereits gezeigt – keine absolute Abgeschlossenheit zu entnehmen. Weder der Wortlaut des Artikels noch die Konvention im Allgemeinen gehen davon aus, dass die Person sich immer innerhalb der Jurisdiktion befinden muss. Für einzelne Rechte kann in der Anerkennung extraterritorialer Schutzpflichten kein Widerspruch entstehen, denn bei diesen handelt es sich bloß um Ausnahmen zu einem Grundsatz. Insgesamt ist die Rechtsprechung als dynamisch-evolutives Auslegungsergebnis mit staatenpraktischer Bekräftigung als zulässig anzusehen.188 (g) Extrajurisdiktionell zu schützende Menschenrechte Auf welche Menschenrechte finden die extrajurisdiktionellen Schutzpflichten nun Anwendung? Die Rechtsprechung bezieht sich grundsätzlich nur auf Art. 3 EMRK. Vereinzelt nennt der EGMR daneben die Rechte aus Art. 2 und Art. 6 185 So: Meng, ZaöRV 57 (1997), S. 269 (295). Anders wohl: Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, S. 219 ff. 186 Dies kann deswegen angezweifelt werden, weil im Völkerrecht gerade kein Institut der Rechtsfortbildung besteht und die dynamisch-evolutive Auslegung damit tatsächlichen Problemstellungen Rechnung tragen soll. 187 Dazu: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 12 ff., m.w. N. 188 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 128, stellt zwar zutreffend fest, dass es sich um eine „neue menschenrechtliche Schutzbestimmung“ handelt, mit anderen Worten: um extrajurisdiktionelle Schutzpflichten. Er kommt aber unzutreffend zu dem Ergebnis, dass diese unzulässig seien.
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EMRK189 und behandelt sie auch unter der Überschrift „Alleged breach of Article 6“ und nicht etwa „Article 3“, selbst wenn er schlussendlich stets Rekurs auf Art. 3 EMRK nimmt. Das Schrifttum beantwortet die Frage uneinheitlich. Einige schließen sich der Rechtsprechung an und messen Art. 3 EMRK aufgrund der besonderen Bedeutung des Folterverbots mit Ius-Cogens- und Erga-Omnes-Wirkung einen singulär-speziellen Charakter zu.190 Gegen eine Beschränkung auf Art. 3 EMRK wird eingewandt, dass es schlicht keinen Differenzierungsgrund gegenüber anderen in etwa vergleichbar konsentierten Rechten gebe.191 Ferner sei der Tatbestand der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung mit zu großen Vagheiten verbunden, als dass eine wirklich scharfe Ausnahme begründet werden könne.192 Deswegen wird vertreten, dass sich aus der Konvention nur aus Art. 15 Abs. 2 EMRK, der Kriegs- und Notstandsfestigkeit, ein besonderer Status von Rechten ableiten ließe, den der EGMR schließlich entscheidungsbegründend anführt.193 Dort wird aber nicht nur Art. 3 EMRK, sondern auch Art. 2, 3, 4 Abs. 1 und Art. 7 EMRK genannt. Ein hinreichender Differenzierungsgrund zwischen diesen Rechten ist nicht erkennbar, vielmehr scheint der EGMR selbst von einer solchen Bewertung auszugehen, wenn er Art. 2 EMRK in den Schutzbereich einbezieht.194 Auch gegen die Beschränkung auf die in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Rechte wird vereinzelt eingewandt, dass es konventionsintern keine Rechte-Hierarchie gebe.195 Die Konvention unterliege einem Rechte-Universalismus, der eine Differenzierung zwischen den Rechten nicht gestatte.196 Überdies könne nicht von der Nichteinschränkbarkeit in Notstandszeiten auf eine irgendwie ge189
EGMR, Urteil v. 7. Juli 1989, Soering vs. UK, Rn. 113. So vertritt es: Morvay, ZaöRV 21 (1961), S. 316 (329 f.). 191 Kälin, Prinzip des non-refoulements, S. 182 f.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 164. 192 Noll, Negotiating Asylum, S. 466. 193 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 112; so auch: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 164; Kälin, Prinzip des non-refoulements, S. 182 f.; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 266. 194 EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldawien und Russland, Rn. 334. Dagegen ist es nicht ganz systemkonform, wenn der EGMR bekräftigend auf Art. 6 EMRK abstellt, denn der ist nicht mit einer Notstandsfestigkeit ausgestattet. Vgl. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 278. 195 Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 (103); Noll, Negotiating Asylum, S. 458 ff.; Lawson/Schermers, Leading Cases of the ECtHR, S. 324. Wenngleich er insgesamt von der Unzulässigkeit der Rechtsprechung ausgeht, sieht es auch: Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 130 (sogar mitsamt der Zusatzprotokolle), so; Gornig, Das Refoulement-Verbot im Völkerrecht, S. 34; Gornig, EuGRZ 13 (1986), S. 521 (524). 196 Noll, Negotiating Asylum, S. 398 f.; ähnlich: Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (794f.). 190
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artete Hierarchie geschlossen werden.197 Andere wollen nur Kerngehalte der Rechte198 oder nur „Ius-Cogens-Rechte“ 199 in den Anwendungsbereich mit einbeziehen.200 Ferner wird vorgeschlagen, kein konkretes Rechtespektrum zu erstellen, sondern stets eine Interessenabwägung vorzunehmen, die die grundsätzliche Einbeziehung jedes einzelnen Rechts der Konvention möglich macht.201 Letztlich überzeugt nur die Ansicht, die in Art. 15 Abs. 2 EMRK einen Anhaltspunkt für die Hervorhebung bestimmter Rechte sieht, denn nur dies ist ein zulässiger Ansatzpunkt, der in der Konvention selbst zu finden ist. Einzige Rechtsfolge des Art. 15 Abs. 2 EMRK ist zwar die Notstandsfestigkeit bestimmter Rechte, dieser Umstand liefert aber einen Indikator für eine besondere WerteEntscheidung des Konventionsgebers, denn Rechte, die selbst in Kriegs- und Notstandszeiten nicht beeinträchtigt werden dürfen, sind gesteigert schützenswert. Für eine Beschränkung allein auf Art. 3 EMRK fehlt es an konventionsimmanenten Differenzierungsgründen. Gegen die Anwendung der Rechtsprechung auf sämtliche Rechte oder deren Kerngehalte spricht vor allem, dass dann Art. 1 EMRK gänzlich leer liefe. Aus der Konvention heraus ergibt sich mithin eine Spaltung der allgemeinen Rechte und der Rechte aus Art. 15 Abs. 2 EMRK. Folglich gilt der extrajurisdiktionelle Schutz für die Rechte aus Art. 2, 3, 4 Abs. 1 und Art. 7 EMRK. (dd) Zwischenergebnis Es kann festgehalten werden: Die Rechtsprechung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen legt in allgemein und methodisch zulässiger Weise die Konvention dahingehend aus, dass alle in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Rechte einen extrajurisdiktionellen Anwendungsbereich haben und extrajurisdiktionelle Schutzpflichten in diesem Rahmen mithin bestehen. Diese Rechtsprechung ist nicht auf die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beschränkt, sondern kann auf sämtliche gleichgelagerten Fälle angewendet werden.202 Die genaueren Voraussetzungen und Rechtsfolgen werden später noch zu klären sein, die grundsätzliche Existenz von extrajurisdiktionellen Schutzpflichten ist damit aber begründet. 197
Zühlke/Pastille, ZaöRV 59 (1999), S. 749 (764 f.). Kälin, Das Prinzip des Non-Refoulement, S. 170 ff., 181 ff.; sich anschließend: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 164; Dürr, Die Europäische Union und der Umgang mit „Massenfluchten“, S. 130. 199 Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 175. 200 Andere stellen eine Liste zusammen, die im Wesentlichen sämtliche Rechte enthält, denen eine Ius-Cogens-Wirkung zugeschrieben wird, vgl. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 163. Andere stellen auf sog. absolute Rechte ab, vgl. Ress, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty Protect, S. 170. 201 Zühlke/Pastille, ZaöRV 59 (1999), S. 749 (770 ff.). 202 So auch: Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 129 ff. 198
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(c) Zwischenergebnis Die Darstellung und Analyse hat gezeigt, dass es einen Anwendungsbereich der Schutzpflichten jenseits der Jurisdiktion gibt. Die Jurisdiktion ist für den räumlichen Anwendungsbereich damit grundsätzlich zentraler Ansatzpunkt und bildet die Regel. Eine Ausnahme gilt aber für sämtliche in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Rechte. So weit wie die Möglichkeit eines Schutzes in dieser Hinsicht reicht, sind die Vertragsparteien zu diesem auch verpflichtet. cc) Zwischenergebnis Deutlich wird, dass der räumliche Anwendungsbereich der Schutzpflichten der EMRK zwar ursprünglich einem eher territorialen Verständnis unterlag, dennoch wurde auch im Rahmen der Verhandlung die Absicht geäußert, den Menschenrechtsschutz weitestgehend auszudehnen. Im Rahmen der Jurisdiktionsklausel findet die EMRK insgesamt extraterritorial dann Anwendung, wenn eine effektive Kontrolle über Gebiete, Personen oder Sachen besteht. In diesem Rahmen sind freilich auch Schutzpflichten zu erfüllen. Die besondere Ausnahme der Schutzpflichten jenseits der Jurisdiktionsklausel ist dagegen neu analysiert worden. Danach ist der Schutz für sämtliche in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Rechte grundsätzlich unbeschränkt. Dem räumlichen Anwendungsbereich der Konvention muss daher ein Regel-Ausnahme-Prinzip zugrunde gelegt werden. b) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) Dem IPbpR203 kommt immer dann Bedeutung zu, wenn sog. Menschenrechte der ersten Generation204, etwa das Recht auf Leben (Art. 6 Abs. 1 IPbpR) oder das Recht auf Freiheit von Folter (Art. 7 IPbpR) bedroht sind. Aber auch für konkretes wirtschaftliches extraterritoriales Handeln kann der Pakt besondere Relevanz erlangen, denn er fordert etwa den Schutz der Gewerkschaftsfreiheit (Art. 22 IPbpR) und den Schutz vor Diskriminierungen (Art. 26 IPbpR) – Menschenrechte, die durch wirtschaftliches Handeln besonders gefährdet sind. Der IPbpR gleicht der vorstehend behandelten EMRK insoweit, als er eine Vielzahl derselben Schutzgüter enthält, strukturell ähnlich aufgebaut ist und räumlich auf nahezu gleiche Weise beschränkt ist, denn auch dieser Pakt enthält eine Jurisdiktionsklausel. Dieser terminologische Gleichlauf bedingte eine Vielzahl von Parallel-Entwicklungen, bei denen im Folgenden nach oben verwiesen werden kann. Der Pakt enthält daneben aber auch einige Besonderheiten für extraterritoriale Schutzpflichten, die im Zentrum der folgenden Bearbeitung stehen. 203
BGBl. 1973 II, S. 1553. Der Pakt trat am 23. März 1976 in Kraft. Zur Generationen-Klassifizierung der Menschenrechte siehe: Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, S. 311 f. 204
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aa) Schutzpflichten Zunächst müssten sich aus dem IPbpR Schutzpflichten ergeben. Art. 2 Abs. 1 IPbpR verpflichtet die Vertragsstaaten „to respect and ensure [. . .] the rights recognized in the present Covenant“ 205. Die dort genannte Pflicht, die Menschenrechte sicherzustellen, wird allgemein als Grundlage für umfassende Schutzpflichten verstanden.206 Dieses Auslegungsergebnis ist weitgehend unbestritten und entspricht einer natürlichen Wortlautauslegung. Art. 2 Abs. 2 IPbpR, der die Staaten dazu verpflichtet, vorwiegend legislative Maßnahmen zu ergreifen, das heißt: positiv regelnd zum Schutz der Menschenrechte tätig zu werden, um den Konventionsrechten entsprechende Wirkung zu verleihen, bestätigt die Existenz der Schutzpflichten.207 Auch der für den IPbpR zuständige Ausschuss (HRC) stellt in seinem grundlegenden General Comment No. 31 unzweideutig klar, dass Art. 2 Abs. 1 IPbpR umfassenden Schutz fordere;208 ein Staat müsse private Übergriffe verhindern, aburteilen und aufklären.209 In anderen Comments äußert er sich vielfach zu Sachverhalten, bei denen Wirtschaftsakteure im Vordergrund stehen und setzt sie in den Zusammenhang von Schutzpflichten,210 exemplarisch etwa bei Diskriminierungsfällen.211 Der Konsens wird deutlich und eine tiefergehende Erörterung kann vernachlässigt werden. Die Staaten werden durch den IPbpR verpflichtet, die in diesem Pakt genannten Menschenrechte vor Übergriffen durch private natürliche oder juristische Personen zu schützen.
205
Hervorhebung durch Bearbeiter. Vgl. etwa: Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 298 ff.; Buergenthal, To Respect and to Ensure, in: Henkin, The International Bill of Rights, S. 77 f.; Francioni, Exporting Environmental Hazard, in: Francioni/Scovazzi, International Responsibility, S. 275 (296); HRC, General Comment No. 31, Rn. 8. 207 So auch: Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 301. Einige norm-immanente Schutzpflichten bekräftigen dieses Ergebnis: Art. 6 Abs. 1 IPbpR verlangt den Schutz des Lebensrechts, Art. 8 Abs. 1 fordert die Pönalisierung der Sklaverei, Art. 17 Abs. 2 fordert den Schutz vor willkürlichen und rechtswidrigen Eingriffen in das Privatleben, Art. 23 IPbpR verleiht der Familie einen staatlichen Schutzanspruch und Art. 24 IPbpR verleiht Kindern ein Recht auf Schutzmaßnahmen. 208 HRC, General Comment No. 31, Rn. 8. So auch statt vieler: Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Rn. 17 und von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 8 ff. 209 HRC, General Comment No. 31, Rn. 8. 210 Für Zwangsarbeit und wirtschaftliche Ausbeutung: HRC, General Comment No. 17, Rn. 3; HRC, Concluding Observations: Norway v. 25. April 2006, Rn. 3; für das Recht auf Privatsphäre: HRC, General Comment No. 16, Rn. 1; für das Recht auf Freiheit von Folter durch private Akteure: HRC, General Comment No. 20, Rn. 2. 211 Allgemein: HRC, General Comment No. 28, Rn. 31. Ähnlich: HRC, General Comment No. 18, Rn. 9. Für die Geschlechter-Gleichheitsrechte: HRC, General Comment No. 28, Rn. 4. 206
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bb) Extraterritorialer Anwendungsbereich Der IPbpR enthält keine Kolonialklausel212, die eine De-Jure-Verantwortlichkeit für extraterritoriale Sachverhalte begründen könnte.213 Soweit dagegen aber eine Jurisdiktion über abhängige Gebiete besteht, hat die Jurisdiktion übende Vertragspartei auch in diesen Territorien Schutzpflichten zu erfüllen.214 Zentraler Ausgangspunkt ist daher allein die in Art. 2 Abs. 1 IPbpR formulierte Jurisdiktionsklausel (unter (1)), die im Folgenden auf ihre Besonderheiten untersucht werden muss. Gleichermaßen soll aber auch der Frage nachgegangen werden, ob der IPbpR einen extrajurisdiktionellen Schutz vorsieht (unter (2)). (1) Die Jurisdiktionsklausel Für Meinungsverschiedenheiten sorgt die Jurisdiktionsklausel des Art. 2 Abs. 1 IPbpR, die in englischer – authentischer – Fassung folgenden Wortlaut hat: „Each State Party to the present Covenant undertakes to respect and to ensure to all individuals within it’s territory and subject to it’s jurisdiction the rights recognized in the present covenant, without distinction of any kind“ 215. Die in diesem Absatz scheinbar konjunktiv genannten Erfordernisse der Jurisdiktion und des Territoriums geben Anlass zu einer Diskussion über die damit bewirkte räumliche Determinierung der Paktpflichten (unter (a)). Dagegen ist der Begriff der Jurisdiktion weitgehend der Entwicklung im Rahmen der EMRK angelehnt und kann daher im Überblick dargestellt werden (unter (b)). (a) Konjunktive versus disjunktive Leseweise des Art. 2 Abs. 1 IPbpR Der seit jeher geführte Streit über den räumlichen Anwendungsbereich des IPbpR rankt sich um die Frage, ob der Formulierung „within it’s territory and subject to it’s jurisdiction“ ein kumulatives bzw. konjunktives oder alternatives 212 Diese wurde zwar angedacht, aber gestrichen, weil sie für überflüssig erachtet wurde und vor allem, weil sie als implizite Billigung des (zu dem Zeitpunkt bereits geächteten) Kolonialismus hätte missverstanden werden können, vgl. Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 41. 213 Der HRC geht aber davon aus, dass es eine Vermutung für die Anwendung des IPbpR auf abhängige Gebiete gibt, solange der Staat nicht explizit etwas Gegenteiliges erklärt, vgl. Joseph/Schultz/Castan, The ICCPR, S. 84, Rn. 4.05. 214 Dies wird regelmäßig angenommen: HRC, Communication No. 645/1995, Bordes and Temeharo vs. France, View v. 30. Juli 1996, Rn. 5.7; ähnlich: HRC, Communication No. 925/2000, Wan Kuok Koi vs. Portugal, Zulässigkeitsentscheidung v. 22. Oktober 2001, 23 HRLJ (2002), S. 166. 215 Hervorhebung durch Bearbeiter. Die französische Formulierung lautet: „se trouvant sur leur territoire et relevant de leur jurisdiction“.
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bzw. disjunktives Erfordernis zu entnehmen ist. Mit anderen Worten: ob nur Personen innerhalb des Territoriums, die sich zugleich innerhalb der Jurisdiktion befinden, oder sämtliche Personen innerhalb des Territoriums und sämtliche Personen innerhalb der Jurisdiktion zu schützen sind. Die überwiegende Auffassung216 verteidigt die alternative Leseweise des Artikels mit einer Vielzahl unterschiedlicher Argumente: Berufen wird sich auf die später noch genauer zu erläuternde Entstehungsgeschichte des Paktes217 und den Umstand, dass es nicht im Sinne der Vertragsparteien gewesen sei, den Pakt nur territorial anzuwenden.218 Sinn und Zweck geböten überdies eine entsprechend weite Auslegung, da Ziel des Paktes der möglichst effektive und umfassende Menschenrechtsschutz sei.219 Eine zu wörtliche Auslegung des Art. 2 IPbpR führe zu sinnwidrigen Ergebnissen, denn dann könnte das, was intraterritorial verboten ist, extraterritorial erlaubt sein.220 Der Umstand, dass das 1. Fakultativprotokoll über Individualbeschwerdeverfahren nur noch „Jurisdiction“ voraussetzt, spreche ferner ebenfalls für ein eher weites Verständnis der Klausel.221 Art. 5 IPbpR des Paktes verbiete überdies eine solche Auslegung, denn das dort verankerte Missbrauchsverbot des Paktes verlange eine entsprechend weitgehende Auslegung. Auch der HRC – dem der IGH folgt222 – vertritt die disjunktive Leseweise, dies zunächst mit der vorsichtigen Aussage, in „exceptional instances“ habe er die Möglichkeit, auch extraterritoriale Sachverhalte auf eine Pakt-Konformität zu
216 Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, S. 302; Buergenthal, To Respect and to Ensure, in: Henkin, The International Bill of Rights, S. 74; Scheinin, Extraterritorial Effect, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 74; Meron, AJIL 89 (1995), S. 78 (79); Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 74 f.; von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 62 f.; Gibney, International Human Rights Law, S. 97; Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 504; Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 20; Benvenisti, ILR 26 (1992), S. 24 (33). 217 Vgl. Analyse von: McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (66 f.); Tomuschat, Human Rights, S. 130 f. 218 Individual Opinion Tomuschat in: Lopez Burgos vs. Uruguay, 29. Juli 1981, II Yearbook of the HRC (1981–82), Rn. 12.3; wiederholend in: Tomuschat, Human Rights, S. 130. 219 Aus dem Schrifttum etwa: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 63; aber auch: IGH, MauerGutachten, ICJ Reports 2004, Rn. 109 ff. 220 HRC, Communication No. 52/1979 (1981), Lopez Burgos vs. Uruguay, Rn. 12.3. 221 Buergenthal, To Respect and to Ensure, in: Henkin, The International Bill of Rights, S. 74 f. 222 IGH, Mauer-Gutachten, ICJ Reports 2004, Rn. 111.
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überprüfen.223 Diese Haltung hat sich in der Vergangenheit mit zunehmender Vehemenz verstärkt224 und kulminiert schließlich in der unzweideutigen Ansage, die Konventionsrechte stünden „anyone within the power or effective control of the State Party, even if not situated within the territory of the State party“ 225 zu. Die Gegenstimmen verteidigen vornehmlich aufgrund des klaren Wortlauts die konjunktive Leseweise.226 Jegliche Ausdehnungsansätze scheiterten an der Wortlautgrenze.227 Die teleologische Auslegung habe keinesfalls einen Vorrang vor dem Wortlaut des Paktes228 und könnte mithin also auch keine Wortlautüberschreitung rechtfertigen. Daneben spreche vor allem auch die historische Entwicklung des Paktes eher für einen kumulativen Ansatz.229 Danach war auch dort die extraterritoriale Anwendbarkeit Gegenstand einer hitzigen Diskussion, die letztlich in ein Kumulationserfordernis mündete.230 Diese Entscheidung der Konventionsgeber müsse bei der Auslegung respektiert werden. Beide Ansätze sind Bedenken ausgesetzt. Der Umstand, dass das 1. Fakultativprotokoll über Individualbeschwerdeverfahren in der entsprechenden Klausel nur noch „Jurisdiction“ voraussetzt, kann kein Argument zur Begründung eines Alternationsansatzes sein. Denn dabei handelt es sich um einen eigenen Vertrag, der auch nur diejenigen bindet, die ihn ratifiziert haben. Eine rückbezügliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs verstößt gegen das Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter.231 Das Protokoll ist daher vielmehr im Lichte des Paktes auszulegen und nicht umgekehrt. Auch dem Missbrauchsverbot nach Art. 5 IPbpR kann an dieser Stelle keine wirkliche Überzeugungskraft für eine disjunktive Leseweise entnommen werden, denn sämtliche Artikel sind erst dann anwendbar, wenn auch die Konvention an223
Siehe auch Ausführungen bei: Dennis, AJIL 99 (2005), S. 119 (123), Fn. 27. HRC, Gedumbe vs. Democratic Republic of Congo, Communication No. 641/ 1995, View v. 26. Juli 2002, CCPR/C/75/D/641/1995, Rn. 6.3; auch: HRC, General Comment No. 23, Rn. 4. 225 HRC, General Comment No. 31, Rn. 10 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 226 Freilich wird dies auch vehement von einigen Vertragsparteien vertreten: vgl. Annex 1 des UN Doc. CCPR/C/USA/3, vom 28. November 2005. So auch: United States vs. Duarte-Acero, 296 F.3d 1277, 1283 (11th Citr.2002). Entsprechend Israel: Zweiter Staatenbericht an den HRC v. 4. Dezember 2001, CCPR/C/ISR/2001/2, Rn. 8. 227 Schindler, Kriegsrecht und Menschenrechte, in: Häfelin/Haller/Schindler, Menschenrechte – Föderalismus – Demokratie, S. 334; Wagner, Grund- und Menschenrechte in Auslandseinsätzen von Streitkräften, S. 21. 228 Wagner, Grund- und Menschenrechte in Auslandseinsätzen von Streitkräften, S. 23. 229 Dennis, AJIL 99 (2005), S. 119 (123 ff.). 230 Dennis, AJIL 99 (2005), S. 119 (124). 231 So auch: Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 78; McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/ Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (43 f.). 224
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wendbar ist.232 Diese steht aber bei der Determinierung des räumlichen Anwendungsbereichs des Paktes gerade in Frage. Dem Alternationsansatz ist vor allem entgegenzusetzen, dass der Entstehungsprozess der Konvention gerade nicht für, sondern gegen ihn spricht, denn die Klausel war bei den Vertragsverhandlungen hoch umstritten. Der erste Entwurf enthielt einen territorial unverknüpften Jurisdiktionsbezug.233 Die aktuelle Formulierung entstand später auf Druck der USA. Zum einen wurde darauf verwiesen, dass die zu dem Entstehungszeitpunkt des Paktes besetzten Gebiete (Deutschland, Österreich, Japan) zwar innerhalb der Jurisdiktion der Besatzungsmächte waren, dass aber die Gesetzgebung in diese Gebiete hinein unmöglich war und mithin ein strikter territorialer Ansatz verfolgt werden müsse.234 Zum anderen fürchtete man, dass Individuen die eigenen Regierungen dafür verantwortlich machen könnten, dass diese keine Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten unternähmen.235 Unverkennbar wurde damit diskutiert, ob die Anforderungen alternativ oder kumulativ anzusehen seien. Diese Debatte wird überwiegend dahingehend interpretiert, dass es jedenfalls keinem Staat gestattet sein sollte, Handlungen im Ausland oder mit Auslandswirkung so vornehmen zu können, dass diese dem Menschenrechtsschutz widersprächen.236 Diese Annahme ist aber unzutreffend, denn die Diskussion zeigt deutlich, dass von einem Alternationsansatz abgesehen werden sollte. Gerade davon handelten die Entwurfsstreitigkeiten, ob ein „und“ oder ein „oder“ in den Text eingefügt werden sollte. Die Mehrheit stimmte insofern einer disjunktiven Leseweise zu. Die historischen Grundlagen sprechen daher keineswegs für, sondern gegen den Alternationsansatz.237 Die falschen Schlüsse werden dann aber bei der Gewichtung dieser Erkenntnis gezogen, denn die historischen Grundlagen der Konvention haben gem. Art. 32 232 So auch: McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/ Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (59 f.); Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 78 f. 233 Zum Ganzen: Dennis, ASIL Proceedings, 100 (2006), S. 86 (89). Zur Diskussion im Einzelnen: Bossuyt, Guide to the Travaux Preparatoires of the ICCPR, S. 53 ff.; UN Doc. A/C.3/SR. 1257, Rn. 29. 234 Dennis, ASIL Proceedings, 100 (2006), S. 86 (90), mit Verweis auf: UN Doc. E/ CN.4/SR.138 (1950), Rn. 34. 235 Bossuyt, Guide to the Travaux Preparatoires of the ICCPR, S. 53 f.; Nowak, CCPR-Commentary, S. 41 f. 236 Meron, AJIL 89 (1995), S. 78 (79); Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 39; IGH, Mauer-Gutachten, ICJ Reports 2004, Rn. 109. 237 Freilich sind auch die travaux préparatoires nicht immer eindeutig, denn die Klausel wurde mehrmals umgeändert. Insofern lassen sich grundsätzlich beide Ansichten mit den historischen Mitteln begründen, so: Wagner, Grund- und Menschenrechte in Auslandseinsätzen von Streitkräften, S. 25. Das letztendliche Ergebnis der historischen Auslegung spricht aber für den Kumulationsansatz.
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WVK nur untergeordnete Bedeutung. Daneben steht nach Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK die Staatenpraxis als auslegungsweisende Erkenntnisquelle. Die Staatenpraxis zeigt dabei deutlich einen überwiegenden Anschluss an den Alternationsansatz238. Dass etwa die USA und Israel diesen Ansatz ablehnen, hat aus völkerrechtlicher Perspektive kein besonderes Gewicht,239 denn sie sind dabei nur einige wenige Vertragsparteien unter vielen. Damit ist überwiegend mit Blick auf die Staatenpraxis eine weite Auslegung des Art. 2 Abs. 1 IPbpR geboten; neben Personen auf dem Territorium eines Staates ist auch Schutz gegenüber Personen, die sich innerhalb der extraterritorialen Jurisdiktion eines Staates befinden, zu gewähren. (b) Jurisdiktion im Sinne des Art. 2 Abs. 1 IPbpR Ist das erste Hindernis überwunden und schließt man sich richtigerweise der disjunktiven Leseweise des Art. 2 Abs. 1 IPbpR an, so stellt sich aber auch in diesem Zusammenhang die Frage, was unter Jurisdiktion im Sinne des Paktes zu verstehen ist. Die Begriffsbestimmung ähnelt dabei der der EMRK und kann daher im Überblick dargestellt werden. Jurisdiktion als Verweis auf die normativ-kompetenzielle Jurisdiktionsordnung des allgemeinen Völkerrechts wird für den IPbpR nur ganz vereinzelt vertreten,240 dieser Ansatz ist aber aus den bereits zur EMRK genannten Gründen, insbesondere aufgrund seiner sinnwidrigen Ergebnisse ohnehin abzulehnen.241 Der HRC und die Völkerrechtswissenschaft242 schließen sich dem auch hier überzeugenden faktisch geprägten Jurisdiktionsbegriff an. Jeder Person, so der HRC, „within the power or effective control of the State party, even if not situated within the territory of the state party“ seien die Rechte zuzusichern.243 Dies betrifft auch hier die effektive Kontrolle über Gebiete244 und Personen245, die 238
Inkl. der BRD: UN Doc. CCPR.CO.80.DEU.Add.1; dazu: Weingärtner, Zur Geltung des IPbpR, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 83 ff. 239 So aber: Wagner, Grund- und Menschenrechte in Auslandseinsätzen von Streitkräften, S. 29 f., der den Stimmen der USA, Israel und des Vereinigten Königreichs ein besonderes Gewicht zuzuordnen scheint. 240 McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (44 ff.). So andeutend aber auch: IGH, Mauer-Gutachten, ICJ Reports 2004, Rn. 109, der dann aber dennoch von einem extensiven Ansatz ausgeht: Rn. 110 ff. 241 Abschnitt B. I. 1. a) bb) (2) (a) (bb). 242 Vgl. nur: Buergenthal, To Respect and to Ensure, in: Henkin, The International Bill of Rights, S. 77; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 37 ff., m.w. N. 243 HRC, General Comment No. 31, Rn. 10. 244 HRC, Concluding Observations Israel v. 18. August 1998 (CCPR/C/79/Add.93), Rn. 10. 245 HRC, Communication No. 52/1979 (1981), Lopez Burgos vs. Uruguay, Rn. 12.3.
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eine physische staatliche Präsenz im Ausland voraussetzt246 und exemplarisch etwa bei friedenserhaltenden Maßnahmen247 oder militärischer Besetzung248 vorliegt. Letztlich kommt es entsprechend der Ausführungen bei der EMRK auch hier auf eine Bewertung der Einzelumstände an. Ganz anders als die EMRK – und das wird im Diskurs um die Extraterritorialität des IPbpR vernachlässigt249 – enthält der IPbpR einen Anhaltspunkt dafür, dass es möglicherweise unterschiedliche Anwendungsbereiche für Achtungs- und Schutzpflichten gibt. Denkbar ist eine Auslegung des Art. 2 Abs. 1 IPbpR dahingehend, dass die Beschränkung „within their jurisdiction“ nur Schutzpflichten betrifft, da sich die jurisdiktionelle Eingrenzung nur auf die an zweiter Stelle genannte Konstellation, nämlich „to ensure“ 250 beziehen könnte. Für Achtungspflichten, die sich schließlich aus der in erster Linie genannten Wendung „to respect“ ergeben, wäre es danach möglich, einen universellen Anwendungsbereich zu vertreten.251 Diese Pflichtenstufung in qualitativer Hinsicht wird zutreffend einerseits aufgrund ihrer unnatürlichen Wortlautverzerrung als nicht haltbar kritisiert,252 andererseits ist sie aber auch nicht von einer nachfolgenden Staatenpraxis getragen, denn selbst diejenigen Staaten, die ein weitgehendes Verständnis der Klausel befürworten, gehen nicht von einem gänzlich unbeschränkten Anwendungsbereich der Achtungspflichten aus.253 Darüber hinaus würde sich an dieser Stelle für Schutzpflichten – und nur die sind in dieser Arbeit bedeutsam – keinen Unterschied ergeben. (c) Zwischenergebnis Für intrajurisdiktionelle Schutzpflichten kann daher Folgendes festgehalten werden: In derselben Weise wie die EMRK eröffnet der IPbpR den Menschen246 So analysiert es auch: von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 20; Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, S. 136. 247 Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, S. 133. 248 Vgl. etwa: HRC, Concluding Observations on Iraq, v. 19. Juli 1991 (A/46/40), S. 150 (158). HRC, Concluding Observations Israel v. 18. August 1998 (CCPR/C/79/ Add.93), Rn. 10. Bestätigt von: IGH, Mauer-Gutachten, ICJ Reports 2004, Rn. 106, 112. 249 Nur Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 228, spricht dies an. 250 Die insofern im Deutschen anders gestaltete Wendung ist nicht von Belang, da sie nicht Teil des authentischen Vertragstexts ist. 251 So vertritt es: Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 228. 252 Diese Kritik äußert auch: McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (45). 253 So etwa die BRD, vgl. UN Doc. CCPR.CO.80.DEU.Add.1.
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rechtsschutz durch die faktisch geprägte Jurisdiktion auf extraterritoriale Kontrolltatbestände über Gebiete und Personen. So weit wie diese Jurisdiktion reicht, sind auch Schutzpflichten zu erfüllen. (2) Extrajurisdiktioneller Schutz Pflichten, die über die jurisdiktionellen Grenzen hinausreichen, werden dagegen selten diskutiert; kommen sie zur Sprache, so werden sie häufig mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 IPbpR abgelehnt.254 Andere verteidigen alternative Konzepte zur Bestimmung der räumlichen Reichweite der Pflichten: Scheinin etwa vertritt einen einzelfallbezogenen bzw. kontextuellen Ansatz.255 Angesichts moderner Herausforderungen soll nicht zwischen der Interpretation des Menschenrechtsinhalts und der Bestimmung der extraterritorialen Wirkung unterschieden werden. Dies müsse vielmehr kontextuell angepasst auf die Umstände des Einzelfalls gesehen werden. Eine stichhaltige Herleitung dieses Ansatzes fehlt allerdings. Jankowska-Gilberg entwickelt mit Verweis auf eine Staatenpraxis und mit der teleologischen Überlegung, dass die Konvention nicht extraterritorial etwas zulassen könne, was intraterritorial verboten sei, einen Ansatz, der – neben den allgemein diskutierten Fällen – vorsätzliche und zielgerichtete Handlungen gegen extraterritoriale Personen die erforderliche Jurisdiktion begründen lassen soll.256 Dieser Ansatz ist allerdings neben methodischen Bedenken für Schutzpflichten, also regelmäßig positiven Pflichten, praktisch ungeeignet, denn die Feststellung zielgerichteten und vorsätzlichen Unterlassens erscheint schwer feststellbar. Denkbar wäre es, den vom HRC zur Determinierung des räumlichen Anwendungsbereichs angeführten Äußerungen einige extrajurisdiktionelle Ansätze zu entnehmen. Dort spricht er nicht nur davon, dass jeder innerhalb der effektiven Kontrolle, sondern auch jeder, der sich „within the power“ einer Vertragspartei befindet, geschützt werden müsse.257 „Power“ oder „Macht“ ist aber ein sehr viel weiter gehendes Kriterium als „Kontrolle“, das etwa als Einflussnahmefähigkeit interpretiert werden könnte. Gegen einen solchen Ansatz spricht aber entscheidend, dass der General Comment nicht selbst ausgelegt wird, sondern nur auslegungsweisende Wirkung für den Vertrag hat. Die vorgenannten Ansätze überzeugen mangels vertragstextlicher Ansatzpunkte nicht. Dass aber auch für den Fall des IPbpR die Jurisdiktionsklausel zumindest nicht gänzlich abschließend zu verstehen ist, zeigt auch hier das in 254
So: Dupuy, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 325. Scheinin, Extraterritorial Effect, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 76. 256 Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 165 ff. 257 HRC, General Comment No. 31, Rn. 10. 255
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Art. 12 Abs. 4 IPbpR verankerte Recht auf Einreise, welches zwangsläufig einen extrajurisdiktionellen Anwendungsbereich hat.258 Dagegen scheint auch im Rahmen des IPbpR die Beurteilung aufenthaltsbeendender Maßnahmen Aufschluss über eine extrajurisdiktionelle Pflicht zum Schutz zu liefern. Parallel zur EMRK haben sich nahezu die gleichen Ansätze herausgebildet, für die auch die oben ausführlich dargelegte Analyse gelten muss.259 Einer Entscheidungsreihe260 zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen folgte die Festlegung eines klaren Rechtssatzes im General Comment No. 31: „[Art. 2 Abs. 1 IPbpR] entails an obligation not to extradite, deport, expel or otherwise remove a person from their territory, where there are substantial grounds for believing that there is a real risk of irreparable harm, such as that contemplated by articles 6 and 7 of the Covenant, either in the country to which removal is to be effected or in any country to which the person may subsequently be removed.“ Extrajurisdiktionelle Schutzpflichten bestehen daher analog zu der Analyse bei der EMRK auch hier,261 allerdings mit folgenden Besonderheiten: Bemerkenswert ist, dass der HRC nicht abschließend nur auf Art. 7 IPbpR abstellt. Eine Ausdehnung der Anwendung auf andere Rechte findet hier gesicherteren Boden als im Fall der EMRK. Der HRC prüfte in der Vergangenheit neben Anwendungsfällen aus Art. 7 IPbpR (Folterverbot)262 vor allem auch Fälle der Art. 6 (Recht auf Leben)263, 14 (Recht auf ein faires Verfahren)264 und Art. 9 IPbpR (Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit)265. Damit geht der HRC von einem extrajurisdiktionellen Schutz auch für besondere, nicht notstandsfeste 258 McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 48; Gibney, International Human Rights Law, S. 97. 259 So besteht auch hier der grundsätzliche Zuordnungsstreit. Für den Achtungspflichtenansatz siehe: McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (53). Für den Schutzpflichten-Ansatz siehe: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 359 ff. 260 Grundlegend: HRC, Communication No. 470/1991 11. November 1991, Kindler vs. Canada; HRC, CCPR/C/60/D/692/1996 v. 11. August 1997, A.R.J. vs. Australia; HRC, Communication No. 469/1991 v. 7. Januar 1994, NG vs. Canada; HRC, Communication No. 539/1993 9. Dezember 1994, Cox vs. Canada. 261 Zutreffend wird dies auch im Zusammenhang mit dem IPbpR als Maßnahmen mit extraterritorialer Wirkung bezeichnet, von: McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (52). Auch: Dürr, Die Europäische Union und der Umgang mit „Massenfluchten“, S. 126 f., erkennt hier Schutzpflichten an. 262 HRC, Communication No. 469/1991 v. 7. Januar 1994, Ng vs. Canada, Rn. 16.4. 263 HRC, Communication No. 470/1991 v. 11. November 1991, Kindler vs. Canada, Rn. 14.2 ff. 264 HRC, CCPR/C/60/D/692/1996 v. 11. August 1997, A.R.J. vs. Australia. 265 HRC, UN Doc. CCPR/C/76/D/900/1999, C vs. Australia.
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Rechte aus, denn die Notstandsklausel (Art. 4 Abs. 2 IPbpR) nennt Art. 6, 7, 8, 11, 15, 18 IPbpR und nicht etwa auch Art. 9 und 14 IPbpR. Dass dies aber auch hier einziger vertraglicher Anhaltspunkt für eine besondere Werte-Entscheidung des Paktgebers ist, steht außer Frage. Den oben – zur EMRK – dargelegten Grundsätzen folgend, muss der extrajurisdiktionelle Schutz also auf sämtliche laut Art. 4 Abs. 2 IPbpR notstandsfesten Rechte übertragen werden. cc) Zwischenergebnis Damit hat der IPbpR zunächst einen extraterritorialen Anwendungsbereich für Personen, die der Jurisdiktion eines Staates unterliegen, sprich, der effektiven Kontrolle eines Staates, unabhängig davon, auf wessen Territorium diese Kontrolle ausgeübt wird. Es gilt hier das zur EMRK Gesagte.266 Ein extrajurisdiktioneller Anwendungsbereich der Schutzpflichten besteht für sämtliche notstandsfesten Rechte, die als Ausdruck einer besonderen Werte-Entscheidung des Paktgebers absolut zu schützen sind. c) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) Der IPwskR267 verbürgt die sog. Menschenrechte zweiter Generation, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte.268 Der Pakt betrifft gerade für die wirtschaftlichen Handlungen besonders bedeutsame Rechte und ist damit für die dieser Arbeit zugrunde gelegten Sachverhalte von großer Wichtigkeit. So enthält er neben Gleichheitsrechten (etwa Art. 3 IPwskR – Gleichstellung zwischen Mann und Frau) auch etwa das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen (Art. 7 IPwskR), die Gewerkschaftsfreiheit (Art. 8 IPwskR), das Recht auf soziale Sicherheit (Art. 9 IPwskR) und den Mutterschutz (Art. 10 IPwskR). Die allgemeine Verpflichtungsklausel des IPwskR unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht von der Klausel des IPbpR. Zum einen spricht der Vertrag nicht von der Gewährleistung oder Zusicherung von Rechten, sondern von dem Erfordernis, Maßnahmen zu ergreifen. Zum anderen enthält der Artikel keinen eindeutigen Hinweis auf eine territoriale oder jurisdiktionelle Beschränkung. Es stellen sich daher die Fragen, ob dem Vertrag überhaupt Schutzpflichten entnommen werden können (unter aa)) und wie die Anwendungsreichweite eines Vertrages zu beurteilen ist, der darüber schweigt (unter bb)).
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Siehe dazu das Zwischenergebnis in: Abschnitt B. I. 1. a) bb) (2) (e). BGBl. 1976 II, S. 428. Der Pakt trat am 3. Januar 1976 in Kraft. So: Tomuschat, Human Rights, S. 26 ff.
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aa) Schutzpflichten Der IPwskR liefert in Art. 2 Abs. 1 Anhaltspunkte für zweierlei Formen der Schutzpflichten, die getrennt zu untersuchen sind: individuelle Schutzpflichten, also solche, die von jedem Staat einzeln zu erfüllen sind, und kollektive Schutzpflichten, die eine internationale Kooperation fordern bzw. nur im Rahmen der internationalen Kooperation anwendbar sind. (1) Individuelle Schutzpflichten („individually“) Anders als die bisher behandelten Konventionen ist die Feststellung der Schutzpflichten für den IPwskR nicht in gleichem Maße unproblematisch, denn einmal wird der allgemeine Verpflichtungsgrad des IPwskR, das heißt: die geforderte Dringlichkeit der Verwirklichung dieser Rechte, angesichts der vagen Formulierungen häufig als gering eingeschätzt. Überdies gibt es keinen traditionellen Gewährleistungsartikel, der eindeutig etwa die „Sicherstellung“ oder „Zusicherung“ der Paktrechte fordert. (a) Verpflichtungsgrad („progressively“, „to the maximum of its available resources“) Die Dringlichkeit, mit der die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu verwirklichen sind, wird angesichts der „schwammigen“ Formulierungen des Art. 2 Abs. 1 IPwskR und der wenigen zu diesem Pakt ergangenen Entscheidungen häufig für sehr gering befunden. Vereinzelt wird ihm sogar nur politische Bedeutsamkeit zugesprochen.269 Die Verbindlichkeit eines völkerrechtlichen Vertrags kann aber nicht bereits deswegen gemindert sein, weil es nur wenige konkretisierende Entscheidungen zu ihm gibt, dies ist vielmehr der Abwesenheit eines Individual-Beschwerdemechanismus geschuldet,270 erforderlich sind stichhaltige Ansatzpunkte im Vertragstext selbst271: Einen solchen liefert die Formulierung, die Umsetzung der Rechte könne „progressively“ 272 erfolgen und sei von der ressourcenbezogenen Leistungsfähigkeit des Verpflichtungsadressaten abhängig („to the maximum of its available resources“).273
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Vgl. Veirdag, NYIL 9 (1978), S. 69 (103). Ein solcher soll mit dem Fakultativprotokoll zum IPwskR v. 10. Dezember 2008 geschaffen werden (UN Doc. Doc.A/63/435). 271 Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 90. 272 In der deutschen Fassung als „nach und nach“ übersetzt. 273 So: Art. 2 Abs. 1 IPwskR. 270
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Die Implementierung des Paktes kann danach progressiv erfolgen. Geschuldet ist also je nach Leistungsfähigkeit keine unmittelbare, sondern eine graduelle Umsetzung des Paktes. Zu Recht wird aber darauf hingewiesen, dass dieser Vorbehalt nicht auf alle Pflichten zutreffe, es vielmehr auch eine Vielzahl von Pflichten gebe, die unmittelbar erfüllt werden müssten.274 Nach Auffassung des CESCR sind folgende Rechte unmittelbar anwendbar: Art. 3, 7 a) i), 8, 10 Abs. 3, 13 Abs. 2 a, Art. 13 Abs. 3, 13 Abs. 4, 15 Abs. 3.275 Zum einen seien diese Rechte zu eindeutig formuliert, als dass ihre Verwirklichung im Ermessen der Vertragsparteien stehen könnte, und zum anderen seien sie nicht ressourcenabhängig. Eine genaue Untersuchung der einzelnen Rechte würde den Rahmen dieser Bearbeitung sprengen; sind aber bestimmte Anforderungen hinreichend konkret und bedarf es keiner großen Anstrengung, diese zu erfüllen, so kann auch der Progressionsvorbehalt und die ressourcenbezogene Exkulpationsmöglichkeit dort nicht zugunsten der Vertragsparteien greifen. Auf solche Rechte bezogene Schutzpflichten sind damit unmittelbar zu erfüllen. Die Formulierungen bedeuten auch keineswegs, dass jeder Staat nach Belieben eine Umsetzung verzögern könnte, sondern allenfalls, dass der Verwirklichungsprozess in ein proportionales Abhängigkeitsverhältnis zur staatlichen Leistungsfähigkeit gesetzt wird. Diese Regelung bezweckte eine möglichst flächendeckende Ratifizierung, die nur dann erfolgen konnte, wenn auch die ressourcenärmeren Staaten durch explizite Wortlautregelung berücksichtigt wurden. Die Beweislast für die Leistungsunfähigkeit trägt danach aber der Verpflichtungsadressat selbst. Diese nur scheinbaren Besonderheiten des IPwskR tragen ganz allgemein dem Gedanken des Grundsatzes der Unmöglichkeit und Verhältnismäßigkeit Rechnung, kodifizieren diese Faktoren vertragsimmanent und integrieren sie als Tatbestandsmerkmale. Dass diese Grundsätze auf Rechtsfolgenseite bei der konkreten Determinierung von dem Gebot zum Tätigwerden ohnehin – auch bei sämtlichen anderen Verträgen – einkalkuliert werden müssen, wird später noch zu zeigen sein.276 Vorwegzunehmen ist nur so viel: Unmögliches oder Unverhältnismäßiges kann gewiss auch im Völkerrecht nicht gefordert werden und die individuelle Leistungsunfähigkeit stellt einen solchen Fall der Unmöglichkeit dar. Keinem anderen Umstand will diese Klausel Rechnung tragen.277 Eine wirkliche Besonderheit ergibt nur die Verortung auf Tatbestandsseite. 274 Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 128 f.; so auch: CESCR, General Comment No. 3, Rn. 1; CESCR, General Comment No. 11, Rn. 10; CESCR, General Comment No. 12, Rn. 16. 275 Vgl. dazu mit sehr ausführlicher Analyse: Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 175 ff. 276 Abschnitt C. III. 277 Dass nun auch den leistungsfähigeren Staaten ein Recht auf progressive Implementierung zusteht, folgt aus der Klausel nicht. Gibney, International Human Rights Law, S. 92, versteht die Klausel so, dass von einer Beweislastumkehr für westliche Staa-
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Im Ergebnis schwächen die genannten Tatbestandsmerkmale den Verpflichtungsgrad der Konvention nicht. Sie legen Grundsätze auf Tatbestandsebene nieder, die andernfalls spätestens auf Rechtsfolgenseite hätten berücksichtigt werden müssen. Der Verpflichtungsgrad unterscheidet sich daher nicht von denen der anderen Pakte. (b) Pflicht zum Schutz („to take steps“) Die Formulierung, dass Maßnahmen zur Verwirklichung der Paktrechte zu treffen („to take steps“) seien, geben einen deutlichen Hinweis auf Schutzpflichten, die – wie dargelegt278 – häufig durch positive Handlungen zu erfüllen sind.279 Diese ungewöhnliche Wendung hat ihren Ursprung in der Vorstellung, bürgerliche Rechte erforderten lediglich den Schutz vor staatlichen Übergriffen und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte dagegen leistendes staatliches Handeln.280 Dass diese Annahme im Zuge der Entwicklung des Menschenrechtsvölkerrechts überzeugend widerlegt werden konnte, wurde bereits gezeigt, denn auch der IPbpR fordert den Schutz vor Drittübergriffen. Zwar wird für den IPwskR auch die Existenz einer Achtungsdimension281 sowie die Anwendung der klassischen Pflichtentrias vertreten,282 dies kann hier aber dahinstehen, denn Schutzpflichten ergeben sich aus der Formulierung allemal. Die Literatur283 und der CESCR284 stellen entsprechend die Existenz von staatlichen Pflichten, Schutz vor privaten Übergriffen zu gewährleisten, nicht in ten dahingehend auszugehen sei, dass ihre Leistungsunfähigkeit erst bewiesen werden müsse. Eine solche generelle Vermutungsregel lässt sich dem Pakt aber nicht entnehmen und wirft ein nicht zu vernachlässigendes Folgeproblem auf, nämlich das der Feststellung, welche Staaten als „westlich“ anzusehen sind. 278 Abschnitt A. II. 1. a). 279 Im Englischen: „to take steps“, im Französischen: „s’engage à agir“ und im Spanischen: „a adoptar medidas“. 280 Siehe: UN Doc. A/2929 (1955), S. 8 Rn. 9; dazu auch die überzeugende Widerlegung durch Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 123 ff. 281 Natürlich kann der Staat etwa in das Recht auf Wohnung beispielsweise durch Zwangsräumungen eingreifen, vgl. dazu: Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 125. 282 Sepulveda, IJHR 13 (2009), S. 86 (90 ff.). Siehe auch die sehr ausführliche Analyse von: Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 158 ff. Auch die (unverbindlichen) Limburger Prinzipien, die 1986 von Menschenrechtsexperten der VN zusammengestellt wurden (siehe: UN Doc. E/C.12/2000/13), und der CESCR (seit: CESCR, General Comment No. 12, Rn. 15) gehen von einer solchen Dreigliederung der Menschenrechtspflichten aus. 283 Eide, HRLJ 10 (1989), S. 35 (40); Sepulveda, IJHR 13 (2009), S. 86 (91 f.); Craven, The ICESCR, S. 109 ff.; Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 157 ff., mit einer hervorragenden Analyse der Entscheidungen zu WSKRechten; Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (889); Windfuhr, The World Food Crisis, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 140 ff.; Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/Torstensen/Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 86 ff.
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Frage. Gerade auch im wirtschaftlichen Bereich werden besondere Schutzpflichten im Hinblick auf unternehmerische Handlungen betont: So soll etwa vor Zwangsumsiedlungen bei Staudammprojekten geschützt werden,285 vor allgemeinen Menschenrechtsverletzungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer,286 vor der Beeinträchtigung des Rechts auf Wasser durch private Versorger,287 vor Beeinträchtigungen des Rechts auf Gesundheit durch Unternehmen der Pharmaindustrie288 und vor indirekten Beeinträchtigungen der Gesundheit durch die extraktive Industrie.289 Dies gelte ferner auch für transnational agierende Unternehmen.290 Fast jede Anmerkung seit dem General Comment No. 12 bezieht sich – in der Regel sogar ausdrücklich – auf die staatlichen Pflichten, Handlungen von Unternehmen zu regeln und ggf. zu verurteilen.291 Der Pakt enthält mithin rechtlich nicht minder verbindliche Schutzpflichten als sämtliche anderen bislang behandelten Pakte. Diese Pflichten gelten auch singulär, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass Maßnahmen auch „individually“, also „einzeln“ zu ergreifen sind. In besonderem Maße schützt der Pakt auch vor wirtschaftlichen Handlungen privater Akteure. (2) Kollektive Schutzpflichten („through international assistance and co-operation“) Die Pflicht zur „international assistance and co-operation“ (Art. 2 Abs. 1 IPwskR) steht neben den einzelnen Pflichten.292 Zutreffend wird die Pflicht zur „international assistance“, also die Hilfeleistungspflicht, als Unterfall der Kooperationspflicht angesehen, die sich speziell auf den kooperativen Transfer von Waren und Dienstleistungen in andere Länder bezieht, während die Kooperationspflicht keine vorgegebenen Rechtsfolgen hat.293 An mehreren Stellen wiederholt 284 CESCR: General Comment No. 19, Rn. 54; General Comment No. 18, Rn. 35; General Comment No. 15, Rn. 23 ff.; General Comment No. 14, Rn. 35. 285 CESCR, Concluding Observations China v. 13. Mai 2005, UN Doc. E/C.12/1/ Add.107, Rn. 61. 286 CESCR, General Comment No. 18, Rn. 52, mit Bezug zu den ILO-Standards. 287 CESCR, General Comment No. 15, Rn. 23. 288 CESCR, General Comment No. 14, Rn. 35. 289 CESCR, General Comment No. 14, Rn. 51. 290 CESCR, Concluding Observations Ecuador v. 7. Juni 2004, UN Doc. E/C.12/1/ Add.100, Rn. 35. 291 Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Rn. 19. 292 Möchte man diese Pflichten der im Abschnitt A. II. 1. dargestellten Systematisierung zuordnen, handelt es sich um sog. „internationale (Kooperations-)Pflichten“. 293 Vgl. dazu: Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 203, m.w. N. Im ersten Entwurf stellte die Pflicht zur internationalen Kooperation die alleinige Pflicht dar. Das Wort „Assistance“ wurde später erst hinzugefügt (auf Vorschlag u. a. der US-Delegation, siehe:
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der IPwskR die internationalen Pflichten zur Zusammenarbeit (etwa Art. 22, 23, 15 Abs. 4 IPwskR), denen angesichts der Doppelung punktuell aber nur bekräftigende Wirkung entnommen werden kann.294 Strukturell können Kooperationspflichten dabei auch Schutz fordern, denn gerade etwa für transnational agierende Unternehmen wird mehrstaatliches Handeln besonders bedeutsam; dies beispielsweise dann, wenn der Gaststaat nicht hinreichend in der Lage ist, unternehmerisches Handeln auf seinem Territorium zu regulieren. Dabei kann die Erfüllung dieser internationalen Kooperationsschutzpflichten sehr unterschiedlich ausfallen. In zahlreichen allgemeinen und konkreten Stellungnahmen295 betont der CESCR immer wieder, dass internationale Verträge der Staaten keine negativen Auswirkungen auf die Paktrechte haben dürfen.296 Dies treffe insbesondere auf Handelsabkommen zu297 und gelte ferner im Rahmen internationaler Organisationen (konkret etwa bei IWF oder Weltbank).298 Das Ergebnis dieser Auslegung überzeugt, denn der Umfang, der für individuelle Pflichten gilt, gilt freilich auch für Kooperationspflichten, da sie in Art. 2 Abs. 1 IPwskR bedingungslos nebeneinander stehen. Einen Differenzierungsgrund gibt es schlichtweg nicht. Die Kooperationsschutzpflichten fordern damit weitestmöglichen Schutz auf internationaler Ebene, ohne, dass diese in einem Alternativitätsverhältnis stehen. Ein Handeln im Rahmen einer Organisation befreit also nicht, etwa als Erfüllungssurrogat oder in sonstiger Form, von der individuellen Schutzpflicht der Staaten, sondern erfüllt nur die kollektive Schutzpflicht.
UN Doc. E/CN.4/L.54/Rev.2.), um die besondere Bedeutung dieser Kooperationsform zu unterstreichen. Zweck dieser Klausel war es, leistungsunfähigeren Staaten die Möglichkeit zu geben, Hilfe von anderen Staaten zur Verwirklichung der WSK-Rechte zu bekommen, eventuell sogar fordern zu können (siehe: Denmark UN Doc. E/CN.4/ SR.236.). Die Klausel diente damit zugleich als Ratifikationsanreiz für Entwicklungsländer. Dazu und zur näheren Entwurfsgeschichte: Skogly, Beyond National Borders, S. 84 ff. 294 So auch: Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/ Kamminga, Extraterritorial Application, S. 203. 295 CESCR, Concluding Observations Iceland v. 23. Mai 2003, E/C.12/1/Add.89, Rn. 20: „urges the State party to take into account the provisions of the Covenant in its bilateral project agreements with other countries“. 296 CESCR, General Comment No. 18, Rn. 30; CESCR, General Comment No. 15, Rn. 35; CESCR, General Comment No. 11, Rn. 56. 297 CESCR, General Comment No. 15, Rn. 35. 298 CESCR, Considerations on Germany v. 6. Juni 2002, E/2002/22, Rn. 673; CESCR, Considerations on France v. 6. Juni 2002, E/2002/22, Rn. 881; CESCR, Considerations on Italy v. 6. Juni 2002, E/2002/22, Rn. 126; CESCR, Considerations on Japan v. 6. Juni 2002, E/2002/22, Rn. 614.
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(3) Zwischenfazit Zwischenbilanzierend kann festgehalten werden, dass Schutzpflichten individueller und kollektiver Art eine Grundlage im IPwskR finden. Die ressourcengebundene Exkulpationsmöglichkeit auf Voraussetzungsseite wird viele Staaten angesichts ihres hohen Entwicklungsstadiums nicht betreffen, so dass die Pflichten sich in Bestand und Umfang grundsätzlich nicht von den Pflichten anderer Verträge unterscheiden. bb) Extraterritorialer Anwendungsbereich Im Vergleich mit den bislang behandelten Konventionen gibt es verhältnismäßig wenige Kommentare zum extraterritorialen Anwendungsbereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Pflichten.299 Auch im Schrifttum fällt die Diskussion insgesamt spärlich aus. Gerade weil es aber keine Anhaltspunkte für eine räumliche Beschränkung dieses Paktes gibt, ist er potenziell von besonderer Bedeutung für den global zirkulierenden Wirtschaftsverkehr. Wie es zu beurteilen ist, dass dem IPwskR eine Jurisdiktionsklausel fehlt, soll unter (1) erläutert werden. Sodann ist zu klären, ob es möglicherweise dennoch eingrenzende Kriterien für die Anwendung des Paktes gibt (unter (2)). Zuletzt ist auf die Extraterritorialität der internationalen Kooperationsschutzpflichten einzugehen (unter (3)). (1) Bedeutung der Abwesenheit einer Jurisdiktionsklausel Einen deutlichen Bezug zum Territorium oder zur Jurisdiktion sucht man im IPwskR vergebens. An fast300 keiner Stelle findet sich ein Hinweis auf eine territoriale oder jurisdiktionelle Beschränkung.301 Es erscheint daher nicht von vornherein ausgeschlossen und sogar naheliegend, dem Pakt einen extraterritorialen Anwendungsbereich zu entnehmen.302 Uneinheitlich beurteilen dies aber der CESCR und das Schrifttum. 299 Coomans, Progressive Development, in: Windfuhr, Beyond the Nation State, S. 36; Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/Torstensen/Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 85 ff. 300 Die einzige Ausnahme betrifft (verständlicherweise) die Territorialität der Einführung der Grundschulpflicht in Art. 14 IPwskR. 301 Vgl. die fünfte Anmerkung von: Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 204. 302 Bedeutsam ist auch der Umstand, dass der IPbpR und der IPwskR zeitgleich entworfen wurden und der Entscheidung, dem IPwskR keinen jurisdiktionellen Anwendungsbereich zu verleihen, mithin ein Gewicht beigemessen werden muss. Vgl. dazu: McGoldrick, Extraterritorial Application of the ICCPR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 41 (47).
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
(a) Auffassung des CESCR Dafür, dass der CESCR grundsätzlich von einem sehr weiten Anwendungsbereich ausgeht, gibt es zahlreiche Anhaltspunkte: Zum Recht auf Nahrung (Art. 11 IPwskR) äußert sich der Ausschuss dahingehend: Die Vertragsparteien „should take steps to respect the enjoyment of the right to food in other countries, to protect that right, to facilitate access to food and to provide the necessary aid when required.“ 303 Ob die angesprochene Schutzpflicht sich auch auf die im ersten Halbsatz genannten Fremdstaaten beziehen, bleibt offen, ist aber zu vermuten, da er allgemeine Ausführungen zu intraterritorialen Schutzpflichten bereits an anderer Stelle macht304 und der Titel des zitierten Abschnitts „International Obligations“ 305 lautet. Deutlicher wird der CESCR ein Jahr später. Im General Comment No. 14 zu Art. 12 IPwskR (Recht auf das Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit) betont er – zunächst bezogen auf die Achtungspflicht –: „States parties have to respect the enjoyment of the right to health in other countries“ 306 und weitet dies im nächsten Satz auch auf Schutzpflichten aus: Es bestehe eine Pflicht „to prevent third parties from violating the right in other countries.“ 307 Unmissverständlich ist die Aussage, dass diese Rechte solche sind, die in Fremdstaaten extraterritorial ausgeübt werden. Gemeint sind also – und dies kann nicht anders verstanden werden – extraterritoriale Schutzpflichten.308 Zum aus Art. 11 und 12 IPwskR abgeleiteten Recht auf Wasser stellt der CESCR auch hier fest: „States parties have to respect the enjoyment of the right in other countries.“ 309 Sodann geht er auf die Kooperationspflichten ein: „International cooperation requires States parties to refrain from actions that interfere, directly or indirectly, with the enjoyment of the right to water in other countries“.310 Damit leitet er zwar zunächst eine grundsätzliche extraterritoriale Achtungspflicht her, die sodann aber dahingehend präzisiert wird, dass auch die indirekte Beeinträchtigung zu unterlassen sei. Ähnlich seien die Staaten auch im Hinblick auf das Recht auf Arbeit aus Art. 6 IPwskR verpflichtet „to promote the right to work in other countries as well as in bilateral and multilateral negotiations.“ 311 303
CESCR, General Comment No. 12, Rn. 36 (Hervorhebung durch Bearbeiter). CESCR, General Comment No. 12, Rn. 14 ff. 305 Hervorhebung durch Bearbeiter. 306 CESCR, General Comment No. 14, Rn. 39 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 307 CESCR, General Comment No. 14, Rn. 39 (Hervorhebungen durch Bearbeiter). 308 Vgl. auch: Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 18. 309 CESCR General Comment No. 15, Rn. 31 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 310 CESCR General Comment No. 15, Rn. 31 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 311 CESCR General Comment No. 18, Rn. 30 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 304
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Zuletzt und am deutlichsten äußert er sich im General Comment No. 19, zum Recht auf soziale Sicherheit: „States parties should extraterritorially protect the right to social security by preventing their own citizens and national entities from violating this right in other countries.“ 312 Die Schlussfolgerung liegt nahe, der CESCR entwickle hier in „ständiger Rechtsprechung“ extraterritoriale Schutzpflichten.313 (b) Schrifttum Das Schrifttum ist sich, wenngleich die Diskussion insgesamt sehr mager ausfällt, uneins über die Beurteilung des territorialen Anwendungsbereichs der Paktpflichten. Vielfach wird etwas zurückhaltend geäußert, dass extraterritoriale Schutzpflichten insgesamt noch nicht anerkannt seien und sie deswegen auch nicht im Rahmen des IPwskR bestünden.314 Begründet wird nur vereinzelt: Weilert zweifelt an einem extraterritorialen Anwendungsbereich, denn die „Aufforderungen“ des CESCR seien nicht rechtsverbindlich.315 von Bernstorff spricht etwas vorsichtiger von der Unklarheit darüber, ob die Entscheidungen des CESCR allgemein eher Empfehlungs- oder Auslegungscharakter haben.316 Benvenisti verweist auf Art. 29 WVK,317 wonach grundsätzlich ein völkerrechtlicher Vertrag die Parteien hinsichtlich ihres gesamten Hoheitsgebietes bindet, und schließt daraus auf einen rein intraterritorialen Anwendungsbereich für den IPwskR. Dagegen scheinen andere sich dem Ergebnis des CESCR, wenn auch mit Differenzierungen, anzuschließen.318 Gerade mit Blick auf die Abwesenheit einer Jurisdiktionsklausel und mit Rücksicht auf die Bekräftigung der CESCR-Entscheidungen werden in Teilen extraterritoriale Schutzpflichten für diesen Pakt angenommen.319 Vereinzelt wird dies auf den Kerngehalt der wirtschaftlichen, 312
CESCR General Comment No. 19, Rn. 54 (Hervorhebung durch Bearbeiter). Insgesamt nennt er sie in: CESCR, General Comments No. 12, 15, 18, 19. Seine Auffassung darüber, wie die Schutzpflichten zu erfüllen seien, macht der CESCR in seiner Concluding Observation zu Luxembourg deutlich, in der er den Erlass und die Anwendung extraterritorial wirkender Gesetze begrüßte: CESCR, Concluding Observations Luxembourg, UN Doc. E/C.12/1/Add.86, Rn. 12. 314 Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 275. 315 Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (891). 316 von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 21. 317 Benvenisti, ILR 26 (1992), S. 24 (33), Fn. 36. 318 So: Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/Torstensen/Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 85 ff. 319 Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (791); Gibney, International Human Rights Law, S. 94 f.; Sepulveda, IJHR 13 (2009), S. 86 (91). Trotz seiner Bedenken auch: von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 21. 313
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sozialen und kulturellen Rechte beschränkt.320 Andere unterstützen den Ansatz des CESCR und finden Bestätigung in Art. 23 IPwskR, der von „internationalen Maßnahmen“ spricht, verstehen diese Formulierung als Konkretisierung des Art. 2 Abs. 1 IPwskR und schließen daraus auf einen extraterritorialen Anwendungsbereich.321 Wieder andere verweisen auf die besondere Bedeutung der Abwesenheit einer Jurisdiktionsklausel gerade im Vergleich mit sämtlichen anderen Menschenrechtsverträgen.322 (c) Stellungnahme Die Entscheidungen des CESCR sind zwar nicht verbindlich, sie geben aber ein deutliches Auslegungsergebnis vor, solange sie sich im Rahmen des auslegungsmöglichen Bereichs halten.323 Denn als Produkt eines VN-Vertragsorgans kommt ihnen besonderes Gewicht zu.324 Die Begründung eines extraterritorialen Anwendungsbereichs ist hier auch mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ganz gewiss möglich. Es überzeugt daher nicht, von der Unverbindlichkeit der Entscheidungen auf einen Ausschluss des extraterritorialen Anwendungsbereichs zu schließen. Auch die in Art. 11 Abs. 1 IPwskR wiederholte „Internationalität“ der Zusammenarbeit speziell für die dort genannten Rechte lässt keinen Raum für den Umkehrschluss zu, dass dies für die anderen Pflichten nicht gelten kann. Die Wiederholung soll nur ein besonderes Gewicht der dortigen Rechte unterstreichen325 und bekräftigt damit vielmehr die in Art. 2 Abs. 1 IPwskR niedergelegte Internationalität der Pflichten,326 gibt aber keinen Hinweis auf eine Abgeschlossenheit. Im Gegensatz dazu kann Art. 14 IPwskR herangezogen werden, der die Einführung einer Grundschulpflicht nur im „metropolitan territory or other territories under its jurisdiction“ fordert. Dieser speziell determinierte räumliche Anwendungsbereich für Art. 14 IPwskR zeigt e contrario vielmehr, dass sämtliche anderen Pflichten eben nicht territorial bzw. jurisdiktionell beschränkt sind. Das Argument, Art. 29 WVK könne zur Begründung eines rein territorialen Anwendungsbereichs herangezogen werden, geht ebenfalls ins Leere, denn die 320
Gibney, International Human Rights Law, S. 94 ff. Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (791). 322 Craven, The ICESCR, S. 251; Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/ Torstensen/Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 88 f. 323 Dazu: Craven, The ICESCR, S. 30 ff. 324 Der CESCR wird von 18 vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen ernannten Experten besetzt (siehe: Economic and Social Council Resolution 1985/17). 325 Vgl. Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 205. So auch: Skogly, Beyond National Borders, S. 93. 326 So auch: Gibney, International Human Rights Law, S. 90. 321
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Norm betrifft zum einen nur den Geltungsbereich eines Vertrages (nicht den Anwendungsbereich)327 und bezweckt zum anderen, dass eine Vertragspartei die Konventionsgeltung für ein bestimmtes (intraterritoriales) Gebiet nicht ohne Weiteres aussetzen darf.328 Extraterritoriale Anwendungsbereiche von Konventionspflichten betrifft diese Norm nicht. Letztlich ergibt sich aber aus dem IPwskR die grundsätzliche Absicht, den räumlichen Anwendungsbereich möglichst auszudehnen bzw. nicht zu beschränken, auch wenn möglicherweise die Ausmaße dieser Festlegung zum Ratifizierungszeitpunkt nicht deutlich waren.329 Dies belegen die zahlreichen Hinweise auf die Internationalität der Paktpflichten. Art. 2 Abs. 1 IPwskR spricht von internationalen Kooperationspflichten, genau wie Art. 11 Abs. 1 IPwskR. Diese Pflichten sollten gerade auch nicht auf das Territorium beschränkt sein, denn: Wie könnte internationalen Pflichten zur Zusammenarbeit nachgekommen werden, wenn diese nur auf intraterritoriale Sachverhalte anzuwenden wären? Eine Jurisdiktionsklausel wäre vielmehr fehl am Platz.330 Der Umstand, dass der IPbpR zeitgleich mit einer deutlichen jurisdiktionellen Beschränkung entstanden ist, unterstreicht die bewusste Offenheit des räumlichen Anwendungsbereichs. Dass eine solche Klausel im IPwskR herausgelassen wurde, kann mithin nicht einer Nachlässigkeit bei der Vertragsgestaltung geschuldet sein, sondern muss vielmehr willentlich unterlassen worden sein. Der Pakt hat damit bewusst einen grundsätzlich unbeschränkten Anwendungsbereich.331 (2) Eine räumliche Schrankendogmatik für den IPwskR? Trotz des grundsätzlich offenen räumlichen Anwendungsbereiches wird auf unterschiedliche Weise versucht, dem Pakt (räumliche) Schranken vorzugeben, die seine Anwendbarkeit von vornherein einengen sollen. Diskutiert werden diese sowohl vom CESCR und IGH als auch vereinzelt vom Schrifttum. 327 Dies wird bereits durch die Überschrift („Räumlicher Geltungsbereich von Verträgen“) deutlich. So sehen es auch: Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 77; Meron, AJIL 72 (1978), S. 542 (543, Fn. 7). 328 Siehe dazu: Villinger, Commentary on the 1969 VCLT, S. 391. Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 146, bezeichnet die Norm als subsidiär. 329 Auch wenn dies aus den travaux préparatoires nicht deutlich wird, kann vermutet werden, dass sich die Vertragsparteien darüber einig waren, internationalen Pflichten auch keine territoriale Beschränkung aufzuerlegen, dass es ihnen aber nicht bewusst war, dass der räumliche Anwendungsbereich auch für diejenigen Pflichten gelten werde, die „individuell“ zu erfüllen seien. 330 Ähnlich argumentiert: Skogly, Beyond National Borders, S. 87. 331 Die vereinzelt gezogene Differenzierung zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten hat dagegen keine rechtliche Basis, so aber: Sornarajah, The International Law on Foreign Investment, S. 169. Sich anschließend: De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 20; Joseph, NILR 46 (1999), S. 171 (177).
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(a) Jurisdiktionelle Beschränkungen nach CESCR und IGH Einige Kommentare des CESCR legen dem grundsätzlich unbeschränkten Anwendungsbereich des IPwskR Schranken vor. Diese widersprechen auch den dargelegten grundsätzlichen Äußerungen des CESCR nicht, dass extraterritorialer Schutz auch vom IPwskR gefordert werde, sondern konkretisieren diese Schutzpflichten. Der CESCR entwickelt ein Schrankenkonzept, das sowohl an Merkmale der menschenrechtsbeeinträchtigenden als auch der betroffenen Person anknüpft. In einem General Comment fordert der Ausschuss die Erfüllung von Schutzpflichten insoweit, als sich der Störer innerhalb seiner Jurisdiktion befindet: „Where States parties can take steps to influence third parties (non-State actors) within their jurisdiction to respect the right [. . .].“ 332 Ob damit der faktische Jurisdiktionsbegriff gemeint ist oder ob es auf die allgemein-völkerrechtliche Jurisdiktionsbefugnis ankommt, bleibt unklar. Letzteres ist zu vermuten, wenngleich auch hier der menschenrechtliche Effektivitätsgedanke fordert, dass es auf die tatsächliche Einflussmöglichkeit ankommt. Damit zieht der CESCR eine erst jurisdiktionelle Beschränkungslinie: All diejenigen Personen, über die Jurisdiktion geübt werden kann, sollen dazu angehalten werden, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht zu beeinträchtigen. Andere Äußerungen beziehen sich eindeutig auf die faktische (menschenrechtliche) Jurisdiktion und fordern, dass die zu schützende Person – hier also nicht der Störer – sich innerhalb dieser befindet.333 Etwa bei der Begründung der Verantwortlichkeit Israels über die besetzten Gebiete, äußert sich der CESCR folgendermaßen: „obligations apply to all territories and populations under it’s effective control.“ 334 Auch der IGH äußert sich in seinem sog. Mauer-Gutachten dahingehend, dass der IPwskR auch in den von Israel besetzten Gebieten Anwendung finde, denn Israel übe dort die „Jurisdiktion“ – im faktischen Sinne – aus.335 332 CESCR, General Comment No. 19, Rn. 54 (Hervorhebung durch Bearbeiter); auch bereits in: CESCR, General Comment No. 15, Rn. 31. 333 So in: CESCR, Concluding Observations China v. 13. Mai 2005, UN Doc. E/ C.12/1/ADD.107, Rn. 62; CESCR, Concluding Observations Algeria v. 30. November 2001, UN Doc. E/C.12/1/ADD.71, Rn. 25; CESCR, Concluding Observations Poland v. 19. Dezember 2002, UN Doc. E/C.12/1/ADD.82, Rn. 4; CESCR, General Comment No. 14, Rn. 51; CESCR, General Comment No. 13, Rn. 6, 41, 52; CESCR, General Comment No. 8, Rn. 10; CESCR, General Comment No. 4 Rn. 13; CESCR, General Comment No. 12, Rn. 14. 334 CESCR, Concluding Observations Israel v. 23. Mai 2003, E/C.12/1/Add.90, Rn. 31 (Hervorhebung durch Bearbeiter); auch: CESCR, Considerations on Israel, E/ 1999/22, Rn. 234, 258; etwas diffuser sind dabei allerdings die Anmerkungen in Rn. 232: Israel sei dann für die Menschenrechte in den besetzten Gebieten verantwortlich, wenn „geographical, functional or personal jurisdiction“ ausgeübt werde. Da der CESCR schlussendlich in der gleichen Stellungnahme von „effective control“ spricht, scheint er eine solche mit den vorstehenden Differenzierungen zu meinen. 335 IGH, Mauer-Gutachten, ICJ Reports 2004, Rn. 112.
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Für die Anwendbarkeit des IPwskR scheint es nach den Rechtsprechungsorganen erforderlich zu sein, dass jurisdiktioneller Einfluss auf den Störer ausgeübt werden kann und dass sich der Betroffene innerhalb der faktischen Jurisdiktion des Staates befindet. (b) Schrifttum Das Schrifttum ist sich, anders als der CESCR und der IGH, uneins über die Einschränkung des räumlichen Anwendungsbereichs des Paktes. von Bernstorff schließt aus den Äußerungen des CESCR und aus dem Schweigen des Vertrages zu der räumlichen Anwendungsreichweite, dass auf die bekannten Kriterien zum IPbpR zurückgegriffen werden müsse.336 Sepulveda wendet sich aufgrund dogmatischer Bedenken zunächst gegen eine solche konventionsübergreifende Bestimmung des extraterritorialen Anwendungsbereichs,337 sieht dann aber eine Eingrenzungsmöglichkeit dahingehend, dass der Störerkreis auf „non-state entities under their jurisdiction“ beschränkt werden könne.338 Zerk verlangt eine einheitliche Entwicklung des Menschenrechtsvölkerrechts und vertritt deshalb die Übertragung des Jurisdiktionskriteriums.339 Andere verlangen, dass eine Wahrscheinlichkeitsverknüpfung zwischen einem staatlichen Handeln und der menschenrechtswidrigen Situation den räumlichen Anwendungsbereich beschränken müsse.340 Vereinzelt werden bekräftigende Argumente gesucht, um die Anwendung auf intrajurisdiktionelle Bereiche zu beschränken.341 Es wird angeführt, dass das Optional Protocol für Individualbeschwerden in Art. 2 die Zulässigkeit dahingehend einschränke, dass der Beschwerende „subject to the jurisdiction of a state party“ sein müsse.342 Als bedenkenswert wird auch der Umstand genannt, dass die extraterritoriale Erfüllung positiver Pflichten in einen Konflikt mit den Interessen der anderen Staaten geraten könne.343 Andere differenzieren und fordern neben dem bekannten Effektive-KontrolleTest auch die Anerkennung der effective economic control als anwendungsbe336 von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 22, (er betont aber, dass dies nicht zwingend abschließend gelten muss, S. 23). 337 Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 276. 338 Sepulveda, IJHR 13 (2009), S. 86 (91); Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 272. 339 Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 89. 340 Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/Torstensen/Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 90. 341 Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 20. 342 Sepulveda, The Nature of the Obligations under the ICESCR, S. 272. 343 Narula, CJTL 44 (2005–06), S. 691 (737).
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
gründenden Tatbestand.344 Wieder andere wollen die faktische Einflussnahmemöglichkeit auf private Störer als weiterentwickeltes Kriterium der effektiven Kontrolle speziell für den IPwskR begründen.345 Schließlich wird auch hier – gleich wie bei den anderen Verträgen – vertreten, den räumlichen Anwendungsbereich zwischen positiven und negativen Pflichten abzustufen; für positive Pflichten sei die Jurisdiktion erforderlich, für negative hingegen nicht.346 Oftmals bleibt aber offen, welcher Auffassung sich die Autoren letztendlich anschließen. Nur ganze wenige Autoren vertreten einen gänzlich unbeschränkten Anwendungsbereich des Paktes.347 Coomans versucht der Schrankendogmatik mittels praktischer Anwendungsbeispiele entgegenzutreten. So erkennt er etwa die heimatstaatliche Verantwortlichkeit für den Export unsicherer Lebensmittel in ausländische Märkte an und fordert deshalb einen möglichst weiten Anwendungsbereich.348 Insgesamt weist das Schrifttum zwar eher Beschränkungsansätze auf, die sich überwiegend auf die Entscheidungen des CESCR stützen, es lässt sich dennoch keine einheitliche Linie ausmachen. (c) Stellungnahme Der Auffassung, der grundsätzlichen Unbeschränktheit des Anwendungsbereichs müsse durch die Übertragung des Effektive-Kontrolle-Tests Rechnung getragen werden, ist entgegenzusetzen, dass es sich bei der effektiven Kontrolle um eine Auslegung des Tatbestandsmerkmal „Jurisdiktion“ aus z. B. Art. 2 Abs. 1 IPbpR handelt, welcher es für den IPwskR an vertraglichen Anhaltspunkten mangelt. Die Dogmatik kann nicht ohne Weiteres übertragen werden, wenn sich dies nicht aus dem Vertrag selbst ergibt. Dies schließt freilich nicht aus, dass in denjenigen Situationen, in denen ein Staat die effektive Kontrolle über ein Gebiet, eine Person oder eine Sache ausübt, dieser die Paktrechte sichern muss: ganz im Gegenteil, diese Situationen sind klare Indizien dafür, dass ein Staat auch Schutz üben kann. Sie sind aber keineswegs eine abschließende Aufzählung sämtlicher 344
Narula, CJTL 44 (2005–06), S. 691 (734). von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 23; De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 20 f.; Sepulveda, IJHR 13 (2009), S. 86 (91). 346 Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 227 ff. 347 Künnemann/Ratjen, Extraterritorial Obligations, in: Kent, Global Obligations, S. 35 f.; Coomans, Some Remarks On the Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 187 f. 348 Coomans, Some Remarks On the Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 187. 345
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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Anwendungsfälle. Den einschränkenden Ansätzen ist also nur insoweit Recht zu geben, als die effektive extraterritoriale Kontrolle ein denkbarer Anwendungsfall für extraterritoriale Schutzpflichten ist, diese hierauf aber nicht beschränkt sind.349 Zutreffend ist auch, dass der zu hindernde Störer, vor dessen menschenrechtswidriger Handlung geschützt werden soll, sich häufig innerhalb der Jurisdiktion der Vertragspartei befinden muss, denn dies ist oftmals Voraussetzung für eine Handlungsfähigkeit des Staates. Dass das extraterritoriale Handlungsmüssen mit dem extraterritorialen Handlungskönnen des Staates abgeglichen werden muss, ist aber eine Selbstverständlichkeit, die für sämtliche anderen Verträge auch gilt. Eine Einschränkung des räumlichen Anwendungsbereichs ergibt sich daraus nicht. Der Ansatz scheitert dagegen immer dann, wenn anders als durch direkte Einflussnahme auf den Störer Schutz vor seiner Handlung geübt werden kann, etwa, wenn es ausreicht, den Betroffenen zu beschützen, ohne regelnden Einfluss auf den Störer zu nehmen. Das Erfordernis der Jurisdiktion über den Störer kann daher ebenso wenig abschließend sein wie die faktische Kontrolle über das Opfer. Das Argument, das Zusatzprotokoll könne eine entsprechende Begrenzung auf intrajurisdiktionelle Fälle begründen, geht ebenso ins Leere, denn einerseits bezweckt diese Begrenzung nur den Schutz vor einer Überlastung der Beschwerdeorgane und andererseits kann auch hier ein Zusatzprotokoll als selbständiger völkerrechtlicher Vertrag nicht maßgebend für den IPwskR sein. Vielmehr muss das Zusatzprotokoll im Lichte des Hauptvertrags ausgelegt werden. Insgesamt lässt sich eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Konvention nicht überzeugend begründen. Das durchschimmernde Bedürfnis, keine globalen Pflichten begründen zu wollen, schenkt der auf Tatbestandsebene erforderlichen Leistungsfähigkeit und dem auf Rechtsfolgenseite zu berücksichtigenden Grundsatz der Unmöglichkeit keine hinreichende Beachtung. Es überschreitet den Rahmen der Frage, ob der räumliche Anwendungsbereich einer Konvention grundsätzlich eröffnet ist, dem Gedanken der Jurisdiktionsfähigkeit Rechnung zu tragen, dies ist ein Faktor, der später (im Einzelfall) bestimmt, wann konkretes Tätigwerden möglich und erforderlich ist. Die Vielzahl der Versuche, solchen Bedenken entgegenzutreten, führt zu einer grundsätzlichen Beschränkung des räumlichen Anwendungsbereiches, für die es keine Anhaltspunkte im Vertrag selbst gibt. Sie ist auch nicht anderweitig begründbar, erforderlich oder wünschenswert. 349 Dass der CESCR mit dem Konzept der effektiven Kontrolle einen abschließenden Anwendungsbereich begründen wollte, wird insofern auch gar nicht deutlich. Es ist vielmehr anzunehmen, dass er für den konkreten Fall einen (durch einen Effektive-Kontrolle-Tatbestand begründeten) Anwendungsbereich schaffen wollte, ohne damit allgemeingültig und abschließend den Anwendungsbereich zu definieren oder gar zu beschränken.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Zusammenfassend hat der IPwskR einen unbeschränkten Anwendungsbereich. Extraterritoriale Schutzpflichten sind daher grundsätzlich im Hinblick auf sämtliche Rechte und räumlich unbeschränkt zu erfüllen. (3) Extraterritorialität der Kooperationsschutzpflichten Für die Kooperationsschutzpflichten gilt grundsätzlich der gleiche räumliche Anwendungsbereich wie für sämtliche anderen Pflichten des Paktes auch. Bekräftigend kann der extraterritoriale Anwendungsbereich hier daraus positiv hergeleitet werden, dass es sich um zwischenstaatliche bzw. internationale Kooperationspflichten handelt. Das bedeutet: Mindestens einer der Beteiligten handelt zugunsten extraterritorialer Menschenrechte.350 Dieses Handeln erfolgt freilich im Rahmen der Kooperation mit Zustimmung des betroffenen Staates und wirft daher grundsätzlich weniger Bedenken auf als bei Pflichten im Alleingang.351 Damit haben auch die Kooperationsschutzpflichten einen extraterritorialen Anwendungsbereich. (4) Zusammenfassung Die Pflichten des IPwskR sind in Ermangelung einer Jurisdiktionsklausel und sonstiger Anhaltspunkte auf extraterritoriale Sachverhalte anwendbar. Beschränkungen des räumlichen Anwendungsbereichs lassen sich dogmatisch nicht begründen. Aus diesem Pakt lassen sich also extraterritoriale Schutzpflichten ableiten. cc) Zwischenergebnis Auch wenn ein so weitgehendes Ergebnis in dem Ausmaße ursprünglich nicht gewollt war, so hatte man sich doch bewusst gegen eine territoriale und jurisdiktionelle Beschränkung des Paktes entschieden. Angesichts der besonderen Natur der in diesem Pakt verankerten Rechte ist dies auch wünschenswert, denn die Rechte sind Antworten auf eine zunehmende wirtschaftliche, soziale und kulturelle Globalisierung,352 der naturgemäß auch extraterritoriale Sachverhalte im350 So im Ergebnis auch: von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 20; Sepulveda, IJHR 13 (2009), S. 86 (91); Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 75; Coomans, Some Remarks On the Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 193 f. 351 Gleiches gilt auch für das Handeln im Rahmen internationaler Organisationen, wie etwa der Weltbank. So hat der CESCR sog. „internationale Menschenrechtspflichten“ des Vereinigten Königreichs anerkannt, die eine Pflicht begründen, sich im Rahmen dieser Organisationen an die WSK-Rechte zu halten, vgl. CESCR, Concluding Observations UK v. 17. Mai 2002, E/C.12/1/Add.79, Rn. 26. 352 Vgl. Coomans, Some Remarks On the Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 184; Narula, CJTL
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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manent sind. Der IPwskR hat gemäß den vorstehenden Ergebnissen den weitesten Anwendungsbereich. d) Charta der Vereinten Nationen (VNC) Die am 24. Oktober 1945 in Kraft getretene Charta der Vereinten Nationen (VNC)353 ist kein Menschenrechtsvertrag, sondern ein – vor allem – institutionalisierendes Instrument für die Organisation der Vereinten Nationen. An einigen Stellen (Präambel, Art. 1 Abs. 3, Art. 55 lit. c und Art. 56 VNC) erwähnt die VNC dennoch den Schutz der Menschenrechte und kann damit potenziell auch menschenrechtsschützende Verpflichtungen für ihre Mitgliedsstaaten enthalten. Beachtliche Auswirkungen hätte die Feststellung extraterritorialer Schutzpflichten der VN-Staaten, denn sie entfaltet einerseits globale Geltung354 und begründet andererseits mit Art. 103 VNC einen Vorrang sämtlicher Pflichten der VNC vor anderen widersprechenden Übereinkommen. aa) Schutzpflichten Fraglich ist zunächst, ob die VNC Schutzpflichten enthält, die von den Mitgliedsstaaten zu erfüllen wären. Dazu müssten die menschenrechtlichen Anmerkungen der VNC zunächst einen hinreichenden Verpflichtungsgrad erreichen und darüber hinaus auch eine Schutzdimension enthalten. Von vornherein ausgeschlossen ist dies nicht etwa, weil es sich um einen eher institutionalisierenden, also rechtssetzenden Vertrag handelt, denn Schutzpflichten sind anhand des Wortlautes zu begründen und nicht anhand des „Gesamtcharakters“ eines Vertrages. Beispiele für individuelle Pflichten der VNC gibt es. Das aus Art. 2 Nr. 4 VNC hergeleitete Verbot der Nicht-Einmischung etwa ist eine Pflicht, die allgemein und nicht nur im Rahmen der Organisation einzuhalten ist. Keineswegs sind daher individuelle Schutzpflichten ohne nähere Untersuchung von vornherein auszuschließen. (1) Menschenrechtspflichten der VNC Zu untersuchen sind die für Menschenrechtspflichten bedeutsamen Ansatzpunkte in der Präambel, Art. 1 Abs. 3, Art. 55 lit. c und Art. 56 VNC. 44 (2005–06), S. 691. Ganz anders dagegen: IGH, Mauer-Gutachten, ICJ Reports 2004, Rn. 112. 353 Die BRD selbst ist seit dem 6. Juni 1973 völkervertragsrechtlich an die VNC gebunden. Zuvor bestand lediglich eine De-Facto-Mitgliedschaft. BGBl. 1973 II, S. 430. Die Charta trat am 24. Oktober 1945 in Kraft. 354 192 der 193 Staaten sind Vertragsparteien der VNC.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
(a) Verpflichtungsgrad der VNC (aa) Präambel und Art. 1 Nr. 3 VNC Die in der Präambel enthaltene Glaubensbestätigung: „to reaffirm faith in fundamental human rights, in the dignity and the worth of the human person [. . .]“ wird vereinzelt mit der Begründung, dass nicht klar sei, warum eine Präambel keine rechtlich verbindliche Kraft entwickeln könne, zur Begründung menschenrechtlicher Pflichten herangezogen.355 Vor allem der in der Entstehungsgeschichte entbrannten Diskussion356 um die rechtliche Verpflichtung der Präambel sei ein entsprechender Rechtsbindungswille zu entnehmen. Zwar kann nicht pauschal von der Bezeichnung als Präambel auf eine Unverbindlichkeit geschlossen werden, dennoch dient sie regelmäßig nur als Auslegungshilfe357 für nachfolgend verbürgte Normen. Die Bezeichnung kann daher jedenfalls ein Indikator für die Unverbindlichkeit sein. Für die VNC kann angesichts der klaren Formulierung als reine Glaubensbestätigung bereits auf Grund des Wortlauts keine Verpflichtung hergeleitet werden. Die Präambel soll vielmehr die Vereinigungsgrundlage der VN erklären, nicht aber eigenständige Pflichten begründen. Unklarer ist dagegen die Bedeutung der in Art. 1 Nr. 3 VNC unter dem Kapitel „Ziele und Grundsätze“ eingefügte Wendung: „The Purposes of the United Nations are: [. . .] to achieve international co-operation [. . .] in promoting and encouraging respect for human rights and for fundamental freedoms“.358 Zuweilen wird daraus ohne weitere Begründung eine rechtliche Bindung für die Mitgliedsstaaten entnommen.359 Andere vertreten, dass die Stellung zu Beginn der VNC einen Hinweis auf eine Rechtsbindung mit Pflichtenbegründung liefere, denn eine Vielzahl der in Art. 1 Nr. 3 VNC genannten Ziele entsprächen mittlerweile völkergewohnheitsrechtlichen Pflichten.360
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Wolfrum, Preamble, in: Simma, VNC, Bd. I, S. 35. Zu der Diskussion um die Präambel siehe: UNCIO VI, COM I, General Provisions, S. 448. 357 So: Art. 31 Abs. 2 WVK. 358 Bereits der Dumbortan Oaks Proposal sah es explizit vor, die Ziele der geplanten Internationalen Organisation in der Charta festzuhalten: Wolfrum, Art. 1, in: Simma, VNC, Bd. I, S. 39. 359 Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (786); von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 25, wohl aber ausschließlich in Verbindung mit Art. 55 f. Tomuschat, Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, in: Caflisch/Stein/Tomuschat, Eingriff in die inneren Angelegenheiten, S. 7, leitet mit Verweis auf das Namibia-Gutachten des IGH, Namibia-Gutachten, ICJ Reports 1971, S. 12 ff. aus Art. 1 Nr. 3 VNC, eine rechtliche Bindung ab. 360 Wolfrum, Art. 1, in: Simma, VNC, Bd. I, S. 40, Rn. 4. 356
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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Dagegen spricht zum einen, dass von der parallelen Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Pflichten nicht auf die Verbindlichkeit von Vertragsnormen geschlossen werden kann. Gerade der menschenrechtliche Bereich ist gewohnheitsrechtlich mit einer Vielzahl von Unklarheiten verbunden. Aber auch der Wortlaut spricht gegen rechtliche Pflichten für die Mitgliedsstaaten. „to achieve“ bedeutet nicht mehr, als dass ein bestimmtes Ergebnis erzielt werden soll und es sich dabei vielmehr um die Zweckbegründung der Existenz dieser Organisation oder ein Leitprinzip handelt. Die genannten Ziele sind vielleicht genetische Grundlage der Organisation, dienen damit sicherlich auch als Verhaltensbeschränkung der VN361 und können zur Auslegung der Folgeartikel dienen. Menschenrechtliche Pflichten für die Mitgliedsstaaten können ihnen dagegen nicht entnommen werden. (bb) Art. 55 lit. c, 56 VNC Naheliegender ist eine Herleitung der Schutzpflichten aus den Art. 55 lit. c, 56 VNC. Art. 55 VNC fordert in lit. c: „universal respect for, and observance of, human rights and fundamental freedoms for all [. . .]“. Art. 56 VNC enthält eine Pflicht aller Mitgliedsstaaten „to take joint and separate action in co-operation with the Organization“, um die in Art. 55 VNC genannten Ziele zu erreichen. Diese Artikel scheinen zusammenfassend eine Zielverpflichtung für jeden Mitgliedsstaat zu liefern, die Menschenrechte zu achten und zu verwirklichen, und damit Art. 1 Nr. 3 VNC zu konkretisieren.362 Unzweifelhaft gilt dies insofern, als es um Maßnahmen im Rahmen der VN selbst geht. In der Organisation werden die Generalversammlung (Art. 13 Abs. 1 lit. b VNC) und der Wirtschafts- und Sozialrat (Art. 62 Abs. 2 VNC) dazu ermächtigt, entsprechende Empfehlungen abzugeben.363 Problematisch ist aber, ob daneben Pflichten auch im Alleingang, sprich: individuelle Schutzpflichten außerhalb der Organisation begründet werden können. Eine Ansicht schließt dies mit Verweis auf den Wortlaut („to take joint and separate action in co-operation with the Organization“ 364) aus.365 Es handele sich danach um reine Kooperationspflichten im Rahmen der Organisation. Für diese Auffassung spricht, dass durch die VNC primär die Arbeitsweise und die 361
Wolfrum, Art. 1, in: Simma, VNC, Bd. I, S. 40. Riedel, Art. 55 (c), in: Simma, VNC, Bd. II, S. 920, Rn. 8, sieht in der zweiten Komponente des doppelfunktionalen Art. 55 lit. c menschenrechtliche Verpflichtungen. 363 So weit kann auch hier von internationalen Kooperationspflichten gesprochen werden. Die durch die Verwirklichungspflicht freilich auch Schutz fordern. Vgl. CESCR, General Comment No. 3, Rn. 14. 364 Art. 56 VNC (Hervorhebung durch Bearbeiter). 365 Siehe Diskussion bei: Skogly, Beyond National Borders, S. 76. 362
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Handlungen, sowie auch eben das Pflichtenprogramm nur der VN als Organisation festgehalten werden sollte. Mit dem Vertrag sollte eine Organisation ins Leben gerufen und deren Umfang bestimmt werden und nicht reziprozitäre Pflichten der Vertragsparteien begründet werden. Für ein Verständnis des Wortlauts dahingehend, dass der VNC auch individuelle Menschenrechtsverpflichtungen entnommen werden können, wird angeführt, dass, sollte die Verpflichtung aus Art. 56 VNC ausschließlich nur für die Arbeit der VN gelten, ein anderer Text, etwa „action through or with the United Nations“ hätte verwendet werden können.366 Etwas weitergehend wird teilweise die Formulierung „separate action“ isoliert als klare rechtliche Verpflichtung, auch extraterritorial im Alleingang zu handeln, verstanden.367 Prominenten Zuspruch erhält diese Auffassung vom IGH, der explizit auf Menschenrechtsverpflichtungen aus der VNC bei einer internen – lediglich einen Staat betreffenden – Angelegenheit hinweist,368 die konkrete Herleitung allerdings nicht weiter ausführt. Auch Sinn und Zweck der Norm sind umstritten. Zum einen könnte die Norm lediglich als eine Art Kompetenzbegründung für die Kodifikation von weiteren Menschenrechtspflichten gesehen werden.369 Aus sich selbst heraus ergäben sich dann keine direkten Schutzpflichten. Andere führen den Existenzgrund der VN an und argumentieren, dass die Friedenssicherung es gleichfalls gebiete, Menschenrechte stets auch im Alleingang insgesamt zu schützen.370 Es sei genau das zu tun, was Art. 55 VNC voranstellt: um einen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt zu erhalten, müssten dann entsprechend die Menschenrechte geachtet und geschützt werden. Schutz der Menschenrechte sei also vom Telos der Friedenssicherung gedeckt. Die historische Entwicklung der Normen gibt wenig Aufschluss. Der derzeitige Wortlaut der VNC stellt einen Kompromiss zwischen Vorschlägen von Australien und Ansichten der USA dar. Die ursprünglich von Australien vorgeschlagene Formulierung lautete: „all members of the UN should pledge to take action, on both national and international levels [. . .]“. Diese klare Formulierung hätte nicht zu der o. g. Verwirrung geführt, denn danach wäre klar gewesen, dass auch im Alleingang gehandelt werden soll. Die USA äußerten hierbei Bedenken im 366
Skogly, Beyond National Borders, S. 76. Gibney, International Human Rights Law, S. 87. Andeutend auch: Dehner, HILJ 15 (1974), S. 71 (111); von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 26; Riedel, Art. 55 (c), in: Simma, VNC, Bd. II, S. 920, Rn. 8. 368 IGH, Namibia-Gutachten, ICJ Reports 1971, S. 16, 57 Rn. 131. In: IGH, United States Diplomatic and Consular Staff in Teheran, Judgement, ICJ Reports 1980, Rn. 91, spricht er sich deutlich für rechtliche Menschenrechtsverpflichtungen der VNC aus. So auch: HRC, General Comment No. 31, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, Rn. 2. 369 Kempen, WiVerw 55 (2009), S. 19 (20). 370 Skogly, Beyond National Borders, S. 77. 367
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Hinblick auf die zu wahrende domain réservé der Mitgliedsstaaten und wollten daher eine Formulierung, die die Staaten nur zu einem Handeln im Rahmen der VN verpflichtet.371 Das Ergebnis stellt einen Kompromiss dieser Ansichten dar, ohne dass damit abschließende Klarheit geschaffen wurde. Letztlich lässt sich anhand des Wortlautes beides begründen. Dass auch Pflichten im Alleingang zu erfüllen sind, ergibt sich aber aus Sinn und Zweck. Denn Frieden zu sichern, also gerade einen Zustand der Stabilität und Wohlfahrt zu gewährleisten (so Art. 55 VNC), erfordert die Pflicht, Menschenrechte umfassend zu schützen. An dieser Stelle kann bekräftigend die Präambel und die Zielverpflichtung aus Art. 1 Nr. 3 VNC auslegungslenkende Bedeutung haben. Ihr lässt sich dabei zwar keine klare Ansage entnehmen, ob auch individuelle Pflichten begründet werden, dennoch bestätigt sie den Glauben an die Menschenrechte und Grundfreiheiten, der darauf schließen lässt, dass die VNC jedenfalls im Hinblick auf Menschenrechtspflichten alles andere als restriktiv ausgelegt werden soll. Zwar ist die VNC grundsätzlich institutionalisierend, wie bereits dargelegt, enthält sie aber, etwa mit Art. 2 Nr. 4 VNC, auch allgemeine Grundsätze, die stets, das heißt: auch einzeln, einzuhalten sind. Der Menschenrechtsschutz muss hier dazu gehören. Im Ergebnis ist Art. 56 VNC dahingehend zu verstehen, dass neben den Kooperationspflichten auch individuelle Schutzpflichten sämtlicher Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die Menschenrechte bestehen. (b) Pflicht zum Schutz Fragwürdig ist weiterhin, ob den Artikeln eine Pflicht zum Schutz entnommen werden kann. Art. 55 lit. c VNC spricht nicht nur von „respect for“ sondern auch „observance of, human rights“. Dass damit so viel gemeint sein will wie mit den bereits untersuchten Gewährleistungsklauseln, ergibt sich aus der alternativen Nennung der Respektierungspflicht. „Observance“ bedeutet insofern genau das, was die deutsche Übersetzung mit „Verwirklichung“ zum Ausdruck bringt: Nämlich den „Rundum-Schutz“. Andernfalls käme der alternativen Nennung keine besondere Bedeutung zu. Die Art. 55 lit. c und 56 VNC müssen daher so verstanden werden, dass sich aus ihnen auch individuelle Schutzpflichten für die einzelnen Staaten ergeben, auch wenn sie eben nicht im Rahmen der Organisation handeln. (2) Bestand der Menschenrechte in Art. 55 lit. c VNC Zwar lassen sich Schutzpflichten für Menschenrechte herleiten, welche dies sind, verschweigt die Charta allerdings. Auf den ersten Blick scheint man sich 371
UNCIO X Doc. 6999, II/3/30 und Doc. 747, II/3/46, S. 139 ff.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
mangels Menschenrechtskatalogs nicht über die essentialia negotii geeinigt zu haben. Dennoch wurde der grundsätzliche Wille zum Menschenrechtsschutz verbürgt und es gibt nicht unerhebliche Folge-Dokumente, die den Mangel der ursprünglichen Uneinigkeit ausgeglichen haben könnten. Oftmals wird dies für die Rechte der AEMR vertreten.372 Dies belege die nachfolgende Staatenpraxis, welche die VNC verbindlich interpretiere, und die zeitliche Nähe, in der die Verträge entworfen wurden.373 Auch die Praxis der VN-Organe und die dortigen zahlreichen Erwähnungen der AEMR374 sowie die Bemerkung des IGH, dass die AEMR eine rechtekonkretisierende Funktion der VNC habe,375 sprechen für diesen Ansatz.376 Das American Law Institute und eine Vielzahl der Stimmen im Schrifttum gehen dagegen davon aus, dass nur ein Kernbestand der Rechte geschützt wird, denn nur diese seien von einem Grundkonsens auf universeller Ebene umfasst.377 Für diese Auffassung spricht die grundsätzliche Konsensabhängigkeit des Völkerrechts. Letztlich überzeugt es nicht, sämtlichen Rechten der AEMR durch die VNC vermittelnd eine Verpflichtungsdimension zuzuführen. Wozu, so könnte man sich fragen, gab es dann überhaupt noch die Folgeverträge? Gebunden wären schließlich sämtliche Staaten bereits über die VNC. Dem Konsensmangel der Vertragsparteien ist hier einige Bedeutung beizumessen. Der VNC lässt nicht ohne Grund einen Menschenrechtskatalog vermissen und die AEMR wurde nicht grundlos lediglich als unverbindliche Generalversammlungsresolution verabschiedet. Konnte man sich über diese Punkte nicht einigen, so kann dieser Mangel nicht im Nachhinein über ausfüllende Folgedokumente übergangen werden. Die Rechte, die in der VNC enthalten sind, können sich vielmehr nur auf die – insofern konsentierten – Kern-Rechte beschränken, die oftmals nur als konkrete Tatbestände formuliert werden: Verbot des Genozids, der Sklaverei und des Sklavenhandels, der Ermordung oder des Verschwindenlassens von Personen, der Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung, des langen, willkürlichen Freiheitsentzugs und der systematischen 372
Krennerich, Menschenrechte und internationale Politik, S. 42. Sohn, AULR 48 (1982), S. 1 (15 ff.); Schachter, International Law in Theory and Practice, S. 337; Kent, Global Obligations, in: Kent, Global Obligations, S. 14. 374 Vgl. Cassimatis, Human Rights Related Trade Measures under International Law, S. 67 f. 375 IGH, United States Diplomatic and Consular Staff in Teheran, Judgement, ICJ Reports 1980, Rn. 91. 376 Die (allerdings auch unverbindlichen) Limburger Prinzipien scheinen davon auszugehen, dass sämtliche bürgerlich-politischen und wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte an dieser Stelle gemeint seien, vgl. Limburger Prinzipien v. 27. November 2000, UN Doc. E/C.12/2000/13, Rn. 29. 377 American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165 § 702 f. 373
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Rassendiskriminierung.378 Sind die konkreten Tatbestände und Rechte im Einzelnen umstritten, rechtfertigt dieses Ergebnis eine Untersuchung des extraterritorialen Anwendungsbereichs der Schutzpflichten. (3) Zwischenfazit Art. 55 lit. c, 56 VNC enthalten Schutzpflichten, die von den Vertragsparteien auch im Alleingang außerhalb der Organisation zu erfüllen sind. Geschützt werden die global konsentierten Menschenrechte, also solche, die als fundamental bezeichnet werden. bb) Extraterritorialer Anwendungsbereich Dass die dargelegten Pflichten einen extraterritorialen Anwendungsbereich haben, ist zwar nicht ohne nähere Diskussion schlicht anzunehmen – eine Klausel, die den räumlichen Anwendungsbereich determiniert, ist in der VNC aber nicht zu finden. Das Schrifttum diskutiert den räumlichen Anwendungsbereich dabei nur ganz vereinzelt. (1) Begründung eines extraterritorialen Anwendungsbereichs Den in Art. 56 VNC unumstritten enthaltenen Kooperationspflichten ist in Anlehnung an die im Rahmen des IPwskR entwickelten Grundsätze ein extraterritorialer Anwendungsbereich zu entnehmen, denn auch hier handelt mindestens einer der Staaten extraterritorial.379 Fraglich ist dagegen, ob die einzeln zu erfüllenden Pflichten einen extraterritorialen Anwendungsbereich haben. Zuweilen wird Art. 103 VNC als Hinweis auf einen universellen Menschenrechtsschutz verstanden, denn den Menschenrechten widersprechende Handlungen dürften angesichts der Vorrangbegründung nicht vorgenommen werden.380 Dagegen spricht aber, dass Art. 103 VNC eine Rangordnungsnorm für Rechtsquellen ist, nicht aber auf irgendeine Weise tatsächliches Handeln überformt. Ein bekräftigendes Argument für die Extraterritorialität der VNC-Menschenrechtspflichten kann darin nicht gefunden werden. Überzeugender ist es, an den Wortlaut des Art. 55 lit. c VNC anzuknüpfen. Die englische Formulierung ist dabei unzweideutig und fordert: „universal respect for, and observance of, human rights [. . .]“ 381. Universell in diesem Sinne 378 American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165 § 702, Rn. 161–175; findet Bestätigung u. a. bei Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 78. 379 Skogly, Beyond National Borders, S. 76; Spieß, ZfMR 2 (2009), S. 66 (72). 380 Vgl. Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (786). 381 Hervorhebung durch Bearbeiter.
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bedeutet: überall auf der Welt382 und umfassend. Die nun in Art. 56 VNC niedergelegten Staatenpflichten nehmen dadurch ebenfalls einen universellen Charakter an. Schwerlich ließe sich angesichts dieser Formulierungen eine räumliche Beschränkung der in der Charta enthaltenen Pflichten begründen. Auch an dieser Stelle kann dem in Art. 1 Nr. 3 VNC verbürgten Ziel, die Menschenrechte „für alle ohne Unterschied [. . .]“ zu verwirklichen, ein Indizwert zugesprochen werden. Gerade diese Zielbestimmung bezweckt einen möglichst weitreichenden Menschenrechtsschutz, der in Art. 55 lit. c, 56 VNC hineinzulesen ist. Eine territoriale Beschränkung wäre daher vielmehr fehl am Platz. Die dargelegten Pflichten weisen einen extraterritorialen Anwendungsbereich auf, der nicht etwa jurisdiktionell beschränkt ist. (2) Vertragsimmanente Ausschlussgründe? Der damit begründete, räumlich grundsätzlich unbeschränkte Anwendungsbereich der Schutzpflichten wird vereinzelt nicht widerspruchslos hingenommen. Art. 2 Nr. 7 VNC verbietet die Einmischung der VN als Organisation in die innerstaatlichen Angelegenheiten der Staaten.383 Zuweilen wird anhand dieser Norm eine vertragsimmanente Beschränkung des extraterritorialen Anwendungsbereichs der in Art. 55, 56 VNC niedergelegten Pflichten entwickelt.384 Verpflichtet die VNC nämlich zum extraterritorialen Schutz der Menschenrechte, könnte dies als Verpflichtung zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten durch die VN selbst angesehen werden. Es wäre dann eine einschränkende Auslegung der Pflichten entsprechend dieses Grundsatzes geboten. Voraussetzung ist freilich, dass die Menschenrechte Gegenstand der inneren Angelegenheiten sind, auf die sich Art. 2 Nr. 7 bezieht. Bereits Lauterpacht ging 1950 davon aus, dass mit der völkerrechtlichen Regelung des Menschenrechtsschutzes die Menschenrechte von der nationalen auf die internationale Ebene gehoben wurden.385 Einige schließen sich dem an.386 Bestätigung soll die Bejahung der Transzendierung von Menschenrechten in der nachfolgende Staaten- und Organisationspraxis gefunden haben.387 Weitere 382 So auch: Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (786); Riedel, Art. 55 (c), in: Simma, VNC, Bd. II, S. 920, Rn. 20 ff. 383 Wagner, Das Spannungsverhältnis, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 172, scheint hier unzutreffend eine Bindung der Mitgliedsstaaten allgemein an ein Nichteinmischungsverbot zu sehen und begründet damit einen Ausschluss des extraterritorialen Anwendungsbereichs von Menschenrechtspflichten. 384 Riedel, Art. 55 (c), in: Simma, VNC, Bd. II, S. 923. 385 Lauterpacht, International Law and Human Rights, S. 177 f. 386 Riedel, Art. 55 (c), in: Simma, VNC, Bd. II, S. 923. 387 Riedel, Art. 55 (c), in: Simma, VNC, Bd. II, S. 922 f.; Skogly, Beyond National Borders, S. 78, allerdings ohne Nachweise; Spieß, ZfMR 2 (2009), S. 66 (72).
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Dokumente bestätigten dies, wie etwa die Wiener Erklärung von 1993: „[. . .] the promotion and protection of human rights is a legitimate concern of the international community“.388 Zuletzt zeige auch gerade die Vielzahl der völkerrechtlichen Dokumente, die den Menschenrechtsschutz zum Inhalt haben, dass der Menschenrechtschutz keine – jedenfalls nicht rein – interne Angelegenheit sei. Dieser Ansatz überzeugt, denn für die VN als Organisation sind die Menschenrechte ein Anliegen der internationalen Gemeinschaft, dies zeigt schließlich die Zielbestimmung in Art. 1 Nr. 3 VNC. Eine Pflicht zum extraterritorialen Schutz der Menschenrechte berührt damit keinesfalls nur die inneren Angelegenheiten der Staaten, haben doch fast alle Staaten die VNC ratifiziert. Einen Ausschluss aus Art. 2 Nr. 7 VNC zu entnehmen, ist daher wenig überzeugend. Das für die Staaten geltende Interventionsverbot, dass sich aus Art. 2 Nr. 4 VNC entnehmen lässt389, vermag den extraterritorialen Anwendungsbereich der Pflichten ebenfalls nicht pauschal zu beschränken. Wie an einigen Stellen bereits erwähnt, beschränkt die extraterritoriale Handlungsfähigkeit nicht den extraterritorialen Anwendungsbereich einer Pflicht, wenn den Anhaltspunkten im Vertrag nichts Entsprechendes entnommen werden kann. Dass extraterritorial nicht beliebig weit gehandelt werden kann, ist ein – später noch zu erläuternder – Umstand, dem auf Rechtsfolgenseite im Rahmen des Grundsatzes der Unmöglichkeit Rechnung getragen werden muss.390 cc) Abschließende Bewertung Insgesamt sind die Verpflichtungen der VNC zu vage und zu allgemein formuliert, als dass mit einem Blick zu erkennen wäre, was konkret zu tun ist. Dennoch enthält die Charta Verpflichtungen, die auch individuell für Staaten im Alleingang, also nicht nur im Rahmen der Organisation zu erfüllen sind. Solange unklar ist, auf welche Menschenrechte sich die in der VNC enthaltenen Schutzpflichten beziehen, beschränkt sich der Umfang auf den Minimalkonsens, nämlich den Schutz der fundamentalen Menschenrechte. Da sich des Weiteren keine Beschränkung auf ein Territorium ergibt, diese sich auch nicht herleiten lässt und vielmehr auch nicht gewollt war, enthalten die in
388 Abs. 4 der Vienna Declaration and Programme of Action v. 12. Juli 1993, UN Doc. A/CONF.157/23. 389 Daneben wird oft auf die Friendly Relations Declaration (GA-Resolution 2625 (XXV) v. 24. Oktober 1970) verwiesen. Auch wenn unklar ist, aus welcher Rechtsquelle das Interventionsverbot letztlich entspringt, wird die Existenz nicht in Frage gestellt, siehe: IGH, Nicaragua, ICJ Reports 1986, Rn. 202 ff., 205. 390 Abschnitt C. III. 2.
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Art. 55 lit. c, 56 VNC niedergelegten Verpflichtungen einen extraterritorialen Anwendungsbereich.391 Die Anerkennung und Erfüllung dieser Pflichten ist gewiss nicht weit gereift und steckt angesichts mangelnder Durchsetzungsmechanismen in den Kinderschuhen. Dies ändert aber nichts an dem rechtlich feststellbaren Bestand extraterritorialer Schutzpflichten in der VNC. e) Extraterritoriale Schutzpflichten der übrigen Menschenrechtsverträge (im Überblick) Im Folgenden soll auf die übrigen Menschenrechtsverträge eingegangen werden, die entweder bestimmte Rechte oder gesteigert schützenswerte Teilaspekte von Menschenrechten betreffen. Wegen einer Vielzahl von Überschneidungen der Entscheidungen und Kommentare der zuständigen Menschenrechtsgremien und der wechselbezüglichen Entwicklung dieser Verträge wird hierbei entweder auf bereits gefundene Ergebnisse verwiesen oder diese werden nur kursorisch dargestellt. Nur etwaige, sich von den vorstehenden Ergebnissen abhebende Besonderheiten sollen im Folgenden eingehender erläutert werden. aa) Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Anti-FoK) Das nicht als Rechte-, sondern negativ als Verbotsvertrag geschaffene Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Anti-FoK),392 stellt einen zentralen Menschenrechtsvertrag dar.393 Ob das Recht auf Freiheit von Folter aus diesem Vertrag extraterritorial zu schützen ist, soll im Folgenden untersucht werden. (1) Schutzpflichten Zwar ist angesichts der Folterdefinition in Art. 1 Anti-FoK, die auf die Vornahme der Handlung in amtlicher Eigenschaft abstellt, nicht von vornherein eindeutig, dass auch vor Übergriffen von privaten Akteuren geschützt werden muss394, dennoch schützt die Konvention auch vor unmenschlicher Behandlung, 391 So auch: Künnemann, Staatenpflichten, S. 5. Mit einem zusätzlichen Blick auf Art. 103 VNC: Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (786); Skogly, Beyond National Borders, S. 83. 392 BGBl. 1990 II, S. 246. Das Übereinkommen trat am 26. Juni 1984 in Kraft. 393 Die Anti-FoK ist 1988 in Kraft getreten. 394 Bekräftigung findet diese Überlegung durch Art. 16 Abs. 1 Anti-FoK, der eine Präventionspflicht für Misshandlungen vorsieht, die nicht die Folterstufe erreichen, indes aber nur dann bestehen, wenn diese Misshandlungen von staatlicher Seite ausgeübt werden.
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die nicht an die Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten gebunden ist und damit auch die „private Folter“ umfasst. Einen ausdrücklichen Hinweis auf Schutzpflichten liefert dagegen auch Art. 2 Abs. 1 Anti-FoK, der unterschiedliche Präventionsmaßnahmen fordert.395 Auf jeder staatlichen Ebene sollen danach Maßnahmen getroffen werden, um Folter und unmenschliche Behandlungen zu verhindern. Auch das Committee against Torture (CAT) äußert sich unzweideutig: „where State authorities or others acting in official capacity or under colour of law, know or have reasonable grounds to believe that acts of torture or ill-treatment are being committed by non-State officials or private actors and they fail to exercise due diligence to prevent, investigate, prosecute and punish such non-State officials or private actors consistently with the Convention [. . .].“ 396 Die so vom CAT begründeten Präventions-, Aufklärungs-, Ermittlungs- und Aburteilungspflichten stellen Pflichten zum Schutz vor Übergriffen durch private Akteure dar. Diese Auslegung wird im Schrifttum bekräftigt.397 Als eine besondere Schutzmaßnahme nennt das CAT die Aufklärung der allgemeinen Bevölkerung über die Absolutheit des Folterverbots398 und bezieht sich damit ebenfalls auf Schutzpflichten im Hinblick auf Drittübergriffe. Damit kann der Anti-FoK Schutzpflichten entnommen werden. (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich Die Anti-FoK ist einer der wenigen Verträge, der eine Reihe von unterschiedlichen Jurisdiktionsklauseln (in den Artikeln 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 lit. a, 5 Abs. 2, 7 Abs. 1, 11, 12, 13, 16 and 22 Abs. 1 Anti-FoK) enthält und entsprechend vielschichtige Anwendungsbereiche der Pflichten schafft. Die allgemeine Klausel (Art. 2 Abs. 1 Anti-FoK) verlangt eine Ausweitung der Verpflichtungen dahingehend, dass Folter und entsprechende Behandlungen in den der Jurisdiktion der Vertragsparteien unterstehenden Territorien unterbunden werden sollen. Das CAT hat in seinem General Comment No. 2 den Anwendungsbereich analog zu den Diskussionen etwa des IPbpR dahingehend präzisiert, dass die Konvention „must be applied to protect any person, citizen or non-citizen without discrimination subject to the de jure or de facto control of a State party.“ 399 Die Diskussion über Normativität oder Faktizität des Jurisdiktionsbegriffs erübrigt sich, denn beide Formen werden nach Auffassung des CAT erfasst.400 Es trifft 395
Mavromatis, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 281. CAT, General Comment No. 2, Rn. 18 (Hervorhebung durch den Bearbeiter). 397 Nowak/McArthur, The UN Convention Against Torture, S. 112 f. 398 CAT, General Comment No. 2, Rn. 25. 399 CAT, General Comment No. 2, Rn. 7 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 400 Angefochten wurde diese Auslegung allein von den USA, die davon ausgehen, dass Art. 2 Anti-FoK nur innerhalb des eigenen Territoriums Anwendung findet, vgl. 396
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darüber hinaus eine bemerkenswerte terminologische Unterscheidung. Es nennt den Fall des „souveränen Territoriums“ als ureigenes Herrschaftsgebiet und unterscheidet ihn von dem „Territorium unter Jurisdiktion“, das sämtliche denkbaren anderen Situationen umfasst, angefangen bei der De-Facto-Kontrolle eines Gefängnisses über die Kontrolle über ein Schiff bis hin zur Besetzung eines Gebietes.401 Mit dieser Unterscheidung begründet das CAT einen extraterritorialen (aber stets intrajurisdiktionellen) Anwendungsbereich. Darüber hinaus wird vertreten, dass die Jurisdiktionsklausel im Falle der AntiFoK insgesamt eher eine untergeordnete Rolle spiele.402 Etwas überzeugender ist dagegen die Argumentation, dass die Qualität der zu ergreifenden Maßnahmen in sich bereits territoriale Beschränkungen trägt.403 So fordert die Konvention, dass „wirksame legislative, administrative und judikative“ Mittel ergriffen werden und freilich ist diese Pflicht erst einmal nur auf dem eigenen Territorium möglich. Die Sondersituation eines extraterritorial kontrollierten Gebietes wurde dagegen hier nicht gesehen. Eine Neuerung ist gewissermaßen die in Art. 5 Abs. 2 AntiFoK begründete universelle Jurisdiktion für Folter-Straftaten. Diese extraterritoriale (judikative) Jurisdiktion zeigt deutlich, dass ein gesamtheitlicher Ansatz für eine territoriale Beschränkung zu kurz greift bzw. nicht gewollt war. Diese Überlegung wird auch von den Folge-Absätzen des Art. 2 Anti-FoK untermauert, weisen diese doch auf die Absolutheit der Verpflichtungen hin, gerade speziell für den Kriegsfall, denn dieser Zustand ist naturgemäß ein grenzüberschreitender bzw. einer, der extraterritoriale Staatsakte betrifft. Auch Art. 12 Anti-FoK, der spezielle Anwendungsbereiche nennt (etwa auf Schiffen oder Flugzeugen), bestätigt, dass ein möglichst umfassender Anwendungsbereich geschaffen werden sollte. Die gleiche Dogmatik zu den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wird für den Fall der Folter gewissermaßen in Art. 3 Anti-FoK explizit ipso lege festgelegt. Anders allerdings ist hier, dass „private Folter“ kein Abschiebungshindernis ist. Es handelt sich also um textlich fixierte extrajurisdiktionelle Schutzpflichten bezogen auf den Sonderfall der drohenden staatlichen Folter durch fremde Staatsorgane. Der Anwendungsbereich wird in der Gesamtschau dieser Ausführungen zutreffend dahingehend ausgedehnt, dass die tatsächliche Kontrolle über eine Situation die Pflicht aktivieren kann.404
US Report in accordance with Art. 19 CAT of 13 January 2006, UN Doc. CAT/C/48/ Add.3/Rev.1. Die ganz überwiegende Auffassung lehnt diesen Ansatz ab, vgl. dazu: Nowak/McArthur, The UN Convention Against Torture, S. 117. 401 CAT, General Comment No. 2 v. 24. Januar 2008, Rn. 16; so auch: Nowak/McArthur, The UN Convention Against Torture, S. 117. 402 Skogly, Beyond National Borders, S. 106. 403 Skogly, Beyond National Borders, S. 106.
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Dies umfasst also nicht nur die strengen Kriterien der effektiven Kontrolle über ein Gebiet, sondern überdies all jene Situationen, in denen der Staat tatsächlich Einfluss nehmen kann. Im Ergebnis kann also festgehalten werden, dass die „private Folter“ auch von der Anti-FoK mit unbedingten Schutzpflichten erfasst wird.405 Die Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs ist dabei äußerst komplex, dieser schließt aber weitgehende intra- sowie extraterritoriale Anwendungsbereiche ein. bb) Übereinkommen über die Rechte des Kindes (KRK) Die KRK406 begründet einen speziellen persönlichen Anwendungsbereich für die Menschenrechte, von denen Kinder besonders betroffen sind. Sie stellt damit gewissermaßen eine den anderen Konventionen akzessorische Modifikation des persönlichen Anwendungsbereich mit speziellen Verpflichtungen gegenüber Kindern dar. Bemerkenswert ist, dass die KRK mit 193 Vertragsparteien, der am meisten ratifizierte Menschenrechtsvertrag ist und daher einen Grundkonsens bildet. (1) Schutzpflichten Art. 2 Abs. 2 KRK enthält – entsprechend der obigen Ausführungen – klare Schutzpflichten, wenn es dort heißt, dass alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Konventionsrechte sicherzustellen. Art. 19 KRK konstatiert eine Pflicht des Staates, Schutz gegen Gewalt gegenüber Kindern von jeglicher Dritter Seite zu üben. Dies soll mittels Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen erfolgen. Zweifel am Bestand von Schutzpflichten für die KRK gibt es daher nicht. Bedeutsam für die dieser Arbeit zugrunde gelegten Sachverhalte ist ferner: Auch Art. 32 Abs. 1 KRK nennt das Recht auf Schutz vor ökonomischer Ausbeutung, das insbesondere durch Wirtschaftsunternehmen beeinträchtigt werden kann. Auch das Committee on the Rights of the Child (CRC) bezieht seine Entscheidungen regelmäßig auf private Unternehmen.407 Insgesamt können der Konvention daher zweifellos Schutzpflichten entnommen werden. 404 Skogly, Beyond National Borders, S. 107. Im Ergebnis so auch: CAT, Conclusions and Recommendations of the CAT, CAT K/XXVII/Concl. 5 v. 23. November 2001, Rn. 7d und e. 405 So im Ergebnis auch: Gibney/Tomasevski/Vedsted-Hansen, HHRJ 12 (1999), S. 267 (270); Skogly, Beyond National Borders, S. 107; Gibney, International Human Rights Law, S. 101 f. 406 BGBl. 1992 II, S. 121. Das Übereinkommen trat am 2. September 1990 in Kraft. 407 CRC, General Comment No. 1, Rn. 21; CRC, General Comment No. 4, Rn. 18, 25 (Tabakindustrie); CRC, General Comment No. 5, Rn. 43–44 (hierin wird der „private Sektor“ ausdrücklich einschließlich Unternehmen definiert); CRC, General Comment No. 7, Rn. 36.
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(2) Extraterritorialer Anwendungsbereich Die in Art. 2 KRK enthaltene Jurisdiktionsklausel („each child within their jurisdiction“) hat keinen territorialen Bezug und kann daher nach den oben erarbeiteten Auslegungsregeln zunächst auf Fälle der effektiven Kontrolle ausgedehnt bzw. umschrieben werden.408 Dies wird auch vom zuständigen Ausschuss für die KRK so gesehen.409 Es gelten die gleichen Maßstäbe, die bereits oben zur Auslegung des Jurisdiktionsbegriffs ermittelt wurden.410 Art. 4 und 24 Abs. 4 KRK begründen daneben internationale Kooperationspflichten der Vertragsparteien. Hierzu kann auf die für den IPwskR dargelegten Maßstäbe insoweit zurückgegriffen werden, als diese naturgemäß einen extraterritorialen Anwendungsbereich haben und es daher freilich auch extraterritoriale Kooperationsschutzpflichten gibt.411 Ob die Kooperationspflichten dabei auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte beschränkt sind, ist fragwürdig. Die Konvention spricht zwar zunächst nur von diesen Rechten, vgl. Art. 4 KRK, der Ausschuss hat aber unzweideutig und zutreffend klargestellt, dass dies auch für bürgerlich-politische Rechte gelten muss,412 denn andere Normen im Vertrag seien eindeutig den bürgerlich-politischen zuzuordnen. Eine Unterscheidung führe zu absurden Ergebnissen. Es existieren auch hier extraterritoriale Schutzpflichten. cc) Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (VöMK) Die VöMK413 wird traditionell, unbeschadet der Doppelfunktion als völkerstrafrechtliches Instrument, auch als Menschenrechtsvertrag angesehen.414 Da sie nicht nur die repressive Strafverfolgung, sondern auch die Prävention fordert, ist es gerechtfertigt, sie in dieser Arbeit näher zu untersuchen. Das menschenrechtliche Schutzgut ist auch hier negativ formulierbar: das Recht auf Freiheit vom Völkermord. 408
Dennis, AJIL 99 (2005), S. 119 (129). So etwa in: CRC, Summary Records Israel v. 10. Oktober 2002, CRC/C/SR.829, Rn. 20: „the Committee [. . .] saw the Convention as binding upon Israel as the occupying Power in respect of the occupied Palestinian territory“. 410 Dies entspricht auch dem, was der IGH in: IGH, Mauer-Gutachten, ICJ Reports 2004, Rn. 106, 113, entschied, als er von der Anwendbarkeit der KRK in den besetzten Gebieten ausging. 411 So auch: Gibney, International Human Rights Law, S. 103; Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/Torstensen/Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 91. 412 CRC, General Comment No. 5, Rn. 6. 413 BGBl. 1954 II, S. 729. Die Konvention trat am 12. Januar 1951 in Kraft. 414 Seibert-Fohr, State Responsibility, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 362. 409
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(1) Schutzpflichten Die in Art. I der VöMK enthaltenen Präventionspflichten („undertake to prevent and punish“) sind unzweideutige und unbestrittene Schutzpflichten415 gegenüber Eingriffen von privaten Akteuren.416 Besondere Pflichten ergeben sich daneben etwa aus Art. V VöMK, der eine Pflicht zum Erlass von gesetzgeberischen Maßnahmen, sprich: Strafgesetzen, begründet. Explizit nennt Art. IV VöMK die Bestrafung von privaten Akteuren. Konkretisierend bezeichnet der IGH die Verhinderungspflicht als eine Pflicht „to exercise due diligence and employ all means reasonably available to them, so as to prevent genocide so far as possible“.417 Aus der VöMK ergeben sich folglich Schutzpflichten. (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich Abgesehen von Art. XII VöMK, der Kolonialklausel, liefert die Konvention keine Ansatzpunkte für den räumlichen Anwendungsbereich. Dennoch wird Art. I VöMK unterschiedlich verstanden und es werden je nach Ansicht unterschiedliche räumliche Anwendungsbereiche begründet. Zum einen wird eine Leseweise dahingehend vertreten, dass jede Vertragspartei eine Pflicht gegenüber sich selbst und damit räumlich nur in diesem Rahmen habe, Völkermord zu verhindern und zu verurteilen.418 Eine weitere Ansicht vertritt dagegen, dass jede Vertragspartei eine Pflicht habe, Völkermord allgemein zu verhindern und abzuurteilen, unabhängig auf welchem Territorium dieser droht oder stattfand.419 Dagegen möchte eine wohl eher vermittelnde Ansicht auch hier die Effektive Kontrolle als einschränkendes Kriterium einsetzen.420 Vertragliche Anhaltspunkte, bei denen das Kontrollerfordernis verankert werden könnte, lassen sich nicht finden,421 so dass Art. I VöMK, für sich betrachtet, 415 Umgekehrt liefert die Konvention vielmehr den seltenen – aber hier nicht zu diskutierenden – Fall der Problematik, ob auch Achtungspflichten gefordert werden. Vgl. die Verteidigung in: IGH, Application of the Convention on Genocide, Entscheidung v. 26. Februar 2007, Rn. 156 ff., sowie die Entscheidung des IGH in Rn. 166 ff. 416 Vgl. umfassende Ausführungen bei: Ben-Naftali, The Obligations, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 27 ff. 417 IGH, Application of the Convention on Genocide, Entscheidung v. 26. Februar 2007, Rn. 430. Zu „due diligence“ siehe: Milanovic, Territorial Application, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 479. 418 So angedacht von: Gibney, International Human Rights Law, S. 104. 419 Can/Seck, The Legal Obligations with Respect to Human Rights and ECA, S. 12; Milanovic, Territorial Application, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 480; Gibney, International Human Rights Law, S. 104. 420 Seperate Opinion of Judge Tomka, in: IGH, Application of the Convention on Genocide, Urteil v. 26. Februar 2007, Rn. 67. 421 So auch: Milanovic, Territorial Application, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 481.
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gemäß den obigen Ergebnissen422 grundsätzlich keine territoriale Beschränkung enthält. Besonders bemerkenswert sind dazu die Anmerkungen des IGH. Dieser führte zunächst 1996 in den Fällen zum Völkermord in Srebrenica sehr weitgehend in den Preliminary Objections aus: „The Court notes that the obligation each State thus has to prevent and to punish the crime of genocide is not territorially limited by the Convention.“ 423 Er bestätigte damit einen weitgehenden Ansatz, differenziert ihn jedoch im Jahr 2007. Dort stellte er fest, dass die grundsätzliche territoriale Unbeschränktheit, die 1996 zum Ausdruck kam, sich nur auf die Präventionspflicht aus Art. I beziehe424 – diese also in keinem Fall territorial beschränkt sei. Ferner fänden die Verpflichtungen auf einen Staat Anwendung, „wherever it may be acting or may be able to act in ways appropriate to meeting the obligations in question.“ 425 Die Aburteilungspflicht sei indes spezieller und abschließend vor allem in Art. VI VöMK geregelt, der eine Aburteilung durch ein Gericht desjenigen Staates vorsieht, in dessen Gebiet die Handlung begangen worden ist.426 Damit hielt der IGH fest, dass die Präventionspflicht einen unbeschränkt extraterritorialen Anwendungsbereich hat, die Aburteilungspflicht hingegen nicht. Dieser Unterscheidung wird entgegengesetzt, dass die Aburteilungspflicht aufgrund einer teleologischen Korrektur des VI VöMK extraterritorial verstanden werden müsse. Dieser Artikel suggeriere zwar grundsätzlich eine territoriale Jurisdiktion,427 die Präambel fordere aber die Qualifizierung als internationales Verbrechen und die Befreiung der Menschheit vom Völkermord. Der Pflicht zur Aburteilung sei daher aus teleologischen Gesichtspunkten auch keine territoriale Grenze gesetzt.428 Diese Interpretation widerspricht allerdings dem klaren Wortlaut des Art. VI VöMK. Freilich steht in Art. I auch die Aburteilungspflicht grundsätzlich ohne eine räumliche Beschränkung. Diese grundsätzliche Pflicht wird – anders als die Präventionspflicht – später konkretisiert. Der Erfüllung dieser Pflicht wird in Art. VI VöMK eine Grenze gesetzt, indem dort nur eine territoriale Anwendung
422
So etwa zum IPwskR oder der VNC. IGH, Application of the Convention on Genocide, Urteil v. 11. Juli 1996, preliminary objections, Rn. 31 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 424 IGH, Application of the Convention on Genocide, Entscheidung v. 26. Februar 2007, Rn. 154. 425 IGH, Application of the Convention on Genocide, Entscheidung v. 26. Februar 2007, Rn. 183. 426 IGH, Application of the Convention on Genocide, Entscheidung v. 26. Februar 2007, Rn. 442. 427 So: Saul, The Implementation, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 68. 428 Saul, The Implementation, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 68 f. 423
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abschließend geregelt wird. Alternativ besteht darüber hinaus eine Kooperationspflicht429 mit internationalen Strafgerichten. Eine andere Frage ist, ob auch die Aburteilungspflicht angesichts von Sinn und Zweck der Konvention auf effektiv kontrollierte Gebiete übertragen werden muss, was auch vereinzelt so vertreten wird.430 Dieser Erweiterung von Art. VI VöMK ist zuzustimmen, denn andernfalls könnten rechtsfreie Räume entstehen, was aber dem Grundgedanken der Konvention – der möglichst lückenlosen Strafverfolgung des Völkermords – widerspräche. Damit hat die Konvention im Hinblick auf die Schutzpflichten einen extraterritorialen Anwendungsbereich, allerdings mit der Besonderheit, dass die Pflicht zur Aburteilung territorial bzw. jurisdiktionell (im faktischen Sinne) beschränkt ist. dd) Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (ÜRMB) Das ÜRMB431 ist durch sein Inkrafttreten im Jahre 2009 die jüngste Menschenrechtskonvention. Es begründet Pflichten speziell für Menschen mit Behinderungen und enthält auch Rechte, die für wirtschaftliches Handeln bedeutsam werden können, so etwa beispielhaft Diskriminierungstatbestände von Arbeitnehmern mit Behinderung, vgl. Art. 5 Abs. 1 ÜRMB. (1) Schutzpflichten Die in Art. 1 ÜRMB genannte Zweckbestimmung, die Menschenrechte zu fördern, zu schützen, zu gewährleisten und zu achten ist als eindeutiger Anschluss an die traditionelle Pflichtentrias, die für die Menschenrechte entwickelt wurde, zu verstehen und enthält damit eine kodifizierte Gegenwartserfassung der Menschenrechtsentwicklung. In diesem Lichte ist auch der pflichtenkonkretisierende Art. 4 Abs. 2 ÜRMB zu verstehen. Dort wird in Analogie zum IPwskR davon gesprochen, dass Maßnahmen zur Verwirklichung der Rechte des Übereinkommens zu ergreifen sind. Entsprechend den Ausführungen zum IPwskR ist dieses positive Tätigwerden nicht nur als Pflicht zur Leistung, sondern auch als Schutzpflicht zu verstehen, was durch die vorgenannte Zweckbestimmung einmal mehr bekräftigt wird. Auch punktuell lässt sich dem Vertrag eine Aufforderung zur Verhinderung privater Übergriffe entnehmen. So bezieht sich etwa Art. 4 lit. b ÜRMB direkt 429 Milanovic, Territorial Application, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 480. 430 Milanovic, Territorial Application, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 481 f. 431 BGBl. 2008 II, S. 1419. Das Übereinkommen trat am 3. Mai 2008 in Kraft.
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auf den Schutz vor unternehmerischen konventionswidrigen Handlungen. Art. 9 ÜRMB verlangt auch die Zugänglichmachung von privaten Gebäuden für Menschen mit Behinderung. Art. 32 ÜRMB enthält internationale Kooperationspflichten, für die die bereits entwickelten Maßstäbe gelten. Insgesamt lassen sich dem Vertrag zweifellos Schutzpflichten entnehmen. (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich Die räumliche Reichweite des ÜRMB ist aufgrund seiner jungen Entstehung bislang weder im Schrifttum behandelt worden, noch Gegenstand von Entscheidungen gewesen. An keinem Punkt des Übereinkommens sind Hinweise auf eine territoriale Beschränkung zu finden, so dass extraterritorialer Schutz gemäß den Ausführungen zum IPwskR und der VNC auch hier nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr geboten ist. Die in Art. 1 ÜRMB genannte Zweckbestimmung bezieht sich daneben auf die Rechte „aller Menschen mit Behinderung“, was für einen möglichst weitgehenden Anwendungsbereich spricht. Die Pflichten des Übereinkommens sind ferner auch hier im Lichte der Präambel auszulegen, die sich in lit. b auf die Universalität der Menschenrechte bezieht und in lit. c die Allgemeingültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte betont. Auch bei diesem Übereinkommen beschränkt das 1. Fakultativprotokoll die Zuständigkeit des Ausschusses auf „individuals subject to its jurisdiction“ (Art. 1 FP). Aber gleichermaßen kann auch hier diese Beschränkung des Fakultativprotokolls nicht rückwirkend auf die Konventionspflichten übertragen werden, denn nicht das Übereinkommen ist im Lichte des Protokolls auszulegen, sondern andersherum: das Protokoll im Lichte des Übereinkommens. Der Anwendungsbereich des ÜRMB ist daher räumlich unbeschränkt. Die Schutzpflichten sind ähnlich wie die des IPwskR entsprechend extraterritorial unbeschränkt anwendbar. ee) Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) (1) Schutzpflichten Art. 2 Abs. 1 lit. d ICERD432 enthält eine ausdrückliche Pflicht der Vertragsparteien, die in der Konvention verankerten Verbote auch zwischen privaten Akteuren durchzusetzen. Art. 4 lit. b ICERD verlangt etwas spezieller ein Verbot 432
BGBl. 1969 II, S. 961. Das Übereinkommen trat am 4. Januar 1969 in Kraft.
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jeglicher Organisationen, die Rassendiskriminierungen fördern. Darüber hinaus werden in Art. 5 lit. f ICERD privat organisierte Orte genannt, bei denen erfahrungsgemäß die Diskriminierungshemmschwelle niedriger liegt. Der Staat soll hier in besonderem Maße Rassendiskriminierung unterbinden. Auch der für den Pakt zuständige Ausschuss, das Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) hat in konkreten Entscheidungen die besondere Pflicht, Rassendiskriminierung zwischen privaten Akteuren zu verbieten, betont.433 So müsse der Staat indigene Völker vor der Ausbeutung und Vertreibung durch private und staatliche Unternehmen schützen.434 Private Medien müssten dazu angehalten werden, Diskriminierung zu unterbinden.435 Es ergeben sich daher unzweifelhaft Schutzpflichten auch aus diesem Vertrag. (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich Eine allgemeine Jurisdiktionsklausel enthält das Übereinkommen nicht. Insbesondere die in Art. 2 ICERD genannten allgemeinen Verpflichtungen, denen – wie vorstehend erläutert – Schutzpflichten zu entnehmen sind, schweigen zu der räumlichen Anwendungsspanne der Konvention. Nur punktuell enthält der Vertrag Hinweise auf die konkrete Reichweite einiger spezieller Pflichten. Gem. Art. 3 ICERD sind Segregation und Apartheid „in territories under their jurisdiction“ zu verhindern und auszumerzen. Der Plural impliziert dabei bereits, dass diese Pflicht auch in mehreren Gebiete bestehen kann. Entsprechend dem menschenrechtlichen – faktisch geprägten – Jurisdiktionsbegriff bestehen insoweit intrajurisdiktionelle Schutzpflichten. Nach Art. 6 ICERD ist innerhalb der Jurisdiktion, Rechtsschutz gegen alle Rassen-diskriminierenden Handlungen zu gewährleisten. Andere räumliche Beschränkungen können dem Pakt nicht entnommen werden. Ob nun daraus e contrario geschlussfolgert werden kann, dass alle anderen Pflichten einen räumlich unbeschränkten Anwendungsbereich haben, ist fraglich. Der IGH hat in einer jüngeren Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Konvention insgesamt bei staatlichem extraterritorialem Handeln Anwendung finde.436 Er schließt sich damit dem an, was bereits oben als faktischer Jurisdiktionsbegriff erläutert wurde. Die effektive extraterritoriale Kontrolle über Gebiete, Personen oder Sachen löst auch hier eine extraterritoriale Verantwortlichkeit aus. 433 CERD, Concluding Observations Suriname v. 28. April 2004, CERD/C/64/CO/9, Rn. 15, 16 ff.; CERD, General Recommendation No. 23, Rn. 3 i. V.m. 5. 434 CERD, General Recommendation No. 23, Rn. 3. 435 CERD, General Recommendation No. 27, Rn. 37, 40. 436 IGH, Application of the ICERD, Georgien v. Russische Föderation, Anordnung v. 15. Oktober 2008, Rn. 109.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Der CERD scheint dies ausdehnen zu wollen, wenn er in den Concluding Observations zu Kanada äußert: Kanada habe die Pflicht „to take appropriate legislative or administrative measures to prevent acts of transnational corporations registered in Canada which negatively impact on the enjoyment of rights of indigenous peoples in territories outside Canada. In particular, the Committee recommends that the State party explore ways to hold transnational corporations in Canada accountable.“ 437 Danach seien also kanadische Unternehmen zu einem konventions-konformen Verhalten auch auf fremdem Territorium anzuhalten, selbst wenn – und das ist bedeutsam – keine Kontrolle über das Territorium besteht. Damit scheint der CERD von unbeschränkten extraterritorialen Schutzpflichten auszugehen. Letztlich überzeugt dieses Ergebnis, denn eine jurisdiktionelle Beschränkung lässt sich aus dem Vertragstext, vor allem nicht aus Art. 2 ICERD begründen, dem die allgemeinen Verpflichtungen zu entnehmen sind. Der oben angesprochene Umkehrschluss, dass den vereinzelten jurisdiktionellen Beschränkungen in einigen Artikeln entnommen werden kann, dass sämtliche anderen Pflichten einen unbeschränkten Anwendungsbereich haben, ist daher naheliegend. In der Zusammenschau der Auslegung, unter Berücksichtigung der Äußerungen des ICERD und angesichts der Abwesenheit einer allgemeinen Jurisdiktionsklausel ist der Anwendungsbereich der Schutzpflichten nicht beschränkt. Für die allgemeinen Schutzpflichten aus Art. 2 ICERD beinhaltet das Übereinkommen daher einen extraterritorial unbeschränkten Anwendungsbereich. Die speziellen Pflichten aus Art. 3 und 6 ICERD finden zwar auch extraterritorial, aber nur intrajurisdiktionell Anwendung. ff) Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDW) Entsprechend dem vorstehenden Übereinkommen stellt das CEDW438 ein Anti-Diskriminierungs-Übereinkommen dar, speziell für die Diskriminierung der Frau. Auch dieser Vertrag kann extraterritoriale Schutzpflichten enthalten und könnte Bedeutung für wirtschaftliche Sachverhalte erlangen. (1) Schutzpflichten Die Pflicht, Diskriminierungen zwischen privaten Akteuren zu unterbinden, kann dem Art. 2 lit. e CEDW entnommen werden, wonach ein Staat alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau durch Personen, 437 CERD, Concluding Observations Canada v. 5. März 2007, CERD/C/CAN/CO/ 18, Rn. 17 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 438 BGBl. 1985 II, S. 647. Das Übereinkommen trat am 3. September 1981 in Kraft.
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Organisationen und explizit auch durch Unternehmen ergreifen soll. Auch speziellere Normen fordern Entsprechendes, wie etwa Art. 13 lit. b CEDW und Art. 14 Abs. 2 lit. g CEDW, nach denen Diskriminierungen vor allem auch bei Kreditgeschäften unterbunden werden sollen. Von einer Präventions- und Aburteilungspflicht, kurz: von Schutzpflichten, spricht auch regelmäßig der zuständige Ausschuss des CEDW.439 Insgesamt enthält das Übereinkommen Schutzpflichten. (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich Das CEDW enthält keine Ansatzpunkte für eine territoriale oder jurisdiktionelle Beschränkung. Keine Klausel – weder allgemein noch speziell – determiniert den räumlichen Anwendungsbereich der Konvention. Freilich lässt sich auch in dieser Konvention eine Bezugnahme auf die AEMR finden, Aufschluss über den räumlichen Anwendungsbereich ergibt sie jedoch nicht. Der Bezug ist vielmehr auch hier nur ein Hinweis darauf, dass der allgemeine Glaube an die Menschenrechte bestätigt wird und dass die Konvention für die Umsetzung des in der AEMR genannten Programmes dient. Die Präambel liefert aber noch einen weiteren Diskussionspunkt. In Absatz 11 nennt das Übereinkommen die Bekräftigung: „respect for national sovereignty and territorial integrity.“ Ob dieser Formulierung eine Beschränkung für den räumlichen Anwendungsbereich entnommen werden kann, ist höchst fragwürdig. Diese Aussage scheint eher eine Bekräftigung der Berücksichtigung allgemeiner Völkerrechtsprinzipien zu sein, mit denen das Übereinkommen in Einklang stehen soll, als eine Beschränkung des räumlichen Anwendungsbereichs. Dass die staatliche Souveränität nicht pauschal bei einer Ausübung extraterritorialen Schutzes verletzt ist, wird später noch zu zeigen sein.440 Ein vorgelagerter Ausschluss des extraterritorialen Anwendungsbereichs kann sich daraus aber nicht ergeben. Den Äußerungen des für das CEDW zuständigen Ausschusses sind keine Anhaltspunkte für, aber auch nicht gegen einen extraterritorialen Anwendungsbereich zu entnehmen. Vereinzelt kann einigen Staatenberichten entnommen wer-
439 „States may also be responsible for private acts if they fail to act with due diligence to prevent violations of rights or to investigate and punish acts of violence, and for providing compensation.“ Siehe: CEDW, General Recommendation No. 19, Rn. 9. Ähnlich: CEDW, General Recommendation 19, Rn. 9, 11, 24 d, t, j; CEDW, General Recommendation 13, Rn. 8; CEDW, General Recommendation 14 Rn. 9; CEDW, General Recommendation 16 Rn. 10; CEDW, General Recommendation 24, Rn. 17; CEDW, General Recommendation No. 24, Rn. 15. 440 Abschnitt C. III. 2. b).
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den, dass sie ohne Weiteres auch davon ausgehen, die Rechte extraterritorial zu schützen.441 Schließlich bedeutet die Abwesenheit einer Jurisdiktionsklausel entsprechend der vorstehenden Ergebnisse, dass das Übereinkommen einen räumlich unbeschränkten Anwendungsbereich hat. Damit ergeben sich auch für dieses Übereinkommen extraterritoriale Schutzpflichten. gg) Europäische Sozialcharta (ESC) Das Pendant des IPwskR ist auf europäischer Ebene die Europäische Sozialcharta442 (revidiert im Jahre 1996443), die häufig aufgrund der überschattenden Bedeutung der EMRK und der VN-Verträge vernachlässigt wird. Nichtsdestoweniger bildet sie einen Menschenrechtsvertrag, der für wirtschaftliches Handeln besondere Bedeutung hat. Sie soll entsprechend auf extraterritoriale Schutzpflichten untersucht werden. (1) Schutzpflichten Die Europäische Sozialcharta enthält in Teil I das grundlegende Willensbekenntnis, die in der Charta genannten Rechte zu „gewährleisten“. Zwar genügt das Bekenntnis alleine noch nicht zur Feststellung verbindlicher Pflichten, diese ergeben sich aber aus den einzelnen Artikeln des Teils II. Dort finden sich in fast jedem Artikel Gewährleistungspflichten, die sich auf die betreffenden Rechte beziehen. Gleichermaßen wie bei den vorstehenden Verträgen ist die Gewährleistung der Rechte umfassend zu verstehen, so dass alle drei Dimensionen der Menschenrechtspflichten, mithin auch Schutzpflichten, in die Gewährleistungspflicht hineinzulesen sind. Die Europäische Sozialcharta enthält damit Schutzpflichten. (2) Extraterritorialer Anwendungsbereich Der Geltungsbereich der Charta wurde in Teil III in Artikel L niedergelegt, wonach sich die Geltung zum einen auf das Mutterland erstreckt (Nr. 1) und zum anderen, je nach Erklärung, de jure auch auf abhängige Gebiete erweiterbar ist (Nr. 2).
441 Vgl. United States Congress Relations, Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (Ex. R, 96-2); hearing before the Committee on Foreign Relations, 27. September 1994 (1995). 442 BGBl. 1964 II, S. 1261. Die Charta trat am 26. Februar 1965 in Kraft. 443 Die revidierte Fassung wurde von der BRD zwar unterzeichnet, nicht aber ratifiziert. Sollte eine Ratifizierung erfolgen, gelten die hier genannten Grundsätze uneingeschränkt.
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Entsprechend den Ausführungen zu der in der EMRK enthaltenen Kolonialklausel ist damit allerdings nur die Geltungs-, nicht aber die räumliche Anwendungsspanne bestimmt. Eine jurisdiktionelle Beschränkungsklausel für den Anwendungsbereich enthält die Charta nicht. In der Fassung der Europäischen Sozialcharta von 1961 findet sich im letzten Absatz der Präambel die alleinige Beschränkung auf die Bevölkerung der Mitgliedsstaaten. Damit ist im Kern zwar ein intraterritorialer Anwendungsbereich zu verstehen, da sich aber die Bevölkerung auch extraterritorial aufhalten kann, wäre eine etwaige Schutzpflicht auch extraterritorial theoretisch denkbar. Daneben bleibt unklar, ob diese Klausel die Mitgliedsstaaten auch dazu verpflichtet, die fremde Bevölkerung der übrigen Vertragsparteien zu schützen. Dies hätte zur Folge, dass extraterritoriale Schutzpflichten innerhalb des Konventionsraumes unbeschränkt gelten könnten. Der Wortlaut lässt dies offen. Die revidierte Fassung enthält dagegen zwar nicht mehr den Begriff „Bevölkerung“, spricht aber auch im dritten Absatz der Präambel von den „Völkern“ der Mitgliedsstaaten, denen allein die sozialen Rechte zuzusichern sind. Die verbleibenden Unklarheiten gelten also fort. Aus Art. 18 der (revidierten) Europäischen Sozialcharta lässt sich dagegen eine klare spezielle extraterritoriale Anwendbarkeit entnehmen. Das Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei soll danach durch bestimmte Maßnahmen (extraterritorial) gewährleistet werden. Werden damit also konkrete Handlungspflichten begründet, die auf die Gewährleistung einer extraterritorialen Ausübung eines Menschenrechts gerichtet sind, ist an dieser Stelle in einem Umkehrschluss davon auszugehen, dass dies für die anderen Rechte nicht gelten soll. Die Beschränkung der Gewährleistung auf die „Völker“ in der Präambel ist also im Lichte dieser Erkenntnis dahingehend zu verstehen, dass der räumliche Anwendungsbereich sich nur auf intraterritoriale Sachverhalte beschränkt. Die in Art. 18 Europäische Sozialcharta niedergelegten Handlungspflichten sind dagegen speziell auf den Schutz eines extraterritorial auszuübenden Rechts zu beziehen. Einen generellen extraterritorialen Anwendungsbereich hat die Europäische Sozialcharta daher nicht. f) Zusammenfassung Die Untersuchung der völkervertraglichen Menschenrechtsinstrumente zeigt, dass sich extraterritoriale Schutzpflichten aus fast allen Verträgen ergeben, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße. Im Wesentlichen können zwei unterschiedliche Arten von Verträgen ausgemacht werden. Zum einen sind das diejenigen, die extraterritoriale Schutzpflichten nur insoweit vorsehen, als die Jurisdiktion der Staaten, also deren extraterritoriale effektive Kontrolle, reicht. Zu diesen Verträgen gehören beispielhaft etwa die EMRK oder der IPbpR. Zum anderen gibt es solche Verträge, die entweder unbeschränkte extraterritoriale Schutzpflichten
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
vorsehen – also solche, die auch extrajurisdiktionelle Anwendung finden (etwa der IPwskR oder die VNC) – oder zumindest in Teilen unbeschränkte Schutzpflichten vorsehen, so etwa die VöMK. Parallel scheint sich eine Ausnahmeregelung für besonders schützenswerte Rechte herausgebildet zu haben. Die weitgreifende Rechtsprechung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen hat gezeigt, dass den in vielen Verträgen vorhandenen „kriegs- und notstandsfesten Rechten“ eine weitere Schutzdimension immanent ist: Trotz etwaig bestehender Jurisdiktionsklauseln sind angesichts der besonderen Werteentscheidung des jeweiligen Konventionsgebers solche Rechte auch extrajurisdiktionell, das heißt: absolut zu schützen. Daneben kann festgestellt werden, dass die Vertragsauslegungsorgane insgesamt angesichts der dargestellten Entscheidungen und Stellungnahmen eine zunehmende Tendenz zur Ausdehnung des räumlichen Anwendungsbereiches in Angriff genommen haben. 2. Völkergewohnheitsrecht Die zweite zu behandelnde Haupt-Völkerrechtsquelle ist gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut das Völkergewohnheitsrecht. Aufgrund der im Vergleich zum übrigen Völkerrecht atypischen, grundsätzlich nicht-reziprozitären Struktur der Menschenrechtspflichten ist es ohne eine nähere Erläuterung des grundsätzlichen Verhältnisses von Menschenrechten und Völkergewohnheitsrecht (unter a)) nicht möglich, im Speziellen auf etwaig bestehende Ansätze für extraterritoriale Schutzpflichten einzugehen (unter b)). a) Vorüberlegungen zum Verhältnis der Menschenrechte zum Völkergewohnheitsrecht Die Untersuchung der Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Pflichten im Hinblick auf Menschenrechte birgt einige Schwierigkeiten, denn anders als bei völkervertragsrechtlichen Pflichten kann die geäußerte Anerkennung eines Schutzgutes nicht ohne Weiteres den Bestand korrelierender Pflichten indizieren. Dass es völkergewohnheitsrechtlich zu achtende und zu schützende menschenrechtliche Belange geben kann, hat der IGH schon früh, zumindest in groben Zügen angedeutet: „elemantary considerations of humanity“ 444 seien im Gewohnheitsrecht verankert. Dieses recht stilisierte Verständnis ist aber zu präzisieren: Die Menschenrechte als Schutzgut, die nach ihrer konzeptionellen Idee jedem Menschen kraft seines Menschseins zukommen sollen, sind nicht Teil der Staatenpraxis – die Staatenpraxis bezieht sich nur auf sie. Gegenstand der Staa444
IGH, Case of the Corfu Channel (UK vs. Albania), ICJ Reports 1949, S. 22.
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tenpraxis sind diejenigen Handlungen, die mit Bezug auf Menschenrechte vorgenommen oder unterlassen werden. Die häufig anzutreffende Pauschal-Aussage, dass Menschenrechte im Völkergewohnheitsrecht beständen, bezieht sich allenfalls auf eine Art internationalen ordre public und damit regelmäßig auf Achtungspflichten, also Pflichten, den ordre public nicht zu überschreiten. Keineswegs ist damit geklärt, ob eine konkrete Freiheit positiv zu schützen oder zu gewährleisten ist. Die Analyse der Existenz bestimmter Menschenrechte im Völkergewohnheitsrecht genügt also nicht. Erforderlich ist auch die Feststellung, dass konkrete Handlungspflichten Gegenstand einer Staatenpraxis sind und – für diese Abhandlung besonders bedeutsam – diese Handlungspflichten auch nicht territorial beschränkt sind. Der traditionelle Test zur Bestimmung von Völkergewohnheitsrecht erweist sich angesichts der Drittgerichtetheit der Staatenpraxis ebenfalls als nicht vollends komplikationsfrei.445 Unter Völkergewohnheitsrecht werden laut Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut diejenigen Normen verstanden, die „Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung“ sind, die also aus erstens einer Staatenpraxis (recta consuetudo) und zweitens einer Überzeugung, dass diese Praxis rechtlich gefordert ist (opinio iuris sive necessitatis), entstehen.446 Letzteres, also die Überzeugung, die Pflicht anderen Staaten zu schulden, ist bei einem nichtreziprozitären Verhalten besonders schwer feststellbar, denn dort fehlt es an einer gegenseitigen Bezugnahme und an dialogischen Stellungnahmen.447 Fast nie äußern die Staaten explizit, dass sie eine menschenrechtsschützende Handlung gerade deswegen vornehmen, weil sie überzeugt sind, ein entsprechendes Verhalten anderen Staaten zu schulden; es wird vielmehr isoliert auf die Menschen oder die Menschheit verwiesen. Damit ist auch die Feststellung des zweiten Elements des Gewohnheitsrechts bei Menschenrechtspflichten mit besonderen Hürden behaftet. Trotz der mit einer pauschalen Annahme von gewohnheitsrechtlich zu schützenden Menschenrechten verbundenen Probleme wird ein Minimalkonsens diskutiert. Vertreten wird, dass die AEMR im Ganzen,448 in Teilen449 oder die Rechte im Kernbestand450 bzw. punktuell451 in Völkergewohnheitsrecht übergangen sind. Andere verweisen – wohl auch angesichts des schwierigen Verhältnisses von 445
Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (787). So: IGH, Urteil v. 27. Juni 1986 (merits), Nicaragua, Rn. 183 f. 447 Vgl. auch: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 49 f. 448 Etwa: Humphrey, WMLR 17 (1976), S. 527 (529 f.); Skogly, Beyond National Borders, S. 119 ff. 449 Schachter, RdC 178 (1982), S. 327 (336). 450 Skogly, Beyond National Borders, S. 123 ff. 451 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 78 f., sehen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der AEMR nicht als gewohnheitsrechtlich anerkannt an. 446
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Menschenrechten und Völkergewohnheitsrecht – auf eine Einzelfallbetrachtung.452 Ein wirklicher Minimalkonsens scheint aber am ehesten die vom American Law Institute zusammengestellte Analyse im Restatement of the Law of Foreign Relations of the United States darzustellen, denn diese befasst sich mit konkreten Tatbeständen der tatsächlichen Staatenpraxis: Verbot des Genozids, der Sklaverei und des Sklavenhandels, der Ermordung oder des Verschwindenlassens von Personen, der Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung, des langen willkürlichen Freiheitsentzugs und der systematischen Rassendiskriminierung.453 Das Verbot, diese Tatbestände zu erfüllen, stellt aufgrund des fast globalen Konsenses Völkergewohnheitsrecht dar. Jenseits dieses Minimalkonsenses verbietet sich angesichts der dargelegten Besonderheiten jede allgemeingültige Untersuchung für extraterritoriale Schutzpflichten. Gewohnheitsrecht kann auch nicht ausgelegt und verallgemeinert werden.454 Erforderlich wäre vielmehr eine detaillierte Untersuchung jeder einzelnen Sachverhaltskonstellation und jedes einzelnen Menschenrechts, getragen von der Frage, ob entsprechender Schutz in der vergangenen Staatenpraxis geübt wurde und wie weit der räumliche Anwendungsbereich reicht. Der bislang verfolgte Ansatz, zunächst allgemeine Schutzpflichten und sodann den räumlichen Anwendungsbereich getrennt zu untersuchen, kann an dieser Stelle also – anders als im Völkervertragsrecht – nicht weiterhelfen. Es bedarf vielmehr einer Untersuchung konkreter Verhaltensweisen, die extraterritoriale Schutzpflichten formieren könnten. b) Völkergewohnheitsrechtliche Schutzpflichten im extraterritorialen Kontext Für völkergewohnheitsrechtliche extraterritoriale Schutzpflichten gibt es zweierlei Ansatzpunkte, denen im Folgenden getrennt nachgegangen werden soll. Zum einen können einzelne Elemente einer Staatenpraxis Normen extraterritorialer Schutzpflichten darstellen bzw. Ansätze für eine noch im Entstehen befindliche Norm liefern (dazu aa) und bb)). Zum anderen wird versucht, und auch diesen Ansätzen ist nachzugehen, gewohnheitsrechtlichen Prinzipien extraterritoriale Schutzpflichten zu entnehmen (dazu cc) und dd)).
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Meron, Human Rights and Humanitarian Norms as Customary Law, S. 95. American Law Institute, Restatement of the Foreign Relations Law of the United States, 1986, Adopted and Promulgated by the American Law Institute, May 14, 1986, in: American Law Institute Publischers, Washington 1987, § 702, Rn. 161–175; findet Bestätigung u. a. bei: Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 78. 454 Treves, Customary International Law, MPEPIL-Online, Rn. 2. 453
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aa) Beispiele für extraterritoriale Schutzpflichten in der Staatenpraxis Die folgende Analyse ist nicht abschließend, denn wie dargelegt kann keine detaillierte Untersuchung jeder einzelnen staatlichen Verhaltensweise bezogen auf jedes einzelne Menschenrecht erfolgen. Im Folgenden sollen daher nur diejenigen Beispiele dargestellt und untersucht werden, denen am ehesten extraterritoriale Schutzpflichten zugrunde liegen können. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei freilich auf der Berücksichtigung der Menschenrechte im Rahmen des Außenwirtschaftsrechts bzw. des Außenwirtschaftsförderungsrechts. (1) Beispiel: Aufenthaltsbeendende Maßnahmen Aufenthaltsbeendende Maßnahmen werden nicht nur im Rahmen des Völkervertragsrechts, sondern auch im Völkergewohnheitsrecht reglementiert. Das gewohnheitsrechtlich fast unumstritten geltende Refoulement-Verbot, also das Verbot einer Aufenthaltsbeendigung bei drohender Folter oder unmenschlicher und erniedrigender Behandlung im Empfangsstaat,455 ist ein deutlicher Ansatzpunkt für extraterritoriale Schutzpflichten. Vor allem die bereits angesprochene Staatenpraxis im Rahmen der EMRK ist gleichförmig und von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung getragen.456 Dies hat sich bereits mit der Überführung der Rechtsprechung, etwa des EGMR und HRC zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, in die nationale Rechtsprechung verwirklicht.457 Wie bereits ausführlich analysiert wurde, handelt es ich bei der Pflicht, die Aufenthaltsbeendigung zu unterlassen, um eine extraterritoriale Schutzpflicht.458 Diese Beurteilung ändert sich im Völkergewohnheitsrecht nicht: Die Gefahrenquelle ist extraterritorial, denn der Eingriff in die menschenrechtlich geschützte Freiheit droht auf fremdem Territorium und vor diesem soll durch ein Unterlassen der Aufenthaltsbeendigung geschützt werden. Anders als im Völkervertragsrecht kann diese Pflicht im Rahmen des Gewohnheitsrechts nicht einfach auf beliebige Menschenrechte ausgedehnt werden, denn wie dargelegt sind völkergewohnheitsrechtliche Pflichten nicht auslegungs- und verallgemeinerungsfähig, sie 455 Vgl. Dürr, Die Europäische Union und der Umgang mit „Massenfluchten“, S. 60 f., m.w. N. Bestritten wird dies nur vereinzelt, etwa von: Gornig, Das RefoulementVerbot im Völkerrecht, S. 72 (allerdings 1987), und Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 201. Andere leiten dieses Verbot aus dem gewohnheitsrechtlichen Folterverbot ab, vgl. Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts“, S. 182. 456 Siehe dazu bereits: Abschnitt B. I. 1. a) bb) (3) (b) (cc) (b). 457 Für die deutsche Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung siehe die Darstellung der deutschen (Verfassungs-)Gerichtspraxis zu Aufenthaltsbeendigungen bei: Hartwig, ZaöRV 67 (2007), S. 1339 (1352, 1360 ff.); Hartwig, ZaöRV 66 (2006), S. 985 (1010 f.); Hartwig, ZaöRV 65 (2005), S. 741 (758 ff.). 458 Abschnitt B. I. 1. a) bb) (3) (b).
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
beschränken sich hier vielmehr allein auf die konsentierten Fälle der drohenden Folter und unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen.459 Erste völkergewohnheitsrechtlich geltende extraterritoriale Schutzpflichten können für diese Sachverhalte festgestellt werden. (2) Beispiel: Humanitäre Hilfeleistung Ein weiteres Beispiel, für das es zu untersuchende Staatenpraxis gibt, ist die humanitäre Hilfeleistung, also die finanzielle, sachliche, personelle, technische oder sonstige Beleistung eines Staates oder einer Bevölkerung bei Krisensachverhalten. Besteht eine Pflicht zur humanitären Hilfeleistung, so könnte dies grundsätzlich dem Modell der extraterritorialen Schutzpflichten zugeordnet werden, denn hier sollen Menschen auf fremdem Territorium vor extraterritorialen Gefahrenquellen geschützt werden.460 Betroffene Rechte können dabei vor allem etwa das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit sowie die Rechte auf Gesundheit, Nahrung oder Unterkunft sein. Der Blick auf die vielschichtige Staatenpraxis verdeutlicht im Allgemeinen eine häufige Übung im Hinblick auf humanitäre Hilfe auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.461 Die vielfach geleisteten Hilfen bei Erdbebenoder Tsunami-Katastrophen sind dabei nur einige Beispiele.462 Denn auch etwa die Hilfe bei bewaffneten Konflikten463 oder Nahrungsmittellieferungen in Dürregebiete stellen eine regelmäßige Praxis vieler Staaten dar.464 Dass diese Praxis auch über einen hinreichenden Zeitraum erfolgte, ist unbestritten, denn klar feststellbar ist die Leistung humanitärer Hilfe bereits seit den 1950er Jahren.465 Beispielhaft sind dabei die ehemaligen Kolonialmächte, die seit jeher humanitäre Hilfe in abhängigen Gebieten geleistet haben. Dennoch stehen der Feststellung einer klaren gewohnheitsrechtlichen Norm zweierlei Hindernisse entgegen. 459 Auch eine Ausdehnung auf sämtliche notstandsfesten Rechte findet im Völkergewohnheitsrecht anders als in der Dogmatik des Völkervertragsrechts keine Grundlage. 460 Freilich muss stets eine Abgrenzung zur Leistungsdimension, also der Verbesserung eines Zustandes, gezogen werden. Diesem Aspekt wäre etwa die Entwicklungshilfe zuzuordnen. 461 Vgl. Marauhn, ZaöRV 53 (1993), S. 909 (1004 ff.); Riemer, Staatengemeinschaftliche Solidarität, S. 45 ff.; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law. 462 Die BRD hat humanitäre Hilfe 2006 beim Erdbeben in Pakistan und beim Hochwasser in Afghanistan, 2008 beim Erdbeben in China und bei der Winterhilfe in Afghanistan geleistet, vgl. BT-Drucksache 17/2725 v. 5. August 2010, S. 78 ff. Siehe auch: Vöneky/Rau, ZaöRV 61 (2001), S. 877 (962 ff.). 463 Marauhn, ZaöRV 53 (1993), S. 909 (1005). 464 Riemer, Staatengemeinschaftliche Solidarität, S. 47. 465 Vgl. Skogly, Beyond National Borders, S. 128.
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Zum einen lässt sich der staatlichen humanitären Hilfeleistung bislang strukturell keine Gleichförmigkeit entnehmen. Wann, von wem, wie und in welchem Umfang sie erfolgt, sind Fragen, die oftmals der internationalen Kooperation, den politischen und vor allem den wirtschaftlichen Umständen überlassen werden. Die Flexibilität und Unregelmäßigkeit der Hilfeleistung verdeutlichen einen weitreichenden Grad an Entschließungs-Freiwilligkeit.466 Zutreffend wird die humanitäre Hilfe im Schrifttum daher auch als bloßes „internationales Sozialverhalten“ bezeichnet,467 das nicht die Qualität einer verbindlichen Rechtsnorm erreicht. Probleme bereitet zum anderen auch die Feststellung einer Überzeugung, die Hilfe in Erfüllung einer gegenüber den anderen Staaten geschuldeten Pflicht zu leisten. Die von der deutschen Bundesregierung in diesem Zusammenhang erstellten Grundprinzipien im Bereich der humanitären Hilfe und ein ähnliches Dokument auf europäischer Ebene, der Europäische Konsens zur humanitären Hilfe, beschränken sich auf die Regelung des „Wie“, nicht aber des „Ob“ der Hilfeleistung. Auch sämtliche anderen Regelwerke und Kodizes betreffen nicht den Entschluss, sondern nur die Ausgestaltung der humanitären Hilfe.468 Eine umfassende Untersuchung des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes stellt entsprechend nur eine an die Konfliktparteien adressierte völkergewohnheitsrechtliche Pflicht, humanitäre Hilfe nicht zu behindern, heraus.469 Diese passive Nicht-Behinderungspflicht betrifft aber nur denjenigen Staat, auf dessen Territorium die menschenrechtsbedrohende Situation entsteht, und kann nicht in eine extraterritoriale Schutzpflicht des hilfeleistenden Staates umgedeutet werden. Eine verbindliche Pflicht ergibt sich daraus folglich nicht. Dagegen gibt es zwei besondere Formen der humanitären Hilfeleistung, die am ehesten einer gewohnheitsrechtlichen Norm nahe kommen. 466 Im Zusammenhang mit dem Haiti-Erdbeben 2010: Peters, NZZ v. 23. Januar 2010, S. 9; Skogly, Beyond National Borders, S. 128 ff.; Dürr, Die Europäische Union und der Umgang mit „Massenfluchten“, S. 74 ff. 467 Riemer, Staatengemeinschaftliche Solidarität, S. 47. 468 Zu nennen sind hier insbesondere: Prinzipien und Gute Praxis Humanitärer Geberschaft; Hyogo Framework for Action; Konzept des Auswärtigen Amts zur Förderung von Vorhaben der Humanitären Hilfe; Konzept und Förderrichtlinie für Maßnahmen der Entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; Positionspapier der Bundesregierung zur Katastrophenvorsorge im Ausland; Leitlinien zur Förderung von Maßnahmen der Katastrophenvorsorge durch das Auswärtige Amt. Vgl. insgesamt zum konzeptionellen Rahmen: BT-Drucksache 17/2725 v. 5. August 2010 S. 8 ff. 469 Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, S. 193 f.; Dürr, Die Europäische Union und der Umgang mit „Massenfluchten“, S. 74, spricht davon, dass Hilfe zumindest nicht willkürlich verweigert werden dürfe. Auch das Schrifttum stellt nur Grundsätze, wie etwa die Unparteilichkeit der Hilfeleistung, heraus: Dürr, Die Europäische Union und der Umgang mit „Massenfluchten“, S. 74.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Wird humanitäre Hilfe aus postkolonialer Verantwortung an ehemalige Kolonialgebiete geleistet, so ist diese anders zu beurteilen als die humanitäre Hilfe aufgrund guter wirtschaftlicher oder politischer Beziehungen. Erstere wird zutreffend als Wiedergutmachungsleistung für die frühere koloniale Ausbeute anerkannt.470 Die Rechtsüberzeugung, eine solche Wiedergutmachung rechtlich zu schulden, wurde in der Generalversammlungsresolution zur Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten ausdrücklich geäußert.471 In diesem Zusammenhang kann also der Bestand einer gewohnheitsrechtlichen Regel angenommen werden. Ähnlich verhält es sich mit dem besonderen Zustand der extraterritorialen Gebietsbesetzung. Hier wird zutreffend ebenfalls eine gesicherte Regel angenommen, dass der besetzende bzw. gebietskontrollierende Staat zur humanitären Hilfeleistung verpflichtet ist, soweit er hierzu in der Lage ist.472 Zusammenfassend ist die Praxis zur humanitären Hilfeleistung im Allgemeinen von Freiwilligkeit geprägt, denn sie erfolgt weniger in der Überzeugung, eine rechtliche Pflicht zu erfüllen als eine moralische, allenfalls solidarische oder politische. Besondere Ausnahmen bilden die Hilfeleistung aus postkolonialer Verantwortung und die Hilfeleistung eines gebietsbesetzenden Staates. Weitere völkergewohnheitsrechtliche extraterritoriale Schutzpflichten ergeben sich hier de lege lata nicht. (3) Beispiel: Aburteilung extraterritorialer Menschenrechtsbeeinträchtigungen Ein weiteres Verhalten, das Aufschluss über extraterritoriale Schutzpflichten geben könnte, ist die Aburteilung extraterritorialer Menschenrechtsverletzungen. Das generalpräventive Element einer etwaigen Strafverfolgung extraterritorialer menschenrechtswidriger Taten kann dabei Schutz vor zukünftigen Übergriffen liefern.473 Betrifft die Strafverfolgung extraterritoriale Sachverhalte, so handelt es sich folglich auch um extraterritorialen Schutz. 470
So auch die Analyse von: Riemer, Staatengemeinschaftliche Solidarität, S. 49. Art. 16 Charta der wirtschaftlichen Recht und Pflichten, GA Res. 3281 (XXIX) v. 12. Dezember 1974. Insoweit könnte von einer speziellen gewohnheitsrechtlichen Pflicht zur Wiedergutmachung gesprochen werden, dann aber nur eine solche der ehemaligen Kolonialstaaten und nur in Bezug auf die ehemaligen Kolonialgebiete. 472 Gasser, Protection of the Civilian Population, in: Fleck, The Handbook, S. 269 f. 473 Dem Präventionserfordernis, das den Schutzpflichten innewohnt, wird bei einer nachträglichen (grundsätzlich zunächst kurativen) Aburteilung dadurch Rechnung getragen, dass die strafrechtliche Aburteilung immer auch eine generalpräventive Seite hat. Der zivilrechtlichen, nachträglichen Entschädigungszusprechung kann nicht entgegengehalten werden, dass sie – wie im deutschen Zivilrecht – nur eine Ausgleichsfunktion habe und damit etwa mangels Präventionsfunktion keinen Hinweis auf Schutzpflichten enthalten könnte, klare Grenzen können hier nämlich international nicht gezogen wer471
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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Zwar gibt es deutliche Ansätze – vorwiegend in angloamerikanischen Rechtsordnungen –, die extraterritorialen Menschenrechtsbeeinträchtigungen abzuurteilen474, an sie kann die BRD aber bislang nicht gebunden sein. Weder beteiligt sich die BRD an dieser Gerichtspraxis, noch können die einzelnen angloamerikanischen Ansätze ein entsprechend universelles Völkergewohnheitsrecht erzeugen475, welches die einzige weitere Bindungsmöglichkeit darstellt. Ferner zeigen neuere Untersuchungen, dass auch die angloamerikanische Praxis noch nicht in Gewohnheitsrecht übergegangen ist.476 Zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass gerade aufgrund des im Common Law bestehenden Prinzips des Forum-Non-Conveniens, das fast immer zu einer Klageabweisung führt,477 gerade nicht von der Anerkennung deutlicher völkergewohnheitsrechtlicher extraterritorialer Schutzpflichten ausgegangen werden kann.478 Für die Strafverfolgung extraterritorialer Menschenrechtsbeeinträchtigungen gibt es in der BRD keine Beispiele, die im Bewusstsein der Erfüllung von Menschenrechtspflichten erfolgten.479 Erstmalig wurde eine Strafanzeige wegen durch deutsche private Unternehmen verursachte extraterritoriale Menschenrechtsbeeinträchtigungen am 3. Mai 2010 erstattet. Die Menschenrechtsorganisaden. Zivilrechtliche Ausgleichsansprüche haben etwa im Common Law mit den sog. Punitive Damages (Strafschadensersatz) auch eine präventive Seite. Ergibt sich daher eine zivilrechtliche oder strafrechtliche Staatenpraxis dahingehend, dass extraterritoriale Sachverhalte beurteilt werden, so können diese einen Hinweis auf extraterritoriale Schutzpflichten liefern – Schutz freilich nicht vor den Verletzungen, die abgeurteilt werden, sondern vor denen, die noch drohen. 474 Die Gerichtspraxis der USA stützt sich auf die Grundlage des US-amerikanischen Alien Tort Claims Statute (ATCS) von 1789. Aburteilungsgegenstand sind besonders schwerwiegende Menschenrechtsverstöße, vgl. hierzu: Joseph, NILR 46 (1999), S. 171 (178 ff.); Seibert-Fohr/Wolfrum, AVR 43 (2005), S. 153 (165 ff.); Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 237, m.w. N. 475 Freilich gibt es auch in anderen Staaten, wie Großbritannien und Kanada, eine Gerichtspraxis zur Aburteilung extraterritorialer Menschenrechtsbeeinträchtigungen, dies aber niemals aufgrund eines dem ATCS vergleichbaren Gesetzes, sondern aufgrund nationalen Deliktsrechts, vgl. Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 241; Seibert-Fohr/Wolfrum, AVR 43 (2005), S. 153 (178 ff.), jeweils m.w. N. 476 Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 241; SeibertFohr/Wolfrum, AVR 43 (2005), S. 153 (154), weisen auf die Uneinheitlichkeit der Praxis hin. 477 Vgl. das prominente Beispiel: In Re Union Carbide Corporation Gas Plant Disaster at Bhopal, India in December, 1984, 634 F Supp 842 (SDNY 1986). 478 Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 116; Joseph, NILR 46 (1999), S. 171 (180 f.); Seibert-Fohr/Wolfrum, AVR 43 (2005), S. 153 (181 f.); Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 28; Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 241. 479 Zutreffend analysieren: Seibert-Fohr/Wolfrum, AVR 43 (2005), S. 153 (184), zum einen das Fehlen eines dem ATCS vergleichbaren Gesetzes und die Unattraktivität des Gerichtsstandes der BRD aufgrund des Haftungsrisikos als Ursache für die mangelnden Strafanzeigen und Klagen in der BRD.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
tion European Center For Constitutional And Human Rights (ECCHR) zeigte Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens an, die im Sudan durch die Planung, Sicherung, komplette Bauüberwachung und Inbetriebnahme eines Staudammprojekts die Delikte Überschwemmung, Nötigung, Aussetzung und Zwangsumsiedlung begangen haben sollen. Exemplarisch sollen etwa Überflutungen stattgefunden haben, ohne dass eine Umsiedlung vollendet war.480 Der Ausgang dieses Ermittlungsverfahrens ist unklar. Sollte ein Hauptverfahren eröffnet werden, so könnte dies ein erster, mit aller Vorsicht zu genießender, Ansatz sein, der möglicherweise einen Grundstein für eine zukünftige gewohnheitsrechtliche Norm legen könnte. Erforderlich wäre dann gewiss eine langfristige Dauerhaftigkeit und Gleichförmigkeit dieser Praxis. Eine derzeitige Pflicht hat sich bislang aber noch nicht herauskristallisiert. (4) Beispiel: Kriegswaffenkontrollrecht Ein besonders bedeutsames Beispiel für die BRD bildet das Außenwirtschaftskontrollrecht, denn ihr Außenwirtschaftsverkehr ist angesichts der Export-Orientiertheit der deutschen Wirtschaft vergleichsweise umfangreich. Signifikante Menschenrechtsrelevanz besitzt dabei vor allem der Rüstungsexport. Als Regelungsmaterie für das Verhalten privater Akteure untereinander ist das Kriegswaffenkontrollrecht geeignet, bei Vorliegen einer Staatenpraxis und einer korrelierenden Rechtsüberzeugung, Aufschluss über gewohnheitsrechtliche extraterritoriale Schutzpflichten zu geben, denn durch die Unterbindung eines menschenrechtswidrigen Exports sollen extraterritorial belegene Menschenrechte geschützt werden.481 Der Rüstungsexport unterliegt in der BRD einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das Genehmigungserfordernis ergibt sich verfassungsrechtlich aus Art. 26 Abs. 2 GG. Daneben ist ein einfach-gesetzliches Rechtsregime entstanden, das als Kriegswaffenkontrollrecht bezeichnet wird, bestehend aus dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG), dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) und dazugehörigen Verordnungen, die in ihren Anlagen vor allem Ausfuhrbeschränkungen für bestimmte, besonders konfliktträchtige Staaten vorsehen. Ferner gibt es den EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren vom 8. Juni 1998482, dazu einen Gemeinsamen Standpunkt der EU483 und eine Vielzahl von Übereinkommen, die Verbote im Hinblick auf bestimmte Teilaspekte der Rüstung – wie etwa das Ver480 Vgl. insgesamt dazu die Strafanzeige des ECCHR, abrufbar unter: http://www. ecchr.eu/index.php/lahmeyer-fall.html (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 481 Siehe auch die Diskussion von: Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 35 ff., die von extraterritorialen Schutzpflichten ausgeht. 482 Dazu die Aktualisierung: ABl. EU, 2009/C 66 E/08 v. 13. März 2008. 483 Gemeinsamer Standpunkt 2008/944/GASP.
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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bot der chemischen Waffen, Antipersonenminen oder Streubomben – vorsehen, sowie eine Reihe von auf VN-Ebene beschlossenen Rüstungsembargos. Verstöße gegen die Verhaltensvorschriften werden mit einer Vielzahl von Sanktionen, sowohl Strafen als auch Ordnungswidrigkeiten, belegt. Für die Kontrolle des Rüstungsexports, vorwiegend mittels der Genehmigungspflichtigkeit aus § 3 Abs. 3 KWKG, gibt es eine umfangreiche Staatenpraxis der BRD. Über abgelehnte Anträge für den Rüstungsexport existieren dagegen wenig detaillierte und zugängliche Dokumente, denn ein Bekanntwerden kann negative politische und vor allem wettbewerbswirtschaftliche Folgen für die BRD haben.484 Dies erschwert die Feststellung einer menschenrechtsrelevanten Staatenpraxis. Dass aber Ablehnungen jährlich erfolgen, wird unter Angabe des Ablehnungsvolumens und des Ziellandes bekannt gemacht.485 Das Genehmigungsverfahren berücksichtigt im Wesentlichen die Zuverlässigkeit des Exporteurs, den Exportgegenstand und das Ziel- bzw. Endverbleibsland. Wird das Ziel- oder Endverbleibsland als zu kritisch, das heißt: konfliktreich angesehen, so wird die Genehmigung versagt.486 Der Missbrauch der Waffen zu Repressionen gegen die Bevölkerung bildet einen exemplarischen Ausschlussgrund.487 Ob das Verfahren stets eingehalten wird und ob die Einschätzung der Zielbzw. Endverbleibsländer immer zutreffend ist, ist angesichts des Erfordernisses der Beurteilung einer Vielzahl komplexer Faktoren umstritten und im Rahmen dieser Bearbeitung nicht abschließend analysierbar. Die zugänglichen Informationen der Bundesregierung lassen aber auf eine verhältnismäßig geringe Zahl von Genehmigungen in kritische Länder schließen.488 Amnesty International kritisierte dagegen 2010 einige konkrete Waffenlieferungen etwa an die Türkei und Kolumbien sowie die umstrittenen Lieferungen von Kleinwaffen an Staaten wie Malaysia, Saudi-Arabien und Thailand.489 Eine abschließende Beurteilung dieser Staatenpraxis kann angesichts ihrer Komplexität an dieser Stelle aber nicht erfolgen. Feststellbar ist dennoch eine grundsätzlich restriktive Genehmigungspraxis, auch wenn im Einzelfall, dann aber mit einem geringen Prozentsatz an dem gesamten Genehmigungsvolumen, die Einschätzung der Menschenrechtslage umstritten ist. 484
Dazu: BMWi, Rüstungsexportbericht 2007, S. 17. Vgl. BMWi, Rüstungsexportbericht 2007, S. 20. 486 Die Diskussion um eine Einstufung des Staates Pakistan im Jahre 1999 ist dabei besonders exemplarisch. Siehe hierzu: BT-Drucksache 16/7969 v. 4. Februar 2008, S. 12 ff. 487 BMWi, Rüstungsexportbericht 2008, S. 7. 488 Siehe dazu die Übersichten in: BMWi, Rüstungsexportbericht 2008, S. 17 ff. Nur etwa fünf Prozent der Waffenlieferungen erfolgte in Entwicklungsländer. Dies schließt freilich nicht aus, dass Lieferungen in andere Länder nicht mit Menschenrechtsrisiken behaftet waren. 489 Vgl. dazu: Amnesty International, Menschenrechte bei deutschen Rüstungstransfers nur nachrangig. 485
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Die restriktive Rüstungskontrollpolitik der BRD wäre für die Feststellung extraterritorialer gewohnheitsrechtlicher Schutzpflichten nicht indizienbehaftet, wenn diese nicht in der Überzeugung entstanden wäre, das Verhalten im Rahmen des menschenrechtlichen Völkerrechts zu schulden. Primär verfolgt die Rüstungskontrolle den Zweck, Frieden zu bewahren. Diese Zweckbestimmung ergibt sich einerseits explizit aus Art. 26 Abs. 1 GG („das friedliche Zusammenleben der Völker“) und andererseits aus § 7 Nr. 2 AWG („eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten“). Damit ist die restriktive Handhabung grundsätzlich den auswärtigen Beziehungen der BRD und damit primär der völkerrechtlichen Friedenspflicht verdankt. Auch sind viele absolute Exportverbote, etwa das Verbot von Antipersonenminen, der Erfüllung entsprechender völkerrechtlicher Übereinkommen geschuldet und nicht explizit etwa dem Schutz des Rechts auf Leben; auch wenn diese Erwägung sicherlich eine genetische Grundlage der Übereinkommen an erster Stelle war. Nichtsdestoweniger gibt es zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass das Kriegswaffenkontrollrecht daneben auch den extraterritorialen Menschenrechtsschutz verfolgt. Wesentliche Äußerungen lassen sich vor allem den Politische[n] Grundsätze[n] der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern entnehmen, einem Dokument, das als politische Absichtserklärung den Genehmigungsprozess steuert.490 In der Präambel wird zunächst die Bestrebung geäußert, durch die „Kontrolle einen Beitrag zur Sicherung des Friedens, der Gewaltprävention [und] der Menschenrechte“ zu leisten. Das zweite Prinzip fordert aber etwas konkreter die besondere Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland. Noch konkreter wird das dritte Prinzip: „Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden.“ 491 Der in diesem Zusammenhang zu lesende EU-Verhaltenskodex492 wird noch deutlicher, in dem interne Repressionen der Zielländer als Menschenrechtsverletzungen im Hinblick auf die AEMR und den IPbpR definiert werden.493 Die Bundesregierung äußerte sich in der Vergangenheit mehrfach dahingehend, dass bei der Genehmigung des Rüstungsexports etwaigen Menschenrechtsverletzungen 490 Pathe/Wagner, Grundlagen der Kriegswaffenkontrolle, in: Bieneck, Handbuch des Außenwirtschaftsrechts, S. 929. 491 Hervorhebung durch Bearbeiter. 492 Der EU-Verhaltenskodex ist den Grundsätzen als Anlage beigefügt und damit integrierender Bestandteil dieser Grundsätze, vgl. Pathe/Wagner, Grundlagen der Kriegswaffenkontrolle, in: Bieneck, Handbuch des Außenwirtschaftsrechts, S. 935. 493 So auch der Gemeinsame Standpunkt, 2008/944/GASP, Art. 2.
I. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege lata
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besonderes Gewicht beigemessen werde.494 Einer Vergabe stehe das Vorliegen von planmäßig organisierten, einem bestimmten Muster folgenden, dauerhaften und umfangreichen Menschenrechtsverletzungen im Wege.495 Der „hinreichende Verdacht“ 496 von internen Repressionen und systematischen Menschenrechtsverletzungen ist daher ein Faktor, der das Genehmigungsverfahren entscheidend beeinflusst. Die Äußerungen der Bundesregierungen sind dahingehend zu verstehen, dass diese Restriktionen auch dem extraterritorialen Menschenrechtsschutz, zumindest dem Schutz vor systematischen Menschenrechtsverletzungen, geschuldet sind. Dies spiegelt folglich die Überzeugung wider, den Kriegswaffenexport zugunsten extraterritorialer Menschenrechte einschränken zu müssen. Damit können völkergewohnheitsrechtliche extraterritoriale Schutzpflichten hier bei drohenden systematischen Menschenrechtsverletzungen im Zielland festgestellt werden. Vorsicht ist dennoch geboten, denn die Anwendbarkeit dieser Schutzpflichten ist partiell auf das spezielle Regime des Kriegswaffenexports beschränkt und kann nicht für sämtliche Exporte verallgemeinert werden. Ferner kann das Gewohnheitsrecht auch nicht ableitend auf sporadische vereinzelte Menschenrechtsverletzungen ausgedehnt werden, sondern beschränkt sich auf die hier genannten besonders massiven, systematischen Fälle. (5) Beispiel: Atomexportkontrollrecht Der Export von Atomtechnologie, vor allem von Kernkraftwerken, ist ein weiteres bedeutsames Beispiel des Außenwirtschaftskontrollrechts. Ähnlich wie der Kriegswaffenexport unterliegt die Ausfuhr von Atomtechnologie einer generellen Genehmigungspflichtigkeit.497 Im Unterschied zu Kriegswaffen soll die Atomtechnologie nicht ihrer Bestimmung nach gegen Menschenrechte eingesetzt werden, auch wenn dies eine entsprechende Nutzungsmöglichkeit freilich nicht ausschließt. Besonders bedeutsam ist die Atomtechnologie aber gerade, weil sie abstrakt ein besonders hohes Gefahrenpotenzial birgt und ganz besondere Sicherheitsstandards erfordert, die letztlich auch dem Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen zu dienen bestimmt sind.498 Die Antwort auf die Frage nun, ob die Reglementierung des Exports von Atomtechnologie einen Hinweis auf partielle extraterritoriale Schutzpflichten lie494
BT-Drucksache 16/7969 v. 4. Februar 2008, S. 12. BT-Drucksache 16/7969 v. 4. Februar 2008, S. 12. 496 So die Bundesregierung: BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 11. 497 Etwa für Kernbrennstoffe § 3 Abs. 1 AtomG. 498 Dazu die umfassende Diskussion mit zahlreichen technischen Details im Hinblick auf Erdbebensicherheit, Flugzeugabsturzsicherheit und Störfallgefahren von AKW in: BT-Drucksache 16/1249 v. 19. April 2006. 495
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
fern kann, ist davon abhängig, ob die restriktive Reglementierung in der Überzeugung entstanden ist, hiermit extraterritorial belegene Menschenrechte schützen zu müssen. Die Begründung der Genehmigungspflichtigkeit verweist auf die völkerrechtlichen Übereinkommen, die im Hinblick auf den Atomtransfer getroffen wurden. Wesentlich ist hier der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, der sog. Atomwaffensperrvertrag von 1968. Die Präambel dieses Vertrages legt die Zweckbestimmung der Friedenssicherung fest und nimmt nicht speziell Rekurs auf die Menschenrechte. Primäres Ziel sei es, einen Atomkrieg zu verhüten. Dass diese Präventionspflicht daneben auch dem Menschenrechtsschutz dient, ändert nichts an der an das Friedensziel geknüpften Rechtsüberzeugung. Ferner lässt sich aufgrund einiger Äußerungen der Bundesregierung feststellen, dass neben der Atomkriegsverhütung der Umweltschutz ein weiterer Nebenzweck für die Genehmigungspflichtigkeit des Exports atomarer Technologie ist. Menschenrechtliche Erwägungen finden sich dagegen so gut wie nie, auch wenn die Schutzgüter des Umweltschutzes und des Menschenrechtsschutzes sich teilweise überschneiden. Das Genehmigungsverfahren ist damit keine Staatenpraxis, die getragen von der Überzeugung geschieht, hiermit extraterritorial belegene Menschenrechte zu schützen. Eine völkergewohnheitsrechtliche Norm oder etwaige Ansätze sind damit hier nicht feststellbar. bb) Extraterritoriale Schutzpflichten im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung Im Fokus dieser Arbeit steht die Untersuchung, ob die Außenwirtschaftsförderung menschenrechtskonform ausgestaltet sein muss. Auf dieser Frage liegt daher bei der Analyse des Gewohnheitsrechts auch der Schwerpunkt. Strukturell steht – das wird später noch detaillierter zu beweisen sein499 – für diese Beurteilung nur das System-Element der extraterritorialen Schutzpflichten zur Verfügung, denn es geht um den Schutz extraterritorial belegener Menschenrechte. An dieser Stelle soll analysiert werden, ob es in der Vergangenheit eine Staatenpraxis gab, die dem Schutz extraterritorialer Menschenrechte zu dienen bestimmt war. Für die Untersuchung der Staatenpraxis im Hinblick auf die Außenwirtschaftsförderung stellt sich aber eine besondere Hürde. Eine Vielzahl der Staaten, einschließlich der BRD, lassen die Förderung durch beliehene private Unternehmen durchführen. Die Qualifizierung als Staatenpraxis erfordert dagegen, dass das Verhalten ein staatliches ist. Ist die Frage, ob solche Unternehmen eine Staaten499
Siehe: Abschnitt D. I. 1.
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praxis formieren können, zwar bislang wenig diskutiert, so stellt dies aber nur ein vermeintliches Problem für die folgende Darstellung dar. Denn: Zum einen werden die wesentlichen Förderungsentscheidungen bei der deutschen Außenwirtschaftsförderung von dem Interministeriellen Ausschuss, also Vertretern staatlicher Organe getroffen, lediglich die Vertragsdurchführung und Betreuung übernehmen die privaten Unternehmen. Zum anderen wäre es wertungswidersprüchlich, eine zwar zurechenbare private Handlung als Verhalten des Staates anzusehen, die Formierung einer Staatenpraxis aber zu verneinen. Die besseren Argumente sprechen hier für einen gesamtheitlichen Ansatz, der nicht nur eine staatliche Zurechenbarkeit im Rahmen der völkerrechtlichen Haftung, sondern auch bei der Schaffung von Völkerrecht annimmt. Sollte eine etwaige gewohnheitsrechtliche Norm zur Berücksichtigung menschenrechtlicher Aspekte bei der Vergabe von staatlichen Exportkreditgarantien nur diejenigen Staaten binden, welche die Außenwirtschaftsförderung durch staatliche Organe durchführen lassen, führte dies zu dem absurden Ergebnis, dass die Rechtsformwahl über die völkerrechtlichen Pflichten entscheidet. Ein Staat könnte sich allein durch die Privatrechtsform der Beteiligung an entstehendem Völkergewohnheitsrecht entziehen. So weit wie ein Verhalten dem Staate zurechenbar ist, kann dieses also auch zu der Schaffung von Völkergewohnheitsrecht beitragen. (1) Die Common Approaches der OECD als international-kooperativer Minimalkonsens Im Rahmen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben die Mitgliedsstaaten gemeinsame Richtlinien, sog. Common Approaches500 entwickelt, die 2003 in Kraft traten und 2007 überarbeitet wurden. Diese Richtlinien sollen von allen OECD-Staaten bei der Vergabe von Exportkreditgarantien berücksichtigt werden, wenn diese für länger als zwei Jahre und für ein Deckungsvolumen, das mehr als 15 Mio. Euro beträgt,501 gelten, und betreffen materiell primär Umweltaspekte.502 Da diese aber auch Teilmengen menschenrechtlicher Standards umfassen, denn Umwelt wird hier einschließlich sozialer Aspekte verstanden, sind sie für diese Arbeit bedeutsam.
500 Die offzielle Bezeichnung lautet: Revised Recommendation on Common Approaches on the Environment and Officially Supported Export Credits. 501 Hierzu gibt es eine Ausnahme: Für Exportkreditgarantien in besonders risikoreiche Sektoren gelten die Common Approaches selbst dann, wenn sie ein geringeres Deckungsvolumen oder eine geringere Laufzeit vorsehen. 502 Dabei werden in die Umweltverträglichkeitsfrage neben ökologischen und entwicklungspolitischen auch soziale Aspekte miteinbezogen, vgl. Überarbeitete Ratsempfehlung zu gemeinsamen Herangehensweisen bei der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei staatlich geförderten Exportkrediten v. 12. Juni 2007, Fn. 2.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Die Common Approaches sehen ein bestimmtes Verfahren zur Projektkategorisierung und -prüfung („Screening“ und „Review“)503 vor und verlangen je nach Einstufung des Projekts, die möglichste Einhaltung bestimmter Standards. Lässt diese Prüfung die Gefährdung eines Standards erkennen, so soll die Exportkreditagentur die Förderung ablehnen oder aber mit Auflagen versehen, deren Einhaltung in einem bestimmten vom Einzelfall abhängigen Verfahren („Monitoring“)504 überwacht werden soll. Daneben soll unter Berücksichtigung der Wettbewerbssituation ein Informationsaustausch der Exportkreditagenturen untereinander erfolgen. Als Prüfungsmaßstäbe verweisen die Common Approaches für besonders konfliktträchtige Projekttypen auf die von der Weltbank entwickelten Safeguard Policies und die von der International Finance Corporation (IFC) erstellten Performance Standards. Diese wiederum fordern in Ansätzen die Berücksichtigung einiger sozialer Aspekte.505 Am Ende der Verweisungskette steht der Schutz folgender menschenrechtlicher Standards: Zwangsumsiedlungen und Auswirkungen auf die Rechte indigener Völker sind möglichst zu vermeiden.506 Gewisse Arbeitsstandards, wie etwa die Nicht-Diskriminierung der Arbeitnehmer, Vermeidung der Kinder- und Zwangsarbeit und bestimmte Sicherheitsanforderungen am Arbeitsplatz sind einzuhalten.507 Ferner sind Gesundheitsrisiken, etwa durch schädliche Emissionen eines bestimmten Vorhabens, zu verhindern.508 Diese menschenrechtlichen Aspekte sollen bei der Vergabe der Fördermittel von allen OECD-Staaten berücksichtigt werden und so die wettbewerbsbedeutsame Gleichheit des Vergabeprozesses unter allen OECD-Staaten gewährleisten. Die im Folgenden noch zu erläuternde nationale Implementierung erfolgt dennoch höchst unterschiedlich, denn die Anforderungen sind insgesamt sehr vage formuliert und enthalten zahlreiche – weniger verbindliche – Sollens-Vorschriften. Ferner verlangen die Common Approaches, die Standards des Gaststaates in jedem Fall einzuhalten.509 Gerade diese Vorschrift birgt die Gefahr der Herabsenkung sämtlicher Standards, wenn der Gaststaat, meist selbst als Handelspartner des Exportunternehmens, ein geringes oder gar kein Schutzniveau fordert. Diese Vorschrift bildet damit eine „Hintertür“ für die Aussetzung sämtlicher Standards. Für das Gewohnheitsrecht kann aufgrund dieser Vielzahl an Variablen nicht isoliert auf die Common Approaches abgestellt werden, vielmehr muss angesichts 503
Punkte II. und III. der Common Approaches. Punkt IV. der Common Approaches. 505 Die sozialen Aspekte beschränken sich auf die Rechte indigener Völker, Zwangsumsiedlungen und Risiken im Hinblick auf Gesundheit und Armut. 506 OECD, Common Approaches, III 8 und IFC Performance Standard 5 und 7. Weltbank Operational Policy 4.12 und 4.10. 507 IFC Performance Standard 2. 508 IFC Performance Standard 3 und 4. 509 Vgl. Punkt III, 13 der Common Approaches. 504
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der unterschiedlichen Implementierung die tatsächliche Staatenpraxis der Mitgliedsstaaten im Einzelnen untersucht werden. Die Common Approaches seien aber insoweit vorangestellt, als viele Staaten bei ihrer Praxis auf diese Standards verweisen. (2) Die Berücksichtigung der Menschenrechte bei der deutschen Außenwirtschaftsförderung Insgesamt erfolgt eine Ablehnung oder Rücknahme deutscher Fördermittel nur in seltenen Ausnahmefällen.510 Eine Eigenheit der deutschen Außenwirtschaftsförderung ist es, dass es fast nie zu einer Ablehnung kommt, denn zeichnet sich ein negativer Ausgang des Antragsverfahrens ab, so werden die Anträge von den Unternehmen meist einvernehmlich mit den zuständigen staatlichen Behörden zurückgenommen.511 Entsprechend gibt es fast keine Belege für eine Ablehnung – noch weniger aufgrund menschenrechtlicher Bedenken. Nur ganz wenige Sachverhalte sind bekannt geworden, die die Berücksichtigung einiger menschenrechtlicher Aspekte erkennen lassen und im Folgenden dargelegt und untersucht werden sollen. (a) Ansätze zur Berücksichtigung der Menschenrechtslage des Gaststaats im Förderverfahren (aa) Förderungsvergabe für Vorhaben deutscher Unternehmen in Südafrika (ab 1977) Ein frühes Beispiel liefert die ab 1977 verfolgte Vergabepolitik von Fördermitteln, die ein Vorhaben deutscher Unternehmen im Süden Afrikas betrafen. Insgesamt verfolgte die BRD eine allgemeine Friedenspolitik im Hinblick auf dortige Zustände, insbesondere zur Unterstützung der Unabhängigkeit Namibias und zur Verschärfung der Sanktionen gegen die Apartheid. Die BRD versuchte mit unterschiedlichen Mitteln, einen Beitrag zur Konfliktentschärfung zu leisten.512 Ein Element dieser Friedenspolitik war die Einführung des Verhaltenskodex für Unternehmen mit Tochtergesellschaften, Zweigniederlassungen oder Vertretungen in Südafrika, der zunächst auf europäischer Ebene erarbeitet wurde und sodann innerstaatlich in den Vergabeprozess eingebunden wurde.513 Inhaltlich forderte der Kodex vor allem Maßnahmen zur Besei510
Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 192. So auch explizit die Bundesregierung: BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 6. 512 Zum Ganzen: BT-Drucksache 10/833 v. 21. Dezember 1983; zusammenfassende Berichte: BT-Drucksache 12/2102 v. 14. Februar 1992. 513 Darstellung bei: Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, S. 289 f. 511
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tigung der Rassendiskriminierung. So ging es um die Zulassung von Gewerkschaften für sämtliche Rassen, Rechte der Wanderarbeitnehmer, Mindestlöhne, diskriminierungslose Fortbildungsmaßnahmen und gleiche Sozialleistungen. Insgesamt sollten deutsche Unternehmen, deren Tochterunternehmen, Zweigniederlassungen oder Vertretungen den Kodex anerkennen und einhalten. Speziell für die Vergabe von Fördermitteln wurde die Akzeptanz des Kodex für eine positive Entscheidung vorausgesetzt. Er wurde aber, und das ist an dieser Stelle bedeutsam, einerseits weder vertraglich noch gesetzlich verrechtlicht, andererseits blieben Verstöße gänzlich sanktionslos.514 Feststellbar ist für dieses Beispiel damit nur eine einmalige Praxis dahingehend, dass die Förderung von der Akzeptanz eines Kodex abhängig gemacht wurde. Eine Förderungsversagung oder ein -abbruch aufgrund eines unternehmerischen Fehlverhaltens ist aber nicht erfolgt. Eine Staatenpraxis der effektiven Durchsetzung entsprechender Standards ist daher nicht feststellbar. Daneben kann auch an der Überzeugung, hier in Erfüllung einer völkerrechtlichen Pflicht zu handeln, stark gezweifelt werden. Weder wurde eine solche geäußert, noch gibt es andere Indizien dafür. Vielmehr gibt es gegenteilige Anhaltspunkte: In einer damaligen Äußerung der Bundesregierung zur Politik im südlichen Afrika wurde klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Verschärfung der Bedingungen für die Vergabe von Fördermitteln aufgrund etwaiger Wettbewerbsnachteile der Ausfuhrunternehmen nicht angestrebt werde.515 Es kann mithin schwerlich davon ausgegangen werden, dass die dargelegte Praxis in der Überzeugung, das Verhalten rechtlich zu schulden, erfolgte, denn wettbewerbswirtschaftlichen Interessen wurde Vorrang gegeben. Die bloße „Ermunterung“ der eigenen Unternehmen, sich menschenrechtskonform zu verhalten, stellt keinen für das Gewohnheitsrecht bedeutsamen Ansatz dar. (bb) Die Antragsrücknahme für die Förderung des Maheshwar-Staudammprojekts (2000) Ein anderer Ansatz fand im Zusammenhang mit einem Staudammprojekt Anwendung. Siemens stellte einen Antrag auf Förderung der Beteiligung des Unternehmens an dem Maheshwar-Staudamm in Indien. Entsprechend den vorangestellten Sachverhaltsbeispielen war auch dieses Vorhaben mit außerordentlichen Menschenrechtsrisiken behaftet.516 Insbesondere sollten etwa 35.000–40.000 Menschen umgesiedelt werden. Besonders brisant war, dass die Bauarbeiten be-
514
Dazu: Weis, Hermesbürgschaften, ein Instrument deutscher Außenpolitik?, S. 251. BT-Drucksache 10/833 v. 21. Dezember 1983 S. 5 f. 516 Zum Ganzen siehe: Schuhmacher, NRO als gesellschaftlicher Stakeholder, S. 113 ff. 515
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reits aufgenommen worden waren, bevor alternatives Land zur Umsiedlung gefunden wurde. Siemens wollte sich mit einer Lieferung an dem Staudammbau beteiligen und stellte daraufhin einen Antrag auf Förderung durch eine Exportkreditgarantie der Bundesregierung. Nach einer Prüfung und der Einholung eines Gutachtens stellte die Bundesregierung die abträglichen Auswirkungen des Staudammprojektes, insbesondere die Problematik der Zwangsumsiedlung, fest, ohne aber auf den Ausgang des Förderungsverfahrens einzugehen.517 Siemens zog daraufhin im August 2000 den Antrag auf Förderung zurück.518 Auch wenn für diesen Fall ein Druck der Bundesregierung zur Antragsrücknahme nicht abschließend feststellbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten ein entscheidender Beweggrund für die Rücknahme waren. Die Rücknahme des Antrags durch Siemens ist freilich nicht als Staatenpraxis qualifizierbar. Der Umstand aber, dass überhaupt erst ein Gutachten in Auftrag gegeben wurde, das unter anderem extraterritoriale menschenrechtliche Aspekte eines Vorhabens ergründen sollte, stellt einen ersten Ansatz für eine Praxis dahingehend dar, dass eine Förderung nicht völlig ohne eine menschenrechtliche Risikoprognose erfolgt. Der Umstand, dass dies nur auf Drängen von Nicht-Regierungsorganisationen erfolgte,519 ändert an dem Ansatz für eine Staatenpraxis nichts. (cc) Abbruch der Förderung für das Ilisu-Staudammprojekt (2007) Die Beteiligung eines deutschen Unternehmens am Ilisu-Staudammprojekt in der Türkei, das bereits als Sachverhaltsbeispiel vorangestellt wurde520, bildet das vorbildlose Muster für einen Förderungsabbruch aufgrund – zumindest auch – menschenrechtlicher Aspekte.521 Die Förderungszusage für eine Exportkreditgarantie wurde davon abhängig gemacht, dass die Türkei bei ihrem Bauvorhaben die Umwelt- und Sozialstandards der Common Approaches einhielt. Dafür schlossen drei Förderstaaten, die BRD, Österreich und die Schweiz, mit der Türkei einen Vertrag, in dem die Auflagen benannt und eine Frist zu ihrer Umsetzung gesetzt wurde. Die Türkei hielt sich 517
Schuhmacher, NRO als gesellschaftlicher Stakeholder, S. 122. Vgl. BT-Drucksache 17/2693, S. 6. 519 Dazu: Schuhmacher, NRO als gesellschaftlicher Stakeholder, S. 121 f. 520 Abschnitt A. I. 2. a). 521 Vgl. BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 14 f., dort wird das Ilisu-Staudammprojekt als einziges Beispiel für eine Beendigung der Exportkreditgarantie genannt. 518
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jedoch nicht an die fristgerechte Verwirklichung der Auflagen. Die Bundesregierung stellte nach gutachterlicher Feststellung der Missstände522 in Zusammenarbeit mit den anderen Förderstaaten die Exportkreditgarantie ein. Die beteiligten Unternehmen beendeten daraufhin ihre Tätigkeit an diesem Projekt. Die genaue Identifizierung der Motivation für die Förderungsrücknahme gestaltet sich aber als schwierig, denn der spätere Abbruch der Förderung wurde schließlich nur noch damit begründet, dass die vertraglichen Auflagen nicht eingehalten wurden.523 Damit muss vorrangig danach gefragt werden, warum die Auflagen überhaupt erst in den Vertrag aufgenommen wurden. Die Weltbank lehnte eine erste Anfrage der Türkei auf Projektförderung 2001 ab. Nach weiteren Ablehnungen durch andere Staaten wurden die BRD, Österreich und die Schweiz konsultiert, die nach langen Verhandlungen eine Förderung zusagten, diese aber unter dem Druck von privaten Verbänden mit etwa 150 Auflagen versahen, die Umwelt- und Sozialstandards Rechnung tragen sollten, denn insgesamt galt das Projekt als dafür besonders gefahrenträchtig. Nicht abschließend feststellbar ist dabei, ob die Vorverhandlungen, die Aufnahme der Auflagen in den Vertrag und die Abhängigmachung der Förderung von der Auflageneinhaltung wirklich menschenrechtliche Pflichten erfüllen sollten. Die Bundesregierung äußerte sich im Rahmen einer kleinen Anfrage allgemein zum Verhältnis von Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechten.524 Darin wird zusammenfassend deutlich, dass sie sich nur im Rahmen dessen, was die Common Approaches der OECD fordern, gebunden fühlt.525 Die vielfachen Verweise auf die Einzelfallbezogenheit jedes Projekts lassen aber eher an einer Rechtsbindungsüberzeugung zweifeln.526 Die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Common Approaches mit ihren Verweisen auf die Weltbankstandards und die IFC Performance Standards waren trotzdem Grundlage der Handlungsmotivation für die Bundesregierung für den Fall des Ilisu-Staudammprojekts. Sie verstand sich daher an die Erfüllung dieser Pflichten gebunden. Eine über die Minimalstandards hinausgehende Überzeugung, Menschenrechtspflichten erfüllen zu müssen, lässt sich dagegen nicht feststellen. Gerade die insgesamt (bewusst) sehr vagen Äußerungen, der ständige Verweis auf die Einzelfallbezogenheit und auf den Umstand, das Förderungssystem weiterhin 522 Sämtliche Gutachten sind abrufbar unter: http://www.serv-ch.com/de/nachhaltig keit/projekte-von-besonderer-tragweite/ilisu-projekt-tuerkei/ (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 523 So: BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 13. 524 BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010. 525 Vgl. BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 2 f., im Hinblick auf das Ilisu-Staudammprojekt: S. 13. 526 Siehe etwa: BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 8, 9. Die Äußerungen verbergen sich oft hinter unklaren Wendungen („relevante Projekte“) und es wird häufig auf die starke Einzelfallbezogenheit verwiesen.
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„handhabbar“ halten zu müssen527, verdeutlichen den hohen subjektiven Grad der Freiwilligkeit, der der Feststellung einer Rechtsüberzeugung über die dargestellten Tatbestände hinaus im Wege steht. Einen ersten Ansatz bildet der vorgenannte Sachverhalt daher allenfalls für die wenigen menschenrechtlichen TeilElemente, die die Common Approaches schützen wollen. (b) Die verfahrensmäßige Berücksichtigung menschenrechtlicher Aspekte und die Integration der Common Approaches der OECD Angaben dazu, wie das Förderungsverfahren ausgestaltet ist, sind davon abhängig, wie die Bundesregierung sich äußert, denn wie dargelegt gibt es wenig einsehbare Vorschriften über das Förderungsverfahren.528 Nach eigenen Angaben werden von der Bundesregierung menschenrechtliche Aspekte bei der Außenwirtschaftsförderung „bereits maßgeblich berücksichtigt“ 529. Handfeste Belege für eine solche Praxis sind wegen der mangelhaften Transparenz in diesem Bereich aber nicht ohne Weiteres feststellbar. Nach eigenen Angaben erfolgt im Rahmen des Vergabeverfahrens von Fördermitteln eine risikomäßige Prüfung der in den Common Approaches der OECD enthaltenen Standards, die die Bundesregierung als verbindlich ansieht.530 Für besonders risikoreiche Projekte, also solche, die nach den Common Approaches als A-Projekte zu klassifizieren sind, wird das sog. Environmental Impact Assessment (EIA) publiziert. Eine Untersuchung sämtlicher veröffentlichter Berichte ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Exemplarisch ist aber etwa die Risikoanalyse zu dem als Sachverhaltsbeispiel angeführten Projekt, des Baus eines Atomkraftwerkes in Brasilien, Angra 3.531 Die Umweltaspekte stehen dort deutlich im Vordergrund, dennoch werden an einigen Stellen auch Auswirkungen auf die Bevölkerung angesprochen,532 dies konkret im Hinblick auf Umsiedlungsfragen und Sicherheitsstandards. Die Berichte erfüllen daher grundsätzlich die Anforderungen der Common Approaches, wenngleich es stets entscheidend auf die von der Bundesregierung gezogenen Schlussfolgerungen ankommen wird. Für die Außenwirtschaftsförderung im engeren Sinne ist ferner zwischen den verschiedenen Formen der Fördermittel zu differenzieren. Für Investitionsgarantien und Garantien für ungebundene Finanzkredite erfolgt die Prüfung dieser 527
Ganz deutlich in: BT-Drucksache 17/2774 v. 19. August 2010, S. 2. Abschnitt A. I. 1. b). 529 BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 2; so auch: BT-Drucksache 17/ 2774 v. 19. August 2010, S. 1. 530 BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 2 f. 531 Das Environmental Impact Assessment (EIA) ist unter: http://www.agaportal.de/ pdf/nachhaltigkeit/eia/eia_brasilien_reaktor.pdf abrufbar (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 532 Vgl. dazu vor allem S. 57 ff. des in der vorgenannten Fußnote genannten EIA. 528
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Standards nur im Hinblick auf den deutschen Lieferanteil, bei Exportkreditgarantien im Hinblick auf das Gesamtprojekt. Die Prüfung wird grundsätzlich von dem Mandatarkonsortium vorgenommen, in Einzelfällen dagegen durch externe Gutachter.533 Wann welche Form gewählt wird, wird nicht erläutert. In einem aufbereiteten Bericht werden die Ergebnisse der Prüfungen dem Interministeriellen Ausschuss vorgelegt, der einstimmig über die Projektförderung entscheiden muss. In Einzelfällen werden vom Antragssteller bestimmte Angaben und gegebenenfalls Lösungsansätze für identifizierte Risiken eingefordert und bei Bedarf erfolgt eine Überwachung des Vorhabens.534 Auch werden einige Förderungen nur unter Auflagen vergeben, deren Einhaltung durch Berichtspflichten gewährleistet werden sollen. Meist betreffen die Auflagen aber nach Angaben der Bundesregierung lediglich Umweltaspekte,535 wobei unklar bleibt, ob darunter auch die menschenrechtlichen Ansätze der Common Approaches zu verstehen sind. Ferner sollen Auslandsvertretungen insbesondere bei umsiedlungsrelevanten Projekten involviert sein.536 Insgesamt verweist die Bundesregierung bei Angaben zur Prüfung menschenrechtlicher Aspekte im Förderungsverfahren auf eine große Einzelfallbezogenheit.537 Dies spiegelt sich darin wider, dass es keine statistischen Erhebungen zu der Prüfung solcher Vorhaben gibt. Daneben wird für Investitionsgarantien „erwartet“, dass die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, ein unverbindlicher Kodex, der an die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen appelliert, eingehalten werden.538 Dabei wird kein zusätzliches Prüfverfahren angestrengt, auch wird keine förmliche Anerkennung dieses Kodex gefordert, es wird lediglich im Rahmen des Vergabeprozesses beim Antragsformular auf diese Leitsätze hingewiesen.539 (c) Zwischenergebnis Eine Zwischenbilanz verdeutlicht, dass menschenrechtliche Aspekte nur in einem sehr geringen Umfang bei der deutschen Außenwirtschaftsförderung eine Rolle spielen. Eine Förderungsverfahrenspraxis lässt sich dahingehend feststellen, dass die menschenrechtlichen Standards der Common Approaches, also etwa der Schutz vor Zwangsumsiedlung und die Rechte indigener Völker, berücksich533
BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 2. BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 3. 535 So: BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 13. 536 BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 3. 537 BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 4, 8, 14 f. 538 BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 4. 539 Agaportal, Antragsformular für Investitionsgarantien, abrufbar unter: http://www. agaportal.de/pdf/dia_ufk/formulare/dia_antrag.pdf (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 534
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tigt werden. Ob die einzelnen Verfahrensmechanismen angesichts der Einzelfallbezogenheit, auf die ständig verwiesen wird, geeignet sind, hinreichende Ansatzpunkte für gewohnheitsrechtliche Pflichten zu liefern, kann angesichts der Undurchsichtigkeit des Verfahrens nicht abschließend beurteilt werden. Feststellbare Beispiele wie der Förderungsabbruch für das Ilisu-Staudammprojekt stellen Einzelfälle bzw. erste Ansätze dar, genügen aber gewiss noch nicht zum Nachweis einer hinreichenden Übung. (3) Berücksichtigung der Menschenrechte bei der Außenwirtschaftsförderung anderer Staaten Die Herausbildung einer gewohnheitsrechtlichen Norm erfordert die Übung mehrerer Staaten. Nicht erforderlich ist es, dass alle Staaten beteiligt sind, denn auch die Praxis nur vereinzelter Staaten kann eine (regionale und partielle) Norm des Völkergewohnheitsrechts entstehen lassen.540 Die folgende Darstellung beschränkt sich dabei auf diejenigen Staaten, die eine bedeutsame Außenwirtschaftsförderung betreiben und die zugleich auch Anhaltspunkte dafür liefern, potenziell menschenrechtliche Aspekte bei ihrer Förderung zu berücksichtigen. Die Mitgliedschaft in der OECD ist dabei angesichts der Existenz der Common Approaches ein Indikator für die Berücksichtigung solcher Aspekte.541 (a) Integration der Common Approaches in das Förderungsverfahren der OECD-Staaten Die meisten OECD-Staaten integrieren nach eigenen Angaben die Common Approaches einschließlich der dort genannten menschenrechtlichen Aspekte in das nationale Verfahren der Außenwirtschaftsförderung. Dabei wird deutlich, dass die Transparenz über das Förderverfahren und dessen Ergebnisse stark variieren, so dass eine klare Staatenpraxis nicht immer analysierbar ist. Es lässt sich jedoch in der Gesamtschau der von den Staaten gemachten Angaben Folgendes feststellen: Die Exportkreditagenturen von Spanien (CESCE S. A.), von Frankreich (COFACE), von Österreich (Österreichische Kontrollbank AG), von Belgien (Ducroire/Delcredere), von der Schweiz (SERV), vom Vereinigten Königreich (Export Credit Guarantee Department), von Italien (SACE), von den Niederlanden (Atradius Dutch State Business E. V.), von Schweden (Exportkreditnämnden), 540
Herdegen, Völkerrecht, § 16, Rn. 2 f. Sämtliche im Folgenden angesprochene Staaten sind zugleich Mitgliedsstaaten der OECD. Eine Untersuchung der Außenwirtschaftsförderung aller 193 Staaten würde den Rahmen der Bearbeitung sprengen, sie beschränkt sich daher auf besonders bedeutsame Exportstaaten. Die Staatenpraxis der Volksrepublik China kann vernachlässigt werden, denn diese ist weder Mitglied der OECD, noch ist in Ansätzen die Berücksichtigung menschenrechtlicher Aspekte in ihrer Staatenpraxis erkennbar. 541
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
von den USA (Export-Import Bank und Overseas Private Investment Corporation), von Japan (Nippon Export and Investment Insurance und Japan Bank for International Cooperation) berücksichtigen im Rahmen des Förderungsverfahrens – nach eigenen Angaben – die in den Common Approaches der OECD aufgestellten menschenrechtsrelevanten Standards.542 Nur wenige Staaten versuchen, eine gewisse Transparenz im Hinblick auf das Prüfungsverfahren sowie dessen Ausgang und eventuelle Überwachungsverfahren zu gewährleisten. Der von den Common Approaches vorgesehenen Pflicht zur Veröffentlichung der besonders risikoreichen A-Projekte wird nur vereinzelt nachgekommen. Exemplarisch sind die Angaben der niederländischen Exportkreditagentur Artradius. Diese veröffentlicht Daten über menschenrechtlich bedenkliche Projekte sowie, und das ist eine Besonderheit, Angaben über den Ausgang des Antragsverfahrens. Im Jahre 2009 seien etwa sieben von 193 Anträgen als potenziell sehr nachteilig im Hinblick auf Umwelt- und Sozialstandards eingestuft worden. Dennoch kam es nur zur Ablehnung von drei Projekten. Angaben darüber, ob die anderen vier Projekte unter Auflagen oder besonderer Beobachtung gewährt wurden, gibt es allerdings nicht. Ähnlich wurde 2008 nur eines von fünf entsprechenden Projekten abgelehnt.543 Ob daher die Common Approaches der OECD tatsächlich in die Förderungsverfahren integriert wurden oder ob diese nur Lippenbekenntnisse der Staaten sind, bleibt nach wie vor unklar. Beispiele dafür, dass trotz menschenrechtlicher Bedenken Projekte gefördert wurden, gibt es dagegen auch. Hier seien drei Beispiele dafür aufgeführt:
542 Sämtliche Informationen lassen sich nur den jeweiligen Webseiten entnehmen: für Frankreich: COFACE, Our Environmental Commitment, S. 2 ff. abrufbar unter: http://www.coface.fr/PDF_interactif/environmental_commitment/files/docs/all.pdf; für Österreich: OeKB Gruppe, Nachhaltigkeitsbericht 2009, S. 8; für Belgien: ONDD, Ethics, abrufbar unter: http://www.ondd.be/webondd/Website.nsf/fcb407daa2d2c 578c125677f002ccd69/63e16d69d760531dc1256f20005312ff?OpenDocument; für die Schweiz: SERV, Geschäftspolitik der SERV v. 1. Januar 2007, S. 4, abrufbar unter: http://www.serv-ch.com/fileadmin/serv-dateien/Ueber_uns/Geschaeftspolitik.pdf; für das VK: ECGD, Annual Review and Resource Accounts 2009–10, S. 39 ff., http:// www.ecawatch.org/problems/eu_russ/uk/M2_ECGD ToughStance_22OCT02.html; für Italien: SACE, Annual Report 2009, S. 70; für die Niederlande: Artradius, Sustainability Report 2009, S. 6 ff., abrufbar unter: http://www.atradiusdutchstatebusiness.nl/dsben/ publications/sustainabilityreport/index.html; für Schweden: EKN, Annual Report 2009, S. 36 ff.; für die USA: EXIM, Envirnomental Guidelines, Annex A v. 14. August 2008, abrufbar unter: http://www.exim.gov/products/policies/environment/documents/annexa _envguide08.pdf; für Japan: NEXI, Guidelines on Environmental and Social Considerations in Trade Insurance (2009), abrufbar unter: http://nexi.go.jp/en/environment/so cial/pdf/ins_kankyou_gl-e.pdf; für JBIC die Guidelines for Confirmation of Environmental and Social Considerations (2002), abrufbar unter: http://www.jbic.go.jp/en/ about/environment/guideline/business/pdf/pdf_01.pdf (alle zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 543 Vgl. Artradius, Sustainability Report 2008, S. 7 ff.
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Die fördernde Beteiligung der belgischen ONDD an dem sog. Camisea Natural Gas Project, das den Abbau von Erdgas in Peru betraf und vor allem die Rechte indigener Völker bedrohte und im Hinblick auf die Sicherheit umstrittene Technologie und Materialien verwendete544, führte nicht zu erkennbaren gefährdungsmindernden Maßnahmen seitens der ONDD. Die durch die ECGD geförderte Beteiligung des Unternehmens British Petrolium an der Baku-Tbilisi-Ceyhan-Oil-Pipeline stellt ebenso ein Gegenbeispiel dar.545 Die Förderung dieses Projekts wurde auch dann nicht zurückgenommen, als eine Vielzahl menschenrechtswidriger Zustände im Rahmen des Projekts bekannt wurde und harsche Kritik seitens privater Verbände geübt wurde. Die japanische JBIC förderte seit den 1940er Jahren eine Vielzahl von Projekten, die den Abbau von Nickel in Indonesien betrafen. Dabei kam es zu entschädigungslosen Zwangsenteignungen und zur Vernachlässigung der Sicherheit der Angestellten. In den Jahren 1990 und 2000 kam es zu auf Sicherheitsmängeln basierenden Unfällen in Abbauminen, die mehrere Menschenleben kosteten.546 JBIC beteiligte sich ferner an dem bereits angesprochenen San Roque Hydro Project auf den Philippinen, das 2003 fertiggestellt wurde. Der dortige Staudammbau war vor allem behaftet mit Zwangsumsiedlungen und der Beeinträchtigung der Rechte indigener Völker durch Entzug ihrer landwirtschaftlichen Lebensgrundlage.547 Dagegen offenbart das dargelegte Beispiel des Ilisu-Staudammprojekts ein klares Verhalten staatlicherseits zur Verwirklichung der Standards der Common Approaches in dem Förderungsverfahren. Nicht nur die BRD, sondern auch die schweizerische SERV und die OeKB AG aus Österreich förderten die Beteiligung eigener Unternehmen. Nachdem die – zumindest auch – menschenrechtlichen Auswirkungen des Projekts bekannt wurden, beendeten die beiden Staaten die Förderung eigener Unternehmen im Jahre 2009. Dies geschah auf Grundlage der gleichen Gutachten, die auch die BRD für den Förderungsabbruch zugrunde legte. Auch hier bildet sich der gleiche Ansatz der Staatenpraxis heraus, die Förderung grundsätzlich in Teil-Aspekten menschenrechtskonform auszugestalten. Es gilt hier das zu der BRD Gesagte.548 544
Davis, Infrastructure Finance, S. 219 ff. Dazu die Analyse der Human Rights, Sozial and Environmental Impacts eines NGO-Konsortiums zur Baku-Tbilisi-Ceyhan-Oil-Pipeline, abrufbar unter: http://www. bakuceyhan.org.uk/publications/FFM05turkey.pdf (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 546 Insgesamt dazu: Sangadji, Japanese Involvement in Nickel Mining in Indonesia, S. 1 ff. 547 Dazu die umfangreiche Informationssammlung von ECA Watch, abrufbar unter: http://www.eca-watch.org/problems/asia_pacific/philippines/sanroqueproject.html (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 548 Abschnitt B. I. 2. b) bb) (2) (a) (cc). 545
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Bemerkenswert ist auch, dass das britische ECGD bereits im Vorfeld der Projektplanung zum Ilisu-Staudammprojekt prüfte, ob britischen Unternehmen eine Exportlizenz für die Beteiligung erteilt werden sollte. Aufgrund einer Analyse der Umwelt- und Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung, die vor allem auch die Zwangsumsiedlungen berücksichtigte, wurde dies von vornherein abgelehnt.549 Eine Beteiligung britischer Unternehmen an dem Vorhaben erfolgte gar nicht erst. Damit bildet das Verhalten der Förderstaaten im Hinblick auf das Ilisu-Staudammprojekt den bislang einzigen Ansatz, bei dem die Common Approaches der OECD durchgesetzt wurden. (b) Integration sonstiger Menschenrechtsaspekte in das Förderungsverfahren (aa) OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen Einige Staaten integrieren zusätzlich zu den Common Approaches in unterschiedlichem Maße die OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen in das Förderungsverfahren. Die belgische ONDD550, die schweizerische SERV551 und die schwedische EKN ermutigen nach eigenen Angaben die geförderten Unternehmen zur Einhaltung der OECD-Leitsätze. Die französische COFACE informiert die Unternehmen über die Existenz dieser Leitsätze und verlangt die Bestätigung der Kenntnisnahme per Unterschrift.552 Die niederländische Atradius553 setzt die Anerkennung der in den Leitsätzen genannten Standards für eine Förderung voraus. Auch im Rahmen des deutschen Antragsverfahrens müssen die Unternehmen bestätigen, dass ihnen bekannt ist, dass die Bundesregierung von ihnen die Beachtung der OECD-Leitsätze erwartet.554 Eine wirkliche Staatenpraxis, die Aufschluss über extraterritoriale Schutzpflichten liefern könnte, kann aber mit den vorgenannten vagen Verhaltensweisen nicht bestätigt werden. Es handelt sich allenfalls um eine im Ansatz entstehende Tendenz, den Schutz auf die Standards der Leitsätze zu erweitern.
549
Siehe dazu: Skogly, Beyond National Borders, S. 191 f. So: ONDD, Ethics, abrufbar unter: http://www.ondd.be/WebONDD/Website.nsf/ weben/Who+are+ we_Ethics?OpenDocument (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 551 SERV, Geschäftspolitik der SERV v. 1. Januar 2007, S. 5. 552 Dazu: Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 189. 553 Atradius, Sustainability Report 2011, abrufbar unter: http://www.atradiusdutch statebusiness.nl/Images/dsben/DSB_Sustainability%202011%20ENG_tcm1009-152680. pdf (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 554 BT-Drucksache 17/2339 v. 30. Juni 2010, S. 4. 550
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(bb) Vereinzelte Ausdehnung des Prüfverfahrens auf weitere menschenrechtliche Aspekte Einige Exportkreditagenturen gehen über die von den Common Approaches der OECD geforderten Standards hinaus. So weist etwa die italienische SACE in ihrem Jahresbericht auf ein Integrationsbestreben von weiteren Sozialaspekten in die Projektförderung hin.555 Dennoch berichtet sie allein von der Prüfung der Common Approaches.556 Auch die schwedische EKN erwähnt im Jahresbericht, dass auch Arbeitsbedingungen, Gesundheitsfaktoren, Kinder- und Zwangsarbeit bei der Projektprüfung eine Rolle spielen.557 Ferner werde auch seit 2009 die konkrete Prüfung von Menschenrechtsrisiken vorgenommen; allerdings werden keine Angaben darüber gemacht, was im Falle der Feststellung eines hohen Menschenrechtsrisikos geschehen soll.558 Auch etwa die amerikanische OPIC weist darauf hin, dass die Unterstützung der Menschenrechte wesentlich für die Arbeit der Exportförderer sei.559 Die Richtlinien der japanischen JBIC gehen weiter als die Common Approaches und verschreiben sich zusätzlich dem Recht auf Gesundheit, Kinderrechten, kulturellen Rechten und Rechten im Hinblick auf Arbeitsbedingungen.560 Insgesamt gibt es für diese Ausdehnungsbemühungen jenseits der gemachten Versprechen keine klaren Ansatzpunkte oder weiterführende Angaben. (cc) Der Ansatz der kanadischen EDC Die kanadische Exportkreditagentur EDC verfolgt nach einigen in der Vergangenheit negativ bekannt gewordenen Fällen seit etwa 2008 einen sehr menschenrechtsfreundlichen Ansatz,561 auch wenn er nach einigen Analysen im Schrifttum noch nicht als „best practice“ 562 gelten kann. Die EDC unternimmt – nach eigenen Angaben – vor einer Projektförderung ein komplexes, proportional zu Länderrisiken sich verdichtendes Human Rights Impact Assessment (HRIA) und lehnt regelmäßig die Projekte ab, die Menschenrechtsbeeinträchtigungen Vor-
555
SACE, Annual Report 2009, S. 70. SACE, Annual Report 2009, S. 81. 557 EKN, Annual Report 2009, S. 36 ff. 558 EKN, Annual Report 2009, S. 37. 559 OPIC, Proposed Labor and Human Rights Policy Statement, abrufbar unter: http://www.opic.gov/doing-business/investment/rights/policy_statement (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 560 Guidelines for Confirmation of Environmental and Social Considerations, S. 14. 561 Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 54 ff. 562 Laut Keenan, Export Credit Agencies, S. 11, mangelt es an der menschenrechtlich erforderlichen Transparenz. 556
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schub leisten können.563 Sie versuchen die Empfehlungen des VN-Sonderberichterstatters für Wirtschaft und Menschenrechte im Einzelnen umzusetzen und erkennen in dem Zusammenhang auch die von ihm angesprochene „States duty to protect“ an,564 bei der es sich um extraterritoriale Schutzpflichten handelt. Die Qualität dieses Anerkenntnisses wird sich erst bei Vorliegen einer Staatenpraxis herauskristallisieren. Hinreichende Staatenpraxis für das Bekenntnis zum menschenrechtlichen Ansatz lässt sich bislang nicht finden, denn veröffentlicht werden nur vage Angaben zu Umfang und Zielland der Außenwirtschaftsförderung, nicht aber zu einzelnen Projekten. Aufgrund der erst kürzlich erfolgten Kursänderung in der Menschenrechtspolitik können frühere menschenrechtsrelevante Projekte keine Belege für die aktuelle Staatenpraxis liefern. Auch an dieser Stelle kann also nur eine Tendenz in Ansätzen festgestellt werden. (4) Bewertung und Zwischenergebnis Die Staatenpraxis zur Integration menschenrechtlicher Aspekte in das Förderungsverfahren ist, so lässt es sich resümieren, uneinheitlich, sporadisch und selten eindeutig. Allgemein kann festgehalten werden, dass die Staaten menschenrechtliche Aspekte bei der Außenwirtschaftsförderung nicht gänzlich unberücksichtigt lassen. Zwar werden diese meist etwas missfällig nur als Teilmenge des Umweltschutzes im weiteren Sinne bzw. des Schutzes „sozialer Belang“ verstanden, dennoch scheint ein gewisser Minimalkonsens im Hinblick auf die Minderung von Zwangsumsiedlungen und den Schutz der Rechte indigener Völker zu bestehen. Dass nun gerade diesen beiden menschenrechtlichen Aspekte Gegenstand der Common Approaches der OECD geworden sind, liegt vermutlich daran, dass diese Rechte bei infrastrukturellen Großprojekten, insbesondere Staudammbauten, symptomatisch betroffen sind. Nur ganz wenige Staaten gehen über diesen Schutz hinaus bzw. artikulieren ein entsprechendes Integrationsbestreben. In Zukunft wird zu zeigen sein, ob diese Äußerungen bloße Lippenbekenntnisse bleiben oder ernsthafte Bemühungen darstellen. Eine für das Gewohnheitsrecht hinreichende Staatenpraxis dahingehend, dass die Menschenrechte auch tatsächlich im Verfahren umfassend berücksichtigt wurden, gibt es bislang nicht. Erste tragfähige Ansätze können bislang nur die Förderungsbeendigungen durch Österreich, die Schweiz und die BRD im Falle 563 Vgl. EDC, EDC Statement on Human Rights, abrufbar unter: http://www.edc.ca/ english/social_15113.htm (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 564 Dazu: EDC, 2009 CSR Report, abrufbar unter: http://www.edc.ca/publications/ 2010/csr/english/5-1.htm (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012).
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des Ilisu-Staudammprojekts bieten, denn nur diese erfolgten auch aufgrund der menschenrechtswidrigen Bedingungen, die durch das mangelhafte Umsiedlungsprogramm der Türkei geschaffen wurden. Freilich kann die einmalige Staatenpraxis nach ganz herrschender Auffassung565 noch kein Völkergewohnheitsrecht generieren. Dennoch liefern der Förderungsabbruch und die verbreitete Nachhaltigkeitsprüfung, die bei der Vergabe der Fördermittel erfolgt, erste Ansätze, deren Weiterverfolgung erforderlich ist. Sollte sich die Staatenpraxis zunehmend verdichten, so könnte zukünftig auch hier von gewohnheitsrechtlichen extraterritorialen Schutzpflichten gesprochen werden. cc) Extraterritorialer Schutz aus völkergewohnheitsrechtlichen Prinzipien? Neben völkergewohnheitsrechtlichen Normen wird zuweilen auf vermeintlich bestehende völkergewohnheitsrechtliche Prinzipien verwiesen, die inhaltlich die Zielrichtung begründen sollen, Menschen auch außerhalb des Territoriums (mit unterschiedlicher Reichweite) zu schützen. Mit anderen Worten: Staatliches Handeln soll, in welcher Form auch immer, prinzipiell menschenrechtlich ausgestaltet werden. Dabei lassen sich im Wesentlichen drei unterschiedliche Prinzipien ausmachen, die im Folgenden als Quelle für extraterritoriale Schutzpflichten untersucht werden sollen: Ein menschenrechtliches Universalitätsprinzip (unter (1)), ein Nicht-Diskriminierungsprinzip (unter (2)) und ein allgemeines Nicht-Verletzungsprinzip (unter (3)). (1) Menschenrechtliches Universalitätsprinzip Einige Autoren verweisen zur Begründung extraterritorialer Staatenpflichten auf ein Universalitätsprinzip, das dem völkerrechtlichen Menschenrechtssystem zugrunde gelegt worden sei, nach dem die Menschenrechte allgemein überall zu achten und zu schützen seien.566 Der räumliche Anwendungsbereich sei danach unbeschränkt und (globale) extraterritoriale Schutzpflichten ließen sich begründen. Ob aber ein solches universelles Konzept Rechtswirklichkeit geworden ist, ist fragwürdig und muss näher untersucht werden.
565 Statt vieler: Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, S. 90. Mindermeinung: Die Lehre vom spontanen Völkergewohnheitsrecht von Cheng, IJIL 5 (1965), S. 23 ff. 566 Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (781 und 787); Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 86; Krennerich, Menschenrechte und internationale Politik, S. 42; so deutet es auch Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 233, im Rahmen der völkerrechtlichen Jurisdiktionsordnung an.
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In der Tat sprechen sämtliche völkervertragsrechtliche Instrumente – oftmals in der Präambel567 – von der Universalität der Menschenrechte. Nicht zuletzt ist auch die AEMR konzeptionell universell ausgerichtet. Diese hat aber zum einen – und nicht ohne Grund – keine Verbindlichkeit erlangt und auch werden die Präambeln der Verträge, sollten sie überhaupt einen normativen Gehalt aufweisen, stets durch die allgemeinen Gewährleistungsartikel überformt.568 Von der Ratifizierungsvielzahl der Menschenrechtspakte lässt sich ebenso wenig auf ein Universalitätsprinzip schließen, denn zugestimmt wurde nur den Pflichten, die im Vertrag enthalten sind und diese gehen – wie dargestellt – im Regelfall nicht weiter als die Reichweite der Jurisdiktion. Der naturrechtlich geprägte Begründungsansatz eines solchen Prinzips, das ein Mensch Menschenrechte qua Menschsein hat, korrespondiert nicht mit völkerrechtlichen Staatenpflichten. Die Menschen können zwar ein Recht auf eine bestimmte Freiheit haben, dass ein Staat hingegen eine korrelierende Pflicht hat, diese Freiheit zu achten oder zu schützen, ergibt sich aus dieser Überlegung allerdings noch nicht. Mit anderen Worten: Von der ideellen Anerkennung von Menschenrechten kann nicht auf die normative Anerkennung von Menschenrechtsverpflichtungen geschlossen werden. Gestützt wird das Universalitätsprinzip vereinzelt auch auf das völkerstrafrechtliche Weltrechtsprinzip.569 Im Zusammenhang mit der Regulierung transnationaler Konzerne im Ausland wird argumentiert: Die Staaten schuldeten der internationalen Gemeinschaft eine entsprechende universelle Kontrolle.570 Inhalt des Weltrechtsprinzips ist dagegen die Befugnis, für bestimmte Straftatbestände anknüpfungslos die Strafverfolgung aufnehmen zu können. Zwar gibt es auch hier Ausdehnungsansätze im Hinblicke auf Kern-Menschenrechte,571 unabhängig vom konkreten Inhalt korrespondiert das Recht zur Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion aber nicht mit einer entsprechenden Pflicht572 und kann daher keine extraterritorialen Schutzpflichten begründen. Die uneingeschränkte Universalisierung der Menschenrechtspflichten findet damit keine normative Stütze im Völkerrecht. 567
So etwa: IPbpR, IPwskR, EMRK. Vgl. auch: Nowrot, Die Friedens-Warte 79 (2004), S. 119 (131); Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 19. 569 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 20 f.; Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 25, wobei offen bleibt, ob sie sich der Auffassung De Schutters anschließt. 570 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 20 f. 571 Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (193); Donovan/Roberts, AJIL 100 (2006), S. 142 ff.; De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 20, in Bezug auf transnationale Unternehmen. 572 Vgl. auch: Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 25. 568
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(2) Nichtdiskriminierungsprinzip Ein weiterer Ansatz möchte eine der Universalität von Menschenrechtsverpflichtungen gleichkommende Wirkung mit dem Verweis auf ein Nichtdiskriminierungsprinzip begründen.573 Dieser Ansatz ähnelt dem des Universalitätsprinzips strukturell insoweit, als er begründen könnte, dass sämtliche Menschen unterschiedslos behandelt werden müssten. Ob dieser Ansatz tatsächlich normativ begründet werden kann, ist dagegen ebenso fragwürdig. Für ein solches Nichtdiskriminierungsprinzip wird vor allem die Vielzahl der vertraglichen Anhaltspunkte angeführt.574 Und tatsächlich ist das Gebot, nicht zu diskriminieren, ein in beinahe jedem Vertrag auftauchender Grundsatz: So fordert etwa Art. 1 Nr. 3 VNC die unterschiedslose Achtung der Menschenrechte in Bezug auf eine Reihe von Merkmalen, Art. 55 VNC spricht von dem Grundsatz der Gleichberechtigung, Art. 26 IPbpR stellt ein Gleichstellungsgebot vor dem Gesetz auf, Art. 2 Abs. 2 IPwskR fordert die diskriminierungsfreie Anwendung der Konventionsrechte und die Rassendiskriminierungs- und die Frauendiskriminierungskonvention sind in ihrer Gesamtheit Verträge, die die Gleichstellung fordern. Ergänzend wird auf das Nichtdiskriminierungsprinzip im Umweltrecht575 verwiesen.576 Gegen die Existenz eines solchen Prinzips spricht aber auch hier, dass von einer ideellen Konzeption nicht auf normative Rechtswirklichkeit geschlossen werden kann. Zwar weisen die Verträge auch (normativ verbindliche) Gleichstellungspflichten auf, dies setzt aber stets die vorgelagerte Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereiches voraus. Einem Rechtsbindungswillen dahingehend, dass die Rechte gleichberechtigt auf alle Menschen globale Anwendung finden sollten, widersprechen die klaren räumlichen Eingrenzungen der allgemeinen Gewährleistungsklauseln. Ein solcher Rechtsbindungswille wurde auch nirgends geäußert.577 Bei dem Nichtdiskriminierungsprinzip handelt sich um ein relatives, nicht aber um ein absolutes Gleichstellungsgebot. Ein Nichtdiskriminierungsprinzip mit einem unbeschränkten Anwendungsbereich lässt sich also nicht begründen.
573 Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 77; Francioni, Exporting Environmental Hazard, in: Francioni/Scovazzi, International Responsibility, S. 275 (297). 574 Skogly, Beyond National Borders, S. 112 f.; Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 77. 575 Vgl. dazu ausführlich: Knox, AJIL 96 (2002), S. 291 ff. 576 Vgl. Skogly, Beyond National Borders, S. 82 f. und 113. 577 Ist einem Vertrag aber ein unbeschränkter Anwendungsbereich zu entnehmen, vgl. Abschnitt B. I. 1. c), so finden auch die dort genannten Gleichstellungserfordernisse weitestgehende Anwendung.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
(3) Übertragbarkeit des (umweltrechtlichen) Prinzips der guten Nachbarschaft auf menschenrechtliche Sachverhalte mit extraterritorialer Tangente Vereinzelt wird versucht, das im Umweltrecht begründete sog. Prinzip der guten Nachbarschaft auf den Menschenrechtsschutz zu übertragen.578 Diesem Gedanken soll nachgegangen werden. In dem frühen Trail-Smelter-Fall wurde das entschieden, was heute als Inhalt des Prinzips bekannt ist: Eine völkerrechtliche Pflicht der Staaten, eine extraterritoriale Schadenszufügung auf ihren eigenen Territorien zu unterbinden.579 Dies wurde konkret für den Fall der extraterritorialen Emissionen durch Unternehmen entschieden, nach und nach fortentwickelt und weiter differenziert. Das Schutzgut blieb dagegen nach wie vor die Umwelt. Versucht wird nun, diesem Prinzip auch einen menschenrechtlichen Anwendungsbereich zu verleihen, also eine Pflicht, von eigenen Staatsangehörigen ausgehende extraterritoriale Menschenrechtsbeeinträchtigungen allgemein unterbinden zu müssen. Umweltnahe Menschenrechte, wie etwa das Recht auf Nahrung oder Gesundheit werden dabei durch das Prinzip der guten Nachbarschaft zwar stets mit geschützt, dennoch bedeutet eine Überschneidung der Schutzgüter nicht eine Auswechselbarkeit der rechtlichen Verpflichtungen. Ohne auf die nähere Ausgestaltung des Prinzips eingehen zu wollen,580 ist zu klären, inwieweit eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf den Menschenrechtsschutz überhaupt möglich ist. Auf Bedenken stößt diese Methode vor allem wegen der konsensrechtlichen Natur des Völkerrechts. Denn: Wie an anderer Stelle bereits dargelegt581, ist der Analogie im Völkerrecht zwar kein absoluter 578 So etwa: Francioni, Exporting Environmental Hazard, in: Francioni/Scovazzi, International Responsibility, S. 275 (295 ff.); Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 158 ff.; Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 197. Ähnlich: Gibney, International Human Rights Law, S. 507. 579 Trail Smelter Case (US vs. Canada), 3 R.I.A.A. S. 1905 (1941) (abgedruckt in: AJIL, 33 (1939), S. 182–212). Diese umweltrechtliche Rechts-Entwicklung hat eine „Soft-Law“-Mitbegründung in der Stockholm Declaration von 1972 (UN Conference on the Human Environment, Stockholm Declaration, 16. Juni 1972, UN Doc. A/CONF.48/ 14.) erfahren, welche von einem Teil des Schrifttums als in das Gewohnheitsrecht übergegangen angesehen wird, vgl. Knox, AJIL 96 (2002), S. 291 (292); auch im deutschen Schrifttum: Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, S. 113; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 214 f.; a. A.: Schachter, JIA 44 (1991), S. 457 (463), der diese Interpretation als idealistisch und voreilig ansieht. Auch der IGH deutet die Existenz eines solchen Prinzips an: IGH, Case of the Corfu Channel (UK vs. Albania), ICJ Reports 1949, S. 22, wenngleich er dies nur auf Rechte der anderen Staaten bezieht und dabei nicht auf die Schadenszufügung abstellt. 580 Es wird bereits angezweifelt, ob aus dem Prinzip überhaupt Rechte und Pflichten abgeleitet werden können, vgl. Kaleck/Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht, S. 37. 581 Abschnitt B. I. 1. a) bb) (3) (b) (cc) (b).
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Riegel vorgeschoben, sie erfordert aber stets, dass die Schließung der Regelungslücke von einem grundsätzlichen Konsens der Staaten gedeckt ist. Eine Analogie kann damit im Völkerrecht, sollte sie überhaupt auf das Gewohnheitsrecht anwendbar sein, niemals dem Willen der Staaten widersprechen. Für den extraterritorialen Menschenrechtsschutz ist genau das aber der Fall. Mag das Umweltvölkerrecht auch konsentiert den extraterritorialen Schutz gebieten, der gewohnheitsrechtliche Menschenrechtsschutz korrespondiert nicht mit einer solchen Zustimmung, vielmehr gibt es – das zeigen die obigen Ausführungen – eine starke Zurückhaltung und eine Vielzahl von Unklarheiten, die der Ausdehnung des Prinzips entgegenstehen. Ferner ist das genannte Prinzip nicht dahingehend zu verstehen, dass extraterritoriale Handlungen von privaten Akteuren die Verantwortlichkeit des Heimatstaates begründen,582 diese entsteht nur für privates Handeln auf dem Territorium des Heimatstaates, das eine extraterritoriale Ausstrahlungswirkung auf fremdes Territorium hat (so eben bei Immissionen).583 Dies könnte wiederum nur für unmittelbare Nachbarländer gelten, nicht aber sämtliche andere Staaten. Ein allgemeines menschenrechtliches Prinzip der guten Nachbarschaft gibt es daher nicht. dd) Sonstige Ansätze Neben den Versuchen, extraterritoriale Schutzpflichten als Normen zu begründen oder aus Prinzipien herzuleiten, gibt es Ansätze, die auf bekannte Rechtsfiguren zurückgreifen. Ganz vereinzelt wird die Erga-Omnes-Wirkung einiger Menschenrechte als Anhaltspunkt für extraterritoriale Staatenpflichten angesehen. Die Einhaltung der Normen, die von jedem Staat gefordert werden kann, könne im Umkehrschluss von keinem Staat verletzt werden.584 Dagegen spricht aber, dass mit dem internationalen Interesse an der Beachtung einer bestimmten Norm nicht zugleich eine korrelierende Pflicht, keinesfalls eine Schutzpflicht begründet werden kann.585 Das Erga-Omnes-Konzept wird freilich so verstanden, dass auch kein Handeln gegen entsprechende Normen zulässig ist, daraus lassen sich aber allenfalls Ach-
582 So aber: Can/Seck, The Legal Obligations with Respect to Human Rights and ECA, S. 12 f. 583 Klarstellend: Brownlie, System of the Law of Nations, S. 165. 584 Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 502. In eine ähnliche Richtung gehen: Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 59 ff., die die Erga-Omnes-Wirkung als die Begründung einer internationalen objektiven Werteordnung verstehen, gegen die nicht verstoßen werden kann. So auch: Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 36 ff. 585 So auch: Skogly, Beyond National Borders, S. 115.
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tungspflichten ableiten,586 nicht aber ein positives Handeln zum Schutz der Menschenrechte. Ähnlich verhält es sich mit dem Ansatz, der den Ius-Cogens-Normen, also solchen Normen, die zu den zwingenden des allgemeinen Völkerrechts gehören (Art. 53 Satz 2 WVK), eine staatliche Pflicht entnehmen möchte, Kontrolle über Staatsangehörige zum Schutze dieser Normen üben zu müssen, selbst wenn diese extraterritorial handeln.587 Die Rechtsfolgen dieser Wirkung sind aber ebenso begrenzt wie die der Erga-Omnes-Normen. Ein Vertrag, eine Klausel (vgl. Art. 53, 64 WVK) oder auch Vorbehalte können danach nichtig sein588 und eine Verletzung von Ius-Cogens-Normen kann nicht durch einen Notstand gerechtfertigt werden (vgl. Art. 26 ILC-Entwurf).589 Weitere Rechtsfolgen haben Ius-CogensNormen dagegen nicht.590 Einer Ausdehnung steht auch hier der Konsensmangel entgegen. Sämtliche Versuche, extraterritoriale Staaten- bzw. Schutzpflichten an bekannte Rechtsinstitute durch Analogiebildung anzuknüpfen, finden keine normative Stütze und sind daher nicht tragfähig. c) Zwischenergebnis Die Untersuchung hat gezeigt: Für extraterritoriale Schutzpflichten gibt es nur wenige und insgesamt fragmentarische Ansatzpunkte im Völkergewohnheitsrecht. Die angeführten Beispielkategorien weisen meist nur Ansätze für extraterritoriale Schutzpflichten auf, die aber de lege lata noch nicht verbindlich sind. Einzige Ausnahme bilden dabei die Pflichten um aufenthaltsbeendende Maßnahmen und teilweise im Außenwirtschaftskontrollrecht. Auf dem Gebiet der Außenwirtschaftsförderung treten Menschenrechte zwar vermehrt in den Vordergrund des staatlichen Bewusstseins, bislang aber noch nicht hinreichend umfassend. Aus völkergewohnheitsrechtlichen Prinzipien oder sonstigen Rechtsinstituten lassen sich dagegen keine extraterritorialen Schutzpflichten ableiten.
586 So gesteht es Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 38, auch ein. 587 Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 495. 588 Meron, AJIL 80 (1986), S. 1 (17). 589 Dagegen handelt es sich bei Art. 40 ILC-Entwurf um keine Völkerrechtsnorm, sondern um den progressiven Teil der ILC-Entwurfsartikel. Danach kann die schwerwiegende Verletzung einer Ius-Cogens-Norm ein Kooperationsgebot der Staaten begründen. 590 Vgl. auch: Frowein, Ius Cogens, MPEPIL-Online, Rn. 9 f.
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3. Allgemeine Rechtsgrundsätze Die dritte Völkerrechtsquelle, allgemeine Rechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut), sind solche Rechtsnormen, die entweder in sämtlichen Rechtsordnungen nachweisbar als Regel vorhanden sind oder aber solche, die eine Völkerrechtsordnung strukturell als gültig voraussetzen. Sie ergänzen das Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht591 und werden durch eine Gesamtschau sämtlicher Rechtsordnungen ermittelt, die so weit entwickelt sind, dass ihnen Rechtssätze entnommen werden können.592 Extraterritoriale Schutzpflichten sind keine Rechtssätze, die hinreichend vielen Rechtsordnungen zugrunde liegen.593 Freilich verlangt eine Vielzahl der Verfassungen den Schutz der Grundrechte, -freiheiten und Menschenrechte; hier einen materiellen Konsens festzustellen wäre schwer, ferner aber auch nicht erforderlich, denn extraterritoriale Anwendungsbereiche werden den in den Verfassungen vorhandenen Schutzpflichten sehr selten zugestanden. Wird etwa im deutschen Verfassungsrecht die extraterritoriale Anwendung der Grundrechte intensiv diskutiert,594 so ist dieses Konstrukt keineswegs gesichert und alles andere als ein eindeutiger Rechtssatz. Auch in vielen anderen Rechtsordnungen ist die Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit höchst umstritten, überwiegend aber abzulehnen. Zudem haben allgemeine Rechtsgrundsätze immer nur lückenfüllende Funktion und können daher angesichts der Fülle der völkerrechtlichen Normen, die sich auf Menschenrechte beziehen, keine parallele oder gar übergeordnete Geltung beanspruchen. Das von den Staaten vertraglich gestaltete Menschenrechtsvölkerrecht schließt insoweit die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze aus. Auch können die bereits dargelegten Ansätze der Aburteilung extraterritorialer Menschenrechtsverletzungen durch private Akteure als mögliches Element der Schutzpflichten keine allgemeinen Rechtsgrundsätze darstellen, da diese grundsätzlich nur im angloamerikanischen Rechtsraum zu finden sind und dort weder allgemein vorhanden sind, noch einheitlich angewendet werden. Handelt es sich damit noch nicht einmal um einen klaren Grundsatz innerhalb der angloamerikanischen Rechtsordnungen, so kann er sich also noch weniger auf Völkerrechtsebene erheben. Extraterritoriale Schutzpflichten ergeben sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen daher nicht.
591
Herdegen, Völkerrecht, § 17, Rn. 1. Zu der so zu verstehenden Bezeichnung „Kulturvölker“ siehe: Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, S. 97; Herdegen, Völkerrecht, § 17, Rn. 1. 593 Nur ganz vereinzelt werden extraterritoriale Achtungspflichten als allgemeiner Rechtsgrundsatz verstanden: Skogly, Beyond National Borders, S. 133. 594 Exemplarisch: Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte. 592
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
II. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege ferenda – insbesondere Regulierungsbestrebungen wirtschaftlichen Handelns privater Akteure Die vorhandenen Ansätze zur Begründung extraterritorialer Schutzpflichten ergeben nur ein unvollständiges menschenrechtliches Schutzsystem.595 Obwohl seit jeher von der internationalen Staatengemeinschaft das Bedürfnis betont wird, ein Menschenrechtsvakuum möglichst zu vermeiden und zu beseitigen, hinkt das Menschenrechtssystem de lege lata den sich zunehmend global mobilisierenden Umständen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, hinterher. Ein proportionaler Gleichlauf der Reichweite des staatlichen extraterritorialen Einflusses und der Reichweite der Menschenrechtsbindung erfolgt noch nicht. So erscheint ein prognostizierender Blick lohnenswert. Auf völkerrechtlicher Ebene gibt es zwei Domänen, auf deren Basis sich in naher Zukunft insbesondere zur Einhegung unternehmerischen Handelns extraterritoriale Schutzpflichten entwickeln könnten:596 die VN und die OECD. 1. Entwicklungen auf VN-Ebene Auf VN-Ebene gibt es unterschiedliche Bestrebungen, einen extraterritorialen Schutz zu entwickeln. Hervorzuheben sind hier die konzeptionellen Bemühungen um die Responsibility to Protect und die Analysen und progressiven Berichte des VN-Sonderberichterstatters für Wirtschaft und Menschenrechte, Ruggie. Das (völker-)rechtspolitische Konzept der Responsibility to Protect, welches von der International Commission on Intervention and State Sovereignty 2001 entwickelt wurde, hat eine umfassende Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft gefunden,597 wenngleich auch hier noch keine verbindlichen Normen geschaffen wurden.598 Die Responsibility to Protect fordert vor 595 Als „unter-entwickelt“ bezeichnen Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (795), das „Extraterritorialitäts-Menschenrechtssystem“. Can/Seck, The Legal Obligations with Respect to Human Rights and ECA, S. 13, sprechen ebenfalls von einem „uneinheitlichen und unterentwickelten“ Menschenrechtssystem. Als menschenrechtsdogmatisch „unbefriedigend“ bezeichnet es: von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 24. 596 Einige grundsätzlich interessante Projekte auf diesen Ebenen sind in der Entwicklung auf Druck der Staaten eingestellt worden und werden deshalb nicht berücksichtigt, so etwa die Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/ 2003/12. Siehe dazu: von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 6 f. 597 In Form einer VN-Generalversammlungsresolution (UN Doc. A/RES/60/1 vom 24. Oktober 2005) wurde das Konzept von nahezu allen Staaten anerkannt. 598 Die Nennung in der Resolution 1674 des VN-Sicherheitsrates ist die erstmalige Erwähnung der Responsibility to Protect in einem verbindlichen Dokument.
II. Extraterritoriale Schutzpflichten de lege ferenda
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allem den Schutz vor besonders massiven humanitären Notsituationen599 durch unterschiedliche – hier nicht weiter zu erörternde – Mittel. Hervorzuheben ist, dass die geforderten Schutzmaßnahmen auch extraterritorial belegene Menschenrechte betreffen. Sie können folglich – wenn auch nur in besonders massiven Fällen – extraterritoriale Schutzpflichten begründen. Die Dokumente, die das Konzept der Responsibility to Protect ausfüllen, unterbreiten einen Vorschlag zur Lösung humanitärer Notlagen und wirken auf seine Verrechtlichung hin, indem sie einen (völker-)rechtspolitischen Appell an die internationale Staatengemeinschaft bilden. Sie stellen aber bislang keine völkerrechtlichen Verträge oder verbindliche Sekundärakte dar.600 Intensiv wird aber das Recht auf eine humanitäre Intervention, das als Teil-Aspekt zur Erfüllung der Responsibility to Protect zu verstehen ist, diskutiert und vereinzelt sogar als verbindliche Norm anerkannt.601 Auch an dieser Stelle soll nicht in die Diskussion eingestiegen werden. Festgehalten werden soll nur, dass sich insgesamt gerade vor dem Hintergrund dieser konzeptionellen Entwicklungen eine zumindest gestiegene Diskussionsbereitschaft der Staaten und der Völkerrechtswissenschaft zeigt, so dass auch die zukünftige Entstehung extraterritorialer Schutzpflichten hier nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Für individuelle extraterritoriale Schutzpflichten in wirtschaftlichen Zusammenhängen hat sich in letzter Zeit ein rasanter und daher besonders hervorzuhebender Erarbeitungsprozess auf VN-Ebene abgezeichnet. Der UN-Menschenrechtsrat hat am 19. Juni 2008 einstimmig eine Rahmenpolitik namens „Protect, Respect and Remedy“ angenommen602 und sich darin der Problematik der staatlichen Menschenrechtspflichten im Zusammenhang mit Unternehmen als private Urheber für Menschenrechtsbeeinträchtigungen gewidmet. Dieses aus drei Säulen bestehende Modell603 soll den internationalen Wirtschaftsverkehr menschenrechtlich überformen. Eine der Säulen bildet die staatliche „Duty to Protect“, wie sie von Ruggie als zentrale und primäre604 Staatenpflicht herausgearbeitet wurde. Extraterritoriale Schutzpflichten sollen in diesem Zusammenhang gerade für die zunehmende Bedrohung der Menschenrechte durch den internationalen Wirtschaftsverkehr als besonderes „Werkzeug“ dienen. Zur Erfüllung dieser „Duty to Protect“ sollen die Heimatstaaten von Unternehmen dazu verpflichtet werden, durch entsprechende Sorgfaltsmaßstäbe vor Beeinträchtigungen extraterritorialer Menschenrechte zu schützen.
599 Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ethnische Säuberungen. 600 Vgl. die Untersuchung bei: Rausch, Responsibility to Protect, S. 48–68. 601 Dazu später in: Abschnitt C. III. 2. d) bb) (2) (c). 602 Human Rights Council, Resolution 7/8 v. 8. Juni 2008. 603 Ruggie, UN Doc. A/HRC/14/27, Rn. 1. 604 Primär gegenüber einer sog. Corporate Duty to Respect.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
Die regelmäßigen Berichte und Stellungnahmen von Ruggie zeigen zentrale wirtschafts- und entwicklungspolitische Probleme im Zusammenhang mit transnationalen Unternehmen auf, verdeutlichen unternehmerische Verhaltensmuster sowie besondere Risikostrukturen und liefern rechtliche und politische Lösungsvorschläge für die Schließung der entstandenen Menschenrechtsschutzlücken.605 Besonders bedeutsam sind diese Berichte, weil sie häufig zu einem weiten Anerkenntnis der sich damit befassenden Staaten führen. Dieser erst seit 2005 anhaltende Erarbeitungsprozess bekam in der Öffentlichkeit rasch große Aufmerksamkeit und wurde auf nationaler Ebene verbreitet zur Kenntnis genommen.606 Einige Staaten und Exportkreditagenturen haben bereits freiwillig mit der Umsetzung des Frameworks begonnen. Vereinzelt haben Unternehmen anlässlich der veröffentlichten Berichte interne Maßnahmen zur Beseitigung der Missstände ergriffen.607 Positive Tendenzen zeichnen sich auch durch die Verlängerung des Mandats bis 2011 und des mittlerweile fertiggestellten Entwurfs der Guiding Principles zur Umsetzung des von Ruggie vorgeschlagenen Frameworks ab. Nicht ausgeschlossen ist daher, dass diese Entwicklung in ein verbindliches Regelwerk mündet. Auf VN-Ebene scheint daher die Notwendigkeit extraterritorialer Staatenpflichten in das Bewusstsein der Organe gerückt zu sein. 2. Entwicklungen im Rahmen der OECD Die OECD, die bereits für die fortschrittlichen Entwicklungen im Rahmen der Vereinheitlichung des Vergabeverfahrens der außenwirtschaftlichen Fördermittel bedeutsam war, weist dagegen aktuell eine Tendenz zur Schwächung der dort bislang anerkannten Menschenrechtsstandards für unternehmerisches Verhalten auf. Die bereits im Rahmen der Untersuchung des Völkergewohnheitsrechts angesprochenen Common Approaches, die konkret für das dieser Arbeit zugrunde gelegte Anwendungsbeispiel der Außenwirtschaftsförderung geschaffen wurden, unterliegen aktuell einer Überarbeitung. Dieser Prozess hat allerdings bislang nur eine Tendenz zur Schwächung der menschenrechtlichen Aspekte zu Tage gefördert. Begründet wird die Entkräftung mit dem Verweis auf die Notwendigkeit, international konkurrenzfähig gegenüber Schwellenländern zu werden.608 605 Siehe: UN Doc. E/CN.4/2006/97, UN Doc. A/HRC/4/035, UN Doc. A/HRC/8/ 5, UN Doc. A/HRC/11/13. 606 Die deutsche Bundesregierung äußerte, dass sie für den Fall der Außenwirtschaftsförderung die Aufnahme der von Ruggie entwickelten Kriterien prüfe, BT-Drucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 3. 607 Dazu: Ruggie, Remarks by SRSG Ruggie „Engaging Export Credit Agencies in Respecting Human Rights“, OECD Export Credit Group’s „Common Approaches“ Meeting, Paris 23. Juni 2010, S. 3. 608 So etwa die Äußerungen der Bundesregierung zum Überarbeitungsprozess: BTDrucksache 17/2693 v. 3. August 2010, S. 10, und BT-Drucksache 17/2774 v. 19. August 2010, S. 2.
III. Ergebnisse zu B.
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Auch die Verweisungsziele der Common Approaches, die Performance Standards der International Finance Corporation, die letztlich die menschenrechtlichen Standards definieren, werden entsprechend überarbeitet. Auch hier ist eine Tendenz zur Schwächung zu erkennen. 3. Bewertung und Zwischenergebnis Neben den dargestellten punktuellen Prozessen sind keine völkerrechtlichen609 Tendenzen zur Entwicklung extraterritorialer Schutzpflichten sichtbar. Insbesondere ein gesamtheitlicher Ansatz, etwa die Begründung allgemeingültiger extraterritorialer Schutzpflichten für sämtliche Menschenrechte in Zusatzprotokollen oder neuen Regelwerken, ist nicht zu erwarten, auch wenn dies oftmals vom menschenrechtsfreundlichen Schrifttum gefordert wird.610 Die Entwicklungstendenzen auf VN-Ebene, das Konzept der Responsibility to Protect und die Berichte von Ruggie sind insgesamt als äußerst positive Schritte zu bewerten, da sie weitgehende Ansätze verfolgen und große Aufmerksamkeit erhalten. Die Tendenzen im Rahmen der OECD insbesondere im Hinblick auf die Harmonisierung der Außenwirtschaftsförderung sind dagegen Rückschritte, denn die Überarbeitungsprozesse der vorhandenen Instrumente steuern deutlich auf eine Minderung der Standards zu, auch wenn dort das letzte Wort zum Abschluss dieser Arbeit noch nicht gesprochen wurde.
III. Ergebnisse zu B. Aus dem Völkerrecht ergeben sich de lege lata nur sehr wenige extraterritoriale Schutzpflichten. Die Vorstellung, dass die Menschenrechte der Weltbevölkerung kraft ihres gleichwertigen Menschseins auch überall gleichermaßen zu schützen sind, entspricht bei weitem nicht der Rechtswirklichkeit. Zwar kann fast allen Menschenrechtsverträgen der Appell an den Staat entnommen werden, auch extraterritorialen Schutz zu üben. Diese Ansätze variieren aber in Art und Umfang erheblich: Die Mehrzahl der Verträge fordert den Schutz der Menschenrechte nur innerhalb der Jurisdiktion. Diese beschränkt sich dabei auf denjenigen staatlichen Einflusskreis, der durch die effektive extraterritoriale Kontrolle über Gebiete, Perso609 Auf nationaler Ebene können zum einen die vom BMZ in Auftrag gegebene Studienreihe „Menschenrechte, Unternehmensverantwortung und Nachhaltige Entwicklungen“, die vom INEF erarbeitet wurde, und zum anderen der allgemein zunehmende Diskurs der menschenrechtlichen Regulierung wirtschaftlichen extraterritorialen Handelns als positive Signale verstanden werden. 610 Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 502 ff.; De Schutter, CHRGJ Working Paper 1 (2004), S. 8.
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B. Existenz extraterritorialer Schutzpflichten
nen oder Sachen begründet wird. Da diese extraterritorialen Kontrolltatbestände nicht der Regelfall, sondern die große Ausnahme sind, kommt den intrajurisdiktionellen Schutzpflichten nur sehr geringe Bedeutung zu. Für die dieser Arbeit zugrunde gelegten Anwendungsbeispiele sind solche Schutzpflichten also nur insoweit anwendbar, als sie die Förderung extraterritorialen wirtschaftlichen Handelns privater Akteure in einem Gebiet betreffen, das der Heimatstaat zugleich extraterritorial kontrolliert. Bedeutsamer sind dagegen diejenigen Schutzpflichten, die nicht nur extraterritorial, sondern auch extrajurisdiktionell anwendbar sind und eben nicht den seltenen Ausnahmefall der extraterritorialen Kontrolle voraussetzen. Einige Verträge fordern den unbedingten Schutz von besonders wichtigen Rechten. So verlangt die EMRK etwa den absoluten Schutz des Rechts auf Freiheit von Folter oder des Rechts auf Leben. Nur wenige Verträge, so etwa der IPwskR, haben dagegen einen gänzlich unbeschränkten Anwendungsbereich und fordern mithin den universellen Schutz der dort genannten Rechte. Diese extrajurisdiktionellen Schutzpflichten können einen Staat veranlassen, konkrete Handlungen vorzunehmen oder zu unterlassen, die dem Schutz der Menschenrechte auf fremdem Territorium dienen. Das Völkergewohnheitsrecht enthält dagegen fast nur Ansätze für extraterritoriale Schutzpflichten, deren Entwicklung weiterzuverfolgen ist. Zwar haben sich im Außenwirtschaftskontrollrecht oder bei der Regulierung aufenthaltsbeendender Maßnahmen konkrete gewohnheitsrechtliche extraterritoriale Schutzpflichten herausgebildet, diese beschränken sich aber nur auf die dort anerkannten Fälle und sind damit nicht verallgemeinerungsfähig. Allgemeine Rechtsgrundsätze, die den extraterritorialen Menschenrechtsschutz fordern, gibt es nicht. De lege ferenda wird sich das Völkerrecht allenfalls punktuell, nicht aber gesamtheitlich, etwa durch die Erschaffung eines allgemeingültigen extraterritorialen Menschenrechtsschutzsystems, entwickeln. Unabhängig davon, welche konkreten Menschenrechte betroffen sind, ist für die nächsten Abschnitte der Bearbeitung nur von Belang, dass zumindest auch einige Schutzpflichten einen extraterritorialen Anwendungsbereich haben. Die nun folgenden Ergebnisse sind von gleicher Bedeutung sowohl für bereits bestehende extraterritoriale Schutzpflichten als auch solche, die in Zukunft möglicherweise entstehen werden, freilich sofern sich keine spezielleren Regelungen ergeben.
C. Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten Extraterritorialer Schutz – das wurde im vorausgehenden Abschnitt ausführlich untersucht – wird vom Völkerrecht grundsätzlich gefordert. Wann aber konkrete Handlungspflichten aktiviert werden und in welcher Handlungsform gehandelt werden kann und darf, kurz: welchen Umfang die extraterritorialen Schutzpflichten haben, ist damit noch keineswegs beantwortet. Völkerrechtlich besteht, soweit wie eine Schutzpflicht räumlich reicht, zunächst nur eine Erfüllungspflicht. Diese Erfüllungspflicht kann und wird aber nicht bedingungslos bestehen, denn zum einen betreffen extraterritoriale Schutzpflichten oftmals solche Situationen, bei denen sich überschneidende Schutzverantwortungen nebeneinander bestehen und ferner können sich besondere Handlungshindernisse ergeben. Der grundsätzlichen Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs kann daher nicht entnommen werden, wann und in welchem Umfang ein Staat zu handeln hat. Im Folgenden wird ein allgemeiner Ansatz für sämtliche extraterritoriale Schutzpflichten entwickelt. Die Allgemeingültigkeit dieses Ansatzes findet ihre Rechtfertigung darin, dass nahezu alle Verträge zum konkreten Umfang von Schutzpflichten schweigen, die Entscheidungen der internationalen Menschenrechtsgremien zum Umfang von Menschenrechtspflichten weitgehend deckungsgleich und häufig wechselbezüglich sind und auch die Entwicklungen im Schrifttum sich meist abstrakt auf sämtliche Menschenrechtspflichten beziehen. Dass es für bestimmte Rechte im Ausnahmefall Sonderregeln geben kann, ist damit nicht ausgeschlossen, die allgemeinen Grundsätze gelten dann aber subsidiär auch dort.
I. Vorüberlegungen zur Konzeption der extraterritorialen Schutzpflichten Dass ein Staat trotz Eröffnung des extraterritorialen Anwendungsbereichs der Schutzpflichten nicht jeden Eingriff in menschenrechtlich geschützte Bereiche verhindern kann, stellt zu Recht die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum1 und in der Rechtsprechung2 dar. Denn auch von einem Staat kann nichts 1 Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 234, 238; Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 299; von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 24; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 174; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 167 ff.; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz,
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Unmögliches verlangt werden.3 Nichts anderes oder noch weniger kann dies bei extraterritorialen Sachverhalten gelten.4 Dies wird zugleich als zentraler Einwand gegen extraterritoriale positive Pflichten vorgebracht.5 Über den Umstand aber, dass es auch einen extraterritorial zulässigen Handlungsrahmen gibt, innerhalb dessen freilich auch die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten möglich und damit schließlich auch gefordert ist, kann nicht durch pauschalierte Argumente hinweggetäuscht werden. Die Menschenrechtspflichten fordern daneben keineswegs eine absolute Überwachung privater Verhältnisse zur Verhinderung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen.6 Ganz im Gegenteil, private Sachverhalte sind Gegenstand eigener Menschenrechte, die es gleichermaßen zu achten gilt.7 Dies gilt verstärkt gegenüber natürlichen Personen. Die Kontrolle unternehmerischer extraterritorialer Handlungen ist dagegen üblicher, führt man sich die Anzahl der extraterritorialen Gesetze in Wirtschaftssektoren, etwa im Fusionskontroll-, Kartell- oder Kriegswaffenkontrollrecht vor Augen.8 Der Ausgleich des Spannungsfeldes zwischen der Erfüllung von Unterlassungspflichten und der Erfüllung von Schutzpflichten ist ein zusätzlich zu beachtender Faktor.9 Auf die Frage, an welchen Maßstäben sich der Einzelfall zu messen hat und auf welche Weise sich ein konkretes Handlungsgebot verdichtet, kann in den S. 124 f.; Lawson, The Concept of Jurisdiction, in: Kreijen, State, S. 294. Auf eine generelle Verantwortung hindeutend: abweichende Meinung des Richters Walsh, in: EGMR, Urteil v. 25. April 1996, Gustafson vs. Schweden, S. 637 (667); ähnlich: Gibney, International Human Rights Law, S. 45. Die Afrikanische Menschenrechtskommission (AfMRK) verfolgt auch einen anderen Ansatz und stellt eine unbedingte Verpflichtung fest, Menschenrechtsverletzungen von rebellischen Gruppen zu verhindern, auch wenn dies in dem konkreten Fall nicht ohne Weiteres möglich war, vgl. AfMRK, Communication 74/92, Rn. 22; Kritik bei: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 252; Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, S. 109; Künnemann, Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 219. 2 EGMR, Entscheidung v. 28. Februar 1983, W vs. UK, S. 190 (200); EGMR, Urteil v. 28. Oktober 1998, Osman vs. UK, Rn. 116; EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldawien und Russland, Rn. 333, danach bestand zwar nach Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereiches grundsätzlich eine Schutzpflicht auf dem eigenen Territorium Moldawiens, der Umfang war hingegen deswegen eingeschränkt, weil ein andere Macht in bestimmten Teilen des Gebietes die faktische Kontrolle ausübte. 3 Auf den spezifischen Grundsatz der Unmöglichkeit wird im Folgenden noch einzugehen sein, siehe hierzu: Abschnitt C. III. 1. c). 4 So auch: Skogly/Gibney, HRQ 24 (2002), S. 781 (795). 5 Etwa: Joseph, Corporations and Transnational Human Rights Litigation, S. 12. 6 Vgl. auch: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 243. 7 So beispielhaft das Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK oder Art. 17 IPbpR. 8 Vgl. auch: Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 493, 507. 9 Von einem Konkretisierungserfordernis sprechen: Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 296; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 124 f.
II. Voraussetzungen extraterritorialer Schutzpflichten
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Verträgen keine Antwort gefunden werden. Die Untersuchung beschränkt sich daher auf im Schrifttum und in der Praxis der Menschenrechtsgremien entwickelte Grundsätze. Die Entscheidungen der Menschenrechtsgremien verdeutlichen, dass Schutzpflichten grundsätzlich fortwährend bestehen und nur durch tatsächliche oder rechtliche Aspekte beschränkt werden können. So verletzt beispielsweise das staatliche, auf Unvermögen beruhende Untätigbleiben nicht die Konvention, weil sich in einem solchen Fall kein Handlungsgebot verdichtet hat, das hätte verletzt werden können. Es bedarf der Berücksichtigung einer Reihe von Faktoren, bis eine tatsächliche Pflicht angenommen werden kann. Die bislang (unter B.) behandelte räumliche Anwendbarkeit der Schutzpflichten, sprich: die grundsätzliche Existenz extraterritorialer Schutzpflichten in einem (juristischen) Raum, ist dabei notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für die Begründung eines Handlungsgebotes; sie liefert keine Hinweise darauf, wann konkret eine Pflicht entsteht.10 Von der Beantwortung zahlreicher der Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs nachfolgender Fragen hängt es ab, ob ein Staat positiv zum Schutz extraterritorialer Menschenrechte handeln muss oder nicht. Schutzpflichten sind damit zweierlei: Einmal geben sie eine Zielrichtung vor, ein andermal sind sie konkrete Pflichten, die nach Prüfung der Voraussetzung auf Rechtsfolgenseite ein konkretes Handlungsgebot entstehen lassen. Die Schutzpflichten im weiteren Sinne, so wie sie aus den Verträgen entnommen werden können, sind dabei nur allgemeine Zielverpflichtungen, die aber nicht absolut zu verstehen sind. Schutzpflichten im engeren Sinne (auch Due-Diligence11-Pflichten oder Sorgfaltspflichten genannt) sind dagegen das sich aus dieser Programmansage ergebende Unterpflichtenprogramm, das sich im Einzelfall verdichtet hat und in seiner gesamtheitlichen Zielrichtung dem Schutz eines oder mehrerer Menschenrechte zu dienen bestimmt ist. Damit ist nicht der Menschenrechtsverletzungserfolg eine Pflichtverletzung, sondern die Nicht-Einhaltung eines bestimmten sorgfältigen Verhaltens, dass eine Menschenrechtsbeeinträchtigung verhindern oder unterbinden soll. Diese Grundkonzeption muss sämtlichen Menschenrechtspflichten und damit freilich auch den extraterritorialen Schutzpflichten zugrunde gelegt werden.
II. Voraussetzungen extraterritorialer Schutzpflichten Die Frage, wann ein Staat extraterritorial zum Schutze handeln muss, kann damit anders formuliert werden: Welchen Tatbestand setzen die extraterritorialen Schutzpflichten voraus?
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Vgl. Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 206 f. Kaleck/Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht, S. 36 f.
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Ansatzpunkte bilden die für intraterritoriale Schutzpflichten entwickelten Grundsätze. Zwar sind auch dort nicht sämtliche Voraussetzungen abschließend ergründet, jedoch soll auf diese nicht im Schwerpunkt eingegangen werden, im Vordergrund steht vielmehr die Übertragbarkeit auf extraterritoriale Schutzpflichten und etwaige besondere Voraussetzungen. 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs a) Räumlicher, sachlicher und personeller Anwendungsbereich Dass der oben dargelegte räumliche und personelle12 Schutzbereich eröffnet sein muss und dass die zu schützende Freiheit dem sachlichen Schutzbereich eines Menschenrechts zugeordnet werden kann, ist Grundvoraussetzung der Aktivierung von Schutzpflichten im Allgemeinen und ergibt keine Besonderheiten für extraterritoriale Schutzpflichten. b) „Extraterritoriale Schutzgüter“? Ob bestimmte Menschenrechte extraterritorial unanwendbar sind, wird uneinheitlich beantwortet.13 Es wird vertreten, dass nicht alle Rechte gleichermaßen „auslandstauglich“ seien, denn es müsse insbesondere den gegebenen regionalen Besonderheiten und der individuellen Leistungsfähigkeit gesondert Rechnung getragen werden.14 Grundsätzlich leuchtet diese Auffassung ein. Auch im intraterritorialen Kontext ist nicht stets die Gewährleistung eines jeden Menschenrechts möglich, ohne dass daraus zugleich eine Konventionsverletzung erwachsen sollte. Dagegen überzeugt ein pauschalierter Ausschluss bestimmter Rechte nicht. Freilich gibt es Sachverhaltskonstellationen, die symptomatisch für die Anwendung extraterritorialer Schutzpflichten sind, so etwa die Eigentumsfreiheit bei infrastrukturellen Großprojekten. Aus Regelfällen kann aber kein genereller Ausschluss folgen. Der Eingriff in bestimmte Rechte ist zwar intraterritorial durch private Akteure ausschließbar, exemplarisch etwa das Recht auf ein faires Verfahren (z. B. Art. 6 12 Vgl. etwa: Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 223 ff., die ausführlich auf die potenziell Beeinträchtigten eingeht. 13 Der EGMR verfolgt in Bankovic einen ganzheitlichen Ansatz, wonach die Rechte der EMRK nicht je nach Gegebenheit des extraterritorialen Handelns aufgeteilt und zugeschnitten werden können, sondern als „Gesamtpaket“ angewendet werden müssten, EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 75. So auch auf nationaler Ebene unter Bezugnahme auf die Bankovic-Entscheidung des EGMR: Lords Earlsferry in House of Lords, Urteil v. 13. Juni 2007, Al-Skeini vs. Secretary of State for Defence, Rn. 79. Beide begründen damit die Unanwendbarkeit der Konvention. 14 Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (53); ähnlich: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 71.
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EMRK, Art. 14 Abs. 4–7 IPbpR), denn Fairness gewähren kann nur der Staat, extraterritorial ist dies aber anders zu beurteilen: Erfolgt etwa die Auslieferung einer Person an einen Staat, in dem der Person ein unfaires Gerichtsverfahren droht, so kann dies grundsätzlich nach der analysierten Rechtsprechung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Rahmen der extraterritorialen Schutzpflichten beurteilt werden, denn (und das wird später noch zu zeigen sein15) zu dem Kreis der Gefahrenquellen gehört auch der Gast- bzw. Empfangsstaat. Ein jedes Recht kann extraterritorial auf diese oder ähnliche Weise beeinträchtigt werden. Von vornherein kann damit kein pauschalierter Ausschluss mangels Auslandstauglichkeit angenommen werden. Beeinträchtigungsfähig sind extraterritorial im Grundsatz sämtliche Menschenrechte. 2. Extraterritoriale Gefahrenlagen Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Schutzpflichten aktiviert aber noch keine konkrete Handlungspflicht, denn der Anwendungsbereich setzt nur die grundsätzlichen Eckpfeiler für eine Anwendbarkeit der Menschenrechtspflichten. Erforderlich ist vielmehr, dass eine hinreichende Gefahrenlage vorliegt. Dies setzt voraus, dass es sich um eine schutzpflichtenaktivierende Gefahrenquelle handelt und dass sich die Gefahr hinreichend konkretisiert hat. Gehört die Störungsursache schon dogmatisch nicht zu den für Schutzpflichten bedeutsamen Gefahrenquellen16 oder besteht schlicht keine hinreichende Gefahrenkonkretisierung, so wird ein positives Handeln jedenfalls im Rahmen der Schutzpflichten auch nicht gefordert sein können.17 Dies gilt intra- sowie extraterritorial. a) Mögliche Gefahrenquellen im extraterritorialen Kontext Gefahrenquellen, das bedeutet: der Ursprung der Gefahr, dürfen in Abgrenzung zu der Achtungsdimension nicht vom Staat selbst ausgehen oder diesem zurechenbar sein, mit anderen Worten: nicht heimatstaatliche Ursachen haben, denn andernfalls würde im Rahmen der Achtungsdimension eine schlichte Unterlassungspflicht bestehen. aa) Personelle und nicht-personelle Gefahrenquellen Private Akteure sind im Rahmen der Schutzdimension die klassischen Gefahrenurheber. Der Eingriff durch diese ist gewissermaßen die Grundkonstellation 15
Abschnitt C. II. 2. a) bb). Wäre die Störungsquelle etwa vom Verpflichtungsadressaten selbst ausgehend oder diesem zurechenbar, so müssen diese Fälle dogmatisch den Achtungspflichten zugeordnet werden, deren Besonderheiten sodann zu berücksichtigen wären. 17 Eine andere – aber hier nicht zu beantwortende – Frage ist, ob positives Handeln im Rahmen der Leistungsdimension erforderlich sein wird. 16
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der Schutzpflichten. Dabei ergibt es keinen Unterschied, ob es sich um einzelne natürliche oder juristische Personen handelt und welche Staatsan- oder -zugehörigkeit sie haben.18 Schwieriger ist die Beurteilung, ob auch nicht-menschliche Gefahrenursachen, wie etwa Naturkatastrophen und übertragbare Krankheiten, dogmatisch den Schutzpflichten zuzuordnen sind. Eindeutige Entscheidungen der internationalen Menschenrechtsgremien dazu gibt es nicht. Im Einzelfall wurde etwa aus der (intraterritorialen) Gefahr von übertragbaren Krankheiten die positive Pflicht zur Impfung hergeleitet,19 ohne dass deutlich wurde, welcher Pflichtendimension dies zuzuordnen ist. Solche nicht-menschlichen Gefahrenursachen erfordern eine genaue Abgrenzung zur Leistungsdimension, denn diese dritte Kategorie der Menschenrechtspflichten ist grundsätzlich darauf ausgerichtet, den Staat aufgrund einer schlechten Situation zu einer „Verbesserung“ zu bewegen. Dogmatisch können solche Sachverhalte daher nicht von Schutzpflichten umfasst sein. Einige ordnen die nicht-menschlichen Gefahrenquellen pauschal den Leistungspflichten zu, denn Naturkatastrophen oder Krankheiten seien solche, die typischerweise eine Verbesserung erforderten.20 Diese Annahme ist grundsätzlich für den menschenrechtlichen Regelfall der intraterritorialen Staatenpflichten richtig, im extraterritorialen Zusammenhang muss dagegen differenziert werden. Der Umstand allein, dass die intraterritorialen Pflichten des einen Staates in Fällen der gesundheitlichen Unterversorgung eher der Leistungsdimension zuzuordnen sind, schließt es nämlich nicht aus, dass die dortige Situation für den anderen Staat extraterritoriale Schutzpflichten betreffen kann. Handhabbares Abgrenzungskriterium zwischen Schutz- und Leistungspflicht ist demzufolge die aus relativer Sicht vorzunehmende Kontrollüberlegung, ob die Vornahme der Handlung den Zustand verbessern oder vor einer Verschlechterung schützen bzw. den status quo beibehalten soll.21 Ein Anwendungsbeispiel soll diesen Fall erläutern: Soll ein an Aids erkrankter Mensch im fortgeschrittenen Stadium in ein Land abgeschoben werden, dass eine unzureichende Gesundheitsversorgung vorsieht, und wird sich dadurch sein Gesundheitszustand mit Sicherheit verschlechtern, so obliegt dem Heimatstaat nach Rechtsprechung des EGMR die Pflicht, eine Aufenthaltsbeendigung zu unterlas18 Die Staatsangehörigkeit wird nur dann bedeutsam, wenn es auf sie ankommt. Also etwa bei der Frage, ob auch extraterritoriale Jurisdiktion über eine Person geübt werden darf, siehe dazu: Abschnitt C. III. 2. b) (2). 19 EKMR, Association X v. UK, DR 41, 31. 20 So wird es für die grundrechtliche Schutzdimension des Deutschen Grundgesetzes vertreten, vgl. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 124; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 102 ff. Dagegen: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 155. 21 So auch: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 156.
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sen.22 Diese Pflicht aber stellt eine extraterritoriale Schutzpflicht dar, die sich aus dem Recht auf Leben, Gesundheit und ggf. dem Recht auf Freiheit von unmenschlicher Behandlung23 (in diesem Fall durch Unterlassen) ergibt. Denn aus Sicht des Heimatstaates sinkt das Gesundheitsniveau für den Fall, dass der Aufenthalt beendet wird, und unterliegt aus diesem Grund der Schutzpflichtendimension; dieses Ergebnis ändert für den Empfangsstaat dagegen nichts daran, dass seine Pflicht im Rahmen der Leistungsdimension darin besteht, das gesundheitliche Niveau und damit den status quo zu verbessern. Die Beurteilung der Gefahrenquelle ist daher relativ und variabel aus Sicht des in Frage stehenden Verpflichtungsadressaten bzw. Aufenthaltsstaates vorzunehmen. Die Nicht-Menschlichkeit der Gefahrenquelle schließt es für den Heimatstaat nicht pauschal aus, diese Fälle dogmatisch den Schutzpflichten zuzuordnen. bb) Gaststaat als Gefahrenurheber Die Frage, ob die eigentliche extraterritoriale Gefahrenquelle bereits in dem gaststaatlichen Unterlassen von Schutzmaßnahmen gesehen werden kann, ist eine eher theoretische Überlegung. Eine solche Beurteilung könnte aber zur Folge haben, dass ein Konflikt auf zwischenstaatlicher Ebene auszutragen ist und eventuell hier geltende Faktoren gesondert zu berücksichtigen sind.24 Gegen eine solche Beurteilung spricht, dass nach der bereits dargelegten Konzeption der Schutzpflichten bei der Frage nach der Gefahrenquelle eine tatsächliche und nicht eine rechtliche Beurteilung vorzunehmen ist. Gefahrenurheber ist derjenige, der faktisch die menschenrechtlich geschützte Freiheit beeinträchtigt, nicht wer normativ eine Pflicht verletzt. Beeinträchtigt ein privater Akteur auf fremdem Territorium damit etwa das Recht auf Leben eines anderen Individuums, so stellt dies die in Frage stehende Gefahrenquelle dar, nicht die damit etwaig durch den Gaststaat mitverwirklichte Verletzung der Pflichten aus z. B. Art. 6 IPbpR. Staatliches Unterlassen ist damit keine eigene Gefahrenquelle. Die dagegen praktisch sehr relevante Frage, ob gaststaatliches positives Tun als Gefahrenquelle (aus Sicht des Heimatstaates) im Rahmen der extraterritorialen Schutzpflichten des Heimatstaates qualifiziert werden kann, muss davon unterschieden werden. Problematisch ist, dass die Grundform der Schutzpflichten gerade nicht-staatliches menschenrechtswidriges Handeln erfordert. In der bereits behandelten Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung wurde dagegen ursprüng22 Dazu eine der wenigen Entscheidungen: EGMR, Urteil v. 2. Mai 1997 D vs. UK, Rn. 54. Bemerkenswerterweise spricht der EGMR an dieser Stelle selbst von einem sehr ungewöhnlichen Fall. 23 So: EGMR, Urteil v. 2. Mai 1997 D vs. UK, Rn. 54. 24 In einem solchen Fall wäre dann insbesondere das Interventionsverbot zu berücksichtigen.
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lich nur rein staatliches Handeln als menschenrechtsbedrohend angesehen und mithin die Frage implizit beantwortet. Die Soering-Entscheidung des EGMR identifizierte als Gefahrenurheber die USA. Ganz konkret wurde eine Bedrohung des Rechts auf Freiheit von unmenschlicher Behandlung durch das Todeszellensyndrom angesehen. Urheber der dieses Syndrom auslösenden Bedingungen ist die staatlich veranlasste und staatlich durchgeführte Inhaftierung und Inaussichtstellung der Todesstrafe. In einem solchen Fall ist der Gefahrenurheber ausschließlich der Empfangsstaat. Damit kann auch das fremdstaatliche Verhalten Gefahrenquelle im Sinne extraterritorialer Schutzpflichten sein.25 Die Relativität der Beurteilung einer Gefahrenquelle wird damit auch an diesem Beispiel deutlich.26 Für den Heimatstaat ist es bei dieser isoliert auf Tatbestandsebene zu betrachtenden Frage gleichgültig, von wem die Gefahr ausgeht, dogmatisch erforderlich ist alleine, dass sie keinen heimatstaatlichen Ursprung hat. b) Hinreichende Gefahrenkonkretisierung aa) Bestimmung des Gefahrenniveaus Neben der Identifikation einer schutzpflichtenrelevanten Gefahrenquelle ist es für die Aktivierung von konkreten Handlungspflichten grundlegend von Bedeutung, dass eine hinreichende Gefahrenkonkretisierung erfolgt ist; mit anderen Worten: ein „pflichtenaktivierendes Gefahrenniveau“ erreicht wurde. Dass dies erforderlich ist, ist unumstritten.27 Unklar und umstritten ist dagegen, wann ein solches Gefahrenniveau erreicht sein soll. Einig ist man sich, dass im Falle einer Gefährdung, die so konkret ist, dass der ungehinderte Geschehensablauf unmittelbar in einen Schaden mündet, eine sofortige Handlungspflicht entsteht.28 Dies muss freilich umso mehr bei einer gegenwärtigen Beeinträchtigung gelten.29
25 Eine davon losgelöst und auf Rechtsfolgenseite zu berücksichtigende Frage ist, ob der Erfüllung der Schutzpflichten bei fremdstaatlichen Gefahrenquellen die Grenzen der empfangsstaatlichen Souveränität und ggf. des Verbots der Intervention entgegenstehen, siehe: Abschnitt C. III. 2. Für die Analyse der Gefahrenquelle ist diese Frage aber unerheblich. Dazu auch: Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 228. 26 So auch im Zusammenhang mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 257 ff. 27 Vgl. Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 76 ff.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 232, nimmt an, dass es auf die spezifischen Verhältnisse der Komponenten des Dreiecksverhältnis zueinander ankommt, ohne diese aber genauer zu erläutern. 28 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 165; dazu: Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 236. 29 Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 234, m.w. N.
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Problematisch ist der diesen Situationen vorgelagerte Raum: der risikolose Nullzustand bis hin zu einer konkret drohenden Gefährdung. Ist dieser räumlichzeitliche Bereich schwer fassbar, so bildet er doch angesichts des Charakters der Schutzpflichten als umfassende Präventionspflichten den Anwendungsschwerpunkt. Eine sehr enge Auffassung will eine solche Gefahrenkonkretisierung mit Verweis vor allem auf die Osman-Rechtsprechung des EGMR pauschal nur mit der dort verwendeten Formel des „real and immediate risk“ begründen.30 Das Risiko soll dann „real“ sein, wenn objektive Hinweise für die Gefährdung vorliegen.31 Dies wird innerhalb der Auffassung jedoch zutreffend dahingehend differenziert, dass ein solcher Maßstab sicherlich für exekutive Schutzmaßnahmen gilt32, dagegen nicht etwa für legislatives Handeln gelten kann.33 Die Legislative ist einerseits in ihrem Handlungsspielraum zeitlichen Verzögerungen unterworfen und andererseits in der Lage, zu früheren Zeitpunkten Gefahren vorbeugend zu begegnen. Das Vorliegen eines realen und unmittelbaren Risikos ist schließlich nur der allerletzte Verkünder einer Gefahr und Begründungstatbestand eines unmittelbaren (dann regelmäßig exekutiven34) Handlungsbedarfs. Die vorgelagerte Pflicht, eine solche Situation gar nicht erst entstehen zu lassen, muss von den Schutzpflichten naturgemäß mit umfasst sein. Für diejenigen Organe, die innerstaatlich Umfang und Reichweite der faktisch handelnden Organe bestimmen (regelmäßig die Legislative) und grundsätzlich ein Verhalten vorschreiben und mit Sanktionen belegen können35, müssen andere Maßstäbe gefunden werden. Gerade diese staatliche Handlungsform hat angesichts der beschränkten Fähigkeit, auf fremdem Territorium physischen Schutz üben zu können, besondere Bedeutung für extraterritoriale Schutzpflichten. Vereinzelt wird vertreten, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz legislative Handlungspflichten hinreichend bestimmen könne.36 Dagegen spricht aber, dass 30 Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, S. 289. Der EGMR löst dies in ständiger Rechtsprechung mit dem Erfordernis des „real and immediate risk“, EGMR, Urteil v. 28. Oktober 1998, Osman vs. UK, Rn. 116; vgl. auch: EGMR, Urteil v. 23. November 1999, Bromiley vs. UK; EGMR, Urteil v. 30. November 2004, Öneryildiz vs. Turkey, Rn. 101; zuletzt: EGMR, Urteil v. 8. April 2010, Abdurashidova vs. Russia, Rn. 74. 31 Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 238. 32 Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 297. 33 Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 296 ff. 34 Dies ist aber nicht ausschließlich zu verstehen, denn es ist vorstellbar, dass etwa im Hinblick auf den Eigentumsschutz auch eine reale und unmittelbare Gefahr vorliegt, die durch sofortiges legislatives Handeln beseitigt werden kann. 35 Die Einschränkungen im extraterritorialen Kontext werden später noch erläutert, siehe: Abschnitt C. III. 2. b). 36 Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 308, 309 ff.
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dieser Grundsatz auf Rechtsfolgenseite als Schranke anzusiedeln ist und daher das grundsätzliche nach Vorliegen der Voraussetzungen entstandene Handlungsgebot nur beschränken, nicht aber an erster Stelle umschreiben kann. Die Schwelle, ab der legislatives Handeln geboten ist, kann sich aufgrund der flexiblen und dem Wandel der Zeit unterlegenen Sachverhaltskonstellationen sowie der unterschiedlichen Wertigkeit der Menschenrechte und der potenziellen Gefahren letztlich nur aus dem Einzelfall ergeben.37 Dabei kann, so sieht es auch die überwiegende Auffassung im Schrifttum38, als einzige Leitlinie vorgegeben werden, dass eine Gesamtschau vorzunehmen ist, die die Bedeutung des Rechtsguts und Art und Umfang des drohenden Schadens berücksichtigt. Dem zustimmend, aber eingrenzend verlangt eine Auffassung zusätzlich die Begründung einer – zeitlich zu verstehenden – Bedrohungsnähe.39 Fordert eine bestimmte Gefahr aber die Vornahme von Schutzmaßnahmen, die nicht innerhalb kürzester Zeit zu bewältigen sind – man denke an komplexe digitale oder industrielle Schutzvorkehrungen, beispielsweise Fortbildungspflichten für bestimmte gefährdungsnahe Berufe oder Risikoanalysen für Atomanlagen –, so lässt sich dieses Kriterium nicht ausnahmslos annehmen. Ist der potenzielle Schadensumfang so groß, dass etwa die Existenz der gesamten Bevölkerung beeinträchtigt werden kann, so muss die Vornahme von Schutzvorkehrungen auch bei einem geringeren Risikograd erfolgen. Es ist hier vielmehr der weitgehenden Ansicht zu folgen, die eine Aktivierung der Schutzpflichten grundsätzlich bereits dann annimmt, wenn auch nur eine entfernte Wahrscheinlichkeit oder gar die bloße theoretische Möglichkeit einer Schädigung besteht.40 Dass das Handlungsgebot dann auf Rechtsfolgenseite von dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Grundsatz der Unmöglichkeit überformt wird, darf dabei freilich nicht vergessen werden. Bedenken aufgrund eines zu weitläufigen Anwendungsspektrums wird damit hinlänglich begegnet.41
37 Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 307; auch: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 174; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 165, 173 f. 38 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 173; Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 239, m.w. N. der Rechtsprechung. So auch das BVerfG zu den grundrechtlichen Schutzpflichten: BVerfGE 39, 89 (142) – Kalkar; BVerfGE 56, 54 (78). 39 Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 238. 40 So für das deutsche Verfassungsrecht: Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, S. 115. 41 Auch der Ausschluss von Bagatellfällen oder geringfügigen Schadensrisiken (Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 166) lässt sich pauschal bei der Frage eines pflichtenaktivierenden Gefahrenniveaus nicht annehmen (so wohl auch: Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 235). Denn auch diese sind einzelfallabhängig und werden allenfalls auf Rechtsfolgenseite auf Verhältnismäßigkeit zu prüfen sein, siehe: Abschnitt C. III. 1. b).
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bb) Besonderheiten aufgrund der Extraterritorialität Für extraterritoriale Schutzpflichten müssen ferner zwei besondere Faktoren berücksichtigt werden. Zunächst muss in die Beurteilung der Gefahrenkonkretisierung mit einbezogen werden, dass eine spätere physische Schutzmaßnahme regelmäßig unmöglich ist. Die Effektivität des Menschenrechtsschutzes fordert es, dass der Gefahr, auch wenn sie entfernt liegen mag, weit vorausschauend begegnet wird. Hat ein Staat Kenntnis von dem menschenrechtlichen Gefährdungsrisiko eines bestimmten Auslandsvorhabens von privaten Akteuren, so kann er nicht warten, bis sich ein „reales Risiko“ verwirklicht, sondern muss vorgreifend agieren. Die Gefährdungswahrscheinlichkeit muss für extraterritoriale Schutzpflichten mithin gedehnter sein, denn der Handlungsspielraum ist geringer. Der zweite besondere Faktor für extraterritoriale Schutzpflichten beschränkt die Weitläufigkeit des ersten Faktors: In die Prognose, ob eine Gefahr sich wahrscheinlich verwirklichen wird oder nicht, ist mit einzubeziehen, mit welcher Wahrscheinlichkeit andere Schutzmöglichkeiten bestehen. Mit anderen Worten: Ist der Staat, auf dessen Territorium die menschenrechtswidrige Situation entsteht, willens und in der Lage, selbst Schutz zu üben, so modifiziert dies die Gefahrenkonkretisierung und folglich das Entstehen eines pflichtenaktivierenden Gefahrenniveaus für den Heimatstaat, denn die Wahrscheinlichkeit einer Gefahrenrealisierung wird mit alternativen Schutzmöglichkeit gemindert. Die so modifizierte Analyse eines Gefahrenniveaus für extraterritoriale Schutzpflichten trägt also der Problematik einer zu ausufernden Schutzverantwortung Rechnung und entkräftet die pauschalen Argumente der Gegner von extraterritorialen Schutzpflichten auf dieser Ebene. cc) Zwischenergebnis Das Gefahrenniveau ist für die Schutzpflichten also nur im Einzelfall ermittelbar. Der Staat hat eine grundsätzliche Pflicht, auch Risiken zu erkennen und bei bereits geringfügigen Gefährdungen aktiv zu handeln. Ist die Gefahr hingegen konkretisiert und liegt ein reales und unmittelbares Risiko vor, so entsteht eine sofortige Handlungspflicht. Besondere Bedeutung erlangt die Möglichkeit von alternativen Schutzmaßnahmen derjenigen Staaten, auf deren Territorium die Menschenrechtsbeeinträchtigung droht. Dieser die Gefahrenverwirklichungsanalyse modifizierende Faktor trägt einer möglichen Ausuferung der extraterritorialen Schutzverantwortung von Heimatstaaten auf dieser Stufe Rechnung.
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3. Besondere Voraussetzung für extraterritoriale Schutzpflichten a) Notwendigkeit einer besonderen Voraussetzung Die Erkenntnis, dass keine allumfassende Schutzverantwortung eines jeden Verpflichtungsadressaten für sämtliche extraterritoriale Gefahrenlagen begründet werden kann, obwohl der Anwendungsbereich für einige Menschenrechte unbeschränkt eröffnet ist,42 enthält die Feststellung, dass es für extraterritoriale Schutzpflichten weiterer zu bestimmender Kriterien bedarf, die ein konkretes Handlungsgebot für einen bestimmten Staat verdichten. Die bloße Eröffnung des Anwendungsbereichs und die bloße Feststellung der Gefahrenlage genügen für die Aktivierung extraterritorialer Schutzpflichten noch nicht, denn hinreichend konkrete Gefahren für menschenrechtlich geschützte Freiheiten gibt es auf globaler Ebene in unzähligem Maße. Der später noch zu erläuternde Grundsatz der Unmöglichkeit43, der auf Rechtsfolgenseite den äußeren Rahmen eines bereits verdichteten Handlungsgebotes darstellt, vermag dieser Problematik nur geringfügig Rechnung zu tragen,44 denn etwa die politische Einflussnahmemöglichkeit als denkbarer Erfüllungsmodus für extraterritoriale Schutzpflichten ist grundsätzlich unbeschränkt. Auch der Aktionsradius eigener Staatsangehöriger, über deren Zügelung am ehesten nachgedacht werden könnte, ist global so gut wie grenzenlos. Intraterritoriale Schutzpflichten weisen daneben eine ganz andere Begründungsstruktur auf: Muss intraterritorial gewährleistet werden, dass ein effektives Schutz- und Sanktionssystem gegen territoriale Menschenrechtsbeeinträchtigungen zur Verfügung steht, das auch in der Lage ist, im gegebenen Fall konkret Gewalt gegen einen Störer zu üben, so ist dies mit dem Ausübungsverzicht des Bürgers auf seine Eigenmacht begründet.45 Die Begründung der allgemeinen (intraterritorialen) Schutzverantwortung des Staates entsteht hier kraft nicht weiter zu begründender Inhaberschaft der Territorialgewalt über die Gefahrenquellen und die zu schützenden Menschen.46 Das Handlungsgebot verdichtet sich in diesem Fall schlichtweg dadurch, dass ein bestimmtes Gefahrenniveau erreicht
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Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 509. Abschnitt C. III. 1. c). 44 So vertritt es aber: Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/Torstensen/ Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 94, mit Verweis auf General Comments des CESCR. 45 Auf den Fall der EMRK bezogen: Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 228; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 93. 46 So versteht es auch: Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 305, die diesen Gedanken aus EGMR, Urteil v. 13. August 1981, Young, James und Webster vs. UK, Rn. 49, ableitet. 43
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ist.47 Das Erklärungsmodell des Austauschverhältnisses zwischen Bürger und paternalistischem Staat kann extraterritorial angesichts der unterschiedlichen Gewalten, denen sich das Individuum ausgesetzt sieht, nicht – zumindest nicht immer – verantwortungsbegründend sein, denn wenn der Heimatstaat des Störers extraterritorialen Schutz übt, ist dies grundsätzlich nicht Korrelat einer abgegebenen Eigenmacht des fremden Staatsangehörigen. Die zu schützenden Personen sind regelmäßig der extraterritorial handelnden Gewalt nicht faktisch unterworfen, denn es ist nicht der Regelfall, dass der Staat auch extraterritorial physisch „vor Ort“ ist. Die Beurteilung, wann ein Staat konkret extraterritorialen Schutz bieten muss, erfordert stets die Abgrenzung zweier staatlicher Verantwortungssphären. Dies ist die grundlegende Unterscheidung zwischen intra- und extraterritorialen Sachverhalten. Wie sich aber die Handlungs-Verantwortlichkeit bei zwei sich so überlappenden Herrschaftsbereichen verhält, ist ungeklärt, denn extraterritoriale Schutzpflichten sind bislang wenig anerkannt.48 Die Grauzone der Beziehung zwischen dem grundsätzlich auch extraterritorial geltenden Schutzauftrag der Staaten und den extraterritorialen Gefährdungslagen erfordert mithin die Erfüllung einer zusätzlichen Voraussetzung. b) Andeutungen im Schrifttum Mangels Entscheidungen der internationalen Menschenrechtsgremien kann nur auf die ohnehin geringfügigen Andeutungen im Schrifttum zurückgegriffen werden. Dort werden, wie erwähnt, extraterritoriale Schutzpflichten selten diskutiert, dennoch wird auch dort versucht, der grundsätzlichen Problematik eines zu weitläufigen Anwendungsspektrums der extraterritorialen Pflichten insgesamt anhand eingrenzender Kriterien zu begegnen. Diese Andeutungen sollen im Folgenden auf ihre Brauchbarkeit untersucht werden. aa) Das Kriterium einer unmittelbaren Kausalverknüpfung Ein Ansatz49 sieht eine staatliche Schutzverantwortung immer dann als begründet an, wenn ein sog. „direct and immediate link“ zwischen staatlichem Ver47 Vgl. bezogen auf das deutsche Verfassungsrecht: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 109 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 76 ff. 48 Dies bemängelt auch: von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 24. 49 So vertreten von: Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 104 ff., und von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 67. Sie beziehen dies zwar zunächst nur auf die Begründung der Jurisdiktion im Rahmen der EMRK, dennoch scheinen sie damit eine besondere Voraussetzung für extraterritoriale Staatenpflichten begründen zu wollen, wenngleich sie nach dieser Auffassung an anderer Stelle verortet
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halten und dem Eintritt eines Verletzungserfolges besteht, mithin wenn eine unmittelbare Kausalverknüpfung vorliegt.50 Insoweit könnte man dem Ansatz auch die Begründung eines „menschenrechtlichen Verursacherprinzips“ entnehmen. Gemeint ist damit nicht eine haftungsbegründende Kausalität zwischen dem Unterlassen von Präventionsmaßnahmen und dem Verletzungserfolg51, sondern dem vorgelagert: die positive Setzung einer Ursache für den späteren Verletzungserfolg. Konsequenz dieser Voraussetzung wäre, dass sämtliches der privaten Menschenrechtsbeeinträchtigung vorangegangenes staatliches Verhalten, das einen bloßen Ursachenbeitrag geleistet hat, eine konkrete Schutzverantwortung auslösen könnte. Ein bloßes Kausalitätskriterium als Begründungstatbestand für eine extraterritoriale Schutzverantwortung ist allerdings bedenklich, denn es vermag den Anwendungsbereich nicht hinreichend einzuschränken. Sollte der reine Ursachenbeitrag genügen, so entstünde etwa bereits dann eine Schutzverantwortung, wenn der Staat einem, später die Menschenrechte beeinträchtigenden, Staatsbürger einen Reisepass ausstellt, denn damit wird ein Ursachenbeitrag zur Ausreise geleistet. Zwar würde selten eine Unmittelbarkeit der Verknüpfung vorliegen, diese Lösung überzeugt aber auch aus anderen Gründen nicht: Es ist zweifelhaft, ob insbesondere diejenigen Fälle umfasst werden sollten, bei denen der Staat keinen Ursachenbeitrag leistet. Einen Ursachenbeitrag leistet der Staat nämlich dann nicht, wenn ein privates Unternehmen gesundheitsgefährdende Emissionen verursacht, die auch extraterritoriale, etwa grenznahe, Personen betreffen. Die Aktivierung extraterritorialer Schutzpflichten wäre in einem solchen Fall zwar evident und wünschenswert, aber kann mangels positiver Ursachensetzung nach dieser Lösung nicht erfolgen.52 Das Erfordernis eines „direct and immediate link“ vermag daher nicht den Anwendungsbereich befriedigend zu bestimmen, denn einerseits liefert es zu weitwurde. In ähnliche Richtung weist: Vandenhole, EU and Development, in: Salomon/ Torstensen/Vandenhole, Casting the Net Wider, S. 90. Er gesteht aber ein, dass die Kausalverknüpfung zu weitläufig und deshalb der Verknüpfungsgrad nur dann gegeben ist, wenn eine heimatstaatliche Beeinflussung der extraterritorialen Situation mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgt. 50 Dieser Verknüpfungsgedanke klingt auch beim EGMR, Urteil v. 21. November 2001, Al-Adsani vs. UK, Rn. 39 f., mit, denn dort wurde in Abgrenzung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eine hinreichende Kausalverknüpfung zu der Folter in Kuwait und der (Schutz-)Pflicht in Form der Gewährung von Schadensersatz in England verneint und entscheidend aus diesem Grunde abgelehnt. 51 In diesem Zusammenhang verwendet es regelmäßig der EGMR. Vgl. grundlegend: EGMR, Urteil v. 24. Februar 1998, Botta vs. Italy, Rn. 34; zuletzt: EGMR, Urteil v. 25. August 2009, Giuliani and Gaggio vs. Italy, Rn. 239. 52 Hinweggedacht sei in einem solchen Fall die oftmals erforderliche Genehmigung für Emissionen, die freilich einen Kausalitätstatbestand in Form des Erlaubens begründen könnte. Es ist dagegen aber denkbar, dass ein grundsätzlich nicht genehmigungspflichtiges Vorhaben später zu menschenrechtswidrigen extraterritorialen Zuständen führt. Dann mangelt es an einer Kausalität.
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gehende Ergebnisse53 und andererseits kann es bestimmte regelungsbedürftige Fälle nicht umfassen. bb) Das Kriterium der Ermöglichung einer menschenrechtsbedrohenden Situation Eine andere Auffassung analysiert die Rechtsprechung des EGMR zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen und kommt (auch wenn sie dem EGMR nicht zustimmt) zu dem Ergebnis, dass die dort entwickelten Maßstäbe für sämtliche strukturell ähnlich gelagerten Fälle angewendet werden müssten.54 Das Kriterium der Ermöglichung einer extraterritorialen Menschenrechtsbeeinträchtigung sei dabei das besondere Tatbestandsmerkmal, das eine Schutzverantwortung bzw. positives Tätigwerden nach der Rechtsprechung des EGMR auslösen könne. Werde etwa ein anderer Staat durch diesen Ermöglichungstatbestand zu einer Menschenrechtsbeeinträchtigung veranlasst, so verletze der ermöglichende Staat seine Schutzpflicht. Die Ermöglichung einer Menschenrechtsbeeinträchtigung ist gewiss ein Gedanke, der in der Rechtsprechung nachklingt; wird er aber verallgemeinert, so kann er – ähnlich wie der vorstehend erläuterte Ansatz – einerseits einige Fälle nicht umfassen und andererseits zu umfangreich sein, so dass auch hier etwa das bloße Ausstellen eines Reisepasses die Ausreise eines menschenrechtsbedrohenden Individuums ermöglicht. Es erschiene befremdlich, hier eine Schutzverantwortung bei der bloßen Grenzüberschreitung eigener Staatsangehöriger anzunehmen. Die zu regelnden Fälle der grenzüberschreitenden Emission würden ferner auch hier nur dann umfasst sein können, wenn man etwa die Bereitstellung des Territoriums für das emittierende Unternehmen als Ermöglichungstatbestand interpretiert. Diese Interpretation stößt allerdings auf Bedenken, impliziert die Ermöglichung doch ein „Mehr“ als den staatlichen Nullzustand. Nutzt ein privater Akteur aber sein Territorium in der Form, dass es zu menschenrechtswidrigen Emissionen führt, so kann schwerlich von einem staatlichen Ermöglichen ausgegangen werden. Dieser Ansatz ist mithin abzulehnen. cc) Das Kriterium der Kenntnis von extraterritorialem menschenrechtswidrigem Verhalten eigener Staatsangehöriger Es wird vertreten, dass die Kenntnis einer extraterritorialen Menschenrechtsbedrohung durch eigene Staatsangehörige die Pflicht zum positiv schützenden 53 Im Grunde handelt es sich dabei um das gleiche Argument, das Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 122, gegen die Begründung der Verantwortlichkeit eines Staates bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit der Kausalität vorbringt. 54 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 132 ff.
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Tätigwerden des Heimatstaates begründet.55 Argumentiert wird, dass die Kenntnis eines solchen Verhaltens nur eine Stufe unter der, völkerrechtlich grundsätzlich zurechenbaren (beabsichtigten), Kontrolle privater Akteure stehe und mithin nicht gänzlich verantwortungsfrei sein dürfe.56 Weiß der Heimatstaat oder hätte der Heimatstaat wissen müssen57, dass die eigenen Staatsan- oder -zugehörigen extraterritorial Menschenrechte gefährden oder beeinträchtigen, so soll er seine Menschenrechtspflichten verletzen, wenn er nicht das unternimmt, was ihm zum Schutz der gefährdeten Personen möglich ist. Die Begrenzung auf das Verhalten Staatsangehöriger soll nach dieser Auffassung der beschränkten Fähigkeit, extraterritoriale Jurisdiktion üben zu können, Rechnung tragen. Auch dieser Ansatz kann für extraterritoriale Schutzpflichten nicht generalisierbar sein, denn er umfasst vor allem nicht diejenigen Fälle, die als einzige anerkannt sind: die extraterritorialen Schutzpflichten im Rahmen der Aufenthaltsbeendigung. Erfolgt die Aufenthaltsbeendigung eines fremden Staatsangehörigen58 trotz Kenntnis der menschenrechtsgefährdenden Situation im Empfangsstaat, so bestünde nach diesem Ansatz keine Schutzverantwortung des aufenthaltsbeendenden Staates, denn die Gefahrenquelle geht schließlich nicht von eigenen, sondern fremden Staatsangehörigen aus. Ferner würde dieser Ansatz auch dann eine Schutzverantwortung annehmen, wenn ein eigener Staatsangehöriger ausreist und sodann extraterritorial Menschenrechte beeinträchtigt, wovon der Heimatstaat erst nach Ausreise Kenntnis erlangt, ohne dass dies voraussehbar, geschweige denn beeinflussbar war. Zugespitzt müsste dieser Ansatz auch all jene Fälle umfassen, in denen sich eigene Staatsangehörige lange Zeit extraterritorial aufhalten und sodann aus freien Stücken Menschenrechte beeinträchtigen. Dies aber hat einen zu weitläufigen Anwendungsbereich. Der Ansatz betrifft zwar eine grundsätzlich erwägenswerte Fallgruppe für extraterritoriale Schutzpflichten, nämlich die Zügelung eigener Staatsangehöriger im Ausland. Dennoch vermag er aufgrund seiner Weitläufigkeit kein geeignetes Kriterium herauszustellen. 55 Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 493 f., 504 f., 508 f.; auch: Sornarajah, The International Law on Foreign Investment, S. 196 ff. Nur auf Kenntnis wird oftmals bei intraterritorialen Sachverhalten abgestellt, etwa von: Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 126. In ähnliche Richtung weist auch: Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 124, wenn er davon spricht, dass die Verantwortlichkeit bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen allenfalls durch Wissen und Wollen begründet werden kann. Auch: Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 36, 52, stellt auf die Kenntnis der Gefahr (dort: Waffenexport) ab. 56 Sornarajah, The International Law on Foreign Investment, S. 197. 57 Zu der Unterscheidung von tatsächlichem und normativem Unterlassen: Wolf, ZaöRV 45 (1985), S. 232 (234 ff.). 58 So lag es auch im Fall: EGMR, Urteil v. 7. Juli 1989, Soering vs. UK, denn der Beschwerdeführer hatte die deutsche Staatsangehörigkeit.
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c) Eigener Ansatz: Eine Garantenstellungslösung für extraterritoriale Schutzpflichten Die dargelegten Ansätze im Schrifttum vermögen es nicht, zumindest nicht einzeln und für sich, eine besondere Voraussetzung überzeugend herzuleiten, die für extraterritoriale Schutzpflichten gesamtheitlich gelten könnte. Es müssen daher andere Maßstäbe gefunden werden, die einerseits dem praktischen Bedürfnis der Eingrenzung des Anwendungsspektrums der extraterritorialen Schutzpflichten und andererseits der wünschenswerten menschenrechtlichen Überformung moderner Gefahrenlagen Rechnung tragen können. aa) Vorüberlegungen Ein einzelnes rigides Kriterium, wie etwa die bloße Kausalverknüpfung, kann den vielfältigen denkbaren Anwendungsfällen der extraterritorialen Schutzpflichten nicht genügen. Ein Blick auf den Charakter der extraterritorialen Schutzpflichten gibt Aufschluss über die Anforderungen, die an eine besondere Voraussetzung zu stellen sind. Wie zu Beginn erläutert, sind die extraterritorialen Schutzpflichten nicht als isolierte Systeme, sondern als Strukturelemente eines Menschenrechtssystems zu verstehen, die sich der Zielverpflichtung annähern sollen, jedes staatliche Verhalten menschenrechtskonform auszurichten. Die extraterritorialen Schutzpflichten sollen den Verpflichtungsadressaten daher auch nicht etwa einen globalen Sicherheitsauftrag auferlegen, sondern komplementär Lücken füllen, die durch moderne Gegebenheiten entstanden sind. Da sich diese Lücken aber an unterschiedlichen Ansatzpunkten auftun, ist es besonders schwierig, eine einzelne Voraussetzung für sämtliche denkbare Anwendungsfälle zu schaffen. Zentraler Ausgangspunkt muss zusätzlich stets eine Verknüpfung zum Verpflichtungsadressaten selbst sein, denn schwerlich ließe sich eine völlig zusammenhangslose globale Schutzverantwortung begründen, geschweige denn realisieren. Diese Verknüpfung muss zwischen extraterritorialer Menschenrechtsgefährdung und dem in Frage stehenden Staat bestehen. Sie muss ihn aus dem Kreis sämtlicher anderer Verpflichtungsadressaten hervorheben können und es rechtfertigen, dass gerade für ihn eine konkrete Handlungsverantwortlichkeit entsteht. Im Schrifttum kommt im Zusammenhang mit der Begründung allgemeiner und auch menschenrechtlicher positiver Pflichten vereinzelt das Erfordernis einer „Garantenstellung“ zur Sprache.59 Eine Garantenstellung soll bei Vorliegen be59 Vgl. Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 294 ff. 346; Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 214; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 245. In der mündlichen Verhandlung zum Urteil v. 26. März 1985, X and Y vs. Netherlands, S. 68, wurde ausdrücklich auf
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stimmter Tatbestände eine besondere Schutzverantwortung begründen, die, wenngleich die Bezeichnung es impliziert, nicht als unbedingte Garantie für die NichtBeeinträchtigung der menschenrechtlich geschützten Freiheit zu verstehen ist,60 sondern nur als Begründung für ein grundsätzliches (Schutz-)Handlungsgebot dafür, dass ein bestimmter Verletzungserfolg möglichst nicht eintritt. Dies wird derzeit nur im Zusammenhang mit intraterritorialen positiven Pflichten und individuell im Hinblick auf ganz konkrete Fallkonstellationen diskutiert, so etwa dann, wenn die staatliche Polizeibehörde Kenntnis von einer Menschenrechtsgefährdung erlangt. Diese Kenntnis soll die Garantenstellung für eine besondere Handlungspflicht begründen. Ist der Kenntnistatbestand zwar für extraterritoriale Schutzpflichten – dies wurde gezeigt – ungenügend, denn ein Staat hat immer vielfache Kenntnis von extraterritorialen menschenrechtswidrigen Situationen, so scheint aber der Gedanke der Rechtsfigur einer Garantenstellung gerade für extraterritoriale Schutzpflichten das fehlende Passstück zu sein. Dieses ist allgemein geeignet, bei positiven Pflichten, die eine Vielzahl von potenziellen Verpflichtungsadressaten treffen, einen konkreten Handlungsverantwortlichen zu erkennen. Die Unbestimmtheit der garantenstellungsbegründenden Tatbestände ist dabei gewollt, denn die Anwendungskonstellationen sind zu vielseitig, als dass nur ein Garantenstellungstatbestand ausgemacht werden könnte. Auf entsprechende Fallgruppen wird sogleich einzugehen sein. Die Garantenstellung ist aber allgemein ein pflichten-konkretisierendes Funktionselement und dient im Allgemeinen auch dazu, den Kreis der Verpflichtungsadressaten auf einen Einzelnen zu verdichten. Genau diese rechtliche Problemkonstellation ergibt sich im Falle der extraterritorialen Schutzpflichten und die Rechtsfigur vermag es daher die geeignete Brücke zwischen Menschenrechtsgefährdung und Handlungsverantwortlichkeit zu bauen. bb) Methodik und Ansätze für Garantenstellungen im Völkerrecht Garantenstellungen sind keineswegs eine ureigene Konstruktion des deutschen Straf- oder Deliktsrechts, sie stellen ganz allgemein Behelfskonstrukte dar, die es vermögen, im Falle von Schutzpflichten, ob für natürliche, juristische Personen oder den Staat, eine konkrete positive Handlungspflicht zu begründen.61 Sie werden insoweit stets bei positiven Pflichten impliziert und gehören damit zur Normtheorie von positiven Pflichten – und damit regelmäßig auch zu Schutzpflichten. die „German doctrine [. . .] called Garantenstellung“ hingewiesen, zitiert nach: Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 295. 60 So: Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 195. Der gleiche Gedanke auch bei: Wolf, ZaöRV 45 (1985), S. 232 (234). Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 107, verkennt dies und hält aus diesem Grunde eine Garantenstellung für völkerrechtsfremd. 61 So bereits: Nino, The Ethics of Human Rights, S. 208 ff.
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Ein Unterlassen kann denklogisch auch einem Staat immer nur dann vorgeworfen werden, wenn eine konkrete Pflicht zum Handeln bestand. Diese herauszukristallisieren ist Aufgabe einer Garantenstellung. Zwar wird diese Rechtsfigur selten auch so bezeichnet, sie taucht dennoch auch in anderen völkerrechtlichen Rechtsgebieten auf. Es gibt einige Ansatzpunkte, bei denen eine solche Garantenstellung durch einen (Völker-)Rechtssatz begründet wurde, dort aber meist nur für eine Schutzverantwortung gegenüber Beeinträchtigungen durch staatsan- und -zugehörige private Akteure: In Art. VI Weltraumvertrag wird etwa eine staatliche Verantwortlichkeit für eigene private Akteure dahingehend begründet, dass deren Einhaltung der Vertragspflichten durch den Staat sicherzustellen ist. Ähnlich fordert Art. 139 des Seerechtsübereinkommens von den Verpflichtungsadressaten, die Einhaltung des Übereinkommens von staatszugehörigen privaten juristischen Personen sicherzustellen.62 Etwas konkreter ist die in Art. 9 Abs. 2 des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung niedergelegte Pflicht, die fehlgeschlagenen Exporte eigener privater Akteure zurückzuführen. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) spricht bei der Analyse dieser Pflicht von einer völkervertragsrechtlich begründeten staatlichen Garantenstellung.63 Diese Rechtssätze schaffen eine Beziehung zwischen dem (grundsätzlich nicht zurechenbaren) Verhalten privater Akteure und einer Verantwortlichkeit des Verpflichtungsadressaten und begründen damit eine Garantenstellung in Form der Überwachungs-Garantie. Nicht vertragsrechtlich, aber als völkergewohnheitsrechtliches Prinzip wurde auch die „Garantenstellung“ im bereits angesprochenen Trail-Smelter-Fall64 hergeleitet. Die grenzüberschreitenden umweltschädlichen Emissionen gingen in diesem Fall von einem privaten Unternehmen aus, und kraft der intraterritorialen Gefahrenquellenentwicklung im eigenen Territorium wurde eine staatliche Schutzverantwortung begründet. Wenngleich die Voraussetzung nirgends explizit so benannt wird, kann hier wohl der Gedanke einer Garantenstellung kraft der intraterritorialen Gefahrenentwicklung angenommen werden. Insgesamt zeigt sich, dass die Garantenstellungssystematik nicht völkerrechtsfremd ist, auch wenn sie dort selten so bezeichnet wird. Unabhängig von der rechtlichen Etablierung der Garantenstellungs-Konstrukte im Völkerrecht sind sie aber gerade für Dogmatisierung von extraterritorialen Schutzpflichten erforderlich. 62 Auch das BVerfG analysiert eine völkerrechtliche Pflicht zur Rückholung fehlgeschlagener Abfallexporte (Art. 9 Abs. 2 Baseler Übereinkommen) ausdrücklich als „Garantenstellung“. 63 Vgl. BVerfG, Urteil v. 6. Juli 2005, 2 BvR 2335/95, 2 BvR 2391/95, Rn. 98 ff. 64 Abschnitt B. I. 2. b) cc) (3).
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cc) Die Rechtsfigur der Garantenstellung für extraterritoriale Schutzpflichten Bei intraterritorialen Schutzpflichten stellt sich die Frage einer Garantenstellung grundsätzlich nicht65, denn – wie dargelegt – begründet die bloße Territorialgewalt eine Pflicht zum Handeln, sobald sich eine Gefahr hinreichend konkretisiert hat. Die Gefahrenquelle und das zu schützende Menschenrecht befinden sich auf dem eigenen Territorium und ein Staat kann sich sowohl schützend vor das Individuum stellen als auch die Gefahrenquelle konkret überwachen und folglich in beiden Kategorien den Erfolgseintritt verhindern. Wollte man intraterritoriale Fälle aber der Garantenstellungsdogmatik unterordnen, so stellen eben diese beiden Elemente, also die Fähigkeit zu schützen und zu überwachen, den Begründungstatbestand für eine Garantenstellung dar. Im Folgenden soll eine Garantenstellungsdogmatik für extraterritoriale Schutzpflichten anhand in Frage kommender Begründungstatbestände entwickelt werden, die auf ihre Herleitungen, Voraussetzungen und Anwendungsfälle hin näher untersucht werden müssen. Anhaltspunkte dafür liefern Grundsätze der intraterritorialen Schutzpflichten und denkbare Fallgruppen mit Auslandsberührung, wobei diese nicht als eine abschließende Aufzählung zu verstehen sind. (1) Kraft direkten extraterritorialen Handelns (a) Begründung und Voraussetzungen Diejenigen Fälle, in denen der Staat selbst physisch extraterritorial anwesend ist und die effektive Kontrolle über Sachverhalte hat, begründen, und das scheint ein Konsens zu sein, kraft dieser Kontrolle grundsätzlich eine konkrete Schutzverantwortung. Die Territorialgewalt, die bei intraterritorialen Sachverhalten Begründungstatbestand dafür ist, dass Menschenrechte gewährleistet werden müssen, gleicht der Situation, in der ein Staat ein extraterritoriales Gebiet oder ein Gebietsteil effektiv kontrolliert.66 Strukturell unterscheiden sich die Fälle nicht, denn innerhalb dieses Gebietes übt er eine quasi-territoriale Gewalt aus. Dies wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass der extraterritorial agierende Staat meist die eigentliche Territorialgewalt verdrängt, welche als einzige Schutzalternative in Be65 Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 294 ff., verwendet den Begriff der Garantenstellung für intraterritoriale positive Pflichten nur zur Konkretisierung des Schutzgebotes. 66 Ein Gedanke, der so auch bei: Nino, The Ethics of Human Rights, S. 208 ff., anklingt. Die Besetzung ist freilich auch hier nicht der einzige Fall. Pachtet ein Staat ein extraterritoriales Gebiet und übt dort die effektive Gebietskontrolle aus, so ist der räumliche Anwendungsbereich der Schutzpflichten eröffnet, da es sich um intrajurisdiktionelle Schutzpflichten handelt.
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tracht kommt. Die Garantenstellung ergibt sich hier also, wie bei intraterritorialen Schutzpflichten, einerseits aus der grundsätzlichen Beherrschung einer Gefahrenquelle und andererseits aus der Fähigkeit, Menschen zu schützen. Der Verpflichtungsadressat ist damit Beschützer- und zugleich Überwachungsgarant. Dem verantwortungsbegründenden Element der effektiven Kontrolle kommt damit im Menschenrechtsvölkerrecht eine Doppelfunktion zu, denn – wie dargelegt67 – eröffnet es für jurisdiktionsabhängige Verträge den räumlichen Anwendungsbereich und begründet zugleich auch eine Garantenstellung.68 Aber auch für diejenigen Verträge, die einen grundsätzlich unbeschränkten räumlichen Anwendungsbereich vorsehen, begründet die extraterritoriale staatliche Kontrolle eine solche konkrete Schutzverantwortung. Zu vermuten ist, dass auch der CESCR genau eine solche Garantenstellung im Sinne hatte, als er festhielt, die effektive Gebietskontrolle Israels begründe eine Verantwortlichkeit für die Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte Privater in dem besetzten Gebiet in Palästina,69 denn um die Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs kann es dabei angesichts des grundsätzlich uneingeschränkten Anwendungsbereichs des IPwskR nicht gegangen sein. Dennoch wurde dem Umstand der effektiven Kontrolle besondere Beachtung geschenkt. Der Tatbestand der extraterritorialen effektiven Kontrolle, der stets die physische Anwesenheit des Staates und Nähe zum Menschenrecht voraussetzt, ist damit die deutlichste Anwendungskategorie der extraterritorialen Schutzpflichten, und einer gesonderten Begründung einer Garantenstellung bedarf es hier nicht. Analog zu intraterritorialen Schutzpflichten begründet das Erreichen eines hinreichenden Gefahrenniveaus eine konkrete Schutzverantwortung. (b) Praktische Anwendbarkeit Unbestrittener Anwendungsfall dieser Kategorie ist die extraterritoriale effektive Gebietskontrolle. Besetzt also ein Staat extraterritorial ein Gebiet, so hat er dort, wie nach den intraterritorialen Grundsätzen, Schutz zu üben. Sämtliche Menschenrechtsbeeinträchtigungen zwischen zwei privaten Akteuren sind – freilich je nach Möglichkeit und Verhältnismäßigkeit – zu unterbinden. Die Fälle, in denen der extraterritorial agierende Staat die effektive Kontrolle nur über eine einzelne Person oder eine Sache ausübt, unterscheiden sich von der Gebietskontrolle insoweit, als der Staat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Ge67
Abschnitt B. I. 1. a) bb) (2). Insoweit ist es auch denkbar, von der Begründung einer Garantenstellung kraft Rechtssatzes zu sprechen. Dies würde aber nur für jurisdiktionsabhängige Verträge gelten, nicht aber für solche mit einem offenen räumlichen Anwendungsbereich wie im Falle des IPwskR. 69 CESCR, Concluding Observations on Israel v. 23. Mai 2003, E/C.12/1/Add.90, Rn. 31. 68
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fahrenquelle nehmen kann, mithin auch nicht Überwachungsgarant kraft Beherrschung einer Gefahrenquelle sein kann. Dennoch begründen auch diese Fälle kraft der effektiven Kontrolle eine Schutzverantwortung über diese Person. Verhaften oder entführen staatliche Organe extraterritorial eine Person, so haben sie freilich nicht nur dafür Sorge zu tragen, dass durch die Festnahme kein menschenrechtswidriger Zustand entsteht, sondern auch, dass keine Übergriffe von dritten privaten Akteuren erfolgen. Gleiches gilt, soweit das Eigentum extraterritorial zu schützen ist, auch bei der effektiven extraterritorialen Kontrolle von Sachen. Dort sind die staatlichen Organe oder dem Staate zurechenbare Akteure kraft ihrer Kontrolle verpflichtet, auch vor Drittübergriffen zu schützen. (c) Fazit Der am klarsten herausstellbare Begründungstatbestand für extraterritoriale Schutzpflichten ist der des direkten extraterritorialen staatlichen Handelns. Kontrolliert ein Staat ein extraterritoriales Gebiet, eine Person oder eine Sache, so entsteht kraft dieser Kontrolle eine Garantenstellung, die es erfordert, umfassend Schutz vor Übergriffen zu üben. (2) Kraft Beherrschung einer Gefahrenquelle (a) Begründung und Voraussetzungen Wesensgemäß ist bei extraterritorialen Schutzpflichten das gefährdete Menschenrecht auf fremdem Territorium belegen. Dass dort – ungeachtet der extraterritorialen Gebietsbesetzung – keine pauschale Beschützergarantenstellung entstehen kann, leuchtet ein, denn das fremde Territorium kann der Heimatstaat nicht ohne Weiteres betreten. Befindet sich die Gefahrenquelle dagegen innerhalb des Territoriums des Verpflichtungsadressaten und kann der Staat die Gefahrenquelle beherrschen, das heißt, hat er die Möglichkeit, auf die Gefahrenentwicklung einzuwirken, so wäre es befremdlich, wenn dies kein Begründungstatbestand für eine Garantenstellung sein sollte, nur weil das zu schützende Menschenrecht extraterritorial belegen ist70 – denn: Das Menschenrechtsvölkerrecht fordert angesichts des extraterritorialen Anwendungsbereichs gerade auch den Schutz extraterritorialer Menschenrechte. Das Auseinanderfallen von Gefahrenquelle und bedrohtem Menschenrecht ist den extraterritorialen Schutzpflichten insoweit wesensimmanent. Wenn eines dieser beiden Elemente intraterritorial beherrschbar oder beschützbar ist, so kann dies eine Garantenstellung auslösen. Die Beherrschung einer Gefahrenquelle bzw. die Möglichkeit, einen Einfluss auf die Ent70 So auch der Gedanke im Hinblick auf die Waffenexportkontrolle bei: Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 49 f.
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wicklung einer Gefahr zu nehmen, ist einerseits ein Gedanke, der stets bei der Begründung positiver Pflichten zu erkennen ist, denn nicht zuletzt ist dies genau der Begründungstatbestand im – bereits angesprochenen71 – Trail-Smelter-Fall, der hier einen allgemeinen Rechtsgedanken enthält; andererseits widerspräche es auch dem Grundgedanken der Effektivität des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes, wenn man eine Schutzverantwortung nur dann annähme, wenn ein Staat zugleich die Schutzfähigkeit gegenüber dem Opfer hat. Beherrschung muss dabei bedeuten, dass der Staat mindernd oder vernichtend in den Verlauf der Gefahrenentwicklung eingreifen kann. Die Fähigkeit, einen Einfluss auf den Gefahrenherd zu nehmen, mithin eine menschenrechtsgefährdende Quelle zu überwachen und möglichst den Kern der Gefahr zu beeinflussen, trägt dem Menschenrechtsschutz zumindest bei extraterritorialen Schutzpflichten mindestens gleichermaßen oder gerade besonders effektiv Rechnung. Spiegelbildlich begründet freilich neben dieser Überwachungsgarantenstellung auch die Beschützergarantenstellung eine konkrete Schutzverantwortung. Dabei handelt es sich um intraterritoriale Schutzpflichten, da das zu schützende Menschenrecht intraterritorial belegen ist. Die Fallgruppe der Überwachungsgarantenstellung führt letztlich auch nicht zu einer überzogenen Schutzverantwortung, denn – wie dargelegt – ist im Rahmen der Gefahrenanalyse auch stets die Schutzmöglichkeit durch den extraterritorialen Staat zu berücksichtigen72. (b) Praktische Anwendbarkeit Beherrscht ein Staat eine Gefahrenquelle, so verdichten sich für ihn konkrete Handlungspflichten. Die Beherrschung eine Gefahrenquelle ist aber nicht immer leicht feststellbar. Es muss differenziert werden: Wenn eigene Staatsan- oder -zugehörige im Gaststaat aus freien Stücken und ohne, dass dies vorher erkennbar gewesen ist, Menschenrechte beeinträchtigen, so kann keine Garantenstellung entstehen, denn die Gefahrenquelle ist vom Heimatstaat nicht beherrschbar, sie entsteht und entwickelt sich extraterritorial.73 Erkennt ein Staat dagegen das Ge71
Abschnitt B. I. 2. b) cc) (3). Abschnitt C. II. 2. b) bb). 73 Schwieriger zu beurteilen sind solche Fälle, in denen ein grenzüberschreitendes Produkt erst kontextuell zu einer Gefahr wird. Dies zeigt das Beispiel des sog. ChickenExport. Führt etwa ein Geflügelfleischexport dazu, dass das Fleisch extraterritorial zu einer Gefahr für die Gesundheit oder das Leben von Menschen führt, so kommt es wesentlich darauf an, an welcher Stelle die Schutzverantwortung endet. Entsteht die Gefahr erst dadurch, dass extraterritorial eine bestimmte Klimasituation vorherrscht und es an einer hinreichenden Versorgung mit Kühlmöglichkeiten mangelt, so ist dies eine nicht beherrschbare Gefahr des Exportstaates. Handelt es sich aber um Produkte, die bereits zum Zeitpunkt der Ausfuhr oder absehbar zu einer Gefahr an sich werden, so kann man auch hier eine Überwachungs-Garantenstellung kraft Beherrschung einer Ge72
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fährdungspotenzial grenzüberschreitender privater Akteure, fällt die rechtliche Beurteilung anders aus, denn in diesem Fall hat sich eine voraussehbare Gefahr intraterritorial abgezeichnet, zu deren Verhinderung der Heimatstaat beauftragt ist. Eine solche Gefahrenquelle kann der Verpflichtungsadressat grundsätzlich beherrschen. Im Einzelfall kommt es freilich auf die hinreichende Konkretisierung an, die sich an den schon erläuterten Grundsätzen zu messen hat.74 Extraterritoriale Sachverhalte, die dieser Fallgruppe angehören, betreffen solche Fälle, bei denen der Staat Kenntnis von der Ausreise von latent gefährlichen Personen, etwa Terroristen oder gewaltbereiten Hooligans, erlangt.75 Kann ein Staat die Ausreise verhindern und weiß er von der konkreten Gefährlichkeit bestimmter Personengruppen, so ist er – immer unter Berücksichtigung der sich auf Rechtsfolgenseite ergebenden Schranken – verpflichtet, die Realisierung der Gefahr weitestmöglich zu verhindern oder zu mindern. Auch abstrakte Gefahren können eine Garantenstellung kraft Beherrschung der Gefahrenquelle begründen. Intraterritoriale Beispiele dafür gibt es: In Guerra vs. Italy76 ging es um staatliche Sorgfaltspflichten im Hinblick auf eine privat betriebene Chemie-Fabrik, die potenziell Gefahren für näher umliegende Dörfer barg. Ohne einen spezifischen Begründungstatbestand zu benötigen, sprach der EGMR hier von etwaigen staatlichen Pflichten aufgrund der von der Fabrik ausgehenden erhöhten latenten Gefahr.77 In Giacomelli vs. Italy hielt der EGMR fest, dass bei einer schweren Umweltverschmutzung durch eine private Giftmüllanlage dem Staat ein Unterlassen der Regulierung des privaten Verhaltens vorgeworfen werden kann.78 Der diesen Entscheidungen zugrunde gelegte Gedanke impliziert eine Garantenstellung für die Einhegung abstrakter Gefahren. Dass von bestimmten wirtschaftlichen Sektoren symptomatisch solche Gefahren ausgehen, leuchtet ein. Dass dieser Gedanke auf extraterritoriale Schutzpflichten übertragen werden muss, so etwa beispielsweise beim Export von Atom- oder Rüstungsanlagen, entspricht ebenfalls dieser Grundidee, denn an der abstrakten Gefahr ändert sich nichts. Die in dieser Hinsicht bereits bestehenden Ansätze etwa durch das Kriegswaffenkontrollrecht79 oder allgemein die Genehmigungspflichtigkeit im Rahmen des Außenwirtschaftsrechts bekräftigen das hier erlangte Ergebnis.80
fahrenquelle annehmen. Siehe zu dem Problemkreis: Hausmann/Künnemann, Germany’s Extraterritorial Human Rights Obligations, S. 17 ff. 74 Abschnitt C. II. 2. 75 Eine denkbare Konstellation ist auch die Verhinderung der Ausreise von „Minderjährigen-Sex-Touristen“. So diskutiert es: Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 503. 76 EGMR, Urteil v. 19. Februar 1998, Guerra and others vs. Italy. 77 EGMR, Urteil v. 19. Februar 1998, Guerra and others vs. Italy, Rn. 51 ff. 78 EGMR, Urteil v. 2. November 2006, Giacomelli vs. Italy, Rn. 78. 79 § 2 Kriegswaffenkontrollgesetz; zu diesem Rechtsgebiet: Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 36 ff.
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Zeichnet sich also eine abstrakte Gefahr ab, so ist es unerheblich, ob intraoder extraterritoriale Menschenrechte bedroht sind: Liegen die Voraussetzungen der Schutzpflichten vor, so hat der die Gefahrenquelle beherrschende Staat eine Garantenstellung für die Nichtverwirklichung dieser Gefahren. Exemplarisieren lassen sich auch grenzüberschreitende Emissionen, die im Völkerrecht Doppelrelevanz haben: dies, weil sie zum einen zentrale Regelungsgegenstände des Umweltvölkerrechts sind.81 Nicht ausgeschlossen ist zum anderen die, hier relevante, Tangente zum Menschenrechtsvölkerrecht; nämlich dann, wenn die Emission zu einer Beeinträchtigung der Menschenrechte führt. Vorstellbar beeinträchtigte Rechte sind etwa das Recht auf Nahrung, Gesundheit oder Leben. Dabei kann es sich um der Grenze nahe gelegene Flughäfen, Fabriken oder Autobahnen handeln.82 Diesen Fällen lassen sich keine wesentlichen Unterschiede gegenüber der intraterritorialen Beurteilung gleichgelagerter Emissions-Fälle entnehmen, bei denen entsprechende Risikobranchen im Fokus standen.83 Sämtliche schädlichen potenziellen und aktuellen Emissionen können nach der allgemeinen Rechtsprechung bei Vorliegen einer Gefahr intraterritorial ein positives Handeln der Staaten erfordern. Nichts anderes kann für grenzüberschreitende Sachverhalte gelten, denn die Gefahrenquelle wird intraterritorial beherrscht.84 Ob die Emissionen nun intra- oder (grenznah) extraterritorial einen Verletzungserfolg herbeiführen, ergibt für die rechtliche Beurteilung keinen Unterschied, vorausgesetzt freilich, das zu schützende Menschenrecht hat einen extraterritorialen Anwendungsbe80 National-rechtliche Beispiele sind etwa § 3 Abs. 1 AtomG oder Regelungen für Ausfuhrgenehmigungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. 81 Hier greift das bereits dargelegte umweltrechtliche Prinzip der guten Nachbarschaft, siehe: Abschnitt B. I. 2. b) cc) (3). 82 Ob mittelbare Folgen, wie etwa die Klimaerwärmung durch intraterritoriale CO 2 Emissionen mit anschließender extraterritorialer menschenrechtlicher globaler Gefährdung, tatsächlich an Menschenrechten gemessen werden können, ist eine Frage des besonderen Teils des Menschenrechtsvölkerrechts, die fast unüberwindliche Kausalitätsfragen mit sich bringt. Müller-Terpitz’ in einer Fußnote und im Zusammenhang der deutschen Grundrechte skeptisch gestellte Frage, ob das wirklich eine gerichtlich einklagbare Position begründen soll, kann dagegen nicht pauschales Ausschluss-Argument sein. Das Überforderungsargument ist allenfalls im Rahmen der Unmöglichkeit zu berücksichtigen. Vgl. Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, S. 112, Fn. 146. 83 EGMR, Entscheidung v. 19. Februar 1998, Guerra and Others vs. Italy, Rn. 52 – Überwachungs- und Untersuchungspflichten im Falle einer „severe environmental pollution“; EGMR, Urteil v. 9. Dezember 1994, López Ostra vs. Spanien. EGMR, Urteil v. 2. November 2006, Giacomelli vs. Italy. Vgl. auch: EGMR, Urteil v. 21. Februar 1990, Powell and Rayner vs. UK, in dem es um Geräusch-Emissionen durch einen Flughafen ging. 84 So auch die überwiegende Auffassung in der deutschen Verfassungslehre, vgl. Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, S. 110; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 120 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 210 ff.
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reich. Die Genehmigungspflichtigkeit solcher Vorhaben wäre dann ein denkbarer Erfüllungsmodus für extraterritoriale Schutzpflichten. (c) Fazit Die intraterritoriale Beherrschung einer Gefahrenquelle, die extraterritorial belegene Menschenrechte beeinträchtigen kann, ist ein weiterer Begründungstatbestand für eine Garantenstellung. Entsteht eine erkennbare und beherrschbare intraterritoriale Gefahr, so hat der Staat die Pflicht, diese zu überwachen und zu mindern. (3) Kraft nach außen gerichteten gefahrerhöhenden Vorverhaltens Die Beurteilung, ob daneben eine Garantenstellung auch dann entstehen kann, wenn sowohl die Gefahrenquelle als auch das Menschenrecht extraterritorial belegen sind, der Staat aber nach wie vor nur intraterritorial agiert, mit anderen Worten: wenn keine der vorgenannten Fallgruppen vorliegt, ist weitaus schwieriger. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass in der Grauzone zwischen dem direktem extraterritorialen Handeln und dem regungslosen Nullzustand des Staates noch weitere Verknüpfungspunkte des staatlichen Verhaltens zu extraterritorialen menschenrechtswidrigen Situationen liegen, von denen ein effektiver Menschenrechtsschutz erfordert, dass diese Sachverhalte eine menschenrechtliche Schutzverantwortung nach sich ziehen. (a) Begründung und Voraussetzungen (aa) Vorüberlegungen Nach den vorstehenden Ergebnissen hat grundsätzlich kein fremder Staat eine Schutzverantwortung, wenn in einem Staat eine menschenrechtswidrige Situation entsteht, wenn nicht Fremdstaaten selbst dort eine extraterritoriale effektive Kontrolle ausüben oder die Gefahrenquelle beherrschen, von der die Menschenrechtsbedrohung oder -verletzung ausgeht. Selbst wenn sich der beteiligte Störer als eigener Staatsan- oder -zugehöriger herausstellt, löst dieser Umstand nach diesen Maßstäben keine Handlungspflicht des Heimatstaates aus. Ist dem Heimatstaat das Verhalten privater Akteure zurechenbar, dann trifft ihn freilich eine Unterlassungspflicht, die aber im Rahmen der, hier nicht weiter zu besprechenden, Achtungsdimension entsteht. Zwischen dem staatlichen Ruhezustand einerseits und dem zurechenbaren Verhalten andererseits scheint es aber Fälle zu geben, in denen das Entstehen einer konkreten Schutzverantwortung sachgemäß und also vom effektiven Menschenrechtsschutz gefordert erscheint. Unterstützt, fördert oder leistet der Heimatstaat einen sonstigen Beitrag zum Entstehen einer extraterritorialen menschenrechtsge-
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fährdenden Situation, ohne dass damit die Schwelle der Zurechnung erreicht wird, so entsteht das Bedürfnis, auch dieses Verhalten menschenrechtlich zu überformen. Dies erscheint auch sachgemäß, denn derjenige, der zu einer völkerrechtlich geächteten Situation beiträgt, sollte auch dafür verantwortlich sein, sie weitestmöglich zu beseitigen. Nicht nur die Sachgemäßheit und das Bedürfnis begründen eine weitere Fallgruppe der Garantenstellung, die menschenrechtliche Beurteilung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gibt vielmehr Aufschluss darüber, dass entsprechende Fälle bereits anerkannt sind. Der Blick auf die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verrät, dass bei dieser Fallgruppe kein staatlicher Ruhezustand bestehen darf, sondern vielmehr ein positives staatliches Verhalten im Vorfeld der drohenden Beeinträchtigung vorliegen muss. Bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ist dies die zwangsweise Verbringung einer Person in einen anderen Staat, in dem potenziell Gefahren für seine Menschenrechte bestehen. Losgelöst von dieser konkreten Fallgruppe kann aber nicht nur auf die Verbringung abstellt werden, sondern auch abstrakt auf ein staatliches Verhalten im Vorfeld der drohenden Beeinträchtigung, denn zu vielseitig sind die denkbaren Sachverhalte. Dieses Verhalten kann sich etwa als Förderung, Unterstützung, Genehmigung oder eben – wie bei der Aufenthaltsbeendigung – als Erzwingung dartun. Der Beitrag, den der Staat leistet, ist bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zudem einer, der das Individuum erst in eine Situation versetzt, die eine Beeinträchtigung ermöglicht. Erforderlich ist also, dass das staatliche Vorverhalten kausal für das Entstehen einer menschenrechtswidrigen Situation ist85, sprich: ihm eine gefahrerhöhende Wirkung innewohnt. Rein neutrales, risikoloses Verhalten kann keine menschenrechtliche Relevanz haben, denn dies würde einen zu weitläufigen und nicht realisierbaren Anwendungsbereich begründen. Erforderlich ist, dass das Verhalten für andere Akteure Handlungsmöglichkeiten eröffnet, die einen menschenrechtswidrigen Zustand hervorrufen, also mit einem gewissen Menschenrechtsrisiko behaftet ist. Nicht gefordert sein kann, dass das Vorverhalten völkerrechtswidrig ist. Zum einen würde ein völkerrechtswidriges Verhalten bereits mit der Pflicht es zu unterlassen behaftet sein, zum anderen ist auch etwa die Aufenthaltsbeendigung an sich – abgesehen von ihrer eigenen möglichen Menschenrechtswidrigkeit – nicht völkerrechtswidrig. Ohne eine Auslandsberührung würde es sich ferner um eine rein intraterritoriale Angelegenheit handeln und wäre hier nicht weiter von Bedeutung. Erforderlich ist daher, dass das staatliche Vorverhalten – wie es auch bei der Aufenthaltsbeendigung der Fall ist – nach außen gerichtet ist, es also eine extraterritoriale Wirkung hat. Dabei muss qualitativ weiter differenziert werden: Die entfernte faktische Außenwirkung kann insoweit nicht ausreichend sein, denn fast jedes 85 Dieser Gedanke schimmert für den Fall der Außenwirtschaftsförderung bereits bei: Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (37 ff.), durch.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
intraterritoriale Verhalten weist eine faktische extraterritoriale Wirkung auf. Danach wäre etwa jede wirtschaftsregulierende staatliche Maßnahme als garantenstellungsbegründend anzusehen. Erforderlich ist also vielmehr, dass das staatliche gefahrerhöhende Vorverhalten, selbst wenn es nur intraterritorial vorgenommen wird, final nach außen gerichtet ist, und damit gerade dazu bestimmt ist, extraterritoriale Auswirkungen hervorzurufen. Auch der Fall der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verdeutlicht das Erfordernis einer Finalität, denn die erzwungene Grenzüberschreitung ist ein gewollt extraterritorialer Effekt bzw. final nach außen auf die Herbeiführung des Aufenthalts in einem anderen Staat gerichtet. Damit lässt sich aus der rechtlichen Beurteilung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ein weiterer Begründungstatbestand für eine Garantenstellung ableiten. Einem Staat kommt nach den vorstehend herausgearbeiteten Kriterien immer dann eine Garantenstellung zu, wenn ein staatliches nach außen gerichtetes gefahrerhöhendes Vorverhalten vorliegt.86 Dieser Begründungstatbestand erscheint sachgemäß. Trägt ein Adressat menschenrechtlicher Pflichten positiv gefahrerhöhend zu einer Situation bei, deren Vermeidung gerade Gegenstand seiner Pflicht ist, so muss eine solche Ingerenz eine besondere, auf ihn konkretisierte Verantwortung für den Nicht-Eintritt eines Erfolges begründen, denn er ist Mit-Urheber dieses Zustandes. Hier liegt eine mittelbar gefährdende Einwirkung in einen fremden Herrschaftsbereich vor, die es rechtfertigt, ihn als konkreten Verpflichtungsadressaten zu identifizieren, denn die Pflicht zur Beseitigung der erhöhten Gefahr muss und kann nur demjenigen zukommen, der sie an erster Stelle begründet hat. (bb) Ansätze in der Rechtsprechung des EGMR Ein solcher Ingerenzgedanke, dass also ein förderndes staatliches Vorverhalten eine konkrete Schutzverantwortung nach sich ziehen muss, lässt sich auch aus einigen Entscheidungen des EGMR zu intraterritorialen Sachverhalten ableiten. Der Fall Lopez-Ostra87 betraf eine für die näheren Anwohner gesundheitsgefährdende Abfallverarbeitungsanlage, die mit staatlichen Subventionen errichtet wurde. Der EGMR legte bei der Feststellung der Konventionswidrigkeit besonderes Gewicht auf die staatliche Subventionierung der Anlage. Grundsätzlich sei Spanien zwar nicht für das schädigende Verhalten des privaten Akteurs verantwortlich, dem Umstand aber, dass die Anlage staatlich subventioniert sei, sei besondere Bedeutung beizumessen und begründe schließlich eine eigene Verant86 87
Terminologisch kann hier von einer extraterritorialen Ingerenz gesprochen werden. EGMR, Urteil v. 9. Dezember 1994, López Ostra vs. Spanien.
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wortung des Staates, die Gefahren zu mindern.88 Diese Entscheidung bestätigt die Analyse, dass gefahrerhöhendes Ermöglichen eines menschenrechtswidrigen Verhaltens privater Akteure, konkreter: dass die Förderung eines Zustandes, der in der Beeinträchtigung von Menschenrechten durch private Akteure kulminiert, eine besondere staatliche Vermeidungsverantwortlichkeit nach sich ziehen muss.89 Ein Staat darf privates Verhalten nicht dann fördern, wenn es ein Menschenrechtsrisiko birgt. Einen weiteren Anhaltspunkt liefert auch der Fall Shanaghans vs. UK des EGMR, in dem staatliche Informationen über den Aufenthaltsort einer Person in Hände privater Akteure „gefallen waren“, die ihm feindlich gesinnt waren und ihn letztlich töteten.90 Das gefahrerhöhende Vorverhalten, also das Unterlassen von Vorkehrungen, die Informationen über den Aufenthaltsort des Opfers zu schützen, löste hier einer spezielle Verantwortlichkeit des Verpflichtungsadressaten aus. Betreffen diese Fälle auch nur reine intraterritoriale Sachverhalte, so lassen sie sich in ihren Grundsätzen dennoch auf extraterritoriale Schutzpflichten übertragen. (cc) Ansätze im Schrifttum Ganz vereinzelt schimmern auch im Schrifttum entsprechende Überlegungen durch. Exemplarisch spricht etwa Streuer für bestimmte intraterritoriale Sachverhalte von einem staatlichen „Ingerenzverhalten“, das eine staatliche Handlungsverantwortlichkeit auslösen könne, ohne dies allerdings näher zu erläutern.91 Jedenfalls terminologisch ist sie damit eine Einzelerscheinung. Inhaltlich gibt es aber ähnliche Ansätze im Schrifttum: Im Zusammenhang mit Kriegswaffenexporten begründet Frey im Ergebnis einen Ansatz, der sich dem hier Dargelegten einfügt, dogmatisch aber nicht genauer begründet wird. Ferner beschränkt sich der Ansatz nur auf das Recht auf Leben, wofür aber keine genaueren Differenzierungskriterien vorgebracht werden. Frey sieht immer dann konkrete Handlungspflichten eines Staates als gegeben an, wenn einer drohenden Beeinträchtigung ein risikoerhöhendes staatliches Verhalten vorausging.92 Er88
EGMR, Urteil v. 9. Dezember 1994, López Ostra vs. Spanien, Rn. 52. Die Konstellation in López Ostra gestaltete sich insofern noch schwieriger, als zwar das Vorhaben kommunal subventioniert wurde, eine grundsätzlich erforderliche Genehmigung der Errichtung indes fehlte. 90 Ungeklärt blieb, ob die Geheimhaltung vorsätzlich oder fahrlässig nicht eingehalten wurde, dennoch wurde dieser Umstand als wesentlich hervorgehoben: EGMR, Urteil v. 4. Mai 2001, Shanaghan vs. UK, Rn. 95 ff. 91 Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 230. 92 Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 50: „affirmativ steps to put the lives of persons at risk“. Ähnlich: Scheinin, Extraterritorial Effect, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 74. 89
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mögliche ein Staat durch den Rüstungstransfer eine lebensbedrohliche Situation, selbst wenn diese durch unabhängige private Akteure konkretisiert werde, so oblägen dem exportierenden Staat konkrete Verhaltenspflichten, alles in seiner Macht stehende zu tun, das Risiko zu verringern.93 Ließe sich der Rüstungsexport angesichts der abstrakten Gefährlichkeit von Kriegswaffen nach der hier vertretenen Auffassung bereits der Fallgruppe der unmittelbaren Beherrschung einer Gefahrenquelle zuordnen, so überzeug aber auch der von Frey zugrunde gelegte Ingerenzgedanke. Für den Fall der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen weist Maaßen eine Analyse auf, die zumindest einen Ingerenzgedanken impliziert. Maaßen lehnt eine Unterlassungs-Verantwortlichkeit des aufenthaltsbeendenden Staates ab, weil es an einem für ihn bei positiven Pflichten erforderlichen Vorverhalten mangele.94 Er erkennt damit implizit das Erfordernis einer Garantenstellung für eine Schutzverantwortung an. Die Analyse trifft aber im Ergebnis nicht zu, denn ein staatliches Vorverhalten ist mit der Erzwingung einer Grenzüberschreitung allemal gegeben. (dd) Zwischenergebnis Damit kann festgehalten werden: Ein nach außen gerichtetes staatliches Vorverhalten mit gefahrerhöhender Wirkung begründet eine Garantenstellung des Staates. Diese löst eine konkrete Handlungsverantwortlichkeit des Staates aus. Einerseits ist die Begründung einer solchen Fallgruppe sachgemäß und andererseits entspricht sie dem menschenrechtlichen Bedürfnis eines möglichst effektiven und lückenlosen Menschenrechtsschutzes. Daneben lassen sich in diese Richtung gehende Ansätze der Rechtsprechung und Gedanken des Schrifttums feststellen. Insbesondere die induktive Abstraktion der rechtlichen Beurteilung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zeigt, dass in entsprechenden Fällen konkrete Handlungspflichten entstehen müssen. (b) Praktische Anwendbarkeit Für die Kategorie des nach außen gerichteten staatlichen Vorverhaltens lassen sich einige Fallgruppen bilden, auf die im Folgenden summarisch eingegangen werden soll: Die vom Staat genehmigte, die geförderte und die erzwungene Grenzüberschreitung von privaten Akteuren. (aa) Genehmigte Grenzüberschreitung Genehmigt ein Staat privates extraterritoriales Verhalten, so liegt darin selbstverständlich ein staatliches Vorverhalten. Ist Gegenstand der Genehmigung ge93 94
Frey, Obligations to Protect, in: Gibney/Skogly, Universal Human Rights, S. 50. Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 124.
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rade die Erlaubnis des extraterritorialen Verhaltens, so ist sie auch nach außen gerichtet. Bedeutsam sind dabei insbesondere solche Genehmigungen, die inhaltlich gerade das genehmigen, was menschenrechtlich bedenklich ist; exemplarisch dafür sind etwa das Risiko von zu exportierenden industriellen Anlagen für die Gesundheit oder das Leben der Bevölkerung. Ob staatliche Genehmigungen eine Garantenstellung auslösen, hängt letztlich davon ab, ob sie eine gefahrerhöhende Wirkung hat. Der Genehmigung einer Grenzüberschreitung, sei es für den Export einer Ware, einer Dienstleistung oder für ein sonstiges, extraterritoriales Verhalten, kann zunächst ein permissives Element in Form der staatlichen Befürwortung entnommen werden. Freilich ist die Begründung der Genehmigungspflichtigkeit meist bereits Ergebnis der oben erläuterten Fallgruppe einer Garantenstellung kraft Beherrschung einer Gefahrenquelle95. Der Staat hat insoweit eine Pflicht, etwa bei abstrakter Gefährlichkeit eines extraterritorialen Verhaltens, ein grundsätzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu erlassen. Stimmt der Staat dann einem privaten Verhalten zu, bestätigt dieser die Widerlegung des Gefährdungsrisikos. Tritt nach der Genehmigung ein durch den privaten Akteur verursachter menschenrechtswidriger Zustand ein, so ist im Hinblick auf die Gefahrerhöhung zu differenzieren: Handelt es sich um eine Genehmigung, die menschenrechtlichen Standards genügt, bei der die erforderliche Sorgfalt bei der Risikoanalyse also eingehalten wurde, so wäre es abwegig, bereits dann eine Pflichtverletzung des Heimatstaates anzunehmen, wenn der private Akteur einen menschenrechtswidrigen Zustand gewissermaßen als faktische Nebenfolge hervorruft. Entspricht die Genehmigung dagegen nicht der üblichen Sorgfalt und wird ein risikoreiches Verhalten gestattet, so liegt in dem Befürworten ein gefahrerhöhendes Element, denn der private Akteur findet nunmehr eine staatliche Bestätigung für sein Verhalten. Wird so etwa der Export einer unsicheren Atomanlage durch den Exportstaat genehmigt, so könnte dieser bei Eintritt einer hinreichenden Gefährdungslage aufgrund der extraterritorialen Schutzpflichten dazu verpflichtet sein, weitere Schutzhandlungen (etwa den Exporteur zum Abbruch zu bringen oder Auflagen zu erlassen) vorzunehmen.96 Zugegeben, der Problemkreis um extraterritoriale Genehmigungen wirft eine Vielzahl von komplexen Folgefragen auf, der grobe Überblick über diese Fallgruppe verdeutlicht aber bereits, dass der Tatbestand der extraterritorialen Ingerenz grundsätzlich geeignet ist, hier eine Garantenstellung zu begründen.
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Abschnitt C. II. 3. c) cc) (2). Es sollte bedacht werden, dass auch hier im Rahmen der Risikoanalyse die alternative Schutzmöglichkeit durch den Importstaat miteinbezogen werden muss, mithin für den Exportstaat schlussendlich immer nur dann – und das wird selten sein – eine Handlungsverantwortlichkeit entsteht, wenn der Gaststaat selbst nicht in der Lage ist, die menschenrechtswidrige Situation zu unterbinden. 96
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(bb) Geförderte Grenzüberschreitung Wird ein menschenrechtswidriges extraterritoriales Verhalten privater Akteure durch den Staat gefördert (ohne dass die Schwelle der Zurechenbarkeit erreicht ist), so liegt auch hier ein nach außen gerichtetes Verhalten vor, das geeignet ist, Menschenrechtsbeeinträchtigungen Vorschub zu leisten. Zu differenzieren ist aber ebenfalls im Hinblick auf die Voraussetzung der Gefahrerhöhung. Fördert der Staat beispielsweise ein grenzüberschreitendes wissenschaftliches Vorhaben in Form eines Stipendiums für einen Forschungsaufenthalt und wird damit ein menschenrechtswidriges Projekt ermöglicht, so kann eine Gefahrenerhöhung freilich dann nicht angenommen werden, wenn zur Zeit der Förderung das Entstehen einer menschenrechtswidrigen Situation nicht erkennbar war. Aber auch hier ist es, analog zu den Genehmigungen, denkbar, dass bestimmte gefahrennahe Projekte eine besondere Risikoanalysepflicht erfordern können. Die Beurteilung ändert sich also, wenn etwa im Rahmen des Projektantrags Anhaltspunkte dafür bestanden haben, dass die stipendiale Förderung für menschenrechtswidrige Forschungszwecke verwendet wird, exemplarisch durch menschenunwürdige Medikamententests. Eine Förderung zu unterlassen oder nur unter Auflagen vorzunehmen, kann dann als konkrete Handlungspflicht bestehen. Eine Garantenstellung des Heimatstaates lässt sich in diesem Fall begründen, denn die Förderung stand im inneren Zusammenhang mit dem Verletzungserfolg und war gefahrerhöhend. Deutlich sind auch die Fälle der Unternehmensförderungen, so etwa der später noch eingehender zu diskutierende Fall der Außenwirtschaftsförderung.97 Werden etwa Hermes-Bürgschaften für infrastrukturelle Großprojekte oder für Vorhaben der extraktiven Industrie vergeben, die symptomatisch menschenrechtliche Bedenken aufwerfen, so liegt in der Förderung dieses Verhaltens ein gefahrerhöhendes nach außen gerichtetes Vorverhalten, das entsprechende Sorgfaltspflichten, insbesondere Risikoanalysepflichten nach sich ziehen kann. Rekurriert man auf Entscheidungen zu intraterritorialen Sachverhalten, so scheint auch in den Augen der Menschenrechtsgremien gerade die finanzielle Förderung eines menschenrechtswidrigen Projekts eine besondere Verantwortung auszulösen. Auch wenn der EGMR in Lopez Ostra seine Entscheidung nicht im Detail begründet hat, so scheint die staatliche Subventionierung der gefährdenden Anlage dennoch konkrete Begründungsrelevanz für die Schutzverantwortung zu haben.98 Die Subventionierung selbst wurde nicht in Frage gestellt, sondern nur die daraus erwachsenden Folgepflichten. Es ist umgekehrt erwägenswert, ob diese Konstellation auch auf die Importförderung anzuwenden wäre, so etwa, wenn der Import von Waren staatlich geför97 98
Abschnitt D. EGMR, Urteil v. 9. Dezember 1994, López Ostra vs. Spanien, Rn. 52.
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dert wird, die unter menschenrechtswidrigen Umständen produziert wurden. Zwar sind in solchen Fällen die Gefahrenquelle und die Menschenrechtsbeeinträchtigung jeweils extraterritorial belegen, das Verständnis des nach außen gerichteten Verhaltens stößt für die Importförderung aber an seine Grenzen. Werden lediglich Zollerleichterungen eingeführt und die Aufnahme des Imports begünstigt, so ist dies, auch wenn es extraterritoriale Implikationen hat, ein eher nach innen gerichtetes Verhalten. An dieser Stelle muss die Qualität der Auswirkungen bestimmt werden, denn das nach außen gerichtete Verhalten bei einer Ingerenz erfordert ein finales Element, nicht aber nur eine faktische extraterritoriale Auswirkung. Die nach innen gerichteten Importbegünstigungen, die nur als Nebenfolge die Förderung extraterritorialer menschenrechtswidriger Situationen nach sich ziehen können, sind mithin schwerlich garantenstellungsbegründend. (cc) Erzwungene Grenzüberschreitung Die Rechtsprechung und die Staatenpraxis zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zeigen deutlich, dass schließlich auch die erzwungene Grenzüberschreitung einen Tatbestand zur Begründung einer besonderen Schutzverantwortung darstellt. Die Aufenthaltsbeendigung an sich – das wurde oben dargelegt – betrifft nicht die Achtungs-, sondern die Schutzdimension und beeinträchtigt nicht selbst, sondern ermöglicht nur den Eingriff in Menschenrechte, vor dem zu schützen ist. In der Erzwingung einer Grenzüberschreitung desjenigen, dessen Aufenthalt beendet wird, liegt ein nach außen gerichtetes Verhalten, das dann gefahrerhöhend ist, wenn dem Betroffenen im Empfangsstaat vorhersehbar die Beeinträchtigung extraterritorial zu schützender Menschenrechte droht. Diese deutliche extraterritoriale Ingerenz begründet folglich eine Garantenstellung, die ein konkretes Verhaltensgebot etwa dahingehend verdichtet, dass die Aufenthaltsbeendigung zu unterlassen ist. Strukturell unterscheidet sich dieser Fall von den vorangegangenen dahingehend, dass die Ingerenz nicht denjenigen Verpflichtungsadressaten betrifft, von dessen staatsan- oder -zugehörigen privaten Akteuren die Gefahr ausgeht, sondern von dem, der die Schutzfähigkeit gegenüber dem Opfer hat. Dieser rein strukturelle Unterschied ändert aber nichts an der rechtlichen Beurteilung, sondern nur an der Feststellung, ob es sich um eine Beschützer- oder um eine Überwachungs-Garantenstellung handelt. Diese aber sind – wie dargelegt – gleichzustellen. Denkbar ist eine zweite Variante: Wird eine Person abgeschoben, von der selbst Gefahren ausgehen, so ist fraglich, ob für den abschiebenden Staat daraus eine Garantenstellung gegenüber extraterritorialen Personen erwachsen kann. Parallelisiert man die beiden dargelegten Fälle der erzwungenen Grenzüberschreitung, so lässt sich kein hinreichender Differenzierungsgrund finden. Ein
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Unterschied, ob das Leben derjenigen Person bedroht ist, die abgeschoben werden soll, oder ob das Leben extraterritorialer Personen von der abgeschobenen Person bedroht wird, ergibt sich nicht. Das Leben als extrajurisdiktionelles Schutzgut ist absolut zu schützen. Soll mithin eine gefährliche Person abgeschoben werden und konkretisiert sich das Risiko hinreichend, so liegt darin ein nach außen gerichtetes gefahrerhöhendes Vorverhalten und es kann sich in der Folge ein konkretes Handlungsgebot beispielsweise dahingehend verdichten, dass die Übernahme der Gefahrensicherung durch empfangsstaatliche Behörden sicherzustellen ist.99 Die Fallgruppe der erzwungenen Grenzüberschreitung begründet damit eine Garantenstellung. (dd) Extraterritoriale Ingerenz ohne Grenzüberschreitung Letztlich gibt es zu beurteilende Sachverhaltskonstellationen, bei denen eine extraterritoriale staatliche Ingerenz vorliegen kann, ohne dass ein privater Staatsan- oder -zugehöriger grenzüberschreitend tätig wird. Die Verhängung eines Embargos, selbst wenn dies meist nur im internationalkooperativen Rahmen geschieht, ist im Extremfall geeignet, eine Garantenstellung entstehen zu lassen.100 In einem Embargo als einer Handlungsform, die (wirtschaftlichen) Einfluss auf Situationen in einem anderen Land übt, liegt ein nach außen gerichtetes staatliches Vorverhalten. Es ist dabei auch final auf die Bewirkung extraterritorialer Veränderungen gerichtet. Ob dieses Vorverhalten tatsächlich gefahrerhöhend sein kann, also etwa dahingehend, dass das grundsätzlich auch extrajurisdiktionell zu schützende Recht auf Nahrung beeinträchtigt ist, ist zwar stets Frage des Einzelfalles, wird regelmäßig aber nicht gegeben sein.101 Für eine hinreichende Gefahrerhöhung müsste etwa die Lebensmittellage im Destinationsstaat stark beeinträchtigt sein und eine solche Abhängigkeit vom Import bestehen, dass im Falle eines Wegbleibens die Verwirklichung der Menschenrechte unmöglich ist.102 Vorstellbar ist dies etwa bei einem insgesamt ressourcenschwachen Land und der Verhängung eines Totalembargos mit der Folge, dass 99 Der Umstand, dass der Empfangsstaat unfähig sein könnte, selbst Schutz zu üben, ist dabei ein Faktor, der bei der Risikokonkretisierung zu berücksichtigen ist. 100 So sieht es anscheinend auch, ohne ausdrücklich eine Garantenstellungs-Figur anzuwenden, der CESCR, wenn er bei Embargomaßnahmen die Berücksichtigung der WSK-Rechte fordert: CESCR, General Comment No. 8, Rn. 11 ff.; CESCR, General Comment No. 14, Rn. 39; CESCR, General Comment No. 15, Rn. 32. 101 Ress, Das Handelsembargo, S. 19; Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Exportund Reexportverboten, S. 75 f. 102 Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 119, will in einem solchen Extremfall sogar Jurisdiktion im Sinne der Konventionen begründet sehen, da ein entsprechendes Embargo zumindest partielle Kontrolle über die extraterritoriale Situation bedeute.
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die Lebensmittellage lebensbedrohlich wird. Die Garantenstellung in diesem Fall beschränkt sich also darauf, Extremsituationen nicht entstehen zu lassen, kann aber nicht auf die Regelfälle der Embargoerlasse ausgedehnt werden.103 Eine weitere Fallgruppe, die kein grenzüberschreitendes Element enthält, die aber durchaus auch in diesem Zusammenhang erwägenswert ist, ist die Einreiseverhinderung von extraterritorialen Personen. Diese Kategorie umfasst Fälle, bei denen die zu schützende Person sich nicht auf dem Territorium des Staates befindet, ein staatliches Verhalten aber darauf hinwirkt, die Einreise nicht zuzulassen.104 Zwar wird vereinzelt bei der Analyse der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ein Erst-Recht-Schluss gezogen und die Einreiseverhinderung gleichen Maßstäben unterworfen105; einer grundsätzlichen Schutzverantwortung mangelt es aber bereits an extraterritorialer Ingerenz, denn das reine Unterlassen einer Aufnahme kann nicht als nach außen gerichtetes Verhalten analysiert werden, es stellt vielmehr nur eine intraterritoriale Abschottung mit faktischer extraterritorialer Außenwirkung dar.106 Werden dagegen aktive Gegenmaßnahmen zur Einreiseverhinderung unternommen, obliegt es einer Analyse des Einzelfalls, ob dann auch ein finales und gefahrerhöhendes nach außen gerichtetes Vorverhalten des Staates vorliegt.107 Etwas anderes kann sich auch dann ergeben, wenn die Form der Einreiseverhinderung menschenrechtswidrig ist108 oder wenn es um die denkbare Wieder-Einreise einer Person geht, deren Aufenthaltsbeendigung menschenrechtswidrig beendet wurde. Aus solchen Situationen könnte sich je nach Einzelfall eine Garantenstellung ergeben. 103 Der vom UNCHR geäußerte Gedanke, dass Staaten im Rahmen der internationalen Kooperation verpflichtet seien „to protect the right to food in other countries“, muss in den Zusammenhang der internationalen Embargo-Regelungen gesetzt werden. Siehe: UNCHR, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1999/12 v. 28. Juni 1999, Rn. 131 lit. c. 104 Zu unterscheiden ist diese Konstellation von den Praxisbeispielen, bei denen der Staat extraterritorial versucht, die Einreise zu verhindern, so etwa die Fälle der USA, in denen auf hoher See versucht wurde, Haitiianer abzufangen und direkt zurückzusenden, vgl. dazu die Fallentscheidung: US Supreme Court v. 21. Juni 1993, Sale vs. Haitian Centers Council, 509 U. S. 155 (1993). Handelt der Staat bereits extraterritorial, gilt nämlich das in Abschnitt C. II. 3. c) cc) (1) Gesagte. 105 Maaßen, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht, S. 129. 106 So im Ergebnis wohl auch: Dürr, Die Europäische Union und der Umgang mit „Massenfluchten“, S. 125 f. Dazu sei gesagt, dass die hier vorgenommene Beurteilung freilich eine Pflicht zur Aufnahme extraterritorialer Personen aus anderen völkerrechtlichen Gründen außer Acht lässt und nur die menschenrechtliche Beurteilung im Rahmen der extraterritorialen Schutzpflichten betrifft. 107 Die Beauftragung anderer Staaten, aus dem eigenen Land stammende Flüchtlinge oder Transit-Flüchtlinge aufzuhalten, könnte hier ein solcher Beispielsfall sein, wenn im Rahmen des Auftrags den menschenrechtlichen Aspekten nicht hinreichend Beachtung geschenkt wurde. 108 Siehe zu dem Problemkreis: Fischer-Lescano/Löhr, Menschen- und flüchtlingsrechtliche Anforderungen.
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(4) Zusammenfassung und Bewertung Eine Zwischenbilanz zeigt, dass die Garantenstellungsdogmatik geeignet ist, sachgerechte Ergebnisse zu liefern, die auch dem Anspruch eines lückenlosen Menschenrechtsschutzes gerecht werden. Die vorstehende Untersuchung stellt dabei drei Begründungstatbestände für eine Garantenstellung heraus, die jeweils eine konkrete extraterritoriale Schutzverantwortung nach sich ziehen: das direkte staatliche extraterritoriale Handeln, die intraterritoriale Beherrschung einer Gefahrenquelle mit extraterritorialen Wirkungen und ein nach außen gerichtetes gefahrerhöhendes Vorverhalten des handelnden Staates. Diese Kategorien und die dargestellten Fallgruppen, das muss an dieser Stelle wiederholt gesagt werden, beanspruchen keine Abgeschlossenheit, denn nicht-absehbare Entwicklungen sollen nicht durch einmal rigide festgelegte Kriterien einer menschenrechtlichen Beurteilung entzogen werden. Das Haupt-Kriterium der Garantenstellung ist dagegen hinreichend flexibilisierbar und damit auch für zukünftige Entwicklungen offen. Dass der dargestellte Lösungsansatz sachgerecht und realisierbar ist, zeigen vor allem die Anwendungsfälle. Sämtliche Sachverhalte, die nach der hier vertretenen Auffassung eine konkrete Garantenstellung begründen, sind mit unterschiedlichem Grade, auch wenn die dogmatische Zuordnung zu extraterritorialen Schutzpflichten meist vernachlässigt wird, anerkannt. Dass ein Staat im Falle der extraterritorialen Gebietsbesetzung weitestmöglich auch Übergriffe von privaten Akteuren zu verhindern hat, ist ein grundlegender Anwendungsfall extraterritorialer Staatenpflichten. Dass den Gefahren des Atomexports oder des Rüstungstransfers besondere Aufmerksamkeit zukommt, zeigen vor allem die in diesem Bereich bestehenden besonderen Genehmigungserfordernisse. Nicht zuletzt zeigt die Rechtsprechung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, dass eine extraterritoriale Schutzverantwortung im Nachfeld eines positiven Zutuns des Staates entstehen kann. Die dargelegten Grundsätze sind damit also keineswegs eine NeuBeurteilung sämtlicher Sachverhalte mit Auslandsberührung, sondern verallgemeinern nur bestimmte, in Ansätzen auch praktizierte Verhaltensanforderungen, die bislang nur nicht im Bewusstsein der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten standen. Auch Negativ-Beispiele lassen sich anführen: Drohen in einem anderen Staat humanitäre Notlagen, etwa durch Naturkatastrophen, so kann es plausibel sein, zu vertreten, dass dies eine Handlungspflicht im Rahmen der extraterritorialen Schutzpflichten begründen sollte.109 Nach den hier entwickelten Grundsätzen ist diese Fallgruppe aber nicht garantenstellungsbegründend, denn weder handelt ein
109 Mit Verweis auf die sachliche Eingrenzung ist an dieser Stelle die Beurteilung des Sachverhalts anhand des Konzepts der Responsibility to Protect außer Acht zu lassen.
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Staat extraterritorial oder beherrscht eine extraterritorial wirkende Gefahrenquelle, noch liegt ein erforderliches nach außen gerichtetes Vorverhalten vor.110 Eine konkretes Gebot zum Tätigwerden entsteht damit hier zumindest nicht, jedenfalls nicht im Rahmen der extraterritorialen Schutzpflichten.111 Dieses Ergebnis erscheint aber auch sachgerecht, denn dass sämtliche Verpflichtungsadressaten bei dem Entstehen einer humanitären Notlage eine verbindliche sofortige Handlungspflicht haben sollten, ist keineswegs realisierbar. Auch wenn ein Staat nicht zu Unmöglichem verpflichtet sein kann, scheinen die Menschenrechtspflichten in erster Linie auch nichts Unmögliches fordern zu wollen. Die lückenfüllende Funktion der extraterritorialen Schutzpflichten fordert mithin nicht die Institutionalisierung neuer Instrumente oder Organe, sondern nur die menschenrechtliche Überformung bereits vorhandener Verhaltensweisen. 4. Zwischenergebnis Die allgemeinen Voraussetzungen für (intraterritoriale) Schutzpflichten gelten grundsätzlich auch für extraterritoriale Schutzpflichten. Danach muss der räumliche, sachliche und personelle Anwendungsbereich eröffnet sein und eine hinreichende Gefahrenlage vorliegen. Besonderheiten im extraterritorialen Kontext ergeben sich aber bereits für die Zahl der Gefahrenquellen, denn, anders als bei intraterritorialen Schutzpflichten, vermag die Bedrohung der Menschenrechte durch einen Staat extraterritoriale Schutzpflichten auszulösen, nämlich dann, wenn der Gaststaat selbst Urheber von bestimmten Gefahren ist. Die Beurteilung der Gefahrenquelle ist dabei aus relativer Sicht, aus Sicht des verpflichtungsadressierten Staates vorzunehmen. Zentrale Besonderheit der extraterritorialen Schutzpflichten ist das Erfordernis einer Garantenstellung. Dieses zusätzliche Kriterium ist für intraterritoriale Schutzpflichten nicht gesondert zu begründen. Dort genügt die Inhaberschaft der Territorialgewalt und eine hinreichende Gefahrenkonkretisierung, um pauschal eine konkrete Schutzverantwortung zu begründen. Extraterritorial ist es erforderlich, dass der Verpflichtungsadressat entweder selbst extraterritorial handelt, eine Gefahrenquelle beherrscht, die extraterritorial wirkt, oder ein von ihm ausgehendes nach außen gerichtetes gefahrerhöhendes Vorverhalten vorliegt. Abschließend sind diese Tatbestände dagegen nicht.
110 So im Ergebnis auch: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 120; Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 104. 111 Ob daneben internationale Kooperationspflichten des IPwskR oder der VNC entstehen, ist eine andere – hier nicht zu behandelnde – Frage. In diesem Rahmen sieht der CESCR zumindest einen Grenzbereich normativer Pflichten zur Hilfeleistung: CESCR, General Comment No. 12, Rn. 36 ff.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten Ist der räumliche Anwendungsbereich für ein betroffenes Menschenrecht eröffnet und liegen die weiteren Voraussetzungen vor, so verdichtet sich die Schutzpflicht auf Rechtsfolgenseite zu einem grundsätzlichen Handlungsgebot – einer Pflicht zum schützenden Handeln. Auch hier stellt sich die strukturelle Komplexität der Schutzpflichten gegenüber dem bipolaren Verhältnis der Achtungsverpflichtungen heraus, bei denen lediglich das gegenwärtige staatliche Handeln unterlassen werden muss. Der Umfang des Handlungsgebotes bei Schutzpflichten orientiert sich an den zahlreichen Faktoren, die staatliches Handeln im Hinblick auf die Beteiligten begrenzen. Dies spitzt sich bei extraterritorialen Sachverhalten zu, denn staatliche Grenzüberschreitung und staatliches Handeln mit grenzüberschreitender Wirkung sind stets besonderen Regeln unterworfen. 1. Allgemeine Grundsätze Die allgemeinen Grundsätze zur Verdichtung der Schutzpflichten sind Grundsätze, die bereits für intraterritoriale Schutzpflichten entwickelt wurden und daher keiner intensiven Auseinandersetzung bedürfen. An dieser Stelle soll in gebotener Kürze ein Überblick über die allgemeinen Leitlinien für die Rechtsfolgen von Schutzpflichten gegeben werden. a) Die Konkretisierung des Handlungsgebots Sind die Voraussetzung der Schutzpflichten erfüllt, so entsteht ein Handlungsgebot für den verpflichtungsadressierten Staat. Allgemein kann dazu festgehalten werden, dass ein bestimmtes, nach der Intensität der Gefahr ausgerichtetes UnterPflichtenprogramm entsteht, das aus vielen einzelnen Schutzhandlungen besteht und insgesamt der Erfüllung der Schutzpflicht im weiteren Sinne dient. Damit steht aber freilich noch nicht fest, welche Schutzhandlungen konkret vorgenommen werden müssen. aa) Konkret geforderte Schutzhandlungen Die Pflicht zum schützenden Tätigwerden ist in wenigen Verträgen näher bestimmt, vereinzelt wird etwa von „gesetzgeberischen oder sonstigen Mitteln“ 112 oder „appropriate legislative, administrative, social and educational measures to protect“ 113 gesprochen.114 Solche Konkretisierungsversuche vermögen es jedoch 112
Art. 2 Abs. 2, siehe auch: Art. 6, 17, 20, 26 IPbpR. Art. 19 Abs. 1 KRK. 114 Für den IPwskR spricht: ECOSOC, Limburger Prinzipien v. 27. November 2000, UN Doc. E/C.12/2000/13, Rn. 18, von „gesetzgeberischen Maßnahmen“, die aber nicht immer ausreichende Maßnahmen seien. 113
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nicht, ein klares Handlungsprofil zu erstellen, sie wiederholen vielmehr nur das, was dem Staate als Handlungsrepertoire ohnehin zur Verfügung steht und sind eher als Handlungsempfehlungen zu verstehen. Die internationalen Menschenrechtsgremien halten sich bei allgemeingültigen Aussagen zurück und argumentieren meist einzelfallbezogen. Der EGMR verwahrt sich sogar explizit davor, sich von seinem einzelfallbezogenen Ansatz zu lösen, indem er festhält: „The Court does not have to develop a general theory of the positive obligations [. . .].“ 115 Teilweise gibt er etwas unscharf, aber immerhin generalisierend vor: Die Staaten hätten die Pflicht „to take measures within the scope of their powers which, judged reasonably, might have been expected to avoid that risk“ 116, fügt aber hinzu: „This is a question which can only be answered in the light of all the circumstances of any particular case.“ 117 Steht die konventionsrechtliche Beurteilung einer konkrete Handlungsform im Raum, so beschränkt sich die Analyse des EGMR auf die Frage, ob die Handlungsform hinreichend war. Häufig belässt der EGMR es im Falle eines staatlichen Untätigbleibens bei der vagen Generalansage, dass „appropriate measures“ 118 oder „measures designed to ensure“ 119 erforderlich seien. In der Gesamtschau der Anhaltspunkte in den Verträgen und der Anmerkungen der internationalen Menschenrechtsgremien kann aber festgestellt werden, dass ein legislatives Handeln zur Verhaltenslenkung der privaten Akteure, etwa durch strafbewehrte Verbotsnormen, sehr häufig gefordert wird120. Diese Handlungsform stellt gewissermaßen den grundlegenden Regelfall der in Frage kommenden Erfüllungsmodi dar. Die Effektivität der Durchsetzung solcher Verbotsnormen wird daneben stets vorausgesetzt. Sämtliches anderes staatliches Handeln, etwa die Einrichtung spezieller Menschenrechts-Institutionen, besondere Bildungs-, Schulungs- oder Aufklärungsmaßnahmen sowie diplomatisches, konsularisches oder militärisches Handeln zugunsten der Menschenrechte, ist zwar zur Erfüllung der Schutzpflichten nicht ausgeschlossen, wird aber selten konkret gefordert. Die Konkretisierung des Handlungsgebots unterliegt damit zwar stets einer einzelfallbezogenen Analyse, deutlich wird aber, dass Haupt-Erfüllungsmodus ein verhaltenslenkendes Handeln durch Gesetz und dessen Durchsetzung ist. 115 EGMR Urteil v. 21. Juni 1988, Plattform Ärzte für das Leben, Rn. 31 (Hervorhebung durch den Bearbeiter). 116 EGMR, Urteil v. 28. Oktober 1998, Osman vs. UK, Rn. 116; EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldawien und Russland, Rn. 334 ff. 117 EGMR, Urteil v. 28. Oktober 1998, Osman vs. UK, Rn. 116. 118 EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldova and Russia, Rn. 313. Diesen Begriff verwendet auch der HRC, General Comment No. 31, Rn. 8. 119 EGMR, Urteil v. 10. Mai 2001, Z and others vs. UK, Rn. 73. 120 So: EGMR, Urteil v. 17. Oktober 1986, Rees vs. UK, Rn. 47; EGMR, Urteil v. 26. März 1985, X and Y vs. Netherlands, Rn. 27. HRC, General Comment No. 31, Rn. 8, 13.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
bb) Staatlicher Ermessensspielraum Ferner und damit zusammenhängend kommt dem Verpflichtungsadressaten ein weiter Ermessensspielraum zu.121 Die Schutzpflichten richten sich als völkerrechtliche Pflichten nur an den Staat als Gesamtheit und begründen sodann je nach Staatsform und -struktur unterschiedliche Handlungsgebote für die Staatsorgane. Das Völkerrecht beantwortet nicht die Frage, auf welcher Staatsebene welche Staatsgewalt welches Mittel konkret wählen muss. Die menschenrechtlichen Schutzpflichten geben nur vor, dass sie wirksam erfüllt werden müssen.122 Die Beurteilung, was im Einzelfall wirksam ist, muss grundsätzlich dem Staate überlassen bleiben, denn auch den regionalen Besonderheiten muss gesondert Rechnung getragen werden können. Dass der staatliche Ermessensspielraum im Ausnahmefall geringer sein kann, zeigt ein Beispiel, in dem sich das konkrete Handlungsgebot des Staates nach Auffassung des EGMR so hinreichend verdichtet hatte, dass der Ermessensspielraum gleichsam auf null reduziert wurde. In Frage stand die – bis dato in den Niederlanden nicht vorhandene – Unterstrafestellung des sexuellen Missbrauchs von Menschen mit Behinderungen. Der EGMR äußerte zunächst, dass verschiedene Möglichkeiten zur Sicherung des betroffenen Schutzgutes grundsätzlich eine freie Wahl des Staates begründeten. Strafrechtliche Regelungen seien dabei zwar nicht stets zwingend die einzige Handlungsmöglichkeit, gefordert sei vielmehr eine klare Abschreckung.123 Jedoch sei eine Abschreckung in dem konkreten Fall nur durch Strafandrohung zu erreichen und ferner das übliche Mittel zur Prävention.124 Hier verdichtete sich das Handlungsgebot mithin auf ein strafbe-
121 EGMR, Urteil v. 26. März 1985, X and Y vs. Netherlands, Rn. 24; EGMR, Urteil v. 13. August 1981, Young, James und Webster vs. UK, Rn. 65; EGMR Urteil v. 21. Juni 1988, Plattform Ärzte für das Leben, Rn. 34; EGMR, Urteil v. 26. März 1987, Leander vs. Sweden, Rn. 59; EGMR, Urteil v. 26. Mai 1993, McBride vs. UK, Rn. 43; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 168 ff.; Ress, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty Protect, S. 175; Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 315; von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 9. Der HRC hält sich gleichermaßen zurück, in dem er oftmals nur von „effective“ oder „preventive“ measures spricht, vgl. HRC, Concluding Observations Uzbekistan v. 26. Mai 2005, UN Doc. CCPR/CO/83/UZB, Rn. 25; HRC, Concluding Observations Morocco v. 1. Dezember 2004, UN Doc. CCPR/CO/82/MAR, Rn. 31 und HRC, Concluding Observations Poland v. 2. Dezember 2004, UN Doc. CCPR/CO/82/POL, Rn. 10; HRC, General Comment No. 31, Rn. 13. 122 Vgl. Art. 2 Abs. 2 IPbpR. 123 EGMR, Urteil v. 26. März 1985, X and Y vs. Netherlands, Rn. 24, 27. 124 EGMR, Urteil v. 26. März 1985, X and Y vs. Netherlands, Rn. 27: „It can be achieved only by criminal-law provisions“. Auch: Bleckmann, Die Entwicklung staatlicher Schutzpflichten, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch, S. 319, geht von der Möglichkeit so einer einzelfallabhängigen Ermessensreduzierung aus.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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wehrtes Verbotsgesetz und ließ den Ermessensspielraum des Staates leerlaufen. Diese Ermessensreduzierung ist aber ebenso immer eine Frage des Einzelfalls.125 b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Angesichts des besonderen tripolaren Verhältnisses der Schutzpflichten, kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der unstrittig bei der Erfüllung der Menschenrechtspflichten zu beachten ist126, eine Bedeutung in mehrfacher Hinsicht zu. Einmal gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner komplementären Form gegenüber dem Schutzobjekt als Untermaßverbot.127 Mit anderen Worten: Die Schutzhandlung darf ein gewisses Niveau nicht unterschreiten; sie muss geeignet, erforderlich und angemessen sein, das Schutzziel zu erreichen. Das oftmals als Tatbestandsvoraussetzung genannte Kriterium der „hypothetischen Kausalität“ einer vorzunehmenden Schutzmaßnahme für den Nicht-Eintritt des Verletzungserfolges wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeit mit berücksichtigt, denn eine nicht kausale Handlung ist auch nicht geeignet, hinreichenden Schutz zu liefern. Insoweit muss kein gesonderter Prüfungspunkt geschaffen werden. Daneben darf die Schutzhandlung nicht unverhältnismäßig in die Rechte des Störers eingreifen.128 Das heißt, die Schutzhandlung muss ihrerseits menschenrechtskonform sein.129 125 Insoweit überzeugt es auch nicht, wenn der EGMR später annimmt, der Ermessensspielraum sei beim Recht auf Leben im Hinblick auf die Mittel pauschal verengt, denn auch diese Wahl ist grundsätzlich Frage des Ermessens des Staates. So: EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldawien und Russland, Rn. 334. 126 Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 309 ff., 352 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 170; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 125; Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 315; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 169, mit zahlreichen weiteren Nachweisen der Rechtsprechung. Die Bezeichnungen variieren, gemeint ist aber das, was als Verhältnismäßigkeit verstanden wird, z. B.: „fair balance“: EGMR Urteil v. 17. Oktober 1987, Rees vs. UK Rn. 37. Von „Abwägung“ sprechen auch: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 250; Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 314 f. 127 Vgl. zu der Terminologie: Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 352 f.; Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, S. 119 f. 128 Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, S. 109, 111. 129 Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 152. Zu der klassischen Problematik der Dialektik von Freiheit und Sicherheit in diesem Zusammenhang siehe: Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 235. Auch Nebenziele der Verträge können in die Abwägung miteinbezogen werden, vgl. dazu: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 170. Das Gebot für den Staat, den Schutz der Rechte nicht menschenrechtswidrig durchzusetzen, kann den Missbrauchsklauseln, etwa Art. 17 EMRK, Art. 5 IPbpR und Art. 5 IPwskR entnommen werden, wonach der Konventionsschutz keinen rechtswidrigen Eingriff in die Konventionsrechte begründen kann.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Ob die Handlung ferner im extraterritorialen Kontext gegenüber dem anderen Staat verhältnismäßig sein muss, ist dagegen eine Frage der extraterritorialen Handlungsreichweite, die sich an allgemein-völkerrechtlichen Maßstäben zu orientieren hat und sogleich erläutert werden soll. c) Der Grundsatz der Unmöglichkeit Das staatliche Unvermögen, Schutz zu üben, bildet die letzte äußere Handlungsschranke, deren Determinierung sich für extraterritoriale Schutzpflichten – und das wird im Abschnitt C. III. 2. zu zeigen sein – als komplexe Aufgabe herausstellt. Der Grundsatz der Unmöglichkeit, der zugleich allgemeiner Rechtsgrundsatz ist,130 begrenzt das von den Schutzpflichten grundsätzlich geforderte Handeln. Die Existenz dieses Grundsatzes wird im Schrifttum131 und in der Rechtsprechung132 nicht in Frage gestellt. Der EGMR wiederholt in ständiger Rechtsprechung, die positiven Pflichten seien nicht „to be interpreted in such a way as to impose an impossible [. . .] burden“ 133. Dieser Grundsatz betrifft die faktische134 und – falls höherrangiges Recht widerspricht – auch rechtliche Unmöglichkeit.135 Die rechtlichen Grenzen können sich dabei vor allem aus dem allgemeinen Völkerrecht ergeben.136 Der Grundsatz trägt auch der individuellen staatlichen Leistungsfähigkeit Rechnung.137 Regional variierende finanzielle und technische Möglichkeiten sind hier zu berücksichtigen.138 130 Vgl. hierzu auch den Grundsatz in: Art. 61 WVK, der dort als vertraglicher Beendigungs- oder Rücktrittsgrund ausgestaltet ist. Insgesamt gilt der Grundsatz nemo ultra posse tenetur (obligatur) für sämtliche Pflichten im Völkerrecht. 131 Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 288; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 239, 249 ff.; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 168; Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, S. 111; Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 255; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 188. 132 Vgl. EGMR, Urteil v. 28. Oktober 1998, Osman vs. UK, Rn. 116; EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldawien und Russland, Rn. 332; EGMR, Urteil v. 16. März 2000, Özgür Gündem vs. Türkei, Rn. 43. Selbst die Antragssteller in: EGMR, Entscheidung v. 12. Dezember 2001, Bankovic et al. vs. Belgien, Rn. 47, gestehen dies ein. 133 Vgl. EGMR, Urteil v. 16. März 2000, Özgür Gündem vs. Türkei, Rn. 43 (Hervorhebung durch Bearbeiter); EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldawien und Russland, Rn. 332; EGMR, Urteil v. 28. Oktober 1998, Osman vs. UK, Rn. 116. 134 Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 234 und 239 ff. 135 Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 239, 251. 136 Vgl. auch: Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (54). 137 Streuer, Die positiven Verpflichtungen der Staaten, S. 255 f.; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 272. 138 EGMR Urteil v. 18. Dezember 1986, Johnston and Others, Rn. 55; EKMR Entscheidung v. 6. März 1987, Jordebo vs. Sweden, S. 125, 128; EGMR, Urteil v. 8. Juli 2004, Ilascu et al. vs. Moldawien und Russland, Rn. 332.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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An dieser Stelle ist auch die Frage anzusiedeln, ob der Verpflichtungsadressat Kenntnis von der menschenrechtsbedrohenden Situation hat. Hat ein Staat keine Kenntnis von der Gefahr, so kann er auch nicht Abhilfe schaffen, ein Vorwurf liegt darin nicht. Eine andere Frage ist freilich, ob er sich Kenntnis verschaffen muss.139 Die Erfüllung der Schutzpflichten findet also eine Grenze genau dort und dann, wo und wenn die Leistungsfähigkeit des Staates endet. Ist ein Staat nicht in der Lage, Schutz zu üben, so entsteht auch kein Handlungsgebot, dessen Unterlassen eine Pflichtverletzung sein könnte. Schutz ist also nur, aber auch, so weit wie möglich zu üben. d) Zusammenfassung Für Schutzpflichten (intra- und extra-territorial) gilt auf Rechtsfolgenseite Folgendes: Die Erfüllung der Voraussetzungen beauftragt den Verpflichtungsadressaten grundsätzlich, betroffene Menschenrechte zu schützen. Dem Staat kommt im Hinblick auf das konkrete Handlungsspektrum ein weiter Ermessensspielraum zu, der nur im Ausnahmefall beschränkt sein kann. Die konkrete Schutzmaßnahme muss verhältnismäßig gegenüber dem Betroffenen und gegenüber dem Störer sein. Eine äußere Grenze bildet stets das staatliche Unvermögen, Schutz zu üben. Kann ein Staat keinen Schutz leisten, faktisch oder rechtlich, so ist das Handlungsgebot gleichermaßen begrenzt. Eine Haftung für das Unterlassen unmöglichen Schutzes gibt es daher nicht. Damit wird zugleich deutlich, dass kein Erfolg, sondern ein möglichstes Bemühen geschuldet ist. 2. Umfang des extraterritorialen Handlungsspielraums zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten Für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten140 muss neben der Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze ein zusätzlicher Parameter strikt beachtet werden: Der Grundsatz der souveränen Staatengleichheit.141 Stellt sich heraus, dass dieser Grundsatz zugunsten der anderen Staaten die Erfüllbarkeit der extra139 Dies ist aber eine bereits aus den Schutzpflichten erwachsende Handlungspflicht, die dann verletzt wird, wenn Anhaltspunkte für eine potenzielle Gefahr bestanden und der Staat sich deren Kenntnis entzogen hat. Vgl. dazu: Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 242 ff. 140 Der Schwerpunkt der Extraterritorialitäts-Diskussion lag bislang auf den Achtungspflichten. Da diese aber keine Souveränitäts-Bedenken aufwerfen, denn es ist kein Handeln vorzunehmen, sondern bloß eines zu unterlassen, fällt die Diskussion dieser Problematik im Schrifttum sehr mager aus, tiefergehend beschäftigt sich: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 72 ff., mit diesen Fragen. 141 Heute in Art. 2 Abs. 1 VNC ausdrücklich kodifiziert.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
territorialen Schutzpflichten verhindert, so kann dies, als rechtliche Unmöglichkeit, das von den Schutzpflichten aufgestellte Handlungsgebot beschränken. Voraussetzung ist zum einen, dass durch die Menschenrechtspflichten keine abschließenden regime-internen Jurisdiktionsregeln geschaffen wurden, die die allgemein-völkerrechtlichen Grundsätze überlagern könnten, und ferner, dass der Grundsatz der souveränen Staatengleichheit einen normhierarchisch höheren Rang einnimmt als die Menschenrechtspflichten. Im Folgenden soll daher nach der Erläuterung dieser Vorfragen (unter a)) der allgemeine extraterritoriale Handlungsrahmen zur Erfüllung der extraterritorialen Schutzpflichten ausgelotet werden (unter b), c) und d)). a) Vorüberlegungen aa) Abgrenzung der völkerrechtlichen Jurisdiktionsbegriffe Der Begriff der Jurisdiktion ist im Völkerrecht ein Homonym. Er taucht in vielfacher Form auf und absorbiert kontextuell unterschiedliche Bedeutungen. Der in vielen Menschenrechtsverträgen verwendete Begriff der Jurisdiktion als vertragsimmanentes Tatbestandsmerkmal und derjenige im Sinne des allgemeinen Völkerrechts sind strikt zu trennen. Geht es bei der „menschenrechtlichen“ Jurisdiktion darum, den räumlichen Anwendungsbereich der Menschenrechtspflichten zu begründen, handelt es sich bei der allgemein-völkerrechtlichen Jurisdiktion um eine Kompetenzzuweisung, die die Frage nach dem rechtlichen (extraterritorialen) Dürfen beantwortet. Wie dargelegt, stehen die beiden Begriffe auch nicht in einer wechselseitigen Beziehung, denn einmal sind sie Rechtsfolge einer faktischen Hoheitsausübung und ein andermal Elemente einer normativen Kompetenzordnung, die einer Hoheitsausübung vorgelagert sind. Ursprünglich betraf Jurisdiktion insbesondere die Ausübung gerichtlicher Hoheitsgewalt142. In der Völkerrechtslehre wird der Begriff indes als Synonym für das gesamte staatliche Handeln angesehen und wird entsprechend gesamtheitlich bezeichnet als Kompetenz, das Verhalten der Rechtsunterworfenen zu regeln und durchzusetzen.143 Für die völkerrechtliche Beurteilung extraterritorialen staatlichen Handelns wird ferner oftmals in Anlehnung an die staatsrechtliche Gewaltenteilungslehre zwischen jurisdiction to prescribe, to adjudicate und to enforce unterschieden.144 Sie kann aber in diesem Sinne nicht gleichermaßen differenziert für das Völker142 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 3, m.w. N. 143 Vgl. Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 11; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 39. 144 Dies geht zurück auf das American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987).
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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recht gelten145, denn wie sogleich noch zu zeigen sein wird, gelten für die extraterritoriale judikative und legislative Jurisdiktion fast die gleichen Grundsätze. Aus völkerrechtlicher Sicht sind dogmatisch mithin nur zwei staatliche Handlungsformen von Bedeutung: einmal das extraterritoriale exekutive Handeln eines Staates, bei dem die physische Anwesenheit eines Staates auf fremdem Territorium beurteilt werden muss, und ein andermal das präskriptive Handeln eines Staates, das ein bestimmtes Verhalten anhand von (abstrakt-generellen) Rechtsnormen und konkretisiert (konkret-individuell) durch Rechtsprechung für private Akteure vorbestimmt146, ohne dass der Staat extraterritorial physisch anwesend ist. Auf die genaue Ausgestaltung dieser beiden Jurisdiktionskomponenten soll an gegebener Stelle noch genauer eingegangen werden.147 Es gibt keine allgemeinen vertraglichen Regeln zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Jurisdiktionsausübung. Die Zulässigkeit der allgemeinen Jurisdiktion im Sinne der staatlichen Hoheitsausübung ist vielmehr an dem Grundsatz der souveränen Staatengleichheit zu messen.148 Die Jurisdiktion ist unmittelbare Rechtsfolge der staatlichen Souveränität und findet damit auch an einer solchen ihre Grenze.149 Determinante der äußeren Souveränität des einen Staates ist also die innere Souveränität des anderen Staates. Der Ausgleich dieser beiden Grundsätze ist Existenzgrund und Aufgabe der zu behandelnden Jurisdiktionsregeln. bb) Die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten und extraterritoriale Jurisdiktionsausübung Eine vorab zu prüfende Frage betrifft das Zusammenspiel von der Pflicht und dem Recht zur extraterritorialen Jurisdiktionsausübung, denn die Erfüllung der extraterritorialen Schutzpflichten erfordert grundsätzlich auch ein extraterritoriales Handeln. Nur schwerlich könnte man die menschenrechtlichen Verträge mit ihren extraterritorialen Pflichten als spezielle Regeln für die Jurisdiktionsausübung ansehen. Dafür könnte zwar sprechen, dass die Forderung nach einem extraterritorialen Schutz die Möglichkeit, diesen zu verwirklichen, bedingt. Gewollt sein könnte mithin eine Abbedingung des allgemeinen Völkerrechts für den Bereich des Menschenrechtsvölkerrechts. Nachfolgend immer wieder geäußerte (vermeintliche) Universalitätsansprüche der Menschenrechte könnten ein solches Ergebnis bekräftigen. 145
Dazu: Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 43 f. Die spezial- und die generalpräventive Komponente der Aburteilung eines privaten Verhaltens durch die Gerichte bewirken dabei die Vorbestimmung zukünftigen Verhaltens privater Akteure. 147 Abschnitte C. III. 2. b) und c). 148 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 22. 149 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 21. 146
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Sollte der Pflicht zum Handeln aber stets auch ein Recht zum Handeln folgen, hätte dies für die völkerrechtliche Jurisdiktionsdogmatik drastische Folgen, denn führt man sich den unbeschränkten räumlichen Anwendungsbereich des IPwskR und der fundamentalen Menschenrechte vor Augen, so könnte zu deren Schutz sämtliches extraterritoriales Handeln sämtlicher Verpflichtungsadressaten jederzeit gerechtfertigt sein. Dies aber hebt die Jurisdiktionsdogmatik gänzlich aus den Angeln und kann gewiss nicht gemeint sein. Zu Recht verweist daher etwa der CESCR mit einer salvatorischen Klausel darauf, dass die extraterritorialen Schutzpflichten „in accordance with the Charter of the United Nations and applicable international law“ 150 zu erfüllen seien. Gemeint sind damit die Grundsätze zur Jurisdiktionsdogmatik, das Interventionsund Aggressionsverbot sowie allgemein der Grundsatz der souveränen Staatengleichheit. Diese Vorrangigkeit der in der VNC niedergelegten Grundsätze ergibt sich dabei nur bedingt aus Art. 103 VNC, wonach im Falle eines Konflikts von Pflichten aus anderen Übereinkommen diejenigen der VNC vorrangig sind. Denn gewiss ist ein Vertrag, der zu einer Aggression verpflichtet, nach Art. 103 VNC unanwendbar, die Jurisdiktionsdogmatik, die nur aus dem Grundsatz der souveränen Staatengleichheit abgeleitet wird, ist dagegen ausfüllungsfähig und grundsätzlich auch völkerrechtlich abdingbar. Dennoch schaffen die Menschenrechtsverträge, das ergibt sich aus ihnen selbst, keine jurisdiktionellen Sonderrechte, denn von der bloßen Pflicht zu schützen kann ohne hinreichende Ausdrücklichkeit nicht auf eine Abbedingung der allgemeinen Jurisdiktionsregeln geschlossen werden. Ein Vertragstext, der die Abbedingung einer Regel bezweckte, müsste dies explizit zum Ausdruck bringen. Tatsächlich gibt es vereinzelte (Menschenrechts-)Verträge, die solche speziellen Jurisdiktionsregeln ausdrücklich vorsehen und damit die allgemeinvölkerrechtlichen Regeln verdrängen.151 Dabei handelt es sich aber um strikte Ausnahmefälle. Soweit keine ausdrücklichen Jurisdiktionsregeln geschaffen wurden, kann auch nicht auf eine spezielle Erweiterung der allgemein-völkerrechtlichen Jurisdiktionsregeln geschlossen werden. Die Schutzpflicht folgt daher nur den koordinierenden Vorgaben des Völkerrechts152 und die Erfüllung der Schutzpflichten hat sich an diesen zu orientieren.
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CESCR, General Comment No. 14, Rn. 39. Siehe: Art. 4–6 Abs. 1 Anti-FoK. Vgl. Art. XX Völkermordkonvention 1984, Inter-American Convention on Jurisdiction in the International Sphere for Extraterritorial Validity of Foreign Judgements; oder: EU Council Regulation No. 44/2001, 22. Dezember 2000, Jurisdiction and the Recognition and Enforcement of Judgements in Civil and Commercial matters. 152 So auch: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 3; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, S. 187. 151
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts überlagern damit die Erfüllbarkeit derMenschenrechtspflichten und sind bei der Bestimmung des extraterritorialen Handlungsrahmens zur Erfüllung der Schutzpflichten als Grenzen heranzuziehen. Die Gültigkeit extraterritorialer Schutzpflichten wird allerdings durch die beschränkte extraterritoriale Erfüllbarkeit nicht berührt. Dieser Gedanke schwingt immer dann mit, wenn mit dem Verweis auf die Souveränität der anderen Staaten extraterritoriale Staatenpflichten kurzerhand insgesamt abgelehnt werden.153 Dagegen spricht aber, dass die Schutzpflichten nicht als unbedingt zu erfüllende Pflichten, sondern vielmehr als so weit wie möglich zu erfüllende Pflichten zu verstehen sind. Ist mithin eine extraterritoriale Erfüllung der Pflichten nicht möglich, so schließt es ihre Gültigkeit nicht aus, sondern reduziert nur ihre Erfüllbarkeit. Hat das Verbot der Nicht-Einmischung also einen Vorrang, dann ist dies allenfalls ein Anwendungs- nicht aber ein Geltungsvorrang. Auch kann die Gültigkeit nicht durch einen möglichen Verstoß gegen Art. 34 WVK in Frage gestellt werden154, wonach ein Vertrag zu Lasten von Drittstaaten unzulässig ist, denn Pflichten, auch denkbare Duldungspflichten155, werden für keinen Drittstaat begründet. Ob der Vorwurf eines Werte-Oktroi geeignet ist, die Schutzpflichten zu beeinflussen, wird später noch zu erläutern sein. Extraterritoriale Schutzpflichten und extraterritoriale Jurisdiktionsausübung befinden sich damit auf zwei grundsätzlich voneinander getrennten Ebenen. Sie beeinflussen einander nur insoweit, als die Erfüllung der ersteren die Befugnis der letzteren voraussetzt. Eine wechselbezügliche Wirkung auf die jeweilige Rechtsgültigkeit haben sie jedoch nicht. cc) Zusammenfassung Die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten hat sich an den allgemein-völkerrechtlichen Regeln zu orientieren.156 Die Souveränität der anderen Staaten bildet die äußere Grenze des Handlungskönnens und -dürfens und bestimmt damit zugleich die Reichweite des Handlungsmüssens. Sie ist entscheidende Gren153 Vgl. dazu die Ausführungen bei: Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (181 ff.), die auch entsprechende Auffassungen einiger Staaten erläutert. 154 So aber: Wagner, Das Spannungsverhältnis, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 170. 155 Ob eine Pflicht zur Duldung der extraterritorialen Jurisdiktionsausübung eines Drittstaates entsteht, ist dagegen eine Frage, die erst bei der Darstellung der Jurisdiktionsdogmatik zu erläutern ist, vgl. Abschnitt C. III. 2. Aus den Verträgen folgt jedenfalls zunächst keine eindeutige Pflicht. 156 So auch: Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht, S. 32; Lawson, Life After Bankovic, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 105 ff.; von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 72.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
ze und räumliche Determinante des Rechtsfolgenprogramms. Ist die Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt in unterschiedlicher Form auf vielen Gebieten längst rechtlich gesicherter Bestandteil, etwa im Kartell-, Fusionskontroll- und Umweltrecht, und ist der sog. „Souveränitätspanzer“ längst nicht mehr impermeabel, so ist der extraterritoriale Schutz der Menschenrechte zu selten im Bewusstsein der Staaten. Das derzeitige Staatengeflecht hat einen so umfassenden Facettenreichtum erlangt, dass in keinem Fall mit einem pauschalierten Verweis auf die fremdstaatliche Souveränität eine extraterritoriale Erfüllbarkeit ausgeschlossen werden kann. Genauer zu untersuchen ist im Folgenden also der extraterritoriale Handlungsraum, der zur Erfüllung der Schutzpflichten betreten werden kann und betreten werden muss. b) Reichweite der jurisdiction to prescribe zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten Zentraler Handlungsmodus für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten, das wurde zuvor dargestellt157, ist die Regelung extraterritorialer Sachverhalte, sprich: das Vorschreiben eines bestimmten Verhaltens für private Akteure im Ausland. Die Befolgung einer Rechtsnorm wird regelmäßig durch Androhungen von (intraterritorialen) Sanktionen, in welcher Form auch immer, erreicht und bewirkt eine sog. Persuasion158, das heißt: Der Staat wirkt steuernd auf das Verhalten des privaten Akteurs ein. Nur mit Normen, die auch befolgt werden, regiert ein Staat in den anderen souveränen Herrschaftsbereich hinein.159 Nur diese Normen sind für die folgende Bearbeitung von Bedeutung, denn auch nur sie können einen dem Staat zurechenbaren Einfluss auf extraterritoriale Sachverhalte erzeugen.160 Betritt ein Staat mit der vorschreibenden, das heißt: präskriptiven Normsetzung zwar nicht das fremde Territorium, so kann er dennoch einen bedeutsamen Einfluss auf extraterritoriale Umstände haben, wenn er etwa eine Handlungsalternative strafbewehrt verbietet. Da dies eine Form der extraterritorialen Jurisdiktionsausübung ist, muss sie, an der Jurisdiktionsdogmatik gemessen, ihrerseits völkerrechtsmäßig sein.
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Abschnitt C. III. 1. a) aa). Näheres zu diesem Begriff: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 82 ff.; Meng, ZaöRV 57 (1997), S. 269 (290). 159 So auch die Bezeichnung von: Schmalenbach, AVR 39 (2001), S. 57 (75). 160 Siehe dazu: Meng, ZaöRV 57 (1997), S. 269 (290 f.). Freiwillige Verhaltenskodizes, wie sie für die Einhaltung menschenrechtlicher Standards durch Unternehmen oft verwendet werden, stoßen mangels Persuasionswirkung nicht auf völkerrechtliche Bedenken. 158
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Diese extraterritoriale präskriptive Jurisdiktion betrifft die Setzung von Rechtsnormen, bei denen der Tatbestand an extraterritoriale Sachverhalte anknüpft. Die Rechtsfolgen selbst können freilich nur soweit reichen, wie der Geltungsanspruch der Norm bzw. die Normsetzungsbefugnis des Gesetzgebers reicht und dieser ist damit im Regelfall territorial beschränkt. Die präskriptive Jurisdiktion ist auch nicht deckungsgleich mit der parlamentarischen Normsetzung, denn je nach staatsorganisationsrechtlicher Ausgestaltung können auch Gerichte und Verwaltung Rechtsnormen erlassen.161 Unerheblich ist auch, ob es sich um straf-, ziviloder verwaltungsrechtliche Vorschriften handelt.162 Präskriptive Hoheitsgewalt im Sinne des Völkerrechts ist damit umfassend als abstrakt-generelle Regelung zu verstehen. Die judikative Jurisdiktion betrifft dagegen die konkret-individuelle Beurteilung einzelner Sachverhalte durch Gerichte (Urteil) oder Verwaltung (Verwaltungsakt). Dieser Punkt kann, wie oben angedeutet, hier aber mitbehandelt werden,163 denn einerseits trifft das Völkerrecht keine Unterscheidung zwischen der abstrakt-generellen Regelung und der konkret-individuellen Beurteilung eines Sachverhalts, solange letztere noch keinen Zwangsakt darstellt. Auch der Beurteilungsrahmen der Gerichte besteht aus Rechtsnormen; die Beurteilung von Einzelfällen konkretisiert diese Normen lediglich. Teilweise wird zwar auch dieses Element der Hoheitsgewalt separat geprüft,164 die Untersuchungen führen aber zu den gleichen Ergebnissen wie die der präskriptiven Jurisdiktion. Andersherum muss berücksichtigt werden, dass ein Gesetz mit offenem räumlichen Anwendungsbereich zunächst keine völkerrechtlichen Bedenken aufwirft und erst die Anwendung dieses Gesetzes auf extraterritoriale Sachverhalte in Form einer Gesetzeskonkretisierung, etwa durch richterliche Entscheidung oder Verwaltungskonkretisierung, die Frage der Völkerrechtsmäßigkeit aufwirft. Schließlich kann auch die spezial- und generalpräventive Komponente von Urteilen der Gerichte ein extraterritoriales Verhalten privater Akteure vorherbestimmen. Gerade weil daher im Einzelfall unklar ist, ob nun das Gesetz oder die gesetzeskonkretisierende Entscheidung in eine fremde Souveränitätssphäre „hineinregiert“, können für beide Elemente unter dem Sammelbegriff der präskriptiven Jurisdiktion nur 161
Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 7. Vgl. Brownlie, Principles of Public International Law, S. 311 f. Auch: Mann, RdC 186 (1984-III), S. 9 (20 f.); Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 64 f.; Krumbein, Die extraterritoriale Wirkung des Antitrust-Rechts, S. 80 ff. 163 So auch das überwiegende Schrifttum: Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 141; Higgins, The Legal bases, in: Olmstad, Extra-territorial Application, S. 4; Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 81 ff.; Milanovic, HRLR 8.3 (2008), S. 411 (420); Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 12; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 39 ff.; Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (272). 164 Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 26; De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 22. 162
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
gemeinsame Maßstäbe entwickelt werden. Eine Unterscheidung zwischen Rechtsnormsetzung und Rechtsnormanwendung trifft das Völkerrecht nicht. Die Reichweite der präskriptiven extraterritorialen Jurisdiktion zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten soll im Folgenden ausführlich ausgelotet werden. Insgesamt ist dieser Problemkreis Gegenstand einer hitzigen Debatte, die Regelungen sind dabei sehr komplex und verworren.165 aa) Grundsatz: permissiver, nicht prohibitiver Ansatz Die Frage danach, ob ein Staat extraterritoriale Sachverhalte zum Gegenstand von Regelungen machen darf bzw. extraterritoriale Sachverhalte aburteilen darf, wird seit jeher aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet, die jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, zu den gleichen Ergebnissen führen: Der Auffassung einer grundsätzlichen Erlaubnis (permissiver Ansatz) steht dem grundsätzlich eine Befugnisnorm fordernden Ansatz entgegen (prohibitiver Ansatz).166 Dem permissiven Ansatz folgte der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) im Jahre 1927 in seiner prominenten Lotus-Entscheidung,167 in dem er kein völkerrechtliches Verbot der Erstreckung des Rechts auf extraterritoriale Sachverhalte zu finden vermochte und schlussfolgerte, dass die extraterritoriale präskriptive Hoheitsaktausübung völkerrechtlich schlicht zulässig sein müsse. Das wohl überwiegende Schrifttum schließt sich diesem Ansatz an.168 Kritik an diesem Ansatz wird vor allem aus naturrechtlicher Perspektive geübt. Es bedürfe stets eines grundsätzlichen Autorisierungstatbestandes für staatliches extraterritoriales Handeln.169 Formal wurde die Entscheidung als nicht rechtserkennend eingestuft, da sie mit Stimmengleichheit 170 erging und ihr daher keine 165 Die Bemühungen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht von 1992 zeigen, wie verworren und komplex die Regeln der extraterritorialen Jurisdiktionsausübung sind. Das Scheitern der Verhandlungen ist ein Beleg für die Uneinigkeit, siehe dazu: Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 242. 166 Praktische Bedeutung erlangen die unterschiedlichen Ergebnisse des Streites bei der Beweislast. 167 StIGH, Series A, Rn. 10, 19 f.: „a wide measure of discretion which is only limited in certain cases by prohibitive rules“. 168 Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, S. 114 f.; Maier, Jurisdictional Rules, in: Meessen, Extraterritorial Jurisdiction, S. 66 f.; Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 17; Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 22; Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (740); Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 484; Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (279, 281), m.w. N. 169 Bruns, ZaöRV 1 (1929), S. 1 (9); Mosler, ZaöRV 36 (1976), S. 6 (40 f.); Kamminga, Extraterritoriality, MPEPIL-Online, Rn. 8; Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 105; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 50. 170 Vgl. Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (738). Nur die Stimme des Präsidenten hat letztlich den Ausschlag gegeben.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Bedeutung beigemessen werden dürfe.171 Ferner handele es sich um einen konkreten strafrechtlichen Fall von Schiffskollisionen und nicht um Erwägungen zum allgemeinen Jurisdiktions-Völkerrecht.172 Allgemein gegen einen permissiven Ansatz wird angeführt, dass die Staatenpraxis bei Protesten gegenüber fremdstaatlichem Handeln eher dazu tendiert, ein Recht zum Handeln zu bestreiten, als eine Verbotsnorm anzuführen.173 Der prohibitive Ansatz kann aber nicht überzeugen. Für ein grundsätzliches Verbot bedarf es einer entsprechend klaren Regel, die im Völkergewohnheitsrecht so nicht auffindbar ist. Weder gibt es übergeordnete Strukturprinzipien, noch liefern die Rechtsquellen, auch nicht die allgemeinen Rechtsgrundsätze174, Hinweise auf eine solche Kompetenzordnung. Aus der Lückenhaftigkeit des Völkerrechts muss daher geschlossen werden, dass ein Staat bei seiner Rechtsnormsetzung grundsätzlich frei ist.175 Denn schließlich kann ein Staat auch Sachverhalte in gänzlich unerschlossenen Gebieten (terra nullius) zum Gegenstand eigener Regelungen machen; eine Verbotsnorm lässt sich dafür mit dem positiven Recht nicht begründen. Die Besonderheit des Völkerrechts als Konsensrecht erfordert als Minimum ein Konsensmoment; wenn dieses nicht vorliegt, hindert dies die Rechtsentstehung. Kurzum: Die Staaten bleiben frei, wenn sie sich nicht selbst beschränkt haben. Freilich ist im Zuge der Völkerrechtsentwicklung eine sich stetig verdichtende Begrenzung gezogen worden und der extraterritorial vorschreibende Staat unterliegt einer Reihe von Verboten und Grenzen; insofern mag das Lotus-Diktum als praktisch irrelevant angesehen werden können.176 Dies bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass ein grundsätzliches Verbot besteht, denn dogmatisch ändert sich nichts. Es bedeutet vielmehr, dass die grundsätzliche Freiheit so weit eingeschränkt wird, dass die Idee und die Befürchtung eines omnikompetenten Staates nicht mehr immanent sind. Es bedarf mithin der positiven Feststellung völkerrechtlicher Verbote zur Einschränkung dieser auf der souveränen Staatengleichheit fußenden grundsätzlichen Freiheit.
171
Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des Internationalen Kartellrechts, S. 121 ff. Vgl. Wiedergabe der Symposiumsergebnisse bei: Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (279). 173 Lowe, AJIL 75 (1981), S. 257 (265); Akehurst, BYIL 46 (1972–1973), S. 145 (167); Kreß, ZStW 114 (2002), S. 818 (832), sieht eine Tendenz dahingehend, dass Staaten ihre (judikative) extraterritoriale Jurisdiktion auf „internationale Verträglichkeit“ überprüfen. 174 Vgl. Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (280). 175 Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts, S. 232, m.w. N. 176 Als überholt bezeichnet: Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 15, das Lotus-Prinzip. 172
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
bb) Verbot des Handelns ohne Anknüpfungspunkt – denkbare Anknüpfungspunkte für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten Ein Grundsatz, der sich im Zuge des Diskurses um die Zulässigkeit extraterritorialer Jurisdiktion durch Rechtsprechung177 und Schrifttum178 verfestigt hat und der nach den soeben dargelegten Ergebnissen konsequenterweise nur als Verbotsnorm verstanden werden kann,179 ist das Verbot, ohne einen zulässigen Anknüpfungspunkt180 zum Regelungssachverhalt präskriptiv zu handeln.181 Wenn keinerlei – wie auch immer geartete – Verbindung zwischen extraterritorialem Sachverhalt, Gegenstand, Person und Staat besteht, ist extraterritoriales präskriptives Handeln verboten.182 Es haben sich einige Anknüpfungspunkte herausgebildet, die im Folgenden näher daraufhin zu untersuchen sind, ob sie Raum für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten liefern. 177 Fitzmaurice, Seperate Opinion, IGH, Barcelona Traction Case, ICJ-Reports 1970, S. 103 f. 178 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 28; Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 22; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 4, m.w. N.; Sauer, Jurisdiktionskonflikte im Mehrebenensystem, S. 111; Oeter, RabelsZ 55 (1991), S. 436 (449 ff.). 179 Diejenigen, die dem prohibitiven Ansatz folgen, sehen in dem Anknüpfungspunkt gerade die erforderliche Handlungsermächtigung – siehe z. B.: Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 57. Andere sehen in den Anknüpfungspunkten Strukturprinzipien, deren institutionelle Einordnung aber Schwierigkeiten bereitet: Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (279). 180 Die Terminologie variiert: „Close connection“ bei: Mann, RdC 186 (1984-III), S. 28; „Nahebeziehung“ bei: Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 15; „physical linkage“ bei: Francioni, Exporting Environmental Hazard, in: Francioni/Scovazzi, International Responsibility, S. 275 (282); „minimum contact rule“ oder auch „tatsächliche Beziehung“ bei: Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 141. Davon zu unterscheiden ist die Terminologie „Genuine Link“, so etwa: Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung. Die „Genuinität“ der Verknüpfung nimmt nämlich bereits eine Bewertung des Anknüpfungspunktes vorweg bzw. bestimmt das Vorliegen eines Anknüpfungspunktes anhand wertender Kriterien. Das ändert zunächst nichts daran, dass als notwendige Voraussetzung erst ein Anknüpfungspunkt, ein „Link“, bestehen muss. 181 Man kann dieses Verbot zutreffend auch allgemein aus dem Interventionsverbot herleiten, aus dem sich dann als besondere Komponente das Verbot ergibt, ohne einen Anknüpfungspunkt zu handeln, so: Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, S. 115 f. Das Verbot, ohne einen Anknüpfungspunkt zu handeln, ergibt sich schließlich aus dem Interventionsverbot bzw. stellt dessen Konkretisierung dar und kann daher auch wechselbezüglich verwendet werden. Wie das Verbot letztlich bezeichnet wird, ist daher nicht bedeutsam. Ein extraterritoriales Handeln ohne Anknüpfungspunkt verstößt auch gegen das Interventionsverbot, vgl. Schmalenbach, AVR 39 (2001), S. 57 (72 ff.). 182 Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 19, und Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 226, gehen auch darauf ein, dass dann unter Umständen das Interventionsverbot verletzt ist.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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(1) Territorialitätsprinzip – Abgrenzung der intra- zur extraterritorialen Jurisdiktion Kern der staatlichen Souveränität ist die Territorialhoheit, die die Kompetenz umfasst, intraterritoriale Sachverhalte frei regeln zu können. Das sog. Territorialitätsprinzip wird regelmäßig nur der Vollständigkeit halber in die Liste der Anknüpfungspunkte aufgenommen, stellt es doch eine unumstrittene Selbstverständlichkeit dar.183 Die Abgrenzung zu einer Regelung mit extraterritorialer Wirkung ist selten einfach. Werden etwa für unternehmerische Entscheidungsprozesse, die intraterritorial stattfinden, aber im Hinblick auf ein extraterritoriales Projektvorhaben erfolgen, bestimmte Entscheidungsfaktoren vorgegeben, beispielsweise das Gebot der menschenrechtskonformen Planung von extraterritorialen Großprojekten, so ist die völkerrechtlicher Beurteilung nicht eindeutig. Abgrenzungsmoment muss der Zeitpunkt sein, an dem eine Regelung ihre Wirkung entfaltet; und damit nicht der Zeitpunkt, zu dem die Rechtsfolgen eintreten, sondern zu dem die Persuasionswirkung entsteht. Andernfalls würde die Territorialgewalt unterlaufen werden. Wird nämlich ein Projekt aufgrund menschenrechtlicher Vorschriften unterlassen, mithin der Gaststaat gar nicht erst betreten, so wird die Regelung freilich vom Territorialitätsprinzip gedeckt und tangiert Sachverhalte auf fremdem Territorium nicht spürbar, auch wenn dies der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten dient. Wird dagegen intraterritorial Einfluss genommen, ein späteres Verhalten dadurch aber extraterritorial gesteuert, so sind andere Maßstäbe als das Territorialitätsprinzip anzusetzen. Die genauen Grenzen zwischen rein intraterritorialem Sachverhalt und Einflussnahme auf extraterritoriale Umstände sind aber fließend und müssen im Einzelfall beurteilt werden. Vom Territorialitätsprinzip kann daher beispielsweise ein Gesetz gedeckt sein, das einem nationalen Unternehmen vorschreibt, sich für Auslandsprojekte nur zu einem bestimmten Grad an Risiko zu entschließen.184 Solche Regelungen treffen nicht auf völkerrechtliche Jurisdiktionsbedenken. (2) Personelle Anknüpfungspunkte Neben der Territorialhoheit stellt die Personalhoheit ein grundsätzlich gleichrangiges Zentralelement der staatlichen Souveränität dar, dessen Existenz weitgehend unumstritten185 und von hinreichender Staatenpraxis gedeckt ist.186 Der per183
Zum Territorialitätsprinzip: Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 4 ff. So etwa: Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (190 ff.). 185 Zur allgemeinen Anerkennung: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 508; American Law Institute, Restatement of the Law (Second), Foreign Relations Law of the United States (1965) § 30. 184
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
sonelle Anknüpfungspunkt ist besonders bedeutsam für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten, denn am ehesten ist die Einflussnahme auf extraterritoriale Sachverhalte durch Ge- oder Verbote für die eigenen Staatsangehörigen denkbar. Unproblematisch kann ein Staat grundsätzlich extraterritoriale Jurisdiktion über eigene Staatsangehörige und diejenigen Personen, die ihren dauernden Wohnsitz in dem Staate haben, üben.187 Daneben geht die überwiegende Auffassung zu Recht davon aus, dass dies auch für juristische Personen, insbesondere Unternehmen, gilt.188 Die praktische Bedeutsamkeit dieser Ausdehnung, gerade für den menschenrechtlichen Bereich, hat De Schutter überzeugend herausgearbeitet:189 Ein Vorgehen gegen das menschenrechtswidrig handelnde Unternehmen würde ein eigenes extraterritoriales Handeln des Gaststaates erfordern. Dies ist aber mit besonderen Zugriffshindernissen verbunden, denn die Entscheidungsträger befinden sich regelmäßig noch im Heimatstaat, was die Gefahr der Sanktionslosigkeit birgt und deren Vermeidung als Nebenzweck hinter diesem Prinzip angesehen wird.190 Dies belegt ein besonderes Anwendungsbedürfnis der Personalhoheit für unternehmerisches Verhalten.191 Wann ein Unternehmen als staatszugehörig gilt, ist umstritten. Durchgesetzt haben sich völkerrechtlich sowohl die Sitz- als auch die Gründungstheorie. Abgelehnt wird dagegen überwiegend die Kontrolltheorie, wonach ein Unternehmen dann der Jurisdiktion eines Staates unterliegen soll, wenn dieser es kontrolliert. Diese vorwiegend durch die USA erfolgte extensive Gesetzesanwendung, die vor allem durch höchst umstrittene Re-Exportverbote192 dahingehend in Erscheinung tritt, dass auch Tochterkonzernen in fremdstaatlicher Rechtsform und unter fremder Kontrolle ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben werden soll, hat keine im Ansatz gesicherte Grundlage im Völkerrecht.193 186 Vgl. den ausführlichen Rechtsvergleich für das aktive Personalitätsprinzip bei: Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 242 ff.; Council of Europe, Extraterritorial Criminal Jurisdiction, CLF 3 (1992), S. 441 (448). 187 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 23; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 508; Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 25. 188 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 57, 508; Kamminga, Extraterritoriality, MPEPIL-Online, Rn. 11; American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165 § 402, lit. e. 189 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 23 ff. 190 So auch: Council of Europe, Extraterritorial Criminal Jurisdiction, CLF 3 (1992), S. 441 (448). 191 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 24. 192 So verboten die USA einer britischer Tochtergesellschaft den Export an China; IBM-France durfte in einem anderen Fall nicht an die französische Regierung verkaufen, wenn diese nicht dem Atomteststoppabkommen beitritt. Dazu: Wildhaber, Multinationale Unternehmen und Völkerrecht, S. 48. 193 Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 107, mit Beispielen.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Die überwiegende Staatenpraxis teilt sich in die (eher kontinentaleuropäische) Sitz194- und (eher angelsächsische) Gründungstheorie195 auf. Erstere stellt auf den tatsächlichen Geschäftssitz, letztere auf den Ort der Gründung bzw. der Registrierung ab. Für beide Ansätze gibt es hinreichende Staatenpraxis, ohne dass eine Mehrheit festgestellt werden könnte. Auch vermittelnde Ansätze in der Staatenpraxis lassen sich feststellen.196 Wegen dieser unterschiedlichen Ansätze kann es zu einer multiplen Staatszugehörigkeit kommen, deren Auflösung im Einzelfall durch eine Beurteilung der effektiven Staatszugehörigkeit erfolgen muss.197 Da die Kontrolltheorie ganz überwiegend abgelehnt werden muss, erübrigt sich auch die unter dem Stichwort „lifting of the corporate veil“ viel diskutierte Frage, ob ein Tochterkonzern kraft der Kontrolle des Mutterkonzerns dessen heimatstaatlicher Jurisdiktion unterliegen kann.198 Eine Einflussnahme des Heimatstaates kann insofern nur gegenüber dem Mutterkonzern im Rahmen seiner sog. Leitungsmacht, also durch seine Einflussnahmefähigkeit, erfolgen.199 Soweit der Staat einen Einfluss auf die eigenen staatszu- und -angehörigen Personen hat, muss er diese also zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten nutzen. Umstrittener ist dagegen das passive Personalitätsprinzip, nachdem die Verletzung eines eigenen Staatsangehörigen extraterritoriale Jurisdiktion über den Verletzer begründen soll. Mag dieses Prinzip für vereinzelte strafrechtliche Sondertatbestände (z. B.: internationaler Terrorismus) anerkannt sein, so steht die Mehrheit ihm jedoch zu Recht kritisch gegenüber.200 194 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 449. Es wird behauptet, dass die Gründungstheorie mehrheitlich angenommen wurde, vgl. Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 165. Diese Mehrheit kann aber nicht festgestellt werden. 195 Im Überblick dazu: Hennings, Über das Verhältnis von multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten, S. 24 f. 196 Vgl. Hennings, Über das Verhältnis von multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten, S. 24 f. 197 Dazu: Ipsen, Völkerrecht, § 24, Rn. 25 („effektive Staatszugehörigkeit“). 198 Dies wird überwiegend abgelehnt: Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 165; Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 228; Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 23; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 509 ff. 199 Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 229, m.w. N.; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 521; Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (188); Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (74); Muchlinski, Multinational Enterprises and the Law, S. 126 f. 200 Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 11; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 514 f.; Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 64 f.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Jenseits der wenigen anerkannten Straftatbestände bestehen im Hinblick auf die allgemeine Anwendbarkeit erhebliche Bedenken, denn: Schädigt ein gaststaatlicher Staatsangehöriger einen heimatstaatlichen Staatsangehörigen, so sieht sich Ersterer allein durch eine bloße Handlung, deren Bewertung sogar im Ermessen des Heimatstaates liegt, zweier Jurisdiktionen ausgesetzt. Diesem Problem wird zwar das Korrektiv zugeführt, dass eine gaststaatliche Aburteilung durch den Heimatstaat vorausgesetzt wird; dennoch überzeugt es nicht, dass ein bloßes Handeln eine alleinige – möglicherweise sogar unbewusste – Brücke zu einer anderen Staatsgewalt bauen kann. Das passive Personalitätsprinzip ist daneben angesichts der Uneinheitlichkeit der Staatenpraxis auf den materiellen Konsens der vereinzelten Straftatbestände zu beschränken, es kann dagegen nicht formal weiter ausgedehnt werden. (3) Das Universalitätsprinzip und dessen Erweiterbarkeit Das Universalitätsprinzip unterscheidet sich in seiner Struktur wesentlich von den anderen Anknüpfungspunkten.201 Es sieht einige Rechtsgüter, etwa das Recht auf Freiheit vom Völkermord202, als so universell bedeutsam an, dass zu deren Schutz jeder Staat berechtigt ist,203 ein Verhalten vorzuschreiben und eine Verhaltensverletzung abzuurteilen.204 Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich daher nicht um eine Ausnahme vom Verbot, ohne Anknüpfungspunkt zu handeln,205 die betroffenen Schutzgüter bilden vielmehr pauschal einen materiellen Anknüpfungspunkt für die gesamte Staatengemeinschaft. 201 Es wird kritisiert, das Universalitätsprinzip als Anknüpfungspunkt zu behandeln, siehe: Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 57. Dem kann aber entgegengehalten werden, dass gerade die damit behandelten Schutzgüter als der internationalen Staatengemeinschaft gehörend betrachtet werden und solche Schutzgüter betreffende Sachverhalte damit an jeden Staat pauschal angeknüpft sind. 202 Völkerstrafrechtlich weitgehend anerkannte Regelungstatbestände betreffen etwa die Piraterie, Kriegsverbrechen, Folter, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Sklaverei, vgl. Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 234. 203 An dieser Stelle ist die Verpflichtung aus dem Universalitätsprinzip nicht von Belang (so aber etwa: Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 233). Die Verpflichtung wurde im Abschnitt B. I. 2. b) cc) (1) bedeutsam, wo die Frage gestellt wurde, ob das Universalitätsprinzip eine Rechtsquelle für eine extraterritoriale Schutzpflicht sein kann. Die bereits dargelegte Pflicht, vor Völkermord auch extraterritorial zu schützen, korreliert hier also auch mit dem rechtlichen Können durch national-rechtliche Aburteilungen und führt zu einer zumindest präskriptiv unbegrenzten Erfüllbarkeit extraterritorialer Schutzpflichten für dieses Rechtsgut, vgl. Thalmann, National Criminal Jurisdiction, in: Gaeta, The UN Genocide Convention, S. 243 ff. 204 Aburteilen kann dabei auch die Gewährung von Strafschadensersatz bedeuten, etwa auf Grundlage des ATCS, vgl. Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 235 ff. 205 So aber: Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (891 f.).
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Es wird vereinzelt in Betracht gezogen, dieses Prinzip auf menschenrechtliche Erfüllungsregelungen auszudehnen.206 An die Intensität der Beeinträchtigung anknüpfend sei bei „besonders schweren Verstößen“ gegen andere Menschenrechte die Regelung von extraterritorialen Sachverhalten unabhängig von Ort und Nationalität geboten.207 Andere beschränken dies auf die Verletzung von Normen, denen eine Ius-Cogens-Wirkung zukommt.208 Wieder andere fordern, dass, soweit Gemeinschaftsgüter betroffen seien, die extraterritoriale Jurisdiktion immer zulässig sein müsse. Insbesondere solle dies für die sog. Erga-Omnes-Normen gelten.209 Was zunächst diskrepant erscheint, ist der trügerische Widerspruch zwischen der umfassenden Anerkennung der Menschenrechte, mit der großes Interesse am Schutz der menschenrechtlichen Rechtsgüter bekundet wurde, und dem Mangel an Überzeugung, eine universelle Jurisdiktion zum Schutz dieser Güter üben zu können. Freilich kann aber von der fast globalen Ratifikation etwa des IPbpR nicht auf die Begründung universeller Jurisdiktion geschlossen werden, denn die Norm, dass ein Staat ohne Anhaltspunkt Jurisdiktion üben dürfte, ist darin rechtlich noch lange nicht enthalten. Die Staaten einigten sich darüber, dass sie diese Schutzgüter innerhalb der allgemein-völkerrechtlichen Jurisdiktion und nicht überall auf der Welt schützen dürfen.210 Aus der Natur dieses Prinzip folgt ferner, dass es restriktiv zu handhaben ist und nicht beliebig ausgedehnt werden kann.211 Auch die historische Entwicklung dieses Prinzips spricht gegen eine Ausdehnung allgemein auf den Menschenrechtsschutz. Der langwierige Entwicklungsprozess umfasste zunächst nur Piraterie und Sklavenhandel. Durch historische Entwicklungen im 20. Jahrhundert wurde dies – aber einen weiten Konsens voraussetzend – auch auf die sog. „international crimes“ ausgedehnt.212 Gemein war den Tatbeständen, dass sie Antworten auf historisch gravierende Ereignisse 206 Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (193); Donovan/Roberts, AJIL 100 (2006), S. 142 ff. 207 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 24; Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen, in: von Schorlemer, Praxis-Handbuch UNO, S. 380 ff. Eine solche Andeutung findet sich auch bei: Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 16, wobei er von der weitgehenden Anerkennung ausgeht. 208 Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 26; Fastenrath, Möglichkeiten und Grenzen, in: von Schorlemer, PraxisHandbuch UNO, S. 396 ff.; skeptisch: Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 247. 209 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 27 f. 210 Überdies kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich sämtliche Vertragsstaaten über die Reichweite des räumlichen Anwendungsbereichs im Einzelnen zur Zeit der Ratifizierung bewusst waren. 211 Vgl. Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 234. 212 Tomuschat, Human Rights, S. 330 ff. Völkervertragsrechtlich wurde es explizit auf das Folterverbot ausgedehnt, Art. 5, 7 Anti-FoK.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
waren. Eine Erweiterung etwa auf Verstöße gegen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kann eine solche Entwicklung nicht vorweisen. Es mangelt an einem entsprechend universellen Konsens. (4) Sonstige Anknüpfungspunkte Ob es daneben noch andere Anknüpfungspunkte gibt bzw. ob sich diese von den dargelegten wirklich unterscheiden und ob sie den Anwendungsbereich der Anknüpfungspunkte ausdehnen können, ist umstritten. Das Staatsschutzprinzip213 soll die extraterritoriale präskriptive Jurisdiktionsausübung dann erlauben, wenn eine Gefahr für das „fundamental national interest“, das heißt: für die (interne) Staats- und Regierungsfunktion besteht.214 In Abgrenzung zum sogleich noch zu behandelnden Wirkungsprinzip betrifft dieses Prinzip nicht wirtschaftliche, sondern regierungspolitische Zusammenhänge. Das Schutzgut ist daher staatlich-institutionell zu verstehen. Wann ein solches fundamentales Interesse vorliegen soll, ist ebenfalls umstritten. In Analogie zum Kriegswaffenkontrollrecht215 wäre hier der einzig denkbare Anknüpfungspunkt für extraterritoriale Schutzpflichten, dass die auswärtigen Beziehungen des Staates durch die Nicht-Erfüllung ihrer völkerrechtlichen Pflichten gestört sein könnten, wenn extraterritorial Menschenrechte beeinträchtigt werden. Dagegen spricht aber, dass dieses Prinzip grundsätzlich Fälle betrifft, bei denen die interne nationale Sicherheit gefährdet oder die Regierungsfunktion bedroht wird216 und der extraterritoriale Menschenrechtsschutz per Definition eine rein externe Angelegenheit ist. Ferner könnte jegliches extraterritoriale Handeln allein mit dem Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages legitimiert werden (auch zulasten von Drittstaaten), käme es auf die Einhaltung völkerrechtlicher Pflichten an. Die Argumentation, dass der Staat andernfalls an der Erfüllung seiner extraterritorialen Schutzpflichten gehindert sei und dies mithin eine Auswirkung auf die völkerrechtlichen Beziehungen des Staates hätte, ist zirkulär, denn es geht hier ja gerade darum, den Erfüllungsrahmen dieser Pflichten festzuset213 Es wird oftmals aufgrund der Abgrenzungsschwierigkeiten auch mit dem noch zu behandelnden Wirkungsprinzip verbunden, vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 516. Andere verstehen Wirkungs- und Staatsschutzprinzip als Ausweitung des Territorialitätsprinzips: Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (280). 214 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 24; auf „Security of the State“ stellt das: American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165, § 402 Abs. 3, ab. 215 Die dort genannten Strafvorschriften werden auf dieses Prinzip gestützt, da die Ausfuhr bestimmter Kriegswaffen in bestimmte Gebiete das friedliche Zusammenleben der Völker untereinander und konkret sogar auch die völkerrechtlichen Beziehungen der BRD gefährdet, vgl. Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 219 f. 216 Vgl. Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (742).
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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zen. Eine Pflichtverletzung liegt freilich dann nicht vor, wenn der Staat nicht handeln durfte und das wiederum bestimmt sich nach dem hier zu klärenden allgemeinen Völkerrecht. Das Staatsschutzprinzip kann damit für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten keinen Anknüpfungspunkt bilden. Dem sehr umstrittenen Wirkungsprinzip, das dem Schutz der internen Wirtschaftsordnung217 dienen soll, sind ähnliche Bedenken entgegenzusetzen. Es wird vorwiegend im Rahmen des extraterritorialen Kartell- und Fusionskontrollrechts überwiegend durch Anstoß amerikanischer Untersuchungen218 diskutiert.219 Das Restatement of Foreign Relations Law arbeitete heraus: Ein Staat „has jurisdiction to prescribe law with respect to [. . .] conduct outside its territory that has or is intended to have substantial effect within its territory“. Begrenzt sei dies durch einen Reasonableness-Test.220 Wegen zu geringer Staatenpraxis wird dieses Prinzip teilweise als zu ungesichert und daher nicht tragfähig angesehen.221 Roth weist daneben auf die Gefahr der Souveränitäts-Aushöhlung durch dieses Prinzip hin. Im Falle der Ausdehnung könnten mit einem solchen Prinzip sämtliche extraterritorialen Regelungen gerechtfertigt werden, denn irgendeine Wirkung lasse sich immer begründen.222 Unabhängig von der konkreten Reichweite dieses Prinzips fällt es ebenso wie im Falle des Staatsschutzprinzips schwer, eine reflexive Wirkung von extraterritorialen Menschenrechtsverletzungen zu begründen. Es wird in diesem Zusammenhang aber vorgebracht, dass die Reputation des Heimatstaates durch das menschenrechtswidrige Verhalten eigener Unternehmen im Ausland eine entsprechende innerstaatliche Wirkung begründe und daher einen Anknüpfungspunkt bilden könne.223 Dass es dafür eines Rückgriffes auf das Wirkungsprinzip bedürfte, ist aber angesichts des damit vorhandenen personellen
217 Von „Markt-Ordnungshoheit“ spricht: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 518 ff. 218 Dann aber auch durch europäische Anerkenntnis zumindest im Kartellrecht, vgl. Kamminga, Extraterritoriality, MPEPIL-Online, Rn. 15. 219 Vgl. Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (743 ff.). Für einige Beispiele innerhalb der EU siehe: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 45 ff. 220 American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165 § 402 (1) (c) and Section § 403 (1) (Hervorhebung durch Bearbeiter). 221 Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 157; so auch: Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (736). Großbritannien verweigert sich beispielsweise der Anerkennung dieses Prinzips, vgl. Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 25. 222 Roth, ICLQ 41 (1992), S. 267 (285). 223 Brown, HICLR 22 (1998–1999), S. 407 (448 ff.); gleiche Ansätze wurden auch von Australien überdacht, siehe hierzu Ausführungen von: Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 110.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Anknüpfungspunktes fragwürdig und hat danach allenfalls unterstützende Wirkung. Gleiches gilt für den angeführten Fall der Eröffnung einer auswärtigen Produktionsstätte durch eigene Unternehmen, die negative Auswirkungen auf den inländischen Arbeitsmarkt haben kann.224 Letztlich kann das Prinzip aber nicht auf die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten übertragen werden. Eine „Wirkung“ fernab von den nur wenig anerkannten Fällen des Wettbewerbsrechts entspräche keiner konsentierten Völkerrechtsregel. Die menschenrechtsbeeinträchtigenden Freiheitseingriffe im Zusammenhang mit auslandsverknüpften Sachverhalten erfolgen überdies auf fremdem Territorium und haben insoweit keine rückbezügliche Wirkung – denn schließlich geht es um die Freiheit von extraterritorialen Personen. Ein „substantial, direct and foreseeable effect upon or in the territory“ hat die extraterritoriale Menschenrechtsverletzung durch Private weder auf den Binnenmarkt, noch auf anders geartete Güter. (5) Zwischenergebnis Zentrale Anknüpfungspunkte für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten stellen das Territorialitäts- und das Personalitätsprinzip dar. Präskriptive Handlungen, die intraterritorial vorgenommen werden und dem extraterritorialen Menschenrechtsschutz dienen, so exemplarisch das Verbot, ein menschenrechtswidriges Auslandsvorhaben zu planen, bzw. ein Gebot, die Projektplanung menschenrechtskonform auszugestalten, werden vom Territorialitätsprinzip gedeckt. Eine präskriptive extraterritoriale Norm, die also eine extraterritoriale Verhaltenslenkung eigener Staatsan- und -zugehöriger bezweckt, kann auf Grundlage des aktiven Personalitätsprinzips gerechtfertigt sein. Neben dem Universalitätsprinzip, das nur für bestimmte kern-konsentierte Völkerstraftatbestände gilt, gibt es keine weiteren Anknüpfungspunkte für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten. cc) Auflösung von Präskriptionskollisionen bei konkurrierenden Anknüpfungspunkten Das Vorliegen eines hinreichenden Anknüpfungspunktes vermag es nicht, eine extraterritoriale präskriptive Regel hinlänglich zu rechtfertigen, denn mit einer solchen Norm, sei es auch nur für eigene Staatsangehörige, regiert der Heimatstaat in die Souveränitätssphäre eines anderen Staates hinein.225 Die aktive und 224 So vertritt: Zimmermann, Extraterritorial Employment Standards of the US, S. 164 ff., die Anwendung des Wirkungsprinzips in diesem Bereich. 225 Der territorial agierende Staat braucht dagegen keine Rechtfertigung für den Erlass intraterritorial anwendbarer Gesetze, vgl. Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 78 f.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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passive Seite staatlicher Souveränität stehen insoweit in einem „wechselseitigen Beschränkungsverhältnis“ 226. Solche Regelungskonflikte werden im Folgenden erläutert und für den Fall der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten geklärt.227 (1) Vorüberlegung zur Notwendigkeit einer Konfliktlösung Der Heimatstaat ist zwar grundsätzlich bei Vorliegen eines Anknüpfungspunktes befugt, extraterritoriale präskriptive Jurisdiktion über seine Staatsan- und -zugehörigen auszuüben. Trotz vereinzelter gegenläufiger Ansichten228 vermag dieses Ergebnis es aber noch nicht, den extraterritorialen Handlungsrahmen hinreichend abzugrenzen, denn: Beanspruchen zwei Staaten die Ausübung ihrer Jurisdiktion über einen unteilbaren Sachverhalt,229 so stehen sich zwei unterschiedlichen Rechtsordnungen entstammende Normen gegenüber. Der Konflikt kann sich zuspitzen, wenn der Gaststaat das gebietet, was der Heimatstaat gerade verbietet. Dabei entstehen zwei Problemkreise: Für den privaten Akteur entsteht ein Befolgungskonflikt, denn er sieht sich zweierlei widersprechender Regelungen ausgesetzt (Pflichtenkollision).230 Der Heimatstaat tangiert daneben durch die extraterritoriale Verhaltenslenkung die „Schutzzone des Prinzips der souveränen Staatengleichheit“ 231 zu Ungunsten des Gaststaates (Interessenskollision). Während es für die noch zu besprechende extraterritoriale exekutive Jurisdiktion eine klare Lösung (nämlich den Vorrang des Territorialitätsprinzips) gibt und diese damit kein rechtliches Konfliktpotenzial liefert, stellt das Völkerrecht für die präskriptive Jurisdiktion keine klaren und eindeutigen Anweisungen für Konflikte auf.232 Vereinzelt werden bestimmten Sachmaterien, wie etwa das Steuerrecht, völkervertragsrechtlichen Lösungen zugeführt,233 dort gelten dann freilich diese spezielleren Regelungen vorrangig; für viele andere Bereiche, dazu zählt das „extraterritoriale Menschenrechtsvölkerrecht“ 234, müssen allgemeine Lösungswege gefunden werden. 226
So pointiert: Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 51. Dabei soll nun angemerkt werden, dass ein tatsächlicher Präskriptionskonflikt in der völkerrechtlichen Menschenrechtspraxis selten vorkommt, denn eher versuchen die Staaten, sich der Aburteilung menschenrechtswidrigen Verhaltens eigener Staatsangehöriger zu entziehen, als dass sie die Jurisdiktion an sich ziehen. 228 Vgl. Heintzen, Auswärtige Beziehungen privater Verbände, S. 147. 229 Die Unteilbarkeit wird für die folgende Abhandlung stets vorausgesetzt, vgl. Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 243. 230 Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (749). 231 Mit den Worten von: Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (748). 232 Vgl. Sauer, Jurisdiktionskonflikte im Mehrebenensystem, S. 111; Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 17; Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 144. 233 So etwa durch die dort üblichen Doppelbesteuerungsabkommen. 234 Angesichts der Verwirrungsanfälligkeit der Begrifflichkeiten, muss hier erneut darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den Jurisdiktionsklauseln, wie etwa Art. 1 227
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Eindeutig feststellbar ist lediglich, dass insgesamt eine weit verbreitete Rechtsunsicherheit bei allen Rechtsfragen in diesem Bereich herrscht und es einer genaueren Untersuchung gerade im Hinblick auf die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten bedarf. (2) Gaststaat ist nicht an Schutzpflichten gebunden Die erste zu behandelnde Konflikt-Konstellation entsteht dann, wenn der Heimatstaat gehalten ist, extraterritoriale Schutzpflichten zu erfüllen, der Gaststaat indes nicht Adressat einer (korrelierenden intraterritorialen) Schutzpflicht ist. Eine solche Konstellation kann etwa folgendermaßen entstehen: Exportiert ein Unternehmen235 aus der BRD (Vertragspartei des IPwskR) eine Ware oder Dienstleistung mit einer Exportkreditversicherung z. B. nach Mosambik (derzeit Nicht-Vertragspartei des IPwskR) und beeinträchtigt dabei – auf welche Weise auch immer – ein durch den IPwskR geschütztes Recht, so unterliegt dieser Sachverhalt grundsätzlich dem räumlichen Anwendungsbereich der Schutzpflichten, die an den Heimatstaat (also die BRD) adressiert sind. Mosambik ist indes aufgrund seiner souveränen Entscheidung, dem Pakt nicht beizutreten, nicht verpflichtet, etwas gegen die Menschenrechtsbeeinträchtigung zu unternehmen; es könnte vielmehr gegenteilige Normen vorschreiben236 und die Menschrechtsbeeinträchtigung begünstigen oder sogar gebieten.237 Genauso wenig, wie der allgemeine Vorwurf des Menschenrechts-Imperialismus238 geeignet ist, die extraterritoriale Jurisdiktion pauschal auszuschließen, ist der bloße Verweis auf den Gedanken der Ubiquität der Menschenrechte239 kein EMRK, nicht um einen solchen Versuch der Jurisdiktionsabgrenzung im allgemein-völkerrechtlichen Sinne handelt, sondern um ein (faktisch geprägtes) Kriterium zum Anwendungsbereich der Konventionspflichten. 235 Wie dargelegt, ist für die Einschlägigkeit der Schutzpflichten eine Garantenstellung erforderlich, das heißt: der Export müsste entweder gefördert, genehmigt oder erkennbar gefährlich sein, siehe dazu: Abschnitt C. II. 3. c) cc). 236 Ferner könnten auch heimatstaatliche private Akteure kollusiv mit dem Gaststaat zusammenwirken. Die Kollusion enthält ein permissives Element und bringt das gaststaatliche Interesse an der menschenrechtswidrigen Situation zum Ausdruck. 237 Dass auch dieser Fall zwar selten, aber auch nicht ausgeschlossen ist, zeigt das Beispiel Südafrika. Dort wurde ab den 1950er Jahren gesetzlich eine Rassendiskriminierung in Unternehmen angeordnet. Der Jurisdiktionskonflikt entstand durch international agierende Unternehmen, die ihrerseits heimatstaatlichen Anti-Diskriminierungsvorschriften Folge zu leisten hatten, ausführlich dazu: Dehner, HILJ 15 (1974), S. 71 (102 f.). Zur EG-Verhaltensrichtlinie über Gesellschaften mit Interessen in Südafrika siehe: Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, S. 289 f. 238 Vorgebracht von: Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (44); erhoben von: Wagner, Das Spannungsverhältnis, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 158, konkret mit dem Beispiel der von ihm so bezeichneten „islamischen Welt“, S. 160. 239 So aber: Muchlinski, IA 77 (2001), S. 31 (45).
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Argument, die extraterritoriale Jurisdiktion im Ganzen zuzulassen.240 Es ist erforderlich, eine präzise Analyse der Lösungsansätze vorzunehmen und den Fall der extraterritorialen Normsetzung zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten genau zu analysieren. (a) Ansätze zur Hierarchisierung der Anknüpfungspunkte Die klarste Auflösung solcher Konflikte könnte durch die Begründung einer speziellen oder generellen Rangordnung der Anknüpfungspunkte geschaffen werden. Oftmals wird mit dem komprimierten Hinweis auf die Souveränität des Gaststaates vertreten, dass sich das Territorialitätsprinzip gegenüber allen anderen Prinzipien pauschal durchsetzen müsse, sprich: der extraterritorial agierende Staat seine Jurisdiktion im Konfliktfall zurücknehmen müsse.241 Teilweise wird dieser Ansatz dahingehend eingeschränkt, dass sich zumindest im Zweifel die Territorialgewalt durchsetzt.242 Andere beschränken diesen Ansatz materiell nur auf das Wirtschaftsrecht.243 Wieder andere begründen das Ergebnis mit der gaststaatlichen Durchsetzungsfähigkeit,244 denn das Völkerrecht habe aufgrund der Territorialität des Durchsetzungsmonopols eine Vorentscheidung getroffen und dem territorial regelnden Staat einen Vorrang, zumindest für das Verbot bestimmter Verhaltensweisen gewährt.245 240 So ähnlich: Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 243. 241 Siehe: Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 69; Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 16; andeutend: Francioni, Exporting Environmental Hazard, in: Francioni/Scovazzi, International Responsibility, S. 275 (282); Council of Europe, Extraterritorial Criminal Jurisdiction, CLF 3 (1992), S. 441 (458 f.); Jennings, BYIL 33 (1957), S. 146 (151). Allgemein zu der Problematik: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 576 ff.; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, S. 160 f.; Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (192 ff.); andeutend: Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 243 ff.; Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, S. 86; Wagner, Das Spannungsverhältnis, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 158. Auch das bereits angesprochene American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165, geht in § 441 Abs. 2, von einem solchen Territorialvorrang aus. 242 Bleckmann, CMLR 17 (1980), S. 467 (472); Jennings, BYIL 23 (1957), S. 146 (151). 243 Akehurst, BYIL 46 (1972–1973), S. 145 (188 f., 208). 244 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 581 f. Dieses Argument spricht auch: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 29, an. 245 Mit einem Verweis auf eine vermeintliche Staatenpraxis, ohne dass wirklich Staatenpraxis angeführt wird, siehe: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 582.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Hinter diesen Überlegungen scheint oftmals die Erwägung zu stehen, dass eine Regelung praktisch nur dann ihren Zweck erfüllen kann, wenn sie auch durchgesetzt werden kann. Die Durchsetzungshoheit ist zwar unzweifelhaft grundsätzlich auf territoriale Sachverhalte orientiert, dennoch können auch extraterritorial anwendbare Normen intraterritorial durchgesetzt werden. Zwar ist der sich nicht regelkonform verhaltende private Akteur zur Zeit des Regelverstoßes nicht physisch im eigenen Territorium anwesend, dass er aber als Individuum auf das heimatstaatliche Territorium zurückgelangt, ist nicht ausgeschlossen, vielmehr wahrscheinlich, und eine nachträgliche Durchsetzung ist dann möglich. Und dies ist auch schon der Extremfall. Geht es um die Regelung unternehmerischen Verhaltens, so sind Sanktionen gegen extraterritorial agierende Unternehmen jederzeit durchsetzbar. Eine gaststaatliche Durchsetzung würde an dieser Stelle vielmehr auf territoriale Grenzen stoßen. Daneben zeigt gerade die Vielzahl der Auslieferungsabkommen, dass die Regelungshoheit nicht stets der Durchsetzungshoheit folgt, sondern vielmehr das Interesse fremdstaatlicher Durchsetzung häufig anerkannt wird. Es wird ferner überzeugend darauf hingewiesen, dass eine generelle Rangordnung auch die Gefahr berge, sie sogar provoziere, dass der Gaststaat stets Abwehrgesetze, also Gesetze, die ausländische Normen für unanwendbar erklären, erlassen könnte, selbst wenn im gegebenen Fall ein berechtigtes Interesse des Heimatstaates oder gegebenenfalls sogar der internationalen Gemeinschaft besteht.246 Zugespitzt könnte die Personalhoheit durch eine pauschale Abwehrgesetzgebung – zumindest für die extraterritoriale Jurisdiktion – gänzlich ausgehöhlt werden. Territorial- und Personalgewalt sind aber gleichwertige Kern-Elemente der Souveränität und Bestandsvoraussetzung des Staates.247 Die aktiven und passiven Souveränitätskomponenten sind Ausfluss ein und desselben Prinzips. Ein genereller Vorrang widerspricht dem Grundsatz souveräner Staatengleichheit und zwar zu(un-)gunsten beider Staaten. Nicht zu einem normativen, sondern zu einem faktischen Vorrang kommt die Auffassung, die vertritt, dass der Heimatstaat extraterritoriale Sachverhalte nur insoweit regeln dürfe, als er gaststaatlichen Regeln nicht positiv widerspreche.248 Zum einen solle damit die Beeinträchtigung spürbarer Souveränitäts-Konflikte 246 Brownlie, Principles of Public International Law, S. 308; Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 135; Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 30 f. Ferner kann die Praxis der Abwehrgesetze nicht als Indikator für eine Rangordnung angesehen werden, denn sie stellen lediglich eine Retorsion auf die extraterritoriale Ausübung der Jurisdiktion des anderen Staates dar, vgl. Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 78 f. 247 So: Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 18; vgl. auch die frühe Untersuchung des amerikanischen Völkerrechtlers: Jennings, BYIL 23 (1957), S. 146 (149); Milanovic, HRLR 8.3 (2008), S. 411 (421); Sauer, Jurisdiktionskonflikte im Mehrebenensystem, S. 111; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 182 ff.; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 62 f.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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vermieden werden. Fühle sich der Gaststaat dennoch gestört, könne er schließlich entsprechende Abwehrgesetze erlassen.249 Zum anderen verstoße der Zwang zu einem Rechtsbruch gegen die Menschenwürde.250 Dagegen wird überzeugend angeführt, dass nicht nur das explizite Ver- oder Gebot, sondern auch das bewusste Unterlassen Ergebnis einer Entscheidung des gaststaatlichen Gesetzgebers ist, nämlich die Einräumung der Freiheit in diesem Bereich.251 Gerade der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit wird aufgrund marktwirtschaftlicher Erwägungen häufig viel Freiraum gelassen.252 Soll ein Kongruenzerfordernis aber einen Regelungskonflikt lösen, so stellt sich vor allem die praktische Folgefrage, wie nun der Heimatstaat feststellen soll, ob es sich um einen unbewussten oder bewussten Verzicht des gaststaatlichen Gesetzgebers zur Regelung bestimmter Sachverhalte handelt. Der Einwand, dass kein Zwang zu einem Rechtsbruch durch das Individuum erfolgen dürfe, kann dadurch entkräftet werden, dass dies sicherlich im Rahmen des Strafrechts mit dem aus der Menschenwürde abgeleiteten Schuldgrundsatz begründet werden kann,253 ein solches Prinzip aber nicht im Bereich des Zivilund Wirtschaftsrecht existiert. Der Schuldgrundsatz kann nicht auf jegliche Sanktionen übertragen werden und schon gar nicht in Bereichen gelten, in denen das Verhalten von Unternehmen gelenkt werden soll, denn diese sind nicht einmal schuldfähig. Ferner ist es einem privaten Akteur möglich, sich dem Konflikt zu entziehen, indem er das fremde Territorium verlässt. Aufgrund dieser dritten Möglichkeit handelt es sich auch nicht um einen gänzlich unauflösbaren Befolgungskonflikt. Der (nur) früher vertretenen Auffassung eines Vorranges der Personalgewalt254 sind ähnliche Argumente entgegenzusetzen, denn dies würde zu einer Bevorzu248 Jennings, BYIL 33 (1957), S. 146 (151); Mann, RdC 186 (1984-III), S. 9 (59, 62). Auch: § 7 New Yorker ILA Resolution 1972; differenzierend: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 576, der diesen Fall nur für ein gaststaatliches Verbot anerkennen will. 249 Vgl. den britischen Protection of Trading Interest Act 1980, der im Falle der Beeinträchtigung des britischen Handels durch ausländische Gesetze dem Secretary of State eine Kompetenz, die Befolgung dieser Gesetze zu verbieten, einräumt. 250 Jacobs, Intern. Lawyer 13 (1979), S. 645 (664); Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 138. 251 Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 134; Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 30. 252 Vgl. Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 197; Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 138, weist auf die mangelnde Staatenpraxis für diesen Ansatz hin. 253 Sodann müsste natürlich eine Bindung an diesen Grundsatz begründet werden. Siehe zu der Lehre von der „identischen Norm“ im Strafrecht: Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 123. 254 Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. 1 (1897), S. 98 (mit der Einschränkung, dass die öffentliche Ordnung nicht beeinträchtigt sein dürfe).
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
gung des extraterritorial agierenden Staates führen255 und vor allem im Wirtschaftsrecht dem Gaststaat jegliche Entscheidungsfreiheit nehmen.256 Letztlich setzt dieser Ansatz die Territorialgewalt weitgehend aus und ist deswegen abzulehnen. Keiner der dargestellten Ansätze kann überzeugen, denn eine irgendwie geartete Rangordnung der Anknüpfungspunkte, sei sie speziell oder generell, trägt dem Grundsatz der souveränen Staatengleichheit nicht ausreichend Rechnung. (b) Ansätze zur einseitigen Beschränkung der extraterritorialen präskriptiven Jurisdiktion Neben den Versuchen, die Anknüpfungspunkte zu hierarchisieren, gibt es Ansätze, die die Beschränkung der Jurisdiktionsausübung einseitig mit unterschiedlichen Prinzipien und Grundsätzen bewirken wollen. Nicht immer ist eine scharfe Abgrenzung der Ansätze möglich, da oftmals mit einem Konglomerat von Regelungen argumentiert wird. (aa) Verhältnismäßigkeits-Lösung Es wird vorgeschlagen, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Beschränkung der extraterritorialen Jurisdiktion heranzuziehen.257 Begründet wird dies mit einem Verweis auf das Interventionsverbot, das stets nur verhältnismäßiges extraterritoriales Handeln zulasse. Vereinzelt wird es korrigierend dahingehend eingesetzt, dass nicht nur eine verhältnismäßige Mittel-Zweck-Relation vorliegen muss, sondern auch die Interessen der Gaststaaten berücksichtigt werden müssen.258 Dagegen wird vorgebracht, dass ein horizontaler Ausgleich auf diese Weise nicht geschaffen werden könne, denn gefragt werde nur danach, ob ein bestimmtes Mittel zum angestrebten Zweck verhältnismäßig sei. Das Mittel wird aber bei Schutzpflichten gegenüber dem privaten Akteur eingesetzt, mithin vertikal und nicht gegenüber dem Gaststaat.259
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So auch: Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 41. Ähnlich: Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 197. 257 Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 16; Bockslaff, Das völkerrechtliche Interventionsverbot, S. 134 ff. 258 Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (276). Persistent Objections gibt es, namentlich etwa das Vereinigte Königreich. 259 Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 663. Vgl. auch Ausführungen bei: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 603 ff. 256
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Eine hinreichende Lösung liefert der Ansatz nicht. Verfolgen zwei Staaten jeweils ein berechtigtes Ziel260, so stehen sich zwei konfligierende Interessen gegenüber, die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht in einen Ausgleich gebracht werden können.261 Der Grundsatz bildet an sich als allgegenwärtiger Rechtsgrundsatz stets eine Grenze staatlichen Handelns, vermag es aber nicht, den hier in Frage stehenden Regelungskonflikt hinlänglich zu lösen. Ein Ausgleich nur mittels des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist daher kein gangbarer Weg zur Auflösung eines Regelungskonflikts. (bb) Rechtsmissbrauchs-Lösung Andere wollen der konfligierenden Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion mit dem Grundsatz des Rechtsmissbrauchs begegnen.262 Die Existenz dieses Grundsatzes ist im Völkerrecht nicht ganz unumstritten,263 dennoch scheint er zumindest als allgemeiner Rechtsgrundsatz in das Völkerrecht Einzug gehalten zu haben.264 Der Inhalt dieses Grundsatzes ist allerdings umso unklarer: Einige gehen pauschal von einer Verletzung dieses Verbots aus, wenn bereits die Politik eines anderen Staates beeinträchtigt ist.265 Andere sehen die Ausübung staatlicher Jurisdiktion dann als Rechtsmissbrauch an, wenn die extraterritorialen Rechtsnormen nur Bagatellfälle regeln sollen.266 Überzeugender ist dagegen eine Anwendung jedenfalls dann, wenn die extraterritoriale Jurisdiktionsausübung einem Verbot im Ausland widerspricht oder wenn illegitime eigene Interessen durchgesetzt werden sollen. Neben der grundsätzlichen Infragestellung dieser Rechtsfigur im Völkerrecht wird gegen die Anwendung auf Regelungskonflikte angeführt, dass sie eine Lösung sich widerstreitender Interessen allenfalls in deutlichen Extremfällen liefert, sämtliche anderen Fälle würden an der Unklarheit des genauen Inhalts scheitern.267 260 Z. B.: auf der einen Seite wirtschaftliche Interessen, auf der anderen Seite menschenrechtliche Belange. 261 Dies erkennen die Vertreter dieser Ansicht selbst und nehmen deswegen vereinzelt auf zweiter Stufe eine Pflicht zur Interessenabwägung an: Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 16. 262 Akehurst, BYIL 46 (1972–1973), S. 145 (188 ff.); Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (283); Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (748). 263 Ausführlich dazu: Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 152; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 589 ff. Den Grundsatz ablehnend: Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 21. 264 Vgl. Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (283). 265 Akehurst, BYIL 46 (1972–1973), S. 145 (188 ff.). 266 Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (748). 267 Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 152; Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (764), m.w. N.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Dem ist zuzustimmen, denn eine wirkliche Lösung vermag dieser Ansatz nur für den Fall eines nachweisbaren Extremfalles zu liefern, so etwa vorstellbar, wenn der Heimatstaat seinen Staatsangehörigen vorschreibt, sich gegen die Politik des Gaststaates zu wenden. Andere Fälle sind dagegen zu komplex, als dass sie mit entsprechender Deutlichkeit mittels des Ausnahme-Instituts des Rechtsmissbrauchs gelöst werden könnten. Der Ansatz kann daher zumindest für unter der Schwelle von Extremfällen liegende Sachverhalte nicht überzeugen. (cc) Zurückhaltungsgebots-Lösung Ein weiterer Lösungsansatz verweist auf ein völkerrechtliches Gebot der Staaten, Zurückhaltung bei extraterritorialer Präskription im Falle eines drohenden Konflikts zu üben.268 Stellt dies zwar meist die Rechtsfolge der zuvor erläuterten Ansätze dar, so soll es hierbei um ein grundsätzliches Gebot gehen, dass eher als eine Konfliktvermeidungsstrategie zu verstehen ist. Keinesfalls solle es aber zu einem generellen Verzicht der Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion führen.269 Gestützt wird dieser Ansatz zum einen auf die in der VN-Charta verankerte Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung;270 andere halten es für treuwidrig, wenn ein Staat seinen Individuen die Ausreise gestatte und auf der anderen Seite die Einhaltung nationaler Vorschriften fordere.271 Inhaltlich wird dem Ansatz sein zu offener Anwendungsbereich entgegengesetzt. Er liefere keinen berechenbaren Maßstab.272 Gegen die Herleitung selbst wird angeführt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben selbst keine Pflichten begründen könne, sondern lediglich fordere, dass im Rahmen der bestehenden Rechte und Pflichten kein treuwidriges Verhalten stattfindet.273 Zwar könnte gegen letzteres Argument angeführt werden, dass es gerade um die Ausübung eines Rechts, nämlich das der extraterritorialen Jurisdiktion geht. Dennoch wird ein Recht zur Ausübung dieser Jurisdiktion vielmehr erst dann entstehen, wenn nicht nur ein notwendiger Anknüpfungspunkt vorliegt, sondern
268 Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 657 f.; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 645; Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (283). 269 Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 658. 270 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 645, 657 f.; Meng, ZaöRV 57 (1997), S. 269 (292). 271 Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 658 ff. Er verweist dabei jedoch auf das Erfordernis einer Einzelfallprüfung. 272 Sauer, Jurisdiktionskonflikte im Mehrebenensystem, S. 115. 273 So auch selbst: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 588.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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auch der Konfliktvermeidung hinreichend Rechnung getragen wurde, mithin diese hier zu klärende zweite Voraussetzung erfüllt ist. Letztlich spricht aber gegen diese Lösung, dass sie faktisch zu einem Vorrang der Territorialhoheit führt, wenn stets der drohende Konflikt eine Zurückhaltung gebieten. Das Gebot, Treu und Glauben im Rechtsverkehr zu beachten, ist unstrittig eine Rechtsfigur, die Einzug in das Völkerrecht gehalten hat und grundsätzlich für sämtliche Rechte und Pflichten gilt, das Gebot kann aber keineswegs die rigide Rechtsfolge einer grundsätzlichen Zurückhaltung nur des extraterritorial jurisdiktionsübenden Staates haben. Dieser Ansatz vermag einen drohenden Jurisdiktionskonflikt nicht überzeugend zu lösen. (dd) Vorrang der diplomatischen Lösung Ähnlich wie der vorangegangene Ansatz wird versucht, den Konflikt einer diplomatischen Lösung in Form eines rechtlich zwingenden Vorranges zuzuführen.274 Der Grundsatz des Verbots der Einmischung275, bekräftigend aber auch die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung, gebiete es, dass diplomatischen Verhandlungen ein Vorrang einzuräumen sei, sprich: die Parteien sollten sich im Falle von Regelungskonflikten diplomatisch einigen. Dieser Ansatz liefert zwar ein milderes Mittel als das Verbot der extraterritorialen Jurisdiktionsausübung, dennoch scheint er keine wirkliche rechtliche Lösung zu bieten,276 denn für den Fall eines negativen Ausganges der Verhandlung wird keine Rechtsfolge bereitgehalten. Eine generelle Rücknahme der Jurisdiktion würde wie entsprechende vorangegangene Ansätze die aktive Souveränitätskomponente aushöhlen, denn diplomatische Verhandlungen könnten auch im Falle eines berechtigten Interesses scheitern. Die Rechtsfolge wäre sodann dennoch die Zurückhaltung. (ee) Zusammenfassung Keiner der aufgeführten einseitig-beschränkenden Ansätze vermag es, Jurisdiktionskonflikte überzeugend und umfassend einer Lösung zuzuführen. Vereinzelt bilden sie rechtliche Grenzen, die freilich allgemein bei der Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion zu berücksichtigen sind. Sie sind damit Schranken, aber keine handhabbaren Ansätze zur Lösung konfligierender Jurisdiktionsausübung.
274 Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 264. Unter Einbeziehung des anglo-amerikanischen Rechtsinstituts der Comity: Maier, AJCL 31 (1983), S. 579 (581). 275 Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 264. 276 So auch: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 80.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
(c) Erfordernis eines überwiegenden Interesses des extraterritorial agierenden Staates Eine Vielzahl der Stimmen im Schrifttum verweist darauf, dass nach der Feststellung eines Anknüpfungspunktes eine umfassende Interessenabwägung von demjenigen Staate vorgenommen werden müsse, der die extraterritoriale Jurisdiktion ausüben will und diese erst im Falle eines überwiegenden Interesses ausgeübt werden dürfe.277 Unklar und umstritten sind allerdings die Herleitung und der konkrete Inhalt der Interessenabwägung. (aa) Herleitung (a) Ansätze zur Begründung einer Interessenabwägungs-Lösung und die Kritik im Schrifttum Zur Herleitung der Abwägungspflicht haben sich drei unterschiedliche Begründungsstränge herausgebildet. Einige leiten diese Pflicht schlicht aus dem Interventionsverbot ab,278 wonach der souveränitätswahrende Schutz ein abwägungsloses Hineinregieren in eine fremde Souveränitätssphäre verbiete. Die völkerrechtliche Zulässigkeit einer Einmischung bestimme sich beim Interventionsverbot ganz allgemein nach einer Interessenabwägung und eine solche sei daher auch bei einer jurisdiktionellen Gemengelage vorzunehmen.279 Auf ähnliche Weise wird die Abwägungspflicht mit der Souveränität selbst begründet. Die Abwägung sei Korrelat der Souveränität und die Abgrenzungskriterien seien daher auch der Souveränität selbst zu entnehmen.280 Ferner wird die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung als Grundnorm für eine Kooperationsgemeinschaft und einen damit verbundenen Konfliktlösungsauftrag auch hier herangezogen (Art. 2 Nr. 3 VNC).281 Konfliktlagen sollen nicht der faktischen Machtdurchsetzung überlassen bleiben.282 277 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 36, 244 f.; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 53; So im Ergebnis auch: Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 16 f.; Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 231 f. 278 Als einer der ersten: Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 201 f., 218 ff.; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 37 f. 279 Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 232. So auch: Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 37 ff., der von einem Optimierungsgebot spricht, dass nur durch eine Interessenabwägung erfüllt werden kann. 280 Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 155 ff.; Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 664 f.; Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 146; in die Richtung gehend: Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 40. 281 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 38. 282 Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 143.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Andere verweisen auf die bereits unter (b) genannten Prinzipien und Grundsätze (Treu und Glauben,283 Rechtsmissbrauch und Verhältnismäßigkeit284) und füllen diese inhaltlich mit einer Interessenabwägung als institutionalisierbares Verfahren auf. Wieder andere – vorwiegend angloamerikanische Vertreter – stützen sich auf das Rechtsinstitut der Comity285, einer hybriden (rein angloamerikanisches) Rechtsfigur zwischen Recht und (unverbindlicher) Courtoisie,286 die zunächst nur die Souveränitätswahrung bei nationaler Rechtsanwendung fremden Rechts vor nationalen (amerikanischen) Gerichten bezweckte.287 Später wurde das Rechtsinstitut auch auf den umgekehrten Fall, nämlich zur Begründung der Zurückhaltung bei extraterritorialer Gesetzgebung angewendet.288 Gegen die Auflösung von Jurisdiktionskonflikten durch eine Interessenabwägung wurden vor allem praktische Bedenken erhoben, denn es sei schwer vorstellbar, dass der zur Abwägung verpflichtete Staat nicht stets seinen eigenen Interessen ein höheres Gewicht beimesse.289 Eine Interessenabwägung sei daher nur eine Scheinlösung. Zudem sei es einem Richter nicht möglich, eine so gründliche Interessenabwägung vorzunehmen, die völkerrechtliche Belange umfassend berücksichtigen würde.290 Insgesamt wird gegen die Herleitung angeführt, dass eine Vielzahl der genannten Prinzipien keine wirklich rechtliche Grundlage habe bzw. insgesamt zu unbestimmt sei.291 Gegen die völkerrechtliche Anwendung der Comity wird eingewandt, es handele sich um ein unklares, jedenfalls aber längst nicht zu Völker-
283 So früher: Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (764 ff.); mittlerweile anscheinend in Abkehr davon: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 623 (vgl. aber S. 587). 284 Statt vieler: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 587 ff., m.w. N. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird regelmäßig mit dem angloamerikanischen Grundsatz des Reasonableness identisch sein, auf das sich das: American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165 § 402 ff., bezieht; Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (195). 285 Felder, Die Lehre vom Forum Non Conveniens, S. 168, weist daraufhin, dass die Comity große Ähnlichkeiten mit anderen Instituten des amerikanischen Rechts hat. Dies erklärt auch, warum im Schrifttum oftmals Verwirrung zwischen den Instituten herrscht und neben der Comity der Forum-Non-Conveniens-Grundsatz auswechselbar angeführt wird. 286 Dazu: Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, S. 84; Maier, AJCL 76 (1982), S. 280 (282). Sehr kritisch: Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 145. 287 Vgl. Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, S. 85. 288 Vgl. Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, S. 85 f. 289 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 623. 290 Siehe dazu: Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen, S. 85. 291 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 630.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
recht gewordenes Institut.292 Die Ableitung aus dem Verbot der missbräuchlichen Rechtsanwendung wird gerade deshalb als problematisch angesehen, weil das Verbot bestimmte Ergebnisse verhindern will, nämlich die missbräuchliche Anwendung eigenen Rechts; es aber selbst nichts über das Verfahren aussage.293 (b) Anhaltspunkte in der Staatenpraxis und der Völkerrechtsprechung Die Staatenpraxis liefert einige Anhaltspunkte für eine Interessenabwägungslösung, auf die sich viele Stimmen im Schrifttum ergänzend berufen.294 An dieser Stelle soll keine umfassende empirische Darstellung der Staatenpraxis erfolgen, denn es kann hierfür auf die vorhandene Vielzahl der Untersuchungen verwiesen werden.295 Die Analyse der (hauptsächlich: Gerichts-)Praxis zeigt zusammenfassend, dass vor der Ausübung der Jurisdiktion über extraterritoriale Sachverhalte oftmals Interessen gegeneinander abgewogen werden. Dies gilt nicht nur für die US-amerikanische Gerichtspraxis296, sondern auch etwa für deutsche Gerichte297. Die Entscheidungen betreffen häufig nur das Wettbewerbs-298 oder Strafrecht,299 die ihnen zu Grunde liegenden Gedanken sind aber insoweit hinreichend abstrahierbar. Die Untersuchungen weisen jedoch zugleich Unklarheiten auf. Gerade weil die meisten Analysen amerikanische Gerichtsentscheidungen betreffen und diese sich oft auf das Institut der Comity berufen, kann nicht abschließend geklärt werden, ob die Gerichte in der Überzeugung handelten, zur Abwägung völkerrechtlich verpflichtet zu sein. Denn sind sie der Auffassung, die Comity sei zumindest 292
Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (284). Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 664. 294 Vgl. Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 665 ff.; Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 53. 295 Vgl. Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 55 ff.; Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 19 ff.; Schmitz, Das aktive Personalitätsprinzip, S. 175 ff.; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 299; Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 36 ff.; Sauer, Jurisdiktionskonflikte im Mehrebenensystem, S. 118 ff. Für die deutsche Praxis: Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 673 ff. Für eine Analyse extraterritorial anwendbarer Gesetze und deren Gesetzesbegründung: Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S.72 ff. Zum Amerikanisch-Europäischen Abkommen über die Anwendung der Wettbewerbsgesetze und der dort völkervertragsrechtlich kodifizierten Abwägung: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 48 ff. 296 Dort ist aber ein Schwerpunkt der Staatenpraxis zu sehen, was nicht zuletzt auf die Anerkennung des Wirkungsprinzips und der Kontrolltheorie zurückzuführen ist, die angesichts ihrer Umstrittenheit häufiger Jurisdiktionskonflikte mit sich bringen. 297 So etwa der Kautschuk II-Fall: KG Berlin, Beschluss v. 26. November 1980, RiW 1981, S. 406. 298 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 145. 299 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 80. 293
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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auch ein völkerrechtliches Institut, ließe sich zwar eine Überzeugung begründen, in Erfüllung dieses Grundsatzes zu handeln, nicht aber, ob sie dieses Institut als Courtoisie oder Pflicht verstehen. Die Analyse der Praxis stellt damit zwar keine völkergewohnheitsrechtliche Regel heraus,300 sie liefert aber Bekräftigung für die Vorzugswürdigkeit dieses Ansatzes. Daneben zeigt vereinzelt auch die Völkerrechtsprechung, dass in der Abwesenheit einer klaren rechtlichen Völkerrechtsregel bei Souveränitätsabgrenzungen hilfsweise eine Interessenabwägung vorzunehmen ist. So weist etwa der IGH im North Sea Continental Shelf-Fall ausdrücklich darauf hin, dass eine umfassende Abwägung aller Interessen der einzige Weg zur Lösung konfligierender Souveränitätsinteressen ist.301 Damit kann festgehalten werden, dass die Staatenpraxis Anhaltspunkte für die Interessenabwägungslösung liefert, die zwar noch keine völkergewohnheitsrechtliche Regel darstellt, aber als Beleg eines besonderen Gewichts der Lösung aufzufassen ist. (g) Stellungnahme Die Auffassungen, die sich auf Rechtsfiguren wie etwa das Verbot des Rechtsmissbrauchs oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stützen, vermögen es nicht, eine Abwägungspflicht überzeugend zu begründen, denn diese Institute wirken nicht rechte- und pflichten-begründend, sondern gestalten Rechte und Pflichten allenfalls aus. Es scheint aber in der Natur der Sache zu liegen, dass, geht man wie hier von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Anknüpfungspunkte aus, bei der Ausübung zweier Jurisdiktionen, diese sich gegenseitig beschränken müssen. In der Akzeptanz dieser Gleichwertigkeit liegt das vorgezeichnete Ergebnis, dass nur im Rahmen einer Interessenabwägung ein Vorrang einer der Jurisdiktionen für den Einzelfall geschaffen werden kann, denn keines dieser Elemente beansprucht 300 Zu diesem Ergebnis kommen auch: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 55, und Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 217. 301 IGH, Urteil v. 20. Februar 1969, North Sea Continental Shelf Cases, Rn. 93. Nicht ganz eindeutig ist, worauf der IGH seine Entscheidung stützt. Er führt aber das Konzept der Billigkeitsgrundsätze (equitable principles) ein und begründet seine Entscheidung u. a. damit. In einem anderen Urteil weist er darauf hin, dass auch die fremdstaatlichen Interessen berücksichtigt werden müssten: IGH, Urteil v. 25. Juli 1974, Fisheries Jurisdiction Case (UK vs. Iceland), Rn. 68. In einem Sondervotum zum Barcelona-Traction-Fall weist Sir Gerald Fitzmaurice auf die Problematik hin, dass das Völkerrecht keine starren Regeln zur Auflösung von Jurisdiktionskonflikten bereit hält. Das Völkerrecht verlange aber Zurückhaltung und Berücksichtigung fremdstaatlicher Interessen bei der Ausübung präskriptiver Jurisdiktion, siehe: Separate Opinion of Judge Sir Gerald Fitzmaurice, IGH, Urteil v. 5. Februar 1970, Barcelona Traction Case, Rn. 70.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
eine absolute Vormachtstellung. Die Auffassung, eine solche Interessenabwägungspflicht auf den Grundsatz der souveränen Staatengleichheit stützen bzw. sie als logische Folge einer solchen Staatengleichheit sehen zu können, scheint daher am ehesten überzeugend. Bestätigung findet dieses Ergebnis deutlich in den Ansätzen der Staatenpraxis, denn immerhin scheint sich dabei – auch wenn es noch kein Völkergewohnheitsrecht darstellen mag – ein minimaler gemeinsamer Nenner herausgebildet zu haben, nämlich dass der Ausgleich von Souveränitätssphären stets anhand einer Interessenabwägung erfolgen muss.302 Worauf sich die Gerichte im Einzelnen stützen, kann dabei nicht abschließend geklärt werden, die Staatenpraxis alleine genügt als Indikator für diesen Lösungsweg. Damit lässt sich die Interessenabwägungs-Lösung zum einen aus dem Erfordernis eines Souveränitätssphärenabgleichs herleiten und zum anderen auf die Staatenpraxis als Minimalkonsens stützen. (bb) Abwägungsverfahren Wie die Interessenabwägung zu erfolgen hat, wird ebenfalls nicht einheitlich beantwortet. Eines ist jedoch Konsens: Die Interessenabwägung hat derjenige Staat vorzunehmen, der die extraterritoriale Jurisdiktion ausüben möchte, denn nur er weiß von der potenziellen Konfliktträchtigkeit. Diese Pflicht ist nicht nur an die Judikative, sondern an den „vorschreibenden Staat“ als Ganzes adressiert. Damit ist in erster Linie der Gesetzgeber bei Erlass von Normen mit potenzieller Auslandswirkung und erst danach der Rechtsanwender, regelmäßig die Judikative, verpflichtet, eine Interessenabwägung vorzunehmen.303 Der Bestand eines Interesses an einer Regelung extraterritorialer Sachverhalte wird durch den Erlass dieser Norm zwar indiziert. Lässt sich aber schlicht kein wirkliches Interesse feststellen, so erübrigt sich die Feststellung des überwiegenden Interesses. Ein lebensfernes Beispiel verdeutlicht einen solchen Fall: Erließe etwa ein Staat ein extraterritoriales Rechtsfahrgebot für einen Staat, in dem ein Linksfahrgebot gilt, so ließe sich kein relevantes Interesse des extraterritorial agierenden Staates feststellen. Der Erlass der Norm wäre völkerrechtswidrig. Das Interesse des Gaststaates wird dagegen kraft seiner territorialen Regelungshoheit indiziert.304 302
So auch: Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts, S. 676 f. Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 238; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 260; Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 150. 304 Vgl. den Gedanken bei: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 78 f. 303
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Besteht aber ein feststellbares Interesse, so ist fraglich, woran sich messen soll, ob dieses überwiegt. Im Ergebnis soll freilich das „bessere Recht“ 305 gewinnen. Ein konkreterer Versuch, der auch vereinzelt schon in gerichtlicher Praxis auftauchte,306 kommt vom American Law Institute. Die Ausübung extraterritorialer präskriptiver Jurisdiktion erfordere die Bewertung (1) der Verknüpfung der Tat zum Territorium des regelnden Staates, (2) der Verknüpfung der betroffenen Person zum regelnden Staat, (3) des Charakters der geregelten Aktivität und die Erforderlichkeit, diese Aktivität zu regeln, (4) der Erforderlichkeit von Vertrauensschutz, (5) der Relevanz für das internationale politische, rechtliche und wirtschaftliche System, (6) des Grades der Konformität mit völkerrechtlichen Grundsätzen und (7) der Wahrscheinlichkeit eines entstehenden Regelungskonflikts.307 Gegen diesen Vorschlag wird angeführt, dass einige Kriterien für eine Abwägung ungeeignet und andere wenig aussagekräftig seien.308 Ferner bewerteten die Kriterien (1) und (2) nur die Anknüpfungspunkte, was wiederum zu einer faktischen Rangordnung führe und mit den dargelegten Argumenten abgelehnt werden müsse.309 Die Kriterien (3) und (4) wiederholen dagegen nur ohnehin zu berücksichtigende Grundsätze. Dagegen scheinen die Faktoren von (5), (6) und (7) eine brauchbare Lösung zur Feststellung eines Interessengewichts darzustellen, denn ein gewisser Grad an Einigkeit besteht darin, dass sich die Interessen alleine aus den Wertungen des Völkerrechts selbst ergeben müssen.310 Es überzeugt daher auch vielmehr der Ansatz, sich bei der Feststellung des abwägungsfähigen Interesses auf den Einzelfall zu beschränken, mit dem Erfordernis als Korrektiv (und hierbei gleicht der Ansatz den letzten Stufen der vorgenannten „Restatement-Lösung“), dass die Interessen objektivierbar und international anerkennungsfähig sind.311 Das internationale anerkennungsfähige Interesse kann durch die Gegenständlichkeit im Völkerrecht indiziert sein. Der Verweis auf einen international-politischen Konsens und die Übernahme von Wertungen aus völkerrechtlichen Grundsätzen können daher abwägungsweisend sein. Nach Ermittlung der konkreten Interessen muss also anhand völkerrechtlicher Maßstäbe ein überwiegendes Interesse festgestellt werden. 305
So die Begriffsbildung bei: Meng, bei Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (282). Vgl. Sauer, Jurisdiktionskonflikte im Mehrebenensystem, S. 118 ff. 307 American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165 § 403. 308 Sauer, Jurisdiktionskonflikte im Mehrebenensystem, S. 123. 309 So auch: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 60. 310 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 41. Geeignete Maßstäbe sollen die Völkerrechtsordnung im Allgemeinen und der materielle Gehalt der Souveränität im Besonderen liefern, so: Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 52; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 199. Siehe auch: Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 62 f. 311 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 246. 306
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Versuchen, den Abwägungsvorgang in einem konkreten Verfahren vorzugeben,312 muss entgegengehalten werden, dass dies zum einen weder auf eine Staatenpraxis gestützt werden kann, zum anderen ein solches vorgegebenes Verfahren den staatlichen Ermessensspielraum, der dem Staat hier zukommen muss, unterläuft.313 Vom Völkerrecht gefordert wird nämlich nur eines: das Vorliegen eines überwiegenden Interesses. Von wem oder durch welche Verfahren dies festgestellt wird, kann das Völkerrecht nicht beantworten. Der durch das Ermessen vermeintlich entstehenden Gefahr der Subjektivierung der Abwägung kann entgegnet werden, dass diese Gefahr insgesamt eine spezifische Eigenheit von Gleichordnungsverhältnissen und damit stets des Völkerrechts ist. Die praktische Instrumentalisierbarkeit ist hinzunehmen, dogmatisch erforderlich ist ein objektiv überwiegendes Interesse trotzdem. Überwiegt das gaststaatliche Interesse, besteht Streit um die Natur und Reichweite der Rechtsfolge. Obschon das Restatement (third) in § 403 Abs. 3 lediglich eine Soll-Vorschrift („should“) zur Zurückhaltung enthält, so kann in der Anerkennung einer Rechtspflicht zur Abwägung nur folgerichtig eine Pflicht zur Rücknahme der eigenen Jurisdiktion liegen.314 Die Qualität der Rücknahme ist dabei aber nicht als Wegfall der Jurisdiktionskompetenz zu verstehen,315 sondern graduell-reduktiv dahingehend, dass die extraterritoriale Jurisdiktion nur insoweit zurückgehalten werden muss, als das überwiegende Interesse ausgeglichen wird.316 Ein Alles-oder-nichts-Ansatz würde die aktive Komponente der Souveränität des Staates nicht hinreichend berücksichtigen, denn die Abwägung soll eine Sphärenabgrenzung bei gleichrangiger Kompetenz herbeiführen, nicht aber über das „Ob“ einer Kompetenz entscheiden. Überwiegt das Inlandsinteresse, so darf die extraterritoriale Jurisdiktion in vollem Umfang ausgeübt werden. Eine Pflicht des Gaststaates, seine Jurisdiktion zurückzunehmen, kann nach erfolgter Abwägung aber nicht begründet werden.317 Ein Regelungskonflikt kann daher grundsätzlich immer noch bestehen, dies aber mit dem Unterschied, dass der extraterritorial jurisdiktionsübende Staat völkerrechtskonform handelt. 312 Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 198 ff. Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 248 ff. So auch: Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 227. 313 So auch: Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 147, 158; Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (775). 314 So zutreffend: Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 146 f.; Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 230 f.; Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts, S. 231 f.; kritisch: Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 123 f. 315 Siehe: Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 42. 316 Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, S. 230 f. 317 So im Ergebnis auch: Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 42.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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(cc) Die Interessenabwägung bei der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten Es wurde dargelegt, dass extraterritoriale präskriptive Jurisdiktion nur dann geübt werden kann, wenn erstens ein Anknüpfungspunkt vorliegt und zweitens ein überwiegendes Interesse des extraterritorial Jurisdiktion-übenden Staates besteht. Die Vielzahl der denkbaren Sachverhaltskonstellationen, die sich im Zusammenhang mit der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten ergeben können, verbietet dabei ein verallgemeinerungsfähiges Abwägungsergebnis. Für die Beurteilung des gaststaatlichen Interesses kommt es auf regionale, kulturelle, soziale, historische, politische und wirtschaftliche Besonderheiten an. Darauf kann nur bei der Beurteilung konkreter Sachverhalte eingegangen werden. Worauf jedoch allgemein eingegangen werden kann, ist das Interessengewicht des Heimatstaates, wenn er extraterritorial präskriptive Jurisdiktion zur Erfüllung menschenrechtlicher Schutzpflichten ausübt. Zunächst wäre es zirkulär, die Erfüllung der Schutzpflichten bzw. das Interesse daran, nicht vertragsbrüchig werden zu wollen, als vorrangiges Interesse anzusehen, denn: Ein Staat wird nicht vertragsbrüchig, wenn er gar nicht erst extraterritorial handeln kann. Und um die Bestimmung des extraterritorialen Handlungsrahmens geht es ja gerade. Sein zentrales Interesse muss vielmehr der Schutz der Menschenrechte sein, was schließlich durch die Ratifizierung der Konventionen zum Ausdruck gekommen ist. Überdies kann es freilich Nebeninteressen geben, wie etwa die Reputation des Staates im Ausland oder die Wahrung einer spezifischen Staatskultur im weitesten Sinne.318 Die Bewertung dieses identifizierten Interesses am Schutz der Menschenrechte hat sich an den gefundenen Ergebnissen zu orientieren. Zunächst ist festzustellen, dass innerhalb des Diskurses um die Abwägungspflicht menschenrechtliche Belange stets, aber häufig ohne Begründung, in den Vordergrund gestellt werden. Einer menschenrechtswidrigen Jurisdiktionsausübung (in diesem Fall durch den Gaststaat) sei grundsätzlich nicht der Vorrang zu gewähren, dies anscheinend auch dann, wenn der Jurisdiktion übende Staat nicht Vertragspartner eines Menschenrechtsvertrages ist.319 Eine rechtliche Pflicht wird nach diesem Ansatz nicht für erforderlich gehalten, verwiesen wird zum Teil auf die AEMR als internationaler Standard,320 vereinzelt auch auf die EMRK.321 Eine weitere Auffassung 318 Ein solches Interesse wurde in der BRD auch im anderen extraterritorialen Zusammenhang, nämlich dem Kriegswaffenkontrollgesetz, vorgebracht, vgl. Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 247. 319 Akehurst, BYIL 46 (1972–1973), S. 145 (188); Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (287 ff.); andeutend: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 585; Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (763). 320 So: Akehurst, BYIL 46 (1972–1973), S. 145 (188); Puttler, Völkerrechtliche Grenzen von Export- und Reexportverboten, S. 142.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
kommt auf anderem Wege zu dem abwägungsleitenden Ergebnis, dass materielles Recht (Menschenrechte) stets Vorrang vor formellem Recht (Jurisdiktion) habe.322 Ob der Schutz der Menschenrechte wirklich ein so klares Abwägungsergebnis vorzeichnet, ist aber fragwürdig. Es leuchtet ein, dass die Annahme eines Konsens’, ohne dass eine gleiche Vertragsparteieneigenschaft vorliegt, die Souveränität des Gaststaates gänzlich unbeachtet lässt und deswegen so nicht tragfähig sein kann.323 Schließlich hat sich der Gaststaat aus freien und – wohlgemerkt – souveränen Stücken gegen die Ratifizierung des jeweiligen Menschenrechtsvertrages entschieden. Dies schließt aber gewiss nicht aus, den Menschenrechtsschutz jedenfalls als politischen Konsens einzustufen. Neben den verbindlichen menschenrechtlichen Vertragspflichten, die freilich nur die jeweiligen Vertragsparteien binden, wurde im Zuge der Völkerrechtsentwicklung wohl vorbildlos in einer Vielzahl von Dokumenten geäußert, dass Menschenrechte universelle Geltung entfalten und dies oberstes zu förderndes Ziel sei. Die zu Beginn angeführten Bedenken, dass die breit proklamierte Universalität der Menschenrechte nicht pauschal zu einer Ausdehnung der jurisdiktionellen Kompetenz von Staaten führen kann, verlieren im Rahmen einer verbindlichen Abwägungspflicht ihre Gültigkeit, denn hier kann die rechtspolitische Programmansage gewiss ein abwägungsrelevanter Faktor sein. Die AEMR bildet dabei einen materiellen Konsens, der durch sämtliche menschenrechtsbezügliche Pflichten der VNC bekräftigt wird. Deutlich abzugrenzen ist diese Erwägung aber von der oben durchgeführten Analyse, ob sich aus der VNC i.V. m. der AEMR verbindliche Rechtspflichten ergeben. An dieser Stelle gewinnt vor allem der oben schon erläuterte Art. 1 Nr. 3 VNC an Bedeutung, der den universellen Menschenrechtsschutz als zentrales Ziel der Staatengemeinschaft vorgibt. Auch die anderen in der VNC vorhandenen Menschenrechtsnormen sind als Indikator für ein spezielles Interesse zu sehen. Die Tatsache, dass sämtliche Staaten die VNC ratifiziert haben, deutet überdies auch auf die Globalisierbarkeit dieses Interesses hin. Auch wenn damit nicht zugleich eine bindende Rechtspflicht korreliert, bildet es doch einen gemeinsamen Wert. Dieses Bewertungsergebnis wird unterstützt durch zahlreiche Dokumente der Weltmenschenrechtskonferenzen, an denen alle Staaten teilnehmen und stets mit überragender Mehrheit abstimmen.324 Das Interesse am Schutz der Menschenrechte jeglicher 321
Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (287 f.). Reinisch, The Changing International Legal Framework, in: Alston, Non-State Actors and Human Rights, S. 58. Sich anschließend: Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (195 f.); in die gleiche Richtung weist auch: Kälin, Das Prinzip des Non-Refoulement, S. 164 ff., im Zusammenhang mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. 323 So aber: Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 135 f. 324 Exemplarisch ist vor allem die Millenium Declaration, die mit 189 Stimmen angenommen wurde und eine Vielzahl von Menschenrechtszielen aufweist. 322
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Art (also auch das IPwskR, denn WSK-Rechte sind in der AEMR enthalten) ist dasjenige Interesse, dass der Heimatstaat hat. Es ist zugleich ein globales Interesse und aus diesem Grund kommt ihm auch ein besonderes Gewicht zu, so dass eine Abwägung zugunsten des Gaststaates ein großes Hindernis überwinden muss.325 Damit kann festgehalten werden, dass die unzähligen Dokumente und universell anerkannten Menschenrechte grundsätzlich ein überragendes Interesse dokumentieren und ihnen mithin ein besonderes Gewicht zugemessen werden kann. Steht daneben die Erfüllung von Schutzpflichten im Hinblick auf Ius-CogensNormen in Frage, muss der extraterritorialen Jurisdiktionsausübung zugunsten solcher Normen angesichts der Abwägungsfestigkeit dieser Werte ein absoluter Vorrang zukommen.326 Welche Interessen der Gaststaat verfolgt, wenn er menschenrechtswidrige Bedingungen schafft, kann – wie dargelegt – nicht generell beantwortet werden. Regelmäßig wird es sich für die Fälle im Zusammenhang mit transnational agierenden Unternehmen um wirtschaftliche Interessen handeln. Etwa dem wettbewerbswirtschaftlichen Interesse, durch Rechtsnachlässigkeit eine Standortattraktivität zu schaffen, um international konkurrenzfähig zu werden oder zu bleiben, kann im Rahmen einer Abwägung keine große Beachtung zu schenken sein, denn der Heimatstaat wird – nach der Logik der gefundenen Ergebnisse – stets dazu gehalten sein, Menschenrechtsverletzungen extraterritorial zu unterbinden, freilich unabhängig davon, in welchem Gaststaat das Unternehmen zu agieren vorhat. Der Standortvorteil des Gaststaates entfällt damit gleichermaßen für alle Gaststaaten und schafft gleiche Wettbewerbsbedingungen. Auch solche Erwägungen wären in eine Abwägung im Einzelfall mit einzubeziehen. Welches Interesse es auch sein mag, es muss in jedem Fall eine große Hürde überwinden und das Interesse an der Wahrung der Menschenrechte übertreffen. Dies ist etwa nur dann denkbar, wenn beispielsweise die wirtschaftliche Existenz des Staates auf dem Spiel steht. Dass ein solches überwiegendes Interesse bestehen kann, kann dagegen auch nicht pauschal ausgeschlossen werden. Dementsprechend kann an dieser Stelle abstrakt auch keine Gewichtung vorgenommen werden.
325 Im Ergebnis so auch: De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool, S. 27, 49, und Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (195). 326 So auch: Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 247; Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 492; so auch im Falle Pinochet: The Pinochet Case (1999) 2 WLR, S. 827. Die Rechtsfolgen von IusCogens-Normen sind dabei nicht abschließend geklärt (vgl. Tams, AVR 40 (2002), S. 331 (343 ff.)). Wollte man eine pauschale Bindung sämtlicher Staaten für Menschenrechte annehmen, denen eine solche Wirkung zukommt, so greifen die im Abschnitt C. III. 2. b) cc) (3) zu erläuternden Grundsätze, denn dann sind sowohl Heimat- als auch Gaststaat an die gleiche Schutzpflicht gebunden.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
(d) Abschließende Bewertung Dass ein Staat, der bewusst einen Menschenrechtsvertrag nicht ratifiziert, ein besonderes Interesse daran haben kann, keine Rechtspflichten diesbezüglich erfüllen zu müssen, steht außer Frage. Besondere Vorsicht ist mit dem gefundenen Ergebnis deswegen geboten, weil über die „Hintertür“ der Interessenabwägung diejenigen Sachverhalte auf dem Territorium eines nicht-schutzverpflichteten Gaststaates einer menschenrechtskonformen Lösung zugeführt werden sollen, die eine Verwicklung des Heimatstaates, regelmäßig durch extraterritorial handelnde Staatsangehörige, aufweisen. Gerade deswegen verbietet sich ein Alles-odernichts-Prinzip. Die Bedenken können aber dadurch etwas entkräftet werden, dass sich der Gaststaat jedenfalls rechtspolitisch in einen Widerspruch setzt, wenn er menschenrechtswidrige Bedingungen schafft oder sogar gebietet und sich zugleich der Zielverpflichtung des Art. 1 Nr. 3 VNC verschrieben hat. Letzteres haben sämtliche Staaten getan. Überdies betrifft die Durchsetzung der Menschenrechte auf dem Territorium des Gaststaates stets nur die Fälle, bei denen auch eine Heimatstaatsberührung vorliegt, was eben nicht der Regelfall sein wird. Öffnet sich daher ein Staat für fremdstaatliche Individuen, so muss er damit in Kauf nehmen, dass im Extremfall auch die fremdstaatliche Jurisdiktion in Ausnahmefällen auch zu seinen Ungunsten geübt werden kann. (3) Gaststaat ist an Schutzpflichten gebunden Die zweite Konstellation, die aufgrund der völkerrechtlichen Unterschiede gesondert beurteilt werden muss, ist die, in der der Gaststaat gleichermaßen an Schutzpflichten gebunden ist, etwa weil er die entsprechende Konvention, aus der sich die extraterritoriale Schutzpflicht ergibt, ratifiziert hat. Hierbei können andere Grundsätze gelten, die dem besonderen Umstand, dass beide Staaten sich zum Schutz verpflichtet haben, Rechnung tragen. Der Heimatstaat muss – wie dargelegt – grundsätzlich Menschenrechtsverletzungen durch private Akteure verhindern. Der Gaststaat hingegen hat ohnehin schon Sorge dafür zu tragen, dass auf seinem Territorium keine Menschenrechte beeinträchtigt werden. Es ergeben sich zwei zu behandelnde Subkonstellationen: (a) der Gaststaat erfüllt seine menschenrechtlichen Schutzpflichten und (b) der Gaststaat erfüllt sie nicht. (a) Gaststaat erfüllt Schutzpflichten Erfüllt der Gaststaat seine intraterritorialen Schutzpflichten, sanktioniert er also menschenrechtswidriges privates Verhalten auf seinem Territorium, sei es von eigenen oder fremden Staatsangehörigen, so entsteht kein Jurisdiktionskon-
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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flikt, wenn der Heimatstaat seinen Staatsangehörigen extraterritoriales Verhalten vorschreibt. Die parallelen Normen mit einer gemeinsamen rechtspolitischen Zielsetzung, nämlich dem Schutz der Menschenrechte, liefern keine zu lösenden Konflikte.327 Denn einmal entsteht für das Individuum kein Befolgungskonflikt und zum anderen erfolgt auch keine extraterritoriale Verhaltenslenkung, die den Interessen des Gaststaates widersprechen könnte. Ferner entfällt eine Voraussetzung für die Aktivierung extraterritorialer Schutzpflichten des Heimatstaates, denn wenn dem menschenrechtswidrigen Zustand bereits die Abhilfe durch den Gaststaat zur Verfügung steht, entsteht für den Heimatstaat aufgrund der alternativen Schutzmöglichkeit auch kein Gefahrenlage.328 Der Heimatstaat kann, muss aber seine Gesetze nicht anwenden. Ob dann ein Verbot der Doppel-Sanktionierung besteht, ist keine hier zu beantwortende Frage, denn diese ändert an der Zulässigkeit der extraterritorialen Jurisdiktion nichts.329 (b) Handlungsspielraum des Heimatstaates bei Unwillen oder Unvermögen des Gaststaates Problematisch sind solche Konstellationen, in der beide Staaten zwar gleichermaßen völkerrechtlich verpflichtet sind, Menschenrechte vor Übergriffen Privater zu schützen, der Gaststaat indes seine Pflicht nicht erfüllt oder – etwa aufgrund mangelnder Ressourcen – nicht in der Lage ist, Schutz zu üben. Im ersteren Fall kann sich die Situation auch dann zuspitzen, wenn der Gaststaat entsprechende Menschenrechtsbeeinträchtigungen gar gebietet. Ist der Gaststaat unwillig, so liegt der zentrale Unterschied zu der vorangegangenen Konstellation darin, dass er sich in einem Völkerrechtsbruch befindet. Hier können andere Maßstäbe zur Beurteilung des extraterritorialen Handelns des Heimatstaates angelegt werden,330 die vorrangig zu untersuchen sind. Der schutzunfähige Gaststaat befindet sich dagegen nicht in einem Völkerrechtsbruch, weil sich ein Handlungsgebot dann nicht verdichten kann, wenn ein Handeln unmöglich ist. Entsteht aber kein Handlungsgebot, kann dieses freilich auch nicht verletzt werden. 327
So im Ergebnis auch: Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (893). Abschnitt C. II. 2. b) bb). 329 Auch wenn der Gaststaat nur den minimal geforderten Standard gewährt und der Heimatstaat darüber hinaus geht, so ist die Zulässigkeit der Differenz ebenfalls eine gesondert zu beurteilende Frage, die aber auf einer freiwilligen Entscheidung des Heimatstaates basiert und daher hier nicht entschieden werden soll. Angesichts der gleichverlaufenden Schutzrichtung sollten aber auch hier keine Bedenken entstehen. 330 Vereinzelt wurde die Konstellation zwar angesprochen: Hörtreiter, Die Vereinten Nationen und Wirtschaftsunternehmen, S. 247, dann aber nicht mit den Vorzeichen, dass der Heimatstaat eine extraterritoriale Schutzpflicht hat. Ferner lehnt diese Auffassung die Ausübung extraterritorialer Hoheitsausübung zugunsten der Menschenrechte ab. 328
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
(aa) Gegenmaßnahmen-Lösung Ein erster Ansatz betrifft die Auflösung der in Frage stehenden Konstellation mittels der völkerrechtlichen Modells der Gegenmaßnahmen.331 Gegenmaßnahmen sind Reaktionen im Rahmen des Regimes der Staatenverantwortlichkeit auf vorausgegangenes rechtswidriges Verhalten eines Staates. Das Institut bewirkt, dass eigentlich völkerrechtswidriges Verhalten eines anderen Staates gerechtfertigt wird.332 Ziel muss dabei sein, die Gegenseite zu völkerrechtsmäßigem Verhalten zu bewegen.333 Die gewohnheitsrechtlich unumstritten anerkannten Gegenmaßnahmen haben kodifikativen und damit präzisierenden Eingang in Art. 22, 49 ff. ILC-Entwurf gefunden. Denkbarer Argumentationsstrang könnte sein, dass die Ausübung der extraterritorialen Jurisdiktion zugunsten des Menschenrechtsschutzes als Gegenmaßnahme gegen die geschuldete Erfüllung der bestehenden gaststaatlichen Pflichten zu verstehen sein kann, denn im Rahmen der Gegenmaßnahmen müsste grundsätzlich auch der Selbsthilfeakt als Rechtsfolge vorgesehen sein, wenn dieser als geeignet erscheint.334 Die verletzte Primärnorm wäre dabei die intraterritoriale Schutzpflicht des Gaststaates. Die Anwendbarkeit dieses Modells setzt aber voraus, dass die Pflicht auch gerade gegenüber dem Heimatstaat verletzt wird bzw. Menschenrechtspflichten allgemein für Gegenmaßnahmen zugänglich sind. Dies wirft die grundsätzliche Frage der Erfüllungsstruktur der Menschenrechtspflichten auf, bei der sich zwei Auffassungen der Völkerrechtswissenschaft gegenüber stehen: Überwiegend wird vertreten, dass die Besonderheiten der Menschenrechtspflichten die eigene Betroffenheit anderer Staaten im Falle von Menschenrechtsverletzungen ausschließen. Die Besonderheit bestehe in der Multilateralität der Verträge und der damit mangelnden Reziprozität der Verpflichtungen. Folglich kann auch kein eigenes „Verletztsein“ der Staaten bestehen, so dass jegliche reaktiven Maßnahmen völkerrechtlich unzulässig seien. Innerhalb dieser Auffassung wird von einigen Vertretern eine Ausnahme für Normen gesehen, denen Erga-Omnes-Wirkung zugeschrieben wird. Diese seien der gesamten internationalen Staatengemeinschaft geschuldet und könnten daher auch den Einzelstaat 331 Ein solcher Gedanke schimmert im: HRC, General Comment No. 31, Rn. 2, durch, wenn er davon spricht, dass „offending states“ von anderen Staaten zur Einhaltung ihrer Menschenrechtpflichten bewogen werden sollen. Vgl. zur neueren Begriffsbildung der Gegenmaßnahmen ausführlich: Hebenstreit, Repressalien im humanitären Völkerrecht, S. 23 ff. 332 Vgl. ausführlich zur Definition: Dzida, Zum Recht der Repressalie im heutigen Völkerrecht, S. 47 ff. 333 Dzida, Zum Recht der Repressalie im heutigen Völkerrecht, S. 48. 334 Denkbar wäre auch die Ausübung der extraterritorialen Jurisdiktion als Minusmaßnahme (sofern diese auch tatsächlich ein Minus darstellt), so: Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1343.
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betreffen, ihn mithin zu Gegenmaßnahmen berechtigen, ohne dass dieser unmittelbar betroffen sei335. Vertreter der Gegenseitigkeitstheorie336 sind der Auffassung, dass Gegenmaßnahmen auch gegenüber Pflichtverletzungen aus Menschenrechtsverträgen zulässig sein müssten. Gegen die Annahme, dass es sich bei Menschenrechtspflichten um objektive Verpflichtungen handele, wird angeführt, dass solche im Völkerrecht stets ausgeschlossen seien, denn Pflichten korrelierten im Völkerrecht stets mit subjektiven Rechten anderer Staaten. Da sich Pflichten unzweifelhaft aus den Verträgen ergäben, gäbe es auch Rechte, die Einhaltung der Pflichten fordern zu können. Auf einen konkreten Schaden käme es dagegen im Völkerrecht nicht an.337 Der erstgenannten Auffassung ist zuzugestehen, dass die Vertrags- und wohl auch Erfüllungsstruktur multilateraler Menschenrechtsverträge eher eine Rechtsnormsetzung darstellt als die Begründung reziprozitärer Rechte und Pflichten. Das Recht, die Einhaltung der Menschenrechtspflichten fordern zu können, also der Bestand eines durchsetzbaren Anspruchs, scheint von den Vertragsparteien auch nicht ohne Weiteres gewollt zu sein. Dennoch kann zu Recht in Frage gestellt werden, warum gerade bei Menschenrechtsverträgen eine gänzlich andere Erfüllungsstruktur gelten soll als bei anderen völkerrechtlichen (auch multilateralen) Verträgen. Gegen die Gegenseitigkeitstheorie bestehen vor allem praktische Bedenken. Verletzt ein Staat eine der durch die Schutzpflichten begründeten Sorgfaltspflichten, deren Feststellung bereits enorme Schwierigkeiten bereitet und die Berücksichtigung sämtlicher Umstände erfordert und selbst Gerichte vereinzelt überfordert, so sollen nach dieser Auffassung sämtliche Vertragsparteien ein Recht auf Gegenmaßnahmen haben, die sich obendrein in ihrer Form gänzlich unterscheiden können. Freilich ist die Gegenmaßnahme der Verhältnismäßigkeit unterworfen, aber bereits die Feststellung einer Pflichtverletzung erfordert die Wahrnehmung zahlreicher komplexer Faktoren, die nicht ohne Weiteres in das Belieben sämtlicher anderer Vertragsparteien gelegt werden kann. Letztlich überzeugt dieser Lösungsansatz aber vor allem deswegen nicht, weil mit dem Menschenrechtsschutzsystem zugleich ein abschließendes System speziellerer Gegenmaßnahmen im Rahmen der dort vorgesehenen Rechtsbehelfe in Form der Staatenbeschwerden, Individualbeschwerden und sonstigen Mittel geschaffen wurde, das als abschließendes sog. Self-Contained-Regime anzusehen ist. Ferner würde dieser Ansatz in der hier zu diskutierenden Konstellation auch nur denjenigen Konstellationen abhelfen, in denen ein Staat seine Schutzpflicht 335 336 337
Herdegen, Völkerrecht, § 59, Rn. 8. So in neueren Bearbeitungen: Rausch, Responsibility to Protect, S. 126 ff., m.w. N. Rausch, Responsibility to Protect, S. 132 f.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
verletzt, nicht aber solchen, in denen der Staat aufgrund seines Unvermögens keinen hinreichenden Schutz bieten kann, denn dann entsteht auch keine konkrete Handlungspflicht, die hätte verletzt werden können. Für die extraterritorialen Schutzpflichten könnte eine Gegenmaßnahmen-Lösung also ungerechte Ergebnisse liefern. Dieser Ansatz ist abzulehnen. (bb) Estoppel-Lösung Ein weiterer denkbarer Lösungsansatz liegt in der Anwendung des völkerrechtlich anerkannten338 allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben bzw. des Estoppel-Prinzips.339 Die genauen Ausprägungen dieses Prinzips sind zwar nicht immer klar ermittelbar, gemeinsam ist ihnen doch, dass ein erweckter Vertrauenstatbestand zu einem Ausschluss von der Ausübung dem entgegenstehender Rechte führt.340 Ein Staat ist daher an die Erwartungen gebunden, die er mit seinem Verhalten erweckt hat, mit der Folge, dass dem Erwartungsziel entgegenstehende Rechte nicht ausgeübt werden können.341 Der Gaststaat kann durch die Ratifizierung der Menschenrechtskonventionen als Selbst-Verpflichtung zum Schutz der Menschenrechte einen Vertrauenstatbestand erweckt haben, der es verbietet, dass er sich gegenüber dem Heimatstaat auf die Unzulässigkeit der Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion beruft, wenn diese die gleiche Schutzrichtung hat. Die extraterritoriale Jurisdiktionsausübung verfolgt schließlich das gleiche Ziel. Hier würde das Prinzip von Treu und Glauben einwendungsausschließend angewendet werden können und könnte das extraterritoriale Verhalten des Heimatstaates pauschal zulassen. Problematisch an einem solchen Ansatz ist aber die dogmatische Frage, mit welchem Einwand der Gaststaat ausgeschlossen sein soll, denn: Erlegt der Heimatstaat seinen eigenen Staatsangehörigen extraterritoriale Handlungspflichten auf, die Gesetzen im Gaststaat widersprechen, so erhebt der Gaststaat regelmäßig keine Einwände, sondern wird seine (widersprechenden) Gesetze durchsetzen wollen. Die Annahme eines klaren Einwandes oder einer Einrede, die dem Gaststaat verwehrt werden sollte, ist, verfolgte man diesen Ansatz, dogmatisch nicht eindeutig auszumachen. Gegenmaßnahmen des Gaststaates könnten freilich ver338 Herdegen, Völkerrecht § 17, Rn. 3; siehe bereits die frühen Nachweise bei: Friede, ZaöRV 5 (1935), S. 517 ff.; zur Entwicklung: Cottier/Müller, Estoppel, MPEPIL-Online, Rn. 5, 9. 339 Vgl. zur Begriffsbildung im Civil und Common Law: Cottier/Müller, Estoppel, MPEPIL-Online, Rn. 1. 340 Vgl. Friede, ZaöRV 5 (1935), S. 517 (34). 341 Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 163. Der Grundsatz selbst kann auch hier freilich keine Rechte begründen, sondern nur bestehende Rechte und Pflichten ausgestalten und vor allem begrenzen, vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 587 f.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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wehrt sein, doch an der intraterritorialen Präskription wird er nicht gehindert werden können, auch wenn er damit völkerrechtswidrig handelt. Gegen diese Lösung spricht daneben, dass die einwendungsausschließende Wirkung nicht den gewünschten Legalisierungseffekt für die Zulässigkeit extraterritorialer präskriptiver Jurisdiktion für den Heimatstaat haben kann. Handelt der Heimatstaat zugunsten extraterritorialer Menschenrechte, so kann dies weiterhin völkerrechtswidrig sein, auch wenn sich der Gaststaat aufgrund seiner Treuwidrigkeit nicht auf diese Völkerrechtswidrigkeit berufen dürfte. Aber gerade um die allgemeine völkerrechtliche Zulässigkeit dieser Jurisdiktionsausübung geht es hier, nicht dagegen um die Rechtswidrigkeit der gaststaatlichen Jurisdiktionsausübung. Ferner liefert dieses Modell genau wie der vorangegangene Ansatz keine befriedigenden Lösungen für die Konstellation, dass der Gaststaat keinen hinreichenden Schutz üben kann, denn auch dann befindet er sich nicht in einem Völkerrechtsbruch. Insgesamt zeigt sich hieran die Schwäche der Estoppel-Lösung für den hier zu behandelnden Fall und diese ist aus diesem Grunde abzulehnen. (cc) Interessenabwägungs-Lösung mit pauschal überwiegendem Interesse zugunsten der extraterritorialen Jurisdiktion des Heimatstaates Die Anwendbarkeit von Regeln, die das allgemeine Völkerrecht für die Sonderbeziehung bereit hält, in denen beide Staaten Verpflichtungsadressaten korrelierender Schutzpflichten sind, liefern keine vorzugswürdigeren Lösungsmodelle bei Präskriptionskollisionen. Es erscheint daher auch hier grundsätzlich erforderlich, dass der Heimatstaat, der seine extraterritoriale Jurisdiktion ausübt, ein überwiegenden Interesses daran haben muss. Das gleichgeschaltete Interesse, das durch die Ratifikation durch beide Staaten zum Ausdruck kommt, muss dabei einen besonderen Einfluss auf das Abwägungsergebnis haben. Rekurriert man auf die oben gefundenen Ergebnisse zur Interessenabwägung, so muss auch hier grundsätzlich eine solche erfolgen. Auch hier müssen sich die Bewertungsmaßstäbe aus dem Völkerrecht selbst ergeben und die Abwägung muss objektiv geschehen. Der Besonderheit, dass der Gaststaat aber in dieser Konstellation durch die Ratifikation die Willensrichtung zum Schutz der Menschenrechte nicht nur (völker-)rechtspolitisch geäußert hat, sondern sich auch normativ daran gebunden hat, kommt besondere Bedeutung zu. Anders als in der obigen Konstellation besteht nicht nur eine allgemeine Zielverpflichtung aus Art. 1 Nr. 3 VNC, sondern die mit Rechtsbindungswillen geäußerte Verschreibung für konkrete Menschenrechte und die erforderliche normative Pflicht, diese Werte möglichst zu schützen. Setzt sich ein Staat im Nachhinein in den Widerspruch einer einmal so zugesagten Selbstbindung, so kann diese für die Interes-
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senabwägung nicht bedeutsam sein, denn die völkerrechtliche Erfüllungspflicht bleibt weiterhin bestehen. Gegenteilige Gesetze sind damit nicht Ausdruck einer souveränen Wertentscheidung, denn durch die verbindliche Selbstverpflichtung hat der Gaststaat seine politischen Entscheidungen antizipiert und kann dieser Interessenäußerung nicht im Nachhinein ihre Normativität entziehen.342 Übt ein anderer Staat extraterritoriale Jurisdiktion aus, die genau diesen Schutz betrifft, den der Gaststaat üben sollte, so kann kein entgegenstehendes Interesse bestehen. Mit anderen Worten: Das Interesse des extraterritorial agierenden Staates überwiegt pauschal. Gleiches muss freilich auch dann gelten, wenn der Gaststaat keinen Schutz üben kann. Ein etwaig widersprechendes Interesse des Gaststaates wäre unbeachtlich und die Interessenlage ist dieselbe. (c) Zwischenergebnis Sind Gaststaat und Heimatstaat gleichermaßen zum Schutz verpflichtet, so zeichnet diese durch die Ratifikation geäußerte Parallelität der Interessenlagen ein Abwägungsergebnis vor, so dass generell ein überwiegendes Interesse zugunsten des Heimatstaates besteht. Die extraterritoriale Ausübung der präskriptiven Jurisdiktion zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten ist also dann pauschal zulässig, wenn der Gaststaat an korrelierende Pflichten gebunden ist, diesen aber nicht nachkommt. (4) Zwischenergebnis zu cc) Das Bestehen einer Präskriptionskollision, in der die extraterritoriale präskriptive Jurisdiktion des einen Staates zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten vorgenommen werden soll, bedeutet nicht, dass diese zugunsten des Gaststaates aufgelöst wird. Es bedarf vielmehr neben dem Vorliegen eines Anknüpfungspunktes der positiven Feststellung eines überwiegenden Interesses. Zu unterscheiden sind dabei unterschiedliche Fallkonstellationen: Hat der Gaststaat keine korrelierende Pflicht, etwa weil er der Konvention, aus der sich die Pflicht ergibt, nicht beigetreten ist, so ist dies Ausdruck einer beachtlichen souveränen Entscheidung. Diese ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu berücksichtigen. Dennoch kommt auch der Zielverpflichtung aus Art. 1 Nr. 3 VNC ein besonderes Gewicht zu, so dass die Feststellung eines menschenrechtswidrigen, überwiegenden Interesses eine besonders große Hürde darstellt. 342 Dies betrifft möglicherweise genau das, was viele Auffassungen meinen, wenn sie davon ausgehen, dass ein Regelungsgegenstand, hier die Menschenrechte, durch den völkerrechtlichen Ratifikationsakt aus der domain réservé gehoben sei, so etwa: Weilert, ZaöRV 69 (2009), S. 883 (893 f.); Schmalenbach, AVR 39 (2001), S. 57 (75 f.); Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 ff.; Skogly, Beyond National Borders, S. 78 ff.
III. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten
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Bestehen dagegen korrelierende Pflichten, so ergibt sich ein pauschales überwiegendes Interesse für den Schutz der Menschenrechte. Die extraterritoriale präskriptive Jurisdiktion stößt daher bei Vorliegen eines Anknüpfungspunktes auf keinerlei Bedenken. c) Reichweite der jurisdiction to enforce zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten Ein weiterer denkbarer Modus für die Erfüllung der Schutzpflichten ist die Setzung exekutiver Hoheitsakte zum Schutz menschenrechtlich geschützter Freiheiten. Mit anderen Worten: die physische Schutzübung – oftmals zur Durchsetzung von Regelungsinhalten.343 Dies betrifft als stärkstes staatliches Schwert die Ausübung staatlichen Zwangs. Die gleichen Maßstäbe gelten auch für bloßes staatliches Handeln, denn aus völkerrechtlicher Perspektive ergibt es keinen Unterschied, sofern dies überhaupt immer feststellbar ist, ob der physische Zwang der Durchsetzung von Norminhalten dient. Die Beurteilung ist auch unabhängig davon vorzunehmen, ob die Durchsetzungshandlungen präventiv oder repressiv sind.344 Denkbarer Anwendungsfall wäre für die extraterritorialen Schutzpflichten die physische Schutzübung vor Übergriffen Privater durch Exekutivorgane des Heimatstaates345 im Gaststaat. aa) Grundsatz: Prohibitiver Ansatz Es ist unumstritten, dass die Durchsetzungshoheit grundsätzlich an den Grenzen des Territoriums des Heimatstaates endet346 bzw. auf fremdem Territorium verboten ist. Das hier geltende völkerrechtliche Territorialprinzip, das in der Lotus-Entscheidung des StIGH konstatiert wurde, verbietet grundsätzlich jede Form der Setzung exekutiver Hoheitsakte auf fremden Territorien.347 Dieser Grundsatz
343 Häufig definiert als „the capacity to ensure compliance with its laws“, vgl. American Law Institute, Restatement of the Law: Third restatement of U.S. Foreign Relations Law, Vol. 2 (1987), S. 165 § 401 lit. c; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 43. 344 Vgl. Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 43. 345 Teilweise wird hier die Durchsetzung einer Regelung mitgenannt, vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 8. Dies ist m. E. für die Beurteilung irrelevant, ob exekutive Handlungen auf fremdem Territorium völkerrechtlich zulässig sind, da es nur auf das physische hoheitliche Handeln ankommt, unabhängig, zu welchem Zweck es erfolgt. 346 Vgl. statt vieler: Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (727), mit zahlreichen Nachweisen. 347 StIGH, Series A, No. 10, 18 f.; konsentierte Annahme im Schrifttum, vgl. Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 33 ff.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
gilt auch gegenüber eigenen Staatsangehörigen.348 Damit setzt sich bei diesem Element der Jurisdiktion das Territorialitätsprinzip aufgrund der Gebietsausschließlichkeit durch; freilich auch für die Erfüllung von Menschenrechtspflichten. bb) Ausnahmen Von dem konsentierten prohibitiven Ansatz im Hinblick auf die Ausübung extraterritorialer exekutiver Jurisdiktion gibt es folgende für extraterritoriale Schutzpflichten relevante Ausnahmen. (1) Erlaubnis des anderen Staates Eine unumstrittene Ausnahme zu dem prohibitiven Ansatz liegt vor, wenn eine (vertragliche oder gewohnheitsrechtliche) Zustimmung oder Duldung des anderen Staates feststellbar ist.349 Voraussetzung ist, dass der Staat zustimmungsfähig, dass heißt kein sog. failed state ist. Ist er ein solcher, so wird vertreten, dass ein Staat grundsätzlich bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zum extraterritorialen Schutz befugt und damit verpflichtet sein soll, wobei das Selbstbestimmungsrecht der Völker besonders berücksichtigt werden müsse.350 Dagegen spricht aber das in diesem Zusammenhang primäre Mandat der VN,351 das die Wiederherstellung eines regierungsfähigen Zustands umfasst. Die Zustimmungsfähigkeit auch für die Erfüllung von Schutzpflichten würde in einem solchen Fall also der internationalen Kooperation überlassen werden. Daneben ist es freilich auch denkbar, dass eine mutmaßliche Einwilligung vorliegt.352 Erfolgt aber eine Zustimmung, so erfordert das Territorialitätsprinzip stets deren restriktive Auslegung. Dennoch kann sie auch ad hoc erfolgen.353 Exemplarisch sind hierbei die diplomatischen oder konsularischen Tätigkeiten auf frem-
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Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (15). Vgl. Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 13; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 117; Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 29; Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtssetzung, S. 33 f.; Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 141; Peters, AVR 48 (2010), S. 1 (5); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 456; mit Einigkeit aller am Symposium Beteiligten: Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (293). Davon zu trennen ist der Fall der Rechts- oder Amtshilfe, denn dann handelt der Empfangsstaat selbst, siehe dazu: Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (292). 350 Dazu: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 73. 351 Dazu: Thürer, Failing States, MPEPIL-Online, Rn. 15. 352 Dazu: Abschnitt C. III. 2. d) bb) (2) (b). 353 Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 141. 349
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dem Staatsgebiet, die einerseits gewohnheitsrechtlich anerkannt und andererseits durch die Wiener Verträge354 geregelt sind.355 Im Rahmen der auswärtigen Tätigkeit besteht wenig Raum zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten, denn diplomatische Regeln mandatieren grundsätzlich nur zur Pflege der auswärtigen Beziehungen. Nur dieser Inhalt ist auch Gegenstand der Zustimmung. Überdies bilden die Regeln über den diplomatischen Schutz eigener Staatsangehöriger ein abschließendes Regime, so dass hier wenige Ansatzpunkte vorhanden sind. Ausgeschlossen ist damit aber nicht, dass der Rahmen der diplomatischen Tätigkeit menschenrechtskonform ausgefüllt werden kann. Im Zusammenhang mit den extraterritorialen Schutzpflichten könnte es beispielsweise erforderlich sein, einen Schutz vor menschenrechtswidriger Wirtschaftsbetätigung eigener Unternehmen zu bieten. Freilich ist das Mandat des diplomatischen Personals nicht befugt – schon gar nicht gegen den Willen des Empfangsstaates – einen physischen Schutz zu üben. Denkbar wäre es aber, dass das dortige Personal im Rahmen der Pflege der Wirtschaftsbeziehungen auf menschenrechtskonforme Unternehmenstätigkeit hinwirkt. Dies als Überschreitung des diplomatischen Mandats zu bezeichnen, fällt schwer, denn im Rahmen der Pflege der Wirtschaftsbeziehungen stehen dem diplomatischen Personal einige Handlungsalternativen zur Verfügung, die sich eben aufgrund der extraterritorialen Schutzpflichten zu der menschenrechtskonformen Variante verdichten könnten. Diese menschenrechtliche Überformung der bereits bestehenden Beziehungen der Staaten zueinander kann mithin den Handlungsrahmen zur Erfüllung grundsätzlich extraterritorialer Schutzpflichten erweitern, ist aber aufgrund der diplomatischen Besonderheiten und beschränkten Möglichkeiten freilich auch hier eine Frage des Einzelfalls. Stimmt der Staat einer extraterritorialen Schutzübung nicht zu, so kann es aufgrund der extraterritorialen Schutzpflichten einerseits und der internationalen Kooperationspflichten andererseits geboten sein, entweder auf eine Zustimmung hinzuwirken oder kooperativ den Staat zu einer Unterbindung der menschenrechtswidrigen Situation selbst zu bewegen. Da dieser Bereich zentral den internationalen Kooperationspflichten zuzuordnen ist, soll er hier nicht tiefergehend erläutert werden. Nur so viel sei gesagt: Die Schutzpflichten, kann der Staat sie nicht selbst erfüllen, können in Kooperationspflichten umschlagen.356
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Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961. Andere Fälle sind entweder die Gestattung polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen, die extraterritoriale gerichtliche Zustellung oder die Durchsetzung von Urteilen, vgl. Kamminga, Extraterritoriality, MPEPIL-Online, Rn. 22. 356 Dieser Gedanke kommt auch bei: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 73, zum Vorschein. 355
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Die denkbare Überlegung, dass die gegenseitige Verpflichtung zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten eine antizipierte Zustimmung der Mitgliedsstaaten darstellt, ist dagegen nicht überzeugend. Eine entsprechende Befugnis hätte ausdrücklich geäußert werden müssen und unterläge ferner restriktiven Auslegungsanforderungen.357 Anhaltspunkte für eine solche Einräumung einer Befugnis lassen sich aus der bloßen Pflicht zum extraterritorialen Schutz nicht finden. Letztlich bildet also das der Jurisdiktionsdogmatik widersprechende exekutive extraterritoriale Handeln eine Grenze zur Erfüllung der Schutzpflichten und kann daher weder gefordert, noch ausgeführt werden.358 (2) Extraterritorialer Schutz bei völkerrechtswidriger Anwesenheit auf fremdem Territorium? Eine zugespitzte Situation liefert die Problemstellung der völkerrechtswidrigen extraterritorialen Anwesenheit staatlicher Organe. Exemplarisch ist der Fall der Besetzung: Erfolgt diese auf völkerrechtswidrige Weise,359 damit jedenfalls ohne Zustimmung oder Duldung des verdrängten Staates, so entsteht die dogmatisch nicht einfach auflösbare Problemkonstellation, dass der Staat zum einen kraft Gebietskontrolle zum (extraterritorialen) Schutz der Menschenrechte innerhalb dieses Gebietes angehalten ist, denn schließlich übt er die faktische Jurisdiktion im Sinne der Menschenrechtsverträge aus. Zum anderen muss er aus allgemeinvölkerrechtlicher Sicht streng genommen alle weiteren Hoheitsakte unterlassen, dann inklusive derer, die der Erfüllung der bestehenden extraterritorialen Schutzpflichten dienen. Jeder weitere Erfüllungsakt könnte mithin eine Vertiefung der Völkerrechtswidrigkeit bedeuten. Dies führt zu dem Dilemma, dass der besetzende Staat einmal das Völkerrecht verletzt, wenn er weitere exekutive Schutzmaßnahmen ausführt; wenn er dies unterlässt, verletzt er – nach Aussagen sämtlicher Menschenrechtsgremien360 – seine Pflichten aus den Menschenrechtsverträgen. Diese wenig diskutierte Konfliktfolge einer konsequenten Anwendung zweier Völkerrechtsregeln ist dogmatisch nicht einfach aufzulösen. Ganz vereinzelt wird vertreten, dass in einem solchen Fall die faktische Schutzhandlung nicht vorzunehmen wäre.361 Dafür könnte sprechen, dass sich der Erfüllungsraum der 357
Thallinger, Grundrechte und Extraterritoriale Hoheitsakte, S. 14. So ähnlich: Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 239. 359 So etwa der Fall der Besetzung Nord-Zyperns durch die Türkei. 360 Dies wurde ausführlich im Abschnitt B. I. 1. dargelegt. 361 Siehe: von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, S. 73, der ein Einvernehmen des Gaststaates fordert und vertritt, dass sich angesichts dieser faktischen Grenze die Schutzpflicht in eine Kooperationspflicht umwandelt. 358
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Schutzpflichten freilich am allgemeinen Völkerrecht orientiert und nicht anders herum. Diese Auffassung steht aber im Widerspruch zur gängigen Menschenrechtspraxis, aus der sich ein Lösungsweg herleiten lässt. Es ist schließlich ein Grundkonsens der Menschenrechtsgremien, dass auch im Rahmen der besetzten Gebiete die Menschenrechtspflichten, freilich inklusive der Schutzpflichten, zu erfüllen sind, selbst wenn das pflichtenbegründende Handeln rechtswidrig ist.362 Insgesamt kommt es für das extraterritoriale Handeln, dass im Rahmen der jurisdiktionsabhängigen Menschenrechtsverträge den räumlichen Anwendungsbereich eröffnet, nicht auf die Rechtmäßigkeit an. Auch wenn dies nirgends explizit zum Ausdruck kommt, wird in einem solchen Fall eine Abwägung vorgenommen, die von den Gremien ein zwingendes Abwägungsergebnis zugunsten des Menschenrechtsschutzes vorzeichnet. Der Umstand, dass eine andere potenzielle Schutzgewalt verdrängt wurde, es ihr also grundsätzlich nicht möglich ist, selbst Schutz zu üben, bekräftigt angesichts des menschenrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes das Auslegungsergebnis.363 Die weitgehende Anerkennung dieser Entscheidungen zeigt, dass in der Tat für Menschenrechtspflichten im Falle der Anwesenheit des Staates auf fremdem Territorium eine Ausnahme zu dem sonst so strikten Territorialitätsprinzip gesehen wird. Handelt damit ein Staat extraterritorial völkerrechtswidrig und begründet damit den Anwendungsbereich einer Konvention, so widerspricht die Erfüllung der Schutzpflichten (durch exekutive Maßnahmen) nicht dem allgemeinen Völkerrecht, auch wenn das pflichtenbegründende vorangegangene Handeln des Staates selbst völkerrechtswidrig war. Diese Fallkonstellation ist mithin als zwingende Ausnahme zur extraterritorialen exekutiven Jurisdiktion hinzuzufügen. cc) Sonderfall: Intraterritoriale exekutive Hoheitsakte mit extraterritorialer Wirkung Ein intraterritorialer Exekutivakt mit extraterritorialer Wirkung ist ein solcher, der auf dem eigenen Territorium ausgeübt wird, aber dennoch physische Auswirkungen auf einen anderen Staat haben kann (sog. indirect enforcement jurisdiction364). Weil er intraterritorial bewirkt wird, ist er gesondert zu behandeln. Exemplarisch könnte etwa die exekutive Durchsetzung menschenrechtlicher
362 Vgl. die Ausführungen von: EGMR, Urteil v. 23. März 1995, Loizidou vs. Türkei Rn. 45 f. 363 Gleiches muss auch für die sonstigen Fälle der physischen extraterritorialen Anwesenheit des Staates gelten, etwa die effektive Kontrolle über einzelne Personen, bei der die Schutzpflichten gegenüber Dritteinwirkung zu erfüllen sind. 364 Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 2.
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Standards durch Embargomaßnahmen oder sonstige Wirtschaftssanktionen angeführt werden. Da Exekutivakte in sich zunächst keine Sachverhaltsanknüpfung tragen, es aus völkerrechtlicher Sicht vielmehr nur auf die Tatsächlichkeit des Handelns ankommt (Inhalte werden im Rahmen der präskriptiven Jurisdiktion beurteilt), sind intraterritoriale Exekutivakte insoweit zulässig, als der Akt selbst das fremde Territorium nicht tatsächlich berührt. So ist etwa die intraterritoriale Inhaftierung aufgrund einer extraterritorial begangenen Straftat kein Exekutivakt mit Auslandswirkung. Nur die Strafnorm selbst muss freilich im Rahmen der noch zu behandelnden präskriptiven Jurisdiktion völkerrechtsmäßig sein; der intraterritoriale Schuss über die Grenze als Gegenbeispiel unterliegt dagegen freilich den strengen Anforderungen der exekutiven Jurisdiktion. Solche Exekutivakte, die eine physische Auslandswirkung haben, stoßen grundsätzlich auf keine völkerrechtlichen Bedenken, es sei denn sie erreichen eine solche Intensität, dass die Schwelle zur (indirekten) Intervention erreicht ist.365 Diese Schwelle liegt aber hoch, denn die Durchsetzung eines Embargos oder sonstiger wirtschaftlicher Zwangsmittel sind üblich und grundsätzlich völkerrechtsmäßig.366 Selbst eine Vielzahl von wirtschaftlichen Zwangsmitteln, wie sie etwa im prominenten Nicaragua-Fall des IGH diskutiert wurden, beispielsweise die Streichung der Wirtschaftshilfe, Verhängung des Handelsembargos und die Senkung der Zucker-Importe, konnten eine Interventionswirkung nicht begründen.367 Die Schwelle zur unzulässigen Ausübung exekutiver Gewalt kann aber dann überschritten sein, wenn ein Schaden auf fremdem Territorium entsteht, also wenn etwa lebenswichtige Güter entzogen werden368 oder wenn eine souveräne Entscheidung des anderen Staates nicht mehr möglich ist.369 Der Sonderfall der intraterritorialen Jurisdiktionsausübung mit extraterritorialer Wirkung muss mithin graduell bestimmt werden. Nur im Extremfall kann ein solcher Akt völkerrechtswidrig sein und den Umfang der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten begrenzen. d) Reichweite sonstigen Handelns zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten Neben der besonderen Berücksichtigung der Jurisdiktionsdogmatik sind auch sämtliche anderen höherrangigen Grundprinzipien der zwischenstaatlichen Be365
Engel, RabelsZ 52 (1988), S. 271 (292). Vgl. Dicke, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht, S. 221. 367 IGH, Urteil v. 27. Juni 1986 (merits), Nicaragua, Rn. 245; dazu: Ress, Das Handelsembargo, S. 18. 368 Hofmann, Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 162 f. 369 Ress, Das Handelsembargo, S. 25. 366
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ziehungen zu beachten, denn auch diese überlagern die Erfüllbarkeit der Menschenrechtschutzpflichten. 370 aa) Vorüberlegungen Da die Ausübung extraterritorialer präskriptiver Jurisdiktion und die dazugehörige intraterritoriale Durchsetzung die zentralen Mittel zur Erfüllung der extraterritorialen Schutzpflichten sind, kommt insoweit denjenigen Prinzipien, die sonstiges, also etwa politisches oder militärisches Handeln betreffen, für die vorliegende Arbeit nur untergeordnete Bedeutung zu. In keiner Anmerkung der europäischen oder internationalen Menschenrechtsgremien findet sich die Aufforderung, etwa militärische Mittel zum Schutz der Menschenrechte anzuwenden, so dass es sich, sollte eine Situation überhaupt diskutabel sein, um extraterritoriale Extremfälle, wie etwa genozidartige Zustände oder Vergleichbares, handeln müsste. Insgesamt kann daran gezweifelt werden, ob die hier behandelten Menschenrechtspflichten militärische Gewalt überhaupt fordern wollen. Das Grundbild der Menschenrechte ist jedenfalls pazifistisch geprägt, denn sämtliche Verträge verschreiben sich in ihren Präambeln der Zielbestimmung des Friedens.371 Erwägenswert ist ein solcher Handlungsmodus zur Erfüllung der Schutzpflichten aber dennoch, denn nicht zuletzt signalisiert auch das um die humanitäre Intervention entbrannte Diskussionsfeuer ein gesteigertes Bedürfnis, in Extremfällen auch militärisch eingreifen zu dürfen. Nicht völlig undenkbar ist es, dass (individuelle) extraterritoriale Schutzpflichten im Grundsatz hier auch einschlägig sein könnten. Dies kann ein Beispiel verdeutlichen: Leistet ein Staat durch eine garantenstellungsbegründende extraterritoriale Ingerenz einen Beitrag zu dem Entstehen eines massiven menschenrechtswidrigen Zustands, so etwa durch den geförderten Waffenexport in ein bürgerkriegsgefährdetes Gebiet, und entsteht gerade aufgrund dieses Exports eine Situation, die nur mit Zwangsmaßnahmen militärischer oder wirtschaftlicher Art zu mindern oder zu beseitigen ist, so könnte im äußersten Fall eine solche Zwangsmaßnahme ein denkbarer Erfüllungsmodus für die mit dem Tatbestand aktivierten extraterritorialen Schutzpflichten darstellen. Ob diese Erfüllbarkeit rechtlich möglich ist, hängt davon ab, inwieweit ein Staat extraterritorial militärisch handeln darf. Die dargestellte Jurisdiktionsdogmatik kann die Zulässigkeit solchen Handelns nicht beantworten, erforderlich ist eine Überprüfung solcher Maßnahmen anhand sonstiger allgemein-völkerrechtlicher Grundsätze.372 370
Siehe zur Rangordnung schon: Abschnitt C. III. 2. a) bb). Siehe nur die Präambeln des IPbpR, des IPwskR und der EMRK. 372 Die Anwendung von Gegenmaßnahmen als Rechtfertigungslösung für Eingriffe in die zu behandelnden Prinzipien, kann dabei vorab ausgeschlossen werden, denn hierzu gilt das im Abschnitt C. III. 2. b) cc) (3) (b) (aa) Gesagte. 371
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bb) Das Gewaltverbot als äußere Handlungsschranke (1) Grundsatz Das Gewaltverbot, welches einerseits als mit Ius-Cogens-Wirkung ausgestattetes Völkergewohnheitsrecht anerkannt ist373 und andererseits völkervertragsrechtlich in Art. 2 Nr. 4 VNC niedergelegt wurde, bildet allgemein die äußere Grenze des extraterritorialen Handlungsrahmens der Staaten. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn das Handeln rein altruistisch, das heißt: etwa ausschließlich zugunsten der dortigen Individuen, ausgerichtet ist. Inhaltlich verbietet es umfassend die „Gewalt“, genauer gesagt: gemäß authentischem Text „the threat or use of force“, also die Androhung oder Anwendung physischer, das heißt: regelmäßig militärischer Machtmittel.374 Damit ist also eine Androhung oder Anwendung von Gewalt auch zugunsten extraterritorialer Menschenrechte grundsätzlich nicht zulässig. (2) Ausnahmen zum Gewaltverbot, insbesondere die humanitäre Intervention Nur in Ausnahmefällen darf das Gewaltverbot (dann freilich nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit375) durchbrochen werden. Dies gilt für Maßnahmen im Rahmen der kollektiven Sicherheit, das heißt: auf Grundlage des Kapitels VII der VNC, und dann, wenn ein Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung aus Art. 51 VNC besteht. Diese Ausnahmetatbestände kommen für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten jedoch nicht in Betracht, denn weder handelt es sich bei den individuellen Handlungen zur Erfüllung der Schutzpflichten um Maßnahmen der kollektiven Sicherheit noch um Selbstverteidigungshandlungen, denen ein staatlichen Angriff vorauszugehen hat.376 (a) Militärische Intervention auf Einladung Nach verbreiteter Auffassung bildet eine militärische Intervention auf Einladung eines Staates, das heißt: mit dessen Zustimmung, eine Tatbestands-Ausnahme zum Gewaltverbot.377 Liegt eine solche Erlaubnis vor, spricht nach dieser 373 Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 6; Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 329. 374 Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 5. Etwas weitergehend, aber dennoch im Rahmen der traditionellen Definition, soll danach auch jede gewaltsame Grenzverletzung umfasst sein. 375 Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 31. 376 Ob eine Form der Nothilfe für die hiesigen Fälle vorliegen kann, wird in diesem Abschnitt unter (c) erörtert. 377 Siehe dazu die herausragende Untersuchung von: Nolte, Eingreifen auf Einladung. Auch: IGH, Urteil v. 27. Juni 1986 (merits), Nicaragua, Rn. 146 ff., 246; Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 8; Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 328. Nolte, In-
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Auffassung auch nichts gegen die Anwendung militärischer Gewalt, schon gar nicht zum extraterritorialen Schutz der Menschenrechte. Praktisch denkbar ist dies etwa in denjenigen Situationen, in denen der Gaststaat nicht in der Lage ist, Menschenrechtsbeeinträchtigungen mehrerer privater Akteure untereinander zu unterbinden und sich hilfeersuchend gegenüber Fremdstaaten zeigt. Dogmatisch ist ein solches Handeln aber den – nur am Rande behandelten – internationalen Kooperationspflichten zuzuordnen und nicht den (individuellen) extraterritorialen Schutzpflichten einzelner Staaten. Eine eingehende Untersuchung kann insoweit vernachlässigt werden. (b) Militärische Intervention bei Wegfall effektiver Staatsgewalt Ob eine pauschale Durchbrechung des Gewaltverbots im Falle einer Intervention in einem failed state, also einem solchen, in dem die effektive Staatsgewalt weggefallen ist und der bloß noch als „formale Hülse“ existiert,378 möglich ist, ist fragwürdig. Der Anwendungsbereich des Gewaltverbots soll nach einer Auffassung auch dann teleologisch reduziert werden, wenn der militärische Einsatz in einem failed state stattfindet. Ein militärischer Eingriff zum Schutz der Zivilbevölkerung soll deswegen zulässig sein, weil sodann das „Substrat“ des Staates, das Staatsvolk, in den Vordergrund gerückt wird und ein Handeln zu dessen Gunsten erlaubt sein müsse.379 Das Schutzgut des Gewaltverbots, die Staatsgewalt, entfalle.380 Diese Auffassung stützt sich daneben auf die Staatenpraxis etwa im Rahmen des Bürgerkriegs in Liberia.381 Für eine solche Ausnahme spricht sicherlich, dass der beeinträchtigte Souveränitätsträger mangels effektiver Staatsgewalt keine Ablehnung oder Zustimmung artikulieren könnte,382 er existiert aber völkerrechtlich aufgrund des Kontinuitätsgrundsatzes weiter und verliert seine Rechtssubjektivität nicht. Die völkerrechtlichen Grundprinzipien werden daher nicht außer Kraft gesetzt. Dagegen wird eingewandt, dass das Gewaltverbot als zwischenstaatliches Prinzip mangels
tervention by Invitation, MPEPIL-Online; Kunig, Prohibition of Intervention, MPEPILOnline, Rn. 29. 378 Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 10; Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, in: Thürer/Herdegen/Hohloch, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, S. 58 ff. 379 Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, in: Thürer/Herdegen/Hohloch, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, S. 50 f. 380 Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, in: Thürer/Herdegen/Hohloch, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, S. 60. 381 Nolte, ZaöRV 53 (1993), S. 603 ff. 382 Im Abschnitt C. III. 2. c) bb) (1) wurde bereits darauf eingegangen, dass sodann aber die VN gewissermaßen als Vormund eine Zustimmung aussprechen kann.
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tatsächlicher Staatsgewalt seine Geltung verliere.383 Die tatsächliche Staatsgewalt ist aber für die Rechtsgeltung unbedeutend, denn als Rechtssubjekt besteht der Staat weiter. An den Wegfall der effektiven Staatsgewalt knüpft das Völkerrecht de lege lata keine Rechtsfolgen. Daher müssen sämtliche Rechte und Pflichten einschließlich des Gewaltverbots weiter gelten. Eine pauschale Interventionserlaubnis ist bei einem Wegfall der effektiven Staatsgewalt nicht anzunehmen. Ist dagegen von einer Einwilligung der – freilich schwierig feststellbaren384 – legitimen Regierung des failed state auszugehen, so ist ein intervenierendes Handeln zugunsten der Menschenrechte denkbar, der handelnde Staat ist sodann gewissermaßen als Geschäftsführer ohne Auftrag zu betrachten.385 An die Feststellung der mutmaßlichen Einwilligung müssen aber angesichts der hohen Missbrauchsanfälligkeit strenge Anforderungen geknüpft werden. (c) Militärische Intervention bei massiven extraterritorialen Menschenrechtsverletzungen – Recht auf humanitäre Intervention? Für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten ist zwar die Frage nach der völkerrechtlichen Existenz einer humanitären Intervention etwas bedeutsamer, dennoch ist diese Form der Intervention grundsätzlich kein von den Menschenrechtsverträgen gefordertes Verhalten. Diese Form der Intervention, die nicht als bloße Einmischung, sondern vor allem auch als Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt zum Schutz von Menschen386 zu verstehen ist, könnte ein Handeln zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten nur dann legitimieren, wenn sie einerseits ein existierendes Völkerrechtsinstitut ist und andererseits ein geeignetes Instrument zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten darstellt. Eine humanitäre Intervention, die mit VN-Sicherheitsratsmandat erfolgt, ist zwar unproblematisch als Maßnahme im Rahmen des Kapitels VII der VNC zulässig, sie ist dagegen für die individuellen extraterritorialen Schutzpflichten kein geeignetes Mittel zur Erweiterung des extraterritorialen Handlungsspielraumes. Denn einerseits betrifft dies wieder die hier nur am Rande behandelten internationalen Kooperationspflichten und andererseits kann eine Zurechnungsverlagerung an eine internationale Organisation die hier ebenso wenig bedeutsame Folgefrage der Menschenrechtsbindung von internationalen Organisationen aufwer383 So auch: Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, in: Thürer/Herdegen/ Hohloch, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, S. 61 f. 384 Da das personale „Substrat“ des Staates das Staatsvolk ist (so: Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, in: Thürer/Herdegen/Hohloch, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, S. 51), müsste auf die am ehesten demokratisch legitimierte Regierungsgruppe abzustellen sein. 385 Dazu: Herdegen, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, in: Thürer/Herdegen/Hohloch, Der Wegfall effektiver Staatsgewalt, S. 51 ff., 61. 386 Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 25.
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fen. Bei kollektiven Maßnahmen ist das Handeln vielmehr der internationalen Staatengemeinschaft zuzuordnen und kann nicht den Handlungsrahmen einzelner Staaten zur Erfüllung von Schutzpflichten erweitern. Keine spezifischen Zurechnungsfragen wirft aber eine humanitäre Intervention auf, die ohne VN-Sicherheitsratsmandat erfolgt. Innerhalb dieser Form muss zwischen der Intervention im engeren und der im weiteren Sinne unterschieden werden. Erstere betrifft die Rettung eigener Staatsangehöriger im Ausland, letztere ist demgegenüber gleichgültig und betrifft alle Menschen. Dass eine Rettung eigener Staatsangehöriger im Ausland zulässig sein soll, wird vermehrt vertreten.387 Gerechtfertigt wird dies vor allem mit einem Angriff auf das Staatsvolk bzw. auf den Heimatstaat selbst mit der Konsequenz eines Rechts zur Verteidigung.388 Andere Stimmen im Schrifttum fordern dagegen stets auch hier eine Zustimmung des Aufenthaltsstaates, andernfalls sei die Rettungshandlung völkerrechtswidrig.389 Die Existenz eines Rechts auf humanitäre Intervention im weiteren Sinne ist dagegen höchst umstritten. Ein großes Meinungsaufkommen verwehrt sich aufgrund der abschließenden Aufzählung der Ausnahmetatbestände für das Gewaltverbot in der VNC einer Annahme der humanitären Intervention.390 Eine Vielzahl der Staaten hat sich ferner explizit gegen die Akzeptanz dieses Rechtsinstitut geäußert.391 Auch der IGH lehnt (zumindest 1986) die humanitäre Intervention in dieser Form strikt ab.392 Daneben wird häufig auf das hohe Missbrauchsrisiko verwiesen.393 Dem steht eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Begründung eines Rechts auf humanitäre Intervention bei massiven Menschenrechtsverletzungen gegenüber.394 Einige vertreten, dass Art. 2 Nr. 4 VNC den Artikeln der VNC, 387
Vgl. dazu: Seeger, Die unilaterale humanitäre Intervention, S. 40 f. Dazu: Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 340 f., m.w. N., der ein solches Recht selbst zumindest für möglich hält; Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 21 f. 389 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 1338. 390 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 473, 1208. 391 Vgl. dazu die Äußerungen im Rahmen des G77-Gipfels, abrufbar unter: http:// www.g77.org/summit/Declaration_G77Summit.htm (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). Siehe auch die ausführliche Analyse von: Corten, Human Rights and Collective Security, in: Alston/MacDonald, Human Rights, S. 117 ff. 392 IGH, Urteil v. 27. Juni 1986 (merits), Nicaragua, Rn. 268. Ganz vereinzelt wird die humanitäre Intervention auch als humanitäre Hilfeleistung, also als das Liefern von lebensnotwendigen Gütern verstanden. Vor diesem Hintergrund werden die Anmerkungen im Nicaragua-Urteil des IGH dahingehend verstanden, dass dieser eine humanitäre Intervention anerkenne, so: Fabri, Human Rights and State Sovereignty, S. 48. Dagegen betrifft die humanitäre Intervention, die Gegenstand der völkerrechtswissenschaftlichen Diskussion ist, nur den militärischen Einsatz. 393 Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 30; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 823 f. 394 Von der Notwendigkeit einer „genozidartigen“ Intensität spricht: Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 28; das Europäische Parlament hat versucht, die engen Vorausset388
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die den Menschenrechtsschutz fordern (Art. 1 Nr. 3, 55, 56 VNC), gleichstehe und mithin eine Abwägung vorzunehmen sei. Bei extremen humanitären Notlagen sei entsprechend der Menschenrechtsschutz vorrangig bzw. der Tatbestand des Art. 2 Nr. 4 VNC dann teleologisch zu reduzieren.395 Andere stützen sich dagegen auf der Rechtfertigungsstufe auf den Rechtsgedanken des Art. 51 VNC und vertreten, dass eine kollektive Nothilfe auch zugunsten von Individuen zulässig sein müsse.396 Etwas anders verstehen einige die oftmals durch humanitäre Notlagen verursachten Flüchtlingsströme als Angriffshandlung.397 Wieder andere begründen das Rechtsinstitut vorwiegend mit dem durch die Handlungsunfähigkeit entstandenen Menschenrechtsschutzvakuum.398 Menschenrechte seien so umfassend Gegenstand des Völkerrechts geworden, dass nationale Belange nicht entgegengehalten werden könnten. Ergänzend stützen sich die Befürworter auf Ansätze in der Staatenpraxis.399 Angesichts der vielfach geübten Kritik im Falle eines Untätigbleibens bei humanitären Krisen, scheint sich zumindest eine „moralische Pflicht“ zur humanitären Intervention herauszukristallisieren. Ferner entsteht bei sich abändernden Regeln des Völkergewohnheitsrecht auch zwingend immer eine Übergangsphase, in der eine Staatenpraxis zwangsläufig als völkerrechtswidrig angesehen werden muss, solange sie noch nicht hinreichend erfolgt ist, denn andernfalls könnte sich das Gewohnheitsrecht nicht weiterentwickeln. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass im gegenwärtigen Völkerrecht ein Recht zur humanitären Intervention im Entstehen ist. Dennoch spricht einiges gegen die Zulässigkeit der humanitären Intervention. Zu eindeutig ist etwa Art. 53 Abs. 1 Satz 2, Hs. 1 VNC, wonach keine Zwangsmaßnahmen seitens regionaler Organisationen ohne Autorisierung durch den VNSicherheitsrat zu unternehmen sind. Das Gewaltmonopol auch für sämtliche Zwangsmaßnahmen zugunsten der Menschenrechte liegt nach der Grundkonzeption der VNC ausschließlich beim VN-Sicherheitsrat. Die mögliche Handlungsunfähigkeit durch sich blockierende Staaten im VN-Sicherheitsrat ist dabei ein Umstand, der gegenwärtig in Kauf zu nehmen ist. Die Vornahme militärischer Maßnahmen ohne VN-Autorisierung kann ohne eine Änderungen der VNC oder durch entsprechend deutliches – aber noch nicht vorhandenes – Gewohnheitsrecht nicht gerechtfertigt werden. zungen zu umschreiben, vgl. Entschließung des EP zum Recht auf Intervention aus humanitären Gründen von 1994, ABl. EG 1994, Nr. C 128, S. 225, Nr. 1. 395 Ipsen, Die Friedens-Warte 24 (1999), S. 12 (19 ff.); Tomuschat, Die FriedensWarte 24 (1999), S. 33 ff., mit Güterabwägung. 396 Vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 821. 397 Vgl. Seeger, Die unilaterale humanitäre Intervention, S. 350. 398 Stein, Welche Lehren, in: Caflisch/Stein/Tomuschat, Eingriff in die inneren Angelegenheiten, S. 21 ff. 399 Seeger, Die unilaterale humanitäre Intervention, S. 220 ff.
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Unabhängig von der allgemeinen Zulässigkeit der humanitären Intervention ist für diese Abhandlung von Bedeutung, ob sich auch ein einzelner Staat auf dieses Rechtsinstitut stützen könnte. Sämtliche Untersuchungen der Staatenpraxis, die Ansätze für die Zulässigkeit einer solchen Intervention liefern, betreffen aber ein Handeln im Kollektiv. Der Kosovo-Einsatz 1999, der den Grundanlass für die Diskussion liefert, erfolgte im Rahmen der NATO. Die Interventionen in Liberia und Sierra Leone erfolgten im Rahmen der ECOWAS durch eine Staatenmehrheit. Auch die Intervention im Irak, wenn diese überhaupt auf der Grundlage des Rechtfertigungsmodells der humanitären Intervention zu beurteilen ist,400 erfolgte durch eine Staatenmehrheit, bestehend aus den USA, Großbritannien und Frankreich. Auch das neuerdings in diesem Zusammenhang diskutierte völkerrechtspolitische Konzept der Responsibility to Protect adressiert eine Schutzverantwortung an die internationale Staatengemeinschaft oder zumindest an Staatenmehrheiten als ein eigenes Rechtssubjekt.401 Zusammenfassend kann gesagt werden: Sämtliche Ansätze, die entwickelt wurden, entstanden stets vor dem Hintergrund eines mehrheitlichen, nicht aber des – hier relevanten – einzelstaatlichen Handelns. Es zeigt sich damit, dass die humanitäre Intervention, sollte sie überhaupt zulässig sein, jedenfalls nicht ein Recht einzelner Staaten darstellt, das zur Erfüllung individueller Schutzpflichten dienen könnte. Die humanitäre Intervention kann folglich auch hier nicht den Handlungsrahmen für extraterritoriale Schutzpflichten einzelner Staaten erweitern.402 (d) Zwischenergebnis Militärische Maßnahmen zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten sind grundsätzlich nicht gefordert und zulässig. Ein solcher Einsatz ist nur in Extremfällen denkbar, dann aber nur, wenn eine tatsächliche oder mutmaßliche Zustimmung des Zielstaates besteht. Sonstige Rechtfertigungsmodelle sind zumindest für einzelstaatliches Handeln nicht brauchbar. cc) Das Interventionsverbot und seine Überschreitungsmöglichkeiten für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten (1) Grundsatz Für die Zulässigkeit der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten im Hinblick auf das Interventionsverbot wurde bereits die Reichweite des zulässigen extraterritorialen präskriptiven und exekutiven Handelns herausgearbeitet. Die 400
Dazu: Kunig, Prohibition of Intervention, MPEPIL-Online, Rn. 44 ff. Zumindest als sekundärer Verpflichtungsadressat, siehe: Rausch, Die Responsibility to Protect, 81 ff. 402 Vgl. Kunig, Prohibition of Intervention, MPEPIL-Online, Rn. 39. 401
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Jurisdiktionsdogmatik ist insoweit ein abschließendes Regime für die Normsetzungs- und Normdurchsetzungshoheit, zugleich aber Teil-Element des Interventionsverbots. Um den Zusammenhang zu verdeutlichen: Jegliches anknüpfungslose (extraterritoriale) Handeln oder ein Handeln mit Anknüpfungspunkt, aber ohne überwiegendes Interesse, verstößt grundsätzlich gegen das Interventionsverbot.403 Daneben kann es aber andere Handlungsformen geben, die effektiv zur Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten beitragen können, so etwa die Ausübung wirtschaftlicher, politischer oder sonstiger Druck- oder Zwangsmaßnahmen. Der staatliche Handlungsspielraum, der bei diesen Handlungsformen ansetzt, die militärische Gewaltanwendung aber nicht mit einschließt, muss am Maßstab des Interventionsverbots beurteilt werden. Das allgemeine Interventionsverbot hat keine dem Gewaltverbot entsprechend eindeutige Grundlage. Ganz überwiegend wird dieses Verbot aus Art. 2 Nr. 1 VNC abgeleitet. Der Grundsatz der souveränen Staatengleichheit bedingt ein Verbot für einen souveränen Staat, sich in die Angelegenheiten eines anderen souveränen Staates einzumischen.404 Ferner kann auch die insoweit konsentierte Grundlage der Friendly Relations Declaration zumindest als Bestätigung der Rechtsüberzeugung für die Existenz eines Interventionsverbots gesehen werden.405 Das Interventionsverbot untersagt eine Einflussnahme in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates,406 wenn diese unter Androhung oder Anwendung von Zwang erfolgt,407 also nicht nur eine Ermahnung oder einen geringen Druck darstellt. Der heute herrschende weite Interventionsbegriff umfasst dabei vor allem auch nicht-militärische Mittel.408 Dies lässt sich zutreffend daraus ableiten, dass das Interventionsverbot sonst neben dem Gewaltverbot keinen eigen-
403 So auch: Meng, ZaöRV 44 (1984), S. 675 (748 f.); wiederholend: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 551; Maier, Jurisdictional Rules, in: Meessen, Extraterritorial Jurisdiction, S. 97; Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung, S. 19; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 52, m.w. N. 404 Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 365 f. 405 GA Resolution 2625, v. 24. Oktober 1970, bestätigt durch: IGH, Nicaragua, ICJ Reports 1986, Rn. 202 ff., 205. 406 Herdegen, Völkerrecht, § 35, Rn. 1; Kunig, Prohibition of Intervention, MPEPILOnline, Rn. 5. 407 Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 366 f. Daneben wird eine Tatbestandsüberschneidung zum Gewaltverbot angenommen, so dass eine Androhung oder Anwendung von militärischen Mitteln grundsätzlich auch unter den Tatbestand der Intervention zu subsumieren ist. Eine Verletzung des Gewaltverbots verletzt damit auch zugleich das Interventionsverbot. Vgl. dazu auch: IGH, Urteil v. 27. Juni 1986 (merits), Nicaragua, Rn. 208 f. 408 Vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 642 f.; Hobe, Einführung in das Völkerrecht, S. 367 f.; Kunig, Prohibition of Intervention, MPEPIL-Online, Rn. 5 f.
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ständigen Anwendungsbereich hätte.409 Damit sind auch wirtschaftliche, politische oder diplomatische Mittel grundsätzlich Tatbestände, die das Interventionsverbot verletzen können.410 Die inneren Angelegenheiten sind dabei eine Variable. Die Erlangung der Staatsbürgerschaft und die Einreisebedingungen für Ausländer sind insoweit unstrittig innere Kernangelegenheiten der Staaten.411 Ob der Menschenrechtsschutz dazugehört, wird sogleich zu diskutieren sein. (2) Ausnahmen zum Interventionsverbot, insbesondere der Gehalt der domain réservé Die zum Gewaltverbot erfolgten Ausführungen gelten grundsätzlich auch hier: Die Intervention auf Einladung und in einem failed state ist unproblematisch zulässig. Ob es daneben spezielle Rechtfertigungstatbestände für die Intervention gibt, ist fraglich. Eine überragende Mehrheit im Schrifttum vertritt für das Interventionsverbot, dass Menschenrechte nicht Teil der inneren Angelegenheiten der Staaten seien.412 Sie seien durch zunehmende Vergegenständlichung im Völkerrecht der domain réservé entzogen und könnten mithin für das Interventionsverbot nicht tatbestandsmäßig sein.413 In die gleiche Richtung weist auch Skogly, indem sie dem Interventionsverbot bei der Erfüllung extraterritorialer Staatenpflichten keine Relevanz beimisst, weil es bei der Erfüllung solcher Pflichten um die Regulierung des eigenen staatlichen Verhaltens gehe und dieses nicht gegen einen Staat gerichtet sei.414 Konsequenz dieser Ansichten ist, dass das Interventionsverbot grundsätzlich keine Grenze für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten darstellt. Menschenrechtliche Angelegenheiten sind insoweit aber nicht prinzipiell dem inneren Kern der Souveränität entzogen, dies gilt nur für die von einem Grundkonsens erfassten Menschenrechte,415 wie etwa das Recht auf Freiheit von Folter. 409 Bockslaff, Das völkerrechtliche Interventionsverbot, S. 32 ff.; Ress, Das Handelsembargo, S. 16 f. 410 Herdegen, Völkerrecht, § 34, Rn. 7, § 35 Rn. 3; Kunig, Prohibition of Intervention, MPEPIL-Online, Rn. 6. 411 Vgl. Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, S. 51. 412 Statt vieler: Schmalenbach, AVR 39 (2001), S. 57 (75). 413 Kamminga, Inter-state Accountability; Roxström/Gibney/Einarsen, BUILJ 55 (2005), S. 55 ff.; andeutend: Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, S. 551; Fabri, Human Rights and State Sovereignty, S. 53 ff. 414 Skogly, Beyond National Borders, S. 80, sie bezieht sich dabei auf die Achtungsund Schutzpflichten und weist darauf hin, dass etwaige extraterritoriale Leistungspflichten anders zu beurteilen sind. 415 Siehe dazu: Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, S. 168.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Wird beispielsweise das Recht auf kulturelle Teilhabe oder das Recht auf Bildung von einem Staat nicht hinreichend gewährleistet, so sind sicherlich nicht sämtliche Drohungen oder Anwendungen mit Zwang zulässig, selbst wenn sie denn verhältnismäßig sein mögen. Dies gilt verschärft etwa dann, wenn der betreffende Staat sich bewusst gegen eine Ratifizierung des IPwskR entschieden hat. Die Beurteilung, in welchem Fall was konkret eine innere Angelegenheit ist, ist daher relativ vorzunehmen.416 Das bedeutet: Liegt ein völkerrechtlicher Konsens über die Gewährleistung des betreffenden Menschenrechts vor, so ist das Interventionsverbot insoweit keine Handlungsgrenze, als die Intensität von denjenigen Interventionen nicht erreicht ist, die gleichermaßen den Tatbestand des Gewaltverbots erfüllen. Sind dagegen einige Menschenrechte im Verhältnis zwischen dem handelnden und dem betroffenen Staat nicht Gegenstand einer völkerrechtlichen Pflicht, so ist das Interventionsverbot einschlägig und die Intervention ist grundsätzlich zu unterlassen. Eine tiefgehende Untersuchung kann für extraterritoriale Schutzpflichten angesichts der marginalen Bedeutung vernachlässigt werden; sie wäre aber auch aufgrund der deutlich geworden Einzelfallabhängigkeit nicht ohne weitere Konkretisierung möglich. dd) Fazit Diejenigen Handlungsmöglichkeiten, die neben der Ausübung extraterritorialer präskriptiver oder exekutiver Jurisdiktion in Betracht kommen, spielen für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten grundsätzlich eine untergeordnete Rolle, denn Haupterfüllungsmodus ist die präventive Verhaltenslenkung privater Akteure, dies regelmäßig durch extraterritorial anwendbare Gesetze und deren intraterritoriale Durchsetzung. Sollte sich im Extremfall eine Situation abzeichnen, bei der es geeignet erscheint, etwa militärische Mittel zur Erfüllung der extraterritorialen Schutzpflichten anzuwenden, so ist dies nur im Rahmen des geltenden allgemeinen Völkerrechts zulässig, das heißt: regelmäßig mit Zustimmung eines Staates. In sonstigen Situationen liegt das Gewaltmonopol beim VN-Sicherheitsrat, so dass es auf eine Kooperation im Rahmen der kollektiven Sicherheit ankommt. An dieser Stelle stößt die Erfüllbarkeit der extraterritorialen Schutzpflichten an die Grenze, die durch den Grundsatz der (rechtlichen) Unmöglichkeit gezogen wird. Allenfalls ist es dann denkbar, dass die Schutzpflichten in Kooperationspflichten umschlagen. Maßnahmen, die unterhalb der Schwelle der Gewalt liegen, etwa der wirtschaftliche Druck etc., sind immer dann zulässig und grundsätzlich auch ein denkbarer Erfüllungsmodus für extraterritoriale Schutzpflichten, wenn die betref416
Zur Relativität der domain réservé: vgl. Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 654 f.
IV. Zusammenfassende Ergebnisse zu C.
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fenden Menschenrechte völkerrechtlich im Verhältnis zu dem Staat vergegenständlicht wurden, gegen den gehandelt werden soll. Sollte, wie im Ausgangsbeispiel dieses Abschnitts dargestellt, ein geförderter Kriegswaffenexport entscheidend zu einem menschenrechtswidrigen extraterritorialen Zustand beigetragen haben, so ist der Exportstaat jedenfalls nicht im Rahmen der extraterritorialen Schutzpflichten verpflichtet, militärische Gewalt zur Unterbindung des Zustands anzuwenden. 3. Zusammenfassung Die Rechtsfolgen bilden neben der Herleitung extraterritorialer Schutzpflichten eine Schwerpunktproblematik dieser Bearbeitung, denn der extraterritoriale staatliche Handlungsrahmen ist einer Vielzahl von Beschränkungen unterworfen. Die allgemeinen Grundsätze, die für intraterritoriale Schutzpflichten hinlänglich entwickelt wurden, wie etwa das Untermaßverbot, gelten freilich auch hier. Daneben ist der Erfüllungsrahmen allgemein-völkerrechtlichen Grenzen unterworfen. Eine physische Schutzübung, also die extraterritoriale Ausübung der Jurisdiktion, ist allenfalls mit Zustimmung oder Duldung des Gaststaates und in extremen Ausnahmefällen zulässig. Praktische Bedeutung kommt dieser Handlungsform im Rahmen der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten damit nicht zu. Die Erfüllung der extraterritorialen Schutzpflichten durch verhaltenslenkende extraterritorial anwendbare Gesetze ist dagegen zentraler Orientierungspunkt, bedarf aber stets der Erfüllung zweier entscheidender Voraussetzungen: einer hinreichenden Anknüpfung zur Menschenrechtsbeeinträchtigung und eines überwiegenden Interesses des extraterritorial handelnden Staates, das aber regelmäßig indiziert sein wird.
IV. Zusammenfassende Ergebnisse zu C. Extraterritoriale Schutzpflichten haben ihrer Konzeption nach eine Doppelnatur. Einmal sind es Pflichten, die im weiteren Sinne eine bestimmte Zielrichtung vorgeben, nämlich den Schutz extraterritorialer Menschenrechte. Im engeren Sinne sind diese Schutzpflichten als konkretisierte Präventions- und Handlungsgebote zu verstehen, die allesamt dem übergeordneten Ziel, dem Schutz extraterritorialer Menschenrechte, zu dienen bestimmt sind. Die Voraussetzungen entsprechen denen der intraterritorialen Schutzpflichten mit der Besonderheit, dass sie die Begründung einer Garantenstellung voraussetzen. Diese ist erforderlich, damit sich eine Handlungspflicht aus einer Vielzahl von in Betracht kommenden Verpflichtungsadressaten gerade auf einen bestimmten Staat verdichten kann. Ferner trägt sie dem Bedürfnis Rechnung, dem weitläufigen Anwendungsspektrum der extraterritorialen Schutzpflichten zu begegnen.
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C. Rechtsfolgen und Grenzen der extraterritorialen Schutzpflichten
Eine solche Garantenstellung liegt immer dann vor, wenn ein Staat entweder unmittelbar extraterritorial handelt, beispielsweise in Form einer Gebietsbesetzung, wenn er eine Gefahrenquelle intraterritorial beherrscht, die extraterritoriale Auswirkungen haben kann, so etwa bei grenzüberschreitenden Emissionen, oder wenn er ein nach außen, sprich: extraterritorial ausgerichtetes, gefahrerhöhendes Vorverhalten verwirklicht – so etwa im Falle der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Sind sämtliche Voraussetzungen erfüllt, so verdichtet sich als Rechtsfolge ein konkretisiertes Handlungsgebot für einen bestimmten Staat mit dem Inhalt, die drohende Gefahr möglichst zu verringern oder zu beseitigen. Dem Staat kommt hier ein sehr weiter Ermessensspielraum zu. Bei der Erfüllung der extraterritorialen Schutzpflichten sind ihm ferner gerade aufgrund der Extraterritorialität besondere Handlungsschranken vorgelegt. Zentraler Erfüllungsmodus für Schutzpflichten ist der Erlass von menschenrechtsschützenden Gesetzen. Für diese Form des extraterritorialen Handelns, also der Präskription, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss ein Staat einen Anknüpfungspunkt zum extraterritorialen Sachverhalt vorweisen können. Ein solcher ist regelmäßig dann gegeben, wenn ein eigener Staatsangehöriger bzw. ein staatszugehöriges Unternehmen selbst extraterritoriale Menschenrechte bedroht. Zum anderen muss der extraterritorial agierende Staat ein überwiegendes Interesse daran haben, dass seine Staatsangehörigen die erlassenen Gesetze auch extraterritorial befolgen. Das Interesse an dem Schutz der Menschenrechte als regelmäßig von sämtlichen Völkerrechtsubjekten artikulierter Wert ist dabei als besonders hoch einzustufen. Ist der Gaststaat selbst an korrelierende Schutzpflichten gebunden, so ist pauschal ein überwiegendes Interesse des Heimatstaates anzunehmen, wenn der Gaststaat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Ist der Gaststaat dagegen nicht an die gleichen Schutzpflichten gebunden, so muss das überwiegende Interesse positiv festgestellt werden. Die Durchsetzung extraterritorial verhaltenslenkender Normen kann dabei im Regelfall nur intraterritorial erfolgen, es sei denn der Gaststaat erlaubt ein extraterritoriales exekutives Handeln des anderen Staates. Ein militärisches oder interventionsnahes Verhalten des Heimatstaates wird dagegen im Regelfall von den extraterritorialen Schutzpflichten nicht gefordert und unterliegt, sollte es im Einzelfall ein geeignetes Mittel darstellen, strengen völkerrechtlichen Anforderungen. Im Regelfall wird ein solches Verhalten aber nicht, selbst nicht für den Schutz der Menschenrechte, zulässig sein.
D. Anforderungen des extraterritorialen Menschenrechtsschutzsystems an die Außenwirtschaftsförderung Die praktische Anwendbarkeit extraterritorialer Schutzpflichten soll anhand des Beispiels der deutschen Außenwirtschaftsförderung eingehend exemplarisiert werden. Ein Überblick aber die deutsche Außenwirtschaftsförderung wurde einleitend gegeben.1 Bereits dort wurde klar, dass dieses Beispiel einerseits besonders bedeutsam ist, weil die Außenwirtschaftsförderung im großen Umfang von sämtlichen Industrie- und Schwellenstaaten betrieben wird und es – dennoch oder gerade deswegen –, das zeigte auch die Untersuchung der Staatenpraxis2, nicht im Bewusstsein der Staaten zu liegen scheint, dass auch in diesem Zusammenhang Menschenrechte zu berücksichtigen sind. Andererseits liefert die Gemengelage von der heimatstaatlichen Förderung eines privaten menschenrechtsrelevanten Verhaltens in einem Gaststaat ein besonders anschauliches Beispiel für die Anwendbarkeit von Schutzpflichten. Voraussetzung dafür, dass im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung auch extraterritoriale Schutzpflichten zu erfüllen sind, ist, dass die Außenwirtschaftsförderung eine für die extraterritorialen Schutzpflichten anwendbare Fallgruppe darstellt und nicht etwa der Achtungsdimension der Menschenrechtspflichten zuzuordnen ist (dazu unter I.). Damit der extraterritoriale Schutz der Menschenrechte auch erfüllbar ist, müssen auf Rechtsfolgenseite die konkret denkbaren Handlungsgebote auf ihre Erfüllbarkeit untersucht werden (unter II.).
I. Die extraterritorialen Schutzpflichten als Beurteilungsrahmen für die Außenwirtschaftsförderung Die Außenwirtschaftsförderung von vornherein den extraterritorialen Schutzpflichten zuzuordnen, wäre voreilig, denn schließlich ist jede Förderungshandlung ein aktives staatliches Handeln und damit – zumindest auf den ersten Blick – eher im Rahmen der menschenrechtlichen Achtungsdimension zu beurteilen. Ferner ist auch nicht ausgeschlossen, dass möglicherweise Handlungen des staatlich geförderten privaten Akteurs dem Staate zuzurechnen sind. Aus diesen Gründen ist es erforderlich, eine dogmatische Untersuchung der Außenwirt1 2
Abschnitt A. I. 1. Abschnitt B. I. 2. b) bb).
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
schaftsförderung und ihrer Qualität für die menschenrechtliche Beurteilung vorzunehmen. Dabei muss letztlich ganz gewiss der Einzelfall entscheiden, die grundlegende Aktivierung von extraterritorialen Schutzpflichten kann hier aber allgemein dargestellt werden. 1. Die Abgrenzung zur Achtungsdimension der Menschenrechtspflichten Schutzpflicht bedeutet die Pflicht zum Schutz vor Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Dritte und im Falle der Außenwirtschaftsförderung: durch unternehmerisches Handeln. Dies bedeutet, dass es sich bei dem menschenrechtswidrigen Verhalten um nicht-staatliches, zumindest nicht heimatstaatliches Verhalten handeln muss. Achtungs- und Schutzpflichten schließen sich insoweit dogmatisch gegenseitig aus.3 Ein Abgrenzung der eigenen bzw. zurechenbaren Handlung4 von der Fremdhandlung muss also zwingend erfolgen. Es soll zunächst untersucht werden, ob die Förderungshandlung bereits eine eigene Menschenrechtsverletzung darstellen kann (unter a)), sodann soll eine Untersuchung darüber erfolgen, ob und, wenn ja, welches unternehmerische Verhalten dem Staate unter Umständen zurechenbar ist (unter b)). Schließlich sollen neuere Ansätze hinterfragt werden, die mit unterschiedlichen Begründungen versuchen, eine Verantwortlichkeit aufzuteilen (unter c)). a) Die Qualifikation der Förderungshandlung als eigener Eingriff Entsprechend der Diskussion um die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kann die Frage aufgeworfen werden, ob das staatliche Vorverhalten, hier also die Förderungshandlung, als eigene Menschenrechtsverletzung angesehen werden kann, dies freilich nur, wenn dann auch das geförderte unternehmerische Verhalten Menschenrechte beeinträchtigt. In der Tat gibt es Stimmen im Schrifttum, die vertreten, dass die finanzielle Unterstützung einer menschenrechtswidrigen Tätigkeit bereits selbst eine Menschenrechtsverletzung darstellt,5 mit dem dann folgerichtigen Ergebnis, dass die Achtungsdimension der Beurteilungsrahmen ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Gefahr nicht etwa von der Finanzierung eines Projektes ausgeht, sondern von der letztlich freiheitsbeeinträchtigenden 3 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 140; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 88. 4 Dann ist dogmatisch die Achtungsdimension einschlägig. 5 So in Bezug auf die Förderung von privaten Vereinen, die vor Religionsgemeinschaften warnen, vgl. Roth, Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, S. 341 f.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 97 ff.
I. Beurteilungsrahmen für die Außenwirtschaftsförderung
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Handlung.6 Richtigerweise ist bereits begrifflich nicht von einer Menschenrechtsverletzung bei der bloß neutralen finanziellen Förderung eines Projektes auszugehen, selbst wenn diese einen kausalen Beitrag zu einer späteren menschenrechtswidrigen Situation leistet. Abzustellen ist vielmehr auf die letzte, die Freiheit beeinträchtigende Handlung; konkret also auf die Handlung, die die menschenrechtliche geschützte Handlung unmittelbar beschränkt. Diese geht bei der Außenwirtschaftsförderung aber nicht vom Staat aus, sondern vom Unternehmen selbst, gegebenenfalls mit Beteiligung des Gaststaates oder anderer Unternehmen.7 Die bloße Finanzierung eines Exportvorhabens von Unternehmen kann damit nicht als eigene staatliche Menschenrechtsverletzung qualifiziert werden. b) Die Zurechnung geförderten unternehmerischen Verhaltens zum Heimatstaat Ebenfalls erwägenswert ist, ob bzw. unter welchen Umständen die Handlungen der geförderten Unternehmen dem Staate zugerechnet werden können. Ist das private Verhalten als Handlung des Staates anzusehen, so ist dogmatisch auch hier die Achtungsdimension betroffen. aa) Zurechnung gemäß Art. 4, 5 und 11 ILC-Entwurf Die Mehrheit der privaten geförderten Unternehmen – dies deutet bereits der Begriff an – sind keine staatlichen Organe im Sinne des Art. 4 ILC-Entwurf.8Auch der insofern etwas weiter gefasste Absatz 2 wird im Regelfall eine Zurechnung noch nicht begründen können, denn danach muss der Akteur dem innerstaatlichen Recht nach einen dem Organ gleichgesetzten Status haben. Ob aber Staatsunternehmen9 unter diesen Begriff fallen, ist überdenkenswert. Voraussetzung ist freilich eine entsprechende Organqualität solcher Unterneh6 Dieser Gedanke kommt auch bei den Entscheidungen der EKMR und des EGMR zum Ausdruck, der regelmäßig auf die Letztverantwortlichkeit des Akteurs abstellt, vgl. die staatlich genehmigte private Lärmerzeugung: EKMR: Arrondelle vs. UK, DR 19, 186, 198 (1980); Baggs vs. UK, DR 44, 13, 20 (1985); Rayner vs. UK, DR 47, 5, 11 f. (1986). Ähnlich wurde in einem Fall entschieden, in dem es um die Unterbringung einer Frau in einer staatlichen Psychiatrie ging: Dort war die letzte Entscheidung zur Unterbringung diejenige, auf die zur menschenrechtlichen Beurteilung abgestellt wurde: EGMR, Entscheidung v. 28. November 1988, Nielsen vs. Denmark, Rn. 63. Kritisch dazu: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 146. 7 Die Möglichkeit, durch die Förderungshandlung andere – nicht-geförderte – Unternehmen in ihren Rechten zu beeinträchtigen, ist dagegen freilich im Rahmen der Achtungsdimension zu beurteilen. Siehe dazu: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 76. 8 So aber: Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (204). 9 Also Unternehmen, die dem Staat mehrheitlich gehören oder über die ein Staat die Leitungsmacht ausübt.
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
men. Zwar ist man sich uneins über den Organbegriff des ILC-Entwurfs,10 der Umstand aber, dass die ILC-Commentaries privatisierte (ehemalige Staats-)Unternehmen unter Art. 5 ILC-Entwurf subsumieren, spricht im Umkehrschluss dafür, dass Staatsunternehmen von Art. 4 ILC-Entwurf umfasst sein müssten.11 Eine Zurechnung ließe sich aber jedenfalls auch über Art. 8 ILC-Entwurf begründen,12 denn Kontrolle über ein Staatsunternehmen wird ein Staat im Regelfall haben, vielmehr ist die Kontrolle eine definitionsimmanente Voraussetzung für Staatsunternehmen. Daneben werden Handlungen Beliehener gemäß Art. 5 ILC-Entwurf und vom Staate als sein eigenes Verhalten anerkannte Handlungen gemäß Art. 11 ILC-Entwurf ausdrücklich dem Staate zugerechnet. Fördert damit ein Staat in den vorstehenden Konstellationen das unternehmerische Verhalten, so ist dies nicht im Rahmen der extraterritorialen Schutzpflichten zu beurteilen und damit auch nicht Gegenstand der vorliegenden Bearbeitung. bb) Zurechnung gemäß Art. 8 ILC-Entwurf – Förderungshandlung als Kontrolle? Einen weiteren denkbaren Zurechnungstatbestand für die Außenwirtschaftsförderung enthält Art. 8 ILC-Entwurf, der die Zurechnung von sog. De-Facto-Organen vorsieht. Danach ist das Verhalten eines privaten Akteurs dem Staate immer dann zurechenbar, wenn er „is in fact acting on the instructions of, or under the direction or control of, that State in carrying out the conduct.“ Die nicht undenkbaren Fälle, in denen der fördernde Staat ein Unternehmen beauftragt, ein bestimmtes Projekt im Ausland13 durchzuführen oder aber dies
10 Vgl. Fischer, Staatsunternehmen im Völkerrecht, in: Fischer/von Hoffmann, Staatsunternehmen im Völkerrecht, S. 26 ff. 11 Vgl. ILC, Draft articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with commentaries, Art. 5 Rn. 1. Siehe zur Übertragung von Staatsaufgaben an private Akteure: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 212 f. 12 Auch wenn ein Staat überwiegender Anteilseigner ist, gilt die Handlung des Unternehmens als eine staatliche. Vgl. Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 209; siehe dazu auch: HRC, Communication No. R 14/ 61, Hertzberg vs. Finland, Rn. 9.1, in der 91 Prozent der Anteile eines Rundfunkunternehmens in staatlicher Hand lag und dementsprechend als staatlich behandelt wurde. 13 Wenn dagegen der Gaststaat selbst der Auftraggeber ist, kann eine Zurechnung der unternehmerischen Handlung zum Gaststaat erfolgen. Dieser Umstand ist für die extraterritorialen Schutzpflichten des Heimatstaates aber unbedeutsam, denn es geht nur um seine eigene Schutzverantwortung und dabei ist es nicht von Belang, ob dem Gaststaat ein entsprechendes Handeln auch zuzurechnen ist. Schließlich gehören zu den denkbaren Gefahrenquellen für extraterritoriale Schutzpflichten auch Gefahren des Gaststaats selbst, siehe dazu: Abschnitt C. II. 2. a) bb).
I. Beurteilungsrahmen für die Außenwirtschaftsförderung
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unter seiner Anleitung geschieht,14 führen nach dieser Norm bereits zu einer Zurechnung. Praktisch bedeutsamer und technisch problematischer ist dagegen die Kontrolle als Zurechnungstatbestand. Was Inhalt dieses Merkmals ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Der IGH stellte im Nicaragua-Urteil15 das mehrheitlich auch im Schrifttum anerkannte16 Erfordernis der effektiven Kontrolle über die Person auf, deren Handlung in Frage steht.17 Später konkretisierte der IGH dieses Erfordernis und forderte eine „complete dependence“ des privaten Akteurs gegenüber dem Staat.18 Gerade aufgrund dieser großen Hürde stoßen beide Entscheidungen aber auch auf Bedenken im Schrifttum.19 Alternativ werden die etwas einfacher zu erfüllenden Konkretisierungsmerkmale „aid and abet“, also die staatliche Beihilfe und Anstiftung zur Begründung einer Zurechnung genannt.20 Dieser Ansatz ist aber abzulehnen, da er einen zu weit gehenden Anwendungs14 Für die Anordnung bestimmten Verhaltens durch den Staat: vgl. Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 214. Ob die Anleitung die menschenrechtswidrige Handlung selbst enthalten muss, ist dagegen ungeklärt. Dies ist letztlich aber zu bejahen, denn alleine, weil ein Unternehmen unter Anleitung im Ausland handelt (etwa zum Bau einer Ölpipeline), kann eine direkte Verantwortlichkeit des Staates nicht begründet werden. Enthält die staatliche Anleitung die Anweisung, Menschenrechte zu verletzen, etwa konkret die Herabsenkung bestimmter für den Menschenrechtsschutz erforderlicher Sicherheitsvorkehrungen, so könnte über Art. 8 ILC-Entwurf das Verhalten dem Staate zugerechnet werden. So auch: McCorquodale/Simons, MLR 70 (2007), S. 598 (608). 15 IGH, Urteil v. 27. Juni 1986 (merits), Nicaragua, Rn. 115. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) verlangt dagegen eine „overall control“. Er vertauscht dabei aber wohl die Frage der Zurechnung im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit mit der Verantwortlichkeitsbegründung im Rahmen der Menschenrechtsverträge, wenn er sich dann sogar noch auf die Loizidou-Rechtsprechung des EGMR beruft, die sich ganz deutlich nur auf die menschenrechtliche Jurisdiktion bezieht, siehe: ICTY Appeals Chamber, Prosecutor vs. Tadic, 15. Juli 1999, Case No. IT94-1-A, Rn. 128. 16 Herdegen, Völkerrecht, § 58, Rn. 5 f.; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1121; De Schutter, CHRGJ Working Paper 1 (2004), S. 17; Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 211, mit weiteren Nachweisen bei den internationalen Menschenrechtsgremien. 17 Dies ist inhaltlich und strukturell von der – bereits behandelten – effektiven Kontrolle als Konkretisierung der Jurisdiktion im Sinne der Menschenrechtsverträge zu unterscheiden. Die nämlich bei Letzterem gemeinte effektive Kontrolle im Sinne einer Einflussnahme auf die Ausübung menschenrechtlich geschützter Freiheiten der betroffenen Person unterscheidet sich insofern von der vom IGH aufgestellten effektiven Kontrolle, als dort die Einflussnahme auf die beeinträchtigende Handlung bzw. Situation gemeint ist. Effektive Kontrolle erweist sich hier einmal mehr als ein Homonym im Völkerrecht, vgl. Milanovic, HRLR 8.3 (2008), S. 411 (446). 18 IGH, Urteil v. 26. Februar 2007, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Rn. 399. 19 Gibney/Tomasevski/Vedsted-Hansen, HHRJ 12 (1999), S. 267 (286 ff.); McCorquodale/Simons, MLR 70 (2007), S. 598 (608 f.). 20 McCorquodale, ASIL Proceedings 100 (2006), S. 95 (100).
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
raum schafft und die Kontrolle schwerlich jedenfalls in eine Anstiftung umgedeutet werden kann. Andere wollen es gerade für eine menschenrechtliche Beurteilung bereits genügen lassen, wenn ein staatlicher Beitrag vorliegt, der in konstitutiver Weise zu dem Eintritt der Beeinträchtigung des Menschenrechts beigetragen hat.21 Dieser Ansatz gleicht aber dem Erfordernis einer bloßen staatlichen Ursachensetzung und könnte jeden entscheidungserheblichen Beitrag für ein Auslandsprojekt eines Unternehmens umfassen und mithin den Anwendungsrahmen des Art. 8 ILC-Entwurf weit überdehnen. Letztlich überzeugt nur das bereits weitgehend etablierte Kriterium der effektiven Kontrolle; verstanden aber als ein staatlicher Einflussgrad, der eine so hohe Kontrolldichte hat, dass ihr ein imperatives Element innewohnt22, denn andernfalls ist eine autonome Entscheidung des privaten Akteurs anzunehmen. Entscheidend soll aber derjenige in Verantwortung gezogen werden, der das Geschehen wesentlich lenkt bzw. eben imperativ bestimmt. In dem Handeln des privaten Akteurs muss sich schließlich der staatliche Wille widerspiegeln und nicht der des privaten Akteurs. Alles andere würde eine Staatenverantwortlichkeit nicht begründen können. Dies ist aber nur mit der Anforderung eines effektiven Kontrolltatbestandes gewährleistet. Ob aber die Außenwirtschaftsförderung einen so hohen Kontrollgrad erreichen kann, ist höchst fraglich. Im Regelfall ist keine effektive Kontrolle anzunehmen, denn zwar begünstigt die Außenwirtschaftsförderung ein bestimmtes Vorhaben. Eine Kontrolle darüber, welche Handlung nun konkret vorgenommen werden soll, auf welche Handlungsalternativen sich der Spielraum des Unternehmens im Ausland verdichten soll und wie oder auf welche Weise eine menschenrechtswidrige Behandlung erfolgt, besteht aber nicht. Die geförderten Akteure nehmen nicht direkt die Interessen des Staates, sondern primäre ihre eigenen wahr.23 Die positiven allgemeinen wirtschaftlichen Nebeneffekte des Exports können dem Erfordernis eines staatlichen Interesses auch nicht genügen. Es wird zwar vertreten, dass eine Zurechnung gegeben sei, wenn die staatliche Subventionierung den Grad erreicht, an dem das Unternehmen gänzlich unter staatlicher Kontrolle steht24 – dies leuchtet auch ein. Aber selbst mit den stärk21 Zusammenfassend: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 180. 22 So lässt es der IGH, Urteil v. 27. Juni 1986 (merits), Nicaragua, Rn. 115, anklingen, wenn er von „directed or enforced“ spricht. Auf die grundrechtlichen Schutzpflichten bezogen: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 99; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 59. 23 So auch zur Exportkreditversicherung im Umweltrecht: Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (42). 24 Vgl. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 150.
I. Beurteilungsrahmen für die Außenwirtschaftsförderung
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sten Instrumenten der Außenwirtschaftsförderung wird dies nicht erfüllt sein, denn dabei handelt es sich um Kredite, Bürgschaften und Garantien, denen ohne durchsetzungsfähige Detailregelungen kein imperatives Kontrollelement innewohnt. Selbst wenn die Leitentscheidungen im Einzelfall nicht mehr vom Unternehmen selbst getroffen werden sollten, so bedürfte es weiterer imperativer Elemente, nämlich bezogen auf die menschenrechtswidrige Situation selbst. Der Umstand, dass die Unternehmen selbst die Anträge zur Förderung stellen müssen und nicht etwa vom Staat beauftragt werden, spricht bedeutend gegen die Annahme jeglicher imperativer Kontrolle im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung. Eine Zurechnung wäre allenfalls in solchen Fällen denkbar, in denen etwa die Kriegsführung durch private Sicherheitsunternehmen erfolgt und entsprechend konkretisierte Vorgaben bzw. Befehle gegeben wurden.25 Aber auch bei einer solchen Gemengelage von privatem und staatlichem Handeln muss behutsam differenziert werden, denn selbst im Nicaragua-Fall genügte nach Auffassung des IGH das „financing, organizing, training, supplying and equipping“ der privaten Akteure nicht für eine Zurechnung.26 Nur in Extremfällen ist daher eine Zurechnung privaten Verhaltens anzunehmen. Ein Interesse, eine Kenntnis, eine Duldung oder ein irgendwie gearteter Eigennutz kann den geforderten Kontrollgrad nicht erreichen.27 Eine Zurechnung des privaten Verhaltens durch die staatliche Förderung ist damit im Regelfall auszuschließen.28 c) Ansätze für eine aufgeteilte Verantwortlichkeit Im neueren Schrifttum werden vereinzelt Ansätze einer geteilten Verantwortlichkeit vertreten, also solche, die den Handlungsbeitrag des Heimatstaates etwa als Beihilfe zum Verhalten des Gaststaates oder als Mittäterschaft zum Handeln des privaten Akteurs zu qualifizieren versuchen. Auch dies hätte grundsätzlich zur Folge, dass die menschenrechtliche Achtungsdimension bei der Außenwirtschaftsförderung dadurch betroffen wäre, dass der Heimatstaat durch seine finanzielle Unterstützung einen Teilbetrag leistet.
25
McCorquodale, ASIL Proceedings 100 (2006), S. 95 (100). IGH, Urteil v. 27. Juni 1986 (merits), Nicaragua, Rn. 115. 27 A. A.: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 217 f. 28 Auch: Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (42). A. A.: Hennings, Über das Verhältnis von multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten, S. 111, hält es zumindest für erwägenswert; auch: Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 505. Vgl. auf grundrechtliche Schutzpflichten bezogen: Schmidt-Assmann, AöR 106 (1981), S. 205 (215). 26
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
aa) Beihilfe zum völkerrechtswidrigen Verhalten des Gaststaates Dem Ansatz, dass dem Heimatstaat über die Rechtsfigur der Beihilfe eine Handlungs- bzw. Unterlassensverantwortlichkeit zukommen kann, wird die Überlegung zugrunde gelegt, dass bei einer Gemengelage von heimat- und gaststaatlichem Verhalten, das in eine menschenrechtswidrige Situation mündet, der heimatstaatliche Anteil am „Unrechtsgehalt“ nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben dürfe.29 Einen Ansatzpunkt findet diese Rechtsfigur in Art. 16 ILC-Entwurf, wonach die Beihilfe bei der Begehung einer völkerrechtswidrigen Handlung eine Verantwortlichkeit des hilfeleistenden Staates begründen soll, vorausgesetzt der Staat hat Kenntnis von der völkerrechtswidrigen Handlung des anderes Staates und hätte bei eigener Vornahme selbst völkerrechtswidrig gehandelt.30 Zweifel daran, dass Art. 16 ILC-Entwurf zum geltenden Völkerrecht gehört,31 versucht diese Auffassung mit einigen Verweisen auf Ansätze der Staatenpraxis, etwa die Kritik vieler Staaten an Waffenlieferungen für völkerrechtswidrige Handlungen,32 auszuräumen.33 Ferner greife die Beihilfehandlung indirekt in das geschützte Recht ein und der Charakter des Völkerrechts fordere es, dass eine schädigende Tat geahndet werde.34 Es ist aber bereits fragwürdig, ob die Staatenpraxis tatsächlich auf die Existenz dieser Rechtsfigur schließen lässt, denn die Befürworter führen vorwiegend sol-
29 So: Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (43); Epiney, Umweltvölkerrechtliche Rahmenbedingungen, S. 359, sieht auch für Hermes-Bürgschaften den Fall auf S. 365. Sonstige Vertreter dieser Auffassung: von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, S. 26 f., (konkret mit dem Beispiel der Hermes-Bürgschaft); Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 71 f.; McCorquodale/Simons, MLR 70 (2007), S. 598 (612). Wohl a. A.: Klein, Beihilfe zum Völkerrechtsdelikt, in: von Münch, Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht, S. 436. 30 Einige Stimmen im Schrifttum modifizieren die Bedingungen und fordern zusätzlich etwa ein enges Verhältnis zwischen Beihilfehandlung und Völkerrechtsdelikt (Epiney, Umweltvölkerrechtliche Rahmenbedingungen für Entwicklungsprojekte, S. 362; Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 72: Förderung muss ein hohes Maß betragen) oder lassen die potenzielle Kenntnis von der Völkerrechtswidrigkeit genügen. Epiney, Umweltvölkerrechtliche Rahmenbedingungen, S. 364 ff., sieht dies für die Fälle der Außenwirtschaftsförderung stets als gegeben an; ähnlich: McCorquodale/Simons, MLR 70 (2007), S. 598 (615). 31 Das Mandat der ILC betraf nämlich nicht nur die Erfassung der Staatenverantwortlichkeit de lege lata, sondern auch deren progressive Entwicklung, dazu: Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 71 ff. 32 So: Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (44). 33 Epiney, Umweltvölkerrechtliche Rahmenbedingungen, S. 359; Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (44 ff.). 34 Epiney, Umweltvölkerrechtliche Rahmenbedingungen, S. 361.
I. Beurteilungsrahmen für die Außenwirtschaftsförderung
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che Fälle an, die auch anderen Völkerrechtskonstrukten zugeordnet werden können. Die Kritik vieler Staaten an Waffenlieferungen für völkerrechtswidrige Handlungen etwa ist wohl eher als Verweis auf die Einhaltung waffenrechtlicher Abkommen oder die sich aus der VNC ergebende allgemeine Friedenspflicht zu verstehen. Konkret an der Bindung der BRD an ein etwaig bestehendes Beihilfekonstrukt könnte aber bereits deswegen gezweifelt werden, weil viele Staaten, darunter auch die BRD und die Schweiz, in ihren Stellungnahmen zum ILC-Entwurf die völkerrechtliche Beihilfe mit der Begründung ablehnten, es handele sich dabei um den progressiven Teil des ILC-Entwurfs.35 Selbst wenn nun also die Norm eine völkerrechtliche Grundlage hätte, wäre eine Bindung jedenfalls der BRD angesichts ihrer frühen ablehnenden Haltung fragwürdig. Letztlich erscheint aber diese Rechtsfigur – selbst wenn sie existierte – für die Außenwirtschaftsförderung als wenig handhabbar, denn die Förderung sichert nur die heimatstaatlichen Unternehmen vor Risiken ab, fördert aber nicht – zumindest nicht direkt – das gaststaatliche Verhalten. Sie könnte ferner auch nur solche Sachverhalte umfassen, in denen der Gaststaat selbst auch eine korrelierende menschenrechtliche Schutzpflicht hat. Schließlich wird gem. Art. 19 ILC-Entwurf eine individuelle Verantwortlichkeit des Heimatstaates nicht ausgeschlossen, denn danach verdrängt die BeihilfeVerantwortlichkeit eine Verantwortlichkeit aus anderen Gründen nicht. Die Frage nach extraterritorialen Schutzpflichten stände daneben weiterhin im Raum. bb) Mittäterschaftliche Beziehung zwischen Heimatstaat und privatem Akteur Ein ähnlicher – neuerer – Ansatz versucht, eine mittäterschaftliche Beziehung des Heimatstaates zum privaten Akteur zu begründen und daraus die Verantwortlichkeit, sprich: die Pflicht zum Unterlassen herzuleiten.36 Die Bezeichnungen variieren,37 gemeint ist strukturell aber das Gleiche: Beteiligt sich ein Staat an einem menschenrechtswidrigen Verhalten eines privaten Akteurs, so sollen beide Verantwortlichkeiten nebeneinander stehen. Im Unterschied zur Beihilfe betrifft diese Rechtsfigur also nicht die gleichzeitige Handlungsverantwortlichkeit zweier Staaten, sondern die eines Staates und eines privaten Akteurs. Wie sich eine solche Rechtsfigur aus dem Völkerrecht herleiten lässt, bleibt allerdings unklar. 35
Comments, (Germany) UN Doc. A/CN.4/488, S. 75 f. McCorquodale/Simons, MLR 70 (2007), S. 598 (613); Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 204. 37 „Complicity“: Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 204; „Co-Responsibility“: McCorquodale/Simons, MLR 70 (2007), S. 598 (613). 36
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
Einige Vertreter übergehen diese Frage,38 an anderer Stelle wird allgemein auf staatliche Pflichten verwiesen, eigene Staatsangehörige keine Völkerrechtsverletzungen ausführen zu lassen.39 Gegen die Existenz des Grundsatzes wird zutreffend angeführt, dass nicht die Handlung des privaten Akteurs eine Staatenverantwortlichkeit auslösen kann, sondern nur das eigene Untätigbleiben des Staates, sprich: der Umstand, dass der Staat nicht reagiert.40 Rechtswidrige Handlungen von privaten Akteuren bleiben bei der Frage der Staatenverantwortlichkeit grundsätzlich außer Betracht, beurteilt wird nur das Verhalten eines Staates. Die Mittäterschaft setzt aber gerade ein rechtswidriges Verhalten des privaten Akteurs voraus. Dies lässt sich – ließe man sich auf das Konstrukt ein – nur dann feststellen, wenn der private Akteur gegen ein Verbot verstößt. Eine völkerrechtliche Pflicht, Menschenrechte nicht zu beeinträchtigen, trifft das Individuum aber grundsätzlich nicht. Wie aber kann dann eine Mittäterschaft an grundsätzlich rechtmäßigem Verhalten begründet werden? Dem Einwand wird zwar damit begegnet, dass private Akteure zunehmend eine Verantwortlichkeit im Rahmen des Völkerrechts haben.41 Dies gilt aber bislang allenfalls im Rahmen des Völkerstrafrechts. Eine mittäterschaftliche Beziehung zwischen privaten Akteuren und einem Staat kann auch aus dem übrigen geltenden Völkerrecht nicht hergeleitet werden. d) Zwischenergebnis Die Förderungshandlung selbst kann als neutrale Handlung nicht in menschenrechtlich geschützte Freiheiten eingreifen und ist damit grundsätzlich nicht im Rahmen der menschenrechtlichen Achtungsdimension zu beurteilen. Auch erreicht die Außenwirtschaftsförderung regelmäßig nicht den Grad der Kontrolldichte dafür, dass dem Heimatstaat das Handeln privater Unternehmen zurechenbar wäre. Handlungen staatlich geförderter Staatsunternehmen und Beliehener müssen dagegen menschenrechtlich im Rahmen der Achtungsdimension beurteilt werden. Eine darüber hinausgehende irgendwie geartete Konstruktion einer geteilten Verantwortlichkeit, sei es in Form der Beihilfe zum Unterlassen des Gaststaates oder in Form der Mittäterschaft zur unternehmerischen Verletzungshandlung, lässt sich dagegen dem Völkerrecht nicht entnehmen. Eine Zwischenbilanz zeigt daher: Für den Fall der Außenwirtschaftsförderung ist im Regelfall die Schutzdimension der Menschenrechtspflichten betroffen. Die 38
Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 494. Shelton, FILJ 13 (1989–1990), S. 1 (24). 40 Wiesbrock, Internationaler Schutz der Menschenrechte vor Verletzung durch Private, S. 204, m.w. N. 41 McCorquodale/Simons, MLR 70 (2007), S. 598 (613 f.). 39
I. Beurteilungsrahmen für die Außenwirtschaftsförderung
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Frage einer menschenrechtlichen Beurteilung der Außenwirtschaftsförderung richtet sich daher im Grundsatz auf die extraterritorialen Schutzpflichten. 2. Eröffnung des Anwendungsbereichs und extraterritoriale Gefahrenlage Die nunmehr zu stellende Frage nach der Eröffnung des Anwendungsbereichs für all jene Fälle der Außenwirtschaftsförderung, die im Rahmen der Schutzdimension zu beurteilen sind, ist eine, die nicht allgemein beantwortet werden kann. Nur der Einzelfall kann Aufschluss darüber geben, ob der personelle, räumliche und sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Im Überblick: Ob eine Schutzpflicht einschlägig ist, hängt zunächst davon ab, ob die konkret betroffene Person und der konkret betroffene Aspekt eines Menschenrechts geschützt werden soll. Erst nach Bejahung dieser Fragen, muss untersucht werden, ob die räumliche Dimension des betroffenen Menschenrechts einen extraterritorialen Anwendungsbereich vorsieht. Diese für die Außenwirtschaftsförderung besonders bedeutsame Frage wurde hinreichend unter B. erörtert. Sämtliche dort gefundenen Ergebnisse sind Beurteilungsmaßstäbe für den Einzelfall. Kursorisch kann für die Außenwirtschaftsförderung daher zusammengefasst werden: Sämtliche jurisdiktionsabhängigen Menschenrechte setzen voraus, dass ein Vorhaben gefördert wird, das innerhalb der „menschenrechtlichen Jurisdiktion“, also etwa auf einem effektiv kontrollierten Gebiet, stattfinden soll. Dieses etwas praxisferne, aber nicht undenkbare Modell mindert nicht den Umstand, dass der Anwendungsbereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und der fundamentalen Menschenrechte unbeschränkt ist und dann freilich auch in diesem Rahmen eine potenzielle menschenrechtliche Überformung der Außenwirtschaftsförderung erfordert. Auch nur im Einzelfalle kann entschieden werden, wann eine extraterritoriale Gefahrenlage vorliegt, die den Heimatstaat verpflichtet, im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung zugunsten der Menschenrechte zu handeln. Beurteilungsrahmen dafür sind die oben entwickelten Maßstäbe.42 Als Beispiel kann aber angeführt werden, dass bereits die nicht ausgeschlossene Möglichkeit der Entstehung einer extraterritorialen Gefährdungssituation Pflichten des fördernden Staates aktivieren kann, so etwa die Pflicht, eine menschenrechtliche Risikoanalyse des geförderten Projekts vorzunehmen.43
42
Abschnitt C. II. 2. Zu den einzelnen Pflichten im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung sogleich Abschnitt D. II. 43
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
3. Garantenstellung und Außenwirtschaftsförderung Bereits der Überblick über die Außenwirtschaftsförderung hat gezeigt, dass sie nur ein Sammelbegriff für ein vielfältiges Instrumentenspektrum ist.44 Es könnte daher nicht allgemein etwa von einer Schutzverantwortung kraft Außenwirtschaftsförderung gesprochen werden. Vielmehr müssen die Instrumente der Außenwirtschaftsförderung kategorisiert werden und nach ihrem Grad der Beeinflussung auf die Begründung einer Garantenstellung untersucht werden. Als einziger Begründungstatbestand kommt eine Garantenstellung kraft eines nach außen gerichteten, gefahrerhöhenden staatlichen Vorverhaltens in Betracht. Auf die Frage, ob die Voraussetzungen dieser Fallgruppe für die unterschiedlichen Mittel der Außenwirtschaftsförderung erfüllt sind, wird im Folgenden einzugehen sein. a) Nicht-finanzielle Fördermittel Die in ihrer Intensität als am geringsten anzusehenden Förderungsmaßnahmen, die nichtfinanziellen Mittel, sind nicht pauschal einer menschenrechtlichen Beurteilung entzogen. Im Regelfall werden die Merkmale des nach außen gerichteten gefahrerhöhenden Vorverhaltens aber nicht erfüllt sein. Die generelle Zielrichtung dieser Mittel kann zwar grundsätzlich als ein nach außen gerichtetes Vorverhalten qualifiziert werden, denn die Außenwirtschaft zu fördern, betrifft ein staatliches Verhalten, das auf extraterritoriale Vorgänge gerichtet ist; sie sind aber weder final auf konkrete Vorhaben von privaten Akteuren gerichtet, noch ist die Intensität ihres Beitrages so groß, dass dieser sich in einer späteren menschenrechtsbeeinträchtigenden Situation wiederfinden kann. Instrumente wie etwa das Zur-Verfügung-Stellen von Marktanalysen, die Marktberatung, die Markt- und Außenhandelsinformation, die Messeförderung, die Geschäftspartnervermittlung oder die Vertragsabschlusshilfe fördern die Außenwirtschaft nur mittelbar und sehr allgemein. Das mit dem Begründungstatbestand ebenfalls implizierte Erfordernis, dass die Förderung sich auch gerade im menschenrechtsbedenklichen Projekt niederschlagen muss, ist damit nicht erfüllt, denn ob etwa die Förderung durch einen gemeinsamen Messestand im Ausland überhaupt ein Kausalbeitrag für ein späteres menschenrechtsbedenkliches Projekt war, lässt sich kaum feststellen. Zu viele Schritte für die Konkretisierung eines Projekts treten in der Regel dazwischen. Dies schließt nicht aus, dass eine allgemeine menschenrechtliche Pflicht bestehen kann, auch über etwaige menschenrechtliche Gefährdungen im Zusammenhang mit bestimmten Projekten zu informieren oder gar in bestimmten Staaten keine Messestände zur Verfügung zu stellen. Aus den extraterritorialen 44
Abschnitt A. I. 1. a).
I. Beurteilungsrahmen für die Außenwirtschaftsförderung
303
Schutzpflichten kann sich diese Pflicht aber nach der hier vertretenen Systematik nicht ergeben. b) Finanziell absichernde Fördermittel und Kredite für konkrete Vorhaben privater Akteure (Außenwirtschaftsförderung im engeren Sinne) Mit der Vergabe der finanziellen Fördermittel erfüllt ein Staat regelmäßig die Kriterien, die eine Garantenstellung im Sinne der extraterritorialen Schutzpflichten begründen. Mit der Förderung von extraterritorialen Vorhaben verwirklicht ein Staat das Erfordernis eines nach außen gerichteten Vorverhaltens, denn staatlich und final gefördert wird ein zukünftiger extraterritorialer Zustand, der von staatszugehörigen Unternehmen hervorgerufen wird. Die Gefahrerhöhung realisiert sich dann, wenn das Vorhaben mit einem Menschenrechtsrisiko behaftet ist. Diese Merkmale begründen eine Garantenstellung. Im Unterschied zu den vorgenannten nichtfinanziellen Fördermitteln werden sämtliche direkt oder potenziell finanziellen Mittel stets an bestimmte Projekte, Investitionen, konkrete Exporte oder bestimmte Dienstleistungen gebunden. Investitionsgarantien werden nach Antrag für konkrete Direktinvestitionen vergeben. Exportkreditgarantien werden für ein konkretes Exportvorhaben gewährt. Garantien für ungebundene Finanzkredite werden ebenfalls projektgebunden vergeben. Auch nichtinstitutionalisierte Fördermittel, wie etwa die individuelle direkte Kreditvergabe sind streng an ein konkretes Vorhaben gebunden. Die Gewährung einer Garantie oder einer Bürgschaft hat daneben einen entscheidenden Einfluss auf die Durchführung des Vorhabens, denn es handelt sich meist um die Absicherung eines überwiegenden Teils oder des gesamten Projekts. In die Entscheidungsfindung fließt die staatliche Förderung eines Projekts fast immer zu einem so hohen Prozentsatz mit ein, dass sie die conditio sine qua non für das Vorhaben darstellt.45 Zwar ist es nach dem hier vertretenen Ansatz nicht erforderlich, dass ein Staat auch unabdingbare Bedingungen für die Durchführung des Vorhabens setzt, sie sind aber ein Indiz dafür, dass jedenfalls eine Garantenstellung entsteht. Ferner zeigt dieser Umstand, dass ein Staat auch in der Lage ist, seine Schutzpflichten zu erfüllen, da die Rücknahme der Projektförderung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit das Vorhaben beenden, mithin die Gefahrenquelle beseitigen kann. Die Feststellungen des CESCR dazu, dass die Vertragsstaaten des IPwskR eine Pflicht im Rahmen der internationalen Organisationen hätten, bestimmte Vorhaben von privaten Unternehmen nicht zu fördern, wenn sie abträgliche Auswirkungen auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte haben könn-
45
Auf diese Voraussetzung stellt Epiney, AVR 39 (2001), S. 1 (37), ab.
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
ten,46 sind zwar kein eindeutiges Indiz dafür, dass die Außenwirtschaftsförderung immer auch eine Schutzverantwortung der Staaten nach sich zieht, sie ordnen sich aber in ihrem Ergebnis in die hier entwickelte Systematik ein und bekräftigen damit die hier gezogenen Schlüsse. Da sich aus dem IPwskR auch individuelle Schutzpflichten ergeben, sind die Feststellungen des CESCR freilich nicht nur auf Handlungen im Rahmen von internationalen Organisationen beschränkt, sondern auch – oder erst recht – dann anwendbar, wenn ein Staat individuell auswärtige Vorhaben eigener Unternehmen fördert. Die besonders bedeutsamen Mittel der Außenwirtschaftsförderung, also insbesondere die sog. Hermes-Bürgschaften, begründen damit eine Garantenstellung im Sinne der extraterritorialen Schutzpflichten. 4. Zwischenergebnis Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass die Außenwirtschaftsförderung grundsätzlich im Rahmen der extraterritorialen Schutzpflichten menschenrechtlich beurteilt werden muss. Zwar kann die Erfüllung der Voraussetzungen nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall erfolgen. Allgemein festzuhalten ist dennoch, dass die Außenwirtschaftsförderung im engeren Sinne grundsätzlich eine Garantenstellung durch ein nach außen gerichtetes gefahrerhöhendes staatliches Vorverhalten verwirklicht und damit eine konkretisierte Schutzverantwortung nach sich zieht. Wird in einem konkreten Fall eines geförderten Vorhabens ein hinreichendes Gefahrenniveau erreicht und sind die personellen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt, so entsteht auf Rechtsfolgenseite ein konkretes Pflichtenprogramm, welches durch die Zielrichtung bestimmt ist, das konkret betroffene Menschenrecht zu schützen. Welche Handlungen dann gefordert sein können, wird im folgenden Abschnitt zu erläutern sein.
II. Rechtsfolgen extraterritorialer Schutzpflichten für die Außenwirtschaftsförderung Sind die Voraussetzungen der extraterritorialen Schutzpflichten erfüllt, so ergibt sich auf Rechtsfolgenseite ein Unterpflichtenprogramm47, dessen einzelne Pflichten allesamt ein gemeinsames Ziel verfolgen, nämlich die betroffenen Menschenrechte möglichst zu schützen. Über den Begriff solcher „Unterpflichten“ ist 46 CESCR: General Comment No. 18, Rn. 32, 53; General Comment No. 17, Rn. 56; General Comment No. 15, Rn. 60; General Comment No. 14, Rn. 64; General Comment No. 13, Rn. 60; General Comment No. 12, Rn. 41. General Comment No. 4, Rn. 19; General Comment No. 18, Rn. 53; General Comment No. 2, Rn. 6; General Comment No. 7, Rn. 18. 47 Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 313.
II. Rechtsfolgen für die Außenwirtschaftsförderung
305
man sich einig, denn fast einheitlich wird hier von Due-Diligence- oder auch von Sorgfaltspflichten gesprochen.48 Im Einzelnen ist aber unklar, wozu ein Staat konkret verpflichtet ist. Die Konventionen – das wurde bereits festgestellt49 – geben wenig Aufschluss darüber, wie die Sorgfaltspflichten im Einzelfall zu konkretisieren sind. Die Verträge beschränken sich nur sehr allgemein etwa auf „Gesetzgebungserfordernisse“ 50 oder gar auf die wenig griffige Generalansage: „to take necessary steps“ 51. Solche Aussagen deuten auf einen weitgehenden Ermessensspielraum der Staaten hin, sind aber noch nicht einmal als Richtlinie zur Ausgestaltung des Handlungsgebotes brauchbar. Welche Sorgfaltspflichten durch Schutzpflichten ausgelöst werden können, hat aber der IAGMR in einer grundlegenden Entscheidung deutlich gemacht: „States must prevent, investigate and punish any violation of the rights recognized by the Convention and, moreover, if possible attempt to restore the right violated and provide compensation as warranted for damages resulting from the violation.“ 52 Dem schließen sich auch die UN-Menschenrechtsorgane53 sowie die Straßburger Organe im Wesentlichen an,54 so dass diese Anforderungen als konkretisierte Maßstäbe für die Sorgfaltspflichten herangezogen werden können. Es lassen sich von diesen Maßstäben ausgehend grundlegende Sorgfaltspflichten ableiten, die sich häufig in den Entscheidungen der Menschenrechtsgremien wiederfinden. Diese sollen im Folgenden auf ihre Anwendbarkeit für die Außenwirtschaftsförderung und unter Berücksichtigung der Besonderheiten für extraterritoriale Schutzpflichten, insbesondere des zulässigen extraterritorialen Handlungsrahmens, untersucht werden.
48 HRC, General Comment No. 31, Rn. 8; Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Report No. III, Rn. 44 ff.; Coomans, Some Remarks On the Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 193; Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 291; Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (201); Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 232 ff. 49 Abschnitt C. III. 1. a). 50 Vgl. Art. 6, 17, 26, 20, 26 Abs. 8 IPbpR, Art. 2 IPwskR. 51 Art. 2 IPbpR. 52 IAGMR, Urteil v. 29. Juli 1988, Velasquez Rodriguez vs. Honduras, Rn. 166, auch Rn. 174, 175 (Hervorhebung durch Bearbeiter). 53 HRC: Communications No. 161 (1983), Rubio vs. Colombia; Communication 449 (1991), Mojica vs. The Dominican Republic; Communication 181 (1984), A. and H. Sanjuan Alfredo vs. Colombia; Communication 563 (1993), Bautista de Arelllana vs. Colombia. 54 EGMR, Entscheidung v. 4. Oktober 1983, Zypern vs. Türkei, Rn. 124; EGMR, Urteil v. 21. Dezember 1994, McCann and others, Rn. 161.
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
1. Pflichten im Vorfeld des geförderten Vorhabens a) Transparenzgebot Die deutsche Außenwirtschaftsförderung ist – dies zeigte schon der Überblick55 – nur geringfügig gesetzlich geregelt. Transparenz im Förderverfahren wird nur so weit geübt, wie es die OECD-Leitsätze vorschreiben. Insbesondere heißt das, dass Informationen zu den besonders kritischen A-Projekten samt Umwelt- und Sozialverträglichkeitsanalyse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ob die deutsche Außenwirtschaftsförderung aber darüber hinausgehend durch gesetzliche Regelungen vorhersehbarer und nachvollziehbarer und damit transparenter werden muss, wird von den Menschenrechtspflichten nicht ausdrücklich beantwortet. Der Ruf danach und nach einer vermehrten parlamentarischen Kontrolle der Außenwirtschaftsförderung wird aber zunehmend lauter.56 Dass grundsätzlich bei symptomatisch menschenrechtskritischen Vorhaben eine weitestgehende Transparenz insoweit gefordert wird, als zumindest alle staatlichen Verwicklungsschnittstellen offengelegt werden müssen, damit vor allem eine Einhaltung der Standards gefordert werden kann, kann als eine Grundhaltung des Menschenrechtsvölkerrechts verstanden werden,57 denn staatliche Transparenz dient der effektiven Verwirklichung der Menschenrechte. Ein damit parallel erforderliches Handeln durch Gesetz fördert die Voraussehbarkeit und Nachvollziehbarkeit58 und dadurch die Vermeidbarkeit menschenrechtlicher Gefährdungslagen. Die Menschenrechtsgremien fordern sehr häufig ein staatliches Handeln durch Gesetz, etwa ganz allgemein gerade im Hinblick auf Regelungsbereiche zwischen Individuen,59 aber auch speziell, beispielsweise mit der konkreten Aufforderung, Geschlechterdiskriminierung innerhalb des staatlichen Personalwesens gesetzlich zu verbieten.60 55
Abschnitt A. I. 1. b). Bereits: BT-Drucksache 13/8577 v. 24. September 1997. Kürzlich: BT-Drucksache 17/6374 v. 30. Juni 2011. 57 Vgl. auch: Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 263 ff.; Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 58; Keenan, Export Credit Agencies, S. 11; Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 32, m.w. N. 58 Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 55 f., 61; Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 264. 59 HRC, General Comment No. 31, Rn. 7. 60 HRC: Concluding Observations, US, UN Doc. CCPR/C/USA/CO/3/Rev.1, v. 18. Dezember 2006, Rn. 25. Ähnlich zur Unterbindung von Kinderarbeit: Concluding Observations, Thailand, UN Doc. CCPR/CO/84/THA, v. 8. Juli 2005, Rn. 21. Auch der CESCR fordert gesetzliches Handeln: CESCR Concluding Observations, Ecuador, UN Doc. E/C.12/1/Add.100, v. 7. April 2004, Rn. 12, 35; CESCR General Comment No. 17, Rn. 35; CESCR, General Comment No. 3, Rn. 3; General Comment No. 5, 56
II. Rechtsfolgen für die Außenwirtschaftsförderung
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Diese Aussagen können aber nur als Empfehlungen für eine bestimmte Zahl der Staaten verstanden werden. Das Völkerrecht, noch weniger die universellen Verträge können die konkrete Erfüllung der menschenrechtlichen Pflichten detailliert festlegen. Dass ein Staat überhaupt aufgrund seiner Struktur Gesetze erlässt, ist bei der Vielfalt der Staatsformen nicht immer garantiert und dass es sich bei abstrakt-generellen Regelungen gerade um Gesetze in Form von Parlamentsgesetzen handeln muss, ist ebenso wenig gesichert.61 Noch weniger kann das Gesetzgebungserfordernis aus dem Bedürfnis nach einer demokratischen Legitimation erwachsen, denn nicht jeder Staat, auch nicht wenn er Vertragspartei eines Menschenrechtsvertrages ist, ist demokratisch strukturiert. Soweit ein Handeln durch Gesetz gefordert ist, ist dies lediglich als Handlungsempfehlung zu verstehen und richtet sich an solche Staaten, denen ein entsprechendes Handeln auch möglich ist. Soweit es der Verhütung von Menschenrechtsbeeinträchtigungen dient, kann aber sehr wohl auch bei den Schutzpflichten hinreichende Transparenz gefordert werden. Notwendig kann dies insbesondere dann werden, wenn besonders gravierende Menschenrechtsbeeinträchtigungen durch Individuen mit strafrechtlichen Sanktionen zu belegen sind. Ein die Präventionsfunktion überschreitendes Transparenzgebot lässt sich dagegen aus den Schutzpflichten nicht ableiten, und ob die soweit menschenrechtlich erforderliche Transparenz dann durch Gesetze, parlamentarische Beteiligung, Verwaltung oder sonst wie geschaffen wird, liegt im Ermessen des Staates und kann daher nicht allgemein beantwortet werden. Für die deutsche Außenwirtschaftsförderung gilt nach alledem Folgendes: Eine hinreichende Transparenz und, in deren Folge, die Regelung der wesentlichen Entscheidungsprozesse und des Förderverfahrens sind erforderlich, um Fehlentscheidungen und Menschenrechtsgefährdungen im Voraus und im Nachhinein zu erkennen und entsprechend Einhaltung oder Wiedergutmachung fordern oder gar eine Wiederholung vermeiden zu können. Eine Transparenz kann dabei insbesondere die Regelung durch Gesetz und die Veröffentlichung der wesentlichen Entscheidungsergebnisse liefern. Die Schaffung einer solchen Mindesttransparenz stößt auch nicht erkennbar an die Grenzen der Unmöglichkeit. Einem etwaigen Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen steht auch nicht entgegen, dass Angaben zum Verfahren, zum Vorhaben und zum Fördervolumen veröffentlicht werden. Im äußersten Fall, und dies zeigt die Veröffentlichung der A-Projekte deutRn. 16; General Comment No. 7, Rn. 8–9; General Comment No. 15, Rn. 44 b. Entsprechende Forderungen vom EGMR: EGMR, Urteil v. 13. August 1981, Young, James und Webster vs. UK, Rn. 49, und für andere Menschenrechtsgremien: CERD, Concluding Observations, Suriname, UN. Doc. CERD/C/64/CO/9, v. 28. April 2004, Rn. 15; Nigeria, UN. Doc. CERD/C/NGA/CO/18, v. 1. November 2005, Rn. 19. 61 Beispielsweise passen die im Common Law vorherrschenden richter-rechtlichen Normen nicht in das von unserem Civil Law geprägten Verständnis der Judikative und Legislative.
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
lich, müsste ein solches Interesse der Unternehmen aber hinter dem Menschenrechtsinteresse zurücktreten. b) Human Rights Impact Assessment für die geförderten Vorhaben Im Zusammenhang mit der Außenwirtschaftsförderung wird oftmals in Analogie zu umweltrechtlichen Vorgaben62 verlangt, dass im Vorfeld der Förderung ein sog. Human Rights Impact Assessment (HRIA) von den Exportkreditagenturen durchzuführen sei,63 also eine Risikoprognose im Hinblick auf die menschenrechtlichen Auswirkungen eines Vorhabens.64 Inhaltlich geht es dabei um die institutionalisierte, in das Projektprüfungsverfahren integrierte Informationsbeschaffung, Aufbereitung, Auswertung und Schlussfolgerung im Hinblick auf das zu fördernde Projekt.65 Konkret wird vorgeschlagen, dass unter anderem die rechtlichen Rahmenbedingungen des Gaststaates, die Situation der Menschenrechte in der Region, der Einfluss des Vorhabens auf die Menschenrechte vor Ort sowie die menschenrechtlichen Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen untersucht werden.66 Drei zwischenstaatliche Institutionen haben dabei bereits konkrete Vorschläge für das nähere Vorgehen bei einem HRIA ausgearbeitet, die umfassende Länderinformationen anbieten und einheitliche Verfahren für sämtliche Förderstaaten befürworten.67 Einiges spricht für eine solche Pflicht zur Risikoprognose: Grundsätzlich – das wurde bereits dargelegt68 – hat ein Staat die Pflicht, auch entfernte menschenrechtliche Risiken zu erkennen. Eine Präventionspflicht erfordert immer eine Risikoanalyse, denn sie betrifft den unklaren, in der Zukunft liegenden Bereich, der zeitlich vor dem Eingriff liegt und in dem die Vielzahl der Kausalverläufe zu prognostizieren ist. Anders als durch die Sammlung und 62 Dort beispielhaft die Umweltverträglichkeitsprüfung, vgl. Seibert-Fohr/Wolfrum, AVR 43 (2005), S. 153 (183 f.). 63 Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 262; Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 63; Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 32, m.w. N.; Spieß, ZfMR 2 (2009), S. 66 (75). 64 Derzeit wird zwar gefordert, dass die Antragssteller eine Umwelt- und Sozialstudie bei der Antragsstellung mit einreichen. Die Sozialstudie umfasst dabei aber nur einige wenige Teilaspekte der Menschenrechte und kann nicht als Ersatz eines HRIA angesehen werden. 65 Schläppi/Kälin, Schweizerische Aussenwirtschaftshilfe, S. 262; Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 63. 66 So: Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 64. 67 Siehe dazu: Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 64 f. Vorreiter auf diesem Gebiet ist das Danish Institute for Human Rights mit seinem Vorschlag eines „Human Rights Compliance Assessment“, abrufbar unter: https:// hrca2.humanrightsbusiness.org/ (zuletzt aufgerufen am 1. Oktober 2012). 68 Abschnitt C. II. 2. b).
II. Rechtsfolgen für die Außenwirtschaftsförderung
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Auswertung der zur Verfügung stehenden Informationen kann ein Staat nicht zu der Erkenntnis gelangen, dass er positiv zum Schutze tätig werden muss. Eine Risiko-Folgenabschätzung ist daher stets ein den Präventionspflichten inhärenter Bestandteil. Ansätze für ein solches Erfordernis können schließlich auch den Entscheidungen der Menschenrechtsgremien entnommen werden. Der CESCR sprach sich in einer Reihe von Entscheidungen und abschließenden Stellungnahmen häufig allgemein für die Vornahme von Risikoanalysen aus.69 Dabei seien insbesondere etwa Entwicklungsprojekte und Vorhaben der extraktiven Industrie auf ihre Auswirkungen auf die Menschenrechte zu untersuchen.70 Ähnliches stellt der CESCR im Hinblick auf bestimmte Eigentumsrechte fest.71 Im General Comment No. 8 fordert er daneben vor der Durchführung wirtschaftlicher Sanktionen eine Risikoprognose im Hinblick auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in dem Zielstaat.72 Auch die Praxis der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zeigt deutlich, dass auch hier stets eine Risikoprognose über die Zustände im Empfangsstaat vorgenommen werden muss.73 Nicht nur wird die dortige menschenrechtliche Situation analysiert, vielmehr werden auch staatliche Organe und NGOs in die Risikoprognose aufgrund ihrer Fachkenntnisse miteinbezogen und nach ihrer Einzelfalleinschätzung befragt.74 Nicht stichhaltig wäre es, ein HRIA mit Verweis auf die völkerrechtliche Jurisdiktionsordnung abzulehnen. Zwar wird regelmäßig ein Urteil über extraterritoriale Menschenrechtssituationen gefällt, ein solcher Vorgang ist aber einerseits gängige Staatenpraxis, so jedenfalls bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, und stößt ferner nur auf intraterritoriale Rechtsfolgen, so dass es weder präskriptiv noch exekutiv die Souveränität eines anderen Staates tangiert.
69
Vgl. CESCR, Concluding Observations, Srilanka, E/1999/22, Rn. 77, Rn. 91. CESCR, Concluding observations, China v. 13. Mai 2005, E/C.12/1/Add.107, Rn. 63; auch: CERD Concluding Observations, Suriname v. 28. April 2004, UN. Doc. CERD/C/64/CO/9, Rn. 19. Es wird zwar von Umweltauswirkungen gesprochen, dort sind aber gerade nur solche gemeint, die auch die indigenen Völker unmittelbar betreffen. 71 CESCR, General Comment No. 17, Rn. 35. 72 CESCR, General Comment No. 8, Rn. 11 ff. 73 Auch der EGMR setzt eine Pflicht zur Risikoanalyse voraus, wenn er ein Handlungsgebot bei Bestehen eines „real risk“ begründet: EGMR, Urteil v. 28. Oktober 1998, Osman vs. UK, Rn. 116. Kürzlich: EGMR, Urteil v. 8. April 2010, Aburashidova vs. Russia, Rn. 74: „[. . .] it must be established that the authorities knew or ought to have known at the time of the existence of a real and immediate risk [. . .]“ (Hervorhebung durch Bearbeiter). 74 Die Vielzahl der Asylgutachten, die etwa Amnesty International für die deutschen Verwaltungsgerichte erstellt, stellen nichts anderes dar als die Einschätzung der menschenrechtlichen Risiken, die sodann in gerichtlichen Asylverfahren verwendet werden. 70
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
Für die Außenwirtschaftsförderung kann sich nichts anderes ergeben. Sämtliche Sachverhalte, die der Staat fördert, müssen grundsätzlich einer Risikoabschätzung unterzogen werden. Selbstverständlich gilt auch für dieses Erfordernis der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Gerade etwa beim bloßen Export von Waren wird die Risikoanalyse verhältnismäßig gering ausfallen. Anders verhält es sich dagegen bei der sog. Projektfinanzierung75, also dem Export im nichtklassischen Sinne. Hier wird zu Recht angesichts der Größenordnung und der symptomatischen Risikostruktur angemerkt, dass eine umfassende Folgenabschätzung und positive Einflussnahme möglich und verhältnismäßig ist.76 Bei diesen Fällen ist eine vorzeitige staatliche Involvierung und Information meist bereits in der Planungsphase möglich. c) Die Pflicht zur Auferlegung eines menschenrechtskonformen Handlungsgebots Die besonders bedeutsame Frage, ob – nach einer Risikoprognose – eine staatliche Pflicht entstehen kann, geförderten Unternehmen bestimmte Handlungspflichten für ihr extraterritoriales Vorhaben aufzuerlegen, etwa in der Form, dass menschenrechtswidrige Handlungen zu verbieten und im Falle der Verletzung zu sanktionieren sind, ist völkerrechtlich besonders problematisch, denn die Erfüllung solcher Pflichten tangiert vor allem die Souveränität des Gaststaates und hat sich am Geflecht der völkerrechtlichen Jurisdiktionsordnung zu orientieren. Die Forderung nach solchen Regelungen wurde im Diskurs um die menschenrechtliche Ausgestaltung der Außenwirtschaftsförderung mehrfach erhoben,77 auch wenn sie dogmatisch nicht auf extraterritoriale Schutzpflichten gestützt wurden. Nur wenige Staaten, darunter nicht die BRD, sehen sich völkerrechtlich als zum Erlass solcher Regelungen für die Außenwirtschaftsförderung verpflichtet an.78 Inhaltlich könnte etwa die Gewährung der Bürgschaft oder Garantie von einem menschenrechtstreuen Verhalten der Unternehmen abhängig gemacht werden, in
75 Ein Projekt liegt dann vor, wenn Lieferungen und Leistungen einer neuen Unternehmung einem identifizierbaren Standort zugeordnet werden können oder wenn sie für eine existierende Anlage bestimmt sind und dabei zu einer wesentlichen Änderung in der Funktion oder Leistung dieser Anlage führen, zitiert nach: Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 30. 76 Vgl. Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 30. 77 Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 66; Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (201). 78 Ein seltenes Beispiel stellt die kanadische Exportkreditagentur EDC als Vorreiter dar, die es nach eigenen Aussagen ohne Weiteres als ihre Pflicht ansieht, die Förderung von einem menschenrechtskonformen Verhalten abhängig zu machen, vgl. EDC, Environmental Policy Review, S. 6.
II. Rechtsfolgen für die Außenwirtschaftsförderung
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dessen Rahmen auch ganz konkrete Pflichten benannt werden können. Die nähere Ausgestaltung liegt freilich im Ermessen des Staates. Intraterritorial stellt die Verhaltenslenkung privater Akteure ein Grundmittel für die Erfüllung der Schutzpflichten dar. So lässt sich die Strafbewehrung der Tötung als Erfüllung der Schutzpflicht für das Recht auf Leben exemplarisieren. Auf besonders große jurisdiktionelle Bedenken stößt eine solche Pflicht aber im extraterritorialen Kontext, denn der Heimatstaat erlegt einem privaten Akteur bestimmte Handlungspflichten im Gaststaat auf, von denen die – bereits ausführlich erläuterte79 – Persuasionswirkung ausgeht. Mag der Schutz des Lebensrechts vielleicht noch ein internationaler Konsens sein, so verzweigen sich die Auffassungen und Interessen aber gerade besonders im Hinblick auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Dass eine extraterritoriale Verhaltenslenkung auch im Hinblick auf solche Rechte nicht in jedem Fall völkerrechtlich pauschal unzulässig ist, wurde bereits ausführlich an anderer Stelle dargelegt.80 Die dort gefundenen Ergebnisse müssen auf die Außenwirtschaftsförderung angewendet werden. Zu unterscheiden sind dabei folgende Fallkonstellationen: Sämtliche privaten Verhaltensweisen, die zum Schutz extraterritorialer Menschenrechte intraterritorial auferlegt werden, so etwa die Einhaltung gewisser Sicherheitsstandards für zu exportierende Technologie oder die Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidungsfindung, stoßen auf keine Jurisdiktionsbedenken.81 Auch wenn dann der unternehmerische Entschluss zu einem Vorhaben mit einer staatlich diktierten Haltung belastet ist und sich das staatliche Interesse in dem Verhalten der privaten Akteure extraterritorial verwirklicht, so findet die Beeinflussung der wesentlichen Prozesse dennoch ausschließlich innerhalb der territorialen Jurisdiktion des Heimatstaates statt. Bedenklich sind dagegen solche Fälle, in denen ein bestimmtes extraterritoriales Verhalten der Unternehmen mit Sanktionsandrohungen durch den Heimatstaat belegt sind. Beispielhaft können Anti-Diskriminierungspflichten oder besondere Schutzvorkehrungen für Gesundheit und Leben im Rahmen unternehmerischer Vorhaben angeführt werden. Da es sich bei geförderten Unternehmen grundsätzlich um heimatstaatliche handelt, ist notwendiger Anknüpfungspunkt für die völkerrechtliche Zulässigkeit der extraterritorialen Jurisdiktionsausübung hier das aktive Personalitätsprinzip.82 Völkerrechtlich unzulässig und damit rechtlich unmöglich wäre es dagegen, Handlungspflichten solchen privaten Akteuren aufzuerlegen, die nicht staatsan- oder -zugehörig sind, selbst wenn es sich dabei um Tochterunternehmen heimatstaatlicher Konzerne handelt, denn dann mangelt es 79 80 81 82
Abschnitt C. III. 2. b). Abschnitte C. III. 2. b) cc) (2) und (3). So auch: Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (190). Abschnitt C. III. 2. b) bb) (2).
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
an einem notwendigen Anknüpfungspunkt83. Ein im Gaststaat gegründetes Tochterunternehmen kann allenfalls mittelbar im Rahmen der Leistungsmacht des heimatstaatlichen Mutterkonzerns mit Pflichten belegt werden, die indirekt auf die Menschenrechtskonformität des Tochterunternehmens hinwirken.84 Dies aber betrifft auch nur die Verhaltenslenkung eigener Unternehmen und ergibt für die vorliegende Abhandlung keinen Unterschied. Die Pflicht zur Verhaltenslenkung ist also streng an die Eigenschaft der Heimatstaatlichkeit des handelnden Akteurs geknüpft. Der indirekte Export etwa, bei der Zwischenschaltung eines ausländischen Absatzmittlers, kann daher nur für jenes Verhalten menschenrechtlich überformt werden, dass auch das eigene Unternehmen selbst vornimmt. Die Pflicht des Heimatstaates, menschenrechtskonforme Verhaltenspflichten seinen eigenen Unternehmen aufzuerlegen, erfährt an dieser Stelle also eine Grenze und kann auch darüber hinausgehend nicht gefordert werden. Die Erfüllung der zweiten – hinreichenden – Bedingung für die Zulässigkeit der extraterritorialen präskriptiven Jurisdiktion, also das überwiegende Interesse des Heimatstaates, hängt wesentlich davon ab, in welchem Gaststaat das Vorhaben der Unternehmen verwirklicht werden soll.85 Unbedenklich sind diejenigen Fälle, in denen eine kongruente Verhaltenspflicht im Gaststaat existiert, denn dann besteht kein Interessenwiderstreit.86 Existiert sie nicht, so ist zu differenzieren: Hat der Gaststaat keine korrelierende Schutzpflicht, so muss das Interesse des Heimatstaates an der Auferlegung von Handlungspflichten (der Schutz der Menschenrechte) gegenüber einem etwaig entgegenstehenden Interesse des Gaststaates (meist ein wirtschaftliches) überwiegen. Die Interessenabwägung des Heimatstaates ist zwingend erforderlich und setzt die Berücksichtigung sämtlicher relevanter Interessen des Gaststaates voraus. Dies kann zwar nur im Einzelfall abschließend geklärt werden, aber, wie bereits dargelegt87, muss die hohe Hürde des Interesses am Menschenrechtsschutz zunächst einmal übertroffen werden. Handelt es sich dagegen um einen Gaststaat, der eine korrelierende Schutzpflicht hat, so überwiegt das Interesse am Menschenrechtsschutz pauschal, wenn der Gaststaat seine Pflichten nicht erfüllt, und die Auferlegung von Handlungspflichten ist für diesen Staat grundsätzlich unbedenklich, ohne dass der Heimatstaat sich weiter rechtfertigen müsste.
83 Die dargelegten Ansätze zur Erweiterung der Anknüpfungspunkte durch etwa das Wirkungs- oder Universalitätsprinzip sind nicht auf die Erfüllung menschenrechtlicher Pflichten auszudehnen, Abschnitt C. III. 2. b) bb) (4). 84 Abschnitt C. III. 2. b) bb). 85 Abschnitte C. III. 2. b) cc) (2) und (3). 86 Daneben ist ein Staat auch dann nicht zum Handeln verpflichtet, wenn der Gaststaat seinen, den extraterritorialen Schutzpflichten korrelierenden Pflichten nachkommt, denn dann entsteht keine Gefahrenlage, vgl. Abschnitt C. II. 2. b). 87 Abschnitt C. III. 2. b) cc) (2) (c) (cc).
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Regelmäßig wird es möglich sein, das Verhalten eigener staatszugehöriger Unternehmen extraterritorial zu lenken und auf ein menschenrechtskonformes Verhalten hinzuwirken. Das heißt: Der Heimatstaat hat die völkerrechtliche Möglichkeit und damit zugleich die Pflicht im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung, prognostizierte Risiken durch die Auferlegung von Handlungspflichten zu mindern und mit Sanktionen zu belegen. Welches Mittel hierbei gewählt wird, liegt im Ermessen des Staates und soll daher nicht allgemein beantwortet werden. Nahe liegt es aber als Minimum, die Förderung von einem menschenrechtstreuen Verhalten abhängig zu machen. d) Einrichtung eines Beschwerdemechanismus für potenziell Betroffene Eine weitere zentrale Forderung im Rahmen des Diskurses um die menschenrechtliche Ausgestaltung der Außenwirtschaftsförderung ist die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus für Personen, deren Menschenrechte durch Unternehmen der Heimatstaaten bedroht oder beeinträchtigt werden.88 Eine solche wird vom Menschenrechtsvölkerrecht explizit gefordert. Einmal schreibt Art. 2 Abs. 3 lit. a IPbpR bereits vor, dass Individuen bei Verletzung der Paktrechte ein Möglichkeit haben müssen, eine wirksame Beschwerde einzulegen. Überdies stellt der HRC unzweideutig in seinem prominenten General Comment No. 31 fest: „States Parties must ensure that individuals also have accessible and effective remedies to vindicate those rights.“ 89 Diese allgemeine Forderung, ein Rechtsmittel bereitzustellen, wird weiter konkretisiert: „Administrative mechanisms are particularly required to give effect to the general obligation to investigate allegations of violations promptly, thoroughly and effectively through independent and impartial bodies.“ 90 Auch in anderen General Comments geht der HRC von der Pflicht zur Bereitstellung bestimmter Beschwerdemechanismen aus.91 Der UN-Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte, Ruggie, leitet gerade im Zusammenhang mit extraterritorialem unternehmerischen Verhalten aus der Gesamtschau solcher Entscheidungen eine eigenständige Pflicht zur Einrichtung von Beschwerdemechanismen her und konkretisiert deren Ausgestaltung inhaltlich dahingehend, dass ein solches Verfahren „legitimate, accessible, predictable, equitable, rights-compatible“ und „transparent“ sein muss.92
88 Scheper/Feldt, Außenwirtschaftsförderung und Menschenrechte, S. 62; Spieß, ZfMR 2 (2009), S. 66 (76). 89 HRC, General Comment No. 31, Rn. 15. 90 HRC, General Comment No. 31, Rn. 15. 91 HRC, General Comment No. 16, Rn. 10–11; HRC, General Comment. No. 20, Rn. 14. 92 Ruggie, UN. Doc. A/HRC/14/27, Rn. 94.
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
Auch die Erfüllung einer solchen Pflicht hat sich aber an der völkerrechtlichen Jurisdiktionsdogmatik zu orientieren, wonach vor allem exekutives extraterritoriales Handeln nicht ohne einen Duldungs- oder Zustimmungsakt des Gaststaates möglich ist. Deutsche Außenvertretungen etwa könnten nur sehr beschränkt im Rahmen des diplomatischen und konsularischen Verkehrs handeln und nicht etwa auch zusätzlich Beschwerden entgegennehmen, wenn dies nicht im Rahmen ihres völkerrechtlichen Handlungsspielraumes liegt. Dagegen sind intraterritoriale Beschwerdeverfahren, bei denen auch Beschwerden von extraterritorialen Personen möglich sind, jurisdiktionell bedenkenlos möglich, denn geschaffen wird lediglich ein Mehr an Rechten für die Betroffenen. Dass ein solches Instrument im Zusammenhang mit dem extraterritorialen Menschenrechtsschutz nicht gänzlich außergewöhnlich ist, sondern auch tendenziell von den Staaten als zweckmäßig und machbar erachtet wird, zeigt die Einrichtung der Nationalen Kontaktstellen (NKS) für Verletzungen der OECD-Leitsätze durch Multinationale Unternehmen. Danach können sich Betroffene an die NKS wenden, wenn sie durch ein Verhalten der in Frage stehenden Unternehmen beeinträchtigt sind und dieses Verhalten gegen die OECD-Leitsätze verstößt. Auch wenn die Umsetzung der NKS in den OECD-Staaten unterschiedlich verläuft und es ihr häufig an Effektivität mangelt, könnte für die Fälle der Außenwirtschaftsförderung ein entsprechender Mechanismus geschaffen werden bzw. bestehende Mechanismen erweitert werden. Allerdings müsste auch dieses Mittel zur Erfüllung der Schutzpflichten effektiv gestaltet sein, das heißt: Der Beschwerdemechanismus müsste allgemein zugänglich, transparent und durchsetzungsfähig sein. Unzulässig wäre es danach, wenn etwa die gleichen Organe, die das Förderverfahren betreiben, auch entsprechende Beschwerden entgegennähmen. 2. Pflichten bei Durchführung des geförderten Vorhabens a) Kontroll- und Beobachtungspflichten Eine vielfach geforderte93 Pflicht, die geförderten Unternehmen bei Durchführung ihres Vorhabens zu beobachten und zu kontrollieren, ergibt sich nicht ausdrücklich aus den Verträgen, sie wird aber gerade auch mit Blick auf Unternehmen im Rahmen von intraterritorialen Sachverhalten von den Menschenrechtsgremien mehrfach angenommen. Die Pflicht zum „Monitoring“ wird oftmals allgemein beim Unterpflichtenprogramm zur Erfüllung von Schutzpflichten genannt.94 So sollen beispielsweise Unternehmen zum Schutz indigener Völker bei 93 Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Report No. III, Rn. 54 ff.; Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 505 f.; Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 32, m.w. N. 94 HRC, General Comment No. 16, Rn. 24; CRC, General Comment No. 7, Rn. 32.
II. Rechtsfolgen für die Außenwirtschaftsförderung
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industriellen Großprojekten staatlich überwacht werden.95 Auch müsse mittels Überwachung sichergestellt werden, dass keine Kinderarbeit in Unternehmen erfolgt.96 Allgemein sollten Unternehmen nach Auffassung der Menschenrechtsgremien in ihren Verhaltensweisen stichprobenartig kontrolliert werden.97 Auf die Frage, welche Institutionen solche Kontrollen durchführen sollen, werden nationale Menschenrechtsinstitutionen als Beauftragte für die Überwachung von Menschenrechtssituationen auch zwischen privaten Akteuren genannt.98 Insgesamt scheint gerade bei besonderen Gefahren von den Menschenrechtsgremien eine erhöhte Kontrollpflicht angenommen zu werden. Nicht immer wird diese beim Namen genannt, sondern oft nur implizit damit begründet, dass ein Unterlassen eine Pflichtverletzung im Sinne der Konventionen begründet. Eine solche setzt aber eine Überwachungspflicht denklogisch voraus. Dass die Kontrolle und Beobachtung effektiv den Schutz der Menschenrechte gewährleisten kann, kann unterstellt werden. Dass es eine etablierte Sorgfaltspflicht ist, belegen die zahlreichen Forderungen der Menschenrechtsgremien. Der Übertragbarkeit einer solchen Pflicht auf extraterritoriale Schutzpflichten und auf den Fall der Außenwirtschaftsförderung steht aber die große Hürde der jurisdiktionellen Beschränkungen gerade im Hinblick auf exekutives Handeln entgegen. Stimmt der Gaststaat einer Kontrolle zu, duldet er diese oder wird das extraterritoriale Gebiet effektiv vom Heimatstaat kontrolliert, so ist auch die exekutive Kontrolle durch den Heimatstaat problemlos möglich und damit auch gefordert. Ein exekutives Handeln gegen den Willen des Gaststaates ist dagegen nicht möglich, auch wenn dies den Menschenrechtsschutz und heimatstaatliche Unternehmen betrifft. Dies schließt nicht aus, Mittel zur Überwachung und Kontrolle von extraterritorial agierenden Unternehmen zu verwenden, die nicht auf jurisdiktionelle Grenzen stoßen. So könnte es etwa erforderlich sein, den Unternehmen bei besonders bedenklichen Vorhaben eine regelmäßige Rechenschaftspflicht aufzuerlegen, so dass eine Kontrolle aus der Ferne möglich wird. Solche Berichtspflichten könnten dann etwa mittels der Kooperation mit auswärtigen Vertretungen des Heimatstaates durchgesetzt werden. Denkbar ist auch, dass bei einer spontanen Kenntniserlangung von einer drohenden Gefährdungslage auch ad hoc eine Berichtspflicht auferlegt wird. Wie dies im Einzelnen auszugestalten ist, ob die Kontrolle und Überwachung vertraglich, gesetzlich oder sonst wie institutio95 HRC, General Comment No. 23, Rn. 7; CERD, Concluding Observations, Suriname v. 28. April 2004, CERD/C/64/CO/9, Rn. 15. 96 HRC, Concluding Observations, Thailand v. 28. Juli 2005, CCPR/CO/84/THA, Rn. 21. 97 HRC, General Comment No. 16, Rn. 10; so auch: Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Report No. III, Rn. 57; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 244. 98 CESCR, General Comment No. 16, Rn. 19, 38; CESCR, General Comment No. 15, Rn. 28 i; auch: CRC, General Comment No. 2, Rn. 9.
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nalisiert wird und welchen Umfang und welche Form diese annehmen, liegt im Ermessen des Staates und kann auch hier nicht allgemein beantwortet werden. b) Der Förderungsabbruch als spezielle Sanktion Zentral stellt sich die Frage, ob der Heimatstaat spätestens dann verpflichtet ist, die Förderung zurückzunehmen, wenn eine menschenrechtswidrige Situation aufgrund des geförderten Vorhabens im Gaststaat entsteht oder unmittelbar droht. Das sich mit der Außenwirtschaftsförderung beschäftigende Schrifttum fordert die Rücknahme der Förderung als mindeste Handlung zugunsten der Menschenrechte.99 Dass dieses Mittel geeignet sein kann, die Gefahren eines Vorhabens zu mindern, zumindest so weit die unternehmerische Beteiligung reicht, haben die Fälle zum Ilisu-Staudammprojekt eindrücklich gezeigt, denn nach Rücknahme der Förderungshandlung haben die Unternehmen ihre dortige Tätigkeit beendet. In den meisten Fällen ist die staatliche Förderung die conditio sine qua non für ein Vorhaben und ist daher besonders geeignet zur Eindämmung von Gefährdungslagen, die gerade von einem solchen Projekt ausgehen. Das Beispiel zeigt auch, dass die Rücknahme ein einfacher Weg ist, eine drohende oder andauernde Gefahrenlage zu verringern, denn die Kündigung des Fördermittels ist mit wenig Aufwand verbunden. Hier zeigt sich die vertragsrechtliche Notwendigkeit, die Bürgschaft, Garantie oder Versicherung unter der Bedingung des menschenrechtskonformen Verhaltens zu vergeben, also bestimmte Handlungspflichten aufzuerlegen bzw. die Förderungsgewährung von einem menschenrechtskonformen Handeln abhängig zu machen, denn andernfalls wäre die Rücknahme jedenfalls vertragsrechtlich nicht ohne Weiteres möglich.100 Eine völlig vorbehaltlose Förderung stellt jedenfalls eine Pflichtverletzung im Rahmen des extraterritorialen Menschenrechtsschutzes dar. Der Zusammenhang zwischen den vorgenannten Pflichten zur Risikoprognose, zur Auferlegung von menschenrechtlichen Standards und zur Kontrolle und Überwachung des unternehmerischen Vorhabens zeigt sich an dieser Stelle: Wenn eine prognostizierte Gefahr durch bestimmte Handlungspflichten der Unternehmen gemindert werden soll und sich aufgrund der Kontrolle ergibt, dass den Auflagen zuwidergehandelt wird, kann durch einen Förderungsabbruch derjenige Gefahrenanteil gemindert werden, den der Heimatstaat durch seine Förderung beigebracht hat. 99
Vgl. Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 188. Eine andere – aber hier nicht eingehender zu behandelnde – zivilrechtliche Frage ist, ob nach Verletzung dieser Pflicht nicht bereits der Bürgschaftsvertrag nach § 134 BGB unwirksam ist, denn eine Vertragspartei – nämlich der Staat – könnte ein Verbotsgesetz – nämlich seine Menschenrechtspflichten – verletzen. Eine Rücknahme wäre dann (sofern keine Auszahlung erfolgt ist) grundsätzlich auch nicht mehr erforderlich, denn die Unwirksamkeit führt zur Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages. 100
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Einer solchen Pflicht kommt aber auch gerade deswegen besondere Bedeutung zu, weil ihre Erfüllbarkeit nicht auf jurisdiktionelle Grenzen stößt. Ein Staat bleibt nach wie vor Herr seiner eigenen Förderung, auch wenn er sich für etwas verbürgt, das außerhalb seines territorialen Einflussbereichs liegt. Der Staat könnte, folgte man einer gegenläufigen Auffassung, niemals seinen Bürgschaftsvertrag kündigen, wenn er ein Auslandsvorhaben absichern soll. Die völkerrechtliche Jurisdiktionsordnung kann alleine schon aus diesem Grunde nicht gegen die Pflicht zur Rücknahme einer Förderung sprechen. Vereinzelt wird zwar die Rücknahme als rein intraterritoriales Handeln und daher ohnehin jurisdiktionell belanglos angesehen.101 Die Beantwortung dieser Frage kann aber offen bleiben, denn sprächen auch grundsätzlich die jurisdiktionellen Regeln gegen die Rücknahme der Förderungshandlung, so müsste hier eine Bereichsausnahme gelten, denn aus der allgemeinen völkerrechtlichen Zulässigkeit der Außenwirtschaftsförderung folgt vielmehr im Umkehrschluss die Zulässigkeit der Rücknahme des Fördermittels.102 Die Pflicht, eine Außenwirtschaftsförderung im Falle einer sich verdichtenden Gefährdungslage zurückzunehmen, ist damit grundsätzlich möglich und gefordert und stellt eine zentrale Menschenrechtspflicht dar. c) Keine physische Schutzgewährung bei extraterritorialen Schutzpflichten Eine klassische Schutzmaßnahme im Rahmen von Schutzpflichten ist, bei einer entsprechend zugespitzten Gefahrenlage, die Gewährung physischen Schutzes. Intraterritorial ist dies eine Grundpflicht, die beispielhaft durch Schutzmaßnahmen der Polizei erfüllt werden soll, wenn eine entsprechende Gefahr droht.103 Extraterritorial stößt eine solche Erfüllungshandlung aber an klare Grenzen. Handelt es sich um extraterritoriale Schutzpflichten, die dadurch begründet werden, dass ein Staat selbst extraterritorial handelt, also etwa weil er effektive Gebiets-, Personen-, oder Sachkontrolle innehat, so ist die physische Schutzgewährung zulässig und damit auch je nach Einzelfall eine denkbare Unterpflicht. Dass diese exekutive Handlung dann auch etwa im Falle einer völkerrechtswidrigen Besetzung nicht die Souveränität des Gaststaates verletzt, wurde bereits erläutert.104 In den Fällen, in denen ein Staat gerade nicht die extraterritoriale Kontrolle innehat, gestaltet sich die völkerrechtliche Beurteilung schwieriger.105 Die terri101
Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (190). Für die dabei möglicherweise mitverwirklichte extraterritoriale Verhaltenslenkung aufgrund des sanktionierenden Charakters eines drohenden Förderungsabbruchs gilt das im Abschnitt D. II. 1. c) Gesagte. 103 Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 232. 104 Abschnitt C. III. 2. c) bb) (2). 105 Allgemein dazu: Abschnitt C. III. 2. c). 102
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
toriale Souveränität des Gaststaates verbietet es grundsätzlich, dass sich der Heimatstaat zur physischen Schutzgewährung auf sein Territorium begibt. Unabhängig von der Durchführbarkeit und der Mittelverfügbarkeit für ein solches Handeln kann eine Ausnahme nur dann vorliegen, wenn der Gaststaat einem extraterritorialen Handeln des Heimatstaates in seinem Territorium zustimmt oder dies duldet. Eine solche Zustimmung oder Duldung wird selten anzunehmen sein, bedenkt man die häufig vorliegende Kollusion zwischen Unternehmen und Gaststaat. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt das dann einmal zulässige Handeln so weit, dass es auch hier einer entsprechend zugespitzten Situation bedürfte und die Schutzhandlung damit nur im absoluten Ausnahmefall zum Tragen käme. Eine Last des Heimatstaates, sich im Rahmen diplomatischer Beziehungen im Einzelfall um den Schutz der extraterritorial Betroffenen zu bemühen, ist daneben freilich nicht ausgeschlossen. Die Pflicht, physischen Schutz zu gewähren, ist keine zentrale Pflicht im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung und kann allenfalls in Ausnahmefällen begründet werden. 3. Kurative Pflichten Ist die Verhütung einer Menschenrechtsbeeinträchtigung erfolglos geblieben, schlagen die Pflichten nach überwiegender Auffassung in solche um, die auf die Wiederherstellung des betroffenen Rechts hinwirken.106 Statt der mit einem Unsicherheitsfaktor behafteten Prognose einer drohenden Beeinträchtigung107 steht nun die Möglichkeit bereit, Klarheit zu schaffen und entsprechendes Verhalten nachträglich abzuurteilen. Auch wenn die Schutzpflichten sinngemäß nur die Prävention und die Abwehr von Menschenrechtsbeeinträchtigungen betreffen, so geht doch zu Recht die überwiegende Auffassung von der Existenz solcher Kurationspflichten aus, die sich auch aus Schutzpflichten herleiten lassen.108 Eine Brücke zu den Schutzpflichten lässt sich jedenfalls insoweit begründen, als die nachträglichen Mittel neben ihrer repressiven Funktion meist auch eine präventive Funktion haben. Das general- und spezialpräventive Element einer Aburteilung rechtfertigt es beispielsweise, solche Pflichten dogmatisch aus den Schutzpflichten abzuleiten und sie deshalb zu dem Unterpflichtenprogramm zählen zu können. Lässt sich dagegen einer denkbar geforderten Maßnahme kein Präventionselement entnehmen,
106
Kälin/Künzli, The Law of International Human Rights Protection, S. 109. Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 248. 108 Mit dem Verweis auf die bereits in der Einleitung im Abschnitt D. II. angesprochene Rechtsprechung des IAGMR: Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 124 f. Bernhardt, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 207; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 234. 107
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so ist fraglich, ob diese strukturell überhaupt aufgrund der Schutzpflichten gefordert werden kann. Darauf soll an gegebener Stelle näher eingegangen werden. a) Untersuchungspflichten Die Pflicht, nach erfolgter Menschenrechtsbeeinträchtigung die Wahrheit zu ermitteln, ist bei extraterritorialen Sacherhalten besonders problematisch.109 Gemeint sind die Aufklärung und die Ermittlung von menschenrechtswidrigem Verhalten privater Akteure. Dies ist nicht zwingend eine vorgelagerte Pflicht zur Aburteilung, denn wie viele Entscheidungen der Menschenrechtsgremien verdeutlichen, ist die Wahrheitsermittlung eine in sich geschlossene Pflicht.110 Die Wahrheitsermittlung dient insofern der Prävention, als sie das Unrecht veranschaulicht, eine Abschreckung bewirken kann und Ansatzpunkt für Verbesserungen darstellt. Die Pflicht dazu lässt sich also aus den Schutzpflichten ableiten. Im intraterritorialen Zusammenhang wird die Pflicht zur unabhängigen und öffentlichen Wahrheitsermittlung als eine Grundpflicht im Rahmen des Menschenrechtsschutzes angesehen.111 In einer grundlegenden Äußerung in der Concluding Observation zu den USA verlangt der HRC die Aufklärung bestimmter Foltersachverhalte auf Guantanamo Bay und kritisiert den Mangel an „independence, impartiality, effectiveness of investigations“ 112. Etwas allgemeiner und die Ermittlung voraussetzend, aber umso klarer, fordert er im General Comment No. 31: „Investigations should be carried out promptly, thoroughly, affectively through independent and impartial bodies.“ 113 Auch der EGMR geht von der Existenz einer solchen Untersuchungspflicht aus114 und betont, dass es nicht darauf ankomme, ob es sich um staatliche oder private Verletzungen der Rechte handelt.115
109
So sieht es auch: Ruggie, UN Doc. A/HRC/14/27, Rn. 108. HRC, General Comment No. 31, Rn. 8. 111 HRC, General Comment No. 31, Rn. 8; Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Report No. III, Rn. 44 ff.; Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 62 ff.; Bernhardt, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 207. Bezogen auf den IPwskR: Coomans, Some Remarks On the Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 193; Dröge, Positive Verpflichtungen der Staaten in der EMRK, S. 64. 112 HRC, Concluding Observations US v. 18. Dezember 2006, CCPR/C/USA/CO/3/ Rev.1 Rn. 14. 113 HRC, General Comment No. 31, Rn. 15. 114 EGMR: Urteil v. 4. Mai 2001, Shanghan vs. UK, Rn. 80 ff.; Urteil v. 10. Mai 2001, Z and Others vs. UK, Rn. 109; Urteil v. 26. November 2002, E and Others vs. UK, Rn. 88. Im extraterritorialen Kontext: EGMR, Urteil v. 21. November 2001, AlAdsani vs. UK, Rn. 38. 115 EGMR, Urteil v. 2. September 1998, Yasa vs. Turkey, Rn. 100 „to carry out an effective investigation“. 110
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Eine starke Eingrenzung erfährt die Pflicht zur Wahrheitsermittlung aber dann, wenn es sich um extraterritoriale Sachverhalte handelt. Die völkerrechtliche Grenze der territorialen Souveränität des Gaststaates begrenzt die Fähigkeit und damit auch den Erfüllungsrahmen der extraterritorialen Schutzpflichten insoweit, als der Gaststaat einer Untersuchung nicht zustimmt oder sie duldet.116 Lehnt er fremdstaatliche Aufklärungsmaßnahmen ab, so beschränkt sich die Erfüllung der extraterritorialen Schutzpflichten auf intraterritoriale Maßnahmen, wie etwa die internen Ermittlungen im Unternehmen, die Befragung der Beteiligten etc. Die jeweils geeignete Maßnahme kann nur im Einzelfall gefunden werden und wird zudem freilich – wie stets – durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen sind damit umfassende Ermittlungsarbeiten nicht ausgeschlossen. Damit hat der Staat nach erfolgter Beeinträchtigung der Menschenrechte, so weit die Möglichkeit reicht und sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, die Pflicht, die Beeinträchtigung zu untersuchen. b) Sanktionierung extraterritorialen menschenrechtswidrigen Verhaltens privater Akteure Das schärfste Schwert der staatlichen Sanktion gegenüber Individuen stellt die strafrechtliche Aburteilung dar. Aus diesem Grund unterliegt sie besonders strengen Anforderungen im Rahmen des dem Individuum gegenüber geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Im Ergebnis wird eine Pflicht zur Bestrafung nur für besonders schwerwiegende Eingriffe in menschenrechtlich geschützte Freiheiten gelten können. Dass diese Unterpflicht auch zur Erfüllung der präventionsgeprägten Schutzpflichten herangezogen werden kann, belegt der general- und spezialpräventive Zweck der Strafe. Unschädlich ist dabei, dass die Strafe auch Nebenzwecke, wie etwa die persönliche Genugtuung des Opfers, haben kann, denn das präventive Element wird dadurch keineswegs gemindert. Die Pflicht, schwerwiegende Eingriffe unter Strafe stellen zu müssen, ist unumstritten.117 Vereinzelt finden sich ausdrücklich strafrechtliche Aburteilungspflichten in den Verträgen selbst, so etwa in Art. 4 UN-Anti-FoK. Für den Fall des IPbpR wird eine solche Pflicht eindeutig für Beeinträchtigungen der durch 116
Abschnitt C. III. 2. c). HRC, General Comment No. 31, Rn. 8; Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Report No. III, Rn. 44 ff.; Seck, YHRDLJ 11 (2008), S. 177 (201); Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 233; Ruggie, UN Doc. A/HRC/14/27, Rn. 103 ff.; Coomans, Some Remarks On the Extraterritorial Application of the ICESCR, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application, S. 193; Sepulveda, IJHR 13 (2009), S. 86 (91). 117
II. Rechtsfolgen für die Außenwirtschaftsförderung
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Art. 7 IPbpR geschützten Freiheiten angenommen.118 Auch die Äußerungen der Menschenrechtsgremien beziehen sich auf die strafrechtliche Aburteilung, wenn sie davon sprechen, der Staat müsse administrative und legislative Sanktionen für menschenrechtswidriges privates Verhalten erlassen.119 Der HRC und der EGMR sprechen sich daneben stets klar für strafrechtliche Sanktionen bei der Beeinträchtigung bestimmter Rechte aus und verurteilen die Straflosstellung als paktbzw. konventionswidrig.120 Ein materieller Grundkonsens besteht darin, dass eine strafrechtliche Sanktionierungspflicht immer dann geboten ist, wenn insbesondere das Recht auf Leben, das Folterverbot, das Verbot unmenschlicher Behandlung und das Recht auf Privatleben betroffen sind.121 Für den Fall der Außenwirtschaftsförderung kommt neben der individuellen strafrechtlichen Aburteilung der handelnden Personen auch eine Sanktionierung der Unternehmen in Betracht, dann aber freilich mangels Straffähigkeit von Personenmehrheiten, jedenfalls nach deutschem Strafrecht, nur in anderer Form, beispielsweise durch die Auferlegung von Bußgeldern. Das (Menschenrecht-)Völkerrecht gibt damit nicht vor, wie eine konkrete Sanktion ausgestaltet sein muss, sondern nur, dass sie erfolgen und zur Prävention von Menschenrechtsbeeinträchtigungen beitragen muss. Im Rahmen von extraterritorialen Schutzpflichten ergibt sich die Besonderheit, dass der Erlass von sanktionierenden Gesetzen eine Verhaltenslenkung des sich rechtstreu verhaltenden Individuums bewirkt und der Heimatstaat damit über die Präskription seine Jurisdiktion im Gaststaat ausübt.122 Die Reichweite der Zulässigkeit dieser Verhaltenslenkung und der Aufnahme von Ermittlungsmaßnahmen wurde bereits ausführlich dargestellt. An diesen Maßstäben hat sich der Erlass der extraterritorial wirkenden Gesetze zu orientieren. Im Ergebnis kann hier festgehalten werden, dass im Regelfall ein menschenrechtsschützendes Gesetz nicht auf jurisdiktionelle Bedenken stößt. Nur in absoluten Ausnahmefällen muss der Heimatstaat seine Jurisdiktion zurücknehmen, nämlich dann, wenn der Gaststaat ein dem Menschenrechtsschutz überwiegendes Interesse vorweisen kann. Die Durchsetzung der Gesetze, also die Aburteilung aufgrund extraterritorial verwirklichten Unrechts stößt, da sie im heimatstaatlichen Territorium erfolgt, auf keine völkerrechtlichen Bedenken. 118 Analyse von: Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Report No. III, Rn. 73 ff.; auch: HRC, General Comment No. 20 Rn. 13. 119 Vgl. Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, 2007, Rn. 50. 120 HRC, General Comment No. 31, Rn. 18. EGMR, Urteil v. 28. Oktober 1998, Osman vs. UK, Rn. 115; EGMR, Urteil v. 26. März 1985, X und Y vs. Niederlande, Rn. 27. 121 Vgl. Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität, S. 233, m.w. N.; HRC, General Comment No. 6/16, Rn. 13; HRC, General Comment No. 16/32, Rn. 9, im Hinblick auf Art. 17 IPbpR. 122 Abschnitt C. III. 2. b).
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
Im Zusammenhang mit der Außenwirtschaftsförderung – und gewiss auch allgemein, soweit eine entsprechende Garantenstellung besteht – ist es daher erforderlich, schwerste menschenrechtliche Beeinträchtigungen zu sanktionieren und neben der individuellen Aburteilung auch Zwangsmaßnahmen gegen Unternehmen zu richten. Die bereits als zentrale Pflicht analysierte Einstellung der Förderung aufgrund einer menschenrechtlichen Gefährdung ist hierbei nur ein Minimum. Welche Sanktion aber im Einzelnen getroffen werden kann, hängt stark vom Einzelfall ab und unterliegt zudem dem staatlichen Ermessensspielraum. c) Pflicht zur Bereitstellung von Mitteln zur Schadenskompensation Auch wenn die Pflicht zur Wiedergutmachung, etwa in der Form des Schadensersatzes oder Schmerzensgeldes, oftmals als Selbstverständlichkeit im Zusammenhang mit erfolgten Menschenrechtsbeeinträchtigungen angenommen wird, so ist sie vor dem Hintergrund des von den Schutzpflichten vorausgesetzten Präventionselements nicht offensichtlich gefordert. Unproblematisch sind auch hier diejenigen Mechanismen der Wiedergutmachung, die ohnehin eine strafende Funktion (mit-)bezwecken – so etwa der Strafschadensersatz im angloamerikanischen Rechtsraum. Eine Präventionsfunktion steht in der deutschen Rechtsordnung dagegen eher im Hintergrund. Dennoch kann auch hier eine Präventionswirkung nicht gänzlich abgesprochen werden, denn das allgemeine Risiko zivilrechtlich zu haften hat stets eine abschreckende Wirkung, auch wenn primär ein Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem erfolgen soll. Dass die Prävention dogmatisch bei der Pflicht zur Wiedergutmachung im Rahmen des völkerrechtlichen Diskurses im Vordergrund stehen müsste, wird aber nicht immer hinreichend deutlich gemacht, denn oftmals wird schlicht nur von Wiedergutmachung im Hinblick auf die Opfer-Rehabilitierung gesprochen. Letztlich genügt es jedoch – dies ist aber zugleich auch als Minimum erforderlich – wenn eine Abschreckungswirkung von dem Haftungsrisiko ausgeht und damit dem Präventionserfordernis hinreichend Rechnung getragen wird. Die überwiegende Auffassung geht ohne nähere Begründung davon aus, dass eine solche Pflicht besteht.123 Diejenigen, die sich um eine konkrete Begründung der Wiedergutmachungs-Pflicht bemühen, verfolgen unterschiedliche Ansätze. Vereinzelt wird das Erfordernis der Wiedergutmachung aus dem Recht auf ein faires Verfahren (so etwa Art. 6 EMRK) hergeleitet, wobei eine nähere Erläute123 Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Report No. III, Rn. 44 ff.; Ruggie, UN Doc. A/HRC/14/27, Rn. 82 ff.; Gibney, International Human Rights Law, S. 116 ff.; Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 511; Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 314; Ress, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty Protect, S. 196.
II. Rechtsfolgen für die Außenwirtschaftsförderung
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rung unterbleibt. Ferner müsse eine Privatperson sich gegen Eingriffe eines anderen privaten Akteurs zivilrechtlich wehren können.124 Der HRC leitet dagegen eine solche Pflicht aus dem in Art. 2 Abs. 3 IPbpR niedergelegten Beschwerderecht ab.125 Der Gedanke, dass eine Beschwerde ohne korrelierendes materielles Institut wenig Sinn ergebe, sei zur Begründung der Wiedergutmachung heranzuziehen. Er führt zur näheren Ausgestaltung eine Reihe von Wiedergutmachungsinstrumenten auf,126 überlässt die Ausgestaltung und Wahl der Mittel aber den Vertragsparteien. Auch der EGMR begründet mehrmals entsprechende Pflichten.127 Soweit aber ein Schadensersatzanspruch aus Schutzpflichten hergeleitet werden soll, kann sich seine Herleitung nur aus dem Gedanken der Schutzpflichten bzw. dem Erfordernis der Effektivität des Menschenrechtsschutzes allgemein ergeben.128 Ist die Abschreckung durch ein Haftungsrisiko geeignet, Menschenrechtsbeeinträchtigung zu unterbinden, so kann dies auch eine erforderliche Unterpflicht darstellen, insbesondere wenn sich etwa die strafrechtliche Sanktionsandrohung als unverhältnismäßig erweist. Die Effektivität erfordert überdies die Durchsetzbarkeit etwaiger Forderungen.129 Überträgt man nun die Pflicht auf extraterritoriale Sachverhalte, so ergeben sich einige Besonderheiten. Auch wenn vereinzelt der an sich konsequente Schluss gezogen wird, dass Schadensersatzansprüche, die intraterritorial gelten, auch extraterritorial gelten müssten130 und auch der prozessuale Zugang zu Gerichten als unproblematisch angesehen wird,131 muss den völkerrechtlichen Besonderheiten Beachtung geschenkt werden. Wenn extraterritorialen Personen da-
124 Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 237. 125 HRC, General Comment No. 31, Rn. 16. 126 „Restitution, rehabilitation and measures of satisfaction, such as public apologies, public memorials, guarantees of non-repetition and changes in relevant laws and practices, as well as bringing to justice perpretators“, HRC, General Comment No. 31, Rn. 16. 127 Vgl. EGMR: Entscheidung v. 21. November 1995, Valeso Barreto vs. Portugal; Entscheidung v. 20. April 1993, Sibson vs. UK; Entscheidung v. 25. April 1996, Gustaffson vs. Schweden; Entscheidung v. 14. August 1981, Young, James and Webster vs. UK. 128 So als Hilfserwägung auch: Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 237. Ähnlich: Klein, The Duty to Protect, in: Klein, The Duty to Protect, S. 314. 129 Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz, in: Konrad, Grundrechtsschutz, S. 237. HRC, General Comment No. 31, Rn. 20; Ruggie, State Responsibility to Regulate and Adjudicate, Report No. III, Rn. 81 f. 130 Sornarajah, Linking State Responsibility, in: Craig, Torture as Tort, S. 511; Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 116. 131 Zerk, Multinationals and Corporate Social Responsibility, S. 195.
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
gegen ein Mehr an Rechten angeboten wird, so gilt das oben Gesagte.132 Eine solche Erweiterung ihrer Handlungsfreiheit stößt nicht auf völkerrechtliche Grenzen, da keines der jurisdiktionellen Prinzipien bzw. die dahinter stehende gaststaatliche Souveränität erkennbar beeinträchtigt sind. Nur insoweit, als die Einführung einer entsprechenden Klagemöglichkeit extraterritoriale Zustände spürbar beeinflusst, hat sich dieses Mittel an den jurisdiktionellen Einschränkungen zu orientieren. Diese gelten aber entsprechend der vorgenannten Ausführungen im Regelfall nicht für das Ziel des Menschenrechtsschutzes. Damit lässt sich abschließend festhalten, dass die Wiedergutmachung solange und soweit von den Schutzpflichten gefordert wird, wie ihr ein präventives Element anhaftet. Wann, für welche Menschenrechtsbeeinträchtigung, wie und in welchem Umfang ein Wiedergutmachungsanspruch entsteht, ist aber freilich auch hier Frage des Einzelfalls, denn dies ist abhängig von den extraterritorialen Besonderheiten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 4. Internationale Kooperationsschutz-Pflichten Schließlich kommen solche Pflichten in Betracht, die im Zusammenhang mit der internationalen Kooperation entstehen, auf die hier nur im Überblick eingegangen werden kann, da sie nicht zentraler Gegenstand dieser Bearbeitung sind. Wie bereits – insbesondere bei der Darstellung des Pflichtenrahmens des IPwskR133 – analysiert wurde, bestehen neben den individuellen Schutzpflichten auch regelmäßig extraterritoriale Schutzpflichten im Rahmen der internationalen Kooperation, sprich: Kooperationsschutzpflichten. Besondere Bedeutung gewinnen diese im Zusammenhang mit der Außenwirtschaftsförderung, denn eine Vielzahl der Standards im Rahmen der Förderungsvergabe und besonders im europäischen Kontext werden zwischen den Staaten vereinheitlicht. Grund ist das Bedürfnis, harmonisierte Vergabevoraussetzungen im internationalen Wettbewerb der Förderstaaten zu schaffen. Die Common Approaches der OECD sind dabei das prominenteste Beispiel.134 Welche Kooperationspflichten sich im Einzelnen ergeben, lässt sich in Ansätzen den Verträgen und den Entscheidungen der Menschenrechtsgremien entnehmen. So wird etwa neben den allgemeinen Kooperationspflichten in Art. 23 IPwskR explizit das Pflichtenelement genannt, dass internationale Maßnahmen etwa auch den Abschluss neuer völkerrechtlicher Übereinkommen mit einschließen können. Für Investitionsschutzabkommen bedeutet dies, dass grundsätzlich auch die Pflicht begründet werden kann, innerhalb solcher Verträge einen mög132
Abschnitt D. II. 1. d). Abschnitt B. I. 1. c). 134 Auf sie wird auch die Forderung zum kooperativen Schutz gerichtet: Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 32. 133
II. Rechtsfolgen für die Außenwirtschaftsförderung
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lichst weitgehenden Menschenrechtsschutz zu vereinbaren.135 Überdies kann es aber auch erforderlich sein, neue Übereinkommen zu schaffen. Dies muss daneben bei einem Handeln im Rahmen von internationalen Organisationen, wie etwa der Welthandelsorganisation, dem Internationalen Währungsfonds136 und vor allem auch bei Entwicklungsbanken gelten.137 Der EGMR äußert sich im Hinblick auf diese Pflichten grundsätzlich zurückhaltend. Im Allgemeinen nimmt er zwar die Existenz solcher Pflichten an, spricht aber dann von einem großen Ermessen, da auch die EMRK-Mitgliedsstaaten ein Interesse an akzeptablen Verhandlungsergebnissen für alle Vertragsparteien hätten. Die EMRK trete daher beschränkend zurück.138 Dies überzeugt, denn freilich kann ein Mitgliedsstaat nicht über einen völkerrechtlichen Vertrag dazu gezwungen werden, weitere Verträge einzugehen, dies unterläuft seine Souveränität. Daneben bestehen auch die individuellen Schutzpflichten weiterhin. Die sich aus Art. 23 IPwskR ergebende Pflicht zum Abschluss von Übereinkommen kann insoweit auch nur als Bemühungslast verstanden werden. Unzweideutig äußert sich auch der CESCR konkret gegenüber der BRD: „[. . .] the State party, as a member of international financial institutions, in particular the International Monetary Fund and the World Bank, [needs] to do all it can to ensure that the policies and decisions of those organizations are in conformity with the obligations of States parties to the Covenant, in particular the obligations contained in articles 2 (1), 11, 15, 22 and 23 concerning international assistance and cooperation.“ 139 Vor dem Hintergrund des grundsätzlich unbeschränkten Anwendungsbereichs des IPwskR kommt dieser Äußerung besondere Bedeutung zu. Beschränkt sind die geäußerten Anforderungen auch nicht auf Entwicklungsbanken, sondern sie betreffen sämtliches Handeln im Rahmen der internationalen Kooperation, denn der Wortlaut der genannten Normen differenziert auch nicht weiter. Damit kann festgehalten werden, dass auch im Rahmen internationaler Kooperation die Staaten nicht von ihren Menschenrechtspflichten befreit sind, sie den Schutz der Menschenrechte vielmehr auch im internationalen Rahmen parallel fördern müssen. In diesem Bereich kommt ihnen aber ein besonders großer Ermessensspielraum zu. 135 McCorquodale, ASIL Proceedings 100 (2006), S. 95 (100 f.); Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 30. 136 Weber, Die rechtliche und politische Dimension von extraterritorialen Staatenpflichten, S. 31 f. 137 Dazu: Hausmann, Germany’s Extraterritorial Human Rights Obligations in Multilateral Development Banks, S. 7 ff. 138 EKMR: Luck vs. Deutschland, Nr. 24928/94; Jüngling u. a. vs. Deutschland, Nr. 22353/93 (zum deutsch-polnischen Grenzvertrag). 139 CESCR, Concluding Observations, Germany v. 24. September 2001, E/C.12/1/ Add.68, Rn. 31 (Hervorhebung durch Bearbeiter).
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D. Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung
5. Zwischenergebnis Die sich aus den extraterritorialen Schutzpflichten ergebenden Anforderungen an die Außenwirtschaftsförderung können wie folgt zusammengefasst werden. Grundsätzlich gilt es bereits im Vorfeld der Förderung des unternehmerischen Vorhabens, staatlicherseits eine größtmögliche Sorgfalt zu wahren. Das Maß an Transparenz der Entscheidungsprozesse ist dabei so hoch zu bemessen, dass es der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit von menschenrechtlichen Gefährdungslagen dient, auch wenn diesem nicht nur durch Gesetz Rechnung getragen werden muss. Ein sog. Human Rights Impact Assessment ist daneben generell vor jeder Projektförderung gleich welcher Art durchzuführen. Im Einzelfall kann es daraufhin erforderlich sein, den Unternehmen ein bestimmtes extraterritoriales Handeln zum Schutz der Menschenrechte vorzuschreiben. Die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus für potenziell Betroffene kann daneben besonders effektiv zur Identifizierung und Prävention etwaiger menschenrechtlicher Gefahrenquellen beitragen. Bei Durchführung eines geförderten Projektes kann es je nach Risikograd des Vorhabens in unterschiedlichem Maße erforderlich sein, Kontrollen und Beobachtungen durchzuführen. Im äußersten Fall kann die Gefahrenminderungspflicht dazu führen, dass eine Projektförderung zurückgenommen werden muss. Eine Pflicht zur extraterritorialen Gewährung physischen Schutzes kann dagegen im Regelfall nicht hergeleitet werden. Erfolgt eine extraterritoriale Menschenrechtsbeeinträchtigung, so kann es in besonders schwerwiegenden Fällen erforderlich sein, ein bestimmtes Verhalten zu bestrafen bzw. anstelle dessen oder daneben ein Rechtsmittel zur Wiedergutmachung zu gewähren. Die Sanktionierung hat gerade wegen ihrer Präventionswirkung eine große Bedeutung für die menschenrechtliche Einhegung unternehmerischen Verhaltens im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung. Letztlich können daneben Pflichten im Rahmen der internationalen Kooperation entstehen. Dies ist etwa dann bedeutsam, wenn einheitliche Rahmenbedingungen für die Außenwirtschaftsförderung geschaffen werden sollen. Zwar besteht keine Pflicht, sich international-kooperativ zu einigen, internationale Kooperation muss dagegen aber menschenrechtlich weitestmöglich überformt werden.
E. Zusammenfassende Ergebnisse und Schlussbetrachtung Die Untersuchung hat gezeigt, dass das Menschenrechtsvölkerrecht grundsätzlich einen, wenn auch unvollständigen, extraterritorialen Schutz fordert. Die Reichweite dieser extraterritorialen Schutzpflichten bestimmt sich nach dem Menschenrecht, nach der einschlägigen Rechtsquelle und nach dem betroffenen Sachverhalt. Eine pauschale Aussage darüber, wie weit der extraterritoriale Schutz gefordert wird, kann daher nicht getroffen werden. Will man das Ergebnis der Untersuchung nach der Existenz extraterritorialer Schutzpflichten dennoch gliedern, so wird deutlich, dass die meisten Menschenrechte nur so weit zu schützen sind, als auch die staatliche „Jurisdiktion“ im Sinne des Menschenvölkerrechts, sprich: die effektive Kontrolle eines Staates, reicht. Andere, von der Völkerrechtsordnung als besonders bedeutsam angesehene Menschenrechte haben einen räumlich unbeschränkten Anwendungsbereich und sind damit grundsätzlich global zu schützen. Die extraterritorialen Schutzpflichten ergeben sich dabei vorwiegend aus dem Völkervertragsrecht, nur in Ansätzen sind sie im Völkergewohnheitsrecht zu finden und ergeben sich gar nicht aus den übrigen Völkerrechtsquellen. Eine positive Entwicklung ist hier nicht zu erwarten. Wenn auch damit die räumliche Reichweite der menschenrechtlichen Schutzpflichten klarer bestimmt wurde, so kann aber noch keine Aussage darüber getroffen werden, wann eine konkrete Schutzverantwortung eines Staates entsteht. Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der extraterritorialen Schutzpflichten orientieren sich grundsätzlich an den Maßstäben, die für intraterritoriale Schutzpflichten entwickelt wurden. Die grundlegende Besonderheit für extraterritoriale Schutzpflichten, die in dieser Arbeit vertieft herausgearbeitet wurde, ist das Erfordernis einer Garantenstellung. Diese kann auf unterschiedliche Weise begründet werden, wobei die hier erläuterten Fallgruppen nicht abschließend zu verstehen sind. Eine solche Garantenstellung für den Schutz extraterritorialer Menschenrechte kann sich einerseits immer dann ergeben, wenn ein Staat selbst bereits extraterritorial handelt, so etwa im Falle der extraterritorialen effektiven Kontrolle über Gebiete, Personen oder Sachen. Andererseits entsteht sie immer dann, wenn die Quelle der Gefahren von dem Verpflichtungsadressaten beherrschbar ist, mithin im Regelfall also intraterritorial belegen ist oder zumindest intraterritorial im Entstehen befindlich ist. Schließlich kann sich eine Garantenstellung immer dann ergeben, wenn der extraterritorialen menschenrechtswidrigen Situation ein staatliches, nach außen gerichtetes und gefahrerhöhendes Verhalten vorausgegangen ist.
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E. Zusammenfassende Ergebnisse und Schlussbetrachtung
Liegen die Voraussetzungen der extraterritorialen Schutzpflichten vor, so ist das auf Rechtsfolgenseite entstandene Handlungsgebot vor allem durch den Grundsatz der Unmöglichkeit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Besonders bedeutsam für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten ist dabei die Grenze der extraterritorialen Handlungsfähigkeit der Verpflichtungsadressaten. Diese ergibt sich aus dem allgemeinen Völkerrecht und überlagert die Erfüllbarkeit der extraterritorialen Schutzpflichten. Mit anderen Worten: Nur so weit, wie ein Staat extraterritorial nach allgemein-völkerrechtlichen Grundsätzen handeln darf, ist er auch verpflichtet, zum Schutz der Menschenrechte zu handeln. Die bedeutsamste Handlungsform gerade für die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten ist die Ausübung vorschreibender, das heißt: extraterritorial verhaltenslenkender oder auch präskriptiver Jurisdiktion gegenüber privaten Akteuren. Diese wird beispielhaft durch die Gesetzgebung ausgeübt. Bei der Beantwortung der Frage, wann konkret die Ausübung verhaltenslenkender Jurisdiktion völkerrechtlich zulässig ist, kommt es darauf an, ob der jurisdiktionsausübende Staat einen hinreichenden Anknüpfungspunkt zum extraterritorialen Sachverhalt hat und ob sein Interesse an der Ausübung dieser Jurisdiktion einem etwaig entgegenstehenden Interesse des anderen Staates überwiegt. Die erste Voraussetzung wird exemplarisch für den hier behandelten Grundfall der Außenwirtschaftsförderung stets dadurch erfüllt sein, dass die geförderten privaten Akteure fast nur eigene staatsan- oder -zugehörige Personen sind und sich der hinreichende Anknüpfungspunkt bereits aus dieser personellen Verknüpfung zum Heimatstaat ergibt. Die zweite Voraussetzung wird im Ergebnis ganz überwiegend angenommen werden können, wenn nicht außergewöhnlich gewichtige Interessen des Gaststaates entgegenstehen. Ist dieser gar selbst an korrelierende (dann aber für ihn intraterritoriale) Schutzpflichten gebunden, so ist das überwiegende Interesse am Menschenrechtsschutz pauschal anzunehmen. Sämtlichen anderen staatlichen Handlungsformen, wie etwa der Ausübung der exekutiven extraterritorialen Jurisdiktion im Allgemeinen oder gar der Ausübung speziell militärischer Gewalt, sind strikte völkerrechtliche Riegel vorgeschoben. Sie können nur in seltenen Ausnahmesituationen zugelassen werden. Der grundsätzlich „altruistische“ Zweck bei der Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten mittels exekutiver Maßnahmen heiligt nicht das Mittel. Daneben stehen im Regelfall auch der Grundsatz der Unmöglichkeit und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Ausübung extraterritorialen exekutiven Handelns entgegen, selbst wenn diese mit Zustimmung oder Duldung des anderen Staates erfolgte. Praktisch wird ein solches Handeln daher, zumindest von den extraterritorialen Schutzpflichten, nicht gefordert sein. Das Beispiel der Außenwirtschaftsförderung erfüllt die Voraussetzungen für extraterritoriale Schutzpflichten und ist damit grundsätzlich menschenrechtlich zu überformen. Eine Garantenstellung für extraterritoriale Menschenrechte ent-
E. Zusammenfassende Ergebnisse und Schlussbetrachtung
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steht durch das mit der Förderungshandlung verwirklichte, nach außen gerichtete und gefahrerhöhende staatliche Vorverhalten. Der extraterritoriale Menschenrechtsschutz fordert von der Außenwirtschaftsförderung vor allem eine hinreichende Risikoprognose des in Frage stehenden Vorhabens vor der Gewährung einer Förderung. Er fordert die Einstellung der Förderung dann, wenn sich eine Gefahrenlage abzeichnet, und schließlich, soweit möglich und angemessen, die nachträgliche Sanktionierung etwaigen menschenrechtswidrigen Verhaltens. Insgesamt fordert das Menschenrechtsvölkerrecht die Einhaltung einer Vielzahl von Sorgfaltspflichten vor, während und nach der Förderung. Die deutsche Außenwirtschaftsförderung genügt den dargelegten Anforderungen noch nicht. Dabei ist nicht nur die mangelnde Transparenz ein großes Manko im Rahmen des Förderverfahrens. Vor allem das Bewusstsein, extraterritoriale Menschenrechte umfassend schützen zu müssen, fehlt oder wird missachtet. Was im Rahmen der OECD für den Umweltschutz und in Ansätzen für soziale Aspekte bereits geschaffen wurde, ist für den Menschenrechtsschutz mindestens ebenso umfassend gefordert. Die bislang als hinreichende Standards erachteten Common Approaches der OECD betreffen nur einige soziale Auswirkungen und damit menschenrechtliche Teil-Aspekte der geförderten Vorhaben nur ganz am Rande. Dort nämlich wird etwa nur dem Schutz vor Vertreibung oder dem Schutz indigener Völker Rechnung getragen. Daneben mangelt es den Common Approaches an einer hinreichenden Verbindlichkeit, Deutlichkeit und vor allem Durchsetzbarkeit. Die – bis dato noch nicht abgeschlossene – Überarbeitung der Common Approaches zeigt ferner, dass dem Menschenrechtsschutz mindestens ebenso wenig Beachtung geschenkt werden wird wie zuvor. Zu erwarten ist sogar eine Lockerung der bisherigen Sozialstandards. Aufgrund des internationalen Förderungswettlaufs verdichtet sich die Meinung der Exportstaaten, dass der Außenwirtschaftsförderung keine eingrenzenden Kriterien aufzuerlegen sind. Das vorgebrachte Argument, internationale Probleme erforderten Lösungen im Rahmen der internationalen Kooperation ist sinnig, verkannt wird aber, dass die Bestrebungen im Rahmen der OECD nicht die individuellen menschenrechtlichen Schutzpflichten der Staaten in ihrer Gültigkeit ersetzen. Die Pflichten sind weder subsidiär noch alternativ gegenüber den internationalen Kooperationspflichten und sind unbedingt an die einzelnen Vertragsparteien der Menschenrechtsverträge adressiert. Eine – so könnte man den Zustand bezeichnen – „Flucht in die Common Approaches“ ist daher, zumindest so, wie sie gegenwärtig ausgestaltet sind, nicht völkerrechtskonform, da sie dem Menschenrechtsschutz nur auf den aller-kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren. Die Schaffung eines internationalen vertraglichen Regelwerkes zum Menschenrechtsschutz, dem die Exportkreditagenturen genügen müssten, ist zwar durchaus wünschenswert, aber angesichts gegenläufiger Tendenzen weder aktuelle Rechtswirklichkeit noch in absehbarer Zeit realisierbar.
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E. Zusammenfassende Ergebnisse und Schlussbetrachtung
Für die Adressaten der Menschenrechtspflichten besteht nicht nur ein Handlungsbedarf, sondern auch eine klare (völker-)rechtsverbindliche Handlungspflicht, die gegenwärtig nicht erfüllt wird.
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Stichwortverzeichnis Abwägungslehre 256 ff., 271 f., 277, 284, 312 Aktives Personalitätsprinzip 65, 311 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) 81, 130, 145, 149, 158, 176, 263 ff. Arrangement on Officially Supported Export Credits 33 Atomexport 37 ff., 159 f. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen 84, 85 ff., 96, 108, 151 f., 213 f., 216, 219 f., 221, 290, 309 Außenwirtschaftsförderung 23 ff., 160 ff., 218 f., 291 ff.
Export Development Canada (EDC) 173 f., 310 Exportkreditgarantien 29 Extraktive Industrie 38
Bankovic-Urteil 64 ff., 70, 72, 76, 80 f., 92 Beihilfe (Staatenverantwortlichkeit) 87 f., 295, 297 ff. Beobachtungspflichten 314 ff.
Hermes-Bürgschaften 25, 27, 29 f., 218, 304, 310 f. Human Rights Impact Assessment 173, 308 ff., 326 Humanitäre Hilfeleistung 152 ff., 284 Humanitäre Intervention 183, 280 f., 282 ff.
Charta der Vereinten Nationen (VNC) 125 ff. Comity 257 f. Common Approaches (OECD) 33 f., 161 ff., 167 ff., 169 ff., 184 f., 324, 329 Courtoisie 257, 259 domaine réservé 129, 287 f. Effektive Kontrolle 70 f., 72 ff., 107 f., 121 ff., 139 f., 143, 206 ff., 295 f. Embargo 27, 40, 77, 157, 220 f., 278 espace juridique 80 f. Estoppel 270 f. Europäische Sozialcharta (ESC) 146
Failed State 274, 281 f., 287 Forum Non Conveniens 155 Friendly Relations Declaration 286 Garantenstellung 203 ff., 222, 279, 302 ff. Gegenmaßnahmen 221, 268 ff. Gewaltverbot 280 ff., 286, 287 f.
Ilascu-Urteil 84, 92 Ilisu-Staudammprojekt 35 ff., 165 ff., 171, 172, 175, 316 Ingerenz 214 f., 216, 220 f., 279 International Union of Credit and Investment Insurers (BerneUnion) 32 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) 99 ff. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) 109 ff. Interventionsverbot 133, 252, 256, 285 ff. Investitionsgarantien 28 Ius Cogens 42, 97, 98, 180, 243, 265, 280
Stichwortverzeichnis Jurisdiction to enforce 68, 273 ff. Jurisdiction to prescribe 68, 230 f., 234 ff., 246 ff., 290, 321 Jurisdiktionsklausel 63 ff., 101 ff., 115 ff., 135 f., 138, 143 Kolonialklausel 61 ff., 101 ff., 139 Kontrollpflichten 314 ff. Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (VöMK) 138 ff. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) 58 ff., 108 f. Kooperationspflichten 116, 119, 124, 131, 138, 275, 281 f., 324 f. Kriegswaffenkontrolle 156 ff., 216 f. Kurative Pflichten 318 ff. Loizidou-Urteil 74 f., 83 Lopez-Ostra-Urteil 214 f., 218 Lotus-Entscheidung 236 f., 273 Maheshwar-Staudammprojekt 37, 164 f. Militärische Intervention auf Einladung 280 f. Mittäterschaft (Staatenverantwortlichkeit) 299 f. Nationale Kontaktstelle (OECD) 314 Negative Pflichten 49 Nicaragua-Urteil 278, 295, 297 Nicht-Diskriminierungsprinzip 177 Non-Refoulement 85, 151 North Sea Continental Shelf-Urteil 259 OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen 44, 168, 172, 306, 314 Osman-Urteil 195 Passives Personalitätsprinzip 241 f. Persuasion 93, 234, 239, 311
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Positive Pflichten 49, 78 f., 84, 112, 188, 122, 203 f., 209, 225, 228 Prinzip der guten Nachbarschaft 178 Rechtsmissbrauch 253 f. Responsibility to Protect 182 f., 285 Restatement of the Law of Foreign Relations of the United States 245, 249, 261 f. Risikoanalyse 196, 217, 218, 308 f., 310 Sanktionspflichten 320 ff. Schutzprinzip 59 f., 65, 244 f. Shanaghans-Urteil 215 Soering-Urteil 86, 90, 92, 194 Staatenverantwortlichkeit 25, 87 f., 180, 268, 293 ff., 298 f. Territorialitätsprinzip 239, 246, 247, 249, 274, 277 Trail-Smelter-Fall 178 f., 205, 209 Transparenzgebot 306 f. Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (AntiFoK) 134 ff. Übereinkommen über die Rechte des Kindes (KRK) 137 f. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (ÜRMB) 141 f. Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDW) 144 f. Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD) 142 f. United Nations Global Compact, die Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy 44 Universalitätsprinzip 175 f., 242 ff. Untersuchungspflichten 319 f.
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Stichwortverzeichnis
Velasquez-Rodriguez-Urteil 305 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 195 f., 227 f., 252 f. Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomwaffensperrvertrag) 160
Wirkungsprinzip 244 ff. Zurückhaltungsgebot 254 f.